Die Macht der Kunstkritik: Ludwig Hevesi und die Wiener Moderne . Übersetzung aus dem Ungarischen [1 ed.] 9783205216162, 1867187588, 9783205216148

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Die Macht der Kunstkritik: Ludwig Hevesi und die Wiener Moderne . Übersetzung aus dem Ungarischen [1 ed.]
 9783205216162, 1867187588, 9783205216148

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ILONA SÁRMÁNY-PARSONS

Die Macht der Kunstkritik Ludwig Hevesi und die Wiener Moderne

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ilona Sármány-ParSonS

Die Macht der Kunstkritik Ludwig Hevesi und die Wiener Moderne

Böhlau Verlag Wien Köln

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Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung durch: MA 7, Kulturabteilung der Stadt Wien Péter Horváth-Stiftung Stuttgart Dataneum Ingatlan Zrt. Szépművészeti Múzeum Budapest

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel „Bécs művészeti élete Ferenc József korában, ahogy Hevesi Lajos látta“ bei Balassi Kiadó. © 2022 Böhlau, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Übersetzung: © P. Dietlinde D. Korrektorat: Dore Wilken Abbildung Titelbild: Rudolf von Alt: Der Stephansdom in Wien, 1872 (národní galerie Praha) Abbildung Rückseite: Secession, Wien, aufgenommen von der Autorin Umschlaggestaltung: Balázs Czeizel Satz: Balázs Czeizel

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21616-2

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Inhalt

Ernst Bruckmüller: Ilona Sármány Parsons und Ludwig Hevesi.........................................9 Vorwort der Autorin .........................................................................................................................................11 Einleitung................................................................................................................................................................14 Kunststadt Wien.............................................................................................................................................15 Lebenslauf von Ludwig Hevesi..................................................................................................................22 Der Beginn der Journalistenlaufbahn in Wien ............................................................................28 Die Vorteile der leitung des Feuilletons..........................................................................................28 Persönlichkeit und habitus.....................................................................................................................33 Kunstkritik in Europa vor der Mitte des 19. Jahrhunderts ...................................................46 Die Kunstkritik und das Feuilleton....................................................................................................48 Die lage der Kunstkritik in Frankreich...........................................................................................49 Die Rolle der Weltausstellungen bei der aufwertung der Kunstkritik ..........................55 Die Rolle der Kunstkritik in England ...............................................................................................59 Die Dualität der Praxis der deutschen Kunstkritik...................................................................72 Kunstinstitutionen im deutschen Sprachraum...........................................................................73 Die Wiener Szene..........................................................................................................................................76 Kunstkritik und Musikkritik in Wien ...............................................................................................78 Die Jahre in Pest, 1867–1875........................................................................................................................88 Die Presse in Pest..........................................................................................................................................89 Die anfänge als Feuilletonist .................................................................................................................91 Universelles Interesse, aber im Zentrum steht die bildende Kunst ................................95 Die „nabelschnur“: die artikel über die ungarische Kunst ..................................................98 Die ersten Jahre als Kritiker in Wien.................................................................................................104 Die Entwicklung der Methoden des Kritikers............................................................................105 Die alltäglichen aufgaben des Journalisten .................................................................................112 1877 – die realistische Wende in der deutschen Kunst..........................................................117 Die Jubiläumsausstellung der akademie .......................................................................................122 Der erste „Budapester Salon“................................................................................................................123 Erweiterung des horizonts und Festigung der Vermittlerrolle........................................126 1878 ......................................................................................................................................................................127 1879......................................................................................................................................................................129 Die künstlerische Bilanz des Jahrzehnts in München ..........................................................130

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DIE Macht DER KUnStKRItIK

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Europäisches Panorama in den 1880er Jahren ............................................................................140 Änderungen in der Kunstwelt ..............................................................................................................141 Die Wiener Kunstszene in den 1880er Jahren ............................................................................147 1880......................................................................................................................................................................148 1881 ......................................................................................................................................................................149 1882 ......................................................................................................................................................................150 1883......................................................................................................................................................................159 Die 1880er Jahre II..........................................................................................................................................164 1884......................................................................................................................................................................165 Das symbolische Ende der Epoche: hans Makarts tod.......................................................168 1885 ......................................................................................................................................................................172 landschaftsmalerei in den 1880er Jahren.....................................................................................174 1886 .....................................................................................................................................................................176 1887......................................................................................................................................................................179 1888......................................................................................................................................................................183 1889......................................................................................................................................................................191 Der Wiener „Salon der Zurückgewiesenen“ 1889......................................................................194 Die rasante Änderung auf allen Gebieten der Kultur ...........................................................196 Die Wiener Kunstszene .............................................................................................................................200 1890 .....................................................................................................................................................................201 1891......................................................................................................................................................................208 1892......................................................................................................................................................................218 1893 .....................................................................................................................................................................224 1894 – das Jahr der internationalen ausstellung......................................................................234 Gastspiel der „Moderne“ .........................................................................................................................240 Die radikale Wende in der Wiener Kunstkritik.........................................................................242 1895 ......................................................................................................................................................................242 Gschnas „Fin de siècle“ ............................................................................................................................243 XXIII. Jahresausstellung...........................................................................................................................245 1896......................................................................................................................................................................251 Intermezzo: die Kritiker und die Künstlerlobbys.....................................................................253 Im Strudel der Secession ...........................................................................................................................268 1897 – die Parteilichkeit der Kritik ...................................................................................................271 Der Skandal....................................................................................................................................................276 1898: Die große Konfrontation und der Durchbruch ............................................................282 Die zweite ausstellung der Secession.............................................................................................293 1899.....................................................................................................................................................................299 1900: Pyrrhussieg?...........................................................................................................................................308 Die Pressekampagne um die Fakultätsbilder.............................................................................309 Die Konfrontation eskaliert: die Philosophie...............................................................................310 Die Medizin .....................................................................................................................................................322

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Inhalt

Geänderte Strategie – Kritiken von 1902 ........................................................................................336 Ein Blick auf das Mäzenatentum......................................................................................................339 neue Mäzene.................................................................................................................................................342 Zenit des Symbolismus – Die toorop-ausstellung .................................................................349 Die Beethoven-ausstellung ...................................................................................................................352 Ein kanonisierendes Buch: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert...................364 Erster teil: 1800–1848 ...............................................................................................................................368 Zweiter teil: 1848–1900 ............................................................................................................................372 Die neuzeit ....................................................................................................................................................382 Die Rezeption des Buches.....................................................................................................................387 Internationaler Erfolg und heimische Niederlage....................................................................392 1903: Der Ertrag des Impressionismus für Wien I ..................................................................393 Visuelles „Überangebot“ und die Rolle des Staates ................................................................400 Ungarisches Intermezzo.........................................................................................................................402 Klimt-Retrospektive ..................................................................................................................................405 1904–1905: symbolische niederlage der Secession ..................................................................410 Die Spaltung der Secession...................................................................................................................412 Nachhutgefechte und Resignation......................................................................................................418 1906–1909 ........................................................................................................................................................419 hevesis Essay für „The Studio“.............................................................................................................422 „navigare necesse est“...............................................................................................................................424 Die Kunstschau 1908.................................................................................................................................427 Die Internationale Kunstschau 1909...............................................................................................434 Die Kritiken nach der anthologie Altkunst – Neukunst...........................................................438 Die Synthese von Vergangenheit und Gegenwart....................................................................442 Kunstkritik-anthologien ........................................................................................................................446 Nachklänge und Bilanz...............................................................................................................................452 nachrufe und Erinnerungen ................................................................................................................453 Die Monografie über Rudolf von alt...............................................................................................456 Die heutige Bilanz......................................................................................................................................459 Skepsis gegenüber der Kritik selbst.................................................................................................462 hevesis Platz in der Kunstkritik der Monarchie .....................................................................464 Seine Identitäten........................................................................................................................................466 Die Macht der Kunstkritik in Wien.................................................................................................467 Anhang ...................................................................................................................................................................473 abbildungsverzeichnis.............................................................................................................................473 liste der Werke von ludwig hevesi .................................................................................................481 Bibliografie .....................................................................................................................................................482

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Vorwort Von Ernst BruckmüllEr: Ilona sármány Parsons und ludwIg HEVEsI als Ergebnis ihres Forschungsschwerpunkts „wien um 1900“ und die kunsthistorische Entwicklung Zentraleuropas erschien bereits 1987 Ilona sármánys Buch über gustav klimt, das zuerst auf Englisch, dann aber auch auf deutsch, ungarisch, Französisch, russisch, tschechisch und Japanisch publiziert wurde. Ferner veröffentlichte sie eine reihe von bahnbrechenden studien über architektur, kunstgewerbe und malerei der österreichisch-ungarischen monarchie, aber auch über Fragen des mäzenatentums in Budapest und wien um 1900. 1984 übersiedelte sie mit ihrem gatten, dem englischen schriftseller nicholas t. Parsons, nach wien. ab den 1990er Jahren führte sie ihre Forschungs- und unterrichtstätigkeit weiter, sie lehrte an der wiener universität, in Prag, in nottingham und wieder in Budapest. Von 1991 bis 2015 war sie Visiting Professor an der central European university, wo sie über die kulturgeschichte der visuellen künste in Zentraleuropa (mit Vorlesungen und seminaren) unterrichtete. Im Jahr 2000 war sie fünf monaten lang Fellow im getty research center in los angeles. 2016 kuratierte sie eine große ausstellung in der Budapester mucsarnok (kunsthalle) unter dem titel tHE FIrst goldEn agE. diese ausstellung stellte die verschiedenen nationalen malerschulen (die österreichische, tschechische, polnische, kroatische und ungarische) der österreich-ungarischen monarchie vergleichend für ein großes Publikum dar; 169 gemälde aus 22 museen und kunstsammlungen bewiesen plastisch, dass diese Epoche für die künste überall in der doppelmonarchie eine Blütezeit bedeutete. Ihre zuletzt publizierte umfassende studie in deutscher sprache ist das kapitel über die malerei der Habsburgermonarchie 1848-1918, der im 2. teilband des Bandes X. (kulturgeschichte) des 12-bändgen standardwerks der österreichischen akademie der wissenschaften zur geschichte der Habsburgermonarchie 1848-1918 erschien (wien 2021) – wieder für die gesamte monarchie. wie ludwig Hevesi sucht sie allen künstlerischen Bestrebungen der verschiedenen nationen in diesem raum gerecht zu werden. Früh schon erregte ludwig Hevesi Ilona sármánys aufmerksamkeit. Von 2003 bis 2006 erschien eine dreiteilige abhandlung der kunsthistorikerin über Hevesi und die schaffung eines kanons der österreichischen kunst in der Zeitschrift „Österreich in geschichte und literatur“. diese studie bietet nicht nur einen biographischen überblick, sondern behandelt mit großer umsicht die möglichkeiten und grenzen jener neuartigen kunstkritik, deren meister Hevesi wurde. Eine neue literarische gattung spielte dabei eine zentrale rolle – das Feuilleton. „unter dem strich“ konnte lockerer formuliert werden und man konnte angesichts des Fehlens „objektiver“ kriterien der kunstkritik (abgesehen vom rein Handwerklichen) auch verschiedene voneinander abweichende standpunkte einnehmen. Eine Erfindung der Pariser Presselandschaft, stieß diese neue art des schreibens im deutschen sprachraum besonders in wien auf ein aufnahmebereites

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Die maChT Der KunSTKriTiK

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Publikum. hevesi schrieb zahlreiche kleine, meist vergnüglich zu lesende Feuilletons, unter anderem als Früchte seiner zahlreichen reisen. Daraus entstand eine staunenswerte Fülle von Bänden, in denen Kurzgeschichten zu einzelnen Themen (oder regionen) gemeinsam veröffentlicht wurden. er muss ein unglaublich fleißiger Schreiber gewesen sein, die Zahl seiner Publikationen ist legion. Das Feuilleton wurde das medium der Kunstkritik. und hevesi wurde der führende Kunstkritiker Wiens. als die neue malerei, die man später „Jugendstil“ nannte, in der 1897 gegründeten Sezession ihre heimat fand, wurde hevesi ihr begeisterter und begeisternder Prophet. Dass der Wahlspruch der Sezession, „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ von ludwig hevesi stammt, ist in Wien durchaus bekannt geblieben. hevesi ist aber auch der autor der ersten österreichischen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. mit diesen zwei Bänden (österreichische Kunst i, 1800 – 1848, österreichische Kunst ii, 1848 – 1900, beide leipzig 1903) legte hevesi – unabsichtlich – den grundstein für viele spätere einschätzungen des österreichischen Kunstschaffens im 19. Jahrhundert! Denn er kannte und schätzte nicht nur Zeitgenossen, sondern liebte und verehrte auch viele der älteren maler, allen voran rudolf von alt, der ja nun in der Tat noch aus dem „Biedermeier“ stammte. und seine urteile über die früheren Künstler waren genauso feinfühlig und kompetent wie die über die Zeitgenossen. nun also liegt „der“ hevesi, neu, inhaltlich komplett und reich illustriert, auch in deutscher Sprache vor. Wir wünschen diesem so besonderen Buch und seiner autorin viel erfolg bei leserinnen, lesern und der Kritik! hevesi hat sich’s verdient. Ernst Bruckmüller Wien, im Sommer 2022



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VorWorT Der auTorin

Dieses Buch behandelt eine Vielzahl unterschiedlichster kultureller aspekte. Seine hauptfigur aber ist ludwig (lajos) hevesi, ein mitteleuropäischer intellektueller, der sieben Sprachen konnte und in zwei Sprachen (ungarisch, hauptsächlich jedoch Deutsch) in wunderbarem Stil aufsätze über die bildenden Künste, das Theater und die literatur, kurz, über das lebenswerte leben, für das gebildete Publikum schrieb. er schrieb so, dass durchschnittlich gebildete Zeitungsleser es verstanden. ludwig hevesis umfangreiches lebenswerk – das bislang nur in Bruchstücken bekannt ist – verpflichtet den, der sich mit ihm beschäftigt, für ein möglichst großes Publikum zu schreiben. obgleich sich einzelne Teile seines lebenswerkes hervorragend für eine Fallstudie im fachsprachlichen Diskurs der moderne eignen, musste ich es jedoch mit einer undankbareren und leichter erscheinenden, in Wirklichkeit aber schwereren lösung versuchen. ich musste nämlich die ergebnisse einer analyse zahlreicher Teilkriterien anhand verschiedener nuancierter Fragestellungen zu einer allgemein verständlichen kulturhistorischen narration zusammenzufügen. Das Buch behandelt drei hauptthemen: Zum einen erschließt es den kunstkritischen Teil in hevesis lebenswerk, zum anderen stellt es ausstellungen in Wien zwischen 1875 und 1910 von einer neuen Seite dar, und schließlich behandelt es anhand von hevesis Kritiken die entwicklung und die Professionalisierung der Kunstkritik in Wien über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten. im Fokus steht der Paradigmenwechsel in den 1890er Jahren, als in der Kunstkritik anstelle einer an traditionell historisierend-akademischen maßstäben ausgerichteten normativen Ästhetik ein intuitiver und relativierender, stets das neue, das ungewöhnliche und das experimentelle in den mittelpunkt stellender ansatz trat. Diese neue Sichtweise der Kritik wandte sich immer stärker gegen das bis dahin anerkannte, Bekannte und liebgewonnene, um dann sowohl den Kunstschaffenden als auch den rezipienten einen immer schnelleren rhythmus und einen ständigen Wechsel des geschmacks abzuverlangen. neben diesen hauptthemen sollen auch die verborgenen kulturellen und sozialpsychologischen mechanismen aufgezeigt werden, die die akteure der Kunstszene immer schneller neue Wege einschlagen ließen und die schließlich die Position der einzelnen Werke und der Künstler bestimmten und beinahe schicksalhaft darüber entschieden, wer in den Kanon der als „unsterblich erscheinenden“ genies aufgenommen wurde. Das war am schnellsten (unter anderem) über die öffentlichen Sammlungen, die museen zu erreichen. nicht alle akteure und hauptpersonen sahen klar und deutlich, was vor sich ging. andere konstruierten und planten mit „mephistophelischer Berechnung“ taktische und strategische Schritte, um ihre macht auszubauen oder ihre bereits eingenommenen Positionen zu festigen. Die verborgene „Botschaft“ der aus der englischen Fachsprache

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Die maChT Der KunSTKriTiK

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übernommenen Begriffe „Konstruieren“ und „Konstruktion“ suggeriert, dass jede Kalkulation das resultat von Berechnung und manipulation war, doch auch instinkt und Zufall spielten eine rolle. laut dem derzeitigen Konsens am anfang des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist alles konstruiert, und das lässt kaum raum für instinktive, intuitive und oft von unreflektierten Begierden bestimmte lebenswege. Dieser Konsens geht davon aus, dass überall und immer eine für unsere Zeit charakteristische, auf interessen ausgerichtete manipulation vorherrschte. ich versuche in diesem Buch darzulegen, dass sich der mensch der vorletzten Jahrhundertwende (und vor ihm der mensch des historismus), obwohl er bereits sehr viel über die ineinandergreifenden mechanismen von Seele und geist wusste, sich fortwährend krampfhaft analysierte und sich nicht „erfinden“ wollte, und zwar auch dann nicht, wenn er Künstler oder intellektueller war. er versuchte nicht, seine eigene Persönlichkeit so zu konstruieren, dass er seine Zeitgenossen leichter manipulieren konnte. Sowohl bei den Kunstschaffenden als auch beim Publikum war raum für selbstlose Begeisterung, für die selbstlose liebe zur Kunst und musik und für die identifizierung mit der einen oder anderen moralischen idee, dem einen oder anderen moralischen ideal. Denn die Besten der intellektuellen elite waren noch dem Traum der aufklärung, der Verbesserung des menschen und seiner gesellschaft, verpflichtet und relativierten und analysierten das gegensatzpaar von gut und Böse nicht solange, bis es zu nichts wurde. natürlich war die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wie die meisten epochen, in denen sich ein Paradigmenwechsel vollzog, zum einen eine epoche der entfaltung und zum anderen eine des Sündenfalls, in der, um es mit dem ungarischen Dichter ady zu sagen, „alles ganze zerbrochen ist“. Da ich die ungarische Kultur unweigerlich (auch) von Wien aus betrachte, und die Wiener Kultur aus Budapest, stelle ich sie vielleicht auch etwas anders dar als die englischen, amerikanischen, französischen oder deutschen autoren. Schon allein um dieses Wienbildes willen, das sich aus dieser nachbarschaft bietet, hat es sich gelohnt, fast dreißig Jahre darüber nachzudenken, wie und weshalb sich die Dinge in dieser Stadt ereignet haben, die die ungarn beneidet und insgeheim geliebt haben, auch wenn sie das nicht einmal sich selbst gegenüber zugegeben hätten. Somit ist dieses Buch – hoffentlich beziehungsweise in seiner intention – zugleich alt und neu. es wäre nicht möglich gewesen, wenn es nicht schon vorher großartige Überblicksdarstellungen gegeben hätte. ich verneige mich vor allen, die vor mir gutes oder klug und schön über Wien geschrieben haben, unabhängig davon, zu welcher epoche ihre arbeiten gehören und welches ihre lesart der Zeit ist.1 Dank gebührt vor allem Professor Carl e. Schorske, denn hätte er nicht auf bahnbrechende und poetisch überzeugende Weise das image Wiens beschrieben, wäre es im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts nicht (oder zumindest nicht in dieser Weise) zur kulturhistorischen auferstehung der Stadt gekommen. Seine persönliche ermunterung hat mir sehr geholfen, deshalb widme ich auch ihm dieses Buch. auch herrn Professor moritz Csáky, hat dieses Werk sehr viel zu verdanken. er hat von anfang an die Forschung über hevesi unterstützt. ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich meinen österreichischen Freunden und Kollegen, die mir jahrzehntelang geholfen und mich ermuntert haben, dieses Buch trotz

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VorWorT Der auTorin

der vielen hindernisse zu beenden. also sollen hier ihre namen stehen: Dr. Wladimir aichelburg, Prof. Dr. ernst Bruckmüller, Botschafter Dr. emil Brix, Dr. Cornelia Cabuk, Direktor a. D. Dr. gerbert Frodl, Dr. géza hajós, Dr. alexander Klee, Prof. Dr. Walter Krause, Dr. erika Patka, Prof. Dr. hannes Stekl, Dr. Peter urbanitsch, Dr. oskar Wawra und Dr. Christian Witt-Dörring. Besonderer Dank gilt der Übersetzerin Piroska D. D. für die Bearbeitung des Textes. Schließlich möchte ich mich bei meinem mann nicholas T. Parsons herzlich dafür bedanken, dass er meine Forschungsarbeit jahrzehntelang durch seine geduld und sein Verständnis unterstützt hat und mir bei der Vollendung dieses Buches in jeder hinsicht behilflich war.

*** ich widme dieses Buch dem andenken an meine eltern: an meine mutter, die mir trotz widriger umstände das Studium ermöglichte, damit ich Kunsthistorikerin werden konnte, und an meinen Vater, der noch als Bürger der monarchie geboren und mit einem Vorabitur an die italienische Front geschickt wurde, um dort fast noch als Kind für den Bestand der monarchie zu kämpfen. unter dem eindruck des grauens, das er tagtäglich erlebte, beschloss er, Chirurg zu werden, um leben zu retten, falls er den Krieg überleben sollte. Sein Schicksal wurde auf grausame Weise vom ersten Weltkrieg und dann vom 20. Jahrhundert bestimmt, dessen unmenschliche ereignisse die unruhigen und disharmonischen Jahre um die Jahrhundertwende zu einer epoche der harmonie idealisierten.

Ilona Sármány-Parsons

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Die Bibliografie belegt, dass ich die arbeiten sehr vieler autoren in dieses Buch integriert habe. Dafür danke ich ihnen.

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einleiTung

Kunststadt Wien Die Kultur der Kaiserstadt ist seit 40 Jahren ein lieblingsthema der kulturhistorischen Forschung. Das interesse ist jedoch selektiv und konzentriert sich auf einige leitmotive, sodass dieselben Themen immer und immer wieder abgehandelt werden. Wien gehört zu den ausgesprochen glücklichen Städten europas, die im laufe ihrer langen geschichte mehrere Blütezeiten erlebt haben: die Jahrzehnte des Barock und des Biedermeier, des historismus und der Secession. Diese Zeiten haben bleibende Spuren im image der Stadt hinterlassen, sodass die organischen Bestandteile der jeweiligen gegenwart nicht nur die physischen Fundamente ihrer gebäude und blühenden institutionen, sondern auch die grundpfeiler der identität und der kollektiven erinnerung der Stadt bilden. Was für Wien gilt, das in den letzten dreihundert Jahren nahezu ein kontinuierliches goldenes Zeitalter erlebte, das heißt, zu den wichtigsten Zentren verschiedener Kunstzweige, „der Kultur der Sinne“ gehörte, können nur wenige Städte von sich sagen. Wien war ein Zentrum der Kreativität. Diese Blütezeiten wurden in der historischen erinnerung der generationen zwar von Zeit zu Zeit umgewertet (auf- oder abgewertet), aber sie verschwinden niemals ganz aus der Wahrnehmung. an diese Zeiten ist die existenz so vieler bleibender gebäude und institutionen geknüpft, sodass ihre Pflege einen untrennbaren Bestandteil auch der gegenwartskultur der Stadt darstellt. Das macht Wien nicht nur zu einer Stadt mit attraktivem Äußerem, sondern ist auch ein wichtiger Bestandteil des hohen lebensstandards, der Qualität des lebens in der Kaiserstadt. mittelbar hat auch der blühende Kulturtourismus seine existenz diesem umstand zu verdanken, der wiederum eine Quelle des hohen lebensstandards ist. Diese kulturelle identität (oder identitätskonstruktion, um es mit einem modischen Begriff der geschichtswissenschaft zu sagen) wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg, ja eigentlich erst ab den 1960er Jahren, schrittweise herausgearbeitet. Der untergang der monarchie und die schwere Zeit zwischen den beiden Weltkriegen mit den wirtschaftlich-politischen Krisen und dem Bürgerkrieg, die im anschluss gipfelte, waren nicht für die Schaffung einer positiven österreichischen identität geeignet. Die ersten zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg standen im Zeichen des Wiederaufbaus und der Vermeidung von Konflikten, was auch dazu führte, dass man die Wurzeln der identität in der einige generationen zurückliegenden Vergangenheit suchte und nicht in der Zeit der Väter und großväter. im grunde begann die intellektuelle und politische elite der Stadt erst in den 1970er Jahren, dieses gewaltige kulturelle erbe zu nutzen, das nicht nur für europa, sondern auch für die ganze Welt von Bedeutung ist. hier ist eine Vielzahl herausragender künstlerischer und geistig-intellektueller meisterwerke entstanden, die die österreichische hauptstadt zu einem besonders wertvollen Teil des „Welterbes“ machen.

1. Kolo moSer: VIrIBUS UnItIS: DaS BuCh Vom KaiSer, TiTelSeiTe, 1898

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Die maChT Der KunSTKriTiK

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Die einwohner Wiens haben mit ihrem begeisterten lokalpatriotismus – der historisch nachweisbar seit dem mittelalter besteht – ihre physisch-geistige Bindung an die Stadt und ihre liebe zu ihr bewiesen. Die intellektuelle Tiefe dieser liebe wurde aber erst durch die zur mode gewordene erforschung des historischen gedächtnisses in den letzten Jahrzehnten bestätigt. Der Begriff der sogenannten kulturellen Wende (cultural turn), der in der Forschung an angelsächsischen universitäten entstand und der das gesamte Fachgebiet der geschichte in europa und auch in mitteleuropa erobert hat, hat Wien eine besondere rolle beschert. Wie die meisten europäischen metropolen und kulturellen Zentren von regionaler Bedeutung hat auch die Kaiserstadt über Jahrhunderte die Vertreter der Künste angezogen. Das mäzenatentum des kaiserlichen hofes bot herausragenden Künstlern großartige (oder auch weniger großartige) möglichkeiten, ihr Talent zu entfalten, und dadurch zur repräsentation des reiches beizutragen. Wenn auch nur mittelbar, so wurde doch auch den Bewohnern der Stadt der genuss der Segnungen der elitekultur, in erster linie der Kultur der Sinne, ermöglicht. Vom Beginn der 1700er Jahre an standen, um es in stilgeschichtlichen Kategorien auszudrücken, ab dem Zeitalter des reifen Barock die bildenden Künste, das Theater und die musik stets im mittelpunkt des gesellschaftlichen interesses. ihre Vertreter erhielten so günstige möglichkeiten für ihre schöpferische Tätigkeit, dass sie eine ganze reihe von meisterwerken schufen, die für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte Vorbilder blieben. Sowohl das mäzenatentum des hofes als auch das diesem folgende des adels und später des Bürgertums sowie die Kunstliebhaberei schufen für die Künstler eine atmosphäre, die sie beflügelte. in der beinahe schon unüberschaubaren menge der kulturhistorischen Studien und Bücher des letzten Jahrzehnts versuchte man, die motive dieses seit dreihundert Jahren andauernden Prozesses zu ergründen, die leistungen der herausragenden Künstler nach neuen Kriterien und mit neuen methoden zu untersuchen und zu interpretieren. Während die Kultur des Barock und des Biedermeier nur innerhalb von Fachkreisen interesse weckte und somit eine geringere gesellschaftliche resonanz bekam, wurde das Wien der zwei Jahrzehnte um 1900, der Zeit des „Fin de Siècle“, also der Secession, ab mitte der 1980er Jahre zu einer mode, die die grenzen von Kulturgeschichte und geschichtswissenschaft durchbrach. es wurde zu einem internationalen modethema, zuerst in der elitenkultur und dann durch erfolgreiches marketing auch in der Popkultur. Das hauptwerk Klimts aus seinem goldenen Zeitalter, sein gemälde Der Kuss, ist eine art ikone der Zeit der Secession und Freuds.1 Wenn man gut informiert sein und gebildet erscheinen will, gehört es heute dazu, zu wissen, wer Freud, Klimt, Kokoschka und Schiele waren und dass sie alle vor dem ersten Weltkrieg in Wien gelebt und gewirkt haben. Die mode vom Wien der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert führte naturgemäß dazu, dass die Blütezeit der unmittelbar vorangegangenen epoche des historismus, also die leistung der „gründerzeit“, in vielerlei hinsicht abgewertet wurde. Denn obwohl der Vorreiter der dominanten englisch-amerikanischen kulturgeschichtlichen Forschungen, Carl e. Schorske, die künstlerischen leistungen des Zeitalters der ringstraße, also der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem auf dem gebiet der architektur und

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der malerei, in seiner bis heute maßgeblichen und faszinierenden essayreihe sehr hoch bewertet, nahm die Forschung nach ihm eine andere richtung. Sein Buch2 hatte, wenn auch nicht allein, vielleicht am meisten zur Schaffung der kulturhistorischen Wienmode beigetragen.3 Zum Teil als Folge des von Schorske eingeführten Kontrapunktierens, der gegenüberstellung von generationen und mentalitäten, wurden die Kennzeichen des modernismus des Fin de Siècle betont, und die ideale, die Sichtweise und geistige haltung der „generation der Väter“, des historismus, wurden zunehmend nach den ansichten der „rebellierenden generation“, von Freud, Klimt und den zeitgenössischen Schriftstellern und Publizisten (adolf loos, Karl Kraus) beurteilt. Diese Beurteilung aber wurde immer negativer und war immer weniger differenziert. Während die Wiener Jugend ende der 1960er Jahre noch für die rettung und die anerkennung des historismus und die gebäude der ringstraße auf die Straße ging, erwies sich die Zeit der kulturgeschichtlichen mode des historismus im 20. Jahrhundert als kurz. Von einer faszinierenden reihe von architekten wurden fast nur die der monumentalen öffentlichen gebäude, die die ringstraße säumten, Teil der kulturellen erinnerung, und natürlich die Person Kaiser Franz Josephs, dessen politische entscheidung für den abriss der Stadtmauern und die erweiterung der Stadt die dringend nötige urbanistische modernisierung der reichshauptstadt in gang gesetzt und somit das goldene Zeitalter der Wiener gründerzeit ermöglich hatte.4 in kulturhistorischen arbeiten wird die Kulturgeschichte Wiens im 19. Jahrhundert gewöhnlich in kleinere abschnitte unterteilt und in dieser Chronologie beginnt die gründerzeit mit den 1850er Jahren und die Jahrhundertwende mit den 1890er Jahren. letztere wird übrigens herkömmlicherweise bis 1918 gerechnet, obwohl dadurch zwei Perioden und zwei generationen mit einer vollkommen anderen Sichtweise und einem völlig anderen habitus „zusammengelegt“ werden, nämlich die generation der Secessionisten und die der expressionisten, um bei der Periodenterminologie der Kunstgeschichte zu bleiben. (Die Kriegsjahre aber stellten eine völlig neue Situation dar; sie gehörten nicht mehr zu dieser Periode, obwohl die Politikgeschichte ihr dieses Finale zurechnet.) Die „kulturellen helden“ der gründerzeit und des Fin de Siècle werden einander in diesen arbeiten gegenübergestellt, ja sogar hinsichtlich ihrer generationszugehörigkeit und ihrer Weltanschauung als vollkommen verschieden dargestellt, obwohl die Wahrheit nuancierter ist. unter den bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten gibt es besonders eine, die – schon allein aufgrund ihres alters – diesen rahmen sprengt. es handelt sich um die dominante führende gestalt in der architektur – otto Wagner –, der schon in der Zeit des historismus, wenn auch keine führende, so doch eine wichtige Persönlichkeit war. Sein frühes Werk lassen Forscher somit beim Skizzieren der gründerzeit häufig weg. alle anderen Vertreter der idee des modernismus wurden in den 1860er Jahren oder danach geboren, sodass sich die Jugend in den 1890er Jahren mit wagemutigem elan und mit ungeduld daran machte, die Welt, genauer gesagt, ihre heimat im engeren Sinne, also Wien, erneut zu modernisieren. Da die kulturhistorischen Überblicksdarstellungen und die monografien, die sich auf die Schöpfer der intellektuellen und künstlerischen „Spitzenleistungen“ konzentrieren, die Vergangenheit anhand dieser Periodengrenzen aufgearbeitet haben, wurden

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jene wichtigen Personen des öffentlichen lebens ausgelassen, die man nicht als „genies“ einstufen kann, die aber sehr wichtige Vertreter und in manchen Fällen graue eminenzen auf dem gebiet der Kultur waren und die aufgrund ihrer politischen, wirtschaftlichen oder medialen Position erheblich zur entstehung des kulturellen goldenen Zeitalters oder sogar der kulturellen goldenen Zeitalter beigetragen haben. gerade auf diesem gebiet waren Persönlichkeiten tätig, die in der lage waren, über mehrere Perioden hinweg Positives zum kulturellen Klima der jeweiligen gegenwart beizutragen und die die entfaltung von Talenten und verschiedenen Kunstrichtungen befördert haben. Diese Beamten, Kulturpolitiker, mäzene und Journalisten waren eigentlich „Vordenker“ der moderne, und zu ihnen gehörte auch hevesi. Während in der kunstgeschichtlichen Forschung der letzten eineinhalb Jahrzehnte die Wende oder der Paradigmenwechsel in der aufmerksamkeit bestand, die dem mäzenatentum und dem Sponsoring gewidmet wurde, ist das lebenswerk der Vermittlerfiguren, der Kritiker, die auch damals schon eine wichtige rolle spielten, kaum erforscht. Karl Kraus oder hermann Bahr wurden schon wegen ihrer erheblichen literarischen Bedeutung niemals vergessen, doch auch sie gehörten zu der jungen generation, die gegen den historismus rebellierte. Die eigenwillige und starre epochenaufteilung kann man vielleicht damit erklären, dass die „rebellion“ und die modernität der 1890er Jahre tatsächlich mit dem auftreten der jungen generation in der literatur und in den bildenden Künsten oder in der musik zusammenhängen.5 Trotz alledem gab es neben otto Wagner noch verbindende Figuren, von denen eine der interessantesten Persönlichkeiten der Kritiker ludwig (lajos) hevesi war. in der Kunstgeschichte wird einem Kritiker selten eine monografie gewidmet, gewöhnlich nur dann, wenn er zugleich auch ein berühmter Schriftsteller (wie Baudelaire oder Zola) oder eine einflussreiche Persönlichkeit der Kulturpolitik (wie ruskin) war. in unserer medienzentrischen Welt ist es an der Zeit, auch diejenigen einer untersuchung zu unterziehen, die im ersten goldenen Zeitalter, in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts, meinung und geschmack formten. Sie missbrauchten zwar die macht der medien noch nicht, waren sich dieser aber bereits bewusst und nutzten die medien gelegentlich, um die humanistischen Werte zu befördern, die sie unterstützten oder zu denen sie sich ernsthaft bekannten.

*** Da dieses Buch über das lebenswerk eines Wiener Kritikers in vielerlei hinsicht das erste ist, ist seine methode eklektisch und wirft damit eher Probleme auf, als sie zu lösen. es soll die geistige laufbahn eines Kunstkritikers nachgezeichnet werden in einer Zeit, in der der Beruf noch nicht professionalisiert war. Denn in mitteleuropa war das Segment der bildenden Künste innerhalb der Kunst selbst in Wien noch nicht so differenziert vielschichtig und ausgedehnt wie in Paris oder in england. Da hevesis Kritiker-Œuvre alle Bereiche der Kultur umfasst, werde ich hier aus gründen des umfangs und der methodik nur seine Kritiken zur bildenden Kunst aufarbeiten, seine Theater- und Buchkritiken sowie sein literarisches Werk müssen Themen eines nächsten Buches werden.6 ludwig (lajos) hevesis laufbahn als Kritiker umfasst mit dem historismus, dem realismus, dem Symbolismus des Fin de Siècle, der Secession und der Zeit der entste-

2. Kolo moSer: ViriBuS uniTiS: DaS BuCh Vom KaiSer, WiDmung 1898

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hung des expressionismus ein halbes Jahrhundert. Die beiden Bände, in denen hevesi noch selbst seine Tageskritiken über die Wiener Secession (Acht Jahre Secession) und diejenigen seiner Schriften, die er 1908 sowohl hinsichtlich der halbvergangenheit als auch hinsichtlich der gegenwart für wichtig hielt (Altkunst – Neukunst), zusammenstellte, kennen viele seiner leser. nur wenige Fachleute lesen seine 1903 veröffentlichte Übersicht über die österreichische Kunst, obwohl sie in diesem Bereich bahnbrechend war (Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. i–ii). Die Kritiken, die er zur Zeit des historismus schrieb, sind ebenso wichtige Quellen zur gründerzeit wie später zur Secession. ich konnte mich weder auf einen nachlass (dieser ist verloren gegangen) noch auf eine monografische aufarbeitung des Werkes zeitgenössischer Wiener Kritiker stützen. Die rekonstruktion vom Presseecho einzelner grundlegend wichtiger ereignisse wie der Weltausstellung von 1873, des „Festzuges“ von 1879, des Œuvres von makart, der ereignisse in der Kunstszene und der bedeutenden zeitgenössischen ausstellungen sowie die aufarbeitung ihrer rezeption durch die Kritik sind noch im gange. auf die bahnbrechenden kunsthistorischen gattungsmonografien (z. B. die außerordentlich gründlichen und auf einer beachtlichen Quellenerschließung basierenden arbeiten von Werner Kitlitschka und Walter Krause über die monumentale malerei und die Bildhauerei) oder die erste monografie über die architekten der ringstraße folgten in den letzten zwei Jahrzehnten nach und nach weitere grundlagenforschung oder bahnbrechende monografien.7 in den neuesten Übersichten (z. B. von Werner Telesko) werden die bekannten Fakten anhand anderer kulturhistorischer Fragestellungen dargestellt.8 Zwei äußerst umfangreiche Bände über die Kultur des habsburgerreiches sind ende 2021 erschienen, als dieses Buch bereits abgeschlossen war,9 sodass ich ihre ansichten nicht mehr reflektieren konnte. in diesem Buch soll zum einen das Werk hevesis im Bereich der Kritik der malerei ab 1876 rekonstruiert werden. Der junge Feuilletonist hevesi registrierte und interpretierte die Kunstszene zur Zeit des historismus mindestens genauso sorgfältig wie die der Jahrhundertwende. man kann mit recht sagen, dass er schon damals einer der zuverlässigsten Chronisten der Wiener ereignisse in der bildenden Kunst und der Wiener Kunstausstellungen war. Zum anderen soll diese arbeit anhand seiner wichtigsten Kritiken aufzeigen, welche künstlerischen ereignisse und kulturellen Veränderungen den begeisterten anhänger der makart-Ära, den Kunstkritiker des Fremden-Blattes, motivierten, in fortgeschrittenem alter die Jugend der Secession zu unterstützen, ohne die moralischen und geistigen ideale seiner generation aufzugeben. Die ergründung der Ähnlichkeiten zwischen der intellektuellen, der geistigen und der ästhetischen Sichtweise dieser beiden Perioden ist ebenso Ziel dieses Buches wie die erschließung von hevesis kunstkritischem Œuvre. auch die geschichte der ausstellungen in der bildenden Kunst in den 1870er, 1880er und 1890er Jahren wird dadurch in einem anderen licht erscheinen, da ein Blick auf die ausstellungen des Österreichischen Kunstvereins und des Künstlerhauses das bisherige gesamtbild der Zeit differenzieren wird. hevesi war mehr als ein zu seiner Zeit einflussreicher Journalist, der in Wien einem neuen Stil, der Secession, zum erfolg verhalf. ab anfang der 1870er Jahre brachte er dem Publikum das Sehen bei, lehrte es, Bilder zu sehen und zu genießen, während er

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sein kunsthistorisches und kritikbezogenes Fachwissen stetig erweiterte. er verfeinerte den geschmack und erweiterte die Bildung der Betrachter im Bereich der visuellen Künste, das heißt der malerei, der Bildhauerei und der architektur. (Später sogar in den angewandten Künsten!) Da sein Stil gleichzeitig intellektuell und sinnlich war und er das gesehene mit unnachahmlicher Virtuosität in Worte fassen konnte, wurden diejenigen, die seine arbeiten regelmäßig lasen, unweigerlich zu ausstellungsbesuchern und zu liebhabern von Bildern und Skulpturen. er bildete gleichzeitig in Wien und Budapest ein elitepublikum heran, das die autonomie der malerei akzeptierte und offen für neue Form- und Stilexperimente war, aber auch die ästhetischen Werte des Stils vergangener Zeiten zu schätzen wusste. Bis zum Zerfall der monarchie sprach die ungarische intellektuelle und gesellschaftliche elite ohne Schwierigkeiten, fast als zweite muttersprache, Deutsch, sodass hevesis Schriften, in denen er nicht nur über die ausstellungen in Wien, sondern auch über die in münchen und Venedig berichtete, ebenso auf die kulturelle elite in Budapest wirkten wie auf die Wiener leser. er war vier Jahrzehnte lang eine Brücke zwischen den Kulturen in den beiden hälften der österreichisch-ungarischen monarchie. eine Brücke, über die die gedanken, ideen und informationen dann auch in beide richtungen flossen.

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Seit der ausstellung Traum und Wirklichkeit im Wiener Künstlerhaus (1985) wurden in den meisten reichen metropolen europas, amerikas und des Fernen ostens nacheinander ausstellungen über die Zeit der Wiener Secession und Freuds mit den Werken Klimts, Schieles und des jungen Kokoschka veranstaltet. 2 Carl e. Schorske, Fin-de-siècle Vienna. Politics and Culture. new york 1980. 3 ein anderes bahnbrechendes Buch: William m. Johnson, The Austrian Mind. An Intellectual and Social History, 1848–1938, university of California Press, Berkeley & los angeles 1972. 4 Die wissenschaftliche grundarbeit für die „neuentdeckung“ des historismus war: renate Wagner-rieger, Die Wiener ringstraße. Bild einer epoche, 14. Bde. Wien 1969–1981 (siehe Bibliografie). 5 gotthart Wunberg (hg.), Das Junge Wien. österreichische literatur- und Kunstkritik 1887–1902, Tübingen 1976.

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Seitdem dieses Buch erschienen ist, hat der ungarische germanist endre hárs einen Studienband über hevesis literarisches Werk veröffentlicht. endre hárs, Der mediale Fußabdruck, Zum Werk des Wiener Feuilletonisten Ludwig Hevesi (1843–1910), Königshausen & neumann, Würzburg, 2022. Die aufarbeitung der Theaterkritiken hevesis stehen noch aus. 7 Über einige maler (hans makart, anton romako, robert russ, Theodor hörmann, Carl moll) sind monografien mit neuen Werkkatalogen erschienen. 8 Werner Telesko: Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Böhlau, Wien, Köln, Weimar 2006. Werner Telesko: Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Böhlau, Wien, Köln, Weimar 2008. 9 andreas gottsmann: Die Habsburgermonarchie 1848–1919. Das Kulturelle Leben. Akteure – Tendenzen – Ausprägungen. Bd. Xi. Teil 1–2. Wien 2021.

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leBenSlauF Von luDWig heVeSi

ludwig (lajos) hevesi wurde am 20. Dezember 1843 als lajos lőwy in der ungarischen Stadt heves geboren, wo sein Vater Sámuel lőwy als angesehener und allgemein beliebter arzt tätig war. Den ungarischen namen hevesi (‚aus heves‘) hatte der arzt, der sich laut der Familiengeschichte mit großer hingabe der Pflege der Verwundeten des Freiheitskampfes von 1848 gewidmet hatte, spontan von seinem umfeld erhalten. Diesen verwendete dann auch sein Sohn seit seiner ersten in gedruckter Form erschienenen Publikation. Die Familie war ungarisch gesinnt und ungarischsprachig. Seinen erinnerungen zufolge begann hevesi erst dann Deutsch zu lernen, als die eltern für seine Schwestern ein deutsches „Fräulein“ einstellten. Danach lernte er Französisch und als nächstes (noch vor dem gymnasium!) latein. außer den Bänden in der Familienbibliothek las er so gut wie alles, was in der örtlichen Schule der Kleinstadt aufzufinden war.1 Der kleine lajos kam ins Piaristengymnasium in Pest, wo er bei der verwandten Familie Wohl wohnte.2 in einer erinnerung vierzig Jahre später schrieb er, er sei mit seinen Cousinen, den Wohl-Schwestern, aufgewachsen.3 Das Familienoberhaupt Dr. Sándor János Wohl war der hausarzt der grafen Brunswick und in den Kreisen der Pester bürgerlichen elite allseits bekannt.4 Seine Frau mária lőwy legte großes gewicht auf die Bildung ihrer Kinder. Sie hatten eine französische gesellschafterin und einen italienischen lehrer und in ihrem großen Freundeskreis begegnete der kleine lajos bedeutenden Wissenschaftlern und Schriftstellern (unter ihnen mór Ballagi und adolf Dux, und angeblich war sogar der berühmte Dichter János arany gast in diesem Kreis). Die mädchen, Janka (abb. 4) und Stefánia (abb. 5), galten als literarische und musikalische Talente, als Wunderkinder gar – und waren als erwachsene unter den ersten Frauen in ungarn, die sich ihren lebensunterhalt mit dem Schreiben verdienten.5 in den 1870er und 1880er Jahren unterhielten sie außerdem einen berühmten Salon, den auch Franz liszt besuchte, wenn er sich in Pest aufhielt.6 ihr Cousin ludwig hevesi war sicherlich auch als erwachsener regelmäßig gast im Wohl-Salon, solange er in Pest lebte. Sein universitätsstudium begann hevesi in Pest, wo er neben medizin auch klassische Philologie studierte, doch schon 1862 wechselte er an die medizinische Fakultät der universität Wien. in der Kaiserstadt erlangten die Vorlesungen der klassischen Philologie für ihn eine größere Bedeutung als die lehrveranstaltungen der medizin; außerdem begann er, aus dem ungarischen ins Deutsche zu übersetzen. gleich als erstes machte er sich für das Tagesblatt für Böhmen an die Übertragung des romans A rajongók (Die Schwärmer) ins Deutsche. er hatte schon aus Pest eine ungewöhnlich gründliche und vielseitige allgemeinbildung mitgebracht und sprach außer ungarisch Deutsch, Französisch, englisch und italienisch. in Wien gewann ihn der medizinstudent und angehende Journalist adolf ágai7 (abb. 6) für jenen außerordentlich wichtigen Kreis, dessen Zentralfigur der Journalist miksa Falk war. Falk war einer der populärsten ungarischen Journalisten der Zeit des neoabsolutismus, hatte den charismatischen Poli-

4. JanKa Wohl (1841–1901)

5. STeFánia Wohl (1846–1889)

6. aDolF ágai (1836–1916)

3. ruDolF Von alT: BuDa unD PeST auS Der VogelPerSPeKTiVe, 1855

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7. miKSa FalK (1828–1908)

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tiker graf istván Széchenyi regelmäßig in der nervenheilanstalt in Döbling besucht und zum damaligen Zeitpunkt im Wiener Wanderer und parallel dazu im Pesti Napló bereits mehrere bedeutende politische leitartikel veröffentlicht.8 ágai gehörte zum engeren Freundeskreis Falks, und in diesen bezog er auch den jungen hevesi für gelegentliche aufträge ein. hier entfaltete sich nicht nur sein journalistischer Stil, den er ein leben lang pflegte, hier nahmen auch seine weltanschaulichen Prinzipien, seine politische einstellung und seine publizistische ethik Form an. Die mitglieder dieser generation politischer Journalisten9 waren überwiegend jüdischer herkunft, hatten eine eindeutig ungarische identität und waren von Kindesbeinen an praktisch zweisprachig. ihr sprachliches ideal war neben den deutschen Klassikern goethe und Schiller der damals wichtigste ungarische Dichter János arany. außer der Politik maßen sie der Kultur und dem kulturellen gedankenaustausch eine außerordentliche Bedeutung bei und investierten enorme energien in die Übersetzung der deutschen literatur ins ungarische und noch mehr darin, dass sich das österreichische (und das deutsche) Publikum mittels der ins Deutsche übertragenen ungarischen Klassiker ein Bild von der ungarischen Kultur machen konnte.10 Dieser Kreis stand mit leib und Seele auf der Seite von Ferenc Deák und gyula andrássy; er unterstützte die Vorbereitung des ausgleichs11 aktiv und seine mitglieder blieben ein leben lang den liberalen politischen idealen verpflichtet. in einem 1902 verfassten kurzen lebenslauf verriet hevesi, dass er während seines vierjährigen medizinstudiums die meisten abende in der „Trampelloge“ des Burgtheaters verbracht hatte und dass sein allererster artikel noch in seiner Studienzeit, im Jahr 1865, in der Wiener Zeitung Die Debatte erschienen war, deren redakteur mór ludassy war. Dieses Feuilleton, Memoiren eines Kreuzers (egy krajcár visszaemlékezései), spottet humorvoll über menschliche Schwächen und gesellschaftliche Vorurteile in der gesellschaft des geldes, konkret unter den geldscheinen und münzen, gemeint sind aber natürlich die menschen.12 er hatte das Stück mit x signiert, doch ludassy und den Wiener Journalisten gefiel es, sodass sie dem medizinstudenten mit literarischen ambitionen weitere aufträge gaben. 1866/1867 brachte eine bedeutende Wende im leben all dieser männer. Zu jener Zeit kehrte miksa Falk (abb. 7) nach Pest zurück, um von 1868 bis 1906 – 38 Jahre lang – als Chefredakteur des Pester Lloyd tätig zu sein, der 1853 gegründeten wichtigsten deutschsprachigen Tageszeitung in Pest, die bis zum Schluss regierungsfreundlich blieb. 1866 war auch hevesi zum Pester Lloyd gekommen, und obwohl er eigentlich nur für die Sommerferien aus Wien nach Budapest hatte zurückkehren wollen, blieb er als Feuilletonist in Pest „hängen“ und beendete auch sein Wiener medizinstudium nicht. einer erinnerung von 1892 zufolge erlernte er das handwerk des Journalisten in der Praxis, bei der Zeitung.13 Der deutschsprachige Pester Lloyd war eines der angesehensten und zuverlässigsten Foren der information in der Doppelmonarchie und hatte in den 1870er Jahren in der ungarischen hauptstadt doppelt so viele abonnenten wie die größte ungarische Tageszeitung der Zeit.14 Die wirtschaftliche, handels- und politische elite Budapests informierte sich zur Zeit des Dualismus stets aus dieser Zeitung über wichtige wirtschaftliche und politische ereignisse. aus den erheblichen einnahmen für inserate aus Wirtschaft und handel ließen sich die übrigen Teile der Zeitung leicht finanzieren. mit ihren an-

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spruchsvollen kulturellen Publikationen war sie lange Zeit nicht nur für das deutschbeziehungsweise zweisprachige bürgerliche Publikum eines der wichtigsten organe in Sachen Kultur, sondern auch die herrschende elite, die ungarischen aristokraten, gehörte zu ihren abonnenten. Bis zum ersten Weltkrieg schrieben auch die besten ungarischen intellektuellen und Wissenschaftler sowie bedeutende literaturkritiker (z. B. Jenő Péterffy, adolf Silberstein, ignotus oder györgy lukács) und ebenso österreichische intellektuelle (rudolf lothar, Wilhelm goldbaum) regelmäßig für die Zeitung. Wegen ihres kulturellen niveaus gehörte es sich für einen ungarischen intellektuellen, sie regelmäßig zu lesen.15 hevesi hat im laufe von neun Jahren (bis 1875) sehr viele Feuilletons geschrieben, von denen er auch eine auswahl in ungarischer Übersetzung veröffentlicht hat.16 in seinen diversen rubriken – in den Pester Bagatellen und den Pester Skizzen – folgte er dem Stil des Wiener Feuilletons, das heißt, er kommentierte die ereignisse des öffentlichen lebens in der betreffenden Woche im Plauderton, mit humor und etwas ironie. Dabei schlüpfte er in die rolle des Flaneurs und gab seine ansichten über die doppelte hauptstadt, die sich im Wandel zur großstadt befand, wie bei einem Spaziergang zum Besten. Zu jener Zeit begann er die Kunstausstellungen in Pest und Wien in gründlichen und „problemorientierten“ Kunstkritiken in seiner reihe der Wiener Briefe zu besprechen.17 Der junge hevesi war mit der Kunstgeschichte Franz Theodor Kuglers aufgewachsen, hatte an der universität Wien robert Zimmermanns Vorlesungen gehört und neben den Klassikern begeistert Jacob Burckhardt gelesen. ebenfalls selbstverständlich war es, dass er stets über alle bedeutenden deutschen (sowie viele französische und englische) Fachzeitungen und Periodika im Bilde war und imre henszlmanns arbeiten im Pester Lloyd verfolgte. Schon als Schüler, ab 1863, stöberte er voller leidenschaft in den geschäften der Pester und der Wiener antiquitäten- und Kunsthändler.18 Seine ersten bedeutenden ausstellungsbesprechungen über die internationale ausstellung des Wiener Künstlerhauses im Jahr 1869 zeugen von überraschend fundierten Kenntnissen im Bereich der Kunst.19 neben seiner arbeit für den Pester Lloyd war er einer der gründungsmitarbeiter des Witzblattes Borsszem Jankó20, ein geschätztes mitglied des Schriftstellerkreises Jung-Pest, der sich regelmäßig im Kaffeehaus Kávéforrás traf und mit der Zeit zu einem literatenkreis wurde, sowie von 1871 bis 1874 gemeinsam mit adolf ágai gründer, herausgeber und Chefredakteur der deutschsprachigen Kinderzeitung Kleine Leute.21 er schrieb auch Feuilletons, glossen und reiseberichte in ungarischer Sprache (für die Vasárnapi Újság [Sonntagszeitung], die Fővárosi Lapok [hauptstädtische Blätter] und für Ország-Világ [alle Welt]). außerdem schrieb er im rahmen eines behördlichen auftrags den ersten reiseführer für die durch den Zusammenschluss von Pest, Buda und Óbuda entstandene „neue“ hauptstadt Budapest, der im Jahr 1873 gleichzeitig in zwei Sprachen (auf ungarisch und auf Deutsch) herausgegeben wurde.22 Sein größter erfolg und die grundlage für seine Bekanntheit in ungarn war ein äußerst populärer Jugendroman mit dem Titel Jelky András kalandjai [Die abenteuer des andrás Jelky]23. Sowohl die ungarische als auch die deutsche Fassung stammen aus seiner Feder und das Buch wurde auch zum Drehbuch umgeschrieben. Das Werk galt jahrzehntelang als Klassiker unter den ungarischen Jugendromanen.24

nÄChSTe SeiTen: 8. h. W. BreWer: Wien im Jahre 1873

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Der Beginn der Journalistenlaufbahn in Wien

9. laJoS DÓCZi (1845–1918)

10. Tina Blau (1845–1916) um 1860–65

Dem eigentümer des Fremden-Blattes, Baron gustav heine, wurde der junge Journalist wahrscheinlich von lajos Dóczi (1845–1918)25 (abb. 9) empfohlen. Dóczi war ebenfalls ein junger Schriftsteller jüdischer herkunft, der in Wien ein Jurastudium absolviert hatte. er publizierte ebenso im Borsszem Jankó und gehörte wie sein Freund zum literatenkreis im berühmten Pester Kaffeehaus Kávéforrás. er kam 1872 nach Wien (abb. 8) , wohin ihn sein arbeitgeber, der außenminister gyula (Julius) graf andrássy, dessen Privatsekretär er war, in das gemeinsame außenministerium mitgenommen hatte; dort arbeitete er bis 1882 und kehrte dann wieder nach Budapest zurück.26 neben seiner dienstlichen Tätigkeit verfasste auch er zahlreiche Feuilletons (unter vier verschiedenen Pseudonymen, hauptsächlich für das Neue Pester Journal), übersetzte viel und schrieb außerdem märchendramen in Versform.27 Das wichtigste Werk dieser gattung war A csók [Der Kuss], das hevesi so gut ins Deutsche übersetzte, dass die leichte romantische Komödie 1877 zum Kassenschlager am Burgtheater wurde.28 Dóczi stand hevesi hinsichtlich seiner herkunft, seiner literarischen ideale und seiner politischen ansichten sehr nahe. Beide waren begeisterte anhänger andrássys und des ausgleichs, doch ihr Patriotismus hinderte sie nicht daran, sich auch für Wiens Kultur zu begeistern und zu versuchen, sich auch die leichte und spielerische Wiener lebensart zu eigen zu machen. Der entscheidende unterschied zwischen ihnen bestand darin, dass Dóczi (neben seiner politischen laufbahn) eine literarische Karriere auf ungarisch anstrebte, während hevesi in Wien Wurzeln schlug und an einer deutschen literarischen Karriere arbeitete.29 im Übrigen war Dóczi seit seiner Kindheit auch mit isidor ritter von Klarwill-Pollak befreundet, einem einflussreichen mitglied des Vorstands des Presseimperiums Schöller, zu dem unter anderem der Konzern der elbemühl-Papierfabriken und somit auch das Fremden-Blatt gehörte. Das Fremden-Blatt war das Sprachrohr der Politik des gemeinsamen außenministeriums und eine sogenannte halboffizielle Tageszeitung, die dem hof sehr nahestand. Bis zum Zusammenbruch der monarchie vertrat es stets die offizielle politische meinung, und somit wurde erwartet, dass es von den leitenden Beamten der staatlichen Bürokratie gelesen wurde.30 hevesi war also in einer der wichtigsten offiziellen meinungsbildenden Pressewerkstätten tätig und konnte von dort aus später aktiv einfluss auf die Wiener Kulturpolitik nehmen.31

Die Vorteile der Leitung des Feuilletons es ist offensichtlich, dass seine Freunde hevesi im Jahr 1875 eine sehr angesehene und gut bezahlte Stellung in Wien besorgt haben, wir wissen jedoch auch von einem anderen grund, weswegen Wien für einen jungen Journalisten mit schriftstellerischen ambitionen verlockend war. Der Familiengeschichte zufolge hatte er sich anfang der 1870er Jahre bei einem Besuch in der malerkolonie in Szolnok in Tina Blau (abb. 10), eine dort studierende junge Wiener malerin, verliebt.32 es ist keine Korrespondenz über diese emotionale Beziehung überliefert.33 hevesi hat sein leben lang nur gutes über die Bilder der Künstlerin geschrieben, und zwar auch, nachdem die einseitigkeit seiner Schwärmerei offensichtlich geworden war.34

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11. ruDolF Von alT: Wien. Der miChaelerPlaTZ miT Dem alTen BurgTheaTer, 1883

Die gründe für seinen umzug nach Wien lassen sich heute nicht mehr mit Sicherheit ermitteln. Wahrscheinlich betrachtete er diesen anfangs noch nicht als endgültig, denn sein Vertrag war auf zwei Jahre befristet. auf jeden Fall muss es für den kunstbegeisterten Feuilletonisten eine große Freude gewesen sein, aus der ungarischen hauptstadt in die Kaiserstadt zu ziehen, deren Kunstszene viel interessanter war. hier hatte er schon als medizinstudent mehrere Jahre verbracht und hier lebten außerdem viele seiner Freunde und fachlichen Vorbilder.35 Verschiedenen erinnerungen von Weggefährten zufolge war hevesi ein äußerst angenehmer, höflicher, hilfsbereiter und humorvoller mensch, was ihm mit Sicherheit eine integration in die Wiener Szene erleichterte. es ist anzunehmen, dass sein vom 12. Juni 1875 datierter, von hand geschriebener dreiseitiger Vertrag mündlich verlängert wurde, da ein weiterer schriftlicher Kontrakt in den archiven nicht aufzufinden ist.36 als Tag des arbeitsbeginns wurde der 15. September 1875 vereinbart, und so stieg der bis dahin in Pest lebende Journalist zum Kulturredakteur bei einer der angesehensten Tageszeitungen der Kaiserstadt auf. Sein gehalt war für die damaligen Verhältnisse sehr hoch (5000 gulden) und ermöglichte ihm ein bequemes bürgerliches leben. Da er viel ins Deutsche übersetzte, dürfte er damit weitere einkünfte erzielt haben.37 Das Fremden-Blatt hatten alle ministerien abonniert, es war eine der wichtigsten informationsquellen und zugleich ein meinungsbildendes organ der staatlichen Bürokratie. auch Franz Joseph las es morgens als erstes, um sich über die internationale Politik zu informieren. Da der Kaiser selbst regelmäßig ins Theater ging (sein Privatleben war bekanntlich stark mit dem der Katharina Schratt, einer Schauspielerin am Burgtheater, verflochten), widmete man der rubrik Theater in der Kulturszene der Kaiserstadt besondere aufmerksamkeit. Für diese Zeitung zu schreiben – ob über die Kultur oder das Theater – dürfte also eine Vertrauensposition gewesen sein. ihr ständiger Thea-

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12. luDWig SPeiDel (1830–1906) um 1880

13. eDuarD hanSliCK (1825–1904) um 1880

14. Wilhelm golDBaum (1843-1912)

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terkritiker musste nicht nur ein hervorragender experte, sondern auch ein taktvoller Diplomat und ein guter menschenkenner sein. obwohl das Fremden-Blatt nur eine auflage von 8000 bis 10.000 exemplaren hatte (was weniger als einem Zehntel der auflage der Neuen Freien Presse, der populärsten Wiener Tageszeitung, entsprach), lasen die darin veröffentlichten Beiträge vor allem Personen wie Staatsbeamte und intellektuelle, die auch einfluss auf den lauf der Dinge nehmen konnten und sich dessen bewusst waren, dass sie zur politischen elite gehörten, was auch mit Verpflichtungen verbunden war – dass sie also nolens volens auch zur kulturellen elite werden mussten. hevesi war für seine professionelle Sorgfalt und gründlichkeit bekannt und zählte schon bald zu den angesehensten Kunstkritikern der Kaiserstadt, obwohl er für damalige Verhältnisse noch als junger mann galt.38 er war nicht nur ehrgeizig, sondern respektierte autoritäten in hohem maße; außerdem suchte er sich seine meister mit einem untrüglichen Sinn für Qualität stets unter den Besten. Zu seinen Vorbildern gehörten ludwig Speidel (abb. 12), ein rubrikleiter der Neuen Freien Presse (der „nebenbei“ auch musikkritiker des Fremden-Blattes war), die damaligen – in erster linie deutschen – Klassiker der Kunstgeschichte und der großartige eduard hanslick (abb. 13). in Wien war der in Prag geborene eduard hanslick der bahnbrechende musikfachkritiker, der eine Schule begründete. er konnte die politische und die kulturelle elite wegen seiner genialen art, Wissen zu vermitteln, davon überzeugen, ihm die möglichkeit zur gründung eines Seminars für musikgeschichte an der universität Wien zu geben.39 hevesi hatte keine professionellen musikalischen Kenntnisse und bemühte sich auch nicht, solche zu erwerben. im Bereich der Technik des Schreibens aber dürfte er viel von hanslick, den er mit Sicherheit persönlich kannte, gelernt haben.40 im ersten Jahr veröffentlichte hevesi im Fremden-Blatt humorvolle geschichten über richard Wagner und machte sich über die hysterisch-begeisterten Wagner-Fans lustig, aber in musikalischen Fragen bezog er niemals Stellung.41 Zuvor waren im Fremden-Blatt die Berichte Carl von Vincentis über ereignisse in der bildenden Kunst und über neue öffentliche gebäude erschienen, seltener Kritiken eines Verfassers, der mit mt. signierte, über die ausstellungen im Kunstverein. hevesi musste in Wien beweisen, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen verdiente. Dank seiner angenehmen Persönlichkeit und seiner Demut im Fachlichen hatte er schon bald ausgedehnte professionelle Verbindungen und einen großen Freundeskreis. Weil er über Kollegen nur schrieb, wenn er gutes zu sagen hatte, fand er Verbündete und Freunde fürs leben. Sein bester Freund war der gleichaltrige Wilhelm goldbaum (abb. 14), einer der redakteure bei der Neuen Freien Presse.42 auch sein Verhältnis zu seinen direkten Kollegen (wie z. B. Ferdinand groß43 oder ilona Pataky44 beim Fremden-Blatt) war sehr gut. er war mitglied des Wiener Vereins Concordia, wo er später als so große Koryphäe galt, dass er auch mit der abfassung zahlreicher Festreden für literarische Feierlichkeiten und gedenkveranstaltungen (lenau, Schiller) betraut wurde.45 Die letzte Veranstaltung dieser art, die die gesamte elite Wiens mobilisierte, war ein Wohltätigkeitskonzert, für das hevesi die reden zum gedenken an die 84.000 opfer des erdbebens von messina verfasst hatte.46 als von der arbeit Besessener schrieb hevesi auch für andere Zeitungen. nach einer halbjährigen unterbrechung lieferte er 1875, nunmehr als Wiener Korrespondent, erneut regelmäßig Feuilletons zu künstlerischen Themen an den Pester Lloyd und die übrigen ungarischen Zeitungen (darunter die Fővárosi Lapok und die Vasárnapi Újság).47 ab dem

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letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts erschienen seine Schriften außer im Fremden-Blatt auch in anderen Wiener Zeitungen (wie Die Zeit) und Fachzeitschriften (Ver Sacrum, Kunst und Kunsthandwerk). Dass er die ungarischen Künstler stets als „unser maler“ und „unser Dichter“ bezeichnete, fiel den Wiener lesern nicht immer auf. Seine Kunst- und Theaterkritiken wurden mit der Zeit immer nuancierter, vielschichtiger und weiser. ihr horizont erweiterte sich kontinuierlich, ihr autor war dank seiner differenzierten Sicht des menschen und der Welt immer besser geeignet, eine große Zahl künstlerischer experimente zu verstehen und zu bewerten, ohne die Verdienste der Kunst, die bereits der halbvergangenheit oder der Vergangenheit angehörte, zu leugnen. Seine anschaulichen und geistreichen virtuosen Bildanalysen „brachten“ dem Publikum „das Sehen bei“ und lehrten es, die Bilder zu lieben. Seine Zeitgenossen berichteten voller anerkennung, dass er sogar die grundlagen der malerei und der graphischen Techniken erlernt hatte, um mehr von den Bildern zu verstehen und sie besser beurteilen zu können.48 Das war einzigartig, und dadurch konnte er sowohl gemälde als auch grafische Werke tatsächlich besser analysieren als seine literatenkollegen. Sein ansehen stieg beständig, sodass er im letzten Drittel der 1890er Jahre zum nestor der Kunstkritik in Wien wurde, der der generation der jungen Journalisten als maßstab galt. Zu dem Zeitpunkt war von den Kritikern, die noch in der sogenannten makart-epoche die Kulturteile der Zeitungen beherrscht hatten, im grunde nur noch er übrig.49 er schrieb auch Fachartikel und Kunstkritiken für viele angesehene Tageszeitungen und Kunstfachzeitschriften, für die damals ansehnliche honorare gezahlt wurden. 1906 erhielt er von einer der renommiertesten europäischen Fachzeitschriften für bildende Kunst, The Studio, eine anfrage für einen Überblick über die neue Wiener Kunst. hevesis andere wichtige einnahmequelle waren Übersetzungen, die er in beide richtungen mit leichtigkeit und virtuos anfertigte. er übersetzte nicht nur romane und Theaterstücke, sondern übertrug zum Beispiel auch die ungarischen Bände der groß angelegten landeskundlichen und ethnografischen reihe Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild ins Deutsche, die auf initiative von Thronfolger rudolf entstanden und anfangs von ihm organisiert und finanziert worden war (kurz „Kronprinzenwerk“ genannt). Seine dritte einnahmequelle stellten seine eigenen Bücher dar. alle zwei bis drei Jahre brachte er Feuilletonbände bei seinem „hausverlag“ adolf Bonz heraus. Diese kleinformatigen Büchlein enthielten in erster linie heitere novellen, Skizzen und reiseberichte in ungezwungenem humorvollem Ton, aber auch Kurzgeschichten.50 ihr Verfasser legte bis zu seinem Tod großen Wert auf ihre Veröffentlichung. Seine novellen und erzählungen erschienen gewöhnlich unter seinem vollen namen im Pester Lloyd, oftmals in den Festtagsausgaben (zu ostern und Weihnachten).51 Bis zu den 1890er Jahren war er auf dem deutschen Buchmarkt ausschließlich mit diesen Schriften vertreten.52 auch seine Wiener Kollegen schätzten seinen Stil. So hat ihn beispielsweise eduard Pötzl für die mitarbeit an einer anthologie über Wien gewonnen, in der das leben in der Stadt und ihre charakteristischen orte beschrieben werden.53 Für den außerordentlich erfolgreichen Band hat hevesi vier Beiträge geschrieben, in denen eine Kombination aus spielerischem Ton und poetischer Begeisterung Bilder im Kopf entstehen lässt.54 Seine Schriften zeugen davon, dass er Wien leidenschaftlich liebte und die je nach Jahreszeit unterschiedlichen Stimmungen der Stadt auf malerische und plastische Weise

15. luDWig heVeSi, Wiener ToDTenTanZ, 1899

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Die maChT Der KunSTKriTiK

16. luDWig heVeSi: AcHt JAHrE SEcESSIon, Wien 1906

17. luDWig heVeSi: ALTKuNST – NeuKuNST, Wien 1909

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darstellen konnte. er liebte verblüffende gedankenspiele, seine Beobachtungen und Wortspiele konterkarierten Typisierungen und Klischees.55 anfangs waren ihm wahrscheinlich seine belletristischen ambitionen am wichtigsten, erst um die Jahrhundertwende erkannte er, dass er als Kunstkritiker zu einer so großen fachlichen autorität geworden war, dass sich die Veröffentlichung seiner Kunstkritiken empfahl – als Zeitdokumente, die sich zu einer authentischen Chronik zusammenfügten. Die erste anthologie dieser art war Wiener Todtentanz (1899), eine Sammlung von nachrufen, bei der die Zahl der Schauspieler die der maler sogar überstieg (abb. 15). Wirklich neuen Schwung gab ihm mit über fünfzig Jahren seine aktive rolle als Kritiker bei der modernisierung der Wiener malerei. er identifizierte sich sowohl intellektuell als auch emotional mit dem Ziel der erneuerung und half den „Jungen“, wo er nur konnte. Theaterkritiken zu schreiben, war keine last für ihn, sondern eine „alte liebe“, da er, wie schon erwähnt, als medizinstudent regelmäßig die „Trampelloge“ des alten Burgtheaters besucht hatte. er berichtete in Wien nicht nur über das Burgtheater, sondern über alle bedeutenden Premieren der Wiener Bühnen. mit den 1890er Jahren setzte eine erneuerung der dramatischen literatur ein. neben naturalistischen wurden auch symbolistische Werke aufgeführt und hevesi sprach sich in seinen feinfühligen psychologischen analysen auch für die modernen Stücke aus. außer den Werken ibsens stufte er die von hofmannsthal, Schnitzler, maeterlinck und Wedekind, ja sogar von Bernard Shaw als aktuell und modern ein, und zwar unabhängig von der literarischen richtung, zu der sie gehörten. am meisten lag ihm jedoch weiterhin die bildende Kunst am herzen. Sein bahnbrechender Überblick über die österreichische Kunst des 19. Jahrhunderts erschien im Jahr 1903, und schließlich veröffentlichte er zwei umfangreiche Sammelbände, Acht Jahre Secession (1906) (abb. 16) und Altkunst – Neukunst (1909) (abb. 17). auch mit diesen Bänden wollte er die experimentierende moderne Kunst unterstützen. er liebte die architektur und verstand auch viel davon.56 er schrieb schon in seinen Pester Jahren gern über die neubauten der Stadt und schätzte den neorenaissancestil sehr. nach der entstehung des Secessionsstils in Wien begeisterte er sich für die Baukunst der moderne. Dasselbe gilt für das Kunstgewerbe: er liebte das alt-Wiener Porzellan und die möbelkunst des Biedermeier. Überhaupt war er sehr empfänglich für alle aspekte der Wohnkultur, so auch in der angewandten Kunst, drängte auch in diesem Bereich auf reformen und unterstützte stilistische experimente.57 obwohl hevesi alle Pariser Weltausstellungen besucht hatte, schrieb er unseres Wissens niemals darüber – und ebenso wenig über die anderen französischen Kunstausstellungen.58 Wann immer er konnte, reiste er statt nach Paris nach Venedig, nach italien. Diese zentrale rolle italiens und die liebe zum (insbesondere griechischen) altertum waren in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts typisch für die deutsche akademische Kultur und die humanistische allgemeinbildung in mitteleuropa. Das galt nicht nur für die österreichische reichshälfte der monarchie, sondern auch für ungarn, wo sich die Werteordnung des jungen hevesi herausgebildet hatte. Die Zeitgenossen nahmen das deutlich wahr und betonten in ihren rezensionen seinen „hellenismus“. Die sogenannte lateinerbildung bestimmte seine Persönlichkeit. Seine Bibliothek war voll von literatur über archäologie und das altertum, darüber hinaus zeigte sich eine reiche auswahl von literatur über europa mit der renaissance als höhepunkt – wie sie sich im geschichtsbild des historismus darstellte, der entscheidenden Phase, in der sich hevesis Weltsicht entfaltete.

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18. riCharD muTher (1860–1909)

außer dem leidenschaftlichen interesse gleichzeitig für die modernen und die alten meister hatte er noch eine andere leidenschaft: er sammelte utopien. Jemand, der sich so sehr für Träume und Visionen über die Zukunft interessiert, hat bestimmt auch Vertrauen in sie – glaubt an die möglichkeit der entwicklung, ist optimistisch und offen, auch wenn er die relativität der erkenntnis anerkennt. hevesi war insgesamt gesehen ein optimistischer mensch und konnte deshalb das alte und das neue gleichzeitig lieben. eine besonders stark ausgeprägte und sehr seltene eigenschaft dieses hochgebildeten mannes war die Treue, die Treue zu erlebnissen, zu Kunstwerken, vor allem aber zu menschen. es gehörte zu seinem habitus, die großen alten, seine lehrmeister (rudolf von alt und ludwig Speidel) zu achten, ihnen auch nach ihrem Tod treu zu bleiben und ihnen ein Denkmal setzen zu wollen. und auch seine gleichaltrigen Freunde und Weggefährten (wie lajos Dóczi, adolf ágai oder richard muther) (abb. 18) konnten immer auf ihn zählen. nach 1875 gab es keine Wendungen mehr in seinem leben – es war erfüllt von seiner arbeit als Journalist und Kritiker.

Persönlichkeit und Habitus hevesi war nicht verheiratet, was den Vorteil hatte, dass er ungebunden war und viel reisen konnte.59 er hatte sechs Wochen bezahlten urlaub pro Jahr, was seinerzeit als besonderes Privileg galt. Zwischen den reisen verbrachte er seine Tage mit regelmäßiger arbeit (Besprechung von Theateraufführungen, lesen, lernen, Übersetzen, Schreiben). Seinen Pester Freun-

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19. Karl KrauS (1874–1936)

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den zufolge war er als junger mann fröhlich, hatte gern gesellschaft und redete nicht viel, doch was er sagte, hatte stets gewicht. Wegen seiner Späße, seiner ironie und seiner geistreichen Bemerkungen war er überall beliebt; die mitglieder des Kreises Jung-Pest im Kaffeehaus Kávéforrás betrachteten ihn bis zuletzt als einen der ihren. Seine Wiener Zeitgenossen beschrieben ihn als verschlossen, ja beinahe schüchtern. Doch wenn er etwas sagte, machte er Späße und gab brillante Pointen zum Besten. er konnte mit Sicherheit meisterhaft schweigen und denjenigen zuhören, die sprachen. er gehörte zum Stammtisch von ludwig Speidel, darüber hinaus war er, seitdem er der Secession zum erfolg verhalf, häufig in den Salons von Berta Zuckerkandl und Carl moll zu gast und hatte regelmäßigen Kontakt zu allen angehörigen der Journalistenund Kunstszene. Die Stellung beim Wiener Fremden-Blatt bedeutete – besonders am anfang – enorm viel arbeit, und der ehrgeizige junge Journalist stürzte sich in die arbeit und wollte immer perfekte ergebnisse abliefern. Wahrscheinlich hatte er erkannt, dass das viele reisen vollkommene unabhängigkeit erforderte, die mit einer Familie schwieriger zu wahren gewesen wäre. in ihren erinnerungen, die sich auf regelmäßige persönliche gespräche beziehen, zitiert amelia Sarah levetus hevesis erklärung für seine ehelosigkeit: dass die „ehe die individualität zerstöhre“, wie er nach einem Streitgespräch ausführte.60 Das dürfte allerdings die ansicht eines in seinen letzten Jahren schon etwas müden und sich rechtfertigenden hevesi gewesen sein. aus seinen Schriften ist ersichtlich, dass er die Frauen, die mit ihm zusammenarbeiteten, sehr achtete und schätzte, was auch in seinem packenden nachruf auf ilona Pataky zum ausdruck kommt.61 in einigen Feuilletons hingegen lässt er sich in leicht ironischem Ton über die Schwächen des schöneren geschlechts aus und macht sich über diejenigen lustig, deren einziges Ziel die ehe ist. Weitergehende Schlüsse kann man nicht ziehen, da hevesis persönliche Korrespondenz verloren gegangen ist. Wie die Zeitgenossen einhellig berichten, mochte hevesi junge leute sehr, unterhielt sich gern mit ihnen und versuchte, seine lebenserfahrung und sein Wissen auch auf diesem Wege weiterzugeben. Sein Vermögen und seine Bibliothek vermachte er seinen in Wien lebenden nichten.62 er war ein Familienmensch, der Kinder besonders liebte, die Familien seiner Schwestern profitierten von seiner unterstützung. in seinen Texten finden sich hier und da auch momentaufnahmen von atelierbesuchen, die davon zeugen, dass die maler, zum Beispiel Klimt, ihm gern ihre noch unfertigen Werke zeigten. er war demnach vertrauenserweckend, zuverlässig und diskret. nach 1900 veröffentlichte er auch unterhaltungen persönlicher natur, aber nur, wenn der Künstler, der meister es wünschte und er selbst sich mit dem jeweiligen Werk identifizieren konnte. Kulissengeheimnisse verriet er erst Jahre später, wenn er meinte, damit niemandem mehr schaden zu können.63 andere Journalisten, die nach aufmerksamkeit lechzten, oder Karl Kraus (abb. 19), der aus Prinzip alles beanstandete, hätten solche informationen in der hoffnung auf eine Sensation oder einen Skandal nur zu bereitwillig herausposaunt. Wie zum Beispiel den umstand, dass unterrichtsminister von hartel persönlich Klimt gebeten hatte, sein Bild Die Hoffnung 1903 nicht auszustellen, um nicht eine neuerliche Welle von Skandalen um die Secession und das ministerium auszulösen. Damit hätte man ihn 1903 auch politisch erpressen können, doch hevesi tat es nicht. er wusste genau, wo die grenze des journalistischen anstands war und konnte in kulturpolitischen Fragen diskret bleiben.64

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Das Vertrauen in hevesis ansehen und Fachwissen hatte seine Position in der Wiener Kritik so sehr gestärkt, dass die gegner ihn, als der gegensatz zwischen ihren ansichten über die Secession schärfer wurde, in ihren anspielungen nicht beim namen nannten und der Ton der angriffe höflich blieb. Sie spielten nur auf ihn an, obwohl sie ihn durchaus namentlich hätten nennen und angreifen können. Die einzige ausnahme war Karl Kraus, der ihn zur Zeit der künstlerisch-politischen Kämpfe um die Fakultätsbilder persönlich anging, doch hevesi reagierte mit Schweigen (siehe ausführlich dazu das Kapitel „Pyrrhussieg?“). hevesi war sich seines einflusses bewusst, und spätestens ab 1897 nutzte er ihn auch. er machte ihn immer nur im interesse anderer geltend, und wenn er sein Ziel erreicht hatte, zog er sich zufrieden zurück. Von seiner Korrespondenz sind nur Bruchstücke erhalten, in den meisten bitten Künstler um seine intervention oder bedanken sich für seine hilfe.65 Bei ausstellungen verschaffte er sich möglichst noch vor der eröffnung einen Überblick über die exponate und war bemüht, als erster darüber zu schreiben, damit andere ihn auf keinen Fall beeinflussen konnten. Später ließ es sich nicht vermeiden, dass Bekannte (mäzene oder Künstler) ihn mit ihrer abweichenden oder gegenteiligen meinung konfrontierten – was er an manchen Stellen in seinen artikeln auch erwähnt. er erhielt mit der Zeit immer mehr Bittbriefe und angriffe per Post, vor allem nach 1897, die er gewöhnlich wegwarf. gelegentlich aber kam er in seinen Schriften auf sie zu sprechen, wenn er es für angebracht hielt, auf die eine oder andere anschuldigung – quasi zu didaktischen Zwecken – zu reagieren und dem ehrenwerten Publikum seinen eigenen Standpunkt zu erläutern. Zu den interessantesten artikeln dieser art gehört derjenige über die Bilder von Fülöp lászló, in dem er den maler verteidigt – weil er es generell für legitim hielt, dass Porträtmaler (wie es damals die meisten von ihnen regelmäßig taten) bei der Verewigung ihres modells auch Fotografien verwendeten. Seiner ansicht nach konnte ein Bild deshalb trotzdem ein authentisches und autonomes Kunstwerk bleiben.66 otto Wagner beispielsweise bat den Kritiker, ihn mit einem artikel im Fremden-Blatt zu unterstützen, bevor die entscheidung bei der ausschreibung für das Wiener Stadtmuseum fiel. Daraufhin analysierte hevesi die Bewerbungen tatsächlich ausführlich und führte argumente für den modernen entwurf an, doch die öffentliche meinung und die entscheidung der Jury konnte er in diesem Fall nicht beeinflussen.67 auch wenn er sich stets von der Tagespolitik fernhielt, irritierte es ihn offensichtlich und es beunruhigte ihn wahrscheinlich auch, dass die Ära lueger in Wien einen zunehmenden antisemitismus hervorbrachte – den er jedoch, wie die meisten seiner generation, nicht wirklich ernst nahm. er betrachtete ihn, als sei er eine unangenehme menschliche reaktion, die mit dem „anderssein“ einherging, nahm dabei aber die Bedrohlichkeit nicht wahr. er gehörte zur generation derer mit dem optimistischen positivistischen glauben an den Fortschritt und hoffte auf eine dauerhaft positive entwicklung der menschlichen natur durch erziehung und Kultur. am meisten aufschluss über seine Persönlichkeit und seine gewohnheiten in den letzten Jahren seines lebens geben die erinnerungen (in zwei Teilen) von amelia Sarah levetus, die sie ein Jahr nach seinem Tod verfasst hat. Die gebildete englische Dame mit jüdischen Wurzeln hatte sich mitte der 1890er Jahre in Wien niedergelassen und schon bald Kontakte zur intellektuellen elite der Stadt geknüpft. hevesi begegnete sie zunächst

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20. Der KaiSer in Der inCogniTologe DeS BurgTheaTerS, reChTS luDWig heVeSi

als englischlehrerin, besser gesagt als gesellschafterin, als der Kritiker seine englischkenntnisse aufpolieren wollte. aus dem Sprachunterricht ging eine tiefe intellektuelle Freundschaft hervor, von der levetus sehr profitierte. anfangs waren die hauptthemen ihrer unterhaltungen das englische Theater und die Welt des Theaters, doch schon bald bezogen sie auch die bildenden Künste mit ein – die Sprachlehrerin wurde zum Kritikerlehrling. levetus wurde die Wiener Korrespondentin für die Zeitschrift The Studio und vermittelte der englischsprachigen Welt so hevesis ansichten. ihre 1911 entstandenen memoiren gewähren einen einblick in die Ars poetica des Kritikers. „Über kritische Veranlagung sprechend, sagte hevesi einmal, dass es das erste erfordernis sei, unabhängigen und uninteressierten Character zu haben, frei und für sich selbst denken zu lernen. er selbst verkörperte dieses Prinzip aufs vollkommenste. er war absolut frei von jeder rücksicht. (…) ansehen habe ich genug. andere ehren als die, welche mir die in Frage stehende arbeit selbst bringt, verlange ich nicht, und geld habe ich auch soviel, als ich brauche.“68 er war ein unabhängiger geist, für den intellektuelle und moralische unabhängigkeit wichtiger waren als alles andere. „meine arbeit füllt mein leben ganz aus“69, sagte er seiner gesprächspartnerin. nach den Theaterpremieren verließ er noch während des Beifalls eilig den Saal und war nicht bereit, mit irgendjemandem über das gesehene zu sprechen, ehe er seine Kritik für seine Zeitung geschrieben hatte.70 er ließ nicht zu, dass man ihn beim Schreiben zu hause störte. Denn das Schreiben war das Wichtigste für ihn, er verstand die Theaterkritik als moralischen auftrag, der dazu diente, die Welt zu verbessern. nach den nachrufen und erinnerungen über ihn zu urteilen, war er eine

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geschätzte, beliebte, ja geliebte Persönlichkeit der Wiener Künstlergemeinde. mehr kann sich ein Kritiker nicht wünschen. Selbst den Verlockungen des Kunstsammelns widerstand er. Deshalb enthielt sein nachlass (seine sogenannte Sammlung), die im Salon Pisko ausgestellt wurde, auch nur wenige Stücke71, und es war noch nicht einmal eine Zeichnung von Klimt darunter. Wenn ihm schon Klimt, der ihm sehr viel zu verdanken hatte, keine geschenke machte, so hätte hevesi wahrscheinlich Zeichnungen von ihm kaufen können, tat dies jedoch nicht.72 er ließ sich nur ein einziges mal dazu hinreißen, Bilder aus einer ausstellung der Secession zu erwerben: van rysselberghes Vedute Konstantinopel und ihr Pendant Dordrechtmorgen.73 mit der „aktion“ wollte er dem Wiener Publikum beweisen, dass es leute gab, die sich trauten, ein pointillistisches Bild zu erwerben, das heißt, dass der in der österreichischen hauptstadt zu jener Zeit noch kaum bekannte Stil legitim war und künstlerischen Wert besaß. Diese beiden Bilder hingen bis zu seinem Tod in seiner Wohnung, die eigentlich eine riesige Bibliothek war, in der einige alte Biedermeiermöbel für die nötige Bequemlichkeit sorgten. er schrieb ein nettes Feuilleton über sein Zuhause, das er von seinem umzug nach Wien bis zu seinem Tode bewohnte.74 auch daraus geht hervor, dass er die alten Biedermeiermöbel, die er schreibend spielerisch zum leben erweckte, als Teil des Familienerbes aus ungarn mitgebracht hatte. in seinem Testament betonte er ausdrücklich, dass seine handschriften- und Büchersammlung sehr wertvoll sei.75 Seine erben verkauften die beiden nachlässe gesondert: Die handschriftensammlung wurde anlässlich der 77. Kunstauktion des auktionators Kende zwischen dem 24. und dem 28. oktober 1924 versteigert. es sind nur wenige inventarlisten von Bibliotheken von Kritikern aus dem 19. Jahrhundert erhalten. hevesis Verwandte versteigerten die Sammlungen in mehreren Teilen, der erste allgemeine Teil wurde bereits 1910 inventarisiert und kam 1911 unter den hammer, und zwar bedauerlicherweise zusammen mit der ebenfalls bedeutenden und großen Bibliothek von a. J. Jellinek, sodass dieser überwiegend belletristische Teil heute nicht mehr bewertet werden kann.76 Die Viennensia (der Teil mit Bezug zu Wien) wurden mit der Sammlung von Dr. albert Strazer, dem Direktor des archivs für niederösterreich, vermischt versteigert, sodass auch ihr inhalt nicht genau bestimmt werden kann. lediglich der „rest“, der nach dem ersten Weltkrieg versteigert wurde, ist für eine genauere analyse geeignet. in seinen erinnerungen an hevesi schreibt lajos hatvany auch über hevesis Bibliothek, im Präsens und im reportagestil: „Seine Bibliothek zeugt von einem vielseitigen wissenschaftlichen interesse, das aber kein kahles, unpersönliches interesse ist. Dieser besondere mensch hat sich mit besonderem geschmack über alles informiert. Selbstverständlich auch in der Bibliothek. hunderte von utopien … reise zum mond, zu den Sternen, lateinische gedichte über wunderbare reiseabenteuer, ja und noch über das dunkle reich des sechsten Sinns, die fünfte Dimension usw. und all das liegt überall herum, auf dem Boden, auf Tischen, in den regalen der Bücherschränke, auf den lesepulten und auf den staubigen Sesseln. hevesis Schreibtisch ist hinter diesem aus Papier errichteten gebäude regelrecht verbarrikadiert. er steht auf und zeigt seinem gast die Schätze seiner Bibliothek. er zieht ein Buch nach dem anderen hervor. Jedes ist eine rarität, jedes hat seine geschichte. er hat jahrelang gejagt, bis er seine Beute zusammenhatte. eine Vielzahl von randnotizen zeugt von der Wonne des erstmaligen lesens.“77

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Diese kunsthistorische Bibliothek von einzigartigem Wert wurde 1921 im antiquariat gilhofer & ranschburg in Wien versteigert. anhand des auktionskatalogs kann man sich ein genaues Bild davon machen, was die Bibliothek, die der hochgebildete Kritiker zu hause nutzte, beinhaltete.78 Das in 3237 Posten aufgelistete material deckt sich weder hinsichtlich der Zahl der Bände noch inhaltlich mit dem tatsächlichen Bestand, denn zum einen hatte hevesi nahezu alle neuausgaben mehrfach aufgelegter handbücher (beispielsweise der Überblicksdarstellung Kuglers) gekauft, sodass einige Duplikate unter den Büchern gewesen sein müssen, und zum anderen muss der Bestand deutlich größer gewesen sein, als er auf den ersten Blick wirkt, da bei den „Konvoluten“ (z. B. nr. 2809) nicht im einzelnen angeführt war, worum es sich bei den 100, zwischen 1882 und 1909 herausgegebenen, zum Teil illustrierten museumskatalogen handelte, die der auktionator großzügig in einem Posten zusammengefasst hatte. Des Weiteren waren alle Kataloge der internationalen Kunstausstellungen in münchen und amsterdam und die der Pariser auktionshäuser (!!!) unter je einem Posten aufgeführt.79 obwohl die Zeitschriften eigentlich getrennt versteigert wurden, hatte man mehrere unter die nach epochen geordneten monografien oder noch eher unter die Sammlungsteile zu den einzelnen gattungen der grafik eingeordnet. Selbst so besteht die liste der katalogisierten Zeitschriften aus 192 Posten, von denen nicht wenige dreißig oder vierzig Jahrgänge umfassen. Bei einer genaueren analyse zeigt sich, dass hevesi ab dem ende der 1860er Jahre beinahe alle wichtigen deutschsprachigen Zeitschriften und museumsjahrbücher zum Thema bildende Kunst abonniert hatte80 und aller Wahrscheinlichkeit nach ab 1867 die Kataloge aller Weltausstellungen und internationalen Kunstausstellungen gekauft hatte.81 Was Wien betraf, so besaß er alle Dokumentationen der immer zahlreicheren ausstellungen des Künstlerhauses, des Kunstvereins und der galerien. (Von diesen hatte man sicherlich auch einige unter den Viennensia eingeordnet.) er war ab der ersten ausgabe abonnent von The Studio82, der populärsten Zeitschrift zur bildenden Kunst um die Jahrhundertwende, und des The Burlington Magazine. Darüber hinaus fanden sich in seiner Sammlung verschiedene ausgaben beziehungsweise Jahrgänge mehrerer weiterer englischer Zeitschriften, darunter The etcher83, The Connoisseur84 und The Collector’s Magazine85. Selbstverständlich hatte er auch alle ungarischen Zeitschriften für bildende Kunst abonniert.86 Schließlich ist anzumerken, dass seine Zeitschriftenabonnements deutlich zeigen, dass er als junger mann ernsthafte ambitionen als humorist hatte. So besaß er zum Beispiel sieben sehr frühe Jahrgänge von Le Charivari und sogar eine ganze „abteilung Karikatur“.87 in seinem nachlass fanden sich außerdem alle ausgaben des wichtigsten Wiener Witzblattes Figaro. er sammelte nicht nur Fachbücher, die für ihn von „unmittelbarem nutzen“ waren, sondern auch bibliografische raritäten. laut den erinnerungen der Zeitgenossen, vor allem seiner Jugendfreunde, waren die klassische Philologie und die Kunst der antike seine erste große „liebe“. Das belegt nicht nur die Tatsache, dass er sehr viele Werke über die antike besaß (140), sondern auch raritäten wie einen 1802 erschienenen Folianten von J. lavallée über die antiken Denkmäler in Dalmatien, der mit 66 großen radierungen illustriert war88, oder zum Beispiel die mit 99 Kupferstichen illustrierte Topografie roms von giovanni Battista Falda und giovanni Francesco Venturini aus dem Jahr 169189. obwohl er – wie die meisten seiner Zeitgenossen – den Barockstil bis zum

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leBenSlauF Von luDWig heVeSi

21. luDWig heVeSi, FoTograFie Von JoSeF lőWy

ende der 1880er Jahre negativ bewertete, besaß er mehrere reich illustrierte Folianten aus dem 17. und 18. Jahrhundert, darunter auch eine echte rarität, nämlich die 1725 von Fischer von erlach in leipzig herausgegebene architekturgeschichte, die die erste Überblicksdarstellung dieser art war.90 aus hevesis Schriften geht nicht hervor, ob er religiös war oder nicht; am wahrscheinlichsten ist, dass er, wie viele positivistische Wissenschaftler seiner generation, agnostiker war. obwohl er – teilweise – in der evangelischen Familie Wohl aufgewachsen war, nahm er den evangelischen glauben erst im Dezember 1890 an, nachdem er einige Tage

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zuvor auch seinen niemals benutzten namen lajos lőwy offiziell in lajos hevesi geändert hatte. er wurde am 27. Dezember 1890 in Budapest getauft und erhielt den Taufnamen lajos-Pál. laut Taufschein wohnte er in Budapest in der akadémia-Straße 5.91 Wahrscheinlich erledigte er diese für erforderlich erachteten Formalitäten, die keine nennenswerten Veränderungen in seinem leben bedeuteten, wegen der ausstellung seines ungarischen reisepasses. Danach fuhr er nach Wien zurück und lebte wieder nach seiner gewohnten routine. Vor ihm hatte niemand mit einer solchen ausdauer und so konsequent über die bildende Kunst in Wien berichtet, und niemand konnte so auf nahezu alle künstlerischen ereignisse innerhalb von 45 Jahren zurückblicken wie er. er hatte ein legendäres visuelles gedächtnis. Dadurch hatte er das absolute Primat unter den Wiener Kritikern. er war ein sorgfältiger Chronist der jährlichen großen ausstellungen des Künstlerhauses und der wichtigen künstlerischen ereignisse in der epoche des historismus und ebenso während der epoche der Secession. Die Wiener Kritiker- und Schriftstellergeneration, die in den 1890er Jahren auf den Plan trat (hermann Bahr, hugo von hofmannsthal, Felix Salten, Berta Zuckerkandl) sah in dem „großen alten“ ihren Vorgänger und meister, der damals schon in den Fünfzigern war und sich wohlwollend für ihre ideale einsetzte.92 und 13 Jahre später war er in der lage, sich die extremen künstlerischen experimente der nächsten Stilbewegung, des expressionismus, zu eigen zu machen, ohne auch nur einem einzigen früheren meister „abzuschwören“. hevesis intellektueller lebenslauf ist im grunde eine reflektierte ereignisgeschichte der Wiener Kunst-(und ausstellungs-)szene: eine Chronik der entfaltung und der Blüte von Stilen und gattungen, dessen, wie auch immer gewagte künstlerische experimente und zunächst skandalöse Werke zu klassischen Werten und zur Tradition wurden. außer seinen unglaublich gründlichen Kenntnissen machten ihn seine offenheit, sein humor und seine verständnisvolle Philanthropie zum nestor der modernen Kunstkritik. er schrieb die erste Überblicksdarstellung über die österreichische Kunst des 19. Jahrhunderts und wurde so zum Begründer des Kanons der österreichischen Kunst.93 Seine letzten Jahre verbrachte er außer mit journalistischen routineaufgaben und unruhigem hin-und-her-reisen94 mit dem Schreiben einer monografie über rudolf von alt. außerdem bereitete er die auswahl der Feuilletons von ludwig Speidel und seine Würdigung für einen deutschen Verlag vor.95 Beide arbeiten blieben unvollendet und sind postum erschienen.96 es zeugt von einer Disziplin und einem Pflichtbewusstsein, wie man sie sich heute kaum mehr vorstellen kann, dass er die letzten Briefe an seinem allerletzten abend97 an Verlage schrieb und sie darin um Verzeihung dafür bat, dass er die Bücher nicht mehr vollenden könne und sie ihnen somit schuldig blieb. Der grund für seinen Selbstmord bleibt ein rätsel. Seine Freunde einigten sich schließlich darauf, dass seine vor allen verheimlichte Krankheit (höchstwahrscheinlich magenkrebs), die immer schwerer wurde, eine Depression ausgelöst hatte und er die quälenden Schmerzen nicht länger ertragen konnte. am letzten Sonntag im Februar (als seine haushälterin ausgang hatte) zündete er auf seinem Schreibtisch drei Kerzen an und schoss sich vor dem Spiegel in den Kopf.



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meine Wirksamkeit in den Jahren 1848–1849. Pl, 24. Dez. 1889, S. 13. 2 Johanna mária lőwy, die Schwester seines Vaters, war die Frau von Sándor János Wohl (1801–1886); auf diese Weise kam der Junge in Pest in die obhut seiner Tante. Der Chirurg Sándor János Wohl war schon 1840 zum evangelischen glauben übergetreten. Die ungewöhnlich starke anglophile einstellung der Familie rührte nicht zuletzt daher, dass ihre Taufe und ihr Wechsel zum evangelischen glauben auf anregung der schottischen protestantischen mission in Pest erfolgt war. Diese Verbindung erklärt auch ihr freundschaftliches Verhältnis zu einigen mitgliedern der Pester aristokratie, unter ihnen gräfin mária Terézia Brunswick, was in der damaligen Pester gesellschaft ein großes Beziehungskapital darstellte. Siehe Zsuzsa Török: a Wohl nővérek keresztvíz alatt. Két protestáns zsidó írói életpálya kezdete [Die Wohl-Schwestern über dem Taufbecken. Der Beginn der Schriftstellerlaufbahn zweier protestantischer Juden]. Századvég 2013, S. 41–58. 3 Janka Wohl. Pl, 30. mai 1901. aus dem ofner gebirge. Pl, 30. aug. 1908. 4 János Kőbányai: a magyar zsidó értelmiség kialakulása. intézmények és médiumok [Die entstehung der ungarisch-jüdischen intelligenz. institutionen und medien]. Budapesti Negyed, Jg. 16, nr. 58, 2008/1, S. 5–62. 5 Die Schriftstellerin Janka Wohl (1843–1901) wollte zunächst Pianistin werden, arbeitete dann jedoch als Zeitungsredakteurin und Übersetzerin. ab 1873 redigierte sie zusammen mit ihrer Schwester Stefánia Wohl (1846–1989) das magazin Magyar Bazár [ungarischer Basar]. Janka übersetzte sehr viel aus dem englischen und Französischen, der bekannteste roman ihrer jüngeren Schwester war Aranyfüst [rauschgold] (1887). Siehe anna Fábry (hrsg.): A nő és hivatása. Szemelvények a magyarországi nőkérdés történetéből, 1777–1865 [Frau und Beruf. auszüge aus der geschichte der Frauenfrage in ungarn, 1777–1865]. Budapest 1999. 6 ihren Salon besuchten mehrere herausragende Persönlichkeiten, unter ihnen ágost Trefort, Bischof lajos haynald, graf géza Zichy und Franz liszt. Siehe Fanni Borbíró: „Csevegés, zene és egy csésze tea“. a Wohl nővérek a pesti társaséletben [Plausch, musik und eine Tasse Tee. Die WohlSchwestern in der Pester gesellschaft]. Budapesti Negyed, Jg. 46, nr. 2004/12, S. 350–376. 7 adolf ágai (rosenzweig) (1836–1916) war Schriftsteller und Journalist. Das gymnasium besuchte er in Pest und in nagykőrös als Schüler von János arany. obwohl er in Wien das Studium der medizin abgeschlossen hatte, ging er 1867 nach Pest zurück und arbeitete dort als Journalist. 1868 gründete er auf Wunsch andrássys das Witzblatt Borsszem Jankó [etwa: Däumling], zu dem seine mitarbeiter, mór ludassy, János Pompéry, aurél Kecskeméthy, istván Toldy, Jenő rákosi, lajos

Dóczi und lajos hevesi, Pál gyulai, ágost greguss und gelegentlich sogar János arany die eine oder andere idee beitrugen, doch eigentlich wurde das Blatt bei den Zusammenkünften des nach dem Kaffeehaus Kávéforrás [Kaffeequelle] benannten Kreises zusammengestellt. ágai schrieb seine Feuilletons unter dem Pseudonym Porzó [Schreibsand]. Siehe aladár Komlós: Magyar zsidó szellemtörténet a reformkortól a Holocaustig [geistesgeschichte des ungarischen Judentums vom reformzeitalter bis zum holocaust]. Bd. i. Budapest 1997, Bd. i, S. 237. 8 miksa Falk (1828–1908) war Publizist und politische autor. er schrieb für die deutschen Blätter Pests, seit er fünfzehn war. 1847 erwarb er den Doktortitel in den geisteswissenschaften an der Pester universität. Von 1847 bis 1867 lebte er in Wien, wo er mitarbeiter des liberalen Blattes Der Wanderer war. Von 1858 bis 1860 editierte er die anonymen Schriften graf istván Széchenyis, was seine politischen ansichten stark prägte. 1861 wurde er auf Vorschlag von Ferenc Deák zum korrespondierenden mitglied der ungarischen akademie der Wissenschaften gewählt. im selben Jahr strengte innenminister Schmerling wegen eines seiner artikel einen Presserechtsprozess gegen ihn an, in dem er zu sechs monaten gefängnis verurteilt wurde. Falk war ein unbedingter Verfechter des ausgleichs und hat sogar Kaiserin elisabeth beeinflusst, die er eine Zeit lang auf ungarisch unterrichtete. Siehe Komlós: ebd., S. 89–90. 9 Zu ihr gehörten außer miksa Falk und adolf ágai zum Beispiel mór ludassy (1829–1885) und adolf Dux (1822–1881). ludassy lebte ebenfalls in Wien, wo er von 1864 bis 1867 herausgeber und redakteur der Tageszeitung Die Debatte war, die den ausgleich betrieb. Später leitete er in Pest die Pressestelle von gyula (Julius) andrássy und danach – ebenfalls unter andrássy – in Wien die Pressestelle des außenministeriums. Für seine Dienste auf dem gebiet der Presse wurde er in den adelsstand erhoben. 10 adolf Dux und mór ludassy übersetzten die folgenden ungarischen Schriftsteller ins Deutsche: József Katona, József eötvös, Sándor Petőfi und mihály Vörösmarty. lajos Dóczi übersetzte imre madáchs Die Tragödie des Menschen ins Deutsche (1892). 11 Der österreichisch-ungarische ausgleich 1867 war das ergebnis verfassungsrechtlicher Vereinbarungen, durch die das Kaisertum österreich in die Doppelmonarchie österreich-ungarn umgewandelt wurde. 12 memoiren eines Kreuzers. (ein märchen aus geldkreisen). Die Debatte, 22. november 1865, S. 1. 13 l. h-i: Staub und asche. Pl, nr. 50, Sa., 27. Febr. 1892. 14 Komlós: ebd., S. 254. 15 Die rezeptionsgeschichte des kulturellen Teils des Pester Lloyd ist noch nicht aufgearbeitet. es

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gibt jedoch einige bahnbrechende arbeiten zu der Zeit von 1900 bis 1914: Zsuzsa Bognár: Irodalomkritikai gondolkodás a Pester Lloydban (1900–1914) [literaturkritik im Pester lloyd (1900–1914)]. Budapest 2001. Zu den Übersetzungen siehe amália Kerekes mit alexandra millner: Was ist das „ins heu gehen“? ungarnbild und Übersetzungspolitik in der deutschsprachigen Presse der Doppelmonarchie. in: endre hárs, Wolfgang müller-Funk und magdolna orosz (hrsg.): Verflechtungsfiguren. Intertextualität und Intermedialität in der Kultur Österreichungarns. Frankfurt am main 2003, S. 207–231. 16 lajos hevesi: Karcképek az ország fővárosából [etwa: Skizzen aus der hauptstadt des landes]. Budapest 1876. 17 Sein erster artikel zu einem Thema der bildenden Kunst war: Die genelli-ausstellung. Pl, 15. apr. 1869. 18 in seinen Schriften erwähnt er wiederholt die Buchhandlung Plach in Wien und die Buchhandlung eggenberger in Pest, wo man Schnitte und Folianten zum Thema Kunst studieren konnte. Siehe alfred hoffmann: nachruf. Pl, 29. okt. 1905. 19 Die erste internationale Kunstausstellung im Künstlerhause zu Wien. i–iii. Pl, 22., 23. und 24. april 1869. 20 géza Buzinkay: Borsszem Jankó és társai [Däumling und seine gefährten]. Budapest 1983. 21 laut seinen memoiren von 1902 hat er diese Zeitschrift ganz allein geschrieben, alle gedichte und Prosabeiträge stammten also von ihm. Siehe Timon Schroeter (Kompilator): Für unser Heim! Bunte Spenden deutscher Dichter und Denker der Gegenwart für das Deutsche Schriftstellerheim in Jena. leipzig 1902, S. 121. 22 hevesi 1873. lajos hevesi: Budapest és környéke [Budapest und seine umgebung]. Budapesti Negyed, 2004, 12. Jg., heft 3. nr. 45 und 57–75. (mit einer einleitung von Béla Fodor). 23 lajos hevesi: Jelky András bajai fiú rendkívüli kalandjai ötödfél világrészben. Történeti kútforrások alapján. Magyar népkönyv különös tekintettel a serdültebb ifjúságra [Die abenteuer des Jungen andrás Jelky aus Baja in fünfeinhalb erdteilen. anhand historischer Quellen. ungarisches Volksbuch unter besonderer Berücksichtigung der reiferen Jugend]. Pest 1872. 24 ausführlicher zu hevesis Budapester Jahren siehe ilona Sármány-Parsons: ludwig hevesi. 1842–1910. Die Schaffung eines Kanons der österreichischen Kunst. 1. Teil: Frühe Jahre und Wegbereiter. in: Österreich in Geschichte und Literatur, 2003, Jg. 47, heft 6, S. 342–358. 25 Éva Somogyi: egy magyar hivatalnok a bécsi külügyminisztérium szolgálatában (Báró Dóczy lajos) [ein ungarischer Beamter im Wiener außenministerium (Baron lajos Dóczi)]. in: János angi, János Barta (hrsg.): emlékkönyv L. Nagy Zsuzsa 70. születésnapjára [Festschrift zum 70. geburtstag von Zsuzsa l. nagy]. Debrecen 2000, S. 203–220.

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1897 wurde Dóczi erneut mit der leitung des Wiener literarischen Büros (der Pressestelle des außenministeriums) betraut; er versah seine aufgabe bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1905 mit großer umsicht. als leiter der Pressestelle des außenministeriums wurde er im Jahr 1900 zum Baron erhoben. 27 aladár Komlós: ebd., S. 240–245. 28 l. h-i: Burgtheater („Der Kuß“. lustspiel in vier aufzügen und einem Vorspiel aus dem ungarischen von ludwig Dóczi). FB, nr. 58, Do., 1. märz 1877. 29 in seinem Selbstbildnis (önarckép) von 1902, in dem er alles zusammengestellt hat, was er hinsichtlich seiner laufbahn für wichtig erachtete, hielt er sich in erster linie für einen Schriftsteller und erzähler und listete seine novellenbände und Kurzromane sorgfältig nach gattungen auf. Schroeter 1902, S. 120–121. 30 edith Walter: Österreichische Tageszeitungen der Jahrhundertwende. Wien, Köln, Weimar 1994, S. 18–19. 31 Über die rolle der Journalisten als „Vordenker der moderne“ in europa siehe: Christoph Charle: Vordenker der Moderne – Die Intellektuellen im 19.Jahrhundert. Fischer 1997. 32 Tina Blau (1845–1916), eine der bedeutendsten und schon zu lebzeiten anerkannten österreichischen malerinnen, hielt sich mehrmals in Szolnok auf, um zu malen, so auch im Sommer 1874. laut der Familie „folgte“ hevesi ihr auch nach Wien und machte sich lange Zeit hoffnungen auf die erwiderung seiner gefühle, doch Tina Blau heiratete schließlich den münchener maler heinrich lang, den sie ebenfalls in Szolnok kennengelernt hatte. nach dem Tod ihres mannes zog die malerin wieder nach Wien und wurde im Jahr 1900 eine beliebte Dozentin an der gerade gegründeten malerschule für Frauen. Sie nahm an hevesis Beerdigung teil. 33 1875 hat er im Fremden-Blatt bei einem artikel, in dem er die erlebnisse von Tina Blau in den niederlanden berichtet, seinen namen in Form eines monogramms angegeben, was zeigt, dass sie seinerzeit noch in intensivem Briefwechsel miteinander gestanden haben müssen. FB, 12. Dez. 1875. 34 Diese information verdanke ich meiner Professorin anna Zádor, deren mann, ede Schütz-harkányi, ein nachkomme einer der Schwestern ludwig hevesis war und dadurch über viele hintergrundinformationen über die Familie verfügte. Tina Blau, eine hervorragende Vertreterin der Pleinairmalerei, war im Übrigen eine der ersten namhaften österreichischen malerinnen überhaupt. markus Fellinger: Tina Blau. Wien 2016. 35 hevesi hatte bei seinem umzug viele möbel seiner Familie (eine Biedermeiergarnitur, einen Sekretär usw.) und sehr viele Bücher mitgenommen. Über seine Wohnung hat er ein nettes verspieltes Feuilleton geschrieben, in dem er seine möbel als lebende Personen darstellte. Die Sachenseele. Pl,

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1. Jan. 1907. – erneut veröffentlicht in: gunther martin (hrsg.): ludwig hevesi. Das große Keinmalkeins. Wien, Darmstadt 1990. S. 91–100. 36 arbeitsvertrag – handschriftensammlung österreichische nationalbibliothek, 467/3-3. 37 hevesi wohnte in einer geräumigen und eleganten Drei-Zimmer-Wohnung in der Wiener innenstadt. Die praktischen Tätigkeiten erledigte eine haushälterin. er aß regelmäßig in restaurants und besuchte Kaffeehäuser. er reiste ausgesprochen viel, viel mehr als seine Journalisten- und Kunstkritikerkollegen. Die redaktion des Fremden-Blattes befand sich zehn gehminuten entfernt in der Wollzeile. 38 Ferdinand groß schrieb 1880 für das Berliner Publikum eine wichtige abhandlung über das Wiener Feuilleton, in der er auch die Beiträge im Pester Lloyd besprach. neben miksa Falk hob er hevesi als ständigen Wiener Berichterstatter hervor, den er als absolut modern beschrieb. in: Ferdinand groß: Nichtig und Flüchtig. Skizzen. Pfeil, leipzig 1880, S. 204–220. 39 Das war der weltweit erste lehrstuhl für musikgeschichte, der dank der unterstützung durch graf leo Thun eingerichtet wurde. 40 Speidel und hanslick verstanden sich gut; Speidel war „nebenberuflich“ ständiger musikkritiker beim Fremden-Blatt. Wahrscheinlich lernte hevesi ihn deshalb recht bald auch persönlich kennen. 41 Wagner’s Bann. FB, 24. nov. 1876. 42 Wilhelm goldbaum (1843–1912) absolvierte ein Jurastudium und ein Studium der Philosophie in Breslau (heute Wrocław) und Berlin. er ließ sich 1872 in Wien nieder, wo er redakteur der Neuen Freien Presse wurde. er veröffentlichte vor allem außenpolitische Beiträge, aber auch viele Buchbesprechungen. er war mitarbeiter mehrerer Periodika (Westermann’sche Monatshefte, Die Gegenwart, Die Gartenlaube, National-Zeitung) und schrieb auch Feuilletons für den Pester Lloyd. er übersetzte aus dem Polnischen ins Deutsche und veröffentlichte mehrere anthologien zu literarischen und kulturgeschichtlichen Themen. Sein artikel über hevesi (ein liebevolles Schriftstellerporträt) erschien in einer Weihnachtsausgabe des Pester Lloyd. Wilhelm goldbaum: ludwig hevesi. Pl, 25. Dez. 1906. 43 Ferdinand groß – nachruf. Pl, 25. Dez. 1900. 44 ilona Pataky. FB, 5. Sept. 1909, S. 19. 45 Die lenau- und die Schiller-rede (12. oktober 1902 und 30. april 1905) erschienen auch in gedruckter Form. Diese Texte lasen dann die Schauspieler des Burgtheaters dem Festpublikum vor, die Schiller-rede kein geringerer als Josef Kainz, der abgöttisch verehrte Wiener Schauspieler. Siehe ludwig hevesi: Schiller – Lenau. Zwei Concordia-Reden. Wien 1905. 46 messina – Prolog gesprochen vom kk. hofschauspieler herrn georg reimers bei der vom Wiener Verein der Journalisten und Schriftsteller „Con-

cordia“ zugunsten der notleidenden veranstalteten Konzertakademie im großen musikvereins Saale am 31. Januar 1909. abgedruckt in Pl, 1. Febr. 1919, abendblatt, S. 1–2. Diese reden wurden übrigens nicht von ihm, sondern von den Schauspielern des Burgtheaters vorgetragen. 47 Sein arbeitsvertrag besagte, dass er in österreich nur für das Fremden-Blatt schreiben durfte, der andere Teil der monarchie war jedoch autonom, und auf diese Weise beging er keine Vertragsverletzung, als er auch für den Pester Lloyd über dieselben Themen schrieb, sie jedoch immer anders „ausrichtete“. auf diese Weise entstanden jeweils zwei unterschiedlich formulierte artikel über die ausstellungen oder Theateraufführungen, in denen oftmals auch andere Kriterien berücksichtigt wurden, der Kern der Bewertung war jedoch derselbe. 48 er erwähnte einmal, dass er sich schon als kleines Kind für malerei und architektur interessiert hatte, es damals jedoch in ungarn und sogar in Pest noch aussichtslos schien, so etwas zu studieren. Siehe Schroeter 1902, S. 120. 49 Siehe hermann Bahr: ludwig hevesi. Die Zeit, 9. Juli 1898, S. 26–27. 50 Seine acht kleinen Bände waren Sammlungen eigentümlicher reiseberichte, nicht in Baedekermanier, sondern leichte und geistreiche lektüren, die das gebildete Publikum las, um einen eindruck von der mentalität und der atmosphäre des betreffenden landes zu bekommen. 51 hevesis belletristisches Werk hat in letzter Zeit auch die literaturgeschichte für sich entdeckt. nach dem erscheinen der ungarischen ausgabe dieses Buches hat der germanist endre hárs einen Band über hevesis publizistisches und literarisches Werk veröffentlicht. Die ergebnisse dieses Bandes können hier leider nicht besprochen werden. Siehe endre hárs: Der mediale Fußabdruck zum Werk des Wiener Feuilletonisten Ludwig Hevesi (1843–1910). Würzburg 2020. 52 Bei dem Verlag adolf Bonz in Stuttgart veröffentlichte er 23 Bände auf Deutsch. ilona Sármány-Parsons: ludwig hevesi. Alte und moderne Kunst. 1985, 30. Jg., heft 203, S. 30–31. 53 eduard Pötzl: Wienerstadt. Lebensbilder aus der Gegenwart. Prag, Wien, leipzig 1895. 54 Die vier Feuilletons hevesis in dem Band Wienerstadt sind: in der Kapuzinergruft, Wien auf dem eise, Wien im Schnee und ein gang über die ringstraße. 55 hevesi 1895, S. 419–441. 56 Sein interesse für architektur und die einrichtung von Wohnungen hatte er laut seiner erinnerung dem umstand zu verdanken, dass es bei der Familie Wohl ein wunderschönes Puppenhaus gab, das ihm sehr gefiel, und er deswegen auch einige Zeit überlegt hatte, architekt zu werden. 57 in diesem Buch fokussieren wir uns auf die malerei. es soll hier doch betont werden, dass hevesi

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eine ebenso wichtige rolle bei der modernisierung der angewandten Kunst spielte. 58 Die Besprechungen der Pariser ausstellungen bei der Zeitung waren die aufgabe seines Kollegen. Über die englische malerei schrieb hevesi nur dann, wenn in den Wiener ausstellungen auch englische Bilder gezeigt wurden. nach seiner reise nach england im herbst 1888 verfasste er keine artikel über die englische bildende Kunst, obwohl er alle Sammlungen besucht hatte, die irgendwie „auf seinem Weg lagen“. auch auf seine reise nach amerika im Jahr 1904 verwies er in seinen Schriften über die Kunst nur gelegentlich. 59 Den Dokumenten zufolge reiste kein anderer bedeutender Wiener Kunstkritiker (weder Speidel, ilg, grasberger oder Seligmann usw.) so viel wie er. er empfand es als seine Pflicht, sich jede bedeutende internationale Kunstausstellung anzusehen, auch wenn er schließlich nicht darüber schrieb. laut seinen erinnerungen fuhr er nach Venedig, sooft er nur konnte – angeblich, um sein gefühl für Qualität wachzuhalten. er hat zahlreiche essays über seine reisen geschrieben, die er auch in Sammelbänden veröffentlicht hat (Almanaccando, Blaue Fernen, Glückliche Reisen, ewige Stadt – ewiges Land). 60 amelia S. levetus: erinnerungen an ludwig hevesi. i–ii. Pl, 22. Jan. 1911 und 5. Febr. 1911. 61 ilona Pataky. FB, 5. Sept. 1909, S. 19. 62 in seinem am 17. September 1900 verfassten Testament benannte er seine drei verheirateten Schwestern (ludmilla Schlesinger, Pauline Vörösváry und adele Schütz) sowie seine drei nichten (hedwig von Friedländer v. malheim, leona abel und Stephanie abel) als erben. alle drei nichten lebten bereits in Wien. Der Testamentsvollstrecker war hedwigs mann, oberlandesgerichtshofsrat Dr. rudolf von Friedländer v. malheim. 63 neue Bilder von Klimt. internationale Kunstschau, Wien 1909. FB, 25. apr. 1909. 64 Zum Beispiel im Jahr 1909, als Klimt das in der Fritz-Wärndorfer-Sammlung aufbewahrte gemälde anlässlich der zweiten Kunstschau doch ausstellte, lebte der altphilologe Professor Wilhelm von hartel (der bedeutende Kultusminister der Koerber-regierung und Professor für klassische Philologie, dem man viele reformen zu verdanken hatte und der die modernen Stilexperimente unterstützt hatte) nicht mehr. 65 Der Ton der Briefe ist im Übrigen stets ausgesprochen höflich, hevesi wurde von allen in der Kunstszene gesiezt, so auch von den ihm nahestehenden kulturpolitischen Verbündeten wie beispielsweise hermann Bahr. ein identisches ästhetisches Fundament bedeutete nicht, dass er Bahrs nicht sonderlich gelungene Bühnenstücke nicht kritisiert hätte. auch hier bewahrte er seine integrität. 66 aus dem Wiener Kunstleben – Die Jahresausstellung im Künstlerhause. Pl, nr. 73, 26. märz 1903.

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otto Wagners Stadtmuseum. in: ludwig hevesi: Altkunst – Neukunst. Wien 1894–1908. Wien 1909, S. 254–259. 68 amelia S. levetus: erinnerungen an ludwig hevesi. i. Pl, 22. Jan. 1911. 69 ebd. 70 Siehe hermann Bahr: ludwig hevesi. Die Zeit. 1898. nr. 9, op. cit. 71 Seine moderne Sammlung bestand aus drei gemälden von Theodor hörmann, zwei nicht allzu großen pointillistischen Veduten von van rysselberghe (Konstantinopel und Dordrecht), einem Kupferstich, einem Khnopff (engel), einer Kreidezeichnung von engelhart, einer Zeichnung von Toorop, einem emil orlik, außerdem einer Bronzebüste von Klinger (Salome) und einem Kupferstich-exlibris. Schließlich besaß er noch ein Bild des älteren realistischen malers Friedländer. Darüber hinaus wurden Bronzeplaketten, uhren und altWiener Porzellan versteigert. Was die Familie behalten hat, ist nicht bekannt. es ist ein besonderes Spiel des Schicksals, dass diese gegenstände aus seinem nachlass zusammen mit der Sammlung seines Freundes und geistigen Verbündeten richard muther in Wien unter den hammer kamen. Siehe den auktionskatalog der galerie miethke: Richard Muther und Ludwig Hevesi. Wien 1912. 72 Diesbezüglich ist ein Beitrag von Dr. Wilhelm goldbaum, einem redakteur der Neuen Freien Presse, der einer seiner engsten Freunde war, aus dem Jahr 1906 sehr interessant. im rahmen der Besprechung von hevesis Buch erzählt der Verfasser zwei anekdoten darüber, wie sich der Kritiker dagegen verwahrt hat, dass die Künstler, über die er sehr gute Kritiken geschrieben hatte (Wereschtschagin und Klinger) ihm geschenke machten. Wenn er es gar nicht vermeiden konnte, beschenkt zu werden, kaufte er dem Künstler das Werk nachträglich ab, wobei er den doppelten marktpreis bezahlte (z. B. Klingers Büste Salome). Siehe: Wilhelm goldbaum: neues von ludwig hevesi. nFP, 23. Dezember 1906, S. 37. 73 ludwig hevesi: Acht Jahre Secession (März 1897– Juni 1905). Kritik – Polemik – Chronik. Wien 1906, S. 106–107. 74 Die Sachenseele. Pl, 1. Jan. 1907 – neu veröffentlicht: ludwig hevesi: Flagranti und andere Heiterkeiten. Wien 1909, S. 19–28. 75 hevesi hat mehrere Testamente verfasst. Das erste erhaltene ist vom 17. november 1891 datiert, das zweite vom 17. September 1900. Sie befinden sich im archiv des Wiener rathauses. in dem Testament von 1900 erwähnt er den wertvollsten Teil seiner Bibliothek, die „Curiosa“-Sammlung, auch gesondert und äußert den Wunsch, diese möglichst als ganzes an den mit ihm befreundeten Wiener antiquar J. eisenstein zu verkaufen. Verlassenschaftsakt, Wiener Stadt- und landesarchiv zu a Vi 22/10.

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leBenSlauF Von luDWig heVeSi

Dieser Teil der Bibliothek, der die belletristische literatur und auch die übrigen Zweige der Philologie umfasste, stellte die grundlage dar für hevesis analysierende Theater- und literaturkritiken, in denen er die Werke stets aus historischer Perspektive und unter Beachtung ihrer weltanschaulichen richtung besprach. auch dieser Teil der Bibliothek war mehrsprachig, und vermutlich gab es auch eine ungarischsprachige abteilung. 77 lajos hatvany: ludwig hevesi. Pl, 27. märz 1910. 78 Kunstbibliothek ludwig hevesi – Katalog. nr. 99 des Buch- und Kunstantiquariates gilhofer & ranschburg. Wien [1921]. hevesis utopiensammlung mit nahezu 1500 Posten wurde ebenfalls versteigert: Katalog einer merkwürdigen Sammlung von Werken utopistischen Inhalts 16.–20. Jh. aus dem Nachlasse des †Schriftstellers Ludwig Hevesi. Wien 1911. es ist anzunehmen, dass er neben seiner Fachbibliothek zum Thema bildende Kunst auch eine große Zahl an literarischen Werken und Judaika besaß. 79 aus den memoiren von lajos hatvany zum Beispiel wissen wir, dass hevesis Bücher und Kataloge voller mit Bleistift an den rand geschriebener notizen waren. offensichtlich hatte er dort seine frischen eindrücke festgehalten. Das diente als gedankenstütze (z. B. was die Farben betraf) und bedeutete eine Bereicherung der Themen durch assoziationen. ludwig hatvany: ludwig hevesi. Pl, 27. märz 1910. 80 Zum Beispiel Beiträge zur Kunstgeschichte, Zeitschrift für bildende Kunst (lützowsche), Berichte und Mitteilungen des Alterthumsvereines zu Wien, Jahrbuch der bildenden Kunst, Düsseldorf u. Berlin, Die Kunst für Alle, Die Kunst, Dekorative Kunst, Die graphischen Künste. 81 eine genaue rekonstruktion der liste ist problematisch, weil im Katalog zumeist nur die anzahl der in den Konvoluten gebündelten Publikationen angegeben wird. 82 The Studio. An Illustrated Magazine of Fine and Applied Art. Vol. 1–48. london 1893–1909. hevesi besaß auch alle Sonderausgaben der Zeitschrift, die zumeist mit originallithografien und gelegentlich mit radierungen illustriert waren und bibliografische raritäten darstellen. 83 The etcher – examples of the original etched Work of modern artists. Vol. i–iii. london 1879– 1881. 84 The Connoisseur. Vol. 1–27, no. 1–107. london 1901–1910. 85 The Collector’s Magazine. Vol. i–iii. london 1903– 1905. 86 Diese waren die von Károly lyka redigierte Művészet [Kunst], Magyar Iparművészet [ungarisches Kunstgewerbe], A ház [Das haus] und Borss-

zem Jankó [Däumling], letztere allerdings nur wegen der Zeichnungen. Solange er in Pest lebte, war hevesi mitglied des redaktionsausschusses und schrieb regelmäßig Beiträge für die Zeitschrift. 87 nr. 2365–2394, also dreißig, von denen mehrere mehrbändige Werke über die gattung Karikatur waren, darunter auch die reich illustrierte handbuchreihe des angesehenen französischen Kunstkritikers Champfleury. 88 nr. 638 im Katalog im abschnitt „allgemeines“. 89 nr. 2709 im Katalog unter den Kunstkatalogen im abschnitt „Kunststätten“. 90 nr. 1584. es handelte sich um die luxusausgabe des originalwerkes, und zwar um ein perfektes und vollständiges exemplar, das auch ende des 19. Jahrhunderts schon ein kleines Vermögen gekostet haben muss. (im auktionskatalog sind die Bände über Kunst und Künstler des 17. und des 18. Jahrhunderts in einem abschnitt zusammen aufgelistet, der auf dieses Weise 173 Posten mit den nummern 1539 bis 1714 umfasst, darunter zehn größere arbeiten über rubens und 25 über rembrandt.). 91 Wiener rathausbibliothek. nachlaß hevesi, Sig. 70 708. Wahrscheinlich hatte er die adresse einer seiner Schwestern als Budapester Wohnsitz angegeben. Zu jener Zeit lebte auch sein Bruder Julius hevesi in Budapest. 92 mehr zu diesem aspekt siehe ilona SármányParsons: Art Criticism and the Construction of National Heritage. in: mihály Szegedy-maszák (hrsg.): National Heritage – National Canon. Collegium Budapest Workshop Series no. 11. 2001, S. 37–51. 93 ludwig hevesi: Oesterreichische Kunst im neunzehnten Jahrhundert. i–ii. leipzig 1903. 94 Für das letzte Jahrzehnt können folgende reisen rekonstruiert werden: 1902, 1903 – griechenland und italien; 1904 – Vereinigte Staaten von amerika, Weltausstellung in St. louis; jedes Jahr münchen, Stuttgart und leipzig; sehr oft Venedig (und nicht nur wegen der ausstellungen); 1907 – Frankreich; 1909 – Deutschland; außerdem immer öfter Budapest. 95 ludwig hevesi: Ludwig Speidel. eine literarischbiographische Würdigung. Berlin 1910. 96 ludwig hevesi: Rudolf von Alt. Wien 1911. 97 Von den vier Briefen, die in der Wohnung gefunden wurden, war ein bereits vom 25. Februar datierter an ladislaus v. neugebauer gerichtet, der ihn um eine rezension seines Buches (Übersetzungen von gedichten Petőfis ins Deutsche) gebeten hatte, die er jedoch nicht mehr anfertigen konnte. Die anderen drei, die er am Tag seines Todes geschrieben hat, waren an verschiedene Verlage gerichtet.

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die geschichte der kunstkritik in europa wurde noch nicht geschrieben.1 diese gewaltige aufgabe kann dieses buch nicht übernehmen. dennoch sollen die Quellen der inspiration des jungen hevesi ergründet werden, die ihn zu beginn seiner laufbahn mit sicherheit beeinflusst haben werden. hier erscheint es sinnvoll, die drei hauptrichtungen der kunstkritik vorzustellen, die er über Franzosen, engländer und deutsche kennenlernte. mitte des 19. Jahrhunderts wurzelte das Wissen der wenigen schriftsteller, künstler, gelehrten und gebildeten männer, die sich in ungarn ernsthaft für Ästhetik interessierten, in diesen drei richtungen der kritik. zunächst befasse ich mich mit der französischen tradition2, die bis zu den diskursen über die salonkritiken und schließlich auf die zeitungsartikel der tagespresse zurückgeht. diese art von kritiken, die beinahe ausschließlich in paris geschrieben wurden, gab nicht nur mit viel Feingefühl die entwicklung auf dem gebiet der kunst und der stile im 19. Jahrhundert wieder, sondern war seit ihrer entstehung sehr stark politisiert und kämpferisch und nahm außerdem die ideologischen kämpfe jedes zeitalters und jeder periode auf. der militante ton und die polarisierung der kunstszene wurden durch die Französische revolution noch verstärkt, bestanden aber bereits während des gesamten Jahrhunderts. so ist es nicht verwunderlich, dass die reaktion auf diese stark ideologisierte Form in paris entstand: die Theorie des L’art pour l’art, die als erster Théophile gautier, ein romantischer kunstkritiker par excellence, formulierte.3 Wegen der bedeutung der französischen kultur im allgemeinen und der französischen kunst im besonderen hielten es alle gebildeten köpfe europas für erforderlich, gut über die pariser kunstszene informiert zu sein. so lernten sie während des gesamten Jahrhunderts sehr viel vom französischen vorbild. so viel, dass man sagen kann, dass ein starkes minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem französischen vorbild entstand. – insbesondere der englische antiquitätenhandel und die eigenen leistungen dieser szene wurden schmerzlich unterschätzt (insbesondere die der malerei)4. die englische art der kunstkritik basierte eher auf kennertum und der langen tradition, kunst zu sammeln. aufgrund des blühenden kunsthandels reicht die englische kritische tradition bis an den anfang des 18. Jahrhunderts zurück, ihr fehlte jedoch das selbstsichere und sich selbst anpreisende element, das bei den Franzosen vorhanden war. dennoch war sie sowohl methodisch als auch intellektuell wichtig für die praxis der kritik. die engländer entwickelten zahlreiche praktische zuordnungskriterien, die den autoren halfen, die weniger an politischen und ästhetischen ideologien interessiert waren und sich mehr auf die kunstwerke konzentrierten. im 19. Jahrhundert gab es bedeutende englische kunstkritiker (John ruskin, Walter pater), die – natürlich erst viel später – auch auf dem kontinent geschätzt wurden und einen inspirierenden einfluss hatten, indem sie ende der 1880er, anfang der 1890er

22. adalbert Franz seligmann: kunstkritiker, 1888

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Jahre neue impulse in die kunstszene brachten, als der paradigmenwechsel zum modernismus den horizont der meisten nationen europas erweiterte. die dritte richtung oder schule der kunstkritik ist stark durch Theorie, philosophie und den Ästhetizismus der aufklärung geprägt, und das ist die deutsche. Wieder gibt es andere ideale und eine andere geisteshaltung bei der analyse von schönheit und Wert großartiger kunstwerke, des herausragenden erbes der vergangenheit. die deutsche kunstkritik ist viel theoretischer als die französische oder die englische und konzentriert sich stärker auf die Weltanschauung, die sich hinter einem kunstwerk verbirgt. diese tradition der kunstkritik ist eng mit der idealistischen philosophie und der akademischen lehre an den deutschen universitäten und mit der geschichtsschreibung verbunden. ihre normativität spielte später in der erfassung des europäischen künstlerischen erbes eine rolle. zuerst wurden die ideale der antiken, insbesondere der griechischen kunst beschrieben, doch schon bald arbeiteten die deutschen gelehrten systematisch die renaissance und die meisten stilepochen des mittelalters auf und verfeinerten ihre methoden dabei stetig. sie hatten einen starken einfluss auf die englische kunstszene, insbesondere in den 1850er und 1860er Jahren. darüber hinaus musste sich die kunstkritik als tätigkeit auch mit der kunstszene der gegenwart, mit ihrer eigenen zeit auseinandersetzen und tat sich dabei schwer, einen angemessenen konzeptuellen rahmen zu finden, in dem geschichte und kunstwerke der angemessen beurteilt werden konnten. die folgenden ausführungen verbinden die drei richtungen der kritik mit den wichtigsten ereignissen in der Welt der kunst von den 1840er bis zu den 1870er Jahren. den darauf folgenden großen paradigmenwechsel behandle ich kurz in dem kapitel über die 1890er Jahre. diese drei kritikerschulen halfen dem jungen hevesi, ein versierter kunstkritiker zu werden.

Die Kunstkritik und das Feuilleton neben den politischen und wirtschaftlichen leitartikeln war in Fachkreisen seinerzeit das Feuilleton die angesehenste gattung in zeitungen.5 diese besondere pressegattung ist während der napoleonischen zensur in Frankreich entstanden, und als ihr erster berühmter vertreter ist Julien-louis geoffroy (abb. 23), ein publizist des Journal des débats, in die pressegeschichte eingegangen.6 die ausländischen (vor allem deutschen) literaten und Journalisten, die paris besuchten, etablierten die neue gattung nach ihrer rückkehr in ihrem heimatland. zu ihren berühmtesten frühen vertretern gehört heinrich heine, doch auch sein ehemaliger Freund und rivale ludwig börne machte sich mit dem Feuilleton einen namen. die wirklichen stars des Journalismus wurden die verfasser, die die zeitungen mit ihren abwechslungsreichen, aktuellen und unterhaltsamen, zugleich aber mit erzieherischer absicht verfassten stücken auch für leser, die keine experten waren, attraktiv machten. innerhalb des Feuilletons waren die artikel zum gesellschaftlichen leben die wichtigsten, doch ab der zeit der romantik erlangten bei nahezu allen tageszeitungen neben den politischen Themen auch die beiträge zu kulturellen ereignissen, also die bespre-

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chungen wissenschaftlicher neuheiten, literarische essays und kunstkritiken, eine immer größere bedeutung. schon bald differenzierten sich die Feuilletons mit kritiken nach gattungen aus: die einen befassten sich mit dem Theater, mit neuen literarischen Werken oder mit musik, andere mit der bildenden kunst. die ersten Feuilletons waren sozusagen alles in einem. da das schreiben von zeitungsartikeln vielen schriftstellern den lebensunterhalt sicherte, ist es nicht verwunderlich, dass die ersten kritiker mit gutem stil schriftsteller und literaten waren, die, da sie „aus der literatur kamen“, auch in den übrigen kunstarten diskurs und Werteordnung der literatur betrieben. untersucht man unser Thema im engeren sinne, die lage der kunstkritik mitte des 19. Jahrhunderts, findet man überall in europa Ähnliches vor. der beruf des kritikers ist noch keine professionelle beschäftigung: in den verbürgerlichten ländern mit dem reichhaltigsten und am stärksten differenzierten künstlerischen leben, wie es Frankreich und england waren, wurden gerade erst die ersten Fachzeitschriften zur bildenden kunst gegründet – über die resonanz auf die ausstellungen konnte man in den tageszeitungen (in england in erster linie in kulturellen zeitschriften, den Quarterlys) lesen. der beruf des kunsthistorikers war noch im entstehen begriffen, einen lehrstuhl für kunstgeschichte gab es nur in deutschland.7 die vertreter des Faches waren vor allem gelehrte der altphilologie, der Ästhetik und der geschichte, die immer häufiger ausflüge in die bildenden künste unternahmen, sodass die kunstkritiken auch hier in erster linie von schriftstellern und philosophen oder von künstlern selbst verfasst wurden. die ersten Fachwissenschaftler veröffentlichten ebenfalls artikel über zeitgenössische Werke.

Die Lage der Kunstkritik in Frankreich die umfangreichste und am besten organisierte jährliche präsentation der zeitgenössischen malerei und bildhauerei, der salon in paris, führte schon im 18. Jahrhundert zur entstehung einer florierenden kunstkritikpresse, wie es sie bis zur mitte des 19. Jahrhunderts in keinem anderen land gab.8 im 18. Jahrhundert erschienen diese kritiken zumeist in Form von pamphleten, und ihre verfasser versteckten sich sehr oft in der anonymität. da der bestand an kritiken in Frankreich sehr groß ist, wurden bisher nur die wichtigsten schriften aus einzelnen, eng gefassten zeiträumen und zu einzelnen künstlern oder kunstrichtungen aufgearbeitet. bereits anhand dieser kann man ohne Weiteres feststellen, dass die kunstkritik in Frankreich – insbesondere infolge der Französischen revolution – nicht nur eng mit der jeweils aktuellen politischen lage verknüpft war, sondern immer wieder auch den duktus und den Wortschatz der radikalen politischen richtungen übernahm.9 Während mitte des 18. Jahrhunderts selbst der philosoph diderot seine politischen vorstellungen nur mittelbar, im übertragenen sinne äußerte, wenn er über maler schrieb, wurde es in den Jahren der revolution üblich, die stilistischen präferenzen eindeutig mit politischen sympathien zu verknüpfen, und es war nicht möglich, nach dem individuellen geschmack von den streng ausgelegten grundsätzlich-ideologischen verknüp-

23. Julien-louis geoFFroy (1743–1814)

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fungen abzuweichen. in der napoleonischen zeit ließ diese überzogene ideologische ausrichtung etwas nach, und gerade auf druck von offizieller seite begann eine depolitisierung der kultur – und innerhalb dieser der kritik der malerei. Jedoch hat auch die napoleonische zensur erheblich dazu beigetragen, dass die kultur bemüht war, politisch neutral zu erscheinen. damals erstarkte – gegen die revolutionär geprägte und den ideen der aufklärung verpflichtete Weltsicht – erneut die alternative französische kulturtradition, die scheinbar apolitische, ästhetisierende kunstbetrachtung der royalisten, im umfeld der anderen stilistischen präferenzen, die sich neben der offiziellen kunst des napoleonischen hofes entfalteten. einer der ersten sehr bedeutsamen vertreter der gerade entstandenen journalistischen gattung des Feuilletons war der studierte architekt Jean-baptiste-bon boutard (1771–1838), der zwischen 1800 und 1817 im Journal des débats10 eine neue art der kunstkritik etablierte, wodurch er ein für alle mal eine der hauptarten der gattung schuf.11 er signierte seine kritiken immer (was bis dahin sehr selten war) und machte es seinen lesern dadurch leicht, seine schriften und den umstand zu erkennen, dass die von ihm unterzeichneten kritiken seine ansichten reflektierten. indem er aus der anonymität hervortrat, wurde er, wie man heute sagen würde, zur medienpersönlichkeit. in der napoleonischen zeit wurden die politischen und wirtschaftlichen nachrichten der französischen zeitungen gründlich zensiert, diesbezüglich gab es praktisch keine unterschiede zwischen den einzelnen zeitungen. somit wurde die Wahl des lesers durch die beiträge zu kulturellen Themen, die Feuilletons, bestimmt, da man individuelle, scheinbar apolitische informationen nur „unter der linie“, im „rez-de-chaussée“-(erdgeschoss-) teil lesen konnte. (die suche nach der zwischen den zeilen versteckten meinung war schon damals ein beliebtes gesellschaftsspiel der kulturellen elite.) Für eine zeitung war es also sehr wichtig, wer ihre Feuilletonisten waren. der vater dieser besonderen, scheinbar apolitischen publizistischen gattung, die gerade durch ihre leichtigkeit und ihre assoziative aura die möglichkeit bot, trotz der zensur sehr raffiniert und auf verspielte art und Weise politische kritik zu üben, war boutards berühmter kollege, der als „könig des Feuilletons“ bezeichnete Julien-louis geoffroy. ebenso wie die beiträge geoffroys erlangten die zeitungskritiken des architekturkritikers boutard bahnbrechende bedeutung, da er bei der analyse von kunstwerken statt der politisch-philosophischen in erster linie seine eigenen – gattungsbezogenen, stilistischen und ästhetischen – kriterien für die bildende kunst anwandte. boutards neues modell der kunstkritik näherte sich seinem gegenstand nicht von der philosophie oder der literatur, sondern von der bildenden kunst her und griff im unterschied zur sujetzentrierten sichtweise der aufklärung auf die traditionen des barock im 17. Jahrhundert, also des „großen französischen Jahrhunderts“, zurück. außer der Wahl des Themas analysierte er auch die formalen und stilistischen elemente eines bildes oder malerischen lebenswerkes, womit er einen sehr großen schritt auf dem Weg machte, auf dem die kunstkritik allmählich von der bevormundung durch die literatur befreit wurde. doch boutards neuerung etablierte sich selbst in paris nur langsam. einige der bedeutenden kritiker übernahmen (wenn auch nicht konsequent) die technik der bildanalyse nach formalen kriterien, die meisten aber waren auch weiterhin anhänger der themenzentrierten besprechung und betrachteten die kunstkritik in erster linie als stilistischen und kulturpolitischen Übungsplatz. die scharfen auseinandersetzungen

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zwischen den anhängern der romantik und denen des klassizismus in den 1820er Jahren verstärkten den inhaltszentrierten ansatz, der sich auf die Themen der bilder konzentrierte, erneut.12 da die kunstkritik eine gattung ist, für die man eigentlich zwei kompetenzen braucht (zum einen ein enormes Fachwissen in den bereichen bildende kunst und kunst- beziehungsweise kulturgeschichte und zum anderen ein talent zum schreiben auf belletristischem niveau), kamen die kunstkritiker aus den beiden bereichen und gingen entweder mit ambitionen als bildende künstler oder schriftsteller an die gattung heran. eine harmonische symbiose beider aspekte gehörte zu den seltenen ausnahmen. kunstkritiken schrieb anfangs jeder, der auch nur ein bisschen sinn für das visuelle hatte – so wurde zum beispiel boutards nachfolger beim Journal des débats ÉtienneJean delécluze, der 40 Jahre lang bei der zeitung tätig war.13 obwohl uns statistische daten zu den verfassern, die in den zeitungen über bildende kunst schrieben, nur für die zeit des zweiten kaiserreichs vorliegen, kann die situation auch zuvor nicht viel anders gewesen sein – zumal die meisten verfasser, die in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts publizierten, ihre tätigkeit auch in den 50er und 60er Jahren fortsetzten. neil mcWilliam zufolge war die kunstkritik nicht nur eine „saisonale gattung“ (seinerzeit wurde fast nur über die ausstellungen des salon geschrieben), sondern zugleich auch eine vorübergehende und außergewöhnliche tätigkeit.14 von den in der statistik aufgeführten 800 verfassern von kritiken haben knapp 5 % zwischen 1852 und 1870 mehr als vier kritiken über den salon verfasst, und mehr als die hälfte von ihnen hat nur eine einzige geschrieben. 57 % der 59 wirklich aktiven (häufig publizierenden) kunstkritiker waren Journalisten, wobei 37 % von ihnen bekannte belletristen, 23 % selbst bildende künstler und 14 % bürokraten, überwiegend im kultusapparat, waren.15 die namhaftesten pariser kritiker, die in ihrer eigenen zeit den größten einfluss hatten und auch heute noch gelesen werden – victor hugo, george sand, Théophile gautier, charles baudelaire und heinrich heine – waren zugleich literarische größen der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts.16 die meinung der Fachkritiker, Étienne-Jean delécluze, maurice charles brun, paul mantz oder charles blanc, interessiert auch heute nur einen kleinen kreis von kunsthistorikern, ihre differenzierten analysen gelten als historische dokumente. dagegen erfreuen sich wegen ihrer literarischen Qualität selbst die irrtümer enthaltenden oder absolut subjektiven schriften der großen schriftsteller des interesses einer breiteren Öffentlichkeit. das wichtigste ereignis in der bildenden kunst war bis zur mitte des 19. Jahrhunderts natürlich die jährliche ausstellung des pariser salon, die damals schon sehr viele besucher anzog. gerade die art dieser ausstellungen war anlass für die meisten kunstkritiken. von den 1830er Jahren an wuchs in paris eine schriftstellergarde heran, die diese gattung schon sehr differenziert praktizierte. die verschiedenen stilrichtungen der malerei – die unterschiedliche ästhetische ideale, geschmacksrichtungen und Weltanschauungen zum ausdruck brachten – spalteten die regelmäßig publizierenden kritiker von anfang an. obwohl es das differenzierte gesamtbild stark vereinfachen würde, wenn man sie in konservative und liberale aufteilte, trifft es doch auf jeden Fall zu, dass die vertreter des romantischen und des klassizistischen stils mehr oder weniger auch politischen Werteordnungen zugeordnet werden können, die sich im tonfall der kritiken niederschlagen.

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24. pJotr a. kropotkin (1842–1921)

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die französische kunstkritik bleibt – anders als damals die englische oder die deutsche – dauerhaft ideologisch. einer der wichtigsten inspiratoren dieser ideologisierten kritik war saint-simon, von dessen anhängern mehrere kunstkritiker wurden. in seinem Werk Opinions littéraires, philosophiques et industrielles platziert er den künstler (ungeachtet dessen, in welcher gattung er tätig ist) auf dem höchsten rang unter den erneuerern der gesellschaft: er hält künstler für die „avant-garde“, also die vorreiter der gesellschaft.17 schon der begriff „avant-garde“ ist militant; ursprünglich bezeichnete er die im kampf an der spitze stürmenden elitetruppen. saint-simons romantische vorstellungen regten die Fantasie vieler romantischer künstler an – eine zeitlang begeisterten sich künstler wie hector berlioz, Franz liszt, george sand und victor hugo für ihn. Was die kritiker betrifft, so war charles-augustin sainte-beuve schon in den 1820er Jahren ein anhänger der utopisten.18 in den 1830er Jahren inspirierte er heines ansichten über die kunst.19 die ansichten des anderen romantischen utopistischen französischen denkers, charles Fourier, verschmolzen in der gedankenwelt der pariser künstler und schriftsteller, die einen sinn für gesellschaftliche probleme hatten, nach einiger zeit etwas mit saint-simons vorstellungen. Für sie waren besonders die in seinen Werken als nonkonformistisch und anarchistisch beschriebenen gesellschaftlichen rollen attraktiv, da sie als attitüden galten, die zu künstlern passten, ja gar einem genie eigentlich angemessen waren. der künstler als auserwählter anführer der gesellschaft, der als visionär und prophet auf nonkonformistische, ja sogar anarchistische art und Weise gegen die bestehende ordnung auftreten darf, wurde in der zweiten hälfte des Jahrhunderts bei den sozialistischen denkern, nicht nur bei marx, sondern auch bei den englischen utopisten – beispielsweise in den Theorien von William morris – quasi zum topos. dennoch waren in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts nicht die anhänger der utopischen sozialisten oder der marxistischen klassentheorie am erfolgreichsten bei der verbreitung des ideals der „avant-gardistischen“ berufung des künstlers unter den experimentierenden kunstschaffenden, sondern die anarchisten, und von ihnen vor allem pjotr alexeievich kropotkin (abb. 24), der seiner in der schweiz verlegten zeitschrift (die sich vor allem mit gesellschaftspolitischen Themen befasste) den titel L’avantgarde gab. es ist allgemein bekannt, dass kropotkins ideen großen einfluss auf einige maler hatten, in erster linie auf die neoimpressionisten: georges seurat, paul signac und maximilien luce bekannten sich offen als anarchisten, und auch mallarmé sympathisierte stark mit der bewegung. außerdem gerieten auch mehr oder weniger bedeutende vertreter des literarischen symbolismus und bei den malern gauguin unter seinen einfluss. da kropotkin, der sehr gebildet war und viel über malerei schrieb, in einer schrift von 188520 sozusagen vorhersagte, dass die entwicklung der malerei notwendigerweise eine abkehr vom realismus hin zur abstraktion bedeuten würde, war seine Theorie später auch für diejenigen maler eine inspiration, die tatsächlich den Weg der formalen abstraktion beschritten. der einfluss des anarchismus und kropotkins erreichte seinen höhepunkt in den 1890er Jahren, er inspirierte zum beispiel oscar Wilde, den jungen apollinaire und neben anderen auch picasso. aus der sicht der geschichte der kritik des 19. Jahrhunderts besteht das Wichtigste des oben skizzierten darin, dass sprache und duktus der pariser kunstkritiken seit den

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1830er Jahren regelmäßig gesellschaftliche und künstlerische Formen verknüpften, und zwar als ausgesprochen positive handlung, die der ganzen gesellschaft zu einer besseren zukunft verhalf. dadurch erlangten die ästhetischen, formbezogenen und visuellen experimente eine ethische dimension, und es wurde nicht nur in der kunsttheorie, sondern auch in der praktischen kunstkritik ein lineares entwicklungskonzept aufgestellt.21 die neuen stilrichtungen, die im laufe des Jahrhunderts entstanden, wurden, nach mehr oder weniger heftigen scharmützeln in der zeitgenössischen kritik, (zum überwiegenden teil) in chronologischer reihenfolge in eine schrittweise entwicklung eingeordnet – wodurch suggeriert wurde, dass jeder neue stil die vorangegangenen in irgendeiner hinsicht übertraf, und damit bedeutender, besser und authentischer war als sie. diese konzeption einer historischen entwicklung – die zugleich ein wichtiges theoretisches ordnungsprinzip der zeit des historismus war und – wenn auch auf sehr komplexe art und Weise – mit dem Fortschrittsglauben des liberalen positivismus zusammenhing, wird in der Ästhetik und im bereich der künste bekanntermaßen als problematisch wahrgenommen. als der junge hevesi in den 1870er Jahren begann, kunsttheoretische schriften und kritiken zu verschlingen, war ihre mehrzahl im bereich der bildenden kunst durch dieses entwicklungskonzept geprägt. die heftigen scharmützel in der französischen kunstszene spielten sich auf diese Weise innerhalb einer – sehr differenzierten und vielen verschiedenen geschmacksrichtungen und Weltanschauungen angehörenden – pariser kulturellen elite ab. in Frankreich dominierten die schriftsteller und dichter die presse, und bis heute hat die Forschung ihrer tätigkeit im bereich der kritik die meiste aufmerksamkeit gewidmet. nach heute vorherrschender ansicht war der einflussreichste französische kritiker Théophile gautier22 (abb. 25), der verkünder der Theorie des L’art pour l’art, der mehrere hundert kritiken für pariser tageszeitungen und zeitschriften verfasste. seine literarischen Werke, novellen und erzählungen, enthalten viele anschauliche beschreibungen, und er hat seine kunstkritiken ebenso gefühlvoll formuliert wie seine dichterischen Werke. er war überzeugt davon, dass schriftsteller die besten kritiker sind, da es ihre aufgabe ist, die in den Werken verborgenen geheimnisse und emotionen aufzudecken. ein großer künstler – gleich, ob schriftsteller oder maler – deckt verborgene Wahrheiten auf, somit kann die verborgene botschaft von bildern auch nur von einem anderen künstler, dem schriftsteller, getreu vermittelt werden. zur zeit der romantik war das eine allgemein akzeptierte ansicht. dass es bei schriftstellern und dichtern, die die malerei mögen, bis heute üblich ist, dass sie ohne zu zögern ausgesprochen subjektive kunstkritiken, ausstellungskritiken und Werkanalysen schreiben, ist ebenfalls auf diese romantische vorstellung zurückzuführen. obwohl die meisten kritiken von gautier inzwischen in vergessenheit geraten sind, hat seine methode – er projizierte seine eigenen vorstellungen in die bilder, und das nicht nur bei zeitgenössischen Werken, sondern auch bei der analyse der in den museen aufbewahrten berühmten gemälde – eine schule begründet.23 eines der beständigsten beispiele für seine extrem subjektiven bildanalysen ist die art, wie er in seinem berühmten leonardo-essay das lächeln der mona lisa ein für alle mal mit der vorstellung der Femme fatale verknüpft.24 seine sprachliche virtuosität und der zauber seiner ungewöhnlichen assoziationen waren eigenwillig, aufgrund seiner künstlerischen Überzeugungs-

25. thÉophile gautier (1811–1872)

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26. ausstellungspalast Weltausstellung am champ de mars, 1867

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kraft jedoch viel suggestiver als authentische wissenschaftliche rekonstruktionen der vergangenheit: sie prägten sich dem leser leichter ein, sodass sie dem publikum und auch der künstlerischen elite überzeugender schienen als die blutarmen texte der spezialisten. nicht nur seine kritiken aus den 1830er und 1840er Jahren hinterließen tiefe eindrücke bei den zeitgenossen, sondern bis zu seinem tod (1872) erregten all seine schriften großes aufsehen, und sein postum erschienenes buch über die geschichte der (französischen) romantik (1874), das er als augenzeuge und aktiver beteiligter verfasst hatte, wurde wieder und wieder aufgelegt.25 besonders wichtig waren gautiers kritiken über die exponate der bildenden kunst bei der ersten und zweiten pariser Weltausstellung (1855 und 1867), die auch in buchform herausgegeben wurden. bei der zweiten ausstellung war er als offizielles Jurymitglied auch an der auswahl der exponate beteiligt.26 da gautier ursprünglich maler werden wollte, hatte er tatsächlich ein gefühl für das erfassen des visuellen. trotzdem waren ihm der schwung der romantischen emotionen und eine Flut besonderer und gewagter metaphern wichtiger als die genaue analyse eines bildes und die erfassung seiner stilistischen merkmale. bis zola dominierte in der französischen literatur zur bildenden kunst diese romantische und völlig ungebundene Form der kritik, die eher die emotionalen assoziationen des rezipienten (sprich: des kritikers) und seine durch das bild ausgelöste subjektive stimmung beschreibt als die fachgerechte kritik, die die formalen merkmale eines Werkes festhält. im grunde schrieb eine kleine literarische elite für eine kleine kulturelle elite, die auserwählten für die eingeweihten, über ihre lieblingsbilder. der Ästhetizismus der französischen literatur und der umstand, dass die Werke der bedeutendsten schriftsteller voll von sinnlich-emotionalen und zugleich kultisch-symbolischen beschreibungen von Werken der bildenden kunst sind, ist mit sicherheit auf gautiers Wirken zurückzuführen.27

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Die Rolle der Weltausstellungen bei der Aufwertung der Kunstkritik hinsichtlich der Wechselwirkungen zwischen den zeitungskritiken und dem kunstmarkt brachte die erste pariser Weltausstellung im Jahr 1855 eine enorme veränderung. die ausstellung der malerei und deren analyse erhielten eine nie dagewesene Öffentlichkeit.28 das war der beginn einer praxis, die schon beinahe groteske auswüchse zeigte. die kultur und innerhalb dieser die malerei wurden stark aufgewertet. die presse war auch damals schon sensationshungrig, und die Werke der bildenden kunst zogen mehr menschen (ganz bestimmt aber mehr damen) unter den ausstellungsbesuchern an als die industrieprodukte. es wurden beschreibungen der ausstellung zur bildenden kunst in buchdicke veröffentlicht, in denen nicht nur das publikum, sondern auch die kritiker die zeitgenössischen nationalen schulen der malerei erstmals nebeneinander sehen konnten, gleichzeitig an einem ort ausgestellt. erstmals in der geschichte bot sich die gelegenheit, die zeitgenössische malerei der vertretenen nationen (in erster linie der Franzosen, der engländer, der belgier, der deutschen und der italiener) zu vergleichen, selbst wenn die auswahl retrospektiv geprägt war und nicht die allerneuesten Werke gezeigt wurden.29 darüber hinaus wurden in der dominanten und am reichsten bestückten französischen sektion auf bahnbrechende Weise erstmals retrospektiven einzelner künstler gezeigt. auch die pariser bekamen die hauptwerke der führenden vertreter der beiden großen richtungen, des klassizismus und der romantik, ingres und delacroix, erstmals an einem ort zu sehen. die gesammelten Werke des beliebtesten französischen genremalers der zeit, alexandre-gabriel decamp, und des berühmtesten und virtuosen schlachtenmalers, horace vernet, zeigten eindeutig, dass die offizielle französische kulturpolitik alle schulen, tendenzen und großen meister mobilisieren wollte, um den glänzenden beweis für Frankreichs führende rolle auf dem gebiet der bildenden künste zu liefern.30 selbst das Enfant terrible der malerei, gustave courbet, mit dem die offizielle kunstpolitik keine kompromisse schließen konnte, erhielt die möglichkeit, seine bis dahin entstandenen Werke gegenüber dem pavillon der Weltausstellung für bildende kunst gesondert zu zeigen.31 auch der malereigeschichtliche kanon, der in der Fachliteratur des 20. Jahrhunderts vorherrschte, basiert auf dieser auswahl. der teil der ersten pariser Weltausstellung (1855), der der bildenden kunst gewidmet war (bei der ersten Weltausstellung überhaupt, die 1851 in london stattgefunden hatte, hatte man die künste noch außen vor gelassen), war auch für kunstkenner eine offenbarung, denn wie gautier treffend anmerkte: „der besucher kann in vier stunden mehr sehen und kennenlernen, als wenn er fünfzehn Jahre lang reisen würde.“32 es verwundert nicht, dass diese veranstaltung zur großen sensation wurde und im grunde die globalisierung und zugleich die zentralisierung der bildenden kunst in gang gesetzt hat. paris wurde zu dieser zeit für etwa 100 Jahre die Welthauptstadt der bildenden künste, was enorme vorteile für die französische malerei bedeutete: sie rückte nicht nur in den mittelpunkt der aufmerksamkeit, wurde also die bekannteste, sondern die meisten französischen meister konnten auf diese Weise auch ihre Werke leichter verkaufen. der französische kunstmarkt öffnete sich den erfolgreichen künstlern, auch eine beträchtliche zahl ausländischer sammler begann die zeitgenössischen französischen gemälde zu kaufen. infolgedessen wurden auch die ausstellungen des salon in den augen des

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auslands (und des französischen publikums) aufgewertet. die presse widmete der ausstellung jedes Jahr unglaublich viel platz, und tageszeitungen wie Fachzeitschriften berichteten in mehrteiligen reihen über die bilder und skulpturen. die Werke der kunst, genauer gesagt der malerei, wurden zu wertvollen kulturellen produkten, die Frankreichs kulturelles prestige außerordentlich steigerten. dazu trug auch die pariser presse mit begeisterung bei. neben den starautoren berichtete von Woche zu Woche eine große schar von Journalisten und kritikern über die bilder, wobei sie heftig disputierten und, wenn es um die Werke aus Frankreich ging, ihre kommentare stets mit scharfen politischen meinungsäußerungen spickten. 1864 zum beispiel stellte edmond about, der kritiker des Le Petit Journal, die bilder des salon in 30 beiträgen vor, und das Journal des débats veröffentlichte eine acht- bis zehnteilige reihe über die ausstellung. das machte im deutschen und im englischen sprachraum schule: auch dort schrieben die zeitungen in mehrteiligen ausführlichen kritiken über die nach französischem vorbild veranstalteten jährlichen schauen der verschiedenen akademien und kunstvereine. bei der nächsten pariser Weltausstellung im Jahr 1867 gab es gleich zwei ausstellungen zur bildenden kunst: zum einen fand der jährliche salon statt, zum anderen wurde wieder eine Weltausstellung der bildenden künste veranstaltet, bei der die einzelnen nationen nicht nur neue zeitgenössische Werke, sondern auch bedeutende frühere Werke präsentieren konnten. den offiziellen bericht schrieb ernest chesneau, der 1868 auch ein buch über dieselbe ausstellung veröffentlichte: Les nations rivales dans l’art. schon der titel ist vielsagend: man begann, die Weltausstellungen als Wettbewerb oder Wettstreit zu betrachten! der vergleich wurde also dadurch inspiriert, dass man eine Werterangfolge aufstellen wollte, die zeigte, wer in der kunst, insbesondere auf dem gebiet der malerei, besser, wertvoller und weiter entwickelt war!33 die aufwertung des kritikerberufs zeigt der umstand, dass an der auswahl der französischen Werke der bildenden künste für die Weltausstellung 1867 auch kritiker beteiligt waren. charles blanc, paul de saint-victor und Théophile gautier wurden Jurymitglieder und analysierten die exponate später in langen artikelreihen. in der ausstellung wurden deutlich weniger Werke gezeigt als zwölf Jahre zuvor, und sie hatte erneut retrospektiven charakter: die jüngste malergeneration (der zukünftigen impressionisten) war nicht vertreten, außerdem stellte auch manet seine Werke in einem gesonderten pavillon aus (auf eigene kosten), doch er gelangte nicht in den mittelpunkt der aufmerksamkeit – courbets geniale eigenwerbung von 1855 war eben nicht so leicht zu wiederholen. die ausführliche vorstellung der ausstellungen von 1867 und der diesbezüglichen kritiken gehört nicht zu meinem Thema im engeren sinne34, ich möchte aber erwähnen, dass schon damals die spielregeln formuliert wurden, die sich auf die ausstellungspraxis, die institutionen und das preissystem auswirkten, ja sogar rahmen und hierarchie der herausragenden ereignisse der europäischen internationalen kunstszene bestimmten und letztlich gewährleisteten, dass die geschichte der europäischen malerei im 19. Jahrhundert mit schwerpunkt Frankreich geschrieben werden konnte und musste. hinsichtlich der stile und gattungen der malerei im Jahr 1867 gab es zwei wichtige phänomene, die in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidend waren, die sowohl die konservative als auch die der erneuerung verpflichtete französische kunst-

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kritik anerkennen musste. das eine war, dass das zeitalter der „grande peinture“, also der monumentalmalerei (die in erster linie die monumentalen allegorischen, religiösen und historischen kompositionen umfasste), vorbei war.35 das andere bestand darin, dass an die stelle des großen stils (also der idealisierenden klassischen ästhetischen ideale) die realistische beziehungsweise die naturalistische betrachtungsweise trat, was zur Folge hatte, dass sich die gattung des genres in der malerei aller nationen verbreitete.36 die kritiker erklärten das damit, dass das bürgertum die Führung im kunstmarkt übernommen hatte und sein ungeschulter geschmack den narrativen realismus bevorzugte. die pariser kunstkritikerelite kommentierte diese entwicklung zumeist negativ und mit groben verallgemeinerungen gespickt, konnte die internationale verbreitung der genremalerei und des realismus jedoch nicht aufhalten. Während die analysen von patricia mainardi gezeigt haben, dass hinter dem eklektizismus der kunsttheorien von 1855 der damals sehr verbreitete und populäre intellektuelle eklektizismus victor cousins stand37, erfolgte die kritische bewertung der bei der Weltausstellung von 1867 gezeigten kunstwerke in einer geistigen atmosphäre, in der der materialismus und das Fortschrittskonzept des positivismus die elite der französischen kunsttheorie nicht begeisterte. in den wichtigsten analysen wurden auch nationale und geschichtsphilosophische vorstellungen vorgebracht, die in vielen aspekten auf die in den 1840er Jahren entwickelten ansichten edgar Quinets zurückgingen.38 es handelt sich um eine zyklische auffassung der geschichte, laut welcher auch das schicksal der völker und nationen nach biologischen lebenszyklen abläuft, was sich auch in den künsten widerspiegele. diese wurde von den französischen interpretatoren als pessimistisch bewertet, weil sie meinten, die mediterranen und im katholizismus verwurzelten kulturellen traditionen Frankreichs seien durch das vorstoßen der aufstrebenden progressiven und im protestantismus wurzelnden „angelsächsischen“ nationen dem niedergang geweiht. es fällt auf, dass der diskurs innerhalb der gruppe der meisten namhaften und einflussreichen kritiker 1867–1868 sehr stark durch die gegenüberstellung der südlichen lateinischen traditionen und jener der „nordischen“ völker bestimmt war. sowohl der verfasser des offiziellen berichts über die ausstellung, also deren bewertung, der konservativ eingestellte ernest chesneau, als auch der links eingestellte Théophile Thoré (abb. 27), der ein anhänger der modernisierung war, stellten ihre jeweilige Theorie wie eine offenbarung dar. (Thoré hat diese Theorie im Übrigen erstmals im zusammenhang mit einer 1857 in manchester organisierten nationalen englischen kunstausstellung, die als bahnbrechend betrachtet werden kann, vorgestellt. dabei bewertete er die nordischen protestantischen traditionen im vergleich mit den „südlichen“ als positiv, da letztere seiner ansicht nach stark an den heidnischen und den katholischen aberglauben anknüpften.)39 auf diese Weise etablierte sich 1867 in paris jene praxis der kunstkritik, die hinter den entwicklungstrends der künstlerischen stile den mittelbaren, manchmal sogar unmittelbaren einfluss gesellschaftlicher und parteipolitischer kräfte vermutete. außerdem wurde offensichtlich, dass die staatliche kulturpolitik eine sehr wichtige rolle bei der Förderung der entfaltung der künste spielte, und all das in den europäischen staaten wie eine art zivilisationsindex funktionierte. die pariser Weltausstellung von 1867

27. thÉophile thorÉ (1807–1869)

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28. rotunde der Wiener Weltausstellung (haupteingang zum ausstellungspalast), 1873

fand in ganz europa große resonanz, sodass daraufhin mehrere länder die veranstaltung einer ähnlichen schau planten. (die nächste fand 1873 in Wien statt.) von den mitteleuropäischen, genauer gesagt den österreichischen malern besuchten nicht wenige paris und sahen die exponate der Weltausstellung von 1867, unter ihnen leopold carl müller, august von pettenkofen, hans makart und ebenso der junge Journalist ludwig (lajos) hevesi. merkwürdigerweise hob hevesi in seinen Jahrzehnte später verfassten erinnerungen das erlebnis der koloristen des französischen orientalismus hervor. die nächste für die bildenden künste sehr bedeutsame internationale ausstellung fand 1869 in münchen statt.40 in dieser ausstellung, die in erinnerungen beinahe mystisch verklärt wird, hat auch courbet bilder ausgestellt, die zum beispiel auf den jungen leibl eine starke emotionale Wirkung hatten, weshalb er nach paris reiste. diese ausstellung löste eine künstlerische rivalität zwischen den französischen und den deutschen malern aus, die beinahe ein halbes Jahrhundert andauerte und nach 1870 bei beiden parteien in eine politisierte nationalistische rivalität ausartete. courbet fuhr 1869 nach münchen und hat sich seinen erinnerungen zufolge in der dortigen künstlerszene wohlgefühlt und Freundschaften geschlossen – wenn auch nicht fürs leben. ebenso reiste menzel nach paris, besuchte kollegen und malte sogar stadtszenen. nach dem deutsch-Französischen krieg war so etwas nicht mehr möglich, die deutschen maler konnten in paris keine freundschaftlichen beziehungen zu französischen malern aufbauen – auch nicht, wenn sie es gewollt hätten (siehe liebermanns Fall). die Franzosen schlossen das deutsche kaiserreich von der Weltausstellung im Jahr 1878 offiziell aus und die abneigung der beiden nationen gegeneinander verfestigte sich. deutschland und Österreich eingeschlossen bemühten sich ab den 1860er Jahren – zumindest auf dem gebiet der bildenden kunst –, hinsichtlich des staatlichen mäze-

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natentums, beim kunstunterricht und in der presse dem französischen beispiel zu folgen. die Fachpresse und die zeitungen in deutschland berichteten kontinuierlich über die exponate des pariser salon und der Weltausstellungen, sodass die zeitgenössische französische malerei dort auch nach 1870 nicht unbekannt war. die veranstalter des münchener glaspalasts waren stets bemüht, für die internationalen ausstellungen auch repräsentative französische exponate zu besorgen, was mithilfe von privatsammlungen manchmal auch gelang. (eine ausnahme bildeten lange zeit gerade die impressionisten, da sie auch innerhalb der pariser kunstszene noch nicht als dem „mainstream“ zugehörig galten.) england ging seinen eigenen Weg der entwicklung, und erst als die auffassung des L’art pour l’art – die dort Ästhetizimus genannt wird – gegenüber der früheren ethisch begründeten romantischen und realistischen kunstauffassung zu dominieren begann, schauten die briten mit stärker werdenden minderwertigkeitskomplexen nach paris und erkannten, dass sie auf dem gebiet der künste (anders als in der Wirtschaft) nicht die Weltersten waren.

Die Rolle der Kunstkritik in England in england waren struktur und atmosphäre der kunstszene ganz anders als in Frankreich.41 auch wenn sowohl für die stilistische entwicklung als auch die kunstsoziologie in der kunstgeschichte bis heute eindeutig Frankreich und die französische kunst als normatives vorbild gelten (gerade wie schon betont weil der französische staat eine sehr bedeutende rolle als mäzen der künste und der kunstszene spielt), waren die pariser künstler dem freien kunstmarkt weniger ausgeliefert als ihre englischen „kollegen“.42 andererseits begann die elite der englischen gesellschaft sehr früh leidenschaftlich kunst zu sammeln – in erster linie alte großmeister aus vorangegangenen epochen. gerade diese sammeltätigkeit führte zur entstehung der ersten systematisierenden und analysierenden arbeiten, die sich mit der kunstgeschichtsschreibung und der praxis der kunstkritik befassten. die erste wichtige arbeit stammte von Jonathan richardson (abb. 29) dem Älteren, einem bedeutenden englischen porträtmaler (1665–1745), der in seinem 454 seiten umfassenden Werk The Connoisseur. An Essay on the Whole Art of Criticism as it Relates to Painting (1719) ein system für die klassifizierung und die ästhetische bewertung von kunstobjekten vorstellte. der maler, der selbst kunst sammelte, bestimmte 20 bewertungskriterien, anhand welcher man kunstwerke untersuchen kann. seiner ansicht nach könne jeder kunstkenner werden, der sich die methode der bewertung aneigne. zusammen mit seinem sohn veröffentlichte er 1722 ein weiteres buch, das im grunde ein spezialisierter kunstreiseführer für engländer war, die nach italien reisten (in erster linie für reisende aus der aristokratie). damit hatte richardson ein handbuch für die teilnehmer der grand tour (also einer mehrjährigen studienreise durch italien) geschrieben, das die aneignung der für das sammeln von kunst erforderlichen kenntnisse im bereich der bildenden künste erleichterte. das Werk hatte auch außerhalb englands großen einfluss, unter anderem auf die im entstehen begriffene deutsche kunstgeschichte und Ästhetik. in seiner gewaltigen privatsammlung hatte richardson angeblich 4749 zeichnungen von alten (italienischen und niederländischen) meistern. die sammlung wurde nach seinem tod 19 tage lang

29. Jonathan richardson (1667–1745)

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30. hippolyte taine (1828–1893)

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von dem damals schon bestehenden antiquitätenhandel und auktionshaus sotheby’s in london versteigert. die tradition der kunstliebhaberei in der englischen aristokratie war im europa des 18. Jahrhunderts etwas besonderes, allerdings stand nicht die kunsttheorie, sondern die für das sammeln wichtige ästhetische Qualität im mittelpunkt ihrer ansichten über kunst. innerhalb der englischen kultur erlangte die zeitgenössische malerei jedoch zu keiner zeit eine so große politisch-gesellschaftliche bedeutung wie in italien oder Frankreich.43 die englischen künstler und denker des 19. Jahrhunderts waren sich der eher peripheren stellung der zeitgenössischen englischen visuellen kultur sehr wohl bewusst und beurteilten ihre bedeutung im internationalen vergleich noch schlechter, als sie tatsächlich war.44 dazu trug auch der umstand bei, dass sich hippolyte taine (abb. 30) – der in ganz europa als einer der besten kenner der englischen kultur galt – besonders negativ über die englische malerei geäußert hatte.45 dass die kritik der bildenden künste in england anderen idealen folgte und sich in den ersten Jahrzehnten des viktorianischen zeitalters im zeichen des moralisierens in erster linie auf die inhaltliche „botschaft“ der Werke konzentrierte, war sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass eine direktere und sinnlichere herangehensweise wegen der protestantischen traditionen des neuen bürgerlichen publikums nicht möglich war. die englische mittelschicht, die schnell wohlhabend wurde und sich zunehmend begeistert bildung aneignete, war mit der kultur des Wortes aufgewachsen und musste sich die natürliche visuelle sensibilität – die in der katholischen Welt vorhanden war – zuerst über den moralischen und didaktischen ansatz aneignen, um auch die verborgeneren Freuden der malerei genießen zu können.46 im vergleich mit den übrigen europäischen ländern konnte es das englische bürgertum des 19. Jahrhunderts als gewaltigen vorteil verbuchen, dass es das reichste des kontinents war und als erstes in den genuss der fantastischen neuerungen der industriellen revolution, der urbanisierung und des eisenbahnnetzes sowie der daraus resultierenden möglichkeiten kam. infolge der sehr ausgeprägten lesekultur wurden die für die elite und das breitere publikum herausgegebenen zeitschriften (die ab dem letzten drittel des 18. Jahrhunderts überwiegend wöchentlich oder monatlich erschienen) zu den wichtigsten bildungsforen.47 Ja, im vergleich zu ihren vorläufern im 18. Jahrhundert überraschten sie ihre leser sogar oft mit zahlreichen illustrationen. illustrationen gewannen ohnehin immer mehr an bedeutung bei der visuellen erziehung des publikums: dank der erfindung der lithografie und später des stahlstichs nahm die vervielfältigung von kunst ab den 1820er Jahren eine andere dimension an, sodass illustrationen günstiger wurden. Während man von einem kupferstich oder einer radierung höchstens einige hundert (200–250) gute abzüge herstellen konnte, waren bei einem stahlstich bis zu 15.000 exemplare möglich. das revolutionierte die buchillustration und die presse im allgemeinen. die Illustrated London News, die ab 1842 erschien, war die erste zeitung, die mehr bilder als text enthielt, doch auch das beliebte satireblatt Punch wäre ohne die große zahl an karikaturen unvorstellbar gewesen. eine der einflussreichsten Wochenschriften war The Graphic (ab 1869), die viele künstler beschäftigte, die eine neue, von sozialer sensibilität geprägte realistische kunstreportage entwickelten (luke Fildes, hubert herkomer). sie hatte großen einfluss, auch auf dem Festland, sogar der junge van gogh lernte viel durch sie.48

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mitte des 19. Jahrhunderts gab es in der presse eine „visuelle explosion“ (die schon bald die übrigen europäischen länder erreichte), die innerhalb eines Jahrzehnts das verhältnis zur visuellen kultur im weiteren sinne veränderte. sie spornte das sehen in bildern an, erweckte das bildliche sehen und zahlreiche aspekte der visuellen sensibilität: sie ließ die leser erkennen, dass das „sehen-können“ vorteile hat und Freude bereitet – was bis dahin nur einer kleinen schicht der gesellschaftlichen elite vorbehalten war. sie führte zur entwicklung des räumlichen sehens, machte auf die Wahrnehmung der perspektive aufmerksam, außerdem auf die bedeutung der proportionen, der details, der texturen und der stilvarianten im allgemeinen. sie verfeinerte das sehen und brachte dem wissensdurstigen publikum die künstlerischen traditionen der bildlichen darstellung nahe – durch den zugang zu einer immer größeren zahl von kunstwerken sowohl aus dem schatz der vergangenheit als auch von den neuesten Früchten der zeitgenössischen kunst. dadurch entstand ein bedürfnis nach einer ästhetischeren Wohnungskultur, zu deren organischen bestandteilen stiche und bilder in den heimen wurden. auf diese Weise wurde die presse mittelbar nicht nur zum verbreiter des Wortes, sondern auch zu einem der effektivsten verbreiter der kultur des bildes. (ein beispiel für die dimension, in der das stattfand, ist, dass von der zeitschrift Athenaeum 1851 147.000 exemplare verkauft wurden – wobei das nur eine der populärwissenschaftlichen zeitschriften mit einer sehr hohen auflage war.) die vielen reiseberichte, reisebeschreibungen und informationen über das ausland weckten die sehnsucht zu reisen, was durch die rasante erweiterung des eisenbahnnetzes nun auch für die massen möglich war. zur Änderung der dimensionen hat auch beigetragen, dass ab den 1850er Jahren in den kreisen der kulturellen elite die optimistische Weltsicht des positivismus und ein beflügelnder glaube an den menschlichen Fortschritt und die Weiterentwicklung dominierten. es gab nicht viele epochen, in denen man so stark daran glaubte, dass die kultur das individuum und die gemeinschaft gleichermaßen beflügeln kann. deshalb wurden die englische kunstauffassung und die Werteordnung der kunstkritik entscheidend durch jene ethisch fundierte didaktische attitüde geprägt, die auch von der malerei erwartete, dass sie der aufgabe der erziehung zum guten im moralisch-geistigen sinne gerecht wurde. das galt auch für deutschland und Österreich, während in Frankreich die Theorie des L’art pour l’art (die dort schon viel früher verbreitung fand) die bevormundung der kunst durch die ethik infrage stellte. dort (zumindest in der pariser kunstwelt) gewannen die Theorien, die sich für die autonomie der künste aussprachen, immer mehr an bedeutung. da die kunstszene in england viel stärker verbürgerlicht und nicht etatistisch geprägt war, trugen die englischen kunstkritiker vermutlich eine wesentlich größere verantwortung in bezug auf den kunstmarkt, das heißt auf die lebensumstände und die karriere der maler, als ihre französischen kollegen. in england traten die verschiedenen kirchen und der staat nicht (oder kaum) als auftraggeber der maler auf, was sich auch in den Themen der bilder niederschlug: auf dem privaten kunstmarkt waren porträts, genrebilder (hauptsächlich Werke, die geschichten mit didaktischer absicht erzählten) und landschaftsbilder gefragt, also gut zu verkaufen. die zivilgesellschaft, die sich unabhängig vom staat selbstständig organisierte, gründete die Royal Academy (1762), die Förderung der kunst wurde neben der kunstliebenden aristokratie, die traditionell über einen feinen geschmack verfügte, auch aufgabe des

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wachsenden großbürgertums und der bürgerlichen mittelschicht. die 1836 gegründete Art Union (ein ähnlich dem Österreichischen kunstverein und dem pester kunstverein – Pesti Műegylet – zur Förderung der bildenden künste gegründeter verein) hielt die verbesserung des allgemeinen geschmacks für sehr wichtig und brachte zu diesem zweck 1839 eine Fachzeitschrift auf den Weg. diese wurde zehn Jahre später von Art Union in Art Journal umbenannt. sie erschien bis 1912 und gehörte damit zu den langlebigsten englischen Fachzeitschriften. um ihren lebensunterhalt bestreiten zu können, mussten die künstler an die Öffentlichkeit treten, die größte unterstützung dabei war für sie die presse, die bei der schaffung des kunstmarktes schon bald unentbehrlich wurde. in england wurde die erste Fachzeitschrift für bildende künste früher gegründet als anderswo. (allerdings war diese erste Fachzeitschrift, das 1821 gegründete The Magazine of the Fine Arts, nicht von bestand. 1824 folgte die Somerset House Gazette und dann das bereits erwähnte Art Journal.)49 das englische pendant zum pariser salon, die jährliche malereischau der akademie, die Royal Academy’s Annual Summer Exhibition (die bis heute stattfindet), war eine große „börse“ für malerei, an der die maler ihre bilder zu verkaufen versuchten. die tageszeitungen kommentierten dieses jährliche ereignis, (den londoner salon), von anfang an (1769), und als die zahl der kunstausstellungen in london in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stieg, gab es auch mehr kritiken zu lesen. zur eintrittskarte erhielt jeder besucher einen katalog, der auch bildbeschreibungen enthielt. die allgemeine subjektivität der romantik schlug sich auch in diesen beiträgen nieder, so sehr, dass das beliebte londoner satireblatt Punch 1845 eine amüsante und vermutlich in vielen punkten treffende satire über die regeln der kunstkritik veröffentlichte, die man der einleitung zufolge aus den kritiken über die ausstellungen der royal academy abgeleitet hatte.50 „allgemeine maximen: i. das talent zum kritiker ist ein geschenk, man braucht dazu keine vorstudien. ii. der kritiker ist größer (ein größeres talent) als der künstler. iii. der künstler kennt die tatsächliche bedeutung seines Werkes nicht. es ist aufgabe des kritikers, ihn darüber zu informieren. iv. die malerei ist ein rätsel. die sprache der bilderkritik muss ähnlich wie ihr gegenstand geheimnisvoll und für den gewöhnlichen menschen unverständlich sein. es ist ein Fehler, sie für gewöhnliches englisch zu halten, denn sie beugt sich nicht den regeln der sprache. v. sie darf in maßen anerkennung zollen, muss jedoch dem den vorrang geben, das nicht dem normalen sehen entspricht. der kritiker darf sich niemals so weit herabwürdigen, dass er darlegt, warum ein Werk gut oder schlecht ist. vi. verwenden sie nie das Wort bild; sagen sie leinwand, das ist fachgerechter. sagen sie nicht: das bild wurde gemalt, sondern stattdessen: behandelt. die folgenden begriffe sind unentbehrlich und deshalb häufig zu verwenden: chiaroscuro, textur, perlmuttgrau, kaltes grün, luftigkeit, behandlung, medium und instrument.“ ohne die lange satire weiter zu zitieren, muss man, so geistreich sie auch ist, feststellen, dass das, was darin vor allem beanstandet wurde, tatsächlich nur jene tendenzen wiedergibt, die im zuge der erlangung der unabhängigkeit der kritik der bildenden künste von der literaturkritik immer stärker wurden und etwas später zur entstehung einer eigenen Fachsprache führten.

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die florierenden zeitschriften, die Wochen- und monatsblätter, befassten sich ausgiebig mit den ausstellungen der royal academy, doch ab 1855 erschienen unter dem titel Academy Notes auch gesonderte hefte mit kritiken, in denen John ruskin (abb. 31), der angesehenste kritiker der zeit, seine fachliche, aber äußerst subjektive meinung über die ausgestellten kunstwerke darlegte. in der ersten hälfte des Jahrhunderts beherrschten auch in england die dichter und schriftsteller das Feld der kunstkritik: coventry patmore, William hazlitt oder Thackeray schrieben regelmäßig kunstkritiken für verschiedene zeitschriften. Wenn sich jemand auf das verfassen von kritiken einließ, musste er – mit wenigen ausnahmen – zu allen kulturellen Themen seine meinung äußern. so tat sich george bernard shaw selbst am ende des 19. Jahrhunderts noch nicht nur auf seinem allerersten spezialgebiet, der musikkritik, hervor, sondern musste auch literatur- und Theaterkritiken schreiben, wenn er bei seinem blatt bleiben wollte. natürlich entwickelten sich einzelne „mädchen-für-alles-kritiker“ im laufe der zeit zu hervorragenden spezialisten. der erste einflussreiche prophet und spezialist der visuellen kultur war der viktorianische polyhistor, gesellschaftsreformer und denker John ruskin51, der sich erstmals als verteidiger turners in der presse äußerte, um dann zum propheten und patron der präraffaeliten, zum begeisterten propagator der neogotik, zu werden. er versuchte vom standpunkt eines äußerst selektiven und subjektiven ethischen Ästhetizismus der englischen mittelklasse, die mit der protestantischen kultur groß geworden war, das sehen beizubringen – zumindest was die künstlerischen meisterwerke, meister und stilepochen betraf, die er für ethisch und vorbildlich hielt. indem er mit gutem beispiel voranging, führte ruskin eine voraussetzung ein, die dann zur anforderung wurde, dass sich der kunstkritiker, bevor er sich ans schreiben machte, wissenschaftlich fundierte Fachkenntnisse aneignete. ruskin war ein sprachvirtuose. Wenn ihm die Werke eines künstlers gefielen, konnte er das sinnlich-intellektuelle erlebnis, das die rezeption des Werkes für ihn bedeutete, in wunderbar ausdrucksvoller und mitreißender sprache wiedergeben. er war selbst ein hervorragender zeichner und aquarellist und besaß dadurch kenntnisse der maltechniken, die eine genaue bildbeschreibung außerordentlich erleichterten. er war von details besessen, verknüpfte die beschreibung extremer genauigkeit der technischen ausführung jedoch durch gewagte ethische assoziationen mit dem traum von der idealen gesellschaftsordnung. das war auch die grundlage für seine mittelalterbegeisterung. er musste dafür zwei absolut gegensätzliche lebensanschauungen zu einem einheitlichen Weltbild vereinen: eine strenge, beinahe schon asketische, puritanisch-protestantische ethik und einen leidenschaftlich sinnlichen schönheitskult. seine bücher und sein ganzes lebenswerk sind voller Widersprüche und lyrischer Übertreibungen, sein emotionales Feuer ließ seine schriften den zeitgenossen dennoch authentisch erscheinen. seine teilweisheiten und tiefgehenden einsichten regten verantwortungsbewusste leser zum nachdenken an, sein romantischer antikapitalismus bescherte ihm in ganz europa anhänger unter den mit sozialem interesse gesegneten oder gestraften künstlern. seine glanzzeit als kunstkritiker dauerte von der 1840er Jahren bis zum ende der 1860er Jahre, danach übernahmen – auch wenn er weiterhin als autorität galt – die anhänger des Ästhetizismus die Führung in der kunstszene in london.52

31. der Junge John ruskin (1819–1900)

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die englische Journalismus- und zeitschriftenkultur hatte ein so hohes niveau und war so reich, dass in den 1850er Jahren schon beinahe alle bedeutenden zeitungen und zeitschriften regelmäßig kunstkritiken abdruckten. die beiträge stammten von „mädchen-für-alles-Journalisten“ oder namhaften schriftstellern und dichtern, gelegentlich auch von malern. „allgemeine kritiker“, also „generalisten“, publizierten zumeist in den großen tageszeitungen, die professionalisierung der Fachkritik begann in den zeitschriften für die intellektuelle elite.53 das war natürlich auf die rasante erweiterung des marktes für bildende kunst und die immer größere zahl spezialisierter ausstellungen sowie auf die befruchtende Wirkung des immer breiteren internationalen künstlerischen horizonts zurückzuführen. die „globalisierung“ der Welt der kunst begann also (wie bereits erwähnt) mit der praxis der Weltausstellungen. Während die erste londoner Weltausstellung von 1851 für lange zeit die idee von der unverzichtbarkeit des kunstgewerbes (der notwendigkeit des designs) in den mittelpunkt der aufmerksamkeit rückte, war die erste pariser Weltausstellung 1855 ein bis dahin nicht dagewesener aufmarsch der zeitgenössischen bildenden kunst. damals war es erstmals möglich, die malerei verschiedener nationen und länder an einem ort zu sehen und dadurch zu vergleichen. bis dahin war ein solches erlebnis kritikern und publikum nur in einigen berühmten europäischen museen möglich, doch auch dann konnten sie nur die meisterwerke der vergangenheit genießen, deren auswahl reiner zufall war. die 1850er Jahre führten außer zu den zeitgenössischen internationalen kunstausstellungen zur entstehung einer anderen art von ausstellung, nämlich der nationalen retrospektiven. diese konnten historischen charakter haben wie die imposante Art Treasures of Great Britain, die 1857 in manchester stattfand. oder es waren schauen, in denen es in erster linie um die zeitgenössische nationale malerei ging, wie bei der 1858 in münchen organisierten deutschen ausstellung. der dritte – bereits erwähnte – Faktor war, dass reisen wegen des rasanten ausbaus des eisenbahnnetzes in ganz europa leichter wurden. das hatte nicht nur einen aufschwung des kulturtourismus zur Folge, sondern schuf auch die möglichkeit, dass kritiker und künstler die jährlich veranstalteten malereiausstellungen anderer länder besuchen konnten und – gegebenenfalls zur auffrischung ihrer erinnerung – regelmäßig ins ausland (z. b. nach italien) reisen konnten, um berühmte sammlungen zu sehen und architekturdenkmäler zu besichtigen oder wieder und wieder zu studieren. die eisenbahn erweiterte den visuellen horizont der menschen in beträchtlichem maße. Für das bürgertum waren reisen im 19. Jahrhundert wichtige instrumente zur selbstbildung. die ersten bedeutsamen reiseführer, die vorgaben, was man unbedingt besichtigen musste, stellten dem reisenden quasi eine aufgabe. nicht nur die deutschen waren kulturhungrig, auch die engländer (die nicht anhand von karl baedekers, sondern von John murrays reiseführern die „pilgerstätten“ der kultur aufsuchten) wollten nach möglichkeit alles kennenlernen, was für einen gebildeten modernen menschen unentbehrlich war.54 reiseziel war vor allem italien mit all seinen kunstschätzen, doch mit der zeit wurden auch paris und die berühmten mittelalterlichen städte belgiens, der niederlande und Frankreichs, später das rheinland und schließlich spanien und griechenland auf der landkarte des kulturtourismus eingetragen.

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all diese neuerungen gaben den kritikern und dem publikum endlich die möglichkeit, die produktion der maler einer nation oder einer epoche sowohl in synchroner als auch in diachroner ansicht zu vergleichen. in den 1860er Jahren lagen somit die voraussetzungen für die demokratisierung und zugleich die professionalisierung des kunstgenusses vor. ein artikel von philip g. hamerton55 (abb. 32) über die rolle und die aufgabe des kritikers, in der wichtige theoretische und praktische Fragen besprochen werden, auf die einzelne autoren im laufe des Jahrhunderts immer wieder verwiesen, erschien 1863 im Cornhill Magazine mit dem titel Art Criticism. der maler, grafische künstler und stecher hamerton hatte schon zuvor regelmäßig kritiken geschrieben, unter anderem über die französische malerei. er hatte in der französischen hauptstadt in den 1850er Jahren nicht nur malerei studiert, sondern sich auch fleißig die methoden der französischen kunstkritik angeeignet. in seiner autobiografie schrieb er, die französische kritik sei die diskriminativste und präziseste auf der Welt.56 in seinem als normativ gedachten artikel, der etwas von einem glaubensbekenntnis hatte und von heimlicher leidenschaft durchzogen war, zählte er in elf punkten diejenigen anforderungen auf, die ein ordentlicher kunstkritiker erfüllen musste. diese waren im grunde auch aufgaben, deren erledigung er dem publikum schuldete. ich nenne hier die wichtigsten anforderungen: das publikum muss über das wertvolle erbe der vergangenheit informiert werden. (darunter verstand er sowohl die ästhetischen grundsätze als auch das künstlerische erbe der großen meister.)57 man muss auch unpopuläre Wahrheiten aussprechen (Wahrheiten, die andere in den Werken noch nicht entdecken). man muss dem publikum auch bestimmte theoretische kenntnisse über die kunst vermitteln. man muss die lebendige kunst – vor allem die guten jungen künstler – vor bösartigen angriffen der unwissenheit beschützen. man muss verhindern, dass „falsche“ lebende künstler einen nachteiligen einfluss auf die allgemeinen interessen der kunstszene ausüben. demzufolge darf man das argument, man dürfe im interesse des materiellen Wohlstands eines malers keine negative kritik schreiben, nicht beachten. man darf keine angst vor inkonsequenz haben – wenn nötig, muss man seine frühere meinung stets ehrlich und auf intelligente art und Weise revidieren. man muss seine empathie ständig weiterentwickeln. man muss vorurteile entschieden abwehren. die strengsten anforderungen sind: der kritiker muss sich unter den gegebenen umständen bemühen, so gut wie möglich informiert zu sein, und sein Wissen in allen bereichen vermehren, die mittelbar oder unmittelbar mit der kunst zusammenhängen. er muss die künstlerischen techniken (malerei, grafik usw.) auch in der praxis kennen. der kritiker muss sehr viel reisen, um die landschaften, die den malern als inspiration dienen, auch selbst zu erleben, außerdem sollte er nach möglichkeit alle Werke der großen meister kennen.

32. philip gilbert hamerton (1834–1894)

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es liegt auf der hand, dass diese anforderungen damals sehr schwer zu erfüllen waren, nur die aristokratischen Connaisseurs hatten die möglichkeit, genug zu reisen, zu lesen, zu erleben und zu sehen, um kenntnisreiche kunstkenner zu werden. hamertons anforderungen kann man nur mit lebenslanger fleißiger, ausdauernder und konsequenter arbeit genügen – er forderte von einem guten kunstkritiker dasselbe wie von einem Fachwissenschaftler. neben der pflicht zur ständigen und vielseitigen selbstbildung sowie zur ehrlichen kompromisslosen meinungsäußerung, außerdem der ethischen pflicht zur parteinahme für den zeitgenössischen künstler und die zeitgenössische kunst fehlt überraschenderweise ein wichtiger aspekt der kunstkritik, nämlich, dass sie sehen lernen muss. obwohl er selbst maler und grafiker war, ging hamerton ausschließlich anhand von kriterien des bewusstseins und auf begrifflich-intellektuelle art und Weise an die aufgabe heran – die sinnliche komponente fehlte. möglicherweise hat er sie, auch wenn er sie nicht erwähnte, dazu gedacht. Jedenfalls legte er drei Jahre später, als er erneut auf das Thema zu sprechen kam, dar, dass man das publikum auch sehen lehren müsse.58 in den 1860er Jahren haben außer ruskin die fünf führenden kunstkritiker (Francis turner palgrave, henry James, William michael rossetti, d. s. maccoll und a. m. stevenson) der bedeutenden literarischen zeitschriften ihren stil und ihre sichtweise sukzessive geändert und sich statt der früheren, in der literaturkritik wurzelnden inhaltlichen bildanalysen nach und nach einer spezialisierten sprache bedient, die auch formale visuelle lösungen und Wirkungen berücksichtigte. in relation zu den reichhaltigen kulturhistorischen Fakten – die damals bereits ein unumgänglicher bestandteil der kritiken zur bildenden kunst war – traten die autonomen visuellen Qualitäten in den vordergrund. die wachsende zahl von vergleichen, das häufige nachvollziehen der lösungen der alten meister und die genaue rekonstruktion ihrer inspiration beweist auch auf mittelbare Weise, dass hamertons anforderungen ernst genommen wurden. die kritiker, deren kritiken es anfang der 1850er Jahre dem leser noch nicht ermöglichten, sich (abgesehen vom Thema) vorzustellen, wie das besprochene bild aussah, pflegten von den 1860er Jahren an einen anschaulicheren stil, der auch den visuellen gesamteindruck wiedergab. dass beim publikum tatsächlich bedarf für die schriften der kritiker bestand und ihre anleitungen dankbar angenommen wurden, beweist auch der umstand, dass damals die ersten auswahlbände mit kritiken zur bildenden kunst verlegt wurden.59 dank des schnellen und beträchtlichen vermögenszuwachses bei der bürgerlichen mittelschicht wurden kulturreisen große mode, und dementsprechend viele reiseberichte wurden veröffentlicht. die kritiker befassten sich mit immer mehr gattungen, außer zur zeitgenössischen kunst schrieben sie immer öfter über die meisterstücke der alten meister. im rahmen ihrer professionalisierung lasen sie zunehmend mehr wissenschaftliche Fachliteratur60 und besuchten immer häufiger ausstellungen im ausland. zum ende der 1860er Jahre hatten sich die regeln des Faches und die erwartungen an die kritiker in england auf informeller ebene etabliert. Wenn man sich fragt, inwieweit der in Wien und in pest lebende junge hevesi die französischen und die englischen kritiken kannte, kann man feststellen, dass er sie sehr gut, ja gründlich kannte. obwohl er seine ersten kunstkritiken 1869 im Pester Lloyd veröffentlichte, betrat er die bühne der kritik mit – nach den maßstäben der zeit – praktisch vollständigem fachlichem rüstzeug. man weiß, dass er sich die pariser Welt-

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ausstellung von 1867 gründlich angesehen hat; in seiner bibliothek waren fast alle diesbezüglichen publikationen vorhanden, außerdem die museumskataloge und die wichtigsten der bis dahin erschienenen anthologien mit kritiken. dasselbe gilt auch für englische veröffentlichungen, wobei nicht zu belegen ist, ob er england eventuell schon damals bereist hatte. mittelbar lässt sich beweisen, dass er hamertons berühmte „punkte“ gelesen haben dürfte, denn diese wurden in der englischen presse über Jahrzehnte häufig zitiert und in essays und diskussionen angeführt. Wenn auch in den 1860er Jahren möglicherweise noch nicht, so hat sich hevesi diese strengen anforderungen anfang der 1870er Jahre mit sicherheit zu herzen genommen, denn er hat sie sein leben lang quasi der reihe nach abgearbeitet. (er bildete sich unermüdlich, reiste viel, eignete sich künstlerische und grafische techniken an, war für die alte und für die neue kunst gleichermaßen offen und bemüht, stets mit dem maßstab der zeit zu messen.) noch mehr und unmittelbarer als durch die französischen und englischen vorbilder wurde seine sichtweise damals natürlich durch die intellektuelle bildung des deutschen sprachraumes bestimmt.

Deutsche Kunstgeschichte und Englisches Ausstellungswesen im gegensatz zu Frankreich, wo sich die kunstszene in paris konzentrierte, gab es in deutschland, zum einen wegen der politischen gliederung des landes, zum anderen wegen verschiedener jahrhundertealter kultureller traditionen, mehrere künstlerische zentren mit geringerer reichweite. das kulturelle gesamtbild war reichhaltig und vielfältig, künstler wurden an bedeutsamen kunstakademien ausgebildet61 (berlin, gegr. 1696, düsseldorf, gegr. 1773, Wien, gegr. 1777, münchen, gegr. 1808, karlsruhe, gegr. 1854, Weimar, gegr. 1860), und die intellektuelle elite der altehrwürdigen universitäten war dem humanistischen bildungsideal der aufklärung verpflichtet. die professionalisierung der kunstgeschichte zu einer selbstständigen Wissenschaft begann hier am frühesten. an der universität göttingen hielt schon ab 1799 der philosophiedozent Johann dominicus Fiorillo (1748–1821) vorlesungen zur kunstgeschichte, ab 1825 dann ernst hagen (1797–1880) in königsberg. hegels vorlesungen an der universität berlin trugen ebenfalls wesentlich dazu bei, dass die erforschung der künste auch über die Ästhetik hinaus in den vordergrund rückte. in berlin hielten an der akademie und an der universität mehrere Fachleute vorlesungen zu diesem Thema, bevor gustav Waagen 1844 offiziell eine professur für dieses Fach an der universität erhielt. einige deutsche kunsthistoriker, beispielsweise carl schnaase (1798–1875) und heinrich hotho (1802–1873), waren hegels schüler, während die Fachleute in den museen, karl Friedrich rumohr (1785–1843) und gustav Friedrich Waagen (1794–1868) eher den historischen ansatz vertraten. von den 1830er Jahren an war zweifelsfrei berlin das methodische zentrum des Fachgebiets, auch wenn es dort offiziell noch keinen lehrstuhl gab.62 die kunstgeschichte als philologische Wissenschaft war anfang des 19. Jahrhunderts noch im entstehen begriffen. auf der grundlage von Winckelmanns schriften und seiner kunstauffassung lösten die deutschen vertreter des Faches giorgio vasaris tradition der anekdotischen erzählung, die auf den biografien der künstler basierte und jahrhundertelang als vorbild galt, durch methodische neuerungen ab, die sie aus der ge-

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33. karl Friedrich rumohr (1785–1843)

34. gustav Waagen (1794–1868)

35. david passavant (1787-1861)

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schichtsschreibung ableiteten.63 darüber hinaus bezogen sie auch die praxis der Connaisseurs ein, das kunstkennertum, die nicht theorie-, sondern werkzentrischen stilanalysen – die es in kunstsammler- und kunsthändlerkreisen schon immer gegeben hatte, die jedoch hinsichtlich ihrer methodik individuell variierten.64 die erste wissenschaftlich konsequente vasari-kritik stammt von carl Friedrich von rumohr (1785–1843) (abb. 33), er war der pionier des neuen stilzentrischen ansatzes, dessen ergebnisse er in den Italienischen Forschungen veröffentlichte.65 rumohr, der außer den deutschen sammlungen auch die gewaltige kunstsammlung des musée napoléon gut kannte, verbrachte von 1816 bis 1821 fünf Jahre in italien, wo er nicht nur die kunstsammlungen und die malerei in den kirchen gründlich studierte, sondern auch in den archiven und bibliotheken aufbewahrte dokumente und Quellen. Johann david passavant (1787–1861) (abb. 35) und Waagen, die man als seine schüler betrachten kann, setzten seinen neuen historischen ansatz fort. Während sie beide viele Jahre in italien verbrachten (wo sie rumohr auch kennengelernt hatten), wurden sie von den künstlerischen idealen der deutschen künstlerkolonie der nazarener in rom inspiriert. dadurch wurde die menge an kunstobjekten, deren historische und stilistische analyse sie zu einer differenzierten kunstanschauung führte, die auch die ästhetische bewertung der mittelalterlichen italienischen malerei vor der renaissance beinhaltete, viel größer und reichhaltiger. beide waren auch in england gewesen, um die dort aufbewahrten schätze der italienischen malerei zu studieren, und hatten die ergebnisse ihrer dortigen Forschungsarbeit veröffentlicht.66 da in den vorangegangenen Jahrhunderten und besonders im laufe des 18. Jahrhunderts enorm viele italienische gemälde in england67 in aristokratische sammlungen gelangt waren68, konnte man die geschichte der italienischen malerei oder das lebenswerk einzelner bedeutender meister schon in der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts nicht rekonstruieren, ohne dass man sich die in england befindlichen kunstobjekte ansah.69 Waagen (abb. 34) erkannte das bald und begann als erster deutscher kunsthistoriker, die englischen kunstsammlungen wissenschaftlich zu erschließen. auf dieser grundlage schrieb er jene bahnbrechenden Übersichtsdarstellungen70, die schon bald ins englische übersetzt wurden, die das sammeln von kunst in england weiter anspornten und die kunstkenner in england und sogar die englische kunstgeschichtsschreibung inspirierten.71 Waagen lernte schon bei seiner ersten italienreise englische kunstkenner kennen, allen voran sir charles eastlake72, den späteren direktor der londoner national gallery, der 14 Jahre in rom lebte und die italienische kunst- und kunstsammlerszene sehr gut kannte. die kontakte der führenden Fachleute wurden in rom international. die deutsch-englischen kontakte wurden später dadurch begünstigt, dass der ehemann von königin victoria der gebildete albert von sachsen-coburg und gotha war, der sich für alle kunstzweige interessierte und die mitwirkung seiner landsleute bei der entwicklung der kultur der bildenden künste in england begrüßte. laut Francis haskell, der zu den Änderungen des geschmacks in dieser epoche forschte, bedeutete passavants bahnbrechende monografie über raffael73 ein neues kapitel in der Forschung zur malerei: aus der tiefe der chroniken wurden daten zutage gefördert, es etablierten sich ernsthafte Forschung und kritik.74 so entstand die neue wissenschaftliche gattung der künstlermonografie, die zusammen mit der rekonstruktion des Œuvres der maler und der katalogisierung der sammlungen zur wichtigsten gattung der gelehrten kuratoren

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des 19. Jahrhunderts wurde. das bestärkte die neue, nicht nur streng chronologische, sondern auch entwicklungszentrische sichtweise der kunstgeschichte. diese wurde auch auf die sogenannten malerschulen angewandt, ungeachtet dessen, ob es sich um nationale (z. b. niederländische oder spanische) oder regionale (in venedig, siena oder Florenz) handelte. so nutzte man beim wissenschaftlichen paradigmenwechsel in der im entstehen begriffenen kunstgeschichte 1. die deutsche systematische historische herangehensweise, 2. die „entdeckung und neubewertung“ der als primitiv bezeichneten epochen der malerei des cinquecento vor raffael und der renaissance sowie 3. die wissenschaftliche erschließung der englischen kunstsammlungen, wofür anwendung, aneignung und Weiterentwicklung der kenntnisse der Connaisseurs unentbehrlich waren. die hauptfigur dieses prozesses war gustav Waagen,75 der ab 1830 direktor der berliner nationalgalerie und ab 1844 professor für kunstgeschichte an der universität berlin war. nach seiner ersten Überblicksdarstellung der englischen kunstsammlungen aus dem Jahr 1838 veröffentlichte er 1854 sein opus magnum mit dem titel Treasures of Art in Great Britain in drei bänden76. obwohl seine zuschreibungen inzwischen häufig ungültig sind, ist die bahnbrechende klassifizierungsarbeit sein verdienst. außerdem hat er in deutschland ähnliche erschließungsarbeit geleistet. Waagen war achtmal in england.77 seine gewaltige sammelarbeit hat erheblich zur entstehung der ausstellung Art Treasures of the United Kingdom in manchester (abb. 36) im Jahr 1857 beigetragen, die weltweit bahnbrechend war. sie war von nordenglischen industriemagnaten initiiert worden, die auf diese Weise ihr kulturelles ansehen in groß-

36. die galerie der gemÄlde in der kunstschatz-

modernen

ausstellung des

vereinigten kÖnigreichs, manchester, 1857

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37. die galerie der modernen

gemÄlde in der kunstschatzausstellung

vereinigten kÖnigreichs, manchester, 1857 des

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britannien mehren wollten.78 manchester, das berühmte industrielle zentrum mit einem Wald aus rauchenden schornsteinen, wo die arbeitsbedingungen und die Wohnverhältnisse so schlecht waren, dass das durchschnittsalter 33 Jahre betrug, war die namensgeberin des „manchesterkapitalismus“, mit dem man eine fürchterliche wirtschaftliche ausbeutung bezeichnete. es hatte erst 1853 den status einer stadt erhalten, die reiche Wirtschaftselite wollte den ruf ihrer stadt verbessern. so wurde die idee der ausstellung geboren. 107 sponsoren sammelten 74.000 englische pfund für ihre veranstaltung.79 ebenso wie die londoner Weltausstellung 1851 wurde auch die kunstausstellung in manchester von prinz albert von sachsen-coburg eröffnet. außer den gekrönten häuptern, den ausländischen herrschern, der englischen und der ausländischen aristokratie besuchten etwa 1.300.000 menschen die ausstellung80, sodass die eintrittsgelder die kosten vollständig deckten. diese monumentale unternehmung eröffnete nicht nur auf dem gebiet der kunstausstellungen, sondern auch in der geschichte der Änderung des geschmacks und der sichtweise auf die kunst eine neue epoche.81 sie hatte einen außerordentlichen einfluss auf die ausbildung des geschmacks und die popularisierung der kunst. in der bis heute größten ausstellung in england (und der Welt) wurden erstmals in einer dem londoner kristallpalast ähnlichen halle aus eisen und glas etwa 16.000 kunstobjekte, darunter 1100 meisterwerke der malerei, präsentiert.82 neben der königlichen sammlung waren durch die unterstützung von prinz albert auch die verborgenen schätze der wichtigsten sammlungen der aristokratie zu sehen, außerdem die Werke der zeitgenössischen eng-

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lischen maler. die historischen exponate beinhalteten Werke der damals für die größten gehaltenen künstler wie michelangelo oder tizian, aber auch solche von botticelli, den das breite publikum bis dahin praktisch überhaupt nicht beachtet hatte. es war die erste ausstellung, bei deren präsentation, inspiriert von der deutschen Wissenschaft, eine strenge chronologie eingehalten wurde (abb. 37.) die veranstalter strebten eine im weiten sinne verstandene erziehung des volkes an. sie glaubten mit beinahe religiösem eifer an die macht der kunst, moral und seele zu veredeln, was auch prinz alberts eröffnungsrede widerspiegelte.83 dieses mal wurden die idealistischen vorstellungen wahr. die ausstellung setzte einen nicht zu stoppenden prozess in gang, in dessen verlauf sich das interesse der reichen englischen mittelschicht den bildenden künsten zuwandte, und die kultur des bildes zu einem der kultur des Wortes ebenbürtigen festen bestandteil des bildungsideals wurde. sie diente nicht nur als vorbild für die gründung von privatsammlungen, sondern führte auch zu einem edlen Wettstreit in der englischen zivilgesellschaft. in den englischen industriestädten (manchester, liverpool, birmingham, southport) gründeten industriemagnaten museen und bildergalerien, die oft auch nach ihren gründern benannt wurden.84 außerdem führte sie in ganz europa die praxis der historischen kunstausstellungen ein. als erste folgten ihrem beispiel paris und berlin, 1858 veranstalteten münchen und 1861 Florenz eine deutlich kleinere, aber vom konzept her ähnliche ausstellung. Waagens beschreibungen der englischen kunstsammlungen und seine dazugehörigen datierungen waren sehr wichtig für die zusammenstellung der ausstellung, aber der löwenanteil der arbeit fiel georg scharf85 (abb. 38) zu, der 1857 direktor der national portrait gallery wurde. auf beiden seiten der mittleren halle hängte man die meisterwerke der italienischen und der niederländischen malerei einander gegenüber chronologisch auf. diese anordnung nach dem entstehungsdatum übernahmen danach fast alle museen und öffentlichen sammlungen des 19. Jahrhunderts. somit wurde diese ausstellung zum vorbild für die meisten nationalgalerien und inspirierte auch die zunächst kensington-museum genannte und dann in victoria and albert museum umbenannte einrichtung. in den 1840er Jahren erweiterte ein anderes phänomen den horizont der neuartigen kunstgeschichtsschreibung. mit der zunahme der auf archivquellen basierenden historischen kenntnisse und infolge der katalogisierung, durch die die sammlungen systematisch erschlossen wurden, änderte sich die bewertung der epochen vor der renaissance. die Fachleute begannen, die bis dahin kaum gewürdigten meister des trecento und des Quattrocento viel mehr zu schätzen. die historische sichtweise der deutschen romantik war ein entscheidender impuls für das Fach kunstgeschichte, da so auch die objekte der christlichen italienischen kirchenkunst in die sammlungen der museen aufgenommen und in die Forschung einbezogen wurden und auch der kunsthandel den sogenannten primitiven immer mehr aufmerksamkeit widmete. die vielen altarbilder und heiligenbilder mit goldfarbenem hintergrund, die auf die insel gebracht wurden, waren nicht sofort beliebt, aber ab den 1840er Jahren wurde man auf sie aufmerksam und sie kamen in mode. im protestantischen england, wo die feindliche einstellung gegenüber dem katholizismus noch immer sehr verbreitet war, waren die hauptakteure der Änderung des

38. george scharF (1820–1895)

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39. anna broWnell Jameson (1794–1860)

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geschmacks in der viktorianischen zeit neben den Fachleuten in den museen die kunstautoren. zu nennen ist vor allem anna Jameson (1794–1860) (abb. 39), eine der ersten schriftstellerinnen (und feministische autorin), die vom schreiben leben konnte, die von 1826 bis zu ihrem tod 1860 regelmäßig in den angesehensten literatur- und kulturzeitschriften publizierte. sie spielte, auch wegen ihres guten stils, vor allem bei der popularisierung der mittelalterlichen malerei, der malerei vor der renaissance, eine bedeutende rolle. Für die entwicklung von hevesis sichtweise als kritiker war die tradition der kunstkennerschaft sehr wichtig. die gattung des reiseberichts voller beschreibungen von kunstobjekten stellte für den jungen hevesi ein bewundertes vorbild dar. passavant hatte sie zu einer gattung von wissenschaftlichem niveau erhoben, die durch Jakob burckhardts Cicerone, das berühmteste buch dieser art, endgültig zu einer akzeptierten und eigenständigen gattung wurde. in seiner bibliothek befanden sich arbeiten von allen in diesem kapitel genannten, in der kunst bewanderten autoren, und weil er ständig auf dem neuesten stand des Fachgebietes war, erlernte er später auch die methode von giovanni morelli (1816–1891).

Die Dualität der Praxis der deutschen Kunstkritik die praxis der professionellen deutschen kunstgeschichte wurde durch den akademischen, das heißt den ästhetischen, ansatz mit wissenschaftlichem anspruch bestimmt. daneben gab es aber auch eine richtung der interpretation von meisterwerken, die klar künstlerisch motiviert war. goethe, schiller und lessing und später die romantischen dichter (clemens brentano, achim von arnim) schrieben mit vorliebe über ihre kathartischen kunsterlebnisse und begründeten damit eine literarische tradition, die auch die kunstkritik selbst zu kunst sublimierte. diese schriften wurden zunächst von dem klassischen künstlerischen erbe, von der begeisterung für die antiken und die renaissance-meisterwerke italiens inspiriert, doch man erkannte schon bald, dass sich auch die empfindungen, die die zeitgenössische kunst auslöste, in diesem subjektiven literarischen genre ausdrücken ließen.86 die möglichkeit, auf manchmal extrem individuelle emotional-intellektuelle art und Weise an die Werke heranzugehen, wirkte zur zeit der romantik befreiend und trug dazu bei, dass das schaffen von kunst – als eine der wunderbarsten Fähigkeiten des menschen –, das heißt das großartige leben, das leben als auserwählter, einen transzendenten sinn bekam.87 der künstler wurde vom handwerker zum demiurgen, und wenn ein schriftsteller oder dichter in seiner analyse die transzendenz, die mystische Wallung erfassen konnte, wurde auch er selbst ein bisschen zum künstler. diese gattung der kritik von dichterischer kraft, die überwältigende und kultische texte schuf, blühte vor allem im deutschen sprachraum.88 nicht nur bedeutende dichter und schriftsteller, sondern auch ein teil der kritiker akzeptierte die anforderung, dass über ein kunstwerk zu schreiben sich nur lohne, wenn der text das von dem Werk inspirierte gefühl und den von diesem inspirierten eindruck auslösen könne, wenn es das erlebnis, das das kunstwerk in der seele des rezipienten auslöst, plastisch wiedergeben könne. auch die kritik selbst muss zum kunstwerk werden – dieser grundsatz

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setzte sich auch in der musikkritik durch, mit großartigen vertretern wie dem schriftsteller und musiker e. t. a hoffmann und robert schumann. in Wien bemühte sich der musikwissenschaftler eduard hanslick ebenfalls, musikkritiken in dieser manier zu schreiben, indem er sein technisches Fachwissen mit der schreibkunst verknüpfte. (ludwig speidel und august Wilhelm ambros legten selbst bei den täglichen kritiken einen sehr hohen maßstab an. auch sie wollten, dass die kritik ein meisterwerk der schreibkunst war und das emotional-spirituelle erlebnis, das der vortrag eines musikstücks für sie bedeutete, getreu wiedergab.) ein kathartisches erlebnis konnte beim betrachter nicht nur durch die literatur, sondern auch durch ein schönes oder erhabenes Werk der bildenden kunst ausgelöst werden.

Kunstinstitutionen im deutschen Sprachraum das deutsche gesamtbild war auch in der zeitgenössischen kunst durch regionale vielfalt geprägt, die fürstlichen residenzen89 und die handelsstädte rivalisierten auch als zentren der kunst miteinander und gründeten immer mehr museen. mit der verbürgerlichung ging die erweiterung des kunstmarktes einher, was wiederum zur gründung einer vielzahl von kunstvereinen führte. ab der mitte des 19. Jahrhunderts betrieben die örtlichen kunstvereine die errichtung einer gemeinsamen gesamtdeutschen organisation, und so wurde 1856 die allgemeine deutsche kunstgenossenschaft gegründet, die sich die veranstaltung großangelegter gemeinsamer deutscher ausstellungen zum ziel setzte. die erste Allgemeine und historische deutsche Kunstausstellung fand 1858 in münchen statt, in dem Jahr, in dem die königliche akademie der bildenden künste ihr 50jähriges bestehen feierte. die zweite ausstellung dieser art fand 1861 in köln statt. obwohl preußen und Österreich 1866 krieg gegeneinander führten, blieb der verband der österreichischen künstler90 mitglied der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft. die dritte gesamtdeutsche kunstausstellung wurde in Wien veranstaltet, und zwar anlässlich der einweihung des gerade fertiggestellten sitzes des künstlerhauses. sie wurde am 1. september 1868 von kaiser Franz Joseph eröffnet. die dritte Allgemeine Deutsche Kunstausstellung präsentierte 1150 Werke deutscher und österreichischer meister.91 zur mentalität der deutschen kultur gehörte ein starker glaube an den Fortschritt, der in den ideen der aufklärung und dem humboldtschen bildungsideal wurzelte, sowie ein bewusstes, ethisch begründetes engagement für die elitenkultur.92 diese verbanden sich mit dem respekt für die herausragenden ästhetischen leistungen der vergangenheit und der alten meister, die als nachahmungswerte vorbilder galten. die italienorientiertheit des deutschen klassizismus hatte auch weiterhin einen starken einfluss auf das schönheitsideal, das auf latente Weise auch in der deutschen malerei der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts zum tragen kam. das bestimmte im Wesentlichen die kulturgeschichtliche orientierung, die in den 1850er und 1860er Jahren den kult der italienischen renaissance stärkte und später eine besondere ikonografische richtung des symbolismus ausbildete. in der deutschen kunstgeschichtlichen Fachliteratur entstanden ab den 1840er Jahren wegweisende historische Überblicksdarstellungen, um nicht nur das deutsche erbe auf dem gebiet der bildenden künste und der architektur zu erschließen, sondern auch

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40. glaspalast, mÜnchen, um 1865

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das künstlerische erbe europas, also der nationalen schulen der übrigen länder.93 damals entstanden die ersten wissenschaftlichen kataloge der sammlungen der museen und die ersten zusammenschauen über die entwicklung der europäischen kunst vom altertum bis zum 19. Jahrhundert.94 Während an den universitäten und kunstakademien professoren und dozenten grundlagenarbeit leisteten, organisierten die kunstvereine, die in immer mehr städten gegründet wurden, ausstellungen zeitgenössischer kunst, und das immer regelmäßiger und mit immer größerem erfolg. einen quasi symbolischen höhepunkt dieser immer lebhafteren ausstellungsszene und des wachsenden kunstmarktes bildete die bereits erwähnte Internationale Kunstausstellung, die 1869 im münchener glaspalast (abb. 40) stattfand und dem publikum knapp 4000 kunstwerke präsentierte. das von der bayerischen künstlergenossenschaft organisierte ereignis hatte tatsächlich eine internationale dimension. knapp ein Fünftel der exponate (mehr als 300 Werke) in der abteilung für malerei stammten von französischen künstlern, aber die veranstalter hatten auch künstler anderer nationen eingeladen. die ausstellung war (abgesehen von den Weltausstellungen) in mitteleuropa das erste große ergebnis des internationalen informationsaustausches auf dem gebiet der kunst. in stilgeschichtlicher hinsicht war sie wegen courbets auftritt und der vorstellung der barbizoner schule denkwürdig. bei den ausstellungen wurden nicht nur viele bilder verkauft, auch die eintrittsgelder brachten den veranstaltern beachtliche einnahmen. Für die besucher bedeutete es ein außergewöhnliches erlebnis, so viele bilder aus anderen regionen und ländern zu sehen, al-

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lerdings erschwerten die große zahl der Werke und die enge in den ausstellungsräumen – wie bei vorangegangenen ausstellungen auch wurden die bilder in drei oder vier reihen übereinander „gestapelt“ – die rezeption. dennoch wurde das besuchen von ausstellungen schon bald zur mode und allmählich teil des bürgerlichen lebensstils. durch die schwemme an gemälden und skulpturen aus der künstlergesellschaft, die auch zahlenmäßig schnell wuchs und sich differenzierte und immer mehr Werke „produzierte“, wurden Werbung und anleitung für das publikum unentbehrlich. die zeitungen brachten über Wochen artikel über die Werke, die man in den ausstellungen sehen konnte. die „erziehung“ des publikums und die herausbildung seines geschmacks wurde – unter dem druck der wachsenden zahl von ausstellungen – neben den Fachleuten zunehmend aufgabe jener schriftsteller und Journalisten, die die bildenden künste mochten.95 obwohl informationen zur bildenden kunst bereits in den 1850er Jahren üblich waren, kann man (zumindest in Wien) im grunde erst ab dem ende der 1860er Jahre von einem relativ regelmäßigen kritischen presseecho zu herausragenden ereignissen wie der einweihung eines prachtvollen öffentlichen gebäudes oder der eröffnung einer bedeutenden ausstellung sprechen.96 bei den bürgerlichen lesern gewannen die Rundschauzeitschriften zunehmend an bedeutung, in denen viele reiseberichte über besonders wichtige gebäude und kunstschätze veröffentlicht wurden. die autoren der Gartenlaube (leipzig, ab 1853), von Über Land und Meer (stuttgart, ab 1858) oder Westermanns illustrierte deutsche Monatshefte (braunschweig, ab 1856) schrieben auch für das breitere publikum anspruchsvolle sachartikel mit wissenschaftlich fundierter argumentation. Für einen jungen kunstkritiker, der am anfang seiner laufbahn stand, waren angesehene Fachleute, die die praxis der wissenschaftlichen Forschung und des historischen ansatzes etablierten, wie Johann david passavant, carl schnaase, gustav Friedrich Waagen, Franz Theodor kugler und Wilhelm lübke (abb. 41), vorbilder. die angesehenste Fachzeitschrift war die von carl von lützow (1832–1897) (abb. 42), dem Fachbibliothekar für kunstgeschichte der Wiener akademie der bildenden künste, redigierte, in leipzig herausgegebene Zeitschrift für Bildende Kunst, die ab 1866 erschien. Wilhelm lübke (1826–1893) schrieb im ersten heft einen artikel über die situation und die aufgaben der gegenwartskunst. im einklang mit den klassischen humanistischen idealen betonte er in erster linie die aufgabe der verbesserung von moral und bildung. eine wichtige berufung der kunst sah er in einer „umsichtigen volkspädagogik“.97 professor lübke hat stets großes gewicht auf die vermittlung von kenntnissen gelegt, sein stil war einfacher und verständlicher als der seines kollegen. seine bücher waren seinerzeit kunstgeschichtliche bestseller.98 die kritiken über bildende kunst in der deutschen tagespresse stammten überwiegend von Fachleuten und ihren schülern (gelegentlich von malern), nicht selten aber auch von Feuilletonisten. Für hevesi waren wahrscheinlich diese und die wichtigen zeitungen des süddeutschen raumes am aufschlussreichsten, vor allem die Augsburger Allgemeine Zeitung, die auch in Wien gelesen wurde. diese zeitung gehörte zu den wichtigsten Werkstätten der kulturpublizistik in deutschland und war die schule vieler damaliger „medienpersönlichkeiten“ und Feuilletonisten. die gattung der kultur- oder Wissenschaftsbeilage als informationsforum entstand bei dieser zeitung – und ist bis heute ein wichtiger teil der an die elite gerichteten tagespresse. diese zeitung hatte

41. Wilhelm lÜbke (1826–1893)

42. carl von lÜtzoW (1832–1897)

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im gesamten deutschen sprachraum kulturpolitisches gewicht; zu ihren autoren gehörten die besten Wissenschaftler und Fachleute. ihr kunstkritiker Friedrich pecht (1812–1903) hatte ursprünglich als maler bedeutende künstlerische aufträge in münchen erhalten, wo er ab 1854 die öffentliche meinung auf dem gebiet der bildenden künste dominierte. eine generation später gründete er im alter von 72 Jahren (1885) die kunstzeitschrift Die Kunst für Alle, die sich an eine breite leserschaft richtete.99 pecht leitete die ausgesprochen reichhaltig (als neuerung auch mit Fotos) illustrierte zeitschrift, die der visuellen bildung der bürgerlichen schichten dienen sollte, als chefredakteur. sie wurde schnell populär und vertrat einen konservativen geschmack. bei den berliner zeitungen muss ludwig pietsch (1824–1911), der kritiker der Vossischen Zeitung, gesondert erwähnt werden. Wie pecht begann auch er seine laufbahn als maler, schrieb gut und konnte mit begeisterung bilder analysieren. im Übrigen charakterisierten die meisten deutschen kritiker, die ab den 1850er Jahren jahrzehntelang tätig waren, ein starkes verantwortungsgefühl bezüglich ihrer aufgabe, gründliche kenntnisse, das streben nach Wissenschaftlichkeit und zugleich ein Eros paedagogicus. sie verfolgten die neuesten erkenntnisse der damals im entstehen begriffenen kunstgeschichte. als ziel hatten sie die schaffung einer deutschen bürgerlichen kultur von hohem intellektuellem niveau vor augen, die eng an die elitenkultur anknüpfte, aber auch gefühle auslöste, und in der die künste eine zentrale rolle spielten. eines ihrer wichtigsten Themen war die debatte um die problematik von idealismus und realismus und die Funktion der künste, darüber hinaus beriefen sie sich jedoch häufig auf historische vorbilder. bei allen von ihnen vermischten sich die methoden des historismus und des wissenschaftlichen positivismus auf individuelle art und Weise mit dem humanistisch begründeten Fortschrittsglauben. neben der berliner schule trat schon in den 1850er Jahren ein in politischer hinsicht radikalerer kunsthistoriker, der prager adolf springer (1825–1891), auf den plan, der wegen seiner anti-habsburg-haltung 1849 seine stellung als privatdozent verlor, emigrieren musste und sich zunächst in bonn niederließ.100 schon in sehr jungen Jahren hatte er ein Handbuch der Kunstgeschichte (1855) geschrieben, um schließlich leidenschaftlich die zeitgenössische kunst zu kritisieren (Kunsthistorische Briefe, 1857; Bilder aus der neueren Kunstgeschichte, 1867). die präzise und vielschichtige historisch-kritische kontextualisierung von kunstwerken nach dem vorbild springers war über generationen ein maßstab.101

Die Wiener Szene Wie oben skizziert begann die professionalisierung der kunstgeschichte in europa als erstes in deutschland, doch Wien folgte berlin schon bald.102 die heutige strenge trennung des Fachgebiets in eine österreichische und eine deutsche historiografie ist nachträglich konstruiert und wurde aus der politikgeschichte übernommen. die identität der sprache sowie die identischen künstlerischen ideale und die identische ästhetische Werteordnung stellten eine gemeinsame plattform der kunsthistoriker dar. Wien war eines der regionalen intellektuellen und künstlerischen zentren, das in richtung deutschland sowohl fachlich als auch organisatorisch völlig durchlässig war. carl von

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lützow (1832–1897) war deutscher, er hat in göttingen, münchen und berlin studiert. er ließ sich 1863 in Wien nieder, wo er bibliothekar der akademie der bildenden künste war und gleichzeitig ab 1867 am polytechnikum unterrichtete, um schließlich (1882) professor der akademie zu werden. er lebte bis zu seinem tod in der kaiserstadt und redigierte von dort aus die wichtigste deutsche Fachzeitschrift (die schon mehrmals erwähnte Zeitschrift für bildende Kunst). Jakob von Falke (1825–1897) (abb. 43) war ebenfalls deutscher und ließ sich mit einem deutschen studienabschluss als historiker in Wien nieder (1858), wo er einer der bedeutendsten Forscher und dann direktor des museums für angewandte kunst wurde. er war auch ein begabter populärwissenschaftler (er publizierte viel in der Wiener Zeitung und in Westermanns illustrierten deutschen Monatsheften). auch das design lag ihm am herzen. seine anleitung zur einrichtung einer Wohnung (Die Kunst im Hause, 1871) war ein bestseller in der generation des historismus. von lützow und Falke suchten noch nicht nach speziellen nationalen österreichischen merkmalen in der Wiener kultur und sahen auch keine solchen, für sie war sie eine variante der deutschen kultur. auch die Wiener tageszeitungen und kulturellen zeitschriften brachten regelmäßig analysierende kritiken über alle wichtigen ereignisse der bildenden künste, die sowohl von angesehenen Wissenschaftlern als auch von sehr gebildeten autodidakten unter den kulturbürokraten stammten.103 von den 1850er Jahren an war in Wien rudolf eitelberger (1817–1885) (abb. 44) die führende „medienpersönlichkeit“ in bezug auf die bildenden künste. er setzte nicht nur die professionalisierung der kunstgeschichte vor ort in gang, indem er einen gesonderten lehrstuhl erstritt, sondern nahm durch sein organisationstalent schon vom beginn des Jahrzehnts an entscheidenden einfluss auf praktisch alle bereiche der staatlich-institutionellen kunstpolitik.104 eitelberger wurde in brünn (heute brno, tschechien) geboren, und als er zum Jurastudium nach Wien kam, schloss er sich dem Freundeskreis von Joseph daniel böhm, einem medailleur, der auch an der akademie unterrichtete, an. böhm hielt für seine Freunde regelmäßig vorträge über die objekte der kunstsammlung in seinem zuhause.105 eitelberger fing also als autodidakt an, doch schon seine kritiken, die er in den 1840er Jahren für die Wiener Zeitung geschrieben hat, belegen, dass er gründliche kenntnisse hatte. dank seiner guten beziehungen zu den grafen von Thun wurde er 1847 an die universität Wien berufen. obwohl er 1848 in der presse aktiv war, konnte er seine position behalten. er wurde 1852 zunächst zum außerordentlichen professor ernannt und erhielt 1854 einen eigenständigen lehrstuhl, der in das institut für österreichische geschichte integriert war. eitelberger hatte einen hervorragenden sinn für den ausbau von beziehungsnetzwerken und für die errichtung von institutionen, aber auch für die auswahl der richtigen mitarbeiter und dafür, sie in den neuen institutionen, bei deren errichtung er mitwirkte, in die richtigen positionen einzusetzen. er hatte bis zu seinem tod in nahezu allen bereichen der bildenden künste beträchtlichen einfluss.106 er schrieb viele artikel zu den unterschiedlichsten Themen, die in mehreren tageszeitungen, ja sogar als Flugblätter veröffentlicht wurden. er hat sich zu den bauplänen für die zone der ringstraße geäußert, zusammen mit seinem Freund, dem architekten Ferstel, einen alternativen bebauungsplan erarbeitet, wobei er den bau großer mietskasernen verurteilte. dieser utopische plan war jedoch zum scheitern verurteilt.

43. Jakob von Falke (1825–1897)

44. rudolF eitelberger von edelberg (1817–1885)

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45. albert ilg (1847–1896)

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eitelberger wurde nicht nur zum begründer der sogenannten Wiener schule in der kunstgeschichte, sondern war sein leben lang anhänger des historismus und innerhalb dessen der neorenaissance. als Jurymitglied versuchte er, entscheidungen in diese richtung zu beeinflussen. er war weltoffen und hatte einen breiten horizont, war jedoch kein guter redner und hatte keinen besonders guten stil, was er wiederum durch sein geniales organisationstalent wettmachte. zu seinen verdiensten zählen nicht nur die einrichtung eines lehrstuhls, die gründung des Österreichischen museums für kunst und industrie (heute museum für angewandte kunst) und der kunstgewerbeschule nach englischem vorbild und die erarbeitung der zielsetzungen und der organisation der letzteren, sondern auch die reform der Wiener akademie der bildenden künste (1872). gleichzeitig war er auch in der Wissenschaft sehr aktiv.107 auch im denkmalschutz war er als initiator tätig: er war gründungsmitglied der K. u. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale und beteiligte sich an topografischen arbeiten.108 zusammen mit seinen schülern begann er, (schriftliche) Quellen der kunstgeschichte zu sammeln, und veröffentlichte sie als kritische ausgabe (Quellenschriften zur Kunstgeschichte, 1871–1882), in der er verbindungen zu den bedeutenden ergebnissen des positivismus herstellte. von seinen schülern setzten albert ilg und Julius schlosser die arbeit fort und stärkten dadurch das internationale ansehen der Wiener schule der kunstgeschichte. eitelberger half seinen aus deutschland übergesiedelten kollegen carl von lützow und Jakob von Falke und später seinen begabten schülern moriz Thausing (1838–1884) und albert ilg (1847–1896) (abb. 45) und noch vielen anderen Fachleuten, die bis zu den 1890er Jahren in Wien eine entscheidende rolle bei der gestaltung der Fachpresse und der kunstszene spielten. hevesi kannte sie und ihre schriften, die zweifelsohne auch seine kunstanschauung beeinflusst haben.

Kunstkritik und Musikkritik in Wien

46. august Wilhelm ambros (1816–1876)

der wohl umfangreichste und traditionsreichste zweig der kunstkritik in der Wiener presse aber war bis zur Jahrhundertwende nicht die kritik über die bildende kunst, sondern die musikkritik, deren wichtigste vertreter, der schon früher erwähnte eduard hanslick (1825–1903) und august Wilhelm ambros (1816–1876) (abb. 46), aus prag in die kaiserstadt übergesiedelt waren. beide verfügten über eine umfassende allgemeinbildung und schrieben einen hervorragenden stil. ambros interessierte sich auch sehr für die bildenden künste. im Wien anfang der 1860er Jahre war hinsichtlich der kunstkritik der Feuilletonteil der Wiener Zeitung maßgeblich. dort war eindeutig eitelberger die beherrschende persönlichkeit, die den anderen den Weg bereitete, so anfangs auch eduard hanslick. die ersten Wiener artikel des späteren angesehenen musikwissenschaftlers brachte eitelberger unter, und er war es, der einem leipziger verlag das bahnbrechende Werk hanslicks (Vom Musikalisch-Schönen) empfahl, der es dann 1854 verlegte.109 Worüber die verschiedenen verfasser auch schrieben, zwei kriterien kamen bei allen zur geltung: zum einen die inhaltliche kritik und zum anderen jene aus der deutschen romantik geerbte anforderung, dass eine kritik nur dann der vorstellung eines kunstwerks würdig ist, wenn sie selbst ein kunstwerk ist.

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obwohl Friedrich schlegel diese anforderung zunächst in bezug auf die literaturkritik formuliert hatte („poesie kann nur durch poesie kritisiert werden.“)110, erlangte sie für die verfasser von kritiken in allen kunstgattungen geltung. robert schumann nannte in seinen artikeln in der leipziger Neuen Zeitschrift der Musik ebenfalls die poetisierung der sprache der kritik als ziel.111 seine ansichten über die kunstkritik waren auch für die deutschsprachige prager Jugend der 1840er Jahre mit deutscher identität maßgeblich. die deutschsprachige kultur in prag war ab den 1830er Jahren eng mit der mentalität der deutschen romantik und der deutschen kunstanschauung verbunden, betrachtete deren ästhetisches ideal als ihr eigenes, und zwar nicht nur in der musik. zugleich war für sie auch der einfluss von heinrich heines essays und kunstkritiken von großer bedeutung. die mehrheit der deutschen Jugend in prag, zu der auch der Ästhet robert zimmermann, der historiker Joseph alexander von helfert, Josef bayer (der spätere kunsthistoriker), eduard hanslick und august Wilhelm ambros gehörten, siedelte in den 1840er Jahren, noch vor der revolution nach Wien über und integrierte sich sehr schnell in presse und institutionen der kaiserstadt.112 ihre grundsätze der kritik, also ihre künstlerische praxis, etablierten sie auch in der kaiserstadt. als hevesi die universität in Wien besuchte (1862–1866), war die garde von intellektuellen, über die hanslick in seiner biografie schreibt „… die beamten-laufbahn war eben das Fatum des vormärzlichen Jünglings in Österreich“113, bereits sehr stark. die jungen leute, die sich für die grundsätze des liberalismus begeisterten und gerade ihre erstlingsversuche unternahmen, waren nach 1848 (aufgrund der hinrichtungen) verständlicherweise erschrocken. sie hielten sich zurück, zogen sich aus der politik zurück und steckten ihre energie in ihre hochgradige fachliche spezialisierung. ihr Wissen wurde von der kulturpolitischen elite, die zum teil von aristokraten gelenkt wurde und das reich nach den vorstellungen des bach-kabinetts von oben modernisieren wollte, schon bald dringend gebraucht.114 diese gut informierten und überwiegend begabten jungen intellektuellen waren die nutznießer der von leopold graf von Thun erarbeiteten unterrichtsreformen. die spezialisten, die auf ihrem jeweiligen Fachgebiet ebenfalls erneuern, etwas erschaffen und erreichen wollten, konnten in den 1850er Jahren für die staatliche kaiserliche bürokratie gewonnen werden und hatten in ihrem rahmen die möglichkeit, ihre modernen fachlichen ideen umzusetzen. Für die verbreitung ihrer ideale nutzten sie im bereich der künste die durch relative Freiheit gekennzeichneten Feuilletons der im Übrigen sorgfältig zensierten tageszeitungen (z. b. gustav heider, Joseph alexander von helfert). dieses Wiener bildungsbürgertum, das die kultur organisierte, war nicht allzu zahlreich, sodass es relativ leicht war, alle zu kennen, die dazugehörten. eitelberger unterstützte zum beispiel hanslick, holte Jakob Falke ins museum, rief von lützow nach Wien und verschaffte seinen begabtesten schülern positionen. auch die übrigen universitätsprofessoren hatten ähnliche möglichkeiten. Fast alle interessierten sich für musik. die zeitungskritiker im Wien der 1860er Jahre hatten gerade durch die person ludwig speidels viele verbindungen zur süddeutschen und insbesondere zur bayerischen presse und tagespresse.115 speidel arbeitete ursprünglich bei der Augsburger Allgemeinen Zeitung und war zunächst korrespondent in Wien, bevor er sich endgültig dort niederließ, heiratete und zum Wahlwiener wurde. auch Friedrich pecht (aus münchen) war in den

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1860er und 1870er Jahren häufig in der kaiserstadt und publizierte in Wiener tageszeitungen, beispielsweise eine reihe von analysen der abteilung für malerei der Wiener Weltausstellung (1873) in der Ausstellungszeitung der Neuen Freien Presse. die kunstkritik in Wien und münchen basierte auf derselben ästhetischen Werteordnung. am anfang der professionalisierung des Journalismus war es auch in Wien selbstverständlich, dass die meisten Feuilletonisten viele gattungen bedienten und somit über alle Themen und alle zweige der kunst schrieben, auch wenn sie sich später gegebenenfalls spezialisierten. die musikkritik war die am strengsten spezialisierte gattung, angeführt von dem angesehenen eduard hanslick, der – nachdem er sein berühmtes theoretisches Werk (Vom Musikalisch-Schönen, 1854) geschrieben und damit die musikästhetik des L’art pour l’art ausgearbeitet hatte – bis zu seinem tod (1903) wöchentlich musikkritiken für die tageszeitungen Die Presse und später die Neue Freie Presse schrieb. hanslick muss auch ein großartiger redner gewesen sein: mit seiner faszinierenden vortragsreihe, die er in aristokratischen salons über die geschichte der oper hielt, verzauberte er seine zuhörer. auch der damalige kultur- und unterrichtsminister leo graf von Thun hörte sich die bahnbrechenden vorträge an und gründete in seiner begeisterung einen lehrstuhl (1861) für den musikkritiker, sodass hanslick am weltweit ersten lehrstuhl für musikgeschichte zum professor des Wiener konservatoriums befördert wurde. Über die bedeutenden konzerte und opern schrieb für das Fremden-Blatt ab 1864 ludwig speidel. auch er war ein spezialisierter Fachmann, denn er stammte nicht nur aus einer musikerfamilie, sondern hatte in jungen Jahren selbst musik gemacht und wollte komponist werden. doch seine literarischen ambitionen waren stärker als die musikalischen. hevesi begegnete auch im Pester Lloyd denselben strengen künstlerischen und ästhetischen anforderungen wie in Wien, da in den 1860er und 1870er Jahren der auch als komponist bekannte ambros regelmäßig musikkritiken für das blatt schrieb. nach seinem tod (1876) berichtete der musikkritiker Theodor helm (von Wien) den ungarischen lesern regelmäßig über die musikalischen ereignisse der kaiserstadt. Über die bildende kunst schrieb gelegentlich imre henszlmann (1813–1888), der – wie eitelberger – in böhms Freundeskreis zum Fachmann für kunstgeschichte geworden war und als erster ungar eine professur für kunstgeschichte innehatte (er erhielt 1873 einen lehrstuhl in budapest). als hevesi in den 1860er Jahren in Wien medizin studierte, stammten die kunstkritiken in den tageszeitungen (in erster linie im Feuilleton) von eitelberger, von lützow, Falke sowie gelegentlich Friedrich pecht und emerich ranzoni. die Fachwissenschaft kunstgeschichte war in der professionalisierung begriffen und begann gerade erst, das künstlerische erbe der übrigen regionen der monarchie zu erschließen. außerdem diente sie als ratgeberin für die zeitgenössische architektur und die zeitgenössische angewandte kunst – voller elan, pläne und frischer erfolge. in den 1870er Jahren änderte sich die lage etwas, als im deutschen und österreichischen sprachraum nach dem deutsch-Französischen krieg die speziell für das bildungsbürgertum, das heißt für die intellektuelle elite, herausgegebenen revuen, also die populärwissenschaftlichen zeitschriften, zunehmend an bedeutung gewannen. Die Gegenwart informierte ihre leser, die in solchen publikationen eine wichtige Quelle der bildung sahen, ab 1872, die Deutsche Rundschau ab 1874, Nord und Süd ab 1877 auf hohem

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niveau über ereignisse in den bereichen kultur, literatur, Wissenschaften und künste. darüber hinaus war eines der zuverlässigsten und angesehensten kulturellen Foren auch weiterhin die Allgemeine Zeitung,116 in berlin erfüllte diese Funktion die Vossische Zeitung. in Wien beherrschten seinerzeit vor allem autodidaktische Feuilletonisten mit gutem schreibstil (emerich ranzoni, carl von vincenti) die kunstkritik in den zeitungen, und der überwiegende teil der beiträge befasste sich nach wie vor mit musik und Theater. bis zur mitte der 1880er Jahre bestimmten im grunde die Ästhetik und der stil der generation der speidelschen Feuilletonisten den charakter der tagespresse. der große meister des Feuilletons mit politischen spitzen, in dem es um alltägliches aus dem öffentlichen leben ging, daniel spitzer, schrieb kaum über die bildenden künste. obwohl Themen der zeitgenössischen kunst eher von Journalisten besprochen wurden, verfassten emerich ranzoni,117 der ständige referent für bildende kunst bei der Neuen Freien Presse, balduin groller, hans grasberger und Julius ludassy fachlich immer besser nuancierte kritiken, und ihre namen erschienen gelegentlich auch in der Zeitschrift für bildende Kunst neben denen der studierten Fachleute. carl von lützow oder der jung verstorbene eitelberger-schüler moritz Thausing schrieben nur zu besonderen anlässen tageskritiken ebenso wie ludwig speidel. der andere eitelberger-schüler, albert ilg, wurde erst in den 1880er Jahren als zeitungskritiker aktiv, und zwar als ständiger referent für bildende kunst für Die Presse. nach der Weltausstellung (1873) folgten in Wien etwas ruhigere Jahre, aber der kult um hans makart nahm immer mehr zu, der meister wurde zum liebling der gesellschaftlichen elite der stadt. in den institutionen und in den museen fand die fleißige, aber nicht spektakuläre philologische arbeit statt und die zweite generation der kunsthistoriker (eitelbergers „zöglinge“) bereitete langsam den fachlichen paradigmenwechsel der 1890er Jahre vor. hevesi wurde 1875 erneut teil dieser bunten Wiener presseszene, um innerhalb eines Jahrzehnts vom schüler zum meister zu avancieren, zum meister der ausstellungskritik. er war mit dem Handbuch der Kunstgeschichte (1842) von Franz Theodor kugler (1808– 1858) groß geworden, er hörte die vorlesungen des Ästhetikprofessors robert zimmermann (1824–1898) an der universität Wien und las, neben den früheren klassikern, begeistert Jacob burckhardt (1818–1897).118 seit seiner studentenzeit verfolgte er ständig alle wichtigen deutschen (außerdem die französischen und englischen) Fachzeitschriften.119 er reiste nach münchen, sah in paris die Weltausstellung von 1867 und besuchte ab der mitte der 1860er Jahre sämtliche kunstausstellungen in Wien und in pest. danach besuchte er der reihe nach die galerien und in den „saure-gurken-zeiten“ im sommer und im Frühherbst unternahm er lange studienreisen, am häufigsten nach italien und nach deutschland, um das künstlerische erbe europas, die schätze der museen und der kirchen gründlich kennenzulernen. das verfassen von Theaterkritiken war für ihn herausforderung und arbeit, das von ausstellungsberichten bedeutete genuss und Freude.



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das buch von lionello venturi Storia della critica d’arte/ History of Art Criticism, new york 1936 ist eine enzyklopädische zusammenfassung der kunstgeschichte, Ästhetik und einiger schriften von künstlern, ohne auf die eigentliche zeitungskritik einzugehen. alle anderen Werke analysieren die kunstkritik von kleineren stilperioden oder institutionen. 2 die französische kritische tradition ist am besten aufgearbeitet. das liegt zum teil an der pariszentriertheit der kunstgeschichte in den vergangenen 150 Jahren. ein wissenschaftlich gut fundiertes Werk über die entstehung der französischen kunstkritik wurde 1915 veröffentlicht und behandelt das 18. Jahrhundert. albert dresdner: Die Entstehung der Kunstkritik im Zusammenhang der Geschichte des europäischen Kunstlebens. münchen 1968 (reprint). das beste grundlegende Werk zum thema ist: richard Wrigley: The Origins of French Art Criticism. new york, oxford 1993. 3 die ausführlichste darlegung der theorie hat théophile gautier in der Revue des Deux Mondes veröffentlicht (zit. in elizabeth prettejohn: Beauty and Art. oxford 2005, s. 97. 4 siehe paula gillett: The Victorian Painter’s World. stroud 1990, s. 1–10. 5 es gibt eine sehr umfangreiche literatur zum Feuilleton. so gut wie alle verfasser erwähnen den französischen ursprung der gattung und betonen ihre popularität in deutschland. Während diese leichte und plaudernde journalistische gattung im angelsächsischen raum fehlte, war sie bei schreibenden im deutschen sprachraum sehr beliebt, ja sogar ausgesprochen angesehen. (artikel und essays wurden im Übrigen auch bei den engländern in einem eleganten und allgemein verständlichen stil verfasst.). 6 ruth Jakoby: Das Feuilleton des Journal des débats von 1814 bis 1830. Ein Beitrag zur Literaturdiskussion der Restauration. tübingen 1988. 7 die erste stelle für einen kunstkritiker an einer universität wurde 1799 in göttingen eingerichtet, der erste professor in diesem Fach war Johann domenico Fiorillo, aber einen lehrstuhl gab es noch nicht. 8 die salon-kritiken sind unverzichtbare Quellen, wenn man die französische malerei kennenlernen möchte. es gibt keine Überblicksdarstellung über die gattung und die geschichte der kunstkritik, aber eine vielzahl punktueller teilstudien zur rezeption einzelner künstler. siehe michael r. orwicz (hrsg.): Art Criticism and its Institutions in Nineteenth-century France. manchester, new york 1994. richard Wrigley: The Origins of French Art Criticism: from the Ancien Régime to the Restoration. oxford, new york 1993. 9 Frances haskell: art and the language of politics. Journal of European Studies, 4/1974, s. 215–232. 10 die im Feuilleton des Journal des débats veröffentlichten kritiken waren auch deshalb von ent-

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scheidender bedeutung, weil es die größte leserschaft unter den pariser tageszeitungen hatte: es deckte 35 % des marktes ab. dieser anteil stieg im laufe der Jahre weiter. siehe andré cabanis: La presse sous le Consulat et l’Empire (1799–1814). paris 1975, s. 320–322. 11 selbstverständlich erscheinen auch in den übrigen wichtigen tageszeitungen kritiken, darunter auch im Publiciste (1797–1810), im Journal de Paris und im Mercure de France. Jean-baptiste-bon boutard heiratete die schwester des eigentümers des Journal des débats. so wurde der junge architekt zum kunstkritiker, der dann nichts mehr baute. seine verheimlichten royalistischen sympathien beweist auch im nachhinein der umstand, dass er 1817, zur zeit der bourbonenrestauration, einen hohen posten in dem mit den angelegenheiten der kunst befassten ministerium erhielt. zu diesem zeitpunkt gab er die regelmäßige journalistische tätigkeit auf, schrieb aber von zeit zu zeit auch weiterhin bedeutsame kritiken für das Journal des débats. 12 patricia mainardi: the political origins of modernism. Art Journal, 45/1985, s. 11–17. 13 robert baschet: E. J. Delécluze, témoin de son temps 1781–1863. paris 1942. 14 neil mcWilliam: opinions professionnelles: critique d’art et économie de la culture sous la monarchie de Juillet. Romantisme, 1991, nr. 71, s. 19– 30. 15 neil mcWilliam: presse, journalistes et critiques d’art de 1849 à 1860. Quarante-huit/Quatorze, 1993, nr. 5, s. 53–62, zitiert von dario gamboni: the relative autonomy of art criticism. in: orwicz 1994, s. 191. christopher parsons, martha Ward: A Bibliography of Salon Criticism in Second Empire Paris. cambridge (mass.) 1986. 16 heinrich heine lebte ab 1831 in paris und schrieb von da an kritiken über die gemäldeausstellungen in Frankreich für cottas Allgemeine Zeitung. seine kunstkritiken erschienen zwischen 1833 und 1940 in vier bänden mit dem titel Der Salon. diese bände enthielten jedoch nur zu einem geringen teil tatsächliche kunstkritiken, in Wirklichkeit handelte es sich um eine bunte sammlung von gedichten, erzählungen, essays und umgeschriebenen Feuilletons über theater und musik. 17 henri de saint-simon: Opinions littéraires, philosophiques et industrielles. paris 1825, s. 331. 18 donald d. egbert: the idea of „avant-garde“ in arts and politics. The American Historical Review, 1967. 73. Jg., s. 347. 19 Jan-christoph hauschild, michael Werner: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“. Heinrich Heine. Eine Biographie. berlin 1999, s. 224–229. 20 peter kropotkin: Paroles d’un révolté. paris 1885, s. 58–60. 21 zum einfluss der ideologie der entwicklung (progression) auf die kunst und auf die stile siehe

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paul greenhalgh: The Modern Ideal. The Rise and Collapse of Idealism in the Visual Arts. london 2005, s. 104–109. 22 théophile gautier (1811–1872), dichter und schriftsteller, war ab mitte der 1830er Jahre eine charismatische Figur der pariser künstlerwelt. mehrere hundert seiner gedichte wurden vertont und baudelaire hat ihm seine Blumen des Bösen gewidmet. von 1836 bis 1855 hat er mehr als tausend Feuilletons (oft über themen der bildenden kunst) für die tageszeitung La Presse geschrieben, deren inhaber Émile de girardin war. seine kritiken über die jährlichen ausstellungen des salon und seine kunsttheorie, das L’art pour l’art, hatten einen enormen einfluss. 1856 wurde er redakteur der von arsène houssaye gegründeten kunstzeitschrift L’Artiste. mehrere seiner kritiken über den salon und seine beschreibungen zu den exponaten der malerei bei der ersten pariser Weltausstellung wurden in einem sammelband erneut veröffentlicht: Les Beaux arts en Europe. vol. i. paris 1855. 23 in dieser manier hat er 1867 seinen Führer über die bilder im louvre anlässlich der zweiten pariser Weltausstellung verfasst, der nach seinem tod in fünf bänden veröffentlicht wurde: Guide de l’amateur au musée du Louvre. paris 1882. 24 donald sassoon: Mona Lisa. The History of the World’s most Famous Painting. london 2001, s. 102–126. 25 théophile gautier: Histoire du Romantisme. paris 1874, 1877, 1878. – zuletzt 2016 mit einer einleitung von guido montelupo. 26 patricia mainardi: Art and Politics of the Second Empire. The Universal Expositions of 1855 and 1867. new haven, london 1987, s. 130. 27 sassoon 2001, s. 103. 28 im Jahr der Weltausstellung fand der salon nicht statt, stattdessen gab es die Weltausstellung der bildenden künste (exposition universelle des beaux arts), bei der die französischen Werke überwogen. siehe patricia mainardi: Art and Politics of the Second Empire. The Universal Expositions of 1855 and 1867. new haven, london 1987. 29 später wurde vorgegeben, dass die nationen nur aus den Werken der vorangegangenen zehn Jahre wählen durften. 30 mainardi 1987, s. 39–56. 31 ebd., s. 57–61. 32 ebd., s. 66. 33 hevesi hatte chesneaus buch in seiner bibliothek. 34 diese Weltausstellung hat hevesi im Übrigen schon gesehen, er konnte jedoch noch nicht darüber schreiben. 35 das bedeutet nicht, dass bis zum ersten Weltkrieg nicht noch weitere großangelegte Fresken, gemälde- und skulpturzyklen entstanden, die der staat und die kommunen für öffentliche gebäude beauftragten (wie die malerische ausstattung der pariser sorbonne oder des pantheon). in allen europäischen ländern wurden bibliotheken,

rathäuser und museen oft mit Fresken dekoriert. doch diese Änderung der sichtweise bedeutete lediglich, dass die gattung nicht mehr im mittelpunkt des interesses, auf dem ersten platz der gattungshierarchie der malerei stand. somit verlor sie auch innerhalb der kanonstruktur ihre bedeutung. die aufmerksamkeit verlagerte sich auf die tafelmalerei. 36 einer der wichtigsten verbündeten courbets war der kritiker François Felix Fleury-husson (1821–1889), der unter dem pseudonym Jules champfleury publizierte und schon ab 1848 auf der seite des malers stand. der andere einflussreiche kritikerfreund und verteidiger courbets war Jules antoine castagnary (1830–1888), der liberale kritiker des salon. 37 mainardi 1987, kap. 8: critical theories: the apotheosis of eclecticism, s. 66–72. 38 ebd., s. 163. 39 théophile thoré: Trésors d’art exposés à Manchester en 1857 et provenant des collections royales, des collections publiques et des collections particulières de la Grande-Bretagne par W. Bürger. paris 1857. 40 diese ausstellung hatte hevesi schon gesehen. 41 paula gillett: The Victorian Painter’s World. gloucester 1990, s. 1–17. 42 kate Flint: The Victorians and the Visual Imagination. cambridge 2000. 43 das bedeutet nicht, dass die englische malerei zum beispiel im 18. Jahrhundert keine blütezeit erlebte oder in england keine auch nach internationalen maßstäben herausragenden Werke entstanden. die Förderung der malerei war einfach eine private angelegenheit, die nicht zur staatlichen aufgabe wurde wie bei den Franzosen, sondern aufgabe der zivilgesellschaft blieb. im letzten Jahrzehnt fokussierte die englische Forschung mehr auf die institutionen und das mäzenatentum. dabei stellte sich heraus, dass die kunstfragen in england innerhalb der gesellschaftlichen elite ebenso wichtig waren wie in Frankreich. 44 zum beispiel georg Frederic Watts: The Annals of an Artist’s Life. london 1912. bd. 2, s. 25. 45 hippolyte taine: Notes on England. new york 1872. (reprint new york 1974.), s. 335. hippolyte taine: Lectures on Art. new york 1889, s. 218. 46 das mäzenatentum der britischen aristokratie galt schon zuvor in ganz europa als vorbildlich, und dank ihrer bildung, ihrer offenheit und ihres geschmacks sammelte sie herrliche internationale kunstschätze und gemälde. all das begründete eine kunstkennertradition. 47 die zeitschriften mit den höchsten auflagen, in denen regelmäßig essays, sachartikel und kritiken auch zu themen der bildenden künste veröffentlicht wurden, waren folgende: Athenaeum, Blackwood’s Magazine, Cornhill Magazine, Edinburgh Review, Frazer’s Magazine und Westminster Review. 48 Van Gogh and Britain. exhibition catalogue. tate gallery, 2019.

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bernard denvir: The Early Nineteenth Century: Art, Design, and Society 1789–1852. london, new york 1984, s. 22. 50 Punch. 1845, bd. 7, s. 247, zitiert von denvir 1984, s. 86. 51 der erste band der ersten kunsthistorischen arbeit von John ruskin (1819–1900) mit dem titel Modern Painters erschien 1843, der fünfte band 1856. seine wichtigsten arbeiten zu themen der bildenden künste sind: The Seven Lamps of Architecture. 1847. Stones of Venice. 1851. Lectures on Art. 1870. ab den 1870er Jahren beschäftigten ihn zunehmend gesellschaftsreformerische utopien. sein einfluss auf dem kontinent war ab den 1890er Jahren bedeutsam, als er in verbindung mit dem einfluss des präraffaelitismus die kunstund lebensauffassung verschiedener nationaler schulen des art nouveau befruchtete. (sogar marcel proust war von ihm begeistert.) 52 Whistler gewann 1878 seinen berühmten prozess gegen ruskins (ungerechtfertigte) kritik. ruskin musste jedoch nur einen viertelpenny schadenersatz zahlen, während Whistler infolge des prozesses sein gesamtes vermögen verlor. 53 elizabeth prettejohn: aesthetic value and the professionalization of victorian art criticism, 1837–78. Journal of Victorian Culture, 1997, s. 1–94. 54 zur geschichte der reiseführer siehe nicholas t. parsons: Worth the Detour. A History of the Guidebook. stroud 2007. 55 philip gilbert hamerton (1834–1894) schrieb regelmäßig kritiken für das Cornhill Magazine und das Macmillan’s Magazine, außerdem ab 1865 für die Saturday Review und die Fine Arts Quarterly Review sowie die Pall Mall Gazette. von 1868 bis zu seinem tod war er redakteur und kritiker der von ihm gegründeten monatlich erscheinenden kunstzeitschrift Portfolio. (hevesi hatte mehrere wichtige ausgaben von Portfolio in seiner bibliothek.). 56 philip gilbert hamerton: An Autobiography, 1834– 1858, and a Memoir by his Wife, 1858–1894. london 1897, s. 201. (seine Frau war eugénie hamerton, 1858–1894.). 57 zitiert von kate Flint: The Victorians and the Visual Imagination. cambridge 2000, s. 178–180. 58 philip gilbert hamerton: liber memorialis: on the artistic observation of nature. Art Journal, Jg. 28 (1866), s. 1. 59 F. t. palgrave: Essays on Art – 1866. William rossetti: Fine Art, Chiefly Contemporary – 1867. p. g. hamerton: Contemporary French Painters – 1868. J. b. atkinson: An Art Tour to Northern Capitals. e. g. stephens: French and Flemish Pictures – 1875. 60 es bedürfte einer gesonderten abhandlung, den zuwachs in der Fachliteratur zur kunstgeschichte zu erschließen. hier möchte ich lediglich anmerken, dass sich kunstgeschichte und kunstkritik parallel zu Fachbereichen entwickelt haben. sie mussten aufgrund der natur der sache interna-

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tional und interdisziplinär sein, und ihre vertreter mussten sich außer durch lesen durch ständigen direkten kontakt mit den kunstobjekten und den kunstdenkmälern den sinn für Qualität aneignen, den man nicht definieren kann, der jedoch für einen Fachmann unentbehrlich ist. dass kunsthistoriker und kunstkritiker mehrsprachig waren (sie mindestens fünf bis sechs sprachen sprechen und lesen mussten), verstand sich von selbst. 61 ekkehard mai: Die deutschen Kunstakademien im 19. Jahrhundert: Künstlerausbildung zwischen Tradition und Avant-garde. köln, Wien 2010. 62 die klassische Überblicksdarstellung des themas siehe bei Wilhelm Waetzold: Deutsche Kunsthistoriker. 2 bd. leipzig 1921–1924. 63 das buch des italienischen malers giorgio vasari (1511–1574) über das leben der italienischen künstler war jahrhundertelang die primäre Quelle der kunstgeschichtsschreibung und galt als vollkommen authentisch. es wurde ins deutsche übersetzt. 64 der pionier der englischen kunstkennerpraxis im 18. Jahrhundert war Jonathan richardson (siehe weiter oben). zum kunstkennertum und zu den entscheidenden Änderungen der attribution im 19. Jahrhundert siehe Christopher Hodkinson: A Question of Attribution. Art Connoisseurship in the Nineteenth Century. Wrightington 2014. 65 carl Friedrich von rumohr: italienische Forschungen. berlin 1827. zu rumohrs methodischen neuerungen siehe michael podro: The Critical Historians of Art. new haven 1982, s. 27. 66 beide verfasser haben auch die englischen kunstautoren stark beeinflusst. J. d. passavant: Tour of a German Artist in England. 2 bände london 1836. gustav Waagen: Works of Art and Artists in England. 3 bände london 1838. 67 allein von 1720 bis 1770 wurden 50.000 gemälde und 500.000 radierungen und kupferstiche aus italien, Frankreich und den niederlanden nach england importiert. Frank hermann: The English as Collectors. london 1999, s. 40. infolge der Französischen revolution strömte wieder eine gewaltige menge sehr wertvoller kunstgegenstände nach england, darunter die besten stücke der sogenannten orléans-sammlung. damals war bereits london das zentrum des europäischen kunstmarktes. dadurch haben sehr viele kunstkenner und kunsthändler gründliche praktische kenntnisse der Werke der alten meister erworben. 68 das war die Folge dessen, dass die englischen hochadligen auf ihrer Grand Tour (der mehrjährigen studienreise in italien, die laut georg scharf fester bestandteil der erziehung junger aristokraten war), üblicherweise sehr viele kunstobjekte kauften, die sie mit nach hause nahmen, um ihre schlösser damit einzurichten. siehe lynne Withley: Grand Tours and Cook’s Tours – a History of Leisure Travel 1750–1905. london 1960.

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69 obwohl die hochadligen englischen kunstsammler sehr oft gemälde kauften, deren zuschreibung zu den alten meistern nicht richtig war, war das sammeln in erster linie durch den ästhetischen und den prestigewert motiviert. oftmals handelte es sich um eine bewusste irreführung durch die italienischen oder anderen kunsthändler, doch auch gutgläubige irrtümer waren häufig, da die zuverlässigkeit der zuordnung von dem auf erfahrung basierenden Wissen des einzelnen abhing, da den Fachleuten noch keine modernen technischen mittel zur verfügung standen. 70 gustav Friedrich Waagen: Kunstwerke und Künstler in England. i–iii. berlin 1837–1839. 71 Francis haskell: The Growth in British Art History and its Debt to Europe. london 1988. 72 charles lock eastlake (1793–1865) war ursprünglich maler. er ließ sich 1816 in rom nieder und lebte bis 1830 dort. er war selbst in den vornehmsten intellektuellen salons zu hause und knüpfte hervorragende beziehungen zu englischen aristokraten, die kunst sammelten, und zu der ganzen malerkolonie in rom einschließlich der deutschen maler. nach seiner rückkehr nach london übersetzte er deutsche bücher über kunst ins englische, beispielweise passavants monografie über raffael und Franz kuglers Werk über die geschichte der malerei. außerdem schrieb er selbst viel über malerei. 1843 wurde er zum „keeper“ der national gallery und 1855 zu ihrem direktor, als der er sehr viele bilder für die sammlung erwarb. siehe david robertson: Sir Charles Eastlake and the Victorian Art World. princeton 1978. 73 Johann david passavant: Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi. leipzig 1839. einen auszug hat charles eastlake ins englische übersetzt und in der angesehenen The Quarterly Review veröffentlicht. 74 Francis haskell: Rediscoveries in Art – some Aspects of Taste, Fashion and Collecting in England and France. ithaca 1876. 75 giles Waterfield, Florian illies: Waagen in england. Jahrbuch der Berliner Museen. bd. 37. 1995, s. 47–59. 76 gustav Waagen: Treasures of Art in Great Britain – Being an Account of the Chief Collections of Paintings, Drawings, Sculptures, illuminated MSS etc. london 1854 (ergänzungsband 1857). 77 die Jahre, in denen sich Waagen in england aufhielt und material sammelte, waren 1835, 1850, 1851, 1854, 1856, 1857, 1862 und 1867. 78 siehe elizabeth pergham: Waking the Soul – the Manchester Art Treasures Exhibition of 1857 and the State of the Arts in mid-Victorian Britain. phd thesis. new york 2001. 79 das würde heute etwa 20.000 euro entsprechen; etwa ein drittel davon machten die kosten für die ausstellungshalle aus, die in sechs monaten errichtet wurde.

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christopher hodkinson: A Question of Attribution. Art Connoisseurship in the Nineteenth Century. Wrightington 2014, s. 68–69. 81 ebd., s. 4. 82 der chrystal palace wurde 1851 für die sogenannte great exhibition, also für die erste Weltausstellung, aus eisen und glas von paxton in london errichtet. auch diese ausstellung hatte prinz albert initiiert. sie hatte fünfeinhalb monate geöffnet und zog mehr als sechs millionen besucher an. ihr unmittelbares ergebnis in der Welt der bildenden künste war die gründung des victoria and albert museums im Jahr 1852, das ein vorbild für ganz europa war und die entfaltung des kunstgewerbes in gang gesetzt hat. 83 prinz albert spielte auch insofern eine wichtige rolle, als die englischen aristokraten auf seine ermutigung hin das ausleihen der bilder für die ausstellung nicht ablehnen konnten. großbritannien konnte danach keine ausstellung von vergleichbarer größenordnung und mit so vielen herausragenden meisterwerken mehr veranstalten, umso weniger, als ein teil der bilder in den seither vergangenen eineinhalb Jahrhunderten über den kunsthandel nach amerika gelangt ist, in erster linie in die dortigen sammlungen. 84 Walker art gallery – liverpool, 1873; tate gallery, london, 1897. 85 georg scharf (1820–1895), englischer zeichner und illustrator mit bayerischen Wurzeln, der seine reputation dem umstand zu verdanken hatte, dass er th. b. macaulays buch Lays of Ancient Rome illustriert hatte. er war ein guter redner, in erster linie spezialist für porträts sowie gründer und fast 40 Jahre lang (bis 1895) direktor der national portrait gallery. 86 diese schriften wurden zum kanon und bei der gebildeten elite der leser zum kult; sie zitierte sie und sie dienten ihr als vorbild dafür, wie man kunstwerke interpretiert, wie man das Ästhetische (die schönheit) erlebt. 87 zu diesem prozess siehe Walter benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. bern 1920. 88 siehe zum beispiel heinrich von kleists berühmte schrift über caspar david Friedrichs gemälde Der Mönch am Meer. in: heinrich von kleist, clemens brentano, achim von arnim, verschiedene empfindungen vor einer „seelandschaft von Friedrich, worauf ein kapuziner.“ in: berliner abendblätter, 12. blatt, 13.10.1810, s. 47–48. 89 die hauptstädte der vielen kleinen deutschen staaten und Fürstentümer (z. b. Weimar, dresden und mannheim) waren auch kulturelle zentren. 90 offiziell hieß die organisation genossenschaft der bildenden künstler Wiens. sie wurde 1861 gegründet und ist bis heute tätig. sie war bis 1912 mitglied der allgemeinen deutschen kunstgenossenschaft.

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rudolf schmidt: Das Wiener Künstlerhaus. Eine Chronik 1861–1951. Wien 1951. Wladimir aichelburg: Die Künstlergenossenschaft und ihre Rivalen Secession und Hagenbund (= das Wiener künstlerhaus 1861–2001. bd. 1). Wien 2003. 92 damals schrieben Wissenschaftler und schriftsteller artikel über kunst für die zeitschriften: Grenzboten, Das Deutsche Kunstblatt, Die Dioskuren. 93 das ansehen gustav Waagens (1797–1868) zum beispiel war so groß, dass er nach england eingeladen wurde, um kataloge zu schreiben. er hat auch die erste umfassende historische Überblicksdarstellung über die englische kunst verfasst: gustav Waagen: Works of Art and Artists in England, i– iii. london 1838. gustav Waagen: Treasures of Art in Great Britain – Being an Account of the Chief Collections of Paintings, Drawings, Sculptures, illuminated MSS etc. london 1854 (ergänzungsband 1857). 94 Franz theodor kugler: Handbuch der Kunstgeschichte. stuttgart 1842. 95 Über die kunstkritik in der tagespresse im deutschland des 19. Jahrhunderts gibt es noch kein zusammenfassendes Werk. Wie schon erwähnt ist die gründlichste arbeit zum thema ist dresdner 1915. dresdner schreibt in erster linie über die entstehung der gattung und konzentriert sich auf Frankreich und innerhalb dessen auf die anfänge im 18. Jahrhundert. das buch von lionello venturi (venturi 1936) handelt im grunde die klassiker der kunstgeschichte ab und befasst sich nicht mit der journalistischen praxis. Walter benjamin hat die kunstkritik der deutschen romantik analysiert (benjamin 1978). die deutsche und österreichische kunstkritik der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts wurde nur punktuell aufgearbeitet. die neueste Fachliteratur konzentriert sich entweder auf die anfänge und auf die französische kunstkritik oder auf die krise der kunstkritik in den letzten 30 Jahren sowie auf die dilemmata der heutigen, zeitgenössischen kunstkritik (zur lage der kunstkritik: James elkins: What Happened to Art Criticism? chicago 2003. Kunstforum International, band 221, mai–Juni 2013. siehe auch Walther müller-Jentsch: kunstkritik als literarische gattung. gesellschaftliche bedingungen ihrer entstehung, entfaltung und krise. in: Berliner Journal für Soziologie, Jg. 22, 2012, heft 4, s. 539–568. 96 damals wurden die ersten bedeutenden gebäude der ringstraße fertiggestellt. 97 Wilhelm lübke: die heutige kunst und kunstwissenschaft. Zeitschrift für die bildende Kunst 1. 1866, s. 3–13. 98 Wilhelm lübke: Geschichte der Architektur. leipzig 1855. Grundriß der Kunstgeschichte. stuttgart 1860. 99 Über pecht ist das einzige buch erschienen, in dem die laufbahn eines deutschen kunstkritikers aufgearbeitet wird und das auch eine annotierte liste seiner artikel enthält. michael bringmann:

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Friedrich Pecht (1814–1903), Maßstäbe der deutschen Kunstkritik zwischen 1850 und 1900. berlin 1982. 100 Johannes rößler: anton springer. in: Neue Deutsche Biographie (ndb). band 24. berlin 2010, s. 757– 759. 101 die arbeiten aller genannten deutschen kunsthistoriker standen in hevesis bibliothek. 102 heinrich dilly: Kunstgeschichte als Institution. Studien zur Geschichte einer Disziplin. Frankfurt am main 1979. darüber, wo der erste lehrstuhl für kunstgeschichte errichtet wurde, gibt es unterschiedliche meinungen, da nur die professuren an den philologischen universitäten mitgezählt werden, die an den kunstakademien nicht. deshalb datieren manche den ersten lehrstuhl (in bonn) erst auf 1860. 103 damals wurde die ringstraße ausgebaut (ab 1858 kontinuierlich), aber hevesi dürfte von 1862 bis 1867 wahrscheinlich nur baugruben gesehen haben. die ersten bedeutenden gebäude wurden erst fertiggestellt, als er schon wieder in pest lebte. natürlich reiste er aber auch zu dieser zeit regelmäßig nach Wien. 104 die neueste literatur über eitelberger: matthew rampley: the idea of a scientific discipline: rudolf von eitelberger and the emergence of art history in vienna, 1847–1885. Art History, Jg. 34, heft 1 (2011), s. 54–79. matthew rampley: The Vienna School of Art History. Empire and the Politics of Scholarship, 1847–1918. university park (pennsylvania) 2013. 105 ernő marosi (hrsg.): Die ungarische Kunstgeschichte und die Wiener Schule. collegium hungaricum. Wien 1983. 106 Julius schlosser: die Wiener schule der kunstgeschichte. in: Mitteilungen des Österr. Instituts für Geschichtsforschung. 13/2, 1934, s. 14 ff. edwin lachnit: Die Wiener Schule der Kunstgeschichte und die Kunst ihrer Zeit. Wien, köln, Weimar 2005, s. 11–26. in seinem nachruf für eitelberger sprach hevesi mit großer hochachtung über dessen leistung als organisator und als professor. Fb, 23. april 1885. 107 eitelberger: Gesammelte kunsthistorische Schriften. 4 bände. Wien 1879–1884. 108 rudolf eitelberger mit gustav heider: Mittelalterliche Kunstdenkmale des österreichischen Kaiserstaates. Wien 1858. rudolf eitelberger: Die mittelalterlichen Kunstdenkmale Dalmatiens. Wien 1861. 109 hanslicks buch ist im grunde ein theoretisches manifest für die autonomie der musik, ein basiswerk des musikalischen L’art pour l’art. 110 zitiert von Walter benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. 1919/1920. Frankfurt am main 1978, s. 64. 111 schumann meint sicherlich eine poetisierung der sprache der kunstkritik. siehe in dietmar strauß: vom davidsbund zum ästhetischen manifest. in: dietmar strauß (hrsg.): Eduard Hanslick. Sämtliche Schriften. bd. i. aufsätze und rezensionen 1844–1848. Wien, köln, Weimar 1993, s. 272.

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kunstkritik in europa vor der mitte des 19. Jahrhunderts

zum kreis prager künstler siehe elisabeth springer: Geschichte und Kulturleben der Wiener Ringstraße. Wiesbaden 1979, s. 10–12. eine ausnahme bildet diesbezüglich nur zimmermann, der schon professor an der universität von olmütz (heute olomouc, tschechien) war, als er 1861 einen ruf als professor in Wien bekam. am spätesten (1872) siedelte ambros nach Wien über, aber er war auch zuvor als professor des prager konservatoriums schon viel gereist, um die Quellen für sein hauptwerk zu erforschen, ein fünfbändiges bahnbrechendes Werk über die musikgeschichte. ambros schrieb auch für den Pester Lloyd musikkritiken. 113 eduard hanslick: Aus meinem Leben. kassel 1987, s. 31. 114 die organisatorisch-bürokratische modernisierung des habsburgerreiches vollzog sich im absolutismus (Ära bach), und diese moderne zentralistische organisatorische umgestaltung bestimmte auch später die struktur und den betrieb der einzelnen ministerien. siehe Friedrich Walter:

Die österreichische Zentralverwaltung. bd. 1. die geschichte der ministerien. Wien 1964. 115 ludwig speidel (1830–1906), schriftsteller und kritiker, arbeitete ab 1852 als musikkritiker für die Augsburger Allgemeine Zeitung. von dort wurde er 1853 als korrespondent nach Wien geschickt, wo er sich niederließ und von 1864 bis zu seinem tod Feuilletonredakteur der Neuen Freien Presse war. er war hevesis vorbild. 116 die Allgemeine Zeitung wurde ab 1882 nicht mehr in augsburg, sondern in münchen herausgegeben. 117 ranzoni war der einzige unter den Journalisten, der ursprünglich maler war. 118 hevesi hatte Jakob burckhardts bücher in seiner bibliothek. der kult der renaissance, zu deren anhängern auch hevesi gehörte, wurde durch die frühen bücher burckhardts in ganz mitteleuropa vorherrschend. 119 in hevesis bibliothek waren alle ausgaben der Zeitschrift für bildende Kunst seit der ersten Jahr 1866 vorhanden.

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als hevesi im sommer 1866 in den semesterferien nach hause fuhr und im auftrag der redaktion des Pester Lloyd häufig Beiträge verfasste, fiel die endgültige entscheidung, dass er nicht arzt, sondern Journalist werden würde. obwohl er Wien liebte und sich in der europäischen kultur voll und ganz zu hause fühlte, war der kern seiner identität ungarisch. deren Grundstein wurde in seiner glücklichen kindheit, die er in heves und bei der familie Wohl in Pest verbrachte, und in den von Wissensdurst geprägten Jahren im Gymnasium gelegt. im umfeld von kollegen wie miksa falk, lajos dóczy und adolf Ágai, die den Politikern nahestanden, die den ausgleich vorbereiteten (in erster linie Julius Graf andrássy), und als mitglied des stammtisches im kaffeehaus Kávéforrás [kaffeequelle] konnte er nur ein ungarischer Patriot sein. die familientradition der erinnerung an die revolution von 1848 aus liberaler sicht auf der väterlichen seite wie auf der Wolf-seite bestimmten seine ansichten. dementsprechend gehörte er in Wien zu der Gruppe von ungarn, die begeistere anhänger deáks waren. das bestimmte auch nach 1866 seine politischen ansichten und die von ihm verinnerlichte verpflichtung, dem fortschritt seiner im engeren und im weiteren sinne verstandenen heimat zu dienen. in den letzten Jahren seines lebens beschrieb er in einigen persönlichen erinnerungen mehrmals momente aus diesen in Pest verbrachten Jahren voller optimismus und elan. Zum echten Journalisten und feuilletonisten wurde er in der Werkstatt des Pester Lloyd. Wie er später andeutete, hat er sich die fachkenntnisse in der Praxis, während der arbeit angeeignet.1 nach eigenen angaben hatte er Ágai am meisten zu verdanken, der seinerseits am meisten von albert Pákh, János török und aurél kecskeméthy gelernt hatte. keiner von ihnen war als Belletrist von Bedeutung. Ágai war kein besonderer erzähler aber er war ein genialer Parodist und ein organisationgenie2, das ein literarisches talent nach dem anderen entdeckte und diese bei den von ihm gegründeten Blättern „unterbrachte“. davon wurde Borsszem Jankó [däumling] das wichtigste Witzblatt der Zeit des dualismus.3 auch hevesi wurde mitarbeiter dieses Blattes, man kann jedoch nicht genau feststellen, welche artikel von ihm sind. er schrieb auch für andere Zeitungen, manchmal auch auf ungarisch, zum Beispiel für Ország-Világ [das land und die Welt], Fővárosi Lapok [hauptstädtische Blätter] und die Vasárnapi Ujság [sonntagszeitung].

Die Presse in Pest als ludwig hevesi seine Journalistenlaufbahn begann, war der Beruf noch nicht ausdifferenziert, seine Professionalisierung hatte in der österreichisch-ungarischen monarchie gerade erst begonnen. obwohl sich hevesi von anfang an vor allem für kulturelle Themen interessierte, musste er sich als junger Journalist in vielen Bereichen ausprobieren.

47. rudolf von alt: Blick auf ofen (ausschnitt), ende der 1850er Jahre

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damals waren in ganz europa bereits die Zeitungen die wichtigsten foren der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, ihre Bedeutung nahm im laufe des Jahrhunderts immer weiter zu. neben ihrer informationsfunktion wurde ihre rolle für die meinungsbildung, ja sogar für die Beeinflussung der meinung in vielen Bereichen des öffentlichen lebens immer bedeutsamer. die politische und kulturelle elite der einzelnen länder erkannte schon bald die enormen möglichkeiten der Beeinflussung, die die Presse bot, und bestimmte den rahmen für deren tätigkeit oder zumindest das image einzelner tageszeitungen im sinne ihrer Ziele oder ihrer ideale oftmals von oben. im habsburgerreich und ab 1867 in der österreichisch-ungarischen monarchie wurde die Presse stets von den herrschenden zensiert; sie kontrollierten sie jedoch nicht nur, sondern benutzten sie auch mit großer umsicht. ein gutes Beispiel dafür ist die strategie, die ministerpräsident Gyula (Julius) Graf andrássy in den Jahren des ausgleichs anwandte. er wählte die mitarbeiter seiner Pressestelle sorgfältig aus: er (oder seine vertrauten) wählte von den jungen Bewerbern, die talentiert schienen, diejenigen aus, die in den Blättern der regierung die offizielle Politik kommentierten. es war sogar andrássy, der die Gründung des schon erwähnten ersten ungarischen politischen Witzblattes (Borsszem Jankó) initiierte, da er satire für ein nützliches element einer modernen demokratie hielt, und zwar nicht nur wegen ihrer rolle als ventil zur entladung von spannungen, sondern auch, weil er die mittelbare „volksbildende“ und meinungsbildende funktion der karikatur erkannt hatte. den Pester Lloyd (hevesis erstes redaktionelles Zuhause) hatte die Gesellschaft ungarischer lloyd4 (unter anderem auf die initiative von mór Wodianer, dem ehemaligen vizegouverneur der Österreichischen nationalbank) 1853 gegründet, seine Glanzzeit begann jedoch, als miksa falk5 auf Bitten von Gyula Graf andrássy kurz vor dem ausgleich nach Pest zurückkehrte. im dezember 1867 wurde falk zum chefredakteur der Zeitung ernannt. er stellte der leserschaft sein Programm in drei artikeln vor und betonte dabei, man wolle von konkreten politischen stellungnahmen absehen (nicht zum Parteiorgan werden), sich aber am ausbau des Weges zu freiheit, humanität und Zivilisation beteiligen. die drei aufgelisteten Ziele waren unparteilichkeit, patriotische Gesinnung und die Beförderung des aufschwungs des vaterlandes. der Pester Lloyd war die wichtigste deutschsprachige tageszeitung in ungarn während des dualismus und war immer unerschütterlich für den ausgleich. da sie sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen als auch der politischen ereignisse die wichtigste und zuverlässigste informationsquelle der damals noch überwiegend deutschsprachigen wirtschaftlichen elite war, kann man sie als zweitwichtigste deutschsprachige Zeitung der österreichischungarischen monarchie betrachten.6 aus historischer Perspektive nahmen von den führenden Wiener tageszeitungen Die Presse und später die Neue Freie Presse die Plätze vor dem Pester Lloyd ein, in ungarn aber war – zumindest was das wirtschaftliche leben betraf – der Pester Lloyd das einflussreichste Blatt. er wurde praktisch zur tageszeitung jener elite mit Weitblick in ungarn (also der aristokratie, der Plutokratie sowie der leitenden Persönlichkeiten der Wirtschaft und der führenden Persönlichkeiten des geistigen lebens), die sowohl aufgrund ihrer erziehung und Bildung als auch ihrer möglichkeiten die wichtigsten förderer aller kulturzweige waren. die große redaktion unterstützte stets die ideale des liberalismus und vertrat den standpunkt von 1867. aufgrund ihrer hohen auflage7 (gerade weil sie das beliebteste forum für anzeigen von

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Wirtschaft und handel war) erzielte die Zeitung hohe einnahmen, von denen sie ihre mitarbeiter gut bezahlen und es sich erlauben konnte, ständige korrespondenten in Wien und in Berlin zu beschäftigen und bei besonderen ereignissen mitarbeiter nach Paris oder rom zu entsenden, die dann wochenlang von dort berichteten. nicht nur der politische und der Wirtschaftsteil der Zeitung waren durch Weitblick gekennzeichnet, die redakteure versuchten auch, die besten fachleute aus allen Bereichen der kultur für eine mitarbeit zu gewinnen, um ihre leser „aus erster hand“ über die neuesten errungenschaften und die aktuellen fragestellungen von Wissenschaft und künsten zu informieren. auf diese Weise publizierten angesehene Wissenschaftler (z. B. imre henszlmann, ferenc Pulszky, flóris rómer oder Jenő Péterfy) und berühmte schriftsteller (z. B. mór Jókai) im Pester Lloyd. im feuilleton gab es neben den wissenschaftlichen artikeln eine reihe, die aus fortsetzungsromanen und belletristischen Werken bestand. durch die Übersetzung ins deutsche erreichte man, dass einige Werke ungarischer schriftsteller (József eötvös, mór Jókai, Pál Gyulai oder kálmán mikszáth) in der ganzen monarchie gelesen werden konnten. außerdem wurden auch Werke der Größen aus anderen ländern abgedruckt, unter anderem romane von Zola und turgenjew in deutscher Übersetzung.

Die Anfänge als Feuilletonist die Journalisten des Pester Lloyd waren praktisch zweisprachig. die mehrzahl seiner ständigen mitarbeiter hatte einen universitätsabschluss als Jurist, Philologe oder sogar arzt, sie waren nicht nur auf dem niveau der Zeit außerordentlich gebildet, sondern auch ambitionierte und aufgeschlossene junge menschen, die von Wissenshunger angetrieben wurden.8 ludwig hevesi gehörte zu der glücklichen Generation, die sehr gute möglichkeiten hatte, ihr talent gleich nach der Beendigung des studiums im rahmen einer angemessenen anstellung zu entfalten und für gute Ziele, für die modernisierung und den aufschwung des landes, zu arbeiten. nicht nur er, sondern auch die einige Jahre älteren oder jüngeren mitglieder der Generation, die ende der 1860er Jahre schon als studenten publizierten, machten sich mit schöpferischem elan und beinahe schon unerschütterlichem Glauben an den fortschritt der menschheit an die arbeit, um der leserschaft über die gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen errungenschaften der Zeit zu berichten.9 sie glaubten mit großem idealismus und noch ungebrochenem optimismus daran, dass die nation auf ein sehr hohes kulturelles niveau erhoben werden könne – und müsse – und gedachten der Presse eine außerordentlich wichtige rolle dabei zu. der Pester Lloyd wurde von seinen aufgeschlossenen und europäisch denkenden verfassern ausdrücklich im Geiste des fortschritts und der didaktischen humanistischen ideale redigiert. Bis zur Jahrhundertwende war diese Zeitung im Grunde das gemeinsame forum für die Wissensvermittlung der ungarischen und der in Wien lebenden Journalisten, intellektuellen und Wissenschaftler, zumindest was die verbreitung von kenntnissen über die im weiteren sinne verstandene kultur (einschließlich der naturwissenschaften) betraf. Zugleich machte die Zeitung eine vielzahl typischer Phänomene der Gesellschaft und des stadtlebens sichtbar und sensibilisierte die leserschaft für sie. Beispielsweise waren

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48. ludWiG hevesi: Jelky andrÁs rendkívÜli kalandJai

(die ausserGeWÖhnaBenteuer des andrÁs Jelky), 1872

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die liebevolle humorvolle darstellung der typischen städtischen Berufsgruppen und die literarische konstruktion einer lokalen identität (wie sie damals in den Presseorganen aller europäischen Großstädte zu finden war) sehr wichtige aspekte des feuilletons der Zeitungen der hauptstadt. in den im Plauderton geschriebenen Beiträgen, die ausdrücklich unterhaltsam sein sollten und gelegentlich auch humorvoll waren oder einen ironischen ton anschlugen, brachte der junge hevesi die Beobachtungen eines flaneurs zu Papier. diese Gattung praktizierten außer Ágai auch andere, ihre führenden vertreter im zeitgenössischen Wien waren daniel spitzer und ferdinand kürnberger, aber sie versteckten viel mehr politische aspekte und kritik zwischen den Zeilen als ihre ungarischen kollegen. Ágai und hevesi gingen höchstens bis zur konstruktiven kritik oder bis zum meckern, sie betonten in ihren Beobachtungen die humorvolle seite der akteure und der situationen, menschliche schwäche und fehlbarkeit. hevesi hatte zwei reihen in der Zeitung: die einmal pro Woche erscheinenden Pester Briefe und die Pester Bagatellen, in denen er über gesellschaftliche ereignisse berichtete. außerdem war er der verfasser der in der montagsausgabe veröffentlichten Pester Skizzen, in denen er in ironischen momentaufnahmen missstände aufs korn nahm. seine assoziationen, vergleiche und metaphern zeugen von einer umfangreichen klassischen (lateinisch-griechischen) Bildung, aber auch davon, dass er sich mit den zeitgenössischen politischen und kulturellen ereignissen im ausland auskannte, jedoch bemüht war, die Welt und die missstände, die er immer aufs korn nahm, von ihrer humorvollen seite zu betrachten. die vorliebe für wohlwollende spielerische ironie und Wortspiele wurde zum bleibenden merkmal seines stils. 1876, als er nicht mehr in Pest lebte, wählte er 34 dieser Beiträge aus und veröffentlichte sie unter dem titel Karczképek az ország városából [skizzen aus der stadt des landes].10 er schrieb mit sanfter und niemals beißender ironie über die menschen und über merkwürdige situationen und galt somit unter den Zeitgenossen als humorvoller feuilletonist. ab 1871 beteiligte sich hevesi mit Begeisterung an der redaktion und dem verfassen von Beiträgen für die erste für kinder geschriebene (deutschsprachige) Zeitung in ungarn mit dem titel Kleine Leute (aprónép). der initiator und hevesis Partner war auch hier adolf Ágai, doch hevesi schrieb die Zeitung, zumindest ihre ersten sieben ausgaben, unter dem Pseudonym onkel tom11 schon bald ganz allein12. danach ging dieses gut ausgedachte experiment – wie viele andere Presseorgane – infolge der großen Wirtschaftskrise von 1873 in konkurs. vermutlich die freude an dieser arbeit – die Jugend, die kinder anzusprechen – inspirierte hevesi dazu, ein Jugendbuch zu schreiben, das er 1872 unter dem titel Die Abenteuer des András Jelky (abb. 48) auf deutsch in fortsetzungen im Pester Lloyd veröffentlichte. später erschien das Buch sowohl auf ungarisch als auch auf deutsch.13 die hauptfigur war eine reale Person, die eine deutschsprachige autobiografie hinterlassen hatte, die istván sándor 1791 übersetzt und in Győr herausgegeben hatte. anhand dieser Quellen schrieb hevesi die abenteuergeschichte des schneidergesellen aus Baja, der nach einer Weltreise in madagaskar landete und dort die Wertschätzung der holländer erworben hatte. das pikareske Buch war Jahrzehnte lang eine lieblingslektüre der kinder, die sogar ins finnische übersetzt und ebenso wie in ungarn auch in finnland ein großer erfolg wurde.14 die Zeitgenossen hielten das Buch –mit einiger Übertreibung – für die ungarische robinsongeschichte. es wurde zu hevesis lebzeiten insgesamt achtmal aufgelegt. im Übrigen schrieb er beide versionen, die deutsche und die ungarische, selbst parallel.

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49. das unGarische nationalmuseum

der stammtisch im hinterzimmer des bereits erwähnten kaffeehauses Kávéforrás wurde zum aufenthaltsort der jungen literaten, die den von den Zeitgenossen Ifjú Pest [Jung-Pest] genannten kreis bildeten.15 Zum kern der Gruppe gehörten außer hevesi adolf Ágai, istván toldy, Árpád Újváry, Árpád Berczik, lajos dóczi, Jenő rákosi und János asbóth. eine losere verbindung zu der Gruppe hatten die Älteren, beispielsweise Pál Gyulai, Ágost Greguss, lászló arany, imre szigeti und der noch ältere adolf dux, die in den folgenden zwei Jahrzehnten einflussreiche Persönlichkeiten der ungarischen literatur waren – arany und Gyulai als schriftsteller, szigeti als Theaterkritiker und Jenő rákosi als Journalist, der immer mehr macht erlangte und immer konservativer wurde. der kreis (Jung-Pest) zerfiel nach der schließung der Kávéforrás (1879). vielleicht hatten sich die verbindungen auch vorher schon gelockert, aber die meisten freundschaften blieben bestehen. so kam es, dass János asbóth (abb. 50) hevesi, der bereits seit knapp sieben Jahren in Wien lebte, bat, zu einem Buch, das der ungarischen nationalen „repräsentation“ in deutschland dienen sollte, das kapitel über Budapest zu schreiben.16 der fleißige Journalist wurde auch mitglied einer anderen tischgesellschaft, die sich Betekints társaság [einblick-Gesellschaft] nannte, und zu der die erinnerungen von károly csily als Quelle dienen. laut diesem Werk stand hevesi mit wichtigen Zeitgenossen wie lászló arany, lajos dóczy, József kőrösy (dem späteren direktor des hauptstädtischen statistikamtes), Jenő rákosi, Gábor szarvas und adolf silberstein (Ötvös) (abb. 51) (der später viele kunstkritiken für den Pester Lloyd schrieb) in verbindung. in diesen Jahren hat hevesi auch artikel auf ungarisch für diverse Blätter zu ähnlichen Themen wie für den Pester Lloyd verfasst.17 seine erfrischenden, einfühlsamen und humorvollen feuilletons über Pest und Buda waren beliebt, und wahrscheinlich deshalb erhielt er die anfrage, einen reiseführer über die gerade geeinte stadt Budapest zu schreiben, der 1873 „im auftrag der hauptstädtischen Behörde“ gleich in zwei sprachen, auf ungarisch und auf deutsch, erschien.18 Budapest és környéke [Budapest und umgebung] beschreibt eine hauptstadt, die sich noch im Bau

50. JÁnos asBóth (1845–1911)

51. adolf silBerstein: (1845–1899)

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52. das erste unGarische

nationaltheater

53. die synaGoGe in der dohÁny strasse, BudaPest

befindet. ihr größter teil war erst auf dem reißbrett fertig, und hevesi musste sich vorstellen, wie die zunächst chaotische und überwiegend noch provinziell wirkende betriebsame stadt einige Jahre später aussehen würde, in der es in künstlerischer hinsicht noch ausgesprochen wenig zu sehen gab. im ersten kapitel schreibt er über die historische vergangenheit. als begeisterter autor stellt er nicht nur Pest, Buda und óbuda genau dar, sondern geht allen erdenklichen Plänen und konzeptionen nach und kann seinen lesern so ein abgerundetes Bild der Zukunft der stadt präsentieren. er bezieht jeden erdenklichen Winkel der umgebung der hauptstadt mit ein, ja ordnet mit etwas unverschämter

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Großzügigkeit auch die Badeorte in oberungarn und Wien als „umgebung“ ein.19 natürlich konnte das Buch noch nicht umfangreich sein, es hatte taschenformat und enthielt nur wenige illustrationen; es bestand aus sechs kapiteln, von denen eines praktische informationen enthielt, in dem er sogar die tabakläden mit adressen aufzählte. der erste Budapest-„Baedeker“ war ein erfolg, er wurde dreimal aufgelegt.

Universelles Interesse, aber im Zentrum steht die bildende Kunst dass sich der Journalist, der stolz auf seinen humor war und feuilletonist werden sollte, endgültig und für immer in die malerei verliebte, war der Weltausstellung in Paris von 1867 zu verdanken, die er sich zusammen mit einer ganzen reihe junger österreichischer künstler (z. B. mit dem orientalisten und maler leopold carl müller) mehrmals ansah. seitdem schrieb er mit freude und ehrlicher neugier über alle Zweige der bildenden kunst und betrieb mit ungeduldiger unzufriedenheit die förderung der kunstszene, besonders der malerei, in ungarn. in seinen Pester Jahren (1867–1875) war es neben den fachautoritäten, die hohe Positionen bekleideten, beispielsweise imre henszlmann oder flóris rómer und später Gusztáv keleti, hevesi, der im Pester Lloyd am meisten über die bildende kunst schrieb. Bei seinen wichtigen artikeln, die sich jeweils mit einem Thema befassten, stand von da an vor dem text das monogramm l. h-i. in seiner ersten kritik ging es um eine Bonaventura-Genelli-ausstellung im Wiener kunstverein.20 sein eigentliches debüt auf dem Gebiet der kunstkritik war jedoch seine anspruchsvolle dreiteilige ausstellungsbesprechung der ersten frühjahrsausstellung im Wiener künstlerhaus, die 1869 eröffnet wurde.21 Bei dieser ersten „salonartigen“ ausstellung wurden die neuesten Werke der mitglieder und der eingeladenen künstler ausgestellt. Wegen der teilnehmer von außerhalb Österreichs bezeichnete hevesi die ausstellung zwar als international, aber in der fachliteratur wurde sie später nur Jahresausstellung genannt. die regelmäßigen schauen stellten bis zu den 1890er Jahren den wichtigsten „Bildermarkt“ der österreichischen und deutschen zeitgenössischen malerei dar, sodass Berichte über sie immer wichtiger wurden.

54. miklós yBl: die rÖmisch-katholische kirche in fót 55. die neue kiosk am eliZaBeth PlatZ in BudaPest

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56. das kÖniGliche schloss in GÖdÖllő

im ersten der drei artikel hat hevesi viele interessante statistische daten über die ausgestellten deutschen, französischen und österreichischen meister mitgeteilt und auch die anteile der einzelnen Gattungen (historienmalerei, Porträt, landschaftsmalerei und Genremalerei) festgehalten. es war damals in der monarchie ausgesprochen selten, dass ein kritiker über die Preise der Bilder schrieb.22 mit den theoretischen und ästhetischen fragen der zeitgenössischen malerei setzte sich der junge kritiker erst danach auseinander. er wies auf den niedergang der religiösen malerei und auf die Probleme der historienmalerei hin und äußerte sich auch zu der Gattung des historischen Genrebildes, das gerade in mode war und das in der ausstellung mit zahlreichen Werken vertreten war. dieses erste feuilleton war durch einen ausgeprägten theoretischen ansatz gekennzeichnet, der dem leser als leitfaden zum „lesen“ der Werke diente. eine reihe sehr genauer Bildanalysen enthielten der zweite und der dritte Beitrag, in denen eingestreute anregende feststellungen die aufmerksamkeit des lesers aufrechterhielten. 1870 schrieb hevesi eine sehr gründliche analyse über historische Bilder, die ausgestellten skizzen von Bertalan székely, viktor madarász, mór Than und Gyula Benczúr.23 er urteilte streng, aber wohlwollend und fachgerecht und legte einen hohen maßstab an. von da an schrieb er regelmäßig über die ausstellungen der ungarischen Gesellschaft für bildende kunst (országos magyar képzőművészeti társaság – omkt).24 da er während seines früheren mehrjährigen aufenthalts in Wien häufig antiquitätenläden und antiquariate, museen und kunstsammlungen besucht hatte, kannte er die münchener sammlungen, die Pariser museen und konnte sich dadurch bei der analyse von Bildern auf umfangreichere kenntnisse stützen als seine kollegen. 1872 unternahm er eine große europareise, bei der er nicht nur frankreich, sondern auch Belgien, die niederlande, dänemark und schweden besuchte und natürlich auch die museen nicht ausließ. im selben Jahr fuhr er auch (erstmals) nach Polen.25

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als er über die ausstellungen in Pest schrieb, gehörte es für ihn zu den größten Problemen, dass das (bürgerliche) mäzenatentum fehlte und in der kunstszene wenig passierte. er registrierte regelmäßig, wie viele Bilder bei den ausstellungen des Pester kunstvereins (Pesti műegylet) verkauft wurden, und kritisierte immer heftiger die Gleichgültigkeit des Publikums, das die entfaltung einer szene für bildende kunst in ungarn nicht förderte. so klagte er 1871 darüber, dass außer einigen wenigen aristokraten praktisch niemand Gemälde kaufte. er verglich die situation in Pest mit der in Wien, und zwar, indem er aufzeigte, wie viele Besucher die ausstellungen über bildende künste in einem ganzen Jahr (1870) in Pest anziehen konnten (7300) und wie viele menschen 1871 innerhalb einer Woche das Wiener künstlerhaus besuchten (10.000). dem fügte er noch die schockierende angabe der für die verkauften Bilder erhaltenen Beträge hinzu: in Pest 3070 forint, in Wien 80.000 Gulden.26 diese wenigen angaben zeigen deutlich, auf welchem niveau sich die kunstszene in der ungarischen hauptstadt nach dem ausgleich befand, wie der kunstmarkt aussah und was alles noch geschaffen werden musste, damit die großangelegte ausstellung im millenniumsjahr 25 Jahre später stattfinden konnte. hevesi hat als junger kritiker alles dafür getan, die kultur der bildenden kunst in seiner Zeitung zu verbreiten, das Publikum anzuregen und die Besucher anzuleiten. später, als er nach Wien übersiedelt war, widmete er den ungarischen malern und Bildhauern bei jeder ausstellung besondere aufmerksamkeit und betonte stets, was für eine große leistung es war, aus den bescheidenen anfängen in 40 Jahren eine lebhafte kunstszene zu schaffen, wie sie in Budapest um 1900 tatsächlich existierte.27 da ihn auch die architektur sehr interessierte, beobachtete er mit Begeisterung, wie die neue hauptstadt im eiltempo erbaut wurde.28 Wenn ein wichtiges Gebäude eingeweiht wurde, schrieb er darüber.29 aufgrund dieser artikel dürfte er den auftrag erhalten haben, den weiter oben bereits erwähnten reiseführer über die vereinte hauptstadt Budapest zu schreiben. er hatte das Glück, in jungen Jahren sowohl in Wien als auch in Budapest Zeuge der enormen erweiterung der städte und ihres ausbaus in einem nie dagewesenen umfang zu sein. in der kaiserstadt erlebte er den Bau der ringstraße, in Budapest die Wandlung des vereinten Budapest zu einer modernen hauptstadt (und Großstadt). er sah in dieser urbanisierung und modernisierung einen sieg der Zivilisation. dennoch kritisierte er die architektur und einzelne lösungen des „neorenaissance“-stils stark, den er im Übrigen sehr mochte und anerkannte. (er machte sich zum Beispiel über die tiefen und plastischen Ädikulä lustig, die die fenster rahmten, da sie im alltag keinen praktischen nutzen hatten.30) obwohl bei der Wiener Weltausstellung nicht hevesi, sondern ein vielversprechender und vorwärtsdrängender Journalist, der noch jüngere max nordau31 (abb. 57), von der redaktion der Zeitung als ständiger Berichterstatter entsandt wurde, konnte hevesi zwei feuilletons über die exponate und die ungarischen Gemälde schreiben.32 von den übrigen kritikern unterschied ihn, dass er auch die arrivierten meister hart kritisierte, wenn er ein Werk nicht für gut genug hielt (z. B. ein Bild von mór Than), aber die Bilder von malern, die zum ersten mal ausstellten (lászló Paál, tina Blau), aufmerksam analysierte und lobte und sie ermutigte, wenn er sie für gut hielt.33 er scheute sich nicht, unbekannte talente oder meister aufzuspüren, die übergangen wurden und am rande der künstlerszene standen, und war bemüht, sie in den mainstream der kunst zu integrieren. so war er der erste, der eine sehr positive und anerkennende kritik über den karikaturisten Wilhelm Busch

57. max nordau (1848–1923)

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58. halle der Bildenden kunst aus unGarn auf der Wiener WeltausstellunG, 1873

schrieb, und zwar über ein Büchlein mit dem titel Kritik des Herzens, wobei er den Zeichenkünstler für besser hielt als den schriftsteller Busch.34 natürlich waren ihm die Gattung der karikatur und überhaupt die Position der Zeitungsillustrationen schon wegen seines mitwirkens am Borsszem Jankó (däumling) wichtig. in seiner Bibliothek standen nicht nur alle nummern des Blattes, sondern auch die wichtigsten Wiener und Pariser satirischen Blätter. auch darin unterschied er sich von allen anderen zeitgenössischen kunstkritikern.

Die „Nabelschnur“: die Artikel über die ungarische Kunst nach seiner Übersiedlung nach Wien konnte hevesi die kulturszene in Pest natürlich nicht mehr tagesaktuell beobachten, doch bei wichtigeren ereignissen fuhr er nach hause. er schrieb für den Pester Lloyd noch jahrzehntelang ausführliche kritiken über die eine oder andere wichtige kunstausstellung in Pest. Beispielsweise hat er in vier Beiträgen über die eröffnung der kunsthalle (műcsarnok) in der radialstraße und die dort ausgestellten Bilder berichtet.35 er schrieb auch über die neu aufgestellten skulpturen auf öffentlichen Plätzen.36 auch der maler Gusztáv keleti, der direktor der ungarischen modellzeichenschule (országos mintarajziskola), schrieb für den Pester Lloyd, vor allem über die sogenannten sensationsbilder, also unter anderem über die Werke von makart und munkácsy. hevesi hat auch später in Wien versucht, möglichst viele positive Beurteilungen über die ungarischen künstler zu verfassen und das abwertende Bild, das durch eine romantische sichtweise auf sie entstand, und das die „Bewohner der Puszta“ mit einem hauch von komik darstellte, zu korrigieren. dazu hatte er gewöhnlich nur dann Gelegenheit, wenn bei den ausstellungen im künstlerhaus auch ungarische künstler vertreten waren37 oder in der jährlichen frühjahrsausstellung einige ungarische Bilder zu sehen waren38 (z. B. die Werke von mészöly, Benczúr und Árpád feszty oder nach 1900 von

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59. die kunsthalle in suGÁr / andrÁssy strasse, 1877,

fülöp lászló).39 Über munkácsy hat er immer mit anerkennung geschrieben; er hielt ihn für einen der größten zeitgenössischen maler.40 1885 schrieb hevesi für das Fremden-Blatt über die landesausstellung in Budapest41 und 1896 kritiken über die millenniumsausstellung.42 nach dem vorbild seiner Beiträge übernahm in den 1880er Jahren adolf silberstein die Besprechung der ausstellungen der ungarischen Gesellschaft für bildende kunst in der kunsthalle für den Pester Lloyd, über die Wiener kunstszene aber schrieb hevesi bis zu seinem tod selbst. im rahmen seiner artikel über die internationalen ausstellungen in Wien, münchen und venedig berichtete er in beiden Blättern regelmäßig auch über die auftritte ungarischer künstler im ausland, im Pester Lloyd häufiger und im Fremden-Blatt seltener. ab dem ende der 1860er Jahre verfolgte er regelmäßig die entwicklung der ungarischen malerei und ab den 1880er Jahren betonte er stets, was für eine beachtliche leistung es sei, dass es den ungarn gelungen sei, innerhalb einer Generation eine vielschichtige und hochwertige repräsentative kunst zu schaffen und innerhalb der Zivilgesellschaft Wertschätzung für die visuelle kultur zu erreichen und einen kunstmarkt zu etablieren. Zum schluss widmete er den kämpfen um die Wiener secession so viel aufmerksamkeit, dass er die ereignisse in Budapest nicht mehr ununterbrochen verfolgen konnte. er befasste sich auch dann noch mit jedem auftritt von ungarn in Wien und im übrigen ausland, war auch nach 1897 in der ungarischen szene zu hause und bezog die ungarischen Zeitschriften im abonnement, sogar die allerneuesten (z. B. standen in seiner Bibliothek auch die von károly lyka redigierte Művészet [kunst] und A Ház [das haus]).

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60. rudolf von alt: der franZ-Josefs-kai in BudaPest, 1873

trotzdem hatte er selten Gelegenheit, die leistungen der ungarischen kunst ausführlich zu analysieren. eine davon war eine sonderausgabe von 1902 mit dem titel Ars Nova, die nicht nur auf deutsch in Wien, sondern auch auf ungarisch in Budapest erschien.43 das Bildmaterial dieses heftes hat nicht er, sondern felician myrbach, der direktor der Wiener kunstgewerbeschule, ausgewählt, der die ausstellungen ganz europas 1901 gesehen hatte. unter den ausgewählten künstlern waren auch vier ungarische maler: károly ferenczy, lászló hegedűs, fülöp lászló und tivadar Zemplényi. hevesi hat in 20 spalten die wichtigen ereignisse der bildenden kunst in europa im Jahr 1901 zusammengefasst. neben der Biennale in venedig, der ausstellung Ein Dokument deutscher Kunst in darmstadt sowie den ausstellungen in Paris, london, münchen, dresden und Wien widmete er den leistungen der ungarischen kunst drei seiten. dabei nannte er fast nur die für ihn positiven Bestrebungen auf den verschiedenen Gebieten – von der architektur über die malerei bis zum kunstgewerbe. er versuchte begeistert, „Werbung“ für die im frühjahr 1903 im salon Pisko veranstaltete ausstellung moderner ungarischer kunst zu machen.44 einen tag vor ihrer eröffnung schrieb er eine sorgfältige analyse für das Fremden-Blatt,45 die sicherlich auch franz Joseph gelesen hatte, denn er besuchte am mittag des nächsten tages die ausstellung, obwohl sie nicht von einer offiziellen österreichischen kulturellen einrichtung, sondern von einer privaten Galerie, also einer kunsthandlung, organisiert wurde. das war eine absolute ausnahme, die gegen alle protokollarischen regeln verstieß und somit mittelbar belegt, dass franz Joseph den Besuch tatsächlich als freundschaftliche Geste gegenüber den ungarn gemeint hat und ihn die malerei wirklich interessierte. Bei seinem mehr als halbstündigen Besuch sah er sich alle Bilder an und unterhielt sich mit den anwesenden künstlern auf ungarisch. das gut ausgewählte und schöne Bildmaterial fand in Wien sonst kaum resonanz (die maler verkauften kein einziges Bild und die Presse nahm praktisch keine notiz von dem ereignis). das ist vor allem der krise in der ungarisch-österreichischen Politik zuzuschreiben, aber auch dem umstand, dass im frühjahr 1903 in Wien angeblich 21 kunstausstellungen stattfanden, das angebot also zu groß war.46 von den Bildern moderner ungarischer maler hob hevesi vor allem die von ferenczy, vaszary und kernstok und magyar mannheimer hervor, von den Werken der Bildhauer die von antal ligeti, der eine kleinere variante der statue des anonymus ausstellte (siehe über diese ausstellung in einem späteren kapitel). die franklin-Gesellschaft (franklin társulat) startete 1904 eine neue reihe zur bildenden kunst, in der die Gemälde mittels der modernsten farbdrucktechnik der Zeit

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abgedruckt wurden. die reihe hieß Moderne Maler (modern festök) und versprach den käufern im untertitel „Werke ungarischer und ausländischer künstler in den originalfarben mit erläuternden texten“, also reproduktionen in bis dahin nicht dagewesener originaltreue. der lektor der reihe war kein Geringerer als die fachautorität Gábor térey, abteilungsleiter der landesbildergalerie (országos képtár). die reproduktionen erschienen monatlich, zum Jahresende bestand das album aus 72 Bildern, die einzeln auf schwarzen, das heißt dunkelgrauen, karton aufgeklebt waren und denen jeweils eine seite Begleittext von einem namhaften zeitgenössischen kritiker vorausging. vermutlich stellte térey die liste der maler zusammen und beauftragte die kritiker mit der abfassung der Begleittexte. er schrieb in der reihe über alle zwölf ungarischen maler47. die Begleittexte zu den Bildern der österreichischen maler stammen von ludwig hevesi. es ist erstaunlich, wie gut der kritiker, der damals schon seit 29 Jahren in Wien lebte, noch ungarisch konnte. im ersten Jahrgang veröffentlichte er fünf mini-künstlerporträts, und das Besondere daran ist, dass keiner der maler mitglied der Wiener secession war. der bedeutendste meister war der damals bereits 92-jährige rudolf von alt, der wichtigste aquarellist der kaiserstadt. ein anderer großer name ist der von Giovanni segantini, der, obwohl ihn die Wiener damals als Österreicher betrachteten, tatsächlich aber italiener war. darüber hinaus verfasste hevesi Porträts von den drei heute nahezu in vergessenheit geratenen kleinmeistern hugo darnaut, Walter hampel und robert schiff. von ihnen ist heute noch hugo darnaut, der seine laufbahn in dem kreis um emil Jakob schindler begann und sich nie vom stil der landschaftsmalerei der 1880er Jahre löste, am bekanntesten. die beiden anderen meister gehörten dem kunstverein hagenbund an. die vorzustellenden österreichischen meister hat vermutlich nicht hevesi ausgewählt, denn er hätte Gustav klimt, emil schindler oder auch carl moll sicher nicht ausgelassen. der umfang der essays spiegelt genau die Präferenzen des kritikers wider: am längsten ist der über rudolf von alt, der über segantini ist kaum kürzer, am kürzesten ist der über Walter hampel. Weshalb diese Bilder ausgewählt wurden – und warum das Bildmaterial des ganzen Bandes gerade so ist, wie es ist –, welches die auswahlkriterien waren, bleibt ein rätsel. in den Jahren um die Jahrhundertwende schrieb Gábor térey48 im Pester Lloyd die professionellsten ausstellungskritiken über die Pester kunstszene. außer ihm war auch der feuilletonredakteur und Theaterkritiker max rothauser als „mädchen für alles, was kultur ist“, also kritiker für bildende kunst, tätig, was zeigt, dass die Professionalisierung auch in Budapest noch nicht abgeschlossen war. die nichtprofessionellen kritiker des Pester Lloyd, das heißt diejenigen, die nicht kunstgeschichte studiert hatten, schrieben ebenfalls nicht schlecht, ja, sie hatten manchmal sogar einen besseren, unterhaltsameren stil als die experten. das ist unter anderem der vorbildfunktion hevesis zu verdanken, denn aus seinen Beiträgen konnten sie viel darüber lernen, wie man Bilder analysiert. ab 1905 begannen allerdings auch die Pester Journalisten, die kunst immer mehr zu ideologisieren, und zeigten nicht selten aufgezwungene Bezüge zwischen ideologien, Politik und kunst auf. nach 1906 hielt sich hevesi – seinen schriften zufolge – wieder öfter in Pest auf. in seinen letzten Jahren entstanden die feuilletons über die Werke rudolf von alts mit ungarischen Themen,49 außerdem sein begeisterter Beitrag über eine der bedeutendsten Privatsammlungen in Budapest, die ernst-sammlung.50 sie erschienen alle im Pester Lloyd, im Fremden-Blatt war damals schon kein Platz mehr für kulturelle ungarische The-

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men. auch eine der letzten schriften hevesis hatte ein ungarisches Thema: es handelt sich um eine kurze Besprechung der ausstellung kéve [Garbe] in seiner ständigen kritikerrubrik in Kunst und Kunsthandwerk.51

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von seinen lehrjahren hat hevesi am meisten in der Besprechung der nekrolog-anthologie von adolf Ágai verraten: staub und asche. Pl, 27. februar 1892. 2 adolf Ágai (ursprünglich rosenzweig, 1836–1916) war ein entfernter verwandter hevesis, der 1863 in Wien sein medizinstudium abschloss, aber nie praktizierte, sondern stattdessen ein sehr produktiver feuilletonist und organisator der literatur wurde, indem er Blätter gründete. er verwendete viele Pseudonyme (csicseribors, forgó bácsi oder Porzó [etwa: kicher-Pfeffer, onkel forgó, Bestäuber]. er gehörte zur stammbelegschaft des Pester Lloyd. von bleibendem Wert ist vor allem seine sammlung von feuilletons über die ungarische hauptstadt mit dem titel Utazás Pestről Budapestre [reise von Pest nach Budapest] (1897). die von leichtem humor geprägten stücke ähneln hevesis frühen artikeln; es handelt sich um momentaufnahmen der entstehung einer Großstadt. 3 Géza Buzinkay: Borsszem Jankó és társai [däumling und ähnliche Blätter]. Budapest 1983. 4 hedvig ujvári: die Geschichte des Pester lloyd zwischen 1854–1875. Magyar Könyvszemle. 117, 2001, s. 189–203. 5 miksa falk (1828–1908), Jurist und Journalist. von 1867 bis 1906 war er chefredakteur des Pester Lloyd. er schrieb selbst viele leitartikel für die Zeitung und hat als kaiserin elisabeths sprachlehrer für ungarisch bestimmt dazu beigetragen, dass sicherlich dazu beigetragen, dass sich seine schülerin kaiserin elisabeth immer mehr für die ungarische Politik interessierte. siehe Gotthard B. schicker: der falk der königin. – exkurs über den chefredakteur des Pester lloyd und vertrauten der ungarischen königin elisabeth, dr. maximilian falk. Pester lloyd 2004. http://www.pesterlloyd.net/html/2004schickergfalkderkoenigin.html. 6 edith Walter: Österreichische Tageszeitungen der Jahrhundertwende. Wien, köln, Weimar 1994, s. 44. 7 Bis zur Jahrhundertwende hatte der Pester Lloyd doppelt so viele abonnenten wie die ungarische tageszeitung mit der höchsten auflage. auch das zeigt, was für eine enorm wichtige rolle (die bis heute nicht wissenschaftlich aufgearbeitet ist) er bei der Gestaltung aller Bereiche des lebens gespielt hat. 8 Bis zur Jahrhundertwende hatten die meisten autoren mit universitätsabschluss außer der universität in Pest auch mehrere deutsche universitäten besucht oder dort ihren abschluss oder ihren doktor gemacht (z. B. Bernát alexander und József Bánóczi). andrás Balogh: Studien zur deutschen Literatur Südosteuropas. cluj-napoca, heidelberg 2010, s. 93–104.

9 Zum Beispiel: adolf Ötvös silberstein (1845– 1899) und max nordau, das heißt simon maximilian südfeld (1849–1923). 10 im vorwort des Buches nennt er Budapest als hauptperson der 34 feuilletonbeiträge. aus der charakterschilderung der stadt in form von geistreichen Gegensatzpaaren ist ersichtlich, wie sehr sie ihm ans herz gewachsen war. diese auswahl hat die stadthistorikerin noémi saly 2015 mit einer einleitenden abhandlung erneut herausgegeben. (die ironie des titels ist ein hinweis darauf, dass ungarn nur eine wirkliche stadt hat!) 11 den namen wählte er nach dem des schwarzen erzählers onkel tom in dem weltberühmten amerikanischen roman von harriet Beecher stowe, Onkel Toms Hütte. 12 siehe noémi saly: ember szólt itt emberhez [hier hat der mensch zum menschen gesprochen]. in: lajos hevesi: Karcképek az ország városából [skizzen aus der stadt des landes]. Budapest 2015, s. 309. 13 der originaltitel des Buches lautet: Jelky András bajai fiu rendkívüli kalandjai ötödfél világrészben. Történeti kútforrások alapján. Magyar népkönyv különös tekintettel a serdültebb ifjúságra [die außergewöhnlichen abenteuer des Jungen andrás Jelky aus Baja in fünfeinhalb erdteilen. anhand historischer Quellen. ungarisches volksbuch unter besonderer Berücksichtigung der reiferen Jugend]. Pest 1872. (mit illustrationen von Gusztáv morelli). 14 im 19. Jahrhundert gab es außerdem noch Übersetzungen ins tschechische, ins Polnische, ins niederländische und in esperanto. 15 Prof J. deutsch: die kaffeequelle. Pl, nr. 120. mai 1879. 16 Johann von asbóth: Das moderne Ungarn. Berlin 1883, s. 354–367. 17 er hat für folgende Blätter geschrieben: Bolond Miska [verrückter michel], Egyenlőség [Gleichheit], Fővárosi Lapok [hauptstädtische Blätter], Házibarát [hausfreund], Képes Családi Lapok [illustriertes familienblatt], Képes Világ [illustrierte Welt], Magyar Bazár [ungarischer Basar], Magyar Iparművészet [ungarische angewandte kunst], Magyarország és a Nagyvilág [ungarn und die große weite Welt], Nefelejts [vergissmeinnicht], Szépirodalmi Csarnok [halle der Belletristik], Népszava [Wort des volkes], Ország-Világ [die ganze Welt], Vasárnapi Ujság [sonntagszeitung]. (siehe Éva lakatos: Magyar irodalmi folyóiratok. Repertórium. i–xv. [ungarische literarische Zeitschriften. repertorium]. Budapest 1972–2000. 18 lajos hevesi: Budapest és környéke [Budapest und umgebung]. Budapest 1873. der reiseführer war

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dank eines neuen und aktuellen stadtplans sehr nützlich. ausschnitte aus dem text mit einer einleitung von Béla fodor finden sich in lajos hevesi: Budapest és környéke. 1873 [Budapest und umgebung. 1873] (auszüge) Budapesti Negyed, 12. Jg., 2004/3, nr. 45, s. 57–75. 19 Zum Beispiel: magyar felföld [ungarisches oberland], tátra-füred [heute starý smokovec, slowakei]) und schließlich Wien. 20 die Genelli-ausstellung. Pl, 15. april 1869. 21 die erste internationale kunstausstellung im künstlerhause zu Wien, i. Pl, 22. april 1869. die erste internationale kunstausstellung im künstlerhause zu Wien, ii. Pl, 23. april 1869. die erste internationale kunstausstellung im künstlerhause zu Wien, iii. 24. april 1869. 22 möglicherweise war der anlass für den statistischen aspekt auch der umstand, dass zu seinen Pester freunden auch berühmte statistiker gehörten. viele seiner Pester skizzen enthalten statistische angaben, mit denen er manchmal eine erstaunliche Wirkung erzielte und die leser zum nachdenken anregte. 23 die historischen skizzen im nationalmuseum. Pl, 18. mai 1870. 24 kunstausstellung. Pl, 13. Januar 1872. kunstausstellung. Pl, 13. april 1872. malerei. neue Bilder von karl lotz und Géza mészöly. Pl, 12. Juli 1872. kunstausstellung i. Pl, 17. november 1872. kunstausstellung ii. Pl, 22. november 1872. 25 er hat kein tagebuch hinterlassen, aber aus seinen veröffentlichten reisebeschreibungen geht hervor, dass er seit der mitte der 1860er Jahre leidenschaftlich reiste. 1873 fuhr er nach italien, 1875 die mittelmeerküste entlang und dann wieder nach rom. Über seine reisen veröffentlichte er in anderen Blättern auch Berichte auf ungarisch, beispielsweise in der Reform, in der Vasárnapi Ujság [sonntagszeitung] und in den Fővárosi Lapok [hauptstädtische Blätter]. 26 kunstausstellung. Pl, 26. april 1871. 27 ilona sármány: hevesi lajos tárcái a magyar festészetről az 1888–1896 közötti időszakban [lajos hevesis feuilletons über die ungarische malerei von 1888 bis 1896]. Ars Hungarica. 1990, 18. Jg., s. 235–239. 28 Zur umgestaltung Pestofens – ein konkurrenzplan. Pl, 8. dezember 1871. 29 Zum Beispiel: ein Gang durch das Pestofen der Zukunft. Pl, 5. november 1871. Zur umgestaltung Pestofens – ein konkurrenzplan. Pl, 7. dezember 1871. 30 siehe sugárúti vázlatok [skizzen von der radialstraße]. in: hevesi 2005, s. 247–131. 31 max nordau (1848 –1923), der auch medizin studierte, wurde nicht nur arzt, sondern auch ein wichtiger und einflussreicher schriftsteller. er hat später eine öffentlichkeitswirksame karriere in Berlin und Paris gemacht. sein damals viel aufsehen erregendes Buch Entartung (1892) war eine frühe kritik der moderne. 32 allerlei kunst. Buntes aus der ungarischen abtheilung. Pl, 23. august 1873. ungarische kunst auf der Weltausstellung. Pl, 24. august 1873.

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aus der kunstausstellung. Pl, 10. Januar 1873. Busch. Pl, 24. februar 1875. 35 aus dem künstlerhause, i. (Budapester műcsarnok). Pl, 30. november 1877. aus dem künstlerhause, ii. Pl, 2. dezember 1877. aus dem künstlerhause, iii. Pl, 4. dezember 1877. aus dem künstlerhause, iv. (schluß). Pl, 6. dezember 1877. 36 nikolaus izsó. Pl, 29. mai 1875. das széchenyi denkmal. Pl, 24. mai 1880. vom deák monument. Pl, 1. oktober 1881. 37 das waren die internationalen ausstellungen von 1883, 1888, 1894, und 1898. 38 siehe ilona sármány-Parsons: das Wiener künstlerhaus und die ungarische kunst im Zeitalter kaiser franz Josephs. in: Peter Bogner, richard kurdiovsky (hrsg.): Das Wiener Künstlerhaus. Kunst und Institution. Johannes stoll. Wien 2015, s. 355–367. 39 Jahresausstellung. fB, 28. märz 1897 (über Benczúr). ungarische kunst in venedig. Pl, 7. mai 1901. ungarische kunst in Wien. Pl, 9. april 1903. 40 munkácsy’s milton – künstlerhaus. fB, 9. Januar 1879. munkácsy’s „christus vor Pilatus“ (ausgestellt im künstlerhause). fB, 1. Januar 1882. 41 von der ungarischen landesausstellung. die kunsthalle. fB, 12. mai 1885. ausstellungsleben in Budapest fB, 17. mai 1885. ungarische hausindustrie. fB, 20. mai 1885. 42 millennium kunstausstellung i. fB, nr. 185, Juni 1896; millennium kunstausstellung ii. fB, 12. Juli 1896. 43 Ars Nova. Wien, Budapest 1902. den einband und die grafische dekoration hat kolo moser entworfen. hevesi hebt hier (auch wenn dieser in dem Band nicht mit einem Bild vertreten ist) mednyánszky als frühen vertreter der internationalen stimmungsmalerei hervor (s. 9). außerdem betont er die Bedeutung von Árpád feszty, károly kernstock und adolf fényes. 44 ungarische kunst in Wien. Pl, 9. april 1903. 45 ungarische künstler in Wien (salon Pisko). fB, 8. april 1903. 46 ilona sármány-Parsons: a modern magyar festők első kiállítása Bécsben [die erste ausstellung der modernen ungarischen maler in Wien]. in: istván Bardoly, lászló Jurecskó und György sümegi (hrsg.): „A feledés árja alól új földeket hódítok vissza“. Írások Tímár Árpád tiszteletére [„aus dem strom des vergessens erobere ich Boden zurück“. Beiträge zu ehren von Árpád tímár]. Budapest 2009, s. 173–184. 47 die ungarischen maler waren ede Balló, Gyula Benczúr, lajos deák Ébner, károly ferenczy, nándor katona, fülöp lászló, károly lotz, Géza mészöly, mihály munkácsy, lászló Paál, ferenc Paczka und Pál szinyei merse. 48 orsolya radványi: Térey Gábor 1864–1927. Egy konzervatív újító a Szépművészeti Múzeumban [Gábor térey 1864–1927. ein konservativer neuerer im museum für bildende künste]. Budapest 2006. 49 rudolf alt in Budapest. Pl, 2. august 1908. 50 die sammlung ludwig ernst in Budapest. Pl, 10. mai 1908. 51 hagenbund. Kunst und Kunsthandwerk. 1908, 11. Jg., s. 663. 34

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die ersten Jahre als kritiker in wien

Die Entwicklung der Methoden des Kritikers als hevesi seine arbeit für das Fremden-Blatt aufnahm, musste er natürlich in erster linie als Theaterkritiker bestehen und beweisen, dass er die position verdiente – mit der allerdings jede menge eselsarbeit einherging, denn er musste auch die zahlreichen kleinen tagesnachrichten für den Theater- und kulturteil schreiben.1 die kunstszene hatte selbst in wien auf dem gebiet der bildenden kunst deutlich weniger ereignisse vorzuweisen als auf dem gebiet des Theaters, sodass hevesis erster wichtiger beitrag im bereich der malerei der nachruf auf Josef von führich (1800–1876) (abb. 63) war.2 er ist zugleich ein treffendes und gelungenes literarisches porträt einer besonderen malerpersönlichkeit, die zum zeitpunkt ihres todes bereits zu einer längst vergessenen epoche der kunst gehörte, jedoch als mensch wie als künstler so makellos war, dass klar war, dass ihm ein platz unter den unsterblichen im pantheon der österreichischen maler zustand. hevesi begann gleich mit der historischen einordnung und verortete von führich unter den nazarenern, um von den wesentlichen merkmalen seines charakters ausgehend ein brillantes und bis heute gültiges porträt seiner malerei zu zeichnen. er versetzte sich in die lage führichs, der ein unerschütterlich tiefgläubiger katholik war, und versuchte seine künstlerische laufbahn und seine innere entwicklung quasi von innen heraus, mit der logik des bedingungslos und naiv glaubenden menschen, nach-

61. gustaV Veith: panorama der erweiterten stadt wien (ausschnitt), um 1873

62. karlsplatz 5 – künstlerhaus, um 1890

63. Josef führich: Jakob begegnet rahel (bei den herden ihres Vaters), 1836

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zuzeichnen. schon in diesem frühen künstlerporträt zeigt sich der grundsatz des reifen hevesi, man müsse jeden künstler von innen heraus verstehen, seine absichten aus seinem charakter, sein weltbild aus den menschlichen, ethischen und künstlerischen prinzipien, die er vertritt, und seinen identifikationen logisch ableiten. dabei dürfe man nie vergessen, dass das individuum bei seinen entscheidungen frei sei. allerdings wandte er diese streng logische analyse nur bei innerlich authentischen und sehr konsequenten künstlerpersönlichkeiten an, deren werdegang und Œuvre er von innen her präsentierte. (in seinen ausstellungsbesprechungen berücksichtigte er bei künstlern kleineren formats nur den stellenwert der zeitgenössischen leistung im kontext der zeit.) die gattung des nachrufs war für hevesi von da an viel mehr als die errichtung eines denkmals für einen freund oder die ehrenbezeigung gegenüber dem Verstorbenen. sie bedeutete für ihn eine herausforderung mit der möglichkeit zur zusammenfassung eines lebenswerkes und zur einordnung im kanon der kunstgeschichte. für hevesi war die einmalige und nicht replizierbare persönlichkeit des künstlers immer wichtig, auch dann, wenn er nur über einige wenige seiner werke schreiben konnte. nichts stand ihm ferner als das konzept einer Kunstgeschichte ohne Namen3, die die gesamtheit der entstehung und der merkmale der werke aus den stilen und dem zeitgeist insgesamt, quasi von außen, bestimmte. diese stark psychologisch geprägte kunstanalyse „à la hevesi“ ist noch vor freud entstanden: sie konzentrierte sich nicht auf traumata und die erklärung etwaiger identitätskrisen, sondern auf den menschlichen willen, die moralische haltung, den habitus und die sehnsüchte der seele sowie die durch die zeit bestimmten ideale, anhand welcher er die akzeptanz des schicksals durch die seele und die ungebrochene oder gerade bruchstückhafte künstlerische laufbahn ableitete. hevesi erfasste den charakter eines künstlers, der ihm wichtig war, bei ausstellungsbesprechungen ganz anders als in seinen nachrufen. ein frühes und sehr wichtiges beispiel sind seine ausführungen zu wilhelm leibl im Pester Lloyd im Januar 1878.4 dabei berücksichtigte er, dass er für ein laienpublikum schrieb, das nicht gut informiert war und das er für die malerei gewinnen musste, weswegen er die besprechung des porträts mit der aus menschlicher sicht interessanten „story“ begann. er benutzte also auch die attraktivität des anekdotisch interessanten: hier, dass leibl ursprünglich schmied werden wollte und auch seine handwerklichen kenntnisse dazu beitrugen, dass er in münchen zum anhänger des lebensnahen realismus wurde. hier hob er die bedeutung des typs und der herkunft hervor, ebenso wie bei leibls französischem künstlerfreund und rivalen courbet. auch die beziehung der beiden beschrieb er mit humorvollen anekdoten, um dann in der zweiten hälfte des beitrags bei der detaillierten beschreibung und analyse der bilder endlich aufzuzeigen, worin leibls realismus im Vergleich zu früheren formen neu und faszinierend war. dieser sei auch auf typ und charakter des künstlers zurückzuführen, und seiner meinung nach habe leibl seine eigene malerische ausdrucksweise durch einen langen, ausdauernden künstlerischen kampf gefunden. diese kritik wurde auch im Fremden-Blatt veröffentlicht, und leibl merkte in einem brief an seine mutter glücklich an, dass er sich sehr freue, obwohl er nicht viel auf das geschwätz der Journalisten gebe, denn: „gerade dieser artikel ist dazu angetan, meinen namen überall noch bekannter zu machen“.5 dieser brief zeigt im übrigen sehr genau, wie wichtig das presseecho und die Öffentlichkeit selbst für einen maler waren, der sich aus der mün-

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64. wilhelm leibl: zeitunglesende bauern, 1877

chener kunstszene „zurückgezogen“ hatte und in der einsamkeit eines bayrischen dorfes malte, und wie genau er um ihre bedeutung wusste. (abb. 64). hevesis nächstes bedeutsames feuilleton, in dem er sich nur mit der kunst eines einzigen malers befasste, erschien einige monate später, als hans makart im künstlerhaus den Einzug Karls V. in Antwerpen ausstellte (abb. 65), der zur sensation wurde und dann bei der weltausstellung in paris im sommer 1878 die österreichische kunst repräsentierte.6 hevesi untersuchte hier ein einziges bild, dafür aber unter allen möglichen aspekten. zunächst führte er den betrachter in das Thema ein, indem er das reale ereignis von 1520 erläuterte, die akteure beschrieb und auch auf dürer zu sprechen kam, der authentischer augenzeuge des einzugs und all des prunks und der allegorischen inszenierung gewesen war, die die stadt antwerpen dem jungen kaiser zuteilwerden ließ. die minutiöse und lebhafte beschreibung der einfühlsamen details, der farben, der formen, der menschentypen und der lichteffekte zauberte das bild mit suggestiver kraft vor die augen der leser. wirklich berühmt und denkwürdig wurde das ereignis sowohl für die zeitgenossen als auch für die nachwelt dadurch, dass im öffentlichen raum erstmals – und für viele Jahrhunderte auch zum letzten mal – fast nackte (nur in dünne schleier gehüllte) junge mädchen zu sehen waren, wobei das ereignis, bei dem sie erschienen, historisch belegt und ehrwürdig war. den Quellen zufolge sollten die schönsten Jungfrauen der stadt antike allegorien verkörpern und damit im geiste der renaissance dem herrscher der welt huldigen.7 einige Jahre später wurde eine solche freizügigkeit infolge der reformation in europa wieder unmöglich, und das nicht nur auf der nordhalbkugel. es war also – für künstler und publikum gleichermaßen –

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65. hans makart: der einzug kaiser karls V. in antwerpen, 1878

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eine seltene gelegenheit, die weibliche anatomie frei zu studieren. selbst in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts war es eine seltenheit, dass zwischen vollständig bekleideten figuren akte in einer „natürlichen, legitimen mischung“ dargestellt wurden, quasi ohne hintergedanken. die hintergedanken ergänzte das wiener publikum ohnehin, indem es die realen modelle für die akte in der wiener elite, unter den schönen der „guten gesellschaft“ und der kunstszene suchte. hevesi stellte in seinen artikeln nicht die tatsächliche historische authentizität in den mittelpunkt der analyse, sondern die ästhetischen tugenden des bildes. er hielt es für wichtig, auf die künstlerischen lösungen der komposition hinzuweisen, auf die lichtführung, die pyramidenartige struktur in einem fries. seine leser hätten trotzdem mit sicherheit lieber erfahren, ob die modelle für die akte auch jene berühmten damen der gesellschaft, gräfinnen und baroninnen, waren wie für die auf attraktive körper gesetzten porträts, die tatsächlich die züge einiger gefeierter schönheiten der zeit aufwiesen. doch hevesi lüftete keine pikanten geheimnisse. (das taten einige seiner Journalistenkollegen.) er hielt in dieser gewaltigen komposition den harmonischen reichtum des kolorits und das meisterliche strahlen der farben für die beachtlichste künstlerische leistung makarts, als beweis dafür, dass der meister auf dem höhepunkt seiner fachlichen fähigkeiten angekommen war (abb. 66). eine seiner schönsten kritiken, die sich ebenfalls auf ein einziges bild konzentriert, hat hevesi über munkácsys milton-bild (abb. 67) geschrieben, das nach dem erfolg im pariser salon ein Jahr zuvor im Januar 1879 in wien und einen monat später in budapest eine künstlerische sensation war. dieser artikel ist das paradebeispiel einer gründlichen bildanalyse, die auf alle details eingeht, sämtliche historischen, ästhetischen und psychologischen motive berücksichtigt und sie in einer synthese vereint, wie sie damals und auch später äußerst selten war – nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei kunst-

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66. hans makart: ausschnitt Von abbildung 65

historikern, deren fachgebiet sich gerade erst professionalisiert hatte. es stellte (und stellt bis heute) für jeden Journalisten eine große herausforderung dar, ein bild präzise, nuanciert und fachlich korrekt, gleichzeitig aber auch für das breite publikum verständlich zu analysieren und zu beschreiben. hevesi konnte ein gemälde gerade wegen seiner reichhaltigen sprache, seiner sehr präzisen ausdrucksweise und des Verzichts auf extreme anhäufungen von attributen sowie dank seiner geistigen eleganz nuanciert, mehrschichtig und plastisch analysieren. die herausragende künstlerische Qualität seines stils erkennt heute auch die kunstgeschichtsschreibung wieder an, die dem künstlerischen ideal des historismus immer noch feindlich gegenübersteht.8 hevesis aufgabe war in diesem fall umso schwerer, als das Thema des gemäldes keine ereignisreiche szene ist, sondern ein historisches genrebild, in dem es zudem eben um das künstlerische schaffen geht, um den moment der inspiration, ohne dass sich der maler auch nur eines einzigen herkömmlichen romantische klischees bedient hätte. munkácsy ist es gelungen, die entstehung miltons gedichts „lost paradise“ mit authentischem psychologischem realismus, wortkarg, aber plastisch zu erfassen und dem betrachter auf suggestive art und weise zu vermitteln.9 dieses bild ist ein mindestens ebenso einpräg-

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67. mihály munkácsy: milton, 1878

sames beispiel für den historisierenden realismus wie mehrere zu jener zeit entstandene werke menzels. munkácsy wurde damit in wien zum anerkannten großen meister, und damals beschloss ludwig lobmeyr (einer der einflussreichsten wiener kunstsammler und großindustriellen auf dem gebiet der glaskunst), das werk in einer kleineren Version für sich malen zu lassen.10 die zweite Version des Milton hing dann bis zu lobmeyrs tod (1917) an der wand des salons in seiner wiener innenstadtwohnung, wo regelmäßig die intellektuelle und künstlerische elite wiens zu gast war und das bild sehen und sich von ihm inspirieren lassen konnte. hevesis kritik, die kurz nach der ausstellungseröffnung erschien, war nicht nur deshalb wichtig, weil sie den grundton vorgab, den seine kollegen von den übrigen tageszeitungen höchstens ein bisschen variierten. gerade seine schnelle reaktion auf neue werke, der umstand, dass er nicht abwartete, bis andere ihre meinung äußerten, sondern selbst den stellenwert eines werkes – zumindest in wien – bestimmte, verlieh seinen schriften größeres gewicht, als es die artikel in den tageszeitungen mit höherer auflage hatten. ihre Verfasser konnten sich dann schwerlich dem einfluss der schriften hevesis entziehen. diese praxis ergab sich anfangs wahrscheinlich spontan, weil seine neugier auf und seine begeisterung für die bilder hevesi zu einer schnellen reaktion bewegten. später dagegen hat er vermutlich die möglichkeiten erkannt, die die schnelligkeit bot, dass er auf diese weise meinungsbildner der tagespresse sein konnte. auch das hat dazu beigetragen, dass er zu einer informellen koryphäe der kunstszene aufstieg. in den 1890er Jahren nutzte er diese schnelligkeit bereits bewusst. das nächste „künstlerporträt“, das von einem ähnlich berühmten gemälde inspiriert wurde, schrieb hevesi über franz von defregger, dessen gemälde Andreas Hofer über den

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68. franz defregger: andreas hofers abschied Von den seinen, 1879

tiroler freiheitskämpfer während der napoleonischen kriege eine seltenheit in der österreichischen historienmalerei ist.11 (es ist wegen seines emotionalen charakters eine ausnahme in der österreichischen historienmalerei, die mit der Verewigung einer dynastischen Vergangenheit und der erfüllung offizieller erwartungen vertraut war. da er den großteil seines lebens in münchen verbracht hat, wird defregger in der heutigen kunstgeschichtsschreibung gar nicht der österreichischen malerei zugeordnet.12) (abb. 68) der kritiker „kontextualisiert“ defregger sowohl landschaftlich als auch in seinem Volk. bevor er mit der darstellung der laufbahn des malers beginnt, gibt er eine romantische ethnografische beschreibung von defreggers herkunftsregion tirol. der genremaler, der aus einer armen tiroler bauernfamilie stammte und in münchen zu einem der bekanntesten maler, universitätsprofessor und millionär wurde, war – wie munkácsy – eine Verkörperung des urtalents. bei der art, wie hevesi den lokalen tiroler geniekult um den berühmten, in zweierlei hinsicht (sowohl wegen seiner herkunft als auch wegen seines ausschließlichen Themas) als bauernmaler eingeordneten defregger und seine von den freunden aus kindertagen in ehren gehaltenen und wie reliquien aufbewahrten malerischen Versuche aus seiner Jugend beschreibt, kann man nicht umhin, die feine, zärtliche ironie zu bemerken. nach den anekdoten aus dem lebenslauf kommt er aber im letzten drittel des feuilletons auf wesentliche künstlerische fragen zu sprechen. in einem kurzen, aber prägnanten gedankengang über die historienmalerei seiner zeit bezeichnet er die übrigen anerkannten deutschen meister als künstler, die die dramatischen und kathartischen historischen szenen nicht emotional glaubwürdig verewigen. (matejko ist die einzige ausnahme.) am ende der ausführlichen bildbeschreibung, in die eine psycho-

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logische sowie formale und stilistische analyse integriert ist, fasst er die künstlerische wirkung zusammen. er habe das gefühl, dass mit defreggers Andreas Hofer erneut jene historische glaubwürdigkeit zustande komme, die in ihrer natürlichen einfachheit in der lage sei, die volkstümliche tiroler authentizität der hauptfigur mit menschlicher würde zu vereinen. bei all diesen analysen dominiert die Gehaltsästhetik, was bei diesen figurativen bildern mit ausgesprochen narrativen Themen praktisch unerlässlich war. das bedeutet aber nicht, dass hevesi die formalen, kompositionsbezogenen und sonstigen kriterien nicht berücksichtigt hätte; er hat sich nur niemals ausschließlich auf diese beschränkt. während eduard hanslick das ideal des L’art pour l’art in der wiener musikästhetik schon ab 1855 zur geltung brachte, hat sich hevesi zu keiner zeit dazu bekannt: er ist stets bei einer nuancierten pluralistischen methode geblieben, welche verschiedene künstlerische funktionen berücksichtigte, die die jeweiligen genres erfordern und die ein maler realisieren muss. die analysen berühmter hauptwerke hat hevesi niemals ein zweites mal veröffentlicht. (selbst wenn er gleichzeitig für seine beiden „stammzeitungen“, das Fremden-Blatt und den Pester Lloyd, über sie geschrieben hat, hat er die beiträge nach möglichkeit anders formuliert.) wenn dasselbe bild deutlich später auch anderswo gezeigt wurde, zum beispiel bei einer internationalen ausstellung, hat er es in den betreffenden besprechungen nicht erneut beschrieben, sondern nur kurz darauf hingewiesen, dass es beispielsweise im Jahr zuvor in wien bereits zu sehen war. er hat wahrscheinlich angenommen, dass seine leser sich daran erinnerten, was er zuvor über das werk geschrieben hatte, und verzichtete deshalb auf wiederholungen. diese schriften hevesis aus der zweiten hälfte der 1870er Jahre passen gut in die praxis der deutschen kunstgeschichte, in der damals die großen künstlerpersönlichkeiten im mittelpunkt der aufmerksamkeit standen, sodass der frühere romantische, völkerpsychologische und kulturhistorische, ansatz in den hintergrund gedrängt wurde.13 dennoch legte hevesi bei der besprechung von ausstellungen mit internationalen exponaten stets besonderes gewicht auf die künstlerischen ausdrucksmittel, die der „Volksseele“ zuzuschreiben waren. er nahm immer einfühlsam notiz von den nationalen, lokalen wurzeln, und zwar sowohl hinsichtlich der Themen als auch hinsichtlich der formen, da diese unentbehrliche komponenten des kunstwerks waren, das die zeit und die welt getreu widerspiegelte.

Die alltäglichen Aufgaben des Journalisten 1875 war das Jahr, in dem hevesi die praxis einführte, die von da an so typisch für das Fremden-Blatt wurde: Jedes ereignis der bildenden kunst wurde fast ausnahmslos „brühwarm“ und ausführlich analysiert. während in den übrigen zeitungen Theater und literatur dominierten, wurde im kulturteil des Fremden-Blattes neben dem Theater nach und nach die malerei zum hauptthema.14 als ressortleiter änderte hevesi vorsichtig die prioritäten, ohne die interessen bestimmter fachkapazitäten wie beispielsweise ludwig speidel, den er als seinen nestor

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betrachtete, zu verletzen.15 er analysierte nicht nur die ausstellungen im künstlerhaus regelmäßig, sondern auch die des Österreichischen Kunstvereins.16 dieser zur förderung der kunst gegründete Verein von kunstliebhabern, dessen mitglieder laien und Connaisseurs waren, ist beinahe gänzlich in Vergessenheit geraten. er ist fachlich nicht aufgearbeitet, seine dokumentation ist verschollen (oder verloren gegangen), es sind nur wenige seiner kataloge aus der zeit nach der Jahrhundertwende erhalten. dabei hat dieser Verein auch nach der gründung des künstlerhauses noch eine wichtige rolle in der kunstszene wiens gespielt.17 aus hevesis kritiken kann man schließen, dass der kunstverein in den 1870er Jahren ein überraschend offenes, unternehmungsfreudiges und mutiges, wenn auch oft uneinheitliches konzept hatte, das eher auf sensationelle schauen ausgerichtet war und keine konsequente kunstpolitische strategie verfolgte. die ausstellungsräume befanden sich in dem barockpalast schönbrunnerhaus in den tuchlauben. häufig wurden tagsüber andere säle geöffnet als abends; dann konnte man die bilder dort beim schein der gaslampen betrachten. (diese abendlichen shows beanstandete hevesi häufig, da das künstliche – gelblichgrüne – licht die farben und somit die gesamtwirkung der bilder verfälschte.) im kunstverein gab es monatlich oder alle zwei monate neue ausstellungen, hevesi besuchte sie regelmäßig, um pflichtgetreu über die wichtigen und die weniger wichtigen kollektionen zu berichten. der kunstverein war ein wichtiger bildermarkt der stadt, der eng mit den kunstvereinen in deutschland zusammenarbeitete und viele austauschprogramme und ausstellungen organisierte.18 die meisten hier vorgestellten nicht österreichischen maler kamen aus deutschland, aber auch holländer, skandinavier, franzosen und italiener waren bei den ausstellungen zahlreich vertreten. (am seltensten waren die werke englischer künstler zu sehen, aber das galt für ganz europa.) diese schauen kann man grob in zwei kategorien einordnen: zum einen die der individuellen „sensationsbilder“ und zum anderen die der retrospektiven. darüber hinaus konnten die künstler ihre werke natürlich auch separat einreichen. die saison umfasste das frühjahr und den herbst/winter, aber in den räumlichkeiten wurden auch im sommer ausstellungen veranstaltet. im oktober 1876 zum beispiel stellte makart seine reihe Abundantia, die ursprünglich die decke eines wiener palastes schmücken sollte, hier und nicht im künstlerhaus aus.19 bei der beschreibung der bilder hat hevesi die merkmale von makarts stil ausführlich analysiert. bei der strengen und präzisen analyse der farben und formen kam er zu dem schluss, dass nichts dem gewohnten anblick entspreche. der künstler steigere sich immer kühner: „die natur ist so, wie ich sie sehen will!“, zitierte hevesi den maler und stellte einige zeilen später fest: „die lehre aus dieser welt lautet: der schein siegt, die wahrheit täuscht!“20 – alles ist anders, als es scheint. die farbenpracht löst bei dem kritiker einen rausch in wortzauberei aus. sein stil wird poetisch, seine sätze turbulent, er versucht, die dichten farben durch sprachliche parallelen wiederzugeben, und von alliterationen beflügelt, schreibt er fast schon in freien Versen. „es ist die stufe traumwacher phantastik, wo die ganze welt sich zerfasernd und sich wieder in einander schlingend zur farbigen arabeske wird, in der alles sich bewegt und doch nichts lebt. – schaum und traum und unmöglichkeit, und doch alles sichtbar vorhanden und beinahe ermöglicht.“21

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69. gabriel max: die lÖwenbraut, 1879

er durchschaut makarts welt ganz genau, erkennt darin das unwahre, lässt sich aber vom pathos der farben und formen mitreißen und stimmt im nu in das lob der künstlichkeit ein. makarts Virtuosität fesselt ihn, er misst die gesteigerte künstliche sinnlichkeit des malerischen stils mit dem maßstab seiner eigenen künstlerischen intention. auch hevesi schloss sich den bedingungslosen anhängern makarts an (hatte es im grunde schon Jahre zuvor getan), doch das hinderte ihn nicht daran, die inneren grenzen der kunst des farbenmagiers zu erkennen. es ist gerade die tiefgreifende bildanalyse, die vielseitige betrachtung eines werkes aus inhaltlicher, formaler, wirkungspsychologischer sicht, die es hevesi ermöglicht, den wirkmechanismus eines werkes oder des individuellen stils eines malers zu erkennen. die konsequente analyse der vielen individuellen stile – die den sinn für Qualität schärft und den horizont des kunstkenners erweitert – befähigte ihn zunehmend dazu, wirklich neue künstlerische Qualitäten zu erkennen, die für ihn im laufe der zeit jeweils einen neuen aspekt der malerei seiner zeit bedeuteten. somit erkennt er auch auf den gleichzeitig mit den makart-bildern ausgestellten gemälden von gabriel max, die drei verschiedene Themen bearbeiten,22 die Qualitäten eines so ganz anderen künstlertyps und talents. er spürt aber schon hier, bei diesen gefeierten werken (u.a. Die Braut des Löwen), die gefahr, dass die dem Thema innewohnende manipulation zur schablonenhaften praxis werden kann.23 (das Thema des bildes war eine schauderhafte und gleichzeitig sentimentale geschichte von einem eifersüchtigen zirkuslöwen, der seine geliebte junge dompteurin tötet.) (abb. 69) die letzte ausstellung des Jahres im kunstverein widmeten die organisatoren richard wagner, genauer gesagt füllten sie sie mit werken (deren zahl hevesi auf 180 schätzte), deren Themen allesamt aus wagners bühnenwerken stammten.24 die in allen gattungen (Ölgemälde, zeichnung, grafik, skulptur, bühnenbild usw.) entstandenen illustrationen boten hevesi eine hervorragende gelegenheit, die nicht allzu gelungenen werke aufs korn zu nehmen. er urteilte mit unerbittlicher strenge über sie: „was man da zu sehen bekommt, ist fast durchwegs kostüm und maske. selten ist so viel geschniegelte hohlheit

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70. adolph menzel: abreise kÖnig wilhelms i. zur armee am 31. Juli 1870, 1871

beisammen gesehen worden, selten ist man mit vereinten kräften auf eine so weite strecke hin anspruchsvoll und zugleich nichtssagend gewesen. die typen für die einzelnen wagner’schen figuren herzustellen, ist den deutschen künstlern bisher nicht gelungen, …“ in dem einzigen saal, in dem keine darstellungen von wagner-helden gezeigt wurden, erblickte hevesi ein meisterwerk jenes künstlers, der für ihn seitdem einer der wichtigsten zeitgenössischen maler war und dessen Œuvre in seinen augen immer fachlichen anspruch und künstlerische Qualität zum maßstab hatte. dieser maler war adolph menzel (1815–1905). die besondere aufmerksamkeit des kritikers erregte das bild Abreise König Wilhelms I. zur Armee am 31. Juli 1870, Berlin Unter den Linden.25 er schrieb kurz und treffend über die komposition, die als meilenstein galt und bis zu einem gewissen grad den französischen impressionismus ankündigte, jedenfalls aber im gleichen Jahr, nämlich 1871, entstand. „das bild ist nicht groß, enthält aber eine unglaubliche menge figuren, welche mit der vollen frische der momentanen erscheinung und mit großer realistischer Verve hingesetzt sind. es ist ein bild von anregungs- und anziehungskraft, eines von denen, die man lange betrachtet und dann am liebsten mitnehmen möchte.“26 (abb. 70) hevesi bezeichnete das gemälde als „zeitbild“, als aktuelle zeitgenössische „historische momentaufnahme“.27 menzel war auch deshalb einzigartig, weil die Themenwahl im deutschland der 1870er Jahre noch durch die nachblüte der traditionellen gattungen, der historienbilder, der religiösen malerei und der genremalerei gekennzeichnet war. im künstlerhaus zum beispiel war – mit einem antiken Thema – das sensationsbild des herbstes das gewaltige, tableauartige historienbild von siemiradzki (1843–1902) Die lebenden Fackeln des Nero, das der ambitionierte polnische maler nach der tradition

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71. Jan mateJko: reJtan – der fall polens, 1866

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der piloty-schule ausführte. hevesi analysierte das heikle Thema mit feiner ironie und entdeckte selbst in dem damals bereits „überstrapazierten“ historischen genrebild noch etwas, das den zeitgenossen bis dahin gar nicht aufgefallen war, und zwar eine art nationalcharakterologie. „er hat eine slavische phantasie, welche aus einem verdüsterten, gereizten Volksgeist erblüht, sich gern in Verspiegelungen einer rücksichtlosen gewaltthätigkeit ergeht, und dadurch das volksthümliche gesamtbewustsein eines inneren druckes zu entbinden meint. das meiste, was namentlich von den russischen und polnischen malern gemaltes sichtbar wird, enthält ein hervorstechendes element freudloser gedrücktheit, oder selbstquälerischen trotzes, welches sich ebenso gut in grausamen landschaften mit unbarmherzigen lichteffekten, als in verbissenen, ultranationalen porträts, oder marterhaften historienbildern luft macht.“28 wenn man sich die russischen und die polnischen historischen tableaus der zeit – besonders die bilder matejkos – vorstellt, erkennt man, dass hevesis beobachtungen zutreffen. (abb. 71). natürlich war das von der vorangegangenen generation übernommene romantische konzept der Volksseele eine verallgemeinernde und vereinfachende erklärung für das tatsächliche phänomen, dass die lokalen traditionen und selbst die zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse die wahl des Themas, des motivs und sogar der farben in der malerei einer nation entscheidend beeinflussen können. solche erkenntnisse sind nur möglich, wenn man über ein sehr breites wissen und eine große geistig-intellektuelle sensibilität verfügt. die kritik des siemiradzki-tableaus schließt hevesi dennoch positiv ab. wie so oft hat er es mit einem jungen und begabten künstler

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kunstkritik in der zweiten hälfte der 1870er Jahre

zu tun, er bleibt offen, ist voller erwartung und prophezeit dem jungen polnischen meister, der über eine bravouröse technik verfügt, eine große zukunft.

1877 – die realistische Wende in der deutschen Kunst dieses Jahr war voller bedeutsamer ereignisse in der wiener kunstszene. es wurde eine ausstellung nach der anderen eröffnet, außerdem feierte die akademie der bildenden künste ihr 100-jähriges bestehen, das ein erster anlass für einen umfassenden historischen rückblick war. bereits zu der neujahrsausstellung des künstlerhauses im Januar schrieb hevesi eine sachkundige analyse über die biedermeier-gemälde und betonte dabei besonders die malerischen tugenden waldmüllers.29 darauf folgte die besprechung der postumen retrospektive des auf die landschaftsmalerei der alpen spezialisierten kleinmeisters anton hansch (1813–1876).30 gleichzeitig unterhielt auch der Österreichische Kunstverein das publikum mit neuen bildern. im Januar war neben den vielen kleinmeistern auf einem großformatigen bild des französischen malers Émile-henri blanchon die darstellung von mohammeds tod (Le mort de Mahomet) zu sehen, die dem kritiker nicht gefiel. die 50 zeichnungen von sándor liezen-mayer (1838–1898) zur illustration einer neuen prachtausgabe von goethes Faust dagegen, die den grafischen höhepunkt der ausstellung im februar darstellten, analysierte er mit spürbarem genuss.31 er hielt schon am anfang fest, dass der piloty-schüler in einer seiner künstlerischen persönlichkeit entsprechenden form an das Thema herangegangen sei. was genau meinte hevesi damit? „anders als bei den romantikern ,das romantische element‘ tritt im Faust das hineinwirken des wunderbaren und abenteuerlichen in die faustische wirklichkeit in den hintergrund und lässt den realen personen, dingen und zuständen den Vorrang. das kultur-historische genre als darstellung bürgerlicher szenen aus der deutschen Vergangenheit ist denn auch das feld, auf dem er sich besonders heimlich fühlt und treffliches leistet. in diesem sinne sind seine blätter: osterspaziergang, mephisto’s lied, bauerntanz, zeche lustiger gesellen und andere vortrefflich.“32 nachdem er die Vorliebe des malers und illustrators für anekdotische erzählungen überzeugend dargestellt hatte, unterzog hevesi die art der darstellung der drei hauptfiguren – faust, mephistopheles und gretchen – einer eingehenden untersuchung. zum beispiel: „… sie ist ein modernes gretchen, das heißt, sie trägt den stempel unserer letzten zwanzig kunstjahre, und abstrahiert nicht in die wirkliche faustzeit zurück.“ insgesamt war er zufrieden mit liezen-mayers figuren, insbesondere gretchen fand er gelungen. es ist eine sehr zutreffende feststellung, dass liezen-mayer goethes text mit ganz modernen, zeitgenössischen menschentypen illustriert hat. hevesi bewertet das jedoch positiv und führt als analogie die praxis der renaissancemaler an. das zeigt anschaulich, dass er kein befürworter des krampfhaft puristischen historisierens war. über den gesamten Faust-zyklus äußerte er sich anerkennend, ohne ihn jedoch überzubewerten. zur selben zeit konnte sich das wiener publikum im kunstverein den Litauen-zyklus des bereits verstorbenen romantischen polnischen malers artur grottger und sechs federzeichnungen des düsseldorfers heinrich mücke ansehen. der kritiker hob unter

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72. max liebermann: arbeiter im rübenfeld, 1876

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den bildern des kunstvereins mit sicherem gefühl die arbeiten von hans Thoma (1839– 1924) und wilhelm trübner (1851–1917) hervor, die damals noch nahezu unbekannt waren und am anfang ihrer laufbahn standen. schon hier zeigte sich sein untrüglicher sinn für Qualität, der auch funktionierte, wenn er mit malerischen experimenten konfrontiert war, deren ästhetische ideale oder weltanschauung er nicht akzeptierte oder zumindest als fremd empfand. in diesem sinne verfasste er anlässlich der nächsten ausstellung im kunstverein einen monat später eine treffende analyse zu max liebermanns (1847–1935) frühem realistischen werk Arbeiter im Rübenfeld (abb. 72). nachdem er das in diesem Jahr ausgestellte, jedoch bereits 1849 gemalte bild des einheimischen Josef matthias von trenkwald (1824–1897) über die hussiten gnadenlos als eines der langweiligsten, schematischsten und prosaisch bodenständigen beispiele des österreichischen akademismus verrissen hatte, machte schon sein erster, zu dem deutschen liebermann überleitender satz die leser neugierig: „zwischen diesem hussitenbilde und dem rübenfeld von m. liebermann in paris liegt nicht weniger als die ganze moderne malerei. liebermann ist ein talentvoller aber grausamer realist, der den augenblick pflückt, wie wo wann er ihn findet. er hält sich bei den äussersten Vorposten des courbet’schen armeekorps auf, welches für die absolute wahrheit in der kunst zu felde liegt. das ebenso absonderliche, als frappante bild stellt ein ebenes feld vor, mit hohem, flachem horizont, der nur einen schmalen streifen grauen himmels frei läßt. Vorne, mit der ganzen figur ins perspektivische bereich des dunklen feldes fallend, stehen in einer reihe neun personen, männer und weiber, in gleichen zwischenräumen hingestellt, sämmtlich von vorn gesehen, sämmtlich in leicht variirten stellungen mit den spaten arbeitend. ein trüber tag breitet sich von dem wie mit frischem mörtel beworfenem himmel aus über die szene hin, welche beinahe grau in grau erscheint, nur mit schmutzigweißen lichtern und etlichen grünen rübenpflanzen im Vordergrund kärglich belebt. … die technik ist die der virtuosen sudelei, die vor nichts zurückschreckt und ihrer wirkung so sicher ist, dass sie alle mittel brauchen und alle vernachlässigen

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73. tina blau: flÖsser an der theiss, 1874

darf. das ‚rübenfeld‘ ist das werk eines bedeutenden, aber stark zu excessen geneigten realistischen talentes.“ 33 die genauigkeit und die plastizität der beschreibung sprechen für sich, hevesi vermittelt dem leser sehr genau die wirkung des bildes (grau in grau), jenes neue visuelle und emotionale erlebnis, das der von konventionen befreite realismus im unterschied zu den gewohnten schemata und dem beschönigenden malen in den 1870er Jahren brachte. zugleich arbeitete er in wien mit ungewöhnlichen metaphern und Vergleichen, was darauf schließen lässt, dass er den militanten stil der pariser kritik, die die Verbreitung des realismus als kampf verstand, gut kannte. während die übrigen wiener kritiker diese im kunstverein ausgestellten jungen meister des realismus überhaupt nicht beachteten, spürte hevesi sofort, dass sie etwas ungewöhnlich neues mitbrachten. er zählte bei jeder ausstellung die meisten guten bilder auf, aber längere analysen wie die hier zitierte widmete er nur denen, die sich vom durchschnitt abhoben. die Jahresausstellung, die die rolle des jährlichen frühjahrs-salons einnahm, wurde in diesem Jahr in zwei artikeln besprochen.34 hevesi wies schon in der einleitung, in der er über seinen gesamteindruck von der ausstellung berichtete und ihren platz in relation zu den schauen der vorangegangenen Jahre bestimmte, auf deren durcheinander und den mischmasch hin, die keine konsequenten leitmotive erkennen ließen. selbstverständlich fand er unter den beinahe 500 ausgestellten werken auch viel bemerkenswertes, das eine längere analyse verdiente. wie sonst auch versuchte er die ausstellung nach genres zu besprechen. er begann mit den dekorativen bildern von hans canon (1829–1885), die an rubens’ stil erinnerten und das speisezimmer von hans graf wilczek schmücken sollten. nach den bildern von makart, matejko und einigen mehr oder weniger unbekannten münchener (Josef flüggen) und wiener (Josef fux, gustav wertheimer) historienmalern kamen die genre- und die porträtmalerei an die reihe. der zweite artikel beginnt mit den landschaftsbildern. die unausbleiblichen und qualitativ immer tadellosen, in ihrer Thematik aber eintönigen italien-an-

nächste seiten: 74. rudolf Von alt:

innenansicht der markuskirche in Venedig, um 1876

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75. ferdinand georg waldmüller: niederÖsterreichische bauernhochzeit, 1843

sichten von oswald achenbach (1827–1905) und dem sehr niederländisch wälder malenden andreas achenbach (1815–1910) waren über Jahrzehnte ständige exponate bei den ausstellungen im künstlerhaus. auf die Österreicher folgten die Vertreter der zimmermann-schule, von denen hevesi vor allem die alpenlandschaft von anton hlaváček (1842–1926) und das gemälde von emil Jakob schindler (1842–1892) lobte. die bilder von tina blau (1845–1916) (abb. 73) begeisterten ihn – wie immer – auch jetzt, und seien es noch so kleine skizzen. auch robert russ (1847–1922) und eugen Jettel (1845–1901) bedachte er mit anerkennenden worten, das heißt, die als stimmungsimpressionisten bezeichnete generation der landschaftsmaler. sie vertraten den Pleinairismus in wien und waren schon seit einigen Jahrzehnten beisammen. in der gattung der Architekturbilder erwähnte er begeistert die bilder rudolf von alts (1812–1905) (abb. 74). die nächsten kategorien in der aufzählung waren die sogenannten tierdarstellungen und die stillleben, dann die wenigen skulpturen. die sommerausstellung im kunstverein hingegen überraschte ihn wieder mit denkwürdigen werken. unter den vielen werken münchener meister war auch ein landschaftsbild von courbet, das hevesi zu einer dichterischen bildanalyse inspirierte.35

Die Jubiläumsausstellung der Akademie ein herausragendes ereignis der frühjahrssaison war die großangelegte historische ausstellung der wiener kaiserlich-königlichen akademie der bildenden künste, die anlässlich des 150-jährigen bestehens der institution einen überblick über das künst-

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lerische erbe Österreichs (in erster linie wiens) bot. die Veranstalter der schau sammelten die meisterwerke von architektur, bildhauerei und malerei, was hevesi die gelegenheit bot, die historischen epochen in einer fünfteiligen reihe nach gattungen zu kommentieren.36 das war das erste mal, dass er dem leser einen überblick über die merkmale und die historische entwicklung der einzelnen stilepochen gab. der ton der artikel ist sehr subjektiv und er hat sich naturgemäß gegen den barock ausgesprochen. sie sind mit ironischer kritik an den unflexiblen akademischen schablonen gespickt. am interessantesten ist das letzte feuilleton, in dem hevesi über die meister der wiener biedermeiermalerei schreibt.37 man kann diese beiträge als erste skizze seines 1903 veröffentlichten überblicks zur österreichischen kunst des 19. Jahrhunderts betrachten, in dem sich bereits jene kriterien abzeichnen, anhand welcher er ein Vierteljahrhundert später diese blütezeit der kunst charakterisieren sollte. (abb. 75) „die empörung des österreichischen Volksgeistes gegen den akademischen schulgeist brachte mit einem schlage das wiener genre hervor, diese einzige wirklich eigenartige und darum absolut werthvolle kunstblüte, welche das malende oesterreich an dem weitverzweigten stammbaum der deutschen kunst überhaupt zur entfaltung gebracht.“38 in der übrigen zeit des Jahres besprach der fleißige kritiker gewissenhaft die bedeutenderen werke der übrigen ausstellungen, die das bild einer sehr lebhaften kunstszene ergaben, in der die arbeiten der wichtigen ausländischen meister regelmäßig gezeigt wurden. wien war in den Jahren des historismus und der historienmalerei keineswegs eine einsame insel. nach dem trauma wegen des relativen misserfolgs der weltausstellung von 1873 und dem wirtschaftlichen stillstand erstarkte die kunstszene erstaunlich schnell wieder. die repräsentativen aufträge des staates wurden auch weiterhin von den mitgliedern der rahl-schule und der makart-generation bearbeitet, während die meister der tafelmalerei, die dem kunsthandel viel stärker ausgeliefert waren, in ständigem kontakt mit den französischen und deutschen zentren der malerei standen (abb. 76). die bilder der barbizon-maler (daubigny, diaz, dupré usw.) waren regelmäßig exponate bei den ausstellungen im künstlerhaus und im kunstverein, die landschaftsmaler fuhren sehr häufig zu studienreisen in die niederlande, nach norddeutschland, nach frankreich und nach italien, von wo im gegenzug regelmäßig bilder der dortigen maler, kleinmeister und großen künstlerpersönlichkeiten nach wien geschickt wurden.

Der erste „Budapester Salon“ 1877 war auch in der ungarischen kunstszene ein bedeutsames Jahr. damals wurde nämlich die in der budapester andrássy-straße neu errichtete kunsthalle mit einer internationalen ausstellung eröffnet, deren exponate hevesi im Pester Lloyd besprach.39

76. august Von pettenkofen: ungarische pferdetränke, um 1860–1870

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77. Jean-baptiste camille corot: Ville-d’aVray, 1865

mit dem größten interesse wurden die französischen exponate erwartet, denn das publikum der hauptstadt hatte bis dahin kaum gelegenheit gehabt, werke der berühmten pariser meister der zeit zu sehen. das hauptwerk war die Pietà von william-adolphe bouguereau (1825–1905), ein auf herbe weise regelgerechtes bild des seinerzeit gefeierten und modernen meisters, das aber auf verstörende art keine religiöse gesinnung ausstrahlte. über delacroixs Christoph Kolumbus hingegen äußerte er sich wegen des farbenreichtums anerkennend. nach der besprechung eines nicht allzu bedeutsamen werks fromentins mit orientalischem Thema und von einem bild von decamps kommt in seinem bericht endlich ehrliche begeisterung zum ausdruck: „einige sehr lehrerische bilder findet man aus dem gebiete der modernen französischen stimmungslandschaft. sie geben den beschauern gleichsam einen original-tropfen aus jener reichen Quelle zu kosten, aus der die modernen stimmungslandschaften aller nationen mit mehr oder weniger glück geschöpft haben. Vor allem ist da der (auch schon dahingegangene) altmeister corot zu nennen. es sind von ihm zwei bilder ausgestellt: eine Abendlandschaft mit tanzenden mädchen am waldsaum, und eine Ansicht von Ville d’Avray bei paris… (…) sollen wir indess zwischen beiden wählen, so geben wir dem kleineren den Vorzug, mit dem wasser im hintergrund; dieses kleine eckchen welt ist noch lauschiger als jenes größere und es steht doch mit der unendlichkeit in Verbindung, denn das fliessende wasser erregt unwillkürlich die ahnung des nahen meeres, in solchen stimmungsbildern ist aber, was man nicht sieht, nur ahnt, ein ebenso wirksames element, wie was man mit den augen greift.“ 40 (abb. 77) danach zählte hevesi viele barbizoner maler auf (Jules dupré, charles-françois daubigny, constant troyon), außerdem eine rosa bonheur, aber offensichtlich hat ihn keines ihrer werke beeindruckt. den Vierwaldstättersee des schweizer landschaftsmalers alexandre calame (1810–1864) würdigte er wieder einer beschreibung, um den ersten artikel dann mit der namensliste der italienischen maler abzuschließen. den zweiten widmete er den deutschen und den österreichischen meistern, und am anfang dieses

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beitrags kritisierte er ausführlich und sarkastisch den kardinalen fehler der neuen ausstellungshalle, nämlich dass die beleuchtung allgemein und die der bilder sehr schlecht gelungen sei. die bildbeschreibungen beginnt er mit den historischen Themen: nach matejkos Iwan der Schreckliche, einem gemälde von hermann kaulbach und einigen heiligenbildern kommt makarts Venezianerin. danach stellt er viele schon früher entstandene bilder von karl von blaas und eugene blaas und dann friedrich friedländer vor, der mit einem seiner unzähligen invalidenbilder, Invaliden in der Kirche, vertreten war. die vielen als uninteressant erscheinenden genrebilder (hauptsächlich von münchener malern) überging er, um dann mit mehr freude über landschaftsbilder, die werke von anton hlaváček und robert russ, zu schreiben. hier kommt in seinen schriften erstmals der name von Theodor von hörmann (1840–1895) vor. der künstler, der praktisch noch am anfang seiner laufbahn stand, wurde später einer der wegbereiter der impressionistischen malerei. die wenigen zeilen, die hevesi hier über ihn schrieb, sind sehr treffend, und auch typisch für den kritiker, der mit Vergnügen wortspiele und alliterationen verwendete: „auch Th. hörmann (wien) wird mit seinen nicht übel gestimmten kleinen bildern interesse erregen können; freilich, wenn man mehreres von ihm zusammen sieht, wird seine manier der quergestreiften himmel, feurig linierten horizonte und pechkohleschwarzen erdendinge leicht unleidlich.“41 der dritte artikel beginnt mit der überraschenden behauptung, die heimische, also ungarische, malerei sei nicht dem niveau dieser wichtigen eröffnung entsprechend, vertreten: „Vergebens suchen wir einen Theil unserer besten namen im katalog. székely, keleti, greguss, liezen-mayer, benczúr und noch viele andere, die unseren künstlerischen ruf haben schaffen helfen, fehlen; andere wie mészöly und wagner sind nicht ihrem range gemäß vertreten. wie im allgemeinen, so hat eben die ausstellung auch hierin den charakter des improvisierten, oder wenn man will, gar keinen charakter, weil sie nach keiner richtung hin systematisch angelegt ist.“ 42 nach dieser ernüchternden einleitung kam hevesi zur Vorstellung der ausgestellten meister und zur beschreibung ihrer werke. der erste ist károly lotz, dem er ein schönes

78. mihály zichy: kÖnigin elizabeth im foyer der akademie am ferenc deáks bahre, 1877

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und treffendes „gut gemaltes künstlerporträt“ zuteilwerden ließ. dann besprach er mór Than, mit dem er sehr streng war, aber mihály zichys großes bild K0nigin Elisabeth im Foyer der Akademie an Ferenc Deáks Bahre (Az akadémia előcsarnokában Ferenc Deák ravatalánál) bedachte er mit ehrlichem lob. er analysierte die szene ausführlich und gründlich in einem ton und mit assoziationen, die den text zu einem wahren zeitdokument machen. darin pulsiert, wenn auch verhalten, die begeisterung der zeit für ferenc deák und königin elisabeth (abb. 78). zu den bildern der übrigen maler, Viktor madarász, györgy Vastagh und miklós barabás (überwiegend porträts), ferenc szoldatits, mihály zichy und antal ligeti, schrieb er jeweils einige elegante analysierende sätze. im vierten und letzten teil der gründlichen führung durch die ausstellung kamen mihály munkácsy, pál böhm, géza mészöly, béla pállik, ferenc paczka, lajos bruck, béla spányi, árpád feszty und artúr tölgyessy an die reihe. er begann mit munkácsy und widmete ihm am meisten raum, lobte ihn aber keineswegs in allem. als sehr problematisch empfand er die beiden ausgestellten bilder Im Atelier (Műteremben) (abb. 79) und Rekrutierung (Újoncozás). streng warf er dem meister die seiner meinung nach falsche Verwendung der farben, die dunklen töne usw. vor. überraschenderweise vermutete er bei Im Atelier einen spanischen einfluss, eine inspiration durch Velázquez und hinsichtlich der farben durch goya. er bemängelte vor allem das undurchdringliche pechschwarz des hintergrundes. als sei er hellseher gewesen, bemerkte er schon bei dem neuen – und damals vermutlich noch viel helleren – bild die nachteile der bitumengrundierung, die es später noch dunkler wirken ließ. er erkannte munkácsys großes talent an, erwartete aber viel bessere arbeiten von ihm und war mit ihm vielleicht deshalb strenger als mit den übrigen meistern. natürlich sparte er auch anderswo nicht mit kritik. Vermutlich spürte er selbst, dass das pester publikum einen anderen ton und viel mehr begeisterung von ihm erwartete, sodass er seine kritischen bemerkungen mit einer rechtfertigung abschloss. er erklärte, wenn er einen härteren ton anschlage als sonst, erkenne der verständnisvolle kunstliebhaber hoffentlich, dass er dies im interesse der kunst in ungarn getan habe.

Erweiterung des Horizonts und Festigung der Vermittlerrolle wie ich bereits erwähnt habe, schrieb hevesi über die wichtigen wiener ausstellungen schon damals regelmäßig besprechungen für die leser des Pester Lloyd, und zwar anders, mit anderen akzenten und kürzer, seine ausführungen quasi an das publikum anpassend, und manchmal in die rubrik Wiener Briefe integriert. auf diese weise konnte das gebildete publikum in budapest mindestens genauso gut informiert sein wie das in der kaiserstadt, und wer es sich finanziell leisten konnte, konnte nach wien reisen, um sich die bilder persönlich anzusehen.43 in die andere richtung flossen die informationen deutlich seltener. künstlerische ereignisse in budapest mussten – vor allem in politischer hinsicht – von großer wichtigkeit sein, um auf den seiten des Fremden-Blattes besprochen zu werden. (solche ereignisse waren die allgemeine landesausstellung in budapest im Jahr 1885 und die millenniumsausstellung elf Jahre später.) selten war es

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79. mihály munkácsy: im atelier, 1876

damals auch, dass ein im ausland entstandenes werk in budapest früher zu sehen war als in wien – jetzt aber war es der fall.

1878 im Januar dieses Jahres überraschte das künstlerhaus das wiener publikum mit einer denkwürdigen ausstellung. die bilder, die zwei monate zuvor in budapest ausgestellt worden waren, konnte man in wien sehen. werke einiger sehr berühmter französischer meister waren zu sehen: bouguereaus Pietà, bilder von gustave moreau, fromentin, dupré und daubigny, munkácsys komposition Im Atelier (Műteremben) und sechs gemälde von wilhelm leibl, die in budapest nicht gezeigt worden waren. Von diesen sechs werken war hevesi ehrlich begeistert.44 mit ausnahme von leibl wurden die werke tatsächlich auf dem rückweg von der oben besprochenen internationalen ausstellung der ungarischen gesellschaft für bildende kunst (országos magyar képzőművészeti társaság – omkt) in wien ausgestellt, sodass hevesi sie bereits für die leser des Pester Lloyd ausführlich analysiert hatte und den wienern seine meinung über die franzosen viel kürzer darlegte. das noch frische erlebnis und leibls präziser stil nach dem Vorbild der exakten pinselführung der großmeister der deutschen renaissance, mit dem er ohne rücksicht auf schicklichkeit in monumentaler größe völlig banale Themen, alltägliche szenen des bäuerlichen lebens, malte, überwältigte und verzauberte ihn. leibl wurde zu einem zentralen fixstern in hevesis virtuellem parnass. er widmete der kunst des münchener malers gleich noch einen gesonderten artikel, den er jedoch nicht in wien, sondern im Pester Lloyd veröffentlichte.45 die bilder analysierte er auch in wien ausführlich, allerdings im rahmen des beitrags über die gesamte ausstellung.

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80. der Österreichischungarische paVillon auf der weltausstellung 1878 in paris

81. trocadÉro palace auf der pariser weltausstellung, 1878

im frühjahr waren im wiener künstlerhaus die gemälde ausgestellt, die zur pariser weltausstellung im sommer geschickt werden sollten, von denen makarts monumentales panneau Einzug Karls V. in Antwerpen (abb. 65) alle anderen werke in den schatten stellte. hevesi berichtete zwar in mehreren artikeln auch über die anderen, aber eine lange abhandlung voller anerkennung hat er über dieses bild geschrieben.46 (näheres dazu siehe weiter oben.) über die pariser weltausstellung hat hevesi nie berichtet. diese außerordentlich attraktive aufgabe war das privileg ernst von hesse-warteggs (1854–1918)47, der – so scheint es – ohnehin ständig unterwegs war und einmal einen reisebericht und städteporträts aus england, ein andermal dann aus amerika oder aus skandinavien schickte. dieser

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leidenschaftlich reisende muss ein sehr gebildeter und offener mensch gewesen sein, der auch ordentliche berichte über malerei liefern konnte, aber kein meister der thematischen bildanalyse oder der stimmungsvollen beschreibung von landschaften war. hevesi hat sich die exponate der pariser weltausstellung eingehend angesehen und später hier und da auf das dort gesehene verwiesen (abb. 80). für ihn war diese große schau der malerei der welt die beste schule, der ort, wo er sich zwischen alten und neuen stilen orientieren und außer den ausgestellten bildern auch die museen der stadt studieren konnte. die österreichischen maler hatten in diesem Jahr in paris erfolg48, während die deutschen offiziell nicht vertreten waren.49 in der offiziellen kulturpolitik der dritten französischen republik spielte natürlich die monumentalmalerei die hauptrolle, aber anders als in der zeit napoleons iii. erhielten statt der akademischen allegorien die realistischen und naturalistischen darstellungen viel mehr raum, auch die ländlichen Themen gehörten zu den besonders geförderten sujets. Von den bildern, die gleichzeitig mit der weltausstellung im pariser salon gezeigt wurden, war eines im Januar des folgenden Jahres im künstlerhaus in wien zu sehen und wurde dort einhellig als gewaltiger erfolg eingeschätzt: munkácsys Milton (abb. 67). hevesis analyse dazu habe ich als modell einer umfassenden bildanalyse eines einzigen gemäldes bereits erwähnt.

1879 zu den bedeutenden bildern dieses Jahres gehörten die neuesten historischen arbeiten von Václav brožík50, defreggers Andreas Hofer51 und hans canons altarbild, das die kinder der kaiserlichen familie für franz Joseph und königin elisabeth in auftrag gegeben hatten.52 hevesi schrieb auch einen langen artikel über die fertigstellung der Votivkirche53, außerdem drei feuilletons über die x. Jahresausstellung im künstlerhaus54 (abb. 82). da er dort keine herausragenden werke fand, befasste er sich mit den gelungenen lösungen kleinerer aufgaben. wie immer widmete er den bildern von tina blau (die er anscheinend noch immer liebte und bewunderte) besonderen raum. im mai war anselm feuerbachs panneau Titanenkampf (abb. 83) ein sensationsthema, das für die decke der aula der akademie bestimmt war. die künstlerische leistung des als gegenspieler makarts behandelten verbitterten feuerbach faszinierte hevesi. ausführlich analysierte er die undankbare aufgabe, das ganze dilemma, das das traditionelle bildthema und die last der gesamten Vorgeschichte der monumentalmalerei einem zeitgenössischen maler auferlegte, der in der zeit des realismus geboren wurde und sich darin fremd fühlte.55 in dieser kaum zu bewältigenden situation löste feuerbach nach hevesis meinung seine aufgabe best-

82. heinrich ferstel: die VotiVkirche in wien, 1877 83. anselm feuerbach: titanensturz, 1875–1878

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84. adolph menzel: eisenwalzwerk (moderne cyklopen), 1872–1875

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möglich und schuf bleibendes. der kritiker konnte, im unterschied zu seinen wiener kollegen, die zumeist entweder makarts oder feuerbachs anhänger waren, wie nur wenige die leistung zweier so unterschiedlicher maler gleichzeitig würdigen.56

Die künstlerische Bilanz des Jahrzehnts in München das große ereignis des Jahres 1879 war in münchen die zweite internationale ausstellung im glaspalast. während die von 1869 noch nicht so von politischen und kulturpolitischen spannungen geprägt war, war es acht Jahre nach dem deutsch-französischen krieg ausgesprochen schwer, französische künstler zur teilnahme an einer ausstellung in deutschland zu bewegen. die offizielle französische Jury zögerte die entscheidung darüber, ob sie bilder an einen ort schicken sollte, wo das deutsche gemälde mit dem größten format anton von werners Die Proklamation des deutschen Kaiserreiches war, auch monate nach der eröffnung weiter hinaus.57 die mit spannung erwarteten französischen bilder trafen schließlich im letzten monat der ausstellung in münchen ein. hevesi berichtete sowohl in wien als auch in budapest in mehrteiligen reihen über die exponate; im Fremden-Blatt hob er nach gattungen die seiner meinung nach bedeutendsten meister hervor, darunter lawrence alma-tadema und adolph menzel. in einem artikel skizzierte er mit scharfblick jenes problem, das sich bei den immer unübersichtlicher werdenden großen ausstellungen zeigte. „es ist eine hochflut von production, die alle kunstgebiete überschwemmt. (…) auffallen! hervorstechen! nicht

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sein, was alle welt ist! nicht die hundertste null sein nach der einzigen glücklichen eins, welche der ganzen zahlreihe den namen gibt! das ist der kampf ums bemerktwerden. er tobt auf der ganzen linie der kunst und vor übergroßer anstrengung emporzutauchen, überschlägt sich so mancher und kommt zu groteskem falle. nichts spielt eine grössere rolle in der modernen kunst, als das kuriose. es ist die karikatur des originellen, das um jeden preis erhascht werden soll.“58 innerhalb des umfangreichen bildmaterials hob hevesi vor allem die ausgesprochen niveauvolle zeitgenössische belgische und niederländische landschaftsmalerei als neue naturgetreue schule mit Vorbildfunktion hervor. diese war seitdem für eineinhalb Jahrzehnte tatsächlich eine der wichtigsten Quellen der inspiration für die mitteleuropäische landschaftsmalerei.59 schließlich besprach er in zwei beiträgen die verspätet eingetroffenen französischen werke.60 diese hatte man aus den exponaten des letzten salon sowie aus dem bestand des musée du luxembourg und des louvre ausgewählt, sodass sie nahezu den geschmack der offiziellen französischen kulturpolitik repräsentierten, also keine impressionisten unter ihnen waren. außer den allgemein bekannten hauptwerken von hébert, lefebvre, bonnat und bouguereau waren dann auch werke der barbizoner meister und auch solche von Jules adolphe breton vertreten, die auch hevesi für werke der besten nationalen malerschule der zeit hielt. (corots bilder nannte er wie schon 1877 in budapest „stimmungslandschaften“.) seine kürzeren und weniger ausführlichen artikel für den Pester Lloyd begann er anders und mit anderen akzenten.61 hier analysierte er ausführlich und mit doppelter ironie das „politische bild“ anton von werners Die Proklamation des deutschen Kaiserreiches, das heißt, er zerfetzte es. adolph menzels Das Ballsouper (1878), ein realistisches meisterwerk über das publikum beim empfang am preußischen hof, das man auch als gnadenlose satire betrachten kann, lobte er ebenso begeistert wie das andere ausgestellte hauptwerk des virtuosen preußischen hofmalers, das Eisenwalzwerk (1875), mit seinem gewagt neuen und modernen Thema. dieses innere einer fabrik, die großformatige, überwältigende realistische abbildung war eine lange zeit unerreichte darstellung der modernen fabrik und der fabrikarbeiter. (abb. 84) hevesi erkannte mit unfehlbarer sicherheit das wesentliche an menzels bild, nämlich den meisterhaften realismus: „das ist der realismus, wie ihn die darstellung des modernen arbeitenden lebens erfordert, dessen inhalt nur in dieser sprache ausgedrückt werden kann, eine sprache, die jedes ding beim namen nennt und wäre es gleich ein technischer ausdruck.“62 bei den sonderbarkeiten, denjenigen, die um jeden preis aufmerksamkeit erregen wollen, ordnet er dagegen max liebermanns bild Der zwölfjährige Jesus im Tempel ein, und zwar wegen der ungewöhnlichen wahl des modells, obwohl ihm die realistischen arbeiten des malers zuvor gefallen hatten. er zog auch eine weitere wichtige erkenntnis aus den exponaten der internationalen ausstellung in münchen. sie zeigte viel spektakulärer als zuvor, dass sich die monu-

85. anselm feuerbach: iphigenia, 1871

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86. hans makart: die fünf sinne, 1872–1879

mentalen gattungen, die historien- und die religiöse malerei, in der krise befanden, ihre Themen müde oder sensationsheischend, ihre formen erstarrt und ihr stil konventionell geworden waren. die unruhigen meister, die nach neuem suchten und gegenüber sich selbst wirklich anspruchsvoll waren (und nicht nur diejenigen, die der jüngeren generation angehörten, sondern auch die herausragenden talente der mittleren generation), versuchten immer intensiver, ihren stil und die alten Themen zu erneuern, die traditionelle ikonografie und die traditionellen gattungen mit neuem, unmittelbarem inhalt zu füllen, das heißt, die malerei zu modernisieren. es kamen vielfältige innovative realismen auf, die wende in der kunstbetrachtung, die gegenüber dem idealismus des historismus die bestrebungen des zeitgenössischen realismus unterstützte (menzel, leibl, liebermann), stand schon bevor – obwohl das gros der kritiker

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das noch nicht erkannt hatte oder, falls doch, es nicht wahrhaben wollte. hevesi registrierte sehr genau die bevorstehenden änderungen und erkannte mit sicherem gespür die hauptrichtung der experimentellen strömungen der nächsten Jahre, den neuartigen, sozial eingestellten realismus in der figurativen malerei und die stimmungsmalerei, die sich auf die stimmungen und die psychologischen inhalte konzentrierte, in der landschaftsmalerei. diese 1870er Jahre brachten die tatsächliche realisierung der wiener „stadterweiterung“63 in der österreichisch-ungarischen monarchie (obwohl die beendigung noch ein gutes Jahrzehnt auf sich warten ließ) und vergingen trotz aller politischen und wirtschaftlichen krisen noch im zeichen des historismus und des optimistischen fortschrittsglaubens. in der bildenden kunst kann man das Jahrzehnt als goldenes zeitalter bewerten, in dem viele bedeutende werke entstanden sind. neben makarts gewaltigen leinwänden, feuerbachs deckengemälde und hans canons großangelegten kompositionen hatten die zu professoren gealterten mitglieder der rahl-schule und die bescheiden, aber mit ausdauer und fleiß arbeitenden und mit immer mehr künstlerischem erfolg experimentierenden landschaftsmaler, die produktiven Vertreter der lokalen „stimmungsmalerei“ (emil Jakob schindler, tina blau), nicht einen moment lang das gefühl, ihre künstlerische sichtweise sei nicht mehr zeitgemäß oder modern. ganz im gegenteil, voller schaffensfreude fühlten sie sich als ausgesprochen modern, als wahre koloristen, die im gegensatz zum „kartonstil“ die farbe wieder in ihre rechte einsetzte.64 farbe, das malerische, die barocke anhäufung von kunstschätzen und exotischen kunstgegenständen wurden mit dem auftreten makarts zum ästhetischen ideal und zum festen bestandteil der visuellen kultur der zeit. dieses ideal formte von da an die gegenstände, die bis dahin bescheidenere dimensionen hatten und von denen es weniger gab, und die interieurs, in denen gedämpftere farben verwendet wurden, um, und wurde zum entscheidenden faktor bei der gestaltung des zuhauses der großbürger der ringstraße.65 eine wichtige komponente des zeitgeistes bestand darin, dass man nicht peinlich genau an den historischen Vorbildern klebte, sondern auch der fantasie des einzelnen und den individuellen kompositionen raum gab. eine manifestation dieses geschmacks war auch der von hans makart geplante „festzug“ im mai 1879, der ein modellhaftes beispiel für die kunstanschauung des klassischen historismus und voller historischer Verweise war. die sehr spektakuläre kostümveranstaltung war eine ephemere, einmalige, aber äußerst spektakuläre und effektive repräsentation der selbstbewussten ästhetischen tradition der bürgerlichen gesellschaft, die bis zur renaissance zurückreichte. (abb. 88) es war eine lokale wiener besonderheit der kunstszene, dass sich die zur rahl-schule gehörenden maler, die monumentale werke ausführten und als professoren an der akademie lehrten, in vielerlei hinsicht von den tafelbildmalern abhoben, die versuchten, ihren lebensunterhalt in erster linie auf dem kunstmarkt zu sichern. der star, heute würde man sagen „medienstar“, der ebenso umschwärmt wurde wie die stars des burgtheaters und der übrigen schauspielhäuser, war natürlich hans makart. seine lebensweise und sein berühmtes atelier, das er für das elitepublikum öffnete, machten ihn beliebt. er hatte quasi allein erreicht, dass die bildenden künste einen neuen gesellschaftlichen status erlangt hatten, dass also seitdem in wien auch maler stars werden

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87. hans makart: bacchus und ariadne, 1873–1874

konnten und ihr gesellschaftliches ansehen, das bis dahin weit darunter lag, das der schauspieler und der berühmten musiker (komponisten und virtuosen Vortragskünstler) erreichte. makart, dieser kleingewachsene unruhige mann, war ein zauberer der

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leinwand. gerade die in den tageszeitungen von seinen anhängern über ihn veröffentlichten beiträge schufen seine besondere aura, die seinen ruf verstärkte und ihn auch unter denen bekannt machte, die die malerei bis dahin kaum beachtet hatten. der hö-

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88. hans makart: entwurf zum festzug – die zuckerbäcker, 1879

hepunkt seiner laufbahn war tatsächlich der „festzug“66, weil er darin nicht nur seine leidenschaft fürs dekorative ausleben konnte, sondern weil er ihm auch die größtmögliche Öffentlichkeit bot. der „festzug“ machte ihn zum „künstlerfürsten“ der stadt, der am ende des von ihm entworfenen umzugs im rubens-kostüm auf einem weißen pferd vor der ehrenloge des kaisers paradierte wie ein Theaterregisseur am ende der Vorstellung. der „festzug“, der die tradition der renaissance wieder aufleben ließ, war einer von vielen in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts, aber der denkwürdigste in mitteleuropa (zumindest aber in der doppelmonarchie).67 ihr planer konnte sich einen moment lang tatsächlich wie ein nachfahre rubens’ fühlen68, dessen farbenwelt ihn nicht nur inspirierte, sondern auch dessen lebensstil. die gelegenheit und das ereignis waren einmalig und nicht zu wiederholen. auf den glänzenden zenit folgte ordnungsgemäß der niedergang. nicht nur seine ihn übermannende krankheit, sondern auch die zeiten änderten sich, wenn auch nicht so dramatisch wie sein individuelles schicksal. die mitglieder der tatkräftigen elite der gründerzeit, die die hauptwerke des historismus geschaffen hatten, glaubten daran, dass all das eine moderne, neue renaissance sei und sie langsam alt und müde geworden seien (abb. 88). makart malte viel, die Ariadne (abb. 87), die dekorative panneaureihe Die fünf Sinne (abb. 86) und einige porträts, aber wirklich neues, „sensationelles“, hatte er kaum noch zu bieten. nach seinem tod im Jahr 1884 blieb seine rolle des am meisten gefeierten malers und des fürsten der künstlerboheme eine zeit lang unbesetzt. erst ende der 1890er Jahre „wuchs“ klimt in eine ähnliche position „hinein“, allerdings unter anderen umständen und in einem anderen umfeld, denn schließlich war er ein anderer typ, sodass auch die rolle eine andere wurde. hevesi nahm erst ab seiner übersiedlung nach wien am „farbenrausch“ der 1870er Jahre teil, der auch das sinnliche schwelgen in plötzlich erlangtem reichtum bezeichnete und den das trauma des börsenkrachs nur für eine sehr kurze zeit unterbrach.69 der 32jährige pester Journalist widerstand dank seinem charakter und seinem intellekt dem karnevalistischen lebensgefühl, trotz aller unersättlicher neugier und ambitionen wurde er nicht in das lager der einseitigen anhänger getrieben. obwohl er makarts kolorismus schätzte und ihn die ästhetische sinnlichkeit der großen kompositionen faszinierte, erkannte er mit seinen kritikersinnen ihre einseitigkeit und wusste auch die anderen künstlerischen sichtweisen der übrigen zeitgenossen zu schätzen, so auch die des für einen

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89. festzug der stadt wien den 27 april 1879

gegenpol gehaltenen feuerbach oder die leibls und pettenkofens, die eine ganz und gar andere weltsicht und einen völlig anderen stil hatten. auch in den darauffolgenden Jahren setzte er das registrieren und bewerten der gesehenen werke immer offen, aber schon auf der grundlage seiner umfassenden kenntnisse und erfahrungen fort.

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diese erschienen ohne signatur, aber viele buchbesprechungen – oder auch zusammenfassungen interessanter neuer publikationen – stammten von ihm und wurden ohne namen abgedruckt. Von den 1880er Jahren an erschienen diese langen buchkritiken dann mit der signatur „h.“. seinen vollen namen setzte er bemerkenswert konsequent nur über seine novellistischen feuilletons und bei seinen später auch in die anthologien aufgenommenen reisebeschreibungen unter den jeweiligen titel. man kann davon ausgehen, dass er diese für seine wichtigsten schriften hielt. 2 Josef v. führich. fb, 18. märz 1876. 3 wölfflins berühmte formulierung einer „kunstgeschichte ohne namen“ konzentrierte sich im namen einer erhofften objektivität auf die stiländerungen, für ihn war das individuum weniger wichtig. 4 aus dem wiener kunstleben – wilhelm leibl. pl, 15. Jan. 1878. im künstlerhaus waren seinerzeit sechs bilder von leibl ausgestellt, das wichtigste war Die Dorfpolitiker. 5 wilhelm leibls brief an seine mutter vom 16. Januar 1878. zitiert von heidi c. ebertshäuser: Kunsturteile des 19. Jahrhunderts. münchen 1983, s. 141. 6 aus dem wiener kunstleben – hans makart’s neues gemälde: „einzug kaiser karl’s V. in antwerpen“. pl, 13. märz 1878. 7 den Quellen zufolge waren die mädchen auf den balkons der häuser entlang des weges des zuges zu sehen, doch makart platzierte sie in der mitte des zuges, was ihm ironische bemerkungen des

angesehenen kunsthistorikers thausing einbrachte, der die rekonstruktion der historischen wahrheit einforderte. thausing hatte ohnehin etwas gegen makarts anekdotischen und ungenauen stil, der sich auf das ästhetische und die emotionale stimmung der szenen konzentrierte und von rubenscher sinnlichkeit war. siehe edwin lachnit: Die Wiener Schule der Kunstgeschichte und die Kunst ihrer Zeit. wien, köln, weimar 2005, s. 30–31. 8 künstlerhaus – munkácsy’s „milton“. fb, 9. Januar 1879. 9 munkácsys Milton erntete nicht nur in wien, sondern in ganz europa allgemeinen erfolg. er wurde in den meisten städten des kontinents ausgestellt, bevor er nach amerika gebracht wurde, wo er heute in der new york public library zu sehen ist, während die kleinere Version in der ungarischen nationalgalerie hängt. 10 ludwig lobmeyr (1829–1917) war glasfabrikant und designer, er entwarf kronleuchter und tafelservices im stil des historismus. seine kunstsammlung (oder zumindest einen teil davon) stellte er auch mehrmals im künstlerhaus aus. nach seinem tod im Jahr 1917 wurden seine bilder versteigert. waltraud neuwirth: Schöner als Bergkristall. Ludwig Lobmeyr. wien 1999. 11 aus dem wiener kunstleben. – franz defregger und sein „andreas hofer“. pl, 15. febr. 1879. eine neuere abhandlung zur österreichischen historienmalerei: werner telesko: Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bil-

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die macht der kunstkritik

denden Kunst des 19. Jahrhunderts. wien, köln, weimar 2006. 12 gerbert frodl: themenvielfalt im späten 19. Jahrhundert. in: gerbert frodl (hrsg.): Geschichte der bildenden Kunst in Österreich. V. 19. Jahrhundert. münchen 2002, s. 321. 13 hermann grimm: Leben Michelangelo’s. hannover 1860. Das Leben Raphaels von Urbino. berlin 1872. Albrecht Dürer. berlin 1873. diese monografien waren in hevesis bibliothek und haben seine sichtweise mit sicherheit beeinflusst. dass er sich auf die persönlichkeit des künstlers konzentrierte, war auch dem einfluss Jakob burckhardts zuzuschreiben. 14 in der offiziellen tageszeitung, der Wiener Zeitung, bei der das feuilleton in der als Wiener Abendpost bezeichneten beilage enthalten war, die abends erschien, wurden viel weniger beiträge zum thema bildende künste veröffentlicht. dort kümmerte sich ab der zweiten hälfte der 1870er Jahre der eitelberg-schüler thausing um die rubrik und behandelte in der reihe Wiener Kunstbriefe hauptsächlich alte, in erster linie renaissance-meister. über die musik konnte man auch hier viel von dem überaus produktiven hanslick lesen. 15 ludwig speidel schrieb regelmäßig über opernaufführungen und manchmal auch über konzerte für das Fremden-Blatt, obwohl er „offiziell“ der redakteur des feuilletons und der theaterkritiker der Neuen Freien Presse war. 16 der Österreichische kunstverein wurde 1850 auf initiative des malers ferdinand georg waldmüller und des großindustriellen und kunstsammlers rudolf von arthaber (1795–1867) gegründet. siehe giselheid wagner: Harmoniezwang und Verstörung. berlin 2005, s. 29. 17 besonders interessant ist, dass hier – zur zeit der wiener weltausstellung von 1873 – courbets berühmtes hauptwerk mit dem titel Das Atelier des Künstlers ausgestellt wurde, das bei den wienern allerdings keine aufmerksamkeit und keinen beifall fand. 18 da die Quellen nicht erschlossen sind, ist auch nicht bekannt, wer in den 1870er Jahren und in den übrigen zeiträumen die leiter oder die Jurymitglieder des kunstvereins waren. aus den zeitungsberichten kann man schließen, dass die tätigkeit des Vereins mit dem ende der 1880er Jahre dramatisch zurückging, dass er, wenn auch nur schwer, die mitte der 1890er Jahre einsetzende krise – als mehr und mehr private galerien und gemäldesalons entstanden – überstanden hat, danach aber keine nennenswerte rolle mehr auf dem kunstmarkt der kaiserstadt spielte. 19 fb, 4. okt. 1876. 20 ebd. 21 ebd. 22 gabriel max (1840–1915) war ein in münchen lebender maler und dozent an der dortigen akademie für bildende künste. er war der schwager von gyula benczúr. er hatte eine besondere Vorliebe für mystische und esoterische themen.

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23 Österreichischer kunstverein – gabriel max und anderes. fb, 13. okt. 1876. 24 Österreichischer kunstverein. fb, 12. dez. 1876. 25 menzels gemälde stellte den anfang des deutsch-französischen krieges dar, das erkannte jeder zeitgenössische betrachter. 26 Österreichischer kunstverein. fb, 12. dez. 1876. 27 der lange titel brachte den betrachtern im Jahr 1876 eindeutig den beginn des deutsch-französischen krieges in erinnerung und verwies nicht auf die geschichte, sondern auf die noch sehr lebendige jüngste Vergangenheit. 28 künstlerhaus. fb, 4. nov. 1876. 29 künstlerhaus. fb, 4. Jan. 1877. 30 künstlerhaus – hansch-ausstellung. fb, 23. Jan. 1877. 31 Österreichischer kunstverein. fb, 14. febr. 1877. 32 ebd. 33 Österreichischer kunstverein. fb, 20. märz 1877. 34 Jahresausstellung im künstlerhause, i. fb, 29. märz 1877. Jahresausstellung im künstlerhause, ii. fb, 31. märz 1877. 35 Österreichischer kunstverein. fb, 3. Juni 1877. 36 die akademische kunstausstellung, i. plastik. fb, 7. apr. 1877. die akademische kunstausstellung, ii. architektur und anderes. fb, 17. apr. 1877. die akademische kunstausstellung, iii. malerei. ältere periode. fb, 24. apr. 1877. die akademische kunstausstellung, iV. malerei. – füger und seine richtung. fb, 10. mai 1877. die historische ausstellung der akademie, V. malerei – wiener genre und landschaft. fb, 27. mai 1877. 37 selbstverständlich bezeichnete er die epoche noch nicht als biedermeier, aber eindeutig als erste manifestation der wiener kunst par excellence, die eine starke lokale schule schuf. 38 die historische ausstellung der akademie, V. fb, 27. mai 1877. 39 aus dem künstlerhause i. – budapester műcsarnok. pl, 30. nov. 1877. aus dem künstlerhause, ii. pl, 2. dez. 1877. aus dem künstlerhause, iii. pl, 4. dez. 1877. aus dem künstlerhause, iV. (schluß). pl, 6. dez. 1877. 40 ebd. 41 ebd. 42 ebd. 43 aus dem wiener kunstleben – die Jahresausstellung im künstlerhause. pl, 14. apr. 1878. 44 künstlerhaus. fb, 12. Jan. 1878. 45 wilhelm leibl. pl, 15. Jan. 1878. (diese abhandlung habe ich schon am anfang des kapitels im zusammenhang mit hevesis methode besprochen. sie ist in voller länge im anhang abgedruckt.). 46 künstlerhaus. „der einzug karl’s V. in antwerpen“. gemälde von hans makart. fb, 12. märz 1878. 47 mit der signatur V. h. w. hat von hesse-wartegg in einer zwölfteiligen reihe von anfang mai bis ende Juni die pariser weltausstellung besprochen. in drei beiträgen davon geht es um die malerei und die bildenden künste, in einem vierten um die dort ausgestellten österreichischen werke.

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kunstkritik in der zweiten hälfte der 1870er Jahre

siehe V. h. w.: die schönen künste: Österreich. (schluß). fb, 14. Juni 1878. 48 siehe marketa teinhardt: are you a makartist or an anti-makartist? hans makart and the french critics. in: Hans Makart. Painter of the Senses. wien 2011, s. 135–143. 49 die deutschen waren – sieben Jahre nach dem deutsch-französischen krieg – nicht nach paris eingeladen worden. 50 künstlerhaus. fb, 5. febr. 1879. 51 Österreichischer kunstverein – das neue bild franz defregger’s. fb, 7. febr. 1879. 52 das Votivbild der kaiserlichen kinder – ausgestellt im künstlerhause. fb, 30. apr. 1879. 53 die Votivkirche. fb, 12. apr. 1879. 54 künstlerhaus – die zehnte Jahresausstellung, i. fb, 25. märz 1879. künstlerhaus – die zehnte Jahresausstellung, ii. fb, 28. märz 1879. künstlerhaus – die zehnte Jahresausstellung, iii. fb, 2. apr. 1879. 55 „titanenkampf“ von anselm feuerbach. fb, 22. mai 1879. 56 doris h. lehmann: Historienmalerei in Wien. Anselm Feuerbach und Hans Makart im Spiegel zeitgenössischer Kritik. köln, weimar, wien 2011. 57 diese proklamation hat im schloss von Versailles stattgefunden. sie bedeutete ein besonderes trauma für die franzosen. 58 fragmente von der internationalen kunstausstellung zu münchen, Vi. – die kuriosen. fb, 30. Jul. 1879. 59 insbesondere die haager schule, die realistische niederländische landschaftsmalerei, die so gut für die wiedergabe von stimmungen geeignet war, wurde für die mitteleuropäischen landschaftsmaler in den 1880er Jahren zum Vorbild des pleinairmodernismus. auch viele Österreicher, vor allem Jettel, ribarz, bis zu einem gewissen grad aber auch schindler und tina blau, ließen sich davon inspirieren. 60 fragmente von der internationalen kunstausstellung in münchen, Viii. – die franzosen. fb, 9. aug. 1879. fragmente von der internationalen kunstausstellung in münchen, ix. – französisches. fb, 17. aug. 1879. 61 Von der internationalen kunstausstellung – münchen. pl, 19. Juli, 31. Juli, 9. aug. und 19. aug. 1879. 62 fragmente von der internationalen kunstausstellung zu münchen, iii. – politische bilder. fb, 29. Juli 1879. 63 es war eine „stadterweiterung“ im wahrsten sinne des wortes, die die urbanistische Vereinigung der innenstadt mit den Vororten, den abriss der stadtmauern und die bebauung des eineinhalb kilometer breiten wiesenstreifens des Glacis bedeutete. den politischen und künstlerischen

höhepunkt des nahezu drei Jahrzehnte dauernden urbanistischen bauprogramms stellte die errichtung der staatlichen öffentlichen gebäude (opernhaus, parlament, museen, börsenpalast, burgtheater, stadtverwaltung und universität) dar. zahlreiche öffentliche gebäude wurden in den 1870er Jahren fertiggestellt oder beinahe fertiggestellt, und auch die entscheidungen über die später umgesetzten pläne wurden zu dieser zeit getroffen. 64 „kartonstil“ weist auf die romantischen deutschen freskenmaler cornelius und führich hin, für die die farbe gegenüber der zeichnung als zweitrangig galt. 65 das berühmteste und zu den frühesten gehörende interieur makarts entstand 1870–1872 für den berühmten mäzen und kulturpolitiker nikolaus dumba, und die geistige und künstlerische elite wiens war regelmäßig dort zu gast. hevesi setzte diesem einzigartigen gesamtkunstwerk, das dumbas zuhause war, wesentlich später, am ende des Jahrhunderts, aber noch zu lebzeiten dumbas, ein schriftliches denkmal. siehe das heim eines wiener kunstfreundes (nikolaus dumba). oktober 1899. in: ludwig hevesi: Altkunst – Neukunst. Wien 1894–1908. wien 1909, s. 361–374. 66 diesen festzug organisierten die bürger wiens zu ehren des kaiserlichen paares, franz Joseph und königin elisabeth, anlässlich ihrer silbernen hochzeit. 67 er war auch ein Vorbild für den von den ungarn 1896 veranstalteten militärisch geprägten millenniumszug. 68 der maler „trat“ im rubens-kostüm mit einem breitkrempigen hut mit reiherfeder „auf“ und wien feierte das seltene spektakel dankbar. die modernen firmen, händler, fabrikanten und sogar ein teil der aristokratie schlüpften zu diesem anlass mit freude in die von makart entworfenen kostüme, um persönlich auf einem der nach dem Vorbild der triumphzüge des mittelalters beziehungsweise der renaissance gestalteten prunkwagen an dem zug teilzunehmen. man wollte die glänzenden erfolge der modernen industrie und des modernen handels demonstrieren, tat dies aber in historisierenden kostümen, in der maskerade des damaligen idealisierten renaissancebildes. 69 Farbenrausch war der titel jenes berühmten zweibändigen romans, der 1886 erschien und aus der feder des angesehenen schriftstellers und Journalisten friedrich uhl (1825–1906), des chefredakteurs der Wiener Zeitung, stammte. eine der hauptfiguren der treffenden zeitschilderung war hans makart.

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europäisches panorama in den 1880er Jahren

Änderungen in der Kunstwelt die 1880er Jahre waren in den kulturellen Zentren mitteleuropas das Jahrzehnt der großen internationalen ausstellungen. den anfang machte Wien mit der internationalen ausstellung von 1882, ein Jahr später folgte münchen und 1886 Berlin1, 1888 dann die internationale präsentation Wiens und münchens, parallel dazu veranstaltete auch amsterdam eine großangelegte kunstschau.2 in england schloss 1886 edinburgh zu london und manchester auf und 1888 fand auch in Glasgow eine internationale ausstellung statt. die „internationalität“ dieser veranstaltungen beschränkte sich allerdings auf die französische, belgische und holländische malerei, die neben den einheimischen malern ausgestellt wurde. in den meisten Großstädten wurden neue kunstgalerien eröffnet und ab anfang der 1880er Jahre begannen mehrere, schon früher bestehende Galerien ihre tätigkeit zu „internationalisieren”, also die Bilder vieler ausländischer meister regelmäßig auszustellen. der aussteller der englischen maler in paris war Georges petit3, die londoner Grosvenor Gallery4 zeigte sehr viele französische meister, ebenso fritz Gurlitt5 in Berlin. die kunsthändler und privatgalerien organisierten internationale ausstellungen nunmehr nicht nur in paris immer bewusster, sondern auch anderswo; damit beteiligten sie sich an der schaffung eines kanons der zeitgenössischen malerei6. sie erkannten, dass sie neben den akademien für malerei und neben den „salons“ die wichtigste rolle auf dem kunstmarkt spielten. neben den älteren, von den kunstvereinen des jeweiligen landes kontrollierten jährlichen ausstellungen mit „offiziösem charakter“ hatten sie somit die möglichkeit, die Werteordnung der malerei zu entwerfen. sie beeinflussten den jeweiligen Geschmack und die mode. diese neuen kunstgalerien erkannten, dass die experimentelle malerei und der ungewöhnliche stil der neuen jungen künstlergeneration, die sich den konventionen widersetzte eine sehr gute investition war; man musste nur abwarten, bis sich das publikum an die neuen farb- und formkombinationen und an die neuen Themen gewöhnt hatte. ihnen wurde klar, dass die förderung der experimentierenden meister äußerst gewinnversprechend war. die Bilder der marginalisierten maler, die sich gegen die akademischen meister auflehnten, betrachteten sie nun als ein bis dahin vernachlässigtes segment des kunstmarktes, welches ein sehr exklusives gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen konnte. sie boten den sammlern das andersartige, wobei sie sich auch die presse und die Werbefunktion der kritiken geschickt zunutze machten. die aufwertung des ungewöhnlichen, gewagten Geschmacks und des individuellen entgegen den konventionen konnte auch der stärkung der identität der fortschrittsgläubigen intellektuellen elite dienen. die neureiche oder intellektuelle (seite 140). elite manifestierte ihre andersartigkeit; sie wollte mehr sein als die traditionelle politisch-gesellschaftliche elite, aber auch wichtiger, weil sie glaubte, in die Zukunft

90. rudolf von alt: Blick auf Wien vom krapfenWald, 1872

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sehen zu können und auserwählt zu sein. die neu erworbenen privatsammlungen der plutokratie sollten in erster linie nicht nur der repräsentation und der Befriedigung des Bedürfnisses nach luxus dienen, sondern auch demonstrieren, dass ihre eigentümer dem fortschritt verpflichtet, also männer (und frauen) der Zukunft waren. der optimismus der Zeit, genauer gesagt der elite des unternehmerischen Bürgertums, der durch die positivistische Wissenschaft bestärkt wurde, und ihr Glaube an den fortschritt förderten nicht nur das wissenschaftliche experimentieren, sondern auch das mit kunst. Bei allem realitätsglauben war diese reiche und gebildete gesellschaftliche elite, die sowohl in frankreich als auch in england (und in anderen ländern, in denen damals eine modernisierung stattfand) geneigt, radikale künstlerische experimente, ja sogar utopien zu unterstützen.7 diese elite hat in der staatlichen Bürokratie zunehmend an einfluss gewonnen. der wichtigste kunsthändler der impressionisten, paul durand-ruel, spürte instinktiv, was Bourdieu später so genial analysiert hat.8 mit der ausstellungspolitik seiner Galerie schuf er das strategiemodell der kommerziellen kunstgalerien und organisierte zunächst den kunstmarkt für die größten meister der Barbizoner und dann für die der impressionisten innerhalb des viel breiter aufgestellten pariser kunstmarktes.9 es war zum einen unternehmerischem mut, zum anderem aber auch Glück zu verdanken, dass es ihm gelang, die reichsten käufer mit dem vorurteilsfreiesten Geschmack, einige mitglieder der plutokratie der amerikanischen ostküste, von seinem angesehenen rivalen adolphe Goupil, charles sedelmeyer und Georges petit abzuwerben.10 schon bald trieben die millionäre von Boston und new York – zum teil durch die vermittlung der malerin mary cassatt, die selbst verbindungen zu den impressionisten hatte, die preise für die Werke der neuen, noch nicht in den damaligen kanon aufgenommenen Gruppe in so astronomische höhen, dass sie sogar die für die Bilder der weltberühmten und international anerkannten führenden französischen akademischen meister erreichten und übertrafen. hevesi hatte dem Wiener publikum die Bedeutung des kunstmarktes schon 1882 im Zusammenhang mit der ausstellung der munkácsy-Bilder in Wien erläutert.11 das belegt eindeutig, wie gut informiert er war, wie gut er sich im labyrinth des pariser kunsthandels auskannte und wie sehr er sich dessen bewusst war, dass dieser zunehmend die Gestaltung der laufbahnen und der schicksale der künstler bestimmte.) ebenfalls in den 1880er Jahren etablierte sich in den Zentren des kunstmarktes (paris und london) nach einigen frühen und als ausnahmen zu betrachtenden vorläufern eine andere, im hinblick auf die Zukunft entscheidende art von ausstellungen, nämlich die der Retrospektive, bei der das lebenswerk eines einzigen künstlers oder seine in den vorangegangenen Jahren entstandenen Bilder und Zeichnungen vorgestellt wurden. Während die erste retrospektive offiziell „vom staat“, im rahmen der ersten pariser Weltausstellung von 1855, für die beiden gefeierten französischen malergenies ingres und delacroix organisiert wurde, blieb diese art von ausstellung bis zum ende der 1870er Jahre eine seltene ausnahme. andererseits zeigte courbets geniale eigenwerbung (in form des réalisme-pavillons), wie groß das Werbepotenzial einer „one-man-show“ ist. allerdings konnte manet diesen Werbeeffekt mit seinem eigenen pavillon auf der Weltausstellung von 1867 nicht erzielen, das heißt, er erntete damit keinen erfolg beim publikum.

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europäisches panorama in den 1880er Jahren

es war zwar allgemein üblich, dass die akademie oder eine Galerie eine ausstellung des gesamten lebenswerkes verstorbener großer künstler organisierten, doch eine gesonderte retrospektive für einen noch lebenden maler, der auf dem höhepunkt seiner schaffenskraft war, veranstalteten als erste die engländer. solche ausstellungen hatten gleich mehrere Ziele: sie betonten nicht nur mehr als alles andere die Bedeutung des künstlers und zeigten die merkmale seines stils, sondern konnten auch ein manifest seiner neuen ästhetischen sichtweise und seiner stilistischen Bestrebungen sein, quasi ein Bekenntnis zu der von ihm vertretenen richtung und Weltanschauung. in london war Whistler der pionier, der nächste war George frederick Watts, für den zunächst sein begeisterter mäzen eine ausstellung mit 54 Bildern in manchester organisierte, deren erfolg die londoner Grosvenor Gallery ermutigte, das inzwischen auf 200 Gemälden erweiterte Werk 1880 ebenfalls vorzustellen – womit sie den Grundstein für das zeitgenössische image des künstlers legte, der von den kritikern als michelangelo englands gefeiert wurde.12 diese ausstellung reiste auch nach new York, wo sie ein knappes Jahr zu sehen war und mehr als eine halbe million Besucher anzog.13 die zweite von der Grosvenor Gallery für einen zeitgenössischen künstler organisierte retrospektive stellte die Bilder von lawrence alma-tadema mit 287 Werken vor. sie war zwar nicht so ein erfolg wir die für Watts, bildete aber doch für Jahrzehnte die Grundlage für die internationale anerkennung des künstlers, den die kritiker von da an für eines der malergenies der Zeit hielten. in paris veranstaltete die Galerie sedelmeyer 1885 eine James-tissot-ausstellung, in der seine Werke unter dem titel La Femme à Paris einen Zyklus bildeten. Zuvor hatte von märz bis april 1884 – vermutlich auf eigene initiative – Jean-françois raffaëlli 150 Bilder in einer eigenständigen ausstellung vorgestellt. auch seinen ruhm hat dieser auftritt begründet. die liste der namen zeigt, dass die glücklichen auserwählten nicht alle derselben stilrichtung angehörten: unter ihnen waren ein meister der monumentalen akademischen tradition, der historische Themen malte (alma-tadema), und auch frederick Watts, der zwar später zum symbolismus überging, anfangs aber sehr stark in der idealistischen akademischen ästhetik verwurzelt war. dazu gehörten auch ein „moderner“ darsteller urbanen lebens und urbaner Themen wie James tissot und der völlig andere, doch ebenfalls dem realistischen stil zugehörige raffaëlli. die Wende auf dem kunstmarkt, die in der internationalen ausstellungsszene dem impressionismus den triumph brachte, war noch kaum zu spüren, doch hinter den kulissen liefen bereits die vorbereitungen. in den 1880er Jahren war die offiziell geförderte richtung der malerei auch in frankreich der realismus – das heißt meister, die zum teil dem großen realismus courbets folgten wie alfred roll, und die nach dem vorbild von françois millet die bäuerliche arbeit in monumentalen Bildern festhielten (Bastien-lepage, léon lhermitte, dagnan-Bouveret) oder die Grundsätze des realismus auf moderne urbane Themen anwandten (Jean-françois raffaëlli, henri Gervex).14 diese meister (auch manchmal als repräsentanten des „juste milieu“ genannt) verweilten auch in stilistischer und malerischer hinsicht nicht beim akademischen idealisierenden klassizismus und bei der romantischen farbauswahl, sondern integrierten viele erkenntnisse aus manets individuellem stil und dem einsatz der farben bei den impressionisten in ihre Bilder. sie sind für etwa hundert Jahre in vergessenheit geraten, obwohl sie bei ihrer Themenwahl zweifelsfrei dem Grundsatz des modernismus folgten

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91. Alfred roll: der Streik der BergArBeiter (lA grève deS mineurS), 1879

und aus der lebenswirklichkeit ihrer Zeit schöpften, wie Baudelaire es zuvor gefordert hatte. Sie praktizierten eine Art mittelweg zwischen realismus und naturalismus, in den Augen der Zeitgenossen waren sie die wirklich modernen, die sich auch der herausforderung herkömmlicher außergewöhnlicher Aufgaben stellten. einer von ihnen, Alfred roll, der führenden Politikern der dritten französischen republik sehr nahestand, bearbeitete Themen, die mit den tableaus des französischen gesellschaftlichen „tendenzromans“ verwandt waren, und stellte seine Themen aus dem Alltag mit hartem realismus dar. Seine gemälde standen der Wirklichkeit der Zeit, das heißt dem täglichen leben der verschiedenen Schichten und klassen der gesellschaft, viel näher als die Bilder der impressionisten, die Szenen sorgenfreier entspannung, der unterhaltung und des Wohlstands für die elite verewigten.15 rolls virtuose Art zu malen machte ihn zum Porträtisten der politischen Anführer der republik, was ihm umfangreiche staatliche Aufträge bescherte. Außerdem vertraten seine Werke in Ausstellungen im Ausland oft die französische malerei16 (Abb. 91). nicht nur in der französischen, auch in der deutschen malerei erstarkte in diesem Jahrzehnt der Pleinairismus.17 die experimente der 1870er Jahre und die Studienreisen nach Belgien und in die niederlande zeigten jetzt Wirkung. neben den bekanntesten meistern mit der größten Publizität, deren laufbahn schon in den 1870er Jahren begonnen hatte, wie max liebermann oder fritz von uhde, Wilhelm trübner, carl Schuch und Wilhelm leibl, wurden auch viele etwas jüngere künstler wie Paul Baum, carl Bantzer, Philipp franck, leopold von kalckreuth, friedrich kallmorgen und gotthard kuehl, Anhänger der Pleinairmalerei. Somit kann man dieses Jahrzehnt als das der realistisch-naturalistischen malerei betrachten, die auch die erkenntnisse der Pleinairmalerei integriert hatte.

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europäisches panorama in den 1880er Jahren

vor dem institutionellen hintergrund und dem kunsthandel ist zu den Bildergalerien zu sagen, dass die aussage, dieser Zeitraum sei „das goldene Zeitalter der modernen, also der zeitgenössischen, maler“, seit den 1860er Jahren tatsächlich zutrifft.18 das „neue Geld“, das heißt das repräsentationsbedürfnis der neureichen plutokratie, ermöglichte – besonders in england – das anlegen enorm großer privatsammlungen. die für die kunst empfänglichen erfolgreichen industriellen und Bankiers gingen – wie oben ausgeführt – viel offener an ungewöhnliche künstlerische experimente heran als die mitglieder der traditionell geprägten alten politischen und wirtschaftlichen elite.19 mit ihrer offenheit und der positiven Bewertung der errungenschaften ihrer Zeit waren sie eher bereit, die realistischen oder experimentellen stilrichtungen der Gegenwart zu akzeptieren, als diejenigen zu unterstützen, die die ästhetischen ideale der vergangenheit (den klassizismus oder die akademische romantik) fortführten. diejenigen, die zuvor den kunstgeschmack diktiert und repräsentiert hatten, waren mitglieder einer elite aus der Geburtsaristokratie, die die kulturpolitik der verschiedenen nationen bestimmte und zu der im Zuge der professionalisierung auch Wissenschaftler und akademische künstler Zutritt erlangten. sie waren auch die Garanten und Gestalter der offiziell geförderten ästhetik. noch mitte des 19. Jahrhunderts bestimmten sie in ganz europa die offizielle kunstpolitik der länder und reiche.20 sie wurden gegen ende des Jahrhunderts nach und nach von jenen fachleuten abgelöst, die in der staatlichen Bürokratie hohe positionen erlangt hatten und überwiegend noch immer anhänger clios waren. so lenkten sie das offizielle mäzenatentum der einzelnen staaten als menschen, die einerseits mit der sichtweise des historismus und des akademismus aufgewachsen waren und andererseits als erben der aufklärung engagierte anhänger der didaktischen, erzieherischen und ethischen funktionen der kunst waren. es hing sehr vom Geschmack einzelner personen ab; ihr einfluss konnte für Jahre bestimmen, welche kunstrichtungen staatliche subventionen erhielten und welche künstlergruppen einfluss auf den kunstunterricht hatten. für ganz europa galt bis zum ersten Weltkrieg, dass jeder staat der kultur eine sehr große Bedeutung beimaß. in diesem Jahrhundert – das üblicherweise als Zeit des nationalismus bezeichnet wird – war jede nation bestrebt, am internationalen Wettstreit der künste teilzunehmen und in den foren des „kräftemessens“, den internationalen ausstellungen, ihre eigene leistung zur Geltung zu bringen.21 den repräsentativen Bestand an kunstgegenständen wählte die staatliche kulturbürokratie zu hause beziehungsweise eine von ihr beauftragte Jury aus, die nicht die allerneuesten experimente, sondern die ihrer meinung nach besten oder wichtigsten Werke zu den internationalen schauen schickte.22 kulturpolitische entscheidungen waren häufig auch durch andere politische Überlegungen motiviert, beispielsweise als diplomatische Gesten. so war zum Beispiel der umstand, dass frankreich bei der Weltausstellung in Wien 1873 mit einem reichhaltigen und anspruchsvollen Bildmaterial vertreten war (obwohl das deutschsprachige Wien damals als verbündeter Berlins galt), darauf zurückzuführen, dass ernest meissonier den präsidenten der republik adolphe Thiers davon überzeugte, wichtige Bilder aus den französischen staatlichen museen nach Wien zu schicken. meissonier war ein außerordentlich einflussreicher pariser akademischer maler, der die internationalen ausstellungen als „schlachtfelder“, also schauplätze künstlerischer kämpfe, betrachtete, „eine ausstellung ist ein Werk des patriotismus. Wir müssen das

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Bestmögliche bieten“, erklärte er. Gerade wegen der niederlage der franzosen gegen die deutschen wurde es für ihn und die offizielle französische kulturpolitik so wichtig, sie in Wien künstlerisch zu besiegen.23 selbst für die ausstellung im Wiener künstlerhaus im Jahr 1882 konnten die organisatoren die Zusammenstellung eines sehr bedeutsamen französischen Bildmaterials erreichen, das in seiner Qualität und vielschichtigkeit – in seiner modernität, wie sie im rahmen der offiziellen auswahl möglich war – schließlich zum interessantesten teil der schau wurde24 (siehe die Wiener kritiken). den internationalen ausstellungen im münchener Glaspalast 1879 und 1883 hingegen haben die feindlichen politischen Beziehungen zwischen deutschland und frankreich sehr geschadet. die bayrischen organisatoren konnten nur auf komplizierten umwegen, durch ausleihe aus privatsammlungen, Bilder von bedeutenden französischen meistern bekommen.25 die französischen exponate der internationalen ausstellung in Wien im Jahr 1888 waren ebenfalls nicht mehr so herausragend wie die von 1882. in den 1880er Jahren erholte sich frankreich relativ schnell von dem trauma des deutsch-französischen krieges, die urbanistische modernisierung von paris (die noch napoleon iii. begonnen hatte) wurde fortgesetzt und allmählich auch beendet. dadurch wurde die stadt schöner, moderner, bequemer und attraktiver als je zuvor. das französische, vor allem das pariser Bürgertum, dessen Wohlstand zunahm, konnte getrost wieder Geld für luxusgüter ausgeben, und die national bewusste kulturpolitik der französischen republik tat alles, damit die stadt ihre position als kulturhauptstadt europas, also der ganzen Welt, festigen konnte. die maler – und nicht nur die impressionisten – nahmen mit vorliebe die stadt zum motiv und nutzten dabei die neuen ansichten und ungewöhnlichen perspektiven. vielleicht trug auch die fotografie dazu bei, dass das herkömmliche vedutenrepertoire um neue ausschnitte und neue kompositionen bereichert wurde (siehe die Werke von caillebotte, renoir, raffaëlli und anquetin oder des italieners Giuseppe de nittis). den abschluss des Jahrzehnts bildete die pariser Weltausstellung 1889, die zweifelsohne einen meilenstein in der Geschichte der malerei darstellte. den triumph des technischen fortschritts in frankreich zeigten nicht nur der eiffelturm und die Galerie des machines, sondern auch die ausstellung mit dem titel Centennale, die französische malerei aus 100 Jahren zeigte. hier zeigten die veranstalter die entwicklung der modernen malerei eines landes, einer nation erstmals chronologisch, womit sie illustrieren wollten, dass frankreich auch in der kunst unbestreitbar an erster stelle stand. der geistige vater und organisator der ausstellung war der Bildungsminister der Gambetta-regierung, antonin proust, ein freund manets.26 Während die nationalen ausschüsse das internationale Bildmaterial (und innerhalb dessen natürlich auch das zahlenmäßig größte französische) nur aus der produktion der vorangegangenen zehn Jahre auswählen mussten27, zeigten die franzosen als Geste der erinnerung an die französische revolution in der Centennale die französische malerei der vorangegangenen hundert Jahre.28 Was das internationale Bildmaterial betraf, so bedeuteten – zumindest den zeitgenössischen kritiken zufolge – nicht die wenigen impressionistischen leinwände, sondern die Werke der symbolistischen maler (z. B. Gustav moreau und puvis de chavannes) die offenbarung der ausstellung. damals wurden auch edward Burne-Jones und Georg frederick Watts, zwei hervorragende vertreter des englischen symbolismus, weltbekannt. außer-

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EuropäisChEs panorama in dEn 1880Er jahrEn

92. EiffElturm und Champ dE mars vom troCadéro-palast aus gEsEhEn, parisEr ausstEllung, 1889

dem entdeckte die europäische Kunstkritik die erste generation der englischen präraffaeliten, darunter auch die Bilder von dante gabriel rossetti, für sich. sich einen Überblick über die gewaltige internationale schau der bildenden Künste zu verschaffen, wurde durch die Zahl der Bilder und den verstörenden pluralismus der stile erheblich erschwert, dennoch ist in den Kommentaren die stilwende zu spüren, die Entfernung vom stilideal des realismus hin zu einem spirituelleren, idealistischeren oder esoterischeren und stärker archaisierenden stil. Bei den französischen ausstellungen zur malereigeschichte bewunderten die Besucher (unter ihnen die vielen ausländischen maler) fasziniert die Bilder, die so selten zusammen zu sehen waren, und das unbestreitbar hohe ästhetische niveau der Werke. die jungen maler Europas wollten von da an vor allem in paris studieren.

Die Wiener Kunstszene in den 1880er Jahren 1879 wurden erstmals ideen formuliert, auch in Wien regelmäßig internationale Kunstausstellungen zu veranstalten – sicherlich unter dem Einfluss des münchener vorbilds und weil der „festzug“ und makarts überwältigender publikumserfolg den glauben der Künstler vor ort darin bestärkte, sich dem internationalen vergleich stellen zu können. Es gelang, die idee populär zu machen sowie die Zuständigen im staat und in der stadt dafür zu gewinnen und für die finanzierung der großen unternehmung einige bedeutende sponsoren. die Kunstszene Wiens entfaltete sich auch in diesem jahrzehnt in der schaffung monumentaler und dekorativer gesamtkunstwerke von gleichmäßig hohem niveau, den immer öfter in immer größeren formaten aufgestellten denkmälern und in der dekorativen ausgestaltung der monumentalen gebäude der ringstraße (parlament, Burgtheater, rathaus), die sich in der abschließenden phase befand und nicht betroffen war von plötzlichen stilwenden, die zur sensation werden oder einen skandal auslösen konnten. trotzdem oder zusätzlich dazu sehnten sich Künstler und publikum auch nach internationalen sensationen.

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die beiden internationalen ausstellungen in Wien (1882 und 1888) waren die beiden spektakulären foren, in denen die örtliche österreichische (tafel-)malerei tatsächlich gemessen wurde. das vorbild dafür war weniger paris als eher die internationalen ausstellungen im münchener Glaspalast. auch hier bestand das Ziel darin, zu verhindern, dass Österreich im internationalen wirtschaftlichen und kulturellen Wettstreit in rückstand geriet. in den augen der politischen und wirtschaftlichen elite der Zeit waren die künste und die kultur ein natürlicher, fester und unentbehrlicher – ja sogar ein besonders wichtiger – teil des reiches.29 rückblickend kann man durchaus sagen, dass für die kultur in Wien immer Geld da war, dass man für unternehmungen, wie es eine großangelegte internationale kunstausstellung ist, stets die moralische und finanzielle unterstützung des hofes und die finanzielle unterstützung der finanzelite gewinnen konnte. die künstlerische repräsentation war ein nicht zu hinterfragender teil der inneren identität sowie des für das ausland konstruierten images. Wie also sah hevesi die chronik der malerei in Wien in diesem Jahrzehnt?

1880 das Jahr 1880 war noch nicht allzu bedeutend. anfang Januar starb anselm feuerbach unerwartet in venedig. hevesi würdigte das leben dieses unverstandenen und einsamen künstlers, der in Wien ausgesprochen unbeliebt war, in einem psychologisch einfühlsamen und nuanciert analytischen nachruf.30 die Bilder der Xi. Jahresausstellung beschrieb er den lesern in einer sechsteiligen reihe, in der er das Bildmaterial nach Gattungen aufteilte. das hauptwerk der ausstellung war die Prometheus-reihe des rahl-schülers christian Griepenkerl, die dieser im auftrag von Baron sina für die akademie in athen gemalt hatte.31 hevesi beschrieb und analysierte pflichtgemäß alles, konnte sich für die bei dieser schau gezeigten Werke aber nicht begeistern. makart stellte im mai eine neue komposition von gewaltiger Größe mit dem titel Die Jagd der Diana vor. im Grunde war es ein tableauartiger dekorativer panneau, nicht mehr als ein pastiche (imitation) von rubens’ Jagdbildern, auf dem statt des mühseligen

93. vasilY vereshchaGin: der WeG der krieGsGefanGenen, 1878–1879

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dramas der Jagd, des kampfes auf leben und tod mit den tieren der triumph der dekorativität zu sehen ist. es wurden auch mehrere privatsammlungen ausgestellt, die hevesi dem publikum ebenso begeistert und ausführlich vorstellte wie die modernen exponate. am ende des Jahres wurde (als erste ihrer art) die ausstellung historischer porträts eröffnet, zu deren hauptorganisatoren der junge kunsthistoriker albert ilg (1847–1896) gehörte, der als museumskurator und kunstkritiker eine zunehmend wichtige rolle in der kunstszene der stadt einnahm.32

1881 in diesem Jahr wurde das Gebäude des künstlerhauses umgebaut und erweitert, um dort ein Jahr später die geplante großangelegte internationale kunstausstellung veranstalten zu können. unterdessen fand aber trotzdem die Xii. Jahresausstellung statt. das größte aufsehen erregte im herbst der Zyklus von Wassili Wereschtschagin über den russischosmanischen krieg (1878). die als sensation gefeierten realistischen Werke sahen ab dem 27. oktober 95.000 Besucher – weniger um des künstlerischen erlebnisses als vielmehr um des schockierenden Themas willen. Wereschtschagin hat die Grausamkeit des krieges mit fotografischem realismus dargestellt. für hevesi war eine solche „reportage“ eine legitime funktion der malerei. er erkannte die technische virtuosität der Werke an und sympathisierte außerdem mit den antimilitaristischen ansichten des malers (abb. 93).

94. mihálY munkácsY: christus vor pilatus, 1881

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1882 das Jahr begann mit einer anderen aber ebenso erfolgreichen ausstellung. charles sedelmeyer, ein aus Wien stammender bedeutender Pariser kunsthändler (der die meisten in Paris lebenden österreichischen, ungarischen und tschechischen künstler betreute)33, brachte auf seiner rundreise in europa munkácsys schon damals berühmtes monumentales Bild Christus vor Pilatus (Krisztus Pilátus előtt) auch nach Wien. es war vom 1. Januar bis zum 14. Februar zu sehen und zog in diesen sechs Wochen 50.000 Besucher an. die Wiener kritiker lobten es einstimmig, jeder in seinem stil. als erster widmete hevesi dem Werk gleich am tag der eröffnung im Fremden-Blatt eine lange analyse in plastischer sprache, mit der er den Grundton der Begeisterung vorgab und es seinen kollegen nicht leicht machte, anders an das Thema heranzugehen.34 es begann eine art heimlicher Wettbewerb unter den Wiener Feuilletonisten darum, wer die analyse auf welche Weise mit neuen Gedanken bereichern konnte.35 Obwohl das Bild in mehr als 100 Jahren viel von seiner ursprünglichen Farbwirkung verloren hat und der heutige Betrachter ein grundlegend anderes Verhältnis zu Bildern mit biblischen Themen hat, wirkt hevesis analyse auch heute noch zutreffend und mitreißend (abb. 94). im damals schon stark säkularisierten europa bestand eine der schwersten aufgaben eines malers darin, eine Geschichte aus dem neuen testament möglichst in einer neuen interpretation auf menschlich und historisch authentische art und Weise darzustellen, um sich der eineinhalbtausendjährigen tradition der darstellung als würdig zu erweisen und zugleich modern zu sein. die Zeitgenossen meinten, munkácsy habe das perfekt gelöst.36 der erfolg des Bildes, das auf seiner reise sowohl das Publikum als auch die kritiker faszinierte, veranlasste sedelmeyer, den maler auch mit der darstellung des höhepunkts der Passion zu beauftragen. es folgten noch zwei christus-Bilder: Golgotha (Golgota) und Ecce Homo. die Vorläufer oder zeitgenössischen Parallelen des Bilderzyklus sind inzwischen fast überall in Vergessenheit geraten, doch die künstlerische Leistung eines malers lässt sich durch ihre kenntnis beurteilen. dass damals noch ein unbedingter Bedarf an Bildern zu biblischen Themen bestand, beweist auch der umstand, dass die englischen Bewunderer von Gustave doré – die kunsthändler Fairless und Beeforth – ab 1869 ähnlich großformatige Panneaus bei ihm in auftrag gaben, die sie von 1869 bis 1892 in einer Galerie in der Bond street ausstellten. Zeitgenössischen statistiken zufolge sahen sich etwa 2,5 millionen menschen die Bilder an (im Laufe von 23 Jahren, für einen eintritt von 1 schilling pro Person) – zur seelischen erbauung mithilfe der Betrachtung der bildlich dargestellten Predigten. die kreuzigung und die szenen der Passion waren stets wichtige Themen, auch in der deutschen und in erster Linie in der münchener malerei. ihre spektakulärste Variante, ein Panoramabild, hat Bruno Piglhein, eine der führenden Persönlichkeiten der münchener secession, 1888 gemalt und ausgestellt.37 die Zeitgenossen lobten es in den höchsten tönen und schrieben einhellig über seine faszinierende kraft und seine künstlerische Qualität.38 da es jedoch bedauerlicherweise vernichtet wurde, kann man es nicht nach heutigen kriterien analysieren und bewerten. auf diese Weise blieb munkácsys in Paris entstandenes Werk eine ausnahme in mitteleuropa, das das christus-Bild nach den Vorgaben der Zeit für die Zeitgenossen authentisch darstellte. Gleichzeitig zur Präsentation von Christus vor Pilatus (Krisztus Pilátus elött) veranstaltete auch der Österreichische Kunstverein eine munkácsy-ausstellung, und zwar mit 62 Werken

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95. Jules BastienlepaGe: die heuernte, 1877

– nicht nur eigenen arbeiten (hauptsächlich landschaftsbildern und Blumenstillleben), sondern auch radierungen und aquarellen, ja sogar fotoreproduktionen seiner früheren Bilder, sodass dem Zuschauer das bisherige lebenswerk des malers gezeigt wurde. diese schau bot hevesi die möglichkeit, seine leser in einige Geheimnisse des pariser kunstmarktes und kunsthandels der Zeit einzuweihen.39 er beschrieb die merkmale des kunsthandels, die rolle der amerikanischen millionäre und zeigte an einigen Beispielen sogar die entwicklung der preise auf. mit seinem interesse am kunstmarkt stand hevesi unter den österreichischen kritikern der Zeit praktisch allein da; die anderen schrieben so gut wie nie über den finanziellen hintergrund. es zeugt von seinem realitätssinn und seinem sozialen Gespür, dass ihn auch dieser aspekt immer mehr interessierte und er auch später verfolgte, wie sich der markt auf einen maler, ein Œuvre und ein Werk, ja sogar auf eine stilrichtung auswirkte. die mit spannung erwartete internationale ausstellung in Wien wurde am 1. april 1882 eröffnet, obwohl sehr viele eingeladene länder ihr Bildmaterial noch nicht geschickt hatten. die ausstellung war eigentlich erst gute zwei Wochen später vollständig, als die belgischen Bilder eintrafen, aber auch danach wurden noch ausgestellte Gemälde ausgetauscht. das Wiener publikum hatte in den vorangegangenen Jahren schon einen vorgeschmack davon erhalten, was für ein großartiges sinnliches und intellektuelles erlebnis

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es ist, gute Werke sehen zu können, und sich den Besuch von ausstellungen zur Gewohnheit gemacht. Fast alle tageszeitungen berichteten in mehrteiligen reihen über die Werke40, und zu diesem anlass schrieben selbst Feuilletonisten, die sonst äußerst selten kunstkritiken verfassten, über das eine oder andere Bild, das ihnen gefiel (z. B. Ludwig speidel). hevesi analysierte in einer zwölfteiligen reihe Bilder und skulpturen und widmete einzelnen nationalen malerschulen mehrere artikel. in seinem Begrüßungsbeitrag, der am ersten tag erschien, schlug er einen verständnisvolleren ton an als sein gebildeter, aber sehr kämpferischer schriftstellerkollege hans Grasberger, der in Der Presse ebenfalls häufig über die bildenden künste schrieb.41 alle kritiker waren zum einen darauf gespannt, inwieweit ausländer vertreten waren, genauer gesagt, die beiden nationalen schulen, die man für die wichtigsten hielt, und zum anderen, wie die heimische kunst im hinblick auf die ausstellung als Ganzes präsentiert wurde. in Bezug auf die letzte Frage erwies sich Grasberger42 als sehr streng: er urteilte viel härter als hevesi. er bemängelte nicht nur das Fernbleiben von künstlern, weil sie beleidigt waren, sondern reagierte auf – vermutlich verbale – angriffe wegen seines ersten artikels in der darauffolgenden Woche mit noch schärferer kritik.43 nun bezeichnete er die österreichische malerei als stagnierend, ja meinte sogar, sie habe sich gegenüber den Vorjahren zurückentwickelt. Über die exponate der Franzosen dagegen war er ehrlich begeistert und auch die deutschen befand er für gut. die große Zahl ausländischer Bilder stellte, wie für alle anderen, auch für ihn einen Beweis dafür dar, dass das ausland Wien in künstlerischer hinsicht ernst nahm und als Partner akzeptierte. Was aber hat hevesi geschrieben? Während auch er (wenn auch sehr sachte) die nicht wirklich gelungene erweiterung des Gebäudes kritisierte, schlug er in seinem artikel, in dem er die ausgestellten Werke ankündigte, einen zuversichtlichen und verständnisvollen ton an und zählte die wichtigsten künstler und ihre Bilder auf.44 den zweiten langen Beitrag widmete er den Franzosen. Wie Grasberger hielt auch er das ausgestellte Bildmaterial für hervorragend und meinte, es enthalte viele interessante und lehrreiche Bilder der modernen französischen malerei. er hielt es nahezu für ein „kleines Luxembourg“.45 danach bot er ein großartiges miniaturporträt der metropole Paris dar und beschrieb all die vielen einflüsse, die dort auf einen künstler wirken und sein schaffen formen konnten. er kontextualisierte den maler der modernen Großstadt, damit auch diejenigen, die niemals in der „stadt der Lichter“ gewesen waren, verstanden, weshalb die Bilder, die sie sehen würden, so anders waren als die, die sie bis dahin gesehen hatten, und warum sie modern waren. die französischen Werke hatte eine offizielle staatliche Jury ausgewählt, sodass sie die offizielle kunstpolitik der republik widerspiegelten, weshalb man die marginale, nicht offizielle malerei, die impressionisten, ausgelassen hatte. dennoch kamen interessante und inspirierende offiziell ausgewählte kunstwerke nach Wien, die die zur Perfektion entwickelte realistische darstellungsweise der französischen akademischen malerei mit sonderbaren Themen verknüpften, wie sie in der kaiserstadt ganz und gar ungewöhnlich waren. dazu gehörten beispielsweise alfred rolls großangelegter Streik der Bergarbeiter (abb. 91) oder die Kartoffelernte von désiré François Laugée und Die Heuernte von Bastien-Lepage (abb. 95). anhand seines textes spürt man, dass rolls harter und

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unverblümter realismus es hevesi angetan hatte. mit den gefeierten offiziellen meistern war er viel kritischer; Baudrys allegorie Apotheose des Gesetzes analysierte er in ironischem ton. auch Bouguereau und hébert kamen nicht viel besser weg, dafür hielt er Bonnats porträt des damaligen französischen präsidenten Grévy für sehr gelungen und würdigte seine künstlerische lösung ausgiebig und ausführlich. anerkennung wurde auch Bastien-lepage, carolus-duran und fantin-latour zuteil. auch hevesi ist aufgefallen, dass Genrebilder, die intimen Gruppenbilder, in der französischen malerei gänzlich zu fehlen schienen und stattdessen bravouröse darstellungen mondäner szenen der städtischen unterhaltung zu sehen waren, jedoch mit kühler distanz wie bei Der Ball von Jean Béraud. von den damals ausgestellten landschaftsmalern kennt man heute nur noch Boudins namen (ihn hat der kritiker besonders gelobt), die übrigen meister und Werke sind in vergessenheit geraten. Bei seiner Besprechung der französischen kunst hob Grasberger in verbindung mit den exponaten etwas anderes hervor: er konzentrierte sich nicht so sehr auf die einzelnen Bilder, sondern gab einen kurzen historischen Überblick über die neuzeitliche entwicklung der französischen malerei, vor allem über ihren institutionellen hintergrund. dabei stellte er den umstand, dass die jeweilige staatliche förderung die bildende kunst zur nationalen sache gemacht hatte, als vorbild hin, da er darin das Geheimnis dessen sah, dass die franzosen (seiner meinung nach) eine viel bessere Beziehung zur malerei hatten als die Österreicher. vielleicht weil seine Zeitung der offiziellen Bürokratie näherstand und einen besseren einblick darein hatte, was für große diplomatische Bemühungen notwendig gewesen waren, um repräsentative exponate aus dem ausland zu bekommen, kritisierte hevesi in dieser artikelreihe die heimischen organisatoren nicht, sondern konzentrierte sich lieber auf andere komponenten des kunstlebens, in erster linie auf die neuen stilmerkmale der nationalen malerschulen und der Bildhauerei. Grasberger dagegen ließ sich nur auf wenige ausführliche analysen einzelner Werke ein, und auch über diese schrieb er zumeist kurz. das 70 Quadratmeter große Gemälde von louis Gallait, dem nestor der belgischen historienmalerei, das „sensationsbild“ der ausstellung mit dem titel Die Pest in Tournai, 1095, inspirierte hevesi zu einem leicht melancholischen rückblick.46 die komposition, an der der künstler angeblich 25 Jahre lang gemalt hatte, hatte ein sehr tragisches Thema und passte damit gut in die reihe der beliebten „katastrophenbilder“ der historienmalerei. der meister hatte mit den mittelalterlichen figuren, die am tor der düsteren romanischen kirche vor der berühmten madonnenskulptur der stadt um erlösung bitten, alle stadien von krankheit und sterben dargestellt. dem Bild fehlt trotz des gefestigten zeichnerischen und technischen könnens, der übersichtlichen komposition und der einheit in der farbauswahl der Zauber eines großen kunstwerkes. hevesi hat in seine gewohnt präzise und anschauliche Beschreibung sachte die kritik einfließen lassen, all das sei ein selbstzweck, die szene sei nicht mit glühendem innerem erleben

96. Wilhelm leiBl: drei frauen in der kirche, 1881

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97. anton romako: teGetthoff in der seeschlacht Bei lissa i, 1882

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entstanden, sodass das Bild weder menschlich noch historisch authentisch sei. sein text über das monumentale Werk hat etwas von einer elegie über das sterben der historienmalerei (oder zumindest der kunst Gallaits, ursprünglich einer der tonangebenden figuren der historienmalerei). den Belgiern und besonders ihrer kultur wurden in diesen Jahren in Wien deshalb besondere aufmerksamkeit und sympathie zuteil, weil stephanie, die tochter des belgischen königs, die frau von Thronfolger rudolf geworden war. nicht nur die lange gemeinsame Geschichte, sondern auch die neue dynastische verbindung trug dazu bei, dass der kulturelle austausch zwischen den beiden ländern sehr intensiv wurde, sodass auch die künstler mehr über die absichten der jeweils anderen erfuhren und die Werke des belgischen realismus und des symbolismus besser kennenlernten. die künstlerische Qualität der belgischen Bilder erkannte hevesi beinahe ausnahmslos an. in den Bildern von henri de Braekeleer oder Jean-Baptiste van moer erkannte er mit unfehlbarer sicherheit sowohl hinsichtlich der motive als auch in den einzelheiten der komposition die niederländischen vorbilder. er besprach alfred stevens’ Gemälde Marienkäfer, das er für eine bravouröse leistung der fleckenmalerei hielt, detailliert. am interessantesten ist jedoch seine Bewertung der belgischen landschaftsmalerei. er unterschied zwei richtungen, von denen eine auf die lokalen traditionen des 17. Jahrhunderts zurückgeht und die andere im französischen impressionismus wurzelt. „die anderen stecken noch bis an die ohren im französischen impressionismus, wie sie denn auch zum Theil ihre stoffe aus dem hauptquartier desselben, dem Walde von fontainebleau holen (alfons asselbergs, Josef Th. coosemans). das Beispiel corot’s ist bei ihnen nicht zu verkennen, doch haben sie die darstellung der stillen, luftspiegelnden Wasserflächen ihrer beschaulichen natur zu eigener virtuosität entwickelt.“47 Wie das Zitat zeigt, hatte das Wort französischer impressionismus für hevesi, als er es zum ersten mal verwendete, eine völlig andere Bedeutung, als heute für uns: er meinte damit eindeutig die Barbizoner maler, also unter anderem corot. daraus kann man den schluss ziehen, dass er, obwohl er mehrmals in paris gewesen war, bis dahin keine Werke des klassischen französischen impressionismus gesehen hatte, also auf seiner reise nach paris im Jahr 1878 (als er sich die exponate der Weltausstellung ansah) keine Werke von monet oder renoir gesehen hatte! die Werke der realistischen belgi-

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schen Pleinairmalerei (z. B. lamorinières Kleiner See bei Putte) verzauberten ihn mit ihrem poetischen realismus und ihrer atmosphäre. für ihn waren diese Gemälde, die eng mit der naturbetrachtung der mitteleuropäischen stimmungsmalerei verwandt sind, damals die besten ergebnisse der modernen landschaftsmalerei. die deutschen exponate stellte er in zwei artikeln vor. Zunächst verglich er sie mit der französischen malerei: alles war anders, die maße, die farbgebung und das streben nach einer anderen Gesamtwirkung. da in den vorangegangenen Jahren keine (wichtigen historistischen) monumentalbilder entstanden waren, hatte man aus münchen ein altes hauptwerk geschickt: pilotys Seni vor der Leiche Wallensteins von 1851, das den Beginn einer epoche einleitete. dieses „Zitat aus der malereigeschichte“ bot hevesi eine hervorragende Gelegenheit für eine Gegenüberstellung mit dem zeitgenössischen realismus. für die routinearbeiten der großen und bekannten münchener professoren (lindenschmidt, Gabriel max) fand er kaum gute Worte, er akzeptierte lediglich die emotionale authentizität der „altdeutschen manier“ eduard Gebhardts.48 vollständige anerkennung bekam dieses mal schließlich lenbachs Bismarck-porträt. für ein wahres meisterwerk aber hielt er nur eines der deutschen Gemälde, nämlich leibls In der Kirche.49 (das Bild erhielt später den titel Drei Frauen in der Kirche.) er widmete dem Werk eine

98. roBert russ: vorfrÜhlinG in der penZinGer au, 1887

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99. tina Blau: frÜhlinG im prater, 1882

lange Beschreibung, die beinahe die präzision eines fotos hat, und versuchte die objekt- und formtreue mit Worten wiederzugeben50 (abb. 96). mit dem österreichischen Bildmaterial war hevesi – wie alle anderen kritiker auch – unzufrieden, obwohl er die ausgestellten Werke nicht so negativ beurteilte wie Grasberger.51 er äußerte eher Bedauern und sann darüber nach, warum nicht zu erkennen sei, dass diese Bilder in der künstlerischen hochzeit des Baus der ringstraße entstanden seien. sondern stattdessen, so meinte er: „kleine kunst, hübsche kunst, gekünstelte kunst genug, aber keine spuren einer mächtig aufsteigenden nationalen, oder wenigstens lokalen kunstepoche, im Gegentheil mit der Bewegung der letzten Jahre verglichen eher eine gemächlich abwärts steigende kunstlinie.“52 er sah zwei Gruppen: „die eine umfasst künstler, welche nicht wissen, was sie wollen; die andere aber solche, welche das nur zu gut wissen und sich darum in endloser selbstwiederholung aufreiben.“53 nach diesem summarischen und ironischen urteil analysierte er die Gemälde einzeln und entdeckte trotz allem überall etwas lobenswertes und war bemüht, den urheber jedes hoffnungsvollen versuchs zu ermutigen. unter den zur ersten Gruppe gehörenden künstlern, die unsicher umhertappten, aber nach neuem suchten, meinte er viele talente zu entdecken. die Zukunft bestätigte seinen optimismus, denn sie wurden alle zu guten oder hervorragenden meistern: franz rumpler, robert russ, eduard charlemont, rudolf ribarz und schließlich anton romako, der damals die erste version seines berühmten tegetthoff-Bildes ausstellte (abb. 97). für hevesi, der mit den klassischen stilidealen und kompositionsschemen groß geworden war, war dieses Bild 1892 noch inakzeptabel, da es alle traditionen missachtete. es ist bemerkenswert, wie brillant er auch das sprachlich ausdrücken und plastisch beschreiben konnte, was er nicht akzeptierte. hier also hevesis Beschreibung der kleinformatigen darstellung der frontal ge-

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zeigten szene, die die kommandobrücke in dem entscheidenden moment zeigt, in dem sich das schiff auf Befehl des admirals in die seite des gegnerischen schiffes bohrt: „sein tegethoff auf der kommandobrücke, mit weit ausgespreizten Beinen, die hände in den hosentaschen, die mütze keck aufs hinterhaupt zurückgeschoben, seine offiziere und steuerleute in ähnlichem Geist aufgefasst, das uebrige rothgrauer dampf, ohne schiffe, feinde, meer – das ist eine packende idee, die an ihrer eigenen ueberschraubtheit und spitzfindigkeit zugrunde geht.“ 54 es vergingen mehr als 25 Jahre, ehe hevesi statt der rekonstruierten heldennarration der traditionellen historischen tableaus diese „psychologische momentaufnahme“ als authentischen ausdruck der für die schlacht entscheidenden szene akzeptierte. es ist ein historisches kuriosum, dass das gewagte Bild franz Joseph sehr gefiel. für ihn war das Thema wichtiger als der stil, er kaufte es sogar für seine privatsammlung.55 nach der ironischen vorstellung der zweiten (von hevesi zusammengestellten) Gruppe von malern, in die die arrivierten meister (friedländer, van haanen, alois schönn) gehörten, die sich ihm zufolge selbst wiederholten, lobte er mit spürbarer freude die guten porträts (angeli, canon), äußerte sich aber – mit ausnahme des edmund-Zichy-porträts – missmutig über makarts Bilder. er empfand sogar die damals ausgestellte Cleopatra des gefeierten meisters als schwach und manieristisch, und er hatte recht. Wie seine kollegen vermisste auch er die großangelegten historischen tableaus, die in allen künstlerischen Zentren europas noch immer als unerlässliche Gattung der zeitgenössischen malerei galten, obwohl, wie die praxis gezeigt hatte, die maler nur relativ selten in der lage waren, die großen historischen Themen emotional authentisch darzustellen und mit einer modernen geistig-ästhetischen „Botschaft“ zu versehen. Beim Überblick über die landschafts- und die stilllebenmalerei, die am ende der aka-

100. árpád fesZtY: GolGotha, 1882

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demischen Gattungshierarchie standen, nannte er die üblichen namen: robert russ (abb. 98), hugo darnaut, tina Blau und Jakob schindler. sie erhielten moderates lob, sie gingen auf dem pfad der beliebten stimmungsvollen Pleinairmalerei weiter. eines der bedeutsamsten landschaftsbilder – das ungewöhnlich groß war – stellte tina Blau aus – Frühling im Prater. im darauffolgenden Jahr gewann sie damit im pariser salon die Goldmedaille (abb. 99). Bei der Besprechung der spanischen und der italienischen und schließlich der skandinavischen malerei bemühte hevesi sich, durch anwenden der taineschen Grundsätze stets den lokalen Besonderheiten (klima, landschaft, geografische Gegebenheiten und nationale historische traditionen) und der Volksseele auf die spur zu kommen, um mit ihrer hilfe die merkmale der malerei einer nation zu erfassen. mittelbar schlug sich das denken im rahmen der nationalkulturen auch bei der Besprechung der schulen der sogenannten großen nationen (franzosen und deutsche) im Grundtenor der analysen nieder; deutlich kam es bei der vorstellung der niederländischen und der ungarischen Werke zur Geltung.56 Bei den niederländern äußerte hevesi die annahme, ein teil der landschaftsmaler male „im stil der neuen französischen impressionisten“. ihnen ordnete er auch hendrik Willem mesdag, den maler von meereslandschaften, zu. aus den Bildanalysen geht eindeutig hervor, dass hevesi wie bei den Belgiern auch hier die Barbizoner variante der Pleinairmalerei mit dem impressionismus gleichsetzte. nach dem aus nur 40 Bildern bestehenden niederländischen Bildmaterial ging er schnell zur analyse der ungarischen exponate über, deren urheber er natürlich besser kannte als jeder andere Wiener kritiker. hevesi hat die Geschichte der bewussten (staatlichen) förderung der ungarischen malerei der neuzeit sowie ihre institutionalisierung und die errichtung ihrer institutionen fast von anfang an miterlebt. nach einer kurzen vorstellung der in der ausstellung gezeigten Werke der älteren Generation (Than, lotz, sándor Wagner, Benczúr und munkácsy) widmete er den jüngeren künstlern, die die Wiener noch nicht kannten, mehr raum. Das Bahrgericht (Tetemrehívás) von Jenő Gyárfás musste er dem Wiener publikum natürlich erklären. Bei allem Wohlwollen hielt er die opernhaft dramatische szene nur in ihren einzelheiten für gelungen. Der sterbende Zigeuner (Haldokó cigány) von János valentiny war zwar ein publikumserfolg, doch hevesi kritisierte komposition und farbgebung. fesztys Golgotha (Golgota) dagegen beeindruckte ihn tief (abb. 100). tölgyessy und spányi waren seiner ansicht nach auf impressionistischen pfaden unterwegs, und das noch mutiger als mészöly. außer ihnen erwähnte er noch je ein Bild von ottó Baditz (Das Kostkind – Angyalcsináló) und pál vágó (Der erste Schritt – Az első lépés) als arbeiten der jüngsten und äußerst hoffnungsvollen „talente der Genremalerei“. seine artikelreihe endete mit zwei Beiträgen über die in der internationalen ausstellung gezeigten skulpturen. Wie fiel nun nach ansicht der Zeitgenossen (der kritiker) die Bilanz der großen internationalen ausstellung aus? durchwachsen. der selbstbewusste optimismus der planungsphase hatte gelitten, doch Wien konnte auch so für eine Weile beruhigt sein, dass es von den großen europäischen kulturzentren registriert wurde und sie bedeutende kollektionen zu den ausstellungen in der kaiserstadt schickten. Wenn man die

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kritiken analysiert, zeigt sich, dass hans Grasberger am didaktischsten argumentierte, als er die schau als eine spannende schule bezeichnete, in der man nur lernen könne und müsse, vor allem vom französischen vorbild. er erklärte mit nachdruck, dass man für eine größere Wertschätzung der bildenden künste sorgen müsse. dieser kulturpolitischen Botschaft stimmten alle kritiker und kunstfachautoren zu, hinsichtlich der stilistischen und kunsttheoretischen lehren aus der ausstellung waren sie jedoch verschiedener meinung. eine analyse der kritiken zeigt deutlich, dass man in Wien bei den realistischen Gemälden den leiblschen realismus, der auf die deutsche renaissance, in erster linie auf den detaillierten realismus holbeins, anspielte, (nicht zuletzt die Themenwahl) viel sympathischer fand als die vertreter des mit courbets namen verbundenen französischen „großen realismus“, die in Zolas manier die probleme der modernen Gesellschaft malten, vor allem alfred roll und Bastien-lepage. nur hevesi hat diesen Werken eine lange anerkennende analyse gewidmet. die übrigen kritiker gingen über sie hinweg und feierten die monumentalen dekorativen leinwände der offiziellen kunst: Baudrys allegorie und die repräsentativen staatlichen porträts. sie waren noch nicht offen für die thematische und stilistische Wende des großen realismus.

1883 die im darauffolgenden Jahr im münchener Glaspalast veranstaltete internationale ausstellung bestärkte hevesi in seiner Überzeugung, dass der Weg zu einer zukünftigen modernen malerei über den realismus führen würde. in vier Beiträgen berichtete er den lesern des Pester Lloyd über die kunstszene in münchen und die dritte internationale ausstellung.57 mit humor und feiner ironie beschrieb er die auswüchse des kunstkultes in der stadt, und wie die münchener versuchten, bei den touristen nutzen aus ihrem guten image zu ziehen. mit plastischer anschaulichkeit beschrieb er den besonders sorgfältig dekorierten Glaspalast, der dieses mal einem rokokogarten des hochadels nachempfunden war: voll mit springbrunnen, temporären arkaden, illusorischen dekorationen im inneren, die an der Grenze zum kitsch waren, und mit palmen. in diesem verwunschenen gewaltigen Glashaus vermisste hevesi die berühmten deutschen meister. schon die übliche auflistung der namen zeigt, dass die großen Werke und die großen künstler dieses mal ferngeblieben waren. dafür waren die franzosen mit guten Bildern vertreten, ja sogar die engländer (die 1882 in Wien vollkommen gefehlt hatten), deren nummer eins jetzt herkomer war, der virtuose realistische maler und Grafiker mit

101. huBert herkomer: die letZte musterunG, 1875

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102. rudolf von alt: hochamt in der marienkirche Zu krakau, um 1876

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bayerischen Wurzeln, mit seinem Bild Die letzte Musterung, das veteranen abbildet, die in der kirche im invalidenhaus in chelsea am Gottesdienst teilnehmen (und wo einer von ihnen für immer einschläft) (abb. 101). von der großen Zahl der (über 3000!) ausgestellten Werke faszinierten den kritiker wenige. Wie er in der einleitung erklärte, gab es in münchen ganze heerscharen von epigonen, die für den kunstmarkt der Welt im stil der führenden meister technisch gut die beliebten Genrebilder produzierten. ein individuelles talent, eine neue Qualität, die sie aus der masse hervorhob, entdeckte er bei zwei jungen deutschen künstlern, die damals in die Öffentlichkeit traten. er wurde auf die lyrik von ernst Zimmermanns Anbetung der Hirten und die ungewöhnlich virtuose technik von Bruno piglhein aufmerksam. am meisten aufmerksamkeit widmete er den französischen Gemälden, die der landschaftsmaler karl heffner für die ausstellung zusammengestellt hatte: das an Giorgiones akte erinnernde Bild von Jean-Jacques henner (Ekloge) bezauberte ihn; den Bettler von Bastienlepage beschrieb er in einigen knappen und treffenden Zeilen.58 seine nuancierte analyse zeigt, dass er die verschiedenen vertreter des realismus am interessantesten fand. da das offizielle französische ausstellungsmaterial schließlich erst im august in münchen ankam, machte hevesi später noch einen rundgang in der ausstellung. er war beinahe schon begeistert, weil ihm die neu eingetroffenen Gemälde und Grafiken so gut gefielen. er meinte, alle ausgestellten meister beherrschten eine künstlerische technik, um deren aneignung die maler der übrigen nationen noch kämpften und die – zumindest seiner ansicht nach – die Grundlage der realistischen kunst war. er legte lang und kompliziert dar, dass die französische malerei – die für ihn die von der offiziellen kulturpolitik anerkannten meister bedeutete, zu denen die Barbizoner schon dazugehörten, (die impressionisten jedoch noch nicht) – einen deutlich höheren technischen standard habe und zugleich wesentlich individueller sei als die malerei der übrigen nationen.59 im Übrigen konnte er in der ersten hälfte des Jahres 1883 auch über viele interessante Wiener ausstellungen schreiben. im Januar würdigte er die reihe des orientalistischen malers leopold carl müller60, im februar analysierte er Golgotha von Gabriel max61. Über die Jahresausstellung schrieb er drei artikel.62 der september brachte ebenfalls neues in der Wiener kunstszene: im künstlerhaus fand erstmals eine eigenständige grafische ausstellung statt.63 hevesi fasste die verschiedenen techniken sowie die Bücher oder gesonderten Blätter, in denen diese techniken erläutert wurden, in einem artikel für laien sehr knapp zusammen. die Wiederbelebung des kupferstichs, der radierung und zahlreicher anderer techniken in Österreich war – so sah man es damals – das verdienst der mitglieder des kaiserlichen hofes, die „mit hilfe wunderschöner, mit sorgfältiger arbeit geschaffener, die schätze der kunstsammlungen vor-

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stellender Bücher dazu beigetragen“ [haben], „dass die verschiedenen techniken reanimiert wurden“64. erzherzog karl ludwig stellte 1884 seine sammlung von Zeichnungen und aquarellen im künstlerhaus aus, 1885 zeigte dort erzherzogin hohenlohe-schillingsfürst ihre sammlung von Zeichnungen und aquarellen, was das interesse der sammler für diese Gattungen weckte. die zunehmende popularität der grafischen Gattungen brachte eine verfeinerung des künstlerischen Geschmacks und eine Bereicherung der visuellen kultur mit sich und führte zu einer institutionalisierung der spezialisierung auf Gattungen in der ausstellungspraxis. 1884 gründeten die aquarellisten im künstlerhaus einen klub und veranstalteten jedes Jahr spezielle ausstellungen, was dazu beitrug, dass auch die landschafts- und vedutenmalerei einen aufschwung erlebte. rudolf von alts aquarelle waren mustergültig (abb. 102). Beim publikum war die nachfrage nach aquarellen, die Wien darstellten, besonders groß. diese Wiener tradition bestand bis zum Zweiten Weltkrieg.

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mit der ausstellung in Berlin wurde das 100-jährige Bestehen der dortigen akademie gefeiert: Jubiläums-ausstellung der kgl. akademie der künste im landes-ausstellungsgebäude zu Berlin, 1886. 2 deutlich bescheidener als die genannten, jedoch von großer lokaler Bedeutung war die ausstellung in rom 1883, mit der der palazzo delle Belle arti eingeweiht wurde (heute Galleria nazionale d’arte moderna). in Budapest gab es bei der landesausstellung 1885 auch eine abteilung für malerei. 3 als Georges petit die Galerie seines vaters erbte, galt diese bereits als bedeutendes unternehmen des kunstmarktes, doch er strebte nach größerem fachlichem prestige. mithilfe einer relativ unabhängigen fachjury organisierte er jährlich internationale ausstellungen, die erste 1882. eine teilnahme an dieser ausgesprochen vornehmen ausstellung war nur auf einladung möglich. dort wurden tatsächlich anerkannte künstler mehrerer länder vorgestellt, außer den beiden französischen meistern Gérôme und paul Baudry unter anderem der niederländer Jozef israëls, die engländer lawrence alma-tadema und John everett millais sowie die deutschen ludwig knaus und adolph menzel. sogar die Gazette des Beaux-Arts schrieb anerkennend über die ausstellung. (siehe alfred de lostalot: exposition internationale de peinture, dans la galerie de m. Georges petit. Gazette des Beaux-Arts, 25. Jg. 1882, s. 602–607) die ausstellungen bei Georges petit waren im paris der 1880er Jahre die exklusivsten und zugleich am offensten für ausländische künstler. er zeigte nacheinander die berühmten zeitgenössischen maler aus dem ausland, die von der von ihm ins leben gerufenen Société internationale eingeladen wurden. 4 die Grosvenor Gallery wurde 1877 von sir coutts lindsay gegründet, der eine hochgebildete ama-

teurkünstlerin, die rothschild-enkelin Blanche fitzroy, heiratete. schon in der ersten ausstellung waren neben den englischen meistern (edward Burne-Jones, lawrence alma-tadema, Georg frederick Watts) mehrere französische maler vertreten, unter ihnen alphonse legros, ferdinand heilbuth, Gustave moreau und die halb als franzosen geltenden James tissot und James mcneill Whistler. auf diese Weise bot sie den wichtigsten malern des englischen Aesthetic Movement ein exklusives forum. Burne Jones wurde damals praktisch auf einen schlag berühmt. eigentlich war der symbolismus in england schon früher entstanden als in frankreich, nur wusste man auf dem festland so gut wie nichts davon. die ausstellungen der Galerie waren auch später sehr bedeutend, so sehr, dass sogar das angesehenste französische fachblatt, die Gazette des Beaux-Arts, regelmäßig Besprechungen ihrer veranstaltungen brachte. die Galerie schloss 1887. 5 fritz Gurlitt eröffnete seine Galerie 1880 in Berlin. sie stellte in erster linie zeitgenössische maler aus und wurde im laufe eines Jahrzehnts die wichtigste einrichtung in Berlin, die die moderne kunst propagierte. paul durand-ruel, der pariser kunsthändler der impressionisten, schickte schon 1883 bedeutende Bilder (von manet, Boudin, monet, morisot, pissarro und sisley) dorthin. siehe nicholas teeuwisse: Vom Salon zur Secession. Berlin 1986, s. 105–109. 6 robert Jensen: Marketing Modernism in Fin-deSiècle Europe. princeton 1994, s. 61–67. 7 ein gutes Beispiel dafür ist schottland und innerhalb dessen Glasgow, das sich zu einem kleinen, aber wichtigen künstlerischen Zentrum entwickelte, das über viel Geld verfügte. siehe francis fowles: Impressionism and Scotland. Glasgow 2008. 8 pierre Bourdieu: Distinction. A Social Critique of the Judgement of Taste. london 1984, s. 77. 9 Jensen 1994, s. 49–62.

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durand-ruel hat 1884 seine ersten kaufversuche in amerika unternommen und 1887 bereits eine filiale seiner Galerie in new York eröffnet. eine besonders wichtige rolle spielten die frauen, die ehefrauen der millionäre, beim anlegen der von gewagtem Geschmack geprägten sammlungen, zu denen erstmals auch impressionistische Bilder gehörten (wie zu der von louisine W. havemeyer in den usa). 11 eine zweite munkácsy-ausstellung. fB, 15. Jan. 1882. 12 nicholas tromans: The Art of Georg Frederik Watts. london 2017. 13 Jensen 1994, s. 123–124. den heutigen leser mag es verwundern, dass die Bedeutung von Watts bis vor rund einem Jahrzehnt sozusagen eine innere angelegenheit englands war und er zusammen mit vielen anderen meistern, die um die letzte Jahrhundertwende noch international anerkannt waren (wie Burne-Jones, millais oder alma-tadema) aus dem ausgesprochen eng gefassten sogenannten universellen kanon der kunstgeschichte ausgeschieden war – was aber zeigt, dass der kanon auf die französische kunst ausgerichtet ist. eine neubewertung findet sich bei elizabeth prettejohn: Art for Art’s Sake Aestheticism in Victorian Painting. new haven, london 2007. 14 Des plaines à l’usine: images du travail dans la peinture française de 1870 à 1914. catalogue. dunkerque 2002. 15 alfred roll: 1846–1919: Le naturalisme en question. paris 2007. 16 einige seiner Bilder wurden 1882 auch in Wien ausgestellt. 17 Gabriel p. Weisberg: Beyond Impressionism. The Naturalist Impulse. new York 1992. 18 christopher a. kent: “short of tin” in a Golden age. assisting the unsuccessful artist in victorian england. Victorian Studies, Jg. 32, 1989, s. 487–506. 19 paula Gillett: The Victorian Painter’s World. stroud 1990, s. 192–241. 20 in mitteleuropa neigen die historiker dazu, als erklärung dafür, dass in der staatlichen kulturpolitik diese traditionelle wirtschaftliche und politische elite dominierte, die rückständigkeit der region anzuführen, dabei war das auch im westlichen teil europas so – siehe england, zum teil frankreich und deutschland, außerdem die skandinavischen staaten. erst ganz am ende des Jahrhunderts kam eine neue kulturelle elite hinzu, die oft, aber nicht ausschließlich aus der zweiten oder dritten Generation des Großbürgertums oder – noch häufiger – aus dem sogenannten Bildungsbürgertum stammte. 21 im 20. Jahrhundert hat der sport diese rolle des internationalen Wettstreits übernommen. 22 die mitglieder des künstlerhauses wählten aus ihren eigenen reihen die führungspersonen beziehungsweise Jurymitglieder, die über das für ausstellungen im ausland bestimmte Bildmaterial entschieden. selbstverständlich führten auch in diesem Bereich interne machtkämpfe, eifersucht, rivalitäten und lobbying zu spannungen,

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die jedoch erst mitte der 1890er Jahre in kämpfe der Generationen um interessen umschlugen. 23 Zitiert von morris, s. 125. von der internationalen kunstausstellung. französische kunst. fB, 7. april 1882. 24 hans Grasberger: internationale ausstellung. Die Presse, 1. april und 7. april 1882. 25 siehe hevesis kritik zur ausstellung in münchen im Jahr 1879: von der internationalen kunstausstellung – münchen. pl, 29. Juli, 31. Juli, 9. august und 19. august 1879. 26 antonin proust (1832–1905) war der onkel des romanciers marcel proust. 27 seit 1855 galt die regel, dass jede nation nur die in den letzten zehn Jahren entstandenen kunstwerke ausstellen durfte. 28 da die französische revolution in der Geschichtsschreibung der verschiedenen nicht französischen nationen damals noch keineswegs positiv bewertet wurde, versuchten die organisatoren, die kulturelle tradition frankreichs seit der revolution mit einem politisch weniger gefährlich scheinenden Zweig der kunst, nämlich der malerei, zu illustrieren. die gekrönten häupter europas nahmen – im Übrigen gerade weil die französische revolution gefeiert wurde – (da diese zur hinrichtung des königs und zum terror geführt hatte) nicht an der feierlichen eröffnung teil. 29 eines der charakteristischsten Beispiele für diese auffassung war ein ohne namen erschienener feuilletonbeitrag in der Neuen Freien Presse, der wahrscheinlich von ressortleiter ludwig speidel stammte und am tag der eröffnung veröffentlicht wurde. darin wird die kunstpolitische Bedeutung der ausstellung betont: „diese ausstellung schiebt unsere stadt wieder einmal westwärts, sie ist, wenn man so sagen darf, eine kunstpolitische Begebenheit ersten ranges.“ nfp, 1. april 1882. 30 anselm feuerbach – nachruf. pl, 8. Jan. 1880. 31 Jahresausstellung. pl, 22. april 1880. 32 albert ilg (1847–1896), kunsthistoriker. er wurde 1872 lehrer an der kunstgewerbeschule und ab 1876 kustos in den kaiserlichen sammlungen. er schrieb regelmäßig kunstkritiken für Die Presse. er war der Gründer und redakteur der pamphletreihe Gegen den Strom. er hatte einen erheblichen einfluss auf die kulturpolitik, da er den jungen mitgliedern des kaiserhauses unterricht in kunstgeschichte erteilte. er ist der vater der erforschung des österreichischen Barock, der in diesem stil die wirkliche entfaltung der speziellen österreichischen kunst sah, und wurde somit zu einem der wichtigsten förderer des neubarock. 33 christian huemer: charles sedelmeyer (1837– 1925). kunst und spekulation am kunstmarkt in paris. Belvedere, 1999/2, s. 4–19. 34 fB, 1. Jan. 1882. 35 gg. [oscar Berggruen]: Bildende kunst – munkácsy. Wiener Abendpost, 11. Jan. 1882. 36 die wichtigste fachliteratur zu munkácsy enthält folgender katalog: ferenc Gosztonyi (hrsg.): Munkácsy a nagyvilágban. [munkácsy in der weiten

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Welt]. Budapest 2005. Michael Munkácsy – Magic and Mystery. ausstellung künstlerhaus. Wien 2012. ilona sármány-parsons, munkácsy’s „christus vor pilatus“. ausgestellt im künstlerhause (1. Jänner 1882), in: ilona sármány-parsons und csaba szabó, ludwig hevesi und seine Zeit, Wien 2015, s. 161– 164. 37 Bruno piglheins Panorama (1888) ist einige Jahre später verbrannt, es hat jedoch in außerordentlichem maße zur verbreitung des realismus in der religiösen malerei beigetragen. 38 Zum Beispiel in der Neuen Freien Presse schrieb hugo Wittmann: „durch dieses Bild webt (…) ein höheres kunstgefühl, eine passionsstimmung, eine gewisse andacht.“ reisemomente. nfp, 10. okt. 1888. 39 eine zweite munkácsy-ausstellung. fB, 15. Jan. 1882. 40 für die abendausgabe der amtlichen tageszeitung Wiener Zeitung, die Wiener Abendpost – die den kulturteil enthielt –, schrieb oscar Berggruen, für Die Presse verfasste hans Grasberger eine zehnteilige wöchentliche reihe mit strengen Bildanalysen. in der Neuen Freien Presse publizierte der hochangesehene feuilletonredakteur ludwig speidel, der sich relativ selten zu Wort meldete, Besprechungen der Werke, die ihn am meisten faszinierten. 41 hans Grasberger: die internationale kunstausstellung, i. Die Presse. 1. april 1882. 42 hans Grasberger (1836–1898) war schriftsteller, kritiker und kunstredakteur bei Der Presse, später bei der Wiener Zeitung und arbeitete schließlich für die Deutsche Zeitung. 43 hans Grasberger: die internationale kunstausstellung, ii. Die Presse. 7. april 1882. 44 von der internationalen kunstausstellung. am tage vor der eröffnung. fB, 1. april 1882. 45 im palais du luxembourg befand sich seinerzeit das museum der modernen zeitgenössischen französischen kunst. 46 von der internationalen kunstausstellung. Belgische malerei – Gallait’s pestbild. fB, 16. april 1882. 47 von der internationalen kunstausstellung, v. – Belgische malerei. fB, 20. april 1882.

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von der internationalen kunstausstellung, vi. – deutsche malerei. fB, 7. mai 1882. 49 internationale kunstausstellung, vii. – deutsche malerei. fB, 13. mai 1882. 50 leibls Gemälde hat auch ludwig speidel inspiriert, der eine kurze, aber begeisterte analyse des Bildes in der Neuen Freien Presse veröffentlicht hat: nfp, 6. april 1888. 51 internationale kunstausstellung, viii. – Österreichische Bilder. fB, 11. Juni 1882. 52 ebd. 53 ebd. 54 ebd. 55 siehe cornelia reiter: Anton Romako. Pionier und Außenseiter der Malerei des 19. Jahrhunderts. Monografie mit Werkverzeichnis. Wien 2010, s. 35–37. die seeschlacht von lissa gegen die italienische flotte endete mit einem glänzenden sieg tegetthoffs und der Österreicher, wodurch das thema franz Joseph erst recht sehr lieb war. 56 internationale kunstausstellung. Xi. – holländische und ungarische Bilder. fB, 4. Juli 1882. 57 münchener Brief. pl, 7. Juli 1883. die internationale kunstausstellung in münchen, i. pl, 15. Juli 1883. die internationale kunstausstellung in münchen, ii. pl, 21. Juli 1883. die internationale kunstausstellung in münchen, iii. pl, 14. aug. 1883. 58 die internationale kunstausstellung in münchen, ii. pl, 21. Juli 1883. 59 von der internationalen kunstausstellung in münchen, iv. (schluss) pl, 14.august 1883. 60 künstlerhaus. fB, 21. Jan. 1883. 61 „es ist vollbracht!“ – Gemälde von Gabriel max. fB, 18. febr. 1883. 62 Jahresausstellung. i. fB, 21. märz 1883. Jahresausstellung. ii. fB, 25. märz 1883. Jahresausstellung. iii. fB, 1. april 1883. 63 die Gesellschaft zur förderung der vervielfältigenden künste organisierte im september 1883 im künstlerhaus die Internationale Spezialausstellung der Graphischen Künste. 64 Graphische künste. (spezial-ausstellung im künstlerhause). fB, 18. sept. 1883.

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1884 die erste hälfte dieses Jahres brachte keine herausragenden ereignisse in der bildenden kunst. die ausstellungen im kunstverein waren voll mit den Werken von malern, die seither in Vergessenheit geraten sind, oder mit atelierarbeiten der wichtigeren deutschen und österreichischen meister wie gabriel max, Franz defregger und hans canon.1 da hevesi pflichtbewusst und zugleich leidenschaftlich von allen nur erdenklichen ereignissen der bildenden kunst berichtete, bei denen man gute bilder sehen konnte, hat er auch die auktionsausstellungen nicht ausgelassen. somit hat er in seinem bericht über die auktionsausstellung der conrad-bühlmayer-sammlung im künstlerhaus begeistert die biedermeierbilder, vor allem aber Pettenkofens meisterwerk Russisches Bivouak an der Theiß und die in den 1850er Jahren in Venedig entstandenen aquarelle von rudolf alt analysiert.2 bühlmayer, der hauptsächlich Werke österreichischer biedermeiermaler sammelte, besaß neben einigen deutschen landschaftsbildern auch ein gemälde von daubigny (Sumpfland). auch das am meisten erwartete ereignis des Frühlings, die Jahresausstellung, die der kaiser dieses mal persönlich eröffnete, brachte keine überraschungen in der malerei. die Werke der bildhauer waren interessanter als die gemälde; die modelle von entwürfen für denkmäler von rudolf Weyr und Johannes benk und die skulpturen für die monumentalen gebäude (Parlament und rathaus) der ringstraße bildeten den kern der ausstellung. hier entdeckte hevesi den jungen tschechischen bildhauer Josef myslbek (1848–1922) für sich, der sich später zu einem der bedeutendsten Vertreter der denkmalplastik in Prag entwickelte. (er wirkte bei der Verzierung des Wiener Parlaments mit Plastiken mit.) den ersten der drei teile seines berichts widmete hevesi ganz der analyse der skulpturen.3 Von den gemälden in der ausstellung (einem heiligenbild von canon und vielen routinearbeiten deutscher maler) war er nicht begeistert, beschrieb sie für die leser aber trotzdem sehr genau.4 im dritten artikel über die Jahresausstellung, in dem er erneut die Produktion der landschaftsmaler besprach, erörterte er länger als normalerweise und in sehr warmem ton ein bild von tina blau, die damals schon in münchen lebte.5 „sie bringt diesmal einen ‚spätsommertag in Wien‘, eigentlich nur ein mageres stück Prosa von der radetzky bröcke mit dem blick gegen die rothen Ziegelmassen der Franz-Joseph’s kaserne, mit dünnen bäumchen an dicken stangen und einem schlecht gepflastertem trottoir. der reiz des ganzen liegt nur im warmen tone, den die späte sonne über all die nüchternheit ergießt, und in der ungesuchten schlichtheit, mit der die künstlerin ein solches, scheinbar ungesuchtes Thema behandelt.“6 die malerische tradition der intimen landschaft wandelte sich hier zur „intimen städtischen landschaft“, die in Wien damals noch ganz außergewöhnlich war. alle anderen, vor allem die aquarellisten, hätten, wenn es nach ihnen gegangen wäre, lieber

103. Viktor tilgner: Porträtbüste hans makart, 1880er Jahre

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104. die österreichisch-ungarische monarchie in Wort und bild, (buchumschlag) k.k. hoF- und staatsdruckerei, 1886-1902

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malerische stadtansichten, Veduten, als nüchtern-nichtssagende moderne straßenbilder gemalt. tina blau mit ihrer ungewöhnlichen künstlerpersönlichkeit ließ sich von dem prosaischen charakter des ortes nicht abschrecken und entdeckte das malerische daran. die Jagdausstellung im kunstverein, über die er wegen der bilder schrieb, inspirierte ihn zu fröhlicher ironie.7 ihre installation ahmte die mit trophäen und Waffen vollgestopften Zimmer eines Jagdschlosses nach. darin fanden die von hevesi spöttisch als „tiertragödien“ bezeichneten gemälde Platz, die in Wahrheit präzise und professionell angefertigte darstellungen der Jagd des königs, des hofes und zum beispiel von baron rothschild waren. obwohl er – vor allem mit rücksicht auf das sehr vornehme Publikum der Jagden – scheinbar ernsthafte künstlerische beschreibungen der bilder bot, konnte man zwischen den Zeilen stets das unterdrückte schmunzeln spüren. hevesi hat in diesem Jahr viel über Theatervorstellungen publiziert, eine lange erinnerung über heinrich laube8, den berühmten früheren direktor des burgtheaters, und Fanny elßler9, die berühmte ballerina der ersten hälfte des Jahrhunderts, sowie über ereignisse in anderen Zweigen der kunst verfasst. der umstand, dass erzherzog karl ludwig seine Zustimmung dazu erteilte, dass ein teil seiner aquarellsammlung in zwei teilen im künstlerhaus gezeigt wurde, bot die gelegenheit für einen sehr interessanten historischen überblick über die Wiener aquarellmalerei. hevesi stellte die umfangreiche sammlung, aus der august schäffer, der damalige direktor des belvedere (der selbst maler war), die exponate ausgewählt hatte, in zwei Feuilletonbeiträgen vor.10 der überwiegende teil davon stammte von den großartigen aquarellisten des biedermeier, Peter Fendi, carl schindler, eduard gurk und leopold kupelwieser, deren bilder einen guten eindruck von der kunst und der mentalität der Zeit vermittelten. Für hevesi bedeuteten diese ausstellungen eine gute möglichkeit, auch die Wiener/österreichische malerei der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts kennenzulernen. das wiederum ermöglichte es ihm später, als erster eine geschichtliche Zusammenfassung dieser epoche zu verfassen. neben den routineaufgaben elektrisierte ihn in diesem Jahr eine neue und ganz andersartige aufgabe. das wagemutige und imponierende Vorhaben von Thronfolger rudolf (den die ungarn beinahe schon schwärmerisch verehrten), die Österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild11, begeisterte ihn sofort (abb. 104). als redakteur des Feuilletons beim Fremden-Blatt war er für die mitteilung aller nennenswerten leistungen in der literatur und in den philologischen Wissenschaften verantwortlich. also setzte er alles daran, die reihe zu unterstützen und Werbung dafür zu machen. er informierte die leser über die entscheidungen des redaktionsausschusses und veröffentlichte ausschnitte aus dem text. darüber hinaus übersetzte er später den text aller sechs bände, in denen es um die regionen ungarns geht, aus dem ungarischen ins deutsche.12 er nahm an allen redaktionssitzungen teil und hatte vermutlich auch einfluss darauf, welche künstler für die besonders reich illustrierten bände arbeiten sollten. diese aufträge wurden übrigens gemäß den nationalitäten und auch territorial aufgeteilt. die tschechischen bände illustrierten hauptsächlich tschechische künstler, die über galizien polnische maler und die ungarischen maler haben das königreich der stephanskrone bereist und die abbildungen geliefert.13 1884 besprach er auch eine andere arbeit

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von Thronfolger rudolf, nämlich dessen buch über seine „studienreise“ nach ägypten und Palästina, mit begeisterung.14 er teilte die gefühle seiner Zeitgenossen: rudolf bedeutete für sie die Zukunft, das Versprechen des Fortschritts, und sie betrachteten seine kulturelle tätigkeit als einen beweis dafür. im Juni analysierte er geistreich und ironisch eduard steinles Parzival-Zyklus, der im künstlerhaus ausgestellt war. er befand ihn sowohl hinsichtlich seines sujets als auch hinsichtlich seines stils für überholt.15 dieser Feuilletonbeitrag gehört zu den wenigen schriften, in denen hevesi bei allem Wohlwollen nicht umhinkonnte, deutliche kritik zu äußern. dennoch bewertete er die späten arbeiten des betagten künstlers mit einer gewissen Pietät als „ein stück alt-Wien“ aus der ersten hälfte des Jahrhunderts. der sommer war in bezug auf ausstellungen gewöhnlich saure-gurken-Zeit, in der sich fast nur reisebeschreibungen und nekrologe mit Themen der bildenden künste befassten. die meisten tageszeitungen berichteten jeweils in einem Feuilletonbeitrag über die kunstszene in Paris (die ausstellungen des salon). diese artikel waren nie von hevesi, als ressortleiter war er aber in gewissem maße verantwortlich für sie. 1884 erweiterte sich der horizont hinsichtlich der bildenden künste erheblich: der leidenschaftliche reisende und diplomat ernst von hesse-Wartegg berichtete ende Juni aus london16, noch dazu von den beiden wichtigsten ereignissen der „season“, einer auktion (der Fountaine-sammlung) und, noch wichtiger, der ausstellung der grosvenor gallery, in der die arbeiten von alma-tadema und Whistler zu sehen waren. diese londoner galerie war im gegensatz zu den Präferenzen der dortigen akademie eine hochburg der modernen englischen malerei, der experimentierende malerelite. dort wurden ab 1877 die führenden meister des aus dem Präraffaelitismus hervorgegangenen symbolismus und ästhetizismus, unter ihnen burne-Jones und Whistler, ausgestellt. hesse-Wartegg hatte die wichtigen meister und bilder mit professionalem sachverstand ausgewählt und äußerte souverän seine subjektive meinung, als er über den angesehenen Vorsitzenden der royal academy, sir Frederick leighton, schrieb: „… im malen hat er es nicht weit gebracht. seine bilder zeigen alle eine krankhafte, schwind-

105. hans makart: Venedig caterina huldigt cornaro, 1872–1873

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106. mihály m unkácsy: golgotha, 1884

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süchtige sentimentalität; die sujets sind so unnatürlich, die malweise so akademisch unwahr, daß man ihnen keinen geschmack abgewinnen kann.“17 Von hesse-Wartegg, der regelmäßig auch reisebeschreibungen an das Fremden-Blatt lieferte (er „kreuzte“ mit erstaunlicher geschwindigkeit zwischen den ländern auf beiden seiten des atlantiks, über die es jeweils zu berichten galt), befasste sich seltener mit der malerei. Wie es sich für einen selbstbewussten aristokraten gehörte, der sechs sprachen sprach, enorm welterfahren und ein guter beobachter war, hielt er seine meinung nie zurück.18 denkwürdig war im sommer hevesis nekrolog über ludwig richter, den bedeutenden deutschen meister des holzschnitts, der halb vergessen mit 88 Jahren verstorben war.19

Das symbolische Ende der Epoche: Hans Makarts Tod ein unerwartetes ereignis in der herbstsaison war der tod von hans makart am 3. oktober 1884. hevesi schrieb einen seiner lyrischsten und persönlichsten nekrologe über ihn, den er für ein genie der Farben hielt.20 Was er sonst fast nie tat: er duzte makart in dem artikel und vergaß beinahe, dass er kritiker und kein trauernder befreundeter schriftsteller war; sein tod käme für ihn zu einem ungünstigen Zeitpunkt und sei wie das erlöschen eines sterns, schrieb er. dieses persönliche bekenntnis brach ehrlich aus seiner seele hervor. einen so leidenschaftlichen ton hat hevesi selbst in seinen novellen nie angeschlagen. Während er in seinen kritiken immer streng abwägend die sti-

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listischen schwächen des künstlers analysierte und keine abstriche hinsichtlich der künstlerischen Qualität machte, war er dem menschen leidenschaftlich zugetan. er sah seine Fehler und spürte sehr genau die verborgenen beweggründe seiner Persönlichkeit, die naive, beinahe schon unreflektierte schaffenslust, die liebe zu Farben und Formen, die verborgene todesangst hinter dem ausgiebigen genuss des lebens. Für ihn war er eine sternschnuppe.21 als die junge generation alles ablehnte, was auch nur im entferntesten an die makart-epoche der Väter erinnerte, schrieb hevesi im Jahr 1900 erneut einen feinfühlig analysierenden leidenschaftlichen essay über seine kunst und über die Welt, die er vertrat.22 hevesi gefiel der stil vieler künstler, er lobte viele meister, aber er beweinte keinen von ihnen so, wie er makart beweinte. er war damals 40 Jahre alt. danach verbarg er seine unmittelbaren persönlichen gefühle zunehmend und versteckte sich hinter der rolle des weisen und verständnisvollen, aber distanzierten väterlichen Freundes oder des objektiven sachverständigen. einige tage nach makarts tod entstand seine empathische und sehr anerkennende analyse der bilder von aiwasowski, dem russischen „maler des meeres“.23 Zu hevesis Pflichten als Journalist gehörte es auch, eine ausführliche beschreibung aller bedeutenden neuen öffentlichen gebäude Wiens zu verfassen, wenn sie fertiggestellt waren. diese erschien gewöhnlich am tag der offiziellen eröffnung. in einer seiner ersten schriften dieser art bewertete er das gebäude der universität in der ringstraße. einem bauherrn und strengen Jurymitglied gleich beschrieb er bis ins detail und präzise die Funktionen des gebäudes sowie seine technischen und künstlerischen lösungen und bewertete im internationalen kontext die leistung des architekten heinrich Ferstel. der Planer erlebte die einweihung des gebäudes nicht mehr, die innere ausgestaltung und die ausstattung der repräsentativen säle waren noch nicht fertig. hevesi zollte Ferstel, den er für einen genialen architekten hielt, dennoch ehrliche anerkennung.24 als letztes großes ausstellungsereignis des Jahres wurde im november munkácsys Golgotha gezeigt, und zwar als teil der schau, die der aus Wien stammende berühmte kunsthändler charles sedelmeyer aus den Werken jener maler aus der monarchie zusammengestellt hatte, die damals in Paris lebten. (charles sedelmeyer verkaufte ihre Werke weltweit.)25 (abb. 106) obwohl hevesi in seiner sorgfältigen analyse auch dieses biblische bild munkácsys lobte, hatte es seiner meinung nach nicht die durchschlagkraft des Christus vor Pilatus (Krisztus Pilátus előtt). (letzteres wurde als stück des Zyklus gegenüber dem neuen Werk erneut ausgestellt.)26 auch Franz Joseph besuchte die ausstellung, und die realistischen biblischen szenen beeindruckten ihn sehr. den Quellen zufolge spielte dieses erlebnis eine rolle dabei, dass statt des verstorbenen makart (nach dem tod canons) auf initiative und mit der Zustimmung des kaisers munkácsy, der damals international bekannteste maler aus der monarchie, das deckengemälde im treppenhaus des kunsthistorischen museums malen durfte. in seinem essay über die Werke der in Paris lebenden österreichischen, tschechischen und ungarischen maler27 stellte hevesi zunächst die gemälde des munkácsy-saals vor, und zwar nicht nur die großen leinwände mit biblischen Themen, sondern auch die genre- und die poetischen landschaftsbilder, deren melancholie ihn sehr faszinierte. Von den etwa fünfzig anderen bildern der übrigen meister besprach er zunächst zwei Werke von Pettenkofen, von denen eins ein großes, ungewöhnliches Pastellwerk war (Während des Duells). dann fasste er die beschreibungen von 17 eduard-charlemont-

nächste seiten: 107. rudolF Von alt:

hans makarts atelier in gusshausstrasse, 1885

der

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108. FritZ Von uhde:

lasset die kindlein Zu mir kommen!, 1884

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und 14 eugen-Jettel-Werken in wenigen sätzen zusammen, während er die übrigen maler nur aufzählte. im letzten berichtsartikel analysierte hevesi ausführlich die laufbahn von Václav brožík (1851–1901), dem bedeutenden tschechischen historienmaler.28 er war streng mit ihm, als er seine leistung in der gattung mit der munkácsys verglich und sie nicht für gut genug befand. er hielt nur seine bilder von kleinerem Format für künstlerisch überzeugend.29

1885 im Januar wurde eine gedenkausstellung mit makarts Werken eröffnet.30 die wichtigsten exponate waren die für die treppenhalle des kunsthistorischen museums bestimmten lünettenbilder, die übrigen waren frühe Werke, Porträts und skizzen. die danach veranstaltete auktion führte zu einer großen überraschung, denn die Preise für makarts Werke waren drastisch gefallen – als sei seine Popularität mit ihm gestorben. die Versteigerung, bei der nicht nur bilder und skizzen, sondern auch die einrichtungsgegenstände des berühmten ateliers unter den hammer kamen, fand am 26. märz statt. hevesi hatte die bilder und kunstobjekte zuvor ausführlich vorgestellt und sich bemüht, zu ihrem kauf zu motivieren.31 den misserfolg der Versteigerung konnte sich damals weder hevesi noch irgendjemand sonst erklären. als habe sich mit dem tod des meisters auch die aura seiner Werke verflüchtigt, als seien die kompositionen leer geworden und zu kulissen verblasst.

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mit dem erlöschen eines pulsierenden unkonventionellen lebens im atelier zerstreute sich das Publikum, und die verzauberten anhänger kehrten in die nüchterne Wirklichkeit zurück. Plötzlich schien es, als sei der makartsche stil und geschmack nur eine kurzlebige mode gewesen, die bald vergessen sein würde. ein eindeutiger beweis dafür, dass eine grundlegend andere kunstauffassung an seine stelle trat, war das im österreichischen kunstverein ausgestellte bild Lasset die Kindlein zu mir kommen (abb. 108), das auf großes interesse stieß.32 Fritz von uhde, der vom preußischen offizier zum experimentierenden maler geworden war, war einer der Vorreiter der deutschen naturalistischen malerei und stellte in jeder hinsicht – nicht nur mit seiner Themenwahl (neues testament), sondern auch mit seiner auffassung von der Welt und vom menschen – einen gegenpol zur ästhetik und zum kunstideal makarts dar. uhdes ungewöhnlicher stil, der sich schrittweise beharrlich entfaltete, war eine kriegserklärung an den historismus, und zwar sowohl in seiner akademischen als auch in seiner makartschen ausprägung. hevesi verortete den in münchen lebenden und arbeitenden meister natürlich sofort im zeitgenössischen koordinatensystem der europäischen stile: „… es gehört der richtung des jüngsten Pariser naturalismus an, dessen begabtes haupt, bastien-lepage vor wenigen Wochen, jung gestorben ist. man weiß, daß diese naturalisten den schatten auf den aussterbe-etat gesetzt haben, und mit ihm selbstverständlich die effektvollen atelierbeleuchtungen mit geschlossenem licht. sie wollen ‚aufrichtig‘ sein, und zeigen also die meist lebensgroßen gegenstände im hellen, zerstreuten lichte, gleichsam sine ira et studio, was hier übersetzt werden kann: ohne temperament und atelier“, so hevesi. diese etwas umständliche Formulierung bezieht sich auf die objektivität und auf die Zurückdrängung – soweit möglich – des subjekts des malers. danach erläuterte hevesi den lesern mit verdeckter ironie die künstlerische logik und die lichteffekte dieser Variante des Pariser naturalismus, deren Vertreter er gelegentlich als Hellmaler bezeichnete. er skizzierte auch uhdes künstlerische laufbahn und erwähnte, dass dieser in Paris als schüler munkácsys die suche nach seinem eigenen stil begonnen hatte, um sich dann von dem ungarischen meister abzuwenden und sich l’hermitte und bastien-lepage anzuschließen. nach der langen und detaillierten beschreibung des uhde-bildes, mit der er auch dem unerfahrensten leser den charakter der komposition zeigen konnte und die stärken und schwächen des Werkes gleichermaßen aufzeigte, schloss er den artikel mit einer überraschenden Wende. indem er gerade das unlogische des in innenräumen angewandten gedämpften lichts kritisierte, riskierte er folgende schlussfolgerung: „dies ist das andere extrem der von ihnen abgeschworenen malweise und zugleich die bürgschaft dafür, daß auch diese manier nur eine vergängliche mode ist und einige Jahre lang pikant erscheinen wird, um dann als langweilig zu anderen modemanieren geworfen zu werden.“33 hevesi wagte selten Prognosen, doch dieses mal riskierte er eine. obwohl ihn die stimmung und die mentalität von uhdes eigenartigem modernem bild spürbar faszinierten, irritierte ihn daran gerade die manierierte handhabung von licht und Farbe im naturalismus. er verstand den französischen naturalismus, der so sehr mit dem opulenten malerischen zu brechen schien, empfand ihn aber als fremd und begrenzt gültig. Von da an war der deutsche naturalismus in den Wiener ausstellungen regelmäßig anzutreffen, aber die meister vor ort ergaben sich der neuen manier vorerst noch nicht.

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das wichtigste gemälde der Jahresausstellung, die einen jährlichen überblick ermöglichte, war hans canons Der Kreislauf des Lebens (abb. 109), das danach einen Platz an der decke des treppenhauses im naturhistorischen museum erhielt. das bild ist eines der hauptwerke des Wiener historismus, das sein meister unverkennbar nach dem Vorbild von rubens gemalt hat. die philosophische „botschaft“ der allegorischen komposition hat der maler selbst mit seinen eigenen drastischen Worten zusammengefasst: „Fressen und gefressenwerden“. hevesi sah darin die Verkörperung der naturalistischen naturphilosophie. „… so gibt er den innersten sinn seines gemäldes in gedrungenster kürze mit den zwei Worten wieder: ‚Fressen – gefressenwerden‘. das ist wohl etwas massiv ausgedrückt, aber voll saft und kraft, und wiegt nach unserem geschmack alle gedrechselten deduktionen auf. in diesen zwei Worten liegt ja von lukrez bis zu bahnsen die ganze Philosophie der natur“, schrieb er.34 es handelt sich um eine plastische und genussreiche beschreibung des Werkes, in der der kritiker beinahe alles lobt, die faszinierend monumentale komposition anerkennt, die dem Thema trotz der inspirierenden Vorbilder noch neues hinzufügen konnte, doch zwischen den Zeilen spürt man, dass er von dieser leistung nicht durch und durch begeistert war. es schien, als sei canon der meister, der makarts künstlerisches erbe würde antreten und bis zu einem gewissen grad auch seine leitende Position würde übernehmen können, doch im september starb auch er plötzlich. die gewaltigen räume der neuen monumentalen öffentlichen gebäude, für die Fresken oder monumentale bilder gebraucht wurden, warteten auf neue meister, damit die epoche des historismus, also der „gründerzeit“, mit meisterwerken abgeschlossen werden konnte.

Landschaftsmalerei in den 1880er Jahren in seinem bericht über die Präsentation der Wiener landschaftsmalerei, die einen anderen Weg eingeschlagen hatte, erwähnte hevesi in der Jahresausstellung erneut die französischen impressionisten und setzte sie mit dem ungewöhnlichen begriff „stimmungslandschafter“ in bezug zu den österreichern: „so wie der Pariser impressionismus ein ungezwungenes Produkt der hügeligen isle-de-France mit ihrem milden, halb ozeanischen klima ist, hat auch die donaulandschaft ihren eigenen impressionismus geboren. der mit recht anerkannte meister desselben ist emil schindler, von dem, nach jahrelanger Verschlossenheit, jetzt eine ganze reihe neuerer Werke gleichzeitig aufgetaucht ist.“35 das ist etwas mehr als ein „Versprecher“, aber er hat den begriff nicht präzise gebraucht, da er nur ein äußerliches moment aus der Welt des impressionismus herausgegriffen hat: jenen gedanken, der auf die Theorie von hippolyte taine zurückgeht, laut welchem auch klima und Wetter den lokalen stil der malerei wesentlich beeinflussen. es ist eine schwache Parallele, es überrascht jedoch, dass er sie genannt hat, denn er hatte bis dahin nie über die französischen impressionisten geschrieben.36 (Wahrscheinlich hatte er auf seinen reisen nach Paris schon bilder von ihnen gesehen, wenn auch nicht viele.) der kern dieses Feuilletonbeitrags ist die Würdigung von emil Jakob schindler, die übrigen Werke hat er nur in wenigen Zeilen analysiert, unter ihnen natürlich auch tina blaus sonniges Prater-bild. in der höflichen aufzählung der namen – die ein unerlässlicher bestandteil der meisten ausstellungskritiken war – fügte er bei

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den wichtigeren arbeiten (rudolf alts aquarelle, tilgners skulpturen) einige treffende attribute hinzu. Zu den erwähnenswerten schriften hevesis aus diesem Jahr gehört auch derjenige seiner vier artikel über die landesausstellung in budapest, in dem es um die bildenden künste geht.37 er hat auf meisterhafte Weise die tatsachen ermittelt und war dabei streng, aber wohlwollend und voller beschützender Zuneigung. Zu dieser Zeit entstanden nur wenige Zusammenfassungen über die ungarische malerei, die besser gewesen wären und das Wesentliche besser erfasst hätten. unter den Werken hat er das Fresko von lotz im opernhaus, die malerei von bertalan székely und die Porträts von benczúr hervorgehoben. auch 1885 hatte er mehrere gelegenheiten, meisterhafte nachrufe zu verfassen, so zum beispiel über Victor hugo.38 Für die kunstgeschichte aber war in dieser gattung doch die Würdigung rudolf von eitelbergers am wichtigsten.39 es handelt sich um eine genaue rekonstruktion seiner laufbahn, einen anständigen beitrag, der zugleich auf Probleme hinweist und leise kritisiert. die kulturpolitische tätigkeit des einflussreichen und hoch angesehenen ersten Professors für kunstgeschichte in Wien hat hevesi mit großer anerkennung dargestellt. im sommer 1885 wurde im künstlerhaus in der reihe der ausstellungen mit den schätzen der nicht zugänglichen Privatsammlungen der aristokratie40 zur erbauung der Wiener künstler und des Publikums die aquarell- und grafiksammlung von Fürstin marie zu hohenlohe-schillingsfürst (in zwei teilen) vorgestellt.41 in der sammlung dominierten die deutschen meister der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts (overbeck, Führich, genelli, Preller, rottmann und moritz von schwind), aber hevesi nannte gewissenhaft auch diejenigen französischen meister, von denen das Wiener Publikum nur sehr selten überhaupt etwas zu sehen bekam (delacroix, delaroche, ingres, sogar die moderneren wie ary scheffer und gustave doré). diese Privatsammlungen der aristokratie trugen mit sicherheit dazu bei, dass sich das Publikum der kaiserstadt immer mehr für aquarelle und grafiken begeisterte und schon bald begann, die blätter zu sammeln. so ist es verständlich, dass damals innerhalb des künstlerhauses der erste klub (der Aquarellisten-Club der Genossenschaft der Bildenden Künstler Wiens) gegründet wurde, der eine eigene interessenvertretung der grafiker und der aquarellmaler war und sich mit eigenständigen ausstellungen schon bald ein eigenes Forum schuf. im september schrieb hevesi einen weiteren nachruf, in dem er den Platz eines meisters im Pantheon der österreichischen malerei bestimmen konnte, als hans canon unerwartet starb. in seinen ausführungen zu den bildern des rubensanhängers defi-

109. hans canon: der

kreislauF des lebens, 1884–1885

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nierte er genau den unterschied zwischen dem Vorbild und dem späten anhänger: „und dennoch bestand eine unüberwindliche grundverschiedenheit zwischen dem nachahmer und dem nachgeahmten. ein hauptzug der rubensschen kunst, ihr gewaltiger dramatischer Puls fehlte der kunst canon’s durchaus.“42 bei aller Pietät ist zu spüren, dass er canon nicht als ein makart ebenbürtiges innovatives talent betrachtete. sein langer essay anlässlich der großen Wereschtschagin-ausstellung im herbst hingegen lässt vorbehaltlose bewunderung erkennen, obwohl er sehr wohl gemerkt hat, wie gut sich der russische maler auf die theatralische Präsentation verstand.43 die schau, die seiner ansicht nach halb gemäldeausstellung und halb ethnografisches museum war, hatte der maler selbst gestaltet. darin wurden drei länder, indien, russland und Palästina, anhand von Porträts, landschaftsbildern, genrebildern und historischen gemälden der gegenwart aus einer Vielzahl von aspekten vorgestellt. laut seinen langen, aber abwechslungsreichen und faszinierend plastischen beschreibungen war diesmal die Hinrichtung von russischen Nihilisten für ihn am denkwürdigsten. er hat in Verbindung mit der szene viele Fragen aufgeworfen, aber unbeantwortet gelassen. er hat es dem leser beziehungsweise dem betrachter überlassen, die politische und menschliche botschaft des russischen malers zu entschlüsseln, die ihn diese faszinierend authentischen realistisch-naturalistischen bilder hatte malen lassen. das exotische, die zeitgenössische politische Wirklichkeit und die noch immer mit einem mystischen Zauber belegte biblische landschaft erlangten in der darstellung des besessenen realisten Wereschtschagin eine neue bedeutung, was hevesi in seiner überzeugung bestärkte, der vorherrschende geschmack und die authentische, grundlegende künstlerische bestrebung seiner Zeit sei der realismus. einen kontrast dazu bildete die letzte sensation des Jahres, benjamin-constants gemälde Das Blutgericht im Serail.44 hevesis rezension beginnt in dem für ihn typischen ironischen ton, ist voller Wortspiele und sätze von aphoristischer dichte, stellt die Quellen und die wesentlichen merkmale des französischen orientalismus aber trotzdem genau und authentisch dar. dieser beitrag zeigt, wie beliebt die von der romantik geerbte orientalische malerei selbst mitte der 1880er Jahre, als der realismus bereits auf dem Vormarsch war, beim Publikum in europa immer noch war.

1886 Von den ereignissen in der malerei in diesem Jahr war – nach hevesis artikeln zu urteilen – die erste herausragende ausstellung die von adolph menzel. der essay, den er dem damals schon 70 Jahre alten virtuosen realistischen maler widmete, ist gleichzeitig ein charakterporträt und künstlerischer lebenslauf mit bildanalysen (abb. 110). sein stil hat etwas von einer netten anekdote, er enthält aber trotzdem so viele daten und künstlerische beobachtungen wie eine wissenschaftliche abhandlung. 45 hevesi hat mit unbedingter begeisterung und anerkennung über jedes bild geschrieben, auch über solche, die in der Wiener ausstellung nicht gezeigt wurden, aber meilensteine seines lebenswerkes sind. das nächste wichtige ereignis war die im märz eröffnete Jahresausstellung, in der, wenn auch keine monumentalen leinwände gezeigt wurden, unter den mehr als 600 ausgestellten Werken doch eine ganze reihe von bildern von Qualität zu sehen war. hevesi gliederte seinen vierteiligen bericht nach gattungen.46 in dem teil über Porträts

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widmete er den drei magnatenporträts von gyula benczúr (graf gyula károlyi, graf géza szapáry und graf gyula andrássy) viel raum. die Jahresausstellungen im künstlerhaus standen auch ausländischen künstlern offen, ja als mitglied des gesamtdeutschen künstlerverbands stellte das Wiener künstlerhaus zahlreiche maler aus deutschland, bayern, schwaben, Preußen und sachsen vor, dennoch waren dort gewöhnlich mehr arbeiten von Wiener oder österreichischen als von ausländischen künstlern ausgestellt. 1886 aber waren sehr viele deutsche meister vertreten. am anfang seines letzten artikels über die XVi. Frühjahrsausstellung sprach sich hevesi für eine größere Wertschätzung der grafik (und der aquarellmalerei) aus.47 er hoffte, auch in Wien würde es „black-and-White“-ausstellungen geben, wie sie ab den 1870er Jahren in london stattfanden. eifrig lobte er ludwig Passinis venezianische szenen und rudolf von alts meisterwerke. ihm entging auch nicht, dass die Pastelltechnik erneut in mode kam. nach der besprechung der Pastellbilder und der radierungen kam er auf die Planzeichnungen otto Wagners für die ausschreibung des budapester Parlaments und die skizzen für einige andere nicht realisierte gebäude zu sprechen. er urteilte streng, Wagners damaliger stil gefiel ihm nicht ganz, aber er spürte schon damals die tatsächlichen tugenden des architekten auf, nämlich dass er sehr praktisch und rational plante und selbst grundstücke mit unregelmäßiger Form sehr gut nutzte.

110. adolPh menZel: ProZession in hoFgastein, 1880

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111. Wilhelm mesdag: schiFFe auF stürmischen see, o. J.

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dank der ermutigung zu einer eigenständigen grafikausstellung wurde schon einen monat später der aquarellistenklub im künstlerhaus gegründet, der auch gleich eine ausstellung im haus veranstaltete.48 die berühmten aquarellisten der stadt, allen voran rudolf von alt, hatten im interesse der sache eine beträchtliche Zahl ihrer älteren arbeiten gesammelt, um zu illustrieren, wie wichtig diese gattung für Wien war. Von den führenden Persönlichkeiten der älteren generation wurden sechs großformatige bilder von ludwig Passini, 20 von rudolf von alt und 15 von eduard lichtenfels ausgestellt, doch auch die Jungen waren vertreten, zum beispiel Wilhelm bernatzik, einer der späteren gründungsmitglieder der secession, mit seinem bild Im Frühsommer oder hanuš schwaiger, der eine Vorliebe für groteske szenen hatte und später zu den modernen tschechischen malern zählte. im zweiten teil des berichts hat hevesi über die arbeiten fast aller künstler etwas geschrieben, um die neue initiative angemessen zu unterstützen.49 im mai zeichnete er anlässlich von carl spitzwegs kammerausstellung ein treffendes Porträt dieses besonderen künstlers. über die Jubiläumskunstausstellung in berlin aber berichtete nicht hevesi, sondern ein Verfasser, der mit den initialen m Z. unterschrieb, und zwar in mehreren beiträgen und sachgerecht.50 seine artikel sind deshalb interessant, weil er über die dort ausgestellten österreichischen maler berichtete und auch das sehr bedeutsame englische bildmaterial, das auch ein Whistler-Porträt umfasste, begeistert besprach. anlässlich des todes von Franz liszt veröffentlichte hevesi einen nachruf, der dreimal so lang war wie üblich51, außerdem, gestützt auf die schriften seiner bekannten und Freunde (zum beispiel Janka Wohl), auch erinnerungen enthielt.52 aus jeder seiner Zeilen strömen hochachtung, respekt und Zuneigung. aus dem text geht nicht hervor, ob er den meister persönlich kannte, aber das ist möglich, da liszt anfang der 1870er Jahre, als er sich regelmäßig in Pest aufhielt, häufiger gast im Wohl-salon, dem berühmten intellektuellen und musikalischen treffpunkt von hevesis cousinen Janka und stefánia Wohl, war.53 auf diese Weise dürfte er als junger mann liszt spielen gehört und an den geistreichen abenden der gesellschaft teilgenommen haben. der kritiker, der sonst beinahe nie über musik schrieb, machte in diesem Jahr außer beim liszt-nachruf noch zwei weitere ausnahmen. einen langen Feuilletonbeitrag widmete er im november károly goldmark. der mit anekdoten gespickte artikel handelt nicht von der musik, sondern ist eine goldmark-biografie.54 das andere musikerporträt war das von eugen d’albert im Pester Lloyd.55 Zu den bedeutenden ereignissen im herbst gehörte die mesdag-ausstellung. hendrik Willem mesdag (1831–1915), der meister der niederländischen landschaftsmalerei (genauer: meeresmalerei) von internationalem ruf, hatte 30 bilder nach Wien geschickt. hevesi hat die Werke des malers mit genuss analysiert und in der einleitung erwähnt, dass mesdag bei den Pariser impressionisten gelernt hat (abb. 111). die niederländer waren Fixsterne am kunsthorizont der kaiserstadt, zum einen weil die sammlungen des kaisers und der meisten aristokraten voll mit den wertvollsten gemälden der alten meister waren, und zum anderen, weil die meisten österreichischen landschaftsmaler

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(Jettel, schindler, tina blau) nicht nur nach Frankreich und nach Paris, fuhren, um sich umzusehen, sondern auch viele sommer unter dem feuchten atlantischen himmel in den niederlanden verbrachten, wo sie sicherlich auch kontakte zu den dortigen zeitgenössischen meistern knüpften. die mitglieder der haager schule, welche die barbizoner-ähnliche, blühende realistische stimmungsmalerei praktizierten, waren in allen ausstellungen vertreten. sie standen dem kreis von emil Jakob schindler am nächsten, nicht die Franzosen. abgesehen von der internationalen ausstellung 1882 war die französische malerei in den Wiener ausstellungsräumen ohnehin nicht mit den besten arbeiten vertreten. hevesi nahm das sehr genau wahr und nahm beispielsweise das französische historienbild, das im kunstverein großes interesse erregte, den Bauernaufstand von rochegrosse, auseinander.56 er äußerte sich aber anerkennend über die bilder des aquarellisten Franz alt (1821–1914), des bruders von rudolf alt, der weniger begabt war als sein älterer bruder, aber auch qualitätvolle aquarelle malte.57 Franz alt reiste (wie sein bruder rudolf ) enorm viel und fuhr auch in gegenden, in die es sein bruder nicht schaffte. besonders die Frische dieser blätter und ihre beinahe vibrierende Farbvielfalt hob hevesi als neue Züge des stils des künstlers hervor. in der vor Weihnachten üblichen Zusammenstellung von buchbesprechungen widmete hevesi dem gerade erschienenen Wiener roman Farbenrausch von Friedrich uhl58 über hans makart besonders viel Platz.59 der autor war eine führende Persönlichkeit im Wiener Journalismus und jahrzehntelang chefredakteur der ältesten und zugleich amtlichen Wiener tageszeitung, der Wiener Zeitung. hevesi fasste den inhalt des romans zusammen und lobte ihn, zwischen den Zeilen aber kann man spüren, dass er ihn nicht für ein gutes buch hielt. dieser schlüsselroman – von dem jeder wusste, wer die realen akteure waren – bestimmte die erinnerung an die nunmehr als abgeschlossen geltende makart-ära und trug – gerade wegen des attraktiven titels – zu ihrer mythisierung bei.

1887 hevesis erste bedeutende schrift im Jahr 1887 war erneut ein nachruf. Friedrich amerling (1803–1887) war Wiens großartiger (und beliebter) Porträtmaler, der aus der Zeit des Vormärz übrig geblieben war und der mit 29 Jahren (1832) das gnadenlos treffende Porträt des schlechtgelaunten alten kaisers Franz gemalt hatte. dieser nachruf bietet nicht nur ein miniaturporträt einer sehr markanten malerpersönlichkeit, sondern ist voller neuer erkenntnisse über die stilistische metamorphose der Wiener malerei 60 (abb. 112). die beiden großformatigen historienbilder im österreichischen künstlerverein (georges rochegrosse Der verrückte König Nebukadnezar und Jan matejkos noch größeres

112. Friedrich

amerling: die Junge orientalin, 1836 Von

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Panneau mit dem titel Jungfrau von Orléans) fand er nicht besonders gut.61 Zumindest das Werk des französischen malers überhaupt nicht und das Werk des polnischen meisters teilweise, obwohl er es für überfrachtet und zu kompliziert hielt. „das die lawine von Formen und Farben reich ist an meisterhaften details, versteht sich bei matejko von selbst“, schrieb er. die szene des matejko-bildes spielt am abend, es wurde abends bei lampenlicht ausgestellt, weshalb sich der kritiker verärgert weigerte, die Farbkomposition unter solchen, die Farben verfälschenden umständen zu beurteilen. mitte Februar überraschte hevesi die leser mit einer besonderen reise.62 dem anschein nach nahm er sie auf eine Winterreise in die eisige ungarische tiefebene mit, die unter einer dicken schneedecke zitterte, und dort in die stadt szolnok, aber die stimmungsvolle landschaftsbeschreibung war nur eine einleitung (quasi ein Vorwand), um nach herzenslust über die maler schreiben zu können, die szolnok besucht hatten, und über ihre bilder, für die er sich so sehr begeisterte. selbstverständlich tauchte wieder der name tina blau auf, und nach einer netten anekdote über sie erfuhr der leser, dass die hervorragende malerin inzwischen als ehefrau des schlachtenmalers heinrich lang in münchen lebte. (lang war übrigens auch viele male in szolnok gewesen, vor allem, um dort prächtige Pferde zu malen.) der artikel endet mit der beschreibung des mausoleums, das baron mór Wodianer auf seinem anwesen hatte errichten lassen. über die Jahresausstellung schrieb hevesi, anders als sonst, nur einen artikel, was an sich schon ein Zeichen dafür ist, dass dort nur wenige bedeutende Werke zu sehen waren.63 Zu jener Zeit stellten auch viele maler aus deutschland aus, aber hevesi beachtete die österreichischen natürlich stärker. er äußerte sich sehr anerkennend über die landschaftsmaler (robert russ: Vorfrühling in der Penzinger Au (abb. 98), emil Jakob schindler). Zwei junge figurative maler hob er auch besonders hervor: Wilhelm bernatzik und adalbert Franz seligmann. obwohl er den titel des Werkes von Wilhelm bernatzik (1853–1906) nicht verraten hat (Letzte Ölung), ist anhand der präzisen beschreibung, die die stimmung des bildes genau wiedergibt, eindeutig, dass es sich um das heute in linz aufbewahrte gemälde handelte. ein Pfarrer und ein messdiener eilen am ende des Winters über den acker zu einem sterbenden, um ihm die letzte ölung zu geben. das sujet des großformatigen genrebildes ist eines der ersten österreichischen beispiele des neuartigen, französisch geprägten realismus, der in münchen schon lange mode war, also eher des Pleinairnaturalismus, mit dem die ungewöhnlichen, aber realen momente des zeitgenössischen täglichen lebens gemalt wurden.64 die erste großangelegte ambitionierte arbeit von adalbert Franz seligmann (1862– 1945) hingegen ist noch mit der historienmalerei verknüpft. „Leopold von Babenberg rettet auf der Bärenjagd Kaiser Otto’s Leben. ein erstlingswerk voll talent, besonders landschaftlich von einer gewissen größe der konzeption, auch die Figur des Jungen schützen der eben seinen Pfeil abgeschnellt hat, elastisch bewegt. bär und Pferd gut zu sehen, die Figur des kaisers dagegen schwach gerathen. das ganze geht in einer grauen tonart, in der vielleicht auch Farbe steckt. man darf auf die weitere entwicklung dieses muthig hervorgetretenen talentes gespannt sein.“65 das ist eine sehr wohlwollende kritik über die Vorstellung eines jungen künstlers, der etwas später am beginn der 1890er Jahre auch als kritiker eine immer wichtigere rolle in der Wiener kunstszene einnahm. seligmann wandte sich immer mehr dem Pleinairrealismus zu, er malte bemerkenswerte

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moderne genrebilder, schloss sich jedoch nicht der secession an, und seine ansichten wurden – vielleicht weil er die kulturpolitik der gruppe für zu aggressiv und elitär hielt – immer konservativer. später spielte er als dozent ebenfalls eine bedeutende rolle: er wurde einer der wichtigsten kunstdozenten der Frauenakademie. in der sommerausstellung des kunstvereins stellte mihály Zichy seine illustrationen zu imre madáchs Versdrama Tragödie des Menschen (Az ember tragédiája) vor.66 hevesi bemühte sich mit aller sorgfalt, den lesern sowohl das stück – von dem es damals bereits eine deutsche übersetzung gab – als auch Zichys bilder schmackhaft zu machen (abb. 113). bei der Verortung in der zeitgenössischen europäischen kunst merkte er an, Zichy habe seiner ansicht nach viel von kaulbach und gustave doré gelernt, sei aber selbstständig, während er von kaulbach die allegorische sichtweise übernommen habe – die er aber ebenfalls mit poetischer Fantasie angereichert habe. „mit doré hängt er mehr nach der technischen seite zusammen, durch die art, wie er hinter dem Wort der dichtung das bild erblickt und mit dem griffel flink hinter der Feder her ist. doch ist er auch hier eine andere Persönlichkeit. doré wurde immer mehr kolorist, Zichy bleibt realistischer Zeichner, selbst in seiner Phantastik. ein Zug von sinnlichkeit kommt noch hinzu …“ hevesi hielt die londoner szene für die am besten gelungene. diese besprechung ist umso interessanter, als ungarische künstler in den ausstellungen des kunstvereins und des künstlerhauses relativ selten vorgestellt wurden, sodass hevesi kaum die möglichkeit hatte, über sie zu schreiben. 1887 reiste er sehr viel und schickte seiner Zeitung regelmäßig reisebeschreibungen aus den bereisten gegenden, in erster linie aus italien und aus deutschland. am interessantesten waren in diesem Zeitraum dennoch die vier artikel, die er aus krakau schickte, deren anlass die von den Polen veranstaltete landesausstellung war, die die entwicklung in den von Polen bewohnten gebieten der monarchie und den damaligen stand der modernen polnischen kultur aufzeigen sollte. diese vier essays gehören zu hevesis schönsten schriften.67 da er vierzehn Jahre zuvor bereits in krakau gewesen war, faszinierte ihn nun die entwicklung, die sich seitdem vollzogen hatte, die altertümliche stadt mit dem getümmel des polnischen Publikums verzauberte ihn. im ersten artikel geht es um die stadt selbst. er verknüpft die Vorzüge der auf alten glasplatten festgehaltenen, unglaublich scharfen und genauen Fotografien mit dem stil, der die seelischen regungen der stimmungsmalerei und die vibrierenden Farben des impressionismus wiedergibt, und all das mit „plastischen“ Worten. dieser text ist voller klangvoller alliterationen und metaphern und hat eine enorme Formenvielfalt, mit der er dem leser die vielen charakteristischen gedenkstätten krakaus (die Wawel-königsgräber, den kościuszko-hügel, den rynek usw.) und seine typischen einwohner von den marktbauern bis zu den aristokraten plastisch und akustisch vorzaubert. hevesi wollte die seele der Polen unbedingt verstehen und spürte, welche kaum kaschierte melancholie und trotzige trauer im hintergrund der meisterwerke der polnischen malerei flackerte. er gab zu, dass er über die abteilung der landesausstellung

113. mihály Zichy: londoner markt (scene Xi.), imre madách: die tragödie des menschen, 1885–97

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für bildende künste, die in den tuchhallen stattfand, ursprünglich nur einen artikel für seine Zeitung hatte schreiben wollen. dann war er so begeistert, dass er vier artikel über das leben in krakau und die polnische kunst schrieb. in seinen bänden mit reiseberichten, die beim Verlag adolf bonz in stuttgart erschienen sind, hat er vor allem seine berichte über verschiedene gegenden in italien, deutschland und england erneut veröffentlicht, das Porträt krakaus war darin nicht enthalten.68 dabei ist es voller elan, tiefgreifender erkenntnisse und verständnisvoller Zuneigung. er hat sogar vergessen, zu ironisieren, obwohl er zu dieser Zeit besonders darauf achtete, dem bild, das man von ihm hatte, nämlich dass er einer von Wiens ironischsten und geistreichsten Feuilletonisten sei, der gerne auch die kehrseite der dinge unter der glänzenden oberfläche aufzeigte, zu entsprechen. in den tuchhallen auf dem hauptplatz von krakau waren etwa 500 bilder ausgestellt, also widmete hevesi der ausgesprochen niveauvollen polnischen malerei zwei ganze artikel. neben denen von Jan matejko analysierte er auch die arbeiten der in münchen, rom und Paris lebenden meister ausführlich, und sein gespür für Qualität ließ ihn auch dieses mal nicht im stich: er entdeckte das ganz besonders moderne selbstbildnis von olga biłinska (1857–1893) und das talent von Jacek malczewski (1854–1929) (abb. 114). er beschrieb anschaulich die Virtuosität von Józef brandt (1841–1915) und führte dem leser das innere glühen in matejkos bildern mit dem elan eines Prosaverses vor augen. er spürte das gemeinsame in ihnen, die zusammenhaltende kraft, die in der lage war, die erfahrungen aller internationalen modernen künstlerischen strömungen zu vereinen und doch irgendwie anders zu sein als alle anderen in europa. Für hevesi wurde die polnische malerei in krakau zur wirklichen offenbarung, und obwohl er auch zuvor schon über die bilder von matejko und der anderen bedeutenden meister geschrieben hatte, verstand er jetzt die ganze tiefe dieses heroisch pessimistischen Welt- und geschichtsbildes, das die polnischen bildenden künste nicht nur bis 1887, dem Jahr der entstehung dieser artikel, sondern bis zum ersten Weltkrieg stark beeinflusste. 1887 beschränkten sich die ereignisse in der Wiener kunstszene auf die ausstellungen des österreichischen kunstvereins, da sich das gebäude des künstlerhauses erneut als zu klein erwiesen hatte und für die im darauffolgenden Jahr anstehende große internationale schau aus- und umgebaut werden musste. das Jahresende brachte den ersten größeren gastauftritt von arnold böcklin (1827–1901), der schweizerdeutscher abstammung war und in münchen studiert hatte. seine Pietà wurde schon im oktober im kunstverein ausgestellt, im november dann das großformatige Im Spiel der Wellen, Nymphe und eine kleinere szene mit dem titel Drachentöter, die die legende von Perseus und andromeda neu erzählte, sowie schließlich ein landschaftsbild mit Figuren, der Frühlingszauber, das der kritiker für das beste ausgestellte bild hielt. hevesi analysierte die bilder mit spürbarer begeisterung, und wie alle seine Wiener kritikerkollegen faszinierte auch ihn die geheimnisvolle Poesie der gemälde im grenzbereich von märchen, mythologie und Wirklichkeit. Jeder seiner sätze ist ein hartnäckiger Versuch, diesem rätsel näherzukommen, weil er spürte, dass er das geheimnis des Zaubers der böcklin-bilder nicht lösen konnte.69 seine poetischen und unglaublich plastischen beschreibungen geben etwas von der schwärmerei wieder, die man heute fast gar nicht mehr versteht, mit der die Zeitgenossen die durch besondere Fantasie und eine sehr individuelle Farbenwelt gekennzeichnete kunst böcklins feierten.

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114. Jacek malcZeWski:

der tod Von ellenai, 1883

aus einer weitergefassten Perspektive betrachtet verzauberte der italienkult, der oft mit der nostalgie nach der mediterranen Welt der antike und der poetischen erinnerung an die mythologie verbunden war, im symbolismus der Jahrhundertwende die moderne Welt, die seele der menschen, die der realistischen sichtweise der in der industrialisierung begriffenen gesellschaft des 19. Jahrhunderts wenigstens von Zeit zu Zeit entfliehen wollte. böcklin wurde zur inkarnation dieses nostalgischen Wegsehnens der spätromantik und des frühen symbolismus und konnte deshalb die elite mit ihrer lateinisch-griechischen bildung und ihrem melancholischen temperament verzaubern. hevesi akzeptierte alles, worin er künstlerische Qualität und schöpferische absicht erkannte, und reihte somit auch böcklin in die obersten reihen des Pantheons der kunst seiner Zeit ein. die mit einer individuellen, neuen und ehrlichen überzeugung geschaffene Welt des künstlers ließ die bevorstehende Wende in der kunstauffassung zum symbolismus erahnen, die mitte des Jahrzehnts begann und immer eindeutiger wurde. sie bedeutete ein abwenden von den realen Themen der Zeit, von dem als natürlicher maßstab geltenden realismus und vom naturalismus, der den alltag der zeitgenössischen gesellschaft und die alltäglichen tragödien verewigte, hin zu einer spirituelleren Welt, zu den rätseln der seele. im november stellte auch Zichy erneut in Wien aus, dieses mal zehn seiner illustrationen für Die Österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild (abb. 104), für die sich hevesi uneingeschränkt begeisterte: „die meisten dieser szenen sind figurenreich, exotisch und bewegen sich in scharfen gegensätzen von licht und schatten. die volle kunst des ‚schwarz und Weiß‘ ist in ihnen aufgewendet.“ 70 er bedauerte, dass die holzschnitttechnik (mit der die illustrationen für das buch angefertigt wurden), so gut sie auch sein möge, die Wirkung der originalblätter nicht würde wiedergeben können.

1888 es war das Jahr des 40-jährigen Thronjubiläums von kaiser Franz Joseph, und alle wichtigen kulturinstitutionen der monarchie wollten sich durch Publikationen oder Festveranstaltungen an den Feiern dieses besonderen Jahres beteiligen. das bot die möglichkeit,

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1115. rudolF Von alt:

das innere der hoFkirche in innsbruck, 1886

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in allen bereichen überblicke und epochenmonografien zu erstellen. man bemühte sich außerdem, möglichst viele bauvorhaben, die sich seit längerem hinzogen, und begonnene denkmäler in Wien und im ganzen land fertigzustellen. das künstlerhaus nahm mit einer internationalen Jubiläumsausstellung an den Feierlichkeiten teil, die am 3. märz von erzherzog karl ludwig eröffnet wurde und bis zum 6. Juni besucht werden konnte.71 das sehr umfangreiche material (es wurden eineinhalbtausend Werke gezeigt) stellte hevesi in einer neunteiligen reihe vor. auch die übrigen tageszeitungen widmeten dem ereignis gebührende aufmerksamkeit. in der Presse analysierte albert ilg die exponate in einer mehrteiligen artikelreihe72, in der Neuen Freien Presse erschienen drei artikel von emerich ranzoni mit der signatur r, und in der Wiener Zeitung schrieb oskar berggruen unter dem kürzel gg.73 in seinem ersten Feuilletonbeitrag beschrieb hevesi in groben Zügen die Platzierung der malerei der einzelnen nationen im erneut umgebauten künstlerhaus und wies auch hier schon auf die meister und Werke hin, die er für die wichtigsten hielt. im Vergleich zur internationalen ausstellung von 1882 war die Jubiläumsausstellung etwas bescheidener geraten. die Veranstalter wollten die historische ausstellung (die in den letzten 40 Jahren entstandenen Werke) und das internationale material gleichzeitig zeigen. obwohl das künstlerhaus erneut umgebaut und vergrößert worden war, reichte der Platz nicht. der teil über die österreichische architektur wurde im benachbarten gebäude des musikvereins untergebracht. aus Platzmangel konnte die historische österreichische ausstellung nicht wirklich umfassend sein, und der organisator albert ilg war zahlreichen angriffen ausgesetzt, weil er nur einen knapp bemessenen „auszug“ aus der bildenden kunst der Zeit Franz Josephs zusammengestellt hatte. demgegenüber war der teil mit den neuen zeitgenössischen österreichischen Werken bedeutsam und reichhaltig. am stärksten war natürlich die stimmungsmalerei vertreten, gefolgt von der Porträt- und der genremalerei. am systematischsten wurde dieses Panorama der kunst wieder in hevesis kritiken besprochen, doch dieses mal schrieb auch albert ilg (der kurator der kaiserlichen sammlungen und der ständige kritiker für bildende kunst bei der Presse war) eine siebenteilige artikelreihe, in der er gemälde und skulpturen bewertete. ilgs stil war deutlich trockener und weniger plastisch, außerdem waren die beiden kritiker in vielen Punkten unterschiedlicher meinung. der eitelberger-schüler ilg hatte einen konservativen geschmack; als engagierter anhänger des akademischen historismus und in erster linie des barockzeitalters kämpfte er hart gegen den modernen realismus, der für ihn in stilistischer hinsicht inakzeptabel war, und noch stärker gegen die Vertreter des na-

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turalismus – und tat all das im namen der (seiner meinung nach) in ästhetischer wie moralischer hinsicht vorbildlichen traditionen. alle bilder, die gegen die gattungshierarchie verstießen (sei es mit ihren abmessungen oder mit der Wahl des Themas) und ihr Thema in groben Zügen, mit „naturalistischem schlendrian“, darstellten, wurden streng gerügt. nach ilgs maßstab enthielten das österreichische und das internationale bildmaterial sehr wenige bemerkenswerte Werke. hevesis schreibtechnik und theoretischer ausgangspunkt waren genau entgegengesetzt: er schätzte gerade das, was vom schablonenhaften und herkömmlichen abwich, das neue – sofern die künstlerische lösung zum Thema passte. Parallel zur erweiterung seiner kenntnisse über die europäische kunst seiner Zeit erkannte er, dass in jeder der unterschiedlichen richtungen und bei allen stilexperimenten herausragende Werke entstehen können und auch entstehen. Weiterhin, dass kein einziger stil der Vergangenheit oder der gegenwart das alleinige maß für künstlerische Qualität sein kann. auf diese Weise wurde er, ohne ein theoretisches system zu formulieren, von der erfahrung ausgehend zum befürworter des stilistischen Pluralismus. die sensation des internationalen teils war hubert herkomers Porträt Miss Kate Grant, das bereits bei der internationalen ausstellung in Wien ein Jahr zuvor großen erfolg geerntet hatte (abb. 116). nicht nur die ungewöhnliche schönheit des modells, sondern auch der ungewöhnliche Farbeffekt – der umstand, dass der deutschstämmige, aber in london lebende maler sein modell im reichgefältelten weißen kleid vor einer weißen Wand abgebildet hat – hob es unter den übrigen Frauenporträts hervor, die Frauen in eleganter toilette vor einem dunklen hintergrund zeigten. hevesi, der die neugier des Publikums gut kannte, legte nicht nur die malerischen Qualitäten des bildes dar, sondern sammelte auch alle möglichen zusätzlichen informationen und allen klatsch, um dem Werk gleich in der ersten Woche nach der eröffnung einen langen Feuilletonbeitrag widmen zu können.74 dadurch lockte er bestimmt viele besucher in die ausstellung. noch Wochen später, als das blatt über den besuch von königin elisabeth in der ausstellung berichtete, wurde betont, dass selbstverständlich auch sie den herbeieilenden ehrfurchtsvollen sekretär des künstlerhauses bat, sie gleich zu dem berühmten Porträt Miss Kate Grant zu führen.75 die reklame war also erfolgreich. im übrigen war hevesi ehrlich davon überzeugt, dass dieses mal die Porträts die besten exponate der ausstellung waren. im dritten Feuilletonbeitrag besprach er also diese gattung und schrieb einen komprimierten, aber verspielt geistreich formulierten aufsatz, der fast schon einer wissenschaftlichen abhandlung gleichkam, über diese „unverwüstliche“ gattung der malerei.76 „also es gibt eine kunstgeschichte und es gibt kunstausstellungen; aus diesen beiden tatsachen ist

116. hubert herkomer:

miss kate grant, 1887

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117. gyula bencZúr:

Porträt Von kálmán tisZa, ungarischer ministerPräsident, 1885

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das eigentlich moderne an unseren Porträts zu erklären. aus jener malt man heraus und in diese malt man hinein. in einer so reflektierten kunst muß wohl mehr hirn, als blut zu spüren sein; selbst bei den besten meistern erscheint das können vor allem als ein Wissen. suchen wir nach einem einzigen Worte, mit dem dieses moderne element auszudrücken wäre, so finden wir allenfalls das Wort ‚interessant‘.“ Während der besprechung der Phänomene dieser „chamäleon-gattung“ wirft er die Frage auf, wann ein zeitgenössisches Porträt „modern“ sei. seiner ansicht nach dann, wenn es „interessant“ sei. danach übt er ausführlich kritik an seiner gegenwart, die er als kleinliche Zeit empfindet, kritisiert sie wegen ihres billigen geheuchelten interesses, da das Publikum den pikanten details und sensationen hinterherjage, die die maler um des erfolges willen noch verstärken. „größere talente wissen dabei den kern der sache zu retten, kleinere opfern ihn unbedenklich. aber: interessant zu sein ist alles; von herkomer hinab bis zu gussow, von Fröschel hinauf bis zu lenbach. um welchen Preis, das ist nebensache.“ rückblickend erscheint die Popularität von herkomers Porträt dem aufmerksamen leser somit in einem ganz anderen licht, umso mehr, als hevesi bei seiner gewohnt präzisen beschreibung der Form und seiner stilanalyse das andere gefeierte Frauenporträt der ausstellung, karl gussows (1843– 1907) Porträt der schriftstellerin ossip schubin, die damals in mode war, regelrecht zerpflückt hat. danach analysierte er lenbachs berühmtes bismarck-Porträt mit dem großen schwarzen hut ebenfalls sehr detailliert. seiner meinung nach war es nicht nur modern, sondern auch künstlerisch sehr bedeutsam. als letztes besprach er das von gyula benczúr gemalte bildnis des ungarischen ministerpräsidenten kálmán tisza (abb. 117). „im tisza-bildniß sehen wir ihn [benczúr] als einen bedeutenden koloristen, der von einem tief bräunlichen, ungewöhnlich satten und reichen ton ausgeht (…) unstreitig gehört dieses bild zu den besten Porträts, die bisher in der monarchie gemalt worden sind.“ in seinem vierten artikel analysierte hevesi noch immer die in der ausstellung gezeigten Porträts.77 darin stellte er die bilder vor, deren modell eine berühmte Person war, das gemälde deshalb wichtig war, während sein stil gewöhnlich den damaligen formalen und stilistischen kriterien eines durchschnittlichen Porträts entsprach. Zu diesen gehörten munkácsys liszt-Porträt und das bild des historikers Theodor mommsen und des arztes und Physikers hermann von helmholtz von ludwig knaus. dem Porträtstil von heinrich von angeli, den man auch als namhaften „offiziellen Porträtmaler des hofes“ betrachten kann, widmete hevesi eine lange analyse, in der er alle technischen kniffe und ihren ursprung detailliert vorstellte und auf die Vorläufer in der malereigeschichte hinwies, die dem österreichischen meister zur entwicklung seines virtuosen, aber ins manieristische übergehenden Porträtstils verholfen hatten. der Vergleich zwischen hevesis beschreibungen und den artikeln der übrigen namhaften Wiener Feuilletonisten ist aufschlussreich: Wer hat was hervorgehoben, wer hat

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auf welches der ausgestellten eineinhalbtausend Werke hingewiesen. der erste Vergleich gilt dem angesehenen lehrmeister und Freund ludwig speidel. dieser galt zwar als ein mann mit universeller bildung, der über alles schreiben konnte, seine Theater- und literaturkritiken hatten am meisten gewicht, obwohl er viel von musik verstand und regelmäßig auch musikkritiken für das Fremden-Blatt schrieb. speidel unternahm nur selten ausflüge auf das gebiet der bildenden künste, und zwar nur dann, wenn ein Werk eines meisters ihn persönlich ansprach.78 dieses mal entspann sich bei drei Porträts ein solcher besonderer „dialog“. Von diesen dreien befand hevesi nur lenbachs Bismarck einer langen analyse für würdig, die anderen beiden erwähnte er lediglich. Für speidel hingegen waren die Persönlichkeit und das lebenswerk der abgebildeten das Wesentliche. die Porträts der beiden großen deutschen historiker Theodor mommsen und leopold ranke boten ihm (auch wenn er die stile der maler kurz analysierte) die möglichkeit, ihr lebenswerk und ihre ethische botschaft auf aphoristische art und Weise zu bewerten. dasselbe geschah im grunde auch beim eisernen kanzler, den lenbach später unzählige male mit und ohne hut gemalt hat.79 bemerkenswerterweise hob albert ilg ebenfalls lenbachs bismarck-Porträt hervor (sowohl wegen lenbachs ruf als auch wegen bismarcks Person wurde jedes dieser Porträts in der Wiener kritik jahrzehntelang als etwas besonderes behandelt, sodass man einfach nicht nicht darüber schreiben konnte), außerdem herkomers Werk. er bemerkte auch die außergewöhnliche ästhetische Qualität von munkácsys liszt-Porträt und noch mehr von benczúrs tisza-darstellung, umso mehr, als diese in der adligen Porträttradition des 17. Jahrhunderts wurzelten. allerdings fehlte in ilgs beschreibungen die persönliche note, die es auch ohne illustrationen zum erlebnis gemacht hätte, sie zu lesen. emerich ranzoni und oscar berggruen äußerten sich ebenfalls anerkennend über alle genannten Porträts, doch niemand erklärte die dilemmata der modernen Porträtmalerei so scharfsinnig wie hevesi, der dabei auch die Widersprüche des genres, die markt- und gesellschaftlichen mechanismen, die für den Zwang, der mode zu folgen, verantwortlich waren, und das Problem der menschlichen authentizität, die auch die Frage der künstlerischen integrität berührten, aufzeigte. die nächsten beschreibungen wurden nach der üblichen routine geschrieben, alle sind eine sammlung treffender Vorstellungen und bewertungen der gelungenen arbeiten. mehr raum in den beschreibungen erhielten nur die wirklich faszinierenden und ungewöhnlichen neuen kompositionen (zum beispiel menzels virtuose straßenszene Prozession in Hofgastein) (abb. 110). angeregt durch das von Vermeer inspirierte bild Die Würfelspieler des münchener malers claus meyer hatte hevesi wieder lust, sich mit der mode der sogenannten Hellmalerei (den realistischen oder naturalistischen bildern à la bastien-lepage mit einer sehr hellen Palette, aber einem diffusen grauen licht) auseinanderzusetzen. er konnte sich nicht mit der überwiegend grauen Palette anfreunden. „Von einer wirklichen revolution in der malerei kann bei dieser ganzen modernen erscheinung gewiß nicht die rede sein. Wie auf die mode der dunkelmalerei naturgemäß eine mode der hellmalerei gefolgt ist, löst eben das befreite licht das gefangene, die zerstreute helligkeit die gesammelte und künstlich geleitete ab“, schrieb er.80 selbstverständlich beschäftigte es ihn sehr, was aus dieser kavalkade von stilen, die die relativ bescheidene internationale kunstschau bot (es waren keine bedeutenden

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118. sándor bihari:

Vor dem richter, 1886

französischen Werke ausgestellt), werden sollte, wie der Weg der stilistischen erneuerung der malerei aussehen würde. auch wenn er das zögerliche Vorantappen einzelner meister in eine neue richtung sah und jedes kleine ergebnis anerkannte, erkannte er, da sein ästhetischer maßstab sehr hoch angelegt war, sofort die beschränkungen der kurzlebigen Theorien und war selbst ratlos. der erste teil des siebten artikels ist eine Zusammenfassung über die ungarische malerei. er hat nicht nur die ausgestellten bilder bewertet, sondern auch die gesamtleistung. „die ungarische abtheilung gehört ohne Frage zu den anziehendsten und urwüchsigsten der ganzen ausstellung. eine frische, scharfe luft weht in ihr, wie in einer gesellschaft, wo junge leute das große Wort führen. und in der That übersprudeln diese räume von Jugend; ist doch die moderne kunst ungarns kaum ein menschenalter alt. (…) Was wir aber hier zusammengesteckt sehen, ist fast durchwegs neuestes und Jüngstes, aus dem letzten Jahrzehnt.“81 außer den bereits erwähnten, sehr erfolgreichen Porträts von gyula benczúr und mihály munkácsy waren bilder von sándor bihari (abb. 118), alajos Ébner (deák), simon hollósy, Jenő Jendrassik, imre révész, ignác roskovics, Pál Vágó, róbert nádler sowie béla spányi, ottó baditz und tihamér margitay ausgestellt. nicht nur hevesi lobte diese arbeiten, sondern auch die anderen kritiker erkannten fast ohne ausnahme ihre technischen und künstlerischen Qualitäten an. den Donaukai in Pest (Pesti rakpart) von lajos bruck sowie die gewagte Perspektive des bildes hob hevesi besonders hervor (abb. 119). Von den bildhauern waren alajos stróbl und györgy Zala verdientermaßen erfolgreich. (Von den ungarn gewannen benczúr und stróbl goldmedaillen und bihari eine silbermedaille.) sehr gut gefiel hevesi das polnische, das belgische, das niederländische und das spanische bildmaterial, die malerei der übrigen nationen jedoch inspirierte ihn zu ausführungen über die Zukunft des kunstzweiges.82 obwohl die ausstellung im märz nicht von Franz Joseph eröffnet wurde (er verhandelte in dieser Woche gerade in buda mit den ungarn), wirft der Zeitungsartikel vom

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11. april, laut welchem seine majestät die ausstellung da schon zum dritten mal besuchte, dieses mal mit einer liste in der hand, auf der er sich mit bleistift notizen machte, ein interessantes licht auf das Verhältnis seiner hoheit zur kunst.83 er begutachtete vor allem diejenigen bilder und aquarelle, die er später für seine sammlungen erwarb. er sah sich nicht nur die österreichischen und ungarischen exponate erneut an (die käufe erfolgten in erster linie von dort), bewunderte aber auch – nun schon zum dritten mal – herkomers gefeiertes Porträt von miss kate grant. als er die halle des künstlerhauses verließ, teilte er dem sekretär der einrichtung zum abschied mit, er werde die ausstellung ein weiteres mal besuchen. das zeigt, dass sich das oberhaupt des reiches sehr für kunst interessierte und die ausstellungsbesuche vermutlich tatsächlich genoss, besonders wenn sie nicht mit der steifen protokollarischen Zeremonie der eröffnungen verbunden waren. Weiterhin zeigte sich, dass einzelne gemälde (das herkomer-Porträt), für die hevesi reklame gemacht hatte, selbst vom kaiser besondere aufmerksamkeit erhielten. die täglichen kritiken dürften also einen großen einfluss auf den geschmack und auf den erfolg einzelner bilder und schließlich einzelner richtungen gehabt haben. das Jahr 1888 hielt im übrigen viele Freuden für den „kaiserlichen und königlichen kunstgenießer nummer eins“, Franz Joseph, bereit. außer der Jubiläumsausstellung wurde am 16. april im österreichischen museum (heute museum für angewandte kunst) die erste großangelegte kulturgeschichtliche ausstellung über die Zeit maria Theresias84 eröffnet. Wenig später, am 13. mai, weihte er das maria-Theresia-denkmal

119. laJos bruck:

der donaukai in Pest, 1885

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120. casPar Von Zumbusch: das maria theresia denkmal in Wien, 1888

121. Johannes benk:

die schönheit, burgtheater, 1888

122. albert Zimmermann:

italienische küstenlandschaFt, 1860er Jahre

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von caspar von Zumbusch zwischen den beiden im bau befindlichen kaiserlichen museen ein, dessen Fertigstellung zwölf Jahre gedauert hatte (abb. 120). im oktober wurde dann endlich das neue burgtheater mit seiner unheimlich reichen innendekoration fertiggestellt. über diese bedeutenden kulturellen ereignisse berichteten alle Zeitungen in mehreren beiträgen, und der kaiser konnte wirklich stolz darauf sein, dass, wenn auch nicht alles, so doch die künste in den 40 Jahren seiner herrschaft eine blüte erlebt hatten. hevesi berichtete, analysierte und erklärte fleißig, begeisterte sich, lobte und kritisierte. das maria-Theresia-denkmal gefiel ihm, wie allen anderen, sehr gut, obwohl er die Vorbilder in der europäischen bildhauerei genau kannte (und auch nannte). er zeigte die unterschiede auf und wagte sich bei der interpretation gelegentlich so weit, dass er anhand der unterschiede in der komposition auch auf die unterschiedliche geschichtsauffassung der deutschen und der österreicher hinwies.85 das ende des sommers und den anfang des herbstes verbrachte hevesi mit einer langen englandreise, deren Frucht eine reihe von reiseberichten war. sein nachruf für albert Zimmermann (1808–1888), den wichtigen lehrmeister an der akademie in den 1860er Jahren, der robert russ, emil Jakob schindler und viele andere Wiener maler unterrichtete aber seit Jahrzehten in deutschland lebte, ist ein mit viel empathie geschriebenes kapitel der österreichischen landschaftsmalerei86 (abb. 122). das wichtigste kulturelle ereignis des herbstes in Wien war die einweihung des von gottfried semper und karl hasenauer entworfenen neuen Palastes des burgtheaters. es war das prachtvollste gebäude der ringstraße, bei dessen innendekoration so gut wie alle namhaften künstler der stadt mitgewirkt hatten. leider wurde der großteil des interieurs im Zweiten Weltkrieg zerstört, sodass nur bruchstücke der einstigen gemälde und skulpturen (abb. 123) erhalten sind. hevesi hat das äußere und die räume im inneren in zwei langen artikeln peinlich genau beschrieben.87 in einem davon taucht

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der name gustav klimt zum ersten mal auf. hevesi lobte die drei in einem gemeinsamen atelier arbeitenden jungen maler Franz matsch (abb. 124) sowie gustav und ernst klimt gleichermaßen und schloss die beschreibung der bilder damit, dass die Wiener kunsthistoriker von da an mit drei neuen künstlerpersönlichkeiten rechnen könnten, was der stadt zugutekommen würde. seine Prophezeiung wurde teilweise wahr, da ernst klimt sehr früh starb und Franz matsch ein blasser stern am himmel der malerei blieb, gustav klimt aber kaum ein Jahrzehnt später eine der dominanten Persönlichkeiten in der bildenden kunst der kaiserstadt wurde.

1889 Während im laufe des Jahres auch weiterhin gebäudeeinweihungen (beispielsweise des naturhistorischen museums und des deutschen Volkstheaters) und enthüllungen von skulpturen (grillparzer-denkmal) stattfanden und mit der Fertigstellung des zum michaelerplatz gelegenen Flügels der burg begonnen wurde (dessen bau 1730 „auf unbestimmte Zeit“ ausgesetzt worden war und nun nach 160 Jahren nach den barockplänen fortgesetzt wurde), nahm die Zahl der berühmtesten maler der Zeit rapide ab. im märz starben anton romako und august von Pettenkofen, im Juni otto von Thoren, außerdem schieden in diesem Jahr viele bedeutende kleinmeister aus dem leben. ein generationenwechsel setzte ein. hevesi schrieb die gründlichen nachrufe und bewertete anlässlich der nachlassausstellungen die leistung der meister. in psychologischer hinsicht war der nachruf für

123. PrunktrePPe im

burgtheater, 1888

124. FranZ matsch:

eine antike theatersZene, burgtheater, 1888

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anton romako (Ein unglücklicher Maler88) einer der interessantesten, da er sowohl über romako als auch über hevesi sehr viel verrät. hevesi hat sich sein ganzes leben lang bemüht, das geheimnis von romakos besonderer malerei (stil) zu lüften, um es trotz allen inneren Widerstandes akzeptieren zu können. er wusste, dass sie mehr war als das groteske Produkt eines zunehmend verwirrten hirns (abb. 125). seine aus einigen sätzen bestehenden bildbeschreibungen und -analysen änderten sich im laufe der 1870er und 1880er Jahre stetig, er sah die Werke 1889 anders und schrieb 1902 wieder anders über sie, als er versuchte, romakos Platz in der österreichischen malerei des 19. Jahrhunderts zu bestimmen, um sie dann 1905, kurz vor der entstehung des expressionismus, wieder anders zu beurteilen. es gab nur wenige, die die bildlichen und malerischen mittel, durch die die beunruhigende Wirkung von romakos Werken entstand, so präzise und treffend beschrieben wie hevesi, aber das ergebnis, die gespaltene und angsterfüllte Weltsicht und betrachtung der menschen, konnte er nur sehr schwer und nur schrittweise akzeptieren. der rationale kritiker, der fest an den Fortschritt der Welt glaubte und auf menschliche schwächen immer mit humor und ironie reagierte, der – wie aus erinnerungen an ihn hervorgeht – zugespitzte situationen nicht mochte und konfrontationen vermied, beleidigte die künstler auch dann nur ungern, wenn er nicht allzu viel von ihren arbeiten hielt. seine taktik sah so aus, dass er über solche arbeiten nicht schrieb oder so tat, als verstehe er sie nicht. genau so eine situation hat er in seinen erinnerungen beschrieben, zugleich aber auch das Versagen dieser taktik, denn romako hatte ihn durchschaut und behandelte ihn, obwohl sie zuvor gute bekannte gewesen waren, von da an wie einen Fremden. nachdem er kurz das leben des malers erzählt und anhand der Schlacht der Amazonen, die zuvor großes aufsehen erregt hatte, den charakter von romakos eigenartiger manier erfasst hatte – das menschliche Fleisch

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sei perlmuttfarben geworden und die leinwand von einem allgemeinen irisieren überzogen –, riskierte er die bemerkung, dass möglicherweise eine krankheit der grund dafür sein könne, dass seine bilder so sehr von dem abwichen, was akzeptiert wurde oder zumindest von dem, was für hevesi damals akzeptabel war. der letzte satz gleicht einer ärztlichen diagnose: er sei einer der kranken der kunst. damit hat er bedauerlicherweise eine historiografische tradition begonnen, die die Forschung erst seit kurzer Zeit infrage stellt.89 der kurz darauf entstandene Pettenkofen-nachruf ist bei Weitem nicht so problematisch. er beginnt mit einer anekdote, wechselt zu einem liebevollen ironisierenden Porträt der „orientalischen“ landschaft von szolnok, um in einer poetischen Werkanalyse zu gipfeln (abb. 126). sie enthält einen satz, der speziell die ungarischen leser anspricht: „er war der erste ungarische maler, obgleich er kein ungar war, und hat der heutigen generation unserer genremaler den Weg gewiesen.“90 einen zweiten ausführlicheren beitrag über Pettenkofens stil, der auch in fachlicher hinsicht eine vorbildliche analyse war, veröffentlichte hevesi im dezember im Pester Lloyd.91 das künstlerhaus veranstaltete zu diesem Zeitpunkt eine art gedenkausstellung, und die 270 gezeigten Werke gaben endlich einen überblick über das lebenswerk des malers. er war berühmt dafür, dass er seine bilder zu lebzeiten „versteckte“, weil er immer strenger und unzufriedener mit sich selbst wurde. seine älteren Werke ließ er, wenn immer es ihm möglich war, nicht ausstellen, und die neuen gab er von vorneherein nicht aus der hand. dadurch waren, obwohl er ein sehr angesehener und berühmter meister war, den die zeitgenössischen kunstliebhaber auch den „Wiener messonier“ nannten, ab den 1870er Jahren in den Wiener ausstellungen kaum Werke von ihm zu sehen. die bilder wurden aus berühmten Wiener Privatsammlungen (leihweise) zusammengesammelt, und es wirkte wie eine offenbarung, als man erkannte, wie oft der meister seinen stil gewechselt hatte. die neuen stilistischen impulse brachte für die Wiener malerei die XViii. Jahresausstellung, obwohl die Zahl der ausgestellten Werke viel geringer war als sonst. dafür wurden qualitativ umso herausragendere bilder gezeigt. mit Freude und genuss analysierte hevesi emil Jakob schindlers vier landschaftsbilder aus der gegend von ragusa (dubrovnik) (abb. 127), außerdem drei arbeiten derselben gattung von robert russ.92 das hauptwerk unter den schindler-bildern war das ungewöhnlich düstere und in dunklen Farben gehaltene Pax, das einen beinahe mystisch anmutenden Friedhof darstellte. über vier bilder des orientalisten leopold carl müller äußerte sich hevesi ebenfalls voller anerkennung, ebenso über alois schönns Wien-Vedute Markt auf der Freyung. im gegensatz dazu tadelte er den bereits arrivierten und populären maler eugen von blaas, der durch seine früheren erfolge ermutigt ein epigone seiner selbst geworden war, der reihenweise „ninetten“, hübsche junge italienische modelle in volkstümlichen kostümen,

127. emil Jakob

schindler: an der küste bei ragusa, 1888

dalmatinischen

125. anton romako: die rosenPFlückerin, 1882–1884 126. august Von Pett enkoFen: der kuss i. (das rendeZVous i.), 1864

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128. adalbert FranZ

seligmann: der billroth'sche hörsaal im Wiener allgemeinen krankenhaus, 1888–1890

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malte. sein bruder Julius von blaas lieferte ähnlich wie eugen eine neue Version eines gemäldes ab, mit dem er im Jahr zuvor bereits erfolg gehabt hatte, was den kritiker regelrecht ärgerte. auch Marktplatz von Gars am Kamp von olga Wisinger-Florian, die er bis dahin immer gelobt hatte, kritisierte er heftig, weil sie das Thema und die komposition bei Pettenkofer und robert russ abgeguckt habe und es zeichnerische Fehler aufwies. die wichtigste analyse widmete er einem anderen maler, der noch am anfang seiner laufbahn stand, nämlich dem bereits erwähnten adalbert Franz seligmann, dessen gemälde Professor Billroths Anatomievorlesung die sensation der ausstellung war (abb. 128). das bild zeigte einen ungewöhnlichen schauplatz des modernen lebens: einen wie eine arena angelegten hörsaal der medizinischen Fakultät, wo Professor billroth den studenten in der Praxis zeigte, wie man operiert. das gemälde ist eine bravouröse leistung, und obwohl hevesi sogleich sein ausländisches Vorbild, gervexs berühmte szene mit der operation des namhaften Pariser chirurgen Professor Péan, erkannte, lobte er seligmanns Virtuosität, mit der er eine sehr viel schwierigere räumliche anordnung erfolgreich dargestellt habe.93 es ist interessant, hevesis meinung mit der albert ilgs zu vergleichen.94 sein kollege hielt das bild in technischer hinsicht ebenfalls für sehr gut, machte den jungen maler jedoch runter: „die billroth’sche anatomie von seeligmann, eine köpfesammlung, Porträtsammlung, en plein air, ehrlich studiert, mit anständiger Vermeidung alles nervenaufregenden hat ziemlich viel von sich reden gemacht; ist aber kaum nöthig gewesen. es ist ein geringfügiges bild. Was treibt doch dieser junge mann, dem es keineswegs an talent und geschmack fehlt, wie sein Theatervorhang, das Porträt des jungen herrn und auch diese anatomie beweisen? einmal malt er babenberger, einmal läßt ihm Wereschtschagin keine ruhe, und einmal vergißt er ganz den großen rembrandt, der alle weiteren anatomiegemälde ein für allemal überflüssig gemacht hat.“ Für den barockspezialisten und kunsthistoriker ilg konnte nach rembrandt keine weitere glaubwürdige Anatomie entstehen – eine ausgesprochen zweifelhafte argumentation von einem Fachmann. im zweiten teil seines berichts über die Jahresausstellung schrieb hevesi mit feiner ironie über die Vorbilder und die unlogik von adolf hirschls Heilige Cäcilie und stellte die Frage nach der stilistischen desorientierung des malers, wie es ilg bei seligmann getan hatte, nur viel taktvoller und verständnisvoller. danach besprach er die vielen gut gelungenen landschaftsbilder und lobte sie. die übrigen waren alle routinearbeiten, die aus Pflichtgefühl genannt werden mussten.95

Der Wiener „Salon der Zurückgewiesenen“ 1889 in diesem Jahr ereignete sich in Wien etwas, das es 1863 in Paris stattfand. die von der Jury abgewählten künstler organisierten ihre eigene ausstellung (den Salon der Zurückgewiesenen) und stellten in der Wärmhalle der städtischen eisbahn 153 Werke aus.96 hevesi wählte ein überraschendes konzept für seinen bericht über das ereignis: er nannte die möglichen gründe, warum die Jury das jeweilige Werk nicht zur ausstellung zugelassen hatte. Von den vielfältigen gründen erregte einer seine besondere aufmerksamkeit, und zwar im Zusammenhang mit der lage des landschaftsmalers anton hlaváček, eines Zimmermann-schülers, dessen stil veraltet war, obwohl er kein schlech-

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ter künstler war. alles in allem hielt er die entscheidung der Jury bei mindestens einem drittel der ausgestellten Werke für unlogisch. er sah genau, dass das Qualitätsargument oftmals falsch oder ein deckmantel war, hinter dem sich andere kriterien und interessen verbargen. den Wiener Salon der Zurückgewiesenen sollte das Publikum seiner ansicht

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nach genauso ernst nehmen wie die ausstellungen im künstlerhaus; es könne einige bilder sogar getrost kaufen, weil sie den von der offiziellen Jury abgesegneten Werken ebenbürtig seien. die zweite hälfte des Jahres 1889 war in der Wiener kunstszene nicht besonders ereignisreich. seine letzte bedeutsame kritik schrieb hevesi wie bereits erwähnt über Pettenkofens nachlassausstellung. er reiste in diesem Jahr sehr viel. er sah sich die Pariser Weltausstellung an, fuhr dann mit dem schiff nach england und reiste bis nach schottland und berichtete in einer reihe von reisebeschreibungen über die gedenkstätten auf dem land, die er gesehen hatte und bei denen er reichlich gelegenheit hatte, über die berühmten Persönlichkeiten der schottischen geschichte nachzudenken. (diese schriften hat er 1891 zusammen unter dem titel Ein englischer September beim bonz Verlag in stuttgart herausgebracht.) über die exponate der bildenden künste bei der besonders wichtigen Pariser Weltausstellung schrieb er erneut nicht, obwohl er alles sehenswerte mit sicherheit gründlich studiert hatte. in seiner bibliothek standen die kataloge der ausstellungen, und die aus ihnen gewonnenen erkenntnisse wurden in den darauffolgenden Jahren fester bestandteil seiner kritiken, veranlassten ihn dazu, seine meinung zu einer reihe stilistischer Phänomene wie zum symbolismus und zur sogenannten Fleckenmalerei erheblich zu ändern.

Die rasante Änderung auf allen Gebieten der Kultur das Jahr 1889 war ein äußerst denkwürdiges in der geschichte der europäischen malerei, da in diesem Jahr die Pariser Weltausstellung mit der größtmöglichen Wirkung stattfand. außerdem begann in münchen die reihe der jährlichen internationalen ausstellungen. das bewegte kulturelle leben, die vielen, vielen reisen und erlebnisse und der gedankenaustausch förderten bis dahin verborgene Phänomene zutage, die sich langsam von einem bruchstückhaften mosaik zu einem kohärenten bild entwickelten. die in den 1860er Jahren geborene junge künstlergeneration, die noch keine Positionen innehatte, jedoch voller tatendrang und geschult war, überkam eine mit erwartung gepaarte unruhe und ungeduld. auch in Wien spürte man immer deutlicher, dass der schwung der generation der gründerzeit endgültig nachließ. Während 1888 in gewisser hinsicht das Jahr der ernte war, in dem es so aussah, als würden die anstrengungen einer ganzen generation von erfolg gekrönt und die wirtschaftliche entwicklung der langen Friedenszeit würde noch lange anhalten, stellten 1889 schon die auswirkungen beunruhigender ereignisse den optimismus der liberalen gründergeneration, deren mitglieder immer älter und weniger wurden, in der gesellschaft, der Politik und der kultur gleichermaßen infrage. die Zahl der unzufriedenen stieg in allen gesellschaftsschichten, sie äußerten ihre Forderungen immer radikaler, organisierten ihre interessenvertretungen in bezug auf die sozialen, nationalen und nationalitätenfragen. diese spannungen waren natürlich auch in der kultur zu spüren und erlegten der elite und den künstlern neue aufgaben auf, obwohl sich die kunstszene gerade in Wien von der tagespolitik fernhielt. in der autoritären gesellschaft der stadt und des reiches, die hinsichtlich ihrer lebensweise und mentalität noch stark in den traditionen verwurzelt war und ihre gewohnheiten nur langsam änderte, hatten es die Jungen schwer, ihren neuartigen an-

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sichten in den Foren der traditionellen einrichtungen oder auch in der Presse geltung zu verschaffen. die generation der in den 1860er Jahren geborenen erlangte sehr langsam Positionen, von den Jüngeren ganz zu schweigen. sie mussten änderungen provozieren. ab 1889 setzte in ganz europa eine langsame politische und gesellschaftliche umstrukturierung ein, die in allen bereichen des gesellschaftlichen lebens nach und nach nicht nur die kräfteverhältnisse, sondern auch Form und inhalte des diskurses änderte. diese umstrukturierung kann man getrost als die erste Welle einer neuartigen modernität bezeichnen. auch das lokale klima in Wien geriet durch die unerwarteten ereignisse in aufruhr. das erste ereignis dieser art war der provokative selbstmord von Thronfolger rudolf ende Januar 1889. er warf nicht nur die Frage der Thronfolge und die des Fortbestehens der dynastie auf, sondern erschütterte auch den glauben an die dauerhaftigkeit der stabilität und des strebens nach harmonischer entwicklung in der ära Franz Joseph. das optimistische bild der Zukunft hatte seine kraft verloren. die zu reformen bereiten kräfte bei hof wurden geschwächt, das heißt, ihre Perspektiven änderten sich vollkommen, und sie mussten auch ihre Pläne zur politischen umgestaltung des reiches überdenken. der zukünftige herrscher Franz Ferdinand hatte andere (nationale und politische) Präferenzen als rudolf. angst machten jedoch nicht nur die änderungen, die den hof (das machtzentrum) betrafen, sondern auch die gesellschaftlichen und politischen spannungen, die sich überall und in allen schichten in erschreckendem tempo aufbauten und offen zutage traten. anfang 1889 gelang es den österreichischen sozialdemokraten, sich zu verständigen und ein gemeinsames Parteiprogramm zu verabschieden (hainfelder Programm), im sommer erschien die erste ausgabe ihres Presseorgans, der Arbeiter-Zeitung. damit hatte sich eine der großen Parteien, die linke massenpartei, eine Form gegeben. die andere, die der christdemokraten, war schon in entstehung begriffen, war aber erst 1893 so weit, dass sie ihre anhänger als Partei mobilisieren konnte. die österreichische regierung setzte im laufe des Jahres neue sozialgesetze in kraft und verabschiedete auch ein neues Wehrmachtsgesetz, dessen debatte in ungarn im Jahr 1890 nach einer 15-jährigen regierung zum sturz von ministerpräsident kálmán tisza führte. die beschleunigung der urbanisierung erzwang auch auf kommunaler ebene einen wichtigen schritt, der sich unmittelbar auf die bauvorhaben und somit auf die architektur auswirkte. ende des Jahres beschloss der Wiener stadtrat, mit der angliederung der 43 ortschaften an den rändern der stadt ein neues Zeitalter einzuleiten. im Zeichen einer zweiten sogenannten stadterweiterung leitete er durch die Vereinheitlichung der Verkehrs- und der kommunalen infrastruktur sowie unter anwendung der neuesten technologien einen neuen abschnitt der modernisierung der hauptstadt des reiches ein. mit der erarbeitung des konzepts für das neue Zeitalter, das 1890 begann, hatten die Fachleute bereits 1889 begonnen, sodass dieses übergangsjahr tatsächlich die Zeit des durchbruchs der neuen mentalität und der entstehung einer neuen sichtweise war. und wie hat sich all das in der Presse niedergeschlagen, die die Veränderungen im kulturellen leben verfolgte?



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österreichischer kunstverein. Fb, 5. Febr. 1884. künstlerhaus. Fb, 27. Febr. 1884. 3 die Jahresausstellung im künstlerhause, i. Fb, 19. märz 1884. 4 die Jahresausstellung im künstlerhause, ii. Fb, 30. märz 1884. 5 die Jahresausstellung im künstlerhause, iii. Fb, 16. apr. 1884. 6 ebd. 7 die Jahresausstellung im österreichischen kunstverein. Fb, 2. apr. 1884. 8 heinrich laube. Fb, 2. aug. 1884. 9 Fanny elssler. Fb, 28. nov. 1884. 10 aquarell-sammlung des erzherzogs karl ludwig. Fb, 8. Juli 1884. 11 die österreichisch-ungarische monarchie in Wort und bild. Fb, 27. Juni 1884. heute ist diese wichtige buchreihe als „kronprinzenwerk“ bekannt. 12 die bände über die ungarischen teile entstanden von 1888 bis 1902. 13 neben den erbländern malten österreichische künstler wie emil Jakob schindler auch die dalmatinische küste. diese aufgaben beeinflussten lange die themenwahl der malerei in der gesamtmonarchie, da die darstellungen von religiösen bräuchen und sitten des bauernlebens bis zur Jahrhundertwende in mode blieben. in: The first Golden Age (Das erste goldene Zeitalter). andrás bán/ilona sármány-Parsons (hrsg.), műcsarnok, budapest 2016, s. 65–66. 14 das buch des kronprinzen. Fb, 27. Juni 1884. 15 steinle’s Parzival–bilder. Fb, 15. Juni 1884. 16 v. h. W. [ernst von hesse-Wartegg]: Von der londoner saison. Fb, 20. Juni 1884. 17 v. h. W. [ernst von hesse-Wartegg]: englische kunstausstellungen. Fb, 1. Juli 1884. 18 ernst von hesse-Wartegg (1854–1918) war ein österreichischer diplomat und geheimrat. er war von 1891 bis 1918 konsul der schweiz in Venezuela. er war zu seiner Zeit ein vielgelesener autor von reisebeschreibungen. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950. ii. Wien 1959, s. 305. 19 ludwig richter. Fb, 2. Juli 1884. 20 hans makart – am tage vor seinem begräbnis. Fb, 5. okt. 1884. 21 den frühen tod des malers verursachte wahrscheinlich eine ansteckung mit syphilis in jungen Jahren. 22 in der makart-literatur der letzten Jahre wird diese schrift von hevesi mit Vorliebe zitiert. siehe renata kassal-mikula (hrsg.): Hans Makart – Malerfürst (1840–1884). Wien 2000. 23 aivasovski. Fb, 8. okt. 1884. 24 der neue universitätsbau – Zum tage seiner eröffnung. Fb, 11. okt. 1884. 25 „die kreuzigung“ – gemälde von michael munkácsy – ausgestellt im künstlerhause. Fb, 11. nov. 1884. 26 ebd. 27 künstlerhaus – österreichisch-ungarische bilder aus Paris. Fb, 20. dez. 1884. 28 künstlerhaus – Vaclav brozik – sammlung ottokar richard Weber. Fb, 10. dez. 1884. 2

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Wie so oft nahm er auch jetzt die Fachmeinung der nachwelt vorweg. künstlerhaus – österreichisch-ungarische bilder aus Paris. Fb, 13. dez. 1884. 30 eine makart-ausstellung. Fb, 4. Jan. 1885. 31 makart’s nachlaß. Fb, 14. märz 1885. 32 österreichischer kunstverein – „lasset die kindlein zu mir kommen“ – gemälde von Fritz von uhde. Fb, 5. Febr. 1885. 33 v. h. W. [ernst von hesse-Wartegg]: englische kunstausstellungen. Fb, 1. Juli 1884. 34 „der kreislauf des lebens“ – gemälde von canon. Fb, 22. märz 1885. 35 die Jahresausstellung im künstlerhause – schluß-artikel. Fb, 14. april 1885. 36 er hat die impressionisten zum ersten mal im Zusammenhang mit den belgiern erwähnt, und zwar 1882, sie damals aber – praktisch ohne namen zu nennen – noch mit barbizon gleichgesetzt. 37 Von der ungarischen landesausstellung. die kunsthalle. Fb, 12. mai 1885. 38 er nahm mit harten Worten abschied von dem schriftsteller. dieser habe sich selbst überlebt; die moderne Zeit wolle in der kunst nunmehr keine Fantasie, sondern Wirklichkeit sehen. Viktor hugo. Fb, 24. mai 1885. 39 rudolf v. eitelberger. Fb, 23. april 1885. 40 diese ausstellungen dienten häufig wohltätigen Zwecken, die einnahmen kamen dieses mal den hochwassergeschädigten zugute. 41 kunstausstellungen. Fb, 8. Juli 1885. 42 hans canon. Fb, 15. sept. 1885. 43 eine neue Wereschtschagin-ausstellung – künstlerhaus. Fb, 27. okt. 1885. 44 österreichischer kunstverein. Fb, 13. nov. 1885. 45 adolph menzel. Fb, 21. Jan. 1886. 46 künstlerhaus – die Jahres-ausstellung. Fb, 7. märz 1886. Plastik – Jahresausstellung im künstlerhause. Fb, 18. märz 1886. künstlerhaus – die Jahres-ausstellung. Fb, 25. märz 1886. 47 künstlerhaus – die Jahres-ausstellung (schlußartikel). Fb, 13. april 1886. 48 künstlerhaus. Fb, 6. mai 1886. 49 künstlerhaus – Frühjahrsausstellung (schluß). Fb, 7. mai 1886. 50 obwohl hevesi, wie anhand seiner späteren bemerkungen belegt werden kann, die berliner ausstellung mit sicherheit auch gesehen hat, hat er in seiner Zeitung dennoch nicht darüber berichtet. man kann nur mutmaßen, dass diese lösung manchmal bequemer war, oder sie war eine geste seitens der redaktion, eventuell auch eine kulturpolitische erwartung wie (vermutlich) bei von hesse-Wartegg. 51 Franz liszt. Fb, 3. aug. 1886. 52 erinnerungen an Franz liszt. Fb, 6. okt. 1886. 53 über die Wohl-schwestern siehe Fanni borbíró: „csevegés, zene és egy csésze tea“. a Wohl nővérek a pesti társaséletben [„Plaudern, musik und eine tasse tee“. die Wohl-schwestern im gesellschaftlichen leben in Pest]. Budapesti Negyed, 12, 2004/4. nr. 46, s. 350–376. 54 karl goldmark. Fb, 20. nov. 1886. 55 eugen d’albert. Pl, 12. dez. 1886.

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56 „der bauernaufstand“ von rochegrosse – österreichischer kunstverein. Fb, 10. okt. 1886. 57 künstlerhaus – aquarelle von Franz alt und anderes. Fb, 13. nov. 1886. 58 Friedrich uhl (1825–1906) war einer der angesehensten Wiener Journalisten und Zeitungsredakteure, der 1872 von der Presse an die spitze der amtlichen staatlichen Wiener Zeitung wechselte und letztere reformierte. die abendausgabe, die Wiener Abendpost, wurde während seiner Zeit als chefredakteur zu einem bedeutenden intellektuellen und kulturellen Forum. 59 Wiener literatur. Fb, 10. dez. 1886. 60 Friedrich amerling. Fb, 22. Jan. 1887. 61 nebukadnezar und die Jungfrau von orleans – österreichischer kunstverein. Fb, 23. Jan. 1887. das rochegrosse-bild konnte man sich tagsüber ansehen, matejkos in den abendstunden bei künstlicher beleuchtung. 62 Von der theiß. Fb, 16. Febr. 1887. 63 Frühling im künstlerhause – die Jahresausstellung. Fb, 3. april 1887. 64 in diesem Jahrzehnt wurden überall in europa etliche großformatige gemälde mit traurigen aber alltäglichen sujets wie der letzten ölung, sterbeszenen oder begräbnissen gemalt und auf ausstellungen geschickt. der naturalismus hatte keine berührungsangst mit diesen themen. 65 Frühling im künstlerhause – die Jahresausstellung. Fb, 3. april 1887. 66 österreichischer kunstverein. Fb, 17. Juni 1887. 67 spaziergänge in krakau, i. Fb, 9. okt. 1887. spaziergänge in krakau, ii. Fb, 11. okt. 1887. spaziergänge in krakau iii. Fb, 15. okt. 1887. spaziergänge in krakau, iV. Fb, 20. okt. 1887. 68 Wahrscheinlich hielt der Verlag Polen für nicht vermarktbar genug im deutschprachigen raum. 69 neue bilder von böcklin – österreichischer kunstverein. Fb, 13. nov. 1887. 70 österreichischer kunstverein. Fb, 5. nov. 1887. 71 Werner telesko: die internationale Jubiläumskunst-ausstellung 1888 als akt der huldigung gegenüber der kunstpolitik kaiser Franz Josephs. in: Das Wiener Künstlerhaus. Kunst und Institution. Wien 2013, s. 259–265. 72 albert ilg: Jubiläums-kunstausstellung, i. – historische abtheilung. Die Presse, 11. märz, 18. märz, 29. märz, 7. april und 22. april 1888. 73 gg. [oskar berggruen]: die Jubiläums-ausstellung im künstlerhause. Wiener Zeitung, 3. märz, 10. märz und 23. märz 1888. 74 Jubiläums-kunstausstellung, ii. – miss kate grant. Fb, 8. märz 1888. 75 die kaiserin in der kunstausstellung. Fb, 26. mai 1888. 76 Jubiläums-kunstausstellung, iii. – Portrait. Fb, 16. märz 1888. 77 Jubiläums-kunstausstellung, iV. – Porträt (schluß). Fb, 21. märz 1888. 78 die wenigen künstler, die speidel einer analyse für wert befand, waren munkácsy, leibl, makart und meunier.

79 Franz von lenbach unterhielt ab 1878 eine beinahe freundschaftliche beziehung zu dem berühmten modell und erfreute sich mehrmals seiner gastfreundschaft. der kanzler saß sonst niemandem modell, sodass der gefeierte malerfürst münchens zum bismarck-spezialisten avancierte. der Fachliteratur zufolge hat er mehr als 80 bismarck-Porträts angefertigt, weil die nachfrage in deutschland so groß war, da man die amtsstuben mit dem bildnis des eisernen kanzlers schmücken wollte. (selbstverständlich malten seine gehilfen die Porträts nach einigen „Prototypen“ des meisters.) künstlerfürsten. bonn 2018, s. 198–199. 80 die Jubiläums-kunstausstellung, Vi. – allerlei erfolge (schluß). Fb, 13. april 1888. 81 die Jubiläums-kunstausstellung, Vii. – ungarn, Polen, belgien. Fb, 20. april 1888. 82 die Jubiläums-kunstausstellung, Viii. – spanien, italien, norwegen. Fb, 24. april 1888. 83 der kaiser im künstlerhause. Fb, 11. april 1888. 84 aus der kaiserin-maria-theresia-ausstellung. Fb, 26. april 1888. 85 das denkmal maria theresia’s. Fb, 15. mai 1888. 86 albert Zimmermann. Fb, 26. okt. 1888. 87 Vom neuen burgtheater, i. – das äussere. Fb, 12. okt. 1888. Vom neuen burgtheater, ii. – das innere. Fb, 13. okt. 1888. 88 ein unglücklicher maler. Fb, 10. märz 1889. 89 cornelia reiter: Anton Romako. Pionier und Außenseiter der Malerei des 19. Jahrhunderts. Wien 2010. 90 Pettenkofen. Pl, 28. märz 1889. 91 ein alter maler in neuem licht – Zum Verständniß august von Pettenkofen’s. Pl, 6. dez. 1889. 92 die Jahresausstellung im künstlerhause, i. Fb, 31. märz 1889. 93 seligmanns bild gehörte zu der serie realistischer Porträtszenen, die die abgebildeten berühmten Persönlichkeiten (in diesem Fall ärzte) während der ausübung ihres berufs zeigte. der amerikanische realist thomas eakins, der in Paris studiert hatte, hat zwei solche gemalt: The Gross Clinic (1875) und The Agnew Clinic (1889). das von hevesi erwähnte Werk von henri gervex (Professor Péan vor der Operation) wurde 1887 im Pariser salon ausgestellt. seligmann dürfte dieses bild (oder eine reproduktion davon) gesehen haben, denn die komposition seines gemäldes steht diesem Werk am nächsten, ist aber dennoch eine selbstständige künstlerische lösung. nach seinem Vorbild bildeten österreichische maler mehrere Professoren der berühmten Wiener hochschule für medizin bei der arbeit ab. im übrigen gab es auch nach seligmann mehrere maler, die die immer verblüffende szene der operation malten, zum beispiel John Quincy adams (1907), max oppenheimer (1912) und herbert boeckl (1931). 94 albert ilg: ausstellung im künstlerhause. Die Presse, 2. april 1889. 95 die Jahresausstellung im künstlerhause, ii. Fb, 14. april 1889. 96 der salon der Zurückgewiesenen. Fb, 18. april 1889.

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als das relative politische Gleichgewicht in der monarchie ins Wanken geriet und die Polarisierung der Gesellschaft sowie die eng damit zusammenhängende radikalisierung immer schneller voranschritten, machten sich auch in der bis dahin friedlichen sphäre der bildenden Künste zunehmend unruhe, ungeduld und unzufriedenheit breit, die den unverkennbaren Generationenwechsel vorantrieben. im hinblick auf die neuen stilistischen tendenzen war das ausland – Frankreich, deutschland – der Wiener szene eindeutig voraus, das bedeutete jedoch nicht, dass dort in diesen Jahren nicht auch kontinuierlich äußerst anspruchsvolle Werke der bildenden Kunst entstanden. Kritiker und Theoretiker können zur modernisierung in der malerei ermutigen, ja diese sogar fordern, sie jedoch nicht herbeiführen: das neue müssen die Künstler schaffen, und zwar nach möglichkeit so, dass ihr individueller stil keinem eines Zeitgenossen gleicht. Wenn Wien neben dem Prädikat musikstadt auch den titel „Kunststadt“ behalten wollte, musste sich auch ihre bildende Kunst erneuern. es war, als hätte die zweite erweiterung der stadt, die Planung von „Groß-Wien“, die Kunst erneut vor eine mit der in den 1860er Jahren vergleichbare herausforderung gestellt – sie bedurfte eines neuen stils, nur auf einer anderen ebene, unter der last anderer urbanistischer aufgaben und in einer in vielerlei hinsicht veränderten Gesellschaft. ein neuer und zeitgemäßer stil wurde unbedingt gebraucht, zugleich war der kategorische imperativ der einmaligkeit des Künstlerindividuums unumstößlich. so stellte sich in diesem Jahrzehnt – pathetisch ausgedrückt – die „historische aufgabe“, diese beiden Faktoren in einklang zu bringen und die Kunst zu modernisieren. der Gärungsprozess, der Kampf der verschiedenen interessengruppen und Generationen der Künstler dauerte gut sieben Jahre, dann entstand die secession (der neue verein der modernen Künstler), um Wien völlig unerwartet und im sturm einzunehmen, innerhalb weniger Jahre einen zeitgemäßen, modernen und lokalen Wiener stil zu schaffen und nach weiteren sieben Jahren unter selbstzweifeln unterzugehen und den Weg für neue Kräfte frei zu machen.

1890 die erste interessante ausstellung im Künstlerhaus war überraschenderweise eine makart-ausstellung.1 sein 1872 entstandener Triumph der Ariadne, den ein schottischer sammler gleich aus dem atelier mitgenommen hatte, stand erneut in Wien zum verkauf. das bot hevesi eine hervorragende Gelegenheit, etwas über die unbeständigkeit der moden in der malerei zu philosophieren, darüber, wie sich die malerei in den 1870er Jahren von dem farbenarmen „Kartonstil“ (dessen vertreter Füger war) abgewandt und dem rausch der Farben hingegeben und sich dann wieder dem nüchternen Grau des realismus/naturalismus zugewandt hatte. mit einem regelrechten Wortschwall suggerierte der Kritiker dem leser in seiner analyse seine eigene Überzeugung, makart sei

129. Gustav Klimt: Zuschauerraum im alten BurGtheater, 1889

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ein Zauberer, ein Großmeister der Farben. nachdem er den leser mit seiner atemberaubenden Wortmagie gleichsam in einen rauschzustand versetzt hatte, fuhr er unerwartet fort: „sagen wir kurz: der ,triumph der ariadne‘ ist ein vollwichtiger makart, (abb. 87) in dem sich eine der glänzendsten Phasen der neueren malerei bedeutsam spiegelt. auch ist das Bild gut erhalten, weit besser als die ,Katherina cornaro‘, da sie für das Berliner museum gekauft wurde. ist es ein Wunder, wenn mancher sich fragt, ob nicht das die Gelegenheit wäre, für die makartstadt Wien einen richtigen makart zu erwerben? und so schließt diese kritische Betrachtung mit einem Fragezeichen.“ tatsächlich war dies eine aufforderung an den staat, das Bild zu erwerben. doch die Zuständigen beeilten sich dieses mal nicht, hevesis rat zu befolgen. erst im herbst 1895 gelangte das Bild, das heute das makart-Werk mit den größten ausmaßen im Belvedere ist, in die kaiserliche sammlung. der XiX. Jahresausstellung widmete hevesi wieder eine siebenteilige Besprechung, und zwar mit der Begründung, sie biete eines der bis dahin reichhaltigsten aufgebote an Künstlern und dieses mal seien alle Gattungen der malerei vertreten, was in den Jahren zuvor eine seltenheit gewesen sei. im einleitenden teil listet er die seiner meinung nach wichtigsten arbeiten auf: tilgners Büsten (darunter auch die des musikkritikers eduard hanslick), myslbeks überlebensgroßen christus und die im rahmen der ausschreibung zum Gedenken an Goethe eingereichten arbeiten.2 innerhalb der historienmalerei hebt er die zwölf skizzen matejkos und Brožíks Gemälde über den Prager Fenstersturz hervor. nach einer kurzen, aber lobenden aufzählung der Porträtmaler, der Genremaler und der landschaftsmaler bespricht er in den artikeln die neuen ergebnisse in den einzelnen Genres der malerei. in der Neuen Freien Presse erschien zwei Wochen später ein einziger artikel – von emerich ranzoni – über die Jahresausstellung, der sich zwar auf eine nüchterne und farblose aufzählung der Bilder beschränkte, jedoch genau dieselben Werke nannte wie zuvor hevesi.3 die hauptfigur der historienmalerei war dieses mal matejko, über den hevesi erneut eine art Ode in Form eines schwungvollen freien verses verfasste.4 die analyse des stils des großen polnischen meisters war so mitreißend, dass jeder leser mit stilgefühl von den rötlichbraun glühenden skizzen überwältigt sein musste, auch ohne sie gesehen zu haben, und das trauma nachfühlen konnte, aufgrund dessen die Polen damals (wegen ihres tragischen historischen schicksals) am Boden zerstört waren. hevesi deutet die historischen ereignisse behutsam an und weist auf die ästhetische umsetzung ihrer emotionalen Konsequenzen in den Bildern hin. „völker, die nach einer eigenen Geschichte ringen, haben immer viel historisches auf dem herzen und vergegenwärtigen sich gern ihre vergangenheit. so hat denn Jan matejko einen ganzen Pavillon mit zwölf Oelskizzen, zur Geschichte der Zivilisation in Polen, behängt. ein Blick von der schwelle genügt, um zu erkennen, daß in diesem raume ein urwüchsiger und eigenstimmiger Farbengeist sein lager aufgeschlagen hat. es liegt etwas Beklemmendes in der luft, eine melancholie, die in Jubel und Wehklage ausbrechen kann. (…) immer ist dieselbe reiche und düstere, mit tragischen Farben besetzte Palette. Jede Farbe trauert da, auch der scharlach und das Gold.“ (er hatte erneut Gelegenheit zu einem schönen essay über die polnische Geschichte, die polnische Kultur und die polnische seele, als er im sommer einen poetischen nachruf auf adam mickiewicz verfasste.5)

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130. ÁrPÁd FesZty: die heiliGen Frauen am GraBe, 1888

von den religiösen Bildern fällt ihm Árpád Fesztys poetische szene Die Heiligen Frauen am Grabe (Gyászoló asszonyok Krisztus sírjánál) (abb. 130) besonders auf. er schreibt kurz, aber treffend darüber: „es ist eine abendlandschaft von großen Zügen und dabei weicher stimmung, nicht wehmütig, im rührenden sinne, sondern still, wie die ruhe nach dem schmerz. die vier trauernden an der bleichen steingruft sind trefflich angelegte und vertheilte, auch in der Gewandung durchaus ernste Figuren, wie denn überhaupt das ganze Bild aus einem Guß ist.“ im dritten artikel bespricht er die Porträts.6 er beginnt natürlich mit dem FranzJoseph-Porträt von Julius von Blaas. der Künstler hat den Kaiser beim reiten in der herbstsonne auf der Prater-allee verewigt. er lobt das gelungene kleinformatige Bild ausdrücklich. nach der Besprechung der Porträts von angeli, eugen Felix, hans temple und seligmann analysiert er wieder Benczúrs Werk, den er für hervorragend hält, ausführlicher als die anderen. (dieses mal handelt es sich um das Bildnis eines Bankiers, dessen namen er jedoch nicht verrät.) im vierten artikel geht es um die Genremalerei.7 Für das beste Werk hält er hier Olga Wisinger-Florians Pleinairbild Morgen in Abbazia, auf dem mehrere Frauen auf den Felsen stehen und die frühe morgensonne genießen. er bewundert vor allem die gewagte, aber sehr überzeugende handhabung des lichts und umfasst kurz die schnelle künstlerische und technische entwicklung, durch die dieses große talent innerhalb weniger Jahre den Fortschritt von Blumenstillleben zur darstellung solch komplizierter lichteffekte geschafft hat. nach den Berichten über die landschaftsmalerei, die stillleben und die Grafik8 schließt seine reihe für das Fremden-Blatt mit dem artikel über die skulpturen9. Für den Pester Lloyd verfasste hevesi nur einen artikel, dieser ist allerdings ein musterbeispiel der Knappheit.10 selbst in diesem einen artikel fand er Platz genug, um die Burgthea-

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terbilder von Franz matsch und Gustav Klimt (beide mit dem titel Inneres des alten Burgtheaters) zu loben; am meisten schätzt er die Porträts in Briefmarkengröße. die beiden Bilder waren gerade wegen der vielen präzisen kleinen Porträts ein durchschlagender erfolg beim Publikum, und Klimt erhielt dafür den mit 400 Golddukaten dotierten Kaiserpreis. („den Kaiserpreis von 400 dukaten erhält als erster Gustav Klimt.“) albert ilg bewertet dieses Bild anders und strenger als hevesi: „die beiden interieurs des alten Burgtheaters von matsch und Klimt mit den meist recht gut getroffenen Porträts der Zuschauer besitzen gewiß vielen Werth für die Zukunft als Geschichtsbilder: künstlerisch mußten sie schon unter ihrer aufgabe leiden, denn diese herausgesuchten, hergerichteten und wie zum Photographieren gesetzten Bildnissfiguren [sic] rauben der darstellung das Gepräge des Wahrscheinlichen und natürlichen.“11 (abb. 129) im Künstlerhaus wurde es üblich, neben der kommerziellen ständigen ausstellung (die die zum verkauf stehenden Werke der mitglieder vorstellte und sich theoretisch ständig änderte) im sommer oder im Frühherbst auch ausstellungen aus den Wiener Privatsammlungen zu organisieren. auf diese Weise konnte das Publikum nicht nur die sammlungen der aristokratie, sondern auch die im vorangegangenen halben Jahrhundert entstandenen des Wiener Großbürgertums sehen. hevesi widmete diesen ausstellungen (praktisch als einziger Kritiker) stets ernsthafte Besprechungen. Zunächst nannte er die art der sammlung und wies auf ihre Zusammensetzung und ihre schwerpunkte hin, was eine charakterisierung des Geschmacks des sammlers und gleichsam die „datierung“ der sammlung bedeutete. außerdem dankte er dem eigentümer jedes mal sehr höflich und mit großer anerkennung für die noble Geste, dass er, ob zum Zwecke der Förderung der Kultur oder mit wohltätiger absicht, eingewilligt hatte, seine schätze auch der allgemeinheit zu zeigen.12 durch diese ausstellungen wurden gelegentlich die meisterwerke ausländischer oder heimischer Künstler bekannt, die das Wiener Publikum bis dahin nicht hatte sehen können. somit waren sie hinsichtlich der information von Bedeutung und trugen zur erweiterung des geschmacklichen horizonts bei. es kam vor, dass ein sammler im laufe der Zeit so viele Bilder seines lieblingskünstlers erworben hatte, dass sie eine kleine retrospektive ergaben. so war es auch in diesem Jahr, in dem vom 1. Juni bis zum 1. Oktober die sammlung von moritz Freiherr von Königswarter im Künstlerhaus gezeigt wurde.13 Zu den lieblingslandschaftsmalern des millionärs gehörte rudolf alt (abb. 131), von dem er im laufe der Zeit 19 wichtige Werke erworben hatte, darunter auch raritäten wie die größeren Ölbilder aus seiner vedutenzeit. hevesi, der selbst auch von alt begeistert war, hielt diese Bilder für so bedeutend, dass er die entwicklung des Künstlers in seiner ersten schaffensphase und in den frühen 1850er Jahren skizzierte.14 an dieser stelle ist auf ein weiteres interessantes merkmal seiner arbeitsweise hinzuweisen, darauf, dass er seine Themen oft sehr sorgfältig „ausrichtete“, das heißt, für das Wiener und das Budapester Publikum jeweils anders über ein und dasselbe Phänomen oder Thema (gegebenenfalls auch über ein und dasselbe Bild) schrieb. manchmal verfasste er zwei völlig unterschiedliche artikel zu ein und demselben Thema. der unterschied lag nicht in der ästhetischen Bewertung, sondern in der Gewichtung der interpretation und in der Präsentation. da er die unterschiedliche denkweise des Publikums der beiden städte, wie er meinte, bis ins Kleinste kannte, wusste er, dass er, wenn er sein Ziel erreichen wollte, die ungarn ganz anders „anleiten“ musste als die Wiener und jeweils einen anderen ton anschlagen

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131. rudOlF vOn alt: KlOsterneuBurG vOn FreiBerGe aus, 1834

musste, sodass er die Fakten oft auf sehr unterschiedliche Weise präsentierte. anlässlich der Königswarter-sammlung legte er seine meinung über die vorteile und die Freuden des sammelns von Kunstwerken in dem an die Budapester elite gerichteten artikel im Pester Lloyd viel ausführlicher dar als im Fremden-Blatt.15 (er wollte es den Budapestern offensichtlich schmackhaft machen, was bei den Wienern nicht mehr nötig war.) er bringt das Thema mit leichter eleganz zur sprache, indem er die Wiener „szene“ vorstellt. er widerspricht der Behauptung, die Gattung des „Wiener Kunstsammlers“ sei ausgestorben – sie habe sich lediglich verändert: sie habe mehr Geld und weniger Geschmack, und es gelte als zeitgemäß, nicht Gemälde, sondern Werke der schmiedekunst, zum Beispiel kunstgewerbliche Gegenstände aus silber zu sammeln. in diesem Zusammenhang hebt er die verdienste lobmeyrs und Königswarters, der beiden sammler, die (von einigen alten meistern abgesehen) hauptsächlich moderne maler sammelten, besonders hervor. rückblickend lobt er erneut die einmaligkeit des Pettenkofen-Bestandes in lobmeyrs sammlung16 (und damit den ausgeprägten sinn des sammlers für Qualität), während er Königswarter insofern als vorbild bezeichnet, als dieser anstelle alter meister zweifelhafter Provenienz die lebendige Kunst unterstütze. Ganz nebenbei erwähnt er auch, wie wichtig es sei, dass der sammler gute und zuverlässige Berater hinzuziehe. erst dann kommt er zur vorstellung und stilistischen Bewertung der einzelnen Bilder. (eine Zusammenfassung der künstlerischen laufbahn rudolf alts enthält auch dieser artikel.) er schließt mit der Feststellung, dass die schaffung einer so bedeutenden sammlung eine bemerkenswerte leistung sei. der ganze artikel ist ein Plädoyer dafür, dass rang und Geld verpflichten, dass es dazugehöre, Kunst zu sammeln, und dass eine sammlung nicht nur durch das damit verbundene Prestige Freude bereite. (es dauerte noch etwa ein Jahrzehnt, bis die wohlhabenden ungarischen leser begannen, seine ratschläge in die tat umzusetzen.) in diesem Jahr schickte von hesse-Wartegg, der ständige „externe mitarbeiter“ des Fremden-Blattes, besonders interessante lageberichte aus Paris über die dortigen künstlerischen ereignisse. in zwei artikeln befasste er sich mit der spaltung des salon und

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132. FritZ vOn uhde: das letZte aBendmahl, 1886

stellte den lesern zuerst die ausstellung der neuen einrichtung, der société nationale des Beaux arts, besser bekannt unter dem namen salon de champ de mars17, und danach die des alten salon de champs Élysées vor.18 der gebildete aristokrat erkennt, dass bei der spaltung weniger unterschiedliche künstlerische ansichten und grundsätzliche ästhetische differenzen als vielmehr rivalitäten entscheidend waren. der vorsitzende der secessionierer, der rebellen, war der viel gefeierte akademiker meissonier, vertreter eines ausgesprochen konservativen stils, und auch die beiden stellvertretenden vorsitzenden Puvis de chavannes und carolus-duran kann man nicht gerade als revolutionäre Künstler bezeichnen. neben den führenden Persönlichkeiten, die französische Patrioten waren, schlossen sich dieser société nationale des Beaux arts, also dem salon de champs de mars, auch mehrere ausländische Künstler (z. B. alfred stevens, Jozef israëls, Willem mesdag, John singer sargent, Jacob und Willem maris) an. der salon war in der halle auf den champs de mars beheimatet, die im Jahr zuvor die Weltausstellung beherbergt hatten. daher stammt auch der bekanntere name. ernst von hesseWartegg begrüßt die aufgelockerte Präsentation, die so anders war als die des herkömmlichen salon, dass nämlich in den großen räumen „nur“ 900 Ölgemälde sowie 500 aquarelle und Grafiken ausgestellt waren. (aus heutiger sicht verwundert es, dass er dies bereits als übersichtlich empfindet!19) den alten salon mit seinen zweieinhalbtausend Werken, die in drei oder vier reihen übereinander hingen, damit sie in den ursprünglich für die Pariser Weltausstellung im Jahr 1855 errichteten Pavillon passten, befindet er dagegen (zu recht) für unübersichtlich, erdrückend und anstrengend. außerdem beanstandet er alle üblichen Praktiken des alten salon wie die anordnung und den schlecht redigierten Katalog ohne nummerierung. am meisten missfällt ihm bei beiden ausstellungen, dass noch immer viele schlechte und uninteressante Bilder gezeigt werden, und dass die großen alten (Bouguereau, der leiter des alten salon, und meissonier, der leiter des neuen salon) nichts neues bieten, nicht mehr in der lage sind, sich künstlerisch weiterzuentwickeln, und sich nur selbst wiederholen. und das obwohl sie noch

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133. FritZ vOn uhde: die heiliGe nacht (triPtychOn), 1890

immer horrende Preise für ihre Bilder verlangen und auch erzielen. auf ironische Weise zeigt er, was für eine wichtige rolle zum Beispiel die Kritik spielt, wenn es darum geht, schon vorab die Werbetrommel für ein „sensationsbild“ zu rühren. (als Beispiel führt er albert Wolf, den berühmten Kritiker des Figaro, an.) in seinem artikel erörtert er eher den Wirkmechanismus der salons und die schattenseiten der Kunstszene und des Kunstmarktes und analysiert relativ wenige Bilder. die größte aufmerksamkeit widmet er der niederländischen malerei und innerhalb dieser mesdag, dem gefeierten maler realistischer meeresansichten. in beiden artikeln kommt er auf die Gemälde der „Pariser“ österreichischen meister rudolf ribarz, eugen Jettel und eduard charlemont zu sprechen, die er liebevoll und fachgerecht lobt. aus den texten geht hervor, dass er sie alle auch persönlich gut kennt. Obwohl hevesi im Fremden-Blatt (und im Pester Lloyd) kaum über Pariser ereignisse der bildenden Kunst berichtete, erhielt das Wiener Publikum in den artikeln von ernst von hesse-Wartegg dennoch zuverlässige und relativ sachgerechte informationen über die dortige Kunst. auch die übrigen tageszeitungen veröffentlichten hin und wieder einen Beitrag über ausstellungen im ausland. so schrieb Otto Julius Bierbaum (1865– 1910) ab 1889 in der Neuen Freien Presse oft über die Berliner Theater und gelegentlich auch über Berliner ausstellungen. seine artikel zeugen davon, dass er die modernsten ästhetischen ansichten teilte und den naturalismus und den impressionismus befürwortete; er wurde bald ein verbündeter der secessionsbestrebungen in münchen. ab dem ende des Jahrhunderts veröffentlichte max nordau erneut eine große Zahl von artikeln in der auflagenstärksten Wiener Zeitung, allerdings vertrat er ausgesprochen konservative ansichten. hevesis letzter beachtenswerter Beitrag in diesem Jahr mit seiner Fülle von Kritiken war sein im dezember erschienener artikel Neumalerei.20 Zu diesem mit leichter eleganz geschriebenen geistreichen essay, der dem leser ein lächeln auf die lippen zaubert, hatten ihn die im Künstlerhaus ausgestellten zwölf Bilder von uhdes inspiriert.

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dieser artikel im Pester Lloyd ist bravouröser als der in Wien veröffentlichte, da er voll von ungewöhnlichen vergleichen und Wortspielen ist. als schreibe der Kritiker für dieses Blatt freier heraus als für das Fremden-Blatt. er provoziert, um dann wieder zu beruhigen, und im rahmen der theoretischen ausführungen erklärt er dem laien anhand von einfühlsamen und plastischen Bildanalysen, worin das neue in von uhdes malerei besteht und wie er die malerischen effekte erzielt, durch die seine Bilder neuartig wirken. außer ihm veröffentlichte zwei Wochen später, am ersten Weihnachtstag, in der Neuen Freien Presse auch ludwig speidel ein Feuilleton über von uhdes Bilder. selbstverständlich äußerte sich auch speidel nur positiv über von uhde, doch für den literaten war die religiöse und gesellschaftliche Botschaft der Werke wichtiger als ihr stil. speidel weist zutreffend darauf hin, dass der umstand, dass sein vater protestantischer Pfarrer war, einen großen einfluss auf von uhdes Themenwahl und seine christusbilder gehabt haben muss. es verwundert, dass hevesi, der ebenfalls „aus der seele“ schrieb, diesen aspekt nicht erwähnt. Beide haben am ausführlichsten über von uhdes Das Letzte Abendmahl (abb. 132) geschrieben, das zuvor eine widersprüchliche resonanz gefunden hatte. in der Weihnachtszeit aktuell war das triptychon Die heilige Nacht, über das auch speidel in erhabener manier schrieb: „das ist die romantik des naturalismus: das große menschliche im stalle, das himmlische im heuschober. das christenthum gibt ihm diese romantik und die hand, in dem es das höchste im niedrigsten suchen lehrt.“21 (abb. 133) mit dieser von-uhde-ausstellung wurde die naturalistische richtung der modernen münchener malerei auch in Wien endlich unter die akzeptierten (legitimen) richtungen aufgenommen.

1891 Zu Beginn des nächsten Jahres musste hevesi gleich drei nachrufe verfassen. den ersten auf Professor Friedrich schmidt (1825- 1891), der nicht nur das neue, in der ringstraße errichtete rathaus entworfen hatte, sondern auch der Baumeister der Bauhütte des stephansdoms war.22 neben einem kurzen lebenslauf präsentiert er eine charakterskizze des meisters und stellt seine wichtigsten Werke vor. einen ähnlichen nachruf schrieb er auch auf Theophil hansen (1813 – 1891), der kaum drei Wochen nach seinem Kollegen verstarb.23 mit ihm waren nunmehr alle vier „Baubarone“ der ringstraße aus dem leben geschieden, und auch an der akademie kam es zu einer Wachablösung: die Jugend wurde von architekturprofessoren mit einer anderen anschauung unterrichtet. den größten einfluss gewann der architekt, der zu dieser Zeit die ausschreibung für die Planung des verkehrssystems der stadt gewann: Otto Wagner. der dritte nachruf galt dem hoch angesehenen akademiker der französischen malerei, ernest meissonier (1815–1891), dem teuersten Pariser maler in der zweiten hälfte des Jahrhunderts. seine kleinformatigen Kostümbilder wurden auf den internationalen ausstellungen über Jahrzehnte als meisterwerke des historisierenden realismus gefeiert. seinen ersten erfolg erzielte er 1841 mit einem kleinformatigen Gemälde (Die Schachpartie), das als Gegensatz zur spätromantik aufsehen erregte. hier erwähnt hevesi erstmals, dass er meissoniers berühmtes Bild über napoleons rückzug im Jahr 1814 auf der Pariser Weltausstellung von 1867 gesehen hat, deren größte attraktion die vierzehn Werke des meisters waren, wobei die vornehmen Franzosen vor allem Napoleon III. zu Solferino feierten. er beschreibt die damalige reaktion

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134. emil JaKOB schindler: PaX. der FriedhOF vOn GravOsa Bei raGusa, 1890

des Publikums und zeichnet dann kurz diese besondere Künstlerlaufbahn nach, zu deren interessantesten aspekten es gehört, dass meissonier seinen eigenen, unglaublich präzisen und sorgfältigen stil entwickelte, indem er die alten meister im louvre, Jan van eyck und die niederländischen Genremaler kopierte. der leser erfährt, dass er das malen nach der natur für sehr wichtig hielt und die schwere aufgabe des malens von Pferden zur Perfektion brachte. hier ergänzt hevesi seine aussagen noch nicht durch Kritik, erwähnt also nicht, dass sein stil längst überholt und seine Zeit vorüber ist; das geschieht erst in seinen späteren artikeln. in der XX. Jahresausstellung bekam das Wiener Publikum erneut eine reiche auswahl aus der malerei zu sehen. hevesi behandelte das interessante material in einer achtteiligen artikelreihe.24 er jubelt, weil er meint, in der österreichischen Kunst habe eine epoche der erneuerung begonnen. in der einleitung erkennt er die Bemühungen der leitung des Künstlerhauses an, der es gelungen sei, sowohl von den heimischen als auch von ausländischen Künstlern wirklich interessante Werke zusammenzustellen. er beginnt gleich mit der analyse des hauptwerkes der landschaftsmalerei, schindlers großformatigem stimmungsbild Pax (abb. 134). er bedient sich wieder der methode der fotografisch genauen und dennoch poetischen methode der interpretation. auch am ende seiner Beschreibung bleibt die Botschaft dieses Bildes eines mediterranen Friedhofes bei sonnenuntergang mit einem einsamen hageren mönch, der eine Kerze anzündet, ein rätsel. die einfühlsame Beschreibung zeigt, dass dieses sonderbare Bild mit dem makabren Zauber den Kritiker sehr berührt. in leidenschaftlichem tenor gesteht er: „außer Böcklin’s ,schloß am meer‘ kennen wir keine zweite landschaft, die uns mit so tiefen, ganz menschlichem interesse erfüllt, wie schindler’s ,Pax‘. ein men-

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135. FritZ vOn uhde: schWerer GanG (GanG nach Betlehem), 1890

schenschicksal, als landschaft verkörpert. davon haben die großen alten nichts geahnt. dieses graue und doch so farbenfeine Bild, durch dessen schwermüthigen ton überall nachquellendes leben bricht, ist von einer Kraft der stimmung, die uns wie Beredsamkeit ergreift. tiefe empfindung – und ein tiefer Gedanke. Oder gäbe es eine bedeutsamere auffassung der natur, als sie darzustellen in ihrer Wechselwirkung mit dem menschen? ihre erlebnisse gemeinsam mit den seinigen. seine und ihre seele eins. es ist die Geschichte eines naturschnittes, in einem Jahrtausende langen verkehr mit der menschheit, was der Künstler uns vor augen stellt. er beweist uns dadurch, daß auch die modernste malerei ihre historische landschaft hat. denn bei allem inhalt und aller charakteristik sind schindler’s mittel ganz moderne. er ist der feinfühligste stimmungsforscher, den wir haben, und besitzt eine ganz persönliche ausdrucksweise.“25 Welche verborgenen seiten seiner seele mag die düstere stimmung dieses Bildes mit dem einsamen mönch berührt haben, dass die Fragen, die von der existenzangst des menschen zeugen, in so leidenschaftlichen abgehackten sätzen aus ihm hervorbrachen? Waren es die ersten anzeichen des alters, wurde ihm angesichts des Gemäldes die vergänglichkeit bewusst? Wir wissen es nicht. sicher ist, dass sich der tenor des Kritikers, der sich zuvor so konsequent um eine gewisse distanz bemüht und wissenschaftliche analysen verfasst hat, im laufe der Jahre langsam ändert. Wenn er auf ein Werk mit einer charismatischen ausstrahlung trifft, legt er die rolle des objektiven Bewerters ab und gibt dem leser eine von künstlerischer inspiration getragene, einfühl-

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same kunstvolle Beschreibung, die diesem die „Botschaft“ des Werkes näher bringt als jede sachlich kühle interpretation. diese subjektivierung der Kritik war im Übrigen eine erscheinung der Zeit; die Kritiker, die der auf hevesi folgenden jüngeren Generation angehörten, schrieben in ähnlicher manier über die Kunstwerke: subjektiv, einfühlsam und bestrebt, einen künstlerischen text zu schaffen. das vorbild hinsichtlich dieser Bildanalysetechnik war im deutschen sprachraum richard muther, der schon vor dem erscheinen seiner grundlegenden arbeit über die malerei des 19. Jahrhunderts mit seinen in Zeitschriften veröffentlichten Kritiken auf große resonanz traf, vor allem bei der jungen Generation der schriftsteller und essayisten. den zweiten und dritten artikel über die Jahresausstellung widmete hevesi der Bildhauerei.26 in mehr als der hälfte des textes bespricht er das schaffen seines lieblingsbildhauers viktor tilgner. außer den Figuren eines Brunnens analysiert er vier Porträts des Künstlers (unter anderem von Johannes Brahms und von Prinz alois von liechtenstein). neben diesen Büsten hält er auch rudolf Weyrs reliefs für hervorragend. unter den vielen vertretern der Genremalerei nahm adolf hirschl (1860–1933), der mit seinem historischen Genrebild Hochzeitszug, einer szene im antiken rom, in diesem Jahr einen großen Publikumserfolg erzielte und mit dem Kaiserpreis (den im Jahr zuvor Gustav Klimt erhalten hatte) ausgezeichnet wurde, einen besonderen Platz ein. hevesi identifiziert die Quellen der inspiration des Künstlers, der ständig auf der suche nach seinem stil war, seinen stil also ständig änderte, sehr genau: „Wo er hinausgelangen wird, erräth man zwar noch nicht. einstweilen zeigt er sich als ein Wiener alma tadema, der aus rom mit antikem und Frührenaissance-Gepäck über Paris heimgekehrt ist.“27 im wichtigsten teil der artikelreihe ging es wieder um die landschaftsmalerei, da diese zu jener Zeit eine besondere Blütezeit erlebte.28 neben den stimmungslandschaften aus der schindler-schule nennt er die Werke vieler zeitgenössischer deutscher Künstler, unter ihnen auch die der Brüder achenbach, die er stets für gut befindet. dieses mal ist es Oswald achenbachs Colosseum, das er voller Bewunderung bespricht. (dieses Bild bewerteten im Übrigen alle Wiener Kritiker ausnahmslos als meisterwerk.) Bemerkenswerterweise ordnet er auch von uhdes berühmtes Gemälde Dort ist die Herberge in die Reihe der Meisterwerke, eine szene in moderner umgebung mit versteckten biblischen anspielungen, in der er den beschwerlichen Weg einer schwangeren armen jungen Frau nach „Betlehem“ auf der schlammigen landstraße am frühen abend im Winter verewigt29 (abb. 135). mit einer meisterhaften langen Beschreibung lässt er das Bild, diese mit natürlicher einfachheit dargestellte fesselnde szene, vor dem auge des lesers erscheinen: „die macht der stimmung, welche der Künstler hier anschlägt, ist außerordentlich. (…) das Bild ist ein meisterwerk des tones und der andeutenden charakteristik.“ vergleicht man hevesis artikelreihe über die Jahresausstellung mit den Besprechungen der übrigen Kritiker, fallen die immer stärker voneinander abweichenden ansichten auf. dieses Phänomen deutet bereits den Wandel der Zeit und auch die veränderungen in der Kritik an. der maler emerich ranzoni, der bis zu seinem tode als Kritiker mit unerschütterlicher Position für die Neue Freie Presse tätig war, berichtete jedes Jahr pflichtgemäß in einem oder zwei Feuilletons über die jeweilige Jahresausstellung30 und schrieb darüber hinaus gegebenenfalls noch einige nachrufe. er verließ sich auf seine

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eigene routine; sein überkluger und von jeglicher ungestümer Gefühlsäußerung freier, fader stil war nicht geeignet, Begeisterung zu wecken. Wenn ein Bild das besondere interesse ludwig speidels, des Feuilletonredakteurs der Neuen Freien Presse, erregte, griff er – äußerst selten, alle zwei oder drei Jahre! – selbst zur Feder. er wählte stets nur ein Bild (eventuell eine skulptur) unter den exponaten der ausstellung aus und war darauf bedacht, auch seine formalen aspekte zu analysieren. dies diente jedoch immer einem höheren ethisch-ästhetischen Zweck, der darlegung seiner eigenen Gedanken zu einer großen Frage wie dem Glauben, der moral, der Geschichte oder der Welt.31 äußerst selten verfasste auch er nachrufe, beispielsweise auf hans von marées.32 ab der zweiten hälfte der 1880er Jahre kann man albert ilg als hevesis Gegenpol in der Wiener Kritikerszene betrachten. ilgs Kritiken in der Presse erreichten nach und nach den umfang von hevesis artikelreihen, doch als Kustos der kaiserlichen sammlungen beginnt er seine schriften stets deutlich theoretischer und oftmals im polemischen ton der entrüstung, ab und an sogar der empörung. der erste artikel seiner reihen ist fast ausnahmslos eine theoretische einleitung ohne die namentliche nennung von Künstlern, in dem er sowohl die verirrungen der Künstler als auch den Werteverfall und die Kommerzialisierung beim Publikum und in der epoche insgesamt geißelt. so entsteht anhand der einzelnen reihen stets der eindruck, dass, auch wenn es gute Werke gibt, das heißt, im vorangegangenen Jahr gute Werke entstanden sind, diese lediglich ein letztes aufbäumen einer im untergang begriffenen großen und edlen Bildtradition darstellen, deren Blütezeit das Barock war. die Wiener Sonn- und Montagszeitung, eine Wochenzeitung, die montags erschien, widmete den ausstellungen ab der mitte der 1870er Jahre eine relativ große aufmerksamkeit. sie war die lieblingswochenzeitung der liberalen intellektuellen. „in den neunziger Jahren bekämpft die Wiener sonn- und montagszeitung ausdrücklich die antisemitische Politik luegers. das hauptsächliche inhaltliche interesse der Zeitung galt der politischen Berichterstattung“, schreibt hildegard Kernmayer.33 meiner ansicht nach ist das nicht ganz zutreffend, da die Zeitung regelmäßig aus allen Bereichen der Kultur berichtete und die Beiträge, die sich oftmals gegen die moden des „mainstream“ stellten, durch einen ausgesprochen kritischen tenor gekennzeichnet waren. der kulturelle teil der Zeitung erlangte insbesondere mit dem auftritt luegers große Bedeutung und wurde zu einer art liberalem Forum der intellektuellen elite des assimilierten Bildungsbürgertums. im Feuilleton erschienen musikkritiken von autoritäten wie hugo Wittmann und Theaterkritiken von Größen wie alexander landesberg, camilla Theimer und l. a. terne. die Jahresausstellungen werden jeweils in mehrteiligen Feuilletons besprochen, wobei ihre autoren, die die Beiträge überwiegend mit einem monogramm oder einem Pseudonym signierten, in den 1880er Jahren häufiger wechselten. die monogramme kann man gelegentlich auflösen (z. B. Balduin Groller), die Pseudonyme jedoch kaum. einer der Kritiker der Zeitung veröffentlichte in den 1880er Jahren unter dem namen hOmO ausgesprochen informative und interessante Beiträge über die ausstellungen.34 er wurde von einem autor abgelöst, der in einem ganz anderen tenor, mit herber ironie schrieb, sich hinter dem namen Justus verbarg und der ilgschen richtung nahestand. er kannte sich im Bereich der internationalen ausstellungen gut aus, war möglicherweise aus deutschland in die Kaiserstadt gekommen und war (soweit

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das möglich ist) noch strenger in seinem urteil als ilg. „es ist in Wien weit schwerer noch als anderswo, eine edle Kunstblühte zu pflegen, denn Wien hat keine vergangenheit: bei dem umstande, dass Wien keine hochherzigen schulförderer hat, keine grünende Zukunft. Wien hat vielleicht ein dutzend amateure, alle in kleinem stile, keinen muthigen Kunsthandel, keine achtunggebietende Kritik, keinen export, mit einem Worte keine Gegenwart. Wozu also der Kunstpalast? aber er ist da und mit ihm die verpflichtung zumindest einmal im Jahre groß in Kunst zu machen. und dies geschah seit zwanzig Jahren: damit ist das so kunstkleine Wien um seine natürliche, arme, aber gesunde entwicklung gekommen, um seine schule, die durch Führich, Waldmüller, alt, Pettenkofen so glücklich fundiert war. (…) wird der massenverwalter des künstlerischen concurses sagen, (…) und vielleicht wird auf diesem Wege wiederzuschaffen sein, was wir verloren haben: eine wirklich national-österreichische Kunst.“35 Justus hasste ganz offensichtlich den deutschen „Pleinairismus“.36 in seiner dreiteiligen reihe über die XX. Jahresausstellung befand er von den 813 Werken gerade einmal 25 für wirklich bedeutsam.37 seine Bildanalysen sind präzise (er kennt den Fachjargon), und er akzeptiert die Bilder beziehungsweise lehnt sie anhand ihrer formalen ästhetischen Qualitäten ab, doch ihn interessiert – ebenso wie speidel – eher die philosophische und weltanschauliche Botschaft der Werke; er lobt, wenn diese seiner anschauung nahesteht. im Übrigen äußert sich auch Justus in seinen Beiträgen über die XX. Jahresausstellung mit respekt über uhdes Bild und schindlers meisterwerk Pax, stellt jedoch auch die Pietà von ludwig von löfftz, einem Professor der münchener Kunstakademie, auf dieselbe stufe.38 von den Kritikern der Zeit ist also nur hevesi offen für die stilistischen veränderungen, die übrigen Kritiker sind gegenüber den ereignissen gleichgültig (oder intellektuell unempfänglich) (wie ranzoni) oder sind gegen sie, wie albert ilg und Justus, auch wenn sie das eine oder andere moderne Gemälde von besonders charismatischer Wirkung ausnahmsweise akzeptieren. im mai schrieb hevesi ein Feuilleton über eine Fotoausstellung, das von einer erstaunlichen Kenntnis der Gattung zeugt.39 aus seinen andeutungen geht hervor, dass er die fotografische Fachliteratur seit Jahren verfolgt hat, die englischen Fachbücher gelesen hat (aus denen er auch zitiert) und sogar in technischen Fragen bewandert ist. in der ausstellung des amateurfotografenklubs wurden die Bilder vieler aristokraten (der Grafen Wilczek, esterházy, liechtenstein und chotek) und sogar Werke von Frauen (erzherzogin maria Theresia), außerdem die einer vielzahl ausländischer Fotografen gezeigt. die einzelnen Fotos beschreibt und beurteilt er in wenigen sätzen, als wären es Gemälde und verwendet dabei auch die fotografische terminologie und typologie der Zeit. im sommer wurden im Künstlerhaus 54 Gemälde aus der Privatsammlung von Baron Gustav von springer40 sowie der nachlass von sigmund lederer (35 Bilder, hauptsächlich arbeiten österreichischer landschaftsmaler aus der Zeit des Biedermeier und der Gegenwart) gezeigt.41 die Besprechung der springer-sammlung bot hevesi die Gelegenheit, über die Gemälde einiger französischer meister zu schreiben, die im Zweiten Kaiserreich modern waren: „die berühmten französischen Koloristen zwischen 1850 und 1870 sind mit trefflichen, meist nur mäßig großen salonhändlichen stücken vertreten. duchamps, Fromentin, isabey, doupré, rosseau, troyon, diaz; ein förmlicher regenbogen, der mit einem Fuße im heißen Orient, mit dem anderen im warmen Paris steht und das Farben-

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klima des Westens nach dem des Ostens regelt.“ heute ist man sich gar nicht mehr dessen bewusst, wie viele Bilder vieler damals sehr geschätzter französischer meister ein Wiener plutokratischer sammler erwerben konnte. Zu den schätzen der sammlung gehörten auch zwei kleine meisterwerke von meissonier, Im Studierzimmer und Der Raucher. außerdem war unter den Werken ein sehr frühes, lebensgroßes Bild von Bonnat, das eine neapolitanische Bäuerin darstellt, die ihr Kind im arm hält. seltenheitswert hatten in Wien die Bilder der zeitgenössischen niederländischen historienmaler leys, Gallait, Braekeler und J. B. madon. interessant ist, dass hevesi die Regenlandschaft des münchener landschaftsmalers eduard schleich für ein gutes Beispiel für die stimmungsmalerei hält: aus seiner sicht ist die stimmungsmalerei innerhalb der landschaftsmalerei also nicht nur in Barbizon, sondern auch in münchen beheimatet. am ende des artikels macht er den leser mit der für ihn charakteristischen umsicht auf Josef langls Panorama von Wien (Groß-Wien, von der Stefani-Warte aus gesehen, heute bekannt als Panorama von Wien) aufmerksam, das als qualitativ hochwertige heliogravüre sogar in einer Kunsthandlung erhältlich war. in diesem sommer veranstalteten die tschechen eine ausstellung mit Werken aus dem ganzen land, über die hevesi in zwei langen artikeln berichtete. im ersten beschreibt er in heiterem anekdotischem stil die allgemeine stimmung und Begeisterung. die eigentliche Beschreibung der hallen, in denen man die entwicklung und die herausragenden ergebnisse der tschechischen industrie und der tschechischen Kunstindustrie studieren konnte, enthält der zweite artikel. von der bildenden Kunst ist in diesen Beiträgen überraschenderweise nicht die rede. anlässlich der eröffnung berichtet hevesi am 17. Oktober in „seinen“ beiden Zeitungen über die außen- und innendekoration des Kunsthistorischen museums. Besonders ausführlich beschreibt er munkácsys deckengemälde, damit das Publikum die dargestellten renaissancekünstler genau identifizieren kann.42 eine interessante ausstellung in der Wintersaison war die der Werke des schottischen malers John r. reid, der sich zuvor in münchen vorgestellt hatte. englische oder schottische maler waren in Wien selten zu sehen, während sie in münchen ab 1888 regelmäßig ausstellten. da die englische malerei in relation zu den Französisch orientierten europäischen schulen (zum einen wegen ihrer anders gearteten Kompositionstradition und Themenwahl, zum anderen wegen ihrer ungewöhnlichen Farbkombinationen) als „außenseiterin“ galt, erregte jeder auftritt ihrer vertreter großes aufsehen. John robertson reid (1851–1926) war der realistische maler der armen menschen auf dem land, seine Themen umfassten das leben der Bauern und der Fischer, seine Farbkombinationen sind laut hevesi mit der Palette Böcklins zu vergleichen. reids Oeuvre ist in england noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, und in den öffentlichen sammlungen sind nur wenige seiner Werke zu sehen, doch er wird weiterhin für bedeutend gehalten.43 hevesi befindet seine Bilder für sehr gut und meint, die ausstellung werde einen bleibenden eindruck hinterlassen (abb. 136). Über diese ausstellung schrieb er ein sehr wichtiges Feuilleton für den Pester Lloyd, aus dem deutlich hervorgeht, wie sich seine einstellung zu den neuen stilrichtungen infolge der ereignisse in der Kunst geändert hat.44 es ist wie eine momentaufnahme, beinahe so, als würde er laut denken. er zeigt die logische abfolge auf, in der er, von der einfühlsamen analyse der maltechnik des Bildes ausgehend, zum verständnis

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136. JOhn rOBertsOn reid: Kleine FischerJunGen in cOrnWall, um 1880

der malerischen methode gelangt, und findet dann, aus seiner jahrzehntelangen visuellen erfahrung schöpfend, analogien, die ihn zu einer neuen schlussfolgerung bezüglich der Kunstauffassung führen. „der naturalismus, der heute alle Kunst aufwühlt, hat auch die Wiesen und Wälder rebellisch gemacht, eine sozialistische Bewegung geht durch das meer, dessen farbenspielenden spiegel ein aiwasowski bereits mit geschlossenen augen, im halbschlaf malte. Gleiches recht für alle! das letzte stoppelfeld will heute schon modell stehen und eine Welle, deren leben zwanzig sekunden dauert, will drei tage lang studiert sein, ehe sie zu Papier gebracht wird. und hat die natur unrecht, wenn sie den anspruch erhebt, im Zeitalter Zola’s natürlich dargestellt werden? es ist nur der allgemeine Wahrheitstrieb, der heute auch die landschaft erfaßt hat.“45 nach dieser einführung schreibt er über die änderungen der ideale der landschaftsmalerei, die er während seiner laufbahn miterlebt hat, zum Beispiel über die romantischen landschaften des münchener malers rottmann, corots stimmungsmalerei und den Zauber der Pleinairmalerei Pettenkofens. dann berichtet er auf unterhaltsame Weise über die vielen maltechniken, wobei er amüsante anekdoten einstreut. dazu inspirieren ihn die meerbilder des in münchen lebenden hans von Bartels, der zu dieser Zeit 150 Gemälde ausstellt, und anhand der Werke des virtuosen malers stellt er fest: „… der heutige Wahrheitsmaler muß spezialist werden.“ im zweiten teil des artikels, in dem er zur analyse der übrigen maler kommt, wechselt er erneut den ton. da diese Bilder den Beginn der modernen malerei in münchen (das damals noch eindeutig das wichtigste Zentrum der bildenden Kunst in deutschland war) bedeuteten, soll hier zitiert werden, wie hevesi sie interpretierte und ausführlich die neuen technischen und ästhetischen effekte auf auch für den laien verständliche Weise erklärte, um die ak-

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137. FranZ cOurtens: GOldreGen, 1888

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zeptanz des neuen experimentellen stils zu fördern. „Während Bartels ein unerreichter meister darin ist, die Wahrheit im einzelnen zu ergründen und aus solchen details ein packendes Wirklichkeitsbild zusammenzustellen, gibt es für andere überhaupt nichts einzelnes. das Wort detail haben sie völlig aus ihrem Wörterbuch gestrichen und bleiben dennoch so wahr, wie man es niemals gewesen. das sind die modernsten impressionisten; nicht wie die schule corot’s zartbesaitete sensitive, sondern handfeste Gewaltmenschen, welche mit den gröblichsten mitteln die feinsten Wirkungen erzwingen. da war auf der großen münchener ausstellung im sommer einiges derartige zu finden. Wer den ,goldenen regen‘ des Brüsselers Franz courtens gesehen, wird ihn nicht leicht wieder vergessen. das ist eine allee, die mitten ins Bild hineingeht bei vollem herbst (abb. 137). das vergilbte laub auf den Bäumen und am Boden gibt dem Ganzen die stimmung. es ist eine symphonie in Gelb, aus der nachbarschaft des Weiß durch mancherlei Braun hindurch bis in die nähe des roth. aus der richtigen entfernung gesehen, wirkt das Ganze durch eine unabweisliche Wahrheit des tones. die Farbe, in ihren vielen abstufungen, wird perspektivisch, plastisch, was man will. man spürt sogar die Formen der Blätter, des holzes durch, das Geschrämpfte, Knistrige des Ganzen. tritt man aber näher, so findet man nichts davon. all das täuschende und täuschendste Gelb liegt rauh und knollig da aufgetragen wie ein klebriger gelber schlamm. nicht anders. es ist absolute Farbe, was man gesehen, und zwar Farbe auf Farbe, Kruste auf Kruste geschmiert, ,gepappt‘, wie die maler kritisch sagen. von Form auch nicht die spur, sie ist absichtlich vermieden. ebenso auf dem großen Gemälde max liebermann’s: ,Frau mit Ziege‘. ein blasses dünenbild mit grünlichem Grau und graulichem Grün und irgendwelchem gleichgültigen himmel drüber. ebenfalls gepappt, gekleistert, gespachtelt, geschmiert, aber das resultat eine Feinheit und Wahrheit des freien lufttones, wie sie nicht vollkommener zu denken ist. Beide großen Bilder haben in münchen, wo die modernsten richtungen überhaupt viel anklang bei den Jurys finden, die große Goldmedaille bekommen. das liebermann’sche ist sogar für die königliche Pinakothek erworben, wo ein ganzer saal voll historischer rottmann’s hängt. PictOres mutantur. und wo wird das hingelangen? die antwort darauf kann man sich bei dem schotten John r. reid holen, der in münchen ein paar dutzend landschaften hängen hatte und den größten Theil jetzt in Wien ausgestellt hat. auch reid ist ein solcher Gnakssohn mit gewaltsamer Faust. er erntet überall eine mit empörung gemischte Bewunderung. er tritt der natur mit einer grausamen liebe gegenüber und pflückt den augenblick mit rücksichtsloser aufrichtigkeit. dieser augenblick mag so grün, blau oder roth sein, als er will, das schreckt ihn nicht. Ja, er verdickt die Farbenwerthe noch, er läßt sie aufeinander losknallen, er verlangt von ihnen ihr letztes Wort.“46 dann vergleicht er reids Farben mit Böcklins wilden Blautönen und fragt sich, was der unterschied zwischen ihnen ist. seine antwort überrascht: „… man antwortet sich,

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erst leise, dann immer lauter: eigentlich gar keiner. Beide sind Farbenromantiker, jeder in seiner art. und courtens in seinem ,goldenen regen‘ ist es auch, und Bartels in seiner Brandung ist es ebenfalls. denn die ganze natur malt doch keiner, sondern nur eine gewisse auswahl ihrer eigenschaften wie sie nicht ihrer, sondern seiner eigenart paßt. [hervorhebung hevesi] das Bild ist stets ein willkürliches: manches darin ist unterdrückt, manches übertrieben. und so schließt sich der ring; die neuen gelangen schließlich an einen Punkt, wo sie gar nicht so weit von den alten stehen, als sie selber gedacht haben.“47 courtens’ berühmte Gemälde des ewigen goldenen herbstes inspirierten viele maler in der gesamten monarchie. die darstellung von fallendem herbstlaub kam in mode und blieb lange Zeit ein lieblingsmotiv für Kunstsammler. Olga Wisinger-Florian, eine der wichtigsten österreichischen malerinnen, stellte ihr landschaftsbild Fallendes Laub im Jahr 1899 aus – und hatte damit einen solchen erfolg, dass der staat es kaufte (abb. 138). hevesis analyse des courtens-Gemäldes passt perfekt zum malstil des Gemäldes, das Bild ist sehr pastös gemalt. es ist ein herausragendes Beispiel für das Pleinair-landschaftsbild, das vom realismus ausging, aber mit der stimmungsmalerei verwandt ist. diese art der landschaftsmalerei, die die tradition mit modernen stilistischen lösungen verknüpfte, war bei der aristokratie und beim Großbürgertum sehr beliebt. diese „Kleinarbeit“ der Beschreibung hevesis der bis ins kleinste detail gehenden formalen analyse in der „Öffentlichkeit“ nahm von seinen Zeitgenossen nur er auf sich. dabei vermittelte er einen beinahe schon schaffenspsychologischen einblick in das Werk und führte den leser zugleich zur akzeptanz der neuen stilvariante der landschaftsdarstellung. dank seiner fachlichen Kenntnisse und durch die spontaneität seiner sprache war das möglich. dazu musste man sämtliche techniken der malerei und der Grafik auch

138. OlGa WisinGerFlOrian: Fallendes lauB, 1899

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von ihrer praktischen seite kennen, sich regelmäßig die wichtigen ausstellungen (sowohl im inland als auch im ausland) ansehen und sich in den ateliers und kommerziellen Galerien umsehen. und noch etwas brauchte man dazu: eine leidenschaftliche Offenheit und ein Wohlwollen, durch die man nicht bei einer epoche, beim Geschmack der eigenen Jugendzeit und der eigenen Generation stehen bleibt. Obwohl er die künstlerischen ideale seiner Jugend, das moderne von vor zwanzig Jahren niemals verleugnete, war er in der lage, sie aus einem historischen Blickwinkel zu betrachten und sie, während er ihren Wert auch weiterhin anerkannte, hinter sich zu lassen.

139. adalBert FranZ seliGmann: rauchZimmer, 1892

1892 von besonderer Bedeutung war für hevesi die Gedenkausstellung für heinrich lang (1838–1891) im Künstlerhaus.48 der deutsche schlachtenmaler, der in Berlin, münchen und stuttgart studiert hatte, reiste 1860 nach szolnok, um dort Pferde zu malen. dort lernte er die malerin tina Blau kennen, die dort nach der anleitung Pettenkofens im Freien malen lernte. Jahre später heiratete lang (der emotionale nebenbuhler hevesis) die malerin, die mit ihm nach münchen zog. hevesi hielt den Kontakt mit den eheleuten auch weiterhin aufrecht. lang starb im sommer 1891 an tuberkulose, und seine Witwe zog einige Jahre später wieder nach Wien, wo sie eine beliebte lehrerin der Kunstschule für Frauen und Mädchen wurde. sie überlebte ihren verehrer aus ihrer Jugend um sechs Jahre.49 hevesi interpretiert die vorzüge der Bilder heinrich langs mit feinfühliger Zurückhaltung, ohne sie überzubewerten. es war mittlerweile tradition, dass der aquarellistenklub seine neuesten Werke in einer gesonderten ausstellung präsentierte (in der selbstverständlich auch Zeichnungen und Pastellbilder gezeigt werden durften). hevesi berichtete darüber und innerhalb dessen über die Bilder von hugo darnaut, ludwig hans Fischer und eduard Zetsche präzise, aber nicht sehr begeistert.50 darauf folgte die außerordentlich präzise und fachgerechte Besprechung der wichtigsten Blätter der ausstellung farbiger Kupferstiche.51 die XXi. Jahresausstellung wartete erneut mit vielen guten Gemälden auf, darunter auch interessante ausländische Werke, und fand dieses mal auch in den übrigen Zeitungen große resonanz. hevesi schrieb eine siebenteilige artikelreihe über die veranstaltung, albert ilg veröffentlichte (in der Presse) sechs Feuilletons52, von dem verfasser mit dem Pseudonym Justus erschienen vier artikel in der Wiener Sonn- und MontagsZeitung.53 Über die ausstellungen in Wien schrieb damals in der münchener Zeitschrift Die Kunst für Alle carl von vincenti, der die mit nahezu fotografischer Genauigkeit abgebildete Gesellschaftsszene Raucherzimmer von a. F. seligmann als ein Beispiel für die fortschrittliche moderne malerei hervorhob.54 (abb. 139) interessant ist, dass Justus vor der Besprechung der in der ausstellung gezeigten Werke in einem gesonderten artikel, dem „Präludium“, einen Überblick über das vorangegangene Jahr ab der schließung der Frühjahrsausstellung gibt. er erwähnt nicht nur

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die Wiener ausstellungen, sondern bezieht auch deutschland mit ein, um dem leser die entwicklungen in der malerei erklären zu können. er geht ausführlich auf die rivalitäten zwischen münchen und Berlin ein und hebt den Parteienkampf zwischen uhde und lenbach in münchen hervor. detailliert erläutert er die allgemeine stilistische terminologie und weist den leser auf die Widersprüchlichkeit der situation hin. er spricht sich generell gegen den französischen einfluss aus und fordert individuelle synthesen von den Künstlern. er ist erstaunlich bewandert und ein leidenschaftlicher Polemiker. (er vertritt ganz ähnliche ansichten wie albert ilg in seinen Kritiken in der Presse, dennoch kann es sich nicht um ein und denselben autor handeln.) Bei aller unzufriedenheit äußert er sich gelegentlich auch lobend, besonders über schindler, doch auch an ihm hat er etwas auszusetzen, und zwar, dass er zu vielfältig male und seine Kunst deshalb keinen wirklichen „Kern“ habe. schindlers stimmungspoesie strichen im Übrigen alle Kritiker hervor (auch ilg), stellten jedoch die mittlerweile weit verbreitete meinung, das gelungenste landschaftsbild des malers sei Pax, infrage. durch hevesis im Jahr zuvor erschienenen langen essay hatte das großformatige Gemälde Kultstatus erlangt, und er hatte es auch zum österreichischen Pendant von Böcklins äußerst beliebtem symbolistischen Gemälde Die Toteninsel erhoben.

140. emil JaKOB schindler: PaPPelallee nach dem GeWitter, 1892

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141. ernst Klimt: ausstellunGsPlaKat – internatiOnale ausstellunG FÜr musiK und theaterWesen, 7. mai – 9. OKtOBer 1892 Wien, 1892

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in hevesis essay über die landschaftsbilder der Jahresausstellung von 1892 geht es fast ausschließlich um die Werke emil Jakob schindlers, der dieses mal mit 16 landschaftsbildern vertreten war.55 von schindlers naturpoesie inspiriert verfasste er eine wunderbare atmosphärische Beschreibung der landschaften und der Gemälde, auf denen sie abgebildet sind. „schindler ist ohne Frage der größte stimmungslyriker, welchen Oesterreich hervorgebracht hat. nur lenau ist mit ihm zu nennen“ (abb. 140). als er diesen lyrischen text verfasste, konnte er noch nicht ahnen, dass das Jahr zum „schindler-Jahr“ werden würde, dass er noch ausführlich nach dem Geheimnis von schindlers Kunst forschen würde, da er den nachruf auf den maler schreiben und auch die Gedenkausstellung zusammenfassen würde müssen. der maler starb unerwartet während seines urlaubs auf sylt im august. der tenor des nachrufs ist ausgesprochen subjektiv56, zugleich rekonstruiert hevesi jedoch sehr präzise und fachgerecht die künstlerische entwicklung und die veränderungen des stils des meisters, die er gekonnt in den Kontext der Wendepunkte in seinem leben stellt. als er seinen Platz in der österreichischen malerei bestimmt, umgeht er auch die schmerzliche Frage nicht, weshalb er als größter meister der stimmungsmalerei, der auch eine ausgeprägte pädagogische ader hatte, keinen lehrstuhl an der Wiener akademie der bildenden Künste erhalten hatte. er hatte zwar eine handvoll schüler (tina Blau, Olga Wisinger-Florian, marie egner und später carl moll), doch das reichte nicht. „hätte er dort doch zehn Jahre gewirkt, so wäre der malende nachwuchs für das nächste menschenalter zum Guten gedrillt worden. denn schindler besaß die seltene Gabe, seine Begeisterung auch anderen einzuflößen …“57 anfang des sommers war Wien schauplatz eines besonderen ereignisses. in der rotunde, dem zentralen Gebäude der Weltausstellung von 1873 im Prater, fand die Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen statt58 (abb. 141). man kann sagen, dass Wien damit die erste spezialisierte internationale Fachausstellung im Bereich der Kultur veranstaltete und sich zugleich für alle Zeiten den titel „hauptstadt der musik“ sicherte, aus dem die stadt langsam, aber unaufhaltsam das idealziel der musikhauptstadt der ganzen Welt entwickelte.59 dieses selbstbild zu konstruieren, war für Wien äußerst wichtig, da die intellektuellen der stadt immer noch unter der durch den Preußisch-Österreichischen Krieg ausgelösten identitätskrise litten, die sich in den 1880er Jahren, als die junge deutsch-österreichische Generation angesichts der gewaltigen wirtschaftlichen entwicklung und der wissenschaftlich-technischen und kulturellen Überlegenheit des deutschen reiches mit den heimischen verhältnissen zutiefst unzufrieden war, erneut vertiefte. die Krise erreichte ihren höhepunkt gegen ende des Jahrzehnts, als die jungen intellektuellen erkannten, dass Berlin Wien auch

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im Bereich Kultur bereits überholt hatte, seine literatur- und seine Theaterszene lebhafter, moderner und zeitgemäßer war als die der Kaiserstadt. dass dieses Gefühl und die Krise der selbsteinschätzung real waren, zeigen auch die Zeilen des unter dem Pseudonym Justus schreibenden Kritikers vom Frühjahr 1891: „Wir wollen sagen: Wien ist für bildende Künste überhaupt gar keine stadt. Wien ist eine hörende, wie Paris eine sehende, Berlin eine lesende und london eine konsumirende stadt. es ist in Wien weit schwerer noch als anderswo, eine edle Kunstblühte zu pflegen, denn Wien hat keine vergangenheit; bei dem umstande, dass Wien keine hochherzigen schulförderer hat, keine grünende Zukunft. Wien hat vielleicht ein dutzend amateure, alle in kleinem stile, keinen muthigen Kunsthandel, keine achtunggebietende Kritik, keinen export, mit einem Worte keine Gegenwart.“60 dieses beinahe schon hysterische minderwertigkeitsgefühl Österreichs, das man sich heute kaum noch vorstellen kann, das aber – in gewissen intellektuellen Kreisen – tatsächlich existiert hat, bestand vor allem gegenüber deutschland, kam aber auch gegenüber der französischen Kultur sehr stark zum ausdruck. es war eine der wichtigsten motivationen in den Kreisen der jungen Wiener intellektuellen für die modernisierungsbestrebungen, die sich ab dem anfang der 1890er Jahre stetig verstärkten, ein antrieb der autorengruppe Jung-Wien, an deren spitze zu dieser Zeit hermann Bahr (1863–1934) stand, der zuvor in Berlin und Paris gelebt hatte.61 Jedenfalls sollte die Große musik- und Theater-ausstellung (im Prater) zumindest in diesen beiden Kunstgattungen Wiens kulturelle vormachtstellung belegen.62 diese ausstellung war ein Bekenntnis der nationen der monarchie zu der/den nationalen Kultur/en im Zeichen eines scheinbar harmonischen, friedlichen und toleranten Zusammenlebens, das auch die Kultur der klassischen musik, die sich auf alle nationen erstreckte, wider-

142. rudOlF vOn alt: der PlatZ “am hOF“ in Wien, 1892

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zuspiegeln schien. im hintergrund der reihe von Festen der elitekultur grollten schon die vorboten der Parteienkämpfe und der auseinandersetzung der nationalitäten. Obwohl es ein sehr regnerischer sommer war, wurde die ausstellung ein großer erfolg. alle tageszeitungen berichteten regelmäßig über die Theatervorstellungen, Opernaufführungen und Konzerte, die dort stattfanden. Obgleich hevesi die anstrengende aufgabe der regelmäßigen Berichterstattung einem sehr talentierten mitarbeiter, Oscar teuber, übertragen hatte, verfasste auch er einige Feuilletons über die ausstellung.63 (teuber war später der stellvertretende chefredakteur des Blattes und bewandert in der tschechischen Politik und Kultur.) als die ungarn mit dem drama Die Tragödie des Menschen von imre madách im sogenannten ausstellungstheater auftraten, stellte er dem Wiener Publikum das stück vor.64 vom 29. august bis zum 31. Oktober veranstaltete man zum achtzigsten Geburtstag von rudolf alt im Künstlerhaus eine sonderausstellung seiner aquarelle. sie umfasste mehr als 500 seiner zwischen 1829 und 1892 entstandenen Bilder. das letzte meisterwerk (Am Hof in Wien mit dem Radetzkydenkmal) vollendete er an seinem Geburtstag. hevesi verfasste auch dieses mal einen schönen, knapp gehaltenen Überblick über die entwicklung des meisters, den er von allen Wiener malern wohl am meisten mochte. „… merkwürdig, wie wenig sich das geistige Gesicht des Künstlers geändert hat. er war gleich anfangs der sachenmaler.“ in Bezug auf die 1870er Jahre meinte er: „rudolf alt ist der canaletto Wiens geworden.“65 (abb. 142) der herbst bot ihm gleich zweimal Gelegenheit, sich zu umfassenderen theoretischen und kunstpolitischen Fragen zu äußern. Zunächst reflektiert er auf einen Führer für das Kunsthistorische museum von Grassberger und auf eine anonyme streitschrift mit dem titel Wie man die Wiener Galerie verdorben hat.66 der verfasser dieser streitschrift hätte es gern gesehen, wenn man im Gebäude des Belvedere, aus dem die kaiserliche sammlung ausgezogen war, nach dem vorbild des Pariser musée du luxembourg eine sammlung moderner zeitgenössischer Kunst eingerichtet hätte.67 hevesi teilt die meinung beider verfasser, die Grassbergers bezüglich der neuordnung der Gemälde im Kunsthistorischen museum und die des unbekannten verfassers, dass Wien endlich auch ein museum für die moderne zeitgenössische österreichische Kunst bekommen solle. in dem zweiten artikel setzte er sich anlässlich des zweihundertjährigen Bestehens der k. u. k. akademie der bildenden Künste mit Fragen der reform des Kunstunterrichts und der rolle Feuerbachs in der Geschichte der akademie auseinander.68 im dezember eröffnete eine ausstellung der neuesten Bilder und skulpturen von Franz stuck, dem gefeierten jungen meister der münchener secession. außerdem waren zehn Bilder von lenbach und 44 Zeichnungen von matejko, auf denen sämtliche herrscher aus der polnischen Geschichte abgebildet waren, ausgestellt. das andere wichtige ereignis am Jahresende war die ausstellung des nachlasses von emil Jakob schindler (vor der versteigerung) im Künstlerhaus. in seinem artikel über die veranstaltung mit der Beschreibung der einzelnen Bilder brilliert hevesi erneut, er besteht aus einer reihe poetischer einfühlsamer und psychologisierender Bildanalysen, in deren mittelpunkt die lange Beschreibung der beiden Bilder mit dem titel Pappelallee (abb. 140) steht, deren stimmung er meisterhaft wiedergibt.69 Über die stuck-ausstellung hat hevesi nicht geschrieben (wahrscheinlich war er zu der Zeit gerade nicht in Wien), dafür veröffentlichte albert ilg eine standpauke in auch

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für ihn ungewöhnlich zornigem tenor.70 er beanstandet vor allem das Fehlen von technischem Wissen und Präzision, also von Fachwissen und anstand. dennoch stellt er sich in diesem artikel nicht in erster linie gegen die modernen stilexperimente und gegen stuck, sondern verurteilt – ohne namen zu nennen – eher die deutschen, münchener, Kritiker und autoren, die – so meint er – ohne die geringste sachkenntnis lobeshymnen auf diese Bilder singen: weil „man literarische dilettanten immer genug findet, welche geistreiche oder alberne commentare über diese Pinseleien schreiben und dafür sorgen, in ihnen Offenbahrungen der Kunst der Zukunft zu erblicken …“. er greift die Kritiker an, die „deren Producte zu manifestationen des großen Zeitgeistes und seiner künftigen mission mit pomphaften Worten hinaufschrauben“, das Publikum betören und irreleiten. ilgs Worte zeugen von ehrlicher empörung, und obwohl er keine namen nennt, lassen das Wort „Zeitgeist“ und einige attribute darauf schließen, dass er vor allem hevesi meint, der – zumindest in seinen augen – auf abwege geraten ist, als er sich so sehr für die aus Paris und münchen hereinströmenden modernen stilrichtungen eingesetzt hat. (das kunstinteressierte Wiener stammpublikum konnte ilgs andeutungen sicherlich leichter entschlüsseln als wir heute.) Zu jener Zeit, ende 1892, anfang 1893, dauerte der Kampf zwischen den gar nicht so jungen „Jungen“, also den experimentierenden modernen, und den vertretern der herkömmlichen stile sowie den Kritikern, die sie unterstützten, in den münchener tageszeitungen und in den deutschen Fachzeitschriften bereits seit drei Jahren an. dieser war für die Künstler natürlich auch in materieller hinsicht von großer Bedeutung (was sie nicht zugaben). es ging im Grunde um die Beherrschung des Kunstmarktes, darum, wer wie viele Bilder verkaufen konnte. immer wieder gab es Klagen der mitglieder der Künstlervereine und seit der vermehrten Produktivität im Bereich der malerei auch der mitglieder des Wiener Künstlerhauses über die ausstellungsmöglichkeiten, über die entscheidungen der jeweiligen Jurys, darüber, wie viele Bilder eines Künstlers in die großen Frühjahrsausstellungen aufgenommen wurden und ob diese einen guten Platz bekamen oder einen schlechten, an dem sie kaum zu sehen waren.71 Bis dahin gehörte es sich nicht, darüber zu sprechen, und hevesi war der einzige, der sich, um das mäzenatentum zu befördern, gelegentlich auch zu Fragen des Kunstmarktes äußerte. von da an befasste sich jedoch auch albert ilg regelmäßig mit den wirtschaftlichen motiven, die sich hinter den internen Kämpfen im Künstlerhaus verbargen, und auch er begann seine artikel mit angaben zur Größe der jeweiligen ausstellung, zur anzahl der gezeigten Bilder und einer Bewertung der auswahl durch die Jury, ob diese also vornehmlich nach der mode oder aufgrund individueller interessen und Beziehungen entschieden hatte. ilg hatte ein gutes auge für die missstände in der Gesellschaft und nutzte neben der tageskritik auch andere Foren, um die gesellschaftliche elite auf Probleme hinzuweisen, die in der Öffentlichkeit nicht ausführlich genug zur sprache kamen. den Grund für das absinken des künstlerischen niveaus sah er in der allgemeinen Krise der Bildung und der moral in der Gesellschaft. schon 1887 und 1888 hatte er sich in drei langen essays mit den gesellschaftlichen Phänomenen auseinandergesetzt, die seiner meinung nach für die rückständigkeit der österreichischen Kunstszene und ihre entwicklung in die falsche richtung verantwortlich waren.72 nach der geringen resonanz auf seine früheren schriften fanden seine anfang der 1890er Jahre in der Presse veröffentlichten polemischen Kritiken größere Beachtung, vor allem in den Kreisen der gebildeten und kunstinteressierten aristokratie.

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1893 das Jahr 1893 brachte besonders viele veranstaltungen im Bereich der bildenden Kunst, war regelrecht turbulent. Über die Jahresausstellung waren die führenden Kunstkritiker erneut geteilter meinung, und die Gegensätze schienen – vielleicht gerade aufgrund von ilgs scharf formuliertem Befund im dezember – zum dauerzustand zu werden. Was für eine rolle spielte nun hevesi in diesem Prozess der radikalisierung? in seinem zweiten artikel über die Winterausstellung des Künstlerhauses erinnert er das Wiener Publikum anhand der landschaftsbilder des Karlsruher realistischen Pleinairmalers Gustav schönleber (1851–1917) erneut an die veränderung des Farbenstils mitte der 1880er Jahre, die sich in ganz europa, bei den Franzosen, den holländern, den deutschen und den Österreichern, vollzogen hatte: dass nämlich die maler von den warmen goldbraunen tönen zu den kalten Farben wechselten und statt des sonnenscheins die in silbergrau gehaltenen tageszeiten in mode kamen. „da kam die graue reaktion, bei den Besseren als eine schwenkung vom Goldton zum silberton.“73 hevesi bedenkt die Bilder fast aller vertretenen maler mit einer treffenden Bemerkung, wodurch die eintönige auflistung der namen abwechslungsreicher wird. er äußert sich mit anerkennung über matejkos serie von 44 Zeichnungen der polnischen herrscher, und die präzisen Werke der beiden spanischen maler José Benlliure y Gil und Galofre y Jiménez erinnern ihn an die filigranen arbeiten der Gold- und silberschmiede.74 mit den Österreichern ist er etwas strenger, besonders wenn junge Künstler den stil eines älteren Kollegen zu genau nachahmen, ohne dabei ihre individuellen Qualitäten herauszustreichen. (Bei Julius schmid beispielsweise bemängelt er, dass dieser die „aalglatte salonmalerei“ heinrich angelis (1840–1925) nachahmt.) durch seine ungewöhnlichen und geistreichen Wortverbindungen und vergleiche ist selbst dieser artikel über die durchschnittlichen Bilder einer durchschnittlichen ausstellung eine interessante lektüre. Zusammenfassend stellt er erfreut fest, dass in der Winterausstellung, zusammen mit der ausstellung des schindler-nachlasses, viele interessante Werke gezeigt werden, und hofft, dass dies ein Zeichen für einen dauerhaften aufschwung im Wiener ausstellungsbetrieb ist. die ausstellung des aquarellistenklubs bestärkte ihn in dieser hoffnung, denn sie zeigte sehr viele hervorragende Wasserfarbengemälde, temperabilder und Grafiken. Wie gewöhnlich widmete er den Werken der experimentierenden jungen Künstler, so auch den kleinen Bildern Josef engelharts (1864–1941), besondere aufmerksamkeit. sein maßstab sind naturtreue und die innere authentizität der Bilder. die ausstellung des nachlasses des Orientmalers leopold carl müller bot hevesi eine weitere Gelegenheit, über die Wiener Kunstszene, genauer gesagt über die verborgenen eigenheiten des Kunstmarktes zu schreiben, darüber, dass es in den 1870er Jahren viele Wiener einzig der Kunsthandlung miethke zu verdanken hatten, dass sie ihren lebensunterhalt bestreiten konnten.75 er erwähnt, dass müller lange Zeit auch Zeichnungen für das Wiener Witzblatt Figaro angefertigt hatte, und dass er zusammen mit seinem Freund Pettenkofen in szolnok gewesen war, was der Beginn seiner hinwendung zum Orient war (abb. 143). seine persönlichen erinnerungen sind hervorragende Quellen für die spätere Forschung und liefern erstaunliche details zu den verborgenen künstlerischen einflüssen. so berichtet er zum Beispiel, er habe 1867 selbst gesehen, dass „Paris“ „damals die hauptstadt der Farbe [war], noch von delacroix, decamps, horace, vernet

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und troyon her. auf der zweiten Weltausstellung des zweiten Kaiserreiches fand sich alles ein, was Berührung suchte mit der modernen Kunst. dort haben wir auch leopold müller täglich am studium gesehen, vor meissonier, Gérôme, Fromentin, millet (angelus), rousseau und corot. vernet’s art, arabisches Klima zu malen, wie in der ,smalah abd-el-Kaver’s‘ zu versailles, hat ohne Zweifel auch mitgewirkt. (…) der andere Franzose, der ihn damals beeinflußt hat, ist leon Gerôme. der mit einer ganzen reihe hervorragender Bilder ausgerückt war …“76 dieser artikel ist ein durch besondere persönliche details abgerundeter psychologisch einfühlsamer abriss der stilistischen entwicklung müllers, gefolgt von der plastischen Beschreibung der Bilder. die wichtigste veranstaltung des Frühjahrs, die XXii. Jahresausstellung, inspirierte den Kritiker erneut zu einer siebenteiligen artikelreihe. (seine Kritikerkollegen begannen hevesis Praxis zu folgen und berichteten – mit ausnahme ranzonis – in einer abfolge mehrerer artikel über die Gemälde und skulpturen der ausstellung.77) die vorstellung der vielen ausländischen (vor allem deutschen) maler mit vielen Werken war imposant. im ersten artikel kommt hevesi überraschenderweise auch auf die Frage der Konkurrenz zwischen der ausländischen und der heimischen (das heißt österreichischen bzw. Wiener) Kunst zu sprechen, und er war überzeugt davon, dass die lokalen sammler stets die „viennensia“ sammeln würden, und damit meinte er weniger die veduten als vielmehr die Werke heimischer meister wie Pettenkofen, müller, schindler und alt. mit dem staatlichen mäzenatentum ist er unzufrieden: „die Zeit wird ja schließlich kommen, wo der staat nicht umhin kann, neben dem militärstaat auch wirklich Kulturstaat zu sein. allem anscheine nach wird dies wohl nicht lange genug dauern, aber die Wartefrist wird ja nicht abgekürzt, wenn man einen schutzzoll vor der Kunst aufrichtet. Konkurrenzfähig werden, ist die aufgabe, und dazu heißt es zusammenwirken von oben und unten und von allen seiten.“78 nach diesem ungewöhnlichen Plädoyer nimmt er eine ausführliche analyse der Porträts des polnischen malers Kasimir Pochwalski, zweier Porträts von Gyula Benczúr (das repräsentative offizielle Porträt des bulgarischen Fürsten Ferdinand und ein Porträt von tasziló Graf Festetics). auch ein anderer Budapester maler, lipót horovitz, erntet mit seinem in Weißtönen gehaltenen Frauenporträt (Fräulein Renard) reichlich lorbeeren, noch mehr aber mit seinem ausgesprochen realistischen Bildnis von Ferenc Pulszky, dem einflußreichen alten direktor des ungarischen nationalmuseums. im zweiten artikel79 analysiert hevesi das Bild, das er für das ausgefallenste der ganzen ausstellung hält: das triptychon von ludwig dettmann.80 hevesi suchte sich schon seit den 1870er Jahren in jeder Jahresausstellung ein Bild aus, das er aus irgendeinem Grund für besonders wichtig hielt, um es dann von allen seiten zu beleuchten und dem Publikum so ausführlich wie möglich vorzustellen. das tat er niemals zu Werbezwecken (oft waren diese Bilder nicht zu verkaufen), sondern stets mit didaktischer absicht: so lehrte er die

143. leOPOld carl mÜller: ein sPhinXGesicht vOn heute, um 1875–1880

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Betrachter das sehen. das Publikum erkannte bald, dass die Kunstanalyse ein großartiges Gesellschaftsspiel ist, dass man über die Bilder diskutieren kann, da Geschmack etwas ausgesprochen subjektives ist. die in den Kritiken hervorgehobenen Gemälde wurden unweigerlich zu „sensationsbildern“, und zwar unabhängig von ihrer Größe. dieses mal geht hevesi es „dramatisch“ an: „in einem der kleineren säle hängt, unter nr. 98, ein merkwürdiges Bild, das blaue Wunder der Jahresausstellung. die vier Wände widerhallen von unwillkürlichen ausrufungen, die luft ist voll von schlechten Witzen.“81 dann führt er einige plastische Beispiele der positiven und negativen reaktionen des Publikums an. der artikel beginnt wie eine livereportage, eine interviewreihe. „ältere herren, pietätvolle stammgäste des hauses, stehen mit verdutzten Gesichtern da, räuspern sich vor ästhetischer verlegenheit und gehen weiter. etliche aber können sich von dem Bilde nicht recht trennen und machen schließlich eine ganze Gruppe und in der heißt es: außerordentlich … wunderbar … meisterhaft … und so fort.“82 das ist ein ganz neuer Kunstgriff, bis dahin hatte er die reaktionen des Publikums niemals so direkt wiedergegeben, und dadurch wartete der leser nur noch gespannter darauf, wie der Kritiker das Bild beurteilen würde. „in der That ist dieses meisterwerk mit besonderer elle zu messen. seine absonderlichkeit ist die Phantastik eines realisten. es ist durchaus unwirklich und doch wahr in jedem Zuge, ja überwältigend wahr. es scheint mit mystischen nabeln zu spielen, aber die malerisch-poetische stimmung, die es hervorruft, bleibt keineswegs im Übersinnlichen stecken, sondern geht in die sinne und sogar bis an den verstand hinan, der nichts zu verurtheilen findet.“ so beginnt die präzise und dennoch poetische analyse des triptychons. „ludwig dettmann malt die Geburt christi, in einem breiten hauptbilde mit zwei schmalen Flügeln.“83 die beiden altarflügel sind ein Kontrast zur mitteltafel, statt Freude, licht und Glanz vermitteln sie dunkelheit. links Die Grenze des Paradieses, rechts das Kreuz. Bewusst und mutig flicht hevesi auch subjektive elemente in die analyse ein, doch wenn er die entstehung der einzelnen Bestandteile des Bildes in dettmanns früheren Bildern erläutert, ist er stets bestrebt, sie im Kontext des erbes der europäischen malerei zu betrachten und dadurch zu legitimieren. nach der Bildanalyse sucht er nach den Parallelen der in der zeitgenössischen Kultur nunmehr unverkennbaren religiös-mystischen Wende, die auch dettmanns Bild repräsentiert. er schreibt über die Pariser rosenkreuzer (die er sehr negativ bewertet), über den spiritualismus und die beunruhigend irrationalen KlingerKupferstiche. er entdeckt außerdem, dass eine der wichtigsten Quellen der inspiration dettmanns Botticelli war, und zwar insbesondere seine zu dantes Göttlicher Komödie angefertigten (und in Berlin aufbewahrten) bezaubernd poetischen Zeichnungen. die theoretischen schlüsse, die er aus der aus vielen einzelheiten, Bildanalysen, künstlerischen analogien und der Platzierung im zeitgenössischen Kontext erarbeiteten argumentation zieht, fasst er folgendermaßen zusammen: „so knüpfen sich in diesem – trotz alledem – hochmodernen Bilde mancherlei Fäden wieder, die schon abgerissen gewesen. die naturforschende Kunst von heute fühlt, je besser sie mit der Wirklichkeit fertig zu werden weiß, desto mehr eine sehnsucht über diese schranken hinaus. Wohl verlieren sich die Pfade noch im dunkeln, aber der mensch gibt nichts auf, was er einmal erobert hat, höchstens schaffte er neue Formen für den idealbesitz vergangener Zeiten.“84 mit diesem Beitrag gewann hevesi nicht nur im Publikum anhänger für den symbolistischen Zweig der experimentellen modernen malerei, sondern überzeugte auch

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seinen betagten Kollegen emerich ranzoni, der die lösungen von dettmanns triptychon teilweise akzeptierte.85 albert ilg hingegen empörte sich zwei Wochen später in der Presse darüber, dass mehrere Besucher ihn, als er sich die ausstellung zum ersten mal angesehen hatte, gedrängt hatten, auf der stelle seine meinung über das Bild zu äußern. diese war vernichtend: „es ist wohl ganz characteristisch, daß ich thatsächlich, als ich zum erstenmal diese ausstellung betrat und noch gar nichts in augenschein genommen hatte, bereits von einer menge leute überfallen wurde, welche die Frage an mich richteten: ‚Wie werden sie sich denn zu dettmann’s heiliger nacht stellen?‘ dettmann und dettmann vernahm man rechts und links und Überall, die luft war voll von dem namen im munde unserer Fortschrittler und es schien sie zu interessieren, wie sich denn ein zurückgebliebenes, conservatieves individuum, wie ich bin, zu einer solcher messiasleistung des hypermodernen strebens verhalten würde. so beschaute sich denn der Befragte zunächst das fragliche Wunderding und hatte zunächst den eindruck, daß er von einer äußerst confusen darstellung stehe. er kannte sich zwar sehr bald darin aus und erkannte darin eine modern empfundene ideenfolge, welche die Gebrüder van eyck im Genter alter vor beinahe einem halben Jahrtausend schon bei weitem geistreicher und nebst dem bedeutend überzeugungsinniger ausgesprochen haben, die idee des verlorenen Paradies, der verkündigung des heils an die arme duldende menschheit und ihre erlösung durch den sohn Gottes, der sich für ihre schuld in den tod gegeben hatte – aber es schien ihn weder religiös gläubig, was hier ein echter sohn des 19. Jahrhunderts mit effectvoll schillernden sündenschlangen, unschuldslilien, gespensterhaften verkündigungs-engeln, Proletariern statt der hirten und einem geisterhaften crucifix‚ a la dieffenbach affectierte, noch schien es ihm besonders künstlerisch bedeutend.“86 ilg ist zornig, weil die darstellung seiner meinung nach weder ikonografische Kenntnisse noch einen ehrlich erlebten naiven Glauben erkennen lässt. „so ist das ganze verlogen und gemacht und affectiert bis ins innerste hinein und von der idee des Kunstwerks, die immer so gerühmt wurde, sehe ich nichts als nur anstatt ihrer den mangel der einfachsten logik und unkenntniß aller religionsgeschichtlichen, allgemein historischen und kunsthistorischen umstände. Wenn sie uns dann dem gegenüber immer wieder mit ihrem albernen Geschwätz kommen, daß es doch gar so effectvoll gemacht sei, so gilt mir das wenig. ein Künstler muss zunächst auch denken, wie ein anderer vernünftiger mensch und mit einem Farbenrausch, der überdies nicht Jeden so begeistern dürfte, wie ihn selbst nicht einfach alles schon entschuldigen.“87 der disput um dettmanns Gemälde war ein erster vorbote der kunstpolitischen Kämpfe, die sieben Jahre später um Klimts Fakultätsbilder entbrannten; allerdings war da nicht mehr ilg hevesis geschworener Gegner, sondern andere Kritiker mit einem konservativen Kunstgeschmack, unter anderem der auch als Kritiker tätige maler adalbert Franz seligmann, allen voran jedoch Karl Kraus. seinen dritten artikel im Fremden-Blatt über die Jahresausstellung widmete hevesi dem religiösen Genre.88 er war sich bewusst, wie schwer es die maler hatten, die sich mit modernen varianten der kirchlichen Themen versuchten. „Wer ein modernes heiligenbild malen will, muß alle schlauheit aufbieten, um so naiv zu werden wie das vierzehnte Jahrhundert; er muß das heilige weltlich einzukleiden wissen wie Benozzo Gozzoli“, schreibt er, und etwas später: „Wer heute nach rom geht, sollte die alten studieren,

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aber die neuen kopieren.“ in diesen geistreichen sentenzen schwingt natürlich auch ironie mit, ebenso in den Bildanalysen, in denen er nicht nur die problematischen, spirituell leeren heiligenbilder (Franz Zimmermann, eduard veith) auseinandernimmt, sondern auch die mythologischen und die Fantasiebilder, die zwar tief symbolische inhalte zu vermitteln suchen, aber peinlich unbeholfen sind (adolf hirschl, Franz seligmann, alexander Goltz). einige noch nicht arrivierten maler, die sich darum bemühten, sich einen namen zu machen, richteten sich damals – nicht nur in Wien – noch nach der herkömmlichen hierarchie der malerischen Gattungen und wollten um jeden Preis mit einem „großen Thema“, das heißt mit einem biblischen, mythologischen oder historischen sujet und seiner möglichst sensationellen interpretation zu ruhm gelangen. dabei wurden die darstellungen dieser Themen auch durch ihre große anzahl entwertet, und außerdem waren sie selten als Zierde bürgerlicher Wohnungen geeignet. sie schickten ihre Werke jahrelang von ausstellung zu ausstellung, bis die schließlich der staat oder eine institution erwarb. das galt auch für die Themen der Kirchenkunst. Zu den seltenen gelungenen Werken der problematisch gewordenen religiösen malerei zählte hevesi die zehnteilige reihe des Krakauer malers Peter (Piotr) stachiewicz über die polnischen marienlegenden.89 diese Grisaille-Bilder müssen künstlerisch sehr authentisch und überzeugend gewesen sein, denn alle, die über sie schrieben, lobten sie in den höchsten tönen (sogar der gestrenge albert ilg, der seine Gedanken zur religiösen malerei nach hevesis artikel veröffentlichte90). hevesi verzaubern nicht nur die Bilder, sondern er wird auch von der Bewunderung für die Polen ergriffen und verfasst deshalb eine begeisterte kleine nationalcharakterologie in Form einer Ode in Prosa, in der er die ehrliche andacht und den nationalen idealismus der polnischen malerei preist. „der [polnische] Künstler, wenn er aus Wien oder Paris heimkommt, bearbeitet wie ein Bauer die melancholische scholle der heimat. der steppenwind raunt ihm volkslieder zu und wenn er trinkt, trinkt er aus seinem Glase irgendein geschichtliches Gespenst mit. der Künstler ist urwüchsiger realist, weil seine politische religion ihm verbietet, irgendeinen nationalen Zug zu fälschen; aber er ist auch idealist, weil er, mit dem bestehenden unzufrieden, auf jede art selbst durch Zauberkünste über die verhaßten schranken hinwegkommen will. darum macht er vergangenheit und Zukunft zu Gegenwart, darum erschöpft er die Palette des aberglaubens und malt am liebsten Wunder. im slavischen Osten hat alle Kunst einen nationalen Geheimsinn, eine allegorische Bedeutung, die der landsmann geläufig herausliest. es gibt dort hochpolitische landschaften, polemische stilleben und rachedurstende Blumenstücke. auch die art, wie stachiewicz die polemischen volkssagen von der muttergottes illustriert, ist national. schon sein marientypus ist es. die lieblichkeit dieser erscheinung hat etwas schwermüthiges, ihre fromme einfalt eine naive inbrunst, die katholisch und slavisch zugleich ist. man betrachte das danteske idyll, wie maria die seelen auf dornenpfaden zum Fegefeuer führt; sie ist das idealbild eines polnischen Bauernmädchens auf der Wallfahrt nach czenstochowa. und je bäuerlicher desto echter ihr Zauber.“91 dieser text ist ein Paradebeispiel für einen nationalpsychologischen schaubefund mit einer Fülle überraschender metaphern und zauberhafter vergleiche. seiner ansicht nach sind die Bilder auch malereitechnisch perfekt, die edelsten Werke der Jahresausstellung. sein ausstellungsbericht über die vierte schau ist dem weltlichen Genre gewidmet.92 neben den Bildanalysen, in denen er kaum lobende Worte findet, kommt er erneut auf

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das heikle und unangenehme Thema der Gemäldepreise zu sprechen und fällt ein überraschend strenges urteil: er hält die Preise für zu hoch! „die eine Kunst gibt sich heute im allgemeinen zu theuer und das drückt ihren markt; jeder, der darin erfahrung hat, sagt es ja offen. es gibt ohne Zweifel ausnahmen, wie rudolf alt oder schindler, die in der ‚Preiswürdigkeit‘ sogar zu weit gegangen sind; auch einige Jüngere könnten wir nennen. als Grund der übertriebenen Preise wird dann regelmäßig angegeben, man habe eben so lange an dem Werke gearbeitet. sehr richtig; der münchner oder Pariser aber macht diese arbeit in der halben Zeit, weil er fleißiger und betriebsamer ist und nicht einige der schönsten tagesstunden mit landesüblichen allotrien verbringt. Wir sagen dies, wohl gemerkt, nicht als etwas allgemeines, aber wie viel Wahrheit darin steckt, das weiß man im Künstlerhause recht gut.“93 von den vielen Genrebildern analysiert er nur die Gemälde zweier junger moderner maler ausführlicher: das eine ist engelharts Nägelschneiderin, ein Werk mit einem ungewöhnlichen Thema, das der Künstler aus Paris mitgebracht hat, das er im Gegensatz zu seinen empörten Kollegen für legitim hält, und zu dessen verteidigung er rembrandts Bathsheba aus dem louvre anführt. das andere ist ein Bild von Klimt mit ungarischem Bezug, das das innere des Privattheaters der esterházy in tata zeigt (abb. 144). nicht nur wegen seines ironischen tenors, sondern auch wegen seiner interessanten stilistischen Feststellungen lohnt es sich, diesen teil ausführlich zu zitieren: „doch wir schließen für heute, und zwar mit dem Bilde Gustav Klimt’s, welches das schloßtheater zu totis darstellt und dem Kunstliebenden schloßherrn, Grafen nikolaus esterhazy gehört. von Klimt ist, wie man sich erinnert, in der nämlichen Weise schon das innere des alten Burgtheaters gemalt; nun hat er auch das freundliche totiser haus zu einem Burgtheater gemacht. sein vorbild ist bekanntlich Jean Béraud, der meister der Plastron-, milchglaskugel- und Friseurenmalerei [sic]. und er kommt ihm sehr nahe in der Kunst, dem unmalerischen der modernen abendmode wenigstens die bekannte seite abzugewinnen. natürlich enthält das Bild einen Bienenschwarm kleiner Porträtköpfe, die sich überall niederlassen. er behandelt sie scharf und doch mit einer gewissen allgemeinen Breite; ihre perspektivische abstufung und auch die Gruppierung ist durchwegs geschickt. die schwäche des Bildes ist das röthlich-braunstige licht, in dem, wie ja auch in den Burgtheaterbildern, die weiße architektur erscheint. hier hat man sogar mühe, genau zu unterscheiden, ob künstliches licht brennt oder nicht. darin ist nun freilig der Pariser Künstler durchaus unzweideutig. Jedenfalls wird das Bild stets ein interessantes denkmal unseres gesellschaftlichen lebens sein und in fünfzig Jahren einen Jókai zu einem totiser Künstlerroman anregen, den wir gerne lesen möchten.“94 in seinem nächsten artikel geht es immer noch um die Genrethemen, doch dieses mal befasst er sich mit den Werken der ausländischen maler.95 in seinen ausführungen

144. Gustav Klimt: der Zuschauerraum des schlOsstheaters esterhÁZy in tata, 1893

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145. theOdOr vOn hÖrmann: tÜmPel im BuchenWald, 1892

über die Freilichtmalerei erwähnt er auch das 1890 erschienene Buch von Jules Breton La vie d’un artiste, in dem der damals schon sehr berühmte französische meister die schöpfung des Begriffs „plein air“ seinem malerfreund eugen Glück zuschreibt und berichtet, dies sei 1849 geschehen. hevesi erläutert ausführlich die technischen Feinheiten der Freilichtmalerei und die handhabung von licht und Farbe auf den Bildern der ausstellung. unter diesen ist auch das Abendmahl (Úrvacsora) von (dem ungarn) istván csók, das er kurz, aber anerkennend bespricht.96 in der letzten Besprechung befasst er sich mit den landschaftsbildern, den veduten und den stillleben. er beginnt mit der vorstellung der besten Beispiele der gemeinhin gering geschätzten und als Frauengattung verbuchten „Blumenmalerei“. carl molls Am Fenster analysiert er ausgesprochen ausführlich und genussvoll, um dann Olga Wisinger-Florians außergewöhnliche reihe zu besprechen, die auf zwölf großformatigen Bildern die zwölf monate des Jahres darstellt. (er findet sie nicht originell und die unterschiede zwischen den einzelnen monaten nicht überzeugend.) er begeistert sich erneut für alts sieben aquarelle, und die Bilder von rudolf Bernt, hugo darnaut und max suppantschitsch gefallen ihm. der Bericht endet mit der vorstellung der architektonischen Pläne und der skulpturen, unter denen er natürlich das Bruckner-Porträt tilgners, dem er stets besondere aufmerksamkeit widmet und offensichtlich am meisten schätzt, hervorhebt. die Weihnachtsausstellung erwies sich in diesem Jahr als wichtiges ereignis: erneut prallten Geschmäcker und ansichten aufeinander, nunmehr leidenschaftlicher, man könnte sagen, die Wege der Künstler trennten sich. es kam erneut zu einer Konfrontation zwischen den anhängern der traditionellen stile, Themen und ästhetischen ideale und den begeisterten Befürwortern der modernen experimente. einer der bedeutendsten schauplätze dieser Konfrontation war die Pressekritik, in der nicht die Künstler, sondern die Kritiker ihre unterschiedlichen und immer gegensätzlicheren meinungen

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über die im Künstlerhaus ausgestellten Werke und die trends formulierten und mit ihren abhandlungen die Kämpfe der internen lobbys befeuerten, indem sie denjenigen, die ihre ansichten bis dahin im Grunde gar nicht geäußert hatten, argumente an die hand gaben. sie spalteten sowohl die mitglieder als auch die leitung des Künstlerhauses in zwei lager. man entrüstete sich darüber, dass in dieser ausstellung zwei maler mit großen Kollektionen vertreten waren, obwohl sie noch lebten und weder Geburtstag noch irgendein Jubiläum zu feiern hatten, das eine solche ehrung gerechtfertigt hätte. die Jury bevorzugte sie ganz offensichtlich. den ersten Bericht veröffentlichte hevesi am 26. november und er begann „in medias res“ mit den problematischen einzelkollektionen, mit der Besprechung der Werke von Theodor hörmann und hermann Baisch sowie der beiden Bilder von ludwig Ferdinand Graf.97 „Wir freuen uns allerdings, daß Theodor v. hörmann nun auch in Wien so ausführlich zu Worte gekommen. Bei der sezession in münchen hat er sich diesen sommer stramm behauptet, denn er ist secessionist durch und durch.“98 (den Begriff „secessionist“ verwendet hevesi hier natürlich nicht als Bezeichnung eines stils, sondern als Bezeichnung für die modernität.) er analysiert der reihe nach die seiner meinung nach besten Gemälde, die pastöse, gewagte, lockere und breite Pinselführung oder die scharfen Konturen und mit ungewohnter intensität dargestellten Farben und Formen99 (abb. 145). hevesi zeichnet den langen Werdegang hörmanns nach und macht dabei auch die eine oder andere kritische Bemerkung. danach stellt er die Bilder des Karlsruher malers und lehrers hermann Baisch vor, die eine wesentlich ruhigere, harmonischere und weichere handhabung der Farben charakterisiert. schließlich kommt er zu den beiden Porträts von ludwig Graf, auf denen der junge meister, der ein Jahr in Paris verbracht hatte, die modelle nach der neuesten mode abgebildet hat. er beschreibt die Farben, kann die Wirkung der Bilder jedoch trotz seiner großen toleranz nicht akzeptieren: seiner meinung nach zeigen sie im nebel zerfallende Figuren. albert ilg, der zwei Kritiken über diese Weihnachtsausstellung verfasste (die nach hevesis artikel erschienen), sieht die leistung der modernen maler ganz anders: er ist ehrlich empört. „nun kommen wir in das böse Zimmer, in welches sich nur drei Künstler theilen, Baisch, Graf und hörmann.“ [hermann Baisch] „sonst durch manches schöne und verständige Werk gut accreditierte maler“.100 nach ilgs ansicht hat er einen großen Fehler begangen, als er seine unvollendeten arbeiten ausstellte: „diese masse von skizzen, studien, hingeworfenen eindrücken sind ein saloppes negligé, welches gar nicht ad majorem gloriam förderlich sein kann, ein hinter den coulissen, in welche den einblick zu gewähren nur Berühmtheiten todten rathsam, lebenden aber gefährlich ist.“101 dass skizzen und studien ausgestellt wurden, war in Wien damals noch eine seltenheit und stellte für mehrere Kritiker ein moralisches Problem dar. darf man halbfertige arbeiten, skizzen oder gegebenenfalls sogar misslungene versuche verkaufen (und dafür Geld kassieren), oder darf der Künstler nur ausgereifte und vollendete Werke verkaufen? in diesem Zusammenhang spielte natürlich auch der Geniekult eine große rolle, die enorme aufwertung der Künstlerpersönlichkeit, auf deren Grundlage man selbst in der kleinsten skizze den ausdruck des temperaments des Künstlers, also der Genialität, zu erkennen glaubte. allerdings resultierte die aktualität dieser Frage nicht nur aus dem Geniekult, sondern auch aus dem Beispiel der französischen impressionisten (der anerkennung der „unvollendetheit“ – im akademischen sinne – der Bilder als legitimes

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stilmerkmal).102 „noch „ärger ist es freilich bei den – nicht weniger als siebenunddreißig Bildern – hörmann’s“, schreibt ilg. „auch hörmann verräth in dem Dorfbrand, im Mondaufgang zur Erntezeit, im Mittag zur Erntezeit, endlich im Bon Marché zu Paris, dass es ihm an talent durchaus nicht gebricht, aber er ist das kranke Kind seiner kranken Zeit, wie wieder andere Proben beweisen, welche einem geradezu unbegreiflich erscheinen.“103 doch ilg will im Grunde nicht hörmann angehen (den er gar nicht für gefährlich ultramodern hält), vielmehr hat er ein Problem „mit der commision der ausstellung“. ilg, der sich auch in seiner eigenschaft als Kulturpolitiker äußert, stellt eine ausgesprochen provokative Frage, die von da an jedes Jahr zu disputen und streitigkeiten führt: „Wie kommt es denn, dass ein Künstler, wie dieser, dessen Berechtigung man zum mindesten als bestritten erklären muss, mit einem ganzen Warenlager von Bildern zugelassen werden kann, während andere leute, die nur mit ein, mit zwei stücken kommen, unter dem beliebten vorwand des raummangels abgewiesen werden? statt der 32 sehr zweifelhaften Baisch und statt der 37 fast unzweifelhaften hörmann hätten, glaube ich, doch noch einige andere Bilder Platz finden dürfen, deren urheber sich heute zurückgewiesen und gekränkt, moralisch und materiell geschädigt fühlen, wodurch böses Blut gemacht wird und der Genossenschaft eben kein nutzen.“104 dadurch, dass sie offen formuliert wurde, wurde die Frage in den folgenden Jahren zu einem leitmotiv der Grabenkämpfe in der Kunstszene, die man nicht umgehen konnte. den Gegensatz zwischen dem in den statuten garantierten demokratischen Prinzip der gleichen mitgliedsrechte und dem künstlerischen elitismus konnte kein europäischer Künstlerverein auf längere sicht auflösen. das führte überall zum ausscheiden der dynamischeren und radikaleren Gruppen, das heißt zur secession. der Widerspruch zwischen der demokratischen ausstellungspraxis des Künstlervereins und den Bestrebungen der neuen Kulturpolitik, nur qualitativ hochwertiges auszustellen, also bis zu einem gewissen Grad nur eliteausstellungen zu veranstalten, war Künstlern wie Kritikern seit anfang des Jahrzehnts bewusst, oberflächlich ging es in den disputen bis dahin jedoch nur um die neuen stilrichtungen. die neuen stile kamen vor allem aus münchen (und nur in geringerem maße aus Paris und aus england) nach Wien. nun bemühten sich jedoch auch die einheimischen jungen Künstler, sich diese stilrichtungen anzueignen, die mittlerweile in allen ausstellungen vertreten waren (und zwar in erschreckend zunehmendem maße) und eine grundlegende Bedrohung für die rechte der alten mitglieder des vereins darstellten. ursprünglich durfte jedes mitglied des Künstlerhauses, beziehungsweise des Künstlervereins, der dieses unterhielt, nur eine begrenzte anzahl von Werken ausstellen, die außerdem von der aus den mitgliedern des vereins bestehenden Jury genehmigt worden waren. nur bei nachlassausstellungen durfte von einem maler in einem Block eine große anzahl von Bildern präsentiert werden. der verein hatte im Zeichen der Gleichberechtigung auch die Funktion einer art von Gewerkschaft, er bedeutete für seine mitglieder eine Garantie dafür, dass sie als angehörige des „Fachs“ anerkannt und teilhaber des lokalen Kunstmarktes waren. Bis dahin mussten die eingesandten arbeiten nur einem bestimmten professionellen niveau entsprechen (das man im studium an der akademie erreichen konnte), um den Kriterien der aus Kollegen bestehenden Jury zu genügen, der jeweilige stil aber war theoretisch kein auswahlkriterium. die Bilder konnten romantisch, nazarenisch, historisierend oder realistisch sein oder auch der stilrichtung der Paysage intime oder der stimmungs-

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malerei angehören. nun aber hing es nicht nur vom technischen Können, sondern zunehmend auch von der Zugehörigkeit zu einer stilrichtung ab, ob ein Bild in die große Frühjahrsausstellung aufgenommen wurde oder nicht. Wodurch ist ein Gemälde qualitativ hochwertig, nach welchen Kriterien kann man in ganz unterschiedlichen stilen gemalte Bilder vergleichen? ein neues merkmal der stilexperimente in der modernen malerei war ja gerade die ablehnung und die außerachtlassung der herkömmlichen techniken, Kompositionsgrundsätze, methoden und anderer Kriterien (z. B. der präzisen naturgetreuen Perspektive und der anatomie), die bis dahin als wesentlich und relativ objektiv galten. die herkömmlichen auswahlkriterien der Jury schienen ihre Geltung zu verlieren, die auf stilistische Präferenzen basierenden neuen Kriterien, deren existenz man öffentlich nicht eingestand, wurden unmittelbar und subjektiv angewandt. „denn alle verstimmt es, dass dieses alte haus, dieses emporium der Wiener Kunst, nicht den muth besitzt, dergleichen verrücktheit vor den Thoren zu halten, vor denselben Thoren, welche sich ja doch so viel Besserem oft auf die hartherzigste Weise, zu großem unwillen, zu großer mißstimmung, verschlossen gehalten haben. Wir, Publicum und Kritiker, verlangen von der Genossenschaft echte Farbe, reinen Wein: öffnet das haus meinetwegen schrankenlos dem modernen Wesen oder bewahrt es als tempel der alten, guten Kunst: das eine oder das andere: jedoch an diesem schwanken und unentschiedenen treiben und laviren hat niemand Freude.“105 ilg versucht, die leitung des Künstlerhauses zu einem Bekenntnis zu zwingen, er will die Praxis der hinter den Kulissen stattfindenden Kämpfe, die zu Kompromissen führen, nicht akzeptieren. doch warum will er ein offenes Bekenntnis? der Kunsthistoriker ilg, der mit den akademischen traditionen aufgewachsen war, wollte und konnte nicht auf das system von Kriterien verzichten, das er für absolut objektiv hielt (und das in Fachkreisen seit Jahrhunderten anerkannt und angewandt wurde) und das unter anderem die getreue perspektivische darstellung, den erwerb anatomischer Kenntnisse, gründliche ikonografische Kenntnisse und die Beachtung der traditionen der einzelnen Gattungen umfasste. Wenn diese ignoriert wurden, war das für ihn gleichbedeutend mit schlechten und unsachgerechten, also nicht künstlerischen Produkten. Für ihn war die Kunst (die malerei) nicht nur ein Übungsplatz der Kreativität, sondern auch ein Fach, dessen rahmen durch die erwartungen der Gesellschaft und seine gesellschaftliche Funktion sowie durch die fachgerechte ausbildung des nachwuchses bestimmt wurde – also durch die legitimen normen des Professionalismus, die in anderen Berufen und in der modernen bürgerlichen Gesellschaft konsequent durchgesetzt wurden. Wegen seines normativen Weltbildes und seiner normativen denkweise, auf deren Grundlage er die negativen erscheinungen der modernen Gesellschaft mit außerordentlicher empfindlichkeit und sehr pessimistisch registrierte, stellte sich ilg gegen die immer schnelleren veränderungen, die auch in der bildenden Kunst einen Paradigmenwechsel, die erste Welle des modernismus, mit sich brachten. als engagierter österreichischer Patriot gab ilg zusammen mit einigen gleichgesinnten Freunden schon seit 1887 eine Flugschriftreihe mit dem titel Gegen dem Strom heraus, in der er mit der für ihn typischen vehemenz gegen die Widrigkeiten der modernen bürgerlichen Gesellschaft, vor allem im Bereich der Kultur, wetterte.106 sein gesellschaftlich-künstlerisches ideal zeigte Parallelen zu ruskins romantisch-konservativer utopie, auch ilgs vorbild war eine epoche der vergangenheit, die er für ideal hielt, nur war diese nicht das mittelalter, sondern das Barock.

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ilg betont die tradition und die Bewahrung der alten Werte; er ist hoffnungslos konservativ, weil er nicht akzeptieren will, dass die Zeiten sich ändern und das moderne leben neue anforderungen an die Kunst stellt, erkennt jedoch klar, dass sich die Jury entscheiden muss, auf welcher seite sie steht. seine didaktische ader veranlasst ihn zu der Feststellung, dass die Kriterien schon im interesse der aufklärung des naiven und nicht ausreichend bewanderten Publikums geklärt werden müssen. hevesi erkennt ebenso klar, dass sich das alte system in einer Krise befindet, er aber akzeptiert die veränderungen und versucht, das neue „von innen“ zu verstehen und gleichzeitig die alten Werte zu bewahren und – trotz des Paradigmenwechsels – eine Brücke zwischen der Generation, die die alten ästhetischen ideale vertritt, und den Jungen zu schlagen. seine denkweise und seine ästhetischen Kriterien sind schon zu dieser Zeit, 1893, nicht normativ, sondern relativierend, ohne dass er Werte negiert. das Jahr endete mit der Besprechung der aquarellausstellung, in deren rahmen hevesi einen seiner schönsten nachrufe verfasste: auf matejko, der im alter von nur fünfzig Jahren verstorben war.107 darin kommt seine treue zu den historischen Werten und zur tradition besonders deutlich zum ausdruck. schon seit anfang der siebziger Jahre hatte er die Gelegenheit gehabt, die meisten monumentalen Werke des malers zu sehen und über sie zu schreiben. und seit der landesausstellung in Krakau hatte er sich die sache der Polen im stillen zu eigen gemacht; er fühlte sich ihrer Kultur sehr verbunden. dadurch ist dieser kleine essay sowohl im hinblick auf die Geschichte der europäischen malerei als auch aus polnischer sicht eine meisterhafte Kontextualisierung des unbestreitbar authentischen lebenswerkes des historienmalers (abb. 146). „das Feuer einer echten Begeisterung paarte sich hier mit der schaffenskraft eines malerischen Genies. matejko’s Kunst war eine sehr persönliche, er war zum großen Theil selbstlehrer. natur und volksthum seines vaterlandes waren seine lebensquellen. (…) er bildete sich bald eine malerische muttersprache aus, die wahrlich sehr polnisch klang. die eindringlichkeit seiner historischen charakteristik beruhte auf dem studium der nationalen volkstypen; (…) auch die geschichtliche Überlieferung durchforschte er, gründlich wie Keiner vor ihm, nach malerischen Behelfen. der ganze alterthumskram seiner heimat wurde ihm lebendig, es war eine auferstehung des malerischen Polen. das Wiederaufleben der Farbe in europa kam hinzu; matejko war Zeitgenosse makart’s. er wurde ein merkwürdiger Kolorist.“108 mit matejkos tod ging auch in Krakau eine epoche zu ende, und auch seine schüler wandten sich den modernen Bestrebungen zu.

1894 – das Jahr der internationalen Ausstellung dieses Jahr bedeutete ereignisse in der Kunstszene, die für die verbreitung des modernismus in Wien in vielerlei hinsicht entscheidend waren. Gleichzeitig mit der internationalen ausstellung im Frühjahr fand im Österreichischen museum eine Grafikausstellung statt, in der Kupferstiche die hauptrolle spielten. mit besonders vielen Werken waren der Wiener William unger und der Berliner Karl Köpping vertreten. Während unger im Grunde Gemälde in Kupferstiche „übersetzte“ und für viele elegante Publikationen arbeitete, in denen die in den museen aufbe-

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wahrten Gemälde alter meister reproduziert wurden109, war sein Berliner Kollege ein kreativer meister, der die Welt auf Kupferstichen abbildete.110 auch über diese ausstellung veröffentlichte hevesi einen ausführlichen Beitrag. (in diesem Jahr verfasste er im Übrigen auch drei artikel über die münchener ausstellungen111 und viele reiseberichte für den Pester Lloyd, beispielsweise über die insel sylt und seine reise nach dänemark und norwegen.) das Jahr begann mit großen erwartungen, denn das Künstlerhaus hatte sich erneut entschlossen, eine internationale ausstellung zu organisieren, die im Frühjahr auch eröffnet wurde. clemens sokal112 berichtete über die vielen schwierigkeiten bei der Organisation (der aufruf fand im ausland zunächst kaum resonanz), und schließlich musste man zwei monate vor der eröffnung den Wiener Kunsthändler h. O. miethke bitten, sich in europa umzusehen und Bilder aus london, Brüssel und Paris zu beschaffen.113 sokal beurteilt die Wiener verhältnisse sehr streng und kommt zu dem ergebnis, dass Wien, genauer gesagt, das Künstlerhaus, in fünfundzwanzig Jahren nicht eine einzige bedeutende internationale ausstellung zustande gebracht habe und das Publikum kaum ausländische Bilder kaufe, sodass es verständlich sei, dass die ausländischen Künstler beziehungsweise die entsprechenden Künstlervereinigungen Wien für sich nicht als wichtig erachteten. der erfolg der ausstellung wurde für die Kulturszene zur Prestigefrage, und alle tageszeitungen berichteten fleißig über die veranstaltung. hevesi lobte in seinem neunteiligen Bericht über die große internationale ausstellung wo es nur ging und hob das Positive hervor. am anfang des ersten artikels erklärt er, sie sei die wichtigste internationale ausstellung, die je in Wien stattgefunden habe (sie umfasste mehr als zweitausend Kunstwerke), und verweist schon in diesem einleitenden

146. Jan mateJKO: KOsciusZKO – die schlacht Bei racłaWice, 1888

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Beitrag auf die wichtigsten einheimischen, das heißt die österreichischen und ungarischen Werke.114 vor allem hinsichtlich der englischen und der französischen exponate hegten die Organisatoren große erwartungen, doch sie erhielten nur eine spärliche auswahl. in der ersten hälfte seines langen zweiten artikels über die englische malerei versucht hevesi knapp, jedoch mit einem hauch von ironie, eine Zusammenfassung über die merkmale der englischen malerei zu geben.115 er plaudert geistreich über die andersartigkeit des Klimas, der natur und der englischen Geschichte, aus der viele Besonderheiten der Kunst des inselstaates resultierten. (dabei folgt er auch weiterhin taines milieutheorie.) nachdem er die bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten aufgezählt und die neuerungen der Präraffaeliten erläutert hat, kommt er zu den wenigen Bildern, die in der ausstellung tatsächlich zu sehen waren. neben einem großformatigen Genrebild von Orchardson (Master Baby), zwei nicht wirklich bedeutenden Porträts von millais, einer bereits bekannten allegorie von herkomer und einer allegorie von Walter crane (Die Freiheit) waren die mit spannung erwarteten führenden meister der Präraffaeliten wie Burne-Jones und holman hunt nur mit schwarz-Weiß-Fotos ihrer Gemälde vertreten. von Frederick leighton war Perseus und Andromeda ausgestellt und von lawrence almatadema (den er als salonarchäologen bezeichnete) zwei kleinere Bilder, ein Genrebild mit antikem Thema und Fredegonda, eine darstellung einer einzigen Figur, die dem Kritiker sehr gefiel. er begeisterte sich auch für die landschaftsbilder, die stimmungslandschaften von alfred Parsons, Benjamin davis und robert m. stevenson, die man auf dem Festland schon seit Jahren sehr schätzte. angesichts der französischen Werke verbirgt er seine enttäuschung schon weniger.116 er versucht trotzdem, das Positive daran zu sehen, dass Paris keine neuen und wichtigen Werke geschickt hatte: so kann man, wie er meint, unter anderem die organische entwicklung des stils am Beispiel der aktmalerei studieren. (um seine ironische distanz zu den Bildern zum ausdruck zu bringen, nennt er die aktmalerei hier „Fleischmalerei“.) er atmet gleichermaßen auf, als er zu alfred rolls Frau im Sessel kommt, das er für meisterhaft und somit der analyse wert hält. anlässlich des neuen Pleinairbildes fasst er für den leser schnell die stilwechsel rolls zusammen, der, nach seiner eineinhalb Jahrzehnte dauernden Periode des naturalismus à la Zola (zu der beispielsweise der 1882 auch in Wien ausgestellte Streik der Bergarbeiter gehört) (abb. 91) ein mit einer impressionistischen Palette arbeitender stimmungsmaler geworden ist: „Jetzt ist er ein sensitiver atmosphäriker.“ dieser Wechsel bietet hevesi die Gelegenheit, den leser auf die Bedeutung von Paris hinzuweisen, wenn auch mit leichter ironie: „Was trägt man jetzt in Paris? Was malt man jetzt in Paris? das sind, wie die Welt heute läuft, Fragen von ganz dem nämlichen Gewicht. die Bildermode dauert kaum länger als die Kleidermode.“117 – er führt bekannte Beispiele für schnelle stilwechsel an, indem er in einigen Zeilen die veränderungen des künstlerischen Profils von henri Gervex und carolusduran skizziert. Über das ausgestellte Frauenporträt von léon Bonnat schreibt er: „toilettenporträt der Madame Cahen d’Anvers, Weiß mit etwas Gelb. es ist eine art monumentales modebild.“ Genauer und vernichtender könnte man es kaum formulieren. auch ein anderer aspekt des modernen Paris wird auf den Bildern der ausstellung abgebildet: „der beliebte Jean Béraud malt diesmal das Galeriepublikum eines café-concert, von Zigarettendampf umwirbelt; eigentlich Journal amusant, aber voll Pikanterie des Pinsels.“ dieses mal bleibt es dem leser überlassen, das Bild zu beurteilen: die vir-

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tuosität zu genießen oder es nur als vergängliche modeerscheinung zu betrachten. „viel anziehender sind jedenfalls die landschafter, insbesondere die allermodernsten.“ hier wird der leser von heute neugierig und fragt sich, wer wohl 1894 diese modernsten waren, monet, signac oder vielleicht van Gogh, eventuell jemand aus der Gruppe der nabis? Weit gefehlt, aus den Bildbeschreibungen geht hervor, dass die zeitgenössische französische malerei in Wien bestenfalls durch meister der stimmungsmalerei vertreten war. von den namen, die hevesi nennt, gehört heute keiner mehr zum Kanon der malerei im weiteren sinne, nicht einmal als drittrangiger Kleinmeister. hevesi machte sich auch nicht die mühe, ausführlicher über sie zu schreiben: „es wäre ermüdend, das alles berichtweise nachzukalligraphiren, aber unseres erachtens sind es hauptsächlich diese landschaften, die nebst 3 bis 4 Bildnissen und dem bischen brillanter Kleinplastik die Klaue des löwen der französischen abtheilung bilden.“118 darauf folgte die vorstellung der deutschen exponate.119 hier brauchte es weniger einleitende erläuterungen als bei den engländern, da das Wiener Publikum regelmäßig Berichte über die ausstellungen in münchen und über die deutsche malerei lesen konnte und die wichtigsten Bilder gewöhnlich innerhalb von ein oder zwei Jahren auch in der Kaiserstadt vorgestellt wurden. auf diese Weise widmete er den Bildanalysen mehr raum. er beginnt mit den landschaftsbildern der Brüder achenbach und erkennt in dem Gemälde des bis dahin immer begeistert gelobten Oswald achenbach Zeichen der ermüdung des Künstlers. und damit scheint er auch den tenor für den größten teil seines Berichts zu bestimmen. „merkwürdig gealtert sieht auch alt-münchen aus, das freilich in Jung-münchen ein lebendiges Gegengewicht hat.“ die Werke von lenbach, Gabriel max, Franz von defregger und Fritz august Kaulbach seien bestenfalls Wiederholungen früherer leistungen. er begeistert sich erst, als er zu den Bildern von max liebermann und dann zur analyse der arbeiten von Karl marr (Deutschland 1806) und Walter Firle (Dein Wille geschehe) kommt. von den vielen Werken der in Wien bereits bekannten guten und relativ jungen landschaftsmaler wie Bartels, Baisch, schönleber, hermann und Kallmorgen wählt er charles J. Palmiers Bild für eine analyse aus. er beschließt den artikel mit zwei aquarellen des Polen Julian Fal-at. Über die niederländer und ihre zeitgenössische malerei verfasst hevesi erneut eine unterhaltsame Zusammenfassung.120 „die holländer sind im stande, die Franzosen an modernheit der Kunst zu übertrumpfen, wie im vorigen Jahrhundert an französischem Freigeist. (…) Wenn man ihre neueren landschaften überblickt, fühlt man ihnen ihr modernes empfinden am deutlichsten nach. auch ihr streben geht jetzt vor allem auf darstellung der Farbe als solcher, mit haarscharfen treffen der besonderen und allerbesondersten schattierung, aber sie verrichten diese förmlich sensitive arbeit mit klobigen händen, mit einer unumwundenen Plumpheit, die sie als nationale tugend hochhalten. (…) diese landschaften gehören zu den besten der ausstellung.“121 er zählt die Bilder von G. h. Breitner, h. W. Jansen, eduard Karsen, Willem maris, Jakob maris und h. W. mesdag auf und bedenkt jedes mit einigen sachverständigen Bemerkungen. ausführlich analysiert er das schaffen von Jozef israëls und seine entscheidende rolle bei der verbreitung der modernen verwendung der Farbe Grau.122 er sucht nach dem Geheimnis der grundlegenden änderung des Farbgeschmacks. „die mächtige graue Phalanx von israels bis uhde – unser schindler steht mit ihm in erster reihe – hat ihren

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147. carl mOll: der naschmarKt in Wien, 1894

siegesreichen marsch durch europa nicht allein angetreten. ihr voraus zog ja die graue literatur des nordens, von Osian bis tolstoi.“ hevesi sieht im Graukult den vormarsch des nordens gegenüber der etwa fünfhundertjährigen farbenreichen südländischen tradition der malerei. diese exkurse erinnern an die geistreichen und einfühlsamen, jedoch durch keinerlei wissenschaftliche Forschung begründeten kulturhistorischen Gedankengänge richard muthers und der seit anfang der 1890er Jahre immer umfangreicheren essayliteratur. damit differenziert sich das Feuilleton auch stilistisch in die nach wie vor mit wissenschaftlichem anspruch verfasste Fachkritik und den essay. er entwickelt sich zu einer niveauvollen literarischen Gattung der Wissensvermittlung, die dem leser die Bilder zwar besser nahebringen kann als ein präziser Fachartikel, aber leicht zu einem stilistischen Bravourstück zum selbstzweck werden kann. hevesi beherrschte beide meisterhaft, und sein Professionalismus bewahrte ihn davor, seine texte mit willkürlichen assoziationen zu überfrachten. die belgischen exponate fand er etwas altmodisch, die spanier hatten lauter historienbilder und die italiener hauptsächlich Genrebilder geschickt.123 Über die Wiener malerei schrieb er gleich zweimal. im ersten artikel124 stellt er erleichtert fest, dass, obwohl viele bedeutende meister der österreichischen malerei in den vorangegangenen Jahren verstorben waren, „Jung-Wien durch eine glänzende anstrengung sich über die linie, wo die Geltung anfängt, emporgearbeitet hat. selbst einer der älteren meister, h. v. angeli, hat sich auffallend verjüngt.“ (Porträts Kaiserin Friedrich und Herr Nicholaus Dumba) nach der Besprechung der offiziellen Porträts (der niveauvollen routinearbeiten Pochwalskis) kann er sich endlich der jüngeren Generation zuwenden: „heute sucht man freilich immer mit ungeduld die meister der Zukunft und messt Jahr um Jahr ihr Wachsthum. der erfreulichste ist diesmal unstreitig Karl moll. sein ‚Naschmarkt‘ bedeutet einen so großen schritt vorwärts, daß man fast ebenso sehr erstaunt als bewun-

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dert.“ (abb. 47) Für ihn ist eindeutig dieses Bild das hauptwerk unter den österreichischen exponaten, und er widmet ihm beinahe jubelnd eine lange analyse. unter den übrigen Gemälden, die er für gut befindet und kurz beschreibt (arbeiten von lebiedzki, Bacher, Bernatzik, Julius schmid und Olga Boznańska) hebt er auch ein Porträt von Gustav Klimt (Junge Dame im schwarzen Kleid) hervor und lobt die malerischen lösungen. er schreibt über beinahe jedes ausgestellte Werk, und obwohl er keinen hehl daraus macht, wenn er mit dem einen oder anderen nicht zufrieden ist, formuliert er dies höflich und taktvoll. im nächsten essay125 befasst er sich hauptsächlich mit der landschaftsmalerei, wobei es diesbezüglich keine Überraschungen gab. die wohlbekannten landschaftsmaler hatten die Qualität geliefert, die man von ihnen gewohnt war. den einzigen akt, der viel staub aufgewirbelt hat (einen Pleinairakt engelharts in lebensgröße) erwähnt er zwar, verzichtet aber taktvoll auf weitere ausführungen. hier bespricht er auch die skulpturen, von denen er neben tilgners Werken vor allem myslbeks monumentales reiterstandbild des heiligen Wenzel als herausragende leistung der tschechischen denkmalkunst hervorhebt.126 den letzten essay widmete er der ungarischen Kunst.127 als dieser Beitrag erschien, waren die Preise und medaillen bereits vergeben worden, sodass er erfreut berichten konnte, dass auch viele „sezessionisten reinsten Wassers“ ausgezeichnet worden waren. Zu ihnen gehörte istván csók mit Waisen (Árvák) (abb. 148), das eine Goldmedaille erhalten hatte. (das war auch deshalb ein beachtliches ergebnis, weil von den malern aus der monarchie bis dahin nur ein österreichischer meister, rudolf von alt, und von den Bildhauern alajos stróbl und václav myslbek eine so hohe staatliche auszeichnung erhalten hatten.128) hevesi analysierte das Bild ausführlich und betonte die Bedeutung des alles umhüllenden Blau. (er erwähnte auch, dass mit sicherheit Paris den maler zu dieser blauen lösung inspiriert habe.) die ungarischen exponate bewertete er auch in ihrer Gesamtheit positiv: „hier ist alles Jugend, jugendliches streben, auf den verschiedensten Wegen, die über münchen und Paris nach Budapest zurückführen. es ist eine bunte, reichbewegte entwicklung, von der vor zwanzig Jahren noch nichts vorhanden war. ungarn ist malerisch neuland, das es ‚besser hat als unser Kontinent, der alte‘. diese malerei ist aus dem Boden gestampft durch die nähmlichen Kräfte, welche ungarn überhaupt verjüngt haben und befahlen der ungarischen Kunst, zu entstehen.“129 er verweist besonders auf das mäzenatentum des ungarischen staates, das er den Wienern als vorbild empfiehlt. er bespricht die ausgestellten Werke von Benczúr, munkácsy, horovitz und lotz und schreibt dann anerkennend über die Porträtskulpturen stróbls, den er für einen „milchbruder“ tilgners hält.130

148. istvÁn csóK: Waisen, 1891

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nach den ungarn gibt er noch einen Überblick über die gezeigten Werke der amerikaner (allesamt in Paris oder münchen lebende amerikaner, die Bilder nach Wien geschickt hatten: Gari melchers, Frederick a. Bridgman und albert v. lucas.) er schließt die im Fremden-Blatt veröffentlichte artikelreihe mit dem teil der ausstellung, in der die Baupläne vorgestellt wurden (in dem neben den Österreichern wie Otto Wagner und dem Prager Ohmann viele italiener mit Fantasieplänen vertreten waren). in seinem im Pester Lloyd erschienenen umfangreicheren essay analysierte er die ungarischen Werke der ausstellung.131 ausführlich und mit poetischer sensibilität beschrieb er wieder die Waisen (Árvák) von csók: „das ist eine symbolik der Farben, hinter welche die heutigen stimmungsmaler, mehr oder weniger sämtlich symbolisten, im lauf ihrer experimente kommen mußten. csók ist ein talent ersten ranges.“ auch andere Werke bespricht er in einigen sätzen, darunter Die Witwe (Az özvegy) von Jenő Jendrassik, Nach der Prüfung (Vizsga után) und Heimliche Trauung (Titkos házasság) von artúr halmi sowie Im Thiergarten (Az állatkertben) von Károly Ferenczy, das heute verschollen ist. Obwohl er die jungen experimentierenden maler lobt, ist seine an die ungarn gerichtete analyse strenger als die für die Wiener verfasste. die wichtigste stelle des artikels sind die Zeilen, in denen er die ungarischen maler ermutigt, mit dem münchener stil zu brechen. im Zusammenhang mit Paps Gemälde Leere Wiege (Üres bölcső) schreibt er: „unsere ungarischen Künstler sollten mehr dem englischen und schottischen Beispiel folgen, und nicht mit schulbegriffen an die natur herantreten. es wird keine ungarische malerei geben, so lange unsere talente münchener Bilder, wenn auch noch gute, malen. Was sie sehen, nicht wie sie es im auslande gelernt haben, das ist die Zukunft der nationalen Kunst. die schottischen Künstler haben darüber dem Kontinent ein licht aufgesteckt.“132 seine meinung über die ausgestellten Porträts von rippl-rónai deckt sich mit der einiger seiner Kollegen: „Zu erwähnen wären allenfalls noch einige Porträtstudien von rippl-rónai, dessen unverkennbares talent sich jedoch darin gefällt, die menschen als Gespenster aufzufassen.“ (abb. 149) Was die resonanz auf die internationale ausstellung in Wien betraf, so bewerteten die meisten Kollegen hevesis die veranstaltung insgesamt negativ.

Gastspiel der „Moderne“ am ende des Jahres stellten sich die vertreter der avantgarde der deutschen malerei, die Künstler der münchener secession und die weniger modernen, damals jedoch als solche geltenden düsseldorfer maler mit einer bedeutenden Kollektion in Wien vor. die debatten in den Zeitungen konzentrierten sich auf das Künstlerhaus und auf seine ausstellungspolitik; durch die unerwartet gut besuchte, weil teilweise skandalöse, ungewöhnliche ausstellung der münchener secession gelang es den Wiener Kunstschriftstellern endlich, die breitere Öffentlichkeit aufzuwecken. in den nächsten Jahren sollten die durch tagesblätter und Fachzeitschriften aufgegriffenen Kunstfragen der moderne endlich ein reges interesse – wenigstens in einer dünnen, aber wichtigen schicht des Bildungs- und Besitzbürgertums erregen. die meisten Presseberichte über diesen ersten Gruppenauftritt moderner stiltendenzen in Wien waren überraschend fundiert, nuan-

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ciert und weitgehend positiv. die deutschen maler präsentierten sich vom stilistischen standpunkt aus alles andere als einheitlich, sie repräsentierten mannigfaltige stiltendenzen wie Pleinair, armeleute-malerei, naturalismus, und sogar symbolistische tendenzen in mehreren individuellen varianten; dadurch mochte dieses pluralistische angebot von verschiedenen modernismen für den unerfahrenen und unvorbereiteten Kunstbetrachter ziemlich verwirrend erscheinen. die Kunstkritiker taten ihr Bestes, um gute vertrauenswürdige Wegweiser zu werden. Wieder war es hevesi, der am ausführlichsten und am meisten um aufklärung bemüht über die ausstellung berichtete. seine Bewertung der moderne erfolgte analytisch kritisch, erklärend, aber durchaus positiv und fördernd. im zweiten teil seines ausstellungsberichtes bot er einen anschaulichen Überblick über die vielfältige malerei und erklärte auch für den laien verständlich, aber ohne zu simplifizieren, was im Jahr 1894 modern zu sein bedeutete. „(…) modern zu sein. dieses kurze Wort, das einen so langen sinn hat, bedeutet schließlich nichts, als den drang, die Kunst wieder in unmittelbare Berührung mit dem leben zu bringen, sie nicht schulgemäß dem leben aufzupfropfen, sondern sie erfahrungsgemäß aus diesem hervorgehen zu lassen. modern sein heißt also wiederum nichts anderes als rückkehr zur natur, (…) modern wurde also, praktisch genommen, zeitgemäß – aktuell.“133 hier taucht „zeitgemäß“ erstmals als bewusst verwendetes attribut auf. später wurde es ein schlüsselbegriff bei der Bewertung neuer stilistischer Bestrebungen. dass etwas seiner Zeit angemessen ist, muss nicht unbedingt heißen, dass es vollkommen anders sein muss als alles bis dahin Gewesene, aber es muss sich in einem gewissen maße an die jeweilige Zeit anpassen oder angleichen und ihre eigenheiten widerspiegeln, auch wenn dabei ihre ideale abgelehnt werden. hevesi beschreibt sehr kurz die Geschichte der Bewegung und erklärt eilig: sie sind „durchaus nicht lauter revolutionäre. (…) eine schablone haben sie nicht. (…) die talentvollen sind von der schulvorlage wieder zur natur zurückgekehrt und sehen diese durch das medium ihres persönlichen temperaments an. sie sind nähmlich keine trockenen abschreiber mehr, wie so viele realisten und naturalisten der halbvergangenen Kunst. sondern dichter, ja romantiker. realromantiker könnte man sie nennen, und zwar nach den verschiedensten.“ er zählt die wichtigsten Bilder auf (Werke von Fritz von uhde, ludwig herterich, Paul höcker, ludwig dill und leopold Kalkreuth). dann bespricht er ausführlich stucks neue Farbwahl und erläutert dabei sogar die chemischen

149. JóZseF riPPl-rónai: Frau aus Paris, 1891

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eigenschaften der neuen Farben, da sie sich auf den charakter der Werke auswirken und somit von stilistischer Bedeutung sind. Während er in Wien vier artikel über die münchener und die düsseldorfer maler veröffentlichte, fasste er in Budapest das Wesentliche in einem Beitrag zusammen, wobei er betonte, dass die düsseldorfer viel traditioneller seien.134 die anderen Kunstkritiker – außer ilg – bewerteten das münchener „Gastspiel“ ebenfalls als sehr positiv und nutzten es als Gelegenheit, reformen hinsichtlich der modernisierung der Wiener Kunstpolitik und des ausstellungswesens zu propagieren, die sie schon zu diesem Zeitpunkt für unvermeidlich hielten.

Die radikale Wende in der Wiener Kunstkritik Während hevesi immer stärker vom eros pedagogicus ergriffen wurde und seine leser mit ungebrochener Begeisterung das sehen lehrte, begannen Kritiker der jüngsten Journalistengeneration, der Gruppe Jung-Wien, Felix salten und hermann Bahr, ohne zu zögern (und ohne besondere Kenntnisse), auch über bildende Kunst zu schreiben und pflegten einen stil, der in der Presse bis dahin – zumindest in Wien – nicht üblich gewesen war. albert ilgs stil war – wegen seines Kampfgeistes und seiner direktheit – vor 1894 eine ausnahme im Wiener Kunstjournalismus. ilgs schärfe bildete ein Kennzeichen seiner eigenen Persönlichkeit, aber er argumentierte logisch und rational, er verfolgte seine Prinzipien, aber nicht Personen. im dezember 1894 in der Wiener Allgemeinen Zeitung tauchte ein neuer name auf: Felix salten, der schon früher in der Allgemeinen Kunstchronik sporadisch über Kunst publiziert hatte, gab nun einen neuen ton an. „(…) sie [die sezession] bringt Gegenwart und Zukunft, und so weiß man wieder, daß die Kunst lebt. ein alter irrthum wird zu zerstören sein, wenn diese ausstellung ihre Wirkung thun soll. man wird einsehen müssen, daß nicht die menge ‚anforderungen stellen kann‘, sondern, daß es der Künstler ist, welcher fordert. er vernimmt nur die Forderungen der epoche, die in seinem ich lebt, und er ist es, der diese ‚Forderungen‘ dem volke, das immer hinter der Zeit zurück ist, vermittelt. dient er einmal dem Geschmacke der menge, statt ihn zu beherrschen, dann gelangt er eben dorthin, wohin die Kunst in Wien seit einigen Jahren schon gekommen ist. (…) auch auf den Bildern der schwächsten ist Kunst, wirkliche Kunst, streben nach Kunst, leben und Bewegung, und das thut wohl, da wir an der stumpfheit eingebürgerter industriemaler fast verzweifelt waren.“135 Felix salten steht nicht allein mit seinem Pathos, einige andere neue stimmen klingen im selben ton und prophezeien dieselben radikalautonomen Gedanken über die Kunst. Beispielsweise hermann Bahr in seiner Wochenschrift Die Zeit.136 damit erreichte die moderne auch die Wiener Kunstkritik.137

1895 in diesem Jahr hatte hevesi Gelegenheit, über viele einweihungen von skulpturen zu schreiben. im Bereich der malerei konnte er nicht nur im Zusammenhang mit der Jah-

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resausstellung über die moderne Kunst schreiben, sondern auch anlässlich der ausstellung in venedig, aus der dann die Biennale, die alle zwei Jahre stattfindende internationale ausstellung zeitgenössischer bildender Kunst, wurde. ende des sommers pilgerte er nach münchen, um sich sowohl die ausstellung der secession als auch die im Glaspalast anzusehen. er machte jedes mal sehr interessante Feststellungen zu den experimenten der Zeitgenossen. diese schriften, deren stil immer freier, subjektiver und leidenschaftlicher, aber – soweit es die Bilder erlauben – auch verspielter wird, kommen fast einem seminar in Kunstgeschichte gleich. man gewinnt unweigerlich den eindruck, dass richard muthers stil eine befreiende Wirkung auf hevesi hatte. Während er sich bis dahin um wissenschaftliche Präzision und disziplinierte sachlichkeit bemüht hatte und seine artikel nur wegen ihres schönen und plastischen stils und seiner ins detail gehenden und visualisierenden Bildanalysen anders waren als die der Kunsthistoriker seiner Zeit, emanzipierte sich die Kunstkritik durch eine allgemeine Wende im Kulturjournalismus mit einem mal, und der ton vor allem der Beiträge über zeitgenössische Kunst ließ mehr subjektivität zu als zuvor (stellenweise sogar zu viel). nun äußerte auch hevesi seine meinung gelegentlich in der ersten Person singular – was vor den neunzigerjahren so gut wie nie vorgekommen war. auch ein anderer unterschied wurde immer offensichtlicher. Wenn er gleichzeitig über dasselbe Thema oder dieselbe ausstellung für das Fremden-Blatt und für den Pester Lloyd schrieb, musste er für das ungarische Publikum nicht nur den Kontext der ereignisse in Wien ausführlicher darstellen, sondern konnte sich in Budapest auch schärfere Kritik an den Wiener Behörden erlauben als im Fremden-Blatt, wo er stets viel diplomatischer und vorsichtiger formulierte. dadurch enthalten die für Budapest geschriebenen Beiträge paradoxerweise eine größere Fülle an „hintergrundinformationen“ über die Wiener Kunstszene. in der üblichen ausstellung der aquarellisten im Künstlerhaus im Januar wurde tilgners treffendes und schwungvolles Porträt von Johann strauss, das er anlässlich des 50. Jubiläums des Komponisten angefertigt hatte, zum ersten mal gezeigt.138 hevesi lobt es unermüdlich und verfasst bei dieser Gelegenheit einen kulturgeschichtlichen essay über die entwicklung der Gattung der Büste von der antike bis tilgner (abb. 150).

Gschnas „Fin de siècle“ einer der höhepunkte der langen Faschingssaison in Wien war seit etwa eineinhalb Jahrzehnten der maskenball – auf Wienerisch „Gschnas“ – des Künstlerhauses, das zu diesem anlass jedes mal einfallsreich geschmückt und ausgestattet wurde. alle mitglieder des Künstlervereins und ihre Familien bereiteten sich jedes Jahr mit beinahe kindlichem eifer auf das lang erwartete ereignis vor, bei dem es auch immer ein künstlerisches „Programm“ gab. Ganz Wien sprach tagelang über die veranstaltung, denn maler, Bildhauer und architekten versuchten sich mit ihren selbst entworfenen Kostümen und der installation, die das innere des ganzen Gebäudes veränderte, zu überbieten. hevesi berichtete jedes Jahr so genau wie möglich, aber auch mit humor und ironie,

150. viKtOr tilGner: POrträtBÜste vOn KrOnPrinZ rudOlF, um 1883/4

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151. hans temPle: viKtOr tilGner in seinem atelier, 1895

über das spektakuläre Kostümfest, das im Grunde eine Fortsetzung von makarts umzug in unterhaltsamerer Form war. die Organisatoren stellten manchesmal exotische Kulturen und Bräuche (chinas, indiens oder Japans), vor allem aber exotische Bekleidungen oder stellten das leben in historischen epochen (mittelalter, renaissance, die Zeit von rubens usw.) nach, und die Künstler übertrumpften sich gegenseitig mit den prächtigen oder geistreichen verkleidungen, die sie für sich und ihre Familien entwarfen. (Oftmals kopierten sie die Kostüme der Figuren berühmter Gemälde.) das Thema des Jahres 1895, „Fin de siècle“, stellte eine echte herausforderung dar.139 es galt, das ende des Jahrhunderts mit einem ausblick auf das 20. Jahrhundert darzustellen. Zwei architekten bauten zum Beispiel in einem der säle ein Flugzeug ein, dessen Flügel sich bewegten. auf dem Kilima-

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ndscharo entstand ein „luftkurort“ mit gemaltem afrikanischem Panorama. die besondere Würze des Ganzen bestand darin, dass ein Großteil der Künstler die im Winter ausgestellten Werke der münchener secession parodierte – und zwar auf treffliche und virtuose Weise, wie hevesi meinte. er hebt den maler hervor und bedauert angesichts seiner Gschnasbilder, dass so viel echtes talent für diese ephemeren Werke verschwendet wird. „seine haarsträubende landschaft eines Farbenblinden, wo unter gelbem himmel ein blauer Bach sich an spinatgrünen rohzieglbauten vorbei durch hochrothe Wiesen schlängelt, ist ein hauptstück der Gschnasgalerie. Franz stuck ist vielfach parodiert. den ‚Krieg‘ hat Julius Blaas in größtem Format effektvoll verarbeitet; der gespenstige reiter trabt bei ihm über haufen von Bildern alter meister hinweg.“140 auch die grotesken Züge der akademischen malerei wurden parodiert, ebenso die denkmalsbildhauerei mit einem Gemisch von stilen, das hevesi als „Theils barock, theils bizarr“ beschrieb. die Paraphrasen der Bilder Julius Payers von der expedition zum nordpol verwandelten einen saal in eine Polarlandschaft. auf jeden Fall gelang es den konservativeren Wiener Künstlern, sich, wenn auch nur auf scherzhafte Weise, an den modernen zu rächen. manche dürften das motto der riesengaudi, die ein voller erfolg war, „das schöne ruft ein Mene Tekel als mahnung heut dem Fin de siecle“, sogar ernst genommen haben, doch hevesi trumpft im letzten satz des artikels auf: „natürlich fällt es ihr nicht ein, darauf zu hören, denn es geht ihr so besser.“

XXIII. Jahresausstellung infolge des vergangenen turbulenten und mit skandalen gespickten Jahres war das interesse des Publikums an der Jahresausstellung bedeutend größer.141 die hauptrolle spielten in diesem Jahr die Wiener. hevesi befand sechs Porträts von leopold horovitz für sehr gut. nach der Beschreibung der technisch anspruchsvollen Porträts von Kasimir Pochwalski, arthur Ferraris und adolf hirschl schlägt er nur bei der Besprechung des interieurporträts von hans tempe einen warmen ton an, als er ausführlich darlegt, weshalb dieses Bild (Viktor Tilgner in seinem Atelier) (abb. 151) so gut gelungen ist. sein zweiter Bericht beginnt mit der überraschenden mitteilung, die Professoren der akademie haben sich nicht einigen können, welchem der drei Kandidaten (hynais, lebiedzki, Jenewein) sie den reichel-Preis verleihen sollten, der für herausragende Werke der historienmalerei vergeben wurde.142 dies inspirierte hevesi zu einem exkurs über die damalige lage der historienmalerei. sein ausgangspunkt war die Frage, für wen ein moderner maler historienbilder malen sollte, wenn es niemanden gab, der sie kaufen würde. „das ‚ausdruckvolle historische Fach‘ des seligen hofkriegsregistrators143 besteht nicht mehr. das ist ein langes Kapitel, und nicht nur von lokalem charakter, es zieht sich weit hinein in die allgemeine Kulturgeschichte. Gibt es denn überhaupt moderne historienbilder? die moderne Kultur gewöhnt sich das historische empfinden überhaupt ab, und die Geschichte selber ist eine art angewandter naturgeschichte geworden. Zum historienbild gehört etwas, wofür es zahlreiche ausdrücke von gelehrtem Klange gibt; idealismus, stil, abstraktion. Gemeinverständlich lassen sich diese vielleicht zusammenfassen in dem Worte: Glaube. auch das weltliche Geschichtsbild braucht Glauben, sozusagen Kredit; vertrauen über die nächste augenfälligkeit und handgreiflichkeit

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152. rudOlF vOn alt: ParK in tePlic, 1876–1877

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hinaus. einen Blick in die höhe, der uns nicht mehr geläufig ist, ein naives mitgehen zu einem schauspiel, ohne sich achselzuckend zu sagen: Wer weiß, ob’s wahr ist. solche dinge könnten auch mit ganz modernen mitteln geschaffen werden; jede Zeit hat modern gearbeitet. aber das Bedürfniß fehlt. Bedürfniß ist jetzt, was heinrich laube ‚leichte reizungen‘ genannt hat. dem anstrengenden geht man aus dem Wege; anstrengen wird man sich doch lieber im Geschäft, wo es sich auszahlt.“ Klarer könnte man gar nicht formulieren, dass die Gattung mit dem Wandel der Zeit verblasste und überholt wirkte. die Werke der drei Künstler, zwischen denen sich die Jury nicht entscheiden konnte, waren eduard lebiedzkis Kreuzigungsdarstellung (Es ist vollbracht), albert hynais’ mythologische szene im Pariser stil (Urtheil des Paris) und Felix Jeneweins großformatige aquarelle mit biblischen Themen, Jeremias und Charfreitag, die hevesi alle eingehend analysiert. in seinem dritten essay befasst er sich mit den ausländischen Bildern, die verspätet in der ausstellung einge144 troffen waren. von diesen gefielen ihm die „münchener“ Polen Josef von Brandt und Das Gebet von Wacław szymanowski. im vierten artikel geht es erneut um die heimischen Künstler.145 Über viele Bilder äußert er sich anerkennend (z. B. charles Wildas Arabischen Wahrsager und carl von merodes Auf der Ringstraße, das die lichteffekte der laternen in der dämmerung meisterhaft wiedergibt). die größte aufmerksamkeit widmet er den landschaftsmalern und innerhalb derer der Pflaumenernte von Theodor hörmann. „sein ‚Reif bei Lundenburg‘ gibt das motiv mit erstaunlicher unmittelbarkeit wieder.“ den Neuen Markt im Schnee sollte seiner meinung nach das museum der stadt Wien erwerben. die wenigen Bilder von rudolf alt begeistern ihn wie immer (abb. 152), insbesondere Eisengießerei in Wien. er schließt den artikel mit der Beschreibung der skulpturen (z. B. Mari Jászai als Medea [Jászai Mari mint Médea]) (abb. 153). die neuheit des Jahres war die internationale ausstellung moderner Kunst in venedig, die erste veranstaltung der später so bedeutenden Biennale. Über die internationale ausstellung zeitgenössischer malerei, in der um die fünfhundert Werke gezeigt wurden, schreibt er am anfang seines artikels: „… sehr modern ist die ausstellung, man hat den neuesten dämonen alle Thüren geöffnet. der allgemeine charakter der veranstaltung ist also der der münchener sezession.“146 er bespricht das nach nationen präsentierte material der reihe nach und hebt die seiner meinung nach bedeutendsten arbeiten hervor. er beginnt mit den engländern, unter denen sich viele präraffaelitische meister und auch einige „ultramoderne“ Gemälde (dieser Kategorie ordnet er die märchenhaften und mystischen Themen zu), aber auch realistische maler wie herkomer befinden. darauf folgt die vorstellung der deutschen meister, ein Bild von uhde, drei von liebermann, Firle und Bartel, überwiegend arbeiten, die die Wiener im vorangegangenen Winter bereits gesehen hatten, die ungarn jedoch nicht. mit dem

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französischen teil war hevesi weniger zufrieden. die Werke von alfred roll, carolusduran, albert Besnard und Jean Béraud sind nicht die, die wir heute für die damals modernsten halten, doch diese offiziell vom staat bevorzugten Künstler verwendeten bei ihren Bildern viele neuartige, also moderne, techniken (z. B. Farben und valeurs, mit denen als erste die impressionisten experimentiert hatten), und in den augen der Zeitgenossen waren sie die repräsentanten der modernität. Über die münchener sommerausstellungen veröffentlichte hevesi einen wesentlich ausführlicheren und stärker ins detail gehenden dreiteiligen Bericht im Pester Lloyd, und seine treffenden Bemerkungen zeigen, dass er so gut wie alle ausstellungen der vorangegangenen Jahre gesehen hatte und den stand der dinge, die wichtigsten Faktoren der entwicklung der malerei, genau kannte.147 die einleitung ist auch deshalb interessant, weil er betont, was für eine wichtige rolle die engländer (bzw. die schotten) dabei gespielt haben, dass die münchener malerei den Weg des experimentierens einschlug. „es gibt starke abtheilungen für schwarz und Weiß (radier, lithographie) immer nach englischem vorgang, denn die engländer haben nun einmal ihre alten Kunstlehrer neue Kunst gelehrt. darum sieht man sich auch unwillkührlich bei den englischen ausstellern zuerst um, wenn man erfahren will, wie die malmode sich in letzteren Jahren gedreht hat. nicht um Wesentliches. in einem großen Theile ihrer malerei herrscht noch immer der Gobelinton mit seiner symphonie aus verwaschenen halbfarben.“148 dann analysiert er die ausgestellten Bilder von Paterson, stevenson, Thomas hamilton, Brangwyn und Guthrie. er hebt das Damenbildnis von Whistler, „dem großen revolutionär des stimmungsportraits“, hervor. nach all den ausstellungen, über die er geschrieben hat, sieht hevesi hier zum ersten mal ein wichtiges Werk von manet (Der alte Musikant), auf das er sogleich aufmerksam geworden ist.149 er weiß, dass es ein frühes Werk ist, das noch nicht charakteristisch für den stil des meisters ist, und all das erklärt er dem leser kurz. hinter der aus wenigen sätzen bestehenden analyse verbirgt sich ein enormes Wissen, doch er schreibt nur das, was an dieser stelle relevant ist, dass nämlich auch dieses frühe Bild schon ein meisterstück ist. seine authentizität überwältigt ihn, „revolution ist darin!“, schreibt er. an der virtuosen allegorie des damals gefeierten Parisers emile Besnard gefällt ihm das Feuerwerk der Farben, aber hinsichtlich der Gattung der modernen allegorie als solcher hat er Zweifel, er empfindet die vermischung der realität mit den traditionellen fiktiven Figuren als grotesk. Wirklich begeistert ist er hingegen von ilja repins historienbild Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief. repin kannte er noch nicht, und angesichts seines historischen realismus meint er: „repin ist einer der größten maler unserer Zeit. (…) repin ist ein matejko von heute.“ es ist typisch für seine Offenheit und vorurteilsfreiheit, dass es für ihn nicht zählt, in welcher nationalen tradition ein maler verwurzelt ist oder welcher schule er angehört, ebenso wenig, ob er realist ist oder das Thema des Werkes ein historisches ist (diese Gattung galt damals schon als überholt), wenn es meisterhaft gelungen ist, eine bis dahin nicht angewandte lösung bietet, nimmt er es ohne zu zögern in den virtuellen Kanon der malerei auf. Zur selben Zeit stellte in münchen auch der belgische symbolistische maler leempoels aus, dessen Weltbild und stil der abso-

153. alaJOs stróBl: POrträitBÜste vOn mari JÁsZai, 1893

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lute Gegensatz zum realismus des russen waren. hevesi analysiert auch seine Bilder ausführlich und plastisch und bewertet seine merkwürdige enigmatische symbolistische Komposition Das Schicksal und die Menschheit als glaubwürdig. aus der Gegenüberstellung der beiden maler kann er nur einen schluss ziehen: „diese merkwürdigen Gegensätze der modernsten malerei, die das Publikum mit gleicher Kraft packen, beweisen am Besten, daß man sich schwer täuscht, wenn man diese oder jene richtung als die endlich gefundene heureka-Kunst, die Bahn der Zukunft u. dgl. betrachtet. die urwüchsige Persönlichkeit mit ihrem siegreichen einfall und das meisterhafte machenkönnen sind doch ewig das entscheidende. in ihnen liegt die elementarische Kraft des einschlagens, die man heute suggestion nennt.“150 diese paar Zeilen beweisen, dass hevesi damals, 1895, obwohl er sich mit leib und seele für die modernen experimentierenden Künstler einsetzte, nicht (oder noch nicht) in die rolle des „ideologischen Kritikers, des theoretischen Propheten der neuen richtung“ geschlüpft war, die im 20. Jahrhundert so beliebt werden sollte. er ging stets von dem jeweiligen Werk aus, selbst innerhalb des lebenswerkes eines einzelnen Künstlers. ihn interessierte die Qualität des einzelnen Werkes, nicht der stil, zu dem es gehörte. in seinem zweiten artikel über die münchener ausstellungen für den Pester Lloyd zeigt er zum Beispiel anhand einer reihe großartiger Böcklin-analysen, dass einige der früheren Werke des meisters moderner waren als seine neuesten.151 Über Böcklins neues Bild Odysseus und Kalypso traut er sich zum Beispiel auf dem höhepunkt des BöcklinKults zu schreiben, es sei ein „meisterwerk, aber kein modernes“. aufgrund der vielen interessanten Bildanalysen (der Werke von stuck, uhde oder der Worpsweder Künstlerkolonie) und überhaupt in Kenntnis der großen menge der in münchen ausgestellten Gemälde stellt er zusammenfassend fest: „die moderne, oder wie ich sie lieber nenne: modernistische Bewegung in der malerei scheint einstweilen zum stillstand gekommen. es ist eben kein mensch Genie genug um jeden tag das Pulver zu erfinden. es ist überaus lehrreich zu sehen, wie so mancher wilde Fußsteig wieder zurückmündet in die alte landstraße. so malt Fritz von uhde, der feinfühlige meister heiliger nebel und Zwielichtstimmungen neuestens große renaissancebilder aus dem neuen testament.“152 die beiden für Wien verfassten essays über die münchener ausstellungen unterscheiden sich von denen für den Pester Lloyd nur darin, dass er mehr über die Werke der österreichischen teilnehmer schreibt153, vor allem über die atelierbilder von hans temple, unter denen sich auch ein neues befindet, das den Bildhauer rudolf Weyr zeigt. diese Kritiken hevesis sind besonders deshalb interessant, weil sie zeigen, wie man denselben inhalt anders ausdrücken, ein und dasselbe Bild mit anderen Worten beschreiben kann. als spielte er etüden, um seine virtuosität zu erhalten. ein gutes Beispiel dafür ist die Passage über manet. Für Wien schreibt er ausführlicher über den Künstler als für Budapest: „der beste einfall der Franzosen war, in beide ausstellungen einige alte Bilder vom hochseligen eduard manet, dem Papste der impressionisten, dem ersten ‚Zurückgewiesenen‘ zu schicken. sogar eines seiner hauptbilder, ‚Der alte Musikant‘ ist da. es hat ein halbdutzend Personen, die sich lediglich mit vorhandensein beschäftigen, weniger gruppiert als aufmarschiert, um ihr recht auf raum in der Welt auszuüben. (…) Gemalt ist das Bild schwer und roh, mit schwarzen umrissen und schmutz in allen Farben. aber es ist empfunden; nur dass diese Wahrheit sich noch nicht auszudrücken weiß, weil ihr die schuldwidrige, naturgemäße technik fehlt. in

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154. maX KlinGer: Brahms-Fantasie, Xv. (evOKatiOn), 1894

dreißig Jahren wird man das virtuos zu machen wissen. es ist ein ehrwürdiges Bild und sieht aus wie eine unabhängigkeitserklärung.“154 damit beschreibt hevesi präzise, doch emotionsbeladen den Kontext eines einzelnen Bildes und bestimmt seinen Platz im schaffen des malers. im herbst veranstaltete das Wiener Künstlerhaus eine Grafikausstellung, in der auch Kupferradierungen von Whistler zu sehen waren. in der Kritik über die veranstaltung gibt hevesi dem leser viel hilfestellung, damit er versteht, wie schwierig diese Gattung ist, wie viel ausdauer und Fleiß sie zusätzlich zum talent erfordert.155 er analysiert auch die unterschiede zwischen den stilen der einzelnen meister (seymour haden, Whistler, liebermann, andreas Zorn usw.) ausführlich. er schreibt auch über die farbigen Kupferradierungen. nachdem er sehr viele namen aufgelistet hat, verweilt er bei zwei Großmeistern, max Klinger und Whistler. Klingers Bilder waren in Wien zuvor noch nicht gezeigt worden, sodass seine Grafiken die ersten waren, die den Betrachter in die „labyrinthische Phantasie“ des Künstlers führten. seine Feststellung über Klingers Wesen ist zutreffend und zeugt von tiefer einsicht: „das ist ein esoterisches etwas, ein Zug tragischer mystik, der dem unsäglichen in allegorischen deutungsvollen erfindungen luft macht. aber seine seele ist ein spiegel, in dem sich die mannigfachsten strahlen einer zerfahrenen Welt sammeln. er ist auch ein romantiker der antike, wie sein Busenfreund Böcklin. und ein Zeichner, der musik sichtbar macht; musik Beethoven’s, schumann’s und Brahms’. dazu hilft ihm eine echt deutsche todestanzphantasie, er ist beim tod in die schule gegangen.“156 Klingers Kunst fasziniert hevesi so sehr, dass seine Prosa wieder glühend und beschwingt wird wie ein freier vers und den leser mitreißt (abb. 154). so frei und leidenschaftlich schreiben dichter und schriftsteller über ein Kunstwerk. hier geht es gar nicht mehr um das Werk, von dem er ausgegangen ist, sondern um die pantheistische schwärmerei bei der vertieften Wahrnehmung der vielfalt der Phänomene der Welt. (damit greift er zurück auf die tradition der emotions-

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beladenen poetischen Kunstkritik der deutschen romantik.) schließlich kehrt er auf die erde zurück, zum Kunstwerk also, um nun dessen technische Bravour in Worte zu fassen oder neue Worte dafür zu finden. „es gibt da tragische arabesken und ornamentale schicksalsknoten.“157 das war es, was ihm keiner seiner gelehrten fleißigen und talentierten Kollegen nachmachen konnte, keiner der jungen literaten der neuen Generation, die sich zu ihm gesellten (hermann Bahr, Felix salten, rudolf lothar oder Bertha Zuckerkandl). nur dem nervösen, fast noch halbwüchsigen hofmannsthal gelangen ähnlich poetische essays über die Gemälde zu schreiben. dem jungen dichter fehlten jedoch die Kenntnisse über die malerei und die grafische technik, um die verbindung zwischen material und technik und der intellektuell-sensuellen künstlerischen aussage herzustellen, die das material mit einer aura umgibt. hevesi schließt seinen essay mit der Beschreibung der sechzehn im Jahr 1879 in venedig entstandenen Kupferradierungen Whistlers. die Weihnachtsausstellungen des Künstlerhauses lenkten seine aufmerksamkeit erneut auf die konkreten Probleme der Kunstszene der Kaiserstadt. dieses mal wurden von mehreren malern größere einzelkollektionen gezeigt, von Olga Wisinger-Florian, anton schrödl und alfred Zoff und schließlich der nachlass von Theodor hörmann. (abb. 155) im Zusammenhang mit letzterem veröffentlichte hevesi im Pester Lloyd hörmanns letzten an ihn persönlich geschriebenen Brief, der nicht nur wegen seines inhalts von Bedeutung ist, sondern auch zeigt, welches ansehen der Kritiker schon damals unter den malern genoss und welch großen einfluss sie ihm zusprachen. „sehr verehrter herr doktor! ich lese mit besonderer Freude ihre mir gewidmeten Zeilen, und danke bestens hiefür. ich gebe nicht der hoffnung hin, dass der voriges Jahr genannte ‚abendteurer‘ nun endlich, und fürderhin stets, den Beweis liefern wird, dass ich rastlos vorwärts gehe. sie sehen ja, lieber herr doktor, bei allen ernsten Künstlern, dass es ein mühevoller Weg ist, den man zurücklegen muss, der eine auf diese, der andere auf jene art. (…) möchte doch diese Bestimmung für das städtische museum in erfüllung gehen! (…) voriges Jahr bewilligte die stadt 10 000 fl. zum ankaufe – und soll 3000 fl für ein paar Bildchen verausgabt haben. nun wäre das Bild von temple: ‚Tilgner im Atelier‘ und mein ‚Mehlmarkt‘ doch etwas für die städtische Galerie, aber wer nimmt sich dessen an? daher besten dank, lieber herr doktor, für ihren ausspruch. (…) hochächtend ihr bereitwillig ergebener hörmann.“158 soweit also der Brief hörmanns; danach fährt hevesi fort: „so im vorbeigehen sind hier allerlei private und allgemeine schmerzen der Künstlerschaft gestreift. auch der schrei nach einer Wiener städtischen Galerie erklingt wieder einmal. eine inländische Kunstsammlung wie der ‚luxembourg‘ in Paris, ist längst ein hauptbedürfniß der hiesigen Kunst. Zu Zeiten schmeichelten sich die Kunstfreunde mit der hübschen idee, das Belvedere nun, da es von alter Kunst ausgeräumt, nach und nach mit neuer Kunst vollgeräumt zu sehen. das wäre auch rathsam. Oesterreichische Kunst ist ja jetzt überhaupt nirgends zu studieren: selbst einen ausgiebigen makart (den ‚Triumph der Ariadne‘) hat die kaiserliche sammlung erst diesen herbst erworben. der hauptmäzen, dem sich die augen der Wünschenden und hoffenden immer wieder zuwenden, ist der regierende Fürst lichtenstein [sic], der hauptkäufer auf allen großen ausstellungen, der sich die Freude macht, von Zeit zu Zeit der akademischen Galerie werthvolle Geschenke zu machen, wie erst voriges Jahr alma tadema’s prächtige ‚Fredegonde‘ und eben auch das von hörmann erwähnte tilgnerbild. in den letzten Jahren

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155. theOdOr vOn hÖrmann: mOndauFGanG nach der ernte, vOr 1892

hatte es den anschein, als wollte auch das Großkapital sich für die Bildung einer Wiener Galerie gewinnen lassen, allein die leidigen antisemitischen Kämpfe haben es wieder in seine Passivität zurückgescheucht … ‚sitzen gebliebene Bilder‘ klagt hörmann (abb. 155). es ist eine drastische tatsache, dass dieser, wie sich jetzt erst zeigt, nach schindler bedeutendste moderne landschafter Österreichs, Zeit seines lebens nicht mehr als vier Bilder verkaufen konnte. Glücklicherweise hatte er zu leben und auch die Kriegskosten seines langen Kampfes um Wahrheit zu bezahlen. Jetzt da zwei der größten säle des Künstlerhauses mit dem Gros seines nachlasses gefüllt sind, sieht man erst, was er war. der größte Theil sind naturstudien von unumwundener aufrichtigkeit, und darin liegt besonderer Werth.“159 Zwei Künstlerschicksale berührten ihn in diesen Jahren persönlich, zum einen schindlers, der ständig von weniger talentierten Kollegen verdrängt wurde, damit er nicht dozent an der akademie wurde, und zum anderen hörmanns, dem es ebenfalls die weniger Begabten (unter hinweis auf die Gleichheit) zu verwehren suchten, dass er eine Kollektion im Künstlerhaus ausstellte. ihre niederlagen veranlassten hevesi, die Praxis der Objektivität und der disziplinierten persönlichen distanz aufzugeben und sich im Kampf der Künstlerlobbys auf die seite der experimentierenden Künstler zu stellen.

1896 sein erster aufsatz in diesem Jahr befasste sich mit der polnischen malerei.160 im Künstlerhaus waren fünfzig Bilder aus der sammlung des polnischen Grafen milewsky zu sehen, der ein gutes auge für Qualität hatte. er hatte selbst in münchen malerei studiert und sammelte somit in erster linie „münchener Polen“. Zu der sammlung gehörten unter anderem das zu dieser Zeit bereits berühmte frühe Bild matejkos Der polnische Hofnarr Stanczyk und das faszinierend charismatische selbstporträt des alternden malers. Fast alle Werke, die hevesi hervorhob und analysierte, gehören heute zum Fundament

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156. adOlPh menZel: PrediGt im Freien Bei KÖsen, 1868

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des Kanons der polnischen malerei und werden entweder im Krakauer oder im Warschauer nationalmuseum aufbewahrt (Gierymski, malczewski, chełmoński). Während der Frühjahrsausstellung wurde in der ersten etage des Künstlerhauses eine gesonderte ausstellung zu ehren von adolph menzel gezeigt, der gerade achtzig geworden war. hevesi war praktisch seit seinem ersten auftreten ein begeisterter anhänger des großen realisten. die knapp dreihundert Bilder waren seiner meinung nach nur eine Kostprobe seines schaffens (abb. 156). selbstverständlich betonte er menzels modernität. neben den bereits bekannten Gemälden (Eisenwalzwerk) bekamen die Wiener auch frühe Bilder erstmals zu sehen, darunter Die Märzgefallenen von 1848. hevesi erläutert das Thema des Bildes nicht (es geht um die Beerdigung der Gefallenen der revolution in Berlin), merkt jedoch an: „es ist ja ein hauptverdienst menzel’s, daß er uns die moderne Welt, die als kunstwidrig verlästerte, malerisch sehen gelehrt hat.“161 er ist ganz hingerissen von menzels Gouache-Bildern, der seiner meinung nach „der größte Klassiker der Gouache“ ist. er verfolgt vor allem die verwendung der Farben in der chronologischen reihenfolge der Bilder, von denen er einige ältere kritisiert. doch für ihn ist menzel die inkarnation des ständiger erneuerung fähigen modernen meisters. Über die XXiv. Jahresausstellung erschienen im Fremden-Blatt überraschenderweise nur zwei Berichte. im ersten bespricht hevesi die Porträts der bekannten maler horovitz, Ferraris, ajdukiewicz und angeli ausführlich und plastisch, außerdem die der jüngeren Generation, hirschl, Krämer und Kurzweil, und natürlich hans temples neuestes atelierbild. unter den ausländischen Künstlern lobt er den beinahe fotografischen realismus der Porträts des Belgiers leempoels, die an die Präzision und die vollkommen ebenmäßige Pinselführung der frühen niederländischen meister erinnern. unter den Pastellbildern erwähnt er auch ein Frauenporträt von Klimt.162 die „stars“ des zweiten Berichts sind carl moll, Josef engelhart, viktor Krämer, Wilhelm Bernatzik und max Kurzweil, also die führenden mitglieder der späteren secession. die Besprechung der landschaftsbilder beginnt er mit den drei neuen aquarellen von rudolf alt. im mittelpunkt dieses teils stehen dennoch nicht die einheimischen, sondern die ausländischen Künstler. Bei den deutschen analysiert und lobt er erneut ludwig dettmann in aller ausführlichkeit. in dieser ausstellung war auch ein sonderbares modernes Beispiel der Genremalerei, segantinis Zwei Mütter, zu sehen.163 hevesi hält das Bild zu diesem Zeitpunkt noch nicht für so bedeutend wie Jahre später bei der großen segantini-ausstellung (abb. 157). Über das andere Gemälde segantinis, das er unter dem titel Die bösen Mütter nennt, schreibt er auch nur ganz kurz.164 der artikel endet mit der Besprechung der skulpturen. in beiden Beiträgen fehlt die Begeisterung, die Freude über die guten neuen Bilder. ist hevesi müde, hält er die ausgestellten Werke für nicht gut genug und der analyse nicht wert, oder ist er nur vorsichtig, weil er spürt, dass die situation nicht eindeutig ist?

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Intermezzo: die Kritiker und die Künstlerlobbys in diesem Jahr schrieb der als Kritiker unter dem Pseudonym „Plein air“ publizierende maler Franz adalbert seligmann (1862–1945) einen dreiteiligen Bericht über die Jahresausstellung für die Wiener Sonn- und Montagszeitung.165 im 19. Jahrhunderts kam es häufig vor, dass auch maler ausstellungskritiken verfassten. einer der bedeutendsten maler-Kritiker war Friedrich Pecht, münchens berühmter Kritikerpapst, der die malerei nach einiger Zeit aufgab und sich ganz dem schreiben widmete. in ungarn schrieben zum Beispiel Gusztáv Keleti und lászló Kézdi-Kovács viele Kritiken (gelegentlich auch tihamér margittay), doch sie blieben der malerei treu. Károly lyka Károly, der gelehrteste ungarische Kritiker um die Jahrhundertwende, wollte auch ursprünglich maler werden, entschied sich dann aber für die Kritik. er ist allerdings in jeder hinsicht eine ausnahme, er verkörperte auch in moralischer hinsicht das höchste niveau der „Zunft“. Problematisch ist bei einer solchen doppelrolle nicht nur, wenn der Künstler seine eigenen Werke vorstellt und gegebenenfalls sogar lobt166, sondern auch der umstand, dass er als Künstler gewöhnlich einer bestimmten richtung verpflichtet ist und den Geschmack seiner Generation vertritt und deshalb als Kritiker weniger Weitblick hat, andere stile (und jüngere Generationen) leichter ablehnt als die Kollegen, die nicht nach künstlerischen lorbeeren streben. andererseits verstehen sie viel mehr von der Qualität der Bilder und den Kunstgriffen der technischen ausführung als ihre gelehrten Kunsthistorikerkollegen, was jedoch nicht automatisch bedeutet, dass sie das Gesehene auch plastisch formulieren können. seligmann war nicht so ein brillanter stilist wie ludwig speidel oder hevesi, seine artikel sind keine literarischen Kunstwerke, enthalten jedoch eine Fülle von informationen und treffenden Bildanalysen und repräsentieren

157. GiOvanni seGantini: die BÖsen mÜtter, 1894

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in den 1890er Jahren eindeutig den mittelweg zwischen dem Konservativismus à la ilg und der Offenheit hevesis.167 Bevor seligmann als Kritiker auftrat, hatte hevesi seine Gemälde, präzise ausgearbeitete Beispiele – historienbilder, symbolistische allegorien, jedoch überwiegend Genrebilder zu Themen des modernen lebens und Porträts – für den sogenannten feinen naturalismus, gewöhnlich wohlwollend beurteilt. nach dem heutigen kunsthistorischen maßstab war seligmann ein guter realistisch-naturalistischer Kleinmeister, zu dessen großen verdiensten die unterstützung der Wiener „Frauenkunstschule“ gehört, aus der dann im Jahr 1900 die private „Frauenakademie“ entstand, an der seligmann bis zum ende der 1930er Jahre zusammen mit Kolleginnen wie tina Blau unterrichtete. seine Bilder sind virtuos; das schon wegen seines Themas bekannteste ist das 1889 entstandene, das Professor Billroth beim Operieren im hörsaal der medizinischen Fakultät zeigt (abb. 128). 1903 veranstaltete die Galerie miethke eine Gesamtausstellung seiner Werke.168 er war genauso alt wie Klimt, er hielt jedoch an den künstlerischen idealen der realistischen Pleinairmalerei vom Beginn der 1890er Jahre und des sogenannten feinen naturalismus fest, entwickelte sich stilistisch nicht weiter. er war nicht so konservativ wie ilg, doch die cliquenbildung in der Kunstszene irritierte ihn gewaltig. er war seit 1887 selbst mitglied des Künstlerhauses und verfügte in der Zeit der Gärung wahrscheinlich deshalb über viele interne informationen über die Kämpfe der Künstlergruppen innerhalb der vereinigung. seine Bemerkung in seiner Kritik von 1896, in diesem Jahr sei „eine Jury von Jungen“ „gewählt worden“, ist interessant, er ist aber dennoch der ansicht: „die ausstellung ist mittlerer Qualität.“169 niemand außer ihm hatte das in den Zeitungen erwähnt, obwohl die dominanz der modernen Bestrebungen unter den ausgestellten wie den ausgezeichneten Künstlern nur in Kenntnis dieses umstands zu verstehen war. Wenn man sich einmal ansieht, wer in diesen Jahren (von 1890 bis anfang 1897), also in den Jahren der machtkämpfe innerhalb des Künstlerhauses zwischen den modernisten und den vertretern der traditionellen stile vorstand war und wie die ausschüsse und die Jurys zusammengesetzt waren, ergibt sich in der tat ein interessantes Bild. vorstand war 1890 der 49-jährige Franz roth, 1892 der 68-jährige Josef mathias trenkwald, 1894 der 42-jährige Julius deininger, und von da an wurden immer öfter Künstler, die die neuesten künstlerischen experimente unterstützten, mitglieder der Jurys, die über die staatsmedaillen und den hoch angesehenen (mit 400 Golddukaten dotierten!) Kaiserpreis entschieden.170 (die Jurymitglieder wurden jeweils im november des vorjahres gewählt, und das mandat des vorstands des Künstlerhauses dauerte zwei Jahre.) es schien, als könne die Palastrevolution erfolgreich sein, man würde die leitung des hauses von den Konservativen übernehmen können und nicht ausziehen („sezessionieren“), wie es 1892 in münchen der Fall war. seligmann bespricht die Bilder der XXiv. Jahresausstellung ausführlich, lobt zum Beispiel das Frauenporträt mit goldenem hintergrund des damals in Paris lebenden ungarischen malers Bertalan Karlovszky, in dem er den einfluss lefèbres zu erkennen glaubt, kann sich jedoch nicht für dettmanns neues triptychon erwärmen, das seiner meinung nach nur der offiziellen Kritik gefällt171 und im hinblick auf Größe, Farben usw. misslungen ist. seiner ansicht nach ist der Berliner maler manieristisch geworden und kopiert sich selbst. auch segantinis Bilder gefallen ihm nicht, er beanstandet seine

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vibrierende (divisionistische) Pinselführung.172 er wundert sich, dass gerade diese merkwürdigen modernen Bilder ausgezeichnet wurden. (hevesi lobt sie eben deshalb!) albert ilgs ausstellungsberichte in der Presse beleuchten die lobbykämpfe im Künstlerhaus aus konservativer sicht.173 in seinem ersten artikel setzt er sich mit den missständen der zeitgenössischen Wiener malerei und der ausstellungsszene auseinander, den Gegensätzen zwischen den Generationen und den verschiedenen richtungen, der Gleichgültigkeit des Publikums und damit, weshalb die eventuell interessierte mittelschicht die ausstellungen nicht besuchen kann. Besonders interessant ist die Passage, in der er ein Beispiel dafür anführt, dass es sich ein durchschnittlicher Beamter (der 1200 Gulden im Jahr verdient) kaum leisten kann, mit der ganzen vierköpfigen Familie (seiner Frau und zwei Kindern) eine ausstellung zu besuchen.174 er rechnet vor, dass ein Besuch für eine Beamtenfamilie 2 Gulden 50 Kreuzer kostet; „so hat er also mit einem einzigen ausstellungsbesuch nahezu eine tageseinnahme verbraucht und bleiben ihm samt Weib und Kind noch circa 80 Kreuzer für alle übrigen Bedürfnisse. mit solcher Finanz trägt man die edle Kunst wohl nicht in die massen des volkes.“175 der konservative ilg drängt auf veränderungen: „Wäre es denn nicht zweckmäßiger, von den hohen säulen des idealismus und realismus, impressionismus und was weiß ich, was sonst noch für -ismen ein bischen auf das Feld des Praktischen und Geschäftlichen herabzusteigen, die leidenschaften schweigen zu heißen und worin jeder erfahrene Kunsthändler die herren in die schule nehmen könnte, auch ein wenig auf die interessen des marktes – im vornehmsten sinne natürlich – bedacht zu sein, damit das Publicum in so einer ausstellung nicht bloß ein tendenzprogramm irgend einer richtung fände, wohl aber eine reiche auswahl für alle verschiedenen Geschmackbedürfnisse? Was soll es denn heißen, daß zum Beispiel diesmal durch eine agitation der betreffenden Partei, überwiegend moderne Freilichtmalerei eingeschleppt würde? Glaubt man damit etwa den Beweis erbracht zu haben, daß in Wien diese richtung nun endlich den sieg errungen habe? das wird trotzdem kein halbwegs sachkundiger glauben, denn man weiß ganz genau, daß hier nur ein manöver der momentan stärkeren und rührigeren Partei gegen die Passivere, schwächere vorliegt.“176 ilg hält die stilistischen erneurer, die modernisten, für eine verschwindend kleine minderheit, die gegen den allgemeinen Geschmack auftritt und mit aller macht zu beweisen versucht, dass nicht die mehrheit, sondern allein sie repräsentanten wertvoller Kunst sind. Wenn man davon absieht, dass sich hinter der rhetorik der Künstlerlobbys über ästhetische und stilistische aspekte auch in der Kunstszene harte wirtschaftliche interessen verbergen, muss man der lobby recht geben, die die stilexperimente unterstützt, betrachtet man jedoch auch ilgs argumente, in denen er die taktik der modernisten entlarvt und die wirtschaftlichen Fakten der ausstellungsszene und des Kunstmarktes anführt, zeigt sich die Geschichte von den machtkämpfen innerhalb des Künstlerhauses in einem anderen licht. es ist merkwürdig, dass der konservative ilg, der sich für die unterstützung der elitären Kunst einsetzt, die soziologischen und wirtschaftlichen aspekte der künstlerischen „erziehung“ des Publikums anführt, was den übrigen meinungsbildenden Kritikern und Künstlern bis dahin gar nicht in den sinn gekommen ist. sie denken in einem engen fachlichen rahmen, und es scheint, als wollten sie den materiellen aspekt des Kunstmarktes und der ausstellungspraxis sogar bewusst aus ihrer argumentation heraushalten. sie bauen den idealistischen diskurs über die mo-

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158a Gustav Klimt: Griechische antiKe, 1891

dernität zunehmend auf moralische und scheinbar nicht von interessen bestimmte, rein geistig-künstlerische Werte auf und beschuldigen das andere lager, es vertrete materialistische und marktinteressen. Zur Besprechung der Bilder kommt ilg in den darauffolgenden Feuilletons177 und beurteilt die modernen technischen experimente und die ungewöhnlichen symbolischen Themen, die aus seiner sicht mit jeder tradition brechen und absurd sind (segantini, dettmann), negativ. Was er anerkennt, lobt und akzeptiert, sind die präzise und sorgfältige ausführung, die an die alten meister und an den realismus des Biedermeier erinnert (deshalb äußert er sich hier positiv über seligmann), die traditionellen ikonografischen Themen und die in der herkömmlichen Größe und auffassung gemalten Gattungen (Porträts, Genrebilder, die aquarelle von rudolf alt). auch von den moderneren realistischen Bildern mit einer helleren Palette akzeptiert und lobt er einige, sofern sie technisch einwandfrei sind. carl molls in lübeck entstandenes Gemälde Segelmacher hält er für sehr gut, und natürlich auch die beiden atelierbilder von hans temple Atelier Scharff und Atelier Weyr. in dem abschließenden artikel stellt er empört fest, dass die Fraktion der Jungen in diesem Jahr sogar erreicht hat, dass auch die staatlichen Preise an die modernen Bilder gingen (segantini, Kurzweil, tichy), an Werke, die einem Großteil des Publikums überhaupt nicht gefallen hatten! er meint, damit sei den vertretern der modernen richtungen innerhalb des Künstlerhauses jener Putsch gelungen, den diese Fraktion seiner ansicht nach schon seit Jahren vorbereitet hat.

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158B G ustav Klimt: äGyPtische F rau, 1892

in der zweiten hälfte der 1880er Jahre und in der ersten hälfte der 1890er Jahre war albert ilg ein eigenartiger und sehr einflussreicher vertreter der Wiener Kunstszene.178 sein Konservativismus resultierte nicht nur aus seinen Fachkenntnissen und seinem charakter, auch seine stellung als Kustos der kaiserlichen sammlungen hatte ihn in diese richtung beeinflusst. er hatte zum Beispiel das ikonografische Programm der innenräume des Kunsthistorischen museums erarbeitet, das die verschiedenen epochen und ihre unterschiedlichen stil- und schönheitsideale im Geiste des historismus durch die neuen Wandbilder und skulpturen des Gebäudes erklären sollte. es ist bekannt, dass beispielsweise Gustav Klimts Gemälde die schönheitsideale der ägypter, des hellenismus und des Quattrocento darstellen (abb. 158a–b). die drei jungen maler der „Künstlercompagnie“, also der aus matsch und den Brüdern Klimt bestehenden ateliergemeinschaft, hatten den detaillierten stil des feinen naturalismus mit dem ästhetisierenden schönheitsideal des historismus vermischt und sich dabei dem stil der jeweiligen epoche angepasst. albert ilg war ein leidenschaftlicher österreichischer Patriot, der gegenüber der dominanz der preußisch-deutschen Kultur die lokalen, österreichischen und habsburgischen künstlerischen traditionen und ästhetischen ideale neu beleben wollte. auf diese Weise rehabilitierte er den vom historismus bis dahin nicht wirklich geschätzten Barockstil sowohl in ästhetischer als auch in ideologischer hinsicht.179 Obwohl die antagonistische einteilung der damaligen Kräfte der bildenden Kunst in progressiv-moderne und konservativ-retrograde lager eine grobe vereinfachung wäre, muss man sagen, dass ilg tatsächlich

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159. viKtOr tilGner: denKmal vOn Frau adele Bródy, um 1894

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zum letzteren Pol tendierte und sein einfluss auf die Wiener Kunstszene durch seine lehrtätigkeit bei hofe auch nach seinem tod fortbestand. (er unterrichtete die junge Generation der herrscherfamilie in Kunstgeschichte, unter anderem Franz Ferdinand, der auf diese Weise überzeugter anhänger des Barock- und des neubarockstils wurde.) ilg starb unerwartet im november 1896 im alter von nur 49 Jahren auf dem höhepunkt seiner schaffenskraft.180 in diesem Jahr trug ilg nur noch mit wenigen Feuilletons zur Bewertung der künstlerischen ereignisse bei, zwei von diesen sind jedoch sehr bedeutsam, weil sie die motive für seine ästhetischen Werturteile deutlich zeigen. aus dem einen geht hervor, wie schwer er sich mit der Kunst adolph menzels tat, für den das Künstlerhaus (wie bereits erwähnt) parallel zur XXiv. Jahresausstellung anlässlich seines achtzigsten Geburtstags eine retrospektive organisierte hatte. das material der ausstellung war imposant (285 Werke) und umfasste auch hauptwerke wie Eisenwalzwerk, Im Restaurant der Pariser Weltausstellung, Das Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci und Blätter aus dem Kinderalbum. ilg gab offen zu und erklärte dem leser ausführlich, dass er sich nicht für menzels meisterwerke erwärmen konnte, da er sie als zu rational, zu kalt und zu „norddeutsch“ empfand. seine beiden letzten Feuilletons, die in der Presse erschienen, waren ein nachruf auf viktor tilgner, den wichtigsten neubarocken Wiener Bildhauer,181 und eine Bewertung des letzten hauptwerkes des meisters, des mozartdenkmals, das nur wenige tage nach seinem tod enthüllt wurde182. (es war in Wien ein offenes Geheimnis, dass es neben ludwig speidel vor allem albert ilg zu verdanken war, dass tilgner den auftrag für das mozart-denkmal erhielt, obwohl hellmer die ausschreibung gewonnen hatte.183) in seinen schriften über tilgner war ilg vollkommen einer meinung mit hevesi, der tilgner ebenfalls für den besten zeitgenössischen österreichischen Bildhauer hielt184 (abb. 159). hevesi schrieb einen herzergreifenden und äußerst persönlichen nachruf auf seinen unerwartet an einem herzinfarkt verstorbenen Freund, den er (da er in Pressburg geboren war) als seinen landsmann betrachtete und sogar duzte, was bei ihm eine große ausnahme war.185 das mozart-denkmal wurde fünf tage nach tilgners tod enthüllt (abb. 160). die nachlassausstellung, genauer gesagt, Gedenkausstellung fand im november statt. die 222 im Original oder als Gipskopien gezeigten Werke hinterließen beim Publikum einen bleibenden eindruck, doch hevesi betonte immer wieder, das lebenswerk sei ein torso, da es unerwartet beendet worden war und der Künstler viele unverwirklichte Pläne hinterlassen hatte. Zu dem unerwarteten und frühen tod tilgners hatten gerade auch die Kämpfe und ständigen intrigen um das mozart-denkmal beigetragen. das denkmal wurde ein großer Publikumserfolg und ist zweifelsohne eines der gelungensten Werke der Wiener neubarocken Bildhauerkunst. sein heutiger Platz im Burggarten ist wohl günstiger als der ursprüngliche auf dem albertinaplatz, auf den sich die entscheidungsträger der verschiedenen Gremien damals so schwer einigen konnten. ein wichtiges ereignis des sommers war für hevesi die Budapester millenniumsausstellung, über die er fünf Berichte verfasste. das war etwas pikant, denn Kritiken über

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Budapester ereignisse der bildenden Kunst, die Frühjahrs- und Winterausstellungen in der Kunsthalle, schrieb damals gewöhnlich dr. adolf silberstein, während hevesi im Pester Lloyd praktisch nur noch über veranstaltungen im ausland berichtete. nun wurde dennoch er beauftragt, über die mit großer sorgfalt organisierte ausstellung zu berichten, denn man wusste, dass die Zeitung auch im ausland gelesen wurde, und hevesi war international bekannter als jeder andere ungarische Kritiker.186 auch im Fremden-Blatt erschienen zwei besonders lange essays von ihm über die Kunstausstellung in der Kunsthalle, in denen er den Wienern einen Überblick über die neuzeitliche Geschichte der ungarischen malerei gab187 (abb. 161). das letzte bedeutende ereignis der bildenden Kunst in Wien war 1896 die Kammerausstellungen verschiedener Künstler und stile im Künstlerhaus.188 die ältere Generation war mit zwei monumentalbildern durch munkácsy und Brožík vertreten. von munkácsy wurde Ecce homo (abb.162) und von Brožík der historische Panneau Tu felix Austria nube ausgestellt. hevesi hatte keine leichte aufgabe, da er selbst mehrmals geschrieben hatte, die historienmalerei sei überholt und in künstlerischer hinsicht verarmt; und nun hatte er zwei große Bilder vor sich und musste etwas über sie schreiben. also betrachtet er munkácsys malerei mit bravouröser eleganz und taktgefühl aus historischer sicht, erläutert den Platz der biblischen Bilder in seinem Oeuvre und erkennt auch weiterhin seine Bedeutung als Kolorist an. treffend beschreibt er, dass es ein moderner Künstler viel schwerer habe als die alten meister. „in früherer Zeit hatten es übrigens die maler gut, sie konnten unbedenklich denselben stoff in derselben Weise behandeln, da das einzelbild nur einem kleinen Kreise bekannt wurde und in dem halbdunkel eines Palastes oder einer Kirche verschwand. heute reisen die Bilder um die Welt, die Kunstausstellungen sorgen dafür, daß der Künstler immerfort mit sich selbst verglichen werde, und zwingen ihn Jahr zu Jahr neues versuchen.“189 Brožíks Werk (abb. 163), das die doppelte Kinderhochzeit unter den herrscherhäusern im Jahr 1515 (die vermählung der Kinder des Jagellonen Wladislaw ii., des Königs von Böhmen, ludwigs und annas, mit den enkeln Kaisers maximilians i. von habsburg, Ferdinand und maria, die dazu diente, den habsburgern den tschechischen und den ungarischen Thron zu sichern) rekonstruiert, konnte hevesi beim besten Willen nicht wirklich loben. „… die starrheit der modelle ist nicht überwunden und keine tonigen luftweben faßt [sic] die an sich harten und bunten einzelheiten in ein leicht daherwogendes Farbenschauspiel zusammen. dadurch kann auch die Komposition nicht zur ruhe kommen, die dinge stoßen sich im raume.“190 Positiv bewertete er hingegen Brožíks ländliche idyllen, die sowohl hinsichtlich ihrer Themen als auch hinsichtlich ihres stils dem vorbild von Bastien-lepage folgen. auch die Kollektion des münchener landschaftsmalers Karl heffner (1848–1925) analysierte er ausführlich und ermittelte dabei alle einflüsse, die für die Bilder von Bedeutung waren. „heffner ist von hause aus münchener stimmungsmensch, aus der Zeit des warmen tones, (…) er hat einen angenehmen Bei-

160. viKtOr tilGner: mOZartdenKmal, 1896

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161. artur halmi: Kaiser FranZ JOsePh vOr dem munKÁcsys Gemälde „ecce hOmO”, 1896

geschmack von halbvergangenheit.“ im angrenzenden saal erwartete den Besucher etwas ganz anderes. der Berliner ludwig dettmann, der drei Jahre zuvor einen so großen erfolg verbucht hatte, war in Wien zum „stammaussteller“ geworden. „Bilder von ludwig dettmann, dem hochmodernen, hängen ringsum. manches davon ist ausführung bekannter vorstudien, oder abwandlung früherer meisterwerke. so die reizvolle ‚heilige nacht‘, in der die elemente des seinerzeit glücklich in Wien angekauften dreibildes neu gemischt sind; der schauplatz ein dorf statt der freien landschaft, massenwirkung und lichtspuk dadurch mehr zusammengefaßt.“191 Wirklich neues brachten die arbeiten des damals modernen belgischen Bildhauers charles van der stappen. (…) den Künstler reizt es die Form immer wieder anders anzusehen. Bald mit einer umfassenden, aber etwas trockenen Größe, wie in der halbfigur ‚Pax vobiscum‘, bald mit einer beeideten Wahrheitsliebe, wie in verschiedenen Bildnissen.“192 er fand noch einige lobende Worte für die zum Kauf angebotenen Werke der „permanenten“ ausstellung – in der hoffnung, die besseren Bilder der einheimischen meister könnten zu Weihnachten einen Käufer finden, wenn er sie lobte. auch seligmann schrieb über diese ausstellungen im Künstlerhaus und war sehr unzufrieden, weniger mit munkácsy als vielmehr mit Brožíks großem historischem Gemälde und dettmanns Bildern. das ende des artikels sei hier zitiert, weil seligmann darin quasi seine ars Poetica als Kritiker formuliert: „die Poesie fehlt bei Brozik. (…) denjenigen gegenüber, denen unser urtheil zu unfreundlich erscheinen mag, erlaube man uns einige Bemerkungen. Wir haben es stets für die vornehmste Pflicht des Kritikers gehalten, das Publicum von irrthümern abzubringen, zu denen es durch autoritätsglauben oder Oberflächlichkeit geführt wird. der ausübende Künstler, der die schwierigkeiten seines Berufes am eigenen leibe erfahren hat, und täglich neu erfährt, wird vielleicht geneigt sein, große technische Geschicklichkeit zu überschätzen, ohne

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162. mihÁly munKÁcsy: ecce hOmO, 1896

doch dabei zu verkennen, ob eine große oder doch wenigstens interessante Persönlichkeit dahinter steckt. das Publicum hingegen erfreut sich an der virtuosen nachahmung der sinnlichen Gegenstände, ihm imponiert die Bewältigung großer Flächen, es interessiert sich für die erzählte anekdote, es bewundert auch häufig den bloßen namen und muss aufmerksam gemacht werden, wenn in einer glänzenden diction die an und für sich sehr zu schätzen ist, Gemeinplätze gesagt werden oder etwa in einer mühsamen harten sprache sich neue und tiefe Gedanken verbergen.“193 es wurde auch eine anspruchsvolle sammlung, die hauptsächlich aus den Bildern französischer meister bestand, gezeigt. in diesem Zusammenhang erklärt seligmann indirekt, welche künstlerischen ideale er am meisten schätzt. „courbet, corot, daubigny, diaz (…) höchst lehrreich ist es die Werke dieser großen dahingeschiedenen mit denen der Jetzt lebenden Genration zu vergleichen. (…) ein Zug fällt uns jedoch an allen diesen alten Bildern wohlthuend auf, ein Zug, den wir bei den meisten modernen vermissen; eine gewisse intimität, eine aristokratische Zurückhaltung und eine liebevolle Behandlung des dargestellten, die zu sagen scheint: mich freut’s. (…) es ist kein Zufall, dass die modernen, oder sagen wir, um es genauer zu bezeichnen, die secessionistischen schulen in einer Zeit blühen, in der auch die Kunst des Placats ihren Gipfel erreicht hat. alle diese ultramodernen Bilder sind ja eigentlich Placate, die mit tamtam schlägen die aufmerksamkeit auf sich zu ziehen trachten, affichen, die auf den unglücklichen Künstler aufmerksam machen der in dem allgemeinen Gedränge und trubel gar nicht mehr gehört wird …“194 es ist offensichtlich, dass seligmann die feinen effekte, die leise, intime, jedoch eindeutig authentische Kunst mag. seine ideale sind die intime landschaftsmalerei à la Barbizon und die stimmungsmalerei. auch wenn er versteht, weshalb die secessionisten kraftvolle lösungen wählen und um jeden Preis auf neues aus sind, stellt ihn das künstlerische ergebnis nicht zufrieden. er war ein sensibler romantischer, man könnte sagen, zu spät geborener mensch, der den Kollegen zwar keine normen vorgab (wie ilg es getan hatte), in der Kunst aber die Poesie suchte. Wenn diese fehlte,

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163. vÁclav BrOžíK: tu FeliX austria nuBe, 1896

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war das betreffende Werk für ihn nicht authentisch, sondern lediglich ein Bravourstück. Präzise erfasste er die reaktion der Künstler auf den druck des marktes. mit den poetischen Barbizonern endete das Jahr 1896 im Wiener Künstlerhaus also friedlich, doch das war nur die ruhe vor dem sturm.

’ 1 makart’s ariadne (Oesterreichischer Kunstverein). FB, 26. Jan. 1890. 2 die Jahresausstellung im Künstlerhause (vorläufiges). FB, 19. märz 1890. 3 e. ranzoni: Jahresausstellung im Künstlerhause. nFP, 27. märz 1890. 4 Jahresausstellung im Künstlerhause. i. das Geschichtsbild. FB, 21. märz 1890. 5 adam mickiewicz. FB, 29. Juni 1890. 6 die Jahresausstellung im Künstlerhause. iii. Porträt. FB, 3. apr. 1890. 7 die Jahresausstellung im Künstlerhause. iv. Genre. FB, 4. mai 1890. 8 die Jahresausstellung im Künstlerhause. v. landschaft, stilleben, Graphik. FB, 11. mai 1890. 9 die Jahresausstellung im Künstlerhause. vi. Plastik (schluß). FB, 18. mai 1890. 10 die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause. Pl, 21. märz 1890. 11 ilg: Jahresausstellung im Künstlerhause. Die Presse, 5. apr. 1890. 12 im vorangegangenen sommer wurde lobmeyrs sammlung vorgestellt. ansonsten waren die Werke der Privatsammlungen nur zu sehen, wenn sie nach dem tod der eigentümer versteigert wurden.

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Künstlerhaus (die sammlung Königswarter). FB, 7. Juni 1890. 14 seinem didaktischen instinkt folgend hob er diesen teil des textes sogar typografisch hervor, um den leser auf seine Wichtigkeit hinzuweisen. dieser bemerkenswerten methode, die er in seinen späteren Kunstkritiken regelmäßig anwandte, bediente er sich hier zum ersten mal. 15 die Galerie Königswarter. Pl, 8. Juni 1890. 16 lobmeyr verlieh 1889, nach dem tod Pettenkofens, viele Pettenkofen-Bilder an das Künstlerhaus, außerdem neunzig aquarelle von rudolf alt, wodurch er das material der Frühjahrsausstellung dieses Jahres sehr bereicherte. 17 v. h.-W.: Pariser chronik. der salon von champ de mars. FB, 28. mai 1890. 18 v. h.-W.: Pariser chronik. der salon der champs elysées. FB, 3. Juni 1890. 19 heute werden auch in einer „Blockbuster“-ausstellung nicht mehr als etwa 500 Werke gezeigt. 20 neumalerei. Pl, 14. dez 1890. 21 l. sp.: Bilder von Fritz von uhde (ausgestellt im Wiener Künstlerhause). nFP, 25. 12. 1890. 22 Friedrich schmidt. ein nachruf. FB, 24. Jan. 1891. 23 theophil hansen. FB, 20. Febr. 1891.

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die XX. Jahresausstellung im Künstlerhaus. i. Pax (landschaft von emil J. schindler). FB, 18. märz 1891. 25 die XX. Jahresausstellung. i. FB, ebd. 26 die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. ii. Plastik. FB, 22. märz 1891. 27 die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. vii. Genre. FB, 7. mai 1891. 28 die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. viii. landschaft und anderes (schluß). FB, 9. mai 1891. 29 heute ist das Bild eher unter dem titel Gang nach Betlehem bekannt, der die biblische assoziation direkt zum ausdruck bringt. 30 Über die XX. Jahresausstellung verfasste er einen langen artikel: die Jahresausstellung im Künstlerhause. nFP, 27. 3. 1891. darin nörgelt er über die vielen modernen richtungen (die er „moderichtungen“ nennt) und ihre Befürworter, lobt jedoch, hevesi gleichsam folgend, schindlers Pax. 31 speidel publizierte in der nFP immer unter dem monogramm l. sp., und da er als unanfechtbare autorität in sachen Burgtheater (und im Bereich der theaterkunst im allgemeinen) galt, deren meinung man zu kennen hatte, erregte es große aufmerksamkeit und verlieh seinen Kritiken besonderes Gewicht, wenn er sich auch zu anderen themen äußerte. Wen er lobte, der machte Karriere. speidel verfasste im laufe der Jahre kluge und schöne Feuilletons über Werke von leibl, munkácsy, Fritz von uhde und meunier. 32 l. sp.: ein unbekannter maler (hans von marées 1837–1887). nFP, 29. 3. 1891. 33 hildegard Kernmayer: Judentum im Wiener Feuilleton (1848–1903). max niemeyer verlag, tübingen 1998, s. 285–286. 34 hOmO: Kunstverein: Böcklin. WsmZ, 28. mai 1888. 35 Justus: die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. i. WsmZ, 30. märz 1891. 36 Justus: die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. i. WsmZ, 30. märz 1891; ii. 6. apr. 1891. iii. 13. apr. 1891. 37 Justus: die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. WsmZ, 30. märz 1891. 38 Justus: die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. WsmZ, 20. apr. 1891. 39 von der Photographischen abtheilung (Oesterreichisches museum). FB, 12. mai 1891. 40 Freiherr Baron Gustav von springer (1842–1920), Großindustrieller und Großgrundbesitzer. 41 Künstlerhaus (eine sommerausstellung). FB, 4. Juli 1891. 42 das K. k. Kunsthistorische museum in Wien. Pl, nr. 271, sa., 17. Okt. 1891. 43 siehe: christopher Wood: Victorian painters I. Band 432 antique collector’s club, Woodbridge, suffolk 1993 (2008). 44 revolution in der landschaft. Pl, nr. 321, di., 15. dez. 1891. 45 ebd.

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ebd. ebd. 48 Künstlerhaus (heinrich lang). FB, 14. Jan. 1892. 49 siehe tobias natter (hrsg.): Pleinair. Die Landschaftsmalerin Tina Blau, 1845–1916. ausstellungskatalog, Jüdisches museum der stadt Wien. Wien 1996. 50 Künstlerhaus (ausstellung des aquarellistenklubs). FB, 24. Jan. 1892. 51 Farbige Kupferstiche (speziellausstellung im Oesterreichischen museum). FB, 7. Febr. 1892. 52 i[lg]: Jahresausstellung im Künstlerhause, einleitung. die Presse, 7. apr. 1892. die Plastik. 13. apr. 1892. malerei. sa., 16. apr. 1892. malerei (Fortsetzung). sa., 23. apr. 1892. malerei (Fortsetzung). 10. mai 1892. malerei (schluß). 13. mai 1892. 53 Justus: Präludium zur XXi. Jahresausstellung im Künstlerhause. WsmZ, 28. märz 1892. die XXi. Jahresausstellung im Künstlerhause i. WsmZ, 11. apr. 1892. die XXi. Jahresausstellung. ii. WsmZ, 25. apr. 1892. die XXi. Jahresausstellung (schlußartikel). WsmZ, 2. mai 1892. 54 carl von vincenti: die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause. Die Kunst für Alle. 8, 1892, s. 230. 55 die XXi. Jahresausstellung im Künstlerhause ii (emil Jakob schindler). FB, 7. apr. 1892. 56 schindler (nachruf ). FB, 14. aug. 1892. 57 ebd. 58 die ausstellung wurde am 7. mai 1891 eröffnet und dauerte bis zum 9. Oktober. die wichtigste zeitgenössische Besprechung der veranstaltung ist: Oscar Fleischer: Die Bedeutung der internationalen Musik- und Theater-Ausstellung in Wien für Kunst und Wissenschaft der Musik. Leipzig, new york 1893. 59 martina nußbaumer: integration des Partikularen. vielfachcodierbarkeit als erfolgsgrundlage der „musikstadt Wien“. erzählung. in: imaging vienna. verlag turia Kant, Wien 2006, s. 71–86. 60 Justus: die XX. Jahresausstellung im Künstlerhause. i. WsmZ, 30. märz 1891. 61 die literatur zur Gruppe Jung-Wien ist sehr umfangreich, hier seien nur einige grundlegende arbeiten genannt: Gotthart Wunberg (hrsg.): Die Wiener Moderne. reclam, stuttgart 1981. donald G. daviau: Der Mann von Übermorgen. Hermann Bahr 1863–1934. Wien 1984. markus meier: Prometheus und Pandora. „Persönlicher Mythos“ als Schlüssel zum Werk von Hermann Bahr (1863–1934). Würzburg 1984. 62 Wie die Quellen eindeutig belegen, war diese ausstellung von Pauline Fürstin von metternich initiiert worden, die außer ihren aristokratischen Freunden auch die einflussreichsten Persönlichkeiten des liberalen Wiener stadtrates, unter ihnen nikolaus dumba, und dann den hof gewinnen konnte, mit anderen Worten, die gesamte intellektuelle und gesellschaftliche elite und die politische Führung. auf diese Weise konnten die finanziellen mittel für die ausstellung schnell beschafft werden. 63 ausstellungs-theater. nach zwei Gastspielen. FB, nr. 155, so., 3. Juni 1892. 47

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die macht der KunstKritiK

64 ausstellungs-theater („die tragödie des menschen“ von emerich madach. Übersetzt von ludwig dóczi, eingerichtet von robert Buchholz). FB, 21. Juni 1892. 65 Künstlerhaus (rudolf alt). FB, 15. sept. 1892. 66 von der Wiener Galerie. FB, 19. Okt. 1892. 67 den Palast, der eigentum der kaiserlichen Familie war, erhielt damals Franz Ferdinand als seine Wiener residenz. 68 am Jubeltage der akademie der bildenden Künste. FB, 26. Okt. 1892. 69 schindler’s nachlaß. FB, 26. nov. 1892. 70 ausstellung im Künstlerhause i. die Presse, 4. Jan. 1893. 71 dies war auch der Grund für die streitigkeiten um den salon in Paris. diese verlagerten sich dann auf die politische ebene, doch im hintergrund ging es immer auch um den Kunstmarkt. 72 ilgs wichtige aufsätze in den Flugblättern „Gegen den strom“: nur nicht österreichisch. heft i. moderne liebhaberei. heft Xiii, 1887. unsere Künstler und die Gesellschaft. heft Xviii. das schwarze Kamel. heft XXii, 1888. 73 Künstlerhaus. FB, nr. 12, do., 12. Jan. 1893. 74 José Benlliure (1858–1937), in valencia geborener spanischer maler, lebte jahrzehntelang in italien und malte äußerst virtuose koloristische Bilder, darunter viele innenräume von Kirchen und szenen aus dem religiösen leben des volkes. später bestimmte eine art malerischer realismus seinen stil. Baldomero Galofre y Jimenez (1849–1902), katalanischer maler, von courbet beeinflusst, doch später wurde seine Palette heller. seine themen waren pittoreske szenen aus dem leben in spanien. in den 1890er Jahren stellten beide regelmäßig im Wiener Künstlerhaus aus. 75 leopold K. müller (ausstellung des nachlasses im Künstlerhause). FB, nr. 53, mi., 22. Febr. 1893. 76 ebd. 77 albert ilg veröffentlichte fünf artikel über die ausstellung in der Presse. ein neuer Feuilletonist, der sich das Pseudonym Plein-air gegeben hatte, berichtete in drei artikeln in der Wiener Sonn- und Montagszeitung, und emerich ranzoni schreib zwei Feuilletons für die nFP. sogar ranzoni entwickelte in diesen Jahren auch seinen stil weiter: seine Bildanalysen wurden abwechslungsreicher und plastischer. 78 Jahresausstellung im Künstlerhause. i. das Bildniß. FB, 31. märz 1893. 79 Jahresausstellung im Künstlerhause. ii. „heilige nacht“ von ludwig dettmann. FB, 5. apr. 1893. 80 ludwig dettmann (1865–1944) gehörte neben max liebermann und Walter leistikow zu den Gründungsmitgliedern der Berliner sezession. er war Freilichtmaler, aber später malte er monumentale Wanddekorationen für Kiel und danzig. seit 1895 war er Professor an der Berliner Kunstakademie und seit 1900 direktor der Kunstakademie in Königsberg. siehe monika Potztal: Ludwig Dettmann. Zwischen Avantgarde und Anpassung. Flensburg 2008.

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Jahresausstellung im Künstlerhause ii. FB, 5. apr. 1893. 82 ebd. 83 ebd. 84 ebd. 85 emerich ranzoni: Jahresausstellung. die Jahresausstellung im Künstlerhause. nFP, 2. apr. 1893. 86 ilg: Jahresausstellung im Künstlerhause iii. die Presse, 11. apr. 1893. 87 ilg: Jahresausstellung im Künstlerhause iii. die Presse, 11. apr. 1893. 88 Jahresausstellung im Künstlerhause. iii. das heilige sittenbild. FB, 12. apr. 1893. 89 Piotr stachiewicz (1858–1938) studierte ab 1877 an der Krakauer schule der schönen Künste, danach ab 1882 bei Otto seitz in münchen. anschließend unternahm er mehrere studienreisen nach italien, Belgien und den niederlanden und ließ sich 1886 als maler und illustrator in Krakau nieder. 90 ilg: Jahresausstellung im Künstlerhause. v (schluß). die Presse, 27. apr. 1893. 91 Jahresausstellung im Künstlerhause. iii. FB, 12. apr. 1893. 92 Jahresausstellung im Künstlerhause. iv. das weltliche sittenbild. FB, nr. 106, di., 18. apr. 1893. 93 ebd. 94 ebd. – das esterházy-theater in tata ist abgebrannt, und Klimts Bild ist verschollen oder wurde vernichtet. Katalin czibula: Gustav Klimt és a tatai színház [Gustav Klimt und das theater von tata]. Kuni Domokos Múzeum közleményei. 19/2013, s. 145–152. 95 Jahresausstellung im Künstlerhause. v. nochmals das sittenbild. FB, 21. apr. 1893. 96 csóks Bild fiel allen auf. „Plein air“ (seligmann) schrieb Folgendes: „csók aus Paris bewegt sich ganz im Geiste dagnan-Bouveret’s und hat ein in diesem sinne sehr tüchtiges Genrebild gemalt.“ aus dem Künstlerhause ii. WsmZ, 24. apr. 1893. 97 moderne malerei (aus der Weihnachtsausstellung im Künstlerhause). FB, 26. nov. 1893. 98 ebd. 99 die Fachwelt hält theodor hörmann heute für den einzigen österreichischen impressionistischen maler, der im Übrigen lange Jahre in Paris verbrachte und von der Pleinairmalerei besessen war. er malte auch im Winter im Freien, was ihm schließlich zum verhängnis wurde, da er sich eine lungenentzündung zuzog, von der er sich nicht erholen konnte. 100 ilg: ausstellung im Künstlerhaus. die Presse, 1. dez. 1893. 101 ebd. 102 ausführlich siehe robert Jensen: Marketing Modernism in Fin-de-Siècle Europe. Princeton 1994, besonders 81–106. 103 ilg: ausstellungen im Künstlerhause. ii. die Presse, 1. dez. 1893. 104 ebd. 105 ilg: ausstellungen im Künstlerhause. ii. die Presse, 1. dez. 1893.

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106 Gegen den strom. Flugschriften für eine literarisch-künstlerische Gesellschaft. 1887. 107 Jan matejko (nachruf ). FB, 8. nov. 1893. 108 ebd. 109 William unger (1837–1932), radierer, unterrichtete Graphik in Wien an der akademie. 110 Graphische ausstellung (Österreichisches museum). FB, 10. märz 1894. 111 unverständlicher Bilder. münchen. Pl, 29. aug. 1894. Gemalte Welt – lenbach, Böcklin. Pl, 2. sept. 1894. Weiteres aus der Bilderwelt. Pl, 8. sept. 1894. 112 der deutsche Journalist clemens sokal arbeitete für die Zeitschrift Gegenwart. auch er war in erster linie theater- und literaturkritiker, schrieb jedoch auch regelmäßig ausstellungsberichte für die Wiener Allgemeine Kunst-Chronik. 113 clemens sokal: die Wiener internationale Jubiläumsausstellung. allgemeine Kunst-chronik 1894. Xviii. Jg., s. 200–203. 114 die Jubelausstellung im Künstlerhause. FB, 6. märz 1894. 115 englische Bilder in Wien. FB, 11. märz 1894. 116 Französische Bilder (internationale ausstellung). FB, 17. märz 1894. 117 ebd. 118 ebd. 119 deutsche Bilder (internationale Kunstausstellung). FB, 25. märz 1894. 120 holländische Bilder (internationale Kunstausstellung). FB, 1. apr. 1894. 121 ebd. 122 Jozef israëls (1827–1911) war einer der modischsten und meistgefeierten niederländischen maler des 19. Jahrhunderts und ein bedeutender vertreter der haager schule. er verbrachte auch einige Zeit in Barbizon und folgte dann dem vorbild rembrandts. seine realistischen szenen aus dem leben der armen seiner Zeit und seine matte braune oder graue Palette hatten einen starken einfluss auf seine Zeitgenossen (max liebermann, Fritz von uhde). 123 malerische rundreise (internationale Kunstausstellung). FB, 8. apr. 1894. 124 deutscher Bilder (internationale Kunstausstellung). FB, 15. apr. 1894. Österreichische Kunst. FB, 20. mai 1894. 125 Österreichische Kunst (internationale Kunstausstellung). FB, 20. mai 1894. 126 die skulptur schmückt heute den Wenzelsplatz in Prag. 127 vor thorschluß (internationale Kunstausstellung). FB, 2. Juni 1894. 128 insgesamt wurden zwanzig „Große goldene staatsmedaillen“ vergeben (14 an maler und 6 an Bildhauer), unter anderem an alma-tadema, Jozef israëls, sir Frederick leighton, max liebermann, Fritz thaulow und José villegas, um nur die bekanntesten namen zu nennen. 129 vor thorschluß (internationale Kunstausstellung). FB, 2. Juni 1894. 130 sein essay im Pester Lloyd ist wesentlich ausführlicher ist als der Wiener artikel. da man, wie

er meint, „unter sich“ sei, merkt er an, dass halb so viele Kunstwerke bei strengerer auswahl wesentlich wirkungsvoller gewesen wären, bewertet die entwicklung der ungarischen Kunst im vorangegangenen vierteljahrhundert aber dennoch als äußerst positiv und lobt, wo immer er kann. das mäzenatentum des staates erwähnt er hier allerdings nicht. siehe: ungarische Kunstwerke in Wien (internationale Kunstausstellung). Pl, 20. mai 1894. 131 ebd. 132 ebd. 133 FB, 6. dez. 1894. 134 die „secession“ in Wien (die münchener secession). Pl, 11. dez. 1894. 135 Felix salten: die secession. Wiener Allgemeine Zeitung, 16. dez. 1894. 136 hermann Bahr: malerei 1894. in: Die Zeit 1, 1894, heft 3, s. 42 f. Künstlerhaus. in: Die Zeit, heft 12, s. 186 f. 137 Über diesen umbruch in der Kritik siehe: i. sármány-Parsons: Auftakt zur Moderne. Kunstkritik der Wiener Tagespresse 1894. in: schleich –duschkovich (hrsg.) 1997. 169–184. 138 im aquarellisten-Klub (Künstlerhaus). FB, 25. Jan. 1895. 139 „Fin de siecle“ (Faschingsfest im Künstlerhause). FB, 5. märz 1895. 140 ebd. 141 eine Bildnißschau (Jahresausstellung im Künstlerhause). FB, 6. apr. 1895. 142 vom reichel Preis. FB, nr. 101, sa., 13. apr. 1895. (Feldkriegsregistrator Josef Benedikt reichel hatte diesen Preis noch zur Zeit des Biedermeier begründet. hevesi hielt die Kriterien für seine verleihung für ausgesprochen überholt.) 143 hinweis auf Josef Benedikt reichel. 144 Weiteres von der Jahresausstellung (Künstlerhaus). FB, 21. apr. 1895. 145 Jahresausstellung im Künstlerhaus (letzter Gang). FB, 30. apr. 1895. 146 internationale Kunst in venedig. Pl, 1. mai 1895. dieser ungezwungene ironische ton, in dem er über den „dämon“ der modernität spricht, ist nur für hevesi charakteristisch, für die jungen Wiener Kritiker nicht. 147 münchener Brief, Pl, 22. sept. 1895. 148 ebd. 149 er hat mit sicherheit schon früher Gemälde von manet gesehen, beispielsweise bei der centenaire 1889 in Paris, hatte jedoch keine Gelegenheit, über sie zu schreiben. 150 ebd. 151 münchener Brief. Pl, 25. sept. 1895. 152 ebd. 153 münchener Brief. FB, 22. sept. 1895. 154 münchener Brief ii. FB, 29. sept. 1895. 155 schwarz-Weiße Kunst (ausstellung im Künstlerhause). FB, 29. Okt. 1895. 156 ebd. 157 ebd. 158 aus dem Wiener Künstlerhause. Pl, 29. dez. 1895.

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aus dem Wiener Künstlerhause. Pl, 29. dez. 1895. 160 Polnische maler (Künstlerhaus). FB, 5. Jan. 1896. 161 eine menzel-ausstellung. FB, 9. april 1896. 162 neueste Bildnißmalerei. FB, 5. apr. 1896. 163 der italienische neoimpressionist und symbolist Giovanni segantini (1858–1899) war zu dieser Zeit bereits international bekannt, wurde jedoch erstmals in diesem Jahr im Künstlerhaus ausgestellt, und die modernistische Fraktion sprach ihm die goldene staatsmedaille zu. Bemerkenswert ist, dass die Kritiker ihn entweder negativ bewerteten oder gar nicht auf seine Bilder reagierten. das war übrigens auch ilgs argument dafür, dass es sich hier um die manipulation einer kleinen clique handelte. später verehrten die Künstler der secession segantini auf beinahe kultische art und Weise. 164 dieses Werk gehört heute unter dem titel Die bösen Mütter zu den wichtigen symbolistischen Bildern des Belvedere. 165 Plein-air: aus dem Künstlerhause. WsmZ, 30. märz 1896, 6. apr. 1896, 13. apr. 1896. 166 so stellte seligmann im ersten Jahr, als er zu publizieren begann und in der WsmZ über die XXii. Jahresausstellung berichtete, auch sein eigenes Bild mit dem titel Weg zum Hades vor! (damals war offensichtlich noch nicht bekannt, wer sich hinter dem Pseudonym verbarg.) siehe Plein-air: aus dem Künstlerhaus i. WsmZ, 17. apr. 1893. in der ausstellung von 1896 war jedoch keines seiner Werke zu sehen. 167 Franz seligmann (1862–1945) stammte aus einer wohlhabenden assimilierten jüdischen Familie. sein vater romero seligmann war medizinhistoriker. er studierte an der Wiener akademie bei Griepenkerl und von 1884 bis 1887 in münchen bei alexander Wagner. er versuchte sich in allerlei Gattungen, seine maltechnik ist in jeder hinsicht hervorragend, stellenweise virtuos, doch er fand kein kohäsives malerisches thema, mit dem er ein hervorragender individueller Künstler hätte werden können. irgendwie hatte er kein eigenes Profil, er verließ sich bei der themenwahl auf die mode. (das warf ilg ihm schon 1890 vor!) nach seiner rückkehr aus münchen wurde der sehr gebildete und bewanderte junge maler 1893 Kunstreferent der Wiener Sonn- und Montagszeitung (WsmZ), in der er bis 1904 regelmäßig über ausstellungen berichtete. 1898/99 schrieb er auch für die Zeitschrift Die Wage, war jedoch auch weiterhin als maler aktiv. nach 1900 lehrte er an der Wiener Kunstakademie für Frauen, die als private stiftung betrieben wurde. nach einer Weile übernahm er die aufgabe, den kritischen standpunkt gegenüber der secession sachgerecht zu formulieren – neben Karl Kraus lange Zeit als einziger. als er nach 1904 Kritiker einer der auflagenstärksten tageszeitungen, der Neuen Freien Presse wurde, stieg sein ansehen erheblich. in den Kreisen der kulturellen elite, die die secession nicht akzep-

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tieren konnten oder sie, vor allem Klimts Bilder, nicht mochten und die fast schon kultische Begeisterung, die sie umgab, für übertrieben hielten. auf diese Weise hatte seligmann auch einen immer besseren, das heißt engeren, Kontakt zu der schon alten Gräfin Pauline metternich, die zu denen gehörte, die in Fragen des künstlerischen Geschmacks in der aristokratie den ton angaben, und die sich nach 1900 von der experimentellen Kunst abwandte. 168 adalbert seligmanns Oeuvre ist noch nicht aufgearbeitet. 169 Plein-air: aus dem Künstlerhause. WsmZ, 30. märz 1896. 170 Jury der staatsmedaillen: rudolf Bacher, carl Karger, Franz marsch, rudolf Ottenfeld, carl Kundmann, hans rathausky, august Kirstein, ludwig michalek, august eisenmenger. 171 man weiß nicht, auf wen seligmann anspielt, nur auf die offiziellen Preisrichter innerhalb des Künstlerhauses, also die Künstler, die in der Jury saßen, oder auf jemand anderen. hevesi hatte keine offizielle Position inne und konnte nur mit seinen schriften einfluss auf die entscheidungen nehmen, die aber innerhalb des Künstlerhauses getroffen wurden. dennoch genoss er als Kunstkritiker ein so großes ansehen, dass seligmann vermutlich ihn meinte. 172 Plein-air: aus dem Künstlerhause, ii. WsmZ, 30. märz 1896. 173 ilg: Präludium zur Jahresausstellung im Künstlerhause. Die Presse, 25. märz 1896. 174 ebd. 175 ebd. 176 ebd. 177 ilg: Jahresausstellung im Künstlerhause ii. Die Presse, 3. apr. 1896. Jahresausstellung im Künstlerhause iii. Die Presse, 6. mai 1896. 178 elisabeth springer: Biographische Skizze zu Albert Ilg (1847–1896). in: Friedrich Polleroß (hrsg.): Fischer von erlach und die Wiener Barocktradition. Wien, Köln, Weimar 1995, s. 319–344. eva B. Ottillinger: Vom Blondel’schen Styl zum Maria Theresien Stil. Albert Ilg und die Rokoko-Rezeption in der Wiener Wohnkultur des 19. Jahrhunderts. in: Friedrich Polleroß (hrsg.): Fischer von erlach und die Wiener Barocktradition. Wien, Köln, Weimar 1995, s. 345– 368. andreas Kreul: Zwischen Pathos und Neuordnung. Die Fischer von Erlach-Monographien von Albert Ilg. in: Friedrich Polleroß (hrsg.): Fischer von erlach und die Wiener Barocktradition. Wien, Köln, Weimar 1995, s. 389–403. 179 Albert Ilg und die „Erfindung“ des Barocks als österreichischer „Nationalstil“. aufsatz von Peter stachel im sammelband: moritz csáky, Federico celestini, ulrich tragatschnig (hrsg.): Barock – ein Ort des Gedächtnisses. interpretament der moderne/Postmoderne. Wien, Köln, Weimar 2007, s. 101–152. 180 unter den wenigen nachrufen ist die Würdigung in der Neuen Freien Presse interessant: „albert

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ilg war selbst ein geborener Wiener und von patriotischem stolz auf die älteren leistungen der Kunst in Wien und in Oesterreich erfüllt. im Gegensatze dazu war er jedoch streng und kritisch gegen die modernen Kunstbestrebungen in Wien und gegen die zeitgenössischen Wiener Künstler. in dieser Beziehung war er eine sehr streitbare natur und hatte deshalb viele literarische Kämpfe zu bestehen. doch ist die Überlegenheit seines Wissens und der große erfolg seiner Forschungen und entdeckungen auf dem kunsthistorischen Gebiete auch von seinen Gegnern stets anerkannt worden.“ nFP, 30. nov. 1896, in der rubrik „Kleine chronik“. 181 ilg: victor tilgner †. Die Presse, 17. apr. 1896. 182 ilg: Zur enthüllung des mozart-denkmals. Die Presse, nr. 110, di., 21. apr. 1896. selma Krasa-Florian: Albert Ilg und Viktor Tilgner. Zur Plastik des Neubarock in Wien. in: Friedrich Polleroß (hrsg.): Fischer von erlach und die Wiener Barocktradition. Wien, Köln, Weimar 1995, s. 369–388. 183 eine Zusammenfassung über die jahrelangen erbitterten streitigkeiten um das mozart-denkmal und die ausschreibungen siehe bei Walter

Krause: Die Plastik der Wiener Ringstraße. Wiesbaden 1980, s. 208–216. 184 tilgner’s mozart denkmal. FB, nr. 110, di., 21. apr. 1896. Pl, nr. 94. so. 18. apr. 1896. 185 viktor tilgner todt. Pl, 14. apr. 1896. tilgner’s mozart denkmal. FB, 21. apr. 1896. 186 aeltere ungarische maler (Künstlerhaus). Pl, 28. Juni 1896. Kroatische Kunst. Pl, 12. Juli 1896. aus der „historischen hauptgruppe“ aeltere Zeit. Pl, 19. Juli 1896. aus der „historischen hauptgruppe“ (millenniums-ausstellung). Pl, 2. august 1896. 187 millenniums Kunstausstellung i. FB, 7. Juli 1896. FB. 12. Juli 1896. 188 Künstlerhaus. munkácsy – Brozik – van der stappen – heffner – dettmann – verschiedenes. FB, 1. dez. 1896. 189 ebd. 190 ebd. 191 ebd. 192 ebd. 193 Plein-air: aus dem Künstlerhause i. WsmZ, nr. 46, mo., 16. nov. 1896. 194 Plein-air: aus dem Künstlerhause ii. WsmZ, nr. 47, mo., 23. nov. 1896.

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Zu den am besten erforschten und am häufigsten abgehandelten ereignissen der Geschichte der Wiener kunst gehören die Gründung und die ersten sieben Jahre der secession. diese Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs gilt seit ihrer internationalen „entdeckung“ in den 1980er Jahren im kanon der moderne als vorreiter des modernismus und des künstlerischen Fortschritts. dementsprechend wurde alles und jeder, was beziehungsweise der ab 1897 nicht in irgendeiner Weise zu dieser vereinigung gehörte, in der mainstreamkunstgeschichtsschreibung dem konservativismus und der rückständigkeit zugeordnet, ja es wurde sogar infrage gestellt, ob es beziehungsweise er überhaupt einen künstlerischen Wert darstellte. die polarisierende sichtweise des modernismus teilte die damaligen ereignisse, die akteure des künstlerischen lebens, die maler und Bildhauer, die kunstkritiker und mäzene und die kulturbürokraten also mit der schärfe schwarz-weißer holzschnitte danach auf, ob sie Befürworter der secession waren oder nicht. unter den unzähligen abhandlungen und Fachpublikationen über die Zeit finden sich nur vereinzelt schriften, in denen eine nuanciertere rekonstruktion der ereignisse angestrebt wird oder mit mikrophilologischer Genauigkeit versucht wird, die Quellen ausfindig zu machen, die das versteinerte schwarz-weiße Bild modifizieren oder zumindest differenzieren könnten. eine solche abhandlung findet sich in dem Buch von Wladimir aichelburg, dem archivar des künstlerhauses, sie fand jedoch in Fachkreisen wenig Beachtung, da sie lediglich ein kapitel des umfangreichen Bandes über das unterschätzte künstlerhaus ist.1 aichelburg stellt zutreffend fest, dass die literatur über die opposition zwischen dem künstlerhaus und der secession eine Fülle von legendenbildungen enthält: „im Grunde gehen alle ursprünge dieser legenden auf die begeisterten artikel von hermann Bahr, ludwig hevesi, ernst stöhr und anderen zurück, die in Wien innovative strömungen begrüßen wollten. viel beigetragen dazu hat auch die secessionistische Zeitschrift ,ver sacrum‘, der die Genossenschaft nichts entgegenzustellen hatte.“2 um ein nuancierteres Gesamtbild zu erhalten, ist es deshalb wichtig, die Pressestimmen zu den ausstellungen der Jahre 1897 und 1898 genau zu untersuchen und dabei nicht nur die artikel von hevesi, sondern auch die der übrigen kritiker zu berücksichtigen. die ereignisse reichen natürlich mindestens bis 1896, wenn nicht noch weiter zurück, angesichts der späteren ereignisse war das wichtigste, vielleicht sogar entscheidende die hauptversammlung vom 30. november, in der die leitung des künstlerhauses für die nächsten zwei Jahre gewählt wurde. Bei der abstimmung erhielt nicht der Bildhauer edmund hellmer, sondern der maler eugen Felix die mehrheit. auch für eine reihe anderer als wichtig erachteter Positionen wurden nicht die von der Gruppe der „Jungen“ nominierten kandidaten gewählt.3 Bei der zweiten abstimmung am 5. dezember musste

164. Gustav klimt: die musik (ausschnitt), 1895

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die Gruppe um klimt, carl moll und Josef engelhart ebenfalls eine beträchtliche niederlage hinnehmen. dieses ergebnis beanstandete eine Person, die ihren namen nicht nannte, aber offensichtlich zur lobby der verlierer gehörte, in der ausgabe der Neuen Freien Presse vom 8. dezember in scharfem ton.4 darauf antwortete eine Woche später, nachdem die ausstellungsjurys gewählt worden waren, ein anderer maler (ebenfalls anonym), der die anschuldigungen des diffamierenden artikels einzeln widerlegte und die entscheidung der mehrheit verteidigte.5 vermutlich hatten der grobe ton und der umstand, dass die verlierer die internen Probleme des vereins an die Öffentlichkeit getragen hatten, das mittelfeld dazu bewogen, nicht die kandidaten derer zu wählen, die radikale neuerungen vornehmen wollten. die Jungen gingen auch anderswo zu radikaleren angriffen über, und in der Österreichischen Rundschau erschien ein ausgesprochen scharf formulierter artikel, in dem die neue leitung kritisiert wurde. ihre entscheidung, einen neuen verein zu gründen, dürfte schon zu diesem Zeitpunkt, im dezember, gefallen sein. doch solange die finanziellen mittel für diesen neuen verein und, noch viel wichtiger, ein eigenes ausstellungsgebäude fehlten, schwiegen sie über ihre Pläne und nutzten als mitglieder des kunstvereins die vorhandenen möglichkeiten. Zum skandal kam es erst am 29. märz, zwei tage nachdem hevesi am samstag, dem 27., im Fremden-Blatt einen langen artikel über einen neuen kunstverein veröffentlicht hatte, für den die stadt Wien ein Grundstück zur verfügung stellen würde, damit seine mitglieder dort eine ausstellungshalle und ein vereinsbüro errichten konnten. ob der artikel eine versehentliche indiskretion oder ein bewusster schachzug der klimt-Gruppe war, die ihren verein offiziell am 3. april gründete und die liste der mitglieder schriftlich an die leitung des künstlerhauses übermittelte, lässt sich heute nicht mehr feststellen. die spannungen wurden durch die debatten um die für die ausstellungen im ausland (dresden und münchen) ausgewählten Werke sowie dadurch verstärkt, dass die Gruppe der Jungen die bereits zugesagten Werke zurückzog. die gegenseitigen anschuldigungen dauerten noch eineinhalb monate an, bis die klimt-Gruppe schließlich in der hauptversammlung vom 22. mai die ihr schriftlich mitgeteilten anschuldigungen zurückwies und am 24. mai aus dem künstlerhaus austrat. (auch rudolf von alt schloss sich der Gruppe an.) sie bemühte sich auch nach ihrem „exodus“, die ihnen als Jungen entgegengebrachte sympathie in der Presse aufrechtzuerhalten. das künstlerhaus, das kein eigenes Presseorgan hatte und keine durchdachte Pressearbeit verfolgte, äußerte sich weder damals noch später zu den ereignissen.6 hier hatten sich die Gegensätze zwischen der experimentierenden künstlerischen elite und den künstlern zugespitzt, die für demokratische und gleiche mitgliederrechte eintraten. der unerbittliche elitismus der ersteren und die auffassung der letzteren, die das künstlerhaus im Grunde als „künstlergewerkschaft“ und fachliche interessenvertretung (kammer) betrachteten, in der jeder, der den mitgliedsbeitrag entrichtet hatte, unabhängig von seinem talent, seinen neigungen und seinen aktivitäten gleichermaßen in den Genuss der Privilegien kommen sollte, waren unvereinbar. es handelte sich nicht in erster linie um einen Generationenkonflikt, sondern um unterschiedliche anschauungen. die vorbereitungen zum austritt hatten bereits 1896 begonnen, als die clique der „Jungen“ die macht in den Jurys hatte, die die Preise vergaben. das war es, was nach der schließung der Jahresausstellung in jenem teil der Presse, die

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nicht ausschließlich die künstlerischen experimente guthieß, sondern auch den Geschmack des Publikums berücksichtigt sehen wollte, ausführlich und mit großer empörung abgehandelt wurde. von den acht medaillen, die damals an ungarische künstler vergeben wurden, gingen sieben an solche, die im mai 1897 als mitglieder der secession aus dem künstlerhaus austraten. albert ilg erkannte die Polarisierung schon damals und drängte darauf, getrennte Wege zu gehen. die vorbereitungen für die secession und der erwerb des Grundstücks für das zukünftige ausstellungsgebäude erfolgten monate vor der „offiziellen Gründung“ am 3. april. die chronologie der „sub rosa“ geführten korrespondenz und verhandlungen belegt, dass die Gruppe ihren „exodus“ mit einer großartigen strategie und taktisch geschickt vorbereitet hatte und nichts dem Zufall überlassen wollte.7 Zwar wurden in die statuten der secession regelungen des künstlerhauses übernommen, doch die wesentlichen Punkte wurden auf deutlich autoritärere art und Weise geregelt: die leitung wurde nicht gewählt, sondern ernannt, und für den verkauf der Bilder wurde statt der 2,5-prozentigen eine 10-prozentige Provision berechnet. ende 1896 hatte das künstlerhaus 383 ordentliche mitglieder, und im mai wechselten 16 von ihnen unter der leitung klimts zur secession. Womit also hat hevesi der secession wirklich zum erfolg verholfen?

1897 – die Parteilichkeit der Kritik das Jahr 1897 begann wie üblich mit der ausstellung der aquarellmaler8, das erste wirklich bedeutsame kulturelle ereignis des Jahres war jedoch die schubert-ausstellung, die am 20. Januar eröffnet wurde und bis ende Februar dauerte. sie wurde von der stadt Wien finanziert, und ihr initiator und einer ihrer wichtigsten organisatoren war der vielleicht bedeutsamste bürgerliche mäzen und schubert-verehrer der Zeit, einer der wichtigsten sammler von schubert-autografen, nicolaus dumba9. die ausstellung nahm die erste etage des künstlerhauses ein und war sowohl in Fachkreisen als auch beim Publikum ein großer erfolg. sie gehörte zu einer reihe kulturhistorischer ausstellungen wie der „kongress-ausstellung“ und war gewissermaßen, im hinblick auf die Periode, eine Fortsetzung derselben, wobei der schwerpunkt nicht auf dem adligen mäzenatentum, sondern auf dem Bürgertum und den künstlern der Zeit schuberts lag. unter den Bildern und darstellungen, die das leben und die Zeit des komponisten darstellten, ragten die Werke seiner Freunde moritz von schwind, leopold kupelwieser und Josef danhauser heraus, sodass man die ausstellung auch als Präsentation der meisterwerke des Biedermeier und der österreichischen romantik verstehen konnte. hevesi hielt sie auch im nachhinein für so wichtig, dass er seine kritiken darüber in seinem 1909 erschienenen Werk Altkunst – Neukunst: Wien 1894–1908 erneut veröffentlichte.10 im Grunde war es diese ausstellung, die das Biedermeier und die Zeit schuberts ein für alle mal zu neuem leben erweckte, wenn auch in äußerst idealisierter Form, als behagliches und bequemes Goldenes Zeitalter, das in den augen der Wiener – im Gegensatz zur hektischen und beschleunigten Gegenwart – das ideal eines glücklichen und kunsterfüllten lebens verkörperte.11 von da an war es leichter, in den Porträts, möbeln und Gebrauchsgegenständen der Großväter und urgroßväter die lokalen vorläufer

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165. moritZ von schWind: schuBertiade (ein schuBert-aBend Bei JoseF von sPaun), 1828

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des praktischen, einfachen und trotzdem oder gerade deshalb schönen designs zu erkennen. Für die architekten, kunsthandwerker und maler-designer der secession war auch diese ausstellung lehrreich. vermutlich zu dieser Zeit, während der vorbereitungen für die ausstellung, beauftragte nicolaus dumba Gustav klimt mit der Gestaltung des neuen musiksalons in seinem berühmten Palais in der ringstraße im empirestil.12 Zu dieser Zeit malte klimt die supraporten über den beiden Flügeltüren, Musik und Schubert am Klavier (die skizze der schubert-komposition ist von 1897 datiert), doch die Öffentlichkeit bekam die beiden Ölbilder erst 1898 und 1899 in den ausstellungen der secession zu sehen13 (abb. 165). der gewaltige erfolg der schubert-ausstellung in Wien war praktisch „vorprogrammiert“: seine lieder hatte man zu kennen, jedes Bürgerkind, das musikunterricht bekam, spielte seine stücke, und so war es nicht schwer, die nostalgische evokation vergangener Zeiten als authentisch zu erleben und sich mit ihrem ethos zu identifizieren. die Zwanziger- und dreißigerjahre des Jahrhunderts wurden verschönt und ästhetisiert und bedeuteten für das von der Badenischen Politik gebeutelte Wien die verlorene idylle, das Zeitalter der harmonie und der ruhe. all das koinzidierte mit angstgefühlen infolge der politischen spannungen, die die wohlhabenden Wiener Bürger, die sich nach sicherheit und ruhe sehnten, als drohende krise erlebten. die mittels

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der Ästhetik der meisterwerke der musik und der malerei des Biedermeier rekonstruierte vergangenheit wurde als idealbild teil des Prozesses, in dem „alt-Wien“ als Gegensatz zur Gegenwart zu einem Goldenen Zeitalter stilisiert wurde. das hing auch mit dem zunehmenden politischen einfluss des Wiener mittelstands und kleinbürgertums und der erstarkung einer gewissen konservativen antikapitalistischen mentalität zusammen, die die liberale Führung der stadt aus der macht verdrängte. im april bestätigte der kaiser endlich karl lueger, den Parteiführer der christlichsozialen Partei, als Bürgermeister der stadt Wien (nachdem er zum fünften mal gewählt worden war), sodass sich die Gemüter – zumindest in der kaiserstadt – zu beruhigen schienen und man hoffen konnte, dass ein neues, friedlicheres und harmonischeres Zeitalter anbrechen würde. die christlichsoziale Partei reagierte in ihrer Politik sensibel auf das emotionale Potenzial des kleinbürgertums, das Familie und alltägliche Bequemlichkeit mit dem anspruch auf gesellschaftlich-politische sicherheit verband. sie erklärte die Problemfreiheit, die in den seltenen (in der Biedermeier- und der historisierenden Genremalerei jedoch mit vorliebe verewigten) momenten der innigkeit und der emotionalen idylle als dauerhafter Zustand erschien und somit im nachhinein als merkmal des gesamten Biedermeier galt, in ihrem kulturpolitischen Programm zu

166. JoseF danhauser: Wein, WeiB und GesanG, 1839

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167. Jules chéret: Folies-BerGère, la loïe Fuller, Plakat

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einem erneut zu erreichenden Ziel und präsentierte sie ihren sympathisanten im folgenden Jahrzehnt als vorbild. die christlichsozialen machten sich das Ziel der liberalen, Wiens image als „kunststadt“ sowohl in der musik als auch auf dem Gebiet der bildenden künste weiterzuentwickeln und zu festigen, zu eigen, allerdings mit einer akzentverschiebung. sie propagierten die unter dem motto „Wein, Weib und Gesang“ zusammengefasste lebensauffassung, das heißt den Genuss der alltäglichen Freuden, als legitimes kulturelles erbe Wiens, als authentischen ausdruck der wahren Wiener lebensart (abb. 166). diese „identitätskonstruktion“, die so erfolgreich wurde, dass sie mindestens ein halbes Jahrhundert lang das selbstbild breiter massen (vor allem des Wiener kleinbürgertums) bestimmte und zur unerschöpflichen Quelle der unterhaltungsindustrie wurde, wurde damals, in den zwanzig Jahren vor dem ersten Weltkrieg, begründet. das ausschwärmen in die kleingaststätten im Wienerwald, essen und trinken, das hören von schrammelmusik und das singen von Wienerliedern gehörten zur (klein)bürgerlichen lebensweise, zumindest aber waren sie ein virtuelles ideal. die organisierte industriearbeiterschaft hatte an diesen Freuden natürlich nicht teil, doch auch die sozialdemokratische Partei unterstützte die musikkultur, die in Wien einen festen Bestandteil der Bildung darstellte. in der stadt gab es eine große Zahl von nicht nur bürgerlichen, sondern auch arbeitersingvereinen, die häufig von begeisterten idealistischen intellektuellen geleitet wurden. die musik kann – so schien es – die kultur der stadt auf einen gemeinsamen nenner bringen und demokratisiert die Gesellschaft. Zwar gingen die gnadenlos kritischen vertreter der Wiener intellektuellen elite, die die jeweiligen Probleme am liebsten durch radikale und grundlegende veränderungen gelöst hätten (z. B. karl kraus), von Zeit zu Zeit gegen dieses idyllische Wien-Bild an, doch endgültig ausradieren konnten sie es nicht.14 Während sich die Gemüter in Wien in den folgenden Jahren zu beruhigen schienen, war dies in der reichspolitik nicht der Fall: die Wahlen im märz 1897, bei denen bereits eine größere Wählerbasis abstimmen konnte, brachten eine dramatische politische umstrukturierung im Parlament.15 mit seinen im april erlassenen sprachenverordnungen (für Böhmen und mähren) goss Graf Badeni noch mehr Öl ins Feuer. es kam zu einer reihe von ausschreitungen, bis der kaiser ende november Badenis rücktritt verlangte. die nationalistisch gefärbten politischen kämpfe aber gingen weiter, und die Gegensätze zwischen tschechen und deutschen verschärften sich. in dieser lage ging es natürlich auch im kulturellen leben radikaler zu. statt sich um einen konsens zu bemühen, kam die konfrontation „in mode“, das heißt, diese war die vorherrschende reaktion. diese tendenz war auch im künstlerhaus zu beobachten, ja sie wurde quasi „visualisierbar“. Während man in der ersten etage in der schubert-ausstellung die idylle des alten Wien genießen konnte, wurden die Besucher im großen deutschen saal16 im erdgeschoss mit der ersten Plakatausstellung Wiens überrascht. Praktisch alle Zeitungen berichteten über das ungewöhnliche ereignis, denn die Welt der grellen modernen fran-

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zösischen Plakate war bis dahin nur wenigen bekannt gewesen. Für die künstler der jüngeren Generation, die sich beziehungsweise ihren eigenen stil suchten, waren sie sowohl in wirtschaftlichkommerzieller als auch in ästhetischer beziehungsweise stilistischer hinsicht eine offenbarung. das material war hervorragend zusammengestellt und umfasste berühmte Werke der bedeutendsten vertreter der Gattung: von Grasset, chéret, livemont, mucha, steinlein, lautrec und dem amerikaner Gibson. alle wichtigen Zeitungen und kritiker schrieben über die Plakatausstellung, und zwar überwiegend begeistert. seligmann schrieb in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung (WsmZ) anerkennend über beide ausstellungen.17 hevesis artikel beginnt wieder mit einem kulturgeschichtlichen abriss über die Gattung selbst. „es ist nagelneue kunst, ihr raffael heißt chéret.“ ausführlich und plastisch beschreibt er chérets künstlerische und stilistische kniffe (abb. 167) und kommt dann zu eugen Grasset, den er den „Burne-Jones“ des Plakats nennt.18 (nebenbei schmuggelt er viele informationen über die engländer William morris und Walter crane in diesen artikel und würdigt auch die relativ wenigen deutschen Plakate kurz.) im märz besprach er drei sehr unterschiedliche, aber interessante ausstellungen in einem Feuilleton.19 im ersten teil schrieb er über die etwa 400 virtuosen aquarelle, die die zweite etappe der reise Josef hoffmanns in den osten dokumentierten.20 im zweiten teil des artikels stellte er die Bilder von max slevogt (1868–1932), einem enfant terrible der deutschen Jugendstilmalerei, vor, die in der nähe des von hoffmann gemieteten „Bretterhauses“, in dem gerade eröffneten kunstsalon von eugen artin am Getreidemarkt 1 ausgestellt wurden. „slevogt ist eine gährende vollkraft, die rücksichtlos auf die naturfarbe losgeht, aber freilich in dem er sie ungeschminkt geben will, sie ins häsliche schminkt. seine jugendliche derbheit arbeitet auf der leinwand mit einer vollblütigen Breite, daß man ihm Wände wünschen möchte, um sie mit großen Fresken zu bedecken.“ das „hauptwerk“ der ausstellung, das die meiste kritik erntete, die gewagt von den Füßen her in einer verkürzenden Perspektive dargestellte Danae (abb. 168), analysierte hevesi ausführlich und berief sich dabei, um den harten realismus für den Betrachter akzeptabler zu machen, auf rembrandts Die Anatomie des Dr. Tulp. den dritten teil widmete er der ausstellung des hoffotografen Josef löwy. dabei beschrieb er ausführlich die vierzigjährige Bestehen von dessen atelier, das zu den bedeutendsten in Wien gehörte, siebzig angestellte hatte und deren Gebäude mit der modernsten technik der Zeit ausgestattet waren. Josef löwy hat mit seiner kamera die mehrzahl der bedeutenden Persönlichkeiten des gesellschaftlichen und künstlerischen lebens verewigt, und auch eines der ansprechendsten Fotos von hevesi ist seine arbeit.

168. max slevoGt: danaÄ, 1897

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Der Skandal den ersten artikel über die am 25. märz eröffnete xxv. Jahresausstellung veröffentlichte hevesi am sonntag, dem 27. märz21, einen tag nachdem er der Welt unter dem titel Die Wiener „Sezession“ als erster mitgeteilt hatte, dass die Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs ein Grundstück von der stadt Wien erhalten hatte, um darauf einen ausstellungsraum zu errichten.22 in dem sammelband Acht Jahre Secession (in dem hevesi im herbst 1905, nach dem ausscheiden der klimt-Gruppe, die chronik der ausstellungen des vereins veröffentlichte) ist dieser der erste artikel, zu dem er selbst eine anmerkung hinzufügte: „dieser aufsatz war die erste mitteilung, die das Publikum über die Gründung erhielt.“ Während in der äußerst umfangreichen Fachliteratur entweder die sitzung im künstlerhaus vom 3. april oder die vom mai als datum der Gründung der secession genannt wird, zeigt das auch von hevesi betonte datum, dass die kleine Gruppe der rebellen auf nummer sicher gehen wollte: sie erwarb das Grundstück für ihr zukünftiges ausstellungsgebäude von der stadt Wien, bevor sie aus dem künstlerhaus austrat. interessant ist außerdem, dass zu dieser Zeit noch von einem Grundstück an der ecke der Wollzeile die rede war, das erst später gegen eines an der ecke des karlsplatzes ausgetauscht wurde, das für sie viel besser geeignet war, da sich auch das konkurrierende künstlerhaus auf dem karlsplatz befand und sich das Gelände hinter der kunstakademie gerade zu jener Zeit zu einem kleinen ausstellungsviertel zu entwickeln begann, in dem sich unter anderem artins kunstsalon befand und an dem die Besucher des Theaters an der Wien regelmäßig vorbeikamen. der ton des artikels ist ausgesprochen pathetisch. hevesi setzt all sein schriftstellerisches talent ein, um dem leser die Gruppe junger künstler als sympathisch darzustellen. er ordnet sie in jenen modernisierungsprozess ein, durch den in der Geschichte Wiens in urbanistischer hinsicht ein neuer entwicklungsabschnitt begann, in dem es die umliegenden ortschaften integrierte und zu „Groß-Wien“ wurde. „eine stadterweiterung auf dem Gebiete der bildenden künste steht in aussicht; die kunststadt Wien, diese ungeheure kleinstadt, soll endlich ein Groß-Wien, ein wirkliches neu-Wien werden.“ er weiß, dass dieser schritt in künstlerkreisen Überraschung, ja empörung auslösen wird, da die Gruppe den „Putsch“ im Geheimen organisiert hat. nach hevesis informationen ist dem verein das ausstellungsgebäude sowohl in künstlerischer als auch in finanzieller hinsicht vorerst für zehn Jahre sicher, und sogar die Pläne für das Gebäude sind schon fertig („daß selbst die Pläne des neuen hauses fertig sind“). obwohl er betont, eine Gruppe junger moderner künstler habe die möglichkeit der errichtung der zweiten ständigen ausstellungshalle in Wien erkämpft, ist unser kritiker zu diesem Zeitpunkt, ende märz, diplomatisch und taktiert vorsichtig. er reiht das ereignis zwar in die reihe der austritte, der „secessionen“, aus den internationalen institutionen ein, schwächt den aspekt der opposition jedoch ab. er betont auch weiterhin, es handle sich möglicherweise um eine mit der münchener secession verwandte Bewegung, aber „diese jungen tapferen Wiener sind zugleich besonnene Patrioten. sie wollen keine Frondeurs, noch Wassergeusen sein und Guerillakrieg führen gegen akademie und künstlerhaus. nicht die sucht, den ,alten‘ schnippchen zu schlagen, hat sie gekitzelt. sie wollen niemanden ärgern, auch sich selber nicht aufspielen, sie wollen einfach trachten, die dar-

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niederliegende österreichische (nicht bloß Wiener) kunst auf die internationale stufe von heute zu heben.“23 er zitiert auch die Gründer, schlägt dann aber plötzlich einen kämpferischeren ton an: „die B. B. k. d. ist allerdings eine kampfgesellschaft, denn sie will den schlendrian in der kunst bekämpfen.“ eines der Ziele ist die anhebung des künstlerischen niveaus. er zählt die künstler auf, die sich in dem verein angemeldet haben, ebenso die ausländer (vorerst nur deutsche maler), die sich ihnen angeschlossen haben.24 Jedenfalls betont er, dass eine internationale „Öffnung“ notwendig ist, damit Wien auch in der bildenden kunst eine europäische kunststadt werden kann. (dass sie auf dem Gebiet der musik führend war, bestritt damals niemand mehr.) er fasst erneut die ereignisse der Wiener ausstellungen der vorangegangenen fünf bis sechs Jahre zusammen, die zu diesem schritt geführt haben. er benennt erneut die Ziele des vereins, zu denen es auch gehört, in Wien ein mit dem Pariser „luxembourg“ vergleichbares museum für moderne kunst ins leben zu rufen. außerdem wollen sie eliteausstellungen von künstlerischem niveau veranstalten, und zwar nicht nur in Wien, sondern auch in der Provinz, und den kostenlosen Besuch der ausstellungen ermöglichen. dann kommt er auf die einzelheiten der Pläne für das neue Gebäude zu sprechen und zitiert den aufruf des vereins, die mäzene und die künstler sollten Wien mit vereinten kräften erneut zu einer kunststadt machen. hevesi formuliert in seinem eröffnungsartikel in der tat taktisch klug, aber doch sehr genau die argumente und Ziele, die im Winter des vorjahres in der Wiener Rundschau veröffentlicht worden waren.25 es gibt keine stadt und keinen kunstverein, die beziehungsweise der einen solch unerwarteten schritt mit solchen Begründungen kommentarlos hingenommen hätte, denn in diesen wurden – bei aller vorsicht – auch schwerwiegende anschuldigungen formu-

169. Gyula BencZúr: die rÜckeroBerunG der Budaer BurG im Jahre 1686, 1896

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liert, und zwar, dass das material der ausstellungen des künstlerhauses in künstlerischer hinsicht wertlos sei, der verein der hemmschuh der künstlerausbildung sei und den talenten keine angemessenen ausstellungsmöglichkeiten biete. es ist nur zu verständlich, dass sich der Großteil der mitglieder über diese anschuldigungen empörte. auf diesen in der samstagsausgabe des Fremden-Blattes veröffentlichten artikel folgte am nächsten tag hevesis Bericht über die xxv. Jahresausstellung. den exponaten des Frühjahrssalons, den man auch als Jubiläumsveranstaltung betrachten kann, widmete der kritiker nur zwei artikel. er verzichtete auf die übliche einleitende Gesamtbewertung des leitmotivs der ausstellung und begann in medias res sogleich mit der vorstellung der Gemälde. als sei im laufe der Woche in der künstlergesellschaft nichts passiert, bespricht er ohne den geringsten hinweis auf die spannungen mit der gewohnten Gründlichkeit die Bilder und beginnt mit den seltenen Beispielen der historienmalerei. seine analyse über die beiden kontrapunktierenden hauptwerke ist ein so charakteristisches Beispiel einer Bewertung, die nicht anhand dogmatischer normen erfolgt, sondern in jedem stil einen Wert erkennt und vom Werk selbst ausgeht, dass ich sie hier vollständig anführe. das erste Bild ist Die Rückeroberung der Budaer Burg im Jahre 1686 (Buda visszafoglalása 1686) von Gyula Benczúr (abb. 169), das der maler im auftrag Budapests zum tausendjährigen Bestehen des landes angefertigt hat. „in ungarn ist der Wille zur kunst so stark, daß solche (beneidenswerthe) aufträge noch möglich sind. dort, im schoße einer historisch-politisch erzogenen nation, ist auch noch wie bei den landesleuten matejko’s die sittliche Grundlage für ein solches Bild vorhanden. die fortlebende Freude am Geschehenen, wie an einem ererbten Besitz, und die Fähigkeit vergangenes gegenwärtig zu empfinden. in unseren modernen tagen, die vom augenblick leben, sieht ein so großartiges rückblickwerk wie vom himmel gefallen aus. das ist ein anderer Planet, auf dem noch Piloty herrscht und seine glänzenden kostümfeste veranstaltet. Bestimmte ateliergesetze regeln dort den lauf der dinge, oder vielmehr ihr stillestehen in wohldurchdachtem Gefüge, in dem sie wie krystallisirt für ewig verharren. heute malt der maler den augenblick, ohne ihn auch nur wie Faust zum verweilen einzuladen; im Gegentheil, gerade sein vorüberhuschen will er zur empfindung bringen. das lebendige Fließen und Wogen des seins, so unmittelbar als möglich, also überwiegend als lichterscheinung und Farbenstimmung. Benczur’s großes tableau – wir haben es dem leser von der millenniumsausstellung her geschildert – ist in seiner art ein meisterwerk. Was an atelierkönnen darin steckt, bringt dermalen wohl unsere ganze akademie nicht auf. der ungarische meister übt da eine reihe halbvergessener künste mit tadelloser virtuosität. da gibt es noch Zeichnung, Plastik, komposition, Perspektive und andere seither schier verpönte dinge. man bedauert ordentlich, daß es nicht vor dreißig Jahren ausgestellt worden. Benczur ist thatsächlich der universalerbe der Pilothschule, deren können er in der richtung des spezifisch ,Brillanten‘ entwickelt hat. im Porträt überragt er die ganze schule himmelhoch. Für die große historie, im älteren sinne, ist allerdings seine Persönlichkeit doch nicht kraftvoll und urwüchsig genug; der hochentwickelte ateliermensch hat den naturmenschen nicht aufkommen lassen. ein neuer delacroix würde auch wieder solche szenen mit unabwehrbarer Wirkung malen. recht als Gegensatz zur Benczur’schen kunst hängt ein ähnliches unternehmen eines jungen modernen da: ,Das Ave Maria nach der Schlacht am Berge Isel 1809‘ von albin egger-lienz in münchen (abb. 170). es ist abend geworden, im dämmer des Waldes kniet eine dichtgedrängte schaar, eine mauer von

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170. alBin eGGer lienZ: das ave maria nach der schlacht am BerGe isel, 1809, 1896

menschen, vor ihr der junge Fähnrich, mit gesenkter Fahne. die stille, ernste Gebetstimmung geht durch Wald und heer, die Bäume beten mit. alles ist in die nämliche dunkle andacht eingehüllt, mehr wie ein raunen erscheint selbst der irre lichtflimmer über die knienden hin. als Gesamtstimmung ist das Bild vortrefflich, auf einzelne Feinheiten läßt es sich überhaupt nicht ein; auch auf bildmäßige Gliederung nur wenig. es arbeitet mit der erhabenheit des einförmigen, die so weit festgehalten ist, daß man den eindruck hat, ein beliebiger ausschnitt des Bildes würde für sich allein dasselbe sagen.“26 der andere, nunmehr bedeutende kunstkritiker, Franz seligmann, widmete diesen beiden Bildern in seiner kritik der ausstellung ebenfalls besondere aufmerksamkeit. so lohnt es sich, seine aussagen über Benczúr denen von hevesi gegenüberzustellen.27 „Benczur ist diesmal ganz Piloty. das theatralische arrangement, die satte und gänzlich unwahre Buntheit der Farbe sind uns heutzutage so unerträglich, daß wir leicht darüber die wirklich großen vorzüge in Zeichnung und charakteristik übersehen, die das Bild ohne Zweifel aufweist, und die [den von] ihm unter den akademieprofessoren in höherem auftrage gemalten haupt- und staatsactionen einen hervorragenden Platz sichern.“28 der dem naturalismus verpflichtete maler seligmann kann die im Geiste des neobarock stehende historienmalerei 1897 nicht mehr ertragen. von den Bildern der Jahresausstellung 1897 hielt hevesi mehrere für bedeutsam, gelungen oder geradezu hervorragend, so zum Beispiel die Bauernmadonna von d. Glotz und Vorüber von eduard veith oder das neue kaiserporträt von leopold horovitz. er lobt das atelierbild aus demselben Jahr von temple, auf dem dieser das atelier des Bildhauers caspar von Zumbusch verewigt hat. Bei den landschaftsmalern bedenkt er die Werke des norwegers Fritz Thaulow, der deutschen schönleber, Willy hammacher und kallmorgen sowie des Belgiers courtens mit kurzen, je nach ihrer stimmung poetischen oder treffend geistreichen Besprechungen. von den „einheimischen“ lobt er die arbeiten des Polen Julian Fałat und die von rudolf von ottenfeld. in seinem zweiten artikel

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über die ausstellung bespricht er nach den Bildhauern weitere österreichische landschaftsmaler sowie die aquarellisten, unter denen natürlich auch rudolf von alt noch vertreten war (der zu dieser Zeit mitglied beider verbände, des künstlerhauses und der Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs war). am ende des artikels nennt er in einem kurzen satz auch einen neuen namen: „starkes Farbentalent und frische technik hat der ungar Philip lászló.“29 sein nächster wichtiger Feuilletonartikel erschien im mai, als die mitglieder der Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs, also der secession, endgültig aus dem künstlerhaus austraten.30 aus der Formulierung und dem inhalt geht eindeutig hervor, dass hevesi auf der seite der ausgetretenen künstler steht und die leiter des künstlerhauses für die ereignisse verantwortlich macht, ja sogar beanstandet, dass sie angesichts der krise nicht zurückgetreten sind. Über die Jahresausstellung dieses Jahres, also die xxv., sagt er nachträglich, die Öffentlichkeit halte sie für eine der am schlechtesten gelungenen, obwohl die Jury angeblich sehr streng war. (das widerspricht dem, was er selbst über die Bilder geschrieben hat!) im rückblick schreibt er alle interessanten Gemälde der vorangegangenen Jahre den Jungen zu, vom auftritt der münchener secession bis zur organisation der Plakatausstellung, und damit hat er wohl recht. seine hauptargumentation läuft darauf hinaus, dass Wien mit dem ausland schritt halten und den lokalen kunstmarkt für ausländische Werke öffnen müsse, um auch in der bildenden kunst erneut den rang eines künstlerischen Zentrums zu erlangen. hevesi spricht sich gegen den merkantilismus der mittelmäßigen kleinen Wiener meister aus, die um ihre existenz fürchten. es ist offensichtlich, dass die mehrheit, die das künstlerhaus als eine art „Gewerkschaft“ für ihr Gebiet verstand, von wichtigen Gesichtspunkten der existenzsicherung geleitet wurde. Für die Jungen war es ebenso wichtig, möglichst überall und möglichst viel ausstellen zu können (wie früher schon erwähnt), jedoch nicht auf der Grundlage eines demokratischen rechts, sondern aufgrund des vorrechts der auserwählten künstlerischen elite. ursprünglich (das heißt in ihren Plänen, und auch im märz noch) beabsichtigten sie, im künstlerhaus zu bleiben und daneben ausschließlich nach künstlerisch-ästhetischen kriterien ein eigenes ausstellungsgebäude zu betreiben, das sie auf einem von der stadt bereitgestellten Grundstück errichten würden. hevesi verteidigt dieses konzept damit, dass es der durchschnittlichen routine, der „Wiener Produktion“, nicht schaden würde, wenn eine freie künstlervereinigung eine freie kunst pflegen würde, die sich nicht nach den erwartungen des marktes richtet, sondern nur künstlerische kriterien berücksichtigt („daß daneben eine freie vereinigung freie kunst treibe, die nicht auf den markt reflektiert, sondern für die es nur rein künstlerische Gesichtspunkte gibt? an die käufer jener anderen wendet sich ja ein derartiger verein gar nicht, sein element ist das sogenannte ,unverkäufliche‘.“31). natürlich konnte diese idealistische vorstellung niemals verwirklicht werden, da alle künstler ihre Werke verkaufen wollten und zudem erwarteten, dass die „unverkäuflichen“, also nicht für das bürgerliche Publikum, sondern für die Zukunft oder die menschheit geschaffenen monumentalen hauptwerke vom staat (oder eventuell von der stadt) für ein öffentliches museum erworben wurden. die ereignisse der folgenden Jahre sollten zeigen, wie hart und gnadenlos die idealistischen Jungen und die im künstlerhaus gebliebenen meister um die Beherrschung des kunstmarktes beziehungsweise um jeden einzelnen auftrag kämpften.

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als Begründung für den exodus der secession führt hevesi die kränkungen an, die den ausgetretenen künstlern im Zusammenhang mit der internationalen ausstellung in dresden widerfahren sind. angeblich haben einige der zu spät benachrichtigten künstler ihre Bilder gesondert und auf eigene kosten nach dresden geschickt, wo sie dann auch zwei der vier Goldmedaillen gewannen. die leitung des künstlerhauses missbilligte die „sonderaktion“ und wies die künstler in der hauptversammlung scharf zurecht, woraufhin diese zusammen mit rudolf von alt aus dem verein austraten. (schließlich entschieden sich zwölf von ihnen zu diesem schritt.) hevesi bedauerte den „Bruderzwist“, meinte jedoch: „die neue vereinigung wird hoffentlich bald in der lage sein, für das zu leben, was ihr am herzen liegt, und das vernünftige oder vernunft annehmende Publikum wird mit ihr sein.“ auch seligmann kommentierte das ereignis wohlwollend (er wollte zu diesem Zeitpunkt noch keine stellung für die eine oder andere Partei beziehen) und bedauerte die verhärtung der Fronten, doch auch er hoffte, dass die stadt nur gewinnen würde, wenn zwei kunstvereine miteinander wettstreiten würden und sie zwei ausstellungsgebäude hätten.32 im september berichtete hevesi über die internationale ausstellung im münchener Glaspalast.33 Zu diesem Zeitpunkt stellten die mitglieder der münchener secession bereits wieder gemeinsam mit denen des münchener kunstvereins aus und akzeptierten sogar, dass der „kopf“ des konservativen künstlerlagers, lenbach, auch hauptorganisator der installation der ausstellung wurde. der kritiker bewertete die ausstellung, in der auch zahlreiche kunstgewerbliche Werke gezeigt wurden und die Werke, wo immer möglich, im sinne des ideals des Gesamtkunstwerkes angeordnet waren, als sehr fortschrittlich („… sie ist sogar in manchen dingen von anbahnender kraft“). am ausführlichsten schrieb er dennoch über die Gemälde, von denen er Burne-Jones’ Zyklus The Legend of St George (heutiger titel: The Perseus Cycle), hodlers Die Nacht und stucks neueste Werke hervorhob. im herbst fanden in Wien mehrere ausstellungen statt, die feste Bestandteile der modernisierung des künstlerischen lebens waren: Bei der Gartenbaugesellschaft stellte slevogt seine verstörend modernen Bilder aus, darunter seine in gewagter verkürzung dargestellte naturalistische Danae, die hevesi im Gegensatz zu den übrigen kritikern lobte34, und im november war im ausstellungshaus der kunst- und musikalienhandlung am kohlmarkt eine mucha-ausstellung zu sehen (abb. 171), über die er ebenfalls begeistert schrieb.35 auch im kunstgewerbe waren die Gemüter erregt; die neue leitung des oesterreichischen museums präferierte gegenüber dem historismus den englischen möbelstil und die suche nach neuen stilen.36 hevesi stand natürlich auf der seite derer, die auf veränderungen drängten. es ist offensichtlich, dass die Jungen ihn für sich gewonnen hatten: er erachtete die Werke der bedeutenderen mitglieder der Gruppe (moll, engelhart, Bernatzik, krämer und klimt) schon seit Jahren als der unterstützung wert, und es ist aus menschlicher sicht verständlich, dass es dem alternden kritiker sehr gefiel, dass die Jungen ihn dauernd um seine meinung baten, ihn in ihre Pläne einweihten und seine ratschläge befolgten. kleine andeutungen und die wenigen erhaltenen Briefe beweisen, dass sogar der angesehene akademieprofessor otto Wagner ihn in einem persönlichen Brief bat, seine Gebäudepläne und modelle in seiner Zeitung zu besprechen.

171. alFons mucha: medea, Plakat, vor 1898

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die jüngeren kritikerkollegen, die die secession unterstützten (hermann Bahr und sein kreis) hatten sein Fachwissen und seinen Professionalismus schon früher, im Jahr 1894, auf beinahe ehrerbietige Weise anerkannt und ihn damit für sich gewonnen. das allein hätte wahrscheinlich nicht für ein stabiles Bündnis gereicht, dafür bedurfte es auch dessen, dass hevesi ehrlich davon überzeugt war, dass veränderungen nötig waren, dass die Jungen (olbrich, Josef hoffmann und die maler) eine wirklich neue Qualität in das fade gewordene künstlerische leben Wiens brachten, dass ihre Werke eine neuerung darstellten und dazu beitrugen, dass die bildende kunst der stadt erneut auch international anerkannt wurde, wie es einst in makarts Zeit war.

1898: Die große Konfrontation und der Durchbruch

172. titelseite von kunst und kunsthandWerk, JahrGanG i. 1898

das Jahr 1898 war ein besonderes: Wegen des 50-jährigen regierungsjubiläums von kaiser Franz Joseph wurden zahlreiche ausstellungen organisiert, darunter auch die Jubiläumskunstausstellung im Wiener künstlerhaus, die in zwei etappen im Frühjahr und im herbst stattfand. die junge secession musste mit einer Flut von ausstellungen konkurrieren und sich „sichtbar, bemerkenswert machen“. dieses Jahr brachte den endgültigen durchbruch der modernen künstlerischen richtungen im künstlerischen leben Österreichs, was zugleich auch eine Polarisierung der Fronten und der künstlerischen Gruppierungen bedeutete. die vorbereitungen für die institutionelle spaltung liefen seit dem herbst 1896, und im Frühjahr 1897 kam es zum Bruch. danach allerdings musste die relativ kleine Gruppe der Jungen, die sich zu den modernen Bestrebungen bekannten, beweisen, dass sie tatsächlich anders waren als die mehrheit, dass das, was sie vertreten, sowohl auf ideeller ebene als auch hinsichtlich des künstlerischen niveaus etwas neues, Besseres, aktuelleres und qualitativ hochwertigeres war als das, wofür alle übrigen österreichischen maler und künstler standen. diese damals noch ungewohnte hybris und der unverhohlene elitismus verletzten natürlich alle, die nicht zur Gruppe der 19 Gründer der secession gehörten. (die ausländischen korrespondierenden mitglieder und die ehrenmitglieder, mit denen sie die mitgliederzahl – aus taktischen Gründen – erweiterten, zählten in dieser hinsicht nicht, da sie nicht „im Bilde“ waren und die unterschiede sowie die situation in Wien oftmals gar nicht verstanden. die „secessionisten“ vor ort aber brauchten sie auch aus strategischen Gründen dringend, da sie das ansehen und das Gewicht des neuen vereins auf diese Weise vergrößern konnten.37 auch bis sie als neue Gruppe mit neuen Werken vor die Öffentlichkeit traten, mussten sie in der Wiener kunstszene präsent sein, und dazu diente die Zeitschrift Ver Sacrum, die eine völlig neue strategie in der kunst verkörperte. natürlich brauchte auch die diesbezügliche organisation Zeit, doch nach einem halben Jahr konnte die alle zwei monate erscheinende, absolut elitäre Zeitschrift, die das theoretische und kritische

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Forum der vereinigung sowie ihr grafisch-stilistisches experimentierterrain wurde, beim Gerlach verlag gestartet werden.38 Weder die 1892 gegründete münchener noch die 1898 gegründete Berliner secession hatte eine eigene Zeitschrift, und selbst der als „ursecession“ geltende Salon des Refusés (salon der abgewiesenen) hatte kein eigenes Presseorgan. die Zeitschriften des Jugendstils, also des art nouveau (z. B. Studio, Jugend, Simplicissimus, Pan, die tschechische Volné Směry), waren organe umfassenderer kultureller Bewegungen oder – seltener – mit einer bereits bestehenden institution verbunden wie beispielsweise die Wiener Zeitschrift Kunst und Kunsthandwerk, die die monatsschrift des oesterreichischen museums (des kunstgewerbemuseums) war und ebenfalls im Januar 1898 gegründet wurde. 39 hevesi stellte das modernisierungsprogramm der neuen leitung des museums in einem langen artikel vor.40 die heftigen debatten um die erneuerung des kunstgewerbes (in denen es ebenfalls um das ende der historisierenden neorenaissance und die schaffung eines neuen stils, der auch die englischen vorbilder berücksichtigte, ging), an der sich auch namhafte experten beteiligten, begann zur selben Zeit wie die experimente in der malerei, bezogen diese dann ein und führten so zur schaffung (konstruierung) eines neuen österreichischen kunststils. in seinem artikel betont hevesi mit Bezug auf die Professoren (Berlepsch aus münchen und Franz Wickhoff vom institut für kunstgeschichte der universität Wien), wie wichtig es ist, dass die hohen künste und das kunstgewerbe zusammenarbeiten, dass auch maler kunstgewerbliche Gegenstände entwerfen und dass eine der hauptaufgaben des museums in der schaffung und verbreitung eines neuen stils in Österreich bestehen sollte. diesem Zweck sollte die neue Zeitschrift des museums (neben der veröffentlichung wissenschaftlicher mitteilungen) dienen. im Februar verfasste hevesi auch über die Zeitschrift Ver Sacrum einen „Werbeartikel“.41 nach der Besprechung des einbands und des inhalts erklärt er ausführlich die symbolische Bedeutung der Zeichnungen, hebt die technischen neuerungen hervor, beschreibt anschaulich die künstlerischen effekte, wobei er auch auf die fachlichen „kniffe“ hinweist, und lässt die detaillierte vorstellung der Ziele der künstlergruppe geschickt mit einfließen, in der hoffnung, dass „… auch in Österreich eine wirklich lebendige, wirklich nationale [sic!] kunst erwacht“.42 (abb. 173) in der mitte des artikels spricht hevesi mit einem satz die situation an, die den tatsächlichen Grund für die immer schärferen kämpfe aufdeckt, die im laufe des Jahres in der Wiener kunstszene zu beobachten waren: seiner meinung nach kam es zu diesen erbitterten kämpfen, seit allen klar geworden war, dass die epoche der monumentalen (staatlichen) Bauvorhaben zu ende war: „der Wettbewerb aller gegen alle ist in Wien, seitdem die monumentale Bauperiode vorüber, wieder bedeutend verschärft.“43 die mitglieder der secession stellt er konsequent als idealisten dar, die die Zeitschrift selbstlos und ohne honorar zustande gebracht haben, erwähnt jedoch nicht, dass das teil einer gänzlich neuen, effektiven strategie ist, die auf die eroberung des öffentlichen raumes und dadurch auf die kontrolle des ausstellungsbetriebs abzielt, bei der er ein-

173. alFred roller: ver sacrum, 1898

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174. heinrich leFler – JosePh urBan: FeBruar – kaiserlied, Österreichischer kalender, 1898

175. Gustav klimt: Plakat der 1. ausstellunG der secession, 1898

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deutig ein verbündeter der modernisten ist. (in Wien hatte es zuvor keine regelmäßig erscheinende exklusive lokale kunstzeitschrift gegeben, diese aufgabe fiel nun der Ver Sacrum zu. außerdem fanden die herausgeber in der neuen Fachzeitschrift Kunst und Kunsthandwerk des oesterreichischen museums einen künstlerischen und kulturpolitischen verbündeten.) die praktische künstlerisch-strategische leitung der Gruppe lag nicht in erster linie bei klimt, sondern bei carl moll, Josef engelhart und kolo moser, während hevesi als graue eminenz aus dem hintergrund ratschläge erteilte. klimt war bekannt dafür, dass er das Briefeschreiben hasste, und er galt auch sonst als wortkarg. (nicht wenige seiner Zeitgenossen hielten ihn zwar für ein Genie, aber auch für ungebildet. letzteres kann man heute widerlegen, denn durch die verwandtschaftlichen Beziehungen zur Familie Flöge und die engen künstlerfreundschaften fand er sich plötzlich inmitten der intellektuellen elite und war somit praktisch gezwungen, sich zu bilden. das war für sein weiteres umfeld jedoch nicht zu erkennen, außerdem blieb er, was sein Privatleben betraf, weiterhin sehr verschlossen, was erklärt, weshalb so viele Gerüchte und später legenden über ihn kursierten.) nach dem erfolg seines Gemäldes Burgtheater aber galt er als eines der größten talente in Wien, die zeitgenössischen kritiker lobten (in den ersten Jahren) nur Josef engelhart mit derselben Begeisterung wie ihn. klimts name war für die außenwelt eine Garantie für künstlerische Qualität, die nicht infrage gestellt werden konnte. da seine Gemälde die ausstellungen um 1900 dominierten, stand sein lebenswerk bei der Bearbeitung der Geschichte der secession im mittelpunkt. die Wiener malerei verband man auch international mit seinem namen, und man ging davon aus, dass auch alle strategischen und taktischen schritte seiner praktischen Führung zuzuschreiben waren, was jedoch eher unwahrscheinlich ist, wenn man seine Persönlichkeit besser kennt. auch die strategie des vereins wurde nicht von ihm erarbeitet, den löwenanteil der praktischen arbeit übernahm der als guter organisator bekannte carl moll, der seit Jahren gute kontakte zum „Bildungsbürgertum“ und zu den kreisen der mäzene hatte.44 moll beherrschte mehrere sprachen und verfügte über hervorragende internationale verbindungen, zusammen mit engelhart bereiste er ganz europa und pflegte eine ausgedehnte korrespondenz, um neuartige und qualitativ hochwertige Bilder für die ausstellung zu organisieren. dabei halfen auch alle anderen mitglieder (Bernatzik, kurzweil usw.), die jemals in Paris, Belgien oder münchen gewesen waren. es war für die secession eine schwierige aufgabe, aber die Gruppe musste beweisen, dass sie besser war und bessere ausstellungen organisierte als das künstlerhaus. das war deshalb besonders schwer, weil man sich in nahezu allen Bereichen des kulturellen lebens seit Jahren darauf vorbereitete, das Jahr des 50-jährigen regierungsjubiläums von kaiser Franz Joseph, das den meisten institutionen die Gelegenheit bot, groß angelegte retrospektive ausstellungen zu organisieren, gebührend zu feiern (abb. 174).

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176. JosePh maria olBrich: das innere der ersten ausstellunG der secession in Wien, 1898

aus diesem anlass plante das künstlerhaus – wo ohnehin die organisation einer neuen internationalen kunstausstellung anstand45 – eine außergewöhnlich groß angelegte schau und lud viele namhafte ausländische künstler ein. die secession wollte die lorbeeren schon vorher und nur für sich ernten und deshalb ihre erste ausstellung, an der ebenfalls große ausländische meister teilnehmen sollten, vor der internationalen schau des künstlerhauses eröffnen.46 da ihre eigene ausstellungshalle noch nicht fertiggestellt war, veranstaltete sie ihre „Premiere“ in den räumen der Gartenbaugesellschaft. die moderne, vom Jugendstil geprägte installation wurde von Josef olbrich und Josef hoffmann entworfen (abb. 176). alle bedeutenden kritiker schrieben über die ausstellung, doch hevesi veröffentlichte seine ausführliche Besprechung als erster, einen tag vor der eröffnung.47 (damit gab er wieder einmal den ton an. alle anderen

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177. Fernand khnoPFF: unBeWeGtes Wasser, 1894

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kritiker mussten auch auf seine Bewertung reagieren, außerdem beeinflusste sie sein inzwischen unerschütterliches fachliches ansehen.) der tenor des artikels ist triumphierend und frohlockend: „eine solche ausstellung hat es in Wien überhaupt noch nicht gegeben. eine nämlich, die in der tat das kunstleben von heute, die große internationale, moderne kunstentwicklung in einer langen reihe ihrer eigentümlichsten meisterleistungen vor augen führt.“48 dem neuen verein war es in der tat gelungen, die Werke bedeutender französischer, belgischer, englischer und deutscher meister von internationalem renommee zusammenzustellen, solcher künstler, die die Zeitgenossen für modern hielten und die robert Jensen der Gruppe der maler des „juste milieu“ zuordnet.49 die Wiener selbst waren eigentlich mit wenigen (ganzen 47 von insgesamt 534) Werken vertreten und stellten damals so gut wie keine hauptwerke aus! unter den fünf Bildern von klimt war Musik, eine der supraporten, die er für nicolaus dumbas musiksalon angefertigt hatte (abb. 164), und von den organisatoren carl moll und engelhart waren jeweils drei Bilder zu sehen.50 auch die kritiker befassten sich in erster linie mit den ausländischen künstlern, vor allem mit denen, die viele und bedeutende Werke geschickt hatten, beispielsweise Giovanni segantini, constantin meunier, Fernand khnopff (abb. 177) oder dem in Paris lebenden amerikanischen Whistler-anhänger John W. alexander. hevesi schrieb einen gesonderten artikel über die skulpturen der ausstellung, in dem er die arbeiten von rodin, meunier, Jean damptes und alexander charpentier ausführlich besprach.51. klinger52 und Fernand khnopff widmete er jeweils einen eigenen essay. das Gesamtbild war ausgesprochen eklektisch: es wurden (mit ausnahme des impressionismus!) praktisch alle stile vorgestellt, die in den 1890er Jahren blühten. die kunsthistorische Fachliteratur zu diesem ereignis ist so umfangreich, dass es überflüssig ist, die Würdigungen hier wiederzugeben. die meinungen der Zeitgenossen und die aktivitäten der rivalen besprechen die verfasser jedoch nicht oder nur aus der sicht der secession und äußerst knapp. ein detail muss allerdings richtiggestellt wer-

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den: Franz Joseph besuchte die ausstellung nicht am tag ihrer eröffnung, dem 26. märz, sondern am vormittag des 5. april. die leiter der secession (rudolf von alt, Gustav klimt und carl moll) hatten den kaiser schon viel früher, am 10. märz, im rahmen einer der üblichen kaiserlichen audienzen mündlich und schriftlich ersucht, die ausstellung persönlich zu eröffnen. das schreiben wurde zur Begutachtung an das ministerium für unterricht und kultus weitergeleitet, wo man dem kaiser riet, die eröffnung der ausstellung nicht zu übernehmen, da er dadurch auch offiziell bestätigen würde, dass die neue Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs mit dem künstlerhaus gleichrangig sei, wo gerade eine zu ehren des kaisers organisierte ausstellung vorbereitet werde, die Franz Joseph feierlich eröffnen würde. (das war für den 19. april geplant.) deshalb empfahlen sie dem kaiser, sich die ausstellung, sofern er sie besichtigen wolle, zu einem späteren Zeitpunkt als einfacher Besucher anzusehen.53 somit besuchte Franz Joseph die ausstellung der secession am vormittag des 5. april und hielt sich von 9.45 bis 11.10 uhr dort auf (abb. 178). die leiter der Gruppe und die künstler empfingen den kaiser und stellten ihm alle persönlich vor.54 dann führten ihn klimt und engelhart durch die ausstellung. der Protokollbesuch bedeutete auch in dieser Form die offizielle anerkennung der secession, auch wenn er sie nicht auf eine stufe mit dem künstlerverein stellte. die leiter richteten schon zwei tage nach dem Besuch ein schreiben an den kaiser, in dem sie ihn ersuchten, ihnen auch die ehre zu erweisen, Werke aus der ausstellung zu erwerben. ob die sonderbare anfrage zu kurz nach dem Besuch erfolgte oder zu aufdringlich war – jedenfalls lehnte der kaiser das angebot nach längerem abwägen (in der nicht für die Öffentlichkeit bestimmten offiziellen internen korrespondenz) mit dem hinweis darauf ab, die privaten käufe des kaisers (im Wert von 10.210 Gulden) seien bereits getätigt worden und man habe sechs Gemälde aus der ausstellung des künstlerhauses erworben. das ministerium hingegen kaufte für die staatlichen sammlungen auch kunstwerke aus

178. JoseF Bauer: kaiser FranZ JosePh Beim Besuch der ersten ausstellunG der secession, 1898

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179. theodor Zasche: FranZ JoseF auF der FrÜhJahrsausstellunG des kÜnstlerhauses, 1898

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der ausstellung der secession. (Wichtige Werke unter diesen waren rudolf von alts aquarell Der Stephansdom und leon Wyczólkowskis Gemälde Głowa Chrystusa [christuskopf ], das für das krakauer nationalmuseum gekauft wurde.)55 merkwürdigerweise hat Franz Joseph die späteren ausstellungen der secession nicht mehr besucht.56 der große konkurrent, das künstlerhaus, eröffnete seine Jubiläumsausstellung, genauer gesagt deren ersten teil mit den zeitgenössischen Werken, drei Wochen später, am 19. april. (der zweite teil, die retrospektive über die 50 regierungsjahre des kaisers, fand im herbst statt.) (abb. 179) hevesi beginnt seinen artikel mit folgender Feststellung: „sie ist, kurz gesagt, die reichhaltigste und werthvollste ausstellung, die das künstlerhaus bisher gesehen.“57 das Gebäude des künstlerhauses wurde zu diesem anlass erweitert, und anhand der Pläne des modernen Jugendstilarchitekten Joseph urban wurde eine Brücke zum Gebäude des musikvereins geschlagen, das somit in den ausstellungsbereich einbezogen wurde. 58 die meisten innenräume und außenflächen gestaltete urban, der sich trotz seiner modernität nicht der secession anschloss, sondern mitglied des künstlerhauses blieb, nach dem aktuellsten Jugendstilgeschmack59 um. die Jubiläumsaustellung war ausgesprochen groß angelegt, es wurden 691 Werke gezeigt (abb. 180). der erfolg blieb auch nicht aus, denn man zählte insgesamt 62.598 Besucher. der zweite teil der ausstellung, die retrospektive anlässlich des 50. Thronjubiläums des kaisers, fand im herbst statt, erhielt jedoch keine angemessene Publizität mehr, da nach der ermordung königin elisabeths (am 10. september 1898) auf jegliche Feierlichkeiten verzichtet wurde. die im oktober eröffnete ausstellung war mit 965 Werken noch größer als die Frühjahrsschau, zog jedoch nur 33.684 Besucher an. und was schreibt hevesi über diese internationale schau? „man glaubt sich mitten in einer sezession zu befinden und diesen eindruck verstärkt noch ein großer Theil der ausländischen kunstwerke. umgehen wir in Gottes namen das schlagwort ,modern‘ und nennen wir es: kunst von heute. sezession und nicht-sezession – der feldgeschreimäßige sinn dieser Wörter wird sich eben praktisch immer mehr verwischen; selbst der älteste kunstkörper muß sich mit der Zeit der neuen seele öffnen. so ist der charakter der Jubelausstellung unstreitig das moderne, wenigstens was das arrangement und das erdgeschoß betrifft, wo [sich] die ausländer häufen.“60 die hier ausgestellten zeitgenössischen ausländischen künstler waren zu 80 % dieselben wie in der ersten ausstellung der secession: klinger, rodin, harrison, Puvis de chavannes und Böcklin, ja sogar zwei Bilder von monet. von den bis dahin selten ge-

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zeigten Zeitgenossen war dieses mal auch der russe ilja repin vertreten, dessen etwa 25 Jahre zuvor entstandenes berühmtes Bild Die Wolgatreidler das Wiener Publikum zum ersten mal zu sehen bekam. da das künstlerhaus seit Jahrzehnten offizielle Beziehungen zu den deutschen kunstvereinen unterhielt, wurden in der ausstellung natürlich auch die Werke älterer und konservativerer meister gezeigt (aus Berlin z. B. der konservative leiter der dortigen offiziellen kunst, anton von Werner), doch der Gesamteindruck war – wie hevesi überrascht feststellte –, vielleicht gerade wegen der neuartigen Präsentation, ein moderner. und das war das, was den modernen (den anhängern der secession) als besonders gefährlich erschien: sie befürchteten, die unterschiede könnten verschwimmen, wodurch der bis dahin erfolgreiche Prozess der „identitätskonstruktion“ und der Profilgebung unterbrochen werden und es sich herausstellen könnte, dass die modernität und die absolute künstlerische Qualität in der Wiener szene nicht allein ihr Privileg waren. nach dem ersten „schock“ – darüber, dass die ausländischen modernen nicht nur bei ihnen, sondern auch im künstlerhaus ausstellten – gingen sie zum angriff über. die erste ausstellung der secession wurde nicht nur von hevesi, sondern auch von den übrigen Wiener kritikern gelobt. Beispielsweise widmete ihr seligmann, der alle modernen stilexperimente gewöhnlich sehr streng beurteilte, gleich zwei artikel in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung.61 das Wesentliche an der ausstellung ist für ihn Folgendes: „der große ehrliche Werth dieser ausstellung liegt darin, daß sie uns fast (wir sagen ausdrücklich: fast) ausschließlich mit Werken bekannt macht, die sich wenn auch recht oft in unzulänglicher Weise, immerhin mit modernen malerischen Problemen beschäftigen.“62 Für den maler seligmann ist das Wichtigste also die vorstellung der technisch-stilistischen neuerungen. allerdings begeistert er sich bei Weitem nicht für alle stilexperimente, sodass er khnopffs kunst trotz ihrer Besonderheit und tadellosen technik als dekadente mode, Puvis de chavannes’ Werke als steif und eugène carrières kunst als zu eingeschränkt und manieristisch empfindet. Für wirklich hervorragend hält er meuniers arbeiten. Bei den Werken der österreichischen secessionisten vermisst er gerade die mutigen modernen stilexperimente; als am gelungensten bewertet er engelharts Werke. in klimts Musik erkennt er einen starken khnopffischen einfluss. seligmann urteilt also mit offenem, strengem und scharfem Blick, steht den aktivitäten der secession keineswegs feindlich gegenüber. seine dreiteilige kritik über die Jubelausstellung ist ebenfalls ausgewogen.63 in der einleitung betont er, wie wichtig es dem künstlerhaus neben dem ursprünglichen Ziel war, zu beweisen, dass es seinen einfluss und seine stellung in der Wiener beziehungsweise österreichischen kunstszene nicht verloren hatte. auch hier sind die ausländischen künstler zahlreicher vertreten als die einheimischen, was seligmann jedoch als natürlich empfindet. (diesmal wurde hans temples virtuoses Gemälde über die Jury vom makart-denkmal in nikolaus dumbas arbeitszimmer ausgestellt.) (abb. 181) ironisch merkt er an, dass die Franzosen gewöhnlich kaum bedeutende Werke ins ausland schicken (sodass die ausstellung der secession wohl eine ausnahme war), die wenigen englischen Werke aber bedenkt er mit lob. in seinem dritten artikel schreibt er dann aber doch anerkennend über den einen oder anderen französischen maler und bezeichnet beispielsweise monet als „zum klassiker gewordenen impressionisten“.64 Bei den Franzosen begeistert ihn, dass die scheinbar mit lässiger unbekümmertheit

180. heinrich leFler: Plakat FÜr die JuBilÄumskunstausstellunG, 1898

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181. hans temPle: sitZunG des makartdenkmalkomitees im

makartZimmer Palais dumBa, 1897

des

zusammengestellte Bildersammlung doch ein hohes niveau verkörpert. („diese intensität und mannigfaltigkeit des könnens ist wirklich erstaunlich; man sieht da, was schule und tradition zu leisten vermögen.“)65 der kritiker der angesehenen offiziellen Wiener Zeitung war damals noch hans Grasberger, der dem großen ereignis ebenfalls eine dreiteilige artikelreihe widmete.66 seine kritiken erschienen etwas später als die seiner kollegen (am 20. und 29. april und am 10. mai), sodass er bereits auf den scharfen angriff hermann Bahrs reagieren konnte, der die organisatoren der Jubiläumsausstellung praktisch beschuldigte, sie haben „die ausländischen modernen abgeworben“ (die korrespondierenden mitglieder), obwohl die statuten der secession besagten, dass sie nicht bei einem anderen österreichischen kunstverein ausstellen durften. Bahr griff das künstlerhaus deswegen heftig an und bezeichnete die ausstellung, anders als die übrigen kritiker, als eine schlechte und schwache, in der die Werke der alten, überholten konservativen schulen und die der modernen durcheinandergewürfelt zu sehen seien. „und was haben sie erreicht? ein paar Werke der großen kunst, die in dem Gedränge von schlechten und banalen sachen nicht wirken können.“67 dieser aggressive, fast schon beleidigende ton war der vorangegangenen kritikergeneration, unter ihnen auch Grasberger, völlig fremd.68 heute würde man sagen, sie haben sich politisch korrekt und tolerant verhalten, während Bahr, der die rolle des sprachrohrs der secession einnahm, intolerant und diskriminierend war. den Quellen zufolge war Bahr einer der hauptstrategen der secession, bei deren Zustandekommen er (nach seiner Privatkorrespondenz) eine entscheidende rolle gespielt hatte.69 in der mai-ausgabe von Ver Sacrum fasste hevesi, der wesentlich umsichtiger und weiser war als er, die ergebnisse und lehren der ersten ausstellung der secession noch einmal zusammen: „modern ist nichts anderes als – zeitgemäß.“70 „die not der traditionslosigkeit ist zur tugend geworden, und nur wer ein selbsteigener ist, wird heute als ein echter anerkannt.“ nach der treffenden Zusammenfassung

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über die meister („da sähe man also den sieg der Persönlichkeit auf der ganzen linie“71) betonte hevesi noch die Wichtigkeit der Fantasie des malers, und stellte fest: „man hat erkannt, daß die natur nicht bloß aus oberfläche besteht, daß jedes ding seinen Gedanken und selbst das unbeseelte seine seele hat.“72 er bestätigte also die Berechtigung des psychologisierenden symbolismus. Bei der Besprechung der in der rotunde im Prater und um diese herum von der stadt veranstalteten Jubiläumsausstellung prangert auch hevesi – wie Bahr – die oberflächliche „mode-sezession“ als unecht an und konstatiert, dass es keinen secessionsstil und keine formale und stilistische schablone gibt.73 (abb. 182) „es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß es einen sezessionistischen stil nicht gibt. es wird auch keiner angestrebt, denn es kann keinen geben. man hat sich ja nicht von einer schablone befreit, um eine andere vorzuschreiben. selbst ist der mann, selbst ist der künstler. dem Zweck zu dienen, aus dem material heraus, im sinne der Zeit: das sind die drei gegebenen elemente, mit denen der moderne je nach dem Grade seines talents wirtschaftet. ein rezept gibt es nicht.“74 dann befasst er sich mit den wichtigsten Pavillons, bespricht die innen und außen angewandten lösungen und hebt die gelungenen innenräume hervor, die die namhaftesten architekten der folgenden Jahre, Jože Plečnik, Josef hoffmann und der maler und Bühnenbildner alfred roller, entworfen hatten. im unterschied zu hevesi drängt hermann Bahr auf einen einheitlichen neuen stil. er ruft seine Freunde im mai-Juni-heft von Ver Sacrum in einem äußerst pathetischen Beitrag auf, eine österreichische kunst und dazu ein österreichisches kunstgewerbe, also eine umgebungskultur, zu schaffen. („ihr müsst uns eine österreichische kunst schaffen.“) aus seinen weiteren ausführungen geht hervor, dass er damit eine Wiener kunst meint und die attribute österreichisch und wienerisch für ihn gleichbedeutend sind: „unter lauter sachen einer Wiener kunst möchte ich leben, einer kunst, die durch ihre linien und ihre Farben mir das sagt, was ich in seligen stunden des Wiener Frühlings bei mir empfunden habe. (…) hüllt unser volk in eine österreichische schönheit ein!“75 (diese ausgabe der Zeitschrift enthielt Fotos von den in der ersten ausstellung gezeigten Werken.)

182. richard moser: die JuBilÄumsausstellunG in Wien 1898: Pavillion der stadt Wien, 1898

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183. heinrich leFler – JosePh urBan: deZemBer „Gloria in excelsis deo”, kunst und kunsthandWerk (1) 1898/12

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damals war noch nicht entschieden, wer in Wien den status des einzigen modernen, einen neuen stil schaffenden künstlers erringen würde. die arbeiten von Joseph urban und seinen kollegen gefielen dem kaiserlichen hof und den führenden kräften der offiziellen staatlichen kulturpolitik, die viel offener für neuerungen waren, als die nachwelt von Bürokraten erwarten würde. ein stilistisch besonders faszinierendes und vielschichtiges graphisches Prachtwerk war der Österreichische kalender des Jahres 1898, ein Werk von heinrich lefler und Josef urban, die mit ihren stilexperimenten im kunstgewerbe auch hevesis aufmerksamkeit auf sich zogen (abb. 183). doch die beiden blieben im künstlerhaus und modernisierten dort die die installation der ausstellungen im sinne des Jugendstil. sie schufen eigentlich noch vor den zur secession gehörenden architekten olbrich und hoffmann ihren eigenen modernen stil (siehe z.B. die graphische ausstellung im künstlerhaus 1898). sie gestalteten auch die installation der Jubiläumsaustellung, womit sie automatisch in die rolle der rivalen und Gegner der secessionisten gedrängt wurden. Wer würde die authentische Wiener moderne verkörpern? ein gewisser thomas veröffentlichte die erste attacke in der Zeitschrift Die Wage und beschuldigte Josef urban wegen eines dekorativen Zierbands im Winterkatalog des aquarellistenklubs des Plagiats.76 danach folgten die angriffe hermann Bahrs gegen die „Falschen secessionisten.“ es war ein machtkampf um ansehen und natürlich um aufträge. lefler und urban waren begabt, sehr fleißig und fantasiereich, aber sie gehörten nicht einer eigenen lobby an und waren auch in der Wiener Presselandschaft nicht gut vernetzt. trotz ihrer guten aufträge gingen sie später als verlierer hervor. die Festschriften, die teil der offiziellen repräsentation waren und die 50-jährige herrschaft des kaisers zusammenfassten, waren überraschend modern gestaltet – sie waren die ersten Bespiele für den österreichischen Jugendstil.77 eines dieser auch in buchkünstlerischer hinsicht herausragenden Werke war Viribus Unitis – das Buch vom Kaiser, das auch hevesi sehr gelobt hat. (abb. 184–5) diese initiative der erzherzogin marie valerie sollte etliche aspekte des lebens des kaisers (sogar den alltag) darstellen und war äußert reich illustriert. aus beiden hälften der habsburgermonarchie wurden künstler, schriftsteller und Journalisten eingeladen, ein „Gesamtporträt“ des herrschers zu verfassen. auch die mäzenaten-rolle des kaisers wurde illustriert. darüber schrieb hevesi einige seiten in diesem Prachtwerk (abb. 186).

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das Attentat auf Kaiserin elisabeth und ihr tragischer tod im september erschütterten die öffentlichkeit. die ereignisse drängten in der presse lange zeit alles in den Hintergrund, und selbst die Kämpfe der Künstlercliquen ruhten eine Weile. die monarchie fiel für monate in trauer. in diesem Jahr eröffnete der Kaiser keine Ausstellungen.

Die zweite Ausstellung der Secession unterdessen wurde an der ecke des Karlsplatzes bereits die neue Ausstellungshalle errichtet, deren motto Hevesi formuliert hat78: „der zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. das nächste wichtige ereignis in der bildenden Kunst war die eröffnung des Ausstellungsgebäudes der secession mit der zweiten Ausstellung. Hevesi nahm olbrichs Bauwerk zum Anlass für einen langen essay über die moderne Architektur, um den

184. t Heodor z AscHe: KAiser F rAnz JosepH im Atelier A nGeli, 1898 185. Artur HAlmi: der BlidHAuer GyörGy GeorG zAlA modelliert die Büste des KAisers, 1898

186. Artur HAlmi: KAiser FrAnz JosepH im GArten der BurG in BudA, 1898

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187. JosePh maria olBrich: das GeBÄude der Wiener secession, 1898

188. das GeBÄude der Wiener secession heute

Wiener lesern die vorzüge des äußerst ungewöhnlichen Gebäudes aufzeigen zu können.79 (abb. 187) in der Presse, so beispielsweise auch von Grasberger in der Wiener Zeitung, wurde das stilexperiment, das in urbanistischer hinsicht tatsächlich eine konfrontation mit seiner umgebung darstellte, negativ bewertet.80 die halbe stadt spottete über den stil des Gebäudes, und hevesi bemühte sich, die feindliche kritik Punkt für Punkt zu widerlegen. diesem Beitrag folgte schon am nächsten tag ein weiterer essay, den er zur hälfte erneut der Besprechung von olbrichs Bauwerk widmete, indem er all seine details vorstellte und seine funktionellen vorteile sowie seine kostengünstigkeit81 und seine symbolischen anspielungen auf die tradition hervorhob. hevesi setzte das gesamte arsenal seiner Überredungskunst ein, um zu erreichen, dass der leser das gewagt moderne ausstellungsgebäude verstand und akzeptierte, was an sich schon die beste Werbung für die ausstellung bedeutete.82 (dass das Gebäude praktisch und rational war und einen angenehmen Gesamteindruck vermittelte, wurde hingegen allgemein akzeptiert, gerade weil es so „besucherfreundlich“ war. deshalb ging man auch hinsichtlich seines Äußeren schon bald zur tagesordnung über.) nach der Beschreibung des Gebäudes stellte hevesi kurz die Bilder vor, deren Wirkung er im telegrammstil, mit wenigen Worten charakterisierte. schließlich folgte noch eine reihe sehr ausführlicher analysen83, wie bei seinen früheren ausstellungsbesprechungen. von den ausländischen künstlern hatte der schwede andreas Zorn, der zu dieser Zeit auf dem höhepunkt seiner internationalen karriere stand, Werke für einen ganzen saal geschickt. hevesi widmete dem virtuosen realistischen maler einen gesonderten Feuilletonartikel. nach dem norweger Fritz Thaulow wandte er sich den einheimischen künstlern stöhr, Bernatzik und engelhart zu und verteidigte die Pallas Athene von klimt, der „bête noire“ der ausstellung (abb. 189). ausführlich erklärte er, dass die archaisierung authentisch sei (medusenkopf und helm), und bejahte kämpferisch die modernität des Werkes („… es ist eine erscheinung, die materialisation einer stimmung

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189. Gustav klimt: Pallas athene, 1898

von schaffenskräftigem trotz und souveränem Bildnerdrang“). in der zweiten ausstellung waren überwiegend dieselben ausländischen künstler vertreten wie in der ersten: henri martin, Fernand khnopff, albert Besnard, léon a. l’hermitte, rené Billotte und antonio de la Gandara, die gefeierten meister des internationalen „juste milieu“, von denen auch einige Bilder gekauft wurden.84 von dieser ausstellung an wies hevesi regelmäßig und ausdrücklich darauf hin, wenn in den ausstellungen der secession Bilder verkauft wurden, was bewies, dass die moderne kunst wertvoll war und das Publikum sie zu verstehen und zu mögen begann. das zweite Bild, das klimt diesmal ausstellte, das bezaubernde Porträt von sonja knips musste er nicht verteidigen. es war ein eindeutiger erfolg (abb. 190). in mindestens ebenso großem maße diente es der Werbung, dass oberbaurat Professor otto Wagner eventuellen staatlichen ausschreibungen für öffentliche Gebäude jeder art vorgriff und, unabhängig davon, ob ein echter Bedarf bestand oder nicht, selbst die errichtung neuer öffentlicher Gebäude betrieb. damit führte er eine neue strategie ein: anhand der in seinem studio entstandenen idealpläne und Fantasiekonstruktionen initiierte er, zunächst nur probeweise und dann aufgrund immer bewussterer erwägungen, monumentale Bauprojekte, „forderte“ also sozusagen ihre umsetzung

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190. Gustav klimt: sonJa kniPs, 1897–1898

„heraus“. seit 1848 galt, dass für monumentale staatliche Bauvorhaben öffentliche Wettbewerbe ausgeschrieben wurden, bei denen mit kennworten gekennzeichnete (anonyme) Pläne eingereicht werden konnten und eine Fachjury durch demokratische abstimmung entschied, welcher architekt den auftrag erhielt.85 vor der entscheidung stellten gewöhnlich alle Bewerber ihre Pläne aus, und auch die Presse konnte zu ihnen stellung nehmen. otto Wagner ignorierte auch hierbei das demokratische verfahren und stellte seine Pläne allein aus, bevor irgendein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, wodurch er sich einen gewaltigen vorteil gegenüber seinen kollegen verschaffte. hinsichtlich der Beeinflussung der öffentlichen meinung erwies es sich als äußerst wirksam, dass er das jeweilige Gebäude nicht nur durch Zeichnungen, sondern auch in Form sehr sorgfältig ausgeführter künstlerischer modelle vorstellte und sich um die größtmögliche Öffentlichkeit für die Pläne bemühte. otto Wagner konnte hevesi für diese strategie gewinnen, sodass sie von da an „zusammen“ daran „arbeiteten“, dass in Wien möglichst viele architektonische stilexperimente umgesetzt wurden. somit stellte hevesi den ersten Plan für die kunstakademie bis hin zu den technischen lösungen sehr ausführlich im Fremden-Blatt vor und „bewertete“ ihn sogleich aufs Positivste – in der hoffnung, dass die utopie auch umgesetzt werde.

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191. JosePh m. olBrich: hauPt-ausstellunGs-saal der secession in Wien, ii. ausstellunG, 1898

der „schlussakkord“ des stürmischen Jahres 1898 der kunst im Fremden-Blatt war der artikel hevesis, in dem er die ergebnisse von fünfzig Jahren kunst knapp, aber treffend zusammenfasste.86 Wie alle „Jubiläumsartikel“ beginnt auch dieser mit der Würdigung des kaisers, doch dieses mal hebt er seine rolle als mäzen hervor. er überrascht, indem er vergessene tatsachen anführt, kommt jedoch zu schlussfolgerungen, die im Grunde auch heute noch Bestand haben: er zählt die vom kaiser initiierten und unterstützten Bauvorhaben auf. das bedeutendste war die „stadterweiterung“ (der abriss der stadtmauern und die vereinigung der innenstadt und der vorstädte durch die Zone der ringstraße), weil sie die voraussetzungen für die umfangreiche moderne urbanisierung schuf, doch auch die Weltausstellung von 1873 wäre ohne Franz Josephs mitwirkung nicht möglich gewesen. hevesi betont, dass die entwicklung über einen Zeitraum von fünfzig Jahren organisch und die bildende kunst stets bereit war, sich zu erneuern, weiterhin, dass der kaiser auch im alter offen für neues war: „… er war vorurtheilsfrei wie keiner“. nach der Würdigung des wichtigsten mäzens fasst hevesi die architektonische entwicklung von fünfzig Jahren zusammen, bespricht die veränderungen der stile und auffassungen sowie die entwicklungen in der Bildhauerei und in der malerei. im Zusammenhang mit größeren umbrüchen und bei der vorstellung von ereignissen und Persönlichkeiten, die neues gebracht haben, flicht er stets ein, dass die neuerer die „secessionisten“ der jeweiligen Zeit gewesen seien. (er nennt van der nüll und von siccardsburg, Waldmüller und eitelberger, die, wenn sie noch leben würden, seiner meinung nach „secessionisten“ wären.) auf diese Weise stellt er die erfolgreichen Wendepunkte der stilgeschichte von fünfzig Jahren im nachhinein als vorläufer der secession dar, um dann im letzten teil des artikels feierlich den sieg der zeitgenössischen secession verkünden zu können, indem er seine eigene Feststellung über die Fassade des neuen ausstellungsgebäudes zitiert. mit schwungvoller rhetorik nimmt er für das neue stellung:

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192. Theo van RysselbeRghe: KüsTenlandschafT, um 1892

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„der Ästhetische bürgerkrieg, den wir seit zwei Jahren mitmachen, hat auf beiden Kriegsschauplätzen, dem künstlerischen wie dem kunstgewerblichen, mit dem glänzenden siege des neuen geendet.“ dieses rhetorische meisterwerk war der Kern des buches, mit dem der leipziger e. a. seemann verlag ihn gerade auf diesen artikel hin beauftragte. und hevesi machte sich daran, nicht nur das Zeitalter franz Josephs, sondern die geschichte der gesamten österreichischen malerei des 19. Jahrhunderts aufzuarbeiten (siehe in einem späteren Kapitel). dieser Jubiläumsartikel hatte noch einen anderen effekt. in der dem hof nahestehenden halboffiziellen Zeitschrift verkündete einer ihrer angesehensten experten den sieg der secession, wodurch er ihr mithilfe der Wiener Presse symbolisch zur führenden Position im künstlerischen leben der stadt verhalf und sie – gegenüber dem Künstlerhaus – zum garanten des fortschritts und der Zukunft erklärte.

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1899 Zur großen Überraschung der kunstszene und der Öffentlichkeit eröffnete die secession am 12. Januar 1899 eine neue ausstellung, insgesamt ihre dritte. die eleganz und die Ästhetik der installation bezauberte alle, und auch die Gemälde und skulpturen hatten viel neues und Überraschendes zu bieten. die organisatoren konnten klingers großformatige komposition Christus im Olymp und meuniers in Wien noch nicht gezeigte Plastiken ausstellen, die sie im mittleren großen saal präsentierten, wo sie den Beschreibungen zufolge eine beinahe sakrale atmosphäre schufen. die größte Wirkung in der einheimischen kunstszene hatte dennoch nicht klingers Bild, sondern die vorstellung des Pointillismus, der durch die Gemälde des Belgiers van rysselberghe vertreten war (abb. 192). dem seurat-anhänger, der seine kompositionen in allen Gattungen aus kleinen farbigen Punkten zusammenstellte, war ein ganzer saal gewidmet. da hevesi nur zu gut wusste, dass die in Wien nicht bekannte und ungewöhnliche technik des Pointillismus in der ohnehin geteilten Öffentlichkeit anlass zu spötteleien geben würde, verfasste er eine ausführliche historische und technische einleitung, um dem leser diesen ismus, im Grunde den neoimpressionismus, verständlich zu machen. schon in seinem ersten artikel weist er darauf hin, dass auch dieser stil attraktiv genug sei, um verkaufbar zu sein. (das war nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für die künstler ein wichtiges kriterium dafür, ob ein neuer stil Bestand haben würde. „Übrigens wollen wir eigens erwähnen, daß eine kleine landschaft des gefährlichen meisters schon am tage vor der eröffnung auf den ersten Blick verkauft wurde. hoffentlich wird es noch mehr solche erste Blicke geben.“87) in dem Feuilletonartikel über Théo van rysselberghe erläutert hevesi nicht nur die technik ausführlich, sondern zeichnet auch kleine Porträts der wichtigsten vertreter des stils – seurat, segantini, toorop, signac – und belebt die Bildbeschreibungen mit geistreichen vergleichen. im letzten teil gewinnt wieder der strenge didaktische lehrmeister die oberhand, als er rudyard kipling zitiert: „es gibt nicht zwölf hundert menschen auf der Welt, welche Bilder verstehen.“88 diese Formulierung zeigt den aspekt auf, aufgrund dessen sich ein teil der Connaisseurs der älteren Generation in den folgenden Jahren immer mehr von den stilexperimenten der secession und von hevesis bedingungsloser Begeisterung distanzieren sollte. unter den Befürwortern der stilexperimente bürgerten sich eine art intellektuelle Überheblichkeit und ein herablassender ton ein, ein elitismus also, der neben der exklusivität auch die aura des auserwähltseins für sich beansprucht. das war der Punkt, an dem sich seligmann (alias „Plein air“), der als maler hervorragend Bilder interpretieren konnte und über ebenso umfangreiche visuelle kenntnisse verfügte wie hevesi, von dieser clique zu entfremden begann, obwohl er bis dahin mit ehrlicher anerkennung über ihre leistungen geschrieben hatte. in diesem Januar ließ sich hevesi noch zu einer äußerst ungewöhnlichen Geste „hinreißen“, um seinen künstlerfreunden zum triumph zu verhelfen. es war nämlich er selbst gewesen, der noch vor der ausstellungseröffnung zwei kleinere landschaftsbilder van rysselberghes, Hafen von Dordrecht und Konstantinopel, gekauft hatte, um zu zeigen, dass die pointillistischen Bilder verkaufbar waren. diesen „schachzug“, wie er ihn weder davor noch danach jemals gemacht hat, legte er erst viel später, in einer Fußnote der anthologie Acht Jahre Secession, offen.89 nach eigenen angaben hatte er zwar mündlich gegenüber einem konservativen Freund zugegeben, dass er der käufer gewesen war,

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193. Gustav klimt: schuBert am klavier, 1899

doch heute lässt sich nicht mehr ermitteln, inwieweit öffentlich geworden war, dass auch der damals bereits angesehenste kritiker der stadt in den Wettbewerb der stile eingestiegen war und begonnen hatte, so den kunstmarkt zu beeinflussen. in seinem nachlass befinden sich keine weiteren käuflich erworbenen Bilder, die kleineren arbeiten (medaillen, kleinplastiken und Zeichnungen) waren wahrscheinlich Geschenke der künstlerfreunde. merkwürdig ist auch, dass er ausgerechnet Werke eines ausländers und eines Pointillisten kaufte. er wollte das vorhaben seiner Freunde mit herz und seele und mit solcher Begeisterung unterstützen, dass er von der rolle des objektiven analysierenden, beinahe schon wissenschaftlich korrekten kritikers in die des nicht mehr objektiven, weil von Gefühlen geleiteten, unmittelbar betroffenen kunstideologen wechselte. Zu dieser Zeit der Gründung der secession änderte sich auch der ton seiner kritiken: er wurde kämpferisch, befeuernd, leidenschaftlich und teilweise schon pathetisch. Was blieb, waren die philologische Genauigkeit, die absolut zuverlässigen Fakten bezüglich der einordnung der Werke und stile in den historischen kontext und die sprachliche virtuosität, mit der er die kunstwerke beschrieb. obwohl dieses Bündnis zwischen ihm und der secession in Wien ein offenes Geheimnis gewesen sein muss, deuteten weder Grasberger noch seligmann in ihren schriften an, dass er es war, dessen übertriebene Propaganda sie infrage stellten. erst später, im Zusammenhang mit dem skandal um die Fakultätsbilder, sollte karl kraus hevesis Parteinahme auch öffentlich kritisieren. im Übrigen war hevesi in der Presse der kaiserstadt nicht allein mit seiner Begeisterung; hermann Bahr sowie Franz von servaes, Berta Zuckerkandl und vorübergehend auch richard muther, der einige Jahre für Die Zeit schrieb, gehörten zu den Feuilletonisten, die die secession von anfang an unterstützten.90

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Bei der Besprechung der pointillistischen Gemälde der dritten ausstellung der secession stellt seligmann im Übrigen die Frage: „… wozu das Zusammenlegspiel, das doch sicherlich viel mühe verursacht und dessen Wirkung viel einfacher zu erreichen ist? (…) das Beste, was er erreichen kann, ist ja doch schließlich die Wirkung eines normal durchgeführten Bildes. es wäre auch gegen solche virtuosenstückchen nichts einzuwenden, wenn sich nicht immer stimmen fänden, die darin einen künstlerischen Fortschritt sehen wollen, und nachahmer, die derlei aeußerlichkeiten in mehr oder minder geschickter Weise copiren, in dem Glauben, dadurch moderne künstler zu werden.“91 mit dieser Bemerkung deutete seligmann auf einen neuralgischen Punkt, denn seine Prophezeiung bewahrheitete sich: die pointillistische technik verbreitete sich wie ein lauffeuer unter den malern92 und war in Wien über Jahre eine art „markenzeichen“ der modernität. auch klimt setzte sie in den folgenden Jahren häufig ein. seligmann registrierte im Zusammenhang mit der ausstellung noch ein weiteres unangenehmes neues Phänomen: „kritik und das von ihr abhängige Publicum spalten sich in zwei extreme Parteien: die einen verschließen sich allem neuen, schmähen und verurtheilen es, die anderen verhimmeln ohne unterschiede alles, was ihnen als modern erscheint, und was unter diesem aushängschild angeboten wird. spottvögel, die leider in der sache oft ernst genommen werden, machen sich gleicherweise über altes und neues lustig – und worüber könnte man sich am ende nicht lußtig machen? so werden die schaffenden gewaltsam in einen radicalismus hineingehetzt, der mit kunst nichts mehr zu tun hat, der, da ja die moderne jetzt schon große materielle erfolge erzielt, schließlich ebenfalls zum Geschäft wird und wie die alte viel und mit recht verhöhnte Piendokunst, die für den händler und den spießbürger arbeitet, ihre kundschaft unter den um jeden Preis modernen kunst- und kennergiegerln sucht und findet.“93 in der vierten ausstellung der secession im märz überwogen erstmals die österreichischen maler, somit war sie die erste wirkliche vorstellung des vereins. sie fand eine ausgesprochen positive resonanz. emil orlik, Ferdinand andri und kolo moser waren jeweils mit einer größeren kollektion vertreten, und dort war auch das Gipsmodell der von löwen gezogenen triga mit dem titel Marc Anton von arthur strasser zu sehen, die er für die Weltausstellung in Paris anfertigte.94 klimt stellte zwei neue Werke aus, bei denen er auch die pointillistische technik einsetzte, Nuda Veritas und das Genrebild

194. carl moll: dÄmmerunG, 1900

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195. heinrich leFler – JoseF urBan: aus dem Wiener rathauskeller, 1899

Schubert am Klavier (abb. 193), das für nicolaus dumbas musiksalon bestimmt war.95 Über den außerordentlich provokativen rothaarigen akt Nuda Veritas sah die Presse hinweg, aber Die Presse feierte das schubert-Gemälde praktisch unisono – die einzige Gegenmeinung stammte von seligmann. er empfand es als stilbruch, dass klimt schuberts traditionelles Porträt „hier von urmodern decadenten sisters Barrison umgeben, das Ganze in einer kränklich-mysteriösen tüpfeltechnik dargestellt“ hatte.96 das Gemälde, das verbrannte, kann man sowohl anhand seiner zeitgenössischen Beurteilung als auch anhand der reproduktion als sehr gelungen bezeichnen.97 seligmann war ein guter Beobachter, typus und schönheitsideal der hinter schubert stehenden singenden mädchen entsprachen nicht denen des Biedermeier, sondern dem Geschmack der Jahrhundertwende. diesen „anachronismus“ kann man natürlich auch so deuten, dass es sich um einen virtuellen raum handelt, die verknüpfung einer vision mit der Wirklichkeit im Zeichen der unvergänglichkeit der musik. dieses schubert-Gemälde wurde klimts beliebtestes Werk im deutschen sprachraum. eine münchener Firma fertigte nach dem höchsten technischen standard der Zeit viele tausend Farbdrucke davon an, und es war bei schubert-Begeisterten allgemein bekannt.98 die secession hatte zweifelsfrei auch einen einfluss auf die ausstellungen des künstlerhauses, wo man sowohl hinsichtlich der installation als auch bezüglich der ausgestellten Bilder gegenüber den modernen stilexperimenten offener wurde und auch bedeutende moderne meister aus dem ausland einlud. (so wurden beispielsweise 1899 zwei bedeutende Gemälde von hodler ausgestellt.) Bei aller Begeisterung für die secession berichtete hevesi natürlich auch weiterhin regelmäßig und fair über die ausstellungen des künstlerhauses und die veranstaltungen der wichtigen kommerziellen ausstellungssäle und Galerien. dazu gehörte die verstei-

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gerung des nachlasses von Theodor hörmann.99 er hatte auch zuvor vereinzelt über die Preise der Gemälde geschrieben, doch dieses mal listete er die Preise der einzelnen Werke mit der ausführlichkeit eines inventars auf.100 dieses neue interesse der kulturellen Presse für die entwicklungen auf dem kunstmarkt machte den künstlern wie der Öffentlichkeit, gerade inmitten der ereignisse um den austritt aus dem künstlerhaus, die Bedeutung der Preise der Bilder als maßstab der Popularität und des erfolgs bewusst. die künstlerische modernität berücksichtigte bei aller scheinbaren selbstlosigkeit und künstlerischen erhabenheit auch den umstand, dass den rang einer „kunststadt“ unter anderem der entwicklungsstand ihres kunstmarktes ausmacht. die wichtigsten veränderungen im laufe des Jahres ereigneten sich im kunstgewerbe. im oesterreichischen museum und in der kunstgewerblichen ausbildung fand ein Führungswechsel (sowie ein Generationenwechsel) statt. neuer direktor der kunstgewerbeschule wurde der namhafte Grafiker Freiherr Felician von myrbach, und der architekt Josef hoffmann, ein schüler otto Wagners, der mitglied der secession war, wurde zum Professor ernannt. es hatte den anschein, als hätten die Jungen die für die kunstgewerbliche ausbildung so wichtigen schlüsselpositionen erlangt. Bei aller Parteilichkeit bewertete hevesi auch die künstler, die nicht der secession angehörten, positiv, wenn sie etwas anerkennenswertes geschaffen hatten. er ironisierte zwar, als er über den Wiener rathauskeller schrieb, bot aber auch eine ausführliche analyse der Werke und lobte die künstlerische Gestaltung101, die das verdienst der führenden köpfe der „anderen modernen Gruppe“, des malers heinrich lefler und des architekten und Grafikers Joseph urban, war. die beiden arbeiteten – bis urban 1908 nach new york auswanderte – als nahezu unzertrennliche verbündete zusammen. die Wandbilder und das mobiliar des rathauskellers fertigten sie innerhalb von sechs monaten an, und obwohl der hauptplaner der virtuose und fantasiereiche kostüm- und Bühnenbildner lefler war, wurden wegen des umfangs der arbeiten auch andere maler hinzugezogen102 (abb. 194). die so entstandene Gruppe bildete den „harten kern“ des in der entstehung begriffenen anderen neuen künstlervereins, des hagenbundes.103 es war eine großangelegte unternehmung, mehr oder weniger die erste Geste karl luegers an die Bürger, die auch für die stadt von Bedeutung war, da ein vorhaben umgesetzt wurde, das sich schon seit Jahrzehnten hinzog: die einrichtung eines restaurants im keller des rathauses, das ähnlich wie in den deutschen städten beliebt und fast schon ein fester Bestandteil der identität der stadt werden sollte. dieser absicht entsprach auch sein künstlerisches Programm: die anschauliche darstellung der legenden und der Geschichte sowie der berühmten Bewohner und der Glanzzeiten der stadt. das Programm bot die möglichkeit, ungewöhnliche und manchmal fröhliche historische szenen zu malen, was in den meisten Fällen nach ansicht der Zeitgenossen und der kritiker sehr gut gelang.104 das mobiliar mit mittelalterlichen Zügen, das aber sehr dekorativ und sehr bequem war, trug mit dazu bei, dass das restaurant sehr beliebt wurde. die Pläne wurden von den führenden Persönlichkeiten des stadtrates bewertet, und dabei entstand jene zweite schicht der mäzene, die die leflersche und urbansche modernität förderte (abb. 195). Wien hatte genug talentierte künstler, um neben der secession, die geometrische Formen liebte, auch mit anderen, aber ebenfalls neuartigen stilvarianten (mit organischer linienführung, die als eine variante des Jugendstils betrachtet werden kann) experimentieren zu können, um einen modernen Wiener stil zu schaffen.

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die Winterausstellung der secession war der Grafik gewidmet. in seiner Besprechung kommentiert seligmann die aussage des Wortführers der secession mit zunehmender indignation. er nennt den Betreffenden zwar nicht namentlich, doch es ist offensichtlich, dass er hermann Bahr meint, dessen artikel „die falsche Secession“105 seinen Gerechtigkeitssinn verletzt hatte, denn: „die kleine opposition ist regierungspartei geworden. die kritik hat prompt eingeschwenkt und läuft hypnotisiert hinter dem erfolge her. (…) der organisierte Größenwahn einer Partei wird in der kunst, wo nur der einzelne gilt, bald unerträglich.“106 anfang des folgenden Jahres veröffentlichte seligmann einen leserbrief, der im Grunde seine frühere Behauptung wiederholte, die secession, also die Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs, und ihre anhänger seien zu einer clique geworden, die auch die anderen modernen Bestrebungen ausgrenze, indem sie sie generell als falsch abstempele und die moderne kunst nur für sich beanspruche.107

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Wladimir aichelburg: Das Wiener Künstlerhaus 1861–2001. Band 1: die künstlergenossenschaft und ihre rivalen secession und hagenbund. Wien 2003, s. 295–324. sehr viel wertvolles materials hat aichelburg auch im internet verfügbar gemacht und ermöglichte so eine neue Wertschätzung. 2 ebd., s. 295. 3 das abstimmungsergebnis im einzelnen siehe bei aichelburg, op. cit., s. 289–299. 4 „Geselliges aus dem künstlerhause. (von einem maler).“ nFP, 8. dez. 1896, s. 6–7. 5 „Geselliges aus dem künstlerhause. (eine entgegnung).“ unterschrift: ein anderer maler. nFP, 13. dez. 1896, s. 6–7. 6 die genaue chronologie der ereignisse siehe bei aichelburg, s. 302–303. 7 ebd., s. 305. 8 künstlerhaus (rudolf c. huber – Goltz, ribarz, henriette ronner – aquarellistenklub). FB, 15. Jan. 1897. 9 nicolaus dumba (1830–1900), kaufmann und industrieller und kulturpolitiker griechisch-mazedonischer abstammung, einer der gebildetsten und vielseitigsten mäzene seiner Zeit. siehe Wiener mäzene im 19. Jahrhundert. in: Jürgen kocka und manuel Frey (hrsg.): Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert. Berlin 1998, s. 164–191. elvira konecny: Die Familie Dumba und ihre Bedeutung für Österreich. diss. Wien 1970. 10 aus der schubert-ausstellung. FB, 24. Jan. 1897; schwind, kupelwieser, danhauser (künstlerhaus). FB, 13. Febr. 1897. in: altkunst–neukunst: Wien 1894–1908. konegen, Wien 1909, s. 109–121. es war die erste ausstellung in der kulturgeschichte, in der das leben und Werk eines komponisten mit zeitgenössischen kunstwerken illustriert und kontextualisíert war. 1.278 objekte (Gegenstände) wurden ausgestellt und innerhalb von sechs Wochen von 33.414 menschen besichtigt.

11 nach der neuesten historischen terminologie ist all das nur „konstruiert“. sie betrachtet die Gewichtung der traditionen vergangener Zeitalter als künstliche struktur, wobei nicht berücksichtigt wird, dass diese Zeitalter auf realen Fakten, reichhaltigen lebenswerken und wichtigen kulturhistorischen tatsachen beruhen. siehe Werner telesko: auf der suche nach dem „Wiener Wesen“. „alt-Wiener malerei“ als Begriff in der kunstgeschichte. in: Wolfgang kos und christian rapp (hrsg.): Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war. katalog. Wien museum, Wien 2004, s. 243–249. 12 da die Grenzen zwischen empire und Biedermeier fließend sind, verschmolz der „kult des empire“, den die kongress-ausstellung ausgelöst hatte, mit der neuentdeckung des Biedermeier. 13 Schubert am Klavier wurde sofort ein riesiger erfolg. die namhafte münchener Firma hanfstengel, die reproduktionen herstellte, fertigte eine farbige heliogravüre davon an, sodass es allgemein bekannt und sein populärstes Gemälde wurde. Bedauerlicherweise ist 1945 auch dieses Werk klimts verbrannt, doch dank der reproduktion kennen wir wenigstens seine Farben. 14 das image Wiens als hauptstadt der musik wurde in mehreren schritten in der Zeit Franz Josephs geschaffen. siehe martina nussbaumer: Musikstadt Wien. Die Konstruktion eines Images. Freiburg i. Br., Berlin, Wien 2007. 15 1897 wurde durch die fünfte allgemeine kurie die Zahl der abgeordneten von 353 auf 425 erhöht, und die politische umschichtung bedeutete eine schwere niederlage für die deutschliberalen. die neuen massenparteien, christlichsoziale, deutschnationale und sozialdemokraten, waren in beträchtlicher stärke im reichsrat vertreten. 16 der saal erhielt seinen namen, nachdem dort bei der internationalen ausstellung im Jahr 1882 die deutschen Werke ausgestellt worden waren. sein Pendant war die andere große ausstellungs-

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im strudel der secession

fläche im erdgeschoss, der Französische saal. 17 Plein-air: aus dem künstlerhause. WsmZ, 8. Febr. 1897. 18 ein saal voll Plakate. (künstlerhaus). FB, 29. Jan. 1897. 19 allerlei kunst (hoffmann’s Weltreise. – max slevogt. – eine Photographische ausstellung). FB, 9. märz 1897. 20 Josef hoffmann war einer der ersten Wiener maler, die unabhängig vom künstlerhaus eine selbstständige ausstellung ihrer Werke organisierten, und zwar in einer „holzbaracke“ an der ecke des karlsplatzes, in unmittelbarer nähe des naschmarktes. 21 Jahresausstellung im künstlerhause. FB, 28. märz 1897. 22 die Wiener „sezession“. FB, 27. märz 1897. 23 ebd. 24 diese waren stuck, marr, herterich, dettmann und kühl, also im Grunde die leiter der münchener secession. 25 Paul Wilhelm: Wiener kunst und kunstkritik. Wiener Rundschau 1896, s. 220–226. 26 Jahresausstellung im künstlerhause. FB, 28. märz 1897. 27 seligmann besprach die Bilder der xxv. Jahresausstellung in drei Feuilletonartikeln: aus dem künstlerhause i. WsmZ, nr. 13, nr. 14, nr. 15. in der Wiener Zeitung erschienen zwei artikel von hans Grassberger: WZ, nr. 69, nr. 95. in der Wochenzeitung Montags-Zeitung wurden zwei artikel eines kritikers veröffentlicht, der diese mit „ß“ unterschrieb: Montags-Zeitung, 12. apr. 1897; 19. apr. 1897. 28 aus dem künstlerhause i. WsmZ, 29. märz 1897. 29 ebd. hevesi schrieb hier Philip. später aber verwendete er immer den ungarischen namen Fülöp für lászló. 30 der Bruderzwist im künstlerhause. FB, 30. mai 1897, erneut veröffentlicht in: Acht Jahre Secession. Wien 1906, s. 4–7. 31 ebd. 32 Plein-air: aus dem Wiener kunstleben. WsmZ, 31. mai 1897. 33 aus dem Glaspalast. FB, 26. sept. 1897. 34 allerlei kunstwerke (slevogt ausstellung – Galerie hoffmann). FB, 28. okt. 1897. 35 alphons mucha. (ausstellung seiner Werke bei artaria). FB, 11. nov. 1897. 36 die Bewegung im oesterreichischen museum. FB, 27. nov. 1897. 37 Über die chronologie der ereignisse der secession wurden in den letzten dreißig Jahren unzählige Fachpublikationen verfasst. an dieser stelle nenne ich nur einige frühe und grundlegende, in vielerlei hinsicht bahnbrechende Werke: Peter vergo: Art in Vienna. Phaidon, oxford 1975. otto kapfinger und adolf krischanitz (hrsg.): Die Wiener Secession. Secession. Bd. i: das haus: entstehung, Geschichte, erneuerung. Bd. ii: die vereinigung bildender künstler 1897–1985. Wien, köln, Graz 1986. James shedel: Art and Society. The New Art Movement in Vienna 1897–1914. society for the Promotion of science and scholarship, Palo alto

1981. Traum und Wirklichkeit. katalog. Wien 1985. Gottfried Fliedl: Gustav Klimt 1862–1918. köln 1989. 38 die Wiener Zeitschrift unterschied sich von der 1896 gegründeten münchener Jugend, die nicht die Zeitschrift der münchener secession war. auch die 1895 gegründete, ausgesprochen exklusive deutsche Zeitschrift Pan war nicht das organ eines verbandes. die Fachliteratur zu Ver Sacrum ist sehr umfangreich, doch die meisten Bücher, die den titel der Zeitschrift tragen, fassen die Geschichte des Wiener modernismus zusammen. eine wegweisende Publikation, die sich nur mit der Zeitschrift befasst, ist: christian m. nebehay: Ver Sacrum 1898–1903. münchen 1979. eine der wichtigsten Publikationen besonders zu Fragen der Grafik ist: marian Bisanz-Prakken: Heiliger Frühling. Gustav Klimt und die Anfänge der Wiener Secession 1895–1905. Wien, münchen 1999. 39 in jeder ausgabe publizierte hevesi unter dem titel „aus dem Wiener kunstleben“ kurze und bündige Besprechungen von ausstellungen oder anderen ereignissen. er führte diese kolumne bis zu seinem tod. daneben schrieb er von Zeit zu Zeit auch andere größere aufsätze über aktuelle Fragen des kunsthandwerks. 40 Zur Bewegung im oesterreichischen museum. FB, 29. Jan. 1898. 41 Ver Sacrum. FB, 15. Febr. 1898, erneut veröffentlicht in: Acht Jahre Secession. Wien 1906, s. 7–11. 42 ebd., s. 8. 43 ebd., s. 8. 44 siehe: carl moll. 45 in dieser hinsicht war man bestrebt, dem zuvor in münchen üblichen vierjahresrhythmus zu folgen. 46 das war deshalb wichtig, weil die rebellen den mitgliedern des künstlerhauses wiederholt vorgeworfen hatten, sie fürchteten die konkurrenz der ausländischen künstler. sie argumentierten, nur sie, die vertreter des modernismus, wollten moderne ausländische kunst in Wien vorstellen. diese taktik erinnert sehr an die Praxis der münchener secession. 47 die ausstellung der secession. FB, 25. märz 1898. 48 ebd. 49 robert Jensen: Marketing Modernism in Fin-deSiècle Europe. Princeton, new Jersey, 1994, s. 138– 166. 50 carl moll stellte zwei in lübeck entstandene Gemälde sowie eine neue version seiner Bilder von der römischen ruine im Park von schönbrunn aus (sec. kat. nr. 28, 29, 30). die ausgestellten Werke engelharts waren ein in einen schleier gehüllter rothaariger weiblicher akt (sec. kat. nr. 239) und zwei Paravententwürfe (sec. kat. nr. 252, 339), die sein kunstgewerbliches interesse belegen. 51 moderne Plastik. ausstellung der secession. FB, 7. apr. 1898. 52 neues von max klinger. FB, 23. apr. 1898. in den meisten Publikationen heißt es, Franz Joseph sei zur eröffnung erschienen, doch das ist ein irrtum. auch bei der offiziellen eröffnung waren bedeutende Persönlichkeiten zugegen: der kultusminis-

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die macht der kunstkritik

ter, der oberhofmeister, der oberkämmerer, die führenden Persönlichkeiten des hochadels, Wiens Bürgermeister dr. karl lueger und der gerade in Wien weilende mark twain. 53 thomas Just und irmgard Pangerl: Kaiser Franz Joseph und die Erste Ausstellung der Secessionisten 1898. http://static.twoday.net/arcana/files/klimttext.pdf. 54 diese szene zeigt die bekannte und oft veröffentlichte Zeichnung von rudolf Bacher. 55 Jeroen Bastiaan van heerde: Staat und Kunst. Staatliche Kunstförderung 1895 bis 1918. Wien 1993, s. 116. 56 der einzige spätere Besuch fand 1907 statt, als er seinen Gast, den Bayerischen könig luitpold, auf die ausstellung münchener kunst begleitete. Zu diesem Zeitpunkt hatte die secession schon eine konservativere Führung. 57 die Jubelausstellung im künstlerhause. FB, 19. apr. 1898. 58 im großen konzertsaal (Goldener saal) wurden die modelle und Pläne der wichtigsten Gebäude der ringstraße sowie das modell der statue der Pallas athene von carl kundmann, die vor dem Parlamentsgebäude errichtet werden sollte, ausgestellt. die Wände wurden mit stücken aus der kaiserlichen Gobelinsammlung verkleidet, um einen neutralen und zugleich ästhetischen hintergrund für die exponate zu erhalten. 59 meiner ansicht nach kann man den Begriff Jugendstilgeschmack für alle österreichischen stilexperimente jener Zeit verwenden, die in Wien entstanden, bevor der engere kreis der schüler otto Wagners und dann diejenigen, die für die Wiener Werkstätte arbeiteten, die viel geometrischere strenge Formensprache erarbeiteten, die dann als Wiener secessionsstil international bekannt wurde. 60 die Jubelausstellung im künstlerhause. FB, 19. apr. 1898. 61 Plein-air: secession i. WsmZ, 4. apr. 1898. secession ii. WsmZ, 11. apr. 1898. 62 ebd., 4. apr. 1898. 63 Plein-air: Jubiläumsausstellung i, ii, iii. WsmZ, 25. apr. 1898, 2. mai 1898, 16. mai 1898. 64 Plein-air: Jubiläumsausstellung iii. WsmZ, 16. mai 1898. 65 ebd. 66 hans Grasberger: Jubiläums-kunstausstellung. i. WZ, 20. apr. 1898. ii. Jubiläums-kunstausstellung. oesterreichische kunst. WZ, 29. apr. 1898. iii. Jubiläums-kunstausstellung. ausländische malerei. WZ, 10. mai 1898. 67 hermann Bahr: künstlerhaus 1898, erneut veröffentlicht in: hermann Bahr: Secession. 1900, s. 43–47. 68 Grasberger verteidigt im Geiste des aufgeklärten humanistischen liberalismus die kunst und die Freiheit der künstler, überall auszustellen und somit dem allgemeinwohl zu dienen, und verurteilt den engstirnigen Partikularismus. 69 hermann Bahr: Briefwechsel mit seinem Vater. 5. apr. 1898, s. 278. Zit. nach: Jugend in Wien. literatur um 1900. eine ausstellung des deutschen

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literaturarchivs im schiller-nationalmuseum marbach a. n. 1974. 70 ludwig hevesi: die erste ausstellung der vereinigung bildender künstler oesterreichs. Ver Sacrum, heft mai-Juni 1898, s. 1–4, erneut veröffentlicht in: Acht Jahre Secession. Wien 1906, s. 38–42. 71 ebd., s. 40. 72 ebd., s. 41. 73 Bemerkungen über die Jubiläums-ausstellung. FB, 25. mai 1898. 74 ebd., erneut veröffentlicht in: Acht Jahre Secession. Wien 1906, s. 44–45. 75 hermann Bahr: an die secession. ein Brief von hermann Bahr. Ver Sacrum. heft mai–Juni 1898, s. 5. 76 thomas. kunstgenossen. die Wage 14. april 1898 s237–238. (keine andere schrift von thomas konnte in anderen nummern oder Jahrgängen gefunden werden. Über das ominöse graphische ornament siehe: markus kristan: Josef Urban. Die Wiener Jahre des Jugendstilarchitekten und Illustrators 1872–1911. Wien-köln-Weimar 2000, s. 168. 77 Österreichischer kalender für 1899. Kunst und Kunsthandwerk. 1., 1898, s. 411. 78 hevesi hatte nach eigenen angaben mehrere Fassungen geschrieben, von denen die künstler die ausgewählt haben, die schließlich auf die Fassade geschrieben wurde. hevesi 1903, ii, s. 284. 79 das haus der sezession. vorläufiges. FB, 11. nov. 1898. 80 hans Grasberger: die secession. haus und ausstellung. WZ, 14. nov. 1898. 81 „das ausstellungshaus unseres olbrich kostet alles in allem zusammengebettelte 60.000 Gulden, weil alle daran beteiligten künstler umsonst gearbeitet haben.“ das haus der secession. vorläufiges. FB, 11. nov. 1898. 82 Weiteres vom hause der sezession. FB, 13. nov. 1898. 83 andreas Zorn. FB, 18. nov. 1898. verkannte kunstwerke. FB, 19. nov. 1898. aus der secession. FB, 8. dez. 1898. otto Wagners akademieprojekt. FB, 29. dez. 1898. 84 aus der sezession. FB, 8. dez. 1898. 85 Welcher architekt den Zuschlag erhalten hatte, stellte sich erst nach der entscheidung, bei der auflösung der kennworte, heraus. 86 Bildende kunst unter kaiser Franz Joseph i. FB, 2. dez. 1898. 87 die ausstellung der secession. 12. Jan. 1899, in: Acht Jahre Secession. Wien 1906, s. 102. 88 théo van rysselberghe. (ausstellung der secession). FB, 13. Jan. 1899. 89 Acht Jahre Secession. Wien 1906, s. 106–107. 90 muthers kritiken aus dieser Zeit wurden in zwei Bänden veröffentlicht: richard muther: studien und kritiken i. 1900. ii. 1901. Wiener verlag. Wie populär solche gesammelten kritiken waren, zeigt der umstand, dass die beiden Bände insgesamt fünfmal aufgelegt wurden. 91 Plein-air: aus dem Wiener kunstleben (Gemäldesalon Pisko – secession. aquarellausstellung im künstlerhause). WsmZ, 23. Jan. 1899.

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im strudel der secession

92 klimt, moll, Böhm, mallina, Broncia koller, Walter hampel, um nur einige wichtige maler zu nennen, fertigten mehrere Bilder oder teile ihrer Bilder in dieser technik an. 93 Plein-air: aus dem Wiener kunstleben (schlussartikel). WsmZ, 30. Jan. 1899. 94 diese aggressiv monumentale Bronzeplastik steht heute neben dem Gebäude der secession. 95 Zur Geschichte des Gemäldes siehe die ausführungen über die schubert-ausstellung weiter oben. 96 Plein-air: secession. WsmZ, 20. märz 1899. der hinweis bezieht sich auf eine modische amerikanische Grafikserie, in der die damen, die Barrison sisters, in Jugendstil-toiletten und -Frisuren dargestellt sind. 97 seligmann motivierte außer seiner ablehnung gegenüber dem Pointillismus möglicherweise auch der neid des malers, er fand das lob übertrieben. in diesem Frühling stellte er in der Jahresausstellung im künstlerhaus selbst ein großformatiges Gemälde von einer Femme Fatale (Belladonna) aus, mit dem er keinen erfolg hatte. 98 Bei dem Brand in schloss immendorf in niederösterreich (wo man 42 Gemälde klimts, darunter auch die Fakultätsbilder, in sicherheit gebracht hatte) im Jahr 1945 wurde auch das schubert-Gemälde vernichtet.

99 die ausstellung vor der hörmann-versteigerung fand im Gebäude der secession statt, und wie schon zuvor im Zusammenhang mit dem nachlass einiger ihm nahestehender künstler machte hevesi die Öffentlichkeit auch dieses mal in einem interessanten artikel auf die Bedeutung des künstlers aufmerksam. siehe: der nachlaß theodor von hörmann. FB, 23. Febr. 1898. 100 versteigerung des hörmannschen nachlasses. in: Acht Jahre Secession. Wien 1906, s. 123–124. 101 der Wiener rathauskeller. Kunst und Kunsthandwerk. 2/1899, s. 115. 102 Führer durch den Wiener Rathauskeller, Wien 1899. 103 an der dekoration des rathauskeller, also des riesigen kellerrestaurants des Wiener rathauses, nahmen folgende künstler teil: carl Wilda, hugo darnaut, karl Gsur, carl haßmann, hans ranzoni, max suppantschitsch und richard harlfinger. 104 Wilhelm schöllermann: der Wiener rathauskeller. Innen-Dekoration. 1899/10, s. 69. 105 erneut veröffentlicht in: hermann Bahr: Seceession. Wien 1900, s. 169–181. 106 Plein-air: aus dem Wiener kunstleben. die secessions-ausstellung ii. WsmZ, 27. nov. 1899. 107 aus dem künstlerhause (ausstellung des aquarellisten-clubs). WsmZ, 15. Jan. 1900.

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1900: PyrrhussieG?

Die Pressekampagne um die Fakultätsbilder hevesi stellte überrascht fest, dass die Xiv. ausstellung des aquarellistenklubs im Künstlerhaus sowohl hinsichtlich ihrer installation als auch hinsichtlich der exponate ausgesprochen modern und gut war. im mittelpunkt der ausstellung standen die gemeinsamen arbeiten des architekten Joseph urban und des malers heinrich lefler, entwürfe für interieurs und ein schloss, die sie für das anwesen des Grafen Károly eszterházy in szentábrahám (heute abrahám, slowakei) in der Nähe von Bratislava im secessionsstil angefertigt hatten. in seiner Bewertung führte der Kritiker dennoch an, die Neuerer des Künstlerhauses seien allem anschein zum trotz keine eigenständigen stilerneurer und Künstler, sondern ahmten den stil der secession lediglich nach. Penibel zeigte er die kleineren und größeren Fehler der interieurentwürfe auf und war nicht bereit, urbans und leflers artistische interieurs mit den arbeiten olbrichs oder hoffmanns künstlerisch auf eine stufe zu stellen.1 mit diesem schachzug setzte er den bereits seit 1898 andauernden künstlerischen Konkurrenzkampf fort, den die mitglieder der secession und hermann Bahr mit der Behauptung eröffnet hatten, die ausschließlichen und authentischen repräsentanten der als secessionistisch zu bezeichnenden stilexperimente könnten in Wien nur sie, die zur secession gehörenden Künstler, sein. als indirekte antwort veröffentlichte seligmann einen leserbrief, der im Grunde seine frühere argumentation, die secession (also die Vereinigung bildender Künstler Oesterreichs) und ihre anhänger seien zu einer Clique geworden, die auch die übrigen modernen Bestrebungen ächteten, indem sie sie allesamt als unecht brandmarkten und die moderne Kunst für sich allein beanspruchten, wiederholte.2 Das mit konkreten künstlerischen Beispielen illustrierte Pamphlet zeichnet sich durch einen nüchternen und präzise analysierenden tenor aus und verteidigt im sinne einer liberalen auffassung das recht eines jeden im künstlerischen Publikum, selbst zu entscheiden, was er als modern akzeptiert. Der anonyme leser und seligmann sprach sich entschieden gegen die Praxis aus, dass die Kritik die künstlerischen leistungen anhand der Zugehörigkeit des jeweiligen Künstlers zu dem einen oder dem anderen verein als modern beziehungsweise schlecht oder unecht bewertete. Dieser Disput zeigte eindeutig, dass die secession nicht nur gegenüber den Konservativen, sondern auch gegenüber den modernen Künstlern, die nicht zu ihr gehörten, eine unerbittliche interessenpolitik betrieb, um den Wiener Kunstmarkt beherrschen zu können, und dass hevesi sie darin aktiv unterstützte. in dieser atmosphäre der rivalität und der fachlichen spannungen veranstaltete eine neue Künstlervereinigung innerhalb des Künstlerhauses, der Hagen-Bund (damals noch in dieser schreibweise), ihre erste ausstellung. eine Gruppe junger Künstler hatte

196 Gustav Klimt: Die PhilosoPhie, 1900

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Die maCht Der KuNstKritiK

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innerhalb der alten organisation (des Künstlerhauses) ein engeres Bündnis geschlossen, um zu zeigen, dass sie ähnliche künstlerische ansichten vertraten. sowohl hevesi als auch seligmann begrüßte die Kammerausstellung, die einen guten eindruck machte.3 es handelte sich um eine der manifestationen der schnellen Differenzierung, durch die mehrere kleine Künstlergruppen versuchten, sich in der Kunstszene ein eigenes Profil zu geben und ein eigenes schutz- und trutzbündnis zu schließen, um „im Konkurrenzkampf“, der die szene immer mehr prägte, „sichtbar zu werden“.4 Die nächste ausstellung der secession fand auf „neutralem terrain“ statt; im mittelpunkt stand die japanische Kunst, sodass sie keinen anlass zu lokalen Disputen über stile gab. Den ausbruch, den skandal löste die Frühjahrsausstellung der secession (die vii.) aus, deren zentrales exponat Philosophie, eines der Fakultätsbilder Gustav Klimts, war. es geschieht relativ selten, dass Kunst- und Kulturhistoriker längst vernichtete Bilder jahrzehntelang aufs Neue analysieren und interpretieren. Wie allgemein bekannt, sind die kulturhistorisch vielleicht wichtigsten Werke Klimts (42 Bilder, darunter die Fakultätsbilder) 1945 in schloss immensdorf verbrannt. heute kennen wir deren aussehen nur von zeitgenössischen Fotos. Doch haben sie eine schlüsselrolle im Wiener Kunstleben gespielt, und ohne diese rolle zu kennen ist es unmöglich, die Geisteskultur der Kaiserstadt um 1900 zu verstehen.

Die Konfrontation eskaliert: die Philosophie Die ereignisse werden in der Fachliteratur ausführlich besprochen.5 Die Konfrontation um das Bild erregte nicht mehr nur das Publikum der malerei, sondern das gesamte kulturelle leben Wiens, und nahm schon bald eine kulturpolitische, ja weltanschauliche Dimension an. Die kunsthistorische Fachliteratur zur Wiener secession, die seit dreißig Jahren Gegenstand intensiver Forschung ist, stellt die ereignisse selbstverständlich stets vom standpunkt der Befürworter der modernen Kunst dar und hat eine regelrechte „victim culture“ geschaffen, nach der Klimt das opfer war und es sich im weiteren sinne um den Freiheitskampf der Kunst handelte.6 Die andere wichtige hauptrichtung der literatur zu den Fakultätsbildern, die die größte Zahl der interpretationen umfasst, betrachtet die erotische Botschaft der Bilder als die wichtigste und versteht sie als Dokumentation der intensiven sexuellen identitätskrise der Jahrhundertwende. (hierher gehören Werner hofmann, C. e. schorske und Gottfried Fliedel sowie viele, die ihrem vorbild folgten.) Die sphäre der sexualität war in der tat ein sehr wichtiger Problemkomplex innerhalb der komplizierten ereignisfolge des gesellschaftlichen „modernismusprojekts“ in Wien und schien gerade durch die tätigkeit von Freud und Weiniger beherrschend zu sein, stellte jedoch selbst in der Kunst nicht die alleinige wichtige Fragestellung dar.7 auch wenn sie hinsichtlich der negativen rezeption der Bilder eine große rolle gespielt hat (wofür die autoren stets den Konservativismus und die bürgerliche Werteordnung des Publikums verantwortlich machen), handelte es sich dabei nicht um den einzigen und – im konkreten Fall der beiden Werke, der Philosophie und der Medizin – wohl auch nicht um den wichtigsten intellektuellen und emotionalen einwand. Die Fachliteratur zitiert ausführlich aus den zeitgenössischen Kritiken, die die ideelle und inhaltliche Botschaft der Gemälde ausschließlich loben und sie voll-

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311 | 1900: PyrrhussieG ? kommen akzeptieren, die kritischen stimmen jedoch nicht oder kaum. stattdessen wiederholen die neuen lesarten – wie beispielsweise die poetische interpretation Carl e. schorskes von eindeutig literarischem Niveau – die wichtigsten texte und gehen davon aus, dass sich hinter den offenen und dadurch rätselhaften und somit besonders für unterschiedliche interpretationen geeigneten künstlerischen Formen und den ambivalenten malerischen lösungen eine Gedankendichte wie bei Freud, schopenhauer oder Nietzsche verbirgt. Dadurch gilt es in der Fachliteratur schon beinahe als Fakt, dass das Wesentliche des Wiener modernismus in der „ödipalen revolte“ der Generationen bestand, die aus der „Krise des liberalen ich“ resultierte.8 (sie bedeutete die auflehnung der Jungen nicht nur gegen die väter, sondern auch gegen die traditionen der väter.) Zumindest belegt das der Diskurs in den in Ver Sacrum, der Zeitschrift der secession, veröffentlichten artikeln. Die in einer antiken legende versteckte Botschaft verwendet Parolen, aphorismen und wohlklingende Phrasen und spricht dauernd von der Freiheit der Kunst, verschweigt jedoch das andere wichtige Ziel der Gruppe, nämlich ihre Bestrebungen hinsichtlich des Kunstmarktes. Werner hofmann bezeichnete die Fakultätsbilder (und dann auch Klimts spätere allegorische Gemälde) in seinem tiefschürfenden philosophischen Buch9, das mehr als zehn Jahre vor dem Klimt-Kult, der sich zu einer internationalen modeerscheinung auswuchs, entstanden ist, zutreffend als „Bilder der menschheit“. hofmann schreibt es der stilwende der secession zu, dass Klimt in seinem oeuvre die rolle der vermittler von die menschheit betreffenden Botschaften immer öfter weiblichen Figuren zukommen lässt, die für eine empathische identifizierung geeignet sind. Diese entwicklung setzt sich auch bei den beiden Fakultätsbildern fort. (Die meisten Figuren im strom der leidenden menschheit sind Frauen, die männer haben kein Gesicht.) Die symbolische vision hat keine bestimmbare Zeitdimension mehr, stattdessen zeigt er, wie die menschheit, auf ein allgemeines und zeitloses, das heißt fast nur auf ein beinahe unreflektiertes biologisches Dasein reduziert, im Kosmos treibt … und zwar auf geniale Weise. auch den menschen stellt er nur auf einer ganz allgemeinen Grundebene, als biologisches Wesen, dar. (Dieser Zeitlosigkeit und verallgemeinerung dienen die nackten Körper.) Bei der Philosophie kann die Nacktheit wohl kaum als lösung verstanden werden, die der Betonung der sinnlichkeit dient, sie ist vielmehr eine versinnlichung des ausgeliefertseins des individuums (abb. 196). Die vorherrschaft von eros und Thanatos in der literatur zur Wiener malerei der Jahrhundertwende ist ungebrochen, kann jedoch nicht das ausschließliche Paradigma der analyse von Bildern und Werken bleiben. schließlich blickt diese Thematik auf eine lange kulturelle tradition zurück und war in der liberalen Kunstauffassung ein vollkommen akzeptables Thema. Nicht nur eros und überhaupt die kühne neuartige Darstellung der sexualität, die mit tabus brach, sondern auch die für die Künstlergruppe charakteristische starke hybris (die Überheblichkeit des auserwähltseins als Künstler) als Fortsetzung der klassischen terminologie hat dazu beigetragen, dass sich der Großteil des intellektuellen elitepublikums von der Kunst der secession abwandte. es empfand das lauthals verkündete elitebewusstsein, von dem die schriften von hermann Bahr, hevesi, Carl moll oder ernst stöhr überquollen, als unverhältnismäßig und moralisch fragwürdig.

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197. Gustav Klimt: Die PhilosoPhie (aussChNitt)

vor allem hermann Bahrs rhetorik war verletzend. als motto hatte er schon zuvor, 1898, während der ersten offensive der secession, ein schiller-Zitat (das über der Nuda veritas in seinem arbeitszimmer angebracht war) gewählt, nach dem nur die auserwählten dessen würdig sind, die Kunst zu verstehen. ich werde in meiner Darstellung außer ihrer argumentation auch andere Gesichtspunkte berücksichtigen. Die zeitgenössischen Kritiker des modernitätskults sind bisher kaum zu Wort gekommen, die Fachliteratur stempelt ihre motivation von vorneherein als konservativ und rückschrittlich ab, ohne ihre tieferen Gründe zu ermitteln. in der vorliegenden abhandlung versuche ich, auch die Beweggründe der damaligen Kritiker der Fakultätsbilder zu verstehen und anhand der genauen Prüfung der Quellen zu untersuchen, mit welchen taktiken und mitteln die beiden lager ihren jeweiligen stand-

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313 | 1900: PyrrhussieG ? punkt verteidigt haben. Dieses mal geht es nicht um die untersuchung der damaligen schritte der Kulturpolitik und des staatlichen mäzenatentums (das hat die Fachliteratur bereits hervorragend erledigt), sondern um die analyse der reaktionen des laienpublikums und der am meisten Betroffenen, der Professoren der universität, anhand der tagespresse. auf diese Weise wird sich hevesis besondere und herausragende rolle hinsichtlich der Propaganda in einem anderen licht darstellen. Die erste Beschreibung des Gemäldes, die voll des lobes war und den tenor der rezeption des Werkes vorgeben sollte, verfasste hevesi (von dem auch der kurze erläuternde text im Katalog stammte)10 am tag der eröffnung, dem 8. märz. sie enthält auch eine ausführliche Würdigung von Klimts Fakultätsbild in gehobenem stil mit großartigen metaphern und poetischen vergleichen: „Klimts ‚Philosophie‘ ist eine großartige vision, in der eine, man kann schon sagen, kosmische Phantasie schaltet. man sieht der ganzen szene noch das Chaos an, aus dem sie sich losgerungen hat oder vielmehr immerfort losringt, als ewig fließendes, ununterbrochen zu Formen gerinnendes und wieder zerrinnendes leben.“11 am ausführlichsten befasst er sich mit der visionären Gestalt des sphinxartigen „Welträtsels“, am knappsten beschreibt er den komplexesten teil, den strom der im Kosmos treibenden menschen. am ende der Bildanalyse fügt er, aus vorsicht oder vielleicht von einer unguten vorahnung geleitet, hinzu: Klimt „… hatte eine allegorie auf die geheimnisvollste der Wissenschaften zu malen, und hat diese echt malerische lösung dafür gefunden. sie wird natürlich anfangs nicht recht verstanden, oder vielmehr empfunden werden, aber wir haben vertrauen zu unserem Publikum, das seit drei Jahren den horizont seines ahnungsvermögens so bedeutend erweitert hat. es wird sich mit diesem bedeutenden Werke beschäftigen und befreunden.“12 (abb. 197) Doch dieses mal hatte hevesi die geschmackliche anpassungsfähigkeit des Publikums etwas überschätzt: innerhalb einer Woche geriet das kunstverständige Publikum Wiens in aufruhr, und die im hinblick auf den inhalt des Bildes am ehesten betroffene Gruppe der rezipienten, die der Geistesschaffenden der universität und der Professoren, war empört. Die argumente für und wider das Gemälde prallten mit bis dahin unbekannter heftigkeit aufeinander. Dabei tat die riege der dem modernismus verpflichteten Journalisten alles in ihrer macht stehende für den erfolg des Werkes, doch dieses mal stießen sie auch bei ihren toleranten Kollegen auf Widerstand. am montag, dem 12. märz, veröffentlichte armin Friedmann, der ständige Kunstkritiker der Wiener Zeitung, eine lange rezension über das Bild.13 Friedmann beginnt seinen artikel mit den erläuternden Worten des Katalogs: „Das Gemälde ist mit und ohne erklärung verwirrend vieldeutig. man vermag alles oder nichts darin zu erkennen, je nachdem. Das kommt auf den scharfsinn und Witz des auslegers an.“ es war vor allem diese ambivalenz, die die analysten des Bildes beunruhigte. schließlich handelte es sich um einen staatlichen auftrag für die aula der universität, also war das Werk eine öffentliche angelegenheit. Dennoch erlaubte sich Friedmann, einer der gründlichsten Kritiker, der seine rezensionen regelmäßig mit Fußnoten versah, auch die neueste Fachliteratur zu den besprochenen Künstlern anführte und stets taktvoll formulierte, in dem artikel eine beleidigende Bemerkung, indem er vom „hysterischen manierismus Klimts“ sprach.14 seligmann schrieb in der Wiener Sonn- und Montagszeitung15 über das Bild und kritisierte sowohl seine interpretation des Themas als auch seine stilistischen lösungen. „Der maler

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soll das räthsel darstellen, aber nicht selbst eines aufgeben. Das unerforschliche sichtbar darzustellen, mußte misslingen, und was wir sehen, ist eine formlose und unverständliche traumwelt, das gerade Gegentheil aller wahren Philosophie.“ Bezüglich des stils beanstandet er „eine süßliche, nervöse und schmalbrüstige eleganz, Chic und Koketterie mit einem stich ins uferlos Phantastische“. einen tag später erschien in der Neuen Freien Presse Franz servaes’ lange rezension von dichterischer erhabenheit16, die bis heute eine der poetischsten und einfühlsamsten Beschreibungen des Gemäldes ist. servaes17, ein aus Berlin übergesiedelter Kritiker, der ein unbedingter und vorbehaltloser Befürworter der modernen Bestrebungen war und auch von hevesi selbst unterstützt wurde, war seit anfang des Jahres der zuständige Berichterstatter der Neuen Freien Presse für den Bereich bildende Kunst. mit seiner eingehenden analyse feierte er das als erstes fertiggestellte Fakultätsbild eindeutig als modernes meisterwerk des symbolismus.18 servaes folgte hevesis Beschreibung, seine ausführungen sind jedoch dramatischer, plastischer, präziser und weniger didaktisch. er erklärt und zögert nicht, sondern beschreibt einfach das Gesehene und die assoziationen, die der rhythmus der Farben und Formen in ihm auslösen, während er das Bild betrachtet. er verrät erst in der mitte der abhandlung, dass es sich um Klimts Gemälde handelt, und an diesem Punkt stellt sich auch ihm die Frage, ob man das Bild und seinen „Geist“ in Wien und in Paris wohl verstehen wird. mit zunehmender Begeisterung sucht er nach vergleichen und findet sie in der musik: „Das ganze Werk ist gleichsam von musik durchströmt. (…) als umfasserin des Weltalls und als symbol des lebens ist hier die Philosophie gefaßt. (…) Die Phantasie und die leidenschaft wollen sich hinausergießen ins Weltall. Klimt hat das gemalt. er hat sich mit seiner einbildungskraft ins Kosmische hinausgewagt. (…) er malt nicht mehr die Philosophen als die repräsentanten der von ihnen betriebenen Wissenschaft. er malt den Gegenstand der Forschung selbst: das leben und das universum. und er streift dabei, vielleicht völlig unbewußt den letzten rest von Theologie ab, der vielfach noch in unserer auffassung der Philosophie gelegen hat. Die Philosophie, welche Klimt gemalt hat, bedeutet die erfassung der Welt, wie sie dem Zeitalter Darwin’s, Fechner’s und Nietzsche’s entspricht. Das ist das Neue, im höchsten sinne Zeitgemäße an dieser Kunstschöpfung.“ Dann kommt er auf die problematischen Fragen der Komposition zu sprechen, die sich aus dem Platz ergeben, für den das Bild vorgesehen ist (ein aspekt, auf dem die Kritiker mit vorliebe herumritten): inwieweit das offensichtlich im hochformat entworfene Werk als Deckengemälde geeignet sein wird. Diese können nach servaes’ ansicht erst zufriedenstellend beantwortet werden, wenn auch die übrigen Fakultätsbilder vorliegen, erst dann könne man sich anhand des Gesamteindrucks ein urteil bilden. Franz servaes’ faszinierende Bildanalyse ist ein Paradebeispiel für die Kunstkritik als Kunstwerk, eine Gattung, die ab der mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur schriftsteller und Dichter, sondern auch Berufskritiker gerne kultivierten, wobei letztere (aus Platzgründen) seltener Gelegenheit dazu bekamen. Zu den berühmtesten Beispielen für diese Gattung gehört Walter Paters essay über die Mona Lisa. in seinem artikel hat Franz servaes, der auch nach literarischen lorbeeren strebte, die symbolischen Bedeutungsebenen von Klimts Bild, die so eng mit den Formen der Darstellung zusammenhängen, überzeugend aufgeschlüsselt. Dass das Werk in Wien sogleich begeisterte anhänger fand, ist auch literarischen Werken dieser art zuzuschreiben, die dem Betrachter

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eindringlich suggerierten, dass es sich bei dem ungewöhnlichen Gemälde, das mit allen allegorischen traditionen brach, um ein meisterwerk handelte. servaes’ artikel, mit dem der „hevesi-schüler“ seinen meister womöglich übertroffen hat, könnte ein Beitrag in einer anthologie der „einfühlsamen“ Kunstkritik jener Zeit sein (abb 198). alle Kritiker des Bildes erfassten, ob ihnen das Werk gefiel oder nicht, das Wesentliche: dass sich hinter dieser interpretation der Philosophie Pessimismus verbarg, ein tiefer skeptizismus in Bezug auf die Frage, ob die Welt überhaupt zu begreifen sei. hevesi und hermann Bahr sowie Franz servaes und richard muther19 unterstützten und verteidigten Klimt seit der Gründung der secession mit voller Überzeugung. Wie bereits erwähnt, äußerte sich seligmann kritisch, wenn auch keineswegs feindselig, über den großen Panneau. Die Kritiker des Wiener Tagblatts, der Reichspost und des Deutschen Volksblatts dagegen beurteilten das Bild negativ. Der Disput wäre möglicherweise nicht eskaliert, wenn die anhänger der secession nicht, gelegentlich auch mit ironie, sarkasmus und spott, alles daran gesetzt hätten, alle anderen meinungen zu verdrängen. Das in der Wiener Sonn- und Montagszeitung veröffentlichte Feuilleton über diese Kampagne ist ausgesprochen unterhaltsam.20 es stellt die ereignisse in Form eines tagebuchs aus der sicht eines ausstellungsbesuchers dar, der den anforderungen der moderne genügen möchte. Wenn nur die hälfte von dem wahr ist, was in diesem „tagebuch“ steht, stellt es eine peinliche entlarvung der Bestrebungen und der strategie der secession dar, die Öffentlichkeit und somit die öffentliche meinung unbedingt zu beherrschen und vorzuschreiben, was zu bewerten ist und wie. (siehe anhang.) mit ihrer überspannten rhetorik überschritten die begeisterten Kritiker die Grenze, die die aufklärung und die Belehrung des Publikums vom meinungsterror trennt. hermann Bahr hielt einen vortrag über die Philosophie, zu dem Gottfried Fliedl feststellte: „in seiner rede, die auch gedruckt und als Programmschrift in umlauf gebracht wurde, spitzt sich das Plädoyer für Klimt zu einer grundsätzlichen verteidigung des elitären der Kunst und des Künstlers gegen den ‚mob‘ zu. in dieser streitschrift (…)

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kommt unmißverständlich die hochmütige, die elitäre seite der secessionistischen ideologie zur sprache.“21 Bahr argumentierte unter verweis auf schopenhauer folgendermaßen: „Die Kunst ist immer dazu da gewesen, ja dies ist ihr eigentlicher ursprung und ihr wesentlicher Zweck, die ästhetischen Gefühle einer minorität von edlen und reinen, höher und feiner organisierten menschen in hellen Gestalten auszudrücken, und an welchen eben dann erst die schwer und langsam nachdrückende menge allmählich lernen soll, was das schöne und das Gute ist.“22

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317 | 1900: PyrrhussieG ? hinsichtlich der verteidigung der Philosophie war neben Bahr gerade hevesi am aktivsten. als sich zeigte, dass der Geist des Bildes für einen teil der universitätsprofessoren inakzeptabel war und sie die absicht hatten, beim Kultusminister zu protestieren, platzierte die leitung der secession zum Zeichen ihrer Überzeugung am 27. märz mit einer pathetischen Geste einen lorbeerkranz (mit der aufschrift Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit) vor dem Gemälde. Darüber und über den ganzen bevorstehenden skandal berichtete hevesi am 28. märz im Fremden-Blatt.23 in seinem am nächsten tag veröffentlichten artikel mit dem titel „Für Klimt“ griff er die unverständigen Konservativen in noch schärferem ton an.24 mit beißendem sarkasmus prangerte er die universitätsprofessoren, die es gewagt hatten, ihr missfallen über das Bild zu äußern, und ihre widersprüchliche argumentation an. am darauffolgenden tag setzte er seinen Feldzug gegen die unverständigen unter dem titel „Die Bilderstürmer von Wien“25 fort und veröffentlichte den artikel auch im Pester Lloyd. Darin bespricht er die künstlerischen tugenden der Philosophie in einer sehr schönen neuen Fassung. infolge des skandals strömten die Besucher drei Wochen lang nur so in die ausstellung der secession, und die Fragen der malerei, des modernismus und der Kunstkritik wurden in der Presse über monate heiß diskutiert. Karl Kraus prangerte sowohl den maler als auch seine verbündeten in seiner einmannzeitschrift Die Fackel gleich zweimal, im märz und im mai, leidenschaftlich an.26 „Da Klimt in makarts Fußstapfen trat, erregte er aufmerksamkeit, da er Khnopffsche Köpfe malte, verwunderung; als er uns zuerst als Pointillist kam und auch als solcher mit ehren bestand, sahen wir in dem geschickten stileklektiker so recht den repräsentanten einer verfallszeit, wahrer Kunst, die statt individualitäten nur mehr interresante individuen hervorbringt. Jüngere Künstler, deren Persönlichkeit die ausdrucksmittel häufig versagen, mochten in Klimt den meister des handwerks schätzen, und je unfertiger sie waren, desto leichter überschätzen.“27 Karl Kraus gibt in seinem Pamphlet vom märz sarkastischerweise sogar eine politisch aktuelle interpretation des Bildes zum Besten: „mir war’s im ersten augenblick klar. Der immer actuelle Klimt hatte eine allegorie auf die österreichische sprachenfrage gemalt. Geschlechte werden und vergehen, hoffnungvoll kommen die Jungen, und trostlos fahren die Greise zur Gruft: aber unergründet, ungelöst ruht in dem grünen Nebel unklarer volksstimmungen, Wünsche, herrscherbegierden das räthsel der sprachenfrage.“28 er verteidigt natürlich die Professoren der universität, die gegen die anbringung des allegorischen Werkes in der aula protestierten.29 hevesi sprach sich zur verteidigung der Philosophie mit für ihn ungewohnter vehemenz konsequent für die stilistische Freiheit der Kunst (und der Künstler) aus. sein text ist mit einer reihe aphoristischer Formulierungen wie „Künstlerkunst, nicht Publikumskunst!“ gespickt, und schließlich treibt er die Konfrontation auf die spitze: „Kunst oder Nichtkunst ist die Frage“30, dabei ging es hier lediglich um unterschiede im Geschmack und in der ästhetischen empfindlichkeit und nicht um eine antikunst. allerdings ging es dabei noch um etwas anderes. Der minister war ohnehin für die secession, also die Freiheit, mit den stilen zu experimentieren. hevesi wollte diesbezüglich nicht zur Kenntnis nehmen, dass es außerdem auch um die meinungsfreiheit des Kritikers und um den Gegensatz zwischen dem Kritikverständnis der traditionellen bürgerlichen Öffentlichkeit und dem rollenverständnis der professionalisierten elitären modernen Kunstkritik ging. unser Kritiker hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass er

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durch sein fachliches ansehen in Wien bis dahin scheinbar über jeder Kritik stand und seine meinung nicht infrage gestellt wurde, und glaubte so ehrlich und fest an Klimts stilexperimente, daran, dass der maler ein außerordentlich hohes künstlerisches Niveau verkörperte, dass es ihm gar nicht in den sinn kam, dass jemand diesen stil anders beurteilen könnte. heftig, fast wie ein Besessener ging er die unverständigen an, die nicht erkannten, dass die Philosophie ein ganz besonderes meisterwerk war, eine in Farben übersetzte symbolische verkörperung des pessimistischen modernen lebens und der modernen Weltsicht. Wer das nicht wahrnahm, war in hevesis augen – auch wenn er in seinem eigenen Wissenschaftszweig als anerkannte und progressive Größe galt – in dieser angelegenheit ein beschränkter konservativer Philister.31 seine aufgabe war die aufklärung, die Belehrung, die erziehung zur künstlerischen sichtweise, und dieser versuchte er nun mit allen verbalen mitteln gerecht zu werden. Zum ersten mal in seinem leben stieß er beim Publikum (noch dazu bei der gebildeten elite) auf heftigen Widerstand. vermutlich erkannte er zunächst nicht, dass auch seine rolle in der öffentlichen sphäre der bildenden Kunst inzwischen eine andere war als fünfzehn oder zwanzig Jahre zuvor – dass es sowohl in der inzwischen pluralen Welt der Künstler, die sehr unterschiedliche Positionen vertraten, als auch beim kunstverständigen Publikum keinen ästhetischen Konsens mehr gab und auch nicht geben konnte. Während die Kunstszene in Wien relativ homogen war und den Jahresausstellungen und dem material des Kunstvereins – trotz der vielfalt der individuellen stilvarianten und der sich parallel zueinander entwickelnden stilrichtungen – eine relativ einheitliche Kunstauffassung und eine gemeinsame kulturelle Plattform zugrunde lagen, bestand die didaktische aufgabe des Kritikers, der die bürgerliche Öffentlichkeit vertrat, darin, den Künstlern die erwartungen der Fach- und Bildungselite der Gesellschaft zu vermitteln und den weniger gebildeten schichten des Publikums die Werke zu erklären, ihnen ihre intellektuellen und ästhetischen Botschaften verständlich zu machen. Diese rolle des Kritikers war (zumindest bis zu den 1880er Jahren) in ganz europa allgemein anerkannt, und obwohl sie einen gewissen spielraum für individuelle vorlieben in Bezug auf Geschmack und stil bot, stand außer Frage, dass sich die Kunst in den großen progressiven Prozess einzufügen hatte, der der moralischen entwicklung der Gesellschaft diente. auch in anbetracht des Geniekults der romantik, der die individualität betonte, war es nicht legitim, die gesamtgesellschaftliche aufgabe der Kunst – zu verbessern, zu verschönern und die gesellschaftliche utopie zu stützen, deren fester Bestandteil in dieser bürgerlichen epoche auch die Demokratie (und auch die künstlerische Demokratie) war – infrage zu stellen. Dieser Grundkonsens wurde in Wien in den 1890er Jahren erschüttert, was sich jetzt auch in der Debatte um die Fakultätsbilder in der Presse manifestierte. Die experimentierenden modernen Künstler versuchten, diesen (auf die Konzeption der aufklärung zurückgehenden) „Gesellschaftsvertrag“ im Namen des L’art pour l’art zu kündigen, sich davon zu befreien, Werke zu malen, die den staatlichen beziehungsweise korporativen erwartungen entsprachen und didaktische oder repräsentative Zwecke erfüllen sollten. statt der Fortsetzung der tradition wählten sie den Bruch mit der tradition und erwarteten im Zeichen einer individualistischen modernisierung, dass die ganze Gesellschaft von ihnen (bedingungslos) das (den stil, die neue interpretation und die neuen künstlerischen lösungen) als Kunst annahm, was sie (die modernen Künstler) für sie schufen.

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319 | 1900: PyrrhussieG ? Werke zu kritisieren, stand also nur den modernen Künstlern und den mit ihnen verbündeten Kritikern zu, alle anderen waren in dieser angelegenheit nicht zuständig. 1901 waren die Theoretiker der Wiener secession und ihre zur aufstellung von Theorien neigenden Künstler (hevesi und hermann Bahr sowie Carl moll und ernst stöhr) davon überzeugt, dass sie bestimmten, welches die in ästhetischer hinsicht über alle Zweifel erhabenen modernen Kunstwerke waren. Die hauptfigur der von den Zeitgenossen als „Klimt-affair“ bezeichneten reihe kulturpolitischer skandale, die schließlich vier Jahre lang andauerte, Gustav Klimt, ließ sich selbst nicht auf theoretische Diskussionen ein; er setzte scheinbar ungerührt, gleichsam besessen seine künstlerisch-stilistischen experimente fort, um eine neue synthese seines Weltbildes zustande zu bringen. es waren diese beinahe schon naive entschlossenheit und seine Glaubwürdigkeit, die hevesi so an Klimt schätzte und die es ihm ermöglichten, sich fast vollständig mit den absoluten und allem anderen gegenüber intoleranten Zielen des modernismus, der künstlerischen Neuschaffung um jeden Preis zu identifizieren. Carl e. schorske betrachtete die auflehnung der modernen Künstler (vor allem Klimts) gegen die traditionen, gegen die „väter“ vom künstlerisch-psychologischen standpunkt aus und analysierte sie mithilfe der Freudschen terminologie, ohne jedoch die gesellschaftlich-soziologischen aspekte der ereignisse um die Bilder (und die argumente der anderen seite) zu berücksichtigen. auch Werner hofmann konzentrierte sich auf die philosophisch-psychologische Botschaft der Werke, die in engem Bezug zur internen künstlerischen Welt der malerei standen, und ließ den breiten gesellschaftlichen Bezug außer acht. einzig robert Jensen betrachtete die „auflehnung“ der secession in einem weiter gefassten gesellschaftlichen Kontext und sprach die Fragen bezüglich des Kunstmarktes an, dass sich nämlich hinter den Diskussionen, in denen es scheinbar ausschließlich um Fragen der Ästhetik und des Geschmacks ging, bei aller idealistischen rhetorik materielle und machtinteressen verbargen.32 als auch in der Kunstszene der Kaiserstadt eine schnelle Kommerzialisierung einsetzte und die homogenität eines relativ einheitlichen, vom staat wie von der Gesellschaft getragenen ausstellungssystems erschüttert wurde, ihre innere kohäsive Kunstauffassung, die sich auf die Kunstphilosophie der aufklärung stützte, gerade infolge des L’art pour l’art zerfiel und die unterschiedlichen Kunstinterpretationen der verschiedenen Künstlergruppen an ihre stelle traten, änderte sich zwangsläufig auch die rolle des Kritikers. Durch seine Funktion in der Öffentlichkeit und in den medien musste er inmitten der verschiedenen Künstlergruppen, die miteinander konkurrierten und gegeneinander agierten, ständig stellung beziehen. im Kampf der interessen konnte er seine eigene intellektuelle und moralische Freiheit nur schwer bewahren, und es wurde für ihn unmöglich, neutral und „objektiv“ zu bleiben. obwohl hevesis emotionale und intellektuelle radikalisierung verständlich ist, ist der für ihn untypische verletzende ton, in dem er seine unverständigen und sturen Gegner verurteilt, zumindest teilweise ein rätsel. Dennoch beschuldigte ihn, mit ausnahme von Karl Kraus, niemand namentlich der voreingenommenheit oder der Parteilichkeit (wagte oder wollte ihn niemand beschuldigen?), und auch seligmann und die anderen verwiesen lediglich auf ihn. Karl Kraus wies jedoch in der Fackel (obwohl auch

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er, wie die empörten Professoren, kein wirklicher Kenner der malerei war) scharfsinnig auf die Diskrepanz zwischen der Funktion, der Botschaft und der „leistung“ des bestellten Bildes hin.33 allerdings war auch sein ton schulmeisterhaft und verletzend: „ein unphilosophischer Künstler mag wohl die Philosophie malen; allegorisieren muß er sie so, wie sie sich in den philosophischen Köpfen seiner Zeit malt.“34 einen wirklich feindlichen und verreißenden artikel veröffentlichte er zwei monate später, im mai. Darin greift er hevesi, auf dessen letzten artikel im mai35 reagierend, ganz konkret an: „Dieser Kunstkritiker [hevesi – i. s.], der sich in den letzten Jahren aus einem trefflichen Feuilletonisten zum Confusionsrath der secession entwickelt hat und im verkehre mit herrn Bahr auch stilistisch völlig heruntergekommen ist, heischt entschiedenere abwehr … herr hevesi macht wertvolle Geständnisse. ich glaube, er stimmt heimlich schon dem in Nr. 36 der ‚Fackel‘ gemachten vorschlage zu, die ‚Philosophie‘ wenn nur der titel geändert wird, anderweitig zu verwenden. Dem Künstler war es ja vor allem ‚nur um eine interessante malerische Fleckwirkung‘ zu thun. Die ‚kosmische Phantasie‘, die ursprünglich nach herrn hevesis Commentar im Klimt’schen Bilde schaltete, ist jetzt schon völlig verflogen. Daß herr hevesi ihr inspirator war, ist das zweite wertvolle Zugeständnis, das er in seinem neuen reklamefeuilleton macht, und das meine seinerzeit ausgesprochene vermuthung bestätigt. an der interpretation des Bildes im Katalog ist Klimt unschuldig; herr hevesi bekennt, daß er sie in der voraussicht, daß das Publicum vor dem Bilde rathlos stehen werde, geschrieben hat. Das sind die hintergründe einer kosmischen Zeitungsreclame, die seit eröffnung der secession, alle kritischen Gehirne benebelnd, herrn Klimt und sein schwächliches erzeugnis umwallt hat. und weil es 87 universitätsprofessoren gewagt haben, gegen die verschandelung ihres hauses einspruch zu erheben, werden sie von den kritischen satelliten der neuen Kunst mit einer schnodderigkeit behandelt, als ob sie und nicht die herren recensenten sich auf Grund eines dreijährigen Gymnasialstudiums ein öffentliches urtheil angemaßt hätten. Wie die herren hevesi und Bahr sungen, so zwitschern die dummen Jungen.“ Da das ministerium tatsächlich nicht auf die Petition der Professoren reagiert hatte, fährt Karl Kraus fort: „unter den Protestlern befinden sich männer, wie Boltzmann, Jagic, lammasch, lang, Wiesner, und das Geschwätz von den ‚reactionären‘ wird hinlänglich durch Namen wie Benedikt, Jodl, und sueß ad absurdum geführt. aber herr Bahr freut sich der ‚kurzen abfertigung und Zurechtweisung‘, die das unterrichtsministerium den Gegnern der ‚Philosophie‘ zu theil werden ließ, und herr hevesi frohlockt über die ‚Worte, die kürzlich im Kunstrath mit allem Gewicht der Competenz gesprochen‘ wurden. und wer ist diese Competenz, die dem Protest von 87 reifen, zum Theil hervorragenden männern ‚keine allzu große Bedeutung‘ beimißt?“ Die letzten Zeilen des artikels beziehen sich auf die resonanz in Paris. hier macht Karl Kraus, der selbst aus einer assimilierten jüdischen Familie stammte, eine extrem zweischneidige Bemerkung, die später in vielen kritischen Beurteilungen des stils der secession und vor allem Klimts häufig wiederholt wurde: „Der große erfolg des herrn Klimt und der secession in Paris besteht darin, daß die Pariser der importierten Kunst den spottnamen ‚gout juif‘ verliehen haben …“36 Bemerkenswerterweise hat hermann Bahr diesen in der Fackel erschienenen artikel von Karl Kraus später nicht in die sammlung von feindlichen schriften Gegen Klimt aufgenommen.37

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321 | 1900: PyrrhussieG ? unter den streitschriften fehlt auch der eleganteste lagebericht, der artikel, der eine würdevolle antwort auf die Pressekampagne darstellte und am sonntag, dem 1. april, in der Neuen Freien Presse, der Zeitung mit der größten leserschaft, erschienen war.38 Der verfasser war höchstwahrscheinlich hugo Wittmann39 (schriftsteller, Darmaturg und Freund von Theodor herzl), ein ehemaliger mitarbeiter der Zeitung, der sich als anhänger oder zumindest sympathisant der secession und der modernen bezeichnete und im Zusammenhang mit der Debatte um das Klimt-Gemälde wesentliche kunstpolitische Fragen aufzeigte. seiner ansicht nach terrorisierte die Kritik das Publikum: „Du sollst und mußt bewundern!“, schreibt er. streng logisch argumentierend legt er dar, dass diejenigen, die es mit der secession halten, unter dem slogan „Der Kunst ihre Freiheit!“ diejenigen diskriminieren, die hinsichtlich des stils einen anderen Geschmack haben. Der ausgangspunkt seiner argumentation ist ausgerechnet hevesis motto von der Fassade des Gebäudes der secession: „Der Zeit ihre Kunst!“ Doch wer entscheidet, wie die Kunst, die die Zeit (die Gegenwart) verlangt oder für zeitgemäß hält, aussieht? ist tatsächlich der unklare symbolismus der aktuelle, zeitgemäße stil der Jahrhundertwende? im Übrigen enthält der artikel erneut einen konkreten verweis, wenn auch ohne Nennung von Namen, auf hevesi und die übrigen begeisterten Kritiker, die das Bild vorbehaltlos akzeptieren und auch das Publikum dazu zwingen wollen. im interesse der Freiheit des Geschmacks des einzelnen legt der verfasser ausführlich dar, weshalb ihm die Philosophie nicht gefällt. er argumentiert nüchtern und logisch und erläutert, weshalb der vernebelnde, verunsichernde und Pessimismus ausstrahlende symbolismus der Philosophie dem rational denkenden „durchschnittlichen“ erwachsenen Betrachter, der an die entwicklung des menschen glaubt und mit der humanistischen tradition und kulturellen Wertordnung aufgewachsen ist (und die Welt wohl ähnlich optimistisch sah wie die mehrheit der Generation der positivistischen Wissenschaftler), nicht als adäquater ausdruck der Gegenwart, die sich für progressiv, modern und rational hielt, erschienen sein mag. Klimts Panneau wurde im april abgenommen und zur Weltausstellung nach Paris geschickt, die im mai eröffnet wurde. Dort wurde er im österreichischen Pavillon ausgestellt, erhielt den Grand Prix der internationalen Jury und hatte eine sehr gute Presse.40 Das war natürlich eine große Genugtuung für die Befürworter des Bildes, bei seinen Gegnern aber hatte es wenig Bedeutung. im mai reichten 87 Professoren der universität tatsächlich eine Petition bei unterrichtsminister Dr. ritter von hartel ein, um zu erreichen, dass die Philosophie nicht an der Decke der aula platziert wird. Zu diesem Zeitpunkt ignorierte das ministerium die Petition. Die Befürworter von Klimt erhielten unerwartet angesehene unterstützung gegen die Professoren der universität, und zwar vom Professor des seminars für Kunstgeschichte Franz Wickhoff,41 der sich in den Wochen des skandals gerade zu Forschungszwecken in rom aufhielt.42 als er erfuhr, dass das Professorenkollegium als argument unter anderem Folgendes anführte (was der Philosophieprofessor Friedrich Jodl einmal formuliert hatte), „Wir kämpfen gegen (…) die hässliche Kunst“, protestierte Wickhoff per telegramm beim rektor und ließ das telegramm – damit auch die breite Öffentlichkeit davon erfuhr – der Neuen Freien Presse zukommen.43 „Nach Wien zurückgekehrt, hielt Wickhoff am 9. mai 1900 vor der Philologischen Gesellschaft der universität Wien

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ein öffentliches Plädoyer zugunsten des umstrittenen Bildes unter dem titel ‚Was ist hässlich?‘ Der exakte Wortlaut der rede hat sich nicht erhalten, doch lässt eine indirekte Wiedergabe in der Presse die für Wickhoff typische argumentation erkennen.“44 hevesis argumentation stimmt völlig mit Wickhoffs ansichten überein, das heißt mit seiner aussage: „… die moderne Kunst“ musste „aus sich heraus lösungen für die aktuellen Probleme finden“, „die weder ästhetisch noch wissenschaftlich von historischen erfahrungen kontrolliert werden durften“45. in seinem artikel vom mai paraphrasierte hevesi die argumente, die Wickhoff in seinem vortrag angeführt hatte.46 Das aufeinanderprallen der argumente und Gegenargumente bezüglich der Philosophie spiegelt die schnelle Änderung der Kunstauffassung und der ansichten über die gesellschaftliche Funktion der Kunst sowie die radikale metamorphose der herkömmlichen wie der modernen Kunstbetrachtung und der Ästhetik wider. Dass diese Diskussionen von vehementen Gefühlsäußerungen begleitet waren und diese Fragen für die geistig-gesellschaftliche elite Wiens außerordentlich wichtig waren, beweist, dass die bildenden Künste (und die Künste überhaupt) in der Kaiserstadt eine außerordentliche Bedeutung hatten. Dazu, dass sie eine solche Bedeutung erlangten, hatte natürlich auch die Presse, die die ereignisse in der bildenden Kunst seit 1897 mit besonderer aufmerksamkeit verfolgte, ihren teil beigetragen. Klimt arbeitete trotz des ersten und lang anhaltenden skandals scheinbar unbehelligt am nächsten Fakultätsbild, der Medizin, weiter.

Die medizin

200. Gustav Klimt: Die meDiZiN, 1901

im darauffolgenden Frühjahr stellte Klimt in der X. ausstellung der secession die noch nicht ganz fertige Komposition vor, die die Debatte erneut auflodern ließ. Das Problem wurde noch dadurch verschärft, dass in Ver Sacrum, der ausgesprochen exklusiven Zeitschrift der secession47, zur eröffnung der ausstellung eine reihe von aktzeichnungen abgedruckt wurden, die der maler als studien zur Medizin angefertigt hatte. einige empörte sittenwächter beantragten bei der staatsanwaltschaft die makulierung der ausgabe. obwohl das Wiener landgericht diese nicht anordnete, brach der skandal aus (abb. 200). Die erste rezension der ausstellung veröffentlichte wieder hevesi, einen tag nach der eröffnung (15. märz) im Fremden-Blatt.48 Noch bevor er das Bild beschreibt, stellt er entschieden fest: „… die größten modernen maler des auslandes übertreffen Gustav Klimt nicht an macht der malerischen Phantasie, an höhe und reinheit der künstlerischen Gesinnung, an treue gegen sich selbst. Diese treue ist es, die sein leben zum ununterbrochenen vorwärts macht.“ er gibt zu, Bedenken gehabt zu haben, ob der maler das künstlerische Niveau der Philosophie würde erreichen können, ist jedoch beruhigt, dass Klimt im Kampf zum meister gereift ist. er lobt ihn in hymnischem ton, sein schwungvoller stil bezeugt, dass er sich ehrlich für das Bild begeistert. Nach der knappen und plastischen Darstellung des inhalts des Gemäldes beschreibt er, wie das Werk zu den anderen vier Fakultätsbildern passen wird, und kommt dann zur analyse der malerischen effekte – in dem für ihn charakteristischen suggestiven stil, dem servaes oder hofmannsthal in ihren schriften höchstens ab und an nahekamen. Nach der Zusammenfassung des Gesehenen schreibt er: „und doch ist alles nur vision. Wie in

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201. Gustav Klimt: Die meDiZiN (aussChNitt)

der ‚Philosophie‘ sind es nicht handgreiflichkeiten, sondern eine eigene Ätherisierung des leiblichen.“ abschließend verewigt er auch Klimts übrige Bilder, die beiden Frauenporträts und die beiden landschaftsbilder, in Worten, um zu belegen, dass der meister in allen Gattungen Neues geschaffen hat. mit dieser langen und sehr ausführlichen analyse versuchte hevesi die Betrachter davon zu überzeugen, dass Klimt mit der Medizin die künstlerische leistung der Philosophie übertroffen hatte. am 20. märz veröffentlichte der Pester Lloyd hevesis vom 18. datierten artikel, in dem er darüber berichtet, dass die meinungen für und wider Klimts Bild schon am tag der vernissage aufeinandergeprallt waren.49 er schreibt jetzt viel zurückhaltender und analysiert die Medizin ausführlicher und nuancierter. obwohl er nicht eindeutig behauptet, das Werk sei bedeutender als die Philosophie, findet er, es sei hinsichtlich der motive reicher und im Gesamteindruck dekorativer. er präsentiert eine weitere variante der Beschreibung des Bildes, die etwas lockerer und kürzer ist als die im Fremden-Blatt erschienene. auch hier erwähnt er, dass sich das Wiener Publikum über die Darstellung der nackten jungen schwangeren entrüstet hat. Für das Pester Publikum führt er die lange reihe der kunsthistorischen vorbilder an. (in diesem Feuilleton beschreibt er auch die übrigen Bilder der ausstellung.) Weitere schriften steuerte er zu der wochenlangen Debatte, die die Wiener Kunstszene, ja die gesamte Kulturszene, sehr erregte, nicht bei. in der Beilage der Wiener Zeitung schrieb armin Friedmann, eher kurz, über das Bild und betonte, es könne nicht wirklich bewertet werden, da es unvollendet sei, doch auch er spürte die pessimistische Grundstimmung des Werkes.50 Da auch er ahnte, dass die anlässlich der Philosophie entbrannte und gerade erst abgeflaute Konfrontation, in der es um intellektuelle und moralische Fragen ging, erneut aufflammen und noch heftiger werden würde als im vorjahr, vermied er jegliche Äußerungen für oder gegen das Bild.

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325 | 1900: PyrrhussieG ? Drei tage später erschien in der Neuen Freien Presse eine lange und sehr sorgfältige analyse des Bildes von Franz servaes51, in der er wie hevesi die Medizin als gelungener beurteilt als die Philosophie. Zuerst bespricht er die in allen ausstellungsberichten gelobten und für gelungen befundenen Porträts (es waren nur zwei von Klimt darunter, die übrigen waren Werke anderer meister der secession) und kommt, gleichsam um den leser noch neugieriger zu machen, erst dann zur Besprechung der Medizin. aus vorsicht und zur erläuterung führt er aus, dass die Darstellung allegorischer Figuren, die für die gesamte menschheit geltende allgemeine Gedanken ausdrücken, als akt eine große tradition hat. (Dadurch versuchte er den zu jener Zeit vermutlich schon geläufigen einwand „gegen die viele Nacktheit“ auf den Fakultätsbildern zu entkräften.) servaes versucht, dem leser die Bedeutung, das referenzsystem und die logik der künstlerischen lösungen beinahe jeder Figur zu erläutern. Dennoch betont er, ein solches Werk sei nicht nur eine bildliche umsetzung intellektueller und geistiger inhalte: „aber die hauptsache bei diesem Werk ist, wie bei jedem echten Kunstwerk, aus dem Gefühl heraus geboren worden.“ Das resultat der Betonung des instinktiven künstlerischen schaffensvorgangs sei die ästhetische Wirkung, die die ursprüngliche idee umformt: „Weich und duftig, von zartesten Nebeln überflogen und mit mächtigen Farbenaccenten durchsetzt, bewegt sich diese Gestaltenwelt vor uns dahin. ueber sie her breitet es sich wie traumesstimmung: die augen aller dieser nackten menschen sind geschlossen. unbewußt werden sie ihres schicksals theilhaftig. in jenen aethersphären existiren nicht selbstbestimmung und freier Wille: alle Creatur ist den schicksalsmächten unterworfen und denkt nicht daran, sich dawider aufzulehnen oder daran zu modeln.“ (abb. 201) es waren gerade diese Passivität und das ausgeliefertsein gegenüber dem schicksal und dem tod, die das Bild so bravourös vermittelt, die die Professoren der medizin ablehnten, da sie den Fortschritt in ihrem Wissenschaftszweig infrage stellten. (Die nächste tiefschürfende, jedoch schon scharf urteilende Kritik stammt von seligmann52, der eben diesen Gedanken weiter ausführt (abb. 202). Franz servaes äußert am ende des artikels seine meinung, die vollkommen mit der hevesis übereinstimmt: „Klimt’s ‚medicin‘ ist ein hervorragendes, ernstes und gewinnendes Kunstwerk und gegenüber der ‚Philosophie‘ desselben Künstlers ein wahrnehmbarer Fortschritt in der richtung der Kraft und der Klarheit.“ mit dieser ansicht blieben sie in Wiener Kritikerkreisen dieses mal jedoch in der minderheit; auf ihrer seite standen hermann Bahr, Bertha Zuckerkandl und die mitglieder der secession. Nicht nur die ältere, als konservativ abgestempelte Generation der intellektuellen, die auf der Grundlage des liberalismus und des Positivismus stehenden Professoren lehnten die pessimistische symbolische interpretation der Wissenschaft ab, sondern, aus ganz anderen Beweggründen, auch Karl Kraus und seine anhänger. ein interessantes Beispiel für die auffassung der ersteren ist der vortrag von Dr. hugo Ganz im „Wissenschaftlichen Club“, in dem er die ganze modernismusmode gerade nicht als fortschrittlich, sondern als reaktionär bezeichnet.53 Die seiner ansicht nach seit etwa einem Jahrzehnt andauernde mode des modernismus, die als Bewegung gegen den objektiven Naturalismus im Zeichen des grenzenlosen individualismus verkündet habe, sie sei die einzig authentische künstlerisch-intellektuelle ausdrucksform der Gegenwart, habe sich unmöglich gemacht. in ausgesprochen feindseligem ton, aber fundiert stellt er fest: „… das vertrauen der Bevölkerung zur verläßlichkeit der Kunstkritik ist auf Jahrzehnte hinaus zerstört

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worden. Die Bilanz des Jahrzehnts ist eine erschreckende. ein paar erliche Fanatiker der exclusiven ekstasen, im uebrigen Gaukler, Gecken und Gimpel, das sind die truppen der moderne, schund oder, wie man in Wien sagt, G’schnas, das sind ihre leistungen.“ er nennt kaum Namen, lediglich einige positive Gegenbeispiele für die Kunst, die er akzeptiert. so hält er zum Beispiel tolstois Auferstehung für die wichtigste literarische leistung des Jahrzehnts. aus menschlicher sicht ist es absolut verständlich, dass die Professoren der international angesehenen medizinischen universität Wien nicht akzeptieren konnten, dass die allegorie ihrer Wissenschaft den triumph des todes, also die hilflosigkeit der medizin gegenüber den Krankheiten, darstellte. obwohl einige kulturgeschichtliche Zusammenfassungen54 die Wiener schule rückblickend als in der aufstellung der Diagnose hervorragend, hinsichtlich der heilung jedoch oftmals von skeptizismus geprägt bezeichnen, erbrachte sie in Wirklichkeit gerade zu jener Zeit höchstleistungen und konnte zu recht stolz darauf sein, die medizin um zahlreiche Neuerungen und entdeckungen zur Weiterentwicklung der heilung bereichert zu haben. Zu jener Zeit traf die anschuldigung des „therapeutischen Nihilismus“, laut welcher sich die mediziner nur für die Diagnose, nicht aber für die heilung interessierten, nicht mehr zu. sie müssen die negative interpretation als ausgesprochen zynisch empfunden haben, und ihre empörung war aus menschlich-fachlicher sicht vollkommen berechtigt. Nicht nur die vertreter des ultrakonservativismus wandten sich gegen die secession, das heißt gegen die aggressiven und intoleranten Geschmacksvorgaben (die sie als Diktat empfanden) und die medienkampagne des mit dieser gleichgesetzten modernismus, sondern auch die traditionellen bürgerlich-intellektuellen vertreter des politischen liberalismus, die leserschaft der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, die die antiliberale christlich-soziale Politik luegers von anfang an ablehnte. Zu diesem Kreis gehörte auch ein teil des assimilierten jüdischen Großbürgertums. seligmann, der die technische leistung und die virtuosität seines genau gleichaltrigen Kollegen Klimt als maler wirklich zu schätzen wusste (und sich zum Beispiel stets anerkennend über dessen landschaften äußerte), hielt die Medizin für verfehlt, und zwar in erster linie wegen ihrer inhaltlich-philosophischen, oder auch weltanschaulichen, Botschaft. „… die ganze nackte akrobatengesellschaft wendet sich von ihr [der hygieia] ab und schaart sich um das grinsende skelett, als sollte im Bilde nicht das Wirken, sondern die ohnmacht der medicin dargestellt werden.“55 (abb. 203) er ist persönlich davon überzeugt, dass Klimt die aufgabe ernst genommen hat, hält ihn jedoch nicht für einen so großen Denker, als dass er die aufgabe hätte angemessen bewältigen können. so sei es Klimt (nach seligmanns ansicht unbewusst und nicht mit mutwilligem Zynismus) gelungen, die „Philosophie als zweckloses träumen vor unergründlichen räthseln darzustellen, als allegorie der ‚medicin‘ aber einen ‚triumph des todes‘ zu malen!“56 Damit hatte seligmann die verborgene innere Botschaft des Gemäldes sehr genau erfasst und konnte die Beweggründe für die moralische empörung der positivistischen Generation der Wissenschaftler viel nuancierter ergründen als zum Beispiel Karl Kraus oder die übermäßig feindseligen laienkritiker (die die vielen akte und die naturalistische malweise beanstandeten). eine Woche später kam seligmann erneut auf das Problem zurück und nahm Klimt auch in moralischer hinsicht in schutz.57 „Daß schließlich die wahren wie die falschen moralisten mit dieser ‚medizin‘ und ‚Philosophie‘ unzufrieden sind, ist sehr erklärlich. aber die sucht, alles Geistesleben auf das sexuelle Gebiet hinüberzu-

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spielen oder doch damit in verbindung zu bringen, ist ein ebenso widerlicher als allgemeiner Zug der modernen Kunst, die ja nicht bloß neurasthenische, sondern geradezu psychopathische elemente aufgenommen und verarbeitet hat.“58 Karl Kraus verteidigte jetzt die fünfzehn abgeordneten, die im Parlament den staatlichen auftrag an Klimt kritisierten. er schrieb spottend, jedoch das Problem genau erfassend: „und wenn er endlich in dem Gedränge der leiber, das sich hinter der üppigen

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Jourdame abspielt, so etwas wie einen sinn aufspüren will, der einen Zusammenhang zwischen dem Gemalten und dem titel ‚medizin‘ erkennen ließe, so wird ihm vielleicht die ahnung dämmern, dass herr Klimt, der eingesehen haben mochte, dass wir in Wien auf dem Gebiete der medicin dringlichere anschaffungen als ein Deckengemälde brauchen, in einer satirischen anwandlung seinen ministeriellen auftraggebern ein Bild geliefert hat, auf dem die chaotische verwirrung bresthafter leiber die Zustände im allgemeinen Krankenhause symbolisch darstellt.“59 (abb. 203) Die Fachliteratur über Karl Kraus befasst sich nicht gern mit dessen schriften gegen die secession und gegen Klimt. seine gnadenlos satirischen und subjektiven Bemerkungen werden gewöhnlich mit persönlichen Kränkungen erklärt. in dem moralischen Feldzug gegen die korrupte und manipulative „liberale“ tagespresse war genug raum, um die missstände in der Kunstszene anzuprangern, und auch der relative Konservativismus des Publizisten mag eine rolle dabei gespielt haben, dass er die liberale Plutokratie, ihren Geschmack und ihren lebensstil angriff, wo es nur ging. am eingehendsten hat sich mit diesem Problem van heerde auseinandergesetzt.60 Die tagespresse war voller Polemiken, und die secession stellte mit 38.349 Besuchern einen neuen ausstellungsrekord auf.61 obwohl im Parlament fünf tage nach der eröffnung zweiundzwanzig abgeordnete bezüglich der Fakultätsbilder bei hartel einspruch erhoben, sprach sich der minister für die Freiheit der Kunst aus und zog den auftrag an Klimt nicht zurück. in diesem Frühjahr beging die Gesellschaft der secession dennoch einen Fehler, der sich, wenn auch nicht sofort, rächte und zur schwächung des positiven images führte, das sie bis dahin genoss. in der Neuen Freien Presse verurteilte Carl moll und in Ver Sacrum ernst stöhr die Kritiker aufs schärfste, und angesichts des überheblichen und aggressiven tons und stils der beiden maler verlor auch einer ihrer wichtigsten verbündeten im ausland, der angesehene Professor richard muther, die Geduld.62 muther, der als kritischer Befürworter der modernen malerei galt63, beurteilte die ereignisse in der Wiener Kunstszene stets im internationalen Zusammenhang, also strenger als die Österreicher oder auch hevesi. muther erkannte uneingeschränkt an, dass sich Klimt zu jener Zeit bereits unter die Großen der zeitgenössischen europäischen Kunst hochgearbeitet hatte (und führte als Beispiele Besnard, Klinger, ludwig von hoffmann und toorop an!), für die Fakultätsbilder aber konnte er sich nicht begeistern. Bei der Philosophie und ebenso bei der Medizin vermisste er die einheit der Komposition und die ruhige monumentalität. auch muther verurteilte es, dass das österreichische Parlament versuchte, sich in künstlerische Fragen einzumischen, doch die arroganz des textes von Carl moll und insbesondere des artikels von ernst stöhr in Ver Sacrum empörten ihn. Der hochmütige aristokratismus der Künstler, mit dem sie jegliche Kritik zurückwiesen und auf das gesamte laienpublikum herabsahen, war für ihn ein Zeichen dessen, dass die Wiener secession das maß überschritten hatte und in ihrer selbstherrlichkeit ihre eigenen leistungen überschätzte. Der deutsche Kritiker, der als erster die Geschichte der europäischen malerei des 19. Jahrhunderts in drei dicken Bänden besprochen hatte und damals gerade an ausführlichen abhandlungen über die moderne belgische und französische malerei arbeitete, die internationale szene also gut kannte, erstellte eine niederschmetternde Bilanz über die künstlerische Gesamtleistung der ersten drei Jahre der secession: mit

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Klimt als einziger ausnahme bewertete er die künstlerische leistung ihrer mitglieder als „charakterlose eklektik durch billiges Kokettieren mit dem ausland“. er geht die Werke der österreichischen aussteller der X. ausstellung der reihe nach durch und prüft sie auf herz und Nieren. Nur bei einigen wenigen Künstlern lässt er Gnade walten (indem er die künstlerische autonomie adolf Böhms und die Qualitäten Carl molls anerkennt). sein maßstab ist die künstlerische autonomie, die neue und überzeugende formale und stilistische synthese, die neuartige, erlebnishafte Darstellung, doch er findet sie nicht. selbstverständlich ist sein artikel sehr subjektiv und emotional, was seiner ansicht nach nicht im Widerspruch zu seinem früheren lob und seinen früheren ermunterungen steht. alles habe zwei seiten, meint er, die secession habe in der tat frischen Wind in die fade Wiener Kunstszene gebracht, doch das sei zu wenig. muther will die Künstler daran erinnern, „die Distanz“ zu „markieren, die eine säumige Nachhut von der kühnen avantgarde trennt“. Diese harte und als sehr ungerecht empfundene Kritik war nicht nur für die betroffenen Künstler, sondern auch für die Wiener Kritiker ein harter schlag. Dennoch erhielt muther noch einige male die Gelegenheit, in der Zeit über Wiener ausstellungen zu schreiben, als er über spätere schauen berichtete, in denen hauptsächlich Werke ausländischer maler gezeigt wurden. im Übrigen wurde Die Zeit im November des folgenden Jahres in eine tageszeitung umgewandelt, und ihr Kunstkritiker wurde Felix salten, der seit den 1890er Jahren zur Gruppe Jung-Wien, dem Freundeskreis von hermann Bahr und arthur schnitzler, gehörte. muthers Kritik inspirierte a. Franz seligmann, sich noch einmal eingehend mit der rolle der Kritik in der Kunstszene und den nicht außer acht zu lassenden Folgen dieser rolle zu befassen.64 „mit der Kunst hat sich auch die Kritik geändert. Beide sind polemisch, aggressiv geworden. und eine wesentliche verschiebung des standpunktes ist eingetreten. Früher betrachtete sich die Kritik als den ausdruck der meinung des – gebildeten und kunstverständigen – Publicums, jetzt identificirt sie sich mit den Künstlern. (…) Dieses vollständig veränderte verhältniß hatte auch eine persönliche annäherung der Künstler und Kritiker zur Folge. (…) Die Kritiker sind sprachrohre der Künstler geworden, sie geben dem, was sie von den Künstlern hören, eine mehr oder minder literarische Form, ordnen das Ganze nach ‚höheren‘ Gesichtspunkten, und während sie früher von den Künstlern gefürchtet waren, sind sie es jetzt vom Publicum.“ Was seiner meinung nach die Folge der Kommerzialisierung der Kunst war. „Nach den nationalökonomischen Grundsätzen unserer Zeit bildet man Cartelle und trusts nicht nur in stahl oder Petroleum, sondern auch in Kunst und Kritik. eine neue Kunstrichtung wird heutzutage genau wie eine actiengesellschaft gegründet und geleitet. man sucht Kräfte, die das unternehmen financiren, organisatorische und administrative talente zu gewinnen, macht möglichst viel reclame, und wenn das, was die Gesellschaft erzeugt, preiswürdig ist oder sich sonst irgendwie durchzusetzen versteht, beherrscht man den markt, erdrückt das Kleingewerbe und theilt am schlusse des Jahres Dividenden aus. meinungen und ansichten über alles, was das unternehmen betrifft, hat bekanntlich nicht der actionär, sondern nur das Directorium; und dort kann sich auch der jederzeit raths erholen, dessen aufgabe es ist, die öffentliche meinung im sinne der actiengesellschaft zu beeinflussen. unsere secession, deren Gründung und Führung geradezu als muster für jede derartige unternehmung gelten kann, hat sehr viel Glück gehabt. Wo ideale Gedanken von so

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331 | 1900: PyrrhussieG ? gewiegten Geschäftsmännern vertreten werden, war von vorneherein an ein mißlingen nicht zu denken; doch glauben wir, daß die Gründer selbst einen solchen erfolg, wie er sich thatsächlich eingestellt hat, nicht zu hoffen gewagt haben. Die erzeugnisse der Gesellschaft stehen gegenwärtig hoch über pari; der export ist allerdings noch gering, doch finden die artikel im inlande reißenden absatz, und was immer die leitenden Persönlichkeiten der Presse souffliren, wird von mehr oder minder geschickten Federn raschestens ins Publicum gebracht. Bei dem neuesten Klimt-rummel hat man das deutlich gesehen. Fieberhaft arbeiteten die literarischen Pioniere der secession, um das störrische Publicum zu bekehren.“65 Damit sprach seligmann ein tabuthema an, das die künstlerischen Fachzeitschriften der Zeit, die Presse und die öffentliche meinung im allgemeinen nach möglichkeit stets mieden, sei es aus naivem idealismus oder aus unwissenheit. Die im hintergrund agierenden akteure des Kunstmarktes, die kommerziell dachten und die illusionen der zum idealismus neigenden kulturellen elite geschickt ausnutzten, vermieden es, wenn irgend möglich, die wirtschaftlichen mechanismen und überhaupt den finanztechnischen hintergrund offenzulegen. somit muss der artikel des maler-Kritikers mit dem scharfen Blick (der jedoch nicht zu diesen Kreisen gehörte und ihre erfolge deshalb mit einer gewissen eifersucht zur Kenntnis nahm) einige akteure der Wiener Künstlerszene sehr empfindlich getroffen haben. selbst viele ihrer engen verbündeten waren sich nicht bewusst, dass sich hinter den vielen texten über Kunst, stil und künstlerische Freiheit knallharte finanzielle interessen verbargen. auch wenn gelegentlich von Geld und Gemäldepreisen die rede war, wurden sie nur als nebensächliche Fakten erwähnt, um den Wert eines besonderen meisterwerkes zu verdeutlichen oder die opferbereitschaft des mäzens oder auftraggebers zu betonen. Darüber, wie die Künstlergesellschaft, die den markt beherrschte und steuerte, und die Presse, die sie unterstützte, funktionierten, konnte man in Wien bis dahin nichts lesen. eine gewisse Änderung dieser situation sieht seligmann in den Pressedisputen um die Medizin, die zur revolte des gebildeten Publikums (der universitätsprofessoren) führten und darin gipfelten, dass richard muther, der internationale Befürworter der modernen Bestrebungen, die ungeschickten angriffe zweier maler der secession missverstand (?) und auf sich bezog und in der Folge durch eine 180-Grad-Wende vom Fürsprecher der Wiener secession zu ihrem Gegner wurde – wie oben schon erwähnt. seligmann stellt mit einiger schadenfreude fest, dass dadurch auch die Glaubwürdigkeit der modernen Kritik infrage gestellt wird. später, im Jahr 1910, als er seine älteren schriften für einen sammelband von abhandlungen zusammenstellte, erachtete seligmann dieses Feuilleton für so wichtig, dass er es fast als einzige seiner in der Wiener Sonn- und Montagszeitung erschienenen Kritiken erneut veröffentlichte.66 Der klärende und ausgeglichene „schlussbericht“ zu den Disputen um die Medizin erschien wieder in der Neuen Freien Presse, und wieder war es hugo Wittmann, der diese aufgabe übernahm.67 Nachdem er die grotesken reaktionen der ausstellungsbesucher und der Politiker mit der nötigen ironie zum Besten gegeben und sich dazu bekannt hatte, dass weder die Politik das recht hat, eine art staatskunst oder offizielle Kunst zu fordern, noch die mehrheit bestimmt, wer ein großer Künstler ist (wofür er zahlreiche

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Beispiele aus der Geschichte anführt), kritisiert er auch die schritte der anderen seite. seiner meinung nach ist auch die Kritik an dem Bild verfehlt, da es dadurch, dass manche die Frage zum Politikum gemacht haben, unmöglich ist, ansonsten berechtigte Kritik bezüglich inhalt und Form zu äußern. Dann kommt er zur Besprechung des Bildes. er hält es für verfehlt und begründet ausführlich und gründlich, weshalb. „eine allegorie der heilkunst sollte er malen, und er malte einen triumph des todes, einen todtentanz oder so was aehnliches, wer kann das entziffern?“ und weiter unten: „Die wunderbaren erfolge gerade der modernen heilkunst, der großen schmerzenslinderin, mußten vor allem versinnbildlicht werden. Der Künstler hat aber eher die ohnmacht der medicin gemalt.“ Bei aller persönlichen Kritik und trotz seiner theoretischen und künstlerischen Beanstandungen erkennt Wittmann Klimts recht, die allegorie der medizin so zu malen, wie er will, an, schließlich haben auch Genies wie michelangelo Werke verpatzt. „Der staat hat da nicht Partei zu nehmen. es ist ein streit zwischen Kunst und Kritik, an dem sich Jedermann betheiligen darf, denn Frei ist Das urtheil, Frei Wie Die KuNst. auch ein abgeordneter darf natürlich mitreden, als Privatmann. Nur die staatsgewalt darf er nicht zu hilfe rufen, mit den Ziffern der majorität darf er nicht rasseln.“68 Diese besonnenen zeitgenössischen schriften untermauern allesamt Werner hofmanns Feststellungen: „Der Professorenprotest gegen die Fakultätsbilder rührt an die zentralen geistesgeschichtlichen ausseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts. im Widerstand der Gelehrten gegen Klimts ‚verschwommene Gedanken‘ spiegelt sich der Konflikt zwischen dem Forscher und dem seher, zwischen ‚Wissenschaft‘ und ‚Weisheit‘, zwischen rationalismus und irrationalismus. Jener Konflikt, in dem Nietzsche den anfang einer neuen, tragischen Kultur zu erkennen glaubte, ‚deren wichtigstes merkmal ist, daß an die stelle der Wissenschaft als höchstes Ziel die Weisheit gerückt wird, die sich, ungetäuscht durch die verführerischen ablenkungen der Wissenschaften, mit unbewegtem Blicke dem Gesamtbilde der Welt zuwendet und in diesem das ewige leiden mit sympathischer liebesempfindung als das eigene leiden zu ergreifen sucht‘. Dieser Konflikt stellt den Künstler, der für das ewige leiden sympathie empfindet, in das lager der ‚Weisheit‘. Nicht der Fortschritt, das uralte Wissen von dem, was ewig gleich bleibt, zählt für ihn. Diese Position veranlaßt Klimts suche nach mythischer vertiefung seines Themenrepertoirs.“69 Die Künstler der secession, unter ihnen auch Klimt, überstanden diese erste große Glaubwürdigkeitskrise und begannen, nachdem sie neue Kraft gesammelt hatten, mit den vorbereitungen der Beethoven-ausstellung (beziehungsweise setzten sie fort), die – symbolisch formuliert – zum vollkommensten manifest der vereinigung, das heißt zur ars poetica ihres Kunst- und Weltverständnisses, wurde, in dessen mittelpunkt die zeitlose Figur des Künstlergenies stand. letztendlich sollte das der Beweis dafür sein, dass sie ehrliche idealisten waren und von allen materiellen motivationen absehen konnten, um dem künstlerischen ideal zu dienen. Die Wiener Kritikszene aber änderte sich von da an etwas. hevesi muss eine tiefe Krise durchgemacht haben. von da an setzte er sich nicht mehr so leidenschaftlich für seine Freunde ein wie zuvor aber ließ sich nicht zu sinnlosen scharmützeln mit Karl Kraus herab. auch er musste für sich entscheiden, ob er weiterhin den idealen und dem Weltbild aus seiner Jugend treu bleiben sollte, als er daran geglaubt hatte, dass

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Wissenschaft und Fortschritt eine liberale moderne bürgerliche Gesellschaft schaffen würden, die sich entwickelt und sich zu entwickeln in der lage ist, oder ob er sich der von Gefühlen geleiteten irrationalen richtung des modernismus anschließen sollte, die sich zu einem pessimistischen menschenbild bekannte und nur mithilfe der Kunst, nicht aber mithilfe der Wissenschaft eine Katharsis erreichen konnte. Während hevesi seine ironischen und in angriffslustigem ton gehaltenen artikel zur verteidigung der Philosophie im Jahr zuvor in schneller Folge, beinahe täglich, veröffentlicht hatte, schrieb er nun lediglich ein einziges Feuilleton über die Medizin für das Fremden-Blatt – als hätte er auf seine bisherige rolle des führenden Kritikers verzichtet. hermann Bahr war schon immer lauter gewesen als er, doch er war die graue eminenz gewesen. Bahr hielt in der Concordia einen vortrag zur verteidigung der Medizin, und er war es auch, der die anthologie der angriffe gegen Klimt zusammenstellte.70 War hevesi der meinung, dass auch die andere seite nicht ganz unrecht hatte? auf jeden Fall verfasste er auch weiterhin seine sehr gründlichen artikel über das material der übrigen Wiener ausstellungsorte (Künstlerhaus, hagenbund usw.), in denen er junge talente vorstellte und ermutigte. seine Überzeugung, dass die Zukunft der Kunst in Wien in den experimenten der secession lag, gab er doch nicht auf. in diesem und im folgenden Jahr verwandte er all seine energie darauf, auch wissenschaftlich, im historischen Kontext, zu beweisen, dass die wichtigsten zeitgenössischen österreichischen Künstler und stilbestrebungen in der secession zu finden seien und dass die vereinigung diesbezüglich eine lange und edle österreichische/Wiener tradition fortsetzte..



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1 Die sezession im Künstlerhause. 12. Jan. 1900. in: Acht Jahre Secession. s. 212–216. 2 aus dem Künstlerhause (ausstellung des aquarellisten-Clubs). WsmZ, 15. Jan 1900. Dieser leserbrief ist mit der unterschrift „ein Kritiker für viele“ erschienen. 3 Plein-air: aus dem Wiener Kunstleben (ausstellung des hagen-Bundes im Künstlerhaus). WsmZ, 19. Febr. 1900. 4 Die mitglieder des hagenbundes traten ende des Jahres, am 29. November, tatsächlich aus dem Künstlerhaus aus und kämpften nach dem vorbild der secession als selbstständige vereinigung um ein eigenes ausstellungsgebäude. 5 Die wichtigsten zusammenfassenden Darstellungen: hermann Bahr: Gegen Klimt. Wien 1903, gab eine Übersicht der damaligen Zeitungskritiken. alice strobl: Zu den Fakultätsbildern von Gustav Klimt. Albertina-Studien. Bd. ii. 1964. s. 138–169. Werner hofmann: Gustav Klimt und die Wiener Jahrhundertwende. salzburg 1970. Carl e. schorske: Finde-Siècle Vienna. New york 1980. James shedel: Art and Society. The New Art Movement in Vienna, 1897– 1914. Palo alto 1981. s. 109–149. Jeroen Bastiaan van heerde: Staat und Kunst. Wien, Köln, Weimar 1993. s. 102–111. 6 Diese „opfer“-interpretation findet man bereits in der zeitgenössischen prosecessionistischen Presse. 7 Die kunst- und kulturgeschichtliche literatur zu Klimts schaffen betont gerade das erotische element in seinem gesamten oeuvre. Das klingt in seinem Fall überzeugend, da die Darstellung der sinnlichkeit und der sexualität vor ihm – zumindest in Wien und in mitteleuropa – im oeuvre keines einzigen malers so dominant war. Bei den großen zeitgenössischen Künstlern waren sie nur im leben und in den Werken von edvard munch und auguste rodin von so entscheidender Bedeutung wie bei Klimt. 8 siehe Carl e. schorske: Gustav Klimt: Painting and the Crisis of the liberal ego. in: schorske: Fin-de-Siècle Vienna, s. 208–278. 9 Werner hofmann: Gustav Klimt und die Wiener Jahrhundertwende. siehe anm. 5. 10 sezession. Frühjahrsausstellung. in: Acht Jahre Secession. s. 232–238. 11 Acht Jahre Secession. s. 233. 12 ebd., s. 234. 13 a. Fr. [armin Friedmann]: Bildende Kunst (vii. Kunst-ausstellung der vereinigung bildender Künstler oesterreichs) i. Wiener Abendpost, Beilage der Wiener Zeitung, 12. märz 1900. 14 ebd. 15 Plein-air: aus dem Wiener Kunstleben (Frühjahrsausstellung der secession) ii. WsmZ, 19. märz 1900. 16 F. s-s.: secession (Gustav Klimt und andere JungWiener). NFP, 13. märz 1900. 17 Dr. Franz servaes (1862–1947), deutscher Journalist, Kritiker und schriftsteller. studierte Kunstgeschichte und Germanistik. ab 1888 arbeitete er als Journalist an der Deutschen Literaturzeitung, der

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Gegenwart und der Nation mit. 1899 kam er nach Wien, wo er als Kunstkritiker tätig wurde. er arbeitete bei der NFP und wurde dort nach dem tod von theodor herzl 1904 Feuilletonredakteur. 1902 schrieb er ein Buch über segantini. 18 F. s-s.: secession (Gustav Klimt und andere JungWiener). NFP, 13. märz 1900. 19 muther schrieb zu dieser Zeit regelmäßig Kritiken für die Wiener Wochenzeitung Die Zeit, die der Wiener verlag noch im selben Jahr (1900) mit dem titel Studien und Kritiken. Bd. I als Buch herausbrachte. Über die Philosophie schrieb muther: „Klimt (…) hat sich keiner alten schablone bedient, sondern in selbstständigem Nachdenken ein Werk geschaffen, in dem die ganze Gedankenschwere, die ganze coloristische Nervosität der Gegenwart lebt.“ s. 57. 20 smart: aus dem tagebuche eines Zeitgenossen (unpolitisches über die „Philosophie“). WsmZ, 9. april 1900. hinter der signatur „w“ verbirgt sich möglicherweise hugo Wittmann, ein alter Freund ludwig speidels und bekannter Feuilletonist und freundlicher Kollege hevesis. er veröffentlichte in dieser Zeitung auch viele theater- und musikkritiken und schrieb durchaus mit ironie und humor. Der artikel zeugt außerdem von großer fachlicher erfahrung und lässt auf einen geübten verfasser schließen (siehe im anhang). 21 Gottfried Friedl: Gustav Klimt. s. 65. 22 hermann Bahr. Rede über Klimt. Wien 1901. s. 10. 23 l. h-i: Klimts „Philosophie“. in: Acht Jahre Secession. s. 243–245. 24 l. h-i: Für Klimt. in: Acht Jahre Secession. s. 245– 250. 25 l. h-i: Die Bilderstürmer von Wien. in: Acht Jahre Secession. s. 250–254. 26 Die Fackel, Nr. 36, märz 1900. s. 16–19. Nr. 41, mai 1900. s. 18–22. 27 Die Fackel, Nr. 36, märz 1900. s. 16. 28 ebd., s. 17 f. 29 Die Fackel, Nr. 41, mai 1900. s. 18. 30 in: Acht Jahre Secession. s. 253. 31 viele der Professoren, die die weltanschauliche Botschaft der Philosophie für inakzeptabel hielten, gehörten zu den namhaftesten vertretern der Wissenschaft ihrer Zeit, so zum Beispiel Bolzmann, Jodl und Gomperz. 32 robert Jensen: marketing modernism. in: Finde-Siècle Europe. Princeton 1994. s. 182–187. 33 Karl Kraus: Die Fackel, Nr. 36, märz 1900. Zitiert von Nebehay: Gustav Klimt. 1976. s. 147–148. 34 ebd., s. 149. 35 l. h.-i: Der Protest gegen Klimt’s „Philosophie“. in: Acht Jahre Secession. s. 261–264. (Der artikel erschien ursprünglich am 18. mai im Fremden-Blatt.) 36 Karl Kraus: Die Fackel, Nr. 41. mai 1900. leider hat Kraus nicht angegeben, von wo oder wem er diese französische Kritik zitiert hat. später bezeichnete jedoch auch er den stil sowohl der secession als auch der Wiener Werkstätte häufig als „Gout juif“ (jüdischen Geschmack). Das war lediglich insofern begründet, als nur die Plutokratie, deren mitglieder in der tat überwiegend dem as-

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335 | 1900: PyrrhussieG ? similierten jüdischen Großbürgertum angehörten, die herausragenden Kunstwerke (wie Klimts Porträts oder die inneneinrichtungen und den schmuck der Wiener Werkstätte) bezahlen konnte. 37 hermann Bahr (hrsg.): Gegen Klimt. Wien 1903. 38 Der Kampf um die Philosophie. NFP, 1. april 1900. 39 w.: Der Kampf um die Philosophie. NFP, 1. april 1900. hugo Wittmann selbst stand keiner Gruppe nahe, kannte die Kunstszene jedoch „von innen“. als guter Kollege von theodor herzl war er Co-autor von einigen theaterstücken herzls. 40 meier-Graefe verfasste ein zusammenfassendes Buch in deutscher sprache über die ausstellung, das noch im selben Jahr sowohl in Paris als auch in leipzig erschien. Der große Kanonisierer des folgenden Jahrzehnts handelte die bedeutenden Werke der malerei ausgesprochen kurz ab und widmete den Österreichern in diesem teil nur eine halbe seite, auf der er die drei ausgestellten Bilder Klimts erwähnte, von denen ihm damals das Bildnis Sonja Knips am besten gefiel. Julius meier-Graefe: Die Weltausstellung in Paris 1900. F. Krüger in Paris und leipzig 1900. s. 92. 41 Franz Wickhoff (1853–1909), Kunsthistoriker, ab 1891 ordinarius für Kunstgeschichte. Wickhoff war übrigens ein alter Freund des unterrichtsministers Wilhelm von hartel, der vor seiner ernennung im Jahr 1899 ordinarius für klassische Philologie an der universität Wien war. sie arbeiteten zusammen an wissenschaftlichen Projekten zusammen. 42 Zu diesem ereignis siehe edwin lachnit: Die Wiener Schule der Kunstgeschichte und die Kunst ihrer Zeit. Böhlau, Wien, Köln, Weimar 2005. s. 40–47. 43 lachnit, s. 43–44. 44 lachnit, s. 44. 45 lachnit, s. 36. 46 FB, 15. mai 1900. Zitiert nach h. Bahr: Klimt 1903. s. 31. 47 Die Zeitschrift erschien zu jener Zeit alle zwei Wochen mit einer auflage von 300, war jedoch nur gegen vorbestellung im sekretariat der secession erhältlich, sodass ihre Bekanntheit sehr begrenzt war. 48 l. h-i: Neue Bilder von Klimt. secession. in: Acht Jahre Secession. s. 316–319. 49 l. h-i: aus der Wiener sezession (Frühjahrsausstellung). Pl., 20. märz 1901. 50 armin Friedmann: Die X. ausstellung der „secession“. Wiener Abendpost, 18. märz 1901. s. 7. 51 Franz servaes: secession (eine Porträtgalerie – Gustav Klimt). NFP, 19. märz 1901. in dem mit vol-

lem Namen unterschriebenen artikel betont der verfasser, dass er sich zu der künstlerischen Beurteilung des Bildes bekennt. 52 Plein-air: aus dem Wiener Kunstleben (secession – Jahresausstellung im Künstlerhause). WsmZ, 25. märz 1901. 53 Dr. hugo Ganz: Die modernitätsmode (vortrag gehalten im Wissenschaftlichen Club am 18. april 1901). NFP, Nr. 13165, sa., 18. april 1901. 54 William m. Johnston: The Austrian Mind. An Intellectual and Social History. 1848–1938. uni Cal Press, Berkeley, los angeles, london 1972. s. 223–229. 55 Plein-air: aus dem Wiener Kunstleben (secession – Jahresausstellung im Künstlerhause). WsmZ, 25. märz 1901. 56 Plein-air: aus dem Wiener Kunstleben (secession – Jahresausstellung im Künstlerhause) i. WsmZ, 25. märz 1901. 57 Plein-air: aus dem Wiener Kunstleben (secession – Künstlerhaus) ii. WsmZ, 1. april 1901. 58 ebd. 59 Karl Kraus: Die Fackel, Nr. 73, anfang april 1901. s. 1–13. Ferner s. 18–26. Zitiert von Nebehay, siehe anm. 33. 60 Jeroen Bastiaan van heerde: staat und Kunst. staatliche Kunstförderung 1895–1918. Wien, Köln, Weimar 1994. s. 281–290. 61 Wolfgang hilger: Geschichte der „vereinigung bildender Künstler Österreichs“. in: Die Wiener Secession. Bd. 2. Wien, Köln, Graz 1986. s. 30. 62 richard muther: Kunst und Größenwahn. in: muther: Studien und Kritiken. Bd. ii. Wien 1901. s. 254. 63 muther war damals Professor für Kunstgeschichte an der universität Breslau sowie herausgeber wichtiger Buchreihen zur bildenden Kunst und renommierter Kritiker wichtiger ausstellungen. 64 Plein-air: Die secession und ihre Kritik (ein Wendepunkt). WsmZ, 15. april 1901. 65 ebd. 66 adalbert Franz seligmann: Kunst und Künstler von gestern und heute. verlagsbuchhandlung Carl Konegen, Wien 1910. Die secession und ihre Kritik (ein Wendepunkt). s. 230–234. 67 W.: „Die medicin“. NFP, 24. märz 1901. 68 ebd. 69 Werner hofmann: Gustav Klimt und die Wiener Jahrhundertwende. salzburg 1970. s. 26. 70 hermann Bahr (hrsg.): Gegen Klimt. Wien 1903. (es war vermutlich Fritz Waerndorfer, der Gründer der Wiener Werkstätte und selbst ein enthusiastischer Klimt-sammler, der dieses Buch initiierte.)

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auch in der zeitgenössischen kunst gab es in den folgenden Jahren eine Fülle von ereignissen. in ihrer xii. ausstellung im spätherbst 1901 stellte die secession die arbeiten von künstlern aus der schweiz, skandinavien und russland vor. selbstverständlich hatte hevesi trotz der bunten vielfalt ein sicheres auge für die wirklichen meisterwerke der großen. die bemerkenswertesten waren für ihn hodlers sakrales Werk Der Auserwählte und die version des Schreis von edvard munch mit vielen gestalten. Über die in Wien selten gezeigten russen (Wrubel, maljutin, roerich, somow, maljawin, lewitan) schrieb er ebenfalls fundiert und packend und teilte im Zusammenhang mit den Bildern viele kulturgeschichtliche einzelheiten mit.1 anfang 1902 erschien der hagenbund2 mit seiner damals eröffneten eigenen galerie auf dem kampfplatz der Wiener kunstszene (abb. 206). seine im modernen stil gehaltene ausstellungshalle war aus einer markthalle umgebaut worden. die Pläne für die Fassade des gebäudes und für die installation der ausstellung stammten von Joseph urban, dem rivalen der führenden architekten der secession, der ein vertreter eines anderen modernen Jugendstils war. hevesi schrieb mit anerkennung über diese erste ausstellung des hagenbundes in der Zedlitzhalle und hob die geschmackvolle installation hervor.3 seligmann ließ es sich nicht nehmen, bei der vorstellung des hagenbundes das – seiner ansicht nach überaus geschmacklose – taktieren und die strategie der eigenwerbung der secession zu entlarven.4 in diesem artikel stellte er den hagenbund, der sich ohne manifest und Presseorgan, einfach nur durch die künstlerische Qualität der modernen Bilder und skulpturen einen namen zu machen versuchte, als gegenbeispiel vor.5 im letzten teil seiner vierteiligen artikelreihe, in dem er die Bilder der xiii. ausstellung der secession analysierte, fand er nichts lobenswertes an klimts neuem Bild – sogar die zauberhaft schönen landschaften waren in seinen augen langweilig und schablonenhaft.6 seine wichtigste kritik bezüglich der secession war dieses mal wieder ihre doppelgesichtigkeit: dass sie die glaubwürdigkeit der rivalen (zum teil mit ihren eigenen artikeln und den artikeln ihrer verbündeten bei der Presse) von einer scheinbar höheren moralischen Warte, aus der sicht der „reinen kunst und der einzig authentischen modernität“, zu untergraben versuchte, während sie sich die vorherrschaft auf dem kunstmarkt und die staatlichen aufträge sicherte. und diese kritik entsprach den tatsachen. seligmanns präzise formulierte kritiken, in denen er konsequent argumentierte und vielfach reale Probleme aufzeigte, wurden immer ironischer und haben sicherlich viele leser dazu bewegt, die aggressive medienstrategie der secession zu hinterfragen. (sein Forum, die Wiener Sonn- und Montagszeitung, war die lieblingswochenzeitschrift der hoch gebildeten liberalen intellektuellen und hatte somit eine sehr große und wichtige leserschaft.) der den modernen stilexperimenten verpflichtete hagenbund machte die Wiener kunstszene also noch komplizierter. man konnte seine mitglieder nicht des konserva-

206. ausstellungsgeBäude des

hagenBundes, 1902

205. max klinger: Beethoven, 1902

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207. rudolF von alt: Blick in die skodagasse, 1894

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tivismus beschuldigen, höchstens behaupten, dass sie nicht die „wahre“ modernität repräsentierten. Welches lager den in kulturpolitischer und wirtschaftlicher hinsicht maßgeblichen teil des Wiener Publikums für sich gewinnen sollte und ob die Begeisterung zu Beginn der modernität eine Fortsetzung haben würde, entschied sich im Jahr 1902. Bei der xiii. ausstellung der secession im Februar stand Böcklins gemälde Meeresidylle (1887) im mittelpunkt der aufmerksamkeit. neuheiten waren auch die Werke der mitglieder der münchener künstlervereinigung Die Scholle, die acht neuen gemälde klimts und die aktuellen arbeiten der mitglieder der secession. hevesi widmete dem Böcklin-Werk, das das kultusministerium für 80.000 mark aus einer Berliner Privatsammlung für die moderne galerie erworben hatte, ein eigenes Feuilleton.7 er nahm die ausführliche Bildanalyse zum anlass für einen essay zur stil- und geschmacksgeschichte der 1880er Jahre. auch über die übrigen Werke berichtete er in „seinen“ beiden organen sowie in Kunst und Kunsthandwerk, der angesehensten kunstgewerblichen Zeitschrift Wiens, in der er

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bis zu seinem tod eine ständige rubrik mit dem titel „aus dem Wiener kunstleben“ hatte. Wenn auch nur kurz, so bewertete er doch in jeder ausgabe die wichtigsten ausstellungen des künstlerhauses, der secession und des hagenbundes oder der galerie miethke. mit anderen Worten, auch in dieser außerordentlich bedeutsamen Fachzeitschrift, die als Forum des museums und der hochschule für kunstgewerbe betrachtet werden kann, war er der meinungsmacher nummer eins, und zwar nicht nur im Bereich der malerei, sondern auch in Fragen des kunstgewerbes und seiner künstlerischen leistungen.8 darüber hinaus bat ihn auch die Zeitschrift für Bildende Kunst, die renommierteste kunsthistorische Zeitschrift des deutschen sprachraums, von Zeit zu Zeit um eine abhandlung (beispielsweise anlässlich des 90. geburtstags des großen aquarellisten rudolf von alt)9 (abb. 207). da er immer der erste war, der seine kritik der Zeitung veröffentlichte (meistens noch am tag der ausstellungseröffnung), bestimmte er auch als erster die reihenfolge der Wichtigkeit der Werke. von dieser konnte man zwar abweichen, sogar anderer meinung sein, außer acht lassen konnte man seine einschätzung jedoch nicht, umso weniger, als sein gespür für Qualität, seine kenntnisse und seine argumente so überzeugend waren. gerade wegen dieses Quasimonopols empfand karl kraus seine tätigkeit als so verdächtig, dass er eine verschwörungstheorie dazu entwickelte. eine der schwerwiegendsten anschuldigungen gegen die secession war, dass ihre mitglieder wesentlich materieller gesinnt seien als die des künstlerhauses, deutlich höhere Preise und im grunde die monopolisierung des Wiener kunstmarktes anstrebten. die Beethoven-ausstellung sollte sie widerlegen – indem sie ein Beweis für die völlige finanzielle selbstlosigkeit war.

Ein Blick auf das Mäzenatentum in der kunstszene mangelte es auch nach den kämpfen um die Medizin nicht an ereignissen. das gebildete und wohlhabende Wiener Publikum widmete der bildenden kunst immer mehr aufmerksamkeit; nicht nur die zeitgenössischen ausstellungen waren gut besucht – auch die ergründung des künstlerischen erbes der stadt war nun wichtig. die initiative in diesem Bereich hatten die konservativeren Pfleger der tradition ergriffen. sie hatten eine einzigartige Bewegung ins leben gerufen: unter dem titel „kunstwanderungen“ konnten interessierte, Palais und Privatsammlungen der aristokratie und des reichen Bürgertums besichtigen, die der Öffentlichkeit sonst nicht zugänglich waren – darunter auch einzelne säle der hofburg. auf der liste standen außerdem vom staat genutzte Palais wie das Finanzministerium, das heißt das Winterpalais eugens von savoyen, das kurz zuvor restauriert worden war, sowie das Palais schönborn, das Palais kinsky, das Palais Pallavicini, das Palais corbelli-schoeller oder das Palais liechtenstein, und nicht zuletzt wurden auch die Palais der neureichen, der Bankiers, geöffnet, ja die neugierigen kunstbegeisterten konnten sogar einige ateliers besichtigen. die ausweise, die zur Besichtigung berechtigten, mussten käuflich erworben werden, die erlöse aus dem verkauf wurden für wohltätige Zwecke verwendet.10 die initiative war sehr erfolgreich: 600–700 menschen zogen durch die Palais, wo sie oftmals von den eigentümern selbst durch die räumlichkeiten geführt wurden. angesichts des großen

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208. Ferdinand Fellner – hermann hellmer: das Palais lanckoroński in Wien 209. rudolF von alt: rauchZimmer des graFen karl lanckoroński, 1888

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erfolgs wurde die aktion zwei Jahre später wiederholt. hevesi zog mit dem Publikum von sammlung zu sammlung und berichtete gelegentlich über seine eindrücke.11 Besondere aufmerksamkeit widmete der kritiker dr. august heymanns Viennesia, einer sammlung, in deren mittelpunkt die historischen dokumente Wiens standen, und dem Palais von karl graf lanckoroński (abb. 208, 209) einem modernen gebäude, das eigens für dessen sammlung, also als Privatmuseum, errichtet worden war12 (abb. 211). die geschichte der kunstsammlertätigkeit und des mäzenatentums in Wien ist nur sporadisch aufgearbeitet. im mittelpunkt der Forschung stehen vor allem die sammlungen der assimilierten Plutokratie, zum einen wegen der Probleme der restitution, zum anderen gerade wegen der klimt-Forschung.13 doch sind auch in Wien wichtige kunstmäzene in vergessenheit geraten14, in erster linie wegen der späteren, allgemein negativen Beurteilung der aristokratie. dabei hat die aristokratie des reichs sowohl in der bildenden kunst als auch in der musik auch im 19. Jahrhundert noch erheblich dazu beigetragen, dass die berühmten sammlungen Wiens von herausragender Bedeutung weiter wuchsen und allgemein bekannt wurden, um so das image der stadt zu bereichern.15 Zum Beispiel Johann herzog von liechtenstein, der der stadt Wien als Bildungsmaßnahme für das Publikum eine komplette Biedermeiersammlung schenkte. darüber hinaus kaufte er mit der absicht, das Publikum zu erziehen, bei den ausstellungen des künstlerhauses jedes Jahr mehrere gemälde, damit die zeitgenössische kunst in den museen der stadt vertreten war. Bis zum Zerwürfnis wegen der Fakultätsbilder (klimt) verschloss sich die aristokratie nicht vor künstlerischen neuerungen, im gegenteil, sie war auch unter den Förderern der ersten Jugendstil- und secessionsstilexperimente. der schlüssel war der Begriff „zeitgenössische kunst“, der sehr viele stilbestrebungen, gruppen und Förderung be-

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nötigende künstler umfasste. Wer von ihnen wann und weshalb gefördert wurde, hing von vielen Faktoren, darunter auch vom Zufall ab. die gebildeten aristokraten, besonders ihre „kunstkenner“ betrachteten zu früheren Zeiten die unterstützung der kultur aufgrund ihrer traditionen und ihrer erziehung als festen Bestandteil ihrer gesellschaftlichen rolle, und zwar nicht nur als Privileg, sondern auch als verpflichtung.16 im höchsten kreis des hofes waren besonders die oberstkämmerer ausgezeichnete „kunstkenner“ wie Franz graf constantin crenneville, Fürst hohenlohe-schillingsfürst (und seine gattin marie Fürstin sayn-Wittgenstein). das künstlerhaus wurde regelmäßig durch das staatsbudget unterstützt. auch die unzähligen Porträts und Büsten der herrscher wurden vom hofbudget bestellt und (gut) bezahlt, und die Preise wurden vom kaiser persönlich dotiert. der kaiser kaufte regelmäßig kunstwerke (gemälde und statuen) aus den ausstellungen des künstlerhauses an, in der größenordnung von 10–25% vom Wert der ausgestellten Werke. diese landeten danach in den kaiserlichen sammlungen oder anderen staatlichen institutionen.17 außerdem unterstützten sie in der gründerzeit, das heißt im historismus, das künstlerhaus aktiv und förderten dadurch die vergesellschaftung, ja die demokratisierung der kunst. ab den 1860er Jahren standen sehr viele österreichische und zum teil ungarische aristokraten als Förderer hinter dem künstlerhaus, unter ihnen graf János Pálffy, graf Ödön Zichy, hans graf Wilczek, karl graf lanckoronski und Johann herzog von liechtenstein, um nur die großzügigsten zu nennen. sie stellten ihre eigenen sammlungen zu wohltätigen Zwecken im künstlerhaus aus und unterstützten die künstler auch einzeln. Während der Zeit des historismus waren sie äußerst großzügige mäzene. ihrem Beispiel folgten auch die Plutokratie und die elite des großbürgerlichen unternehmertums. schon im goldenen Zeitalter des historismus waren die reichen jüdischen Wiener Bankiersfamilien wichtige kunstförderer (todesco, epstein, guttmann, gompertz), sie unterstützten die architekten und die maler der epoche des Baus der ringstraße. ihr geschmack orientierte sich an jenem der aristokratischen kunstkenner. in den 1890er Jahren schlossen sich ihnen die industriemagnaten an. diese galten als neureiche, die bald eine neue „geschmackskultur“ schaffen sollten. indem sie sich jedoch immer bewusster den neuheiten zuwandten, wurden sie bald die Förderer der modernsten stilexperimente. die traditionellen unterstützer der älteren institution – obwohl sie in den kämpfen um die moderne kunst zunächst keine stellung bezogen – legten gelegentlich eine aus-

210. grÜner salon im Palais lanckoroński in Wien 211. rudolF von alt arBeitsZimmer des graFen karl lanckoroński, 1892

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212. JoseF engelhart: die kirschenPFlÜckerin, 1893

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drückliche offenheit gegenüber dem neuen stil an den tag; wie beispielsweise graf tivadar andrássy, der engelharts skandalumwobenen frühen Pleinair-akt erwarb (abb. 212), oder graf károly esterházy, der Joseph urban beauftragte, sein schloss in szentábrahám (heute abrahám, slowakei) um einen Flügel in einen anderen (alternativen) modernen Jugendstil zu erweitern18 (abb. 213). Wie bereits erwähnt ließ graf miklós esterházy das innere des privaten schlosstheaters in tata (ungarn) – nach dem vorbild des Zuschauerraums des Burgtheaters – von klimt selbst malen (abb. 144). nach 1900 wurden solche aufträge selten, und zwar nicht nur aus ästhetischen und geschmacklichen, sondern auch aus sozialpsychologischen oder politischen gründen. auch wenn die unterstützer des künstlerhauses in der mehrzahl aristokratische kunstliebhaber waren, kooperierten sie im Bereich der kultur effektiv mit den gebildeten mitgliedern des großbürgertums und des unternehmertums. nicht nur die vertreter der kaiserlichen Familie saßen jahrelang in den kunstausschüssen, sondern auch einige herausragende bürgerliche mäzene wie der glasfabrikant ludwig lobmeyr oder nikolaus dumba, der textilfabrikant, diplomat und kulturpolitiker mazedonisch-griechischer abstammung mit universeller Bildung, um nur die einflussreichsten zu nennen.19 das dumba-Zimmer war für hevesi so wichtig, dass er es in seinem Buch über die österreichische kunst, in dem er auch auf die einrichtungskunst einging, ausführlich beschrieb. esszimmer und Wintergarten von Franz matsch bezeichnete er als „Wienerische antike“.20 (abb. 214) dumba bestellte die zwei neuen interieurs für sein berühmtes Palais auf der ringstraße noch im Jahr 1893, als die „künstler-compagnie“ (die beiden klimt-Brüder und Franz matsch) noch zusammenarbeitete, und diese noch keine secessionisten, sondern „nur virtuose junge maler“ waren. es dauerte viele Jahre, bis das esszimmer und musikzimmer fertig wurden. matsch schuf einen leicht antik–römisch anmutenden, ganz eigenartigen raum, in dem er attraktive junge damen – eigentlich waren es musen – in antikisierenden kleidern auf sehr helle, gelbliche marmorplatten malte. es war, als wäre die moderne antike Welt von alma tadema nach Wien versetzt worden. nikolas dumba konnte seine neue umgebung am ende kaum geniessen. er starb unerwartet (nur 70-jährig) im märz 1900 in Budapest. die kontroverse um die Fakultätsbilder von klimt erlebte er nicht mehr.

Neue Mäzene in seiner gesellschaftssoziologischen analyse der internationalen künstlervereinigungen der secession, die bisher die differenzierteste ist, widmete robert Jensen der Wiener secession besondere aufmerksamkeit.21 alle diese vereinigungen hatten gemeinsamkeiten wie beispielsweise den umstand, dass sie mithilfe der kritiker bewusst eine strategie erarbeitet und ihr image in Form von gegensatzpaaren formuliert haben. sie

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waren die Jungen im gegensatz zu den alten, die radikalen im unterschied zu den konservativen, die modernen im vergleich zu den akademikern und die selbstlosen im gegensatz zum verknöcherten wirtschaftlichen interessenverbund. all das sind teilweisheiten, die oft vor allem rhetorik mit geringem Wahrheitsgehalt waren. in diesem sinne war von der beinahe einem manifest gleichkommenden grundsätzlichen stellungnahme und Zielsetzung die rede (die schon in der ersten ausgabe von Ver Sacrum erschienen war), keinen unterschied zwischen hoher und angewandter oder zwischen für die reichen beziehungsweise für die armen geschaffener kunst machen zu wollen22. in der künstlerischen Praxis ist von all dem schon bald nichts mehr übrig, weil der grund für das ausscheiden aus dem künstlerhaus der kampf um ausstellungsmöglichkeiten gewesen war. obwohl sich carl schorske an den Wortlaut des textes hielt und die secession als wahrhaft plebejische auflehnung beschrieb, muss man bei Berücksichtigung des breiteren gesellschaftlichen kontextes Jensen recht geben.

213. JoseF urBan: entWurF Zum esterháZy-schloss im sZentáBrahám, 1899

214. FranZ matsch: das Zimmer der musen im Palais dumBa, 1897

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die macht der KunstKritiK

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215. Gustav Klimt: BauernGarten mit sonnenBlumen, 1907

„auch wenn die sezession eine ödipale rebellion der söhne gegen die väter war, waren die söhne eigentlich die vertreter auch eines Wiener Kultur-establishments, und ihr aufstand war keiner der plebejischen demokratie, sondern eher einer Fraktion der Plutokratie.“23 ihre Bilder, die im durchschnitt deutlich teurer waren als die Werke der mitglieder des Künstlerhauses, konnten sich nur die reichsten leisten, ebenso wie nur millionäre daran denken konnten, ihre designten kunstgewerblichen arbeiten und Gesamtkunstwerkinterieurs zu erwerben.24 dennoch hatte die Wiener vereinigung einige wichtige merkmale, die auf die übrigen internationalen Gruppierungen der secession nicht zutrafen. unter ihren mitgliedern war eine stattliche Zahl von architekten, die großen einfluss auf entscheidungen hatten, da sie zur Führungsspitze gehörten (otto Wagner, seine schüler, Josef hoffmann, Josef Plečnik und Joseph maria olbrich). Kunstgewerbe und design spielten in der Wiener vereinigung eine viel größere rolle als anderswo und gewannen im laufe der Jahre immer mehr an Bedeutung. neben der Gestaltung der ausstellungsinterieurs kam auch die vorstellung architektonischer modelle einem manifest gleich. Jensen zufolge besteht eine weitere Wiener Besonderheit darin, dass „es das Konzept des tempels der Kunst institutionalisierte“.25

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Geänderte strateGie

– KritiKen von 1902

die Wiener secession war nicht nur hinsichtlich der neuartigen und modernen Gestaltung der ausstellungsinstallationen ein Pionier in Wien. sie beherrschte sowohl die öffentliche meinung als auch den markt.26 darüber hinaus saßen in den staatlichen institutionen sympathisierende liberale intellektuelle in schlüsselpositionen, die zumindest bis zu der durch die Fakultätsbilder ausgelösten öffentlichen Pressediskussion für künstlerische experimente offen waren. die angesehenen vertreter des Wiener „Bildungsbürgertums“, vor allem die universitätsprofessoren, aber auch fast die gesamte ärzteschaft und ein Großteil der Juristen, waren – wie schon erwähnt – sehr betroffen über den radikalen und aggressiven ton, in dem die Kritiker der secession beziehungsweise der „Klimt-Partei“ sie angriffen. nur wenige von ihnen blieben nach 1902 anhänger der secession, was die radikale KlimtGruppe finanziell jedoch nicht zu spüren bekam, da ihre Käufer nicht die an der universität tätigen intellektuellen, sondern die angehörigen des „Besitzbürgertums“ waren.27 schon dadurch, dass die Kulturszene, das heißt die elitekultur, Wiens (im vergleich zu Paris oder london) überschaubar war, bildeten die relativ wenigen Familien, die als mäzene der namhaftesten Künstler der secession um Klimt – der sogenannten „stilkünstler“ (und später die mitglieder der 1903 gegründeten Künstlergruppe der Wiener Werkstätte) – auftraten, eine sehr kleine und leicht zu definierende Gruppe.28 innerhalb der Plutokratie wurden die mitglieder dieser exklusiven kleinen Gruppe, der hauptsächlich großbürgerliche assimilierte jüdische Familien angehörten (Wittgenstein, Waerndorfer, lederer, mautner-markhof, Gallia), die wichtigsten unterstützer von Klimt und der innovativen Kerngruppe der secession. sie schätzten und förderten die allerneuesten experimente, sie waren die sponsoren der „cutting edge”, das heißt der „avant-garde” von Wien. einige Jahre später wurden dieselben Familien die wichtigsten auftraggeber für die Kunstwerke und inneneinrichtungen der Wiener Werkstätte. somit könnte das von Karl Kraus verwendete berühmt-berüchtigte attribut „goût juif“ in soziologischer hinsicht sogar zutreffend gewesen sein.29 doch auch hier gab es ausnahmen, zum Beispiel waren die rothschilds und auch andere millionäre keine unterstützer der secession. es gab jedoch eine latente Gemeinsamkeit innerhalb dieser steinreichen Plutokratenfamilien: die besonders wichtige rolle der Frauen. die Gattinnen und töchter spielten eine schlüsselrolle, denn sie sorgten dafür, dass ihre Familien bald zu den wichtigsten unterstützern dieser Künstler wurden. sie waren viel emanzipierter als Frauen aus anderen Gesellschaftsschichten und hatten viel mehr möglichkeiten, ihre eigene, verborgene Kreativität zu entfalten – auch in der bildenden Kunst. der Wohlstand dieser Familien erleichterte es ihnen, die besten Privatlehrer in anspruch zu nehmen, wenn sie es wollten. Zum Beispiel lernte hermine Wittgenstein, die älteste tochter des Großindustriellen Karl Wittgenstein (vater des Philosophen ludwig und des Pianisten Paul Wittgenstein) bei Klimt zeichnen – ebenso wie serena lederer, die Gattin von august lederer. diese talentierten und hochgebildeten ehefrauen oder lieblingstöchter konnten großen einfluss auf die millionenschweren “Patres Familias” haben, wenn es darum ging, wen sie ihre Porträts malen ließen, bei wem sie für ihre neuen Wohnungen die möbel kaufen sollten, und schließlich, welche Künstler sie und herr Papa als mäzene regelmäßig unterstützen sollten. so konnte es geschehen, dass Karl Wittgenstein eine beträchtliche spende für den Bau der ausstellungshalle der secession leistete, und die

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Familie eine der bedeutendsten gemäldesammlungen klimts erwarb. hermine Wittgenstein besaß beispielsweise klimts Bauerngarten mit sonnenblumen. (abb. 215) Besonders nach der gründung der Wiener Werkstätte, deren führende designer kolo moser und Josef hoffmann zu derselben künstlergruppe und demselben Freundeskreis wie klimt und moll gehörten, wurde es in der „kerngruppe der mäzene” zur mode, die Weihnachts- und geburtstagsgeschenke und die mitgiften der töchter bei der Wiener Werkstätte zu bestellen.30 Wahrscheinlich begann alles ganz zufällig; man sah ein ungewöhnliches und berauschend schönes Porträt wie das der sonja knips auf einer ausstellung und wollte ein genauso schönes und exklusives Porträt für sich selbst. klimt porträtierte serena lederer, dann hermine gallia, margaret stonborough-Wittgenstein, und adele Bloch-Bauer sogar dreimal.31 diese Wiener damen waren hochgebildet, gut informiert und ehrgeizig; zum selben elitären gesellschaftskreis gehörend, rivalisierten sie bestimmt auch miteinander, um anerkannte kunstkennerinnen zu werden, und besondere kunstwerke zu erwerben.32 sie bestellten ihre reformkleid-garderobe bei emilie Flöge – in dem modesalon casa Piccola (designer waren Josef hoffmann und andere künstler der Wiener Werkstätte).33 einige von ihnen studierten an der kunstgewerbeschule, der junge Professor kolo moser heiratete etwa eine millionärin, editha mautner-markhof. auch Josef engelhart heiratete aus diesem kreis. seine Frau dorothea, geb. mautner-markhof, war die halbschwester von editha, ihr gemeinsamer vater war carl Ferdinand mautner-markhof. einige von diesen mäzeninnen sind so mit ihren klimt-Porträts zelebrierte ikonen und sogar unsterblich geworden. Welche meinung hevesi über diesen kreis hatte, wissen wir nicht genau. er schrieb einmal über einen „tea-party-empfang“ bei Fritz Waerndorfer, wo die Wände mit klimtBildern geschmückt waren. außerdem wurde das von charles rennie mackintosh geplante musikzimmer mit einem berühmten Fries (Die sieben Prinzessinen) von der schottischen künstlerin margaret macdonald, der gattin von mackintosh, ausgestattet.34 in diesem salon herrschte ein besonders raffinierter ästhetizismus, für den die englischen künstler und kunstkenner-kreise des „aesthetic movement” als vorbilder galten. die

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– kritiken Von 1902 216. Josef Maria auchentaller: Das Pastorale-MusikziMMer in Der Villa scheiD in Wien, 1898–99 a | elfenreigen b | elfe aM bach c | fröhliches c | zusaMMensein D | geWitter unD sturM e | angelusläuten – c | VesPer

salongesellschaft war sehr anglophil und besonders vornehm, wenn auch etwas weltfremd. hevesi beobachtete die wirklichkeitsentrückte atmosphäre dieses ästhetizismus mit leichterr ironie, erkannte jedoch ihre Poesie und Phantasieweltals als bereichernd.35 Die opposition beschrieb diese attitüde als „dekadent”. Wie bereits erwähnt, gab es in der Wiener secession keinen gemeinsamen stil, besonders nicht in der Malerei. neben klimt waren viele andere talente auf der suche nach ihrem eigenen stil. so prägte ein Pluralismus der stile besonders diese frühen Jahre der Wiener Moderne. im rückblick wird jedoch deutlich, dass nur die clique um klimt-Moll-Moser und Wagner, olbrich und hoffmann fortwährend im fokus des Medieninteresses stand, während die anderen “randfiguren” der Moderne und ihr Werk, ja ihr gesamtes Œuvre, bald in Vergessenheit geriet, weil sie – ohne ohne skandale – zu lebzeiten kaum eine „Plattform“ erhielten. es sollen auch einige hochinteressante aber relativ unbekannte beispiele erwähnt werden. Die von Josef engelhart gemalte oberon-Wandbilder im stil von farbfrohen Märchenbuch-illustrationen für das esszimmer der großindustriellenfamilie taussig gehörte auch zu jenen gesamtkunstwerken, die eine – für Wien untypische – experimentelle stilvariante repräsentieren.36 hevesi bildete sogar zwei bilder aus der reihe in seinem buch Oesterreichische Kunst ab, maß ihnen also bedeutung bei. es gab auch einige (weniger bekannte) Mäzenatenfamilien, die nicht zum „kern der Plutokratie“ gehörten, wie zum beispiel die silberfabrikant-familie scheid, die aus Deutschland nach Wien kam, und hier sesshaft wurde. für sie schuf ihr schwiegersohn, secessionsmitglied und Maler Josef Maria auchentaller (1856–1949), ein höchst bedeutsames gesamtkunstwerk, ein Musikzimmer mit szenen aus beethovens Pastorale-symphonie (abb. 216a–e). Dieses außerordentlich kunstvolle Musikzimmer, das neben der Verschmelzung von stimmungsmalerei und Plein-air auch einflüsse aus dem Münchener Jugendstil zeigte, erhielt nach seiner fertigstellung nicht genug aufmerksamkeit, um ein hauptwerk der frühen Wiener secession zu werden. Die bilder waren für die musikliebenden familie bestimmt und wurden nie öffentlich ausgestellt. Dadurch wurde ihnen nie die gebührende mediale aufmerksamkeit zuteil.37

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Josef maria auchentaller malte 1898–1899 die sätze von Beethovens 6. symphonie für die Wände des musikzimmers der Villa scheid, auch hier waren es wieder die damen der Familie, die dieses unternehmen ins Leben riefen und unterstützten. Bis dahin war dies der erste Versuch eines malers stimmungen, emotionen und Gedanken von einer konkreten symphonie in Bildern zu transportieren. Beethoven hatte vor jedem satz die Gefühlen notiert, die er darin ausdrücken wollte, die freudigen empfindungen und die von der natur ausgelösten emotionen. (siehe Bildtitel) auch wenn die einzelne Panneaux verschiedene Varianten des Jugendstils darstellen, mit ihrem Farbenharmonie und pantheistische naturauffassung schaffen sie eine einheitliche stimmung in dem intimen, für die kammermusik geeigneten Zimmer, in dem ein blau gebeiztes klavier stand. drei Jahre später erhielt auchentaller eine Wand im seitensaal der Beethoven-ausstellung, wo er sich an einen anderen, dekorativen und stark kalligrafisch geprägten stil anpassen musste (abb. 217). auchentaller, ein ausgezeichneter Graphiker und empfindsamer Plein-air-maler, zog mit seiner Familie 1901 nach Grado und auch wenn er mitglied der secession blieb und von Zeit zu Zeit dort ausstellte, war er, fern von Wien von der pulsierenden kunstwelt ausgeschlossen und geriet mehr oder weniger in Vergessenheit. Beide interieurs (das esszimmer für die taussigs und das musikzimmer für die scheids) zeigen, wie unterschiedlich die individuellen stilexperimente in den ersten Jahren der Wiener secession waren. Bei staatlichen subventionen muss man stets damit rechnen, dass sie auf die kritik der Gegenseite, derer, die leer ausgegangen sind, stoßen. diese kritik wird oftmals gerade auf initiative derjenigen künstler schärfer, die sich übergangen fühlen. dieses mal geriet der außerordentlich gebildete liberale minister hartel ins kreuzfeuer der kritik. die Presseschlachten um die Fakultätsbilder spalteten das Publikum, und zwar nicht mehr in die kundige elite und die Gruppe der ungebildeten, sondern entlang der Längsachse der gesellschaftlichen Pyramide in unterstützer und Gegner des radikal neuen. der teil der elite an der spitze der Pyramide, der alles neue grundsätzlich schon allein wegen seiner neuheit unterstützte, brachte jedoch neben den ästhetischen auch eine reihe politischer und ideologischer argumente vor, um zu beweisen, im recht zu sein. Während es zuvor noch einen legitimen spielraum für die individuelle Wahl des stils gegeben hatte, gingen die Journalisten (vor allem hermann Bahr, durch die Blume aber auch hevesi) diejenigen, denen klimts neueste Bilder nicht gefielen, in ungewohnt scharfem ton an. kritik wurde nicht mehr erlaubt! das demonstrierte ein unangenehmer Vorfall: einige künstler der secession beleidigten den bis dahin allgemein beliebten und offenen kunstkenner Graf Lanckoroński.38 die kulturelle elite Wiens, deren Geschmack zur Zeit des historismus nahezu einheitlich war (bis 1900 malten dieselben maler die Porträts der aristokratie und der Plutokratie), spaltete sich nun. innerhalb der Plutokratie wurden die mitglieder der oben beschriebenen exklusiven kleinen „kern-Gruppe“ die unterstützer der elitären moderne. die tonangebenden Persönlichkeiten in höfischen kreisen, die zuvor noch mit ihr sympathisiert hatten, wandten sich gegen die neue richtung. es ist wohl kein Zufall, dass Franz Joseph die ausstellungen der secession äußerst selten besuchte39 und niemals zu den eröffnungen erschien – weshalb er wohl vermutlich weder die Fakultätsbilder noch die Beethoven-skulptur und den Beethoven-Fries im Original gesehen hat. die

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– kritiken von 1902 217. JoseF maria auchentaller: Freude schÖner gÖtterFunken, 1901

modernen Bilder, die er danach sah, dürfte er auch weiterhin in den räumlichkeiten des künstlerhauses, der Jubiläums- und anderer ausstellungen (z. B. beim hagenbund und in der Jagdausstellung) sowie in den Prager und Budapester Jahresausstellungen besichtigt haben.40 die exklusivität der secession bedeutete nicht nur, dass auch weiterhin nur die reichsten in der gesellschaft die gemälde erwerben und die modernen gesamtkunstwerkensembles als inneneinrichtung beauftragen konnten. der kunstmarkt, der zu jeder Zeit die luxusansprüche der obersten schicht bediente, war auch zuvor nicht viel demokratischer gewesen. mit dem auftreten der Wiener secession vollzog sich in der bildenden kunst der kaiserstadt aber noch eine andere, subtilere, jedoch ausgesprochen bedeutsame änderung, eine beinahe putschartige machtübernahme innerhalb der elite und der kulturellen Öffentlichkeit: die gesamte bildende kunst durchlief einen Paradigmenwechsel, denn die bis dahin nahezu einheitliche elitekultur (wenigstens im Bereich der schönen künste) teilte sich mit einem mal danach auf, welchem stil und welcher künstlergruppe man jeweils den vorzug gab. es entstand ein latentes Bündnis zwischen den künstlern und ihren auftraggebern: ein Bündnis zwischen auserwählten, die zur exklusiven geistigen elite gehörten, für die die seltenen und außergewöhnlichen neuen aesthetischen Werte ein merkmal des „anders seins“ bedeuteten41. die spitzenkünstler der secession zu unterstützen bedeutete eine besondere aura zu haben. eine neue gruppenidentität, geprägt durch Fortschrittlichkeit und erhöhte aesthetische sensibilität, geprägte war geboren. die Wittgensteins, gallias, Waerndorfers, lederers und ihre unterstützer in der Presse bildeten so eine neue kunstkenner-elite.42 unter diesen umständen fand am 15. april die eröffnung der Beethoven-ausstellung statt, die, wie wir gesehen haben, nicht etwa eine annäherung der gegensätzlichen standpunkte bewirkte, sondern die differenzen noch verschärfte.

Zenit des Symbolismus – Die Toorop-Ausstellung die verschiedenen stile der in der secession ausstellenden ausländischen maler inspirierten die heimischen künstler, einen eigenen, modernen Wiener stil zu schaffen. hinsichtlich der Wirkung erwies sich der in Wien häufig gezeigte niederländer Jan toorop

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218. Jan tooroP: die streuner, 1892

(der allerdings javanischer und skandinavischer abstammung war) als einer der wichtigsten aussteller. von ihm waren damals 23 Werke zu sehen (abb. 218). seine sonderbaren stilisierten Figuren mit der charakteristischen kalligrafischen linienführung haben klimt, der damals bereits an den Plänen für den Beethoven-Fries arbeitete, ohne Zweifel inspiriert.43 den artikel, in dem hevesi das lebensgefühl und die Weltanschauung des symbolismus der Jahrhundertwende eindrücklich beschrieben hat, ist nicht in einer tageszeitung, sondern zwei monate nach der ausstellung, im Februar, in Ver Sacrum, der hauseigenen Zeitschrift der secession, erschienen.44 Zu dem dichterischen Werk vom schwung des freien verses, zu dem die Beschreibung über die Bilder des malers geworden war, hatte ihn die kunst Jan toorops inspiriert. es handelt sich – obwohl die verschlungenen sätze auch eine vielzahl beschreibender Passagen enthalten – weniger um eine formale analyse als vielmehr um einen mitreißenden und hypnotisierenden schwall von assoziationen, der sich verselbstständigt. im ersten und wichtigsten teil des artikels geht es im grunde gar nicht um toorop. (im zweiten teil dagegen schon, denn dort beschreibt hevesi die umgebung des künstlers, sein Zuhause und die stimmung in seinem heimatdorf an der niederländischen küste.) (abb. 219) sobald er darüber nachzusinnen beginnt, wie der Betrachter die Bilder des malers im Jahr 1902 wohl interpretieren könnte, gehen seine aussagen in ein vollkommen subjektives, beinahe schon ekstatisches Bekenntnis zum symbolismus über. Was ist dieser freie vers, wenn nicht das Bekenntnis einer reifen seele, die viel erlebt

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– kritiken von 1902 219. Jan tooroP: seelen am meeresstrande, 1902

und erfahren hat, zu dem, was ihr am wichtigsten ist, was sie ausgefüllt hat und ihren letzten Jahren einen sinn und ein leidenschaftliches glühen beschert hat: der modernen symbolistischen kunst? „die Wiederentdeckung der seele ist die tat der neuen kunst. die entdeckung, dass es etwas ewig unentdeckbares gibt, nach dem zu suchen und zu fragen, zu streben und zu weinen der letzte sinn des lebens ist. dieses fieberische ahnen rings um das rätsel herum, dieses ängstliche Wittern ins innerste und nächste hinein, das immer das Fernste und äußerste bleibt. (…) die Welt ist wieder gottvoll. der neue Pantheismus schaut uns aus allen dingen an, maskenhaft, fratzenhaft, medusenhaft und wieder mit kindesaugen und engelgesichten.“45 der artikel ist das Bekenntnis eines außerordentlich gebildeten, empfindsamen und kreativen kunstliebhabers über die Welt und das leben. Für einen moment gab die maske des kritikers den schriftsteller und künstler hevesi frei, damit dieser – den symbolismus als aufhänger nutzend – darlegen konnte, worin für ihn das Wesen der kunst bestand. so kann nur jemand schreiben, für den die kunst eine existenzielle angelegenheit ist und der schon den hauch der vergänglichkeit spürt. mit gegensatzpaaren steigert er das erlebnis ins ekstatische, das auf diese Weise zu einem pantheistischen, kosmischen Weltbild wird und den mikro- wie den makrokosmos umfasst. den mitreißenden Worten und alliterationen kann man sich nicht entziehen. auch hevesi selbst ist berauscht; dann stoppt er die selbsthypnose, allerdings nur, um im nächsten lauf in den Werken des symbolisten toorop, der in seinen augen zu einem demiurgen wird und – so sieht es zumindest der kritiker – in seinen rätselhaften Werken die kulturen der in seinen genen repräsentierten Weltregionen in einer einzigen symbolistischen synthese vereint, eine synthese der vielfältigen kulturellen traditionen der Welt zu entdecken. der essay über toorop ist so vielschichtig, dicht und symbolisch, dass er auch als synthese von hevesis ansichten zur kultur zu verstehen ist. der kritiker spricht darin die gemeinsamen Fragestellungen der tausendjährigen tradition aller ihm bekannten

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220. alFred roller: xiv. ausstellung der vereinigung Bildender kÜnstler Österreichs secession Wien – Plakat, 1902

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europäischen und außereuropäischen kulturen zum menschlichen leben an. die Wortmagie ist nicht nur ein Wortspiel: man spürt in ihr das mystische erlebnis, die leidenschaft für die synthese und das verlangen eines unruhigen und wissbegierigen forschenden geistes, die Welt zu verstehen. Während er alterte, wurde hevesi zugleich auf irgendeine Weise immer jünger; der humorvolle und scharfe Beobachter von einst, der verspielte realist wurde mit sechzig Jahren zutiefst mystisch und romantisch! er glaubte mit einer art religiöser leidenschaft und voller hingabe an die erlösende kraft der modernen kunst. doch solche augenblicke der erleuchtung waren selten. 1902 war in Wien noch das Jahr der gnade für eine kleine, aber privilegierte elite, in dem – zumindest im schaffensrausch, inmitten der Begeisterung während der vorbereitungen für die Beethoven-ausstellung – sowohl die künstler als auch ihre intellektuellen verbündeten daran glaubten, dass die Welt durch die kunst, durch die urtümliche und zugleich moderne kunst, erlöst werden könne, und dass es eine neue synthese geben würde. das dichterische manifest dieses schaffensrausches war der erste teil von hevesis essay über toorop.46 dieses weiße glühen, dieser intellektuelle glanz war nicht lange aufrechtzuerhalten. der um die schaffung kosmischer visionen bemühte symbolismus verhalf auch hevesi dazu, sich in seinen schriften mit dem ekstatischen Weltempfinden des mystischen Pantheismus zu identifizieren, doch mit dem symbolismus war es – in Wien und anderswo – schon bald zu ende. die Welt, das intellektuelle, künstlerische und politische umfeld veränderte sich erstaunlich schnell, und auch die künstler selbst schlugen bald andere Wege ein. der Beitrag in Ver Sacrum war dermaßen suggestiv und intellektuell wie emotional so überzeugend, dass man sich seiner Wirkung nur schwer entziehen konnte. die künstler der secession hatten ihn gelesen, unter ihnen mit sicherheit auch klimt, und zwar schon deshalb, weil hevesi am ende des artikels (wo er eine Begegnung mit toorop erwähnt) klimt mit Wien selbst identifiziert, indem er den niederländischen maler zitiert. die unterhaltungen mit Freunden und künstlern von anfang 1902 sind zwar verloren gegangen, doch das, was übriggeblieben ist und was alle zeitgenössischen kritiker und Betrachter sofort erkannt haben, war der einfluss von toorops stil auf klimt.47 vielleicht hat auch dieser begeisterte artikel hevesis dazu beigetragen, dass der niederländische symbolist den führenden meister des Wiener symbolismus, der zu jener Zeit am Beethoven-Fries und an der Jurisprudenz arbeitete, so stark inspiriert hat.

Die Beethoven-Ausstellung das Jahr 1902 war wegen der Beethoven-ausstellung ein höhepunkt (auch geistig und spirituell) in der geschichte der secession. obwohl die grundidee für die ausstellung mehrere Jahre zuvor entwickelt worden war, stellte die lösung, dass die mitglieder der

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– kritiken von 1902

vereinigung ihre huldigung gegenüber der kunst dieses mal auch dadurch zum ausdruck brachten, dass sie nicht für den verkauf bestimmte arbeiten zeigten, sondern ein einmaliges, eher sakrales gesamtkunstwerk schufen, auch eine indirekte antwort auf die anschuldigung der einseitigen kommerziellen Bestrebungen dar.48 (abb. 220) Zu diesem besonderen ereignis von symbolischer Bedeutung gibt es eine Fülle von Fachliteratur.49 neues kann man dazu wohl kaum noch sagen, es sei denn, man geht die zeitgenössische Presse und die umfangreiche Fachliteratur der letzten dreißig Jahre gründlich und streng chronologisch durch. sowohl in den zeitgenössischen artikeln als auch in den wissenschaftlichen abhandlungen der jüngsten vergangenheit und der gegenwart stehen sich zwei grundlegend verschiedene meinungen gegenüber. die einen betrachten die ausstellung als begeisterte huldigung und sehen in ihr den höhepunkt und die vollständige realisierung des ästhetizismus der Jahrhundertwende und der sakralisierung der kunst50, die anderen hingegen betonen bei der analyse der diskrepanz zwischen absicht und umsetzung das vordringen der neuen psychologischen interpretationen (der Psychoanalyse), und zwar vor allem in der ikonographie von klimts Fries.51 liest man hevesis zeitgenössische analysen genau, so findet man in ihnen den ursprung beider interpretationen. auch über das Zutage-treten des seelischen, des unterbewussten schrieb er als erster, wenn auch nur knapp, so doch unmissverständlich, und zwar in seinem Buch Oesterreichische Kunst 1848–1900, an der stelle, an der er klimts schaffensmethode und künstlerischen charakter beschreibt.52 das klarste manifest der idealistischen und theoretischen ästhetischen Ziele der secession war in der tat die Beethoven-ausstellung, mit deren Planung man bereits im Jahr 1900 begonnen hatte, die jedoch nach mehrfacher verschiebung (da klingers Beethoven-skulptur nur sehr langsam fertig wurde53) erst im Frühjahr 190254 stattfand, zu einer Zeit also, als sich die ansichten der gesellschaftlichen elite Wiens über die aktivitäten und die geschmacksherrschaft der secession bereits stark verändert hatten, also nicht mehr einheitlich waren. hevesi widmete dem ereignis drei lange artikel in Wien und einen in Budapest. Zwei tage vor der eröffnung veröffentlichte er unter dem titel Max Klinger in Wien einen la-

221a–B. hauPtraum mit der Beethovenstatue von max klinger, 1902

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222a–c max klinger: Beethoven, 1902

gebricht im stil einer reportage über die vorbereitungen, darüber, wie viel organisation der ausstellung vorangegangen war, und wie sehr man darauf geachtet hatte, dass nur die intimsten eingeweihten von den Überraschungen wussten und die Werke vor ihrer Fertigstellung sahen.55 er kündigte im voraus an, dass die Besucher noch nie dagewesene erlebnisse erwarteten: „… die moderne Plastik hat ein solches Werk noch nicht hervorgebracht“56, schreibt der kritiker über klingers Beethoven-skulptur (abb. 222a–c). und über die ausstellung: „das ist eine kirche der kunst, in die man zur erbauung eintritt und aus der man glaubend hinweggeht. (…) es ist ein moderner kirchenbau oder tempelbau in die sezession eingebaut worden.“57 (abb. 221a–b) es ist nur zu verständlich, dass die Wiener kunstliebhaber das ereignis, das ein außerordentliches zu werden versprach, nach solchen aussagen mit großer spannung erwarteten. Zwei tage nach der eröffnung erfuhren sie von hevesi, was sie darüber wissen mussten und wie sie die skulptur zu interpretieren und zu bewerten hatten.58 der artikel beginnt mit der Beschreibung Pausanias’, der das vorbild (eines der sieben Weltwunder des altertums), die Zeus-skulptur in olympia, den reisenden der antike vorstellte.59 auch damit wollte

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– kritiken von 1902 223. rechte „seitenschiFF” der Beethovenausstellung, 1901 224. der hauPtsaal der Beethoven-ausstellung (ausschnitt), 1901

hevesi darauf hinweisen, dass die moderne kunst ihre Wurzeln in der tradition hat, außerdem auf ihre herausragende Position, die nur mit dem von michelangelo erreichten zu vergleichen sei. in der abhandlung, in der er die verschiedenen techniken der teile der polychromen skulptur und die komplizierte ikonographie des Werkes ausführlich bespricht, kommt sein name dauernd vor (abb. 224). auf von ihm ungewohnte art und Weise singt unser kritiker mit einer reihe konkreter musikalischer vergleiche eine lobeshymne auf das meisterwerk des malers und Bildhauers: „der Beethoven ist die neunte symphonie max klingers.“ die führenden Persönlichkeiten der secession wollten, ebenso wie klinger, durch die apotheose Beethovens in der tat die außergewöhnliche mission des „künstlers“, der kunst und Beethovens, den man damals für

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225. gustav klimt: die Feindlichen kräFte, Beethoven-Fries, 1902 (ausschnitt)

226. gustav klimt: BeethovenFries: die sehnsucht nach glÜck (ausschnitt ), 1901

den größten komponisten aller Zeiten und den größten künstler überhaupt hielt, in der Weltgeschichte demonstrieren und als erlösung der menschheit feiern, mit der nur die tat christi vergleichbar sei. der gehobene stil, die assoziationen und die metaphern des textes zeigen eindeutig, dass hevesi zutiefst davon überzeugt war, dass die metaphysische aufgabe des künstlers in der Welt die erlösung ist und seine Werke die kostbarsten Werte der menschheit sind. Wenn es eine menschliche tätigkeit gibt, die nach absolutem strebt und unbedingt edel ist, so ist es die kunst, deren reinste erscheinungsform die musik ist. (all das entspringt der Philosophie schopenhauers.) ebenso wie die übrigen künstler der secession ihre für die „kirche“ von klingers skulptur gefertigten arbeiten im namen eines einzigen edlen gedankens der musik Beethovens, das heißt der mystischen Botschaft der musik, unterordneten, bettete auch hevesi, der kundigste deuter der Werke, seine erläuterungen zu jedem detail und Bild in diesen gedankenkreis ein, indem er die Formen als bildliche entsprechungen der sätze der neunten Symphonie interpretierte. so entstand die bis heute geltende interpretation zu klimts ausgesprochen enigmatischem Fries60 (abb. 225). die wiederholte Besprechung des Programms dürfte teil der gruppenarbeit gewesen sein, und obwohl es die arbeit der maler nicht erleichterte, dass sie die Botschaft der musik sichtbar machen sollten, komponierten sie die gesamte ausstellung zu einem wahrhaft Wagnerschen gesamtkunstwerk.61 die sakrale motivation war unverkennbar. ob man sie akzeptierte oder infrage stellte, hing davon ab, ob man diese überspannt gehobene kunstauffassung

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– kritiken von 1902

akzeptierte oder nicht. die sakrale aura forderte vom gläubigen inbrunst, völlige hingabe und religiöse identifizierung und strebte eine totale Wirkung an (abb. 226). die philosophisch-weltanschauliche Botschaft der Beethoven-ausstellung war die heiligkeit der kunst als religion: sie bot selbst den individuellsten und ungewöhnlichsten stilisierenden Werken schutz und ließ keinen raum für ironie oder skepsis.62 so wie das ganze heilig war und über der kritik stand, so standen auch die einzelheiten über der kritik – eine etwaige negative Beurteilung hätte den kühnen Betrachter in die Position des gegners gebracht und seine ausgrenzung nach sich gezogen. eben diese strenge ausschließlichkeit dürfte bei vielen Befremdung in Bezug auf das ereignis ausgelöst haben. insbesondere der mit einer extremen stilisierung ergänzte naturalismus von klimts Fries, die Femme-fatale-Figuren als darstellung der bösen mächte (abb. 228) oder die Frauenfiguren der hauptsünden stellten die geduld der Besucher, die tabus respektierten, auf die Probe. eine alternative interpretation oder kompromisse waren nicht möglich: entweder oder. die meisten vor ort tätigen zeitgenössischen kritiker waren dennoch von der leistung als solcher überwältigt (wobei sie sich natürlich auf die Beethoven-skulptur

227. gustav klimt: BeethovenFries: der WohlgerÜstete starke (ausschnitt ), 1901

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228. gustav klimt: BeethovenFries: die Feindlichen geWalten (ausschnitt), 1901

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konzentrierten). im einklang mit hevesis meinung äußerten sich in ihren kritiken zum Beispiel J. a. lux63, Franz servaes64, Berta Zuckerkandl65, hermann Bahr und dr. hermann ubell. kritische töne waren jedoch nicht nur von den konservativen (eduard Pötzl, dr. robert hirschfeld) zu hören, sondern, wie üblich, auch von karl kraus und natürlich von seligmann. ein Zeichen dafür, dass die kritiker geteilter meinung waren, war auch der umstand, dass der referent für bildende kunst der Wiener Zeitung, welche die offiziellste tageszeitung war, armin Friedmann, ein kundiger und friedlich gesinnter experte, in der abendausgabe des Blattes mit dem titel Wiener Abendpost sowohl klingers skulptur als auch die seiner meinung nach forcierte und auch stilistisch nicht schlüssige ausstellung negativ bewertete (weil es in seinen augen ein Fehler war, den Japonismus mit Beethovens apotheose zu verknüpfen). in geistreicher knappheit beschrieb er die interpretationen der aussteller, die er jedoch nicht akzeptieren konnte, weil er an der historischen treue festhielt. „das ganze unternehmen ist nichts als ein missverständniß, sonderbar, fast unbegreiflich“, schrieb er, „… Beethoven wurde von klinger missverstanden und klinger von der ,secession‘. klinger schiebt Beethoven ins klassische altherthum zurück, und die ,secession‘ feiert beide mit neumodischen raumkünsten.“66 diese apotheose Beethovens konnten nur diejenigen akzeptieren, die im namen der künstlerischen Freiheit jede interpretation für legitim hielten. selbstverständlich sah sich jeder, der irgendwie von Bedeutung (und sensationshungrig) war, die ausstellung an.67 die negativen Bewertungen galten weniger klingers skulptur als vielmehr klimts Beethoven-Fries, dessen mit archaismus vermischten naturalismus nur wenige als schön und edel akzeptieren konnten. mehrere kritiker empfanden die darstellung der kräfte als grotesk und das Werk als peinliche geschmacksverirrung. am strengsten und sachgerechtesten war auch dieses mal seligmann, der sich ästhetischer und kulturgeschichtlicher argumente bediente.68 er erkannte klingers skulptur als gelungenes Werk an, bezeichnete das gesamtkonzept der ausstellung jedoch als tragische verfehlung.69 als

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größte verirrung bezeichnete er in seinem analytischen artikel natürlich klimts Fries, und zwar nicht nur deshalb, weil dieser das Werk in toorops stil gemalt hatte. „eine von apokalyptischer Phantasie erträumte lasterhaftigkeit spricht aus diesen ausgemergelten oder aufgeschwollenen Figuren, die mit einer parfümierten, süslichen und sauberen technik vorgetragen werden. die allegorien unverstaendlich und doch wieder banal; der innerliche Zusammenhang mit dem klinger’schen ,Beethoven‘ so lose als möglich …“70, schrieb er. seligmann beurteilte auch die aus eklektischen kulturhistorischen elementen bestehende choreografie, durch die die ausstellung einem antikisierenden heiligtum glich, als falsch und posenhaft. seine kritik lässt sich nicht allein mit bösem Willen erklären. Wenn die stilistische einheit für die meisten damaligen kritiker ein fester grundsatz war, so passten klingers Beethoven-skulptur und die japonisierenden oder der abstraktion nahekommenden Werke stilistisch in der tat nicht zusammen. auch für armin Friedmann, den kritiker der Wiener Abendpost, stellte dieser stilistische Pluralismus eines der hauptprobleme der ausstellung dar. nicht nur die konservativen, sondern auch die Zeitgenossen, die generell etwas für die moderne kunst übrig hatten, die die ästhetik und die sphäre der kunst nicht verabsolutierten, dürften das gewollt ernste unternehmen der Wiener künstler von außen betrachtet als unverhältnismäßig und narzisstisch empfunden haben.71 hevesi ließ sich dieses mal nicht auf nachhutkämpfe in der tagespresse ein, sondern besprach den Fries an einer wichtigen stelle in dem Buch, an dem er arbeitete, nämlich als höhepunkt der entwicklung der österreichischen malerei.72 dabei empfanden nicht nur die konservativen den kunstkult der Beethoven-ausstellung als unverhältnismäßig, sondern auch die anhänger des modernismus, die andere Bereiche der gesellschaft und der Wirtschaft für wichtiger hielten als die stilistischen dispute der privilegierten Wenigen. (karl kraus zählte sich zu ihnen.) doch die Botschaft der kunst und der symbolischen Formen war ein untrennbarer Bestandteil der kultur in Wien (abb. 229).

229. gustav klimt: BeethovenFries: die kÜnste, Paradieschor und umarmung (ausschnitt), 1901

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interessant ist auch, wie károly lyka, der bedeutendste ungarische kunstkritiker, zugleich redakteur der ersten bedeutsamen kunstzeitschrift in ungarn und unterstützer der modernen stilexperimente, die Beethoven-ausstellung aus Budapest bewertete.73 Für den leser fasst er den Zweck der ausstellung knapp zusammen: „… eine etwas bizarre, jedoch in ihrer absicht ehrenwerte huldigung einer vor schaffensdrang glühenden gruppe von künstlern, die sich ehrlich begeistern können, vor dem genie eines einzigen künstlers“. Weiter schreibt er: „diese ausstellung erweckt den eindruck, als hätten ihre organisatoren im tempel der kunst ein feierliches hochamt begehen wollen, in dem die rolle des sacerdos magnus klinger zukam.“ dann folgt eine ausführliche analyse von klingers skulptur, die er, obwohl er die technische ausführung lobt, nicht für ein meisterwerk hält. die um sie herum angeordnete „gesamtkünstlerische“ installation betrachtet er lediglich als „experiment“. am meisten schätzt er die uneigennützige absicht und den einzigartigen idealismus, mit dem die übrigen künstler für die apotheose an einen kollegen auf den finanziellen nutzen verzichtet haben.74 es erschien noch ein weiterer artikel in der selbsen Zeitschrift „Kunst“ (Művészet), nämlich der des namhaften naturalistischen schriftstellers sándor Bródy, der sich weniger für die ausstellung oder klingers skulptur als vielmehr für die reaktion des Publikums interessierte – das geheimnis dessen, wie die Besucher urteilten.75 die urteile, die er auf der treppe der ausstellungshalle der secession aufschnappte, ergaben für ihn ein ziemlich negatives Bild der rezeption der klinger-skulptur. ohne namen zu nennen, zitiert er die urteile vornehmer oder ihm bekannter Persönlichkeiten aus dem Publikum (beispielsweise károly goldmark)76, er selbst steht jedoch auf der seite der experimentellen kunst und klingers. (den namen klimts nennt er nicht einmal!) es ist offensichtlich, dass die große Zahl der Besucher somit eher der sensation und nicht der Begeisterung zuzuschreiben war. dennoch war die Zahl der Besucher der ausstellung mit 58.141 die höchste seit Bestehen der vereinigung.77 ein weiteres ereignis von ähnlicher Bedeutung zu organisieren, wäre sehr schwer gewesen. dass es damit innerhalb der secession zu gären begann, bemerkte zu diesem Zeitpunkt – so scheint es – noch nicht einmal der eingeweihte hevesi. es schien, als ginge alles seinen gewohnten gang, die drei ausstellungen pro Jahr und die Wiener kunstszene waren reichhaltiger und vielfältiger als je zuvor. nach der Beethoven-ausstellung sammelte die vereinigung ihre kräfte für ein weiteres großes ereignis: die vorstellung der französischen impressionisten. den kern der (xv.) ausstellung im november 1902 bildeten wie gewöhnlich die ausländischen künstler. dieses mal wurde die zeitgenössische polnische kunst vorgestellt78, was sich als sehr gute Wahl erwies. die säle waren voller meisterwerke, die ungeteilte anerkennung fanden. auch darüber hat hevesi, dem die ausgesprochen individuelle sichtweise und stimmung der polnischen malerei schon in den 1880er Jahren aufgefallen war, eine bis heute gültige analyse verfasst.79 darauf folgte die – von der Wirkung her bedeutendste – ausstellung der secession, in der ausländische impressionisten vorgestellt wurden.



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ludwig hevesi: Acht Jahre Sezession. s. 353–358, 358–361. 2 Zum hagenbund siehe: Die verlorene Moderne. Der Künstlerbund Hagen 1900–1938. katalog zur ausstellung der Österreichischen galerie im schloss halbturn. 1993. 3 der hagenbund, Pl, 1. Febr. 1902. 4 Plein-air: aus dem Wiener kunstleben – der hagen-Bund – sezession i. WsmZ. 3. Febr. 1902. 5 Plein-air: aus dem Wiener kunstleben – der hagen-Bund – sezession i. WsmZ. 10. Febr. 1902. 6 Plein-air: aus dem Wiener kunstleben – der hagen-Bund – sezession ii. WsmZ. 10. märz 1902. 7 ludwig hevesi: Acht Jahre Sezession. s. 364–368. 8 hevesis kritiken in der künstlerisch gestalteten und eleganten Zeitschrift Kunst und Kunsthandwerk waren gewöhnlich kürzer als die für die Zeitungen verfassten, aber sie waren keine Wiederholungen von textpassagen derselben, ihnen lagen jedoch derselbe maßstab und dieselbe Wertordnung zugrunde. somit schrieb hevesi „variationen“ (drei oder vier gleichzeitig zum selben thema und über dieselben Werke), und zwar zu fast jeder Wiener ausstellung. gelegentlich erhielt er auch anfragen von deutschen Zeitschriften (darunter Die Kunst) für artikel über Wien. nach 1900 wurden mehrere schriften von ihm in der Zeitschrift für Bildende Kunst veröffentlicht, die ihn zuvor, in der Zeit karl von lützows, nicht um Beiträge gebeten hatte. 9 ludwig hevesi: rudolf von alt zum neunzigsten geburtstage. Zeitschrift für Bildende Kunst. neue Folge, 1902. heft 9, s. 259–280. 10 die ausweise kosteten 20 kronen, die Familienausweise 50 kronen; reservieren und erwerben konnte man sie in den besten Buchhandlungen der stadt (artaria, deuticke, Frick, gerold, gutmann, hölder, konegen, lechner usw.). siehe: Wiener kunstwanderungen. Die Zeit. 26. Januar 1903. 11 aus dem Wiener kunstleben – Wiener kunstwanderungen. Pl. 27. Febr. 1902. 12 karl graf lanckoroński (1848–1933), polnischer aristokrat, der selbst kunstgeschichte studiert hatte und sich leidenschaftlich für die kunst des nahen ostens interessierte. er war ein Freund makarts. sein neobarockes Palais, das Fellner und helmer, die architekten des berühmten theaterarchitekturbüros, eigens für seine sammlung errichtet hatten, wurde 1945 stark beschädigt und, obwohl es hätte instand gesetzt werden können, abgerissen. 13 auf die vertreter des jüdischen mäzenatentums konzentriert sich: elana shapira: Style and Seduction. Waltham, massachusetts 2016. 14 eine der ersten bahnbrechenden abhandlungen ist: Peter urbanitsch: a képzőművészet támogatása és támogatói az osztrák-magyar monarchia osztrák felében az első világháborút megelőző évtizedekben. [die Förderung und die Förderer der bildenden kunst in der österreichischen hälfte der österreichisch-ungarischen monarchie in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg]. in: ilona sármány-Parsons und györgy szegő (hrsg.): Az Osztrák-Magyar Monarchia mint művészeti színtér [die

österreichisch-ungarische monarchie als schauplatz der kunst]. Bd. ii. Budapest 2017, s. 70–87. 15 Johann II. von und zu Liechtenstein: ein Fürst beschenkt Wien 1894–1916. katalog historisches museum der stadt Wien, 2003 16 durch diese kulturelle aktivität unterstützte die aristokratische elite der monarchie in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts die modernisierung in der bildenden kunst auf sehr effektive Weise, und zwar sowohl die ausstellungspraxis als auch den kunstunterricht. siehe Wladimir aichelburg: Das Wiener Künstlerhaus: 1861–1986. kunstverlag Wolfrum, Wien 1986. 17 Werner telesko: der kaiser und die dynastische kunstpolitik, in andreas gottsmann (hg,): kultur und Zivilisation (die habsburgermonarchie 18481918), Wien 2021, s. x. auch Peter urbanitsch: Patrons and Patronage for the Fine Arts in the Austrian half of the Habsburg Monarchy in the decades before the First World War, unveröffentlichtes manuskript. durch diese kulturelle aktivität unterstützte die aristokratische elite der monarchie in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts die modernisierung in der bildenden kunst auf sehr effektive Weise, und zwar sowohl die ausstellungspraxis als auch den kunstunterricht. siehe Wladimir aichelburg: Das Wiener Künstlerhaus: 1861–1986. kunstverlag Wolfrum, Wien 1986. 18 das schloss wurde leider später völlig umgebaut. 19 siehe hannes stekl: Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie 18. bis 20. Jahrhundert. Wien, münchen 2004. 20 „die Formen klingen nur wenig an frühere architektur an“ (…) „diese drei dumba-Zimmer sind an sich schon ein museum der Wiener kunst.“ – hevesi 1903. s. 285. hevesi. das heim eines Wiener kunstfreundes – nikolaus dumba (1899), hevesi 1909. s 361-373. es ist eine ironie des schicksals, dass die stadt, als der letzte dumba-erbe dem museum die Wohnung in den 1930er Jahren anbot, es nicht für nötig hielt, sie zu behalten, sodass die Bilder und die kunstgegenstände zerstreut wurden und das gesamtkunstwerk von herausragender Bedeutung zerstört wurde. 21 robert Jensen: Marketing Modernism in Fin-deSiècle Europe. Princeton, n. J., 1994, s. 167–200. 22 Ver Sacrum. Jg. i. einleitung des redakteurs, s. 1. 23 robert Jensen: ebd. s. 185. 24 Zum Beispiel zahlte hermann Bahr 4000 kronen für das gemälde Nuda Veritas. seine von Joseph maria olbrich entworfene villa, die zur selben Zeit in ober-sankt-veit, einem Wiener villenviertel, erbaut wurde, kostete lediglich dreimal so viel (12.000 kronen). 25 ebd., s. 185. 26 Wie erfolgreich das beweist die statistik: im Jahr 1896 hat der künstlerhaus 253 Werke für 190.743 fl verkauft, im nächsten Jahr, nach der gründung der secession nur Werke für 78.417 fl. 27 ein damenporträt von klimt kostete dieselbe summe, wie ein sommerhaus am attersee, das entsprach einem ganzjährigen gehalt von einem

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ordinarius an der Wiener universität. von den 929 reichsten Wiener Familien, die als millionäre galten, gab es viele, die kunst sammelten, hauptsächlich jedoch alte meister oder zur traditionellen akademischen stilrichtung gehörende zeitgenössische Werke. diejenigen, die für die modernen stilexperimente offen waren, zählten statistisch kaum. roman sandgruber: Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wienerinnen und Wiener im Jahr 1910, graz 2013. 28 vgl. Werner J. schweiger: Die Wiener Werkstätte. Kunst und Handwerk 1903–1932. Brandstätter, Wien, münchen 1982, und: tobias g. natter: Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Sammler und Mäzene. köln 2003. 29 Die Fackel. nr. 41, mai 1900, s. 22. 30 nicht nur die damen der Familie Wittgenstein, sondern z.B. auch alma mahler besaß besondere schmuckstücke der Wiener Wekstätte, die gustav mahler für sie gekauft hatte. margaret stonborough-Wittgenstein bekam neben dem klimt-Porträt eine ganze Wohnungseinrichtung von ihrem vater, als sie nach Berlin heiratete. 31 Über die einzelnen damen erschienen in den letzten Jahren einige monografien, und auch über die erwähnten Familien. eine Zusammenfassung des themas mit einem anderen ansatz: tobias natter, gerbert Frodl (hg.): Klimt und die Frauen. Belvedere, Wien 2003 und tobias natter (eds.): klimt and the Women of vienna’s golden age 1900–1908 – catalogue, Wien galerie Prestel verlag 2016. 32 hevesi kannte diesen kreis gut, war auch manchmal zu ihren ihre abende eingeladen. er schrieb sogar ein amüsantes Feuilleton über einen teenachmittag. FB. 21.02.1909. 33 emilie Flöge war die muse von gustav klimt. 34 das Thema des Frieses war ein symbolistischer märchentext von dem damals sehr bewunderten belgischen dichter maurice maeterlinck über die sieben verwunschenen Prinzessinnen. dieses musikzimmer und der Fries wurden 1907 in die Wohnung von Fritz Waerndorfer eingebaut. Josef hoffmann und kolo moser führten dieses interieur nach den Plänen von mackintosh aus. der text hevesis beschreibt die zauberhafte atmosphäre des raumes. siehe: ein moderner nachmittag FB. 21.02. 1909. 35 ein moderner nachmittag FB 21.02. 1909, 36 hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. Bd. 2, 1848–1900. abb. 249, 250. 37 laut der Familientradition konnten neben der gattin hermine scheid alle sieben kinder musik spielen, unter den fünf töchtern war martha wohl besonders musikalisch. ihre lieblingsmusik war Beethovens sechste symphonie, die sie in der klavier-transkription von Franz liszt spielen konnte. deshalb fiel die Wahl auf die Pastorale- symphonie. siehe: andreas maleta: J.M. Auchentallers Beethoven Musikzimmer in der Villa Scheid, Wien um 1898/99. galerie punkt12, Wien 2017. 38 als wichtiger Förderer hatte der graf Zutritt zum gebäude der secession, noch bevor die aus-

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stellungen fertig waren. auf diese Weise sah er als erster – während der künstler noch daran arbeitete – klimts Beethoven-Fries und konnte seine empörung angesichts der akte im teil „Böse kräfte“ nicht verbergen. daraufhin wurde er von den künstlern angeblich unter spott aus dem gebäude hinauskomplimentiert. siehe die erinnerungen von Felix salten, zitiert von: christian m. nebehay: Gustav Klimt. münchen 1976, s. 196, und Bertha Zuckerkandl: Österreich intim. erinnerungen 1892–1942. Frankfurt am main, Berlin 1988, s. 62. 39 sabine Plakolm-Forsthuber zufolge besuchte der kaiser die erste, die vierte, die neunte und die zwölfte ausstellung der secession. siehe sabine Plakolm-Forsthuber: Moderne Raumkunst. Wiener Ausstellungsbauten von 1898 bis 1914. Wien 1991, kap. v, s. 189, Fußn. 12. 40 sicher sah so auch der kaiser 1908 und 1910 sehr viele frühexpressionistische Werke. 41 innerhalb der künstlerschar gab es auch eine spezielle Form des sponsoring: einige künstler verteilten aufträge an ihre kollegen, etwa maler an architekten, ihr haus samt inneneinrichtung zu planen. Zum Beispiel beauftragte carl moll Josef hoffmann mit dem Bau einer villa. hermann Bahr gab bei J. m. olbrich den Bau seiner villa in auftrag und bei gustav klimt das gemälde Nuda Veritas. 42 natürlich gab es auch einen generationenwechsel. die einflussreichsten Persönlichkeiten der kulturpolitik der gründerzeit erlebten die erfolge der radikaler werdenden secession zumeist nicht mehr, und diejenigen, die sie noch erlebten wie ludwig lobmeyr blieben ihren liebgewonnenen meistern treu und kauften keine Bilder im neuen stil. lobmeyr stellte seine sammlung im oktober 1904 zum dritten und letztes mal im künstlerhaus aus. nach seinem tod 1916 wurde die sammlung versteigert. 43 die kunst toorops kann die nachwelt schwerlich so gut beurteilen wie hevesi. die kalligrafischen Bilder mit ihrer blassen Farbgebung, einer komplizierten symbolik hatten beim Publikum niemals erfolg. im heutigen kanon der kunstgeschichte gilt er als niederländischer meister von lokaler Bedeutung. 44 die toorop-analyse ist ein anthologiestück, das hevesi auch in Acht Jahre Sezession aufgenommen hat (s. 375–379). Wahrscheinlich hatte auch er selbst gemerkt, dass der artikel eine größere Öffentlichkeit verdiente und nicht in einer Fachzeitschrift mit einer ausgesprochen niedrigen auflage in vergessenheit geraten durfte. 45 ludwig hevesi: Jan toorop. Ver Sacrum, 15. Febr. 1902. Acht Jahre Sezession. ebd., s. 375–379. 46 ebd., s. 376. 47 die persönlichen Beziehungen zwischen hevesi und den künstlern lassen sich nur bruchstückhaft nachvollziehen. die wenigen erhaltenen Briefe deuten darauf hin, dass die meister ihn mehrmals gebeten haben, ihnen zu helfen, indem er über sie schrieb, bevor sie ausstellten oder an ausschreibungen teilnahmen. aus seinen artikeln

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váltoZó stratégia: 1902

kann man entnehmen, dass er häufig ihre ateliers besucht sowie sie zitiert und ihre absichten mitgeteilt hat. durch seinen unbestreitbaren einfluss und sein großes ansehen hat er wohl die sympathien bestätigt und bis zu einem gewissen grad sogar das interesse gesteuert. 48 keines der ausgestellten kunstwerke war für den verkauf angefertigt worden. 49 ich verweise hier auf zwei wichtige viel zitierte arbeiten: zum einen auf die in vielen verschiedenen auflagen erschienene von marian BisanzPrakken: Gustav Klimt. Der Beethovenfries: Geschichte, Funktion und Bedeutung. residenz verlag, salzburg 1977; zum anderen auf stephan koja (hrsg.): Gustav Klimt. Der Beethoven-Fries und die Kontroverse um die Freiheit der Kunst. Prestel, münchen, Berlin, london, new york 2006. 50 marian Bisanz-Prakken: ebd. 51 Bahnbrechend war diesbezüglich carl e. schorske (der den darauf hinweisenden text hevesis nicht kannte), in allen nach ihm verfassten analysen wird seine interpretation variiert. 52 Über klimt: „ein stimmungsmensch, der gar nicht den versuch macht, sich über sein gefühl klar zu werden, sondern diese kostbare unklarheit hegt, und zu verdichten sucht, weil gerade sie das elementare, instinktive ist, offenbarung des reinen trieblebens.“ ludwig hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. Bd. ii, s. 292. 53 klinger arbeitete 14 Jahre lang an der skulptur. die Wiener warteten seit 1900 darauf, sie ausstellen zu können. 54 die ereignisgeschichte ist bekannt, ebenso der umstand, dass der termin deshalb immer wieder verschoben werden musste, weil klinger mit seiner Beethoven-skulptur sehr langsam vorankam. mariann Bisanz-Prakken analysiert in ihrem oben zitierten Buch alle ausgestellten Werke ausführlich. nach anderen kriterien, jedoch sehr ausführlich kontextualisiert sabine Plakolm-Forsthuber dieses herausragende ereignis innerhalb der geschichte des räumlichen konzepts der ausstellungen in: Moderne Raumkunst. Wiener Ausstellungsbauten von 1898 bis 1914. Picus verlag, Wien 1991, s. 68–89. 55 ludwig hevesi: Acht Jahre Sezession. s. 382–385. 56 ludwig hevesi: Acht Jahre Sezession. s. 384. 57 ebd. 58 max klingers Beethoven. in: ludwig hevesi: Acht Jahre Sezession. s. 385–389. 59 Zu Pausanias’ Buch siehe nicholas t. Parsons: Worth the Detour. stroud 2007, s. 24–42. 60 Über all das wurden die Besucher im ausstellungskatalog informiert. auch in den Zeitungen war zu lesen, dass klimts Fries als bildliche darstellung der Wagnerschen interpretation des letzten satzes der symphonie gemeint war. die gesamte seither erschienene Fachliteratur basiert auf dieser auslegung, die sie wiederholt und variiert. 61 das belegten auch zwei hefte (10 und 11 – sonderheft „Beethovenausstellung“, 1902) von Ver

Sacrum und der kunstvoll zusammengestellte ausstellungskatalog. 62 siehe den ausstellungskatalog: Max Klinger, Beethoven: XIV. Kunstausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession. [Wien, april– Juni 1902.] 63 Joseph august lux: klinger’s Beethoven in der Wiener secession. in: Deutsche Kunst und Dekoration. x (1902), s. 457 ff. 64 Franz servaes: klinger’s Beethoven. Neue Freie Presse. 16. april 1902. 65 Berta Zuckerkandl: klinger’s Beethoven in der Wiener secession. Die Kunst für Alle. xvii (1902), s. 385 ff. 66 F.: „Beethoven“ von max klinger. Wiener Abendpost. 16. april 1902. 67 laut der statistik der secession betrug die Zahl der Besucher 58.141. 68 Plein-air: max klinger’s „Beethoven“, i. WZmZ, 21. april 1902. 69 ebd. 70 Plein air: max klinger’s Beethoven ii. WZmZ. 28. april 1902. 71 der Überlieferung zufolge – so steht es in der gesamten gedruckten Fachliteratur – hat hermann Bahr die 1903 erschienene anthologie zusammengestellt, die den titel Gegen Klimt trägt und eine auswahl kurzer Passagen aus den Besprechungen der bis dahin entstandenen gemälde des künstlers enthält. Bei den vorbereitungen zu der ausstellung des theatermuseums im Jahr 2013 entdeckten Forscher, dass die sammlung gar nicht von hermann Bahr, sondern von dem textilhändler und klimt-sammler Fritz Waerndorfer, dem gründer und ersten mäzen der Wiener Werkstätte, zusammengestellt wurde. 72 hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. Bd. ii. s. 292–293. 73 Külföldi Krónika. Művészet, Bécs [ausländische chronik. kunst. Wien]. Jg. i. 1902, s. 226–227. 74 ebd., s. 227. 75 sándor Bródy: vita egy szobor körül [diskussion um eine skulptur]. Művészet. Jg. i, 1902, s. 268. 76 eine ausnahme macht er lediglich bei károly goldmark, dem klingers Beethoven ebenfalls nicht gefiel. 77 károly lyka, der redakteur der Zeitschrift, zitiert die offizielle statistik der saison quasi als vorbild. neben der Besucherzahl nennt er auch die Zahl der verkauften Werke und die erzielten erlöse. demnach hat die Secession in jener saison 112 Werke im Wert von knapp 200.000 kronen verkauft. (in diesem Betrag sind die später verkauften exponate der Beethoven-ausstellung nicht enthalten.) Művészet. Jg. i, 1902, s. 290. 78 die krakauer künstlervereinigung sztuka hatte die gemälde und skulpturen ihrer mitglieder zur verfügung gestellt. 79 Weiteres aus der sezession. in: ludwig hevesi: Acht Jahre Sezession. s. 400–401.

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ein kanonisierendes buch: oesterreichische kunst im 19. jahrhundert

in seinem vorwort zu dem buch vom 16. oktober 1902 berichtet hevesi selbst kurz über die entstehung des werkes1. vermutlich nicht aus falscher bescheidenheit, sondern unter dem eindruck der gewichtigen aufgabe, betrachtet er das aus seinem 1898 veröffentlichten „torso“ über die kunst zu franz josephs Zeiten2 entstandene buch, das aufgrund der fülle an material „auf sein doppeltes“ gewachsen war, auch weiterhin nicht als vollendetes werk: „trotzdem betrachte ich es wiederum nur als versuch, als farbige kompositionsskizze.“3 (abb. 231) auch er selbst war also nicht wirklich zufrieden, und damals zog er noch eine neue (und erweiterte) auflage in betracht, aus der leider nichts wurde, da der verlag die reihe, die ursprünglich aus vielen bänden über die einzelnen länder bestehen sollte, nicht fortsetzte. in seiner weihnachten verfassten und auf der rückseite des buchdeckels abgedruckten einführung schreibt e. a. seemann noch optimistisch, die Geschichte der modernen Kunst werde eine nach ländern gegliederte mehrbändige reihe.4 er beabsichtigte, die geplanten 14 bände der reihe innerhalb von drei jahren herauszugeben und die bände von jeweils etwa 160 seiten mit je 100 bis 150 abbildungen besonders informativ zu gestalten. er nennt auch die autoren dreier zukünftiger bände: über die deutsche malerei sollte fritz von ostini, über die skandinavische jens Thiis und über die ungarische gábor térey schreiben. dabei hatte der verleger strenge kriterien: „wie schon die ersten bände erweisen möchten, soll diese geschichte der modernen kunst weniger meinungen als tatsachen, weniger geistesblitze als klare belehrung spenden.“5 leider wurde die reihe aus gründen, die sich heute nicht mehr ermitteln lassen, nicht realisiert. die bände über die französische kunst6 und hevesis zweibändiges werk über die österreichische kunst zeigen, was für ein wichtiges und groß angelegtes projekt die reihe hätte werden sollen. hevesis aufgabe war in mehrfacher hinsicht sehr schwer und ungewöhnlich. über die österreichische kunst und ihre früheren epochen hatte bis dahin niemand eine längere Zusammenfassung geschrieben, solche gab es nur über die kunst des habsburgerreiches, des österreichischen reiches und schließlich der österreichisch-ungarischen monarchie, wodurch der ausgangspunkt natürlich ein ganz anderer war. trotz seines scharfsinns tappte hevesi (vielleicht) arglos in die begriffliche falle und gab den kritikern damit eine steilvorlage, das buch trotz seiner unbestrittenen fachlichen und stilistischen Qualitäten heftig zu kritisieren. die frage der österreichischen identität ist erst seit mitte der 1980er jahren ein beliebtes forschungsthema in wien (beziehungsweise Österreich), hat jedoch heutzutage, in den Zeiten der vorfeiern zur globalisierung, wieder an aktualität verloren. in der kunstszene wiens war es jedoch keine seltenheit, dass fachleute über „oesterreichische kunst“ schrieben. von eitelberg bis hin zu den feuilletonisten war es bei allen allgemein üblich, die künstlerischen aktivitäten im künstlerischen Zentrum wien und in den

231. kolo moser: deckblatt für ludwig hevesis Österreichische kunst, i–ii., 1903

230. rudolf von alt: der stephansdom – ausschnitt , 1832

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deutschsprachigen teilen des habsburgerreiches (also des österreichischen kaiserreiches) als „oesterreichisch“ zu bezeichnen. auch zentrale institutionen im bereich der kultur und der kunst wurden so genannt (beispielsweise erhielt das kunstgewerbemuseum bei seiner gründung im jahr 1863 den namen oesterreichisches museum).7 die wenigen früheren Zusammenfassungen über die wiener/österreichische kunst im 19. jahrhundert erschienen ende der 1890er jahre. die jubiläumsausstellung im künstlerhaus von 1888 beinhaltete außer der internationalen abteilung auch einen retrospektiven teil, zum dem albert ilg eine einführung verfasste.8 diese „denkschrift“ ist eine der frühesten von einem kunsthistoriker abgefassten Zusammenfassungen der während der herrschaft franz josephs entstandenen kunst. der autor bewertet die epoche auch über die obligatorischen rhetorischen phrasen hinaus als gewaltigen aufschwung. die von ilg gewählten schwerpunkte wurden zum leitfaden für alle späteren übersichtsdarstellungen. den abschnitt über die bildende kunst im ersten band des Kronprinzenwerkes (die österreichisch-ungarische monarchie in wort und bild) über wien und niederösterreich schrieb für den Zeitraum bis zum ende des 18. jahrhunderts albert ilg und für das 19. jahrhundert karl von lützow.9 der sehr kurze überblick betont den wiener charakter der malerei, hebt in der ersten hälfte des jahrhunderts die genremalerei und die landschaftsmalerei hervor und schreibt der persönlichkeit und dem realismus waldmüllers eine herausragende bedeutung zu. in der zweiten hälfte des jahrhunderts hebt von lützow nach der knappen abhandlung der monumentalmalerei (zu recht) die rolle von hans makart und hans canon hervor. bei der aufzählung der namen macht er eine sehr interessante bemerkung über die landschaftsmalerei: „es entspricht durchaus dem weichen, lyrischen Zuge des wiener naturells, daß die landschaftsmalerei hier wesentlich stimmungsmalerei geworden ist.“10 der nächste offizielle anlass zu einem überblick über die kunst des jahrhunderts war das jahr 1898, das fünfzigjährige jubiläum der Thronbesteigung kaiser franz josephs, das selbstverständlich auch mit prachtausgaben gefeiert wurde. in dem von j. schnitzer herausgegebenen zweibändigen werk11 fasste hevesi die ergebnisse der bildenden kunst der vorangegangenen fünfzig jahre zusammen.12 diese abhandlung wurde zum ausgangspunkt für die vom verlag seemann in auftrag gegebene monografie über die epoche. hevesis buch ist ein wichtiger früher baustein, wenn nicht sogar der grundstein, für die konstruktion der identität in der österreichischen kunstgeschichte. es hatte ebenfalls einen vorläufer, auch wenn hevesis vorgänger, der frühere kritikerrivale albert ilg, als grundlage für den „sonderweg“ der österreichischen kunst nicht das 19. jahrhundert, sondern die ihm so nahestehende epoche des barock der 1880er jahre betrachtete. seine hauptmotivation dafür war, dass er innerhalb der kunstgeschichte endlich die unterschiede zwischen der kunst der erbländer und wiens und dem im allgemeinen besprochenen deutschen barock herausstellen wollte. in wirklichkeit strebte hier eine regionale stilvariante nach gleichberechtigung – und erhielt die politische unterstützung des hofes gegenüber der üblichen praxis der deutschen kultur- und kunstgeschichte, die die kunst dieser region konsequent als die einer deutschen unterregion behandelte. (das war in praktisch allen bereichen der kunst der fall, vor allem natürlich in der literatur, aber auch in der musik und der am stärksten ortsgebundenen bildenden kunst.)

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alle deutschen Zeitgenossen hevesis, kunsthistoriker wie kritiker, integrierten – oft ohne die problematik zu überdenken – die in den österreichischen erbländern und in wien entstandenen werke automatisch in die deutsche kultur.13 die frage der österreichischen identität hatte jedoch zwei seiten, denn selbst wenn die unterscheidung von der kunst der deutschen gebiete akzeptabel war, so verletzte es doch auch andere interessen, die kunst des habsburgerreiches großzügig als österreichisch zu bezeichnen, und zwar vor allem die jener nationen, die, anders als die ungarn, keine kulturelle autonomie innerhalb des reiches genossen. mit den ungarn gab es im grunde auch keine schwierigkeiten, denn diesbezüglich war hevesi sehr bewandert und vorsichtig, da die ungarn seit dem ausgleich im jahr 1867 im königreich stephans des heiligen vollständige kulturelle autonomie genossen und ihre verbindung zu wien im 19. jahrhundert ausgesprochen locker geworden war. deshalb ließ er sie in seiner Zusammenfassung von vorneherein aus, sodass sich diese (theoretisch) auf cisleithanien beschränkte.14 die tschechen und die polen konnten jedoch zu recht aufbegehren, sie wollten nicht einmal in der kunst als Österreicher eingestuft werden, auch wenn sie politisch nicht unabhängig waren. die tschechen hatten bis dahin bereits alles unternommen, um sich kulturell wie politisch von Österreich zu lösen, und die polen pflegten sowohl in der gegend von krakau als auch in galizien, innerhalb des bestehenden politischen rahmens, eine eigenständige nationale kultur. obwohl hevesi in seinem buch (anhand der nationalen identität) bei jedem künstler präzise und ordnungsgemäß angibt, wenn es sich um einen tschechischen oder polnischen künstler handelt, und bei den einzelnen werken meistens auch auf die emotionsgeladenen nationalen Themen und lösungen hinweist, ist für ihn doch das durch den historischen und den politischen rahmen vorgegebene gemeinsame kulturelle feld der monarchie maßgeblich, in dem die bildungseinrichtungen, das staatliche, das munizipale und das private mäzenatentum und die gemeinsamen ausstellungsforen eine scheinbare relative kohärenz bewirkten, das, obwohl es die gerade im 19. jahrhundert so begeistert gepflegten, ja mit radikaler leidenschaft konstruierten nationalen unterschiede niemals vereinheitlichen konnte, doch die grundlage für eine gemeinsame sprache in der bildenden kunst geschaffen hat, die die forschung im letzten viertel des 20. jahrhunderts für sich entdeckt und als mitteleuropäisches, also für die monarchie charakteristisches, phänomen beschrieben hat. bis heute kann man diese schwer zu definierende, aber tatsächlich existierende gemeinsame visuelle sprache, durch die jener „leichtfüßige gesamtstaatspatriotismus“ bildhaft visuell zum ausdruck kommt, anhand dessen hevesi das umfangreiche faktenmaterial bespricht, am besten durch metaphorische verallgemeinerungen beschreiben.15 der neuralgische punkt, aufgrund dessen die rezeption dieser großen Zusammenfassung im jahr 1903 außerhalb wiens so widersprüchlich war, war also die frage der nationalität. hevesi hat in den zwei bänden also zu 90 % wiener, in wien entstandene, kunstwerke besprochen, die das architektonische und künstlerische erbe wiens verkörpern, nur selten exkurse nach außerhalb der stadt unternommen und auch die architektur und die bildhauerei der erbländer stiefmütterlich behandelt. sein deutscher kollege, der kritiker und feuilletonist franz servaes, der damals bereits in wien lebte, betont in seiner kurzen und allgemein gehaltenen buchbesprechung

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gerade den umstand, dass hevesis werk von seiner außerordentlich genauen kenntnis wiens und seiner liebe zu dieser stadt geprägt ist, die seiner ansicht nach (der er in straßburg kunstgeschichte studiert hat) zu viel des guten ist.16 doch wie sieht dieses bahnbrechende werk, das die bis heute gültige werteordnung, also den kanon, der kunst Österreichs im 19. jahrhundert, wenn auch im verborgenen, bestimmte, aus?

Erster Teil: 1800–1848 der erste band behandelt auf 112 seiten mit 80 abbildungen die erste hälfte des jahrhunderts, also die epoche, die hevesi nur aus Quellen, aus zweiter hand und von ausstellungen kannte. anders als viele andere autoren berichtet er gleich auf den ersten seiten von den schwierigkeiten bei der recherche und nennt alle Quellen und ausstellungen, auf die er sich bei der rekonstruktion der epoche und des sozialen milieus, in dem die werke entstanden sind, stützen konnte.17 durch seinen großartigen stil, seinen sinn für das problematische und seinen gedankenreichtum zeichnet er auch dort ein plastisches bild von der Zeit, wo ihm weitaus weniger umfangreiches archivmaterial zur verfügung steht als dem forscher von heute. schon seine ersten sätze sind ungewöhnlich und subjektiv und erzeugen durch ihren negativen tenor spannung: „die erste hälfte des 19. jahrhunderts ist in oesterreich keine glänzende kunstepoche. der damalige Zustand glich einem grauen winterschlaf nach dem langen bunten sommer des 18. jahrhunderts.“18 nach dieser eröffnung kann der interessierte leser das buch nicht mehr weglegen. hevesi kontextualisiert meisterhaft, er geht stets von den politischen und wirtschaftlichen gegebenheiten der Zeit aus, wenn er den rahmen aufzeigt, der den spielraum der kunst bestimmte, für das fehlen offizieller aufträge verantwortlich war, die wirkung der geistigen strömungen und die auftraggeber beeinflusste, und stellt innerhalb dessen die stilistischen schwankungen, die Änderungen des geschmacks und die laufbahn der einzelnen künstler dar. man kann sagen, dass sein werk durch eine ganz moderne komplexität gekennzeichnet ist, mit dem einzigen unterschied, dass die sprache nicht die heutige wissenschaftliche fachsprache, sondern eine viel lebendigere, sinnlichere und metaphorischere, durch psychologische feststellungen bereicherte, stellenweise lyrische prosa ist. anders als viele seiner kunsthistorikerkollegen bekennt sich hevesi offen dazu, dass seine Zusammenfassung subjektiv ist19, und scheut sich auch nicht, seine eigene frühere meinung zu revidieren, beispielsweise bezüglich der ersten groß angelegten historischen (das heißt kunsthistorischen) ausstellung in wien. „ich begann meine artikelreihe mit folgenden betrachtungen im richtigen vernichtungsstil“, schreibt er. ausführlich zitiert er seine frühere meinung als ausgangspunkt, erklärt dann aber sofort, weshalb er sich so geäußert hat: „dieser schärfere ton, insbesondere auch diese bissigkeit gegen das arme, herrliche, unvergessliche 18. jahrhundert kam geradeswegs aus der schule der wiener neurenaissance, in der wir damals alle standen. er verallgemeinert auch zu sehr.“20 an interessanten einzelbeispielen veranschaulicht er, wie wenig man eine epoche schematisieren kann und jeder autor dennoch vereinfachen und verallgemeinern muss. „die fügerzeit ist die eigentliche empirezeit wiens.“ dann zitiert er fast die hälfte

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seines artikels von 187721, zu dem er sich trotz des theoretisierenden tons („man betrachte auch den theoretisierenden ton der Zeitkritik“) auch weiterhin bekennt. nach füger folgt eine lange und ziemlich ermüdende, lexikonartige aufzählung zur wiener porträtmalerei (in der auch die bildhauerei berücksichtigt wird), und der text wird nur dort lebhaft und anschaulich, wo er einzelne geschätzte meister charakterisiert (z. b. daffinger). es ist interessant, entspricht jedoch der mentalität und der praxis der geschichtsschreibung der Zeit, dass er die epochen zumeist nach den herrschern benennt und beispielsweise den bekannten porträtmaler natale schiavoni als „… schwerbezahlten liebling der mittleren kaiser franz-Zeit“22 bezeichnet. am besten sind die stellen, wo er kleine porträts einzelner wichtiger meister zeichnet, dort erwacht die jeweilige person zum leben, und die beschreibung des stils der werke weist individuelle Züge auf, wie beispielsweise im fall von josef anton koch (s. 28–29), moritz von schwind (s. 58–63) und josef danhauser (s. 64–68) (abb. 232). schon hier kommt er auf einen aspekt zu sprechen, den bis dahin kein berufskunsthistoriker berücksichtigt hatte, nämlich den kunstmarkt.23 er listet zahlreiche antiquitätenhändler der Zeit auf, wobei er franz und karl artaria hervorhebt, deren – bis heute bestehendes – unternehmen zu den ältesten gehörte und das auch grafiken publizierte.24 gelegentlich, vor allem im zweiten band, nennt er auch preise für gemälde. gesondert erwähnt er das berühmte wiener porzellan, und zwar nicht nur aus persönlichem interesse, sondern auch deshalb, weil das gesamtbild des künstlerischen lebens seiner ansicht nach ohne die besprechung der gegenständlichen kultur unvollständig wäre, sofern diese in ästhetischer hinsicht herausragend ist.

232. josef danhauser: der reiche prasser, 1836

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233. peter fendi: mÄdchen vor dem lotteriegewÖlbe, 1829

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das zweite kapitel des ersten bandes trägt den untertitel „bürgerlich und romantisch“, handelt jedoch nicht von einer klar zu definierenden epoche, sondern von allen künstlerischen richtungen, die hevesi als auflehnung gegen die „akademische Zeit“ interpretiert. Zu diesen zählt er auch den von overbeck angeführten ersten „aufstand“ der malerschüler im winter 1811/12. das ist das erste mal, dass er auf bewusst ahistorische weise die auflehnung einer generation mit der secession in verbindung bringt. „die sezessionisten von damals, denen etwas unbestimmt neueres, echteres, wärmeres vorschwebte, als die abgedroschenen schulgipse und abgerichteten modelle und die kalten antiken motive auf ‚us‘ oder ‚os‘. die romantik kam nach wien.“25 man spürt deutlich, dass sich der autor in dieser Zeit besser zurechtfindet, denn die beschreibung ist lebendiger. hier nennt er bereits maler, die er als alte menschen noch persönlich kennengelernt hat, vor allem die meister des spätbiedermeier. er verheimlicht auch nicht, welches seine lieblingsmaler sind, und misst der malerei und der Zeichenkunst moritz von schwinds besondere bedeutung bei: „wenn schwind nicht das unglück gehabt hätte, in der entfärbten schubertzeit geboren zu werden und dann in die ölscheue deutsche kartonzeit der cornelius und kaulbach hineinzuwachsen, so wäre er heuer der führer der secessionisten. diese haben, nach einer epoche des trockenen realismus, die poesie wieder in die natur eingelassen, allerdings mittelst der modernen, bis ins sensitive durchgestuften farbe.“26 hevesi versteht die gesamte genremalerei des biedermeier als gegen die erstarrte, veraltete und lebensfremd gewordene heroische akademische malerei gerichtete und zudem eigentümliche wienerische bestrebung (schindler, ranftl, fendi, danhauser, gauermann, eybl und waldmüller) (abb. 233). dieses kapitel ist eine der wirklichen neuheiten und verdienste des buches. hinsichtlich der Quellen lenkte die ausgesprochen erfolgreiche schubert-ausstellung von 1896 die aufmerksamkeit der künstler des ausgehenden jahrhunderts auf diese epoche, und sie markiert den beginn des biedermeierkults, der sogar die künstler der secession, besonders im bereich des kunstgewerbes und des möbeldesigns, inspirierte. dass diese epoche im kollektiven historischen gedächtnis wiens als eine der großen kulturellen blütezeiten verbucht wurde, ist auf diese schubert-ausstellung zurückzuführen. hevesi schloss sich bereits in seinen feuilletons von 1896 der meinung derjenigen fachleute an, die den biedermeiergenrebildern einen besonderen wert zuschrieben, um dann in diesem buch ihren platz in der malerei des jahrhunderts zu bestimmen und ihre bedeutung für diese herauszustreichen. auch er hielt natürlich waldmüller für das größte talent in dieser generation (abb. 234): „die ausstellung ‚fünfzig jahre österreichische malerei‘ (1898) hat diesen großen künstler wieder in den vordergrund gerückt. die sezessionistisch gewordene Zeit erkannte in ihm, wie das jahr vorher in schwind, einen großen vorläufer.“27 „eigennatur“

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234. ferdinand georg waldmüller: vorfrühling im wienerwald, 1861

sei kennzeichnend für waldmüller als frühen meister, und zwar auch im rückblick und in kenntnis der nächsten generation und der kunst des auslands, im vergleich mit den modernen belgiern (z. b. verhaas) und den pleinairmalern. und nach der darstellung seines werdegangs (die er aus einem seiner früheren artikel zitiert) schließt er die kanonisierung mit folgender feststellung ab: „das ist das leben des ersten wiener secessionisten.“28 auf den überblick über die landschaftsmalerei des biedermeier, der zahlreiche namen enthält, folgen eine kurze Zusammenfassung der bildhauerei und der architektur und schließlich treffend formulierte seiten über die möbelkunst des biedermeier (abb. 235–236), die ihre renaissance der historischen und kunstausstellung „der wiener kongress“ (1896) verdankte. hevesi zitiert aus einem seiner artikel aus dem jahr 1900

235. empfangsZimmer, wien, um 1800 236. schreibZimmer, wien, um 1830

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und beschreibt dann ausführlich diverse biedermeierinterieurs, die die leser in den vorangegangenen jahren in den ausstellungen des oesterreichischen museums hatten bewundern können. er erwähnt sogar die privatpalais, die er im rahmen der „wiener kunstwanderungen“ besichtigt hatte, und schließt, nach der beschreibung des in den 1840er jahren entstandenen interieurs des liechtensteinschen majoratshauses (stadtpalais liechtenstein), den band mit der würdigung von michael Thonet, dem erfinder der bugholztechnik.

237 federZeichnung des kaiser franZ joseph (andreas hofer), 1841

238. eduard van der nüll – august sicards von sicardsburg: das hofopernhaus in wien

Zweiter Teil: 1848–1900 im zweiten teil bespricht er die Zeit der herrschaft franz josephs bis 1900.29 dieses mal beginnt er mit der architektur, der kunstgattung also, die die grundlage für die urbane modernisierung wiens darstellte und ohne die der historismus und der aufschwung der künste nicht möglich gewesen wären. darauf folgen die abschnitte über die bildhauerei, die malerei und das kunstgewerbe und schließlich „die neuzeit“, die er ab der gründung der secession rechnet.30 der text beginnt wieder mit sätzen, die bis heute nichts von ihrer gültigkeit verloren haben. das gute halbe jahrhundert von 1848 bis 1900 ist in Österreich tatsächlich eine eigenständige kunstepoche (auch wenn sie wegen des auftretens der secession inzwischen um einige jahre verkürzt wurde). hevesi skizziert sehr kurz und kompakt die stiländerungen des historismus (romantisch, neurenaissance, neubarock) und hebt makart und den von ihm geschaffenen kolorismus hervor. er betont die rolle der staatlichen institutionen und innerhalb dieser die bedeutung des oesterreichischen museums in der künstlerischen ausbildung. Zusammenfassend schreibt er: „unter kaiser franz josef i. aber trat die kunst in die reihe der staaterhaltenden, ja staatbildenden kräfte. indem sie ihr ewiges, unveräußerliches kunstrecht siegreich betonte, wurde sie zugleich eine sittliche, politische, volkswirtschaftliche macht. der residenz vor allem hat sie ein neues gesicht gegeben, und einen neuen körper dazu, gewaltig genug, um die kämpfe der Zukunft zu bestehen. neu-wien als herz von neu-oesterreich ist vor allem ein werk der kunst, die ja für alle anderen interessen und Thätigkeiten

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erst die formen, gehäuse, ja werkzeuge zu schaffen hatte.“31 diese einleitung gleicht einer programmrede bei einem festlichen anlass, in deren mittelpunkt die kunst als staatsbildende schöpferische kraft steht. sie hat etwas sakrales, das nicht nur aus der idealistischen und moralistischen humanistischen kunstauffassung rührt, sondern auch aus dem unbedingten kunstkult des modernismus der jahrhundertwende. diese sätze geben nicht nur hevesis eigene subjektive meinung über die epoche wieder, sondern sind zugleich eine vielsagende Zusammenfassung der selbsteinschätzung der kunst, die von jemandem formuliert wurde, der sie selbst erfahren hat, sie voll und ganz unterstützt und sich selbst dazu bekennt. schließlich hebt hevesi auch das kaiserliche mäzenatentum und die rolle franz josephs als person hervor. Zwei von den drei abbildungen in dieser fünfseitigen historischen einleitung („die aera“) sind mit sicherheit dem Thronjubiläum im jahr 1898 zuzuschreiben: zwei kinderzeichnungen von franz joseph, die er 1841 als elfjähriger angefertigt hatte. das interessante an den federzeichnungen ist nicht nur, dass sie lauter soldaten zeigen, sondern auch, dass ihre hauptfigur andreas hofer, der tiroler freiheitskämpfer, ist, den napoleon hinrichten ließ. die Zeichnungen belegen den österreichischen patriotismus des kaisers und zeigen, dass er schon als kind ein ehrliches und persönliches interesse an der kunst hatte (für das hevesi eine reihe von beispielen anführt) (abb. 237). das zweite kapitel beschreibt die tätigkeit und die hauptwerke der architekten der ringstraße. nach der vorstellung der professoren van der nüll und sicardsburg komponiert hevesi das gesamtbild um die vier namhaftesten architekten und gibt plastische beschreibungen der wiener monumentalbauten (abb. 238). dieses kapitel über die architektur der ringstraße ist eine vorbildliche Zusammenfassung; sie ist nicht frei von kritik, aber fair und auf das wesentliche beschränkt (abb. 239–240). er präsentiert über jede der bedeutenden architektenpersönlichkeiten ein abgerundetes und auch psychologisch differenziertes porträt; er hebt ihre individuellen charakterzüge hervor, die seiner meinung nach auch im stil der von ihnen entworfenen gebäude zum ausdruck kommen. für hevesi war die künstlerpersönlichkeit auch in der architektur ein entscheidender faktor – das war der grund, weshalb er meisterhafte tilgner-büsten als illustrationen verwendet hat, um den wichtigsten architekten der ringstraße auch auf diese weise ein denkmal zu setzen (abb. 241–242). hevesi bewertet die neurenaissance hier viel positiver als in seinen zu jener Zeit, in der glanzzeit der secession, veröffentlichten Zeitungsartikeln. und selbst im vergleich zu den wohnhaustypen in den wohnvierteln von paris und london ist das wiener modell seiner meinung nach das beste: „was den privatbau betrifft, darf man wohl sagen, daß es für ganz mitteleuropa in neu-

239. theophil hansen: das parlamentsgebÄude in wien

240. friedrich schmidt: das rathaus

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241. viktor tilgner: heinrich von ferstel 242. victor tilgner: carl von hasenauer

243. theophil hansen: der heinrichshof in wien

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wien erfunden wurde. (…) infolgedessen bieten die wiener straßenbilder weit mehr abwechslung, als die der meisten weltstädte. man darf heute wohl von einem ringstraßenstil sprechen.“32 klar erkennt er die rolle von Theophil hansen, der den typus der prächtigen mietshäuser entwickelte: „sein heinrichshof machte thatsächlich epoche.“33 (abb. 243) präzise registriert er den beginn des wiener neubarock und erwähnt sogar albert ilgs buch als inspirierende Quelle. besonders bemerkenswert ist, dass er gleich mehrmals auf den negativen umstand hinweist, dass der stil, die lösungen und die ornamentik der architektonischen spitzenleistungen in den vorstädten und den außenbezirken nur noch als billiger abklatsch aus billigen materialien zu sehen sind. schon an dieser stelle erwähnt er kurz die ersten gebäude otto wagners, die schon die jahrhundertwende erahnen ließen; über ihn schreibt er am ende des bandes ausführlicher. dieser kurze überblick ist die grundlage aller späteren ausführlichen abhandlungen über die architektur. hevesi gab für die nächsten hundert jahre die epochen und die periodisierung für die ausgewogenen Zusammenfassungen über die architektur vor, stellte die rangordnung der meister und der werke auf und wies sogar auf probleme hin, das heißt, er griff auf ganzen 36 seiten (die 22 abbildungen mitgerechnet) der monografie von renate wagner-rieger34 vor, die die architektur des historismus nach den bis zu den siebziger jahren des 20. jahrhunderts vorherrschenden, ausgesprochen einseitigen und feindseligen Zusammenfassungen und monografien über die architektur ab dem ende der sechziger jahre endlich rehabilitiert und dem überaus formenreichen lokalen historismus wiens, dessen einfluss auch über mitteleuropa hinausgeht, als wertvollem teil des welterbes zu dem ihm gebührenden platz im europäischen geschichtsbewusstsein verholfen hat.35 Ähnliches kann man auch über das kapitel „plastik“36 sagen. es war die erste erfassung der kunstgattung in dieser epoche, mit der hevesi die werteordnung der wiener monumentalplastik aufstellte und den platz der künstler in der hierarchie des kanons bestimmte. in diesem kapitel bewegt er sich im falle eines künstlers über die engen grenzen wiens hinaus und schreibt ausführlich und mit großer anerkennung über den großen tschechischen bildhauer josef václav myslbek (1848–1922), den er schon im ersten einleitenden satz als „matejko der plastik“ bezeichnet. „mit ihm kam ein neues element in die österreichische bildnerei, eine nationale ‚urwüchsigkeit‘, deren erdgeruch mit zwingender macht berührte. (…) alles was aus seiner hand kommt, hat etwas erfrischend wildes, wohl auch angeklemtes.“37 hevesi mochte die bildhauerei als gattung sehr und war in seinem element, wenn er skulpturen interpretieren konnte. bravourös veranschaulichte er die wesentlichen stilmerkmale und die durch sie verkörperten vielen verschiedenen sichtweisen des menschen. seine kurzporträts über seine lieblingsbildhauer sind bis heute zutreffend, sie sind knappe Zusammenfassungen der inneren und äußeren werte des jeweiligen lebenswerkes. viktor

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tilgners porträtkunst zum beispiel beschrieb er folgendermaßen: „… führich, alois schönn, hofrath becker, anton bruckner – das war ein triumph des malerischen realismus jener Zeit. seine lebensvolle behandlung der oberflächen, die virtuosität im stofflichen, die energische ausnützung von licht und schatten, farbiger tönung, dazu ein fast unfehlbares treffen der persönlichkeit: das waren die starken seiten dieser kunst.“38 die meisten (sechs) reproduktionen in dem werk stammen von tilgner, da er als porträts mehrerer künstler dessen porträtplastiken abbildete (füger, ferstel, hasenauer, makart und karl leopold müller) (abb. 244). die ausführliche monografie über die bildhauerei der „ringstraßenzeit“ schrieb später walter krause, der die von hevesi skizzierte werteordnung der leistungen der bildhauerei der epoche beibehielt.39 das vierte und längste kapitel ist der malerei gewidmet.40 hevesi beginnt die „große darstellung“ mit der beschreibung des lebens und schaffens von rudolf alt, einem meister, der in beiden epochen, in der ersten und der zweiten hälfte des jahrhunderts, wirkte und in seiner gattung, der aquarellmalerei, führend war41 (abb. 245). er schreibt keinen ausführlichen lebenslauf und nennt nicht einmal die perioden seines schaffens, stattdessen zeigt er in impressionistischer manier einzelne merkmale von alts kunst auf, und natürlich betont er, dass der greise meister mitglied der secession ist und mit der wegen seiner zittrigen hand angewandten punkttechnik unwillkürlich den pointilismus entdeckt hat. „die hand, die vor Zittern kaum noch schreiben kann, setzt beim malen die feinsten einzelheiten so tupfenweise trefflich hin. so haben ihn die jahre selbst zum pointilisten gemacht, eine not ist bei ihm zur tugend geworden.“42 hevesi, der bekanntermaßen ein begeisterter verehrer und ein guter freund alts war, schließt die porträtskizze mit einem treffenden satz: „um wien hat sich alt das große verdienst erworben, alle geschichtlich oder malerisch interessanten bauten und oertlichkeiten authentisch aufgenommen zu haben. er ist ein malender chronist der kaiserstadt, wie es nirgends einen zweiten giebt. und der stephansturm, den er ungezählter male gemalt hat, ist der held seines lebens.“43 nach der noch kürzeren vorstellung Thomas enders und joseph sellenys schreibt hevesi an dieser stelle erneut über joseph von führich, da er seine rolle und seine schule hinsichtlich der malerei der Zeit für außerordentlich wichtig hält. außerdem schreibt er kurz über die fresken von moritz von schwind im opernhaus, um dann den faden der geschichte im ersten band wieder aufzunehmen. er handelt eilig die historienmaler ab (die ihn offensichtlich nie fasziniert haben) und wendet sich dann ausführlich und mit liebevoller anerkennung der malerei friedrich von amerlings zu.44 über die ständig wiederkehrenden Themen des äußerst populären kleinmeisters des wiener volksgenres (friedrich friedländer) äußert er sich sogar leicht ironisch. hier kommt er auf den institutionellen rahmen der tafelmalerei zu sprechen und betont die organisatorische rolle der wiener künstlergenossenschaft sowie die unvergänglichen verdienste des künstlerhauses hinsichtlich der pflege der kultur der wiener bildenden künste und der stabilisierung des kunstmarktes.

244. viktor tilgner: josef von führich, 1876

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245. rudolf von alt: der stephansdom, 1832

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der abschnitt über karl rahl macht deutlich, dass hevesi die stilwende, mit der der meister, aus dem venezianischen cinquecento schöpfend, die idealistische allegorie und den monumentalen historizismus neu etablierte, sehr begrüßte (abb. 246). rahl, der eine schule gründete, und seine schüler dekorierten die meisten öffentlichen gebäude in wien, und die kraftvollen, schwungvollen und bewegten kompositionen tragen wesentlich zur dekorativen pracht der monumentalen öffentlichen gebäude bei.45 leidenschaftlich wird hevesis stil, als er über hans makart schreibt: „rahls schwermonumentale farbe wurde verdunkelt von den phantastischen feuerwerken, die dieser kleine, stille, dämonische Zauberer abbrannte. eine Zeit, wie die makartzeit, wo eine ganze großstadt, ihre gesellschaft, ihre kunst, ihre mode, ihr ausstattungswesen, ja selbst ihr Theater in den bann eines einzigen künstlers gerät, ja seinen rausch teilen muß, und wo dieser rausch sogar ins ausland übergreift, das ist eine der glänzendsten episoden der modernen kunstgeschichte.“46 nach der vorstellung des oeuvres bestimmt

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er den stilgeschichtlichen platz des malers wie folgt: „makarts leistung bildet den höhepunkt der koloristischen evolution unserer malerei, im sinne der absoluten farbe.“47 (abb. 247) den zweiten platz unter den malern dieser generation erhält hans canon, und hevesi wählt mit sicherer hand seine beiden wichtigsten werke aus (Die Loge Johannis, 1873, und das für die decke des naturhistorischen museums angefertigte gemälde Der Kreislauf des Lebens, 1885). auch der heutzutage selten erwähnten wiener orientalistischen malerei widmet er eine anschauliche und datenreiche Zusammenfassung und zeichnet dann ein einfühlsames porträt von august karl von pettenkofen (1822– 1889), der ebenfalls zu seinen lieblingsmalern gehört. mit aphoristischer knappheit erläutert er, was szolnok und die landschaft der ungarischen tiefebene im allgemeinen sowie der dortige sommer für den meister (und die österreichischen maler) bedeuteten: „und in der sonne ungarns, unter dem glänzenden himmel des alföld, ging pettenkofen das geheimnis der farbe auf. dort wurde er zum größ-

246. karl rahl: karton Zum mittelbilde des hauptvorhanges in der hofoper 247. hans makart: der sieg des lichtes über die finsternis, 1883–1884

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248. august von pettenkofen: markt in sZolnok, Zwischen 1870 und 1880

249. august von pett enkofen: der kuss ii (das rendeZvous ii) 1864

ten genremaler der monarchie.“48 auch wenn die heutigen kunsthistoriker pettenkofen und der genremalerei des 19. jahrhunderts insgesamt kaum beachtung schenken, sind die bedeutung seines malerischen stils und sein schule machender einfluss unstrittig (abb. 248, 249). hevesi waren die erlebnisse, die die atmosphäre der 1870er und 1880er jahre geprägt hatten, um 1900 noch gegenwärtig. „so war der farbige realismus in wien thatsächlich zu einem farbigen idealismus geworden, der in makart gipfelte. der ungar munkácsy und der pole matejko waren gleichwertige träger des nähmlichen prinzips. bei beiden trat noch das nationale element mächtig in den vordergrund, und bei matejko die historische tendenz, die seele aller polnischer kunst. (….)“. matejko (1838–1893) „… war ein kämpfer und schwang den pinsel wie ein schwert: (…) es war politische protestmalerei, aber von so starken malerischen eigenschaften, daß freund und feind die neue erscheinung anerkannte.“ und die bewertung der hauptwerke lautet: „das alles und anderes mehr war mit der nähmlichen heroisch übersteigerten farbe gemalt, meisterlich in der nationalen charakteristik.“49 in den Zusammenfassungen über die kunst der Zeit kommt es selten vor, dass der autor den kunstmarkt, die rolle der privaten galerien und der kunsthändler überhaupt erwähnt. hevesi geht schon wegen seines soziologischen interesses, aber auch aufgrund seiner journalistischen veranlagung auf diesen aspekt ein und betont die bedeutung sowohl miethkes als auch des in paris lebenden charles sedelmeyer im Zusammenhang mit makart, munkácsy und

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brožik. in verbindung mit den dekorationen des burgtheaters erwähnt er an dieser stelle den prager professor, den als sehr französisch empfundenen adalbert hynais50, dessen bilder 1945 bedauerlicherweise vernichtet wurden. selbstverständlich nennt er in der Zusammenfassung über die historienmalerei auch den bedeutenden tschechischen maler václav brožik sowie franz Zenisek und jaroslaw czermak, um diese dann mit dem künstlerporträt anselm feuerbachs abzuschließen. obwohl er die vorzüge von feuerbachs monumentalem deckengemälde Titanensturz anerkennt, meint er: „gelungen sind ihm eigentlich nur die stillen stimmungen: die sehnsüchtige iphigenia, die poetisch-feinschmeckerische des hafis, die ahnungsvolle des jungen dante, die trauende der schackschen pietà.“51 ein ganz besonderes verhältnis hatte hevesi zu romako. während er in seinen anfang der 1880er jahre entstandenen tageskritiken berichtete, er sei angesichts der neu ausgestellten sonderbaren, oftmals grotesken und durch eine gänzlich individuelle farbgebung und pinselführung gekennzeichneten bilder ratlos, und diese auch ablehnte, hatte er seine meinung 1903 bereits revidiert: „er hatte das Zeug zum secessionisten.“52 einige jahre später erkannte er ihn bereits vollständig als vorläufer des expressionismus an (abb. 250). wie bereits erwähnt widmet hevesi neben den Österreichern den polen den meisten raum, und zwar nicht nur den besten unter ihnen, sondern auch den damals sehr populären porträtmalern wie pochwalski, den die vielen aufträge des hofes und der aristokratie veranlasst hatten, nach wien überzusiedeln, und der dort professor der akademie wurde. er nennt viele porträtmaler und differenziert sehr fein zwischen ihren jeweiligen stilen. in der Zusammenfassung über die landschaftsmalerei widmet er der schule Zimmermanns besondere aufmerksamkeit. dabei hebt er natürlich das oeuvre emil jakob schindlers und Theodor hörmanns am deutlichsten hervor (abb. 252), verfasst aber auch sehr treffende porträtskizzen von eugen jettel, robert russ und hugo charlemont. auch diesbezüglich haben die spezialisten der nachwelt hevesis bewertung stillschweigend akzeptiert. über schindler schreibt hevesi: „er ist der meister der wiener stimmungslandschaft, im sinne der französischen impressionisten, die reinste lyrische per-

250. anton romako: italienisches fischerkind, 1874–1875

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251. hans temple: william unger in seinem atelier

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sönlichkeit der neueren österreichischen kunst.“53 als er diesen enigmatischen satz 1902 zu papier brachte, hätte hevesi vermutlich nicht gedacht, dass er damit die kunsthistoriker späterer Zeiten zur schaffung der kategorie des „stimmungsimpressionismus“ inspirieren würde, einer ausgesprochen problematischen bezeichnung, die jedoch seit etwa fünfzig jahren für die landschaftsmalerei emil jakob schindlers und des sogenannten schindler-kreises verwendet wird.54 (abb. 140) hevesis halbsatz erwies sich dieses mal als ausgesprochen irreführend. seine präzisen analysen der österreichischen stimmungsmaler in seinen feuilletons und nachrufen waren viel bedeutender. die stimmungslandschaft hatte nicht viel mit dem ideal, dem stil und der weltsicht der französischen impressionisten zu tun. sie hat ihre wurzeln überall in europa in der ersten hälfte des jahrhunderts, und sie hat überall, in praktisch allen malerschulen europas, vertreter, die im gegensatz zur romantischen und heroischen tradition der landschaftsmalerei intime landschaften, teilansichten aus der nähe, die intimen kleinen winkel und die scheinbar unbedeutenden motive der natur bevorzugten und diese so malten, dass die szenen von menschlichen gefühlen erfüllt waren. während bei den hauptvertretern des klassischen französischen impressionismus nicht die stimmung, sondern die erfassung des optischen und des bildhaften anblicks nach den kriterien der neuartigen malereitechnik im vordergrund stand, war es bei der stimmungslandschaft das gefühl oder die stimmung, die dem gesehenen innewohnt. die kritiker bezeichneten bereits in den 1860er und 1870er jahren beispielsweise corots bilder und die feinen realistischen landschaftsdarstellungen der holländischen maler, die von der atmosphäre des örtlichen klimas und der örtlichen fauna erfüllt waren (haager schule), als stimmungslandschaften. in der österreichischen malerei hatten schindler und auch andere maler die ebenfalls zunehmend von konventionen freie und natürliche darstellung der kunst zu dieser Zeit bereits so weit perfektioniert, dass die intimen naturszenen die jeweils beabsichtigte oder ersehnte stimmung immer intensiver wiedergaben. in seiner einführung zur umfassendsten ausstellung zu schindlers schule erklärt gerbert frodl55 die entstehung und die bedeutungsebenen des eigentümlichen österreichischen fachausdrucks, doch seine argumentation überzeugt letztlich nicht. der herkömmliche begriff der stimmungslandschaft würde die absicht hinter dieser art von bildern besser ausdrücken, und der umstand, dass diese schule der landschaftsmalerei in Österreich genau zur selben Zeit entstanden ist wie der impressionismus in paris, rechtfertigt den begriff keineswegs.56 die mehrere jahrzehnte andauernde geschichte des phänomens der stimmungslandschaft reicht bis ins 20. jahrhundert, und die malerinnen der schindler-schule oder des schindler-kreises (tina blau, olga wisinger-florian und marie egner) malten ihre landschaften stets in diesem sinne, wenn auch mit einer sehr lockeren pinselführung und ganz anders als schindler. sie wollten jedoch stets eine stimmung erfassen, was sie nur durch licht und die möglichst

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252. theodor von hÖrmann: Znaim im schnee ii., um 1892

genaue abbildung der zauberhaften atmosphärischen effekte erreichen konnten. die landschaftsmalerei des symbolismus, die nach schindlers tod bedeutung erlangte, knüpfte an diese örtliche österreichische stimmungslandschaft an, wenn auch mit anderen mitteln der maltechnik, und auch klimts frühe landschaftsbilder gehören zu dieser tradition der stimmungslandschaft, solange die atmosphärische darstellung der landschaft für ihn bedeutsam bleibt. nach der besprechung der landschaftsmalerei folgen entsprechend der damals noch vollkommen legitimen und anerkannten hierarchie der gattungen der malerei die Zusammenfassung über das stillleben, die tiermalerei und die blumenmalerei und dann die meister der vervielfältigten grafik, von denen hevesi william unger, der als professor an der akademie kupferstechen unterrichtete, besondere aufmerksamkeit widmet (abb. 251). er betont die bedeutung der institutionen, die entscheidende rolle der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst und ihrer Zeitschrift Die Graphischen Künste darin, dass die bilder und reproduktionen von den 1880er jahren an in der gesamten monarchie sehr populär waren, und ihre bedeutung für die verbreitung der kultur der bildenden künste. in der welt der bildenden künste des 19. jahrhunderts spielte natürlich auch das mäzenatentum der aristokratie eine sehr wichtige rolle. dazu gehörte auch die auf hohem niveau ausgeübte laienkünstlertätigkeit der aristokraten (vor allem auf dem gebiet der malerei), die hevesi auf eineinhalb seiten bespricht. das fünfte kapitel trägt den titel Das Kunstgewerbe.57 hevesi interessierte sich schon immer für das kunstgewerbe, und in diesem kapitel beschreibt er, indem er die wichtigsten beispiele auflistet, sehr präzise die geschmacks- und stiländerungen bei den

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wohnungseinrichtungen dieses halben jahrhunderts. selbstverständlich hebt er alle ergebnisse, die das 1863 gegründete „oesterreichische museum für kunst“ (das heißt das kunstgewerbemuseum) im bereich der förderung des kunstgewerbes, der kunsterziehung und der bildung des publikums erreicht hat, besonders hervor. er gibt einen überblick über die wichtigsten unternehmen des kunstgewerbes (eduard v. haas und ludwig lobmeyr), die erfolgreichsten aussteller der wiener weltausstellung und die möbeldesigner der epoche, der bereits zur stilsuche mitte der 1890er jahre überleitet, die auch von offizieller seite, vom kultusministerium, unterstützt wurde. hevesi nennt sogar die namen der beamten des ministeriums, die die reform des kunstgewerbeunterrichts unterstützten, weil er ihren beitrag dazu, dass die modernisierung und die stilreform, die eng mit dem jugendstil zusammenhing, in wien so schnell durchgeführt werden konnten. seine bemerkung in der fußnote verrät, dass er diesen abschnitt 1898 verfasst hat, als das moderne kunstgewerbedesign noch in erster linie den englischen vorbildern folgte und er vorerst nur hoffen konnte, dass in wien ein neuer kunstgewerblicher stil entstehen würde. dass die erfüllung dieser hoffnung bereits begonnen hatte, wurde das Thema des nächsten kapitels.

Die Neuzeit

271. otto wagner: der hofpavillon hietZing, 1897

im letzten kapitel bespricht hevesi alle ereignisse, künstler, gebäude und gemälde, die seit der gründung der secession die entstehung einer neuen modernen kunst belegen. (er stellt auf fünfundzwanzig seiten mit dreißig abbildungen die seiner ansicht nach wichtigsten werke der modernen künstler vor.) in dieser an das ausland (oder zumindest an den gesamten deutschen sprachraum) gerichteten Zusammenfassung formuliert er die absicht der secession wie folgt: „ihr Zweck war, dem akademischen und dem geschäftlichen element gegenüber, die im alten, von mancherlei rücksichten beengten verbande herrschend geworden waren, wieder freie, persönliche, künstlerische kunst zu treiben.“ über die erste ausstellung der secession im gebäude der gartenbauausstellung (25. märz 1898) schreibt er: „sie war in der That umwälzend für das wiener ausstellungswesen, indem sie das niveau bedeutend hob und die anordnung künstlerisch adelte. sie bot aber auch zum erstenmale einen ziemlich vollständigen ueberblick des besten, was die neue kunst des auslandes geleistet.“58 dann beschreibt er olbrichs ausstellungspavillon, die damals, bis 1902, erkennbaren mo-

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254. gottlieb theodor von kempff: otto wagner

dernen richtungen in der architektur und im kunstgewerbe, deren vertreter verschiedene designer (z. b. olbrich, josef hoffmann und adolf loos) waren, und erwähnt auch die inspiration durch das biedermeier. ausführlich beschreibt er das neue dumba-interieur und kommt in diesem Zusammenhang auch auf das von makart entworfene arbeitszimmer zu sprechen, das er nunmehr aus historischer perspektive sehr lobt. als nächstes würdigt er die rolle otto wagners (abb. 254), der das erbe der vier „baubarone“, also der vier großen architekten der ringstraße (ferstel, hansen, schmidt und hasenauer) angetreten hatte: „seine neue, unhistorische schule will keine renaissance, sondern eine ‚naissance‘ (abb. 253). er selbst kommt von der allgültigen renaissance des verflossenen Zeitraumes her, in dem die bibliothekare eine kunst der präzedenzfälle verkündeten. diese war deduktiv, wie die ganze aesthetik zweier menschenalter, die von vorgefaßten meinungen, von philosophisch erzeugten dogmen ausging. unsere induktive Zeit hat, ganz zuletzt, auch die kunst induktiv gemacht. sie will nun vom leben ausgehen, vom Zweck zum Zweck: das ist ihre neue auffassung von Theleologie.“59 er stellt wagners architektonisches schaffen und seine theoretischen arbeiten vor und erwähnt sogar seine monumentalen museums- und kirchenentwürfe. nach wagner widmet er auch dem schaffen von max fabiani, leopold bauer und friedrich ohmann etwas raum und kommt dann zur modernen malerei. seine hauptfigur ist natürlich gustav klimt, der „zum enfant terrible des prüderen publikums“60 geworden war. nach der besprechung der vorangegangenen historisierenden epoche analysiert er die einflüsse, die auf klimt gewirkt haben. „alle modernen einflüsse stürmten auf ihn ein. englische, belgische, japanische, altgriechische; stilistische, naturalistische, ornamentale.“ (…) durch diesen irrgarten voll berauschenden blendwerks ist er zu sich selbst durchgedrungen. er ist durchaus ein selbsteigener; eine handbreit seiner malerei wird jeder sofort erkennen. diese nervöse vibration der malweise hat kein anderer; diese durchdrungenheit von luft, licht, silber, traum. seine palette ist neu, sein spektrum anders. in seinen ganz einfachen wasser- und luftlandschaften, vielleicht mit zwei dünnen weißen birkenstämmchen vorn als ‚abschieber‘ (repoussoirs sagen die

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255. gustav klimt: judith i, 1901

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franzosen) ist ein verhaltenes atmen und herzklopfen, wie in seinen damenbildnissen, die unsägliches zu verschweigen scheinen. die gabe des ahnenlassens hat klimt in genialem grade.“61 nach der einfühlsamen stilanalyse kommt er auf den skandal um die fakultätsbilder zu sprechen und argumentiert dann, gerade klimt eigne sich als mensch wie als künstler nicht zum skandalmacher: „sensation, cause célèbre – und gerade klimt liegt solches plusmachen am fernsten. ein stimmungsmensch, der gar nicht den versuch macht, sich über sein gefühl klar zu werden, sondern diese kostbare unklarheit hegt und zu verdichten sucht, weil gerade sie das elementare, instinktive ist, offenbarung des reinen trieblebens. sensitiv und doch gesund, das ist die eigene rasse von künstlern, an denen spitze rodin steht.“62 dieses plädoyer zeugt von psychologischem scharfsinn, aber auch davon, dass der ursprung der modernen kunst nach ansicht des kritikers in der welt der triebe, im unterbewusstsein liegen muss, womit auch er mit der humanistischrationalistischen ästhetischen tradition bricht. klimt ist somit kein bewusst experimentierender, planender und berechnender meister, sondern selbst ein medium, das zulässt, dass die gefühle aus einer unterbewussten welt der triebe hervorbrechen und zu formen werden. klimts porträt schließt er mit der beschreibung des beethoven-frieses. obwohl er überall im text darauf hinweist, dass das publikum – ein teil des publikums – klimts neueste werke ablehnt, geht er nicht näher auf diesen aspekt ein. er druckt nur zwei bilder klimts ab, die er gar nicht analysiert: Goldfische und Judith63 (abb. 255). darauf folgt das tableau der übrigen maler der secession (zu denen er merkwürdigerweise auch den zu dieser Zeit noch als professor in prag tätigen schwaiger zählt), und nach der besprechung der bildhauer der secession widmet er den tschechischen und polnischen modernen, von denen er emil orlik und alfons mucha hervorhebt, einen gesonderten abschnitt. die vorstellung der führenden meister des Mánes und der Sztuka ist die einzige stelle des buches, an der er die nichtdeutschen malereien zusammenhängend ausführlicher bespricht, und somit auch die einzige, an der er wiens bannkreis für etwas längere Zeit verlässt. nach der besprechung der polen kehrt er in die wiener szene zurück und stellt mit großer sympathie die führenden mitglieder der neuesten selbstständigen künstlergruppe, des hagenbundes, und einige meister, die eigene wege gehen, vor. das letzte umfangreichere künstlerporträt ist das des auch von der secession gefeierten italienischen symbolistischen malers giovanni segantini (1858–1899), den man wegen seines geburtsortes (auch) zu den Österreichern zählen kann (abb. 256). in die romantische lebensgeschichte streut er feinfühlige bildinterpretationen ein, und durch

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256. giovanni segantini: engel des lebens, 1894–1895

die art, wie er die ergebnisse der künstlerischen einflüsse in dem nicht umfangreichen, aber bedeutenden und gänzlich individuellen lebenswerk schritt für schritt nachvollzieht, wechselt er ständig zwischen wirklichkeit und dichtung. „die höchste treue zur wirklichkeit führte ihn zum geheimen sinn der erscheinung, zur symbolik des sichtbaren, zur seele der körperwelt. das verhältnis des menschen zur scholle, was damals schon durch millet malerisch ausgedrückt, das verhältnis des körpers zum geiste durch watts eigentümlich neu formuliert. segantini war der Zeitgenosse beider.“ über die von der landschaft inspirierte neue epoche des malers, der sich in die hochalpen zurückgezogen hatte, schreibt er: „dieses ganze idyll und epos an der schneegrenze der civilsation, dieses ganze drama des menschen im alleinsein mit der natur hat segantini in episoden und panoramen gemalt. sein letztes werk, das riesige dreibild (natur – leben

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257. giovanni segantini: vergehen (la morte), 1899

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– tod) war der abschiedsblick, den er ahnungslos auf dieses von ihm ererbte reich warf. er ist ganz und gar darin, samt seiner symbolik, denn das bild ‚tod‘ ist die vorgemalte vorahnung seines eigenen endes in der schneeeinsamkeit …“ (abb. 257) meisterwerke inspirierten hevesi stets, und die beschreibung gleicht einem freien vers. mit poetischen bildern veranschaulicht er die geistig-seelische aura der werke und übersetzt für den betrachter das in formen erfasste naturerlebnis, damit auch sie die botschaft des künstlers, seine gedanken über leben und tod, verstehen. den berühmten italienischen maler, der im alter von einundvierzig jahren unerwartet im engadin verstarb, betrachtete das österreichische kultusministerium als den „seinen“ und gab eine prächtig ausgestattete monografie über ihn heraus.64 weshalb wählte hevesi gerade segantini als „schlussstein“ seines buches? die antwort verbirgt sich im letzten absatz, wenn auch in der poetischen sprache der metaphern. er schließt nicht ab, sondern blickt nach vorn und hofft auf die Zukunft der modernen kunst. „so schließt dieses jahrhundert österreichischer kunst mit einem ganz und gar modernen künstler, der über jede schule hinaus ist und nur an die natur und an sich selbst erinnert. er ist nicht mehr bloßes morgenrot neuer kunst, sondern schon der erste siegreiche sonnenstrahl. allem Zweifel und tadel zum trotz vollzieht sich auch in oesterreich auf der ganzen linie eine wiedergeburt des wollens und könnens. eine muse nach der anderen geht unter die modernen und das 20. jahrhundert wird viel zu thun haben, um alle die verpflichtungen zu halten, die in diesen letzten jahren gemacht worden.“ der tenor ist erneut gehoben, vielleicht pathetisch, doch wenn man bedenkt, dass es hevesis hauptanliegen war, die secession, das heißt die experimente der modernen

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kunst, in der österreichischen kunst zu legitimieren, kann man ihm diesen rhetorischen tenor verzeihen. er hat ein buch geschrieben, das zugleich eine verkappte streitschrift und der erste versuch ist, einen abriss des jahrhunderts vorzulegen und den kanon der wiener kunst zu formulieren. vielleicht ist es ihm nicht gelungen, die beiden aufgaben harmonisch miteinander zu vereinen – mal kommt der eine, dann wieder der andere gesichtspunkt zur geltung –, sicher ist jedoch, dass er als maß in jeder epoche und bei jeder kunstgattung stets die künstlerische Qualität und die integrität des künstlers ansetzte.

Die Rezeption des Buches die zeitgenössische rezeption des buches beschränkte sich auf einen kleinen kreis und war nicht gerade positiv. franz servaes veröffentlichte in einer der aufgeschlossensten Zeitschriften eine kurze kritik über das buch, in der er selbstverständlich den „österreichischen“ charakter der vorgestellten werke infrage stellte.65 „giebt es eine österreichische kunst? das heißt, eine kunst des europäischen völkergemisches, das in der österreichischen monarchie vereinigt ist? ganz gewiss nicht! (…) ludwig hevesi scheint sich der in dieser stoffwelt lauernden gefahren klar bewusst gewesen zu sein. denn er hat mit ruhiger entschiedenheit sein Thema beschränkt. er lässt zwar gelegentlich den blick weiterschweifen und stattet in den provinzen freundliche musterungsvisiten ab, aber in der hauptsache giebt er doch eine geschichte derjenigen künstlerischen entwickelungen, die sich in wien als dem treibenden mittelpunkt bewegen.“66 in der tat hat hevesi in erster linie eine geschichte der kunst im wien des 19. jahrhunderts geschrieben. „hevesi hat etwas von einem getreuen chroniqueur, freilich von dessen höchstem und sublimstem typus.“ servaes empfindet die begeisterung des autors für wien, aufgrund welcher dieser seiner ansicht nach alles wienerische akzeptiert, als übertrieben: „das buch wurzelt so tief im wiener boden, dass es zu diesem kaum mehr eine distanz kennt.“ der damals in wien lebende rezensent, der die stadt demnach nicht immer von außen, als deutscher, betrachtet, meint, das buch enthalte zu viele daten, und hätte sich gewünscht, „dass die disziplinierung des stoffes eine straffere und markantere sein möge, dass man die gleichartigen gruppen fester verbunden und von den andersartigen schärfer getrennt sähe“. überhaupt empfindet er das werk als zu wenig selektiv. schließlich bringt er seine hoffnung zum ausdruck, der autor werde diese gesichtspunkte bei einer nächsten auflage berücksichtigen. was den datenreichtum betrifft, so kann die nachwelt hevesi nur dankbar dafür sein, dass er so viele informationen in seinen text gepackt hat, doch was den aufbau betrifft, so hat servaes nicht ganz unrecht – wobei er überschaubarer wäre, wenn der verlag ihn besser umgebrochen und die unterkapitel typografisch voneinander abgesetzt hätte. den stil hevesis, von dem er so viel gelernt hatte und dem er es verdankte, dass er die möglichkeit erhielt, die erste segantini-monografie in wien zu schreiben, lobt servaes allerdings. der gründliche ungarische rezensent des buches, károly lyka, spricht ebenfalls das problem des österreichischen charakters als irrtümlichen ausgangspunkt des werkes an. die ungarische rezension erschien in der Zeitschrift Művészet (die kunst). obwohl sie nicht signiert ist, stammt sie mit sicherheit von chefredakteur károly lyka67.68 er

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erkennt an, dass hevesi eine schwere aufgabe zu bewältigen hatte, nicht nur beim sammeln der daten, sondern auch hinsichtlich des grundproblems, „ob es eine kunst gibt, die durch ihre merkmale verrät, dass sie österreichisch ist. eine österreichische rasse gibt es ebenso wenig wie eine österreichische sprache. die politischen grenzen können kein rahmen der kunst sein. die künstler, die in Österreich gemalt, steine behauen und gebaut haben, sind vertreter in alle himmelsrichtungen verstreuter nationen und rassen. was hat der italiener segantini mit dem polen matejko, dem tschechen brožik, dem wiener makart und den neueren mährischen, illyrischen und tiroler malern gemein? was ist das gemeinsame merkmal, das sie miteinander verbindet, wo ist das band, das aus diesen heterogenen elementen eine einheit macht?“ lyka weist darauf hin, dass die polen, die tschechen, die mähren und die italiener beanstanden würden, dass sie in dem buch vorkommen. die deutschen hatten es bereits getan: „gurlitts großes buch ‚die deutsche kunst des XiX. jahrhunderts‘ zum beispiel fasst makart, sicardsburg, donner und eine ganze reihe wiener künstler einfach im schatzhaus der deutschen zusammen. (…) aus unserer sicht wäre es am angebrachtesten, wenn die kunstgeschichtsschreiber Österreich schon jetzt, der politischen auflösung zuvorkommend, in seine bestandteile aufteilen würden.“ (es lässt einen erschaudern, dass dieser ungarische kunsthistoriker und kritiker, der sich niemals in die politik einmischte, die Zukunft der monarchie im jahr 1903 so sah!) lyka hält selbst die (aus dem studium in wien resultierenden) beziehungen zwischen den künstlerischen schulen nicht für eng, dauerhaft und wichtig genug, um die meister, die dort studiert haben, als österreichische künstler einzustufen. mit großer anerkennung äußert er sich dagegen über hevesis analyse der wiener kunst, seine schreibkunst und seinen psychologischen und fachlichen scharfsinn. er war, so meint er, „der entschlossenste fürkämpfer der modernen strömung und einer ihrer wegbereiter in wien. in diesem buch, in dem er keine kunstpolitik betreibt, ist er weniger spitz, und das bild, das er vor uns ausbreitet, ist ruhig, ergötzend, voller farbe und plastizität.“ besonders würdigt er, wie hevesi die entwicklung der stile aufzeigt und die verborgenen fäden der veränderungen erläutert. schließlich empfiehlt er das buch den ungarischen lesern wärmstens. die andere budapester rezension war die im Pester Lloyd veröffentlichte von dr. gábor térey. er war der hochgebildete kustos des museums der bildenden künste und kannte hevesi wahrscheinlich persönlich.69 anders als die beiden weiter oben genannten kritiker befasste er sich nicht damit, was es mit dem Österreichertum auf sich hatte, sondern hielt die Zusammenstellung der kunstwerke (aus praktischen gründen) für legitim und verneigte sich vor hevesis fachlicher leistung. „niemand in der ganzen österreichisch-ungarischen monarchie ist über alles was kunst in oesterreich anlangt besser informiert als ludwig hevesi. so war er denn auch der einzig berufene, sie zu schildern; er der seit so langer Zeit an der Quelle sitzt, so vieles miterlebt hat, namentlich das werden neu-wiens, erst als Zuschauer, dann als kritiker. und wer hat denn zur herbeiführung der neueren und neuesten wendungen mehr gethan als hevesi, der begeisterte und unerschrockene vor- und mitkämpfer der wiener sezession!“70 der gelehrte ungarische kollege war über die ereignisse in der wiener szene der modernen kunst in den vorangegangenen jahren also ebenfalls im bilde. térey bespricht die epochenaufteilung des buches ausführlich, betont gesondert, dass hevesi selbst

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den kunsthandel und die in wien tätigen nicht österreichischen künstler in das gesamtbild über die kunstszene wiens integriert, lobt die gelungene auswahl der bilder und hebt die vorzüge von hevesis stil hervor. beim lesen des letzten abschnitts überkommt einen ein eigentümliches gefühl, da er sich später am ende des Zweiten weltkriegs traurigerweise bewahrheitet hat. „und dann ist hevesi ein so glänzender stylist, wie wenige heutzutage. besonders fällt dies in jenem Theile des buches auf, der sich mit der sogenannten sezession, also mit der kunst der neuesten Zeit befasst; hier ist er ein moderner stylist par excellence, der so schreibt, wie der künstler fühlt und denkt. sollten – um hier ein eklatantes beispiel zu erwähnen – klimt’s vielumstrittene bilder einst untergehen, so wird man aus hevesi’s buch: ‚oesterreichische kunst des XiX. jahrhunderts‘ erfahren, wer gustav klimt war, was und wie er gemalt hat.“ téreys prophezeiung traf ein, und unter den 43 verbrannten klimt-gemälden waren auch die fakultätsbilder, sodass wir uns heute außer anhand der schwarz-weiß-fotos nur dank der zeitgenössischen kritiken vorstellen können, wie ihre farbgebung und das mehr, das so schwer in worte zu fassen ist, ausgesehen haben könnten. Zur blütezeit des nationalismus war es eine ausgesprochen undankbare aufgabe, die künstlerischen aktivitäten in einer region mit vielen nationalitäten auf der grundlage der politischen grenzen eines reiches zu besprechen. in der kulturpolitik der österreichischen hälfte der monarchie spielte die unterstützung der künstler eine sehr wichtige rolle, da die humanistisch eingestellten liberalen fachleute und beamten (die bürokraten) der staatlichen institutionen darin ein wichtiges instrument zur stärkung der reichsidentität und der politischen integration sahen.71 hevesis buch ist eine imposante leistung, aber man muss servaes recht geben, dass es eher eine „alla-prima“-version einer synthese ist, die man noch hätte verbessern können. sein stil ist direkt, mitreißend und nach eigener aussage des autors subjektiv, wodurch es zweifelsohne eine wesentlich unterhaltsamere lektüre ist als die nur mit wissenschaftlichem anspruch verfassten zeitgenössischen arbeiten. es enthält eine fülle von daten und namen, das material ist in der tat von enzyklopädischem umfang. gerade wegen des subjektiven stils ist es weniger augenscheinlich, dass es auch mit wissenschaftlichem anspruch geschrieben wurde. es verging viel Zeit bis zur nächsten vergleichbaren Zusammenfassung, und die Zeiteinteilung des werkes übernahm nur gerbert frodl in der von ihm herausgegebenen wissenschaftlichen monografie über die epoche.

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Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. 1. teil: 1800–1848. 2. teil: 1848–1900. in der reihe: geschichte der modernen kunst. leipzig 1903. 2 „im jubeljahre musste ich sogar mehr als eine kunstgeschichtliche skizze der Zeit kaiser franz josefs schreiben. am ausführlichsten geschah dies in dem von j. schnitzer herausgegebenen kolossalwerk: „franz josef i. und seine Zeit“. vorwort, s. vi. 3 vorwort, s. vi. 4 „diese geschichte der modernen kunst ist die erste ihrer art; bisher waren nur einzelne Zweige, oder einzelne länder in den kreis der histori-

schen darstellung gezogen. der ganze stoff ist nach ländern zerlegt worden, weil sich so am ehesten die möglichkeit gab, für jeden band einen besonderen sachkenner zu finden, der das, was er schildert, zum größeren teile wenigstens miterlebt hat, oder aus den Zeugnissen seiner umgebung schöpfen konnte. siehe: „Zur einführung“. 5 siehe „Zur einführung“ von e. a. seemann. 6 karl eugen schmidt: Französische Malerei 1800– 1900. verlag von e. a. seemann, leipzig 1903. dieser band erschien zur selben Zeit wie hevesis werk, und auch der text auf der rückseite des deckels ist identisch. karl eugen schmidt war auch

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DIE MACHT DER KUNSTKRITIK

der Autor des vierten Bandes der Reihe: Französische Skulptur und Architektur des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1904. Die Gliederung dieses letzten Bandes ist sehr eigenwillig: Der Bildhauerei widmete der Autor 95 Seiten, der Architektur hingegen nur 10. 7 Zu diesem Problem gibt es eine umfangreiche Literatur; ich verweise hier nur auf eine der gründlichsten und neuesten Arbeiten: Werner Telesko: Kulturraum Österreich. Wien 2008. 8 Albert Ilg: Denkschrift. In: Jubiläums Kunstausstellung. Illustrierter Katalog. Wien 1888 S. V– XXXXVI. 9 Malerei und Plastik in Wien. Das XIX. Jahrhundert, von Karl von Lützow. In: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Band 1. S. 228– 262. Über die Wiener Kunstindustrie schrieb Jakob von Falke. 10 Ebd., S. 249. 11 Kaiser Franz Joseph und seine Zeit. Wien 1898. 12 Es war nicht ungewöhnlich, dass an Prachtausgaben nicht nur Größen der Wissenschaft, sondern auch Schriftsteller, Journalisten oder Kritiker mitwirkten. So stammte beispielsweise die Zusammenfassung über die Theaterszene sowohl im Kronprinzenwerk als auch in der Prachtausgabe von 1898 von Ludwig Speidel. Dass die Wahl auf Hevesi als angesehensten und erfahrensten Kunstkritiker fiel, ist wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass weder Ilg noch von Lützow das Jahr 1898 erlebten. 13 Diese Tradition hat sich bis heute erhalten, die meisten deutschen Zusammenfassungen integrieren die Kunst Wiens in die deutsche Architektur, Malerei usw. Siehe: Geschichte der deutschen Kunst. Bd. 3. Heinrich Klotz: Neuzeit und Moderne 1750– 2000. München 2000. 14 Er erwähnte sie nur, wenn ihre Werke, wie in Munkácsys Fall, Wiener Gebäude schmückten (Munkácsy: Die Apotheose der Renaissance, 1891, Deckengemälde im Kunsthistorischen Museum). 15 Im ersten halben Jahrhundert fehlen die wichtigsten Begründer der jeweiligen nationalen Kunst noch völlig, und Prag oder Krakau werden nicht einmal erwähnt. Im zweiten Band tauchen dann nationale Künstler auf (merkwürdigerweise sehr wenige Architekten, nur die Tschechen Zitek und Kotera und der Pole Zacharjewicz), und auch in der Zeit des Historismus werden kaum Tschechen genannt (Mánes und Ales), doch der für ein herausragendes Talent gehaltene tschechische Bildhauer Myslbek bekommt eine sehr schöne Besprechung. Die Polen standen Hevesi näher, Matejko schätzte er von Anfang an sehr. Die modernen (secessionistischen und symbolistischen) Bestrebungen jedoch behandelt er bei beiden Nationen ausführlich und gibt kurze, aber sehr treffende Charakterisierungen der einzelnen Künstler. (Über sie zu schreiben, fiel ihm wohl auch deshalb leichter als über die vorangegangenen Epochen, weil die Werke der Mitglieder sowohl des Mánes als auch der Sztuka mehrmals in Wien ausgestellt wurden.)

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16 Franz Servaes: Oesterreichische Kunst im neunzehnten Jahrhundert. Ein Versuch von Ludwig Hevesi. 334 Seiten mit 252 Abbildungen. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig. In: Kunst und Künstler. 1, 1902–1903. Berlin. S. 369–370. 17 Hinsichtlich der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte er sich auf folgende Ausstellungen stützen: 1877 – Große historische Kunstausstellung der Akademie; Historische Porträtausstellung (von 1680 bis 1840) im Künstlerhaus, 1880 (deren Kurator Albert Ilg war); Wiener Kongreßausstellung im Oesterreichischen Museum 1896 (heute Museum für angewandte Kunst – MAK); Schubert-Ausstellung der Stadt Wien im Künstlerhaus 1897. 18 Ludwig Hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. Bd. 1, S. 1. 19 In dieser Hinsicht erfüllt er gerade nicht die Erwartung des Verlags, dass die Reihe nicht auf individuellen Meinungen, sondern nur auf Fakten basieren würde. Hevesi weiß, dass der Mensch die Fakten stets subjektiv interpretiert. 20 Ebd., S. 5. 21 Ebd., S. 9–13. 22 Ebd., S. 25. 23 Ebd., S. 35. 24 Er verwendet nur wenige Fußnoten, doch hier nennt er die Quelle: Theodor v. Frimmel: Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen. Leipzig 1898. 25 Ludwig Hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. Bd. 1, S. 45. 26 Ebd., S. 60. 27 Ebd., S. 78. 28 Ebd., S. 84. 29 Tatsächlich behandelt er auch die BeethovenAusstellung in der Secession im Jahr 1902, das heißt, das Werk behandelt die Ereignisse bis zum Sommer 1902. 30 Der Verlag hat die Seiten und die Abbildungen der beiden Bände merkwürdigerweise fortlaufend nummeriert, sodass sich nur am Ende des zweiten Bandes ein Namensverzeichnis befindet. Ein Inhaltsverzeichnis hat keiner der beiden Bände, sodass die einzelnen Kapitel schwer zu finden sind. 31 Ebd., S. 117. 32 Bd. 2. S. 153. Im Übrigen erwähnt er in der kurzen Zusammenfassung sogar den ganz anderen Bebauungsplan für die Ringstraße von Ferstel und Eitelberger, der den englischen Gartenstädten sehr ähnlich war. 33 Ebd., S. 154. 34 Renate Wagner-Rieger: Wiens Architektur im 19. Jahrhundert. Wien 1970. 35 Die Grundlage für die Neubewertung der Epoche war die von der Fritz-Thyssen-Stiftung finanzierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Wiener Ringstraße. Die Wiener Ringstraße. Bild einer Epoche. Bd. 1–11. Wiesbaden 1969–1979. 36 Ludwig Hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. Bd. 2. Teil 3, S. 156–185.

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ein kanonisierendes buch

ludwig hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. bd. 2. teil 3, s. 166. 38 ebd., s. 172–173. 39 walter krause: Die Plastik der Wiener Ringstraße. wiesbaden 1980. 40 ludwig hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. bd. 2. s. 185–273, abbildungen nr. 154–220. 41 das basiswerk zur monumentalmalerei der wiener ringstraße ist: werner kitlitschka: Die Malerei der Wiener Ringstraße. wiesbaden 1981. ein für die breite Öffentlichkeit bestimmtes buch über die epoche von 1860 bis 1918, das alle kunstgattungen behandelt, ist: rupert feuchtmüller und wilhelm mrazek: Kunst in Österreich 1860–1918. wien 1964. 42 ludwig hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. bd. 2. s. 187. 43 ebd., s. 189. 44 in diesem abschnitt und bei diesen meistern (z. b. führich) ist der text mit werken aus der ersten hälfte des jahrhunderts illustriert, was für diejenigen, die die werke nicht kennen, störend, ja missverständlich sein kann. (im übrigen ist der umstand, dass das entstehungsdatum der werke nicht angegeben ist, ein großes manko des buches.) 45 an dieser stelle erwähnt der autor zum ersten mal seit károly markó zwei ungarische maler, da sie wichtige schüler rahls waren: károly lotz und mór than. ebd., s. 203. – im übrigen verzichtet hevesi – wie es die politische etikette verlangt – im kapitel über die österreichische malerei tatsächlich auf die nennung ungarischer künstler. 46 ebd., s. 203. 47 ebd., s. 207. 48 ebd., s. 216. 49 ebd., s. 222. – hevesi wusste genau, wie viel matejko den polen bedeutete, und betonte seine besondere rolle auch dadurch, dass er vier gemälde von ihm als abbildungen abdrucken ließ, von denen zwei jeweils eine ganze seite einnehmen. (außer ihm wurden noch zwei maler, makart und der orientalistische maler karl leopold müller, mit je vier abbildungen beehrt, doch jeweils eine von ihnen war eine büste von tilgner.) 50 ebd., s. 231. 51 ebd., s. 225. 52 ebd., s. 227. 53 ebd., s. 254. 54 Zum stimmungsimpressionismus siehe am ausführlichsten: stimmungsimpressionismus. ausstellungskatalog der Österreichischen galerie belvedere. wien 2004. 55 gerbert frodl: Stimmungsimpressionismus – ein europäisches Phänomen. s. 9–13.

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von außerhalb Österreichs betrachtet ist diese kategorie willkürlich und weckt, statt die stilrichtung der landschaftsmalerei, die sie bezeichnet, weiter zu fassen und zu präzisieren, irreführende assoziationen. 57 ludwig hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. bd. 2, s. 173–282. 58 ebd., s. 282. 59 ebd., s. 286. 60 ebd., s. 291. 61 ebd., s. 292. 62 ebd., s. 292. 63 angesichts dessen überrascht es, dass engelhart mit drei und andri und carl moll mit je zwei abbildungen bedacht werden. 64 auch darüber berichtet hevesi auf der letzten seite seines buches. franz servaes: Giovanni Segantini, sein Leben und sein Werk. wien 1902. 65 franz servaes: Hevesi: Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. Kunst und Künstler 1903. bd. 1–2. berlin 1902–1903, s. 369–370. 66 ebd., s. 369. 67 károly lyka (1869–1965) ist einer der großen der ungarischen kunstkritik, dessen wirken in vielem mit dem hevesis vergleichbar ist, da er dem ungarischen bürgerlichen publikum beibrachte, die bilder zu „sehen“. ursprünglich studierte er in münchen malerei, kunstkritiken schrieb er ab den 1890er jahren. später wurde er chefredakteur der ersten ungarischen Zeitschrift im bereich der bildenden kunst mit dem titel Művészet. sein kunsthistorisches lebenswerk ist umfangreich. 68 oesterreichische kunst im 19. jahrhundert. in: Művészet. ii. jg., 1903, s. 71–72. 69 gábor térey (1864–1927), der seine doktorarbeit bei jacob burckhardt geschrieben hatte, unterrichtete an der universität freiburg, bevor er sich 1896 wieder in budapest niederließ. er schrieb neben seiner wissenschaftlichen und museologischen tätigkeit zu beginn des jahrhunderts einige jahre lang auch kritiken für den Pester Lloyd und fuhr regelmäßig nach wien, um dort grafiken und gemälde für das museum zu erwerben. siehe orsolya radványi: Térey Gábor 1864–1927. Egy konzervatív újító a Szépművészeti Múzeumban. [gábor térey 1864–1927. ein konservativer neuerer im museum der bildenden künste]. budapest 2006. 70 dr. gabriel v. térey: ein neues buch von ludwig hevesi. pl, 24. dez. 1902. 71 die gründlichste analyse der kulturpolitik zur Zeit franz josephs ist: jeroen bastiaan van heerde: Staat und Kunst. wien, köln, weimar 1993. die abschnitte zum hier besprochenen thema finden sich auf s. 38–42 und s. 325–328.

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1903: Der Ertrag des Impressionismus für Wien I die erste ausstellung im Jahr 1903 (die XvI.) mit dem titel „entwicklung des Impressionismus in malerei und plastik“ präsentierte dem Wiener publikum eine ganz andere anschauung und Kunstauffassung als die, welche die „Stilkünstler“ (oder zumindest die mehrzahl der mitglieder des Kreises um Klimt) vertraten (abb. 259). Statt symbolischer philosophischer Themen oder porträts stellten die Bilder den modernen bürgerlichen alltag dar, und zwar von seiner heiteren Seite. das neuartige und moderne lag dabei in der besonderen malerischen technik, in der verwendung der farben und in der Wahl des Bildausschnitts. die mehrzahl der meister war den österreichischen malern bekannt, da mehrere mitglieder der Secession (beispielsweise engelhart und Wilhelm Bernatzik, der die ausstellung organisiert und die gemälde ausgewählt hatte) zuvor Jahre in paris verbracht hatten. auch das publikum hatte schon gelegenheit gehabt, in früheren Wiener ausstellungen einige Werke französischer Impressionisten zu sehen. außerdem konnte es in richard muthers Buch über die auf der pariser Weltausstellung gezeigten französi-

258. Claude monet: eIne allee In monetS garten In gIverny, 1902

259. Saal der ImpreSSIonISmuS-auSStellung, WIen, 1903

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schen gemälde ausführlich über sie lesen.1 diese ausstellung passte perfekt in das programm zur vorstellung der verschiedenen ausländischen malerschulen. aufgrund des außerordentlichen ansehens, das die Stadt paris in der internationalen Kunstszene genoss, war die Schau von vorneherein bedeutsamer als die der anderen Schulen. Zugleich erlangte sie jedoch auch für die französische malerei historische Bedeutung, da sie die internationale Kanonisierung und die festigung der position des Impressionismus in der Stilgeschichte der europäischen malerei mit sich brachte.2 obwohl die fachleute den Begriff des pariser/französischen Impressionismus damals noch wesentlich breiter auslegten, als wir es heute tun, und der richtung viele maler zurechneten, die später aus dem Kanon „herausfielen“3, stellte die ausstellung – vor allem im deutschen Sprachraum und in mitteleuropa – hinsichtlich der auffassung über die modernität in der malerei einen meilenstein dar. die neuheit in der anschauung bestand unter anderem darin, dass die veranstalter – um die Besucher leichter überzeugen zu können – auch die historischen vorläufer des Stils mit aufgenommen hatten, zumindest diejenigen meister, die damals als vorläufer galten. auf diese Weise waren auch Werke von tintoretto, rubens, vermeer, velázquez, goya, delacroix und monticelli zu sehen. aus heutiger Sicht verwundert auch, dass die hauptwerke in dieser bedeutenden ausstellung fast vollständig fehlten: es gab keine typischen oder bedeutenden landschaftsbilder von monet, und auch von degas (abb. 260, 261) waren nur kleinere Werke zu sehen; dennoch war die ausstellung eine offenbarung, in erster linie wegen der rahmenereignisse und der verschiedenen Interpretationen oder „lesarten“.4 In den meisten Besprechungen der Zeitungen ging es um theoretische fragen, und die vorstellung der Bewegung der impressionistischen malerei war voll mit verweisen auf berühmte Bilder, die die Wiener leser und ausstellungsbesucher – wenn überhaupt – höchstens vom hörensagen kannten. die Kritiker analysierten sehr wenige der ausgestellten gemälde und Skulpturen (die einzige ausnahme war franz Servaes), und selbst die beiden geladenen vortragenden konzentrierten sich auf die Theorie. hevesis besonders umfangreiche ausstellungsbeschreibungen5 sind äußerst informativ und gründlich, doch auch er legte den Schwerpunkt auf die ereignisgeschichte und die rezeption der Bilder und nicht auf diese selbst. er hatte viele abhandlungen und artikel dazu gelesen, auf die er gelegentlich auch verweist (wie z. B. Théodore durets 1902 erschienenes Buch über manet). er hatte die zuvor auf den Weltausstellungen gezeigten Werke selbst gesehen, außerdem viele kleinere Schauen in paris, konnte also aufgrund eigener eindrücke über die in Wien nicht ausgestellten hauptwerke schreiben. um das allgemeine Interesse zu steigern, dramatisierte er die geschichte zum teil und erschuf für seine leser die effektvolle rahmengeschichte der „unverstandenen genies, des Künstlerelends und der anfangs zu Spottpreisen verkauften meisterwerke“.6 er führte auch eine fülle biografischer daten an und befasste sich am ausführlichsten mit manet, von dem neun gemälde vorgestellt wurden. anders als die übrigen Kritiker hebt er das späte Un bar aux Folies Bergère hervor, bezeichnet es jedoch als farbstudie, was darauf schließen lässt, dass das exponat möglicherweise nicht das fertige Bild war.7 Wie die meisten Zeitgenossen rechnete auch er die gruppe manets Schule zu, sodass monet (ebenso wie in der ausstellung) bei der vorstellung des Ismus weitaus weniger Bedeutung zukam als in späteren wissenschaftlichen abhandlungen.8 die nachimpressionisten behandelte er als gesonderte gruppe.9 Beim publikum verständnis und ak-

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zeptanz für diese zu erreichen, war noch schwerer als bei den „klassischen“ Impressionisten. er vergaß nicht, die parallele zu manets Kunst zu ziehen, die der großteil der Kritiker und des publikums ebenso wie jetzt Klimts zunächst abgelehnt hatte.10 die Situation und die neuerungsabsicht der Impressionisten setzte er – durch kurze anmerkungen – hinsichtlich der resonanz beim publikum stets mit der Situation der Wiener Secession gleich. er schrieb auch über den sensationellen anstieg der gemäldepreise – und ließ dezent durchblicken, dass der erwerb eines modernen zeitgenössischen gemäldes eine gute Investition sei. hevesis artikel „die nachimpressionisten“ vom februar war im grunde der erste, in dem die französischen maler der 1890er Jahre – wenn auch mit der deutschen präposition –, einschließlich paul gauguin und der neuesten gruppe, der nabis, als „postimpressionisten“ bezeichnet wurden.11 In Bezug auf sie hebt er hervor, dass sie „auswendigmaler“ sind und „von ihrer Seele“ malen.12 die Bilder von maurice denis und insbesondere von edouard vuillard bezeichnet er als äußerst bemerkenswert. außerdem schreibt er noch kurz, aber treffend über den Stil van goghs und toulouse-lautrecs. auch die übrigen führenden Wiener Kritiker schrieben lange Besprechungen über die eindrucksvolle ausstellung, außerdem reisten maler und Kunstliebhaber aus Budapest und Wien, die es sich leisten konnten, eigens an, um die französischen meister zu sehen.13 In der Woche der eröffnung hielten die angesehensten deutschen experten des Themas, richard muther und Julius meier-graefe, der als Berater auch an der organisation der ausstellung teilgenommen hatte, vor einem ausgewählten publikum vorträge in der Secession.14 hevesi berichtete über diese beiden vorträge, die außerdem in vollem umfang in den Kulturteilen der Zeitungen abgedruckt wurden.15 die vorträge waren gesellschaftliche ereignisse. auch Kultusminister Wilhelm ritter von hartel und alle, die als Kunstliebhaber, mäzene, Sponsoren oder pressevertreter einen namen hatten, waren anwesend. hevesi bedauerte, dass das illustre publikum nicht den mut hatte, dem großartigen redner und angesehenen professor richard muther zu widerspre-

260. edgar degaS: daS Ballett, 1878 261. edgar degaS: dIe SängerIn In grün, um 1884

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262. vInCent van gogh: dIe eBene von auverS, 1890

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chen16, obwohl es bestimmt Skeptiker gab, die die Würdigung der modernen malerei nicht akzeptierten. der vortrag meier-graefes dürfte die gemüter noch stärker bewegt haben, denn der ambitiöse galerist und Kurator, der auch eine Kunsthandlung in paris besaß17, widmete sich am ausführlichsten dem Stil vincent van goghs und toulouse-lautrecs. Besonders verwirrend war, dass er die Kunst Böcklins, deren akzeptanz in Wien so schwer erreicht worden war (und von dem das Kultusministerium auf empfehlung der modernistischen lobby knapp ein Jahr zuvor ein Bild für die moderne galerie erworben hatte), im vergleich zu den „echten modernen“ als zweitrangig bewertete. (letzteres hat mit Sicherheit auch hevesi nicht gefallen, denn auch er hatte sich jahrelang für die anerkennung des symbolistischen meisters eingesetzt und den erwerb des Bildes in einem essay gefeiert.18) die angriffe gegen Böcklin fanden später (besonders in der deutschen Kunstszene) eine stürmische fortsetzung (siehe weiter unten). aus heutiger Sicht war die auswahl im hinblick auf die anhänger im weitesten Sinne der hauptgruppe, der Impressionisten, zu denen nach ansicht der organisatoren tintoretto, vermeer, daumier, weiterhin Seurat, van rysselberghe, odilon redon, ja sogar die maler der nabis sowie van gogh (abb. 262) und gauguin gehörten, eine zufällige und dazu sehr willkürliche und subjektive. von den Bildhauern wurden meister von houdon (!) über rude, Carpeaux, medardo rosso bis hin zu dem norweger vigeland als Impressionisten vorgestellt. da die veranstalter das ausstellungsmaterial von pariser Kunsthändlern, vor allem von durand-ruel, und aus privatsammlungen zusammengetragen hatten, unterschied es sich deutlich von dem der Weltausstellung im Jahr 1900. dennoch war es die erste französische ausstellung außerhalb frankreichs, die die vertreter einer bestimmten Stilrichtung und ihre anhänger – „mit ihren historischen vorläufern und Befolgern“ – vorzustellen beabsichtigte. einige Bilder standen zum verkauf, doch das wurde mit

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263. edouard manet: dame mIt fäCher (BaudelaIreS gelIeBte), 1862

größter diskretion gehandhabt. die ausstellung war im Zeichen der modernen Wissensvermittlung so organisiert wie eine ausstellung zur geschichte der malerei in einem heutigen modernen museum: es sollte eine Stilrichtung im Kontext der modernen Kunst vorgestellt werden.19 das ausstellungsmaterial enthielt nicht nur Bilder von bereits verstorbenen Künstlern (manet) (abb. 263), sondern auch von lebenden zeitgenössischen modernen französischen malern (z. B. gauguin, Cézanne, renoir (abb. 264, 265, 266), monet (abb. 258) und mitglieder der nabis wie vuillard (abb. 267), Bonnard und denis, die dieses mal so vorgestellt wurden, als seien sie bereits unwiderrufliche museale größen. In eben dieser Wiener ausstellung, die „historisch“ und wissenschaftlich sein sollte, wur-

264. pIerre-auguSte renoIr: dIe theaterloge, 1874 265. pIerre-auguSte renoIr: dIe BalletttänZerIn, 1874 266. pIerre-auguSte renoIr: In der gartenlauBe, 1876

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267. Édouard vuIllard: InterIeur (der Salon mIt dreI lampen), 1899,

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den diese meister für die nachwelt kanonisiert.20 gerade die enorme „aufwertung“ trug dazu bei, dass die preise für die Bilder dieser maler in den folgenden Jahren schwindelerregende höhen erreichten, wodurch sie auch den pariser galerien, die sie verliehen, große gewinne einbrachten. Zu dieser entwicklung trugen auch die zeitgenössischen Kritiker bei, die zusammen mit der Wiener Secession das recht zu bestimmen, was authentische moderne Kunst war und was nicht, für sich beanspruchten. Impressionistische gemälde zu sammeln, kam plötzlich auch in den Kreisen der gerade erst zu reichtum gekommenen mitteleuropäischen plutokraten in mode21, und zwar so sehr, dass der verkauf der Bilder der modernen Künstler vor ort oftmals erschwert wurde. dieser effekt machte sich besonders nach 1905 bemerkbar. an dieser Stelle sind Seligmanns scharf kritisierende Besprechungen zu erwähnen, in denen er im Zusammenhang mit der Impressionismusausstellung wesentlich grundlegendere fragen ansprach als hevesi in seinen überwiegend deskriptiven und anekdotischen feuilletons.22 unter den sieben ausgestellten gemälden von Cézanne war auch eines seiner hauptwerke, Mardi Gras von 1888 (abb. 268). die mitglieder der nabis (Bonnard, denis, valloton und vuillard) schickten ebenfalls moderne Werke. nach der ausführlichen analyse der damaligen Interpretationen des Impressionismus verwies Seligmann auf die relative natur und die verwendung des Begriffs. er kritisierte die methode der übrigen Besprechungen durch zwei feststellungen von grundlegender Bedeutung: 1. der Stil als methode der malerei ist nicht identisch mit dem Kriterium der künstlerischen Qualität. 2. der Impressionismus ist in seiner künstlerischen absicht ein logischer gegensatz zur stilisierenden Kunst.23 er rügte die veranstalter, die seiner meinung nach nicht die richtigen maler (z. B. vermeer und rubens) als vorläufer des Impressionismus ausgewählt hatten, und beanstandete, wie wenig typisch und wie unterschiedlich die gezeigten exponate hinsichtlich ihrer Qualität seien.24 mit all dem hatte Seligmann nach unserem heutigen Kenntnisstand vollkommen recht. In seinem zweiten analysierenden artikel polemisierte er, wenn auch ohne den namen zu nennen, gegen hevesi: er argumentierte, es sei noch keine garantie für die Qualität eines | gemäldes, wenn das publikum es wegen technischer oder anschauungsbezogener neuerungen nicht akzeptierte. In diesem zweiten artikel interpretierte er den großteil der Werke der in der ausstellung vertretenen Künstler eindeutig nicht wohlwollend. Während er sich anerkennend über einige arbeiten manets äußerte, bezeichnete er, wie auch hevesi und muther, die Impressionisten einschließlich albert Besnard, lucien Simon und Charles Cottet nur als „manet und seine Schule“. abschließend handelte er die postimpressionisten von van gogh bis zur nabis äußerst kurz mit sarkastischen Bezeichnungen ab.25 auf eine eingehende analyse der von ihnen benannten ästhetischen

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Widersprüche ließ er sich damals nicht ein.26 Seligmanns harte Kritik schmälerte den erfolg nicht, und eine kleine Kollektion der exponate wanderte weiter nach Budapest, wo einige gemälde sogar ihre Käufer fanden, beispielsweise manets berühmtes Bild Baudelaires Geliebte27 (abb. 263). und die Secession erwarb kollektiv und demonstrativ van goghs Ebene bei Auvers (1890) für die moderne galerie (abb. 262), das gemälde der drei ausgestellten Werke van goghs, das hevesi besonders ausführlich analysiert hat. er gab die seelische unruhe, die das Bild ausstrahlt, meisterhaft wieder. „Kranke Bilder, aegri somnia“, schrieb er, man spürt jedoch, wie sehr er vom Stil des malers ergriffen war.28 die gründlichste Besprechung, die zugleich der praxis der heutigen tageszeitungen am nächsten kommt, ist die von franz Servaes, der die vorläufer und die „folgen“ der Impressionisten in der Neuen Freien Presse in zwei außergewöhnlich langen, aber in sich sehr wohlproportionierten artikeln vorgestellt hat. er analysierte mehrere Bilder präzise und knapp und wählte mit sicherer hand diejenigen meister aus, die in den vorangegangenen dreißig Jahren eine wichtige rolle in der französischen malerei gespielt hatten.29 er beschrieb die ursprüngliche künstlerische absicht der gruppe und die verschiedenen Wege, die ihre einzelnen mitglieder einschlugen, in seinem artikel am verständlichsten. ebenso wie Seligmann (aber nicht in offensivem ton) stellte er das regiekonzept, aufgrund dessen die stilisierende Kunst als Weiterentwicklung des Impressionismus vorgestellt wurde, infrage.30 das dürfte für die leser und die ausstellungsbesucher auch deshalb nützlich gewesen sein, weil die beiden experten (muther und meier-graefe) in ihren vorträgen so gut wie gar nicht über die Bilder sprachen. Stattdessen zählte muther in seiner präsentation über mehrere Jahrhunderte europäischer malerei alle alten großmeister auf (von tintoretto über rubens, velázquez, delacroix, Constable und turner bis hin zu den Barbizonern), die er als vorläufer betrachtete, und überschüttete die Zuhörer mit einem ähnlichen, aber noch theoretischer gehaltenen abriss der historischen entwicklung, der mit zahlreichen wirkungsvollen oder als solche gedachten vorformulierten aphoristischen definitionen gespickt war wie zum Beispiel „Kunst ist eine culturelle form der liebe“ oder „Kunst ist ein Sinnbild des edelsten Kommunismus“31. es ist nicht verwunderlich, dass Wiens intellektuelle elite – die sich die vorträge dicht gedrängt anhörte – keine fragen an die vortragenden stellte und sich nicht auf eine diskussion zur Sache einließ. (nur Seligmann bemängelte diese bombastischen rhetorischen phrasen in seinem artikel.) Im übrigen formulierte meier-graefe die tatsache, dass der Impressionismus eine französische „erfindung“ war, auf ausgesprochen unglückliche Weise: „Wir stehen vor dem Werk einer race“, schrieb er, um dann entsprechend der terminologie und der nationalistischen lesart der Zeit die unterschiede zwischen der französischen und der deutschen malerei aus

268. paul CÉZanne: faStnaCht (mardI graS), 1888

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dem gegensatz zwischen franzosen und deutschen abzuleiten. damit gab er bereits einen vorgeschmack auf sein zwei Jahre später veröffentlichtes und hinsichtlich seiner Wirkung wichtigstes Werk, die dreibändige Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“32, in der er die französische und die deutsche malerei in überspitzter Weise gegenüberstellte und die kulturellen leistungen der beiden nationen mit politischen und gesellschaftlichen, ja differenzierten nationalcharakterologischen aspekten begründete. Solche dissonanzen fehlen in den Besprechungen aller übrigen genannten Kritiker, so auch bei hevesi.

Visuelles „Überangebot“ und die Rolle des Staates anhand der ausgestellten gemälde und der vorträge war es selbst für einen Wiener Bildungsbürger schwer, sich ein Bild davon zu machen, in welche richtung sich die moderne malerei entwickelte und wie die verschiedenen Stile und Schulen miteinander zusammenhingen. dennoch war es offensichtlich, dass die ausstellungen außerordentlich interessant waren und eine vielfalt von Stilen und richtungen vorstellten, und dass es auch dann eine lohnende Investition war, moderne gemälde zu kaufen, wenn die Spezialisten (die Kunsthistoriker und die Kritiker) unterschiedliche meinungen darüber vertraten, wer ein großer Künstler war. trotzdem oder vielleicht gerade deshalb schien das Interesse an den bildenden Künsten in diesem Jahr in Wien einen höhepunkt erreicht zu haben.33 hevesi erklärte einem seiner Bekannten in Budapest im april in einem persönlichen Brief, dass der umstand, dass die ausstellung der modernen ungarischen maler im Salon pisko nur ein unzureichendes presseecho gefunden hatte, darauf zurückzuführen sei, dass in diesem monat einundzwanzig Kunstausstellungen in der Kaiserstadt stattfanden. Inmitten dieses visuellen dumpings konnte man sich kaum zurechtfinden.34 alle bedeutenden tages- und Wochenzeitungen waren voll von artikeln über die malerei und das künstlerisch Schöne. auch über die ausländischen ausstellungen erschienen mehr Berichte als je zuvor. für die Neue Freie Presse beispielsweise schrieb der prosecessionistische franz von Servaes über die ereignisse in der Wiener Kunstszene, über den pariser Salon berichtete der konservative max nordau (der damals ein freund und anhänger von Theodor herzl, dem Chefredakteur des feuilletons, war), und aus münchen schickte der offene junge arthur roeßler regelmäßig artikel zur Kunstkritik und Besprechungen.35 auch Die Zeit brachte außer muthers artikeln regelmäßig essays des münchener feuilletonisten otto Julius Bierbaum zu ästhetischen Themen, und arthur roeßler und dr. hugo haberfeld lieferten ebenfalls regelmäßig Beiträge für das Blatt. In der tagespresse erschien damit eine neue generation von studierten Kunstkritikern, die die „geschäfte“ von hevesi übernehmen sollte und erheblich mehr publikationsmöglichkeiten hatte als die vorangegangene. die verlage lancierten Buchreihen über die modernen (französischen, deutschen, belgischen, englischen usw.) malerschulen, und die Kritiker verfassten immer mehr monografien über die namhaften zeitgenössischen meister. monografien über besonders bedeutende maler finanzierte das ministerium selbst.36 die namhaften Kunstautoren und feuilletonisten stellten ihre täglichen Kritiken zu anthologien zusammen und veröffentlichten sie mit großem erfolg erneut. auch das war ein Beweis dafür, dass sich das Interesse des bürgerlichen publikums

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enorm gesteigert hatte und dass es unbedingt Informationen und anleitung brauchte. ausstellungen zu besuchen, war nicht nur schick, sondern machte auch Spaß, war ein erlebnis, und es bereitete freude, das eine oder andere Kunstwerk zu erwerben, um damit das eigene Zuhause zu schmücken. die Kritiker betrachteten die entfaltung des künstlerischen lebens – mehr oder weniger zu recht – als ihr verdienst. Während der Körber-regierung tat der Staat wahrhaftig viel für die Künste. 1902 erschien das Handbuch für Kunstpflege in Österreich, das nicht nur die aktivitäten des Staates, sondern auch die der privaten, der zivilen gesellschaft in Cisleithanien vorstellte. In seiner Besprechung vergleicht hevesi die Situation mit dem Stand von 1891 und bewertet die entwicklung sowohl hinsichtlich der Zahl der einrichtungen als auch hinsichtlich des für die bildenden Künste (für lehre und museen) aufgewendeten Betrags als beachtlich. (In dem dicken Band wird die Zahl der privatsammlungen im Jahr 1901 allein in Wien auf 200 geschätzt).37 das Jahr 1903 brachte bedeutende ergebnisse für das lager der modernen Kunst. Im Sinne der tradition wurden in der nächsten (XvII.) ausstellung der Secession im frühjahr nur die mitglieder der vereinigung vorgestellt. die maler, unter ihnen Josef engelhart, Carl moll und alfred roll mit einer größeren Zahl von Werken, gemäldezyklen und reihen, erzielten schöne erfolge und konnten sehr viele Bilder verkaufen. (diese ausstellung hatte der zeitgenössischen Statistik zufolge knapp 5000 Besucher mehr als die vorangegangene der Impressionisten: es wurden 20.410 eintrittskarten und gemälde im Wert von 79.331 Kronen verkauft. letzteres sollte dann auch ein einmaliges Spitzenergebnis bleiben. Im april fand die langerwartete eröffnung der modernen galerie, des neuen museums der modernen und der zeitgenössischen österreichischen Kunst, der eigentlichen nationalgalerie, statt.38 die Sammlung wurde im unteren Belvedere untergebracht, und hevesi beschrieb die in der galerie ausgestellten modernen ausländischen und österreichischen Werke ausführlich. der Staat hatte sie überwiegend in den vorangegangenen Jahren erworben, außerdem hatten mäzene der neuen Sammlung gemälde geschenkt.39 Im mai dieses Jahres gründeten Josef hoffmann und Kolo moser mithilfe des Industriellen fritz Waerndorfer die Wiener Werkstätte (abb. 269, die über Jahrzehnte den charakteristischen Stil des Wiener Kunstgewerbes bestimmte und zur hochburg des designs im Sinne des secessionistischen gesamtkunstwerks wurde.40 auch hierbei spielte ein staatlicher, ministerieller Impuls eine rolle: das unterrichtsministerium schickte zwei professoren der Kunstgewerbeschule, felician von myrbach und Josef hoffmann (Schüler otto Wagners und mitglied der Secession)41 auf eine dreiwöchige Studienreise nach england und Schottland. das dort gesehene veranlasste hoffmann, die praxis der kunstgewerblichen Werkstätten auch in Wien einzuführen. dazu gewann er als Investor den textilhändler und millionär fritz Waerndorfer.42 auch das beweist, dass das Kultusministerium der Körber-regierung die modernen Bestrebungen auf vielfältige Weise unterstützte. auf einem gebiet aber musste die moderne Kulturlobby einen misserfolg hinnehmen. otto Wagner gelang es nicht, bei der ausschreibung den auftrag für den Bau eines Stadtmuseums im modernen, das heißt wagnerischen Secessionsstil zu gewinnen.43 die ausschreibung wurde auf druck der gesellschaft öffentlich ausgelegt, und auch das publikum konnte für die verschiedenen entwürfe, darunter den neobarocken des

269. Kolo moSer: WerBeKarte – WIener WerKStätte

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gegenspielers Schachner, stimmen. hevesi setzte natürlich alles in Bewegung, um otto Wagner zum Sieg zu verhelfen, doch dieses mal konnte er die allgemeine Stimmung nicht mehr beeinflussen. anfang des Sommers begab sich hevesi auf eine mehrmonatige reise durch griechenland. obwohl er sich wohl schon lange gewünscht hatte, hellas zu besuchen, konnte er sich erst jetzt auf die große reise machen, die damals noch mit sehr vielen unannehmlichkeiten verbunden war. er kehrte erst anfang november über Italien nach einem abstecher nach Sizilien, wo er sich die mosaiken in palermo ansah, zurück. über die Stationen der reise verfasste er gelegentlich reiseberichte für den Pester Lloyd; später veröffentlichte er seine erlebnisberichte auch in einem kleinen taschenbuch.44

Ungarisches Intermezzo

270. phIlIp de láSZló: artur görgeI, 1901 271. phIlIp de láSZló: porträt deS KaISerS franZ JoSeph, 1903

hevesis artikel über ungarische maler sind einen kleinen exkurs wert. Ich habe bereits erwähnt, dass ungarische Künstler im vergleich zu denen aus anderen nationen der monarchie relativ selten in Wien ausgestellt wurden. außer bei den internationalen ausstellungen im Künstlerhaus schickten sie überwiegend im rahmen von einzelinitiativen gemälde zu den frühjahrsausstellungen. als ende der 1890er Jahre eine polarisierung in der bildenden Kunst in Wien eintrat, versuchten mehrere experimentierende ungarische maler (z. B. Károly ferenczy), in der Secession auszustellen, erhielten jedoch auf ihre per Brief vorgetragenen ersuchen nicht einmal eine antwort. Somit blieben als möglichkeiten, sich vorzustellen, nur das Künstlerhaus und die kleineren privatgalerien. die erfolgreichen porträtmaler hatten es etwas leichter, weil das Künstlerhaus ihre arbeiten gern ausstellte. philip de lászló war nach 1898 regelmäßig in den dortigen ausstellungen vertreten. hevesi hielt sein porträt von Kardinal rampolla, das bei der (vierten) internationalen ausstellung in venedig im Jahr 1901 gezeigt wurde, für herausragend45, andere auch seine Bildnisse, die die wesentlichen Charakterzüge des modells meisterhaft wiedergaben (abb. 270). die bedeutendste präsentation philip de lászlós fand 1903 bei der 30. Jahresausstellung des Künstlerhauses statt, bei der acht Bilder von ihm in einer gruppe gezeigt wurden. hevesi hat mit großer anerkennung über sie geschrieben.46 das franz-Joseph-porträt war ein großer erfolg, und auch der Kaiser war außerordentlich zufrieden mit seinem Bildnis (abb. 271), lászló lebte von diesem Jahr an bis 1906 mit seiner familie in Wien, und in seinem atelier entstanden zahlreiche porträts österreichischer aristokraten.

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der unternehmungsfreudige Betreiber eines der eleganten Wiener Kunstsalons, der galerie pisko, stammte aus dem Komitat pozsony (heute Bratislava, Slowakei) und hatte auch familiäre verbindungen nach Budapest. eines der größten verdienste dieser privatgalerie, deren ausstellungen auch die mäzenatenelite regelmäßig besuchte, bestand darin, dass sie auch regelmäßig Werke von malerinnen (z.B. tina Blau, marie egner, olga Wisinger-florian) ausstellte.47 Im bewegten Jahr 1903 war in der Kaiserstadt die vollständigste und vielleicht herausragendste auswahl moderner ungarischer malerei zu sehen.48 der organisator und Kompilator der in der galerie pisko veranstalteten ausstellung war Béla lázár, der eine reihe von meisterwerken nach Wien brachte. vielleicht hatte auch die Impressionismusausstellung die „französisch geprägten“ ungarn ermutigt, sich endlich in Wien vorzustellen. hevesi hat die Bilder im Pester Lloyd ausführlich und in Kunst und Kunsthandwerk kurz, aber versiert und mit erstaunlichen einsichten angereichert analysiert.49 die ausstellung begann mit einer auswahl der Werke von lászló paál (abb. 272), er begann seinen artikel mit seiner Bewertung, indem er ihn den „munkácsy der landschaftsmalerei“ nannte.50 dann lobte er die neuen Koloristen: Károly ferenczy, Károly Kernstok und gusztáv mannheimer. an ferenczys Sommer (Nyár) (abb. 273) gefiel ihm besonders, wie der meister die explosive Kraft des Sonnenscheins darstellte, während er die „melodische farbwelt“ von Abrahams Opfer mit der der englischen maler verglich.51 die Stilwechsel von

272. láSZló paál: WaldpartIe, 1877 273. Károly ferenCZy: Sommer (Badende KnaBen), 1902

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274. JóZSef rIppl-rónaI: dame mIt SChWarZem SChleIer (madame maZet), 1896 275. adolf fÉnyeS: mutter und Ihr KInd, 1901 276. adolf fÉnyeS: dorfStraSSe, 1903

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János vaszary hat hevesi stets verfolgt, außerdem hat er sich mit anerkennung über die virtuosität des malers geäußert, mit der er in jeder neuen Stilvariante neues und Bleibendes schaffen konnte. nach hevesis ansicht bewegte sich ripplrónai wie Carrière in der gespenstischen geistigen Sphäre zwischen Weiß und Schwarz und malte außerordentlich melancholische dämmerungsbilder.52 unter den kurzen Bildbeschreibungen befinden sich auch die des heute kanonischen Werkes Dame mit schwarzem Schleier (Fekete fátylas nő) (abb. 274) und das Bild der Frau mit Käfig (Kalitkás nő), des doppelporträts der eltern des Künstlers und sein Selbstbildnis mit hut, woraus man schließen kann, dass in Wien eine ausgesprochen repräsentative auswahl gezeigt wurde. der Stil der volkstümlichen bäuerlichen figuren von adolf fényes (abb. 275, 276) war laut hevesi mit dem der zeitgenössischen spanischen meister verwandt. auch die gemälde des ungarn gusztáv mannheimer schätzte er sehr, er hielt ihn für einen fabelhaften Koloristen (abb. 276), der gleich in mehreren Stilen hervorragende Bilder malte. er schrieb seine Sensibilität für farben auch dem umstand zu, dass mannheimer eine Zeit lang makarts Schüler gewesen war. Jedes mal, wenn er über ihn schrieb, strich er seine vielseitigkeit und seinen stilistischen pluralismus heraus (abb. 277, 278). das in der galerie pisko ausgestellte Bildmaterial war ein guter Querschnitt der vielfältigen modernen ungarischen malerei der Zeit. am tag der eröffnung besuchte auch franz Joseph die ausstellung, was schon deshalb bemerkenswert war, weil er zu dieser Zeit nur die offiziellen ausstellungen des Künstlerhauses besuchte. der Kaiser unterhielt sich mit den anwesenden Künstlern. er begeisterte sich besonders für antal ligetis anonymusSkulptur (abb. 279), und auch Károly Kernstoks Liebende (Szerelmesek) faszinierten ihn. trotz alledem hatte die ausstellung – mit ausnahme von hevesis artikeln – kaum ein presseecho in Wien, auch die zeitgenössischen österreichischen maler schenkten ihr keine aufmerksamkeit und die Bilder fanden keine Käufer.

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hevesi analysierte auch das ungarische material der Biennalen ausführlich im Pester Lloyd. die ungarische Kulturpolitik hielt die internationale Kunstschau, die ab 1895 stattfand, für wichtig und bemühte sich deshalb, bedeutende Werke hinzuschicken. Besonders ausführlich beschrieb hevesi die ungarischen exponate von 1901, er hat stets die strahlende und intensive farbwelt der Bilder betont, die er als nationale Besonderheit empfand.53 die gemälde von ferenczy, Kernstok, vaszary und Izsák perlmutter faszinierten ihn fast jedes mal und inspirierten ihn zu anschaulichen analysen. neben den großen namen hob er jedoch auch einige maler hervor, deren namen inzwischen verblasst sind (lajos márk, ödön tull, lajos Szlányi). In seinem letzten kurzen artikel in Kunst und Kunsthandwerk ging es um den auftritt des vereins ungarischer Bildender Künstler und Kunsthandwerker (magyar Képzőművészek és Iparművészek egyesülete, KÉve) im hagenbund.54 darin hat er zu recht die stilistischen einflüsse aus paris auf den Bildern herausgestrichen. das Bild, das ihn mit seinen starken strahlenden farben faszinierte, war das Selbstporträt von ágost Benkhard.

Klimt-Retrospektive das letzte bedeutende ereignis in der bildenden Kunst war in diesem Jahr die Klimt-Werksausstellung, die im november in der Secession eröffnet wurde. die akteure der Kunstszene und des Kunstmarktes wussten sehr wohl, dass eine solche retrospektive für einen Künstler eine große Bedeutung hat, da sie ein meilenstein hinsichtlich der Kanonisierung ist und zugleich mit ziemlicher Sicherheit eine erhöhung der für die Werke erzielten preise mit sich bringt.55 die ausstellung zeigte Klimts wichtigste Werke vom Stilwechsel 1896/1897 bis zur gerade fertiggestellten Jurisprudenz56; seine gemälde und Zeichnungen füllten alle Säle der Secession.57 neben den porträts, landschaftsbildern und einigen sehr beliebten frühen

277. guSZtáv magyar mannheImer: In der umBegung von florenZ, 1899 278. guSZtáv magyar mannheImer: am rande der Stadt, 1893

279. antal lIgetI: anonymuS, 1903

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280. guStav KlImt: dIe JurISprudenZ, 1903–07

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gemälden (wie Schubert am Klavier oder das porträt Sonja Knips) bekam das publikum auch die beiden äußerst umstrittenen fakultätsbilder erneut zu sehen, allerdings nunmehr zusammen mit dem dritten, der Jurisprudenz (abb. 280). auch der Beethoven-Fries befand sich noch an den Wänden. eine weitere neuheit waren die vielen Zeichnungen und Skizzen (vor allem akte), die die änderungen der Konzepte der gemälde dokumentierten. auch diese ausstellung sorgte für großen Wirbel und zog mehr als 29.000 Besucher an, zu einem erneuten Skandal kam es jedoch nicht.58 In den Besprechungen vertrat man natürlich auch dieses mal unterschiedliche ansichten. die anhänger und freunde des malers taten erneut alles, damit das publikum seine neuesten Stilexperimente endlich akzeptierte. In der tageszeitung Die Zeit wurde am tag der eröffnung (ohne nennung des verfassers, mit der Signatur „i.“) ein begeisterter Bericht über die ausstellung veröffentlicht59, in einer anderen rubrik wurde das kleine Buch Gegen Klimt mit einem vorwort von hermann Bahr beworben, eine Sammlung der negativen und verletzenden Kritiken über den Künstler, mit der seine freunde den bornierten Konservativismus des feindlichen lagers veranschaulichen wollten.60 der autor der Buchbesprechung bezeichnete Klimt als den einzigen österreichischen maler von europäischem format. einen tag später brachte die Zeitung (deren Kulturrubrik hermann Bahr leitete) ein langes Interview, ein sehr interessantes persönliches porträt des malers.61 hevesi tat alles in seiner macht stehende, um das neueste fakultätsbild spannend, sympathisch und verständlich zu machen.62 Sein erster artikel erschien am tag der eröffnung. einen tag später folgte der zweite63 mit einer langen analyse der Jurisprudenz und schließlich am 21. november der dritte mit wichtigen ausführungen zur Bedeutung der darstellung des hässlichen in der modernen Kunst. Zunächst gibt er als echter eingeweihter preis, dass er die Bedeutung der verschiedenen figuren selbst noch nicht hatte entschlüsseln können, als er die große leinwand im Sommer in arbeit gesehen hatte, um sie dann der reihe nach zu beschreiben und zu analysieren. Wie gewöhnlich versucht er dem Betrachter die ungewöhnliche farbenwelt (überwiegend Schwarz und gold, die durch den rot und lilafarbenen polypen lebhafter wirken) und die eigenartigen figuren durch die anführung historischer vorläufer und durch Beispiele näherzubringen, spürt jedoch als erfahrener Kunstkenner sehr genau, dass das hauptproblem auch dieses mal dasselbe sein würde wie bei der Philosophie: das publikum konnte die bewusste naturalistische darstellung des hässlichen, die ungeschönte abbildung eines alten weiblichen oder männlichen aktes, auf keinen fall akzeptieren (abb. 281). auch Klimts beeindruckende todesdarstellung Aus dem Reiche des Todes64 (mit im schwarzen Strom der lethe treibenden leichnamen) wurde hier zum ersten mal ausgestellt. hevesi

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empfindet die darstellung des hässlichen als vollkommen legitim, ja sogar als eines der neuen verdienste der modernen Kunst. „alle Befreier griffen zur hässlichkeit, als zu sicherer arznei, gegen das verwünschte allerweltschöne, das vorschriftsmäßige universalhübsche. von Böcklin und Klinger bis zu toorop und Klimt geht ein leidenschaftlicher drang, die Begriffe Schön und häßlich zurechtzurücken, umzuwerten …“ für das publikum, das mit der schönheitszentrierten deutschen idealistischen ästhetik aufgewachsen war, war dennoch genau dies eines der größten hindernisse bei der rezeption der modernen Kunstwerke. (das brachte auch die Kritik der professoren zum ausdruck, die gegen die allegorien der Philosophie und der Medizin protestierten.) trotz aller Bemühungen konnte hevesi den großteil des Wiener publikums nicht von der notwendigkeit der darstellung des hässlichen in öffentlichen Kunstwerken überzeugen, weder im hinblick auf die fakultätsbilder noch im hinblick auf die weiblichen akte des Beethoven-Frieses. In seinen feuilletons über die Klimt-retrospektive bot der Kritiker im übrigen außer den geschmacksgeschichtlichen exkursen und den Bildanalysen statt einer Besprechung der Wendepunkte der laufbahn des Künstlers ein feuerwerk von assoziationen und vergleichen. das stärker erläuternde und interpretierende Klimt-porträt verfasste dieses mal franz Servaes für die Neue Freie Presse65. es ist ein straff und konsequent gegliederter artikel über die künstlerische entwicklung Klimts und die einflüsse, die sich auf seine arbeit ausgewirkt haben. der reihe nach besprach Servaes die verschiedenen gattungen und stellte die einzelnen Werke anschaulich vor – voller anerkennung für und feinfühliger feststellungen über den Stil und die anschauung des meisters. Schließlich erklärte er bei der analyse der hauptwerke, die den mittelpunkt der ausstellung bildeten, ehrlich, dass er die Philosophie und die Medizin für meisterwerke des modernen Symbolismus halte, die sich auch in ihrer Komposition gut ergänzten, die als resultat des mit dem Beethoven-Fries eingetretenen Stilwechsels in einer völlig anderen auffassung und in einem völlig anderen Stil gemalte Jurisprudenz passe jedoch nicht zu ihnen. deshalb befand er auch die zukünftige platzierung der fakultätsbilder in der aula für problematisch. (hevesi

281. guStav KlImt: dIe JurISprudenZ – der verurteIlte (auSSChnItt) 282. guStav KlImt: dIe JurISprudenZ – dIe erInnyen (auSSChnItt) 283. guStav KlImt: dIe JurISprudenZ – dIe allegorIen (auSSChnItt)

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hatte diese offensichtlich heikle frage einfach nicht angesprochen!) Servaes hatte bis dahin voll und ganz zu den unterstützern der modernen experimente in der malerei und der Secession, also Klimts, gehört, sodass seine vorsichtige, aber entschiedene Kritik in der Wiener tageszeitung mit der höchsten auflage den maler und seine anhänger ausgesprochen empfindlich trafen. Seine Beanstandungen bezüglich der fakultätsbilder waren einige tage zuvor schon in armin friedmanns Besprechung (in der Kulturrubrik der abendausgabe der offiziellsten Zeitung, der Wiener Zeitung) angeklungen,66 und das war der punkt, der selbst das lager der bedingungslosen anhänger Klimts spaltete. friedmanns sorgfältig und gut geschriebener artikel ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man die Bilder auf viele verschieden arten und unter den verschiedensten aspekten interpretieren und genießen kann. er betrachtet Klimt aus der historischen perspektive, räumt ihm einen platz unter den bereits unsterblichen großmeistern ein und versucht das geheimnis seines Zaubers im vergleich mit ersteren zu lösen. auch ihn stoßen die naturalistischen darstellungen des hässlichen ab, er macht jedoch ausgesprochen feinfühlige Beobachtungen zu Klimts frauendarstellungen: „für makart … war die frau ein unbeseeltes, raumfüllendes prunkstück. er empfand sie vor allem dekorativ. Klimts frauen-Ideal ist ganz Seele. er hat ihre unmoralischen nerven entdeckt, ihre grausamkeitsgedanken erraten, er ist anti-makart, er ist anti-rubens. (…) Bei rubens: Wille zum leben, bei makart: Wille zum Schönsein, bei Klimt: Wille zur Sünde! das Böse war inzwischen wieder einmal in die Welt gekommen, in malerei und poesie, und man verstand auf einmal das höllisch süße lächeln der mona lisa.“67 Während er sich für die meisterwerke von 1899 und die landschaftsbilder begeistert, hält auch er das künstlerische ensemble der fakultätsbilder nicht für geglückt. Karl Kraus, ein unerbittlicher gegner hermann Bahrs und somit auch der Secession, kritisierte in seiner Zeitschrift Die Fackel selbstverständlich auch die Jurisprudenz in sarkastischem ton als „malerwitz“ und glaubte Klimt nicht, dass er seine aufgabe ernst genommen hatte.68 Im übrigen kannte sich Karl Kraus in der bildenden Kunst nicht sonderlich gut aus, was ihn jedoch nicht daran hinderte, eine meinung darüber zu äußern. es ist bedauerlich, dass dieser außerordentlich scharfsinnige publizist, der die missstände in der gesellschaft und die manipulationen der presse so mutig und von einem gefestigten moralischen Standpunkt aus entlarvte, sich auf diese Weise in ein gebiet verirrt hatte, in dem man ohne gründliches fachwissen keine Bewertungen mehr abgeben konnte. Seligmanns abhandlung über die malerei Klimts anlässlich der Jurisprudenz war voller persönlicher andeutungen, die für die Zeitgenossen leicht zu entschlüsseln waren. offensichtlich hatte er die Besprechungen von hevesi, Servaes und Bertha Zuckerkandl untersucht und ihre kritische methodik analysiert und warf ihnen den handschuh hin. „gar nicht auf die verständnißvolle Würdigung einer malerischen leistung abgesehen ist, sondern lediglich auf eine erklärung und Werthung der gedankenreihen, die durch den stofflichen Inhalt dieser Bilder hervorgerufen werden, und der empfindungen, die durch die allgemeine psychologische Wirkung gewisser farben und linien ausgelöst werden. diese art, abstracte (also begriffliche, nicht malerische) Ideen aus einem gemälde herauszulesen und zu zergliedern, subjective empfindungen zu schildern, die durch die Wirkung gewisser farben oder linien auf unsere nerven, nicht auf unser ästhetisches gefühl geweckt werden, kann, je nach dem talent und der Bedeutung des Betrachters,

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den ansatz zu selbständigen, mehr oder minder bedeutenden leistungen auf journalistischem, schriftstellerischem, ja wissenschaftlichem gebiet geben. mit der Schätzung des spezifisch künstlerischen Werthes haben solche Betrachtungen nichts zu tun.“69 er beanstandet also vor allem die „gedankenmalerei“. er hat recht, aber nur teilweise, denn zur Bewertung eines Bildes gehört – sofern es abstrakt, nonfigurativ ist – auch die inhaltliche analyse, wie er sie andernorts selbst vornimmt. Seligmann vertritt hier einen extremen Standpunkt des formellen L’art pour l’art, der bei der symbolistischen malerei nicht ausschließlich angewandt werden kann. er selbst bediente sich in Bezug auf Klimts Kunst dieses formellen ansatzes und wollte sie in diesem Sinne bewerten. er hatte wohl die absicht, sich nur auf den formellen Stil zu beziehen, doch es gelang ihm nicht, konsequent auf dieser ebene zu bleiben. er erkennt Klimts erstaunliche virtuosität und formelle perfektion an, doch das ist ihm zu wenig, denn so könnte er nichts zu Beanstandendes an seiner malerei finden, obwohl er sie sowohl emotional als auch hinsichtlich ihrer auffassung ablehnt. der maler und Kritiker gerät ins moralisieren, weil er Klimts als manieristisch bewerteten Subjektivismus, anders als die übrigen Kritiker, auch für ethisch dekadent hält. „nur finden einige, dass diese prononcierte Subjectivität, weil sie einer gegenwärtig herrschenden geistigen Strömung technisch vollendeten malerischen ausdruck verleiht, der gipfel der zeitgemäßen Kunst sei“, schreibt er. „dann aber ist außer Zweifel, dass eben diese geistige Strömung, die unsere moderne Kunst geschaffen hat, eine degenerationserscheinung darstellt und dass sie darum vor der nachwelt nicht bestehen wird.“ Seligmann lehnt diesen dekadenten Stil unter Berufung auf die natur ab und ist davon überzeugt, dass nicht nur Klimts manieristischer Subjektivismus, sondern auch der der symbolistischen maler im allgemeinen bald verblassen und überholt sein wird.70 „der manierierte Subjectivismus unserer Symbolisten in der bildenden Kunst und literatur wird trotz aller technischen Zauberkunststücke den künftigen geschlechtern ebenso veraltet und erblasst erscheinen als etwa der romantische Spuk eines tieck …“ es ist bezeichnend für die langsame Wandlung der allgemeinen öffentlichen Stimmung in der Kulturszene, dass auch richard muther nicht bereit war, Klimts neuesten Stil bedingungslos zu akzeptieren. er hatte das künstlerische Konzept der fakultätsbilder von anfang an beanstandet und vermisste in ihnen die monumentalität. er hatte es schon 1901 als übertrieben empfunden, dass seine Wiener Kollegen Klimt als größten österreichischen Künstler mit den seiner ansicht nach herausragendsten ausländischen (deutschen) größen wie Klinger oder liebermann auf eine Stufe stellten. angesichts der kollektiven ausstellung räumte er zwar ein, Klimts Kunst und Stil seien gänzlich individuell, identifizierte jedoch das erotische als wesentliches merkmal seines Schaffens. er hielt ihn für einen großen meister, allerdings nur im hinblick auf die darstellung eines einzigen aspekts: der Sinnlichkeit. um dem leser aus historischer Sicht zu zeigen, worin der unterschied hinsichtlich der größe zwischen Klimt und den (nach muthers ansicht) wahrhaft großen Zeitgenossen (wie beispielsweise Klinger) bestand, zog er eine historische parallele: er verglich Klimt mit Correggio und stellte dem sinnlichen Stil des meisters aus parma michelangelos vielseitige monumentalität als tatsächlichen höhepunkt der renaissance gegenüber.71 er fragte bei Klimt also nach der traditionellen monumentalität und der universalität. professor richard muther war natürlich kein Wiener und kein österreicher und betrachtete die modernität der Kai-

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serstadt und die aktivitäten der Secession trotz seiner Sympathie von außen, aus deutscher Sicht, und von einer gesamteuropäischen Warte aus. emotional berührte ihn das Schicksal der fakultätsbilder nicht. die Klimt-retrospektive, die dazu dienen sollte, die drei fakultätsbilder endlich zusammen zu zeigen und die Skeptiker davon zu überzeugen, dass die hauptwerke des österreichischen Symbolismus meisterwerke waren, verstärkte die Zweifel noch. Klimt hatte in der tat keine deckengemälde gemalt, da er die perspektivischen verkürzungen nicht beachtet und sich nicht um eine stilistische einheit der drei Bilder bemüht hatte. Wenngleich die von der üblichen form abweichenden Kompositionen, die sich von den vorgaben des auftrags lösten und eine hinsichtlich der aufgabe funktionell wie in ihrer mentalität fremde Wirklichkeit darstellten, an sich genial neu und auf komplizierte Weise modern waren, erschienen sie selbst den wohlwollenden Kritikern nicht geeignet, an der decke der aula platziert zu werden. hevesi stand unerschütterlich zu Klimt; er wollte nur die modernen meisterwerke der symbolistischen malerei sehen, nicht aber den umstand, dass der Künstler ignoriert hatte, dass er eine konkrete aufgabe zu erledigen gehabt hatte. Im übrigen hatte Klimt die Jurisprudenz ausgestellt, obwohl er sie noch nicht vollendet hatte und noch änderungen daran vornehmen wollte. die leitung der Secession bemühte sich, den „künstlerisch-moralischen rang“ der fakultätsbilder zu steigern, indem sie versuchte, das Kultusministerium davon zu überzeugen, Klimt mit den fakultätsbildern zum vertreter der österreichischen malerei bei der nächsten anstehenden Weltausstellung im amerikanischen Saint louis zu machen. mit diesem Schachzug aber brachten sie sogar die Kollegen innerhalb der Secession gegen sich auf, die genug davon hatten, dass im ausland ausschließlich Klimt die österreichische Kunst vertrat. die uneinigkeit in der Secession wurde zum dauerzustand. ein Bruch stand schon kurz bevor, als sich das ministerium (aus angst vor einem weiteren presseskandal) anders entschied und die KlimtBilder nicht zur ausstellung schickte.

1904–1905: symbolische Niederlage der Secession die ausstellungen der Secession im Jahr 1904 waren durch routine und mittelmäßigen erfolg gekennzeichnet. die hauptrolle bei der XIX. ausstellung spielten ausländische meister: ferdinand hodler, hans von marées, akseli gallen-Kallela und edvard munch; die größte resonanz erzielten hodlers symbolistische Bilder und landschaften.72 die XX. ausstellung im frühjahr zeigte die arbeiten der mitglieder des vereins73 (wobei dieses mal engelhart die meisten Werke beisteuerte), die XXI. im herbst präsentierte wieder ausländische Künstler – Japaner und erfolgreiche zeitgenössische französische maler (albert Besnard, lucien Simon, Jacques emile Blanche) –, einige Bilder von Wilhelm trübner und einige belgische gemälde.74 hevesi widmete den im nahen osten, in palästina und auf Korfu entstandenen gemälden von Johann viktor Krämer, die nicht im olbrichschen Saal des vereins, sondern in der galerie miethke ausgestellt waren, einen in freundlichem ton gehaltenen Beitrag.75 die frühjahrsausstellung im Jahr 1905 war eine Schau der in- und ausländischen Bildhauerkunst.76 Während die positionskämpfe in der Kunstszene tobten, war die Kör-

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ber-regierung (die von Kaiser franz Joseph ernannte bürokratische expertenregierung) im dezember 1904 zurückgetreten. obwohl unterrichtsminister ritter von hartel sein ressort auch in der neu ernannten regierung behielt, war seine position, zum teil gerade wegen der angriffe der oppositionellen presse (die das Sponsern der modernen Kunst als Interesse einer bestimmten Clique betrachtete) nicht gerade stabil. dennoch hoffte die Klimt-gruppe, auch weiterhin regelmäßig Subventionen und große aufträge vom Staat zu erhalten. anfang 1905 nahm die geschichte der fakultätsbilder eine unerwartete Wende. die universität sträubte sich noch immer, die vom ministerium bestellten und zum teil bezahlten fakultätsbilder entgegenzunehmen und an der decke der aula anbringen zu lassen. obwohl das tauziehen hinter den Kulissen erfolgte, wurde es natürlich bekannt, und so erfuhr auch Klimt davon, der dieses mal nicht schwieg und es nicht länger dulden wollte. er platzte und erklärte, er sei nicht bereit, dem ministerium die panneaus auszuhändigen, wenn sie nicht in dem dafür vorgesehenen öffentlichen gebäude platziert würden. um die lage zu retten, bot ein Kunstliebhaber und mäzen, der großindustrielle august lederer, die horrende Summe an, die für die Bilder gezahlt worden war, mit der Klimt sie beim ministerium würde „auslösen“ können. um zu retten, was zu retten war, und die weitere Konfrontation mit der universität zu vermeiden, ging das ministerium auf den Kompromiss ein. auf diese Weise gelangte die Philosophie zu der millionärsfamilie lederer – die einige Jahre später auch die Jurisprudenz erwarb. die Medizin „löste“ Kolo moser „für sich aus“.77 die geschichte kennt die nachwelt vor allem aus Bertha Zuckerkandls dramatisierter Berichterstattung78, es gibt jedoch auch eine ausführlichere und genauere Quelle von der „gegenseite“: Seligmanns artikel „der fall Klimt“ vom april79. das Wiener publikum erfuhr also aus der Neuen Freien Presse von Klimts entscheidung.80 daraufhin erhielt Klimt natürlich keine weiteren staatlichen aufträge. Seine danach entstandenen sogenannten „menschheitsbilder“81 (die symbolistischen Kompositionen Die drei Lebensalter, Tod und Leben, Die Jungfrau und Braut) malte er ohne das vorliegen einer Bestellung, quasi „für sich“. Sonderbarerweise stießen die nach 1903 organisierten ausstellungen in der Secession nicht mehr auf ein so großes Interesse wie zu der Zeit der Skandale um Klimts Bilder. In der ersten hälfte des Jahres 1905 traten die latenten meinungsverschiedenheiten und unterschiedlichen Interessen innerhalb der Secession an die oberfläche. auch das andere für die Zukunft äußerst bedeutsame ereignis des Jahres 1905 auf dem gebiet der bildenden Kunst, die aufspaltung der Secession in zwei lager, erregte nicht allzu viel aufsehen. die beunruhigenden außen- und innenpolitischen ereignisse des Jahres lenkten die aufmerksamkeit des publikums von den wie interne Querelen wirkenden problemen der Kunst ab.82 Zu diesem ereignis gibt es eine umfangreiche fachliteratur, die zuverlässigsten zeitgenössischen Quellen sind wieder die aus der feder zweier gegensätzlich gesinnter, nämlich Seligmanns und hevesis. Seligmann legt in der kühlen analyse des außenstehenden die gründe, die argumente und die persönlichen motive dar.83 auch er war der meinung, dass nicht in erster linie unstimmigkeit in stilistischen fragen, sondern persönliche und grundsätzliche angelegenheiten sowie kommerzielle fragen bezüglich des Kunstmarktes zum Bruch geführt hatten. das resultat war, dass sechzehn der gründungsmitglieder der Secession ausschieden und somit darauf verzichteten, in Zukunft an den im ausstellungssaal ver-

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anstalteten Schauen teilzunehmen. Stattdessen übernahmen sie die ausstellungsräume der galerie miethke, die ohnehin schon unter der künstlerischen leitung von Carl moll standen. gerade der prozess der Kommerzialisierung war also der entscheidende grund dafür, dass sich die Wege der mitglieder der gruppe trennten. hevesi überraschten die ereignisse dennoch sehr, da er, wie er selbst sagte, nicht damit gerechnet hatte.

Die Spaltung der Secession In seinen artikeln über die Spaltung der Secession84, in denen er nach den gründen forscht, erstellt hevesi eine erste Bilanz der ereignisse der vorangegangenen gut sieben Jahre. Sein Beitrag im Fremden-Blatt gelingt zu einem leidenschaftlichen plädoyer, und die sieben Jahre werden im nachhinein zu einem ständigen Kampf, in dem diejenigen, die sich für die erneuerung der Kunst eingesetzt haben, alle Schlachten gewonnen haben. das gesamtbild ist ausgesprochen positiv: Sie haben den neuen Wiener Stil in der malerei, im Kunstgewerbe und in der architektur geschaffen. auch die einzelheiten sind beeindruckend, und das programm konnte in sieben Jahren umgesetzt werden. (hier merkt er an, dass es sich zusammen mit dem Jahr der vorbereitung um acht Jahre handelte. deshalb gab er seinem Buch dann auch den titel Acht Jahre Secession, obwohl zwischen der offiziellen gründung und der Spaltung nur sieben Jahre lagen.85) der Beitrag in Kunst und Kunsthandwerk ist knapper und direkter. hevesi stellt fest, dass die debatte um das material für die Weltausstellung in Saint louis bereits eine Zerreißprobe war. eine künstlerische Bewegung oder richtung, die sich die freiheit des Individuums auf die fahne schreibt, sei als gemeinschaft von vorneherein zum Zerfallen verurteilt. die sieben Jahre, in denen die Künstler ein Bündnis bildeten, hält er für eine große leistung. die vereinigung hat ihre Ziele erreicht: „Ihr programm ist erfüllt. Sie hat für die erziehung und Informierung des publikums viel geleistet, indem sie in systematischer folge schon fast das ganze künstlerische ausland nach Wien gebracht hat. Sieben Jahre lang zog das Wandelpanorama der zeitgenössischen Kunst an den Wiener augen vorbei, die dadurch neu sehen lernten und, der bequemen rückschau müde, sich wieder den kommenden möglichkeiten zuwandten. der einfluß dieser erfahrungen auf die einheimische Kunst war gut und ist bleibend. auch außerhalb der Sezession erstarkten die gleichen regungen und schon längst gibt es eigentlich keine Sezession mehr, weil alles Sezession ist. In der alten genossenschaft, im hagenbund und bei allen outsidern hat sich alsbald der nähmliche geist gemeldet; die unterschiede beruhten mehr auf dem maß des talentes und auf dieser und jener, mehr oder weniger berechtigten vorliebe einer einflussreichen persönlichkeit. mit diesem verlaufe können also die Begründer der Sezession eigentlich zufrieden sein.“ (S. 425) außerdem fasst er auch die künstlerischen gründe für die Spaltung zusammen: „So schien es denn zulässig, die Spaltung der Sezession als einen gegensatz zwischen ,Stilisten‘ und ,Impressionisten‘ zu bezeichnen.“ (S. 428)86 dennoch war sich hevesi in seinem artikel im Fremden-Blatt unsicher, was die Zukunft betraf, auch wenn er das mit allgemeinen Weisheiten zu verbergen suchte … Was würde danach kommen? ein nachhutkampf? ein neubeginn, eine fortsetzung?

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das Schicksal wollte es schließlich so, dass alle drei möglichkeiten eintrafen. dem Klimt-Kreis blieben die leitung der galerie miethke und ihre ausstellungsräume. dazu kam der elegante neue ausstellungssaal auf dem graben. die Wiener Werkstätte stand ebenfalls unter der leitung der pioniere, des Klimt-Kreises, die Künstler verdienten gut am Bau des palais Stoclet, wo sie ihre träume beinahe uneingeschränkt verwirklichen konnten. auch otto Wagners Bauvorhaben boten zahlreiche möglichkeiten zur fortsetzung (Kirche am Steinhof ), und die internationalen Beziehungen blieben ebenfalls erhalten. In ihrem Brief an das ministerium begründeten die ausgeschiedenen Künstler ihren Schritt damit, dass sie ihre künstlerische tätigkeit außer in ausstellungen auch in anderer form zur geltung bringen, auch anderen Kreisen des volkes näherbringen wollten.87 das bezog sich auf ihre kunstgewerbliche tätigkeit, die sie über die Wiener Werkstätte „unters volk zu bringen“, also zu verkaufen versuchten. (die luxusdesignprodukte dem „volk“ näherbringen zu wollen, war ein ausgesprochen naives und im rückblick fast schon zynisch wirkendes argument. die Selbsttäuschung idealistischer Künstler scheint keine grenzen zu kennen – was nur Karl Kraus zu papier zu bringen wagte.) Im grunde repräsentierten im gegensatz zu den „nur-malern“ gerade die verfechter des Ideals der Stilkunst, die mitglieder der Klimt-gruppe, die Kommerzialisierung. (der geniale „networking“- und „marketing“-fachmann war Carl moll und nicht Klimt, der organisatorische angelegenheiten zumeist seinen freunden überließ.) dass die galerie miethke ihre neue Basis war, bedeutete auch, dass sie enge Beziehungen zum Kunsthandel knüpften und innerhalb kurzer Zeit zu einem festen Bestandteil des Kunsthändlernetzes wurden, das sich rasant über ganz europa ausbreitete. die Kunsthändlergalerien veröffentlichten mittlerweile Kataloge, organisierten retrospektiven für zeitgenössische meister – auch aus den arbeiten ganz junger vielversprechender Künstler – und verschickten diese ausstellungen in die künstlerischen Zentren europas. Schon bald hing das Schicksal, das „Sichtbarmachen“ eines Künstlers oder einer Stilrichtung, von ihnen ab. die leitung und damit auch die möglichkeit der Kanonisierung ging von den Künstlervereinigungen (Künstlerhaus und Secession), die die großen ausstellungen organisierten, in die hände der galerien über, weil sie flexibler waren und die differenzierte gesellschaftliche elite leichter erreichen und beeinflussen konnten. das sahen die Zeitgenossen natürlich nicht so deutlich. entweder sie passten sich instinktiv an die veränderten umstände an oder sie widersetzten sich konsequent, doch zumeist zog der Strom sie einfach mit – eine andere möglichkeit hatten sie gar nicht, die Jungen und die neulinge noch weniger. hevesi war ein Idealist und – im gegensatz zu den Künstlern – finanziell überhaupt nicht von dieser entwicklung betroffen. Ihn interessierte seit anfang der 1890er Jahre der prozess der modernisierung und des künstlerischen experimentierens, und er ergriff dann partei für eine richtung oder einen Künstler, wenn er sich davon überzeugt hatte, dass der betreffende Künstler in dem fraglichen Stil neuartige Werke von hoher ästhetischer Qualität schuf. deshalb wurde er zum bedingungslosen anhänger der Secession und Klimts und war als solcher zu allem bereit. er betrachtete die Secession bis zu einem gewissen grad als „seinen verein“, und als sich seine mitglieder in zwei gruppen spalteten, schrieb er auch weiterhin wohlwollende und unterstützende Kritiken über die mitglieder beider gruppierungen. (Beispielsweise

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hat er sowohl engelhart als auch plečnik stets gelobt.) am meisten aber zogen ihn die herausragenden künstlerischen leistungen an, und das waren für ihn Klimts malerei, das Kunstgewerbe der Wiener Werkstätte und die architektur otto Wagners und Josef hoffmanns (und aus den früheren generationen zum Beispiel hans makart, rudolf von alt oder emil Jakob Schindler). Im Sommer 1905 beschloss hevesi – höchstwahrscheinlich auf anraten seiner Künstlerfreunde –, seine Schriften zur geschichte der Secession zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Bis dahin hatte er, wie auch sein vorbild und väterlicher freund Speidel, der versuchung widerstanden, seine im eifer des gefechts entstandenen Kritiken gesammelt zu publizieren. er hatte lediglich eine anthologie mit dem titel Wiener Totentanz88 veröffentlicht, die seine nachrufe auf die wichtigsten persönlichkeiten des Theaters und aus dem Bereich der bildenden Kunst, darunter nur die auf hans makart und hans grasser, enthielten. diese porträtsammlung verewigte die großen Wiener Schauspieler des historismus für die Theaterfreunde. mit dem dicken Band der Acht Jahre Secession verfolgte er eine ganz andere absicht, die er im vorwort sorgfältig formuliert hat: „es enthält einen teil meiner im achtjährigen Kampfe für die Sezession geschriebenen aufsätze, in solcher auswahl und zeitlicher Zusammenstellung, dass sich eine lückenlose Chronik der Wiener Sezession ergibt. … Im vordergrunde steht natürlich Wien, österreich, dessen Kunstentwicklung während dieser acht Jahre eingehend beurteilt und in ihrer physiologie beleuchtet wird. In diesem verhältnismäßig kleinen Spiegel erblickt man aber zugleich ein künstlerisches Weltbild …“ er widerspricht von vorneherein der von Kathedergelehrten vertretenen meinung, tageskritiken solle man am besten schnell vergessen. Selbstbewusst erklärt er, diese seien die grundlage späteren Wissens, und gerade diese gäben die Stimmung der Zeit am besten wieder, da sie zeitnah über das jeweils erlebte berichten: „die Zeitstimmung mit aller frische des letzten erlebnisses widerspiegeln“.89 nachdem er den Chefredakteuren dafür gedankt hat, dass er seine artikel erneut veröffentlichen durfte, erläutert er einige auswahlkriterien (beispielsweise weshalb er die Berichte über den gastauftritt der münchener Secession in Wien im Jahr 1894 mit aufgenommen hat). außerdem betont er ausdrücklich, er habe an den originaltexten nichts geändert. das vorwort schrieb er am 18. oktober 1905; zu diesem Zeitpunkt muss er auch die auswahl beendet haben, die chronologisch mit dem Bericht über die Spaltung der Secession schließt. die Widmung des Buches ist geistreich: „unseren freunden und feinden gewidmet, zur erinnerung an eine bewegte und für beide teile fruchtbringende Kunstepoche“. der Band erschien bereits im dezember 1905, also rechtzeitig vor Weihnachten, was auch deshalb interessant ist, weil auf dem einband die Jahreszahl 1906 steht.90 auf jeden fall bedeutet es, dass hevesi schon sehr bald nach dem ausscheiden der Klimtgruppe beschlossen hatte, seine arbeiten zur Secession gesammelt als Chronik zu veröffentlichen. max ruttkay-rothauser stellte den lesern des Pester Lloyd in seiner doppelrezension zusammen mit der feuilletonanthologie auch hevesis gleichzeitig erschienenen Band mit humorvollen utopien mit dem titel Die fünfte Dimension vor.91 für den Kollegen, der auch Kritiken über Werke der bildenden Kunst schrieb, war klar: „die Sezession liegt ihm besonders am herzen. auf die ist er stolz, denn er hat sie

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(zumindest für Budapest und Wien) zur Welt gebracht, bemuttert, gegen jeden rauhen Windhauch beschützt und in gewissem Sinne zum triumph geführt. … und wer jetzt den prachtband liest … eine neue Kunstgeschichte von kaum ermessbarem Werthe empfängt. die geschichte der Sezession.“ für den rezensenten stellt sich die geschichte der entstehung der modernen (Wiener) Kunst erst durch diese anthologie dar: „es ist ein meilenstein aus dem weiten gebiete zeitgenössischer Kunstchronik, aus dem … auch historiker schöpfen werden.“ er hatte recht, diese anthologie ist bis heute eine unentbehrliche Quelle für die forschung..

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richard muther: ein Jahrhundert französische malerei. Berlin 1901. 2 robert Jensen: Marketing Modernism in Fin-de-Siècle Europe. princeton up, new Jersey, 1994, Kap. 7: the rise of the Impressionist Weltanschauung, S. 201–234. 3 nach der zeitgenössischen auffassung gehörten die von Jensen als „Juste-milieu-meister“ bezeichneten maler zu den Impressionisten, die die helle palette und die lockere pinselführung anwandten, jedoch hinsichtlich ihrer themen den realismus fortsetzten, durch ihre vielseitigkeit und virtuosität bestachen und seinerzeit zu den erfolgreichsten repräsentanten der Künstlerzunft zählten (z. B. Whistler, Sargent, gervex, Blanche, roll und Besnard). Jensen: op. cit., S. 138–166. 4 manet war eine ausnahme, unter den von ihm gezeigten Werken befanden sich zwei hauptwerke, das Porträt Eva Gonzalès und Die Bar in den Folies Bergère, außerdem das unvollendete porträt der geliebten Baudelaires. 5 er widmete dem ereignis fünf feuilletons, vier davon im Fremden-Blatt, wo er in zwei Beiträgen die vorträge von richard muther und Julius meier-graefe zusammenfasste, und eines im Pester Lloyd. 6 edouard manet und seine leute. In: hevesi 1906. S. 406–412. 7 Später stellte miethke das Werk aus, und von ihm erwarb es mór herczog. 8 In der zeitgenössischen internationalen und deutschsprachigen fachliteratur galt manet noch als wichtigster Bahnbrecher der modernen französischen malerei und führender Kopf der Impressionisten. Siehe hugo von tschudi: Edouard Manet. Bruno Cassirer, Berlin 1902, und J. meiergraefe: Entwicklungsgeschichte: Manet und sein Kreis. Bard marquardt, Berlin 1902. 9 hevesi 1906. S. 412–417. 10 Zum Beispiel: „es ging damals ganz klimtisch her in der weltbestimmenden Weltstadt paris“. hevesi 1906. S. 407. 11 die nach-Impressionisten. hevesi 1906. S. 412– 417. die mitglieder der nabis nennt er jeweils einzeln, da die gruppenbezeichnung damals noch nicht gebräuchlich war. den Begriff postimpressionismus etablierte roger fry 1910 im Zusam-

menhang mit der londoner ausstellung in der internationalen Szene, wobei ihm auch die prägung des Begriffs zugeschrieben wird. 12 ebd., S. 414. 13 ferenczy, fényes adolf und vermutlich auch vaszary haben die ausstellung gesehen, außerdem der ungarische Kritiker Károly lyka. die veranstaltung wurde in der ungarischen Zeitschrift Művészet (Kunst) von dem maler ödön Kacziány besprochen, der sich auf manets und noch mehr auf monets Bilder konzentrierte. In: Művészet. Jg. II, 1903, S. 143–144. 14 In der ausstellung wurde auch eine Informationsbroschüre mit meier-graefes erläuterungen verteilt. die organisatoren taten alles, um dem Wiener publikum den Impressionismus als Stilbewegung näherzubringen. 15 J. meier-graefe: der Impressionismus in der malerei und Sculptur. nfp, 19. Jan. 1903. richard muther: die ausstellung der Sezession. Die Zeit. 21. Jan. 1903, S. 1–2. richard muther: die ausstellung der Sezession. manet, Japan. Die Zeit. 29. Jan. 1903, S. 1–2. 16 muther schrieb auch zu jener Zeit noch regelmäßig artikel für die linksliberale Zeit, auch nachdem die Wochenzeitschrift 1902 zur tageszeitung geworden war. einer der einflussreichsten autoren des Blattes war hermann Bahr. 17 Kenworth moffett: Meier-Graefe as Art Critic. prestel, münchen 1973. hans Belting (hrsg.): „nachwort“. In: J. meier-graefe: Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. münchen, Zürich 1987, S. 727–757. 18 hevesi 1906. S. 364–368. 19 die leiter der Secession waren bemüht, selbst den geringsten anschein des Kommerziellen zu vermeiden, da sie das Image eines eliteverbands anstrebten, der sich die vermittlung rein künstlerischer Werte zur aufgabe gemacht hat. auch das gehörte zur exklusivität. laut der offiziellen Statistik hatte die ausstellung 15.877 Besucher, und der erlös der verkauften Werke belief sich auf 49.350 Kronen. 20 Jensen 1994. S. 199–200. 21 Siehe Baron adolf Kohner, Baron mór lipót herzog, Baron ferenc hatvany, um nur die wichtigsten ungarischen Sammler zu nennen, die von

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dieser Zeit an mit vorliebe Impressionisten sammelten. 22 plein-air: aus dem Wiener Kunstleben. Impressionismus. WSmZ, 9. febr. 1903. 23 plein-air: aus dem Wiener Kunstleben II–III. WSmZ, 2. febr. 1903 (S. 4). 24 das zu schreiben, hatten andere Kritiker nicht gewagt. ebd., S. 4. 25 plein-air: aus dem Wiener Kunstleben Iv. WSmZ. nr. 6, mo., 9. febr. 1903 (S. 3). 26 als er 1910 eine Sammlung seiner artikel veröffentlichte, strich er viele passagen der sieben Jahre zuvor entstandenen texte über den Impressionismus und verzichtete auf die negative Kategorisierung der postimpressionisten. die Impressionisten, in: a. f. Seligmann: Kunst und Künstler von gestern und heute. Carl Konegen, Wien 1910, S. 41–49. 27 der heute gebräuchliche titel des Bildes lautet Dame mit Fächer; siehe im Budapester museum der Schönen Künste (Szépművészeti múzeum). 28 hevesi 1906. S. 416. 29 franz Servaes: Secession (vorläufer und Begründer des Impressionismus). nfp, 22. Jan. 1903. 30 franz Servaes: Secession. nfp, 31. Jan. 1903. 31 Julius meier-graefe: der Impressionismus in der malerei und Sculptur. nfp, So., 19. Jan. 1903. 32 Julius meier-graefe: entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. Stuttgart 1904. 33 die Besucherstatistiken sind sehr aufschlussreich. Während der Skandal um die fakultätsbilder jeder ausstellung mehr als 30.000 Besucher bescherte, betrug die Besucherzahl bei der Impressionistenausstellung nur 15.877 (siehe Die Wiener Secession. 1986, S. 162). 34 außer in einer kurzen mitteilung im FremdenBlatt berichtete hevesi im Pester Lloyd, also für die leser in der „heimat“, schließlich selbst über die ungarische ausstellung im Salon pisko. l. h.: ungarische Kunst in Wien. pl, 9. april 1903. 35 max nordau: der prozeß der Kritik. nfp, mi., 18. märz 1903. max nordau: der Salon der nationalgesellschaft. nfp, 1. mai 1903. 36 Zum Beispiel franz Servaes: Giovanni Segantini. gerlach, Wien 1902. Später hevesi über rudolf von alt. 37 ludwig hevesi: Aus dem Wiener Kunstleben. Kunst und Kunsthandwerk. 1902, S. 96. 38 an dem entwurf wurde eineinhalb Jahrzehnte gefeilt. das vorbild war das musée du luxembourg, das pariser museum für malerei, und hevesi nutzte jede gelegenheit, um die errichtung der Wiener einrichtung voranzutreiben. 39 die moderne galerie in Wien. pl, 6. mai 1903. 40 da die fachliteratur zur Wiener Werkstätte gewaltig ist, sei hier nur auf eine bahnbrechende arbeit und einige Kataloge als meilensteine der forschung verwiesen: Werner J. Schweiger: Wiener Werkstätte. Kunst und Handwerk 1903–1932. Wien 1982. 41 Beide waren offene und experimentierfreudige lehrkräfte der Kunstgewerbeschule (heute universität für angewandte Kunst), die auch im unterricht raum für künstlerische experimente ließen. die Kunstgewerbetreibenden, die in der Wie-

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ner Werkstätte arbeiteten, unter ihnen sehr viele frauen, waren ihre ehemaligen Schüler (siehe Schweiger 1982. S. 30–37). 42 ebd., S. 22–23. 43 vom Kaiser franz Josef-Stadtmuseum. die modelle. hevesi 1906, S. 436–439. l. h-i: der Kampf um das Wiener Stadtmuseum. pl, 19. mai 1903. 44 ludwig hevesi: Sonne Homers. Heitere Fahrten durch Griechenland und Sizilien 1902–1904. Stuttgart 1905. 45 vierte internationale Kunstausstellung, pl, 7. mai 1901. 46 Kunst und Kunsthandwerk 4/1903, S. 166. 47 für die aus acht malerinnen bestehende Künstlergruppe veranstaltete der Salon pisko jährlich ausstellungen. 48 ausführlich über die ausstellung berichtet Sármány 2009, S. 173–184. 49 ungarische Künstler, Kunst und Kunsthandwerk 4/1903, S. 168. 50 ebd. 51 ebd. 52 ebd. 53 vierte internationale Kunstausstellung, pl, 7. mai 1901. 54 Kunst und Kunsthandwerk. 1910, S. 131. 55 Zur Bedeutung und zur funktion der praxis der retrospektiven siehe Jensen: ebd.: The Retrospective, S. 107–137. 56 die dezente und geschmackvolle Installation, in der die Bilder und Zeichnungen hervorragend zur geltung kamen, hatte Kolo moser entworfen. 57 Bis dahin hatte (im mai 1901) nur viktor Krämer das privileg erhalten, sich mit seiner Werksausstellung allein in der Secession zu präsentieren. 58 laut der offiziellen Statistik der Secession waren es 29.112 Besucher, und mit dem verkauf der Bilder wurden einnahmen in höhe von 36.455 Kronen erzielt. 59 I.: die Klimt ausstellung in der Sezession. Die Zeit. 2. Jg., 14. nov. 1903. 60 gegen Klimt. vorwort von hermann Bahr. Wien, leipzig 1903. 61 hans Koppel: Wiener neuigkeiten – Bei gustav Klimt. Die Zeit. 15. nov. 1903. 62 er schrieb drei artikel für das Fremden-Blatt, einen für den Pester Lloyd, und auch in der Kunstchronik berichtete er über die ausstellung und die Jurisprudenz. ludwig hevesi: eine Klimt-ausstellung. In: Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe. neue folge, Bd. Xv, 1903, nr. 8, S. 136–138. 63 hevesi 1906. S. 444–448; das veröffentlichungsdatum ist der 15. november, was bedeutet, dass er den artikel in einer nacht geschrieben hat. 64 auch dieses Bild verbrannte 1945 in Schloss Immendorf, sodass es nur in einer schwarz-weißen reproduktion überliefert ist. Klimts naturalismus verstärkte auch der umstand, dass er die toten im anatomischen Saal der universität Wien gemalt hatte, was ihm der anatomieprofessor Zuckerkandl, der mann der Journalistin Bertha Zuckerkandl, mit der Klimt befreundet war, ermöglicht hatte.

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InternatIonaler erfolg und heImISChe nIederlage

65 franz Servaes: Klimt-ausstellung (Sezession). nfp. 23. nov. 1903. 66 armin friedmann: Klimt (XvIII. ausstellung der Secession). Wiener Abendpost. nr. 264, di., 17. nov. 1903. 67 friedmann spielt hier auf Walter paters damals allgemein bekannten und gefeierten essay zur mona lisa an, in dem das modell eine geheimnisvolle femme fatale ist. überhaupt ist der kritische essay ein paradebeispiel dafür, wie die frau im Wien des beginnenden Jahrhunderts (und von Klimt) dämonisiert wurde. 68 Karl Kraus: Zur Jurisprudenz. Die Fackel. nr. 21, november 1903. 69 plein-air: aus dem Wiener Kunstleben. III (Klimt-ausstellung). WSmZ, 30. nov. 1903. 70 ebd., S. 3. 71 richard muther: Klimt. Die Zeit. 72 hevesi 1906. S. 452–457. 73 hevesi 1906. S. 461–468. 74 hevesi 1906. S. 475–479. 75 l. h-i: Johann viktor Krämer. In: hevesi 1906. S. 468–471. 76 hevesi 1906. S. 479–483. 77 Klimts freund und Kollege Kolo moser war mit einer tochter aus der millionärsfamilie mauthner-markhof verheiratet. 78 Bertha Zuckerkandl: Österreich intim – Erinnerungen 1892–1942. amalthea verlag, Wien, münchen 1981. 79 a. f. S.: der fall Klimt. nfp. nr. 14597, mi., 12. april 1905. 80 die Medizin kaufte Klimts freund und Kollege Kolo moser, dessen frau ebenfalls aus einer millionärsfamilie (mauthner-markhof ) stammte. 81 diese Bezeichnung führte Werner hofmann in seinem Klimt-Buch ein. Siehe Werner hofmann:

Gustav Klimt und die Wiener Jahrhundertwende. galerie Welz, Salzburg 1970. 82 es war das Jahr der ersten russischen revolution (und ihrer niederschlagung), doch in der monarchie stand das zunehmend disharmonische verhältnis zwischen österreich und ungarn im mittelpunkt des Interesses. 83 a. f. S.: die Spaltung in der Sezession. nfp, 21. Juni 1905. 84 l. h-i: der Bruch in der Sezession. In: hevesi 1906. S. 502–505 und Sezession in der Sezession. pl, 22. Juni 1905. 85 hevesi 1906. S. 503. 86 aus dem Wiener Kunstleben. der Bruch in der Sezession. Kunst und Kunsthandwerk. 1905. S. 424– 429. ebd., S. 425, 428. 87 der ausgesprochen umständlich formulierte Brief wird in der Klimt-monografie von novotny und dobai zitiert. Siehe fritz novotny und Johannes dobai: Gustav Klimt (erster und unentbehrlicher Werkkatalog der gemälde Klimts). Salzburg 1967, S. 86. 88 ludwig hevesi: Wiener Totentanz. a. Bonz, Stuttgart 1899. 89 hevesi 1906. vorwort, S. 1. 90 die vordatierung von Büchern war zu Beginn des letzten Jahrhunderts wohl keine Seltenheit. auch freuds Traumdeutung war bereits im Spätherbst 1899 erhältlich, obwohl sie laut einband im Jahr 1900 erschienen ist. rezensionen über hevesis Oesterreichische Kunst erschienen schon im dezember 1902, auf dem einband steht jedoch 1903, und die ersten Besprechungen der Acht Jahre Secession erschienen bereits im dezember 1905. 91 max ruttkay-rothauser: ludwig hevesi’s Weihnachtsgabe. – Zwei neue Werke. pl, 24. dez. 1905.

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1906–1909 nach der spaltung der secession und nachdem er die chronik der heroischen Jahre, die essaysammlung Acht Jahre Secession, zusammengestellt und veröffentlicht hatte, konnte hevesi hoffen, dass es den vorreitern der experimentellen Wiener kunst, wenn auch in anderer form, gelingen würde, ihre Position in der kunstszene erneut zu festigen und auch ihren einfluss in der staatlichen kunstpolitik wiederzugewinnen. Wo er nur konnte, besprach er auch weiterhin klimts Bilder und setzte sich nach wie vor dafür ein, dass die fakultätsbilder doch in eine staatliche sammlung kamen.1 Wenn immer sich die Gelegenheit bot, schrieb er über die arbeiten der Werkstätte, von den architekten der secession in erster linie über die Gebäude von otto Wagner und Josef hoffmann.2 Über das künstlerisch erlesen gestaltete heim von fritz Waerndorfer, dem anglophilen Geschäftsführer der Wiener Werkstätte, schrieb er ein besonders interessantes feuilleton geschrieben.3 neben den vielen Gemälden von Gustav klimt war das von mackintosh und seiner Gattin margaret macdonald geplante, in silber, weiß und blassem fliederlila gehaltene musikzimmer der höhepunkt der raumaesthetik. hevesi beschrieb mit Genuss den fries mit den weinenden märchenprinzessinnen, deren tränen perlmutterfarben glänzten. „so weinen die sieben im fries und ihre tränen fallen. in langen, schwellenden tropfen, rings im ganzen Gemach. die stilisierte träne als leitmotiv der ganzen ausschmückung; jeder springende Punkt im ornament diese träne. in einer topfsteingrotte ist kein fünfuhr denkbar, in diesem weißen tränensalon sitzen die damen auf ganz niedrigen hochlehnigen stühlen und kommen sich wie Prinzessinnen vor, wie die lebengebliebenen natürlich (…) Warum nicht? muß denn alle tage alltag sein? lassen wir uns entrücken, wenn sich ein künstler die mühe nimmt. spielen wir entrückung (…) in diesem mackintoshzimmer ist ein großes Problem gelöst. das ungewöhnliche behaglich gemacht, das neue anheimelnd. es zieht einen ins vertrauen, man weiß nicht wie. (…) so eine umluft von Poesie ist um alles, so eine sachenverklärung. der Wohnraum des menschen ist wieder ein lebensraum geworden. seine vier Wände wieder seine Welt. (…) diese kunst macht den menschen menschlicher, stärker, gesünder, in sich abgeschlossener. sie lehrt ihn, sich über das leben hinwegzusetzen, um es sicher zu gewinnen. Je lockerer er die dinge hält, desto treuer haften sie an ihm. drei menschenalter ächteten den traum und klammerten sich an die Wirklichkeit. darüber verflüchtigte sich diese, und nie war mehr aberglauben der Welt als in dieser realienzeit. soziales, wirtschaftliches, politisches, rassenpsychologisches, wissenschaftliches vorurteil. Wie lange ist denn eine Wahrheit wirklich? so lange, wie nach ibsen, eine Wahrheit. ewig ist der traum. einer fähigkeit des träumens ist nun wieder spielraum gegönnt. es ist wieder

284. Gustav klimt: der kuss (ausschnitt), 1908

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erlaubt, Phantasie zu haben, in stimmung zu leben. Wir sind wieder eine gestimmte menschheit, das leben will wieder schön werden. und es kommen schon stellenweise nachmittage vor, an denen es ihm gelingt“.4 War 1909, in den letzten Jahren der habsburgermonarchie, dieser Ästhetizismus noch zeitgemäß oder gehörte er schon halb der vergangenheit an? die Welt ringsherum war voll von sozialen und nationalen spannungen und die jüngere künstlergeneration hatte nicht mehr die Geduld und den Willen, um ästhetisch zu träumen. sie kreierten unerhört brutale szenen als abbildung der alltäglichen Grausamkeiten (siehe schiele, kokoschka und die expressionistische Generation). sie wendeten sich gegen die Generation der Gesamtkünstler, gegen den narzisstischen symbolismus der „väter“ und verbohrten sich in die grausamen realitäten. hevesi wollte und hat die Generation der symbolisten (und stimmungssymbolisten) profund verstanden und emotionell unterstützt. doch er selbst musste denken, dass das eine moderne Phaiakenwelt ist. er analysierte, bewertete und lobte die entwürfe von otto Wagner und Josef hoffmann für die ausschreibungen5 und besprach die ausländischen ausstellungen der Wiener Werkstätte. (diese erschienen in seiner zweiten sammlung von kritiken: Altkunst – Neukunst [1909] erneut.) der unterschied zu den heroischen Jahren bestand darin, dass er in immer subjektiverem ton schrieb und seine texte mit immer mehr anekdoten und exkursen spickte. sein stil wurde abgehackter und oft leidenschaftlicher. das gilt nicht nur für seine feuilletons über klimt, sondern beinahe alle seine schriften aus dieser Zeit. dieser ton eignet sich für nekrologe (rudolf von alt6, ludwig speidel7), zieht sich aber auch durch seine übrigen artikel. er setzte also seine routine fort, indem er den geneigten leser durch die regelmäßigen Theaterbesprechungen sowie über die drei bedeutsamen künstlervereinigungen (secession, hagenbund und künstlerhaus) und die ausstellungen der Galerie miethke und des salon Pisko informierte, schien jedoch mit weniger elan über die neuen skulpturen und Gemälde zu schreiben als zuvor. das dürfte daran gelegen haben, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hatte. Während eines langen aufenthaltes in Griechenland8 hatte er sich ein magenleiden zugezogen, gegen das weder die karlsbader trinkkuren noch die diäten halfen. dennoch behielt er sein übliches tempo bei, ja es schien sogar, als hätte er 1905–1906 noch mehr aufgaben übernommen – weniger im Bereich der kunstkritik denn vielmehr als Publizist und novellist. ende 1905 veröffentlichte er gleichzeitig mit Acht Jahre Secession – wie schon erwähnt – ein taschenbuch mit humorvollen schriften unter dem titel Die fünfte Dimension.9 auch hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung eigenständiger humorvollsatirischer erzählungen. in 26 schriften zeigt er menschliche schwächen auf und schafft dadurch groteske situationen. hevesi erhält Briefe von dem verstorbenen Jules verne, der den himmel und die hölle erkundet und über ihre modernisierung berichtet, darüber also, wie dort die neuen technologien wie beispielsweise der elektrische strom angewandt werden. das ist die seite seiner schreibkunst, die sehr in der Zeit verwurzelt ist, also bereits um die Jahrhundertwende eigentlich aus der mode war und höchstens seinen altersgenossen vergnügen bereitete. der titel verspricht mehr utopien als in dem Band enthalten sind. Übrigens war die utopie eine heimliche lieblingsgattung

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hevesis, was auch daraus ersichtlich ist, dass er im laufe seines lebens eine sehr seltene und wertvolle sammlung von utopien zusammengetragen hat. dieser teil seiner Bibliothek wurde 1922 gesondert versteigert. auch das Theaterleben dieser Jahre konfrontierte ihn mit viel neuem, doch neben der Zusammenstellung der sammelbände mit ausgewählten Werken übernahm er auch aufgaben wie die festrede über schiller bei dem altehrwürdigen Wiener Journalistenund schriftstellerverein concordia.10 das galt als sehr große ehre. schillers hundertsten todestag feierten schriftsteller und literaten im gesamten deutschen sprachraum mit besonderem aufwand. dass es statt einem dichter oder literaturkritiker hevesi angetragen wurde, die festrede zu schreiben, die bei der matinee von Josef kainz, dem starschauspieler des Burgtheaters, vorgetragen wurde, bedeutete, dass man ihn als schriftsteller anerkannte. Über das ereignis berichtete ein kollege mit der signatur J. st., laut welchem hevesi eine geniale schillersche „rolle“ für den schauspieler geschrieben hatte, die dieser meisterhaft „spielte“ und dafür großen applaus erntete. hevesis poetischer text wurde in vollem umfang im Pester Lloyd abgedruckt.11 er hatte schon 1902 einen vortrag über nikolaus lenau in der concordia gehalten, der am nächsten tag in der Neuen Freien Presse erschienen war.12 dass dieser eine sehr gute resonanz fand, war wohl der Grund dafür, dass man hevesi auch anlässlich der schiller-feierlichkeiten bat, die festrede zu schreiben. unterdessen gab es auch einige beachtenswerte ausstellungen der kollegen der klimt-Gruppe, die in der secession geblieben waren, ja sogar solche, die regelrecht lücken füllten oder einer neuen nationalen malerschule die Gelegenheit boten, sich in Wien vorzustellen. die erste ausstellung nach der spaltung, die XXiv., war der modernen religiösen kunst gewidmet. die von Josef Plečnik, einem bedeutenden slowenischen schüler otto Wagners, entworfene installation integrierte die einzelnen Werke im sinne des Gesamtkunstwerkkonzepts13 (abb. 285). die installation war das Werk von Josef Plečnik, die Wandgemälde stammten von ferdinand andri. unser kritiker lobte begeistert die herausragenden arbeiten, darunter die Glasfensterentwürfe des Polen Józef mehoffer, die er für die kathedrale im schweizerischen fribourg angefertigt hatte. er schreibt entzückt über die religiösen Gemälde von maurice denis (die für die Notre Dame de l’École angefertigte reihe) und erläutert verteidigend Gauguins in Wien ausgestellte Heilige Familie, die bereits zu dessen tahiti-Periode gehört. in der XXv. ausstellung wurden die gemäßigt modernen deutschen Zeitgenossen und die Bilder der münchener künstlergemeinschaft Die Scholle vorgestellt. in der XXvi. im frühjahr 1906 waren drei säle der krakauer vereinigung Sztuka, das heißt der modernen polnischen malerei, gewidmet.14 in der XXvii. ausstellung wurden in einem saal die Werke des gerade verstorbenen französischen malers eugène carrière, der ein freund rodins war, gezeigt. die XXviii. im Januar 1907 präsentierte wieder die deutschen, und zwar eine kollektive ausstellung der münchener secession, die von offizieller seite für so wichtig gehalten wurde, dass sogar der bayerische herrscher, Prinzregent luitpold, nach Wien reiste, um die ausstellung zu besuchen, und kaiser franz Joseph ihn begleitete. das war der zweite Besuch des kaisers im Gebäude der secession.15 die secession (mit offiziellem namen Verein Bildender Künstler) hatte das Gebäude im Jahr 1907 ursprünglich für zehn Jahre zur nutzung von der stadt Wien erhalten, doch dann verlängerte die stadt das mietverhältnis bis 1918. im sommer wurde das

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285. XXiv. ausstellunG der Wiener secession, innenaufnahme: stirnWand von saal i, von Josef Plečnik, oBen: „die heiliGe dreifaltiGkeit” von ferdinand andri

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Gebäude unter der aufsicht des architekten robert oerley renoviert, und dabei wurde auch das von hevesi geprägte motto „der Zeit ihre kunst, der kunst ihre freiheit“ entfernt. obwohl er sich nicht beklagte, muss diese „Geste“ den kritiker empfindlich getroffen haben.

Hevesis Essay für „The Studio“ außer der „vordatierten“ Acht Jahre Secession erschien 1906 noch eine andere wichtige Publikation hevesis, in der er dem internationalen Publikum einen Überblick über die moderne österreichische malerei gab, und zwar auf englisch in der Zeitschrift The Studio. The Studio, vielleicht die modernste englische kunstzeitschrift mit dem größten internationalen ansehen16, berichtete ab und zu über die bildende kunst eines bestimmten landes. Zwar standen vor allem kunstgewerbe und architektur im mittelpunkt, es waren jedoch auch regelmäßig rezensionen zur modernen malerei und zur ausstellungsszene zu lesen. die sondernummer über die kunst Österreichs mit dem titel The Art-revival in Austria verfassten drei autoren: hevesi schrieb über die malerei, dr. hugo haberfeld17 über die Bildhauerei und die architektur und die in Wien lebende (schon mehrmals erwähnte) englische Journalistin amelia sara levetus18 (die in The Studio auch zuvor regelmäßig über die ereignisse in der dortigen kunstszene berichtet hatte) über das kunstgewerbe.

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die sondernummer19 war reich illustriert und enthielt auch sechs farbige reproduktionen, darunter ein aquarell von rudolf alt und klimts Aufsteigendes Gewitter. hevesi musste für das internationale Publikum auf 16 seiten zusammenfassen, was er für das Wichtigste hielt. er beginnt mit einem meisterhaften minipanorama, beschreibt die künstlerischen traditionen und die atmosphäre Wiens, verweist auf die historischen traditionen (niederlande und venedig), die durch bedeutende kunstsammlungen auf die in Wien lebenden künstler wirkten und betont dann die geschmacksbestimmende rolle der Barockmalerei und erklärt, Wien sei eine rubens-stadt, eine barocke stadt. auf der Grundlage dieser einflüsse haben sich die führenden Persönlichkeiten des österreichischen historismus, hans makart und hans canon, entfaltet. er integriert alle wichtigen meister der Zeit kaiser franz Josephs in das Gesamtbild und vergisst auch die rahl-schule, die akademie und die Wirkung des kolorismus der Pariser orientalisten nicht, als er auf die rolle Pettenkofens und emil Jakob schindlers hinweist. auch Waldmüller, anton romako und Theodor hörmann werden als vorläufer der modernen Bestrebungen genannt, dann stellt hevesi auf eineinhalb seiten rudolf von alt, den Großmeister der aquarellmalerei, den virtuosen der Wien-veduten, vor, in dem er die verkörperung des „Wienertums“ sieht, da er ein „urwiener“ gewesen sei. am ende seiner durch eine kontinuierliche künstlerische metamorphose geprägten laufbahn habe er späte meisterwerke geschaffen, die eine verwandtschaft mit dem Pointilismus aufwiesen. mit rudolf von alt leitet hevesi zur secession über, deren vorgeschichte er ebenfalls wiedergibt und dabei die schottische/englische inspiration durch die ausstellung der „Boys of Glasgow“ und das befruchtende Gastspiel der münchener secession im Jahr 1894 hervorhebt. in die klimt gewidmeten eineinhalb seiten zwängt er dessen gesamte laufbahn, die Beschreibung der kulturellen Gegebenheiten und eine nuancierte analyse seiner hauptwerke. darüber hinaus dramatisiert er klimts lage und das schicksal der fakultätsbilder auf meisterhafte Weise: „sein name war sozusagen ein schlachtruf; für viele wurde er zur bête noire – und ist es geblieben. seine drei großen fakultätsbilder für die aula der universität – Philosophie, medizin und Jurisprudenz – repräsentieren drei Jahre ästhetischen krieg und Bürgerkrieg, während dessen es sogar unter den Professoren heftige kontroverse gab.“20 das kleine künstlerporträt ist eine ehrliche huldigung an klimts Größe, den hevesi geschickt von allen anschuldigungen der kritik freispricht, oder dessen von anderen beanstandete eigenschaften er als vorzüge darstellt. er meint: „klimt ist der absolute, progressive, hemmungslose künstler das genaue Gegenteil eines malers für Jedermann. … doch seine kleinen und großen Phantasmagorien gehen weit über das verständnis des – in kunstfragen – einfachen menschen hinaus, weil sie wirklich etwas neues in der dekorativen malerei darstellen.“21 klimts Werdegang schließt er mit der Beschreibung des Beethoven-frieses ab. in der reihe der miniporträts der übrigen meister der secession hebt er diejenigen hervor, die einen individuellen ton angeschlagen haben. Bei carl moll lobt er neben den Werken auch das organisationstalent und das diplomatische Geschick des malers: „er war das triebmittel der neuen Bewegung, der fürsprecher der schönen künste ohne Portfolio.“22 hevesis text ist ein meisterwerk der verdichtung. es gelingt ihm, jeden der besprochenen meister in wenigen Zeilen lebendig darzustellen oder mit einem einzigen treffen-

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den attribut zu charakterisieren. dabei gestaltet er das Gesamtbild durch eine fülle unerwarteter hintergrundinformationen ausgesprochen abwechslungsreich. nach der secession wendet er sich den hauptfiguren des hagenbundes zu. „der Beitrag der slaven zur kunst der monarchie ist sehr bedeutsam. Bei ihnen ist die Ästhetik zugleich auch Politik, und künstlerische entwicklung bedeutet auch einen Zuwuchs an nationaler Bedeutung.“23 er beginnt mit den Polen, die es nach matejko und Grottger jetzt mit „ethnografischen“ stilen versuchten. im text werden alle bedeutenden polnischen maler der Zeit genannt (abb. 286). dann folgen die tschechen (ludek marold, alfons mucha, adalbert hynais sowie, kürzer besprochen, antonín slavíček und antonín hudeček), dann vier „tschecho-slawische“ (czecho-slav – sic!) künstler (hans schwaiger, Joza uprka, max Švabinský und emil orlik). als unzulänglichkeit könnte man höchstens anführen, dass er nicht über die künstlervereinigungen Manes und Sztuka schreibt, lediglich einzeln über ihre mitglieder. als letztes folgt die vorstellung der meister des Wiener künstlerhauses, die er im Übrigen nicht den modernen zuordnet. es handelt sich um die älteren Porträtmaler heinrich von angeli und leopold horovitz, den ungarischstämmigen fülöp lászló, arthur ferraris und Josef koppay. in Bezug auf das künstlerhaus räumt er in einem halben satz ein, dass es sich an die neue Zeit angepasst und sich die moderne künstlerische anschauung zu eigen gemacht habe.24 nach den Genremalern und den symbolisten hebt er die schwer zu kategorisierenden Bilder von albin egger lienz hervor und bezeichnet den tiroler meister als „postumen historienmaler“. die Zusammenfassung schließt mit einem tableau der Grafiker. auf diese Weise hat er ein kleines Gesamtbild der zeitgenössischen künstlerischen Bestrebungen in der westlichen hälfte der habsburgermonarchie gezeichnet.

„Navigare necesse est“ den schwerpunkt der tätigkeit der klimt-Gruppe im rahmen der Wiener Werkstätte bildete in diesen Jahren die Gestaltung kompletter Wohnungsinterieurs. 1906 begannen sie mit den arbeiten an einem Palais des belgischen stahlmagnaten und millionärs stoclet (in Brüssel), die die Größenordnung eines staatlichen auftrags hatten. das mosaik für den speisesaal mit marmornen Wänden entwarf klimt: es stellte eine variante der komposition Der Kuss, das sich umschlingende liebespaar unter einen lebensbaum, dar.25 die arbeiten zogen sich lange hin, noch 1911 erfolgten lieferungen an stoclet. die Galerie miethke im herzen der innenstadt, am Graben, war schon seit 1905 klimts eigener ausstellungsraum. ihr künstlerischer leiter, der die ausstellungen organisierte, war carl moll. er war – wie schon füher betont - selbst ein erstklassiger maler, in dessen villa auf der hohen Warte sich die elite der künstlerszene regelmäßig traf, darunter auch Gustav mahler,26 und schriftsteller wie arthur schnitzler, hugo von hofmannsthal oder hermann Bahr. die erste wichtige klimt-ausstellung nach der spaltung der secession fand ebenfalls in der Galerie miethke statt, und zwar im sommer 1907, als der maler seine drei fakultätsbilder wieder ausstellte (die er hier und dort geändert hatte, damit sie stärker als Zyklus wirkten), und auch eine reihe neuer Gemälde

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wie die beiden aufsehenerregenden Porträts von fritza riedler und das goldene Porträt der adele BlochBauer. hevesi widmete dem ereignis zwei artikel, dabei prägte er den Begriff „malmosaik“, den dann auch die kunsthistoriker übernahmen.27 fast wie ein Besessener wiederholte er in seinen artikeln immer wieder, Wien sei eine „klimt-stadt“ und klimts hauptwerke gehörten in eine staatliche sammlung. Über die ausstellung bei miethke schrieb auch seligmann einen langen essay, den er für so wichtig hielt, dass er ihn 1910 unter dem titel Revenants (auferstandene) in seinem essay-Band (mit abhandlungen von 1910) erneut veröffentlichte.28 der titel spielte auf die fakultätsbilder an, die damals nicht mehr im Besitz des staates waren, sondern privaten sammlern gehörten. der als kritiker tätige malerkollege war noch immer unnachgiebig, urteilte scheinbar von der Warte des L’art pour l’art aus und stempelte jegliche „Gedankenmalerei“ als negativ ab, da sie ein der malerei fremdes kriterium berücksichtige. der überwiegende teil des Beitrags besteht aus der scharfen kritik an der Wiener kunstszene. obwohl er anerkannte, dass klimt ein bewundernswert virtuoser meister war, vertrat er die ansicht, er könne für die künstlerische aufgabe der fakultätsbilder nicht geeignet gewesen sein, da sein talent einschmeichelnd süßlich sei.29 er riet klimt, den „affektierenden stil“ der letzten Jahre aufzugeben und diesen lieber kolo moser und den kunsthandwerkern zu überlassen, die um jeden Preis modern wirken müssten, weil die snobistischen käufer es so wünschten.30 seligmanns artikel hat hevesi höchstwahrscheinlich sehr geärgert, vor allem wegen des hinweises auf die snobistischen käufer. als antwort hat er im Pester Lloyd einen geistreichen beißenden feuilletonbeitrag über den „snob“ veröffentlicht.31 er berichtet, dass sich die Besucher der klimt-ausstellung, die den maler vergötterten beziehungsweise beschimpften, gegenseitig beleidigt und als snobs bezeichnet hatten. nachdem er die etymologie des Wortes analysiert und sogar noch auf Thackerays essaysammlung32 von 1846– 1848 verwiesen hatte, machte er sich auf die suche nach der meinung, die sich in Wien gebildet hatte, dass nämlich diejenigen, die die secession, klimt oder die Wiener Werkstätte unterstützten, von der Gegenseite für snobs gehalten wurden. obwohl auch hevesi sachte gegen die übermäßige Begeisterung für die stilkunst stichelte – besonders gegen die steinreichen damen, die ihre Wohnungen ausschließlich im stil der Wiener Werkstätte einrichteten und sich in diesem stil kleideten –, verteidigte er die snobs, die er – da es sich nicht um bornierte Philister handelte – als für die kunst unentbehrlich betrachtete. die kontroverse in der Wiener kulturpresse war damit noch nicht beigelegt, sie hatte sich für die gesellschaftliche elite zu einem richtigen neuralgischen Punkt entwickelt. es ging um die frage, was die förderung des experimentierenden modernismus bedeu-

286. stanisłaW WysPiański: aPollo – illustration Zur ilias

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287. stanisłaW WysPiański: die seelen der helden – illustration Zur ilias

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tete und was seine anhänger motivierte. in der im november beginnenden Winterausstellungssaison zog die debatte weitere kreise; die klärung der frage stellte für die mäzene einleitung und kommentare zu der im darauffolgenden Jahr veranstalteten Kunstschau dar. die Jahre nach der spaltung der secession standen im Zeichen des vielfältigen Pluralismus, mit sehr vielen interessanten ausstellungen, von denen jedoch keine kanonisierend oder skandalös neu und aufrührerisch war. in den ausstellungen des hagenbundes, der mit der secession und der Galerie miethke rivalisierte, wurden nacheinander die tschechischen und die polnischen (selten auch ungarischen) malergruppen der monarchie sowie ausländische Gruppierungen und schulen vorgestellt, außerdem Größen der internationalen kunstszene, die im Grunde schon seit mindestens 15 Jahren auf sehr hohem niveau, aber unter Wiederholung der früheren stile die moderne kunst vertraten. das Publikum gewöhnte sich an die vielen individuellen varianten des impressionismus, man genoss die abwechslungsreichen und dekorativen Gemälde, und die kunstliebhaber der elite konnte nichts mehr empören, solange es gut gemalt war. von 1906 an mehrten sich gerade in der Galerie miethke Gastauftritte von malern eines stils nach dem impressionismus, die einfach Postimpressionisten genannt wurden. Zunächst waren 45 Gemälde von van Gogh zu sehen33, dann eine größere Gauguin-kollektion34 und eine von toulouse-lautrec35. auch das Jahr 1907 brachte nicht viele Überraschungen. außer über die ereignisse vor ort berichtete hevesi über die internationalen ausstellungen in venedig36, münchen37 und mannheim38. außerdem war er – wie seine feuilletons belegen – auf einer kürzeren reise in frankreich.39 hevesi registrierte die tätigkeit der künstler sorgfältig und pflichtbewusst und zeigte auch ihren gesellschaftlichen kontext auf. außerdem lieferte er brillante analysen der ausländischen meisterwerke (z. B. der Perlen der polnischen malerei, die auch heute noch als hauptwerke gelten (abb. 287), von Wyspiański, ruszczyc und mehoffer40), doch in Wahrheit quälte ihn noch immer die frage, wie er seine nachhutgefechte für klimt austragen sollte, den er – nach unseren heutigen kenntnissen zu recht – für einen der größten symbolisten der Zeit hielt. er konnte sich nicht damit abfinden, dass seine hauptwerke nicht in öffentliche sammlungen kamen. außerdem war er davon überzeugt, dass die sogenannte klimt-Gruppe (die seit 1906 unter dem namen Österreichischer künstlerbund41 ein verein war) den modernen österreichischen stil nicht nur geschaffen hatte, sondern ihr Wirken eine Wiener kunstepoche darstellte, deren Bedeutung in der Geschichte Wiens ähnlich sein würde wie die des Biedermeier. dass diese maler, architekten und universellen designer wie beispielsweise kolo moser einen Zeitstil geschaffen hatten, war für ihn 1908 bewiesen.

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Die Kunstschau 1908 in diesem Jahr feierte das reich – zumindest aber sein cisleithanischer teil – das 60. Thronjubiläum franz Josephs.42 obwohl der herrscher nichts von feierlichkeiten hören wollte, weil er es für sinnlos hielt, dass der staat riesige summen dafür ausgab, musste er schließlich dennoch klein beigeben. (seine politischen Berater hatten argumentiert, eine ausstellung und die reihe von feierlichkeiten, bei denen die erreichten ergebnisse öffentlich präsentiert werden, würde die kohäsion des reiches stärken.) all das bedeutete nicht nur arbeit, sondern auch viele sehr gut bezahlte aufträge für die künstler. das künstlerhaus, die secession und der hagenbund huldigten dem kaiser mit festlichen ausstellungen. das künstlerhaus ergänzte die Präsentation des zeitgenössischen materials nach seiner nunmehr eigenen tradition alle zehn Jahre durch eine historische ausstellung. das traditionsreiche, aber ephemere ereignis, das umso mehr vorbereitungen erforderte, der Festzug, hatte dieses mal ethnografischen charakter.43 unter den ausstellungen waren auch ausgesprochen denkwürdige, so zum Beispiel die internationale architekturausstellung44 und der damit verbundene kongress und die Kunstschau, die die klimt-Gruppe im auftrag der stadt Wien organisierte45 (abb. 288). sie brachte für sie – und für hevesi – vorübergehend die hoffnung auf eine fortsetzung der Glanzzeit. sie machten sich mit enormer Begeisterung und riesigem elan an die Planung, an die errichtung des nur als vorübergehend gedachten Pavillons auf dem Grundstück, auf dem sich heute das konzerthaus, die eisbahn und das hotel hilton in unmittelbarer nähe des stadtparks befinden.46 sie mussten innerhalb sehr kurzer Zeit den rahmen schaffen und die enorme menge an exponaten zusammenstellen. dieser schwanengesang der vertreter der stilkunst realisierte das auf vollständigkeit abzielende Gesamtkunstwerkideal, das alle Bereiche des lebens in die künstlerische Planung einbezog, fast vollständig.47 179 künstler stellten in 54 sälen ihre Werke aus. in dem von Josef hoffmann klug konzipierten Pavillonsystem komponierten seine kollegen und schüler die Bereiche des menschlichen lebens von der Wiege bis zur Bahre. vom kinderspielzeug über alle Winkel des Zuhauses, die textilien, die kleidung, die Bilder und Plakate bis hin zu den Grabsteinen planten sie alles mit ästhetischen und ausgewählt modernen formen. auch der Garten war teil des designs, und durch ein freilichttheater konnten auch die reformen der stilkunst im Bereich der Theaterkunst in die show einbezogen werden. im hauptsaal der malereiabteilung der ausstellung wurden klimts Gemälde gezeigt, im mittelpunkt der soeben fertiggestellte Kuss (abb. 289),

288. Josef hoffmann: hauPteinGanG des ausstellunGsGeBÄudes und Grosser hofGarten, kunstschau Wien, 1908

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289. Gustav klimt: der kuss (lieBesPaar) 1908

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eines der hauptwerke des sogenannten goldenen Zeitalters. (dieses Bild kaufte dann das kultusministerium für die moderne Galerie für die stattliche summe von 25.000 kronen.48) klimts Werke wurden bei diesem anlass von praktisch allen rezensenten gelobt, einige schrieben mit wahrem Pathos über sie, so zum Beispiel der dichter und schriftsteller altenberg: „raum 22, die Gustav-klimt-kirche der modernen kunst.“49 (abb. 290, 291) hevesi schrieb in vier langen artikeln über die ausstellung.50 kaum zwei Wochen vor der eröffnung berichtete er mit dem titel „von der klimt-Gruppe“ über die vorbe-

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reitungen.51 mit schwung schrieb er über die hektischen arbeiten, die organisation hinter den kulissen, die art, wie die künstler-lehrkräfte ihre schüler, die neue Generation, in die arbeit einbezogen, wie die einzelheiten diskutiert wurden. „es ist wie ein nachklang der Begeisterung, die einst die sezession geschaffen.” im mittelpunkt des artikels steht erneut klimt. hevesi schreibt nicht über seine arbeiten, sondern zeichnet ein sehr persönliches und unmittelbares Porträt von ihm, seinem täglichen arbeitsrhythmus und seinen Gewohnheiten – schließlich kennt er das Publikum und weiß, wie neugierig es auch auf das Privatleben und die Gewohnheiten berühmter menschen ist. einen tag vor der eröffnung am 1. Juni stellte er den potenziellen Besuchern die ausstellung ausführlich vor, indem er sie durch alle fünf Pavillons führte und unter den schülern der kunstgewerbeschule auch auf kokoschka hinwies. die berühmte und viel zitierte Passage ist keineswegs abschätzig, sondern eine treffende darstellung dessen, was ein durchschnittlicher Betrachter im Jahr 1908 angesichts der Werke empfunden haben dürfte.52 der satz ist ein raffinierter indirekter verweis auf den Pariser Salon d’Automne von 1905, als ein kritiker matisse und seine Gruppe als „die wilden (fauves)” bezeichnete: „auch an einem, Wilden kabinett‘ fehlt es nicht. der oberwildling heißt kokoschka und man verspricht sich viel von ihm, aber nicht für Philisterkinder. kokoschka ist ein hübscher junger mann und begabter schwärmentöter; für seine drei wandgroßen skizzen zu Gobelins für ein tanzzimmer wird er in der luft zerrissen werden, aber das wird ihm und der luft gut tun.”53 diese paar Zeilen sind ein typisches Beispiel für seinen komplizierten und geistreichen stil, der voller versteckter verweise und Wortspiele sowie überraschender und unerwarteter Wortfügungen ist. die scheinbar zum selbstzweck zum Besten gegebenen Wortspiele haben codierte Bedeutungen, mit etwas ironie gespickt. um die kompakte „Botschaft“ dieser Zeilen zu verstehen, musste der leser den verweis auf Paris erkennen, außerdem dass hevesi die reaktion der konservativen Betrachter vorhersieht, zugleich aber spürt, dass all das dem jungen künstler nicht schaden wird. hevesi stellte häufig

290. kolo moser: klimtsaal – kunstschau, 1908 291. koloman moser: klimtsaal – kunstschau, 1908

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292. Gustav klimt: sonnenBlume, 1907

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so hohe ansprüche an seine leser, er erwartete, dass sie gut informiert und gebildet waren. andererseits streut er hier und da auch ganz offen informationen ein, die an der Grenze zur Werbung liegen, zum Beispiel als er die arbeiten der klasse von Professor czeschka vorstellt und ihren internationalen erfolg betont. der dritte artikel über die Kunstschau erschien erst einen monat später, unter dem titel „Weiteres von klimt“54; er war ganz den Bildern des malers gewidmet. hevesi berichtete erfreut: „das unterrichtsministerium hat klimts ‚liebespaar‘ (= der kuss) für die moderne Galerie erworben und gleichzeitig die stadt Wien eines der älteren von seinen neueren damenbildnissen. regierung und Gemeinde hatten die glücklichsten eingebungen, die man heute in Wien

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haben kann, wenn man kunst fördern will.“55 den minister dr. marchet hat er gesondert persönlich dafür gelobt, dass er die Kunstschau finanziell unterstützt und auch Bilder gekauft hat. danach folgt eine lange und gründliche analyse von klimts malerei, die voller unerwarteter und ungewöhnlicher erkenntnisse ist (z. B. zu klimts archaismus, den Quellen seiner inspiration, darüber, wie mutig und souverän er aus dem stilistischen repertoire der vergangenheit schöpft, ohne eklektisch zu sein). das berühmt gewordene Wort für die mosaikmalerei des goldenen Zeitalters (malmosaik) hat hevesi in der klimt-literatur eingeführt. der abschnitt über die Sonnenblume, in dem er die Blume mit einer verliebten fee vergleicht, ist schon fast ein freier vers56; er ist eine inspirierte lyrische reflexion auf das Bild, ein von einem kunstwerk inspiriertes kunstwerk, also ein stück aus der anthologie der kunst der empathischen kritik. (abb. 292) der nächste feuilletonbeitrag zur Kunstschau57 lobte einen ganz anderen stil, die statische, beinahe schon barbarische und militante monumentalisierung in franz metzners skulpturen (abb. 293). das internationale echo der Kunstschau war voller anerkennung, alle wichtigen deutschen kunstzeitschriften und viele tageszeitungen brachten reich illustrierte artikel über die ausstellung58. das war besonders für die Wiener Werkstätte im hinblick auf die erweiterung des käuferkreises wichtig.59 nur den Gegnern fiel auf, dass auch die begeisterten rezensionen in den deutschen Zeitschriften überwiegend von Wienern stammten, die die Werbung dieses mal außerordentlich gut organisiert hatten. sie haben das ereignis beispielhaft dokumentiert, mehr als 300 fotos zeigten die säle, die Gegenstände und die Werke60 (abb. 294). die vorbildlich organisierte Publizität erreichte endlich, dass auch die deutschen (die die kunst der als teil der deutschen kultur geltenden kaiserstadt traditionell sehr kritisch betrachteten) anerkannten, dass die modernität Wiens eine andere war als darmstadts oder Berlins Jugendstil. Zu recht stellte hermann muthesius, einer der angesehensten deutschen kulturpolitiker und architekten, fest: „man erkennt mit erstaunen, dass hier schon eine lokale tradition erstanden ist, die als etwas fertiges vor unseren augen steht, und es wird wieder einmal sonnenklar, dass auch die stilwandlungen der Zeit im letzten ende von Persönlichkeiten ausgehen, dass das Zeitalter nichts weiter zu dem kulturgemälde liefert, als den malgrund. diese Wiener moderne kunst ist vielleicht das einheitlichste und vollkommenste, was unsere Zeit bisher hervorgebracht hat.“61 die Wiener kritiker waren wie üblich in zwei lager gespalten und von der ausstellung entweder vollkommen hingerissen62 oder überhaupt nicht begeistert von dem, was sie gesehen hatten, weil sie die modernen stilexperimente von vorneherein ablehnten oder weil sie die hybris und der snobismus des modernen lagers irritierte. karl kraus hat in erster linie die gesellschaftlichen aspekte äußerst sarkastisch kommentiert und otto stoessls artikel publiziert.63 eduard Pötzl machte aus der Perspektive des laienbetrachters ironische Bemerkungen.64 von seligmann war natürlich auch nichts anderes als feindliche kritik zu erwarten, die er nunmehr für das feuilleton der Neuen Freien Presse schrieb. nach dem tod von Theodor herzl fanden bei der Zeitung 1904 erhebliche veränderungen statt. neuer feuil-

293. kunstschau Wien 1908, der metZner-saal

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294. Plakatwand in der kunstschau, 1908

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letonredakteur wurde Franz servaes, der auf der seite der modernen stand, jedoch die aktuellen artikel von da an nicht selbst schrieb; das übernahm seligmann, der unerbittlichste, wenn auch äußerst kenntnisreiche und gut informierte kritiker der secession. er schrieb eine Zeit lang auch noch kritiken für seine alte Zeitung, die Wiener Sonn- und Montagszeitung, sein hauptforum wurde jedoch die Neue Freie Presse, wo er bis 1932 kritiker für die bildenden künste war.65 außer ihm schrieb noch der von herzl zur Neuen Freien Presse protegierte max nordau viel, der seine außerordentlich konservativen Feuilletonbeiträge über die ausstellungen des salon aus Paris schickte und ab und zu artikel zur Ästhetik im Geiste seines alten Buchbestsellers Die entartete Kunst schrieb.66 die Kunstschau, die klimt mit einer rede eröffnete, in der er die künstler und die mäzene als mitglieder einer idealen Gemeinschaft bezeichnete, stellte den höhepunkt des wiener secessionsstils und zugleich den Beginn seines niedergangs dar. der malerfürst wiens (denn das war er bereits, aber ganz anders als früher makart) fasste im Grunde zusammen, wovon man seit der Gründung der secession mit unbeirrbarem idealismus geträumt hatte und woran man glaubte: „auch das unscheinbarste ding, wenn es vollkommen ausgeführt wird, die schönheit dieser erde vermehren hilft, und dass einzig in der immer weiter fortschreitenden durchdringung des ganzen lebens mit künstlerischen absichten der Fortschritt der kultur gegründet ist. demgemäß bietet ihnen diese ausstellung nicht die abschließenden ergebnisse künstlerischer lebensläufe. sie ist vielmehr eine kräfterevue österreichischen kunststrebens, ein getreuer Bericht über den heutigen stand der kultur in unserem reiche. und weit wie den Begriff, ‚kunstwerk‘ fassen wir auch den Begriff ‚künstler‘. nicht nur die schaffenden, auch die Genießenden heißen uns so, die fähig sind, Geschaffenes fühlend nachzuerleben und zu würdigen. Für uns heißt ,künstlerschaft‘ die ideale Ge-

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meinschaft aller schaffenden und Genießenden. und dass diese Gemeinschaft wirklich besteht und stark und mächtig ist durch ihre Jugend und kraft und durch die reinheit ihrer Gesinnung, das beweist die tatsache, dass dieses haus gebaut werden konnte, dass jetzt diese ausstellung eröffnet werden kann.“67 diese künstlerische „kraftdemonstration“ ermöglichten außer dem staat in erster linie die Plutokratenfamilien, die die Kunstschau finanzierten, bei denen sich klimt symbolisch bedankte, indem er diese wirklich großzügigen und begeisterten mäzene in die „künstlerschaft“ aufnahm und quasi zu rittern der kunst schlug. diese „ernennung zu passiven künstlern“ hatte ihren Preis. sie mussten für das defizit aufkommen, nachdem die ausstellung geschlossen worden war, und zwar für nicht weniger als 76.000 kronen.68 verblüffend ist, dass der materielle verlust der ausstellung selbst dann noch größer war (wenn man die inflation berücksichtigt) als der Betrag, für den (zehn Jahre früher) der Pavillon der secession erbaut worden war. Zu einer so großangelegten und alles umfassenden künstlerischen kraftdemonstration hatte der moderne Zweig der Wiener kunst keine zweite möglichkeit. Zwar wurde der österreichische Pavillon bei den jeweiligen internationalen ausstellungen (nach den Plänen von Josef hoffmann) auch danach stets im modernen stil errichtet (siehe rom 1911, köln 1912), aber er wurde immer kleiner und beherbergte weniger exponate als bei der Kunstschau. auch der politische horizont verdunkelte sich, mit der Besetzung Bosniens geriet die monarchie auch international in eine schwierige lage. die Balkankriege anfang der 1910er Jahre erlaubten es nicht, dass die fragen der kunst auch weiterhin im mittelpunkt des öffentlichen interesses standen. schon die Kunstschau hatte weniger Besucher gehabt, als die organisatoren erwartet hatten.69 obwohl das Besuchen von ausstellungen beim Bürgertum eine wichtige form der unterhaltung und der Bildung war, machten sich die auswirkungen der stetig steigenden inflation und der schlechter werdenden finanziellen lage auch in diesem Bereich bemerkbar. der fantastische luxus, den die Gegenstände der Wiener Werkstätte ausstrahlten, konnte auch befremdlich sein, war für den durchschnittsbürger auf jeden fall unerschwinglich. die medienpräsenz der modernen kunst (und der modernen künstler) hatte sich nicht verringert, doch die aufträge kamen auch weiterhin nur von der sehr kleinen gesellschaftlichen elite, „kerngruppe der künstlerschaft“ und – wenn auch in anderer form – von den aufgeschlossenen leitenden kulturpolitikern der stadt, sodass sie das Gesamtkunstwerkideal des Wiener secessionsstils aufrechterhielten. das bedeutete natürlich nicht, dass das kunstgewerbe, die massenbauvorhaben und die zahlreichen kleinmeister nichts von der formensprache dieses stils übernommen haben. die nachahmer des vereinfachten – und oftmals ausgelaugten – stils von otto Wagner und der Wiener Werkstätte bauten in der ganzen monarchie und waren davon überzeugt, dass sie damit selbst zeitgemäß und modern waren. die modernen künstler der anderen drei großen nationen, die damals zur österreichisch-ungarischen monarchie gehörten, schufen jedoch eine modernität mit einer anderen, bewusst anderen, formensprache für ihre jeweilige nation, die ihre andere identität betonte. sie übernahmen nur hier und da elemente aus der Wiener formensprache und verknüpften sie mit den lokalen traditionen.

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295. raumansicht: internationale kunstschau Wien: die neuesten franZosen, 1909

Die Internationale Kunstschau 1909 obwohl die ausstellungspavillons von Josef hoffmann nur für die einmalige nutzung gedacht waren, aber sich die Gebäude noch in einem guten Zustand befanden, wurden sie, da man auf dem Grundstück im darauffolgenden Jahr noch nicht mit dem Bau des konzerthauses beginnen konnte, nicht abgerissen, sondern man bot die möglichkeit der veranstaltung einer zweiten Kunstschau an, deren exponate die klimt-Gruppe dieses mal überwiegend aus den Werken ausländischer Zeitgenossen zusammenstellte.70 für das Wiener Publikum waren das allerneueste die französischen maler, die hevesi die Farbenschule nannte (womit die fauves gemeint waren), die Gauguins erbe fortführten. neben Werken Gauguins und van Goghs, die ein Zimmer hätten füllen können, darunter hauptwerke wie Olivenhain und Hospital von Arles, waren auch ganz junge experimentierene künstler eingeladen. drei unterschiedliche, jedoch gleichermaßen lebensgroße akte (von charles Guérin, henri manguin und félix vallotton) demonstrierten die Pariser neue Welle, (Bild : interieur der kunstschau ii. 1909) gekrönt durch zwei matisse-Bilder, nämlich einen sitzenden akt und die darstellung einer landarbeiterin. hevesi zufolge war matisse von cézanne ausgegangen, und er betonte, auf welch systematische Weise er die linien und ebenen zusammenfassen konnte und wusste, dass er eine führende Persönlichkeit war, um die sich viele talente scharten, beispielsweise Puy. von den franzosen waren noch maurice denis, edouard vuillard und Pierre Bonnard dabei. damals waren viele bedeutende und seit langem bekannte deutsche maler (liebermann, slevogt, corinth, trübner, kalckreuth) vertreten, außerdem eine große Bronzeskulptur von klinger, aber auch W. Barlach, dessen individuellen stil hevesi sofort bemerkte, trat bereits auf den Plan.71 Bei dieser internationalen Parade waren auch die lokalen künstler vertreten, ja, auch das am heftigsten diskutierte Werk der ausstellung stammte erneut aus ihrem kreis. hevesi analysierte das umstrittene Werk sehr ausführlich und bemühte sich, jeglicher kritik vorzubeugen, die erneut im Zusammenhang mit einem klimt-Bild in der Presse geäußert würde. damals wurde das 1903 gemalte Bild Hoffnung erstmals öffentlich ausgestellt, das eine junge frau in der letzten Phase der schwangerschaft im Profil zeigt.

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das Gemälde war seit seiner entstehung eigentum eines der führenden mäzene (eines der Gründer und financiers) der Wiener Werkstätte, des textilhändlers fritz Waerndorfer, der es in seiner villa in einem schrank eingeschlossen aufbewahrte und nur auserwählten Gästen zeigte. man wagte lange nicht, es öffentlich auszustellen, da man zu recht die Zensur und den politischen skandal fürchtete. hevesi wusste genau, dass 1903, zur Zeit des kulturellen und politischen aufruhrs um die fakultätsbilder, der Bildungsminister Wilhelm ritter von hartel klimt persönlich gebeten hatte, die Hoffnung nicht auszustellen und der secession und dem ministerium keine neuerliche reihe von skandalen zu bescheren.72 Bis 1909 hatte sich das klima in der bildenden kunst längst verändert, und der klimtkreis sah die Zeit für gekommen, das Gemälde auszustellen, das in der europäischen kultur in der tat einen tabubruch darstellte. obwohl hevesi eine lange reihe von abbildungen schwangerer in der Geschichte der kunst anführte (und auch daran erinnerte, dass kunstausstellungen dieser art nicht für kinder, sondern für erwachsene gedacht waren), wusste er, dass nur wenige seine argumentation akzeptieren würden. und so war es auch: die übrigen kritiker teilten seine meinung nicht, und es tat klimts Popularität nicht gut, dass er das Gemälde ausstellte. die übrigen damals ausgestellten Werke des meisters wie Judith II (heute bekannt als Salome), eine Vision (Hoffnung II), ein landschafts- und ein Gartenbild belegten, wie polyphon sein stil auch weiterhin war, in wie vielen stilen er gleichzeitig malte (abb. 296). auch dem im Jahr zuvor im alter von 40 Jahren verstorbenen olbricht widmete man einen saal, in dem viele Pläne und Zeichnungen aus dem nachlass des architekten ausgestellt wurden. von den Bildhauern erhielt franz metzner lob von unserem kritiker (der ihn einen „architekturplastiker“ nannte). metzner lebte damals bereits in deutschland und erhielt dank seines gewichtigen monumentalen und für die heroisierung geeigneten stils eine ganze reihe von aufträgen für militärdenkmäler. er schuf auch das völkerschlachtdenkmal in leipzig, das das deutsche reich zum 100. Jahrestag des sieges über napoleon (1913) errichten ließ.73 die kunst des anderen gefeierten Bildhauers, Georges minne, der seit seinen ersten ausstellungen in der secession in den kreisen der künstlerelite Wiens, die mit einfachen formen arbeitete, sehr beliebt war,74 war ebenfalls erfolgreich: er erhielt auch bei der zweiten Internationalen Kunstschau einen eigenen saal. ein verwirrender silpluralismus beherrschte diese ausstellung; neben einigen mitgliedern der ursprünglichen secession, wie carl moll, auchentaller, max kurzweil (abb. 297) waren viele individuelle stilversuche präsent. diese konnten sich aber noch zu keinem eindeutig dominierenden neuen Zeitstil zusammenschließen. der expressionismus als „mainstream” war in diesen bunten angebot noch nicht überwältigend. den größten „kulturskandal“ dieser ausstellung löste dennoch nicht klimt aus, sondern jener junge maler, der mithilfe des klimt-kreises ausstellte und damals auf der Bühne der Kunstschau sein erstes drama mit dem titel Mörder, Hoffnung der Frauen vorstellte, wobei schon das expressionistische Plakat des stücks die Gemüter erregte. es war die Paraphrase einer Pietà, deren ikonographie vollkommen anders war als die herkömmliche, mit einer absichtlich pietätlosen Geste. der junge künstler war oskar kokoschka. die aufführung des stücks (einer expressionistischen Pantomime ohne text) endete in einem gewaltigen skandal. diesen erlebte hevesi nicht mit, da er gerade in venedig seine analysen über die Bilder der aktuellen Biennale schrieb.

296. Gustav klimt: die hoffnunG i, 1903

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Bei dieser sogenannten Internationalen Kunstschau stellte sich der junge egon schiele mit einigen Gemälden vor, die klimts stil nachahmten. es ist interessant, dass hevesi sofort auf das junge talent aufmerksam wurde. von den jungen künstlern, die damals ausgestellt wurden, hat er nur über schiele einige Zeilen geschrieben.75 diese kritik hat er nicht mehr in die zweite anthologie seiner kritiken zur bildenden kunst aufgenommen, deren letzter Beitrag „auf olbrichs spuren“ vom oktober 1909 ist.76 Bevor diese zweite anthologie mit dem titel Altkunst – Neukunst Wien erörtert wird, folgt hier ein kurzer Überblick über die kritiken, die er in seinem letzten lebensjahr schrieb und nicht in den sammelband einschloss. Über die wichtige frühlingsausstellung (1909) der (rumpf-) secession, wo albin egger-lienz und fernand andri eine große kollektion neuer Werke ausstellten, schrieb er einen nachdenklichen aufsatz.77 obwohl er das talent beider maler anerkannte, hielt er sie jedoch nicht für erfindungsreich genug, weil sie dem stil des berühmten schweizer symbolisten hodler zu direkt folgten. das gab ihm eine Gelegenheit, über die frage des stils zu meditieren. „Wir gehen von dem Zeitstil unserer Zeit aus, jeder nach seiner natur, indem er einen persönlichen eigenstil zu schaffen meint und strebt; im auge der Zukunft wird sich dann ein Gesamtcharakter summieren und unsere zerfahrene Zeit geradeso aus einem Guss erscheinen, wie die weniger individualistische führenaissance- oder Barockzeit. die innerliche datiertheit wird sich einstellen, hat sich zum teil bereits eingestellt, so daß man jedem Werk ohne weiters wenigstens sein Jahrzehnt ansieht. Wir durchleben jetzt eine bewegte Periode der Zehnjahrstile, deren jeder innerlich begründet und der sachlage nach notwendig ist. das ist ganz einfach eine kette von reaktionen, die nicht ausbleiben können.”78 Gerade um die Jahrhundertwende war die Problematik des stils in der kunst eine zentrale frage für die führenden kunsthistoriker wie alois riegl und heinrich Wölfflin. es war ein zentraler Begriff, der narrative und methodologie auf verschiedenen ebenen (z.B. persönlicher, lokaler, nationaler, Gruppen- oder epochen-stil) determinierte. sie alle untersuchten die wichtigsten und entscheidendsten faktoren des stilschaffens (das schöpferische, das konstruierende). für hevesi war die stilfrage in der zeitgenössischen kunstpraxis bedeutend. er sah die Begriffe Zeitstil und Zeitkunst als wichtige Werte, um beurteilen zu können, ob ein künstler sensible, aktuelle, neuartige, also zeitgemäße Werke produzierte. später bemerkte er, wie schnell sich die umstände des lebens, der Gesellschaft wandelten, und modifizierte bzw. relativierte sein „Zeitstil-konzept”. ihm wurde klar, wie schnell die aktuellen künstlerischen reaktionen auf wichtige erscheinungen der Zeit veralten konnten. die junge kritiker-Generation reagierte dann auf diese beschleunigte, fieberische suche nach einem neuen stil, und hielt sie für eine selbstverständliche Gegebenheit. die allerschärfste, ja sogar bissige kritik verfasste er im Juni 1909, als der ehrenwürdige „allgemeine deutsche kunstverein“ eine repräsentative ausstellung im künstlerhaus zeigte. man kann seine Wut förmlich heraushören: „das ist eine massenparade, wie sie hier nicht oft vorkommt, und begegnet von vornherein großen sympathien. diese sind freilich zunächst politischer natur, künstlerisch ist ein großer erfolg ausgeschlossen. um es in zwei silben zu sagen: diese ausstellung ist nicht modern. die a. d. k. ist ein rattenkönig von vielen lokalen kunstvereinen im reiche und ihr charakter ist, mit we-

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nigen ausnahmen, konservativ. man stelle sich eine Zeitung vor ohne telegramme, tagesneuigkeiten und kurszettel. und das, während eine Gasse weiter die ‚internationale kunstschau‘ unserer klimt-truppe wie eine Zeitung aussieht, die bloß aus telegrammen, tagesneuigkeiten und dem kurszettel besteht. Wie man in diese deutsche ausstellung eintritt, veraltet man selbst zusehends. das eigene urteil kriegt runzeln und nach einer stunde gefällt einem schon beinahe einiges.“79 Besonders gnadenlos und für ihn untypisch ist, dass er die künstler, die er als im stil veraltet und repetitiv empfindet, beim namen nennt. „die grimmigen todfeinde aller neukunst: anton v. Werner sogar, defregger, Grützner, f. a. kaulbach, die großen Protegierten der größten Protektoren mitteleuropas (…) auch einstige sehrmoderne kommen vor, die seither in Professuren eingerostet und in ihrer einst bewunderten, tausendfach nachgeahmten Geistesfreiheit eingedickt sind. so Walter firle (‚ist. Goldene hochzeit‘, aus lebensgroßen figuren), der nun schon seit einem menschenalter das mächtige hintergrundfenster malt, mit dem nämlichen weißen lichtrand um die figuren, nur daß er die erscheinung nicht mehr in ihrer luft- und lichtdurchlässigkeit zu haschen vermag, sondern klebrige massen wie eine Gallertplastik verarbeitet… (…) man traut wirklich seinen augen nicht. man fragt sich, ob denn wirklich in diesen kunstvereinen nie gelüftet werde. ob da kein noch so dünner strahl der sonne von heutzutage eindringen kann? auf welche niedere Geschmacksschichten stellen sich diese vereinigungen von talenten oder nichttalenten ein? natürlich sind die einflußreichen, die inhaber des gesellschaftlichen ueberwiegens und die lieferanten des kunstgeschäftes sich darüber klar, daß sie sich nur bei stramm durchgeführtem system selber behaupten können. um dem, was sie selbst sind, die Geltung zu retten oder wenigstens zeitlebens fortzufristen, wird aus dieser sphäre jede elementare regung verbannt. die menge soll nicht erfahren, daß es auch etwas anderes gibt. und wenn sie es in der sezession erfährt, soll sie so recht gedrillt sein, davor auszuspucken. (…) dieses unerquickliche schauspiel ist freilich auf der ganzen Welt das nämliche. der offizielle salon in Paris, die ‚royals‘ in london, der Glaspalast in münchen, die kunst-Garage am lehrter Bahnhof in Berlin u. f. f. haben eine art nimbus von Geringschätzung, bei der sie förmlich unausrottbar fortblühen.“ er analysiert kurz und bündig den mechanismus der kunstvereinspolitik, die dazu führt, dass die führenden lobbys, um ihre machtposition zu behalten, mit allen mitteln die modernisierung verhindern. auch in dieser kritik versucht er, die qualitätvollen Werke hervorzuheben und zu analysieren: „das beste moderne Bild ist von l. utze und stellt ein lebensgroßes mädchen im weißen nachtgewande vor, zwischen Bett und sessel, in einer Beleuchtung von irgendwo unten rechts. sie muß die lampe auf den fußboden gestellt haben. dieses Bild ist in der oben gekennzeichneten umgebung eine förmliche sensation. lichtwirkung, schattenwirkung, ein Weben und schweben von luftton, eine zarte lyrische skala von Gelb, Weiß, Grau, Bläulich, rötlich, Grünlich, das durcheinander perlt und imponderabilien merklich macht. aber l. utze ist ja ein weißer rabe, warum geht er denn nicht in eine sezession?“80

297. maX kurZWeil: mÄdchen im Garten, 1909

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am ende vergleicht hevesi trotz aller protokollarisch verlangten höflichkeit gegenüber den eingeladenen deutschen Gäste die Wiener und die deutschen: „ueber die Wiener kunst auf dieser ausstellung habe ich nichts Besonderes zu sagen. sie drängt sich nicht vor und bringt auch manches aeltere, aber ihr niveau ist doch merklich höher als dieses kunstvereinsdeutsche. sie hat mehr temperament und mehr Geschmack. und sie hat sich auch viel mehr modernisiert, als der deutsche durchschnitt, dem die bahnbrechenden deutschen neumeister weit aus dem Wege gehen. das ist also nichts weniger als die deutsche kunst von heute. es ist eher die deutsche nichtkunst unserer Zeit.“81 das ist vielleicht seine schärfste kritik, besonders ungewöhnlich in seinem sarkasmus, aber es zeigt auch viel Zivilcourage, daß er sich im fremden-Blatt, das eigentlich noch immer das halboffiziöse Blatt des außenministeriums war, einen solchen ton erlaubte.

Die Kritiken nach der Anthologie altkunst – neukunst Zu dieser Zeit war hevesi bereits sehr krank, was man seinen schriften jedoch nicht anmerkt. er war öfter in Budapest als sonst, es gab mehr erinnerungen und verweise auf die vergangenheit in seinen schriften, was ein Zeichen des Älterwerdens und vielleicht eines heimlichen abschieds war. in der Winterausstellung von 1908 wurden die zeitgenössischen russischen maler in der secession ausgestellt.82 1909 musste er viele nachrufe schreiben, und zwar auf menschen, die ihm sehr nahegestanden hatten, auch auf freunde, die zumeist auch seine verbündeten in der kunstszene gewesen waren (richard muther, arthur v. scala, franz Wickhoff ). in diesen erinnerungen erwähnte er auch tatsachen, die sonst verborgen geblieben wären, und die aufzeigen, wie genau hevesi die mechanismen der kunstpolitik und zugleich auch die tätigkeit der wissenschaftlichen Werkstätten seiner Zeit kannte. richard muther war für ihn mehr als ein sympathischer kollege, wobei er ihm sein Altkunst – Neukunst Werk gewidmet hat. in den anfangsjahren der secession, als muther sich in Wien aufhielt, haben sie sich oft getroffen und viel diskutiert. hevesi schätzte den deutschen kunsthistoriker sehr, obwohl sie in vielen Punkten, so auch hinsichtlich der Bewertung klimts, des für hevesi wichtigsten modernen österreichischen malers, unterschiedlicher meinung waren. in einer seiner letzten schriften hat hevesi den postum erschienenen dreibändigen Überblick muthers über die Geschichte der malerei besprochen.83 diese gründliche Buchbesprechung ist eine seiner letzten scharfsinnigen schaubefunde, zum einen über seine Profession und zum anderen über das Problem der kunstgeschichtlichen Bewertung der modernen und der nicht modernen maler. er wusste, dass es früher nicht möglich war, solche Bücher schnell zu schreiben: „Jetzt machen eisenbahnen und kunstausstellungen alle kunst zum Gemeingut, und die Photographie ist das beste notitzbuch.“ er genoss muthers synthese, die er drei Wochen lang las, die er als „interessant und modern, des Zeitgeistes voll und eines unbegrenzten darstellenden könnens“ bezeichnete. allerdings – so meinte er – habe gerade diese Beschleunigung der information dazu geführt, dass alles schnell veraltet und man selbst in der kunstkritik und in der kunstgeschichte „von Überwindungen“ lebe. infolge der ständigen

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und immer schnelleren Änderung des Geschmacks seien die lieblinge von zehn Jahren zuvor wie Botticelli oder Burne-Jones bereits uninteressant, ebenso wie der gesamte symbolismus veraltet sei und die menschen inzwischen kalt lasse. er zitierte einen satz von muther, den er als treffend für die Bewertung des meisters empfand: „ein künstler ist, wer die neuen aufgaben, die eine neue Zeit stellt, geschmackvoll zu lösen sucht.“ sucht, betont er als rezensent. „ob er sie mehr oder weniger löst, ist dann sache der Goldwaage.“ dass muther bewusst und auf beinahe provokative art und Weise subjektiv war, akzeptierte er, doch bei vielen als ungerecht empfundenen Bewertungen protestierte er (z. B. raffael, velázquez oder auch Whistler). hevesi ist schließlich zufrieden, dass muther allem anschein nach endlich seinen standpunkt akzeptiert und eingesehen habe, dass klimt ein großer künstler sei, obwohl der kollege dessen neueste arbeiten nicht verstanden habe, aber: „trotzdem ist er eine inkommensurable Größe und hat in der europäischen kunst von heute keinen einzigen Gegenwert!“ für ihn stellte es einen absoluten sieg dar, dass er muther, den er unter den deutschen kunsthistorikerkritikern am meisten schätzte, schließlich davon überzeugen konnte, dass klimt eine internationale Größe war, in seinem metier seinen damals zu den wichtigsten zählenden modernen europäischen Zeitgenossen wie klinger, liebermann oder rodin (dem er auch Altkunst – Neukunst gewidmet hat) ebenbürtig war. am ende der Besprechung entschuldigt sich hevesi bei den ungarischen lesern dafür, dass muthers Zusammenfassung mit ausnahme von munkácsy (den er noch dazu negativ bewertet hat) nichts über die ungarische malerei enthält. obwohl die modernen ungarn in den internationalen ausstellungen (beispielsweise in münchen und in venedig) bereits zu sehen waren, nahm man sie gewöhnlich nicht wahr. Wer sie dennoch wahrnahm und sich bemühte, regelmäßig über sie zu schreiben, war hevesi selbst. in all seinen Berichten von internationalen ausstellungen widmete er den ungarn ein paar Zeilen. (mehr Platz stand in den Beiträgen über die mit über tausend Werken vollgestopften ausstellungen für die vorstellung einer nationalen schule gewöhnlich nicht zur verfügung.) Über die alle zwei Jahre stattfindende ausstellung in venedig (die später in Biennale umbenannt wurde), deren Gewicht immer größer wurde, schrieb hevesi auch 1909 zwei Besprechungen, eine für das Fremden-Blatt und eine für den Pester Lloyd. die ausstellung in venedig diente damals den international anerkannten virtuosen malern, die Jensen als die meister des „juste milieu“ bezeichnete84 und die danach für beinahe 90 Jahre nicht teil des kollektiven Gedächtnisses der Geschichte der modernen malerei waren. „das moderne hauptgewicht liegt in einer reihe sonderausstellungen genialer neukünstler“85, schrieb hevesi und nannte sie immer noch genauso wie zehn Jahre zuvor zur Zeit der ersten ausstellungen der secession. sie füllten mit ihrem umfangreichen material einen eigenen saal. von albert Besnard wurden 53, von andreas Zorn 75, von dem dänen kroyer 43 und von stuck 35 Bilder gezeigt. hevesi lobte sie, beanstandete jedoch, dass die wirklich neuen französischen meister wie matisse, der beispielsweise bei der Kunstschau in Wien ausstellte, in venedig fehlten. Bei der vorstellung der deutschen fasste er sehr treffend zusammen, was die großen internationalen ausstellungen, die noch immer damit um Besucher warben, dass man dort die neueste und die niveauvollste moderne kunst sehen könne, damals charakterisierte: „es liegt heute ein mittelmaß in der ganzen luft der Welt. Bedeutende talente sind ihre eigenen

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epigonen geworden, und niergens zeigt sich ein originalgenie, das noch nicht im konversationslexikon steht. Geschicklichkeiten, ja; überall, wohin man das auge wendet. technik haben es viele weg. Wer kann heute nicht malen?“86 die fortsetzung war schon fast hellseherisch, denn er spürte, dass der Weg der Zukunft weder die vervollkommnung der mimetischen tradition noch die Beibehaltung der perfekten technik sein würde. „das müsste schon ein malgenie eigener art sein, das nicht einmal die mache des malens erlernen könnte. so ein mensch müsste eigentlich einen ganz absonderlichen erfolg haben. möglich, dass aus diesem Grunde so viele letztmoderne vor allem nicht für malenkönnen gehalten werden wollen.“ er erlebte nicht mehr, wie die jungen Wiener expressionisten – vor allem schiele und kokoschka – ihren eigenen stil entwickelten. doch er sah die krise in der ganzen europäischen kunstwelt, erkannte den äußeren und inneren druck und die spannungen, denen die junge talente ausgeliefert waren, falls sie glaubwürdige moderne meister sein wollten. in Wien vertieften sie die seelische analyse bis zum Punkt der selbstdestruktion, blieben aber innerhalb der figurativen tradition. anderswo begann die avantgarde in der malerei die erschaffung der neuen visuellen sprache mit einer tabula rasa (kandinsky und malevich). sie brachen endgültig mit allen früheren traditionen der malerei. nach dem Besuch auf der Biennale von 1909 unternahm hevesi eine größere reise durch deutschland, auf der er auch einen abstecher in klingers atelier87 machte und in leipzig die monumentale Baustelle des Völkerschlachtdenkmals bestaunte. (seine diesbezüglichen eindrücke veröffentlichte er erst im Winter – in dem artikel, der schließlich sein allerletztes feuilletonstück im Pester Lloyd wurde.88) in münchen sah er sich die internationale ausstellung im Glaspalast an und schrieb einige artikel darüber.89 von den Wiener ereignissen im herbst inspirierte ihn die toulouse-lautrec-ausstellung bei miethke zu einem langen artikel über Paris,90 dann folgte die ausstellung von Josef engelhart und tina Blau in der secession91 (abb. 298). selbstverständlich schrieb er im sinne seiner jahrzehntelangen routine auch über alle wichtigen Wiener Theaterpremieren kritiken für beide Blätter. von diesen gelten die über Bernard shaw92 und das schnitzler-stück Der Ruf des Lebens93 bei Theaterhistorikern auch heute noch als aussagekräftig. der deutlich jüngere Julius meier-Graefe begann 1895 in der Zeitschrift Pan zu publizieren, hevesi, der ihn persönlich kannte, kritisierte im Zusammenhang mit der impressionismus-ausstellung seine damaligen, ausgesprochen willkürlichen und aufgeblasenen feststellungen. meier-Graefe interessierte sich nach 1903 vor allem für die malerei, da er jedoch bereits im Jahr 1900 und in den darauffolgenden Jahren mittelbar ein aktiver teilnehmer der internationalen kulturellen konkurrenz und der im hintergrund stattfindenden kämpfe am kunstmarkt war, machte er sich verständlicherweise international einen großen namen. da er lange Zeit am kunstmarkt aktiv war, konnte er seine intellektuelle unabhängigkeit und unparteilichkeit nicht aufrechterhalten. sein 1904 veröffentlichtes Buch war ein Beitrag zur Begründung des französischen beziehungsweise des Paris-zentrischen kanons der kunst, sodass er erheblich dazu beitrug, dass die malerschulen aller anderen europäischen länder abgewertet wurden. in einem seiner letzten feuilletonbeiträge hat hevesi meier-Graefes Buch Spanische Reise besprochen. das kernproblem des Buches sei die „neuentdeckung“ der Greco-

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298 tina Blau: krieau im Prater, 1902

Bilder, jene Änderung in der orientierung der kunstgeschichte, bei der velázquez abgewertet werde, Greco dagegen vergöttert und plötzlich zum wichtigsten alten meister spaniens gekürt werde, für den es sich lohnte, auf die iberische halbinsel zu reisen.94 hevesi erkannte in meier-Graefe den konstrukteur der „Überwindungen“, der die kulturhistorischen Begriffe umdeutete und die großen meister umetikettierte, indem er sie den neuen idolen zuliebe degradierte. in dem artikel wird der mechanismus der modekulte, für den meier-Graefes schaffen ein hervorragendes Beispiel ist, mit feiner ironie dargestellt. den beiden deutschen kritikern, muther und meier-Graefe wurden – wenn auch nur für kurze Zeit – eine internationale karriere und Popularität beim Publikum zuteil, hevesi lediglich lokaler ruhm. in hevesis letztem artikel über ungarische künstler in Kunst und Kunsthandwerk ging es um den auftritt des kÉve (verein ungarischer Bildender künstler und kunsthandwerker – magyar képzőművészek és iparművészek egyesülete) im hagenbund.95 darin hat er zu recht die stilistischen einflüsse aus Paris betont. das Bild, das ihn mit seinen kräftigen leuchtenden farben und seiner raffinierten komposition am meisten faszinierte, war das selbstbildnis von Ágost Benkhard. die beiden artikel über die Werke des großen kroatischen Bildhauers ivan meštrović, die schon im Januar erschienen, waren ein zufälliger, aber besonders interessanter schlussakkord seiner kritikerlaufbahn.96 hevesi verfolgte die laufbahn des als dalmatiner bezeichneten meisters von seinem ersten auftreten in Wien (1904) an. die millionärsfamilie Wittgenstein förderte den jungen Bildhauer persönlich, sie finanzierte sein studium in Paris und gab bei ihm einen Wandbrunnen und Porträts in auftrag. (abb. 299). meštrović kunst und Weltanschauung änderten sich innerhalb weniger Jahre grundlegend: die frühere sanfte und sinnliche formgebung – die auch auf pan-

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299. ivan meŠtrović: leoPoldine WittGenstein, 1908

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theistischen vorstellungen beruhte – änderte sich durch die neue künstlerische Zielsetzung, den Wunsch der schaffung eines heroischen südslawischen epos auch stilistisch. sein artikel im Pester Lloyd beginnt weitblickend und theoretisch und ist voll von aktuellen Beobachtungen über die allgemeine lage der kunst.97 er registriert, dass man 1909 ein Barbare sein musste, um zeitgemäß zu sein. dazu kopiert man die gesamte exotische und die archaische kunst. (er erwähnt Gauguin, axel Gallen-kallela und den russen nicholas roerich.) aber er versteht, wie schwer das ist und betont: „nur haben wir keine religion mehr und keine Zünfte, die der kunst ein jeweiliges Gesamtgepräge geben könnten. auch sind wir in eine höhere rangklasse angerückt als individuen. also suche jeder als solches seinen eigenstil: wenn er stark genug ist, wenn nicht, kann ich ihm nur raten sich aufzuhängen oder Beamter, chauffeur, kanalräumer zu werden.”98 „und so sehen wir heute auf der ganzen Welt den drang zum stil. Zum sachlichen, zum persönlichen, zum technischen. Je nach seiner eigenart, je nachdem ihm die Welt liegt, geht jeder sie von einer anderen seite her an. aber das ist das Ziel, oder wenigstens, da ein Ziel niemals erreicht wird, der Weg. (…) aber was ein rechter meister ist, soll seine Zeit verstehen und ihr entlangschreiten zu neu erkannten Zielen.“99 hevesi konnte auch skulpturen meisterhaft beschreiben, und er erfasste präzise das neue bei meštrović, das Gespür des künstlers für monumentales archaisieren (abb. 300). in meštrović kunst sah er die verschmelzung der südslawischen historischen erinnerung mit den uralten dalmatinischen bäuerlichen Wurzeln, der archaischen und zugleich modernen formenwelt, die eine neue monumentale synthese versprach (abb. 301). fast bis zum letzten tag schrieb hevesi also, dachte und erforschte mit leidenschaft die Geheimnisse des einmaligen und schwer zu erfassenden stils der kunstwerke.

Die Synthese von Vergangenheit und Gegenwart hevesis zweite anthologie der bildenden kunst, Altkunst – Neukunst (Wien 1909) enthält nicht nur seine wichtigen artikel zur unterstützung der modernen kunst, sondern sollte, wie der titel besagt, auch eine Bilanz sein. in dem Band sind alle Gattungen der bildenden kunst vertreten, in den artikeln zur architektur werden ebenso wichtige fragen des Prozesses der modernisierung aufgeworfen wie in denen über das kunstgewerbe und über die malerei. hevesi hat auch seine früheren artikel über die kulturgeschichtlichen epochen und stile Wiens und die nachlässe der künstler, die ein Zeitbild der Jahrhundertwende ergeben, in den Band aufgenommen. Wie er im vorwort schreibt, hat er eine auswahl seiner von 1894 bis (ende) 1908 verfassten abhandlungen und kritiken zusammengestellt, und Acht Jahre Secession sollte eine ergänzung darstellen, die ausdrücklich nur seine kritiken über die secession bis mitte 1905 enthielt. er hat nicht nur die Wiener,

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sondern auch die ausländischen vertreter der modernen Bestrebungen angeführt, um den heute als kulturellen transfer bezeichneten vorgang aufzuzeigen, durch den sich in europa im Zeichen der künstlerischen modernisierung innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten eine so enge kulturelle Zusammenarbeit entwickelte, wie es sie zuvor nicht gegeben hatte. er hat den Band in vier thematische einheiten gegliedert und ihnen als einleitung seine Zusammenfassung der bildenden kunst zur Zeit franz Josephs von 1898 vorangestellt.100 es ist von symbolischer Bedeutung, dass hevesi auch seine artikel über die kulturgeschichtlichen epochen und stile Wiens und die nachlässe der künstler in den Band aufgenommen hat, die das Zeitbild der Jahrhundertwende ergeben. Wie er im vorwort schreibt, war die Jahrhundertwende auch darin neu, dass sehr viel Wissen über die alte kunst Wiens zutage gefördert wurde. unter der Überschrift Altwien hat er nicht nur seine abhandlungen über ausstellungen von kulturgeschichtlicher Bedeutung (wie die ausstellung über den Wiener kongress oder die schubert-ausstellung) erneut veröffentlicht, sondern auch diejenigen über die kunstsammlungen der stadt (albertina, schatzkammer), über kunstschätze, über die barocken Bildhauer (rafael donner, messerschmidt), über das Wiener Porzellan, die miniaturkunst oder die bedeutenden privaten kunstsammlungen, die „Golddeckung“ des reichen künstlerischen erbes der stadt Wien. er hat in diesem teil auch malern artikel gewidmet, die stützen des künstlerhauses waren (friedrich von friedländer) und nichts mit den Bestrebungen der secession zu tun hatten (franz Gaul). in diesen teil hat er den artikel aufgenommen, dessen titel zugleich der des Buches ist, den er im märz 1895 geschrieben hat und der von grundlegender Bedeutung für das architektonische erscheinungsbild der stadt war.101 in seinen schriften hat sich hevesi gegen die radikal modern geprägte, man kann sagen technizistische umgestaltung Wiens ausgesprochen. unter anführung urbanistischer kennt-

300. ivan mestrovic: kolossalPlastik heldenkoPf (kosovo denkmalProJekt), 1908 301. ivan meŠtrović: Paar (kosovo denkmalProJekt), 1908

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nisse argumentierte er gegen die Pläne, mit denen man die struktur der altstadt beseitigen wollte, indem man eine radialstraße bis zum stephansdom baute und eine reihe architektonischer meisterwerke der barocken stadt abriss.102 als entschlossener stadtschützer wies er auf die Gefahren der „citysierung“ hin, warnte davor, den stadtkern ausschließlich zum Geschäftsviertel zu machen. Generell wandte er sich mit sanfter ironie gegen jegliche Zukunftsvisionen, für die mit einer extremen logik wirtschaftlicher argumente geworben wurde. er zerpflückte den avenue-tegetthoff-monument-st.-stephansdom-Plan. für die beste lösung der modernisierung und der verkehrsprobleme hielt er die untergrundbahn, statt eines rastersystems sprach er sich für das organisch malerische als zu bewahrenden Wert Wiens aus.103 in dem kapitel Männer und Werke finden sich sowohl schriften über die Größen der alten als auch über die Größen der zeitgenössischen modernen kunst: rembrandt und Goya, leibl, lenbach, munkácsy und Whistler, hokusai, van Gogh und Gauguin – um nur einige der 27 essays zu nennen. Jeder seiner „künstler-helden“ wird gemäß seinem oeuvre unterschiedlich beschrieben; jeder mit seiner eigenen ästhetischen und existenziellen Problematik, aber immer voll von psychologischer charakteranalyse und Zeitstimmung. darunter sind völlig unterschiedliche maler wie Wereschtschagin, Whistler, van Gogh oder Gauguin. Besonders sein essay über van Gogh ist emphatisch: es ist ein Wortrausch, der in einem Prosa-Gedicht kulminiert. „van Gogh empfand dort [im Borinage] zuerst die unfaßbare, in den haltenden händen des Gestalters zerrinnende tragik des daseins, dieses aldurchdringende element von fatalität und von fataler menschenähnlichkeit der natur, von jener einheit der stimmung, die den menschen zum Geschöpf der natur und die natur zum Geschöpf des menschen macht, weil er sie nur so empfinden kann, wie es ist. das ist das moment von unentrinnbarkeit, die verzweiflung des festgebanntseins ineinander, der selbstmörderische trieb, sich in sie hinein und sie aus sich heraus zu ergießen, bis zur enderschöpfung, in formen, die ein ewiges suchen sind und sich niemals finden.“104 hier hat er auch die artikel über Barbizon und die berühmte Pariser académie Julian eingeordnet. die artikel in den kapiteln Neuwien und Vermischtes sollten alle die unglaubliche vielfalt der kunstszene aufzeigen, den umstand, dass die modernisierung alles umfasste: die architektur, die Gartenbaukunst, die spitzenklöppelei, das Theater und die tanzkunst. hevesi zeigt den Paradigmenwechsel auf, der das hauptmerkmal der kunstszene dieser Zeit darstellt, dass es nämlich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu einem goldenen Zeitalter kommen konnte, das eine Blütezeit in Wien und in ganz europa war. Besonders und für alle Zeiten vorbildlich ist an diesem Band die dialektik zwischen der interpretation und dem erleben der alten traditionen und Werte in der Gegenwart und der schaffung von neuem, dass das alte und das neue nur einander befruchtend kontinuierlich die lokale identität der kultur neu erschaffen und festigen können. nur wenige kritiker haben so viel zu dieser zauberhaften identität Wiens beigetragen wie hevesi. in seinen schriften ist stets der Wunsch zu spüren, neue formen und stile zu schaffen, und gleichzeitig glüht in ihm die liebe zum magischen erbe der vergangenheit. Altkunst –Neukunst ist im Jahr 1909 vor ostern erschienen und wurde gleich im Pester Lloyd rezensiert.105 Über den verfasser ferdinand l. leipnik ist wenig bekannt106, doch

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seine rezension zeigt deutlich, dass er ein gebildeter rezensent mit großem Wissen und einem guten stil war, der auch die zeitgenössischen kunstautoren kannte. schon im ersten satz hat er hevesis Platz in der fachliteratur zum Thema bestimmt: „in der modernen deutschen kunstkritik wirkt ludwig hevesi neben dem farbenleuchtenden milieuschilderer muther, neben dem behenden neuheitenentdecker Bahr und neben dem draufgängerischen kunstmerkantilisten meyer-Graefe wie ein kulturdurchsättigter hellene, der die flutenden und ebbenden kunstepochen bis auf den heutigen tag durchlebt hat und nun als ein restloser erfasser und heiterer Genießer allen kunstgeschehens über seine eindrücke rechnung legt.“ für leipnik bedeutete das hellenische, also altgriechische, das leben zu genießen, frohsinn und dass für hevesi immer hellas und das altgriechische menschenideal die Grundlage waren, zu der er im Geiste hin und wieder zurückkehrte. diese auslegung würde heute niemandem in den sinn kommen, aber anfang des 20. Jahrhunderts galt die Welt des alten Griechenland selbst für die für alles neue und moderne offenen Geister als unerschütterliches fundament der kultur. hevesis Berichte von seinen reisen nach Griechenland und die vielen kulturgeschichtlichen verweise schienen diese ansicht zu untermauern, und es war mehr als eine rhetorische floskel. der text verrät die ehrliche Begeisterung und Bewunderung des rezensenten: dafür, dass hevesi der „wirksamste evangelist der moderne“ sei, der weise erkennt, dass alles fließt, sich bewegt, sich verändert, sodass in seinen schriften auch ein feiner skeptizismus zum ausdruck kommt. leipnik hat das Wesentliche von hevesis schriften genau erfasst, dass nämlich auch hevesi selbst die kunst genießt, ebenso wie alle anderen schönheiten im leben: „er ist vor allem: Genießer. dann: schaffender künstler. ein meister der künstlerischen synthese … und diese funkelnden kunstwerke nennen wir feuilletons.“107 da er dem leser leben und die freude der neuen erkenntnis und des erlebens vermitteln kann, kann er dem Publikum als „evangelische mission“ die augen für das schöne öffnen: „ein künstler als Priester des schönheitsgenusses. ein Gelehrter als apostel der kunst.“108 dann beschreibt leipnik den aufbau des auswahlbandes und bemüht sich, jeweils mit einem Beispiel das Geheimnis von hevesis schriften, seines stils und seiner denkweise zu lüften. er analysiert seine ironie und seinen humor und zollt ihm respekt für sein enormes Wissen. die kontraste, das kontrapunktieren, die Wortspiele und die neuen komposita dienen alle dem Zweck, den Zauber der Gemälde, der skulpturen und der Zeichnungen von allen seiten zu beleuchten, um das erlebnis zu vermitteln, das die seele erfüllt, wenn man einem echten meisterwerk gegenübersteht. hevesi brachte seinem Publikum wirklich das verstehen und das Genießen bei. in der erst im Juni erschienenen Besprechung im Fremden-Blatt hat der verfasser, der mit s. W. signiert hat109 (Wittmann?), in Bezug auf den Band hevesis alte artikel über Wien hervorgehoben, vor allem die zur architektur und die zur Gartenbaukunst. er stellt ausführlich einen artikel von 1895 vor, in dem hevesi sich gegen den umbau und die modernisierung der innenstadt ausgesprochen hat. (siehe oben) er hat wenig über die artikel zur modernen kunst geschrieben, hat sie regelrecht übergangen. stattdessen lobt er die kritiken über die tanzkunst (mata hari, maud allan, ruth saint-denis), das fachwissen und den brillanten stil des verfassers.

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otto Breicha hat das, was hevesi als chronik bezeichnet hat, im vorwort der nachdrucke von 1986 „kunstzeitzeugenschaft“ genannt. Breicha betont, dass hevesis schriften keine kunstkritiken im heutigen sinn des Wortes sind. dabei sind sie auch das, allerdings viel literarischer als die heutigen, weil sie „wahrhaftige kleinkunstwerke der kunstschriftstellerei“ sind. laut Breicha ist hevesi der erste wahre vertreter der „Wiener schule der kunstschriftstellerei“.

Kunstkritik-Anthologien 1900 ist eine sammlung von artikeln mit dem titel Secession erschienen war, in der hermann Bahr seine zuerst in tageszeitungen veröffentlichten schriften zur bildenden kunst publizierte.110 der schriftsteller, dramatiker und Zeitungsredakteur Bahr war eine der zentralen figuren der Wiener kunstszene; er verfügte über außerordentliche energie und wollte bei allen neuen kulturellen ereignissen stets die erste Geige spielen. er hatte viele freunde und noch mehr feinde.111 Bahr hat schon in den 1890er Jahren sammelbände seiner feuilletonbeiträge zu literarischen Themen veröffentlicht. er war zunächst der organisator der schriftstellergruppe Jung-Wien, der Gründer der Zeitung Die Zeit und ernannte sich (selbst) zum Patron und sprecher der secession. er kritisierte in scharfem ton jeden, der die modernen Bestrebungen auch nur mit einem hauch von kritik bedachte, aber auch diejenigen, die zwar ähnlich modern, jedoch keine mitglieder der secession waren. Bahr hatte ein gutes Gespür für Werbung und gab auch später Broschüren und Pamphlete im interesse der secession und von klimt heraus, mit denen er die neuheiten in der malerei zu bedeutenden kulturellen ereignissen machte.112 er war einer der ersten Bannerträger der besonderen österreichischen identität, der – dem Zeitgeist entsprechend – eine österreichische nationale kunst im stil der secession sehen wollte (nachdem er früher alle anderen literarischen und künstlerischen moden unterstützt hatte).113 seine kritiken sind von unterschiedlichem niveau, aber unentbehrliche Zeitdokumente. außer ihm hat auch richard muther seine aktuellen tageskritiken beim Wiener verlag in zwei Bänden veröffentlicht. ein wichtiger teil dieser Publikation sind seine artikel über die österreichische kunst, die er für Die Zeit geschrieben hat.114 hevesis sammlungen von kunstkritiken waren etwas später vorbilder für andere kritiker, anhand welcher auch sie aus ihren schriften ein Gesamtbild der kunstszene der Zeit zusammenstellten. ein Jahr nach dem erscheinen von Acht Jahre Secession veröffentlichte Berta Zuckerkandl, die wichtigste kunstkritikerin Wiens115, ihre relativ dünne artikelsammlung unter dem titel Zeitkunst – Wien 1901–1907. hevesi schrieb das vorwort, in dem er seine verbündete im kampf für die modernen künste höflich lobte. ein viel wichtigeres und umfassenderes dokument der Zeit ist der Band mit seligmanns studien mit dem titel Kunst und Künstler von gestern und heute, der einen monat nach hevesis tod erschien und so eine verspätete antwort auf die chroniken, also die essaypanoramen, unseres kritikers war.116 er erschien bei demselben verlag wie hevesis Bücher: carl konegen. als seligmann seinen Band zusammenstellte, lebte hevesi noch, und niemand konnte ahnen, dass er ende februar selbstmord begehen würde. seligmann hat seine eigenen versio-

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nen zu denselben künstlerischen fragen, die hevesi behandelte, sehr sorgfältig aufgebaut. sogar die ausführlich analysierten lebenswerke von malern und Bildhauern sind genau dieselben, mit denen sich hevesi befasst hat. Wahrscheinlich beabsichtigte er auch, eine art kontrapunkt zu setzen, indem er alternative interpretationen der Werke und lebenswerke von einem konservativen standpunkt aus vorstellte. er gliederte das material in sechs große kapitel. im ersten besprach er systematisch auch den allgemeinen institutionellen rahmen, beispielsweise „staat und kunst“, „religiöse kunst“, „Zweckkunst“, „Großstädtisches Publikum und kunst“, „in schönheit leben“. das zweite kapitel widmete er der entwicklung der modernen malerei, das dritte den vorläufern des impressionismus117, dann folgten zehn Porträts von österreichischen und ausländischen künstlern (von rudolf von alt bis klimt)118. das fünfte kapitel trägt den titel Kunstplaudereien von da und dort. darin hat er artikel zu Themen von der methodologie des kritikers und ausstellungskritiken bis zu Buchbesprechungen zusammengestellt. der letzte teil mit dem titel „Über alt- und neu-Wien“ entspricht hevesis vorstellung noch unmittelbarer. darin hat seligmann neben mehreren artikeln zur architektur auch diejenigen schriften von grundlegender Bedeutung erneut veröffentlicht, in denen es um den Wendepunkt der secession und klimts fakultätsbilder geht. (die mehrzahl war bereits in der Neuen Freien Presse erschienen, die artikel über klimts fakultätsbilder in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung.) in seinem vorwort betont seligmann, dass er es inmitten der mittlerweile enormen menge an schriften zur kunst deshalb für nötig erachtet hatte, sein Buch herauszubringen, weil er selbst bereits seit etwa 30 Jahren praktizierender kritiker und künstler sei. er wollte denjenigen gebildeten kunstfreunden eine umfassende entwicklungsgeschichte vorlegen, die sich mit den techniken der malerei nicht auskannten. er wollte ihnen einen leitfaden zur vielfalt der stilistischen tendenzen sowie eine zuverlässige, an ästhetischen kriterien orientierte und nicht von wirtschaftlichen oder politischen interessen geleitete Beschreibung der kunst an die hand geben. als kritiker hatte er oft erlebt, dass man unter vier augen – entgegen den in der Öffentlichkeit vorherrschenden modeerscheinungen – dem zustimmte, was er geschrieben hatte. für den heutigen analysierenden besteht der Zweck des Bandes dennoch in jener fast schon besessenen argumentation, mit der seligmann – wie ein moderner enthüllungsjournalist – die strategie der führenden künstler der secession sowie der tonangebenden Journalisten und kritiker der kulturszene in Bezug auf den kunstmarkt darstellt. dieser damals sehr seltene aspekt macht seine schriften zu wichtigen Quellen und ihn gegenüber dem idealistischen hevesi in gewisser hinsicht zum chronisten der kräfteverhältnisse des inneren kreises der Wiener elite (der kulturpolitiker und der „künstlerschaft“). er bestritt nicht, dass viele seiner schriften – besonders Berichte über ausstellungen – polemisch waren. seligmann erweist sich in seinen schriften als unerbittlicher Gegner mit klarem Blick, der die gesellschaftlichen Zusammenhänge zwischen der künstlerischen Praxis, der kulturpolitik und der ausstellungspolitik sowie die veränderte stellung der kunst in einer im umbruch befindlichen Gesellschaft genau erkennt. er blieb bis zum schluss ein anhänger des L’art pour l’art und der Pleinairmalerei, der die experimente der Wiener secession, also der stilkunst, als forciert empfand und die tätigkeit des klimt-kreises als privilegiert. selbst wenn er über die retrospektiven der einzelnen künstler schrieb, widmete er den umständen

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der ausstellung, den Widrigkeiten des künstlerlebens und den cliquen mehr aufmerksamkeit als den Werken. er war mindestens ebenso subjektiv wie hevesi, betonte jedoch stets, er bemühe sich um objektivität und sachlichkeit. in seinen artikeln über klimts ausstellungen ist die Bitterkeit des zweitrangigen künstlers angesichts des erfolgreichen Genies zu spüren. in seine argumente mischt sich viel moralisieren, aber bietet eine interessante inventur der konservativen anschuldigungen gegenüber der dekadenz, der „nervenkunst“, während auch er für das individuum und für die künstlerische freiheit ist. der leser erfährt erstaunlich interessante versteckte hintergrundinformationen. Was in dem Band fehlt, sind sprachliche eleganz, erfindungsreichtum und spielerischer humor. sein ton ist ernst, belehrend, beinahe didaktisch. seligmann brachte als anhänger der naturgetreuen malerei jahrzehntelang tüchtig mädchen und frauen das malen bei.119 er blieb bis zur mitte der 1930er Jahre kunstkritiker der Neuen Freien Presse.

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Gustav klimt und die malmosaik. hevesi 1909, s. 210–214. diesen artikel schrieb er nach seiner rückkehr aus mannheim, als klimt bei miethke ausstellte. 2 neubauten von Josef hoffmann. in: hevesi 1909, s. 214–220. 3 siehe referenz im kapitel „Geänderte strategie. neue mäzene”, s. X. 4 ein moderner nachmittag, fB. 1909. 5 otto Wagners stadtmuseum. in: hevesi 1909, s. 254–259. 6 rudolf von alt. Pl, 14. märz 1905. 7 ludwig speidel – nachruf. Pl, 5. febr. 1906. 8 seine reise von Juli bis november 1903 führte ihn nicht nur nach Griechenland, sondern auch durch sizilien, wo er auch Gelegenheit hatte, die normannische mosaikkultur eingehend zu studieren. Zu jener Zeit muss er sich das magenleiden zugezogen haben, das schließlich in einem tumor gipfelte. 9 ludwig hevesi: Die fünfte Dimension. stuttgart 1904. 10 hevesi war seit seiner Übersiedlung nach Wien mitglied des 1859 gegründeten Presseclubs concordia. seine mitglieder befassten sich nicht nur mit literatur, sondern übernahmen im Zuge der Professionalisierung des Berufszweigs auch die rolle einer interessenvertretung und Gewerkschaft. außerdem verfügte der club über eine rentenkasse. Zeitgenössischen statistiken zufolge war die mehrzahl seiner mitglieder jüdischer abstammung. 11 schiller. – originalbericht des Pester lloyds. Pl, 2. mai 1905. 12 nikolaus lenau von ludwig hevesi. nfP, 13. okt. 1902. 13 l. h-i: Wiener sezession. Pl, 21. nov. 1905. religiöse kunst. in: hevesi 1909, s. 332–342. 14 aus dem Wiener kunstleben. secession – künstlerhaus – hagenbund. Pl, nr. 74, sa., 24. märz 1906.

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die Wiener secession 1986. s. 53. außerdem: l. h-i: die münchener secession in Wien. Pl, 15. Jan. 1907. 16 charles holme, der Gründer und bis 1919 chefredakteur der monatszeitschrift The Studio (1894– 1984), hatte die einflussreichste internationale kunstgewerbe- und architekturzeitschrift eignes zu Zwecken des internationalen informationsaustauschs gegründet. (es gab auch eine Pariser ausgabe der Zeitschrift sowie eine um sonstige informationen erweiterte new yorker ausgabe.) ab 1906 brachte er auch ein Jahrbuch heraus (the studio yearbook of decorative art). die rubriken der Zeitschrift über bildende kunst und malerei waren ebenfalls anspruchsvoll, sie diente jedoch in erster linie der vorstellung und der verbreitung der „new art“, das heißt der experimentierenden modernen kunst, und der modernen richtungen, die auf dem handwerklich-kunstgewerblichen konzept der „arts and crafts“ basierten. Bis zum ersten Weltkrieg war die Zeitschrift im deutschen sprachraum nicht nur bei den angehörigen künstlerischer Berufsgruppen im engeren sinne sehr beliebt (jedes museum, jede hochschule und jedes architekturbüro hatte sie abonniert), sondern auch bei den bürgerlichen kunstliebhabern. ihre ab 1896 dreimal jährlich erscheinenden sondernummern, in denen oftmals die zeitgenössische moderne kunst eines landes vorgestellt wurde, waren von großer Bedeutung. in diesem rahmen kam auch Österreich an die reihe. hevesi besaß sämtliche Jahrgänge ab der allerersten ausgabe. 17 dr. hugo haberfeld (1875–1946) erwarb nach dem Jurastudium in Berlin und Wien mit einer dissertation über Piero di cosime einen doktortitel in kunstgeschichte bei richard muther in Breslau (heute Wrocław, Polen). ab 1902 schrieb er kritiken über die moderne kunst für Berliner und Wiener tageszeitungen wie die Neue Freie Presse und Die Zeit. ab 1907 war er geschäftlicher

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nachhutGefechte und resiGnation

leiter der Galerie miethke. ab 1912 war er auch anerkannter offizieller schätzer für alte malerei, blieb aber ein wichtiger unterstützer der avantgarde. er war mit adolf loos befreundet, von dem er auch seine Wohnung entwerfen ließ. Wenn sich muther in Wien aufhielt, traf hevesi ihn gewöhnlich bei haberfeld, sie kannten sich also sehr gut. möglicherweise hat hevesi den deutlich jüngeren kollegen in die arbeit für The Studio mit einbezogen. siehe: tobias G. natter: Die Galerie Miethke. Eine Kunsthandlung im Zentrum der Moderne. Wien 2003, s. 75–79. 18 amelia sarah levetus (1858–1938) wurde im englischen Birmingham geboren, zog jedoch in den 1890er Jahren nach Wien und berichtete von dort aus für The Studio. sie schrieb auch für andere Zeitschriften. sie kannte hevesi persönlich und bat ihn, den teil über die kunst für ihren Wiener reiseführer zu schreiben. levetus gründete die erste offizielle englische sprachschule in Wien. sie setzte sich für die emanzipation der frau ein, schrieb auch für englische frauenzeitschriften (The Womanhood, The Englishwoman’s Review) und nahm aktiv an der arbeit des Wiener Vereins für erweiterte Frauenbildung teil. 19 ludwig hevesi, modern Painting in austria. the art-revival in austria. london, The Studio, 1906, i–Xvi (sondernummer). 20 hevesi: The Studio. 1906, s. vii. 21 ebd., s. vii. 22 hevesi: modern Painting in austria. The Studio. 1906, s. viii. 23 ebd., s. Xi. 24 op. cit., s. Xiv. 25 Zum Palais stoclet siehe nathalie hoyos: Palais stoclet: a cultural monument as a Private home a force field of tension. s. 192–201. alfred Weidinger: 100 years of Palais stoclet. new information on the Genesis of Gustav klimt’s construction and interior decoration. s. 202–251 Beide in: agnes husslein-arco und alfred Weidinger (hrsg.): Gustav Klimt – Josef Hoffmann: Pioneers of Modernism. Wien 2011. 26 Gustav mahler war der ehemann von alma mahler, geb. schindler, die wiederum die stieftochter von carl moll war. 27 siehe hevesi: altkunst – Bilder von Gustav klimt, s. 206–210. Gustav klimt und die malmosaik, s. 210–214. 28 seligmann: Kunst und Künstler. Wien 1910, s. 235– 239. 29 op. cit., s. 239. 30 Plein-air: klimt (Zur ausstellung seiner deckenbilder). WsmZ, 8. Juli 1907. 31 ludwig hevesi: snob. Pl, 28. Juli 1907. 32 William makepeace thackeray: Book of Snobs. ist 1848 in Buchform erschienen. 33 aus dem Wiener kunstleben. vincent van Gogh – „die scholle“. Pl, 18. Jan. 1906. 34 Paul Gauguin. (miethke). Pl, 24. märz 1907. 35 toulouse-lautrec (miethke). Pl, 30. okt 1909. 36 in der internationalen kunstausstellung – venedig. Pl, 16. Juni 1907 und 2. Juli 1907.

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münchener kunst. Pl, 10. Juli 1907. internationale kunst in mannheim. Pl, 20. Juli 1907. 39 Barbizon – das malernest bei fontainebleau. Pl, 16. Juni 1907. 40 aus dem Wiener kunstleben. secession – künstlerhaus – hagenbund. Pl, 24. märz 1906. 41 die mitglieder des künstlerbundes waren Gustav klimt, carl moll, kolo moser und max kurzweil. 42 markus kristan: das Projekt für eine kaiser-Jubiläums-ausstellung Wien 1908. in: Gustav klimt und die kunstschau 1908. katalog. Wien 2008, s. 21–26. 43 l. h.-i.: der festzug (Wien 13. Juli). Pl, 14. Juli. in: hevesi 1909, s. 303. 44 l. h.-i.: die architekten in Wien Pl, 26. mai 1908. internationale Bauausstellung. in: hevesi 1909, s. 300–303. 45 Zu den mitgliedern des organisationskomitees gehörten außer Gustav klimt, carl moll, adolf Böhm, koloman moser und Wilhelm list auch dozenten der kunstgewerbeschule wie Josef hoffmann, franz cizek, alfred roller und rudolf von larisch. 46 eine der gründlichsten Besprechungen des themas ist: agnes husslein-arco, alfred Weidinger (hrsg.): Gustav Klimt und die Kunstschau 1908. münchen, Berlin, london, new york 2008. 47 in den artikeln über die eröffnung wurde der Panästhetizismus betont, zum Beispiel: Berta Zuckerkandl: die eröffnung der kunstschau. WaZ, 1. Juni 1908, s. 3. Zuckerkandl hat übrigens sogar für die Arbeiter-Zeitung, die Zeitung der sozialdemokratischen Partei, einen artikel zur ankündigung der ausstellung geschrieben, siehe Berta Zuckerkandl: die kunstschau. arbeiter-Zeitung, 24. mai 1908, s. 4. 48 etliche andere klimt Bilder wurden von dieser ausstellung verkauft, z.B. das Porträt von emilie flöge. 49 Peter altenberg: kunstschau in Wien. WaZ, 9. Juni 1908. 50 außer in den Wiener artikeln hat hevesi die ausstellung in der deutschen Zeitschrift Kunst und Kunsthandwerk besprochen: Bd. Xi, s. 395. außerdem hat er darüber einen artikel für die leipziger Zeitschrift für bildende Kunst verfasst: kunstschau Wien 1908. neue folge, Jg. XiX, heft 10, s. 245. 51 seine aufsätze in der Wiener tagespresse hat er in Altkunst – Neukunst wieder publiziert. hier wird von dort zitiert. hevesi 1909, s. 308–311. 52 Kunstschau. 1909, s. 313. 53 ebd., s. 313. 54 Weiteres von klimt. in: hevesi 1909, s. 316–320. 55 ebd., s. 316. (es handelt sich um das Porträt von emilia flöge von 1902.) 56 ebd., s. 319. 57 franz metzner – kunstschau. hevesi 1909, s. 320–323. 58 mehrere kunstautoren veröffentlichten in mehreren medien analysierende Bewertungen. Zuckerkandl habe ich bereits erwähnt, zu nennen sind 38

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DIE MACHT DER KUNSTKRITIK

hier aber zum Beispiel auch Joseph August Lux, Karl Kuzmany und Marcel Kammerer. 59 Siehe Elisabeth Schmuttermeier: Die Wiener Werkstätte auf der Kunstschau 1908. In Gustav Klimt und die Kunstschau. Op. cit., S. 434–441. 60 Das hat es möglich gemacht, dass wir viel mehr über die Kunstschau wissen als über die früheren Ausstellungen der Secession. Siehe Werner Schweigert: Die Wiener Werkstätte. S. 82–85. 61 Hermann Muthesius: Die Architektur auf den Ausstellungen in Darmstadt, München und Wien. In: Kunst und Künstler. Berlin, September 1908. Zitiert W. Schweiger. Op. cit., S. 88. 62 Bertha Zuckerkandl hatte sich schon zuvor in all ihren Artikeln für die Klimt-Gruppe und die Wiener Werkstätte ausgesprochen, und zwar in der Wiener Allgemeinen Zeitung, wo sie die fleißigste Kunstkritikerin war. Das war auch deshalb von großer Bedeutung, weil diese nach 1900 (wegen der Anzeigen) die Tageszeitung mit den meisten verkauften Exemplaren war. Ihr Eigentümer Moritz Szepsz war Berta Zuckerkandls Vater. 63 Otto Stoessl: Kunstschau. In: Die Fackel. Jg. 10, 13. Juni 1908. S. 24–30. 64 Eduard Pötzl: Kunstschau. Eindrücke eines Laien. Neues Wiener Tagblatt, 7. Juni 1908, S. 1. 65 In der NFP verwendete Seligmann nicht das Pseudonym Plein-air, sondern entweder das Kürzel A. F. S., oder er schrieb seinen Namen vollständig aus. Die ganze Kunstschau hielt er nur für eine Kunstgewerbeausstellung. A. F. S.: KunstschauGlossen I. NFP, 5. Juni 1908. A. F. S.: Kunstschauglossen II. NFP, 11. Juni 1908. 66 Nordaus Buch erschien noch 1892; es war ein intellektueller Bestseller, der zahlreiche Auflagen erreichte und auf den sich die Gegner der Modernität oft beriefen. 67 Katalog der Kunstschau. (Wien 1908). Vorwort, S. 1. 68 Über diese finanzielle Niederlage schwieg auch Hevesi verschämt. Siehe Alfred Weidinger: Billig war die Möglichkeit. Dokumentarisches zur Entstehung der Kunstschau. In: Gustav Klimt und die Kunstschau 1908. Katalog. 2008, S. 14–18. 69 Die finanziellen Mittel für die Ausstellung stellten das Ministerium, die Stadt und Niederösterreich sowie viele Mäzene aus dem Kreis der Großindustriellen bereit. Entgegen den Erwartungen hatte die Ausstellung, die bis zum 16. November geöffnet war, nur ca. 40.000 Besucher und schloss mit einem Defizit von 76.000 Kronen. Siehe Alfred Weindinger: Billig war die Möglichkeit. Dokumentarisches zur Entstehung der Kunstschau. In: Gustav Klimt und die Kunstschau 1908. Katalog. 2008, S. 14–18. 70 Internationale Kunstschau in Wien 1909. PL, 29. April 1909. 71 Ebenda. 72 1909, als die zweite Kunstschau stattfand, lebte der Professor für klassische Philologie, Wilhelm von Hartel, der bedeutende Kulturminister der Koerber-Regierung (dem viele Reformen zu verdanken waren und der die modernen Stilexperimente unterstützt hatte), nicht mehr.

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Das war das Thema eines seiner letzten Feuilletonstücke, die er im Januar 1910 für den Pester Lloyd geschrieben hat. 74 Carl Moll besaß eine Statue von Minne, die sein Arbeitszimmer dekorierte und er im Selbstbildnis 1906 darstellte. 75 L. H.-i: FB, 29. Apr. 1909. 76 Auf Olbrichs Spuren. Hevesi 1909, S. 326–332. 77 Wiener Secession PL Nr. 75. Di. 30. Marz 1909. 78 Ebd. 79 Deutsche Kunst in Wien FB. 6.Juni.1909 80 Ebd. 81 Ebd. 82 L. H.-i.: Neurussische Malerei in der Wiener Secession. PL, 10. Nov. 1908. 83 L. H.: Richard Muthers Geschichte der Malerei. PL, 19. Dez. 1909. 84 Jensen: Marketing Modernism. S. 11. 85 L. H.-i: Kunstausstellung in Venedig. FB, 3. Juli 1909. 86 L. H.-i: Kunstausstellung in Venedig II. FB, 15. Juli 1909. 87 Ein Kolossalgemälde von Max Klinger. PL, 24. Juli 1909. 88 Unter Riesen (Über die Skulptur). PL, 25. Jan. 1910. 89 Kunst in München. PL, 14. August 1909. Kunst in München. PL, 17. August 1909. 90 Toulouse-Lautrec (Miethke). PL, 30. Oktober 1909. 91 Aus dem Wiener Kunstleben (Engelhart, Tina Blau). PL, 14. November 1909. 92 Bernard Shaw, deutsch von Siegfried Trebitsch. PL, 28. März 1909. 93 Ein Schnitzler. FB, 12. Dez. 1909. „Der Ruf des Lebens“ (Schnitzler – Deutsches Volkstheater). PL, 12. Dez. 1909. 94 Das Greco-Fieber, PL, 23. Nov. 1909. 95 Kunst und Kunsthandwerk. 1910, S. 131. 96 Ivan Mestrovic. FB, 18. Jan. 1910. Ivan Mestrovic. PL, 22. Jan. 1910. 97 Ivan Mestrovic. PL, 22. Jan. 1910 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Das Kapitel Altwien umfasst 39, das Kapitel Neuwien 30, Vermischtes 20 und Männer und Werke 28 Artikel auf 600 Seiten (ohne Illustrationen). 101 Altwien – Neuwien. Bemerkungen zum Bauleben des Tages. Hevesi 1909, S. 176–182. 102 Das sogenannte Groß-Wien-Konzept wird Alfred Riehl zugeschrieben. 103 Zum Glück für Wien hat die Entwicklung den Verlauf genommen, den Hevesi sich vorgestellt hatte. 104 Hevesi, Vincent van Gogh, Hevesi 1909, S. 526– 529. 105 Ferdinand L. Leipnik: Altkunst – Neukunst. PL, 11. April 1909. S. 65–66. 106 Ferdinand L. Leipnik (1869–1924) war ein ungarischer Journalist, der auch in Den Haag gelebt hat (weshalb man ihn in der Literatur eine Zeit lang für einen Holländer hielt). Er war anglophil und übersetzte Bücher aus dem Englischen ins Deutsche. Sein einziges bekanntes, auf Englisch veröffentlichtes selbstständiges Werk ist A History

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NACHHUTGEFECHTE UND RESIGNATION

of French Etching. London 1924. Es lässt darauf schließen, dass er Connaisseur und in der Kunstgeschichte bewandert war. 107 Ebd. 108 Ebd. 109 s. W: Altkunst – Neukunst. FB, 8. Juni 1909, S. 17. 110 Hermann Bahr: Secession. Wien 1900, S. 266. 111 Karl Kraus war Bahrs größter, unerbittlichster Gegner. 112 siehe oben: Gegen Klimt Wien 1902. 113 Markus Meier: Prometheus und Pandora: „Persönlicher Mythos“ als Schlüssel zum Werk von Hermann Bahr. Würzburg 1984. 114 Richard Muther: Studien und Kritiken. Bd.I 1900– Bd.II. 1901 115 Berta Zuckerkandl (1864–1945) war die Tochter des liberalen Journalisten Moritz Szeps und die Frau von Emil Zuckerkandl, jenes berühmten Anatomieprofessors, der es mehreren Wiener Malern (z. B. Klimt) ermöglichte, im Sektionssaal die Anatomie der Toten zu studieren. Die Kritikerin publizierte ihre Artikel in der Wiener Allgemeinen Zeitung und im Neuen Wiener Journal. In ihrem berühmten Salon verkehrten die führenden Künst-

ler der Secession und namhafte Schriftsteller der Zeit; gewiss auch Hevesi, aber sie hat ihn in ihren, Jahrzehnte später verfassten Memoiren nicht erwähnt. 116 Adalbert Franz Seligmann: Kunst und Künstler von gestern und heute. Gesammelte Aufsätze. Wien 1910. Verlagsbuchhandlung Carl Konegen. (früher Ernst Stülpnagel) S. 273. 117 Die Aufzählung der als Vorläufer bezeichneten Künstler wirkt heute äußerst merkwürdig: Rembrandt, El Greco und Goya (sic). 118 Die Genres der zehn Künstlerporträts waren sehr verschieden: Es befanden sich darunter Nachrufe (Menzel, Rudolph von Alt), jubelnde Willkommensgrüße (Franz Defregger, Fritz von Uhde), Ausstellungskritiken (Klinger, Klimt, Aubrey Beardsley, Medardo Rosso, Rodin) und Erinnerungen (Hans Canon). 119 Wie schon früher erwähnt war Tina Blau in dieser 1899 für Frauen eingerichteten Schule seine Kollegin, und da auch sie für die Pleinairmalerei war, erkannte Seligmann ihre Malerei vorbehaltlos an und schrieb 1916 einen sehr einfühlsamen Nachruf über sie.

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Nachrufe und Erinnerungen hevesis tod kam für die Wiener kunstszene unerwartet. an seinem begräbnis nahmen viele Gründungsmitglieder der secession (unter ihnen auch klimt), die Führungskräfte der Journaille, sehr viele kollegen, abteilungsleiter des ministeriums, die führenden schauspieler des burgtheaters1 und die gesamte leitung des Presseklubs concordia teil. die Grabreden hielten dr. siegfried ehrlich, der vorsitzende der concordia, dr. Julius szeps, der chefredakteur des Fremden-Blattes, und aus budapest max ruttkay-rothauser, der Feuilletonredakteur des Pester Lloyd. nach ihnen würdigten im namen der secession ihr damaliger vorsitzender hohenberger und schließlich im namen des hagenbundes und symbolisch „im namen der modernen künstler“ dr. rudolf Junk hevesis verdienste.2 ihre Worte drückten ehrliche anerkennung, bewunderung und sympathie aus, es waren nicht die üblichen höflichen klischees. alle hoben seine liebe zur arbeit, seine Jugendlichkeit und seine hilfsbereitschaft hervor. es war offensichtlich, dass nur wenige den Privatmann hevesi kannten. in allen beiträgen wurde betont, dass er verschlossen war, dass über sein Privatleben kaum etwas bekannt war, dass er allein gelebt hatte, schon seit längerer zeit krank gewesen war (worüber er jedoch praktisch nicht gesprochen hatte) und dass er nur für seine arbeit, für das schreiben, gelebt habe.3 in Wien wussten viele nicht einmal, dass er gebürtiger ungar war, obwohl er daraus nie ein Geheimnis gemacht hatte. in allen blättern vertrat man einhellig die meinung, der verstorbene sei einer der besten kenner und befürworter der modernen kunst gewesen. (bild segantini: vergehen (la morte)– ausschnitt 328) Fast alle Wiener tageszeitungen brachten die nachricht von hevesis selbstmord. in den längeren nachrufen wurde sein Werdegang skizziert und sein Wirken bewertet. in der abendausgabe der offiziellen Wiener Zeitung, der Wiener Abendpost, folgte auf einen kurzen lebenslauf ein beitrag von armin Friedmann: „dieser genaue kenner aller stilarten und besonders aller modernen stilstrebungen war in kunstdingen der jugendlichste vorstürmer, ein begeisterter radikaler, der selbst verirrungen gern verzieh und guthieß, wenn er sich von ihnen, im stillen, versprach, daß sie das interesse latenter kunstbequemer kreise aufzuwecken geeignet seien, wenn er vermutete, daß es um sie herum kampf und sturm geräuschvoll widersprechender meinungen geben werde. hevesi ist mit der sezession gegangen, er hat sie heraufführen helfen und hat sie gestützt mit seinen glänzenden, funkelnden neuen Worten und knappen flimmernden sätzchen. Für alles neue hat er verständnis bereiten, es vor dem belachtwerden bewahren wollen. dabei muß es auch gesagt sein, daß er allzeit für die österreichische und die Wiener alte kunst von Waldmüller bis zu rudolf von alt das feinste verständniß besaß, daß er die geheimsten und verschlungensten Geheimnisse und zusammenhänge feinfühlig erkannte und aufdeckte. Was er über makart, Pettenkofen und schindler geschrieben, bleibt als mußtergültig bestehen.“4

302. Giovanni seGantini: verGehen, 1899 – ausschnitt

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im Grazer Volksblatt hieß es: „… er war in gewissem sinne geistiger inspirator jener großen bewegung im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts, aus der sich die österreichische moderne herausschälte.“ dort wurde auch betont, dass hevesi nicht nur unterstützer und verteidiger der secession, sondern auch der Kunstschau und des hagenbundes war.5 der nachruf in der Neuen Freien Presse war in einem sehr persönlichen ton gehalten.6 er stammte von seinem geistigen Gegenspieler seligmann.7 dieser erinnerte sich an ihre zufällige begegnung ein paar tage zuvor in der herrengasse, als hevesi ihn angehalten hatte, um begeistert von den kunstschätzen zu berichten, die er im Palais metternich gesehen hatte, wo er sich für sein in arbeit befindliches buch rudolf-von-alt-aquarelle angesehen hatte. „man soll nichts auslassen“, hatte er gesagt. laut seligmann: „seine kunstkritiken waren keine eigentlichen kritiken. es waren schilderungen oder aber erläuterungen von kunstwerken und künstlern, sozusagen aus ihren eigenen intentionen heraus. hevesi besaß in höchstem maße die Gabe der ,einfühlung‘, wie das unsere modernen ästhetiker nennen. er war wie wenige im stande, sich ganz in die seele des schaffenden zu versetzen, und als meister der Form in die treffendsten Worte zu kleiden, was der künstler sich gedacht, was er angestrebt hatte. daraus erklärt sich auch der scheinbare Widerspruch, dass hevesi die verschiedensten, einander entgegengesetztesten künstlerischen Glaubensbekenntnisse zu vertreten vermochte, mit dem selben elan und demselben interesse an der sache über Gauguin schrieb wie über makart, über Fischer von erlach wie über otto Wagner, über kupelwieser wie über klimt.“ Jeder seiner aufsätze sei voller neuer erkenntnisse; aus ihnen könnten auch diejenigen lernen, die eine andere meinung vertraten. seligmann schloss den nachruf mit folgenden Worten: „er wird in seiner art nicht zu ersetzen sein.“8 am meisten über seine Persönlichkeit und seine Gewohnheiten in seinen letzten lebensjahren erfährt man wie bereits erwähnt aus den beiden aufsätzen von amalia sara levetus. hevesi war ein unabhängiger Geist, für den intellektuelle und moralische unabhängigkeit am wichtigsten waren. „meine arbeit füllt mein leben ganz aus“, sagte er zu levetus.9 seine kollegen hielten ihn schon ab dem ende der 1870er Jahre für einen bedeutenden kunstkritiker. sie respektierten und schätzten ihn auch dann, wenn sie nicht seiner meinung waren. nach seinem tod gab es (außer im Pester Lloyd) auch in ungarn mehrere nachrufe auf ihn, deren leitmotiv darin bestand, dass ihn bedauerlicherweise Wien gewonnen hatte und er ein Wiener geworden war, die moderne kunst jedoch ohne ihn keinen so schnellen triumph hätte verzeichnen können, wie es in der kaiserstadt der Fall war. in der ungarischen zeitschrift Művészet (kunst) erschien mit der signatur „d. i.“ ein langer artikel von istván dömötör, einem begeisterten anhänger der kunstgewerbereform, über ihn. der verfasser äußert die ansicht, hevesi habe „sich“ mit seinen beiträgen „so tief und mit einer solchen dynamischen kraft in die entwicklung der kunst des ausgehenden Jahrhunderts, insbesondere in Wien, eingemischt, wie es hier zuvor noch nicht vorgekommen ist, außer durch hanslick in der musik“10. in der wichtigsten modernen ungarischen literaturzeitschrift Nyugat (Westen) schrieb der schriftsteller zoltán ambrus über ihn: „er setzte sich für alles ein, was den Funken des vorwärtskommens, der Weiterentwicklung in sich trug. ihn interessierte die zukunft, der Geist des Fortschritts trieb ihn an, und zugleich war er, wenn er zu-

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nachklänGe und bilanz

rückblickte, erfüllt von den Wundern der vergangenheit. hevesi war kritiker, aber kein systemkritiker, kein Parteikritiker, und verharrte nicht dort, wo er gestern gestanden hatte. … er war kritiker, aber auch so weit künstler, dass das, worüber er schrieb, das bild, oftmals hinter dem text zurückblieb.“11 der schriftsteller baron lajos hatvany, mitglied einer der wichtigsten mäzenatenfamilien ungarns, veröffentlichte seine erinnerungen über hevesi auch im Pester Lloyd. der junge baron (der wichtigste mäzen der modernen ungarischen literaturzeitschrift Nyugat) steuerte einen höchst subjektiven beitrag bei, in welchem er hevesi als eine skurille, einsame, altmodische Figur darstellte, die schon längst nicht zu dieser Welt gehörte. (als beispiel nannte er ihn jemanden, der in venedig im mansardenzimmer einer Pension zur erholung demosthenes liest.) sein fantastisches visuelles Gedächtnis und seine wichtige rolle als kunstkritiker erkannte aber auch hatvany.12 er zitierte ein Gespräch mit ihm, welches beweist, dass hevesi wusste, dass seine analysen einen morphologischen raum in der kunstkritik schufen. „die kunst erneuert sich immer wieder unter Frühlingskämpfen, die eine periodisch wiederkehrende erscheinung sind. in einer zeit solcher verjüngungswesen mitzuleben, ist vielleicht noch schöner, als in einer mit sich fertigen epoche dahinzutreiben. (…) ich musste erst die Wörter, alle termini technici prägen für dinge, die gar nicht da waren. den leuten begriffe vorführen, von denen sie keine ahnung hatten. dann kamen erst die künstler und schufen wie nach einem rezept“, zitierte hatvany seinen Freund hevesi.13 der letzte wichtige aufsatz eines zeitgenossen in Wien war der von arthur roessler, der seit 1903 kritiker der Arbeiterzeitung war und in der kulturgeschichte als einer der wichtigsten unterstützer schieles gilt. er veröffentlichte seinen essay14 einige Jahre nach dem ersten Weltkrieg, im Jahr 1923. in der ersten Jahren der jungen österreichischen republik war für roessler das Wichtigste, dass hevesi, zusätzlich zum breiten kulturhistorischen horizont und der impressionistischen schreibweise den spezifisch „österreichischen“ charakter in der bildenden kunst des 19. Jahrhunderts entdeckt und betont hatte.

303. der deckPlatt vom alt buch, 1897

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die mAcht deR kunStkRitik

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Die Monografie über Rudolf von Alt

304. Rudolf von Alt: SelbStbildniS, 1897

nach hevesis tod beschlossen seine kollegen, die unvollendete Rudolf-von-Alt-monografie zu retten. das manuskript, das zugegebenermaßen in Rohform vorlag, hat – wie bereits erwähnt – karl kuzmány15 redigiert. dabei hat er zu den einzelnen kapiteln ergänzungen, „brücken“, geschrieben, in denen er die bilder verschiedenen Gruppen (Reisen, Wien-bilder, Genrefiguren) zugeordnet und sie mehrmals nach verschiedenen kriterien chronologisch besprochen hat.16 hevesis buch über Rudolf von Alt ist ein meisterwerk der buchkunst (Abb. 303). die Grafiken und das format stammen von Rudolf Junk, dem damaligen direktor des hagenbundes und mitarbeiter der österreichischen Staatsdruckerei, die Reproduktionen haben die besten Wiener fotostudios angefertigt17 (Abb.. 304). von allen künstlern stand hevesi emotional Rudolf von Alt am nächsten. neben Speidel betrachtete er auch ihn als väterlichen freund, er besuchte ihn regelmäßig. er genoss seinen humor, bewunderte seine leistungsfähigkeit und seine einzigartige virtuosität. das buch bespricht das lebenswerk unter mehreren Aspekten.18 es ist voll mit Anekdoten (beispielsweise der teil über den freundeskreis von Professor Skoda (Abb. 307), in dem er jeden einzelnen Arzt der Szene beim namen nennt, da er als Student ihre vorlesungen gehört hat), doch auch diese sind wertvolle Quellen, wie auch seine nörgeleien über die Preise am Wiener kunstmarkt. der figuralen- und der Porträtmalerei von Alts hat er ein gesondertes kapitel gewidmet, und er betont die bedeutung der Selbstporträts (Abb. 303). der text skizziert eine vielfältige laufbahn, die ende der 1820er Jahre begann und das gesamte 19. Jahrhunderte umfasste, innerhalb dessen 50 Jahre der herrschaft franz Josephs. da kuzmány kaum Änderungen am Rohmanuskript vorgenommen hat, ist der tenor sehr persönlich und hat manchmal die lebhaftigkeit der gesprochenen Sprache. die bildbeschreibungen sind sinnlich und witzsprühend. dort aber, wo er das gewaltige malerische lebenswerk aus der historischen und stilgeschichtlichen Perspektive bespricht, zeigt er mit außerordentlich präzisen und sensiblen erkenntnissen auf, was oder wer auf von

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306. rudolF von alt: inneres der kirche maria am Gestade, 1830er Jahre

alt gewirkt hat, wie viele äußere impulse das scheinbar einheitliche lebenswerk aufgenommen und wie sich von alts betrachtungsweise mit der zeit mittelbar, von innen geändert hat, um auch die Themenwahl, die Wahl der maße, den bildausschnitt und die handhabung der Farben zu verändern (abb. 308). Wie das streben des realismus des biedermeier nach harmonie und Fröhlichkeit, die übernahme der Präzision der miniaturmalerei in die landschaftsmalerei (abb. 131) und in die topografisch getreuen veduten oder die andere, großzügigere und fast schon gierige sichtweise, die den anblick verschlang (abb.107), ihn beeinflusst haben, ohne dass von alt jemals makart-anhänger geworden wäre. er war ein idealistischer realist, der das Wesentliche des Gesehenen

305. rudolF von alt: am Fenster (selbstPorträt des künstlers)

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die macht der kunstkritik

307. rudolF von alt: WhistPartie bei ProFessor skoda, 1866

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erfassen konnte und aus den vielen hyperrealistischen mosaiksteinchen der Wirklichkeit (abb. 311) eine bildliche synthese geschaffen hat, die es durchgeistigte, ganz gleich, ob es sich um eine vedute (abb. 309), das innere eines zimmers (abb. 310), das innere einer kirche (abb. 115), ein landschaftsbild (abb. 131), ein stück natur, einen baum (abb. 152) oder einen kohlkopf handelte. hevesi betont als leitmotiv, dass von alt ein eigenwilliger künstler war. die landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts außerhalb Österreichs ist spurlos an ihm vorbeigegangen19, und dennoch hatte er teil an den großen stilepochen (biedermeier, dann realismus, makarts dekorativer Farbenrausch, dann eine neue art von ebenfalls gegenständlichem realismus und schließlich – so sieht es zumindest hevesi – in den letzten Jahren Pointilismus) und formte sie in seinem Genre mit20 (abb. 308). den historischen verlauf des lebenswerkes fasst hevesi folgendermaßen zusammen: „rudolf alt war der modernste maler, den Wien im 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. nicht in dem sinne, daß er etwa eine neue malerei erfunden hätte, jenseits von Gut und böse, eine neue ausgeburt des ästhetischen zeitgeistes. alt war also nicht ein malkünstler über die äußerste linke des Fortschrittes hinaus, wie im 20. Jahrhundert Gustav klimt, einer der wenigen einzigen in der malerei unserer zeit. sondern er war modern, weil in ihm alle bedeutenden merkmale dessen, was wir heute so nennen, ganz merkwürdig zusammentreffen. er malte zeitgemäß, ortsgemäß, sachgemäß und sich gemäß.“21 (abb. 107) hevesi hat diese aussage Punkt für Punkt bewiesen. „zeitkunst trieb er als unter allen umständen echter, unverfälschter sohn seiner zeit.“ von der naturromantik des biedermeier über den realismus bis hin zum makartschen Farbenrausch (abb. 74). er zählt seine künstlerischen tugenden auf: die verborgene, aber ehrlich gemeinte akzeptanz des Geistes der verschiedenen epochen, die topografische Präzision, die äußerst nuancierte stoffliche, ja atmosphärische Gegenständlichkeit und schließlich den unerschütterlichen kern, die fantastische kompositions- und Farbkunst, mit der von alt seine stadt- und landschaftsbilder schuf. in dem abbild des mit den ausgesprochen realistischen, zufälligen staffagefiguren bevölkerten raums konnte er die Poesie der Wirklichkeit aufzeigen, wie es auch die titelseite dieses buches illustriert. (Der Stephansdom vom Graben aus, 1872) nach hevesis meinung wurde der idealismus der romantischen Jugend vor 1848 durch die Generation der realistischen (positivistischen) Wissenschaftler und künstler vorangebracht. „die realisten verwirklichten die träume der idealisten“, schrieb er. zu dieser sorte gehörte auch rudolf von alt. die nächste künstlerische Parallele sah hevesi in dem deutschen realistischen maler adolph menzel, der ebenfalls ein hohes alter er-

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308. rudolF von alt: eisenGiesserei, 1903

reichte22 (abb. 207). von alt war ebenfalls ein maler der präzischen Gegenständlichkeit, der niemals süßlich war (abb. 142). allerdings: „in seiner sachenmalerei lebte die sachenseele, die sich bloß dem offenbart der selbst wieder seele ist. (…) Gewiß war rudolf alt Poet“. und: „Was in ihm elementar war, das mußte einzig bleiben. drum konnte er nicht schule machen“ (abb. 90). abschließend spielt er beim vergleich der kunst von alts mit der menzels mit der dichotomie der deutschen (berliner) und der österreichischen (Wiener) lebensauffassung. „der Preuße nahm sich die menschen und ihr tun, der Österreicher die schauplätze und ihr sein. das schäumende leben berlins gebar ein Genie für das lebensbild, die entzückende natur Wiens brachte ein Genie für die darstellung der natur hervor. sie sind beide gleich stark, auch im lande menzels wird dies mit der zeit anerkannt werden, wie im lande rudolf alts es keiner leugnet.“23 diese außergewöhnliche monografie wurde zur Grundlage der rudolf-von-alt-Forschung.24

II. Die heutige Bilanz Wie beurteilt die kulturgeschichte hevesis lebenswerk nach hundert Jahren? in Fachkreisen begann man, hevesi wieder zu lesen, als die Wiener secession erneut in mode kam.25 er wird als eine der authentischsten und reichhaltigsten Quellen der zeit geschätzt, darüber hinaus können aber auch seine schreibkunst und seine moralische haltung als vorbildlich betrachtet werden. er hatte den mut zur subjektiven interpretation. die begegnung mit neuen Werken bedeutete für ihn eine herausforderung, die Freude bereitete und zugleich eine verantwortungsvolle aufgabe darstellte. sein ziel war es dabei, einem jungen künstler oder

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309. rudolF von alt: der nePtunbrunnen am domPlatz in trient, 1875

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einer neuen bestrebung zum erfolg zu verhelfen, wenn er diesen oder diese in künstlerischer hinsicht für gut befand. da er wusste, wie wichtig seine meinung für die spätere beurteilung und rezeption des jeweiligen Werkes war, bemühte er sich stets, die individuellen merkmale eines jeden Werkes sehr sorgfältig und genau zu erfassen und dem Publikum glaubhaft zu vermitteln. er wusste aber auch, dass auch seine interpretation subjektiv war, obwohl sie auf jahrzehntelanger erfahrung, solidem Fachwissen und Fakten beruhte. obgleich er nach 1905 nicht mehr an einen kanon glaubte, relativierte er weder die früheren stilepochen noch die neuesten künstlerischen Werte. er war bis zu seinem tod in der lage, sich für die neuesten meisterwerke zu begeistern und sich mit völliger hingabe für sie einzusetzen, obwohl er wusste, wie zeitgebunden selbst diese waren. er wusste, dass auch diese irgendwann verblassen würden wie alle erlebnisse, schmerzen, Freuden und erschütterungen des menschen. hevesi machte das erleben und den Genuss der kunstwerke zu einem bleibenden erlebnis, indem er sie niemals dekonstruierte, sondern auf geniale Weise in ihrer eigenen zeit, an ihrem eigenen ort und in ihrem eigenen milieu kontextualisierte. War er taines anhänger geblieben? Ja, aber taines erbe war nur ein element der für seine vielseitigen, immer an das konkrete Werk angepassten herangehensweise. er wusste, dass jedes schönheitsideal und jedes stilistische ideal an die zeit und an eine epoche gebunden ist und irgendwann nicht mehr zeitgemäß sein wird, weil sich

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310. rudolF von alt: das arbeitszimmer des künstlers, 1904

die zeiten geändert haben und mit ihnen auch wir menschen. somit muss sich – wenn sie wahr, authentisch und zeitgemäß sein will – auch die kunst ändern. außerdem war er ein befürworter des absoluten individualismus. er hasste die zwangsjacke der einheitlichkeit, für ihn war nur das einmalige und nicht Wiederholbare der beurteilung wert. das Jahrzehnt um 1900 war in der europäischen kultur der höhepunkt des individualismuskultes, obwohl der Prozess, der mit dem nachdruck der modernen massengesellschaft alles rational typisierte und vereinheitlichte, bereits eingesetzt hatte. auch das (kunstgewerbliche) design entwickelte sich in diese richtung, und nicht etwa in richtung des ideals des idealisierenden und einzigartigen luxusgesamtkunstwerkes der Wiener Werkstätte. hevesi waren die typisierung, die künstlerische zentralisierung und der universelle moderne Weltstil schon 1907 suspekt, obwohl sie aus Paris kamen. er spürte, dass all das eintreten würde und die stilistische und regionale vielfalt europas verschwinden könnte. er war skeptisch, weil er weise war und vielleicht schon zu müde, um die kraft für den kampf gegen diese typisierungstendenz aufzubringen – es reichte nur für ein resigniertes seufzen. (aus diesem Grund strahlt zum beispiel unter anderem sein beitrag „beim berühmten Julian“26 keine begeisterung aus.) er glaubte auch in diesen Jahren an den nationalcharakter, den er jedoch als Produkt der Geschichte betrachtete, und entdeckte auch in den landschaften den nationalen charakter und das lokale klima. diese vielfältigkeit war das, was er schon an der malerei der 1870er und der 1880er Jahre so sehr geschätzt hatte. aber er war kein ideologischer kritiker. er verlangte von den malern nicht, symbolisten, impressionisten oder vertreter irgendeines ismus zu sein. natürlich verwendete er diese stilkategorie. innerhalb dieser interessierten ihn jedoch stets das, was der ein-

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zelne zusätzlich vorzuweisen hatte, und die individuellen lösungen. deshalb waren seine lieblingsmeister diejenigen künstlerpersönlichkeiten, die schwer in die schubladen der herrschenden stilkategorien zu zwängen waren (rudolf von alt, makart, Pettenkofen und schindler, klinger, segantini und – später - vor allem Gustav klimt). die wahren „helden“ seiner analysen und seiner begeisterung waren die meister, die, statt das Gesehene objektiv und emotional distanziert festzuhalten (wobei häufig eine bestimmte maltechnik im mittelpunkt stand), versuchten, die feinen schwingungen von körper und seele auf die leinwand zu zaubern. es war das erfassen des subjekts des malers und/oder des modells – wobei eine stimmung oder ein verborgenes Gefühl die Pinselstriche, die Farben und die Formen durchgeistigt –, das ihn so elektrisierte, dass er versuchte, das durch ein bild ausgelöste erlebnis in Worten wiederzugeben. nach 1895 wurden seine sprachlichen experimente immer gewagter. die subjektivierende kunstkritische Praxis in den 1890er Jahren, im rahmen welcher auch im deutschen sprachraum immer mehr schriftsteller und dichter Feuilletonbeiträge über Gemälde und skulpturen verfassten27, ermutigte auch hevesi, in der kunstkritik einen zunehmend subjektiven und innovativen ton anzuschlagen. (auch muthers beispiel beeinflusste ihn.) die Persönlichkeit wurde zum maßstab, ein modernes Werk war eines, das authentische neue Formen, Farben und effekte brachte. neben der visuellen erfahrung aus drei Jahrzehnten – die ab mitte der 1890er Jahre sonst niemand vorweisen konnte –, besteht die einzigartigkeit von hevesis essays im bravourösen umgang mit der sprache, in der verspieltheit, in der sprachlichen Fantasie und im reichtum der intellektuellen assoziationen.

Skepsis gegenüber der Kritik selbst er war ein unwahrscheinlich guter beobachter, und wer so über Gemälde schreiben konnte wie er, der beobachtete auch die natur und die menschen „gut“: mit zuneigung und humor. darüber, wie er selbst die rolle und die möglichkeiten eines kritikers beurteilte, äußerte er sich 1906 auf sehr interessante Weise in seinem nachruf auf ludwig speidel. speidel, den er als seinen lehrmeister betrachtete und für den er schwärmte, war für ihn wie eine vaterfigur, die sich ab mitte der 1860er Jahre in der ganzen stadt eines enormen ansehens erfreute. er war bekannt dafür, dass ihm das schreiben schwerfiel, und er schrieb wenig, doch seine Feuilletons waren damals der maßstab in Wien. nach hevesis ansicht hatte es der literaturkritiker speidel – da er in einer „epigonenepoche“ lebte und schrieb, in der es in der literatur keine bedeutenden talente gab, die etwas wirklich neues gebracht hätten – sehr schwer und konnte höchstens in seinen kritiken er selbst sein. die (von den 1860er Jahren bis zum ende der 1880er Jahre in diesem Fachgebiet vorherrschende) theoretische objektivität der kunstkritik, die auf Positivismus und realismus fußte, betrachtete hevesi 1906 bereits mit ironie, da sie die individuelle meinung für ungerecht und für fehlende objektivität hielt. „Was erst die neueste zeit als das erste und letzte, höchste und tiefste an jedem leistenden schätzt, sein eigenes selbst, das besaß speidel ganz und gar. seines eigenen empfindens voll, bestritt er alles, was da wieder lief. zu seiner zeit hielt man das für den größten Fehler eines kritikers. das sollte vergangenheit, Parteilichkeit, ungerechtigkeit, mangel

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311. Rudolf von Alt: Hof im KAstell zu tRient, 1875

an objektivität sein. Als ob es überhaupt objectivität gäbe. das objekt erscheint jedem subjekt subjektiv, weil er daran nur das sehen kann, was er in sich selbst hat, nähmlich was er mit seinen eigenen fühlfäden erfühlen kann. für das übrige ist er blind und taub, stumpf: und ein Anderer sieht gerade das. ein moderner Kritiker maßt sich auch nicht an, zu urtheilen: er stellt einfach seinen persönlichen eindruck von der sache fest. Hat er beweiskraft im leibe, so kann er ja Andere zu seiner Ansicht bekehren, aber es ist immer nur seine einzelansicht. mit der Kanonischen Regel haben wir gründlich aufgeräumt.“28 diese überraschende Aussage erklärt zu einem großen teil, weshalb Hevesi nicht bereit war, wie muther oder meier-graefe eine große synthese, eine monografie, über die

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zeitgenössische internationale moderne malerei zu schreiben, obwohl es ihm keinesfalls an der erforderlichen sachkenntnis gefehlt hätte. er betrachtete es nicht als sinnvoll und war skeptisch. er hatte synthetisierende theoretische konzepte, auf denen die bis dahin entstandenen kunsthistorischen kanons im namen des lebens und der kunst basierten, schon zuvor skeptisch betrachtet. deshalb hielt er, was seine eigene arbeit anging, die chronik, die abfolge aktueller, gefühlsgeladener (aber im besitz umfassender sachkenntnis verfasster) kritiken als authentische zeitdokumente für wichtiger als eine momentane synthese. indem er die möglichkeit der objektivität ausschloss und die subjektivität, also die relativität, der kritik vertrat, wandte sich hevesi im Grunde gegen seine eigene Generation (die historisierenden positivistischen Prinzipien derselben), wodurch er sich den modernen subjektiven und symbolistischen denkern der 1890er Jahre anschloss, und zwar so, dass er die Phase des naturalismus zwar registrierte, jedoch nicht zu ihrem vorreiter wurde.29. hevesi registrierte den Wechsel vom realismus-naturalismus zum symbolismus, der in mitteleuropa in der malerei zeitgleich mit einer schnellen modernisierung der maltechnik und einem modernen individualitätskult erfolgte, der auch den Weg für die anwendung der psychologischen erkenntnisse in der bildenden kunst öffnete. die relativierung der Werte bedeutete für ihn nicht im Geringsten die infragestellung der existenz von Werten. er verstummte niemals (geriet auch nicht in eine kommunikationskrise wie hofmannsthal), da er auch dann an die subjektive kritik und die subjektive kreativität, also an die existenzberechtigung der schaffung von Werten, glaubte, wenn diese das ideal der perfekten erkenntnis nicht erreichte.

Hevesis Platz in der Kunstkritik der Monarchie versucht man den Platz des kunstkritikers hevesi im mitteleuropa seiner zeit zu bestimmen, so ist dieser in erster linie im deutschen kulturkreis zu suchen.30 aufgrund seiner langen laufbahn als kunstkritiker gehörte er zu zwei epochen und war zeitgenosse zweier Generationen. er begann seine tätigkeit als Journalist und kritiker zur Glanzzeit des historismus, als diese bereiche im deutschen sprachraum noch nicht professionalisiert waren. obwohl die meinungsbildner bedeutende und bestimmende Persönlichkeiten waren wie beispielsweise Friedrich Pecht in münchen, der seine berufliche laufbahn als maler begonnen hatte, oder tiertsch in berlin, der aus der literatur kam, hielten sie sich noch sehr stark an die in den vorangegangenen stilepochen entstandenen ästhetischen ideale und maßen auch die neuesten Werke an ihnen. dasselbe galt für Wien, wo es keinen führenden kritiker im bereich der bildenden kunst gab, der das schicksal der neuen bestrebungen „bestimmt“ hätte.31 mehrere Fachleute, die ein studium der kunstgeschichte abgeschlossen hatten (z. b. eitelberger und lützow) sowie ältere und erfahrene kulturjournalisten (z. b. carl von vincenti, emerich ranzoni und hans Grassberger) berichteten in den tageszeitungen auf der Grundlage jenes historistischen ideals über die ausstellungen, das den zeitgenossen die italienische renaissance oder die niederländischen Großmeister des 17. Jahrhunderts als maßstab setzte. in diesem milieu begann hevesi seine kritikerlaufbahn, und er unterschied sich nur durch seine virtuose schreibkunst und die verknüpfung von taines Theorie mit dem

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progressiven Glauben an die entwicklung (die er auch auf die kunst anwandte) von den übrigen gebildeten autodidakten, die über kunst schrieben. die mehrzahl der Wiener Feuilletonisten waren außerordentlich gebildete, vielgereiste bildungsbürger, die auch literarische ambitionen verfolgten und sich somit zu vielen Themen auf kundige Weise äußern konnten (wie beispielsweise ludwig speidel und hugo Wittmann). in den 1890er Jahren hatten sich jedoch die einzelnen ressorts herausgebildet, und so gab es nur wenigeren „mädchen für alles“, die auf fachkundige Weise zu vielen Themen schrieben. in der zweiten epoche ab 1890 hingegen lernte die in Wien heranwachsende neue kritikergeneration, die die modernen bestrebungen befürwortete, von hevesi, wie man bilder analysierte, was guter stil war und wie man sich eine fundierte meinung bildete. er wurde auch ohne abschluss in kunstgeschichte zur höchsten autorität in seinem Fach. einen nennenswerten Gegenpol in Wien stellten nach 1897 lediglich die beiträge seligmanns dar. dieser war fachlich ebenfalls bewandert, wandte sich jedoch – da er nicht zum hauptstrom der modernen stilbestrebungen gehörte – verbittert gegen die erfolgreiche lobby der modernen malerei, die secession. seligmanns vorteil gegenüber den übrigen qualifizierten kulturjournalisten bestand darin, dass er die stellungskämpfe auch von innen sah und erlebte und dadurch die motivationen, die außerhalb der stilistischen und ästhetischen aspekte lagen und die kunstszene mitgestalteten, differenzierter aufzeigen konnte. Während hevesi kein persönliches interesse an der Gestaltung der Gemäldepreise, und an der entwicklung der stilrichtungen hatte, da er seine subjektiven und leidenschaftlichen, jedoch fachlich fundierten analysen auf der Grundlage abstrakter idealistischer ästhetischer überlegungen verfasste, war seligmann an der entwicklung des kunstmarktes mehr interessiert und selbst leidtragender der stellungskämpfe auf diesem. diese rivalitäten erreichten ihren höhepunkt – wie bereits erwähnt – in der scharfen Pressedebatte um die vorstellung von klimts Fakultätsbildern. es ging auch um geschmackliche sogar weltanschauliche Fragen, und hevesi setzte sich mit all seiner autorität für klimt ein. da die debatte zunehmend über die ästhetik und die malerei hinausging, zu einer politischen angelegenheit wurde und viele andere interessen und ansichten zum tragen kamen, entschieden schließlich nicht mehr die ästhetischen und stilistischen kriterien der malerei über den ausgang des nunmehr ideologischen kampfes und das schicksal der bilder. ab 1904 schwand unter den veränderten umständen die relative kunstpolitische kohäsion der secession nach sieben Jahren endgültig dahin, und eine kulturelle orientie-

312. laJos bruck: laJos hevesi, o. J.

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rung wurde in der differenzierten, sich stetig wandelnden, aber weiterhin blühenden kunstszene Wiens, im pluralistischen Wettbewerb der neuen Gruppierungen noch schwieriger als zuvor. hevesi blieb auch weiterhin offen für alles neue, doch es war ihm nicht mehr vergönnt, das auftreten des nächsten künstlerischen stils, des expressionismus, zu erleben. er konnte nur registrieren, dass die erste Generation der modernen neuerer – obwohl sie auch weiterhin meisterwerke von außerordentlich hoher ästhetischer Qualität zu schaffen in der Lage war – keine neuen seelisch-geistigen und spirituellen entdeckungen und keine neue „menschheits-vision“ in der inzwischen veränderten Welt präsentieren konnte. die neuheit und Zeitgemäßheit der klimtschen Generation waren zum Zeitpunkt seines todes bereits verblasst. Wenn man den Platz hevesis nach 1890 unter den zeitgenössischen deutschen kritikern zu bestimmen versucht, muss man feststellen, dass seine Wirkung trotz seines hervorragenden Gespürs für verborgene Zusammenhänge und seines klaren Blicks begrenzter war als die zweier seiner einflussreichen deutschen Zeitgenossen, richard muther und Julius meier-Graefe. hevesi widmete man außerhalb der monarchie „nur“ im deutschen sprachraum – mehr oder weniger – aufmerksamkeit. die deutschen Fachleute sahen den „Partikularismus“ der österreichischen kultur, also Wiens, nicht gerne. Für sie war auch dies eine „Provinz“ mit deutscher kultur. (siehe die rezensionen über sein Werk Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert.) Für hevesi war Wien (vielleicht weil er aus der ungarischen hälfte der monarchie gekommen war) selbstverständlich ein autonomes künstlerisches Zentrum mit einer großen Wirkung, und er sah die unterschiede zwischen (Wien und) den deutschen Zentren der bildenden kunst, die für ihn schon „ausland“ waren, deutlicher. mit ihm vergleichbare zeitgenössische kritiker in den anderen nationen der österreichisch-ungarischen monarchie waren der tscheche František Xaver Šalda32, der Pole stanisław Witkiewicz33 und der ungar károly Lyka34. auch sie brachten dem jeweiligen Publikum das sehen bei, genossen in ihrem jeweiligen umfeld ein ähnliches ansehen und waren vergleichbare moralische autoritäten wie hevesi in Wien. sie waren diejenigen, die in ihrem Land die professionelle kunstkritik etablierten und dem Publikum die moderne malerei näherbrachten.

Seine Identitäten mit seinem tod verschwand eine außergewöhnliche Persönlichkeit der kultur der k. u. k-monarchie, die gleichzeitig jüdisch, ungarisch, österreichisch-wienerisch und europäisch sein konnte. am tiefsten verborgen von seinen vielfältigen identitäten war das Jüdische, denn er gehörte zu der Generation, die ernsthaft an die möglichkeit der assimilation glaubte und dadurch viel gewann: Offenheit, individuelle Freiheit sowie nationale, supranationale und europäische kultur. die entfernung von der jüdischen konfession war möglicherweise nicht seine entscheidung, sondern bereits jene seiner eltern. seine abstammung betonte er in Wien niemals, viele wussten nicht, dass er offiziell erst 1890 evangelisch wurde. der ihm nahestehende teil seines Freundeskreises (tina Blau, dóczy, Goldmann, Levetus) bestand aus assimilierten Juden, ganz anders als seine

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Vorbilder und väterlichen Freunde (Ludwig speidel, Viktor tilgner, rudolf von alt). Von den larmoyanten tonangebern sowohl in der Gesellschaft als auch in den medien ging er auf diskrete distanz. Offensichtlich irritierte oder gar beunruhigte ihn der zunehmende antisemitismus der ära Lueger in Wien. ähnlich wie viele seiner Zeitgenossen nahm er diesen aber nicht wirklich ernst, sondern betrachtete ihn lediglich als unangenehme reaktion auf das „anderssein“ der Juden, ohne die Bedrohung dahinter wahrzunehmen. er gehörte zu der optimistisch denkenden Generation, glaubte an die entwicklung und an den menschen. die ungarische identität offenbarte er bescheiden aber konsequent. so popularisierte er in seinen beiden „hauspostillen“ Fremden-Blatt und Pester Lloyd die errungenschaften der ungarischen kunst und übersetzte auch viel aus dem ungarischen ins deutsche. dass er zu einem echten Wiener wurde, beweisen fast alle seiner texte, viele poetische und liebevolle schilderungen, mit denen er der stadt und der Wiener kunst huldigte. der ungarischen Leserschaft machte er die stadt wie die Gemälde des Vedutisten rudolf von alt anschaulich. da er 43 Jahre lang im Pester Lloyd über beinahe alle wichtigen kulturereignisse berichtete, beeinflusste er dadurch das Wien-Bild der ungarischen Zeitungsleser nachhaltig. in diesem sinne erfüllte er ein Leben lang die rolle des intellektuellen Brückenbauers. er war ein leidenschaftlicher schwärmer für die universelle europäische kultur und mit seinen Zeilen auch dessen mitgestalter. er bereiste Landschaften des kontinents von Griechenland bis zu den hebriden, wollte seine Völker, seine wichtigste städte kennenlernen, das Beste aus dem kulturerbe schöpfen und die frischeste kunst der Gegenwart in sich aufnehmen. Obwohl er auch von der japanischen kunst fasziniert war, war für ihn europas kultur die wichtigste vitale Quelle. an seinen schriften spürt man, dass er sich immer an hyppolite taines milieutheorie orientierte: die künstlerische authentizität der darstellung des individuellen, spezifischen und regionalen fand er wichtiger, als einem beliebigen, modischen, internationalen stilistischen trend zu folgen. diesen Grundsatz verband er mit der auffassung, dass künstlerische individualität und Originalität der schlüssel der künstlerischen Qualität seien. deshalb plädierte er im namen der künstlerischen Freiheit immer für die individuelle und stilistische Freiheit – hiervon zeugt auch die Losung auf der Fassade des Wiener secessionsgebäudes: „der Zeit ihre kunst, der kunst ihre Freiheit.“ sein Œuvre bildet eine synthese von aufeinander gebauten, verantwortungsvollen identitäten. die „Lesarten“ von hevesi sind heute noch gültig – für einen kritiker gibt es kaum einen größeren Verdienst.

Die Macht der Kunstkritik in Wien Will man eine Bilanz von Ludwig hevesis Verhältnis zur Wiener moderne ziehen bzw. eine diesbezügliche Bewertung vornehmen, ist dafür ein Vergleich im internationalen kontext unerlässlich. Warum konnte in Wien ein kunstkritiker einen besonderen einfluss auf die Geschehnisse der kunstwelt entfalten?35 War die macht der kunstkritik hier stärker und effizienter als in anderen kunstmetropolen, in münchen, Berlin, Paris oder in London zur

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313. JosePh maria olbrich: das haus der Wiener secession, 1898

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selben zeit? Was war die sonderstellung von Wien um 1900 im vergleich zu Paris oder münchen? die Jahrhundertwende war überall eine umbruchzeit, in der in der kunstwelt ein rascher und dramatischer Paradigmenwechsel stattfand, wenn auch nicht überall im selben rhythmus. es war die allgemeine modernisierung der Gesellschaft, die diese große Wende in den meisten europäischen ländern bewirkte. die modernisierung trat in der kunstwelt parallel auf mehreren Gebieten zutage: in der änderung des Weltbilds und der selbstanschauung der kunst, in der kunstproduktion und in der gesellschaftlichen akzeptanz der kunst. in Paris, in london und auch in münchen entfalteten sich diese entwicklungen im laufe einiger Jahrzehnte graduell und stufenweise.36 deshalb gab es dort eine pluralistische struktur, einen Parallelismus von mehreren kunstinstitutionen, stilen und künstlergruppen. aus diesem Grund ist eine dramatische konfontration von extrem oppositionellen Gruppen ausgeblieben, oder wenn es doch zu einer solchen kam, standen die sie tragenden Gruppen nicht (oder nur sehr kurz) im mittelpunkt der medialen Welt und in der Perzeption der eigenen Gesellschaft.37 in Wien war das anders. die unterschiede lassen sich auf mehrere verschiedene tatsachen und umstände zurückführen. in Wien existierten ein anderes milieu und andere kunsttraditionen, aber auch andere Protagonisten. symbolistische menschheitsbilder zu den Themen Philosophie und medizin mit sensualistischer unmittelbarkeit malte um 1900 nur klimt. (allenfalls rodins Werke könnte man mit klimts Fakultätsbildern vergleichen.) in den anderen kunstzentren europas gab es keine vergleichbar dominierenden künstler, die ein solch neuartiges, aber tief pessimistisches Weltbild visualisieren konnten. um intellektuell auf einem so hohen niveau schreiben zu können, brauchte auch der kunstkritiker herausragende Werke als herausforderung, und die gesellschaftliche bedeutung der Fakultätsbilder als staatsauftrag war ein inspirierender sonderfall. in zeitlicher hinsicht schloss sich Wien später als die oben genannten kunstzentren diesen generellen modernisierungsprozessen an. sehr lange hat die lokale tradition von kunstpflege, staatlichem mäzenatentum und kunstförderung in Wien die relativ kleine, zentralisierte und gut versorgte visuelle kunstproduktion so gut unterstützt, dass sich hier kein „unterdrücktes kunstproletariat“ entwickelte (wie es in Paris und in london geschah), auch gab es zuvor keine verdrossenen, sich marginalisiert fühlenden künstlergruppen (die sich deshalb sozial radikalisiert hätten).38

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die friedliche balance wurde nach 1889 erschüttert, und noch mehr im politischen krisenjahr 1897. dies war (wie carl schorske betonte) mit einem Generationswechsel verbunden, aber der modernisierungsschub war auch die Folge von künstlerischen einflüssen von außen (von Paris, münchen, sogar von england), die den ästhetisch-stilistischen und generell den intellektuellen horizont der künstler erweiterten, ihre selbstempfindung und ihre zielsetzungen veränderten. natürlich spielten die geistigen, spirituellen und weltanschaulichen impulse – die von der Philosophie, von der literatur kommend die Weltanschauung der Wiener intellektuellen Welt der elite veränderten – ebenfalls eine wichtige rolle in diesem krisenhaften Prozess.39 nicht nur die künstler, sondern auch das elitepublikum hatten sich verändert. drei miteinander in partieller verbindung stehende entwicklungen führten zum dramatisch schnellen Paradigmenwechsel im Wiener kunstleben: 1) in Folge der enorm gewachsenen kunstproduktion wurde der (hiesige) kunstmarkt umstrukturiert. statt der zentralen monolithischen struktur, in der das künstlerhaus das monopol am kunstmarkt innehatte, spaltete sich die kunstszene. mit der Gründung der secession begann ein konkurrenzkampf – auch in materieller hinsicht – zwischen den beiden organisationen.40 2) innerhalb der kultur brachten die bestrebungen der visuellen künste nach autonomie ein kompromissloses Freiheitsverlangen mit sich. nicht nur die Freiheit, um stilistisch experimentieren zu können, wurde als zielvorstellung formuliert, sondern die traditionellen gesellschaftlichen aufgaben der malerei wurden abgelehnt, sprich: den inhaltlichen Forderungen des staatlichen mäzenatentums nachzukommen. überhaupt wurden die „außerkünstlerischen aufgaben“ der kunst zurückgewiesen und als beschränkung der künstlerischen Freiheit attackiert („der kunst ihre Freiheit“). 3) überzeugt von der Genialität der künstler hat die neue selbstdarstellung der kunst, das heißt die der künstler, auch jede kritik von seiten des Publikums, der kunstliebhaber oder kunstkenner zurückgewiesen. die kompetenz von nicht-künstlern wurde in Frage gestellt. in all diesen Punkten hat ludwig hevesi die Wiener moderne (alias die secession) unterstützt; bereits bevor die heftige konfrontation ausbrach, hat er die wichtigsten zielsetzungen der moderne aphoristisch formuliert: „der zeit ihre kunst, der kunst ihre Freiheit“. es war eigentlich ein manifest, kurz und kämpferisch, ein kampfruf, provozierend gegenüber all jenen, die an einer früheren kunstinterpretation festhielten. rückblickend hat hevesi 1905 diese Periode selbst als „kampfzeit“ bezeichnet und als „einen regelrechten Parallelfeldzug zur kunstkritischen beeinflussung“ interpretiert.41 auch wenn hermann bahr nach außen hin im vordergrund stand und die strategie der secession leitete, war ludwig hevesi – laut den texten und der chronologie – die graue eminenz des medienkampfes, der mit seinen stets als erstes erschienenen ausstellungskritiken im Fremden-Blatt, im Pester Lloyd, in der zeitschrift Kunst und Kunsthandwerk und im Ver Sacrum die entscheidenden texte formulierte. mit ihren begriffssystemen und sinnlich und gedanklich überzeugenden analysen und argumenten haben diese schriften die damaligen diskurse geprägt.

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aus seiner halb-offiziösen Position und dank seines ansehens als einer der führenden kunstkritiker der kaiserstadt konnte hevesi in den ersten Jahren der secession für deren „machtübernahme des kunstmarkts und des medialen Felds“ enorm viel tun. aufgrund seiner stilistischen Fähigkeiten und seiner überzeugungskraft ist es ihm gelungen, der moderne eine mediale dominanz zu verschaffen. seligmann hat diesen umstand sehr gut getroffen, wenn er schrieb: „Früher betrachtete sich die kritik als den ausdruck der meinung des – gebildeten und kunstverständigen – Publicums, jetzt identifiziert sie sich mit den künstlern (….) die kritiker sind die sprachrohre der künstler geworden.“42 es war hevesi, der – nachdem er in klimts atelier die neuesten Werke gesehen und mit dem künstler darüber Gespräche geführt hatte – im katalog und in den zeitungen die ersten erklärungen und analysen über die symbolische deutung der kompositionen verfasste.43 auch war er es, der die originalität und die allerneuesten stilistischen lösungen als echte, wertvolle errungenschaften hoch schätzte und lobte. die authentizität der zeitgemäßheit als höchstes Gebot bedeutete, dass man etwas neues anbieten sollte. die Fakultätsbilder von klimt haben diese Forderungen meisterhaft erfüllt. solange die innere konfrontation innerhalb der Wiener kunstszene nicht auf die politische ebene übergegriffen und die für das establishment fundamentalen Werte nicht in Frage gestellt hatte – Werte, die mit dem Forschrittsglauben zusammenhingen – und die für die verbesserung der Welt arbeitende professionelle elite nicht tief verletzt wurde, wurden die neuen kunstwerke sogar offiziell anerkannt und toleriert. auch hevesi selbst glaubte an diese optimistischen Werte und das mit ihnen verbundene Weltbild, doch die geniale darstellungsweise des pessimistischen modernen menschenbilds, wie es klimt geschaffen hat, faszinierte ihn und er verteidigte die Fakultätsbilder als echte überzeugende kunstwerke. durch die kraft der Worte hat er seine leser, sein Publikum – wenigstens einige unter ihnen – überzeugt, dass solche, in ihrer „sendung“ tief pessimistische meisterwerke, völlig modern und legitim seien. in Wien waren die künste (und die künstlergenies) – spätestens seit beethoven – sehr hoch geschätzt. eigentlich war es die musik, die das muster für die beinahe sakrale verehrung der kunst durch die Gesellschaft abgab. Gerade deswegen hatte auch die beethoven-ausstellung eine derart hohe symbolische bedeutung für die künstler und für die elite der kunstkenner gehabt.44 doch in diesem Paradigmenwechsel des kunstlebens wurde dem Publikum zu viel und zu schnell abverlangt, als dass es sich ihm anschloss; trotz der toleranz und des anpassungsvermögen in einem Zeitalter der Unsicherheit, war ihm die pessimistische Weltsicht des symbolismus fremd und es konnte nicht alle Grenzüberschreitungen akzeptieren, die sein bisher als gültig angesehenes Weltbild verletzten. Jahrelang waren die kontroversen Gemälde und ausstellungen im mittelpunkt des interresses des Wiener Publikums gestanden. Gerade wegen des spezifischen kunstliebenden milieus hat die kunstkritik einen solch großen einfluss ausüben können, also macht gehabt. man kann sieben Jahre lang einen kampf führen, aber beide seiten wurden schließlich müde, und nichts kann mehr eine sensation bedeuten. die epoche ging zu ende. doch sie hat ein wertvolles erbe an kunstwerken und an schriften hervorgebracht. das motto der secession ist von hevesi so frappant und allgemein formuliert worden, dass es überall zum Prinzip der modernen kunst wurde und der schlachtruf im eigentlichen sinne bis heute blieb.



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1 um nur die wichtigsten der Persönlichkeiten des öffentlichen lebens und der künstler zu nennen, die an der beerdigung teilnahmen: otto Wagner, Gustav klimt, alfred roller, hugo darnaut, Josef engelhart, isidor kaufmann, tina blau (siehe Neues Wiener Journal. 2. märz, s. 6). unter den berühmten schauspielern des burgtheaters, die an seinem Grab standen, waren zum beispiel brandt, löwe und thimig. 2 die bei der beerdigung gehaltenen reden wurden im Pester Lloyd in vollem umfang abgedruckt: das leichenbegängnis ludwig hevesis (telegramm des Pester lloyd). Pl, 2. märz 1910, s. 6–7. 3 sein selbstmord wurde zumeist mit der vermuteten, jedoch nicht mit sicherheit bekannten krankheit erklärt. (er hatte seit Jahren mit magenbeschwerden gekämpft und dann über schlaflosigkeit und erschöpfung geklagt.) man mutmaßte, er habe möglicherweise krebs gehabt, der in seiner Familie häufig war. auch Professorin anna zádor erwähnte das, als sie über ihn sprach. 4 a. F. ludwig hevesi. Wiener Abendpost. 28. Febr. 1910, s. 4. 5 Grazer Volksblatt. 28. Febr. 1910. 6 die Persönlichkeit ludwig hevesis von einem Freunde. nFP, 28. Febr. 1910, s. 6. 7 a. F. s.: ludwig hevesi als kunstkritiker. nFP, 1. märz 1910, s. 8. 8 nFP, 1. märz 1910, s. 8. 9 amalia s. levetus: erinnerungen an ludwig hevesi, Pl 22. Jan 1911. Pl 5. Febr 1911. 10 d. i.: hazai krónika [heimische chronik]. Művészet. 9/3 (1910), s. 135–137. 11 zoltán ambrus: hevesi speidelről. Nyugat. 3/21 (1910), s. 1481–1485. 12 lajos hatvany: ludwig hevesi, in: Pl, 27. märz. 1910, s. 3–6. 13 ebd. 14 arthur roessler: ludwig speidel und ludwig hevesi - zwei bildminiaturen in einem rahmen. Wien-leipzig 1923. 15 der kunstkritiker karl kuzmány (18??–191?) berichtete regelmäßig in deutschen Fachzeitschriften über die künstlerischen ereignisse in Wien, beispielsweise in Die Kunst für Alle und Dekorative Kunst. er war gut informiert und hatte einen breiten horizont, er analysierte nicht nur Gemälde, sondern auch kunstgewerbliche Werke fachgerecht. nach hevesis tod hat er die kunstkritiken für das Fremden-Blatt geschrieben. 16 hevesi hat bereits 1905, nach alts tod, ein kleines buch vom umfang eines essays mit dem titel Rudolf von Alt – Variationen geschrieben, das beim verlag carl konegen erschienen ist. die postume monografie ist aus diesem aufsatz entstanden. sein kollege Franz servaes hat in seinem artikel über von alt in der berliner zeitschrift Kunst und Künstler gegen mehrere aussagen hevesis polemisiert – ohne dessen namen zu nennen. die wichtigste kritik war, dass er es als theoretischen irrtum bewertete, den stil des betagten malers als mit dem Pointilismus verwandt einzuordnen. he-

vesi hat seine aussage später verfeinert, sich aber nicht davon distanziert. servaes 1905. 17 die illustrationen im text sind diesem nicht direkt zugeordnet, und 22 der tafeln hat der redakteur am ende des buches platziert. den text illustrieren 60 tafeln und 156 bilder von außerordentlich guter Qualität. da von den originalwerken inzwischen ziemlich viele verschollen sind, hat das großformatige album einen Wert als dokument. 18 die titel der kapitel lauten: „lehrjahre“, „Wanderjahre“, „rudolf alt und Wien“, „reisebilder: Österreich-ungarn“, „reisebilder: das ausland“, „der figurale maler“, „der Weg seiner entwicklung“, „der abklang“. 19 hevesi: Rudolf von Alt. Wien 1911, s. 128. 20 ebd., s. 144. 21 ebd., s. 144. 22 ebd., s. 145. 23 ebd., s. 145. 24 das buch wurde in einer auflage von 550 verlegt, davon kamen 500 exemplare in den handel. 25 zwei seiner sammlungen von kritiken, Acht Jahre Secession und Altkunst – Neukunst, wurden 1985 als reprintausgaben erneut verlegt. in diesem Jahr fand in Wien die ausstellung Traum und Wirklichkeit statt, die die Wiederentdeckung des Wien der Jahrhundertwende einleitete. 26 hevesi 1909, s. 588. 27 das war eine merkwürdige Parallele zur zeit der deutschen romantik. 28 l. h.-i.: ludwig speidel. – nachruf. Pl, 5. Febr. 1906. 29 die arbeiten (in manchen Fällen das lebenswerk) der herausragenden meister des realismus und des naturalismus hat hevesi stets positiv bewertet, empfand die stilrichtung selbst jedoch nicht als so kohärente, auch in kultureller hinsicht maßgebliche moderne strömung, dass er sich für sie einsetzte, damit sie sich ihren Platz in der kunstszene erkämpfte. obwohl der realismus und der naturalismus, die als Gegenspieler des historismus aufkamen, die erste Welle der modernen bestrebungen darstellten, waren sie in der literatur von relativer bedeutung, konnten in der bildenden kunst jedoch – gerade weil ihre vertreter sich nicht in verbänden organisierten – noch keinen kulturellen Paradigmenwechsel gegenüber dem historismus bewirken, fügten sich noch in den vorhandenen rahmen der institutionen und der ausstellungen ein. ihre vertreter stellten nur einzeln, nicht jedoch als Generation, etwas anderes, von der herkömmlichen Werteordnung abweichendes dar. 30 nicht nur deshalb, weil er auf deutsch geschrieben hat, sondern auch, weil er ab dem ende der 1890er Jahre in allen bedeutenden zeitschriften der bildenden kunst in deutschland publiziert hat. 31 zwar schrieb eitelberger, der Professor für kunstgeschichte an der universität war, gelegentlich kritiken, doch er war theoretiker und ein guter organisator, aber kein herausragender stilist. zur ersten Generation seiner schüler gehör-

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ten die ersten kunsthistoriker, die auch kritiken schrieben (taussig, ilg). der bedeutendste und aktivste unter ihnen war albert ilg, der auch für Die Presse schrieb und bis zu seinem tode ein verteidiger des historismus und Gegner der modernen stilexperimente blieb. 32 František Xaver Šalda (1867–1937) hatte einen universitätsabschluss in literaturgeschichte und war die „kritische stütze“ der künstlervereinigung Manes, außerdem der führende kritiker der zeitschrift Volné Směry, der bedeutendsten tschechischen kunstfachzeitschrift der Jahrhundertwende. 33 der maler stanisław Witkiewicz (1851–1915) war ein vertreter des realismus und der modernen stilbestrebungen der Jahrhundertwende. außerdem war er ein hervorragender theoretiker und schrieb kunstkritiken. 34 károly lyka (1869–1965) studierte in münchen malerei, doch als seine frühen ausstellungsberichte und essays regelmäßig veröffentlicht wurden, gab er das malen auf und wurde in der ungarischen Presse zur kongenialen kritischen stütze seiner Freunde, die zum hollósy-kreis gehörten, und der schule von nagybánya. er war kritiker für bildende kunst bei der zeitschrift Új idők (neue zeiten) und wurde chefredakteur der 1902 gegründeten zeitschrift Művészet (kunst). er wollte die modernen bestrebungen der malerei und die visuelle kultur in ungarn bekannt machen. Wie hevesi lebte auch er für die arbeit. seine sachbücher, lehrbücher und wissenschaftlichen Publikationen verhalfen der ersten Generation der modernen maler zum erfolg. Wahrscheinlich hat kein anderer ungarischer verfasser eine so wichtige rolle bei der verbreitung der visuellen bildung in ungarn gespielt wie lyka. 35 sehr wenige kunstkritiker üben einen solch großen einfluss aus, dass sie im kunstleben einen zeitgenössischen Paradigmenwechsel initiieren und beschleunigen, sodass dieser auch nach Jahrzehnten basis für eine neue selbstbetrachtung der modernen kunst bleibt. hevesi ist das gelungen. 36 Für die bis jetzt beste literatur über den Prozess der modernisierung des kunstmarkts siehe: robert Jensen: Marketing Modernism in Fin-de-Siecle Europe. Princeton 1994.

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Frühere beispiele leitender kritiker waren zum beispiel für die Präraphaeliten John ruskin, dann in den 1870er Jahren in england Whistler für den ästhetizismus. die skandale um die Pariser impressionisten waren nur kurzlebige sensationen, die nur einen teil des kunstpublikum beschäftigten. der langjährige „kritikerpapst“ von münchen Friedrich Pecht wurde und blieb nach einer zeit konservativ. ihm gegenüber repräsentierte richard muther die moderne, aber er hat sehr viele kunsttendenzen parallel unterstützt und wegen seines pluralistischen zugangs ist er nicht zum definitiven Wegweiser einer richtung oder künstlergruppe geworden. 38 die Welt der Wiener visuellen kultur war konzentriert und von der staatsmacht intensiv unterstützt. Für den kaiserlichen hof, das staatliche institutionensystem, für die aristokratie und für das bürgertum hatten alle künste – und nicht nur die musik – einen hohen gesellschaftlichen, aber auch spirituellen Wert, und waren natürlicher teil nicht nur der repräsentation, sondern auch des alltäglichen lebens. 39 siehe carl e. schorske: Fin de Siècle Vienna, knopf, new York 1980. 40 die finanzielle seite dieser konkurenz wurde aber in der Presse bewusst verschwiegen. 41 hevesi: Acht Jahre Secession – vorwort 18. oktober 1905, Wien (s. X). 42 F. a. seligmann: die secession und ihre kritik. (ein Wendepunkt). Wsmz. 15. april 1901. s. 1. 43 es ist zu betonen, dass er diese Praxis – den besuch der künstlerateliers – erst ab den frühen 1890er Jahren entwickelte. bis dahin wollte er – laut seinen verschiedentlich eingstreuten bemerkungen – von seite der künstler nicht beeinflusst werden. siehe: theodor hörmann, nachruf. Fb, 11. Juni 1895. ab 1897 wurde er zum ersten einfühlsamen interpreten der Werke – um deren echte authentische botschaft vermitteln zu können. 44 in england/london oder in Paris war in der zeitgenössischen kunstszene keine solche „vergöttlichung“ möglich. dazu brauchte es die deutschösterreichische tradition der sakralisierung der kunst, es bedurfte dazu des theoretisch-philosophischen erbes von schopenhauer, richard Wagner und nietzsche.

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Abbildungsverzeichnis

Titelblatt: rudolf von Alt Der Stephansdom vom Graben aus gesehen, 1872 Aquarell auf Papier, 385 × 275 mm národní galerie, Prag/nationalgalerie, Prag, inv.-nr. K 4236 foto © national gallery Prague 2022 1. Kolo Moser Titelseite, 1898 in Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, verlag von Max herzig, budapest– Wien–leipzig, 1898, s. iii. széchényi-nationalbibliothek, budapest 2. Kolo Moser seite dem Kaiser Franz Joseph gewidmet, 1898 in Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, verlag von Max herzig, budapest– Wien–leipzig, 1898, s. v. széchényi-nationalbibliothek, budapest 3. rudolf von Alt Buda und Pest aus der Vogelperspektive, 1855 lithographie, 443 × 605 mm ungarisches nationalmuseum, budapest, inv.-nr. 74.239 © MnM 4. Janka Wohl (1841–1901) Fotografie in Magyar szellemi élet, hrsg. Mihály igmándy, hornyánszky viktor Könyvnyomdája, budapest, 1892, s. 139. széchényi-nationalbibliothek, budapest 5. stefánia Wohl (1846–1889) Fotografie von unbekannter Autor Vasárnapi Újság, 1889/45. s. 735. széchényi-nationalbibliothek, budapest 6. Adolf Ágai (1836–1916) Fotografie in Magyar szellemi élet, hrsg. Mihály igmándy, hornyánszky viktor Könyvnyomdája, budapest, 1892, s. 74. széchényi-nationalbibliothek, budapest 7. Miksa Falk (1828–1908) lithographie Vasárnapi Újság, 1888/51, s. 833.

széchényi-nationalbibliothek, budapest 8. h. W. brewer Wien im Jahre 1873 mit Nord-Ost, 1873 Magyarország és a Nagyvilág, 1873/20, s. 240–241. széchényi-nationalbibliothek, budapest 9. lajos dóczi (1845–1918) Magyar Szalon, vol. 5, 1885/1886, s. 304. széchényi-nationalbibliothek, budapest 10. Tina blau (1845–1916), um 1860–65 Fotografie von unbekannter Autor Tina blau-Archiv, claus Jesina, Wien 11. rudolf von Alt Wien. Der Michaelerplatz mit dem Alten Burgtheater, 1883 Aquarell auf Papier, 390 × 500 mm in ludwig hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, s. 125. Museum der bildenden Künste, bibliothek, budapest 12. ludwig speidel (1830–1906), um 1880 Fotografie von Josef lőwy Wien Museum, Wien, inv.-nr. 48347/2, cc0 https://sammlung.wienmuseum.at/en/object/531466/ 13. eduard hanslick (1825–1904), um 1880 Fotografie von Fritz luckhardt Wien Museum, Wien inv.-nr. suppe 473, cc0 https://sammlung.wienmuseum.at/en/object/788464/ 14. Wilhelm goldbaum (1843–1912) in Adolph Kohut: Berühmte israelitische Männer und Frauen in der Kulturgeschichte der Menschheit, 1901, ii. s. 130. https://sammlungen.ub. uni-frankfurt.de 15. Kolo Moser Titelblatt ludwig hevesi: Wiener Todtentanz, Wien, 1899 széchényi-nationalbibliothek, budapest

16. ludwig hevesi: Acht Jahre Sezession, 1906 Titelblatt Museum der bildenden Künste, bibliothek, budapest 17. ludwig hevesi: Altkunst – Neukunst: Wien 1894–1908, 1909 Titelblatt Museum der bildenden Künste, bibliothek, budapest 18. richard Muther (1860–1909) Fotografie von eduard van delden in Geschichte der Malerei. Konrad grethlein’s verlag, leipzig, 1909, i. Titelseite internet Archive 19. Karl Kraus (1874–1936), um 1908 Fotografie von Madame d’Ora Atelier Önb Wien: 203.430-d 20. der Kaiser in der incognito in loge des burgtheaters, rechts ludwig hevesi in Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, verlag von Max herzig, budapest– Wien–leipzig verlag von Max herzig, 1898, s. 73. széchényi-nationalbibliothek, budapest 21. ludwig hevesi Fotografie von Josef lőwy Önb Wien: Pf 6.131: b (3) 22. Adalbert Franz seligmann Kunstkritiker, 1888 Die Kunst für Alle (3) 1887–1888, s. 185. https://digi.ub.uni-heidelberg.de 23. Julien-louis geoffroy (1743–1814) lithographie, unbekannter Autor Public domain, via Wikimedia commons 24. Pjotr A. Kropotkin (1842–1921), um 1900 Fotografie, unbekannter Autor Public domain, via Wikimedia commons 25. Théophile gautier (1811–1872), 1856 Fotografie von nadar Public domain, via Wikimedia commons

26. Ausstellungspalast der Weltausstellung am champ de Mars, 1867 library of congress, Washington d.c. 27. Théophile Thoré (1807–1869), zwischen 1853 und 1869 Fotografie von nadar Public domain, via Wikimedia commons 28. rotunde der Wiener Weltausstellung (haupteingang zum Ausstellungspalast), 1873 Magyarország és a Nagyvilág, 1873/11. s. 130. széchényi-nationalbibliothek, budapest 29. Jonathan richardson (1667–1745) Selbstbildnis, 1729 national Portrait gallery, london, inv.-nr. nPg 706 Public domain, via Wikimedia commons 30. léon bonnat Hippolyte Taine (1828–1893) Public domain, via Wikimedia commons 31. J. A. Millais Der junge John Ruskin (1819–1900) Ausschnitt, Ashmolean Museum, Oxford, inv.-nr. WA2013.67 Public domain, via Wikimedia commons 32. Philip gilbert hamerton (1834–1894) Fotografie von A. h. Palmer Public domain, via Wikimedia commons 33. Karl Friedrich rumohr (1785–1843), um 1834 radierung von robert schneider Public domain, via Wikimedia commons 34. david Passavant (1787–1861) radierung Public domain, via Wikimedia commons

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die MAchT der KunsTKriTiK

35. gustav Waagen (1794–1868) lithographie Illustrirte Zeitung, 19. september 1868. s. 196. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=izl&datum=18680919 &seite =4&zoom=33

45. Albert ilg (1847–1896) Fotografie Illustrirte Zeitung, 16. dezember 1896. s. 49. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=19000415 &seite=69&zoom=33

54. die römisch-katholische Kirche von Miklós Ybl in Fót in lajos hevesi: Budapest és környéke, budapest, 1873, s. 240. széchényi-nationalbibliothek, budapest

36. die galerie der modernen gemälde in der Kunstschatzausstellung des vereinigten Königreichs, Manchester, 1857 Illustrated Times, 1857/107. s. 296–297. https://www.fulltable.com/vts/e/ exhib/manch/a.htm

46. August Wilhelm Ambros (1816–1876) Fotografie von Moriz ludwig Winter Porträtsammlung Manskopf universitätsbibliothek, Frankfurt am Main Public domain, via Wikimedia commons

55. die neuer Kiosk am elizabeth Platz in budapest in lajos hevesi: Budapest és környéke, budapest, 1873, s. 124. széchényi-nationalbibliothek, budapest

37. die galerie der modernen gemälde in der Kunstschatzausstellung des vereinigten Königreichs, Manchester, 1857 Illustrated Times, 1857/107. s. 292. https://www.fulltable.com/vts/e/ exhib/manch/a.htm

47. rudolf von Alt Blick auf Ofen (Ausschnitt), ende der 1850er Jahre Aquarell auf Papier, 300 × 770 mm in ludwig hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 8. Museum der bildenden Künste, bibliothek, budapest

38. W. W. Ouless George Scharf (1820–1895) Public domain, via Wikimedia commons 39. Anna brownell Jameson (1794–1860) Fotografie von david Octavius hill, 1844 Alfred stieglitz collection, The Art institute of chicago, inv.-nr. 1949.687, cc0 40. glaspalast, München, um 1865 Fotografie von g. böttger MK&g, hamburg, inv-nr. P1976.442.22 41. Wilhelm lübke (1826–1893), 1886 Fotografie eTh-bibliothek, zürich Public domain, via Wikimedia commons 42. carl von lützow (1832–1897), 1879 holzstich Public domain, via Wikimedia commons 43. Jakob von Falke (1825–1897) Fotografie Wienbibliothek im rathaus, handschriftensammlung, h.i.n.-238432 Public domain, via Wikimedia commons 44. rudolf eitelberger von edelberg (1817–1885), um 1880–1885 Fotografie von ludwig Angerer Wien Museum, Wien inv.-nr. 38177, cc0. https://sammlung.wienmuseum.at/en/object/403279/

48. ludwig hevesi: Jelky András rendkívüli kalandjai. Franklin-Társulat, budapest, 1872 Titelblatt széchényi-nationalbibliothek, budapest 49. das ungarisches nationalmuseum in lajos hevesi: Budapest és környéke, budapest, 1873, s. 128. széchényi-nationalbibliothek, budapest 50. János Asbóth (1845–1911) lithographie Vasárnapi Újság, budapest, 1888/51, s. 833. széchényi-nationalbibliothek, budapest 51. Adolf silberstein (1845–1899) Fotografie in Magyar szellemi élet, hrsg. Mihály igmándy, hornyánszky viktor Könyvnyomdája, budapest, 1892, s. 87. széchényi-nationalbibliothek, budapest 52. das erste ungarische nationaltheater (abgerissen) in lajos hevesi: Budapest és környéke, budapest, 1873, s. 109. széchényi-nationalbibliothek, budapest 53. die synagoge in der dohány strasse, budapest in lajos hevesi: Budapest és környéke, budapest, 1873, s. 122. széchényi-nationalbibliothek, budapest

56. das Königliches schloss in gödöllő in lajos hevesi: Budapest és környéke, budapest, 1873, s. 236. széchényi-nationalbibliothek, budapest

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64. Wilhelm leibl Zeitunglesende Bauern, 1877, in richard Muther: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, g. hirths Kunstverlag, München, 1893, ii. s. 552. Museum der bildenden Künste, bibliothek, budapest 65. hans Makart Der Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen, 1878 Öl auf leinwand, 520 cm × 952 cm hamburger Kunsthalle, hamburg, inv.-nr. hK-1515 © bpk | hamburger Kunsthalle | elke Walford 66. Ausschnitt von Abb. 65

57. Max nordau, 1874 in béla révész: Max Nordau élete, budapest, 1941. s. 48. széchényi-nationalbibliothek, budapest

67. Mihály Munkácsy Milton, 1878 Öl auf leinwand, 93,5 × 122,5 cm ungarische nationalgalerie, budapest, inv.-nr. 69.128 © szépművészeti Múzeum, budapest

58. halle der ungarischer bildende Kunst auf der Wiener Weltausstellung, 1873 Magyarország és a Nagyvilág, 1873/41. s. 507. széchényi-nationalbibliothek, budapest

68. Franz defregger Andreas Hofer’s Abschied von den Seinen Xylographie von Theodor Knesing Gartenlaube, 1879. Wien Museum, Wien, inv.-nr. W 3029, cc0. https://sammlung.wienmuseum.at/ en/object/389944/

59. die Kunsthalle in sugár strasse, 1877 Vasárnapi Újság, 1877/44. Titelblatt széchényi-nationalbibliothek, budapest

69. gabriel Max Die Löwenbraut in richard Muther: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, g. hirths Kunstverlag, München, 1893, i. s. 432.

60. rudolf von Alt Der Franz-Josefs-Kai in Budapest, 1873 Magyarország és a Nagyvilág, 1873/49. s. 613–613. széchényi-nationalbibliothek, budapest 61. gustav veith Panorama der erweiterten Stadt Wien (detail), um 1873 sepia, Feder, deckweisshöhungen auf Papier, 560 × 900 mm Wien Museum, Wien, inv.-nr. 82500 Foto: Wien Museum 62. Karlsplatz 5. – Künstlerhaus, um 1890, isidor hatschek Wien Museum, Wien, inv.-nr. 209935, cc0. https://sammlung.wienmuseum.at/en/object/242178/ 63. Josef Führich Jakob begegnet Rahel bei den Herden ihres Vaters, 1836 Öl auf leinwand, 66,3 × 90,5 cm belvedere, Wien, inv.-nr. 2095 © belvedere, Wien

70. Adolphe Menzel Abreise König Wilhelms I. zur Armee am 31. Juli 1870, 1871 Öl auf leinwand, 63 × 78 cm nationalgalerie, berlin, inv.-nr. A i 323 © bpk/nationalgalerie, sMb/ Jörg P. Anders 71. Jan Matejko Rejtan – der Fall der Polen, 1866 Öl auf leinwand, 282 × 487 cm zamek Królewski w WarszawieMuzeum, Warschau, inv.-nr. zKW/ 1048 72. Max liebermann Arbeiter im Rübenfeld, 1876 Öl auf leinwand, 98,8 × 209 cm landesmuseum hannover, hannover, inv.-nr. KM 1926/90 Foto © landesmuseum hannover – ArTOTheK 73. Tina blau Flößer an der Theiß, 1874 Öl auf holz, 21 × 37 cm belvedere, Wien, inv.-nr. 1567 © belvedere, Wien, Foto: Johannes stoll

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

74. Rudolf von Alt Innenansicht der Markuskirche in Venedig, um 1876 Aquarell, Deckfarben auf Papier, 403 × 682 mm Albertina, Wien, Inv.-Nr. 28342 75. Ferdinand Georg Waldmüller Niederösterreichische Bauernhochzeit, 1843 Öl auf Holz, 95 × 111 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 1122 © Belvedere, Wien 76. August von Pettenkofen Ungarische Pferdetränke, um 1860–1870 Öl auf Holz, 27 × 40 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 1384 © Belvedere, Wien 77. Jean-Baptiste-Camille Corot Ville-d’Avray, 1865 Öl auf Leinwand, 49,3 × 65,5 cm National Gallery of Washington, Washington, Inv.-Nr. 1955.9.1 78. Mihály Zichy Königin Elizabeth im Foyer der Akademie am Deáks Bahre, 1877 Öl auf Leinwand, 450 × 347 cm Ungarisches Nazionalmuseum, Budapest, Inv.-Nr. 489 © MNM 79. Mihály Munkácsy Im Atelier, 1876 Radierung auf Papier, 375 × 505 mm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. G75.25 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 80. Der österreichisch-ungarische Pavillon auf der Weltausstellung 1878 in Paris Vasárnapi Újság, 1878/18. S. 284. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest

Nationalgalerie der staatlichen Museen zu Berlin, Berlin, Inv-Nr. A I 201 © bpk/Nationalgalerie, SMB/Jürgen Liepe 85. Anselm Feuerbach: Iphigenia, 1871, Die Kunst für Alle (5) 1889–1890, S. 116. 86. Hans Makart Die fünf Sinne: Der Geschmack, 1872–1879 Öl auf Leinwand, 314 × 70 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 427a © Belvedere; Die fünf Sinne: Der Geruch, 1872–1879, Öl auf Leinwand, 314 × 70 cm. Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 427b © Belvedere, Wien; Die fünf Sinne: Das Gesicht, 1872–1879, Öl auf Leinwand, 314 × 70 cm. Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 427c © Belvedere, Wien; Die fünf Sinne: Das Gehör, 1872–1879, Öl auf Leinwand, 314 × 70 cm. Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 427d © Belvedere, Wien; Die fünf Sinne: Das Gefühl, 1872–1879, Öl auf Leinwand, 314 × 70 cm. Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 427e © Belvedere, Wien 87. Hans Makart Bacchus und Ariadne, 1873–1874 Öl auf Leinwand, 476 × 784 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2097 © Belvedere, Wien 88. Hans Makart Entwurf zum Festzug – Die Zuckerbäcker, 1879 Öl auf Leinwand, 64 × 285,3 Wien Museum, Wien, Inv-Nr. 17738/1, CC BY 4.0 Foto: Birgit und Peter Kainz, Wien Museum, https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/112893/

81. Trocadero Palace auf der Pariser Weltausstellung, 1878 Vasárnapi Újság, 1878/19. S. 297. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest

89. Festzug der Stadt Wien den 27 April 1879 Dargestellt durch Ed. Stadlin, Moritz Perles, Wien, 1879 Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest

82. Heinrich Ferstel Die Votivkirche in Wien In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 127.

90. Rudolf von Alt Blick auf Wien vom Krapfenwald, 1872 Aquarell auf Papier, 270 × 450 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 24.

83. Anselm Feuerbach Titanensturz, 1875–1878 In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 226.

91. Eiffelturm und Champ de Mars vom Trocadéro-Palast aus gesehen, Pariser Ausstellung Library of Congress, Washington D.C.

84. Adolphe Menzel Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen), 1872–1875 Öl auf Leinwand, 158 × 254 cm

92. Alfred Roll Der Streik der Bergarbeiter, 1879 Fotografie Wellcome Library, no. 29322i,

https://wellcomecollection.org/ works/mrk4hnvj 93. Vasily Vereshchagin Der Weg der Kriegsgefangenen, 1878–1879 Öl auf Leindwald, 181 × 298,9 cm Brooklyn Museum, New York, Inv.-Nr. 06.46 94. Mihály Munkácsy Christus vor Pilatus, 1881 Öl auf Leinwand, 417 × 636 cm Ungarische Nationalbank Foto: Tihamér Lukács 95. Jules Bastien-Lepage Die Heuernte, 1877 Öl auf Leinwand, 160 × 195 cm Musée d’Orsay, Paris, Inv.-Nr. RF 2748 Foto © Peter Willy – ARTOTHEK 96. Wilhelm Leibl Drei Frauen in der Kirche, 1881 Öl auf Holz, 113 × 77 cm Hamburer Kunsthalle, Hamburg, Inv.-Nr. HK-1534 © bpk | Hamburger Kunsthalle | Elke Walford 97. Anton Romako Tegetthoff in der Seeschlacht bei Lissa I, 1882 Öl auf Holz, 86,5 × 47,5 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 5032 © Belvedere, Wien 98. Robert Russ Vorfrühling in der Penzinger Au, 1887 Öl auf Leinwand, 139 × 187 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 212 © Belvedere, Wien 99. Tina Blau Frühling im Prater, 1882 Öl auf Leinwand, 214 × 291 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2233 © Belvedere, Wien 100. Árpád Feszty Golgota, 1882 Öl auf Leinwand, 152 × 251 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 2763 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 101. Hubert Herkomer Die letzte Musterung, 1875 In Richard Muther: Geschichte der Malerei, G. J. Göschen’sche Verlagshandlung G.m.B.H, 1900. III. S. 373. Internet Archive https://archive.org/details/malereiges chi03muth/page/372/mode/2up 102. Rudolf von Alt Hochamt in der Marienkirche zu Krakau, um 1876

Aquarell auf Papier, 530 × 350 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, S. 94. 103. Viktor Tilgner Porträtbüste Hans Makart, 1880er Jahre Gips, höhe: 67 cm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 1964 Foto: Wien Museum 104. Das österreichisch-ungarische Monarchie im Wort und Bild, K.K. Hof- und Staatsdruckerei, 1886–1902 Titelblatt Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest 105. Hans Makart Venedig huldigt Caterina Cornaro, 1872–1873 Öl auf Leinwand, 400 × 1060 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 5838. © Belvedere, Wien 106. Mihály Munkácsy Golgota, 1884 Öl auf Leinwand, 460 × 712 cm Déri Museum, Debrecen, Inv.-Nr. II.2020.1.1. Foto: Tihamér Lukács 107. Rudolf von Alt Hans Makarts Atelier in der Gusshausstrasse, 1885 Akvarell auf Papier, 695 × 1005 mm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 17937 Foto: Wien Museum 108. Fritz von Uhde Lasset die Kindlein zu Mir kommen!, 1884 Öl auf Leinwand, 188 × 290 cm Museum der bildenden Künste Leipzig, Leipzig, Inv.-Nr. 550 © bpk/Museum der Bildenden Künste, Leipzig 109. Hans Canon Der Kreislauf des Lebens, 1884–1885 Öl auf Leinwand, 110 × 117,5 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2084 © Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll 110. Adolph Menzel Prozession in Hofgastein, 1880 Öl auf Leinwand, 51 × 70 cm Neue Pinakothek, München, Inv.-Nr. L 817 © bpk | Bayerische Staatsgemäldesammlungen 111. Hendrik Wilhelm Mesdag Schiffe auf stürmischer See Fotografie Ungarisches Nationales Digitalarchiv

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DIE MACHT DER KUNSTKRITIK

112. Friedrich von Amerling Orientalin, 1838 Öl auf Leinwand, 88,5 × 71,5 cm The Cleveland Museum of Art, Cleveland, Inv.-Nr. 1991.163, Mr. and Mrs. William H. Marlatt Fund

122. Albert Zimmermann Italienische Küstenlandschaft, 1860er Jahre Öl auf Leinwand, 80 × 120 mm Privatstiftung, mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers

113. Mihály Zichy Londoner Markt (Scene XI.) In Imre Madách: Die Tragödie des Menschen, 1885–97 Holzkohle auf Papier, 790 × 503 mm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 1905–1757 © Szépművészeti Múzeum, Budapest

123. Treppenhaus im Burgtheater, 1888 Die Kunst für Alle (4) 1888–1889, S. 36.

114. Jacek Malczewski Der Tod von Ellenai, 1883 Öl auf Leinwand, 212 × 370 cm Nationalmuseum in Krakau, Krakau, Inv.-Nr. MNK II-b-1 © laboratory stock National Museum in Krakow 115. Rudolf von Alt Innenraum der Innsbrucker Hofkirche, 1886 Aquarell auf Papier, 490 × 360 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 16. 116. Hubert Herkomer Miss Kate Grant, 1887 In Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, G. Hirths Kunstverlag, München, 1893, III. S. 140. 117. Gyula Benczúr Porträt von Kálmán Tisza, uder ungarischer Ministerpräsident, 1885 Öl auf Leinwand, 155 × 100 cm Móra Ferenc Museum, Szeged, Inv.-Nr. 50.35.1 118. Sándor Bihari Vor dem Richter, 1886 Öl auf Leinwand, 112 × 173 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 5204 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 119. Lajos Bruck Der Donaukai in Pest, 1885 Öl auf Leinwand, 100 × 148 cm BHM, Museum Kiscell – Städtische Galerie, Budapest, Inv.-Nr. 1301 120. Caspar von Zumbusch Das Maria Theresia Denkmal in Wien, 1888 In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 163. 121. Johannes Benk Die Schönheit, 1888 Die Kunst für Alle (4) 1888–1889, S. 40.

124. L. T. Neumann k.k. Hof-Kunsthandlung, 1., Universitätsring 2 – Burgtheater – Innenansicht – Stiegenhaus – Deckengemälde „Antike Theaterszene“ von Franz Matsch, um 1890 Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 106081/69, CC0 https://sammlung.wienmuseum.at/ en/object/181328/ 125. Anton Romako Die Rosenpflückerin, 1882–1884 Öl auf Leinwand, 89 × 66 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 1832 © Belvedere, Wien 126. August von Pettenkofen Der Kuss I. (Das Rendezvous I.), 1864 Öl auf Holz, 14 × 31 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 466 © Belvedere, Wien 127. Emil Jakob Schindler An der dalmatinischen Küste bei Ragusa, 1888 Öl auf Leinwand, 152 × 120 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 3734 © Belvedere, Wien 128. Adalbert Franz Seligmann Der Billroth’sche Hörsaal im Wiener Allgemeinen Krankenhaus, 1888–1890 Öl auf Leinwand, 114 × 87 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 796 © Belvedere, Wien 129. Gustav Klimt Zuschauerraum im Alten Burgtheater, 1889 Gouache auf Papier, 910 × 1030 mm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 31813/1 Foto: Wien Museum 130. Árpád Feszty Die Heilige Frauen am Grabe, 1888 Die Kunst für Alle (5) 1889–1890, S. 292. 131. Rudolf von Alt Klosterneuburg von Freiberge aus, 1834 Aquarell auf Papier, 202 × 281 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 54. 132. Fritz von Uhde Das Letzte Abendmahl, 1886 Öl auf Leinwand, 206 × 324 cm Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart,

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Inv.-Nr. 3710 © bpk/Staatsgalerie Stuttgart

PS PLR-204 © KHM-Museumsverband

133. Fritz von Uhde Die Heilige Nacht (Triptychon), 1890 Öl auf Leinwand, 134,5 × 117 cm Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen, Dresden, Inv.-Nr. 2417 © bpk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Elke Estel/Hanspeter Klut

142. Rudolf von Alt Der Platz „Am Hof“ in Wien, 1892 Aquarell, Deckweisshöhungen auf Papier, 345 × 432 mm Albertina, Wien, Inv.-Nr. 28370

134. Emil Jakob Schindler Pax. Der Friedhof von Gravosa bei Ragusa, 1890 Öl auf Leinwand, 207 × 271 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2548 © Belvedere, Wien 135. Fritz von Uhde Schwerer Gang (Gang nach Betlehem), 1890 Öl auf Leinwand, 117 × 127 cm Neue Pinakothek, München, Inv.Nr. 9827 © bpk Bayerische Staatsgemäldesammlungen 136. John Robertson Reid Kleine Fischerjungen in Cornwall, um 1880 Öl auf Leinwand, 99,5 × 130,8 cm New Walk Museum & Art Gallery, Leicester, Inv.-Nr. L.F1.1906.0.0 © Leicester Arts and Museums Service/Photo © Leicester Museums & Galleries/Bridgeman Images 137. Franz Courtens Goldregen, 1888 Öl auf Leinwand, 219 × 183 cm Museum der Bildenden Künste, Budapest, Inv.-Nr. 87.B © Szépművészeti Múzeum, Budapest 138. Olga Wisinger-Florian Fallendes Laub, 1899 Öl auf Leinwand, 96 × 128 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 355 © Belvedere, Wien 139. Adalbert Franz Seligmann Rauchzimmer, 1892 Die Kunst für Alle (8) 1892–1893. S. 28. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 140. Emil Jakob Schindler Pappelallee nach dem Gewitter, 1892 Öl auf Leinwand, 122 × 163 cm Landessammlungen Nö, St. Pölten, Inv.-Nr. Ks-1218 141. Ernst Klimt Ausstellungsplakat – Internationale Ausstellung für Musik und Theaterwesen, 7. Mai – 9. Oktober 1892, Wien, 1892 Farblithographie, 842 × 1170 mm Theatermuseum, Wien, Inv.-Nr. ÖTM

143. Leopold Carl Müller Ein Sphinxgesicht von heute, um 1875–1880 Öl auf Leinwand, 66,5 × 40 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 242 © Belvedere, Wien 144. Gustav Klimt Der Zuschauerraum des Schlosstheaters Esterházy in Tata, 1893 Fotografie Kuny Domokos Museum, Tata, Inv.-Nr. 2020.8.1. 145. Theodor von Hörmann Tümpel im Buchenwald, 1892 Öl auf Leinwand, 70 × 102 cm TLM, Ältere Kunstgeschichtliche Sammlung, Innsbruck, Inv.-Nr. Gem 487 Foto: TLM © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck 146. Jan Matejko Kosciuszko beim Racławice, 1888 Öl auf Leinwand, 465 × 897 cm Nationalmuseum in Krakau, Krakau, Inv.-Nr. MNK II-a-151 © laboratory stock National Museum in Krakow 147. Carl Moll Der Naschmarkt in Wien, 1894 Öl auf Leinwand, 86 × 119 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 252 © Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll 148. István Csók Waisen, 1891 Öl auf Leinwand, 121 × 136 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 2863 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 149. József Rippl-Rónai Frau aus Paris, 1891 Pastell auf Papier, 460 × 380 mm Privatsammlung, mit freundlicher Genehmigung der Galerie Ernst 150. Viktor Tilgner Büste von Kronprinz Rudolf, um 1900 Marmor In Victor Tilgners Ausgewählte Werke, J. Löwy, Wien, 1897 Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

151. Hans Temple Viktor Tilgner in seinen Atelier, 1895 Öl aud Leinwand, 42 × 113,6 cm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 12930 Foto: Wien Museum 152. Rudolf von Alt Park in Teplic, 1876–1877 Aquarell auf Papier, 230 × 200 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 16. 153. Alajos Stróbl Porträtbüste der ungarischen Schauspielerin, Mari Jászai, 1893 Bronze, 71,5 × 59 × 37,5 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 5847 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 154. Max Klinger Brahms-Fantasie – XV. (Evokation), 1894 Radierung, Kupferstich, Aquatinta, Mezzotinto auf Papier, 380 × 453 mm Museum der Bildenden Künste, Budapest, Inv.-Nr. Gf286–15 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 155. Theodor von Hörmann Mondaufgang nach der Ernte I, vor 1892 Öl auf Leinwand, 38 × 55 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 3116 © Belvedere, Wien 156. Adolph Menzel Predigt im Freien bei Kösen, 1868 Öl auf Leinwand, 71 × 58 cm Museum der Bildenden Künste, Budapest, Inv.-Nr. 386.B © Szépművészeti Múzeum, Budapest 157. Giovanni Segantini Die bösen Mütter, 1894 Öl auf Leinwand, 105 × 200 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 485 © Belvedere, Wien 158a Gustav Klimt Griechische Antike, 1891 Wandbild. Kunsthistorisches Museum, Wien, Inv.-Nr. Gemäldegalerie, Au C © KHM-Museumsverband 158b Gustav Klimt Ägyptische Frau, 1892 Wandbild. Kunsthistorisches Museum Wien, Inv.-Nr. Gemäldegalerie, Au D © KHM-Museumsverband 159. Viktor Tilgner Denkmal von Frau Adele Bródy, um 1894 Die Kunst für Alle (13) 1897–1898, S. 18. 160. Viktor Tilgner Mozart Denkmal in Wien, 1896 Die Kunst für Alle (11) 1895–1896, S. 271.

161. Artur Halmi Der Kaiser lässt sich durch Michael Munkácsy dessen Bild „Ecce homo” erklären, 1896 In Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, Verlag von Max Herzig, Budapest– Wien–Leipzig, 1898, S. 121. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest 162. Mihály Munkácsy Ecce Homo, 1896 Öl auf Leinwand, 405 × 650 cm Déri Museum, Debrecen, Inv.Nr. DF.205.I.9.1 Foto: Tihamér Lukács

[München], 1896, https://www.bavarikon.de 171. Alfons Mucha Medea, Plakat, vor 1898 Lithographie, 203 × 75 cm Bibliotheksarchiv und Kunstsammlung der Ungarischen Universität der Schönen Künste, Budapest, Inv.-Nr. P 34 172. Titelseite von Kunst und Kunsthandwerk I (1898) 173. Alfred Roller Titelblatt Ver Sacrum, 1898

163. Václav Brožík Tu felix Austria nube, 1896 Öl auf Leinwand, 430 × 730 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2768a-b © Belvedere, Wien

174. Heinrich Lefler – Joseph Urban Februar – Kaiserlied, Österreichischer Kalender, 1898 Kunst und Kunsthandwerk I. Jg. 1898/2.

164. Gustav Klimt Die Musik (Ausschnitt), 1895 Öl auf Leinwand, 27,5 × 35,5 cm Neue Pinakothek, München, Inv.-Nr. 8195 © bpk | Bayerische Staatsgemäldesammlungen

175. Gustav Klimt Plakat der 1. Ausstellung der Secession, 1898 Farblithographie, 64 × 47 cm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 129001/4, CC0, https://sammlung.wienmuseum.at/ en/object/224137/

165. Moritz von Schwind Ein Schubert-Abend bei Josef von Spaun, 1868 Sepia auf Papier, 564 × 93 mm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 30525 Foto: Wien Museum 166. Josef Danhauser Wein, Weib und Gesang, 1839 Öl auf Leinwand, 143 × 190 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 8860. © Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll 167. Jules Chéret Folies-Bergère, La Loïe Fuller Die Kunst für Alle (13) 1897–1898, S. 96. 168. Max Slevogt Danaä, 1897 Die Kunst für Alle (14) 1898–1899, S. 322. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 169. Gyula Benczúr Die Rückeroberung der Budaer Burg im Jahre 1686, 1896 Öl auf Leinwand, 351 × 708 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. FK2867 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 170. Albin Egger-Lienz Münchener Jahresausstellung von Kunstwerken Aller Nationen im königl. Glaspalaste, 1896 Officieller Katalog, Verlag der Münchener Künstler-Genossenschaft, s. l.

176. Josef Maria Olbrich Das Innere der ersten Ausstellung der Secession in Wien, 1898 Deutsche Kunst und Dekoration (3) 1898–1899, S. 207. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 177. Fernand Khnopff Unbewegtes Wasser, 1894 Öl auf Leinwand, 53,5 × 114,5 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 7753 © Belvedere, Wien 178. Josef Bauer Der Kaiser in der Ausstellung der Vereinigung der Bildenden Künstler Oesterreichs, 1898 In Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, Verlag von Max Herzig, Budapest– Wien–Leipzig, 1898, S. 71. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest 179. Theodor Zasche Franz Josef auf der Frühjahrsausstellung des Künstlerhauses In Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, Verlag von Max Herzig, Budapest– Wien–Leipzig, 1898. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest 180. Heinrich Lefler Plakat für die Jubiläums-Kunstausstellung, 1898 Farblithographie, 640 × 460 mm Albertina, Wien, Inv.-Nr. DgNF5300

181. Hans Temple Sitzung des Makartdenkmalkomitees in Makartzimmer des Palais Dumba, 1897 Öl auf Leinwand, 118 × 169 cm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 55393 Foto: Wien Museum 182. Richard Moser Die Jubiläumsausstellung in Wien 1898: Pavillion der Stadt Wien, 1898 Aquarell, Deckweiß auf Papier, auf Karton auf Gezogen, 500 × 398 mm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4678 © Belvedere, Wien 183. Heinrich Lefler – Joseph Urban Dezember “Gloria in Excelsis Deo”, Österreichischer Kalender, 1898 Kunst und Kunsthandwerk I. Jg. 1898/12. 184. Theodor Zache Der Kaiser im Atelier Angeli, 1898 In Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, Verlag von Max Herzig, Budapest– Wien–Leipzig, 1898, S. 70. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest 185. Artur Halmi Georg Zala modelliert die Büste des Kaisers, 1898 In Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, Verlag von Max Herzig, Budapest– Wien–Leipzig, 1898, S. 123. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest| 186. Artur Halmi Der Kaiser im Burggarten, 1898 In Viribus Unitis: das Buch vom Kaiser, Verlag von Max Herzig, Budapest– Wien–Leipzig, 1898, S. 85. Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest 187. Joseph Maria Olbrich Das Gebäude der Wiener Secession, 1898 Archivfoto 188. Das Haus der Wiener Secession heute Foto: Autorin 189. Gustav Klimt Pallas Athene, 1898 Öl auf Leinwand, 75 × 75 cm Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 100686 Foto: Wien Museum 190. Gustav Klimt Sonja Knips, 1897–1898 Öl auf Leinwand, 145 × 146 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4403 © Belvedere, Wien 191. Josef M. Olbrich Haupt-ausstellungs-Saal der Secession in Wien, II. Ausstellung, 1898

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DIE MACHT DER KUNSTKRITIK

Deutsche Kunst und Dekoration (3) 1898–1899, S. 208. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 192. Theo van Rysselberghe Küstenszene, um 1892 Öl auf Leinwand, 98 × 209 cm National Gallery, London, Inv.-Nr. N 66582 Foto © Fine Art Images – ARTOTHEK

204. Gustav Klimt: Die Medizin, 1901, Foto: Moritz Nähr, ÖNB Wien: 197424-C.res 205. Max Klinger Beethoven, 1902 Polychromer Marmor, Elfenbein, Alabaster, Bronze, Bernstein, vergoldet, 310 cm × 150 cm × 160 cm Museum der Bildenden Künste Leipzig, Leipzig, Inv.-Nr. P 28 © bpk/Museum der bildenden Künste, Leipzig

193. Reproduktion von Gustav Klimts Gemälde „Schubert am Klavier II“ Wien Museum, Wien Inv.-Nr. 95020, CC BY 4.0 Foto: Birgit und Peter Kainz, Wien Museum, https://sammlung.wienmuseum.at/en/object/581389/

206. Hagenbund, Zedlitzgasse 6., Ansichtskarte, 1901–1904, Brüder Kohn KG (B. K. W. I.) Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 105275/137, CC0 https://sammlung.wienmuseum.at/ objekt/184912/

194. Carl Moll Dämmerung, 1900 Öl auf Leinwand, 80 × 94,5 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 5879 © Belvedere, Wien

207. Rudolf von Alt Blick in die Skodagasse, 1894 Aquarell auf Deckfarben, 291 × 359 mm Albertina, Wien, Inv.-Nr. 31180

195. Heinrich Lefler – Joseph Urban Aus dem Wiener Rathhauskeller, 1899 Kunst und Kunsthandwerk II. Jg. 1899/3. S. 119. Bibliotheksarchiv und Kunstsammlung der Ungarischen Universität der Schönen Künste, Budapest

208. Ferdinand Fellner – Hermann Hellmer Der Palais Lanckoroński in Wien, 3. Jacquingasse 18., vor 1905 Ansichtskarte, Fotografie von unbekannter Autor Wien Museum, Wien, Inv.-Nr. 58891/637 CC0 https://sammlung.wienmuseum.at/ en/object/117417/

196. Gustav Klimt Die Philosophie, 1900 Foto: Moritz Nähr ÖNB Wien: 94903 E Pos 197. Gustav Klimt Die Philosophie – Ausschnitt 198. Gustav Klimt Die Philosophie – Ausschnitt 199. Gustav Klimt Die Philosophie – Ausschnitt 200. Gustav Klimt Die Medizin, 1901 Foto: Moritz Nähr ÖNB Wien: 197424-C.res 201. Gustav Klimt Die Medizin – Ausschnitt 202. Gustav Klimt Die Medizin – Ausschnitt 203. Gustav Klimt Die Medizin – Higyeia – Ausschnitt, 1900–1907 Farblichtdruck 10 aus der Mappe Gustav Klimt. Eine Nachlese, Hrsg. Max Eisler, Österreichischen Staatsdruckerei, Wien, 1931 © Klimt-Foundation, Wien

209. Rudolf von Alt Rauchzimmer des Grafen Karl Lanckoroński, 1881 Aquarell auf Papier, 340 × 450 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, S. 127. 210. Grüner Salon im Palais Lanckoroński in Wien, um 1929 Fotografie von Konrad Heller Wien Museum, Wien Inv.-Nr. 49666, CC0 https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/425997/ 211. Rudolf von Alt Arbeitszimmer des Grafen Karl Lanckoroński, 1892 Aquarell auf Papier, 375 × 480 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, S. 139. 212. Josef Engelhart Kirschenpflückerin, 1893 XXXIV. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession Wien – Engelhart 1909 https://digitalebibliothek.belvedere.at/viewer/!image /1415193748809/95/

213. Josef Urban Entwurf zum Schloss Esterházy in Szentábrahám, 1899 Mit freundlicher Genehmigung von Professor Gerhard Trumler, Wien 214. Franz Matsch Das Zimmer der Musen in Palais Dumba, 1897 Die Kunst (17) 1908, S. 268. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 215. Gustav Klimt Bauerngarten mit Sonnenblumen, 1907 Öl auf Leinwand, 110 × 110 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 3685 © Belvedere, Wien 216. Josef Maria Auchentaller Das Pastorale-Musikzimmer in der Villa Scheid in Wien, 1898–1899 Nach der VI. Symphonie Beethovens, der Pastorale: I. Elfenreigen, II. Elfe am Bach, III. Fröhliches Zusammensein, Gewitter und Sturm (Gewitter 1 und 2), V. Angelusläuten © amp-andreas maleta press&publication/Galerie punkt12, Wien 2022 217. Josef Maria Auchentaller Ausschnitt aus dem Wandgemälde „Freude schöner Götterfunken“ Ver Sacrum 5, 1902, S. 168. 218. Jan Toorop Die Streuner, 1892 Ver Sacrum 5, 1902, S. 70. 219. Jan Toorop Seelen am Meeresstrande Ver Sacrum 5, 1902, S. 69. 220. Alfred Roller XIV. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession Wien, Plakat, 1902 Lithographie Ver Sacrum 5, 1902, S. 164. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 221a Die Beethoven Ausstellung der Wiener Secession: Hauptraum mit der Beethovenstatue von Max Klinger, am Rückwand Die Nacht von Adolf Böhm Ver Sacrum 5, 1902, S. 168. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 221b Die Beethoven Ausstellung der Wiener Secession: Hauptraum, am Stirnwand Der Werdende Tag von Adolf Böhm Ver Sacrum 5, 1902 S. 168. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest

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222a–b–c Max Klinger Beethoven, 1902 Deutsche Kunst und Dekoration (10) 1902, S. 490. und 493. 223. Die rechte Seitenschiff der Beethoven Ausstellung – Ausschnitt Deutsche Kunst und Dekoration (10) 1902, S. 488. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 224. Der Hauptraum der Beethoven Ausstellung Ver Sacrum 5, 1902, S. 170. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 225. Gustav Klimt Beethovenfries: Die Leiden der schwachen Menschheit und Der wohlgerüstete Starke – Tafel 3, linke Langwand, 1901 Kaseinfarben, Stuckauflagen, Zeichenstift, Applikationen aus verschiedenen Materialien (Glas, Perlmutt etc.), Goldauflagen auf Mörtel, 215 × 276 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 5987/3 © Belvedere, Wien 226. Gustav Klimt Beethovenfries: Die Sehnsucht nach Glück findet Stillung in der Poesie, Tafel 7, rechte Langwand, 1901 Kaseinfarben, Stuckauflagen, Zeichenstift, Applikationen aus verschiedenen Materialien (Glas, Perlmutt etc.), Goldauflagen auf Mörtel, 215 × 516 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 5987/7 © Belvedere, Wien 227. Gustav Klimt Beethovenfries: Der wohlgerüstete Starke – Ausschnitt 228. Gustav Klimt Beethovenfries: Die feindlichen Gewalten, Tafel 1, Stirnwand, 1901 Kaseinfarben, Stuckauflagen, Zeichenstift, Applikationen aus verschiedenen Materialien (Glas, Perlmutt etc.), Goldauflagen auf Mörtel, 215 × 314 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 5987/5 © Belvedere, Wien 229. Gustav Klimt Beethovenfries: Die Künste, Paradieschor und Umarmung, Tafel 8, rechte Langwand, 1901 Kaseinfarben, Stuckauflagen, Zeichenstift, Applikationen a us verschiedenen Materialien (Glas, Perlmutt etc.), Goldauflagen auf Mörtel, 215 × 481 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 5987/8 © Belvedere, Wien

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

230. Rudolf von Alt Der Stephansdom, 1832 – Ausschnitt Öl auf Leinwand, 46 × 57,5 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2081 © Belvedere, Wien

242. Victor Tilgner Carl von Hasenauer In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 144.

231. Kolo Moser Deckblatt Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst I–II., E. A. Seemann, Leipzig, 1903

243. Theophil Hansen Der Heinrichshof in Wien In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 131.

232. Josef Danhauser Der reiche Prasser, 1836 Öl auf Leinwand, 84 × 131 cm Belvedere, Wien, Inv. Nr. 2087 © Belvedere, Wien 233. Peter Fendi Mädchen vor dem Lotteriegewölbe, 1829 Öl auf Leinwand, 63 × 50 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2177 © Belvedere, Wien 234. Georg Waldmüller Vorfrühling im Wienerwald, 1861 Öl auf Holz, 52 × 66 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 1501 © Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll 235. Empfangszimmer, Wien um 1800 In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 109. 236. Schreibzimmer, Wien um 1830 In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 107.

244. Viktor Tilgner Joseph von Führich, 1876 In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 189. 245. Rudolf von Alt Der Stephansdom, 1832 Öl auf Leinwand, 46 × 57,5 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2081 © Belvedere, Wien 246. Karl Rahl Karton zum Mittelbilde des Hauptvorhanges in der Hofoper In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 202. 247. Hans Makart Der Sieg des Lichtes über die Finsternis, 1883–1884 Öl auf Leinwand, 170 × 184 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 3756 © Belvedere, Wien

237. Federzeichnung des Kaisers Franz Joseph (Andreas Hofer), 1841 In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 119.

248. August von Pettenkofen Markt in Szolnok, zwischen 1870 und 1880 Öl auf Holz, 11 × 23 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2176. © Belvedere, Wien

238. Eduard van der Nüll – August Sicards von Sicardsburg Das Hofopernhaus in Wien In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 128.

249. August von Pettenkofen Der Kuss II (Das Rendezvous II), 1864 Öl auf Holz, 27,5 × 21 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4647 © Belvedere, Wien, Foto: Lea Titz & Markus Guschelbauer

239. Theophil Hansen Das Parlamentsgebäude in Wien In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 131.

250. Anton Romako Italienisches Fischerkind, 1874–1875 Öl auf Leinwand, 90 × 70 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4400. © Belvedere, Wien

240. Friedrich Schmidt Das Rathaus in Wien In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 135.

251. Hans Temple William Unger in seinem Atelier In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 239.

241. Viktor Tilgner Heinrich von Ferstel In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 126.

252. Theodor von Hörmann Znaim im Schnee II., um 1892 Öl auf Leinwand, 78,5 × 100 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 337 © Belvedere, Wien

253. Otto Wagner Der Wiener Stadtbahn Hofpavillon Hietzing Foto: Autorin

264. Pierre-Auguste Renoir Die Theaterloge, 1874 Kunst und Künstler (1) 1903, S. 183. https://digi.ub.uni-heidelberg.de

254. Gottlieb Theodor von Kempff Otto Wagner In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig,

265. Pierre-Auguste Renoir Die Ballettänzerin, 1874 Kunst und Künstler (1) 1903, S. 181. https://digi.ub.uni-heidelberg.de

255. Gustav Klimt Judith, 1901 Öl und Blattgold auf Leinwand, 84 × 42 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4737 © Belvedere, Wien 256. Giovanni Segantini Der Engel des Leben, 1894–1895 Aquarell, Gold und Silber Pulver, Holzkohl, Gouache auf Papier, 59,5 × 47,9 cm Museum der Bildenden Künste, Budapest, Inv.-Nr. 24.B © Szépművészeti Múzeum, Budapest 257. Giovanni Segantini Vergehen, 1899 Öl auf Leinwand, 192,5 × 321,5 cm Segantini-Museum, Sankt Moritz 258. Claude Monet Eine Allee in Monets Garten in Giverny, 1902 Öl auf Leinwand, 89,5 × 92,3 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 3889 © Belvedere, Wien 259. Saal der ImpressionismusAusstellung, Wien, 1903 Public domain, via Wikimedia Commons 260. Edgar Degas Das Ballett, 1878 Pastell Kunst und Künstler (1) 1903, S. 187. https://digi.ub.uni-heidelberg.de 261. Edgar Degas Im Café Concert, um 1884 Pastell Kunst und Künstler (1) 1903, S. 188. https://digi.ub.uni-heidelberg.de 262. Vincent van Gogh Die Ebene von Auvers, 1890 Öl auf Leinwand, 50 × 101 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 1007 © Belvedere, Wien 263. Edouard Manet Dame mit Fächer (Baudelaires Geliebte), 1862 Öl auf Leinwand, 89,5 × 113 cm Museum der Bildenden Künste, Budapest, Inv.-Nr. 368.B © Szépművészeti Múzeum, Budapest

266. Pierre-Auguste Renoir In der Laube, 1876 Kunst und Künstler (1) 1903, S. 184. https://digi.ub.uni-heidelberg.de 267. Édouard Vuillard Im Salon, 1899 Kunst und Künstler (1) 1903, S. 196. https://digi.ub.uni-heidelberg.de 268. Paul Cézanne Interieur (Dar Salon mit drei Lampen) 1899 269. Kolo Moser Werbekarte – Wiener Werkstätte Holzschnitt auf Papier, 140 × 265 mm Museum für angewandte Kunst, Budapest, Inv.-Nr. MLT 978 Foto: Ágnes Soltész- Harangy 270. Philip de László Artur Görgei, 1901 Öl auf Leinwand, 121 × 100 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 2655 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 271. Philip de László Porträt des Kaisers Franz Josef, 1903 In Otto von Schleinitz: Ph. A. von László, Velhagen & Klasing, 1913, S. 53. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 272. László Paál Waldpartie, 1877 Öl auf Leinwand, 101 × 71 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 2801 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 273. Károly Ferenczy Sommer (Badende Jungen), 1902 Öl auf Leinwand, 160 × 120 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 6267 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 274. József Rippl-Rónai Dame mit schwarzem Schleier (Madame Mazet), 1896 Öl auf Leinwand, 99 × 80,5 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 2314 © Szépművészeti Múzeum, Budapest

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DIE MACHT DER KUNSTKRITIK

275. Adolf Fényes Mutter und seine Kind, 1901 Öl auf Leinwand, 130,5 × 133 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. FK10.142 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 276. Adolf Fényes: Dorfstrasse, 1903 Öl auf Leinwand, 73 × 114,5 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 78.37T © Szépművészeti Múzeum, Budapest 277. Gusztáv Magyar Mannheimer In der Umgebung von Florenz, 1899 Öl auf Leinwand, 86 × 116 cm Gábor Kovács Art Collection, Budapest 278. Gusztáv Magyar Mannheimer Am Rande der Stadt (Budapester Vorstadtfabrik), 1893 Öl auf Leinwand, 86 × 131 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 1507 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 279. Miklós Ligeti Anonymus, 1903 Bronze und Marmor, 54,5 × 70 × 52,5 cm Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Inv.-Nr. 2072 © Szépművészeti Múzeum, Budapest 280. Gustav Klimt Die Jurisprudenz, 1903–07 Fotografie von Moriz Nähr, 1903 ÖNB Wien: 94.902-E 281. Gustav Klimt Die Jurisprudenz – Ausschnitt 282. Gustav Klimt Die Jurisprudenz – Ausschnitt 283. Gustav Klimt Die Jurisprudenz – Ausschnitt 284. Gustav Klimt Der Kuss (Liebespaar), 1908 – Ausschnitt Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 912 © Belvedere, Wien 285. 24. Ausstellung der Wiener Secession, 1905 Stirnwand von Saal I, mit „Die Heilige Dreifaltigkeit“ von Ferdinand Andri und Jožef Plečnik 286. Stanisław Wyspiański Apollon – Illustration zur Ilias Die Kunst für Alle (23) 1907–1908, S. 290. 287. Stanisław Wyspiański Die Seelen der Helden – Illustration zur Ilias Kunst für Alle (23) 1907–1908, S. 293.

288. Josef Hoffmann Haupteingang des Ausstellungsgebäudes und großer Hofgarten, Kunstschau Wien 1908 Die Kunst (19) 1908, S. 514. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 289. Gustav Klimt Der Kuss (Liebespaar), 1908 – Figuraler Bereich: Blattgold, Goldfarbe (in einem Bindemittel dispergiertes Goldpulver), Silber, Platin, Blei, Ölfarben, auf mit Zinkweiß grundierter Leinwand. – Hintergrund: Schlagmetall (Messing), mit Lasuren übermalt, 180 × 180 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 912 © Belvedere, Wien 290. Kolo Moser Kunstschau Wien, 1908, Klimt-Saal mit „Die Drei Lebensalter“ Deutsche Kunst und Dekoration (23) 1908, S. 48. 291. Koloman Moser Kunstschau Wien, 1908, Klimt-Saal mit „Der Kuss“ Die Kunst (19) 1908, S. 523. 292. Gustav Klimt Sonnenblume, 1907 Öl auf Leinwand, 110 × 110 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 10 500 © Belvedere, Wien 293. Kunstschau Wien 1908, Der Metzner-Saal Die Kunst (19) 1908, S. 519. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 294. Plakatwand in der Kunstschau Wien 1908 Die Kunst (19) 1908, S. 525. Museum der Bildenden Künste, Bibliothek, Budapest 295. Raumansicht: Die neuesten Franzosen: Internationale Kunstschau Wien 1909 Zeitschrift für bildende Kunst (20) 1909, S. 221. Bibliothek des Belvedere, Wien © Belvedere, Wien 296. Gustav Klimt Die Hoffnung I., 1903 Öl auf Leinwald, 189 × 67 cm National Gallery of Canada, Ottawa, Inv.-Nr. 16579 Foto © IMAGNO – ARTOTHEK 297. Max Kurzweil: Mädchen im Garten, 1909 Katalog der Internationalen Kunstschau, 1909

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298. Tina Blau Krieau im Prater, 1902 Öl auf Leinwand, 75,5 × 105 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 538 © Belvedere, Wien

310. Rudolf von Alt Das Arbeitszimmer des Künstlers, 1904 Aquarell auf Papier, 465 × 675 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, S. 119.

299. Ivan Meštrović Leopoldine Wittgenstein, 1908 Belgisch Granit, 108 × 80 × 80 cm Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 7270 © Belvedere, Wien

311. Rudolf von Alt Hof im Kastell zu Trient, 1875 Aquarell auf Papier, 730 × 570 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 17.

300. Ivan Mestrovic Heldenkopf (Kosovo Denkmalprojekt), 1908 Deutsche Kunst und Dekoration (26) 1910, S. 149.

312. Lajos Bruck Lajos Hevesi, o. J. (um die 1870er Jahren) Mit freundlicher Genehmigung vom Nagyházi Galerie

301. Ivan Mestrovic Menschliches Paar (Kosovo Denkmalprojekt), 1908 Deutsche Kunst und Dekoration (26) 1910, S. 156.

313. Josef Maria Olbrich Das Haus der Wiener Secession, 1898 In Ludwig Hevesi: Österreichische Kunst II. 1848–1900, E. A. Seemann, Leipzig, 1903, S. 283.

302. Giovanni Segantini Vergehen, 1899 – Ausschnitt Öl auf Leinwand, 192,5 × 321,5 cm Segantini-Museum, Sankt Moritz 303. Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911 Deckblatt 304. Rudolf von Alt Selbstbildnis, 1895 Aquarell auf Papier, 211 × 162 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Titelseite 305. Rudolf von Alt Am Fenster (Selbstporträt des Künstlers) Öl auf Leinwand, 34,5 × 49,2 cm, In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, S. 118 306. Rudolf von Alt Inneres der Kirche Maria am Gestade, 1830er Jahre Aquarell auf Papier, 270 × 200 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 2. 307. Rudolf von Alt Whistpartie bei Professor Skoda, 1866 Aquarell auf Papier, 473 × 583 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, S. 110. 308. Rudolf von Alt Eisengießerei, 1903 Aquarell auf Papier, 500 × 600 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 60. 309. Rudolf von Alt Der Neptunbrunnen am Domplatz in Trient, 1875 Aquarell auf Papier, 730 × 570 mm In Ludwig Hevesi: Rudolf von Alt, Artaria, Wien, 1911, Tafel 58.

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lisTe der WerKe vOn ludWig hevesi

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ludwig hevesi: Die Pflege der Kunst in Österreich 1848–1898. die bildende Kunst in Österreich. Moritz Perles, Wien, 1900.

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ludwig hevesi: Sie sollen ihn nicht haben. Heiteres aus ernster Zeit. leipzig, 1871. ludwig hevesi: Kleine Leute. illustrierte Jugendzeitschrift. Pest, 1871– 1874. ludwig hevesi: Abenteuer in vier Welttheilen von des Schneidergesellen, Andreas Jelky, 1872. deutsche Originalausgabe. Mit 6 holzschnitten von Johann greguss. budapest, o. J. (1. Aufl. 1875). ludwig hevesi: budapest. in Das moderne Ungarn. hrg. Asboth J., berlin, 1883. ludwig hevesi: Auf der Schneide. ein geschichtenbuch. bonz co., stuttgart, 1884. ludwig hevesi: Neues Geschichtenbuch. bonz u. co., stuttgart, 1885. ludwig hevesi: Auf der Sonnenseite. ein geschichtenbuch. bonz u. co., stuttgart, 1886. ludwig hevesi: Almanaccando. Bilder aus Italien. Adolf bonz u. co., stuttgart, 1888. ludwig hevesi: Buch der Laune. Neue Geschichten. bonz u. co., stuttgart, 1889. ludwig hevesi: Ein Englischer September. Heitere Fahrten jenseits des Kanals.

ludwig hevesi: Die Althofleute. ein sommerroman. bonz u. co., stuttgart, 1897. ludwig hevesi: Blaue Fernen. neue reisebilder. bonz u. co., stuttgart, 1897. ludwig hevesi: Viktor Tilgners ausgewählte Werke. erläuterungen der Texte von ludwig hevesi. löwy, Wien, 1897. ludwig hevesi: Das bunte Buch. humoresken aus zeit und leben, literatur und Kunst. bonz u. co., stuttgart, 1898. ludwig hevesi: die Wiener gesellschaft zur zeit des Kongresses. in Der Wiener Congreß. Artaria, Wien, 1898. s. 57–72. ludwig hevesi: Wiener Totentanz. gelegentliches über verstorbene Künstler und ihresgleichen. bonz u. co., stuttgart, 1899. ludwig hevesi: Der zerbrochene Franz nebst anderer humoresken und geschichten. A. bonz u. co., stuttgart, 1900. ludwig hevesi: Ideen von Olbrich (einführung von – ) bildband. gerlach und schenk, Wien, o. J. (1899).

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