Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917: Denkmalforschung, Lutherrezeption und protestantische Erinnerungskultur 9783111054391, 9783111054322

This volume is the first to historically categorize and interpret nineteenth-century monuments to Luther. Taking extensi

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Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917: Denkmalforschung, Lutherrezeption und protestantische Erinnerungskultur
 9783111054391, 9783111054322

Table of contents :
Vorwort
Inhalts
1 Einleitung
2 Das lange 19. Jahrhundert im Zeichen des politischen, gesellschaftlichen und kirchlich-theologischen Wandels
3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917
4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern
5 Der erinnerungskulturelle Umgang mit Lutherdenkmälern heute
Abbildungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Ortsregister

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Camilla Schneider Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Arbeiten zur Kirchengeschichte

Begründet von Karl Holl † und Hans Lietzmann † Herausgegeben von Christian Albrecht, Christoph Markschies und Christopher Ocker

Band 156

Camilla Schneider

Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Denkmalforschung, Lutherrezeption und protestantische Erinnerungskultur

ISBN 978-3-11-105432-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-105439-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-105500-8 ISSN 1861-5996 Library of Congress Control Number: 2023936793 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München im Wintersemester 2021/2022 als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurden lediglich geringfügige Änderungen vorgenommen. Ein großer Dank gilt meinem Doktorvater und Erstgutachter, Prof. Dr. Harry Oelke, für seine Begleitung während der Promotionszeit mit konstruktiven Anregungen, seinem fachlichen Rat und dem von ihm gewährten Freiraum. Hiervon war auch die langjährige bereichernde und vertrauensvolle Mitarbeit an seinem Lehrstuhl geprägt. Die Neugier und Leidenschaft für kirchengeschichtliches Arbeiten und genaues Studieren historischer Quellen verdanke ich neben Prof. Dr. Harry Oelke, Prof. Dr. Tim Lorentzen, Dr. Karl-Heinz Fix und Dr. Kirsi Stjerna, die in ihren Lehrveranstaltungen Kirchengeschichte für mich lebendig werden ließen. Prof. Dr. Jörg Lauster danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Aufnahme in die Reihe Arbeiten für Kirchengeschichte danke ich ganz herzlich Prof. Dr. Christian Albrecht, Prof. Dr. Christoph Markschies und Prof. Dr. Christopher Ocker. Dem Verlag de Gruyter, namentlich Dr. Albrecht Döhnert, Antonia Pohl und Eiske Schäfer danke ich für die hilfreiche Betreuung im Publikationsprozess. Mein Dank gilt weiterhin den Mitarbeitenden in den verschiedenen Landeskirchlichen Archiven, Staats-, Stadt- und Gemeindearchiven für ihre kompetente Unterstützung bei der Recherche und Bereitstellung der Quellen. Auch in herausfordernden Pandemiezeiten war auf deren Hilfe verlass, sodass wissenschaftliche Forschung möglich war. Dem LMU-Mentoring-Programm der Evangelisch-Theologischen Fakultät bin ich für die finanzielle Förderung einer Archivreise durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dankbar. Viele weitere Menschen haben mich bei der Entstehung dieser Arbeit begleitet. Besonders wichtig war mir stets der wissenschaftliche, kollegiale und freundschaftliche Austausch mit Dr. Florian Büttner, Carlotta Israel, Dr. Catharina Koke, Dr. Frank Krauss und Dr. Nora Schulze nicht nur im Rahmen des kirchengeschichtlichen Oberseminars von Prof. Dr. Harry Oelke, sondern auch bei Flurgesprächen, gemeinsamen Bürozeiten und beim Stammtisch. Für die ertragreiche Programmierung der Homepage www.luther-denkmaeler. de im Frühjahr 2020 danke ich Kilian Wischer. Seine Unterstützung und sein Zuspruch gehen weit über das technische Know-How hinaus.

https://doi.org/10.1515/9783111054391-202

VI 

 Vorwort

Meiner Mutter Edith Schneider danke ich zum einen für ihre unermüdliche Geduld beim Korrekturlesen und zum anderen gemeinsam mit meinem Vater, meinen Geschwistern und meinen Freund✶innen seit Kindertagen für den stetigen Rückhalt und die kontinuierliche Ermutigung den eigenen Weg zu gehen. Camilla Schneider München, 21. Januar 2023

Inhalts Vorwort 

 V

1 1.1 1.2 1.3

 1 Einleitung  Die Denkmalforschung als Teil der Erinnerungskultur  Forschungsstand und Quellenlage   5 Zielsetzung und Aufbau   7

2

Das lange 19. Jahrhundert im Zeichen des politischen, gesellschaftlichen und kirchlich-theologischen Wandels   9 Die Nationalisierung Deutschlands   10 Der Weg zur deutschen Nation (1806–1870)   10 Die Reichsgründung und die Politik Bismarcks (1871–1890)   18 Das Weltmachtstreben Deutschlands in der Wilhelminischen Ära  (1890–1913)   23 Das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg (1913–1917)   29 Die Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft   34 Die Entstehung der Klassengesellschaft   34 Die Charakterisierung des Bürgertums in seiner Vielfalt und Einheit   38 Die bürgerliche Kultur   41 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus   45 Die Spannung zwischen Kirchenunion und lutherischem Konfessionalismus   46 Das Verhältnis von Protestantismus und Nationalismus   49 Das Verhältnis von Protestantismus und Katholizismus   54 Der Protestantismus in der Öffentlichkeit   59 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts   64 Der Wandel des Denkmals im 19. Jahrhundert   65 Das Denkmal als Repräsentation des Bürgertums   68 Das Denkmal als Ausdruck nationaler Ideen    73 Die Denkmalkritik und der Bedeutungsverlust des Denkmals um 1900   78

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3

 1

 80 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917  Grundlegendes   80 Das Lutherdenkmal: eine enge Definition und ein erster Überblick  Die Leitfragen zur Entwicklung der Lutherdenkmäler   84 Die methodischen Fragen zur Lutherdenkmalanalyse   85

 80

VIII  3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9 3.3.10 3.3.11 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.4.7 3.4.8 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5

 Inhalts

Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus   87 Der lehrende Luther in Wittenberg (1801–1821)   87 Der von den Evangelisten getragene Luther in Möhra (1846–1861)   105 Der deutsch-baltische Luther in Kegel (1862)   112 Der bekennende Luther in Worms (1856–1868)   116 Der talartragende Luther steigt auf das Postament   145 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums   148 Die Auseinandersetzung um ein würdiges Lutherdenkmal   149 Der unierte Luther in Kaiserslautern (1858–1883)   151 Der kulturkämpferische Luther in Eisleben (1869–1883)   160 Der friedliche Luther in Leipzig (1883)   181 Der alldeutsche Luther in Asch (1883)   186 Der stolz verteidigende Luther in Alt-Schwanenburg (1883)   193 Die Rezeption der Wormser Lutherstatue   195 Der verkündende Luther in Erfurt (1883–1889)   213 Der die Bibel verteidigende Luther in Eisenach (1882–1895)   229 Der nationale Luther in Berlin (1883–1895)   249 Die lokale und konfessionelle Aufladung des Lutherdenkmals   265 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal    269 Die Errichtung von Lutherstatuen in Gedenkstätten   269 Die Lutherstatuen an und in Kirchen als sichtbarer Ausdruck protestantischer Identität   297 Der zum Schwur bereite Luther in Hannover (1900)   312 Der treu bekennende Luther in Bielitz (1900)   319 Der immer wiederkehrende Wormser Luther   324 Luther und der Thesenhammer in Brieg (1905), Cottbus (1910) und Reichenbach (1911)   330 Der faustballende Luther in Hamburg (1912)   337 Das Lutherdenkmal rückt an die Kirche   347 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal anlässlich des 400. Reformationsjubiläums   350 Die gescheiterten Lutherdenkmalpläne am Beispiel von Nürnberg (1911)   350 Der Lutherbrunnen in Mansfeld (1898–1913)   355 Luther als der nackte Reiter auf der Veste Coburg (1912–1914)   362 Luther am Fuße des auferstandenen Christi in Stuttgart (1901–1903, 1910–1917)   372 Der Erste Weltkrieg und neue Denkmalideen als Herausforderung für die Errichtung von Lutherdenkmälern   386

Inhalts 

4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 5

Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von  390 Denkmälern  Die Öffentlichkeit der Lutherdenkmäler   390 Der Standort   390 Die Akteure und Akteurinnen   392 Die Reichweite   395 Der politische Luther   397 Der Einfluss politischer Ereignisse   397 Luther als deutscher Nationalheld   399 Der bürgerliche Luther   401 Luther als Mann der großen Verdienste   401 Luther als Ehemann und Familienvater   403 Der protestantische Luther   405 Luther als Theologe   405 Luther als Antikatholik   407 Der erinnerungskulturelle Umgang mit Lutherdenkmälern heute   410

Abbildungsverzeichnis 

 417

Quellen- und Literaturverzeichnis  Personenregister  Ortsregister 

 451

 445

 421

 IX

1 Einleitung Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Vor nun 500 Jahren, im April 1521, stand der Augustinermönch Martin Luther auf dem Wormser Reichstag vor Kaiser Karl V. und verweigerte unter Berufung auf sein Gewissen seine Schriften zu widerrufen. Durch Kunstinstallationen, Ausstellungen, Festspiele, historische Stadtführungen, Tagungen und weitere Veranstaltungen wird an das 500-jährige Jubiläum des Reichstags erinnert, werden Interessierte nach Worms eingeladen und wird Luthers Protest im Hinblick auf gegenwärtige Ereignisse aktualisiert.1 Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Dieser Ausspruch trifft auch auf den ehernen Luther auf dem Wittenberger Marktplatz zu, der dort seit Oktober 1821, das heißt seit 200 Jahren, steht und auf die an ihm vorübergehenden Menschen blickt. Diese nehmen ihn manchmal mehr und häufig doch weniger wahr. Das Medium Denkmal in Form einer auf einem Sockel erhöhten Statue einer berühmten Person wirkt heute eher fremd, weitestgehend unverständlich und als ein Relikt aus einer anderen Zeit. Dabei war es nicht nur Luther, dem 1821 das „erste bedeutende bürgerliche Personenstandbild in Deutschland“2 gewidmet wurde, sondern er war es auch, der durch seine Bibelübersetzung, genauer durch die Verdeutschung des Verses Ex 13,93, den Denkmalbegriff im Deutschen prägte. Er verstand unter Denkmal ein Erinnerungszeichen beziehungsweise eine Gedächtnisstütze. Das heißt, beim Anblick des Denkmals sollte etwas Bestimmtes ins Gedächtnis gerufen werden. Auf welche Erinnerungen verweisen das Wittenberger und die anderen im 19. Jahrhundert errichteten Lutherdenkmäler und von wem wurde dieses Gedenken geformt?

1.1 Die Denkmalforschung als Teil der Erinnerungskultur Warum erinnern wir uns heute an längst vergangene Personen wie Martin Luther und Ereignisse wie den Wormser Reichstag? Warum belassen wir es nicht dabei, von diesen in den Geschichtsbüchern zu lesen? Warum feiern wir noch heute 1 Vgl.  Kaufmann, Thomas: ‚Hier stehe ich!‘ Luther in Worms – Ereignis, mediale Inszenierung, Mythos, Stuttgart 2021; vgl. Maier, David: Luther Worms 2021. 500 Jahre Reichstag, (Worms / https:// www.luther-worms.de/). 2 Tümpel, Christian / Kammer, Otto: Zur Geschichte der Lutherdenkmäler, in: Möller, Bernd (Hg.): Luther in der Neuzeit: Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloh 1983, 227. 3 „Darumb soll dyrs seyn […] eyn denckmal fur deynen augen“. Vgl. Luther, Martin: Das Alte Testament (1523) in: WA.DB 8, 240. https://doi.org/10.1515/9783111054391-001

2 

 1 Einleitung

Reformationsjubiläen zur Erinnerung an die Veröffentlichung der 95 Thesen? Warum feiern wir geschichtliche Ereignisse? Blickt man zurück, so fällt auf, dass das Erinnern die menschliche Kulturgeschichte seit Jahrtausenden prägt. Bereits das sich formierende Judentum erinnerte sich an göttliche Heilstaten und machte diese zur Grundlage ihres Festkalenders. Ähnliches galt für das frühe Christentum, indem der Sonntag als Erinnerung an die Auferstehung gefeiert wurde und der Ablauf des Kirchenjahrs sich bis heute auf die Vergegenwärtigung des Lebens und Wirkens Jesu bezieht. Das Erinnern und Feiern von geschichtlichen Ereignissen war somit zunächst religiös geprägt.4 Erst Jahrhunderte später verband sich das öffentliche Gedenken mit politischen Inhalten. Im Mittelalter wurde die Erinnerung an den jeweiligen Tagesheiligen mit Herrschersiegen verknüpft, sodass sich das Gedenken an politische Ereignisse neben dem Heiligengedenken etablierte. Wichtig für die weitere Entwicklung der Gedenkkultur wurde das Reformationsfest, da dieses nicht auf „personenbezogenen Daten von Luthers“5 Leben beruhte, sondern der Thesenanschlag als „heilsgeschichtlich bedeutsamer Neuanfang“6 gefeiert wurde. Durch die Loslösung des Erinnerns von einer einzelnen Person wurde die Entwicklung hin zum säkularen Geschichtsbewusstsein weiter befördert, welches im 19. Jahrhundert „in Staat und Nation seine wichtigsten aktuellen Bezugspunkte“7 fand. Daneben hatte die Reformation durch das Landesherrliche Kirchenregiment noch eine zweite Auswirkung auf die „Säkularisierung und Politisierung der Gedenkkultur“8. Die Obrigkeit hatte als Summus Episcopus das Recht, kirchliche und historische Gedenktage festzulegen, sodass bei öffentlichen Feierlichkeiten eine enge Verbindung zwischen Kirche und Politik entstand. Hierin war angelegt, dass bei Gedenkfeiern verschiedene Interessengruppen miteinander korrelierten. In dieser Entwicklung vom religiösen, heilsgeschichtlich motivierten Fest hin zum politischen Erinnern wird deutlich, dass Erinnerung nicht nur eine individuelle, sondern auch eine gemeinsame, mehrere Personen verbindende Komponente umfasst, das sogenannte kollektive Gedächtnis. Dieses ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts Gegenstand der Gedächtnisforschung. So ging Maurice Halbwachs

4 Vgl.  Mitterauer, Michael: Millennien und andere Jubeljahre. Warum feiern wir Geschichte?, Wien 1998, 31–33. 5 Mitterauer: Millenien, 39. 6 Mitterauer: Millenien, 39. 7 Mitterauer: Millenien, 44–45. 8 Mitterauer: Millenien, 45.

1.1 Die Denkmalforschung als Teil der Erinnerungskultur 

 3

insbesondere der Frage nach „wie sich Gruppen ein Gedächtnis schaffen“9. Dabei unterschied er zwischen Geschichte und Gedächtnis, indem er beide Begriffe als miteinander unvereinbar ansah. Für ihn war Geschichte universal und durch „eine unparteiische Gleichordnung aller vergangenen Ereignisse“10 charakterisiert. Das Gedächtnis hingegen war seiner Meinung nach partikular und subjektiv, denn erinnert wird, „was dem Selbstbild und den Interessen der Gruppe entspricht“11. Halbwachs Theorie vom kollektiven Gedächtnis gilt heute als grundlegend für weitere kulturwissenschaftliche Ansätze. Auch Aleida Assmann bezieht sich auf Halbwachs und differenziert zwischen Geschichte und Gedächtnis. Doch anders als Halbwachs sieht sie in beiden nicht einen Gegensatz, sondern spricht sich für ein Nebeneinander aus: „Denn wir brauchen das Gedächtnis, um der Masse des historischen Wissens Leben einzuhauchen […] und wir brauchen die Geschichte, um die Konstruktionen des Gedächtnisses kritisch zu überprüfen“12. Weiter zeichnet das von Aleida Assmann und ihrem Ehemann Jan ausgearbeitete Konzept aus, dass sie das kollektive Gedächtnis in das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis auffächern. Während der Inhalt des ersten veränderlich ist und der zeitliche Rahmen auf ungefähr 80 Jahre beschränkt ist, umfasst das kulturelle Gedächtnis einen bestimmten Umfang an Inhalten. Dieser enthält mythische und als gemeinschaftsstiftend wahrgenommene „Ereignisse einer fernen Vergangenheit“13. Die besondere Stärke dieses Ansatzes liegt darin, dass der Zusammenhang „von kultureller Erinnerung, kollektiver Identitätsbildung und politischer Legitimierung“14 aufgezeigt wird. Dieses Verständnis des kulturellen Gedächtnisses prägt auch Aleida Assmanns Definition der Erinnerungskultur. Auch wenn der Begriff Erinnerungskultur mehrdeutig ist, soll darunter im Rahmen dieser Arbeit „die Aneignung der Vergangenheit durch eine Gruppe“15 verstanden werden. Mit der Vergegenwärtigung von Geschichte geht die Stärkung des Selbstbewusstseins, die Identitätsbildung und die Selbstvergewisserung dieser spezifischen Gemeinschaft einher. Das heißt also, dass durch das Erinnern nicht allein etwas über die Vergangenheit ausgesagt, sondern vielmehr durch die Aktualisierung der Geschichte Aussagen über die Erinnerungsgemeinschaft und ihre Zeit getroffen werden können. Dieser grundlegende Aspekt

9 Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München 2013, 17. 10 Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 42017, 14. 11 Erll: Gedächtnis, 14. 12 Assmann: Unbehagen, 24. 13 Erll: Gedächtnis, 25. 14 Erll: Gedächtnis, 24 [Hervorhebung im Original]. 15 Assmann: Unbehagen, 32 [Hervorhebung im Original].

4 

 1 Einleitung

ist wichtig, um zu verdeutlichen, dass die Vergangenheit, die in der Erinnerung „beschworen wird, […] hochgradig selektiv und stets an aktuelle Bedürfnisse“16 geknüpft ist.17 Um ein lebendiges, kommunikatives Gedächtnis auch für nachfolgende Generationen zu bewahren, bedarf es eines „mediengestützten Gedächtnis[ses]“18. Dieses ist im Gegensatz zur individuellen Erinnerung nicht spontan, sondern es handelt sich um einen bewussten, gesteuerten Erinnerungsprozess, da ausgewählt und geplant wird, welche Inhalte überliefert oder eben auch nicht erinnert werden sollen. Zu diesen Medien der kulturellen Erinnerung zählen unter anderem „Denkmäler, Gedenkstätten, Museen und Archive“19. Dass Denkmäler nicht nur als kunstgeschichtliche Zeugnisse, sondern auch als historische Quellen in den Fokus der Geschichtswissenschaft genommen werden, begann erst in den 1960er Jahren. Grundlegend hierfür war der Aufsatz von Thomas Nipperdey zum Nationaldenkmal im Jahr 1968. Dieser kam noch ganz ohne Abbildungen der Monumente aus, da er die „Denkmalbewegungen und die Denkmalfeste“20 in den Mittelpunkt stellte, um „Aufschlüsse über die Struktur von Nationalbewegung und Nationalidee zu gewinnen“21. Dem historischen stand dementsprechend der kunstgeschichtliche Zugang gegenüber, der das Denkmal als Objekt in den Fokus nahm, um die Ikonographie und die stilistischen Entwicklungen beschreiben zu können. Seit den 1970ern näherten sich durch interdisziplinäres Arbeiten die beiden Fachrichtungen an, sodass „[d]ie Lücke zwischen Wort und Bild, zwischen Idee und Denkmal […] zum größten Teil geschlossen“22 wurde.23 Denkmäler sind dementsprechend nicht nur als Kunstwerke, sondern auch als historische Quellen zu würdigen, da sie Aufschluss über das Kunstverständnis und das öffentliche Geschichtsbild ihrer Entstehungszeit geben. Zudem bieten sie „einen Zugang zu Konstruktionsprozessen wie -bedingungen von Erinnerungsräu-

16 Assmann: Unbehagen, 205. 17 Vgl. Erll: Gedächtnis, 6. 18 Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 42009, 15. 19 Assmann: Erinnerungsräume, 15. 20 Roowaan, Ries: Nationaldenkmäler zwischen Geschichte und Kunstgeschichte, in: AKuG 78 (1996) 2, 454. 21 Vgl.  Nipperdey, Thomas: Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19.  Jahrhundert, in: HZ 206 (1968), 529–585. 22 Roowaan: Nationaldenkmäler, 465–466. 23 Zur Denkmalforschung vgl. Roowaan: Nationaldenkmäler, 453–466; vgl. Alings, Reinhard: Monument und Nation. Das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal – zum Verhältnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871–1918 (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte 4), Berlin / New York 1996, 47–62.

1.2 Forschungsstand und Quellenlage 

 5

men und dem jeweils dominanten Selbstbild einer Gesellschaft“24. Durch die Denkmäler des 19. Jahrhunderts kann sich dem zeitgenössischen kollektiven Gedächtnis, welches im öffentlichen Raum durch die dominierenden gesellschaftlichen Gruppen konserviert wurde, angenähert und Rückschlüsse auf die Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts gezogen werden.

1.2 Forschungsstand und Quellenlage Dass insbesondere die Monumente des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Gegenstand der Denkmalforschung wurden, liegt daran, dass in jenem Jahrhundert die Anzahl der Denkmäler rasant zunahm. Hierzu trug auch die in Erz gegossene oder in Stein gemeißelte Erinnerung an Martin Luther bei. Dennoch sind im Hinblick auf die Lutherstandbilder bisher Forschungsfelder offen geblieben, zu denen die vorliegende Arbeit insbesondere im Hinblick auf zwei Aspekte einen Beitrag leisten möchte: Zum einen fehlt bisher eine Gesamtdarstellung zur Entwicklung des Lutherbilds im Spiegel von Denkmälern im 19. Jahrhundert und zum anderen wurde die historische Kontextualisierung der Lutherdenkmäler in der Forschungsliteratur bislang wenig beziehungsweise häufig nur in Bezug auf einzelne Standbilder berücksichtigt. Um diesen beiden Anliegen gerecht zu werden und neue Erkenntnisse gewinnen zu können, wird einerseits an vorherige Forschungsarbeiten angeknüpft und andererseits umfangreiches Quellenmaterial zur Planung, Gestaltung und Einweihung der einzelnen Lutherdenkmäler in die Untersuchung einbezogen. Grundlegend und hilfreich für den Überblick über die Anzahl und geographische Verteilung der Lutherdenkmäler ist die detaillierte Zusammenschau von Otto Kammer zu den Reformationsdenkmälern des 19. und 20. Jahrhunderts.25 Bei dieser Publikation handelt es sich um eine Bestandsaufnahme, die sich durch die Auflistung und Beschreibung der Standbilder auszeichnet. Bedingt durch den deskriptiven Ansatz bleiben eine Deutung des Lutherbilds und eine Einordnung in den geschichtlichen Horizont offen. Neben diesem nahezu vollständigen Katalog ist die Dissertation von Christiane Theiselmann zum Wormser Lutherdenkmal zu nennen.26 Diese besitzt ein 24 Binder, Beate: Art. Denkmal, in: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon (2001), 118. 25 Vgl.  Kammer, Otto: Reformationsdenkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts: Eine Bestandsaufnahme, Leipzig 2004. 26 Vgl. Theiselmann, Christiane: Das Lutherdenkmal Ernst Rietschels im Rahmen der Lutherrezeption des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 1992.

6 

 1 Einleitung

Alleinstellungsmerkmal, da sie die bislang einzige Monographie zu einem einzelnen Lutherstandbild ist. Im Fokus stehen die Entstehungsgeschichte und die ausführliche ikonographische Beschreibung des Denkmals, was sich durch den kunsthistorischen Hintergrund der Verfasserin erklären lässt. Der Schwerpunkt liegt demnach nicht auf der Einweihungsfeier, der Rezeption der Wormser Statue, oder der Deutung des Wormser Lutherbilds im Kontext des 19. Jahrhunderts. Neben diesen beiden Monographien sind die Beiträge von Sebastian Kranich, Christan Tümpel und Wilhelm Weber weiterführend, die sich neben dem frühen Lutherdenkmalprojekt in Wittenberg auf die Standbilder anlässlich des 400. Lutherjubiläums konzentrieren.27 Dabei fällt auf, dass die Lutherdenkmäler, die um die Jahrhundertwende errichtet wurden, noch kaum Beachtung fanden. Ein weiterer Fokus der bisherigen Forschungsliteratur liegt bei Aufsätzen, die die Entstehung einzelner Denkmäler in den Blick nehmen, da diese aus regionalgeschichtlicher Perspektive von Interesse sind. Dabei handelt es sich häufig um Standbilder, die in mit Luthers Leben und Wirken in engem Zusammenhang stehenden Städten errichtet wurden.28 Zusätzlich ist die Sekundärliteratur, die sich generell mit der Lutherrezeption des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, zu nennen, da diese einen Vergleich des im Denkmal dargestellten Lutherbilds mit weiteren zeitgenössischen Interpretationen des Reformators ermöglicht. Dabei ist nicht nur an andere Erinnerungsorte, wie Gedenkstätten, oder Medien, wie die Historienmalerei, sondern auch an die Feiern der Reformations- und Lutherjubiläen zu denken.29

27 Vgl. Kranich, Sebastian: Bekenner oder Eiferer? Martin Luther auf dem Sockel – 1883, in: Soboth, Christian / Müller-Bahlker, Thomas (Hg.): Reformation und Generalreformation – Luther und der Pietismus, Halle 2012, 225–239; vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 227–247; vgl. Weber, Wilhelm: Luther-Denkmäler – Frühe Projekte und Verwirklichungen, in: Mittig, Hans-Ernst / Plagemann, Volker (Hg.): Denkmäler im 19. Jahrhundert: Deutung und Kritik (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 20), München 1972, 183–215. 28 Beispielhaft sei hier verwiesen auf Steffens, Martin: ‚Dem wahrhaft großen Dr. Martin Luther ein Ehrendenkmal zu errichten‘ – Zwei Denkmalprojekte im Mansfelder Land (1801–1821 und 1869–1883), in: Knape, Rosemarie / Treu, Martin (Hg.): Preußische Lutherverehrung im Mansfelder Land (Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 8), Leipzig 2002, 113–184. 29 Vgl.  Steffens, Martin: Luthergedenkstätten im 19.  Jahrhundert: Memoria – Repräsentation – Denkmalpflege, Regensburg 2008; vgl. Holsing, Henrike: Luther – Gottesmann und Nationalheld. Sein Image in der deutschen Historienmalerei des 19.  Jahrhunderts, 2004 (Köln / https://kups. ub.uni-koeln.de/2132/); vgl. Lorentzen, Tim: 19. Jahrhundert. Nationale, konfessionelle und touristische Erinnerungskulturen, in: Nieden, Marcel (Hg.): Ketzer, Held und Prediger. Martin Luther im Gedächtnis der Deutschen, Darmstadt 2017, 118–169, 229–231; vgl. Lehmann, Hartmut: Luthergedächtnis 1817 bis 2017, Göttingen 2012, 59–77; vgl. Wendebourg, Dorothea: Die Reformationsjubiläen des 19. Jahrhunderts, in: ZThK 108 (2011), 270–335.

1.3 Zielsetzung und Aufbau 

 7

Neben diesen Vorarbeiten bildet das jeweilige Denkmal als historische Quelle selbst den Ausgangspunkt. Die meisten Standbilder können auch heute noch vor Ort besichtigt und im Detail betrachtet werden. Wo dies aufgrund von Zerstörung beziehungsweise Einschmelzung nicht mehr möglich ist, helfen historische Fotografien weiter. Zudem lässt sich in den jeweiligen Stadt- und Staatsarchiven sowie in kirchlichen Archiven unterschiedliches Quellenmaterial finden. Dieses reicht von Protokollen der Sitzungen des Denkmalkomitees und Spendenaufrufen, über offizielle Schreiben an die Regierung bezüglich der Planung, Finanzierung und Ausgestaltung des Standbilds, bis hin zu Diskussionen der Denkmalentwürfe und des Standorts. Ergänzt werden diese Archivalien durch die im Anschluss an die Enthüllungsfeier veröffentlichten Festreden. Durch diese vielfältigen Quellen kann die Entstehung, Darstellung und Deutung der jeweiligen Denkmäler erarbeitet werden, um diese dann mit Hilfe der Sekundärliteratur in den jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext einordnen zu können.

1.3 Zielsetzung und Aufbau Die Standbilder des Reformators, die zwischen 1817 und 1917 errichtet wurden, sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Die Zeitspanne wird einerseits abgegrenzt durch das 300. und das 400. Reformationsjubiläum und andererseits bilden diese beiden Jahre Zäsuren im Hinblick auf die Lutherdenkmalerrichtungen. So wurde 1817 in Wittenberg der Grundstein für das erste Lutherdenkmal gelegt und die 1917 errichteten Monumente markieren einen gewissen Schlusspunkt, da im Verlauf des 20. Jahrhunderts nur noch sehr vereinzelt Lutherstandbilder verwirklicht wurden.30 Das zentrale Anliegen der Untersuchung ist es, herauszuarbeiten, wie Luther zwischen 1817 und 1917 im Medium Denkmal erinnert wurde. Im Fokus der Denkmalerrichtungen stand in erster Linie nicht der historische Luther des 16. Jahrhunderts, sondern es wurde vielmehr die Situation des 19.  Jahrhunderts auf Luther projiziert und vergegenwärtigt. Demnach ist danach zu fragen, welche Ereignisse aus Luthers Leben wie und warum erinnert und aktualisiert wurden. Wie zeigt sich dies in den jeweiligen Denkmälern und gibt es dabei Veränderungen oder auch gleichbleibende Aspekte in der Darstellung? Mit der Frage nach der Denkmalgestaltung, den Initiatoren der Standbilder, dem Aufstellungsort und der Einweihungs-

30 Zum dieser Arbeit zugrunde liegenden Denkmalbegriff vgl. die Abschnitte 2.4.1 und 3.1.

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 1 Einleitung

feier verbindet sich sodann die Frage, wie die zeitgeschichtlichen Begebenheiten die Denkmalerrichtungen des Reformators beeinflussten. Um Aussagen über die Entwicklung des Lutherdenkmals und das in ihm mitschwingende Bild des Reformators treffen zu können, müssen die zeitgeschichtlichen Voraussetzungen, in der das Standbild geplant, errichtet und eingeweiht wurde, bekannt sein. Zur Kontextualisierung wird daher ein allgemeiner Teil zu den Bereichen Politik, Gesellschaft und Kirche an den Anfang der Arbeit gestellt. Es besteht das Ziel, die wichtigsten Aspekte darzulegen, sodass die Lutherstandbilder in den geschichtlichen Rahmen ihrer Entstehungszeit eingebettet werden können. Hierzu gehört es auch das Medium Denkmal und dessen Wandel im 19. Jahrhundert mit einzubeziehen, sowie das Standbild zu den zuvor benannten Themenbereichen Nationalismus und Bürgertum in Beziehung zu setzen. Dem Hauptteil der Arbeit werden sodann eine Definition des Lutherdenkmals und ein Überblick über die Anzahl der Denkmäler und ihre geographische Verbreitung vorangestellt. Zudem werden Leitfragen zur Analyse formuliert, die eine Auswertung des Lutherbilds und die Beschreibung von Entwicklungslinien unterstützen. Die dann folgende Untersuchung der Denkmäler des Reformators umfasst sowohl die Beschreibung der Standbilder als auch, wo es aufgrund der Quellenlage möglich ist, die Planungsphase, vorausgehende Entwürfe und die Einweihungsfeiern. In die Ausführungen wird zudem der zuvor erarbeitete profan-, kirchen- und kunsthistorische Kontext einbezogen, sodass für die einzelnen Denkmäler ein spezifisches Lutherbild identifiziert wird. Da im Zeitraum zwischen 1817 und 1917 zahlreiche Standbilder des Reformators errichtet wurden, erscheint es als sinnvoll, die Lutherdenkmäler in vier aufeinanderfolgende sich zum Teil zeitlich überschneidende Phasen einzuteilen. Die Phaseneinteilung wird beeinflusst von zeitlichen Ereignissen, wie den Reformations- und Lutherjubiläen, sowie von besonderen gestalterischen und lokalen Aspekten der Lutherdenkmäler. Am Ende der jeweiligen Denkmalphasen werden charakteristische Entwicklungslinien wiedergegeben. Die Ergebnisse werden abschließend in Bezug auf das daraus resultierende Lutherbild zusammengefasst, um Aussagen über den erinnerungskulturellen Umgang mit dem Reformator im Denkmal treffen zu können. Hierbei wird erneut der Bogen zum Beginn der Arbeit gespannt, indem auf den historischen Kontext und das Medium Denkmal Bezug genommen und die Lutherrezeption hinsichtlich politischer, gesellschaftlicher, protestantischer Aspekte ausgewertet wird.

2 Das lange 19. Jahrhundert im Zeichen des politischen, gesellschaftlichen und kirchlich-theologischen Wandels In der Geschichtsforschung hat sich, wenn auch nicht kritiklos, der von Eric Hobsbawm geprägte Begriff vom langen 19.  Jahrhundert etabliert, welches meist die Zeitspanne zwischen 1789, dem Beginn der Französischen Revolution, und dem Beginn oder auch dem Ende des Ersten Weltkriegs umfasst.1 Dieser Begriffsbestimmung soll sich im Rahmen dieser Arbeit angeschlossen werden, da ersichtlich werden wird, dass für die Entwicklung der Lutherdenkmäler nicht das Jahr 1900, sondern das Reformationsjubiläum 1917 als Zäsur zu sehen ist.2 Des Weiteren lassen sich in der Forschungsliteratur verschiedene Unterteilungen dieses Jahrhunderts finden: So unterteilt Thomas Nipperdey3 seine Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts in die Zeit von 1800 bis 1866, das heißt er spannt den Bogen von Napoleon und den Befreiungskriegen bis zum preußisch-österreichischen Krieg, und von der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918. Hans-Ulrich Wehler4 hingegen setzt in seiner fünfbändigen Deutschen Gesellschaftsgeschichte mit dem Wiener Kongress im Jahr 1815 eine erste und im Jahr der bürgerlichen Revolutionen 1845/49 eine zweite Zäsur und beendet das lange Jahrhundert mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs. In seiner kirchengeschichtlichen Darstellung zum 19. Jahrhundert sieht Leif Grane5 wiederum eine Dreiteilung vor, sodass die Jahre 1789 bis 1830/35, 1830/35 bis 1870 und 1870 bis 1914 zusammengefasst werden.

1 Vgl. Hobsbawm, Eric J.: Das lange 19. Jahrhundert. Bd. 1–3, Frankfurt/Main 1977–1989; vgl. Kocka, Jürgen: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft (HDtG 13), Stuttgart 10 2004, 34. 2 Für 1917 als Jahr der Zäsur plädiert auch Franz J. Bauer, da durch den Kriegseintritt der USA der Große Krieg tatsächlich zum Weltkrieg wurde und mit der Revolution in Russland der Beginn der Sowjetunion zu sehen ist. Vgl. Bauer, Franz J.: Das ‚lange‘ 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche, Ditzingen 52021, 7–19; Eine andere Abgrenzung des langen 19. Jahrhunderts, nämlich ausgehend vom amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs findet sich bei Hellfeld, Matthias von: Das lange 19. Jahrhundert. Zwischen Revolution und Krieg 1776–1914, Bonn 2015, 11–18. 3 Vgl.  Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866 (Beck’sche Reihe), München 2013; vgl. ders.: Deutsche Geschichte 1866–1918 (Beck’sche Reihe), Bd. 1–2, München 2013. 4 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1–4 (Studienausgabe), München 2008. 5 Vgl. Grane, Leif: Die Kirche im 19. Jahrhundert. Europäische Perspektiven (übers. v. Monika Wesemann), Göttingen 1987. https://doi.org/10.1515/9783111054391-002

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Diese Beispiele veranschaulichen, dass sich keine einheitliche Einteilung des Langen 19.  Jahrhunderts durchgesetzt hat, sondern vielmehr die verschiedenen Ansätze ihre jeweils eigene Berechtigung haben und spezifische Interessen verfolgen. Die nun folgende Darstellung der politischen Ereignisse und der Entwicklung des deutschen Nationalismus verbindet die genannten Gliederungen und unterteilt diese in vier Zeitspannen. Dies korrespondiert mit der Einteilung der Lutherdenkmäler in ebenfalls vier Phasen, was eine Einbeziehung der zeitgeschichtlichen Ereignisse in die Deutung der Standbilder erleichtert. Für die gesellschaftlichen, kirchlichen und denkmalgeschichtlichen Entwicklungen im langen 19. Jahrhundert bietet sich statt einer chronologischen eine thematische Unterteilung an, um die für die Errichtung von Lutherdenkmälern wichtigen Themen herauszuarbeiten.

2.1 Die Nationalisierung Deutschlands 2.1.1 Der Weg zur deutschen Nation (1806–1870) Am 17. und 18.  Oktober 1817 wurde auf der Wartburg das 300. Reformationsjubiläum sowie der vierte Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig gefeiert. Durch das sogenannte Wartburgfest entstand an dem Ort, an dem Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt hatte, eine enge Verknüpfung zwischen politischer und protestantischer Erinnerung. Zugleich wurde es zu einem zentralen Ereignis der frühen „nationalen und liberalen Bewegung“6 in Deutschland.7 Die Anfänge des liberalen Nationalismus über das Wartburgfest von 1817 bis hin zur Gründung des deutschen Bundes 1866 und die politischen Rahmenbedingungen der Reichsgründung stehen im Folgenden im Vordergrund und umfassen den Zeitraum zwischen der Planung des Wittenberger und der Einweihung des Wormser Lutherdenkmals. 2.1.1.1 Das nationale Erwachen Mit der Völkerschlacht bei Leipzig Mitte Oktober 1813 gelang es Preußen unter der Führung von König Friedrich Wilhelm III. zusammen mit Russland den französischen Kaiser Napoleon Bonaparte entscheidend zu besiegen und zum Rückzug zu zwingen.

6 Vgl.  Hahn, Hans-Werner / Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806– 1848/49 (HDtG 14), Stuttgart 102010, 126. 7 Vgl. Hahn / Berding: Reformen, 125–127.

2.1 Die Nationalisierung Deutschlands 

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Napoleon hatte zuvor durch zahlreiche Feldzüge und Gebietserweiterungen die Anfangsjahre des 19. Jahrhunderts in Europa bestimmt und die deutsche Geschichte entscheidend mitgeprägt. Zentral ist in diesem Kontext das Jahr 1806, welches das Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation markierte. Bereits zuvor hatten einzelne Territorien, allen voran Preußen und Österreich, durch ihr Streben nach Selbständigkeit den politischen Zusammenhalt im Reich geschwächt. Als dann die süddeutschen Staaten von Napoleon zum sogenannten Rheinbund unter französischem Protektorat zusammengeschlossen worden waren und Kaiser Franz II. im August 1806 auf Drängen Napoleons die Krone niedergelegt hatte, endete das fast tausend Jahre alte Heilige Römische Reich deutscher Nation. Dies hatte zur Folge, dass „dieses Reich aus der Wirklichkeit in die Welt von Traum und Symbol versetzt [wurde und] […] der Traum vom ‚Reich‘ […] seither in der Geschichte der Deutschen eine ungeheure Dynamik entfaltet“8 hatte. Nach 1806 wurde diese Erinnerung vor allem von der Bevölkerung geprägt, indem im Volk ein neues Nationalbewusstsein erwachte.9 Dieses wurde durch Veröffentlichungen von protestantischen Gebildeten wie Johann Gottlieb Fichte durch seine Reden an die deutsche Nation aber auch von Johann Gottfried Herder oder Ernst Moritz Arndt befördert. Ihre Publikationen trugen dazu bei, dass nun nicht mehr die Religion, sondern die Nation als Letztwert angesehen wurde und sich „Nation und Nationalstaat zum obersten handlungsleitenden Wert in der Gesellschaft“10 entwickelte.11 Ein Zusammengehörigkeitsgefühl wurde zudem durch die „gemeinsame Sprache und Geschichte, [sowie durch] die Sitten und Gebräuche des Volkes“12 gestiftet, wobei insbesondere die deutsche Sprache als verbindendes, „unsichtbare[s] Band“13 galt. In diesem Kontext wurde Luther überkonfessionell als Begründer der deutschen Sprache angesehen, was auch bei den Denkmalsetzungen zu einem wichtigen Aspekt der Würdigung Luthers wurde. Zusätzlich sollte durch ein gemeinsames Feindbild eine einheitliche Identität entstehen, indem seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts der Franzose als der deut-

8 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat (Beck’sche Reihe), München 2013, 14. 9 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 13–14, 83; vgl. Hahn / Berding: Reformen, 36, 49–50. 10 Langewiesche, Dieter: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, 17. 11 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 30. 12 Hahn / Berding: Reformen, 117. 13 Schmidt, Georg: Die frühneuzeitliche Idee ‚deutsche Nation‘: Mehrkonfessionalität und säkulare Werte, in: Haupt, Heinz-Gerhard / Langewiesche, Dieter (Hg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt/Main 2001, 49.

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sche Feind galt.14 Diese Ansicht wurde insbesondere von den patriotischen Gegnern Napoleons vertreten, deren „Wille zur Unabhängigkeit des eigenen Landes“15 und ihrem nicht mehr partikularen, sondern gesamtdeutschen Verständnis in einem Widerstand gegen Napoleon mündeten. In diesem Zuge etablierte sich zudem eine „Vergöttlichung der deutschen Nation“16 und die Niederlage Napoleons wurde „im biblischen Sinne als ‚Errettung‘ des deutschen Volkes aus der Leidenszeit der französischen Fremdherrschaft“17 herbeigesehnt. Dementsprechend waren es auch diese patriotischen Gruppen, die 1813 den zurückhaltenden und auf diplomatische Abwägung bedachten preußischen König „auf die Bahn des patriotischen Befreiungskampfes“18 drängten. So erging am 17. März 1813, einen Tag nach der preußischen Kriegserklärung an Frankreich, der Aufruf des preußischen Königs „An mein Volk“. Hierin erinnerte er zunächst „an die früheren Kämpfe unterdrückter Völker für ihre Befreiung“19 und wies sodann darauf hin, dass zwar „[g]roße Opfer […] von allen Ständen gefordert“20, aber diese doch „lieber […] für das Vaterland, für Euern angeborenen König, als für einen fremden Herrscher“21 dargebracht werden würden. Deshalb stünde nun der „entscheidende […] Kampf um die Unabhängigkeit“22 bevor. Das Neue an diesem Aufruf des preußischen Königs war, dass er sich direkt an das Volk wandte. In der deutschen Geschichtsschreibung setzte sich das Bild von den Befreiungskriegen als nationale Volkserhebung durch. Dies war unter anderem bedingt durch die Interpretation der bereits genannten Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813, welche einen Rückzug der französischen Truppen aus den deutschen Gebieten bedeutete. Denn bereits am ersten Jahrestag der Völkerschlacht im Oktober 1814 wurde der Sieg über Napoleon als „Nationalfest der Teutschen“23 gefeiert, um „die nationale Verbrüderung und Integration“24 zu fördern. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass der Krieg gegen Frankreich als gemeinsames Kämpfen von Fürsten

14 Vgl. Schmidt: Idee, 44–50. 15 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 29. 16 Schmidt: Idee, 63. 17 Schmidt: Idee, 65. 18 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 83. 19 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 83. 20 Proclamationen Sr. Maj. des Königs von Preußen, oder Aufruf an das Volk und an das Heer, in: Meyer, Philipp Anton Guido (Hg.): Corpus Juris Confoederationis Germanicae oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes. Teil 1: Staatsverträge, Frankfurt/Main 3 1858, 148. 21 Proclamation, 148. 22 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 83. 23 Hahn / Berding: Reformen, 122 [Hervorhebung im Original]. 24 Hahn / Berding: Reformen, 122.

2.1 Die Nationalisierung Deutschlands 

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und Volk betrachtet wurde, was auf die noch nicht zerrüttete Beziehung zwischen der Nationalbewegung und den deutschen Fürsten hinweist. Dies änderte sich im Verlauf der folgenden Jahre und erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt am 4. Jahrestag der Völkerschlacht im Jahr 1817 beim Wartburgfest. Dieses war der definitive Bruch zwischen den deutschen Patrioten mit dem Deutschen Bund. Auch die Planungszeit des Wittenberger Lutherstandbilds gibt Aufschluss über das sich verändernde Verhältnis zwischen Bürgertum und politischer Obrigkeit.25 Nach dem endgültigen Sieg über Napoleon in der Schlacht bei Waterloo am 18.  Juni 1815 und dessen Verbannung auf St. Helena war es Aufgabe der Siegermächte, zum einen die Balance der europäischen Mächte wiederherzustellen und zum anderen musste „die politische Landkarte Deutschlands erneuert werden“26. Hierzu versammelten sich die politischen Verantwortlichen unter der Führung des österreichischen Fürsten von Metternich zum Wiener Kongress. Für Preußen hatte der Wiener Kongress eine „Ost-West-Verschiebung“27 der geographischen Lage zur Folge, da Russland polnische Gebiete forderte. So wurde nicht nur das Mansfelder Land, das ab 1806 zu Westphalen gehört hatte, sondern auch die Hälfte des Königreichs Sachsen, darunter die Stadt Wittenberg, Preußen zugesprochen.28 Diese territorialen Veränderungen wirkten sich auch auf den Standort der ersten Lutherdenkmalerrichtung aus. 2.1.1.2 Der deutsche Nationalismus vom Intellektennationalismus zum Massenphänomen Der Deutsche Bund resultierte aus dem Wiener Kongress und bildete den staatlichen Organisationsrahmen bis 1866. Das Charakteristische dieses Zusammenschlusses war, dass er „nicht mehr als ein loser Staatenbund ohne gemeinsames Oberhaupt“29 war und lediglich die Bundesversammlung in Frankfurt am Main als gemeinsames Organ hatte. Durch den österreichischen Vorsitz sollte verhindert werden, dass „der Deutsche Bund nicht überraschend zu einem nationalstaatlichen Zusammenschluß Deutschlands“30 werden würde, da sich dies negativ auf den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn ausgewirkt hätte.31 25 Vgl. Hahn / Berding: Reformen, 122–127. 26 Hahn / Berding: Reformen, 102. 27 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 90. 28 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 89–91; vgl. Krenzlin, Ulrike: Unter dem ‚geringen Schirm des Doctorhuthes‘. Das Lutherdenkmal in Wittenberg. Ein vaterländisches Denkmal, in: Oehmig, Stefan (Hg.): 700 Jahre Wittenberg: Stadt – Universität – Reformation, Weimar 1995, 392, 396. 29 Görtemaker, Manfred: Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien, Opladen 51996, 76. 30 Görtemaker: Deutschland, 76. 31 Vgl. Görtemaker: Deutschland, 75–78.

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Diese deutsche Föderation hatte zur Folge, dass sich das ohnehin bestehende konkurrierende Nebeneinander zwischen einzelstaatlichem Lokalpatriotismus und gesamtdeutschem Nationalismus weiter verstärkte. Die „junge Nationalbewegung stand in Opposition zu den Staatsbildungsprozessen in den Einzelstaaten“32, da diese scheinbar die deutsche Einheit behinderten. Hierbei lassen sich im europäischen Vergleich Unterschiede zum französischen oder englischen Nationalismus feststellen, da sich dort „der dynastische Nationalstaat […], der die Staatsnation umfaßte“33, durchgesetzt hatte. Durch den Deutschen Bund gefördert, fühlte sich die Bevölkerung zwar zur deutschen Nation zugehörig, „ihre Orientierungen und Bindungen galten jedoch stärker der Region“34, in der sie lebten. Diese Strömung, die auf die Vielstaatlichkeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zurückging und auch nach der Reichsgründung von 1871 noch bestehen blieb, wird auch als föderativer Nationalismus bezeichnet. Das bedeutet, dass der Prozess zur Entstehung der Nation stets auf zwei verschiedenen Stufen verlief, nämlich auf partikularstaatlicher und auf gesamtdeutscher Ebene. So hatten „Deutsche […] eine ‚zweifache Nationalität‘“35, was sich auch in der Darstellung der Nation in Denkmälern widerspiegelte, da diese häufig „in ‚regionalen Beziehungen und Loyalitäten‘ verankert“36 blieben. Es zeigt sich zudem bei vielen Lutherstandbildern, dass die nationale neben die lokale Erinnerung an den Reformator tritt. Neben dem Lokalpatriotismus war in der deutschen Nationalbewegung das Streben hin zur deutschen Einheit zentral. Hier galten die deutsche Sprache und die gemeinsame Kultur und Geschichte als verbindende Elemente. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war dieser Teil der Nationalbewegung lediglich auf „eine kleine intellektuelle Minderheit“37 begrenzt, weshalb dieser auch als „Intellektennationalismus“38 bezeichnet wird. Das Spezifische dieser Strömung war, dass sie zwar zum einen die deutsche Nation als Ziel hatte, diese allerdings nicht als Endziel betrach-

32 Vogel, Barbara: Vom linken zum rechten Nationalismus. Bemerkungen zu einer Forschungskontroverse, in: Wendt, Bernd Jürgen (Hg.): Vom schwierigen Zusammenwachsen der Deutschen. Nationale Identität und Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1992, 107. 33 Gruner, Wolf Dietrich: Der Deutsche Bund als Band der deutschen Nation 1815–1866, in: Wendt, Bernd Jürgen (Hg.): Vom schwierigen Zusammenwachsen der Deutschen. Nationale Identität und Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1992, 56. 34 Gruner: Deutsche Bund, 56. 35 Langewiesche: Nation, 57. 36 Langewiesche: Nation, 61. 37 Hahn / Berding: Reformen, 118. 38 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära. 1700–1815, München 2008 (Studienausgabe), 519.

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tete, da ihnen vielmehr die „kulturelle […] Veredelung der gesamten menschlichen Gattung“39 vorschwebte. Mit dieser Zielsetzung ging zugleich ein besonderes Sendungsbewusstsein der Bildungselite einher, was sich beispielsweise bei Fichte äußerte, indem er „nur die Deutschen für fähig [erklärte], das Menschengeschlecht auf die höchste Bildungsstufe“40 heben zu können, wofür er eine „neue Nationalerziehung der Deutschen“41 forderte. Ein Gemeinschaftsgefühl sollte hervorgerufen werden, indem diese neue nationale Idee „durch den Rückgriff auf die tatsächlich oder angeblich gemeinsam durchlebte Geschichte“42 postuliert wurde.43 Diese hier anklingenden, auf Bildung basierenden kulturnationalen Bestrebungen verbanden sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit den liberalen Ideen einer Staatsnation. Dementsprechend propagierte das Bürgertum seine „nationalpolitischen und freiheitlichen Ziele auf dem vermeintlich unpolitischen Feld der Kultur“44, was sich in der Errichtung von Denkmälern oder in der Literatur widerspiegelte. Dieser sogenannte Literatennationalismus betrachtete sich bis zu den 1830er und 1840er Jahren „ganz unreflektiert und unverhohlen […] als den Kern der Nation“45 und entwickelte sich erst in Folge der Revolutionen „von einer Elitenbewegung zu einer Massenbewegung“46. In das öffentliche Bewusstsein hielt der Nationalismus Einzug „über das Vereinswesen, durch Hunderttausende von Turnern und Sängern, durch […] ‚Nationalfeste‘ und Denkmäler“47, sodass sich „die soziale Basis der Nationalbewegung – im Zuge der allgemeinen Politisierung und Mobilisierung“48 weitete.49 Das zeigte sich daran, dass Lutherdenkmaleinweihungen, beispielsweise in Möhra und Worms, großen Zulauf hatten und nicht nur bei diesen Festlichkeiten die Forderung nach einem deutschen Einheitsstaat lauter wurden.

39 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, 518. 40 Hahn / Berding: Reformen, 120. 41 Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation (1808), in: ders. (Hg.) Sämtliche Werke, Bd. 7, 3. Abteilung. Populärphilosophische Schriften, II. Zur Politik, Moral und Philosophie, Berlin 1965, 396. Vgl. dazu auch Fichtes 10. Rede, in: Fichte: Reden, 411–427. 42 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, 510. 43 Vgl. Langewiesche: Nation, 55–58; vgl. Hahn / Berding: Reformen, 115. 44 Hahn / Berding: Reformen, 472. 45 Vogel: Nationalismus, 105. 46 Gruner: Deutsche Bund, 56. 47 Wehler, Hans-Ulrich: Wie ‚bürgerlich‘ war das Deutsche Kaiserreich?, in: Kocka, Jürgen (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, 270. 48 Vogel: Nationalismus, 105. 49 Vgl. Hahn / Berding: Reformen, 467–474; Düding, Dieter: Deutsche Nationalfeste im 19. Jahrhundert. Erscheinungsbild und politische Funktion, in: AKuG 69 (1987) 2, 378–379.

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Die Unterscheidung zwischen Lokalpatriotismus und gesamtdeutschem Nationalismus macht die Vielschichtigkeit der deutschen Nationalbewegung deutlich, die als eine einheitliche Gruppe so nicht existierte, sondern vielmehr verschiedene Strömungen mit unterschiedlichen Interessen umfasste. 2.1.1.3 Die Vorbedingungen für die Reichsgründung Nach den Unruhen in den 1830er Jahren kam es in Folge der französischen Julirevolution zur „großen deutschen Revolution von 1848/49“50, welche zunächst in deutschen Einzelstaaten begann und sich von dort ausbreitete. Hauptziele waren die „nationale Einheit und Freiheit“51, aber auch die Demokratisierung durch Einführung eines deutschen Nationalparlaments. Der Entstehungskontext des einzigen in diesem Zeitraum geplanten Lutherdenkmals in dem kleinen Ort Möhra spiegelt diese turbulente Zeit der deutschen Geschichte wider. Die demokratisierenden Bestrebungen scheiterten allerdings schließlich, da durch eine Verordnung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. die zwischenzeitlich eingeführte und vom Liberalismus geprägte Reichsverfassung zurückgenommen wurde. Stattdessen folgten in den 1850er Jahren innerhalb des Deutschen Bundes diverse Maßnahmen zur Unterdrückung von politischen Organisationen, sodass die freie politische Meinungsäußerung insbesondere von liberaler Seite eingeschränkt wurde.52 Gleichzeitig kristallisierte sich immer mehr der Weg zum kleindeutschen Nationalstaat heraus. Dies war einerseits durch die österreichische Politik bedingt, die auf „Stabilität und […] Reformverweigerung“53 setzte und andererseits hatte es kulturelle und konfessionelle Gründe. Die „an politischem Gewicht gewinnende nationale Bewegung der sechziger Jahre war im Kern eine protestantische Bewegung“54 und strebte einen kleindeutschen Staat an, da dieser durch das protestantische Preußen überwiegend evangelisch sein würde. Die Katholiken hingegen präferierten aus den genau entgegengesetzten Gründen eine großdeutsche Lösung. Zusätzlich war Österreich ein Vielvölkerstaat, in welchem große Teile nicht Deutsch sprachen. Auch dies sprach nach Meinung der Befürwortenden des kleindeutschen Staates gegen einen großdeutschen Staat, da die gemeinsame Sprache als einheitsstiftendes Element des Nationalismus galt. 50 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 595. 51 Görtemaker: Deutschland, 103. 52 Vgl. Görtemaker: Deutschland, 129–132, 139; vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 595–596, 600; vgl.  Lenger, Friedrich: Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung (1849–1870er Jahre) (HDtG 15), Stuttgart 102005, 257–258. 53 Langewiesche: Nation, 180. 54 Langewiesche: Nation, 188.

2.1 Die Nationalisierung Deutschlands 

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Diese Spannungen zwischen klein- und großdeutschen Strömungen der Nationalbewegung ließen sich auch regional verorten, denn in Norddeutschland war die nationale Idee auf Preußen hin orientiert, südlich des Mains hingegen färbte sich diese antipreußisch. Aus diesem Zusammenhang heraus lässt sich auch erklären, dass 1866 im deutsch-deutschen Krieg noch „alle großen deutschen Staaten militärisch“55 auf Seiten Österreichs standen. Einer dieser österreichischen Verbündeten war Hessen-Darmstadt, in dessen Gebiet die Stadt Worms lag, wo zu dieser Zeit das große Lutherdenkmal ausgeführt wurde. Das Ergebnis des deutsch-deutschen Kriegs war in zweierlei Hinsicht bedeutend: Die österreichische Niederlage in der Schlacht bei Königgrätz und der Friedensvertrag von Prag besiegelte das Ende des Deutschen Bundes. Das hatte zur Folge, dass Österreich die preußische Vormachtstellung nördlich des Mains im Jahr 1867 neugegründeten Norddeutschen Bund anerkennen musste. Zudem näherten sich die souverän gebliebenen süddeutschen Staaten Preußen an. Somit rückte ein großdeutscher Nationalstaat in weite Ferne und das Ergebnis der Reichseinigung war faktisch bereits vorweggenommen.56 Das spiegelt das Wormser Lutherfest 1868 auf beeindruckende Weise wider. Politisch hatten die Ereignisse des Jahres 1866 eine starke Annäherung Bismarcks an die liberale Nationalbewegung zur Folge. Allerdings folgten dieser enger werdenden Beziehung nicht alle Liberalen, sodass eine Aufspaltung in eine linksliberale und eine nationalliberale Gruppe die Folge war. Allein die Nationalliberalen vertraten die Meinung, dass das Ziel, die Einheit und Freiheit Deutschlands, nur durch Bismarck zu erreichen wäre, weswegen sie erstmals nicht mehr in Opposition zur Regierung standen. Das bedeutete allerdings auch, dass sie Kompromisse eingehen mussten, um ihr Ziel, den deutschen Nationalstaat, zu erreichen. Daher ordneten sie den Willen zur Einheit dem der Freiheit über. Die Nation blieb „das dominierende Prinzip der Zeit“57, sodass sich mit Bismarcks Politikwandel auch der Nationalismus änderte und noch vor 1871 teilweise von „einer Oppositionsideologie zu einer Integrationsideologie“58 wurde.59

55 Langewiesche: Nation, 188. 56 Vgl. Vogel: Nationalismus, 107; vgl. Görtemaker: Deutschland, 209, 239–240. 57 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 802. 58 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 802. 59 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 794–795, 800–803; vgl. Görtemaker: Deutschland, 265–266.

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2.1.2 Die Reichsgründung und die Politik Bismarcks (1871–1890) Die beschriebene Verbindung von Liberalismus und der Politik Bismarcks beherrschte auch die Jahre nach der Reichsgründung. Doch zugleich muss festgehalten werden, dass es nicht die Liberalen waren, die die Einheit Deutschlands erzielt hatten, sondern es war maßgeblich der seit 1862 als preußischer Ministerpräsident agierende Otto Bismarck. Das politische Kalkül Bismarcks zeigte sich auch im weiteren Verlauf seiner von 1871 bis 1890 währenden Amtszeit als deutscher Reichskanzler.60 2.1.2.1 Die Reichsgründung als Ziel des deutschen Liberalnationalismus Nachdem 1866 die deutsche Reichsgründung durch den Widerstand Napoleons III. noch gescheitert war, konnte er diese wenige Jahre später nicht mehr verhindern. Am 19.  Juli 1870 erklärte Frankreich Preußen den Krieg. Entscheidend ist, dass sich dieser Krieg von einem preußisch-französischen zu einem deutsch-französischen Krieg entwickelte, da die souveränen Südstaaten nun Preußen unterstützten. Napoleon III. wurde am 1. September 1870 bei Sedan in Gefangenschaft genommen und nachdem am 28. Januar 1871 Paris nach monatelanger Belagerung kapituliert hatte, wurde eine Waffenruhe ausgehandelt. Bereits zehn Tage zuvor, am 18. Januar 1871, als der Krieg gegen Frankreich offiziell noch gar nicht beendet war, fand im Versailler Spiegelsaal ein wichtiges Ereignis der deutschen Geschichte statt, denn der preußische König ließ sich dort von den deutschen Fürsten zum Kaiser krönen.61 Dieses durch die Kaiserproklamation neu gegründete Deutsche Reich konstituierte sich aus einem „Bund von 22 Fürstentümern […] und drei Freien Städten“62. Es handelte sich, wie es sich zuvor angedeutet hatte, um einen kleindeutschen Nationalstaat, also ohne Österreich. Somit stand diese neue Nation unter preußischer Hegemonie, da dort die Hälfte der Bevölkerung lebte und Bismarck zugleich preußischer Ministerpräsident und Reichskanzler war. Mit der Reichsgründung von 1871 hatte der deutsche Liberalnationalismus sein erstrebtes Ziel, die Einheit, erreicht. Dies bedeutete für den Nationalismus, dass die Reichseinheit nicht mehr länger dessen Mittelpunkt ausmachen konnte.

60 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 802–803. 61 Vgl.  Görtemaker: Deutschland, 244–252; vgl.  Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der ‚Deutschen Doppelrevolution‘ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. 1849–1914 (Studienausgabe), München 2008, 939–941. 62 Jung, Martin H.: Der Protestantismus in Deutschland von 1870 bis 1945 (KGE III/5), Leipzig 2002, 41.

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Zudem hatte die Reichsgründung auch Auswirkungen auf das Verhältnis der Konfessionen, denn von nun an hatte das Deutsche Reich „ein politisches Oberhaupt, das bewusst und entschieden protestantisch war“63. Die Protestanten und Protestantinnen, die zwei Drittel der Bevölkerung ausmachten, waren dem Kaisertum gegenüber positiv eingestellt und der Meinung, dass „allein der Protestantismus die Leitkultur der Gesellschaft sein“64 konnte. Hierfür war die Luthererinnerung, insbesondere das Jubiläum 1883 und die damit verbundenen Denkmalsetzungen, ein wichtiges Ventil. Die katholische Minderheit, politisch organisiert in der Zentrumspartei, stand dem kleindeutschen Reich zurückhaltend gegenüber, indem sie die staatlichen Maßnahmen zur Vereinheitlichung ablehnte. Wichtig ist zudem, dass nach der Kaiserproklamation im Versailler Spiegelsaal der eigentliche Prozess der Nationsgründung erst begann. Daher war die Politik Bismarcks in den 1870er Jahren vom Vorantreiben der inneren Reichseinheit und der Stiftung einer gemeinsamen, deutschen Identität geprägt.65 2.1.2.2 Bismarcks Politik der Vereinheitlichung und der Kulturkampf Bismarcks Absicht war es, den zersplitterten Staatskörper auch auf institutioneller Ebene zusammenzuführen, was seine Innenpolitik in den 1870er Jahren prägte. Daneben stellte die Zusammensetzung der Bevölkerung die Regierung vor Herausforderungen, da im Kaiserreich eine Vielzahl nicht-deutschsprachiger Menschen in den polnischen, elsässischen, lothringischen, dänischen und litauischen Gebieten lebte. Durch die verbindliche Festlegung von Deutsch als reichsweite Amts- und Schulsprache sollte die Vereinheitlichung vorangetrieben und eine gemeinsame Identität der Deutschen gefördert werden.66 Die Zentrumspartei engagierte sich für die meist katholischen nationalen Minderheiten und galt zudem aufgrund ihrer starken Bindung an Rom und ihrer ursprünglichen Befürwortung des großdeutschen Nationalstaats als antiliberal, antimodern und antinational. Diese Vorwürfe wurden vor allem von Nationalprotestanten geteilt, sodass der ultramontane Katholizismus als „Krebsgeschwür, das die schönglänzende Braut der deutschen Nation von innen her auffresse“67, bezeichnet wurde.

63 Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 38. 64 Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 38. 65 Vgl. Lenger: Industrielle Revolution, 343. 66 Vgl. Görtemaker: Deutschland, 274–275; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 867, 957. 67 Holzem, Andreas: Katholizismus, europäischer Ultramontanismus und das Erste Vatikanische Konzil, in: Schjørring, Jens Holger / Hjelm, Norman A. (Hg.): Geschichte des globalen Christentums, Bd. 2: 19. Jahrhundert, Stuttgart 2017, 205.

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Bismarck versuchte durch diverse Gesetze im sogenannten Kulturkampf, der bereits ab 1873 von Zeitgenossen als solcher bezeichnet wurde, den politischen Katholizismus als stärkste Oppositionspartei und dessen Einflussnahme auf Staat und Institutionen einzudämmen. Daher wurden im Zeitraum zwischen 1871 und 1875 verschiedene Gesetze erlassen, unter anderem der sogenannte Kanzelparagraph im Jahr 1871, welcher den Missbrauch der Kanzel für politische Zwecke unter Strafe stellte.68 Bismarck musste allerdings feststellen, dass seine innenpolitischen Maßnahmen gegen den Einfluss der katholischen Kirche keinen durchschlagenden Erfolg hatten. Dies führte dazu, dass Bismarck seinen politischen Kurs überdachte. Auch wenn Bismarcks Politik ursprünglich von dem Ziel der inneren Vereinheitlichung des Nationalstaats bestimmt war, führten seine politischen Entscheidungen dazu, dass einzelne Gruppen benachteiligt wurden. Katholiken, nationale Minderheiten und die politische Vertretung der Arbeiterschaft wurden zu Reichsfeinden stilisiert, um durch deren Ausgrenzung ein Zusammengehörigkeitsgefühl im deutschen Reich zu stiften. Erst nach und nach wurden diese integriert, was zum einen mit Bismarcks Politikwechsel 1878 und zum anderen mit der Entwicklung des deutschen Nationalismus zum Reichsnationalismus zusammenhing.69 2.1.2.3 Die innenpolitische Wende 1878 Ab 1878 war ein friedlicherer Kurs gegenüber dem politischen Katholizismus festzustellen, da Papst Pius IX. gestorben war und Bismarck seine Innenpolitik änderte. Statt die Zentrumspartei zu bekämpfen, strebte Bismarck eine Zusammenarbeit mit dieser an. Zu diesem Schritt der Wiederannäherung gehörte in den 1880er Jahren auch die Rücknahme einiger Kulturkampf-Gesetze. Abschließend muss in Bezug auf den Kulturkampf noch festgehalten werden, dass Bismarck zwar die Zentrumspartei in den 1870er Jahren als Reichsfeind stilisiert hatte, die eigentlichen Akteure des Antikatholizismus allerdings schon bald die Nationalliberalen waren. Diese waren der Überzeugung, dass die moderne deutsche Kultur „gegen den Ansturm dieser [ultramontanen] Kräfte der Finsternis verteidigt werden“70 müsste. Die Liberalen sahen im Ultramontanismus zudem 68 Für die preußischen Kulturkampfgesetze und die Auseinandersetzung mit Papst Pius IX. vgl. die Quellensammlung: Huber, Ernst Rudolf / Huber, Wolfgang (Hg.): Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848–1890, Darmstadt 2014, 630–690. 69 Vgl.  Holzem: Katholizismus, 208–210; vgl.  Wallmann, Johannes: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, Stuttgart 62006, 252–255; vgl.  Görtemaker: Deutschland, 279–280; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 900, 946–947. 70 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 899.

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„Gegner der individualistischen, national geprägten Modernität“71 und eine Gefahr für die nationale Identität, die ihrer Meinung nach „auf Homogenität […] [statt] auf Pluralität“72 beruhte. Auch wenn die Politik Bismarcks in den ersten Jahren seit der Reichsgründung durch die Liberalen getragen wurde, war eine Zusammenarbeit zwischen Liberalen und Bismarck aufgrund seiner konservativen Haltung nur begrenzt möglich. Durch anti-liberale wirtschaftliche Entscheidungen und das Scheitern der Zurückdrängung des politischen Katholizismus wurde ein Bruch zwischen Bismarck und den Nationalliberalen schließlich unausweichlich. Dieser manifestierte sich in der Reichstagswahl im Juli 1878, bei der, wie von Bismarck beabsichtigt, die liberalen Parteien verloren und die konservativen Gruppen Zuwachs erhielten, sodass er sich schließlich von den Nationalliberalen ab- und den Konservativen zuwandte. Dementsprechend wurde das Jahr 1878 zwar überspitzt zuweilen als zweite Reichsgründung bezeichnet, allerdings ist die Bedeutung der Politikänderung nicht zu unterschätzen. Die 1880er Jahre waren dementsprechend politisch geprägt von einer Annäherung an die von Bismarck bis Ende der 1870er Jahre als Reichsfeinde abgestempelten Gruppierungen.73 Zeitgleich hatten auf regionaler Ebene die antikatholische Stimmungsmache Bismarcks ihre Nachwirkungen, sodass diese bei den errichteten Lutherdenkmälern eine wesentliche Rolle spielte. 2.1.2.4 Der Wandel vom Liberalnationalismus zum Reichsnationalismus Das Ende der liberalen Politik und Bismarcks Hinwendung zu den Konservativen wirkte sich auch auf den Nationalismus im Kaiserreich aus. Hans-Ulrich Wehler betont, dass der deutsche Nationalismus nach 1871 „eine substantielle Inhaltsveränderung“74 vollzog. Damit wird erneut die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des deutschen Nationalismus, welche bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erkennbar war, deutlich. Entscheidend ist, dass mit der Reichsgründung von 1871 die liberale Nationalbewegung ihr Ziel erreicht hatte und nun zum ersten Mal nicht mehr auf etwas Zukünftiges ausgerichtet war. Infolgedessen musste der Nationalismus inhaltlich neu gefüllt werden. Zusätzlich waren weite Teile des Nationalismus aufgrund des Bündnisses zwischen den Nationalliberalen und Bismarck nach 1871 keine Oppo-

71 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd.  2: Machtstaat vor der Demokratie (Beck’sche Reihe), München 2013, 366. 72 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 366. 73 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 382–386, 414–416; vgl. Görtemaker: Deutschland, 274–275, 280–281, 288–297; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 897–902, 934. 74 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 947.

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sitionsbewegung mehr, die auf Veränderung pochte, sondern sie wurden zu einer „Macht des Bestehenden“75. Parallel zur beschriebenen bismarckschen Politik der Vereinheitlichung entwickelten sich im Nationalismus der 1870er Jahre Vorstellungen von inneren und äußeren Reichsfeinden. Dies äußerte sich in einer verstärkten Frankophobie und der Abgrenzung gegenüber anderen nicht-deutschsprechenden Minderheiten, da diese weder zur Kulturnation noch zur Staatsnation gehörten. Zusätzlich stigmatisierte ein Teil der Nationalisten die jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen als Reichsfeinde und es wurden antisemitische Vereinigungen gegründet. Der frühere Kosmopolitismus und der „Traum von der friedlichen Koexistenz aller Nationen“76, was den deutschen Liberalnationalismus ausgezeichnet hatte, wurde zugunsten einer Exklusion alles Fremden Stück für Stück verdrängt. Dadurch sollten die deutsche Identität, das eigene Selbstbild und das Zusammengehörigkeitsgefühl im Reich gefördert und „eine pluralistische durch eine national vereinheitlichte Gesellschaft“77 ersetzt werden.78 Hiermit ist die entscheidende Entwicklung des deutschen Nationalismus nach 1871 hin zum Reichsnationalismus angedeutet. Wichtig war zugleich der bereits genannte Lokalpatriotismus, der in vielen Gegenden noch stark ausgeprägt war. Diese einzelstaatlich-regionale Identität, die neben dem nationalen Bewusstsein weiterhin im Kaiserreich vorzufinden war, darf im Hinblick auf ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden und zeigte sich insbesondere bei den (Luther-)Denkmalsetzungen in den 1880er Jahren. Zeitgleich gab es Bestrebungen „die Kluft zwischen regionaler und nationaler Zugehörigkeit“79 zu überbrücken, doch erst in der Wilhelminischen Ära, das heißt seit den 1890er Jahren, setzte sich der Reichsnationalismus weitestgehend durch, auch wenn die regionalen Identitäten nicht vollkommen verschwanden.80 In Bezug auf die Konfessionen ist ein ambivalentes Verhalten gegenüber dem Nationalismus nach 1871 festzuhalten. Die bereits genannte skeptische Haltung der an Rom orientierten Katholiken und Katholikinnen gegenüber dem kleindeutschen Nationalstaat führte dazu, dass ihnen immer wieder Illoyalität und Internationalismus vorgeworfen wurde. Der Nationalismus wurde daher insbesondere vom protestantischen Bürgertum getragen. Ziel war es, den Nationalismus zur

75 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 255. 76 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 953. 77 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 954. 78 Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 939, 945–954; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 251, 254–257. 79 Hardtwig, Wolfgang: Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters (KSG 169), Göttingen 2005, 245. 80 Vgl. Hardtwig: Hochkultur, 245, 266–268; vgl. Langewiesche: Nation, 49–54.

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„herrschende[n] Ideologie des deutschen Kaiserreiches“81 zu machen, sodass alle Lebensbereiche von nationalen Gedanken durchzogen wären. Zu dieser wahrhaft „‚deutschen‘ Gesellschaft“82 gehörte neben der Politik auch der Bereich der Schule und der Wissenschaft, insbesondere die Fachbereiche Geschichte, Germanistik und protestantische Theologie. Dazu wurden Mythen über den Anfang der Nation konstruiert, die unter anderem Martin Luther zum Inhalt hatten und das kollektive Gedächtnis der Zeit prägten. In Bezug auf die Politik wurde 1878 als Jahr der Veränderung hervorgehoben, für die Entwicklung des deutschen Nationalismus waren die 1880er Jahre noch wichtiger. Durch den langsam aufkommenden Imperialismus in der deutschen Außenpolitik verband sich der Reichsnationalismus mit dem Weltmachtstreben und wurde dadurch konservativer und zu einer frühen Form des extremen Nationalismus. So lässt sich in den achtziger Jahren eine Radikalisierung des Reichsnationalismus feststellen, welcher sich beispielsweise in einer gesteigerten Aggressivität gegenüber Feindbildern ausdrückte und sich dadurch deutlich vom liberalen Einigungsnationalismus vorheriger Jahre unterschied.83 Zwischen der Innenpolitik Bismarcks und dem sich entwickelnden Reichsnationalismus lassen sich, insbesondere in der Ablehnung verschiedener Gruppen, Parallelen erkennen. Auch wenn die innere Reichseinheit als Ziel propagiert wurde, trugen sowohl Bismarck als auch der Reichsnationalismus dazu bei, dass „gerade ihre lauthals beschworene Einheit rigoroser denn je zuvor in Frage gestellt wurde“84. Die Gräben zwischen den verschiedenen Positionen wurden demnach nicht überwunden, sondern nur tiefer. Es begann sich „ein Totalitätsbegriff von der vollendeten, politisch […] und ethnisch homogenisierten, einsprachigen Reichsnation“85 durchzusetzen, was sich in den 1890er Jahren noch weiter verstärkte.

2.1.3 Das Weltmachtstreben Deutschlands in der Wilhelminischen Ära (1890–1913) Nach dem Tod des alten Kaisers Wilhelm I. im Jahr 1888 und nachdem dessen Sohn Friedrich III. im selben Jahr nach nur 99 Tagen an der Regierung verstorben war, bestieg Wilhelm II. den deutschen Kaiserthron. Damit wurde im sogenannten Drei81 Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 45. 82 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 949. 83 Vgl.  Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd.  3, 949–959; vgl.  Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 254–256. 84 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 954. 85 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 958.

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kaiserjahr 1888 das Ende der Bismarck-Ära eingeläutet und die Wilhelminische Zeit, die Thomas Nipperdey als „Weg zwischen ungezügeltem und zugleich konzeptionslosem Weltmachtstreben“86 beschreibt, nahm seinen Anfang. 2.1.3.1 Das Ende der Ära Bismarcks und die Entstehung des Bismarck-Mythos Der Generationengegensatz zwischen Bismarck und Wilhelm II. war ein essentieller, aber nicht alleiniger Grund für das Regierungsende des Reichskanzlers. Wichtiger war, dass Bismarck durch eine „zukunftslose Beharrungspolitik“87, eine defensive Kolonialpolitik, die Aufwertung des politischen Katholizismus und die von ihm zeitlich unbeschränkt geforderte Verschärfung des Sozialistengesetzes sein Charisma verlor und sein Rückhalt schwand. Am 15. März 1890 legte Bismarck auf Druck des Kaisers seine politischen Ämter nieder. Die Regierungszeit Bismarcks muss ambivalent beurteilt werden, was bereits aus den vorhergehenden Beschreibungen offensichtlich wurde. Zum einen gab es moderne Aspekte wie den Beginn des deutschen Sozialstaats, zum anderen verschärfte Bismarck durch seine Politik Konflikte und spielte verschiedene Gruppierungen gegeneinander aus. Es gab für ihn nur Reichsfeinde oder Reichsfreunde. Diese zwiespältige Einschätzung war bereits unter Zeitgenossen feststellbar, indem einige das Abdanken Bismarcks nicht mehr hatten erwarten können und andere hingegen bereits 1890 seine Verdienste würdigten. Entscheidend ist allerdings, dass sich im Verlauf der 1890er Jahre ein BismarckMythos entwickelte, der dazu führte, dass er als Eiserner Kanzler überhöht und von dem deutschen Nationalismus vereinnahmt wurde. Dies drückte sich auch in hunderten Bismarckdenkmälern, -säulen und -türmen aus. Bis 1914 wurden im Kaiserreich für den ehemaligen Reichskanzler circa 700 Monumente errichtet, so viele wie für keine andere Person in Deutschland.88 Die Gründe dafür, dass Bismarck nach seinem Abdanken zum Nationalhelden stilisiert wurde, sind insbesondere in seinem Wirken bei der Reichsgründung von 1871 zu suchen. Denn unter Berufung auf Bismarck war es zum einen möglich, „die Zukunftsängste von konservativen und nationalliberalen Gegnern des Kaisers wirkungsvoll zu artikulieren“89 und zum anderen konnte man sich unter Berufung auf Bismarck, „den ‚Vater‘ des Nationalstaates“90, dem Vorwurf entziehen, antinati86 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 422. 87 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 994. 88 Vgl.  Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd.  3, 993–998; vgl.  Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 425–426, 599; vgl. Gerwarth, Robert: Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler, München 2007, 11. 89 Gerwarth: Bismarck-Mythos, 23. 90 Gerwarth: Bismarck-Mythos, 24.

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onal zu sein. Somit ergab sich in den frühen 1890er Jahren eine direkte Verbindung zwischen der Verehrung Bismarcks und der Kritik gegenüber der wilhelminischen Regierung. Diese Kritiker des Kaisers bezeichneten sich selbst später als nationale Opposition, organisierten sich in Verbänden, wie beispielsweise dem Alldeutschen Verband und waren Befürworter eines radikalen Nationalismus.91 Ein weiterer Schub des Bismarck-Kultes war die Feier seines 80. Geburtstags im April 1895, zu welchem dem ehemaligen Reichskanzler Glückwünsche in Form einer „Flut von 9875 Telegrammen und 450 000 Briefen und Postkarten“92 zugeschickt wurden. Dies zeigt, dass ein breiter Teil der Gesellschaft Bismarck an seinem Geburtstag verehrte und dieser in der deutschen Öffentlichkeit präsent war. Auch sein Tod 1898 und seine von ihm verfassten und posthum unter dem Titel Gedanken und Erinnerungen veröffentlichten Memoiren verliehen dem Bismarck-Mythos weiteren Auftrieb. Nach dem Tod Bismarcks versuchte auch Kaiser Wilhelm II. den entstandenen Kult für sich zu nutzen und betonte die bleibende nationale Bedeutung Bismarcks. Um 1900 öffnete sich auch die ehemals als Reichsfeind geltende Zentrumspartei für den Bismarck-Kult. Getragen von konservativen und nationalliberalen Gruppen setzte sich die öffentliche Meinung durch, dass niemand geeigneter wäre, „das Reich gegen wirkliche oder eingebildete innere und äußere Feinde zu verteidigen, als der ‚Reichsschmied‘“93. Dadurch wurde der Bismarck-Mythos Teil eines exklusiven deutschen Nationalismus, der geprägt war von dem „Glaube[n] an die besondere Sendung des Deutschen Reiches“94,95. 2.1.3.2 Die vom Imperialismus geprägte Politik Kaiser Wilhelms II. Mit dem Ende der Regierung Bismarcks ging zugleich ein neuer Abschnitt in der deutschen Politik, insbesondere der Außenpolitik, einher. Bis 1890 war es Bismarck stets wichtig gewesen, durch „das Prinzip der Saturiertheit“96 die anderen Nationen dazu zu bewegen, die Reichsgründung und die damit verbundenen Grenzen Deutschlands anzuerkennen. Der neue Kaiser Wilhelm II. strebt für Deutschland eine neue Rolle in der Weltpolitik an.97 91 Vgl. Hutter, Peter: ‚Die feinste Barbarei‘. Das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig, Mainz 1990, 58–62. 92 Gerwarth: Bismarck-Mythos, 24. 93 Gerwarth: Bismarck-Mythos, 32. 94 Gerwarth: Bismarck-Mythos, 32. 95 Zur unterschiedlichen Bismarckdeutung im 20. Jahrhundert vgl. Ullmann, Hans-Peter: Politik im deutschen Kaiserreich 1871–1918 (EDG 52), München 22005, 69–75. 96 Görtemaker: Deutschland, 301. 97 Vgl. Görtemaker: Deutschland, 300–302.

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Wilhelm II. war gerade einmal 29 Jahre alt, als er 1888 den Thron bestieg und wird als „unbeherrscht und kaum lernfähig, beifalls- und erfolgssüchtig […], unsicher und arrogant, mit einem maßlos übersteigerten und auftrumpfenden Selbstgefühl“98 charakterisiert. Diese Eigenschaften und seine Abgrenzung vom ehemaligen Reichskanzler trugen dazu bei, dass er aus dem Bismarckschen ein Wilhelminisches Deutsches Reich machte. Dieses zeichnete sich durch ein Zusammenspiel von „konzeptionslosem Weltmachtstreben und […] Stagnation im Inneren“99 aus. Obwohl Wilhelm II. von Bismarcks Nachfolgern die bedingungslose Umsetzung seiner Wünsche einforderte, vernachlässigte er ab spätestens 1900 die Innenpolitik und wandte sich verstärkt der Außenpolitik, das heißt dem Flottenprojekt und dem Imperialismus zu.100 Die impulsive Art und politische Unerfahrenheit des Kaisers führten dazu, dass er diplomatische Bündnisse genauso wie der zwischen 1900 und 1909 amtierende Reichskanzler Bernhard von Bülow unterschätzte. Das hatte zur Folge, dass sich das Deutsche Reich seit der Jahrhundertwende zunehmend in einen Zustand der internationalen Isolierung manövrierte.101 Die nach Geltung und Protz strebende Persönlichkeit Wilhelms II. zeigte sich auch im Umgang mit der Stadt Berlin, die sich unter ihm von einem preußischen Städtchen zur Reichshauptstadt und schließlich zur Weltstadt entwickelte. Durch den Ausbau der Stadt und insbesondere durch die Errichtung zahlreicher Denkmäler, vor allem für Wilhelm I., sollte die preußische und kaiserliche Bedeutung Berlins öffentlich zur Schau gestellt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Errichtung der Siegesallee, welche „32 Skulpturengruppen zu Ehren der brandenburgisch-preußischen Herrscher und ihrer herausragenden Zeitgenossen“102 umfasst und durch die Nähe zum Reichstag als antiparlamentarischer Affront zu werten ist. Zudem war es die Absicht Wilhelms II. durch die Würdigung seines Großvaters in Denkmälern dessen Verdienste gegenüber Bismarck hervorzuheben und sich dadurch vom Bismarckkult abzusetzen. In diesem Kontext ist auch die Dis98 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 421. 99 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 422. 100 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 632–634; vgl. Walkenhorst, Peter: Der ‚Daseinskampf des Deutschen Volkes‘: Nationalismus, Sozialdarwinismus und Imperialismus im wilhelminischen Deutschland, in: Echternkamp, Jörg / Müller, Sven Oliver (Hg.): Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760–1960 (Beiträge zur Militärgeschichte 56), München 2002, 141; vgl. Görtemaker: Deutschland, 364–368. 101 Vgl. Görtemaker: Deutschland, 356–358, 370–372; vgl. Berghahn, Volker: Das Kaiserreich 1871– 1914. Industriegesellschaft, bürgerliche Kultur und autoritärer Staat (HDtG 16), Stuttgart 102006, 390–391. 102 Engelberg, Ernst: Das Wilhelminische Berlin, in: Glatzer, Ruth: Das Wilhelminische Berlin. Panorama einer Metropole 1890–1918, Berlin 1997, 12.

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kussion um den Aufstellungsort des Berliner Lutherdenkmals zu nennen, da dieses die kaiserliche Erinnerung nicht in den Schatten stellen sollte. Die Verbundenheit des Kaiserhauses mit dem Protestantismus sollte sich stattdessen unter anderem in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zeigen. Diese wurde zwischen 1891 und 1895 von Wilhelm II. unterstützt, da durch sie die Erinnerung an seinen Großvater ebenfalls befördert werden sollte, um einen „monarchisch-nationalen Kult um Wilhelm I. […] als den ‚Reichsgründer‘ [zu] inszenieren“103,104. 2.1.3.3 Der Traum des Reichsnationalismus von der vollendeten Nation In Bezug auf den Reichsnationalismus ist festzustellen, dass sich dieser durch die veränderte politische Situation im Wilhelminischen Reich und dessen Weltmachtstreben weiter radikalisierte, sodass die ehemals dominierenden liberalen Elemente ganz verdrängt wurden. Zugleich richtete sich der Nationalismus von nun an nicht mehr nur nach innen, sondern auch nach außen, in alle Welt. Ein differenzierter und hilfreicher Blick auf die deutsche Nationalbewegung nach 1890 findet sich bei Thomas Nipperdey, der diese in drei Haupttypen untergliedert und dadurch deren Vielschichtigkeit deutlich macht. Zunächst ist vom „durchschnittlichen Nationalpatriotismus“105 die Rede, der sich durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund gleicher Herkunft auszeichnet. Die Nation wird als Heimat verstanden, man fühlte sich als Deutscher oder Deutsche und war stolz darauf. Das Besondere an diesem nationalen Patriotismus war, dass in den 1890er Jahren die „regionalen und partikularstaatlichen Bindungen […] in die national-deutsche Bindung“106 übergingen und somit der Lokalpatriotismus dem Reichsnationalismus wich. Hierbei sind auch die Katholiken und Katholikinnen zu nennen, die sich ab der Jahrhundertwende zunehmend in das Kaiserreich integrierten, da sie sich mit dem Nationalpatriotismus immer mehr identifizieren konnten. Das zeigt sich beispielsweise anhand katholischer Gottesdienste, da in diesen nun Fürbitte nicht mehr nur für den Landesvater, sondern auch für Kaiser und Reich gehalten wurde. Der Nationalpatriotismus drückte sich durch nationalgesinnte Lieder, den bereits beschriebenen Bismarckkult und durch aktuelle politische Themen wie Imperialismus und Flottenbegeisterung aus. Was in den 1870er und 1880er Jahren noch als Ziel ausgegeben worden war, nämlich, dass der Nationalismus das ganze Kaiserreich durchziehen sollte, hatte sich um die

103 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 599. 104 Vgl. Engelberg: Berlin, 11–13. 105 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 595. 106 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 595.

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Jahrhundertwende erfüllt und der Nationalpatriotismus hatte sich „zum Normalmaß für alle“107 entwickelt. Von diesem die gesamte Gesellschaft prägenden Patriotismus wird der „Normal-Nationalismus“108 unterschieden, der von den „Erben der bürgerlichen Nationalbewegung“109 getragen wurde. Dazu zählten zunächst einerseits die Gesangsund Turnvereine, zu denen die Kriegervereine neu hinzutraten, und andererseits bürgerliche Eliten wie Lehrer, Offiziere, aber auch evangelische Pfarrer und Vertreter der Kirchenleitungen. Charakteristisch für diese Strömung war die Affinität zu Reich und Kaiser, was sich in den Feierlichkeiten des kaiserlichen Geburtstages oder der Sedanfeier zur Erinnerung an den Sieg über Frankreich zeigte. Hier zeigte sich ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem Nationalismus und der Politik des Kaiserreichs, indem Machtansprüche des deutschen Reiches in der Welt geltend gemacht wurden. Das heißt, die früheren Überzeugungen vom universalen Sendungsbewusstsein des Intellektennationalismus hatten sich nun „in Ideen einer universal-imperialen Kulturmission in der Welt transformiert“110, wodurch sich das Nationale „nun ganz im rechten Spektrum des politischen Feldes“111 verankerte.112 Der „Traum von der Größe der Nation, [mündete] […] in den Traum von der Weltmacht“113. Diese Auffassung vom deutschen Weltmachtstreben konnte man insbesondere im sogenannten „Radikalnationalismus“114, der von Thomas Nipperdey als dritter Haupttypus bezeichnet wurde, finden. Für diese radikale Form des Nationalismus war das 1871 gegründete Reich „ein unvollendeter Nationalstaat“115. Anders als der Nationspatriotismus, der als Bezugsgröße die Nation hatte, und der Normal-Nationalismus der auf Kaiser und Reich bezogen war, stellte der Radikalnationalismus das Volk und zwar „als fiktives Idealvolk der Zukunft“116 in den Mittelpunkt. Dies hatte zur Folge, dass die nationalen Minderheiten wie die polnische Bevölkerung aus dem Volk ausgeschlossen, Übersee-Auswanderer hingegen weiterhin als zum Volk gehörig angesehen wurden. Gerade bei Lutherdenkmälern, die außerhalb des Deutschen Reichs von deutschsprachigen Initiativen errichtet wurden, wie beispielsweise in Bielitz, zeigte sich dieses Verständnis der exklusiven Volkszugehörigkeit. 107 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 597. 108 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 597. 109 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 597. 110 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 598. 111 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 597. 112 Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1077–1078. 113 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 598. 114 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 602. 115 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 602. 116 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 604.

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Der Radikalnationalismus verfolgte den Wunsch nach einer vollendeten Nation, worunter eine „ethnisch homogene […] Reichsnation“117 verstanden wurde. Diese schloss eine Pluralisierung innerhalb des Volkes aus, was durch eine strikte Germanisierungspolitik vorangetrieben werden sollte. In diesem Zusammenhang wird bereits erkennbar, dass dieser Volksnationalismus „anfällig für die rassenbiologische Uminterpretation des Volksbegriffs ins Völkische“118 war. Es wird erkennbar, wie weit sich der Radikalnationalismus von der liberalen Nationalbewegung früherer Jahrzehnte entfernt hatte.119 Diese Ausdifferenzierung und Radikalisierung des Nationalismus zeigt, dass im wilhelminischen Kaiserreich „das Widerlager starker liberaler, demokratischer Gegenkräfte“120, die vor der Reichsgründung noch agiert hatten, fehlte. Das von Bismarck 1871 nach außen hin vereinigte, nach innen aber inhomogene Deutsche Reich, machte den Anschein bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs durch ein nationales Einheitsgefühl zusammengefunden zu haben.121 Dass der Blick auf die nationale Bewegung allerdings nicht allein ausreicht, sondern vor dem Ersten Weltkrieg vor allem konfessionelle Spannungen die Gesellschaft durchzogen, werden die Lutherdenkmäler zeigen.

2.1.4 Das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg (1913–1917) Der radikaler werdende Reichsnationalismus und die zur Isolation führende Politik Wilhelms II. hatten sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts weiter zugespitzt, sodass eine Eskalation immer unausweichlicher wurde. Im Rahmen dieser Arbeit sind nicht der Kriegsverlauf, sondern der Kriegsbeginn und die Reaktionen darauf, sowie 1917 als wichtiges Kriegsjahr und zugleich als Jahr des 400. Reformationsjubiläums von Bedeutung. 2.1.4.1 Der Weg in den Ersten Weltkrieg Die bisherigen Betrachtungen zur Politik Bismarcks und Kaiser Wilhelms II. hatten gezeigt, dass sich parallel zum Regierungswechsel der Schwerpunkt von der Innen- auf die Außenpolitik verschob und zugleich beide unabhängig voneinander 117 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1069. 118 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 602. 119 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 607; vgl. Schieder, Theodor: Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa (hg. von Dann, Otto / Wehler, Hans-Ulrich), Göttingen 21992, 209–210; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1068–1074. 120 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1068–1074, 1081. 121 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 890.

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blieben. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg änderte sich das nun, indem die Innenpolitik ihre Selbständigkeit verlor und „in den Bannkreis der Weltpolitik“122 geriet. Gleichzeitig war diese aufgrund der zahlreichen nationalistischen Vereine nicht allein die Politik „des Kaisers […], sondern die der Deutschen“123. Diese Stimmung schlug sich politisch nieder in einer Militarisierung, indem das Militär hohes gesellschaftliches Ansehen genoss und immer mehr verstärkt wurde. Das damit verbundene Wettrüsten erhöhte die Kriegsbereitschaft. So war bereits vor 1914 das Bildungs- und Besitzbürgertum davon überzeugt, dass Deutschland „seine weltpolitischen Ambitionen ohne einen Krieg“124 nicht erreichen könnte und das europäische Gleichgewicht, das durch den Wiener Kongress 1815 hergestellt worden war, drohte zu zerbrechen.125 Der direkte Auslöser war schließlich das Attentat auf den österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914 in Sarajewo und die folgende Julikrise. Daraus ergab sich der Blankoscheck des deutschen Kaisers, welcher der österreichischen Regierung die deutsche Unterstützung „beim Vorgehen gegen Serbien und bei allen sich daraus ergebenden Konsequenzen“126 zusagte. Denn Ziel der deutschen Regierung war es, zum einen das österreichisch-ungarische Reich zu erhalten und andererseits das Fortschreiten des eigenen Machtverlusts einzudämmen. Als Russland Serbien die bedingungslose Unterstützung zugesagt und die Generalmobilmachung angeordnet hatte, erklärte Deutschland am 1.  August 1914 Russland den Krieg. Nachdem Russland bereits einen Tag später den Krieg eröffnete, waren alle Deutschen der Meinung, „daß Rußland der Angreifer, Deutschland der Überfallene“127 war und es sich um einen Verteidigungskrieg handelte. Die von der Reichsregierung erhoffte Neutralität Frankreichs und Englands bestätigte sich nicht, sodass am 3. August die Kriegserklärung an Frankreich folgte und gemäß dem Schlieffen-Plan der Angriff über das neutrale Belgien begann. Dies und die drohende Vormachtstellung Deutschlands auf dem Festland führten dazu, dass wiederum nur einen Tag später, am 4. August, England dem Deutschen Kaiserreich den Krieg erklärte.128

122 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 884. 123 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 885. 124 Walkenhorst: Daseinskampf, 146. 125 Vgl.  Görtemaker: Deutschland, 360–361, 373, 377–378; vgl.  Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1156–1158; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 682–683. 126 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 684. 127 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 692. 128 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 683–699.

2.1 Die Nationalisierung Deutschlands 

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2.1.4.2 Die Reaktionen auf den Kriegsausbruch in Deutschland Am 4. August verkündete Wilhelm II. vor den Abgeordneten des Reichstags: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“129. Dadurch wurde der politische Burgfriede besiegelt, das heißt die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Parteien, Schichten und Konfessionen sollten zugunsten des nationalen Zusammenhalts für die Dauer des Krieges zur Seite gestellt werden. Dies stand am Anfang der „gewaltige[n] Woge der Kriegsbegeisterung“130 der Deutschen, der sich nach Thomas Nipperdey im August 1914 kaum jemand entziehen konnte. Er ist der Meinung, dass dies „keine patriotische Legende“131 war. Anders wird dies von Hans-Ulrich Wehler beurteilt, der der Meinung ist, dass mit Kriegsbeginn nicht „ein jedermann erfassender irrationaler Freudentaumel“132 einherging. Die massenhafte Kriegseuphorie ist für ihn vielmehr eine Legende und beschränkte sich lediglich auf die Soldaten und das Bildungsbürgertum, welches mit 0,8 Prozent nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung ausmachte. Die Mehrheit der Menschen in den Städten und auf dem Land blickte dem Krieg mit einer „furchterfüllten Beklommenheit“133 entgegen. Trotzdem hatte auch die Bevölkerung auf dem Land das Gefühl sich im „nun ausbrechenden Krieg loyal hinter die Regierung […] stellen“134 zu müssen.135 Beide Historiker sind sich darin einig, dass das Bildungsbürgertum vom Kriegstaumel ergriffen wurde, was sich unter anderem in zahlreichen Kriegsgedichten und -predigten widerspiegelte. Darin wurden die Euphorie, das nationale Sendungsbewusstsein und die beginnende neue Zeit, in der „das Reich an der Spitze aller anderen Staaten“136 stehen würde, beschrieben. Zudem spielte insbesondere der Protestantismus eine wesentliche Rolle, da weite Teile „eine […] nationalreligiöse […] Heiligung des Krieges“137 propagierten.

129 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 779. 130 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 778. 131 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 779. 132 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd.  4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten. 1914–1949 (Studienausgabe), München 2008, 17. 133 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, 17. 134 Mommsen, Wolfgang J.: Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914–1918 (HDtG 17), Stuttgart 102004, 35. 135 Vgl. Mommsen: Urkatastrophe, 35–36. 136 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, 19. 137 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, 23.

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Die Kriegsbegeisterung wurde getragen vom bereits beschriebenen Radikalnationalismus, der 1914 neben dem Bildungsbürgertum auch vom Wirtschaftsbürgertum und den rechten Rändern der Arbeiterbewegung Zulauf hatte.138 2.1.4.3 Die Kriegsernüchterung und das Kriegsjahr 1917 Anders als zunächst von den Deutschen erwartet, konnten keine schnellen, entscheidenden Siege des Militärs errungen werden, sodass es statt dem erhofften Blitzkrieg zum Stellungskrieg kam. Dieser hatte zur Folge, dass auf „den großen und enthusiastischen Aufbruch“139, welcher sich mit der Vorstellung eines baldigen Kriegsendes verbunden hatte, die Ernüchterung und das „Durchhaltepathos im Stellungskrieg“140 folgte. Diese Desillusion korrelierte an der Westfront mit unvorstellbaren Materialschlachten und Todesopfern. In Verdun wurden 1916 ungefähr 700.000 Franzosen und Deutsche und an der Somme circa 1,1 Millionen Franzosen, Engländer und Deutsche verwundet oder starben. Diese Kämpfe prägten von nun an die „schrecklichen oder heroisierenden Erinnerung[en]“141. Der Patriotismus von 1914 wurde abgelöst von der Erkenntnis der „Sinnlosigkeit des Massenmordes“142,143. Gleichzeitig zogen die großen Kämpfe und der industrialisierte Krieg eine beträchtliche Veränderung der Lebenssituation nach sich, sodass spätestens seit Mitte 1916 alle Lebensbereiche vom Krieg beeinflusst waren. Vorherige Kriege waren auf die Front beschränkt geblieben, doch nun waren die Auswirkungen auch in der Heimat spürbar. Der Tod wurde aufgrund der stetig steigenden Opferzahlen auch in den Familien zu Hause spürbar und somit gehörten Leid und Trauer zu den Grunderfahrungen der Zeit. Anstatt des Siegespatriotismus der Anfangsmonate wurde nun eine „Heroisierung des Todes“144 verbreiteter und der „Kriegstod […] [wurde] zum Zentrum eines neuen nationalen Kultes“145. So wurde propagiert, dass durch den Tod alle Individualisierung zugunsten der „Unsterblichkeit der Nation aufgehoben“146 werden würde. Doch auch diese Sinngebung des Todes stieß

138 Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, 14–21; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 778–780. 139 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 857. 140 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 857. 141 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 852. 142 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, 105. 143 Vgl.  Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd.  4, 103–106; vgl.  Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 776–777, 857–858. 144 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 851. 145 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 851. 146 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 851

2.1 Die Nationalisierung Deutschlands 

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im Verlauf des Krieges an ihre Grenzen und wich zunehmender „Resignation […] [und] dumpfer Verzweiflung“147. Durch zahlreiche Spendenaktionen wurde die Bevölkerung dazu aufgerufen, die Soldaten zu unterstützen. An freiwillige Spenden für Lutherdenkmäler war daher nicht mehr zu denken. Die Sammlungen für die Front wurden mit nationalen Parolen verbunden, um die Bevölkerung darauf einzuschwören, die Kriegsstrapazen mitzutragen. Doch je länger der Krieg dauerte, desto weniger Mittel konnten die Menschen in der Heimat abgeben, denn ihr Leben war zunehmend geprägt von Hunger, Mangel und Verzicht. Neben diesen wirtschaftlichen und lebensweltlichen Aspekten wurde das Jahr 1917 zusätzlich auch durch politische Ereignisse zu einem Entscheidungsjahr des Kriegs. Zum einen läutete die Februarrevolution in Russland das Ende des Zwei-Fronten-Kriegs ein, welcher endgültig durch den deutschen „Diktatfrieden“148 gegenüber Russland im März 1918 in Brest-Litowsk beendet wurde. Zum anderen trat die USA nach dem von Deutschland ausgerufenen uneingeschränkten U-Boot-Krieg am 6. April 1917 ins Kriegsgeschehen ein. Nachdem im Spätsommer der U-Boot-Krieg aus deutscher Sicht für gescheitert erklärt worden war, beschloss die Obere Heeresleitung Ende 1917 Offensivschläge an der Westfront. Allerdings „unterschätzten [sie] die Widerstandskraft der Gegner“149, sodass diese Angriffe nur kurzfristigen Erfolg brachten und im Frühjahr 1918 die Kampfmoral endgültig zum Erliegen kam und ein Ende des Krieges absehbar wurde.150 Seit dem Kriegsausbruch waren „die nationalistischen und imperialistischen Bestrebungen nahezu ungehemmt zutage“151 getreten, was eine Politik und Kriegsführung des Augenmaßes unmöglich gemacht hatte, sodass auch ein Verständigungsfrieden bei den Kriegführenden aufgrund fehlender Verständigungsbereitschaft aussichtslos wurde. So ergab sich eine Situation des „Entweder-Oder[s] von Sieg oder Untergang“152. In dieser schwierigen Kriegssituation war es nahezu unmöglich und unpassend, 1917 ein Reformationsjubiläum feierlich zu begehen.

147 Mommsen: Urkatastrophe, 133. 148 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, 152. 149 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 859. 150 Vgl.  Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd.  2, 850–860; vgl.  Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, 93–94, 105–106, 151–160; vgl. Mommsen: Urkatastrophe, 131–132. 151 Mommsen: Urkatastrophe, 151. 152 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 819.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

2.2 Die Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft Nicht nur die politische Situation veränderte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts, sondern auch die Gesellschaft befand sich in einem Transformationsprozess. Hierzu zählen der Wandel von der Stände- zur Klassengesellschaft und die Herausbildung des Bürgertums als bestimmende gesellschaftliche Schicht.153 Die Lebenswelt der Lutherdenkmalinitiatoren war zudem geprägt von neuen bürgerlichen Organisationsformen, der Verstädterung in Folge der Industrialisierung. Aber auch das familiäre Zusammenleben veränderte sich und eine vom Bürgertum geprägte Kultur entfaltete sich.

2.2.1 Die Entstehung der Klassengesellschaft 2.2.1.1 Der Wandel von der Stände- zur Klassengesellschaft Durch die politische Situation und die damit verbundene Vielstaatlichkeit Deutschlands mit regionalen und konfessionellen Unterschieden ist es schwierig, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „überhaupt von einer deutschen Gesellschaft“154 zu sprechen. Trotzdem kann diese um 1800 verallgemeinernd als Ständegesellschaft bezeichnet werden.155 Die Gesellschaft war geprägt von der sozialen Ungleichheit, die sich im Gegenüber von Untertanen und Herrschern widerspiegelte. Die Bevölkerung war hierarchisch gegliedert durch verschiedene Stände: den Adel, den Klerus, das Stadtbürgertum und die Bauern. Die Stände hatten unterschiedliche Rechte und ungleiche politische Teilhabe und zeichneten sich insbesondere durch eine spezifische Lebens-

153 Die breite Forschung zum Bürgertum des 19.  Jahrhunderts setzte insbesondere mit Lothar Galls Feststellung, dass dieses Forschungsthema bisher kaum behandelt wurde, seit Mitte der 1980er Jahren ein. So haben sich fünf Forschungsansätze herauskristallisiert, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen: der modernisierungstheoretische, der stadtgeschichtliche, der familienbiographische, der geschlechtergeschichtliche und der die bürgerlichen Werte und kulturellen Praktiken in den Blick nehmende Ansatz. Diese fünf Kategorien prägen demzufolge auch die Darstellung zur Verbürgerlichung der Gesellschaft in diesem Kapitel. Der geschlechtergeschichtliche Blickwinkel und damit verbunden die Betrachtung weiblicher Gestaltungsräume tritt dabei jedoch in den Hintergrund, da die Organisation und Einweihung der Lutherdenkmäler, wie zu sehen sein wird, eine rein männliche Angelegenheit war. Vgl.  dazu Abschnitt 4.3.2; Zur Bürgertumsforschung im 19. Jahrhundert vgl. Schulz, Andreas: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert (EDG 75), Berlin 22014, 55–76. 154 Kocka: 19. Jahrhundert, 100 [Hervorhebung im Original]. 155 Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, 124–125.

2.2 Die Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft 

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führung aus. Durch die Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts sollten die Untertanen zu mündigen und rechtsgleichen Bürgern werden. Doch erst die Revolution von 1848 brachte tiefgreifende Veränderungen mit sich, denn die ständischen Privilegien, die für den Adel gegolten hatten, wurden eingeschränkt. Allerdings wurde die Ständegesellschaft nicht einfach durch „die staatsbürgerliche Gleichheit“156, welche das Ziel der Revolution gewesen war, abgelöst, sondern es bildeten sich gesellschaftliche Klassen heraus.157 Diese unterschieden sich von den Ständen, indem nicht mehr die rechtliche Stellung, die durch Geburt bestimmt war, als Unterscheidungskriterium galt. Stattdessen förderte „das moderne Prinzip der Leistung und des Berufes“158 eine gemeinsame Identität und die Bildung war ein Kriterium für gesellschaftliches Ansehen.159 Entscheidend ist, dass die Ständegesellschaft nicht schlagartig durch die Klassengesellschaft ersetzt wurde, sondern es sich hierbei um einen Prozess handelte, der sich über Jahrzehnte vollzog. Erst die liberale Ära Bismarcks brachte den „Durchbruch der Klassengesellschaft“160, welche schließlich „ihre stärkste Ausprägung im späten Kaiserreich“161 fand.162 Trotz der beschriebenen sozialen Differenzen ist es wichtig festzuhalten, dass nicht nur klassenspezifische, sondern auch konfessionelle und regionale Unterschiede zu gesellschaftlichen Spannungen führten. Dies wurde bereits im Hinblick auf den Kulturkampf und den Lokalpatriotismus angedeutet.163

156 Lenger: Industrielle Revolution, 139. 157 Vgl. Kocka: 19. Jahrhundert, 98; vgl. Wehler: Kaiserreich, 251–252; vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 32, 255–256. 158 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 255. 159 Vgl. Kocka: 19. Jahrhundert, 105; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 106–111. 160 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 363. 161 Kocka: 19. Jahrhundert, 101. 162 Bereits von Zeitgenossen, wie G. W. F. Hegel oder K. Marx, wurden die modernen Begriffe bürgerliche Gesellschaft beziehungsweise Klassengesellschaft geprägt und beeinflussten dadurch das historische Verständnis der deutschen Gesellschaft des 19.  Jahrhunderts. Zur Ständegesellschaft und zur bürgerlichen Gesellschaft vgl. Gall, Lothar: Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (EDG 25), München 22012, 54–67. 163 Vgl. Kocka, Jürgen: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: ders. (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, 32–33; vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist (Beck’sche Reihe), München 2013, 415; vgl. ders.: Geschichte 1800–1866, 263; vgl. Lenger: Industrielle Revolution, 187.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

2.2.1.2 Die Arbeiterschaft und das Bürgertum als zwei sich gegenüberstehende Klassen Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts hatten Zeitzeugen, wie Karl Marx und Max Weber, den gesellschaftlichen Wandel als Herausbildung von Klassen bezeichnet. Jeder Einzelne konnte die Klassenunterschiede erleben und wahrnehmen, dass die Gesellschaft „sozial tief zerklüftet [und] voller Spannungen“164 war.165 Zwei dieser sich stark unterscheidenden Klassen waren die Arbeiterschaft und das Bürgertum. Auch wenn dies nicht die einzigen gesellschaftlichen Klassen waren, entwickelten sie sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts doch „zu den bestimmenden gesellschaftlichen Mächten“166. Sowohl die Arbeiterschaft als auch das Bürgertum waren heterogene, von verschiedenen Berufen geprägte Klassen. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich durch „gemeinsame Erfahrungen […] und ähnliche Lebensführung“167 eine gemeinschaftliche „Klassenidentität, die […] [zur] Grundlage für gemeinsames Handeln“168 wurde, heraus.169 Durch die industrielle Revolution und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung stieg die Zahl der Arbeiterschaft in den 1850er Jahren stark an. So machten beispielsweise in Preußen bis zur Reichsgründung die Unterschichten 82,8 Prozent der Erwerbstätigen aus. Die eigentliche Rechtsgleichheit der Klassen hatte sich zur Mitte des Jahrhunderts nicht durchgesetzt, sodass das Proletariat zum „Ausdruck der neuen Ungleichheit“170 wurde, denn ihm wurden nach 1849 die politischen Mitbestimmungsrechte wieder aberkannt und separate Wohnviertel verstärkten die soziale Isolierung. Die Erfahrungen in den Fabriken, zum Beispiel die existenzielle Belastung durch die wechselnde Höhe der Löhne, die offenkundige Abhängigkeit der Arbeitnehmer und dieselbe Wohn- und Familiensituation trugen zu einer „inneren Homogenisierung“171 der Arbeiterklasse bei. In den 1890er Jahren wurde die Arbeiterbewegung zur Massenbewegung, indem sie öffentlich die „ökonomische Besserstellung, soziale Integration und politische Gleichberechtigung“172 forderte und somit an der die Öffentlichkeit bestimmenden bürgerlichen Gesellschaft Kritik übte. 164 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 427. 165 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 425–427; vgl. Kocka: 19. Jahrhundert, 99. 166 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 903. 167 Kocka: 19. Jahrhundert, 99. 168 Kocka: 19. Jahrhundert, 99. 169 Vgl. Kocka: 19. Jahrhundert, 98–100; vgl. Lepsius, Rainer M.: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit, in: Kocka, Jürgen (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, 79; vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 255–263. 170 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 192. 171 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 149. 172 Kocka: 19. Jahrhundert, 103.

2.2 Die Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft 

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Das Bürgertum lässt sich aufgrund seiner Vielfalt schwer definieren. Ein großer Konsens besteht in einer „negativen Begriffsbestimmung“173, indem festgehalten wird, dass es nicht „aristokratisch, geistlich, ländlich, militärisch oder Unterschicht“174 ist. Zugleich vertritt Jürgen Kocka die These, dass das Bürgertum aufgrund einer gemeinsamen Kultur und in Abgrenzung zu anderen Gruppen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte. Diese bürgerliche Kultur umfasste unter anderem die Anerkennung individueller Leistung, Hochachtung von Bildung, selbständige Organisation in Vereinen, Vorliebe für Kunst, Literatur und Musik, sowie eine Lebensführung, die von „Ordnung, Fleiß, Sparsamkeit, Pünktlichkeit“175, aber auch von „spezifische[r] Kleidung, […] Tischsitten und andere[n] Konventionen“176 bestimmt war. Neben dieser Herausbildung einer „gemeinbürgerlichen Identität“177 unterschied sich das Bürgertum von der Arbeiterschaft durch soziale Sicherheit aufgrund eines geregelten Einkommens, was bessere Wohnverhältnisse und ein anderes Familienleben ermöglichte.178 Diese Unterschiede führten dazu, dass sich beide Klassen immer mehr voneinander entfernten und sich im Kaiserreich die „bürgerliche und proletarische Welt fast unversöhnlich gegenüber“179 standen. Die genannten Aspekte trugen dazu bei, dass das 19.  Jahrhundert häufig als bürgerliches Jahrhundert bezeichnet wurde, obwohl eigentlich nur ein geringer Teil der Bevölkerung dem Bürgertum zugeschrieben werden konnte. In der Mitte des 19.  Jahrhunderts machte das Bürgertum, wenn es im engeren Sinn „auf die Schichten von Besitz und Bildung beschränkt“180 bleibt, circa fünf Prozent, am Jahrhundertende etwa sieben Prozent der Bevölkerung aus. Auch wenn es zahlenmäßig eine Minderheit bildete, so hatte das Bürgertum doch eine große gesellschaftliche Prägekraft. Seinen Einfluss manifestierte das Bürgertum auch im öffentlichen Raum, indem es durch Denkmalsetzungen die eigenen Vorbilder und Werte der gesamten Bevölkerung vor Augen hielt.

173 Kocka: Bürgertum, 42. 174 Kocka: Bürgertum, 42. 175 Bausinger, Hermann: Bürgerlichkeit und Kultur, in: Kocka, Jürgen (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, 122. 176 Kocka: 19. Jahrhundert, 119. 177 Wehler: Kaiserreich, 259. 178 Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 140–150, 192–193; vgl. Kocka: Bürgertum, 42–48; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 393. 179 Wehler: Kaiserreich, 260. 180 Kocka: 19. Jahrhundert, 115.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

2.2.2 Die Charakterisierung des Bürgertums in seiner Vielfalt und Einheit Mit der beschriebenen Verschiebung von einer Stände- zur Klassengesellschaft änderte sich auch die Bedeutung des Bürgerbegriffs. Nachdem im 18.  Jahrhundert darunter noch ein Stand „mit einem gemeinsamen Rechtsstatus und einem gleichartigen Lebensstil“181 verstanden wurde, kann im Kaiserreich vom einflussreichen Wirtschafts- und angesehenen Bildungsbürger gesprochen werden. Diese lösten das ehemalige Bürgertum, welches „Handwerksmeister, kleine Kaufleute, Gastwirte“182 umfasste, ab. Zusätzlich wurde bereits seit dem Mittelalter der Bürgerbegriff noch für eine dritte Gruppe, das Stadtbürgertum in Abgrenzung zur Landbevölkerung, gebraucht.183 2.2.2.1 Das Stadt-, Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum Ursprünglich war mit dem Begriff des Bürgertums das Stadtbürgertum in der Ständegesellschaft gemeint, welches sich durch besondere Privilegien von den „Armen innerhalb und außerhalb der Stadtmauern“184 unterschied. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verlor das Stadtbürgertum aufgrund „der beschleunigten Industrialisierung und der verstärkten Binnenwanderung der Arbeitskräfte“185 und der daraus resultierenden Vermischung der Städte immer mehr seine Vorrangstellung. Auch wenn sich der Nationalismus zur gesellschaftlich bestimmenden Ideologie entwickelte, blieb das Stadtbürgertum von seiner eigenen, lokalen Identität, das heißt dem jeweiligen Lokalpatriotismus, geprägt. Diesem wurde in den Denkmälern ein besonderer Ausdruck verliehen. Im deutschen Nationalstaat vermischte sich das Stadtbürgertum mit dem Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, welche je für sich näher charakterisiert werden können. Das Bildungsbürgertum186, zu dem unter anderem „Ärzte, Anwälte und evangelische Pfarrer, Universitätsprofessoren und Lehrer an höheren Schulen, Richter und Verwaltungsbeamte“187 zählten, prägte die deutsche Gesellschaft im 19. Jahrhundert entscheidend. Die „modernisierende Kraft“ 188 des Bildungsbürgertums 181 Kocka: Bürgertum, 24. 182 Kocka: Bürgertum, 31. 183 Vgl. Kocka: Bürgertum, 21–23. 184 Kocka: Bürgertum, 22. 185 Wehler: Kaiserreich, 245. 186 Zur Kritik am Begriff des Bildungsbürgertums, der erst seit dem 20. Jahrhundert gebräuchlich ist, vgl. Gall: Gesellschaft, 103. 187 Kocka: Bürgertum, 34. 188 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 384.

2.2 Die Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft 

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verlieh ihm hohes soziales Prestige. Demnach waren es auch in den Revolutionsjahren 1848 und 1849 Personen des Bildungsbürgertums, die „die liberal-konstitutionelle Bewegung“189 anführten. Zur Meinungsbildung und als „Forum sozialer, kultureller und politischer Selbstbetätigung“190 organisierten sie sich in Vereinen. Trotz der verschiedenen Berufe entwickelte sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund des Bildungsideals. Die gemeinsame Identität intensivierte sich im Verlauf des Jahrhunderts, sodass Bildung immer mehr zur „Trennlinie nach unten“191 wurde und sich Gebildete immer mehr von Ungebildeten abgrenzten. Obwohl vor der Revolution der Austausch im Privaten oder in Vereinen beispielsweise mit Handwerkern noch gepflegt wurde, beschränkte sich der Umgang bald auf die eigene bildungsbürgerliche Gruppe.192 Der Bildungsbegriff, der hier stark gemacht wird, war „Wissen, das mehr ist als Berufs- und Leistungswissen“193 und bezog sich somit auf die Kultur. Das heißt, Bildung umfasste das Interesse für Musik, Kunst und Literatur und die „Orientierung an einer komplexen und literarischen Hochsprache“194. Diese Aspekte dienten in erster Linie der Persönlichkeitsbildung, die sich auf Privatheit, Innerlichkeit und Individualität bezog, weshalb beim Bildungsbürgertum auch von einer protestantischen Prägung gesprochen wird.195 Beim Wirtschaftsbürgertum stand das ökonomische Interesse im Vordergrund. Die Bourgeoisie gewann ab den 1860er Jahren im Zuge der Industrialisierung an Ansehen. Der gesellschaftliche Aufstieg setzte sich auch nach der Reichsgründung weiter fort, wozu auch eine immer größer werdende Zahl von Unternehmern in den Fabriken beigetragen hatte. Im Kaiserreich wurde die Meinung vertreten, dass „industrielle Stärke und wissenschaftlicher Fortschritt nationalen Zwecken“196 dienen würden. Der Imperialismus und die Hochkonjunktur führten dazu, dass die Zeit zwischen 1896 und 1913 als „die goldenen Jahre der wilhelminischen Bourgeoisie“197 bezeichnet werden. Da die Politik die Interessen des Wirtschaftsbürgertums

189 Kocka: Bürgertum, 34. 190 Kocka: Bürgertum, 34. 191 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 389. 192 Vgl. Wehler: Kaiserreich, 247–248. 193 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 383. 194 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 383. 195 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 381–389; vgl. ders.: Geschichte 1800–1866, 60–61; vgl. Kocka: Bürgertum, 33–35. 196 Kocka: Bürgertum, 39. 197 Wehler: Kaiserreich, 248.

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unterstützte, blieben diese ohne „grundsätzliche […] Kritik an Gesellschaft und Staat“198 und waren „zu den nationalen, ‚staatstragenden‘ Kräften“199 zu zählen. Gemeinsam war dem Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum zum einen die Hochachtung des Leistungsprinzips und zum anderen übernahm die Bourgeoisie „die Wert- und Sinninterpretationen“200 des Bildungsbürgertums. So strebten sowohl das Kleinbürgertum als auch das Wirtschaftsbürgertum danach, die von den Gebildeten geformten kulturellen Ideale für sich zu übernehmen.201 Der Begriff des Bürgertums war im 19. Jahrhundert zwar vielfältig, doch zugleich lassen sich beim Blick auf den Lebensstil Gemeinsamkeiten entdecken. 2.2.2.2 Die Homogenisierung des Bürgertums im Kaiserreich Im Hinblick auf die politische Haltung des Bürgertums ist selbstverständlich nicht von einer Einheit auszugehen, doch zunächst war der Liberalismus das politische Konzept, mit dem sich die Mehrheit des Bürgertums identifizierte. Auch nach der Revolution von 1848/49 blieb der Liberalismus der „Inbegriff bürgerlicher Hoffnungen“202, die zugleich eng verbunden waren mit dem Nationalismus als „liberale Emanzipationsbewegung“203. Nach dem innenpolitischen Kurswechsel Bismarcks im Jahr 1878 wurde das liberale Bürgertum aus „der Arena der verantwortlich gestalteten Reichspolitik weithin verdrängt“204.Stattdessen engagierte es sich auf kommunaler Ebene politisch und setzte hier seine Interessen durch. Der Verweis auf die Nation stärkte das bürgerliche Zusammengehörigkeitsgefühl, sodass sich seit den späten 1870er Jahren dadurch „die ideologische Homogenisierung […] zu einem nationalgesinnten Bürgertum“205 vollzog. Damit korrelierte, dass die ursprünglich liberal-bürgerlichen Ideen zunehmend von konservativen, „nationalistischen Denkfiguren überlagert“206 wurden. Dieser Wandel vom mehrheitlich liberalen zum konservativeren Bürgertum hatte zur Folge, dass aufgrund der „patriotische[n] […] und imperialistische[n] Stimmung“207 um 1900 der gesellschaftliche Einfluss des Bildungsbürgertums

198 Kocka: Bürgertum, 40. 199 Kocka: Bürgertum, 40. 200 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 390. 201 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 389–395; vgl. Kocka: Bürgertum, 38–40. 202 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 139. 203 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 139. 204 Wehler: Kaiserreich, 271. 205 Wehler: Kaiserreich, 271. 206 Schäfer, Michael: Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung, Köln / Weimar / Wien 2009, 170. 207 Kocka: Bürgertum, 39.

2.2 Die Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft 

 41

stark zurückgedrängt wurde und stattdessen Großindustrielle hohe öffentliche Wertschätzung genossen. Die Gebildeten hatten sich daher in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende mit dem Verlust ihrer „bisherigen Deutungshoheit und Meinungsführerschaft“208 und mit der damit verbundenen „Gefahr, von den ‚tonangebenden‘ Kreisen der Gesellschaft ausgeschlossen“209 zu werden, auseinanderzusetzen.210 Dieser Bedeutungsverlust korrelierte zudem mit der um 1900 sich verstärkenden Denkmalkritik und dem damit zusammenhängenden Rückgang bürgerlicher Denkmalsetzungen, sodass auch im öffentlichen Raum der Einfluss des Bildungsbürgertums zurückgedrängt wurde.

2.2.3 Die bürgerliche Kultur Auch wenn der gesellschaftliche Einfluss der Gebildeten um 1900 zurückging, hatte im 19.  Jahrhundert ihr bildungsbürgerlicher Lebensstil viele gesellschaftliche Bereiche geprägt. Die verschiedenen Bereiche der bürgerlichen Kultur spielten auch für die Denkmalerrichtungen eine Rolle, wobei unter dem vieldeutigen Kulturbegriff hier ein spezifischer „Verhaltensstil, der bis in die Prägung des Alltags hineinreicht“211, verstanden wird.212 2.2.3.1 Die Familien- und Wohnverhältnisse Mit der stetig zunehmenden Industrialisierung ab den 1850er Jahren ging aufgrund der Entstehung von neuen Arbeitsplätzen eine „Binnenwanderung […] aus dem agrarischen Osten in den industriellen Westen“213 einher, welche sich insbesondere seit den 1870er Jahren rasant verstärkte. Diese Urbanisierung veranschaulichen auch Statistiken, denn im Jahr 1871 hatten noch ungefähr 64 Prozent der Bevölkerung im neugegründeten Reich in Landgemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern und 36 Prozent in Städten gelebt. Im Jahr 1910 hatte sich dieses Verhältnis hingegen nahezu umgekehrt. Daneben nahm die Bevölkerung im Deutschen Reich

208 Schäfer: Geschichte, 171. 209 Schäfer: Geschichte, 171. 210 Vgl. Schäfer: Geschichte, 153–154, 164–175; vgl. Wehler: Kaiserreich, 264–265, 270–277. 211 Bausinger: Bürgerlichkeit, 122. 212 Vgl. Bausinger: Bürgerlichkeit, 121–122, 131–132; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 376–378. 213 Görtemaker: Deutschland, 176.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

zu, sodass im Zeitraum zwischen 1872 und 1913 die Einwohnerzahl von 40 auf 67 Millionen anstieg.214 Diese gesellschaftlichen Veränderungen führten dazu, dass es in den Städten zu einem Mangel an Wohnraum kam und die Fabrikarbeitenden auf engstem Raum und in überfüllten Wohnungen zusammenleben mussten. Dies hatte zudem Auswirkungen auf die Familienverhältnisse des Proletariats, denn dieses war allein auf wirtschaftliche Aspekte und Zweckhaftigkeit ausgerichtet. Davon zu unterscheiden sind aufgrund besserer ökonomischer Voraussetzungen die Wohn- und Familienverhältnisse des Bürgertums, die zu einem nachzuahmenden gesellschaftlichen Ideal wurden. Im Bürgertum verstand man Familie als Kernfamilie, das heißt das Zusammenleben von Eltern mit ihren Kindern. Da die bürgerliche Familie anders als im Adel keine repräsentativen Aufgaben in der Öffentlichkeit zu erfüllen hatte, war diese privat. Die innere Struktur war patriarchalisch gegliedert und es gab eine geschlechterspezifische Arbeitsteilung. Der Mann sorgte für den Unterhalt der Familie und die Frau war für den Haushalt und die Erziehung der Kinder verantwortlich. Dadurch entwickelte sich „die Freistellung der Frau von Erwerbsarbeit“215 zu einem bürgerlichen Ideal. Der Frau wurden dementsprechend Attribute wie gefühlsbetont und fürsorglich zugeschrieben und ihr gegenüber stand der „harte […], dynamische […] und rational agierende […] Mann“216,217. Neben diesen Aspekten grenzten sich bürgerliche Familien durch ihre Wohnsituation von den Fabrikarbeitenden ab. Während eine Arbeiterfamilie ihre Wohnung häufig noch mit sogenannten Schlafburschen teilen und mehrere Personen in einem Raum schlafen mussten, etablierte sich im bürgerlichen Haus eine funktionale Ausdifferenzierung der Zimmer. Neben den Schlafzimmern gab es Gesellschaftsräume, in welchen Gäste empfangen wurden und der Familienalltag stattfand, indem darin beispielsweise zusammen musiziert oder gelesen wurde. Im Idealfall hatte jedes Familienmitglied ein eigenes Zimmer, sodass man sich zurückziehen und individuell entfalten konnte. In der Realität waren diese Wohnverhältnisse allerdings nur im wohlhabenden Bürgertum umgesetzt.218 214 Vgl. Hardtwig, Wolfgang: Großstadt und Bürgerlichkeit in der politischen Ordnung des Kaiserreichs, in: Gall, Lothar (Hg.): Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert, München 1990, 20; vgl. Berghahn: Kaiserreich, 91–95. 215 Mettele, Gisela: Der private Raum als öffentlicher Ort. Geselligkeit im bürgerlichen Haus, in: Hein, Dieter / Schulz, Andreas (Hg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, 161. 216 Kocka: 19. Jahrhundert, 107. 217 Vgl. Karl, Michaela: Die Geschichte der Frauenbewegung, Stuttgart 2011, 18–20. 218 Vgl.  Karl: Frauenbewegung, 105–113, 118; vgl.  Mettele: Raum, 163, 167; vgl.  Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 47–59, 140–144; vgl. Görtemaker: Deutschland, 176–179.

2.2 Die Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft 

 43

Die Individualisierung der Gesellschaft, die sich aus der Entwicklung zur auf Leistung basierten Klassengesellschaft ergab, reichte hingegen auch in weitere Lebensbereiche hinein. Neben dem Familienleben war die Vereinskultur wichtig für die individuelle Entfaltung, die sich auch in der Entwicklung des Denkmals vom Herrscherstandbild hin zum individuellen bürgerlichen Denkmal zeigte. 2.2.3.2 Der Verein als bürgerliche Organisationsform Neben der Individualisierung waren in den bürgerlichen Kreisen im Alltagsleben stets der soziale Austausch und Geselligkeit wichtig. In diesem Kontext entwickelte sich der Verein zu einem „Kernstück bürgerlicher Kultur“219.220 Ein Verein ist ein „freiwillige[r] Zusammenschluß gleichberechtigter und selbstbestimmter Individuen“221 mit dem Ziel der eigenständigen Durchführung gemeinsamer Anliegen unabhängig vom Staat. Die Zugehörigkeit zur sozialen Organisation des Vereins war dabei nicht durch Geburt oder Stand geregelt, sondern beruhte auf einer individuellen Entscheidung.222 Zunächst bildeten sich sogenannte allgemeine gesellige Vereine, denen das Stadtbürgertum angehörte. Erst im Verlauf des 19.  Jahrhunderts splitterte sich die Vereinslandschaft durch thematische Spezialisierung auf. Die Zugehörigkeit zu einem Verein wurde durch den Eintritt und das Zahlen des Mitgliedsbeitrags wirksam, was zunächst nur volljährigen Männern erlaubt war. Frauen hingegen waren nur für kulturelle Veranstaltungen des Vereins zugelassen. Dieser geschlechterspezifische Unterschied spiegelte sich auch in den Lutherdenkmalvereinen wider, in denen es keine weiblichen Mitglieder gab. Festgehalten wurden solche und weitere Vorschriften in Vereinsstatuten, die die „Ausgestaltung des geselligen Zusammenseins“223 organisierten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich der Verein als bürgerliche Organisationsform in der europäischen Gesellschaft fest etabliert. Allerdings trug das Vereinswesen nicht dazu bei, dass das in verschiedene Gruppen zersplitterte Bürgertum zusammengeführt wurde, sondern durch eine zunehmende „funktionale Differenzierung des Vereinswesens“224 wurden Unterschiede betont. Dazu gehör-

219 Kocka: 19. Jahrhundert, 119. 220 Für die verschiedenen Forschungsansätze zum Vereinswesen vgl. Gall: Gesellschaft, 67–71. 221 Lenger: Industrielle Revolution, 185. 222 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 168–170. 223 Sobania, Michael: Vereinsleben. Regeln und Formen bürgerlicher Assoziation im 19. Jahrhundert in: Hein, Dieter / Schulz, Andreas (Hg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, 170. 224 Lenger: Industrielle Revolution, 185.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

ten neben sozialen auch konfessionelle Differenzen, sodass Vereine häufig ihre katholische beziehungsweise evangelische Identität betonten. Am Ende des 19. Jahrhunderts geriet die Vereinskultur in eine Krise, was sich in einem Rückgang der Mitgliederzahlen zeigte. Dafür macht Michael Sobania zweierlei Gründe aus: zum einen verlagerte sich die Geselligkeit zunehmend in Privathäuser des Wirtschaftsbürgertums und zum anderen hatte die Spezialisierung „die Entstehung konkurrierender Vereine“225 zur Folge, sodass die allgemeinen geselligen Vereine schrittweise abgelöst wurden. Besonders großen Zulauf aus dem städtischen Klein- und Bildungsbürgertum hatten seit den 1890er Jahren nationalistische Vereine.226 2.2.3.3 Die Vorliebe für die ästhetische Kultur Auch für die ästhetische Kultur, wozu die Literatur, Musik, Malerei und Architektur zählen, galt, dass sie im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Verbürgerlichung erfuhr und in die breite Gesellschaft ausstrahlte. Voraussetzung hierfür war zunächst, dass spätestens seit 1800 die ästhetische Kultur nicht mehr „vornehmlich höfische, kirchliche, öffentliche Repräsentation“227 zur Aufgabe hatte. Dadurch wurde sie zu freier Kunst, indem Aufträge nicht mehr vorrangig von Hof, Adel oder der Kirche kamen. Infolgedessen wurden die schönen Künste im bürgerlichen Zeitalter als Bildung verstanden und zählten „zu den hohen Gütern des Lebens“228. Zugleich hatten sie nach Meinung der Künstler die Funktion, „die großen Inhalte und Aufgaben der Zeit in ihrer Weise“229 mitzuteilen, weshalb die ästhetische Kultur „auf ihren nationalen Charakter“230 hin geprüft wurde. Das stand in engem Zusammenhang mit der neuen Hochachtung von Geschichte, da die Meinung im Bürgertum dominierte, dass das Verständnis der Geschichte notwendig wäre, „um zu seiner persönlichen und kollektiven Identität zu kommen“231. Das ist nur ein Aspekt des sogenannten Historismus, der im 19. Jahrhundert sowohl die Wissenschaft als auch die Kunst prägte. Auch wenn der Begriff Historismus vieldeutig ist, so soll darunter im Folgenden die „wachsende Hinwendung zur

225 Sobania: Vereinsleben, 188. 226 Vgl. Kocka: 19. Jahrhundert, 119; vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 267–269; vgl. Sobania: Vereinsleben, 170–182, 187–190; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1071–1080. 227 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 692. 228 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 692. 229 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 696. 230 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 696. 231 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 499.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

 45

Vergangenheit […] [und] die Interpretation der Welt als Geschichte“232 verstanden werden. Da das Bildungsbürgertum davon überzeugt war, in einer Zeit zu leben, in der sich alte politische und gesellschaftliche Traditionen auflösten und sich ein tiefgreifender Wandel vollzog, wurde der „Rückgriff auf Geschichte“233 unter anderem durch die ästhetische Kultur für nötig empfunden. Die Bereitstellung von Interpretationen der Vergangenheit für die Gegenwart ermöglichte zum einen Stabilität und Sinnstiftung und zum anderen, dass man „sich als Nation verstehen“234 konnte. In Bezug auf den Historismus in der Malerei bedeutete dies die Ausprägung eines neuen Gemäldetypus, nämlich das Historienbild. Dieses sollte nicht nur dazu führen, dass sich die Betrachtenden eigenständig in die historische Situation hineinfühlen konnten, sondern es hatte auch eine „volkspädagogische Wirkung“235. So sollten sich die Rezipierenden „der eigenen nationalen, kulturellen, menschheitlichen Herkunft […] und der eigenen Ziele durch Geschichte“236 vergewissern. Neben der Fokussierung der ästhetischen Kultur auf Geschichte ist das größer werdende Publikum ein wichtiger Aspekt der Verbürgerlichung. Denn vor allem die Kunst und die Musik wurden einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich beispielsweise durch Vereine und Museen. In diesem Zusammenhang spielte auch die Errichtung von Denkmälern eine wichtige Rolle, indem sie von bürgerlichen Kreisen initiiert, an zentralen städtischen Plätzen errichtet und dadurch frei zugänglich waren. Darüber hinaus fanden auch die zur Auswahl der Denkmaloder Gebäudeentwürfe ausgeschriebenen Wettbewerbe eine breite Resonanz in der Öffentlichkeit.237

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus Neben dem politischen und gesellschaftlichen Wandel veränderte sich auch der Protestantismus im 19. Jahrhundert. Hierbei ist an die Kirchenunion und den sich davon abgrenzenden lutherischen Konfessionalismus genauso zu denken, wie an das Verhältnis des Protestantismus zum Nationalstaat und zum Katholizismus. Zudem soll die öffentliche Darstellung des Protestantismus insbesondere durch die Festfrömmigkeit und den Kirchenbau in den Blick genommen werden.

232 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 498. 233 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 499. 234 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 499. 235 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 561. 236 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 561. 237 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 498–499, 533–538, 561–566; vgl. ders.: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 692–696.

46 

 2 Das lange 19. Jahrhundert

2.3.1 Die Spannung zwischen Kirchenunion und lutherischem Konfessionalismus Schon aufgrund seiner Verfasstheit und seinem Selbstverständnis war der Protestantismus stärker plural als der Katholizismus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die evangelischen Kirchen zum einen geprägt von Unionsbestrebungen und zum anderen als Reaktion darauf von einer erstarkten konfessionellen Bewegung, die insbesondere im Luthertum auf dem eigenen Bekenntnis beharrte und dieses bewahren wollte. 2.3.1.1 Die Kirchenunion Anlässlich des 300. Reformationsjubiläums 1817 forderte der preußische König Friedrich Wilhelm III. in einem öffentlichen Aufruf die lutherischen und reformierten Gemeinden in seinem Herrschaftsgebiet auf, sich zu einer „wahrhaft religiöse[n] Vereinigung der beiden, nur noch durch äußere Unterschiede getrennten protestantischen Kirchen“238 zusammenzuschließen. Dabei sollte es sich nicht um eine Verbindung handeln, bei der „die reformierte Kirche […] zur lutherischen und diese nicht zu jener übergehet, sondern beide Eine neue belebte evangelisch-christliche Kirche“239 werden. Vorbild für diese preußische Union, die durch das Feiern eines gemeinsamen Abendmahls von lutherischen und reformierten Christen und Christinnen vollzogen werden sollte, war die bereits im August 1817 geschlossene Kirchenunion im Herzogtum Nassau. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und dem Wiener Kongress von 1815 war eine Neuordnung der deutschen Territorien einhergegangen, wodurch „das Zeitalter des konfessionell [relativ] einheitlichen Territorialstaates“240 beendet war. Stattdessen entstanden zahlreiche gemischt-konfessionelle Staaten und um deren Handlungsfähigkeit zu fördern, sollten auch „auf kirchlichem Gebiet einheitliche Ordnungen“241 geschaffen werden. Diese Unionsgründungen des deutschen Protestantismus gingen vom jeweiligen Landesherrn, dem Summus Episcopus, aus und hatten eine nicht zu unterschätzende politische Komponente. Gebiete, in denen die Union seit 1817 vollzogen wurde, waren unter anderem Nassau, Rheinpfalz, Baden, Kurhessen und Preußen, wobei es Unterschiede in der Art der Unionsbil-

238 Aufruf König Friedrich Wilhelms III. von Preußen vom 27.09.1817, in: Elliger, Walter / Delius, Walter (Hg.): Die Evangelische Kirche der Union. Ihre Vorgeschichte und Geschichte, Witten 1967, 195. 239 Aufruf, 195. 240 Ohst, Martin: Protestantische Kirchenunionen im 19. Jahrhundert, in: Una sancta. Zeitschrift für ökumenische Begegnung 72 (2017) 1, 19. 241 Ohst: Kirchenunionen, 19.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

 47

dung gab. Die Verwaltungsunion bedeutete einen äußeren Zusammenschluss bei fortdauernden Konfessionsdifferenzen, die föderative Union postulierte ein Ende der Kirchentrennung trotz verschiedener Lehrbekenntnisse und bei der Konsensusunion wurde sich auf ein gemeinsames Bekenntnis geeinigt.242 Für die preußische Union war insbesondere die Rolle Friedrich Wilhelms III. wichtig, der zeitgleich zu den Religionsfragen auch seinen Einfluss am Wittenberger Denkmal geltend machte. Preußen hatte in Bezug auf Konfessionsfragen „eine weit zurückreichende, konflikthafte Vorgeschichte“243, da die Herrscherfamilie bereits seit 1613 reformiert war, wohingegen das Volk und der Adel lutherisch geblieben waren. Der Verlauf der preußischen Geschichte hatte gezeigt, dass je mehr sich die preußische Obrigkeit in Religionsfragen zurückhielt, desto friedlicher war das Verhältnis der beiden evangelischen Konfessionen zueinander. König Friedrich Wilhelm III. machte zu Beginn des 19. Jahrhunderts „die Kirchenpolitik zeitweilig zum zentralen Inhalt“244 seiner Regierung. Die Union selbst wurde allerdings nicht durch ein Gesetz oder einen königlichen Befehl durchgesetzt, sondern bei dem genannten Aufruf vom 27. September 1817 appellierte der preußische König an die Freiwilligkeit seiner Untertanen. So war es die Absicht Friedrich Wilhelms III. das „Unionsprojekt […] mit möglichst geringer Anwendung staatlicher Autorität“245 umzusetzen. Trotzdem versuchte der preußische Monarch in den darauffolgenden Jahren auf die Ausgestaltung der Union Einfluss zu nehmen. Die Schwierigkeit der preußischen Union zeigte sich erneut, als 1866 Gebiete wie Hannover oder Schleswig-Holstein preußisch wurden, denn dort regte sich auf Seiten der Lutheraner großer Widerstand gegen die Union. Durch die Unterstützung der lutherischen Kirche in Bayern und Sachsen gelang es, die preußische Kirchenvereinigung nicht auf diese Gebiete auszuweiten.246 Anders verlief die Unionsbildung in der bayerischen Rheinpfalz, denn bei einer Volksabstimmung wurde sich klar für eine Union der beiden evangelischen Konfessionen ausgesprochen. So führte im August 1818 in Kaiserslautern eine Synode die Vollunion ein und als alleinige Grundlage des Glaubens und der Lehrnorm wurde 242 Vgl.  Rohls, Jan: Protestantische Theologie der Neuzeit, Bd.  1: Die Voraussetzungen und das 19. Jahrhundert, Tübingen 1997, 385–387; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 468–469. 243 Ohst: Kirchenunionen, 20. 244 Ohst: Kirchenunionen, 21. 245 Ohst: Kirchenunionen, 21. 246 Vgl. Jung, Martin H.: Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis 1870 (KGE III/3), Leipzig 2000, 77–82; vgl. Ohst: Kirchenunionen, 17–29; vgl. Rohls: Theologie, 385–387; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 482; vgl. Grane: Kirche, 65–66; vgl. Besier, Gerhard: Preußische Kirchenpolitik in der Bismarckära: die Diskussion in Staat und Evangelischer Kirche um eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse Preußens zwischen 1866 und 1872 (VHKB 49), Berlin 1980, 43–254.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

die Bibel festgelegt.247 65 Jahre später wurde an dieses Ereignis durch die Enthüllung des Unionsdenkmals in der Stiftskirche in Kaiserslautern erinnert. 2.3.1.2 Das konservative Neuluthertum Das 300. Reformationsjubiläum von 1817 führte bei Protestanten nicht nur zu Unionsbestrebungen, sondern gab auch „Anlaß zur Rückbesinnung auf den lutherischen Ursprung der Reformation“248. So wurde die Union als „Einschmelzung der konfessionellen Lehrunterschiede“249 kritisiert. Ein prominentes Beispiel hierfür war der Kieler Theologe Claus Harms, der in Erinnerung an Luthers 95 Thesen diese publizierte und ihnen 95 eigene für die Gegenwart relevante Sätze hinzufügte. Darin bekräftigte er die bleibende Gültigkeit der lutherischen Lehre, beispielsweise in These 78 im Hinblick auf das Abendmahl, denn so wie „auf dem Colloquio zu Marburg 1529 Christi Leib und Blut im Brodt und Wein [gewesen war], so ist es noch 1817“250. Zudem sah er die Differenz zwischen der lutherischen und der reformierten Konfession noch immer „als unaufhebbar an“251, weshalb die Union abzulehnen sei, da diese „Idee einer fortschreitenden Reformation […] das Luthertum ins Heidentum hinein“252 reformieren würde. Durch die Feierlichkeiten anlässlich des 300. Jubiläums der Confessio Augustana 1830 erhielt der lutherische Konfessionalismus weiter Auftrieb. Dieser, auch Neuluthertum genannt, stellte das lutherische Bekenntnis in den Mittelpunkt und die Hinwendung zur Reformationszeit wurde als „Heilsweg gegenüber den Verirrungen des Zeitgeistes“253 angesehen. Dabei war jedoch weniger die Person Luthers zentral, sondern viel wichtiger erschienen die Bekenntnisschriften, insbesondere die Inhalte der Konkordienformel. Theologische Zentren des Neuluthertums waren die evangelische Fakultät in Erlangen und nach der Berufung von Adolf Harleß auch die Leipziger Universität. So verwundert es wenig, dass auch das Leipziger

247 Die Urkunde der Vereinigung beider protestantischer Konfessionen im Rheinkreise findet sich beispielsweise dokumentiert bei: Bonkhoff, Bernhard H.: Geschichte der Vereinigten Protestantisch-Evangelisch-Christlichen Kirche der Pfalz 1818–1918, St. Ingbert 2016, 297–308. Vgl.  Bonkhoff: Geschichte, 7–41; vgl. Jung: Protestantismus 1815–1870, 81. 248 Rohls: Theologie, 387. 249 Rohls: Theologie, 387. 250 Harms, Claus: Die 95 Thesen, in: Schmidt, Johann (Hg.): Claus Harms. Ein Kirchenvater des 19. Jahrhunderts. Auswahl aus seinen Schriften, Gütersloh 1976, 69. 251 Rohls: Theologie, 388. 252 Harms: Thesen, 61. 253 Friedrich, Martin: Kirche im gesellschaftlichen Umbruch. Das 19. Jahrhundert (ZuKG 8), Göttingen 2006, 178.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

 49

Reformationsdenkmal in seiner Gestaltung auf den lutherischen Konfessionalismus Bezug nahm. In Altpreußen ebbte zwar im Verlauf der 1860er Jahre der Widerstand gegen die bestehende Union ab, doch in „Neupreußen [beispielsweise in Hannover] […], [tobte] der Kampf gegen die Union unvermindert heftig weiter“254. Bei den Lutherdenkmalerrichtungen zeigte sich dies immer wieder in der Diskussion, ob und wenn ja, wie die Schweizer Reformatoren an einem Lutherdenkmal dargestellt werden können. Nach der Reichsgründung gingen die Vorbehalte des konservativen Luthertums, deren „primäre Loyalität […] ihrem Landesherrn“255 gehörte, gegenüber der Union und Preußen zurück, sodass „von einer schrittweisen Nationalisierung des Konservatismus“256 gesprochen werden kann. Zudem wurden Teile des deutschen Protestantismus durch die Reichsgründung „überspült durch eine Welle patriotischer Begeisterung“257, die die konfessionellen Streitigkeiten innerhalb der Evangelischen Kirche in den Hintergrund treten ließen.258

2.3.2 Das Verhältnis von Protestantismus und Nationalismus Diese Euphorie des Protestantismus gegenüber der Nationalbewegung insbesondere nach der Reichsgründung ist deshalb wichtig, weil sie die Entwicklung des deutschen Nationalismus im langen 19. Jahrhundert um die konfessionelle Komponente ergänzt. So lässt sich die Geschichte des Protestantismus und des Nationalismus im Kaiserreich „gar nicht unabhängig voneinander verstehen“259.

254 Besier, Gerhard: Das Luthertum innerhalb der Preußischen Union (1808–1918). Ein Überblick, in: Hauschild, Wolf-Dieter (Hg.): Das deutsche Luthertum und die Unionsproblematik im 19. Jahrhundert, Gütersloh 1991, 145. 255 Becker, Frank: Protestantische Euphorien. 1870/71, 1914 und 1933, in: Gailus, Manfred / Lehmann, Hartmut (Hg.): Nationalprotestantische Mentalitäten. Konturen, Entwicklungslinien und Umbrüche eines Weltbildes (VMPIG 214), Göttingen 2005, 25. 256 Nowak, Kurt: Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1995, 160. 257 Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 38. 258 Vgl. Friedrich: Kirche, 178–185; vgl. Grane, 152–155; vgl. Besier: Luthertum, 137–145. 259 Altgeld, Wolfgang: Katholizismus, Protestantismus, Judentum. Über religiös begründete Gegensätze und nationalreligiöse Ideen in der Geschichte des deutschen Nationalismus (VKZG.F 59), Mainz 1992, 165.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

2.3.2.1 Die Verbindung von Nationalbewegung und Protestantismus in der ersten Jahrhunderthälfte Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts war festzustellen, dass die Nationalbewegung durch protestantische Gebildete wie Arndt, Fichte oder Herder eine evangelische Färbung erhalten hatte, die sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weiter intensivierte. Beim Hambacher Fest im Jahr 1832, das mit circa 30.000 Teilnehmenden ein Großereignis war, wurde die Verbindung von Protestantismus und Nationalismus deutlich. Die Reformation wurde hier als „religiöse Befreiung des Individuums […] [verstanden und] als Voraussetzung der politischen Freiheit“260 gedeutet. Es wurde die Ansicht verbreitet, dass „[w]ie die Nation einst des religiösen Reformators bedurfte, so benötige sie in der Gegenwart einen politischen Luther“261. Die Ideen des politischen Liberalismus und der Protestantismus wurden dabei als „Verklammerung“262 und „einander bedingende Elemente verstanden“263. Eine weitere Annäherung zwischen dem liberalen Protestantismus und der Nationalbewegung wurde speziell in Preußen durch den Sieg bei Königgrätz 1866 im deutsch-deutschen Krieg hervorgerufen. Die Niederlage des katholischen Österreichs wurde als „Sieg protestantischer Kultur und Staatlichkeit interpretiert“264. In diesem Kontext wurde Luther von Theologen und Historikern zur „protestantisch-nationalen Identifikationsfigur“265 stilisiert, indem der Deutung Luthers „nationalheroische Komponenten […], die eine religiöse Überhöhung ermöglichten“266, zugeschrieben wurden. Wichtig ist allerdings, dass es sich dabei um kulturprotestantische Zuspitzungen außerhalb der Kirchen handelte, denn die Mehrzahl der Amtskirchen war dem Nationalismus gegenüber noch reserviert. Außerhalb Preußens blieb 1866 die Mehrzahl der Kirchen noch auf Partikularität und Territorialstaaten bezogen. Dies änderte sich wenige Jahre später im Zuge der Reichsgründung.267

260 Nowak: Geschichte, 116. 261 Nowak: Geschichte, 116. 262 Gramley, Hedda: Christliches Vaterland – einiges Volk. Zum Protestantismus und Nationalismus von Theologen und Historikern 1848 bis 1880, in: Echternkamp, Jörg / Müller, Sven Oliver (Hg.): Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760–1960 (Beiträge zur Militärgeschichte 56), München 2002, 86. 263 Nowak: Geschichte, 116. 264 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 486. 265 Gramley: Vaterland, 88. 266 Gramley: Vaterland, 88. 267 Vgl. Gramley: Vaterland, 86–89; vgl. Nowak: Geschichte, 112; vgl. Becker: Euphorien, 21–25; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 959–960.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

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2.3.2.2 Die protestantische Reaktion auf die Reichsgründung Nachdem noch zu Beginn des Krieges gegen Frankreich Protestanten zur Buße aufgerufen hatten, stellte sich rasch eine nationale Euphorie ein. So wurde der Sieg „als Triumph des deutschen Protestantismus über die Prinzipien der Französischen Revolution“268 und als „Sieg Wittenbergs über das Babel Paris, über Atheismus, Ultramontanismus und Revolution“269 gedeutet. Dementsprechend wurde auch der neue Staat zum „Heiligen Evangelischen Reich Deutscher Nation“270 deklariert. Diese Deutungen des Zusammenhangs von Reformation und Reichsgründung wurden von liberalen Protestanten geäußert. Doch auch die Vorbehalte zahlreicher konservativer Protestanten gegenüber dem modernen säkularen Staat gingen zurück aufgrund „ihrer traditionellen und unverbrüchlichen Obrigkeitstreue“271. Nichtsdestotrotz gab es auch vereinzelt kritische Stimmen, beispielsweise durch den Neulutheraner Adolf Harleß, der „den Nationalismus als Ersatzreligion“272 ablehnte. Die partikularistischen und preußenfeindlichen Stimmen innerhalb der verschiedenen Landeskirchen, die um 1866 noch präsent waren, wurden nach der Reichsgründung leiser. Stattdessen wurde der Nationalismus nun nicht mehr nur von Theologen getragen, sondern er hielt nach 1871 Einzug in die evangelische Kirche und etablierte sich im Verlauf des Kaiserreichs. Dieser kirchliche Nationalismus bedeutete „die Identifizierung von evangelischer und nationaler Gesinnung, von Kaiser, Reich und Protestantismus“273,274. Die große Mehrheit der Evangelischen befürwortete nicht nur den neuen, kleindeutschen, mehrheitlich evangelischen Staat, sondern betrachtete „nur die Protestanten als wirkliche Sachwalter des nationalen Interesses“275. Zusätzlich verband sich dies mit antikatholischen Ressentiments, da der Großteil der katholischen Bevölkerung dem neu gegründeten Deutschen Reich distanziert gegenüberstand. Diese angedeuteten konfessionellen Spannungen verschärften sich zusätzlich im Kulturkampf und prägten die Zeit des Deutschen Kaiserreichs. Martin

268 Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 38. 269 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 487. 270 Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 38. 271 Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 45. 272 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 487. 273 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 487. 274 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 486–487; vgl. Kurz, Roland: Nationalprotestantisches Denken in der Weimarer Republik. Voraussetzungen und Ausprägungen des Protestantismus nach dem Ersten Weltkrieg in seiner Begegnung mit Volk und Nation (LKGG 24), Gütersloh 2007, 62–69. 275 Becker, Frank: Konfessionelle Nationsbilder im Deutschen Kaiserreich, in: Haupt, HeinzGerhard / Langewiesche, Dieter (Hg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt/ Main 2001, 395.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

Luther wurde dabei zu einer wichtigen Erinnerungsfigur, um sich anknüpfend an seiner Kritik an der mittelalterlichen Kirche gegen den Katholizismus zu wenden. 2.3.2.3 Der sogenannte Nationalprotestantismus im Kaiserreich Für die Entwicklung des Nationalismus im Protestantismus waren insbesondere zwei Veränderungen ausschlaggebend. Zum einen öffneten sich konservative Protestanten und Protestantinnen dem nationalen Zeitgeist, indem ihr „Pathos des Gehorsams gegenüber König und Staat […] jetzt auch für die Nation“276 galt. Da der Nationalismus nach 1871 sein reaktionäres Element verloren hatte, konnte sich ihm „auch die konservative Amtskirche“277 annähern. Zum anderen verbanden die liberalen Protestanten deutsch und protestantisch, sowie die deutsche Kultur und Reformation miteinander zu einer „nationalprotestantischen Geschichtstheologie“278, in der der Nation Heiligkeit zugesprochen wurde. Diese Nationalisierung spiegelte sich auch in zwei neugegründeten evangelischen Vereinen wider, dem Protestantenverein und dem Evangelischen Bund zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen.279 Letzterer wurde 1886 in Reaktion auf den Kulturkampf gegründet und behielt auch bis in die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg noch seine strikt anti-katholische Position, was sich im Hinblick auf verschiedene Lutherdenkmalerrichtungen zeigen wird. Zugleich verkörperte der Evangelische Bund die Verbindung von Protestantismus und Deutschtum, sodass er eine „militante Institution des Nationalprotestantismus“280 war und die Massen anzog. So stiegen die Mitgliederzahlen von 60.000 im Jahr 1891 auf 470.000 Mitglieder im Jahr 1911. Durch seine Größe und seine kämpferischen und nach außen hin abgrenzenden Positionen dürfte der Evangelische Bund einer „der wirkungs-

276 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 488. 277 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 488. 278 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 487. 279 Zum Protestantenverein vgl. Lepp, Claudia: Protestantisch-liberaler Aufbruch in die Moderne. Der deutsche Protestantenverein in der Zeit der Reichsgründung des Kulturkampes (RKM 3), Gütersloh 1996. Zum Evangelischen Bund vgl. Müller-Dreier, Armin: Konfession in Politik, Gesellschaft und Kultur des Kaiserreichs. Der Evangelische Bund 1886–1914 (RKM 7), Gütersloh 1998; vgl. Maron, Gottfried (Hg.): Evangelisch und Ökumenisch. Beiträge zum 100jährigen Bestehen des Evangelischen Bundes (KiKonf 25), Göttingen 1986; vgl. Fleischmann-Bisten, Walter / Grote, Heiner (Hg.): Protestanten auf dem Wege. Geschichte des Evangelischen Bundes (BenshH 65), Göttingen 1986. 280 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1176.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

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vollste[n] Multiplikator[en] eines radikalisierten Mittelklassen-Nationalismus im Kaiserreich gewesen sein“281,282. Anhand des Begriffs Nationalprotestantismus lässt sich die „Verschränkung von Religion und Politik“283 verdeutlichen. Zudem war dieser die „‚stärkste Macht in der Kirche‘ des Kaiserreichs“284. Roland Kurz definiert den Nationalprotestantismus als Synthese von spezifisch protestantischen Ideen „mit Formen nationaler Gesinnung“285. Dazu gehörte die nationale Umdeutung christlicher Symbole oder die Interpretation politischer Ereignisse als geschichtliches Handeln Gottes. Weiterhin war es ein Anliegen, „den eher individualistischen Protestantismus zu einer National- bzw. Volksreligion zu machen“286. Mit der Reichsgründung war auch die Hoffnung auf religiöse Erneuerung aufgekeimt, welche allerdings ausblieb, unter anderem da der Staat sich in erster Linie als deutsches Reich verstanden und die nationalprotestantische Verbindung von Thron und Altar die Politik nicht grundlegend beeinflusst hatte. Der Reichsnationalismus, der, wie gesehen, im Kaiserreich an Popularität gewann, entwickelte sich zunehmend zu einer politischen Religion. Das hatte eine „zunehmende Entfremdung des Nationalismus vom Protestantismus“287 zur Folge, auch wenn dies öffentlich „oft nur schwer wahrnehmbar“288 war. Der Nationalprotestantismus öffnete sich immer weiter in Richtung der staatlichen Politik, was sich einerseits im Hinblick auf den Imperialismus und Kolonialismus zeigte, da beides seit den 1880er Jahren mit der Mission verbunden wurde. Andererseits näherten sich Protestanten der aufkommenden völkischen Weltanschauung an, sodass dadurch christliche Deutungsmuster verdrängt wurden. Blickt man nun noch auf die Zeit des Ersten Weltkriegs, so fällt auf, dass die Kirchen und Theologie gebraucht wurden, um den massenhaften Tod zu deuten. Darin zeigte sich „eine neue Dimension des Verhältnisses von Nation und Religion“289, denn das „Selbstopfer des Soldaten für die Nation [wurde] mit dem Selbstop-

281 Hübinger, Gangolf: Sakralisierung der Nation und Formen des Nationalismus im deutschen Protestantismus, in: Krumeich, Gerd / Lehmann, Hartmut (Hg.): Gott mit uns. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert (VMPIG 162), Göttingen 2000, 242. 282 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 478, 487–489; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1176; vgl. Becker: Nationsbilder, 414–415; vgl. Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 91–92. 283 Kurz: Denken, 16. 284 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1176. 285 Kurz: Denken, 18. 286 Kurz: Denken, 18. 287 Kurz: Denken, 101. 288 Kurz: Denken, 101. 289 Becker: Euphorien, 32.

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fer Christi für die Menschheit analogisiert […]“290. Die Kirchen wurden dadurch öffentlich wieder mehr wahrgenommen als noch in den Vorkriegsjahren. Die Mehrheit der evangelischen Pfarrer war selbst im Kriegsjahr 1917 noch national eingestellt, sang die „Melodie vom alldeutsch-expansiven Siegfrieden“291 und übte Kritik am Beschluss einer Friedensresolution der Reichstagsmehrheit. Nur eine Minderheit wurde durch grausame Kriegsereignisse wie bei Verdun zu Skeptikern der überhöhten heilsgeschichtlichen Deutung des Krieges und unterstützte die Friedensbemühungen.292

2.3.3 Das Verhältnis von Protestantismus und Katholizismus Nachdem in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses und des Wiener Kongresses vermehrt multikonfessionelle Gebiete entstanden waren, kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung und der damit verbundenen städtischen Zuwanderung zu einer weiteren konfessionellen Durchmischung. Aus der lokalen Annäherung der christlichen Konfessionen resultierten insbesondere nach 1871 zahlreiche Konflikte, die eine Verstärkung der konfessionellen Identitäten mit sich brachten. Diese Auseinandersetzungen prägten das Jahrhundert, denn „der Konfessionsgegensatz [war] ungleich wichtiger als jener […] Gegensatz zwischen Christen und Nicht-Christen“293. 2.3.3.1 Der Katholizismus im Zeichen von Ultramontanismus, Unfehlbarkeitsdogma und Kulturkampf Der deutsche Katholizismus war insbesondere seit den 1850er Jahren geprägt von einer starken Orientierung an Rom, um sich „gegen norddeutsche Verengungen der nationalen Idee und gegen einen aggressiven protestantischen Unitarismus“294 zu wenden. Damit zusammenhängend etablierte sich im Katholizismus der romorientierte Ultramontanismus, eine zentralistische, absolutistische, antimoderne Strömung. Charakteristisch war hierbei die Konzentration auf die Autorität des Papstes, die „sich mit einer […] antiliberalen und antidemokratischen Grundhal-

290 Becker: Euphorien, 32. 291 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 491. 292 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 488–495; vgl. Kurz: Denken, 16–18, 69, 89–102; vgl. Holzem: Katholizismus, 204–208; vgl. Becker: Euphorien, 29–36; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1171–1180. 293 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 529. 294 Nowak: Geschichte, 115.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

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tung in allen politischen Fragen“295 verband. Durch die Anpassung an die religiösen Bedürfnisse der katholischen Landbevölkerung gewann der Ultramontanismus auch dort an Zulauf und prägte die katholische Frömmigkeit, was sich beispielsweise in der starken Marienverehrung äußerte. Diese wurde durch das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens vom 8.  Dezember 1854 weiter gefördert. Zusätzlich wurden „objektive, sichtbare ‚äußere‘ Formen der Frömmigkeitsübung […] [wie] Pilger- und Wallfahrten, rituelle Andacht, häufiges Rosenkranzgebet“296 betont. Das ultramontane Frömmigkeitsideal grenzte sich dadurch von der im Protestantismus und in der Gesellschaft verstärkt hervortretenden Individualität und Innerlichkeit ab. Prägend für den Ultramontanismus war Papst Pius IX., der zwischen 1846 und 1878 das Pontifikat innehatte und bei den Gläubigen überaus beliebt war. Er veröffentlichte am 8. Dezember 1864 als Anhang zur Enzyklika Quanta cura den sogenannten Syllabus errorum, in welchem er den Liberalismus ablehnte und die „Verdammung von 80 Sätzen der modernen Weltanschauung“297 auflistete. So stand der Syllabus auch „in diametralem Gegensatz zu einer ökumenischen Annäherung“298, denn die Gleichberechtigung unter verschiedenen Religionen und Weltanschauungen wurde verworfen und stattdessen betont, dass „die katholische Religion der einzig wahre Glauben sei“299. Der ultramontane Weg der katholischen Kirche setzte sich im Ersten Vatikanischen Konzil, welches am 8. Dezember 1869 eröffnet wurde, weiter fort. Ziel war es, „dem Liberalismus einen ähnlichen Riegel vorzuschieben, wie es im 16. Jahrhundert das Konzil von Trient gegen die Reformation getan habe“300. Die wichtigsten Beschlüsse des Ersten Vatikanischen Konzils waren sodann das Jurisdiktionsprimat und das Unfehlbarkeitsdogma, das besagt, dass der Papst „in allen Glaubensfragen ‚ex cathedra‘, allein kraft seines Amtes und ohne jede Beratung mit der Kirche, sein Lehramt unfehlbar ausüben“301 konnte. Somit wurde das Papstamt mit einer „neuen hochgesteigerten Autorität“302 versehen, die auch für die Enzykliken eine Irrtumslosigkeit bedeutete.303

295 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1182. 296 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 436. 297 Nowak: Geschichte, 132. 298 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 387. 299 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 387. 300 Nowak: Geschichte, 152. 301 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 389. 302 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 431. 303 Vgl.  Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd.  1, 428–432; vgl.  Nowak: Geschichte, 115, 130–132; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 386–390, 1181–1182; vgl. Holzem: Katholizismus, 170–172.

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Diese antiliberale, antimoderne, auf Rom zentrierte und hierarchisch ausgerichtete Entwicklung im Katholizismus stand im Gegensatz zu den liberal und national eingestellten Protestanten und rief dementsprechend antikatholische Stimmungen hervor. Dies führte dazu, dass Kulturprotestanten „im Protestantismus die religiöse Kultur der modernen Welt erkannte[n] und von ihrer Überlegenheit gegenüber dem Katholizismus überzeugt“304 waren. Zudem wurde die ausbleibende katholische Euphorie gegenüber der Reichsgründung von protestantischen Kreisen kritisch gesehen. Der ultramontane, international geprägte Katholizismus sah im Deutschen Reich „nicht eine nationale Erfüllung“305 und versuchte es daher nicht theologisch zu legitimieren. Infolgedessen beteiligten sich deutsche Katholiken und Katholikinnen nicht an den Feierlichkeiten des Sedantags oder anderen nationalen Festen, was den evangelischen Vorwurf, sie seien anti-national, weiter förderte.306 Der bereits genannte Kulturkampf hatte zur Folge, dass die katholische Kirche von ihren wahlberechtigten Mitgliedern Loyalität zur Zentrumspartei forderte. So sollten „alle Einzelinteressen […] der Verteidigung des Glaubens und der dazu nötigen Einheit“307 untergeordnet werden. Dementsprechend wurde die Politik des Kaiserreichs einzig „danach beurteilt, wieweit sie die katholischen Positionen zu wahren geeignet“308 war. 2.3.3.2 Das ambivalente Verhältnis der Konfessionen bis zur Jahrhundertwende Zeitgleich mit der Politikänderung Bismarcks wurde 1878 auch ein neuer Papst gewählt, nämlich Leo XIII., der mit seiner diplomatischen Art zu einer langsam „einsetzende[n] Beilegung des Kulturkampfs“309 beitrug. Dies hatte allerdings nicht zur Folge, dass sich der katholische Teil der Bevölkerung sofort in die Gesellschaft des Deutschen Reichs integrierte. Stattdessen haftete auf der katholischen Bevölkerung „weiterhin das Stigma der Reichsfeindschaft und der religiösen Intoleranz“310. Ab den späten 1870er Jahren richtete sich, wie gezeigt, der Nationalismus gegen nicht-deutsche Gruppen, sodass in den Streitigkeiten mit den mehrheitlich katholischen Polen und Polinnen die nationalen und konfessionellen Unterschiede eng

304 Gramley: Vaterland, 100. 305 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 456. 306 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 454–457. 307 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 452. 308 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 453. 309 Nowak: Geschichte, 156. 310 Nowak: Geschichte, 156.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

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aufeinander bezogen waren und deutsche Katholiken und Katholikinnen zwischen die Fronten gerieten.311 Papst Leo XIII., dessen Pontifikat bis 1903 dauerte, gelang zwar auf politischer Seite eine Annäherung an die Politik des deutschen Reiches, zugleich galt er aber auch als „Enzyklikenpapst“312. In den zahlreichen Rundschreiben seiner Amtszeit betonte er immer wieder die wahre Lehre, wodurch seine ultramontane Prägung erkennbar wurde. Beispielhaft sei hier auf die Enzykliken Über die christliche Ehe aus dem Jahr 1880 und Über den Katholizismus in Deutschland von 1886 hingewiesen. Eine Folge dieser päpstlichen Schreiben war, dass es auf Gemeindeebene in den 1880er Jahren zu einem Anstieg konfessioneller Konflikte kam. Streitpunkte waren unter anderem konfessionsverschiedene Ehen. Eine protestantische Reaktion darauf war die Gründung des Evangelischen Bunds im Jahr 1886. Doch nicht nur konfessionelle Auseinandersetzungen prägten das Verhältnis zwischen Katholizismus und Protestantismus am Ende des 19.  Jahrhunderts, sondern auch Annäherungen insbesondere im Bildungsbürgertum waren wahrnehmbar. Der sogenannte Reformkatholizismus strebte nach einer gesellschaftlichen Öffnung des Katholizismus im Hinblick auf Liberalismus, Moderne, Bildung und Wissenschaft und unterschied sich dadurch klar vom Ultramontanismus. Allerdings blieb die reformkatholische Strömung anders als in Frankreich oder England im Kaiserreich auf die Eliten beschränkt und war nicht breitenwirksam.313 2.3.3.3 Die Neuauflage konfessioneller Auseinandersetzungen während des Pontifikats von Papst Pius X. Ab 1903 stand Papst Pius X. an der Spitze der katholischen Kirche und zeichnete sich durch seine konsequente Ablehnung der Moderne und Befürwortung der Unfehlbarkeitslehre als strikter Ultramontanist aus. Infolgedessen wurden im Kaiserreich die konfessionellen Auseinandersetzungen wieder neu entfacht. Ein erster Konfliktpunkt war, dass Pius X. den Reformkatholizismus als „protoprotestantische Ketzerlehre“314 verurteilte. Indem der Papst Veröffentlichungen, die vom Reformkatholizismus geprägt waren, auf den Index setzte, sollte dieser 311 Vgl. Laube, Stefan: Konfessionelle Brüche in der nationalen Heldengalerie – Protestantische, katholische und jüdische Erinnerungsgemeinschaften im deutschen Kaiserreich (1871–1918), in: Haupt, Heinz-Gerhard / Langewiesche, Dieter (Hg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt/Main 2001, 303–307; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 437. 312 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1182. 313 Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1183–1890; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 444–446, 456–457; vgl. Laube: Brüche, 327–328; vgl. Becker: Nationsbilder, 405–418; vgl. Jung: Protestantismus 1870 bis 1945, 88; vgl. Nowak: Geschichte, 156–157. 314 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1184.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

„diszipliniert oder mundtot gemacht“315 werden. Diese Abwehr der liberalen Öffnung des Katholizismus stand im Zusammenhang mit dem sogenannten Zentrumsstreit im Jahr 1906. Verschiedene Personen forderten eine „interkonfessionelle Öffnung der Partei“316, um an die gesellschaftlichen Entwicklungen anzuknüpfen und den politischen Katholizismus aus der „katholische[n] Isolation“317 zu lösen. Diese Initiative wurde von Pius X. strikt abgelehnt und stattdessen machte er seinen absolutistischen Führungsanspruch geltend. Diesen nicht auf Verständigung ausgelegten Kurs verfolgte der Papst auch in den folgenden Jahren. Dabei ist besonders die 1910 erschienene Enzyklika Über den heiligen Karl Borromäus zu nennen. Hierin wurden die Reformation auf heftige und unökumenische Art und Weise kritisiert und die Reformatoren „als Verderber“318 der Kirche und als „Feinde des Kreuzes Christi“319 bezeichnet. Diese Stigmatisierung stieß auf heftige Kritik auf Seiten des liberalen Protestantismus und der Evangelische Bund „fand seine schlimmsten Befürchtungen“320 in Bezug auf die römische Kurie bestätigt. Die insbesondere durch die Borromäus-Enzyklika hervorgerufenen konfessionellen Auseinandersetzungen äußerten sich dadurch, dass es in größeren Städten zu Protestveranstaltungen mit mehreren tausend Teilnehmern kam und „die Stimmungen des Kulturkampfs wiederaufzuleben“321 begannen. Als Reaktion auf die katholische Provokation wurden neue Lutherdenkmäler geplant, wie beispielsweise in Nürnberg. Doch zugleich sollte der konfessionelle Streit am Vorabend des Ersten Weltkriegs nicht die nationale Stimmung in der deutschen Gesellschaft gefährden, sodass die Reichsregierung eingriff. So wurde eine staatliche Verlautbarung veröffentlicht, welche das Verlesen der Borromäus-Enzyklika von den Kanzeln verbot. Die Wogen zwischen den Konfessionen sollten geglättet werden, auch wenn die Enzyklika bereits überall im Umlauf war.322

315 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1184. 316 Nowak: Geschichte, 157. 317 Nowak: Geschichte, 156–157. 318 Papst Pius X.: Die Enzyklika ‚Editae saepe‘, in: Huber, Ernst Rudolf / Huber, Wolfgang (Hg.): Staat und Kirche. Im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Darmstadt 2014, 467. 319 Papst Pius X: ‚Editae saepe‘, 466. 320 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1185. 321 Nowak: Geschichte, 158. 322 Für die Reaktionen im Deutschen Kaiserreich und die Versuche der Schadensbegrenzung von Seiten der katholischen Kirche vgl. Delgado, Mariano: Die Borromäus-Enzyklika ‚Editae saepe‘ Pius X. vom 26. Mai 1910 und die Folgen, in: ders. / Ries, Markus (Hg.): Karl Borromäus und die katholische Reform. Akten des Freiburger Symposiums zur 400. Wiederkehr der Heiligsprechung des

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

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Die konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Protestantismus und Katholizismus prägten demnach die Zeit des Kaiserreichs und manifestierten sich in etlichen der errichteten Lutherdenkmäler.

2.3.4 Der Protestantismus in der Öffentlichkeit Das 19.  Jahrhundert gilt als Epoche der Säkularisierung, indem unter anderem durch den Einfluss der Wissenschaft die Religion „ihre Bindungskraft […] und verbindliche Regeln für alle Bereiche der Gesellschaft“323 verlor und zu einer Identifikationsgröße unter vielen wurde. Zugleich gibt es Stimmen, die „das Jahrhundert als Zeit der religiösen Wiederbelebung“324 deuten und Olaf Blaschke betrachtet das 19. Jahrhundert gar als „zweites konfessionelles Zeitalter“325.326 Somit ergibt sich ein ambivalentes Bild des 19. Jahrhunderts in Bezug auf die Bedeutung der Religion in Europa und insbesondere im Deutschen Reich. 2.3.4.1 Die Entkirchlichung als Herausforderung für den Protestantismus Die Entkirchlichung im langen 19. Jahrhundert lässt sich nicht durch ein einziges Phänomen erklären, sondern ist ein Resultat aus verschiedenen Komponenten, dazu zählen die zunehmende Rationalität, die Naturwissenschaften, die Säkularisierung oder auch die Individualisierung. Am deutlichsten ist die Entkirchlichung an den stark rückläufigen Zahlen der Gottesdienst- und Abendmahlbesuchenden festzumachen. Trotz regionaler Unterschiede lässt sich verallgemeinernd festhalten, dass in den Großstädten und insbesondere in den Arbeitervierteln die Entkirchlichung rasant zunahm. Daneben fällt auf, dass die „lebensprägenden Riten“327, besonders die Kasualien, weiterhin einen Schutzpatrons der katholischen Schweiz, Fribourg 2010, 340–362. Für Quellentexte vgl.  Huber / Huber: Staat, Bd. 3, 465–470; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1183–1190; vgl. Jung: Protestantismus von 1870 bis 1945, 88; vgl. Nowak: Geschichte, 156–158; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 437, 446–448. 323 McLeod: Revolutionen, 54. 324 McLeod: Revolutionen, 54. 325 Blaschke, Olaf: Vorwort, in: ders. (Hg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002, 9. Für kritische Anmerkungen zum Begriff des „zweiten konfessionellen Zeitalters“ vgl.  Friedrich, Martin: Das 19.  Jahrhundert als Zweites Konfessionelles Zeitalter? Anmerkungen aus evangelisch-theologischer Sicht, in: Blaschke, Olaf (Hg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002, 95–112. 326 Vgl. McLeod: Revolutionen, 53–57; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 504–507. 327 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 504.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

hohen Stellenwert hatten. Die Beliebtheit der Kasualien, die für die jeweiligen individuellen Leben sinnstiftende Wirkung haben, deutet daraufhin, dass die Individualisierung auch auf die Religion Auswirkungen hatte und diese „sich zusehends in eine Privatsache“328 verwandelte.329 Daneben etablierten sich säkulare Sinnstiftungen beziehungsweise Ersatzreligionen, wie beispielsweise der Marxismus im Proletariat oder der Nationalismus als politische Religion. Aber auch „innerweltliche Transzendenzen“330 wie Arbeit und Familie wurden zum Lebensinhalt und Lebenssinn. Im Bürgertum nahmen zusätzlich dazu Bildung und Kunst die Stellung säkularer Religionen ein, sodass die Kirche als Institution „wohl schon für die Mehrheit aus dem Zentralbereich des bürgerlichen Lebens“331 herausrückte.332 Aufgrund seiner Offenheit gegenüber der Moderne war der Protestantismus von der Entkirchlichung stärker betroffen als der Katholizismus. Das protestantische Bildungsbürgertum konnte sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher im sogenannten Kulturprotestantismus wiederfinden als in der Institution Kirche. Dieser zeichnete sich dadurch aus, dass er „die Religion als einen notwendigen Bestandteil des Kulturlebens“333 ansah.334 Die institutionell verfasste Kirche verhielt sich gegenüber der Entkirchlichung eher verhalten und defensiv und versuchte nicht initiativ entgegenzuwirken. Dadurch wurde sie nach außen „stärker zur Anstalt [und zur Hüterin] der Moral“335. Die Folge daraus war, dass die Kirche an konservativen Werten und Normen festhielt und sich das Bildungsbürgertum vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts von ihr entfremdete.336 Auch wenn die Entkirchlichung im Verlauf des 19. Jahrhunderts bis hin zum Ersten Weltkrieg zunahm, lässt sich damit nicht die Entchristlichung der Gesellschaft gleichsetzen. Durch seine Offenheit gegenüber der Moderne hatten diese gesellschaftlichen Entwicklungen für den Protestantismus eine Anpassung zur Folge, beispielsweise in Form des Nationalprotestantismus oder des Kulturpro328 Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1180. 329 Vgl.  Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd.  3, 1178–1180; vgl.  Jung: Protestantismus 1815 bis 1870, 116–117; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 493, 504–507. 330 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 516. 331 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 507. 332 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 516–518. 333 Jung: Protestantismus 1871 bis 1945, 50. 334 Vgl. Graf, Friedrich Wilhelm: Art. Kulturprotestantismus, in: TRE 20 (1990), 230–243; vgl. Kocka: 19. Jahrhundert, 123–125; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1172–1181. 335 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 475. 336 Vgl.  Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd.  1, 474–476, 504–507; Jung: Protestantismus 1871 bis 1945, 81–87.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

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testantismus. Es kann zudem von einem „Auseinandergehen von christlicher und kirchlicher Mentalität im öffentlichen Bewusstsein“337 gesprochen werden, was sich an der protestantischen Festfrömmigkeit erkennen lässt. 2.3.4.2 Die protestantische Festfrömmigkeit am Beispiel von Reformations- und Lutherjubiläen Obwohl es im 19. Jahrhundert zu einem Rückgang des regelmäßigen Gottesdienstbesuchs an Sonntagen kam, war zugleich eine Aufwertung der besonderen Feiertage wahrnehmbar. So entwickelte sich beispielsweise der Reformationstag, der nach den Freiheitskriegen als „Festtag der protestantischen Nation“338 gefeiert wurde, zu einem beliebten Gedenktag. Ebenso ist mit der Feier des Geburtstags ein Hinweis auf die Entkirchlichung der Gesellschaft gegeben, denn bis zum 19. Jahrhundert wurde an Weihnachten die Geburt Jesu als der „einzige wahrhaftige Geburtstag in der Kirche“339 gefeiert. Der Tag der Taufe und damit verbunden der Namenstag war hingegen das wichtigste Datum für die individuelle Feier gewesen. Nachdem im Bürgertum „die Besinnung auf Sterben und neues Leben durch die christliche Taufe“340 immer unwichtiger geworden war, gewann der Geburtstag an Bedeutung. Erst in diesem Kontext wird verständlich, dass 1883 erstmals Luthers Geburtstag Anlass für eine große Jubiläumsfeier war und so „zum Zeichen der vollendeten Verbürgerlichung des reformatorischen Jubiläums“341 wurde.342 Daneben erfreuten sich öffentliche Feste großer gesellschaftlicher, vor allem bürgerlicher Beliebtheit. Die christliche Religion wurde dabei durch die Etablierung von „Gedenktagen, Pilgerzügen, Festreden, Standbildern, Festspielen, lebenden Bildern und Historienmalerei“343 theatralisiert. Somit lösten diese öffentlichen Inszenierungen das vorherige stille vom heiligen Ergriffensein ab. Daher versuchte die Kirche, die für sie noch aufgeschlossenen Gruppen durch Unterhaltung und Inszenierung von Mythen mit der christlichen Botschaft zu erreichen. Dementspre-

337 Staats, Reinhart: Protestanten in der deutschen Geschichte. Geschichtstheologische Rücksichten, Leipzig 2004, 149. 338 Staats: Protestanten, 167. 339 Staats: Protestanten, 169. 340 Staats: Protestanten, 169. 341 Burkhardt, Johannes: Reformations- und Lutherfeiern. Die Verbürgerlichung der reformatorischen Jubiläumskultur, in: Düding, Dieter / Friedemann, Peter / Münch, Paul (Hg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Hamburg 1988, 227. 342 Vgl. Staats: Protestanten, 162–174. 343 Laube: Brüche, 314.

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chend fanden die verschiedenen Feierlichkeiten, insbesondere von Jubiläen, und die Errichtung von Denkmälern im Protestantismus immer stärkere Beachtung, entwickelten sich zu Massenveranstaltungen und prägten die evangelische Erinnerungsgemeinschaft. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden aus „Festfrömmigkeit, Denkmalskult und […] [der] Feier von Jubiläen […] beliebte Formen protestantischer Selbstdarstellung“344. Hierbei sind insbesondere die Reformations- und Lutherjubiläen von 1817, 1883 und 1917 zu nennen, die im weiteren Verlauf der Arbeit noch eine wichtige Rolle spielen werden. Diese wurden zum einen in ganz Deutschland begangen und zum anderen waren sie Anlass für die Errichtung, Grundsteinlegung und Enthüllung zahlreicher Lutherdenkmäler. Das Begehen dieser Jubiläen implizierte zwar die Vergegenwärtigung der Vergangenheit, doch wurde stets nach den Auswirkungen der Reformation auf die Gegenwart gesucht. Zudem umfassten sie „nahezu alles […], was der Festgesellschaft des 19. Jahrhunderts teuer war“345.346 2.3.4.3 Der protestantische Kirchenbau als Ausdruck der deutschen Kulturnation In Folge der Industrialisierung und der damit verbundenen Urbanisierung kam es in den größeren Städten zu einer regelrechten „Kirchennot“347, sodass in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende überproportional viele Kirchen neu gebaut oder renoviert wurden. Im Jahr 1892 wurden allein in Berlin 25 Kirchen gleichzeitig errichtet. Vielen Kirchenbauten ging eine langwierige Diskussion voraus, die sich mit der Frage beschäftigte, wie ein Kirchengebäude auszusehen hat, um die protestantische Identität zu veranschaulichen. Bis Anfang des 19.  Jahrhunderts wurden evangelische Kirchen als profane Räume angesehen, in denen vor allem die Kanzel zentral zu sein hatte. Im Verlauf des Jahrhunderts und aufgrund der zunehmenden protestantischen Pluralisierung stellte sich die Frage nach dem protestantischen Selbstverständnis neu. Es war ein Anliegen diese „Identität auch sichtbar zum Ausdruck [zu] bringen“348, sodass eine Auseinandersetzung um den evangelischen Kirchenbau das gesamte Jahrhundert prägte. Im Zentrum dieser Diskussion stand zunächst die Forderung des konfessionellen Luthertums nach sakralen Kirchenräumen, weshalb die Kirchenbauten des

344 Staats: Protestanten, 150. 345 Burkhardt: Lutherfeiern, 228. 346 Vgl. Burkhardt: Lutherfeiern, 212–236; vgl. Laube: Brüche, 306–307, 328–329. 347 Brennecke, Hanns Christof: Auf der Suche nach einer sichtbaren Identität. Protestantischer Kirchenbau zwischen Sakralität und Profanität, in: ZThK 107 (2010), 53. 348 Brennecke: Suche, 39.

2.3 Die Vielfalt des deutschen Protestantismus 

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17. und 18. Jahrhunderts, die sich durch ihre Pragmatik und Profanität ausgezeichnet hatten, abgelehnt wurden. Die Gotik war für die Neulutheraner „der reinste Ausdruck von wahrer Frömmigkeit und Kirchlichkeit“349, weshalb sich die Neugotik insbesondere „in sich dezidiert als lutherisch verstehenden Landeskirche“350 etablierte. Weitere Gründe für die Beliebtheit der Neugotik waren zum einen der Historismus und zum anderen der mit ihr einhergehende „Ausdruck einer nationalen Verbundenheit“351. Die Gotik als genuin sakraler christlicher Baustil und als der die öffentliche Identität des Protestantismus repräsentierender Stil etablierte sich in der Mitte des Jahrhunderts und hatte mit dem Christlichen Kunstblatt seit 1858 ein öffentliches Organ. 1861 wurde auf der Eisenacher Kirchenkonferenz ein Regulativ beschlossen, das die Sakralität der evangelischen Kirchen und die Gotik als ihren Baustil empfahl. Entscheidend für die innerprotestantische Diskussion war, „dass hier das deutsche Luthertum als die eigentliche Form des Protestantismus“352 auftrat. Allerdings stießen diese Eisenacher Bestimmungen seit den 1880er Jahren bei den an Einfluss gewinnenden liberalen Lutheranern und bei Reformierten auf Kritik. Darunter ist insbesondere Emil Sulze zu nennen, der im Sinne des Kulturprotestantismus die Anschlussfähigkeit des Protestantismus an die Moderne in den Vordergrund stellte. So erwartete er von evangelischen Bauten, dass diese „nicht nur Predigt-, sondern vor allem Gemeindekirche sein“353 müssten. Diese Einstellung der protestantischen Kirche als profanes Versammlungshaus wurde 1891 im sogenannten Wiesbadener Programm festgehalten. Dieser Gegensatz zwischen reformierten und liberalen lutherischen Kreisen einerseits und dem konservativen Luthertum andererseits bestimmte die Debatte am Ende des Jahrhunderts. Dabei ging es nur oberflächlich um Stilfragen, denn eigentlich war es eine innerprotestantische Diskussion um die Frage, welche Strömung den Protestantismus in der Öffentlichkeit repräsentierte. Das Wiesbadener Programm setzte sich immer mehr durch, sodass ab 1900 der gotische Baustil bei Neubauten oder Renovierungen kaum mehr genutzt wurde. Der vormalige gotische und sakrale Einfluss des Neuluthertums auf den Kirchenbau war dementsprechend seit den 1890er Jahren vom liberalen Protestantismus abgelöst worden. Der sogenannte Kulturprotestantismus prägte die Sichtbarkeit des 349 Brennecke: Suche, 45. 350 Brennecke: Suche, 45. 351 Hammer-Schenk, Harold: Art. Kirchenbau. IV. 19. und frühes 20.  Jahrhundert, in: TRE 18 (1989), 504. 352 Brennecke: Suche, 49. 353 Brennecke: Suche, 51.

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Protestantismus maßgeblich, was sich an den „Kirchen seit der Jahrhundertwende […] [, die] das volkskirchlich protestantische Bildungsbürgertum des wilhelminischen Deutschlands in seinem Selbstbewusstsein beinahe perfekt“354 repräsentierten, zeigen lässt. Es wurde beabsichtigt, dass die Architektur der Kirchen und die künstlerische Ausgestaltung stets „in Einklang mit der modernen Kulturentwicklung“355 stehen sollte. Für die Ausgestaltung von Kirchengebäuden im Innern und Äußern wurde dementsprechend die Platzierung einer Lutherfigur und anderer Statuen immer wichtiger. Bei der Entwicklung des Nationalismus wurde auf die Sakralisierung der Nation hingewiesen, indem aus dem Christentum Begrifflichkeiten entliehen und auf die Nation übertragen wurden. Nun im Hinblick auf den Kirchenbau ist es genau andersherum, da das Weltliche das Leitkriterium für die protestantische Kunst und Architektur bildete und sich somit das Kirchliche an das Weltliche anzupassen vermochte. Angeführt durch den Zweiten Kirchenbaukongress in Dresden 1906 sollten „Kirchenbau und kirchliche Kunst […] in die nationale Kunst und Kultur integriert“356 und somit zu einem Teil der Nationalkultur werden. Dies veranschaulicht die enge Verbindung von protestantischer Identität und Nationalismus im wilhelminischen Kaiserreich. So verband sich mit dem Kirchenbau nicht nur die Frage nach der spezifisch protestantischen Identität, sondern auch die Anpassung an die Moderne und die Bedeutung für die gesamte deutsche Kulturnation.357

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Denkmal358 zu dem populären öffentlichen Darstellungsmedium, wobei es vom Nationalismus und dem Bürgertum genauso beeinflusst war wie beispielsweise von der protestantischen Festfrömmigkeit. Die Charakteristika des Denkmals im Hinblick auf den Aufstellungsort, die Gestalt des Denkmals, seine Initiatoren, die Einweihungsfeiern und die im Denkmal konser354 Brennecke: Suche, 56. 355 Brennecke: Suche, 56. 356 Brennecke: Suche, 57. 357 Vgl. Brennecke: Suche, 31–63; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 479; vgl. HammerSchenk: Kirchenbau, 498–514; vgl. Bahns, Jörn: Johannes Otzen 1839–1911: Beiträge zur Baukunst des 19. Jahrhunderts (Materialien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 2), München 1971, 17–19, 26–28. 358 Zum Denkmalbegriff vgl.  Scharf, Helmut: Kleine Kunstgeschichte des deutschen Denkmals, Darmstadt 1984; vgl. Alings: Monument, 3–15. Für das Denkmal im 19. Jahrhundert grundlegend Mittig, Hans-Ernst / Plagemann, Volker (Hg.): Denkmäler im 19. Jahrhundert. Deutung und Kritik (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts), München 1972.

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts 

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vierten Ideen des kollektiven Gedächtnisses sind dabei von besonderer Bedeutung, da diese für die Analyse der Lutherdenkmäler grundlegend sind.

2.4.1 Der Wandel des Denkmals im 19. Jahrhundert In der Mitte des 19. Jahrhunderts verstand man unter einem Denkmal im eigentlichen Sinne ein Standbild, das heißt die Statue einer bekannten Person, die erhöht auf einem Unterbau an einem öffentlichen Platz errichtet wurde. Diesem sehr engen Denkmalverständnis soll hier gefolgt werden. Dabei grenzt sich diese ausschließlich auf bewusst errichtete Standbilder bezogene Definition von Denkmälern ab, die erst durch „den historisch reflektierenden Menschen im nachhinein […] Denkmalcharakter“359 erhielten, wozu beispielsweise Baudenkmäler zählen. Diese Differenzierung findet sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts und wurde im 19. Jahrhundert zur Grundlage des „modernen Denkmalbegriff[s] Alois Riegls, der ‚gewollte‘ von ‚ungewollten‘ Denkmälern“360 unterschied.361 Wichtig dabei ist, dass die bewusst errichteten Standbilder beabsichtigen Erinnerungen hervorzurufen und somit Ausdruck der Erinnerungskultur einer bestimmten Gruppe sind. Die Beliebtheit des Denkmals im 19. Jahrhundert war dabei nicht nur auf den entstehenden deutschen Nationalstaat beschränkt, sondern es handelte sich vielmehr um ein europäisches Phänomen.362 2.4.1.1 Der Wandel vom Herrscherdenkmal zum bürgerlichen Denkmal Trotz mancher Unterschiede in der europäischen Denkmalsetzung war eine Gemeinsamkeit die Erweiterung des denkmalwürdigen Personenkreises und die damit verbundene Verbürgerlichung des Denkmals.

359 Scharf: Kunstgeschichte, 11. 360 Alings: Monument, 4. 361 Die für die Geschichtswissenschaft wichtige Unterscheidung historischen Materials von Johann Gustav Droysen ist daran angelehnt, indem er unter anderem zwischen Überresten und Denkmälern unterscheidet. Denkmäler wollen demnach „etwas bezeugen oder für die Erinnerung fixieren, und zwar in einer bestimmten Form der Auffassung des Geschehenen“. Droysen, Johann Gustav: Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte (hg. von Hübner, Rudolf), München 41960, 50. 362 Vgl. Scharf: Kunstgeschichte, 5–19; vgl. Spohr, Stephan: Das deutsche Denkmal und der Nationalgedanke im 19. Jahrhundert (Studies in European Culture 7), Weimar 2011, 11–14. Zum europäischen Vergleich vgl. Remlein, Carolin: Das Bürgertum auf dem Postament. Die Geschichte der bürgerlichen Denkmalstatue in Europa von ihren Anfängen bis zur Mitte des 19.  Jahrhunderts, Berlin 2016.

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Das 18.  Jahrhundert war noch von der Ansicht geprägt gewesen, dass ausschließlich Herrschende allein aufgrund ihrer Abstammung denkmalwürdig seien, was ganz im Zeichen des Absolutismus stand. Der dominierende Typus war somit das Herrscherdenkmal, meist in Form eines Reiterbildes. Daneben waren stehende Darstellungen von absolutistischen Vertretern selten. Am Ende des Absolutismus waren Büsten nicht mehr nur Herrschenden vorbehalten, sondern zunehmend auch Philosophen und Dichter wurden auf diese Art dargestellt. So wurden noch vor der Einweihung des ersten Lutherstandbilds bereits 1817 anlässlich des 300. Reformationsjubiläums einige Lutherbüsten363 aufgestellt.364 Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert setzte sich nicht nur in den deutschen Reichsgebieten langsam der Gedanke durch, dass nicht mehr die Abstammung, sondern das Individuum und dessen Verdienst für die Darstellung im Denkmal entscheidend seien. Somit erweiterte sich im Verlauf des Jahrhunderts der Kreis der im Denkmal dargestellten Personen sukzessive. Der im Folgenden häufiger verwendete Begriff des bürgerlichen Denkmals ist dabei insbesondere in Abgrenzung zum Herrscherdenkmal zu verstehen. Das heißt, gemeint sind Denkmäler, die nicht mehr eine politisch herrschende Person, sondern einen für eine Region oder Gruppe besonders verdienstvollen Menschen darstellen. Entscheidend ist, dass Luther mit dem 1821 eingeweihten Wittenberger Denkmal auf deutschen Gebieten das erste öffentliche bürgerliche Standbild gewidmet wurde. Dieses steht somit am Anfang eines bürgerlichen Denkmalkults, der insbesondere im Vormärz Aufschwung erhielt. So wurden ab den 1830er Jahren Schriftstellern und Dichtern, wie Schiller und Goethe, Denkmäler errichtet. Ab 1840 beginnend mit der Einweihung des Dürerstandbilds in Nürnberg wurden auch Malern, Musikern und Komponisten Denkmäler gesetzt. Ein paar Jahre später wurde dieser Kreis durch Plastiken von Wissenschaftlern erweitert.365 Bei diesen bürgerlichen Denkmälern fällt zudem auf, dass ab der Jahrhundertmitte eine zunehmende Individualisierung der Standbilder feststellbar ist, indem „der starre Typus der Porträtstatue“366 aufgeweicht wurde und die Künstler zunehmend auch mehrfigürliche Denkmäler schufen. Hierzu zählt beispielsweise das Weimarer Doppelstandbild von Goethe und Schiller von 1857 oder das vom selben Künstler entworfene Wormser Lutherdenkmal von 1868.

363 Vgl. zum Beispiel im Garten des Geburtshauses Luthers in Eisleben, und in zahlreichen Kirchen, darunter im elsässischen Weißenburg. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler. 364 Vgl. Scharf: Kunstgeschichte 152–156. 365 Vgl. Spohr: Denkmal, 17–19; vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 227–228; vgl. Remlein: Postament, 275–276. 366 Remlein: Postament, 250.

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts 

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Diese Entwicklung vom Herrscherstandbild zum bürgerlichen Denkmal ist im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit zu sehen. Das heißt, der Wille nach mehr politischer Partizipation und die zunehmende Individualisierung durch Leistung und Bildung trug zum Wandel des Denkmals bei.367 Im Verlauf des 19.  Jahrhunderts wurden zwar immer mehr Denkmäler für berühmte oder lokal bedeutende Personen errichtet, dennoch verschwand das Herrscherdenkmal nicht völlig. Gerade in Residenzstädten versuchten die Monarchen ihre Denkmalanzahl zu erhöhen und präsent zu bleiben.368 2.4.1.2 Vom privaten Gedenken zum öffentlichen Erinnern Mit diesem Wandel der abgebildeten Personen ging zudem eine Verschiebung vom persönlichen Gedenken zum öffentlichen Gedächtnis einher. Dies zeigte sich deutlich im Hinblick auf die Wahl des Standorts, dem eine hohe Bedeutung beigemessen wurde. Die bürgerlichen Standbilder wurden seit dem 19. Jahrhundert nun nicht mehr in der Natur, in privaten Gärten von Adeligen und wohlsituierten Bürgerfamilien, oder an halböffentlichen Plätzen wie beispielsweise in Innenräumen von Kirchen, sondern vorzugsweise an einem öffentlichen Platz in der Stadt errichtet. Insbesondere der Marktplatz oder ein anderer zentraler und frequentierten Platz im Ort, wie beispielsweise vor der Kirche oder anderen öffentlichen Gebäuden, waren besonders geeignet. Dies hing vor allem mit dem Bürgertum, das die meisten Denkmäler initiierte, zusammen. Dieses sah den Zweck des Denkmals nicht mehr bei der stillen, individuellen Verehrung und in einer „Wechselwirkung von idyllischer Naturbetrachtung und besinnlicher Erinnerung“369. Stattdessen wurde mit der traditionellen Denkmalkultur gebrochen, indem „die Monumente aus der Abgeschiedenheit der Natur in die Öffentlichkeit der Stadt“370 hineingeholt wurden, um die politischen und gesellschaftlichen Bestrebungen des städtischen Bürgertums offenkundig werden zu lassen. Dadurch sollte das geistige Erbe der dargestellten Persönlichkeit für die Stadt in Anspruch genommen werden.371

367 Vgl.  Remlein: Postament, 280; vgl.  Mittig, Hans-Ernst: Über Denkmalkritik, in: ders. / Plagemann, Volker (Hg.): Denkmäler im 19.  Jahrhundert. Deutung und Kritik (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 20), München 1972, 287–288. 368 Vgl. Müller, Jürgen: Die Stadt, die Bürger und das Denkmal im 19. Jahrhundert, in: Hein, Dieter / Schulz, Andreas (Hg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, 279–280. 369 Müller: Stadt, 271. 370 Müller: Stadt, 273. 371 Vgl. Müller: Stadt, 271–273; vgl. Remlein: Postament, 255–257.

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2.4.2 Das Denkmal als Repräsentation des Bürgertums Durch den Wandel vom Herrscherdenkmal zum bürgerlichen Monument und mit der zeitgleich erfolgenden Verschiebung des Denkmals in die urbane Öffentlichkeit, hatte sich der Kreis der denkmalwürdigen Personen und der möglichen Aufstellungsorte stark erhöht. So waren die Grundvoraussetzungen für die Denkmalbewegung im 19. Jahrhundert gegeben, die das Bürgertum als Hauptinitiatoren der Monumente nun auf seine Art und Weise zu nutzen wusste. Es entstand ein regelrechter Denkmalkult, welcher eine verbürgerlichte Erinnerungskultur im 19. Jahrhundert beförderte. Diese verband sich in den Standbildern mit lokalpatriotischen Ansichten und spiegelte sich zudem bei den Einweihungsfeiern wider. 2.4.2.1 Der Denkmalkult im Bürgertum Der Verein hatte sich im Verlauf des 19.  Jahrhunderts als die wichtigste bürgerliche Organisationsform entwickelt und war auch für die Denkmalerrichtungen der wichtigste Faktor. Bereits dem ersten Lutherdenkmal in Wittenberg ging das Bestreben eines solchen Komitees im Mansfelder Land voraus. Diese Denkmalvereine initiierten die Standbilder, schrieben zum Teil Wettbewerbe für die Einsendung von Entwürfen aus, sammelten Spenden, wählten einen Aufstellungsort und planten Enthüllungsfeiern. Insbesondere seit den 1820er Jahren gründeten sich aus dem Stadtbürgertum heraus zahlreiche Denkmalvereine, was mit einem rapiden Anstieg der Standbilder einherging. Nachdem es im Jahr 1818 nur 18 öffentliche Standbilder gegeben hatte, waren es 1883 bereits über 800 Monumente, sodass von einem regelrechten Denkmalkult gesprochen wurde. Blickt man dabei jedoch auf die Zusammensetzung der Denkmalvereine, so fällt auf, dass diese auf die lokalen Eliten beschränkt blieben, Arbeiter in diesen eine seltene Ausnahme blieben und Frauen nicht repräsentiert waren. Somit wird deutlich, dass das Denkmal in erster Linie die Interessen des männlichen Bürgertums widerspiegelte und es daher nicht überrascht, dass sich „die Denkmalfähigkeit der Denker, Dichter, Künstler und Erfinder“372 durchsetzte. Trotzdem bezog sich der Kreis der Adressaten und Adressatinnen des Denkmals auf alle Stadtbewohnenden, was sich in der Wahl des öffentlich zugänglichen Standorts zeigte.373

372 Mittig: Denkmalkritik, 287. 373 Vgl. Mittig: Denkmalkritik, 286–288; vgl. Müller: Stadt, 270–271; vgl. Stump, Wolfgang: Lutherstandbilder als Nationaldenkmäler. Streiflichter zur Geschichte des Konfessionalismus in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Saeculum 34 (1983) 2, 138; vgl. Laube: Brüche, 316.

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts 

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Indem die Leistung des dargestellten Individuums ins Zentrum des Denkmals gerückt wurde, wurde eine Identifizierung mit der dargestellten Persönlichkeit beabsichtigt. Hierin liegt ein weiterer Unterschied zum vorher dominierenden Herrscherstandbild, das auf stille Verehrung abzielte. Um die Identifikation mit der dargestellten Person zu ermöglichen, wurde bei der Denkmalkonzeption insbesondere auf den Ausdruck und die Gestaltung aber auch auf die Auswahl passender Inschriften oder Reliefs geachtet. Ein wesentlicher Gestaltungsaspekt war zusätzlich die Größe des Denkmals und des Postaments. Denn je höher dieses gebaut wurde, „desto erhabener und entrückter […] [erschien] der Porträtierte“374. Im Gegensatz dazu führte ein niedrigerer Sockel dazu, dass die dargestellte Figur näher rückte und sich ein nahezu „familiärer Charakter“375 ergab, indem ein Dialog zwischen dem Dargestellten und den Betrachtenden möglich wurde. Ein weiterer Hinweis auf die Repräsentation des Bürgertums in den Denkmälern war die bürgerliche Kleidung, welche an den Statuen abgebildet wurde. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren es überwiegend antike Kostüme gewesen, in denen die Persönlichkeiten dargestellt wurden. Erst durch das aufkommende nationale Bewusstsein führte dies im sogenannten Kostümstreit zu Differenzen, indem sich die Meinungen für antike oder „für die nationale Tracht an Denkmälern“376 gegenüberstanden. Auch noch Mitte des 19.  Jahrhunderts wurde prominent durch Arthur Schopenhauer die moderne Kleidung bei Denkmaldarstellungen kritisiert. Er sah im historischen Kostüm eine „unvermeidliche oder drohende Trivialität“377. Daher solle im Standbild der ideale Mensch in der Kleidung „nach Weise der Alten“378 geehrt werden und nicht aber die reale Person, die mit „Schwächen und Fehlern, die unserer Natur anhängen“379 behaftet ist. Dennoch konnte sich Schopenhauers Ansicht nicht durchsetzen, sodass die bürgerliche Kleidung zu einem Kennzeichen der Denkmäler des 19. Jahrhunderts wurde. Dass die Kostümfrage die erste Hälfte des Jahrhunderts bestimmte, zeigt sich auf exemplarische Weise auch an den in diesem Zeitraum errichteten Denkmälern, vor allem in Wittenberg und Worms.

374 Remlein: Postament, 256. 375 Remlein: Postament, 256. 376 Mittig: Denkmalkritik, 284. 377 Mittig: Denkmalkritik, 284. 378 Mittig: Denkmalkritik, 284. 379 Mittig: Denkmalkritik, 284.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

Die gewählten Darstellungen verstärkten den Aspekt, dass sich die Arbeiterschaft nicht mit den Denkmälern identifizieren konnte und allein das Bürgertum das geistige Erbe der dargestellten Personen für sich reklamierte.380 2.4.2.2 Der Lokalpatriotismus im Denkmal Die Denkmäler etablierten sich zunehmend in der „sichtbaren Welt des städtischen Alltags“381 und entwickelten einen „weitwirkenden, selbstverständlichen populären Repräsentationscharakter“382. Dieser war nicht selten mit der Stadt, in der das Monument errichtet wurde, verknüpft, indem der lokale Bezug im Denkmal eine wichtige Rolle spielte. Die Entwicklung des Nationalismus hatte gezeigt, dass neben dem nationalstaatlichen Bewusstsein auch regionale Identitäten ausgeprägt waren. Keimzellen des Lokalpatriotismus waren vor allem das Stadtbürgertum, welches unter Berufung auf „die spezifische Geschichte einer Stadt […] ein ausgeprägtes [städtisches] Identitätsbewusstsein“383 entwickelte. Dieses zeigte sich beispielsweise, indem Leistungen oder Errungenschaften der eigenen Stadt und von berühmten Persönlichkeiten aus diesem Ort besonders betont wurden. Die bürgerlichen Monumente wurden überwiegend an Geburts- und Wirkungsstätten der Gelehrten errichtet und „nur wenige, zu nationalen Ikonen stilisierte Persönlichkeiten“384 bekamen Denkmäler in Städten ohne Bezug zu ihrem Leben. Das Denkmal wurde so in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts zum „steingewordenen Ausdruck städtischer Identität“385 und sollte nicht nur der im Denkmal geehrten Persönlichkeit, sondern auch dessen Heimat- oder Wirkungsstadt „dauerhaften Ruhm sichern“386. Dieser lokale Bezug spiegelte sich zum Teil auch am Denkmal wider, das heißt in der Ausgestaltung der Statue, den Inschriften oder den Reliefs am Sockel. Aber auch die Feier der Grundsteinlegung oder der Enthüllung boten Anlass, nicht nur

380 Vgl. Mittig: Denkmalkritik, 284–285; vgl. Remlein: Postament, 255–257; vgl. Kluxen, Wolfgang: Denkmäler setzen – Identität stiften, in: Mai, Ekkehard / Schmirber, Gisela (Hg.): Denkmal – Zeichen – Monument. Skulptur und öffentlicher Raum heute, Bonn 1989, 30–32; vgl. Spohr: Denkmal, 20; vgl.  Müller: Stadt, 273; vgl.  Maurer, Michael: Dynastische und bürgerliche Denkmalkultur in Weimar und Jena im 19. Jahrhundert, in: Gerber, Stefan / u. a. (Hg.): Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in Deutschland, Bd. 1, Göttingen 2014, 203–210. 381 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 538. 382 Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 538. 383 Hardtwig: Hochkultur, 246. 384 Müller: Stadt, 281. 385 Müller: Stadt, 270. 386 Remlein: Postament, 282.

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts 

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die Erinnerung an die im Denkmal gewürdigte Person, sondern auch die Tradition der Stadt zur Schau zu stellen. Ein Denkmal trug somit sowohl zur „eigenen Selbstvergewisserung als auch der Außendarstellung der Städte“387 bei, indem das kulturelle Ansehen der jeweiligen Stadt erhöht wurde und man sich beispielsweise als Goethestadt oder auch als Lutherstadt bezeichnete.388 2.4.2.3 Die Denkmaleinweihungsfeiern Die Grundsteinlegung und noch wichtiger die Enthüllung eines Denkmals boten Anlass für eine Feier in der jeweiligen Stadt. Hierfür wurde zumeist der Termin auf einen Gedenktag oder ein Jubiläum gelegt. In Bezug auf die Lutherdenkmäler bedeutete dies, dass sowohl der Reformationstag als auch Luthers Geburtstag wichtige Daten für diese öffentlichen Feierlichkeiten waren. Diese Festveranstaltungen geben zusätzlich zum Monument Aufschluss über die Deutung und den Stellenwert des jeweiligen Standbilds. Zudem veranschaulichen die Teilnehmenden und die Zeremonie, wie das Denkmal in der nationalpolitischen Landschaft künftig aufgenommen werden sollte. Daher werden die Denkmaleinweihungsfeiern auch bei der Analyse der Lutherdenkmäler von besonderer Bedeutung sein. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Protestantismus das stille Ergriffensein zugunsten von Unterhaltung und Inszenierung abgelöst wurde. Dies korrespondiert mit den Denkmälern und ihrer Herauslösung aus der Natur, ihrer Aufstellung in der Stadt und ihrer Einweihung, die groß inszeniert und in der ganzen Stadt gefeiert wurde. Die Denkmäler waren also nicht mehr besinnliche Orte sondern „vielmehr Orte der demonstrativ und nicht selten aggressiv zur Schau getragenen Gesinnung“389. So gehörten zu den zum Teil mehrtägigen Feierlichkeiten nicht nur diverse Reden und Gottesdienste, häufig wurde die ganze Stadt geschmückt und ein historischer Festzug oder Fackelzug zog durch die Stadt.390 Eine weitere Verbindung zwischen Denkmaleinweihungsfeiern und protestantischer Festfrömmigkeit liegt in der Gestaltung der öffentlichen Feierlichkeiten. Michael Mitterauer zeigt, dass Elemente der christlichen Liturgie an historischen Gedenktagen, unter anderem bei den Enthüllungsfeiern, verweltlicht wurden. Dies galt beispielsweise für die Predigt, die aufgrund von Rhetorik, zeremoniel-

387 Müller: Stadt, 284. 388 Vgl.  Müller: Stadt, 277–284; vgl.  Hardtwig: Hochkultur, 266–267; vgl.  Remlein: Postament, 280–284. 389 Müller: Stadt, 288. 390 Vgl. Müller: Stadt, 271, 281; vgl. Alings: Monument, 381–384; vgl. Burkhardt: Lutherfeiern, 212.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

lem Pathos und den zu vermittelnden Inhalten als Vorbild für die Festansprachen fungierte. Zusätzlich wurden Lieder und das Glockenläuten als ursprünglich liturgische Elemente übernommen, da sie für festliche Stimmung sorgten. Aber auch der sich im 19. Jahrhundert etablierende Festzug hat religiöse Wurzeln, da ihm die Prozession zu Grunde liegt. Diese Übertragung christlich-liturgischer Elemente in den Ablauf öffentlicher Feiern zeigt, dass bei den Teilnehmenden der historischen Gedenktage und im Besonderen bei den Denkmaleinweihungsfeiern eine „emotionale Bindung“391 und nicht eine „kritische Distanz“392 hervorgerufen werden sollte.393 Im Rahmen der Denkmaleinweihungsfeiern bildeten die Reden einen zentralen Programmpunkt, da in ihnen „Sinn und Deutung“394 des Standbilds erkennbar wurden. Durch die Reden konnten Anlass, Motive und Interessen sowohl der Auftraggebenden als auch des jeweiligen Bildhauers offengelegt und „die erste offizielle Deutung des Denkmals“395 der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Es bot sich die Chance, die „versteinerte Aussage lebendig [zu] inszenieren und damit glaubwürdig, wahrhaftig [zu] machen“396. Daher wurden die Ansprachen in den lokalen Tageszeitungen und manchmal sogar in Festschriften veröffentlicht und somit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht, sodass diese Deutungen die öffentliche Erinnerung prägen sollten. Neben den Reden wurde das Fallen der Hülle, durch das ein Standbild öffentlich wurde, vom Publikum besonders gespannt erwartet. Die Teilnehmenden waren zum einen geladene Gäste, die „das Spektrum der Personen und gesellschaftlichen Gruppen, die im jeweiligen Denkmal selbst geehrt“397 wurden, abbildeten. Zum anderen nahm auch die breite Bevölkerung durch eingeladene Vereine oder durch ungeladenes Publikum, welches „außerhalb der Absperrungen präsent“398 war, teil. So kann hier bereits erahnt werden, dass die bei den Enthüllungsfeiern der Lutherdenkmäler anwesenden Personen genauso wie die jeweiligen Redner Aufschluss darüber geben, für wen und von wem das jeweilige Standbild gedeutet wurde. Es handelte sich bei den Denkmaleinweihungen um „inszenierte und streng reglementierte, daher oft gleichförmige und bis ins Detail und auf die Minute

391 Mitterauer: Millennien, 51. 392 Mitterauer: Millennien, 51. 393 Vgl. Mitterauer: Millennien, 47–51. 394 Alings: Monument, 381. 395 Alings: Monument, 381. 396 Alings: Monument, 390. 397 Alings: Monument, 391. 398 Alings: Monument, 403.

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts 

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geplante“399 Veranstaltungen. Die besondere Absicht hinter den Enthüllungsfeiern bestand darin, Einigkeit zu stiften und Einheit zu demonstrieren. Insbesondere Feierlichkeiten rund um nationale Denkmäler wurden im Deutschen Kaiserreich immer pompöser und sollten dadurch die Einheit der Nation zur Schau stellen. Deutlich wurde dies beispielsweise bei der Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals in Berlin am 22. März 1897, die eine „der größten und spektakulärsten Festveranstaltungen im Kaiserreich“400 war. Bis zur Jahrhundertwende erfreuten sich die Denkmalfeste großer Beliebtheit, indem sie „vorwiegend vergangenheitsorientiert waren“401 und die Geschichte im Denkmal aktualisierten und feierten. Um 1900 erfolgte eine Abwendung „von traditionellen Identifikationssymbolen“402 und der huldigende Ausdruck der zweiten Jahrhunderthälfte wich einem „ganz diffus formulierten, fordernden Unterton nach neuer nationaler Orientierung“403. Laut Reinhard Alings fand dieser Wandel auch in den Denkmaldarstellungen seinen Ausdruck, indem die Zahl der Bismarckdenkmäler stark anstieg und der ehemalige Reichskanzler nicht nur zum Nationalhelden stilisiert, sondern auch verklärt wurde. Nicht selten wurde ein neuer Bismarck gefordert, sodass die Denkmäler nicht mehr eine rückwärtsgewandte Perspektive hatten. Sie erhielten eine auf die Zukunft ausgerichtete Blickrichtung. Die Folge dessen war, dass spätere Feierlichkeiten, „obwohl geplant und auch eifrig vorbereitet“404, nur noch selten stattfanden.405

2.4.3 Das Denkmal als Ausdruck nationaler Ideen Neben dem bereits genannten lokalen Bezug der Denkmäler verband sich mit den Denkmalsetzungen meist auch ein nationaler Aspekt. So spiegeln die Monumente in besonderer Weise die Vorstellungen von der entstehenden beziehungsweise sich konstituierenden Nation wider. Auch hierbei handelte es sich nicht um ein rein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen.406

399 Alings: Monument, 403. 400 Alings: Monument, 393. 401 Alings: Monument, 405. 402 Alings: Monument, 405. 403 Alings: Monument, 405. 404 Alings: Monument, 405. 405 Vgl. Alings: Monument, 381–406. 406 Vgl. Nipperdey, Thomas: Zur Denkmalgeschichte in Deutschland, in: Mittig, Hans-Ernst / Plagemann, Volker (Hg.): Denkmäler im 19. Jahrhundert. Deutung und Kritik (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 20), München 1972, 18–19.

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

Diesem Zusammenhang von Nationalismus und Denkmal insbesondere im wilhelminischen Kaiserreich soll nachgegangen werden und dabei ein besonderer Schwerpunkt auf dem sogenannten Nationaldenkmal407 liegen. 2.4.3.1 Das Denkmal als Stütze des Nationalismus Dass die Denkmäler zur „Verbreitung und Popularisierung der Nationalidee, sowie deren Instrumentalisierung für politische Zwecke“408 beitrugen, zeigt sich erstmals nach der siegreichen Völkerschlacht von Leipzig 1813. Im Zuge dessen nahm nicht nur das Streben nach Einheit und Patriotismus zu, sondern auch die Denkmalbewegung erhielt Auftrieb. Die großen Taten der abgebildeten Personen wurden überindividuell auf die Nation bezogen. Allerdings ist dabei festzuhalten, dass es die eine Idee von Nation nicht gab und „Inhalt und Form des Nationalgedankens […] politisch wie auch im Denkmal“409 immer strittig blieben. In einem Denkmal wurde daher nie das Nationalbewusstsein aller repräsentiert, weshalb es als paradox anzusehen ist, dass das Denkmal versuchte „das in Zement zu fixieren […], was nicht oder zumindest nur in der Pluralität verschiedener Gedanken und Ideen existierte“410. Die Herausforderung für ein Monument bestand darin, trotz aller Vielfalt und Kontroverse nicht nur eine bestimmte nationale Idee zu repräsentieren, sondern vor allem „Mittel zur kollektiven Identitätsfindung“411 zu sein. Dies war insbesondere in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Reichsgründung von Nöten, denn zuvor hatte das bürgerliche Denkmal noch in „bewußter Opposition zu den herrschenden Kräften der Monarchie, des Adels und des Militärs“412 gestanden. Nachdem das Bürgertum im Kaiserreich immer mehr zur „tragenden Säule des neuen nationalen Staates“413 geworden war, veränderten sich auch die Denkmäler. Statt einem Gegensatz zur Politik wurde nun die „Konservierung der bestehenden Zustände“414 angestrebt.415

407 Zum Nationaldenkmal grundlegend vgl. Nipperdey: Nationalidee, 529–585; vgl. Alings: Monument, 16–40. 408 Müller: Stadt, 269. 409 Spohr: Denkmal, 23. 410 Spohr: Denkmal, 23. 411 Spohr: Denkmal, 23. 412 Müller: Stadt, 287. 413 Müller: Stadt, 288. 414 Müller: Stadt, 288. 415 Vgl. Spohr: Denkmal, 17–27; vgl. Alings: Monument, 33.

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2.4.3.2 Die Nationaldenkmäler im Deutschen Kaiserreich In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war „ein immer stärkeres Drängen auf Nationaldenkmäler, also organisatorisch-gestalterische Großunternehmungen“416 wahrnehmbar. Das führte jedoch dazu, dass der Begriff Nationaldenkmal inflationär gebraucht wurde, zugleich aber eine begriffliche Schärfe fehlte. Bis heute ist der Terminus Nationaldenkmal auch in der Forschung vieldeutig. Thomas Nipperdeys generelle Aussage ein „Nationaldenkmal ist, was als Nationaldenkmal gilt“417 beziehungsweise nach Reinhard Alings, „was zu einem Nationaldenkmal geworden ist“418 deutet diese Vieldeutigkeit an. Im Hinblick auf äußere Faktoren kann ein nationales Monument als ein Standbild aufgefasst werden, „das sich selbst bewußt auf die Nation als Ganzes bezieht und einem bestimmten Augenblick aus ihrer nahen oder fernen Geschichte, einem Ereignis, einer Person oder Personengruppe Dauer verleihen“419 wollte. Weitere Aspekte, die ein Nationaldenkmal klassifizieren sind die Finanzierung durch weite Teile der Nation und die Deklaration der Nation als Urheberin oder Adressatin des Denkmals. Entscheidend war allerdings schließlich, ob ein Nationaldenkmal „in der öffentlichen Auseinandersetzung seinen Anspruch [auch] umsetzen konnte“420. Um die Gruppe der Nationaldenkmäler trotzdem besser greifen zu können, wurden verschiedene Denkmaltypen benannt.421 Hier soll lediglich zwischen national-kulturellen und national-politischen Denkmälern differenziert werden. Unter national-kulturellen Monumenten werden Gelehrtendenkmäler, insbesondere Dichter- und Denkerstandbilder, verstanden, da durch diese Persönlichkeiten die deutsche Sprache geprägt und „das Volk auf kultureller Ebene“422 geeint wurde. Mit national-politischen Denkmälern sind hingegen die Standbilder gemeint, die „über das unmittelbare lokale und regionale Gedächtnis hinaus, die deutsche (Staats)-Nation repräsentieren“423, das heißt „Nation und Nationalstaat zum Thema“424 machen. Nachdem mit der Reichsgründung die Nation Realität geworden war, allerdings

416 Maurer: Denkmalkultur, 209. 417 Nipperdey: Nationalidee, 532. 418 Alings: Monument, 40. 419 Hardtwig, Wolfgang: Der bezweifelte Patriotismus. Nationales Bewußtsein und Denkmal 1786 bis 1933, in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt/Main / New York 1999, 171. 420 Alings: Monument, 34. 421 Thomas Nipperdey unterscheidet dabei zwischen vier Typen: national-monarchischen, historisch-kulturellen, nationaldemokratischen Denkmälern und Denkmalkirchen. Vgl.  Nipperdey: Nationalidee, 529–585. 422 Remlein: Postament, 282. 423 Alings: Monument, 45 [Hervorhebung im Original]. 424 Alings: Monument, 45 [Hervorhebung im Original].

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 2 Das lange 19. Jahrhundert

„die notwendige Stabilität und Legitimität“425 erst noch erreicht werden musste, wurden immer mehr Denkmäler mit nationaler Gesinnung errichtet.426 Zu den ersten großen deutschen Nationaldenkmalprojekten zählen die 1842 vom bayerischen König Ludwig I. eröffnete Walhalla und das 1883 von Kaiser Wilhelm I. eingeweihte Niederwalddenkmal. Gemeinsam ist diesen, dass sie anders als die Gelehrtendenkmäler mitten in der Natur errichtet wurden und somit von vornherein nicht durch den Lokalpatriotismus einer Stadt vereinnahmt werden konnten. Durch die Aufstellung von „Büsten großer Deutscher“427 sollte die Walhalla428 das geistige Erbe des aufstrebenden deutschen Nationalstaats repräsentieren und stellt diesen als Kulturnation dar. Das Niederwalddenkmal sollte an die Reichsgründung von 1871 und die damit verbundene nationale Einigung erinnern. Die von Johannes Schilling entworfene Germania hält in der einen Hand demonstrativ die Kaiserkrone nach oben, die „pars pro toto für das deutsche Volk“429 stehen soll. So wird in der Walhalla durch die Köpfe der deutschen Männer und beim Niederwalddenkmal durch die Kaiserkrone auf unterschiedliche Weise auf die deutsche Nation Bezug genommen.430 Diese beiden genannten Nationaldenkmäler stießen in der deutschen Bevölkerung kaum auf laute öffentliche Kritik. Dies änderte sich mit dem Aufkommen von Kaiser-Wilhelm-Denkmälern und Bismarckdenkmälern. Nach dem Tod Wilhelms I. im Jahr 1888 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden zwischen 300 und 400 Denkmäler des ehemaligen Kaisers, häufig in Form von Reiterstandbildern, die klassische Form des Herrscherdenkmals. Die Aussage dieser Monumente „war einfach und unmißverständlich“431, denn sie sollten der Legitimierung der Kaiserdynastie und der „konstitutionell-monarchischen Regierungsform“432 dienen. Zudem wurde beabsichtigt durch diese „die alten partikularstaatlichen Herrschaftsvorstellungen, die mit den alten Denkmälern in den Einzelstaaten durchaus

425 Spohr: Denkmal, 26. 426 Vgl. Remlein: Postament, 19–26, 282–283; Alings: Monument, 33–45, 601; vgl. Maurer: Denkmalkultur, 209; vgl. Laube: Brüche, 317; vgl. Nipperdey: Denkmalgeschichte, 18–19; vgl. Hardtwig: Patriotismus, 182. 427 Hardtwig: Patriotismus, 170. 428 König Ludwig I. sprach sich aufgrund von konfessionellen Gründen zunächst noch dezidiert gegen die Aufnahme Luthers in die Walhalla aus. Daher wurde die Büste des Reformators erst einige Jahre später ergänzt. Vgl. Stump: Lutherstandbilder, 141–142; vgl. Nipperdey: Nationalidee, 551–555. 429 Spohr: Denkmal, 81. 430 Vgl.  Spohr: Denkmal, 76–85; Hardtwig: Patriotismus, 170–177; vgl.  Hutter: Völkerschlachtdenkmal, 48–50; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 957–958. 431 Hardtwig: Patriotismus, 177. 432 Hardtwig: Patriotismus, 177.

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts 

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noch vorhanden waren, endgültig“433 aufzubrechen. Diese Kaiser-Wilhelm-Denkmäler wurden nicht nur von der Regierung, sondern auch von Vertretern des Reichsnationalismus befürwortet.434 Anders verhielt es sich mit dem sogenannten „Radikalnationalismus“435, der sich am Ende des 19. Jahrhunderts als kaiserliche Opposition etablierte, Kritik von rechts übte und sich unter anderem im Alldeutschen Verband organisierte. Nicht nur politisch, sondern auch im Medium Denkmal erfolgte eine Abgrenzung zur Regierung, denn statt dem ehemaligen Kaiser errichteten bürgerliche Initiativen dem alten Reichskanzler Bismarck hunderte Denkmäler. So wurden insbesondere nach Bismarcks Tod im Jahr 1898 ihm zum Gedächtnis mindestens 500 Denkmäler errichtet.436 Dieser einsetzende Bismarckkult, der eine „retrospektive Verklärung Bismarcks“437 umfasste, „läßt sich doch nicht ablösen vom Unbehagen am Zustand […] des Reichs, und an der Person und Amtsführung des jungen Kaisers“438. Zugleich lässt sich an diesen Bismarckmonumenten um 1900 ein Wandel des Denkmals erkennen, denn der ehemalige Reichskanzler wurde nun nicht mehr nur als Statue dargestellt, sondern es entstanden neue Formen, die Bismarcksäule und Bismarcktürme. Dabei wurde auf detaillierte, bildliche Ausführungen verzichtet und stattdessen eine geradezu unbestimmte und mehr denn je deutungsoffene Botschaft transportiert. Daraus ergab sich für die Denkmalinitiatoren der Vorteil, dass die „politische Aussage […] jeweils aktuell zugeliefert werden“439 konnte. Diese Denkmaldarstellungen „lieferte[n] hier keine Geschichte mehr, sondern nur noch eine Stimmung“440 und repräsentierten nach außen vor allem „eine Schutz- und Trutzverteidigung“441. Das sich daraus ergebende Nationsbild wurde nicht mehr als „Einheit der Bevölkerung mit ihrem Staat [definiert], sondern umgeprägt in eine diffus formulierte Vorstellung von Nation“442, wobei diese häufig nicht mehr staatlich, sondern ethnisch bestimmt wurde. So machte sich, wie gesehen, der Radikalnationalismus die „ursprünglich nationalrevolutionäre, im frühen Kaiserreich konservativ-staatsloyal umgeprägte Tradition des nationalpolitischen Denkmals 433 Spohr: Denkmal, 103. 434 Vgl.  Spohr: Denkmal, 96–103; vgl.  Hardtwig: Patriotismus, 177–179; vgl.  Alings: Monument, 603–604; vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 419, 598–600. 435 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 602. 436 Vgl. Seele, Sieglinde: Lexikon der Bismarck-Denkmäler. Türme, Standbilder, Büsten, Gedenksteine und andere Ehrungen. Eine Bestandsaufnahme in Wort und Bild, Fulda 2005. 437 Alings: Monument, 604. 438 Hardtwig: Patriotismus, 178. 439 Alings: Monument, 604. 440 Alings: Monument, 604. 441 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 599. 442 Alings: Monument, 604.

78 

 2 Das lange 19. Jahrhundert

als öffentlichem Medium zunutze“443 und vereinnahmte es für die eigene „neuartige Vorstellung von einer deutschen Volksnation“444,445.

2.4.4 Die Denkmalkritik und der Bedeutungsverlust des Denkmals um 1900 Wie an den rapide steigenden Zahlen der Denkmalerrichtungen und den beschriebenen Veränderungen der Monumente im 19.  Jahrhundert gezeigt wurde, kann man in der betrachteten Zeitspanne von einem regelrechten Denkmalhype sprechen. Dieser ging jedoch von Anfang an mit einer Kritik an den Standbildern einher und spielte auch bei der Errichtung von Lutherdenkmälern eine Rolle. Die größer werdende Zahl an Monumenten wurde bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Denkmalwut und Denkmalsucht kritisiert. Ab den 1880er Jahren wurde dann noch abwertender von Denkmalpest und Denkmalseuche „als ‚Unheil‘ der Bildhauerei“446 gesprochen. Diese polemischen Begriffe verbanden sich jeweils mit allgemeinen Vorwürfen, indem beispielsweise die „Trivialität und […] Theaterhaftigkeit“447 oder die Unverständlichkeit der Botschaft des Denkmals bemängelt wurde. Diese Denkmalkritik nahm um 1900 noch einmal stark zu. Neu war nun jedoch, dass die Porträtstatue als Darstellungsform immer mehr zurückging, denn ihr „inflationäre[r] Gebrauch, das redundante Formenrepertoire sowie eine inhaltliche Sinnentleerung“448 wurden kritisiert. Stattdessen hatte sich das figürliche Denkmal „zum bloßen Prestigeobjekt“449 entwickelt und lediglich die Interessen der Auftraggebenden öffentlich demonstriert. Ansonsten waren die Standbilder kritischen Zeitgenossen zufolge austauschbar geworden, da sie durch immer wieder sehr ähnliche Darstellungen der Individualität der im Standbild geehrten Person nicht gerecht wurden. Dadurch seien die Denkmäler nicht mehr in der Lage, „ihre Erinnerungsfunktion zu erfüllen und ihre potentiellen Rezipienten zu erreichen“450. Durch die Vielzahl der errichteten Monumente in immer ähnlichen, variationslosen Ausführungen „stumpft man gegen seine Wiederholung allmählich ab“451. So äußerte sich Fritz Schumacher bereits 1901, und meinte weiter, dass „wo 443 Alings: Monument, 605. 444 Alings: Monument, 605. 445 Vgl. Hardtwig: Patriotismus, 178–185; vgl. Gerwarth: Bismarck-Mythos, 34–36. 446 Remlein: Postament, 318. 447 Spohr: Denkmal, 29. 448 Remlein: Postament, 318. 449 Reuße, Felix: Das Denkmal an der Grenze seiner Sprachfähigkeit (Sprache und Geschichte 23), Stuttgart 1995, 124. 450 Reuße: Denkmal, 124. 451 Reuße: Denkmal, 126.

2.4 Das Denkmal als Medium des 19. Jahrhunderts 

 79

schon so und so viele berühmte Männer in Sockeldenkmälern verewigt sind, […] selbst das beste Bismarck- oder Kaiser-Denkmal von gleichem Typus nicht“452 mehr zu einer gebührenden Wertschätzung führen könnte. Zusätzlich ging durch die Denkmalinflation die zur Regel gewordene „spezifische Beziehung zwischen einer bestimmten Stadt und ihren Bürgern auf der einen und dem Denkmal auf der anderen Seite“453 verloren. Dies hatte zur Folge, dass die Denkmäler nicht nur beliebig wurden, sondern der lokale Bezug willkürlich konstruiert wurde. Dies hätte, laut der Kritik Cornelius Gurlitt aus dem Jahr 1899, zur Folge, dass die Denkmäler nach ihrer Errichtung niemanden mehr interessieren würden. Stattdessen hatte sich seiner Meinung nach eine „gleichgültige Distanzierung“454 eingestellt und man ging achtlos an ihnen vorüber. Zudem wurde nun immer häufiger die Botschaft der Standbilder kritisiert, indem auf die „mangelnde […] Wiedergabe der ökonomischen, gesellschaftlichen und geschichtlichen […] Umwälzungen der Zeit in den Denkmälern“455 hingewiesen wurde. Die um die Jahrhundertwende an der Oberfläche stärker gewordene politische Ablehnung der Denkmäler belief sich laut Hans-Ernst Mittig darauf, dass sich diese vorher hinter ästhetischen Argumenten versteckt hatte und erst um 1900 klar geäußert wurde.456 Die verschiedenen Aspekte der Denkmalkritik zeigen, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Denkmal, insbesondere die figürliche Statue, als Medium der öffentlichen Erinnerung an Einfluss verloren hatte. Die negative Beurteilung der Monumente veranschaulicht zugleich, dass die Standbilder „Werke nicht des ganzen Volkes, sondern nur von Interessengruppen und Schichten waren“457 und dass diese Zusammenschlüsse von Gleichgesinnten beabsichtigten, „ihre Leitfiguren, Wertvorstellungen oder ihr Verständnis von Nation zu dem für alle Verbindlichen [zu] erklären“458 und im Denkmal festzuhalten.

452 Reuße: Denkmal, 125. 453 Müller: Stadt, 287. 454 Mittig: Denkmalkritik, 288. 455 Spohr: Denkmal, 30. 456 Im Gegenteil dazu meint Nipperdey, dass die Denkmalkritik im 19.  Jahrhundert auf ästhetische Argumente beschränkt geblieben war und erst um 1900 politisch und national orientiert war. Vgl. Nipperdey: Nationalidee, 535. Vgl. Mittig: Denkmalkritik, 284–289; vgl. Reuße: Denkmal, 123–130; vgl. Remlein: Postament, 315–319; vgl. Spohr: Denkmal, 28–32; vgl. Müller: Stadt, 286– 288; vgl. Selbmann, Rolf: Dichterdenkmäler in Deutschland. Literaturgeschichte in Erz und Stein, Stuttgart 1988, 140–178. 457 Mittig: Denkmalkritik, 289. 458 Hardtwig: Patriotismus, 171.

3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917 3.1 Grundlegendes Was wird unter einem Lutherdenkmal verstanden und wie viele Standbilder wurden im Zeitraum zwischen 1817 und 1917 errichtet? Welche generellen Aussagen lassen sich über die Gestaltung der Lutherdenkmäler treffen? Wo wurden diese aufgestellt und lassen sich dabei regionale Häufungen oder auch blinde Flecken auf der Landkarte ausmachen? Ergeben sich aus den politischen, gesellschaftlichen, kirchlichen und denkmalgeschichtlichen Verhältnissen des Langen 19. Jahrhunderts Vermutungen, die womöglich auf die Darstellung des Reformators im Denkmal und dessen Deutung Einfluss hatten? Diese grundlegenden Fragen sollen der Darstellung der Denkmäler vorausgeschickt werden.

3.1.1 Das Lutherdenkmal: eine enge Definition und ein erster Überblick In dem von Otto Kammer veröffentlichten Katalog Reformationsdenkmäler des 19. und 20.  Jahrhunderts werden verschiedene Arten von Reformationsdenkmälern aufgelistet, zu denen er neben freistehenden Standbildern auf Sockeln, auch Statuen an Gebäuden, Gedenksteine, Büsten und Reliefs zählt.1 Davon unterscheidet sich die dieser Studie zugrundeliegende Begriffsbestimmung, denn unter einem Lutherdenkmal soll hier lediglich eine auf einem Postament platzierte Statue des Wittenberger Reformators verstanden werden, wobei Denkmalkompositionen, die neben Luther noch weitere Statuen umfassen, selbstverständlich mit einbezogen werden. Diese einschränkende Definition ist einerseits pragmatischer Art, um den Umfang der Lutherdenkmäler zu begrenzen und andererseits thematisch sinnvoll, da die Lutherstandbilder, anders als Büsten, Gedenksteine oder Stelen, zahlreiche Rückschlüsse auf das zeitgenössische Lutherbild zulassen. Porträtstatuen wurden im 19. Jahrhundert immer häufiger „als Teil bauplastischer Programme“2 an öffentlichen Gebäuden errichtet, um zwischen den berühmten Personen und dem Zweck des Bauwerks einen Zusammenhang herzustellen. Hierzu zählten unter anderem Rathäuser, Museen, Theater, Schulen oder Univer-

1 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler. 2 Remlein: Postament, 303. https://doi.org/10.1515/9783111054391-003

3.1 Grundlegendes 

 81

sitäten3. In seiner Untersuchung Monument und Nation schließt Reinhard Alings diese Plastiken in und an Gebäuden aus, da diese „in der Regel dem umfassenderen Bauprogramm dieser Architektur zuzuordnen sind“4. Diesem Ansatz soll weitestgehend gefolgt werden, ausgenommen davon werden jedoch Kirchen. Da in den Jahren vor und nach 1900 auffällig viele Lutherstatuen an und in Kirchengebäuden angebracht wurden, kann dieses Phänomen nicht gänzlich ausgeblendet werden. Daher soll für diesen Zeitraum die Definition des Lutherdenkmals aufgeweicht werden und somit in der dritten Phase diese Figuren des Reformators aufgenommen werden. Es wird an verschiedenen Stellen zu sehen sein, dass manche Zeitgenossen Lutherstandbilder nicht als geeignete Denkmalform für den Reformator ansahen, sondern stattdessen diskutierten, welche Art der Erinnerung geeigneter wäre. Auch diese Denkmaltypen bleiben in der Analyse weitestgehend unberücksichtigt und werden lediglich im Zuge des 400. Lutherjubiläums benannt. Unter Berücksichtigung dieser Abgrenzungen lassen sich (mindestens) 37 freistehende Lutherdenkmäler ausmachen, die im Zeitraum zwischen 1817 und 1917 errichtet wurden. Dazu kommen (mindestens) 55 Statuen an und in Kirchengebäuden im Zeitraum zwischen 1888 und 1912. Von den Lutherdenkmälern befanden sich acht Standbilder außerhalb der Grenzen des Deutschen Kaiserreichs. Die geographische Verteilung innerhalb der deutschen Reichsgrenzen zeigt zunächst eine Häufung im Kernland der Reformation, das heißt in sächsischen und thüringischen Orten. In den rechtsrheinischen Gebieten des Königreichs Bayern zeigt sich ebenso eine Lücke wie in der Rheinprovinz und in Westfalen, wobei es sich überwiegend um traditionell katholische beziehungsweise reformierte Regionen handelte und somit konfessionelle Gründe geltend gemacht werden können.5 Während im Osten des Deutschen Kaiserreichs die Provinzen Ost- und Westpreußen, sowie Pommern ohne Lutherstandbilder auskamen, wurden Denkmäler des Reformators nach 1900 in Schlesien in der Nähe zur Grenze zum mehrheitlich katholischen österreichisch-ungarischen Kaiserreich errichtet. So lässt sich im Hinblick auf die geographische Verteilung der Lutherdenkmäler vermuten, dass konfessionelle Aspekte eine Rolle spielten.

3 Eine Statue Luthers wurde beispielsweise 1883 als eine von fünf Reformatorenstatuen auf dem Giebel der Straßburger Universität errichtet. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 265–266. 4 Alings: Monument, 42. 5 Die fränkische Region um Nürnberg war zwar traditionell lutherisch geprägt, allerdings wurde auch hier kein Lutherdenkmal errichtet, da die Denkmalinitiative von 1911 scheiterte. Vgl.  Abschnitt 3.5.1.

82 

 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 1: Karte Lutherdenkmäler, Screenshot der Webseite www.luther-denkmaeler.de.

Im Hinblick auf das Errichtungsjahr der Lutherdenkmäler fällt zunächst die lange Zeit zwischen 1821 und 1861 auf, in der keine Standbilder aufgestellt wurden. Erst der 300. Todestag Luthers wurde als Anlass für eine weitere Denkmalsetzung genutzt. Neben dem Jubiläum im Jahr 1846 könnten mit den neuen Denkmalplänen ein gesteigertes Selbstbewusstsein des Bürgertums in den Jahren vor der Revolution und ein Ausbau der Vereinsarbeit in der Mitte des Jahrhunderts zusammenhängen. Zudem sticht ein deutlicher Anstieg in den 1880er Jahren, insbesondere im Jahr des Lutherjubiläums 1883, ins Auge. Aber auch nach der Jahrhundertwende werden stetig weiter Denkmäler für den Reformator errichtet, hierbei fallen die Jahre 1902 bis 1904 mit jeweils zwei Denkmalsetzungen und die Jahre zwischen 1910 und 1914 mit insgesamt sechs neuen Lutherdenkmälern auf. Es wird sich zeigen, dass diese Standbilderrichtungen eng mit den konfessionellen Spannungen zwischen Protestantismus und Katholizismus verknüpft waren.6

6 Die Grafik berücksichtigt lediglich die 37 freistehenden Denkmäler.

3.1 Grundlegendes 

 83

9 8 7 6 5 4 3 2 0

1817 1821 1825 1829 1833 1837 1841 1845 1849 1853 1857 1861 1865 1869 1873 1877 1881 1885 1889 1893 1897 1901 1905 1909 1913 1917

1

Abb. 2: Anzahl der Denkmalerrichtungen pro Jahr.

Im Hinblick auf die Gestaltung der Lutherstatue zeigt sich, dass der stehende Reformator im Talar und mit der Bibel die Denkmäler mehrheitlich bestimmt. Aber auch weitere Motive wurden aufgegriffen, was die folgende Grafik veranschaulicht. Es wird demzufolge danach zu fragen sein, welche Aussagen über das Lutherbild durch den jeweiligen Gegenstand ausgedrückt werden.

Abb. 3: Charakteristika der Lutherdenkmäler.

84 

 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

3.1.2 Die Leitfragen zur Entwicklung der Lutherdenkmäler Das Ziel der Arbeit besteht nicht nur darin die Entstehung, Darstellung und Einweihung der einzelnen Lutherdenkmäler nachzuzeichnen, sondern die Entwicklung dieser Standbilder und das sich in diesen widerspiegelnde Lutherbild herauszuarbeiten. Auf Basis der politischen, gesellschaftlichen, kirchlich-theologischen und denkmalgeschichtlichen Kontextualisierung lassen sich im Hinblick auf die Entwicklung der Lutherdenkmäler Leitfragen formulieren, die nach der Untersuchung der Standbilder zu beantworten sein werden, um ein möglichst vielschichtiges erinnerungskulturelles Lutherbild im Spiegel der Denkmäler herauszuarbeiten. Das Denkmal unterlag im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehrmals Veränderungen. So verschob sich der Aufstellungsort von der Natur in die Mitte der Stadt. Die Denkmalform wandelte sich um 1900, indem in Bezug auf die Bismarckdenkmäler die figürliche Darstellung von Türmen abgelöst wurde. Zudem wurde am Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt Kritik an den Denkmälern geäußert, womit ein zunehmender Bedeutungsverlust derselben einherging. Wird sich der allgemeine Wandel des Mediums Denkmal auch am Beispiel der Lutherdenkmäler zeigen? Jürgen Müller kritisiert, dass in der Denkmalforschung die kommunale Bedeutung von Denkmälern lange Zeit vernachlässigt wurde und stattdessen das Verhältnis von Standbild und Nationalismus im Fokus stand.7 Es wurde zudem festgehalten, dass das Stadtbürgertum die lokale Identität zugunsten eines Nationalgefühls, auch beispielsweise bei der Gestaltung von Denkmälern, besonders betonte und der Lokalpatriotismus erst in den 1880er Jahren allmählich dem Nationalismus wich. Wird sich durch die Gestaltung der Lutherdenkmäler, ihrer Errichtung im öffentlichen Raum, sowie den von der städtischen Bevölkerung begangenen Einweihungsfeiern die lokale Identität auch in den Lutherdenkmälern widerspiegeln? Für den deutschen Nationalismus konnte gezeigt werden, dass sich dieser von einer liberalen Bewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts hin zu einem sehr konservativen und teilweise völkisch gefärbten Reichsnationalismus im Deutschen Kaiserreich entwickelte. Wird die Interpretation Luthers im Denkmal von der deutschen Nationalbewegung vereinnahmt werden und wenn ja, wird sich hieran auch ein Wandel der nationalen Interpretation Luthers zeigen? Damit eng verbunden ist die Tatsache, dass im Deutschen Kaiserreich immer mehr als Nationaldenkmäler bezeichnete Monumente errichtet wurden, was eine eindeutige Definition erschwerte. Wurden auch die Lutherdenkmäler als Nationaldenkmal aufgefasst oder wurden diese gar international oder nur lokal wahrgenommen?

7 Vgl. Müller: Stadt, 280.

3.1 Grundlegendes 

 85

Bereits im 19. Jahrhundert wurde Kritik geäußert, dass Denkmäler nicht wirklich ein Spiegel der ganzen Gesellschaft seien und die Denkmalsetzungen eng mit nur einem Teil der Bevölkerung, dem Bürgertum, verbunden waren. Handelte es sich auch bei den Initiatoren der Lutherdenkmäler um Repräsentanten des zivilen Bürgertums oder hatten auch politische Institutionen und kirchliche Vereine einen Einfluss? Wurde zudem auf gesellschaftliche Themen bei der Gestaltung der Lutherdenkmäler angespielt? Wenn ja, um welche Bereiche handelte es sich und wie spiegelten sich diese wider? Der Protestantismus war im 19. Jahrhundert von verschiedenen theologischen und kirchlichen Strömungen bestimmt. Es zeigte sich unter anderem, dass das Neuluthertum den Vertretern der Union gegenüberstand. Ist diese innerprotestantische Spannung auch in den Lutherdenkmälern sichtbar? Das Verhältnis zwischen Protestantismus und Katholizismus wurde seit der Jahrhundertmitte unter anderem begründet durch den Ultramontanismus und das Erste Vatikanische Konzil als ambivalent beschrieben. Zugleich wurden Katholiken und Katholikinnen zu Beginn des Kaiserreichs als Reichsfeinde betitelt und nach 1900 zeigte sich eine Zunahme konfessioneller Spannungen. Wurde mit den Lutherdenkmälern eine Abgrenzung gegenüber dem Katholizismus impliziert und verband sich mit diesen daher eine konfessionelle Polemik oder wurden die Standbilder des Reformators auch von den katholischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen gewürdigt? Die Festfrömmigkeit wurde als wichtiger Aspekt der protestantischen Selbstdarstellung im 19. Jahrhundert ausgemacht. Hierbei wurden insbesondere die Jubiläumsfeiern als wichtige Feste der öffentlichen Zurschaustellung angeführt. Inwiefern spiegelte sich die Vermischung von religiösen und profanen Elementen auch bei den Enthüllungsfeiern der Denkmäler wider? Blieb der Anlass für Denkmalerrichtungen auf die Reformations- und Lutherjubiläen beschränkt, oder gab es noch weitere Ereignisse, die die Planung und Errichtung von Lutherdenkmälern anregte?

3.1.3 Die methodischen Fragen zur Lutherdenkmalanalyse Die Lutherstandbilder sind nicht nur „Ausdruck individuell-genialer Produktion eines Künstlers“8, sondern ihnen geht ein häufig langjähriger Prozess von Vereinsarbeit, Spendensammlungen und Überlegungen zum Ort der Aufstellung, sowie zur Denkmalgestaltung voraus. Im Regelfall schließt die Errichtung eines Monuments mit der Enthüllungsfeier ab. Diese Aspekte müssten laut Michael

8 Maurer: Denkmalkultur, 206.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Maurer „klarer ins Auge gefasst werden, als dies bislang üblich ist“9. Daher sollen diese Faktoren besonders berücksichtig werden, weshalb die drei Teilbereiche, die Planung des Denkmals, die Darstellung Luthers im Standbild und schließlich die Deutung des Reformators bei der Einweihungsfeier, im Fokus der Analyse stehen. In Bezug auf die Planungsphase eines Luthermonuments ist nach dem Beginn der Vorbereitung und nach denjenigen zu fragen, die das Standbild initiierten, zur Ausführung brachten und es finanzierten. Die erfolgreiche Umsetzung eines Denkmals verweist auf die Durchsetzung der Anschauungen der Initiatoren. Zugleich gilt, dass „verhinderte, gescheiterte oder verzögerte Denkmalsetzungen ihrerseits Ergebnisse […] im Kampf um Anteile an der Herrschaft im lokalen, regionalen oder nationalen Bereich symbolisieren können“10. Dementsprechend ist der Blick auf die Dauer der Errichtung, sowie auf möglicherweise nicht umgesetzte Denkmäler aufschlussreich. Zudem ist wichtig, in welchem Ort das Denkmal errichtet wurde und ob diese Stadt einen besonderen Bezug zu Luthers Leben beziehungsweise zur Reformation hatte. Außerdem gibt der Aufstellungsplatz innerhalb einer Stadt Aufschluss über die beabsichtigte Wirkung des Denkmals. Die Darstellung Luthers im Denkmal umfasst zunächst die Frage nach dem Jahr des Denkmalentwurfs und dem Zeitraum bis zur Fertigstellung. Bei manchen Denkmalprojekten wurden im Vorfeld verschiedene Entwürfe ausgearbeitet, diese sind deshalb besonders interessant, da an ihnen unterschiedliche Denkmal- und Luthervorstellungen zur Geltung kommen. Zudem wird danach zu fragen sein, wer auf die Gestaltung des Denkmals Einfluss nahm: Bestimmt lediglich der Künstler die Art der Ausführung, oder fordern auch das politische Oberhaupt, das Bürgertum oder Vertreter der evangelischen Kirche ihre Mitsprache ein? Wie wurde Luther im Denkmal dargestellt, das heißt, was lässt sich aus der Gestik und Mimik des Reformators ablesen, welche Kleidung trägt er und mit welchen zusätzlichen Accessoires wurde er abgebildet? Besonders spannend wird in diesem Zusammenhang die Frage sein, ob und wie sich politische, gesellschaftliche und kirchliche Ereignisse im Lutherdenkmal widerspiegelten. Dies bezieht sich schließlich auch auf die Ausgestaltung des Sockels mit Reliefs und oder Inschriften. Nach der Fertigstellung des Monuments ist abschließend noch nach dessen zeitgenössischer Deutung bei der Enthüllungsfeier zu fragen. Wie lief die Einweihung ab, wer war anwesend und von wem wurden die Reden gehalten? Wie wurde das Lutherdenkmal zu diesem Anlass gedeutet und kam es dabei zu Veränderungen gegenüber den ursprünglichen Absichten der Denkmalinitiatoren? Falls dies der Fall sein sollte, liegen zum Zeitpunkt der Enthüllung veränderte politische,

9 Maurer: Denkmalkultur, 207. 10 Maurer: Denkmalkultur, 205.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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gesellschaftliche und kirchliche Gegebenheiten vor, die die Deutung Luthers verändert haben könnten? Diese Leitfragen sollen helfen, die Lutherdenkmäler in ihren historischen Kontext zu verorten und deuten zu können, sowie ein vielschichtiges Lutherbild im Spiegel der Standbilder erarbeiten zu können.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus Die ersten Lutherdenkmäler, die noch vor der Entstehung des deutschen Nationalstaats errichtet wurden, befinden sich in Wittenberg, Möhra, Kegel und Worms. Welche Intentionen verbanden sich mit den ersten Denkmalplänen? Zugleich wird zu sehen sein, dass die Frage, wie ein Lutherdenkmal auszusehen hatte, diese erste Phase der Lutherdenkmäler bestimmte. Welche Ideen gab es für die Darstellung des Reformators und welcher Denkmaltyp setzte sich durch? Damit verbunden stellt sich die Frage, welches Bild Luthers sich mit den Denkmalerrichtungen verband.

3.2.1 Der lehrende Luther in Wittenberg (1801–1821) Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts soll Friedrich der Große der Meinung gewesen sein, dass Luther es verdienen würde, „daß man ihm als dem Befreier des Vaterlandes Altäre errichtete“11. Statt Altären entwickelte sich im darauffolgenden Jahrhundert das Denkmal als ein zentrales Medium zur Erinnerung an den Reformator. So wurde 1817, also 300 Jahre nach dem angeblichen Thesenanschlag Luthers in Wittenberg, in selbiger Stadt der Grundstein für das erste Lutherstandbild gelegt. Doch am eigentlichen Anfang der Lutherdenkmalbewegung stand nicht Wittenberg, sondern eine bürgerliche Initiative im Mansfelder Land. 3.2.1.1 Die Denkmalinitiative der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft zu Mansfeld Am 1.  Januar 1801 gründete sich die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft zu Mansfeld zum einen zum typischen spätaufklärerischen Zweck der Selbstbildung im Hinblick auf die „Geschichte ihres Vaterlandes“12 und zum anderen mit der

11 Schrade, Hubert: Das deutsche Nationaldenkmal. Idee, Geschichte, Aufgabe, München 1934, 31. 12 GStA PK, I. HA Rep. 91 C Militär- und Zivilgouvernement, Nr.  1984 Sammlung der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft Mansfeld für die Errichtung eines Lutherdenkmals, o. N. (Vaterländisch-Literarische Gesellschaft an Friedrich Wilhelm III. am 19.02.1809).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

„Idee ihrem unsterblichen Landsmann Dr. Luthern, ein seiner würdiges Denkmahl der Dankbarkeit zu errichten“13. Nach dem ersten Zusammentreten dieser Gesellschaft, deren Vorsitz der örtliche Pfarrer Schnee übernommen hatte und deren weitere Mitglieder dem städtischen Bürgertum14 zuzuordnen waren, dauerte es noch drei weitere Jahre, bis der Stein zur Errichtung eines Lutherdenkmals ins Rollen kam.15 Auffällig ist, dass es den Mansfelder Männern von Anfang an ein großes Anliegen war, dass ihr Projekt auf politischer Ebene Unterstützung fand, „um die Reinheit ihrer Absichten außer Zweifel zu setzen“16 und somit eine gewissenhafte Umsetzung des Denkmalplans zu garantieren. Dass der preußische König Friedrich Wilhelm III. selbst das Protektorat für das Lutherdenkmal übernahm, ehrte die Mitglieder der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft.17 Der preußische König war zwar der Meinung, dass Luther durch seinen „Verdienst um die Menschheit, die er von der drückendsten Last des Aberglaubens befreiete […] sein unvergängliches Denkmal in den Herzen der zahllosen […] Bekenner des ächten Christenthums sich selbst errichtet hat[te]“18, aber trotzdem sicherte er seine Unterstützung zu. So gewährte er zum einen Portofreiheit für Spendensammlungen und zum anderen übersandte er selbst den ersten Geldbetrag über 100 Friedrichsd’or. Im Gegenzug dazu verlangte er, regelmäßig über den Fortgang des Projekts auf dem Laufenden gehalten zu werden.19

13 GStA PK, I. HA Rep. 91 C, Nr. 1984, o. N. (19.02.1809). 14 Die Berufe der weiteren Mitglieder waren unter anderem Pfarrer, Arzt, Apotheker, Justizamtmann, Stadtsekretär, Justizrat, Oberförster und Oberbergrat. Vgl. Schnee, Gottfried Heinrich / u. a.: D. Martin Luthers Denkmal oder Beiträge zur richtigen Beurtheilung des Unternehmens diesem großen Manne ein würdiges Denkmal zu errichten von der vaterländischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld, Halle o.J., in: Steffens, Martin (Hg.): Dr. Martin Luthers Denkmal. Vier Schriften zum Wettbewerb der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld um ein Luther-Denkmal aus den Jahren 1804/05, Esens 2002, 81–82. 15 Zu Pfarrer G. H. Schnee vgl. Kranich, Sebastian: Poesie, Predigt und landwirtschaftliche Prosa – Facetten des aufgeklärten Pfarrers Gotthilf Heinrich Schnee (1761–1830), in: Paul, Matthias / Burg, Udo von der (Hg.): Mansfeld – ‚Sehet, hier ist die Wiege des großen Luthers!‘. Beiträge zum Reformationsjubiläum 2017, Weimar 2016, 121–159. 16 LATh – StA Gotha, 2–15–0199 Sachsen-Coburg und Gothaisches Staatsministerium Dep. C, Nr. 1053 Finanzieller Beitrag zum Bau eines Lutherdenkmals durch die vaterländisch-literarische Gesellschaft, Bl. 2v (Aufruf vom 20.04.1804). 17 Die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft hatte nach ihrem Brief vom 12.03.1804 am 24.03.1804 eine Antwort vom preußischen König erhalten. Vgl. Schnee: Beiträge, 11; vgl. auch LATh – StA Gotha, 2–15–0199, Nr. 1053, Bl. 2–3 (Aufruf vom 20.04.1804). 18 LATh – StA Gotha, 2–15–0199, Nr. 1053, Bl. 2v–3. 19 Vgl. Schnee: Beiträge, 10–11.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Die Dankbarkeit der Mansfelder Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft über dieses königliche Protektorat war in dem am 20. April 1804 veröffentlichten Spendenaufruf wahrzunehmen. Die königliche Zusage wurde nicht nur im Wortlaut abgedruckt, sondern es wurde auch darauf hingewiesen, dass das Monument dem königlichen Wunsch folgend nicht erst zum Reformationsjubiläum 1817, sondern bereits 1806 fertiggestellt werden sollte. Hinzu kam das Zugeständnis der Mansfelder, dass sie nach Erhalt der Entwürfe die Auswahl und Entscheidung „einzig ihrem großen Beschützer“20, dem preußischen König, überlassen würden. Zu diesem Zeitpunkt konnten die Mansfelder Initiatoren jedoch noch nicht ahnen, dass sie sich durch den Beistand Friedrich Wilhelms III. jeglicher Mitsprache an der Ausgestaltung des Lutherdenkmals entledigt hatten und sie sich noch vor der Denkmalerrichtung auflösen würden. Zunächst löste die Zusage des Königs Enthusiasmus aus und die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft zu Mansfeld organisierte die Verbreitung der Denkmalidee. In ihrem öffentlichen Aufruf vom April 1804 adressierten sie sich an alle „Verehrer“21 Luthers und erhofften sich von nahen und „auch aus entferntern Ländern freiwillige Beiträge“22. Das zeigt, dass konfessionelle oder nationale Aspekte die Spendenbereitschaft nicht beeinflussen sollten, sondern im Gegenteil Luthers Verdienste im Vordergrund standen. Dies zeigte sich auch in einer 1804 von der Mansfelder Gesellschaft veröffentlichten Broschüre mit dem Titel D. Martin Luthers Denkmal oder Beiträge zur richtigen Beurtheilung des Unternehmens diesem großen Mann ein würdiges Denkmal zu errichten. Hierin wurden Luthers Errungenschaften für die gesamte Menschheit immer wieder hervorgehoben und als Grund dafür angegeben, dass ein Dankesdenkmal für Luther notwendig sei. Die Verdienste Luthers wurden insbesondere auf die Kultur bezogen. Der Reformator hatte „die ganze Menschheit erleuchtet […]“23 und war ein „Mann von hoher Gelehrsamkeit voll göttlichen Muthes“24. Daher würde ein Denkmal bei den Betrachtenden Ehrfurcht auslösen und ihnen „eine Thräne des Danks […] ins Auge drängen“25. Den nachkommenden Generationen würde durch das Monument gezeigt, dass der „wahre Verdienst“26 Luthers erkannt wurde.

20 LATh – StA Gotha, 2–15–0199, Nr. 1053, Bl. 3r. 21 LATh – StA Gotha, 2–15–0199, Nr. 1053, Bl. 2r. 22 LATh – StA Gotha, 2–15–0199, Nr. 1053, Bl. 3r. 23 Schnee: Beiträge, 26. 24 Schnee: Beiträge, 26. 25 Schnee: Beiträge, 27. 26 Schnee: Beiträge, 4.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Zugleich wurde in der Broschüre von 1804 über den Fortgang des Projekts und die ersten Entwürfe zum Lutherdenkmal berichtet. Das Komitee war zwar offen für Denkmalvorschläge jeder Art gewesen, hatte allerdings selbst Vorstellungen geäußert. So schwebte ihnen ein kolossalischer Obelisk vor, auf welchen die Strophen des Lutherlieds Ein feste Burg ist unser Gott abgedruckt werden sollten. Als Aufstellungsort sollte eine „der schönsten Höhen, mitten in der Grafschaft Mansfeld“27 gewählt werden, das heißt ein stiller, andächtiger Ort in der Natur wurde hier einer Aufstellung in der Stadt vorgezogen.28 An dieser ersten Idee lässt sich erkennen, dass die Denkmalvorstellungen der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft im Hinblick auf Gestalt und Ort noch ganz im 18. Jahrhundert verankert waren. Progressiv waren sie allerdings dahingehend, dass Luther ein Denkmal gesetzt werden sollte, aufgrund seiner Verdienste und nicht aufgrund seiner Herkunft, wie dies beim Herrscherdenkmal der Fall gewesen war. Die Idee einem Gelehrten ein öffentliches Monument zu setzten, stieß jedoch von Anfang an auch auf Kritik. In den Augen mancher, würden seine „Schriften, die gedruckten Nachrichten von seinem Leben und vor allem, die Segnungen seiner Reformation […] lauter, vollständiger, allgemeiner und dauernder für sein Lob [sprechen], als was ein […] Stück kalter todter Marmor, mit stummen Worten sagen könnte“29. Statt einem teuren Denkmal waren Kritiker zudem der Meinung, dass die Stiftung einer wohltätigen Anstalt der Erinnerung Luthers angemessener wäre. Mit diesen und weiteren Kritikpunkten, die im Reichsanzeiger 1804 veröffentlicht worden waren, ging die Mansfelder Gesellschaft in ihrer Broschüre offen um, rechtfertigte ihre eigene Position und nahm den Gedanken einer gemeinnützigen Organisation im Geiste Luthers auf.30

27 Schnee: Beiträge, 56. 28 Es lässt sich bei den Denkmalinitiatoren eine Rivalität zwischen den Lutherorten Mansfeld und Eisleben erkennen, indem sie die beiden Orte, die mit der Herkunft Luthers verknüpft sind, mit der Herkunft Jesu und daher mit Bethlehem und Nazareth verglichen. Vgl. Schnee: Beiträge, 57–59. 29 Schnee: Beiträge, 19. 30 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 91 C, Nr. 1984, o. N. (Vaterländisch-Literarische Gesellschaft an Friedrich Wilhelm III. am 19.02.1809); vgl.  Steffens, Martin: Einleitung, in: ders. (Hg.): Dr. Martin Luthers Denkmal. Vier Schriften zum Wettbewerb der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld um ein Luther-Denkmal aus den Jahren 1804/05, Esens 2002, III–XI; vgl. Remlein: Postament, 188–189; Zur frühen Denkmalkritik vgl.  Lorentzen, Tim: Reformationsjubiläum und Völkerschlachtgedenken. Alternative Erinnerungskulturen um 1817, in: Dörfler-Dierken (Hg.): Reformation und Militär. Wege und Irrwege in fünf Jahrhunderten, Göttingen 2019, 167–182; vgl. Lorentzen: 19. Jahrhundert, 126–128.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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3.2.1.2 Die ersten Entwürfe eines Lutherdenkmals Es wurden insgesamt 22 Denkmalentwürfe eingesandt, die darüber Aufschluss geben, welche Vorstellungen die Künstler zu Beginn des 19.  Jahrhunderts von einem Lutherdenkmal hatten. Ihnen ist fast allen gemein, dass sie das monumentale Bauwerk bevorzugten und daher lag der Schwerpunkt auf der architektonischen und nicht auf der bildhauerischen Ausgestaltung.31 Der Dresdner Architekt Johann August Heine wählte eine begehbare ägyptische Pyramide, über deren Eingang ein mit Strahlen versehener Sternenkranz als Zeichen der Unsterblichkeit des Reformators angebracht werden sollte. Im Inneren der Pyramide war eine Büste Luthers und auf der Spitze der Pyramide eine Figurengruppe vorgesehen, die die Verbindung zwischen der christlichen Religion und der Aufklärung repräsentieren sollte. Für Heine war Luther derjenige, der „Licht über die Erde [verbreitete] und […] die Vernunft wieder in ihre Rechte ein[setzte]“32,33. Das Bild Luthers als der Lichtbringer fand sich auch im Entwurf Heinrich Gentz wieder, der auf einem Felsen einen Obelisken mit strahlender Sonne und der einfachen Inschrift Dem Andenken Luthers errichten wollte. Das Besondere an dieser Denkmalidee war, dass dieses zwar „Luther geweiht, aber nicht Luther personifizierend“34 war. Das heißt, durch alleiniges Austauschen der Inschrift könnte es zu einem Denkmal für jede andere Person werden.35 Einen wiederum ganz anderen Ansatz vertrat der württembergische Landbaumeister Johann Jakob Atzel, der betonte, dass ein Lutherdenkmal nichts an sich haben dürfte, „was auch nur auf eine entfernte Art einer andern Religionspartey anstößig werden könnte“36, da dies dem „Geiste des Lutherthums“37 nicht entsprechen würde. Da die verschiedenen Konfessionen die „Harmonie der Welt“38 stören

31 Zu den Denkmalentwürfen und zur Planung des Lutherdenkmals im Mansfelder Land vgl. Steffens, Martin: ‚Dem wahrhaft großen Dr. Martin Luther ein Ehrendenkmal zu errichten‘ – Zwei Denkmalprojekte im Mansfelder Land (1801–1821 und 1869–1883), in: Knape, Rosemarie / Treu, Martin (Hg.): Preußische Lutherverehrung im Mansfelder Land (Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 8), Leipzig 2002, 113–148. 32 Schnee: Beiträge, 60. 33 Vgl. Schnee: Beiträge, 60–64; vgl. ders.: Dr. Martin Luthers Denkmal oder Entwürfe, Ideen und Vorschläge zu demselben mit vielen Kupfertafeln, Eisleben 1805, in: Steffens, Martin (Hg.): Dr. Martin Luthers Denkmal. Vier Schriften zum Wettbewerb der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld um ein Luther-Denkmal aus den Jahren 1804/05, Esens 2002, 7, 27–31; vgl. Remlein: Postament, 189. 34 Weber: Luther-Denkmäler, 187. 35 Vgl. Schnee: Entwürfe, 15, 45. 36 Schnee: Beiträge, 75. 37 Schnee: Beiträge, 75. 38 Schnee: Beiträge, 75.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

würden, bedürfe es eines ökumenischen Denkmals der „Christusverehrer“39, welches von innen einem christlichen Tempel ähneln sollte. Hierin sollten an drei verschiedenen Seiten jeweils ein Repräsentant der katholischen, reformierten und lutherischen Konfession dargestellt werden, die zum lehrenden Christus blicken würden.40 Dieser jegliche Religionsstreitigkeiten vermeidende Entwurf wurde von einem weiteren Mitbewerber, Carl Schäffer, kritisiert, da man nichts „zum Lobe Luthers Thun [könne] ohne einer andern Parthey zu nahe zu treten“41. Zudem hätte es Luther nicht „so weit gebracht […], wenn er so höflich gewesen wäre, niemand zu nahe zu treten“42. Schäffers Denkmalplan und der von Leopold Klenze stechen unter den eingesandten Entwürfen heraus, da diese zum einen zu ihren Zeichnungen auch jeweils eine ausführliche Beschreibung hinzufügten und zum anderen genaue Vorstellungen zur Lutherstatue äußerten. Carl Schäffer, Professor der Bildhauerkunst in Düsseldorf, wählte für sein Lutherdenkmal ebenfalls die Form einer Pyramide, an welcher er in der oberen Hälfte eine Nische für eine Lutherstatue mit zwei Engeln vorsah. Schäffer unterschied sich nun von den vorher behandelten Entwürfen dahingehend, dass er nicht die Architektur als „das Kostbarste“43 betrachtete, sondern die Statue das Zentrum des Denkmals bilden sollte. Zudem lehnte er Büsten ab, da diese den „Männern, welche wohlthätig gegen die Menschheit waren, […] nicht würdig genug“44 wären. Daher plädierte Schäffer für die Statue als „den ersten Rang und Werth unter den Denkmälern“45, da es durch sie möglich war, auch den Charakter der jeweiligen Person abzubilden. Auch wenn der Bildhauer Schäffer seine Lutherstatue noch in einem architektonischen Aufbau verortete, unterschied er sich mit der Betonung der Statue von seinen Zeitgenossen und war hier durchaus modern, da sich erst in den folgenden Jahrzehnten die Statue als typisches bürgerliches Denkmal durchsetzte. Das Porträt Luthers sollte nicht von der Totenmaske in Halle entnommen werden, sondern stattdessen sollte das beste Gesicht von Cranach und Dürer erarbeitet werden, das Luther „in dem kräftigsten Alter seines Lebens“46 abbildet. Dass 39 Schnee: Beiträge, 77. 40 Vgl. Schnee: Beiträge, 74–78. 41 Schäffer, Carl: Idee zu Luthers Denkmal, Dresden 1805, in: Steffens, Martin (Hg.): Dr. Martin Luthers Denkmal. Vier Schriften zum Wettbewerb der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld um ein Luther-Denkmal aus den Jahren 1804/05, Esens 2002, 6. 42 Schäffer: Idee, 7. Diese Bemerkung ist nur eine unter vielen, die zeigen, dass auch die beteiligten Künstler und Architekten untereinander die Denkmalentwürfe kommentierten und kritisierten. 43 Schäffer: Idee, 10. 44 Schäffer: Idee, 8. 45 Schäffer: Idee, 9. 46 Schäffer: Idee, 4.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Albrecht Dürer Luther nie selbst porträtiert hatte, scheint Schäffer hier unbekannt zu sein, stattdessen ist entscheidend, dass Schäffer ein wiedererkennbarer Lutherkopf wichtig war. Dazu gehörte für ihn auch, dass Luther mit der Bibel und im Talar dargestellt werden sollte, da laut Schäffer im Hinblick auf das Kostüm die „historische Treue“47 die Hauptregel sein müsste. Der Talar sollte faltig ausgearbeitet werden, da Luther selbst „wenig in seine[m] Leben geruht“48 hatte und dementsprechend würde die ruhige Haltung nicht seinem Charakter entsprechen. Die hinter Luther stehenden Engel leiten Luther, den „Mächtige[n] unter den Helden für Religion“49 auf seinem Weg.50 Sah Schäffer die Pyramide und den Tempel beide als für ein Lutherdenkmal geeignete Gebäude an, so betonte Leopold Klenze, dass der Tempel allein würdig wäre, denn ein Monument für den Reformator muss „durch kolossale Größe und edle Einfachheit“51 imponieren. Zunächst nannte Klenze als passendsten Ort für das Denkmal eine Anhöhe nahe Eisleben, die durch ihre Ruhe „zum stillen Nachdenken, wie zur Verehrung des großen Mannes“52 einlädt. Der Tempel sollte so ausgerichtet sein, dass die Lutherstatue im Tempel am „Morgen den Aufgang der Sonne“53 sehen würde. Explizit war auch Klenze, genauso wie Schäffer, der Meinung, dass die Büste als Darstellungsform Luthers nicht ausreichen würde, da dadurch die Bedeutung des Reformators geschmälert werden würde.54 Das Alleinstellungsmerkmal des Entwurfs Klenzes war, dass das Äußere Luthers einem griechischen Philosophen gleichen sollte. Unpassend wäre es in diesem Zusammenhang, laut dem Künstler, wenn Luther die Bibel als Buch halten würde, daher sah der Entwurf eine Schriftrolle vor, die der Künstler als die Schmal47 Schäffer: Idee, 7. 48 Schäffer: Idee, 11. 49 Schäffer: Idee, 5. 50 Vgl. Schäffer: Idee, 3–21. 51 Klenze, Leopold: Entwurf zu einem Denkmale für Dr. Martin Luther, Braunschweig 1805, in: Steffens, Martin (Hg.): Dr. Martin Luthers Denkmal. Vier Schriften zum Wettbewerb der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld um ein Luther-Denkmal aus den Jahren 1804/05, Esens 2002, 2. 52 Klenze: Entwurf, 3. 53 Klenze: Entwurf, 8. 54 Leopold Klenze war später auch der Architekt für die Walhalla bei Regensburg, die im Auftrag des bayerischen Königs Ludwig I. errichtet wurde. Hierin finden sich nur Büsten von großen deutschen Männern, die im Tempel als Nationalheilige erscheinen. Zu diesem Anlass beauftragte Klenze 1831 den späteren Künstler des Wormser Lutherdenkmals zur Ausgestaltung einer Lutherbüste. Diese durfte allerdings auf Befehl des katholischen bayerischen Königs zunächst nicht in der Walhalla aufgestellt werden und fand erst vier Jahre nach der Einweihung, das heißt im Jahr 1847, ihren Platz in der Walhalla. Zur Lutherbüste vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 99; Zur Walhalla vgl. u. a. Remlein: Postament, 311–313.

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kaldischen Artikel ausgab und welche auch als das geistige Testament Luthers bezeichnet werden.55 Um die Lutherstatue herum sollten kleinere Standbilder von weiteren von Klenze ebenfalls als Reformatoren bezeichneten Männern stehen. Hierfür sah er Luthers Vorgänger Wyclif und Hus, seine Zeitgenossen Melanchthon, Zwingli und Calvin und zuletzt den Pietisten Zinzendorf vor. Zu diesen sollten sich noch sechs Philosophen gesellen. All diese aus verschiedenen Jahrhunderten entstammenden Männer müssten „im idealen Kostüm gearbeitet werden“56 und sollten durch ihre spezifischen Gesichtszüge erkennbar werden. Der detailreiche Entwurf Klenzes, der beispielsweise für die Innenseite des Tempels ein großes Basrelief mit Szenen aus Luthers Leben vorsah, beinhaltet eine weitere außergewöhnliche Idee: Nach Meinung Klenzes wäre „ein jedes Monument Luthers gewissermaßen unvollkommen […], sobald es die Asche desselben nicht“57 einschließen würde. Daher sollte unter den beschriebenen Statuen eine Gruft gebaut werden, in der die Überreste Luthers, die aus Wittenberg zu holen wären, gelegt werden sollten. Ein Sternenkranz an der Decke sollte sodann auf Luthers Unsterblichkeit verweisen.58

Abb. 4: Entwurf Lutherdenkmal, Leo von Klenze.

55 Vgl. Breuer, Klaus: Art. Schmalkaldische Artikel, in: TRE 30 (1999), 214. 56 Klenze: Entwurf, 19. 57 Klenze: Entwurf, 9. 58 Vgl. Klenze: Entwurf, 1–31; vgl. Weber: Luther-Denkmäler, 188–192; vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 232–236.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Die verschiedenen Denkmalentwürfe zeigen Luther unter anderem als den Aufklärer der Menschheit, den von Engeln geleiteten Reformator, oder den weisen Philosophen und veranschaulichen, dass am Anfang des 19.  Jahrhunderts sehr unterschiedliche Vorstellungen existierten, wie ein Lutherdenkmal aussehen und welches Bild des Reformators dargestellt werden sollte. Zusätzlich ordnen sich diese Entwürfe in die allgemeine Denkmalgeschichte im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert ein. Genannt seien hier lediglich die zahlreichen architektonischen Entwürfe, als Tempel, Pyramide oder Obelisk, statt einer Statue auf einem Sockel und die vorgesehene Errichtung in der Natur zum stillen Andenken statt an einem öffentlichen Platz in der Stadt. 59 Unter den an die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft zu Mansfeld gesandten Denkmalideen befand sich auch ein Entwurf von Johann Gottfried Schadow, der bisher unerwähnt blieb.60 Dieser hob sich von den anderen Vorschlägen dahingehend ab, dass er lediglich eine Lutherstatue auf einem Postament zeigte. Da Schadow Bildhauer war, verzichtete er darauf „eigens einen Vorschlag für ein Gebäude einzureichen“61, auch wenn er die Aufstellung seiner Lutherstatue innerhalb eines architektonisch ausgestalteten Raums vorsah. 3.2.1.3 Der Einfluss des preußischen Königs auf das Lutherdenkmal Nachdem die Entwürfe in den Jahren 1804 und 1805 eingesandt worden waren, wurde der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft von Friedrich Wilhelm III. eine allgemeine Kirchenkollekte in den lutherischen Kirchengemeinden Preußens für Epiphanias 1806 genehmigt.62 Dass es dann zu einer mehrjährigen Unterbrechung der Denkmalinitiative kam und der Grundstein erst 1817 gelegt werden konnte, lag an den politischen Umständen. In Folge des napoleonischen Feldzugs gegen Preußen wurde das Mansfelder Land 1806 an Westfalen übertragen, das von einem Bruder Napoleons regiert wurde. Daher wandte sich die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft an ihre neue Obrigkeit und bat daher den König von Westfalen nun das Protektorat zu übernehmen. Diese Initiative blieb jedoch erfolglos und außerdem wurde die Mansfelder Gesellschaft aufgrund des Krieges vor finanzielle Probleme gestellt, denn die gesammelten Gelder waren zu Kriegszeiten „zu günstigen Zinsen als Anleihen für 59 Vgl. Steffens: Einleitung, VII–IX. 60 Zu Johann Gottfried Schadow vgl. Bloch, Peter / Grzimek, Waldemar: Die Berliner Bildhauerschule im neunzehnten Jahrhundert. Das klassische Berlin, Berlin 1994, 37–48. 61 Steffens: Einleitung, VIII. 62 Vgl. LkA Eisenach, 11–019 Inspektion Blankenhain, Nr. B 368 Kirchenkollekte für Lutherdenkmal, Bl. 2; LkA Magdeburg, Rep. E 03 Konsistorium Stollberg-Wernigerode, Nr. 926 Allgemeine Kirchen-Kollekte zum Behuf des dem Dr. Luther zu errichtenden Denkmals, Bl. 1–3.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

die französische Armee angelegt“63 worden. Nach Ende der napoleonischen Kriege waren diese einem hohen Wertverlust ausgesetzt und zusätzlich hatte sich die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft „die Sympathien des preußischen Königs […] verspielt“64. Dieser Aspekt ist wegweisend für den weiteren Verlauf, denn von nun an, traf Friedrich Wilhelm III. alle wesentlichen Entscheidungen selbst und ohne Rücksprache mit den ursprünglichen Mansfelder Denkmalinitiatoren. Auch die Tatsache, dass Mansfeld seit dem Wiener Kongress wieder preußisch wurde, änderte daran nichts.65 Der preußische König beauftragte am 24.  September 1816 Johann Gottfried Schadow, Karl Friedrich Schinkel66 und Martin Friedrich Rabe zur Ausarbeitung neuer Entwürfe, die nun alle drei eine Statue Luthers als Zentrum des Denkmals vorsahen. Ohne eine weitere öffentliche Diskussion wurde der Auftrag Schadow erteilt.67 Die von den Mansfeldern zusätzlich angestrebte Wohltätigkeitsanstalt im Mansfelder Schloss wurde von Friedrich Wilhelm III. abgelehnt und stattdessen sollte das gesamte Geld für das Denkmal verwendet werden. Zudem kamen sowohl Mansfeld auch die „von großen Hauptstraßen abgelegene Stadt Eisleben“68 als Aufstellungsorte nicht mehr in Frage. Daher legte 1817 Friedrich Wilhelm III. Wittenberg, die „Stadt, wo der Geist evangelischer Freiheit sich früh am stärksten hervorthat, wo die Asche Luthers ruht“69 als Standort fest.70 Besonders eindrücklich ist das autoritäre Vorgehen der preußischen Obrigkeit ohne jegliche Mitsprache der Mansfelder in Bezug auf die Grundsteinlegung. Diese wurde von Friedrich Wilhelm III. für den 1. November 1817, als den zweiten Tag der Feierlichkeiten des 300. Reformationsjubiläums, festgesetzt. Dem Vorsitzenden der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft wurde auf seine Nachfrage vom 24. Oktober 1817 erst am 16. Dezember, also fast zwei Monate später, vom zuständigen Minister Karl von Stein zum Altenstein geantwortet. Hierin wurde mitgeteilt, dass die Grundsteinlegung in Anwesenheit des preußischen Königs erfolgt war,

63 Steffens: Einleitung, IX. 64 Steffens: Einleitung, X. 65 Vgl. Steffens: Einleitung, VI, IX–X; vgl. GStA PK, I. HA Rep. 91 C, Nr. 1984, o. N. (Vaterländisch-Literarische Gesellschaft an Friedrich Wilhelm III. am 19.02.1809). 66 Eine Beschreibung der nicht umgesetzten Entwürfe Schinkels von 1816/17 findet sich bei Tümpel: Lutherdenkmäler, 234–237. 67 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 20882 Denkmal für Martin Luther, Bl. 1–2 (Minister Schuckmann an Friedrich Wilhelm III. am 19.08.1817). 68 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 1v. 69 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 1v. 70 Vgl. Schadow, Gottfried: Wittenbergs Denkmäler der Bildnerei, Baukunst und Malerei mit historischen und artistischen Erläuterungen, Wittenberg 1825, 120–121.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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allerdings eine „frühere Communication mit der achtungswürdigen Mansfeldischen Literaturgesellschaft“71 leider nicht möglich gewesen war. Im selben Schreiben wurde die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft aufgefordert, die vorhandenen Gelder an das Ministerium zu übersenden. Ein Schreiben des Königs vom 18. Oktober 1817 adressiert an den preußischen Rechts-Minister des Innern, teilte diesem das Datum der Grundsteinlegung mit und lud ihn dazu ein. Dies zeigt, dass wenn Friedrich Wilhelm III. es gewollt hätte, eine Benachrichtigung und Einladung der Mansfelder prinzipiell möglich gewesen wäre. Dass dies nicht geschehen war, zeigt, dass die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft inzwischen „ihren Einfluss auf die Ausführung des Denkmals vollständig verloren hatte“72,73. Stattdessen wurde der Grundstein in Abwesenheit der ursprünglichen Denkmalinitiatoren auf dem Wittenberger Marktplatz gelegt. Eine „marmorne […] Deckplatte“74 nannte die Anwesenden, zu denen neben Friedrich Wilhelm III., weitere Mitglieder der Königsfamilie, der genannte Staatsminister von Schuckmann, Militärangehörige, der Wittenberger Bürgermeister und die Leiter des evangelischen Predigerseminars in Wittenberg zählten.75 Der Alleingang des preußischen Königs und die Nicht-Einbeziehung der Mansfelder Gesellschaft führte schließlich dazu, dass diese „den Zweck ihres Vereines als erledigt betrachtet[e]“76 und sich bei einer Mitgliederversammlung am 5. August 1818, das heißt noch vor Fertigstellung des Denkmals, auflöste. Sie hatten zwar das ursprüngliche Ziel, die Errichtung eines Lutherdenkmals in Gang gebracht, jedoch waren sie zugleich gescheitert, da dieses nicht wie von ihnen erhofft, im Mansfelder Land, sondern in Wittenberg errichtet wurde. Dass sie zur Entschädigung vom preußischen König zwei von Schadow angefertigte Büsten, von Martin Luther und Philipp Melanchthon, geschenkt bekamen, verdankten sie dem Kultusminister Karl von Stein zu Altenstein, der sich dafür bei Friedrich Wilhelm III. eingesetzt hatte.77 Der Kultusminister war es auch, der anregte, dass der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft öffentlich am Sockel des Denkmals gedankt werden sollte. Die Inschrift, die letztlich vom König angeordnet wurde, verweist lediglich „auf die

71 Schadow: Denkmäler, 138. 72 Steffens: Einleitung, X. 73 Vgl. GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 4 (Wilhelm Friedrich III. an Minister Schuckmann am 18.10.1817); vgl. Steffens: Einleitung, X–XI. 74 Schadow: Denkmäler, 122. 75 Auch der Künstler des Lutherdenkmals, Gottfried Schadow, war anwesend, blieb auf der Marmorplatte jedoch unerwähnt. Vgl. Schadow: Denkmäler, 122–123. 76 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr.  20882, Bl. 14 (Mansfelder Literarischen Gesellschaft an Friedrich Wilhelm III. am 30.12.1818). 77 Die Büsten überreichten die Mansfelder an die Andreaskirche in Eisleben.

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Verdienste der Gesellschaft hinsichtlich der Geldsammlung“78. Friedrich Wilhelm III. nannte sich hingegen als denjenigen, durch den das Lutherdenkmal errichtet wurde.79 Nicht nur gegenüber der Mansfelder Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Künstlern beharrte der preußische König auf seiner Meinung und setzte sich durch. Dies steht sinnbildlich für autoritäre Regierungsweise zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die eine Mitbestimmung der Untertanen nicht vorsah. Anschaulich zeigt sich dies an den endgültigen Entscheidungen zur Ausgestaltung des Sockels. Nachdem Friedrich Wilhelm III. den Entwurf Schadows gewählt hatte, ordnete er an, dass über die Lutherstatue ein gusseiserner Baldachin, der von Karl Friedrich Schinkel entworfen werden sollte, zu errichten sei. In der königlichen Kabinettsorder vom 18. Oktober 1817 wurde zudem für die Ausführung des Sockels roter Granit veranlasst. Beide Künstler empfanden jedoch Granit als ungeeignet, da dieser mit dem Baldachin nicht zusammenpassen würde und sprachen sich übereinstimmend für grauen Marmor aus.80 Dem preußischen König war der künstlerische Wert jedoch weniger wichtig, sodass er sich wünschte, dass „diese Steinart beibehalten werde“81, da der Granit „die Idee von unerschütterlicher Festigkeit“82 repräsentiere und somit „dem Charakter […] [Luthers] so ganz entsprechen […]“83 würde. Auch in Bezug auf die Ausgestaltung des Sockels forderte Preußens Oberhaupt nicht nur Mitsprache, sondern auch Entscheidungsbefugnis ein. Die von Schadow zunächst geplanten Reliefs mit Szenen aus Luthers Leben wurden zugunsten von Inschriften abgelehnt. Hinzu kamen auf Seiten Schadows weitere Irritationen, da er davon ausgegangen war, er hätte die Bronzetafeln des Sockels selbst zu verantworten. Stattdessen wurde er von einem preußischen Beamten darauf hingewiesen, dass er „erst anfragen“84 müsse, ob die Zeichnung so umgesetzt werden dürfe. So wurden Schadows Vorschläge trotz mehrmaligen Überzeugungsversuchen vom Friedrich Wilhelm III. abgelehnt.85 Es überrascht nun nicht, dass Sockelinschriften vielfach diskutiert wurden und die Auswahl schließlich vom König getroffen wurde. Allein bei seiner ersten Idee für die Vorderseite, die Harrt auf das Evangelium vorsah, ließ er sich auf Kompro-

78 Steffens: Einleitung, XI. 79 Vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 238–239; vgl. GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 7–8, 14. 80 Vgl. GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 12 (Altenstein an Friedrich Wilhelm III. am 12.08.1818). 81 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 13 (Friedrich Wilhelm III. an Altenstein am 1.09.1818). 82 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 13. 83 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 13. 84 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 13. 85 Vgl.  GStA PK, I. HA Rep 89, Nr.  20882, Bl. 34–36. (Schadow an Friedrich Wilhelm III. am 2./7./8.12.1819).

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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misse ein. Da dieser Spruch auch trotz aller „Nachforschungen […] wirklich in der Bibel nicht aufzufinden“86 war, wurde schließlich ein ähnlicher Bibelvers Glaubt an das Evangelium (Mk 1,15) ausgewählt.87 Es wurde nun deutlich, wie sehr Friedrich Wilhelm III. Einfluss auf das Wittenberger Denkmal genommen und sowohl die Mitsprache der Mansfelder Gesellschaft als auch die der Künstler zurückgedrängt hatte. So entsteht der Eindruck, dass das Lutherdenkmal ein großes Anliegen des preußischen Königs war, was durch die Teilnahme an der Grundsteinlegung noch verstärkt wurde. Umso überraschender war es dann jedoch, dass nach so viel Engagement der preußische König der Einweihungsfeier des Lutherstandbilds fernblieb. 3.2.1.4 Das Lutherbild des Wittenberger Denkmals Johann Gottfried Schadow hatte bereits 1805 einen Entwurf eingereicht, der die Errichtung einer Lutherstatue vorsah und nach Wiederaufnahme des Denkmalprojekts durch Friedrich Wilhelm III. beteiligte er sich erneut mit seiner nur durch geringfügige Änderungen bearbeiteten Zeichnung. Schadows Bronzefigur zeigt einen aufrecht stehenden, Ruhe ausstrahlenden Luther im faltenreichen Talar. Luther ist als solcher durch seine Gesichtszüge erkennbar, denn die Porträts der Künstler aus der Reformationszeit bildeten für Schadow die Vorlage. So besuchte er am 31. Januar 1816 die Stadtkirche in Weimar, um vom dortigen Altarbild Lucas Cranachs d. J. Luther so genau wie möglich abzuzeichnen. Auch die Haltung der Bibel erinnert an das Altarbild Kreuzigung mit Allegorie der Erlösung von 1555.88 Neben der wiedererkennbaren Physiognomie zeichnet sich Schadows Luther dadurch aus, dass er die geöffnete Bibel, die am Übergang zwischen dem Alten und Neuen Testament aufgeschlagen ist, den Betrachtenden hinhält. Indem Luther mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf den Beginn des Neuen Testaments weist, wird dieses besonders hervorgehoben. Durch seine Ausstrahlung und die Bibelhaltung erweckt Luther den Eindruck eines Predigers und Lehrers, was durch seinen nach unten, in Richtung der Denkmalbetrachtenden gewandten Blick verstärkt wird. So scheint es, als würde der Reformator in einen Dialog mit diesen treten wollen. Zugleich ist durch die Bibel und deren Inschrift Das Neue Testament verdeutscht von Doktor Martin Luther ein Hinweis auf Luther als den Bibelübersetzer gegeben. So wollte Schadow seinem eigenen Anspruch gerecht werden und durch

86 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 29 (Altenstein an Kabinettsrat Albrecht 18.10.1819). 87 Vgl. GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 29, 35; vgl. Schadow: Denkmäler, 121–124; vgl. Krenzlin: Lutherdenkmal, 386, 399–401. 88 Vgl. Remlein: Postament, 193, 268–267; vgl. Weber: Luther-Denkmäler, 200.

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seine Statue „nicht an einen einzelnen Moment aus Luthers Leben, sondern an sein ganzes Wirken“89 erinnern. Die allgemeine Tat Luthers war für Schadow diese, dass Luther „das Wort Gottes, welches päpstlicher Zwang an Ketten angeschlossen [hatte], dem Volke zum Trost und zur Belehrung wieder frei gemacht hat[te]“90. Der Künstler war sich sicher, dass das von ihm gestaltete Denkmal dies verdeutlicht und somit keine „weitere […] Auslegung“91 notwendig sei. Unterstrichen wird all dies durch die vom König ausgewählte Inschrift auf der Vorderseite des Sockels Glaubt an das Evangelium (Mk 1,15).92 Doch diese ursprünglich intendierte Wirkung der Lutherstatue wird durch den gotischen Baldachin Schinkels deutlich geschmälert. Luther erscheint durch die Überdachung nicht mehr als der frei in der Öffentlichkeit Verkündigende, sondern mittels des Baldachins, der ursprünglich innerhalb von Kirchen über Altären und Kanzeln, oder auch über Gräbern verwendet wurde, wurde ein spezifisch kirchlicher Bezug hergestellt. Es wirkt daher so, als ob Luther auf dem Wittenberger Marktplatz nicht der Lehrer des Volkes sein sollte, sondern lediglich der zur Kirchengemeinde Predigende. Dadurch hatte der preußische König als Summus Episcopus durch die Anordnung des Baldachins und dem Bibelzitat auf der Vorderseite des Denkmals einen kirchlichen Kontext evoziert und somit den Kirchen- und nicht den Volksmann darstellen lassen. Die beeinträchtigte unmittelbare Dialogsituation drückt Ulrike Krenzlin treffend aus: „[D]em wortmächtigen Reformator […] [wurde] die Wortgewalt genommen“93,94. 3.2.1.5 Die Einweihung am 31. Oktober 1821 als kirchliche Feier Für die Einweihungsfeier des Lutherdenkmals auf dem Wittenberger Marktplatz legte Friedrich Wilhelm III. den Reformationstag 1821 fest. Der vorläufige Ablauf der Feier, der unter anderem von Carl Ludwig Nitzsch, dem Leiter des Wittenberger Predigerseminars, ausgearbeitet worden war und der dem preußischen König am 25. September 1821 zugesandt wurde, sah eine Teilnahme des Königs vor. Warum Friedrich Wilhelm III. in einem Schreiben vier Tage später mitteilen ließ, dass er

89 Schadow: Denkmäler, 121. 90 Schadow: Denkmäler, 124. 91 Schadow: Denkmäler, 124. 92 Die anderen beiden Inschriften lauten Eine feste Burg ist unser Gott und Ist’s Gottes Werk, so wird’s bestehn, ist’s Menschenwerk, wird’s untergehn. Damit wird das Werk des Reformators weiter charakterisiert, indem, laut Schadow, zum einen auf den „deutschen Liederdichter“ und zum anderen auf das Bekenntnis vor dem Wormser Reichstag angespielt würde. Vgl. Schadow: Denkmäler, 124. 93 Krenzlin: Lutherdenkmal, 400. 94 Vgl. Remlein: Postament, 193–194.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Abb. 5: Lutherdenkmal in Wittenberg, Statue: Johann Gottfried Schadow, Baldachin: Karl Friedrich Schinkel.

nicht teilnehmen würde, bleibt unklar. Fest steht stattdessen, dass der Kultusminister Altenstein den König vertrat.95 Bisher wurde in der Sekundärliteratur stets von der Anwesenheit des preußischen Königs ausgegangen.96 Doch die genannten Schreiben der preußischen Regierung weisen auf die Nichtteilnahme Friedrich Wilhelms III. genauso hin, wie die Berichte der Einweihungsfeier. Diese äußern großes Bedauern, da die „hohe

95 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 52–55, 58; vgl. LATH – StA Gotha, 9969 Oberkonsistorium Gen. Loc. 29b, Nr. 106 Die Feierlichkeit der Einweihung des Lutherdenkmals zu Wittenberg, Bl. 3 (Westermeier, Franz B.: Doctor Martin Luthers Denkmal in Wittenberg und die Feyer zur Einweihung desselben am 31ten October 1821, Magdeburg 1821, 4). 96 Schon in der Rede des Wittenberger Bürgermeisters Dr. Schirmer bei der Enthüllungsfeier des Eisenacher Lutherdenkmals 1895 berichtete er, „daß bereits 1821 das Schedersche [sic!] Lutherdenkmal […] in Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm III. eingeweiht wurde“. Kühn, Gottfried (Hg.): Bericht über die Enthüllungs-Feier des Lutherdenkmals zu Eisenach am 4. Mai 1895, Eisenach 1895, 21. Vgl. Weber: Luther-Denkmäler, 198; Unter Berufung auf Weber vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 239; vgl. Stump: Lutherstandbilder, 140; vgl. Geck, Albrecht: 18. Jahrhundert. Luthererinnerung im Zeichen von Aufklärung und Emanzipation, in: Nieden, Marcel (Hg.): Ketzer, Held und Prediger. Martin Luther im Gedächtnis der Deutschen, Darmstadt 2017, 116.

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Gegenwart allein noch zur Verherrlichung der Feyer“97 gefehlt hatte und die Freude der Anwesenden „nur durch die aller schmerzliche Nichtgegenwart [des Königs] […] getrübt“98 wurde.99 An der Einweihungsfeier des Wittenberger Lutherdenkmals nahmen zahlreiche Bewohner und Bewohnerinnen Wittenbergs, sowie Gäste aus allen Ständen teil. Auf einen Gottesdienst in der Stadtkirche folgte der Festgottesdienst in der überfüllten Schlosskirche. Die Predigt hielt der zweite Leiter des Predigerseminars, Propst Dr. Schleußner, zu 2. Tim 3,16 f und wies besonders auf „die Verdienste Luthers durch die Verdeutschung der Bibel“100 hin. Dadurch wirkte die Ansprache wie „ein Commentar über das Monument selbst“101. Nach dem Gottesdienst zog ein Festzug102 von der Schlosskirche zum Marktplatz, der eingerahmt wurde von Schulkindern, welche symbolisch für die „Verdienste des großen Mannes um Schulunterricht und Kinderzucht“103 standen. Explizit wurde zudem die Anwesenheit von hunderten Studenten „von einheimischen und auswärtigen Academien“104 genannt, die zwar nicht vorgesehen waren, die sich aber vorbildlich und gesittet benahmen. Die Enthüllungsfeier auf dem Marktplatz begann mit dem Gesang von Ein feste Burg, „wie es vielleicht noch nie gesungen“105 wurde. Es folgte eine Rede des Predigerseminarleiters Carl Ludwig Nitzsch der Luther, „der Gottes Werk so kraftvoll und treu und unvergeßlich folgenreich ausgeführt“106 hatte, dankte. Des Weiteren betonte der Festredner, dass die Anwesenden „nicht nur als Einwohner Wittenbergs, [sondern] auch als Mitglieder der evangelischen Kirche“107 die Errichtung des Denkmals mit Dank erfüllt. Nachdem es sowohl von lutherischen als auch von reformierten Gemeinden gefördert wurde, wurde es „zum Andenken Luthers, und

97 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 13). 98 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 71 (Wittenberger Bürgermeister an Friedrich Wilhelm III. am 1.11.1821). 99 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 60–62, 70–71. 100 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 6). 101 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 6). 102 Die Aufstellung für den Festzug und auf dem Marktplatz wurde zuvor öffentlich bekanntgegeben. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 68–69. 103 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 7). 104 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 8). 105 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 10). 106 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 10). 107 Nitzsch, Carl L.: Rede bei der feierlichen Einweihung von Luthers Denkmale am Reformationsfeste 1821 auf dem Markte zu Wittenberg gehalten, und auf höhere Veranlassung, nebst einer ihr verwandten Altarrede zum Drucke befördert, Wittenberg 1821, 9.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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zugleich zum Andenken der Vereinigung beider evangelische[r] Kirchen“108 errichtet. Die evangelische Union, die in einigen Gemeinden bereits vollzogen war, sollte weiter voranschreiten, dabei galt es „allerdings nach eigner freier Ueberzeugung [zu] handeln“109, sodass Carl Ludwig Nitzsch einen direkten Bezug zur Kirchenpolitik seines Landes- und Kirchenherrn, Friedrich Wilhelms III., herstellte, der 1817 zur freiwilligen Vereinigung lutherischer und reformierter Gemeinden aufgerufen hatte. Eine dezidiert auf das Luthertum bezogene Interpretation des Standbilds blieb daher aus. Im Anschluss an Nitzsch wurde das Denkmal enthüllt, woraufhin unter den Anwesenden ein „heiliges, tiefes Schweigen folgte“110. Zudem wird pathetisch beschrieben, dass im Moment der Enthüllung „ein heiterer Sonnenstrahl das Standbild mit Glanz überzog“111. Die Weihe endete mit dem Vater Unser und „Segenswünsche[n] für den frommen König, dem Wittenberg und die ganze evangelische Kirche“112 dieses Denkmal verdankte.113 Durch die beschriebenen Elemente, insbesondere durch die Gottesdienste, die Weiherede des Theologen Nitzsch und durch das abschließende Vater Unser, zeigte sich der kirchliche Charakter der Einweihungsfeier. Auch wenn Luthers gesellschaftliche Verdienste in Bezug auf Schule und deutsche Sprache hervorgehoben wurden, so stand durch die Gestaltung der Einweihungsfeier die Wirkung Luthers auf die Kirche im Vordergrund. Dieses öffentliche Lutherbild, das im Denkmal durch den Baldachin seine Entsprechung hatte, wurde dadurch unterstützt, dass lediglich Geistliche am Rednerpult standen. Eine umfassendere Deutung Luthers ist im Dankesschreiben des Wittenberger Bürgermeisters an Friedrich Wilhelm III. vom 1. November 1821 erkennbar, da für ihn Wittenberg die „Wiege der wieder erwachten Kultur“114 war, wo Luther „für Kirche und Staat als Mensch, als Bürger und Gelehrter, nicht nur seinen Zeitgenossen sondern auch noch der […] spätesten Nachwelt zur Wohlthat wurde“115. Das seiner Stadt Wittenberg anvertraute Lutherdenkmal ist daher für ihn „ein alle Deutsche durch Zweck und Ausführung ehrendes Nationalheiligthum“116.

108 Nitzsch: Rede, 9. 109 Nitzsch: Rede, 9. 110 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 11). 111 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 11). 112 LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr. 106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 11). 113 Vgl.  LATH – StA Gotha, 9969 Loc. 29b, Nr.  106, Bl. 3 (Westermeier: Luthers Denkmal, 3–15); vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 60–62. 114 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 70v. 115 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 70v. 116 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20882, Bl. 71r.

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3.2.1.6 Das (nicht-)bürgerliche Lutherdenkmal Das Wittenberger Lutherdenkmal war das erste öffentliche Personendenkmal, „in dem ein deutscher Bürger nicht ob seiner Herkunft“117, sondern aufgrund seiner Verdienste gewürdigt wurde. Daher kann das Standbild des Reformators hinsichtlich seines Inhalts genauso wie in Bezug auf die ursprüngliche Intention der Mansfelder Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft als ein bürgerliches Denkmal bezeichnet werden. Die Mansfelder Bürger waren hinsichtlich ihres öffentlichen Spendenaufrufs, ihren Sammlungen und des von ihnen organisierten Wettbewerbs wegweisend für die weitere Denkmalkultur im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Aber auch durch die Gestaltung des Lutherdenkmals als Porträtstatue und die damit verbundene Abkehr von der Architektur, wurde der Typus des bürgerlichen Denkmals entscheidend geprägt.118 Die Mansfelder Vaterländisch-Literarische Gesellschaft hatte die Verdienste Luthers für die gesamte Menschheit hervorgehoben, wodurch sie im Sinne des Intellektennationalismus argumentierten. Auch bei der Einweihungsfeier des Standbilds wurden die bürgerlichen Verdienste des Reformators betont, was sich in der Lutherstatue als Lehrer des Volkes ausdrückt. Indem nun der preußische König Friedrich Wilhelm III. ab 1816 die Denkmalplanung komplett an sich genommen hatte, bestimmte er entscheidend das Lutherbild des Wittenberger Denkmals. Das heißt in einer Zeit, in der um die Mitbestimmung des Volkes gerungen wurde, ließ er keine andere Mitsprache zu und sicherte sich dadurch die Deutungshoheit über die Erinnerung Luthers im Standbild. Dadurch wurde der bürgerliche Charakter des Wittenberger Monuments deutlich geschmälert. Stattdessen wurde die kirchliche Bedeutung des Reformators, was sich durch die Inschriften am Sockel und den Baldachin bereits in der Gestaltung des Denkmals zeigte, auch bei der Einweihungsfeier besonders betont. Sowohl der von Nitzsch geplante Ablauf der Feier, der mit Friedrich Wilhelm III. abgesprochen war, als auch die Festrede mit der Anspielung auf die preußische Kirchenpolitik spiegelten die kirchliche Bedeutung des Lutherstandbilds wider, was ganz im Sinne des Königs gewesen war. Eine andere öffentlich kundgegebene Interpretation Luthers, zum Beispiel in Bezug auf politische Aspekte, war dadurch offiziell nicht möglich. Blickt man jedoch auf die Teilnehmenden bei der Enthüllungsfeier, so ergibt sich dadurch implizit noch ein anderes Bild. Indem der preußische König nicht anwesend war, allerdings unter anderem von der Teilnahme hunderter Studierender berichtet wurde, kann hier ein Hinweis auf die Zunahme der bürgerlich-freiheitlichen Vereinnahmung

117 Tümpel: Lutherdenkmäler, 239. 118 Vgl. Remlein: Postament, 192–195.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Luthers gesehen werden. Denn 1817 war der Grundstein noch unter Beteiligung der preußischen Führung gelegt worden, während die Studierenden hingegen auf der Wartburg unter Berufung auf Luther mehr Mitbestimmungsrechte des Volkes gefordert hatten.119 Nun waren die sich für die bürgerlichen Rechte Einsetzenden zumindest anwesend, da sie sich mit dem Standbild identifizieren konnten, auch wenn ihnen keine aktive Rolle zukam.

3.2.2 Der von den Evangelisten getragene Luther in Möhra (1846–1861) Das 300. Reformationsjubiläum war für die Mansfelder Vaterländisch-Literarische Gesellschaft als ursprüngliches Datum zur Aufstellung des ersten Lutherdenkmals ins Auge gefasst worden. Im Zuge des Jubiläums der Confessio Augustana 1830 wurde kein weiteres Standbild errichtet, sodass erst der nächste größere Gedenktag, Luthers 300. Todestag im Jahr 1846, Anlass für ein zweites Lutherdenkmal bot. 3.2.2.1 Die Planung des Lutherstandbilds im abgelegenen Möhra Am 14. Januar 1846 gründeten Meininger Bürger um den Oberhofprediger Dr. Constantin Ackermann, den Bibliothekar und Dichter Ludwig Bechstein und den Landbaumeister August Döbner einen Verein zur Errichtung eines Lutherdenkmals in Möhra. Anders als die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft in Mansfeld, die sich neben den Denkmalplänen auch zu ihrer Selbstbildung trafen, verfolgte der Verein der Meininger Bürger von Anfang an nur das Ziel der Denkmalsetzung, sodass sich hier ein Wandel von der von der Aufklärung geprägten Gesellschaft hin zum bürgerlichen Verein erkennen lässt. Auffällig ist zudem, dass der Meininger Ausschuss sich nicht für ein Monument in der eigenen Stadt einsetzte, sondern das 40 Kilometer entfernte, kleine und lediglich 500 Einwohner umfassende Dorf Möhra auswählte. Das zum Herzogtum Sachsen-Meiningen gehörende Möhra galt als Stammort der Familie Luther, denn das Ehepaar Margarethe und Hans Luder lebten bis kurz vor der Geburt ihres Sohnes Martin dort. Zudem wohnten zu Lebzeiten Martin Luthers nicht nur Verwandte in dem thüringischen Dorf, sondern er hatte angeblich kurz vor seiner fingierten Gefangennahme 1521 in Möhra gepredigt. Dadurch bestand zwar ein Zusammenhang zwischen Möhra und dem Leben Luthers, jedoch rief die Abgeschiedenheit des Ortes bereits von Anfang an Kritik hervor.120 So wurde

119 Vgl. Remlein: Postament, 109–116; vgl. Lorentzen: 19. Jahrhundert, 120–122. 120 Nach damaligen Straßenverhältnissen und Fortbewegungsmöglichkeiten dauerte es drei Stunden ins 20 Kilometer entfernte Eisenach und eineinhalb Stunden ins acht Kilometer entfernte Bad Salzungen.

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beanstandet, „daß das Denkmal dort wie ein in der Erde vergrabener Schatz angesehen werden“121 und sehr bald in Vergessenheit geraten würde. Die Mitglieder des Lutherdenkmalvereins in Meiningen beharrten jedoch auf ihren Standortplänen, da es sich um eine „wohl erwogene und nicht aufzugebende Wahl“122 handelte.123 Die Zielstrebigkeit des Meininger Ausschusses zeigte sich auch anhand ihrer engagierten Herangehensweise an die Organisation. Bereits kurz nach der Gründung ihres Vereins hatte ihr Landesherr Bernhard II., der Herzog von Sachsen-Meiningen, seine Unterstützung versichert. In Folge dieser Zusage des „Nachkommen jener Fürsten, welche der deutschen Kirchenverbesserung erster Schirm und Schutz waren“124, veröffentlichten die Denkmalinitiatoren bereits im Februar, das heißt im Monat des 300. Todestags Luthers, einen ersten Spendenaufruf125,126. Des Weiteren versuchten die Meininger Denkmalinitiatoren die Genehmigung verschiedener politischer Obrigkeiten zu erhalten, um in deren Gebieten Kirchenkollekten durchführen zu dürfen. Diese kirchlichen Spendensammlungen wurden nicht nur in umliegenden thüringischen und sächsischen Gemeinden durchgeführt, sondern auch der bayerische König Ludwig I. erlaubte diese im protestantischen Teil seiner Untergebenen.127 Neben dem Aufstellungsort war sich der Denkmalverein schon wenige Monate nach dem ersten Zusammentreten darüber einig, dass der aus ihrer Region stam-

121 Sch, Fr.: Art. Die Einweihung des Lutherdenkmals in Möhra, in: CKBK 4/19.20 (1861), 147. 122 GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr.  20886 Errichtung von Denkmälern für Reformatoren, Bd. 1, Bl. 6. 123 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 5–6. 124 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 16. 125 Ein zweiter Spendenaufruf erging genau ein Jahr später im Februar 1847, in dem zum einen Möhra als Aufstellungsort verteidigt und zum anderen mitgeteilt wurde, dass bereits zahlreiche Spenden eingegangen waren, aber für „ein gediegenes, des großen Mannes und der deutschen Nation würdiges Kunstwerk“ noch weitere Spenden nötig wären. Vgl. LkA Magdeburg, Rep. H 11 Superintendentur Gollma, Nr. 156 Errichtung diverser Denkmäler, o. N. 126 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 16. 127 Der Aufruf und die Genehmigungen der Spendensammlungen sind für verschiedene Gemeinden dokumentiert: Vgl. LkA Eisenach, 11–015 Superintendentur Weida, Nr. 394 Sammlungen für das Lutherdenkmal in Möhra, Bl. 1–2; vgl. LkA Eisenach, 11–021 Superintendentur Neustadt/ Orla, Nr. Allg. 117a Beiträge zum Lutherdenkmal in Möhra, Bl. 1, 4, 12; vgl. LkA Eisenach, 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr.  322 Sammlungen für das Lutherdenkmal in Möhra und das Johann-Friedrich Denkmal in Jena; vgl. LkA Eisenach, 12–017 Inspektion Eisfeld, Nr. E.15 Beiträge zum Lutherdenkmal in Luthers Abstammungsort Möhra; vgl.  GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr.  20886, Bl. 10–11. Für die Sammlungen in den protestantischen Gebieten des bayerischen Königreichs vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 909 Geldsammlung für ein Lutherdenkmal in Wittenberg, Aufruf zum Lutherdenkmal in Möhra vom Februar 1846.

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mende, „junge […], sehr talentreiche […] Künstler“128 Ferdinand Müller das Standbild entwerfen sollte. Dementsprechend lehnte Ludwig Bechstein als Vorstand des Denkmalkomitees am 9. Juni 1846 das Angebot des preußischen Königs, Friedrich Wilhelm IV., eine „Abformung des Schadowschen Kunstwerkes“129 aufzustellen, ab. Bechsteins war der Meinung, dass „die bereits gethanen Schritte zur Herstellung einer originalen Kunstschöpfung die Realisierung jener Idee [der Kopie des Wittenberger Denkmals] nicht mehr möglich machen“130 würde.131 Hier kam den Denkmalinitiatoren zugute, dass sie von Anfang an klare Vorstellungen von ihrem Bestreben hatten. Zudem zeigte sich 1846 in der unbeirrten Ablehnung des königlichen Angebots ein gestiegenes bürgerliches Selbstbewusstsein, was zwei Jahre später auch Gegenstand der Revolution war. Zusätzlich fügte sich der Meininger Denkmalverein in die allgemeine Vereinsbewegung ein, indem er zielstrebig ein eigenes Anliegen unabhängig vom Staat verfolgte und durchsetzen wollte. Die Denkmalinitiatoren konnten sich dem preußischen Einfluss entziehen und ihre eigenen Vorstellungen umsetzen.132 3.2.2.2 Der zur Verkündigung einladende Luther Durch die Bestimmung Ferdinand Müllers als Bildhauer war ein kostspieliger Wettbewerb unnötig. Stattdessen wurden bereits im Frühjahr 1846 dem Künstler genaue Vorgaben zur Gestaltung des Standbilds mitgeteilt. Zudem sollte Müller auf einer Reise nach Berlin „geistige Einwirkungen erprobter Meister […] gewinnen“133 und im Zuge dessen die Modell-Skizze anfertigen. Nach Vorstellungen des Denkmalvereins sollte die Statue Luther „in jenem Lebensalter […] [darstellen], wo er von Worms kommend in seinem Stammort Möhra verweilte“134, bevor er auf die Wartburg entführt wurde. Aber auch in Bezug auf die Gestaltung des Postaments, äußerte das Denkmalkomitee genaue 128 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 5r. 129 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 11. 130 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 11. 131 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 10–11. 132 Der vom Lutherausschussmitglied Diakon August Wilhelm Müller herausgegebene Bericht zur Einweihungsfeier beschreibt detailliert die Entstehungsgeschichte des Lutherdenkmals in Möhra. Um die Richtigkeit seiner Angaben zu bestätigen und möglichen Kritikern zuvorzukommen, nennt er am Ende seine Quellen, u. a. die Akten des Komitees und Bechsteins Tagebuch, zudem haben zwei Komiteemitglieder die Richtigkeit der Ausführungen vor Veröffentlichung bestätigt. Zur Entstehungsgeschichte vgl.  Müller, August Wilhelm: Martin Luther und sein Stammort Möhra: mit einem Mahnrufe des Reformators an unsere Zeit. Eine Denkschrift zur Erinnerung an die Enthüllung und Einweihung des Lutherdenkmals in Möhra, Meiningen 1862, 117–170. 133 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 5r. 134 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 6.

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Vorgaben, die wenig Raum für eine eigene künstlerische Konzeption ließen. Nach einem Entwurf des Ausschussmitglieds, dem Herzoglichen Landbaumeister August Döbner, sollten an den vier Ecken jeweils mit Baldachinen überdachte Statuen der vier Evangelisten135 angebracht werden. Ausdrücklich wird hierbei auf den gotischen Stil, als die Kunstrichtung der Lutherzeit, hingewiesen und mit Peter Vischer ein Künstler der Gotik genannt, an dem sich Ferdinand Müller orientieren sollte.136 Neben einer Inschrift auf der Vorderseite sollten zudem drei der Gegend Möhra „nahe liegende Szenen aus Luthers Leben“137 in Reliefs ausgearbeitet werden. Gedacht wurde dabei an die inszenierte Gefangennahme „und sein[en] Aufenthalt in Eisenach“138 und auf der Wartburg. Die Figuren der Evangelisten wurden, wie gewünscht, am Sockel umgesetzt, sodass diese „die geistige Basis […] andeuten, auf der Luthers Lehre unerschüttert steht“139. Passend zu den gotischen Baldachinen der Eckstatuen wurden auch die Reliefs mit gotischen Rundbögen verziert. Die drei Szenen zeigen Luther beim Thesenanschlag, die Gefangennahme Luthers bei Altenstein und den Junker Jörg als Bibelübersetzer. So wurden durch das zweit- und drittgenannte Relief Lebensereignisse Luthers dargestellt, die eine Beziehung zur Gegend um Möhra herstellten. Der regionale Bezug findet sich auch auf der Vorderseite in der Inschrift Unserm Luther an seinem Stammort 1846 wieder. Auffällig ist, dass lediglich das 300. Todesjahr, das heißt der Beginn der Denkmalinitiative, genannt wurde, das Jahr der Einweihung jedoch unerwähnt blieb. Die Gestaltung der Lutherstatue lässt erkennen, dass Ferdinand Müller sich in einigen Aspekten am Wittenberger Denkmal orientierte. Der Reformator trägt in Möhra wiederum einen Talar, der linke Fuß steht leicht nach vorne und in der linken Hand hält er die offene Bibel. Ein entscheidender Unterschied ist nun die rechte Handhaltung, die nicht auf die Bibel zeigt, sondern sich durch eine einladende Geste auszeichnet. Die entspannten Gesichtszüge zeigen einen jüngeren Luther als in Wittenberg, sodass die Vorgabe des Denkmalkomitees, den Luther aus dem Jahr 1521 darzustellen, umgesetzt wurde. Auch wenn die Kleidung und die Frisur nicht auf diese historische Situation verweisen.

135 Interessant im Hinblick auf die Statuen der Evangelisten ist, dass diese Idee bereits in einem Gutachten zum Wittenberger Denkmal am 8.08.1817 geäußert wurde. Umgesetzt wurde dieser Vorschlag allerdings nicht. Vgl. GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20882, Bl. 3. 136 Peter Vischer d. Ä. (1455–1529) war beispielsweise der Künstler des Nürnberger Sebaldusgrabs, an dem die Figuren der zwölf Apostel unter Baldachinen angebracht sind. Vgl. dazu Grimme, Ernst Günther: Bronzebildwerke des Mittelalters, Darmstadt 1985, 136–146. 137 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20886, Bl. 6. 138 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20886, Bl. 6. 139 Müller: Luther, 184.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Abb. 6: Lutherdenkmal in Möhra, Ferdinand Müller.

Christian Tümpel bezeichnet das Möhraer Lutherstandbild als „künstlerisch sehr schwaches“140 Werk, ohne dies näher auszuführen. Wilhelm Weber hingegen übt Kritik an der Gestik Luthers, da diese durch den ausgewinkelten rechten Arm leer wirkt.141 Gleichzeitig kann allerdings in dieser Haltung des Reformators eine Zuwendung zu den Betrachtenden gesehen werden. Aussagekraft verliert die Statue in Möhra vor allem im Hinblick auf die Inschriften der offenen Bibel. Auf der einen Seite werden die Bibelstelle Joh 8,31–32142, die dazu auffordert, den Worten Jesu zu folgen, um die Wahrheit zu erkennen, abgedruckt. Auf der anderen Buchseite steht hingegen ein Vers143 von Ludwig Bechstein, dem zum Zeitpunkt der

140 Tümpel: Lutherdenkmäler, 239. 141 Vgl. Weber: Luther-Denkmäler, 209. 142 Joh 8,31–32: So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. 143 „Ein Denkmal, Luther, hast du dir gestiftet und in die Marmortafeln der Geschichte die heilige Kunde klar und tief gegraben: Dass Wahrheit ewig ist, und dass zunichte der Herr den Trug macht, der die Welt vergiftet.“

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Einweihung bereits verstorbenen Vorstand des Denkmalausschusses. Dieses Zitat Bechsteins würdigt einerseits Luther und andererseits wird durch die Botschaft der Wahrheit ein Bezug zu Joh 8,31–32 herstellt.144 Durch das Bechstein-Zitat aus dem 19. Jahrhundert erfolgte eine Vermischung von Zeitebenen, denn dieses kann selbstverständlich nicht in einem Buch stehen, das Luther in Händen hielt und noch weniger kann es sich bei diesem Buch dann um die Bibel handeln. Zudem kann kritisiert werden, dass das Denkmal durch den zeitgenössischen Vers nicht mehr nur ein Luther-, sondern in gewisser Weise auch ein Bechsteinstandbild war. Der Gesamteindruck, den das Monument durch Sockel und Statue ausstrahlt, ist ein ruhig wirkender Luther, der die Betrachtenden einlädt, ihm als Verkündiger des Evangeliums zuzuhören. Insbesondere durch die Evangelisten am Postament wird der Eindruck verstärkt, dass der Fokus auf der christlichen Bedeutung Luthers lag. Es scheint, als würde das aufgeschlagene Bibelwort nicht von Jesus an seine Jünger, sondern von Luther an die Betrachtenden ergehen. 3.2.2.3 Die Enthüllung des deutschen Mann Gottes am 25. Juni 1861 Obwohl die Planungen für das Lutherdenkmal in Möhra zunächst sehr zügig vorangeschritten waren, dauerte es trotzdem noch 15 Jahre, bis am 25. Juni 1861, dem Jahrestag der Übergabe der Confessio Augustana, das Standbild eingeweiht werden konnte. Grund hierfür war zunächst die Unterbrechung der Spendensammlungen aufgrund der bürgerlichen Revolutionen von 1848/49. Aber auch nachdem der Bronzeguss der Statue im April 1856 „längst vollendet“145 gewesen war, zogen sich die Arbeiten am Sockel und die Diskussion um den genauen Aufstellungsort im Dorf noch einige Zeit hin.146 Am Tag der Einweihung strömten mindestens 5.000 Menschen in den 500 Seelen Ort Möhra. Die Denkmalinitiatoren hatten die Abgeschiedenheit Möhras nicht als Problem angesehen, allerdings war die Anreise zur Enthüllungsfeier doch eine Herausforderung. Möhra verfügte über keinen Bahnhof, sodass ein Sonderzug eingesetzt wurde, der auf offenem Feld stoppte und die Gäste von hier aus einige Kilometer zu Fuß zum Denkmal laufen mussten. Zudem fanden nach der Enthüllung des Standbilds die weiteren Feierlichkeiten aus Kapazitätsgründen nicht in Möhra, sondern in Bad Salzungen statt.147

144 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 188. 145 LkA Eisenach, 12–005 Kirchen- und Schulamt Salzungen, Nr. Allg. 99 Errichtung eines Denkmals für D. Martin Luther, Bl. 6. 146 Vgl. LkA Eisenach, 12–005, Nr. Allg. 99, Bl. 5–6, 8, 28–30. 147 Vgl. Müller: Luther, 345–352.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Die Einweihung des Luthermonuments erinnerte, wie in Wittenberg, an eine christliche Feier, da Kirchenlieder gesungen, die Weiherede vom Meininger Oberhofprediger Ackermann gehalten und im Anschluss daran ein Gebet und das Vater Unser gesprochen wurde. Zugleich zeigt sich in der Rede Ackermanns148, der Mitglied des Lutherdenkmalausschusses gewesen war, dass der Reformator nicht nur im Kontext seines kirchlichen Auftretens gesehen wurde. Stattdessen war die Ansprache zweigeteilt und bezeichnete Luther „als einen Mann Gottes und dann als einen durchaus deutschen Mann“149. Luthers Bibelübersetzung machte ihn „zu einem heilverkündenden Morgenstern“150 und aufgrund seines ganzen Reformationswerks, das „zu einem halb Europa überschattenden Baum herangewachsen“151 war, wurde er vollends zu einem Mann Gottes. Gleichzeitig wurde Luthers „ächt deutsche […] Gesinnung“152 hervorgehoben, die sich am besten mit einer Linde, dem „uralt deutschen Baum“153 vergleichen ließe. So ist Luthers „Wille ein kräftiger unbeugsamer Stamm, sein Geist voll Ernst und Schwung und sein Gemüth so zart und innig“154. Der Reformator konnte dementsprechend „seinen Widersachern wie ein Bär begegne[n]“155 und zugleich gegenüber seiner Familie „ein harmloses gutmüthiges Wesen“156 sein. Diese zweifache Deutung Luthers, die genannte „christliche Natur und die deutsche Natur, die […] beide in ihm eins“157 waren, rechtfertigten, „daß ihm Denkmale errichtet“158 würden. Zugleich spiegelte sich in dieser Interpretation des Reformators eine gegenüber dem ersten Aufruf des Meininger Lutherdenkmalvereins veränderte politische und gesellschaftliche Situation wider. Die deutsche Nationalbewegung, die die deutsche Einheit zum Ziel hatte, hatte nach 1848/49 Zulauf erhalten und war in den 1860er Jahren protestantisch gefärbt. Ein konkreter geschichtlicher Bezug zwischen Luther und der nicht vereinten deutschen Nation wurde in der Einweihungsrede jedoch nicht hergestellt. Anders verhält es sich jedoch mit dem hier bereits mehrfach zitierten Berichterstatter August Wilhelm Müller, der

148 Der Wortlaut der Rede ist nicht erhalten, jedoch wird in zwei unabhängigen Berichten auf sie Bezug genommen. Vgl. Müller: Luther, 171–191; vgl. Sch.: Art. Einweihung, 148–152. 149 Müller: Luther, 187. 150 Müller: Luther, 187. 151 Müller: Luther, 187. 152 Müller: Luther, 187. 153 Sch.: Art. Einweihung, 150. 154 Müller: Luther, 187–188. 155 Müller: Luther, 188. 156 Müller: Luther, 188. 157 Müller: Luther, 188. 158 Müller: Luther, 188.

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an seine Beschreibung der Einweihungsfeier „Luthers Mahnruf an unsere Zeit“159 anschließt. In dieser fiktiven Lutherrede werden die Lesenden aufgefordert, die „Zeichen der Zeit“160 zu erkennen und sich „von der Zwietracht und Zerrissenheit zur Einheit und Eintracht“161 zu wenden. Im Anschluss an die Rede Ackermanns wurde das Standbild vom Lutherdenkmalkomitee an die politische Gemeinde Möhra übergeben.162 Voller Stolz war es dem Denkmalverein gelungen, ein seiner Meinung nach „dem Wittenberger Denkmal von Schadow ebenbürtiges Luthermonument“163 zu errichten und zu zeigen, dass Möhra ein „vollkommen geeigneter Ort“164 für ein zweites Lutherstandbild war.

3.2.3 Der deutsch-baltische Luther in Kegel (1862) In dem bekannten, unveräußerlichen Gewande, bedeckten Hauptes, den einen Fuß in fester vorschreitender Stellung behauptend, mit dem aufgeschlagenen Gottesworte in der Linken, das feste Auge auf die Schrift gerichtet, die er wieder frei gemacht, und die Rechte zum Himmel erhoben, als wollte er Gott den Herrn selbst zum Zeugen seines Bekenntnisses anrufen – so steht er da, der Mann nach dem Herzen Gottes.165

Dieses hier beschriebene Lutherdenkmal, das in der Nähe des deutschbaltischen Ortes Kegel166 errichtet wurde, besaß in dreierlei Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal: Es ist das einzige Standbild des Reformators im bis 1917 existenten Russischen Kaiserreich, zudem wurden die Sockelinschriften auf Estnisch angebracht und drittens fällt die besondere Körperhaltung Luthers auf. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts „erfreute sich die deutschbaltische Oberschicht einer weitgehenden Freiheit“167 hinsichtlich Entscheidungen innerhalb der lutherischen Kirchen in der russischen Provinz Estland, was eine gewisse Unabhängigkeit vom russischen Zar aber auch von der estnischen Bevölkerung mit sich

159 Müller: Luther, 272. 160 Müller: Luther, 282. 161 Müller: Luther, 282. 162 Sch.: Art. Einweihung, 150. 163 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 10r. 164 LkA Magdeburg, Rep. H 11, Nr. 156, o. N. (2. Aufruf im Februar 1847). 165 N. N.: Art. Ein Luther-Denkmal, in: Extrablatt zur Revalschen Zeitung (1862) 250, o. S. 166 Die heutige estnische Bezeichnung der Stadt lautet Keila. Sie liegt 25 Kilometer westlich der Hauptstadt Tallinn. 167 Stumpf, Christoph A.: Die lutherischen Landeskirchen in Livland und Estland und ihr Verhältnis zur russischen Staatsgewalt im 18. und 19. Jahrhundert, in: ZSRG.K 89 (2003) 1, 574.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Abb. 7: Lutherdenkmal in Kegel, Peter Clodt von Jürgensburg.

brachte.168 Doch durch ein Kirchengesetz aus dem Jahr 1832 gingen die Privilegien des von den Deutschbalten geprägten Luthertums verloren, da dieses nun „Eingriffen der russischen Staatsgewalt in stärkerem Maße ausgesetzt“169 war. Daraus resultierten Spannungen mit dem russisch-orthodoxen Staatskirchentum, denn durch verschiedene Gesetze und intensive Missionstätigkeiten sollte die orthodoxe Konfession gestärkt werden und sich in der estnischen Provinz ausbreiten. Dies führte in den 1840er Jahren zu einer Konversionswelle estnischer Protestanten, da ihnen beim Übertritt zur orthodoxen Kirche „wirtschaftliche […] Hilfe oder gar Landzuweisung“170 versprochen wurde. Diese Hoffnungen wurden jedoch nicht

168 Vgl.  einführend in die baltische Kirchengeschichte: Wittram, Reinhard (Hg.): Baltische Kirchengeschichte: Beiträge zur Geschichte der Missionierung und der Reformation, der evangelisch-lutherischen Landeskirchen und des Volkskirchentums in den baltischen Landen, Göttingen 1956; vgl.  Hauptmann, Peter: Art. Baltikum. II. Das Christentum im Baltikum, in: TRE 5 (1980), 145–159; vgl. Stumpf: Landeskirchen, 570–591. 169 Stumpf: Landeskirchen, 586. 170 Hauptmann: Baltikum, 152.

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erfüllt, sodass in den 1850er Jahren eine große Anzahl enttäuschter Konvertiten in die lutherische Kirche Estlands zurückdrängte. Dies wiederum brachte rechtliche Probleme für die protestantischen Geistlichen mit sich, denn durch das Gesetz von 1832 drohte bei Amtshandlungen gegenüber Orthodoxen die Amtsenthebung. Die Mehrheit der lutherischen Pfarrer setzte sich jedoch über dieses Gesetz hinweg, da sie „inzwischen ihre Bemühungen um die estnischen […] Bauern und ihre Sprache verstärkt hatten“171,172. In diese Situation hinein initiierte der Gutsherr Georg von Meyendorff die Errichtung eines Lutherdenkmals, welches er gerne auf dem Domplatz in Reval, dem heutigen Tallinn, aufgestellt hätte. Die genauen Gründe, warum es dort nicht errichtet werden durfte, sind nicht mehr nachzuvollziehen. Es könnten allerdings die angeführten kirchenpolitischen Spannungen ausschlaggebend gewesen sein, dass eine Verehrung des deutschen Reformators auf einem öffentlichen Platz nicht gestattet wurde. So ließ Georg von Meyendorff das kolossale Luthermonument mit einer Höhe von circa sechs Metern, für dessen finanzielle Realisierung er alleine aufkam und das von dem Deutschbalten Peter Clodt von Jürgensburg ausgeführt wurde, auf seinem eigenen Grundstück errichten.173 Die Zuwendung der deutsch geprägten lutherischen Kirche in Estland zu der estnischen Bevölkerung wurde auch durch die estnischen Inschriften am Denkmal und die zweisprachige Enthüllungsrede erkennbar. Die Inschriften nannten neben dem klassischen Lutherlied Ein feste Burg zwei neutestamentliche Bibelzitate174, die sich mit dem Wunsch des Denkmalstifters verbanden, dass die Betrachtenden des Monuments „bleiben sollen in der Lehre des Mannes, dem sie ihre reinere Erkenntniß […] verdanken“175. Dazu wurde auf der Vorderseite eine Inschrift ange-

171 Hauptmann: Baltikum, 153. 172 Vgl zum Verhältnis zwischen der Orthodoxen Kirche und dem Luthertum im Russischen Kaiserreich Freeze, Gregory L.: Lutheranism in Russia. Critical Reassessment, in: Medick, Hans / Schmidt, Peer (Hg.): Luther zwischen den Kulturen: Zeitgenossenschaft, Weltwirkung, Göttingen 2004, 309–312. 173 Vgl. einen Artikel des Sankt Petersburger Evangelischen Sonntagsblatts, der in der Warschauer Zeitung im Januar 1863, das heißt einige Monate nach der Denkmalenthüllung, abgedruckt wurde, in welchem das Lutherdenkmal in Kegel besonders gewürdigt wurde, da es von Meyendorff, „einem einzigen Sohne dieser Kirche aus eigenen Mitteln und auf eigenem Lande hergestellt“ und sogar noch vor dem Wormser Denkmal eingeweiht wurde, „zu dessen Herstellung die gesammte lutherische Kirche beigesteuert“ hatte. Vgl. N. N.: Art. Die Einweihung des Lutherdenkmals zu Kegel in Ehstland, in: Warschauer Zeitung 5 (1863) 18, 1–2. 174 1. Kor 16,13-14: Wachet, stehet im Glauben, seid männlich und stark. Alle eure Dinge lasset in der Liebe geschehen. Eph 2,8: Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es. 175 N. N.: Einweihung, in: Warschauer Zeitung, 1.

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bracht, welche darauf verweist, dass Meyendorff das Lutherstandbild „dem lieben Ehstenvolke“176 widmete. Zur Einweihungsfeier am 21.  Oktober 1862 kamen aus den umliegenden Gemeinden zwischen 4000 und 5000 Menschen, von denen die „überwiegende […] Anzahl Bauern des Kirchspiels“177 waren. Das Standbild wurde während der dritten Strophe des Lutherlieds Ein feste Burg enthüllt, woran sich die Einweihungsrede vom Propst Frick anschloss. Diese wurde zunächst in estnischer und dann in deutscher Sprache gehalten und bezog sich auf die am Sockel angebrachte Bibelstelle 1. Kor 16,13 14. Dabei betonte Frick, dass Luther „im Lichte des evangelischen Glaubens jedem Bekenner desselben vor Augen stehen müsse“178 und dass sein Andenken zu bewahren sei. Weiter führte er aus, dass das von Luther wieder ins Zentrum gestellte Wort Gottes, „von unseren Vätern gewahrt und beschützt [wurde und] […] es ist das festeste Band, das uns als Deutsche unter einander und mit dem Volke, das uns hier in einer Gemeinde umgiebt und unter uns alle verschiedenen Stände miteinander als Glaubensgenossen verbunden hat“179. Darum wäre „es unsere heilige Pflicht […], den reinen evangelischen Glauben […] in uns aufzunehmen“180. Diese Aufforderung, zur Standhaftigkeit im evangelischen Bekenntnis spiegelte sich auch in der einzigartigen Gestik dieses Lutherdenkmals wider. So war der rechte Arm der Lutherfigur senkrecht erhoben und der rechte Zeigefinger deutete in den Himmel. Luthers ernster Blick richtete sich in die Bibel, sodass im Erscheinen Luthers auch „etwas Drohendes, Strafendes“181 lag.182 Dieser Ausdruck der Lutherstatue, der mit dem eindringlichen Ton der Einweihungsrede übereinstimmte, kann direkt auf die zuvor beschriebene Situation der Bedrängnis der deutschen und vor allem einheimischen Lutheraner in Estland und dem gesamten Kaiserreich Russlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezogen werden. Das Lutherdenkmal in Kegel kann daher als Symbol für die Formierung eines Zusammengehörigkeitsgefühls der durch Sprachen getrennten Deutschen und Esten angesehen werden, indem die lutherische Konfession eine gemeinsame Identität als Abgrenzung gegenüber dem orthodoxen Russischen Reich stiftete. Durch das Lutherstandbild wurden sowohl konfessionelle als auch nationale Aspekte öffentlich zur Geltung gebracht. Besonders interessant ist

176 N. N.: Luther-Denkmal, in: Extrablatt zur Revalschen Zeitung, o. S. 177 N. N.: Luther-Denkmal, in: Extrablatt zur Revalschen Zeitung, o. S. 178 N. N.: Luther-Denkmal, in: Extrablatt zur Revalschen Zeitung, o. S. 179 N. N.: Luther-Denkmal, in: Extrablatt zur Revalschen Zeitung, o. S. 180 N. N.: Luther-Denkmal, in: Extrablatt zur Revalschen Zeitung, o. S. 181 N. N.: Luther-Denkmal, in: Extrablatt zur Revalschen Zeitung, o. S. 182 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 262.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

dabei, dass die nationale Deutung nicht nur auf die Deutschbalten bezogen blieb, sondern durch die Widmung am Sockel wurde der deutsche Reformator auch zur estnisch-nationalen Identitätsfigur.183

3.2.4 Der bekennende Luther in Worms (1856–1868) Im Zeitraum zwischen 1856 und 1868 entstand in Worms in Erinnerung an Luthers Auftritt vor Kaiser Karl V. auf dem Reichstag von 1521 ein großes, vielfigürliches Denkmal. Es ist das einzige Lutherdenkmal, über welches bereits eine eigenständige Monographie erschienen ist. Der Schwerpunkt dieser kunstgeschichtlichen Arbeit von Christiane Theiselmann liegt insbesondere auf der Entstehungsgeschichte und der Beschreibung des Wormser Lutherdenkmals, sodass die Einweihungsfeier im Jahr 1868 nur kurz gestreift wird.184 Daher soll neben der Entstehung, Deutung und Einordnung des Wormser Monuments in den größeren Zusammenhang der Lutherdenkmäler, auch die Einweihungsreden, die durch Friedrich Eich, einem Vorstandsmitglied des Lutherdenkmalvereins, in Gedenkblättern herausgegeben wurden, besonders beachtet werden.185 Zudem fällt auf, dass die Wormser und nicht die Wittenberger Lutherstatue in den darauffolgenden Jahrzehnten unzählige Male kopiert wurde. Welche Gründe sprachen für eine Bevorzugung der Wormser Figur? 3.2.4.1 Das international ausgerichtete Denkmalprojekt des Wormser Vereins „[D]urch sein heldenmüthiges Glaubensbekenntniß vor Kaiser und Reich am 18.  April 1521 [legte Luther] gleichsam den Grundstein zu allen evangelischen Kirchen der Erde“186. Daher sollte nach Meinung des offiziell am 13.  Dezember 1856 gegründeten Wormser Lutherdenkmalvereins dem „unsterblichen Gottesmann“187 auch in Worms ein Denkmal gesetzt werden. Zuvor hatte der Landesherr, Großherzog Ludwig III. von Hessen und bei Rhein, die Vereinsgründung genehmigt und das Protektorat übernommen. Da die Bedeutung Luthers nicht allein auf 183 Das Lutherdenkmal bei Kegel wurde 1949 eingeschmolzen und in eine für Tallinn bestimmte Stalin-Statue umgegossen. Aktuell laufen Bestrebungen der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, dieses Denkmal wieder zu errichten. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 262. 184 Vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal. 185 Vgl. Eich, Friedrich: Gedenkblätter zur Erinnerung an die Enthüllungsfeier des Luther-Denkmals in Worms am 24., 25. und 26. Juni 1868, Worms 1868. 186 Eich: Gedenkblätter, 40 (Aufruf zur Spendung von freiwilligen Beiträgen für Errichtung eines Luther-Denkmals in Worms). 187 Eich: Gedenkblätter, 40.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Worms oder das Großherzogtum Hessen zu beschränken war, sollte das Monument zu einem Denkmal des weltweiten Protestantismus werden, weswegen der „Aufruf an unsere evangelischen Brüder in allen Ländern“188 erging. Um internationale Spenden einsammeln zu können, wurden zudem die Gustav-Adolf-Vereine aufgerufen, bei der Vermittlung von spendenwilligen Personen zu helfen. Neben dieser internationalen Ausrichtung wurde im ersten Spendenaufruf vom 17. Dezember 1856 die Hoffnung ausgesprochen, dass dieses Denkmalprojekt vom „Geiste der Eintracht und Liebe beseelt [und] zu einem Werke des Friedens“189 werden würde. Daher sollten alle Evangelischen, unabhängig ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten protestantischen Strömung, zur Finanzierung beitragen. Diese Hervorhebung der angestrebten Harmonie verweist auf die Spannungen zwischen den verschiedenen protestantischen Richtungen im 19. Jahrhundert, die auch die Einweihungsfeier zwölf Jahre später noch prägte. Die weitere Planungsphase zeichnete sich insbesondere durch das außerordentliche Engagement, den hohen Organisationsaufwand und die Professionalität des Denkmalvorstands aus, ohne welche die Verwirklichung eines solch großen, international ausgerichteten Projekts nicht möglich gewesen wäre. So ist zunächst die Kommunikation im kirchlichen und politischen Kontext zu nennen, das heißt zwischen dem Wormser Denkmalverein und den Gemeinden, Superintendenturen, den für geistliche Angelegenheiten verantwortlichen staatlichen Ministerien und den evangelischen Fürsten. Der Wormser Vereinsvorstand holte sich nicht nur die Genehmigung zur Sammlung von Kirchenkollekten zugunsten des Lutherdenkmals ein, sondern sandte den Spendenaufruf auch gesondert an die evangelischen Fürsten.190 Nach Erhalt der Erlaubnis für Gemeindesammlungen erbaten sich die Denkmalinitiatoren die Information über die genaue Anzahl der Gemeinden in einer Superintendentur um dann die passende Anzahl an Spendenlisten und -aufrufen versenden zu können. Diese wurden zusätzlich ergänzt mit fünf Hinweisen für Pfarrer, wie das Wormser Denkmalprojekt in ihren Gemeinden bekannt gemacht

188 Eich: Gedenkblätter, 41. 189 Eich: Gedenkblätter, 41. 190 Beispielhaft sei hier auf die Genehmigung der Kirchenkollekte in allen lutherischen Kirchen im Gebiet der Landesregierung zu Coburg vom 29.01.1857 hingewiesen. Vgl.  LATh – StA Gotha, 2–15–0183 Staatsministerium Abteilung Gotha Dep. I Abteilungsleitung, Nr. 2950 Gesuche um Bewilligungen zur Errichtung von Denkmälern, Gründung von kulturellen Einrichtungen und Vereinen, Bl. 56.

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werden sollte, um allen evangelischen Glaubensgenossen das Eintragen in die Spendenlisten zu ermöglichen.191 Zudem wurden Spendenaufrufe in verschiedene Sprachen, beispielsweise im Juni 1857 ins Französische übersetzt, um die Denkmalpläne im nicht-deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Aber auch von dem Verbot von Spendensammlungen durch Kirchenbehörden, wie dies im Russischen Kaiserreich der Fall war, ließ sich der Wormser Denkmalverein nicht entmutigen. Diese russische Restriktion steht in engem Zusammenhang mit der konfessionellen Situation im Russischen Kaiserreich, die auch für das Lutherdenkmal in Kegel wichtig war. Die staatsnahe orthodoxe Kirche sollte gefördert und das mit den Deutschbalten verbundene Luthertum benachteiligt werden. Nach der Ablehnung der öffentlichen Spendensammlung veröffentlichte das Wormser Komitee im November 1857 einen gesonderten Spendenaufruf an die protestantischen Glaubensgenossen in Russland, in welchem sie zwar das kaiserliche Verbot nannten, aber darauf hinwiesen, dass Privatspenden erlaubt seien. Deshalb sollten sich die Evangelischen in Russland untereinander zusammenschließen und gemeinsam ihre Spenden nach Worms schicken.192 Im weiteren Verlauf der Planungsphase wurden an die verschiedenen Stellen regelmäßig zunächst Vierteljahres-, dann Jahresberichte versandt, um stets über den Fortgang des Denkmalunternehmens und die bereits eingegangenen Spenden zu berichten. Dadurch blieb das geplante Wormser Lutherdenkmal nicht nur den Spenderinnen und Spendern in Erinnerung, sondern es war ihnen zudem möglich, den Fortschritt zu verfolgen und daran Anteil zu nehmen. Für das Denkmalkomitee waren diese Berichte ein wichtiger Teil der öffentlichen Kommunikation, um weiterhin niederschwellig für Spenden zu werben.193

191 So sollte der Spendenaufruf in der Kirche verlesen und sich daraufhin „eine eindringliche Ermahnung“ anschließen, dass „alle evangel. Glaubensgenossen“ zur allgemeinen Beteiligung aufgerufen seien. Die Spendenliste sollte durch den Pfarrer oder den Gemeindevorstand in Umlauf gebracht und die Originalliste schließlich samt Spenden zurückgesandt werden, denn „sämmtliche Listen, nach Ländern geordnet (sollen) im Luther-Denkmal-Archive zum ewigen Gedächtnis“ aufbewahrt werden. Vgl.  LkA Eisenach, 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr.  324 Sammlung von Beiträgen für das Lutherdenkmal in Worms, Protestationskirche in Speyer, Melanchthonhaus in Bretten etc., Bl. 2–3; vgl. LkA Magdeburg, Rep. E 03 Konsistorium Stollberg-Wernigerode, Nr. 936 Die in der Grafschaft gesammelten Beiträge zur Errichtung eines Luther-Denkmals in Worms. 192 Vgl.  StadtA Worms, 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr.  84 Verschiedene Druckschriften; vgl. StadtA Worms, 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr. 85 Verschiedene Drucksachen. 193 Dieser große Organisationsaufwand und die weitgestreute Informationsverteilung des Wormser Lutherdenkmalvereins zeigt sich noch heute in den verschiedensten kirchlichen und staatlichen Archiven, da dort zahlreiche Dokumente, vor allem Spendenaufrufe, Jahresberichte und Einladungen zur Einweihung zu finden sind. Die Entstehung des Wormser Lutherdenkmals ist daher

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Doch nicht nur die Informationsverteilung, sondern auch das Einwerben von finanziellen Beiträgen gelang den Wormser Denkmalinitiatoren. So wurde im ersten Jahresbericht vom 18. Januar 1858 berichtet, dass die Sammellisten weltweit versandt wurden. Daher gäbe es nun „fast kein von Protestanten bewohntes Land der Erde mehr, in dem sich nicht – wenn auch hie und da erst in schwachen Anfängen – ein Interesse für dieses Werk dankbarer Verehrung gegen unseren großen Reformator gezeigt hätte“194. Nachdem der erste Spendenaufruf etwas mehr als ein Jahr im Umlauf gewesen war, war es bereits gelungen, „fast die Hälfte der erforderlichen Summe“195 zu sammeln. Kritisch wurde jedoch bemerkt, dass obwohl bereits aus dem Ausland und aus überwiegend katholischen Ländern wie Bayern und Österreich zahlreiche Spenden eingegangen waren, Sammlungen in typisch protestantischen Gebieten wie Preußen, Sachsen und Hannover noch nicht genehmigt worden waren. Daher wandte sich der Lutherdenkmalverein erneut an die dortigen Regierungen und bat beispielsweise am 18. Mai 1857 den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. um Unterstützung.196 Von Seiten des preußischen Gesandten in Hessen-Darmstadt, Wilhelm Graf von Perponcher, wurden dem preußischen König Zweifel über den Erfolg des Lutherdenkmals in Worms mitgeteilt. Dieser hielt den Ausschuss des Denkmalvereins für unfähig, ein solches Unternehmen zu realisieren und schlussfolgerte daher, dass zu befürchten wäre, „daß das Denkmal weit mehr eine Veranlassung des Bedauerns als der Freude“197 wäre. Daher riet er dem König von einem finanziellen Beitrag ab. Hier zeigt sich auf Seiten der preußischen Regierung noch immer eine reservierte Haltung gegenüber dem Erfolg einer bürgerlichen Initiative.198 Mit dieser ablehnenden Haltung in Preußen und den anderen evangelischen Gebieten gegenüber den Denkmalplänen gab sich der Wormser Vorstand jedoch nicht zufrieden, sodass ihr Vizepräsident, Friedrich Eich, 1857 nach Berlin, Dresden, Hannover und Kassel reiste, um bei Vertretern der obersten Staats- und Kirchenbehörden nach persönlicher Vorsprache die Spendensammlungen genehmigen zu lassen. Hier wird wiederum deutlich, dass dieser Lutherdenkmalverein keine Mühe

sehr gut dokumentiert und umfangreicher als bei anderen Lutherdenkmälern. Das spiegelt den Anspruch des Denkmalvereins wider, dass sie ein Denkmal für alle Protestanten und Protestantinnen und nicht nur für Worms errichten wollten. 194 Vgl. LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 19 (Jahresbericht für den Zeitraum vom 17.12.1856 bis 18.01.1858). 195 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 19. 196 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 22–23. 197 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 25–26. 198 Später spendete aber auch Friedrich Wilhelm IV. eine Summe und reihte sich damit ein in die Liste der unterstützenden deutschen Fürstenhäuser. Vgl. Eich: Gedenkblätter, 46.

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scheute, ihr Projekt voranzutreiben.199 Neben den Spendensammlungen wurde das Planungskomitee hinsichtlich weiterer Finanzierungsmöglichkeiten kreativ, indem sie 60.000 Exemplare einer Zeichnung des Denkmalentwurfs drucken ließ und ab 1860 verkaufte.200 Abschließend ist im Hinblick auf die eingegangenen Spenden nach Realisierung des Lutherdenkmals festzuhalten, dass zwei Drittel des Geldes aus der deutschen Bevölkerung und etwas über ein Viertel der Spenden aus dem 1868 nicht mehr zu den deutschen Gebieten zählenden Österreich und dem Ausland eingegangen waren. Die Absicht des bürgerlichen Denkmalkomitees, ein aus allen protestantischen Ländern finanziertes Monument zu errichten, war demnach durchaus erfolgreich.201 Insgesamt beeindruckt die Arbeit des Denkmalkomitees, welches aus einem relativ kleinen bürgerlichen Personenkreis bestand und „ein derart großes und weltweites Projekt selbständig organisierte“202. 3.2.4.2 Die Lutherstatuen Ernst Rietschels: Mönchskutte vs. Talar Zunächst plante der Wormser Lutherdenkmalverein eine Wettbewerbsausschreibung für Anfang 1858. Der entscheidende Vorteil einer solchen Konkurrenz bestand darin, dass eine Vielfalt von Entwürfen eingehen würde, wie dies bei der Ausschreibung der Mansfelder Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu sehen war. Zugleich lehnten bedeutende zeitgenössische Künstler, wie Christian Daniel Rauch, ausgeschriebene Wettbewerbe ab, „weil voraussichtlich Künstler ersten Ranges sich nicht daran betheiligen würden“203. Das veranlasste den Vizepräsiden-

199 Der Erfolg dieser Überzeugungsarbeit zeigt sich bereits im 5. Vierteljahresbericht vom 18.04.1858, indem von eingegangenen Spenden aus Hannover und von vom preußischen König genehmigten Spendensammlungen berichtet wird. Vgl. dazu LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 20–21; vgl. Eich: Gedenkblätter, 13–15. 200 Der Bilderverkauf verlief überaus erfolgreich, sodass in der Tat aus diesem Reservefond Geld übrig blieb und nach Abschluss des Denkmalprojekts 1870 eine „Wormser Luther-DenkmalStiftung“ gegründet werden konnte. Die Statuten dieser Stiftung vom 22.03.1871 geben Aufschluss über den Zweck, nämlich die Finanzierung eines einjährigen Stipendiums für Theologiestudierende. Vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 421 Errichtung von Denkmälern für Luther und Melanchthon; vgl. LkA Eisenach, 15–008 Inspektion Sonderhausen, Nr. Allg. 156 Die Luther-‚Denkmal‘-Stiftung, Bl. 2–5. 201 Die Spendenübersicht aus dem Jahr 1868 zeigt, dass der Anteil der Beiträge aus fürstlichen Häusern knapp 6%, aus der deutschen Bevölkerung rund 67%, aus der nun abgetrennt aufgelisteten österreichischen Monarchie circa 5% und aus nicht-deutschen Ländern ungefähr 22% aller Spenden ausmachte. Vgl. Eich: Gedenkblätter, 45–51. 202 Theiselmann: Lutherdenkmal, 15. 203 Eich: Gedenkblätter, 16.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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ten des Vereins, Friedrich Eich, der im Herbst 1857 das erst kurz zuvor enthüllte Doppelstandbild Goethes und Schillers in Weimar gesehen hatte, denselben Künstler, Ernst Rietschel, auch für das Wormser Lutherdenkmal gewinnen zu wollen. Nach einem Treffen zwischen Eich und Rietschel in Dresden war das Interesse des Künstlers geweckt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Eich in diesem Gespräch anfragte, ob nicht „die Architectur zu Hilfe zu nehmen“204 wäre, um „Luthers Standbild unter einer auf Säulen ruhenden, tempelartigen Rotunde“205 aufzustellen. Rietschels Reaktion, der diesen Vorschlag entschieden ablehnte, zeigt, dass sich unter Künstlern bereits im Verlauf der ersten Jahrhunderthälfte das bürgerliche Standbild als öffentliche, freistehende Statue ohne jeglichen architektonischen Überbau etabliert hatte. Die Diskussion um die Verbindung einer Lutherfigur mit der Architektur, die bei den Entwürfen zum Wittenberger Denkmal noch offensichtlich war, spielte daher beim Wormser Denkmal keine Rolle mehr. Im Ausschuss des Wormser Denkmalkomitees wurden die Vor- und Nachteile eines Wettbewerbs unter Einbeziehung von Sachverständigen abgewogen. Da eine öffentliche Ausschreibung aufgrund der Preisgelder mit hohen Kosten verbunden gewesen wäre und womöglich nicht die bedeutendsten Künstler teilgenommen hätten, entschieden sich die Wormser schließlich zu Beginn des Jahres 1858 für Ernst Rietschel. Der Lutherdenkmalverein erhoffte sich, dass die Wahl des zu diesem Zeitpunkt bereits sehr bekannten Bildhauer Rietschels dazu führen würde, dass weitere Spenden eingehen würden. Zudem war man der Meinung, dass Rietschel nicht nur wegen seiner bisherigen Werke, sondern vor allem auch als deutscher Protestant die geeignetste Person zur Ausarbeitung des Wormser Lutherdenkmals wäre.206 Unmittelbar nach Erhalt des Auftrags begann Ernst Rietschel im Februar 1858 mit der skizzenhaften Ausarbeitung seiner Idee für das Wormser Luthermonument. Dabei ist beachtlich, dass der Bildhauer stets in engem Briefkontakt mit dem Wormser Denkmalkomitee stand und sich zudem künstlerischen Rat bei seinem Freund, dem Münchner Maler Gustav König, einholte. Der Austausch mit König war insbesondere für die Ausgestaltung der Lutherstatue besonders wichtig. Voraussetzung für die Einordnung der Lutherdenkmalentwürfe Rietschels war dessen Stil, der sich bei seinen vorher umgesetzten Denkmälern zeigte. Durch das

204 Eich: Gedenkblätter, 17. 205 Eich: Gedenkblätter, 17. 206 Am 24.02.1858 schrieb der Ausschuss des Lutherdenkmals unter Führung des Dekans Keim an alle Mitglieder des Komitees, dass nur Ernst Rietschel unter den aktuell lebenden Künstlern geeignet wäre und dieser beauftragt wurde. Vgl.  StadtA Worms, 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr.  109 Jahresberichte des Vereins; vgl.  auch LkA Eisenach, 11–008 Superintendentur Buttstädt 324, Bl. 20–21 (5. Vierteljahresbericht vom 18.04.1858); vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 16–20.

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1853 eingeweihte Lessingdenkmal in Braunschweig und das 1857 enthüllte Weimarer Doppelstandbild Goethes und Schillers, hatte sich Ernst Rietschel deutschlandweit einen guten Ruf erarbeitet.207 Dabei war es dem Bildhauer ein großes Anliegen, „die Kleidung möglichst detailliert und zeitgetreu“208 darzustellen und den Faltenwurf der Körperstellung entsprechend zu zeigen. Dies hatte er bei der Lessingstatue erstmals ausgeführt und hatte dazu beigetragen, dass sich „in Deutschland gegen Mitte des 19. Jahrhunderts eine realistische Formensprache“209 immer mehr durchsetzte. Dennoch gab es nicht wenige Stimmen, die sich gegen das zeithistorische Gewand und für eine idealistische Darstellung aussprachen, sodass der sogenannte Kostümstreit auch im 19. Jahrhundert bei Monumenten immer wieder eine Rolle spielte.210 Ernst Rietschels erste Idee für das Wormser Lutherdenkmal war es, nicht nur Luther, sondern die ganze Reformation im Denkmal zu verherrlichen, um „zur Freude und Erhebung aller Protestanten“211 beizutragen. Zusätzlich ergänzte er, dass er hoffte, dass das Monument auch unter Katholiken und Katholikinnen „zu einer stillen und gerechten Achtung“212 führen würde. Es entsprach also nicht Rietschels Absicht, die bereits vorhandenen konfessionellen Unruhen weiter zu befördern. Der Dresdner Bildhauer beabsichtigte Luther auf dem Wormser Reichstag darzustellen und schrieb dementsprechend an Gustav König: „[S]o muß ich ihn doch wohl noch ziemlich jung, zwischen 30 und 40 Jahren, und in Mönchskleidung machen“213. Es folgte ein reger, freundschaftlicher Austausch zwischen dem Maler König und dem Bildhauer Rietschel, der geprägt war von der Frage nach der passenden Gestaltung Luthers im Standbild. Gustav König lehnte eine Lutherfigur in Mönchskutte entschieden ab. So warnte er Rietschel davor, den Reformator im Moment des Wormser Reichstags darzustellen:

207 Ernst Rietschel hatte sich schon vor dem Wormser Auftrag mit Luther beschäftigt, denn er hatte 1832 für die Walhalla die Lutherbüste erstellt. Zudem hatte er 1838 ein Relief mit dem Titel Kulturgeschichte der Menschheit ausgearbeitet, bei dem neben Luther auch Jan Hus als ein Vorläufer der Reformation abgebildet wurde. Vgl. Theiselmann, 27–29. 208 Remlein: Postament, 272. 209 Remlein: Postament, 271. 210 Vgl. Remlein: Postament, 293–302; vgl. Zehm, Ursula: Die Nationaldenkmäler für Goethe und Schiller in Weimar und für die Reformation in Worms, in: Stephan, Bärbel (Hg.): Ernst Rietschel 1804–1861. Zum 200. Geburtstag des Bildhauers, München/Berlin 2004, 99–103. 211 Eich: Gedenkblätter, 22. 212 Eich: Gedenkblätter, 22. 213 Ebrard, Johann Heinrich August: Gustav König sein Leben und seine Kunst, Erlangen 1871, 274.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Die Worte, die L.[uther] damals sprach, müssen zwar in jedem Momente seines Leben [sic!] ihm auf der Stirn geschrieben sein, aber darum brauchen sie auch nicht an jenen bestimmten Moment geknüpft zu sein. Luther trug damals noch seine Kutte; einen Luther in der Mönchskutte aber gibt’s für uns gar nicht; vielmehr ist [er] der Befreier von jeglicher von Menschen zugeschnittenen Kutte214

Dementsprechend war König der Meinung, dass Luther so dargestellt werden müsste, „wie ihn das Volk kennt“215. Denn im Denkmal wäre Luther aus der Situation des Reichstags herausgelöst und stünde für sich, sodass die Betrachtenden des Standbilds „auf die Kenntnis der Handlung und Luthers Worte“216 angewiesen wären. Von diesem Vorwissen dürfe man allerdings nicht ausgehen, weshalb ein Luther als dürrer und von seiner Askese geprägter Mönch fürs Wormser Monument unvorstellbar wäre. Rietschel hingegen ließ sich von seiner Vorstellung nicht einfach abbringen, denn für ihn waren zu diesem Zeitpunkt „historische Thatsachen […] Grundpfeiler, die nicht zu rütteln sind“217 und denen er sich verpflichtet fühlte. In jeder anderen Stadt müsste der Wittenberger Reformator im Talar dargestellt werden, weil es keinen Grund gäbe, „ihn anders, als den fertigen selbständigen Luther“218 und somit als „symbolisches Bild für den Protestantismus“219 darzustellen. In Worms hingegen wäre dieser Luther unmöglich, denn man würde dadurch „der Geschichte in das Gesicht […] schlagen“220. Zudem wäre der talartragende Luther lediglich eine „Durchschnitterscheinung“221, die „nur nach Einer Schablone […] wie Cranach’s Dutzend Bilder“222 gemacht wäre. Auch in künstlerischer Hinsicht hatte für Rietschel die Mönchskutte größeren Reiz, um sich vom Wittenberger Lutherdenkmal abzugrenzen.223 Diese zwei Ansichten standen sich zunächst unversöhnlich gegenüber und Ernst Rietschel rückte von seiner Überzeugung, Luther als Mönch darstellen zu wollen, nicht ab. Auch als Rietschel seine Denkmalpläne dem Wormser Denkmalkomitee im Juni 1858 präsentierte, gab die Lutherfigur „zu besonders lebhaften und sehr ausführlichen Erörterungen Anlaß“224. Schließlich wurde einen Monat später 214 Ebrard: König, 277. 215 Ebrard: König, 277. 216 Ebrard: König, 287. 217 Ebrard: König, 279. 218 Ebrard: König, 279. 219 Ebrard: König, 281. 220 Ebrard: König, 281. 221 Ebrard: König, 279. 222 Ebrard: König, 279. 223 Vgl. Zehm: Nationaldenkmäler, 105. 224 Eich: Gedenkblätter, 23.

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im 6. Vierteljahresbericht mitgeteilt, dass der Reformator „historisch treu“225 in Mönchskutte dargestellt werde.226 Diese geplante Lutherfigur stieß auch unter den das Denkmal Finanzierenden auf Ablehnung. Beispielhaft hierfür steht ein Artikel, der am 5. September 1858 in der dem national-liberalen Lager zuzuordnenden Zeitschrift Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität227 veröffentlicht wurde. Hierin wurde die verfehlte Auffassung des Reformators kritisiert und betont, dass man „den kommenden Geschlechtern […] [keinen] demüthigen katholischen Bettelmönch […], sondern […] das Bild eines grossen Reformators zeigen“228 möchte, der „den Riesenbau der römischen Curie grundfestlich erschüttert und eine neue kirchliche Glaubensrichtung zur Geltung“229 gebracht hatte. Ein Lutherdenkmal müsste den „kühn[en] und schicksalstrotzig[en]“230 Reformator in einer allen bekannten Stellung, das heißt „mit dem Chorrocke, das Barret auf dem Haupte, die Bibel unter dem Arme mit flammendem Auge den neuen Glauben, das neue Evangelium verkündend“231, dargestellt werden. Ein als Augustinermönch wiedergegebener Luther wäre gänzlich unmöglich und so protestierte der Verfasser: „Wir wollen kein katholisches, sondern wir wollen ein protestantisches Luther-Denkmal!“232 Dieses Votum zeigt, dass eine Identifizierung mit Luther als Mönch in weiten Teilen des Protestantismus als unmöglich angesehen wurde und der Reformator daher öffentlich so nicht dargestellt werden sollte. Die konfessionellen Spannungen, die aufgrund von ideologischen Differenzen insbesondere zwischen dem die Moderne ablehnenden Ultramontanismus und dem der Kultur zugewandten liberalen Protestantismus, wurden dadurch offenbar. Rietschel hatte, wie beschrieben, den Anspruch gehabt, durch sein Denkmal die katholischen Mitmenschen nicht beleidigen zu wollen. Nun hatte sein Entwurf zur Folge, dass sich protestantische Kreise durch das für sie katholisierte Lutherbild vor den Kopf gestoßen fühlten. Doch der künstlerische Austausch mit Gustav König im Februar und März 1858 hatte Ernst Rietschel nicht unbeeinflusst gelassen. Er schrieb, dass er nicht auf-

225 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 22 (6. Jahresbericht vom 18.07.1858). 226 Vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 38–46. 227 Vgl.  StadtA Worms, 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr.  83 Regionale und überregionale Zeitungen, o. N. Der Abschrift des Artikels ist ein Schreiben vom 20.02.1911 von Prof. Friedrich Thudichum beigelegt, das mitteilt, dass der Zeitungsartikel von seinem Vater Georg Thudichum verfasst wurde. Dieser war evangelischer Theologe und als liberaler Politiker aktiv. 228 StadtA Worms, 110, Nr. 83, o. N. (Abschrift des Artikels, in: Didaskalia vom 05.09.1858). 229 StadtA Worms, 110, Nr. 83, o. N. (Abschrift des Artikels, in: Didaskalia vom 05.09.1858). 230 StadtA Worms, 110, Nr. 83, o. N. (Abschrift des Artikels, in: Didaskalia vom 05.09.1858). 231 StadtA Worms, 110, Nr. 83, o. N. (Abschrift des Artikels, in: Didaskalia vom 05.09.1858). 232 StadtA Worms, 110, Nr. 83, o. N. (Abschrift des Artikels, in: Didaskalia vom 05.09.1858).

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geben möchte, „was mir künstlerisch lieb geworden“233 war und er weiterhin die Mönchskutte bevorzugen würde. Zugleich meinte er, dass es einem Künstler doch möglich sein müsse, „die Geschichte […] etwas [zu] anachronisiren“234. Daher war Rietschel schließlich bereit zwei sehr unterschiedliche Entwürfe auszuarbeiten, die Luther aber trotzdem jeweils auf ihre Art und Weise vor dem Wormser Reichstag darstellen sollten. Am 16. August 1858 begann Rietschel mit der Modellierung der ersten Lutherfigur, die den Reformator im Talar zeigte. Luther hält die geschlossene Bibel in der rechten Hand und die linke Hand ruht auf seinem Herzen wie bei einem Bekenntnisakt, was durch den erhobenen Blick unterstrichen wird. Insgesamt wirkt dieser Luther durch den Talar bürgerlich und durch seine Haltung ruhig, selbstsicher und bekennend.

Abb. 8: Drei Entwürfe der Wormser Lutherstatue, Ernst Rietschel.

Im zweiten Kleinmodell setzte Rietschel seine favorisierte Idee von Luther als jungen Mönch mit Kutte und Tonsur um. Luthers Gestik wirkt jetzt kämpferischer als zuvor, denn in der linken Hand hält er nun die geschlossene Bibel, während er 233 Ebrard: König, 291. 234 Ebrard: König, 291.

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mit der rechten zur Faust geballten Hand entschlossen auf die Bibel pocht. Dadurch erscheint Luthers Haltung „ins Entschiedene und Beharrliche gewendet“235. Diese Statue erfüllte Rietschels Vorstellung nicht nur in Bezug auf das Gewand, sondern er war zudem der Meinung, dass ein Ruhe und Frieden ausstrahlendes Denkmal nicht zu Luthers Leben passen würde, denn dieses war laut und von Kampf geprägt.236 Nachdem Rietschel diese beiden Kleinstatuen fertig modelliert hatte, vollzog sich in ihm eine Wandlung, indem er begann den Talar zu bevorzugen. Seine dritte Lutherfigur bildete eine Synthese aus seinen beiden vorherigen Entwürfen. Der Bezug zum historischen Ereignis des Wormser Reichstags sollte durch die Körperhaltung, seine Gestik und den Ausfallschritt hergestellt werden, indem Luther standhaft und gleichzeitig kämpferisch wirkte. Zugleich war durch den Talar eine bürgerliche und wiedererkennbare Darstellung Luthers gefunden. Diese dann auch umgesetzte Lutherfigur zeigte einen auf die Bibel pochenden, standhaften und kämpferischen Reformator und kann als ein Kompromiss zwischen der historischen Tat und einem den Protestantismus repräsentierenden Lutherbild angesehen werden. Rietschel hatte sich bereits Ende September 1858 für diese dritte Ausführung entschieden und durch den Vertrag mit dem Lutherdenkmalverein im November 1859 hatte er sich auch offiziell zu dieser Entscheidung verpflichtet.237 Die Diskussion um die angemessene Darstellung Luthers war nicht nur wichtig für das Wormser Lutherdenkmal, sondern auch für die späteren Standbilder des Reformators bestimmend. Die Debatte, ob Luther im Talar oder Kutte dargestellt werden sollte, war mit dem Wormser Monument vorerst abgeschlossen und wurde im 19. Jahrhundert nicht mehr erörtert. Der Briefwechsel mit Gustav König und die Gespräche mit dem Komitee veranschaulichen die Arbeitsweise Rietschels, der trotz seiner eigenen künstlerischen Ideen gesprächsbereit und offen für Änderungen blieb.238 Dies galt nicht nur für die Lutherstatue, sondern auch für den Gesamtaufbau des Monuments. 3.2.4.3 Das Wormser Monument als feste Burg des Luthertums Das Wormser Lutherdenkmal zeichnet sich durch ein sehr umfangreiches Gesamtkonzept aus, dessen Umsetzung nur dank der sehr hohen Spendeneinnahmen realisiert werden konnte. Zunächst hatte Ernst Rietschel zwei verschiedene Entwürfe,

235 Theiselmann: Lutherdenkmal, 43. 236 Diese Ansicht hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch Carl Schäffer vertreten. Leo von Klenze betonte stattdessen, ein Lutherdenkmal müsse Ruhe ausstrahlen. Vgl. Abschnitt 3.2.1.2. 237 Vgl. Ebrard: König, 281; vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 42–46; vgl. Zehm: Nationaldenkmäler, 103–105; vgl. Eich: Gedenkblätter, 23–27. 238 Vgl. Eich: Gedenkblätter, 23.

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eine kleinere239 und eine größere Ausführung des Monuments, ausgearbeitet. Nach einer Beratung des Komitees und dem Votum einer vom Großherzoglichen Ministerium des Innern ausgewählten Kommission von Kunstverständigen wurde das umfassendere Modell zur Realisierung ausgewählt und im November 1859 im Vertrag mit dem Bildhauer festgehalten. Die große öffentliche Anteilnahme hatte dem Künstler bestätigt, dass „jetzt nicht mehr ein einfaches Standbild Luthers befriedigen könne“240, sondern eine Gesamtkomposition zu schaffen sei, welche „die ganze Reformation in kunstvoller und sinniger Verknüpfung der bedeutendsten Persönlichkeiten und Thatsachen“241 darstellt. Welche Darstellung wählte nun Rietschel für das Wormser Monument und welche Bedeutung wurde dadurch Luther und der Reformation beigemessen?242 Im Zentrum des Wormser Monuments steht die bereits beschriebene kämpferisch wirkende Lutherstatue hoch erhoben auf einem reich verzierten Postament. Hierbei lässt sich noch einmal der Einfluss Gustav Königs auf Ernst Rietschel nachweisen, indem die Szenen aus Luthers Leben zum Teil auffällige Ähnlichkeiten zu den 1847 veröffentlichten Zeichnungen Königs aufweisen.243 An den vier Ecken des Sockels finden sich jeweils ein weiterer niedriger Sockel, auf welchem jeweils ein zeitgenössisch als Vorreformator244 bezeichneter Theologe des Mittelalters sitzt. 239 Eine Darstellung des kleineren Entwurfs findet sich bei Zehm: Nationaldenkmäler, 106. 240 Eich: Gedenkblätter, 26. 241 Eich: Gedenkblätter, 26. 242 Für eine umfangreiche Beschreibung des Luthermonuments vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 94–177; für eine knappe Darstellung vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 247–250; vgl. Oelschläger, Ulrich: Luther in Worms. Der Reichstag im April 1521, Worms 2020, 147–159. 243 Vgl.  König, Gustav: Dr. Martin Luther, der deutsche Reformator. In bildlichen Darstellungen von Gustav König. In geschichtlichen Umrissen von Heinrich Gelzer, Hamburg 1847, 148, 160, 190, 224. Der aufwendig gestaltete Sockel zeigt auf jeder Seite ein Relief mit Szenen aus Luthers Leben: der Thesenanschlag in Wittenberg, der Wormser Reichstag, die Bibelübersetzung, evangelische Predigt und schließlich das Abendmahl in beiderlei Gestalt und Luthers Eheschließung. Diese Reliefs werden durch verschiedene Zitate ergänzt und zusätzlich finden sich an jeder Sockelseite zwei Reliefporträts. Dabei handelt es sich um die sächsischen Kurfürsten Johann der Beständige und Friedrich der Großmütige, die Schweizer Reformatoren Huldrych Zwingli und Johannes Calvin, die Freunde Luthers Justus Jonas und Johannes Bugenhagen, die Reichsritter Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen. 244 Nach Leopold von Rankes Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation wurde es in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchlich von Vorreformatoren zu sprechen. Die Problematik die mit dem Begriff Vorreformatoren verbunden ist, liegt darin begründet, dass sie auf das Spätmittelalter aus der Perspektive einer „deutsch-protestantischen Wertungstradition“ blickt. Vgl. Kaufmann, Thomas: Reformatoren, Göttingen 1998, 10–11; vgl. Mahlmann, Theodor: ‚Vorreformatoren‘, ‚vorreformatorisch‘, ‚Vorreformation‘. Beobachtungen zur Geschichte eines Sprachgebrauchs, in: Frank, Günter / Niewöhner, Friedrich (Hrsg.): Reformer als Ketzer (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 8), Stuttgart/Bad Cannstatt 2004, 13–55.

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Hierbei handelt es sich zuerst um den aus Böhmen stammenden und 1415 auf dem Konzil von Konstanz als Ketzer verbrannten Jan Hus.245 Ihm folgt der dreißig Jahre nach seinem Tod ebenfalls in Konstanz als Häretiker verurteilte John Wyclif, der zu seinen Lebzeiten nicht nur eine Bibelübersetzung ins Englische angefertigt, sondern sich auch für Reformen innerhalb der Kirche stark gemacht hatte.246 Die dritte Person am Sockel des Denkmals ist Petrus Valdes, der im 12. Jahrhundert verbannt wurde, da er als Laie ohne die Autorisierung der Kirche gepredigt hatte.247 Hinzu kommt schließlich noch der am Ende des 15. Jahrhunderts aufgrund seines Ungehorsams gegen den Papst exkommunizierte und als Häretiker verurteilte italienische Dominikanermönch Girolamo Savonarola.248 Durch diese Kirchenreformer aus vier europäischen Ländern wurde der internationale Anspruch des Denkmalprojekts, der durch den Spendenaufruf und das weltweite Einsammeln von Geldern angestrebt wurde, auch im Monument anschaulich. Zugleich muss die Aussagekraft dieser Persönlichkeiten am Denkmalsockel in zweierlei Hinsicht herausgestellt werden. Indem diese zu Füßen Martin Luthers platziert wurden, wurde veranschaulicht, dass sie das Fundament des Wittenberger Reformators bildeten und somit laut Rietschel „die Träger des Grundbaues [sind], auf dem Luther steht“249 und sein Werk ausführen konnte. Waren in Möhra noch die vier Evangelisten am Postament angebracht, welche die Basis der christlichen Verkündigung Luthers bildeten, ordnen die Vorreformatoren Luther nun in die Geschichte ein. Der Fokus der Darstellung Luthers im Standbild verschob sich dementsprechend von Luther als den Verkündiger des Evangeliums hin zu Luther als große Gestalt der (Kirchen-)Geschichte, der an die Reformtradition der am Sockel abgebildeten Persönlichkeiten anknüpfte. Luther ließ sich in die Folge der mittelalterlichen Kirchenreformer integrieren, doch zugleich wird durch die Erhöhung Luthers und die sitzende Pose der mittelalterlichen Persönlichkeiten am Denkmal veranschaulicht, dass dieser durch sein Wirken aus ihrer Reihe herausstach. Diese Deutung ist verbunden mit einer zweiten zentralen Botschaft, denn alle vier waren Kritiker der katholischen Kirche und wurden von dieser zu Ketzern erklärt. Indem diese Personen nun bei einem protestantischen Monument als denkmalwürdig angesehen wurden, schwang somit implizit eine antikatholische Aussage mit. Ernst Rietschel, der Kritik am Katholizismus eigentlich hatte vermeiden wollen, scheint sich dieser Botschaft seines Denkmals nicht bewusst gewesen 245 Vgl. Machilek, Franz: Art. Hus/Hussiten, in: TRE 15 (1986), 710–735. 246 Vgl. Nolcken, Christina von: Art. Wyclif, John (um 1330–1384), in: TRE 36 (2004), 415–425. 247 Vgl. Cameron, Euan K.: Art. Waldenser, in: TRE 35 (2003), 388–402. 248 Vgl. Weinhardt, Joachim: Art. Savonarola, Girolamo (1452–1498), in: TRE 30 (1999), 60–62. 249 Ebrard: König, 282.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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zu sein, da für ihn vielmehr die geschichtliche Darstellung der Reformation im Vordergrund stand. Statt des letztgenannten Savonarola hatte Rietschel zunächst Huldrych Zwingli am Postament der Lutherstatue vorgesehen, was von seinen Beratern nicht nur aufgrund der historischen Gleichzeitigkeit des Zürichers und Wittenbergers abgelehnt wurde. Insbesondere Gustav König sprach sich gegen die Darstellung Huldrych Zwinglis und auch Johannes Calvins aus. Seiner Meinung nach könnten eine Darstellung der Schweizer Reformatoren nur diejenigen „billigen, die weder lutherisch noch reformirt sind, und sich dagegen auf ihre sogenannte Toleranz viel einbilden“250 würden. Der lutherische Maler König wandte sich hier entschieden gegen die Kirchenunion und betonte, dass Zwingli und Calvin Luthers Gegner waren und dementsprechend bei einem Monument nicht zusammen abgebildet werden könnten. Erinnert sei nochmals an den ersten Spendenaufruf des Wormser Komitees und der darin beschriebenen Absicht, ein Denkmal der Eintracht des gesamten Protestantismus errichten zu wollen. In diesem Kontext ist Rietschels Vorschlag der Darstellung Zwinglis in einer Einzelstatue zu sehen. Doch die beiden genannten Schweizer Reformatoren wurden schließlich lediglich an einer Sockelseite als Reliefporträts aufgenommen und spielten daher am Denkmal nur eine untergeordnete Rolle. Der reformierte Protestantismus war dementsprechend im Wormser Monument unterrepräsentiert.251 Um die Figuren Luthers und der Kirchenreformer ergab sich ein Plateau an dessen Ecken wiederum vier stehende Statuen errichtet wurden. Bei diesen vier Männern handelt es sich um Zeitgenossen Luthers, die „die weltliche und geistige Macht, wie sie der Reformation hülfreich zur Seite stand“252, darstellen. Indem insbesondere auch die evangelischen Fürsten zu finanziellen Beiträgen aufgerufen waren, konnten sich diese mit den zwei dargestellten Obrigkeiten der Reformationszeit in vorderer Reihe identifizieren. Auf der aus Sicht der Betrachtenden rechten Seite findet sich vorne die Gestalt des Landgrafen Philipp von Hessen, der durch das Marburger Religionsgespräch im Jahr 1529 zur Vermittlung zwischen Luther und Zwingli beitragen wollte.253 Hinter ihm findet sich Luthers enger Freund, Philipp Melanchthon, der in der Confessio Augustana von 1530 Kompromissbereitschaft gegenüber der katholischen Lehre zeigte und auch nach dem Augsburger Interim von 1548 gesprächsbereiter als andere Anhänger Luthers war. 250 Ebrard: König, 290. 251 Vgl. Ebrard: König, 289–291; vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 33–34, 163–167. 252 StadtA Worms, 110, Nr. 109, o. N. (Beschreibung des Wormser Denkmals in drei Sprachen, von Julius Hübner, April 1860). 253 Vgl. Müller, Gerhard: Art. Philipp von Hessen, Landgraf (1504–1567), in: TRE 26 (1996), 492–497.

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Abb. 9: Lutherdenkmal in Worms, Ernst Rietschel.

Diese beiden werden auf der linken Seite vorne durch den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen, der durch sein senkrecht erhobenes Schwert auch im Denkmal als Beschützer, Mahner und Verteidiger Luthers erscheint, und hinten durch den Humanisten Johannes Reuchlin254, der insbesondere durch seine hebräischen Textausgaben und Grammatiken für Luther ein indirekter Gehilfe wurde, ergänzt.255 Auch wenn mit Philipp von Hessen und Philipp Melanchthon zwei auf Vermittlung bedachte Persönlichkeiten als Einzelstatuen ihren Platz fanden, so entsteht doch der Eindruck, dass das Wormser Lutherdenkmal nicht den Gesamtprotestantismus repräsentierte. Im Vordergrund stand vielmehr die lutherische Konfession, was schließlich noch durch die drei dargestellten Frauenfiguren, die die Städte Augsburg, Speyer und Magdeburg repräsentieren ergänzt wird. Speyer und Augsburg waren aufgrund ihrer Reichstage, insbesondere der Protestation 1529, der

254 Johannes Reuchlin kam erst im weiteren Verlauf der Planungsphase Rietschels hinzu, der zunächst den Reichsritter Ulrich von Hutten darstellen wollte. Auch hier hatte sich Gustav König wiederum ablehnend geäußert, da er in Hutten „mehr eine Revolutions- als eine Reformationskraft“ sah. Ebrard: König, 277. Ulrich von Hutten nahm jedoch später beim 1895 eingeweihten Berliner Lutherdenkmal eine zentrale Position am Denkmal ein. 255 Vgl.  Ludolphy, Ingetraut: Art. Friedrich der Weise (1463–1525), in: TRE 11 (1983), 666–669; vgl. Dörner, Gerald: Art. Reuchlin, Johannes (1455–1522), in: TRE 29 (1998), 94–98.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Übergabe des Bekenntnisses 1530 und der Anerkennung der lutherischen Konfession im Zuge des Augsburger Religionsfriedens 1555, wichtige Orte für die Durchsetzung der lutherischen Reformation in den deutschen Gebieten. Magdeburg, das seit der Reformationszeit dem Luthertum zugewandt gewesen war, war im Zuge des Dreißigjährigen Krieges zum Sinnbild der Zerstörung und des Leids als Folge von Glaubenskriegen geworden und wurde daher als trauernde Frau dargestellt.256 Diese lutherische Aussagekraft des Monuments verstärkt sich durch die Zinnenmauer, welche die Postamente der vier Zeitgenossen Luthers und der Städtefiguren einschließt. So erinnert der Gesamtaufbau des Wormser Monuments an das Lutherlied Ein feste Burg. Abschließend wurde durch die an der Innenseite der Zinnen angebrachten Städtewappen der Orte257, die in besonderer Weise das Denkmal förderten, der Absicht Rechnung getragen, dass das Wormser Monument kein Zeichen des Lokalpatriotismus sein sollte, sondern die verschiedenen protestantischen Regionen repräsentiert werden sollten.258 Das kolossale Wormser Lutherdenkmal kann aufgrund seiner Vielfalt „eben so richtig [als] ein Denkmal der Reformation und ihrer Helden“259 bezeichnet werden. Doch durch die aufgezeigten verschiedenen Aspekte dominiert die Darstellung des Luthertums, sodass die ursprüngliche Idee der Repräsentation der Eintracht des gesamten Protestantismus sich im Denkmal nur in kleinen Andeutungen wiederfinden lässt. Somit handelt es sich beim Wormser Monument eher um eine feste Burg des Luthertums anstatt des Gesamtprotestantismus. Dazu passt auch, dass die Enthüllungsfeier auf den 25.  Juni, den Jahrestag der Übergabe der Confessio Augustana, dem lutherischen Bekenntnis, festgesetzt wurde. 3.2.4.4 Die kirchlich-nationalen Feierlichkeiten vom 24. bis 26. Juni 1868 Am 30.  Dezember 1860 informierte Rietschel die Wormser Denkmalinitiatoren über die Fertigstellung der Luther- und der Wyclif-Statue. Dies sollte sein letztes Schreiben nach Worms sein, denn am 21. Februar 1861 verstarb Ernst Rietschel. Als Nachfolger wurden bereits kurz darauf dessen Schüler Adolf von Donndorf

256 Vgl.  Reuter, Fritz: Das Wormser Lutherdenkmal und seine Enthüllung vor 125 Jahren, in: BPfKG 61 (1994), 309. 257 Auch hier zeigt sich wiederum der bereits zuvor genannte hohe Organisationsaufwand des Wormser Komitees, das 1863 die Vertreter von 34 Städten aufforderte, ihm das jeweilige Stadtwappen aus dem 16. Jahrhundert zu zusenden, um es für die Zinnenmauer zu verwenden. Vgl. u. a. StadtA Worms, 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr.  11 Einzeichnungslisten Königreich Preußen, Provinz Schlesien. 258 Vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 94–103. 259 StadtA Worms, 110, Nr. 109, o. N. (Beschreibung des Wormser Denkmals in drei Sprachen, von Julius Hübner, April 1860).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

und Gustav Adoph Kietz bestimmt. Mit dem am 7. April 1861 geschlossenen Vertrag verpflichteten sich die beiden Bildhauer, dass sie sich bei den weiteren Ausführungen „genau an den Entwurf Rietschels […] halten“260 würden. Auch wenn sich die Künstler so gut wie möglich daran orientierten, führten Abänderungen Donndorfs am von Rietschel fertiggestellten Lutherkopf im Zuge der Denkmalsetzung in Dresden zu heftigen Auseinandersetzungen.261 Neben dem Tod Rietschels und der Übernahme durch seine Schüler262 und der damit verbundenen langsameren Umsetzung des Denkmals, trugen langwierige Ortdiskussionen zu Verzögerungen bei der Denkmalaufstellung bei. Ursprünglich wurde der historische Ort des Wormser Reichstags, der ehemalige Bischofshof als geeigneter Platz ins Auge gefasst. Doch dieses Grundstück befand sich in Privatbesitz der Familie Heyl, die ihren Garten nicht verkaufte. Als Aufstellungsort wurde schließlich ein Teil des ehemaligen Stadtgrabens in unmittelbarer Nähe zur historischen Stätte des Reichstags ausgewählt und widerwillig von der Stadt genehmigt.263 Als dritter Grund für die Verschiebung der Denkmalerrichtung von 1866 ins Jahr 1868 sind die politischen Ereignisse, namentlich der deutsch-deutsche Krieg, zu nennen. Hier hatte das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, in welchem die Stadt Worms lag, noch auf Seiten Österreichs gekämpft. Der Sieg Preußens bei Königgrätz, der auch als „Sieg des Protestantismus über den Katholizismus empfunden“264 wurde, zeichnete den Weg zum Nationalstaat vor. Doch zugleich wurden die Jahre um 1866 von den Zeitgenossen als „eine Zeit des Aufbruchs“265 und dadurch auch als instabil wahrgenommen. Dies spiegelte sich auch in der Empfindung des Lutherdenkmalvereins wider, der in seinem Jahresbericht im April 1867 festhielt, dass noch „manche Wolke den politischen Horizont verdüstert und ein Gefühl der

260 Eich: Gedenkblätter, 30. 261 Vgl. Eich: Gedenkblätter, 28–31; vgl. LkA Eisenach, 15–006 Superintendentur Sonderhausen, Nr. Allg. 172 Lutherdenkmal in Worms, Bl. 25–26 (5. Jahresbericht vom 30.01.1862); vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 63–66. 262 Um den neuen Einweihungstermin im Sommer 1868 einhalten zu können, wurde im Frühjahr 1867 auch noch Johannes Schilling, ein weiterer Rietschel-Schüler, berufen, der die Figur der Stadt Speyer ausarbeitete. Interessant ist, dass sowohl Schilling als auch Donndorf einige Jahre später eigene Lutherdenkmäler, in Leipzig beziehungsweise Eisenach, ausarbeiteten. 263 Die langwierigen Ortsdiskussionen, die später nicht mehr nur zwischen der Familie Heyl und dem Denkmalkomitee, sondern aufgrund des neu in Betracht gezogenen Platzes auch zwischen dem Verein und der Stadt Worms geführt wurde, lassen sich nachverfolgen in: StadtA Worms, 005/1 Stadtverwaltung Worms, Nr. 241 Errichtung und Unterhaltung des Lutherdenkmals, Platzfrage; vgl. LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 37–49; vgl. Eich: Gedenkblätter, 31–33, 43–45; vgl. Theiselmann: Lutherdenkmal, 81–87. 264 Friedrich, Martin: Das Wormser Lutherfest von 1868, in: ZThK 96 (1999), 385. 265 Friedrich: Lutherfest, 385.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Besorgnis wegen möglicher neuer Friedensstörungen schwer auf den Gemüthern lastet“266. Diese Sorge verband sich jedoch gleichermaßen mit einem Eindruck des nationalen Aufschwungs, denn von nun an wurde in den Veröffentlichungen des Wormser Denkmalkomitees nicht mehr vordergründig von einem weltweiten Vorhaben gesprochen, sondern das Lutherdenkmal als „kirchlich-nationale […] Sache“267 bezeichnet, die „hauptsächlich durch die Unterstützung des deutschen Volkes möglich geworden“268 war. Diese Transformation von der internationalen zur nationalen Ausrichtung des Wormser Lutherdenkmalprojekts, die sich durch die veränderten politischen Umstände ergab und die nationale Stimmung in den deutschen Einzelstaaten wiedergab, ist nun essentiell für die Denkmaleinweihungsfeierlichkeiten vom 24. bis 26. Juni 1868. So wurden weltliche und geistliche Vertreter von allen spendenden Gemeinden, sowie Repräsentanten der theologischen Fakultäten, „ganz besonders aber die obersten Staats- und Kirchenbehörden aller deutschen Einzelstaaten“269 und die evangelischen Fürsten zu einer „kirchlich-nationalen Festfeier“270 eingeladen. Beim Festplan wurde zwar auf die internationalen Spenden verwiesen und die Einweihung als „eine Angelegenheit von hoher Bedeutung für die gesammte evangelische Kirche“271 benannt, zugleich wurde jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass das Wormser Lutherdenkmal doch „hauptsächlich die deutsche Reformation“272 verherrlichen würde. Daher sollte bei der Einweihung „der Character eines deutschen kirchlich-nationalen Festes in unverkennbarer und möglichst imposanter Weise hervortrete[n]“273. Die Absicht, die sich dahinter auf Seiten des Lutherdenkmalvereins verbarg, ist in einem Schreiben des Vizepräsidenten Eichs vom 30. April 1868 an den sächsischen Staatsminister Freiherr von Seebath abzulesen. Hierin schrieb Eich, dass ein deutsches Nationalfest in Worms umso dringlicher wäre, da das Lutherdenkmal in einem „Theil unseres gemeinsamen Vaterlandes […] stehen wird, [das] zur Zeit leider noch nicht in den Nord-deutschen Bund eingetreten ist, und wir der Welt auch bei dieser Gelegenheit das erhebende Schauspiel bieten möchten, daß die deutsche 266 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 39 (Neunter und zehnter Jahresbericht des Ausschusses des Luther-Denkmal-Vereins zu Worms für den Zeitraum vom Juni 1865 bis April 1867). 267 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 37 (Siebenter und achter Jahresbericht des Ausschusses des Luther-Denkmal-Vereins zu Worms für die Jahre 1863 und 1864 bis Juni 1865). 268 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 39. 269 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 42; Für den Festplan vgl. ebenso Eich: Gedenkblätter, 85–87. 270 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 41 (Einladung an die Hochwürdigen Diöcesan-Vorstände der evangelischen Kirche in den deutschen Einzelstaaten im April 1868). 271 Eich: Gedenkblätter, 85. 272 Eich: Gedenkblätter, 85. 273 Eich: Gedenkblätter, 85.

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Nation weder in ihren materiellen, noch in ihren geistigen Interessen eine Mainlinie“274 kennen würde. In diesem Zitat wurde nicht nur Bezug auf die politische Ordnung nach 1866 genommen, sondern zugleich deutlich, dass die Einweihungsfeier des Wormser Luthermonuments ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl demonstrieren sollte. Auch wenn auf politischer Ebene die Einheit Deutschlands noch nicht erreicht worden war, so sollte doch „ein Schulterschluß aller Deutschen und aller Protestanten sichtbar werde[n]“275 und die bisherige Trennung zwischen den norddeutschen und den süddeutschen Staaten überwunden werden. Daher war es dem Wormser Denkmalkomitee ein besonderes Anliegen, dass auch „die deutschen Fürsten, die zum Denkmal beigetragen“276 hatten, an den Feierlichkeiten teilnehmen würden, um eine nationale Einheit zu demonstrieren. Diese Bestrebungen spiegelten sich bei der Einweihungsfeier im Fahnenschmuck deutlich wider. Auch wenn Worms und somit das Großherzogtum Hessen nicht Teil des Norddeutschen Bundes war, war doch diese Flagge die vorherrschende. Dies gefiel auch dem preußischen König, dem späteren Kaiser Wilhelm I., der durch seine Festteilnahme „sich erstmals in der Öffentlichkeit eines 1866 noch feindlichen Bundesstaates“277 zeigte, was aufgrund der Teilnahme vieler evangelischer Fürsten als eine weitere Annäherung zwischen den deutschen Einzelstaaten gewertet wurde.278 Insgesamt nahmen fast 100.000 Personen an der dreitägigen Einweihungsfeier des Lutherdenkmals teil, wovon circa 20.000 Teilnehmende am 25. Juni 1868 Zeugen des Höhepunkts des kirchlich-nationalen Festes, der Denkmalenthüllung, wurden.279 Dass es sich bei der Wormser Feier aber nicht nur um ein Nebeneinander der Selbstdarstellung von Protestantismus und Politik handelte, sondern vielmehr eine Vermischung von beiden war, manifestierte sich zum einen durch die Teilnehmenden und die Beflaggung und zum anderen durch den Akt der Einweihung selbst. Denn in jenem Augenblick, in dem die Hülle des Denkmals fiel, ertönten gleichzeitig „Kanonendonner und Glockengeläute“280, sodass die für die Politik und für die Kirche typisch repräsentativen Töne miteinander verschmolzen. 274 LATh – StA Gotha, 2–15–0183 Staatsministerium Abteilung Gotha Dep. I Abteilungsleitung, Nr. 2951 Gesuche um Bewilligungen zur Errichtung von Denkmälern, Gründung von kulturellen Einrichtungen und Vereine, Bl. 109v (Einladungsschreiben von Friedrich Eich an Staatsminister Freiherr von Seebath in Sachsen-Gotha am 30.04.1869). 275 Friedrich: Lutherfest, 387. 276 LATh – StA Gotha, 2–15–0183, Nr. 2951, Bl. 109v. 277 Friedrich: Lutherfest, 388. 278 Vgl. Friedrich: Lutherfest, 388, 390–391; vgl. Reuter: Lutherdenkmal, 312; vgl. Eich: Gedenkblätter, 58–64. 279 Vgl. Eich: Gedenkblätter, 79. 280 Eich: Gedenkblätter, 73.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Das setzte sich auch beim Singen des „Hohelied[s] des Protestantismus281 […] [fort, welches] unter dem Takte der regelmäßig sich wiederholenden Kanonensalven zu Ende gesungen wurde“282. Dadurch ging in gewisser Weise eine Verschmelzung von Protestantismus und nationalen Einheitsbestrebungen vonstatten. Zusätzlich fällt auf, dass nun, anders als bei den vorher dargestellten Lutherdenkmalenthüllungen, nicht mehr ausschließlich Geistliche die Festreden hielten, sondern auch Personen in politischen Ämtern kamen zu Wort. In den zwölf Jahren zwischen dem ersten Aufruf 1856 und der Einweihung 1868 hatte sich ein deutlicher Wandel vollzogen, nicht nur im Hinblick auf die politische Situation, sondern auch in Bezug auf die Aussagekraft des Denkmals. Zu Beginn war das Lutherdenkmal als ein Symbol der Einheit des gesamten weltweiten Protestantismus angedacht, bei der Einweihungsfeier wurde nun das Monument des Reformators als Nationaldenkmal bezeichnet und die politische Zusammengehörigkeit Deutschlands ins Zentrum gerückt. Die Enthüllung des Wormser Denkmals sollte eine nationale Identität fördern, sodass das Lutherfest im Jahr 1868 eindrucksvoll den Wandel des deutschen Nationalismus dieser Jahre widerspiegelte, indem es sich dabei nicht mehr um eine Oppositions-, sondern um eine Integrationsideologie handelte.283 Dies zeigte sich darin, dass nun evangelische Fürsten inklusive des preußischen Königs gemeinsam mit Bürgern aus allen Gebieten Deutschlands der Enthüllungsfeier beiwohnten. 3.2.4.5 Luther als der evangelische und deutsche Einheitsstifter? Im Anschluss an das Lutherdenkmalfest wurden vom Vizepräsidenten des Denkmalvereins, Friedrich Eich, die Gedenkblätter zur Erinnerung an die Enthüllungsfeier des Luther-Denkmals in Worms284 herausgegeben. Diese beinhalten nicht nur die Entstehungsgeschichte des Monuments, sondern auch die zahlreichen Reden und Predigten, sodass auch die Einweihungsfeierlichkeiten gut dokumentiert sind. Den Auftakt der Reden, die unmittelbar vor der Enthüllung des Denkmals am 25. Juni gehalten wurden, machte Andreas Oppermann, der Schwager und zugleich Biograph des verstorbenen Künstlers Ernst Rietschel. Für ihn war das Wormser Lutherdenkmal „kein Denkmal der specifisch-lutherischen Confession“285, sondern

281 Gemeint ist das Lutherlied Ein feste Burg. 282 Eich: Gedenkblätter, 73. 283 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1800–1866, 802. 284 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 209. Die Gedenkblätter wurden Schulen und Gemeinden zur Anschaffung empfohlen. Vgl. LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 51–52, 55. 285 Eich: Gedenkblätter, 217.

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vielmehr „ein Glaubens-Bekenntniß in Erz des ganzen protestantischen Deutschlands“286. Zudem würdigte Oppermann die Einzigartigkeit des Wormser Monuments und somit auch die Leistung der beteiligten Künstler, da etwas Vergleichbares „noch kein Fürst, kein mächtiger Staat im Laufe der Jahrhunderte geschaffen“287 hatte. Luther war für ihn „der Hüter der Glaubens- und Gewissens-Freiheit“288, der durch sein Standbild alle Betrachtenden ermahnen würde, sich „die höchsten Güter, die ein Volk besitzt, […] den unerschütterlichen Glauben an die sittlichen Lebensgewalten […] nicht rauben zu lassen […] [und] zu wahren gegen jede Gewalt, mag sie gekleidet sein in Purpur oder in Stahl“289. Dadurch wird erkennbar, dass Oppermann zunächst die Absicht des Denkmalkomitees, durch das Lutherdenkmal die Einheit des Protestantismus zu demonstrieren, aufnahm und daraufhin den bürgerlichen Charakter des Monuments in zweierlei Hinsicht betonte. Einerseits würdigte er die (staats-)bürgerlichen Verdienste Luthers und zum andererseits hob er hervor, dass sich das Wormser Monument von allen existierenden Herrscherdenkmälern in seiner Großartigkeit unterscheiden würde. Dieser Aspekt ließ sich auch in der darauffolgenden Rede des Wormser Dekans und Präsidenten des Denkmalkomitees, Eduard Keim, finden, da seiner Meinung nach, das zu enthüllende Standbild „das großartigste Denkmal auf dem ganzen Erdenrunde“290 war. Keim betonte zunächst die „hohe und ernste Bedeutung [der Einweihungsfeier] für die gesammte evangelische Kirche“291, indem er die Bedeutung des Wormser Reichstags für den weiteren Verlauf der Reformation herausstellte. So erinnere das Monument an den, laut Keim, Höhepunkt in Luthers Leben, nämlich die „heldenmüthige Glaubensthat in Worms“292. Ohne dieses Geschehen wäre „das angefangene Werk […] unausbleiblich ins Nichts zerfallen“293 und daher wurde in Worms „das unerschütterliche Fundament zur evangelischen Kirche gelegt“294. Es überrascht nicht, dass Eduard Keim als Präsident des Denkmalkomitees in seiner Rede im Folgenden insbesondere die ursprüngliche Absicht des Denkmalprojekts, die Eintracht des Protestantismus, besonders herausstellte. Das Monument sei nämlich als „ein sprechendes Symbol der Einheit“295 in der evangelischen Kirche zu betrachten, da die verschiedenen religiösen Richtungen „nur das 286 Eich: Gedenkblätter, 215. 287 Eich: Gedenkblätter, 218. 288 Eich: Gedenkblätter, 217. 289 Eich: Gedenkblätter, 219. 290 Eich: Gedenkblätter, 222. 291 Eich: Gedenkblätter, 221. 292 Eich: Gedenkblätter, 223. 293 Eich: Gedenkblätter, 229. 294 Eich: Gedenkblätter, 230. 295 Eich: Gedenkblätter, 230.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Wesen des Evangeliums, [nicht aber] den Kern des göttlichen Wortes“296 berühren würden. Daher demonstrieren die unterschiedlichen Parteien im Protestantismus „eine lebendige, thatkräftige Einheit, wenn auch ferne von einer todten, starren Einerleiheit“297. Mit Dekan Keims Ausruf „[z]eige dich als ein Symbol unserer thatkräftigen Einheit in Christo, und als eine beständige Mahnung, im Bekenntniß des Evangeliums so felsenfest zu stehen […]“298 wurde das Denkmal enthüllt. Dass diese öffentliche Betonung der protestantischen Einheit durchaus nicht der Realität entsprach und auch bei der Gestaltung des Wormser Denkmals nicht umgesetzt werden konnte, hatte die Entstehungsgeschichte des Monuments gezeigt. Adolf Donndorf, einer der beiden nach Rietschels Tod hauptbeteiligten Künstler, schilderte im Nachgang des Festes, dass die scheinbar nicht mehr enden wollende Ansprache Keims in seinen Augen das Fest verdorben hatte. Denn die Bedeutung des Denkmals ging „weit über das Künstlerische“299 hinaus, sodass „es eine politische Demonstration wurde“300. Donndorf schien hier andere Vorstellungen von einer Enthüllungsfeier gehabt zu haben als seine Zeitgenossen. So war es in der Tat so, dass die künstlerischen Aspekte in den Einweihungsreden zurücktraten und stattdessen die Deutung des Denkmals für die Anwesenden zum zentralen Thema der Ansprachen wurde. Schließlich sollte durch die Feier dem Denkmal eine erste öffentliche Interpretation verliehen werden, die unter den Anwesenden ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bewirken sollte. So wie Dekan Keim insbesondere auf das kirchenpolitische Thema der Eintracht des Protestantismus eingegangen war, setzte sich dies auch bei dem hessischen Hofprediger und Ehrenpräsident des Lutherdenkmalvereins, Karl Zimmermann, fort. In seiner Ansprache erklärte er den Enthüllungstag, den 25. Juni 1868, zu einem „Bekenntnistag der evangelischen Welt“301. Indem er diesen mit wichtigen Ereignissen der Reformationsgeschichte, dem 18. April 1521 als Bekenntnisakt des Einzelnen und dem 25. Juni 1530 als „denkwürdige[n] Bekenntnistag […] der evangelischen Fürsten und Städte“302, in eine Reihe setzte, betonte er dadurch die für ihn historische Bedeutung der Denkmalenthüllung. Weiter war er der Meinung, dass die Reformation mit „goldener Schrift […] eingegraben [ist] in die Geschichte des deutschen Volkes“303 und für allezeit „wie ein hellleuchtender Stern am deut-

296 Eich: Gedenkblätter, 230. 297 Eich: Gedenkblätter, 230. 298 Eich: Gedenkblätter, 231. 299 Reuter: Lutherdenkmal, 314. 300 Reuter: Lutherdenkmal, 314. 301 Eich: Gedenkblätter, 233. 302 Eich: Gedenkblätter, 232. 303 Eich: Gedenkblätter, 233.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

schen Himmel stehen“304 werde. Zu dieser geschichtlich so bedeutenden Reformation gehörten, wie im Denkmal zu sehen, neben Luther und Melanchthon auch die beiden Schweizer Reformatoren. Diese vier Männer erinnern einerseits „an den Kampf um die Wahrheit“305 und andererseits verbinde sich mit ihnen „auch eine Friedensmahnung und ein ernster Ruf, mit Luthers Glaubenskraft und Melanchthons Milde Zwinglis Einfachheit und Calvins Zucht zu verbinden“306. Das heißt auch für Karl Zimmermann ist die evangelische Union ein wichtiger Ausdruck des Lutherdenkmals, auch wenn diese selbst am Denkmal nicht wirklich repräsentiert wurde. Wie sich diese Union vollziehen solle, blieb offen, stattdessen beschloss er seine Rede mit einer Aufforderung an die Anwesenden: Und nun schaue hinauf zu dem Helden auf hohem Postament […] [, der mit] Recht […] höher [steht], als Alle, denn er überragt sie alle. Siehe, […] das ist dein Luther, der Mann Gottes, der deutsche Mann, der mehr, denn je ein Anderer, sein deutsches Volk auf liebendem Herzen trug.307

Das Enthüllungsfest sei „heute sein Auferstehungsfest in Worms“308 und daher solle das Denkmal alle Betrachtenden stets „zu evangelischer Glaubensfreudigkeit und Glaubenstreue“309 ermutigen. Im Anschluss daran übergab der Hofprediger das Monument an die politische Gemeinde Worms. Auch Zimmermann als evangelischer Theologe interpretierte das Monument zwar aus kirchenpolitischer Perspektive, um die Eintracht des Protestantismus zu beschwören. Doch zugleich fallen bei ihm die Betonung der geschichtlichen Bedeutung der Reformation und die nationale Interpretation Luthers auf. Dies steigerte sich schließlich bei den Ausführungen des Wormser Bürgermeisters, Heinrich Brück, der herausstellte, dass die „Errichtung eines Lutherdenkmals […] nur in nationalen Motiven ihre Rechtfertigung und Würdigung haben“310 könne. Worms sei der richtige Ort für „ein solches deutsches National-Denkmal“311. Worms war nicht nur zur Zeit Luthers, sondern auch in der gesamten deutschen Geschichte sehr bedeutend, da wichtige Edikte, Dekrete und Reichsgesetze dort beschlossen wurden. Hierin klang auch der lokale Stolz des Wormser Bürgermeisters an, der für Brück problemlos mit der nationalen Bedeutung einhergehen konnte.

304 Eich: Gedenkblätter, 233. 305 Eich: Gedenkblätter, 235. 306 Eich: Gedenkblätter, 235. 307 Eich: Gedenkblätter, 236. 308 Eich: Gedenkblätter, 237. 309 Eich: Gedenkblätter, 237. 310 Eich: Gedenkblätter, 238. 311 Eich: Gedenkblätter, 239.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Zudem war Brück wichtig, dass das Lutherdenkmal „an die Stadt Worms als Civilgemeinde und nicht etwa an die evangelische Religionsgemeinde“312 übergeben wurde, denn das Monument müsse „von Jedermann anerkannt werden“313. So wie Worms für die gesamte deutsche Geschichte von hoher Bedeutung war, könne auch „Luthers Schaffen und Wirken nicht auf das kirchlich-religiöse Gebiet beschränkt werden“314. Dementsprechend zitierte Brück Johann Gottfried Herder, für den Luther „ein patriotischer großer Mann […] [und] Lehrer der deutschen Nation“315 gewesen war. Wie Herder war auch Brück der Meinung, dass „in der Sprache eines Volkes […] dessen ganzer Gedankenreichthum an Tradition, Geschichte, Religion“316 zum Ausdruck kam. Indem Luther seinem Volk die deutsche Sprache zugänglich gemacht hatte, hatte er also für das deutsche Volk die Grundlage gebildet. Der katholische Bürgermeister löste Luther aus dem Deutungsbereich der Kirche heraus und betonte die deutsche Sprache als dessen besondere Errungenschaft, die sich durch die Abbildung der Bibel, auf die Luther mit der Faust pocht, im Denkmal wiederfindet. Das Lutherdenkmal hatte für ihn unabhängig der Konfession für alle Betrachtenden eine nationale Botschaft, denn Luther könne nicht vorrangig als der Glaubensspalter angesehen werden. Davon zeugen auch die Vorreformatoren am Denkmalsockel, die darauf verweisen, dass auch vor Luther „in der Christenheit noch [nicht] alle in brüderlicher Liebe und Eintracht verbunden gewesen“317 waren. Auch wenn die Rede des Bürgermeisters einen überwiegend patriotischen Ton hatte, ging er am Ende noch auf die Internationalität des Denkmals ein. So sah er in den am Monument dargestellten vier „friedlich miteinander verbundenen“318 „Männer[n] verschiedener Nationalität […] die schöne Idee eines allgemeinen Völkerfriedens lebhaft vor Augen“319 geführt. Hier kam in der unruhigen Zeit der 1860er Jahre, in der gerade der deutsch-deutsche Krieg beendet worden war, die Gesellschaft sich allerdings weiterhin in Aufruhr befand, die Sehnsucht nach Frieden und Ruhe zum Ausdruck. Auffällig ist, dass hier nicht die nationale Einheit, sondern sogar die internationale Aussöhnung ersehnt wurde.

312 Eich: Gedenkblätter, 243. 313 Eich: Gedenkblätter, 243. 314 Eich: Gedenkblätter, 246. 315 Eich: Gedenkblätter, 243–244. 316 Eich: Gedenkblätter, 245. 317 Eich: Gedenkblätter, 248. 318 Eich: Gedenkblätter, 249. 319 Eich: Gedenkblätter, 249.

140 

 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Zusammenfassend lässt sich an diesen vier Reden, die unmittelbar vor beziehungsweise nach der Enthüllung des Lutherdenkmals gehalten wurden, erkennen, dass Luthers kulturelle Verdienste hervorgehoben, die Einheit des Protestantismus beschworen und die Bedeutung der Reformation für die deutsche Geschichte herausgestellt wurden. Dadurch ging eine Verschiebung der Deutung Luthers einher, indem der im Standbild dargestellte Reformator nicht mehr nur bedeutsam für alle Protestanten, sondern für alle Anwesenden, insbesondere für das gesamte deutsche Volk sein sollte. Blickt man nun auf die Predigten, die an den drei Wormser Festtagen gehalten wurden, dann spiegeln sich diese genannten Themen ebenfalls wider und es wird zugleich die Interpretationskraft des Denkmals deutlich. Allen Predigten ist in erster Linie gemeinsam, dass sie betonen, dass „Luther nicht einer einzelnen religiösen Richtung und Parthei […] [gehöre, sondern] der ganzen protestantischen Welt“320. Warum diese Beschwörung der Einheit des Protestantismus so zwingend nötig war, zeigte sich in der Predigt des Bayreuther Hauptpredigers Lorenz Kraußhold, der nach der „Einigkeit des Geistes […] [, dem] Band des Friedens […] [und der] Einheit des Glaubens“321 suchte und stattdessen aktuell „Streit, Zank, Hader, Spaltung überall“322 fand. Diese von Kraußhold beschriebene Situation des zerstrittenen Protestantismus hatte sich insbesondere nach dem Sieg Preußens im deutsch-deutschen Krieg im Jahr 1866 noch einmal verstärkt. Denn in den nun neuen preußischen Gebieten sollte ebenfalls die Kirchenunion durchgesetzt werden, um eine Zusammengehörigkeit auch auf kirchlicher Ebene zu erreichen. Dagegen hatte sich allerdings großer Widerstand, unter anderem in Hannover geregt. Daher sprach Kraußhold mit seiner Bitte am Ende seiner Predigt direkt die aktuelle Situation der evangelischen Kirche an. Er bat Gott um „den Geist der Eintracht und des Friedens, den Geist der Wahrheit und der brüderlichen Liebe“323. Wenn die „Zersplitterung des Protestantismus“324 sich weiter fortsetze, so steuere das evangelische Christentum „unaufhaltsam einer großen Scheidung“325 entgegen, so der Leipziger Domherr Bruno Brückner. Um diese Trennung zu verhindern, verwies er auf das Wormser Lutherdenkmal, bei dem die Wittenberger Reformatoren im Standbild und die Schweizer Reformatoren als Porträts „friedlich

320 Eich: Gedenkblätter, 95. 321 Eich: Gedenkblätter, 135. 322 Eich: Gedenkblätter, 135. 323 Eich: Gedenkblätter, 140. 324 Eich: Gedenkblätter, 165. 325 Eich: Gedenkblätter, 166.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

 141

bei einander [stehen, obwohl sie] […] im Leben verschieden gewesen“326 waren. Trotz aller Differenzen haben diese „einem gemeinsamen Zweck“327 gedient und daher sollte man auch heute wieder das gemeinsame der Konfessionen suchen und eine Einheit sein. Hierbei sollte es sich nach Brückner „nicht um Beseitigung der geschichtlichen Eigenthümlichkeiten, sondern um Aufhebung jeder engherzigen Abgeschlossenheit; nicht um eine äußerliche Gleichmacherei, sondern um ein brüderliches Zusammengehen“328 handeln. Bruno Brückner, der zu den „gemäßigten Konfessionellen“329 zählte, beschrieb hier eine Art föderative Union. Auch der Wiener Pfarrer Carl Fischer verstand das Wormser Lutherdenkmal in seiner Predigt am 25. Juni als Aufforderung dazu, eine Union zu bilden, die „aus dem Geiste brüderlicher Liebe […] Glaubensbekenntniß achtend, über dem Trennenden das Gemeinsame nie vergessend, ihren Ausdruck findet in Einrichtungen […], durch welche das Bekenntniß nicht berührt“330 wird. Das heißt Carl Fischer strebte eher eine Verwaltungsunion an, was zeigt, dass sich unter dem Deckmantel der protestantischen Einheit weiterhin verschiedene Meinungen verbargen, wie die Kirchenunion vollzogen werden sollte. Doch nicht nur die Unionsfrage wurde in den Predigten aufgegriffen, sondern auch die kulturelle Bedeutung des Protestantismus wurde betont. Der Protestantismus sei „der eigentliche Träger […] für das geistige Leben der deutschen Nation“331. Zu Beginn des Jahrhunderts war das „heilige römische Reich der deutschen Nation […] gefallen, aber das evangelische Geistesreich der deutschen Nation ist geblieben und neubelebt“332. Zudem traten in den Predigten nicht nur die kirchlichen, sondern auch die theologischen Spannungen innerhalb des Protestantismus zutage. Beispielhaft hierfür steht die Predigt des Stuttgarter Stadtdekans Karl Friedrich Gerok am Vorabend der Enthüllung. Er betonte, dass Luther im Denkmal „nicht in weichen Marmor gehauen, sondern in Erz gegossen, nicht sitzend hinter Büchern, sondern auf seinen Füßen stehend […] mit erhobenem Haupte die Stirn […] jedem Sturm und Wetter“333 trotzend dargestellt wurde. Dieser kämpferisch wirkende und bekennende Luther spreche zu den Betrachtenden:

326 Eich: Gedenkblätter, 166. 327 Eich: Gedenkblätter, 166. 328 Eich: Gedenkblätter, 166. 329 Besier: Preußische Kirchenpolitik, 171. 330 Eich: Gedenkblätter, 185. 331 Eich: Gedenkblätter, 158. 332 Eich: Gedenkblätter, 158–159. 333 Eich: Gedenkblätter, 102.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Lasset euch nicht wiegen und wägen von allerlei Wind der Lehre, und wie schwache Rohre hin und her wehen von der wechselnden Strömung eines ungöttlichen Zeitgeists. Laßt euch aber auch nicht wiederum fangen unter das Joch der […] Gewissenstyrannei, komme sie woher sie wolle, ja wäre sie euch angesonnen selbst unter dem eigenen theuren Namen unseres Luther334

Gerok verband das eherne Material des Lutherdenkmals mit der Aufforderung zur Standhaftigkeit der Zuhörenden und der Abwehr von falschen Lehren. Daher forderte er die Anwesenden auf, sich „die Hand zum Frieden unter den Augen Vater Luthers“335 zu reichen. Doch auch Gerok blieb bei dieser auf die Lehre bezogene Friedensforderung nicht stehen, sondern verband mit dem Lutherdenkmal auch eine politische Botschaft. Im Denkmal wird Luther „nicht allein […] in einsamer Höhe, sondern umgeben von den Gestalten trauter Freunde, edler Fürsten, guter Städte“336 zu sehen sein. Genauso wird um das Denkmal „ein großes Volk aus allen deutschen Landen [….] aus Nord und Süd“337 versammelt sein und Luther wird zu diesen rufen: „Liebe Deutsche, sammelt euch um mich in brüderlicher Eintracht“338. Infolgedessen forderte der Stuttgarter Prediger auf, die „Eifersucht eurer Stämme“339 aufzugeben und sich stattdessen „unter dem gemeinsamen Panier eures evangelischen Glaubens“340 zu sammeln. Denn nun sei der Moment gekommen, „die Zeichen dieser großen Zeit [zu erkennen], die so gewaltig ruft: seid einig! Einig! Einig!“341. Daher sollten sich die Deutschen „in freier brüderlichen Eintracht […] zu einem schönen starken Bunde des Friedens“342 zusammenschließen, indem sich „in der Kirche wie im Staate“343 das Bibelwort aus 1. Kor 12,4–6344 erfülle und kirchliche und staatliche Einheit sich vollziehe. Obwohl es sich bei Geroks Rede um eine Predigt in der Wormser Dreifaltigkeitskirche handelte, so war sie doch sehr politisch. Doch die Verschmelzung von kirchlicher, theologischer und staatlicher Einheitsforderung blieb nicht auf die

334 Eich: Gedenkblätter, 102. 335 Eich: Gedenkblätter, 110. 336 Eich: Gedenkblätter, 110. 337 Eich: Gedenkblätter, 110. 338 Eich: Gedenkblätter, 110. 339 Eich: Gedenkblätter, 110. 340 Eich: Gedenkblätter, 111. 341 Eich: Gedenkblätter, 111. 342 Eich: Gedenkblätter, 111. 343 Eich: Gedenkblätter, 111. 344 1. Kor 12,4–6: Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

 143

Predigt Geroks beschränkt, sondern diese Thematik war auch in weiteren Gottesdienstansprachen wiederzufinden. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang noch die Schlusspredigt des Hamburger Pastors Gustav Baur am 26. Juni. Er bedauerte, dass die deutschen Stämme noch immer nicht vereinigt seien, weder in politischer Hinsicht noch in Bezug auf die „Art, den christlichen Glauben zu verstehen“345 und es daher noch immer „eine[n] klaffenden Riß“346 geben würde. Da das Wormser Lutherfest nun „keine Kriegserklärung“347 gegenüber anderen gewesen war, sollten sich die Anwesenden auf das Gemeinsame, nämlich das Christsein, besinnen und sich einander „die Hand reichen“348. Dies verband Baur mit einem abschließenden Wunsch nämlich, dass „endlich das alte Feldgeschrei […] ‚Hie Welf! Hie Waibling!‘ aufhören [würde], und […] alle Stämme unseres Vaterlandes sich vereinigen [würden] in der Losung ‚Hie gut deutsch! Hie gut evangelisch allewege!‘“349. Auch hier wurde ein vereintes Deutschland, welches evangelisch geprägt sein sollte, als das erstrebenswerte Ziel ausgegeben, was sich bereits zweieinhalb Jahre später erfüllte. Durch diese aufgeführten Aussagen zur nationalen Einheit wurde in den Predigten das artikuliert, was bei der Denkmalenthüllung am 25. Juni durch Fahnen, Glocken und Kanonen impliziert wurde. Dadurch hatte sich die Denkmaleinweihung, die im Voraus als kirchlich-nationales Fest ausgegeben worden war, als solche bestätigt. Die Predigten waren zum Teil politischer als die Einweihungsreden selbst, was die die These stützt, dass die Nationalbewegung vom Protestantismus entscheidend mitgetragen wurde und auf die Reichseinheit als eine deutsch-evangelische Nation hingearbeitet wurde. Die nationale Einheit hatte sich 1871 verwirklicht, die mit dem Wormser Lutherfest erträumte Eintracht des Protestantismus wurde hingegen durch die Denkmaleinweihung nicht gefördert. Einen wichtigen Grund sieht Martin Friedrich, der die Wormser Feierlichkeiten in einen größeren Kontext innerhalb des Protestantismus stellte, in der Festlegung der Redner und Prediger. Er beobachtete, dass Vertreter des Neuluthertums bei der Denkmalenthüllung unterrepräsentiert waren, auch wenn ihnen mit der Datumswahl der Enthüllungsfeier, als 358. Jahrestag der Übergabe der Confessio Augustana entgegengekommen war. Aber auch die liberalen Theologen sahen sich bei den öffentlichen Redeanteilen nicht angemessen vertreten, sodass die Äußerungen der positiven Mittelrichtungen überwogen. Dies lässt sich beispielhaft an zwei Personen veranschaulichen: Der Berliner Gene345 Eich: Gedenkblätter, 208. 346 Eich: Gedenkblätter, 208. 347 Eich: Gedenkblätter, 208. 348 Eich: Gedenkblätter, 209. 349 Eich: Gedenkblätter, 209.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

ralsuperintendent Wilhelm Hoffmann, der am Morgen der Denkmalenthüllung in der Dreifaltigkeitskirche predigte, war zwar von der Notwendigkeit der evangelischen Union vollends überzeugt, übte aber zugleich Kritik an der liberalen Theologie und am Protestantenverein aufgrund ihres anderen Unionsverständnisses.350 Der „Chefideologe des Protestantenvereins“351, der Heidelberger Professor Daniel Schenkel, war ebenfalls anwesend in Worms, musste sich allerdings am Vorabend der Enthüllung in der Festhalle das Wort erst erkämpfen und war als Redner im offiziellen Festprogramm nicht vorgesehen.352 Zwischen diesen beiden Richtungen des Protestantismus kam es in Worms zu keiner Verständigung, denn, wie sich die Einheit in der evangelischen Kirche äußern sollte, wurde in Worms nicht diskutiert, sodass die verschiedenen Meinungen nebeneinander stehen blieben und keine gemeinsame Grundlage gefunden werden konnte. Das Wormser Lutherdenkmal hatte zwar zur Eintracht im Protestantismus aufgerufen, doch es gelang nicht, die protestantischen Parteikämpfe beizulegen.353 Weder die Denkmalinitiatoren und der Bildhauer Ernst Rietschel, noch die Prediger bei den Einweihungsfeierlichkeiten, die ihr Hauptaugenmerk auf der innerprotestantischen Situation gelegt hatten, verbanden mit dem Wormser Lutherdenkmal einen Angriff auf die katholische Kirche. Im Nachgang der Enthüllungsfeier wurde das Wormser Lutherdenkmal hingegen von katholischer Seite heftig kritisiert, indem Kurfürst Friedrich der Weise als nicht weise bezeichnet wurde, Philipp von Hessens sittliche Verfehlungen hervorgehoben und die mittelalterlichen Kirchenreformer unter anderem als geistbeschränkt, gewalttätig und sich selbst überschätzend kritisiert wurden.354 Zudem wurde kritisiert, dass aufgrund der dargestellten Persönlichkeiten „unser religiöses und sittliches Gefühl […] auf das Tiefste verletzt“355 wurde. Diese Art des Heiligenkults wurde von dem katholischen Kritiker abgelehnt, der nach der „so unreinen Atmosphäre des Luthermonuments […] [erst] in der reinen und heiligen Atmosphäre des Domes“356 wieder aufatmen konnte. Sein vernichtendes Urteil fasste er folgendermaßen zusammen:

350 Vgl. Besier: Preußische Kirchenpolitik, 122–128. 351 Friedrich: Lutherfest, 397. 352 Vgl. Eich: Gedenkblätter 87–90; vgl. Fenkse, Hans: Das Lutherbild des Protestantenvereins im 19. Jahrhundert, in: BPfKG 50 (1983), 63–76. 353 Vgl. Friedrich: Lutherfest, 395–404. 354 Vgl. StadtA Worms, 110, Nr. 83 (Art. Achtzehn Bilderbogen aus der Bischofsstadt Mainz. Eine Weihnachtsgabe für das deutsche Volk, in: Constitutionelle Zeitung (18.12.1868) Nr. 292). 355 Hundhausen, Ludwig Joseph: Das Luthermonument zu Worms im Lichte der Wahrheit Gedanken und Thatsachen zur Beantwortung der Frage: Kirche oder Protestantismus, Mainz 1868, 4. 356 Hundhausen: Luthermonument, 5.

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Einförmig und monoton, wie große Aloevasen auf einer Gartenterrasse, stehen die einzelnen Figuren neben-, hinter- und übereinander und wollen sich in keiner Weise zu einem großen einheitlichen und harmonischen Ganzen gruppiren und gestalten. Es ist fast, als ob die Disharmonie des Protestantismus auch in diesem Monumente ihren Ausdruck und ihre Symbolik hätte finden sollen.357

Die Kritik am Lutherdenkmal ist für Ludwig Hundhausen allerdings nur Mittel zum Zweck, denn eigentlich geht es ihm vor allem darum, zu belegen, dass der „Protestantismus […] seinem innersten Princip nach keine Kirche [ist], […] nie eine Kirche [war], und […] noch viel weniger [vermag] je eine zu werden“358. Stattdessen ist „Zerstörung aller wahren und ächten Kirchengemeinschaft seine unauslöschliche Signatur“359. So spiegelte sich an den hier beispielhaft genannten Kritiken die ultramontane, ablehnende Haltung gegenüber Ökumene und Protestantismus wider, die im Syllabus errorum 1864 bereits geäußert worden war und sich auch auf dem unmittelbar nach dem Wormser Lutherfest am 29. Juni 1868 einberufenen Ersten Vatikanischen Konzil zeigte.

3.2.5 Der talartragende Luther steigt auf das Postament Die ersten Denkmalsetzungen für Martin Luther im Zeitraum zwischen Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts weisen Entwicklungslinien auf, die die Etablierung eines bestimmten Luthertypus erkennen lassen. Besonders auffällig war zunächst der Wandel Denkmalgestaltung, indem mit Luther nicht nur einer bürgerlichen Person ein Standbild errichtet wurde, sondern dieses am Anfang vieler weiterer Gelehrtenmonumente stand. Mit dem Wechsel vom Herrscherdenkmal zum bürgerlichen Standbild ging eine Verschiebung des Ortes einher, indem die Denkmäler auf öffentlichen und gut zugänglichen Orten in der Stadt errichtet wurden. Dies galt insbesondere für das Wittenberger, Möhraer und Wormser Denkmal.360 Wesentlich für die weitere Entwicklung der Lutherdenkmäler war, dass die Architektur im Denkmalwesen zunehmend von der Bildhauerkunst verdrängt wurde. So gab es am Anfang des 19. Jahrhunderts noch einen großen Stilpluralismus, der unter anderem Tempel und Pyramiden umfasste. Doch bereits mit Errichtung des Wittenberger Lutherstandbilds hatte sich der Typ Statue und Postament durchgesetzt und wurde wegweisend für die weiteren Denkmalset357 Hundhausen: Luthermonument, 2. 358 Hundhausen: Luthermonument, 262. 359 Hundhausen: Luthermonument, 262. 360 Das Lutherdenkmal in Kegel war ursprünglich auch für einen zentralen Ort in der Stadt Reval geplant, was jedoch aus politischen Gründen abgelehnt worden war.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

zungen des Reformators. Diese Entwicklung hin zur Personenstatue prägte nicht nur die Luthermonumente, sondern hatte auch aus kunstgeschichtlicher Perspektive Auswirkungen auf die bürgerliche Denkmalkultur im 19. Jahrhundert. So wie beim Wittenberger Denkmal die verschiedenen Entwürfe und die finale Entscheidung für eine Statue Einfluss auf die Entwicklung der Lutherdenkmäler gehabt hatte, war bei der Wormser Lutherfigur die geführte Diskussion um die passende Darstellung wegweisend für die weiteren Denkmäler des Reformators. Indem sich Ernst Rietschels ursprüngliche Idee, den Reformator in der Mönchskutte zu modellieren, nicht durchgesetzt hatte und stattdessen der Talar als Gewand gewählt worden war, war auch in Bezug auf das Aussehen Luthers eine grundlegende und einflussreiche Entscheidung getroffen worden. Es wurde nicht nur ein bürgerlicher, sondern auch ein wiedererkennbarer Luther errichtet, mit dem sich die Denkmalbetrachtenden identifizieren konnten. Daher zeigen die Statuen des Reformators in Bezug auf die Physiognomie Ähnlichkeiten zu den bekannten Porträts Lucas Cranachs aus dem 16. Jahrhundert. Neben dem Aufstellungsort in der Stadt statt in der Natur, der Bildhauerkunst statt der Architektur und dem Talar statt Mönchskutte ist als letzter künstlerischer Aspekt des Standbilds noch das Postament als wichtiger Teil des sich etablierenden Lutherdenkmaltypus zu nennen. Dieses wurde zwar unterschiedlich, entweder mit Inschriften oder mit Reliefs und in Möhra und Worms zusätzlich noch mit Eckfiguren ausgestaltet, jedoch konnte gezeigt werden, dass der Denkmalsockel jeweils eine wichtige Ergänzung zur Deutung Luthers war. So wurde durch die Bibelverse beim Wittenberger Monument und die Figuren der Evangelisten beim Standbild in Möhra jeweils eine Verortung Luthers in den kirchlichen Wirkungsbereich angestrebt. Durch die estnischen Inschriften beim Denkmal in Kegel wurden nationale Absichten offenkundig. Beim Wormser Monument wurde durch die Reliefdarstellungen wichtiger reformationsgeschichtlicher Ereignisse und die Statuen der mittelalterlichen Kirchenreformer Luthers geschichtliche Bedeutung hervorgehoben. Zur Etablierung des Typs Lutherdenkmal gehörten jedoch nicht nur die äußerlichen Kriterien der Gestaltung, sondern es lassen sich auch Entwicklungslinien im Hinblick auf die Planung, die Denkmalinitiatoren, sowie die Einweihungsfeier und die damit verbundene Deutung Luthers erkennen. Hierbei ist zunächst der Prozess hin zum bürgerlichen Denkmal zu nennen, wozu das sich etablierende Vereinswesen einen wichtigen Beitrag leistete. Dies steht zudem in einem unmittelbaren Zusammenhang zu den gesellschaftlich-politischen Ereignissen zwischen den Befreiungskriegen und der deutschen Reichsgründung. Das erste Drittel des 19. Jahrhunderts kann als eine Zeit beschrieben werden, in der die Bürger um die Mitbestimmung des Volkes rangen. Doch zugleich versuchten die alten Machteliten die politischen Emanzipationsforderungen des Bürgertums zu unterdrücken. In diesen Kontext lässt sich der Einfluss des preußischen

3.2 Die I. Phase: Die Etablierung eines Lutherdenkmaltypus 

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Königs beim Wittenberger Denkmal einordnen, der nicht nur Mitsprache, sondern alleinige Entscheidungsgewalt für sich beansprucht hatte und dadurch das Lutherbild im Standbild prägen wollte. Luthers Wirkung verortete er in den kirchlichen Kontext, sodass dies dem Lutherbild der Studierenden beim Wartburgfest, die eine nationale Bedeutung Luthers propagiert hatten, widersprach. Dass das Bürgertum zur Jahrhundertmitte, angetrieben durch die bürgerliche Revolution von 1848/49, gestärkt war und mehr Selbstvertrauen gegenüber politischer Obrigkeiten hatte, zeigte sich beim Möhraer Luthermonument, indem das königliche Angebot, eine Replik des Wittenberger Denkmals zu errichten, abgelehnt und stattdessen ein individuelles Standbild aufgestellt wurde. Dies galt nicht allein für Lutherdenkmäler, sondern auch andere bürgerliche Standbilder wurden nun nach Belieben des städtischen Bürgertums an zentralen und öffentlichen Orten in der Stadt errichtet, wobei dies „von obrigkeitlicher Seite nicht mehr ernsthaft bestritten“361 wurde. Beim Wormser Lutherdenkmal tritt dies im Hinblick auf die organisierte Arbeit und den unerbittlichen Einsatz des Denkmalkomitees noch deutlicher hervor. Dabei fällt auf, dass die politischen Regierungen keinerlei Einfluss auf die Ausgestaltung des Monuments genommen hatten und somit die bürgerlichen Interessen umgesetzt wurden. Der preußische König und viele weitere Landesherren waren zwar bei der Einweihungsfeier anwesend, hatten aber lediglich eine Repräsentationsfunktion, indem die deutsche Zusammengehörigkeit propagiert werden sollte. So hatte das liberale Bildungsbürgertum vor der Reichsgründung seinen Platz in der Gesellschaft etabliert, in den Vereinen seine Versammlungsart und in den (Luther-) Denkmälern seine Ausdrucksart der kollektiven Identität gefunden. Dies spiegelte sich auch in den Einweihungsfeiern wider, die dem in der Stadt frei zugänglichen Lutherstandbild durch einen öffentlichen Akt Deutung verliehen. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Enthüllungsfeste in Wittenberg, Möhra und Kegel christlicher Liturgie folgten. Wichtige Elemente waren hierbei das Feiern von Gottesdiensten, der Festzug zum Denkmal, das Singen von Kirchenliedern, das Sprechen von Gebeten nach Fallen der Hüllen, sowie die von Theologen gehaltenen Einweihungsreden, sodass die Denkmaleinweihungen als kirchliche Feste gefeiert wurden. Eine Veränderung war bei den Wormser Feierlichkeiten erkennbar, indem christlich-liturgische mit profanen Elementen vermischt wurden und ein explizit kirchlich-nationales Fest begangen wurde. Für die ersten Lutherdenkmalinitiatoren, den Mitgliedern der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft, standen die Verdienste Luthers im Vordergrund. Auch bei der späteren Einweihung des Wittenberger Denkmals wurde neben der kirchlichen

361 Müller: Stadt, 279.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

auch die nationalkulturelle Bedeutung Luthers hervorgehoben. Beim Wormser Denkmal trat neben die Hoffnung auf die Einheit des Protestantismus eine nationalpolitische Interpretation des Reformators, indem anhand des Lutherdenkmals auch die deutsche Einheit beschworen wurde. So lässt sich hier ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der deutschen Nationalbewegung und dem Lutherbild im Denkmal aufzeigen. Dem sogenannten Intellektennationalismus ging es um das Aufzeigen einer gemeinsamen deutschen Kultur und Geschichte, daher eignete sich Luther aufgrund seiner Verdienste um die deutsche Sprache durch seine Bibelübersetzung als Identifikationsfigur. Hinzukam, dass seine herausgehobene Bedeutung für die deutsche Geschichte betont wurde. Dadurch konnte sich Luther zum Mann des deutschen Volkes entwickeln und nachdem aufgrund des deutsch-deutschen Kriegs 1866, die deutsche Reichseinheit in greifbare Nähe rückte, konnte auf die bereits existierenden Lutherdeutungen des Intellektennationalismus zurückgegriffen und diese für die gegenwärtige Situation aktualisiert werden.362 Somit wurde der Reformator beim Wormser Lutherfest 1868 auch als nationaler Einheitsstifter gepredigt.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums Die zweite Phase der Lutherdenkmalerrichtungen nimmt die Standbilder, die anlässlich des 400. Geburtstags des Reformators errichtet oder eingeweiht wurden, in den Blick. Dieses Lutherjubiläum wurde 1883 an vielen Orten im Deutschen Kaiserreich groß gefeiert und hatte bereits im Vorfeld Anlass für Denkmalinitiativen geboten. So hatte sich bereits 1869 in Eisleben ein Lutherdenkmalverein konstituiert. Aber auch die Feier am 10. November 1883 selbst brachte noch neue Denkmalprojekte hervor, die in Eisenach und Berlin erst 1895 abgeschlossen wurden. Zudem wurde das seit 1858 als Unionsdenkmal geplante Standbild in der Stiftskirche Kaiserslautern im Jahr 1883 eingeweiht. Somit ergibt sich für die nun zu betrachtende zweite Phase der Zeitraum zwischen den Jahren 1858 und 1895. Bei der Vielzahl der in dieser Zeitspanne entstandenen Lutherdenkmäler stellt sich die Frage, ob und wie sich das Medium Lutherdenkmal weiterentwickelte. Ähneln sich diese Monumente alle oder wurde bewusst versucht, sich durch ein individuelles Standbild des Reformators von anderen abzugrenzen?

362 Erinnert sei hier an die Rede des Wormser Bürgermeisters Brück, der durch Zitieren Johann Gottfried Herders dessen Lutherdeutung aufgegriffen hatte.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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3.3.1 Die Auseinandersetzung um ein würdiges Lutherdenkmal Luthers 400. Geburtstag am 10.  November 1883 war der erste Geburtstag des Reformators, der öffentlich durch verschiedene Festaktivitäten, darunter Enthüllungsfeiern von Lutherdenkmälern, zelebriert wurde. Durch einen Erlass des Kaisers Wilhelm I., zugleich preußisches Staats- und Kirchenoberhaupt, sollte der 400. Geburtstag Luthers als evangelisches Kirchen- und Schulfest in ganz Preußen gefeiert werden. Auch weitere Landesherren schlossen sich dieser Bestimmung an, sodass es im Deutschen Kaiserreich eine Vielzahl lokaler Initiativen gab.363 Aus diesen regionalen Aktivitäten der Luthererinnerung sticht ein Aufruf des Oberbürgermeisters der sächsischen Stadt Plauen, datiert auf den 31.  Oktober 1883, heraus. Hierin ermutigte er zum Pflanzen von Lutherbäumen und dem Aufstellen der Lutherbüste von Ernst Rietschel auf öffentlichen Plätzen. Er forderte dazu auf, in Luther nicht allein „den trotzigen Kämpfer und starken Streiter gegen das Rom des Mittelalters“364 zu sehen, sondern sich ebenso der „Segnungen […] bewußt zu werden, welche von diesem Gottgeistigen Manne vor allem für das deutsche Volk“365 ausgingen. Für diese Würdigung des Reformators würden auch die zu pflanzenden Lutherbäume vielmehr der deutschen Erinnerungskultur entsprechen, als die „nach antikem […] Brauche auf öffentlichen Plätzen [errichteten] steinerne[n] oder metallene[n] Standbilder“366. Diese sind aufgrund ihres Materials der Witterung und somit dem „vor zeitigem Verderben und dem Unscheinbarwerden“367 ausgesetzt. Diese Kritik an den Stein- und Bronzedenkmälern verband Oskar Kuntze zugleich mit einem Bedauern, dass sich kleinere Städte eine angemessene Ausführung der Monumente nicht leisten könnten und zur Erinnerung gepflanzte Bäume und die reproduzierte Lutherbüste Rietschels viel kostengünstiger seien, sodass auch unbedeutendere Orte den Reformator auf eine würdige Art und Weise ehren könnten.368

363 Der Erlass des preußischen Königs findet sich abgedruckt bei Düfel, Hans: Das Lutherjubiläum 1883, in: ZKG 95 (1984), 92; vgl.  zudem ders.: Lutherjubiläum, 27–32; vgl.  LkA Eisenach, 11–015 Ephorie Weida, Nr. 459 Feier des Lutherjubiläums am 11. November, o. N. (Anordnung des Feiertags am 12.05.1883 durch Heinrich XIV. Fürst Reuß); vgl. Wendebourg: Reformationsjubiläum, 282. 364 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303 Staatsministerium, Department des Kultus, Nr. Allg. 261 Feier des vierhundertjährigen Gedächtnistages der Geburt Dr. Martin Luthers, Bl. 195r (Kuntze, Oskar T.: Ein Vorschlag zur Lutherfeier 1883. Aufruf an alle Gemeinden, Schulen, gemeinnützigen Verein usw.). 365 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 195r. 366 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 197v. 367 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 197v. 368 Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 195–198.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Mit dieser Kritik an den für das Lutherjubiläum geplanten Denkmälern blieb der Oberbürgermeister Plauens nicht allein. Eine andersgeartete Ablehnung war bei den Initiatoren der kritischen Gesamtausgabe von Luthers Werken erkennbar.369 In einem Aufruf vom 1. Januar 1883, der von Hermann Böhlau, einem Verlagsbuchhändler in Weimar, veröffentlicht wurde, wurden zunächst die zahlreichen Bestrebungen, die „das Gedächtnis des großen Reformators neuzubeleben“370 versuchten, positiv gewürdigt. Gleichzeitig wurde jedoch festgehalten, dass dazu „keine noch so herrlichen Denkmale in Bild und Wort“371 genügen würden, denn „[e]in Denkmal hat er sich selbst errichtet in seinem lebendigen Worte, das einst die Nation ergriff und verjüngte, das noch heute fortlebt in seinen Werken“372. Das heißt allein die eigenen Schriften des Reformators seien dazu geeignet, Luthers „ganze […] Herrlichkeit vor den Augen der Gegenwart wieder aufzurichten“373. Daher müsse eine Gesamtausgabe der Werke Luthers „sogut ein deutsches Nationaldenkmal, als der Kölner Dom“374 genannt werden. Dieses literarische Denkmal war „längst ein Bedürfnis der Wissenschaft […] [und] ist eine Ehrenschuld des evangelischen Deutschlands“375, weshalb dieses Projekt nun auch bei Kaiser Wilhelm I. Unterstützung gefunden hatte. Zusätzlich dazu wurden nun alle „echte[n] Söhne der Reformation“376 dazu aufgerufen, bei der Verteilung und Bekanntmachung der Werke Luthers im deutschen Volk mitzuhelfen. Diesem Verständnis, dass allein Luthers Schriften als Denkmal anzusehen seien und somit eine angemessene Erinnerung an den Reformator darstellen könnten, schloss sich auch Johannes Delius, ein Gymnasiallehrer in Eisenach, an. Dieser gab eine Auswahl der Schriften Martin Luthers heraus, die mit kurzen Einleitungen und einer Biographie des Reformators versehen wurden. Hatten die Initiatoren der Weimarer Gesamtausgabe vor allem das Ziel, die Schriften für den Gebrauch in

369 In diesem ersten Aufruf vom 1.01.1883 wurde festgehalten, dass die Vorbereitungen soweit fortgeschritten wären, „daß die Vollendung in zehn bis zwölf Jahren“ angestrebt werden könne. Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 25r. Tatsächlich wurde die Weimarer Ausgabe allerdings erst 2009 fertiggestellt und umfasst heute mit ihren 127 Teilbänden nicht nur die Schriften Luthers, sondern auch dessen Tischreden, die Deutsche Bibelausgabe und seine Briefe. Vgl. Beyer, Michael: I. Lutherausgaben, in: Beutel, Albrecht (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 3 2017, 5–6. 370 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 24r (Aufruf Zur Lutherfeier vom 1.01.1883 hg. von Hermann Böhlau). 371 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 24r. 372 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 24r. 373 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 24r. 374 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 24r. 375 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 24r. 376 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 25r.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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der Wissenschaft herauszugeben und somit insbesondere städtische Bibliotheken und höhere städtische Schulen anzusprechen, sah Delius seinen Adressatenkreis in der deutschen Bevölkerung selbst, „namentlich bei der deutschen Jugend“377,378. Delius bedauerte, dass „die Schriften Luthers bisher ‚unter der Bank im Staube vergessen gewesen sind‘, wie Luther seiner Zeit von der heiligen Schrift“379 geklagt hatte. Daher wären „alle Festlichkeiten, zu denen sich jetzt das protestantische Deutschland […] anschickt, alle Standbilder in Stein und Erz, die es ihm zu Ehren zu errichten gedenkt“380 umsonst, wenn alle nun „an dem schönsten Denkmal, das er sich selbst in seinen Schriften gesetzt hat, gleichgültig vorübergehen“381 würden. Auch hier wurde also das literarische Gedächtnis als wertvoller und würdiger erachtet als das reine Erinnern in Stein und Erz. Zudem wird offensichtlich, dass der Denkmalbegriff um 1883 eine deutliche Erweiterung erfuhr und nicht auf die Standbilder beschränkt blieb. Trotz dieser Kritik bildeten die Lutherstandbilder ein wichtiges und vor allem öffentliches Element des Luthergedenkens am 10. und 11. November 1883.

3.3.2 Der unierte Luther in Kaiserslautern (1858–1883) Die innerprotestantischen Spannungen hatten die Entstehung und Einweihung des Wormser Lutherdenkmals geprägt und das Nebeneinander der Statuen Luthers und eines Schweizer Reformators wurden als unmöglich angesehen. Im selben Zeitraum begannen auch die Planungen für ein Unionsdenkmal in Kaiserslautern. Bei diesem wurden schließlich zwar eine Luther- und Calvinstatue im Denkmal aufgenommen, allerdings wird sich auch hier zeigen, dass die Streitigkeiten im Protestantismus auch in den 1870er und 1880er Jahren weiter schwelten. 3.3.2.1 Der pfälzische Protestantenverein und sein Denkmalwunsch Im Zuge der zahlreichen Vereinsgründungen in der Mitte des 19.  Jahrhunderts, entstand am 14. November 1858 in Kaiserslautern der Protestantische Verein der Pfalz. Diese kirchliche Gruppierung wurde zum „Sammelbecken des theologisch rationalistisch und politisch liberal eingestellten Bürgertums“382 und sie verfolgte

377 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 160v. 378 Vgl. StadtA Eisenach, 10 10 Städtische Akten bis 1885, Nr. 1774 Luther-Feier in Eisenach 1883, Bl. 2. 379 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303 Allg 261, Bl. 160r. 380 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 160r. 381 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 160r. 382 Bonkhoff: Geschichte, 150.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

das Ziel, „daß die Vereinigungsurkunde [von 1818] in wahrer Geltung“383 bleiben und die Kirche sich zudem „im Einklang mit der gesamten Kulturentwicklung“384 manifestieren würde. Zugleich hatte man Sorge vor „eine[r] ‚Lutheranisierung‘ der Landeskirche unter den Bayern“385, da in den protestantischen Teilen Bayerns das Neuluthertum einflussreich war. Der Protestantenverein der Pfalz, der das Vorbild für die Gründung des Deutschen Protestantenvereins 1863 war, fand bei Theologen und Laien starken Zulauf, sodass die Mitgliederzahlen schnell anstiegen. Mit seinen liberalen Einstellungen stieß der pfälzische Protestantenverein bei dem kirchenleitenden Konsistorium auf Kritik, sodass sich innerhalb der evangelischen Kirche der Pfalz ein großer Streit zwischen den verschiedenen Richtungen entwickelte.386 Bereits mit der Gründung des protestantischen Vereins der Pfalz hatte man es „sich zur besonderen Aufgabe [gesetzt], ein passendes Denkmal zur dauernden Erinnerung an die segensreiche Vereinigung der pfälzischen Protestanten“387 zu errichten, welches zum 50-jährigen Jubiläum der Union 1868 eingeweiht werden sollte. Nach Streitigkeiten mit den Vertretern des Konsistoriums veröffentlichte der Protestantenverein der Pfalz 1867 verschiedene Beschlüsse, darunter auch die Entscheidung, dass die Errichtung des 1858 angeregten und 1865 von der Generalsynode beschlossenen Uniondenkmals aufgrund der „gegenwärtige[n] Lage der prot. Kirche der Pfalz […] [als] nicht geeignet“388 empfunden wurde.389 So wurde die Ansicht geäußert, dass es mit dem aktuellen Konsistorium nicht möglich sei „Hand in Hand [zu] gehen“390, denn dieses hatte die Denkmalpläne derartig weiterentwickelt, „daß keine Versöhnung, kein einträchtiges Zusammenwirken mit den treu und unverbrüchlich den Grundsätzen der Union anhängenden Pfälzer Protestanten erstrebt“391 würde.

383 Bonkhoff: Geschichte, 150. 384 Bonkhoff: Geschichte, 152. 385 Hopf, Margarethe: sieh an! Das Unionsdenkmal in der Stiftskirche Kaiserslautern, Speyer 2018, 25. 386 Vgl. Lorentzen: 19. Jahrhundert, 162–163. 387 StadtA Kaiserslautern, 1661, (N. N.: Art. Das Unionsdenkmal in Kaiserslautern, in: Der prot. Verein der Pfalz seinen Mitgliedern. Bericht über die Jubelfeier des 25jährigen Bestehens des prot. Vereins der Pfalz und den XIV. deutschen Protestantentag in Neustadt a. d. H. vom 15.–18. Mai 1883. Mit einem Anhang: Das Unionsdenkmal in Kaiserslautern, Neustadt a. d. H. 1883, 29). 388 Guth, Heinrich: Art. Annalen pfälzischer Kirchengeschichte 1866–1868, in: ZPK 57 (1869), 115. 389 Es kam beispielsweise zum sogenannten Gesangbuchstreit, da der Protestantenverein der Pfalz die Zurücknahme des neueingeführten Gesangbuchs forderte. Zusätzlich verlangten sie in ihren Beschlüssen unter anderem die Abschaffung des bestehenden Katechismus. Vgl. Guth: Annalen, 112–115. 390 Guth: Annalen, 115. 391 Guth: Annalen, 115.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Ursprünglich hatte der Protestantenverein eine außergewöhnliche Denkmalidee verfolgt: Der Speyerer Pfarrer und Konsistorialrat Georg Friedrich Wilhelm Schultz, Mitbegründer der Union von 1818, sollte dargestellt werden, „wie er einem Drachen den linken Fuß in den Nacken setzt und mit der rechten Hand die Unionsurkunde hochhält“392. Dieser Vorschlag, der an den Kampf des Heiligen Georg mit dem Drachen erinnert, wurde vom Konsistorium abgelehnt und eine Ausführung des Denkmals zum 50. Unionsjubiläum der Pfalz 1868 war nicht möglich.393 Im weiteren Verlauf übernahm die Generalsynode am 2. Dezember 1865 die Denkmalpläne und der katholische bayerische König Ludwig II., der Summepiskopat der Evangelischen Kirche der Pfalz, gab 1867 seine Zustimmung zum Bau des Denkmals. Zum weiteren Voranbringen des Projekts wurde den Denkmalorganisatoren zwischen dem 1. Oktober und 31. Dezember 1874 eine Hauskollekte unter allen protestantischen Bewohnern der Pfalz genehmigt. So hatten diese „eine Gelegenheit […], ihre Liebe zu dem reichlich gesegneten Werke der Gründung der Union in der Pfalz“394 zu zeigen. Diese Hauskollekte war sehr erfolgreich und es konnten fast 22.000 Mark gesammelt werden. Dadurch konnte die benötigte Summe, ergänzt durch 4.600 Mark vom Protestantenverein der Pfalz und 5.000 Mark aus dem königlich-bayerischen Fond zur Förderung der Kunst und weiteren Staatsbeiträgen in Höhe von circa 10.000 Mark, aufgebracht werden.395 Am 23. Juni 1875 konnte sodann zwischen dem Presbyterium Kaiserslautern und dem aus der Pfalz stammenden und in München lebenden Bildhauer Konrad Knoll ein Vertrag zur Ausarbeitung des Monuments geschlossen werden.396 An der Auswahl des Bildhauers, einem Landeskind der Pfalz, der unter pfälzischen Protestanten durchgeführten Spendensammlungen und der Intention des Denkmals, an die Gründung der Pfälzer Union 1818 zu erinnern, wird die regionale Bedeutung des Kaiserslauterner Unionsdenkmals erkennbar. Zusätzlich wurde der Wirkungsbereich noch durch den bereits von der Generalsynode 1865 gewählten Aufstellungsort, im Inneren der Stiftskirche in Kaiserslautern, begrenzt. Dadurch war das Denkmal lediglich ein halböffentliches Standbild, sodass die Pfälzer Protes392 Guth: Annalen, 120. 393 Vgl. Bonkhoff: Geschichte, 150–162. 394 LkA Speyer, 001.01 Konsistorium/Landeskirchenrat, Nr.  0537 Errichtung eines Unionsdenkmals in der Pfalz, Bl. 122. 395 Vgl. LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 121–122; vgl. N. N.: Art. Das Unionsdenkmal in Kaiserslautern, in: Pfälzisches Memorabile IV (1876), 236; vgl.  N. N.: Art. Die Einweihung des Unionsdenkmal in Kaiserslautern, in: Union. Evangelisch-protestantisches Kirchenblatt der Pfalz 21 (1883) 33, 135–136; vgl.  N. N.: Art. Zur Feier der Enthüllung des Unionsdenkmals in der Stiftskirche zu Kaiserslautern, in: Evangelischer Kirchenbote für die Pfalz 29 (1883) 34, 133–134; vgl. Bonkhoff: Geschichte, 218–220. 396 Vgl. Hopf: Unionsdenkmal, 26–27.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

tanten als Adressatenkreis ausgemacht werden können. Dementsprechend durfte eine Einladung an den amtierenden bayerischen König „als obersten Bischof“397, dessen Urgroßvater das Zustandekommen der Union gefördert hatte, nicht fehlen. Schließlich seien ihm „alle Pfälzer Protestanten zur immerwährenden Dankbarkeit verpflichtet“398. Doch obwohl der bayerische Monarch durch einen Beitrag das Standbild unterstützt hatte, blieb er der Einweihung des protestantischen Denkmals fern. 3.3.2.2 Calvin und Luther: Ein Nebeneinander statt Miteinander Nachdem die Vorstellungen des Protestantenvereins, eine Darstellung der Pfälzer Union von 1818 anzustreben, abgelehnt worden waren, begann der beauftragte Bildhauer Konrad Knoll einen reformationsgeschichtlichen Entwurf auszuarbeiten. Seine Idee des Unionsdenkmals hielt der Künstler in einer kurzen Broschüre fest, die er mit einer Geschichte der Pfalz über ihr „so wechselvolle[s] Schicksale“399 einleitete. Erst in der Übernahme der Pfalz durch den bayerischen König im Zuge des Wiener Kongresses lag der Beginn einer neuen, glücklicheren Zeit. So konnte die „erste schöne Frucht […] auf kirchlichem Gebiete, […] die Gleichstellung aller Confessionen […] in der protestantischen Kirche“400 heranreifen. Dieses Ereignis galt es „durch ein bildnerisches Denkmal in Marmor“401 zu verewigen. Der erste Entwurf Knolls sah einen von zwei Statuen eingerahmten und mit Reliefs geschmückten Mittelblock vor. Dieser sollte „[b]ekrönt [werden] von dem Genius des Friedens“402, das heißt einer nach oben blickenden Engelsfigur, welche durch einen Kelch in der linken und einen Palmzweig in der rechten Hand den Religionsfrieden symbolisieren sollte. Während der Palmwedel sinnbildlich für Frieden steht, wird dieser durch den Kelch, der auf den durch die Union überwundenen Abendmahlstreit verweist, näher bestimmt.403 Dieser grundsätzliche Aufbau wurde auch umgesetzt, allerdings lässt sich eine signifikante Veränderung zwischen dem ersten und zweiten Entwurf im Hinblick auf die für die beiden Statuen vorgesehenen Personen erkennen. So ist interessant, dass beim ersten Entwurf im Oktober 1875 als „Hauptrepräsentanten und Begrün397 LkA Speyer, 044 KAI, Nr. 081 Unionsdenkmal Kaiserslautern, o. N. (Einladungsschreiben des Presbyteriums Kaiserslautern vom 13.07.1883). 398 LkA Speyer, 044 KAI, Nr. 081, o. N. (Einladungsschreiben 13.07.1883). 399 LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 156 (Knoll, Konrad: Entwurf zu einem Unions-Denkmal der Lutheraner und Reformirten der Pfalz für die Stiftskirche zu Kaiserslautern, Oktober 1875). 400 LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 156. 401 LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 157. 402 LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 157. 403 Vgl. Hopf: Unionsdenkmal, 18–19.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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der der protestantischen Kirche […] die Statuen Luthers und Melanchthons“404 vorgesehen waren. Auch wenn Philipp Melanchthon auf Vermittlung zwischen den verschiedenen Parteien bedacht gewesen war, so war er doch dem Wittenberger Lager zuzurechnen. Hätte sich also diese erste Idee Knolls durchgesetzt, wäre das geplante Denkmal mehr ein Ausdruck des Luthertums als der evangelischen Union gewesen. So wäre statt der Kirchenunion vielmehr der lutherische Konfessionalismus dargestellt gewesen. In Knolls zweitem Entwurf, der im Januar 1876 ausgearbeitet wurde, ersetzte der Bildhauer die Melanchthonstatue durch die des Genfer Reformators Johannes Calvin, wodurch der zweite Hauptrepräsentant der reformierten Konfession neben Zwingli dargestellt wurde. Diese Calvinstatue erinnert an ein populäres Porträt des Schweizers, da dieser mit seinem charakteristischen spitz zulaufenden Bart, Pelzmantel und Hut dargestellt wurde. Das heißt, so wie für die Gestaltung Luthers die Cranach-Porträts hohe Autorität hatten, wurde auch für die Darstellung Calvins auf für authentisch empfundenen Bilder des 16. Jahrhunderts zurückgegriffen. So zeigt sich hierbei wiederum die Absicht, die Reformatoren möglichst für alle wiedererkennbar darzustellen. In der linken Hand hält die Calvinfigur Knolls ein kleines Buch, welches sein Hauptwerk, die Institutio Christianae Religionis von 1536 sein könnte. Mit dem Zeigefinger derselben Hand markiert er eine Stelle, sodass er das Buch schnell aufschlagen könnte. Die rechte Hand ruht vor dem Oberkörper, sodass Calvin mit dem in sich gekehrten und nach unten gerichteten Blick Bedächtigkeit ausstrahlt. Luther hingegen trägt Talar und steht in aufrechter Haltung mit der geöffneten Bibel unter dem Arm. Die rechte Hand hat er auf sein Herz gelegt und der Blick ist, wie bei vorherigen Lutherstandbildern, visionär nach oben gerichtet. Einzigartig für die Lutherstatuen ist der Ehering Luthers, der gut zur zeitgenössischen „Luther-Ikonographie des 19.  Jahrhunderts [passt], die den Reformator gern als Ehemann und Hausvater im Kreis seiner Familie“405 zeigte und somit das bürgerliche Familienideal der Zeit aufnahm. In einem Artikel der Wartburg, einer Münchner Kunstzeitung, wurde die Darstellung der beiden Reformatoren gelobt, da der „energische Kopf Luther’s [und] die sinnenden, strengeren Züge des heftigen Calvin […] die beiderseitige Geistesrichtung [ausdrücken] und schon ihre Haltung, […] ihr Wesen und ihr Wirken“406 404 LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 157. 405 Hopf: Unionsdenkmal, 14. Auch beim Eislebener Denkmal war ein Relief der Darstellung Luthers im Kreise seiner Familie gewidmet und beim Wormser Monument wurde die Eheschließung zwischen Katharina von Bora und Luther dargestellt. 406 LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 162 (C. F.: Art. Das Unionsdenkmal der Protestanten und Reformirten der Pfalz für die Stiftskirche in Kaiserslautern von Professor Konrad Knoll in München,

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 10: Unionsdenkmal in Kaiserslautern, Konrad Knoll.

treffend veranschaulichen. Dieser Würdigung ist sich anzuschließen, doch zugleich ist kritisch zu bemerken, dass die zwei Statuen in keinerlei Interaktion miteinander treten. Das heißt weder durch Blickkontakt noch durch ihre Haltung entsteht eine Verbindung und die beiden Figuren der Reformatoren stehen für sich. Bereits bei Augenzeugen der Einweihung wurde dieser Aspekt des Denkmals kritisiert, indem ein Berichterstatter im Evangelischen Kirchenboten schrieb, dass „Vielen die beiden Reformatoren zu kalt einander gegenüber gestellt“407 erschienen. Diese Wirkung wird zusätzlich durch den Mittelblock zwischen Luther und Calvin verstärkt, der zunächst eher trennend als verbindend erscheint. So wird das Denkmal nicht durch die Statuen der Reformatoren zum Denkmal der Vereinigung, sondern erst durch den hocherhobenen, den Religionsfrieden symbolisierenden Engel. Dieser blickt

in: Die Wartburg. Organ des Münchner Alterthumsverein. Zeitschrift für Kunst und Kunstgewerbe mit Berücksichtigung der Neuzeit 9 (1882) 9–10, 151–153). 407 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 134.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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nun, anders als beim ersten Entwurf, nicht nach oben, sondern hat seinen Blick nach unten auf die Reformatoren gerichtet. Auf der Vorderseite des Mittelpostaments wurden neben dem auf Einheit abzielenden Bibelvers Mt 23,8408 Porträtmedaillons von Reformatoren angebracht. So blicken sich der Züricher Reformator Huldrych Zwingli und der von Konrad Knoll als „der erste pfälzische evangelische Pfarrer“409 hervorgehobene Straßburger Reformator Martin Bucer an. Über diesen beiden Profilreliefs prangt in der Mitte das Relief Philipp Melanchthons, der mit der auf Vermittlung ausgerichteten Confessio Augustana variata von 1540 einen für die Union im 19. Jahrhundert wichtigen Bekenntnistext veröffentlicht hatte.410 Mit Melanchthon und Bucer wurden zwei zwischen den protestantischen Richtungen vermittelnde Theologen abgebildet, sodass durch sie der Unionsgedanke des Denkmals unterstrichen wurde. Zudem wurde mit den in Reliefs abgebildeten Reformatoren „die Erinnerung an Religionsgespräche im 16. Jahrhundert“411 verbunden und somit eine Parallele zu den Unionsgesprächen zu Beginn des 19. Jahrhunderts hergestellt.412 Ergänzt werden die Reformatoren an den beiden Seitenflächen durch Porträts, Wappen und Wahlsprüche der zwei Reichsritter Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten. Beide waren bereits am Sockel des Wormser Lutherdenkmals angebracht und waren im Verlauf des 19.  Jahrhunderts als Vorkämpfer nationaler Anliegen wieder entdeckt worden. Mit ihrer Abbildung am Unionsdenkmal verband sich die Botschaft, dass die Reformation auch nationale Bedeutung hatte. Dies wurde zudem mit dem deutschen Adler über dem Wappen Huttens unterstrichen und sollte ursprünglich durch einen Eichenlaubkranz zu Füßen des Engels angedeutet werden. Dieser war in der zweiten Beschreibung des Entwurfs jedoch durch Palmzweige ersetzt worden.413 Zusätzlich verweist auch das Unionsdenkmal auf das zeitgeschichtliche Nebeneinander von Nationalismus und Lokalpatriotismus. Durch die Städtewappen von

408 „Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber alle seid Brüder.“ Ergänzt wird das Bibelzitat mit der Inschrift „Zur Erinnerung an die Union der Lutheraner und Reformirten der Pfalz 1818. Errichtet 1883.“ 409 LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 204 (Knoll, Konrad: Entwurf zu einem Unions-Denkmal der Lutheraner und Reformirten der Pfalz für die Stiftskirche zu Kaiserslautern, Januar 1876). 410 Vgl. Lohse, Bernhard: Art. Augsburger Bekenntnis, Confutatio und Apologie. I. Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana), in: TRE 4 (1979), 624–627. 411 Lorentzen: 19. Jahrhundert, 163. 412 Auffällig ist, dass die Erinnerung an einen für die Pfalz ebenfalls wichtigen Reformator, Johann Bader aus Landau, am Denkmal keine Erwähnung fand. Zu Johann Bader vgl. Büttner, Florian: Johann Bader: eine biographische Studie zum reformatorischen Netzwerk am Oberrhein (FKDG 121), Göttingen 2020. 413 Vgl. LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 157, 204.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Zweibrücken, Neustadt, Landau, Kaiserslautern und Speyer wurde auf die pfälzische Bedeutung des Denkmals verwiesen.414 Das heißt, am Kaiserslauterner Unionsdenkmal lassen sich nicht nur Hinweise auf die zeitgenössische kirchliche, sondern auch auf die politische und gesellschaftliche Situation finden. So wurde statt der Unionsschließung von 1818, wie vom pfälzischen Protestantenverein zunächst geplant, eine reformationsgeschichtliche Darstellung umgesetzt, wodurch die Kirchenunion in den Gesamtverlauf der Geschichte eingeordnet wurde. Hierin spiegelte sich der Historismus als prägende Strömung der Zeit wider und auch der typisch nationale Charakter dieses Kunststils wurde durch Details am Denkmal erkennbar. 3.3.2.3 Das Unionsdenkmal als Zeichen protestantischer Versöhnung? Konrad Knoll informierte Dekan Müller als Vorstand des Presbyteriums in Kaiserslautern in einem Schreiben vom 25. Juni 1883 darüber, dass das Unionsdenkmal in Einzelteilen versandt wurde und bald in Kaiserslautern eintreffen würde.415 Dementsprechend stand einer Aufstellung im Jahr 1883 nichts mehr im Wege. Zunächst könnte das Aufstellungsjahr 1883 irritieren, da, wie bereits angedeutet, zeitgleich in zahlreichen Städten des Deutschen Kaiserreichs die Vorbereitungen für das Lutherjubiläum in vollem Gange waren und im Zuge dessen die Aufstellung eines Unionsdenkmals unpassend erscheinen könnte. Bedenkt man in diesem Kontext zudem das Ziel des pfälzischen Protestantenvereins, sich vor der Einflussnahme des bayerischen Neuluthertums zu schützen, eignete sich das Lutherjahr als Einweihungszeitpunkt des Unionsdenkmals eigentlich nicht. Doch nachdem die Stiftskirche renoviert worden war, wurde die Einweihung auf den 16. August 1883 festgelegt und somit der 65. Jahrestag der pfälzischen Unionsschließung gewählt.416 Die Organisatoren der Enthüllungsfeier, das heißt Vertreter des königlichen Konsistoriums und des Presbyteriums Kaiserslautern, hatten die Absicht, die Denkmaleinweihung als ein Fest des Friedens zu gestalten. Daher luden sie lediglich ausgewählte Gäste ein und bestimmten die Festredner aus den eigenen Reihen. So

414 Ursprünglich war das Denkmal mit einem weiteren Sockel aufgestellt worden. Unter der Luther- und die Calvinstatue fand sich jeweils ein Engelskopf und auf dem Mittelsockel die Inschrift „Bayern und die Pfalz – Gott erhalt’s“. Auch hier wurde noch einmal auf die Zugehörigkeit der Pfalz zum bayerischen Königreich verwiesen. Die Postamente und dadurch auch diese Inschrift wurden nach der Umsetzung des Denkmals nach dem 2. Weltkrieg entfernt. Vgl. Hopf: Unionsdenkmal, 30. 415 LkA Speyer, 044, Nr. 081, o. N. (Konrad Knoll an Dekan Müller am 25.06.1883). 416 Für die Klärung der Platzfrage in der Stiftskirche und für die von Konrad Knoll geforderten Abänderungswünsche vgl. LkA Speyer, 001.01, Nr. 0537, Bl. 86–89; vgl. LkA Speyer, 044, Nr. 081, o. N. (Der Restaurator der Stiftskirche H. Schmidt an das Kaiserslauterner Presbyterium am 19.05.1882).

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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sollte vermieden werden, dass „polemische Ansprachen an diesem Friedensfest“417 gehalten wurden. Doch dieses Vorgehen stieß bereits im Vorfeld der Feier auf heftige Kritik von Seiten des Protestantenvereins, da dessen Vertreter nicht informiert wurden. So wurde in der Union Anfang August, also lediglich zwei Wochen vor dem Festtag, geschrieben, dass zu wünschen sei, „daß möglichst bald ein Programm […] an das Licht der Öffentlichkeit trete […] [, da] von der Anordnung der Festlichkeit, von den bei derselben auftretenden Rednern […] der Besuch wesentlich abhängen“418 würde. Durch diese strategische Planung der Feierlichkeiten durch das Konsistorium und das Kaiserslauterner Presbyterium gelang es, die Denkmalenthüllung als Unionsfest zu feiern. So verlief, laut dem Evangelischen Kirchenboten, der „eigentliche Theil des Festes [in der Stiftskirche] ohne Mißklang“419. Der Versöhnungsgedanke zwischen den Konfessionen wurde auch vom Konsistorialrat Hofer aufgenommen, der die Predigt im Festgottesdienst hielt und betonte: „Der äußere Friede ist geschaffen, es gilt, daß wir zum innern Frieden kommen.“420 Ebenso hoffte der Konsistorialdirektor Glaser in seiner Rede vor der Übergabe des Denkmals an die Kirchengemeinde Kaiserslautern, dass „die segensreiche Union immer mehr erstarken“421 würde. Doch bei der sich an den Gottesdienst und die Einweihung des Standbilds anschließenden Feier in der Fruchthalle gelang es nicht, das öffentliche Austragen der Meinungsverschiedenheiten innerhalb der pfälzischen Landeskirche zu verhindern. So wurde im Festbericht festgestellt, dass „nach den offiziellen toasten der mühsam verdeckte Gegensatz, der in unsrer Kirche vorhanden [ist], zu Tage trat“422. Ein Gast hatte den „Führer des Protestantenvereins der Pfalz als ein[en] Mann des Verdienstes um das Unionsdenkmal […] verherrlicht“423, weshalb andere Gäste „an solcher Taktlosigkeit keinen Gefallen finden konnten“424. So stellte der Autor des Evangelischen Kirchenboten, dem Organ der pfälzischen Landeskirche, fest, dass es zwar erfreulich sei, „daß man allmälig in unsrer pfälzischen Kirche es eingesehen hat, daß die Männer, die am Bekenntnisse der Väter festhalten,

417 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 133. 418 N. N.: Art. Das Unionsdenkmal in Kaiserslautern, in: Union. Evangelisch-protestantisches Kirchenblatt der Pfalz 21 (1883) 31, 130. 419 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 133. 420 N. N.: Die Einweihung des Unionsdenkmals, 135. 421 N. N.: Die Einweihung des Unionsdenkmals, 136. 422 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 134. 423 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 134. 424 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 134.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

keine Gegner der Union“425 seien, dass es zugleich aber eine „Täuschung [wäre] zu glauben, mit der Union der Confessionen sei auch der Friede“426 besiegelt worden. In einem Bericht der Union-Zeitschrift, als Organ des liberalen Protestantenvereins, wurde der Akt der Denkmalenthüllung kritisiert, da die Hülle unschön vom Friedensengel gefallen war und dies wenig würdevoll gewesen sei. Dies könnte aber, laut dem Zeitschriftenartikel, symbolisch dafür stehen, „daß bei allen Friedenshoffnungen und Friedenswünschen noch manche unschönen Bewegungen und Manipulationen mit unterlaufen werden, bis in Wirklichkeit der Friedensengel über den Parteien“427 stehen werde.428 Die beiden berichtenden Zeitschriften, das heißt die Union und der auf Vermittlung ausgerichtete Evangelische Kirchenbote, waren sich in der Beurteilung der Enthüllungsfeier dahingehend einig, dass die Spannungen innerhalb der protestantischen Kirche der Pfalz durch das Unionsdenkmal nicht aufgehoben waren. So sollte zwar das vom Protestantenverein ursprünglich 1858 angestrebte und von der Generalsynode fortgesetzte und 1883 eingeweihte Unionsdenkmal ein Standbild aller Protestanten der Pfalz sein, doch die oben als trennend wahrgenommene Ausstrahlung der Luther- und Calvinstatuen spiegelte ungewollt auch die Situation innerhalb der pfälzischen Kirche wider. Die fehlende Interaktion der Reformationsfiguren wies auf das fehlende Miteinander und auf die lediglich äußere Vereinigung der verschieden protestantischen Strömungen hin.

3.3.3 Der kulturkämpferische Luther in Eisleben (1869–1883) Die erste Idee zur Errichtung eines Lutherdenkmals war bekanntlich zwar im Mansfelder Land zu Beginn des 19.  Jahrhunderts geäußert, allerdings in Wittenberg realisiert worden. Nachdem dann 1868 das Wormser Monument eingeweiht worden war, wurden in Eisleben „schmerzliche Erinnerungen“429 geweckt, sodass die Initiative, in Luthers Geburts- und Sterbestadt ein Monument zu errichten, erneut ergriffen wurde.

425 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 134. 426 N. N.: Enthüllung des Unionsdenkmals, 134. 427 N. N.: Art. Der Friedensengel, in: Union. Evangelisch-protestantisches Kirchenblatt der Pfalz 21 (1883) 35, 146. 428 Zu den schwelenden Konflikten „unter der jetzt ziemlich ruhigen Oberfläche“ innerhalb der unierten pfälzischen Kirche vgl. N. N.: Art. Das Friedensband, in: Union. Evangelisch-protestantisches Kirchenblatt der Pfalz 21 (1883) 38, 159–160; vgl. N. N.: Art. Ein paar Gedanken über die Einweihung des Unionsdenkmals, in: Union. Evangelisch-protestantisches Kirchenblatt der Pfalz 21 (1883) 34, 143. 429 Storch, Karl: Das Eisleber Luther-Jubiläum am 10. November 1883, Eisleben 21883, 52.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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3.3.3.1 Der zweite Anlauf der Eislebener Bürger Am 22.  August 1869 versammelten sich zahlreiche Eislebener Bürger „aus allen Ständen“430, um sechs Jahrzehnte nach dem ersten Anlauf wiederum einen Verein zur Errichtung eines Lutherdenkmals zu gründen.431 Als Versammlungsort wurde das Rathaus bestimmt und der Bürgermeister Eislebens Friedrich Martins übernahm den Vorsitz des Komitees. Neben der Wahl des Vorstands gehörte auch die Ausarbeitung der Vereinsstatuten zu den ersten Arbeitsschritten des neugegründeten Komitees. Hierbei fällt auf, dass sich der erste Entwurf dieser Vereinsstatuten von der zweiten, veröffentlichten Fassung, die in der Komiteesitzung am 23. September 1869 festgelegt wurde, unterschied. Auffällig ist, dass Luther nicht mehr als der „von Gott gesandte […] Wiederhersteller der christlichen Kirche“432, sondern vielmehr als der „große […] Reformator“433 gewürdigt wurde. Demnach seien freiwillige Beiträge nicht nur, wie im ersten Entwurf festgehalten, von allen evangelischen Christen, sondern von all jenen, die Luthers Errungenschaften wertschätzen, wünschenswert. Damit lässt sich eine Interessenverschiebung des Komitees von der kirchlichen hin zur allgemeineren Würdigung Luthers erkennen. Diese Schwerpunktverlagerung hin zur Wertschätzung der bürgerlichen Verdienste Luthers spiegelte sich auch in der Zusammensetzung des Lutherdenkmalvereins in Eisleben wider. In Worms war die ursprüngliche Initiative noch aus der evangelischen Ortsgemeinde hervorgegangen und der dortige Dekan Eduard Keim wurde zum Vereinsvorsitzenden bestimmt und auch in Möhra war der Oberhofprediger Constantin Ackermann im leitenden Gremium zur Organisation.434 In Eisleben hingegen war nicht mehr ein Pfarrer die treibende Kraft des Standbilds, sondern stattdessen konstituierte sich der Verein vor allem aus diversen Vertretern des Stadtbürgertums435, deren Vorsitz der amtierende Bürgermeister Martins übernommen hatte. Auch die Ehrenpräsidenten waren nun nicht mehr, wie in Worms, kirchliche Amtsträger, sondern mit Arthur von Wolff, dem Oberpräsidenten der 430 StadtA Eisleben, D XVI 63 Acta des Magistrats zu Eisleben betreffend die Gründung eines Luther Denkmals in Eisleben (1869/1870), Bl. 143 (Aufruf zu Beiträgen für ein Luther-Denkmal in Eisleben vom 31.10.1869). 431 Die erste Initiative für die Wiederaufnahme der Denkmalpläne kam von der Eislebener Lehrerschaft. Vgl. Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 149–150; vgl. Storch: Luther-Jubiläum, 54. 432 StadtA Eisleben, Akte D XVI 63, Bl. 20 (Entwurf zu den Statuten des Vereins). 433 StadtA Eisleben, Akte D XVI 63, Bl. 23 (Bearbeitete Fassung der Statuten). 434 Zur Zusammensetzung der beiden Denkmalvereine in Worms und Möhra vgl. die jeweiligen Aufrufe in: Eich: Gedenkblätter, 38–39; GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 16. 435 Hierzu zählten beispielsweise Landräte, Stadträte, Gutsbesitzer, ein Oberamtmann, ein Regierungs-Präsident und Lehrer. Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 161 (Einladungsschreiben und Programm zur Enthüllungsfeier 1883).

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Provinz Sachsen und dem preußischen Regierungspräsidenten Robert Rothe, beziehungsweise ab 1876 dessen Nachfolger Gustav von Diest, wurde Politikern diese Würde übertragen. Diese Zusammensetzung des Eislebener Denkmalkomitees rief bereits bei zeitgenössischen Kirchenvertretern Kritik hervor. So schrieb der königliche Superintendent Friedrich Ludwig Scheibe an das königliche Konsistorium, dass der Gedanke, Luther in seiner Geburts- und Sterbestadt ein Denkmal zu errichten, prinzipiell zu würdigen sei. Die Idee wurde jedoch „zunächst von einer Seite aufgegriffen […], welche von dem Geiste und der Frömmigkeit Luthers weit ab liegt und […] mehr den Mann des Volks und der Freiheit als den Wiederhersteller des apostolischen Christenthums verehrt“436. So meinte der Superintendent weiter, dass durch die Zusammensetzung des Komitees „die Angelegenheit einen unerwünschten Verlauf nehmen könnte“437. Auch im ersten Spendenaufruf vom 31. Oktober 1869 wurde nicht die kirchliche Bedeutung des Reformators betont, sondern die Errichtung des Lutherstandbilds mit lokalpatriotischen Intentionen des im Denkmalkomitee stark vertretenen Stadtbürgertums verbunden. Als Luthers Geburts- und Sterbestadt und derjenige Ort, an dem die Idee für ein Lutherdenkmal erstmals aufgekommen war, ist Eisleben die „Stadt, die unbestreitbar das erste und älteste Recht darauf hat, ein solches Denkmal zu besitzen“438. Auch wenn Eisleben durch das Geburts- und Sterbehaus Luthers bereits „zwei werthe Erinnerungsstätten“439 aufweisen könne, könnten diese über „den Mangel eines eigentlichen Denkmals“440 nicht hinweg helfen. Es seien nämlich nicht nur Luthers Geburt und Tod zu würdigen, „sondern sein ganzes thatenreiches Leben […] [sollte] durch ein unter Gottes freiem Himmel stehendes, für Jedermann zugängliches Standbild“441 erinnert werden. Daher bedürfe es in Eisleben eines angemessenen Denkmals, auch wenn dieses wohl leider nicht so großartig sein könne, wie das in Worms. Neben den lokalen Interessen der Eislebener Denkmalinitiatoren zeigt sich an diesem Spendenaufruf, dass in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts öffentliche Denkmäler als kollektive Erinnerung für eine Stadt noch wichtiger angesehen wurden als Museen. Zudem wurde die Bedeutung Luthers für das gesamte deutsche

436 LkA Magdeburg, Rep. A, Generalia – Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen, Generalakten, Nr. 1765 Sammlung von Beiträgen für das Lutherdenkmal in Eisleben, o. N. (Superintendent F. L. Scheibe an das königliche Konsistorium am 4.02.1870). 437 LkA Magdeburg, Rep. A, Nr. 1765, o. N. (4.02.1870). 438 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 143 (Aufruf vom 31.10.1869). 439 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 143. 440 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 143. 441 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 143.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Volk herausgestellt, denn es gäbe „keinen Sohn unseres Volkes, auf den wir stolzer zu sein das Recht hätten, [da in ihm] […] [d]ie besten Seiten deutschen Wesens […] zusammengefaßt und zur schönsten Blüthe gekommen“442 seien. Um die angestrebte nationale Bedeutung des Eislebener Lutherdenkmals zu unterstreichen, wurde der preußische König um dessen Unterstützung gebeten. Am 14. Februar 1870 wurde allerdings das erbetene Protektorat abgelehnt, da der Regent dieses nur noch bei den Projekten übernehmen würde, auf die er einen direkten Einfluss beziehungsweise zumindest „eine bestimmende Einwirkung ausüben“443 könne. Diese staatliche Einflussnahme war von den bürgerlichen Denkmalinitiatoren jedoch nicht vorgesehen gewesen. Paradox an dieser Anfrage war, dass zu Beginn des 19.  Jahrhunderts der damalige preußische König Friedrich Wilhelm III. als Protektor die Denkmalpläne an sich gerissen und die Mansfelder Bürger entmündigt hatte. Das Eislebener Komitee hatte sich mit seiner Anfrage knapp 70 Jahre später wieder in eine unsichere Ausgangssituation manövriert, doch durch den offenen Umgang des preußischen Königs bezüglich der Voraussetzungen seiner Unterstützung, blieben die Eislebener davor bewahrt, ihr Projekt erneut aus der Hand zu geben. Die Genehmigung einer finanziellen Unterstützung des in der Zwischenzeit zum deutschen Kaiser gekrönten Wilhelms I. dauerte insgesamt sechs Jahre und erforderte zahlreiche Schreiben. Im März 1876 wurde schließlich ein Gnadengeschenk über 3.000 Mark beschlossen, auch wenn die zuständigen Reichsminister zuvor die „mangelhaften Unterlagen“444 kritisiert und vom Denkmalverein in Eisleben die finanzielle Sicherung sowie genaue Informationen zu Art und Umfang des Lutherstandbilds gefordert hatten.445 Diese langwierige Auseinandersetzung um die Genehmigung einer kaiserlichen Spende zeigte, dass die Errichtung eines Lutherdenkmals von Wilhelm I. nicht als höchste Priorität der Geschichtspolitik des neugegründeten Deutschen Kaiserreichs angesehen wurde. 1868 hatte dieser noch die Einweihungsfeier des Wormser Lutherdenkmals besucht und durch seine Anwesenheit dazu beigetragen, dass die Einweihung des Wormser Monuments als nationale Feier wahrgenommen

442 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 143. 443 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 204. 444 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 260. 445 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 234–235 (Schreiben vom 10.08.1870), Bl. 250 (Schreiben vom 23.05.1873), Bl. 251 (Schreiben vom 22.09.1873), Bl. 255–256 (Schreiben vom 8.12.1874), Bl. 260 (Schreiben vom 21.12.1875), Bl. 261–262 (Schreiben vom 7.03.1876); vgl. auch StadtA Eisleben, D XVI 64 Acta des Magistrats zu Eisleben betreffend die Gründung eines Luther Denkmals in Eisleben (1870–1876), Bl. 87 (Vorstandssitzung am 29.04.1872), Bl. 112 (Minister an das Eislebener Komitee am 7.08.1872).

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und ein deutsches Einheitsgefühl demonstriert wurde. Der offiziellen Feier des 400. Geburtstags des Reformators im September 1883 in Wittenberg blieb Kaiser Wilhelm I. genauso fern wie der Enthüllungsfeier des Eislebener Denkmals am 10. November 1883, zu der er ebenfalls eingeladen worden war.446 Dadurch wurde zumindest von Seiten der Regierung den Lutherdenkmalbestrebungen anlässlich des Jubiläums 1883 keine nationale Bedeutung zugeschrieben, stattdessen hatte das am 28. September 1883 eingeweihte Niederwalddenkmal höhere Priorität und sollte das Nationalgefühl der Deutschen befördern. 3.3.3.2 Die antikatholische Profilierung als Auftrieb für das Denkmalprojekt Nichtsdestotrotz blieben die Eislebener Denkmalinitiatoren stets vom nationalen Wert ihres Projekts überzeugt. Diese hier bereits angeführte Spannung zwischen reichsweiter und lediglich regionaler Relevanz des Lutherstandbilds erklärte nicht nur die zurückhaltende Spendenbereitschaft des Kaisers, sondern bestimmte auch die weitere Finanzierung des Denkmals. Noch bevor der deutsch-französische Krieg ab Juli 1870 die Eislebener Spendensammlungen zum Erliegen brachte, erhielt das Denkmalkomitee Absagen aus verschiedenen Regionen. So wurde bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Schwierigkeit, ein weiteres Lutherdenkmal nach dem Wormser Großprojekt zu finanzieren, offenkundig. Beispielhaft seien Schreiben aus Breslau und von einem Vertreter des englischen Königs aus London genannt, in denen mitgeteilt wurde, dass bereits für das Wormser Lutherdenkmal gespendet worden war und „nun aber dringendere kirchliche Bedürfnisse“447 beziehungsweise „andere Wohltätigkeitsvereine“448 zu unterstützen seien. Auch ein Schreiben im Auftrag der württembergischen Königinmutter Pauline zeigte die Spendenzurückhaltung in den verschiedenen deutschen Staaten. Hierin wurde angemerkt, dass das vom „ganze[n] protestantische[n] Deutschland“449 unterstützte Wormser Luthermonument eine „nationale Angelegenheit“450 gewesen sei. Das Denkmalprojekt in Eisleben könnte nun jedoch bedauernswerterweise nicht unterstützt werden, da es sich dabei mehr um ein „lokale[s] und in seiner Ausführung […] nachahmende[s] Bestreben“451 handeln würde. So wird deutlich, dass das Wormser Lutherdenkmal nicht nur in Bezug auf die große Aus-

446 Vgl. LkA Magdeburg, Rep. A, Nr. 1765, o. N. 447 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 196 (Schreiben vom 2.02.1870 aus Breslau). 448 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 395 (Schreiben vom 18.05.1870 aus London). 449 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 403 (Schreiben vom 6.06.1870 aus Württemberg). 450 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 403 [Hervorhebung im Original]. 451 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 403 [Hervorhebung im Original].

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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gestaltung sehr hohe Maßstäbe gesetzt hatte, sondern dadurch auch die Erwartung eines nationalbedeutenden Lutherdenkmals befriedigt worden war. Den neuerlichen Bestrebungen zur Errichtung eines Lutherstandbilds in Eisleben wurden dadurch nationale Interessen abgesprochen, da zudem die Erinnerung an Luther bereits durch das Geburts- und Sterbehaus gewahrt sei. Ein Lutherstandbild in Eisleben wurde daher nicht als notwendig erachtet. Daneben hatten wiederum die politischen Umstände Auswirkungen auf die Finanzierung. So hatte der Krieg gegen Frankreich 1870/71 auf zweifache Weise eine hemmende Wirkung auf die weitere Planung und Umsetzung des Eislebener Lutherdenkmals. Zum einen konnten nach dem „glorreichen Sieg[…] wider die Feinde des Vaterlandes […] die Sammlungen nicht mit gleichem Eifer betrieben werden“452 wie zuvor. Das neugegründete Deutsche Kaiserreich hatte „Wunden [zu] heilen […] und diejenigen [zu] unterstützen, welche im Streite für Deutschlands Einheit, Macht und Größe“453 ihre Gesundheit geopfert hatten.454 Zum anderen kam als Grund für die Stagnation der Spenden hinzu, dass in Folge der Reichsgründung ein weiterer Denkmalverein im April 1871 gegründet wurde, der im November 1871 seinen ersten Spendenaufruf veröffentlichte. Dieses Komitee verfolgte das Ziel, am Rhein ein großes Nationaldenkmal zu errichten, das an die Reichsgründung erinnern und 300.000 Mark kosten sollte.455 Mit diesem Großprojekt zur Errichtung des Niederwalddenkmals hatte der Eislebener Denkmalverein, der für seine Pläne ungefähr 30.000 Mark veranschlagt hatte, starke Konkurrenz erhalten.456 Um das Lutherdenkmal trotzdem verwirklichen zu können, fallen im weiteren Verlauf zwei Aspekte auf: Zum einen konstituierte sich 1873 ein Berliner Hilfsverein, der helfen sollte, in der deutschen Hauptstadt Spenden zu beschaffen und als beratendes Gremium dem Eislebener Komitee zur Seite stehen sollte.457 Dieser Berliner Hilfsverein, dessen Vorsitz der nationalliberale „Reichstagsabgeordnete für die Mansfelder Kreise“458 Professor Rudolf von Gneist übernommen hatte, hielt sich allerdings nicht still im Hintergrund, sondern nahm entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung des Standbilds. 452 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 258 (Art. Zum Lutherdenkmal, in: Eisleber Zeitung, Beilage (27.04.1875) Nr. 22). 453 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 258. 454 Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 258, Bl. 74 (Bericht des Komitees auf der Generalversammlung am 10.11.1871). 455 Zur Planung und Finanzierung des Niederwalddenkmals vgl.  Tittel, Lutz: Das Niederwalddenkmal 1871–1883, Hildesheim 1979, 3–18, 53–74. 456 Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 139. 457 Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 136–141. 458 Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 151.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Zum anderen fällt seit der Veröffentlichung des zweiten Spendenaufrufs vom 1.  Mai 1872 eine inhaltliche Verschiebung der Würdigung Luthers auf. Wurden 1869 in den Vereinsstatuten und im ersten Spendenaufruf noch vor allem Luthers große Verdienste hervorgehoben, wurde nun die aktuelle politische und konfessionelle Situation in die Interpretation des Reformators mit einbezogen. So hieß es im zweiten Spendenaufruf, dass es Luther zu ehren gelte, da er „mit felsenfestem Muth und unerschütterter Ausdauer das Panier des unverfälschten Evangeliums hoch emporhielt“459. Nachdem nun „derselbe Feind, den er in Kraft des Glaubens so kühn und siegreich bekämpfte, gerade jetzt erneute Anstrengungen macht, um namentlich Deutschland abermals in unsägliches Unglück […] zu stürzen“460, müsste dazu beigetragen werden, dass „die Erinnerung an den großen Glaubenshelden“461 lebendig bleibe. Mit der Bedrohung, die den Menschen sowohl zur Zeit Luthers als auch den protestantischen Mitmenschen in den 1870er Jahren vor Augen stand, war der Katholizismus gemeint. Der Ultramontanismus hatte nach den Beschlüssen des Ersten Vatikanischen Konzils, welches bis zum 20.  Oktober 1870 getagt hatte, weiterhin Zulauf. Zusätzlich hatte sich der politische Katholizismus durch gute Wahlergebnisse als starke Oppositionspartei etabliert. Deshalb richtete sich der Spendenaufruf vom 1. Mai 1872 explizit an die „evangelische[n] Christen aller Länder“462 und die „deutsche[n] Männer“463, um sich durch ihre Beiträge zum Lutherdenkmal vom antinationalen Katholizismus abzugrenzen. Ab diesem Zeitpunkt schien der Lutherdenkmalverein in Eisleben durch das konfessionelle Element eine eigene Profilierung gefunden zu haben. Dadurch war es möglich, sich in der Öffentlichkeit von anderen gleichzeitig ablaufenden Denkmalprojekten abzugrenzen und den nationalen Charakter des Standbilds hervorzuheben. Diese antikatholische Haltung spiegelte sich auch in einem Zeitungsartikel Zum Lutherdenkmal vom 27. April 1875 wider. Mit Luthers 95 Thesen hatte in „der civilisirten Welt der Kampf gegen die geistige Vergewaltigung“464 begonnen und daher sollte das Lutherdenkmal in dessen Heimat „bei allen Patrioten wohl um so größeren Anklang finden als gerade jetzt der Ultramontanismus bestrebt ist, seine letzten Streitkräfte gegen den modernen Staat und die moderne Aufklärung“465 aufzubringen. So wurde als Zweck des Eislebener Lutherstandbilds angegeben,

459 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 100. 460 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 100. 461 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 100. 462 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 100. 463 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 100. 464 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 258. 465 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 258.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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dass dieses in „diesem Kampfe des Liberalismus wider mittelalterliche Verfinsterung […] das Palladium sein [möge], um welches die deutschen Protestanten sich schaaren“466 werden. So lassen sich Parallelen zur Politik Bismarcks in den frühen 1870er Jahren erkennen. Genannt seien hier beispielsweise die Zusammenarbeit mit den Liberalen oder der Kulturkampf. 3.3.3.3 Die Einflussnahme des Berliner Hilfskomitees Dass der später beauftragte Bildhauer, Rudolf Siemering, überhaupt einen Entwurf für das Eislebener Lutherdenkmal einreichen konnte, war vom Komitee in Eisleben lange Zeit nicht vorgesehen. In § 11 der Vereinsstatuten von 1869 hieß es zwar, dass zur „Ausführung des Denkmals […] die namhaftesten Künstler zu Rathe gezogen“467 werden sollten, doch bereits bei der Generalversammlung des Vereins 1871 wurde der aus dem Mansfelder Land stammende Fritz Schaper als Wunschkandidat genannt.468 Der endgültigen Entscheidung über Künstler und Denkmalentwurf, die erst im Sommer 1877 getroffen wurde, ging eine langwierige Diskussion voraus, in deren Verlauf das Eislebener Denkmalkomitee, ähnlich wie zu Beginn des Jahrhunderts die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft, ihre Entscheidungshoheit aus der Hand gab. Dabei hatte sich dem Eislebener Verein bereits wenige Wochen nach seiner Konstituierung eine Lösung geboten, denn im Oktober 1869 hatte sich Wilhelm Schwenk, ein Schüler Ernst Rietschels, gemeldet und Interesse an der Ausführung des Eislebener Lutherdenkmals gezeigt. Er war „mit der Darstellung dieses gewaltigen Geisteshelden in letzter Zeit beschäftigt“469 gewesen und hatte bereits ein Modell, dessen Foto er dem Verein zusandte, ausgearbeitet. Die Lutherstatue des Dresdner Bildhauers Schwenks wurde jedoch abgelehnt und stattdessen noch im selben Jahr in der Mädchen-Bürgerschule in Bautzen zusammen mit einer Melanchthonfigur errichtet.470 Der Berliner Hilfsverein, der ursprünglich vor allem bei den Spendensammlungen unterstützen sollte, stand in ständigem Kontakt mit dem Eislebener Komitee. In dieser Korrespondenz fällt auf, dass die entscheidenden Impulse zur Ausgestaltung des Lutherdenkmals vom „weitaus hochrangiger und kompetenter besetzt[en]“471 466 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 258. 467 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 20. 468 Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 75 (Protokoll der General-Versammlung vom 11.10.1871); Zu Rudolf Siemering und Fritz Schaper vgl. Bloch / Grzimek: Bildhauerschule, 176–182, 184–188. 469 StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 48 (Wilhelm Schwenk nach Eisleben am 28.10.1869). 470 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 50–51. 471 Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 151.

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Berliner Hilfskomitee kamen. Der „provinzielle Hauptverein“472 hingegen hatte sich stark auf die Beschaffung der finanziellen Mittel konzentriert, sodass die Art der Denkmalausführung zunächst nicht diskutiert wurde. Dies nutzten die Berliner Organisatoren aus, sodass sie immer mehr an Einfluss gewannen und die Eislebener ihre Eigenständigkeit verloren, indem die Berliner zunächst den Platz und später auch die Gestaltung des Standbilds bestimmten. Zunächst wurde vom königlichen Baudirektor Professor Lucae und dem Bildhauer Professor Begas, beide in Berlin ansässig, ein Gutachten ausgearbeitet, das den Eislebener Marktplatz als geeignetsten Standort bezeichnete.473 Diesem Urteil schloss sich auch die Generalversammlung am 10. November 1875 an. In derselben Sitzung der Eislebener Versammlung wurde jedoch einstimmig gegen die Ausschreibung eines allgemeinen Wettbewerbs votiert. Stattdessen befürworteten die Anwesenden den Vorschlag, Fritz Schaper mit der Ausführung zu betrauen und den Berliner Zweigverein hierüber in Kenntnis zu setzen.474 Unmittelbar vor der Eislebener Hauptversammlung hatte sich Fritz Schaper selbst an das Komitee gewandt, da er hoffte, der Lokalpatriotismus möge groß genug sein, „daß man einem kleinen Mansfelder den großen Mansfelder“475 zur Ausführung übertragen würde.476 Doch trotz des Eislebener Votums für Schaper und dessen eigenständiges Werben für seine Arbeit, lehnte das Berliner Subkomitee die Beauftragung desselben ohne eine Ausschreibung ab. Der Berliner Verein erkannte zwar die „sehr achtungswerthen Bestrebungen und Leistungen“477 Schapers an, meinte jedoch zugleich, dass es nicht möglich wäre, ihm „bevor auch nur ein Entwurf vorliege […] den definitiven Auftrag zu ertheilen“478. Ein Lutherdenkmal zu entwerfen, gelte „als eine der allerschwersten [Aufgaben] […], deren glückliche Lösung kaum von einem der hervorragendsten deutschen Künstler ohne Weiteres“479 ausgeführt werden könnte. Zudem kritisierte das Berliner Komitee die Entscheidung der Eislebener, da „bei einer so schwierigen und verantwortlichen Auswahl auf persönliche Emp-

472 Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 151. 473 Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 275. Lediglich beim Material des Standbilds konnte sich der Eislebener Verein durchsetzen. Die beiden Berliner Gutachter sahen für die Lutherfigur eigentlich weißen Marmor vor, dies wurde jedoch zugunsten von Bronze abgelehnt. Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 294 (Eisleber Tageblatt vom 12.11.1875). 474 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 294. 475 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 278 (Fritz Schaper an Müller am 6.11.1875). 476 Auch Fritz Schapers Bruder wandte sich ans Komitee und empfahl seinen Bruder. Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 288 (Schreiben Pastor Schapers vom 8.11.1875). 477 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 321 (Der Vorsitzende des Berliner Komitees an den Eislebener Verein am 30.12.1875). 478 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 322v (Protokoll der Sitzung des Berliner Komitees vom 13.12.1875). 479 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 321.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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fehlungen oder auf den Geburtsort des Künstlers kein entscheidendes Gewicht“480 gelegt werden dürfe. Daher empfahl das Berliner Komitee eine Ausschreibung, bei der „nur an deutsche Künstler zu denken“481 sei und „Künstler evangelischer Confession“482 zu bevorzugen seien. Diese Berliner Stellungnahme wurde bei der darauffolgenden Komiteesitzung in Eisleben am 10. Januar 1876 „sehr lebhaft“483 diskutiert, doch schließlich beugte man sich dem Vorschlag aus der Hauptstadt und forderte Johannes Schilling, Rudolf Siemering und Fritz Schaper zur Beteiligung an einem Wettbewerb und zur Einsendung von Entwürfen bis zum 10. November desselben Jahres auf. Nachdem der Rietschel-Schüler Johannes Schilling484 zu diesem Zeitpunkt bereits am Niederwalddenkmal arbeitete und daher den Wettbewerb abgelehnt hatte, wurde Karl Keil nachberufen. Rudolf Siemering verwies zwar darauf, dass es durchaus schwierig sei, „nach dem Wormser Denkmal etwas Neues, Würdiges zu erfinden“485, doch sagte er seine Beteiligung ebenfalls zu. Fritz Schaper, der von seiner Bevorzugung durch das Eislebener Komitees wusste, zögerte zunächst mit einer Zusage. Die erste Entscheidung der Eislebener, die „so voller Vertrauen“486 war, hatte ihn „hoch erfreut […] [genauso wie] der Gedanke einen derartigen Auftrag [auszuführen] ohne alle die druckenden und einen künstlerischen Aufschwung so hemmenden Hindernisse“487. Die Entscheidung für einen Wettbewerb hatte ihn nun hingegen enttäuscht, auch wenn er trotzdem einen Entwurf lieferte. Die im November 1876 eingesandten Skizzen und Modelle, die zunächst in Eisleben, dann in Berlin öffentlich ausgestellt wurden, wurden jeweils mit einem Motto versehen, sodass die Namen der Künstler die Abstimmung nicht beeinflussen sollten.488 Doch auch bei der Entscheidungsfindung wird deutlich, wie sehr das Berliner Hilfskomitee seinen Einfluss ausnutzte, um seine Vorstellungen umzusetzen. So wurde zunächst gefordert, dass eine unabhängige Jury und nicht die kunstunverständigen Komiteemitglieder das Urteil fällen sollte. Auffällig ist jedoch im Hinblick auf die Zusammensetzung des Preisgerichts, dass der Bildhauer Friedrich Drake und der Geheime Regierungsrat Schöne bereits vorher als sachverständige 480 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 323r. 481 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 322v. 482 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 322v. 483 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 325. 484 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 329. 485 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 337r (Schreiben von Rudolf Siemering im Januar 1876). 486 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 335. 487 StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 335. 488 Eine detaillierte Beschreibung der drei Modelle findet sich bei Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 156–163. Zur Ausstellung der Modelle in Eisleben vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 372–373.

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Berater des Berliner Vereins herangezogen worden waren und diesem somit nahe standen.489 Auch wenn dieses Vorgehen bei den Eislebener Bürgern auf Kritik stieß und diese zusätzlich inzwischen erfahren hatten, welcher der drei Entwürfe von Fritz Schaper eingereicht worden war, stimmte der Eislebener Denkmalverein dem vom Berliner Hilfsverein vorgeschlagenen Verfahren zu. So schloss sich das Eislebener Lutherdenkmalkomitee am 9.  August 1877 schließlich dem Votum der Jury und dem Berliner Hilfsverein an. Diese hatten das Modell Siemerings aufgrund seiner außergewöhnlichen Auffassung des Reformators dem in Gestalt und Sockel dem Wormser Luthermonument nachempfundenen Entwurfs Schapers vorgezogen. Ihre Zusage an den Künstler verbanden die Eislebener jedoch noch mit unabdingbaren Veränderungswünschen, die insbesondere darauf abzielten, Luther für die Denkmalbetrachtenden erkennbarer zu machen und einen stärkeren lokalen Bezug zu Eisleben herzustellen. Es wurde erwartet, dass Siemering diese umsetzen würde. Doch auch Siemering gelang es, so auf das Eislebener Denkmalkomitee Einfluss zu nehmen, dass er weitestgehend seine eigenen Vorstellungen umsetzen konnte und die Abänderungswünsche der Eislebener unberücksichtigt ließ.490 Die Unentschiedenheit und die fehlende, beziehungsweise zu späte Artikulation seiner Vorstellungen zur Gestaltung wirkten sich hinderlich für das Eislebener Denkmalkomitee aus, sodass seine eigenen Wünsche im Hinblick auf die Ausgestaltung des Lutherdenkmals nur zu einem sehr geringen Teil umgesetzt wurden. 3.3.3.4 Rudolf Siemerings Luther mit Bibel, Barett und Bannandrohungsbulle Rudolf Siemering hatte seinen Entwurf „mit dem Motto Protestant“491 ausgearbeitet und bei der Darstellung des Reformators versucht, sich von den bisher errichteten Lutherdenkmälern abzuheben.492 Das protestantische Motiv Siemerings war in seiner Lutherstatue klar erkennbar. Neben dem Predigergewand trägt der Eislebener Luther nach dem Denkmal in Kegel ein weiteres Mal ein Barett. Das Charakteristische der Lutherstatue Siemerings sind die beiden Gegenstände in

489 Prof. Drake und Dr. Schöne waren bei der Berliner Sitzung am 30.12.1875 anwesend, als die Verantwortlichen sich für die Ausschreibung eines Wettbewerbs und gegen die sofortige Beauftragung Schapers aussprachen. Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 64, Bl. 321. 490 Vgl. Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 163–167. 491 Kranich: Bekenner, 226. 492 Für weitere zum Teil zeitgenössische Denkmalbeschreibungen vgl. Lorenz, Felix: Art. Aus der Mappe der Kunstkritik, in: Die Kunstwelt. Deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst 3 (1914) 18, 595–598; vgl. Kranich: Bekenner, 226–227; vgl. Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 158–159; vgl. Daun, Berthold: Siemering (Künstler-Monographien 80), Bielefeld / Leipzig 1906, 45–47; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 167–168.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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seinen Händen. So hält Luther im linken Arm die Bibel, die er an sein Herz drückt, wodurch verdeutlicht wird, wie wichtig ihm diese ist und dass er sich von ihr nicht lösen kann und möchte. In der rechten Hand hingegen hält er eine verknüllte Schriftrolle, die ein Siegel aufweist. Diese lässt sich als die päpstliche Bannandrohungsbulle von 1520 identifizieren, die Luther öffentlich am Elstertor in Wittenberg verbrannt hatte.493 Durch die Haltung der Bannandrohungsbulle entsteht der Eindruck, als würde Luther die Bulle gleich wegschleudern. Dass Luther zu diesem Zeitpunkt noch als Mönch aufgetreten war und somit die Darstellung des Reformators im Talar auch hier, wie bereits beim Wormser Denkmal, unhistorisch war, wurde nicht diskutiert. Zusätzlich zeichnet sich die Eislebener Statue dadurch aus, dass sie aufgrund des energischen Gesichtsausdrucks, des in die Ferne gerichteten Blicks und des weit vorangestellten rechten Fußes, dessen Spitze sogar über den Sockel ragt, Entschlossenheit und Kampfgeist ausdrückt. Durch die Kleidung, die Schriftstücke in seinen Händen und die Körperhaltung entsteht das Bild eines Luthers, der dasteht mit „mächtiger Energie […], mutvoll entschlossen, [und] nicht einen Fingerbreit“494 zurückweichend. Dadurch wirke die Lutherfigur als wäre sie „ein in der Bewegung gestopptes ‚Standbild‘“495 eines kämpferischen Reformators mit antikatholischer Aussage. Diese Lutherstatue rief nicht nur positive Resonanzen hervor und so wurde insbesondere kritisiert, dass dieser zornige Reformator so nicht in einem Denkmal abgebildet werden sollte. In der Historienmalerei wäre eine derartige Darstellung möglich, in der Denkmalkunst hingegen inakzeptabel. Zusätzlich wurde bemängelt, dass Luther als solcher in Siemerings Figur nicht wiedererkennbar sei. Der Bildhauer hatte sich nämlich anders als beispielsweise Gottfried Schadow für die Wittenberger und Ernst Rietschel für die Wormser Lutherstatue nicht an den typischen Cranach Porträts des älteren Luthers orientiert. Daher bat das Eislebener Denkmalkomitee den Bildhauer noch bevor der endgültige Vertrag am 11.  April 1878 abgeschlossen wurde, den Lutherkopf „in mehr volksthümlicher historischer Darstellung [auszuführen] […], weil gerade die Bewohner unserer Stadt […] ihren Luther als solchen nur in diesem Fall erkennen würden“496,497. Neben dieser viel diskutierten Lutherstatue zeichnet sich das Eislebener Denkmal durch ein inhaltsreiches Postament aus, welches die antikatholische Aussage noch einmal aufgreift und das protestantische Motto des Bildhauers vertieft. Auf der Vorderseite ist ein Engel zu sehen, der sich der Tradition nach als 493 Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte, 32. 494 Daun: Siemering, 45. 495 Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 159. 496 StadtA Eisleben, DXVI 65 Die Gründung eines Luther Denkmals in Eisleben, Bl. 95. 497 Vgl. Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 161–167.

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Abb. 11: Lutherdenkmal in Eisleben, Rudolf Siemering.

Erzengel Michael identifizieren lässt und auch im Zuge des Kulturkampfs immer wieder im Kampf gegen Rom dargestellt wurde. Auf dem Relief hält er einen Schutzschild in der Hand, auf welchem die Lutherrose abgebildet ist. Diesen Schild benutzt Michael, um den bereits auf dem Boden liegenden Teufel weiter niederzudrücken und zu bezwingen. Der Kampf des Engels gegen den Satan ist stark polemisch. Durch Luther, repräsentiert durch den Schutzschild, mit der Hilfe Gottes im Rücken, repräsentiert durch den Engel, konnte die feindliche katholische Kirche in Gestalt des Teufels bezwungen werden.498 Statt dieses Frontreliefs wünschte der Eislebener Denkmalverein, einen stärkeren Bezug zur Stadt, das heißt eine Anspielung auf Luthers Geburt oder Tod. Dies hätte nicht nur den lokalen Stolz der Eislebener auf dem Denkmal repräsentiert, sondern durch die Aufnahme der Geburt Luthers hätte zudem auch ein Bezug 498 Zur Tradition des Erzengel Michaels (Offb 12,7–9) im 19.  Jahrhundert vgl.  Galle, Maja: Der Erzengel Michael in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, München 2002, 121–125.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Abb. 12: Vier Reliefs am Lutherdenkmal in Eisleben, Rudolf Siemering.

zum Anlass der Denkmalerrichtung, Luthers 400. Geburtstag, hergestellt werden können. Doch diesen Abänderungswunsch verwehrte Siemering den Eislebenern genauso wie eine historisch korrekte Darstellung des Junkers Jörg auf der hier letztgenannten Reliefplatte.499 Auch das zweite Relief an der von vorne gesehen rechten Seite des Sockels ist inhaltlich von der Spannung zwischen Luther und der katholischen Kirche geprägt. Durch die Jahreszahl im oberen Teil des Reliefs wird deutlich, dass es sich um die Leipziger Disputation im Jahr 1519 handelt, bei der es zur Auseinandersetzung zwischen Luther und Johannes Eck kam. Im Hintergrund des Reliefs ist zentral zwischen den beiden Männern ein am Kreuz hängender Jesus zu sehen. Interessant ist, dass Luther nun den historischen Tatsachen entsprechend im Mönchsgewand und mit Tonsur dargestellt wurde. Er hält die Bibel festumklammert an sein Herz gedrückt, wobei die rechte Hand zur Faust geballt ist. Dies erweckt den Eindruck, dass er bestätigend auf die Bibel klopft, um zu verdeutlichen, dass seine Aussagen über Christus mit der Bibel übereinstimmen. Eck hingegen wirkt durch seine Klei-

499 Vgl. Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 166.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

dung klar als Repräsentant der katholischen Kirche, denn er trägt auf dem Kopf ein Pileolus und durch die auffällige Stola ein pompös wirkendes Gewand. Ecks rechte Hand ruht mit gespreizten Fingern auf einer Schriftrolle. Hierbei könnte es sich sowohl um eine Papstbulle, als auch um niedergeschriebene Aussagen der scholastischen Theologen handeln, in jedem Fall aber um Menschenwort. Mit seinem linken Zeigefinger weist Eck auf Christus. Die Darstellung der beiden Opponenten hat somit den Anschein, als sei die von Menschen geschriebene Theologie die Grundlage der Aussagen Ecks, von denen aus er in einem zweiten Schritt erst zu Christus gelangt und auf ihn hinweisen kann. Dadurch wird der Unterschied zwischen Luther, dem Augustinermönch, der sich allein auf das Wort Gottes stützt und dieses verteidigen möchte, und Eck, dem Vertreter der katholischen Kirche, der auf Autorität und Tradition verweist, deutlich. Die beiden anderen Reliefs richten sich nicht gegen die katholische Kirche, sondern beziehen sich auf spezifisch protestantische Aspekte. So ist auf der Rückseite des Postaments Luther im Kreise seiner Familie zu sehen. Seine Frau Katharina von Bora hält fürsorglich ein schlafendes Kind im Arm, während die zwei anderen Söhne singend die Blicke auf ihren Vater richten. Luther spielt auf einer Laute und das älteste Kind hält ein Gesangbuch in der Hand. Das Relief verdeutlicht zum einen Luthers Bedeutung für die Kirchenmusik und zum anderen wird er als idealen Familienvater dargestellt. Es wurde also ein vorbildhaftes Familienbild einer gemeinsam versammelten und musizierenden Familie gezeichnet. Dies entsprach allerdings nur dem Familienleben einer gut situierten bürgerlichen Familie, wohingegen es für die Mehrheit der deutschen Familien, insbesondere der Arbeiterschaft, eine Utopie war. Auf der aus Sicht der Denkmalbetrachtenden linken Seite des Sockels ist Luther schließlich beim Bibelübersetzen abgebildet. Im Hintergrund sind eine hölzerne Tür und eine Sanduhr zu sehen, sodass hier eine Anspielung auf die sogenannte Lutherstube auf der Wartburg gemacht wird. Auffällig ist nun, dass Luther im bürgerlichen Gewand mit Doktorhut gezeigt und somit als Gelehrter dargestellt wird. Dies entspricht allerdings nicht den historischen Tatsachen, da Luther als Junker Jörg auf der Wartburg sicher nicht diese Art von Kleidung getragen hatte. Daher hatten die Eislebener Denkmalorganisatoren einen bärtigen Junker Jörg gefordert, was Siemering jedoch nicht umsetzte.500 Der abgebildete Luther beugt sich mit vertieftem Blick über die Bibel, während er in der rechten Hand einen Federkiel hält. Auch wenn die Darstellung nicht historisch korrekt ist, so hat sie doch eine starke Aussagekraft, denn die Bibelübersetzung war entscheidend für die Vereinheitlichung der deutschen Sprache. Diese wurde besonders vom Bürgertum geschätzt,

500 Vgl. Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 166.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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da sie in der Literatur durch Goethe und Schiller zur vollen Entfaltung kam. So wird auch in diesem Relief eine Brücke zum Bürgertum und der Kultur des 19. Jahrhunderts geschlagen und Luthers Bedeutung für diese Lebensbereiche betont.501 Das Eislebener Standbild war das erste Lutherdenkmal, bei dem im Bildprogramm eine offenkundig antikatholische Botschaft dargestellt wurde. Dadurch wurde eine Identifizierung der katholischen Bevölkerung mit diesem Denkmal nahezu unmöglich und stattdessen wurde eine bewusst protestantische Erinnerung in der Mitte der Stadt Eisleben errichtet. Wie sich dies bereits seit dem zweiten Spendenaufruf gezeigt hatte, spiegelt auch das von Siemering ausgearbeitete Denkmal die Stellung der katholischen Bevölkerung innerhalb des Deutschen Kaiserreichs in den 1870er Jahren wider. Im Zuge der Gründung des kleindeutschen Nationalstaats, der Zurückdrängung des Einflusses der katholischen Kirche durch die Gesetze des Kulturkampfs und der protestantischen Verurteilung der ultramontanistischen Strömungen wurden die an einer großdeutschen Lösung interessierten, an Rom orientierten, die nicht-deutschsprachige Minderheiten unterstützenden Katholiken und Katholikinnen immer mehr zu Reichsfeinden stigmatisiert. Dadurch wurden sie aus dem Prozess der Identitätsbildung des wilhelminischen Kaiserreichs in den 1870er Jahren ausgeschlossen. Diese in der damaligen deutschen Gesellschaft verankerte antikatholische Polemik wurde im Lutherdenkmal, das von Siemering 1876 und somit in der Hochphase des Kulturkampfes entworfen wurde, konserviert. Der unmittelbare Gegenwartsbezug stieß bereits unter Zeitgenossen auf Kritik. So stellte Pfarrer Thun die Frage, warum die Erinnerung an den Kulturkampf verewigt werde, wenn doch eigentlich dieser „je eher je lieber beendet“502 werden sollte. 3.3.3.5 Die Stadt feiert ihren Luther Der Entwurf des kulturkämpferischen Luthers war im Herbst 1876 ausgearbeitet und im Jahr 1882 fertiggestellt worden, sodass das Denkmal zu Luthers 400. Geburtstag am 10. November 1883 eingeweiht werden konnte. Prägte sieben Jahre nach dem Denkmalentwurf und somit auch nach Beendigung des Kulturkampfes die katholische Polemik das Lutherbild bei der Enthüllungsfeier?

501 Das Eislebener Denkmal wurde inklusive Sockel vor 1945 auch in der Marienkirche in Danzig errichtet. Das belegt eine Postkarte, die beim Herder Institut gelistet ist: https://www.herder-institut.de/bildkatalog/iv/100613. Weitere Informationen zum Danziger Denkmal, welches bei Kammer: Reformationsdenkmäler nicht verzeichnet ist, fehlen. 502 Pastor Thun: Art. Noch ein Wort über das Lutherdenkmal, in: Eisleber Tageblatt (13.12.1876) Nr. 292, zitiert nach: Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 161.

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Aus der offiziellen Einladungskarte geht hervor, dass das Lutherjubiläum in Eisleben am 9.  November mit einer Vorfeier beginnen und die Hauptfeier am 10. November durch die Einweihung des Lutherdenkmals und einen daran anschließenden historischen Festzug503 durch die Stadt ihren Höhepunkt erreichen sollte.504 War bei der ersten Lutherdenkmaleinweihung in Wittenberg 1821 die Enthüllung des Standbilds noch in den Ablauf der kirchlichen Feier des Reformationstages eingefügt worden, lässt sich beim Lutherjubiläum 1883 eine weitere Verbürgerlichung der Festkultur feststellen. Es wurden zwar weiterhin verschiedene Gottesdienste in den örtlichen Kirchen gefeiert, im Zentrum stand jedoch die öffentliche Zurschaustellung der Luthererinnerung am Denkmal und durch den Festzug. Neben dem Ablauf der Festtage kann auch im Hinblick auf die Teilnehmenden festgestellt werden, dass das Bürgertum die öffentliche Luthererinnerung dominierte. Von der Abendveranstaltung am 9.  November wurde berichtet, dass sie „durchaus den „Character einer Volksversammlung“505 hatte und „der Eisleber Bürger neben dem Eisleber Bergmann [saß] und Beide […] ihren Landsmann Luther“506 feierten. Zugleich hatten die stadtbürgerlichen Organisatoren allerdings die Möglichkeit zur „sozialen Kontrolle der Teilnehmer“507. Die Plätze auf der Tribüne für die Denkmaleinweihung und für das Festessen am Abend des 10 Novembers konnten nur schriftlich beantragt werden, sodass sich dort vor allem das Bürgertum traf. Hinzu kam, dass sich beim historischen Festzug die lokalen Eliten verkleidet als Adelige oder Ritter selbst zur Schau stellten. Später am Nachmittag gab es noch einen „Aufzug des Eislebener Arbeiter-Vereins, also eine Veranstaltung der nicht sozialdemokratisch orientierten Teile der Arbeiterschaft“508. Daran wird erkennbar, dass die beiden Klassen nicht miteinander, sondern wenn überhaupt eher nebeneinander feierten.509

503 Der historische Festzug stellte die Einholung Luthers in Eisleben durch die Mansfelder Grafen im Jahre 1546 dar und wurde vom Düsseldorfer Historienmaler Wilhelm Beckmann arrangiert. Ein zeitgenössischer Bericht dieses Festzugs findet sich bei Storch: Luther-Jubiläum, 61–68. Für eine Einordnung des Festzugs als Form der bürgerlichen Selbstdarstellung in die Eislebener Feierlichkeiten vgl. Treu, Martin: Lutherfeiern in Eisleben im 19. Jahrhundert, in: Knape, Rosemarie / ders. (Hg.): Preußische Lutherverehrung im Mansfelder Land (Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 8), Leipzig 2002, 41–46. 504 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 161 (Einladung und Programm zur Enthüllungsfeier). 505 Storch: Luther-Jubiläum, 23. 506 Storch: Luther-Jubiläum, 23. 507 Treu: Lutherfeiern, 45. 508 Treu: Lutherfeiern, 45. 509 Vgl. Treu: Lutherfeiern, 41–45.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Das Festkomitee zur Organisation dieser Festtage hatte die Absicht „aus der Bergstadt eine Lutherstadt, auch dem äußeren Ansehen, nach zu schaffen“510. Dementsprechend wurde die Stadt mit Spruchbannern, Zweigen und Fahnen geschmückt, wobei sich hierbei „die deutschen Farben […] mit den Stadtfarben vermähl[t]en“511. Zudem wurde das Lutherdenkmal in blau und weiß und somit in den Farben des Eislebener Wappens eingehüllt. Dieses Nebeneinander von deutschen und städtischen Flaggen verweist wiederum auf das Nebeneinander von gesamtdeutschem Nationalismus und Lokalpatriotismus, was sich auch in den Einweihungsreden und -predigten zeigte. So betonte, der Vorsitzende des Denkmalkomitees und pensionierte Bürgermeister Martins, vor dem Fallen der Hülle die Bedeutung Eislebens als Lutherstadt. Er war der Meinung, „daß nicht nur Wittenberg, die Hauptstätte der reformatorischen Thätigkeit Luthers und Worms, der Schauplatz seines größten Kampfes und Sieges, sondern auch Eisleben, die Stadt seiner Geburt und seines Todes durch ein Lutherdenkmal geschmückt werden müsse“512. Der städtische Stolz der Eislebener prägte auch die weiteren Reden, indem die Bedeutung Eislebens für Luthers Leben hervorgehoben und dieser als „Mansfelder Kind“513 bezeichnet wurde. Oberhofprediger Kögel war sich in seiner Weiherede zudem sicher, dass anlässlich des Lutherjubiläums zwar die Glocken in ganz Deutschland läuten würden, allerdings „nirgends freudevoller, nirgends heimathstolzer, als in dieser Stadt“514. Auch wenn der lokale Bezug zu Eisleben in der Gestaltung des Denkmals fehlte und Luther „in einer historischen Wittenberger Szene“515 dargestellt wurde, wurde doch deutlich, dass den Denkmalinitiatoren und Festrednern das Lutherstandbild als Ausdruck der städtischen Identität wichtig war und man sich nach außen als Lutherstadt präsentieren wollte. Neben lokalpatriotischen Aussagen wurde der Reformator bei der Einweihungsfeier insbesondere auch aufgrund seiner nationalen Bedeutung gewürdigt. Luther wurde als „der größte deutsche Mann aller Zeiten“516 bezeichnet, der sowohl das kirchliche als auch das staatliche Leben erneuert und den Grundstein für das „neu erstandene evangelische deutsche Kaiserthum“517 gelegt hatte. Für den Eislebener Superintendent Wilhelm Rothe war Luther deshalb der „größte […]

510 Storch: Luther-Jubiläum, 12. 511 Storch: Luther-Jubiläum, 13. 512 Storch: Luther-Jubiläum, 52. 513 Storch: Luther-Jubiläum, 33. 514 Storch: Luther-Jubiläum, 54. 515 Kranich: Bekenner, 229. 516 Storch: Luther-Jubiläum, 18. 517 Storch: Luther-Jubiläum, 18.

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Theologe […] nach Paulus und Augustin, und zugleich […] [der] Prophet […] der deutschen Volksseele“518. Für den amtierenden Eislebener Bürgermeister Funk war das Denkmal ein Zeichen dafür, „wieviel alle Staaten Luther [zu] verdanken“519 hätten, da durch ihn der mittelalterliche Staat verschwunden war. Deshalb sollten die führenden Kräfte des deutschen Kaiserreichs dieses „Denkmal schützen [und] mögen sie stets das Gute pflegen […], das das deutsche Volk Luther“520 verdanke. Zur Bekräftigung dessen leitete der Bürgermeister nach der Übergabe des Denkmals an die Stadt „ein dreimaliges kräftiges Hoch auf Se. Majestät“521 ein, in welches die gesamte versammelte Menge auf dem Eislebener Marktplatz einstimmte. Dass der deutsche Kaiser nicht nur von politischen Funktionären der Stadt, sondern auch von Kirchenvertretern, wie beispielsweise in der Predigt des Superintendenten Wilhelm Rothe, der von „der glorreichen Regierung des ersten evangelischen deutschen Kaisers“522 sprach, geehrt wurde, gibt Hinweise auf die Symbiose von Protestantismus und Politik im Kaiserreich. Deutlich wurde dies zudem in der Predigt des Hofpredigers Frommel, der betonte, dass „der Sonnenglanz, an welchem das Denkmal auf dem Niederwald mit der erhobenen Kaiserkrone leuchtete, […] nahe zusammen [hinge] mit den Flammen, in welche Luther die römische Bannbulle geworfen“523 hatte. So wurde hier nicht nur das Eislebener Lutherdenkmal in Beziehung gesetzt mit dem Niederwalddenkmal, sondern auch ein Zusammenhang zwischen der Reichsgründung und der geschichtlichen Bedeutung Luthers hergestellt. Der ursprüngliche Bezugspunkt des Denkmals, der Kulturkampf, wurde in den Reden nicht aufgegriffen. So kann das Lutherdenkmal als „ein Anachronismus im abklingenden Kulturkampf“524 bezeichnet werden, da es aufgrund des langen Zeitraums zwischen der Erstellung des Entwurfs 1876 und der Einweihungsfeier 1883 im Hinblick auf die politische Situation an Aktualität verloren hatte. Trotzdem kann mit Martin Steffens treffend festgehalten werden, dass sich „die Bürger […] ein staatliches Denkmal“525 erbauten. Auch wenn dieses von überwiegend bürgerlichen Kreisen finanziert worden war, „verkörpert[e es] die staatlich-preußische Position im Kulturkampf und im Aufschwung des Deutschen Reiches der Gründerjahre“526.

518 Storch: Luther-Jubiläum, 18. 519 Storch: Luther-Jubiläum, 60. 520 Storch: Luther-Jubiläum, 61. 521 Storch: Luther-Jubiläum, 61. 522 Storch: Luther-Jubiläum, 18. 523 Storch: Luther-Jubiläum, 48. 524 Kranich: Bekenner, 228. 525 Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 172. 526 Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 172.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Neben der lokalen und nationalen Lutherinterpretation wurde auch auf die Aussagekraft des Standbilds direkt Bezug genommen. In der Weiherede von Oberhofprediger Kögel wurde das Lutherdenkmal wie folgt beschrieben: Da steht der Mann. Die eine Hand, welche den Thesenhammer getragen und die Gitter des babylonischen Gefängnisses zerbrochen hat, schleudert die römische Bannbulle ins Feuer – hier ist ein Protestant. Mit der andern Hand hebt er die dem deutschen Volke deutsch und deutlich gemachte Bibel an das Herz – hier ist ein evangelischer Christ. Die eine Hand ist die Hand der Kriegserklärung wider Menschensatzung und Menschensündlein – hier ist ein Anwalt der Gewissensfreiheit. Die andere Hand trägt den Sieg, denn sie führt das Schwert des Geistes – hier ist der Doctor heiliger Schrift.527

Dieses kämpferisch klingende Zitat spiegelt die Grundaussage des Denkmals gut wider, nämlich die Abgrenzung vom Katholizismus und damit einhergehend die Bestimmung, was evangelisch sei und welche Errungenschaften Luther zu verdanken seien. In den offiziellen Einweihungsreden auf dem Eislebener Marktplatz wurde zwar auf antikatholische Töne verzichtet, doch in den verschiedenen Predigten im Zuge der Eislebener Festtage wurde die katholische Kirche kritisiert und somit die Aussage des Lutherdenkmals aufgenommen. So wurde verkündet, dass Luthers Kampf, den er gegen die Papstkirche zu führen hatte, „noch nicht zu Ende“528 sei und durch „Schmähschriften und Lästerungen wider Luther“529 immer wieder neu entfacht wurde. Insbesondere „in der letzten Zeit [hätten] die Feinde Luthers in der römischen Kirche sein hehres Bild in den Schmutz zu ziehen gesucht“530, protestierte beispielsweise ein Pfarrer. Laut dem Prediger hatte vor allem der Jesuit Janssen versucht, zum einen eine „Geschichtsfälschung“531 vorzunehmen und zum anderen „dem evangelischen Volke das Lutherjubiläum zu vergällen“532. Daher waren die protestantischen Redner umso erfreuter darüber, dass „das deutsche Volk, […] [insbesondere] die evangelische Christenheit durch eine Lutherfeier, wie sie die Welt noch nie gesehen [hat], Antwort auf die römische Lutherschmähung gegeben“533 hat. Dieses Lutherjubiläum führe dazu, dass „nun erst wieder recht

527 Storch: Luther-Jubiläum, 54–55. 528 Storch: Luther-Jubiläum, 24. 529 Storch: Luther-Jubiläum, 24. 530 Storch: Luther-Jubiläum, 25. 531 Storch: Luther-Jubiläum, 25. 532 Storch: Luther-Jubiläum, 26. 533 Storch: Luther-Jubiläum, 26.

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klar [wurde] […], wieviel Ursache wir haben, auf Luther stolz zu sein“534. Denn der Reformator wurde längst von „alle[n] protestantischen Fürsten von der Acht des Kaisers frei erklärt“535 und vom päpstlichen Bann hat ihn „die gesamte evangelische Kirche […] losgesprochen“536. So wurden zwar auf politischer Ebene aufgrund der dem Katholizismus gegenüber versöhnenden Politik Bismarcks keine antikatholischen Aussagen getroffen, allerdings hatte sich die konfessionelle Polemik auf den kirchlichen Bereich verschoben. Während bei den Predigten anlässlich der Einweihung des Wormser Lutherdenkmals und des Unionsdenkmals in Kaiserslautern die Einheit des Protestantismus das zentrale Thema gewesen war, so bestimmte nun die Abgrenzung vom Katholizismus die kirchlichen Ansprachen. Damit spiegelten sich hier im Zuge der Einweihungsfeier des Eislebener Denkmals und des Lutherjubiläums die antikatholischen Stimmungen, die sich in den 1880er Jahren durch zahlreiche Konflikte auf Gemeindeebene äußerten, wider.537 Hatten an der Wormser Feier im Jahr 1868 noch zahlreiche protestantische deutsche Fürsten und der damalige preußische König und spätere Kaiser Wilhelm I. teilgenommen, war zum Eislebener Enthüllungsfest „kaum Prominenz“538 gekommen. Das heißt die höchsten politischen Repräsentanten des Deutschen Kaiserreichs fehlten, sodass dem in Eisleben gefeierten Lutherjubiläum anders als dem Wormser Lutherfest keine überregionale Bedeutung zukam.539 Dementsprechend konnten die Eislebener Bürger ihrem eigenen Anspruch, ein nationalbedeutendes Lutherdenkmal zu schaffen, zwar im Hinblick auf die Botschaft des Standbilds, nicht aber hinsichtlich der Wirkungskraft gerecht werden. Diese Spannung zwischen nationaler Aussagekraft und begrenzter, regionaler Bedeutung des Eislebener Lutherdenkmals resultierte zum einen in der Konkurrenz mit anderen nationalen Denkmälern, wie dem nahezu zeitgleich eingeweihten Niederwalddenkmal, zum anderen hatte das Lutherstandbild aufgrund verschiedener Denkmalinitiativen anlässlich des Lutherjubiläums 1883 sein Alleinstellungsmerkmal verloren.

534 Storch: Luther-Jubiläum, 24. 535 Storch: Luther-Jubiläum, 56. 536 Storch: Luther-Jubiläum, 56. 537 Vgl. Abschnitt 2.3.3. 538 Treu: Lutherfeiern, 42. 539 Für einen Überblick der anwesenden Gäste vgl. Storch: Luther-Jubiläum, 50.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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3.3.4 Der friedliche Luther in Leipzig (1883) 3.3.4.1 Luther und Melanchthon als Duo der Reformation 1869, das heißt im selben Jahr, in dem auch die Idee für das Eislebener Denkmal wieder neu belebt wurde, konstituierte sich ein Denkmalkomitee in Leipzig unter Mithilfe des Stadtrats, das die Arbeit eines zum Stillstand gekommenen vorherigen Projekts wieder aufnahm. Bereits im Jahr 1839, dem 300-jährigen Jubiläum der Einführung der Reformation in Leipzig, hatte es einen ersten Aufruf von angesehenen Leipziger Bürgern zur Errichtung eines Denkmals für die „Reformationshelden und ihrer Beschützer“540 gegeben. Nach Meinung der Mitglieder des Komitees, insbesondere des Konsistorialrats Fricke, eignete sich Leipzig perfekt für ein Lutherdenkmal, denn in kaum einer anderen Stadt hatte sich die Reformation „unter so großen Schwierigkeiten und Opfern“541 durchsetzen müssen. Bereits nach der Leipziger Disputation von 1519 waren viele Studenten von Luther begeistert gewesen und waren ihm nach Wittenberg gefolgt, weil sich die Stadt Leipzig bis 1539 der Reformation verschlossen hatte. Schon bald war sich der Denkmalverein einig, dass „nur eine künstlerische Kraft aller ersten Ranges geeignet“542 wäre, das Reformationsdenkmal in Leipzig zu gestalten. Im Frühjahr 1880 konnte Johannes Schilling, ein Schüler Ernst Rietschels, der bereits beim Wormser Reformationsdenkmal mitgearbeitet hatte, für das Leipziger Denkmal gewonnen werden. Hervorzuheben ist, dass Schilling kurz zuvor die Figuren für das ebenfalls 1883 eingeweihte Nationaldenkmal in Niederwald fertiggestellt hatte und nun bereit war, „etwas Neues gegenüber den schon vorhandenen bzw. in Arbeit befindlichen Lutherdenkmälern“543 auszuarbeiten. Als Aufstellungsort wurde der Johannisplatz festgelegt, da dort 1523 Sebastian Fröschel, ein Anhänger der Reformation, zwar eine evangelische Predigt halten wollte, aber aufgrund „der noch feindlichen Rathsherren“544 daran gehindert wurde.545

540 Georgi, Otto: Ansprache gehalten bei der Enthüllung des Reformations-Denkmals, in: Reden zur Feier des 400. Geburtsfestes Luthers gehalten bei Enthüllung des Reformations-Denkmals zu Leipzig, Leipzig 21883, 5 541 Fricke, Gustav Adolf: Festrede, in: Reden zur Feier des 400. Geburtsfestes Luthers gehalten bei Enthüllung des Reformations-Denkmals zu Leipzig, Leipzig 31883, 8. 542 Mai, Hartmut: Melanchthonrezeption in Leipzig im 19. Jahrhundert, in: Wartenberg, Günther (Hg.): Philipp Melanchthon und Leipzig. Beiträge und Katalog zur Ausstellung, Leipzig 1997, 104. 543 Mai: Melanchthonrezeption, 105. 544 Fricke: Festrede, 8. 545 Vgl.  Kranich: Bekenner, 231; vgl.  Mai: Melanchthonrezeption, 103–109. Zur Entstehungsgeschichte und Beschreibung des Denkmals vgl.  zudem Zehm, Ursula: Die Geschichte des Doppelstandbildes im deutschsprachigen Raum bis zum 1. Weltkrieg mit beschreibendem Katalog, Weimar 1995, 61–68.

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In der Tat besaß das Leipziger Denkmal ein Alleinstellungsmerkmal, da es das einzige Luther- beziehungsweise Reformationsdenkmal war, welches als Doppelstandbild konzipiert wurde und bei dem eng aufeinander bezogen Luther mit Melanchthon dargestellt wurde.546 Auf einem drei Meter hohen Sockel sitzt der Talar tragende Luther auf einem Stuhl mit der aufgeschlagenen Bibel auf dem Schoß.547 Während er diese mit der linken Hand festhält, markiert er mit den Fingern der rechten Hand bereits ein paar folgende Seiten, sodass der Eindruck entsteht, er würde „über eine schwierige Stelle nachsinnen“548. Luthers Blick ist nachdenklich in die Ferne gerichtet, wobei im Gegensatz zum Eislebener Denkmal weichere, weniger ernste und kämpferische Gesichtszüge erkennbar sind. Dadurch und durch die sitzende Position strahlt Luther Ruhe aus und wirkt wie ein Reformator, „welcher überall schon die Hauptschlacht geschlagen“549 hat.

Abb. 13: Lutherdenkmal in Leipzig,   Johannes Schilling.

546 Das Leipziger Reformationsdenkmal wurde 1943 abtransportiert und eingeschmolzen. 547 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 162. 548 Merz, Heinrich: Art. Chronik, in: CKBK 25 (1883) 12, 192. 549 Fricke: Festrede, 10.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Auch wenn Luther sitzt, so bleibt er doch im Zentrum des Denkmals, da der links neben ihm stehende Melanchthon, sich zu Luther beugt, „die Lehne seines Stuhles erfaßt“550 und sich ihm ganz zu wendet. Es hat den Anschein, dass Melanchthon Luther etwas mitteilt, was sich auf das in seiner linken Hand gehaltene Buch beziehen könnte. Hierbei ist anzunehmen, dass es sich um die von Melanchthon ausgearbeitete Confessio Augustana handelt. Das Denkmal bildet ein Zusammenarbeiten Luthers und Melanchthons ab und verfolgt die Absicht, in Melanchthon den „Freund und Helfer Luthers im Studium der Schrift und in der Formulierung der Lehre“551 darzustellen. Gleichzeitig wird durch die Darstellung der beiden Reformatoren und ihrer Körpersprache deutlich gemacht, dass Luther die höhere Autoritätsperson ist. Besonders auffällig an der Komposition der beiden Reformatorenfiguren ist, dass diese einem bereits 1847 von Gustav König veröffentlichten Stahlstich ähneln, der Luther und Melanchthon bei der Bibelübersetzung zeigt.552 Neben Ernst Rietschel beim Wormser Monument griff nun auch Johannes Schilling auf Königs Arbeiten zurück, was veranschaulicht, dass den Bildhauern nicht nur historische Gemälde aus dem 16. Jahrhundert, sondern auch zeitgenössische Kunstwerke als Vorlage und Ideenquelle dienten. Im Zuge des Denkmals konnten eigene Schwerpunkte bei der Ausarbeitung der Figuren gesetzt werden. Leipzig war eine Hochburg des konfessionellen Luthertums, daher lassen sich im Denkmal auch Anklänge an diesen Kontext finden, indem eben Luther nicht allein dargestellt wurde, sondern mit ihm einer der wichtigsten Theologen des 16. Jahrhunderts. Zudem durften neben dem Bibelbezug die lutherischen Bekenntnisschriften, repräsentiert durch die CA, die einen hohen Stellenwert für das Neuluthertum hatten, am Denkmal nicht fehlen. Indem auch der Festredner bei der Enthüllungsfeier, Professor Gustav Adolf Fricke, dem konfessionellen Luthertum zuzuordnen ist, wird die Deutung, dass in der Denkmalgestaltung Hinweise auf das Neuluthertum zu finden sind, verstärkt. Neben den beiden Statuen war auch der Sockel auf individuelle Art und Weise ausgestaltet. Die vier Reliefs waren durch ein Eichenlaubband miteinander verbunden und wurden zusätzlich ergänzt durch Schilder mit Schriftbändern, die „sich auf die bedeutendsten Gedenktage der Reformation“553 bezogen. Besonders das Relief auf der Vorderseite des Sockels stellte einen starken lokalen Bezug zu Leipzig her, denn es wurde an die Einführung der Reformation in Leipzig 1539 erinnert. So wurden „Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Heinrich

550 Merz: Chronik, 192. 551 Mai: Melanchthonrezeption, 105. 552 Vgl. König: Luther, 175–179; vgl. Kammer: Melanchthondenkmäler, 40–42. 553 Mai: Melanchthonrezeption, 105.

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als deren Beschützer“554 zusammen mit dem ersten lutherischen Pfarrer, Johann Pfeffinger abgebildet und noch durch weitere Personen, die jeweils bürgerliche Kleidung trugen und vor einem Kircheneingang standen, ergänzt. Auf den anderen drei Reliefs hingegen wurden Szenen innerhalb der Kirche abgebildet und es waren neben Männern in Rüstung und bürgerlichen Gewändern auch Frauen und Kinder dargestellt. Auf der Nordseite wurde die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt an die Gemeinde gezeigt. Das dritte Relief an der Südseite des Sockels verwies ebenfalls auf das Gemeindeleben und stellte drei verschiedene Szenen dar: links die singende Gemeinde, in der Mitte die Taufe und rechts die Konfirmation. Auf dem letzten Relief wurde die Trauung abgebildet, indem vor dem Pfarrer ein Brautpaar kniete. In der Mitte dieser Abbildung ist ein von der Kanzel predigender Pfarrer zu sehen, dem die Gemeinde gebannt zuhört. Abgerundet wird das Bild schließlich durch einen Wohnraum, in dem der Familienvater aus einem Buch, wahrscheinlich dem Katechismus oder der Bibel, seiner Frau und seinen Kindern vorliest. Die Unterweisung der Familie bei der Hausandacht stellte nach Luther das Ideal dar.555

Abb. 14: Relief Kirchengesang, Taufe und Konfirmation, Johannes Schilling.

554 Mai: Melanchthonrezeption, 108. 555 Für die Beschreibung der Reliefs vgl. auch Fricke: Festrede, 12–13.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Die beschriebenen Reliefs gaben alle zentralen Aspekte des lutherischen Gemeindelebens wieder und entsprachen somit dem Ideal des Neuluthertums. Dadurch wird die vorherige These, dass das konfessionelle Luthertum die Umsetzung des Leipziger Denkmals beeinflusste, gestützt. Zugleich wurde dadurch den Denkmalbetrachtenden, den Männern, Frauen und Kindern, gezeigt, wie ein christliches, besser gesagt lutherisches Gemeinde- und Familienleben zu verwirklichen sei. 3.3.4.2 Die Leipziger Feierlichkeiten am 10. November 1883 Zum Höhepunkt der Lutherfeier in Leipzig, der Enthüllung des Reformationsdenkmals, hielten der Oberbürgermeister Georgi und der Konsistorialrat Professor Fricke die Reden. Bei beiden fällt auf, dass sie das Reformationsdenkmal von Leipzig mit dem Niederwald-Nationaldenkmal in Verbindung brachten, da beide nicht nur 1883 eingeweiht, sondern auch vom selben Künstler, Johannes Schilling, entworfen worden waren. Jenes nationale Denkmal, […] ist ein Denkmal des Friedens, nicht nur des Friedens, der dem äußeren Feind auferlegt worden ist, sondern mehr noch des Friedens in unserem Volke, der sich aus tiefer und langer Zerklüftung wieder zur Eintracht in nationaler Gesinnung und That durchgerungen hat. Diesen Frieden soll der heutige Tag, sollen die Denkmäler für Luther und die Reformation nicht stören, namentlich auch in unserer Stadt nicht stören, die glücklicher Weise eine Stadt des kirchlichen Friedens wie nationaler Gesinnung ist.556

Aus der Rede des Oberbürgermeisters wurde die Freude über die Reichsgründung von 1871, an die im Niederwalddenkmal erinnert wurde, deutlich. Zugleich sollte das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit nicht durch konfessionelle oder innerprotestantische Spannungen gestört werden. Daher waren die Lutherdenkmäler, laut Georgi, nicht als Erinnerungszeichen einer bestimmten Konfession zu verstehen, die eine andere ausschloss, sondern weil Deutschland zur nationalen Einheit gelangt war, war es möglich an Luther „mit um so ungetrübterer Freude“557 zu gedenken, da er „ein Deutscher bis zur innersten Faser seines Herzens“558 gewesen war. Luther sei deshalb eine Identifikationsfigur für alle, da er nicht nur auf alle Lebensbereiche positiv eingewirkt hatte, sondern auch das „köstliche Gut unserer gemeinsamen Sprache […] [als] das festeste Band unserer Einheit“559 hervorgebracht hatte. Auch der Konsistorialrat Fricke stellte unter Bezugnahme auf das Niederwalddenkmal Luthers nationale Bedeutung heraus. Es könne kein Zufall sein, dass „wir 556 Georgi: Ansprache, 6. 557 Georgi: Ansprache, 6. 558 Georgi: Ansprache, 6. 559 Georgi: Ansprache, 7.

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Niederwalds-Denkmalsfeier und Luther-Jubelfeier in Einem Jahre und hart hinter einander begehen“560, denn „[o]hne die Reformation wäre kein deutsches Reich“561 entstanden. Daher konnten beide Monumente auch „unter dem Mitfeiern des ganzen deutschen Volkes“562 eingeweiht werden. Neben dem nationalen Aspekt bezog sich Professor Fricke in seiner Festansprache vor allem auch auf das Verhältnis der beiden dargestellten Reformatoren. Während sich der Leipziger Oberbürgermeister vor allem auf Luther bezogen hatte, würdigte Fricke insbesondere auch Melanchthon, „der […] [Luther] weit überragte in dem […] Umfange der gründlichsten Gelehrsamkeit“563. Zugleich wäre „Melanchthon, der […] übermäßig besonnene Mann, […] ohne Luther’s Glaubenskraft […] niemals zum Mitreformator“564 geworden. Aber auch Luther hätte ohne Melanchthon „nicht die ganze Macht der Wissenschaft, mit seiner Alles fortreißenden Glaubensfülle […] in die Riesenarbeit einer zu […] erneuernden Welt einführen können“565. Daher stellte Fricke fest: „Beide gehören zusammen. Einer ist ohne den Andern undenkbar. Das ‚Reformationsdenkmal‘ hat Recht, das beide neben einander stellt!“566 Ohne die beiden wäre dementsprechend „keine evangelische Zeit, wäre unsere Zeit nicht da, keine evangelische Kunst und Wissenschaft, […] kein Goethe und Schiller“567. Das heißt aus der Leipziger Enthüllungsfeier ging hervor, dass Luther, Melanchthon und der Reformation nicht nur national-politische Bedeutung beigemessen wurde, indem durch sie die Grundlage für die Entstehung des Deutschen Kaiserreichs gelegt worden war, sondern sie hatten auch entscheidend die deutsche Kultur geprägt.568

3.3.5 Der alldeutsche Luther in Asch (1883) „Von Oesterreichs erstem Luther-Denkmale ist die Hülle gefallen und das Rauschen eines Festes verklungen“569. So bedankte sich das Festkomitee der Lutherfeier in 560 Fricke: Festrede, 13. 561 Fricke: Festrede, 14. 562 Fricke: Festrede, 13. 563 Fricke: Festrede, 10. 564 Fricke: Festrede, 11. 565 Fricke: Festrede, 11. 566 Fricke: Festrede, 11. 567 Fricke: Festrede, 12. 568 Das Leipziger Doppelstandbild wurde 1943 aufgrund des Materialbedarfs für den Krieg eingeschmolzen. Seit 2005 gab es eine Initiative das Leipziger Denkmal wiederherzustellen. Vgl. Dithmar, Reinhard: Lutherdenkmäler, Weimar 2014, 96–97; vgl. Abschnitt 5. 569 Fest- & Denkmal-Comité: Art. Anzeige, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 91, 4.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Asch bei allen unterstützenden Personen, die ermöglicht hatten, das Lutherdenkmal in Asch zu errichten. Die kleine böhmische Stadt570 liegt unmittelbar an der Grenze zu Bayern und Sachsen und gehörte aufgrund der kleindeutschen Reichsgründung nicht zum Deutschen Kaiserreich, sondern zur mehrheitlich katholischen Habsburger Monarchie Österreich-Ungarn. 3.3.5.1 Luther mit der Hand auf dem Herzen Es ist überliefert, dass „unter den sächsischen Rittern, die Friedrich den Weisen zum Wormser Reichstag“571 begleitet hatten ein Ascher Bürger namens Zedtwitz gewesen war, der sich später für die Berufung des ersten evangelischen Pfarrers nach Asch stark gemacht hatte. So konnte die evangelische Bevölkerung Aschs auf eine lange protestantische Tradition zurückblicken, weshalb in ihrem Ort das Lutherjubiläum 1883 auch für ihre Vorfahren, die „ihr Herzblut gelassen haben für den Protestantismus“572, gefeiert und ihnen gedacht werden sollte. Am 28.  Januar 1883 wurde bei einer Versammlung von Ascher Bürgern der Vorschlag gemacht, das anstehende Lutherjubiläum mit der Errichtung einer Lutherstatue „besonders denkwürdig zu feiern“573. Dieser Jubeltag könne laut einem Anwesenden „nicht würdiger und erhebender […] [begangen werden], als wenn […] die Kosten zur Errichtung eines Luther-Denkmals“574 aufgebracht werden würden. Noch am selben Abend wurden bereits 150 Gulden gesammelt. Nachdem eine Woche später ein Vereinskomitee gewählt und die Unterstützung der Kirchengemeinde zugesichert worden war, wurden weitere Sammlungen durchgeführt, sodass bereits einen Monat später die benötigte Summe fast vollständig vorhanden war. Anfang März 1883 wurde die Ausarbeitung der Lutherstatue beim Nürnberger Bildhauer Johann Rößner bestellt und die dortige Erzgießerei Lenz, die bereits das Lutherdenkmal in Möhra bearbeitet hatte, beauftragt.575 Zeitgleich wurde als Auf570 Der heutige, tschechische Name der Stadt Asch lautet Aš. 571 Tins, Benno: Die eigenwillige Historie des Ascher Ländchens, München 1977, 163. 572 Redaktion der „Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgebung“ (Hg.): Festschrift zur Enthüllung des Luther-Denkmals und der 400jährigen Geburtstagsfeier Dr. Martin Luther’s am 10. und 11. November 1883 in Asch, Asch 1883, 20. 573 Tins: Historie, 186. 574 N. N.: Art. Local- und Provinz-Nachrichten. Lutherdenkmal in Asch, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 9, 3. 575 Zuvor hatte man sich über bereits bestehende beziehungsweise sich in Planung befindende Lutherdenkmäler informiert und eine Kopie in Betracht gezogen. Anfragen zum Lutherstandbild in Wittenberg, Möhra, Leipzig und Eisleben sind belegt. Vgl. hierzu Fendl, Elisabeth: Das Lutherdenkmal in Asch als Erinnerungsort, in: Zemanová, Marcela, Zeman, Václav (Hg.): Reformace v německojazyčných oblastech českých zemí (1517–1945): Reformation in the German speaking areas within the Czech Lands (1517–1945), Ústí nad Labem 2019, 174–175.

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stellungsort des Lutherdenkmals der Platz vor der evangelischen Kirche festgelegt und das Presbyterium erklärte sich einstimmig bereit, die Kosten für das Fundament zu übernehmen.576 Im Gegensatz zu den vorherigen Denkmälern fällt hier die kurze Finanzierungs- und Planungsdauer auf, da zwischen erster Initiative und Einweihung lediglich ein Dreivierteljahr lag. Dies weist darauf hin, dass zum einen eine ausreichende Anzahl von Personen in Asch das Projekt unterstützte. Zum anderen wollte das Komitee das Denkmal unbedingt zum Luthergeburtstag einweihen, weshalb es schnelle Entscheidungen, beispielsweise bei der Künstlerwahl, traf. Aber auch die Ausgestaltung des Denkmals mit einem schlichten Sockel ermöglichte die schnelle Umsetzung der Denkmalpläne. Auch wenn die Lutherstatue Johann Rößners durch den Talar und die Bibel an vorherige Denkmäler anknüpft, handelt es sich doch um eine individuelle Lutherdarstellung. Der Reformator hält diesmal in der linken Hand die aufgeschlagene Bibel in seine Richtung, sodass er daraus vorlesen könnte. Die rechte Hand hat Luther auf sein Herz gelegt, was an Luthers Auftritt vor dem Wormser Reichstag erinnert. Diese durch die rechte Hand ausgedrückte bekennende Pose wurde auch in der Historienmalerei für die Darstellung des Reformators in Worms genutzt.577 Unterstützt wird der Bezug zum Auftreten Luthers vor dem Kaiser 1521 durch einen vorangestellten Fuß und den leicht nach oben gerichteten Blick. Durch die Gestik und Mimik, die kaum Cranach-Porträts ähnelt, strahlt diese Lutherfigur Entschlossenheit und Standfestigkeit aus. In einer zeitgenössischen Denkmalbeschreibung wird insbesondere die Mimik des Reformators gelobt, da diesem Gesicht „die, die meisten Lutherbilder entstellende, Beleibtheit fehlt [und dadurch] die erhabene Gottesbegeisterung Luthers in hinreißender Weise“578 wiedergegeben werde. Unter der Statue ist auf dem einfach gehaltenen Granitsockel lediglich die Inschrift Dr. Martin Luther zu lesen. Dies ist besonders auffällig, da bei den bisher besprochenen Standbildern, die in Lutherstädten errichtet wurden, auf den Namen Luthers am Sockel verzichtet worden war, da dieser auch ohne die Namensinschrift

576 Vgl.  N. N.: Art. Local- und Provinz-Nachrichten. Lutherdenkmal, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 16, 2; vgl.  Fest- & Denkmal-Comité: Art. Verzeichnis der für das Luther-Denkmal eingelaufenen Beiträge, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 28, 6; vgl.  N. N.: Art. Protocoll, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 27, 3; vgl. N. N.: Art. Protocoll, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 30, 4; vgl. Merz, Heinrich: Art. Chronik. Luther-Denkmäler, in: CKBK 25 (1883) 9, 144. 577 Vgl. beispielsweise Anton von Werners Darstellung Luther vor dem Reichstag zu Worms aus dem Jahr 1877. Vgl. Lorentzen: 19. Jahrhundert, 152–156. 578 N. N.: Art. Die Enthüllungsfeier des Lutherdenkmals in Asch am 10. und 11. November 1883, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 91, 6.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Abb. 15: Lutherdenkmal in Asch, Johann Rößner.

leicht erkannt würde. In Asch wurde nun der Name des Reformators angebracht, was die einzige Zierde des Sockels ist, denn weitere Inschriften oder Reliefs fehlen. So wurde am Denkmal kein lokaler Bezug zwischen der Reformation und dem von Einheimischen als „österreichische […] Lutherstadt“579 bezeichneten Asch hergestellt.580 3.3.5.2 Die Enthüllungsfeier als Demonstration der nationalen Zugehörigkeit Die Ascher Feierlichkeiten anlässlich Luthers 400. Geburtstag erstreckten sich über den 10. und 11. November 1883 und wurden in der Gemeinde-Zeitung durch ein Festgedicht von Heinrich Watzmuth aus Brünn eingeleitet. Dieses begann mit der folgenden Strophe, welche bereits auf zentrale Themen der Enthüllungsfeier verweist:

579 N. N.: Art. Luther im Wiener Licht, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 91, 1. 580 Auch wenn in der evangelischen Kirche Aschs der letzte deutsche Gottesdienst 1946 stattgefunden hatte und die Kirche bei einem Brand 1960 vollständig zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde, steht das Lutherdenkmal noch heute neben den Überresten der Kirche. Vgl. Tins: Historie, 176, 186.

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Entsteigʼ Du siegreich Streiter Deiner Gruft, Schwebʼ mächtig brausend, nieder Freiheitsgeist! Ziehʼ wieder kühn gen Rom und klärʼ die Luft! Hauchʼ Leben aus, das zündend aufwärts weist! Schwebʼ erdwärts Luther, einʼ die Deinen allʼ, Einʼ sie zu einem Volk am Erdenball! Stehʼ auf Alldeutschlands großer Sohn, stahlhart, Du Fels der Wahrheit, Geistesfreiheits Wart!581

Luther wurde in diesem Gedicht als Landeskind Alldeutschlands bezeichnet, ohne jedoch genauer zu bestimmen, was unter Alldeutschland verstanden wurde. Zusätzlich wurde in ihn die Hoffnung gesetzt, dass er das Volk vereinigen würde. In einer weiteren Strophe wurde Luthers Bibelübersetzung gewürdigt, durch die er die Muttersprache neu erschaffen hatte. So kann davon ausgegangen werden, dass Alldeutschland alle Deutschsprechenden umfasst und daher nicht auf die Grenzen des Deutschen Kaiserreichs beschränkt war. So bezeichnete sich die Bevölkerung Aschs trotz ihrer Zugehörigkeit zum Vielvölkerstaat Österreich-Ungarns als deutsch, was sich auch bei der Enthüllungsfeier zeigte. Es wurde explizit betont, dass auch Katholiken und Katholikinnen freudig am Fest teilnahmen und die „Bevölkerung beider Konfessionen [wurde] für ihre musterhafte Haltung“582 gelobt. Zugleich wurde der Beteiligung der katholischen Mitbürger noch einmal besonders gedankt, da diese erkannt hatten, dass die Lutherfeier kein Fest gewesen war, „welches tendentiös [sic!] gegen ihren Glauben gerichtet“583 war. Es war vielmehr „eine Feier, die Jedem, der deutsch fühlt und denkt, der Sinn für die erhabene Schönheit deutscher Sprache, deutscher Sitte hat, das Herz höher schlagen [hat] lassen“584. So stand die religiöse oder kirchliche Bedeutung Luthers nicht im Zentrum der Ascher Feierlichkeiten, sondern stattdessen das Deutschtum. Dies ermöglichte, dass die katholische Bevölkerung Aschs sich den Lutherfeierlichkeiten angeschlossen und auch sie ihre Häuser geschmückt hatte. So würdigte der Berichterstatter, dass kein Gebäude „ohne Festglanz [war] und […] nochmals unseren katholischen Mitbürgern vollste Achtung dafür ausgesprochen“585 werden müsse.586

581 Watzmuth, Heinrich: Art. Zur vierhundertjährigen Geburtstagsfeier Dr. Martin Luther’s, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 90, 1. 582 Redaktion: Festschrift, 18. 583 Redaktion: Festschrift, 19. 584 Redaktion: Festschrift, 19. 585 N. N.: Enthüllungsfeier des Lutherdenkmals in Asch, 5. 586 Die Feierlichkeiten des Lutherjubiläums wurden zusätzlich zu den Höhenfeuern und den geschmückten Häusern noch ergänzt durch einen Festzug, bei dem zahlreiche örtliche Vereine teil-

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Die besondere Würdigung Luthers als „Manne des deutschen Volkes“587 zeigte sich dadurch, dass „noch kein Mann eine größere Wirkung auf die deutsche Nation ausgeübt“588 habe als Luther, der „die deutsche Nation von Roms Tyrannei“589 erlöste, der „mit deutschem Mannesmuth“590 in Worms „vor Kaiser und Reich seine Sache vertheidigte“591, der „dem deutschen Volke […] eine neue deutsche Sprache geschaffen“592 hatte und der „das deutsche Weib wieder auf die ihm gebührende sittliche hohe Stufe gestellt“593 hatte.594 Daher weise der eherne Luther durch seine Haltung und Gestik auf den Wormser Reichstag hin, wo er vor dem Kaiser seiner „Aufgabe vollbewußt, […] die Hand, wie deckend auf das treue, gewissenhafte, deutsche, fromme Herz“595 gedrückt und sich allein zur Bibel bekannt hatte. Deshalb sollte nach Meinung des Superintendenten Karl Alberti „[j]eder Blick auf Dein Bild […] zu einem stillen Gelübde“596 verleiten und die Ascher Bevölkerung dazu auffordern, die Errungenschaften Luthers stets in Erinnerung zu behalten. Zudem rufe das Standbild zum Bekenntnis auf, auch im katholischen Österreich „Söhne der Reformation“597 zu bleiben. Als ein solches Bekenntniszeichen der Ascher Bürgerinnen und Bürger sollten die am Abend entzündeten Höhenfeuer verstanden werden. Diese waren „weit hinaus ins böhmische, ins bayerische und sächsische Land“598 sichtbar und veranschaulichten, dass „im Thale der kerndeutsche Protestantismus seine Heimstätte“599 hatte. Mit dieser Betonung des Deutschtums ging zugleich die Intention der Abgrenzung einher, denn durch die Errichtung eines Lutherdenkmals und die große Lutherfeier hob sich die Ascher Bevölkerung von anderen Teilen Böhmens ab. Es hatte sich seit 1848 ein säkularer Kult um Jan Hus als Teil der tschechischen

nahmen. Vgl. N. N.: Art. Lokal- und Provinz-Nachrichten. Zur Lutherfeier, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 90, 2–3. 587 Redaktion: Festschrift, 18. 588 Redaktion: Festschrift, 21. 589 Redaktion: Festschrift, 21. 590 Redaktion: Festschrift, 21. 591 Redaktion: Festschrift, 21. 592 Redaktion: Festschrift, 21. 593 Redaktion: Festschrift, 21. 594 Auch in den anlässlich der Einweihung eingesandten Grußschreiben kam die deutsch-nationale Deutung Luthers zum Ausdruck. Vgl. Fendl: Lutherdenkmal, 175–176. 595 Redaktion: Festschrift, 23. 596 Redaktion: Festschrift, 23. 597 Redaktion: Festschrift, 23. 598 Redaktion: Festschrift, 19. 599 Redaktion: Festschrift, 19.

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Nationalbewegung etabliert. Indem in Asch nun an Luther erinnert wurde, wurde offensichtlich, dass man sich nicht zu einer noch in weiter Ferne stehenden tschechischen, sondern zur deutschen Nation zugehörig fühlte.600 Zugleich wurde auf die Zugehörigkeit zum österreichischen Kaiserreich trotz der durch Sprache und Konfession deutschgeprägten Identität aufmerksam gemacht. Die politische Zugehörigkeit zur österreichischen Monarchie wurde dadurch deutlich, dass zum einen das Ascher Lutherstandbild stolz als das erste Lutherdenkmal Österreichs bezeichnet wurde und zum anderen, dass der erste Trinkspruch beim an die Enthüllung anschließenden Festessen dem österreichischen Kaiser Franz Joseph I. gewidmet war. Ebenfalls ist wichtig, festzuhalten, dass die Betonung der deutschen Identität der Ascher Bevölkerung über die evangelische Konfession hinaus, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl bewirkte, was auch in den nachfolgenden Jahren eine wichtige Rolle spielte. Hierbei ist an die sogenannte Los-von-Rom-Bewegung zu denken, die ab den 1890er Jahren in Österreich, vor allem in Böhmen und Mähren, großen Zulauf hatte. Bei dieser Strömung ging es nicht nur um die Abgrenzung vom Katholizismus, sondern sie „war verquickt mit starken Spannungen im österreichisch-ungarischen Staatsgefüge“601. Deutsche Muttersprachler und Muttersprachlerinnen verfolgten das Ziel, dass sich „Deutschösterreich […] an einen Staatenbund Deutsches Reich“602 anschließen sollte, falls die Habsburger Monarchie auseinanderbrechen sollte. Das heißt, die deutsch-nationale Identität spielte eine wichtige Rolle in der Los-von-Rom-Bewegung, die zudem das „Ziel eines ‚evangelischen Alldeutschland[s]‘“603 verfolgte.604 Somit können in der Errichtung und der Enthüllungsfeier des Ascher Lutherdenkmals die ersten Vorzeichen dieser Bewegung ausgemacht werden, indem die von Luther geprägte deutsche Sprache ein Zusammengehörigkeitsgefühl auslöste und sich zugleich mit der Erinnerung an den Reformator die Hoffnung auf nationale Vereinigung aller deutschsprechenden Personen verband. Durch die Betonung der nationalen Bedeutung Luthers konnte

600 Vgl. Schulze Wessel, Martin: „Die tschechische Nation ist tatsächlich die Nation Hussens“. Der tschechische Huskult im Vergleich zum deutschen Lutherkult, in: Laube, Stefan / Fix, Karl-Heinz (Hg.): Lutherinszenierung und Reformationsgedenken (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 2), Leipzig 2002, 199–210. 601 Grote, Heiner: Art. Los-von-Rom-Bewegung, in: TRE 21 (1991), 469. 602 Grote: Los-von-Rom-Bewegung, 469. 603 Conze, Werner: Zum Verhältnis des Luthertums zu den mitteleuropäischen Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert, in: Möller, Bernd (Hg.): Luther in der Neuzeit. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloh 1983, 183. 604 Vgl. Conze: Verhältnis, 182–183, 191.

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die konfessionelle Komponente in den Hintergrund treten und katholische und protestantische Gläubige konnten in einer gemeinsamen Feier zusammen Luther würdigen.605

3.3.6 Der stolz verteidigende Luther in Alt-Schwanenburg (1883) Bereits die Errichtung des Lutherdenkmals im damals zum russischen Kaiserreich gehörenden Kegel gab einen Einblick in die konfessionellen und nationalen Entwicklungen im Baltikum. Auch die Spendenlisten zum Wormser und zum Eislebener Denkmal veranschaulichen, dass aus den lettischen Regionen, dem Kurland und Livland, immer wieder finanzielle Unterstützungen für die Denkmalprojekte eingingen. Dies lässt auf ein starkes Interesse an der Luthererinnerung und eine Verbundenheit mit den deutschen Gebieten schließen. Anlässlich Luthers 400. Geburtstags initiierte Pfarrer Gottlieb von Keußler in der Kleinstadt Alt-Schwanenburg606 ein Lutherdenkmal in seiner Gemeinde, das vor der evangelisch-lutherischen Kirche errichtet wurde. Dabei handelte es sich um eine aus Terrakotta hergestellte Lutherstatue, die vom Berliner Bildhauer Hermann Kokolsky entworfen und von einer Berliner Firma hergestellt wurde. Mit einer Größe von 170 cm war diese Figur kleiner als andere Denkmäler und wurde zudem auf einer einfachen Steinsäule ohne Inschrift aufgestellt.607 Luther im Talar hält die geschlossene Bibel mit der linken Hand, wobei die rechte Hand flach auf dem Buchdeckel liegt und dadurch das Wort Gottes fest an die Brust drückt. Durch die sehr aufrechte Körperhaltung und den ungewöhnlich schlanken Körperbau wirkt die Lutherfigur als würde sie die Bibel stolz verteidigen. Gleichzeitig spiegelt die Statue durch die Körperhaltung und den in die Ferne gerichteten Blick eine gewisse Sehnsucht wider.608 Auch wenn weitere Quellen zu diesem Lutherstandbild fehlen, lässt es sich in die Situation der Deutsch-Balten im Russischen Kaiserreich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts einordnen. Die deutsch-baltische Bevölkerung bildete sowohl in

605 Zur Bedeutung des Ascher Lutherdenkmals als Erinnerungsort seit den 1950er Jahren vgl. Fendl: Lutherdenkmal, 177–188. 606 Der heutige lettische Name der Kleinstadt lautet Gulbene. 607 Kammer: Reformationsdenkmäler, 269, 333. 608 Diese von Hermann Kokolsky ausgearbeitete Lutherstatue wurde insbesondere in den 1890er Jahren häufig reproduziert und an Kirchengebäuden angebracht. Vgl.  Abschnitt  3.4.2.2. Zudem wurde diese Figur 1904 in Frankenberg bei Chemnitz in einer Nische am Eingang der dortigen Bürgerschule errichtet. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 115.

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Abb. 16: Lutherdenkmal in AltSchwanenburg, Hermann Kokolsky.

Estland609 als auch in Lettland die dortige bildungsbürgerliche Oberschicht. Dies bedeutete für die einheimische Bevölkerung, dass ein sozialer Aufstieg mit einer gleichzeitigen Eindeutschung verbunden war.610 Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Verhältnisse für die Deutsch-Balten, denn von nun an hatten sie sowohl gegenüber der lettischen Bevölkerung aufgrund des aufkommenden Nationalbewusstseins als auch gegenüber der russischen Obrigkeit, die „die Ausbreitung des russisch-orthodoxen Glaubens in allen Gebieten des Reichs“611 förderte, ihr Deutschtum zu verteidigen. Dies führte dazu, dass unter den Deutsch-Balten „‚deutsch‘ und ‚lutherisch‘ ebenso als Einheit empfunden wurden, wie ‚russisch‘ und ‚orthodox‘“612.

609 Vgl. Abschnitt 3.2.3. 610 Vgl. Taube, Arved von/ Thomson, Erik / Garleff, Michael: Die Deutschbalten – Schicksal und Erbe einer eigenständigen Gemeinschaft, in: Schlau, Wilfried (Hg.): Die Deutsch-Balten, München 2001, 74. 611 Redlich, May: Die deutschbaltische kirchliche Arbeit. Ursprung und gegenwärtiger Stand, Düsseldorf 1973, 11. 612 Redlich: Arbeit, 12.

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Das Lutherdenkmal im estnischen Kegel hatte 1861 durch die Darstellung des Reformators, die Sockelinschrift und Einweihungsfeier verbindende Wirkung für das deutsch- und estnisch-nationale Bewusstsein gehabt. In den rund 20 Jahren zwischen der Errichtung des Lutherdenkmals in Kegel und in Alt-Schwanenburg hatte sich unter der lettischen Bevölkerung das nationale Streben und die Sehnsucht nach Emanzipation verstärkt.613 Im Lutherstandbild spiegelte sich nun nicht mehr eine gemeinsame und sichtbare Abgrenzung der Deutschen und Letten vom Russischen Kaiserreich wider. Stattdessen konnte dieses vielmehr als Proklamation der deutschen Identität verstanden werden. Das bedeutet, die stolz verteidigende und sehnsüchtig in die Ferne blickende Lutherstatue in Alt-Schwanenburg verwies auf das Selbstverständnis der Deutsch-Balten vor Ort.

3.3.7 Die Rezeption der Wormser Lutherstatue Es wurde bereits darauf verwiesen, dass das Wormser Monument zur Wiederaufnahme der Denkmalpläne in Eisleben und Leipzig beigetragen hatte. Daneben ist wichtig, dass die Wormser Lutherstatue von Ernst Rietschel im Gegensatz zum Wittenberger Denkmal kopiert, leicht abgeändert und somit häufig rezipiert wurde. Um die Wirkungsgeschichte der Wormser Lutherstatue anlässlich des 400. Geburtstags des Reformators nachzuzeichnen, soll ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, wo und wie diese übernommen wurde. 3.3.7.1 Der kopierte Wormser Luther aus Stein Zunächst gilt festzuhalten, dass neben der Wormser Statue auch Rietschels Lutherbüste, die 1847 in der Regensburger Walhalla aufgestellt wurde, häufig reproduziert wurde. So wurde beispielsweise 1883 eine Replik des Lutherkopfes in der Coburger Moritzkirche, in der Luther 1530 gepredigt hatte, aufgestellt. Außerdem wurde ein Abguss vor dem Dom im sächsischen Freiberg platziert. Des Weiteren findet sich Rietschels Lutherbüste in Grimma und Oederan jeweils in unmittelbarer Nähe zur Kirche und in einer Grünanlage in Uelzen.614 Die verhältnismäßig kostengünstige Büste bot für Gemeinden eine einfache Lösung, anlässlich Luthers 400. Geburtstag ein Erinnerungszeichen in ihren Orten zu schaffen, sodass sich die Forderung des Plauener Oberbürgermeisters, Büsten des Reformators zu errichten, durchaus erfüllt hatte.615

613 Vgl. Conze: Verhältnis, 188–190. 614 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 90, 116, 126, 201–202, 236. 615 Vgl. Abschnitt 3.3.1.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Dresdner Unternehmer bewarben im Sommer 1883 die Gipsabformung der drei Meter hohen Wormser Lutherstatue. Diese sei leicht möglich, würde 650 Mark kosten und eigne „sich nun ganz besonders zur Aufstellung auf öffentlichen Plätzen zur bevorstehenden Lutherfeier“616. Zudem wurde bekanntgegeben, dass sie im Besitz des alleinigen Vervielfältigungsrechts“617 seien, eine Statue aus Gips bereits bestellt worden und eine Ausführung in Bronze für Washington in Arbeit sei. Zusätzlich habe man eine Lutherbüste Rietschels im Angebot, die als Gipsexemplar 30 Mark kosten würde. Dieses an das Komitee der Lutherfeier in Eisenach adressierte Schreiben veranschaulicht, dass die Wormser Lutherfigur 1883 explizit beworben wurde und hier eine Erklärung für die häufige Wiederholung zu finden ist. Nachdem es anlässlich des Lutherjubiläums 1883 im gesamten Deutschen Kaiserreich lokale Feiern gegeben hatte, war eine Kopie der Lutherstaute oder Büste eine gute Möglichkeit, gerade in Städten, die mit dem Leben und Wirken des Reformators nicht in direkter Beziehung standen, einen Ort der Erinnerung zu schaffen. Auch wenn ein Denkmal aus Gips billig in der Anschaffung war, konnte es der Witterung dauerhaft nicht standhalten und war somit als ein bleibendes öffentliches Standbild ungeeignet. Die Herstellung eines Bronzedenkmals war allerdings aufgrund der hohen Materialkosten sehr teuer. Daher bot sich als dritte Möglichkeit eine Umsetzung aus Sandstein an. So wurde neben den Bronzeabgüssen für Washington und Dresden die Wormser Lutherfigur auch von Bildhauern in Sandstein originalgetreu nachgearbeitet. Dies gilt für die Lutherdenkmäler in der sächsischen Bergstadt Annaberg und dem südlich von Hannover gelegenen Elze. Diese beiden auf Postamenten errichteten Lutherstatuen wurden von der jeweiligen Bevölkerung des Ortes finanziert und in unmittelbarer Nähe zur Kirche aufgestellt. Auf den jeweiligen Vorderseiten der Sockel findet sich die Inschrift Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen, also die angeblichen Worte Luthers vor dem Reichstag in Worms. Somit wurde nicht nur durch die Nachbildung der Rietschel-Statue, sondern auch durch die Inschrift ein direkter Bezug zu Worms hergestellt. Beim Annaberger Denkmal findet sich neben einem Bibelvers, Ps 119,46, eine Zeile aus dem Lutherlied Ein feste Burg und eine weitere Inschrift, die eine Verbindung zu den Bewohnern Annabergs herstellt. Luther wird als Bergmannssohn bezeichnet und das Denkmal wurde „errichtet aus freiwilligen Beiträgen der

616 StadtA Eisenach, 10 10 Städtische Akten bis 1885, Nr. 1775 Akten die Lutherfeier betreffend, o. N. (Dresdner Unternehmer an das Komitee für die Eisenacher Lutherfeier am 12.07.1883). 617 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (12.07.1883).

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Bergstadt“618. So soll durch die Betonung desselben sozialen Hintergrunds Luthers und der Stifter eine Identifizierung ermöglicht werden.619 Von Elze wurde berichtet, dass am 10.  November 1883 der Festzug lediglich zum Denkmalsockel gezogen war, da der zu diesem Zeitpunkt in Elze lebende Bildhauer Ludwig Oehlmann nicht in der Lage gewesen war, die Lutherstatue zum vereinbarten Termin fertigzustellen. So wurde das Lutherdenkmal in Elze, für das das dortige Lutherdenkmalkomitee 1.200 Mark bezahlt hatte, schließlich erst zum Todestag des Reformators, im Februar 1884 eingeweiht. Zusätzlich sei darauf verwiesen, dass eine Nachbildung der Lutherstatue Rietschels aus Gips 1886 im Dom von Helsinki aufgestellt wurde.620 3.3.7.2 Der leicht abgewandelte Luther Neben den genannten originalgetreuen Repliken der Lutherstatue Rietschels wurde diese auch mit leichten Veränderungen kopiert. Der Oldenburger Bildhauer Bernhard Högl entwarf 1876 nach der Rietschel Vorlage eine Lutherfigur, die in einer Nische an der Lambertikirche angebracht wurde. 1883 wurde dann dieselbe Figur freistehend auf einem mit Inschriften versehenen Sockel vor der Kirche auf der ostfriesischen Insel Norderney aufgestellt.621 Die Lutherfigur auf Norderney ist angelehnt an Rietschels Statue, indem sowohl der Kopf, die Fußstellung und die Kleidung übereinstimmen als auch der Faltenwurf des Talars nachgeahmt wurde. Die entscheidenden Unterschiede sind bei der Bibel und den Händen zu finden: Luther hält nun mit der linken Hand die geöffnete Bibel, wobei die aufgeschlagene Seite, wie bei dem Wittenberger Denkmal, zu den Betrachtenden zeigt. Die rechte Hand unterscheidet sich von der Faust des Wormser Denkmals, indem der rechte Zeigefinger auf die offene Bibel weist. Dadurch wurde vom Künstler des Oldenburger beziehungsweise Norderneyer Denkmals ein individueller Akzent gesetzt. Die Lutherfigur wirkt nun weniger kämpferisch als in Worms und stattdessen erscheint der Reformator als Verkündiger und Lehrer des Wortes Gottes. Dieses Lutherbild wird durch die Inschriften auf dem Sockel nochmals verstärkt. Auf der Vorder- und Rückseite des Postaments wurden jeweils Bibelverse angebracht: So werden Röm 3,28, die zentrale Stelle für Luthers Rechtfertigungslehre, und 1. Petrus 1,25, worin die ewige Dauer des Wortes Gottes betont wird,

618 Kammer: Reformationsdenkmäler, 43. 619 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 43, 110–111. 620 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 264. 621 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 195, 202. Zusätzlich ähnelt auch das Lutherdenkmal, das 1887 vor der Kirche in Lengefeld im Erzgebirge aufgestellte wurde, der Wormser Statue. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 165.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 17: Lutherdenkmal auf Norderney, Bernhard Högl.

zitiert. Zusätzlich wurde die lutherische Gemeinde Norderney als Spenderin des Standbilds angegeben, sodass sich die Protestanten und Protestantinnen auch auf der ostfriesischen Insel einen zentralen Punkt für die Feierlichkeiten des Lutherjubiläums 1883 geschaffen hatten. 3.3.7.3 Der freiheitsbringende Luther in Washington, D.C. (1883–1884) Der erste bronzene Abguss, der von der Rietschelschen Lutherstatue gemacht wurde, wurde im Mai 1884 in Washington, D.C. aufgestellt. Die Idee zur Errichtung des ersten Lutherstandbilds für die Vereinigten Staaten hatte der New Yorker Charles Adolph Schieren, der spätere Bürgermeister Brooklyns. Schnell wurde dieses Vorhaben unter der Pfarrerschaft populär und am 20.  Februar 1883 ein Spendenaufruf veröffentlicht. Die Spendenbereitschaft unter evangelischen Pfarrern und Gemeindemitgliedern war groß, sodass bereits zwei Monate später die Finanzierung für eine Kopie der Wormser Lutherfigur gesichert war und bei der Kunstgießerei Lauchhammer bestellt werden konnte.622 622 Das Christliche Kunstblatt berichtete in seiner Ausgabe vom 1. August 1883, dass das Washingtoner Komitee-Mitglied G.A. Dobler mit der Lauchhammer Gießerei in Verbindung gesetzt hatte

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Bereits zur Errichtung des Wormser Luthermonuments waren Spenden in Höhe von 1.245 Gulden aus Nordamerika eingegangen, sodass davon auszugehen ist, dass die Statue insbesondere bei den Amerikanern und Amerikanerinnen, die für das Wormser Denkmal gespendet hatten oder sogar bei der Einweihungsfeier 1868 dabei gewesen waren, bekannt war.623 Zudem bedeutete die Errichtung derselben Statue eine Verbundenheit der amerikanischen Lutheraner und Lutheranerinnen mit dem reformationsgeschichtlich bedeutenden Ort Worms. Die im November 1883 erhoffte Errichtung des Denkmals konnte allerdings aufgrund der Lieferzeit und der Diskussionen über den Aufstellungsort nicht eingehalten werden.624 Zunächst hatte sich die Luther-Statue-Association, deren Vorsitz John Gottlieb Morris625 übernommen hatte, darum bemüht das Lutherdenkmal an einem öffentlichen Platz zu errichten. So wurde beabsichtigt, dass die Statue des Reformators neben den zahlreich errichteten Reiterstandbildern der Bürgerkriegsgeneräle und anderer Politiker-Wahrzeichen, wie dem sich seit 1848 in Bau befindenden und Ende 1884 fertiggestellten Washington Monument, einen Platz in der amerikanischen Hauptstadt finden würde. Luther sollte „in the world’s heart for free thought, free men, free Government, whose Magna Charta is the Bible”626 stehen. Doch von Seiten der offiziell Verantwortlichen wurde die Aufstellung des Lutherdenkmals auf einem öffentlichen Platz „aus prinzipiellen Gründen abgelehnt“627. Hartmut Lehmann führt hierzu erklärend die konsequente Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten an und stellt zudem fest, dass ein Denkmal des Reformators nur einen Teil der Bevölkerung repräsentieren würde.628 Dem Denkmalkomitee wurde stattdessen eine Fläche vor der Memorial Evangelical Lutheran Church übertragen. Das Besondere an dieser Kirche ist zum einen die Nähe zum Weißen Haus und Kongress und zum anderen, dass sie nach dem amerikanischen Bürgerkrieg als Zeichen der Güte Gottes, durch die das Land von der Sklaverei befreit und Frieden zwischen den Staaten zurückgebracht worden war, gebaut wurde. Zusätzlich befindet sich die Gedächtniskirche am Thomas Circle, auf dem ein Reiterstandbild des Union Generals George Henry Thomas steht. und sich für eine Anfertigung der Wormser Lutherstatue interessiert hatte, vgl. Merz, Heinrich: Art. Chronik. Lutherdenkmal, in: CKBK 25 (1883) 8, 128. 623 Vgl. Eich: Gedenkblätter, 50, 384–399. 624 Vgl. Butler, John George (Hg.): The Luther Statue at the National Capital. History – Unveiling – Addresses, Washington, D.C. 1886, 17–20; vgl. Lehmann: Luthergedächtnis 1817–2017, 84–85, 96. 625 John Gottlieb Morris war ein in Pennsylvania geborener Pfarrer, der zwischen 1843 und 1883 der Präsident der General Synod, der ersten Vereinigung lutherischer Synoden in den Vereinigten Staaten, war. Er gehörte dabei der konservativen, das heißt der konfessionellen Fraktion an. 626 Butler: Luther, 8. 627 Kammer: Reformationsdenkmäler, 294. 628 Vgl. Lehmann: Luthergedächtnis, 95–97.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

So wurde das Lutherdenkmal zwar auf ursprünglich kirchlichem Boden errichtet und steht doch „amidst the other memorials of patriotism“629,630. Dass für die Washingtoner Denkmalinitiatoren der Wittenberger Reformator nicht als deutscher Kirchenreformator verehrt werden sollte, zeigte sich bei der Organisation und Durchführung der Enthüllungsfeier am 21. Mai 1884.631 Es wurde genau darauf geachtet, dass die Einweihung nicht als ein deutsches Lutherfest gestaltet wurde, was auf die Situation des amerikanischen Luthertums in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts verweist. So war dieses geprägt von unterschiedlich sozialisierten Gruppierungen. Unter den im 19. Jahrhundert in Amerika geborenen Lutheranern setzte sich zum einen Englisch als Gottesdienstsprache immer weiter durch und zum anderen identifizierten sich die amerikanischen Lutheraner mit ihrer Nation. Zugleich siedelten im Verlauf des 19.  Jahrhunderts viele deutsche Auswanderer in die Vereinigten Staaten über, unter denen sich viele lutherische Konfessionalisten fanden, die im mittleren Westen der USA ihre eigenen Synoden gründeten, um dort die lutherische Kirche in Freiheit zu gestalten. Zugleich waren diese neu ins Land gekommenen Lutheraner unter anderem durch die Sprache mit ihrem Heimatland verbunden.632 Bei der Einweihungsfeier des ersten amerikanischen Lutherdenkmals war dieses Nebeneinander von deutsch und amerikanisch geprägten Lutheranerinnen und Lutheranern im Ablauf wahrnehmbar. So wurde am Vorabend der Enthüllung, am 20.  Mai 1884, in der Memorial Church ein Gottesdienst auf Englisch gefeiert, in dessen Anschluss der amerikanische Pfarrer Matthias Sheeleigh sein englisches Gedicht über die Lutherstatue vortrug und hierin das Denkmal als Zeichen für Gedankenfreiheit und freie Meinungsäußerungen deutete.633 Am darauffolgenden Morgen fand dann ein Gottesdienst „der deutschen Versammlung“634 statt. Bei den Rednern handelte es sich mit Edward Frederick Moldehnke und Frederick Philip

629 Butler: Luther, 23. 630 Vgl. Butler: Luther, 17–22. 631 Im Gegensatz zu den vorherigen Denkmaleinweihungsfeiern kann bei der Wahl des Enthüllungsdatums kein Bezug zu einem besonderen reformations- oder nationalhistorischen Ereignis festgestellt werden. 632 Vgl. Gjerde, Jon / Franson, Peter: Still the Inwardly beautiful Bride of Christ: The Development of Lutheranism in the United States, in: Meick, H. / Schmidt, P. (Hg.): Luther zwischen den Kulturen: Zeitgenossenschaft – Weltwirkung, Göttingen 2004, 200–204. 633 Vgl. Sheeleigh, Matthias: Poem for the Luther-Statue Unveiling, Lancaster 1884; vgl. auch Butler: Luther, 12–16. 634 N. N.: Luther-Statue Enthüllungs-Fest in der Memorial Kirche: Programm der deutschen Versammlung, Washington, D.C. 1884. Ein Exemplar dieses Programms mit Lied- und Rednerangaben findet sich genauso wie die von John George Butler herausgegebene Festschrift in der A. R. Wentz Library des United Lutheran Seminary in Gettysburg, PA.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Hennighausen um lutherische Pfarrer, die in Deutschland geboren und Mitte des 19.  Jahrhunderts als Missionare in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren. Auch beim um die Mittagszeit stattfindenden Festumzug, der von verschiedenen Organisationen vor allem aus Washington, Baltimore und Richmond, veranstaltet wurde und sich durch die Stadt zur Gedächtniskirche bewegte, war das Nebeneinander der nationalen Identitäten dadurch wahrnehmbar, dass beim Festzug deutsche und amerikanische Flaggen geschwenkt wurden.635 Bei dem offiziellen Teil der Enthüllungsfeier, an der laut Berichten zwischen 7.000 und 10.000 Menschen teilnahmen, hatte das Denkmalkomitee und insbesondere der Pfarrer der Lutheran Memorial Church, John George Butler, darauf geachtet, dass die Feierlichkeiten zu keinem „German ethnic event“636 werden würden. Stattdessen sollte es ein Fest für möglichst alle amerikanischen Bürger und Bürgerinnen sein, was sich nicht nur in der das Lutherdenkmal verhüllenden amerikanischen Flagge, sondern auch in der Lutherdeutung der Einweihungsreden zeigte. Die Ansprachen wurden von zwei Amerikanern auf Englisch gehalten, dem Senator Omar Dwight Gonger und dem Präsidenten des Lutherdenkmalvereins, Pfarrer John Gottlieb Morris.637 Luther wurde vom Senator Gonger als der wahre Repräsentant der Teutonen, die sich in allen fortschrittlichen Nationen entwickelt hatten und denen man wunderbare Erfindungen und große Entdeckungen zu verdanken hatte, charakterisiert.638 Dadurch war es möglich, die deutsche und amerikanische Tradition zu verbinden. Die Verdienste um die deutsche Sprache, die sonst bisher in allen Einweihungsreden genannt worden waren, fanden beim amerikanischen Redner nachvollziehbarerweise keine besondere Beachtung. Stattdessen wurde Luthers Bedeutung für alle Amerikaner hervorgehoben, denn laut dem Senator würden Vertreter des Supreme Courts, Senatoren und Kongressabgeordnete, genauso wie Pfarrer der verschiedenen christlichen Konfessionen und alle, die Religionsfreiheit fordern und auf fortwährende Zunahme der Freiheit hoffen, bei der Enthüllungsfeier anwesend sein, um an den großen Reformator zu erinnern und ihm Ehre zu erweisen. Luther sei die Freiheit des Bewusstseins und die individuelle Verantwortung des Einzelnen zu verdanken. Darum wären alle Liebhaber der „constitutional freedom“639 aufgefordert, Luther im Zentrum einer aus vereinigten freien Menschen bestehenden Nation zu verehren.640 635 Vgl. Lehmann: Luthergedächtnis, 99. 636 Lehmann: Luthergedächtnis, 99. 637 Vgl. Butler: Luther, 17–20, 43. 638 Vgl. Butler: Luther, 29. 639 Vgl. Butler: Luther, 9. 640 Vgl. Butler: Luther, 8, 30.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Auch der Vorsitzende des Lutherdenkmalkomitees, John Gottlieb Morris, würdigte den Reformator auf ähnliche Weise und hob die freiheitsbringende Bedeutung Luthers hervor. So bezog sich Pfarrer Morris auf die enthüllte Statue, indem er betonte, dass die Bibel Luther befreite und Luther durch die Bibel der ganzen Welt Freiheit gab: „[T]he bible alone is our guide. It was this bible which gave liberty to Luther, and it was Luther, with this bible in his hand, who gave liberty to the world.”641 An Luther müsse erinnert werden, da die Welt gelernt habe, dass allein der Protestantismus menschliche Freiheiten bewahrt und die Gewissensfreiheit schütze. Das Lutherdenkmal sei daher ein stetiger Protest gegen alle Formen der Unterdrückung und ein Plädoyer für die Befreiung des Gewissens.642 Auch die Widmung der im Anschluss an die Einweihung von Pfarrer Butler veröffentlichten Festschrift schloss an diese Lutherinterpretationen der Festredner an und fasste diese noch einmal zusammen. So hieß es hierin: „Dedicated to the friends of constitutional liberty in the United States of America, the republic whose vital principle was asserted by Martin Luther at Worms. ‘Hier stehe ich.’“643 Interessant ist an dieser Widmungsinschrift vor allem, dass ein direkter Bezug zwischen den Prinzipien der Vereinigten Staaten von Amerika und Luthers Auftritt vor dem Wormser Reichstag hergestellt wurde. Dies führte der Verfasser der Festschrift noch einmal aus, indem er schrieb: „The foundations of our Republic lie back of [sic!] the Declaration of Independence, even beyond Plymouth Rock and the Mayflower; they were laid by the granite, Alpine man of faith and of courage at Erfurt and Wittenberg and Worms.”644 Bei vorherigen Denkmalenthüllungsfeiern im Deutschen Kaiserreich war Luthers Bekenntnis auf dem Wormser Reichstag als Grundsteinlegung für die deutsche Reichsgründung interpretiert und der Reformator dadurch zum deutschen Nationalhelden stilisiert worden. In Washington wurde dasselbe historische Ereignis herangezogen, um Luthers Verdienste für die USA hervorzuheben und Luther eine amerikanisch-nationale Bedeutung beizumessen. So wurde Luther, der einsame Mönch, der die Welt erschüttert und dadurch Freiheit und Licht für die leidenden Nationen wiederhergestellt hatte, in Washington 1884 als Identifikationsfigur für die religiöse und die zivile Freiheit herangezogen. Diese sollte er über das Luthertum hinaus für alle Amerikaner und Amerikanerinnen sein.645

641 Butler: Luther, 34. 642 Vgl. Butler: Luther, 40–41, 44. 643 Butler: Luther, 3. 644 Butler: Luther, 7. 645 Zitat aus der Rede John Gottlieb Morris: „The solitary monk who shook the world arose, and liberty and light were restored to the suffering nations.” Butler: Luther, 33.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Mit dieser Lutherdeutung bei der Enthüllungsfeier in Washington schloss man an die Interpretationen des Reformators anlässlich der Feierlichkeiten seines 400. Geburtstags im Jahr zuvor an, bei denen Luther von verschiedenen amerikanischen Theologen unter anderem „als gottgesandter Befreier der Gedanken“646 gedeutet und „zu einem Freiheitshelden von universaler Bedeutung“647 stilisiert worden war. Hartmut Lehmann zeigt, dass die Heroisierung Luthers in den Vereinigten Staaten zum Lutherjubiläum von 1883, beziehungsweise bei der Enthüllung des Washingtoner Standbilds 1884, ihren Höhepunkt erreicht hatte.648 Um Luther als amerikanische Identifikationsfigur zu popularisieren, wurde er des religiösen Kontexts enthoben, was für den Moment gelang. Doch aufgrund seiner deutschen Abstammung und seiner trotzdem nicht von der Hand zu weisenden religiösen Bedeutung, war es nicht möglich, dass das Standbild des Reformators zu einem dauerhaften Symbol der nationalen Identität der Amerikaner wurde. Diese Rolle nahm kurze Zeit später die Statue of Liberty ein, die 1886 vor den Toren New York Citys errichtet wurde. Die Freiheitsstatue mit der Fackel in der einen und dem Datum der Unabhängigkeitserklärung in der anderen Hand wurde zur Licht- und Freiheitsbringerin für ganz Amerika. Auffällig ist, dass Begrifflichkeiten wie Licht und Freiheit, die zwei Jahre zuvor noch im Hinblick auf die Lutherstatue verwendet worden waren, nun mit der Freiheitsstatue assoziiert wurden. 3.3.7.4 Der echte Lutherkopf in Dresden (1883–1885) Die Denkmalerrichtung des zweiten Abgusses der Wormser Statue war von einer öffentlichen Diskussion um den Lutherkopf geprägt. Zunächst war im Sommer 1883 lediglich die Installation einer Gipskopie des Wormser Lutherdenkmals geplant. Während die Gemeinde der Johanniskirche eine Lutherstatue in der Kirche oder dem Kirchgarten geplant hatte, wünschte die Stadt Dresden eine Errichtung auf einem öffentlichen Platz. An einem freistehenden Denkmal würde sich die städtische Behörde auch finanziell beteiligen. Zum 400. Geburtstag Luthers wurde sodann der Grundstein für das Denkmal vor der Dresdner Frauenkirche gelegt und zum Reformationstag 1885 wurde es eingeweiht.649 Die Denkmalinitiatoren in Dresden entschieden sich deshalb für eine Kopie der Wormser Statue, weil ihre Stadt der Wirkungsort des Bildhauers Ernst Rietschel gewesen war. Daher beabsichtigten die Dresdner mit dem Lutherdenkmal nicht nur den Reformator, sondern auch den Künstler zu ehren. Nachdem dieses

646 Lehmann: Luthergedächtnis, 81. 647 Lehmann: Luthergedächtnis, 82. 648 Vgl. Lehmann: Luthergedächtnis, 79–84, 108–109. 649 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 100; vgl. Kranich: Bekenner, 234.

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Vorhaben öffentlich beworben wurde, wurde behauptet, dass der Lutherkopf der Statue in Worms eine „eigenmächtige Neufassung des Rietschelschülers Adolf Donndorf“650 gewesen war. Dieser hatte im Auftrag Rietschels kurz vor dessen Tod die Gesichtszüge überarbeitet. Der Streit, der insbesondere zwischen den beiden Rietschel-Schülern Donndorf und Kietz ausgetragen wurde, wurde letztlich zugunsten von Kietz entschieden.651 So wurde beschlossen, dass der Lutherkopf der ursprünglichen Version Rietschels entsprechen sollte. Neben „persönliche[n] Animositäten [der Bildhauer] und Lokalpatriotismus“652 hängt auch ein divergierendes Lutherbild mit der Entscheidung für Rietschels Lutherkopf zusammen. Die Gesichtszüge des Reformators sind deutlich entspannter, sodass dieser Luther auch für Johannes Schilling, der vom Dresdner Oberbürgermeister beauftragt wurde, Stellung zu beziehen, harmonischer, beruhigender und versöhnlicher wirkte. Diese Veränderung Luthers spiegelt auch die Wandlungen innerhalb Deutschlands wider. Nachdem in den 1860er Jahren sowohl im Hinblick auf die Streitigkeiten innerhalb des Protestantismus als auch bezüglich der Außenpolitik und innerhalb der noch nicht vereinigten deutschen Gebiete Auseinandersetzungen auszutragen waren, passte der kämpferische Luther besser ins Bild dieser Zeit. In den 1880er Jahren sollte hingegen der Fokus auf den Frieden gelegt werden, wie dies bereits beim Leipziger Reformationsdenkmal betont worden war.653 Diese versöhnliche Stimmung lässt sich auch in der Festrede zum Lutherjubiläum am 10. November 1883 in Dresden erkennen, deren Titel „Luther und die Deutsche Nation“ war und deren gedruckte Fassung der Errichtung des Lutherdenkmals zugutekam.654 Wilhelm Roßmann betonte in seiner Rede, die außerhalb der Kirche stattfand, da „eine rein kirchliche Betrachtung der Bedeutung“655 Luthers nicht gerecht werden würde, Luthers Verdienste für die gesamte Nation. Der Reformator hatte den Staatsgedanken, der durch „die mittelalterliche Vermischung geistlicher und weltlicher Macht“656 entstanden war, neu belebt. Daher wäre Luthers Obrigkeitsschrift auch als „Magna Charta des modernen deutschen Staatslebens“657 650 Kranich, Sebastian: Die Nation im Lutherdenkmal vor der Dresdner Frauenkirche. Ein Streit um Luthers Kopf, in: Fischer, Michael / Senkel, Christian / Tanner, Klaus (Hg.): Reichsgründung 1871. Ereignis – Beschreibung – Inszenierung, Münster 2010, 147. 651 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Kranich: Nation, 139–163. 652 Kranich: Bekenner, 235. 653 Vgl. Kranich: Nation, 152. 654 Vgl. Roßmann, Wilhelm: Luther und die Deutsche Nation. Festrede bei der am 10. November 1883 von der Stadt Dresden veranstalteten Luther-Feier, Dresden 1883, Titelblatt. 655 Roßmann: Luther, 3. 656 Roßmann: Luther, 24. 657 Roßmann: Luther, 24.

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anzusehen, weil darin die Freiheit von Rom postuliert worden sei. So war es nach Meinung des Festredners Luther, der „unser Volk, das am Abgrunde des Verderbens stand, zu nationalem Bewußtsein erweckt“658 habe. Neben dem Nationalbewusstsein lobte der Festredner zudem, dass die „katholischen Volksgenossen […] mit uns [im Sinne] Einer Verfassung, Eines Rechts, Einer Sitte“659 friedlich zusammenleben würden. Daher sollte die Lutherfeier „nicht zur Verschärfung des Gegensatzes […], sondern im Gegenteil zum wahren Frieden“660 beitragen. Während 1883 demnach auch in Dresden der konfessionelle Friede betont wurde, zeigt sich am Beispiel des Magdeburger Denkmals, dass sich die Spannungen zwischen evangelischen und katholischen Christen und Christinnen nach 1883 wieder verschärften. 3.3.7.5 Der korpulente Luther in Magdeburg (1882–1886) In Magdeburg trat am 30.  Dezember 1882 eine aus städtischen Vertretern bestehende Kommission zusammen, deren Vorsitzender der Oberbürgermeister der Stadt, Friedrich Bötticher, war. Es wurde überlegt, wie das Lutherjubiläum im darauffolgenden Jahr in „der Hauptstadt der Provinz, die die Wiege der Reformation war“661, gefeiert werden sollte. Wie könnte „eine dauernde Erinnerung“662 für Luther in der Stadt geschaffen werden? Sollte ein Lutherdenkmal initiiert oder lieber eine wohltätige Stiftung gegründet werden?663 Auch hier zeigt sich wieder die zeitgenössische Auffassung, dass Lutherstandbilder nicht die einzige legitime Form der Erinnerung an den Reformator seien. Doch die anwesenden Kommissionsmitglieder waren sich schnell einig, „daß, wenn jetzt die sich in der 400jährigen Geburtstagsfeier darbietende Gelegenheit [zur Errichtung eines Denkmals] […] versäumt wird, wir gewiß darauf verzichten müssen, unsere […] Stadt jemals mit einer Lutherstatue geschmückt zu sehen“664. Man war sich zwar bewusst, dass Magdeburg „in der Bedeutung für Luthers Leben 658 Roßmann: Luther, 33. 659 Roßmann: Luther, 34. 660 Roßmann: Luther, 34. 661 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51 Errichtung von Denkmälern, Bl. 58 (Magistrat der Stadt Magdeburg an die Stadtverordneten-Versammlung am 9.12.1882). 662 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 58. 663 Im Jahr 1879 war bereits Geld für eine Stiftung des Kaiserpaars aufgrund ihres Ehejubiläums gesammelt worden, weshalb man der Meinung war, dass man in der Bevölkerung nicht erneut Geld für eine Wohltätigkeitsanstalt sammeln könnte. Vgl. StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 60v. Auch bei der zweiten Kommissionssitzung am 16.01.1883 wurde die Idee einer Stiftung von einem zuvor nichtanwesenden Mitglied angeregt, allerdings von den übrigen Kommissionsmitgliedern abgelehnt. Vgl. StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 66r. 664 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 61r (Magistrat der Stadt Magdeburg an die Stadtverordneten-Versammlung am 26.03.1883).

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hinter Eisleben, Erfurt, Wittenberg und Worms“665 lag, doch trotzdem könne man sich als Lutherstadt bezeichnen. Schließlich war Luther für circa ein Jahr in Magdeburg zur Schule gegangen und noch wichtiger konnte sich die Reformation in Magdeburg nach seiner Predigt am 26. Juni 1524 in der Johanniskirche durchsetzen und die gesamte Stadt schloss sich der lutherischen Lehre an.666 Der Verweis auf die anderen Lutherstädte macht das Verständnis des Stadtbürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich, nämlich dass ein Denkmal den eigenen regionalen Stolz und Lokalpatriotismus zum Ausdruck bringen könne. Durch ein Denkmal würde man in die Reihe der Lutherstädte aufsteigen und öffentlich Geltung erlangen, schließlich hatten zu diesem Zeitpunkt die genannten, für Luthers Leben wichtigen Städte bereits ein Standbild des Reformators oder ein solches war in Planung. Als den geeignetsten Standort für ein Lutherdenkmal hatte die Kommission aufgrund des historischen Bezugs sogleich den Platz vor der Johanniskirche in den Blick genommen, sodass sich die weitere Diskussion auf die Gestaltung des Standbilds konzentrierte. Hierbei ist auffällig, dass den Magdeburger Organisatoren stets die Höhe der Kosten wichtig war und sie ihre Entscheidung zur Denkmalausführung davon abhängig machten, da sie befürchteten, die benötigte Summe nicht aufbringen zu können. Deshalb brachte ein Kommissionsmitglied die Idee ein, eine verkleinerte Kopie des Wormser Denkmals zu wählen, da „die Kosten nicht so bedeutend sein würden, wenn das Standbild nach einem anerkannten vorhandenen Muster […] ausgeführt würde“667. Der Stadtbaurat hingegen sprach sich für die Errichtung „eines Originaldenkmals“668 aus, da, seiner Einschätzung nach, eine Kopie der Wormser Statue ungefähr genauso viel kosten würde. So legte die Kommission in ihrer Sitzung am 30. Dezember 1882 ihr weiteres Vorgehen fest: es sollte einerseits der für Magdeburg tätig gewesene Bildhauer Emil Hundrieser669 bezüglich des Preises eines Originaldenkmals angefragt werden und andererseits wollte man Auskunft über eine verkleinerte Wormser Lutherstatue bei „den Werken in Lauchhammer, resp. […] [bei] der Wittwe [sic!] Rietschel in Dresden“670 einholen. Für eine Replik der Rietschel-Statue wollte man sich nur dann entscheiden, wenn eine eigens für Magdeburg hergestellte Lutherstatue zu teuer wäre.671

665 Buchholz, Ingelore / Ballerstedt, Maren: Man setzte ihnen ein Denkmal, Magdeburg 1997, 11. 666 Vgl. Buchholz / Ballerstedt: Denkmal, 7–11. 667 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 62v (Protokoll der Kommissionssitzung vom 30.12.1882). 668 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 62v. 669 Zu Emil Hundrieser vgl. Bloch / Grzimek: Bildhauerschulde, 191. 670 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 64r. 671 Vgl. StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 62–64.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

 207

Nachdem es einen großen Aufwand dargestellt hätte, die Erlaubnis für eine Kopie der Wormser Lutherfigur zu erhalten und ein verkleinertes Modell erst noch hätte gefertigt werden müssen und zudem befürchtet wurde, dass auch die Stadt Worms noch Zustimmung erteilen müsse, „verzichtet[e] die Kommission auf die Ausführung einer Nachbildung“672. Interessant daran ist, dass den Magdeburgern das kostengünstige Angebot der Nachbildungen des Wormser Luthers scheinbar nicht bekannt war, zu dem die Einholung weiterer Zustimmungen nicht notwendig gewesen wäre. Zudem war das ausschlaggebende Kriterium der mögliche organisatorische Aufwand und nicht der Wunsch nach einem individuellen Denkmal für das sich selbst zur Lutherstadt deklarierte Magdeburg, weshalb man sich schließlich gegen eine Replik der Wormser Figur entschied. Stattdessen wurde bei einer weiteren Sitzung am 10. März 1883 beschlossen, eine Lutherstatue „nach neuem Entwurf“673 beim Bildhauer Hundrieser in Auftrag zu geben. Da die Ausarbeitung und Errichtung eines Lutherdenkmals innerhalb eines halben Jahres bis zum 400. Geburtstag des Reformators nicht mehr möglich waren, hatte der Künstler sich bereit erklärt, „ein Gypsmodell mit Bronceüberzug herzustellen“674. Durch die provisorische Statue hätten die Magdeburger zum Lutherjubiläum „einen Punkt […], auf welche[n] sich die Festlichkeiten concentrieren“675 könnten und zugleich wäre es möglich, zu prüfen, ob ein Lutherdenkmal auch in der Bevölkerung auf Zuspruch stoßen würde. Erst im Anschluss an den 400. Geburtstag des Reformators würde ein definitiver Auftrag an den Bildhauer erfolgen und zu freiwilligen Spenden unter den Magdeburger Bürgerinnen und Bürgern aufgerufen werden.676 Bei der Feier des Lutherjubiläums wurde die Gipsstatue von der Bevölkerung begrüßt, sodass unmittelbar danach „ein Comité zusammen [trat,] in der dankenswerthen Absicht, aus freiwilligen Beiträgen der Bürgerschaft die Kosten zu beschaffen“677. Innerhalb eines Jahres konnte das Denkmalkomitee Spendengelder in Höhe von 25.000 Mark zusammentragen, sodass die finanziellen Mittel gesichert waren.

672 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 68r (Protokoll der Kommissionssitzung vom 10.03.1883). 673 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 68v. 674 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 65v (Protokoll der Kommissionssitzung vom 16.01.1883). 675 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 61v (Magistrat der Stadt Magdeburg an die Stadtverordneten-Versammlung am 26.03.1883). 676 Vgl. StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 65–67, Bl. 73–74 (Vertrag mit Emil Hundrieser vom 5.05.1883). 677 StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 94v (Magistrat der Stadt Magdeburg an die Stadtverordneten-Versammlung am 27.02.1885).

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Die von Emil Hundrieser 1883 ausgearbeitete Lutherfigur aus Gips entsprach im Großen und Ganzen auch der am 10. November 1886 eingeweihten Bronzestatue. Das Denkmalkomitee hatte ein paar kleinere Abänderungswünsche geäußert, die der Bildhauer umsetzte.678 Spannend wäre es zu wissen, um welche Veränderungen es sich dabei gehandelt hatte, dies lässt sich allerdings anhand der vorliegenden Quellen nicht nachvollziehen. Auffällig ist bei der Ausgestaltung des Denkmals, dass Hundrieser sich nicht am Lutherbild seines Lehrers Rudolf Siemering orientierte, dessen Modell der Eislebener Statue 1883 bereits veröffentlicht gewesen war, sondern auf einen der ersten beiden Entwürfe Rietschels zurückgriff. Paradoxerweise hatten sich die Magdeburger Organisatoren gegen eine Replik des Wormser Denkmals ausgesprochen und eine einzigartige Lutherstatue gewünscht und nun doch eine Kopie eines von Rietschel ausgearbeiteten Modells erhalten. Dass Hundrieser das Wormser Luthermonument als Vorlage nahm, bleibt in zeitgeschichtlichen Quellen unerwähnt und war daher den beteiligten Personen scheinbar nicht bewusst.679 So zeichnet sich der Magdeburger Luther dadurch aus, dass er wie Rietschels erste Figur die „Linke aufs Herz gepreßt und in der Rechten das [geschlossene] Bibelbuch tragend […] kühn und freudig da[steht]“680. Neben der gegenüber des Modells Rietschels leicht veränderten Haltung der rechten Hand tritt Luther nicht mit dem rechten, sondern mit dem linken Fuß voran. Diese Körperhaltung findet sich auch beim von Karl Schuler 1888 im sächsischen Nordhausen eingeweihten Lutherbrunnen, was vermuten lässt, dass unter den Bildhauern die nicht umgesetzten Entwürfe der Wormser Lutherstatue durchaus bekannt waren. Emil Hundrieser war mit seiner Figur des Reformators nicht der Einzige, der Rietschels Modell kopierte und abwandelte.681 Neben diesen kleineren Abweichungen ist zudem noch Luthers fülliger Körperbau auffällig, da der Reformator im Gegensatz zu den anderen Denkmälern sehr korpulent wirkt und sein Talar dadurch kaum Falten wirft. Insgesamt strahlt dieser bronzene Luther, wie Rietschel selbst in Bezug auf seinen ersten Entwurf festgestellt hatte, eine weniger kämpferische Haltung aus. Stattdessen kommt so das standfeste Bekenntnis des Reformators vor dem Wormser Reichstag zum Ausdruck.

678 Vgl. StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 94–95; vgl. Buchholz / Ballerstedt: Denkmal, 9–11. 679 Dass Emil Hundrieser trotz kleinen Abänderungen eindeutig Rietschels ersten Entwurf seiner Lutherstatue zum Vorbild nahm, stellte Wilhelm Weber fest. Vgl. Weber: Luther-Denkmäler, 210. 680 Merz, Heinrich: Art. Chronik. Magdeburg, in: CKBK 28 (1886) 12, 192. 681 Vgl. Junker, Jörg-Michael: Das Nordhäuser Lutherdenkmal, in: Landratsamt Nordhausen (Hg.): Jahrbuch des Landkreises Nordhausen 1996, Nordhausen 1997, 79–84; vgl.  Merz, Heinrich: Art. Chronik. Lutherdenkmal, in: CKBK 27 (1885) 2, 32; vgl. ders.: Art. Chronik. Nordhausen, in: CKBK 30 (1888) 11, 176; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 196.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Abb. 18: Lutherdenkmal in Magdeburg, Emil Hundrieser.

Doch zugleich wurde ein entscheidendes Detail am Denkmal hinzugefügt, wodurch das Lutherstandbild Emil Hundriesers eine andere Konnotation als Rietschels Figur erhielt. Hinter Luthers linken vorangestellten Fuß findet sich eine zusammengerollte, mit Siegel versehene Schriftrolle, die nach dem Eislebener Denkmal wiederum als Bann(androhungs)bulle identifiziert werden kann. Diese ist nicht sichtbar, wenn man das Denkmal von vorne betrachtet, sondern lediglich von der Seite erkennbar.682 So impliziert das Magdeburger Lutherdenkmal eine antikatholische Polemik, die Rietschel bei seiner Ausführung des Wormser Monuments noch explizit hatte vermeiden wollen. Auch wenn dieses Lutherdenkmal von Vertretern des Stadtbürgertums und nicht der Kirchengemeinde initiiert wurde, wurde es mit einer biblischen Inschrift am Sockel ergänzt. So wurde auf der Vorderseite des schlichten Postaments der

682 Dementsprechend blieb die Bannbulle in der Sekundärliteratur bisher unerwähnt. Vgl. Weber: Luther-Denkmäler, 210; vgl.  Buchholz / Ballerstedt: Denkmal, 12. Bei der Weihepredigt von Wilhelm Faber wurde sie hingegen erwähnt.

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Abb. 19: Nahaufnahme des Lutherdenkmals in Magdeburg.

Bibelvers Gottes Wort mit uns in Ewigkeit683, der ein zentraler Mottovers der Reformatoren im 16. Jahrhundert war, und auf der Rückseite das Datum des 400. Geburtstags Luthers eingraviert. Die genannten Aspekte des Magdeburger Monuments wurden auch bei dessen Enthüllungsfeier wieder aufgegriffen. Zu dieser erging am 2. November 1886 eine Einladung vom Magdeburger Magistrat an „alle evangelischen Mitbürger“684. Die Feierlichkeiten am 10. November 1886 begannen mit einem Festzug zum Platz vor der Johanniskirche, der mit den Fahnen Preußens und Magdeburgs verziert war. Auffällig ist daran, dass neben der Stadtflagge auch die preußische und nicht die deutsche Fahne gehisst worden war, wodurch die Enthüllungsfeier nicht den Charakter einer nationalen Feier, sondern lediglich eines regional und lokal bedeutsamen Festes für die protestantischen Bürger Magdeburgs erhielt. Dass diesem Lutherdenkmal insbesondere städtische Bedeutung beigemessen wurde, zeigte sich auch daran, dass im Anschluss an das typische Lutherlied Ein feste Burg der Vorsitzende des Denkmalkomitees, Conrad Listemann, nach seiner Festrede das Standbild offiziell der Stadt Magdeburg übergab und dieses vom Oberbürgermeister Friedrich Bötticher entgegengenommen wurde.685 Erst im Anschluss daran fand ein Festgottesdienst in der Johanniskirche statt, bei dem der Superintendent Wilhelm Faber die auf das Lutherdenkmal zugeschnittene Festpredigt hielt. Faber forderte die Zuhörenden auf: 683 Bei diesem Bibelvers handelt es sich um Jes 40,8 beziehungsweise 1. Petr 1,25. 684 Buchholz / Ballerstedt: Denkmal, 11. 685 Vgl. StadtA Magdeburg, Rep. 18/4 F 51, Bl. 103; vgl. StadtA Magdeburg, Bib. 150/35, Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Magdeburg für die Zeit vom 1.04.1886 bis 31.03.1887, 3, 10; vgl. Buchholz / Ballerstedt: Denkmal, 11–12.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Schaut ihn nur an, wie er gleichsam aus der Kirche, darin er das Wort verkündet hat, hinausschreitet dem Rathaus entlang, in welchem so mancher gute Kampf für seine Sache gekämpft ist, um in den Mittelpunkt der Stadt hinein das Evangelium zu tragen […]! Schaut ihn nur an, wie er hinwegschreitend über die Bannbulle das Haupt emporhebt [….], dieser Mann unvergleichlichen […] evangelischen Bekennermutes, dieser Glaubensheld686

In dieser Beschreibung des Predigers wurde deutlich, dass Luther nicht nur der Verkündiger des Evangeliums in der Kirche gewesen war, sondern durch seinen Bruch mit der römischen Kirche Einfluss auf das gesamte gesellschaftliche Leben hatte. Daher sollte das Lutherdenkmal auch nicht nur auf die kirchliche Bedeutung reduziert werden, sondern daran erinnern, was „die Reformation an Gaben gebracht hat[te]“687. Denn „die Ehre der Ehe und des Familienlebens, des Staates und des irdischen Berufes, die deutsche Volksschule und […] die Freiheit der Wissenschaft“688 seien ihr zu verdanken. Damit wurden durch Familie, Staat und Bildung wesentliche Kategorien des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genannt und somit Luthers gesellschaftliche Verdienste hervorgehoben. Zusätzlich betonte Faber, dass die Darstellung Luthers, mit „der einen Hand die Schrift [haltend], die andre Hand auf’s Herz“689 gelegt, das Wort Gottes und das Gewissen als protestantische Grundlagen hervorhebe und diese beiden Instanzen auch heute noch untrennbar zusammengehörten. Deshalb solle das Lutherdenkmal die Festversammlung zum Protest motivieren: Protestiert […] gegen alles, das euch die Stimme des Gewissens beschränken […] will! Protestiert gegen jeden, der euch zu Knechten des Aberglaubens […] machen will! Protestiert wider alle, so euch euren Reformator verunglimpfen […] möchten! Zeigt den Papisten wie den Nihilisten, daß der Luther von Magdeburg nicht von Gyps ist, sondern von Erz, vielmehr daß er ein lebendiger Luther ist.690

Mit der Magdeburger Einweihungspredigt wurde beabsichtigt, Luthers gesellschaftliche Bedeutung für das eigene Leben hervorzuheben und die bleibende Wirkung Luthers zu betonen. Zugleich sollte das protestantische Selbstbewusstsein der Magdeburger durch den Protest gegen kritische katholische oder atheistische Stimmen gestärkt werden.

686 Faber, Wilhelm: Festpredigt zur Weihe des Lutherdenkmals am 10. November 1886 in der Johanniskirche in Magdeburg, Magdeburg 1886, 6 [Hervorhebungen im Original]; vgl. auch StadtA Magdeburg, ZG 137.1.1. Festpredigt zur Weihe des Lutherdenkmals in der Johanniskirche. 687 Faber: Festpredigt, 9. 688 Faber: Festpredigt, 9. 689 Faber: Festpredigt, 7. 690 Faber: Festpredigt, 11–12 [Hervorhebungen im Original].

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

3.3.7.6 Die Abhängigkeit der Rezeption vom jeweiligen Aufstellungsort Die Rezeption der Wormser Statue des Reformators anlässlich dessen 400. Geburtsjubiläums zeigte, wie sehr sich die Lutherfigur Rietschels nach wenigen Jahren bereits etabliert und somit als Vorbild für weitere Denkmäler gedient hatte. Doch wurde Rietschels endgültige Ausführung der Wormser Lutherstatue nicht nur rezipiert, sondern auch als Vorlage für eine Variation genutzt, wie dies bei der Figur für Oldenburg und Norderney der Fall gewesen war. Besonders interessant ist, dass sich die Vervielfältigungen nicht nur auf die in Worms ausgeführte Lutherstatue beschränkten, sondern auch zweimal die Nachahmung des ersten Entwurfs Rietschels nachzuweisen ist. Versucht man eine Erklärung für die Beliebtheit der Wormser Statue zu finden, so lassen sich verschiedene Aspekte anführen. Zunächst ist die große Bekanntheit des Wormser Monuments zu nennen, welche nicht nur auf die internationale Finanzierung, sondern auch auf die dreitägige Enthüllungsfeier, an der zehntausende Menschen aus Nah und Fern teilgenommen hatten, und auf die Berichterstattung in unzähligen Zeitungen zurückging. Der Bekanntheitsgrad des Wormser Lutherdenkmals wurde zudem durch den Verkauf von Abbildungen gesteigert, sodass auch die bildliche Darstellung weite Verbreitung gefunden hatte. Somit ist davon auszugehen, dass die Lutherfigur in der protestantischen Bevölkerung gut bekannt war. Hinzukommt, dass es sich beim Wormser Monument um das vor dem 400. Lutherjubiläum zuletzt eingeweihte Standbild des Reformators handelte. Das veranlasste die Inhaber der Vervielfältigungsrechte dazu, Nachbildungen der Statue zu bewerben. Doch dies war nicht der entscheidendste Aspekt für die Popularität der Wormser Lutherstatue, denn Abgüsse in Bronze waren mit hohen Materialkosten verbunden. Stattdessen fand bei den Nachbildungen in kleineren Städten ein Wechsel im Material statt, indem statt Bronze auf Sandstein zurückgegriffen wurde. Dadurch wurden Repliken nicht nur durch das günstigere Material leichter möglich, sondern zugleich waren die Bildhauer in der Lage, kleine Veränderungen an Größe und Form vorzunehmen. Durch diesen entscheidenden Vorteil waren auch kleinere Orte, die keinen unmittelbaren Bezug zum Leben und Wirken Luthers hatten, in der Lage, ein Lutherdenkmal zu errichten. Für diese Städte waren eine individuelle Lutherfigur und ein lokaler Bezug weniger wichtig als für Lutherstädte wie Eisleben. Die Kopien und Nachbildungen des Wormser Denkmals erfüllten vielmehr den Zweck, einen Mittelpunkt der Feierlichkeiten des Lutherjubiläums 1883 zu bilden und zugleich die lutherische Identität nach außen hin zu präsentieren. Zugleich verband sich mit dem Lutherdenkmal der lokale Stolz, ein solches zu besitzen und wie die jeweilige Inschrift am Denkmalsockel in Annaberg und Norderney deutlich machte, dass die Einwohner der Stadt das Standbild finanziert hatten. Diese Denkmalprojekte

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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wurden vor allem lokal finanziert, das heißt es wurden keine überregionalen Spendenaufrufe erlassen, womit ein geringerer organisatorischer Aufwand einherging und eine zügige Realisierung der Denkmalpläne möglich wurde. Eine Ausnahme war hierbei lediglich Magdeburg, das sich durch das Standbild des Reformators in die Reihe der anderen Lutherstädte einfügen wollte. Der Künstler Hundrieser hatte sich zwar an Rietschels erstem Entwurf orientiert, doch durch die oben beschriebenen Veränderungen, erscheint das Magdeburger Denkmal doch als eigene Interpretation. Zudem war erkennbar, dass mit den Variationen in der Kopie von Rietschels Statue auch unterschiedliche Deutungen des Reformators einhergingen, beispielsweise durch die weicheren Gesichtszüge in Dresden. Auch der Aufstellungsort eines Denkmals, das heißt die Frage, in welcher Stadt und wo in einem Ort das Standbild errichtet wurde, beeinflusste dessen Interpretation stark. Während in Worms die bekennende Pose hervorgehoben und mit dem Standbild die Hoffnung auf Versöhnung der protestantischen Strömungen verbunden worden war, wurde dieselbe Figur in Washington in Bezug zur amerikanischen, konstitutionellen Freiheit gesetzt und in Dresden war sie nicht nur ein Denkmal des Reformators, sondern verwies zugleich auf dessen Schöpfer, Ernst Rietschel.

3.3.8 Der verkündende Luther in Erfurt (1883–1889) Die Stadt Erfurt spielte im Leben Luthers eine wichtige Rolle, da er hier zunächst studierte, bevor er 1505 ins Augustinerkloster eintrat, zwei Jahre später zum Priester geweiht wurde und sein Theologiestudium begann.691 Daher ist es nicht verwunderlich, dass anlässlich des Lutherjubiläums 1883 in Erfurt ebenfalls der Wunsch nach einem eigenen Standbild des Reformators aufkam, um sich nach außen als Lutherstadt ausweisen zu können. 3.3.8.1 Das Lutherdenkmal als Ausdruck des evangelischen Selbstbewusstseins Wohl erkennen wir den Vorzug an, den Wittenberg als Lutherstadt vor Erfurt hat […], aber mit jeder andern Stadt des deutschen Reiches, die da Anspruch darauf macht, Luther zu ihren Bürgern zu zählen, kann Erfurt sich getrost messen.692

691 Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte, 6–7. 692 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 294r (Bärwinkel, Richard: Das Luther-Denkmal in Erfurt. Vortrag gehalten am 21.02.1883, Erfurt 1883, 9); vgl. auch StadtA Erfurt, 1–2 Städtische Akten, Nr. 353–5134 Luther-Denkmal, Bl. 5.

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So beschrieb der Pfarrer an der Erfurter Reglerkirche, Richard Bärwinkel, in einem Vortrag über das geplante Lutherdenkmal am 21.  Februar 1883 den Stellenwert Erfurts im Verhältnis zu anderen reformationsgeschichtlich bedeutenden Städten. Luther hatte schließlich in Erfurt „seine geistige Bildung gefunden und [wurde dadurch] zum Reformator innerlich vorbereitet“693. Daher wurde es als „eine Ehrenschuld“694 der Stadt Erfurt angesehen, dem Reformator auch in ihrer Mitte ein Denkmal zu setzen und ihn so angemessen zu würdigen. Der Wunsch, ein Erfurter Lutherstandbild zu errichten, wurde von der evangelischen Bürgerschaft bei einer Versammlung des Evangelischen Vereins am 27. Oktober 1881 erstmals geäußert. Es wird berichtet, dass der hallische Theologieprofessor Willibald Beyschlag, der nur wenige Jahre später zum Mitbegründer und zu einer Zentralfigur des Evangelischen Bundes wurde, diese Idee erstmals anregte.695 Unter den evangelischen Bewohnern Erfurts wurde der Vorschlag begeistert aufgenommen, sodass sich zu Beginn des Jahres 1883 ein Lutherdenkmalverein in Erfurt gründete, der in seinem ersten Jahr bereits mehr als 1.600 Mitglieder zählte.696 Den Hintergrund für die große Zustimmung gegenüber der Denkmalidee bildete die Renovierung des Festsaals des Erfurter Rathauses. Seit 1878 arbeitete der Düsseldorfer Maler Peter Janssen an der Ausschmückung „mit geschichtlichen Wandgemälden […] unter namhafter finanzieller Beihülfe des Staates“697. Dem Gedächtnis Luthers wurde hierbei „nur eine verhältnißmäßig bescheidene Stelle […] auch [aus] […] Rücksicht auf die zahlreichen katholischen Bürger Erfurts“698 beigemessen. Dieses Vorgehen war bei der protestantischen Bevölkerung auf starke Kritik gestoßen, da ihrer Meinung nach „die bedeutendsten Ereignisse der Weltgeschichte, an welchen Erfurt teilgenommen, so gut wie ganz unberücksichtigt geblieben“699 waren und Luther lediglich einen Platz über dem Eingang erhalten hatte.700

693 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 294v (Bärwinkel: Luther, 10). 694 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 291r (Bärwinkel: Luther, 3). 695 Vgl. N. N.: Die Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt vom 31. Oktober 1889, Erfurt 1889, 7–8; vgl. StadtA Erfurt, 1–1 Städtische Akten, Nr. 16e–39 Akta betr. den Verein zur Errichtung eines Luther-Denkmales, Bl. 30; vgl. StadtA Erfurt, 1–2, Nr. 353–5134, Bl. 123 (Beilage zum Allgemeinen Anzeigers Erfurt (31.10.1889) Nr. 255). 696 Zur Zusammensetzung des Vorstands des Lutherdenkmalvereins mit Vertretern aus dem bürgerlichen Milieu vgl. N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 9. 697 GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinette, jüngere Periode, Nr.  20887 Errichtung von Denkmälern für Reformatoren, Bd. 2, Bl. 8v (Minister der geistlichen Angelegenheiten Gustav von Goßler an Kaiser Wilhelm I. am 29.07.1883). 698 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 8v. 699 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 295r (Bärwinkel: Luther, 11). 700 Zum Erfurter Wandgemälde Janssens vgl.  Bieber, Dietrich: Peter Janssens Wandgemälde für Erfurt – Monumentalmalerei und ihre politische Bedeutung, in: Mai, Ekkehard / Waetzoldt,

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Diese konfessionelle Rücksichtnahme hing insbesondere damit zusammen, dass die historischen Gemälde im Rathaus von einem staatlichen Fonds gefördert wurden und von Seiten der Regierung neue konfessionelle Spannungen im abklingenden Kulturkampf vermieden werden sollten, um auch die katholischen Mitbürgerinnen und Mitbürger vermehrt ins Kaiserreich zu integrieren. Dies zeigte sich auch in dem Schreiben vom 29. Juli 1883 an Kaiser Wilhelm I., in dem es hieß, dass ein Lutherdenkmal in Erfurt „zwar geschichtlich gerechtfertigt“701 wäre, eine Beisteuer hingegen abgelehnt wurde.702 Zugleich wurde dafür plädiert, dass der Kostenaufwand dieses Standbilds lediglich so hoch sein sollte, wie er „von der Bevölkerung der Stadt und deren Freunden […] [selbst] aufgebracht werden“703 könne. Dies widersprach allerdings den Statuten des Erfurter Lutherdenkmalvereins, in denen im ersten Paragraphen „Sammlungen im In- und Ausland“704 vorgesehen waren. An diesen Bemerkungen von Seiten der Regierung wird erkennbar, dass die Errichtung eines Lutherdenkmals zwar geschätzt wurde, dieser allerdings nicht mehr, wie noch bei der Einweihung des Wormser Monuments, eine nationale Bedeutung beigemessen wurde. Da 1883 im Zuge des Lutherjubiläums „zahlreich[e] ähnliche […] Absichten“705 verfolgt wurden, wurde durch diese Bestrebungen einem Lutherdenkmal sein nationales Alleinstellungsmerkmal abgesprochen und ihm nunmehr eine regionale Bedeutung beigemessen. Diese in erster Linie lokale Wirkung konnte bereits bei den vorher betrachteten Lutherdenkmälern, die anlässlich des 400. Geburtstags des Reformators errichtet wurden, gezeigt werden. Wendet man den Blick nochmals zurück zur konfessionellen Rücksichtnahme bei der Ausgestaltung des Erfurter Rathauses, dann fällt auf, dass diese bei den Erfurter Protestanten auf Unverständnis gestoßen war. Pfarrer Bärwinkel vertrat beispielsweise die Meinung, dass in Erfurt „viel zu viel Rücksicht auf die […] Gefühle der Katholiken“706, die nur ein Fünftel der Erfurter Bevölkerung ausmachten, genommen wurde. Daher wäre es nun an der Zeit durch ein Lutherdenkmal dem Reformator in Erfurt „die Ehre [zu] geben, die ihm gebürt“707. Dies wäre insbesondere auch deshalb notwendig, da die Anzahl ultramontaner Verleumdungen Luthers stark zugenommen hatte. So war versucht worden, „Luther als einen Stephan (Hg.): Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich 1), Berlin 1981, 341–359. 701 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 10v (Gustav von Goßler an Kaiser Wilhelm I. am 29.07.1883). 702 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 12–13 (An Gustav von Goßler am 3.08.1883). 703 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 10v. 704 StadtA Erfurt, 1–1 Städtische Akten, Nr. 2k–4 Akta betr. des Anger-Brunnens 1c, Bl. 31 (Statuten des Luther-Denkmal-Vereins zu Erfurt vom 21.02.1883). 705 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 11r. 706 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 294v (Bärwinkel: Luther, 10). 707 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 295v (Bärwinkel: Luther, 12).

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Heuchler, Revolutionär und sittenlosen Menschen [zu] brandmarken“708 und dieses „gezeichnete Zerrbild Luthers [als] das richtige Bild“709 zu verkaufen. Es sei daher notwendig, „den wahren geschichtlichen Luther wieder in das helle Licht [zu] stellen und gegen Ultramontanisten vorzugehen. Diese würden „es nicht dulden, daß unser Volk sich an seinem Luther freut und in diesem Jahre zu seinem Andenken eine nationale Feier veranstaltet“710. Diese antilutherischen Äußerungen ultramontaner Katholiken, die Pfarrer Bärwinkel in seinem Vortrag im Februar 1883 aufgegriffen hatte, veranschaulichen, dass in den 1880er Jahren auf theologischer und kirchlicher Ebene konfessionelle Auseinandersetzungen schwelten. Auf politischer Ebene wurde durch das Abklingen des Kulturkampfs versucht, die zuvor als Reichsfeinde stilisierten Katholiken in das Deutsche Reich zu integrieren. So bemühte man sich, wie gesehen, bei der Einweihung des kulturkämpferischen Lutherstandbilds in Eisleben, diesen Konflikt nicht wieder zu befeuern. Im Gegensatz dazu verschärften sich jedoch auf regionaler Ebene und durch protestantische Vereine, wie beispielsweise den 1886 in Erfurt gegründeten Evangelischen Bund711 „zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen“712, die konfessionellen Spannungen. So sollte mit der Errichtung eines Lutherdenkmals in Abgrenzung zum Katholizismus die deutsch-protestantische Identität einer Stadt zum Ausdruck gebracht werden. Dies war bereits beim Lutherstandbild in Magdeburg durch die am Denkmal angebrachte Bann(androhungs)bulle offenkundig geworden und spielte nun in Erfurt sowohl bei der Errichtung als auch 1889 bei der Einweihung des Standbilds eine wichtige Rolle. Welche Bedeutung einem Lutherdenkmal im Kontext der städtischen Erinnerungskultur zugeschrieben wurde, zeigt sich einmal mehr bei der Diskussion um den Aufstellungsort. Als die zwei geeignetsten Standorte für das Luthermonument wurden zum einen der Platz vor dem Augustinerkloster, in welchem Luther zwischen 1505 und 1511 als Mönch gelebt hatte, und zum anderen die freie Stelle am Anger vor der Kaufmannskirche, in welcher Luther zweimal gepredigt hatte, in Betracht gezogen. In seinem Gutachten vom Dezember 1883 sprach sich der preußische Geheime Staats-Oberbaurath Friedrich Adler für den Platz vor der Kaufmannskirche aus. Ihm zufolge gehöre eine „gigantische historische Persönlichkeit […] nicht in [einen] abgelegenen Kirchhof, sondern in das volle Leben hinein, an eine verkehrsreiche

708 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 292r (Bärwinkel: Luther, 5). 709 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 292r. 710 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 291v (Bärwinkel: Luther, 4). 711 Vgl. Abschnitt 2.3.2.3 und 2.3.3.2. 712 Grote, Heiner: Art. Evangelischer Bund, in: TRE 10 (1982), 683.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Straße auf den öffentlichen Platz“713. Zudem wäre es, laut Friedrich Adler, die Pflicht Erfurts, nicht länger hinter Möhra, Eisleben und Wittenberg zurückzustehen. Der Standort für ein öffentliches Denkmal müsse dementsprechend offen und weithin sichtbar sein, denn „mit dem Volke soll das Standbild seines großen sächsischen Landsmannes förmlich verwachsen und der Fremde muß nicht fragend umherirren um Martin Luther zu finden“714. An diesem Plädoyer für den Standort des Denkmals in der Mitte der Stadt zeigt sich nochmals, dass ein Standbild innerstädtisch identitätsstiftend wirken sollte, indem die gemeinsame Erinnerung an Luther das Zusammengehörigkeitsgefühl bestärke. Zugleich nimmt es nach außen hin einen Repräsentationscharakter ein, indem der städtische Stolz, eine Lutherstadt zu sein, auch von Gästen wahrgenommen werden könne, weshalb ein (Luther-) Denkmal in der Stadt nicht versteckt und schwer zu finden sein dürfte. Dem Gutachten von 1883 schlossen sich sowohl die Denkmalinitiatoren als auch „mit aller Entschiedenheit“715 der später bestimmte Künstler, Fritz Schaper, an.716 Lediglich von Seiten der Vertretenden der Erfurter Augustiner Gemeinde wurde bis zuletzt Kritik am Aufstellungsort auf dem Anger geäußert. Mit dem Platz vor der Kaufmannskirche seien hohe Kosten verbunden und dieser habe weniger Bedeutung für Luthers Leben als das Augustinerkloster gehabt. Nachdem die Augustiner Gemeinde zudem einen hohen finanziellen Beitrag für das Standbild geleistet hatte, hoffte sie auch noch im August 1889, also zwei Monate vor der Denkmaleinweihung, dass dieses doch noch vor dem Kloster errichtet werden würde. Schließlich würde die Lutherstatue dort gut sichtbar und „dennoch in würdiger Abgeschloßenheit und gutem Schutze stehen“717. Doch auch dieser letzte Umstimmungsversuch der Augustiner Gemeinde war nicht von Erfolg gekrönt, sodass am 31. Oktober 1889 das Erfurter Lutherdenkmal vor der Kaufmannskirche und nicht vor dem Augustinerkloster eingeweiht wurde. 3.3.8.2 Luther als Prediger gegen den Katholizismus Wie auch bei vorherigen Denkmalprojekten in reformationsgeschichtlich bedeutenden Städten, namentlich Wittenberg, Worms und Eisleben, wurde für die Bestimmung des Künstlers zunächst die Ausschreibung eines Wettbewerbs geplant. Schließlich entschied sich das Denkmalkomitee Anfang 1884 doch gegen eine öffent-

713 StadtA Erfurt, 1–1, Nr. 2k–4 1c, Bl. 42–49 (Gutachten von Friedrich Adler vom 28./29.12.1883). 714 StadtA Erfurt, 1–1, Nr. 2k–4 1c, Bl. 42. 715 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 298v (6. Jahresbericht des Lutherdenkmal-Vereins zu Erfurt im Sommer 1889). 716 Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 298–299. 717 StadtA Erfurt, 1–2, Nr. 353–5134, Bl. 42.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

liche Konkurrenz und beauftragte den Bildhauer Fritz Schaper. Dass die „Beteiligung von auswärts wegen einer Anzahl ähnlicher Denkmalspläne nachließ“718 und somit die Aufbringung der finanziellen Mittel schwieriger werden würde als erwartet, könnte ein Grund für die Entscheidung gegen einen kostenintensiven Wettbewerb gewesen sein.719 Fritz Schaper konnte dem Erfurter Lutherdenkmalkomitee bereits wenige Monate nach der Auftragsvergabe einen ersten Entwurf vorlegen. Beim Eislebener Wettbewerb hatte Schaper den zweiten Platz hinter Rudolf Siemering belegt, sodass sein Modell nicht realisiert worden war. 1884 im Zuge des Erfurter Auftrags hatte er nun die Möglichkeit, auf seinen ersten Entwurf zurückzugreifen. Fritz Schapers Gipsmodell für das Eislebener Lutherdenkmal aus dem Jahr 1876 gilt zwar als verschollen, jedoch ist eine Beschreibung erhalten, sodass sich dessen Gestaltung nachvollziehen lässt. Schaper hatte sich in seiner ersten Komposition stark an Ernst Rietschels Lutherstatue orientiert. Die Lutherstatue zeichnete sich dadurch aus, dass Schaper durch die Mimik einen jugendlichen Reformator voller Bekennermut und Überzeugung darstellte. Dessen Blick war himmelwärts gerichtet und er hielt den Betrachtenden mit seiner Linken die geöffnete Bibel hin, während die Rechte auf der Brust ruhte. Die Bibelhaltung erinnerte bei diesem Entwurf an das 1821 eingeweihte Wittenberger Denkmal, wohingegen die auf die Brust gelegte Hand auf Rietschels erstes Modell der Wormser Lutherstatue anspielte. Das heißt, Fritz Schapers Eislebener Entwurf galt nicht als innovative Darstellung des Reformators. Dies war bei der Eislebener Konkurrenz bereits von Zeitgenossen kritisiert worden.720 Der von Schaper nun im März 1884 an das Lutherdenkmalkomitee in Erfurt weitergegebene Vorschlag seiner Lutherstatue unterschied sich von dem Eislebener Modell zunächst nur minimal. Doch bis Februar 1885 änderte der Künstler die Lutherfigur weiter ab, sodass Luther schließlich die aufgeschlagene Bibel mit beiden Händen hielt. Hierdurch wurde eine allzu große Nähe zur Rietschel-Statue überwunden und zudem wurde der Künstler dafür gelobt, dass es ihm gelungen war, durch die jugendlichen Gesichtszüge seinem Entwurf „etwas von dem Gepräge zu geben, das der Mönch in der Klosterzelle an sich“721 getragen hatte.722

718 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 10. 719 Vgl.  StadtA Erfurt, 1–1 Städtische Akten, Nr.  16e–39 Protokolle über die Versammlung des Lutherdenkmal-Vereins in Erfurt und über die Sitzungen des Vorstands genannten Vereins, Protokoll vom 28.02.1884 und vom 20.03.1884. 720 Vgl. Steffens: Zwei Denkmalprojekte, 155–158. 721 StadtA Erfurt, 1–1, Nr. 16e–39, Protokoll vom 18.05.1885. 722 Christian Tümpel ist der Ansicht, dass es sich bei der Erfurter Lutherstatue um eine Variation der Wittenberger Figur handelt, da Luther mit beiden Händen die Bibel hält. Vgl. dazu Tümpel:

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Abb. 20: Lutherdenkmal in Erfurt, Fritz Schaper.

Mit dieser Ausarbeitung der Lutherfigur konnte Fritz Schaper auch den Lutherdenkmalverein zufriedenstellen.723 Schließlich hatte er mit seinem Entwurf den Reformator so getroffen, wie ihn der Vorsitzende des Komitees, Richard Bärwinkel, bereits in seinem Vortrag im Februar 1883 gezeichnet hatte. Bärwinkel hatte die Frage gestellt, inwiefern es möglich wäre, Luther für Erfurt so zu gestalten, „daß dadurch an die Mönchszelle erinnert“724 würde, der Reformator aber zugleich so zu sehen wäre, „wie ihn unser Volk sich denkt. Also nicht ein abgemagerter Mönch in der Kutte, sondern der gewaltige Prediger und Gottesmann“725 sollte einen öffentlichen Platz Erfurts zieren. So war die Darstellung Luthers als Mönch auch

Lutherdenkmäler, 244. Allerdings lassen sich darüber hinaus einige Unterschiede, wie Luthers Blick, der in Wittenberg auf den Betrachter direkt gerichtet ist, der Faltenwurf des Talars, der vorangestellte Fuß und die Richtung, in welche die geöffnete Bibel zeigt, benennen, sodass Schadows Lutherstatue in Wittenberg wohl eher nicht als direkte Vorlage für Schaper anzusehen ist. 723 Vgl.  StadtA Erfurt, 1–1, Nr.  16e–39, Protokolle vom 20.03.1884, 19.02.1885 und 18.05.1885; vgl. Merz, Heinrich: Art. Chronik. Erfurt, in: CKBK 27 (1885) 9, 144; vgl. ders.: Art. Chronik. Erfurt, in: CKBK 31 (1889) 9, 176. 724 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 295v (Bärwinkel: Luther, 12). 725 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 295v.

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in der Stadt, in der er ins Kloster eintrat und als Mönch lebte, unvorstellbar für ein Abbild aus Erz. Durch die beschriebene Körper- und Bibelhaltung wirkt es so, als würde der Erfurter Luther gerade predigen, indem sein Blick, als Zeichen der göttlichen Inspiration, himmelwärts gerichtet ist und er jederzeit seine Ausführungen durch die geöffnete Bibel stützen könnte. Durch diese predigende Haltung gelang es Fritz Schaper, die Statue und ihren Aufstellungsort mit der Kaufmannskirche im Hintergrund mit der historischen Situation von 1522 zu verknüpfen, da Luther damals in der Kirche gepredigt hatte. Insgesamt strahlt die Erfurter Lutherfigur Entschlossenheit und Selbstbewusstsein, aber keine Polemik aus. Dieser Eindruck wird jedoch durch ein weiteres Detail am Denkmal, das überraschenderweise in den zeitgenössischen Quellen und der Sekundärliteratur keine Erwähnung findet, relativiert.726 Hinter Luthers rechtem Fuß befindet sich, ähnlich wie beim Magdeburger Denkmal, eine Schriftrolle mit Siegel, das heißt wiederum die Bann(androhungs)bulle. Diese Hinzufügung impliziert eine konfessionelle Polemik gegenüber der katholischen Kirche. Eine solche wurde zusätzlich durch die Deutung der Inschrift auf der Vorderseite des Sockels aufgenommen. So heißt es dort nach Psalm 118,17: Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herren Werk verkündigen. Im Kontext der Einweihungsfeier wurde das Psalmwort auf den Reformator gedeutet und seine fortwährende Bedeutung betont. Zugleich wird durch das Bibelwort die predigende Haltung der Statue aufgenommen. An den drei übrigen Seiten des granitenen Denkmalsockels wurden drei Reliefs angebracht, die jeweils einen engen Bezug zwischen Luther und Erfurt herstellen. Auch hier fällt wiederum auf, dass der Vorsitzende des Denkmalvereins bereits 1883 klare Vorstellungen, nicht nur in Bezug auf die Gestaltung der Statue, sondern auch im Hinblick auf den Sockel geäußert hatte. Bärwinkel hatte sich für Szenen aus Luthers Leben in Erfurt ausgesprochen und sogleich einige Beispiele genannt. Diese wurden vom Bildhauer zum Teil aufgegriffen, sodass seine Relief-Vorschläge im Februar 1885 vom Lutherdenkmalverein unter Beifall aufgenommen wurden.727 Auf der östlichen Sockelseite werden auf dem Relief fünf junge, bürgerlich gekleidete Männer in einer Stube dargestellt. Zentral in der Mitte sitzt der junge Luther als Student auf dem Tisch und spielt die Laute, während die anderen Männer

726 Vgl. die Beschreibung des Erfurter Lutherdenkmals in der offiziellen Festschrift zur Einweihungsfeier N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 13–14. Der Hinweis auf die Bulle fehlt ebenso bei Friese, Michael: Eine ‚Ehrens- und Herzenssache der evangelischen Bürger Erfurts‘. Das Erfurter Lutherdenkmal, in: Ev. Kirchenkreis Erfurt (Hg.): Reformation in Bewegung. Erfurt zwischen 1517 und 2017, Leipzig 2017, 61–85. 727 Vgl. StadtA Erfurt, 1–1, Nr. 16e–39, Protokoll vom 19.02.1885; vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13– 2303, Nr. Allg 261, Bl. 296r (Bärwinkel: Luther, 13).

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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ihm zum Teil andächtig zuhören. Diese Szene soll an Luthers „letzten Abend vor seinem Eintritt ins Kloster“728 erinnern. Auf der Rückseite des Standbilds finden sich zwei Szenen, nämlich Luthers Klostereintritt und der Mönch Luther beim Gebet mit Ordensbrüdern. Zunächst trägt Luther bürgerliche Kleidung und dreht sich noch einmal zu seinen drei Begleitern um, um sich zu verabschieden. Bei diesen könnte es sich um einen Freund und seine Eltern handeln, die zunächst noch versucht hatten, Luther vom Klostereintritt abzuhalten. Luther wehrt diese mit der einen Hand ab und mit der anderen hält er die Bibel an seine Brust. Er wird zudem bereits von einem Mönch begrüßt. Auf der rechten Bildhälfte trägt Luther Mönchsgewand und Tonsur und hat die Hände zum Gebet gefaltet. Dabei blickt er demütig und andächtig zum Boden und wird, unter anderem von seinem Beichtvater Johannes von Staupitz, getröstet.729

  Abb. 21: Reliefs am Lutherdenkmal in Erfurt, Fritz Schaper.

728 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 296r. 729 Vgl. N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 14.

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Die Szene auf der linken Seite des Sockels zeigt Luther ebenso in der Mönchskutte, wobei sowohl sein Gesichtsausdruck als auch seine Kleidung stark Cranachs Bild Luther mit dem Doktorhut von 1521 ähneln. Dieses Porträt hatte Cranach „vermutlich kurz vor Luthers Abreise nach Worms“730 gezeichnet. Das Relief zeigt zudem, wie der junge Reformator, soeben aus der Kutsche ausgestiegen, einem sehr gut gekleideten Bürger die Hand reicht. Es handelt sich dabei um Crotus Rubeanus, den Rektor der Erfurter Universität, den Luther auf seiner Reise zum Wormser Reichstag begrüßte. Zudem sind hinter dem Rektor noch unzählige Menschen, sowohl Handwerker als auch Bürger, zu erkennen, die alle herbeigeströmt waren, um Luther zu sehen.731 Auffällig ist nun, dass alle drei Reliefplatten tatsächlich Ereignisse zeigen, die mit Luthers Leben in Erfurt in einem Zusammenhang stehen. Dadurch wurde insbesondere die Verbundenheit des Reformators mit der thüringischen Stadt betont und veranschaulicht, dass Erfurt eine Lutherstadt sei. Doch neben den lokalpatriotischen Aspekten, die an diesem Denkmal im Gegensatz zu vorherigen Lutherstandbildern besonders stark zum Ausdruck gebracht wurden, verweisen die Reliefszenen auch auf kulturell relevante Themen der 1880er Jahre. So wird zum einen durch den musizierenden jungen Studenten Luther der Einfluss der Reformation auf die Musik gewürdigt. Zum anderen kann in der Darstellung des Handschlags zwischen Luther und dem Rektor der Erfurter Universität ein Schulterschluss zwischen Reformation und Wissenschaft beziehungsweise Bildung gesehen werden. So wurden zentrale kulturelle Tugenden des Bildungsbürgertums, nämlich Kunst, Musik, Wissenschaft und Bildung durch die Reliefs illustriert und in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt. Durch die Betrachtung des Erfurter Lutherdenkmals fällt auf, dass bei der Planung und Umsetzung des Standbilds insbesondere konfessionelle und kulturelle Bezüge im Fokus standen. Bei der Enthüllungsfeier im Jahr 1889 ergänzten zudem noch politische Aspekte das Erfurter Lutherbild. 3.3.8.3 Die Enthüllungsfeier am 31. Oktober 1889 im Zeichen nationalprotestantischer Interessen Nachdem im Sommer 1889 durch den Verkauf des Gipsmodells732 Fritz Schapers für 8.000 Mark die Gesamtkosten des Erfurter Lutherstandbilds in Höhe von

730 Kuhn, Andreas / Stüber, Gabriele: Lutherbilder aus sechs Jahrhunderten, Ubstadt-Weiher / Heidelberg / Basel 2016, 14. 731 Vgl. Kuhn / Stüber: Lutherbilder, 14–15; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 111–112. 732 Im 6. Jahresbericht wird zudem mitgeteilt, dass dieses Modell „wahrscheinlich in der zu erbauenden Lutherkirche der Reichshauptstadt seine Aufstellung finden“ würde. Vgl. dazu LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 298r (6. Jahresbericht im Sommer 1889).

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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72.000 Mark gedeckt waren, wurde das Enthüllungsdatum auf den Reformationstag desselben Jahres gelegt. Das Denkmalkomitee war stolz und erfreut darüber, dass somit das Standbild „in verhältnißmäßig schneller Zeit […] ausgeführt werden [konnte] […], nämlich in 6 ½ Jahren seit Bestehen des […] gegründeten Vereins“733.734 Zudem betrachteten sie ihr Denkmal „mit aller Bestimmtheit […] als das hervorragendste Lutherdenkmal nach dem in Worms von Rietschels Meisterhand verfertigten“735. Dies veranschaulicht, dass auch 20 Jahre nach dessen Einweihung das Wormser Luthermonument der Maßstab für alle weiteren Standbilder des Reformators war. Die Gestaltung des Denkmalsockels hatte bereits auf den Erfurter Lokalpatriotismus verwiesen und auch die Enthüllungsfeier war hiervon geprägt. Es erfüllte die Denkmalinitiatoren mit Stolz, dass dem Reformator nun nicht mehr wie „bisher nur ein ganz bescheidenes Plätzchen über der Eingangsthür zum Festsaale [des] […] Rathauses“736 zugewiesen war, sondern dieser nun zentral in ihrer „altehrwürdige[n] Stadt Erfurt gleich den Lutherstädten Worms, Wittenberg und Eisleben“737 zu finden war. Schließlich nehme Erfurt eine „einzigartige […] Stellung […] unter den Lutherstädten“738 ein, sodass die Frage zu stellen sei, was „aus Deutschlands Volk geworden [wäre], wenn nicht der kühne Augustiner-Mönch die Welt von der römischen Knechtschaft des Geistes befreit“739 hätte. Luthers Erfurter Zeit im Augustinerkloster wurde daher nationale Bedeutung beigemessen, da in dessen „Mauern Luthers Lebensgang seine entscheidende Wendung genommen“740 hatte. Dieses städtische Selbstbewusstsein sollte zur Enthüllungsfeier auch nach außen hin sichtbar werden. Dementsprechend wurden die „evangelischen Mitbürger“741 im Vorfeld der Feierlichkeiten vom Denkmalkomitee dazu aufgerufen, die gesamte Stadt festlich zu schmücken. Dieser Bitte kamen die Erfurter nach, sodass grüne Zweige und Kränze und zahlreiche, nicht näher bestimmte Flaggen die

733 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 298v. 734 Bei der Vereinsgründung im Jahr 1883 hatte man die Hoffnung, dass das Lutherdenkmal innerhalb von zehn Jahren realisierbar wäre. Ihr Ziel hatten die Erfurter nun sogar zügiger erreicht. Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 293v (Bärwinkel: Luther, 8). 735 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 298v. 736 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 7. 737 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 5. 738 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 17 (Rede des Eislebener Archidiakonus Jordan). 739 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 5. 740 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 6. 741 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 15.

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Straßen zierten und die Krämerbrücke wurde „behängt mit einer doppelten Reihe bunter Lampions mit Lutherbildern“742. Am Vorabend des Reformationstags begann die zweitägige Enthüllungsfeier mit Gottesdiensten in den verschiedenen evangelischen Kirchen Erfurts.743 In den Predigten und Reden war erkennbar, dass die Denkmalinschrift auf der Vorderseite des Sockels, Ps 118,17744, der angebliche Lieblingspsalm Luthers, den Leitspruch für die Feierlichkeiten bilden würde. Es wurde betont, dass „das Werk des Reformators, so sehr auch die Gegner an ihm zu rütteln suchen, unerschütterlich“745 bestehen bleibe. Das Denkmal verleihe dementsprechend dem „neu erwachten evangelischen Bewußtsein […]“746 besonderen Ausdruck, wodurch der Grundton für die konfessionelle Deutung Luthers gegeben war. Insbesondere in den Reden des Vorsitzenden des Lutherdenkmalvereins, Richard Bärwinkel, und seines akademischen Lehrers und Mitbegründers des Evangelischen Bundes, Willibald Beyschlag, wurden die konfessionellen Spannungen deutlich. Der hallische Theologieprofessor Beyschlag wies darauf hin, „daß es vor Jahrzehnten noch eine Zeit gegeben [hätte], welche als die des Friedens und der Duldung zu bezeichnen sei, in der das hübsche Wort galt: Christ ist mein Name, Katholik oder Protestant mein Vorname“747. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wäre jedoch von einem neuen Konfessionalismus abgelöst worden, da der „deutsche Katholizismus“748 von damals vom „römische[n] Katholizismus“749 verdrängt worden sei. Letzterer verfolge nun das Ziel „gegen den evangelischen Glauben, gegen unser Kaiserreich, ja gegen unsere ganze geistige Entwicklung“750 vorzugehen. Deshalb sei als Gegengewicht die Gründung des Evangelischen Bundes von Nöten gewesen. Die Ausführungen des Theologen Beyschlag veranschaulichen, wie dies bereits bei der Einweihung des Magdeburger Lutherdenkmals angeklungen war, dass sich die Gräben zwischen den Konfessionen verschärften, obwohl auf politischer Ebene in den 1880er Jahren eine Aussöhnung zwischen Reichsregierung und Katholizismus angestrebt wurde. Demzufolge wurden Vereine gegründet, um sich zu organisieren und gemeinsam gegen die selbsternannten Feinde vorzugehen. Daneben 742 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 16. 743 Vgl. N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 17–29; vgl. StadtA Erfurt, 1–2, Nr. 353– 5134, Bl. 88–89 (Programm zur Enthüllung). 744 „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen.“ 745 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 15. 746 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 24. 747 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 56. 748 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 56. 749 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 56. 750 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 56.

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wurden allerdings auch die Denkmäler des Reformators dazu instrumentalisiert, die lutherische Identität einer Stadt zu demonstrieren. So war das Lutherstandbild, laut Richard Bärwinkel, nicht nur eine Würdigung des „größten menschlichen Wohlthäter[s] unseres deutschen Volkes […], sondern auch ein Zeugnis neu erwachten evangelischen Bewußtseins“751. Daher, so meinte der Vorsitzende des Lutherdenkmalvereins in seiner Weiherede weiter, verkündige das Erfurter Lutherstandbild „auch für die Zukunft […] den Sieg der Reformation und den Triumphzug des Evangeliums durch die ganze Menschheit“752. In diesen Zusammenhang passt auch die am Denkmal zu Luthers Füßen liegende päpstliche Bulle, über die der Reformator scheinbar stolz und erhaben hinweg gestiegen ist. Hervorzuheben ist zudem die kämpferische Rede des Hofpredigers Bernhard Rogge, die dieser am Abend des 31. Oktobers, als der Fackelzug das Denkmal erreicht hatte, hielt. Zunächst blickte er zurück auf zwei besondere Erfurter Ereignisse in den vergangenen Jahren: zum einen die Lutherfeier 1883 und zum anderen den Gründungstag des Evangelischen Bundes 1886. Dieser hat „es sich zur Aufgabe gemacht […], den echten Luthergeist in unserem deutschen Volke neu zu wecken, den berechtigten Lutherzorn wider römische Angriffe und Uebergriffe wach zu rufen“753. Da von Seiten der katholischen Kirche immer wieder Schmähungen gegenüber dem evangelischen Reformator ausgegangen waren, wurden die zahlreich errichteten Lutherdenkmäler für Rogge zu einem Zeugnis „dafür, daß Luthers Name und Luthers Werk mit unauslöschlichen Flammenzügen in dem Herzen des deutschen Volkes eingeschrieben stehen“754. Zusätzlich seien die Standbilder „ein immer erneuter Protest gegen die alten und neuen Schmähungen […] von den Pasquillenschreibern des 16. Jahrhunderts an bis auf die berüchtigten Gottliebbriefe der jüngsten Zeit“755. Zugleich verband sich, nach Rogge, mit dem Lutherdenkmal jedoch auch eine Mahnung an die Protestanten. Seiner Meinung nach drohe „[d]ie größte Gefahr […] unserer evangelischen Kirche nicht von Rom, sondern von der Gleichgiltigkeit Tausender ihrer Glieder“756. Er kritisierte zum einen, dass im Vorfeld von Trauungen „viele […] um eines Weibes oder Gutes willen“757 ihre evangelische Konfession aufgegeben hätten. Zum anderen verurteilte er die Gleichgültigkeit bei der Wahl der Konfession bei Taufen, da viele aufgrund „des lieben Frieden oder äußererer

751 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 24. 752 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 35. 753 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 45. 754 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 46. 755 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 46. 756 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 48–49. 757 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 49.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Vorteile […] kein Bedenken tragen, ihren evangelischen Glauben zu verleugnen“758. So appellierte er an die Zuhörenden, dass ihre Stadt nur eine Lutherstadt bleiben könne, wenn „ihre Bevölkerung in allen ihren Kreisen […] das Luthererbe des teuren evangelischen Glaubens“759 bewahren würde. Anhand der Reden Bärwinkels, Beyschlags und Rogges kam das angespannte Verhältnis zwischen Protestantismus und Katholizismus zum Ausdruck. Es wurde ein noch stärkerer Einflussgewinn des ultramontanen Katholizismus befürchtet und daher die Leidenschaftslosigkeit der Protestanten und Protestantinnen im Hinblick auf ihre eigene Konfession beklagt. Diese Beobachtung deckt sich auch mit der Kirchenpolitik des seit 1878 amtierenden Papstes, Leo XIII., der zwar auf politischer Ebene für Entspannung sorgte, jedoch durch seine Enzykliken auf Gemeindeebene Konflikte anheizte und die konfessionellen Gräben vertiefte. In diesem Kontext kann die Bann(androhungs)bulle am Denkmal nicht nur als Bezugspunkt zum 16. Jahrhundert gesehen, sondern aktualisiert für das 19. Jahrhundert auch als Ablehnung der zahlreichen von Papst Leo XIII. veröffentlichten Enzykliken gedeutet werden. Die konfessionellen Spannungen hatten sich bereits bei den Predigten zur Eislebener Lutherfeier 1883 und der Enthüllung des Magdeburger Lutherdenkmals 1886 angedeutet, doch hatten sich diese bei der Erfurter Einweihungsfeier, auch durch die Gründung des Evangelischen Bundes, noch verschärft. Daher war die Erfurter Lutherstatue als der predigende Reformator nötig, um an die eigene konfessionelle Identität zu appellieren. Es würde jedoch zu kurz greifen, wenn lediglich Luthers Bedeutung für die Kirche hervorgehoben werden würde. Denn bei der Erfurter Einweihungsfeier wurde auch immer wieder die kulturprägende Kraft des Reformators betont. Richard Bärwinkel meinte, dass die Erfurter Bevölkerung Luther „mit Stolz […] [ihren] größten Bürger nennen“760 dürfte, da dieser auf eine Vielzahl von Lebensbereichen Einfluss hatte. Hierzu zähle die Bildung, da „[d]as, was Luther aus der Tiefe des göttlichen Wortes herausgegraben […] hat, […] den besten Teil der Bildung unserer Zeit“761 bilde, die Volksschule, die auf „Luthers Schultern“762 ruhe und „der kräftig aufblühende nationale Staat, […] [der] ohne Luthers gewaltige Predigt“763 nicht denkbar gewesen wäre. Außerdem hatte der Reformator das deutsche Fami-

758 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 49. 759 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 49. 760 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 23. 761 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 32. 762 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 32. 763 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 32.

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lienleben, wo es gesund und „heilbringend ist“764, beeinflusst.765 Die Hervorhebung der gesellschaftlichen Verdienste Luthers, die bei vorherigen Einweihungsfeiern gewürdigt worden waren, und die Ansicht, dass der „Geist Luthers und der Reformation […] alle Verhältnisse und Gebiete des Lebens“766 durchdringe, steht ganz im Zeichen der zeitgenössischen Lutherinterpretation. Während die Theologen sich in ihren Predigten und Reden bei der Erfurter Enthüllungsfeier weitestgehend auf die theologische, konfessionelle und gesellschaftliche Deutung des Reformators bezogen hatten, war die Rede des Erfurter Bürgermeisters, Maximilian Kirchhoff, deutlich politischer. Nach der Übergabe des Standbilds an die Stadt und die evangelischen Bürger trat er ans Rednerpult. Er hoffe, dass sich die Anwesenden den Luthersinn, der „uns Gottesfurcht giebt und Menschenfurcht nimmt“767, erhalten würden. Denn auch in „dem herrlichen Wort unseres großen Kanzlers [Bismarck] […]: Wir Deutsche fürchten nur Gott, sonst niemanden“768 spiegele sich „[d]ieser deutsche […] Luthersinn“769 wider. Nach Meinung des Bürgermeisters gelte es diesen vor allem in der aktuellen Zeit zu fördern, da er helfe, „die höchsten Güter der Nation zu wahren und zu schützen vor allen Angriffen und Gefahren von außen und innen“770. Selbst der erst seit kurzem amtierende Kaiser Wilhelm II. hatte bereits öffentlich davor gewarnt, dass die „glorreichen mit so teuern Opfern erkauften Errungenschaften der letzten Dezennien“771 in Gefahr seien. Deshalb sei nicht nur ein innerer Zusammenhalt des Deutschen Reichs von Nöten, sondern es gelte auch „nach außen jederzeit gerüstet zu sein“772. Weiter rief Kirchhoff dazu auf, im Anblick des Lutherdenkmals die „kaiserliche und landesväterliche Mahnung […] [zu] beherzigen und […] mit dem Lutherbilde auch dem Luthergeiste […] eine bleibende Stätte zu bereiten“773. An dieser Rede des Bürgermeisters fällt insbesondere eine politische Instrumentalisierung des Reformators auf. Von Luthers „Gottesfurcht [und] rechte[m]

764 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 32. 765 Zur gesellschaftlichen Würdigung Luthers siehe auch die Rede des Regierungspräsidenten Heinrich von Brauchitsch und die Festpredigt des Generalsuperintendenten Leopold Schulze. Vgl. N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 36–39, 60–69; vgl. dazu auch den Bericht zur Feier am Vorabend der Enthüllung, in: StadtA Erfurt, 1–2, Nr. 353–5134, Bl. 123. 766 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 47. 767 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 40. 768 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 41. 769 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 41. 770 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 41. 771 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 41. 772 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 41. 773 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 41.

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Gottvertrauen“774 wird der Bogen über Bismarck zu Kaiser Wilhelm II. gespannt. Dabei geht es nicht mehr um eine Würdigung Luthers, sondern vielmehr um eine Einschwörung auf die kaiserliche Politik im Sinne des Reichsnationalismus. Es fällt auf, dass die aktuelle Zeit als angespannt gedeutet und die Außenpolitik besonders in den Blick genommen wurde, sodass bereits hier zentrale Aspekte der erst ein Jahr zuvor begonnenen Regierungszeit Wilhelms II. genannt wurden. Das Lutherdenkmal wurde zu einem Symbol und Versammlungsort für eine gemeinsame Verpflichtung auf nationalen Zusammenhalt und auf den Kaiser und seine Politik. Diese Einschwörung gipfelte am Ende der Rede des Bürgermeisters in Hochrufen auf den Kaiser und das Singen der Kaiserhymne Heil dir, im Siegerkranz. Dadurch vermischten sich bei der Denkmaleinweihung kirchliche und politische Elemente. Der Festtag hatte mit einem Gottesdienst und Festzug begonnen, bei der Enthüllung wurde das Lied Ein feste Burg gesungen, bevor sich an die Rede des Bürgermeisters dann das Hoch auf den Deutschen Kaiser775 und die Kaiserhymne anschlossen und der feierliche Akt am Denkmal mit einem Gebet, Segen, Glockengeläut und einem Choral beendet wurde.776 Unterstrichen wurde diese politisch-protestantische Synergie zudem durch den am Abend des 31.  Oktobers 1889 stattfindenden Fackelzug, an dem über 6.000 Personen teilnahmen und „wie ihn größer und schöner die Stadt Erfurt noch niemals in ihren Mauern zu sehen Gelegenheit gehabt hat[te]“777,778. Dieser startete am Friedrich-Wilhelm-Platz und zog zum Lutherdenkmal, wo der Hofprediger Bernhard Rogge die bereits oben besprochene Festrede hielt. Im Anschluss daran wurde das Lutherlied gesungen, bevor der Fackelzug zum Friedrich-Wilhelm-Platz zurückkehrte und das Lied Deutschland, Deutschland über Alles angestimmt wurde.779 So lässt sich anhand der Wahl des Start- beziehungsweise Endpunkts des Fackelzugs und der gesungenen Lieder wiederum eine Vermi-

774 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 40–41. 775 Die Hochrufe auf das Staatsoberhaupt setzten sich auch bei der im Anschluss an die Denkmalenthüllung stattfindenden Festversammlungen fort, vgl. hierzu N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 41–43. 776 Vgl. N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 31–41; vgl. StadtA Erfurt, 1–2, Nr. 353– 5134, Bl. 88–89 (Programm zur Enthüllung). 777 N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 43. 778 Zur Aufstellung des Fackelzugs, dessen Reihenfolge ausgelost worden war, vgl. StadtA Erfurt, 1–2, Nr. 353–5134, Bl. 123. Zur Einordnung der Einweihungsfeier des Denkmals im Zuge der Erfurter Lutherfeiern im 19. Jahrhundert vgl. knapp Baum, Harald: ‚Gewaltig wie er selber einst gewesen…‘. Zu Luther-Ehrungen im 19. Jahrhundert in Erfurt, in: Eidam, Hardy / Seib, Gerhard (Hg.): ‚Er fühlt der Zeiten ungeheuren Bruch und fest umklammert er sein Bibelbuch…‘ Zum Lutherkult im 19. Jahrhundert, Berlin 1996, 132–137. 779 Vgl. N. N.: Enthüllung des Luther-Denkmals zu Erfurt, 43–44.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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schung zwischen protestantischen und nationalen Elementen erkennen, sodass neben einer Konfessionalisierung auch eine Politisierung der Erfurter Denkmaleinweihungsfeier nicht von der Hand zu weisen ist.

3.3.9 Der die Bibel verteidigende Luther in Eisenach (1882–1895) Im Kreis der Städte, die auf das Engste mit dem Leben und Wirken Luthers zusammenhängen und dementsprechend für sich beanspruchen, eine Lutherstadt zu sein, fehlte bisher die unterhalb der Wartburg gelegene Stadt Eisenach. Hier hatte nicht nur der junge Martin die Schule besucht, sondern insbesondere Luthers Aufenthalt auf der Wartburg zwischen Mai 1521 und März 1522 und seine dortige Übersetzung des Neuen Testaments hatte große Bedeutung für den Fortgang der Reformation. Dementsprechend wurde in Vorbereitung auf die 400. Geburtstagsfeier des Reformators von Eisenacher Bürgern der Wunsch geäußert, ihre Stadt, in der Luther „seine Bildung empfangen und wo er nachher das große Werk der Bibel-Uebersetzung begonnen hat[te]“780, mit einem würdigen Lutherdenkmal zu zieren. 3.3.9.1 Der Weg zum Lutherdenkmal wird schwieriger In Eisenach gründete sich anlässlich des 400. Lutherjubiläums nicht nur ein Lutherdenkmalverein, sondern auch ein Komitee zur Organisation der Feierlichkeiten am 10. November 1883. Beide Vereine hatten sich unabhängig voneinander konstituiert und hatten dementsprechend auch unterschiedliche Vorstellungen, wie Luthers 400. Geburtstag in Eisenach zu gestalten sei. So war es dem Lutherfeier-Komitee ein großes Anliegen, dass im Rahmen der von ihm organisierten Feier die Grundsteinlegung für das Eisenacher Lutherdenkmal erfolgen sollte. Diese sei „höchst wünschenswerth“781, da sie dem Fest einen besonderen Charakter verleihen würde und „dieser Teil des Festes mehr als jeder andere geeignet [wäre] für alle Kreise der Stadt“782. Hier spiegelt sich die Vorstellung wider, dass mit der Grundsteinlegung eines Denkmals alle Teile der Bevölkerung angesprochen wären. Das widerspricht den bisherigen Analysen der Denkmalsetzungen, bei denen in erster Linie die bürgerlichen Eliten den Großteil der Feiernden ausmachten. Auch der Eisenacher Lutherdenkmalverein kam zu dieser

780 Kühn: Bericht, 3. 781 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (Lutherfeier-Comitee an das Luther-Denkmal-Comitee am 5.06.1883); vgl. auch LkA Eisenach, 11–005 Ephorie / Superintendentur Eisenach, Nr. 25.13 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach, Bl. 101. 782 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (5.06.1883).

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Einschätzung und schrieb, dass eine „Grundsteinlegung nicht mehr Theilnehmer heranziehen und für dieselben von keinem erhebenderen Eindruck sein [würde] […], als jede andere mit Festzug, Glockengeläute, Rede und Gesang verbundene öffentliche Lutherfeier“783. Die Anfrage, die Grundsteinlegung des geplanten Eisenacher Lutherstandbilds bereits im November 1883 durchzuführen, wurde daher von den Denkmalinitiatoren einstimmig abgelehnt. Zudem waren die Verantwortlichen der Meinung, dass „eine verfrühte Vornahme dieser Handlung“784 mehr Nach- als Vorteile mit sich bringen würde. Das Denkmalprojekt sei bisher noch nicht gesichert und würde „sicherlich 10, voraussichtlich aber 20 Jahre“785 bis zur Fertigstellung benötigen. Zusätzlich hatte man sich bisher weder auf einen Aufstellungsort noch auf einen Künstler festgelegt, oder über die Größe und den Entwurf des Denkmals entschieden. Dementsprechend waren die Denkmalinitiatoren davon überzeugt, dass „ein zwei Jahrzehnte vergeblich in der Erde ruhender Grundstein manche spöttische Rede hervorrufen“786 würde. Eine spätere aufgrund einer anderen Platzwahl eventuell notwendige Umsetzung desselben würde zusätzlich „die ehemalige Grundsteinlegungsfeier als einen willkührlichen Act, ein leeres Schaustück erscheinen lassen“787. Eine Grundsteinlegung im Jahr 1883 war somit für die Organisatoren des Standbilds unmöglich, weshalb das Komitee der Lutherfeier gebeten wurde, keine weiteren Anfragen im Hinblick auf dieses Thema zu stellen. Zusätzlich wurde der Lutherfeier-Verein aufgefordert, von „einer weiteren Erörterung der Angelegenheit in den Zeitungen ab[zu]sehen“788, sodass in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstünde, dass „persönliche […] Zwistigkeiten zwischen den beiden Komites“789 herrschen würden und dies für beide Projekte hinderlich wäre.790 Nach dieser Absage fiel die Eisenacher Lutherfeier 1883 ohne Bezug zu einer Lutherstatue aus.791

783 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (Lutherdenkmal-Comitee an das Lutherfeier-Comitee am 13.06.1883); vgl. auch LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 102a. 784 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (13.06.1883). 785 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (13.06.1883). 786 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (13.06.1883). 787 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (13.06.1883). 788 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (13.06.1883). 789 StadtA Eisenach, 10 10, Nr. 1775, o. N. (13.06.1883). 790 Vgl. LkA Eisenach, 11–005 Ephorie / Superintendentur Eisenach, Nr. 25.11 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach, Bl. 1r. Die Auseinandersetzung in der Zeitung um die Frage des Denkmalstandorts lässt sich nachvollziehen anhand von LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 87v–91. 791 Zum Programm und zum Gedenkblatt der Eisenacher Lutherfeier 1883 vgl. StadtA Eisenach, 10 10, Nr.  1774, Bl. 39v; vgl.  StadtA Eisenach, 10 10, Nr.  1775, o. N. (Gedenkblatt der Eisenacher Zeitung vom 10.11.1883).

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Der Lutherdenkmalverein trieb währenddessen sein Projekt, das erstmals am 4. Oktober 1882 von „eine[r] kleine[n] Schaar evangelischer Männer“792 geäußert worden war, weiter voran. Das Komitee hatte sich am 10.  Oktober 1882 gebildet und den Gymnasialdirektor Hugo von zu seinem Vorsitzenden gewählt. Die Ausarbeitung des Spendenaufrufs, sowie dessen Verbreitung nahm dann allerdings mehrere Monate in Anspruch. Nachdem der erste Entwurf auf den 16.  Oktober 1882 datiert ist, dauerte es noch bis Mai 1883, bis die endgültige Fassung schließlich veröffentlicht wurde. Dies hing damit zusammen, dass einzelne Formulierungen vom geschäftsführenden Ausschuss immer wieder diskutiert und Änderungen vorgenommen wurden.793 In der Genese des Entwurfs fällt zunächst der lokale Bezug zwischen Luther und der Stadt Eisenach auf. Luther wurde bei der ersten Fassung als „der große Reformator“794 bezeichnet, was sodann zu „schlichte[r] Bergmannssohn“795 abgeändert wurde, um die niedrige Herkunft Luthers hervorzuheben. Dadurch sollten nicht nur das Bildungsbürgertum, sondern auch Teile der Arbeiterklasse angesprochen werden. Dies zeigte sich auch anhand einer weiteren vorgeschlagenen Abänderung in Bezug auf den Kreis der Adressaten und Adressatinnen. Zuerst wurde davon ausgegangen, dass die Idee eines Lutherstandbilds in Eisenach „von der ganzen evangelischen Christenheit auf dem Continent wie jenseits des Oceans mit Freuden begrüßt […] werden“796 würde. Darum sollte der Aufruf „in die weite Welt [versandt werden], überall, wo irgendein Lichtstrahl von unserem Reformator hingedrungen“797 war. In dieser Formulierung wurde das Augenmerk auf den weltweiten Protestantismus gelegt, doch zugleich war es dem Superintendenten Marbach ein Anliegen, nicht nur die geographische Verbreitung, sondern auch die verschiedenen sozialen Gruppen in den Blick zu nehmen. Der Aufruf sollte daher seiner Meinung nach an alle, die Luther verehren, „überall in Stadt und Land, in allen Ständen“798 ergehen. Diese Formulierung wurde jedoch in die Endfassung des Aufrufes nicht übernommen. Eine weitere mehrmals überarbeitete Passage war die Deutung der Bibelübersetzung. Im ersten Entwurf wurde auf die Wartburgzeit Luthers Bezug genommen, indem Luther als Junker Jörg „in Ritterkleid mit dem Schwert […] und im Vollbart,

792 Kühn: Bericht, 4. 793 Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 3–9. 794 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 3r (Entwurf vom 16.10.1882). 795 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 5v. 796 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 4r. 797 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 4r. 798 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 5v.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

wie Lucas Cranach ihn im Bilde dargestellt hat“799 charakterisiert wurde. Auf die Übersetzungstätigkeit der Bibel wurde lediglich in einem Nebensatz eingegangen, indem es hieß: Er „ließ […] das Neue Testament in deutscher Sprache zum Volke reden“800. Diese Formulierung wurde schließlich durch einen zusätzlichen Absatz zu Luthers „Wirken in der stillen Zelle auf der Wartburg“801 ergänzt: „Hier [auf der Wartburg] unternahm er die Übersetzung der Heiligen Schrift ins Deutsche, sodaß sie fortan das segensreiche Gemeingut des deutschen Volkes und die Hauptstütze des Protestantismus wurde.“802 Auffällig an dieser Würdigung der Bibelübersetzung Luthers war, dass nun nicht mehr nur die Bedeutung für die deutsche Sprache und somit insgesamt für die deutsche Bevölkerung hervorgehoben wurde, sondern für den Protestantismus im Speziellen. Das heißt auch hier wurde sich nicht mehr allgemein auf die bürgerlichen Verdienste Luthers beschränkt, sondern eine konfessionelle Ausrichtung des Denkmalprojekts ist erkennbar. Die verschiedenen Entwürfe des Eisenacher Spendenaufrufs zeigen, dass im Ausschuss darum gerungen wurde, die passenden Formulierungen zu finden, da im Herbst 1882 bereits in mehreren Städten Lutherdenkmalinitiativen gestartet worden waren und man sich von diesen unterscheiden wollte. Zudem war es die Absicht des Lutherdenkmalkomitees, über die Eisenacher Stadtgrenze hinweg Spenden zu sammeln. Eine „vorzeitige Veröffentlichung des […] Aufrufs durch die Presse“803 sollte verhindert werden. Stattdessen wurden Namen von Personen gesammelt, die das Denkmalprojekt möglicherweise fördern würden.804 Auf diese Weise konnte eine internationale Liste zusammengestellt werden, sodass diesen Personen der Aufruf mit der Bitte zugeschickt wurde, ihn „an geeignete Persönlichkeiten“805 weiterzugeben und das Projekt „durch Bildung von Lokal-Komitees oder durch den Ertrag von Vorträgen, Konzerten und auf sonstige Weise“806 zu fördern. Die Resonanz auf den Eisenacher Aufruf war durchaus positiv. So gründete sich beispielsweise in Heidelberg ein Lokal-Komitee, dem im Juni 1883 elf Perso799 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 3v. 800 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 3v. 801 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 8v. 802 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 12r. Für den veröffentlichten Aufruf vgl. auch LkA Eisenach, 11–005 Ephorie / Superintendentur Eisenach, Nr.  25.10 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach, Bl. 25–26; vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 5–6; vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 261, Bl. 28. 803 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl 12v. 804 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl 14. 805 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 68. 806 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 68.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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nen, darunter evangelische Geistliche, Universitätsprofessoren, Gemeindebeamte und Lehrer, angehörten. Es hatte sich zwar auch das Erfurter Lutherdenkmalkomitee an die Heidelberger gewandt und um Unterstützung gebeten, allerdings waren die Heidelberger „Komitee-Mitglieder darin einverstanden, daß alle Kräfte für Eisenach“807 gesammelt werden sollen. Hier hatte der Eisenacher Denkmalverein den Vorzug erhalten. Anders verhielt es sich hingegen in Zürich, denn dort näherte sich im Jahr 1884 der 400. Geburtstag Huldrych Zwinglis. Aus diesem Anlass hatte sich dort ebenfalls ein Denkmalkomitee gebildet, das bereits seit zehn Jahren Spenden sammelte. Trotz „aller Sympathie und Verehrung für Luther“808 wurde das Eisenacher Gesuch um Unterstützung abgelehnt, da eine gleichzeitige Unterstützung beider Projekte nicht möglich wäre.809 Diese beiden Beispiele machen wiederum deutlich, wie groß im Jahr 1883 die Konkurrenz zwischen den einzelnen Denkmalprojekten war, dass zahlreiche Spendensammlungen gleichzeitig stattfanden und dadurch die Finanzierung der einzelnen Denkmalinitiativen erschwert wurde. Blickt man auf die kirchlichen Sammlungen, dann zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier gab es verschiedene Initiativen, die auf die Genehmigung von Kirchenkollekten für ihr Anliegen hofften. Die Beckenkollekten im Rahmen des Lutherjubiläums 1883 wurden daher im Großherzogtum Sachsen-Weimar zwischen dem Eisenacher Lutherdenkmalkomitee und der Lutherstiftung in Möhra810 aufgeteilt. Den evangelischen Gemeinden war selbst überlassen, „ob sie für beide Unternehmungen oder nur für eines derselben sammeln“811 möchten, sodass fast zwei Drittel der Kirchenkollekten an das Eisenacher Denkmalkomitee gingen.812 807 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 130 (Heidelberger Lokal-Komitee am 29.06.1883). 808 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.11, Bl. 31v. 809 Das Denkmal Zwinglis wurde vom Wiener Künstler Heinrich Natter angefertigt und 1885 in Zürich eingeweiht. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 286–287. 810 Die Lutherstiftung in Möhra beabsichtigte die Unterstützung der dortigen Pfarrstelle, die Beschaffung einer Glocke und die Herstellung eines Lutherzimmers. Vgl.  LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 165. 811 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 165r (Beschluss des Kultusministeriums vom 15.10.1883). 812 Vgl. LkA Eisenach, 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr. 323 Beckenkollekte für das Lutherdenkmal in Eisenach und die Lutherstiftung in Möhra 1883, Bl. 1–2; Für die Belege der Spendeneingänge vgl. LkA Eisenach, 11–005 Ephorie / Superintendentur Eisenach, Nr. 25.12 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach. Die verschiedenen unterstützenden Personen finden sich in: LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13. Eine weitere Beckenkollekte in allen evangelischen Gemeinden des Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach wurde genehmigt für den 9.11.1890 vgl.  dazu LkA Eisenach, 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr.  332 Becken-Kollekte für das Lutherdenkmal in Eisenach, Bl. 3 und LATh – HStA Weimar, 6–13–2303 Staatsministerium, Department des Kultus, Nr. Allg. 262 Feier des vierhundertjährigen Gedächtnistages der Geburt Dr. Martin Luthers, Bl. 1–2.

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Doch trotzdem hatte der Lutherdenkmalverein in Eisenach nach sechs Jahren von den für die Umsetzung zunächst ins Auge gefassten 100.000 Mark erst 30.000 Mark gesammelt.813 Der hohe noch fehlende Betrag führte dazu, dass die Realisierung des Eisenacher Lutherdenkmals auch 1889 noch nicht gesichert war, was nicht nur den Herzog von Anhalt, sondern auch den deutschen Kaiser dazu veranlasste, keine finanzielle Unterstützung beizusteuern.814 In seinem Empfehlungsschreiben an den Kaiser befürwortete der Minister für auswärtige und geistliche Angelegenheiten zwar die positive Absicht, dass „ein der geschichtlichen Bedeutung des Orts entsprechendes würdiges Denkmal“815 errichtet werden soll. Gleichzeitig gab er jedoch auch zu bedenken, dass in den vergangenen zehn Jahren in zahlreichen Städten Lutherstandbilder initiiert worden waren und lediglich für das Eislebener Denkmal des Reformators „mittels Allerhöchsten Erlasses vom 8.  März 1876 ein Gnadengeschenk […] bewilligt worden“816 war. Kritisch wurde zudem darauf verwiesen, dass über „die Art der Ausführung des Monuments […] noch keine Beschlüsse“817 getroffen worden waren, weshalb das Gesuch des Eisenacher Denkmalvereins vom 11. Mai 1889 abgelehnt wurde.818 Auch die zweite Anfrage für ein kaiserliches Gnadengeschenk am 16. Januar 1891 wurde nicht befürwortet. Dabei hatten sich in der Zwischenzeit „die Verhältnisse des Eisenacher Komites […] sichtlich geändert“819, denn es war nicht nur ein Entwurf des Künstlers Adolf von Donndorf angenommen worden, sondern die Gesamtkosten sollten sich nun nur noch auf 60.000 Mark belaufen, wovon bereits 51.000 Mark vorhanden waren. Der Eisenacher Denkmalverein hoffte darauf, „[z]ur Vervollständigung des Denkmalfonds Mittel des deutschen Reichs oder des preußischen Staats in Anspruch“820 nehmen zu dürfen. Doch auf Seiten der kaiserlichen Regierung wurde nun argumentiert, dass „die Errichtung eines Denkmals für den großen Reformator in Eisenach, so eng dieser Ort auch mit Luthers Leben verknüpft ist, durch ein allgemeines, die gesamten protestantischen Kreise des deutschen Reichs oder Preußens, berührendes Interesse nicht gefordert wird“821. 813 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 45–47 (Minister für auswärtige Angelegenheiten an Wilhelm II am 31.10.1889); vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 89v (Zeitungsartikel: Zur Denkmälerfrage. Entgegnung des Lutherdenkmalvereins). 814 LATh – StA Gotha, 3401 Staatsministerium Dep. III Gen Loc 73, Nr. 60 Errichtung eines Lutherdenkmals in Eisenach, Bl. 1–2. 815 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 46r. 816 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 46v. 817 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 45v–46r. 818 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 45–48. 819 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 49r. 820 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 49v. 821 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 49v.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Das veranschaulicht, dass dem Eisenacher Lutherdenkmal von Seiten der kaiserlichen Regierung keine nationale, sondern lediglich lokale Bedeutung zugeschrieben wurde. Anders verhielt es sich beim Eislebener und beim noch zu betrachtenden Berliner Lutherdenkmal, die jeweils durch Staatsbeihilfen gefördert wurden. Nachdem in der Zwischenzeit der Landesherr der Eisenacher, der Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, einen Beitrag gespendet hatte, ging die Reichsregierung davon aus „daß sich die noch fehlenden Mittel [auch ohne Mithilfe] leicht beschaffen lassen“822 würden. Auch diese Unterstützung des Landesherrn förderte in Berlin die Ansicht der lediglich regionalen Bedeutung des Eisenacher Lutherdenkmals. 3.3.9.2 Die Konfessionalisierung und Nationalisierung der Denkmalpläne Für die Mitglieder des Lutherdenkmalvereins hatte sich das Einwerben der Spendengelder für ein Standbild des schlichten Bergmannsohns schwieriger als gedacht gestaltet.823 Doch auch wenn 1889 ein Beitrag des Kaisers abgelehnt worden war, gab das Jahr dem Eisenacher Denkmalprojekt Auftrieb. So wurde zunächst am 11.  Februar 1889 ein zweiter Aufruf veröffentlicht, der Luther nun als den „unsterblichen deutschen Geisteshelden“824 würdigte und darauf aufmerksam machte, dass weiterhin die Unterstützung „unsere[r] evangelischen Glaubensgenossen“825 notwendig sei. Mit Entrüstung musste zugesehen werden, dass „[s]chneller als uns ein Lutherdenkmal, […] es katholischem Eifer gelungen [war], […] in der alten Lutherstadt […] eine stattliche katholische Kirche zu bauen“826. Dies sei eine „Mahnung [gewesen] an Alle, die wissen was sie der deutschen Reformation verdanken“827, denn schließlich war es Luther gewesen, der „dem deutschen Geistesleben eine unvergängliche Grundlage gegeben“828 hatte. In diesem zweiten Spendenaufruf ist eine deutliche Konfessionalisierung erkennbar, indem man sich vom Vordringen des Katholizismus abgrenzte und stattdessen ein Bewusstwerden der eigenen konfessionellen Zugehörigkeit und der Errungenschaften der Reformation einforderte. Hier zeigt sich erneut, was bereits bei vorherigen Lutherdenkmälern deutlich wurde, dass im Verlauf der 1880er Jahre die Spannungen zwischen Katholizismus und Protestantismus zugenommen hatten.

822 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 50r. 823 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 5v (1. Aufruf vom 12.05.1883). 824 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 53r (2. Aufruf vom 11.02.1889). 825 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 53r. 826 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 53v–54r. 827 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 54r. 828 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 54r.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Zugleich mit der verstärkten evangelischen Betonung der Denkmalpläne ging ein Wechsel des Vorsitzenden des Vereins einher. Der ursprüngliche Vorsitzende, Gymnasialdirektor Hugo Weber, wurde vom Archidiakonus Hugo Kiefer abgelöst und erscheint nicht mehr als Unterzeichner des zweiten Aufrufs. Gründe für den Wechsel des Vorsitzenden werden in den Quellen nicht genannt, sodass sich lediglich festhalten lässt, dass spätestens seit Februar 1889 ein kirchlicher Amtsträger dem Eisenacher Denkmalkomitee vorsaß.829 Neben der Veröffentlichung des zweiten Aufrufs wurde nach dem Erfurter Standbild der Evangelische Bund einmal mehr zu einem wichtigen Förderer des Denkmalprojekts. Die Unterstützung des Evangelischen Bundes lässt sich zuerst daran erkennen, dass von den unter dem zweiten Spendenaufruf aufgezählten auswärtigen Mitgliedern des Denkmalkomitees mindestens 12% Anhänger des Evangelischen Bundes waren.830 Gemeinsam mit diesen wurde beschlossen, dass die Grundsteinlegung des Eisenacher Luthermonuments im Rahmen der vom 30. September bis 3. Oktober 1889 in Eisenach abgehaltenen Generalversammlung des Evangelischen Bundes unter dessen offizieller Beteiligung stattfinden sollte.831 Zustimmend urteilte das Eisenacher Denkmalkomitee, „daß eine glänzendere Bekräftigung unseres Unternehmens […] nicht gut gefunden werden könnte als jene General-Versammlung des evangelischen Bundes, da gewissermaßen die freie Vertretung des deutschen Protestantismus sich zu unserem Werke bekannte“832. Hieran wird zudem der Stellenwert, der diesem evangelischen Verein innerhalb des Protestantismus im deutschen Kaiserreich beigemessen wurde, deutlich. Um die Grundsteinlegung jedoch tatsächlich abhalten zu können, benötigte der Denkmalverein noch eine allgemeine Erlaubnis der städtischen Behörden zur Durchführung der Feier und vor allem auch die Genehmigung für den Aufstellungsort. In einem Gutachten hatte sich der Bildhauer Adolf von Donndorf „wegen seiner günstigen formalen Gestaltung“833 für den Marktplatz und gegen den aufgrund seiner „ungünstigen assimetrischen Gestaltung“834 ungeeigneten Karlsplatz

829 Ein verfrühter Tod oder ein Wegziehen Hugo Webers lässt sich ausschließen, da er bis 1898 Rektor des Eisenacher Gymnasiums war und 1904 verstarb. 830 Die Zugehörigkeit zum Evangelischen Bund lässt sich insbesondere durch die Auflistung der Mitglieder des Zentralvorstandes des Evangelischen Bundes nachweisen, welche sich findet bei Müller-Dreier: Konfession, 561–563. 831 Für das Programm der Generalversammlung des Evangelischen Bundes vgl.  LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 42–43; vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 286–287. 832 StadtA Eisenach, Bib. 5–123–93.4, Kiefer, Hugo: Festreden zur Enthüllung des Lutherdenkmals in Eisenach, Eisenach 1895, 7. 833 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 29r. 834 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 29r.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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ausgesprochen.835 In einem Beschluss des Eisenacher Oberbürgermeisters vom 24. Juni 1889 wurde dann allerdings der Karlsplatz als Aufstellungsort festgelegt.836 Zudem wurde dem Denkmalkomitee von der Bürgervertretung der Stadt Eisenach die Feier der Grundsteinlegung genehmigt. Allerdings nur unter der Bedingung, dass alle „Vorverhandlungen in der Denkmalsangelegenheit – sowohl für die Grundsteinlegung wie später für die Aufstellung – […] vom Vorstande des Komitees in Gemeinschaft mit einer Kommission der städtischen Behörden […] zu führen“837 seien. Des Weiteren bekundete der Gemeinderat „sein hervorragendes Interesse an der Entwicklung dieser Angelegenheit“838, indem die jeweiligen Feierlichkeiten, das heißt die Grundsteinlegung und die Einweihung des Denkmals, jeweils unter Beteiligung der städtischen Behörden stattzufinden hätten. Aus diesen Forderungen des Eisenacher Gemeinderats geht hervor, dass durch das Vorhaben, die Grundsteinlegung während der Generalversammlung des Evangelischen Bundes stattfinden zu lassen, befürchtet wurde, dass die städtischen Behörden ihr Mitspracherecht verlieren würden. Das heißt das Lutherdenkmal sollte nicht allein unter Beihilfe eines protestantischen Vereins fertiggestellt werden, sondern die Bedeutung des Denkmals für die Stadt Eisenach sollte gewahrt werden.839 Die Grundsteinlegung des Eisenacher Denkmals am 2.  Oktober 1889 wurde schließlich mit einem großen Festakt begangen.840 Dabei zeigte sich das Nebeneinander von protestantischen und städtischen Interessen. In seiner Eröffnungsrede stellte der Vorsitzende des Lutherdenkmalvereins, Hugo Kiefer, zuerst die reformationsgeschichtliche Bedeutung Eisenachs heraus. Schließlich gäbe es laut Kiefer „[o]hne den Luther der Wartburg […] keine Reformation, keine evangelische Kirche“841. Daher hätten die Eisenacher „ein gutes Recht, ihn den Unsern zu nennen und des Unsterblichen Erdengestalt festzuhalten, in den Formen der Kunst“842. Daneben stimmte der Festredner einen versöhnlichen Ton gegenüber den katholischen Mitbürgern an. Das Läuten der Glocken der katholischen Kirche

835 In einem Zeitungsartikel des Berliner Tageblatt vom 10.08.1889 hingegen wurde der Karlsplatz als beste Wahl bezeichnet, „da dem Besucher beim Eintritt in die Stadt sofort das Monument schon von Weitem in die Augen fallen“ würde. Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 40r. 836 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 29r. 837 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 31r [Hervorhebung im Original]. 838 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 31v. 839 Die städtischen Behörden zahlten bereits seit 1883 jährlich 1.000 Mark in den Lutherdenkmalfonds ein. Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 21 (Beschluss des Stadtrats vom 24.11.1883). 840 Die Teilnahme an der Grundsteinlegung hatte zuvor der Oberbürgermeister den städtischen Behörden, sowie Schulen angeordnet. Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 34. 841 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 55 (Kiefer, Hugo: Festrede bei der Grundsteinlegung des Lutherdenkmals in Eisenach am 2. Oktober 1889, Eisenach 1889, 4). 842 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 55 (Kiefer: Festrede, 4–5).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

sei zwar weiterhin „ein ungewohnter Klang hier [in Eisenach], doch auch dies [sei] ein Zeugnis der Glaubens- und Gewissensfreiheit evangelischer Lande“843. Wichtiger als den konfessionellen Gegensatz zu betonen, war Hugo Kiefer, herauszustellen, dass die Reformation „nicht nur Sache einer Partei [sei, sondern] sie ist die größte nationale That gewesen“844. An dieses nationale Pathos schloss sich auch die darauffolgende Rede des Vorsitzenden des Eisenacher Gemeinderats an. Der Redner wollte nicht darauf eingehen, inwiefern Luthers Wirken „Deutschland in zwei Lager“845 trennte, sondern vielmehr darauf verweisen, „was sie eine, und das sei Luther, der Luther Eisenachs, welcher die deutsche Sprache geschaffen, aus welcher sich das Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickele“846. Das heißt Luther wurde bei der Eisenacher Grundsteinlegung wiederum aufgrund seiner Bibelübersetzung als deutscher Einheitsstifter interpretiert. Daher verkünde sein Denkmal „in erhabener Größe Alldeutschland […], daß Luther hier von der Wartburg herab die deutsche Einheit begründete“847. Deshalb sollte das Eisenacher Standbild „[n]icht die Kindergestalt Luthers, nicht […] [den] Junker Jörg“848 abbilden, also keine historische Eisenacher Gestalt Luthers, sondern „hier muß ein Bild des großen Luthers“849 entstehen.850 Dem Lutherdenkmal wurde zwar in den beiden genannten Reden eine nationale Bedeutung für das gesamte Deutsche Kaiserreich beigemessen, in der Absage des Kaisers bezüglich eines Gnadengeschenks, die einen Monat nach der Grundsteinlegung erfolgt war, ging jedoch hervor, dass dem Eisenacher Lutherdenkmal auf Seiten der Reichsregierung die gesamtdeutsche Reichweite abgesprochen wurde. Nach dem Akt der Grundsteinlegung ergriff der Leipziger Theologieprofessor und Zentralvorstand des Evangelischen Bundes Gustav Adolf Fricke das Wort. In einer „packende[n] Rede“851 schwor er die Anwesenden darauf ein, dass es „die

843 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 55 (Kiefer: Festrede, 5). 844 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 55 (Kiefer: Festrede, 5). 845 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 288 (Bojanowski, Paul von: Art. Die Grundsteinlegung des Luther-Denkmals, in: Weimarer Zeitung übernommen aus Eisenacher Zeitung). 846 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 288. 847 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 288. 848 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 288. 849 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg 261, Bl. 288. 850 Dadurch wandte man sich gegen die Vorstellung der deutschen Burschenschaftler, die 1869 eine Initiative für ein Lutherdenkmal in Eisenach gestartet hatten. Diese wollten eine „Klein-Martin-Statuette“ errichten, die Luther als Kurrentschüler im Hause Ursula Cottas darstellte. Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 1–8; vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 240–241, Bl. 247–248; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 109. 851 Kammer: Reformationsdenkmäler, 109.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Pflicht aller Evangelischen [sei,] […] an unserer evangelischen Lehre [festzuhalten] und zum Kampf gegen Rom“852 bereit zu sein. Mit der Abwehr des Ultramontanismus nahm Fricke in seiner Ansprache ein Thema auf, welches auch in anderen Vorträgen auf der Generalversammlung des Evangelischen Bundes thematisiert worden war. Diese verband sich gemäß dem Anliegen des Evangelischen Bundes zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen mit der nationalen Deutung Luthers.853 So wurde im Jahr 1889, in dem sowohl der zweite Spendenaufruf veröffentlicht worden war als auch die Grundsteinlegung stattgefunden hatte, die Lutherinterpretation insbesondere von Seiten des Denkmalvereins und der städtischen Vertreter nationalisiert und vom Lutherdenkmalverein zusammen mit dem Evangelischen Bund konfessionalisiert, um das Denkmalprojekt voranzubringen. Nachdem 1890 die Kosten gesichert waren, wurde der Bildhauer Adolf von Donndorf mit der Ausarbeitung des Denkmals beauftragt. 3.3.9.3 Die Lutherstatue unterhalb der Wartburg Der Stuttgarter Bildhauer Adolf von Donndorf hatte für Eisenach bereits das 1884 eingeweihte Bachdenkmal entworfen und legte 1890 seinen Entwurf für ein Lutherdenkmal vor. Dieser wurde vom Lutherdenkmalverein einstimmig angenommen, sodass am 15.  August 1890 der Vertrag mit dem Künstler geschlossen werden konnte. Hierin verpflichtete sich der Bildhauer, dass er das vom Eisenacher Verein genehmigte Gipsmodell innerhalb von drei Jahren in Bronze und mit einer Höhe von neun Metern fertigstellen würde.854 Adolf von Donndorf hatte bereits nach Ernst Rietschels Tod bei der Fertigstellung des Wormser Lutherdenkmals geholfen und den dortigen Lutherkopf überarbeitet. Er griff bei seiner Lutherstatue die bereits charakteristisch gewordenen Merkmale Talar, Bibel und vorangestellte rechte Fußstellung auf und konzipierte trotzdem ein individuelles Luthermonument. Markant ist hierbei, dass der Bildhauer sich nicht an dem von ihm überarbeiteten Wormser Lutherkopf orientierte, sondern stattdessen einen individuellen, ausdrucksstarken Reformator abbilden wollte. So wurde berichtet, dass Donndorf seit seinen Arbeiten am Wormser Lutherkopf „wohl vierzigmal […] den Kopf frisch durchmodelliert [hatte], bis er ihm genügte“855. Dies zeigt, dass Donndorf sich auch nach seinen Arbeiten an der

852 Kammer: Reformationsdenkmäler, 109. 853 Vgl.  Brakelmann, Günter: Evangelischer Bund und evangelische Arbeitervereinsbewegung, in: Maron, Gottfried (Hg.): Evangelisch und Ökumenisch. Beiträge zum 100jährigen Bestehen des Evangelischen Bundes (KiKonf 25), Göttingen 1986, 134. 854 Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 143 (Vertrag mit Donndorf vom 15.08.1890). 855 Merz, Johannes: Art. Das Lutherdenkmal in Eisenach, in: CKBK 37 (1895) 5, 68.

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Rietschelschen Lutherstatue intensiv mit Luther auseinandergesetzt hatte. Dabei war ihm für das Eisenacher Standbild wichtig, anzuerkennen, dass das „Motiv der Wormser Statue […] einzig, unübertreffbar, aber eben auch nur in Worms“856 gerechtfertigt sei. Dementsprechend war es die Absicht des Künstlers, eine eigene, für Eisenach passende Darstellung Luthers zu modellieren, das heißt „statt des werdenden den gewordenen Luther“857. So bestand auch für Donndorf die Herausforderung darin, sich von der populären Wormser Figur abzuheben und eine individuelle und dennoch authentische Luthergestalt zu entwerfen. Die Eisenacher Lutherstatue zeichnet sich durch „[s]chlichte Natürlichkeit im festen Bezeugen“858 von Gottes Wort aus, was sich auch in den ernsten Gesichtszügen, welche den Eindruck von Luthers Entschlossenheit und Zuversicht unterstrichen, in der aufrechten Körperhaltung und in der Position der Bibel widerspiegelt. Diese hält er mit beiden Händen fest an seine linke Brust gedrückt, sodass es wirkt, als ob Luther diese verteidigen würde. Indem Donndorf für die Bibel eine im Kontext der Lutherdenkmäler neue Position entwarf, legte er den besonderen Fokus auf das Wort Gottes. So wird bereits durch die Lutherstatue ein historischer Bezug zum Aufstellungsort am Fuße der Wartburg, wo Luther 1521/22 das Neue Testament ins Deutsche übersetzt hatte, hergestellt.859 Dies betonte auch der Kirchenrat Bogenhard am Abend vor der Enthüllungsfeier, indem er feststellte, dass das Eisenacher Lutherstandbild „mit viel größerem Gewicht als jedes andere Lutherstandbild hin[weise] auf die einzige Autorität in Glaubenssachen, auf das Wort Gottes“860. Neben diesem durch die Bibelhaltung implizierten lokalen Bezug, sind zusätzlich die drei am Sockel angebrachten Reliefs zu nennen, welche die Beziehung zwischen Luthers Leben und der Stadt Eisenach beziehungsweise der Wartburg herausstellten. Ein Denkmal des Reformators in Eisenach müsse „auch den Luther der Wartburg […] den ‚Junker Georg‘“861 zeigen, war sich ein Zeitgenosse sicher. Donndorf kam diesem Verlangen nach und hielt am Denkmalsockel in zwei Reliefs Luthers Zeit auf der Wartburg fest. Auf der Ostseite ist Luther als bärtiger Junker Jörg dargestellt, der in einer Hand ein Buch haltend unter einem Eichenbaum, von dem ein Eichhörnchen herunterklettert, sitzt. Diese Szene Luthers im Wald ist zum einen geprägt durch den auffälligen Detailreichtum und die naturgetreue Darstellung und zum anderen strahlt sie Ruhe und Idylle aus. Dieser Eindruck wird 856 Merz: Lutherdenkmal in Eisenach, 68. 857 Merz: Lutherdenkmal in Eisenach, 68. 858 Merz: Lutherdenkmal in Eisenach, 68. 859 Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte, 37. 860 Kühn: Bericht, 9. 861 Merz, Johannes: Art. Junker Jörg, in: CKBK 37 (1895) 6, 81.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Abb. 22: Lutherdenkmal in Eisenach, Adolf von Donndorf.

jedoch durch eine Armbrust in der anderen Hand des Junkers Jörg durchbrochen, sodass Zeitgenossen folgendermaßen schrieben: „Aus war’s mit der Beschaulichkeit, Kampf war sein Element geworden; aber mitten im Kampf war seine Seele stille zu Gott“862. Auch das Relief auf der Vorderseite des Postaments ist geprägt von vielen Einzelheiten. Luther wird wiederum als der bärtige Junker Jörg ohne Tonsur und Kutte in einem langen Gewand abgebildet. Er befindet sich auf der Wartburg in seiner Stube am Schreibtisch und arbeitet an der Übersetzung der Bibel. Er schreibt mit der rechten Hand etwas auf, während er in der linken Hand ein Buch hält, in welches er vertieft ist. Zusätzlich stapeln sich um ihn herum weitere Bücher, die wohl als Hilfsmittel für das Übersetzen dienen. Diese Momentaufnahme aus Luthers Übersetzungsprozess veranschaulicht dessen unermüdliche Arbeit während seiner Zeit auf der Wartburg. Auf der Westseite ist eine Szene aus Luthers Eisenacher Kindheit abgebildet: Der junge Luther steht als Kurrentschüler vor der sitzenden Frau Cotta, wobei hinter ihm noch zwei junge Männer mit Gesangbuch in der Hand stehen. Bei der

862 Merz: Junker Jörg, 83.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 23: Relief am Lutherdenkmal in Eisenach, Adolf von Donndorf.

bürgerlichen Familie Cotta hatte Luther während seiner Zeit an der Eisenacher St. Georgenschule gelebt.863 Ergänzt werden die drei Reliefs auf der Rückseite des Denkmals durch eine reichverzierte Bronzetafel, auf der Luthers Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“ zitiert wird.864 So fällt bei der Gesamtbetrachtung des Standbilds insbesondere der detailreiche, mit Ornamenten verzierte Sockel auf, der sich von den bisherigen Postamenten an Lutherdenkmälern unterscheidet. Durch diese lebhaften Darstellungen erscheint es, als würde der Denkmalsockel die Geschichte Luthers in Eisenach geradezu anschaulich erzählen. Die inhaltliche Aussage des Postaments stellt einen eindeutigen lokalen Bezug des Lutherstandbilds zu seinem Aufstellungsort, der Lutherstadt Eisenach, her. Der Lokalpatriotismus spiegelte sich zuletzt auch im gewählten Datum der Enthüllungsfeier wider, indem diese auf den 4. Mai 1895, den Jahrestag der Ankunft Luthers auf der Wartburg im Jahr 1521, gelegt wurde. Darauf verweist eine kleine Inschrift am unteren Teil des Denkmals.

863 Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte, 9. 864 Vgl. Merz, Heinrich: Art. Chronik. Eisenach, in: CKBK 32 (1890) 10, 160; vgl. Merz, Johannes: Art. Das Lutherdenkmal in Eisenach, in: CKBK 37 (1895) 5, 65–69; vgl. Kühn: Bericht, 38; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 109.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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3.3.9.4 Die Eisenacher Feierlichkeiten am 4. Mai 1895 Der lokale Bezug des Einweihungstages war nicht von Anfang an beabsichtigt gewesen, denn zunächst war zwischen dem Denkmalkomitee und dem Künstler der Reformationstag 1894 als Tag der Enthüllung vereinbart worden. Hierfür wurden alle Vorbereitungen getroffen und im Juni 1894 war zudem bereits das Festprogramm ausgearbeitet worden. Doch die Fertigstellung der Bildhauerarbeiten verzögerte sich, sodass Donndorf den Denkmalinitiatoren im August 1894, das heißt rund drei Monate vor dem geplanten Enthüllungstermin, mitteilte, dass das Standbild nicht rechtzeitig fertig werden würde. So wählten der Magistrat der Stadt Eisenach und das Denkmalkomitee schließlich den 4.  Mai 1895 als neuen, zum Denkmal passenden Termin.865 Nach der endgültigen Festlegung des Enthüllungstags machte sich das Denkmalkomitee an die Planungen. Das ursprünglich für den 31.  Oktober 1894 ausgearbeitete Programm wurde für den 4.  Mai 1895 übernommen. Zudem wandte sich der Vorsitzende des Eisenacher Lutherdenkmalvereins am 30. Januar 1895 an seinen Landesherrn, den Großherzog Carl Alexander, mit der Bitte die Einladung an die „verzeichnete[n] Fürstlichkeiten“866 zu genehmigen. Da diese zum Gelingen des Lutherstandbilds beigetragen hatten, betrachtete man es als eine „Pflicht der Dankbarkeit“867, sie einzuladen. Aufgelistet waren insgesamt 16 Landesherrinnen und -herren aus Gebieten des deutschen Reichs, wobei der deutsche Kaiser und König von Preußen die Liste anführte.868 Der Großherzog selbst forderte daraufhin, dass „von solchen Einladungen abgesehen“869 werde, „weil die Enthüllung des Lutherdenkmals in Eisenach eine interne, lokale Sache“870 sein solle, jedoch durch die vorgesehenen Einladungen „zu einer externen, deutschen871, politischen“872 werden würde. Dementsprechend wurde dem Eisenacher Lutherdenkmalverein die Einladung der Fürstlichkeiten verwehrt und mitgeteilt, dass er diese lediglich

865 Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 54, Bl. 67, Bl. 83, Bl. 87–89. 866 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 15r (H. Kiefer an den Großherzog Carl Alexander am 30.01.1895). 867 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 15v. 868 Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 16. 869 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 14r (Großherzog Carl Alexander ans Kultusministerium am 31.01.1895). 870 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 14r. 871 In dem aufgesetzten Schreiben des Kultusministers wurde das Wort „deutschen“ durchgestrichen. Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 17 (Großherzoglicher Kultusminister an das Lutherdenkmalkomitee am 2.02.1895). 872 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 14r.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

über den Zeitpunkt der Einweihungsfeier „in geeigneter Weise [in] Kenntniß“873 setzen dürfe. Von Seiten des sächsischen Großherzogs wurde dem Eisenacher Lutherdenkmal demzufolge lediglich eine regionale und keine nationale Bedeutung beigemessen. Auch das offizielle Festprogramm zeigt, anders als bei der Erfurter Einweihungsfeier erkennbar, keine offensichtliche Politisierung des Enthüllungsfestes. Stattdessen verweist der Ablauf des Eisenacher Einweihungsfests auf eine lokale, kirchliche Feier.874 Statt des Hochs auf den deutschen Kaiser, wie dies in Erfurt erfolgt war, schloss sich an die Rede des Bürgermeisters, der nach dem Akt der Enthüllung das Rednerpult betreten hatte, ein Hoch auf den anwesenden sächsischen Landesherrn, den Großherzog Carl Alexander und seine Frau Sophie an.875 Der lokale Bezug war in den Eisenacher Einweihungsreden zudem stark ausgeprägt, indem hervorgehoben wurde, dass nun endlich Luthers „liebe Stadt“876, wie der Reformator Eisenach genannt hatte, ein Denkmal vorzuweisen hätte, obwohl es „mit die erste Stadt [hätte] sein müssen“877. In diesen Worten war durchaus Bedauern erkennbar, dass das Eisenacher Lutherdenkmal eine verhältnismäßig lange Entstehungszeit hatte. Doch „obwohl schon zwölf Jahre seit den großen Lutherfesten des Jahres 1883 dahingegangen […] [waren], steht auch die heutige [Feier] mit den damaligen im engsten und unmittelbarsten Zusammenhange“878. Wie hätte Eisenach als „echte Lutherstadt“879 dauerhaft ohne ein Standbild des Reformators bleiben können, insbesondere „nachdem selbst solche Städte, die viel weniger in unmittelbarer Beziehung zu Luthers Leben und Wirken gestanden haben“880, bereits Standbilder errichtet haben? Um zudem die Geschichtsträchtigkeit Eisenachs hervorzuheben, wurde die Einweihungsfeier des Denkmals eng mit der Wartburg verbunden. So wurden einerseits nach der Denkmalenthüllung die Feierlichkeiten mit einem gemeinsamen Gang der Festteilnehmenden zur Wartburg fortgesetzt. Andererseits wurde in den Festansprachen die Bedeutung der Wartburg für die Reformation betont. So wurde berichtet, dass in den letzten vier Jahrhunderten „Millionen […] zu der Zelle“881 auf der Wartburg gepilgert seien und dankenswerterweise die Wartburg 873 LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 17 [Hervorhebung im Original]. 874 Vgl. LATh – HStA Weimar, 6–13–2303, Nr. Allg. 262, Bl. 19–20 (Programm für die Feier der Enthüllung des Lutherdenkmals in Eisenach); vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 92–94. 875 Vgl. Kühn: Bericht, 37. 876 Kühn: Bericht, 33. 877 Kühn: Bericht, 40. 878 Kühn: Bericht, 23 (Predigt des Hofpredigers Bernhard Rogge). 879 Kühn: Bericht, 23. 880 Kühn: Bericht, 23. 881 StadtA Eisenach, Bib. 5–123–93.4, Kiefer: Festreden, 11.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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durch den Großherzog Carl Alexander und seine Frau „wieder hergestellt […] [worden war], herrlicher als in der alten Herrlichkeit“882.883 Doch den Lutherstandbildinitiatoren hatte die Wartburg als Erinnerungsort nicht ausgereicht. Sie hatten ein Denkmal des Reformators inmitten der Stadt Eisenach als wichtig erachtet. Daher sollte das Standbild zu einem Zeichen für alle werden und zeigen, dass es „durch die Kraft des evangelischen Bewußtseins“884 errichtet wurde und es noch immer „ein evangelisches Gemeingefühl“885 gebe. Zugleich kamen auch in Eisenach, wie bei den Einweihungsfeiern seit Mitte der 1880er Jahre, konfessionelle Polemiken zur Sprache. Da die Festredner zu einem großen Teil Mitglieder im Evangelischen Bund waren, überraschen die antikatholischen Anspielungen nicht. So wurde bemängelt, dass „die Gefahren, die gerade heutzutage mehr denn je der evangelischen Kirche, dem Protestantismus, dem deutschen Vaterlande von Rom drohen“886 unterschätzt würden. Der Vorsitzende des Lutherdenkmalvereins verglich das Zeitalter der Gegenreformation mit der aktuellen Situation. Auch heute, im „Zeitalter des Syllabus und der Encyklica, der päpstlichen Unfehlbarkeit“887, würde demzufolge noch alles bekämpft werden, was protestantisch sei und dadurch die evangelische Kirche unterdrückt werden. Mit der Abgrenzung gegenüber der Papstkirche und dem Ultramontanismus ging zugleich eine besondere Herausstellung des deutschen Protestantismus einher. Durch Luther sei „die Zwingherrschaft Roms über den deutschen Geist gebrochen und […] die Zeit der Erfüllung nationaler Sehnsucht“888 wurde vorbereitet, sodass dadurch ein „protestantisches Kaiserreich deutscher Nation“889 möglich war. Luther war dementsprechend „[u]nser größter nationaler Prophet“890, wobei sich in dieser Bezeichnung eine „nationalprotestantische […] Geschichtstheologie“891 andeutet. Daran schloss sich inhaltlich auch die Rede des ehemaligen Vorsitzenden des Erfurter Lutherdenkmalvereins, Richard Bärwinkel, an. Das Eisenacher Lutherdenkmal zeige den Reformator „in seiner kraftvollen Gestalt“892, wie er „die Bibel

882 Kühn: Bericht, 40 (Rede Prof. Frickes auf der Wartburg). 883 Zur Wiederherstellung der Wartburg als Luthergedenkstätte vgl. Steffens: Luthergedenkstätten, 161–235. 884 StadtA Eisenach, 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 7. 885 StadtA Eisenach, 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 7. 886 StadtA Eisenach, 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 7. 887 StadtA Eisenach, 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 12. 888 StadtA Eisenach, 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 13. 889 StadtA Eisenach, 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 13. 890 StadtA Eisenach, 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 14. 891 Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 487. 892 Kühn: Bericht, 19 (Rede Richard Bärwinkel).

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inbrünstig umfaßt“893 und es solle den Betrachtenden verdeutlichen, „wie das Deutsche Volk sich den Gottesmann vorstellt, dem es das reine in unser geliebtes Deutsch übersetzte Gotteswort verdankt“894. Daher übe auch heute, so Bärwinkel, der „Name Luthers […] immer noch einen eigenthümlichen Zauber auf jedes deutsche evangelische Gemüth“895 aus und es müsse „für Jeden, der sein Volk und unser deutsches Vaterland lieb hat, eine Freude sein, wenn er sieht, wie die Erinnerung und das Gedächtniß an Dr. Martin Luther sich immer fester eingeprägt [hat] in das Herz unseres deutschen Volkes“896. Daraus lässt sich erkennen, dass für die Denkmalinitiatoren und die Festredner das Standbild des Reformators ein Zeichen für das nationale Luthergedächtnis war. Eine insbesondere regionale Bedeutung des Eisenacher Lutherdenkmals entsprach demzufolge zwar dem sächsischen Großherzog und Wilhelm II., aber nicht dem Selbstverständnis der Verantwortlichen der Denkmalsetzung. In der Rede Richard Bärwinkels lässt sich nun noch eine weitere, bei vorherigen Einweihungsfeiern von Lutherstandbildern noch nicht aufgetretene Deutungskomponente erkennen, nämlich die Verhältnisbestimmung der Verehrung Luthers und Bismarcks. Nur einen Monat vor der Einweihung des Eisenacher Denkmals war Bismarck 80 Jahre alt geworden und anlässlich seines Geburtstags hatten Tausende von Deutschen, insbesondere Protestanten, ihre Glückwünsche übermittelt. Bismarck wurde dabei als der Deutscheste aller Deutschen bezeichnet.897 Bärwinkel nahm nun auf diese glorifizierende Feier Bismarcks im April 1895 Bezug, indem er davon berichtete, dass vor kurzem der ehemalige Reichskanzler als der „große […] Baumeister des deutschen Reiches […] mit Ehren überschüttet“898 worden war. Doch zugleich betonte er, dass der Evangelische Bund nicht verpasst hatte, herauszustellen, dass sie „Dr. Martin Luther für den größten Deutschen“899 hielten. Beide, Luther und Bismarck, gilt es zu ehren, da das deutsche Volk ihnen vieles zu verdanken habe, nämlich „seine religiöse Erneuerung und seine wiedergewonnene Einheit“900. Neben Richard Bärwinkel bezog sich auch ein weiteres Mitglied des Evangelischen Bundes, Gustav Adolf Fricke, in seiner Rede auf der Wartburg auf den Geburtstag Bismarcks. Zunächst kritisierte er, dass „der sogenannte deutsche Reichstag sich selbst und uns durch die Verweigerung auch nur eines Geburtstags-

893 Kühn: Bericht, 19. 894 Kühn: Bericht, 19. 895 Kühn: Bericht, 20. 896 Kühn: Bericht, 20. 897 Vgl. Gerwarth: Der Bismarck-Mythos, 24–25; vgl. Abschnitt 2.1.3.1. 898 Kühn: Bericht, 20. 899 Kühn: Bericht, 20. 900 Kühn: Bericht, 20.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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grußes [eine Schande] angethan“901 hatte, doch glücklicherweise hatte das deutsche Volk durch seine zahlreichen Glückwünsche diese Schmach „hinweggefegt“902. Schließlich hatten die „Wallfahrten nach Friedrichsruh […] fast die Wallfahrten zur Wartburg, zu ‚Luthers-Ruhe‘, in den Schatten gestellt“903. Diese Aussagen machten zum einen auf das zerrüttete Verhältnis zwischen dem ehemaligen Reichskanzler und der Regierung des deutschen Kaiserreichs aufmerksam. Zum anderen wurde deutlich, dass unzählige Menschen zum Wohnort Bismarcks gepilgert waren und sich hier bereits eine glorifizierende Verehrung des sogenannten Eisernen Kanzlers und eine Konkurrenz zum Lutherkult andeutete. Daher verpasste Fricke es nicht, darauf hinzuweisen, dass an diesem Tag der Einweihung des Eisenacher Lutherdenkmals der Mann gefeiert wird, „der größer ist – der Einzige! – […] unser Altreichskanzler selbst würde dies anerkennen“904. Das heißt, anders als Bärwinkel, der Luther und Bismarck nebeneinander stellte, war für Professor Fricke Luther noch größer als Bismarck, da der ehemalige Reichskanzler zwar „ein großes Reich geeint [hatte], Luther [aber] eine neue Weltgeschichte […], die protestantische Zeit“905 geschaffen habe. Um dieser nationalen Bedeutung Luthers Ausdruck zu verleihen, wurde „für diesen deutschen Mann, deutsch vom Fuße bis zum Scheitel, dem Manne der Weltgeschichte […] in Eisenach ein Denkmal“906 errichtet. Im Jahr 1895 war die Zahl der öffentlichen Lutherdenkmäler nach ihrem Höhepunkt 1883 bereits deutlich zurückgegangen und zugleich nahm die Anzahl der Bismarckdenkmäler zu. Daher kann in der beidseitigen Würdigung Luthers und Bismarcks die Absicht der Festredner erkannt werden, die Verehrung des Reformators weiterhin zu rechtfertigen und gegenüber Bismarck herauszustellen.907 Bei den Eisenacher Festreden vom 3. und 4. Mai 1895 lässt sich im Vergleich zu vorherigen Lutherdenkmaleinweihungen noch eine weitere Beobachtung im Hinblick auf die Rhetorik machen. Es waren bereits zuvor der ultramontane Katholizismus und der in der Gesellschaft zunehmende Atheismus als Feinde des Protestantismus bezeichnet worden, was in einem engen Zusammenhang mit der politischen Bezeichnung der sogenannten Reichsfeinde gesehen werden kann. Bei den Eisenacher Reden wird eine Verschärfung der Sprache erkennbar, denn es wurde nicht mehr nur von Feinden gesprochen, sondern eine Kampfmetaphorik

901 Kühn: Bericht, 40 (Rede Prof. Fricke). 902 Kühn: Bericht, 40. 903 Kühn: Bericht, 40. 904 Kühn: Bericht, 40. 905 Kühn: Bericht, 40. 906 Kühn: Bericht, 40. 907 Vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 246.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

durchzog die Ansprachen. Laut Richard Bärwinkel befanden sich die Zeitgenossen „jetzt in einer Zeit, wo der große [konfessionelle] Geisteskampf […] mehr wieder entbrannt ist denn je“908. Die Frage, „ob römisches oder evangelisches Wesen die Oberhand in unserem deutschen Vaterlande“909 behalten würde, müsse ausgetragen werden und daher wurden alle Anwesenden aufgerufen „der Fahne [zu] folgen, die Luther uns vorangetragen hat in diesem Kampfe“910.911 Auch in der Predigt des Hofpredigers Rogge am Morgen des 4. Mai waren Passagen von dieser kämpferischen Rhetorik geprägt. So fiel, laut Rogge, die „heutige Lutherfeier in eine besonders ernste Zeit […] [der] es nicht an besorgnißerregenden Anzeichen […] [fehle und] die auf Sturm und […] heiße Kämpfe […], denen wir entgegengehen“912 hindeute. Die heutigen Feinde seien „zur Rechten und zur Linken“913 zu finden und wollen zum einen „dem Protestantismus […] den Garaus machen“914 und zum anderen „das Christenthum überhaupt aus der Welt schaffen“915. In dieser Auseinandersetzung diene Luther als Vorbild, da man von ihm seinen „unerschrockenen Heldenmuthe“916 lernen könne. Die Kampfrhetorik wurde nicht nur von den Theologen aufgenommen, sondern lässt sich auch bei den politischen Rednern feststellen. Für den Eisenacher Oberbürgermeister August Nikolaus Müller sollte das enthüllte Denkmal des Reformators ein Aufruf sein, „furchtlos und treu zu sein in den Tagen des Kampfes“917. Das Lutherdenkmal sollte auch für den Geheimen Staatsrath, Alfred von Boxberg, der im Namen der Großherzoglichen Landesregierung sprach, zu einem „Markstein […] auf der Siegesbahn des Evangeliums [werden] und eine ernste Mahnung für uns alle [sein], treu auszuharren in dem Kampfe [gegen Romanismus und Materialismus], welcher jetzt jedem Einzelnen ebensowenig erspart bleibt, wie dem Volke und Staate“918. Aus den genannten Beispielen können durchaus Rückschlüsse auf eine aufgeheizte gesellschaftliche und politische Stimmung in den 1890er Jahren gezogen werden. Diese lässt sich mit der auf Expansion zielenden Regierungsweise Kaiser

908 Kühn: Bericht, 21. 909 Kühn: Bericht, 21. 910 Kühn: Bericht, 21. 911 Vgl. dazu auch die Weiherede Hugo Kiefers, in StadtA Eisenach, Bib 6–123–93.4, Kiefer: Festreden, 14. 912 Kühn: Bericht, 26 (Predigt des Hofpredigers Bernhard Rogge). 913 Kühn: Bericht, 26. 914 Kühn: Bericht, 26. 915 Kühn: Bericht, 26. 916 Kühn: Bericht, 28. 917 Kühn: Bericht, 37 (Rede des Eisenacher Oberbürgermeisters Müller). 918 Kühn: Bericht, 9 (Rede des Geheimen Staatsrath Alfred von Boxberg).

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Wilhelms II., aber auch mit militanten Vereinen, wie dem Alldeutschen Verband, aber auch dem Evangelischen Bund, in Verbindung bringen.

3.3.10 Der nationale Luther in Berlin (1883–1895) Den Abschluss der Reihe der Standbilder, die anlässlich Luthers 400. Geburtstag errichtet wurden, bildet das im Juni 1895 eingeweihte Berliner Lutherdenkmal. Auch wenn Berlin in keinem unmittelbaren Zusammenhang zum Leben und Wirken Luthers stand, waren die Denkmalinitiatoren der Meinung, dass es für Berlin „eine Ehrenpflicht [sei], alle bahnbrechenden Heroen der deutschen Nation durch Denkmale zu ehren, gleichviel ob sie Bürger unserer Stadt waren oder nicht“919. Dieser Anspruch der preußischen und deutschen Hauptstadt äußerte sich zudem in dem Bestreben, ein dem Wormser Lutherdenkmal ebenwürdiges Monument zu erbauen.920 In der Größe und Ausführung kam das Berliner Denkmal dem Wormser Luthermonument nahe, allerdings konnte es in seiner Bedeutung und Wirkkraft nicht an das Wormser Vorbild anschließen. 3.3.10.1 Ein Lutherdenkmal für die protestantische Kaiserstadt Im Sommer 1883 wurde in der Berliner Stadtverordnetenversammlung diskutiert, wie das bevorstehende Lutherjubiläum am 10. November 1883 in Berlin von Seiten der Stadt gefördert werden könnte. Dabei fällt zunächst auf, dass der Berliner Stadtrat beabsichtigte, eine Lutherstiftung zu gründen, die sich um die Versorgung von Witwen und Kindern protestantischer Pfarrer und Lehrer kümmern sollte, um Luthers Bedeutung für das Pfarrhaus und die Bildung zu würdigen. Die Befürworter einer Stiftung waren der Ansicht, dass eine Lutherstiftung „nicht weniger werth wäre, als ein Denkmal“921 und vertraten daher, ähnlich wie die Initiatoren der Gesamtausgabe der Lutherschriften, die Meinung, die Erinnerung an Luther solle das Werk des Reformators in den Fokus rücken. Im Gegensatz dazu forderte Dr. Schloetke in einem Antrag „die Bewilligung einer Summe von 50 000 M aus städtischen Mitteln […] für die Errichtung eines der Hauptstadt des Deutschen Reichs würdigen Luther-Denkmals“922, da schließ-

919 George, Richard: Art. Das Lutherdenkmal in Berlin und seine Schöpfer, in: Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Gesichte 21 (1895) 39, 459. 920 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 31–32. 921 Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin 10 (28.06.1883) 27, 292. 922 Stenographische Berichte 10 (28.06.1883) 27, 292.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

lich „[d]ie Bevölkerung den Mann mit Augen sehen [will], der so Großes und so Herrliches für das Volk geleistet hat und der wie kein anderer Sterblicher gekämpft und gesiegt hat“923. Da allerdings bisher noch kein Komitee zur Errichtung eines Lutherdenkmals zusammengetreten war, wurde der Antrag Schloetkes als „nicht acceptabel“924 abgelehnt. Dieser erste Antrag in der Berliner Stadtverordnetenversammlung führte dazu, dass sich bereits wenige Tage später, am 5.  Juli 1883, ein Denkmalverein gründete und mit ersten Spendensammlungen begonnen wurde. Als Vorsitzender wurde der königliche Kammergerichtsrath Schröder gewählt und im Ausschuss unter anderem von zwei Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung, zwei Bauräten, einem Kaufmann und zwei Pfarrern ergänzt. Nach dem Konstituieren des Lutherdenkmalvereins war auch die Berliner Stadtverordnetenversammlung gewillt, die Denkmalpläne zu unterstützen, sodass in der Sitzung vom 1. November 1883 anlässlich des unmittelbar bevorstehenden Lutherjubiläums 50.000 Mark für das geplante Denkmal des Reformators und 100.000 Mark für die Lutherstiftung aus städtischen Geldern bewilligt wurde. Zugleich war die Unterstützung der „politische[n] Gemeinde für einen spezifisch konfessionellen Zweck“925 durchaus umstritten. Auch sechs Jahre nach Genehmigung der finanziellen Mittel wurde noch Kritik laut und der Stadtverordnete Kunert war überzeugt, dass das Lutherdenkmal nicht auf einem öffentlichen Platz aufgestellt werden sollte. Stattdessen vertrat er entschieden die Meinung, dass dieses „in eine Kirche oder auf den Hof irgend eines Junkerschlosses [gehöre], denn Luther war ganz und gar kein erleuchteter […] Volksmann“926, sondern vielmehr „ein fanatischer, ein eifriger Träger krassesten Aberglaubens“927. Weiter meinte Kunert, dass die öffentliche Errichtung eines Lutherdenkmals „in der Stadt der Bildung, der Metropole der Intelligenz […] ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand“928 wäre. Trotz manch kritischer Stimmen wurde das Berliner Lutherdenkmalprojekt weiterverfolgt und im November 1883 ein Spendenaufruf veröffentlicht und zudem Kontakt mit dem deutschen Kaiser aufgenommen. Der in Berliner Zeitungen abgedruckte Aufruf war adressiert an die evangelischen Brüder, die Christen, die Bürger und schließlich die Hausväter und Mütter, da die jeweilige Gruppe dem

923 Stenographische Berichte 10 (28.06.1883) 27, 292. 924 Stenographische Berichte 10 (28.06.1883) 27, 292. 925 Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin 10 (1.11.1883) 37, 386. 926 Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin 16 (25.04.1889) 15, 162. 927 Stenographische Berichte 16 (25.04.1889) 15, 162. 928 Stenographische Berichte 16 (25.04.1889) 15, 162.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Reformator zu Dank verpflichtet sei. Auffällig ist hierbei einerseits, dass nicht nur Protestanten und Protestantinnen, sondern alle Christen angesprochen wurden, da Luther ihnen allen „Gottes Wort in deutscher Zunge“929 geschenkt hatte. Andererseits wurden neben dem Bürger im Allgemeinen die Hausväter und Mütter aufgerufen, denn der Reformator hatte „dem theuren Heiligthum deutschen Familienlebens und Ehestandes zu seinem Recht und Ruhm“930 verholfen. Dementsprechend hätten nach Meinung der Denkmalinitiatoren alle Menschen einen Grund, das Luthermonument zu unterstützen und fragten: „Wer könnte sich ausschließen? Wer wäre ihm [Anm. Luther] Nichts schuldig?“931 Dennoch kann aus verschiedenen Formulierungen des Aufrufs abgelesen werden, dass das protestantische Bürgertum der Hauptadressat des Lutherdenkmalkomitees war. Berlin war die „protestantische […] Kaiserstadt“932, wo Luthers „Geist […] bleibende Früchte evangelischer Bruderliebe“933 trage und wo sich zudem „die Residenz des ersten protestantischen Kaisers“934 befinde. Dies sei nur möglich gewesen, da Luther die „Erlösung der deutschen Nation aus den Ketten Rom’s“935 gepredigt habe. Um diese enge Verbindung zwischen der preußischen und deutschen Hauptstadt, dem Kaisertum und der Luthererinnerung offenkundig zu machen, war es dem Lutherdenkmalkomitee ein wichtiges Anliegen, dass Kaiser Wilhelm I. das Projekt finanziell unterstützte. Demzufolge wandte sich das Denkmalkomitee am 7. November 1883 in einem Schreiben an den Kaiser in der Hoffnung, „daß Alles, was in dieser Stadt Berlin zur Sammlung, Stärkung und Erhebung des allgemeinen Bewußtseins in christlicher und patriotischer Gesinnung geschehen soll, der gnädigsten Förderung […] [der] Kaiserlichen und Königlichen Majestät nicht entbehren“936 könne. Erst im Februar 1886 bewilligte der Kaiser ein Gnadengeschenk aus dem Allerhöchsten Dispositions-Fonds, welches mit 50.000 Mark dieselbe Summe umfasste wie der städtische Beitrag, doch bereits seit 1884 machte Wilhelm I. seinen Einfluss auf die Platzwahl und die Gestaltung des Lutherdenkmals geltend.937 929 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18 (Aufruf: Das Lutherdenkmal in Berlin). 930 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 931 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 932 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 933 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 934 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 935 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 936 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20887, Bl. 17v (Berliner Lutherdenkmalkomitee an Kaiser Wilhelm I. am 7.11.1883). 937 Vgl. GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20887, Bl. 35–37 (Schreiben vom 18.02.1886). Eine Auszahlung des kaiserlichen Gnadengeschenks erfolgte in aller Regel erst, nachdem die Gesamtkosten für das jeweilige Projekt gedeckt waren. Trotzdem bat das Denkmalkomitee in einem Schreiben vom

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Noch bevor es eine genaue Vorstellung über Größe und Beschaffenheit des Monuments gab, wurden der Schlossplatz und der Neue Markt als mögliche Aufstellungsorte in Betracht gezogen und zwischen dem Kultusministerium und dem Lutherdenkmalverein diskutiert. Die Denkmalinitiatoren bevorzugten den Schlossplatz aufgrund dessen historischer Bedeutung, da dort „die Behörden der vereinigten Städte Berlin und Cöln im Jahre 1539 zum ersten Male gemeinsam das Abendmahl in beiderlei Gestalt empfangen und sich dadurch für die Lehre Luthers erklärt“938 hatten. Zudem wäre dieser Platz vor dem Hohenzollernschloss überaus passend, da das Lutherdenkmal in unmittelbarer Nähe zum Reiterstandbild des sogenannten Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm, stehen würde. Dies würde „die innige Verbindung der christlich religiösen und der politischen Gedanken […] symbolisieren, aus welcher der Aufbau des preußischen Staats und deutschen Reiches hervorgegangen“939 war. Dies veranschaulicht die beabsichtigte enge Verzahnung der protestantischen und nationalen Luthererinnerung. Von verschiedenen Seiten, unter anderem vom Minister für geistliche Angelegenheiten, dem Polizeipräsidenten und dem Berliner Magistrat wurden jedoch „Bedenken praktischer Art“940 geäußert, die gegen den Schlossplatz und daher für den Neuen Markt votierten.941 Auch wenn diese Zweifel, beispielsweise vom Polizeipräsidenten, aus verkehrstechnischen Gründen angeführt wurden, so ist es doch interessant, die Entwicklung des Schlossplatzes in den darauffolgenden Jahren in den Blick zu nehmen.942 Im Jahr 1895, als das Lutherdenkmal auf dem Neuen Markt eingeweiht wurde, wurde auf dem Schlossplatz die Errichtung des von Kaiser Wilhelm II. für dessen verstorbenen Großvater initiierten Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals begonnen. Es zierte also kein bürgerliches, sondern ein herrschaftliches, als Nationaldenkmal klassifiziertes Reiterstandbild die freie Fläche vor dem Herrschaftssitz des Kaisers.

11.10.1886 um sofortige Auszahlung. Die Denkmalinitiatoren erhofften sich davon, dass in der Bevölkerung die Spendenbereitschaft nochmals angeregt würde, um den noch fehlenden Betrag in Höhe von 60.000 Mark zu erzielen. Vgl. GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20887, Bl. 38–39 (Schreiben vom 11.10.1886). 938 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20887, Bl. 23 (Minister für geistliche Angelegenheiten an Wilhelm I. am 1.11.1884). 939 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20887, Bl. 23v. 940 GStA PK, I. HA Rep 89, Nr. 20887, Bl. 23v. 941 Zur Diskussion um den Aufstellungsort des Lutherdenkmal vgl. auch GStA PK, I. HA Rep. 93 B Ministerium der öffentlichen Arbeiten Nr. 2371 Die Errichtung eines Luther-Denkmals in Berlin, Bl. 1–11. 942 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 93 B, Nr. 2371, Bl. 2 (Votum des Polizei-Präsidenten am 13.06.1884).

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Kaiser Wilhelm I. genehmigte daher nach der Empfehlung des Ministers für geistliche Angelegenheiten unter Vorbehalt den Neuen Markt als Aufstellungsort, wobei eine definitive Zusage erst nach Vorlage des Denkmalentwurfs erfolgen würde.943 3.3.10.2 Das Lutherdenkmal als nationale Bühne Die Ausschreibung zur Einsendung von Entwürfen für ein Berliner Lutherdenkmal stieß in der deutschen Künstlerschaft auf breite Resonanz, sodass bis Oktober 1885 insgesamt 47 Entwürfe, darunter 39 Ideen von Berliner Künstlern, eingereicht wurden. Laut dem Berliner Kunsthistoriker und Architekten Peter Wallé würden diese eingesandten Vorschläge „zeigen, wie schwer es sein wird, für ein Denkmal von dieser Bedeutung einen passenden Entwurf zu gewinnen“944. Ein Lutherdenkmal in Berlin müsse schließlich in erster Linie „die kirchlich-historische Bedeutung für die Mark zur Geltung […] [bringen und zugleich] den welterschütternden Gedanken der Geistesfreiheit, der Deutschland groß gemacht hat“945, darstellen. Demzufolge, so Wallé weiter, wäre ein Denkmal, „das zugleich als öffentlicher Brunnen, oder als Ruheplatz dienen solle“946 genauso inakzeptabel wie „eine Form, die irgendwie an ein Grabmal“947 erinnere. Aus diesen Aussagen wird ersichtlich, dass die Berliner Entwürfe in ihrer architektonischen Gestalt durchaus vielfältig angelegt waren, indem die Künstler versuchten, sich von den bereits errichteten oder in Planung befindenden Lutherstandbildern abzuheben. Dabei wurden Vorschläge zur architektonischen Gestaltung, die es im Zuge des Mansfelder Wettbewerbs zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben hatte, wieder aufgegriffen. Gleichwohl fanden diese architektonischen Denkmalanlagen keinen Beifall. Zudem wurde in der Zeitschrift Der Bär das Urteil über die eingesandten Entwürfe gefällt, dass es unter diesen Vorschlägen „[f]ür die Figur Luthers […] eine durchschlagende neue Auffassung nicht“948 gegeben hatte. Eine weitere, prinzipielle Kritik an den Ergebnissen des Berliner Wettbewerbs findet sich in der Zeitschrift Centralblatt der Bauverwaltung, welches sich aus der Perspektive der Architektur dem Thema näherte. Hierin wurde im Allgemeinen das gegenwärtige Denkmalverständnis der Bildhauer kritisiert, dass diese irrtümlich davon ausgingen, „ein bildnerisches Denkmal [bestehe immer] aus zwei 943 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 25; vgl. George: Lutherdenkmal, 460. 944 Wallé, Peter: Art. Miscellen. Ausstellung der Entwürfe für das Lutherdenkmal in Berlin, in: Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte 12 (1885) 4, 51. 945 Wallé: Ausstellung, 51. 946 Wallé: Ausstellung, 51. 947 Wallé: Ausstellung, 51. 948 Wallé: Ausstellung, 51.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Theilen“949, nämlich einem Sockel und einer Standfigur. Bei der Planung eines solchen Standbildes komme es dem Künstler „allein darauf an […], den Gefeierten mit Geschick seine Geste machen, sein Gewand drapiren zu lassen, [oder] die Portraitähnlichkeit herzustellen“950, wodurch es zur Vernachlässigung der Architektur käme und der Gesamteindruck eines Denkmals negativ beeinflusst würde. Hier klingt unter Kunst- und Architektursachverständigen bereits Mitte der 1880er Jahre Kritik an der Variationslosigkeit und Gleichförmigkeit der Denkmäler an, die einen zunehmenden Bedeutungsverlust des bürgerlichen Standbilds mit sich brachte.951 Die Auswahl der Siegerentwürfe übernahm eine fachkundige Jury, die sich unter anderem aus Architekten, Malern und Bildhauern zusammensetzte. Neben verschiedenen Mitgliedern des Lutherdenkmalkomitees war als weiterer Teilnehmer des Preisgerichts der Bildhauer des Eislebener Lutherdenkmals Rudolf Siemering bestimmt worden. Nachdem die 47 Entwürfe ab dem 12. Oktober 1885 für zwei Wochen in der Berliner Kunstakademie ausgestellt worden waren, kürte die Jury am 1. November die ersten drei Plätze.952 Der dritte Platz wurde dem Berliner Bildhauer Bernhard Römer zugesprochen, dessen Denkmalentwurf typischerweise eine Statue auf einem Sockel vorsah. Am Postament sollten Figurengruppen angebracht werden, die das Abendmahl, die Bibelübersetzung und die Aufhebung des Zölibats darstellen. In Bezug auf letztere wurde jedoch kritisiert, dass die Abbildung, „bei der ein Prediger des reinen Wortes einer Nonne den […] Schleier entzieht […] nur Veranlassung zu schlechten Scherzen geben“953 würde. Laut den Redakteuren des Centralblatts wurde der Entwurf Römers lediglich aufgrund der „ganz hervorragenden […] Lutherfigur“954 ausgezeichnet, welche den Reformator „die Bibel mit der Linken auf die Brust drückend, in der Rechten aber die Bannbulle des Papstes zerknitternd“955 darstellte. Dabei fällt auf, dass diese Beschreibung der Lutherstatue dem bereits zwei Jahre zuvor eingeweihten Eislebener Lutherstandbild entsprach und somit das Modell Römers lediglich eine leicht abgewandelte Variante desselben war.

949 Sarrazin, Otto / Schäfer, Karl: Art. Die Preisbewerbung um das Lutherdenkmal in Berlin, in: ZBV 5 (1885) 45, 458. 950 Sarrazin / Schäfer: Preisbewerbung, 458. 951 Vgl. Abschitt 2.4.4. 952 Vgl. Wallé: Ausstellung, 51; vgl. Sarrazin / Schäfer: Preisbewerbung, 458. 953 Sarrazin / Schäfer: Preisbewerbung, 458. 954 Sarrazin / Schäfer: Preisbewerbung, 458. 955 Wallé, Peter: Art. Miscellen. Das Lutherdenkmal in Berlin, in: Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte 12 (1885) 7, 88.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Der mit dem Motto Paulus überschriebene und als Brunnenanlage konzipierte Entwurf Karl Hilgers erhielt den zweiten Platz. Das Charakteristische an Hilgers Konzeption war, dass an dem zu einem Plateau hochführenden Aufgang die Figuren von Moses und Paulus vorgesehen waren. Diese Repräsentanten des Alten und Neuen Testaments wurden am Sockel ergänzt durch die sitzenden Statuen von Philipp Melanchthon und Ulrich von Hutten. In der Mitte der Brunnenanlage stand „auf einem nicht zu hohen mit seitlichen Bassins und kleineren Muschelbecken versehenen Sockel“956 die Lutherfigur. Dieser Entwurf zeichnete sich zum einen durch die Ausgestaltung einer architektonischen Brunnenanlage und zum anderen durch die Vermischung von biblischen und reformationsgeschichtlichen Figuren aus. Dabei handelte es sich durchaus um eine neue Idee im Zuge der Lutherdenkmäler und durch die am Denkmal vorgesehenen Figuren hätte dieses einen stärker kirchlich-theologischen Bezug gehabt, ohne dabei polemisch gegenüber der katholischen Kirche zu sein. Die zeitgenössischen Kritiker würdigten diese Vorstellung des Lutherdenkmals als „frisch und würdig, lebensvoll und doch monumental“957 und zahlreiche Stimmen sprachen sich für Hilgers Denkmalidee aus, da diese das Modell Paul Martin Ottos „an Ernst und monumentaler Haltung“958 übertreffen würde. Während der Entwurf des drittplatzierten Bildhauers Römer Ähnlichkeiten zum Eislebener Lutherstandbild zeigte, so fällt beim Siegerentwurf Paul Martin Ottos direkt eine konzeptionelle Nähe zum Wormser Luthermonument auf. Ottos Luthermonument zeichnete sich zunächst durch eine großangelegte Bühne aus, zu der an der Vorderseite zehn Stufen hinaufführten. Der Treppenaufgang wurde rechts und links „von den sitzenden Gestalten Huttens und Sickingens bewacht“959. Auf dem Denkmalplateau fanden sich in der Mitte wiederum vier Stufen, die zum eigentlichen Postament des Monuments hinführten. Am Sockel selbst waren zunächst vier Reliefs vorgesehen, die „Joachim II. mit seiner Gemahlin und den Ständen das Abendmahl nehmend, Luther die Thesen anschlagend, Luther die Bibel übersetzend und Luther als Familienvater“960 darstellen sollten.961 Bei ersterem hätte das Lutherdenkmal einen direkten lokalen 956 Wallé: Lutherdenkmal, 88. 957 Wallé: Lutherdenkmal, 88. 958 Sarrazin / Schäfer: Preisbewerbung, 458. 959 Wallé: Lutherdenkmal, 88. 960 S., R.: Art. Kunstbericht aus Berlin, in: CKBK 29 (1887) 7, 108. 961 Das Modell Paul Martin Ottos ohne Balustrade und Ritterfiguren, dafür inklusive der vorgesehenen Reliefs befindet sich heute in der Marienkirche in Bernau. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 76–77. Eine Gesamtabbildung des Lutherdenkmalentwurfs mit den ursprünglich beabsichtigten Reliefs findet sich auch auf dem zweiten, im Mai 1887 veröffentlichten Spendenaufruf des Lutherdenkmalkomitees. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 42.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 24: Lutherdenkmal in Berlin, Paul Martin Otto.

Bezug zur Stadt Berlin erhalten, der ansonsten am Monument fehlte. Die Ausgestaltung des Postaments wurde schließlich allerdings nicht umgesetzt, der genaue Grund hierfür lässt sich nicht mehr ermitteln. Es könnte jedoch sein, dass entweder die hohen Kosten des Monuments oder der Tod des Bildhauers Paul Martin Otto vor Fertigstellung ausschlaggebend waren. Auf der Vorderseite des Postaments saßen auf einer Kante jeweils in Zweiergruppen vier Zeitgenossen Luthers: Bei den zwei linken Personen handelte es sich um den gestikulierenden Georg Spalatin, dem der Humanist Johannes Reuchlin962 „mit aufmerksam-kritischem Blick […] [und mit Feder und geöffnetem Buch] zugewandt“963 war. Rechts davon saßen, ebenfalls ins Gespräch vertieft und mit Büchern auf dem Schoß, Justus Jonas und Caspar Cruciger. Das Verbindende dieser

962 Sowohl in der Beschreibung der Zeitschrift Der Bär als auch im Centralblatt der Bauverwaltung wurde statt Johannes Reuchlin Johann Agricola genannt. Es könnte daher durchaus sein, dass der Bildhauer Otto zunächst Agricola vorgesehen hatte. Da dieser in Berlin gestorben war und dort zuletzt ein Predigeramt innehatte, hätte er als einziger einen direkten Bezug zur Reichshauptstadt gehabt. Zugleich hatte sich Agricola mit Luther verworfen, was wiederum gegen eine Aufnahme am Berliner Lutherdenkmal gesprochen hätte. Vgl. Sarrazin / Schäfer: Preisbewerbung, 458; vgl. Wallé: Lutherdenkmal, 88; vgl. Rogge, Joachim: Art. Agricola, Johann (20.4.1492 oder 1494 – 22.9.1566), in: TRE 2(1978), 110–118. 963 Kammer: Reformationsdenkmäler, 54.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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vier Männer war ihre Mitwirkung an der Bibelübersetzung. Auch wenn hierbei Reuchlin aus der Gruppe herausfällt, da dieser nicht unmittelbar an der Bibelübersetzung mitgewirkt hatte und zeitlebens der Reformationsbewegung gegenüber kritisch gewesen war. Doch aufgrund seiner ausgezeichneten Griechisch- und vor allem Hebräischkenntnisse ist er als Wegbereiter der Bibelübersetzung ins Deutsche zu sehen.964 Ebenfalls maßgeblich am Übersetzungswerk beteiligt waren Philipp Melanchthon und Johannes Bugenhagen, die hinter den sitzenden Mitarbeitern am Sockel lehnend als Standfiguren dargestellt wurden. Indem diese beiden vom Künstler in stehender Pose umgesetzt wurden, wurde ihre größere Bedeutung bei der Mitwirkung und Durchführung der Reformation gegenüber den sitzenden Männern angedeutet. Über den beiden Köpfen der Standfiguren hinweg erhob sich im Zentrum des Denkmals stehend die Lutherfigur. Die von Paul Martin Otto entworfene und nach dessen Tod 1893 von Robert Toberentz fertiggestellte Statue des Reformators zeichnete sich durch eine überaus große, geöffnete Bibel aus, die Luther in der linken Hand hält, während die rechte Hand flach auf der aufgeschlagenen Seite ruht. Dadurch unterscheidet sich die Berliner Statue durch die Größe des Buches und die Variation der Bibelhaltung von den vorherigen Lutherstatuen. Durch die Drehung seines Oberkörpers wirkt Luther dynamisch und steht da „als der streitbare, der kämpfende, der siegende Luther“965. In einer zeitgenössischen Beschreibung wurde festgehalten, dass dargestellt wurde, „wie der Reformator im Herzen des evangelischen Volkes lebt […] [, nämlich k]ühn, kraftvoll, stolz und doch demütig“966.967 Nachdem dieser Entwurf Ottos vom Preisgericht ausgezeichnet worden war, wurde Kaiser Wilhelm I. in einem Schreiben vom 31.  Januar 1886 die Auswahl des Künstlers unter Beilage von zwei Zeichnungen des Denkmals mitgeteilt und die Genehmigung der Ausführung erbeten. Auch wenn das Oberhaupt des Deutschen Reiches am 18. Februar seine Zustimmung zum Entwurf gab, so war dieser eine interne Diskussion vorausgegangen. Der Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte zunächst angeregt, dass statt den „Statuen von Hutten und Sickingen vielmehr mit Bezug auf die Einführung der Reformation in der Kurmark Kurfürst Joachim II. u.

964 Vgl. Junghans, Helmar: Art. Spalatin, Georg (1484–1545), in: TRE 31 (2000), 605–607; vgl. Dörner: Reuchlin, 94–98; vgl.  Leder, Hans-Günter: Art. Jonas, Justus (1493–1555), in: TRE 17 (1988), 234–238; vgl. Boor, Friedrich de: Art. Cruciger, Caspar (1504–1548), in: TRE 8 (1981), 238–240. 965 Tümpel: Lutherdenkmäler, 245 [Hervorhebung im Original]. 966 George: Lutherdenkmal, 461. 967 Neben dieser positiven Würdigung des Denkmals wurde vor Errichtung auch Kritik an Ottos Entwurf laut und beispielsweise die Rückseite des Denkmals als „ödeste Langweiligkeit“ beschrieben, die Lutherfigur „viel zu äußerlich und theatralisch“ und etwas „geistig Nüchterneres“ als die Ritterfiguren konnte der Kritiker sich nicht vorstellen. Vgl. S., R.: Kunstbericht, 108–109.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

[dessen Bruder] Markgraf Johann von Küstrin gewählt werden“968 sollten. Dadurch wäre ein lokaler Bezug des Lutherdenkmals zur Hauptstadt zum Ausdruck gekommen. Zugleich wären durch die Aufnahme der beiden Fürsten die Vorfahren der Kaiserfamilie am Denkmal repräsentiert gewesen und somit eine direkte Beziehung zwischen der Reformationszeit und dem Herrscherhaus dargestellt worden. Kaiser Wilhelm I. hatte jedoch gegen die Idee seines Sohnes „das Bedenken aufgeworfen, ob es vom fürstlichen Standpunkte angemessen sei, jene Fürsten, insbesondere den Kurfürsten in der eigenen Residenz seines Landes als Nebenfiguren eines Denkmals zu behandeln“969,970. Um eine weitere Meinung einzuholen, leitete der hochbetagte Kaiser die Entscheidung weiter an seinen Reichskanzler Bismarck, welcher die Aufnahme der beiden Herrscher des 16. Jahrhunderts am Lutherdenkmal ebenfalls ablehnte, da diese „in den Hintergrund treten [würden], was ihrer Stellung als Landesherren und Vorfahren Seiner Majestät nicht“971 entsprechen würde. Gleichzeitig gab Bismarck zu bedenken, dass „Berlin noch kein Standbild Joachims II., des Begründers der Reformation in den Marken“972, besitzen würde. Daher regte er an, ob nicht eine Errichtung eines solchen in unmittelbarer Nähe zum Lutherdenkmal in den Blick genommen werden sollte.973 Ein Einzelstandbild für den Kurfürsten Joachim II. neben dem Luthermonument wurde hingegen von Wilhelm I. als unwürdig abgelehnt. Diese Diskussion, an der der amtierende Kaiser, dessen Sohn und der Reichskanzler beteiligt waren, veranschaulicht, dass die Berliner Lutherdenkmalfrage auf höchster staatlicher Ebene besprochen wurde. Zugleich wurde mit der Entscheidung für die Ritterfiguren und gegen die des Kurfürsten und des Markgrafen sowohl dem bürgerlichen als auch dem nationalen Anliegen nachgegeben und das Lutherdenkmal nicht als Erinnerung an die eigenen Vorfahren vereinnahmt. Ein vom späteren Kaiser Wilhelm II. initiiertes Standbild Joachims II. wurde 1900 schließlich als Denkmalensemble auf der Berliner Siegesallee errichtet, sodass dem Gedächtnis des Förderers der Reformation von Seiten der deutschen Kaiserfamilie hier an zentraler Stelle in der Haupt- und Residenzstadt Raum gegeben wurde.974 968 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 26. 969 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 29v [Hervorhebung im Original]. 970 Der Umstand, dass in Worms die beiden Kurfürsten, Philipp von Hessen und Johann von Sachsen, als Nebenfiguren zur Aufstellung kamen, wurde von Kaiser Wilhelm I. dadurch legitimiert, dass diese außerhalb ihrer jeweiligen Länder standen. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 29v, Bl. 30r. 971 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 33v. 972 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 34r. 973 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 26, Bl. 29–30, Bl. 33–37. 974 Neben dem Denkmal auf der Siegesallee wurde bereits 1889 auf dem Reformationsplatz in Berlin-Spandau ein Standbild Joachims II. errichtet, es folgte weiterhin eine Statue des Kurfürsten

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

 259

Aufgrund der nachgeahmten Gesamtkomposition des Berliner Lutherdenkmals gegenüber dem Wormser Monument, legt sich ein Vergleich der beiden nahe, um das Spezifische des Berliner Denkmals herausstellen zu können. Auffällig ist dabei zunächst, dass beim Denkmal auf dem Neuen Markt die doppelte Anzahl an Stufen zum Plateau hinaufführte und sich dadurch bei diesem Denkmal eine Bühne ergab, die sich von ihrer unmittelbaren Umgebung noch stärker abhob als in Worms. Unter anderem aufgrund der fehlenden Verzierung durch Zinnen, Wappen oder Figuren war die Ausgestaltung des Plateaus in Berlin allerdings deutlich schlichter. In Worms hatte die Anordnung der äußeren vier Standfiguren an den jeweiligen Ecken der Denkmalfläche gerade Linien ergeben und diese waren genauso statisch wie die vier für sich sitzenden Vorreformatoren am Sockel des Denkmals. Diese figürliche Starrheit wurde in Berlin nun durchbrochen, indem die jeweiligen Statuen in einer bestimmten Bewegung modelliert worden waren und zum Teil in Interaktion miteinander traten. Auch die Lutherstatue Paul Martin Ottos wirkte durch den Faltenwurf und die Drehung des Oberkörpers theatralischer und dynamischer.975 Dadurch konnte das Berliner Monument auf den Betrachtenden eine narrative Wirkung ausüben, sodass der Bildhauer geradezu „zum Regisseur eines lebenden Bildes geworden“976 war. Die wesentlichste Veränderung der dargestellten Figuren lag bei den Statuen am Treppenaufgang. An die Positionen der Kürfürsten, waren die beiden sitzenden Ritter Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten getreten. Dies hing damit zusammen, dass die zwei Vertreter der Ritterschaft im Verlauf des 19. Jahrhunderts in die Reihe deutscher Nationalhelden aufgenommen worden waren. Bereits beim Wartburgfest 1817 wurden Sickingen und Hutten „zu Nationalhelden erklärt [und ihre] Freundschaft als ein Sinnbild von Gelehrsamkeit und Verteidigungswillen“977 angesehen. Zudem wurde im 19.  Jahrhundert insbesondere Franz von Sickingen als Vorkämpfer der deutschen Reichseinheit vereinnahmt, seine Bedeutung für

an der Lutherkirche in Schöneberg 1894 und auch im 1905 eingeweihten Berliner Dom findet sich eine Figur Joachims II. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 51–54, 57–58, 62–64. 975 Dabei muss Angelika Rusche widersprochen werden, die die Berliner Lutherstatue als „Nachguß von Rietschels Figur“ bezeichnete. Vgl. Rusche, Angelika: Der Sockel. Typologische und ikonographische Studien am Beispiel von Personendenkmälern der Berliner Bildhauerschule (BKuG(W) 1), Witterschlick/Bonn 1989, 88. 976 Beenken, Hermann: Das neunzehnte Jahrhundert in der deutschen Kunst. Aufgaben und Gehalte. Versuch einer Rechenschaft, München 1944, 469. 977 Heinz, Stefan / Tacke, Andreas: Geschichte ist die Religion unserer Zeit – Franz von Sickingen in der Bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, in: Breul, Wolfgang / u. a. (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Regensburg 2015, 82.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

die Reformation aufgewertet und er wurde als „verlängerter militärischer Arm“978 Luthers angesehen.979 Als Ausdruck seiner nationalen Bedeutung wurde eine Büste Sickingens sowohl in der Walhalla als auch in der Münchner Ruhmeshalle aufgestellt. Beim Wormser Luthermonument und beim Unionsdenkmal in Kaiserslautern wurde an die beiden Ritter Hutten und Sickingen in Form von Porträtmedaillons am Sockel erinnert. Zudem wurde Sickingen 1871 ein Brunnendenkmal in Landstuhl in der Pfalz gewidmet und am Fuße der Ebernburg wurde 1889 ein Doppeldenkmal Huttens und Sickingens errichtet. Die Inschrift dieses Standbilds lautet Den Vorkämpfern deutscher Einheit und Größe, sodass an diesem Denkmal eine nationale Bedeutung der Ritter offensichtlich gemacht wurde.980 In diesem Kontext können schließlich auch die beiden Sitzfiguren am Berliner Lutherdenkmal gesehen werden, sodass in der Denkmalkonzeption Ottos der Gedanke, „zwischen Reformation und Reichseinheit bestünden historische Beziehungen“981, angelegt war. Dies entsprach zudem einer zeitgenössischen Denkmalinterpretation, die Sickingen als den „tapfere[n] Ritter, welcher mit seinem Schwerte für die Sache der Reformation und Humanität furchtlos und löwenkühn eingetreten“982 war, und Hutten als den „mutige[n] Kämpfer für geistige Freiheit im Reformationszeitalter, dessen letzter Herzschlag der Befreiung Deutschlands vom kirchlichen und politischen Joche“983 beschrieb. Der nationale Aspekt des Berliner Lutherdenkmals setzte sich mit den Figuren am Postament fort, da anders als in Worms nun keine internationalen Repräsentanten oder Vorkämpfer der Reformation dargestellt wurden. Stattdessen hatte sich der Künstler auf Weggefährten Luthers konzentriert, sodass nicht mehr eine größere Zeitspanne dargestellt wurde, sondern der „Geschichtsausschnitt verengt“984 erschien und die frühe Reformation im Fokus stand.985 Zudem fällt hinsichtlich der repräsentierten Konfessionen auf, dass wiederum anders als in Worms, wo mit der Abbildung Zwinglis und Calvins zumindest in

978 Heinz / Tacke: Geschichte, 82. 979 Das Werk Huttens letzte Tage von Conrad Ferdinand Meyer aus dem Jahr 1871 ist ein literarisches Beispiel dafür, wie Ulrich von Hutten zum Nationalhelden stilisiert wurde. Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 263. 980 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 46–47, 161; vgl. Neugebauer, Anton: Hutten und Sickingen in der Denkmalplastik, in: Breul, Wolfgang / u. a. (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Regensburg 2015, 259–260. 981 Weber: Luther-Denkmäler, 211. 982 George: Lutherdenkmal, 460. 983 George: Lutherdenkmal, 460. 984 Rusche: Sockel, 89. 985 Dies lässt sich z. B. dadurch begründen, dass Johannes Reuchlin bereits 1522 und die beiden Ritter 1523 verstarben.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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Form von Porträtmedaillons der reformierten Tradition gedacht worden war, abgesehen von Reuchlin ausschließlich Anhänger Luthers dargestellt wurden. Obwohl die Union insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den preußischen König in Berlin besonders gefördert worden war und die Denkmalinitiatoren in ihrem ersten Spendenaufruf betont hatten, dass Berlin immer „auch den verfolgten Kindern der Reformation die Zufluchtsstätte bereitet“986 hatte, erschien das Berliner Denkmal doch vorrangig als lutherisches Abbild der Reformation. Beachtet man nun nochmals die figürlichen Abänderungen des Berliner Denkmals im Vergleich zum Wormser Luthermonument, dann fällt auf, dass in der Reichshauptstadt nicht mehr die Geschichte, sondern die nationale Bedeutung der Reformation im Vordergrund stand. Diese Verbindung zwischen Reformation und Nation, die bei den zuvor betrachteten Lutherstandbildern jeweils durch die Einweihungsreden, die Luther als Nationalhelden deuteten, präsent war, wurde im Denkmal nun durch die Aufnahme der Ritter, ganz offensichtlich vollzogen. Die nationale Aussage setzte sich zudem durch die Mitarbeiter der Bibelübersetzung fort und gipfelte in der stark erhöhten Präsentation der deutschen Bibel durch Luther. Zusätzlich sollte insbesondere die aus ihrer Umgebung herausragende Statue des Reformators für die Betrachtenden zu einer Identifikationsfigur werden, indem sie „der Bürgerschaft eine Mahnung sein [sollte], in den Tugenden demütiger Gottesfurcht, religiöser Wahrhaftigkeit und vaterländischen bürgerlichen Mannesmutes zu verharren“987 und um sich „Luthers reformatorische Heldenthat“988 wiederum ins Gedächtnis zu rufen. 3.3.10.3 Die bescheidene Einweihungsfeier am 11. Juni 1895 Die Gestaltung des Berliner Lutherdenkmals hatte sich zwar am Wormser Monument orientiert, die Einweihungsfeiern unterschieden sich dafür stark. Während das Wormser Lutherfest 1868 eine mehrtägige, pompöse Enthüllungsfeier von nationaler Bedeutung gewesen war, fiel 27 Jahre später am 11. Juni 1895 die Einweihung in Berlin sehr viel schlichter aus. Der Termin der Enthüllungsfeier stand weder im Zusammenhang mit einem Jahrestag aus Luthers Leben noch mit einem Ereignis der Reformationsgeschichte. Stattdessen spiegelte das Datum einen bedeutenden Tag des deutschen Kaiserhauses wider, denn der 11. Juni war „der Tag, an dem im Jahre 1742 Friedrich II. Schlesien annektiert […], die Taufe des Kronprinzen […] [stattgefunden] und sich

986 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 987 George: Lutherdenkmal, 460. 988 George: Lutherdenkmal, 460.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

der ‚Heldenkaiser‘ vermählt […]“989 hatte. Daher war es dem Denkmalkomitee ein besonderes Anliegen, dass der Kaiser an der Enthüllung des Luthermonuments teilnehmen würde. Schließlich hatte sein Großvater Wilhelm I. das Denkmal nicht nur finanziell unterstützt, sondern auch den Aufstellungsort und den Entwurf Ottos genehmigt. Zudem hatte auch Wilhelm II. in der Endphase der Entstehung durchaus Interesse am Fortgang des Monuments gezeigt und Einfluss auf die Gestaltung genommen. Im Herbst 1892 hatte er das Atelier Ottos besucht und „die schablonenhafte Ausführung der Entwürfe zu den Ritterfiguren“990 kritisiert. Daraufhin hatten erst Otto und nach dessen Tod sein Nachfolger Robert Toberentz neue Skizzen von Sickingen und Hutten ausgearbeitet, deren Modelle sich Wilhelm II. im Atelier erneut präsentieren ließ und absegnete.991 Doch knapp einen Monat vor der tatsächlichen Enthüllungsfeier ließ der Kaiser mitteilen, dass er verhindert sei „am 11. Juni der Feier […] beizuwohnen“992. Demzufolge versuchte das Denkmalkomitee in einem Schreiben vom 25. Mai 1895, welches alle Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses persönlich unterschrieben hatten, „an das landesväterliche Herz Eur. Majestät“993 zu appellieren und den Kaiser doch noch umzustimmen. Schließlich stelle das „Monument des großen Reformators in der Hauptstadt Preußens […] sich in künstlerischer und geschichtlicher Bedeutung als ein wichtiger Markstein jener protestantischen und deutschen Geisterhebung dar“994, welche angefangen beim 400. Lutherjubiläum „ihren Höhepunkt in der ewig denkwürdigen Weihe der wiederhergestellten Wittenberger Schloßkirche gefunden“995 hatte. Dort hatte Kaiser Wilhelm II. „den Vertretern des evangelischen Deutschlands“996 persönlich den Schutz „der Segnungen der Reformation […] zugesichert“997. Diese Unterstützung, die Wilhelm II. drei Jahre zuvor in Wittenberg versprochen hatte, erhofften sich die Denkmalinitiatoren nun auch für ihr Lutherdenkmal, welches, wie Kaiser Wilhelm I. stets beabsichtigt hatte, demjenigen in Worms

989 Laube: Brüche, 321. 990 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 65v. 991 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 65–66. Eine Abänderung der Ritterfiguren ist dadurch erkennbar, dass die Abbildung des Denkmals auf dem im Mai 1887 veröffentlichten 2. Spendenaufruf noch andere, stehende Statuen Sickingens und Huttens zeigte. Diese unterscheiden sich durch ihre kämpferisch wirkende Pose deutlich von den tatsächlich umgesetzten Ritterfiguren; vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 42. 992 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 88r. 993 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 88v. 994 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 88v. 995 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 88v. 996 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 88v. 997 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 88v, Bl. 89r.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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„nicht nachstehen sollte“998. Dies war, nach Meinung der Verantwortlichen, durch die Ausführung gelungen, doch könnte das Berliner Luthermonument nur seine volle Wirkung erreichen, „wenn es vor den Augen Eur. Majestät als des Schutzherrn und obersten Bischofs der Kirche […] aus der Hülle an das Licht der Oeffentlichkeit“999 hervortreten würde. Um die Anwesenheit des Kaisers zu erreichen, wäre das Denkmalkomitee auch bereit, einen anderen Termin für die Enthüllungsfeier zu bestimmen.1000 Doch auch diese erneute Bitte konnte Wilhelm II. nicht umstimmen, sodass er zur Einweihung schließlich lediglich eine Vertretung, seinen Schwager, den Kronprinzen Friedrich Leopold von Preußen, sandte. Die Abwesenheit des Kaisers war nur ein Grund dafür, dass die Bedeutung des Berliner Luthermonuments hinter den Erwartungen zurückblieb. So fand bei der eintägigen Feier weder ein Festzug statt, noch wurden die Feierlichkeiten nach der Enthüllung beispielsweise durch offizielle Festessen fortgesetzt. Stattdessen beschränkte man sich auf den Akt der Enthüllung und Weihe. Dazu hatten zunächst um 11 Uhr am Vormittag die „Glocken aller evangelischen Kirchen der Stadt“1001 geläutet, bevor die Festteilnehmenden, darunter „viele hohe Würdenträger in Staat und Kirche“1002, die Feier mit dem gemeinsamen Singen von Lobe den Herrn, den mächtigen (König) der Ehren eröffneten. Daran schloss sich die Rede des Vorsitzenden des Denkmalkomitees Kammergerichtsrat Schröder an, der zunächst die Geschichte des Monuments darlegte und sodann den Wunsch aussprach, dass das Standbild Luthers allezeit die Betrachtenden erinnern möge, dass „Luther unserem deutschen Volke ein Vorbild gewesen“1003 sei und zwar unter anderem durch die „Tugend […] einer in wahrer Gottesfurcht gegründeten patriotischen Hingabe an das Vaterland“1004. Nachdem sodann „[u]nter dem Gesang des Lutherliedes ‚Ein‘ feste Burg ist unser Gott‘, dem Geläute der Glocken und den Klängen der Posaunen“1005 die Hülle des Denkmals gefallen war, schloss sich die Rede des Generalsuperintendenten der Stadt Berlin, Hofprediger Faber, an. Auch wenn diese Weiherede im Wortlaut nicht vorliegt, sondern sich hier lediglich auf die Zusammenfassung in der Berliner Zeitschrift Der Bär bezogen werden kann, so ist diese doch sehr aufschlussreich. Faber betonte zunächst „die

998 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 89r. 999 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 89v. 1000 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 88–90. 1001 George, Richard: Art. Kleine Mitteilungen. Die Enthüllung des Luther-Denkmals, in: Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Gesichte 21 (1895) 25, 298. 1002 George: Mitteilungen, 298. 1003 George: Mitteilungen, 298. 1004 George: Mitteilungen, 298. 1005 George: Mitteilungen, 298.

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hohe Bedeutung Luthers für die ganze Christenheit […] und insonderheit [hob er hervor], wie Luther und Berlin zusammengehören“1006. Im Anschluss daran, führte er aus, dass dieses Denkmal geweiht sei „als ein Gedenkstein der großen Thaten des Herrn […]; als ein Grenzstein wider alle finsteren Mächte des Unglaubens […] und als ein Opferstein unserer Treugelübde“1007. Dabei ist auffällig, dass Faber bereits in seiner Weihepredigt anlässlich der Enthüllung des Magdeburger Lutherdenkmals 1886 die Begriffe Gedenkstein, Grenzstein und Opferstein auf das dortige Standbild bezogen hatte. Dies überrascht durchaus, da Wilhelm Faber neben seiner Predigt in Magdeburg, 1883 in Eisleben und 1889 in Erfurt individuelle Reden und Predigten anlässlich der dortigen Denkmalenthüllungen gehalten hatte. Daher entsteht der Eindruck, dass durch die Wiederholung der Stein-Metapher dem Berliner Lutherdenkmal eine eigene Interpretation verwehrt blieb. So fügte sich diese Rede in die für die Reichshauptstadt schlichte Enthüllungsfeier ein. Im Anschluss an die Rede Fabers und eine musikalische Einlage der Kirchenchöre wurde das Denkmal der Stadt Berlin übergegeben. Der Oberbürgermeister Robert Zelle dankte im Namen der Stadt und die Feier schloss mit einem Gebet und Kirchenlied ab. Auch wenn dem Enthüllungsfest zahlreiche Politiker und ein Kronprinz beigewohnt hatten, so hatte dieses, anders als die intendierte Aussage des Monuments, keine nationale Bedeutung. Es war demnach vielmehr eine schlichte, kirchliche und auf die Stadt Berlin begrenzte Feier und blieb somit hinter den ursprünglich gesetzten Erwartungen der Berliner Denkmalinitiatoren zurück.1008 Nicht nur die große Ähnlichkeit zum Wormser Luthermonument und der nicht vorhandene lokale Bezug im Denkmal, sondern auch der in der Ausgestaltung zwar zum Ausdruck gekommene, in der Einweihungsfeier allerdings untergegangene nationale Bezug des Berliner Lutherdenkmals, könnten Gründe dafür sein, dass diesem keine überregionale Bedeutung in der protestantischen Erinnerungskultur der Zeit beigemessen wurde. Zudem waren 1895 bereits zahlreiche Lutherdenkmäler, insbesondere in Lutherstädten, eingeweiht worden, die mit ihrem Aufstellungsort enger verbunden waren und somit den lokalen Stolz befördert hatten. Das Berliner Luthermonument war erst zwölf Jahre nach dem Lutherjubiläum eingeweiht worden und durch den fehlenden direkten regionalen Bezug der Reichshauptstadt zum Leben und Wirken Luthers war es schließlich nur ein Denkmal unter vielen die am Ende des 19.  Jahrhunderts in Berlin errichtet wurden. Gleichzeitig hatte sich bei den zwei vorherigen Standbildern des Reformators in Erfurt und Eisenach gezeigt, dass Vertreter des Evangelischen Bundes treibende Kräfte und Befürwor-

1006 George: Mitteilungen, 298. 1007 George: Mitteilungen, 298. 1008 Vgl. George: Mitteilungen, 298; vgl. Merz, Johannes: Art. Chronik, in: CKBK 37 (1895) 7, 112.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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ter der Lutherdenkmäler gewesen waren, welche in Berlin wiederum keine Rolle gespielt hatten. So fehlte dem Berliner Lutherdenkmal auch die Unterstützung von Seiten des einflussreichen Vereinsprotestantismus. Auch die weitere Wirkung des Berliner Lutherdenkmals konnte die 1883 von den Mitgliedern des Lutherdenkmalvereins geäußerte Hoffnung, dass ihr Standbild „den kommenden Geschlechtern sagt, wie ihre Väter Martin Luther verstanden und zu preisen wußten“1009, nur bedingt erfüllen. Die Erinnerung der Berliner Bürger und Bürgerinnen an ihren „Held[en] des Glaubens, der die objektive Wahrheit seinem Volk aus der Bibel verkündet“1010 hatte, wurde im Zuge des Zweiten Weltkriegs zerstört, indem das Monument mit Ausnahme der Lutherstatue eingeschmolzen wurde.1011

3.3.11 Die lokale und konfessionelle Aufladung des Lutherdenkmals Christian Tümpel und Otto Kammer stellten fest, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Luthermonumente „sehr uneinheitlich gewesen“1012 waren und sich im Zuge des Lutherjubiläums 1883 ein einheitliches Bild „von Luther als überragendem nationalem Helden“1013 herausgebildet hatte. Diese Feststellung soll auf zweierlei Weise spezifiziert werden, indem einerseits die Vereinheitlichungen, aber auch Variationen der Standbilder herausgestellt, andererseits die nationale Bedeutung der Denkmäler eingeschränkt werden soll. Es trifft zu, dass sich nach dem Wormser Lutherdenkmal die monumentale Darstellung des Reformators in Form einer Statue auf einem Sockel durchgesetzt hatte. Doch zugleich hat die Untersuchung der im Zeitraum zwischen 1883 und 1895 eingeweihten Standbilder gezeigt, dass durchaus Variationen in der Denkmalgestaltung wahrzunehmen waren. Es wiederholten sich zwar spezifische Gemeinsamkeiten wie Talar, Bibel und seltener auch die Bannbulle, sodass, wie Tim Lorentzen zusammenfasste, „die Zahl möglicher Kombinationen doch von vornherein begrenzt“1014 war. Jedoch konnte durch einen spezifischen Faltenwurf, eine 1009 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18. 1010 George: Lutherdenkmal, 462. 1011 Seit 1989 steht die Lutherstatue wieder vor der Marienkirche in unmittelbarer Nähe zu ihrem ursprünglichen Aufstellungsort. Im Zuge des 500. Reformationsjubiläums 2017 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben mit dem Ziel, die alte Lutherfigur im Kontext einer zeitgemäßen Würdigung neu zu verorten. Vgl. Abschnitt 5; vgl. Luther2017: Lutherdenkmal in Berlin abgebaut, 20.11.2017 (https://www.luther2017.de/de/neuigkeiten/luther-denkmal-in-berlin-abgebaut/index.html). 1012 Tümpel: Lutherdenkmäler, 244. 1013 Tümpel: Lutherdenkmäler, 244. 1014 Lorentzen: 19. Jahrhundert, 162.

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veränderte Hand- und Buchhaltung, die Platzierung der Bannbulle, sowie verschiedene Reliefszenen am Sockel die Aussagekraft des jeweiligen Standbilds deutlich beeinflusst und dadurch eigene Schwerpunkte der Interpretation des Reformators gesetzt werden, die sich sodann auch bei den Einweihungsfeiern zeigten. Zudem war auffällig, dass die Denkmäler weiterhin unter freiem Himmel errichtet wurden, diese somit öffentlich zugänglich waren und daher als Adressaten und Adressatinnen prinzipiell alle vorübergehenden Menschen angesprochen wurden. Insbesondere in den Städten, die historisch eng mit Luthers Leben und Wirken verknüpft waren, war die Aufstellung des Lutherdenkmals auf einem zentralen, öffentlichen und leicht zugänglichen Platz essentiell. Dadurch sollte das Stadtbild entscheidend geprägt werden und durch den Titel Lutherstadt wurde das eigene Selbstverständnis unterstrichen. In den Orten, in denen der Reformator nicht unmittelbar gewirkt hatte, wurden Kirchenvorplätze als geeignete Standorte angesehen.1015 Neben dem Aufstellungsort innerhalb der Stadt trat bei den Denkmalinitiatoren immer wieder das Bedürfnis hervor, das Standbild in einen direkten Bezug zu ihrer Stadt zu stellen. Dies zeigte sich auch in der Zusammensetzung der Denkmalvereine, indem nicht mehr nur Pfarrer vertreten waren, sondern, wie beispielsweise in Eisleben, der örtliche Bürgermeister den Vorsitz übernahm oder, wie in Magdeburg, der Stadtrat die Denkmalpläne initiierte. Zudem wurde durch die Reliefs und Inschriften am Sockel, die Einweihungsreden, oder durch die Datumswahl der Eisenacher Enthüllungsfeier, die lokale Bedeutung des Denkmals hervorgehoben. So sollte die gemeinsame städtische Identität durch die Aufstellung und Deutung des Lutherdenkmals gefestigt und nach außen hin demonstriert werden. Der Lokalpatriotismus als regionale, gemeinschaftsstiftende Komponente neben dem gesamtdeutschen Nationalismus kam demnach bei den Denkmalsetzungen seit den 1880er Jahren deutlich zum Ausdruck. Neben den verschiedenen individuellen Denkmalvarianten hatte sich zudem gezeigt, dass das Wormser Luthermonument prägend für die nachfolgenden Standbilder des Reformators gewesen war. So wurde zum einen die Großartigkeit der Wormser Denkmalkomposition allgemein anerkannt, zugleich wurde aber durch individuelle Darstellungen Luthers, wie beispielsweise in Eisleben, versucht, sich bewusst von der Wormser Lutherstatue abzugrenzen. Zum anderen wurde Rietschels Gesamtkomposition beim Berliner Denkmal als Vorlage herangezogen. Am 1015 Davon wich lediglich die Errichtung des Unionsdenkmals in der Stiftskirche in Kaiserslautern ab. Die Aufstellung von Lutherstatuen in Kirchenräumen bildete anlässlich des Lutherjubiläums 1883 die Ausnahme. Beispiele für Statuen des Reformators in Kirchen sind eine Kopie des Wormser Luthers im Dom von Helsinki (1886/87) und eine hölzerne Lutherfigur in der Kirche von Wernigerode (um 1883). Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 242–243, 264.

3.3 Die II. Phase: Der Denkmalboom anlässlich des 400. Lutherjubiläums 

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wichtigsten war jedoch in diesem Kontext, dass die Wormser Lutherfigur durch die erhaltene Gussform für Washington und Dresden reproduziert oder als Vorlage für die Ausarbeitung einer Statue aus Stein herangezogen werden konnte. So hatten auch für die Reformation unbedeutende Städte oder Kirchengemeinden die Möglichkeit, anlässlich des 400. Lutherjubiläums ein Denkmal des Reformators aufzustellen, um ihre lutherische Identität öffentlich zu präsentieren. Diese Nachahmungen des Wormser Lutherdenkmals trugen dazu bei, dass der Eindruck entstand, es hätte sich ein einheitliches Lutherbild im Denkmal entwickelt. Im Hinblick auf die Einweihungsfeiern zwischen 1883 und 1895 fällt auf, dass in den Reden und Predigten die nationale Bedeutung des Reformators herausgestellt und Luther somit zum deutschen Nationalhelden des Kaiserreichs stilisiert wurde. Von dieser Deutung Luthers in den Äußerungen des Denkmalvereins, den Spendenaufrufen und den Einweihungsreden und -predigten gilt es allerdings, den öffentlichen Stellenwert dieser Denkmäler abzugrenzen. So intendierten die Denkmalinitiatoren zwar, mit ihrem jeweiligen Standbild ein Denkmal nationaler Bedeutung zu schaffen, allerdings wurden die zwischen 1883 und 1895 errichteten Lutherdenkmäler in der breiten Öffentlichkeit nicht als Nationaldenkmäler wahrgenommen und kamen demzufolge über eine lokale Bedeutung nicht hinaus. Dies spiegelte sich beispielsweise in den Spendenlisten wider, die zeigen, dass Spenden nicht mehr aus dem gesamten deutschen Kaiserreich eingeworben werden konnten, sondern die Sammlungen in erster Linie lokal begrenzt waren. Zudem gewährte der deutsche Kaiser lediglich einen finanziellen Beitrag für die Lutherdenkmäler in Eisleben und Berlin. Auch die Teilnehmenden der Einweihungsfeiern stützen die These der regionalen Bedeutung der Lutherdenkmäler. Zum einen blieb der deutsche Kaiser fern und sandte höchstens einen Kronprinzen als Vertretung oder es durften, wie bei der Enthüllungsfeier des Eisenacher Denkmals zu sehen war, die Landesherren aus verschiedenen deutschen Regionen erst gar nicht eingeladen werden. Damit unterschieden sich die Feierlichkeiten deutlich vom Wormser Lutherfest 1868. Ein weiterer zentraler Aspekt, der dazu beitrug, dass die anlässlich des Lutherjubiläums 1883 eingeweihten Denkmäler nicht den Rang von Nationaldenkmälern erlangen konnten, war die zunehmende, konfessionelle Aufladung der Luthererinnerung. Während bei den Denkmalerrichtungen zwischen 1803 und 1869 die bürgerlichen Verdienste des Reformators im Zentrum der Interpretation des Reformators gestanden hatten, war seit dem Kulturkampf eine zunehmende konfessionelle Polemik, was sich am Denkmal durch die Bannbulle zeigte, wahrnehmbar. Dadurch wurden die Lutherstandbilder zum Ausdruck einer nationalprotestantischen Identität, die einen Teil der deutschen Bevölkerung, die Katholiken und Katholikinnen, bewusst und offensichtlich aus der Erinnerungskultur ausschloss. Es wurde stattdessen ein verengtes Bild der deutschen Nation präsentiert, sodass der Anspruch

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an ein Nationaldenkmal, möglichst alle zu vertreten, durch die antikatholischen Botschaften der Lutherstandbilder nicht mehr zutraf.1016 In diesem Zusammenhang kann noch einmal auf das Niederwalddenkmal, das am 28.  September 1883 und somit kurz vor den Lutherfeierlichkeiten am 10.  November eingeweiht wurde, verwiesen werden. Denn dieses Monument, dessen Hauptfigur eine die Reichskrone emporstreckende Germania ist, sollte an die nationale Einheit und somit die Reichsgründung von 1871 erinnern. Der deutsche Kaiser war sowohl bei der Grundsteinlegung 1878 als auch bei der Enthüllung 1883 anwesend und hielt sogar die Einweihungsrede.1017 Dies verdeutlicht, dass im Zuge des Lutherjubiläums nicht die lediglich eine begrenzte Gruppe des deutschen Volkes repräsentierenden Lutherdenkmäler große Aufmerksamkeit erlangten, sondern auf politischer Seite ein neues, die deutsche Einheit symbolisierendes Monument geschaffen worden war. Indem das Niederwalddenkmal die durch den Sieg gegen Frankreich errungene deutsche Einheit symbolisierte, ließ es nur eine nationale Deutung zu. Im Gegensatz dazu wurde bei der Gestaltung der Lutherdenkmäler geradezu ein lokaler Bezug angestrebt, um sich von anderen Standbildern des Reformators abzuheben. Dies beeinträchtigte allerdings zusätzlich die nationale Bedeutung des jeweiligen Lutherdenkmals. Dennoch zeigten die Einweihungsreden und in seinem Aufbau auch das Berliner Lutherdenkmal, dass die Denkmalinitiatoren Luther als den deutschen Nationalhelden ansahen und seine Bedeutung für die Reichseinheit würdigten. Neben den Deutungen des Reformators in den Einweihungsreden und Predigten spiegelte auch das Festprogramm die nationalprotestantische Identität wider, indem der Ablauf der Feste das Ineinandergreifen von Kirche, Staat und städtischen Behörden offenkundig machte. Die Luthererinnerung im Denkmal wurde dementsprechend von allen drei Instanzen, wenn auch unterschiedlich, gefördert und von zahlreichen Teilnehmenden bei den Enthüllungsfeiern mitgetragen. Auch wenn die zwischen 1883 und 1895 eingeweihten Lutherdenkmäler zwar einen Nationalhelden ehrten, aber selbst keine nationale Bedeutung erlangten, so geben diese aufgrund ihrer Vielzahl und ihrer Interpretationen Auskunft über die identitätsstiftende Rolle des Stadtbürgertums und des Nationalprotestantismus im Deutschen Kaiserreich.

1016 Zum Nationaldenkmal vgl. Abschnitt 2.4.3. 1017 Der Kaiser spendete für das Niederwalddenkmal nicht nur 10.000 Mark (für das Eislebener Denkmal waren es 3.000 Mark gewesen), sondern auch 550 Zentner Bronze. Zusätzlich hatte der Reichstag eine Zahlung von 400.000 Mark zu Gunsten des Denkmals bewilligt. So handelte es sich beim Niederwalddenkmal um ein politisch stark unterstütztes Denkmalprojekt. Vgl. Tittel: Niederwalddenkmal, 58, 63–64.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal Mit den zahlreichen Denkmalsetzungen anlässlich Luthers 400. Geburtstags hatte das öffentlich errichtete Lutherdenkmal seinen Höhepunkt erreicht und es gab um die Jahrhundertwende keine Luther- oder Reformationsjubiläen, die die Errichtung weiterer Denkmäler hervorriefen. Zugleich war der Zeitraum um 1900 geprägt von einer allgemeinen Kritik am Medium Porträtstatue, was mit einem Bedeutungsverlust derselben in der Öffentlichkeit einherging. In diesem Zusammenhang lässt sich feststellen, dass das Lutherdenkmal von den zentralen, öffentlichen Plätzen verschwand und vor, an und in die Kirchengebäude rückte. Welche Aspekte beeinflussten die Verschiebung der Lutherdenkmäler hin zum kirchlichen Raum und welche Veränderungen ergaben sich daraus hinsichtlich der Lutherstatuen und der Interpretation des Reformators?

3.4.1 Die Errichtung von Lutherstatuen in Gedenkstätten Es wurde bereits durch die errichteten Denkmäler und das Feiern von Jubiläen deutlich, dass das Erinnern an historische Ereignisse und Personen und ihre jeweilige Aktualisierung für die Gegenwart im Verlauf des 19.  Jahrhunderts zentrale Bestandteile der zeitgenössischen Erinnerungskultur waren. Daneben erhielten Orte, die auf das Engste mit dem Leben und Wirken von historischen Persönlichkeiten zusammenhingen, immer mehr Aufmerksamkeit. Diese Gedenkstätten, bei denen es sich zu einem großen Teil um verfallene Gebäude handelte, wurden im 19.  Jahrhundert mit staatlichen oder öffentlich gesammelten Geldern aufwendig renoviert. Dabei spielte im Sinne des Historismus die original getreue Wiederherstellung eine genauso wichtige Rolle, wie die Verwirklichung eines spezifischen Erinnerungsprogramms und die Musealisierung der Gedenkorte. Dies traf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere auch auf verschiedene Lutherbeziehungsweise Reformationsgedenkstätten zu, unter anderem die bereits erwähnte Wartburg oder die 1883 eröffnete Lutherhalle in Wittenberg.1018 Diese wurden in langwierigen Planungs- und Renovierungsarbeiten hergerichtet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So konnten Reisende an authentischen Lutherorten ihrem Reformator aus historischem Interesse oder religiöser Motivation nahekommen. 1018 Vgl.  Steffens: Luthergedenkstätten; vgl.  Fix, Karl-Heinz: Lutherhaus – Reformationshalle – Lutherhalle. Zur Namensgeschichte des Wittenberger reformationsgeschichtlichen Museums, in: Laube, Stefan / Fix, Karl-Heinz (Hg.): Lutherinszenierung und Reformationserinnerung (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 2), Leipzig 2002, 241–264.

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Im Folgenden werden drei Gedenkstätten der Reformation in den Blick genommen und der Frage nachgegangen, wer die Initiatoren der Wiederherstellung beziehungsweise Errichtung dieser Erinnerungsorte waren, welches Interesse sich mit ihrem Engagement verband und welches Lutherbild die dortige Statue transportierte. Aufgrund der jeweils langen Renovierungs- und Planungsphase dieser Gedenkorte überschneiden sich diese zeitlich zum Teil mit der zweiten Phase der Lutherdenkmäler. Aufgrund des neuen, überdachten Aufstellungsortes verweisen diese Beispiele auf einen Übergang in der Entwicklung des Lutherdenkmals und werden daher der dritten Phase zugeordnet. 3.4.1.1 Der bibellose Luther in der Wittenberger Schlosskirche (1892) Bereits nach den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongress als Wittenberg Preußen zugeordnet wurde, gab es Bestrebungen die heruntergekommene und zu einem großen Teil zerstörte Wittenberger Schlosskirche wiederherzustellen. Doch die Renovierungsarbeiten kamen unter anderem aufgrund der ablehnenden Haltung der Leiter des örtlichen Predigerseminars ins Stocken. Lediglich die 1856 „als aufwendige Portalanlage mit bronzenen Türflügeln neu geschaffene […]“1019 Thesentür wurde umgesetzt und hob den Erinnerungscharakter der Schloßkirche.1020 Im Zuge der Reichsgründung und des Lutherjubiläums erhielt die Idee der Wiederherstellung der Schlosskirche Aufschwung. Nachdem 1882 von Wittenberger Bürgern die Idee aufgekommen war, „durch einen öffentlichen Aufruf die ganze evangelische Christenheit“1021 für die Renovierung der Schlosskirche zu gewinnen, hielt der preußische Kultusminister Gustav von Goßler es für „unbedingt wünschenswert, [dass] der Königlichen Staatsregierung die Führung in dieser Angelegenheit nicht aus der Hand“1022 genommen werde. Dies hatte zur Folge, dass im Etat des preußischen Landtags Gelder für die Renovierung der Schlosskirche verankert wurden. Zudem setzte sich ab diesem Zeitpunkt zunächst der Kronprinz Friedrich Wilhelm und nach dessen Tod auch Kaiser Wilhelm II. intensiv für das Projekt ein, sodass die Wiederherstellungsarbeiten und das damit zusammenhängende Memorialprogramm maßgeblich vom deutschen Kaiserhaus vorgegeben wurden. 1019 Krüger, Jürgen: Die Restaurierung der Wittenberger Schloßkirche – ein Schlüssel zur wilhelminischen Kirchenbaupolitik, in: Oehming, Stefan (Hg.): 700 Jahre Wittenberg. Stadt – Universität – Reformation, Weimar 1995, 405. 1020 Vgl. Treu, Martin: Reformation als Inszenierung. Die Neugestaltung der Schloßkirche zu Wittenberg 1885–1892, in: Rhein, Stefan / Schwinge, Gerhard (Hg.): Das Melanchthonhaus Bretten. Ein Beispiel des Reformationsgedenkens der Jahrhundertwende, Ubstadt-Weiher 1997, 17–19. 1021 Witte, Leopold: Die Erneuerung der Schloßkirche zu Wittenberg, eine That evangelischen Bekenntnisses. Unter Benutzung amtlicher Quellen dargestellt, Wittenberg 21894, 34. 1022 Witte: Erneuerung, 34.

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Da Friedrich Wilhelms politischer Handlungsspielraum sehr begrenzt war, engagierte sich „der Kronprinz stark im kulturellen Bereich“1023. Zudem beabsichtigte er mit dem Umbau der Schlosskirche an die vom Kaiserhaus angestrebte „politische […] Selbstdarstellung in monumentalen Bauten“1024 anzuknüpfen. Demzufolge beauftragte der Kronprinz den Architekten und Geheimen Ober-Baurat Friedrich Adler, der bereits bei vorher betrachteten Lutherdenkmälern als Gutachter tätig gewesen war, mit der Ausgestaltung der Schlosskirche zur Denkmalkirche. Laut den Worten Friedrich Wilhelms sollte die Wittenberger Kirche zu einem „Denkmal der von dieser Stadt ausgegangenen Reformation in Deutschland“1025 werden und insbesondere die Zeit zwischen 1517 und 1521 umfassen. Dabei hatte nun der Kronprinz Friedrich Wilhelm, anders als beim Berliner Lutherdenkmal, wo dessen Änderungsvorschläge bezüglich der beiden Ritterfiguren nicht angenommen worden waren, freie Hand. Das Umgestaltungsprogramm der Wittenberger Schlosskirche war überaus umfangreich und betraf sowohl die Außenansicht, insbesondere den zum Glockenturm umfunktionierten ehemaligen Wehrturm, und den Innenraum.1026 Im Kontext dieser Arbeit soll allerdings das Augenmerk auf das Figurenprogramm im Inneren, das wesentlich zum musealen Charakter der Schlosskirche beitrug, gelegt werden. Von Anfang an hatte der Kronprinz für den Innenraum eine erinnerungskulturelle Ausgestaltung vorgesehen und hierfür auf 13 Seiten eine ausführliche Liste erstellt. Diese Aufzählung, die der Kronprinz an den Kultusminister von Goßler am 11. Oktober 1886 schickte, beinhaltete „62 nach dem Alphabet verzeichnete […] Städtenamen mit 64 ihnen zugeordneten Persönlichkeiten der deutschen Reformation“1027, ergänzt durch eine Aufzählung von internationalen Reformatoren und die Reformation unterstützenden Fürsten. Hier deutete sich bereits das spätere, sehr umfassende Erinnerungsprogramm des Innenraums an, wobei Fürsten und Städte durch ihre jeweiligen Wappen dargestellt und Reformatoren aus anderen Ländern in Medaillons abgebildet wurden. Um die Auswahl des tatsächlichen Bildprogramms der Schlosskirche auch theologisch rechtfertigen zu können, setzte der Kronprinz Friedrich Wilhelm 1885 eine Fachkommission ein. Einig war sich diese, dass für die an den Kirchenpfeilern

1023 Steffens: Luthergedenkstätten, 278. 1024 Steffens: Luthergedenkstätten, 280. 1025 Witte: Erneuerung, 45. 1026 Für ausführliche Informationen zur Umgestaltung und Wiedereinweihung der Wittenberger Schlosskirche vgl. Witte: Erneuerung; vgl. Adler, Friedrich: Die Schlosskirche in Wittenberg. Ihre Baugeschichte und Wiederherstellung, Berlin 1895; vgl. Krüger: Restaurierung, 405–417; vgl. Steffens: Luthergedenkstätten, 237–324; vgl. Treu: Reformation, 15–29. 1027 Treu: Reformation, 21.

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vorgesehenen Statuen ausschließlich deutsche Persönlichkeiten in Frage kommen könnten. Schließlich sollte durch die Statuen Luthers und Melanchthons, sowie weiteren zeitgenössischen Mitstreitern die „Schloßkirche fortan als ein Pantheon deutscher Glaubens- und Geisteshelden“1028 wahrgenommen werden. In der Kommission, der auch vier Theologen angehörten, begann im Oktober 1886 eine theologische und konfessionelle Auseinandersetzung, um die Frage, welche Personen für die übrigen sieben Statuen gewählt werden sollten. Der Vorschlag, dass „zur Hälfte Theologen und zur anderen Hälfte um die Reformation verdiente Laien zu wählen“1029 seien, wurde schließlich abgelehnt und stattdessen entschieden, nur Wittenberger Reformatoren abzubilden. Dies entsprach insbesondere nationalprotestantisch gesinnten Kommissionsmitgliedern, die der Meinung waren, „dass es sich bei der Schlosskirche primär um eine ‚Lutherkirche‘ und erst in zweiter Linie um ein Reformationsdenkmal“1030 handeln würde. Im selben Kontext wurde zudem die Frage diskutiert, wie an die beiden Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin, sowie an die internationalen Vorkämpfer der Reformation erinnert werden könne. Darüber entstand „[e]ine nicht unbedeutende Meinungsverschiedenheit“1031. So führten die Gegner des nichtdeutschen und unierten Erinnerungsprogramms an, dass eine Darstellung der Schweizer in einfachen Bronzemedaillons „nicht die entsprechende Form der Verherrlichung [wäre, wenn] […] minder bedeutende Theologen, wie Amsdorf, Statuen erhalten sollten“1032. Da für die Standbilder jedoch ausschließlich Wittenberger Reformatoren vorgesehen waren, sollten sie „besser gänzlich ausgelassen“1033 werden. Zugleich wurden die Darstellungen der internationalen Vorreformatoren abgelehnt, da von diesen zum Teil keine „historisch beglaubigten Bilder“1034 existieren würden, sodass sich hier nationalprotestantische Ansichten widerspiegelten. Im Gegensatz dazu wurde von anderen Kommissionsmitgliedern argumentiert, dass die Schweizer Reformatoren durchaus anerkannt gewürdigt wären und ihrer „Bedeutung […] nicht zu nahe“1035 getreten würde, wenn ihre Medaillons an einer herausgehobenen Position im Kirchenraum angebracht würden. Zudem wurde auf das Wormser Lutherdenkmal referiert, da dort die internationalen

1028 Sarrazin, Otto / Hinckeldeyn, Karl: Art. Restauration der Schloßkirche von Wittenberg, in: ZBV 3 (1883) 31, 282. 1029 Witte: Erneuerung, 47. 1030 Steffens: Luthergedenkstätten, 302. 1031 Witte: Erneuerung, 53. 1032 Witte: Erneuerung, 53. 1033 Witte: Erneuerung, 53. 1034 Witte: Erneuerung, 53. 1035 Witte: Erneuerung, 53.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Kirchenreformer ebenfalls repräsentiert seien, die Porträtfrage bezüglich Petrus Valdes bereits gelöst war und die mittelalterlichen Kirchenreformer „das internationale Band [bilden würden], welches der reformatorische Gedanke um vier Nationalitäten prophetisch“1036 geschlungen hatte. Insbesondere der Oberhofprediger und Weihredner des Eislebener Lutherdenkmals, Rudolf Kögel, plädierte für ein international und überkonfessionell ausgerichtetes Gedenkprogramm und forderte, dass „die tiefere Einheit der beiderseitigen kirchlichen Bestrebungen auch zum bildnerischen Ausdrucke zu bringen sei“1037. Diese unterschiedlichen Auffassungen zum Erinnerungsprogramm der Wittenberger Schlosskirche veranschaulichen zum einen die weiterhin bestehenden innerprotestantischen Spannungen am Ende der 1880er Jahre und zum anderen, die Autorität des Kronprinzen Friedrich Wilhelms und dessen Sohn im Hinblick auf die Umgestaltungsarbeiten. Denn nachdem die Kommission sich nicht auf einen Kompromiss hatte einigen können, wurden Friedrich Wilhelm zwei verschiedene Vorschläge vorgelegt. Dieser votierte kurz vor seinem Tod für den europäischen Ansatz, welcher schließlich auch offiziell vom neuen Kaiser, Wilhelm II., angeordnet wurde.1038 Nachdem die Figurenwahl beschlossen worden war, wurde Rudolf Siemering, der Künstler des Eislebener Lutherdenkmals, aufgefordert, Entwürfe für die neun Statuen der Reformatoren zu entwerfen. Dadurch sollte eine „einheitliche künstlerische Behandlung der Figuren“1039 gesichert und den neun zur Ausführung der Standbilder beauftragten Bildhauern eine Richtschnur gegeben werden. Für die von Siemering ausgearbeiteten Skizzen von Martin Luther, Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, Justus Jonas, Georg Spalatin, Johannes Brenz, Urbanus Rhegius, Caspar Cruciger und Nikolaus von Amsdorf1040, hatte der Künstler Vorgaben erhalten. So sollten die Persönlichkeiten, die bereits beim Wormser Lutherdenkmal dargestellt waren, „eine thunlichste Anlehnung an die dort gegebenen Formen“1041 zeigen, was erneut deutlich macht, dass das Denkmal Rietschels stets der Vergleichspunkt für das figürliche Reformationsgedächtnis bildete.

1036 Witte: Erneuerung, 53. 1037 Witte: Erneuerung, 53. 1038 Vgl. Witte: Erneuerung, 44–55; vgl. Treu: Reformation, 20–21; vgl. Steffens: Gedenkstätten, 301–303. 1039 Witte: Erneuerung, 52. 1040 Die Aufzählung der Reformatoren orientiert sich an der Anordnung der Figuren im Kirchenraum von vorne nach hinten. 1041 Witte: Erneuerung, 63.

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Zugleich wurde gefordert, dass „die Lutherstatue […] das von Schadow gefertigte, in Wittenberg aufgestellte Standbild zum Vorbilde“1042 haben sollte. Vergleicht man nun diesen Auftrag mit der von Otto Riesch ausgeführten Lutherstatue, so ist eine Ähnlichkeit mit der Statue des Reformators auf dem Wittenberger Marktplatz nicht unbedingt erkennbar.1043 Der auf einer bunt verzierten Säule stehende und talartragende Luther blickt nicht wie die Figur Schadows nach unten in Richtung der Betrachtenden, sondern sein Blick ist schräg nach oben, in die Ferne gerichtet. Durch die Blickrichtung und den vorangestellten rechten Fuß erinnert diese Lutherstatue vielmehr an die Wormser Figur. Zugleich hebt sich diese Darstellung des Reformators deutlich von allen vorherigen Lutherstandbildern ab, da er ohne Bibel oder zusätzlichen Gegenstand abgebildet wird. Der Fokus liegt dadurch auf der geschlossenen Handhaltung. Luther hat seine Hände allerdings nicht einfach locker ineinandergelegt, sondern unterstützt durch seine angespannte Körperhaltung wirkt diese Gestik, als wäre der Reformator entschlossen ein Projekt anzupacken. Im Kontext der übrigen Reformatorenstatuen fällt auf, dass die Handhaltung Luthers in der Schlosskirche nicht singulär ist, sondern auch Bugenhagen und Spalatin ihre Hände ineinander gelegt haben.1044 Dies ist sicherlich auf die ursprüngliche Intention zurückzuführen, dass die Figuren einheitlich wirken sollten. Trotzdem unterscheidet sich Luther durch seine agile Körperhaltung und Blickrichtung deutlich von Bugenhagen und Spalatin. Durch den erhobenen, nach vorne gerichteten Blick und die Gestik wirkt Luther, als würde er als Anführer der dargestellten Personen tatkräftig nach vorne schreiten und eine Vision verfolgen. An Melanchthon und die weiteren sieben Wittenberger Freunde wird in der Schlosskirche dementsprechend als die Unterstützer und Begleiter Luthers erinnert. Bedenkt man, dass die Skizzen der Statuen von Rudolf Siemering stammten, so kann festgehalten werden, dass diesem nach seinem individuellen Eislebener Standbild mit dem Entwurf des bibellosen Luthers für die Wittenberger Schlosskirche wiederum eine neue Darstellung des Reformators gelungen war. Dabei fällt auf, dass Luther in der Kirche, an deren Tür er der Legende nach seine 95 Thesen angebracht hatte, nicht mit Thesenrolle und oder einem Hammer dargestellt wurde. Es wurde dementsprechend in der Schlosskirche auf eine genrehafte Gestaltung

1042 Witte: Erneuerung, 63. 1043 Vgl.  Witte: Erneuerung, 49–63; vgl.  Kammer: Reformationsdenkmäler, 174–177; vgl.  Treu: Reformation, 22–23; vgl. Merz, Heinrich: Art. Chronik. Restauration der Schloßkirche von Wittenberg, in: CKBK 26 (1884) 7, 110–111; vgl. Sarrazin / Hinckeldeyn: Restauration, 282–283; vgl. Adler: Schlosskirche, 12. 1044 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 176.

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Abb. 25: Lutherstatue in der Wittenberger Schlosskirche, Otto Riesch.

verzichtet und das Motiv des Thesenanschlags findet sich bei Lutherdenkmälern erst nach der Jahrhundertwende.1045 Martin Steffens hält daher fest, dass bei der Ausgestaltung der Schlosskirche kein didaktisches Konzept im Hintergrund stand, sondern von den Besuchenden vielmehr erwartet wurde „dass sie über Luthers Biographie und den breiten Kontext seines Lebens informiert sind“1046. Zusätzlich ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass das „ikonographische Programm […] bewusst nicht auf die Einzelperson Luthers konzentriert“1047 war, sondern die Reformation als kulturhistorisch herausragendes Zeitalter dargestellt wurde. Unterstützt wird dies durch das weitere Bildprogramm, welches insbesondere Wappen von Fürsten und Städten, sowie zahlreiche Porträtmedaillons umfasst.1048 So „hat Alldeutschland auch hier eine Stätte gefunden, die von tiefer geistiger Einheit und von großen evangelischen

1045 Vgl. Abschnitt 3.4.6; vgl. Steffens: Gedenkstätte, 319. 1046 Steffens: Gedenkstätte, 316. 1047 Steffens: Gedenkstätte, 315. 1048 Für eine Übersicht zur übrigen ikonographischen Ausgestaltung vgl. beispielsweise Treu: Reformation, 22–23; vgl. Steffens: Gedenkstätten, 313.

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Thaten […] Zeugnis ablegt“1049. Anders als bei den bisherigen Lutherdenkmälern wurde die Statue Luthers gegenüber anderen Persönlichkeiten zwar nicht überhöht, sodass einer Deutung Luthers als dem exponierten deutschen Nationalhelden vorgebeugt werden sollte. Gleichwohl kommt an und in der Schlosskirche neben der Reformationserinnerung, die Luthererinnerung nicht zu kurz, indem das Spruchband Ein feste Burg ist unser Gott, welches um den Glockenturm herumführt, bereits von weiten auf das Lutherlied verweist. Zum anderen weisen die bereits erwähnte Thesentür auf Luthers Handeln hin und auch das Grab Luthers im Kirchenraum verweist auf den Reformator. Dass das Erinnerungsprogramm der Wittenberger Schlosskirche nicht nur auf die Einzelperson Luthers, sondern auf die Reformation fokussiert war, korrelierte damit, dass nach Meinung Friedrich Wilhelms und nach dessen Tod auch im Sinne Kaiser Wilhelms II. die Schlosskirche als Gedenkstätte auch die Beziehung zu den „Initiatoren der Umgestaltung, also die Hohenzollern“1050 repräsentieren sollte. Besonders eindrucksvoll lässt sich dies veranschaulichen an Ergänzungswünschen Kaiser Wilhelms II. im Frühjahr 1892, das heißt wenige Monate vor der Einweihung der Schlosskirche. Wie sein Vater hatte Wilhelm II. ebenfalls reges Interesse an den Fortschritten der Renovierungsarbeiten, reiste einige Male nach Wittenberg, ließ sich stets über den Fortgang informieren und bestimmte unter anderem die Gästeliste für die Einweihungsfeier. Im Zuge dessen forderte er Friedrich Adler auf, anstelle eines in mittelalterlichen Kirchen üblichen Chorgestühls ein Fürstengestühl mit den Wappen aller protestantischen Fürsten und freien Hansastädte des deutschen Kaiserreichs im vorderen Teil des Kirchenraumes aufzustellen. Hervorzuheben ist dabei, dass „aus konfessionellen Gründen Sitze für die wichtigsten Reichsfürsten wie die Könige von Bayern und Sachsen“1051 fehlten und dadurch nur der protestantische Teil des Deutschen Kaiserreichs repräsentiert werden sollte. Zusätzlich dazu ließ sich Wilhelm II. einen eigenen Kaiserstuhl errichten, welcher mit Kaiserkrone und deutschem Reichsadler geschmückt wurde.1052 Dieser Thron und das Fürstengestühl untermauerten das Selbstverständnis des jungen Kaisers, indem er den „Führungsanspruch im Kreis der protestantischen Fürsten Deutschlands“1053 demonstrieren wollte. Dadurch wurde die Reformationserinnerung des Kirchenraums durchbrochen, sodass die Schlosskirche nicht

1049 Witte: Erneuerung, 59. 1050 Steffens: Luthergedenkstätten, 288. 1051 Treu: Reformation, 26. 1052 Vgl. Treu: Reformation, 24–26; vgl. Witte: Erneuerung, 55; vgl. Krüger: Restaurierung, 408–410. 1053 Steffens: Luthergedenkstätten, 318.

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nur eine Denkmalkirche sein, sondern auch „eine genalogische Beziehung“1054 zwischen der Reformation und dem Kaiserhaus herstellen sollte.1055 Durch diese Vermischung von protestantischer und nationaler Erinnerung in und an der Wittenberger Schlosskirche wurde die bei vorherigen Einweihungsfeiern von Lutherstandbildern beschriebene nationalprotestantische Ideologie nun auch von Seiten des Kaiserhauses aufgenommen und bei der Einweihungsfeier am 31. Oktober 1892, dem 375. Reformationsjubiläum, zum Ausdruck gebracht. Dementsprechend sollte „die Weihe der neuhergestellten Schloßkirche zu einer imposanten, das ganze evangelische Deutschland, ja Europa, beteiligenden Bekenntnisthat“1056 gestaltet werden, weshalb Wilhelm II. sich persönlich um die Einladungen der Ehrengäste kümmerte. So sollten nicht nur regionale Politiker und kirchliche Vertreter eingeladen werden, sondern insbesondere die evangelischen Fürsten des Deutschen Kaiserreichs sowie protestantische Staatsoberhäupter europäischer Länder. Das heißt, die Einweihungsfeier der Schlosskirche musste „auch im Rahmen der europäischen Politik als Demonstration kaiserlicher Macht verstanden werden“1057,1058. Im Sinne der nationalen Einheitsdemonstration des protestantischen Kaiserreichs ordnete Wilhelm II. an, dass zum Zeitpunkt der Weihe, zwischen 12 und 13 Uhr, „in allen Kirchen des Landes mit den Glocken geläutet“1059 werden sollte. Dadurch sollte „auf die Wichtigkeit dieser Festfeier hingewiesen“1060 und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit hervorgerufen werden.1061 Anders als bei den öffentlichen Lutherdenkmälern handelte sich also bei der Renovierung und Ausgestaltung der Wittenberger Schlosskirche nicht um eine bürgerliche Reformations- beziehungsweise Luthererinnerung. Stattdessen wurde diese vom deutschen Kaiserhaus geprägt. Es waren folglich nicht die in der zweiten Phase besprochenen lokalen, anlässlich Luthers 400. Geburtstag errichteten, bür-

1054 Laube: Brüche, 323. 1055 Die Renovierung und Einweihung der Wittenberger Schlosskirche fügte sich in den größeren Kontext der wilhelminischen Kirchenbaupolitik. Vgl.  dazu Krüger: Restaurierung, 409–417; vgl. Steffens: Luthergedenkstätten, 304. 1056 Witte: Erneuerung, 68. 1057 Steffens: Luthergedenkstätten, 318. 1058 Vgl. Steffens: Luthergedenkstätten, 318–324; vgl. Witte: Erneuerung, 68–72. 1059 StA Coburg, Min. U 74 Feier bei der Enthüllung des Luther-Denkmals zu Worms; Einweihung der Schlosskirche in Wittenberg und die Einladung zu derartigen Feiern überhaupt, Bl. 17 (Erlass des Ober-Kirchenrats Barkhausen vom 19.10.1892). 1060 StA Coburg, Min. U 74, Bl. 18v. 1061 Für eine detaillierte Berichterstattung der Einweihungsfeier vgl. Pietsch, Ludwig: Festbericht über die Feier des 31. Oktober 1892 in Wittenberg. Mit sämtlichen Predigten nach den Original-Manuskripten, Wittenberg 1892.

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gerlichen Standbilder, die das Kaiserhaus explizit förderte, sondern die Monumentalität der Schlosskirche sollte das nationale Reformationsgedächtnis des deutschen Kaiserhauses zum Ausdruck bringen. Aufgrund des reichhaltigen Erinnerungsprogramms ist die Schlosskirche nicht allein Gotteshaus, sondern ihrer Musealisierung trägt dazu bei, dass als ein monumentales Nationaldenkmal wahrgenommen und bereits unter Zeitgenossen als „ein laut redenden Denkmal“1062 bezeichnet wurde. 3.4.1.2 Der erstarrte Luther im Melanchthonhaus in Bretten (1903) Bedingt durch das Bildungsbürgertum und dem damit zusammenhängenden Interesse für ästhetische Kultur1063 hatte im 19. Jahrhundert auch die Musealisierung Auftrieb erhalten. Dabei war nicht allein die Vorliebe für Kunst und Bildung, sondern auch das Vergegenwärtigen von Geschichte als gesellschaftliche Identitätsstiftung wichtig. So wurden verschiedene Museen eröffnet und korrespondierend zum Denkmalkult wurden bedeutende Persönlichkeiten besonders in den Fokus gerückt und Gedenkstätten in ihren Wohn- oder Geburtshäusern errichtet. Beispiele hierfür sind das Goethehaus in Weimar, das Dürerhaus in Nürnberg, die Lutherhalle im ehemaligen Wittenberger Augustinerkloster, oder auch das Geburts- und das Sterbehaus Luthers in Eisleben.1064 In diese Reihe fügte sich auch das 1903 eröffnete Melanchthonhaus in Bretten ein. Der Erinnerungsort Melanchthonhaus sollte neben einem Museum auch eine Forschungsstätte eine Gedächtnishalle, die aufgrund ihres Figurenprogramms herausgegriffen wird, umfassen. Anlässlich des bevorstehenden 400. Geburtstags Philipp Melanchthons am 16.  Februar 1897 hatte sich auf Initiative des Berliner Kirchenhistorikers und christlichen Archäologen, Nikolaus Müller1065, am 19.  April 1896 ein Verein zur Errichtung eines Melanchthonhauses mit Gedächtnishalle und Museum in Bretten gegründet. Nachdem Professor Müller den badischen Großherzog als Protektor des Unternehmens hatte gewinnen können, beabsichtigte er, die Führung des Vereins

1062 Köstlin, Julius: Friedrich der Weise und die Schloßkirche zu Wittenberg. Festschrift zur Einweihung der Wittenberger Schloßkirche am Tage des Reformationsfestes, den 31. Oktober 1892, Wittenberg 1892, 4. 1063 Vgl. Abschnitt 2.2.3.3. 1064 Vgl.  Kahl, Paul: Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Eine Kulturgeschichte, Göttingen 2015; vgl. Großmann, G. Ulrich / Sonnenberger, Franz (Hg.): Das Dürer-Haus. Neue Ergebnisse der Forschung, Nürnberg 2007; vgl. Steffens: Luthergedenkstätten, 59–144. 1065 Zur Person Nikolaus Müllers vgl. Tacke, Andreas: Nikolaus Müller – der Gründer des Melanchthonhauses Bretten, in: Rhein, Stefan / Schwinge, Gerhard (Hg.): Das Melanchthonhaus Bretten: ein Beispiel des Reformationsgedenkens der Jahrhundertwende, Ubstadt-Weiher 1997, 103–128.

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dem „ranghöchste[n] badischen[n] Geistliche[n] […] Prälat Schmidt“1066 zu übertragen. Dieser jedoch lehnte eine Mitarbeit im Melanchthonhaus-Verein ab, da die „ins Auge gefasste Summe von 150.000 Mark […] utopisch [sei] und […] keinesfalls aufgebracht werden“1067 könnte. Diese Zurückhaltung des Prälaten und seine Einschätzung, dass der finanzielle Aufwand zu hoch sei, hingen auch damit zusammen, dass im nahegelegenen Speyer noch immer für die Gedächtniskirche der Protestation gesammelt wurde. So klang bereits zu Beginn des Brettener Projekts die schwierige Finanzierung an. Doch diese skeptische Stimme des Prälaten ließ den Hauptinitiator nicht daran zweifeln, dass die von ihm angestrebte Gedenkstätte am Geburtsort Melanchthons nach seinen Vorstellungen umzusetzen sei.1068 Wie bereits bei vorherigen Initiativen aus dem bürgerlichen Milieu gesehen, folgte der Vereinsgründung und der Wahl des Vorstandes, die Veröffentlichung eines ersten Spendenaufrufs. Dieser war „von nahezu 500 evangelischen Männern aus der ganzen evangelischen Welt“1069 unterzeichnet worden und forderte dazu auf, dass „die evangelischen Glaubensgenossen […] durch Gaben der Liebe dieses Gedächtniswerk […] ermöglichen“1070 sollten. Der in Bretten zu errichtende „Monumentalbau“1071 würde zugleich „Denkmal des Dankes für den Mann werden […], der mehr wie jeder andere unserem Luther in seinen schweren Arbeiten und Kämpfen helfend zur Seite gestanden“1072 hatte. Auffällig ist hierbei, dass die Bedeutung Melanchthons in erster Linie über Luther definiert wurde. So wurde Melanchthon zwar als „der gelehrteste unter den Reformatoren“1073 hervorgehoben, doch zugleich seine Rolle als „grösste[r] Gehilfe […]“1074 beziehungsweise „Mitarbeiter Luthers“1075 betont. Dass nun Melanchthon und nicht Luther im Zentrum des Erinnerungswerks in Bretten stand, war ein nicht zu unterschätzender Grund dafür, dass der Aufruf

1066 Reiber, Hans Joachim: Das Melanchthonhaus – Nikolaus Müllers Werk, in: Frank, Günter / Lalla, Sebastian (Hg.): Fragmenta Melanchthoniana. Bd. 2: Gedenken und Rezeption – 100 Jahre Melanchthonhaus, Heidelberg 2003, 50. 1067 Reiber: Melanchthonhaus, 50. 1068 Reiber: Melanchthonhaus, 49–59. 1069 LkA Magdeburg, Rep. E 03, Nr. 926, Bl. 94r (Der Evangelische Ober-Kirchenrath an das fürstliche Konsistorium zu Wernigerode am 23.11.1896). 1070 LkA Magdeburg, Rep. E 03, Nr. 926, Bl. 94r. 1071 LkA Magdeburg, Rep. E 03, Nr. 926, Bl. 94r. 1072 LkA Magdeburg, Rep. E 03, Nr. 926, Bl. 94r. 1073 LkA Speyer, 044. SEM, Nr. 100 Sammlungen und Kollekten für Projekte in anderen Kirchengemeinden. 1074 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 421, o. N. (Anhang zum Schreiben Nikolaus Müllers an das Oberkonsistorium am 26.02.1910). 1075 LkA Speyer, 044. SEM, Nr. 100.

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sowie die in verschiedenen evangelischen Gemeinden durchgeführten Kirchenkollekten nicht den erhofften Erfolg brachten.1076 Die zaghafte Spendenbereitschaft zeigte sich auch in der Zurückhaltung der badischen Landeskirche. Gleichwohl die „irenisch-ökumenische Gesinnung [Melanchthons] doch dem Geist […] [der] bekenntnisunierten und konsensusorientierten Kirche“1077 in Baden nahe gestanden hätte, wurde die Initiative Melanchthonhaus von der badischen Landeskirche kaum unterstützt. Die Initiatoren beklagten zudem, dass sie „[a]m meisten […] das Ausland im Stich“1078 gelassen hätte und lediglich „[g]anz minimale Beiträge“1079 aus England und Amerika eingegangen seien.1080 Von Protestanten und Protestantinnen, die nicht für das Melanchthonhaus spenden wollten, wurde beispielsweise „angeführt, Melanchthon sei kein Luther“1081. Nikolaus Müller erkannte zwar an, dass Luther „der größte Reformator“1082 sei und dies auch bleiben würde, fragte allerdings zugleich: „warum soll neben Deutschlands Prophet nicht auch Deutschlands Lehrer einen Ehrenplatz haben und ein einigermaßen würdiges Dankes-Denkmal erhalten“1083? So veranschaulicht die schwierige Finanzierung, dass die Erinnerung an Melanchthon im Hinblick auf seine Bedeutung für die Reformation als eine von Luther unabhängige Person sowohl national als auch international wenig populär war. Stattdessen wurde ihm als dem wichtigsten Wegbegleiter und Freund Luthers in der Reformationserinnerung, vielmehr der Platz neben diesem zugedacht, wie seit 1865 auf dem Wittenberger Marktplatz, seit 1868 beim Wormser Lutherdenkmal, seit 1883 beim Leipziger Standbild, seit 1892 in der Wittenberger Schlosskirche oder seit 1895 beim Berliner Monument. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Bedeutung Melanchthons als Lehrer Deutschlands, die dazu geführt hatte, dass ihm nicht nur in seiner Heimatstadt Bretten Standbilder 1076 Für die Kirchenkollekte vgl. beispielhaft die Sammlungen im Gemeindegebiet des fürstlichen Konsistoriums zu Wernigerode am 14.02.1897, den Sonntag vor Melanchthons 400. Geburtstags. Dabei sollte zwar der „Ertrag zum größten Theil zu Gunsten“ des Melanchthonhauses in Bretten, „zum geringeren Theile auch zur würdigen Ausstattung des in Wittenberg befindlichen Sterbezimmers Melanchthons“ abgegeben werden. Dies zeigt, dass auch hier die Konkurrenz zwischen den einzelnen Denkmalprojekten groß war und die Zuwendungen aufgeteilt werden mussten. Vgl. LkA Magdeburg, Rep. E 03, Nr. 926, Bl. 94–97, besonders Bl. 95. 1077 Schwinge, Gerhard: Großherzogtum, Unionskirche und protestantisches Bewußtsein – der badische Zeithorizont, in: Rhein, Stefan / Schwinge, Gerhard (Hg.): Das Melanchthonhaus Bretten. Ein Beispiel des Reformationsgedenkens der Jahrhundertwende, Ubstadt-Weiher 1997, 76. 1078 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 421, o. N. (Anhang zum Schreiben Nikolaus Müllers an das Oberkonsistorium am 26.02.1910). 1079 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 421, o. N. (26.02.1910). 1080 Vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 421, o. N. (26.02.1910). 1081 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 66v (Schreiben Nikolaus Müllers am 31.10.1899). 1082 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 66v. 1083 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 66v.

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errichtet wurden, sondern ein Abbild auch vor von ihm mitbegründeten Gymnasien in Nürnberg und Quedlinburg zur Aufstellung kam.1084 Dass das Gedächtnis an Melanchthon weniger Menschen begeisterte als die Luthererinnerung, veranlasste Nikolaus Müller ab 1899 dazu, zwei authentische Abbildungen der Reformatoren vervielfältigen zu lassen und diese an Pfarrer und Gemeindemitglieder zugunsten des Melanchthonhauses zu verkaufen. Diese Idee hatte Müller vom Wormser Lutherdenkmalprojekt übernommen, wo seinerzeit „aus dem Verkauf des bekannten, aber nicht gerade schönen Holzschnitts mit der Abbildung des Denkmals eine Einnahme von nahezu 40,000 Mark erzielt“1085 worden war. Dementsprechend ging Müller davon aus, dass durch den Verkauf der von Cranach kopierten Reformatorenbilder „für das Melanchthondenkmal eine noch größere Summe“1086 möglich wäre. Der Bilderverkauf erzielte allerdings ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg, gegen alle Erwartungen Nikolaus Müllers wurden überhaupt kaum Bilder verkauft.1087 So war es dem Melanchthonhaus-Verein bis zur Einweihung am 20. Oktober 1903 nicht gelungen, das benötigte Geld für den Neubau aufzubringen.1088 Nikolaus Müller war auch noch Jahre danach beschäftigt, bei verschiedenen kirchlichen Behörden die finanzielle Not des Melanchthonhauses zu beklagen, auf die Genehmigung von obligatorischen statt freiwilligen Kirchenkollekten zu hoffen und Spenden zu erflehen1089, um zum einen die laufenden Kosten und zum anderen die Schulden, die sich 1910 auf 60 bis 70.000 Mark beliefen, begleichen zu können.1090

1084 Zu den verschiedenen Melanchthondenkmälern vgl. Kammer, Otto: Melanchthondenkmäler, in: Rhein, Stefan / Schwinge, Gerhard (Hg.): Das Melanchthonhaus Bretten. Ein Beispiel des Reformationsgedenkens der Jahrhundertwende, Ubstadt-Weiher 1997, 31–46. 1085 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 66r. 1086 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 66r. 1087 Vgl. Merz, Johannes: Art. Vom Büchertisch, in: CKBK 41 (1899) 9, 143–144; vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 421, o. N. (Nikolaus Müller am 10.02.1899); vgl. LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 61, 65–68. 1088 Für das Einladungsschreiben und das Festprogramm zur Einweihungsfeier vom 19. bis 21.10.1903 vgl. LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 69–70. Für einen Bericht zur Feier vgl. Schwinge, Gerhard: Das Melanchthonhaus – der zeitgeschichtliche Hintergrund. Unvergessene und fast vergessene Persönlichkeiten im Umfelde der Einweihung des Melanchthonhauses vor 100 Jahren, in: Frank, Günter / Lalla, Sebastian (Hg.): Fragmenta Melanchthoniana, Bd. 2: Gedenken und Rezeption – 100 Jahre Melanchthonhaus, Heidelberg 2003, 63–66. 1089 Die „bittere Noth“ zwang Müller zu einer mitleidserregenden Wortwahl, indem er um die Abnahme weiter Reformatorenbilder flehte. Vgl. LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 67–68 (Nikolaus Müller am 19.04.1901). 1090 Belegt ist dies beispielsweise für die bayerische Landeskirche in einem Schreiben Müllers am 26.02.1910, in welchem er anlässlich des 350. Todestags Melanchthons am 19.04.1910 auf eine obligatorische Kirchenkollekte in den evangelischen Gemeinden Bayerns hoffte. Diesem Gesuch

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Das Scheitern des Bilderverkaufs stand nicht nur sinnbildlich für die Finanzierungsschwierigkeiten des Melanchthonhauses, sondern gab Aufschluss über Nikolaus Müllers Kunstverständnis. Dieser kritisierte die zeitgenössische christliche Kunst, da insbesondere „die Bilder der Reformatoren […] häufig genug kaum eine Ahnung von den Männern Gottes, wie sie geleibt und gelebt“1091 haben, geben würden. Dementsprechend hinterließen diese bei den Betrachtenden „keinen nachhaltigen Eindruck“1092, weswegen es notwendig sei, „sich dem Strom der Zeit entgegenzustemmen“1093. Mit dem Verkauf der originalgetreuen Kopien der Cranach Bilder von Luther und Melanchthon, sollte der Versuch unternommen werden, „an die Stelle der schlechten Bilder gute zu setzen“1094. Müller betrachtete die Cranach Porträts aus dem 16. Jahrhundert als authentische Abbilder der Reformatoren, auch wenn er dabei unberücksichtigt ließ, dass Gemälde im 16. Jahrhundert ebenfalls die subjektive Wahrnehmung des Künstlers enthielten. In seiner Meinung wurde Nikolaus Müller von den Redakteuren des Christlichen Kunstblatts bestärkt, doch die Mehrheit der zeitgenössischen Adressaten des Bilderverkaufs hielten die angebotenen Bilder als „zu alterthümlich“1095 und bevorzugten die von Müller abfällig „als moderne Phantasiegebilde“1096 bezeichneten Darstellungen des 19. Jahrhunderts.1097 Diese zeitgenössischen Ausführungen der Reformatoren galt es laut Müller „auszumerzen“1098 und ein „wahre[s] Bild […] ihres äußeren Aussehens“1099 entgegenzusetzen, was auch seiner Absicht bei den Reformatorenstatuen in der Gedächtnishalle entsprach.1100 Die Einflussnahme Nikolaus Müllers auf die ikonographische Ausführung war möglich, da dieser im Rahmen der Errichtung des Melanchthonhauses seine eigenen Vorstellungen stets stur und autoritär durchzusetzen vermochte. Bereits wurde allerdings am 9.03.1910 eine klare Absage erteilt mit einem Verweis darauf, dass aktuell eine „sehr große Anzahl von Kollektengesuchen […] vorliegt, die schon seit geraumer Zeit eingereicht sind u. noch Jahre hinaus zurückgestellt werden müssen“. Vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 421. 1091 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 61r. 1092 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 61r. 1093 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 61r. 1094 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 61r. 1095 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 65v. 1096 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 65v. 1097 Vgl. Merz: Büchertisch, 143–144. 1098 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 65v. 1099 LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 65v. 1100 Für das weitere Erinnerungsprogramm des Brettener Melanchthonhauses vgl.  Findeisen, Peter: Das Melanchthonhaus als Denkmalgebäude, in: Rhein, Stefan / Schwinge, Gerhard (Hg.): Das Melanchthonhaus Bretten. Ein Beispiel des Reformationsgedenkens der Jahrhundertwende, Ubstadt-Weiher 1997, 93–102.

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vor der Grundsteinlegung am 400. Geburtstag Melanchthons am 16. Februar 1897 war die Zusammenarbeit mit dem ersten Architektenteam aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen beendet worden. Auch mit dem zweiten, vom Komitee des Melanchthonvereins bestimmten Architekten Hermann Billing, der eigentlich dem Jugendstil zugeneigt war und in Bretten ein historistisches Gebäude der Gotik entwerfen sollte, kam es zu Konflikten. Nikolaus Müller ließ „sich in seinen Plänen nicht beirren“1101, weshalb ein dritter Architekt notwendig wurde, der das Melanchthonhauses nur fertigstellen konnte, „weil er sich akribisch an das hielt, was ihm der geistige Schöpfer des Hauses vorschrieb“1102.1103 Doch nicht nur hinter der architektonischen Ausführung des Melanchthonhauses, sondern auch hinter der inneren Ausgestaltung und dem Skulpturenprogramm der Gedächtnishalle „stand der alles beherrschende Organisator Müller“1104. So beauftragte der Berliner Kirchenhistoriker für die Ausführung der Reformatorenstatuen mit Fritz Heinemann und dem zuvor vor allem als Kopist tätigen Richard Grüttner zwei ebenfalls in der Hauptstadt wohnende Bildhauer, um den Fortschritt ihrer Arbeiten stets beobachten zu können. Müller gewährte auch den Bildhauern „keine künstlerische Freiheit […], sondern [ließ] lediglich seine eigenen klar umrissenen Vorstellungen ausführen“1105. Der Auftrag der Bildhauer war es, die Statuen von Philipp Melanchthon, Martin Luther, Johannes Bugenhagen, Justus Jonas, Johannes Brenz, Martin Bucer und Johannes Calvin zu modellieren und zwar, wenig überraschend, als originalgetreue Nachbildungen von Gemälden aus dem 16. Jahrhundert. Fünf von den sieben genannten Reformatoren schmückten auch den Innenraum der Wittenberger Schlosskirche. Eine Statue Martin Bucers war aufgrund seiner um Ausgleich der reformatorischen Strömungen bemühten Haltung als zu irenisch angesehen und eine Figur Johannes Calvins als Vertreter der Schweizer Reformation und theologischer Kontrahent Luthers war daher ebenfalls in der Wittenberger Schloßkirche abgelehnt worden. Der auf Vermittlung bedachte Melanchthon stand diesen beiden Reformatoren näher als Luther, weshalb das Figurenprogramm der Brettener Gedächtnishalle zeigt, dass dieses auf Melanchthon und 1101 Reiber: Melanchthonhaus, 50. 1102 Reiber: Melanchthonhaus, 50. 1103 Vgl.  Kabierske, Gerhard: ‚Bauen wir ächt spätgothisch oder billingisch?‘ Die konfliktreiche Baugeschichte des Melanchthonhauses, in: Rhein, Stefan / Schwinge, Gerhard (Hg.): Das Melanchthonhaus Bretten. Ein Beispiel des Reformationsgedenkens der Jahrhundertwende, Ubstadt-Weiher 1997, 145–166. 1104 Steffens, Martin: Die Skulpturen der Gedächtnishalle des Melanchthonhauses, in: Rhein, Stefan / Schwinge, Gerhard (Hg.): Das Melanchthonhaus Bretten. Ein Beispiel des Reformationsgedenkens der Jahrhundertwende, Ubstadt-Weiher 1997, 240. 1105 Steffens: Skulpturen, 241.

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dessen Beziehungen zu den Reformatoren ausgerichtet war. Zugleich wurde durch die Aufnahme Calvins, ähnlich wie beim Kaiserslauterner Denkmal, durch das Bildprogramm die Union der badischen Landeskirche repräsentiert.1106 Im Hinblick auf die ikonographische Ausgestaltung der Statuen ist nun wiederum Müllers Kunstverständnis wichtig. Den Bildhauern dienten für die Wittenberger Vertreter als Vorlage die ganzfigürlichen Abbildungen im Stammbuch Lucas Cranachs aus dem Jahr 1543. Für die süddeutschen und den Schweizer Reformator wurden zur Orientierung Brustbilder herangezogen, die bei der Ausarbeitung der Statuen etwas mehr künstlerischen Freiraum zuließen. Auch bei vorherigen Lutherdenkmälern wurden historische Bilder als Vorlage genutzt, allerdings vor allem um durch die Physiognomie die Wiedererkennung der dargestellten Personen zu gewährleisten. Zugleich lösten sich die Bildhauer „von der statischen Darstellungsweise des 16.  Jahrhunderts“1107, um die Statuen durch Bewegung zu beleben. Durch die Vorgabe Nikolaus Müllers, der kein Abweichen von den Bildern des 16. Jahrhunderts erlaubte, wurden die Reformatoren „lediglich vergrößert und in die dritte Dimension übertragen […] [und es] verwundert […] nicht, daß sie trotz ihrer Plastizität flach wirken“1108. Der Luther des Bildhauers Fritz Heinemann trägt Talar und Barett, unter dem das lockige Haar des Reformators erkennbar wird. Auffällig sind der geradeaus gerichtete Blick und der ernste, sehr starr wirkende Gesichtsausdruck, der wie die Kleidung dem Gemälde Lucas Cranachs aus dessen Stammbuch von 1543 nachempfunden ist. Ein bedeutender Unterschied zur Cranachschen Vorlage, wo Luther ohne Bibel gemalt worden war, lässt sich in der Handhaltung ausmachen. Denn bei der Brettener Statue hält Luther mit beiden Händen eine große Bibel an die Brust gedrückt. So konnte sich auch Müller nicht von den für Lutherdenkmäler üblich gewordenen „Darstellungsgewohnheiten des 19. Jahrhunderts“1109 lösen. Dies ist besonders beachtlich, da die Melanchthonfigur bis ins kleinste Detail das Gemälde Cranachs wiedergab. Insgesamt wirkt der Brettener Luther leblos, starr und angespannt sodass man dem „recht plump gestalteten Luther […] Glaubensstärke und Willenskraft, aber recht wenig intellektuelle Beweglichkeit zutrauen“1110 mag. Dass Nikolaus Müller die

1106 Mit dem Verweis auf das 1883 eingeweihte Unionsdenkmal in Kaiserslautern wird Martin Steffens Aussage, dass es sich bei der Brettener Calvinstatue scheinbar um „das früheste monumentale Standbild für den Schweizer Reformator auf deutschem Boden“ handele, berichtigt. Vgl. Steffens: Skulpturen, 259. 1107 Steffens: Skulpturen, 260. 1108 Steffens: Skulpturen, 260. 1109 Steffens: Skulpturen, 252. 1110 Steffens: Skulpturen, 252.

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Kreativität und Freiheit der Bildhauer eingeschränkt hatte, wirkte sich dementsprechend negativ auf die künstlerische Ausgestaltung der Skulpturen aus.1111

Abb. 26: Lutherstatue im Melanchthonhaus in Bretten,   Fritz Heinemann.

In der Gedächtnishalle nimmt die Statue Luthers den Platz vor der Altarnische ein, ist dem Altar und den Betrachtenden jedoch abgewandt. Zusätzlich ist „sein Blick nur scheinbar auf Melanchthon gerichtet [und] geht in eine unbestimmte Weite“1112. Nicht nur durch die Auswahl der Personen, sondern auch durch die Anordnung Luthers und die Platzierung der übrigen Figuren wird verdeutlicht, dass in der Gedächtnishalle Melanchthon im Zentrum stehen soll, sodass er geradezu eine „Vorrangstellung […] im Kreis der Reformatoren“1113 einnimmt.1114 Hemmend für die Gesamtwirkung der Gedächtnishalle ist, dass die Reformatoren nicht in direk-

1111 Vgl. Steffens: Skulpturen, 251–253. 1112 Steffens: Skulpturen, 252. 1113 Steffens: Skulpturen, 243. 1114 Diese hervorgehobene Position Melanchthons wurde durch die von Nikolaus Müller geplanten aber erst 1920 von August Groh erstellten Wandbilder verstärkt, indem diese Gemälde Szenen aus dem Leben Melanchthons zeigen. Vgl. Findeisen: Melanchthonhaus, 97–98.

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ter Interaktion miteinander stehen, was unter anderem durch Säulen im Raum verhindert wird und zugleich „die Grenzen der Raumkonzeption Müllers deutlich werden“1115 lässt. Die Gedächtnishalle war jedoch nicht allein als Gedenkort ausgelegt, sondern zugleich auch als Gottesdienststätte. Dies bestätigt die Altarnische, die mit Glasfenstern, auf denen Jesus Christus, Petrus und Paulus dargestellt wurden, ausgestattet war. So wurden zum einen die Reformatoren in die Heilsgeschichte eingeordnet und zum anderen die Zweckdienlichkeit der Gedächtnishalle sichergestellt. Nicht nur in der Aufstellung der Reformatorenstatuen im liturgischen Raum ist eine Gemeinsamkeit zwischen dem Brettener Melanchthonhaus und der Wittenberger Schlosskirche zu sehen, sondern auch im autoritären Auftreten des jeweiligen Hauptinitiators. So ähnelte der unermüdliche und zugleich eigensinnige Einsatz Nikolaus Müllers dem Vorgehen des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dessen Sohn in Wittenberg. Doch auch wenn die Wirkung des Melanchthonhauses im Gegensatz zur als Nationaldenkmal des Protestantismus intendierten Schlosskirche lokal begrenzt war, so haben beide im Hinblick auf ihren Denkmalcharakter eine weitere wichtige Gemeinsamkeit. Bei den als Monumentalbauwerke charakterisierten Gedenkstätten wurde die architektonische und ikonographische Reformationserinnerung miteinander verbunden und die Reformatorenstatuen bildeten nur einen Teil des Erinnerungskonzepts. Der Denkmalbegriff ist bei diesen Erinnerungsorten dementsprechend nicht allein auf die Statuen bezogen, sondern umfasst das gesamte Gebäude als Monument. Zugleich erfüllen die Schlosskirche und das Melanchthonhaus nicht nur ihre Funktion als Reformationserinnerung, sondern hatten als Gottesdienststätten mindestens einen weiteren funktionalen Nutzen. Damit beugen diese Gedenkstätten der zeitgenössischen Denkmalkritik um 1900 vor, da den im öffentlichen Raum errichteten Standbildern vorgeworfen wurde, dass sie nach ihrer Einweihung von keinem Interesse mehr seien, keine Funktion erfüllten und ihnen lediglich mit Gleichgültigkeit begegnet werden würde. Im Hinblick auf die Lutherstatue gilt es in Bezug auf die Schlosskirche und das Melanchthonhaus festzuhalten, dass Luther den anderen Reformatoren zugeordnet wurde. Das heißt, ihm wurde zwar weiterhin ein zentraler Platz zugewiesen, allerdings hob sich seine Statue beispielsweise durch Größe oder durch einen höheren Sockel nicht von seinen Mitstreitern ab. Dadurch unterschieden sich die Lutherfiguren der Schlosskirche und des Melanchthonhauses von den öffentlichen Lutherdenkmälern in der Stadt, oder auch von der Statue des Reformators bei der ein Jahr nach dem Melanchthonhaus eingeweihten Gedächtniskirche der Protestation in Speyer.

1115 Findeisen: Melanchthonhaus, 97.

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3.4.1.3 Der protestierende Luther vor der Gedächtniskirche in Speyer (1904) Die Planung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 in Speyer begann knapp 50 Jahre vor ihrer Einweihung. Im Jahr 1856, in dem sich im rund 50 Kilometer nördlich von Speyer gelegenen Worms ein Lutherdenkmalverein gegründet und einen ersten Spendenaufruf veröffentlicht hatte, wurde in Speyer diskutiert, ob nicht „durch Liebesgaben der protestantischen Christenheit […] eine in gothischem Style gebaute, architektonisch schöne und würdige Kirche […], welche alsdann zugleich als ein Denkmal des Reichstages von 1529 dastände“1116, erbaut werden könnte. Es wurde dabei nicht beabsichtigt, mit dem Wormser Lutherdenkmalprojekt zu konkurrieren, auch wenn dies in den Folgejahren nicht zu vermeiden war. Stattdessen war von Anfang an die konfessionelle Abgrenzung vom Katholizismus ein zentrales Anliegen gewesen. In der Mitte des 19.  Jahrhunderts wurde das mittelalterliche Wahrzeichen Speyers, der Kaiserdom, renoviert, weshalb unter den Protestanten der Wunsch aufkam, dem katholischen Dom eine große, protestantische Kirche entgegenzusetzen. Die Gedächtniskirche sollte daher nach ihrer Fertigstellung als sichtbares Zeichen die Stadtsilhouette Speyers mitprägen, indem der Kirchturm sogar den des Domes überragen sollte.1117 Nachdem am 31.  Januar 1857 die Vereinsgründung durch den Landesherrn, den bayerischen Monarchen, bestätigt wurde, begann der sogenannte Retscherverein1118, der sich ab 1882 als Verein zur Erbauung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 bezeichnete, das Einwerben von Spendengeldern unter allen Protestanten von nah und fern.1119 1116 Gümbel, Karl Ludwig: Die Gedächtniskirche der Protestation von 1529 in Speyer, ein Dankesdenkmal der gesamten evangelischen Welt. Festschrift für den frohen Tag der Weihe, 31. August 1904, Speyer 1904, 9. 1117 Vgl. Reuter, Fritz: Das Lutherdenkmal in Worms und die Protestations-Gedächtniskirche in Speyer. Zwei Denkmäler des Weltprotestantismus, in: BPfKG 71 (2004), 202–204; vgl. Böcher, Otto: Die Gedächtniskirche zu Speyer am Rhein, Speyer 1987, 4–9; vgl. ders.: Die Speyerer Gedächtniskirche und der protestantische Kirchenbau um 1900, in: BPfKG 68 (2001), 10–11; vgl. Stüber, Gabriele (unter Mitarbeit von Kuhn, Andreas): Die Gedächtniskirche der Protestation – Ausdruck deutschen Zeitgeistes und protestantischer Erinnerungskultur zwischen 1856 und 1904, in: Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche der Pfalz (Hg.): Erbe und Auftrag. Die Gedächtniskirche zu Speyer im Strom protestantischer Erinnerung, Ubstadt-Weiher 2004, 70–71. 1118 Der Vereinsname bezog sich auf den ursprünglich ins Auge gefassten Retscher-Platz, von dem man ausging, dass es sich hierbei um den historischen Ort des 1529 stattgefundenen Reichstags handelte. Nachdem 1882 die Historizität dieses Platzes widerlegt worden war, erfolgte die Umbenennung des Vereins. Vgl. Böcher: Gedächtniskirche, 10. 1119 Vgl.  Gümbel: Gedächtniskirche, 15; vgl.  Bümlein, Klaus: Der Weltprotestantismus um 1904 und die Gedächtniskirche, in: Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche der Pfalz (Hg.): Erbe und Auftrag. Die Gedächtniskirche zu Speyer im Strom protestantischer Erinnerung, Ubstadt-Weiher

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Die lange Finanzierungsphase zwischen dem ersten Aufruf 1857 und dem ersten Spatenstich 1890 war, laut Karl Ludwig Gümbel, der seit 1888 als Schriftführer des Vereins tätig war und zur Einweihung eine Festschrift veröffentlichte, neben der hohen erforderlichen Mittel auch darauf zurückzuführen, dass nach anfänglicher Motivation sich „Untätigkeit“1120 im Vereinskomitee eingestellt hatte.1121 Diese hing auch mit dem Wormser Lutherdenkmalverein, zusammen, welcher aufgrund seiner ebenfalls international ausgerichteten Spendensammlungen und der Reformationserinnerung in Adressaten und Inhalt dem Speyerer Projekt stark ähnelte.1122 Daher wurde die Enthüllungsfeier des Wormser Lutherdenkmals und die damit abgeschlossene Finanzierung dieses Großprojekts genutzt, um unter den Teilnehmenden inklusive dem preußischen König die geplante Speyerer Gedächtniskirche zu bewerben.1123 So wurde beim Wormser Lutherfest 1868 betont, dass man „nicht eher ruhig verweilen [könne], als bis der letzte Stein in die Kuppel des protestantischen Siegestempels, der sich über dem […] Taufsteine des Protestantismus […] erheben soll, eingefügt worden ist“1124. Diese Kirche solle „zu einem weithin leuchtenden Zeichen [werden und zeigen], […] daß wir Alle, ohne Unterschied der evangelischen Bekenntnisse, innig und fest zusammenhalten und uns wie Ein Mann erheben werden, wenn es gilt, einem gemeinsamen Gegner Wider-

2004, 32. Für eine detaillierte Übersicht zur Abfolge des Planungs- und Bauprozesses, sowie zur Einweihungsfeier vgl. Stüber, Gabriele / Lauer, Christine: Von der Idee bis zur Einweihungsfeier. Zeitleiste der wichtigsten Daten und Pressestimmen zum Bau der Gedächtniskirche, in: Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche der Pfalz (Hg.): Erbe und Auftrag. Die Gedächtniskirche zu Speyer im Strom protestantischer Erinnerung, Ubstadt-Weiher 2004, 7–26. 1120 Gümbel: Gedächtniskirche, 10. 1121 Zusätzlich bekam der Retscher-Verein nicht von allen Seiten die erhoffte, wie die Ablehnung des Immediatgesuchs vom 17.02.1857 zeigt. Eine Hauskollekte unter in Preußen lebenden Protestanten wurde abgelehnt, mit dem Verweis, dass auch ähnliche Projekte, wie beispielsweise vom Luther-Denkmal-Verein und dem Dom-Bau-Verein in Worms, abgelehnt wurden. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20886, Bl. 36 (An den Retscher-Verein am 21.07.1857). 1122 Über die ungünstige Gleichzeitigkeit von Sammlungen für Speyer und Worms am Beispiel der protestantischen Gemeinden im Großherzogtum Baden berichtet ein Schreiben vom 20.07.1857 an das Dekanat Sinsheim in: StadtA Worms, 110, Nr. 84. Anders verhielt es sich im Jahr 1885, da nun in den evangelischen Gemeinden Bayerns Kollekte gesammelt werden durften. Dieses Unternehmen bedürfe „kaum einer besonderen Empfehlung“, jedoch der „kräftigste[n] Unterstützung aller evangelische[n] Christen“. Vgl. LkA Speyer, 043 DÜW, Nr. 250 Kollekten (Schreiben vom 8.09.1885). Für weitere erbetene Kollekte im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach vgl.  LkA Eisenach, 11–008, Nr. 324, Bl. 56, 58, 60. 1123 Für den Festgruß Speyers während der Wormser Enthüllungsfeier 1868 vgl.  LkA Speyer, 001.01 Konsistorium/Landeskirchenrat, Nr.  0539 Verein zur Erbauung einer neuen protestantischen Kirche zu Speyer (Retscherkirche), Bl. 14. 1124 Keim: Gedenkblätter, 311–312.

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stand zu leisten“1125. Die in dieser Rede aus dem Jahr 1868 betonte evangelische Union und das Zusammenstehen gegen ultramontane Kritiken, verdeutlichte den Plan, mit der Gedächtniskirche nicht nur an die Protestation der Fürsten und freien Städte 1529 zu erinnern, sondern auch ein monumentales Zeichen des Protestes im Hinblick auf die Gegenwart zu setzen. Dies spiegelte sich später auch in der Ausgestaltung der Kirche wider. Die Realisierung dieses Vorhabens blieb jedoch noch einige Jahrzehnte unerfüllt. So war im Rescherverein wiederum Trägheit wahrzunehmen, indem in einer „Ausschußsitzung vom 21.  April 1871 beschlossen [wurde], weitere Agitationen einzustellen“1126, sodass „die guten Jahre“1127 nach der Reichsgründung ungenutzt blieben. Erst nach 1876, das heißt zur Zeit des Kulturkampfes, wurde das Projekt wieder in Schwung gebracht und es konnten zudem erste Kontakte zu spendenbereiten aus Deutschland ausgewanderten Amerikanern und Amerikanerinnen geknüpft werden. Im Jahr 1883 wurde sodann ein Wettbewerb ausgeschrieben, der Entwürfe für die Kirche liefern sollte. Dabei kam es dem Verein darauf an, dass die Kirche zum einen als Denkmal und zum anderen als eine zweckmäße Gottesdienststätte dargestellt werden würde. Mit dem ersten Platz wurde am 17. November 1884 der Entwurf der beiden Architekten Julius Flügge und Carl Nordmann ausgezeichnet. Auch wenn von den sich voraussichtlich auf eine Millionen Mark belaufenden Kosten, die für den Bau „ohne Orgel, Kanzel, Altar und künstlerischem Schmuck“1128 benötigt wurden, noch mehrere hunderttausend Mark fehlten, ermutigte Kaiser Wilhelm II. bei einer Audienz für die Vertreter des Speyerer Komitees am 12. März 1890 den Bau für die neugotische Kirche zu beginnen. Der Kaiser persönlich würde dafür sorgen, „daß das Werk auch vollendet“1129 würde, was wiederum zeigt, dass Wilhelm II. den protestantischen Kirchenbau, wie bei der Wittenberger Schlosskirche bereits erkennbar, entschieden förderte. Unter den Augen von 10.000 Teilnehmenden erfolgte der erste Spatenstich am 19. September 1890, am 24. August 1893 wurde ebenso feierlich der Grundstein der Kirche gelegt und die Gedächtniskirche nahm in den folgenden Jahren immer mehr Form an. Trotzdem ließ der „ungeheure […] Druck auf den Bauverein“1130 nicht nach. Dies äußerte sich darin, dass die lange Entstehungszeit der Gedächtniskirche Hohn von ultramontaner Seite evozierte. So wurde beispielsweise im Christlichen Pilger, 1125 Keim: Gedenkblätter, 311. 1126 Gümbel: Gedächtniskirche, 12. 1127 Gümbel: Gedächtniskirche, 12. 1128 Gümbel: Gedächtniskirche, 16. 1129 Gümbel: Gedächtniskirche, 18. 1130 Stüber: Gedächtniskirche, 78.

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dem Gemeindeblatt des Bistums Speyer, die noch unvollendete Kirche als Zeichen dafür aufgefasst, dass im Protestantismus die Euphorie für die Erinnerung an die Protestation von 1529 verblasst war. Zudem wurde die Frage gestellt, wo die Unterstützung des sonst so engagierten Evangelischen Bundes wäre, der im Rahmen seiner 6. Generalversammlung an der Grundsteinlegung beteiligt gewesen war. Die nicht fertiggestellte Gedächtniskirche war dementsprechend für die kritischen katholischen Stimmen ein Abbild des Zustands der protestantischen Kirche. Von evangelischer Seite hatte bereits der Vorsitzende des Zentralvorstandes der Gustav-Adolf-Stiftung, Professor Fricke1131, in seiner Rede anlässlich des ersten Spatenstichs die Anwesenden zum „Protest […] gegen jede Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit und gegen die Verunglimpfungen unseres großen Reformators Luther“1132 aufgerufen. Des Weiteren wurde die von ultramontaner Seite verfälschte Geschichtsschreibung kritisiert, die die Protestation der Fürsten und Reichsstädte lediglich als intolerante Handlung ansah, und den Protestierenden vorwarf, es wäre ihnen nur darum gegangen, „die Katholiken in ihren Gebieten nicht dulden zu müssen“1133,1134. Die Häme aus dem katholischen Gemeindeblatt wurde aufgenommen, um an die Protestanten und Protestantinnen zu appellieren. Sie sollten weiter spenden, um von katholischer Seite nicht noch mehr Hohn auf sich zu ziehen und stattdessen die Überlegenheit des Protestantismus demonstrieren. Daher wurde 1901 ein weiterer Spendenaufruf veröffentlicht, welcher sich durch zwei Abbildungen auszeichnete: So wurde auf einem Foto die unvollendete Gedächtniskirche mit der Unterschrift Soll es so bleiben? gezeigt und auf dem anderen ein Modell der fertiggestellten Kirche mit dem Ausruf So soll es werden!.1135 Es gelang schließlich, auch durch die nicht unbedeutende finanzielle Unterstützung von deutsch-amerikanischen Lutheranern, die durch den in Speyer geborenen New Yorker Heinrich Hilgard-Villard organisiert wurde, die Gedächtniskirche der Protestation fertigzustellen. Neben Hilgard-Villard war zudem der bereits für das Washingtoner Lutherdenkmal tätig gewesene Charles Schieren wichtig, der unter Deutsch-Lutheranern ein eigenes Komitee gegründet hatte, um Gelder für die Stiftung der Speyerer Lutherstatue zu sammeln. Nachdem die Finanzierung dieses 1131 Der konservative Lutheraner und Leipziger Theologieprofessor Gustav Adolf Fricke hatte bereits bei der Einweihung des Leipziger Doppelstandbilds 1883, sowie als Vertreter des Evangelischen Bundes bei der Enthüllung des Eisenacher Lutherdenkmals Reden gehalten und die Bedrängungen von Seiten des Ultramontanismus angeprangert. 1132 Gümbel: Gedächtniskirche, 21 [Hervorhebung im Original]. 1133 Gümbel: Gedächtniskirche, 26. 1134 Eine Auseinandersetzung mit der ultramontanen Deutung des Speyerer Reichstags findet sich auch bei Hoffmann, Theodor: Art. War die Protestation von 1529 ein Akt der Unduldsamkeit?, in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 40, 315–316. 1135 Vgl. Gümbel: Gedächtniskirche, 11–26; vgl. Stüber: Gedächtniskirche, 70, 78–80.

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Standbilds gesichert war, wurde der Bildhauer Hermann Hahn beauftragt, einen Entwurf nach den Vorstellungen des Speyerer Komitees zu erstellen, welcher 1901 fertiggestellt war, sodass die Statue 1903 aufgestellt werden konnte.

Abb. 27: Lutherdenkmal in Speyer, Hermann Hahn.

Dieses Speyerer Lutherdenkmal von Hermann Hahn zeichnet sich nun dadurch aus, dass Luther in einen Talar gekleidet ist, der anders als bei vorherigen Standbildern nicht bis zu den Füßen reicht. Es stechen die breitbeinige Fußhaltung und vor allem das ungewöhnliche Schuhwerk des Reformators, die Stiefel, ins Auge. So erscheint Luther feststehend, entschlossen und erweckt den Eindruck, dass er durch nichts ins Wanken geraten könne. Diese Wirkung wird durch die gesamte aufrechte Körperhaltung verstärkt und zudem ist Luthers rechte Hand entschlossen zur Faust geballt. Die linke Hand hält die aufgeschlagene Bibel, in der die für

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die lutherische Rechtfertigungslehre zentrale Bibelstelle, nämlich Römer 3,281136, zu lesen ist. Durch diese Anspielung auf die Theologie Luthers, die die Werkgerechtigkeit der Kirche seiner Zeit kritisierte, wird eine Kritik am Katholizismus impliziert. Am Denkmal selbst wird diese durch die Bann(androhungs)bulle, auf der Luther mit seinem rechten Fuß steht, noch verstärkt. Dabei ist auffällig, dass die päpstliche Bulle, erkennbar durch das Siegel, beim Magdeburger und Erfurter Standbild jeweils nur von der Seite sichtbar ist und die Bulle dort hinter seinem Fuß liegt. Bei der Speyerer Lutherfigur wurde die Abwertung der Bannbulle nun dadurch verstärkt, dass Luther diese als Zeichen seiner Verachtung mit seinem Fuß tritt und sie zudem auch bei einer frontalen Betrachtung des Standbilds gut erkennbar ist. Dass auch die Mitglieder des Speyerer Komitees, die Bannbulle am Standbild besonders betont haben wollten, zeigen die Richtlinien zur Ausführung der Statue im Vertrag mit dem Bildhauer Hahn. Hierbei wurde festgehalten, dass im Gegensatz zur Denkmalskizze die Bannbulle bei der ausgearbeiteten Statue etwas mehr hervorstechen solle, als dies bisher der Fall war.1137 Indem das Motiv der Bannandrohungsbulle, die Luther am 10. Dezember 1520 vor dem Wittenberger Elstertor verbrannt hatte, beziehungsweise der Bannbulle, die im Januar 1521 die Exkommunizierung lediglich formal bestätigte, am Denkmal prominent hervortreten sollte, erscheint es wichtig, sich die dahinter stehende Absicht der Speyerer Initiatoren bewusst zu machen. Die päpstliche Bulle kann daher nicht nur als Hinweis auf die historischen Zusammenhänge des 16.  Jahrhunderts angesehen werden, sondern sie bezog sich auch auf die gegenwärtige konfessionelle Situation um 1900. Erinnert sei wiederum an Papst Leo XIII., der während seines Pontifikats zwischen 1878 und 1903 zahlreiche Enzykliken veröffentlicht und dabei die wahre katholische Lehre betont hatte. So kann in der Darstellung der Bannbulle am Standbild auch ein Hinweis darauf gesehen werden, dass die Denkmalinitiatoren diese päpstlichen Veröffentlichungen ablehnten. die darin propagierte Lehre kritisierten und sich somit gegen den Ultramontanismus ihrer Zeit zur Wehr setzten. Der antikatholische Ausdruck des Speyerer Lutherdenkmals wurde unterstützt durch seinen Aufstellungsort in der Vorhalle der Gedächtniskirche und durch die Interpretation des Standbilds bei seiner Enthüllung. Der Blick des Reformators war nämlich nicht in die geöffnete Bibel gerichtet, sondern, wie bei Lutherstatuen häufig, nach oben erhoben. In seiner Blickrichtung befindet sich über dem mittleren von drei Eingängen der Vorhalle ein Fenster, welches den Reformator beim 1136 Röm 3,28: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. 1137 Vgl.  Volwahsen, Andrea: Der Bildhauer Hermann Hahn (1868–1945) (Kunstgeschichte 23), München 1987, 130.

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Verbrennen der Bannandrohungsbulle zeigt und „die Reformation als Absage an das Papsttum“1138 symbolisiert. Vor der auf einem Postament stehenden Lutherstatue wurde der dem Reformator zugeschriebene Satz Hier stehe ich, ich kann nicht anders eingelassen. Dieses Zitat, welches in Worms die Demut Luthers ausdrückte, erscheint in Speyer als ein „markige[r] Protest“1139.1140 So spiegelt das 1903 aufgestellte und am 30.  August 1904, dem Tag vor der Weihe der Gedächtniskirche in einem eigenen Festakt enthüllte Standbild, einen entschlossenen und protestierenden Luther wider. Dem Bildhauer Hermann Hahn war es gelungen, ein ausdrucksstarkes und lebhaftes Lutherdenkmal zu erschaffen, welches sich dadurch klar von der zuvor besprochenen Lutherstatue im Brettener Melanchthonhaus abhob. Indem Hahn anders als der Künstler der Brettener Lutherfigur, nicht allein dem historischen Lutherporträts Cranachs verpflichtet war, gelang es durch die in der Lutherrezeption neue Pose eine individuelle Darstellung des Reformators zu modellieren. Dabei beabsichtigte Hahn, dass die „äußere Erscheinung [Luthers den] […] Ausdruck des geistigen Gehalts“1141 und somit den Geist des Protests ausstrahlen sollte. Gleichwohl führte die protestierende Haltung des Reformators auch dazu, dass sich Ludwig Gümbel in seiner Enthüllungsrede rechtfertigte, dass ein Standbild des Reformators die Vorhalle der Gedächtniskirche zierte.1142 Schließlich sollte diese eigentlich an die Protestation der sechs Fürsten und 14 Reichsstädte von 1529 erinnern, bei der Luther nicht anwesend gewesen war. Die Fürstenstatuen, die erst 1914 angebracht wurden und die Wappen der Reichsstädte1143 verweisen auf diese historische Tat, auf die der Name Protestanten zurückgeht und doch steht in der Mitte „als Sonne und Diadem dieser Halle“1144 die Lutherstatue. Der Reformator war zwar auf dem Reichstag von Speyer 1529 nicht „leiblich, sichtbar […],

1138 Böcher: Gedächtniskirche, 26. 1139 Stüber: Gedächtniskirche, 84. 1140 Vgl. Gümbel: Gedächtniskirche, 28–38; vgl. Reuter: Lutherdenkmal, 207–209; vgl. Volwahsen: Bildhauer, 128–130. 1141 Volwahsen: Bildhauer, 130. 1142 Für eine Beschreibung der Gedächtnishalle vgl. Böcher: Gedächtniskirche, 13–16, 26. 1143 Die Aufnahme der Fürstenstatuen und Wappen der Reichsstädte hatte nicht nur historische Gründe, sondern sollte auch eine Identifikation der verschiedenen protestantischen Regionen mit der Speyerer Gedächtniskirche und ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Evangelischen bewirken. Ähnlich verhält es sich auch beim Wormser Lutherdenkmal, der Wittenberger Schlosskirche und dem Melanchthonhaus in Bretten. 1144 LkA Speyer, 111 Bauverein Gedächtniskirche, Nr. 354 Veröffentlichungen über die Gedächtniskirche, o. N. (Gümbel, Ludwig: Enthüllung des Lutherdenkmals in der Halle der Gedächtniskirche der Protestation von 1529, in: Bauausschuß (Hrsg.): Die Predigten bei der Weihe der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 zu Speyer, Speyer 1904, 6).

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aber geistig, unsichtbar war er hier“1145, denn in der Protestation der Fürsten und Reichsstädte schwang „Luthers Wort und Luthers Lehre [und] Luthers Geist“1146 mit. Damit war laut Gümbel gezeigt, warum in die Vorhalle der Gedächtniskirche ein Lutherstandbild gehöre. Der Vertreter des Vereins zur Errichtung der Gedächtniskirche wehrte sich mit seiner Rechtfertigung auch gegen die zeitgenössische Denkmalkritik, die betonte, dass Standbilder nicht an beliebigen Plätzen errichtet werden sollten, sondern lediglich an den Orten, zu denen die zu ehrenden Personen auch eine besondere Beziehung hatten.1147 Um dem Vorwurf der Beliebigkeit des Lutherdenkmals zu entgehen wurde betont, dass „wie in Worms nur ein bekennender, so konnte in Speyer nur ein protestierender Luther aufgerichtet werden“1148. Dementsprechend wurde Luther in der Position dargestellt, wie er seine eigene „kühne Protesttat vor dem Elstertore zu Wittenberg“1149 erlebt hatte. Dadurch sollten die Anwesenden an ihre evangelische „Pflicht zu protestieren“1150 erinnert werden und zwar immer dann, wenn „die Wahrheit unterdrückt […] [und] die Freiheit gefährdet erscheint“1151. Die drei auf Gümbel folgenden Redner, die in Vertretung der deutsch-amerikanischen Geldgeber und Spenderinnen sprachen, nahmen in ihren Ansprachen, von denen zwei auf Deutsch und eine auf Englisch gehalten wurden, die antikatholische Polemik nicht auf. Sie betonten stattdessen, „daß die amerikanischen Protestanten keinen Haß gegen Andersgläubige haben“1152 und hoben die Bedeutung des Protestantismus als „gewichtigen Erziehungsfaktor“1153 hervor.1154

1145 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Gümbel: Enthüllung, 7). 1146 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Gümbel: Enthüllung, 7). 1147 Vgl. Volwahsen: Bildhauer, 130; vgl. Abschnitt 2.4.4 1148 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Gümbel: Enthüllung, 6). 1149 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Gümbel: Enthüllung, 6). 1150 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Gümbel: Enthüllung, 6). 1151 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Gümbel: Enthüllung, 6). 1152 LkA Speyer, 158 Dokumentation und Schriftgutbeispielsammlung, Nr. 1800 Einweihung der Gedächtniskirche zu Speyer, o. N. (N. N.: Art. Zur Einweihung der Gedächtniskirche der Protestation, in: Speierer Zeitung 93 (1904) 202). 1153 LkA Speyer, 158, Nr. 1800, o. N. (N. N.: Einweihung, 202). 1154 Zur Einweihung der Lutherstatue vgl. LkA Speyer, 158, Nr. 1800, o. N. (N. N.: Einweihung, 202); vgl. LkA Speyer, 001.01 Konsistorium/Landeskirchenrat, Nr. 0540 Einweihung der Gedächtniskirche zu Speyer, o. N. (N. N.: Art. Versammlungen. Die Gedenkfeier der Protestation von 1529, in: CCW 14 (1904) 39, Sp. 465–469; vgl. Hoffmann, Theodor: Art. Auf nach Speyer!, in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 35, 273–274; vgl. ders.: Art. Die Einweihung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529, in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 37, 291–293; vgl. ders.: Art. Die Einweihung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 (Schluß), in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 38, 299.

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An der Entstehung und Einweihung der Vorhalle der Gedächtniskirche lässt sich das spannungsvolle Verhältnis des Protestantismus und Katholizismus zwischen 1856 und 1904 nachvollziehen. Zugleich zeigt sich, dass sich um die Jahrhundertwende die gegenseitige Ablehnung der beiden Konfessionen noch einmal verstärkt hatte.1155 Dazu hatte von katholischer Seite unter anderem die Polemik des Ultramontanismus beigetragen, die auch nach der Wahl des neuen Papstes, Pius X., im Jahr 1903 nicht verstummt war. Von evangelischer Seite wurde unter anderem durch die an Lutherdenkmälern als Polemik platzierten Bann(androhungs)bullen, durch den Evangelischen Bund und das Betonen der deutsch-protestantisch geprägten Kultur des Kaiserreichs, sowie das Würdigen des Kaisers als protestantisches Staatsoberhaupt die besondere Rolle der eigenen Konfession gegenüber dem Katholizismus aufgewertet. Zudem sollte die Abgrenzung von den Katholiken dazu beitragen, die Einheit des Protestantismus, die eigentlich aufgrund verschiedener Strömungen nicht existierte, nach außen zu demonstrieren. Diese zur Schau gestellte Einheit der Kirche spiegelte sich auch im Inneren der Gedächtniskirche der Protestation wider, in der die Darstellungen der lutherischen und reformierten Konfession in den Glasfenstern gleichberechtigt nebeneinander ihren Platz fanden.1156 Zudem wurde das Thema der Union und Zusammengehörigkeit der verschiedenen evangelischen Strömungen auch in den Weihepredigten und Reden am 31. August 1904 aufgenommen. Zur Veranschaulichung sei hier lediglich auf die Predigt des Oberhofpredigers Dryander aus Berlin eingegangen. Er benannte die vielen „Risse und Spaltungen“1157 in der evangelischen Kirche und beklagte, dass diese in „schmerzlicher Zertrennung […] der gewaltigen Einheit Roms gegenüber“1158 stehe. Zugleich betonte er, dass „die Einheit unserer Kirche […] größer [sei] als sie scheint“1159 und spielte damit auf die ersten Treffen des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses an, der den Zusammenschluss der verschiedenen evangelischen Landeskirchen im Deutschen Kaiserreich anstrebte. Auch in den Berichten über die Einweihung der Gedächtniskirche wurde es mit

1155 Für die katholische Reaktion auf die Einweihungsfeier der Gedächtniskirche in der Zeitschrift des Bistums Speyer Der christliche Pilger am 28.08.1904 und 11.09.1904 vgl.  LkA Speyer, 001.01, Nr. 540; vgl. Stüber / Lauer: Idee, 17. 1156 Zur Beschreibung des umfassenden theologischen Bildprogramms der Glasfenster vgl. Böcher: Gedächtniskirche, 23–43. 1157 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Dryander, Ernst: Predigt bei der Einweihung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 am 31. August 1904, in: Bauausschuß (Hrsg.): Die Predigten bei der Weihe der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 zu Speyer, Speyer 1904, 18). 1158 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Dryander: Predigt, 18). 1159 LkA Speyer, 111, Nr. 354, o. N. (Dryander: Predigt, 19).

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Freude aufgefasst, dass „bei aller Verschiedenheit der […] Anschauungen auf evangelischem Gebiet doch ein gemeinsames Band die Protestanten“1160 umschlinge.1161 Bedauert wurde dementsprechend umso mehr, dass bei der Weihefeier der Gedächtniskirche Kaiser Wilhelm II. nicht persönlich anwesend war, obwohl er sich 1890 für den Baubeginn eingesetzt und die bedeutenden Glasfenster im Chor zusammen mit seiner Frau Auguste gestiftet hatte. Begründet hatte das deutsche Staatsoberhaupt „sein Fernbleiben mit der Rücksicht auf den Prinzregenten von Bayern“1162, der als Katholik nicht zur Einweihung einer evangelischen Kirche nach Speyer reiste. Dass der Kaiser jedoch „nicht einmal persönlich“1163 auf „das überaus loyale Huldigungstelegramm der [Fest-]Versammlung“1164 geantwortet hatte, enttäuschte die Organisatoren des Weihefests umso mehr, da zuvor der Regensburger Katholikentag mit einem „‚äußerst warme[n]‘ persönliche[n] Gruß“1165 Wilhelms II. beehrt worden war. So zeigte sich am Verhalten des Kaisers, dass er einerseits das Projekt der Gedächtniskirche ideell und finanziell als Demonstration der deutschen Kultur und der engen Verbindung von Kirche und Staat unterstützte. Andererseits war dem deutschen Herrscher anders als noch bei der zwölf Jahre zuvor erfolgten Einweihung der Wittenberger Schlosskirche nach der Jahrhundertwende besonders wichtig, dass er nicht nur als ein Kaiser der Protestanten, sondern als ein Kaiser aller Deutschen erschien. Das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl sollte also nicht durch konfessionelle Spannungen behindert werden.1166 So steht der faustballende, die Bannbulle unter den Stiefeln zertretende und protestierende Luther in der Vorhalle der Speyerer Gedächtniskirche trotzdem sinnbildlich für das konfliktbeladende Verhältnis zum Katholizismus am Anfang des 20. Jahrhunderts und zugleich als gewaltige Zurschaustellung des protestantischen Selbstbewusstseins.

1160 Hoffmann: Einweihung, 292. 1161 Da bei der Enthüllung der Lutherstatue die nationalen Aspekte nicht im Fokus standen, sondern diese vielmehr die Einweihung der Gedächtniskirche am darauffolgenden Tag prägten, wurden diese hier vernachlässigt. Zur nationalprotestantischen Deutung der Speyerer Gedächtniskirche vgl. die Berichterstattung zu den gehalten Reden in: LkA Speyer, 158, Nr. 1800, o. N. (N. N.: Art. Zur Einweihung der Gedächtniskirche der Protestation, in: Speierer Zeitung 93 (1904) 202.); vgl. Reuter: Lutherdenkmal, 209–210; vgl. Stüber: Gedächtniskirche, 92–93. 1162 LkA Speyer, 001.01, Nr. 540, o. N. (N. N.: Art. Versammlungen. Die Gedenkfeier der Protestation von 1529, in: CCW 14 (1904) 39, Sp. 466). 1163 LkA Speyer, 001.01, Nr. 540, o. N. (N. N.: Versammlungen, Sp. 466). 1164 LkA Speyer, 001.01, Nr. 540, o. N. (N. N.: Versammlungen, Sp. 466). 1165 LkA Speyer, 001.01, Nr. 540, o. N. (N. N.: Versammlungen, Sp. 466). 1166 Vgl.  Krüger, Jürgen: Rom und Jerusalem. Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern im 19. Jahrhundert, Berlin 1995, 217–219.

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Dabei ist nicht unwichtig, dass die Lutherstatue, anders als bei der Wittenberger Schlosskirche und dem Brettener Melanchthonhaus, nicht im für den Gottesdienst geweihten, liturgischen Raum stand, sondern außerhalb dessen. Indem die Figur nicht im Kirchenraum, aber trotzdem auf kirchlichem Boden in der Vorhalle unter dem Kirchturm aufgestellt wurde, war dieses Lutherdenkmal quasi öffentlich einsehbar. Zudem bildete diese Gedächtnishalle, die durch die Fürsten und Stadtwappen in späteren Jahren ergänzt wurde, einen eigenen Erinnerungsort, sodass die Standortwahl außerhalb des Kirchenraums das Sichtbarmachen der zeitgenössischen konfessionellen Polemik in Speyer ohne Hemmungen möglich machte.

3.4.2 Die Lutherstatuen an und in Kirchen als sichtbarer Ausdruck protestantischer Identität Mit der Betrachtung der Lutherstatue in der Wittenberger Schlosskirche und im Melanchthonhaus wurde bereits die dieser Arbeit zugrundeliegende Definition eines Lutherdenkmals1167 überschritten. Auch im Folgenden wird dies nochmals geschehen, da nicht Lutherstatuen auf einem Sockel im öffentlichen Raum im Fokus stehen werden, sondern Abbilder des Reformators, die ohne Postament an oder in Kirchengebäuden zur Aufstellung kamen. Da diese insbesondere in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende in signifikant gesteigerter Anzahl vorkamen, soll diesem Phänomen nachgegangen werden. Es kann zunächst beobachtet werden, dass im Zeitraum zwischen 1888 und 1912, das heißt seit dem Regierungsantritt Wilhelms II. bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs, mindestens 29 Lutherstatuen am Äußeren und mindestens 26 Figuren des Reformators im Inneren von Kirchengebäuden angebracht wurden.1168 Nimmt man die regionale Verteilung in den Blick, so ist auffällig, dass die mit Lutherstatuen ausgestatteten Kirchen überwiegend in traditionell lutherisch geprägten Landeskirchen, das heißt in den sächsischen Territorien, in der preußischen Provinz Hannover, in Württemberg und in Hamburg, liegen. Hinzu kommt zusätzlich eine Häufung in der Hauptstadt Berlin. Warum wurden in diesem Zeitraum zahlreiche Kirchen mit einer Statue des Reformators ausgestattet und welche Funktion erfüllten diese an und in den Kirchengebäuden? Ähneln diese Figuren den Darstellungen Luthers im Denkmal, oder gibt es Unterschiede zum zeitgenössischen Lutherbild der Standbilder?

1167 Vgl. Abschnitt 3.1.1. 1168 Die Zahl der Lutherstatuen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und basiert auf Kammer: Reformationsdenkmäler.

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3.4.2.1 Luther als Teil eines größeren Bildprogramms: die Zwickauer Marienkirche (1891) Eva-Maria Seng stellte fest, dass im Zuge des Lutherjubiläums von 1883 der Trend einsetzte, vermehrt Reformatorenstatuen an evangelischen Kirchen aufzustellen. Dies verband sich häufig mit dem gotischen Baustil von Kirchen, indem die mittelalterlichen Heiligenfiguren, die bei gotischen Sakralbauten zur Ausstattung gehörten, im Figurenprogramm durch Reformatoren oder andere kirchengeschichtlich bedeutsame Persönlichkeiten ersetzt wurden.1169 Obwohl mit der Gotik auf einen mittelalterlichen Baustil zurückgegriffen wurde, empfand man diesen für den protestantischen Kirchenbau als geeignet. Dieser sei zwar vorreformatorisch, doch man sah „in der Gotik den reinsten Ausdruck […] der allumfassenden mittelalterlichen ecclesia catholica […], die ja Luther nur reformieren […] wollte“1170. Zusätzlich spiegelte die Gotik die Wertschätzung des zeitgenössischen Historismus und die vom Neuluthertum angestrebte Sakralität von Kirchen wider und konnte dementsprechend in der Mitte des 19.  Jahrhunderts „zum sichtbaren Zeichen einer protestantischen Identität“1171 avancieren.1172 Zugleich verband sich damit das bereits angedeutete Anliegen, durch ein umfassendes Figurenprogramm unter Aufnahme von Reformatoren und weiteren bedeutenden Personen der evangelischen Kirchengeschichte an der Außenfassade, das konfessionelle Selbstverständnis einer Kirchengemeinde nach außen hin sichtbar zu unterstreichen und dem am Ende des 19.  Jahrhunderts aufgekommenen Vorurteil, dass die Gotik ein katholischer Kirchenbaustil sei, entgegenzutreten.1173 Das erste zu nennende Beispiel ist die Hamburger Nikolaikirche, an deren Außenfassade ursprünglich 65 kirchengeschichtliche Persönlichkeiten als Statuen geplant waren, die „die geschichtliche Entwickelung der Kirche Christi mit besonderer Rücksicht auf unsere Konfession und unsere Stadt zur Anschauung“1174 bringen sollte. Von den zahlreichen zunächst ins Auge gefassten Statuen konnten allerdings mit knapp 30 Figuren weniger als die Hälfte tatsächlich auch ausgeführt

1169 Seng, Eva-Maria: Der evangelische Kirchenbau im 19. Jahrhundert. Die Eisenacher Bewegung und der Architekt Christian Friedrich von Leins (Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte 15), Tübingen 1995, 338–340. 1170 Brennecke: Suche, 41. 1171 Brennecke: Suche, 41. 1172 Vgl. Abschnitt 2.3.4.3. 1173 Vgl. Brennecke, Hanns Christof: Protestantischer Kirchenbau an der Wende zum 20. Jahrhundert, in: Raschzok, Klaus / Sörries, Reiner (Hg.): Geschichte des protestantischen Kirchenbaues. Festschrift für Peter Poscharsky zum 60. Geburtstag, Erlangen 1994, 126. 1174 Stöter, Ferdinand: Art. Ueber die neue St. Nikolaikirche in Hamburg, in: CKBK 5 (1862) 8, 124.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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werden. Dennoch bildete dieses in den Jahren 1862 und 1863 geplante, sehr umfassende Bildprogramm das Vorbild für weitere protestantische Kirchen.1175 Darunter sticht insbesondere die mittelalterliche Marienkirche in Zwickau hervor, die im 16. Jahrhundert im spätgotischen Stil umgebaut, in späteren Jahrhunderten durch barocke Teile ergänzt und zwischen 1885 und 1891 im Zuge einer Restaurierung regotisiert wurde. Im Zuge dessen wurden an der Außenfassade rundherum zahlreiche Statuen angebracht. Die Anordnung der Figurengruppen an den verschiedenen Seitenwänden der Kirchen war dabei nicht willkürlich, sondern lässt eine Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Lehrbüchern zur Ikonographie erkennen. Diese wiesen auf einen „Zusammenhang des Darstellungsthemas und dessen Verortung an bestimmten Wänden des Sakralgebäudes hin“1176.1177 So wurde mit der Ostseite, das heißt der Himmelsrichtung des Sonnenaufgangs, alttestamentliche Dekoration verknüpft, da „die Morgenzeit der göttlichen Offenbarung in Gestalten aus dem alten Testamente“1178 zum Ausdruck komme. Dementsprechend finden sich an der östlichen Außenseite der Zwickauer Marienkirche insgesamt 16 Figuren von Propheten und weiteren alttestamentlichen Personen.1179 Der Süden wurde kunstgeschichtlich als „Ort des Guten, der Heiligkeit und des Gelingens“1180 angesehen und da die südliche Seite aufgrund des Sonnenstandes die „Seite des vollen Lichts“1181 und Jesus das Licht der Welt ist, wurde in Zwickau diese Außenwand zwölf Figuren aus dem Neuen Testament geziert.1182 Ergänzt wurden diese über dem Brautportal durch Statuen der zehn klugen und törichten 1175 Als weitere Kirchen mit einem mehrfigürlichen Programm sind die Heilandskirche in Leipzig (eingeweiht 1888) und die Moritzkirche in Zwickau (errichtet 1892) zu nennen. Auch an der zwischen 1894 und 1898 erbauten Johanneskirche in Saarbrücken waren 15 Statuen geplant, die jedoch aus Kostengründen schließlich nicht ausgeführt wurden. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 132–133, 162, 216, 257; vgl. Mai, Hartmut: Lutherische Ikonographie im 16. und 19. Jahrhundert – ein Vergleich, in: Poscharsky, Peter (Hg.): Die Bilder in den lutherischen Kirchen. Ikonographische Studien, München 1998, 215–216. 1176 Bałus, Wojciech: Gotik ohne Gott. Die Symbolik des Kirchengebäudes im 19.  Jahrhundert, Frankfurt/Main 2016, 152. 1177 Vgl. Bałus: Gotik, 149–160; vgl. Heinz / Tacke: Geschichte, 86; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 254–257. 1178 Meyer, Friedrich: Festschrift zur Einweihung der erneuerten Marienkirche zu Zwickau, Zwickau 1891, 87. 1179 Neben dem Bundesengel Gottes handelt es sich hierbei um Abraham, Hiob, Josua, Samuel, Deborah, Ruth, David, Salomo, Elias, Amos, Jeremias, Daniel, Esra, Judas Makkabäus und Jesaja. Vgl. Meyer: Festschrift, 87–88. 1180 Bałus: Gotik, 152. 1181 Meyer: Festschrift, 88. 1182 Bei den Figuren aus dem Neuen Testament handelt es sich um Paulus und die elf Apostel.

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Jungfrauen, sowie einer Darstellung Moses, Johannes des Täufers und Christi als Weltenrichter. Auf der Westseite über dem Haupteingang wurde „ein Engel mit einladender Handbewegung“1183 angebracht.1184 Am interessantesten ist schließlich die nördliche Fassade. Der Norden wurde „als Heimat der Sünde, der Dämonen und des Übels“1185 angesehen und blieb bei der künstlerischen Ausgestaltung entweder unberücksichtigt, oder spiegelte die Bekämpfung der Finsternis wider. Hierzu wurde bei anderen Sakralbauten zum Teil auf Evangelisten zurückgegriffen, da diese mit ihren Worten ausdrucksstark den Feinden gegenüber treten konnten. Diese Idee wurde nun auch im Zwickauer Figurenprogramm aufgenommen und spezifisch konfessionell ausgedeutet. So vertraten die Initiatoren des Bildprogramms die Meinung, dass das „Christentum […] im Laufe der Geschichte durch menschliche Satzungen verdunkelt worden“1186 war, doch durch die Reformation war es gelungen „dem ursprünglichen Christentume wieder zu seinem Rechte“1187 zu verhelfen. Daher dürfte „diese wichtige und geistesgewaltige Periode unserer Geschichte“1188 am Äußeren der Kirche nicht fehlen. Daher wurde die Reformation mit insgesamt 25 Figuren repräsentiert.1189 Durch die Anbringung der reformationsgeschichtlichen Statuen an der Nordseite, schwingt zudem die Deutung mit, dass diese Personen sich der Finsternis bringenden altgläubigen Kirche entgegenstellen. Diese Interpretation wird zusätzlich verdeutlicht durch die Figur des mit dem Drachen kämpfenden Erzengels Michael, der „am Nordwestgiebel als Sinnbild des gegen die Finsternis kämpfenden deutschen Protestantismus“1190 angebracht wurde. Durch die Aufnahme des Erzengels ins Bildprogramm wurde an die ikonographische Tradition des 19. Jahrhunderts angeknüpft. Die Darstellung des Zwickauer Michaels unterscheidet sich nun vom Relief am Eislebener Lutherdenkmal, indem der Erzengel mit Kreuzstab statt Lanze abgebildet wurde und er gegen eine Dra-

1183 Meyer: Festschrift, 91. 1184 Zudem findet sich im Inneren des Portals die Statue der Stifterin der Marienkirche Gräfin Bertha von Groitzsch und des Zwickauer Kaufmanns Martin Römer; vgl. Meyer: Festschrift, 88–89, 91. 1185 Bałus: Gotik, 152. 1186 Meyer: Festschrift, 89. 1187 Meyer: Festschrift, 89. 1188 Meyer: Festschrift, 89. 1189 Von West nach Ost werden dargestellt Philipp Melanchthon, Martin Luther, Johannes Bugenhagen, Katharina von Bora, Stephan Roth, Barbara Uttmann, Franz von Sickingen, Friedrich der Weise, Hermann Mülpfort, Gregor von Brück, Hans von der Planitz, Ulrich von Hutten, Hans Sachs, Nikolaus Hermann, Paul Speratus, Nicolaus Hausmann, Hans Lufft, Lucas Cranach, Albrecht Dürer, Martin Chemnitz, Martin Bucer, Margarete Blaurer, Kürfürstin Anna, Johann Friedrich der Großmütige, Johann der Beständige 1190 Meyer: Festschrift, 91.

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chengestalt mit Flügeln statt einem teuflischen Wesen mit Hörnern1191 kämpft, doch auf der inhaltlichen Ebene, nämlich der antikatholischen Polemik, ähneln sich beide. Zugleich ist die Ausführung des Erzengels an der Marienkirche als Übergang anzusehen, da unter Kaiser Wilhelm II. die Michaelsfigur immer mehr aus dem konfessionellen Deutungshorizont herausgelöst und patriotisch, das heißt als Nationalfigur, aufgeladen wurde.1192 Neben dem konfessionellen Aspekt ist zum einen hervorzuheben, dass in die Reihe der kirchengeschichtlichen Persönlichkeiten, wie bereits bei den alttestamentlichen Statuen, auch vier Frauen aufgenommen wurden. Zum anderen ist die Auswahl des Figurenprogramms interessant, da mit den Personen diverse Errungenschaften der Reformation verknüpft wurden. So wurden der Buchdruck und die Verbreitung von lutherischen Schriften durch Hans Lufft, die Musik und insbesondere die Bedeutung des Kirchenlieds durch Paul Speratus und Nicolaus Hermann, die Literatur beziehungsweise Dichtkunst durch Ulrich von Hutten und Hans Sachs und die Kunst durch Lucas Cranach und Albrecht Dürer dargestellt. Durch diese Statuen wurden die verschiedenen Ausprägungen der ästhetischen Kultur des Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts repräsentiert. Die „wissenschaftliche Kräftigung […] der Theologie“1193 wurde aufgenommen durch Martin Chemnitz und Martin Bucer, die durch ihre theologischen Bemühungen sich „einerseits gegen die römische Kirche ab[grenzten], andererseits […] unter den Protestanten selber eine Einigung herbeizuführen“1194 vermochten. Auch hier lassen sich Anknüpfungspunkte zur Wissenschaftlichkeit der evangelischen Theologie im 19. Jahrhundert ausmachen, deren Bedeutung sich unter anderem in neuen methodischen Ansätzen zeigte und zudem zur konfessionellen Abgrenzung und innerevangelischen Einheit beitragen sollte. Daneben verweisen die Kurfürstin Anna und Margarethe Blaurer, die als „Vorbild der evangelischen Diakonissen“1195 gilt, auf die „Liebesthätigkeit […] und evangelische […] Barmherzigkeit“1196 und finden ihr zeitgenössisches Pendant in der Inneren Mission. Schließlich wurde mit der Figur des Zwickauer Rektors, Stephan Roth, die Bedeutung der (Schul-)Bildung hervorgehoben und durch Kat-

1191 Beide Gestalten, das heißt Drachen und Teufel, gehen zurück auf Offb 12,7–9. 1192 Die Nationalisierung des Erzengels äußerte sich in der veränderten Darstellungsform, indem Michael immer mehr seine engelhafte Gestalt verlor und in Rüstung abgebildet wurde. Vgl. Galle: Erzengel, 129–158, 168–169. 1193 Meyer: Festschrift, 90. 1194 Meyer: Festschrift, 90. 1195 Meyer: Festschrift, 90. 1196 Meyer: Festschrift, 90.

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harina von Bora, die als Mutter mit ihrem Sohn Hänschen dargestellt wurde, „das Familienleben als eine gottgewollte Ordnung von neuem ins Licht gestellt“1197,1198.

Abb. 28: links: Statue Katharina von Bora mit Sohn Hans, Heinrich Weinhold, rechts: Statue Martin Luther, Robert Ockelmann.

Das Bürgertum des wilhelminischen Kaiserreichs konnte sich daher nicht nur mit den beiden letztgenannten Figuren identifizieren, sondern sollte im umfangreichen ikonographischen Programm der reformationsgeschichtlichen Statuen entdecken, dass im 16.  Jahrhundert die Wurzeln der deutschen Kulturgeschichte angelegt waren. Zudem stellte die Nordwand der Zwickauer Marienkirche die Reformation in die Tradition des wahren Christentums und durch die Anbringung an der Nordseite und den Erzengel Michael war eine antikatholische Aussage impliziert.1199 1197 Meyer: Festschrift, 90. 1198 Zur Rezeption Katharina von Boras in den vergangenen Jahrhunderten vgl. Israel, Carlotta / Schneider, Camilla (Hg.): Bild – Geschlecht – Rezeption. Katharina von Bora und Martin Luther im Spiegel der Jahrhunderte, Leipzig 2021. 1199 Unterstrichen wird diese Interpretation zudem durch die Person des Zwickauer Superintendenten und Herausgeber der Festschrift zur Einweihung der Marienkirche, Friedrich Meyer. Der Theologe war seit 1889 Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes des Evangelischen Bundes, veröffentlichte Artikel gegen den politischen Katholizismus und war zudem ein Vertreter des Kulturprotestantismus. Vgl. Satlow, Bernt: Art. Meyer, Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), 338.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Das nationalprotestantische Selbstverständnis im wilhelminischen Kaiserreich wurde demnach durch die Zwickauer Marienkirche veranschaulicht und sollte die Betrachtenden nicht nur an ihre eigene Geschichte erinnern, sondern hatte auch eine identitätsstiftende Funktion. Durch dieses vielfigürliche Programm an der Außenfassade war die Zwickauer Marienkirche nicht nur Sakralbau, sondern zugleich auch Denkmalkirche. Diese Monumentalität, mit der nicht nur die Erinnerung und Vergegenwärtigung der eigenen Geschichte einherging, sondern sich auch eine didaktische Absicht verband, war nicht singulär auf das Äußere einer Kirche beschränkt. Beispiele für die Ausgestaltung des Innenraums sind die 1892 eingeweihte Wittenberger Schlosskirche, aber auch das 1903 fertiggestellte Ulmer Münster, das ebenso ein umfassendes Bildprogramm bietet, bei dem eine Replik der Wormser Lutherstatue nicht fehlen durfte. Neben der ursprünglichen Ausgestaltung der 1895 eingeweihten und 1906 durch eine Gedächtnishalle ergänzten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sei hier außerdem auf den 1904 eröffneten Berliner Dom verwiesen, in dessen Inneren durch die Auswahl der Statuen die preußische Union veranschaulicht wird.1200 Auch wenn die genannten Kirchenbauten je eigene, zum Teil lokal begründete Schwerpunkte bei ihrem Erinnerungsprogramm aufzeigen, so lässt sich doch als Gemeinsamkeit „die enge Verflechtung von Nation und Konfession“1201 feststellen. Dies wurde nicht nur bei der Wittenberger Schlosskirche, sondern auch bei der Zwickauer Marienkirche in Bezug auf die deutsche Kultur deutlich. Bei dem vielfigürlichen Programm lag dabei der Schwerpunkt nicht allein auf dem Reformator Luther, sondern es wurde verstärkt die geschichtliche Bedeutung der Reformation hervorgehoben, um diese auf die deutsche Kultur beziehen zu können. 3.4.2.2 Lutherstatuen an Kirchengebäuden: der kolossale Luther in Karlsruhe (1907) Neben diesen aufwändigen und sehr teuren vielfigürlichen Skulpturenprogrammen wurden bei Kirchenbauten noch weitere, kostengünstigere Möglichkeiten der Memorialkultur umgesetzt. Ein Beispiel hierfür ist die Namensgebung einer Kirche. Es lässt sich feststellen, dass seit dem Lutherjubiläum von 1883 und insbe-

1200 Neben den Wittenberger Reformatoren Luther und Melanchthon wurden die beiden Hauptvertreter der Schweizer Reformation, Zwingli und Calvin dargestellt und durch vier Obrigkeiten, Landgraf Philipp von Hessen, Kurfürst Friedrich der Weise, Kurfürst Joachim II. und Herzog Albrecht von Preußen, ergänzt. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 57, 62–64, 236–237; vgl. Hoth, Rüdiger: Der Berliner Dom. Geschichte und Gegenwart, München/Berlin 71998. 1201 Stüber: Gedächtniskirche, 92.

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sondere seit den 1890er Jahren neuerrichtete Kirchen häufig den Namen Lutherkirche erhielten, beziehungsweise in diesem Zeitraum renovierte Kirchen umbenannt wurden. Während evangelische Bauten seit 1883 und tatsächlich nicht vorher, häufig als Lutherkirchen eingeweiht wurden, entwickelten sich Bonifatiuskirchen zum katholischen Pendant, sodass sich mit der Namensgebung der Ausdruck der jeweiligen konfessionellen Identität verband.1202 Gemeinsam war beiden, dass eine Errichtung „an urbanistisch herausragenden Orten“1203 angestrebt wurde, um so im jeweiligen Stadtbild präsent zu sein und von vielen Menschen wahrgenommen zu werden. Diese Spannung zwischen katholisch und evangelisch geprägten Stadtteilen zeigt Jürgen Krüger am Beispiel Berlins, wo 1894 die von Johannes Otzen, eine der wichtigsten Personen des protestantischen Kirchenbaus um 1900, errichtete Lutherkirche im Bezirk Schöneberg eingeweiht wurde. Diese liegt nicht nur in der Nähe von einer Hauptverkehrslinie Berlins, sondern bekam 1907 in ihrer Nachbarschaft Konkurrenz durch eine Bonifatiuskirche. Durch das Anbringen einer Lutherstatue, die nach dem Modell von Kokolsky reproduziert wurde und somit der bereits 1883 in Alt-Schwanenburg aufgestellten Figur entsprach, einer Melanchthonstatue und einer Figur des Kurfürsten Joachim II. wurde das Hauptportal der Schöneberger Lutherkirche verziert. Ergänzt wurde die ikonographische Ausstattung des Äußeren durch zwei Reliefs, die zum einen Luther auf dem Wormser Reichstag 1521 und zum anderen das erste Abendmahl in beiderlei Gestalt und somit die Einführung der Reformation in Brandenburg darstellten.1204 Das heißt neben dem Kirchennamen sollte auch das Figurenprogramm die eigene evangelische Identität für alle erkennbar in Erinnerung rufen. Bei Kirchenrenovierungen mussten daher zum Teil auch alte Statuen von Heiligen zugunsten von Luther- und Melanchthonfiguren weichen, wie dies beispielsweise bei der Marienkirche in Stadtilm 1903 geschehen war.1205

1202 Bonifatius wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts und im Zuge des Bonifatiusjubiläums 1905 als identitätsstiftende Nationalfigur der Katholiken stilisiert und bildete damit ein katholisches Pendant zu Luther. Vgl. Wendebourg, Dorothea: So viele Luthers… Die Reformationsjubiläen des 19. und 20. Jahrhunderts, Leipzig 2017, 81. 1203 Krüger, Jürgen: Das Melanchthonhaus in Bretten im Vergleich der Reformationsgedächtnisstätten des 19. Jahrhunderts, in: Frank, Günter / Lalla, Sebastian (Hg.): Fragmenta Melanchthoniana. Bd. 2: Gedenken und Rezeption – 100 Jahre Melanchthonhaus, Heidelberg 2003, 89. 1204 Dasselbe Bildprogramm findet sich an der von Johannes Otzen restaurierten evangelischen Kirche in Liegnitz (heute: Legnica in Polen) und an der Lutherkirche in Berlin-Spandau. Zudem wurden weitere Repliken der Sandsteinfigur von Kokolsky an weiteren Kirchen angebracht, darunter die Heilandskirche in Leipzig (1888) oder die Friedenskirche in Hamburg (1895). 1205 Vgl. Krüger: Melanchthonhaus, 89; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 57–59, 226; vgl. ders.: Melanchthondenkmäler, 42–43.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Auch an weiteren Lutherkirchen und evangelischen Kirchengebäuden wurden an den Außenseiten Lutherstatuen angebracht. Als Aufstellungsort an der Kirchenwand wurde meist die gut einsehbare Stelle über dem Hauptportal, eine andere Eingangstür, oder aber die Turmfassade gewählt.1206 Zudem wurde die Lutherfigur teilweise ergänzt durch Melanchthonstatuen, Figuren weiterer lokal bedeutender Reformatoren1207, oder biblischen Gestalten1208.1209 So führte der Kirchenbauboom, der durch die Industrialisierung, dem damit verbundenen Zuzug von arbeitenden Menschen in die Städte und den dadurch zu klein gewordenen bisherigen Kirchengebäuden, ausgelöst wurde, zu einem Aufschwung an Lutherstatuen. Die Absicht, die sich mit der Anbringung einer Lutherdarstellung am Äußeren eines Kirchengebäudes verband, lässt sich besonders gut am Beispiel der Karlsruher Lutherkirche demonstrieren. Auch in der badischen Landeskirche entstanden um 1900 zahlreiche neue Kirchenbauten. Im Zeitraum zwischen 1888 und 1914 waren es insgesamt 58 Kirchen, wozu auch die Lutherkirche in Karlsruhe zählte. Der Wunsch zur Errichtung eines neuen Gotteshauses in der Oststadt war bereits 1889 das erste Mal geäußert worden. Doch erst 1903 wurde nach einem Wettbewerb der Entwurf der Architekten Robert Curjel und Karl Moser ausgewählt. Dieser bestach dadurch, dass die vorgesehene Kirche nicht im noch immer typischen neugotischen Stil entworfen wurde, sondern das Äußere war im neoromanischen Stil und das Innere im Jugendstil vorgesehen. Dies überzeugte die Verantwortlichen insbesondere deshalb, weil sich die geplante protestantische Kirche somit deutlich von der nur wenige hundert Meter entfernten katholischen St. Bernhards-Kirche unterscheiden würde. 1206 Beispielhaft für eine Anbringung der Lutherstatue über bzw. neben dem Portal sei hier die Marienkirche in Pirna (1889), die Lutherkirche in Apolda (1894) und die Friedenskirche in Hamburg-St. Pauli (1895) genannt. Dagegen findet sich am Turm der Marienkirche in Winsen/Luhe (1899) und der Lutherkirche in Mannheim (1905) eine Lutherfigur. 1207 So beispielsweise eine Statue Johannes Bugenhagens und Ansgar an der 1886 eingeweihten Christuskirche in Hamburg-Eimsbüttel. 1208 An der 1904 fertiggestellten Lutherkirche in Meißen und an der 1906 eingeweihten Lutherkirche in Zwickau findet sich am Hauptportal neben Luther auch eine Statue des Paulus. 1209 Ein regionaler Bezug lässt sich auch bei der 1912 eingeweihten Deutschen Evangelischen Kirche in Kairo feststellen, indem durch die künstlerische Gestaltung auf den ägyptischen Kontext angespielt wurde. Am Hauptportal wurden die Statuen Luthers und Melanchthons auf über fünf Meter hohe Säulen gestellt, sodass diese an die altkirchlichen Säulenheiligen erinnern. Dadurch wurde die ägyptische, das heißt lokale kirchengeschichtliche Tradition adaptiert und zugleich die deutschen Reformatoren in Verbindung mit den Säulenheiligen gebracht. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 260; vgl. Krüger, Jürgen: Deutsche Evangelische Kirchen im Ausland – vom einfachen Kapellenbau zur nationalen Selbstdarstellung, in: Raschzok, Klaus / Sörries, Reiner (Hg.): Geschichte des protestantischen Kirchenbaues. Festschrift für Peter Poscharsky zum 60. Geburtstag, Erlangen 1994, 97.

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Die erste Zeichnung der Architekten Curjel und Moser enthielt „am Turmfuß […] eine monumentale Kreuzigungsszene“1210, die im Inneren über der Kanzel erneut aufgegriffen werden sollte. An den vier Ecken des Turmes waren die klassischen Symbole der vier Evangelisten vorgesehen. Die Grundaussage der Kirche lautete dadurch: „Christus ist die Mitte unseres Glaubens, die Evangelisten […] die Kronzeugen für die Erlösungstat Jesu“1211. Diese künstlerische Ausgestaltung des Sakralbaus würde allerdings den Namen Christuskirche erwarten, was allerdings nicht möglich war, da vom selben Architektenpaar zwischen 1896 und 1900 bereits eine protestantische Christuskirche im Karlsruher Westen gebaut worden war. Dieses Bildprogramm wurde letztlich nicht realisiert und stattdessen wurden die Baupläne noch vor Baubeginn mehrmals verändert. Am 4.  April 1905 drängten die Architekten die Verantwortlichen zur Namensänderung, da die künstlerische Ausgestaltung im Innern und Äußern der Kirche nicht vom Namen der Gemeinde unabhängig sein könnte, sondern darauf abgestimmt sein müsste. Am Tag der Grundsteinlegung, am 31. Mai 1905, waren schließlich alle Entscheidungen zur künstlerischen Ausgestaltung getroffen und der erste Stein zur Karlsruher Lutherkirche konnte gelegt werden. Am unteren Teil des Turms, an dem ursprünglich die Kreuzigungsszene vorgesehen war, wurde nun ein kolossales Halbrelief Martin Luthers vom Bildhauer Oskar Kiefer errichtet. Auf einem circa eineinhalb Meter hohen Postament steht eine ungefähr drei Meter große Lutherfigur, womit diese Darstellung des Reformators „wohl eine der größten [ist], die je hergestellt wurde“1212. Dieser riesige Luther steht aufrecht, standhaft und ist mit der Wand verbunden, sein Blick ist geradeaus gerichtet. In der gesenkten rechten Hand hält er die geschlossene Bibel und die linke Hand hat er erhoben, so als würde er die in die Kirche eintretenden oder an ihr vorüberkommenden Menschen grüßen. Im Christlichen Kunstblatt wurde über das Kolossalrelief Luthers geurteilt, dass dieses aufgrund „seiner stilisierten Behandlung etwas herb und grob [wirke], aber doch den predigenden Luther wuchtig und würdig“1213 wiedergeben würde und die Darstellung des Reformators sich somit „in seiner ungeschminkten, schmucklosen Weise organisch in den […] Gesamtbau ein[füge]“1214,1215.

1210 Krüger, Jürgen: Der Name ist Programm. Bauform und Ausgestaltung der Lutherkirche, in: Burger Irene (u. a.) (Hg.): Rundum Luther. Festschrift zum 100. Geburtstag der Lutherkirche Karlsruhe, Karlsruhe 2007, 25. 1211 Krüger: Name, 26. 1212 Krüger: Name, 26. 1213 Kühner, Karl: Art. Badische evangelische Kirchenkunst, in: CKBK 51 (1909) 10, 304. 1214 Kühner: Kirchenkunst, 304. 1215 Vgl.  Schwinge: Großherzogtum, 71–73; vgl.  Kammer: Reformationsdenkmäler, 150–151; vgl. Krüger: Name, 25–31; vgl. Gotzmann, Dany Jacqueline: Gründerzeit. Der lange Weg zur Luther-

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Abb. 29: Lutherrelief an der Lutherkirche in   Karlsruhe, Oskar Kiefer.

Die Einzigartigkeit dieses Lutherreliefs liegt in dessen Monumentalität begründet, denn seit der Einweihung der Lutherkirche am 10. November 1907 kann sich beim Vorübergehen niemand dessen Anblick entziehen. In diesem Zusammenhang verweist Jürgen Krüger auf den mittelalterlichen Gebrauch von Christophorusstatuen an Außenwänden von Kirchen, deren täglicher Anblick dazu beitragen sollte, „einen gerechten Tod [zu] sterben“1216. Die Wirkabsicht des kolossalen Luthers in Karlsruhe kann in einem ähnlichen Sinne interpretiert werden, allerdings natürlich nicht soteriologisch, sondern konfessionell. Indem das Lutherrelief aufgrund seiner Größe schon von weitem sichtbar ist, sollte es die Karlsruher Protestanten und Protestantinnen an ihre Konfession und Identität erinnern und der katholischen Bevölkerung die Anwesenheit der evangelischen Gemeinde vor Augen führen. Somit erfolgte eine konfessionelle Abgrenzung von der katholischen Nachbarkirche nicht nur durch den Baustil und den Namen der Kirche, sondern auch durch die überdimensionale Lutherdarstellung. Mit dieser auf die eigene Konfession kon-

kirche, in: Burger Irene (u. a.) (Hg.): Rundum Luther. Festschrift zum 100. Geburtstag der Lutherkirche Karlsruhe, Karlsruhe 2007, 42–51. 1216 Krüger: Name, 28.

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zentrierten künstlerischen Ausgestaltung der Kirchenaußenwand ordnete sich die Karlsruher Lutherkirche, genauso wie die anderen am Äußeren mit Lutherstatuen verzierten evangelischen Kirchen, sichtbar in das spannungsvolle Verhältnis der katholischen und protestantischen Kirche und ihr Ringen um die Sichtbarkeit der eigenen Konfession im öffentlichen Raum um 1900 ein. 3.4.2.3 Lutherfiguren im Kirchenraum: die Berliner Heilig-Kreuz-Kirche (1888) Die Lutherstatuen am Äußeren von Kirchen als sichtbares und die eigene Konfession demonstrierendes Zeichen waren allgemein akzeptiert worden und hatten keine theologische Diskussion zur Folge. Anders verhielt es sich mit der Anbringung von geschichtlich bedeutsamen Personen im Inneren, das heißt im liturgischen Raum. Dies sorgte aufgrund unterschiedlicher theologischer Verständnisse für Diskussion, was sich in die grundlegende protestantische Kirchenbaudebatte am Ende des 19. Jahrhunderts einordnete. Dabei stand der neulutherischen Meinung, dass der Kirchenraum sakral sei, die von liberalen und reformierten Theologen vertretene Ansicht der Profanität des Kirchenraums gegenüber.1217 Das seit den 1890er Jahren vermehrt die liberale Theologie den Protestantismus am stärksten prägte spiegelte sich auch in der Wahrnehmung des Kirchenraums wider, indem dieser wieder verstärkt im Sinne des 17. und 18.  Jahrhunderts als profaner Gemeinderaum angesehen wurde.1218 Dies beeinflusste auch die ikonographische Ausgestaltung der Kircheninnenräume, indem an den Stellen, an denen insbesondere in mittelalterlichen Kirchen Propheten, Evangelisten, Apostel oder Heilige dargestellt wurden nun auch Statuen von Luther und anderen Zeitgenossen aufgestellt wurden. Betrachtet man die Anzahl von Lutherstatuen in Kirchen, so lässt sich feststellen, dass zwischen 1888 und 1899 lediglich fünf Figuren im Inneren einer Kirche aufgestellt wurden. Ab 1900 kam es hingegen zu einer eindeutigen Häufung, sodass allein zwischen 1900 und 1911 mindestens 19 Lutherstatuen1219 angebracht wurden.1220 Beispielhaft nachvollziehen lässt sich die Debatte um die Aufstellung von Reformatorenstatuen im Kirchenraum an der 1888 fertiggestellten Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin, die von Johannes Otzen entworfen wurde. An der Außenfassade dieser neu-

1217 Vgl. Abschnitt 2.3.4.3. 1218 Vgl. Brennecke: Suche, 53–62. 1219 Darunter befindet sich nur eine Lutherkirche, sodass eine Tendenz zu sehen ist, dass die als Lutherkirchen bezeichneten Kirchengebäude eher eine Figur des Reformators am Äußeren als im Inneren aufweisen. 1220 Anders verhielt es sich mit den zuvor besprochenen Statuen am Äußeren von Kirchengebäuden, die bereits in den 1890er gehäuft vorkamen.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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gotischen Kirche befindet sich kaum „selbständiger künstlerischer Schmuck“1221, dagegen zeigt sich im Inneren des Gotteshauses eine reiche biblische Ausstattung. Zudem wurden „lebensgroße […] Standbilder der 12 Apostel […] an den Pfeilern des Chores und Schiffs“1222 angebracht, die an der Westseite der Empore durch Statuen Luthers und Melanchthons ergänzt wurden.1223 Bei den tönernen Reformatorenfiguren handelte es sich nicht um individuelle Darstellungen, sondern um das häufig für Statuen an und in Kirchen verwendete Modell des Bildhauers Hermann Kokolsky. Indem Luther und Melanchthon nicht an denselben Seiten wie die Apostel angebracht wurden setzten sie nicht deren Reihe fort, sondern erschienen aufgrund ihrer Position als Lehrer dessen, was im sonstigen biblischen Bildprogramm dargestellt wurde. Wichtig ist nun allerdings, dass der Architekt Johannes Otzen ursprünglich gegen die Aufstellung von Skulpturen der Reformatoren im Inneren der Kirche war. Er lehnte dies ab und stellte stattdessen heraus, dass er „nichts darin findet, die Gestalten der Reformatoren an anderer Stelle, etwa im Aeußeren, zum Schmuck der Kirchen zu verwerthen“1224. Dies veranschaulicht, dass die Anbringung von Lutherstatuen an der Außenfassade früher allgemeine Zustimmung erfuhr als im Inneren.1225 Dass in der Berliner Heilig-Kreuz-Kirche schließlich doch Skulpturen von Luther und Melanchthon die Apostelreihe ergänzten, lag daran, dass sich die Verantwortlichen der Kirchengemeinde mit ihrem Wunsch durchsetzen konnten.1226 Das Berliner Beispiel verdeutlicht, dass es im Verlauf des 19.  Jahrhunderts unterschiedliche Ansichten zur künstlerischen Ausschmückung evangelischer Kirchen gab. So waren teilweise „Bilder verdienter Geistlicher am Orte ihres langjährigen segensreichen Wirkens“1227 oder Gemälde der Reformatoren aus vom konfessionellen Luthertum geprägten Kirchengemeinden entfernt worden, da „die sakrale Würde“1228 der Kirche betont werden sollte. Dadurch hatte nach Meinung

1221 Fritsch, Karl E. O.: Art. Berliner Neubauten. 48. Die Kirche zum Heiligen Kreuz, in: DBZ 23 (1889) 64, 382. 1222 Fritsch: Neubauten, 383. 1223 Die Statuen wurden im Zuge des Wiederaufbaus der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 56. 1224 Fritsch: Neubauten, 383. 1225 Vgl. Fritsch: Neubauten, 383; vgl. Bahns: Otzen, 75. 1226 Ähnliches galt auch für die 1894 eingeweihte Wiesbadener Ringkirche, bei der es der explizite Wunsch des Kirchenvorstandes und nicht Johannes Otzens war, die vier Hauptreformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin als Statuten in der Kirche aufzustellen. Die dafür vorgesehenen Stellen blieben jedoch schließlich unbesetzt. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 244; vgl. Bahns: Otzen, 81. 1227 Bahns: Otzen, 81. 1228 Fritsch: Neubauten, 383.

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des Autors der Deutschen Bauzeitung der Kirchenraum „ein sehr wohlthuend berührendes, geschichtliches Gepräge“1229 verloren. Ähnliche Vorbehalte gegenüber figürlichen Darstellungen historischer Persönlichkeiten im Inneren der Kirche, wie diese Johannes Otzen 1888 geäußert hatte, waren auch noch zehn Jahre später wiederzufinden. Im Zuge der Aktualisierung der Eisenacher Ratschläge, die erstmals 1861 von Neulutheranern verfasst worden waren, wurden im 17. Artikel die Richtlinien zur künstlerischen Ausstattung im Kircheninneren festgeschrieben. So hieß es, dass zwar Schmuck an den Wänden und Fenstern „mehr, als dies bei evangelischen Kirchen früher geschehen [ist], zu fördern“1230 sei, doch zugleich keine bildliche Überladung stattfinden sollte. Dabei sollten historische Darstellungen „aus der biblischen Geschichte entnommen werden, solche aus der Geschichte der Kirche [sollten] nur in Vorhallen und Nebenräumen Platz finden“1231. Während von den konfessionellen bayerischen Lutheranern die Eisenacher Ratschläge befürwortet wurden und erst 1912 mit der Lutherstatue in der Johanniskirche in Forchheim die erste Lutherstatue im Kirchenraum angebracht wurde, wurde in der Württembergischen Landeskirche die „Beschränkung hinsichtlich der Ausschmückung der Kirchengebäude [als] nicht notwendig“1232 empfunden. Dementsprechend wurde zwischen 1900 und 1903 bereits in vier württembergischen Kirchen eine Lutherstatue angebracht.1233 Nachdem die Anbringung von Lutherstatuen am Äußeren als eine konfessionelle Abgrenzung vom Katholizismus interpretiert wurde, zeigte sich nun im Hinblick auf die Skulpturen des Reformators im Inneren, dass hierbei verschiedene evangelische Positionen zum Ausdruck kamen und die Frage nach der Sakralität oder Profanität von Kirchenräumen dahinter stand.1234 Blickt man auf den spezifischen Aufstellungsort der Lutherstatuen in den Kirchengebäuden so fällt auf, dass die Statuen häufig im Blickfeld der Gemeinde, gegenüber der Kanzel angebracht wurden. Dadurch erfüllte die Figur des Reformators eine pädagogische Funktion, indem sie auf die Wichtigkeit des ausgelegten Wortes Gottes verweisen sollte. Auch hier ist ein Hinweis auf den Einfluss der liberalen Theologie 1229 Fritsch: Neubauten, 383. 1230 Seng: Kirchenbau, 365. 1231 Seng: Kirchenbau, 365. 1232 Seng: Kirchenbau, 368. 1233 Vgl. Seng: Kirchenbau, 358–374. 1234 Eine gegenläufige Bewegung im Hinblick auf Reformatorenstatuen im Inneren von evangelischen Kirchen findet sich in den 1960er Jahren. Zu dieser Zeit wurden zahlreiche Figuren Luthers von ihren gut einsehbaren Orten im Chorraum wieder entfernt, da der „Blick […] allein auf Christus gehen“ sollte. So beispielsweise in der Trinitatiskirche in Riesa, oder in der Dreifaltigkeitskirche in Eisfeld. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 202–203, 216.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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zu sehen, die anders als das Neuluthertum, welches das Abendmahl gleichberechtigt neben die Predigt stellte, die Predigt ins Zentrum des Gottesdienstes rückte. So verkörperte nicht nur die Architektur der Kirchenneubauten „seit der Jahrhundertwende […] das volkskirchlich protestantische Bildungsbürgertum des wilhelminischen Deutschlands“1235 und veranschaulichte die „sichtbar gewordene Identität des Kulturprotestantismus“1236, sondern bei genauerem Hinsehen lässt sich dies auch auf die Lutherstatuen übertragen. So sollten die Kirchenbauten „in Einklang mit der modernen Kulturentwicklung stehen“1237, und die „moderne Kunst […] [sollte] für die Dekoration der Kirchen fruchtbar gemacht werden“1238. Dies gelang unter anderem dadurch, dass das am Ende des 19.  Jahrhunderts im öffentlichen Raum etablierte, häufig vom Stadtbürgertum initiierte Lutherdenkmal nun für den Raum der Kirche entdeckt worden war.

Abb. 30: Lutherstatue in der Apostelkirche in Hannover, August Hucke.

1235 Brennecke: Suche, 56. 1236 Brennecke: Suche, 56. 1237 Brennecke: Suche, 56. 1238 Brennecke: Suche, 57.

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Da für die Skulpturen im Zuge der Kirchenneubauten oder Renovierungen meist wenig finanzielle Mittel vorhanden waren, wurden insbesondere bereits bestehende Darstellungen Luthers rezipiert. So wurde häufig entweder auf Nachahmungen des Wormser Luthers von lokalen Künstlern oder auf Exemplare des serienmäßig hergestellten Modells von Hermann Kokolsky zurückgegriffen. Individuelle Ausführungen des Reformators an und in Kirchen waren hingegen selten. Aus den wenigen individuellen Lutherstatuen sticht insbesondere die 1906 am Kanzelaufgang in der Apostelkirche in Hannover aufgestellte Skulptur hervor. Die rechte Hand liegt auf der Brust, die linke hält die geöffnete Bibel und Blick ist in Richtung Altar gerichtet, sodass die Statue einen treu bekennenden Luther zeigt. Das Charakteristische an dieser Lutherstatue ist nun, dass der rechte Fuß auf der Bannbulle steht.1239 Damit ist diese Lutherfigur die einzige Darstellung des Reformators in einer Kirche, die eine eindeutige antikatholische Aussage beinhaltet. Sie greift durch die Bulle das Lutherbild auf, welches beim bereits im Jahr 1900 aufgestellten Hannoveraner Lutherdenkmal vor der Marktkirche gezeigt wird.

3.4.3 Der zum Schwur bereite Luther in Hannover (1900) In einem Zeitungsartikel schrieb Paul Rowald, der Hannoveraner Stadtbauinspektor, dass anlässlich des Lutherjubiläums 1883 vom lokalen Bildhauer Carl Dopmeyer ein „Gelegenheitsstandbild“1240 des Reformators in Hannover errichtet worden war, welches „derartigen Beifall [fand], daß man Sammlungen veranstaltete, in der Absicht, dereinst ein ähnliches endgültiges Denkmal zu errichten“1241. Es hatte sich daraufhin ein Lutherdenkmalkomitee gegründet, welches sich aus verschiedenen Vertretern des städtischen Bürgertums zusammengesetzt hatte und dem Anfang 1884 eine öffentliche Sammlung in Hannover genehmigt worden war. Doch die anfängliche Euphorie der Hannoveraner Bevölkerung wich bald der Ernüchterung, denn nach über sechs Jahren, das heißt im Juli 1890, hatte der Denkmalverein mit 10.000 Mark erst ein Viertel der erhofften Summe gesammelt. Die ins Stocken geratene Spendenbereitschaft begründete sich dadurch, dass „viele andere Sammlungen die Opferwilligkeit der Hannoveraner in Anspruch“1242 genommen hatten. Zehn Jahre nach der ersten Initiative wurde schließlich festgehalten, dass

1239 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 140. 1240 Rowald, Paul: Art. Vermischtes. Das Lutherdenkmal in Hannover, in: ZBV 21 (1901) 11, 71. 1241 Rowald: Lutherdenkmal, 71. 1242 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660 Die Errichtung eines Lutherdenkmals in hiesiger Stadt, Bl. 24r.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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das Hannover Lutherdenkmalprojekt nahezu ganz eingeschlafen war und ohne „neue Anregung“1243 eine Vollendung noch einige Jahre dauern würde.1244 Auch wenn die Pläne zur Errichtung des Lutherdenkmals auf die Jubiläumsfeierlichkeiten 1883 zurückgingen, so steht die Hannover Denkmalinitiative beispielhaft für den Bedeutungsverlust öffentlicher Standbilder um 1900.1245 In einer Stellungnahme an den Hannoveraner Magistrat vom 19.  Juni 1898 äußerten die beiden Unterzeichner, der Maler Professor Hermann Schaper und der Museumsdirektor Carl Schuchhardt, ihre „Bedenken gegen die bisher geplante Aufstellung des Lutherdenkmals“1246. So wurde zum einen der Aufstellungsort des Standbilds an der Südseite der Marktkirche kritisiert, da dieser Platz „keinen derartigen Schmuck [benötige und es sei] gefährlich in diese mittelalterliche ernste Würde ein modernes Werk zu stellen“1247. Zum anderen übten sie Kritik daran, dass sich das Lutherdenkmalkomitee nicht von Kunstexperten beraten ließe und dass kein öffentlicher Wettbewerb ausgeschrieben worden war, obwohl der Entwurf Dopmeyers, „nicht ein Werk von künstlerischer Bedeutung“1248 sei. Dies sei besonders schwierig, da in der aktuellen Zeit „die deutsche Skulptur leider ausserordentlich“1249 wenig Ansehen genieße. Bei Standbildern, „die nicht dringend nothwendig sind [und] die nicht durch die zu verherrlichende Persönlichkeit oder durch den zu schmückenden Platz dringend gefordert werden“1250 sei deshalb im Hinblick auf die künstlerische Qualität und Aufstellung Vorsicht geboten. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass „wenn nicht schon diese, so doch die nächste Generation die Werke […] verlachen“1251 würde.

1243 Pecht, Friedrich: Art. Denkmäler, in: Die Kunst für Alle. Malerei, Plastik, Graphik, Architektur 9 (1894) 16, 255. 1244 Vgl. StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 3, 8, 21, 23–25. 1245 Ähnlich wie die Lutherdenkmalpläne für Hannover ging auch die Initiative für ein Standbild des Reformators in Döbeln auf das Lutherjubiläum 1883 zurück. Auch hier gestaltete sich die Finanzierung überaus schwierig. Die von Ernst Paul entworfene bronzene Lutherskulptur konnte schließlich 1902 vor der Nikolaikirche aufgestellt und eingeweiht werden und wurde zudem in Sandstein für ein Lutherdenkmal in Dippoldiswalde kopiert. Die Darstellung des Reformators ähnelt stark der von Hermann Kokolsky ausgearbeiteten Lutherfigur, die in Alt-Schwanenburg 1883 errichtet worden war. Vgl. Abschnitt 3.3.6; vgl. Schwender, C.: Döbelns Denkmäler, in: Döbelner Heimatschatz. Sammlung heimatkundlicher Aufsätze des ‚Döbelner Erzählers‘ 6 (1927), 188, 191–192; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 98. 1246 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 32 (C. Schuchhardts am 19.06.1898). 1247 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 33r. 1248 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 33r. 1249 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 33r. 1250 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 33r. 1251 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 33r.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

An diesen Äußerungen wird die zunehmende zeitgenössische Kritik an Denkmälern deutlich, die mit einer zurückgehenden Zahl von neuerrichteten Standbildern für bürgerliche Persönlichkeiten korrespondierte. Das galt auch für die Lutherdenkmäler im Speziellen, deren Boom, der sich insbesondere mit dem Jubiläum von 1883 verbunden hatte, um 1900 deutlich nachgelassen hatte. Zudem veranschaulichen die Hannoveraner Denkmalpläne, dass zum Jahrhundertende das gesellschaftliche Interesse für ein Lutherdenkmal noch dazu in einer Stadt, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wirken Luthers stand, spürbar abnahm. So war die finanzielle Unterstützung versiegt, da „in der Bevölkerung das Verlangen nach dem geplanten Lutherdenkmal keinen weiteren Boden gewonnen hat[te]“1252. Neben der schwierigen finanziellen Situation des Lutherdenkmalkomitees, gefährdeten demnach auch die öffentliche Infragestellung der Notwendigkeit eines Lutherstandbilds die Hannoveraner Denkmalpläne. Nur durch die ebenfalls von Hermann Schaper und Carl Schuchhardt kritisierte Genehmigung eines Zuschusses in Höhe von 10.000 Mark aus dem städtischen Kunstfonds waren die Mittel soweit gesichert, dass im Sommer 1898 schließlich der Vertrag mit dem Bildhauer Carl Dopmeyer abgeschlossen werden konnte.1253 Dieser machte sich nun an die Umsetzung seines aus dem Jahr 1895 stammenden Entwurfs. Die einzige Bedingung, die die städtische Finanzkommission an ihre finanzielle Zuwendung knüpfte, bestand darin, dass „nach vollständiger Ausarbeitung des Modells […] die Finanz-Commission zur Besichtigung desselben zwecks Aeußerung etwaiger Bedenken und Wünsche“1254 bevollmächtigt war. Ob allerdings die zuständigen städtischen Vertreter bei einem Besichtigungstermin im Atelier des Bildhauers noch Änderungswünsche äußerten, lässt sich nicht ermitteln. Im Jahr 1900, das heißt 17 Jahre nach der ersten Initiative, war das Hannover Lutherdenkmal schließlich fertiggestellt.1255

1252 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 33r. 1253 Am 12.10.1900, das heißt lediglich einen Monat vor der Enthüllung des Denkmals trat das Komitee erneut an den Magistrat heran, um einen weiteren Zuschuss in Höhe von 5.000 Mark zu ersuchen. Dieser wurde benötigt, um laufende Rechnungen zu bezahlen und war notwendig geworden, da die angelegten Wertpapiere um 10 % gefallen waren. Vgl. StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 54, 61–62. 1254 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 29r+v. 1255 Vgl. StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 23–33, 38. Dabei ist anzumerken, dass als der Bildhauer Dopmeyer am 9.11.1899 verstarb, lediglich die beiden Nebenfiguren fertigstellt waren, die Lutherstatue nach dem Modell Dopmeyers wurde daraufhin von Ferdinand Hartzer ausgearbeitet.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Abb. 31: Lutherdenkmal in Hannover, Carl Dopmeyer.

Dieses Denkmal, das „der Stadt zur Zierde und der evangelischen Bürgerschaft zur Freude gereichen“1256 sollte, bestand aus drei Figuren, die jeweils auf einem Sockel angebracht wurden. In der Mitte war auf einem circa dreieinhalb Meter hohen Postament eine Darstellung des Reformators in lebhafter Pose platziert. Der talartragende Luther drückt mit der linken Hand die geschlossene Bibel an seine Brust, die dadurch fast bis zur Hälfte mit seinem Ärmel verdeckt wird. So entsteht der Eindruck als wolle Luther das Wort Gottes beschützen und verteidigen, was durch die ernste und entschlossene Mimik unterstrichen wird. Durch den erhobenen rechten Arm ergibt sich ein dynamischer Ausdruck der Statue. Zeitgenössische Beschreibungen hoben hervor, dass diese Lutherfigur die „Haltung eines Predigenden“1257 ausstrahle, beziehungsweise sie stellten fest, dass „die Rechte wie in lebhafter Rede erhoben“1258 sei. Betrachtet man allerdings die

1256 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 31r. 1257 Rowald: Lutherdenkmal, 71. 1258 Pecht, Friedrich: Art. Denkmäler, in: Die Kunst für Alle. Malerei, Plastik, Graphik, Architektur 10 (1895) 18, 286.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

rechte Hand genauer, so fällt auf, dass Luther diese wie bei einem Schwur1259 hält, wodurch sich als historische Situation dieser Pose wiederum Luthers Auftreten vor dem Kaiser auf dem Wormser Reichstag 1521 annehmen lässt.1260 Diese These wird allerdings durch ein weiteres Element am Denkmal aufgehoben, da der Reformator mit dem linken Fuß auf der gut sichtbaren Bann(androhungs)bulle steht. Das heißt die Lutherfigur bezog sich nicht auf einen spezifischen historischen Moment, sondern verweist vielmehr auf die Ereignisse der Jahre 1520 und 1521. Die zeitgenössischen Denkmalbeschreibungen erwähnten die Bann(androhungs)bulle nicht, sodass die polemische und antikatholische Aussage des Standbilds nicht im Fokus der ersten Interpretationen stand. Zugleich reiht sich das Hannoveraner Denkmal durch die Schriftrolle in die Reihe der monumentalen Lutherdarstellungen ein, die eine offensichtliche Abgrenzung vom Katholizismus implizierten. Am Sockel der Lutherstatue befand sich neben dem Namen des Reformators auch ein Relief, welches „die Einführung der neuen Lehre in der Stadt Hannover [am] 26. Juni 1533“1261 darstellte. Der lokale Bezug des Standbilds wurde zusätzlich deutlich durch die zwei Nebenfiguren zur Rechten und Linken Luthers. Durch die niedrigeren Postamente, ihre sitzende Position und starre Pose unterschieden sich diese deutlich von der Lutherskulptur. Die Inschriften an den Sockeln verwiesen darauf, dass auf Luthers linker Seite Ernst der Bekenner, der Herzog von Braunschweig-Lüneburg, dargestellt wurde. Seinen Beinamen hatte dieser aufgrund seines konsequenten Einsatzes für die reformatorische Bewegung zugeschrieben bekommen. Im Denkmal wurde der Herzog, wie bei den fürstlichen Statuen beim Lutherdenkmal in Worms, mit einem aufgestellten Schwert dargestellt und so das Bild einer die Reformation verteidigenden Obrigkeit gezeichnet. Die Schriftrolle in der linken Hand des Herzogs könnte als die Confessio Augustana, die dieser 1530 mitunterzeichnet hatte, aufgefasst werden, sodass hierin ein Hinweis auf seinen Beinamen gesehen werden kann.1262 Einmalig war die Figur der Herzogin Elisabeth von Braunschweig-CalenbergGöttingen, die ursprünglich zur Rechten Luthers saß. Diese war die erste Statue einer weiblichen Person an einem Lutherdenkmal. Die Darstellung Elisabeths zeichnete sich zunächst durch ihre vornehme Kleidung aus, die ihre adelige Her-

1259 Das heißt die Handinnenfläche zeigt nach vorne, der Daumen, Zeige- und Mittelfinger sind ausgestreckt, der Ringfinger und kleine Finger hingegen sind gebeugt. 1260 So auch Fitschen, Klaus: 20. Jahrhundert. Vom Sockel ins Bodenlose?, in: Nieden, Marcel (Hg.): Ketzer, Held und Prediger. Martin Luther im Gedächtnis der Deutschen, Darmstadt 2017, 172. 1261 Rowald: Lutherdenkmal, 71. 1262 Eine Kopie der Statue des Herzogs wurde 1903 vor der Stadtkirche in Celle aufgestellt, in der dieser 1546 beigesetzt worden war. Vgl. StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 87–91; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 88, 138–139.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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kunft offenbarte. Auf ihrem Schoß lag ein aufgeschlagenes Buch, womöglich die Bibel, auf welchem ihre gefalteten Hände ruhten, sodass ihre Frömmigkeit besonders unterstrichen wurde. Ihre zurücklehnende Haltung und ihr in Richtung Luther erhobener Blick konnten als ihre Bewunderung gegenüber dem Reformator gedeutet werden. Herzogin Elisabeth hatte sich als Witwe in ihrem Herzogtum CalenbergGöttingen für die reformatorische Bewegung stark gemacht und hatte zudem versucht durch ihre schriftstellerischen Tätigkeiten ihre Ansichten an ihre Untertanen und Kinder weiterzugeben. In der heutigen Forschung wird ihr eigenständiges reformatorisches Handeln gewürdigt, das zur Zeit der Denkmalerrichtung noch wenig bekannt war.1263 Ihre Denkmalwürdigkeit wurde zwar auch damit begründet, dass sie eine Förderin der Reformation gewesen war, doch es fallen noch weitere Aspekte auf. Das Lutherdenkmalkomitee verwies lediglich darauf, dass Elisabeth aufgrund „ihre[r] reichen Gaben an die Marktkirche sich vorzüglich […] zu Luthers Füßen“1264 eignen würde. Neben ihrer Tätigkeit als Stifterin wurde sie in einem Zeitungsartikel als „Gemahlin des Herzogs Erich von Calenberg“1265, der zeitlebens der altgläubigen Kirche verbunden blieb, ausgegeben und ihre betende Haltung betont. In einem anderen Bericht wurde Herzogin Elisabeth fälschlicherweise als Mutter von Ernst dem Bekenner bezeichnet, aber zugleich historisch zutreffend als diejenige, „die der Reformation in den welfischen Landen die Wege geebnet“1266 hatte, gewürdigt. Nach der Fertigstellung des dreifigürlichen Standbilds fand am 317. Geburtstag des Reformators die Enthüllungsfeier statt, die deutlich bescheidener ausfiel als die anderer Lutherdenkmäler. Bereits die Spendensammlungen waren auf Hannover begrenzt gewesen, sodass die Einweihung nun ebenfalls als ein lokales Ereignis stattfand. Hierzu wurden die städtischen Behörden eingeladen und explizit wurde die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern der örtlichen Schulen gewünscht. Dies spiegelte auch der Aufstellungsplan vor dem Denkmal wider, sodass neben den städtischen Vertretern und Kindern, Lehrer, Bürger, Pastoren und der Kirchenvorstand um das Denkmal ihren Platz einnehmen sollten. Erst hinter diesen

1263 Zur Person Elisabeths von Calenberg vgl.  Mager, Inge: Das Vermächtnis der Laientheologin Elisabeth von Calenberg-Göttingen (1510–1558) und für ihre Kinder, in: Gehrt, Daniel (Hg.): Fürstinnen und Konfession. Beiträge hochadeliger Frauen zur Religionspolitik und Bekenntnisbildung, Göttingen 2015, 150–169; vgl. Schlotheuber, Eva / u. a. (Hg.): Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg (1510–1558) (QDGNS 132), Hannover 2011. 1264 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 24v. 1265 Rowald: Lutherdenkmal, 71. 1266 Pecht: Denkmäler, 286.

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geladenen Gruppierungen war Raum für weiteres Publikum vorgesehen.1267 Die Teilnehmenden repräsentierten dementsprechend ganz im Sinne des Lutherdenkmalkomitees „die ganze lutherische Bürgerschaft[, die] ihre lebhafte Freude“1268 am neuen Standbild haben sollte. Nachdem das Lutherdenkmal vom Komitee in die Verantwortung der Stadt Hannover übergeben worden war, hielt ein Stadtabgeordneter eine Rede. Hierin wurde zunächst auf die historische Bedeutung des Aufstellungsortes verwiesen, da an diesem Platz „einst die Kämpfe und das Ringen um die Einführung der Reformation“1269 geführt worden waren. Doch neben der Erinnerung an das 16. Jahrhundert „zaubert dies Denkmal […] auch mit gleicher Macht den Geist in die Zeiten der Gegenwart und Zukunft“1270. Wie einst die gewaltige, Alles überragende Persönlichkeit Martin Luther in einer Zeit tiefer Dunkelheit das deutsche Volk mit geistiger Freiheit und Wahrheit durchdrungen und der gedrückten Volksseele eine neue unendliche Welt der Ideale gewonnen, so soll dieses eherne Standbild, dessen mahnend emporgehobene Hand jetzt wacht über unserem Dasein, den gegenwärtigen und kommenden Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild sein, vorwärts zu streben im Geiste der Freiheit und Wahrheit1271

Indem in der Rede des Lokalpolitikers die geistige Freiheit und Wahrheit nicht näher mit Inhalt gefüllt wurde, bleibt eine eindeutige Interpretation offen. Dadurch kann in der Dunkelheit-Licht-Metapher, der Betonung der geistigen Freiheit des deutschen Volkes statt der gedrückten Volkseele und im Aufruf zum Vorwärtsstreben eine Anspielung auf die wilhelminische Weltpolitik um 1900 gesehen werden, die von der Flottenpolitik und dem Weltmachtstreben geprägt war und in der Bevölkerung die nationale Begeisterung beförderte. So sollte das Lutherdenkmal „ein leuchtendes Vorbild“ dafür sein, diesen Idealen weiter zu folgen. Die Realisierung des Hannoveraner Lutherdenkmals hatte siebzehn Jahre umfasst und es sollte nur etwas mehr als doppelt so lange die Südseite der Marktkirche zieren. Denn im Zuge des Zweiten Weltkriegs wurden die Statuen abtransportiert, um diese für militärische Vorhaben einzuschmelzen. Nach 1945 wurde lediglich die Lutherfigur in Hamburg wiedergefunden und am Reformationstag 1952 an ihrem alten Ort wiedererrichtet. Die beiden Nebengestalten konnten nicht wiederhergestellt werden.1272 1267 Vgl. StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 57–59, 64–67, 69, 72. 1268 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 54. 1269 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 76r. 1270 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 76r. 1271 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 76r, 76v. 1272 StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 97 (Zeitungsartikel vom 19.10.1952 zur Wiederaufstellung der Lutherstatue).

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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3.4.4 Der treu bekennende Luther in Bielitz (1900) Auch wenn das Lutherdenkmal in Bielitz im Zweiten Weltkrieg von Schüssen getroffen worden war, blieb ihm doch ein ähnliches Schicksal wie den beiden Hannoveraner Nebenfiguren erspart, sodass es heute das einzige noch bestehende Lutherstandbild Polens ist.1273 Um 1900 gehörte die Stadt Bielitz1274 zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie und lag an der Grenze zum Deutschen Kaiserreich. Bereits im 16.  Jahrhundert war in Bielitz evangelisch gepredigt worden, doch das Luthertum war in den folgenden Jahrhunderten bedingt durch die Rekatholisierungsbestrebungen des österreichischen Monarchen immer wieder vor Herausforderungen gestellt worden. Es wurde dementsprechend die freie Religionsausübung verboten und die evangelischen Prediger vertrieben. Trotz dieser Einschränkungen blieb die Bürgerschaft bis zum Toleranzpatent unter Kaiser Josef II. im Jahr 1781 „heimlich lutherisch“1275 und war in der Folge nur bedingt geduldet. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts war die protestantische Bevölkerung auch im öffentlichen Leben gleichgestellt worden, was die evangelischen Bielitzer und Bielitzerinnen um 1900 mit Dankbarkeit erfüllte. Daher sollte „in einer solchen Stadt, in der stets reiches evangelisches Leben geblüht […] [hatte und] die allezeit ein Hort deutschen Volksthums gewesen ist“1276 ein Lutherdenkmal errichtet werden. Dieses sollte die enge Verbundenheit mit dem Wittenberger Reformator und den Stolz, die eigene Konfession öffentlich ausleben zu können, zum Ausdruck zu bringen. Das Vorhaben, „dem unvergeßlichen Reformator ein Erzstandbild“1277 in Bielitz zu widmen, wurde am 10. November 1897 bei einer „Versammlung evangelischer Männer, Frauen und Mädchen“1278 aufgenommen. Neben der Veröffentlichung eines Spendenaufrufs wurde auf Antrag des örtlichen Pfarrers, Arthur Schmidt, beschlossen, „sich nicht mit einer Nachbildung eines bereits vorhandenen Denkmales zu begnügen, sondern die Errichtung eines Originalstandbildes […] anzustreben“1279. Es wurden drei Entwürfe eingereicht, die von Johann Rößner, dem 1273 Zur Geschichte dieses Lutherdenkmals nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Chojecka, Ewa: Pomnik Marcina Lutra w Bielsku – w poszukiwaniu pamięci i przesłania dziejów, in: ders. / u. a. (Hg.): Marmur dziejowy. Studia z historii sktuki, Posen 2002, 487–498. 1274 Der heutige polnische Name der Stadt lautet Bielsko-Biała. 1275 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib Nr.  985 (Schmidt, Arthur: Die Festtage in Bielitz. Zur Erinnerung an die achtunddreissigste Jahresversammlung des österreichischen Hauptvereines der evang. Gustav-Adolf-Stiftung und die Enthüllung des Lutherdenkmales, Bielitz 1900, 37). 1276 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 38). 1277 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 36). 1278 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 36). 1279 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 5).

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Nürnberger Künstler, der das Ascher Lutherdenkmal entworfen hatte, und von den Wienern Ernst Hegenbarth und Franz Vogl stammten, wobei sich der Denkmalverein für den Letztgenannten entschied. Die Kosten des Standbilds in Höhe von 7.000 Gulden konnten aufgrund der hohen Spendenbereitschaft der Bielitzer Bevölkerung innerhalb von drei Jahren gedeckt und dadurch das Lutherdenkmal am 8.  September 1900 eingeweiht werden. Hierfür hatte man den österreichischen Hauptverein der Gustav-AdolfStiftung eingeladen, sodass die Denkmalenthüllung in einem größeren öffentlichen Rahmen stattfinden konnte.1280 Das Lutherstandbild wurde im Sinne des Bildhauers Vogl „inmitten des Kirchplatzes vor der Kirche“1281 aufgestellt. Ein einfacher circa 2,60 Meter hoher Granitsockel trug die Inschrift Martin Luther1282. Auf diesem steht die talartragende Lutherfigur, bei der die Haltung der Bibel neu und individuell gelöst wurde. Der Reformator streckt seine beiden Arme nach vorne, hält mit der linken Hand die geschlossene Bibel, die rechte liegt hingegen auf dem Buch. So entsteht der Eindruck, als wolle Luther „mit der Linken dem Volke das theuere Bibelbuch“1283 reichen und es zugleich mit der Rechten beschützen. Ewa Chojecka sieht in der Bielitzer Lutherstatue das zentrale reformatorische Schlagwort sola scriptura verwirklicht, auch wenn die Interpretation dieses Standbilds noch über den theologischen Aspekt hinausreicht.1284So spiegelt das Standbild auch eine Erinnerung an das Berufen allein auf die Heilige Schrift und an das Bekennen des eigenen Glaubens wider. Demzufolge kann in dieser Darstellung Luthers eine Anspielung auf die Standhaftigkeit und die Treue zum lutherischen Bekenntnis der evangelischen Bielitzer Bevölkerung, die über Jahrhunderte hinweg in der Habsburgermonarchie einer bedrängten Situation ausgesetzt war, erkannt werden. Dies entspricht auch der Deutung des Lutherdenkmals bei dessen Einweihungsfeier am 8.  September 1900, was im Festbericht folgendermaßen beschrieben wurde: Da stand vor den Augen der ergriffenen Festtheilnehmer der gewaltige Gottesstreiter […] aufrufend die bebenden Herzen zur Nachfolge in Glaubenstreue und Glaubensmuth, zu rücksichtslosem Kampf für die reine Wahrheit des Evangeliums.1285

1280 Vgl. StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 5–7). 1281 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 6). 1282 Im Zuge der Restaurierung des Denkmals 1990 wurde der deutsche Name Luthers durch die polnische Übersetzung ersetzt. So steht heute am Sockel: Marcin Luter 1483–1546. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 272. 1283 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 6). 1284 Vgl. Chojecka: Pomnik, 495–496. 1285 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 11).

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Abb. 32: Lutherdenkmal in Bielitz, Franz Vogl.

Auch der Bielitzer Pfarrer nahm in seiner Festrede diesen Gedanken auf, indem er Luther als einen „gottgesandten Lehrer“1286 bezeichnete, der dazu ermahne, „unseren Vätern gleich zu bekennen Gottes Wort ohne jede Menschfurcht“1287. Zugleich dankte der schlesische Superintendent Theodor Haase in seinem Weihegebet, dass durch den österreichischen Kaiser Franz Joseph I. gewahrt würde, „daß wir unseren christlich-evangelischen Glauben offen bekennen“1288 können. Des Weiteren würdigte er, dass die zur evangelischen Kirche gehörenden Personen „nicht [mehr] als verfolgte Ketzer oder tolerierte Sektierer“1289 angesehen würden, „sondern als gleichberechtigte Bürger unseres großen, schönen österreichischen

1286 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 37). 1287 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 38). 1288 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 41). 1289 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 41).

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Vaterlandes“1290. Daher solle die gesamte Bevölkerung, „weß Glaubens dieselbe […] auch sein und in welcher Sprache sie […] beten“1291 möge, gesegnet sein.1292 Daraus könnte sich schließen lassen, dass im multilingualen und multikonfessionellen Österreich-Ungarn konfessionelle Auseinandersetzungen im Jahr 1900 keine bedeutende Rolle spielten. Dieser Eindruck wird zudem unterstrichen durch einen Artikel in der lokalen Zeitung, worin betont wurde, dass die Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins, in deren Rahmen auch die Einweihung des Lutherdenkmals stattfand, „keine Demonstration“1293 der evangelischen Konfession sei, sondern lediglich die „Pflege der eigenen religiösen Ueberzeugung“1294. Daher solle „[d]er confessionelle Friede wie er in Bielitz herrscht“1295 durch die Festtage nicht beeinträchtigt werden und kein „Misston“1296 erklingen, der „Spaltung und Zerklüftung an Stelle eines friedlichen Nebeneinanderwaltens“1297 setzen würde. Am Rande der Veranstaltung wurde allerdings auch deutlich, dass das harmonische Nebeneinander der christlichen Konfessionen in der Habsburgermonarchie nicht der Regelfall war. So berichtete Pfarrer Martin Modl in einem Vortrag im Anschluss an die Denkmalenthüllung, von Verleumdungen eines Grazer Jesuiten. Dieser hatte den Protestantismus als „Religion der Unzufriedenen“1298 bezeichnet und ihm sodann gänzlich abgesprochen, überhaupt eine Religion zu sein. Deshalb, so Pfarrer Modl, solle die 38. Jahresversammlung des Gustav-Adolf-Vereins und die Enthüllung des Lutherdenkmals zum Anlass genommen werden, die Anwesenden daran zu erinnern, dass sie alle „mit Luther feststehen [sollen] in dem unerschütterlichen Glauben“1299.1300 Dass nun das Hauptaugenmerk der Bielitzer Enthüllungsfeier nicht auf den konfessionellen Auseinandersetzungen lag, hing vor allem mit der gesellschaftlichen Zusammensetzung der Stadt zusammen. Der Anteil der lutherischen Bevölkerung lag lediglich bei 26%, sodass diese gegenüber den Katholiken und Katholikinnen, die 55% ausmachten, deutlich in der Minderheit waren. Das gemeinschafts- und identitätsstiftende Element der Bevölkerung war dementsprechend nicht die Kon1290 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 41). 1291 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 41). 1292 Vgl. Chojecka: Pomnik, 489. 1293 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665 Bielitz-Biala’er Anzeiger, o. N. (N. N.: Art. Ein Gruß zum Feste, in: Bielitz-Biala’er Anzeiger. Deutsch-fortschrittliches Organ 6 (1900) 674, 1). 1294 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665 Bielitz-Biala’er Anzeiger, o. N (N. N.: Gruß, 1). 1295 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665 Bielitz-Biala’er Anzeiger, o. N (N. N.: Gruß, 1). 1296 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665 Bielitz-Biala’er Anzeiger, o. N (N. N.: Gruß, 1). 1297 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665 Bielitz-Biala’er Anzeiger, o. N (N. N.: Gruß, 1). 1298 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 34). 1299 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 35). 1300 Vgl. StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 21–35).

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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fession, sondern die Herkunft. Um 1900 waren 84% der Bielitzer Bevölkerung deutschsprachig, sodass Bielitz im ansonsten polnisch geprägten Umland eine deutsche Sprachinsel bildete.1301 Offensichtlich wurde das deutsch-nationale Zugehörigkeitsgefühl zunächst im Stadtbild durch den Fahnenschmuck, denn „von den Flaggen-Masten herab grüßten vom Winde bewegt, die Farben schwarz-roth-gold, schwarz-gelb, weißroth (Lutherfarbe), blau-roth (Stadtfarbe) und blau-gelb (Gustav-Adolf Farbe)“1302. Es wehten also neben den schwarz-gelben Fahnen des österreichisch-ungarischen Staates, die zuerst genannten schwarz-rot-goldenen Flaggen, die insbesondere seit dem Hambacher Fest von 1832 zum Symbol für das bürgerliche Streben nach deutscher Einheit geworden waren. Durch die Verwendung dieser Fahnen im deutschstämmig geprägten Bielitz wurde die eigene deutsche Identität, die sich in erster Linie durch die gemeinsame deutsche Sprache und nicht durch Staatsgrenzen manifestierte, zum Ausdruck gebracht. Das heißt die deutsche Bevölkerung in Bielitz fühlte sich dem deutschen Volk, das nicht gleichzusetzen war mit dem Deutschen Kaiserreich, zugehörig. Zum anderen schwang eine politische Botschaft mit, nämlich die Sehnsucht nach einem großdeutschen Nationalstaat.1303 Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die von verschiedenen Vereinen und Gruppierungen am Lutherdenkmal niedergelegten Kränze, die fast alle „mit mächtigen schwarz-rot-goldenen Schleifen geziert“1304 waren. Diese waren Luther gewidmet als „[d]em Begründer des deutschen evangelischen Pfarrhauses […], dem Vater der deutschen Volksschule […], dem größten Deutschen und willensstärksten Manne […], dem Wiedererwecker des deutschen Volks und dem mächtigen Förderer der Erziehung der deutschen Jugend“1305, aber auch als „[d]em Retter der deutschen Sprache […], dem größten deutschen Volksmanne […] [und] dem größten deutschen Geisteshelden“1306. Die hier genannten Würdigungen Luthers waren insbesondere auf bürgerliche und gesellschaftliche Verdienste bezogen und verbanden die deutschsprechende Gemeinschaft. Dies betonte auch Pfarrer Schmidt in seiner Festrede, indem er Luther als den „kraftvollen Helden deutscher Nation“1307 beschrieb, der „den deutschen Stämmen 1301 Patryn, Ludwig: Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in Schlesien, Troppau 1912. 1302 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665, o. N. (N. N.: Art. Die Lutherfest-Tage in Bielietz, in: Bielitz-Biala’er Anzeiger. Deutsch-fortschrittliches Organ 6 (1900) 675, 1). 1303 Vgl. Wentzcke, Paul: Hoheitszeichen und Farben des Reiches. Wandlungen und Wanderungen deutscher Sinnbilder in Volk und Staat, Frankfurt/Main 1939, 91–95. 1304 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665, o. N. (N. N.: Lutherfest-Tage, 1). 1305 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 12–13). 1306 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 13–14). 1307 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 36).

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durch die Lutherbibel das einigende Band der Schriftsprache geknüpft“1308 hat. Weiter würdigte Schmidt ebenfalls die gesellschaftlichen Verdienste des Reformators um Schulbildung, Ehe und Familienleben, wodurch dieser „zur geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Hebung des deutschen Volkes unendlich viel beigetragen“1309 hat, wovon nicht nur der evangelische Teil der Bevölkerung, „sondern in gewisser Beziehung auch unsere katholischen Volksgenossen“1310 profitierten. Mit dieser Würdigung Luthers im Hinblick auf die Bedeutung der deutschen Sprache und der gesellschaftlichen Verdienste ähnelte die Deutung des Reformators bei der Bielitzer Einweihungsfeier der Interpretation beim Ascher Lutherstandbild 1883. Auch wenn bei der Enthüllung des böhmischen Luthers die Reichsgründung des kleindeutschen Nationalstaats erst wenige Jahre vollzogen war und im Jahr 1900 bei der Einweihung des Lutherdenkmals in Schlesien das Deutsche Kaiserreich und das Habsburgerreich bereits knapp drei Jahrzehnte eigenständig waren, fiel bei beiden Interpretationen die Betonung des eigenen Deutschseins auf. Luther diente dementsprechend als Identifikationsfigur für die eigene Herkunft und sprachliche Verbundenheit. Ein Unterschied zwischen der Ascher und der Bielitzer Einweihungsfeier war hingegen, dass bei letztgenannter die konfessionelle Abgrenzung zum Katholizismus hervortrat und zwar in Form eines Aufrufs zur Bewahrung des protestantischen Bekenntnisses. Der Bielitzer Bevölkerung wurde Luther „als ein treudeutscher, geistig hervorragender Volksmann“1311 im Denkmal präsentiert. Dieses stolze Bekennen der eigenen Konfession und das Darreichen der in die Muttersprache übersetzten Bibel spiegelt sich in der Bielitzer Lutherstatue wider, was einmal mehr verdeutlicht, dass das jeweilige Lutherbild im Denkmal zum Zeitpunkt seiner Errichtung in engem Zusammenhang mit der Situation des Aufstellungsortes stand.

3.4.5 Der immer wiederkehrende Wormser Luther Bereits im Kontext der entstandenen Lutherdenkmäler anlässlich des 400. Lutherjubiläums war auf die Vervielfältigungen und Nachahmungen der Wormser Lutherfigur hingewiesen worden. Zudem wurde die Rietschel Figur auch an und in Kirchengebäuden vor und nach der Jahrhundertwende aufgestellt.1312 Die nach der 1308 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 38). 1309 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 39). 1310 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 985 (Schmidt: Festtage, 38–39). 1311 StA Katowice – Bielsko-Biała, Bib. Nr. 2665, o. N. (N. N.: Gruß, 1). 1312 In diesem Zusammenhang soll ein weiterer Abguss der Wormser Figur von der Firma Lauchhammer erwähnt werden, der für die Lutherkirche in Breslau 1896 hergestellt wurde und als

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Jahrhundertwende hergestellten Repliken verdeutlichen zum einen die andauernde Beliebtheit dieser Lutherdarstellung und zum anderen lässt sich anhand dessen der weitere Weg der von Lauchhammer produzierten Abgüsse nachzeichnen. 3.4.5.1 Der deutsch-amerikanische Luther in St. Louis (1903) und Decorah (1911) Die erste Information über die Initiative am Concordia Lutherischen Seminar in St. Louis im amerikanischen Bundesstaat Missouri ein Lutherdenkmal zu errichten, findet sich in einem Schreiben vom Amerikanischen Konsulat in Leipzig an den Eisenacher Stadtrat vom 7. September 1896. Hierin wurde die Adresse der Gießerei, die das im Jahr zuvor eingeweihte Eisenacher Lutherdenkmal angefertigt hatte, angefragt. Zudem geht aus diesem Schreiben hervor, dass die geplante Standbilderrichtung in St. Louis in einem Zusammenhang mit der im Jahr 1897 anstehenden Feier des fünfzigjährigen Bestehens des lutherischen Seminars steht.1313 Zusätzlich lässt sich aus dieser Anfrage des Konsulats erkennen, dass hier bereits implizit der Plan anklang, auf eine Kopie einer bereits bestehenden Lutherstatue zurückzugreifen. Nach dem Tod Carl Ferdinand Wilhelm Walthers, dem Gründer des Concordia Seminars, im Jahr 1887 hatte sich in St. Louis aus Mitgliedern der lutherischen Gemeinde eine Dr. Luther-Walther-Denkmalgesellschaft gegründet. Diese sammelte in den darauffolgenden Jahren selbständig Spenden, da ihnen die Unterstützung der Missouri-Synode, das heißt der örtlichen Kirchenleitung, verwehrt worden war. Es gelang schließlich die benötigte Summe zu beschaffen, sodass die Kosten für die Bestellung eines Wormser Abgusses gedeckt waren. Ob ursprünglich, aufgrund der oben genannten Anfrage, mit einer Kopie des Eisenacher Lutherdenkmals geliebäugelt wurde, lässt sich nicht mehr nachverfolgen. Die Gesamtkosten einer Replik der Wormser Lutherstatue, die bereits 1884 nach Washington, D.C. geliefert und dort errichtet worden war, betrugen 4.000 $, wobei die Hälfte für die Statue und jeweils 1.000 $ für den Sockel und für den Transport von Lauchhammer nach St. Louis aufgewendet werden mussten. Am Nachmittag des 14. Juni 1903 konnte das Lutherstandbild in Gegenwart von zahlreichen Lutheranern und Lutheranerinnen schließlich eingeweiht werden. Auch hier, wie bei den Einweihungsfeiern von Lutherdenkmälern üblich, wurde das Lied Ein feste Burg gesungen und es wurden vier Reden gehalten. Pfarrer Herzberger hielt die englische Festrede und stellte die Bedeutung des Reformators für die Vereinigten Staaten von Amerika heraus. Mindestens eine Ansprache wurde

einzige bronzene Replik der Rietschel Statue an einem Kirchengebäude angebracht wurde. Üblicherweise wurde für die Statuen an den Kirchen Standstein statt Bronze verwendet. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 278. 1313 Vgl. LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.10, Bl. 142.

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auf Deutsch gehalten, sodass in St. Louis, ähnlich wie bei der Enthüllung des Washingtoner Monuments, nicht nur durch die aus Deutschland stammende Lutherstatue, sondern auch durch die Art der Enthüllungsfeier die enge Verbindung zwischen dem auf deutsche Auswanderer zurückgehenden Teil des amerikanischen Luthertums und dem Mutterland der Reformation erkennbar war.1314 Die Lutherstatuen für Washington und St. Louis blieben zwar die einzigen beiden Repliken, die aus den Originalformen der Wormser Lutherfigur in Deutschland gegossen und nach Amerika geliefert wurden, doch die amerikanische Rezeption der Rietschelschen Statue setzte sich dennoch weiter fort. Anlässlich des bevorstehenden fünfzigsten Jubiläums des Luther Colleges in Decorah im Jahr 1911 hatten Ehefrauen lutherischer Pfarrer und Professoren am Rande der Norwegischen Kirchensynode im Jahr 1903 die Idee, eine Statue für den Namensgeber der Ausbildungsstätte zu stiften. Dies war das erste Mal, dass ein Lutherdenkmal von Frauen initiiert wurde. Zuvor waren diese weder in den Denkmalkomitees vertreten, noch hatten sie eine aktive Rolle bei den Einweihungsfeierlichkeiten innegehabt. Nach weiteren Überlegungen gründete sich 1905 unter den Initiatorinnen ein Denkmalkomitee, dem die Frau des Präsidenten des Luther Colleges, Christian Keyser Preus, vorstand. Es wurde sich zunächst darum bemüht, ebenfalls eine Kopie der Wormser Lutherstatue aus Deutschland zu besorgen, allerdings wäre diese nicht rechtzeitig für die Feier zum fünfzigjährigen Bestehen geliefert worden. Stattdessen gelang es, die Erlaubnis für einen Gipsabdruck der Lutherfigur in St. Louis einzuholen. Die Flour City Ornamental Iron Works in Minneapolis produzierte demzufolge eine eigenständige Replik der Bronzestatue. Dieses Duplikat war nun die erste Lutherstatue, die in den Vereinigten Staaten hergestellt wurde und bei der es sich trotzdem um eine identische Kopie der Figur des Wormser Monuments handelte. Da die Initiatorinnen dem norwegisch-amerikanischen Luthertum angehörten und die Statue nicht aus Deutschland geliefert worden war, spielte der Bezug zur Heimat Luthers keine Rolle bei der Enthüllungsfeier. Stattdessen lag bei der

1314 Anschaulich wird dies zudem an dem Festredner, dem Professor für Kirchengeschichte August L. Graebner. Dieser wurde 1849 in Frankentrost, MI, einer kleinen von Wilhelm Löhe gegründeten Siedlung von deutsch-lutherischen Auswanderern, geboren. Er gehörte dadurch zur ersten Generation der Nachkommen deutscher Emigranten, die in den Vereinigten Staaten zur Welt kamen. Beim Initiator des Washingtoner Lutherdenkmals, Charles A. Schieren, sowie bei der Mehrzahl der Redner bei der Enthüllungsfeier 1884 handelte es sich noch um die Generation, die in Deutschland geboren und selbst ausgewandert war. Vgl. Fuerbringer, Ludwig: Art. The Luther Statue in Front of the Main Entrance to the Seminary in St. Louis, in: CHIQ 18 (1945) 2, 35–36; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 293–294.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Denkmaleinweihung, die, wie geplant, im Zuge des fünfzigjährigen Jubiläums am 14.  Oktober 1911 stattfand, das Hauptaugenmerk auf der Bedeutung des Lutherstandbilds für den Campus des Luther Colleges. Eine der Frauen, die die Errichtung des Denkmals mit organisiert hatte, wurde beauftragt, die Enthüllung des Standbilds vorzunehmen. Die Festrede hielt dann wiederum nicht eine der Vertreterin des Denkmalvereins, sondern Professor Johannes Ylvisaker vom Luther Seminar in St. Paul, Minnesota. Zunächst ging er auf die Rolle Luthers für die Kirche ein und betonte daran anschließend die Bedeutung der Frauen für die Kirche.1315 Daher solle die Lutherstatue alle Studenten daran erinnern, dass ihre Mütter zuhause für sie und das Wohl des Luther Colleges beten würden. Das heißt der Festredner würdigte zwar die Leistungen der Frauen im Bereich der Kirche, unterstrich aber zugleich das traditionelle Frauenbild, indem er über die Liebe, den Glauben und die Hingabe der Mutter sprach und somit das Bild einer frommen Mutter, deren Tätigkeitsbereich nicht die Öffentlichkeit, sondern das Private war, zeichnete.1316 Nachdem für die Figur des Reformators in Decorah eine eigene Gussform der Firma Flour City Ornamental Iron Works in Minneapolis hergestellt worden war, war die Möglichkeit weiterer Vervielfältigung in den Vereinigten Staaten gegeben. Dementsprechend folgten mindestens zwei weitere Repliken der Rietschel Figur in den Vereinigten Staaten, die vor dem College in St. Paul, Minnesota und 1923 auf dem Campus des Wartburg-Seminars in Dubuque, Iowa errichtet wurden.1317 Auch wenn diese Statuen nicht mehr aus Deutschland importiert wurden, stellte man sich doch durch die Errichtung der Repliken des Wormser Luthers in die Tradition des deutschen Luthergedächtnisses. Dies geschah in Washington und St. Louis bewusster als durch die Lutheraner norwegischer Abstammung in Decorah. Das Nebeneinander der Identifizierung mit der Heimat der Vorfahren einerseits und der eigenständigen amerikanischen Luthererinnerung andererseits, war nicht nur bei den amerikanischen Wormser Repliken erkennbar, sondern zeigte sich auch bei der Stiftung der Lutherstatue für die Gedächtniskirche in Speyer und den dortigen Reden. Erst das vom deutsch-amerikanischen Bildhauer Hans Schuler für Baltimore gestaltete und 1936 eingeweihte Denkmal war die erste individuelle Ausarbeitung

1315 „He spoke, however, mainly of woman’s work in the church and showed her great influence and achievements.” Preus, Christian Keyser: Art. The Luther Statue, in: College Chips 28 (1911) 8, 199. 1316 „He spoke of the mother’s love, faith, and devotion, thanking her for sending her best jewels, her sons, to Luther College.” Vgl. Preus: Luther Statue, 199; vgl. Bunge, Wilfred F. / Hull Mohr, Mary / Nimrod, Dale (Hg.): Transformed by the Journey. 150 Years of Luther College in Word and Image, Decorah 2011, 64–66. Zur Stellung der Frau im Bürgertum des 19. Jahrhunderts vgl. beispielhaft Karl: Geschichte, 18–20. 1317 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 292–294.

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eines Lutherstandbilds in den Vereinigten Staaten. Durch den ausdrücklichen Wunsch, eine neue Statue des Reformators zu entwerfen, könnte zunächst der Eindruck entstehen, dass sich hier ein eigenständiges amerikanisches Luthergedächtnis zu konstituieren begann. Bedingt durch den Ersten Weltkrieg hatte es Schmähungen gegenüber aus Deutschland stammenden Amerikanern gegeben, sodass auch in lutherischen Gemeinden die deutsche Identität zurückgegangen war. Doch Hartmut Lehmann zeigte, dass bei der Einweihungsfeier am 31. Oktober 1936 in Baltimore wiederum betont wurde, dass durch das Denkmal beabsichtigt wurde, den deutschen Nationalstolz unter deutsch-amerikanischen Lutheranern und Lutheranerinnen wieder neu aufleben lassen.1318 So ist auch das Lutherdenkmal in Baltimore Ausdruck einer deutsch-amerikanischen Identität.1319 3.4.5.2 Der zerstörte und wiederaufgefundene Luther in Görlitz (1904/1983) Neben den bisher besprochenen Repliken der Wormser Lutherstatue wurde die von Ernst Rietschel ausgearbeitete Figur noch für drei weitere Orte nachgegossen. Für die Rezeptionsgeschichte der Wormser Statue sind weniger die privat gestifteten Lutherdenkmäler in Prenzlau1320, das am 31. Oktober 1903 enthüllt wurde, und im sächsischen Kirchberg, welches am 1. Juli 1908 eingeweiht wurde, aussagekräftig als vielmehr das Görlitzer Standbild.1321 Die Errichtung des Lutherdenkmals in Görlitz stand in Zusammenhang mit dem Neubau der Lutherkirche, die 1901 eingeweiht wurde. Im Anschluss daran wurde die Kunstwelt aufgefordert, Entwürfe für ein Lutherdenkmal vor der Görlitzer Kirche zu entwerfen. Die genauen Umstände des Wettbewerbs bleiben zwar unklar, allerdings ist in erster Linie das Ergebnis der Ausschreibung der entscheidende und überraschende Aspekt. Es wurde kein neuer Entwurf ausgezeichnet, sondern stattdessen der erste Preis posthum Ernst Rietschel zugesprochen.1322 1318 Vgl. Lehmann: Luthergedächtnis, 100–109. 1319 Ob dies schließlich auch noch für das ebenfalls von Hans Schuler entworfene und nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1947 eingeweihte Lutherdenkmal auf dem Campus des Lutherischen Seminars in Gettysburg galt, müsste noch überprüft werden. 1320 Das Besondere des Prenzlauer Lutherdenkmals ist, dass dieses auf dem Marktplatz zu einem Ensemble von insgesamt sechs Standbildern gehörte, die alle vom Prenzlauer Ehrenbürger Witt gestiftet wurden. Neben Luther kamen nur noch politische Vertreter, wie u. a. Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm I. zur Aufstellung. Zum Prenzlauer Lutherdenkmal vgl. Dorgerloh, Annette: Prenzlau. Denkmal für Martin Luther. Heldenverehrung und eigene Memoria. Das Prenzlauer Luther-Denkmal und sein Stifter, in: Neuhäuser, Simone (Hg.): Luther und die Folgen. Reformation in Brandenburg, Straßfurt 2017, 162–168; vgl. Theil, Jürgen: Reformator Martin Luther steht wie eine fest Burg?, in: Heimatkalender Prenzlau 60 (2017), 55–63. 1321 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 154–155, 209. 1322 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 121–122.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Neben den zahlreichen Repliken und Nachahmungen unterstrich die Wettbewerbsauszeichnung in Görlitz noch einmal auf eine besondere Art und Weise, die Autorität und anhaltende Beliebtheit der Lutherfigur Rietschels auch knapp 40 Jahre nach ihrer ursprünglichen Errichtung in Worms. Der von der Firma Lauchhammer angefertigte Abguss wurde schließlich im Jahr 1904 enthüllt und so zierte der Namenspatron der Lutherkirche zunächst bis 1942 den kleinen Platz vor dem Haupteingang. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Görlitzer Lutherdenkmal „beschlagnahmt und zum Einschmelzen zu Rüstungszwecken abtransportiert“1323, sodass diesem dasselbe Schicksal ereilte, wie vielen weiteren (Luther-)Denkmälern. Neben dem Wettbewerbsgewinn Rietschels ist für die Wirkungsgeschichte des Wormser Luthers weiter interessant, dass sich anlässlich des 500. Lutherjubiläums 1983 ein Förderkreis bildete und das Ziel verfolgte, wieder ein Standbild des Reformators am ursprünglichen Standort vor der Lutherkirche zu errichten. Nach intensiven Bemühungen des Vorsitzenden des Vereins, dem Westberliner Architekten Wolfgang Liebehenschel, konnten die alten, beschädigten Originalgussformen wiedergefunden und restauriert werden. So wurde 115 Jahre nach der Einweihung des Wormser Luthermonuments am 30. Oktober 1983 in Görlitz eine Originalkopie aufgestellt in der Hoffnung, dass „dieses neue Denkmal nun ‚seinen angestammten Platz in einer friedlichen Zukunft behalten möge‘“1324. Diese Replik scheint die letzte Abformung der von Ernst Rietschel ausgearbeiteten Statue zu sein. Dass diese Wiedererrichtung des Lutherdenkmals nicht unumstritten war, zeigt die Festpredigt des Bischofs Hanns-Joachim Wollstadt, in der er „die Frage nach dem Sinn und der Bedeutung eines Lutherdenkmals im Jahre 1983 [stellte] und […] vor drei möglichen Mißverständnissen“1325 warnte. So sei es nicht die Absicht, „Luther als einen Glaubenshelden zu feiern, ihn zum Kirchenstifter machen zu wollen und in ihm ein Nationalsymbol zu sehen“1326, sondern der eherne Reformator mit der Faust auf der Bibel vor dem Eingangsportal der Kirche soll einladen „zur Versammlung der Gemeinde unter Gottes Wort“1327. Hieran lässt sich bereits ein anderer Umgang mit Lutherdenkmälern in der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts erahnen. Zugleich veranschaulichte die Einweihungsfeier des Görlitzer Standbilds aber auch die Zeitgebundenheit jeder Lutherrezeption. Dies soll hier lediglich anhand der Rede des Görlitzer Oberbürgermeisters angedeutet werden. 1323 LkA Eisenach, 21–003 Generalakten, Nr. A 881–26 Lutherjubiläum 1983 u. a., o. N. (Presseinformation vom 2.11.1983). 1324 LkA Eisenach, 21–003, Nr. A 881–26, o. N. (2.11.1983). 1325 LkA Eisenach, 21–003, Nr. A 881–26, o. N. (2.11.1983). 1326 LkA Eisenach, 21–003, Nr. A 881–26, o. N. (2.11.1983). 1327 LkA Eisenach, 21–003, Nr. A 881–26, o. N. (2.11.1983).

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Dieser würdigte Luther und die Reformation als einen „wesentlichen Bestandteil der beginnenden frühbürgerlichen Revolution“1328, die „den gesellschaftlichen Fortschritt“1329 brachte. Damit entsprach der Görlitzer Festredner dem von Erich Honecker als Vorsitzender des Lutherkomitees der DDR postulierten und dem in den 1881 veröffentlichten 15 Thesen über Martin Luther niedergeschriebenen Geschichtsbild.1330

3.4.6 Luther und der Thesenhammer in Brieg (1905), Cottbus (1910) und Reichenbach (1911) Neben den Kopien des Wormser Luthers wurde bereits ersichtlich, dass bei den um die Jahrhundertwende errichteten Lutherdenkmälern auch neue, individuelle Darstellungen des Reformators gefunden wurden. Dabei galt, außer bei der Lutherstatue in der Wittenberger Schloßkirche, die Bibel weiterhin als ein essentielles Accessoire. Anders verhält es sich bei den Standbildern in Brieg, Cottbus und Reichenbach, die aus der Reihe der Lutherdenkmäler deshalb herausstechen, da bei ihnen das Motiv der Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517 gewählt wurde. Um die Historizität des Thesenanschlags Luthers wurde in der Mitte des 20.  Jahrhunderts kontrovers gestritten, wodurch an der kollektiven Erinnerung, die sich seit der Mitte des 19.  Jahrhunderts gefestigt hatte, gerüttelt wurde.1331 Der Prozess dieser Gedächtnisbildung vor 1900 bildete den ideengeschichtlichen Kontext für das Motiv des Thesenhammers am Denkmal. Henrike Holsing analysierte die Darstellungen Luthers in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts und stellte fest, dass zu Beginn des Jahrhunderts Luther keineswegs als der thesenanschlagende Mönch gezeigt wurde. Vielmehr war es zunächst „nicht Luther selbst,

1328 LkA Eisenach, 21–003, Nr. A 881–26, o. N. (2.11.1983). 1329 LkA Eisenach, 21–003, Nr. A 881–26, o. N. (2.11.1983). 1330 Zur Lutherrezeption im geteilten Deutschland anlässlich des Jubiläums 1983 vgl.  Wendebourg: So viele Luthers, 211–244, insbesondere 221–227; vgl. Bräuer, Siegfried: Martin Luther in marxistischer Sicht von 1945 bis zum Beginn der achtziger Jahre, Leipzig 1983; vgl.  Lehmann: Luthergedächtnis, 267–270. 1331 Die Argumentation gegen die Historizität des Thesenanschlags war geprägt durch Iserloh, Erwin: Luthers Thesenanschlag. Tatsache oder Legende? Vortrag gehalten am 8. November 1961, Wiesbaden 1962. Die Gegenposition lässt sich nachverfolgen bei Bornkamm, Heinrich: Thesen und Thesenanschlag Luthers. Geschehen und Bedeutung, Berlin 1967. Die Debatte, die in den 2000er Jahren noch einmal geführt wurde, sowie die Wirkungsgeschichte des Thesenanschlags wird dargestellt in: Ott, Joachim / Treu, Martin (Hg.): Luthers Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 9), Leipzig 2018.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

 331

der die Thesen anschlägt, sondern ein Gehilfe“1332. So auch bei einem Entwurf aus dem Jahr 1808 von Johann Gottfried Schadow für ein geplantes, aber nicht umgesetztes Relief am Sockel des Wittenberger Lutherdenkmals.1333 Dies entsprach einer authentischen Darstellung, da die Universitätsprofessoren im 16.  Jahrhundert nicht selbst ihre Disputationsthesen an der Schlosskirche anbrachten. In der Jahrhundertmitte setzte „sich zunehmend die Version Luthers mit dem Hammer in der Hand“1334 durch, bestimmte seitdem die Erinnerung an die Veröffentlichung der 95 Thesen und war zugleich „eine Erfindung […] der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“1335. Besonders prägend für die Ikonographie des Thesenanschlags waren in diesem Zusammenhang das 1871/72 entstandene Gemälde von Ferdinand Pauwels und die 1902 oder 1903 gemalte Darstellung von Hugo Vogel. Auffällig ist bei beiden, dass sie den Reformator im Moment der Tat darstellen, wodurch der Akt der Thesenveröffentlichung „ungemein an Symbolkraft“1336 gewann und Luther „nicht mehr primär als ‚Gelehrter‘ erschien, sondern als ‚Tatmensch‘“1337.1338 Auch im Kontext der Lutherdenkmäler wurde in den 1860er Jahren der Moment des Thesenanschlags aufgenommen, allerdings nicht durch die Lutherstatue, sondern am Sockel. So findet sich unter den Reliefs am Lutherstandbild in Möhra und Worms jeweils eine Darstellung des vermeintlichen Ereignisses des 31.  Oktobers 1517. Luther, umgeben von anderen Menschen, trägt Mönchskutte und Tonsur und hält in der einen Hand einen Hammer und drückt mit der anderen das Thesenpapier an die Kirchentür. Bei der Abbildung Luthers bei Reliefdarstellungen sahen sich die Künstler genauso der Historizität verpflichtet wie in der Historienmalerei, weshalb hier die Darstellung Luthers als Mönch wenig überrascht. Bei den öffentlichen Denkmalstatuen war eine Umsetzung des Reformators als Mönch seit der Diskussion zum Wormser Monument im 19. Jahrhundert als unpassend empfunden worden. So stellten trotz des Rückgriffs auf die Veröffentlichung der Thesen die Lutherfiguren in Brieg, Cottbus und Reichenbach den Reformator 1332 Holsing: Luther, 373. 1333 Zum Reliefentwurf des Wittenberger Denkmals vgl.  Holsing, Henrike: Luthers Thesenanschlag im Bild, in: Ott, Joachim / Treu, Martin (Hg.): Luthers Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 9), Leipzig 2018, 152–153. 1334 Holsing: Luther, 388. 1335 Holsing: Luther, 388. 1336 Holsing: Luther, 373. 1337 Leppin, Volker: ‚Nicht seine Person, sondern die Wahrheit zu verteidigen‘. Die Legende vom Thesenanschlag in lutherischer Historiographie und Memoria, in: Schilling, Heinz (Hg.): Der Reformator Martin Luther 2017. Eine wissenschaftliche und gedenkpolitische Bestandsaufnahme (Schriften des Historischen Kollegs 92), Berlin/München/Boston 2014, 100. 1338 Vgl. Leppin: Legende, 97–103; vgl. Holsing: Luther, 372–389.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 33: Relief Thesenanschlag am Lutherdenkmal in Möhra, Ferdinand Müller.

im Talar dar, um die Wiedererkennbarkeit Luthers, aber auch eine Identifizierung mit diesem zu ermöglichen. Eine einzigartige Ausnahme ist hierbei die 1905 von Harro Magnussen ausgearbeitete Plastik, die Luther als Mönch mit einem Hammer und seinen Thesen vor einer Tür darstellen. Dieses Kunstwerk war allerdings ursprünglich kein freistehendes Denkmal, sondern wurde über dem Portal der Lutherkirche in Hamburg angebracht.1339 Bei den drei zwischen 1905 und 1911 eingeweihten Lutherstandbildern, die den Reformator mit Hammer und Thesenrolle zeigten, handelte es sich um drei individuelle Denkmalausführungen. Das erste Standbild mit dem Thesenanschlag-Motiv wurde in Brieg am 10. November 1905 vor der Nikolaikirche im Beisein städtischer und evangelischer Repräsentanten enthüllt und war vom dortigen Lutherverein initiiert und innerhalb von drei Jahren umgesetzt worden. Die Bronzeskulptur zeigte den Reformator im Talar und mit Barett in dem Moment, in dem „er die Stufen zur Wittenberger Schloßkirche emporsteigt, um die Thesen an die Tür anzuschla-

1339 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 136. Eine weitere Statue Luthers in Mönchskutte findet sich seit 1913 an der Hoffnungskirche in Berlin-Pankow. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 66.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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gen“1340. Dies wurde von Robert Hannig künstlerisch durch eine angedeutete Treppenstufe, auf der Luthers linker Fuß stand, angedeutet. Die Thesenrolle hielt Luther mit der linken Hand gut sichtbar vor seiner Brust, der Hammer in der rechten Hand war hingegen noch nicht erhoben. Auffällig war zudem Luthers erhobener, visionär in die Ferne gerichteter Blick, der typisch für viele Standbilder des Reformators ist, hier aber besonders hervorsticht, da nicht nur der Thesenanschlag dargestellt werden sollte, „sondern der weltgeschichtliche Luther“1341 in der Gesamtheit seines Wirkens. Diese Absicht wurde zudem dadurch unterstützt, dass der Reformator eben nicht, wie dies bei den Reliefs an den Denkmalsockeln in Worms und Möhra der Fall gewesen war, mit erhobenem Hammer und im Moment der Tat dargestellt wurde, sondern unmittelbar davor. So strahlte die Lutherfigur zwar Entschiedenheit und Entschlossenheit aus und doch zugleich keinen Aktionismus.1342 Ähnlich verhält es sich auch bei dem Cottbuser Lutherdenkmal aus Sandstein, das von Heinrich Götschmann ausgearbeitet und im März 1910 vor dem neuerbauten königlichen Lehrerseminar errichtet wurde. Es gibt Luther ebenfalls nicht beim Thesenanschlag selbst wieder, sondern verweist lediglich durch die seitlich am Körper gehaltenen Gegenstände, den Hammer und die Schriftrolle, auf die angebliche Tat vom 31.  Oktober 1517 und ihre Bedeutung für den Fortgang der Reformation. Gegenüber dem Brieger Lutherstandbild fallen die betont jugendlichen und weichen Gesichtszüge und der nahezu faltenfreie Talar auf, sodass die Cottbuser Statue noch mehr den innerlichen Geisteshelden als den zur Tat schreitenden Reformator verkörperte.1343 In Bezug auf die Brieger und die Cottbuser Lutherfigur lässt sich zunächst festhalten, dass das Bild vom thesenanschlagenden Luther, welches insbesondere durch die Historienmalerei geprägt worden war, nach der Jahrhundertwende auch in der Bildhauerkunst angekommen war. Zugleich wurde allerdings deutlich, dass bei den Denkmälern, anders als bei den Gemälden, nicht die Tat an sich, sondern der Augenblick vorher dargestellt wurde. Somit wurde der Reformator im Stand-

1340 Müller, Johann Hermann: Lutherdenkmäler in Schlesien, in: Schlesischer Hauptverein des Evangelischen Bundes (Hg.): Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Evangelischen Bundes in Schlesien, Breslau 1937, 36. 1341 Müller: Lutherdenkmäler, 36. 1342 Vgl.  Müller: Lutherdenkmäler, 36; vgl.  Irrgang, Werner: Neuere Geschichte der Stadt Brieg 1740–1980, Goslar 1980, 128, 317; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 273. 1343 Vgl.  die vom StadtA Cottbus bereitgestellten Zeitungsartikel: N. N.: Art. StadtverordnetenVersammlung, in: Cottbuser Anzeiger (3.11.1909) Nr. 260; N. N.: Art. Lokales, in: Cottbuser Anzeiger (19.03.1910) Nr.  66; N. N.: Art. H. Goetschmann schuf Lutherstandbild, in: Cottbuser Zeitung (10.1987) Nr. 5, 24.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 34: links: Lutherdenkmal in Brieg, Robert Hannig, Mitte: Lutherdenkmal in Cottbus, Heinrich Götschmann, rechts: Lutherdenkmal in Reichenbach, Paul Schulz.

bild weniger als „Mann der Tat“1344 als vielmehr als „Geistesheros“1345 charakterisiert. Dies könnte zum einen mit der unterschiedlichen Bedeutung und Öffentlichkeit eines Denkmals im Gegensatz zu einem Gemälde zusammenhängen und zum anderen verweist das Motiv des Thesenanschlags bereits auf das 1917 anstehende 400. Reformationsjubiläum. Das dritte Lutherdenkmal mit dem Motiv des Thesenanschlags, das lediglich 60 Kilometer westlich vom Brieger Standbild im schlesischen Reichenbach errichtet wurde, unterschied sich in der Aussagekraft erheblich von den beiden zuvor genannten Denkmälern. War Luther in Brieg bereits auf der angedeuteten Treppenstufe der Schlosskirche und in Cottbus aufrecht und feststehend dargestellt worden, so zeigte das Reichenbacher Denkmal einen sehr dynamischen Reformator. Durch die Kleidung und durch die Thesenrolle in der linken und den Hammer in der rechten Hand ähnelte die Reichenbacher Lutherstatue zwar den beiden vorherigen Skulpturen des Reformators, doch zugleich gab es Abwandlungen. Am bedeutendsten war die Haltung Luthers, da dieser im Augenblick des zügigen 1344 Holsing: Luther, 373. 1345 StadtA Cottbus, N. N.: Art. Lokales, in: Cottbuser Anzeiger (19.03.1910) Nr. 66.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Voranschreitens dargestellt wurde. Dieser Effekt wurde durch die Schrittstellung des Reformators erzielt und dadurch verstärkt, dass die rechte Ferse schon nicht mehr den Sockel berührte, sodass Luther schon zum nächsten Schritt ansetzte. Die Laufbewegung spiegelte sich auch im nach vorne gebeugten Oberkörper und der halb aufgerollten, flatternden Thesenrolle wider, sodass der Eindruck entstand als würde der Reformator eilend, aber zielstrebig voranschreiten. Die ernsten und kantigen Gesichtszüge durch die der Künstler „von der üblich gewordenen Auffassung des Lutherbildes“1346 abwich, rundeten das Gesamtbild dieser Statue ab. Ein 1910 veröffentlichter Spendenaufruf in Reichenbach stieß auf große Unterstützung beim evangelischen Teil der örtlichen Bevölkerung, sodass innerhalb eines Jahres über 10.000 Mark gesammelt waren und somit „die Kostenfrage schnell gelöst“1347 war. Ausschlaggebend für die hohe Spendenbereitschaft und die zügige Umsetzung der Denkmalpläne war die am 26. Mai 1910 veröffentlichte, antireformatorische Borromäus-Enzyklika, „die voll von Schmähungen des Protestantismus war und den berechtigten Widerspruch aller Evangelischen herausfordern mußte“1348. Die durch die päpstliche Veröffentlichung hervorgerufene, angespannte konfessionelle Situation, bestimmte nicht nur die Denkmalpläne, sondern auch die Diskussion um den passenden Aufstellungsort in Reichenbach.1349 Nachdem ursprünglich die Aufstellung „einer in einer Denkmalsfabrik vorrätigen Lutherstatue“1350 geplant gewesen war, entschieden sich die Verantwortlichen, unter Leitung des örtlichen Pfarrers Obst, auf Anraten des Breslauer Kunstgewerbemuseums doch für ein individuelles Standbild, das vom Breslauer Nachwuchsbildhauer Paul Schulz ausgearbeitet wurde. Die bereits beschriebene Statue, die Luther „mit weit ausgreifendem Schritt der Kirche“1351 entgegen schreitend zeigte, sollte auf Wunsch der evangelischen Kirchengemeinde durch einen angemessenen Standort voll zur Wirkung kommen. Doch der ins Auge gefasste Platz „führte im Stadtparlament und in der Oeffentlichkeit bald zu unerquicklichen Auseinandersetzungen“1352 zwischen den christlichen Konfessionen. Hintergrund hierfür war, dass in unmittelbarer Nähe des anvisierten Aufstellungsortes „seit nahezu 200 Jahren die Statue des St. Nepomuk“1353, das heißt eines katholischen Heiligen, 1346 Müller: Lutherdenkmäler, 36. 1347 Müller: Lutherdenkmäler, 36. 1348 Müller: Lutherdenkmäler, 36. 1349 Neben dem Reichenbacher Lutherdenkmal wurden auch die Pläne für ein Standbild des Reformators in Nürnberg und Stuttgart unmittelbar beeinflusst durch die Borromäus-Enzyklika. Vgl. Abschnitt 3.5.1 und 3.5.4. 1350 Müller: Lutherdenkmäler, 36. 1351 Hasse, Erich: Chronik der Stadt Reichenbach im Eulengebirge, Reichenbach 1929, 257. 1352 Hasse: Chronik, 257. 1353 Hasse: Chronik, 257.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

stand. Neben den unterschiedlichen konfessionellen Ansichten und dem Wirkungsverlust, den die beiden nebeneinanderstehenden Denkmäler hervorgerufen hätten, wurde von städtischer Seite auch die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, für die Ablehnung des gewünschten Standorts aufgeführt. So wurde schließlich entschieden, dass weder das Nepomukdenkmal an seinem ursprünglichen Platz stehen bleiben, noch das Lutherstandbild dort errichtet werden dürfte.1354 Letztlich konnten die evangelischen Reichenbacher für ihr Lutherdenkmal zwar nicht ihren zuerst gewünschten Aufstellungsort durchsetzen, doch muss die Umsetzung des katholischen Heiligen vom öffentlichen Standort inmitten der Stadt zu einem weniger zentralen Platz auf kirchlichem Grund als Zurückdrängung der katholischen Erinnerungskultur und somit als Erfolg der protestantischen Interessen angesehen werden. Zusätzlich sollte der der Kirche entgegen eilende, eherne Luther zu einem Zeichen des Protests der evangelischen Bevölkerung in Reichenbach gegen die Anfeindungen von Seiten der katholischen Kirche werden. Das wurde bei der Enthüllung des Standbilds am 31. Oktober 1911 „unter starker Beteiligung aller evangelischen Kreise“1355 gefeiert. So wurde knapp 400 Jahre nach Luthers angeblichem Thesenanschlag dieser im Denkmal durch Hammer und Thesenrolle aufgegriffen, um wiederum Kritik an der katholischen Kirche zu üben. Für alle drei Lutherdenkmäler gilt, dass durch das Aufgreifen des Hammers als Utensil eine verstärkt kämpferische Aussage mitschwang, die sich zwischen dem 1905 in Brieg und dem 1911 in Reichenbach eingeweihten Denkmal deutlich steigerte. Es kann zugleich als Hinweis auf das nach der Jahrhundertwende zunehmende spannungsvolle Verhältnis zwischen Katholizismus und Protestantismus im Deutschen Kaiserreich gesehen werden, welches in den Jahren 1910 und 1911 seinen Höhepunkt erreicht hatte. Nachdem der in Reichenbach dargestellte stürmische Reformator in erster Linie hinsichtlich der konfessionellen Situation zu interpretieren war, wird sich beim Mansfelder Lutherbrunnen zeigen, dass sich mit dem Hammer am Vorabend des Ersten Weltkriegs immer mehr auch eine politische Deutung verband.1356 Die Darstellung Luthers beim Thesenanschlag, welche durch die Historienmalerei geprägt worden war und bis heute trotz der strittigen Frage nach der Historizität im kollektiven Gedächtnis verwurzelt ist, wurde zwar auch im Denkmal aufgegriffen, doch sind diese Standbilder heute nahezu unbekannt. Dies liegt zum einen daran, dass die benachbarten Monumente in Brieg und Reichenbach nach Ende des Zweiten Weltkriegs als „deutsche […] Denkmäler […]“1357 zerstört wurden 1354 Vgl. Müller: Lutherdenkmäler, 36; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 273–274. 1355 Hasse: Chronik, 257. 1356 Vgl. Abschnitt 3.5.2. 1357 Irrgang: Geschichte, 317.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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und somit nur noch die Cottbuser Lutherfigur existiert. Diese war zwar zwischenzeitlich – zwischen Ende der 1960er und 1983 – eingelagert und erst anlässlich des 500. Lutherjubiläums wieder aufgestellt worden, doch zugleich fehlt an dieser seit Januar 1984 der Hammer.1358

3.4.7 Der faustballende Luther in Hamburg (1912) Neben dem Thesenhammer evoziert die geballte Faust des Reformators eine angespannte, kämpferische Wirkung des Denkmals. Nach der Wormser Statue und dem Luther in Speyer findet sich nun ein weiteres Mal die Faust am Hamburger Lutherdenkmal. 3.4.7.1 Das Lutherstandbild als Lückenbüßer an der Seite des Michels Als am 3. Juli 1906 Rauchwolken über der Hamburger St. Michaeliskirche aufstiegen, war die Bevölkerung der Hansestadt schockiert. Ihr Wahrzeichen brannte und „um 3 Uhr 7 Minuten sank […] [der Kirchturm] mit donnergleichem Krach in sich zusammen, während ein allgemeiner Schrei des Entsetzens […] die Luft erfüllte“1359. Unmittelbar danach war klar, dass der Michel wiedererrichtet werden sollte und eine Gemischte Kommission zur Wiederherstellung der Großen St. Michaeliskirche bestehend aus Vertretern der Hamburger Bürgerschaft und des Senats wurde eingesetzt und staatliche Gelder wurden zur Verfügung gestellt. Es gehe nämlich beim Wiederaufbau „nicht nur darum […], der großen St. Michaelisgemeinde ihr Gotteshaus, sondern zugleich auch der Stadt eines ihrer hervorragenden Baudenkmäler wiederzugeben“1360. Das heißt, nicht die Kirchengemeinde, sondern das politische Gremium war Bauherr und entscheidungsberechtigt im Hinblick auf die innere und äußere Ausgestaltung der Kirche.1361

1358 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 273–274; vgl. die vom StadtA Cottbus bereitgestellten Artikel: N. N.: Art. H. Goetschmann schuf Lutherstandbild, in: Cottbuser Zeitung (10.1987) Nr. 5, 24; Lehm, Christian: Art. Das Lutherdenkmal vor dem Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus, in: Gemeindebrief Evangelische Lutherkirchgemeinde Cottbus, Frühjahr 2017. 1359 StA Hamburg, 132–1 I Senatskommission für die Reichs- und auswärtigen Angelegenheiten I, Nr. 3484 Einweihungsfeier der neu erbauten Michaeliskirche am 19.02.1912, Bl. 115 (Art. Der Brand am 3. Juli 1906, in: Hamburger Correspondent (19.10.1012) 534). 1360 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096 Senats- und Bürgerschaftskommission für den Wiederaufbau, o. N. (Zweiter Bericht der Senats- und Bürgerschaftskommission für den Wiederaufbau der Großen St. Michaeliskirche vom 9.02.1907, 3). 1361 Vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, o. N. (Zweiter Bericht, 3); vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1101 Wiederaufbau 2, o. N. (Aufruf für die St. Michaelis-

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Die zentrale Frage, die sich zunächst stellte und kontrovers diskutiert wurde, betraf die Art des Wiederaufbaus. Sollte die St. Michaeliskirche nach alten Plänen oder als Neubau wieder errichtet werden? Der Architekt Cornelius Gurlitt, der um 1900 unter anderem die Denkmalflut missbilligt hatte, kritisierte die Stimmen, die den „alte[n] Michel […] wieder lebendig“1362 haben und „die Kirche so wie sie war“1363 wieder fertig stellen wollten. Demgegenüber gab es verschiedene Sachverständige, die eine originalgetreue Rekonstruktion insbesondere des stadtbildprägenden Turms wünschten.1364 Folglich standen sich die vom Historismus geprägten und im 19. Jahrhundert verwurzelten Ansichten und die progressiven, statt Nachahmung vergangener Zeiten einen „eigenen Kunstausdruck“1365 anstrebenden Haltungen gegenüber. Diese zwei Positionen blieben nicht nur auf architektonische Stilfragen beschränkt, sondern äußerten sich auch im Hinblick auf die allgemeine Bedeutung von Denkmälern.1366 Es wurde schließlich entschieden, statt einem Neubau die Wiederherstellung der zerstörten Kirche anzustreben und dabei „die frühere Raumbildung und Formensprache beizubehalten“1367. Daran hatten sich im Jahre 1909 auch die Künstler, die am „Wettbewerb für die bildhauerischen Arbeiten im Innern der Kirche“1368 teilnahmen, zu orientieren.1369 Nachdem die Dekoration des Inneren Fortschritte machte, wurde ab November 1910 über die Ausgestaltung des Kirchplatzes diskutiert. Hierzu arbeiteten die beiden Baumeister Schumacher und Sperber jeweils einen Entwurf aus, die beide in der 25. Sitzung der Senats- und Bürgerschaftskommission am 8. April 1911

Kirche vom 7.07.1906); vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 428 Wiederaufbau, o. N. (Vertrag mit den Kirchenbaumeistern vom 9.04.1907). 1362 Gurlitt, Cornelius: Art. Cornelius Gurlitt für den modernen Wiederaufbau der Großen St. Michaeliskirche in Hamburg, in: CKBK 49 (1907) 4, 120. 1363 Gurlitt: Wiederaufbau, 120. 1364 Die verschiedenen Positionen spiegelten auch das Ergebnis einer Umfrage der Zeitschrift Hamburg wider. Vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 26 Wiederaufbau, o. N. (N. N.: Art. Neubau oder Nachbau der Michaeliskirche?, in: Hamburger Correspondent (31.01.1907) 55). 1365 Gurlitt: Wiederaufbau, 121. 1366 Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.4 oder die Diskussion um den Bedeutungsverlust von Denkmälern im Zuge des Hannoveraner Luthermonuments. Ähnlich zeigen sich diese gegensätzlichen Meinungen nochmals im Zuge der Denkmalpläne in Stuttgart. 1367 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr.  1096, o. N. (Bericht, betreffend Kostenanschlag für die Wiederherstellung der St. Michaeliskirche 31.01.1907, 7). 1368 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, o. N. (Wettbewerb für die bildhauerischen Arbeiten im Innern der Kirche). 1369 Zum Wiederaufbau der St. Michaeliskirche zwischen 1906 und 1912 vgl. Frank, Joachim W.: Der Michel brennt! Die Geschichte des Hamburger Wahrzeichens, Bremen 2006, 163–181.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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besprochen wurden.1370 In dem von Fritz Schumacher eingereichten und angenommenen Vorschlag findet sich nun erstmals im Kontext des Wiederaufbaus die Idee für ein Lutherdenkmal vor dem Michel. Es hatte zwar schon seit 1883 den Wunsch für ein Hamburger Lutherdenkmal gegeben, allerdings war ein solches freistehendes Standbild Luthers im Gegensatz zu einem 1885 errichteten Bugenhagendenkmal nicht umgesetzt worden.1371 Dass statt dem Wittenberger Reformator dem Reformator Norddeutschlands ein Denkmal errichtet worden war, zeigt einmal mehr, dass ein lokaler Zusammenhang zwischen Aufstellungsort und der im Standbild zu ehrenden Person seit den 1880er Jahren ein wichtiger Faktor für die Denkmalsetzungen gewesen war. Das Besondere an dem Vorschlag zur Aufstellung eines ehernen Luthers war nun, dass zum einen das Standbild angeregt wurde, weil an der Nordseite des Kirchturms ein freier Platz war, den es zu schmücken galt und zum anderen, dass von Anfang an ein konkretes, bereits bestehendes Modell ins Auge gefasst wurde. Der im Rahmen der Innengestaltung tätige Bildhauer Otto Lessing besaß „eine vortreffliche kleine Statuette Luthers, die er früher bei einer Konkurrenz angefertigt […] [hatte], die aber nicht zur Aufstellung gekommen“1372 war.1373 Obwohl der Ideengeber des Standbilds, Baudirektor Schumacher, zunächst vorsah, die finanziellen Mittel „durch private Sammlungen“1374 einzuwerben, entschied die gemischte Kommission, das Lutherdenkmal in den Antrag zur Gestaltung des Außenbereichs aufzunehmen und vom Hamburger Senat und der Bürgerschaft genehmigen und finanzieren zu lassen.1375 Der Senat stimmte den Vorschlägen der Kommission inklusive des Lutherdenkmals zu, in der Bürgerschaftssitzung am 3. Juli 1911 löste das geplante Standbild hingegen eine rege Diskussion aus. Ein Abgeordneter war der Meinung, dass „es

1370 Vgl.  Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr.  1096, Bl. 167–171 (Protokoll vom 8.04.1911, § 241 Umgebung der Kirche). 1371 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 133–134. 1372 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 169. 1373 Vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 169–170; vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 58 Außenanlage, o. N. (Bericht betreffend Ausgestaltung des Kirchenplatzes der St. Michaeliskirche von Fritz Schumacher vom 16.01.1911). Unklar bleibt, für welchen Wettbewerb Lessing das Modell entworfen hatte. Möglich wären die Eislebener Konkurrenz 1876 oder noch wahrscheinlicher die Berliner Ausschreibung im Jahr 1885. 1374 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 169. 1375 Vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 169–171, Bl. 177–178 (Protokoll vom 20.05.1911, § 253 Vierter Bericht); vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, o. N. (Vierter Bericht der Senats- und Bürgerschaftskommission für den Wiederaufbau der Großen St. Michaeliskirche, 4–5).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

nicht Aufgabe des Staates [sei] […], das Lutherdenkmal zu schaffen“1376 und forderte stattdessen, dass dieses entweder durch die Kirchengemeinde oder durch freiwillige Spenden finanziert würde. Hieraus lässt sich ablesen, dass der Kritiker ein Lutherdenkmal als eine bürgerlich und konfessionell geprägte, nicht aber als eine staatlich angemessene Erinnerungsform ansah. So spiegelte sich in der öffentlichen Wahrnehmung der Lutherdenkmäler der kirchliche Bezugspunkt wider, der bei den Errichtungen um die Jahrhundertwende dominierte und zu einer weiteren Konfessionalisierung des Lutherdenkmals beitrug. Daneben äußerten sich andere Stimmen gegen den projektierten Aufstellungsort des Standbilds, da es „an der geplanten Stelle […] nicht zur Geltung“1377 kommen und „nicht wuchtig wirken“1378 würde. Stattdessen wäre ein freier Platz geeigneter und die „Allgemeinheit würde in ganz kurzer Zeit eine viel größere Summe, als wir sie hier bewilligen […], für ein Lutherdenkmal zusammenbringen“1379. Doch trotz dieser Einwände stimmte am 3. Juli 1911 die Bürgerschaft dem Antrag der gemischten Kommission zu und genehmigte die staatliche Finanzierung des Lutherdenkmals nach dem Entwurf Otto Lessings. Es zeigt sich wiederum, dass die Frage nach dem Ort der Denkmalaufstellung auch nach der Jahrhundertwende weiter Brisanz hatte und mit der Errichtung vor einer Kirche eine eingeschränktere Wirkung des Standbilds befürchtet wurde.1380 Dies unterstreicht auch die Debatte, die nach der Entscheidung der Bürgerschaft in den lokalen Zeitungen fortgesetzt wurde. In den Hamburger Nachrichten wurde geschrieben, dass das anvisierte Standbild lediglich „ein Lutherdenkmal der Michaeliskirche [sei], aber nicht eines, das man als Allgemeingut der Stadt Hamburg

1376 N. N.: Art. 33. Sitzung der Bürgerschaft, in: Neue Hamburger Zeitung 16 (4.07.1911) 307, Morgenausgabe, 2. 1377 N. N.: 33. Sitzung, 2. 1378 N. N.: 33. Sitzung, 2. 1379 N. N.: 33. Sitzung, 2. 1380 Auch kurz vor der Aufstellung des Denkmals wurde die Platzfrage in der gemischten Kommission erneut diskutiert und die Frage aufgeworfen, ob die Lutherstatue nicht „vor dem Chor der Kirche“, das heißt in der Nähe des Haupteingangs aufgestellt werden sollte, „um eine etwaige Störung des Beschauers durch den gleichzeitigen Anblick dieses Standbildes und der reichlich groß ausgefallenen Figur des Heiligen Michael über dem Westportale […] zu vermeiden“. Um zu einer angemessenen Einschätzung zu gelangen, war an dem angepeilten Ort, das heißt der Nordseite des Turms, „ein Phantom des Lutherdenkmals errichtet“ worden und nach einer Begutachtung schließlich endgültig dieser Aufstellungsort auch beibehalten worden. Vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 210–211 (Protokoll vom 9.05.1912, § 310 Lutherstatue); vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 47 Senats- und Bürgerschaftskommission, Bl. 77 (Schreiben vom 17.04.1912).

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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bezeichnen könnte“1381. Weiter wurde kritisiert, dass in Zukunft „die Michaeliskirche […], nicht [aber] das ‚Hamburger Lutherdenkmal‘“1382 eine touristische Sehenswürdigkeit sein würde. „Luther ist zu groß, als daß man ihn neben die Tür eines mächtigen Gotteshauses stellen dürfte“1383, daher wäre der „größte und schönste […] Platz Hamburgs […] gerade gut genug“1384 für sein ehernes Abbild. Das kleine Standbild hätte zwar eine „frappante Ähnlichkeit“1385 mit Luther, doch würden die Fremden den Dargestellten für einen „Pastor der Michaeliskirche“1386, nicht aber für den großen Reformator halten. Daher würde das geplante Standbild „dem Marktplatze einer Kleinstadt wirklich zur Zierde gereichen“1387 aber es könne kein „Lutherdenkmal einer Weltstadt“1388 sein. Die Kritik spitzte sich schließlich an der Tatsache zu, dass das Standbild vor allem aus „ästhetischen Gründen“1389 zur Verschönerung der Außenanlage errichtet werden sollte. Da an der nördlichen Turmseite noch ein freier, zu gestaltender Platz war, sollte dieser durch die „Aufstellung irgend eines Denkmals“1390 verschönert werden. So würde dem Reformator lediglich „die Rolle eines […] Lückenbüßers“1391 zukommen. Dass das Hamburger Lutherstandbild in erster Linie als Mittel zum Zweck der Zierde des Kirchplatzes errichtet wurde und eine eigenständige Wirkung nicht im Vordergrund der Denkmalinitiatoren stand, bestätigte sich nochmals im Rahmen der Einweihungsfeier. 3.4.7.2 Luther mit der Faust und der Bibel statt mit einer Weißwurst und einem Bier Die Lutherstatue Lessings, die nach Meinung der Denkmalinitiatoren, „derjenigen von Rietschel in Worms nicht nachstehe“1392 und „der Berliner Lutherstatue überlegen“1393 sei, zählt mit einer Höhe von rund vier Metern zu einer der größeren 1381 StA Hamburg, 731–8 Zeitungsausschnittsammlung, Nr. A 144 Luther-Denkmal, o. N. (N. N.: Art. Ein Lutherdenkmal in Hamburg, in: Hamburger Nachrichten (4.07.1911) 308, Abendausgabe). 1382 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N. Lutherdenkmal in Hamburg). 1383 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N. Lutherdenkmal in Hamburg). 1384 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N. Lutherdenkmal in Hamburg). 1385 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N. Lutherdenkmal in Hamburg). 1386 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N. Lutherdenkmal in Hamburg). 1387 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N. Lutherdenkmal in Hamburg). 1388 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N. Lutherdenkmal in Hamburg). 1389 N. N.: 33. Sitzung der Bürgerschaft, 2. 1390 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Lutherdenkmal in Hamburg). 1391 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Lutherdenkmal in Hamburg). 1392 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 170. 1393 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 202 (Protokoll vom 21.03.1912, § 299 Lutherstatue).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Darstellungen des Reformators. Die bekannten Elemente wie der Talar, der erhobene Blick und die leichte Schrittstellung lassen sich auch bei diesem Hamburger Lutherdenkmal wiederfinden. Das Charakteristische dieser Statue lässt sich in der Körpermitte des Reformators feststellen. In der linken Hand hält Luther die geschlossene Bibel festumgriffen, wohingegen seine Rechte zur Faust geballt und an die Brust gelegt ist. Vergleicht man nun diese Pose des Hamburger Luthers mit dem Motiv der Faust bei früheren Lutherdenkmälern, so fällt auf, dass die geballte Hand das erste Mal bei der Wormser Figur zu finden ist. Dort pocht sie auf die Bibel, um Luthers Berufung auf das Wort Gottes und einen Bekenntnisakt zu betonen. Beim Speyerer Denkmal hängt der rechte Arm mit der geballten Faust nach unten und wird so zum Zeichen des historischen Protests gegen den Kaiser und des zeitgeschichtlichen Widerspruchs gegen den Ultramontanismus. Dieselbe, lediglich spiegelverkehrte Pose findet sich auch bei der zeitgleich zum Speyerer Luther von Paul Juckoff ausgearbeiteten Statue des Reformators für die Weißenfelser Marienkirche. Diese Lutherfigur drückt die Bibel ans Herz, wobei das Buch durch den ausschweifenden Ärmel des Talars fast nahezu verdeckt wird. So entsteht der Eindruck, als wolle Luther unter allen Umständen das Wort Gottes vor Angriffen beschützen und, symbolisiert durch die Faust, auch verteidigen.1394 Die auf die Brust gepresste Faust beim Hamburger Luther zeigt eine noch angespanntere und aggressivere Körperhaltung als bei den vorher genannten Statuen. Anders als die flache, auf der Brust ruhende Hand beim Magdeburger oder Ascher Denkmal, die einen Bekenntnisakt impliziert, erscheint die Hamburger Gestalt auch aufgrund ihrer grimmigen Gesichtszüge „wie im Disput“1395 und als eine „evangelische Trutzgestalt von mächtiger Wirkung“1396. Diese kämpferische Körpersprache deckt sich auch mit einer Beobachtung Henrike Holsings bei ihrer Analyse der Lutherdarstellungen in der Historienmalerei. Sie stellte fest, dass um „die Jahrhundertwende […] die ‚Lutherfaust‘ immer häufiger zu einem Markenzeichen des Reformators [und] sein Auftreten […] allgemein männlicher, aggressiver dargestellt“1397 wurde. Neben diesen kunsthistorischen Beobachtungen korrelieren auch die zeitgeschichtlichen Ereignisse, die sowohl konfessionell durch die Borromäus-Enzyklika,

1394 Dieselbe Statue Paul Juckoffs findet sich seit 1905 in der Johanneskirche in Saalfeld. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 215, 241–242. 1395 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1098 Wiederaufbau der St. Michaeliskirche, o. N. (N. N.: Art. Zur Einweihung der Großen St. Michaeliskirche, in: Hamburger Fremdenblatt (19.10.1912) 246, 21). 1396 Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1098, o. N. (N. N.: Einweihung, 21). 1397 Holsing: Luther, 385.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Abb. 35: Lutherdenkmal in Hamburg, Otto Lessing.

als auch politisch durch den Imperialismus Kaiser Wilhelms II. und die Marokkokrise eine spannungsgeladene Stimmung im Jahr 1911 erzeugten. So war die kämpferisch wirkende Hamburger Lutherstatue, obwohl sie bereits Jahre zuvor entworfen und für die Aufstellung am Michel nach den Wünschen der Denkmalinitiatoren nur geringfügig verändert wurde, sehr aktuell. Auch in einem zeitgenössischen Bericht wurde der Lessingsche Luther als „fest und männlich“1398 gewürdigt und als „recht gut“1399 befunden, auch wenn die Darstellung selbst „[k]eine Ueberraschung, kein Genieblitz“1400 war, sondern der Reformator vielmehr als „ein alter Bekannter, den jeder sofort wiedererkennt“1401, ausgearbeitet wurde. Genau dieser Aspekt, dass die Hamburger Luthergestalt in der Tradition der Wormser Lutherfigur stand, wurde in der öffentlichen Berichterstattung bemängelt. In einem Zeitungsartikel wurde festgestellt, dass sich „[u]nsere kirchliche

1398 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 73 Presse, o. N. (M., C.: Art. Stadt und Umgegend. Hamburg. Zwei Denkmäler, in: o. A.). 1399 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 73, o. N. (M., C.: Zwei Denkmäler). 1400 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 73, o. N. (M., C.: Zwei Denkmäler). 1401 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 73, o. N. (M., C.: Zwei Denkmäler).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Denkmalskunst […] in dem Luther Rietschels vollkommen erschöpft“1402 habe, sodass „[k]eine neue Auffassung des weltbedeutenden Mannes […] mehr möglich“1403 schien. Dennoch stellte der Verfasser des Artikels die Frage, ob „sich wirklich kein genialer Künstler [finde], der ihm diskret die Bibel wegzunehmen versteht und ihm den Mantel der starren evangelisch-lutherischen Orthodoxie auszuziehen versucht“1404. Hier wurde nicht nur gefordert den Reformator ohne Talar und Bibel darzustellen, was in Hamburg mit der Lutherstatue über dem Portal der gleichnamigen Kirche 1905 bereits erfolgt war, sondern dabei auch der Konfessionalismus kritisiert.1405 In einer Reaktion auf diesen Artikel wurde vermutet, dass die Kritik von einem Anhänger des kirchlichen Liberalismus stamme, der „zwischen den Liberalen und den Positiven die Bibel als Stein des Anstoßes [zu] etablieren“1406 versuche. Zugleich wurde der womöglich liberale Kritiker daran erinnert, dass auch „für den liberalen Prediger [es] immer noch die Bibel [sei], die von Christus zeugt“1407. Daher bleibe die deutsche Bibel weiterhin das Symbol, welches von Luthers „Lebenswerk zeug[t]“1408, schließlich könne man „doch nicht dem Doktor Luther eine Weißwurst und einen Krug Bier in die Hand geben“1409. Auffällig an dieser in den Hamburger Zeitungen ausgetragenen und somit öffentlichen Debatte ist, dass die Diskussion um die künstlerische Darstellung Luthers lediglich Vorschub für innerprotestantische, theologische Meinungsverschiedenheiten bot, die in den Hamburger Kirchengemeinden insbesondere in den Jahren 1911 und 1912 schwellten.1410

1402 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Art. Gegen unser Luther-Denkmal, in: Hamburger Nachrichten (18.07.1911) 331, Morgenausgabe). Das hier verwendete Zitat stammt aus dem Artikel Der Mann mit der Faust auf der Bibel im Hamburger Generalanzeiger, der in den Hamburger Nachrichten in Ausschnitten widergegeben und kritisiert wurde. 1403 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Gegen unser Luther-Denkmal). 1404 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Gegen unser Luther-Denkmal). 1405 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 136. Diese Figur zeigt Luther in Mönchskutte vor der Thesentür. Deren Unbekanntheit wurde in einem anderen Bericht bedauert und diese zugleich als „treffliche[…] Skulptur“ gewürdigt. Vgl. StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 121r (Sintrup, P.: Art. Michaeliskirche, in: Neue Hamburger Zeitung (22.10.1912) 497). 1406 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Gegen unser Luther-Denkmal). 1407 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Gegen unser Luther-Denkmal). 1408 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Gegen unser Luther-Denkmal). 1409 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Gegen unser Luther-Denkmal). 1410 Vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 546 ‚Monatsgruß‘ aus der Michaelis-Gemeinde, o. N. (Schwieger, Henry: Art. Zur kirchlichen Lage, in: Monatsgruß 7 (1911) 12, 2–4); vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 546, o. N. (Schwieger, Henry: Art. Die kirchenpolitische Ratlosigkeit, in: Monatsgruß 8 (1912) 5, 6).

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Weitere Kritikpunkte bezogen sich auf die künstlerische Ausgestaltung der Lutherstatue. So wurde bemängelt, dass der Lutherkopf unpassend sei, da das Gesicht „hätte geistiger sein können“1411, denn „[d]er barbarischen Vierschrötigkeit dieses Kopfes traut man die Bibelübersetzung […] und manches andere beim besten Willen nicht zu“1412. Zudem wurde der durch umliegende Kunstwerke geschmälerte Gesamteindruck des Lutherdenkmals kritisiert: denn einerseits wirke die Reformatorenstatue am Michel „[b]escheiden […] angesichts des nahen gewaltigen Bismarck-Denkmals“1413 und andererseits müsse „die schlichte […] Mannsgestalt […] konkurrieren mit dem Goliath von Michael, der über dem Turmportal meterweit vor der Mauer in den Lüften herumflattert“ 1414,1415. 3.4.7.3 Eine stille Enthüllung am 18. Oktober 1912 Nachdem die Lutherstatue fertiggestellt und ihr im Berliner Atelier des Bildhauers am 12.  März 1912 sogar ein Besuch Kaiser Wilhelms II. abgestattet worden war, wurde die 1.600 Kilogramm schwere Bronzefigur nach Hamburg transportiert. Bei der Aufstellung an der nördlichen Turmseite der Michaeliskirche wurde zuletzt entschieden, dass „der Sockel des Monuments ohne Inschrift bleiben soll, da anzunehmen sei, dass jeder den Dargestellten ohne weiteres“1416 erkenne.1417 Das Lutherdenkmal war demnach pünktlich zur Einweihungsfeier der St. Michaeliskirche, die am 19. Oktober 1912 durch einen Festgottesdienst im Beisein des deutschen Kaisers stattfand, aufgestellt. Beim Ablauf dieser Feier blieb das Standbild allerdings unberücksichtigt. Der Michel als Hamburger Wahrzeichen

1411 StA Hamburg, 132–1 I, Nr.  3484, Bl. 120v (N. N.: Art. Skulpturen bei St. Michaelis, in: Neue Hamburger Zeitung (21.10.1912) 495). 1412 StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 120v (N. N.: Skulpturen bei St. Michaelis). 1413 StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (St., A.: Art. Das Hamburger Lutherdenkmal, in: Hamburger Nachrichten (24.03.1912)). 1414 StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 76v (N. N.: Art. Der Michaeliskirchplatz, in: Neue Hamburger Zeitung (9.03.1912) 117). 1415 Vgl. StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 120v (N. N.: Skulpturen bei St. Michaelis). 1416 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 109 Protokolle des Baukollegiums, Bl. 238 (Protokoll vom 12.10.1912). 1417 Vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 109, Bl. 165 (Protokoll vom 19.07.1912); vgl. StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 76v (N. N.: Art. Das Hamburger Luther-Denkmal, in: Hamburger Fremdenblatt (13.03.1912) 61); vgl. Archiv d. KG St. Michaelis, Gemeindearchiv, Nr. 1096, Bl. 203 (Protokoll vom 21.03.1912, §  299 Lutherstatue), Bl. 224 (Protokoll vom 12.10.1912, §  335 Lutherdenkmal). Die heutige Inschrift Martin Luther 1483–1546 muss dementsprechend nachträglich angebracht worden sein.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

und dessen gelungener Wiederaufbau stand im Mittelpunkt der Weihefeier.1418 Lediglich in der den nationalen Zusammenhalt beschwörenden Festpredigt des Hauptpastors Dr. Hunzinger, wurde auf das Lutherdenkmal im Sinne der Hauptaussage seiner Predigt knapp verwiesen. So solle die Einweihungsfeier des Michels, dessen „Bau aus langem Schlaf zu neuer Herrlichkeit erwacht ist“1419, „ein fröhliches Erwachen im Geiste der Reformation, den Luthers neuerrichtetes Denkmal dort draußen atmet“1420, befördern. Von nun an sollen „die finsteren Gespenster […] der Sorge, des Zweifels […] und der Trägheit“1421 vertrieben werden und „einander die Hände zu neuem Leben […] in einer großen bewegten Zeit“1422 gereicht werden. Von einer gemeinsamen Besichtigung oder gar einer Einweihung des ehernen Luthers vor der Kirche am Tag der Kirchenweihe wurde nichts berichtet. Stattdessen findet sich im Protokollbuch des Baukollegiums ein kurzer, aufschlussreicher Hinweis. Am Tag vor der großen Feier, das heißt am 18. Oktober, traten nach der Probe „für die Aufstellung und den Einmarsch in die Kirche“1423 die anwesenden „Herren auf den Kirchhof“1424. Dort wurde sodann „auf Wunsch des Herrn Bürgermeister[s] Dr. Schröder die Enthüllung des Lutherdenkmals vorgenommen“1425. Es handelte sich dabei allerdings um keine gesonderte, öffentliche Feier, sondern es waren nur die Mitglieder der Gemischten Kommission, der Kirchenvorstand und die Baumeister anwesend. Auch von einer Ansprache wurde abgesehen, sodass „die Beteiligten durch Entblößen des Hauptes [dem Denkmal] eine stille Weihe verliehen“1426.1427 1418 Für die Planung der Feier und das Festprogramm der Kirchenweihe ohne jeweiligen Bezug zum Lutherdenkmal vgl. StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 14–15, 20–21. 1419 StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 104v (N. N.: Art. Die Einweihung der Großen St. Michaeliskirche, in: Neue Hamburger Zeitung (19.10.1912) 493, Abendausgabe). 1420 StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 104v (N. N.: Einweihung). 1421 StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 104v (N. N.: Einweihung). 1422 StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 104v (N. N.: Einweihung). 1423 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 109, Bl. 244 (Protokoll vom 18.10.1912). 1424 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 109, Bl. 245. 1425 Archiv d. KG St. Michaelis, Bauarchiv, Nr. 109, Bl. 245. 1426 StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 91r (N. N.: Art. Der letzte Tag vor der Weihe, in: Hamburger Nachrichten (19.10.1912) 492). 1427 Eine Übergabe des Lutherstandbilds an die Kirchengemeinde St. Michaelis fand nicht statt. Das Denkmal steht auf einem Platz, der dem Staat gehört, und wurde aus Mitteln der Senats- und Bürgerschaftskommission bezahlt, sodass am 17.04.1913 entschieden wurde, „daß das Eigentumsrecht an der Lutherstatue dem Hamburgischen Staate zusteht“. Vgl. hierzu die Diskussion in: StA Hamburg, 311–2 IV Finanzdeputation, Nr. DV V E 14 Lutherdenkmal, Bl. 3–6. Es wird lediglich berichtet, dass beim Enthüllen der Statue durch Handwerker, „die Beteiligten durch Entblößen des Hauptes eine stille Weihe [dem Denkmal] verliehen“. Vgl. StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Diese schlichte Enthüllung des Hamburger Lutherdenkmals, die auf eine eigenständige Interpretation des Standbilds verzichtete, stützt die Annahme, dass dieses lediglich der Verschönerung des Außenbereichs diente. Diese Einschätzung verdichtet sich einerseits dadurch, dass auf ein bereits vorhandenes Denkmalmodell zurückgegriffen und andererseits ein dezentraler Platz an der Turmseite gewählt wurde. So wird das Standbild beim Betreten der Kirche durch den Haupt- oder den Turmeingang nicht unbedingt von allen Besuchenden wahrgenommen. Der eherne Reformator steht somit im Schatten der beiden überregional bekannten Wahrzeichen Hamburgs, dem Michel selbst und dem nur wenige hundert Meter entfernten und 1906 eingeweihten, überdimensionalen Bismarckdenkmal.1428

3.4.8 Das Lutherdenkmal rückt an die Kirche Der zum bloßen Schmuck degradierte Hamburger Luther fügte sich in den Prozess, der gezeigt hat, dass sich seit den 1890er Jahren der Aufstellungsort des Lutherdenkmals immer mehr an die Kirche verlagert hatte. Indem die Standbilder nun nicht mehr an zentralen, öffentlichen Plätzen inmitten der Stadt, sondern in unmittelbarer Nähe einer Kirche aufgestellt wurden, trat auch der lokale Bezug der Lutherstatuen deutlich in den Hintergrund. Dies hing insbesondere damit zusammen, dass in den Städten, die in einem direkten Verhältnis zum Wirken Luthers standen, bereits in den Jahren zuvor Denkmäler errichtet worden waren und in dieser dritten Phase, bis auf die Wittenberger Schlosskirche, in keinem Wirkungsort des Reformators Denkmalpläne verwirklicht wurden. Stattdessen wurde mancherorts ein regionaler Zusammenhang konstruiert, um die Aufstellung eines Lutherdenkmals zu rechtfertigen. Hierbei ist besonders an die betonte geistige Anwesenheit des Reformators auf dem Reichstag zu Speyer 1529 zu erinnern. Diese Beobachtung des Rückgangs der regionalen Ausgestaltung der Lutherdenkmäler kann auch im Kontext der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung im Deutschen Kaiserreich gesehen werden. Ab den 1890er Jahren schwächten sich die lokalpatriotischen Akzente zugunsten einer stärkeren nationalen Bindung ab.1429

91 (N. N.: Art. Der letzte Tag vor der Weihe, in: Hamburger Nachrichten (19.10.1012) 492). Vgl. dazu auch StA Hamburg, 132–1 I, Nr. 3484, Bl. 91v (N. N.: Art. Zur Einweihung der St. Michaeliskirche, in: Hamburger Fremdenblatt (19.10.1912) 246). 1428 Vgl. StA Hamburg, 731–8, Nr. A 144, o. N. (N. N.: Art. Ein Lutherdenkmal in Hamburg, in: Hamburger Nachrichten (4.07.1911) 308, Abendausgabe). 1429 Vgl. Nipperdey: Geschichte 1866–1918, Bd. 2, 595–596; vgl. Abschnitt 2.1.3.3.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Neben der Verschiebung der Lutherstatuen hin zum kirchlichen Raum ist wahrzunehmen, dass die Errichtung von Kaiser-Wilhelm-Standbildern und insbesondere ab 1895 von Bismarckdenkmälern rasant zunahm, diese motivierten die Massen zur finanziellen Mithilfe und zierten die öffentlichen Plätze. Während der Reformator durch die Denkmäler und ihre Deutungen in den 1880er Jahren als Wegbereiter des Deutschen Kaiserreichs gewürdigt worden war, hatte dieses nach zwei Jahrzehnten eigene, politische Helden hervorgebracht, an die im Denkmal erinnert wurde. Dies zeigte sich nicht nur an lokalen Denkmalinitiativen und Errichtungen in der Stadtmitte, sondern auch an reichsweiten Großprojekten. Beispielsweise sei hier auf die deutschlandweiten Spendensammlungen und die pompöse Ausgestaltung zweier Bismarckdenkmäler verwiesen: das Standbild vor dem Reichstag in Berlin, das 1901 eingeweiht wurde, und die überdimensionale Hamburger Bismarckstatue aus dem Jahr 1906.1430 Wie Reinhard Alings veranschaulicht, konnten sich im Verlauf des Kaiserreichs mit den nationalpolitischen Denkmälern1431 unterschiedliche Nationsvorstellungen verbinden. Daher lässt sich anhand dieser Denkmäler einerseits „der Weg vom liberalen zum […] völkischen Nationalismus“1432 nachzeichnen und andererseits zeigen, dass sie „seit den neunziger Jahren auch konfessionsübergreifend in die kleindeutsche Reichsnation“1433 integrierend wirkten. Letzteres steht konträr zu den Lutherdenkmälern, denn, wie bereits bei vorherigen Standbildern gesehen, verband sich seit Ende der 1880er Jahre eine antikatholische Deutung des Reformators mit dessen Denkmälern. Die Standbilder der dritten Phase verstärken diesen Eindruck, was die ikonographische Gestaltung der Lutherdenkmäler widerspiegelte. So fielen insbesondere drei Motive auf: die Bannbulle in Hannover und Speyer, die geballte rechte Faust in Speyer und Hamburg und der Hammer zum Thesenanschlag in Brieg, Cottbus und Reichenbach. Mit allen drei Accessoires ging der Eindruck einer angespannten und kämpferisch aufgeladenen Stimmung einher, die als Spiegel der konfessionellen Spannungen zu sehen war. So nahm die durch das Standbild implizierte Polemik gegen den ultramontanen Katholizismus nach 1900 noch einmal zu und gipfelte in den Protesten gegen die Borromäus-Enzyklika im Jahr 1910.

1430 Vgl. Seele: Bismarck-Denkmäler, 12, 56–57, 185–186; vgl. Alings: Monument, 246–254; vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 246–247. 1431 Nach Alings handelt es sich um ein nationalpolitisches Denkmal, „wenn es […] über das unmittelbare lokale und regionale Gedächtnis hinaus, die deutsche (Staats)-Nation repräsentieren will, Nation und Nationalstaat zum Thema macht.“ Dazu untersuchte er neben Kaiser-Wilhelm-Standbilder und Bismarckdenkmäler auch Siegessäulen und das Niederwalddenkmal. Alings: Monument, 45. 1432 Alings: Monument, 606. 1433 Alings: Monument, 601–602.

3.4 Die III. Phase: Das protestantische Lutherdenkmal  

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Die konfessionelle Aufladung der Lutherstandbilder kann nicht nur in Bezug auf die Darstellung, sondern auch im Hinblick auf den veränderten Aufstellungsort gesehen werden. Indem vor allem am Äußeren der Kirchen Lutherstatuen angebracht wurden, sollten diese im Stadtbild sichtbar die protestantische Identität in Abgrenzung vom Katholizismus zum Ausdruck bringen. Damit verband sich zugleich die Intention, den dem Katholizismus überlegenen Einfluss der Reformation und Martin Luthers auf die kulturellen Werte des Deutschen Kaiserreichs zu präsentieren und in Erinnerung zu rufen. Dies zeigte sich insbesondere am umfangreichen Figurenprogramm der Marienkirche in Zwickau. Aber auch die zahlreichen Lutherstatuen an Kirchengebäuden sollten auf die kulturprägende Kraft des Protestantismus verweisen. Begründet wurde „dieser Drang nach sichtbarer Darstellung der Helden der Reformation“1434 von Zeitgenossen dadurch, dass man „in Staat und Kultur, in Kirche und Schule auf dem Boden [stehe], der in der Reformation gelegt worden“1435 war. Daher wolle man „mit den Männern, […] gleichsam Auge in Auge verkehren, ihr Bildnis sichtbar“1436 vor sich haben und sich ihrer Bedeutung für die verschiedenen Lebensbereiche bewusst werden. Zuletzt kann das Aufstellen von Lutherstatuen im kirchlichen Rahmen auch als ein moderner Schritt gesehen werden. Indem das aus dem öffentlichen Raum bekannte Medium nun an, beziehungsweise in der Kirche aufgestellt wurde, zeigt sich eine kirchliche Aufgeschlossenheit gegenüber der zeitgenössischen Kunst, sodass dadurch wiederum Kultur und Religion eng zusammengebracht wurde. Da an und in den Kirchen meist auf bereits vorhandene Lutherstatuen zurückgegriffen wurde, lässt sich im Aufstellen dieser Figuren eine Befürwortung und Unterstützung des bürgerlichen und nationalprotestantischen Lutherbilds durch die Kirchengemeinden feststellen. Zusätzlich werden die Kirchengebäude durch das Anbringen der Lutherstatuen insbesondere im Zusammenhang mit weiteren Standfiguren selbst zu Erinnerungsorten und gehen somit über ihre in der Mitte des Jahrhunderts von Neulutheranern noch besonders betonte Funktion als Gottesdienstraum hinaus. Dies zeigte sich insbesondere bei der Wittenberger Schlosskirche und der Gedächtniskirche in Speyer, die durch ihre reichhaltige reformationsgeschichtliche Ausgestaltung eine Musealisierung erfahren und selbst zu Denkmälern werden. Dadurch stehen diese in einer Reihe von reformatorischen Gedenkstätten, die im Verlauf des 19.  Jahrhunderts renoviert und eröffnet wurden, um auch hier die nationale und kulturelle 1434 N. N.: Art. Luther und die bildende Kunst. Das Stuttgarter Reformationsdenkmal, in: CKBK 46 (1904) 1, 16. 1435 N. N.: Art. Luther und die bildende Kunst, 16. 1436 N. N.: Art. Luther und die bildende Kunst, 16.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Bedeutung Luthers und der Reformation den Besuchenden aus Nah und Fern zu veranschaulichen.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal anlässlich des 400. Reformationsjubiläums Wie bereits 1817 und 1883 Jubiläen als Anlass für Denkmalpläne fungiert hatten, brachte auch das anstehende 400. Reformationsjubiläum in verschiedenen Städten Initiativen zur Errichtung von Lutherdenkmälern hervor. Wie wirkte sich die nach der Jahrhundertwende geäußerte und bereits bei den vorherigen Lutherstandbildern teilweise zum Ausdruck gekommene Denkmalkritik auf die Ausgestaltung der Monumente aus? Inwiefern beeinflusste der Erste Weltkrieg die Denkmalerrichtungen und ihre Enthüllungen? In diesem Zusammenhang gilt es zudem zu prüfen, ob die in der dritten Phase dominanten antikatholischen Ressentiments sich weiterhin in den Lutherdenkmälern widerspiegelten, oder ob die sich zuspitzende politische Situation die deutsch-nationale Ausdeutung des Reformators zur Stiftung eines nationalen Einheitsgefühls verstärkte.

3.5.1 Die gescheiterten Lutherdenkmalpläne am Beispiel von Nürnberg (1911) Die bisher dargestellten Lutherdenkmäler gaben bereits vielfältig Aufschluss über die Absichten der jeweiligen Denkmalinitiativen und über das im Standbild erinnerte Lutherbild. Dass allerdings neben den „tatsächlich errichteten Monumente[n] […] fast ebenso wichtig […] die nicht verwirklichten Pläne“1437 sind, betont Wolfgang Hardtwig. Die Quellenlage für diese nicht umgesetzten Projekte ist zwar weniger umfangreich, doch können diese das Feld der Denkmäler ergänzen. Auch im Kontext der Lutherdenkmäler gab es Initiativen, die nie vollendet wurden. Nachzuweisen sind Lutherdenkmalpläne in Riga im Jahr 1889, in Heidelberg 1911, in Düsseldorf 1917 und schließlich in Nürnberg, wo 1911 ein Lutherdenkmalkomitee die Planung zur Errichtung eines Standbilds begonnen hatte.1438

1437 Hardtwig: Patriotismus, 172. 1438 Für die Denkmalpläne in Riga 1889 vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 268; von einem Aufruf aus dem Jahr 1911 zu einem Heidelberger Lutherdenkmal anlässlich des 400. Reformationsjubiläums wird berichtet bei Wennemuth, Udo: Luthererinnerung in Baden 1883, in: Laube, Stefan / Fix, Karl-Heinz (Hg.): Lutherinszenierung und Reformationserinnerung (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 2), Leipzig 2002, 118–119. Die Düsseldorfer Denkmalinitiative, welche eine der „besten neueren Schöpfungen“ hervorgebracht hatte, aber aufgrund „eigentümlicher

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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Nachdem der Nürnberger Denkmalverein einen Aufruf ausgearbeitet hatte, benötigte dieser zunächst die Genehmigung zu öffentlichen Spendensammlungen. Doch die erste Fassung stieß weder beim bayerischen Staatsministerium des Innern noch beim Protestantischen Oberkonsistorium auf Zustimmung. Dies lag daran, dass zu Beginn des Aufrufs die „gewaltige […] Protest-Bewegung, welche die Borromäus-Enzyklika Pius X. […] hervorgerufen hat[te]“1439 als Anlass für die Idee zur Denkmalerrichtung in Nürnberg genannt wurde. Das Lutherstandbild wäre nach Meinung der Denkmalinitiatoren „eine Antwort, die der bayerische Protestantismus auf jene Schmähung der Reformation und ihrer Helden geben sollte“1440 und hatte bereits in „Tausenden von Herzen […] eine Begeisterung erweckt, die jedem Zeugen wie die Kundgebung eines machtvollen, einmütigen Volkswillens erschien[en]“1441 war. Hieraus wird erkenntlich, dass keine anstehende Jubiläumsfeier und somit kein Gedenken an ein historisches Ereignis, sondern, wie auch zuvor in Reichenbach, das Denkmal als Reaktion auf ein aktuelles Geschehen errichtet werden sollte. Dem Lutherstandbild wäre demnach als protestantische Antwort auf die Enzyklika von Anfang an eine antikatholische Bedeutung beigemessen worden. So zeigt sich, dass sich die seit Mitte der 1880er Jahren immer wieder wahrzunehmende konfessionelle Polemik eines Lutherdenkmals etabliert hatte und ein Standbild des Reformators als gerechtfertigter Protest gegen katholische Kritik am Protestantismus angesehen wurde. Aufgrund der Anspielung auf die Borromäus-Enzyklika sah das Innenministerium allerdings die Gefahr, dass die Verbreitung dieses Aufrufs „die im Vorjahr entstandene und noch nicht völlig behobene Erregung unter den Angehörigen der beiden großen christlichen Konfessionen aufs Neue entfachen und den konfessionellen Frieden auf das Empfindlichste stören“1442 könnte. Um einen passenden Aufruf zu entwerfen, wurde das Protestantische Oberkonsistorium vom Innenministerium dazu aufgefordert, falls es eine „Sammlung für Errichtung eines Lutherdenkmals in Nürnberg befürworten“1443 wolle, zwischen den verschiedenen

Vorgänge dort nicht aufgestellt“ wurde, wird erwähnt bei Koch, David: Art. Vom Tage, in: CKBK 59 (1917) 10, 320; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 106. 1439 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857 Kollekte (1897–1912), o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung). 1440 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung). 1441 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung). 1442 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Schreiben vom 27.05.1911). 1443 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Schreiben vom 27.05.1911).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Interessen zu vermitteln und mit dem Nürnberger Lutherdenkmalkomitee zusammenzuarbeiten.1444 In einer Sitzung am 8. Juni 1911 beschloss das Oberkonsistorium sein weiteres Vorgehen in dieser Sache. Dem Lutherdenkmalverein sollte zuerst der Vorschlag gemacht werden, dass „der Gedanke erwogen werden solle, ob nicht wieder durch Erbauung einer Kirche […] das Andenken Luthers besser“1445 gewürdigt wäre, insbesondere wenn „der Name Lutherkirche ernstlich“1446 in Betracht gezogen werden würde. Diese Idee verdeutlicht, dass von kirchenbehördlicher Seite nicht ein öffentliches Standbild die bevorzugte Erinnerung an den Reformator gewesen wäre, sondern dies vielmehr dem Wunsch des protestantischen Bürgertums entsprach. Zugleich wird erkennbar, dass im Jahr 1911 der Bau von Lutherkirchen als sichtbare Form des kirchlichen Gedenkens an den Reformator anerkannt war und der Errichtung eines öffentlichen Lutherstandbilds vorgezogen wurde. Der Nürnberger Denkmalverein grenzte sich allerdings in seinem ersten Entwurf des Aufrufs bereits deutlich vom Kirchenbau als Form der Erinnerung ab: Luther ist den Protestanten Glaubensvater und Glaubensheld. Als solcher gehört er zuerst der evangelischen Kirche […]. So könnte man ihm wohl ein Denkmal setzen durch Errichtung eines Gotteshauses, das seinen Namen trägt, durch Stiftungen […]. Aber Luther steht nicht nur innerhalb der Kirchenmauern. Luther ist die nationale Größe zugleich […].1447

Das heißt eine Lutherkirche würde lediglich die Bedeutung des Reformators für den Raum der Kirche umfassen, weshalb ein Standbild notwendig war, um auch Luthers nationaler Geltung zu gedenken. Daher wurde betont, dass „Luther […] der großen Oeffentlichkeit“1448 gehöre. Der Reformator hatte „[f]rei öffentlich […] bezeugt, was er geglaubt“1449 hatte und blieb „[n]icht im Winkel, nicht in der Stille“1450. Daher sollte „er mahnend und erhebend vom hohen Sockel“1451 grüßen

1444 Vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Schreiben vom 27.05.1911). 1445 Vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (nach der Sitzung des Oberkonsistoriums in München am 8.06.1911 gesendet an das Konsistorium in Ansbach). 1446 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (nach der Sitzung des Oberkonsistoriums in München am 8.06.1911 gesendet an das Konsistorium in Ansbach). 1447 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung) [Hervorhebung im Original]. 1448 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung) 1449 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung) 1450 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung) 1451 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung).

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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und „[i]n der Oeffentlichkeit, auf freiem Platz, den Himmel über ihm“1452 habend stehen. So wäre sein Denkmal ein „Zeichen, daß wir im Anfang des 20. Jahrhundert es offen bekannten, daß […] wir willens sind, Erben seines Geistes zu sein“1453. Neben der Art des Denkmals wurde zudem vom Oberkonsistorium bemängelt, dass „die religiöse Bedeutung Luthers“1454 zu kurz käme. Dementsprechend wurde vorgeschlagen, dass der Reformator „als Volkslehrer, als Schöpfer der Kirchenlieder u. Kirchengesangs“1455 gewürdigt werden sollte. Im selben Kontext wurde jedoch kritisiert, dass die nationale Bedeutung zu stark betont wurde und die „Glaubens- und Volksgenossen“1456 adressiert wurden. Dass Luther als der größte Deutsche bezeichnet wurde, war eine Würdigung, die man „den Katholiken nicht zu trauen, darum auch nicht zu muten könne […]“1457. Nach dem aktuellen Stand war die Kirchenbehörde davon überzeugt, dass „der Aufruf mit schlimmen Glossen […] versehen werden“1458 würde und fürchtete zudem, dass „die große Sache“1459 keine rechte Förderung erhalten würde. Erst „[n]ach langen Verhandlungen mit dem Denkmalcomité“1460 wurde erreicht, dass die Anspielung auf die Borromäus-Enzyklika am Anfang des Aufrufs gestrichen und stattdessen die bevorstehende Feier des 400. Reformationsjubiläums als Anlass für die Denkmalpläne angegeben wurde. Damit wurde die konfessionelle Polemik deutlich entschärft. Im Vergleich der beiden Fassungen fällt auf, dass die zuvor genannte Forderung nach der stärkeren Würdigung der religiösen Verdienste allerdings nicht umgesetzt wurde. Abgeschwächt wurde hingegen die nationale Deutung Luthers zugunsten einer nationalprotestantischen Interpretation. Das äußerte sich durch kleine Änderungen, indem Luther zwar weiterhin als „die nationale Größe […] [und als] der

1452 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung). 1453 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung) [Hervorhebung im Original]. 1454 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Sitzung des Oberkonsistoriums am 8.07.1911). 1455 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Sitzung des Oberkonsistoriums am 8.07.1911). 1456 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung). 1457 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Sitzung des Oberkonsistoriums am 8.07.1911). 1458 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Das Protestantische Konsistorium Ansbach an das Oberkonsistorium in München am 27.06.1911, Anlage). 1459 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Das Protestantische Konsistorium Ansbach an das Oberkonsistorium in München am 27.06.1911, Anlage). 1460 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Das Protestantische Konsistorium Ansbach an das Oberkonsistorium München am 26.07.1911).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

deutsche Mann“1461 bezeichnet wurde, die Bezeichnung Luthers als „Volksheld“1462 jedoch gestrichen wurde. Weiter hatte der Reformator nun nicht mehr „seine Deutschen“1463, sondern „uns groß gemacht“1464, das heißt die Verfasser des Aufrufs und die adressierten „Glaubensgenossen im ganzen Lande“1465. Luthers „germanisches Wesen“1466 und seine nationale Bedeutung1467 wurde weiterhin gewürdigt und festgestellt, dass sein geistiges Wirken „in den Besten seines Volkes – wir sehen die Linie, die von ihm über Kant und Goethe zu Bismarck führt“1468, fortlebte. Doch es hieß nun nicht mehr, dass Luther „dem deutschen Volk“1469 gehöre, sondern dem „deutsch-evangelischen Volk aller Stände und Klassen“1470. Aufgrund dieser Veränderungen hin zu einer nationalprotestantischen Interpretation des Reformators und der Tatsache, dass der Aufruf „ganz an die Kirche unseres Bekenntnisses“1471 gerichtet war, war die protestantische Kirchenbehörde davon überzeugt, dass dieser „so keine Angriffsflächen bietet [und] nicht zu beanstanden“1472 sei. Diese zweite Fassung des Spendenaufrufs wurde schließlich auch durch das bayerische Innenministerium im September 1911 genehmigt. Dem Nürnberger Lutherdenkmalverein wurde dadurch gestattet, den Aufruf „in öffentlichen Blättern zur Aufbringung der Mittel für das Denkmal“1473 zu publizieren und für „die Dauer

1461 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung). 1462 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung). 1463 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung). 1464 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, veröffentlichte Fassung). 1465 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, veröffentlichte Fassung). 1466 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung). 1467 „Die deutsche Geisteskultur hat in ihm eine immer frisch bleibende Quelle, die deutsche Sprache ihren Meister, die deutsche Kraft und Energie ihr kühnstes Vorbild, die deutsche Heldenverehrung ihren unerschöpflichsten Gegenstand.“ Vgl. LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung). 1468 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung, so auch in der später genehmigten Fassung). 1469 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, ursprüngliche Fassung). 1470 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, veröffentlichte Fassung). 1471 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Das Protestantischen Konsistorium Ansbach an das Oberkonsistorium München am 26.07.1911). 1472 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Das Protestantischen Konsistorium Ansbach an das Oberkonsistorium München am 26.07.1911). 1473 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Staatsministerium des Innern an die K. Regierung von Mittelfranken, Kammer des Innern am 19.09.1911).

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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von drei Jahren“1474 Gelder zu sammeln. Einen Hinweis auf den Beginn der Spendensammlungen geben die Publikation des Aufrufs im Evangelischen Gemeindeblatt für die Dekanatsbezirke Nürnberg und Fürth im November und eine Notiz im Evangelischen Sonntagsblatt in Bayern im Dezember 1911.1475 Hierin wurde eine Zusammenfassung des Aufrufs wiedergegeben und berichtet, dass erste Spenden bereits eingegangen waren und es „an dem Erfolg des Aufrufs“1476 keine Zweifel gäbe. Mit diesen Veröffentlichungen in der evangelischen Presse verlaufen sich die Spuren der Nürnberger Lutherdenkmalpläne und das angedachte Standbild wurde nie realisiert. Auch wenn es durch Quellen nicht zu belegen ist, so kann davon ausgegangen werden, dass der Beginn des Ersten Weltkriegs und das damit notwendig gewordene Bündeln der materiellen und finanziellen Ressourcen für Kriegszwecke dazu beigetragen hatte, dass der Lutherdenkmalinitiative in Nürnberg die nötige Unterstützung fehlte und die Pläne deshalb nicht weiterverfolgt werden konnten. Die Nürnberger Denkmalpläne sind dennoch besonders aufschlussreich, da sie zum einen die angespannte konfessionelle Lage im Deutschen Kaiserreich in den Jahren 1910 und 1911 widerspiegeln. Zum anderen wurde ersichtlich, dass Luther von Seiten der politischen und kirchenleitenden Stellen weniger als bei den in den 1880er Jahren errichteten Standbildern als deutsch-nationale Identifikationsfigur gelten konnte. Mit dem Medium Lutherdenkmal hatte sich eine antikatholische Polemik durchgesetzt, weshalb Luther in der Öffentlichkeit nicht als deutscher Volksheld verehrt, sondern lediglich an seine nationalprotestantische Bedeutung erinnert werden sollte.

3.5.2 Der Lutherbrunnen in Mansfeld (1898–1913) Eine künstlerische Besonderheit unter den Lutherdenkmälern bildet der Mansfelder Lutherbrunnen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Statue des Reformators, sondern auf drei Reliefplatten wird Luther in drei verschiedenen Lebensphasen dargestellt. Dieses Denkmal wird dennoch im Rahmen dieser Studie aufgenommen, da es einen Hinweis darauf gibt, dass im frühen 20. Jahrhundert neben dem Standbild bestehend aus einer Statue auf einem Sockel teilweise neue Formen der Denkmalkunst, beispielsweise die Bismarcktürme, umgesetzt wurden. 1474 kA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Staatsministerium des Innern an die K. Regierung von Mittelfranken, Kammer des Innern am 19.09.1911). 1475 Vgl.  Lutherdenkmalkomitee Nürnberg (Hg.): Art. Aufruf!, In: Evangelisches Gemeindeblatt für die Dekanatsbezirke Nürnberg und Fürth 18 (1911) 46, 579–580; vgl. N. N.: Art. Lutherdenkmal in Nürnberg, in: Evangelisches Sonntagsblatt in Bayern 28 (1911) 49, 498. 1476 N. N.: Lutherdenkmal in Nürnberg, 498.

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Im Jahr 1898 traten in „Mansfeld, der alten Lutherstadt und eigentlichen Heimat Luthers […] eine Anzahl Männer zusammen […], um die Errichtung eines Denkmals für unseren grossen Reformator“1477 anzuregen. Dieser Wunsch, dem „grössesten [sic!] Sohn […] ihrer Stadt“1478 ein Denkmal zu setzen, sei weiter zu verfolgen, da sich in Mansfeld drei wichtige Lutherstätten befänden: das Wohnhaus der Eltern, die sogenannte Lutherschule, auf der Martin als „Knabe bis 1497 den Kinderglauben und die zehn Gebote“1479 gelernt hatte, und die St. Georgenkirche, „in welcher der Reformator, nicht nur als Knabe wohl täglich gebete[t] […], sondern in der er auch wiederholt gepredigt“1480 hatte. Auf Grundlage dieses Lokalpatriotismus und des eigenen Selbstverständnisses, eine Lutherstadt zu sein, wurde ein Spendenaufruf zur Errichtung eines Lutherdenkmals und der Renovierung des Turms der St. Georgenkirche, welcher die Kulisse des Standbilds bilden würde, veröffentlicht.1481 Doch die Finanzierung gestaltete sich für das kleine Örtchen, sehr viel mühsamer als zunächst angenommen. 1910 wurde davon berichtet, dass „seit längerer Zeit aber […] die Sammlungen [ruhen] und die Gabensfreudigkeit für unser Vorhaben […] erloschen“1482 war. Die Denkmalinitiatoren hatten eingesehen, dass sie die finanziellen Mittel nicht allein durch freiwillige Spenden in ihrer Provinz aufbringen konnten und entschieden sich daher rund elf Jahre nach dem Planungsbeginn für eine Lotterie. Die Durchführung derselben in der Provinz Sachsen wurde am 29. Dezember 1909 vom sächsischen Oberpräsidenten genehmigt.1483 Da der Mansfelder Kirchenvorstand und das Luther-Denkmal-Komitee befürchteten, dass der Verkauf von Losen in Sachsen nicht ausreichen würde, erhofften sich diese im Februar 1910 die Genehmigung der Lotteriedurchführung in Hamburg. Hierzu machten die Organisatoren ihre dringliche Lage besonders deutlich, da „die Ausführung der Lotterie von einer Zusage des hohen Senates“1484 abhängen würde. Am 30. März 1910 wurde das Mansfelder Gesuch vom Hamburger Senat allerdings

1477 StA Hamburg, 111–1 Gesuche um Gestattung von Lotterien zu gemeinnützigen Zwecken außerhalb Hamburgs, Nr. 52281 Gesuch der Mitglieder des Gemeindekirchenrats und des Luther-Denkmal-Komitees aus Mansfeld, Bl. 1r. 1478 StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 1v. So auch die spätere Inschrift am Lutherbrunnen: Dem grossen Sohne. Die Stadt Mansfeld. 1479 StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 1v. 1480 StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 1v. 1481 Die St. Georgenkirche war bis 1899 renoviert worden, allerdings war die Kirchengemeinde selbst „ausser Stande“ die für die Renovierung des Kirchenturms notwendige Summe aufzubringen, sodass dieser im Zuge der Denkmalsache erneuert werden sollte. Vgl. StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 1v. 1482 StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 1v. 1483 Vgl. StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Anlage zu Bl. 3. 1484 StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 3.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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abgelehnt, da diesem „nach den für die Zulassung von Lotterien hier maßgeblichen Grundsätzen“1485 keine Genehmigung erteilt werden konnte.1486 So blieb die Ausführung des geplanten Lutherdenkmals und der Turmrenovierung der St. Georgenkirche auch im Jahr 1910 weiter ungewiss. Erst drei Jahre später gelang es schließlich das Lutherdenkmal zu finanzieren und am 2. November 1913 in der Mitte der Stadt einzuweihen. Der Mansfelder Denkmalverein forderte im Frühjahr 1913 die Bildhauer Paul Werner und Paul Juckoff zur Einsendung von Entwürfen auf. Juckoff reichte daraufhin drei verschiedene Modelle ein. Darunter befanden sich zwei klassische Denkmalentwürfe, die Luther als Statue auf einem Sockel vorsahen.1487 Der dritte, speziellere Entwurf, zeigte ein Brunnendenkmal, welches Juckoff selbst präferierte, da er sich nicht nur auf eine Situation im Leben Luthers beschränken wollte. Mit dem Vertragsschluss vom 7. Mai 1913 entschied sich das Komitee für letztgenannte Idee, sodass der aus Stein gefertigte Lutherbrunnen, an dessen drei Seiten jeweils eine bronzene Halbreliefplatte mit einer Szene aus Luthers Leben zu finden ist, umgesetzt wurde. Damit wandten sich die Mansfelder Verantwortlichen vom traditionellen Lutherstandbild ab und wählten eine neue Denkmalform, bei der „die narrative Komponente in den Vordergrund“1488 trat. Auf dem Lutherbrunnen findet sich eine Steinskulptur, die den Schutzpatron des Mansfelder Lands, den Heiligen Georg auf dem Pferd im Kampf gegen einen Drachen zeigt.1489 Dadurch wird ein lokaler Bezug zum Aufstellungsort hergestellt, der durch das erste Relief noch einmal verstärkt wird. Auf der dem Rathaus zugewandten Seite sieht man Luther als kleinen Jungen mit einem geschulterten Rucksack, einem Wanderstock in der rechten und einem Beutel Proviant in der linken Hand. Im Hintergrund wird durch Blätter auf der unteren Hälfte des Reliefs angedeutet, dass der kleine Martin außerhalb der Stadt

1485 StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 5. 1486 Vgl. StA Hamburg, 111–1, Nr. 52281, Bl. 1–5. 1487 Der eine der beiden Entwürfe entsprach der Lutherstatue in der Weißenfelser Kirche aus dem Jahr 1903 und das andere Modell wurde 1934 an der Martinskirche in Schlieben angebracht. Für die verschiedenen Entwürfe Juckoffs mit Abbildungen vgl. Hübner, Ulrich: Der Lutherbrunnen in Mansfeld – ein Werk von Paul Juckoff, in: Paul, Matthias / Burg, Udo von der (Hg.): Mansfeld – ‚Sehet, hier ist die Wiege des großen Luthers!‘. Beiträge zum Reformationsjubiläum 2017, Weimar 2016, 167–169; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 218–219, 241–242. 1488 Hübner: Lutherbrunnen, 176. 1489 Während seiner Wartburgzeit 1520/21 gebrauchte Luther den Namen Junker Jörg, der als Anspielung auf die Georgslegende gedeutet werden kann. Vgl. Hübner, Thomas: Luthers Drachenkampf – die reformatorische Deutung der Georgslegende, in: Paul, Matthias / Burg, Udo von der (Hg.): Mansfeld – ‚Sehet, hier ist die Wiege des großen Luthers!‘. Beiträge zum Reformationsjubiläum 2017, Weimar 2016, 9–32.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 36: Lutherbrunnen in Mansfeld, Paul Juckoff.

in der Natur steht. Seine Mansfelder Heimat hat er soeben verlassen und ist nur noch in seinem Rücken durch das Schloss links und die von Häusern umgebene St. Georgkirche rechts erkennbar. Indem die Lutherfigur aus dem Relief nahezu heraustritt, wird der Aufbruch des jungen Luthers ikonographisch verstärkt, was zusätzlich durch die Überschrift Hinaus in die Welt betont wird. Neben der Silhouette Mansfelds wird der lokale Bezug des Brunnens aufgenommen durch die Porträtreliefs der Eltern Luthers. Die Bilder Margarethe und Hans Luders sind nach den Vorlagen Cranachs von 1527 ausgearbeitet und gewähren dadurch deren Wiedererkennbarkeit. Die zweite Reliefplatte zeigt Luther als den sandalentragenden Mönch vor der angedeuteten Tür der Wittenberger Schlosskirche stehend. Mit seinem linken Fuß tritt der Augustinermönch auf eine Treppenstufe, die linke, flache Hand liegt auf dem bereits befestigten Thesenpapier. In der gesenkten rechten Hand hält Luther den Hammer, mit der er seine Ablasskritik angeschlagen hat. Den Blick hat der Reformator dabei nicht auf die Thesen, sondern nach oben in die Ferne gerichtet.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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Abb. 37: Relief Thesenanschlag am Lutherbrunnen in Mansfeld, Paul Juckoff.

Nach den Lutherdenkmälern in Brieg, Cottbus und Reichenbach wird wiederum das Motiv des Thesenanschlags aufgegriffen. Dabei wird aber, statt dem Talar bei den Standbildern, die historische Variante der Mönchskutte gewählt. Dies entspricht den Darstellungen in der Historienmalerei, aber auch der Sockelreliefs in Möhra und Worms.1490 Die von Ernst Rietschel ausgearbeitete Szene, zeigt einen größeren Ausschnitt: Luther wird im Moment des Thesenanschlags dargestellt, was durch den ausholenden Arm verdeutlicht wird. Der kleine Hammer in Luthers Hand geht nahezu unter, sodass auf diesem nicht der Fokus liegt. Stattdessen werden weitere Personen gezeigt, die einen wenden sich dem Geschehen interessiert zu, wohingegen ein anderer Mönch sich kritisch abwendet. So steht in Worms das Ereignis des Thesenanschlags und dessen Wirkung im Fokus.1491 1490 Henrike Holsing weist dabei auf eine Ähnlichkeit zwischen der Darstelllung des Thesenanschlags von Juckoff und dem von Hugo Vogel im Jahr 1902 oder 1903 für das Merseburger Ständehaus gemalten Historienbilds hin. Vgl. Holsing: Luther, 385. 1491 Ähnliches gilt auch für das Relief zum Thesenanschlag beim Lutherstandbild in Möhra von 1861. Hier wendet sich Luther drei umstehenden Männern zu, von denen sich einer – in Mönchskutte und mit Rosenkranz – von Luther abwendet. Vgl. Abb. 33.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Abb. 38: Relief Thesenanschlag am Wormser Lutherdenkmal, Ernst Rietschel.

Bei dem Mansfelder Relief ist der Bildausschnitt sehr viel kleiner und es wird lediglich Luther und die Tür gezeigt. Die Gesichtszüge des Reformators wirken härter und der Hammer wird deutlich größer und prominenter dargestellt. Das wird durch das Herausheben aus der ansonsten als Flachrelief gearbeiteten Bronzeplatte noch verstärkt. Die Darstellung von Paul Juckoff betont daher die Tat Luthers, die laut der Inschrift Hinein in den Kampf führte, sodass hier eine Kriegsmetaphorik mitschwingt. Diese wird noch gesteigert durch die dritte Überschrift Hindurch zum Sieg. Das darunter positionierte Relief verbildlicht Luther in einem anderen Lebensabschnitt. Der Reformator wird nun im Talar und mit reiferen, Cranach Darstellungen ähnelnden Gesichtszügen gezeigt. Zu seiner Rechten befindet sich ein Pult mit der geöffneten Bibel, auf der Luthers rechte, flache Hand liegt, was verdeutlicht, dass sich Luther auf das Wort Gottes stützte. Wie bei der ebenfalls von Paul Juckoff ausgeführten Weißenfelser Lutherstatue findet sich auch beim dritten Relief des Mansfelder Lutherbrunnens ein entschlossener Luther mit der geballten linken Faust. Auch hier spielt der Bildhauer mit den Möglichkeiten der Reliefdarstellung, denn die Faust tritt wiederum aus dem Flachrelief hervor, sodass diese besonders betont wird.1492 Durch den Lutherbrunnen entsteht der Eindruck als sei Mansfeld der zentrale Ausgangspunkt für das heldenhafte Leben Luthers und den Erfolg der Reformation. Durch Martins Weggang aus der Heimat war es ihm, laut der Botschaft der Reliefplatten, möglich, gegen die Kirche zu kämpfen und durch die Bibelübersetzung und seine Entschlossenheit den Sieg zu erringen. Diese kirchlich-theologische Interpretation hätte sich mit den ursprünglich vom Künstler vorgesehenen Über1492 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 184–185; vgl. Holsing: Thesenanschlag, 169–170.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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Abb. 39: Relief Hindurch zum Sieg am Lutherbrunnen in Mansfeld, Paul Juckoff.

schriften gedeckt. Juckoffs Ideen waren für das Relief mit Luther als Kind „‚Fürchte dich nicht (ich bin mit dir)! oder ‚Aus Mansfelds Tor – Wohin?‘ […], über dem Thesenanschlag ‚Kämpfe den guten Kampf!‘ und über Luther in der Studierstube ‚Unser Glaube ist der Sieg‘“1493. Die am Mansfelder Lutherbrunnen schließlich angebrachten Überschriften wurden am 9.  Juli 1913 vom Denkmalkomitee beschlossen, durch die sich unter Einbeziehung des Zeitgeschehens noch eine weitere Deutung des Lutherbrunnens aufdrängt. Die Schlagwörter Welt, Kampf und Sieg erinnern an den Imperialismus, das Weltmachtstreben Kaiser Wilhelms II., den Militarismus und die angespannte politische Situation im Jahr 1913. Daher stellt sich die Frage, ob am Vorabend des Ersten Weltkriegs der kleine Martin, der in die Welt hinausgehen und für seine Sache kämpfen musste, um sich siegreich durchzusetzen, als Beispiel dienen sollte für das noch junge deutsche Kaiserreich. Eine politische Aktualisierung durch die Darstellung Luthers und die von den Mansfelder Bürgern gewünschten Inschriften ist nicht von der Hand zu weisen. Mit dieser Aufladung des Reformators durch kriegsmetaphorische Begriffe und

1493 Hübner: Lutherbrunnen, 169.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Symbole fügte sich der Lutherbrunnen in geläufige Lutherinterpretationen vor und während des Ersten Weltkriegs ein. Dies stützt sich mit Dietz Berings Untersuchung publizistischer Äußerungen. Er wies nach, dass die Verbindung von Luther mit dem Thesenhammer, das Anschlagen der Thesen, sowie die Verknüpfung mit dem Kämpfen im Krieg, das zum Sieg führen sollte, im Kontext des Ersten Weltkriegs zunahm und Luther dadurch „kriegstauglich und […] zum Schlachtenhelfer gemacht“1494 wurde.1495

3.5.3 Luther als der nackte Reiter auf der Veste Coburg (1912–1914) Die Denkmalpläne auf der Veste Coburg reichen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück, denn bereits zum 300. Jubiläum der Confessio Augustana 1830 hatte Ernst I., der Burgherr und Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, ein provisorisches Lutherdenkmal errichten lassen. Dieses wurde allerdings nicht durch ein permanentes Standbild ersetzt, da – nach Meinung Klaus Weschenfelders – ausgenommen vom Wittenberger Lutherdenkmal die folgenden Denkmalerrichtungen in erster Linie aufgrund von bürgerlichen und nicht von fürstlichen Initiativen umgesetzt wurden.1496 Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen dieser Untersuchung. Anlässlich des 400. Lutherjubiläums 1883 wurde der Wunsch nach einem Standbild des Reformators vom Coburger Oberbürgermeister und von Teilen der Bevölkerung erneuert. Doch diesmal lehnte Herzog Ernst II. ein von Privatpersonen initiiertes und finanziertes Denkmal ab, da er „nicht gestatten [könne], dass auf seinem Grund und Boden“1497 ein solches errichtet würde.1498 So zeigen sich an diesen zwei frühen Bestrebungen bereits die Konfliktfelder, die auch bei den neu aufgenommenen Denkmalplänen ab dem Jahr 1912 eine Rolle spielten: denn es musste zum einen die Frage nach dem passenden Aufstellungsplatz auf der Coburger Veste, die weder in städtischer noch in kirchlicher Hand, sondern in Privatbesitz des Herzogs war, geklärt werden. Zum anderen hing damit eng die Frage nach der Gestaltung des Lutherdenkmals zusammen, denn diese

1494 Bering, Dietz: Luther im Fronteinsatz. Propagandastrategien im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2018, 23. 1495 Vgl. Bering: Fronteinsatz, 9–23. 1496 Vgl.  Weschenfelder, Klaus: Die Lutherveste. Luthermemoria in Coburg zwischen Volk und Fürst, in: Wolf, Peter (Hg.): Ritter, Bauern, Lutheraner: Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2017. Veste Coburg, Kirche St. Moritz. 9. Mai bis 5. November 2017, Augsburg 2017, 101–102. 1497 Weschenfelder: Lutherveste, 102. 1498 Stattdessen wurde im Rahmen der Feierlichkeiten 1883 in der Morizkirche und in der Luther-Schule jeweils eine Büste aufgestellt. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 90–91.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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konnte nicht allein das Lutherdenkmalkomitee bestimmen, sondern dieses war auf die Zustimmung des Burgherrn angewiesen. 3.5.3.1 Der Wettbewerbssieger als Provisorium an der Wehrmauer der Veste Der zentrale Akteur der Coburger Lutherdenkmalpläne war der örtliche Zweigverein des Evangelischen Bundes, der in seinen Vorstandssitzungen im Frühjahr 1912 beschloss, in Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum und im Zuge der Renovierung der Veste eine „sichtbare Erinnerung“1499 schaffen zu wollen. Schließlich sei „Coburg […] die einzige Lutherstadt, die kein Lutherdenkmal“1500 besitze, obwohl der vogelfreie Reformator während des Augsburger Reichstags im Jahr 1530 einige Wochen auf der Veste gelebt und dort „nicht weniger als 119 Briefe […] geschrieben [hatte] und […] durch reitende Boten in beständigem Verkehr mit den Freunden in Augsburg“1501 geblieben war. Dadurch hatte „die Veste mächtig mitgeholfen […] am großen Werke der Reformation“1502. Daher sei nach Meinung der Denkmalinitiatoren der einzig „in Frage kommende Platz […] die Veste [...], die mit Luthers Namen eng verwoben“1503 ist. Herzog Carl Eduard gab zwar seine „freudige Zustimmung“1504 zu den Denkmalplänen und übernahm ab Dezember 1912 auch das Protektorat, doch zugleich forderte er seine Mitsprache bei der Standortfrage.1505 Der für die Umbauarbeiten der Veste beauftragte Architekt Bodo Ebhardt hatte „nicht ohne schwere Bedenken von der Denkmalsidee gehört“1506 und riet dem Herzog davon ab, seine Zustimmung für die Errichtung des Monuments an der Außenmauer zu geben. Dieser Aufstellungsort wäre, laut Ebhardt, „sehr schwer mit der unbedingt erforderlichen Schonung des Gesamtbildes der Veste [zu] vereinigen“1507. Während das herzogli-

1499 N. N.: Art. Aus Stadt und Land. Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, in: Coburger Zeitung 51 (23.05.1912) 119, 2. 1500 N. N.: Lutherdenkmal (23.05.1912), 2. 1501 N. N.: Art. Aus Stad und Land. Luther-Erinnerung auf der Veste Coburg, in: Coburger Zeitung 51 (7.06.1912) 131, 1. 1502 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592 Akten des Hausmarschallamtes S. K. H. des Herzogs. Errichtung eines Lutherdenkmals auf der Veste Coburg, o. N. (Aufruf Ein Luther-Denkmal auf der Veste Coburg). 1503 N. N.: Lutherdenkmal (23.05.1912), 2. 1504 N. N.: Lutherdenkmal (23.05.1912), 2. 1505 Zur Zustimmung des Herzogs vgl. StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, Bl. 5 (Schreiben vom 8.08.1912); Zur Übernahme des Protektorats vgl. StA Coburg, LA A 13237 Akten des Geheimen Kabinetts betreffend das Protektorat über das Luther-Denkmal auf der Veste Coburg, o. N. (Schreiben vom 3.12.1912 und vom 5.12.1912). 1506 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, o. N. (Schreiben vom 28.06.1912). 1507 tA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, o. N. (Schreiben vom 28.06.1912).

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che Urteil von ästhetischen und architektonischen Interessen bestimmt war, war es dem Denkmalausschuss wichtig, dass das Luthermonument „jederzeit den Festungsbesuchern“1508 öffentlich zugänglich wäre.1509 Die vorläufige Platzentscheidung fand schließlich bei einer Besichtigung der Veste am 17. Oktober 1912 statt, an der der Herzog Carl Eduard, Vertreter des Denkmalausschusses und ein aus Malern, Bildhauern und Architekten zusammengesetztes Preisgericht teilnahmen. Die „Beratung ergab übereinstimmendes Urteil dahin, daß ein freistehendes Denkmal im 2.ten Hof der Veste“1510 errichtet werden sollte.1511 Nach dieser Entscheidung konnte nicht nur mit den Spendensammlungen zum 25. Jahresfest des Evangelischen Bundes am 27. Oktober 1912 begonnen, sondern auch ein Wettbewerb zur Einsendung von Entwürfen ausgeschrieben werden.1512 Anhand des Spendenaufrufs und den Wettbewerbsbedingungen lassen sich die Vorstellungen der Denkmalinitiatoren zur Gestaltung des Luthermonuments ablesen. So war ihnen wichtig, dass das Denkmal in Bezug zu Luthers Wirken auf der Veste Coburg stehen würde. Zudem forderten sie, dass dieses überregionale Bedeutung erlangen würde. Es sollte zu einem „Wahrzeichen des gesamten deutschen Protestantismus“1513 werden und von „alle[n] evangelischen Glaubensgenossen“1514 mitfinanziert werden. Im ersten Entwurf des Preisausschreibens wurde von der „Errichtung eines protestantischen Nationaldenkmals“1515 und von einem „deutsch-protestantische[n] Denkmal“1516 geschrieben, wodurch sich das nationalprotestantische Selbstverständnis des Evangelischen Bundes zeigte. Dass es nicht nur ideell, sondern auch personell eine enge Verknüpfung zwischen Denkmalprojekt und Evangelischem Bund gab, zeigt sich anhand der Person Freiherr von Tettaus, der der Vorsitzende beider Vereine war.1517 Auch wenn die

1508 N. N.: Lutherdenkmal (23.05.1912), 2. 1509 Für die anhaltende Diskussion um die Frage, wie die Standortfrage entschieden werden sollte und zur Bestimmung des Preisgerichts vgl. StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, Bl. 5–17; vgl. N. N.: Art. Aus Stadt und Land. Vom Wertegang des Lutherdenkmals, in: Coburger Zeitung 53 (1.07.1914) 151, 2. 1510 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, Bl. 31. 1511 Vgl. StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, Bl. 30–31. 1512 Vgl. StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, Bl. 11, 13. 1513 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, o. N. (Bedingungen des engeren Wettbewerbs). 1514 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, o. N. (Aufruf). 1515 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr.  592, Bl. 4 (Preisausschreiben für ein deutschprotestantisches Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, korrigierte Fassung vom 17.10.1912). 1516 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, Bl. 4. 1517 Freiherr von Tettau leitete den Evangelischen Bund zwischen dem Frühjahr 1912 bis Juni 1917 „in echt evangelischem Geiste und tatkräftig“. Vgl. N. N.: Art. Aus Stadt und Land. Evangelischer Bund, in: Coburger Zeitung 56 (28.06.1917) 148, 2.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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nationalprotestantischen Formulierungen nicht im veröffentlichten Spendenaufruf aufgenommen wurden, so blieb es doch das Anliegen des Denkmalkomitees, ein monumentales Bildnis des Reformators zu errichten, das „mehr […] als eines der üblichen Denkmäler an Straßen und Märkten […] [zeigen soll], was der Protestantismus unserem Luther […] zu verdanken hat“1518. Die einzureichenden Entwürfe sollten „der gewaltigen Persönlichkeit des großen Reformators“1519 gerecht werden.1520 Bis zum Frühjahr 1913 gingen 145 Denkmalentwürfe beim Coburger Komitee ein, die in der Mehrheit den Plastiken des 19.  Jahrhunderts entsprachen und in der Mehrheit Luther als stehende Statue im Talar vorsahen.1521 Doch gleichzeitig lässt sich beim Blick auf die Einsendungen feststellen, dass durchaus mit der Frage gerungen wurde, wie ein Lutherdenkmal auf „eine neue eigenartige und charakteristische“1522 Weise gestaltet werden könnte. So gab es verschiedene architektonische Ideen, bei denen der Reformator in einem Tempel oder einer Gedächtnishallte stand, und die an die ersten Entwürfe für ein Lutherdenkmal im Mansfelder Land 100 Jahre zuvor erinnerten. Doch stießen diese Lösungen insbesondere beim Juror Adolf von Hildebrand auf Kritik, da er der Meinung war, dass man „wohl einen Hirsch, wie bei meinem Hubertusbrunnen in München, in den Schatten stellen [könne], aber nicht einen Luther“1523. Daneben gab es „moderne […] Auffassungen“1524, die sich von den üblich gewordenen Standbildern Luthers lösten und den Reformator „im Verein mit Frau Katharina, die ihr Söhnchen Hans auf dem Arme trägt, [und] Luther als Mönch“1525 betend oder beim Anschlag der Thesen darstellten. Die vielfältigen Entwürfe wurden ergänzt durch weitere „höchst originelle“1526 und rein symbolische Auffassungen Luthers, beispielsweise in Anlehnung an die Bismarcktürme ein

1518 StA Coburg, Coburger Landesstiftung Nr. 592, o. N. (Aufruf). 1519 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, Bl. 4. 1520 Eine gekürzte Variante des Preisausschreibens findet sich bei: N. N.: Art. Wettbewerbe. Preisausschreiben für ein Luther-Denkmal auf der Veste Coburg, in: DBZ 47 (1913) 1/2, 12. 1521 Vgl. StadtA Coburg, A 10.314 Konkurrenz um ein Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, Bl. 4v (N. N.: Art. Thüringen und Nachbarstaaten, in: Coburger Tageblatt (6.05.1913) 104). 1522 StadtA Coburg, A 10.314, 3v (N. N.: Art. Unpolitischer Tagesbericht. Das Lutherdenkmal auf der Feste Koburg, in: Tägliche Rundschau (1.12.1912)). Derselbe Artikel findet sich ein halbes Jahr später auch im Christlichen Kunstblatt. Vgl. N. N.: Art. Das Lutherdenkmal auf der Feste Koburg, in: CKBK 55 (1913) 6, 232–233. 1523 Tettau, Freiherr von: Art. Die Ausstellung der Entwürfe für das Lutherdenkmal auf der Veste Coburg und das Ergebnis des Wettbewerbs (I.), in: Coburger Zeitung 52 (4.06.1913) 128, 2. 1524 StadtA Coburg, A 10.314, Bl. 4v. 1525 StadtA Coburg, A 10.314, Bl. 4v. 1526 StadtA Coburg, A 10.314, Bl. 4v.

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Lutherturm. Diese Ideen wurden vom Preisgericht „verworfen, da sie zur Person des Reformators in gar zu loser Beziehung stehen und ebenso gut als Entwurf für ein Denkmal jedes anderen Geistes- und Wahrheitshelden dienen“1527 könnten. Nachdem das Preisgericht die ersten Preise gekürt hatte, aber kein eindeutiger Favorit ausgemacht werden konnte, wurde beschlossen, einen engeren Wettbewerb unter vier Künstlern auszuschreiben: Dazu zählten Georg Wrba, der einen sitzenden Luther unter dem Kreuz ausgearbeitet hatte und durch diese Motivwahl an den in Stuttgart ausgeschriebenen Wettbewerb erinnert. Weiterhin in die engere Auswahl aufgenommen wurden die Vorschläge von Eberhard Encke, Walther Bischoff und Arthur Lange, der originell „Luther in idealer Gewandung mit der Fackel in der Hand inmitten der vier Evangelisten“1528 dargestellt hatte.1529 Für diesen engeren Wettbewerb, der bis Mitte Dezember 1913 lief, wurde den Bildhauern noch einmal besonders eingeschärft, dass sie „die machtvolle Persönlichkeit Luthers, die weltumwälzende Kraft seines Werkes zum Ausdruck“1530 bringen sollten. Zudem wurde der Aufstellungsort nach Genehmigung des Herzogs freigegeben, sodass neben dem Innenhof eine Anlehnung an die Außenmauer erlaubt war.1531 Dementsprechend war der Vorsitzende des Denkmalkomitees optimistisch, dass der engere Wettbewerb „das bringen wird, was wir erstreben, – das Lutherdenkmal, das niemand uns nachzubilden vermag“1532. Am 24. Februar trat abermals das Preisgericht zusammen und entschied sich „in Gegenwart […] des Herzogs“1533 und seiner Ehefrau für den Entwurf von Eberhard Encke, der sein Lutherdenkmal für die Außenseite der Festungsmauer, dem ursprünglich auch vom Denkmalkomitee präferierten Standort, vorgesehen hatte. Die Lutherfigur Enckes zeigt den Reformator im Talar mit der rechten Hand zur Faust geballt. Diese hängt seitlich am Körper herunter, während er in der linken Hand die Bibel festhält. Zudem wurde die Figur aufgrund ihrer „wundervollen Kraft“1534 gewürdigt, was sich insbesondere an der Ausarbeitung des Kopfes zeige,

1527 Tettau: Ausstellung (I.), 2. 1528 Tettau, Freiherr von: Art. Die Ausstellung der Entwürfe für das Lutherdenkmal auf der Veste Coburg und das Ergebnis des Wettbewerbs (II.), in: Coburger Zeitung 52 (5.06.1913) 129, 2. 1529 Vgl. Tettau: Ausstellung (I.), 2; vgl. StadtA Coburg, A 10.314, Bl. 5v (N. N.: Art. Das Lutherdenkmal auf der Veste, in: Coburger Tageblatt (22.05.1913) 117); vgl. StadtA Coburg, A 10.314, Bl. 6 (N. N.: Art. Das Preisgericht für das Lutherdenkmal, in: Coburger Tageblatt (25.05.1913) 120). 1530 Tettau: Ausstellung (I.), 2; vgl. dieselbe Formulierung auch in den Bedingungen des engeren Wettbewerbs in: StA Coburg, Coburger Landesstiftung 592. 1531 Vgl. StA Coburg, Coburger Landesstiftung 592, o. N. (Bedingungen engerer Wettbewerb). 1532 Tettau: Ausstellung (II.), 2. 1533 N. N.: Art. Aus Stadt und Land. Luther-Denkmal auf der Veste Coburg, in: Coburger Zeitung 53 (25.02.1914) 47, 2. 1534 N. N.: Art. Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, in: Coburger Zeitung 53 (27.02.1914) 49, 2.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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Abb. 40: Provisorisches Lutherdenkmal an der Veste Coburg, Ferdinand Encke.

der „die Züge des Reformators, wie sie in jedem protestantischen Herzen leben“1535 wiedergeben würde.1536 Damit steht dieser faustballende Reformator ganz in der Tradition der vorherigen bürgerlichen Lutherdenkmäler und die sich widerspiegelnden Charakterzüge, wie Entschlossenheit und Stärke, entsprachen dem zeitgenössischen Lutherbild. So überrascht dieser Entwurf nicht mit einer außergewöhnlichen von vorherigen Standbildausführungen abweichenden Darstellung, wie es sich bei verschiedenen anderen Wettbewerbsbeiträgen gezeigt hatte. Von den ursprünglich im Spendenaufruf anvisierten 100.000 Mark hatte das Lutherdenkmalkomitee im Oktober 1913 erst knapp über 15.000 Mark gesammelt, sodass auch nach der Entscheidung für Enckes Entwurf eine Ausführung noch in weiter Ferne lag.1537 Daher entschied das Denkmalkomitee, dass das Modell Enckes als Provisorium am vorgesehenen Standort errichtet werden sollte, um einerseits die Spendensammlungen anzukurbeln und andererseits zu prüfen, ob es dort seine volle Wirkung entfalten könne. Dieses vorübergehende aus Holz und Gips auszuarbeitende Lutherdenkmal sollte „noch breiter, mächtiger und wuchtiger“1538 sein als 1535 N. N.: Art. Lutherdenkmal auf der Veste Coburg (27.02.1914), 2. 1536 Vgl. Tümpel: Lutherdenkmäler, 218, 247. 1537 Vgl. StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, o. N. (Aufruf); vgl. N. N.: Art. Aus Stadt und Land. Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, in: Coburger Zeitung 52 (18.10.1913) 245, 4. 1538 StA Coburg, Coburger Landesstiftung Nr. 592, o. N. (Schreiben vom 8.05.1914).

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es im bisherigen Entwurf vorgesehen war und „baldmöglichst […], jedenfalls vor Ende Juni“1539 aufgestellt werden.1540 Nachdem Herzog Carl Eduard das Modell Enckes genehmigt hatte, konnte das provisorische Lutherdenkmal an der Außenmauer der Veste errichtet und nach Entfernen des Baugerüsts am 28. Juni von zahlreichen Mitgliedern des Denkmalausschusses begutachtet werden. Dabei wurde betont, „daß die Wahl dieses Entwurfes eine glückliche gewesen [sei, da d]ieser Luther […] ganz der starke Mensch mit dem festen Willen [sei], der seine Bibel, die er wie ein heiliges Gut ans Herz drückt, zu verteidigen weiß“1541. So war zwar rund einen Monat vor Beginn des Ersten Weltkriegs das Provisorium in Coburg aufgestellt worden, allerdings herrschte nun „völlige Ebbe“1542 in der Kasse des Denkmalausschusses. Durch die sich verschärfende Kriegssituation war es nicht möglich, „mit Macht in die Werbearbeit für das Denkmal“1543 einzutreten. Doch der Erste Weltkrieg war nicht der alleinige Grund dafür, dass dieses Lutherdenkmal nicht zur Ausführung kam. So mangelte es vor allem an der nötigen Unterstützung des Herzogs, der bereits dabei war, in einem Alleingang seine eigenen Vorstellungen umzusetzen. 3.5.3.2 Der ganz andere Luther als privat finanziertes Denkmal des Herzogs Noch während der engere Wettbewerb zur Überarbeitung der Entwürfe lief, ging Herzog Carl Eduard selbst in die Offensive. „[O]hne […] Vermittlung“1544 des Oberhofmarschalls Rüxleben hatte der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha zum Bildhauer Hans Klett, der sich am Wettbewerb beteiligt hatte, Kontakt aufgenommen und mit ihm „eine Abmachung getroffen, wonach dieser sein Modell für ein Lutherdenkmal […] in Bronce anfertigen und diese Figur auf der Veste aufstellen soll“1545. Über die entstehenden Kosten, die der Burgherr selbst übernehmen wollte und die für Bronzeguss, Atelierkosten und Arbeitszeit rund 4.800 Mark betragen

1539 StA Coburg, Coburger Landesstiftung Nr. 592, o. N. (Schreiben vom 8.05.1914). 1540 Die Berichterstattung zur Aufstellung des Provisoriums lässt sich insbesondere nachverfolgen in der Coburger Zeitung, 53 (31.03., 19.05., 24.06.–1.07.1914). Zur Errichtung des Provisoriums und einer Abbildung desselben vgl. N. N.: Art. Das Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, in: Kunst für Alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur 29 (1913/14) 22, 528; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 92–93. 1541 N. N.: Art. Aus Stadt und Land. Das Probedenkmal Luthers auf der Veste, in: Coburger Zeitung 53 (26.06.1914) 147, 2. 1542 StA Coburg, Coburger Landesstiftung, Nr. 592, o. N. (Schreiben vom 30.07.1914). 1543 N. N.: Wertegang, in: Coburger Zeitung (1.07.1914), 2. 1544 StA Coburg, LA A 13237, o. N. (Schreiben vom 9.07.1913). 1545 StA Coburg, LA A 13237, o. N. (Schreiben vom 9.07.1913).

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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würden, sollte der für den Umbau der Veste beauftragte Architekt Bodo Ebhardt mit Hans Klett „noch endgültig verhandel[n]“1546. Außergewöhnlich ist, dass der Herzog ohne Kenntnis des Lutherdenkmalkomitees den Auftrag für die Ausführung eines Entwurfs gab und dieses selbst, das heißt ohne Spendengelder aus der Bevölkerung bezahlen wollte. Zugleich hatte er aber weiterhin das Protektorat für das öffentlich beworbene Lutherdenkmal inne, sodass der Burgherr ab diesem Zeitpunkt neben dem offiziellen Denkmalprojekt gleichzeitig auch seine eigenen Pläne verfolgte. Dies deckte sich durchaus mit dem Regierungsverständnis Carl Eduards, der seit 1905 regierte und im Gegensatz zu seinen Vorgängern einen „konservativer[en] Kurs […]“1547 eingeschlagen hatte und „die Monarchie wieder mehr in den Vordergrund zu stellen suchte“1548. Aus der Mitteilung vom 9. Juli 1913 über den Auftrag an Hans Klett geht ebenfalls hervor, dass der Bildhauer für die Ausarbeitung seines Modells mit sechs Monaten rechnete. Wann genau dieses originelle Lutherdenkmal letztlich fertiggestellt und auf der Veste Coburg angebracht wurde, muss aber bislang offen bleiben. In den Akten zum geplanten Lutherdenkmal wurde der weitere Fortgang dieses herzoglichen Denkmalprojekts nicht dokumentiert. Auch die Berichterstattung in der Coburger Zeitung, die regelmäßig über die Entwicklung des bürgerlichen Lutherdenkmalprojekts schrieb, erwähnte bis 1918 die Statue Hans Kletts nicht. Bei den Feierlichkeiten zum 400. Reformationsjubiläum am 4. November 1917 auf der Veste Coburg blieb dieses ebenfalls unerwähnt.1549 Da nach Ende des Ersten Weltkriegs Herzog Carl Eduard im November 1918 seinen Rücktritt verkünden musste und ihm infolgedessen lediglich das „Wohnrecht auf Lebenszeit“1550 auf der Veste Coburg zugesprochen worden war, könnte hierin ein Indiz liegen, dass das Lutherdenkmal Kletts zuvor aufgestellt worden war. Gesichert hingegen ist, dass das an der Außenmauer der Veste 1914 provisorisch errichtete Lutherdenkmal von Eberhard Encke nicht zur Umsetzung kam und

1546 StA Coburg, LA A 13237, o. N. (Schreiben vom 9.07.1913). 1547 Sandern, Detlef: Coburg im Deutschen Bund und Deutschen Reich. Coburg von Ernst I. bis zu Carl Eduard, in: Henker, Michael / Brockhoff, Evamaria (Hg.): Ein Herzogtum und viele Kronen. Coburg in Bayern und Europa. Katalog zur Landesausstellung 1997 des Hauses der Bayerischen Geschichte und der Kunstsammlung der Veste Coburg, Augsburg 1997, 84. 1548 Sandern: Coburg, 84. 1549 Vgl. LATh – StA Gotha, 13451 Staatsministerium Dep. III Gen. Loc. 21, Nr. 1 Feier des Reformations- und Kirchweihfestes, Bl. 244 (Einladung zur Landesgedenkfeier der Reformation); vgl. N. N.: Art. Die Landesgedenkfeier der Reformation, in: Coburger Zeitung 56 (6.11.1917) 260, 3. 1550 Erdmann, Jürgen: Coburg, Bayern und das Reich (Coburger Heimatkunde und Landesgeschichte 22), Coburg 1969, 22.

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heute nicht der entschlossene aus der Mauer heraustretende Reformator, sondern der „Lichtbringer zu Pferde“1551 die Veste Coburg ziert.

Abb. 41: Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, Hans Klett.

Neben der privaten Initiierung durch Herzog Carl Eduard ist das Besondere der Bronzeskulptur Kletts seine außergewöhnliche Gestaltung. Es handelt sich dabei um das erste abstrakte Lutherdenkmal, da auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, dass dieses den Reformator abbildet.1552 Die bis 1913 üblich gewordenen Merkmale der Lutherdenkmäler, wie stehende Statue mit an die Cranach-Porträts angelehnten Gesichtszügen, oder typische Accessoires, wie Talar und Bibel, fehlen genauso wie Inschriften oder andere auf Luther hinweisende Indizien. Stattdessen entspricht das von Hans Klett unter dem Motto Licht und Kraft ausgearbeitete Denkmal dem Typus Reiterstandbild. Bei diesen herrschaftlichen Denkmälern wird das Pferd meist mit Zügel und Sattel dargestellt und das Tier befindet sich in Bewegung. Diese Elemente fehlen bei Kletts Modell und auch die Hufen stehen fest auf dem Boden, sodass das Pferd in einer ruhigen, abwartenden Pose dargestellt wird. Auf dem Pferd sitzt ein muskulöser, unbekleideter Reiter, der

1551 StA Coburg, LA A 13237, o. N. (Schreiben vom 9.07.1913). 1552 Auffällig ist, dass in der ansonsten vollständigen Bestandsaufnahme der Reformationsdenkmäler von Otto Kammer zwar über den Coburger Wettbewerb und das Provisorium von 1914 berichtet wird, die ungewöhnliche Lutherstatue Kletts jedoch fehlt. Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 92–93.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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in seiner nach vorne ausgestreckten linken Hand eine brennende Fackel hält. Die Gesichtszüge lassen keine Rückschlüsse auf eine bekannte historische Person zu. Vor dem Pferd kniet ein Mann, der dem Reiter in Körperbau und Frisur ähnelt und das Haupt gesenkt hält. Mit der rechten Hand umgreift er ein Schwert, das auf die Knie gelegt ist. In der linken Hand hält der „nackte Krieger […] [ein] Wettiner Wappenschild“1553. Ähnlich wie beim Mansfelder Lutherdenkmal schwingt auch bei diesem Denkmal auf der Veste Coburg eine Kriegsmetaphorik mit, allerdings erscheinen die dargestellten Figuren durch den nach unten blickenden Krieger und das in einer ruhigen Haltung dastehende Pferd weniger angriffslustig, sondern eher in einer Schutz- oder Verteidigungsposition. Durch die abstrakte Darstellung des Reformators entsteht der Eindruck, dass das Denkmal nicht zwingend die Person Luthers als den Lichtbringer stilisieren möchte, sondern vielmehr die Reformationsbewegung in den Vordergrund rückt. Zugleich wird betont, dass seit dem 16. Jahrhundert „die Ernestiner [der Reformation] zum Durchbruch verholfen hatten“1554 und auch noch zu Beginn des 20.  Jahrhunderts der Protestantismus unter dem Schutz des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha stehe. Während die Initiative des Coburger Evangelischen Bundes sich für ein klassisches Lutherbild entschieden hatte und darin insbesondere die machtvolle, heroische Persönlichkeit des Reformators betont wissen wollte, hatte Carl Eduard sich für einen die Lutherstatue überwindenden Typus entschieden und war dadurch denkmalgeschichtlich einen neuen Weg gegangen. Zugleich war ihm die Wiedererkennbarkeit des Reformators, ein häufig gefordertes Kriterium der bürgerlichen Denkmalinitiativen, nicht wichtig, sodass die auf der Veste errichtete Skulptur sich den Betrachtenden nicht auf den ersten Blick erschließt. So zeigte sich knapp 100 Jahre nach der Errichtung des ersten Lutherdenkmals, dass mit dem Eingreifen der politischen Obrigkeit auch eine Verschiebung der Denkmalintention einherging. In Coburg standen sich die bürgerlichen und herzoglichen Interessen konträr gegenüber. Statt dem nationalprotestantischen Lutherbild des Evangelischen Bundes wurde ein sich von der heldenhaften Lutherverehrung unterscheidendes Denkmal errichtet, bei dem „die Luthermemoria als Vergegenwärtigung der Bedeutung der Dynastie im Sinne einer Herrschaftslegitimation“1555 zum Ausdruck kam.

1553 Weschenfelder: Lutherveste, 104. 1554 Weschenfelder: Lutherveste, 104. 1555 Weschenfelder: Lutherveste, 104.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

3.5.4 Luther am Fuße des auferstandenen Christi in Stuttgart (1901–1903, 1910–1917) Im Verlauf der bisherigen Denkmalanalysen wurde festgestellt, dass vielen Luthermonumenten eine mehrjährige Entstehungszeit vorausging. Dies hatte insbesondere beim Eislebener Standbild zur Folge, dass die Denkmäler in ihrer Aussagekraft zum Zeitpunkt ihrer Einweihung dem Zeitgeschehen bereits hinterherhinkten. Bei den Planungen zum Stuttgarter Denkmal wird hingegen zu sehen sein, dass die Initiatoren durch die Gestaltungsideen ihres Monuments den historischen Ereignissen – sogar zweimal – nahezu prophetisch einen Schritt voraus waren und somit dieses Reformationsdenkmal zum Zeitpunkt der Enthüllung überraschend aktuell war. 3.5.4.1 Die Denkmalkritik und die Borromäus-Enzyklika als zwei sich wiederholende Themen Die in der Beilage bezeichneten Personen haben sich zu einem Komitee vereinigt das sich, dem Vorgange anderer deutscher Städte folgend, die Aufgabe gestellt hat, […] ein würdiges Denkmal zum Gedächtnis der Reformation Württembergs zu errichten. Martin Luther soll die Hauptfigur der Gruppe bilden und neben ihm sollen die süddeutschen Reformatoren Melanchthon und Brenz, sowie die württembergischen Herzoge Ulrich und Christoph in noch näher zu bestimmender Weise ihre Stelle finden.1556

So informierte der Stuttgarter Denkmalverein in einem Schreiben vom 10. Dezember 1901 den örtlichen Stadtrat über die Denkmalidee. Dabei fällt zum einen auf, dass Luther im Zentrum des mehrfigürlichen Monuments stehen sollte und zum anderen durch die Ergänzung je zweier Mitreformatoren und Landesherren eine Anlehnung an den Wormser Denkmalaufbau erkennbar wird. Als geeigneten Aufstellungsort wurde vom Komitee der Platz vor der Garnisonskirche ins Auge gefasst und daher der Stadtrat gebeten, diesen dem Denkmalverein zu überlassen. In der Rathaussitzung am 27.  Februar 1902 wurde diese Denkmalinitiative unter den städtischen Abgeordneten kontrovers diskutiert. Es wurde die „systematische […] Austapezierung öffentlicher Pläze [sic!]“1557 kritisiert und die Meinung geäußert, „daß man […] ein solches Denkmal entbehren könne“1558, da

1556 LkA Stuttgart, K1 Verein für christliche Kunst, Nr.  217 Stuttgart, Stkr. (Hospitalkirche) IV – Reformationsdenkmal, o. N. (Das Denkmalkomitee an den Gemeinderat der Haupt- und Residenzstadt Stuttgart am 10.12.1901). 1557 LkA Stuttgart, K1, Nr.  217 IV, o. N. (N. N.: Art. Stuttgarter Rathaussitzung, in: Schwäbische Kronik des Schwäbischen Merkurs zweite Abteilung (27.2.1902) 96, Abendblatt). 1558 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)).

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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keine historischen Gründe, anders als in „Worms, Wittenberg, Eisenach“1559, eine Denkmalsetzung rechtfertigen würden. Neben diesem Statement, bei dem die zunehmende Bedeutungslosigkeit von Standbildern im öffentlichen Raum zum Ausdruck gebracht wurde, bildete der konfessionelle Aspekt eines Lutherdenkmals das Zentrum der lebhaften Diskussion im Stadtrat. Ein solches Denkmal wäre „eine ‚Demonstration‘ gegen die kathol. Einwohnerschaft“1560 und es könne daher nicht im Interesse der Stadt liegen, „für einseitige politische oder konfessionelle Zwecke einen Platz herzugeben“1561. Demgegenüber wurde von Befürwortern des Lutherdenkmals betont, dass diesem „auch ein […] vaterländische[r] Gedanke“1562 gegeben werden würde, denn der Reformator war nicht nur ein „helle[r] Stern für unsere Sprache“1563, sondern auch „die Katholiken haben Grund, dankbar zu sein, da sie ohne […] Luther sich noch in der alten Korruption ihrer Kirche befinden würden“1564. Von einem sozialdemokratischen Stadtrat, aus dessen Äußerung die zeitgenössische religionskritische Position deutlich wird, wurde angeführt, dass wenn man schon nicht „die Errichtung von Kirchen […] verweigern kann, so sollte man doch gegen die Denkmäler auftreten“1565. Einig wurde man sich dahingehend, dass dem Denkmalkomitee kein Platz überlassen werden würde, sondern dieser von der „Bürgerschaft […] selbst [zu] bezahlen“1566 sei.1567 So lässt sich an der im Jahr 1902 geführten Debatte sowohl die damalige Denkmalkritik als auch eine Verschiebung der Unterstützer ablesen, indem die städtischen Repräsentanten ein für sie konfessionelles Denkmal nicht fördern wollten. Vor allem bei den Lutherdenkmälern der zweiten Phase waren es häufig politische Amtsinhaber, wie beispielsweise der Magdeburger Stadtrat, die die Denkmalpläne des Reformators unterstützten oder sogar initiierten. Auch die Stuttgarter Standortdiskussion war ganz bestimmt von den für die Jahrhundertwende typischen Argumenten. Neben einem Platz in unmittelbarer Nähe zu einer

1559 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1560 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1561 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1562 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1563 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1564 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1565 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1566 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Rathaussitzung (27.2.1902)). 1567 Das Grundstück an der Seite der Hospitalkirche erwarb das Denkmalkomitee schließlich von der Stadtverwaltung für 360 Mark. Vgl. LkA Stuttgart, D 41 Nachlass Konrad Hoffmann (1906–1956), Nr. 34 Materialsammlung zum Reformationsdenkmal in Stuttgart, o. N. (Gericht über die Arbeit am Reformationsdenkmal auf Grund des Beschlusses des Ausschusses vom 12.03.1912, 5).

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Kirche wurde der Neubau einer (Luther-)Kirche, die zusammen mit dem Standbild „einander ergänzend und ein Ganzes bildend allen verständlich wäre“1568, ins Spiel gebracht. Bei diesen ersten Ideen für das Stuttgarter Denkmalprojekt wurden die Begriffe Luther- und Reformationsdenkmal noch synonym verwendet, doch spätestens seit Herbst 1903 hatte sich die Bezeichnung württembergisches Reformationsdenkmal durchgesetzt. Dies hing auch mit der Denkmalidee zusammen, für die sich das Stuttgarter Komitee im Oktober 1903 entschied.1569 Diese stammte vom lokalen Bildhauer Theodor Fischer und sah unter dem Kruzifix die stehenden Figuren Luthers und des württembergischen Reformators Johannes Brenz vor. Vom späteren Vorsitzenden des Denkmalkomitees, Johannes Merz, wurde dieser Vorschlag ausdrücklich gelobt, da dieser „nichts zu tun habe […] mit menschlicher Großmannssucht und Menschenvergötterung“1570 und somit „ein hocherfreulicher Fortschritt in unserer Denkmalplastik“1571 erkennbar sei. Nachdem es sich bei den in den letzten Jahrzehnten errichteten Lutherstandbildern „mehr oder weniger [um] Abwandlungen des von Rietschel aufgestellten Paradigmas“1572 gehandelt hatte, sei „es nun Theodor Fischer gelungen, gleichsam eine ganz neue Melodie zu greifen“1573. In einer Mitteilung vom 29. Oktober 1903 wurden die Bildhauer Karl Donndorf jun. und Hermann Lang zu einem Wettbewerb zur genauen figürlichen Ausgestaltung der Idee Fischers aufgefordert, welchem beide Künstler zustimmten.1574 Sodann ruhten allerdings die Bestrebungen für das Stuttgarter Reformationsdenkmal, was sich auch in einer Unterbrechung im Protokollbuch zwischen dem 6. November 1903 und dem 30. Juni 1910 zeigte.1575 Gründe für diesen Stillstand werden nicht genannt, stattdessen heißt es nur, dass die „Durchführung des Planes […] aus mehrfachen Gründen zurückgestellt“1576 wurde. In diesem Kontext wurde

1568 LkA Stuttgart, K1, Nr.  217, o. N. (Leserbrief vom 7.03.1902 zum Reformationsdenkmal von Oberbaurat Prof. Robert Reinhardt). 1569 Vgl. LkA Stuttgart, K1 Verein für christliche Kunst, Nr. 214 Stuttgart, Stkr. (Hospitalkirche) I – Ausschußsitzungen zur Errichtung eines Reformationsdenkmals, Bl. 1–5 (Sitzungsprotokoll vom 27.10.1903). 1570 Merz, Johannes: Art. Nachwort, in: CKBK 46 (1904) 1, 17. 1571 Merz: Nachwort, 17. 1572 Merz: Nachwort, 17. 1573 Merz: Nachwort, 18. 1574 LkA Stuttgart, K1 Verein für christliche Kunst, Nr. 216 Stuttgart, Stkr. (Hospitalkirche) III – Reformationsdenkmal, o. N. (An Hermann Lang und Karl Donndorf am 29.10.1903). 1575 Vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 214 (Protokollbuch der Ausschusssitzungen). 1576 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599 Evangelische Kirchensachen: Miszellen, Bl. 12 (Der Vorsitzende des Denkmalkomitees Freiherr von Gemmingen an den Württembergischen König am 9.07.1910).

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lediglich erwähnt, dass zentrale Personen des Denkmalkomitees verstarben, was ebenso eine Möglichkeit für die Erlahmung der Initiative gewesen sein könnte, wie „innere Schwierigkeiten“1577 des Denkmalvereins. Ein zehn Jahre vor dem 400. Jubiläum anlässlich des Reformationstags 1907 in einer lokalen Zeitung veröffentlichter Weckruf an das Komitee verhallte, auch wenn darin beklagt wurde, dass es „ein trauriges Zeugnis für den schwäbischen Protestantismus“1578 wäre, wenn das geplante Denkmal unausgeführt blieb. Erst im Jahr 1910 gelang es, das Stuttgarter Komitee aus seinem „förmlichen Dornröschenschlaf“1579 zu holen. Es war dementsprechend nicht das anstehende Reformationsjubiläum, das den Denkmalplänen neuen Aufschwung gab und „das Feuer evangelischer Begeisterung“1580 weckte, sondern einmal mehr die Borromäus-Enzyklika. Das Stuttgarter Monument sollte dementsprechend zu einer sichtbaren „Tat des Protestes […] gegen [die] römische[n] Verunglimpfungen“1581 werden. So wurde es bei der Stuttgarter „Protestversammlung gegen die päpstliche Borromäus-Enzyklika […] am 15. Juni“1582 1910 gefordert und durch den „jubelnde[n] Beifall der versammelten Tausende“1583 befürwortet.1584 Nun sah sich der Denkmalverein ermutigt die enthusiastische Stimmung zu nutzen und seine Pläne „mit viel Energie“1585 wieder aufzunehmen. Bereits zwei Wochen nach der öffentlichen Protestveranstaltung wurde in der Ausschusssitzung des Komitees beschlossen, dass ein Spendenaufruf sofort veröffentlicht werden sollte. Ein entsprechender Entwurf wurde sodann in einer Sitzung am 3. Juli ausgearbeitet und von den Komiteemitgliedern genehmigt.1586 Anders als bei den Nürnberger Denkmalplänen, die erst im Jahr 1911 aufgenommen wurden, zeichnete sich die Stuttgarter Initiative durch ihre schnelle Reaktion auf die päpstliche Verlautbarung und das Ausnutzen der aufgeheizten Stimmung aus. Doch zugleich wurde beim württembergischen Spendenaufruf, im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des fränkischen Aufrufs, auf die direkte Anspielung auf die Borromäus-Enzyklika verzichtet. Die Reformation wurde zwar 1577 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Zeitungsartikel vom 30.10.1910 im Protokollbuch). 1578 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Zeitungsartikel vom 30.10.1910 im Protokollbuch). 1579 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (M., H.: Art. Das Reformationsdenkmal in Stuttgart, in: Evangelisches Gemeindeblatt für Stuttgart 6 (1910) 14, 66). 1580 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (M., H.: Reformationsdenkmal in Stuttgart, 66). 1581 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (M., H.: Reformationsdenkmal in Stuttgart, 66). 1582 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Zeitungsartikel Reformationsdenkmal in Stuttgart). 1583 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Zeitungsartikel Reformationsdenkmal in Stuttgart). 1584 Zur Wiederaufnahme der Denkmalpläne und für den Abdruck des Spendenaufrufs vgl. auch Kopp, Georg: Art. Vom Stuttgarter Reformations-Denkmal, in: CKBK 52 (1910) 9, 270. 1585 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, Bl. 11 (Sitzungsprotokoll vom 30.06.1910). 1586 Vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, Bl. 13 (Sitzungsprotokoll vom 3.07.1910).

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ähnlich wie in Nürnberg als „die grösste Tat unserer deutschen Geschichte“1587 gedeutet, doch richtete sich der Aufruf von Anfang an lediglich an „das evangelische Volk Württembergs“1588 und nicht auch an alle Volksgenossen. Doch auch wenn im Stuttgarter Spendenaufruf direkte Polemik gegenüber dem Katholizismus fehlte, waren die Ereignisse im Sommer 1910 noch viel präsenter als bei Veröffentlichung des Nürnberger Pendants im darauffolgenden Jahr. Dementsprechend wurde die Spendenbereitschaft in der evangelischen Bevölkerung Württembergs getragen von den konfessionellen Spannungen und war trotz der schwierigen „augenblickliche[n] wirtschaftliche[n] Lage“1589 sehr hoch, sodass in kürzester Zeit die angestrebte Summe in Höhe von 50.000 Mark vorhanden war.1590 Mit der Wiederaufnahme der Stuttgarter Denkmalinitiative erinnerten sich die Verantwortlichen ebenso an ihren bereits ins Auge gefassten Vorschlag von Theodor Fischer. Das Komitee, aber auch die Presse war sich darin einig, dass „man sich [keinen] […] sinnigeren Protest gegen das Schimpfwort von den ‚Feinden des Kreuzes Christi‘ denken [könne], als wenn man die Vertreter der Reformation unter dieses Kreuz Christi selber“1591 stellen würde. Die Denkmalidee Fischers hatte also „in fast prophetischer Weise die Stimmung getroffen […], die nach dem im Sommer […] Erlebten, die weitesten Kreise des Protestantismus“1592 durchzog. Durch den Entwurf von Theodor Fischer könne man „ohne jede polemische Spitze, gleichsam lapidar zum Ausdruck bringen, welches die Stellung unserer Reformatoren zum Kreuz Christi war: nicht feindlich gegen, sondern demütig, gläubig unter dem Kreuz Christi“1593.1594 So hatte dieser Denkmalentwurf zunächst keine prinzipiell antikatholische Aussage impliziert, doch aufgrund der Kontroverse um die Beziehung der Reforma-

1587 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 15 (Aufruf an das evang. Volk Württembergs). 1588 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 15. 1589 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Art. Stuttgarter Lutherfeier, in: Schwäbische Kronik des Schwäbischen Merkurs zweite Abteilung (11.11.1910) 525, 6). 1590 In der Komiteesitzung vom 16.12.1910 wurde berichtet, dass bereits 53.000 Mark an freiwilligen Spenden eingegangen seien und der württembergische König 1.000 Mark dazu beigetragen hatte. Vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, Bl. 18 (Sitzungsprotokoll vom 16.12.1910). Der württembergische König hatte im Juli 1910 eine finanzielle Unterstützung zunächst ablehnt und sicherte erst im November 1910 einen Beitrag zu. Vgl. LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 16, 22, 24–28. 1591 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Zeitungsartikel Reformationsdenkmal in Stuttgart). 1592 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Lutherfeier, 6). 1593 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Lutherfeier, 6). 1594 Zur Interpretation des Entwurfs Fischers als prophetische Vorhersage vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Stuttgarter Lutherfeier, 6); vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Zeitungsartikel Reformationsdenkmal in Stuttgart); vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (M., H.: Reformationsdenkmal, 66).

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toren zum Kruzifix in der Borromäus-Enzyklika hatte sich die Deutung dieses Entwurfs verschoben. So konnten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen in der vorgesehenen Denkmaldarstellung durchaus eine konfessionelle Polemik erkennen. Dass den Stuttgarter Komiteemitgliedern mit dem sieben Jahre alten Vorschlag Fischers ein Entwurf für ein Reformationsdenkmal vorlag, der nicht hätte aktueller sein können, veranlasste diese an der vorgesehenen Ausgestaltung auch im Spendenaufruf und in der Ausschreibung des Denkmalwettbewerbs festzuhalten.1595 3.5.4.2 Der Streit um das Motiv des Kreuzes und der Auferstehung Im Dezember 1910 beschloss das Komitee eine Ausschreibung für das Reformationsdenkmal, indem die württembergische Künstlerschaft aufgerufen wurde, sich bis zum 3.  April 1911 mit einem Denkmalentwurf am Wettbewerb zu beteiligen. Das Modell sollte möglichst den Gedanken, die Reformatoren unter dem Kreuz Christi darzustellen, aufgreifen, doch zugleich wurde, anders als im Spendenaufruf, ausdrücklich festgehalten, dass dies „keine bindende Vorschrift für die Gestaltung des Denkmals“1596 sei. Die Beteiligung an dieser Konkurrenz war überaus rege und so wurden 71 Entwürfe eingesandt und in Stuttgart ausgestellt. In einem Artikel im Evangelischen Kirchenblatt für Württemberg wurde jedoch die Qualität der Denkmalvorschläge kritisiert, da „[m]anche Künstler […] sich die Aufgabe nicht klar gemacht“1597 hätten, was es bedeute, „ein Denkmal der württembergischen Reformation zu schaffen“1598. Es wäre beispielsweise nicht angebracht, in Stuttgart ein sächsisches Monument mit dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen zu errichten und des Weiteren herrsche Unkenntnis über die württembergische Reformationsgeschichte, indem bedeutende Persönlichkeiten verwechselt wurden. Daher kam der Autor dieses Gemeindeblattartikels zu dem Schluss, dass „[a]uch ein Laie in Kunstfragen

1595 Im Spendenaufruf lautet die entsprechende Passage: „Unter dem Kreuz Christi soll Martin Luther, der deutsche Reformator, stehen, ihm zur Seite der Reformator Württembergs, Johannes Brenz.“ Vgl.  LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 15. Theodor Fischer war gegenüber einer genauen Äußerung zur Gestalt des Denkmals im Aufruf skeptisch, da er es für möglich hielt, „daß ganz andere, ebenso gute [Entwürfe] auftauchen“ würden. Vgl.  LkA Stuttgart D 41, Nr.  34, o. N. (Gericht, 4). 1596 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Programm, festgestellt vom Denkmalausschuss am 16.12.1910. Wettbewerb für das württ. Reformationsdenkmal); Ebenfalls abgedruckt bei: Koch, David: Art. Vom Tage, in: CKBK 53 (1911) 1, 31. 1597 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Art. Die Entwürfe zum Stuttgarter Reformationsdenkmal, in: Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg 72 (1911) 16, 126). 1598 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Entwürfe, 126).

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[…] durch die Ausstellung mit Befremden wandern“1599 würde und eine „glückliche Lösung der Aufgabe […] noch nicht gefunden“1600 sei. Die Fachjury kam zu einem ähnlichen Ergebnis, indem bei einem ersten Durchgang bereits 33 und in einem weiteren Schritt nochmals 27 Entwürfe ausgemustert wurden. In die engere Wahl, mit der Möglichkeit bis zum Herbst ihre Entwürfe noch einmal zu überarbeiten, kamen schließlich vier Projekte, darunter die mit dem Titel Reformation versehene Denkmalidee von Hermann Lang1601 und der Entwurf Auferstehung von Jakob Brüllmann.1602 Das Preisgericht entschied sich im November 1911 für den Entwurf Brüllmanns mit dem auferstandenen Christus und „nach eingehender Prüfung und Erwägung“1603 schloss sich dieser Entscheidung auch das Denkmalkomitee in seiner Sitzung am 12. März 1912 an.1604 Obwohl somit die Entscheidung für den Künstler und dessen Idee getroffen war, entbrannte eine öffentliche Kontroverse, ob das Vorgehen des Denkmalausschusses rechtens gewesen war. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei „nicht die Frage, ob der Brüllmannsche Entwurf […] ein der Ausführung würdiges Kunstwerk, sondern ob er ein Reformationsdenkmal sei, d. h. ein Wahrzeichen, in dem sich das weltgeschichtliche Ereignis von 1517 jedem Evangelischen auf den ersten Blick“1605 erschließen würde. Um diese Auseinandersetzung und die Kritikpunkte nachverfolgen zu können, bedarf es zunächst einer Denkmalbeschreibung des Brüllmannschen Entwurfs, wie er schließlich auch umgesetzt und 1917 eingeweiht wurde. Brüllmanns Denkmalkonzept zeichnet sich durch einen dreigliedrigen Aufbau aus, dessen Zentrum die Darstellung des auferstandenen Christi bildet. Dessen Körper ist mit Tüchern umwickelt und in der rechten Hand hält Christus als Symbol für die Auferstehung eine Siegesfahne. Die Statue befindet auf einem Sarkophag, auf dem reliefartig eine Grablegung angedeutet wird und der getragen wird von

1599 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Entwürfe, 126). 1600 LkA Stuttgart, K1, Nr. 217, o. N. (N. N.: Entwürfe, 126). 1601 Eine Beschreibung des Entwurfs von Hermann Lang findet sich bei Pauly, August: Art. Bemerkungen zu Hermann Lang’s Entwurf eines Luther-Denkmals für Stuttgart, in: CKBK 48 (1906) 6, 189–190. 1602 Die vier in die engere Auswahl gezogenen Entwürfe sind abgebildet bei Koch, David: Art. Das Reformationsdenkmal in Stuttgart, in: CKBK 53 (1911) 7, 222–223, 225–226; vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (Protokoll des Preisgerichts vom 7.04.1911). 1603 LkA Stuttgart, D 41 Nr. 34, o. N. (Gericht, 4). 1604 Vgl. LkA Stuttgart, D 41 Nr. 34, o. N. (Gericht, 4); vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, Bl. 26 (Sitzungsprotokoll vom 12.03.1912). 1605 LkA Stuttgart, D 41 Nr. 34, o. N. (N. N.: Art. Nochmals das Stuttgarter Reformationsdenkmal, in: Schwäbische Kronik des Schwäbischen Merkurs zweite Abteilung (24.11.1913) 548, Mittagsblatt).

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Abb. 42: Reformationsdenkmal in Stuttgart, Jakob Brüllmann.

vier Blöcken, die mit den die Evangelisten darstellenden Symbolen1606 gekennzeichnet sind. Die Basis bildet wiederum ein Sockel mit dem Bibelzitat Joh 14,61607. So ergibt sich für diese Mittelfigur des Denkmals die theologische Aussage, dass durch den in den Evangelien verkündeten auferstandenen Christus, der Weg zu Gott, dem Vater, bereitet wurde. Als Nebenfiguren werden links und rechts von der Darstellung Christi Johannes Brenz und Martin Luther in sitzender Position dargestellt. Während Brenz seinen Blick vertieft in die auf seinem Schoß liegende Bibel gerichtet hat, blickt Luther von dem Wort Gottes auf und hat seine rechte Hand leicht erhoben. Er hat eben gelesen. Da kommt der Geist dessen, der ihm zur Rechten thront über ihn. Die rechte Hand auf dem Bibelblatt tut sich auf wie um eine Offenbarung zu fassen, zu halten, schriftbereit und gelöst von zusammengeballten Ringen.1608

Die Denkmalinitiatoren würdigten diese sitzende Lutherstatue, da der Wittenberger Reformator „bei einem schwäbischen Reformationsdenkmal nicht zwingend

1606 Von links nach rechts finden sich hier ein Mensch für Matthäus, ein Löwe für Markus, ein Stier für Lukas und ein Adler für Johannes. 1607 „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ 1608 Koch, David: Art. Das Reformationsdenkmal in Stuttgart, in: CKBK 55 (1913) 12, 458.

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in den ‚künstlerischen‘ Mittelpunkt gesetzt werden muß“1609. Luther „in der Bibel forschend“1610 und zu den Füßen Christi sitzend würde der Bedeutung Luthers für Württemberg vielmehr entsprechen, als der „Mann der Tat“1611, wie es für das Wormser Denkmal passend war. Daher sei dieses Reformationsdenkmal zunächst für denjenigen „ungewohnt, der von der Rietschelschen Lutherstatue als der typischen oder gar einzig möglichen Darstellung des Reformators“1612 ausgehe. Das Besondere des von Brüllmann entworfenen Denkmals liegt darin, dass es die Reformation nicht als ein historisches Ereignis aufgreift und darstellt, sondern im Fokus eine theologische Aussage steht, was durch die Inschrift am Sockel, die eben „kein Luther-, sondern ein Jesuswort“1613 wiedergibt, noch verstärkt wird. Die beiden Reformatoren erscheinen den Betrachtenden durch das Sitzen nahbar und weniger als heroische Figuren, vielmehr als Zeugen der Auferstehungsbotschaft. So verbildlicht das außergewöhnliche, eine fromme Botschaft transportierende Stuttgarter Reformationsdenkmal die Besonderheit beziehungsweise das „eigene […] Gesicht“1614 des vom Pietismus geprägten württembergischen Protestantismus.1615 Doch diese Denkmalkonzeption, die sich von den bisherigen Lutherdenkmälern deutlich unterschied, wurde nach der Entscheidung des Denkmalkomitees und der Veröffentlichung des Entwurfs von einem Teil der evangelischen Bevölkerung vehement abgelehnt. Der in kirchlichen und öffentlichen Zeitungen ausgetragene Streit begann im Frühjahr 1912 und erreichte seinen Höhepunkt im November 1913.1616 Auffällig an dieser Diskussion ist, dass nicht von politischen Regierungsvertretern oder von Seiten der Kirchenleitung versucht wurde, Einfluss auf die Gestaltung des Monuments zu nehmen, sondern sich evangelische Laien engagierten. Hierbei nahm der Hofbuchbinder und Kirchenvorstandsmitglied der Hospitalkirche, Mayer, eine zentrale Rolle ein. Er forderte zum einen die Mitsprache seiner Kirchengemeinde, an der das Reformationsdenkmal zur Aufstellung kommen sollte, und betonte zum anderen erstmalig, dass die Meinung der Spen-

1609 LkA Stuttgart, D 41 Nr. 34, o. N. (Koch, David: Art. Das Reformationsdenkmal in Stuttgart). 1610 LkA Stuttgart, D 41 Nr. 34, o. N. (Gericht, 12). 1611 LkA Stuttgart, D 41 Nr. 34, o. N. (Gericht, 1). 1612 LkA Stuttgart, D 41 Nr. 34, o. N. (Gericht, 12). 1613 Fitschen: 20. Jahrhundert, 177. 1614 Koch: Reformationsdenkmal (1913), 455. 1615 Vgl. Fitschen: 20. Jahrhundert, 177. 1616 Die langwierige Diskussion kann nachverfolgt werden vor allem anhand von Leserbriefen in der Schwäbischen Kronik, der Ludwigsburger Zeitung, dem Evangelischen Gemeindeblatt für Stuttgart. Vgl.  LkA Stuttgart, G 727 Pfarrarchiv der Hospitalkirche, Nr.  12 Reformationsdenkmal Stuttgart 1917; vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 216; vgl. LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 38, 41, 43–51.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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derinnen und Spender zu berücksichtigen sei, die den Entwurf der Reformatoren unter dem Kreuz bevorzugen würden. Diese eingeforderte Mitbestimmung zeigte sich auch in einer Äußerung auf der Sitzung des Engeren Rates des Stuttgarter Gesamt-Kirchengemeinderats am 29. Oktober 1912: „Man schaffe doch kein Denkmal für die Künstler, oder die Theologen, sondern für das Volk“1617. Das heißt, ein Reformationsdenkmal müsse als solches von allen auf Anhieb erkannt und verstanden werden können, was wiederum nur möglich sei, „wenn […] Luther darauf eine beherrschende Stellung“1618 einnehme. In diesem Zusammenhang wurde zudem der Gesamteindruck des Monuments kritisiert, da dieses zwar „ein schönes Grabdenkmal, aber kein Reformationsdenkmal“1619 sei. Es würde demzufolge „besser in eine Kirche als an eine Außenseite derselben“1620 passen oder sich als Zierde auf „eine[m] italienischen Friedhof“1621 eignen.1622 Ein anderer Kritiker meinte, dass man bei einem Reformationsdenkmal auf die Aufnahme der Figur Christi gänzlich verzichten könne, da es nicht nötig sei, ihm ein Denkmal zu setzen.1623 Zudem sei dessen Darstellung „stofflich unrichtig und damit unevangelisch“1624, da Jesus nicht aus einem Sarkophag, sondern aus einem Felsengrab auferstanden war. Weiterhin würde die Größe des Sargs eher einem „Kindersarg“1625 entsprechen und wäre daher für die Gestalt Christi zu klein. Die von Christi erhobene Fahne erinnere „sehr an die bekannten Zuckerlämmchen […] zu Ostern“1626 und sei daher am Denkmal „nicht am rechten Platz“1627. Andere Kritiker meinten, der dargestellte Sarkophag würde einem „kleine[n] Badzuber [oder] […] einem Storchennest[, das] in den Lüften schwebt“1628 und die Siegesfahne „einer steifen Wetterfahne“1629 ähneln. 1617 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 51 (Protokoll der Sitzung des Engeren Rates des Gesamt-Kirchengemeinderats vom 29.10.1912) [Hervorhebung im Original]. 1618 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (N. N.: Art. Württemberg. Das Stuttgarter Reformationsdenkmal, in: Ludwigsburger Zeitung. Amtsblatt für Stadt und Bezirk (22.11.1913) 274). 1619 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 51. 1620 LkA Stuttgart, D 41, Nr. 34, o. N. (N. N.: Stuttgarter Reformationsdenkmal (24.11.1913)). 1621 LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. (Friz: Art. Stimmen aus dem Leserkreis. Reformationsdenkmal (8.12.1912)). 1622 Vgl. LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 38 (Evangelisches Gemeindeblatt für Stuttgart 8 (1912) 29, 238–239). 1623 Vgl. LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 51. 1624 LkA Stuttgart, D 41, Nr. 34, o. N. (N. N: Stuttgarter Reformationsdenkmal (24.11.1913)). 1625 LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. (Friz: Stimmen (8.12.1912)). 1626 LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. (Friz: Stimmen (8.12.1912)). 1627 LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. (Friz: Stimmen (8.12.1912)). 1628 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (N. N.: Württemberg (22.11.1913)). 1629 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (N. N.: Württemberg (22.11.1913)).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Die beiden seitlich platzierten Reformatoren seien „zwei Männlein, grübelnde Stubengelehrte, […] [die] gewiß keine Reformation gemacht, nicht dem Bann […] getrotzt hätten“1630. Daher wäre es besser, „lieber gar kein Reformationsdenkmal“ zu errichten als ein Monument, „das wie eine Verhöhnung der Reformation“1631 aussehe. Auch wenn überraschenderweise in der Diskussion um das Motiv der Auferstehung oder des Kreuzes der Bezug zur Borromäus-Enzyklika nicht mehr aufgenommen wurde, spielten die konfessionellen Spannungen weiterhin eine Rolle. So wurde von Gegnern des Brüllmannschen Entwurfs angeprangert, dass im Hinblick auf die Auferstehung „nicht der geringste Unterschied zwischen der evangelischen und katholischen Lehre“1632 bestünde und dieses Motiv daher für ein Reformationsdenkmal ungeeignet sei. Von Befürwortern hingegen wurde eingebracht, dass bei Brüllmanns Modell die Botschaft, dass „der siegende Christus […] nicht nur vor Zeiten, sondern auch in der Reformation [wirkte], wo er aus der Verdunkelung katholisch-mittelalterlicher Anschauung in grossen Männern für unser deutsches Christentum gewissermassen neu auferstanden“1633 war, angelegt sei. Der Streit um die Darstellung des Kreuzes oder der Auferstehung gipfelte schließlich in einer Unterschriftenaktion, die der Kirchenvorsteher Mayer im November 1913 organisierte.1634 Er sammelte innerhalb kürzester Zeit über 1000 Namen, die sich für die Umsetzung einer Darstellung der stehenden Reformatoren unter dem leeren Kreuz aussprachen, da ein solches Denkmal allgemein verständlich die „Bekenntnis- und Bekennertreue“1635 Luthers und Brenz zum Ausdruck bringen würde. Doch auch diese Aktion konnte nicht mehr die Entscheidung des Lutherdenkmalkomitees revidieren. Dieses hatte sich inzwischen die Meinung von Kunstverständigen eingeholt und seine rechtliche Position und Verpflichtungen gegenüber den Beitraggebenden abgeklärt und hielt daraufhin weiter an Brüllmanns Entwurf fest.1636 Ende November 1913 schloss sich schließlich sowohl der Kirchenvorstand 1630 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (N. N.: Württemberg (22.11.1913)). 1631 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (N. N.: Württemberg (22.11.1913)). 1632 LkA Stuttgart, D 41, Nr. 34, o. N. (N. N.: Stuttgarter Reformationsdenkmal (24.11.1913)). 1633 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (Gutachten von Prof. Ernst Fiechter vom 20.11.1913). 1634 Der Aufruf Mayers und die an ihn gesandten Postkarten sind abgelegt in LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12. Für die Berichterstattung über die Unterschriftenaktion vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (N. N.: Art. Zum Stuttgarter Reformationsdenkmal, in: Zweites Blatt der Süddeutschen Zeitung (21.11.1913) 67). 1635 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (E., K.: Art. Württemberg. Noch einmal das Reformationsdenkmal, in: Ludwigsburger Zeitung. Amtsblatt für Stadt und Bezirk (29.11.1913) 280). 1636 Für die Gutachten von Theodor Fischer, Gradmann und Ernst Fiechter und die Rechtliche Skizze zum Streit um das Reformationsdenkmal vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 216.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

 383

der Hospitalkirche, als auch der Engere Rat der Gesamtkirchengemeinde durch Stimmenmehrheit dieser Entscheidung an. Dieses Votum wurde in einer publizierten Pressemitteilung mit der Bitte verbunden, dass „von einer Fortsetzung der das Ansehen unserer Kirche gefährdenden öffentlichen Agitation […] abzusehen“1637 sei.1638 Damit gelang es die öffentliche Auseinandersetzung im Dezember 1913 beizulegen und von nun an den Bildhauer Brüllmann „vor äußerer Belästigung“1639 zu schonen. Die öffentliche Debatte verdeutlicht, wie sehr sich in der evangelischen Bevölkerung die typisch gewordene monumentale Darstellung Luthers als stehende Statue etabliert hatte. Neuen, individuellen Denkmallösungen stand man nicht aufgeschlossen gegenüber. Um diese Position zu stärken, wurde der Entwurf des aus der Schweiz stammenden Brüllmanns einerseits mit anderen Lutherdenkmälern im Deutschen Kaiserreich verglichen, wovon „aber ‚keins‘ von allen […] den Eindruck eines Grabdenkmals“1640 machte. Zum anderen wurde angeführt, dass in „Zürich […] ein Zwingli-Denkmal [entstanden war] und in Genf ein ganz neues Reformationsdenkmal [geplant sei], […] welches uns beweist, daß selbst die Schweizer ihre Reformatoren nicht sitzend sondern stehend darstellen“1641 würden. Zugleich machten die auf die künstlerische Ausgestaltung des Denkmals bezogenen Kritikpunkte die unterschiedlichen Lutherbilder offensichtlich. Der in sich gekehrte und aus dem Mittelpunkt des Denkmals gerückte Luther entsprach nicht der weitverbreiteten, zeitgenössischen Interpretation des Reformators. Dieser galt als tatkräftiger, entschlossener Mann und als deutscher Held, weshalb eine „kraftvolle, aufgerichtete Gestalt unseres Reformators […], zu dem wir mit Verehrung aufblicken und von dem eine Begeisterung in die Beschauer hineingetragen wird“1642, im Denkmal erwartet wurde. Dieses Lutherbild dominierte die Rezeption nicht nur am Vorabend des Ersten Weltkriegs, sondern auch in den Kriegsjahren und stand somit konträr zur ruhenden, auf die theologische Botschaft der Reformation konzentrierten Lutherfigur des Stuttgarter Denkmals.

1637 LkA Stuttgart, K1, Nr.  216, o. N. (Pressemitteilung des Engeren Rats der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart vom 1.12.1913). 1638 Vgl.  LkA Stuttgart, K1, Nr.  216, o. N. (N. N.: Art. Vom Tage. Zum Reformationsdenkmal, in: Evangelisches Gemeindeblatt für Stuttgart 9 (1913) 49, 395–396); vgl. LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. (N. N.: Art. Das Reformationsdenkmal (29.11.1913)); vgl. LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, Bl. 27 (Sitzungsprotokoll vom 24.11.1913). 1639 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (Gutachten von Prof. Ernst Fiechter vom 20.11.1913). 1640 LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. 1641 LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. 1642 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (N. N.: Art. Das Stuttgarter Reformationsdenkmal, in: Zweites Blatt der Süddeutschen Zeitung (18.11.1913) 64).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Mit der knapp ein halbes Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs bekräftigten Entscheidung für die Umsetzung des Auferstehungsmotivs und gegen den auf die Schmähungen der Borromäus-Enzyklika bezugnehmenden Entwurf gelang es den Denkmalinitiatoren ein zweites Mal, eine vorausschauende Entscheidung zu treffen, was sich bei der Enthüllung zeigte. 3.5.4.3 Die vom Ersten Weltkrieg beeinflusste Einweihung am 24. Juni 1917 Dass auch nach Anbruch des Ersten Weltkrieges die Arbeiten am Stuttgarter Denkmal, anders als in Nürnberg und Coburg, weitervoranschreiten konnten, hing zum einen damit zusammen, dass die finanziellen Mittel bereits vor dem Krieg gesichert waren. Zum anderen hatte das Denkmalkomitee von Anfang an entschieden, dass das Monument aus Stein und nicht aus Bronze gefertigt werden sollte. So wurde zwar die Arbeit Brüllmanns aufgrund des Krieges durch manche Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung und „die Einberufung der Gehilfen“1643 erschwert, doch es gelang trotzdem das Denkmal bis zum Frühjahr 1917 fertigzustellen.1644 In Bezug auf den Tag der Einweihungsfeier fällt allerdings auf, dass nicht das 400. Reformationsjubiläum, sondern der 418. Geburtstag Johannes Brenz gewählt wurde. Dies hatte in erster Linie pragmatische Gründe, denn nachdem Jakob Brüllmann das Monument fertiggestellt hatte, lief seine Rückstellung aus und er musste zum „1. Juli 1917 zur Fahne einrücken“1645. Dementsprechend war es das Anliegen des Denkmalvereins die Einweihungsfeier noch vorher, im Beisein des Bildhauers, durchführen zu können. Dieser Bitte kam der württembergische König nach und sagte seine Teilnahme an den Feierlichkeiten für den 24. Juni 1917 unter der Voraussetzung zu, dass „das Programm für die Feier, sowohl in der Kirche als auch dem Platz mit Rücksicht auf die Zeiten möglichst kurz zu halten“1646 sei. Die Kriegsgeschehnisse beeinflussten folglich nicht nur die Datumswahl, sondern auch den Ablauf der Einweihungsfeier. Nach einem Festgottesdienst, der auf eine Stunde begrenzt bleiben sollte, wurde laut Programm die Weihe des Denkmals auf 15 bis 17 Minuten festgelegt. Hier sollte lediglich Ein feste Burg gesungen und nach einer kurzen Festrede des Vorsitzenden des Denkmalausschusses, Johannes Merz, sollte Oberkirchenrat Traub stellvertretend für die evangelische Gesamtkirchengemeinde das Monument übernehmen. Um die friedliche Durchführung

1643 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, Bl. 31 (Sitzungsprotokoll vom 15.06.1915). 1644 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, Bl. 37 (Sitzungsprotokoll vom 20.03.1917). 1645 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 56 (Der Vorsitzende des Denkmalvereins, Prälat Merz, an das Kabinett des württembergischen Königs vom 29.03.1917). 1646 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 57.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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der Zeremonie zu sichern, wurde beschlossen, dass „[a]us militärischen Gründen“1647 in der Tagespresse vorweg keine Berichterstattung erfolgen und lediglich geladene Gäste teilnehmen sollten.1648 Im Hinblick auf die Festpredigt, die beiden Einweihungsreden und die Berichterstattung fällt auf, dass das Reformationsgedenken „[a]uch in einer Zeit, die alle Kräfte und Gedanken so in Anspruch“1649 nahm, als wichtig und gerechtfertigt empfunden wurde. Dies kam auch im Festgedicht Hermann Mosapps zum Ausdruck: Ziemt sich’s wohl, heut ein Jubellied zu singen, Da hell noch lodernd glüht des Krieges Brand? Noch steht das Vaterland in blut’gem Ringen Um deutschen Volkes Dasein und Bestand; […] Und ernster Not und schwerer Trauer Schleier Verdunkeln jedes frohen Festes Feier. Ja wohl, und doch soll auch in solchen Zeiten Nicht schweigen heiliger Begeist’rung Ton […].1650

Passend zur Ausgestaltung des Denkmals lag der Fokus in den Festreden nicht auf einer heldenhaften Interpretation der Reformatoren. Luther, „der Prophet der Deutschen“1651, und Brenz waren die Glaubenszeugen des „Siegesfürsten, der über Grab und Tod triumphiert“1652. Das Gedenken an und die „unverbrüchliche […] Treue zu den Vätern der Reformation“1653 solle dazu ermutigen, in der am Denkmal dargestellten Auferstehungsbotschaft, die „am hellsten in den dunkelsten Zeiten [...] [der] Geschichte“1654 leuchtet, ein Hoffnungszeichen zu sehen. Der Anblick des Reformationsdenkmals solle demzufolge auch „[i]n den Nöten und Wirrnissen der Gegenwart, da Treu und Glauben ausgelöscht scheinen und Haß und Arglist mit Blut die Erde füllen“1655 den „andächtigen Beschauer Trost, Kraft und Frieden ins Herz“1656 geben.

1647 LkA Stuttgart, K1, Nr. 216, o. N. (Einladung zur Einweihungsfeier vom 8.06.1917). 1648 LABW – HStA Stuttgart, E 14 B 1599, Bl. 59, 63 (Programm zur Weihefeier in Stuttgart). 1649 LkA Stuttgart, G 727, Nr.  12, o. N. (Art. Einweihung des württembergischen Reformationsdenkmals in Stuttgart, in: Schwäbische Kronik des Schwäbischen Merkurs zweite Abteilung (25.06.1917) 291, Morgenblatt). 1650 LkA Stuttgart, K1, Nr. 214, o. N. (Mosapp, Hermann: Zur Weihefeier des Reformationsdenkmals). 1651 Merz, Johannes: Das württembergische Reformationsdenkmal. Rede des Vorsitzenden des Denkmalausschusses bei der Weihefeier am 24. Juni 1917 am Denkmal, in: CKBK 59 (1917) 6, 162. 1652 Merz: Reformationsdenkmal, 162. 1653 LkA Stuttgart, G 727, Nr. 12, o. N. (N. N.: Einweihung (25.06.1917)). 1654 Merz: Reformationsdenkmal, 162–163. 1655 Merz: Reformationsdenkmal, 163. 1656 LkA Stuttgart, D 41, Nr.  34, o. N. (N. N.: Art. Das Württembergische Reformationsdenkmal an der Hospitalkirche, in: Schwäbische Kronik des Schwäbischen Merkurs zweite Abteilung (23.06.1917) 289, Abendblatt).

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

Die Bezugnahme auf das Blutvergießen und die Schrecken des Krieges, die im Jahr 1917 in allen Teilen der Gesellschaft spürbar waren, lässt die zunehmende Kriegsernüchterung erkennen. Dass zu diesem Zeitpunkt nun kein heroisches Monument in Stuttgart errichtet worden war, muss als besondere Stärke dieses Denkmalprojekts angesehen werden. So stand diese neben anderen zeitgenössischen Lutherdeutungen, die Luthers „Beharrlichkeit in Glaubensfragen […] in der Kriegssituation zur Durchhalteparole“1657 umformten. Der Vorsitzende des Vereins war hingegen der Meinung, dass „sich heute in der Not des Weltkriegs die Wahl des Auferstandenen als Ausdruck evangelischen Christenglaubens“1658 bewährt hatte und diese Darstellung „etwas Prophetisches“1659 an sich hatte. Anders als bei dem bis 1913 diskutierten Konkurrenzentwurf, das heißt der Darstellung der Reformatoren unter dem Kreuz, war eben nicht der im dritten Kriegsjahr omnipräsente Tod, sondern die Auferstehung ins Zentrum gestellt worden. Mit der Betonung der Auferstehung und der zentralen Botschaft, dass der Tod nicht das Ende ist, bot das Reformationsdenkmal einen Gegenpol zur zunehmenden Heroisierung des Kriegstods.1660 Auch für Kriegerdenkmäler wurde demnach gefordert, „außer dem gekreuzigten Welterlöser auch dem auferstandenen Siegesfürsten seine Stelle zu geben“1661, denn die „Osterhoffnung wird manchen Trauernden noch mehr aufrichten, so wie unser […] Lutherdenkmal in Stuttgart in richtiger Erkenntnis“1662 den auferstandenen Christus gewählt hatte.

3.5.5 Der Erste Weltkrieg und neue Denkmalideen als Herausforderung für die Errichtung von Lutherdenkmälern Neben dem Stuttgarter wurde 1917 noch ein weiteres Reformationsdenkmal eingeweiht, nämlich am 7. Juli in Genf, doch dieses war insbesondere Calvin und der geschichtlichen Wirkung der reformierten Tradition gewidmet.1663 So wurden, 1657 Oelke, Harry: Reformationsjubiläen gestern und heute. Geschichtspolitische Einflussnahmen und die reformatorische Säkularfeier 2017, in: PTh 105 (2016) 1, 38. 1658 Merz, Johannes: Art. Das württembergische Reformationsdenkmal, in: CKBK 59 (1917) 5, 135. 1659 Merz: Das württembergische Reformationsdenkmal, 135. 1660 Vgl. Abschnitt 2.1.4.3. 1661 Koch, David: Art. Kriegergrab und Kriegerdenkmal, in: CKBK 58 (1916) 7, 213. 1662 Koch: Kriegergrab, 213. 1663 Zum Genfer Reformationsdenkmal vgl. Strohm, Christoph: Calvinerinnerung am Beginn des 20. Jahrhunderts. Beobachtungen am Beispiel des Genfer Reformationsdenkmals, in: Laube, Stefan / Fix, Karl-Heinz (Hg.): Lutherinszenierung und Reformationsgedenken (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 2), Leipzig 2002, 211–225; vgl. Keller, Adolf: Das Reformationsdenkmal in Genf, in: CKBK 51 (1909) 5, 149–153; vgl.  Buscarlet, Daniel: Das internationale

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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anders als dies noch in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geplant worden war, am 400. Jahrestag der Reformation keine öffentlichen Lutherdenkmäler eingeweiht. Die Kriegsgeschehnisse hatten Ausführungen, die vor 1914 nicht gesichert waren, unmöglich gemacht. Selbst die zentrale, reichsweite Reformationsfeier, die am 31. Oktober in Wittenberg hätte stattfinden sollen, war kriegsbedingt abgesagt worden. Stattdessen fanden kleine, lokale Festlichkeiten statt, in deren Ablauf teilweise Lutherdenkmäler einbezogen wurden. So fand beispielsweise in Erfurt ein Festzug zum Lutherstandbild mit anschließender Kranzniederlegung und Ansprache statt. Ähnliches wird auch für die Städte Hannover und Reichenbach berichtet, sodass sich hieran zeigt, dass die Lutherdenkmäler als Erinnerungs- und Versammlungsort in der Stadt genutzt wurden.1664 Beim 400. Reformationsfest lässt sich gegenüber dem Lutherjubiläum 1883 eine deutliche Veränderung im Hinblick auf den Stellenwert der Standbilder feststellen. Bei den Feierlichkeiten des 400. Luthergeburtstags waren die Denkmaleinweihungen und die Initiativen für weitere Monumente noch ein wesentlicher Bestandteil. 1917 hingegen standen nicht die Gedenkfeiern und vor allem nicht Einweihungsfeiern von Lutherdenkmälern das Zentrum der Feierlichkeiten, „sondern die literarische Produktion […] [war] das eigentliche Charakteristikum dieses Gedenkjahres“1665. Dies lässt sich nicht allein mit den kriegsbedingten Einschränkungen erklären, sondern spiegelt auch die abnehmende Bedeutung der Standbilder wider, denn bereits im Vorfeld des Reformationsjubiläums wurden deutlich weniger Denkmäler geplant. Während Bismarckstandbilder und vor allem –türme vor 1914 weiterhin Aufschwung hatten, hatte sich das Standbild des gelehrten Luthers auf öffentlichen Plätzen abgenutzt. Unter den Künstlern wurde nach neuen Darstellungsformen gesucht, was besonders die teils originellen Einsendungen zum Coburger Wettbe-

Reformationsdenkmal, Genf 1959; vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 283–285. Für den Beitrag Kaiser Wilhelms II. in Höhe von 10.000 Mark, den kaiserlichen Wunsch für die Darstellung des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, das Modell, das von Schaper für die Berliner Siegesallee ausgearbeitet worden war, als Vorlage zu nehmen und für die Spendensammlungen durch ein deutsches Komitee, sowie deren Einstellung aufgrund des Krieges im November 1914 vgl. GStA PK, I HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 147–150, Bl. 157–158. Zur Calvinerinnerung im 19. Jahrhundert vgl. Laube, Stefan: Calvinistische Splitter in der deutschen Reformationserinnerung zwischen Union (1817) und Calvin-Jubiläum (1909), in: AKuG 91 (2009) 1, 161–191. 1664 Vgl. LATh – StA Gotha, 13451, Nr. 1 (Reformationsjubiläum 1917 in Erfurt); vgl. StadtA Hannover, 1.HR.13.1, Nr. 660, Bl. 92–93; vgl. Hasse: Chronik, 269. 1665 Maron, Gottfried: Luther 1917. Beobachtungen zur Literatur des 400. Reformationsjubiläums, in: ders.: Die ganze Christenheit auf Erden. Martin Luther und seine ökumenische Bedeutung. Zum 65. Geburtstag des Verfassers hgg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebaß, Göttingen 1993, 211.

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 3 Die Lutherdenkmäler zwischen 1817 und 1917

werb zeigten. Allerdings prägte die bürgerliche Luthererinnerung, die sich mit den nationalprotestantischen Vorstellungen des Evangelischen Bundes deckte und vor allem die kulturprägende Funktion Luthers und der Reformation betonte, weiterhin die Denkmalvorstellungen der Vorkriegsjahre. Es war wahrzunehmen, dass ausgelöst durch die Borromäus-Enzyklika, konfessionelle Spannungen und antikatholische Ressentiments zunächst die Denkmalpläne prägten, diese aber ab 1913 zugunsten der nationalen Betonung Luthers in den Hintergrund traten. So dominierte letztlich das heroische Lutherbild, was sich am Nürnberger Denkmalentwurf genauso wie am provisorischen Lutherdenkmal auf der Veste Coburg und an der Kritik am sitzenden Luther in Stuttgart zeigte. Gegenüber neuen Lutherdarstellungen herrschten hingegen Vorbehalte, sodass im fehlenden Innovationswillen der Denkmalinitiatoren ein Hinweis auf einen Wandel des Bürgertums zu sehen ist. Statt wie insbesondere vor 1871 eine progressive Bewegung zu sein, vertrat die bürgerliche Mehrheit eine konservative Einstellung, die mit den Zielen der Reichsregierung in Einklang war.1666 Blickt man auf die tatsächlich umgesetzten Lutherdenkmäler in Mansfeld, Coburg und Stuttgart, so fällt auf, dass alle drei sich vom klassischen Standbildtyp des 19.  Jahrhundert unterscheiden und jeweils auf ihre Art besonders sind. Der Lutherbrunnen, der reitende, abstrakte Luther und der zu Füßen des Auferstandenen sitzende Luther unterscheiden sich in der Form von den Lutherstatuen auf Sockeln. Nachdem der Aufstellungsort der Lutherfiguren in den Jahren vor und nach 1900 vor allem auf die Kirche bezogen war, war es nun wiederum ein Anliegen der Denkmalinitiatoren nicht nur die kirchliche, sondern die nationale Bedeutung Luthers zu betonen. Deshalb sollten die Denkmäler wieder im öffentlichen Raum errichtet werden, was sich bei den Nürnberger Denkmalplänen genauso deutlich zeigte, wie bei der Platz- und Inschriftenwahl des Mansfelder Brunnens, oder auch bei der Standortfrage auf der Veste in Coburg. Davon abzuheben ist nochmals das Stuttgarter Reformationsdenkmal, das an der Seite der Hospitalkirche aufgestellt wurde. Dieses rückte statt der Geschichte die Theologie in den Fokus, wodurch es sich nicht nur von den Lutherstandbildern, sondern auch vom prägenden Lutherbild der Zeit abhob.1667 Statt dem Nationalhelden betont die sitzende Figur die Innerlichkeit des Reformators. Das Stuttgarter Monument verweist damit auf eine von der Mehrheit abweichende Lutherdeutung, die im Zuge des Jubiläums von 1917 zum Ausdruck kam. Neben der sich etablierenden Lutherrenaissance, die wegweisend durch den Württemberger Theologen 1666 Vgl. Müller: Stadt, 287–288. 1667 Zur Lutherdeutung im Ersten Weltkrieg vgl. beispielsweise Greschat, Martin: Der Held der Nation. Die Gestalt Luthers im Kaiserreich, in: ders. / Günther Lottes (Hg.): Luther in seiner Zeit. Persönlichkeit und Wirken des Reformators, Stuttgart / Berlin / Köln 1997, 121–126.

3.5 Die IV. Phase: Das ganz andere Lutherdenkmal 

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Karl Holl geprägt wurde und die als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Luther dessen reformatorische Entdeckung der Rechtfertigung allein aus Gnade betonte, spiegelte sich eine Zuwendung zu Luther als Theologen auch in der liberalen Theologie wider.1668 Durch eine „Distanzierung vom Bild des deutschen Luther und in der Erinnerung an die religiösen Tiefenschichten in der Figur des Reformators“1669 wollten sich liberale Theologen, wie Martin Rade, von einer „allzu starke[n] Verbindung von Religion und Kultur“1670 lösen. Diese Auffassung kann in der Gestaltung des württembergischen Reformationsdenkmals wiedergefunden werden.

1668 Vgl. Leppin, Volker: Lutherforschung am Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Beutel, Albrecht (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 32017, 28–31. 1669 Albrecht, Christian: Zwischen Kriegstheologie und Krisentheologie. Zur Lutherrezeption im Reformationsjubiläum 1917, in: Medick, Hans / Schmidt, Peer (Hg.): Luther zwischen den Kulturen: Zeitgenossenschaft, Weltwirkung, Göttingen 2004, 492. 1670 Albrecht: Kriegstheologie, 493.

4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern Die vier Phasen der Lutherdenkmalerrichtungen veranschaulichen Entwicklungslinien im Hinblick auf die Gestaltung und Deutung der Standbilder. Abschließend sollen Schwerpunkte und Veränderungen der im Denkmal öffentlich festgehaltenen politischen, bürgerlichen und protestantischen Luthermemoria benannt werden. Dabei ist wichtig zu erkennen, dass diese Bereiche stets ineinandergreifen und sich gegenseitig bedingen, sodass die aufgezeigten Bilder des Reformators zusammengenommen Aufschluss über die im Lutherdenkmal konservierte zeitgenössische Erinnerungskultur geben.

4.1 Die Öffentlichkeit der Lutherdenkmäler Es kristallisierte sich heraus, dass die Öffentlichkeit der Lutherdenkmäler ein bestimmender Faktor für die Wirkung dieses Mediums war und dass sich anhand dessen die Entwicklung des Lutherdenkmals im 19.  Jahrhundert nachvollziehen lässt. Dabei umfasst der Oberbegriff der Öffentlichkeit unter anderem den frei zugänglichen Raum, das heißt den Standort des Denkmals. Zudem bedarf es der „Kommunikation von Inhalten“1, um eine Öffentlichkeit herzustellen, weshalb hierunter der Denkmalverein und die an der Umsetzung der Lutherstandbilder beteiligten Personen eingeschlossen werden. Überdies impliziert Öffentlichkeit die Rezeption und Reichweite der Denkmalerrichtungen.2

4.1.1 Der Standort Zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein grundlegender Wandel des Denkmals im Hinblick auf den Aufstellungsort. So verschob sich der Standort von der Natur hinein in die Mitte der Stadt, womit eine Veränderung vom privaten, stillen Gedächtnis hin zum öffentlichen Erinnern einherging. Die Entwürfe zum Denkmalwettbewerb im Mansfelder Land, bei denen unter anderem die Errichtung auf einer Anhöhe in der Nähe von Eisleben vorgesehen wurde, und die tatsächliche

1 Bihler, Michael A.: Stadt, Zivilgesellschaft und öffentlicher Raum. Das Beispiel Berlin Mitte (RNE 26), Münster 2004, 37. 2 Vgl. Bihler: Stadt, 35–60. https://doi.org/10.1515/9783111054391-004

4.1 Die Öffentlichkeit der Lutherdenkmäler 

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Aufstellung des Lutherdenkmals auf dem Wittenberger Marktplatz veranschaulicht diese Entwicklung eindrucksvoll. Die Frage nach dem am besten geeigneten Standort bestimmte viele Denkmalpläne und brachte häufig langwierige Diskussionen mit sich. In Lutherstädten wurden die Standbilder des Reformators sodann auf zentralen, öffentlichen Plätzen errichtet, wohingegen in Orten, die nicht unmittelbar mit dem Wirken Luthers verbundenen waren, am häufigsten der Platz vor der Kirche als Aufstellungsort gewählt wurde. In der Natur wurde ein Lutherdenkmal im Deutschen Kaiserreich dementsprechend nicht errichtet, obwohl seit Ende des 19. Jahrhunderts andere Monumente außerhalb der Stadt zur Aufstellung kamen.3 Hierbei ist an das Niederwalddenkmal 1883, das Völkerschlachtdenkmal 1913 und an die zahlreichen Bismarcktürme seit den 1890er Jahren zu denken. Die gute Sichtbarkeit der Lutherstandbilder in der Stadt war ein zentrales Anliegen der Denkmalinitiatoren. Sie wollten nicht, dass die eigene Bevölkerung, oder auch Touristen und Touristinnen umherirren müssten, um den ehernen Reformator zu finden. Dies zeigte sich beispielsweise bei der Platzfrage in Erfurt, oder, wie das folgende Zitat belegt, in Eisenach: Denkmäler sollen eine Zierde der Stadt sein. Man stellt sie deshalb, wo nicht zwingende Gründe dies hindern, in der Regel so auf, daß sie leicht gesehn werden können und daß die Vorübergehenden ungesucht an die Stelle kommen, von welcher aus betrachtet das Monument im Ganzen wie im Einzelnen am schönsten wirkt.4

Damit ging zugleich die Absicht der Verantwortlichen einher, ihr eigenes Verständnis Luthers in der Stadt öffentlich zur Schau zu stellen und somit Einfluss auf die lokale, aber auch nationale Erinnerungskultur zu nehmen. Der öffentliche städtische Raum wurde demnach durch die Errichtung von Denkmälern als Identitätsraum verschiedener Gruppen gebraucht. Dabei konnte es durchaus zur Konkurrenz differierender Interessen kommen, sodass insbesondere seit den 1890er Jahren die Aufstellung eines Lutherdenkmals auf manchen Plätzen grundsätzlich abgelehnt wurde. Hierbei ist beispielsweise an die Hauptstadt Berlin zu denken, wo es den Vorschlag gab, das monumentale Lutherdenkmal auf dem Schlossplatz zu errichten. Dies wurde von Wilhelm II. nicht nur abgewiesen, sondern der Platz wurde später für die Errichtung eines pompösen Kaiser-Wilhelm-Denkmals genutzt und dadurch die Macht des Kaiserhauses zum Ausdruck gebracht. Die Rivalität zwischen den verschiedenen Denkmalerrichtungen und weitere, beispielsweise konfessionelle, Gründe führten dazu, dass seit den 1890er Jahren

3 Eine Ausnahme bildete aus politischen Gründen das im russischen Kaiserreich errichtete Lutherdenkmal in Kegel. 4 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 89r (Prof. Menge: Art. Zur Denkmälerfrage).

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 4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern

die Lutherstatue vor, an und in die Kirche wanderte. Anhand dieser Standortverschiebung lässt sich beobachten, dass der jeweilige Aufstellungsort auch die Deutung eines Denkmals maßgeblich bestimmte. In der dritten Phase, das heißt in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende, trat die nationale und lokale Ausdeutung der Lutherdenkmäler zugunsten einer verstärkt konfessionellen, insbesondere antikatholischen Interpretation zurück. Dies war auch von Zeitgenossen wahrgenommen worden, weshalb im Zuge der Nürnberger Denkmalpläne gefordert wurde, das Lutherdenkmal auf einem öffentlichen Platz zu errichten, da „Luther […] der großen Öffentlichkeit“5 gehöre, „nicht nur innerhalb der Kirchenmauern“6 stehe, sondern „die nationale Größe zugleich“7 sei. Der öffentliche Standort der Lutherdenkmäler hatte zudem Konsequenzen für die Gestaltung der Standbilder. So wurde gefordert, dass der Reformator von allen Betrachtenden auch erkannt werden sollte, um sich mit Luther und seinen Verdiensten auseinandersetzen zu können. Dies führt dazu, dass seit der Wormser Diskussion eine Darstellung als Augustinermönch in Kutte prinzipiell abgelehnt und der Talar als Kleidungsstück üblich wurde. Zudem wurde zur Ausarbeitung der Gesichtszüge des Reformators häufig auf Cranachporträts zurückgegriffen, um Luther wiedererkennbar zu gestalten. Die Personenstatue auf einem Sockel entwickelte sich somit zur klassischen Form der Lutherdenkmäler. Abstrakte Darstellungen, wie dies in Gestalt von Türmen bei der Bismarckverehrung üblich wurde, setzten sich mit Ausnahme des vom Coburger Fürsten beauftragten Monuments nicht durch.

4.1.2 Die Akteure und Akteurinnen Als der wichtigste Akteur der verschiedenen Lutherdenkmalinitiativen gilt der Denkmalverein, der sich nach seiner Konstituierung um die Einwerbung der finanziellen Mittel, die Denkmalgestaltung, die Standortwahl und die Planung der Einweihungsfeier kümmerte. Die Denkmalerrichtung konnte das Komitee allerdings nicht alleine umsetzen, sondern es musste mit verschiedenen anderen Personengruppen in Kontakt treten. Im Hinblick auf das Verhältnis des Denkmalvereins zur politischen Obrigkeit lässt sich eine Entwicklung feststellen. Beim ersten errichteten Lutherdenkmal in Wittenberg drängte Friedrich Wilhelm III. die bürgerliche Vaterländisch-Literarische Gesellschaft gänzlich zurück und handelte im Sinne des absolutistischen

5 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, veröffentlichte Fassung). 6 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, veröffentlichte Fassung). 7 LkA Nürnberg, OKM 0.1.0001, Nr. 857, o. N. (Aufruf, veröffentlichte Fassung).

4.1 Die Öffentlichkeit der Lutherdenkmäler 

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Machtverständnisses autoritär. Bei den Denkmalplänen in Möhra konnte sich der Denkmalverein der Mitbestimmung des preußischen Königs entziehen und veranschaulichte dadurch das gestärkte bürgerliche Selbstbewusstsein vor und nach der Revolution von 1848. Infolgedessen trat die Einflussnahme des preußischen, beziehungsweise seit 1871 des deutschen Kaisers gänzlich zurück. Da die Mitsprache des Monarchen von den bürgerlichen Denkmalinitiatoren nicht gewünscht wurde, bedeutete dies allerdings auch, dass er eine finanzielle Unterstützung der Lutherdenkmäler ablehnte.8 Zudem nahm das Staatsoberhaupt lediglich bei der Enthüllungsfeier in Worms persönlich teil. Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen Jürgen Müllers, der ebenfalls feststellte, dass nach 1848 und somit in „der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts […] der Anspruch des städtischen Bürgertums, in seiner Lebenswelt Denkmäler […] öffentlich aufzustellen, von obrigkeitlicher Seite nicht mehr ernsthaft bestritten“9 wurde. Eine Ausnahme unter den Lutherdenkmalerrichtungen bot Berlin. Zu diesem Projekt gab der deutsche Kaiser nicht nur einen finanziellen Beitrag, sondern er äußerte seine Wünsche im Hinblick auf den Aufstellungsort und die Gestaltung des Monuments. Dies hing damit zusammen, dass das Kaiserhaus mit der preußischen und deutschen Hauptstadt eigene Interessen der Denkmalausschmückung verfolgte, um die eigene Macht zu demonstrieren. Das spiegelte sich beispielsweise in der Gestaltung der Berliner Siegesallee wider. Zudem wurden statt lokalen, bürgerlichen Denkmalinitiativen, nationale Monumente, wie das Niederwalddenkmal oder die Kaiser-Wilhelm-Denkmäler gefördert, und auf die Ausgestaltung national bedeutender Kirchen, wie der Wittenberger Schlosskirche, der Speyerer Gedächtniskirche oder dem Berliner Dom Einfluss genommen. Der Kontakt der Denkmalvereine zu ihren regionalen Obrigkeiten, wie beispielsweise zum bayerischen König für die Denkmalpläne in Kaiserslautern, oder zum württembergischen König für das Stuttgarter Monument, war notwendig, um Spendensammlungen im jeweiligen Herrschaftsgebiet genehmigt zu bekommen. Eine direkte Mitsprache bei der Gestaltung der Denkmäler forderten diese allerdings nicht ein. Ein Sonderfall sind hierbei die Coburger Denkmalpläne, da dort das Standbild auf Privatgrund des Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha errichtet werden sollte, sodass dieser mitbestimmte. Dennoch war das Lutherdenkmal das Medium der bürgerlichen Erinnerungskultur, wohingegen sich die Fürsten mehrheitlich um den Ausbau der in ihren Territorien liegenden Reformationsgedenkstätten kümmerten und hierbei ihre Form der Luthermemoria zum Ausdruck brachten.10

8 Vgl. StadtA Eisleben, D XVI 63, Bl. 204. 9 Müller: Stadt, 279. 10 Vgl. Steffens: Luthergedenkstätten, 329–334.

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 4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern

Seit dem Lutherdenkmal in Möhra und noch anschaulicher seit dem Wormser Monument hatte sich gezeigt, dass die städtische Vertretung zum wichtigsten Ansprechpartner des Denkmalvereins wurde. Es bedurfte bei der Genehmigung des Standorts meist der Zustimmung der städtischen Behörden und bei den Einweihungen wurden die Standbilder häufig an die Stadt als zukünftige Patronin übergeben. Insbesondere bei den Denkmalerrichtungen anlässlich Luthers 400. Geburtstag war die Mitsprache der lokalen Politiker am höchsten: in Magdeburg wurde aus ihren Reihen das Standbild des Reformators initiiert, in Eisleben war der Bürgermeister der Vorstand des Denkmalkomitees und in weiteren Orten waren städtische Abgeordnete Mitglieder des Denkmalausschusses. Dies korrespondiert mit der Beobachtung, dass in den 1880er und 1890er Jahren die lokale Identität am Standbild und bei den Einweihungsfeiern besonders stark ausgeprägt war. Nur in der zweiten Phase der Lutherdenkmalerrichtungen wurde die Position des Vorsitzenden des Denkmalvereins zum Teil durch einen lokalen Politiker besetzt. In den Komitees der ersten, dritten und vierten Phase waren hingegen Pfarrer, andere Personen in kirchlichen Ämtern oder, wie in Coburg, der Vorstand des dortigen Zweigvereins des Evangelischen Bunds die Vorsitzenden des jeweiligen Denkmalvereins. Dabei agierte der Pfarrer in erster Linie nicht als Repräsentant eines kirchlichen Amtes, sondern als Zugehöriger zum protestantischen Bildungsbürgertum. Die örtlichen Kirchengemeinden unterstützten die Aufstellung der Lutherstandbilder durch Spenden, die Kirchenleitung hingegen genehmigte zwar die Durchführung von Kirchenkollekten zugunsten des Lutherdenkmals, förderte die Denkmalsetzungen ansonsten allerdings nicht aktiv. Dies deckt sich auch mit der Rolle der evangelischen Kirchen im Hinblick auf die Aufwertung der Luthergedenkstätten.11 Statt Unterstützung wurde von kirchenleitender Seite die Zusammensetzung des Denkmalvereins in Eisleben kritisiert. Auch manche Theologen missbilligten die Denkmalpläne und forderten stattdessen die Gründung einer wohltätigen Stiftung oder die Veröffentlichung von Lutherschriften. Eine weitere, wesentliche Gruppe, auf die der Denkmalverein für das Gelingen seines Projekts angewiesen war, waren die Geldgeberinnen und Geldgeber, das heißt weite Teile der Bevölkerung. In den Spendenaufrufen wurde neben den Adressaten und Adressatinnen vor allem die Bedeutung des Reformators hervorgehoben. Genaue Vorgaben über die Form und Gestalt des Denkmals wurden hingegen im Normalfall nicht gemacht. Das heißt die spendenden Personen hatten eigentlich keine Möglichkeit der Mitbestimmung. Das stieß allerdings mancherorts auch auf Kritik, sodass die öffentliche Mitsprache beispielsweise in Eisenach gefordert wurde: „Die große Masse ist nicht lediglich Zahlmaschine. Sie sinkt aber nur

11 Vgl. Steffens: Luthergedenkstätten, 329.

4.1 Die Öffentlichkeit der Lutherdenkmäler 

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leicht dazu herab, wenn man ihr die Erlaubniß und die Gelegenheit, in öffentlichen Dingen mitzureden, von vornherein abschneidet.“12 Die Diskussion um die Auswahl des Denkmalentwurfs in Stuttgart zeigte ebenso das Bedürfnis, dass Teile der Bevölkerung durch ihren finanziellen Beitrag auch ihre Interessen einbringen wollten. So können hier hundert Jahre nach den ersten Lutherdenkmalplänen statt dem autoritären Handeln des Königs Anzeichen für ein Bewusstsein der demokratischen Mitbestimmung gesehen werden. Stephan Spohr stellte fest, dass der „Wandel der Gesellschaft, die Umschichtung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie des politischen und weltanschaulichen Systems […] in direkter Verbindung mit dem Wandel des Denkmals in formalen und inhaltlichen Kriterien“13 steht. Die Betrachtung der verschiedenen Akteure und Akteurinnen, die zum Gelingen eines Lutherdenkmals beizutragen hatten, zeigt, dass sich dieser Zusammenhang auch anhand der Zusammensetzung des Denkmalvereins und der beteiligten Gruppen nachweisen lässt.

4.1.3 Die Reichweite Die verschiedenen Akteure und Akteurinnen der Lutherdenkmalsetzungen ließen erkennen, dass der Denkmalverein allein sein Projekt nicht umsetzen konnte, sondern der Mithilfe weiterer Gruppen, aber auch der Öffentlichkeit bedurfte. Daher wurden verschiedene Möglichkeiten genutzt, um die Reichweite der Lutherdenkmalpläne zu vergrößern. Hierzu zählte zunächst der Anlass der Errichtung durch den der Verein Aufmerksamkeit erlangen konnte. So wurden die Reformationsjubiläen, Luthers 300. Todestag 1846 und sein 400. Geburtstag 1883 als Antrieb für die Denkmalprojekte genutzt. Auffällig ist, dass der 300. Jahrestag der Übergabe der Confessio Augustana zwar zu einem provisorischem Lutherdenkmal auf der Coburger Veste genutzt, aber ansonsten keine Denkmalpläne hervorgebracht hatte.14 Ein Grund hierfür war, dass das Vereinswesen, aber auch bürgerliche Denkmalpläne sich erst in den 1840er Jahren zunehmend etablieren konnten. Zum anderen können innerprotestantische Gründe geltend gemacht werden, indem in den verschiedenen deutschen Regionen unterschiedliche Interessen mit dem Jubiläum verbunden wurden und

12 LkA Eisenach, 11–005, Nr. 25.13, Bl. 88v (Art. Zur Denkmälerfrage in Eisenach). 13 Spohr: Denkmal, 12. 14 Zugleich wurde der 25. April, das heißt das Datum der Übergabe des Augsburger Bekenntnisses, für die Einweihungsfeiern in Möhra und Worms gewählt.

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 4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern

mancherorts die Union, anderenorts das Bekenntnis, aber weniger die Person Luthers gefeiert wurde.15 Daneben zeigte sich, dass Kirchenrenovierungen und –neubauten eine Möglichkeit für die Errichtung einer Statue des Reformators boten. Herauszuheben ist sodann die Veröffentlichung der Borromäus-Enzyklika, die als einziges zeitgeschichtliches und nicht reformationshistorisches Ereignis einige Denkmalpläne beförderte, da diese die öffentliche Aufmerksamkeit weiter Kreise des Protestantismus erregt hatte. Indem die Lutherdenkmalerrichtung mit einem konkreten Anlass verbunden wurde, konnte die Öffentlichkeit genutzt werden, um das Denkmalprojekt bekannt zu machen. Ein wichtiges Medium zur Vergrößerung der Reichweite war die Presse, insbesondere die evangelischen Gemeindeblätter und vor allem die Tageszeitungen. Dadurch war es möglich, auch überregional die Spendenaufrufe zu verbreiten und transparent die Bevölkerung über den Fortschritt der Denkmalpläne zu informieren. Zudem konnte der Denkmalverein dadurch in Erinnerung bleiben, um weitere finanzielle Mittel einzuwerben und schließlich auch über die Einweihungsfeier zu berichten. Die Reichweite der Enthüllungsfeiern ergab sich zunächst aus der Größe der Feier und den eingeladenen und den tatsächlich teilnehmenden Gästen. Hierbei sticht das dreitägige Wormser Lutherfest deutlich heraus, da unter anderem die Fürsten und Monarchen aus allen protestantischen deutschen Gebieten kamen, die evangelisch-theologischen Fakultäten vertreten waren und Vertreter aus den am Denkmal repräsentierten Städten am Fest teilnahmen, sodass es sich um eine nationale Feier handelte. Die in späteren Jahren folgenden Denkmalenthüllungen konnten daran nicht mehr anschließen, da überregionale Gäste weitestgehend fehlten und es somit lokale Feste blieben. Das heißt, weder den Feiern noch den Lutherdenkmälern wurde nach Worms ein nationaler Stellenwert beigemessen. Die Reichweite der Denkmaleinweihungen konnte allerdings durch die Zusammenarbeit mit den überregional aktiven evangelischen Vereinen, dem Evangelischen Bund und dem Gustav-Adolf-Verein, erhöht werden. Dies zeigte sich beispielsweise in Eisenach oder in Bielitz. Der Rückgang der öffentlichen Wirkung der Lutherdenkmäler nach der Enthüllung des Wormser Lutherfestes spiegelte sich auch im Anschluss an die Enthüllungsfeste wider. Mit der Veröffentlichung der umfangreichen Gedenkblätter zum Wormser Lutherfest 1868 setzte das dortige Komitee auch hier Maßstäbe. Durch

15 Vgl.  Wendeburg: So viele Luthers, 59–63; vgl.  Hund, Johannes: Das Augustana-Jubiläum von 1830 im Kontext von Kirchenpolitik, Theologie und kirchlichem Leben (242), Göttingen 2016.

4.2 Der politische Luther 

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die Verbreitung der Gedenkblätter und den Verkauf einer Abbildung des Wormser Monuments hatte dieses eine hohe Reichweite erzielt und war überall bekannt, was sicherlich auch zur Popularität der Rietschel-Statue beigetragen hatte. Auch im Nachgang weiterer Enthüllungsfeiern wurden Festschriften mit den Reden, Predigten und zum Teil der Entstehungsgeschichte des jeweiligen Denkmals publiziert, wodurch ebenfalls die überregionale Öffentlichkeit erreicht wurde. Hierbei lässt sich eine Häufung bei den Standbildern, die anlässlich des Lutherjubiläums aufgestellt wurden, erkennen. Nachdem nach 1900 auch die Einweihungsfeiern kleiner ausfielen als zuvor, wurden die Publikationen der Ansprachen seltener und sind auf die Einweihung der Gedächtniskirche in Speyer, das Bielitzer Lutherstandbild und das württembergische Reformationsdenkmal beschränkt. Das Ringen um öffentliche Wahrnehmung durch Publikationen und die Einweihungsfeiern macht deutlich, dass es den Denkmalinitiatoren darum ging, die im Denkmal zur Schau gestellten Erinnerungen unter den Stadtbewohnenden und über die Ortsgrenzen hinweg bekannt zu machen und unter gleichgesinnten eine gemeinsame Identität zu stiften.

4.2 Der politische Luther 4.2.1 Der Einfluss politischer Ereignisse Nicht nur die zunächst starke Mitsprache und das später zurückgehende Interesse des preußischen Königs und deutschen Kaisers, sondern auch die jeweilige politische Situation beeinflusste die Errichtung von Lutherdenkmälern auf unterschiedliche Weise. So hatte die Verschiebung von Landesgrenzen im Zuge des Wiener Kongresses erst die Möglichkeit für die Aufstellung des ersten Lutherstandbilds in Wittenberg, das nun zu Preußen gehörte, ermöglicht. In Kegel wurde aufgrund der russischen Religionspolitik, die darauf zielte das Luthertum einzudämmen, eine Errichtung auf einem öffentlichen Platz abgelehnt, sodass dieses Denkmal auf Privatgrund aufgestellt wurde. In Washington, D.C. verhinderte die amerikanische Trennung von Kirche und Staat ebenfalls einen Standort auf einem öffentlichen Platz, sodass für den ehernen Luther lediglich kirchlicher Boden in Frage kam. Das zeigt, dass das enge Verhältnis von Kirche und Staat in den deutschen Gebieten überhaupt erst eine Aufstellung auf einem öffentlichen Platz, wie beispielsweise dem Marktplatz, ermöglichte. Zugleich weist die Standortwahl daraufhin, dass Luther von nicht-deutschen Regierungen in erster Linie als deutscher Reformator der Kirche verstanden wurde. Das politische Zeitgeschehen spiegelte sich auch in der Gestaltung von Lutherstatuen wider, indem die Verantwortlichen eine Verbindung zwischen beiden

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 4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern

herstellten. So brachten der Kulturkampf und die Bismarcksche Stigmatisierung der Katholiken und Katholikinnen als Reichsfeinde einen antikatholischen Luther in Eisleben hervor. Die friedliche außenpolitische Lage nach der Reichsgründung zeigte sich in der gegenüber der Wormser Statue ruhiger wirkenden Denkmalgestaltung in Leipzig und den entspannten Gesichtszügen des Reformators in Dresden. Anders verhielt es sich bei den Lutherdenkmälern nach der Jahrhundertwende, bei der eine deutliche Anspannung, unter anderem durch das Motiv der Faust oder den Hammer erkennbar war, was mit der aufgeheizten Stimmung im Deutschen Kaiserreich insbesondere im Hinblick auf die Außenpolitik einherging. Dies wurde auch in den Inschriften am Mansfelder Lutherbrunnen aufgegriffen. Aber auch die unheroische, in sich gekehrte und Besonnenheit ausstrahlende sitzende Lutherfigur am Stuttgarter Monument korrespondierte mit der zeitgeschichtlichen politischen Situation, nämlich der Kriegsernüchterung im Jahr 1917. Neben den Denkmaldarstellungen wurde bei den Einweihungsfeiern durch die Festreden Bezug zum Zeitgeschehen genommen und Luther in diesem Kontext gedeutet. Zusätzlich konnte während des Festtags durch den Fahnenschmuck einer Stadt ein politisches Statement gesetzt werden. So gaben beispielsweise die gehissten Fahnen des Norddeutschen Bunds in Worms, oder die schwarz-rot-goldenen Flaggen in Bielitz und Asch Aufschluss über das nationale Zugehörigkeitsgefühl und die Identität der feiernden Gemeinschaft. Dasselbe gilt für das Washingtoner Lutherdenkmal, welches bei der Einweihung mit einer amerikanischen Flagge bedeckt war. In Eisleben war hingegen die Lutherstatue mit den städtischen Farben verhüllt, sodass auch durch den Fahnenschmuck das Nebeneinander von Lokalpatriotismus und Nationalismus symbolisiert werden konnte. Zusätzlich wurde die Umsetzung diverser Lutherdenkmalprojekte über den gesamten Zeitraum, das heißt von den ersten Plänen im Mansfelder Land bis zur Einweihung des württembergischen Reformationsdenkmals in Stuttgart, von Kriegen beeinflusst. Die napoleonischen Kriege hatten große finanzielle Verluste für die Vaterländisch-Literarische Gesellschaft im Mansfelder Land zur Folge, der deutschdeutsche Krieg verhinderte eine frühere Fertigstellung des Wormser Monuments und der deutsch-französische Krieg beeinträchtigte die Spendensammlungen für das Eislebener Standbild, da nach Kriegsende freiwillige Gaben für Kriegsschäden als wichtiger angesehen wurden. Dadurch verzögerte sich die Realisierung dieser Lutherdenkmalprojekte. Wie die in der vierten Phase besprochenen Denkmalpläne zeigten, hatte vor allem der Erste Weltkrieg einen großen Einfluss auf die Spendensammlungen und die Umsetzung neuer Ideen, sodass einige Lutherdenkmäler erst gar nicht verwirklicht werden konnten. Die Stuttgarter Einweihungsfeier im Jahr 1917 veranschaulichte schließlich, welche Schwierigkeiten und Herausforderungen mit der Durchführung eines solchen Festes während des Krieges zusammenhingen.

4.2 Der politische Luther 

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Die politischen Ereignisse beeinflussten demnach immer wieder die Lutherdenkmalerrichtungen und prägten zugleich die Deutung des Reformators.

4.2.2 Luther als deutscher Nationalheld Das Bild Luthers als deutscher Nationalheld steht stereotypisch für die Luthermemoria des 19. Jahrhunderts. Indem Luther auf den Sockel gestellt und dadurch erhöht wurde, liegt nahe, dass sich diese heroische Erinnerung auch in den Denkmälern widerspiegelte. Daher soll die Verehrung des Reformators als deutscher Nationalheld zu den unterschiedlichen Strömungen der deutschen Nationalbewegung im Verlauf des 19. Jahrhunderts ins Verhältnis gesetzt werden. Auch wenn die Einweihungsfeiern in Wittenberg und Möhra in erster Linie kirchliche Feste waren, spiegelte sich bei diesen in der Deutung des Reformators die liberale Nationalbewegung in Form des Intellektennationalismus wider. Luther wurde zur Identifikationsfigur insbesondere aufgrund seiner deutschen Bibelübersetzung, da die gemeinsame Sprache als das verbindende Element des deutschen Volkes galt. Zentral für die zunehmende politische Aufladung der Lutherinterpretation im Denkmal war einmal mehr das Wormser Monument. Bei der als deutsches Nationalfest gefeierten Einweihung des Denkmals kamen nun erstmals nicht nur kirchliche Vertreter, sondern auch Politiker bei den offiziellen Reden zu Wort. Die Vermischung von kirchlicher und politischer Veranstaltung zeigte sich auch durch das Nebeneinander von Glockenläuten und Kanonendonner und spiegelte sich zudem in der Lutherdeutung wider. So wurde im Sinne des Historismus die geschichtliche Bedeutung der Reformation betont und diese als zentrales Zeitalter der deutschen Geschichte herausgestellt. Die Bibelübersetzung galt weiterhin als Grundlage für das deutsche Volk weshalb der Reformator von allen Deutschen zu verehren sei, was sich in der Person des katholischen Wormser Bürgermeisters als Festredner zeigen sollte. Dass am Wormser Lutherfest mehrere zehntausend Menschen teilnahmen und den Reformator als deutschen Mann feierten, gibt Hinweise darauf, dass sich seit der Jahrhundertmitte die nationale Begeisterung zur Massenbewegung entwickelt hatte. Zugleich zeigte sich hier im Jahr 1868, dass die nationale Aufladung Luthers nicht als Opposition zur Politik der deutschen Monarchen und Fürsten stand, sondern durch ihre Anwesenheit von diesen mitgetragen wurde. Zusätzlich etablierte sich, auch durch die Historienmalerei, die Deutung des Auftritts Luthers auf dem Wormser Reichstag als einer der wichtigsten Bezugspunkte für die Gründung der deutschen Nation. Diese Interpretation wurde nach der Reichsgründung bei den anlässlich des Lutherjubiläums 1883 eingeweihten Denkmälern besonders betont. So wurde in Leipzig herausgestellt, dass Luther als

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 4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern

Identifikationsfigur für alle Deutschen gelte, da es ohne die Reformation und ohne Luther kein Deutsches Kaiserreich geben würde. Auch die beiden Ritterfiguren am Berliner Monument spielen darauf an, da Ulrich von Huttens und Franz von Sickingens nationale Bedeutung im Zuge der Reichsgründung betont wurde und diese als Vorkämpfer der deutschen Einheit galten. Von den Verantwortlichen der Denkmaleinweihungen wurde Luther als der größte deutsche Mann aller Zeiten hervorgehoben. Dies verband sich mit den Zielen der liberalen Nationalbewegung, die beabsichtigte alle Bereiche der deutschen Gesellschaft mit nationalen Gedanken zu durchziehen. In diesem Sinne wurde daher Luthers Bedeutung für die verschiedenen Lebensbereiche an den Denkmälern durch die Reliefs oder bei den Festreden herausgestellt. Doch zugleich hatte sich der Inhalt des deutschen Nationalismus in den 1880er Jahren verschoben, indem weniger liberale, sondern vielmehr konservative Ziele verfolgt und nationale Feindbilder zur Abgrenzung herangezogen wurden. Auch hier schloss sich die Luthermemoria im Denkmal an, indem der Katholizismus als Widersacher schlechthin betrachtet wurde. So stand die konfessionell aufgeladene Lutherdeutung am Denkmal im Gegensatz zu den Bestrebungen der Politik Bismarcks seit 1878, was sich sodann in der zurückhaltenden Unterstützung der Reichsregierung gegenüber neuen Lutherdenkmalprojekten äußerte. Die Lutherdenkmalinitiatoren sahen sich selbst jedoch nicht als Opposition zum deutschen Kaiser und der Regierung. Sie propagierten stattdessen mit Hilfe ihres Lutherstandbilds ihr Bild vom protestantisch geprägten Deutschen Kaiserreich und hoben Luthers Bedeutung für die deutsche Kultur hervor. Diese Nähe zu Kaiser und Reich, die einem Teil des Reichsnationalismus, der von Thomas Nipperdey als Normal-Nationalismus beschrieben wurde, entsprach, kam vor allem beim Fackelzug in Erfurt oder den Hoch auf den Kaiser-Rufen zum Ausdruck. Im Zentrum der Lutherdenkmalerrichtungen um 1900 stand unter anderem aufgrund des kirchlichen Standorts die Betonung der nationalprotestantischen Identität des Deutschen Kaiserreichs. Daher wurden Luthers Errungenschaften für die Kultur in Abgrenzung zum Katholizismus besonders betont und der Reformator so zum deutsch-protestantischen Helden stilisiert. Nicht nur aufgrund der geographischen Lage, sondern auch im Hinblick auf die Deutung Luthers als den deutschen Volksmann, sticht die Einweihungsfeier in Bielitz heraus. Hierbei sind Ansätze des völkischen Nationalismus erkennbar, indem unter dem deutschen Volk nicht nur die innerhalb der Grenzen des Deutschen Kaiserreichs lebenden Menschen, sondern die Gemeinschaft aller Deutschstämmigen verstanden wurde. Der völkische Nationalismus verband sich ansonsten jedoch mehr mit den von Reinhard Alings als nationalpolitische Denkmäler bezeichneten Monumenten. Diese entwickelten sich in den Jahren vor und nach der Jahrhundertwende „zu einem provokativen Medium mit einem aggressiven,

4.3 Der bürgerliche Luther 

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ethnischen Nationsverständnis“16, wobei insbesondere an die Bismarckdenkmäler zu denken ist.17 Bei den Denkmalplänen vor dem Ersten Weltkrieg, vor allem in Nürnberg und Coburg, fällt auf, dass die nationale Bedeutung Luthers wieder besonders in den Vordergrund gestellt werden sollte, womit die bevorzugte Standortwahl auf einem öffentlichen Platz, statt vor einer Kirche einherging. Zugleich handelte es sich dabei aber nicht um eine gesamtdeutsche, sondern eine nationalprotestantische, gegen den Katholizismus gerichtete Luthermemoria. Diese konfessionelle Komponente wurde genauso wie die heroische Deutung des Reformators erst im Zuge der Kriegserfahrungen bei der Stuttgarter Einweihungsfeier fallen gelassen. Die nationale Bedeutung Luthers war prägend für alle Denkmalerrichtungen, allerdings war es auch hier wiederum wichtig, die sich wandelnde Nationalbewegung im Blick zu behalten, um nachvollziehen zu können, was jeweils mit der Stilisierung Luthers zum deutschen Nationalhelden gemeint war. So lässt sich eine Entwicklung vom deutschen Nationalhelden der liberalen vom Bildungsbürgertum geprägten Nationalbewegung über eine politische Aufladung als den größten Deutschen und Wegbereiter des deutschen Kaiserreichs bis hin zum nationalprotestantischen Helden feststellen.

4.3 Der bürgerliche Luther 4.3.1 Luther als Mann der großen Verdienste Neben der nationalen Deutung Luthers hatte sich insbesondere seit den anlässlich des Lutherjubiläums 1883 errichteten Denkmälern gezeigt, dass die Standbilder des Reformators nicht nationale, sondern vor allem regionale Bedeutung erlangten. Die Zusammensetzung der Denkmalvereine durch Vertreter des Stadtbürgertums, der zentrale Aufstellungsort des Standbilds, die Gestaltung des Sockels und die Teilnehmenden bei der Einweihungsfeier, die geschmückten Häuser und die gehissten Fahnen spiegelten die lokale Geltung der Lutherdenkmäler wider und gaben Aufschluss über die städtische Identität. Das Standbild wurde zum Prestigeobjekt der jeweiligen Stadt. Zugleich wurde, wie beispielsweise in Coburg, Bedauern geäußert, wenn ein Ort, der noch dazu wichtig für die Reformationsgeschichte war, noch kein Lutherdenkmal hatte.

16 Alings: Monument, 606. 17 Alings: Monument, 605–606.

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 4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern

Neben dem Sichtbarmachen der städtischen Identität verband sich mit den Lutherdenkmalerrichtungen die Absicht, über die Würdigung der gesellschaftlichen Verdienste Luthers das eigene bürgerliche Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen. Am prägendsten war das Bild Luthers als Gelehrten, was am Denkmal durch den Talar veranschaulicht wurde. Die Mönchskutte wurde daher nicht nur aufgrund der fehlenden Wiedererkennbarkeit Luthers, sondern auch deshalb abgelehnt, weil eine Identifizierung des Bürgertums mit dem Mönch als unmöglich angesehen wurde. Das Bild des Gelehrten und Luthers Bedeutung für die Bildung wurde zudem durch die Bibel und Thesenrolle ausgedrückt, da ein „Schriftstück in Form einer Schriftrolle, einzelner Blätter oder eines Buchs […] [als] unverzichtbarer Gegenstand bei der Repräsentation von Gelehrten“18 am Denkmal galt.19 Die Bibel wies zugleich auf die immer wieder als größte Errungenschaft Luthers gepriesene deutsche Bibelübersetzung hin. Die durch den Reformator geprägte Sprache vereint nicht nur alle Deutschen miteinander, sondern sie bildete auch die Voraussetzung für weitere Geistesgrößen wie Goethe und Schiller. Ohne Luther hätte sich demnach die Schönheit der deutschen Sprache in der Literatur und Poesie nicht entfalten können. Deshalb konnte sich der Historienmaler Gustav König dieses „Buch […] unmöglich bei Luther’s Statue wegdenken“20 und es prägte beinahe alle Lutherfiguren.21 Zudem verwies die Auswahl der Sockelfiguren am Berliner Denkmal und die Reliefs an den Standbildern in Möhra, Worms, Eisenach und Mansfeld auf die Übersetzungstätigkeit Luthers. So war die Bibelübersetzung nicht nur aufgrund der nationalen, sondern auch der bildungsbürgerlichen Bedeutung eines der bestimmenden Motive der Lutherdenkmäler. Als ein weiterer Verdienst des Reformators wurde die Musik hervorgehoben. So wurde in einigen Einweihungsreden Luthers Bedeutung für die Kirchenmusik, so beispielsweise in Leipzig, betont und er als Liederdichter gewürdigt. Zudem wurde das Thema Musik durch Inschriften am Sockel, die wie in Wittenberg oder Annaberg auf Luthers bekanntestes Lied Ein feste Burg anspielen, oder durch Reliefdarstellungen aufgenommen. Dementsprechend zeigten die Postamente in Eisleben, Erfurt und Eisenach Luthers Liebe zur Musik. Die Lutherdenkmäler und die Festreden zeichneten ein vielfältiges Bild der auf die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts einwirkenden Leistungen des Reformators.

18 Remlein: Postament, 277. 19 So wurden auch weitere Gelehrte an den Lutherdenkmälern stets mit einem Schriftstück dargestellt. Dies gilt für Reuchlin am Wormser Denkmal, für Melanchthon in Worms, Leipzig und Berlin und für die weiteren Mitarbeiter bei der Bibelübersetzung am Berliner Denkmal. 20 Ebrard: König, 288. 21 Luther wurde ohne Bibel nur in der Wittenberger Schlosskirche und bei den drei Denkmälern des Reformators, die ihn mit Hammer und Thesenrolle zeigen, dargestellt.

4.3 Der bürgerliche Luther 

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Diese verschiedenen Themenbereiche spiegelten die zeitgenössische bürgerliche Kultur wider und stilisierten Luther als Vorbild für die Lebenswelt des Bildungsbürgertums. Auch die Kunst war eine Ausdrucksform der bürgerlichen Gesellschaft und so geben die Lutherdenkmäler als Kunstwerke Aufschluss über die Entwicklung der Stilformen im 19. Jahrhundert. Charakteristisch hierfür waren beispielsweise der gotische Baldachin über der Wittenberger Lutherstatue oder die gotische Verzierung des Sockels in Möhra. Der Detailreichtum und die Szenen in der Natur am Eisenacher Postament verwiesen auf den Naturalismus. Am prägendsten für die Lutherstandbilder war jedoch die Historienmalerei, denn diese diente aufgrund ihrer unzähligen verschiedenen reformationsgeschichtlichen Motive als Vorlage für die szenischen Reliefdarstellungen am Sockel. Diese bezogen sich auf verschiedene Lebensbereiche Luthers, unter anderem auf seine Kindheit am Mansfelder oder Eisenacher Denkmal, seine Studien- und Klosterzeit am Erfurter Standbild, den Thesenanschlag, die Bibelübersetzung oder auch seine Eheschließung.22 Nachdem durch die Lutherstatue nur ein Moment aus dem Leben des Reformators festgehalten werden konnte, bot der Sockel unter Anlehnung an die zeitgenössischen Historiengemälde den Denkmalinitiatoren die Möglichkeit ihr Bild Luthers durch narrative Darstellungen zu ergänzen.

4.3.2 Luther als Ehemann und Familienvater Die Luthermemoria im Standbild war überwiegend Ausdruck männlicher Erinnerungen. So waren die Mitglieder der Denkmalvereine mit Ausnahme der Frauen in Decorah, die Redner bei den Enthüllungsfeiern, die Künstler und die Preisrichter bei Wettbewerben ausschließlich Männer. Dies entsprach dem gängigen bürgerlichen Geschlechterverständnis, indem der Mann die repräsentativen Aufgaben in der Öffentlichkeit übernahm. Auch das Lutherbild im Denkmal spiegelte das männliche Rollenbild des 19.  Jahrhunderts wider, indem der Reformator durch Mimik und Gestik Stärke, Kraft, Entschlossenheit, Standfestigkeit, Autorität und zum Teil auch Härte und Kampfbereitschaft ausstrahlte. Diese Charakterzüge, die im 19.  Jahrhundert als typisch männlich galten, verbanden sich mit grimmigen Gesichtszügen in Eisleben, mit der Faust beispielsweise in Hamburg und dem Hammer unter anderem 22 Auf eine Abhängigkeit der Reliefdarstellungen in Worms von Gustav Königs Gemälde wurde bereits hingewiesen. Vgl. Abschnitt 3.2.4.3. Auch bei dem Motiv Luthers beim Thesenanschlag wurden Beziehungen zur Historienmalerei erkannt. Vgl. Abschnitt 3.5.2. Für eine ausführliche Darstellung des Lutherbilds im Spiegel der Historienmalerei vgl. Holsing: Luther.

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 4 Das erinnerungskulturelle Lutherbild im Spiegel von Denkmälern

in Reichenbach. Entsprechendes stellte Henrike Holsing in Bezug auf die Historienmalerei fest, da sie beobachtete, dass um 1900 Luthers „Auftreten […] allgemein männlicher, aggressiver“23 dargestellt wurde. Hieran schloß auch die Stuttgarter Diskussion an, die um die Frage kreiste, ob der Held Luther als sitzende Figur dargestellt werden könnte und dadurch allerdings nicht seine Tatkraft zum Ausdruck gebracht werden würde. Zugleich wurde der Reformator aber auch als Ehemann und somit in einer für das bürgerliche Privat- und Familienleben wichtigen Rolle gezeichnet. Dabei fällt auf, dass dies an den Lutherstatuen nur einmal in Form eines Eherings beim Unionsdenkmal in Kaiserslautern zum Ausdruck gebracht wurde. In Coburg hatte es zwar den Vorschlag für ein Denkmal Luthers zusammen mit seiner Frau Katharina und seinem Sohn Hans gegeben, dieses wurde aber nicht zum Wettbewerbssieger gekürt und dementsprechend nicht umgesetzt. Wichtiger für das Bild Luthers als Familienvater waren hingegen die Reliefdarstellungen an den Postamenten. So wurde in Worms und Leipzig Martins Eheschließung mit Katharina und in Eisleben Luther als Vater musizierend mit seinen Kindern und seiner Frau dargestellt. Diese Motive verweisen auf das zeitgenössische bürgerliche Familienideal, indem es im Gegensatz zu Arbeiterfamilien Zeit und Raum für gemeinsames Musizieren, Spielen24 und Bildung gab. Aber auch bei der Einweihungsfeier in Möhra wurde Luthers Gutmütigkeit gegenüber seiner Familie explizit betont. Doch nicht nur durch Luther, sondern auch durch weitere Darstellungen an den Sockeln wurde auf die Familie als Identifikationsgröße der Denkmalbetrachtenden hingedeutet. Hierbei ist auffällig, dass insbesondere das protestantische Familienideal gezeichnet wurde. So zeigten die Leipziger Reliefs mit der Taufe, Konfirmation und Hausandacht, aber auch die Darstellung der Predigt mit Kindern, Frauen und Männern als Zuhörende das evangelische Gemeindeleben. Dies ging zudem einher mit der Hervorhebung der Verdienste Luthers für die deutsche, protestantische Familie in diversen Einweihungsreden, wie beispielsweise in Asch, Erfurt und Bielitz. Die Reliefdarstellungen boten nun auch einen möglichen Identifikationsrahmen für Frauen, indem ihnen ihre in der bürgerlichen Gesellschaft zugewiesene Rolle als Ehefrau und Mutter, aber auch als fromme Christin vor Augen gestellt wurde. Beispielhaft hierfür stehen die Katharina-von-Bora-Darstellungen als Statue an der Zwickauer Marienkirche, oder in den Reliefs in Worms, Leipzig und Eisleben. Dabei wird Katharina nicht als Einzelfigur gezeigt, sondern entweder mit 23 Holsing: Luther, 385. 24 Das Spielen findet sich beim Eislebener Relief angedeutet durch einen Ball in der Hand eines Kindes, der Bildungsaspekt spiegelt sich darin wider, das ein Kind ein Buch in der Hand hält und dementsprechend die Noten beziehungsweise den Text des Lieds lesen kann. Vgl. Abb. 12.

4.4 Der protestantische Luther 

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einem ihrer Kinder auf dem Arm oder zusammen mit ihrem Ehemann. Auch die beiden anderen historischen Frauenfiguren, Elisabeth von Calenberg als Sitzstatue am Denkmal in Hannover und Frau Cotta am Eisenacher Sockel unterstreichen das zeitgenössische Frauenbild, welchem die Charaktereigenschaften fromm, liebevoll und fürsorglich zugewiesen wurden. Der Wohlstand bürgerlicher Familien, der die Erwerbslosigkeit der Frau ermöglichte und als Privileg betrachtete, beschränkte zugleich den Handlungsspielraum der Frau auf die Bereiche Familie und Gemeinde. Daran schlossen die Darstellungen an den Lutherdenkmälern an, indem diese das beschriebene Männer-, Frauenund Familienbild konservierten und zum Ideal stilisierten.

4.4 Der protestantische Luther 4.4.1 Luther als Theologe Neben der nationalen und gesellschaftlichen Bedeutung der Bibelübersetzung implizierte die Darstellung Luthers mit der Bibel als Wort Gottes und im Talar als Gewand des Predigers auch eine theologische Interpretation. Es fiel auf, dass die Position und die Größe des Buches an den Standbildern immer wieder variiert und dadurch unterschiedliche Aussagen transportiert wurden. Indem die Bibel am Lutherdenkmal zentral angebracht wurde, wurde ein Hinweis auf den Stellenwert des Wort Gottes im Protestantismus und auf Luthers theologischen Grundsatz Sola scriptura gegeben. Dieser wurde beispielsweise bei der zeitgenössischen Deutung des Bielitzer Lutherdenkmals besonders hervorgehoben. Zugleich verband sich damit eine Anspielung auf die lutherische Rechtfertigungslehre, die durch die Bibelstelle Röm 3,28 am Sockel des Standbilds auf Norderney und in der geöffneten Bibel am Speyerer Denkmal explizit wurde. Die aufgeschlagene Bibel war ein im ganzen Jahrhundert wiederkehrendes Motiv, ist unter anderem bei den Denkmälern in Wittenberg, Möhra, Asch, Erfurt, Berlin, Speyer und Stuttgart zu finden und stilisiert Luther zum Prediger und Verkündiger des Evangeliums. Durch die Aufnahme der vier Evangelisten am Sockel des Standbilds in Möhra wird zudem verdeutlicht, dass das Evangelium das Fundament der lutherischen Lehre bildet. Auch an einem der Eislebener Reliefs, welches die Leipziger Disputation darstellt, wird darauf angespielt und mit einer polemischen Botschaft gegenüber dem Katholizismus, der sich laut der Darstellung auf Menschenlehre stützt, verbunden.25 Der zentrale Stellenwert der Predigt im evan-

25 Vgl. Abb. 12.

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gelischen Gottesdienst wurde zudem unterstrichen durch Reliefdarstellungen in Worms und Leipzig. Die auf die Bibel pochende Faust in Worms, die auf das Herz gelegte Hand in Asch, die Schwurgeste in Hannover und die nach vorne gestreckte Bibelhaltung in Bielitz zeichnen das Bild Luthers als Bekenner. Dieses war notwendig, da der Protestantismus von verschiedenen Richtungen, der Säkularisierung, dem Materialismus und Atheismus, aber auch dem Katholizismus angegangen wurde. In den Einweihungsreden wurde deshalb immer wieder zum standhaften Bekenntnis aufgefordert und Luther hierfür als Vorbild herangezogen: Ein Vorbild soll Dir und Deinen Kindern der eherne Mann sein, der in dem ehernen Bilde hier vor Dir steht: […] Du sollst ihm ein Denkmal im Herzen setzen. […] Er soll Dir ein Vorbild sein, in der Fülle seiner Liebe, in der Stärke seines Glaubens […]26

Neben diesen aktiven, bekennenden Posen wurde der Reformator bei anderen Standbildern in verteidigender Stellung gezeigt, um die Angriffe von den verschiedenen Seiten abzuwehren. So zeigen die Denkmäler in Alt-Schwanenburg, Eisenach, Hannover, aber auch die lediglich erwähnten Statuen in Döbeln und Weißenfels einen die Bibel beschützenden Luther. Doch die protestantische Botschaft der Lutherdenkmäler war nicht nur nach außen gerichtet, sondern auch die innerprotestantischen Auseinandersetzungen wurden im Kontext der Denkmalerrichtungen thematisiert. Die Uneinigkeit der verschiedenen evangelischen Richtungen äußerte sich insbesondere beim Wormser Luthermonument und entzündete sich zum einen an der Frage, ob Zwingli als Statue am Denkmal neben Luther dargestellt werden könnte und zeigte sich zum anderen anhand der unterschiedlichen Deutung Luthers in den Festreden. Die Einheit der evangelischen Kirche wurde in den Festreden und Predigten genauso beschworen, wie bei der Errichtung des Unionsdenkmals in Kaiserslautern, auch wenn hier ebenfalls Spannungen zwischen den verschiedenen protestantischen Strömungen offenbar wurden. Auch bei der Planung des Figurenprogramms in der Wittenberger Schlosskirche veranschaulichte die Diskussion um die geeignete Darstellung der Schweizer Reformatoren das Nebeneinander unterschiedlicher evangelischer Positionen. Die innerprotestantischen Auseinandersetzungen traten bei den Denkmalerrichtungen seit den 1890er Jahren zurück. Ein Grund war hierfür der Evangelische Bund, der sich durch seine antikatholische und nationalprotestantische Haltung „als ‚Einheitsband der evangelischen Deutschen‘“27 erwies. Es zeigte sich anhand

26 Storch: Luther-Jubiläum, 59. 27 Grote: Evangelischer Bund, 684.

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der Lutherdenkmäler eine zunehmende antikatholische Polemik und die kulturelle Bedeutung Luthers und der Reformation für das Deutsche Kaiserreich wurden betont, wodurch der Zusammenhalt des Protestantismus befördert und in der Öffentlichkeit demonstriert werden sollte. Die Lutherdenkmäler und die Statuen des Reformators an den Kirchengebäuden waren demnach Ausdruck des Kulturprotestantismus um 1900 und ergänzten das von Theologen wie Adolf von Harnack gezeichnete Bild Luthers als „Zentralgestalt der preußisch-protestantischen Öffentlichkeitsreligion […] [und] des überlegenen Protestantismus im deutschen Kaiserreich“28.29 Das zeigt, dass im wilhelminischen Kaiserreich, das nationale, bürgerliche und protestantische Lutherbild nicht voneinander getrennt betrachtet werden kann, sondern vielmehr miteinander verschmolzen war. Erst das Stuttgarter Monument rückte in Anbetracht der Kriegsgeschehnisse statt der kulturellen Bedeutung die Theologie Luthers ins Zentrum, indem der auferstandene Christus im Fokus stand, der sitzende Luther als Verkündiger der Heilsgeschichte dargestellt wurde und anstatt Szenen aus Luthers Leben biblische Darstellungen in Reliefs angebracht wurden.

4.4.2 Luther als Antikatholik Im Verlauf der Lutherdenkmalerrichtungen hatte sich herauskristallisiert, dass sich mit den Standbildern des Reformators immer mehr eine antikatholische Polemik verband. Dabei hatte die erste Denkmalinitiative im Mansfelder Land zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch alle Verehrer Luthers, das heißt unabhängig von ihrer Konfession, adressiert und es wurde sogar ein Vorschlag für ein ökumenisches Denkmal aller „Christusverehrer“30 eingereicht. Der Aufruf zum Wormser Denkmal war zwar dezidiert an alle Protestanten und Protestantinnen gerichtet, doch zugleich war es ein Anliegen des Bildhauers Ernst Rietschel, dass sein Monument auch unter Katholiken „zu einer stillen und gerechten Achtung“31 führen würde. Die Denkmaldarstellung sollte dementsprechend keine konfessionellen Differenzen hervorrufen. Doch die Diskussion um die passende Lutherstatue in Mönchskutte oder Talar verwies bereits auf eine angespanntere Stimmung zwischen der protestantischen und katholischen Bevölkerung. Eine ökumenische Verständigung war durch den antiliberalen Ultramontanismus und 28 Blum, Daniela: Der katholische Luther. Begegnungen, Prägungen, Rezeptionen, Paderborn 2016, 169. 29 Vgl. Greschat: Held, 107–115. 30 Schnee: Beiträge, 77. 31 Eich: Gedenkblätter, 22.

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den von Papst Pius IX. veröffentlichten Syllabus errorum 1864 unmöglich geworden. So war das Wormser Denkmal zwar nicht als Polemik gegen den Katholizismus geplant gewesen, allerdings wurde dieses nach seiner Einweihung 1868 und bedingt durch das einberufene Erste Vatikanische Konzil als Anlass für öffentliche Kritik am Protestantismus herangezogen. Nach der klein-deutschen Reichsgründung und im Zuge des Kulturkampfs in den 1870er Jahren wurde nun ein dezidiert antikatholisches Lutherdenkmal entworfen. Dabei ist wichtig, dass sich zunächst durch ein politisches Ereignis, nämlich den Kulturkampf, eine konfessionelle Aufladung des Lutherdenkmals vollzog. Bei der Einweihung 1883 war der Antikatholizismus jedoch nicht von politischer, sondern von kirchlich-theologischer Seite in den Reden zur Sprache gekommen. Durch das Eislebener Standbild wurden die Katholiken und Katholikinnen, die zuvor von Bismarck als politische Reichsfeinde stigmatisiert worden waren, öffentlich kritisiert. Das heißt, von protestantischer Seite wurden diese offensichtlich aus der Erinnerungsgemeinschaft und der gemeinsamen nationalen Identitätsbildung ausgeschlossen. Dies entspricht auch Dorothea Wendebourgs Feststellung, dass das Lutherjubiläum 1883 ohne „Beteiligung römisch-katholischer Bürger am Fest“32 stattfand und diese verärgert im Abseits standen.33 Die Einweihungsfeste der Lutherdenkmäler 1883 ordneten sich dementsprechend in dieses allgemeine Bild der Jubiläumsfeier ein, indem in den Festreden Luther als der Befreier der Kirche aus der Knechtschaft Roms gewürdigt wurde. Hieran schlossen zudem die weiteren Denkmalenthüllungen in den 1880er Jahren an. Mit der Bann(androhungs)bulle am Magdeburger und Erfurter Lutherdenkmal wurde das polemische Motiv in diesem Jahrzehnt noch zweimal aufgenommen und dadurch auf Konflikte zwischen den Konfessionen auf Gemeindeebene angespielt. Auffällig war jedoch, dass die Bulle am Denkmal nicht, wie beim Eislebener Denkmal zentral in der Hand Luthers, sondern hinter dessen Fuß platziert wurde. Dadurch war sie eher versteckt und wurde nicht von allen Betrachtenden sofort wahrgenommen. Anders verhielt es sich bei den Denkmälern in Hannover und Speyer, da dort das päpstliche Schreiben gut sichtbar angebracht war und der Reformator abwertend auf dieses seinen Fuß stellte. Diese gesteigerte Ablehnung korrespondierte mit der sich seit der Jahrhundertwende wieder zuspitzenden konfessionellen Situation. Die Bann(androhungs)bulle am Denkmal konnte dabei mit

32 Wendebourg: So viele Luthers, 79. 33 Eine einzige Ausnahme war die Enthüllungsfeier in Asch, bei der explizit von der Teilnahme katholischer Mitbürger und Mitbürgerinnen berichtet wurde.

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der Kritik an den zahlreichen Enzykliken Papst Leos XIII. in Verbindung gebracht werden. Nachdem neben den Lutherstandbildern auch an Kirchen angebrachte Statuen des Reformators als Abgrenzung vom Katholizismus anzusehen waren, gipfelte der konfessionelle Schlagabtausch in der Veröffentlichung und Rezeption der Borromäus-Enzyklika im Jahr 1910. Hierbei wurde als Zeichen des Protests, beispielsweise in Reichenbach, der hammerschwingende Luther als neues Denkmalmotiv entdeckt. Zugleich zeigte sich anhand der Nürnberger und der Wiederaufnahme der Stuttgarter Denkmalpläne, dass sich um 1910 das Verständnis, dass ein Lutherdenkmal ein sichtbares antikatholisches Zeichen sei, etabliert hatte. Ein Standbild des Reformators wurde demnach als angemessener Protest gegen katholische Schmähungen angesehen.34 Erst bei der Einweihungsfeier des Stuttgarter Reformationsdenkmals im dritten Kriegsjahr wurde auf konfessionelle Kritik verzichtet und nationaler Zusammenhalt eingefordert, wie es sich auch bei anderen Veranstaltungen anlässlich des 400. Reformationsjubiläums zeigte.35 Anhand der Lutherdenkmäler und ihren zeitgenössischen Interpretationen in den Einweihungsreden lassen sich somit Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen Katholizismus und Protestantismus ziehen. Indem die Standbilder des Reformators auf öffentlichen Plätzen und vor Kirchen errichtet wurden bildeten sie ein plastisches Pendant zu den Mariensäulen in katholisch geprägten Regionen, „die anläßlich des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariae“ zugenommen hatten.36 So zeigt sich einmal mehr, dass die Öffentlichkeit des Denkmals die Funktion hatte, neben der politischen, auch die kulturprägende Position einer Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen.

34 Beispielhaft sei hierbei auf die polemischen Lutherdarstellungen von Hartmann Grisar und Heinrich Denifel verwiesen. Vgl.  Blum: Luther, 161–171; vgl.  Maron, Gottfried: Das katholische Lutherbild im Wandel, in: ders.: Die ganze Christenheit auf Erden. Martin Luther und seine ökumenische Bedeutung. Zum 65. Geburtstag des Verfassers hgg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebaß, Göttingen 1993,136–141; vgl. Kohnle, Armin: Martin Luther: Reformator, Ketzer, Ehemann, Holzgerlingen 2015, 211–214. 35 Vgl.  Wendebourg: So viele Luthers, 82–83; vgl.  Maron, Gottfried: 1883 – 1917 – 1933 – 1983: Jubiläen eines Jahrhunderts, in: ders.: Die ganze Christenheit auf Erden. Martin Luther und seine ökumenische Bedeutung. Zum 65. Geburtstag des Verfassers hgg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebaß, Göttingen 1993, 189–192. 36 Bloch / Grzimek: Bildhauerschule, 224–226.

5 Der erinnerungskulturelle Umgang mit Lutherdenkmälern heute Auch wenn die um 1917 umgesetzten Lutherdenkmäler durchaus Variationen in der Gestaltung aufzeigten und dadurch neue Formen gefunden wurden, so fällt auf, dass die im Verlauf des 20. Jahrhunderts vereinzelt errichteten Denkmäler wiederum auf eine Statue Luthers zurückgriffen. Dabei wurden zwar zum Teil neue Motive, wie beispielsweise die Darstellung des Reformators mit zwei Kindern vor dem Gemeindehaus in Berlin-Zehlendorf oder als Augustiner-Mönch auf dem alten Friedhof in Egestorf, gewählt, doch die größte Veränderung vollzog sich am Sockel. So wurde dieser nicht nur immer niedriger, sondern bei den nahezu identischen Lutherdenkmälern in Weißenburg und in Landau aus den Jahren 1983 und 1996 wurde auf eine Erhöhung gänzlich verzichtet. Die Betrachtenden sollen nicht mehr zum erhöhten Reformator aufblicken, sondern ihm vielmehr auf Augenhöhe begegnen.1 Mit den bestehenden Lutherstandbildern wurde im 20. und frühen 21. Jahrhundert unterschiedlich umgegangen, was Aufschluss über die Bedeutung der Denkmäler für die zeitgenössische Erinnerungskultur gibt. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs wurden Lutherdenkmäler, oder Teile davon, aufgrund staatlicher Anordnung abtransportiert und für Kriegszwecke eingeschmolzen.2 Dabei fällt auf, dass die Denkmäler in Lutherstädten verschont blieben oder ihr Abtransport während des Zweiten Weltkriegs, wie zum Beispiel in Möhra, lang genug hinausgezögert werden konnte.3 Nach dem Kriegsende wurden Denkmäler von sowjetischen Truppen, so in Kegel und Reichenbach, zerstört oder, wie in Prenzlau, zeitweise gestürzt.4 Beide Formen der Entfernung, das Einschmelzen und die Zerstörung, beruhen auf einem bewussten Handeln und implizieren die Vernichtung der im Lutherdenkmal festgehaltenen Erinnerungen. Durch das Verschwinden dieser Standbilder war nicht nur diese spezifische Luthermemoria dem Vergessen ausgeliefert, sondern der öffentliche Raum konnte mit neuen identitätsstiftenden Erinnerungen gefüllt und dadurch Macht demonstriert werden. Besonders eindrücklich ist hierbei der

1 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 55–56, 106–107, 161–162, 241. 2 So wurden beispielsweise die Lutherdenkmäler in Görlitz und Leipzig und die Nebenfiguren in Berlin und Hannover eingeschmolzen. 3 Vgl. Knabe, Paul: Art. Das Lutherdenkmal in Möhra. Heinrich Hofmann rettete es vor der Vernichtung durch die Faschisten, in: Thüringer Tageblatt. Beilage: Zwischen Rhön und Thüringer Wald (6.01.1961). Der Zeitungsartikel wurde dankenswerterweise bereit gestellt vom evangelischen Pfarramt in Möhra. 4 Vgl. Kammer: Reformationsdenkmäler, 209, 262, 273–274. https://doi.org/10.1515/9783111054391-005

5 Der erinnerungskulturelle Umgang mit Lutherdenkmälern heute 

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Umgang mit der Lutherstatue im estnischen Kegel. Diese wurde im Jahr 1949 von den „herrschenden Kommunisten zerstört [um daraus] […] eine Stalin-Statue, die für Tallinn bestimmt war“5, zu gießen. Die Entfernung der Lutherdenkmäler erforderte demnach kein Aushalten der von Andersdenkenden geprägten Erinnerungen und keine kritische Auseinandersetzung mit diesen. Im späten 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde darum gerungen, wie mit den zerstörten Denkmälern umzugehen sei und es gründeten sich an verschiedenen Orten Initiativen, die die Wiedererrichtung des Lutherdenkmals in ihrer Stadt forderten. Die Aufstellung der Lutherstatue nach Rietschel in Görlitz anlässlich des 400. Geburtstags des Reformators wurde bereits ausgeführt. Aber auch in Leipzig konstituierte sich im Jahr 2005 ein Luther-Melanchthon-Denkmal-Verein, der durch Spenden aus der Bürgerschaft das 1943 zerstörte Doppelstandbild originalgetreu wiederherstellen wollte. Die Stadt Leipzig hingegen sprach sich „vehement gegen Repliken ursprünglicher Denkmale“6 aus und forderte stattdessen eine Realisierung „in zeitgemäßer Form“7. Nachdem der Denkmalverein diesem Kompromiss zugestimmt und „2018 sein Satzungsziel“8 dahingehend verändert hatte, wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Der im Frühjahr 2019 zum Sieger gekürte Entwurf von Gerald Aigner sah ein leeres Postament vor, das der Form des Sockels am ehemaligen Leipziger Reformationsdenkmal nachempfunden war. An dessen Grundplatte waren vier Inschriften vorgesehen, die an die Leipziger Disputation 1519, die Einführung der Reformation in Leipzig 1539, die ursprüngliche Errichtung 1883, die Zerstörung 1943 und die Wiedererrichtung 2019 erinnern sollten.9

5 Kammer: Reformationsdenkmäler, 262. 6 Julke, Ralf: Haben die Stadt und der Luther-Melanchthon-Denkmal Verein e. V. gar kein Einvernehmen für das neue Leipziger Reformationsdenkmal?, 27.07.2020 (Leipzig / https://www.l-iz. de/politik/engagement/2020/07/Haben-die-Stadt-und-der-Luther-Melanchthon-Denkmal-Verein-e-V-gar-kein-Einvernehmen-fuer-das-neue-Leipziger-Reformationsdenkmal-341557). 7 Stadt Leipzig: Der Wettbewerb für einen künstlerischen Entwurf für die Gestaltung eines Luther-Melanchthon-Denkmals in Leipzig ist beendet, 2019 (Leipzig / https://www.leipzig.de/freizeit-kultur-und-tourismus/kunst-und-kultur/kunst-im-oeffentlichen-raum/luther-melanchthon-denkmal/). 8 Stadt Leipzig: Wettbewerb (https://www.leipzig.de/freizeit-kultur-und-tourismus/kunst-und-kultur/kunst-im-oeffentlichen-raum/luther-melanchthon-denkmal/). 9 Für eine Beschreibung und Darstellung der drei ersten Plätze des Wettbewerbs vgl. Stadt Leipzig: Wettbewerb (https://www.leipzig.de/freizeit-kultur-und-tourismus/kunst-und-kultur/kunst-im-oeffentlichen-raum/luther-melanchthon-denkmal/).

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Abb. 43: Axonometrische Zeichnung des Siegerentwurfs zum Reformationsdenkmal in Leipzig, Gerald Aigner.

Auch wenn die Entscheidung der Wettbewerbsjury sowohl von der Stadt Leipzig als auch dem stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins anerkannt wurde und der Denkmalverein zur Organisation der Ausführung beauftragt wurde, wurde der leere Sockel bis heute nicht realisiert. Der Denkmalverein scheint inzwischen inaktiv zu sein und auch gegen den Siegerentwurf wurde Kritik von Seiten Leipziger Politiker und Politikerinnen laut. [D]er leere Denkmalsockel [sei] möglicherweise der falsche Ansatz […], [d]enn das Denkmal soll ja nicht an die Kulturvernichtung der Nazis erinnern, sondern an Luther und Melanchthon […]. Da kann man doch die beiden Hauptakteure nicht einfach weglassen.10

Der Leipziger Entwurf erscheine also eher als Mahnmal, als dass die Bedeutung Luthers, Melanchthons oder der Reformation gewürdigt würde. 10 Julke: Einvernehmen.

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In Berlin gab es anlässlich des 500. Reformationsjubiläums ebenfalls ein Bestreben, „am ursprünglichen Standort […] ein neues Denkmal zur Erinnerung an Martin Luther, die Reformation und die zeitgenössische Interpretation von Luthers Schaffens zu errichten“11. So wurde im Auftrag des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte ein Wettbewerb ausgeschrieben, um die vom ursprünglichen Denkmal aus dem Jahr 1895 noch vorhandene Lutherfigur neu zu inszenieren, da weder ihre „Lage im öffentlichen Raum noch die Ausformung des heutigen Sockels […] der Bedeutung Luthers und seinem Denkmal gerecht“12 würden. Zudem solle der Reformator „in seiner Widersprüchlichkeit“13 dargestellt werden.

Abb. 44: Siegerentwurf Lutherdenkmal in Berlin, Albert Weis, Christoph Zeller, Ingrid Moye Verduzco.

11 Luther-Denkmal Berlin 2017. Projekt (Berlin / https://www.phase1.de/projects_lutherdenkmalberlin2017_information.htm). 12 Luther-Denkmal Berlin 2017. Projekt (Berlin / https://www.phase1.de/projects_lutherdenkmalberlin2017_information.htm). 13 Keller, Claudia: Luther-Denkmal. Alter Held, neuer Ärger, 25.07.2016 (Berlin / https://www.tagesspiegel.de/kultur/luther-denkmal-alter-held-neuer-aerger/13920452.html).

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Der vom Preisgericht mit dem ersten Platz ausgezeichnete Entwurf sah im Boden den ehemaligen Grundriss der Denkmalanlage vor, zu der allerdings nicht Stufen hinauf-, sondern herunterführen sollten und mit einem Zitat Dietrich Bonhoeffers ausgestaltet wäre. Der alten bronzenen Lutherstatue sollte ein sich spiegelnder Luther gegenübergestellt werden, sodass der Reformator „sozusagen im Gespräch mit sich selbst“14 wäre. Gegen diesen Entwurf hatten nicht nur „sämtliche Historiker und Theologen unter den Sachverständigen votiert“15, sondern auch die Pfarrerin der örtlichen Kirchengemeinde und weitere Vertreter und Vertreterinnen der Evangelischen Kirche äußerten Kritik, da dieses Modell „unreformatorisch und nicht zeitgemäß“16 sei.17 Wie das Leipziger Projekt ist auch die Neugestaltung des Berliner Lutherdenkmals bis jetzt nicht umgesetzt worden. Beide Bestrebungen machen deutlich, dass der heutige Umgang mit neuzugestaltenden Lutherdenkmälern weiterhin geprägt ist von verschiedenen politischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Interessen. Zudem veranschaulicht das Ringen um die gegenwärtig angemessene Gestaltung der wiederherzustellenden Lutherdenkmäler die damit verbundenen Schwierigkeiten. Grundlegend ist dabei anzuerkennen, dass die Denkmäler jeweils Erinnerungen ihrer ursprünglichen Errichtungszeit transportieren, dass das wiedergegebene Lutherbild nicht dem heutigen entspricht und dass sich die Darstellung des Reformators als Statue auf einem Sockel von heutigen Erinnerungsformen unterscheidet. Dies verweist auf eine weitere erinnerungskulturelle Herausforderung, die sich im Hinblick auf die bestehenden Lutherdenkmäler stellt, nämlich wie mit diesen sinnvoll umgegangen werden kann. Dabei hilft es, noch einmal zur Denkmaldefinition Luthers zurückzukehren und die Standbilder des Reformators als Erinnerungszeichen und Gedächtnisstütze zu verstehen. Damit verbindet sich der Auftrag, den in den Lutherdenkmälern festgehaltenen Inhalten nachzuspüren, sodass die Standbilder nicht zu leeren, unverständlichen Erinnerungen mutieren. Die Denkmäler sind zunächst und offensichtlich Ausdruck des Luthergedächtnisses, indem sie an die dargestellte Person des 16. Jahrhunderts erinnern. Ein kritischer, reflektierter Blick auf Martin Luther zeigt, dass dieser nicht nur im Hinblick auf seine Judenfeindlichkeit Schattenseiten hatte. Lutherdenkmäler wurden demzufolge in vergangenen Jahren durch Kunstinstallationen oder durch das Anbrin-

14 Lammert-Türk, Gunnar / Springer, Markus: Denkmal. Streit um doppelten Luther, 18.12.2016 (München / https://www.sonntagsblatt.de/artikel/kultur/streit-um-doppelten-luther-berlin). 15 Lammert-Türk / Springer: Denkmal. 16 Lammert-Türk / Springer: Denkmal. 17 Vgl. Keller: Luther-Denkmal.

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gen von Augenbinden dazu benutzt, um sich vom Reformator zu distanzieren beziehungsweise Kritik an ihm publik zu machen.18 Zugleich sind die Lutherdenkmäler aber vor allem Erinnerungszeichen des 19. Jahrhunderts, was die vorliegende Arbeit veranschaulicht und was jedoch im öffentlichen Umgang mit den Standbildern bisher häufig zu kurz kommt. Die ursprüngliche Absicht der Denkmalinitiatoren war es, wie es im Berliner Spendenaufruf im Jahr 1883 festgehalten worden war, den „kommenden Geschlechtern [zu zeigen], wie ihre Väter Martin Luther verstanden“19 haben. Es wurde eben nicht der historische Luther des 16. Jahrhunderts dargestellt, sondern die politische, gesellschaftliche und konfessionelle Situation des 19. Jahrhunderts bestimmte die Denkmalgestaltung und prägte das dargestellte Lutherbild. Dieses ist den heutigen Betrachtenden nicht nur aufgrund der durch das Denkmal implizierten Heroisierung des Reformators fremd. Aufgrund des Standorts der Lutherdenkmäler im öffentlichen Raum verbindet sich mit diesen noch mehr als mit anderen historischen Quellen eine besondere Herausforderung, da diese prinzipiell für alle sichtbar sind. So ist es erforderlich, dass die Geschichten, die diese Standbilder erzählen, die Intentionen ihrer Errichtung, ihre Deutung bei den Einweihungsfeiern, aber auch die verschiedenen Aspekte der Denkmalgestaltung verständlich gemacht und kommuniziert werden. Erst wenn die Botschaften der Lutherdenkmäler bekannt sind, kann auch ein kritischer Umgang mit diesen stattfinden. Hierin liegt zugleich die Stärke einer Erinnerungsgemeinschaft, dass sie diese aus vergangenen Jahrhunderten stammenden Erinnerungszeichen eben nicht einfach entfernt, sondern fähig ist, sich kritisch und zeitgemäß mit diesen auseinanderzusetzen. Die Lutherdenkmäler veranschaulichen den heutigen Betrachtenden nicht einfach den historischen Luther, sondern den Luther des 19. Jahrhunderts: Sie sind geprägt von früheren lokalen Identitäten, zeigen den deutschen Nationalhelden, der die nationale Einheit vorbereitet und dessen Verdienste die Grundlage für die bürgerliche Kultur des Kaiserreichs waren und sie sind Symbole für konfessionelle Anfeindungen. Der Blick auf den erhöhten Reformator ist für die heutigen Betrachtenden eine Herausforderung und zugleich verbindet sich mit dem Bewusstwerden dieser versteinerten Erinnerungen die Aufgabe zur eigenen und kollektiven Auseinandersetzung, denn wir stehen hier und erinnern uns anders.

18 Epd: Lutherdenkmal in Wittenberg mit Augenbinde, 9.11.2015 (Frankfurt/Main / https://www. evangelisch.de/inhalte/128208/09-11-2015/lutherdenkmal-wittenberg-traegt-augenbinde). 19 GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 20887, Bl. 18.

Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5

Abb. 6

Abb. 7 Abb. 8

Abb. 9 Abb. 10

Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16

Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23

Karte Lutherdenkmäler, Screenshot der Webseite www.luther-denkmaeler.de, zuletzt aufgerufen am 21.01.2023, © Camilla Schneider, Kilian Wischer   82 Anzahl der Denkmalerrichtungen pro Jahr, © Camilla Schneider   83 Charakteristika der Lutherdenkmäler, © Camilla Schneider   83 Entwurf Lutherdenkmal, Leo von Klenze, 1804, © Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen 94 Anhalt  Lutherdenkmal in Wittenberg, Statue: Johann Gottfried Schadow, Baldachin: Karl Friedrich Schinkel, Foto: W. Bulach, Lizenz: CC BY-SA 4.0 (https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=56944171), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   101 Lutherdenkmal in Möhra, Ferdinand Müller, Foto: Metilsteiner, Lizenz: CC BY 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:WAK_M%C3%96HRA_LUTHER_DKM.jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   109 Lutherdenkmal in Kegel, Peter Clodt von Jürgensburg, © National Archives of Estonia, Inv.-Nr. EFA.554.0.182565   113 v. l. n. r.: Ernst Rietschel (1804-1861): Martin Luther im Chorrock. 1858, Gips, 54 x 23,5 x 19,5 cm, Inv. ASN 85 (Abg.-ZV 3956a); Martin Luther im Mönchsgewand. 1858, Gips, 54,5 x 24 x 20 cm, Inv. ASN 86 (Abg.-ZV 3956b); Martin Luther im Chorrock 1858, Gips, 59 x 23 x 22 cm, Inv. ASN 247 (Abg.-ZV 3956c), 1889 mit den Beständen des Rietschel-Museums für die Skulpturensammlung übernommen, © Albertinum/ Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, © Aufnahmen: Hans-Peter Klut/ Elke Estel   125 Lutherdenkmal in Worms, Ernst Rietschel, © Camilla Schneider   130 Unionsdenkmal in Kaiserslautern, Konrad Knoll, Lizenz: Public Domain (https://commons. wikimedia.org/wiki/File:Unionsdenkmal_Kaiserslautern.jpg#/media/ Datei:Unionsdenkmal_Kaiserslautern.jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   156 Lutherdenkmal in Eisleben, Rudolf Siemering, © Camilla Schneider   172 Vier Reliefs am Lutherdenkmal in Eisleben, Rudolf Siemering, © Camilla Schneider.   173 Lutherdenkmal in Leipzig, Johannes Schilling, © SGM Leipzig/Hermann Vogel, Inv.-Nr. F/3819/2005   182 Relief Kirchengesang, Taufe und Konfirmation, Johannes Schilling, © SGM Leipzig/ Hochbauamt, Inv.-Nr. F/5889/2005   184 Lutherdenkmal in Asch, Johann Rößner, © Camilla Schneider   189 Lutherdenkmal in Alt-Schwanenburg, Hermann Kokolsky, Foto: Ivo Kruusamägi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/34/Gulbene%2C_ statue_of_Martin_Luther_2013.JPG), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   194 Lutherdenkmal auf Norderney, Bernhard Högl, © Ella Albers   198 Lutherdenkmal in Magdeburg, Emil Hundrieser, © Camilla Schneider   209 Nahaufnahme des Lutherdenkmals in Magdeburg, Emil Hundrieser, © Camilla Schneider   210 Lutherdenkmal in Erfurt, Fritz Schaper, © Camilla Schneider   219 Reliefs am Lutherdenkmal in Erfurt, Fritz Schaper, © Camilla Schneider   221 Lutherdenkmal in Eisenach, Adolf von Donndorf, © Camilla Schneider   241 Relief am Lutherdenkmal in Eisenach, Adolf von Donndorf, © Camilla Schneider   242

https://doi.org/10.1515/9783111054391-006

418 

 Abbildungsverzeichnis

Abb. 24

Lutherdenkmal in Berlin, Martin Otto, Lizenz: Public Domain (https://commons.wikimedia. org/wiki/File:Berlin_Lutherdenkmal_um_1900.png#/media/File:Berlin_Lutherdenkmal_ um_1900.png), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   256 Lutherstatue in der Wittenberger Schlosskirche, Otto Riesch, Foto: Pxel, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Luther_Standbild.jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   275 Lutherstatue im Melanchthonhaus in Bretten, Fritz Heinemann, © Europäische Melanchthon-Akademie Bretten   285 Lutherdenkmal in Speyer, Hermann Hahn, © Camilla Schneider   291 links: Statue Katharina von Bora mit Sohn Hans an der Marienkirche in Zwickau, Heinrich Weinhold, rechts: Statue Martin Luther an der Marienkirche in Zwickau, Robert Ockelmann, © Ute Haese (https://www.gehen-erleben.de/rundgang-lutherin.html), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   302 Lutherrelief an der Lutherkirche in Karlsruhe, Oskar Kiefer, © Camilla Schneider   307 Lutherstatue in der Apostelkirche in Hannover, August Hucke, © Christine Schröder   312 links: Postkarte des Lutherdenkmals in Hannover, Carl Dopmeyer, Foto: Karl. F. Wunder, Scan: Bernd Schwab, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Karl_F._Wunder_PC_Hannover._Das_neue_Luther-Denkmal._Herzogin_Elisabeth_ Herzog_Ernst_der_Bekenner_Bildseite.jpg#/media/File:Karl_F._Wunder_PC_Hannover._ Das_neue_Luther-Denkmal._Herzogin_Elisabeth_Herzog_Ernst_der_Bekenner_ Bildseite jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023; rechts: Lutherstatue, Carl Dopmeyer, © Harry Oelke   315 Lutherdenkmal in Bielitz, Franz Vogl, Foto: Silar, Lizenz: CC BY-SA 4.0 (https://commons. wikimedia.org/wiki/File:02016_Lutherdenkmal_in_Bielitz-Biala,_einziges_Lutherdenkmal_ in_Polen.jpg#/media/File:02016_Lutherdenkmal_in_Bielitz-Biala,_einziges_Lutherdenkmal_ in_Polen.jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   321 Relief Thesenanschlag am Lutherdenkmal in Möhra, Ferdinand Müller, Foto: Metilsteiner, Lizenz: CC BY 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Thesenanschlag.jpg#/media/ File:Thesenanschlag.jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   332 links: Lutherdenkmal in Brieg, Robert Hannig, Lizenz: Public Domain (https://commons. wikimedia.org/wiki/File:Marcin_Luter_Brzeg.png#/media/File:Marcin_Luter_Brzeg. png), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023; Mitte: Lutherdenkmal in Cottbus, Heinrich Götschmann, Foto: Z Thomas, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Sielowerstr37_cottbus_luther3.jpg?uselang=de#/media/File:Sielowerstr37_cottbus_ luther3.jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023; rechts: Lutherdenkmal in Reichenbach, Paul Schulz, Foto: Schlesische Lichtdruck- und graphische Kunstanstalt Breslau, Postkarte aus dem Jahr 1915 (https://polska-org.pl/3671055,foto.html?idEntity=525467), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   334 Lutherdenkmal in Hamburg, Otto Lessing, © Camilla Schneider   343 Lutherbrunnen in Mansfeld, Paul Juckoff, Foto: Dguendel, Lizenz: CC BY 3.0 (https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Mansfeld-Lutherbrunnen.jpg#/media/File:Mansfeld 358 Lutherbrunnen.jpg), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023  Relief Thesenanschlag am Lutherbrunnen in Mansfeld, Paul Juckoff, Foto: Pomfuttge, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lutherbrunnen_Mansfeld3. JPG), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   359

Abb. 25

Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28

Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31

Abb. 32

Abb. 33

Abb. 34

Abb. 35 Abb. 36

Abb. 37

Abbildungsverzeichnis 

Abb. 38 Abb. 39

Abb. 40

Abb. 41 Abb. 42

Abb. 43 Abb. 44

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Relief Thesenanschlag am Wormser Lutherdenkmal, Ernst Rietschel, © Camilla Schneider   360 Relief Hindurch zum Sieg am Lutherbrunnen in Mansfeld, Paul Juckoff, Foto: Pomfuttge, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lutherbrunnen_Mansfeld2. JPG), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023.   361 Provisorisches Lutherdenkmal an der Veste Coburg, Ferdinand Encke, © Universitätsbibliothek Heidelberg / Kunst für Alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur 29 (1913/14) 22, 528 (https://doi.org/10.11588/diglit.13092#0579)   367 Lutherdenkmal auf der Veste Coburg, Hans Klett, © Georg Berg / Alamy Stock Foto   370 Reformationsdenkmal in Stuttgart, Jakob Brüllmann, Foto: Andreas Praefcke, Lizenz: CC BY 4.0 (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32121890), zuletzt aufgerufen am 21.01.2023   379 Axonometrische Zeichnung des Entwurfs zum Reformationsdenkmal in Leipzig, Gerald Aigner, © Architekt Gerald Aigner, Wien   412 Siegerentwurf Lutherdenkmal in Berlin, Albert Weis, Christoph Zeller, Ingrid Moye Verduzco, © 2023, Zeller & Moye und Albert Weis, VG Bild-Kunst Bonn für Albert Weis   413

Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalische Quellen Kirchengemeindearchiv Archiv der Kirchengemeinde St. Michaelis – Hamburg (Archiv d. KG St. Michaelis) – Bauarchiv, Nr. 47 Senats- und Bürgerschaftskommission – Bauarchiv, Nr. 58 Außenanlage – Bauarchiv, Nr. 73 Presse – Bauarchiv, Nr. 109 Protokolle des Baukollegiums – Gemeindearchiv, Nr. 26 Wiederaufbau – Gemeindearchiv, Nr. 428 Wiederaufbau – Gemeindearchiv, Nr. 546 ‚Monatsgruß‘ aus der Michaelis-Gemeinde – Gemeindearchiv, Nr. 1096 Senats- und Bürgerschaftskommission für den Wiederaufbau – Gemeindearchiv, Nr. 1098 Wiederaufbau der St. Michaeliskirche – Gemeindearchiv, Nr. 1101 Wiederaufbau 2

Landeskirchliche Archive Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LkA Nürnberg) – OKM 0.1.0001, Nr. 421 Errichtung von Denkmälern für Luther und Melanchthon – OKM 0.1.0001, Nr. 857 Kollekte (1897–1912) – OKM 0.1.0001, Nr. 909 Geldsammlung für ein Lutherdenkmal in Wittenberg, Aufruf zum Lutherdenkmal in Möhra vom Februar 1846 Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche der Pfalz (LkA Speyer) – 001.01 Konsistorium/Landeskirchenrat, Nr. 0537 Errichtung eines Unionsdenkmals in der Pfalz – 001.01 Konsistorium/Landeskirchenrat, Nr.  0539 Verein zur Erbauung einer neuen protestantischen Kirche zu Speyer (Retscherkirche) – 001.01 Konsistorium/Landeskirchenrat, Nr. 0540 Einweihung der Gedächtniskirche zu Speyer – 043 DÜW, Nr. 250 Kollekten – 044 KAI, Nr. 081 Unionsdenkmal Kaiserslautern – 044 SEM, Nr. 100 Sammlungen und Kollekten für Projekte in anderen Kirchengemeinden – 111 Bauverein Gedächtniskirche, Nr. 354 Veröffentlichungen über die Gedächtniskirche – 158 Dokumentation und Schriftgutbeispielsammlung, Nr. 1800 Einweihung der Gedächtniskirche zu Speyer Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland in Eisenach (LkA Eisenach) – 11–005 Ephorie  / Superintendentur Eisenach, Nr.  25.10 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach – 11–005 Ephorie  / Superintendentur Eisenach, Nr.  25.11 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach

https://doi.org/10.1515/9783111054391-007

422  – – – – – – – – – – – – – – –

 Quellen- und Literaturverzeichnis

11–005 Ephorie  / Superintendentur Eisenach, Nr.  25.12 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach 11–005 Ephorie / Superintendentur Eisenach, Nr.  25.13 Die beabsichtigte Errichtung eines Luther-Denkmals in Eisenach 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr. 322 Sammlung für das Lutherdenkmal in Möhra und das Johann-Friedrich Denkmal in Jena 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr.  323 Beckenkollekte für das Lutherdenkmal in Eisenach und die Lutherstiftung in Möhra 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr. 324 Sammlung von Beiträgen für das Lutherdenkmal in Worms, Protestationskirche in Speyer, Melanchthonhaus in Bretten etc. 11–008 Superintendentur Buttstädt, Nr. 332 Becken-Kollekte für das Lutherdenkmal in Eisenach 11–015 Superintendentur Weida, Nr. 394 Sammlungen für das Lutherdenkmal in Möhra 11–015 Superintendentur Weida, Nr. 459 Feier des Lutherjubiläums am 11. November 11–019 Inspektion Blankenhain, Nr. B 369 Kirchenkollekte für Lutherdenkmal 11–021 Superintendentur Neustadt/Orla, Nr. Allg. 117a Beiträge zum Lutherdenkmal in Möhra 12–005 Kirchen- und Schulamt Salzungen, Nr. Allg. 99 Errichtung eines Denkmals für D. Martin Luther 12–017 Inspektion Eisfeld, Nr. E. 15 Beiträge zum Lutherdenkmal in Luthers Abstammungsort Möhra 15–006 Superintendentur Sonderhausen, Nr. Allg. 172 Lutherdenkmal in Worms 15–008 Inspektion Sonderhausen, Nr. Allg. 156 Die Luther-‚Denkmal‘-Stiftung 21–003 Generalakten, Nr. A 881–26 Lutherjubiläum 1983 u. a.

Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland in Magdeburg (LkA Magdeburg) – Rep. A, Generalia – Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen, Generalakten, Nr. 1765 Sammlung von Beiträgen für das Lutherdenkmal in Eisleben – Rep. E 03 Konsistorium Stollberg-Wernigerode, Nr. 926 Allgemeine Kirchen-Kollekte zum Behuf des dem Dr. Luther zu errichtenden Denkmals – Rep. E 03 Konsistorium Stollberg-Wernigerode, Nr. 936 Die in der Grafschaft gesammelten Beiträge zur Errichtung eines Luther-Denkmals in Worms – Rep. H 11 Superintendentur Gollma, Nr. 156 Errichtung diverser Denkmäler Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (LkA Stuttgart) – D 41 Nachlass Konrad Hoffmann (1906–1956), Nr. 34 Materialsammlung zum Reformationsdenkmal in Stuttgart – G 727 Pfarrarchiv der Hospitalkirche, Nr. 12 Reformationsdenkmal Stuttgart 1917 – K1 Verein für christliche Kunst, Nr. 214 Stuttgart, Stkr. (Hospitalkirche) I – Ausschußsitzungen zur Errichtung eines Reformationsdenkmals – K1 Verein für christliche Kunst, Nr. 216 Stuttgart, Stkr. (Hospitalkirche) III – Reformationsdenkmal – K1 Verein für christliche Kunst, Nr. 217 Stuttgart, Stkr. (Hospitalkirche) IV – Reformationsdenkmal

Archivalische Quellen 

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Staatliche Archive Geheimes Preußisches Staatsarchiv Berlin (GStA PK) – I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 20882 Denkmal für Martin Luther – I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 20886 Errichtung von Denkmälern für Reformatoren, Bd. 1 – I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 20887 Errichtung von Denkmälern für Reformatoren, Bd. 2 – I. HA Rep. 91 C Militär- und Zivilgouvernement, Nr.  1984 Sammlung der Vaterländisch-Literarischen Gesellschaft Mansfeld für die Errichtung eines Lutherdenkmals – I. HA Rep. 93 B Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Nr. 2371 Die Errichtung eines Luther-Denkmals in Berlin Landesarchiv Baden-Württemberg – Hauptstaatsarchiv Stuttgart (LABW – HStA Stuttgart) – E 14 B 1599 Evangelische Kirchensachen: Miszellen [Digitalisat: http://www.landesarchiv-bw.de/ plink/?f=1-682255-1] Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar (LATh – HstA Weimar) – 6–13–2303 Staatsministerium, Department des Kultus, Nr. Allg. 261 Feier des vierhundertjährigen Gedächtnistages der Geburt Dr. Martin Luthers – 6–13–2303 Staatsministerium, Department des Kultus, Nr. Allg. 262 Feier des vierhundertjährigen Gedächtnistages der Geburt Dr. Martin Luthers Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Gotha (LATh – StA Gotha) – 13451 Staatsministerium Dep. III Gen. Loc. 21, Nr. 1 Feier des Reformations- und Kirchweihfestes – 2–15–0183 Staatsministerium Abteilung Gotha Dep. I Abteilungsleitung, Nr. 2950 Gesuche um Bewilligungen zur Errichtung von Denkmälern, Gründung von kulturellen Einrichtungen und Vereinen – 2–15–0183 Staatsministerium Abteilung Gotha Dep. I Abteilungsleitung, Nr. 2951 Gesuche um Bewilligungen zur Errichtung von Denkmälern, Gründung von kulturellen Einrichtungen und Vereine – 2–15–0199 Sachsen-Coburg und Gothaisches Staatsministerium Dep. C, Nr.  1053 Finanzieller Beitrag zum Bau eines Lutherdenkmals durch die vaterländisch-literarische Gesellschaft – 3401 Staatsministerium Dep. III Gen Loc 73, Nr. 60 Errichtung eines Lutherdenkmals in Eisenach – 9969 Oberkonsistorium Gen. Loc. 29b, Nr. 106 Die Feierlichkeit der Einweihung des Lutherdenkmals zu Wittenberg Staatsarchiv Coburg (StA Coburg) – Coburger Landesstiftung, Nr. 592 Akten des Hausmarschallamtes S. K. H. des Herzogs. Errichtung eines Lutherdenkmals auf der Veste Coburg – LA A 13237 Akten des Geheimen Kabinetts betreffend das Protektorat über das Luther-Denkmal auf der Veste Coburg – Min. U 74 Feier bei der Enthüllung des Luther-Denkmals zu Worms; Einweihung der Schlosskirche in Wittenberg und die Einladung zu derartigen Feiern überhaupt

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 Quellen- und Literaturverzeichnis

Staatsarchiv Hamburg (StA Hamburg) – 111–1 Gesuche um Gestattung von Lotterien zu gemeinnützigen Zwecken außerhalb Hamburgs, Nr. 52281 Gesuch der Mitglieder des Gemeindekirchenrats und des Luther-Denkmal-Komitees aus Mansfeld – 132–1 I Senatskommission für die Reichs- und auswärtigen Angelegenheiten I, Nr. 3484 Einweihungsfeier der neu erbauten Michaeliskirche am 19.10.1912 – 311–2 IV Finanzdeputation, Nr. DV V E 14 Lutherdenkmal – 731–8 Zeitungsausschnittsammlung, Nr. A 144 Luther-Denkmal Staatsarchiv Katowice – Außenstelle Bielsko-Biała (StA Katowice – Bielsko-Biała) – Bib. Nr. 985 Schmidt, Arthur: Die Festtage in Bielitz. Zur Erinnerung an die achtunddreissigste Jahresversammlung des österreichischen Hauptvereines der evang. Gustav-Adolf-Stiftung und die Enthüllung des Lutherdenkmales, Bielitz 1900 – Bib. Nr. 2665 Bielitz-Biala’er Anzeiger

Städtische Archive Stadtarchiv Coburg (StadtA Coburg) – A 10.314 Konkurrenz um ein Lutherdenkmal auf der Veste Coburg Stadtarchiv Cottbus (StadtA Cottbus) – Lehm, Christian: Art. Das Lutherdenkmal vor dem Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus, in: Gemeindebrief Evangelische Lutherkirchgemeinde Cottbus, Frühjahr 2017. – N. N.: Art. H. Goetschmann schuf Lutherstandbild, in: Cottbuser Zeitung (10.1987) Nr. 5, 24. – N. N.: Art. Lokales, in: Cottbuser Anzeiger (19.03.1910) Nr. 66. – N. N.: Art. Stadtverordneten-Versammlung, in: Cottbuser Anzeiger (3.11.1909) Nr. 260. Stadtarchiv Eisenach (StadtA Eisenach) – 10 10 Städtische Akten bis 1885, Nr. 1774 Luther-Feier in Eisenach 1883 – 10 10 Städtische Akten bis 1885, Nr. 1775 Akten die Lutherfeier – Bib. 5–123–93.4, Kiefer, Hugo: Festreden zur Enthüllung des Lutherdenkmals in Eisenach, Eisenach 1895. Stadtarchiv Eisleben (StadtA Eisleben) – D XVI 63 Acta des Magistrats zu Eisleben betreffend die Gründung eines Luther Denkmals in Eisleben (1869/1870) – D XVI 64 Acta des Magistrats zu Eisleben betreffend die Gründung eines Luther Denkmals in Eisleben (1870–1876) – D XVI 65 Die Gründung eines Luther Denkmals in Eisleben Stadtarchiv Erfurt (StadtA Erfurt) – 1–1 Städtische Akten, Nr. 2k–4 Akta betr. des Anger-Brunnens 1c – 1–1 Städtische Akten, Nr. 16e–39 Akta betr. den Verein zur Errichtung eines Luther-Denkmales

Gedruckte Quellen 

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1–1 Städtische Akten, Nr. 16e–39 Protokolle über die Versammlung des Lutherdenkmal-Vereins in Erfurt und über die Sitzungen des Vorstands genannten Vereins 1–2 Städtische Akten, Nr. 353–5134 Luther-Denkmal

Stadtarchiv Hannover (StadtA Hannover) – 1.HR.13.1, Nr. 660 Die Errichtung eines Lutherdenkmals in hiesiger Stadt Stadtarchiv Kaiserslautern (StadtA Kaiserslautern) – 1661, Der prot. Verein der Pfalz seinen Mitgliedern. Bericht über die Jubelfeier des 25jährigen Bestehens des prot. Vereins der Pfalz und den XIV. deutschen Protestantentag in Neustadt a. d. H. vom 15. –18. Mai 1883. Mit einem Anhang: Das Unionsdenkmal in Kaiserslautern, Neustadt a. d. H. 1883 Stadtarchiv Magdeburg (StadtA Magdeburg) – Bib. 150/35, Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Magdeburg für die Zeit vom 1.04.1886 bis 31.03.1887 – Rep. 18/4 F 51 Errichtung von Denkmälern – ZG 137.1.1. Festpredigt zur Weihe des Lutherdenkmals in der Johanniskirche Stadtarchiv Worms (StadtA Worms) – 005/1 Stadtverwaltung Worms, Nr. 238 Martin Luther, vorw. Lutherdenkmal – 005/1 Stadtverwaltung Worms, Nr. 241 Errichtung und Unterhaltung des Lutherdenkmals, Platzfrage – 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr. 11 Einzeichnungslisten Königreich Preußen, Provinz Schlesien – 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr. 83 Regionale und überregionale Zeitungen – 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr. 84 Verschiedene Druckschriften – 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr. 85 Verschiedene Drucksachen – 110 Lutherdenkmal-Bauverein, Nr. 109 Jahresberichte des Vereins

Gedruckte Quellen Adler, Friedrich: Die Schlosskirche in Wittenberg. Ihre Baugeschichte und Wiederherstellung, Berlin 1895. Aufruf König Friedrich Wilhelms III. von Preußen vom 27.09.1817, in: Elliger, Walter / Delius, Walter (Hg.): Die Evangelische Kirche der Union. Ihre Vorgeschichte und Geschichte, Witten 1967, 195–196. Bornkamm, Heinrich: Thesen und Thesenanschlag Luthers. Geschehen und Bedeutung, Berlin 1967. Butler, John George (Hg.): The Luther Statue at the National Capital. History – Unveiling – Addresses, Washington, D.C. 1886. Ebrard, Johann Heinrich August: Gustav König sein Leben und seine Kunst, Erlangen 1871. Eich, Friedrich: Gedenkblätter zur Erinnerung an die Enthüllungsfeier des Luther-Denkmals in Worms am 24., 25. und 26. Juni 1868, Worms 1868.

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 Quellen- und Literaturverzeichnis

Faber, Wilhelm: Festpredigt zur Weihe des Lutherdenkmals am 10. November 1886 in der Johanniskirche in Magdeburg, Magdeburg 1886. Fest- & Denkmal-Comité: Art. Anzeige, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 91, 4. Fest- & Denkmal-Comité: Art. Verzeichnis der für das Luther-Denkmal eingelaufenen Beiträge, in: Gemeinde-Zeitung für Asch und Umgegend 20 (1883) 28, 6. Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation (1808), in: ders. (Hg.) Sämtliche Werke, Bd. 7, 3. Abteilung. Populärphilosophische Schriften, II. Zur Politik, Moral und Philosophie, Berlin 1965, 259–499. Fricke, Gustav Adolf: Festrede, in: Reden zur Feier des 400. Geburtsfestes Luthers gehalten bei Enthüllung des Reformations-Denkmals zu Leipzig, Leipzig 21883, 8–14. Fritsch, Karl E. O.: Art. Berliner Neubauten. 48. Die Kirche zum Heiligen Kreuz, in: DBZ 23 (1889) 64, 381–386. George, Richard: Art. Das Lutherdenkmal in Berlin und seine Schöpfer, in: Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Gesichte 21 (1895) 39, 459–463 [Digitalisat: https://digital.zlb. de/viewer/image/34046307_1895/463/]. George, Richard: Art. Kleine Mitteilungen. Die Enthüllung des Luther-Denkmals, in: Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Gesichte, 21 (1895) 25, 298 [Digitalisat: https://digital.zlb.de/ viewer/image/34046307_1895/302/]. Georgi, Otto: Ansprache gehalten bei der Enthüllung des Reformations-Denkmals, in: Reden zur Feier des 400. Geburtsfestes Luthers gehalten bei Enthüllung des Reformations-Denkmals zu Leipzig, Leipzig 21883, 5–7. Gümbel, Karl Ludwig: Die Gedächtniskirche der Protestation von 1529 in Speyer, ein Dankesdenkmal der gesamten evangelischen Welt. Festschrift für den frohen Tag der Weihe, 31. August 1904, Speyer 1904. Gurlitt, Cornelius: Art. Cornelius Gurlitt für den modernen Wiederaufbau der Großen St. Michaeliskirche in Hamburg, in: CKBK 49 (1907) 4, 119–122. Guth, Heinrich: Art. Annalen pfälzischer Kirchengeschichte 1866–1868, in: ZPK 57 (1869), 98–125. Harms, Claus: Die 95 Thesen, in: Schmidt, Johann (Hg.): Claus Harms. Ein Kirchenvater des 19. Jahrhunderts. Auswahl aus seinen Schriften, Gütersloh 1976, 60–71. Hoffmann, Theodor: Art. Auf nach Speyer!, in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 35, 273–274. Hoffmann, Theodor: Art. Die Einweihung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529, in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 37, 291–293. Hoffmann, Theodor: Art. Die Einweihung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 (Schluß), in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 38, 299. Hoffmann, Theodor: Art. War die Protestation von 1529 ein Akt der Unduldsamkeit?, in: Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz 50 (1904) 40, 315–316. Hundhausen, Ludwig Joseph: Das Luthermonument zu Worms im Lichte der Wahrheit Gedanken und Thatsachen zur Beantwortung der Frage: Kirche oder Protestantismus, Mainz 1868. Iserloh, Erwin: Luthers Thesenanschlag. Tatsache oder Legende? Vortrag gehalten am 8. November 1961, Wiesbaden 1962. Keller, Adolf: Das Reformationsdenkmal in Genf, in: CKBK 51 (1909) 5, 149–153. Klenze, Leopold: Entwurf zu einem Denkmale für Dr. Martin Luther, Braunschweig 1805, in: Steffens, Martin (Hg.): Dr. Martin Luthers Denkmal. Vier Schriften zum Wettbewerb der VaterländischLiterarischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld um ein Luther-Denkmal aus den Jahren 1804/05, Esens 2002.

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Personenregister Ackermann, Constantin 105, 111, 112, 161 Adler, Friedrich 216, 217, 271, 276 Aigner, Gerald 411 Alberti, Karl 191 Alings, Reinhard 73, 75, 81, 348, 400 Altenstein, Karl von Stein zu 96, 97, 101 Amsdorf, Nikolaus von 272, 273 Anna, Kurfürstin von Sachsen 301 Arndt, Ernst Moritz 11, 50 Assmann, Aleida 3 Assmann, Jan 3 Atzel, Johann Jakob 91 Bach, Johann Sebastian 239 Bärwinkel, Richard 214, 215, 216, 219, 220, 224, 225, 226, 245, 246, 247, 248 Baur, Gustav 143 Bechstein, Ludwig 105, 107, 109, 110 Begas, Reinhold 168 Bering, Dietz 362 Bernhard II., Herzog von SachsenMeiningen 106 Beyschlag, Willibald 214, 224, 226 Billing, Hermann 283 Bischoff, Walther 366 Bismarck, Otto von 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 29, 35, 40, 56, 73, 76, 77, 79, 84, 167, 180, 227, 228, 246, 247, 258, 345, 347, 348, 354, 355, 365, 387, 391, 392, 398, 400, 401, 408 Blaschke, Olaf 59 Blaurer, Margarethe 301 Böhlau, Hermann 150 Bonhoeffer, Dietrich 414 Bonifatius 304 Bora, Katharina von 174, 302, 404 Borromäus, Karl 58, 335, 342, 348, 351, 353, 372, 375, 377, 382, 384, 388, 396, 409 Bötticher, Friedrich 205, 210 Boxberg, Alfred von 248 Brenz, Johannes 273, 283, 372, 374, 379, 382, 384, 385 Brück, Heinrich 138, 139 Brückner, Bruno 140, 141 https://doi.org/10.1515/9783111054391-008

Brüllmann, Jakob 378, 379, 380, 382, 383, 384 Bucer, Martin 157, 283, 301 Bugenhagen, Johannes 257, 273, 274, 283, 339 Bülow, Bernhard von 26 Butler, John George 201, 202 Calvin, Johannes 94, 129, 138, 151, 154, 155, 156, 160, 260, 272, 283, 284, 386 Carl Alexander, Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach 235, 243, 244, 245 Carl Eduard, Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 363, 364, 368, 369, 370, 371, 393 Chemnitz, Martin 301 Chojecka, Ewa 320 Christoph, Herzog von Württemberg 372 Clodt von Jürgensburg, Peter 114 Cotta, Ursula 241, 405 Cranach, Lucas 92, 99, 123, 146, 155, 171, 188, 222, 232, 281, 282, 284, 293, 301, 358, 360, 370 Cruciger, Caspar 256, 273 Curjel, Robert 305, 306 Delius, Johannes 150, 151 Diest, Gustav von 162 Döbner, August 105, 108 Donndorf, Adolf von 131, 132, 137, 204, 234, 236, 239, 240, 243 Donndorf, Karl 374 Dopmeyer, Carl 312, 313, 314, 315 Drake, Friedrich 169 Dryander, Ernst 295 Dürer, Albrecht 66, 92, 93, 278, 301 Ebhardt, Bodo 363, 369 Eck, Johannes 173, 174 Eich, Friedrich 116, 119, 121, 133, 135 Elisabeth von Brandenburg, Herzogin von Braunschweig-Calenberg-Göttingen 316, 317, 405 Encke, Eberhard 366, 367, 368, 369 Erich I., Herzog von Braunschweig-LüneburgCalenberg-Göttingen 317, 330 Ernst I. (der Bekenner), Herzog von Braunschweig-Lüneburg 316, 317

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 Personenregister

Ernst I., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 362 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 362 Faber, Wilhelm 210, 211, 263, 264 Fichte, Johann Gottlieb 11, 15, 50 Fischer, Carl 141 Fischer, Theodor 374, 376, 377 Flügge, Julius 289 Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 11 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich-Ungarn 192, 321 Fricke, Gustav Adolf 181, 183, 185, 186, 238, 239, 246, 247, 290 Friedrich II. (der Große), König von Preußen 261 Friedrich III. (der Weise), Kurfürst von Sachsen 130, 187, 377 Friedrich III., Deutscher Kaiser und König von Preußen (gest. 1888) 257, 270, 271, 273, 286 Friedrich Leopold, Prinz von Preußen 263 Friedrich, Martin 96, 143 Friedrich Wilhelm (der Große), Kurfürst von Brandenburg (16220–1668) 252 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen (1770–1840) 10, 46, 47, 88, 89, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 103, 104, 163, 392 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen (1795–1861) 16, 107, 119 Frommel, Emil 178 Fröschel, Sebastian 181 Funk, Friedrich 178 Gentz, Heinrich 91 Georgi, Otto 185 Gerok, Karl Friedrich 141, 142, 143 Gneist, Rudolf von 165 Goethe, Johann Wolfang von 66, 71, 121, 122, 175, 186, 278, 354, 402 Gonger, Omar Dwight 201 Goßler, Gustav von 270, 271 Götschmann, Heinrich 333, 334 Grane, Leif 9 Grüttner, Richard 283 Gümbel, Karl Ludwig 288, 293, 294 Gurlitt, Cornelius 79, 338

Haase, Theodor 321 Hahn, Hermann 291, 292, 293 Halbwachs, Maurice 2, 3 Hannig, Robert 333, 334 Hardtwig, Wolfgang 350 Harleß, Adolf 48, 51 Harms, Claus 48 Harnack, Adolf von 407 Hegenbarth, Ernst 320 Heine, Johann August 91 Heinemann, Fritz 283, 284 Heinrich der Fromme, Herzog von Sachsen 183 Hennighausen, Frederick Philip 201 Herder, Johann Gottfried 11, 50, 139 Hermann, Nicolaus 301 Herzberger, Frederick William 325 Hildebrand, Adolf von 365 Hilgard-Villard, Heinrich 290 Hilgers, Karl 255 Hobsbawm, Eric 9 Hoffmann, Wilhelm 144 Högl, Bernhard 197 Holl, Karl 389 Holsing, Henrike 330, 342, 404 Honecker, Erich 330 Hundhausen, Ludwig 145 Hundrieser, Emil 206, 207, 208, 209, 213 Hunzinger, August Wilhlem 346 Hus, Jan 94, 128, 191 Hutten, Ulrich von 157, 255, 257, 259, 260, 262, 301, 400 Janssen, Peter 179, 214 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 255, 257, 258, 304 Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen 183 Johann von Küstrin, Markgraf von BrandenburgKüstrin 258 Jonas, Justus 256, 273, 283 Juckoff, Paul 342, 357, 360, 361 Kammer, Otto 5, 80, 265 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches  1, 116 Keil, Karl 169 Keim, Eduard 136, 137, 161 Keußler, Gottlieb von 193

Personenregister 

Kiefer, Hugo 236, 237 Kiefer, Oskar 306 Kietz, Gustav Adolph 132, 204 Kirchhoff, Maximilian 227 Klenze, Leopold (von) 92, 93, 94 Klett, Hans 368, 369, 370 Knoll, Konrad 153, 154, 155, 157, 158 Kocka, Jürgen 37 Kögel, Rudolf 177, 179, 273 Kokolsky, Hermann 193, 304, 309, 311, 312 König, Gustav 121, 122, 123, 124, 126, 127, 129, 183, 402 Kranich, Sebastian 6 Kraußhold, Lorenz 140 Krüger, Jürgen 304, 307 Kuntze, Oskar 149 Kurz, Roland 53 Lange, Arthur 366 Lang, Hermann 374, 378 Lehmann, Hartmut 199, 203, 328 Leo XIII., Papst 56, 57, 226, 292, 409 Lessing, Gotthold Ephraim 122 Lessing, Otto 339, 340, 341, 343 Liebehenschel, Wolfgang 329 Listemann, Conrad 210 Lucae, Richard 168 Luder, Hans 105, 358 Luder, Margarethe 105, 358 Ludwig I., König von Bayern 76, 106 Ludwig II., König von Bayern 153, 154, 287 Ludwig III., Großherzog von Hessen und bei Rhein 116 Lufft, Hans 301 Luther, Johannes (auch Hans) 302, 365, 404 Magnussen, Harro 332 Marbach, Johannes 231 Martins, Friedrich 161, 177 Marx, Karl 36 Mayer, S. 380, 382 Melanchthon, Philipp 94, 97, 129, 130, 138, 155, 157, 167, 181, 182, 183, 186, 255, 257, 272, 273, 274, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 293, 297, 304, 305, 309, 372, 411, 412 Merz, Johannes 374, 384 Meyendorff, Georg von 114, 115

 447

Mitterauer, Michael 71 Modl, Martin 322 Moldehnke, Edward Frederick 200 Morris, John Gottlieb 199, 201, 202 Mosapp, Hermann 385 Moser, Karl 305, 306 Müller, August Nikolaus 248 Müller, August Wilhelm 111 Müller, Ferdinand 107, 108 Müller, Jürgen 84, 393 Müller, Nikolaus 278, 280, 281, 282, 283, 284, 286 Napoleon I., Kaiser Frankreichs 9, 10, 11, 12, 13, 18, 95, 96, 398 Napoleon III., Kaiser Frankreichs 18 Nepomuk, Johannes 335 Nipperdey, Thomas 4, 9, 24, 27, 28, 31, 75, 400 Nitzsch, Carl Ludwig 100, 102, 103, 104 Nordmann, Carl 289 Oehlmann, Ludwig 197 Oppermann, Andreas 135 Otto, Paul Martin 255, 256, 257, 259, 260, 262 Otzen, Johannes 304, 308, 309, 310 Pauwels, Ferdinand 331 Perponcher, Wilhelm Graf von 119 Pfeffinger, Johann 184 Philipp I., Landgraf von Hessen 129, 130, 144 Pius IX., Papst 20, 55, 408 Pius X., Papst 57, 58, 295, 351 Preus, Christian Keyser 326 Rabe, Martin Friedrich 96 Rade, Martin 389 Rauch, Christian Daniel 120 Reuchlin, Johannes 130, 256, 257, 261 Rhegius, Urbanus 273 Riegl, Alois 65 Riesch, Otto 274 Rietschel, Ernst Friedrich August 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 135, 137, 144, 146, 149, 167, 169, 171, 181, 183, 195, 196, 197, 198, 203, 204, 206, 208, 209, 212, 213, 218, 223, 239, 266, 273, 324, 326, 327, 328, 329, 341, 344, 359, 360, 374, 380, 397, 407, 411

448 

 Personenregister

Rogge, Bernhard 225, 226, 228, 248 Römer, Bernhard 254, 255 Roßmann, Wilhelm 204 Rößner, Johann Wolfgang 187, 188, 319 Roth, Stephan 301 Rothe, Robert 162 Rothe, Wilhelm 177, 178 Rowald, Paul 311 Rubeanus, Crotus 222 Rüxleben, Hans Friedrich von 368

Siemering, Rudolf 167, 169, 170, 171, 173, 174, 175, 208, 218, 254, 273, 274 Sobania, Michael 44 Sophie von Oranien-Nassau, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach  244 Spalatin, Georg 256, 273, 274 Speratus, Paul 301 Sperber, Ferdinand 338 Spohr, Stephan 395

Sachs, Hans 301 Savonarola, Girolamo 128, 129 Schadow, Johann Gottfried 95, 96, 97, 98, 99, 100, 107, 112, 171, 274, 331 Schäffer, Carl 92, 93 Schaper, Fritz 167, 168, 169, 170, 217, 218, 219, 220, 222 Schaper, Hermann 313, 314 Scheibe, Friedrich Ludwig 162 Schenkel, Daniel 144 Schieren, Charles Adolph 198, 290 Schiller, Friedrich 66, 121, 122, 175, 186, 402 Schilling, Johannes 76, 169, 181, 183, 185, 204 Schinkel, Karl Friedrich 96, 98, 100 Schleußner, Johann Friedrich 102 Schmidt, Arthur 319, 323 Schmidt, Friedrich Wilhelm 279 Schnee, Gottfried Heinrich 88 Schöne, Richard 169 Schopenhauer, Arthur 69 Schröder, Carl August 346 Schröder, Hugo 250, 263 Schuchhardt, Carl 313, 314 Schuckmann, Friedrich von 97 Schuler, Hans 327 Schuler, Karl 208 Schultz, Georg Friedrich Wilhelm 153 Schulz, Paul 334, 335 Schumacher, Fritz 78, 338, 339 Schwenk, Wilhelm 167 Seng, Eva-Maria 298 Sheeleigh, Matthias 200 Sickingen, Franz von 157, 255, 257, 259, 260, 262, 400

Tettau, Freiherr von 364 Theiselmann, Christiane 5, 116 Thomas, George Henry 199 Toberentz, Robert 257, 262 Traub, Theodor 384 Tümpel, Christian 109, 265 Ulrich, Herzog von Württemberg 372 Valdes, Petrus 128, 273 Vischer, Peter 108 Vogel, Hugo 331 Vogl, Franz 320 Wallé, Peter 253 Walther, Carl Ferdinand Wilhelm 325 Watzmuth, Heinrich 189 Weber, Hugo Ernst Barthold 236 Weber, Max 36 Weber, Wilhelm 6, 109 Wehler, Hans-Ulrich 9, 21, 31 Wendebourg, Dorothea 408 Werner, Paul 357 Weschenfelder, Klaus 362 Wilhelm I., Deutscher Kaiser und König von Preußen 23, 26, 76, 134, 149, 150, 163, 180, 215, 251, 252, 253, 257, 258, 262, 303, 348, 391, 393 Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen 23, 24, 25, 26, 29, 31, 39, 64, 74, 175, 227, 228, 246, 249, 252, 258, 262, 270, 273, 276, 277, 289, 296, 297, 301, 302, 311, 318, 343, 345, 361, 391, 407 Wolff, Arthur von 161

Personenregister 

Wollstadt, Hanns-Joachim 329 Wrba, Georg 366 Wyclif, John 94, 128, 131 Ylvisaker, Johannes 327

 449

Zelle, Robert 264 Zimmermann, Karl 137, 138 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 94 Zwingli, Huldrych 94, 129, 138, 155, 157, 233, 260, 272, 383, 406

Ortsregister Alt-Schwanenburg (Gulbene / Lettland) 193, 195, 304, 406 Annaberg 196, 212, 402 Asch (Aš / Tschechien) 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 320, 324, 342, 398, 404, 405, 406 Augsburg 129, 130, 131, 363 Bad Salzungen 110 Baltimore 201, 327, 328 Bautzen 167 Bayreuth 140 Berlin 26, 62, 73, 107, 119, 143, 148, 165, 167, 168, 169, 170, 193, 235, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 271, 278, 280, 283, 295, 297, 303, 304, 308, 309, 341, 345, 348, 391, 393, 400, 402, 405, 410, 413, 414, 415 Bielitz (Bielsko-Biała / Polen) 28, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 396, 397, 398, 400, 404, 405, 406 Braunschweig 122 Breslau 164, 335 Brest-Litowsk 33 Bretten 278, 279, 280, 283, 284, 286, 293, 297 Brieg (Brzeg / Polen) 330, 331, 332, 333, 334, 336, 348, 359 Brünn 189 Coburg 195, 362, 363, 364, 365, 368, 369, 370, 371, 384, 387, 388, 392, 393, 394, 395, 401, 404 Cottbus 330, 331, 333, 334, 337, 348, 359

Eisleben 93, 96, 148, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 193, 195, 206, 208, 209, 212, 216, 217, 218, 223, 226, 234, 235, 254, 255, 264, 266, 267, 273, 274, 278, 300, 372, 390, 394, 398, 402, 403, 404, 405, 408 Elze 196, 197 Erfurt 202, 206, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 233, 236, 244, 245, 264, 292, 387, 391, 400, 402, 403, 404, 405, 408 Erlangen 48 Forchheim 310 Frankfurt am Main 13 Freiberg 195 Genf 155, 383, 386 Görlitz 328, 329, 330, 411 Grimma 195 Hamburg 143, 297, 298, 318, 332, 337, 339, 340, 341, 342, 343, 344, 345, 347, 348, 356, 403 Hannover 47, 49, 119, 140, 196, 297, 311, 312, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 319, 348, 387, 405, 406, 408 Heidelberg 144, 232, 233, 350 Helsinki 197

Decorah 325, 326, 327, 403 Döbeln 406 Dresden 64, 91, 119, 121, 122, 132, 167, 196, 203, 204, 205, 206, 213, 267, 398 Düsseldorf 92, 214, 350

Kaiserslautern 47, 48, 148, 151, 153, 158, 159, 180, 260, 284, 393, 404, 406 Karlsruhe 303, 305, 306, 307, 308 Kassel 119 Kegel (Keila / Estland) 87, 112, 115, 118, 146, 147, 170, 193, 195, 397, 410, 411 Kirchberg 328 Königgrätz 17, 50, 132

Egestorf 410 Eisenach 63, 108, 148, 150, 196, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 264, 266, 267, 310, 325, 373, 391, 394, 396, 402, 403, 405, 406

Landau 158, 410 Landstuhl 260 Leipzig 10, 12, 48, 74, 140, 173, 181, 182, 183, 185, 186, 195, 204, 238, 280, 325, 398, 399, 402, 404, 405, 406, 411, 412, 414 London 164

https://doi.org/10.1515/9783111054391-009

452 

 Ortsregister

Magdeburg 130, 131, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 213, 216, 220, 224, 226, 264, 266, 292, 342, 373, 394, 408 Mansfeld 13, 68, 87, 88, 89, 90, 95, 96, 97, 98, 99, 104, 105, 120, 160, 163, 165, 167, 168, 177, 253, 336, 355, 356, 357, 358, 360, 361, 365, 371, 388, 390, 398, 402, 403, 407 Meiningen 105, 106, 107, 111 Minnesota 327 Möhra 15, 16, 87, 105, 107, 108, 109, 110, 112, 128, 145, 146, 147, 161, 187, 217, 233, 331, 333, 359, 393, 394, 399, 402, 403, 404, 405, 410 München 121, 153, 155, 260, 365 Neustadt a. d. Weinstraße 158 New York City 198, 203, 290 Norderney 197, 198, 212, 405 Nordhausen 208 Nürnberg 58, 66, 187, 278, 281, 320, 350, 351, 352, 354, 355, 375, 376, 384, 388, 392, 401, 409 Oederan 195 Oldenburg 197, 212 Paris 18, 51 Plauen 149, 150, 195 Prag 17 Prenzlau 328, 410 Regensburg 195, 296 Reichenbach (Dzierzoniów / Polen) 330, 331, 334, 335, 336, 348, 351, 359, 387, 404, 409, 410 Richmond 201 Riga 350 Rom 19, 22, 54, 56, 149, 172, 175, 190, 191, 192, 205, 225, 239, 245, 251, 295, 408 Sarajewo 30 Sedan 18, 28, 56 Speyer 130, 153, 158, 279, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 296, 297, 327, 337, 342, 347, 348, 349, 393, 397, 405, 408 St. Louis 325, 326, 327 St. Paul 327 Stuttgart 141, 142, 239, 366, 372, 373, 374, 375, 376, 377, 379, 380, 381, 383, 384, 386, 388, 393, 395, 398, 401, 404, 405, 407, 409

Tallinn 114, 411 Trient 55 Uelzen 195 Ulm 303 Vatikan 55, 85, 145, 166, 408 Verdun 32, 54 Versailles 18, 19 Washington, D.C. 196, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 213, 267, 290, 325, 326, 327, 397, 398 Waterloo 13 Weimar 66, 99, 121, 122, 150, 278 Weißenburg 410 Weißenfels 342, 360, 406 Wien 9, 13, 30, 46, 54, 96, 141, 154, 270, 320, 397 Wiesbaden 63 Wittenberg 1, 6, 7, 10, 13, 47, 51, 66, 68, 69, 80, 87, 94, 96, 97, 99, 100, 102, 103, 104, 107, 108, 111, 112, 116, 121, 123, 128, 129, 140, 145, 146, 147, 155, 160, 164, 171, 176, 177, 181, 195, 197, 200, 202, 206, 213, 217, 218, 223, 262, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 276, 277, 278, 280, 283, 284, 286, 289, 292, 294, 296, 297, 303, 319, 330, 331, 332, 339, 347, 349, 358, 362, 373, 379, 387, 391, 392, 393, 397, 399, 402, 403, 405, 406 Worms 1, 5, 6, 10, 15, 17, 66, 69, 87, 107, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 125, 126, 127, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 151, 157, 160, 161, 162, 163, 164, 169, 170, 171, 177, 180, 181, 183, 187, 188, 191, 193, 195, 196, 197, 198, 199, 202, 203, 204, 206, 207, 208, 209, 212, 213, 215, 217, 218, 222, 223, 239, 240, 249, 255, 259, 260, 261, 262, 264, 265, 266, 267, 272, 273, 274, 280, 281, 287, 288, 293, 294, 303, 304, 311, 312, 316, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 333, 337, 341, 342, 343, 359, 360, 372, 373, 380, 392, 393, 394, 396, 397, 398, 399, 402, 404, 406, 407, 408 Zweibrücken 158 Zwickau 298, 299, 300, 301, 302, 303, 349, 404