Die Kunst zu zeigen: Künstlerische Ausstellungsdisplays bei Joseph Beuys, Martin Kippenberger, Mike Kelley und Manfred Pernice [1. Aufl.] 9783839429488

An essential contribution to the art-historical treatment of artistic exhibition displays and their parergonal structure

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Die Kunst zu zeigen: Künstlerische Ausstellungsdisplays bei Joseph Beuys, Martin Kippenberger, Mike Kelley und Manfred Pernice [1. Aufl.]
 9783839429488

Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung
II. Joseph Beuys : Repräsentation und Denkanstoß
Sattelzeit 1960er Jahre
Entgrenzung der Skulptur und Einzug des Kuratorischen
Zeigen und Bewahren
Das Museum als Arbeitsstätte und Speicher
Das Display als Denkanstoß
Abstellen, einfach Abstellen
Die Ausstellung und ihre Parallelprozesse
Zur Verbindung von Ausstellen und plastischer Theorie
Wider das Museum als Mausoleum
Repräsentative Dimensionen des Ausstellungsdisplays
Kopplung von Leben und Werk
Die Retrospektive als Initiationsweg
Grablegung und museale Auferstehung
Beuys posthum
III. Martin Kippenberger : Aneignung und Kommentar
Martin Kippenberger, Ausstellungskünstler
In der Nachfolge von Beuys
Selbsthilfe im Kunstbetrieb
Der subinstitutionelle Rahmen : Kippenbergers Büro und die Paris Bar
Einsatz von Freundeskreis und Sammlung
Kippenberger als Kunstvereinsleiter und Museumsdirektor
Durchbruch mit Peter
Die Galerie als Abstellkammer
Ausstellungskatalog und Psychobuildings
Verkettung von Ausstellungen
Allegorien auf das Künstlerdasein
Visionen mit dem Auge im Mund
Kunstgeisterbahn im U-Bahn-Schacht
The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« – Ausstellung und / oder Kunstwerk ?
Die Ausstellung als Anlass zur Reflexion
Der retrospektive Blick
Abgang als Eiermann
IV. Mike Kelley : Referenz und Variation
(De-)Konstruktion von Sinn und Bedeutung
Displaying Minor Histories
Die Entwicklung des Ausstellungsdisplays aus der Performance
Half a Man und die Folgen
Mit Stofftieren gegen die Commodity Art
Von der Wand an den Boden
Entzug der Sichtbarkeit
Grablegung
»Mike Kelley, Sunday curator« – Das Ausstellungsprojekt The Uncanny
Eine Ausstellung in der Ausstellung
Rehabilitierung der polychromen figurativen Skulptur unter dem Begriff des Unheimlichen
Performanz des Displays
Curated by Mike Kelley, Artist
Spektakel und Gegenspektakel
Day is Done : Gesamtkunstwerk, Ausstellung oder »totale Installation« ?
Das Kandors-Projekt
Verschmelzung der beiden Werkkomplexe
Goodbye Superman
V. Manfred Pernice : Reflexivität und Kontextspezifik
Das Zeigen zeigen
Von der Litfaßsäule zum Ausstellungsdisplay
»Verdosung«, »Peilung« und »Brei«
Ausstellungen über das Ausstellen
Ein Museum einräumen
Ein skulpturales Panorama
Der Betrachter ist im Bild
Die Bildstrecke als Abkehr vom singulären Installationshot
Die Ausstellung als Wanderzirkus
Zum künstlerischen Umgang mit der Wanderausstellung
Alles schon gesehen ?
Aufbauen, Ausstellen, Wegräumen
Reflexion statt Rebellion ?
VI. Schlussbemerkungen
Literaturverzeich ni s
Abbildungsnachw eis
Dank

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Fiona McGovern Die Kunst zu zeigen

Image | Band 74

Fiona McGovern ist Kunsthistorikerin und freie Autorin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der (künstlerischen) Ausstellungsgeschichte und -theorie, den Schnittstellen von Bildender Kunst und Musik seit den 1960er Jahren sowie der Geschichte der Kunstgeschichte.

Fiona McGovern

Die Kunst zu zeigen Künstlerische Ausstellungsdisplays bei Joseph Beuys, Martin Kippenberger, Mike Kelley und Manfred Pernice

Zugleich: Berlin, Freie Universität, Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften, Dissertation. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Sonderforschungsbereichs 626 »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dicey Studios, Berlin Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2948-4 PDF-ISBN 978-3-8394-2948-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

I. Einleitung | 9 II. Joseph Beuys : Repräsentation und Denkanstoß | 27

Sattelzeit 1960er Jahre |  29 Entgrenzung der Skulptur und Einzug des Kuratorischen ·  Zeigen und Bewahren · Das Museum als Arbeitsstätte und Speicher

Das Display als Denkanstoß | 53 Abstellen, einfach Abstellen · Die Ausstellung und ihre Parallelprozesse · Zur Verbindung von Ausstellen und plastischer Theorie · Wider das Museum als Mausoleum



Repräsentative Dimensionen des Ausstellungsdisplays | 75 Kopplung von Leben und Werk · Die Retrospektive als Initiationsweg · Grablegung und museale Auferstehung



Beuys posthum | 95





III. Martin Kippenberger : Aneignung und Kommentar | 105

Martin Kippenberger, Ausstellungskünstler | 107 In der Nachfolge von Beuys · Selbsthilfe im Kunstbetrieb ·  Der subinstitutionelle Rahmen : Kippenbergers Büro und die Paris Bar · Einsatz von Freundeskreis und Sammlung ·  Kippenberger als Kunstvereinsleiter und Museumsdirektor



Durchbruch mit Peter | 128 Die Galerie als Abstellkammer · Ausstellungskatalog und Psychobuildings · Verkettung von Ausstellungen

Allegorien auf das Künstlerdasein | 146 Visionen mit dem Auge im Mund · Kunstgeisterbahn im U-Bahn-Schacht · The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« – Ausstellung und  / oder Kunstwerk ?

Die Ausstellung als Anlass zur Reflexion | 179 Der retrospektive Blick · Abgang als Eiermann

IV. Mike Kelley : Referenz und Variation | 209

(De-)Konstruktion von Sinn und Bedeutung | 211 Displaying Minor Histories · Die Entwicklung des Ausstellungsdisplays aus der Performance



Half a Man und die Folgen | 237 Mit Stofftieren gegen die Commodity Art · Von der Wand an den Boden · Entzug der Sichtbarkeit · Grablegung



»Mike Kelley, Sunday curator« – Das Ausstellungsprojekt The Uncanny | 255 Eine Ausstellung in der Ausstellung · Rehabilitierung der polychromen figurativen Skulptur unter dem Begriff des Unheimlichen · Performanz des Displays · Curated by Mike Kelley, Artist



Spektakel und Gegenspektakel |  296 Day is Done : Gesamtkunstwerk, Ausstellung oder »totale Installation« ? · Das Kandors-Projekt · Verschmelzung der beiden Werkkomplexe · Goodbye Superman

V. Manfred Pernice : Reflexivität und Kontextspezifik | 333

Das Zeigen zeigen | 333 Von der Litfaßsäule zum Ausstellungsdisplay ·  »Verdosung«, »Peilung« und »Brei«



Ausstellungen über das Ausstellen |  346 Ein Museum einräumen · Ein skulpturales Panorama ·  Der Betrachter ist im Bild · Die Bildstrecke als Abkehr vom singulären Installationshot



Die Ausstellung als Wanderzirkus | 374 Zum künstlerischen Umgang mit der Wanderausstellung ·  Alles schon gesehen ? · Aufbauen, Ausstellen, Wegräumen

Reflexion statt Rebellion ? |  388

VI. Schlussbemerkungen | 393 Literaturverzeichnis     | 397 Abbildungsnachweis   | 424 Dank  | 4 26

I.  Einleitung »Das Wesen der Kunstausstellung erfüllt sich in ihrer Schaubarkeit.« Georg F. Koch 1

Ausstellungen gelten heutzutage als das zentrale Format des öffentlichen Zeigens und Rezipierens von Kunst. Sie bedingen die Art und Weise, wie über Kunst gesprochen, wie sie verstanden und kanonisiert wird. Sie sind, wie Mary Anne Staniszewski es 1998 als eine der ersten in ihrem wegweisenden Buch The Power of Display. A History of Exhibition at the Museum of Modern Art formuliert hat, »history, ideology, politics – and aesthetics«.2 Ein Aspekt, der, wie sie darlegt, innerhalb der Kunstgeschichte bis dato einen blinden Fleck dargestellt hat. Vergleichbares gilt für das künstlerische Ausstellungsdisplay. Dabei haben sich gerade Künstler 3 seit Etablierung des Ausstellungsformats Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder kritisch mit den jeweils aktuellen Konventionen des Ausstellens auseinandergesetzt und hierzu Alternativen entwickelt, die eine nach ihren Maßstäben angemessene Auswahl und Präsentationsweise ihrer Arbeiten garantieren soll.4  In den 1960er

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Koch, Georg Friedrich : Die Kunstausstellung, Berlin 1967, S. 5. Sie konstatiert in diesem Zusammenhang ferner, »that I deal with an aspect of modern art history that has been, generally speaking, officially and collectively forgotten – installation design as an aesthetic medium and historical category«. Staniszewski, Mary Anne : The Power of Display. A History of Exhibition Installation at the Museum of Modern Art, Cambridge ( Mass.) / London 1998, S. xxiii. Aus stilistischen Gründen verwende ich fortlaufend die maskuline Form personenbezogener Substantive, sie ist jedoch genderneutral zu denken. Gustave Courbets Pavillon du Réalisme in Paris 1855 bildet in dieser Hinsicht ein ebenso frühes wie besonders eindrückliches Beispiel. Bereits Courbets selbstorganisierte Ausstel-

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Jahren – und hier setzt dieses Buch ein – nähern sich künstlerische und kuratorische Verfahren auch bedingt durch die derzeitigen gesellschaftlichen Umbrüche erstmals so weit an, dass sich die Grenzen der jeweiligen Handlungsbereiche aufzulösen scheinen und es zwangsläufig zu Konflikten kommt. So werden mit dem Aufkommen des freischaffenden Kurators gerade künstlerische Ausstellungspraktiken Vorbild für die eigenen Ausstellungsproduktionen – mit der Konsequenz, dass diese selbst häufig den Status eines Kunstwerks erhalten. Nicht die staatlich geförderten Ausstellungsformate sind es, von denen Künstler sich in der Folge zu emanzipieren versuchen, sondern vielmehr von einem freien Ausstellungswesen und einem Typus von Kurator, der selbst eine quasi-künstlerische Rolle verkörperte ( paradigmatisch hierfür ist Harald Szeemann ). Einher geht diese Entwicklung mit einer für diese Zeit typischen, kritischen Auseinandersetzung mit den bestehenden Konventionen und den Institutionen, die vehemente Debatten über neue Ausstellungs- und Vermittlungsformen in Gang setzt. Diese Entwicklung führt einerseits auf institutioneller bzw. kuratorischer Seite zu neuen, experimentelleren Formaten des Ausstellens und auf Seiten der Kunstproduktion andererseits zu institutionskritischen Ansätzen, die im kantischen Sinne von innen heraus die Bedingtheiten und Konventionen des Ausstellens in den Blick nehmen. Vor allem Marcel Broodthaers bietet mit seinem fiktiven Musée d’Art Moderne (1968  ‒ 75 ) in dieser Hinsicht ein entscheidendes Beispiel. Er gilt als einer der Ersten, der sich nicht nur den mit der Ausstellung verbundenen Formaten wie dem Ausstellungskatalog, Eröffnungsreden und Verkaufsstrukturen bedient, sondern auch stark mit Referenzen arbeitet – ein Verfahren, das besonders in jüngeren künstlerischen Praktiken eine entscheidende Rolle spielt. Hinzu kommt, und das wird besonders in Hinblick auf die Ansätze innerhalb der Minimal Art und Arte Povera deutlich, dass gerade objektorientierte Kunst seit den 1960er Jahren zunehmend direkt für Ausstellungen produziert wird und damit auch präsentationale Aspekte innerhalb dieser Praktiken entscheidend an Relevanz gewinnen. Heute ist es geradezu Standard geworden, dass Künstler die Präsentationsbedingungen – oder anders gesagt : das Display – ihrer Kunst mitreflektieren und sie entweder als Teil ihrer künstlerischen Praxis oder aber parallel hierzu Ausstellungen kuratieren – oft auf explizite Einladung von Kunstinstitutionen. Dies hat nicht nur eine stetige Neuverteilung der Rollen und Einflussbereiche im Kunstfeld zur Folge, sondern auch maßgebliche Auswirkungen auf den Einsatz von und die Rezeption der jeweils ausgestellten Kunst.

lung seiner Gemälde lässt sich als Institutionskritik avant la lettre verstehen, da sie bewusst gegen die restriktive Politik des französischen Salons gerichtet war, die zur mehrfachen Ablehnung seiner Gemälde geführt hatte.

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Von dieser Entwicklung ausgehend steht im Zentrum dieses Buches nun zweierlei : die spezifischen produktions- und rezeptionsästhetischen Modelle, die ein künstlerischer Umgang mit dem Format der Ausstellung seit den 1960er Jahren mit sich bringt, ebenso wie die Veränderungen, denen diese seitdem unterliegt. Folgende Fragen sind hierbei leitend : 1. Worin liegen jeweils die Differenzkriterien zu nicht-künstlerischen Displaystrategien und ihren Konventionen ? Dies impliziert zugleich die Frage danach, unter welchen Bedingungen eine Ausstellung überhaupt als Kunst erscheint und rezipiert wird.  2. In welcher Beziehung steht die jeweilige Ausstellungspraxis zum sonstigen Œuvre des Künstlers und wie wirkt diese auf die Rezeption der gezeigten Arbeiten zurück ?    3. Auf welche Art und Weise nutzen Künstler das Format der Ausstellung, um sich selbst etwa innerhalb der Kunstszene, des Kunstbetriebs oder der Kunstgeschichte zu verorten und darüber wiederum maßgeblich auf die Rezeption ihrer künstlerischen Arbeiten sowie die eigene Rezeption als Künstler innerhalb des Kunstfeldes Einfluss zu nehmen ? Unter dem titelgebenden Stichwort »Die Kunst zu zeigen« wird daher sowohl das Zeigen von Kunst wie auch eine Kunst des Zeigens gefasst. Anders gesagt : Es geht gerade um die Kopplung von Präsentation und Repräsentation innerhalb der künstlerischen Ausstellungspraxis, einschließlich aller damit einhergehenden Paraphernalien von der Einladungskarte bis zum Ausstellungskatalog und Installationshot. Joseph Beuys, Martin Kippenberger, Mike Kelley und Manfred Pernice bilden hierfür vier ebenso spezifische wie für ihre jeweilige Zeit paradigmatische Beispiele. So sind gerade Beuys und Kippenberger durch ihre öffentlichen Auftritte oder schriftlichen Äußerungen durchaus umstrittene Figuren, die hier keinesfalls weiter heroisiert oder mystifiziert werden sollen. Vielmehr soll aufgrund dieses Umstands untersucht werden, inwiefern die Art und Weise, wie sie ihre Kunst zeigen, entscheidend zur Verbreitung ihres Kunstbegriffs und Ausbreitung ihres Bekanntheitsgrads beigetragen haben. Kippenbergers US-amerikanischer Zeitgenosse Kelley fungiert hierbei zugleich als ein oft mit diesem gemeinsam diskutierter und doch – besonders in Bezug auf dessen Displaystrategien – stark differierender, weil stärker diskursiv arbeitender Gegenüber. Die abschließenden Ausführungen zu Manfred Pernices von seiner bildhauerischen Praxis her gedachten Ausstellungsdisplays eröffnen durch Vergleiche mit denen von Künstlerinnen wie Cosima von Bonin, Louise Lawler, Rosemarie Trockel und Künstlern wie Willem de Rooij zugleich die Perspektive hin zu den jüngsten Entwicklungen in diesem Bereich. Gerade durch die Gegenüberstellung dieser auf den ersten Blick durchaus etwas unorthodox anmutenden Konstellation von Beispielen lässt sich daher das seit den 1960er Jahren verändernde Gefüge von Künstlern, Kuratoren, institutionellen Politiken und nicht zuletzt auch dem daran gekoppelten Kunstmarkt besonders eindrücklich aufzeigen. Somit wird ein Argumentations-

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feld eröffnet, dass weder ein lineares Narrativ verfolgt noch rein monografisch ausgerichtet ist, sondern vielmehr eine stets mehrschichtige Perspektivierung des Gegenstands erlaubt. An der Schnittstelle von Installation, Kontext-Kunst und dem »Künstler als Kurator« Auch wenn es inzwischen zahlreiche Publikationen zum Thema der Ausstellung und des Kuratierens gibt und Ausstellungsgeschichte zunehmend in den Fokus der Kunstgeschichte rückt, führen gerade so populäre Sammelbände wie Die Kunst der Ausstellung (1991) von Katharina Hegewisch und Bernd Klüser oder Salon to Biennial – Exhibitions That Made Art History ( 2009  /  2013 ) von Bruce Altshuler sowie dessen Dissertation The Avant-Garde in Exhibition (1994 ) zwar von Künstlern organisierte Ausstellungen mit auf. Sie fokussieren dabei aber vor allem auf singuläre und meist von Künstlergruppen organisierte Ausstellungen, ohne hierbei das Ausstellen selbst zwangsläufig als immanenten Bestandteil der jeweiligen künstlerischen Praxis in den Blick zu nehmen. Auch in der jeweiligen Literatur zu den hier im Fokus stehenden Künstlern haben diese Aspekte bisher, wenn überhaupt, nur wenig Beachtung gefunden. Begrifflich wurden künstlerische Ansätze, die sich mit dem Display von Kunst auseinandersetzen, soweit vorrangig unter den Termini der Installation und Institutionskritik gefasst und diskutiert. In den 1990er Jahren kam mit dem Begriff der Kontext-Kunst zwar kurzzeitig eine Alternative auf, konnte sich aber nicht durchsetzen und wurde ‒ in Bezug auf die hier zentrale Ausstellungsthematik ‒ vor allem in jüngerer Zeit von Debatten um den »Künstler als Kurator« abgelöst. Gerade an den Schnittstellen dieser Begrifflichkeiten und den damit verbundenen Diskursen kann, so möchte ich im Folgenden darlegen, der Begriff des künstlerischen Ausstellungsdisplays produktiv gemacht werden. So werden in den folgenden Ausführungen Topoi der Installation, der der Institutionskritik, Kontextspezifität sowie Ausstellung als Kunstwerk und des Künstlers als Kurator aufgegriffen und diesen durch die Konzentration auf das Ausstellungsdisplay zugleich eine Lesart entgegengesetzt, die jenseits etablierter Gattungskategorien immer auch die kontextuellen und institutionellen Bedingtheiten des Zeigens von Kunst mit berücksichtigt. Durch diese Perspektivverschiebung lässt sich nicht nur eine Praxis aufzeigen, der bisher nicht zwangsläufig auch ein eigener ästhetischer wie konzeptueller Wert zugesprochen wurde, sondern sie erlaubt zugleich eine Neuperspektivierung des Handlungsfelds der jeweiligen Künstler. Julie H. Reiss etwa spricht in ihrer 1999 erschienenen Monografie From Margin to Center. The Spaces of Installation Art davon, dass der Begriff der Installation ( wie des Environments ) anfangs weitgehend austauschbar mit dem Begriff der

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Ausstellung verwendet wurde, »to describe work produced at the exhibition site«.5 So decken sich gerade Installationen, die stark mit Strategien des Displays arbeiten, häufig mit der jeweiligen Ausstellung. Die in situ realisierten Arbeiten der ersten Generation sogenannter institutionskritischer Künstler wie Marcel Broodthaers, Michael Asher und Daniel Buren sind hierfür paradigmatisch. Juliane Rebentisch geht in ihrer Ästhetik der Installation ( 2003 ) so weit zu sagen, dass heutzutage jede als avanciert geltende Kunst stets die Hängung – oder anders ausgedrückt : das Display – der Arbeiten mit einbezieht.6    Zudem habe die zunehmende Sensibilität für das »Zusammenspiel von Kunst und Raum«, wie sie weiter ausführt, »dazu geführt, dass man heute dort, wo Bildhauer nicht ohnehin zu Installationskünstlern geworden sind, Skulpturen installativ, aus der Konstellation mit dem sie umgebenden Raum her, versteht«.7  Bezeichnend ist, dass sie sich im Unterschied zu der heute geläufig gewordenen Verwendung des Begriffs dabei einer Gattungsdefinition der Installation explizit verweigert und davon spricht, dass das, »[w]as unter dem Begriff der Installation entsteht, […] weniger Werke denn Modelle ihrer Möglichkeiten [ sind ], weniger Beispiele einer neuen Gattung denn immer neue Gattungen«.8 Im Unterschied dazu wird Kontext-Kunst als eine Praxis verstanden, die die analytisch-kritischen Ansätze der 1960er und 70er Jahre fortführt und sich zugleich gegen die »Affirmationslust der Kunst der 1980er Jahre« – gemeint sind Tendenzen wie die Commodity Art und Appropriation Art – wendet. »Verbindlich«, so Peter Weibel, der die zentrale Ausstellung zum Thema im Rahmen des Steirischen Herbstes 1993 in Graz kuratierte und damit zugleich zum wegweisenden Sprecher und Theoretiker dieser Kunstrichtung wurde, »ist die Methode, den Kontext, in dem die künstlerischen Interventionen stattfinden, zum Objekt der künstlerisch-analytischen Auseinandersetzung zu machen«.9 Auch wenn Weibel sowohl bei Künstlern als auch Kritikern mit seinem Ansatz, »die Kunst der 1990er Jahre«, wie die Ausstellung im Untertitel hieß, einer stringenten Diskursivierung zu unterziehen, auf Kritik stieß, macht der Begriff einen zentralen Shift deutlich : Nicht nur Fragen des Displays, der Ortspezifität und der Begriff der Situation

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Reiss 1999, S. xi. Zur Installationskunst vergl. auch De Oliveira, Nicolas  /  Oxley, Nic / Petry, Michael ( Hg.) : Installation Art, London 1994; Rebentisch, Juliane : Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003; Bishop, Claire : Installation Art. A Critical History, London 2005. Rebentisch 2003, S. 233. Ebd., S. 257. Ebd., S. 15. Weibel, Peter : »Vorwort«, in : Ausst.-Kat. Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre, Neue Galerie im Künstlerhaus, Graz, 02.10. ‒  07.11.1993, Köln 1994, S. XIIV f.

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gewinnen wieder an Relevanz, sondern auch die Vermischung von Objekt und Information, wie sie ihren ersten Ausdruck in den konzeptuellen Ansätzen der frühen 1970er Jahre findet.10  Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass der Begriff Widerhall in den methodischen Ansätzen der Kunstgeschichtsschreibung fand.11 Mit der Kontext-Kunst kommt somit auch der Rahmen ins Spiel und das sowohl im physischen wie auch übertragenen Sinne. Was sich bei Broodthaers und seinen Zeitgenossen bereits abzeichnet, wird nun gängige Praxis : Als supplementär aufgefasste Elemente einer Ausstellung ‒ Plakate, Einladungskarten und Kataloge ‒  werden zunehmend selbstverständlicher Gegenstand künstlerischer Verfahren. Deutlich wird hieran, dass mit diesen neuen Tendenzen in der Kunst – und darin liegt eine entscheidende Differenz zum Begriff der Installationskunst – nicht nur ein Wandel des Formats künstlerischen Agierens, sondern auch eine Ausweitung des künstlerischen Handlungsbereiches einhergeht. So etabliert sich bezeichnenderweise wenig später die Redewendung vom »Künstler als …« bzw. »artist as …«. Unter dieser in der Literatur der frühen 2000er Jahre verbreiteten Formulierung wird ein Künstlertypus verstanden, der verschiedene Rollen annehmen, auf verschiedenen Feldern agieren kann und dementsprechend flexibel und anpassungsfähig ist.12 Der »artist as … « (curator, in-

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Vgl. z. B. Ausstellungen wie Backstage im Hamburger Kunstverein und dem Kunstmuseum Luzern 1993. Im dazu erschienenen Katalog schreiben die Kuratoren Barbara Steiner und Stephan Schmidt-Wulffen : »Wenn ein Künstler zeitweise zum Fernsehproduzenten, Werbefachmann oder Karikaturist wird, dann kann man das auch als eine Kritik am traditionellen Selbstverständnis des Künstlers verstehen. Eine Verhaltensweise, die mir sehr typisch scheint für diese heutige Art von ›Kunst über Kunst‹ : Der Kommentar wird nicht verbalisiert, sondern entsteht in der Veränderung des Verhaltens. Die neuen Handlungsformen erinnern noch an das, was aufgegeben wurde und verweisen gleichzeitig durch ihre Ähnlichkeit mit bekannten Berufsbildern auf vertrautes Rollenverhalten. Die Handlungsmuster funktionieren dabei wie ein Readymade und gewinnen ihre Bedeutung durch den Kontext.« Steiner, Barbara/Schmidt-Wulffen, Stephan : »Ausstellen«, in : Ausst.-Kat. Backstage. Topologie zeitgenössischer Kunst, Kunstverein Hamburg, 12.09. ‒  24.10.1993, Kunstmuseum Luzern, Januar-März 1994, Hamburg 1993, S. 4  ‒19, hier S. 5. Vgl. hierzu Kemp, Wolfgang : »Kontexte. Für eine Kunstgeschichte der Komplexität«, in : Texte zur Kunst 2 (1992 ), S. 88  ‒101, sowie Draxler, Helmut : »Die Inversion des Sozialen. Historische Diskursformen künstlerischer Praxis«, in : Weibel, Peter ( Hg.) : Kontinuität und Identität. Festschrift für Wilfried Skreiner, Wien 1992, S. 299  ‒ 313. Vgl. z. B. Foster, Hal : »The artist as ethnographer«, in : Ders. : The Return of the Real, Cambridge ( Mass.) 1996, S. 171 ‒ 203; Michalka, Michael ( Hg) : The artist as…, Nürnberg 2006; Schmidt-Wulffen, Stephan ( Hg.) : The Artist as public intellectual ?, Wien 2008.

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tellectual, ethnographer etc.) kann aus seiner Position heraus die herkömmlichen Rollenbilder in Frage stellen – oder aber auch affirmieren.13  In der Literatur wird diese Wendung meist mit einer kritischen Konnotation verwendet. In dem von Yves-Alain Bois, Benjamin Buchloh, Hal Foster und Rosalind E. Krauss herausgegebenen Überblickswerk Art since 1900 etwa erscheint die Bezeichnung »artist as curator« erstmals in Bezug auf Fred Wilsons Ausstellungsprojekt Mining the Museum, das dieser 1992 im Museum of Contemporary Art Baltimore realisierte.14 Was sich bereits bei Beuys und seinen Zeitgenossen andeutet, wird nun explizit : Das Kuratieren wird von Künstlern nicht mehr als die Produktion von Kunst nachträglich begriffen, sondern als direkt damit verknüpft.15   Das Phänomen des »Künstlers als Kurator« ist zugleich in engem Zusammenhang mit dem sich im Laufe des 20. Jahrhunderts vollzogenen »Aufstieg der Ausstellung«16  zu sehen und somit auch vor dem Hintergrund der damit verbundenen Aufwertung der kuratorischen Tätigkeit. So ist inzwischen von einem »curatorial turn« die Rede, der sich auch jenseits des Feldes der bildenden Künste ausbreitet.17  Nicht nur Ausstellungen, sondern auch Musikfestivals, Film- und Tanzprogramme werden heute kuratiert. Unter Kuratieren wird demnach ein Verfahren verstanden, das nicht mehr an einen spezifischen Gegenstand bzw. ein bestimmtes Format gebunden ist und losgelöst von seiner vormaligen bewahrenden und pflegenden Funktion verwendet wird. »Das Kuratorische«, so Beatrice von Bismarck, »stellt […] vor allem die Vermittlung in den

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Foster, Hal et al. : Art since 1900. Modernism, Antimodernism, Postmodernism, London 2004, S. 626. Hierzu vgl. auch S. 213  f. im Kelley‐Kapitel. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die heutige Geläufigkeit der Wendung vom »The Artist as Curator« sowie der darunter gefassten Praxis ist die von Elena Filipovich herausgegebene gleichnamige Reihe, die seit Dezember 2013 regelmäßig als Supplement in dem italienischen Kunstmagazine Mousse erscheint und sich jeweils zwei zentralen, von Künstlern konzipierten Ausstellungen widmet. Darunter etwa John Cages Rolywholyover A Circus (   for Museum by John Cage ) (1993 ), Richard Hamiltons und Victor Pasmores an Exhibit (1957  ) sowie Group Materials Aids Timeline (1989 ) und Alice Creischers, Andreas Siekmanns und Max Jorge Hinderers The Potosí Principle (2010 ). Vgl. hierzu von Hantelmann, Dorothea : »The rise of the exhibition and the exhibition as art«, in : Avanessian, Armen  /  Skrebowski, Luke ( Hg.) : Aesthetics and Contemporary Art, Berlin 2011, S. 177  ‒192. Vgl. z. B. von Bismarck, Beatrice : »Relations in Motion. The curatorial condition in visual art – and its possibilities for the neighbouring disciplines«, in : Frackija 55 ( 2010 ), S. 50  ‒ 57.

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Vordergrund«.18   Die Überpräsenz des Begriffs fungiert somit auch als Indikator dafür, welche Aufmerksamkeit und welcher Wert den Aspekten und Problematiken des Auswählens und Zusammenstellens eines Programms, einer Veranstaltung oder Ausstellung inzwischen zugeschrieben werden.19   Zugleich besteht – wie bei jedem Moden unterliegenden Begriff ‒ die Gefahr, ins Beliebige abzudriften und damit letztendlich in seiner spezifischen Bedeutung entleert zu werden. Jenseits der Gattungskategorien : 20 das künstlerische Ausstellungsdisplay    Die zentrale Eigenschaft des Displays ist, das es etwas sichtbar macht. Es bereitet etwas visuell auf, zeigt etwas an ( wie beim elektronischen Anzeigefeld eines Computers oder Telefons ) oder stellt etwas aus ( wie bei der Schaufensterauslage oder in einer Ausstellung ). Ein Display ist daher funktional und ästhetisch zugleich. Auch auf semantischer Ebene ist der Begriff doppelläufig angelegt : Das englische Verb »to display« wird zumeist im Sinne von zeigen und ausstellen verwendet, behält aber seine vom altfranzösischen »displeier« übernommene Bedeutung des ( sich) Entfaltens bei. Es verbindet folglich das Gezeigt-Werden mit dem Sich-Zeigen. Aus dem Verb hat sich das Substantiv Display entwickelt, das im Englischen als gängiges Synonym für das Ausstellen ( to exhibit ) verwendet wird. Auch spricht man davon, dass etwas »on display« ist, also ausgestellt oder gezeigt wird. Der deutsche Begriff »Ausstellungsdisplay« ist daher in sich gedoppelt, da bereits im »Ausstellen« selbst der Gestus des »Entfaltens« und »Zeigens« vorhanden ist. Stärker als das englische Substantiv verweist der Begriff Ausstellungsdisplay daher auch auf das Format des Zeigens, während der Begriff des als Anglizismus übernommenen Terminus Display stärker auf die sichtbare oder unsichtbare Trägerstruktur eines Zeigefelds abzielt. Andersherum gilt : ohne Display keine Ausstellung.

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Zur Unterscheidung von »curating« und »the curatorial« vgl. auch Lind, Maria : »Performing the Curatorial. An Introduction«, in : Dies. ( Hg.) : Performing the Curatorial. Within and Beyond Art, Berlin 2012, S. 9  ‒ 20. Vgl. hierzu z. B. die mit dem bewusst ironischen Titel »Curating everything ( Curating as symptom )« versehene Tagung des Postgraduate Programme in Curating an der Züricher Hochschule der Künste 2015. Teile dieser Überlegungen sind in dem Handbucheintrag »Display«, erschienen zunächst in : Schafaff, Jörn   /  Schallenberg, Nina   /  Vogt, Tobias ( Hg.) : Kunst ‹–› Begriffe der Gegenwart. Von Allegorie bis Zip (= kunstwissenschaftliche Bibliothek Bd. 50 ), Köln 2013, S. 43  ‒  47, und wieder abgedruckt in überarbeiteter Fassung in : Butin, Hubertus ( Hg.) : Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2014, S. 69  ‒ 72.

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Das Erscheinen und damit auch die Rezeption eines Kunstwerks ist bedingt durch die architektonischen Eigenschaften des jeweiligen Raumes, die eingesetzten Hilfsmittel wie Vitrinen, Schaukästen, Sockel, Beleuchtung, farbliche Gestaltung der Wände und die Anordnung im Raum. Ein Display erfordert damit ein bestimmtes Verhalten gegenüber dem präsentierten Gegenstand und der Situation, die das Display herstellt. So können Betrachter beispielsweise durch Glas oder Absperrbänder vom präsentierten Gegenstand auf Distanz gehalten, aber auch zu einem Teil des Displays werden, indem sie sich als konstitutiver Bestandteil der so konstruierten Situtation wiederfinden. Das, was den Begriff des Displays in Bezug auf die hier verfolgten Fragenstellungen daher so produktiv macht, ist seine Kopplung an das zeitlich wie räumlich begrenzte Format der Ausstellung und damit an eine bestimmte institutionelle und diskursive Situation, die immer im Hier und Jetzt verankert ist. Bereits der Akt der Selektion, aber auch der Akt der Anordnung und der Inszenierung der Exponate produzieren Bedeutung und üben Macht dahingehend aus, dass die Ausstellung als das zentrale Format innerhalb des Kunstfeldes gilt, über das Diskurse vermittelt werden und Kunstgeschichte geschrieben wird. So lassen sich Ausstellungsdisplays in Analogie zu Michel Foucaults Begriff des Dispositivs begreifen, wobei »[d]as Dispositiv selbst […] das Netz [ist], was zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann«.21  Foucault nutzt diesen Begriff vor allem dazu, die Beziehung zwischen Macht und Wissen herauszustellen. In seiner Definition umfasst es Gesagtes wie Ungesagtes, Gezeigtes wie Ungezeigtes. Gleiches gilt für die Debatten um das museale Display, die häufig in Verbindung zu Themen wie Macht, Rasse und Geschlecht stehen.22 In Bezug auf künstlerische Verfahren erhielt der Begriff erst in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum Einzug.23 Dabei wurde er vor allem über den Umweg museologischer Debatten in Ermangelung eines passenden deutschen

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Foucault, Michel : Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S. 119  f. Vgl. auch Stemmrich, Gregor : »Dispositiv«, in : Texte zur Kunst  66 ( 2007 ), S. 47  ‒ 51. Vgl. z. B. Alpers, Svetlana : »A Way of Seeing«, in : Karp, Ivan  /  Lavine, Steven D. ( Hg.) : Exhibiting Cultures. The Poetics and Politics of Museum Display, Washington  /  London 1991, S. 25  ‒ 32; Staniszewski 1998; Barker, Emma ( Hg.) : Contemporary Cultures of Display, New Haven (Conn.) / London 1999; Newhouse, Victoria : Art and the Power of Placement, New York 2001; González, Jennifer A. : Subject to Display. Reframing Race in Contemporary Installation Art, Cambridge ( Mass.) 2008. Zu den jüngeren Publikationen in diesem Bereich zählt z. B. John, Jennifer / Richter, Dorothee  /  Schade, Sigrid ( Hg.) : Re-Visionen des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum, Zürich 2008.

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Äquivalents von Künstlern entscheidend mitgeprägt. Exemplarisch ist hier Heimo Zobernig zu nennen, der von der Bühnenbildnerei kommend Anfang der 1990er Jahre diese Bezeichnung für seine Arbeiten adaptiert, in denen das Einrichten und Ausstellen zentrale Momente sind.24 Auch Thomas Hirschhorn, der wie Zobernig aus den angewandten Künsten zur bildenden Kunst kam, verwendet den Begriff seit Ende der 1980er Jahre für an Ausstellungen erinnernde oder im Format der Ausstellung hergestellte Arbeiten ( etwa die Wandcollage Wall Display, 1988  ‒ 89 ), die sich der Klassifikation als Skulptur oder Installation entziehen. Der Begriff des Displays impliziert so zumindest im deutschsprachigen Raum nicht nur einfach eine neue »Gattung«, sondern auch eine Wechselwirkung zwischen angewandten Künsten wie Grafikdesign und Bühnenbild und bildenden Künsten. Auch die kontextspezifischen Ausstellungsprojekte von Julie Ault und Martin Beck trugen zur Etablierung des Begriffs im Kunstfeld bei. Schon dadurch, dass Ault und Beck ihrem 2006 in der Wiener Secession realisierten Ausstellungsprojekt, in dem sie sich beispielsweise auf bekannte Displaystrukturen modernistischer Designer wie George Nelson bezogen, den Titel Installation gaben, verweisen sie auf die Art und Weise, wie etwas im Kunstkontext zur Anschauung gebracht und rezipiert wird – und damit letztlich auf einen Aspekt, den der im letzten Jahrzehnt ebenso inflationär wie unpräzise verwendete Begriff der Installation nicht derart fassen kann. Zwar wurden in den maßgeblichen Monografien zur Installationskunst hierunter auch künstlerische Displaystrategien subsumiert. Doch anders als die gängige Lesart der Installation, fungiert ein Ausstellungsdisplay ( eher im Sinne Rebentischs ) eben gerade nicht zwangsläufig als ein auf eine Zustandsbeschreibung abzielender Gattungsbegriff, sondern unterliegt komplexen Dynamiken, durch die es sich der Zuordnung zu festen Gattungskategorien letztlich verweigert. Anders als die in den 1990er Jahren populär werdenden Begriffe der Installationskunst und Kontext-Kunst erlaubt der Begriff des Ausstellungsdisplays daher, sowohl dezidiert als Kunstwerk konzipierte Displays im Sinne einer auf den Raum bezogenen skulpturalen Praxis mit einzubeziehen als auch von Künstlern kuratierte Ausstellungen, deren Status als Kunstwerk nicht zwangsläufig gegeben sein muss.25 Beide Ansätze

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Vgl. hierzu auch Stemmrich, Gregor : »Heimo Zobernigs Ausstellung ohne Titel ( in Red ) – k /eine Retrospektiv«, in : Ausst.-Kat. Heimo Zobernig. ohne Titel ( in Red ), Kunsthalle Zürich, 15.01. ‒  20.03.2011, hg. von Beatrix Ruf, Zürich 2011, S. 8  ‒ 22. Zum Schaufensterdisplay vgl. auch Nelson, George : Display, New York 1973. Darin heißt es auf S. 8 : »To some groups of designers and commercial artists, ›display‹ is window display.« Im Überblickswerk Sculpture Today etwa wird im Abschnitt zur »postmodern period« Marcel Duchamp als erster Künstler genannt, der den Raum einer Galerie mit Interventionen (1200 Coal Bags [1938 ] und Mile of String [1942 ] ) manipulierte und daher als Vor-

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aus der Perspektive des Ausstellungsdisplays zusammen zu führen, eröffnet die Möglichkeit, das sie verbindende Verfahren der Präsentation herauszustellen, das in beiden Fällen wiederum auf eine bestimmte Ausstellungsdauer ausgerichtet ist und stets mit der gegebenen Situation vor Ort zusammen gedacht werden muss. So lassen sich hierüber zugleich die Rahmenbedingungen und der jeweils spezifische künstlerische Umgang mit den unterschiedlichen Ausstellungsformaten – von der Soloschau bis zur Retrospektive – samt damit verbundener Paraphernalien ebenso in den Blick nehmen wie Fragen und etwaige Problematiken bezüglich des wiederholten Zeigens künstlerischer Ausstellungsdisplays, sowohl zu Lebzeiten eines Künstlers als auch posthum. Weder ist daher in diesem Zusammenhang die kategorisierende Wendung von der »Ausstellung als Kunstwerk« noch die von einem Rollenwechsel implizierenden »Künstler als Kurator« ausreichend, um von künstlerische Ausstellungsdisplays wie sie hier im Fokus stehen in ihrer gebotenen Komplexität zu erfassen. Vielmehr liegt gerade in den damit verbundenen Dynamiken und Grenzüberschreitungen das, was ich eingangs die »Kunst zu zeigen« genannt habe. Die Kunst zu zeigen Jedes der vier zentralen Kapitel beginnt dementsprechend mit einem einführenden Überblick zur Ausstellungsgeschichte und Rolle des Displays im Œuvre des jeweiligen Künstlers, an den sich in weitgehend chronologischer Abfolge einzelne Ausstellungsanalysen anschließen. Bei Beuys stehen hierbei vor allem das Zusammenspiel von Display und Vermittlung seines »erweiterten Kunstbegriffs« sowie seine Selbstdarstellung als Künstler im Fokus. Beginnend mit einer Situierung seiner künstlerischen Praxis im Kontext der sich in den 1960er Jahre vollziehenden Annäherung kuratorischer und künstlerischer Praktiken, zielen die folgenden Analysen vor allem darauf ab, die präsentationalen Verbindungslinien aufzuzeigen, die sich innerhalb seines Œuvres abzeichnen. Berücksichtigung finden hierbei gleichermaßen seine Vitrinen und Regalarbeiten wie erste Solo-Ausstellungen im Stall der Familie Grinten in Kranenburg (    Joseph Beuys-Fluxus, 1963 ) sowie der Galerie Schmela in Düsseldorf (… Irgendein Strang  … , 1965 ), einzelne raumgreifenden Arrangements wie etwa 1968 auf der documenta IV und dem Block Beuys im Landesmuseum Darmstadt ( beginnend 1970 ). Besondere Berücksichtigung findet hierbei sein Credo des »einfach Abstellens« sowie die Art und Weise, wie Beuys das Ausstellungsformat dazu nutzt, nicht nur Einfluss auf die Rezeption und Archivierung seiner Arbeiten entscheidend mitzubestimmen, sondern auch als zum Teil be-

läufer für die postmoderne Praxis gelten könne. Collins, Judith : Sculpture Today, London / New York 2007, S. 9.

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wusste Statements zu der an ihm zum Teil vehement geübten Kritik. Besonders an den Arbeiten Arena (1970 / 1972 ), seiner Retrospektive im Guggenheim 1979 sowie einer seiner letzten, zu Lebzeiten realisierten Ausstellung Palazzo Regale (1985 ) lässt sich aufzeigen, wie Beuys über das Display seiner Kunst sein eigenes Künstlerselbstverständnis – zum Teil durch bewusste Analogien zu Christus – entscheidend mitgeformt hat. Dass sich bei Beuys die künstlerische Produktion kaum von der Präsentation seiner Arbeiten in den verschiedenen Ausstellungskontexten trennen lässt, evoziert wiederum eine ganze Reihe von Fragen bezüglich des wiederholten Aufbaus und der Rekonstruktion von Ausstellungsdisplays, wie sie nach dem Ableben eines Künstlers – und Beuys steht hier als ebenso symbolisch wie kritisch zu sehender Vorläufer für diese zunehmend relevanter werdende Problematik – von Kuratoren und Restauratoren gehandhabt werden. So erfahren künstlerische Ausstellungsdisplays posthum häufig einer Art »Verwerkung«, die nicht nur nach den jeweiligen Grenzen des Werks fragen lässt, sondern häufig auch in Kontrast zu der ihnen einstmals immanenten Dynamik steht. Das schon bei Beuys eine Rolle spielende Motiv des Selbstdarstellers wird heute vor allem mit Kippenberger assoziiert. Anders als Beuys, der sich über Jahre seinen Platz innerhalb der Kunstwelt erarbeiten musste, arbeitet Kippenberger schon weit vor seinem künstlerischen Durchbruch mit den gegebenen institutionellen Strukturen bzw. subvertiert diese durch selbst geschaffene Ausstellungsmöglichkeiten bis hin zur Gründung eines eigenen Museums auf der griechischen Insel Syros ( MOMAS ). Er greift im Zuge dessen auf sämtliche mit dem Ausstellungsformat zusammenhängenden Paraphernalien wie Einladungskarten und Poster zurück und übernimmt darüber hinaus zu einem großen Teil auch die Gestaltung der Kataloge. Im Zuge einer im Laufe seiner Karriere an Bedeutung gewinnenden Sammlertätigkeit steigt nicht nur Kippenbergers Interesse am Kuratieren und eine entsprechend reflektierte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ausstellungsformaten, auch macht er zudem zunehmend keinen Unterschied mehr zwischen der Präsentation eigener Arbeiten und denen anderer. Nach einem einführenden Überblick zu Kippenbergers kuratorischen Tätigkeit stehen daher vor allem drei Ausstellungskomplexe im Fokus : die Ausstellung Peter – Die russische Stellung 1987 bei Max Hetzler in Köln samt aller damit einhergehenden Publikationen und Folgeausstellungen, da sie Kippenbergers Durchbruch als Künstler markiert; die drei in ihren Exponaten große Überschneidungen aufweisenden Ausstellungen Put Your Eye in Your Mouth ( San Francisco Museum of Modern Art, 1991), Deep Throat ( Kippenbergers Beitrag im Rahmen der Projektreihe Topographie. Sachdienliche Hinweise im selben Jahr ) sowie das erstmals 1994 im Boijmanns van Beuningen Museum in Rotterdam gezeigte The Happy End of Kafka’s »Amerika«. All diese Ausstellungen können als Allegorien auf das Künstlerdasein gelesen werden. Dazu kommt eine Reihe von Ausstellungen vom Anfang der 1990er Jahre, in denen

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Kippenberger sich mit dem Format der Retrospektive auseinandersetzt : von The Beginning was a Retrospective in der Londoner Galerie Karsten Schubert (1991/  92 ) bis zu Kippenbergers erster tatsächlich retrospektiv angelegter Ausstellung 1997 in Genf ( Martin Kippenberger. Respektive 1997  ‒1976     ). Den Abschluss des Kapitels bildet eine Reflektion über Kippenbergers Display seiner letzten, zu Lebzeiten realisierte Ausstellung Der Eiermann und seine Ausleger im Museum Abteiberg in Mönchengladback, ebenfalls 1997, in der er sich am direktesten auf Beuys bezieht und die sich zugleich als ein letztes, öffentliches Statement vor seinem unausweichlichen Tod lesen lässt. Als Kontrast hierzu dient Kelley als ein besonders eindrückliches Beispiel für einen Künstler, der mit zum Teil bewusst konventionellen Formen des Displays arbeitet, um seine stark diskursiv operierende, auf die repressiven Aspekte und »minor histories« amerikanischer Kultur bezogene Kunstpraxis zugleich performativ erfahrbar zu machen. Besonders an seinen frühen Arbeiten lässt sich eindrücklich darlegen, inwiefern die Ausstellung ein reaktives Format ist, mit dem Künstler auch gezielt zu bestimmten, ihnen widerstrebenden Lesarten ihres Œuvres Stellung beziehen. Besonders paradigmatisch hierfür ist die Serie von Stofftierarbeiten, die Kelley 1987 mit der Wandarbeit More Love Hours Than Can Ever Be Repaid beginnt und 1991 mit Craft Morphology Flow Chart durch eine streng taxonomische Anordnung von Stofftieren auf einfachen Tischen gezielt »zu Grabe« trägt. Zuvor jedoch gilt es aufzuzeigen, wie sich bei Kelley in den frühen 1980er Jahren im Zuge der Arbeiten Confusion : A Play in Seven Sets, Each Set More Spectacular and Elaborate Than the Last (1982 ), Monkey Island (1982 ), The Sublime (1984 ) und Plato’s Cave, Rothko’s Chapel, Lincoln’s Profile : a synopsis of the heroic archetypes ( male) in Western philosophy, contemporary Amercian Painting, and American history (1985 ) eine Verschiebung von seiner Performance-basierten Praxis hin zu einem direkt für den Ausstellungsraum konzipierten, zusammenhängenden Gefüge von Exponaten vollzieht. Den Kern des Kapitels bildet wiederum eine umfassende Analyse seiner mehrfach gezeigten Ausstellung The Uncanny (1993/2004 ), die nicht zuletzt auch den maßgeblichen Anstoß für dieses Buch gab. Anhand ihr gilt es, das sich im Zuge der verschiedenen Varianten verändernde Verhältnis von künstlerischer und kuratorischer Praxis aufzuzeigen und zugleich das Verhältnis von der im Zuge dessen von ihm entwickelten Ästhetik einer »unheimlichen Skulptur« in Bezug auf seine eigene künstlerische Praxis zu diskutieren. Abschließend werden anhand der Analysen von Kelleys multimedialem Großprojekt Day is Done (2005 ) und dem eine ganze Reihe von Ausstellungen umfassenden Kandors-Projekt (1999  ‒ 2012 ) die sich hieran abzeichnenden Veränderungen seiner Produktionsmittel und Ästhetik in Bezug auf das gewachsene Standing im Kunstmarkt im Fokus stehen. Der sich bei Kippenberger und Kelley bereits abzeichnende reflexive Umgang mit den gegebenen Formaten und Strukturen des Ausstellungswesens wird bei

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Künstlern der jüngeren Generation, für die Pernice hier als zentrales Beispiel gewählt wurde, explizit. Die Referenz auf historische künstlerische Positionen, aber auch auf bereits vorangegangene kritische Auseinandersetzungen mit dem Display von Kunst steht nun im Vordergrund. Diskutiert werden hiermit verbundene Fragen anhand von drei zentralen Ausstellungen und unter Berücksichtigung der von Pernice selbst ins Spiel gebrachten Begrifflichkeiten (»Verdosung«, »Peilung« und »Liquidation«   / »Brei«) : Que-Sah im Neuen Museum Nürnburg 2008, sculpturama in der Secession Wien 2010 / 2011, sowie einer von 2010 bis 2012 in Oxford, Dundee und Gent gezeigten Wanderausstellung. Anhand der beiden Kataloge, die zu Que-Sah und sculpturama erschienen sind, wird zugleich diskutiert, inwiefern Pernice die hierin abgedruckten Bildstrecken gezielt dazu einsetzt, die konzeptuelle Dimension seiner Displays in ein die Ausstellungslaufzeit überdauerndes Format zu überführen. Vergleiche zu Cosima von Bonins Wanderausstellung Lazy Susan Series, die 2011 bis 2012 in Amsterdam, Bristol, Genf und Köln gezeigt wurde, sowie zu Rosemarie Trockels im Zuge ihrer Ausstellung Die Verflüssigung der Mutter ( Kunsthalle Zürich, 2010 ) geäußertem Wunsch danach, die »Dinge wieder in Fluss zu bringen«, dienen dazu, Pernices Ansatz im Kontext des heutigen Status quo künstlerischer Displaystrategien zu verorten. Die Frage, die sich hiervon ausgehend stellt, ist die danach, ob künstlerische Displays im »post-institutionskritischen Zeitalter« durch die Verschiebung hin zu einer stark referentiell operierenden Praxis der Konstellation von Objekten zwangsläufig an Kritikalität einbüßen oder ob sich nicht auch in dieser Hinsicht einfach die Parameter weiter verschoben haben. Sie soll abschließend unter Berücksichtigung der Ausstellungsprojekte von Willem de Rooij diskutiert werden. Methodische Herausforderungen Künstlerische Ausstellungsdisplays, wie sie hier im Fokus stehen, erfordern entsprechend, dass sie an dem jeweiligen Ort ihrer Realisierung wahrgenommen werden, der Betrachter in die jeweilige Situation eintritt und sie über die eigene Präsenz im Raum erfährt. Dies stellt auch Kunsthistoriker vor eine neue Herausforderung gegenüber ihrem Arbeitsgegenstand : Sie müssen entweder ebenso viel wie jene reisen oder – und das betrifft vor allem die zeitlich weiter zurückliegenden Beispiele – sich auf das oft nur unzureichend vorhandene Quellenmaterial verlassen. Neben Ausstellungskatalogen sowie Gesprächen mit einzelnen Künstlern und Kuratoren sind es daher vor allem Installationshots und Kunstkritiken, die die Basis für die folgenden Analysen bieten. In der Literatur wird in Bezug auf diese Formate und Publikationsorgane in Anlehnung an Jacques Derridas Theorie des Parergons häufig von »parergonalen Elementen« gesprochen. Derrida entwickelte diese Theorie in Die Wahrheit in der Malerei und definiert Parerga als Supplemente außerhalb des Werks. Dabei hat das »Beiwerk« Derrida zufolge die Tendenz, sich zumindest

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zeitweise zum eigentlichen Zentrum des Werks zu verschieben (dafür könnten beispielsweise die künstlerischen Verfahren von Zobernig paradigmatisch stehen ). Zudem handelt es sich um einen Umstand, der in Bezug auf den hier thematisierten Gegenstand wiederum besonders posthum zum Tragen kommt. Angesichts der Tatsache, dass alle diese Elemente in den hier thematisierten Ausstellungen von den jeweiligen Künstlern zu großen Teilen selbst bestimmt werden, gilt es, dieses Verhältnis von Ausstellungen zu ihren Parerga im Folgenden stetig neu auszuloten. Nur dadurch wird deutlich werden, wie auch das Verhältnis von Ergon (= die Ausstellung ) und Parergon (= alle anderen mit der Ausstellung in Verbindung stehenden Formate und Äußerungen ) ein dynamisches ist, dass bei den hier im Fokus stehenden Beispielen ebenfalls auf künstlerischen Entscheidungen basiert.26  Diese wiederum haben einen entsprechenden Einfluss nicht nur auf die Rezeption der jeweiligen Ausstellung sowie deren Exponate, sondern wirken entsprechend zurück auf die Art und Weise der Einschreibung ihres Œuvres in die Kunstgeschichte. So liegt beispielsweise neben dem Mitspracherecht bei der Gestaltung von Katalogen auch die Wahl der Autoren für die darin abgedruckten Texte häufig beim Künstler selbst – ein Aspekt, der besonders in Bezug auf Kippenberger eine große Rolle spielt und den es in den Analysen entsprechend mit zu berücksichtigen gilt. Auch beziehen manche Kataloge – darunter ebenfalls die von Kippenberger, aber auch von Pernice – Kritiken wie Installationsansichten bereits mit ein. Im Gegensatz zum klassischen Katalog, der in der Regel bereits vor Ausstellungsbeginn erscheint und vor allem zur wissenschaftlichen Aufarbeitung und diskursiven Verortung des Gezeigten beiträgt, liefern Ausstellungsbesprechungen und Installationshots konkretere Eindrücke vom Gezeigten. Im ersten Fall allerdings sprachlich vermittelt und mit der Absicht, ein Urteil über das Gesehene zu formulieren, das andere Mal übersetzt in ein fotografisches Medium. Auch der Installationshot kann jedoch nie die aufgenommene Situation adäquat wiedergeben, sondern immer nur einen Ausschnitt aus einer ganz bestimmten Perspektive, eben dem fixen Standpunkt der Kamera.27   Da Installationshots zumeist ohne Publikum aufgenommen werden, geht zugleich das Verhältnis für den Maßstab des abgebildeten Gegenstands verloren.28  Dem ungeachtet rückt – selbst wenn die Ausstellung persönlich gesehen wurde – das Installationsfoto mit voranschreitendem zeitlichem Abstand zunehmend an deren Stelle und verdrängt darüber die Erinnerung an die reale Situation. Das Foto dient daher entweder als Gedächtnisstütze

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Vgl. Derrida, Jacques : Die Wahrheit in der Malerei, hg. von Peter Engelmann, Wien 1992. Vgl. auch Rebentisch 2003, S. 18l. Vgl. O’Doherty, Brian : Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space (expanded edition ), Berkeley  /  Los Angeles  /  London 1999, S. 42.

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oder aber – wie zu großen Teilen beim Schreiben dieses Textes – von vornhinein als Ersatzerfahrung. Daniel Buren hebt beispielsweise mit seinen »photo-souvenirs« ( Erinnerungsfotos ) titulierten Ausstellungsansichten eben diese Dimension des Erinnerungsspeichers hervor.29  Die Erinnerung jedoch einem bestimmten Subjekt zuzuordnen hält er für trügerisch. Denn das Foto, so Buren, schaffe eine Form der Erinnerung, die nicht mit der tatsächlichen identisch ist, ja vielmehr eine eigene Möglichkeit des visuellen Zugriffs auf den dargestellten Gegenstand bietet.30 Dies zeigen besonders die Arbeiten von Louise Lawler in aller Deutlichkeit. Ihre Installationshots sind keineswegs »neutral« wie der White Cube, sondern geben einen bestimmten Ausschnitt und eine ganz bestimmte Perspektive auf das Ausgestellte vor. Sie machen auf Dinge aufmerksam, die innerhalb der jeweiligen Ausstellungsdisplays nicht unbedingt immer im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen. Dabei zerstört sie, wie Johannes Meinhardt herausgestellt hat, »the boundaries of the work of art in favour of the photographed situation; the edges of the photograph ›frame‹ the spatial situation as a whole, as an entity«. Das fotografische Bild erhält selbst den Status eines Kunstwerks und ist nicht einfach nur Abbild einer gegebenen Situation. Bezeichnend ist hierbei auch – und dafür bleiben Buren und Lawler auch in den folgenden Analysen zentrale Bezugspunkte ‒, dass all dieses Material im Laufe der in dieser Einleitung geschilderten Entwicklung auch immer wieder direkt in die künstlerische Praxis eingespeist bzw. von ihr adaptiert wurde. Verstärkt wird diese Entwicklung seit den frühen 2000er Jahren dadurch, dass Installationshots seitdem von Kunstinstitutionen und Galerien auch vermehrt auf ihren Websites archiviert und damit öffentlich zugängig gemacht werden – ein Phänomen, das wiederum zurück wirkt sowohl auf unser Rezeptionsverhalten als auch das Display von Ausstellungen. So können wir Ausstellungen heute zunehmend von Zuhause aus über unseren Bildschirm oder mobile Devices konsumieren, losgelöst von ihren räumlich-zeitlichen Spezifika. Ebenso wenig wie die Kritik, sind daher weder der Installationshot noch der Katalog als »neutrale« Quellen zu sehen, sondern als immanenter Teil des Dispositivs der – in diesem Fall primär von Künstlern zu verantwortenden – Ausstellung. Diesem Buch geht dementsprechend eine oftmals ganz klassische Archivarbeit und Indiziensuche voraus. Damit folgt es dem Anspruch, sowohl über eine verschriftlichte oral history hinauszugehen, wie sie in Bezug auf kuratorische Fragen

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Buren, Daniel : »Erinnerung der Taten [1988 ]«, in : Ders. : Achtung  ! Texte 1967  ‒ 1991, hg. von Gerti Fietzek und Gudrun Inboden, Dresden  /  Basel 1995, S. 385  ‒  399, hier S. 387. Ebd., S. 388  f.

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durchaus geläufig ist,31 als auch dem künstlerischen Ausstellen samt aller damit verbundenen Medien und Formate eine dem Gegenstand angemessene Perspektivierung zu bieten. Ich bediene mich daher in Bezug auf die einzelnen ausgewählten Ausstellungen einer Art »dichten Beschreibung«, um einerseits die Fakten zusammenzutragen und die Ausstellungen so für den Leser wieder zu vergegenwärtigen und zugleich darüber ihre Bedeutungsstrukturen, aber auch Entstehungsbedingungen zu analysieren. Clifford Geertz, der diesen Ausdruck von dem Philosophen Gilbert Ryle übernahm, versteht hierunter eine »besondere geistige Anstrengung«32, die sich durch die analytische Verknüpfung mehrerer Abstraktionsebenen auszeichnet. Es geht Geertz darum, einerseits Strukturen aufzudecken und andererseits ein analytisches Begriffssystem hierfür zu entwickeln.33 Und so sind auch hier die gesammelten »Daten« bereits eine Auslegungssache, das heißt schon die Entscheidung, bestimmte Elemente in die Analyse einzubeziehen und andere nicht, zeigt auf, dass sie eine Bedeutung für den Gegenstandsbereich haben. Um die spezifische Rhetorik einer Ausstellung erfassen zu können – und hierin knüpft das Buch an die Errungenschaften einer kontextuell argumentierenden Methodik an ‒, bedarf es zugleich immer auch der Berücksichtigung des jeweiligen Zeitpunktes und Ortes ihrer Realisierung. Dies betrifft sowohl die kunsthistorische Perspektive – und damit eine Kontextualisierung der gewählten Displaystrategien im Kontext aktueller Diskurse – als auch das jeweilige Standing eines Künstlers zu diesem Moment. Das stetige In-Beziehung-Setzen der verschiedenen Schichtungen und Abstraktionsstufen in Bezug auf künstlerische Ausstellungsdisplays wird so zum grundlegenden Antrieb der folgenden Ausführungen.

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Vgl. z. B. Obrist, Hans Ulrich : A Brief History of Curating, Zürich 2008, oder Gesprächsreihen wie »Alte Hasen« vom 19. Mai bis 1. Dezember 2009 in den Kunst-Werken Berlin e. V. Vgl. Geertz, Clifford : »Dichte Beschreibung. Anmerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur«, in : Ders. : Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1994, S. 10. Zur dichten Beschreibung von Ausstellungsdisplays vgl. auch Muttenthaler, Roswitha : »Mit dem Auge denken«, in : John   / Richter  /  Schade 2008, S. 179  ‒ 190, v. a. S. 182  ff. Vgl. Geertz 1994, S. 39.

II.  Joseph Beuys : Repräsentation und Denkanstoß

Warum noch einmal Beuys ? Die Entscheidung die folgenden Ausführungen mit einer derart umfassend und nach wie vor kontrovers diskutierten Figur zu beginnen, begründet sich zunächst schlicht und einfach darin, dass mit Beuys – zumindest im deutschsprachigen Raum – erstmalig ein Künstlertypus auftritt, der ganz gezielt die Art und Weise des Displays seiner Kunst dazu einsetzt, um den von ihm entwickelten Kunstbegriff einer Öffentlichkeit zu vermitteln.1 Gerade dieser Aspekt, der in enger Verbindung mit dem von ihm selbst initiierten Mythos um seine durch Anglerweste und Hut entsprechend auch optisch stilisierte Künstlerpersönlichkeit steht, ist in den besagten Debatten bisher weitgehend unbeachtet geblieben. Dabei spiegelt sich die Tatsache, dass Beuys ein Selbstdarsteller war und als solcher auch bereits zu Lebzeiten gesehen wurde, wie die Zuordnung zu dieser Kategorie von Harald Szeemann auf der documenta 5 1972 bezeugt, in all den ausstellungsbegleitenden Elementen wie Fotografien, Interviews, Fernsehauftritten und Notizen augenscheinlich wider, die zur Streuung und Erläuterung

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In jüngerer Zeit erscheinen verstärkt wieder Dekonstruktionsversuche dieses Mythos und Texte, die sich mit den NS-Verstrickungen von Beuys und seinem Umfeld auseinandersetzen. Vgl. etwa die für reichlich Diskussionsstoff sorgende Biografie von Hans-Peter Riegel (Riegel, Hans-Peter : Joseph Beuys. Die Biographie, Berlin 2013 ) oder auch der betont polemisch formulierte und dadurch ebenso umstrittene Text von Wyss, Beat : »Der ewige Hitlerjunge«, in : Ders. : Nach der großen Erzählungen, Frankfurt am Main 2009, S. 106  ‒115. Zu der sich darum entspannenden Debatte vgl. auch http://www.monopol-magazin.de/ artikel/2010484/wyss-vs-beuys-die-reaktionen.html  ( Abruf am 11.11.2013 ).

28 |  II. R epräsentation und D enkanstoss

seines Kunstbegriffs maßgeblich beigetragen haben. Ziel ist es daher, v. a. Beuys’ raumbezogene Arbeiten anders als bisher weitgehend geschehen, jenseits der gängigen Gattungskategorien zu denken, um die ihnen zugrunde liegenden und sie vereinenden präsentationalen und repräsentativen Strukturen sichtbar zu machen. Im Vordergrund stehen somit zum einen das Verhältnis seiner »individuellen Mythologie« zum Ausstellungsbetrieb und den aufkommenden Marktmechanismen der Zeit sowie die Problematik des posthumen Ausstellens seiner Arbeiten. Zum anderen, wenn auch eng damit verknüpft, die Herausarbeitung von so zeittypischen Displaystrategien wie das »einfach Abstellen«, der Einsatz von Vitrinen und der Umgang mit den verschiedenen institutionellen Ausstellungsformaten wie der Einzelausstellung und der Retrospektive. Marcel Broodthaers wird hierbei als ein Gegenüber fungieren, da sich gerade anhand der Diskrepanz zwischen den beiden Künstlern auf persönlicher wie künstlerischer Ebene Beuys’ spezifischer Ansatz besonders gut herausstellen lässt. Insofern sind diese Ausführungen weniger als ein weiterer Beitrag zur Beuys-Exegese angelegt, sondern vielmehr als eine Alternative zu den bisherigen, überwiegend linearen und oft gattungsspezifischen Lesarten seiner Arbeiten und damit zugleich als ein in den 1960er Jahren verankerter, historischer Grundstein für die hierauf folgenden, weiteren Ausführungen.

II. B euys  |  29

Sattelzeit 1960er Jahre Entgrenzung der Skulptur und Einzug des Kuratorischen In den 1960er Jahren verändert sich nicht nur der künstlerische Umgang mit dem Display von Kunst grundlegend, sondern auch die kuratorische Praxis. In einem ersten Schritt sei daher kurz erörtert, wie eng beide Entwicklungen aufeinander bezogen sind, um dann im nächsten Schritt Beuys’ spezifische Stellung innerhalb dessen deutlich zu machen. Vor allem Künstler, die der Minimal Art und Anti-Form sowie in Italien der Arte Povera zugeordnet werden, schaffen mit ihren Ausstellungen neue Präsentationsweisen und damit einhergehend auch neue Voraussetzungen der Kunstrezeption. Der Ausstellungsraum wird zum Experimentierfeld, das neue Interaktionen zwischen Exponat und Betrachter ermöglicht. Entscheidend in dieser Hinsicht ist der Verzicht auf den Sockel als klassischem Displayhilfsmittel von Skulptur sowie der Einsatz von industriell produzierten oder aber gefundenen Materialien im Sinne von Duchamps Readymade. Dadurch gewinnt die von den Künstlern hergestellte Situation an Bedeutung, die Betrachter wie Exponate gleichermaßen einschließt. Robert Morris etwa spricht in seinen »Notes on Sculpture 2« (1966 ) von einer »erweiterten Situation« zwischen Objekt und Subjekt, die eine physische Teilnahme beansprucht.2  »Doch erfordert«, so Morris, »das jetzige Interesse eine stärkere Kontrolle und   / oder Koordination der gesamten Situation. Kontrolle ist nötig, damit die Variablen Objekt, Licht, Raum und Körper funktionieren.« 3  Das Stichwort der Kontrolle ist hierbei entscheidend. Viele Künstler der Zeit übernahmen dem heutigen Verständnis nach somit kuratorische Aufgaben, um eine auf die physische Präsenz des Betrachters angelegte, situationsspezifische Kunsterfahrung zu garantieren. Dies handelt ihnen bekanntermaßen den von Michael Fried formulierten Vorwurf der Theatralität ein und veranlasst jenen dazu, die neuen Tendenzen in der Skulptur als Absage an die Kunst zu sehen. In Bezug auf Morris’ »Notes on Sculpture« konstatiert Fried : »Das Objekt, nicht der Betrachter, muß der Mittelpunkt der Situation bleiben; aber die Situation gehört dem Betrachter – es ist seine Situation.«4  Für Fried ist

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Morris, Robert : »Anmerkungen über Skulptur, Teil 2 [1966]«, in : Stemmrich, Gregor ( Hg.) : Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden   /  Basel 1995, S. 100  ‒109, hier S. 103. Im englischen Original heißt es »extended situation«. Vgl. Morris, Robert : »Notes on Sculpture 2«, in : Ders. : Continuous Project Altered Daily. The Writings of Robert Morris, Cambridge (Mass.)  /  London 1993, S. 11 ‒22, hier S. 14. Morris 1966, S. 108 (im englischen Original S. 17 ). Fried, Michael : »Kunst und Objekthaftigkeit [1967]«, in : Stemmrich 1995, S. 334  ‒ 374,

30 |  II. S attelzeit 1960 er J ahre

die Gegenwart der von ihm als literalistisch bezeichneten Kunst ein theatralischer Effekt oder eine theatralische Eigenschaft und rufe eine Art Bühnenpräsenz hervor. Sie ist eine Funktion nicht nur der, wie er schreibt, »aggressiven Aufdringlichkeit der Kunstwerke, sondern auch der besonderen Mitwirkung, welche die Arbeiten vom Betrachter verlangen«.5   Ebendiese, den Betrachter einbeziehende Theatralität stand für Fried im klaren Widerspruch zur Idee eines autonomen Kunstwerks. Was dadurch aus dem Blick gerät, ist die Selbstbestimmtheit des Kunstwerks gegenüber seiner Präsentation. Dieser Aspekt bietet zugleich die Vorlage für eine Praxis, die heute unter dem Begriff der Institutionskritik gefasst wird und für deren Übergang die Arbeiten von Michael Asher zentral sind.6   Asher, der für seinen künstlerischen Ansatz den von Victor Burgin geprägten Begriff der »situational aesthetics« aufgreifen sollte, sieht sich als Urheber einer Situation, nicht aber der sie umfassenden Elemente.7   Die Wahrnehmungskritik der minimalistischen Ansätze geht bei ihm somit über in eine Kritik der institutionellen Rahmenbedingungen.8 Robert Morris wiederum lässt sich als ein Bindeglied zwischen der Minimal Art und der sogenannten Anti-Form sehen, die zeitgleich mit den Minimalisten

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hier S. 342. In Bezug auf Morris’ »Notes on Sculpture« konstatiert Fried : »Das Objekt, nicht der Betrachter, muß der Mittelpunkt der Situation bleiben; aber die Situation gehört dem Betrachter – es ist seine Situation.« Fried 1995, S. 344. Ebd., S. 345. Vgl. hierzu Buchloh, Benjamin : »Conceptual Art 1962  ‒ 1969. From the Aesthetic of Administration to the Critique of Institutions«, in : October 55 (1990 ), S. 105  ‒143. Zu dem Begriff bei Burgin vgl. Burgin, Victor : »Situational Aesthetics«, in : Studio International 178 (1969 ), S. 118  ‒121. Zum Begriff bei Asher vgl. Asher, Michael : Writings 1973  ‒1983 on Works 1969   ‒1979. Written in collaboration with Benjamin H. D. Buchloh, hg. von Benjamin H. D. Buchloh, Halifax  /  Los Angeles 1983, sowie Peltomäki, Kirsi : Situation Aesthetics. The Work of Michael Asher, Cambridge (Mass.) /  London 2010. In Buchlohs »Editor’s Note« heißt es dementsprechend : »Asher’s work committed itself to the development of a practice of situation aesthetics that insisted on a critical refusal to provide an existing apparatus with legitimizing aesthetic information, while at the same time revealing, if not changing, the existing conditions of the apparatus.« Buchloh 1983, S. viii. Vgl. hierzu Foster, Hal : »Die Crux des Minimalismus [1986 ]«, in : Stemmrich 1995, S. 589  ‒  633. Darin heißt es : »Als eine Analyse der Wahrnehmung ist der Minimalismus auch eine Analyse der Wahrnehmungsbedingungen. Das führt logischerweise zu einer Kritik der Kunsträume ( z. B. Michael Asher ), der Ausstellungskonventionen ( z. B. Daniel Buren ), des Warencharakters ( z. B. Hans Haacke ) : Kurzum : es vollzieht sich ein Übergang von der Wahrnehmungskritik zur Institutionskritik.« Ebd., S. 618.

II. B euys  |  31

ebenfalls neue Materialien und Präsentationsweisen in die Kunst einführten. Parallelen finden diese Ansätze in der zeitgleich sich in Italien herausbildenden Arte Povera, die über ihren Gebrauch von weitgehend natürlichen Materialien und ihr politisches Bewusstsein zudem oft in Zusammenhang mit Beuys gesehen wird.9 Bezeichnenderweise wird für die Praxis der Künstlergruppe derzeit auch der heute nicht mehr geläufige Begriff der »situational art« verwendet. So gilt die Betonung des Situativen letztlich für alle hier skizzierten Bewegungen. Bei Donald Judd heißt es dementsprechend : »When you make a work of art, you are making space or further architecture … We have space in this room, but it is a weak, nondescript, neutral space.«10  Über das jeweils spezifische Display von Kunst wird dieser zunächst unbeschriebene Raum als Raum der Kunsterfahrung gestärkt und damit seiner Neutralität beraubt. Robert Morris beschreibt in einem erstmals 1968 in Artforum erschienenen Aufsatz, den er mit einem seiner Filzobjekte illustriert hat, diesen Prozess in Bezug auf die Anti-Form wie folgt : »Random piling, loose stacking, hanging, give passing form to the material. Chance is accepted and indeterminacy is implied since replacing will result in another configuration. Disengagement with preconceived enduring forms and orders for things is a positive assertion. It is part of the work’s refusal to continue aestheticizing form by form by dealing with it as a prescribed end.«11

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Bekannt wurde Beuys in Italien erst durch seine Arbeit auf der documenta 4 1968. Die hier gezeigte Raumplastik vereinte ihre Arbeit mit armen Materialien und ihr politisches Bewusstsein. Beuys direktes politisches Handeln, wie es sich in der Gründung der Studentenpartei widerspiegelt, war für die Italiener, die sich selbst von politischen Gruppierungen fern hielten, allerding weniger nachzuvollziehen als sein anthropologischer Kunstbegriff. Die Italiener wurden 1968 im Rahmen der Ausstellung Prospect 68 in der Kunsthalle Düsseldorf einem deutschen Publikum zugängig gemacht. Vgl. Bätzner, Nike : »Vorwort«, in : Dies. ( Hg.) : Arte povera : Manifeste, Statements, Kritiken, Basel / Dresden 1995, S. 9  ‒ 26, hier S. 16  ‒17. Zur Raumplastik vgl. auch S. 62  ‒ 69, Unterpunkt »Zur Verbindung von Ausstellen und plastischer Theorie« . O. V. : »Discussion with Donald Judd«, in : Ausst.-Kat. Donald Judd, Kunstverein St. Gallen, 1990, S. 50  ‒ 56, hier S. 55. Morris, Robert : »Anti-Form«, in : Artforum 6 /10 (1968 ), S. 33  ‒ 35, hier S. 35; wieder abgedruckt in : Ders. : Continuous Project Altered Daily, Cambridge ( Mass.) 1993, S. 41‒  49. Die hier formulierten Thesen stießen bei Künstlerkollegen auch auf Kritik. Allan Kaprow beklagte in seiner Antwort an diesen Text, das Morris mit seinen Arbeiten immer noch im rechteckigen Raum des Ateliers bzw. der Galerie verblieb und damit die sie einfassende Rahmung im metaphorischen wir wortwörtlichen Sinne beibehielt. Kaprow, Allan :

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Die im selben Jahr von ihm organisierte Ausstellung Nine at Leo Castelli sollte unter dem Schlagwort »Warehouse-Show« zu der programmatischen Anti-FormAusstellung werden und umfasste Arbeiten von heute nur noch zum Teil gut bekannten Figuren wie Rafael Ferrer, Stephen Kaltenbach, Bruce Nauman, Alan Saret, Richard Serra, Keith Sonnier und Gilberto Zorio sowie der bereits zu Lebzeiten in Bezug auf die sich derzeit formierenden Kunstrichtungen eine Sonderrolle einnehmende Künstlerin Eva Hesse. Letztere beginnt um 1967 als eine der ersten Arbeiten wie Schema (1967 ) oder wie die bei Castelli zusammen mit der an der Wand aufgehängten Arbeit Aught gezeigten Arbeit Augment (1968 ) direkt auf dem Boden ohne Sockel zu zeigen. Damit einher geht eine zunehmende Gewichtung der Anordnung einzelner skulpturaler Elemente im Raum. Arbeiten wie Tori (1969 ) wirken wie hingeworfen und zeigen durch ebendiese Anordnung gerade die unterschiedlichen Eigenschaften der Fiberglaselemente auf.12 Das, was auf den ersten Blick unintentional wirkt, untersteht zugleich klaren skulpturalen Intentionen. Anders als etwa Morris’ Felts, die ebenfalls 1967 entstehen und mit jedem Ausstellungskontext einer veränderten Präsentationsweise ausgesetzt waren, bleiben Hesses Objektakkumulationen auch mit wechselnden Präsentationskontexten stets in der einmalig fixierten Form.13 Wie die Anti-Form war auch die Arte Povera, wie Rattemeyer betont, »not just inconventional in its presentation but also the outgrowth of a new kind of art«.14 Germano Celant, über lange Zeit selbsterklärter Wortführer dieser Kunstrichtung, sieht den Künstler als Aufklärer, dessen Arbeit unter dem Motto einer permanenten Revolution stehen solle15 –  eine Rolle, die Beuys durch sein direktes politisches Engagement wie etwa die Gründung der Deutschen Studentenpartei 1967 offensichtlicher noch als seine italienischen Zeitgenossen verkörpert. Die wortwörtliche »Entgrenzung« des Kunstwerks, und das gilt gleichermaßen für die Arte Povera wie für Beuys, geht somit einher mit einem erweiterten Kunstbegriff, der die Umgestaltung der Gesellschaft mit einschloss.

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»The Shape of the Art Environment : How Anti Form Is ›Anti-Form‹«, in : Artforum 6 / 10 (1968 ), S. 32  f., wieder abgedruckt in : Ders. : Essays On the Blurring of Art and Life, Berkeley / Los Angeles  / London 1993, S. 90  ‒ 94. Dauer, Jörg : Eva Hesse. Zwischen Anti-Form und Materialästhetik. Neue Formen und Materialien der Kunst um 1970, Bonn 2007, S. 41. Vgl. ebd., S. 61. Rattemeyer, Christian : Exhibiting the New Art : »Op Losse Schroeven« and »When Attitudes Become Form« 1969, Köln 2010, S. 41. Vgl. Celant, Germano : »Arte povera. Anmerkungen zu einem Guerillakrieg [1967 ]«, in : Bätzner 1995, S. 34  ‒  42.

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Umbrüche im Ausstellungswesen Wie eingangs angedeutet, verändert sich zeitgleich mit und beeinflusst von den hier skizzierten künstlerischen Entwicklungen auch die kuratorische Praxis. Mit dem sich zu diesem Zeitpunkt herausbildenden Beruf des freischaffenden Kurators, für den Harald Szeemann die zentrale Figur verkörpert, entsteht die thematische Gruppenausstellung und damit ein Ausstellungstypus, der einem Konzept statt einer singulären künstlerischen Position und Künstlergruppierung folgt. Der damals favorisierte Begriff des Ausstellungsmachers gegenüber dem des Konservators oder Kurators macht deutlich, dass die archivarische Dimension Letzterer nun nicht mehr im Vordergrund steht, sondern vielmehr das Temporäre und Projekthafte von Ausstellungen in den Fokus rückt. Nach Szeemanns Verständnis verselbstständigt sich der Ausstellungsmacher vom Konservator, »indem er eindeutig gegen die Wissenschaft für die Künstler Partei ergriff«.16  Zusammen gezeigt werden die hier genannten künstlerischen Strömungen 1969 in den fast zeitgleich stattfindenden, von Wim Beeren kuratierten Ausstellungen Op Lasse Schroeven im Stedelijk Museum Amsterdam und der heute anders als damals wesentlich bekannteren Ausstellung Live in your head : When Attitudes Become Form : Works – Concepts – Processes – Situations – Information von Harald Szeemann in Bern.17  Geprägt vom revolutionären Geist der Zeit ist beiden Ausstellungsmachern daran gelegen, das, wie Szeemann es formuliert, »Dreieck von Atelier, Galerie und Museum«18 aufzubrechen. Institutionen sind für ihn, »gerade weil sie das Privileg der nicht unmittelbaren Zweckgebundenheit ihres Tuns haben, Instrumente, um die Besitzvorstellungen der Benützer zu verändern oder zumindest aufzuweichen«.19  Das Museum ist damit der Ort, »wo neue Zusammenhänge ausprobiert und Fragiles, da vom Einzelnen geschaffen, bewahrt und vermittelt werden kann«.20   Beide Kuratoren beziehen ihre Ausstellungsideen, wie das obige Szeemann-Zitat bereits andeutet, direkt aus der künstlerischen Praxis. Erstere ließ sich bezeichnenderweise von dem Turiner Ausstellungsraum Diposito D’Arte Presente (1967  ‒1969 ) inspirieren, der in einer

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Szeemann, Harald : »Oh Du fröhliches, oh Du seliges thematische Ausstellung«, in : Ders. : Museum der Obsessionen, Berlin 1981, S. 23  ‒ 30, hier S. 23. Die Ausstellung wurde vom 22.03. bis 27.04.1969 in Bern gezeigt und ging dann weiter an das Museum Haus Lange in Krefeld (10.05.  ‒15.06.1969 ) und das Institute of Contemporary Art, London (28.08  .‒  27.09.1969 ). Vgl. Szeemann, Harald : »Zur Ausstellung [1969 ]«, in : Ausst.-Kat. Live in Your Head. When Attitudes Become Form. Works – Concepts – Processes – Situations – Information, Kunsthalle Bern, 22.03. ‒ 27.04.1969, hg. von Harald Szeemann, Bern 1969, o. P. Szeemann, Harald : »Identity-Kit [1980 ]«, in : Szeemann 1981, S. 20. Ebd.

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vehementen Ablehnung des Galeriesystems eine Mischung aus Lager-, Atelier- und Ausstellungsraum bildet und – im Unterschied zur Galerie oder dem Museum – der Öffentlichkeit weitgehend vorenthalten bleibt.21 Das dieses Prinzip der Verbindung von Lagern und Präsentieren von Kunst derzeit in der Luft lag, wird auch mit Blick auf die Arbeiten von Franz Erhard Walther deutlich. Er nennt seine Ausstellungen beispielsweise Lager und Handlungsraum ( Beitrag zur Gruppenausstellung Spaces, Museum of Modern Art, New York, 30.12.1969  ‒ 01.03.1970 ) oder Demonstrations-Lagerraum wie im Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Sammlung Karl Ströher, 1971 – eben der Sammlung, in der Beuys kurz zuvor seinen Block Beuys eingerichtet hatte und bei dem diese beiden Aspekte ebenfalls virulent werden. Im Diposito D’Arte Presente zeigen und produzieren Künstler aus dem Umfeld der Arte Povera scheinbar ohne kuratorische Logik ihre Arbeiten. In seiner eigenen Ausstellung sieht Beeren sich anders als Szeemann jedoch zu einer musealen Aufteilung der künstlerischen Positionen gezwungen und verkörpert ein stärker historisch angelegtes Konzept. Den Ausschlag für Szeemanns Ausstellungskonzeption gibt ein Atelierbesuch im Juli 1968 bei dem niederländischen Künstler Jan Dibbets, der währenddessen seine Arbeiten Grass-table und Neon-table ( beide 1968 ) wässert. Im Gestischen dieser Arbeit sieht Szeemann ein repräsentatives Element zeitgenössischer künstlerischer Ansätze.22 Bezeichnend für das hier im Fokus stehende Verhältnis von künstlerischen und kuratorischen Praktiken ist, dass angeblich der aus dem Umfeld der Arte Povera stammende Künstler und Theoretiker Piero Gilardi Szeemann den Vorschlag einer großen, von Künstlern organisierten Ausstellung macht, den

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In dem deutschen Wort »Schaulager« schlägt diese Verbindung noch durch. Wim Beeren beschreibt seinen Eindruck dieses Raumes wie folgt : »As for the artists, Gilardi was so clearly against the gallery establishment, so I had the idea that all artists thought the same way. This was confirmed when I arrived in Turin, like a bureaucrat, really, with the museum floor plan offering each of them a room. They weren’t the least bit interested. They had their Deposito. That gaven them a way of both storing and exhibiting their work; it was a generously sized stockroom where the best works, works that are so well-known today, all stood next to each other.« Bart De Baere und Selma Klein Essink : »Op Losse Schroeven : An Interview with Wim Beeren«, in : Kunst & Museumsjournaal 6 / 6 (1995 ), S. 45. Gegenüber Edy de Wilde soll Szeemann ausgerufen haben : »I know what I’ll do, an exhibition that focused on behaviours and gestures like the one I just saw.« Obrist, Hans Ulrich : »Mind Over Matter : Hans Ulrich Obrist talks to Harald Szeemann«, in : Artforum 35  / 3 (1996 ), S. 111. Hier zitiert nach Rattemeyer 2010, S. 20.

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Abbildung 1: Live in Your Head : When Attitudes Become Form, Ausstellungsansicht, Kunsthalle Bern, 1969

dieser begeistert aufnimmt.23   Umgesetzt hat er diesen Vorschlag insofern, als dass er für die Berner Ausstellung Künstler dezidiert dazu einlädt, vor Ort und für die Ausstellung Arbeiten zu realisieren. Die strikte Trennung von Produktions- und Präsentationskontext wird dadurch aufgelöst und der Ausstellungsraum zum temporären Atelier. In der fertigen Ausstellung stehen und liegen die Arbeiten auf dem Boden oder sind an die Wände angelehnt, d. h. wirken auf den ersten Blick keineswegs als präsentiert im klassisch musealen Sinne [ Abb. 1 ]. Viel eher erscheinen sie einfach »abgelegt« oder »abgestellt« – Begriffe, die heute v. a. mit Beuys’ Präsentationsweise seiner Skulpturen in Verbindung gebracht und im Rahmen der folgenden Ausstellungsanalysen noch eine größere Rolle spielen werden. Damit ist, wie Szeemann es selbst formuliert, »[v]ieles von dem, was den Künstler auszeichnet, von der Autonomie des Werkes, der vermeintlichen Irrationalität seiner Assoziationen in der Rezeption bis zum Utopieanspruch in der Produktion und dadurch das gestörte Verhältnis zur Macht, […] auf den Kunsthallenleiter oder den Ausstellungsorganisator übergegangen«.24

Seine Ausstellung markiert, wenn auch unter großen Protesten der zeitgenössischen Kritik, damals wie rückblickend die Wende hin zu dem, was heute unter der Bezeichnung Post-Studio-Praxis läuft und für die Beuys neben den Genannten

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Ruhrberg, Bettina : Arte povera. Geschichte, Theorie und Werke einer künstlerischen Bewegung in Italien, Düsseldorf 1992, S. 65. Hervorhebung FMcG. Szeemann 1981, S. 23.

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einen zentralen Vorläufer darstellt.25  Der Kontext der Ausstellung, räumlich wie institutionell, sollte in der Folge eine immer stärkere Bedeutung gewinnen und in den 1990er Jahren schließlich in dem gipfeln, was heute als Kontext-Kunst verstanden wird. Für alle diese künstlerischen Praxisformen gilt, dass sie über ihre orts- bzw. situationsspezifische Realisierung stets aufs Neue eben das von Szeemann angesprochene Verhältnis von Atelier, Galerie und Museum bzw. die dahinter stehenden Interessen neu ausloten. Eine im konsequenten Sinne von Künstlern selbstverwaltete Ausstellung ist jedoch, wie das Zitat zeigt, auch When Attitudes Become Form nicht. Deals mit New Yorker Kunstsammlern und Sponsoren unterlaufen diesen Anspruch und lassen den »freien« Ausstellungsmacher zugleich als jemanden erscheinen, der für die Umsetzung seiner kuratorischen Ideen immer auch auf finanzielle wenn nicht auch ideelle Unterstützung angewiesen ist.26  Die ebenfalls 1969 von Jürgen Harten ins Leben gerufene Reihe der between-Ausstellungen in der Kunsthalle Düsseldorf setzt die Idee der künstlerischen Selbstverwaltung vergleichsweise konsequenter um. Bis 1973 insgesamt sieben Mal wird in den Aufbauphasen des regulären Ausstellungsprogramms der Kunsthalle hiermit ein Format zwischengeschoben, das Künstlern viel Gestaltungsfreiraum überlässt und dezidiert den »Randerscheinungen und Zwischenbereichen der Künste« 27 gewidmet ist. Die between-Ausstellun-

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Das heutige Verständnis des Begriffs des Post-Studio-Künstlers ist auf Carl Andre zurückzuführen. In einem Interview mit Phyllis Tuchmann erklärt er : »Mein Klischeebild von mit selbst ist, daß ich der erste Post-Studio-Künstler bin ( das stimmt wahrscheinlich nicht.) Aber meine Sachen entstehen aus der Begegnung mit der Welt. Für mich beginnen sie in der Welt, und die Welt ist voll von verschiedenen Arten von Raum, verschiedenen Raumgattungen; Räume in Galerien, Räume in privaten Wohnbereichen, Räume in Museen, öffentliche Innenräume und auch Außenräume verschiedenster Art.« Tuchman, Phyllis : »Ein Interview mit Carl Andre [1970 ]«, in : Stemmrich 1998, S. 141 ‒161, hier S. 141. »Ich hatte versucht, den Künstler die Selbstorganisation eines Ausstellungs- und Informationskreises außerhalb des Galeriesystems vorzuschlagen, ein wenig nach dem Modell des Untergrundkinos, aber mit enttäuschenden Ergebnissen.« Piero Gilardi im Gespräch mit Bettina Ruhrberg in Turin am 05.03.1986. Vgl. Ruhrberg 1992, S. 65, Fußnote 208. Die Umsetzung dieses Ansatzes in Bern scheiterte laut Gilardi an den Interessen des Sponsors Philip Morris und den von Szeemann mit dem New Yorker Galeristen Leo Castelli abgeschlossenen Vereinbarungen. Ebd. Jürgen Harten in seiner Pressemitteilung zur ersten between-Ausstellung, in Auszügen abgedruckt in : Ausst.-Kat. Um 1968 : konkrete Utopien in Kunst und Gesellschaft, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 27.05. ‒  08.07.1990, Ostfildern 1990, S. 179, hier zitiert nach

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gen sind anders als der von Szeemann verfolgte Ansatz selbst ein work in progress. Besucher können alle Phasen von Auf- und Abbau mitverfolgen, d. h. die Ausstellung wurde nicht als ein statischer Zustand, sondern als Vollzug eines Prozesses verstanden. Harten selbst nennt sie retrospektiv »institutionell anti-institutionelle […] Zwischenveranstaltungen«28.  Dabei verwendet er ungeachtet der konzeptuellen Differenzen sowohl in Bezug auf das Format dieser Ausstellungsreihe als auch für die Szeemann’sche Ausstellung den Begriff der »Nicht-Ausstellung«.29  Hieran wird deutlich, dass Ende der 1960er Jahre der Bedeutungszuwachs der Ausstellung als Experimentierfeld für Kuratoren wie Künstler einhergeht mit dem Bestreben der Überwindung der mit diesem Format verbundenen ( institutionellen ) Konventionen. Eine »Nicht-Ausstellung« lässt sich daher in Analogie zu der von George Maciunas Anfang der 1960er Jahre formulierten Non-Art als Affirmation und Negation zugleich verstehen.30  In ihr wird etwas gezeigt, aber ohne aktiven Zeigegestus, d. h. ohne, dass es herausgestellt, exponiert wird. Der Eintritt des Prozessualen und die Abkehr von klassischen Displayhilfen wie Sockel oder Vitrine geschehen zugunsten des den Betrachter direkt involvierenden Situativen. Die einladende Institution ist im Idealfall hierbei nur physischer Behälter, während die »NichtAusstellung« sich außerhalb dessen zu situieren versucht, was ich eingangs Dispositiv genannt habe. Es ist der Versuch, zu einer im Sinne Adornos autonomen Kunst zu gelangen, die fernab der Kulturindustrie und d. h. in diesem Fall fernab des

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Buschmann, Renate : Chronik einer Nicht-Ausstellung. between 1969   ‒ 73 in der Kunsthalle Düsseldorf, Berlin 2006, S. 16. Harten, Jürgen : »Die 70er Jahre in der Düsseldorfer Kunsthalle«, in : Ausst.-Kat. Brennpunkt 2. Die siebziger Jahre. Entwürfe. Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, hg. von Stephan von Wiese, Kunstmuseum Düsseldorf, 19.05. ‒  30.06.1991, Düsseldorf 1991, hier zitiert nach Buschmann 2006, S. 17. Vgl. ebd., Fußnote 6. Wie Buschmann herausstellt, war nicht »die Annullierung von Ausstellungen – in Form von Anti-Ausstellungen oder deren Rückzug in den Underground – […] beabsichtigt, sondern eine Nicht-Ausstellung, die den Ausstellungsbetrieb reformieren sollte. Ergänzt durch Konzerte, Diskussionen und Dokumentationen profitierten diese Nicht-Ausstellungen von der Protest- und Aufbruchstimmung der Jahre ab 1968, die Kunst und gesellschaftliches Engagement zusammenbringen wollte.« Ebd., S. 17. »By non-art«, so George Maciunas, »I mean anything not created by artist which intend to provide ›art‹ experience«. George Maciunas in einem Brief an George Brecht aus dem Winter 1962; Jean Brown Papers, Getty Research Library. Hier zitiert nach Kotz, Liz : »Post-Cagean Aesthetics and the Event Score«, in : Robinson, Julia ( Hg.) : John Cage (October Files ), Cambridge ( Mass.) 2011, S. 101 ‒140, hier S. 126.

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Galeriesystems und musealer Konventionen gezeigt werden kann.31  Wie der Fall Szeemann verdeutlicht, war die konsequente Realisierung eines solchen Modells von kuratorischer Seite nur bedingt erfolgreich. Während Figuren wie Szeemann und Beeren einerseits dazu beitragen, experimentellere künstlerische Ansätze zu zeigen, geht die Entwicklung zum freischaffenden Kurator bekanntermaßen zugleich einher mit einem aufkommenden kritischen Bewusstsein von Künstlern gegenüber der Machtverteilung innerhalb des Dispositivs der Ausstellung. Anders als beispielsweise Buren steht Beuys in freundschaftlichem Austausch mit Harald Szeemann, der bereits 1969 als erster eine Retrospektive mit ihm in der Kunsthalle Bern plant. Aufgrund der ihm wenig wohlgesonnenen Nachwirkungen seiner Ausstellung When Attitudes Become Form konnte er sie aber zu der Zeit nicht durchsetzen und erst posthum in Zürich realisieren.32  Beuys und Szeemann verband nicht nur das in diesem Fall durchaus auf Selbstdarstellung angelegte Konzept der »Individuellen Mythologie«, das Szeemann auch zum Leitmotiv seiner Aufsehen erregenden documenta 5 (1972 ) machen sollte. Sie weisen, wie die Ausstellung When Attitudes Become Form verdeutlicht und die weiteren Analysen zeigen werden, auch einige Parallelen in der Art und Weise des Ausstellens auf. Beuys, ein »Artist at large« Gerade angesichts der heute geführten hitzigen Debatten um die »richtige« Präsentation, Betitelung und Exegese von Joseph Beuys’ Arbeiten ergab sich bemerkenswerterweise in Bezug auf seinen Umgang mit dem Ausstellungsformat zu Lebzeiten von vornherein gerade keine Diskrepanz zwischen seiner Rolle als Künstler und seinem nach heutigen Begriffen kuratorischen Unterfangen. Galeristen und Ausstellungsmacher selbst großer Institutionen wie dem Guggenheim in New York überlassen ihm bei der Auswahl der gezeigten Arbeiten und ihrer Hängung in den jeweiligen Ausstellungen weitgehend freie Hand. »It is proper, therefore, to acknowledge«, schreibt beispielsweise der damalige Direktor des Guggenheims, Thomas M. Messer, im Vorwort des im Zusammenhang mit der Beuys-Retrospektive 1979 erschienenen Ausstellungskatalogs,

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Vgl. Adorno, Theodor W. : »Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug«, in : Ders.  /     Horkheimer, Max : Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 2008, S. 128  ‒176. Vgl. Szeemann, Harald : »Der lange Marsch zum Beuysnobiscum«, in : Ders. ( Hg.) : Beuysnobiscum, Dresden 1997, S. 9  ‒14.

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»in the first instance, Joseph Beuys’ predominant role not only as the author of works shown here but as the prime mover behind their orchestration in exhibition form. Beuys has conceived this exhibition not so much as an occasion for the presentation of individual objects but as an autonomous work of art that validates already existing objects in a new, live and stirring context.«33

Deutlich wird hieran, dass die heute selbstverständliche Debatte um Künstlerkuratoren erst über den bewussten, von Künstlern vollzogenen Rollenwechsel, wie ihn Marcel Broodthaers mit seinem Musée d’Art Moderne als erster vollzogen hat, zum Teil des kunsthistorischen und -kritischen Diskurses wurde. Broodthaers adaptiert für seine Ausstellungen dezidiert die Rolle des fiktiven Museumsdirektors, um durch dieses Rollenspiel museale Machtstrukturen aufzudecken und in seiner ironisch-humorvollen Art zu kritisieren.34   Beuys dagegen bedient sich ohne Umwege ausdrücklich als Künstler der vorhandenen Strukturen, um sie für die im Sinne seines von ihm entwickelten erweiterten Kunstbegriffs angemessene Präsentation seiner künstlerischen Arbeiten zu nutzen. Die hierin bereits angelegten Rezeptionsbedingungen sollen den gesellschaftlichen Wandel auch von den bestehenden Institutionen aus antreiben – allerdings ohne diese grundsätzlich in Frage zu stellen, wie es für Künstler der Zeit durchaus typisch ist.35

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Vorwort des Direktors Thomas M. Messer, in : Ausst.-Kat. Joseph Beuys, Salomon Guggenheim Museum, New York, 04.04. ‒  23.06.1979, London  /  New York 1979, S. 6. Hier zitiert nach Elsen, Beate : Studien zu den Installationen von Joseph Beuys. Ein Beitrag zur Gegenstandssicherung, Bonn 1992, S. 13, Fußnote 14. Vgl. auch Riegel 2013, S. 467, und das dort erwähnte Zitat von Carolin Tisdall : »Die Art und Weise, wie Messer die Idee aufnahm, war sehr offen, ungewöhnlich offen für ein Museum, eine wirkliche ›carte blanche‹ für Beuys, seine eigene Ausstellung einzurichten, seine eigenen Arbeiten auszusuchen, so wie es ihn zufrieden stellte.« Rosalind E. Krauss spricht diesbezüglich etwa von einem »institutional détournement«. Vgl. Krauss, Rosalind E. : A Voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-MediumCondition, London 1999, S. 33. Diese Diskrepanz zwischen den beiden Ansätzen wird besonders deutlich anhand eines offenen Briefes vom 3. Oktober 1972, den Broodthaers anlässlich einer Gruppenausstellung im Guggenheim publizierte, an der beide Künstler beteiligt waren. Hierin wies er Beuys auf die unüberwindbare Verknüpfung von Kunstproduktion und ihres institutionellen Rahmens hin. Grund für den späteren Rückzug seiner Arbeiten war die Absage der ersten Museumsausstellung von Hans Haacke ein Jahr zuvor, nachdem jener sich weigerte, auf Wunsch des Guggenheim einzelne Arbeiten aus der Ausstellung zurückzuziehen. Vgl. Germer, Stefan : »Beuys, Haacke, Broodthaers [1988]«, in : Bernard, Julia ( Hg.) : Germerianan. Unveröffentlichte oder letzte Schriften von Stefan Germer zur zeitgenössischen und

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Angesichtes der zum Teil sehr hohen Materialkosten für die Realisierung seiner Arbeiten ist Beuys auf Geldgeber angewiesen und lehnt den Markt ebenso wenig wie das Museum prinzipiell ab, schließt jedoch mit keiner seiner Galerien einen Exklusivertrag ab.36  Seine These in Bezug auf Kunstinstitutionen, so Klaus Staeck, war immer : »Da regnet es nicht rein. Die sind für Ausstellungen gemacht. Man muss bloß etwas anderes in diesen Kunsthallen machen, sie anders nutzen.« 37   Die oft betonte Radikalität seines künstlerischen Ansatzes ist daher besonders in dieser Hinsicht etwas differenzierter zu sehen. Den Ausstellungsdisplays von Beuys ist zwar zweifelsohne ein künstlerischer Wert zuzuschreiben, sie jedoch als autonome Kunstwerke zu definieren, wie Messer es tut, ist irreführend. Vielmehr liegt ihnen ein genau entgegengesetzter Impuls zugrunde. Problematisch ist insofern weniger der Begriff der Autonomie – denn autonom sind seine Displays im Sinne Adornos durchaus – als vielmehr der Begriff des »Kunstwerks«, der eine Statik impliziert, die ihnen nicht gerecht wird. Auch wenn der Begriff des Displays in Bezug auf Beuys’ künstlerische Verfahren zunächst etwas befremdlich erscheinen mag, soll er als ein struktureller Begriff gerade dazu dienen, eine neue Perspektive auf sein Œuvre zu eröffnen und hierüber Aspekte seiner selbst konzipierten Ausstellungen und raumgreifenden Arbeiten herauszuarbeiten, die bisher wenig Aufmerksamkeit erfuhren. Verfahren des Zeigens und Präsentierens von Kunst, wie sie hier unter dem Begriff des Displays gefasst werden, bilden, so die leitende These, ein konstitutives Element von Beuys’ umfassendem »plastischem Prinzip«. Bezeichnenderweise werden in Bezug auf Beuys’ raumgreifende Arbeiten die sie charakterisierenden Gattungsbegriffe in der Literatur wie vom Künstler selbst uneinheitlich verwendet, sodass sich hieran die Differenzen von Environment, Installation und den eine Gattungszugehörigkeit weitgehend nivellierenden Displays besonders gut aufzeigen lassen. Armin Zweite etwa verwendet den Terminus »raumbezogene Arbeiten« und spricht dann davon, »dass seine Ausstellungen mit

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modernen Kunst (= Jahresring 46, Jahrbuch für moderne Kunst), Köln 1999, S. 22  ‒ 37, sowie Zwirner, Dorothea : »Beuys und Broodthaers. Dialektik der Moderne zwischen ›Analytischer Geometrie und dem Glauben an einen unglaublichen Gott‹«, in : Borgemeister, Rainer  /  Neue Nationalgalerie Berlin ( Hg.) : Vorträge zum filmischen Werk von Marcel Broodthaers, Köln 2001, S. 93  ‒127, hier S. 101 ff. Beuys versuchte immer einer Doppelstrategie zu folgen, d. h. zugleich Preiswertes neben den teuer verkauften Kunstwerken zu produzieren. Auch mit der Fülle seiner Arbeiten versuchte er, den Markt zu unterlaufen – auch wenn sich dieser Glaube später als Irrtum herausstellen sollte. Vgl. Holtmann, Heinz: »Klaus Staeck im Gespräch mit Heinz Holtmann am 20.01.2009«, in: Sedimente 16 ( 2009 ), S. 61 ‒79, hier S. 73. Ebd., S. 72.

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Zeichnungen, Multiples, Vitrinen, Objekten usw. – richtete Beuys sie selbst ein – nahezu immer den Charakter von Installationen und Environments annahmen«, um etwas später zu betonen, dass es »manchmal schwer zu entscheiden [ falle ], was als Environment, als Installation oder auch als großes Objekt zu gelten habe«.38 Für Theodora Vischer zählen zum »Typus der Rauminstallationen nicht nur umfassend raumbezogene und raumabhängige Werke wie ›Vor dem Aufbruch aus Lager 1‹ oder ›hinter dem Knochen wird gezählt – SCHMERZRAUM‹, sondern auch Werke wie ›FOND III‹ oder ›Unschlitt    /    Tallow‹, deren Ausmaße zwar Raum beanspruchen, die sich aber in ihrer Konstellation zuerst auf sich selbst und in zweiter Linie auf den Raum beziehen«.39

Beate Elsen dagegen definiert Installationen bei Beuys als »eigenständige Werkgruppe«, die, »Verbindungen verschiedener, oftmals bereits aus anderen Kontexten bekannter, aber auch erstmalig auftretender Objekte [sind ], die in einer konkreten Raumsituation zu einem neuen, ortsbezogenen, heterogenen Ganzen verdichtet werden«.40 Sie grenzt ihren Installationsbegriff vom Environment mit dem Argument ab, dass eine Installation im Gegensatz zu Letzterem nicht dieselbe bleibe, wenn sie »von einem Ort ab- und an einem anderen wieder aufgebaut wird«.41 Bei Beuys selbst sind in den verschiedenen Werkphasen unterschiedliche Begriffe zu finden. So spricht er beispielsweise im Rahmen seiner Ausstellung im New Yorker Guggenheim Museum 1979 in Bezug auf seine raumbezogenen Arbeiten dezidiert von Installationen, während etwa seine später unter dem Titel Feuerstätte bekannt gewordene Arbeit 1975 bei einer Ausstellung in der Ronald Feldman Fine Arts in New York noch unter der Bezeichnung environment, basel 1974 lief.42 Zu sehen ist dieses begriffliche Dilemma vor dem Hintergrund der seit den späten 1950er Jahren stärkeren situativen Anordnung der Objekte im Raum, wie eingangs skizziert wurde. Allan Kaprow nutzte den Begriff des Environments erstmals 1958,

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Zweite 1988, S. 69. Vischer, Theodora : Joseph Beuys. Die Einheit des Werkes. Zeichnungen Aktionen Plastische Arbeiten Soziale Skulptur, Köln 1991, S. 186. Elsen 1992, S. 34. Ebd. Vgl. Abb. mit entsprechenden Bildunterschriften im Ausst.-Kat. Beuys. Die Revolution sind wir, anlässlich der gleichnamigen Ausstellung der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, im Rahmen der Ausstellungsreihe »Kult des Künstlers«, 03.10.2008  ‒ 25.01.2009, hg. von Eugen Blume und Catherine Nichols, Göttingen 2008, S. 209.

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um raumgreifende Multimedia-Arbeiten zu charakterisieren. Erst in den 1970er Jahren und damit parallel zu den genannten Arbeiten von Beuys entwickelt sich hieraus das, was heute weitläufig unter »Installation Art« gefasst wird.43    Wie bereits in der Einleitung zu diesem Buch angedeutet, ist es Julie H. Reiss zufolge jedoch kein direkter Shift von Environment zur Installation Art, sondern vielmehr von der Ausstellung hin zur Installation.44  Sie zitiert Daniel Buren aus seinem Essay »The Function of the Studio« von 1971: »Hasn’t the term installation come to replace exhibition  ?« 45   Beide Begriffe werden in der Folge synonym für Arbeiten verwendet, die in situ oder on site, d. h. vor Ort und nicht im Atelier, produziert werden. Doch selbst wenn etwa das von Elsen geschilderte Ab- und an anderem Ort wieder Aufbauen ein markantes Merkmal der Beuys’schen Displays ist, reicht der Installationsbegriff nicht für die zu beschreibenden strukturellen Phänomene aus. Vielmehr verhindert eine zu klare Trennung durch gattungsspezifische Begriffe den Blick auf die Parallelen der dahinter liegenden künstlerischen Strategien und Charakteristika. So weisen etwa bereits die bühnenartigen Räume von Beuys seit 1963 im Kontext der ihm durchaus kritisch gegenüberstehenden Fluxus-Bewegung durchgeführten Aktionen in der Art der Objektanordnungen Parallelen zu seinen späteren Ausstellungen auf. 46 Nur durch die Präsenz und Handlungen des Künstlers wurden seine Aktionsräume belebt und die einzelnen requisitenartigen Objekte in einen übergeordneten Handlungszusammenhang gebracht. Nach den in ihnen stattfindenden Aktionen hatten diese Räume »den Stellenwert von Requisitenkammern, Arsenalen oder ›Schlachtfeldern‹, […] in denen nur noch die ›Werkzeuge‹ und Relikte der Aktionen zu sehen waren«.47  Die Objekte werden auf sich selbst zurückgeworfen, verweisen aber zugleich durch ihre räumliche Anordnung und das Wissen um die Aktion auf das vorangegangene Geschehen. Ein Großteil dieser »Werkzeuge«, wie sie Beuys selbst nennt,48 integriert er in spätere Arbeiten oder Vitrinen – manchmal auch als Multiple ‒, wodurch sie in ihrem ästhetischen Eigenwert und ihrer Bedeutung innerhalb des Beuys’schen Œuvres hervorgehoben werden.

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Reiss 1999, S. xi. Beuys traf Kaprow 1963, vgl. Vischer 1991, S. 160. Vgl. Einleitung, S. 12. Fallen Reiss zufolge alle Environments unter den Begriff Installation, so ist dies umgekehrt nicht der Fall. Reiss 1999, S. xi. Vgl. Vischer 1991, S. 186  f. Zu Joseph Beuys’ von Spannungen geprägtem Verhältnis zur Fluxus-Bewegung vgl. z. B. Riegel 2013, S. 169  ‒180. Elsen 1992, S. 30. In einem am 18. Mai 1970 in Düsseldorf geführten Interview mit Helmut Rywelski spricht Beuys sogar von »vehicle art«, Rywelski, Helmut : Joseph Beuys (= art intermedia, Buch 3 ), Köln 1970, o. P.

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Gerade die teilweise in unlimitierter Auflage erschienenen Multiples stehen in enger Verbindung zur begrifflichen Ebene von Beuys’ Kunstverständnis.49  Sie dienen ihm dazu, seine Ideen gezielt weit und damit auch außerhalb institutioneller Räume zu streuen und werden ähnlich wie seine Vitrinen einzeln in Publikationen aufgeführt und besprochen. Als »physisches Vehikel«, wie Beuys sie bezeichnet,50 sind auch sie gekennzeichnet von einem hauptsächlich funktionalem und damit über sich selbst hinausweisenden Charakter. Beuys’ Objekte und seine gesellschaftspolitischen Ideen sind daher nicht voneinander zu trennen, sondern direkt aufeinander bezogen. »Was in meiner politischen Arbeit geschieht«, äußert er sich Rywelski gegenüber, »hat dadurch, daß ein solches Produkt vorliegt, bei den Menschen eine andere Wirkung, als wenn es nur mittels geschriebener Worte ankäme«.51 Verweisen diese »Produkte« zwar oftmals auf konkrete künstlerische Arbeiten oder Aktionen, so dienen sie ihm zugleich davon losgelöst der komprimierten Veranschaulichung seines begrifflich-theoretischen Kunstbegriffs. Geht es ihm bei den Multiples – dem Kunstprodukt mit demokratischem Anspruch – vorrangig um ihre singuläre Verbreitung, integriert er über die werkimmanente Verschiebung einzelner ( Aktions-) Objekte und ihr erneutes Zur-Schau-Stellen in anderen Kontexten ihre Bewahrung und Archivierung zugleich in seinem künstlerischen Werk. Im Rückblick erscheint durch diese strukturelle Verbindung einzelner künstlerischer Präsentationszusammenhänge alles von gleichem ideellem Wert – unabhängig von seinem tatsächlichen materiellen Wert oder jeweiligem Marktwert. Form und Inhalt sind bei Beuys folglich stets miteinander verschränkt zu sehen. Er tritt auf als ein Artist at large, der nicht nur die Präsentation, sondern damit einhergehend auch die Archivierung und Rezeptionsbedingungen seines Œuvres maßgeblich mitbestimmt.52  Dies ist in engem Zusammenhang zu sehen mit Beuys’ künstlerischem Selbstverständnis zugrunde liegendem Bildungsanspruch, der auf den Wandel des »sozialen Organismus« ausgerichtet ist. In diesem Sinne dienen Beuys neben seinen auf den öffentlichen Dialog ausgerichteten Aktionen wie sein 100 Tage bestehendes Büro für direkte Demokratie auf der documenta 5 auch der Ausstellungsraum und die damit einhergehenden Konventionen dazu, diesen Wandel voranzutreiben. Am Ausstellen selbst und dem »kommerziellen Apparat« sei er zunächst nicht interessiert gewesen.53 Erst relativ

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Vgl. u. a. Stemmler 1977, S. 8  f. Vischer 1991, S. 47, Fußnote 48. Beuys, in : Rywelski 1970, o. P. Hier als Äquivalent zu Thierry de Duves Begriff der »Art at Large« gemeint. Vgl. hierzu de Duve, Thierry : Kant after Duchamp, Cambridge ( Mass.) 1996. Vgl. Bodemann-Ritter, Clara ( Hg.) : Joseph Beuys. Jeder Mensch ein Künstler. Gespräche auf

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spät, mit gut vierzig Jahren, wird er von Galerien ( allen voran der Düsseldorfer Galerie Schmela ) mit entsprechenden Ausstellungen vertreten und ist ab Mitte der 1960er Jahre zunehmend auch in verschiedenen institutionellen Kunstkontexten präsent. Dass Beuys’ institutionelle Präsenz erst vergleichsweise spät einsetzt, ist jedoch weniger seinem kritischen Verhältnis gegenüber dem »Apparat« zu verdanken. Vielmehr war seine Kunst bis dato wenig markttauglich.54 Beuys bricht, und das werden die folgenden Beispiele zeigen, mit seinem künstlerischen Ansatz im Gegenzug zu seinen als institutionskritisch bekannt gewordenen Kollegen wie Broodthaers, Buren und Asher das Dreieck von Atelier, Galerie und Museum nicht auf, sondern bedient sich vielmehr der gebotenen Strukturen, um seine Ideen zu streuen und dadurch seinen Einflussbereich zu vergrößern.55   Bevor Beuys’ Ausstellungen im Detail Thema werden, sei daher zunächst der Fokus auf seine Vitrinen gerichtet, an denen sich bereits im Kleinen maßgebliche Aspekte von Beuys’ Displayverfahren ablesen lassen.56 Zeigen und Bewahren In Beuys’ Vitrinen fallen die für sein gesamtes Œuvre leitmotivischen Prinzipien des Zeigens und Bewahrens auf pointierte Weise zusammen. Durch den Rückgriff auf dieses sehr konventionelle und vorrangig in musealen Kontexten eingesetzte Displayhilfsmittel schafft er sich selbstbestimmte und damit zwar in ihren spezifischen Arrangements auf den jeweiligen Ausstellungskontext reagierende und

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der documenta 5 /1972, Frankfurt am Main  /   Berlin 1997, S. 95. Vgl. Riegel 2013, S. 160   ff. Im Unterschied zu Broodthaers bestand Beuys nicht nur auf ein Handeln innerhalb des Kunstfeldes, sondern auch auf ein mit seiner künstlerischen Praxis verknüpftes Handeln jenseits dessen. Besonders evident wird dies an politischen Einrichtungen wie der Gründung der Freien Internationalen Universität oder an seinem Engagement für die Partei der Grünen. Zum Verhältnis von Kunst und Politik bei Broodthaers und Beuys vgl. Buchloh, Benjamin H. D. : »Beuys : The Twilight of the Idol. Preliminary notes for a Critique«, in : Artforum 18 /6 (1980 ), S. 35  ‒  43 ( wiederabgedruckt in : Ders. : Neo-Avantgarde and Culture Industry. Essays on European and American Art From 1955 to 1975, Cambridge (Mass.) /  London 2003, S. 41 ‒ 64 ). Claudia Mesch geht so weit, das auf einer Sonderbriefmarke abgedruckte Bild der Lagerplatz-Vitrinen (1962  ‒1966 ) als repräsentativ für Beuys gesamtes Œuvre zu lesen. Mesch, Claudia : »Sculpture in the fog : Beuys’s vitrines«, in : Welchman, John C. ( Hg.) : Sculpture and the Vitrine, Burlington   /  Surrey 2013, S. 121 ‒141, hier S. 121.

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doch zugleich von ihm unabhängige Präsentationsformen seiner Arbeiten. Zahlreiche Fotografien zeugen heute davon, wie er die zunächst einzeln verpackten Materialien und Objekte in den Vitrinen zueinander anordnete, und damit auch davon, welche Bedeutung er diesem Prozess zumaß. Doch vermeidet Beuys den Begriff  »Vitrine« zunächst. Für ihn sind es einfach »Kisten«.57    Die ersten von ihnen entstanden 1967 im Rahmen seiner Ausstellungen in der Kölner Galerie ars intermedia von Helmut Rywelski. Sie sind – anders als manche späteren Vitrinen – nur von einer Seite einsehbar, also wie beim Schaufenster frontal von vorne. Beuys lässt diese frühen »Kisten« bezeichnenderweise von einem Kölner Sargbauer nach seinen Vorgaben fertigen, überlässt diesem jedoch ein Mitspracherecht bei den handwerklichen Entscheidungen. Später bedient er sich auch bereits vorhandener Vitrinen aus musealen, aber auch naturkundlich-technischen Kontexten. Äußerungen des Galeristen zufolge war Beuys’ Interesse an der ersten Vitrine »überhaupt nicht – sozusagen aus dem Kleinzeug, das in seinem Atelier rumstand ‒, etwas Größeres zu machen, sondern er wollte verschiedene kleine Objekte zu einer bestimmten Sicht ordnen […]. […] Jedes Stück steht allein, arm und einsam und ergibt mit den anderen zusammen ein geschlossenes, beziehungsreiches Bild : Das zu erreichen, war sein Ziel.« 58

Sie markieren somit auch keinen Bruch innerhalb seines Œuvres, sondern entstehen vergleichbar mit den Editionen eher beiläufig. Mit wachsendem Bekanntheitsgrad muss Beuys – Rywelski zufolge durchaus unwillig – akzeptieren, dass seine »Arbeiten in Museen nicht mehr einfach so ausgestellt, ja, hingestellt werden konnten, wie sie aus dem Atelier kamen«.59  So tragen auch die Handgreiflichkeiten von Seiten des Publikums dazu bei, dass Glaskästen und Plexiglashauben bei der musealen Präsentation seiner Arbeiten unvermeidlich werden. Er kann seine Arbeiten folglich nicht mehr ungeschützt ausstellen und übernimmt den Schutz seiner Objekte daher selbst. Aufbewahren und Präsentieren fallen damit in eins. In den Vitrinen jedoch spielt die zuvor nicht vorrangig relevant erscheinende Schutzfunktion von vornherein auch aus künstlerischer Perspektive eine größere Rolle. Mit den Vitrinen erreicht Beuys

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Interessanterweise nannte er aber eins seiner Schaubilder Vitrine (1951 ‒1963 ). Es präsentierte einen Überblick über die gesamte Bandbreite der damaligen Beuys’schen Produktion : Malerei in Braunkreuz, Zeichnung, Partitur, bearbeitete und unbearbeitete Fundstücke, plastische Arbeiten. Rywelski, Helmut : Da mach ich jetzt eine Kiste drum. Die ersten Vitrinen von Joseph Beuys, Köln 2006, S. 13. Ebd., S. 14.

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Abbildung 2 : Joseph Beuys, Vitrine »Doppelobjekte«, 1974  / 1979, Anthony d’ Offay Gallery, London, undatiert (um 1980 )

neben der hierin implizierten Aufwertung v. a. auch eine von ihm festgelegte und – zu Rywelskis Verwunderung 60 – zumindest zum Teil auch endgültige Ordnung der nun dezidiert als ästhetische Objekte präsentierten, überwiegend aus betont armen und auf den ersten Blick oftmals durchaus abstoßenden Materialien bestehenden Dinge.61  Zwar gibt es Variationen in der Vitrinengestaltung, doch finden sich in der Art ihrer unbeschrifteten Bestückung Konstanten. Scheinbar ohne erkennbare Regeln oder historische Zusammenhänge setzt Beuys die Vitrineninhalte überwiegend aus seinen in Sammlungen bereits vorhandenen Objekten zusammen, die von ihm häufig noch mit Objekten aus seinen eigenen Beständen ergänzt und im Sinne von etwas Überwundenem, Vergangenem hier nun »abgelegt« werden.62  Dieses Ablegen unterliegt jedoch zugleich kompositorischen Kriterien. Die Vitrinen wirken keineswegs chaotisch, sondern erzeugen ein visuelles Gleichgewicht und lassen den einzelnen Objekten dabei häufig trotz ihres Zusammenspiels viel Freiraum, sodass jedes sowohl im Zusammenhang als auch als ( wiedererkennbares ) Einzelobjekt zur Wirkung kam. Auch arbeitet Beuys mit Symmetrien wie besonders die Vitrine mit Doppelobjekten (1974  ‒1979 ) zeigt

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»Ich konnte mir zunächst nicht vorstellen,« so Rywelski , »daß die kleinen Objekte endgültig befestigt und angeordnet in der Kiste bleiben sollte. Daß Beuys selber sie sozusagen für alle Ewigkeit dort befestigen wollte und würde, hatte ich während des Planungs- und Herstellungsprozesses nicht ausreichend berücksichtigt; das verstand ich erst, als wir später nochmals darüber sprachen, und Beuys es nicht an der notwendigen Klarstellung seiner Absichten fehlen ließ.« Rywelski 2006, S. 15  f. Ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 133.

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[ Abb. 2 ].63  Die Vitrinen sind insofern jeweils für einen spezifischen Ausstellungskontext angelegt und weisen in dieser Hinsicht eine direkte Parallele zu seinem Umgang mit raumbezogenen Arbeiten auf. Zugriffe auf die einzelnen Objekte durch Händler, Kuratoren oder Sammler werden so zudem gezielt verhindert und ihr jeweiliger Sinnzusammenhang wie ihre Wahrnehmungsbedingungen gewahrt.64 Sie bieten im kompakten, gut transportier- bzw. versendbaren Format eben die »Demonstrationsobjekte«, die, wie Christian Spies herausstellt, für einen größeren Zusammenhang stehen.65  Dass sich Beuys neben den für ihn angefertigten Vitrinen auch bereits bestehender Vitrinen aus dem naturkundlich-technischen Bereich bedient, bestätigt dies.66  Ihr funktionaler Charakter geht daher wie schon bei den einzelnen Aktionsobjekten immer mit dem ästhetischen einher. Das, was in ihnen gezeigt wird, wird folglich immer auch als Kunst gezeigt. Hierin unterscheidet sich Beuys’ Ansatz nicht zuletzt maßgeblich von Marcel Broodthaers’ etwa zeitgleich beginnendem Einsatz von Vitrinen in seinen Ausstellungen, ungeachtet der Tatsache, dass beide Künstler auf die Folgegenerationen einschließlich Figuren wie Kippenberger, Rosemarie Trockel oder Mark Dion einen großen Einfluss hatten. Der kritische Gehalt, mit dem von Künstlern in ihren Arbeiten eingesetzte Vitrinen heutzutage verstärkt rezipiert und mit der Infragestellung bestimmter musealer Präsentationsnormen verbunden werden, ist jedoch in der Tat v. a. auf Broodthaers zurückzuführen.67  Unterzieht dieser mit seinen Vitrinen in Ausstellungen wie Der Adler vom Oligozän bis heute in Düsseldorf 1972 oder seiner Reihe von Retrospektiven von 1974 bis 1976 durch die Aneignung musealer Präsentationsformen tatsächlich besonders den Aspekt der Musealisierung ironisch seiner Kritik, greift Beuys vielmehr die naturwissenschaftliche Tradition der Vitrinen auf. Stellt Broodthaers als »fiktiver Museumsdirektor«

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Vgl. hierzu etwa die im Gesamtverzeichnis als Nr. 30 geführte Vitrine (1974  ‒1979 ), Theewen, Gerhard : Joseph Beuys : Die Vitrinen. Ein Verzeichnis, Köln 1993, S. 82. In dieser Unterwanderung und der Verbreitung von Beuys’ »Botschaft« in die ganze Welt sieht Rywelski den »anarchistischen« Ansatz des Künstlers. Rywelski 2006, S. 14. Das »Anarchistische« eben dieses Ansatzes bleibt jedoch aufgrund des letztendlich durchaus strategischen Einsatzes sehr fragwürdig. Spies, Christian: »Vor Augen Stellen. Vitrinen und Schaufenster bei Edgar Degas, Eugène Atget, Damian Hirst und Louise Lawler«, in: Boehm, Gottfried  /  Egenhofer, Sebastian /   Spies, Christian: Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, München 2010, S. 261-288, hier S. 266. So z. B. Vitrine 7, 8 und 9 in Theewen 1993, S. 40  ‒  46. Vgl. Graw, Isabelle : »Glasstürze. Kunst in der Vitrine«, in : Artis 42 (1990 ), S. 52  ‒ 55. Zum Verhältnis Beuys-Broodthaers vgl. u. a. Germer 1988 sowie Zwirner 2001.

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Abbildung 3 : Joseph Beuys nach dem Aufbau von Barraque D’Dull Odde Arbeitsplatz eines Wissenschaftlers / Künstlers (1961 –1967 ) im Kaiser Willhelm Museum, Krefeld, 08. Februar 1977

überwiegend Leihgaben aus, nutzt Beuys die Vitrine zu Präsentations- und nicht zuletzt Repräsentationszwecken bezogen auf sein eigenes Œuvre.68  Die erst posthum von Theewen vorgenommene Datierung der Vitrinen nach den Zeitspannen, die die in ihnen ausgestellten Objekte abdecken, verdeutlicht ihren retrospektiven Charakter. Sie bilden eine Art »Zeitkapsel«, in der etwa durch die Bewahrung von Aktionsobjekten auf einen in der Vergangenheit liegenden Abschnitt innerhalb des Œuvres von Beuys verwiesen wird. Da gerade die hierin eingesetzten Multiples bereits Demonstrationscharakter haben, kommt es so zu einer Verdopplung der verschiedenen Ebenen des Sich-Zeigens und Gezeigt-Werdens. Die Vitrine selbst wird zur »Demonstration«.69 Das Museum als Arbeitsstätte und Speicher Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Präsentationsmodi dienen Beuys neben den Vitrinen v. a. seine Regalarbeiten der selbstbestimmten Archivierung seiner eigenen künstlerischen Produktion und greifen dadurch wiederum eine der Grundaufgaben des Museums auf. Sie lassen zumindest zum Teil eine Affinität zu Kabinettschränken erkennen und erinnern damit ebenfalls an eine tradierte Form der Sammlungspräsentation.70  Im Unterschied zu den gut transportablen Vitrinen mit

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Vgl. Graw 1990, S. 53, und Zwirner 2007, S. 77. Diese spiegelt sich beispielsweise in Titeln wie Auschwitz-Demonstration wieder. Vgl. Theewen 1993, S. 11.

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einer fixierten Objektauswahl sind die Regalarbeiten jedoch offen angelegt und gestatten einen fortwährenden Zugriff von Seiten des Künstlers wie – und das soll sich als durchaus problematisch herausstellen – des Publikums. Dies erlaubte Beuys nicht nur, eine andere Idee von Kunstrezeption in den musealen Raum einzuführen, sondern auch seinen Kunstbegriff gegenüber der Öffentlichkeit zu verteidigen und zum Teil explizit Stellung zu beziehen zu der zu dieser Zeit an ihm geübten Kritik als Künstler und Lehrenden. Die erste erwähnenswerte Arbeit in dieser Hinsicht ist Barraque D’Dull Odde Arbeitsplatz eines Wissenschaftlers / Künstlers (1961 ‒1967 ) [ Abb. 3 ], die Beuys 1977 im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum noch selbst aufbaute. Sie besteht aus einem sich vormals in seinem Atelier am Drakeplatz in Düsseldorf befindlichen Doppelregal einschließlich seiner unzähligen in ihm untergebrachten Gegenstände und Apparaturen aus der Hochphase seiner Fluxus-Aktivitäten von 1962 bis 1967. Neben unbearbeiteten Materialen befinden sich in dem Regal dicht gedrängt Messinstrumente, Filzobjekte, Lebensmittel und Zeichnungen. Ergänzt um zwei Videomonitore, einen mit weiteren Arbeitsinstrumenten bestückten Schreibtisch und einen Stuhl evoziert sie den Eindruck eines gerade eben verlassenen wissenschaftlichen Labors. Ein am Schreibtisch befestigtes, ständig brennendes rotes Licht verstärkt diesen Eindruck. Beuys selbst hatte ein vergleichbares »ewiges Licht« in seinem Düsseldorfer Atelier. Werden hier einerseits zunächst nicht als ästhetisch ausgewiesene Gebrauchsgegenstände im Sinne von Readymades im musealen Kontext zu ästhetisch erfahrbaren Objekten, wird andererseits ein Wandel des Ausstellungsraums in einen Arbeitsraum suggeriert, der über die Gegenstände Beuys eindeutig zugeordnet werden kann. Folglich wird der museale Raum nicht als Ort der kontemplativen Erfahrung definiert, sondern vielmehr seine Bedeutung als Bildungsstätte und Ort der Wissensproduktion hervorgekehrt, die Beuys der Vermittlung seines eigenen Bildungsauftrags dient. Zum Zeitpunkt seiner ersten Ausstellung in der Düsseldorfer Galerie Schmela 1971 musste dieser Gestus zudem als gezielte Reaktion auf seine derzeitigen Konflikte mit der Akademie erscheinen, die 1972 zu seiner Entlassung führt.71

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Ausst.-Kat. Deep Storage : Arsenale der Erinnerung. Sammeln, Speichern, Archivieren in der Kunst, Haus der Kunst, München, 03.08.‒12.10.1997, Nationalgalerie SMPK, Sonderausstellungshalle am Kulturforum, Berlin, Dezember 1997 ‒ Januar 1998, Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof, Februar 1998, Henry Art Gallery, Seattle, Herbst 1998, hg. von Ingrid Schaffner, München 1997, S. 70 f. Zu Beuys’ Entlassung vgl. auch Riegel 2013, S. 376   ‒ 385.

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Abbildung 4 : Joseph Beuys, Wirtschaftswerte, 1980, museum of contemporary art, Gent

Ein ähnliches, wenn auch weniger situativ angelegtes Verfahren verfolgt Beuys bei dem sich heute im Block Beuys befindlichen zehntürigen Wandschrank Szene aus der Hirschjagd (1961). Deutlicher noch als bei Barraque D’Dull Odde lässt sich in dieser Arbeit ein archivalisches Prinzip erkennen, das auch in seinen späteren Ausstellungen zentral werden wird. Neben zahlreichen sich scheinbar jeglicher Klassifikation entziehenden kleineren Gegenständen aus dem Fluxus-Kontext füllt er die überquellenden Fächer auch mit Multiples wie Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot (1966 ) oder zusammengebundenen Zeitungspapierstapeln ( Szene aus der Hirschjagd [1961] ). Letztere bilden für sich genommen eine eigene »Erinnerungsbatterie«. So fungieren auch diese Arbeiten als komprimierte Akkumulationen von Objekten bestimmter Zeitspannen, in denen durch die chaotische Anhäufung und scheinbar wahllose Verteilung über die Fächer alles von gleichem Wert zu sein scheint. Was sich einst zufällig in den Regalen angesammelt hat, ist jetzt als Status quo archiviert und wirft vergleichbar mit den Vitrinen einen retrospektiven Blick auf Beuys’ eigene künstlerische Produktivität. Der Schrank wurde Beuys zufolge zuvor als »statischer Akteur«72 bei einer Aktion eingesetzt und diente im Sinne eines Bühnenbildes dazu, eine Aufführungssituation zu schaffen. Es gab jedoch keine konkrete Aktion, auf die sich Beuys hier bezieht, vielmehr deuten Beschriftungen auf dem Schrank wie »Plastisches Objekt zur Sibirischen Symphonie« sowie »Staatliche Kunstakademie Düsseldorf Aktion« darauf hin, dass seine Lehre

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Joseph Beuys, zitiert nach : Beuys, Eva   /   Beuys, Wenzel   /   Beuys, Jessyka : Joseph Beuys. Block Beuys, München 1990, S. 307.

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und eigene Arbeit als die Bühne fungiert, für die dieser Schrank tatsächlich den Hintergrund bot.73  Die den Objekten durch ihre Vorgeschichte und materielle, teils organische Beschaffenheit inhärente Prozessualität wird wie bei den Vitrinen über das Display bewahrt bzw. »gespeichert«. Die einzelnen Lebensmittel unterliegen weiterhin Transformationsprozessen, fangen sichtbar an zu faulen und zu riechen, ihre Konsistenzen und Farbigkeiten wandeln sich. Trotz der zunächst offensichtlichen Werkhaftigkeit der Regale geht das energetisch-plastische Potenzial der Objekte somit nicht verloren. Sie werden dort lediglich aufbewahrt, als könnte jederzeit wieder darauf zugegriffen werden – und sind zugleich eingebettet in einen umfassenderen, das Einzelwerk übersteigenden künstlerischen Kontext innerhalb des Beuys’schen Œuvres.74   Beide Arbeiten, und das ist besonders bezogen auf seine späteren musealen Displays beachtenswert, wurden auch über den jeweils angegebenen Entstehungszeitpunkt hinaus von Beuys bzw. im Fall von Barraque D’Dull Odde sogar von Museumsbesuchern um weitere Objekte ergänzt75 und sind daher als andauernde works in progress zu verstehen. Im Unterschied zu den beiden erstgenannten Regalarbeiten kalkuliert Beuys in der erstmals 1980 in einem Kabinett des Genter Museums mit sechs Gemälden aus dem 19. Jahrhundert gezeigten Arbeit Wirtschaftswerte durch die verschiedenen Präsentationskontexte mit der Zeit vollzogene Variabilität gezielt mit ein. Die Arbeit geht somit von vornherein mehr als nur eine räumliche Verbindung mit der ausstellenden Institution ein und ist insofern auch eine Ausnahmeerscheinung innerhalb seines Œuvres, als dass ungewohnt direkt die damit verbundenen Wertmechanismen reflektiert werden. Wie in einem Lagerraum erscheinen die in Metallregalen einsortierten und auf die menschlichen Grundbedürfnisse verweisenden Produkte eines Ostberliner Ladens der Handelsorganisation ( HO ) wie getrocknete Erbsen, Mehl, Honig, Butter und Salz, aber auch Verbandstoff, Klebeband und Zigaretten, die Beuys sich u. a. von Klaus Staeck aus der DDR mitbringen ließ [ Abb. 4   ]. Durch diesen durchaus zeitaufwendigen Transfer wird sie, wie Max Rosenberg herausstellt, zum »Agenten eines transnationalen Dialogs«, der zugleich auf die Differenz ihres Status in den verschiedenen ideologischen Systemen verweist.76   Sie stehen hier, ergänzt um einen vor dem Regal aufgestellten Fettblock und beschriftet mit dem Wort »Wirtschaftswert«, in Verbindung mit

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Theewen 1993, S. 16. Vgl. Vischer 1991, S. 18. Vgl. Theewen 1993, S. 19. Rosenberg, Max : »Ganz langsam durch die Mauer. Joseph Beuys’ Ökonomie der Transformation«, in : Texte zur Kunst 85 ( 2012 ), S. 71 ‒ 81, hier S. 73. Er widerlegt hiermit Buchlohs Vorwurf der Selbstgefälligkeit.

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dem Marktwert von Ölgemälden aus der Zeit von Karl Marx, die an den umgebenden Wänden angebracht wurden. Ihre tatsächliche Auswahl hängt weitgehend von den Beständen der jeweiligen ausstellenden Museen ab und ist insofern in jeder ihrer Präsentationsformen dezidiert orts- bzw. vielmehr noch institutionsspezifisch. Diese Arbeit ist nicht mehr wie die früheren beiden Regalarbeiten durch ihre frontale Ansichtigkeit zu erfassen, sondern muss vielmehr in ihrer räumlichen Anordnung und damit in ihrer situativen Beschaffenheit wahrgenommen werden. Der Ausstellungsraum bzw. dezidiert dieses Genter Kabinett wird Schauplatz einer Konfrontation von künstlerischen Produkten und Gebrauchswaren, die zunächst nichts mit den ausgestellten Ölgemälden gemein zu haben scheinen. Beuys stellt auf diese Weise zwei zunächst völlig verschiedene Wertkategorien und ihre jeweiligen kulturellen Kodierungen einander gegenüber, die hier zum Sinnbild zweier verschiedener Kunstbegriffe werden : zum einen der bestimmte tradierte ästhetische Kategorien erfüllende und zum anderen ein direkt mit dem Leben verbundener »erweiterter Kunstbegriff«, wie Beuys ihn vertrat.77  Diese zwei sich konträr zueinander verhaltenden Kunstbegriffe finden sich in der jeweiligen Art und Weise des Displays wieder : Während die Gemälde wie gewohnt in dicken goldenen Rahmen an den Wänden hängen, werden die von Beuys hinzugefügten Objekte mitten im Raum lose auf einfachen Metallregalen aufgestellt und erweitern den Ausstellungsraum durch die Nahrungsmittel um eine olfaktorische Komponente. Die von ihm bevorzugten Materialien wie Fett und andere Nahrungsmittel führen jedoch nicht nur zu einer erweiterten Kunsterfahrung. Sie rufen durch die mit der Zeit voranschreitenden Fäulnisprozesse auch Ekel hervor und greifen damit zum Teil massiv in den als klinisch geltenden White Cube ein.

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Vgl. Vischer, Theodora : »Zum Kunstbegriff von Joseph Beuys«, in : Ausst.-Kat. Joseph Beuys. Skulpturen und Objekte, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 20.02. ‒  01.05.1988, Kunsthalle, Tübingen, 14.05. ‒10.07.1988, Bd. 1, hg. von Heiner Bastian, München 1988, S. 37  ‒  44.

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Das Display

als

Denkanstoss

Abstellen, einfach Abstellen Beuys’ frühe, nichtkommerzielle Ausstellungen sind ebenfalls noch stark von der Fluxus-Bewegung beeinflusst.78   Die bekannteste von ihnen, Joseph Beuys-Fluxus ( 26.10. ‒ 24.11.1963 ), zeigt rund 280 Exponate im ungenutzten (und unbeheizten ) Stall der Familie van der Grinten in Kranenburg, auf deren Sammlungsbestände Beuys wie schon in den beiden vorangegangenen Ausstellungen zurückgriff [ Abb. 5  ]. Beuys verzichtet auch hier auf jegliche Beschilderungen und kategoriale Unterteilung der Objektgruppen in Zeichnung oder plastische Bilder und ordnet die einzelnen Exponate in variierenden Höhen, oft dicht gehängt, in den Räumen und Nischen des Stalls an. Die Futterkrippen funktioniert er zu einer langen Vitrine mit Zeichnungen um, und fügt auf ungenutztem Stallmobiliar, Tischen und Stühlen verschiedene kleinere Gegenstände aus vorangegangenen Fluxus-Aktionen zu einem heterogenen Ensemble zusammen. Weitere Kästen mit Ausstellungsobjekten, die noch zur weiteren Verteilung am Boden stehen, bleiben einfach dort stehen, gerahmte Zeichnungen lehnen an der Wand. Die Ausstellung behält über ihre gesamte Laufzeit ihren provisorischen Charakter bei und evoziert dadurch einen anhaltenden Eindruck von Unmittelbarkeit und des direkten Einblicks in Beuys’ künstlerisches Arbeiten. Diese »verflucht bedeutende Ausstellung«, wie sie der ortsansässige Maler Antoon Vijftigschild nannte,79 bricht über die Wahl des Ortes und den improvisierten Charakter der Hängung mit den zeitgenössischen Ausstellungskonventionen und schreibt sich über den Titel bewusst in die Fluxus-Bewegung ein – und das obwohl die aktionsbezogenen Objekten innerhalb der Ausstellung gegenüber den Zeichnungen nur einen geringen Anteil ausmachten.80   Zugleich setzt sie über ihr

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Beuys erste Ausstellung fand vom 22.02. bis 15.03.1953 in dem Kranenburger Bauernhaus der Gebrüder van der Grinten und die zweite Ausstellung mit einem Fokus auf Zeichnungen vom 8.10. ‒  5.11.1961 im Städtischen Museum Haus Koekkoek in Kleve statt. Vgl. van der Grinten, Hans : »Joseph Beuys ›Stallausstellung‹ Fluxus 1963 in Kranenburg«, in : Klüser, Bernd  /  Hegewisch, Katharina ( Hg.) : Die Kunst der Ausstellung : eine Dokumentation dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1991, S. 172  ‒177, hier S. 172. Zu den Referenzen auf Arbeiten anderer FluxusKünstler vgl. Mesch 2013, S. 126. Van der Grinten 1991, S. 176. Riegel geht so weit, diesbezüglich von einem »Etikettenschwindel« zu sprechen. Vgl. Riegel 2013, S. 185.

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Abbildung 5 : Josef Beuys – Fluxus, sogenannte Stallausstellung im Haus van der Grinten, Ausstellungsansicht , Kranenburg, 1963

kabinettartiges Erscheinungsbild diesem Avantgarde-Ansatz eine vergleichsweise altmodische Präsentationsform entgegen. Kochgeruch aus der anliegenden Küche der Familie von Grinten und das Grunzen der Schweine im Hintergrund 81 bekräftigen die sich hierin abzeichnende Paradoxie vom Aufbrechen zeitgenössischer Konvention der Präsentation von Kunst und dem Rückgriff auf Veraltetes, ja, geradezu Altertümliches, und mit dem Stall nicht zuletzt urchristliches Motiv. Ebendiese unauflösbare Dialektik wird für viele von Beuys’ Einzelschauen paradigmatisch bleiben. Das ebenfalls bereits in dieser Ausstellung aufscheinende »Abstellen, einfach abstellen !« – ein Ausspruch, den Beuys 1982 den Aufbauhelfern des Hamburger Bahnhofs in Berlin bezogen auf seine Arbeit Unschlitt    /   Tallow (1977 ) zurief    82 – sollte zu einem Leitprinzip werden. Ungeachtet des unkonventionellen Eindrucks, den seine Ausstellungen vermitteln, entspricht deren Display zugleich, wie die vorangegangene Ausführungen zur Arte Povera gezeigt haben, einem durchaus zeittypischen Phänomen. Das Abstellen impliziert nicht nur eine Spontaneität, sondern suggeriert auch eine gezielt unkontrollierte Momente und Zufälle mit einbeziehende Präsentationsweise seiner Kunst. Mit dem Zuruf an die

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So geschildert von der Sammlerin und Autorin Stella Baum. Vgl. Riegel 2013, S. 186. Cladders, Johannes : »›Abstellen, einfach Abstellen‹«, in : Ausst.-Kat. Beuys zu Ehren. Zeichnungen, Skulpturen, Objekte, Vitrinen und das Environment »Zeige deine Wunde« von Joseph Beuys, Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Aquarelle, Environments und Video-Installationen von 70 Künstlern, hg. von Armin Zweite und Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, München 1986, S. 39.

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Aufbauhelfer gibt Beuys die Entscheidung über die Präsentation an andere, und zwar an in dieser Hinsicht nichtprofessionelle Personen ab, die das »Abstellen« zwar ausführen, jedoch nicht als eine Form des bewussten Präsentierens. Es ist daher als ein Versuch der Entsubjektivierung zu verstehen, als ein Negieren des Gerichtet-Seins auf etwas, das Exponieren der Kunstwerke im Ausstellungskontext. Sie werden nicht ausgestellt im Sinne des Herausstellens von etwas, sondern abgestellt oder abgelegt. Dennoch geht dies keineswegs einher mit einer Form der »Entkunstung von Kunst«83, da eben auch die Abgabe von Intentionalität eine Strategie des Künstlers ist und damit eine von ihm festgelegte Entscheidung bezüglich der Präsentation. Sobald Beuys sich selbst jedoch um ein »einfach Abstellen« bemüht, kommt wieder ein subjektives, intentionales Moment ins Spiel und damit auch eine direkte Verbindung zu ihm als Autor. Insofern gilt für Beuys, trotz zum Teil augenscheinlicher, formaler Ähnlichkeiten der Arbeiten, die von Morris in Bezug auf die Anti-Form formulierte Akzeptanz des Zufalls und der Unbestimmtheit nur bedingt.84 Beuys berücksichtigt bei seinen Ausstellungsaufbauten stets die kontextspezifischen Vorgaben, die Maßstäbe und Proportionen der Räume, was gerade bei wandernden Ausstellungen zu Variationen der Präsentationsweise je nach Ausstellungsort führt.85  Jeder einzelnen Ausstellung haftet dadurch vergleichbar mit den Vitrinen der Charakter eines bewusst gestalteten, in Raum und Zeit spezifischen zusammengehörenden Ganzen an – auch wenn, wie noch deutlich werden wird, sich hierbei durchaus auch Widersprüchlichkeiten abzeichnen. Die Ausstellung und ihre Parallelprozesse Über die Art und Weise des Displays hinaus spielen für die Vermittlung des von Beuys entwickelten, erweiterten Kunstbegriffs auch seine im Zuge von Ausstellungen geäußerten, erläuternden Kommentare sowie die häufig zu den Eröffnungen stattfindenden Aktionen von demonstrativem Charakter eine entscheidende Rolle. Vor allem Letztere entsprechen wiederum einem durchaus zeittypischen Phänomen. Franz Erhard Walther etwa führt in seinen »Demonstrationsräume« genannten Ausstellungssettings zu den Eröffnungen »Werkvorführungen« durch,

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Zum Begriff der »Entkunstung« vgl. Adorno, Theodor W. : Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970. Darin erstmals erwähnt auf S. 32  f. Deutlich wird Beuys’ Zusammenspiel von ungerichteten und gerichteten Präsentationsformen beispielsweise auch in seiner Arbeit Richtkräfte (1974  ‒1977 ), in der die Platten zum Teil geworfen, aber zugleich auch arrangiert sind. Vgl. Joachimides, Christo M. : Joseph Beuys. Richtkräfte, Berlin 1977.

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die den Betrachter anleiten sollten, auf ähnliche Weise mit den Objekten umzugehen. Auch der mit Beuys seit 1961 bekannte Nam June Paik arbeitet bereits in seinen Fluxus-Aktionen mit einem stark demonstrativen Gestus. Beuys nun spricht in Bezug auf seine Aktionen von »Parallelprozessen«. Erstmals vermerkt ist dieser Begriff 1969 in der handgeschriebenen Fortsetzung seiner selbstverfassten, tabellarischen Biografie Lebenslauf     /   Werklauf   (1964 ). Hierin bezeichnet er rückblickend seine erste große Museumsausstellung in Mönchengladbach zwei Jahre zuvor als »Parallelprozess I«.86  Als »Parallelprozess II« benennt Beuys seine im selben Jahr erstmals in Wien durchgeführte Aktion Bildkopf-Bewegkopf ( Eurasienstab). In der Folge werden sowohl Ausstellungen als auch Aktionen unter dem Begriff des »Parallelprozess« gefasst. Sie beide verbindet die öffentliche Präsentation seines Werkes.87   Aktion wie Ausstellung erscheinen somit als parergonal in Bezug auf seine »eigentliche« Kunstproduktion, wobei, wie es Derrida in seinem Aufsatz »Über die Wahrheit in der Malerei« dargelegt hat, eben gerade das Parergon zum eigentlichen Zentrum werden kann.88   Beuys’ Aktionen finden häufig innerhalb von Ausstellungen statt, während andersherum die Ausstellungen häufig Elemente aus den Aktionen zeigen. So sind auch diese Parallelprozesse stetigen Verschiebungen und Verdopplungen unterlegen, woran ablesbar wird, wie sich Kunstproduktion und -präsentation bedingen. Eine entscheidende Rolle spielt in dieser Hinsicht Beuys’ Verhältnis zur Sprache. In einem Interview mit Hanno Reuther für den Westdeutschen Rundfunk entgegnet er dem ihm in diesem Zusammenhang gegenüber geäußerten Vorwurf des Esoterischen entsprechend : »Ja, das trifft zweifellos zu, für meine Objekte, die vielleicht ebenso esoterisch wirken, und gerade aus diesem Grunde bemühe ich ja immer, einen Parallelprozess sozusagen einzuleiten. Ich bin immer bereit, mit allen Menschen über die Dinge und über die Genetik dieser Objekte zu reden.« 89

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Vgl. Müller, Ulrich : »Vorwort«, in : Ders. ( Hg.) : Joseph Beuys. Parallelprozess, Archäologie einer künstlerischen Praxis, München 2012, S. 7  f., hier S. 7. Das Symposium »Joseph Beuys. Parallelprozesse« fand vom 6. bis 9. Januar 2011 als Begleitveranstaltung der gleichnamigen Ausstellung der Kunstsammlung NordrheinWestfalen statt. Vgl. Müller 2012. Derrida 1992. Hier zitiert nach Müller 2012, S. 8.

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Abbildung 6 : Joseph Beuys, …  Irgendein Strang  …  , Ausstellungsansicht , Galerie Schmela, Düsseldorf, 1965

Auch wenn Beuys es als Vermittlungsangebot versteht, fungieren diese ebenso parergonalen wie prinzipiell dialogischen Strukturen wie Reden, Texte und Interviews als immanenter Teil seines auf Ganzheitlichkeit abzielenden »Auftritts als Künstler«. Sie werden vom Künstler bewusst »eingeleitet« und verfolgen einen klaren Auftrag, ohne jedoch auf eine einfache Werkexegese hinauszulaufen.90 Der Einsatz von Sprache und seine künstlerischen Objekte verhalten sich vielmehr wechselseitig zueinander und ohne die den Objekten eigene »Sprache« zu negieren. »Ich schildere lieber das«, so Beuys, »was ideenmäßig parallel, sozusagen in mir vorgeht. … Ich habe kein Interesse, das Telefon zu interpretieren. Ich habe wohl

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»Interpretieren«, so Beuys, »halte ich eigentlich für schädlich. Man kann etwas beschreiben, etwas sagen über die Intention, dann kommt man am dichtesten an die Kraft heran, die noch etwas bei den Dingen läßt, damit sie etwas bewirken können.« Hier zitiert nach Vischer 1991, S. 35.

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Abbildung 7 : Joseph Beuys bei der Aktion wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt, Galerie Schmela, Düsseldorf, 26. November 1965

ein Interesse, über den elektrischen Strom und seine Verhältnisse zu reden … .« 91 Dennoch vermitteln ebendiese Schilderungen die hinter den Arbeiten stehenden künstlerischen Intentionen und erweitern ihr Verständnis. Bereits in seiner Stallausstellung führte Beuys eine Aktion mit den Fluxus-Objekten durch, war dort aber im Gedränge überwiegend unbeachtet geblieben.92   Eine stärkere Präsenz und für die Gesamtsituation bestimmendere Rolle nimmt dagegen die dreistündige Aktion Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt ein, die am 26. November 1965 zur Eröffnung seiner ersten Einzelausstellung … Irgendein Strang  … in der Galerie Schmela in Düsseldorf stattfand [ Abb. 6    ]. Auch wenn bzw. gerade weil die Aktion selbst stumm bleibt, lässt sich an ihr exemplarisch die gegenseitige Bedingtheit von Sprache, Ausstellungsdisplay und Aktion aufzeigen. Zugleich bildet sie

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Hier zitiert nach Vischer 1981, S. 35. Vgl. van der Grinten 1991, S. 176.

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den Grundstein einer hieraus resultierenden Ausstellungsgeschichte anhand derer sich in den folgenden Kapiteln die weitere Verbindung zu Beuys’ plastischer Theorie und seinem Umgang mit institutionellen Strukturen genauer aufzeigen lassen. … Irgendein Strang  … umfasst Arbeiten aus den Jahren 1959 bis 1965, darunter einige plastische Bilder sowie Schneefall (1965 ), Fettecke (1960 ) und Filzecke (1964 ) und ist damit Beuys zufolge eine »fairly random accumulation of what I had in my workroom«.93    Vergleichbar mit den Regalinhalten werden auch sie erst über den Transfer der einzelnen, zunächst nicht direkt zusammenhängenden Objekte in den Galerieraum als zusammengehöriges Ganzes ästhetisch erfahrbar. Wie bei der frühen Fluxus-Ausstellung nutzt er den Raum in seiner Dreidimensionalität voll aus, verteilt die Objekte über Boden und Wände, mal gerahmt, mal ungerahmt und durchmischt auf diese Weise museale Präsentationsformen mit dem Unmittelbarkeit suggerierenden Provisorium des Ateliers. In ihrer austarierten räumlichen Anordnung erzeugen sie eine Dichte, die Beuys selbst als »accumulated charge of a battery«94 beschreibt.95   Mit der Aktion verstärkt er diesen Eindruck der energetischen Aufladung und des synthetisierenden Zusammenhangs der einzelnen Exponate. Für die Dauer der Aktion wird der Ausstellungsraum zu einer für den Betrachter nur durch das Schaufenster der Galerie frontal zu erblickenden Bühne,96 auf der die von Beuys vollzogenen Handlungen dem Prinzip einer Vitrine folgend in Distanz wahrgenommen werden. In Analogie zu seinen früheren Fluxus-Arbeiten wird die Ausstellung dadurch zum Set der Aktion.97   Mit Honig und Blattgold bestrichenem Kopf, je eine Sohle aus Eisen und Filz sowie einem toten Hasen im Arm schreitet Beuys von Arbeit zu Arbeit und berührt sie jeweils mit dessen Pfote. Schließlich spricht er auf einem Schemel sitzend, der auf einem Grafikschrank

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Vgl. Tisdall, Caroline : Joseph Beuys, New York 1979, S. 76. Ebd. Vgl. hierzu auch Johannes Stüttgens Begriff des »Kraftfeldes«, in : Dickhoff, Wilfried  /  Stüttgen, Johannes : »Im Zentrum der Installation. Ein Gespräch«, in : Ausst.Kat. Joseph Beuys. Zeichnungen, Skulpturen, Objekte, Zollhof 3, Düsseldorf, Hafen, 25.09. ‒  28.10.1988, hg. von Wilfried Dickhoff, Düsseldorf 1988, S. 139  ‒150, hier S. 140. Im Kontrast dazu ist durch Jörg Immendorff, der Beuys bei der Einrichtung der Ausstellung half, übermittelt, dass Beuys auf Wunsch Schmelas die Objekte aus Gründen der besseren Verkaufbarkeit ohne Widerspruch umarrangierte. »Ich war da sehr enttäuscht«, so Immendorf. »Denn ich meinte, wie wir es vorher gelegt hatten hatte es etwas zu bedeuten.« Hier zitiert nach Riegel 2013, S. 227. Die Bühnenhaftigkeit wurde durch das Wegziehen eines Vorhangs durch den Galeristen noch verstärkt. Zum Begriff des Sets in Bezug auf das Kuratorische vgl. Schafaff, Jörn : »The ( Curatorial ) Set«, in : von Bismarck   /  Schafaff   /   Weski 2012, S. 135  ‒149.

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steht, im Murmelton auf den Hasen ein [ Abb. 7   ]. Für die Besucher bleibt dieser Vorgang durch die trennende Schaufensterscheibe akustisch unverständlich. Die angekündigte »Erklärung« der einzelnen Arbeiten erscheint hier vielmehr als eine, wie Theodora Vischer es formuliert, »zweite Schicht von Bildern und Eindrücken, die nicht wie der Text zum Bild, die Erklärung zum Rätsel fungierte, sondern die anschaulich-imaginäre Ebene der Bildwerke noch verdoppelte«.98  Beuys negiert durch die Verweigerung der sprachlichen Kommunikation somit bewusst eine mit dem Verstand nachvollziehbare Erläuterung der einzelnen Kunstobjekte und fordert bei den Betrachtern die Konzentration auf eine rein sinnliche Erfahrung von Kunst und ihrer situativen Anordnung im Ausstellungsraum heraus.99  Der erklärenden Sprache und damit dem für Beuys »toten« analytisch-wissenschaftlichen Denken wird hier ganz bewusst das ihm zufolge »freie« Denken gegenübergestellt.100 Beuys verweist in dieser »szenischen Allegorie«101 mit dem Honig als lebendiges Material gepaart mit Blattgold auf seinem Kopf auf die »Kostbarkeit« des Denkens : »Mit dem Honig auf dem Kopf tue ich … etwas, was mit Denken zu tun hat. Die menschliche Fähigkeit ist nicht, Honig abzugeben, sondern zu denken, Ideen abzugeben. Das wird jetzt parallel gesetzt. Dadurch wird der Todescharakter des Gedankens wieder lebendig gemacht. Denn Honig ist zweifellos eine lebendige Substanz. Der menschliche Gedanke kann auch lebendig sein. Er kann auch intellektualisierend tödlich sein, auch tot bleiben, sich todbringend äussern … «102

Auf diese Weise fungiert die von Beuys geschaffene Ausstellungssituation vergleichbar mit seinen Multiples selbst als Denkanstoß oder »Vehikel«, indem der sich in ihr befindende Betrachter aktiv in das Herstellen der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Arbeiten involviert wird und somit im Sinne seines Diktums »Denken ist bereits Plastik« selbst plastisch und damit folglich im Beuys’schen Sinne künstlerisch zu arbeiten beginnt. Die einzelnen Exponate sprechen demzufolge durch ihre Materialität, Form und Anordnung eine von der verbalen Kommunikation abzugrenzenden eigene Sprache, die ihr komplementierendes Moment in der

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Vischer 1988, S. 39. Vgl. ebd., S. 39  f. Vgl. Bezzola, Tobia : »Denken«, in : Szeemann 1997, S. 85  ‒  88, hier S. 85. Bürger, Peter : »Der Alltag, die Allegorie und die Avantgarde. Bemerkungen mit Rücksicht auf Joseph Beuys«, in : Ders.   /    Bürger, Christa ( Hg.) : Postmoderne, Alltag, Allegorie und Avantgarde, Frankfurt am Main 1987, S. 196  ‒  212, hier S. 206. Bezzola 1997, S. 85  f.

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durch sie ausgelösten imaginären Dimension im Moment des Rezipierens findet. Es ist somit auch in dieser Aktion ein stark didaktisch-vermittelnder Impetus enthalten, der bezogen auf die Rezeption von Kunst vor dem Hintergrund von Beuys’ grundsätzlicher Annahme einer Rückwirkung auf unser Alltagsleben zu verstehen ist.103 »Für Beuys ist Kunst dazu prädestiniert«, wie Vischer verdeutlich, »die in einer dem Menschen entfremdeten, ausdifferenzieren Außenwelt verkümmerten Sinne wieder zu reaktivieren und einer ganzheitlichen Kommunikationsform verfügbar zu machen – einer Kommunikation, in der nicht das Denken ausgeschaltet ist, in der aber das Wissen um Zusammenhänge möglich wird und gestaltende und kreative Funktion erhält.«104

Erst im Anschluss an die Aktion durften die Räumlichkeiten von den Besuchern betreten werden. Das Performance-Setting verkehrt sich darüber vergleichbar mit seinen frühen Aktionsräumen nun in eine davon losgelöste Ausstellungssituation, deren einzelne Bestandteile in ihrer Singularität prinzipiell wiederum zum Verkauf stehen. Auch wenn die Aktion durch die Verweigerung von gesprochener Sprache keine herkömmliche Interpretation von Beuys’ künstlerischer Produktion und dem damit verbundenen Kunstbegriff liefert, bietet sie doch Aufschluss bezüglich seiner Intention. Die Präsenz von Beuys als Künstler durch derartige Aktionen auch innerhalb seiner Ausstellungen lassen ihn als einen in Duchamps Sinne »mediumistischen Künstler« erscheinen.105 Beuys behält auf diese Weise wenn nicht die Kontrolle, so zumindest eine Vorgabe der »richtigen« oder »wahren« Rezeption seiner Kunst. Als Parallelprozesse wirken sowohl Präsentationsweise seiner Kunst in Ausstellungen wie die damit verbundene Aktion somit maßgeblich zurück auf die Wahrnehmung seiner Kunst.

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In einem Interview mit Richard Hamilton äußerte Beuys, dass er mehr daran interessiert sei, Lehrer als Künstler zu sein bzw. dass Künstler und Lehrer dasselbe sei. Vgl. Beuys 1995, S. 9. Vischer 1988, S. 41. Vgl. Duchamp, Marcel : »The creative act«, wieder abgedruckt in : Tompkins, Calvin : Marcel Duchamp. Eine Biographie, aus dem Amerikanischen von Jörg Trobitius, Wien 1999, S. 572. Vgl. hierzu auch : Buchman, Sabeth : »ProduzentInnen im Vergleich«, in : Michalka 2006, S. 13  ‒ 32.

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Abbildung 8 : Joseph Beuys, Ausstellungsansicht , Museum Abteiberg, Mönchengladbach, 1967

Zur Verbindung von Ausstellen und plastischer Theorie Anhand des weiteren Ausstellungsverlaufs der bei Schmela präsentierten Arbeiten lässt sich exemplarisch aufzeigen, wie sehr Beuys darum bemüht ist, über das Display seiner Kunst zusammenhängende Strukturen innerhalb seines Œuvres sichtbar zu machen und zugleich durch Hinzufügungen und räumliche Variationen in einer stetigen Bewegung zu halten. Diese über einen langen Zeitraum andauernde Dynamik widerspricht auf einer ganz basalen Ebene dem Verständnis eines Kunstwerks als abgeschlossener Einheit mit einer klar definierten, kontextunabhängigen Bedeutung. Anhand der verschiedenen, vom Künstler selbstbestimmten Objektkonstellationen zeichnet sich innerhalb seiner Ausstellungen einerseits eine bewusste Öffnung und andererseits eine klare Funktionalisierung der einzelnen Arbeiten ab. Über die hieraus ersichtlich werdenden Interdependenzen von Ausstellen und Ausgestelltem lassen sich Rückschlüsse ziehen auf den Zusammenhang von Beuys’ Displaystrategien und seiner plastischen Theorie. Die Arbeiten aus … Irgendein Strang … werden zunächst Teil der ersten umfangreicheren, von Johannes Cladders organisierten Beuys-Ausstellung im Städtischen Museum Mönchengladbach 1967 [ Abb. 8  ] und anschließend in erweiterter Form im Stedelijk van Abbemuseum in Eindhoven 1968 [ Abb. 9  ] gezeigt. Der synthetisierende, batterieartige Effekt des direkt auf den Raum ausgerichteten Arrangements wird in Eindhoven besonders durch die Gegenüberstellung mit der sich

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Abbildung 9 : Joseph Beuys : schilderijen, objekten, tekeningen = Joseph Beuys : Paintings, Objects, Drawings, Ausstellungsansicht , Van Abbemuseum,Eindhoven, Niederlande, 1968

zeitlich überschneidenden Ausstellung von Robert Morris deutlich.106   Auch wenn beide durch die Anordnung der einzelnen Arbeiten den Eindruck eines werkübergreifenden Zusammenhangs erzielen und ähnliche Materialien verwenden, kann, wie in der Literatur wiederholt hervorgehoben wurde, ihre Wirkung kaum unterschiedlicher sein. Richard Hamilton beschreibt seinen Eindruck wie folgt : »Links vom Haupteingang hing eine große weiche Plastik von Morris schlaff von der Wand herunter, so daß es schwierig war, ihre Form zu analysieren. Es sah so aus, als hätte man ein Quadrat aus dickem grauem Filz mit einer gradlinigen Spirale geschnitten. Rechts hing ein Beuys von ähnlichem Format und Material, das wie die abgezogene Haut eines Tieres – zu klein für einen Elefanten, also vielleicht ein Rhinozeros – aussah. Es stellte sich heraus, daß es sich um seine inzwischen berühmte Filzdecke für einen Flügel handelte, wobei jedes klauenartige Bein sorgfältig ausgearbeitet war. Durch diese Werke offenbarten sich beide Künstlerpersönlichkeiten. Der Amerikaner : kühl, nachdenklich, abstrakt, minimal. Der Deutsche : weißglühend, visionär, geheimnisvoll, vielschichtig.«107

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Luckow, Dirk : Joseph Beuys und die amerikanische Anti-Form-Kunst. Einfluss und Wechselwirkung zwischen Beuys und Morris, Hesse, Nauman, Serra (= Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 10 ), Berlin 1998, S. 79. Hamilton, Richard, in : Ausst.-Kat. Beuys zu Ehren, 1986, S. 356.

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Weiter betont Hamilton, dass in Beuys’ Ausstellung »[ g]anz augenscheinlich […] die Idee von Energie ein Thema [war ]. Ein Symbol war besonders deutlich – es konnte so gelesen werden als Plus-Zeichen; auch als das elektrische Zeichen für ›positiv‹; und es legte auch medizinische Assoziationen nahe : das Rote Kreuz. Es gab Batterien und Kupferplatten, eine große Beziehung zu Isolierung und Leitungsvermögen.« 108

Im Gegensatz zu Morris, dessen Arbeiten in ihrem Ausstellungszusammenhang den Eindruck von Selbstreferenz und Entleerung evozieren,109 schafft Beuys sich vielmehr, wie Peter Bürger in einem anderen Zusammenhang betont, »aus Stoffen eine Art Alphabet«, wobei dem »Sinnlich-Stofflichen eine Bedeutung zugesprochen [ wird ], die zwar nachvollziehbar ist, die sich aber keineswegs aus dem sinnlichen Eindruck mit Notwendigkeit ergibt«.110   Diese demnach eher allegorische als symbolische Bedeutung der Einzelobjekte111 wird durch ihre situative Anordnung im Display auf ihren strukturellen Zusammenhang übertragen und somit um eine weitere Bedeutungsschicht erweitert. In seiner Anlage als »Energiefeld« fungiert das Display folglich selbst als Allegorie und wird (temporärer ) »Speicher« vergleichbar mit Beuys’ Regalarbeiten und Vitrinen. Auf Vorschlag von Jan Leering, dem Museumsleiter des Van Abbemuseums in Eindhoven und zugleich Mitglied des documenta-Rates, sowie in Rücksprache mit Beuys wird der mittlere und damit direkt aus der Ausstellung … Irgendein Strang  … hervorgehende Raum aus der Eindhovener Ausstellung als Beitrag zur documenta 4 1968 ausgewählt [ Abb. 10  ].112  Der vormalige Kontext dieser unter dem Titel Raumplastik zunächst fast paradox anmutenden Isolierung der Objekte aus einem größeren Ausstellungskontext wird über den Katalog zum Teil wiederhergestellt, in dem die für Eindhoven neu gefertigte Arbeit Fond II  hier in ihrer dortigen Ausstel-

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Hamilton, in : o. V.  : »Gespräch zwischen Joseph Beuys und Richard Hamilton«, in: Beuys  /  Beuys / Beuys 1997, S. 7  ‒16, hier S. 11. Vgl. Luckow 1998, S. 80. Bürger 1987, S. 205. Vgl. ebd., S. 209. Kliege 1999, S. 114  f. Parallel zur documenta zeigten die Galeristen und ehemaligen BeuysSchüler Anny De Decker und Bernd Lohaus in zwei angemieteten Hotelzimmern im Hotel Hessenland Arbeiten und Filme des Künstlers. Für ihre Galerie Wide White Space mit Sitz in Antwerpen bedeutete dies den Anschluss an den internationalen Kunstmarkt. Vgl. Jacobs van Renswou, Brigitte : »Anny de Decker und Bernd Lohaus im Gespräch mit Brigitte Jacobs van Renswou am 22.10.2008«, in : Sedimente 16 ( 2009 ), S. 47  ‒  59, hier S. 47.

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Abbildung 10 : Joseph Beuys, Raumplastik, Ausstellungsansicht , Documenta IV, Kassel, 1968

lungssituation abgebildet ist.113   Somit entsteht eine Art Genealogie des Ausstellens, in der das jeweils kontextspezifische Moment der Beuys’schen Displays wie in einer Rückblende zum Vorschein kommt. Die von der Kritik vernichtend aber nicht ganz unzutreffend als »begehbares Kunstwerk« bezeichnete Raumplastik, die »von weniger geübten Besuchern mit einem Abstellraum verwechselt« würde,114 besteht aus insgesamt 24 scheinbar zufällig über den Boden und die Wände verteilten, teils aus vormaligen Aktionen stammenden Objekten und Objektgruppen, die durch ihre unterschiedlichen Höhen und formalen Gestaltungen den anthropomorphen Eindruck erwecken, als würden sie sitzen, stehen und liegen. Für Beuys-Kenner wiedererkennbare Arbeiten aus einer Zeitspanne von inzwischen knapp 20 Jahren wie Grauballemann 1952 (1952  ‒1969 ), Filzecke (1964 ), Lichamen (1967 ) oder eben Fond II (1967 )

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Vgl. Kliege 1999, S. 115. Neumann 1968, S. 19 sowie Kliege 1999, S. 115. Wie Ernst Günter Engelmann berichtet, demolierten empörte Besucher den Raum, dessen »suggestiv öde Atmosphäre von scheinbar willkürlich angeordneten Latten, Filzdecken und schweren Kupfertischen nur noch unterstrichen wurde, einzelne dieser Versatzstücke.« Ernst Günter Engelhard : »Joseph Beuys. Ein grausames Wintermärchen«, in : Christ und Welt 22 /1 (1969 ), S. 13. Hier zitiert nach Ausst.-Kat. Joseph Beuys. documenta-arbeit, hg. von Veit Loers und Pia Witzmann, Museum Friedericianum Kassel, 05.09. ‒14.11.1993, Stuttgart 1993, S. 72.

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sind hierin integriert, aber wie auch schon zuvor selbst im Katalog nicht als solche kenntlich gemacht.115  Da ohne diese Angaben oder weiteres Vorwissen auch keine Verbindungen zwischen einzelnen Werkphasen oder -komplexen hergestellt werden können, wird eine Indifferenz und Gleichwertigkeit der Objekte suggeriert. Aufgrund eines auch hier fehlenden idealen Standpunktes, der eine überblickende Distanz zu den einzelnen Objekten ermöglicht hätte, ergeben sie für den Betrachter ein quasi-menschliches Gegenüber, zu dem sich innerhalb des Raumes aktiv in Beziehung gesetzt werden muss.116   Mit dem Begriff »Raumplastik« als Titel seines documenta-Beitrags gibt Beuys einen entscheidenden Hinweis auf die enge Verbindung seiner Displays zur für sein künstlerisches Wirken insgesamt grundlegenden plastischen Theorie.117  Ausgehend von einem prinzipiell gestalterischen Moment der Kunst wird in ihr der Wandlungsprozess von etwas Ungeformtem, Energetischem in etwas Geformtes besonders stark hervorgehoben und das Verhältnis von Chaos und Ordnung zueinander in Beziehung gebracht. Dabei ist Beuys’ Begriff von Plastik als ganzheitlich zu begreifen und bezieht sich nach Eigenaussagen immer »auf das Leben  … Dann ist man selbstverständlich raus aus der Ideologie von ›visual arts‹, die sich nur auf den Sehsinn bezieht, sondern man bezieht sich auf alle Sinne, die ja aktiv sind in der Tätigkeit der Menschen, in ihrer Arbeit.«118 Unter dem der Raumplastik verwandten Begriff »Plastisches Bild« fasste Beuys zuvor als Alternative zum von ihm abgelehnten Objektbegriff eine heterogene Gruppe von reliefartigen Arbeiten, Papiercollagen, Ding-Montagen und Materialbildern aus dick aufgetragener Farbe, Filz, Teer oder Fettelementen.119  Kurzum, all die Dinge, die Beuys erstmals in größerem Umfang in der Fluxus-Ausstellung zeigte und zu denen beispielsweise auch die kleinen an der Wand angebrachten Kästen zählen, die durch die in ihnen enthaltenen Gegenstände selbst einen Displaycharakter enthielten. Das einende Strukturprinzip der Plastischen Bilder »besteht also vor allem«, wie Kirsten Claudia Voigt herausstellt, »in der Präsentationsform, jener imaginären Bildhaftigkeit, die aus der haptischen Unzugänglichkeit und nur ›ein-

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Kliege 1999, S. 113  f. Vgl. ebd., S. 122 und S. 137  f. Dieser Titel ist erst während der Ausstellungsvorbereitungen entstanden. Vgl. Kliege 1999, S. 114, Fußnote 6. Beuys, Joseph, zit. nach SPEX – Musik zur Zeit 9 (1982 ), S. 19  f. Hier zitiert nach Verspohl, Franz-Joachim : Joseph Beuys. Das Kapitel. Raum 1970  ‒ 77. Strategie zur Reaktivierung der Sinne, Frankfurt am Main 1984, S. 21. Dieser Begriff fiel erstmals im Gespräch mit Hans van der Grinten im Vorfeld seiner Ausstellung im Museum der Stadt Kleve 1961. Vgl. Voigt, Kirsten Claudia : »Plastisches Bild«, in : Szeemann 1997, S. 282  ‒ 285, hier S. 282.

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seitigen‹ Ansichtigkeit auch der dreidimensionalen Dinge im erweiterten Bildraum resultiert«.120   »Raumplastik« bezieht darüber hinaus ihre kompositionelle und kontextspezifische Anordnung im Raum mit ein, der erweiterte Bildraum selbst wird betretbar und die einzelnen Elemente plastisch, d. h. als direktes körperliches Gegenüber erfahrbar.121  Die Raumplastik ist insofern als ein alle Sinne ansprechender Erfahrungsraum zu begreifen, dessen Wirkung auf den Betrachter bereits in seiner Anlage impliziert ist. Sie steht in direkter Relation zu Beuys’ für sein künstlerisches Schaffen insgesamt grundlegendes plastisches Prinzip und existiert damit jenseits der Kategorien von Environment oder Installation. Die Vermittlung seines Kunstbegriffs ist insofern eben gerade nicht gattungsabhängig, sondern vollzieht sich durch die unterschiedlichen Akte des Zeigens. Beuys vermeidet selbst in einem am 13. August 1968 auf der documenta stattgefundenen Interview für das belgische Fernsehen das Nennen von Titeln der einzelnen Objekte seiner Raumplastik sowie der Aktionen, auf die sie zurückzuführen sind. Stattdessen verwendet er einzelne Aspekte der Arbeiten, um davon ausgehend in die zentralen Stichworte seines Denkgebäudes einzuführen.122   Vergleichbar mit der Aktion Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt dient ihm auch hier die verbale Sprache in Bezug auf die Objekte nicht als Erklärung, sondern vielmehr als ein »Parallelprozess«,123 der bewusst dazu angelegt ist, über die rein sinnliche Wahrnehmung hinaus die Rezeption der einzelnen Objekte im Sinne seines erweiterten Kunstbegriffs zu steuern. So müsse, wie Kliege Beuys zitierend ausführt, »einerseits das Produkt, das aus dem Denken entsteht, […] kontrolliert werden dadurch, daß es sinnlich sichtbar wird« und insofern als »Ausscheidung von Gedanken« zu verstehen ist, andererseits »aber auch wieder ( durch Denken ) in Frage gestellt werden«.124   Das tatsächlich Sichtbare und ästhetisch Erfahrbare wird so über diese parergonalen Strukturen mit einer von Beuys intendierten, idealen Rezeptionsform in Verbindung gebracht – ein Verfahren, das als Vorläufer seines 1973 explizit formulierten »revolutionären« Ziels verstanden werden kann, Kunst in »Soziale Plastik« zu überführen.125   Insofern begreift Beuys, wie er selbst an an-

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122 123 124 125

Vgl. Voigt 1993, S. 283; vgl. Vitrine 0 (1951  ‒1963 ), in : Theewen 1993, S. 16  f. Theodora Vischer spricht von den »Bildern« als einer Unterkategorie der installativen Arbeiten. Vischer 1991, S. 203  f. Kliege 1999, S. 120. Vgl. ebd., S. 122. Vgl. ebd. Vgl. Nichols, Christine : »gib mir Honig«, in : Ausst.-Kat. Beuys. Die Revolution sind wir, 2008, S. 241  f., hier S. 241: »Die Idee der Sozialen Plastik wurde zum ersten Mal 1973 im Rahmen einer explizit auf ›Kunst im politischen Kampf‹ ausgerichteten Ausstellung

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derer Stelle ausführt, seine betont provisorisch wirkende Präsentationsform von Kunstobjekten gerade nicht als eine »Ausstellung von Ideen«, sondern vielmehr vergleichbar mit seinen Aktionsräumen als eine »Ausstellung von Werkzeugen«.126 »Es müssen«, so Beuys, »irgendwelche konkreten Dinge da sein, eine Konstellation oder Anordnung, ganz physisch, wie ein Laboratorium, so daß der Zuschauer in eine Situation hinein kommt. Er versucht die Sache zu beurteilen. Wie arbeitet diese Maschinerie ? Warum ist die Form so ? Warum ist die Anordnung so ? Das kann ich ihm natürlich nicht ersparen.« 127

Seine Displays sind demzufolge so konzipiert, dass sie Reflexionsprozesse beim Betrachter in Gang setzen sollen. Der Betrachter ist nicht nur angehalten, sich im Raum zu den Objekten in Beziehung zu setzen, sondern sie zugleich auch ausgehend von ihrer Anordnung im Raum kritisch zu beurteilen und auf ihre Wirkung hin zu befragen. Sie bilden gerade durch das Spiel mit bestimmten Konventionen der Hängung eine Art Schule der ( institutionellen) Kunsterfahrung, für die Beuys selbst den bereits im Zusammenhang mit den Regalarbeiten gefallenen Begriff des »Laboratorium« verwendet. Hierüber sollen im Idealfall die herausgeforderten Beurteilungsmaßstäbe in Zukunft auch auf andere Displays im Museum übertragen und eine Rückwirkung auf Erfahrungsstrukturen auch bezogen auf das Alltagsleben erreicht werden. Für Beuys fungiert das Museum insofern vergleichbar mit seinen umfassenden Gesprächs- und Diskussionsreihen als Ort der permanenten Konferenz, da es, wie er behauptet, »eine ganz gute Ausgangsbasis ist, auf der sich der Begriff der Kunst, der menschlichen Kreativität und Schöpferkraft, der menschlichen Möglichkeiten diese Formen zu bestimmen, entwickeln kann«.128 In diesem Sinne nutzt Beuys auch seine Ausstellungen mit und ohne begleitende Worte als ein Format der Ansprache und Veranschaulichung. Sie suggerieren im Unterschied zu der lediglich vermittelt erfahrbaren Objektanordnung in den Vitrinen vielmehr eine unmittel-

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in dem hermetisch betitelten Manifest ›Ich durchsuche Feldcharakter‹ als die bis dahin fehlende Methode veröffentlicht, die das erforderliche Mittel bereitstellen sollte, die gesellschaftliche Revolution zu beschleunigen. Darin wurde gefordert, ›EINEN SOZIALEN ORGANISMUS ALS KUNSTWERK‹ zu bilden, und an anderer Stelle verkündet. ›Plastik ist ein evolutionärer Prozeß, jeder Mensch ein Künstler‹.« Beuys, in : Beuys  /   Hamilton 1997, S. 12. Kurnitzky /  Stimmen 1980, S. 66. Ebd., S. 70.

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bare und alle Sinne ansprechende Erfahrung. Demzufolge dienen sie aber eben nicht nur als einfache »Vehikel« zur Vermittlung seines Kunstbegriffs, sondern sind doppelläufig angelegt : Einerseits verweisen die Objekte durch ihre Konstellation und unterstützt durch Beuys’ zahlreiche Äußerungen sowie seine Aktionen auf eine übergreifende Theorie, zugleich machen sie diese aus sich selbst heraus anschaulich und ästhetisch erfahrbar. So verweist das Display einerseits über sich hinaus und damit über seine mediale Präsenz und schärft zugleich die Wahrnehmung seiner konstituierenden Bestandteile. Nicht zuletzt sind und bleiben viele der in ihr enthaltenen Objekte ( wiedererkennbare ) Kunstwerke von eigenem Wert, deren Bedeutung und Lesart aber wiederum weitgehend von Beuys durch seine Präsenz und seinen didaktischen Impuls determiniert ist. Wider das Museum als Mausoleum Neben den Vitrinen sind es v. a. die sogenannten Blöcke bzw. Fonds, in denen Beuys seit Anfang der 1970er Jahre einzelne seiner Arbeiten im Zuge von Ausstellungen zu übergeordneten Displaystrukturen akkumuliert. So zeigt er etwa 1974 unter dem Titel The secret block for a secret person in Ireland rund 327 Zeichnungen und Gouache im Ulster Museum Botanical Gardens in Belfast. Mit dem heute im Hessischen Landesmuseum Darmstadt untergebrachten Block Beuys konzipierte Beuys die umfangreichste selbstbestimmte Präsentationsform seiner Kunst innerhalb musealer Strukturen. Nicht nur legt er hierfür die Anordnung seiner Arbeiten fest und schafft damit eine künstlerische Gesamtstruktur, die sich der Warenzirkulation entzieht, auch hält er diese zu Lebzeiten in ständiger Bewegung. In seinem Aufsatz »Valéry Proust Museum« weist Adorno bekanntermaßen darauf hin, dass Museum und Mausoleum nicht bloß die phonetische Assoziation verbinde. »Museen«, so Adorno, »sind wie Erbbegräbnisse von Kunstwerken. Sie bezeugen die Neutralisierung der Kultur«.129   Mit dem Einzug ins Museum wird ein Kunstwerk in der Regel aus seinem Entstehungs- und  / oder vormaligen Präsentationskontext entfernt und nun Teil einer durch das Museum vermittelten, der singulären künstlerischen Produktion übergeordneten Kultur- /  Kunstgeschichte. Die Kunst wird stärker auf ihre faktische Präsenz zurückgeworfen und die ihr zuvor ihrem Zeitgeist und den Produktionsbedingungen geschuldete immanente Artikulationsstruktur auf die Vermittlung durch Dritte verlagert. Sie wird zur »Museumskunst« und damit Teil eines meist wissenschaftlich fundierten Ordnungssys-

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Vgl. Adorno, Theodor W. : »Valéry Proust Museum [1952 ]«, in : Ders. : Kulturkritik und Gesellschaft I. Prismen. Ohne Leitbild, Frankfurt am Main 2003, S. 181 ‒194, hier S. 181.

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tems.130   »Neutralisierung« und »Akademisierung« gehen folglich eng miteinander einher. Zu Lebzeiten versuchen Künstler – und dies wird besonders noch einmal in Bezug auf das Format der Retrospektive relevant – ebendiesem Aspekt häufig zu entkommen und ihren Arbeiten eine Lebendigkeit zu erhalten. Ein Aspekt, der besonders den posthumen Umgang betrifft und sich mit restauratorischen Fragen kreuzt. Wie bereits an den Vitrinen- und Regalarbeiten deutlich geworden ist, arbeitet Beuys mit Strategien, durch die Wahl der Materialien tatsächliche Lebendigkeit seiner Arbeiten auch über ihre Musealisierung hinaus zu erhalten. Anders als die fest verschlossenen Vitrinen erlauben die Räume des Darmstädter Museums Beuys einen prinzipiell andauernden Zugriff auf seine Arbeiten. Bedingung hierfür war auch eine geschickte Verkaufspolitik. Der Darmstädter Sammler und Industrielle Karl Ströher kaufte innerhalb kürzester Zeit maßgebliche Werke und ganze Ausstellungen von Beuys, beginnend bei der Düsseldorfer Ausstellung von 1967 einschließlich der Raumplastik.131   Er kam damit Beuys’ Sorge vor der Zerstreuung seines Werks und seiner zunehmenden Skepsis dem sich gerade etablierenden Kunstmarkt gegenüber entgegen. Sie sollten den Ausgangspunkt einer ständig wachsenden Sammlung bilden, die Beuys selbst in den sieben ihm 1970 zur Verfügung gestellten Räumen des Darmstädter Museums »verwaltete«.132   In einem Textentwurf Ströhers vom 9. Oktober 1967 heißt es : »K. [=Künstler ] erlebt einen Abschnitt seines Schaffens, einen ›Ruf‹, seinen politischen ›Plan‹ zu erfüllen, das Empfinden vielleicht mehrjähriger Pause ( vom politischen Plan bedingt oder nicht ) vor einem neuen Schaffens-Weg. Das Werk wird bereits stark beachtet und wird es durch drei Ausstellungen bis zum Frühjahr 1968 noch viel mehr werden. Sammler haben schon wichtige Stücke erworben und Galerien haben sie als begehrte ›Ware‹ verkauft und wollen, da es an Ware fehlt, recht viel davon verkaufen. – K. ist es das zuwider, sowohl der direkte Handelsbetrieb mit beiden Gruppen, besonders aber die Zerstreuung des Werkes. Es ist sein Wunsch, ohne Verkauf Geld zu erhalten ( M [=Mäzen] ), sowohl für die Vervollständigung des

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Vgl. Damisch, Hubert : »Das Museum im Zeitalter seiner technischen Verfügbarkeit«, in : Von Hantelmann, Dorothea  /  Meister, Caroline ( Hg.) : Die Ausstellung. Politik eines Rituals, Zürich  / Berlin 2010, S. 115  ‒130. Sie macht den Großteil des zweiten Raumes aus. Vgl. Kliege 1999, S. 126. Ströher übergab den Block im April 1970 an das Hessische Landesmuseum Darmstadt. Hiermit war ursprünglich die Auflage verknüpft, ein Haus für die Sammlung Ströher und die Arbeiten von Beuys zu bauen. Vgl. Faust, Wolfgang Max : »Der Beuys-Block in Darmstadt. Zwischen Erschrecken und Glück«, in : Art 7 (1990 ), S. 66  ‒ 79, hier S. 79.

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Abbildung 11: Joseph Beuys, Block Beuys, Raum 1, Hessisches Landesmuseum Darmstadt ( Zustand 2007 )

Abbildung 12 : Joseph Beuys, Block Beuys, Raum 2, Hessisches Landesmuseum Darmstadt ( Zustand 2007 )

Abbildung 13 : Joseph Beuys, Block Beuys, Raum 3, Hessisches Landesmuseum Darmstadt (Zustand 2007 )

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Werkes durch Bronze-Güsse von allem, was dazu geeignet ist ( Gußkosten ), für die Kosten der Ausstellungen und Kataloge und für den Rückkauf wichtiger Werke für den erhaltenden ›Block‹ ( aber auch für den politischen Plan ).«133

Im tatsächlichen Vertrag wurde dann 1969 festgehalten, dass »Herr Ströher, Sammler moderner Kunst, […] den Wunsch [hat], die von Beuys geschaffenen Werke in seine Sammlung aufzunehmen und […] gleichzeitig bereit [ist], den Wunsch von Herrn Beuys auf geschlossene Erhaltung des wesentlichen Teiles seiner Werke sowie diese Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zu verwirklichen. Die Vertragsschließenden sind sich darüber einig, daß aus den von Herrn Beuys geschaffenen und noch zu schaffenden Werken die für seine künstlerische Persönlichkeit typischen Werke für die geschlossene Erhaltung ausgewählt werden. Dieser Teil soll etwa 2  /3 des gesamten Schaffens von Herrn Beuys umfassen und wird als ›Block Beuys‹ bezeichnet. Herr Ströher bestimmt im Einvernehmen mit Herrn Beuys diejenigen Werke, die zum ›Block Beuys‹ gehören sollen. […] Er ist berechtigt, den ›Block Beuys‹ geschlossen zu verschenken, zu stiften, auszuleihen oder zu verkaufen, jedoch mit der Auflage, daß der Erwerber sich ebenfalls verpflichtet, den ›Block Beuys‹ geschlossen zu erhalten und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.«134

Beuys schafft sich hiermit direkt neben den Räumen der Pop Art-Sammlung Ströhers und unter Berücksichtigung der architektonischen Vorgaben sein eigenes Museum im Museum. Aufgrund des Vertrags war ihm ein Freiraum garantiert, innerhalb dessen er sich über jegliche museale Ankaufs- oder Verkaufsstrategien hinwegsetzen und die Präsentationsform seiner Arbeiten ohne Absprache mit etwaigen Kuratoren unter künstlerischen Gesichtspunkten selbst bestimmen kann. So arrangiert er im ersten Raum Die Transsibirische Bahn (1961) und Lichamen (1967 ) [ Abb. 11 ], im zweiten neben Fond II (1968 ) und Fond III (1969 ) die Szene aus der Hirschjagd sowie Grauballemann und einige kleinere Objekte und Filzarbeiten [ Abb. 12 ]. Im dritten Raum stellt Beuys wie erwähnt große Teile der Raumplastik sowie vier Vitrinen auf, die u. a. den berühmt gewordenen Stuhl mit Fett (1963 ) beinhalten [ Abb. 13 ]. Der vierte Raum enthält Tisch I (1953 ), mit Hasenstangen (1965 ) sowie Filz TV (1963 ) und sechs Zeichnungen. Der fünfte, sechste und siebte Raum waren mit insgesamt 21 seiner rundumverglasten Messingvitrinen gefüllt, die innerhalb der Ausstellungssituationen wiederum eigene Displaystrukturen bilden. Gerade diese Räume weisen zudem einen Bezug zur naturwissenschaftli-

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Zitiert nach Faust 1990, S. 78. Vgl. Beuys 1995, S. 399  f.

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chen Sammlung des Museums auf, die sich direkt über den Ausstellungsräumen des Block Beuys’ befindet und damit die naturwissenschaftliche Konnotation der Beuys’schen Vitrinen noch einmal verstärkt.135 Auch hier behält Beuys das Prinzip der unbeschrifteten Präsentationsform bei, was den Zusammenhalt der Einzelobjekte auf die gesamte Ausstellungsfläche ausdehnt. Beuys bestimmte selbst über etwaigen Leihverkehr, tauschte Arbeiten aus anderen Sammlungsbeständen aus und kaufte Arbeiten von Galerien zurück, um eine repräsentative Auswahl seiner Arbeiten zu garantieren.136   So unterliegen die Ausstellungsräume in den 1970ern und 1980ern Jahren einem stetigen Wandel.137 Über die Art und Weise der Anordnung der einzelnen Arbeiten legte Beuys zugleich eine klare Betrachterchoreografie durch die Räume fest, die die Wahrnehmung der Ausstellungssituation als Ganzes maßgeblich mitbestimmt. Wolfgang Max Faust spricht in diesem Zusammenhang dementsprechend von einem als Rundgang angelegten »Initiationsweg […], der auf eine Verwandlung des Bewußtseins zielt«138 und das ausschließlich über »die Sprache der Dinge, auf Assoziationen provozierende Dimension von Materialien und Formen«.139   Die Betrachter werden durch die Aufteilung und Anordnung der einzelnen Objekte angeleitet zu einer bestimmten Sicht auf sie. Das Museum wird so auch hier wiederum zu einem in sich geschlossenen Erfahrungsraum, der auf die leibliche Erfahrung wie spirituelle Erleuchtung des Betrachters abzielt – ein Verfahren, dass bereits in Bezug auf die Raumplastik eine Rolle spielte und besonders in Bezug auf Beuys’ Retrospektive im Guggenheim noch einmal explizit werden wird.140 Der Gang durch die Räume,

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Vgl. Paas, Sigrun : Joseph Beuys. Der Darmstädter Werkblock (= Patrimonia 11), Köln 1989, S. 9. Gerhard Theewen weist zudem darauf hin, dass die Sammlungen des Hessischen Landesmuseums Darmstadt zu großen Teilen auf die nachgelassenen Sammlungen des Kölner Barons Hüpsch zurückgehen, die wiederum als eine Spätform der Kunst und Wunderkammern gelten. Theewen 1993, S. 11. Beispielsweise tauschte er den Fettstuhl (1964 ) aus und kaufte den Eurasienstab (1967 ) zurück. Beuys 1995, S. 400. Auch hier böte sich noch einmal ein Vergleich zu Robert Morris an. Sein Continuous Project Altered Daily (1969 ) als auch seine Permutations (1967 ) spielten auf einer täglichen Ebene mit Veränderungen im Display. Besonders in den Process Pieces (1970 ) machte er den Produktionsprozess von Kunst bewusst zum Thema der Ausstellung im Whitney Museum und ließ die Besucher daran teilhaben. Faust 1990, S. 76. Ebd. Vgl. ebd., S. 78, und Gronau, Barbara : Theaterinstallationen. Performative Räume bei Beuys, Boltanski und Kabakov, München 2010, S. 98  ff. Zur Beuys‐Retrospektive im Gug-

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die Abfolge in der Wahrnehmung der Situation ersetzt auf diese Weise Beuys’ eigene Präsenz, wie sie zuvor etwa durch Performances oder Gespräche erzeugt wurde. Die Rezeptionsweise ist somit von vornherein in den Block Beuys im Sinne einer erweiterten Raumplastik angelegt, indem eine vom Betrachter selbstbestimmte Erfahrung nicht möglich zu sein scheint. Das Display selbst wird Parallelprozess. Darüber hinaus spielt der Block Beuys auch für Beuys und seine künstlerische Weiterentwicklung eine maßgebliche Rolle. Der Block war für ihn »eine permanente Arbeitsstätte, ein Energiefeld«141 und er kehrt regelmäßig in die Räume zurück. So wird, wie bereits in Bezug auf Barraque D’Dull Odde erwähnt, der museale Raum auch hier mit der künstlerischen Produktionsstätte in eins gebracht und der Block Beuys zumindest zu Beuys’ Lebzeiten geprägt durch die ( mythische ) Aura des hier tatsächlich arbeitenden Künstlers. Die den einzelnen Objekten durch ihre Materialität inhärente Prozessualität wird auf das Display übertragen und es wird eine Lebendigkeit gewahrt, die der mausoleumartigen Wirkkraft von Museen grundsätzlich zuwiderläuft. Mit dem Block Beuys als umfassendste öffentlich zugängige Werksammlung schließt sich über das Display erneut der Kreislauf von Kunstproduktion und -präsentation. Die Rückschau auf das eigene Werk bot auch für Beuys die Voraussetzung für das noch Folgende. Neuordnungen und Ergänzungen ermöglichten ihm Korrekturen sowie eine stetige Aktualisierung seiner Repräsentation als Künstler und verwehrten dem Block Beuys zugleich den Charakter eines in sich ruhenden, abgeschlossenen Werkkomplexes.

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genheim vgl. Unterpunkt »Die Retrospektive als Initiationsweg« in diesem Kapitel, S. 81  ‒91. Elsen 1992, S. 36.

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Repräsentative Dimensionen

des

Ausstellungsdisplays

Kopplung von Leben und Werk Mit steigendem Bekanntheitsgrad entscheidet Beuys zunehmend strategisch, wann und wo er was ausstellt und wie er sich darüber als Künstler einer Öffentlichkeit präsentiert. Indem er auch seine eigene – selbstkonstruierte – Künstlerbiografie als »Werkzeug« einsetzt, erhalten seine Ausstellungen eine verstärkt repräsentative Dimension. Dass Beuys seiner Darstellung als Künstler eine hohe Bedeutung zuweist, zeigt bereits die von ihm selbst verfasste tabellarische Auflistung halbfiktionaler biografischer Daten, die seit 1964 unter dem Titel Lebenslauf     /   Werklauf  in jeder Publikation abgedruckt wurde, auf die er Einfluss gewinnen konnte.142   Über diese in den folgenden Jahren stetig ergänzte Zusammenführung von für ihn einschneidenden Ereignissen mit dem Format der Ausstellung – der Begriff erscheint gleich 26 Mal und bezieht sich beispielsweise auch auf seine Geburt143 – parodiert er einerseits die klassische nach Ausstellungsbeteiligungen gegliederte Künstlerbiografie. Zugleich unterzieht er sein Leben bewusst einer Ästhetisierung und verkehrt es zum öffentlichen Schauobjekt, das nicht von seinem künstlerischen Œuvre zu trennen ist.144 Ausgehend vom Lebenslauf     /   Werklauf entsteht 1973 in enger Zusammenarbeit mit Beuys die von Götz Adriani, Winnfried Konnertz und Karin Thomas herausgegebene erste Monografie über den Künstler.145  Ist es zwar vorrangiges Anliegen, die Differenzen von Wahrheit und Fiktion hiermit aufzudecken, liegt es doch an Beuys, die Endfassung abzusegnen und damit jegliche folgende Rezeption seiner Werkentwicklung maßgeblich zu beeinflussen. Auch wenn Beuys selbst betont, dass er »diese Sachen nicht [mag ], die mich in meine eigene Biographie verwi-

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Erstmals abgedruckt wurde sie in der Broschüre für das Festival der neuen Kunst am 20. Juli 1964 in Aachen. Vgl. Kort, Pamela : »Joseph Beuys : Arena – Der Weg nach innen«, in : Cooke, Lynne / Kelly, Karen ( Hg.) : Joseph Beuys. Arena – Wo ich hingekommen wäre, wenn ich intelligent gewesen wäre !, New York    /  Stuttgart 1994, S. 18  ‒ 33, hier S. 19. Sie schreibt dieser Biografie Manifestcharakter zu (ebd.). Zum Autobiografischen bei Beuys vgl. auch : Nisbet, Peter : »Crash Course. Remarks on a Beuys Story«, in : Ray, Gene ( Hg.) : Joseph Beuys. Mapping the Legacy, New York 2001, S. 5  ‒18. Der erste Eintrag lautet : »1921 Kleve Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde«. Vgl. z. B. Abdruck in Cooke   /  Kelly 1994, S. 20. Vgl. Kort 1994, S. 19. Vgl. ebd., S. 20. Dort besonders Fußnote 18.

76 |  II. R epräsentative D imensionen des A usstellungsdisplays

Abbildung 14 : Joseph Beuys, Arena, Ansicht in der Ausstellung Strategy : Get Arts. Contemporary Art from Dusseldorf, College of Art, Edinburgh, 1972

ckeln, in eine Arbeit, die ich bereits gemacht habe«,146 werden gerade anhand seiner Displays Strategien der Selbsthistorisierung und stetigen Aktualisierung seines Werkes ersichtlich. Die von ihm vorgenommenen Blockbildungen unterschiedlicher künstlerischer Arbeiten verdeutlichen eine netzartige Verbindung zwischen verschiedenen Werkphasen, die einer rein genealogischen Entwicklung grundsätzlich zuwider läuft und vielmehr den Eindruck eines in sich beziehungsreichen Ganzen vermittelt. Der Block Beuys bildet diesbezüglich eine Schlüsselstellung. Eine andere Arbeit, an der die Bedeutung des Displays für die Repräsentation der eigenen künstlerischen Produktivität besonders deutlich ablesbar wird und die als visuelles Pendant zum Lebenslauf      /    Werklauf gesehen werden kann, ist die in ihrem Erscheinungsbild einem mehrfachem Wandel unterliegende Arena – wo wäre ich hingekommen, wenn ich intelligent gewesen wäre ! Erstmals gezeigt wird Arena 1970 als Teil seines Beitrags in der Gruppenausstellung Strategy : Get Arts. Contemporary Art from Dusseldorf im College of Arts in Edinburgh.147   Hinter einfachen Glasrahmen, die teils gehängt, teils lose gegen die Wand gelehnt über den Raum verteilt sind, präsentiert Beuys etwa 160 schwarzweiße Fotografien, die seine bisherige künstlerische Produktivität dokumentieren [ Abb. 14  ]. Dabei deckt die Arbeit, wie Pamela Kort herausstellt, mindestens vier unterschiedliche Zeitspannen seiner bisherigen künstlerischen Tätigkeit ab : Der Zeitraum von 1947 bis 1973 markiert die Zeit vom Studienbeginn an der Düs-

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Interview mit Louwrien Wijers, in : Wijers 1992, S. 32. Die anderen von ihm hier gezeigten Arbeiten waren Celtic ( Kinloch Rannoch) Schottische Symphonie und das Rudel vgl. Kort 1994, S. 18.

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seldorfer Kunstakademie bis zur letzten Installation der Arbeit in der Ausstellung Contemporanea in Rom. Die Spanne von 1949 bis 1971 umfasst die Entstehungszeit der Skulpturen, Aktionen und Zeichnungen, die Arena dokumentiert. In den zehn Jahren von 1962 bis 1972 entstehen die Fotografien, und zwischen den beiden Jahren 1970 bis 1972 arbeitet Beuys an der Umsetzung von Arena selbst.148 Bezeichnenderweise unterläuft Beuys in der Präsentationsform wiederum die hier skizzierten chronologischen Entwicklungslinien, indem er die einzelnen Rahmen trotz ihrer Nummerierung ohne erkennbare Ordnungsstruktur zeigt. Die zu diesem Zeitpunkt noch unbetitelte Arbeit liefert somit eine Übersicht und Rückschau, wie es der Katalog nicht bieten konnte – dort wird die Arbeit gar nicht erwähnt ‒,149 und stellt zugleich einen auf die aktuelle Ausstellungssituation bezogenen, übergreifenden Kontext für die beiden ebenfalls gezeigten Arbeiten Celtic ( Kinloch Rannoch) Schottische Symphonie (1970 ) und Das Rudel (1969 ) her. Beuys setzt sich damit von den anderen ausstellenden Künstlern ab, indem er über Assoziationen an ein Werkverzeichnis hervorrufendes Display den Eindruck erweckt, sich jeder Form von Kategorisierung oder Systematisierung zu entziehen. Dabei verbirgt sich dahinter ein klarer, auf seine derzeitige öffentliche Wahrnehmung bezogener, strategischer Schachzug : Der Arena inhärente repräsentative Gestus ist, wie schon Barraque D’Dull Odde, nicht zuletzt auch als direkte Entgegnung auf das 1969 von neun Professoren der Kunstakademie Düsseldorf beschlossene Misstrauensvotum gegen Beuys zu lesen.150   Da seine Rezeption in Westdeutschland zu der Zeit von den Folgen dieses Image schädigenden Ereignisses geprägt war, bot ihm diese Ausstellung die Möglichkeit, sich zumindest im Ausland ungebrochen als Spitze der Düsseldorfer Künstlerszene zu präsentieren. Somit bezieht Beuys mit seinem Beitrag für Strategy : Get Arts direkt auf ein für den Zeitpunkt die Rezeption seiner Kunst determinierendes, reales Außerhalb Stellung. Die Arbeit wird damit wortwörtlich zur Arena und zum Schauplatz eines im übertragenen Sinne öffentlichen Kampfes vor Publikum – eine Metapher, die sich auch in Verbindung mit Beuys’ Vorliebe für Boxsport in Verbindung bringen lässt. Innerhalb des kunstwissenschaftlichen Diskurses wird der Begriff der »Arena« in der Regel v. a. mit Harald Rosenbergs Charakterisierung von Jackson Pollocks

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Ebd. Vgl. Vischer 1991, S. 28. Sie bezichtigten ihn der Verbreitung des Ungeistes unter seinen Studenten. Einer von ihnen, Norbert Kricke, veröffentlichte in der Zeit einen Artikel, in dem er Beuys vorwarf, den Messias zu spielen und Jesus-Kitsch zu produzieren. Vgl. Kort 1994, S. 18  f.

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Drip Paintings in Verbindung gebracht.151  In Bezug auf Pollocks horizontale Maltechnik, bei der die Leinwand auf dem Boden liegt, spricht Rosenberg von einer Arena des Künstlers, innerhalb derer er handelt.152   »What was to go on the canvas«, so Rosenberg, »was not a picture but an event«.153   In jüngerer Zeit hat der Begriff der Arena jedoch zunehmend auch in Bezug auf das Museum und das Ausstellen Einzug erhalten. In seinem Aufsatz »Sculpture and Installation« spricht Alex Potts beispielweise von einer »arena of display«.154   Darin heißt es : »[ M ]ost video work, for example, that exploits the three-dimensionality of the arena of display will activate the empty space it surrounds or faces onto, inviting the viewer to take up a place within it or project into it an imagined presence.«155   Und : »[I]t is almost as if the thingness of the traditional sculptural object has been turned inside out, so it resides in the framing that encloses and focuses the viewer’s looking, rather than in an object isolated within the arena of display.«156   »Arena« definiert demnach zugleich Raum und Grenze eines Displays, sie markiert und aktiviert das Feld, innerhalb dessen etwas gezeigt wird. Auch Christian Kravagna bedient sich dieses Begriffs für seinen Sammelband institutionskritischer Schriften von Künstlern mit dem Titel »Das Museum als Arena«157 und richtet seinen Fokus damit auf das Museum als Handlungsraum des Künstlers bzw. Austragungsort eines Mächtespiels von Künstler und Institution. Beatrice von Bismarck schließlich verwendet das Schlagwort »Arena Archiv« als Überschrift in einem Aufsatz zu künstlerischer Selbstarchivierung.158   In Bezug auf Beuys’ hier im Fokus stehende Arbeit ist von einer Verschränkung dieser drei Dimensionen des Begriffs auszugehen und dementsprechend die »arena of display« als eine Struktur innerhalb des »Museums als Arena« zu verstehen, die archivalische Züge trägt.

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Rosenberg, Harold : »The American Action Painters«, in : Ders. : The Tradition of the New, New York 1959, S. 22  ‒  49, hier S. 25. Vgl. hierzu auch S. 243  f. in diesem Buch. Vgl. Lee 1995, S. 312. Rosenberg 1959, S. 25. Kelley selbst erwähnt die Scatter Pieces von Barry Le Va als einen Referenzpunkt der Arbeit im Interview mit John Miller. Miller, John : »Mike Kelley by John Miller«, in : BOMB Magazine 38 (1992 ), http://bombsite.com/issues/38/articles/1502  (Abruf am 03.10.2013 ). Potts, Alex : »Sculpture and Installation«, in : Oxford Art Journal 24 /2 (2001), S. 7  ‒ 23, hier S. 17. Ebd. Ebd. Kravagna, Christian / Kunsthaus Bregenz ( Hg.) : Das Museum als Arena. Institutionskritische Schriften von KünstlerInnen, Köln 2001. Von Bismarck, Beatrice : »Arena Archiv. Prozesse und Räume künstlerischer Selbstarchivierung.«, in : Dies. ( Hg.) : interachive, Kunstraum Lüneburg, Köln 2002, S. 113  ‒119.

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Abbildung 15 : Joseph Beuys, Aktion Vitus agnus castus, Modern Art Agency, Neapel, 15. Juni 1972

Besonders deutlich wird dies angesichts der Tatsache, dass Arena in Edinburgh weitgehend gar nicht zwangsläufig als künstlerische Arbeit wahrgenommen wurde.159   Erst im Laufe ihrer weiteren Ausstellungsgeschichte sollte sich auch die Rezeption ändern. 1972 erweitert Beuys die Arbeit im Zuge seiner Ausstellung in der Modern Art Agency in Neapel um drei einfarbige, in massive Rahmen eingelassene Glasplatten sowie 100 weitere Fotografien. Er ersetzt die einfachen Glasrahmen durch auffällige Aluminiumrahmen, die sorgfältig verbolzt den Charakter von Reliquienschreinen annahmen und vergleichbar mit den Vitrinen den Eindruck erzeugten, für die Ewigkeit geschaffen zu sein. Beuys bearbeitete sie bereits in Düsseldorf mit Schwefel, Säure und Wachs, wodurch sie über ihren dokumentarischen Charakter hinaus eine eigene Werkhaftigkeit erlangen. Zudem kippt in Neapel die zuvor äußerst unprätentiöse Edinburgher Hängung ins Monumentale. Als ideale Präsentationsform legt Beuys nun eine kreisförmige Anordnung fest, die er allerdings aufgrund Platzmangels nie realisieren konnte, sodass er auf teils sehr gedrängte Anordnungen ausweichen musste. Hier stellt er etwa die Rahmen hintereinander weg auf den Boden, sodass nur jeweils die Fotografien in dem jeweils vordersten sichtbar sind. Über den in Neapel erstmals fixierten Titel der Arbeit zieht Beuys – verstärkt durch ein in die Arbeit integriertes Foto der römischen Arena von Verona – eine Verbindungslinie zum antiken Kampfplatz der Gladiatoren, der sich hier in Beuys’ eigene Bühne seiner »heroischen Taten« und in seinen »Kampfplatz« im Kunstbetrieb verkehrt. Den Fotografien hinzugefügt werden eine

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Kort 1994, S. 19.

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Ölkanne, ein Stapel gefettetes Wachspapier sowie zwei Stapel Kupfer- und Eisenplatten, die ihm als »Werkzeuge« der zur Eröffnung aufgeführten Aktion Vitex agnus castus dienten. Für die Dauer der Aktion wandelt sich die Ausstellung zu einem tatsächlichen »Schauplatz« der dort vollzogenen Handlungen des Künstlers vor Publikum [ Abb. 15  ]. Bedingt durch ihr Display evoziert die zirkelhaft gedachte Anlage der Arbeit – zumindest fiktiv – die Wirkung eines in sich geschlossenen Ganzen, in dem Anfang und Ende in eins fallen. Beuys ist demnach, wie Kort hervorhebt, entgegen jedes Fortschrittsdenkens »der geworden, der er bereits gewesen war«160.   Seine künstlerische Produktivität kann demnach nur als kohärentes Lebenswerk erfasst161 und einer kritischen Beurteilung unterzogen werden. Jede einzelne in Arena fotografisch repräsentierte Arbeit wird so auch hier ein für sein Gesamtwerk gleichrangiger Stellenwert zugeschrieben, die missionarische Dimension des Displays ist unübersehbar.162 Wie beim Block Beuys bestand auch bei Arena die Absicht, die Arbeit im Fluss zu halten, sie stetig zu erweitern und damit immer wieder bezogen auf den jeweiligen Stand seiner künstlerischen Entwicklung zu aktualisieren, um die Zirkelstruktur zu erhalten.163   Die Arbeit ist damit stets im Zeitgenössischen verortet, ohne dadurch ihren archivalischen Charakter einzubüßen. Beuys erklärt mit dieser Arbeit sein Ausstellungsdisplay zur wortwörtlichen Arena seines »Auftritts als Künstler«164 und zum Anlass einer umfassenden Werkschau innerhalb eines institutionellen Rahmens. Mit dieser werkimmanenten Retrospektive verbreitet er ein

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Kort 1994, S. 29. Nicht zufällig nennt Theodora Vischer ihre 1991 erschienene Beuys-Monografie daher Die Einheit des Werkes. Vgl. von Bismarck in Bezug auf Jason Rhoades und Anna Oppermann in : Von Bismarck 2002, S. 116 : »Diese auf Geschlossenheit und damit Exklusion dringende Geste erlaubt die Beschränkung auf eine einzige Erzählung, die auf die Entwicklung und den Werdegang als KünstlerIn bezogen ist. Obwohl die Narration, die sich über die ausgestellten Einzelobjekte entwickelt, in beiden Fällen formal durch die unübersichtliche Anhäufung und Verschachtelung Linearität vermeidet, obwohl auch Rhoades’ Ausstellungskatalog ähnlich wie eine mit Hypertext erstellte Datenbank aufgebaut ist, die 392 Stichwörter durch eine Vielzahl von Querverweisen untereinander und mit dem Bildmaterial verknüpft, stellt sich die Öffnung des Materials zu anderen Erzählungen oder Kontexten nicht ein. Die RezipientInnen sehen sich allein zum Nachvollzug einer singulären Geschichte aufgefordert. Partizipation ist ausgeschlossen, es besteht Berührungsverbot.« Kort 1994, S. 28. Zu dieser Wendung vgl. von Bismarck, Beatrice : Auftritt als Künstler – Funktionen eines Mythos (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 39 ), Köln 2010.

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von ihm autorisiertes, singuläres Narrativ seines künstlerischen Werdegangs. Beuys tritt mit Derrida gesprochen hier als sein eigener Archont auf   165 – er ist nicht nur Bewahrer des Archivs, sondern auch sein eigener Interpret. Beatrice von Bismarck folgert aus der durch die Selbstarchivierung gewonnenen Kontrolle, dass die hiermit verbundene künstlerische Praxis »damit vor allem als eine politische Strategie [ erscheint ], die der Institution und ihren konsekrierenden Funktionen ein Gegenmodell vor Augen führt, das – zumal wenn innerhalb der Institution, als Archiv im Archiv, installiert – die Macht nicht nur ausübt, sondern auch ihre Verhältnisse aufführt und sichtbar macht.« 166

Dieses kritische Moment der Selbstarchivierung ist bei Beuys jedoch durchaus relativ zu sehen. Denn der Wandel der Arbeit und ihr stetiges Anpassen an den Stand seiner Karriere verleihen ihr zunehmend den repräsentativen Charakter und gebaren sich wiederum eher als eine Affirmation gegebener Strukturen denn als ihre gewollte Offenlegung. Als die Dia Art Foundation Arena 1976 erwirbt, wird daher dezidiert im Kaufvertrag festgehalten, dass es sich weiterhin um ein »work in progress« handelt und Beuys folglich weiterhin Zugriff auf die Arbeit hat. Im Gegensatz zum Block Beuys jedoch konnte Arena nur selten in ganzer Fülle gezeigt werden und wurde de facto auch seit dem Verkauf nicht weiter ergänzt,167 sodass sie letztendlich einen von seiner noch folgenden künstlerischen Produktivität abgetrennten Zyklus ergibt. Posthum kommt diese Arbeit zum Stillstand. Durch die Bestimmung der für Beuys relevanten Etappen seines künstlerischen wie privaten Lebens trägt er neben dem Block Beuys mit dem Lebenslauf     /   Werklauf wie auch mit Arena maßgeblich zu seiner Selbsthistorisierung bei. Die Retrospektive als Initiationsweg 1979 wird Beuys schließlich, inzwischen 58-jährig, als erster europäischer Künstler eingeladen, die Räume des New Yorker Guggenheim Museums komplett zu bespielen. Es sollte seine umfangreichste Einzelausstellung und einzige Retrospektive zu Lebzeiten bleiben. Durch das damit einhergehende, umfangreiche und oft recht

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Derrida, Jacques  : Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression, Berlin 1997, S. 11 ‒13. Vgl. auch von Bismarck 2002, S. 114. Ebd., S. 115. Kort 1994, S. 28.

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polemische Presseecho sowohl in den USA als auch im deutschsprachigen Raum hat sie eine entsprechend hohe Aufmerksamkeit erlangt und das Bild vom Künstler Joseph Beuys v. a. in den USA nachhaltig geprägt. Das konventionelle Ausstellungsformat der Retrospektive definiert sich gemeinhin als eine monografisch ausgerichtete, museale Ausstellung, mit dem Anliegen, einen Überblick der unterschiedlichen und meist chronologisch gehängten Werkphasen eines Künstlers zu bieten. Eine Retrospektive ist damit eine Ausstellung, die eine bestimmte Ordnung oder bestimmte Kategorien schafft, nach denen ein Œuvre aus der aktuellen Zeit heraus rückblickend präsentiert wird. Sie ist neben der thematisch ausgerichteten Gruppenschau daher das Ausstellungsformat, dem ein klar formuliertes Konzeptzugrunde liegt. Eine Retrospektive erfolgt immer aus einer bestimmten Perspektive heraus, die in der Regel wissenschaftlich fundiert ist. So beinhaltet diese »unausweichliche Etappe in der Karriere eines Künstlers«, wie Daniel Buren in seinen Ausführungen zu diesem Ausstellungsformat betont,168 immer auch eine Form der institutionellen Anerkennung, die in der Regel mit einer globalen Wertsteigerung einhergeht und die im Unterschied zu den jüngeren und jüngsten Entwicklungen oftmals erst posthum verliehen wird. Nimmt ein Künstler die Konzeption und Realisierung seiner Retrospektive selbst in die Hand, geschieht dies häufig aus einer subjektiven, eng mit der eigenen künstlerischen Praxis verbundenen Perspektive heraus. Das Format der Retrospektive erlaubt einem Künstler gerade durch seinen zurückblickenden, überblickshaften Charakter im besonderen Maße, sich und sein Werk vor der kunstinteressierten und -kritischen Öffentlichkeit zu positionieren. Es erlaubt eine Neu- oder Umgewichtung bestimmter Werkkomplexe sowie deren Kontextualisierung in der Kunstgeschichte ebenso wie die bewusste Negation einer Kanonisierung, indem das Format selbst in der Ausstellung einer Reflexion unterzogen und gegebenenfalls unterwandert wird. Es ist wiederum Marcel Broodthaers, der eines der ersten Beispiele eines künstlerisch-konzeptuellen Umgangs mit der Retrospektive liefert. Hierzu zählt die bereits erwähnte Abfolge von sechs Ausstellungen an unterschiedlichen Orten zwischen den Jahren 1974  ‒1976, die den Höhepunkt seiner Karriere bildeten.169

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Vgl. Bourdieu, Pierre : »Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital«, in : Kreckel, Reinhard ( Hg.) : Soziale Ungleicheit (= Soziale Welt, Sonderbd. 2 ), Göttingen 1983, S. 183  ‒198, hier S. 190. Dazu zählen : Catalogue /  Catalogus im Palais des Beaux-Arts, Brüssel (27.09. ‒  03.11.1974 ), Elogue du Sujet im Kunstmuseum, Basel (05.10  ‒  03.11.1974 ), Invitation pour une exposition bourgeoise in der Nationalgalerie Berlin (25.02. ‒  06.04.1975 ), Le Privilège de L’Art im Oxford Museum of Modern Art (26.04. ‒  01.06.1975 ), Decor. A Conquest by Marcel Broodthaers im Institute of Contemporary Art, London (11.06  ‒  06.07.1975 ) und L’Angelus de Dau-

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Die alle Ausstellungen miteinander verbindende Idee des Décor ließ auf ein umfassenderes theoretisches Konzept schließen, innerhalb dessen der Spiegel als klassisches Symbol der Selbstreflexion den sie alle durchziehenden Leitfaden bildete.170 Letzterer verkörpert »geradezu den Gedanken der Retrospektive, weil er das Bild, was man ihm vorgibt, zurückwirft, zum anderen symbolisiert er als Attribut der Vanitas auch den Dekor-Gedanken«.171   Die einzelnen Werke tauchen über diese Reflexionen in immer wieder neuen Zusammenhängen auf und werden somit als vergangene wieder vergegenwärtigt, sodass es sich letztendlich auch hier weniger um Retrospektiven im klassischen Sinne handelt als um eine »Inszenierung des eigenen Werkes zu einer höheren Synthese«.172   Dabei produzierte er je Ausstellung stets ein zentrales neues Werk und publizierte stets speziell zugeschnitten auf die jeweilige Ausstellung einen eigenständigen Katalog.173   Über diesen hochreflektierten und humorvollen Umgang mit der Retrospektive entzieht er sich somit den grundlegenden Parametern dieses Ausstellungsgenres. Zum Guggenheim Museum hatte Broodthaers, wie viele seiner Künstlerkollegen, ein kritisches Verhältnis. Anders als Beuys zählt er zu den Unterzeichnern einer internationalen Solidaritätsbekundung gegenüber Hans Haacke, als dessen Einzelausstellung 1971 kurzerhand abgesagt wurde, da dem Museum die darin offengelegten Verstrickungen ihrer Geldgeber in dubiose Immobiliengeschäfte zu heikel wurde, sowie dem damaligen Kurator Edward Fry, dem sein Engagement für Haacke den Job kostet.174 Auch zieht Broodthaers aus Protest gegen diese Vorgänge seine ursprünglich Daniel Buren gewidmete Arbeit im Rahmen der Gruppenausstellung Amsterdam-Paris-Düsseldorf (1972 ),175 an der auch Beuys mit zwei Arbei-

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mier im Centre National d’art contemporain, Hotel Rothschild, Paris (02.10. ‒10.11.1975 ). Vgl. Zwirner, Dorothea : Marcel Broodthaers (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 3 ), Köln 1997, S. 148. Ebd. Ebd. Vgl. Haidu, Rachel : The Absence of Work. Marcel Broodthaers, 1964  ‒1976, Cambridge (Mass.) 2010, S. 227  f. Vgl. Germer 1988 sowie Haacke, Hans : »Provisorische Bemerkungen zur Absage meiner Ausstellung im Guggenheim Museum, New York«, in : Kravagna  /  Kunsthaus Bregenz 2001, S. 49  ‒ 53 und Buchloh, Benjamin: »Beuys : The Twilight of the Idol. Preliminary notes for a Critique«, in: Artforum 18 / 6 (1980 ), S. 35  ‒ 43. Wiederabgedruckt in und hier zitiert nach: Buchloh, Benjamin H. D.: Neo-Avantgarde and Culture Industry. Essays on European and American Art From 1955 to 1975, Cambridge ( Mass.)  /  London 2003, S. 41  ‒ 64, v. a. S. 59ff. Dessen aus einem von der Kuppel bis zur Rampe reichende Stoffarbeit in der Mitte der

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ten beteiligt ist, zurück.176   Von den Spannungen, die diese Vorfälle auch unter Künstlern hervorriefen, zeugt Broodthaers berühmt gewordener »Offenen Brief an Joseph Beuys«, in dem er in der Rolle des deutsch-französischen Komponisten Jacques Offenbach Beuys als Richard Wagner adressiert und letzterem mit »Welchen Zwecken dienst Du, Wagner ? Warum ? Wozu ?« in aller Öffentlichkeit die politische Gretchenfrage stellt.177 Ungeachtet dieser durchaus heftigen Vorwürfe von Seiten seiner Künstlerkollegen nimmt Beuys die Einladung des Guggenheim Museums an. Er habe »genau den Punkt erreicht, wo den Leuten klargeworden ist, dass ich in Amerika niemals den alten Wunsch nach Kunstausstellungen herkömmlicher Art erfüllen werde – Ausstellungen, die man in den letzten Jahren immer wieder von mir verlangt hat. Einige Personen in den USA haben großes Interesse an meinen Ideen gewonnen.« 178

Auch wenn es eher fraglich bleibt, dass Beuys’ Lehren in den USA auf fruchtbaren Boden stießen und er trotz Sprachbarrieren die Ideen seines Kunstbegriffs adäquat vermitteln konnte, markiert die Retrospektive im Guggenheim für ihn v. a. eine Form der internationalen Anerkennung, die von Amerika aus auch zurück wirkte in die deutschen Medien. Das Magazin Der Spiegel warf schon auf der Titelseite die Frage von »Weltruhm für einen Scharlatan ?« auf.179   Andersherum sollte das hierzulande durch die Medien aufgeheizte, umstrittene Bild des Künstlers kurz vor Beginn der Retrospektive auch in den amerikanischen Medien aufgegriffen werden. Das öffentliche Interesse und der Andrang bei der Eröffnung waren dem-

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Spirale wurde ebenfalls, wenn auch v. a. aufgrund von Kritik seiner Künstlerkollegen, da die Arbeit aufgrund ihrer Ausmaße zu übergriffig gewesen sei, kurz zuvor aus einer Gruppenausstellung im Guggenheim ausgeschlossen. Vgl. hierzu Buren 1995, S. 169  ‒180. Bezeichnenderweise war Beuys mit dem Ensemble Gundfana des Westens – Dschingis Khans Flagge sowie einem Objekt, das die Programmatik seiner Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung beschrieb, vertreten und damit mit Arbeiten, die er als explizit politisch verstand. Stefan Germer sieht hierin eine Vereinnahmung des Politischen durch die von Broodthaers als neutralisierend charakterisierte und Kunst für ihre Zwecke vereinnahmende Institution. Zugleich bot eben das von Beuys auf der documenta 5 präsentierte »Informationsbüro« für Broodthaers in seiner Programmatik ein Paradebeispiel für die von ihm kritisierte Verwechslung bzw. Verschmelzung von Kunst und Politik. Vgl. Germer 1988, S. 26 und S. 28. Vgl. Germer 1988, S. 27, sowie Buchloh 2003, S. 60. Riegel 2013, S. 408. Der Spiegel 45 / 33 (1979 ).

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entsprechend groß. In der amerikanischen Kritik der 1950er und 1960er Jahre war deutsche Kunst generell kaum vertreten; ein Phänomen, dass sich v. a. auf das Bedürfnis einer ideologischen Abgrenzung zurückführen lässt.180   Die BeuysRezeption setzte in den großen amerikanischen Kunstmagazinen erst Ende 1969 mit einem umfangreichen Interview im Artforum ein.181  Zu stark ist das Bild der Deutschen zuvor noch von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit geprägt. Zu widersprüchlich und komplex schien die Kultur, was eine grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber Künstlern der Kriegs- und Nachkriegsgeneration bekräftigte.182 Von Beuys überwog – und, überwiegt auch heute oft noch – das Bild des Okkultisten, der die Mythisierung seiner eigenen Person vorantrieb und dessen Materialsprache ihm auch den Vorwurf der Blut-und-Boden-Romantik einbrachte.183 Bekanntermaßen hallt dieser Vorwurf auch in der berühmt gewordenen Kritik die Ausstellung von Benjamin Buchloh, »Beuys. The Twilight of the Idol, Preliminary Notes For A Critique«, wieder, dessen hierin formulierte Antipathien gegenüber Beuys viele Linksintellektuelle teilen und den Künstler gerade im Umfeld der October-Autoren zu einem langanhaltenden Tabu machen. Doch auch Beuys äußert seine Vorbehalte gegenüber den USA und weigert sich zur Zeit des Vietnamkriegs, das Land überhaupt zu betreten.184   Er schlägt sowohl 1968 als auch 1972 die Einladungen zu einer midcareer show im Museum of Modern Art von Kynaston McShine aus taktischen Gründen aus.185  Abgesichert durch die inzwischen gestiegene Anerkennung in Deutschland nutzte Beuys die Ausstellung im Guggenheim 1979 dementsprechend erstmalig als Chance, sich in Amerika künstlerisch in umfassender Weise selbst zu präsentieren. Zugleich war sie ein

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Vgl. Luckow 1998, S. 19  ff. Kim Levin etwa schrieb 1984 : »In the late 1960s, Joseph Beuys was an underground name in the American art world, and a hero to art students.«, in : Kuoni, Carin ( Hg.) : Beuys in America, or The Energy Plan for the Western Man. Writings By and Interviews with the Artist, New York 1990, S. 1. Vgl. auch : Rothfuss, Joan : »Joseph Beuys. Echoes in America«, in : Ray 2001, S. 37 ‒ 53. Rothfuss 2001, S. 29. Ebd., S. 31. Tisdall, Caroline : »Beuys in America, or The Energy Plan for the Western Man«, in : Kuorin 1990, S. 7  ‒15, hier S. 9. Vgl. auch Riegel 2013, S. 409. Dort behauptet Riegel, dass Beuys gerade nicht als besonders engagierter Vietnamgegner bekannt war. Im Interview mit Rywelski führt Beuys allerdings Überlastung und Mangel an vorhandenen Arbeiten auf. Auch habe er »kein Interesse daran, in einem Land, in dem Nixon Präsident ist, Aktion zu machen«. Dies sei, wie Beuys etwas weniger entschlossen hinzufügt, »schließlich […] auch ein Grund, oder nicht ?«. Beuys  /  Rywelski 1970, o. P.

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willkommener Anlass, seinen eigenen künstlerischen Werdegang zu reflektieren – ein Thema, dass in der Folge und mit zunehmender Krankheit eine größere Rolle für ihn spielen sollte.186 Die Ausstellung im Guggenheim unterscheidet sich daher auch in jeder Hinsicht von Beuys’ hochgradig inszeniertem New York Besuch im Rahmen seiner Kojoten-Aktion mit dem etwas (selbst-)ironischen Titel I like America and America likes me im Mai 1974 zur Eröffnung der Galerie René Block. War diese Aktion mit ihren Referenzen auf die Ureinwohner Amerikas und Beuys’ Weigerung, amerikanischen Boden zu betreten und Teile des Landes zu sehen, politisch stark aufgeladen, hält er sich im Guggenheim jedoch mit politischen Gesten eindeutig zurück. Vielmehr steht hier nun dem klassischen Format der Retrospektive gemäß das Aufzeigen einer historischen Entwicklung in seinem Œuvre im Vordergrund, wobei Beuys selbst maßgeblich an der Konzeption der Ausstellung beteiligt ist und dementsprechend Einfluss auf die Auswahl der Objekte und die Art ihrer Präsentation hat. Auf die Bitte des Museumsstabs, seiner Ausstellung einen überblicksartigen Charakter zu verleihen, entscheidet Beuys sich für die Aufteilung seiner Arbeiten in 24 Stationen, die orientiert am christlichen Kreuzweg den selbstgesetzten maßgeblichen Entwicklungsschritten innerhalb seines Œuvres entsprechen sollten. Im Kontrast zu den üblicherweise hell erleuchteten, Klarheit ausstrahlenden Räumen des Frank Lloyd Wright-Baus schafft Beuys eine Inszenierung seiner Arbeiten in einem grauen, atmosphärischen Zwielicht. Das Museum als Ganzes wird hier nun zum Erfahrungsraum des dargebotenen Œuvres, sodass der Eintritt in die Räumlichkeiten einem Eintritt in Beuys’ selbsterschaffenes Mysterium entspricht. Ein »theatrical trick, to create a setting of ›Northern Romantic‹ light, meant to obscure ?‹«, wie Buchloh in seiner Kritik der Ausstellung frotzelte.187   Über die Referenz auf den Kreuzweg verspricht das hier Präsentierte erlösende Wirkung und ist durchweg geprägt von der symbolischen Aufladung seiner eigenen ( künstlerischen ) Biografie. Die bereits in Bezug auf den Block Beuys thematisierte Betrachterchoreografie im Sinne eines »Initiationswegs« findet hier ihre eindrücklichste Realisierung. Dabei weist die Rede von einer derart religiös anmutenden Betrachteransprache einer Ausstellung erstaunliche Parallelen zu Äußerungen von Harald Szeemann in Bezug auf die von ihm 1972 geleitete documenta 5 auf :

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Vgl. hierzu z. B. die Ausstellung Joseph Beuys letzter Raum ? last space ? dernier espace ?   in der Pariser Galerie Durand.Dessert im Januar 1982. Hierin integrierte Beuys den Rückspiegel, zu Französisch »rétroviseur«, seines 1967 in Folge eines Unfalls ansonsten schrottreif abtransportierten Lincoln Continental. Riegel 2013, S. 504  ff. Vgl. Buchloh 2003, S. 42

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»Oh ja, ich meine bei der Dokumenta 5 war eigentlich alles angelegt auf einen Initiationsweg. Sie konnten anfangen mit der Werbung, eigentlich mit den Bildern, die sie anlügen, oder, weil sie etwas anpreisen, meistens nicht halten und es endete ja dann via individuelle Mythologien, via Konzept, via neuem Realismus und endete ja dann über das Büro von Beuys, der sich da hundert Tage mit dem Publikum unterhalten hat. Das Büro für direkte Demokratie endete dann unter dem Dach des Fridericianum, mit La Monte Young, wo man einfach abfahren konnte. Das war dann einfach nur noch ein Ton oder man konnte sich da hinlegen und richtig so wegdrehen. Und so war es eigentlich ein Bild das einen anlügt bis zum Soundenvironement das einen entführt. Nur ich muss sagen, die Franzosen haben das sofort gemerkt, diese innere Struktur. In Deutschland war es totales Unverständnis, Monate. Bis dann gegen Ende September, hat es sich dann gedreht.« 188

Und weiter : »Ich versuchte einfach, sagen wir mal diesen thematischen Ansatz eben, diesen Initiationsweg, der ja parallel lief zu Bazon Brocks Dreischritt, aber dann natürlich, wenn sie selber einladen, einen Panamarenko, dann sind das wieder autonome Geschichten. Die können sie dann nicht irgendwo einbauen, also so, dass dann diese Thematik auch wieder durch die Kunst zu sich selbst zurückgekehrt und sich also nicht einbauen lässt in theoretische Konstrukte, aber eben das war im weitesten eine thematische Ausstellung, aber wenn die Kunst den autonomen Präsentationsstill wollte, dann hat sie ihn bekommen, das war eben immer ein Shiften zwischen beiden. Das war genau das was heute passt an dieser Dokumenta, dass sie nicht mehr reine Kunstausstellung war, das sie sehr viel Unbekanntes gebracht hat.« 189

In der Gegenüberstellung zu einer »reinen Kunstausstellung« verspricht eine im Szeemann’schen wie Beuys’schen Sinne thematische Ausstellung und damit ein Format, das sich zu diesem Zeitpunkt immer noch in der Entwicklung befindet, ein »Mehr«. Sie bietet eine Aussage bzw. Erfahrungsdimension, die über das

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Harald Szeemann im Interview mit Felicia Herrschaft am 29.04.2004, http://www.fehe. org/index.php ?id=237  ( Abruf am 31.05.2012  ). Szeemann, in: Herschaft 2004. Szeemann sprach bereits in Bezug auf sein 1996 aufgeführtes Einpersonenkabarett Heute rot, morgen tot von der Veranschaulichung eines »Reinigungswegs« und als einer imaginären Reise vom Banalen zum hoch Spirituellen. Vgl. hierzu das Harald Szeemann-Porträt Verzauberung auf Zeit von 1992, https ://www. youtube.com/watch ?v=CTdkrJ5hwwA (Abruf am 18.12.2013 ) sowie Szeemann, Harald : »with by through because towards despite«, in : Bezzola, Tobia   /  Kurzmeyer, Roman ( Hg.) : Harald Szeemann. with by through because towards despite. Catalogue of all Exhibitions 1957  ‒ 2005, Zürich  /   Wien  /   New York 2007, S. 13  ‒18, hier S. 14.

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hinaus geht, was einzelne Kunstwerke leisten können. Während Szeemann als erster freier Kurator der documenta-Geschichte verbunden mit dieser Einstellung einen verhältnismäßig autoritären Führungsstil an den Tag legt, führt Beuys als Quasi-Gegenpol dazu für 100 Tage sein »Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung«.190    Dennoch scheint der Kunstbegriff der beiden in dieser Hinsicht erstaunlich nah. Auch Szeemann, der für diese documenta das Schlagwort »Die Kunst kehrt zu sich selbst zurück« vertrat, dienen hier die »individuellen Mythologien« der ausgestellten Künstler als Ausgangspunkt für die Kunsterfahrung bzw. als thematischer Ansatz der gesamten Ausstellung. Im Guggenheim zeigt Beuys nun in streng chronologischer Abfolge seine eigene »Mythologie«, die vom Betrachter eng verknüpft mit den architektonischen Eigenheiten des Museums, die eine klare Wegeführung vorgeben, nachvollzogen werden sollte. Die Ausstellung beginnt im fünften Stock mit der Badewanne (1960 ), die mit dem ersten Eintrag in seinem Lebenslauf     /    Werklauf   korrespondiert (»Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde«) und die ( wie viele der anderen Ausstellungsobjekte auch ) über den biografischen Bezug nun wie eine Reliquie anmutet, die den Anfang eines von ihm inszenierten Mythos begründet. Von dort wendet sich die Wegeführung Station um Station die Rampe hinunter und endet im Erdgeschoss mit der nun funktionslosen, einfach »abgelegten« Honigpumpe (1977 ) und dem Manifest der Freien Internationalen Universität, das, wie die Kuratorin Caroline Tisdall betont, als »summary of Joseph Beuys’ lifework – his biography« verstanden werden kann [ Abb. 16   ].191 Es ist das erste Mal, dass Beuys neben einzelnen Objekten aus Aktionen über die Wände verteilt auch Zeichnungen aus dem Secret Block for a Secret Person in Ireland zusammen mit Skulpturen ausstellt.192   Da es ihm trotz der Herausnahme von Zwischenwänden und -decken jedoch nicht möglich war, in dem spiralförmig sich abwärts windenden Bau »Installationen im eigentlichen Sinne«193 vorzunehmen, dienten ihm die sogenannten »plastischen Knoten«194 die die einzelne Stationen bildeten, als Alternative zu seinen herkömmlichen Displaystrategien. Die primär räumliche Dimension seiner Displays verschiebt sich hier nun bedingt durch

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Nach ihm wurde bezeichnenderweise die Bezeichnung des »Künstlerischen Leiters« für diese Posten eingeführt. Carolin Tisdall im Audioguide. Vgl. Script des Guides, The Salomon R. Guggenheim Archives, S. 22. Wijers, Louwrien : Schreiben als Plastik, 1978  ‒1987. Interviews, Gespräche, Dokumentationen von  / mit Beuys, Berlin 1992, S. 29. Wijers 1992, S. 29. Ebd.

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Abbildung 16 : Joseph Beuys, Ausstellungsansicht , Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 1979  / 1980

die Architektur und das Abschreiten der einzelnen Stationen auf eine zeitliche Dimension. »In Wirklichkeit«, so Beuys, »existiert dort keine Installation in ihrer wahren Bedeutung«.195   Der Werkkomplex Arena etwa wurde äußerst gedrängt in drei Reihen hintereinander an die Wand gelehnt präsentiert, sodass sich die einzelnen Rahmen in dieser komprimierten Erscheinungsform zu einem eigenen Block bzw. Fond fügten. Auch wenn die »plastischen Knoten« als eine Art horizontales Gegenstück zu einer streng linear verlaufenden Werkentwicklung fungieren, scheint Beuys in diesem Fall das Display allein bezogen auf die Vermittlung seiner künstlerischen Intentionen nicht aussagekräftig genug. Ein von ihm selbst und Tisdall im Wechsel eingesprochener Audioguide legt vergleichbar mit den in der Ausstellung nicht präsenten Aktionen eine zweite, seinen Kunstbegriff verbal erläuternde Ebene über die ästhetische Erfahrung der einzelnen Arbeiten und vermittelt so auch hier seine Präsenz als Künstler in der Ausstellung.196  Hierbei mischen sich Abschnitte mit biografischen Informationen mit Werkbeschreibungen und -deutungen. Den linearverlaufenden Gang durch die Ausstellung, der bedingt durch die architektoni-

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Ebd. Ebd., S. 30.

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schen Eigenheiten einen Mangel an Übersicht und assoziativen Verbindungslinien erzeugt, gleicht Beuys zudem über den in enger Zusammenarbeit von ihm und Tisdall erstellten und streng an den 24 Stationen orientierten Katalog wieder aus. Empfindet er die Ausstellung bezogen auf die fehlenden Installationen als eine Beschränkung, gibt der Katalog mit seinem umfangreichen Abbildungsteil und selbsterklärenden Texten durchaus vergleichbar mit dem zuvor angesprochenen Prinzip des »Parallelprozesses« Beuys zufolge, »einen Überblick der gesamten Intentionen. Also auch die pädagogischen Intentionen, die politischen Intentionen und die Intentionen in den Organisationen, das habe ich in den Katalog hineingenommen […].«197    Beuys nimmt im Vergleich zu der von Adriani herausgegebenen ersten Monografie des Künstlers durchaus einige Korrekturen vor, die berechtigte Zweifel an der Wahrheit der biografischen Daten aufkommen lassen.198  Der Ursprungsmythos wird damit zur Fiktion und die museale Inszenierung dieses Mythos steht über einer kunsthistorisch fundierten Historisierung der einzelnen Objekte, wie es von einer Retrospektive gängigerweise zu erwarten wäre. Beuys bedient sich mit dieser Ausstellung somit aller ihm zur musealen Kunstpräsentation und -vermittlung zur Verfügung stehender Mittel. Nicht nur übernimmt er mit der Ausstellungskonzeption die Rolle des Kurators, sondern mit dem Audioguide auch die des Vermittlers und durch seine Mitarbeit am ersten umfassenden Beuys-Katalog die des Kunsthistorikers. Insofern steuert er nicht nur die Rezeption der einzelnen Exponate und ihrer Displays in Bezug auf seinen Kunstbegriff, sondern stärker noch als zuvor in Arena und dem Block Beuys auch die – v. a. amerikanische – Rezeption von sich als Künstler. Die Selbstverwaltung und -repräsentation seines eigenen Œuvres geht hier über die künstlerische Ebene der beiden zuvor genannten Beispiele hinaus und wirkt sich vergleichbar mit der bereits erwähnten Monografie besonders über den Katalog auch maßgeblich auf den wissenschaftlichen Diskurs um Beuys aus. Während Broodthaers die Kun-

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Wijers 1992, S. 30. Dies betrifft z. B. die Fotos und Eintragungen zu seinem Flugzeugabsturz. Vgl. Buchloh 1980, S. 38. In einem Interview mit Catherine David und Jean-François Chevrier bezeichnet Buchloh seine Beschäftigung mit dieser Retrospektive als »Versuch […], mich selbst davon zu überzeugen, daß er ein großer Nachkriegskünstler sei. Aber bei keinem der Genannten [gemeint sind neben Beuys Richard Wagner und Martin Heidegger] konnte ich die Relevanz erkennen.« o. V. : »Das politische Potential der Kunst. Ein Gespräch zwischen Benjamin Buchloh, Catherine David und Jean-François Chevrier (1)«, in : Ausst.Kat. Politics-poetics. Das Buch zur Documenta X, Kassel, 21.06. ‒  28.09.1997, hg. von der Documenta-und-Museum-Fridericianum-Veranstaltungs-GmbH, Ostfildern 1997, S. 374  ‒ 403, hier S. 377.

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stinstitution als eine Instanz der Neutralisierung charakterisierte, die sich Kunst zu ihrem eigenen Zwecke einverleibte und er mit seinen Ausstellungskonzepten in ebendiese Strukturen bewusst eingriff,199 geht Beuys genau umgekehrt vor : Er setzt die ihm gebotenen institutionellen Strukturen so ein, dass sie der Vermittlung seines Kunstbegriff dienlich sind und schafft – dafür ist das von Buchloh kritisierte »twilight« dieser Ausstellung so paradigmatisch – auch hier wiederum einen diesem entsprechenden Erfahrungsraum, der sogar die dominante Architektur des Guggenheims außer Kraft zu setzen vermag. Ermöglicht wird Beuys dies, wie eingangs bereits angedeutet, durch den Gestaltungsfreiraum, den der Direktor des Guggenheims, Thomas M. Messer ihm überlässt – auch wenn dies, glaubt man Hans-Peter Riegels Berichten in dessen Beuys-Biografie, »der Widerspruch zwischen Beuys’ freiem, messianischem Geist und den Rahmenbedingungen, die das Museum bieten konnte, […] zu unangenehmen Kontroversen geführt [ habe]«.200 Selbst seine 21 Tonnen schwere Skulptur Unschlitt    /  Tallow mit einem aufwendigen Spezialtransport in die USA fliegen zu lassen, konnte Beuys durchsetzen : »No Tallow, no show« war seine Bedingung.201 Grablegung und museale Auferstehung Seinen »krönenden« Abschluss findet Beuys’ strategischer Einsatz des Ausstellungsdisplays in seiner letzten umfangreichen Arbeit Palazzo Regale, zu Deutsch »königlicher Palast«. Die ausgestellte Arbeit trug nicht nur denselben Titel wie die Ausstellung, sie ist – und das gilt für viele seiner raumgreifenden Arbeiten – zugleich die Ausstellung. Mit ihr hat Beuys sich symbolisch als Künstler wie ein König zu Grabe getragen. Auf paradoxe Weise affirmiert er auf diese Weise die Konnotation des Museums als Mausoleum. Palazzo Regale eröffnet am 23. Dezember 1985 im Piano nobile des Museo di Capodimonte in Neapel, nur einen Monat vor seinem Tod. Die Arbeit wurde von Beuys wie gewohnt persönlich aufgebaut und bezieht sich direkt auf die gegebenen ( innen-) architektonischen Strukturen. An den Wänden hingen insgesamt sieben, mit Blattgold bestrichene Messingtafeln, zwei auf der linken Seite, eine an der Stirnwand gegenüber des Eingangs und vier auf der rechten Seite des Raumes, sodass sich klare achsiale Bezüge zu der Gliederung des rot-weiß-gerasterten Mar-

199 200 201

Vgl. Germer 1988, S. 25. Riegel 2013, S. 468. Ebd.

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Abbildung 17 : Joseph Beuys, Palazzo Regale, 1985, Zwei Messing-Glas-Vitrinen bestückt mit Objekten, sieben mit Firnis und Goldstaub überzogene Messingtafeln im Rahmen, Ansicht im Museo die Capodimonte, Neapel, 1985  /1986

morsteinboden ergeben [ Abb. 17  ].202 Die zwei äußerlich identischen Vitrinen im Rauminneren nehmen in ihrer Platzierung diese Bezüge auf, weichen aber zugleich von einer strengen, symmetrischen Ordnung ab. So steht die in der Mitte des Raumes zentral platzierte Vitrine von der Mittelachse aus leicht nach rechts verschoben, die hintere etwas diagonal zum rechtwinkligen Bodenmuster und auch die Messingtafeln hängen sich versetzt gegenüber. Diese »Dialektik von Regel und Ausnahme, von vorgegebener Struktur ( Boden ) und gleichsam spielerischer Geste, von Konzentration und Auflösung, von parataktischer Reihung (der Tafeln auf der rechten Wand ) und zentralisierendem Aspekt (  Vitrine in der Mitte und Metalltafel auf der Stirnwand ), von Artikulation des Raumes und Betonung seiner Grenzen, von unübersehbarer Dinghaftigkeit und bewußt eingesetzten Entmaterialisierungstendenzen«

hatte, wie Armin Zweite es beschreibt, einen in Spannung zur klaren Gliederung des Raumes stehenden Eindruck von Leichtigkeit und Schwebe zur Folge.203   Auch hier sind die Vitrinen bestückt mit einer Anzahl von Objekten, die bereits zuvor in anderen Kontexten des Beuys’schen Œuvres eine Rolle gespielt hatten. Die vor-

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Vgl. Zweite, Armin : »›Ich kann nur Ergebnisse meines Laboratoriums nach außen zeigen und sagen, schaut einmal her … ‹ Palazzo Regale, das letzte Environment von Joseph Beuys«, in : Ausst.-Kat. Beuys zu Ehren, 1986, S. 58  ‒  68. Ebd., S. 59.

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dere enthält zwei Konzertbecken, die Beuys während der Aktion Iphigenie  /  Titus Andronicus 1969 in Frankfurt einsetzte, einen mit blauer Seide gefütterten Luchsmantel aus derselben Aktion, den Abguss des eisernen Kopfes aus seiner Arbeit Straßenbahnhaltestelle auf der Biennale in Venedig 1976 und ein großes Schneckengehäuse, das Beuys 1971 bei seinem ersten Neapel-Besuch gekauft und später bei der Besetzung des Sekretariats der Düsseldorfer Akademie 1972 als Blasinstrument verwendet haben soll.204   Diese Objekte verweisen eher auf die geistig-historischen Zusammenhänge in Beuys’ Œuvre und zeigen in ihrer Anordnung anthropomorphe Züge auf.205   Als »[e]in Sinnbild für König Tutanchamun, der die Menschheit befreien könnte«, schildert Lucia Amelio, in dessen Villa die Ausstellung stattfand, seinen Eindruck des Arrangements.206   Beuys selbst sprach wiederholt davon, dass jeder Mensch ein »Sonnenkönig« sei, und sah im »Sonnenstaat« das Sinnbild für eine egalitäre Gesellschaft. »Der Palast«, so Beuys, »den wir zuerst erobern und dann würdig zu bewohnen haben, ist der Kopf des Menschen, unser Kopf«.207   Die aus verhältnismäßig armen Materialien bestehende Objektauswahl der hinteren Vitrinen scheint dagegen weniger offensichtlich an der menschlichen Figur orientiert zu sein, sondern eher den Werkzeugcharakter der Dinge zu wahren und die Symbolik des Wanderpredigers aufzugreifen. Sie enthält u. a. den mit Nadeln bespickten Rucksack aus der gemeinsam mit Nam June Paik am 7. Juli 1978 in der Aula der Düsseldorfer Kunstakademie aufgeführten Aktion In Memoriam George Maciunas, zwei Spazierstöcke aus massivem Kupfer, von denen der eine in der Mitte mit Filz umwickelt ist, und die ebenfalls Teil der Aktion waren, einige eingepackte Lebensmittel mit Rollschinken und Speck sowie ein mit Starkstromklemmen versehenes Stück Kupfer in der Art, wie es Beuys beispielsweise in Fond VII  / 2 (1967 ‒ 84 ) einmal verwendet hatte. Wie Zweite herausstellt, ergibt sich aus dieser Auswahl und Anordnung eine Entsprechung zu den Diagrammen, anhand derer Beuys seine plastische Theorie erläuterte, und die hier auf ein Neues ihre allegorische Entsprechung findet.208   Schafft diese Arbeit über das Display einerseits eine »triumphale Zusammenfassung seines Oeuvres als Kunst«209, so schafft sie zugleich durch die Porträthaftigkeit und den sakralen Charakter, der von diesem Raum durch die dominanten Goldtöne ausgeht und in die sich die einzelnen

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Ebd., S. 62. Vgl. ebd., S. 62  f. Hier zitiert nach Riegel 2013, S. 512. Ebd. Zweite, Armin : »Palazzo Regale. Die letzte Arbeit von Joseph Beuys«, in : Patrimonia 42 (1992 ), S. 6  ‒  64, hier S. 50. Ebd., S. 61.

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Objekte in den Vitrinen wie Reliquien einfügen, auch eine Erhöhung von Beuys als Künstler. Folglich impliziert die hier vollzogene ( selbstreflexive ) Rückschau auf Beuys’ Œuvre und auf ihn als handelnde Künstlerpersönlichkeit zugleich dessen über seine eigene Lebensdauer hinausgehende Vergegenwärtigung. Auch wenn eine christliche Motivik in dieser Arbeit keine zentrale Rolle einnimmt, scheint sie auch hier dennoch klar durch. Wie Christus, dessen eigentliches Leben und Wirken nach dem Tod begann, verweist Beuys mit dieser bewusst inszenierten Grablegung zugleich auf die darauf folgende »museale Auferstehung«.

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Beuys

posthum

Nach Beuys’ Tod 1986 ist eine kontroverse Debatte um den Umgang mit seinem Œuvre entbrannt, die in ihrer Vehemenz im Vergleich zu anderen Künstlern bisher einzigartig ist. Dieses Problem trifft jedoch prinzipiell auf alle Künstler zu, die das Display ihrer Arbeiten als Teil ihrer künstlerischen Praxis begreifen. Auf dem Spiel stehen die Authentizität und Originalität der jeweiligen Ausstellungssituation, wobei ebendiese beiden Parameter ebenso wie ihr Status als Kunstwerk häufig erst posthum verliehen werden. Eng verknüpft mit dieser Problematik sind Fragen in Bezug auf die Wiederholbarkeit und Rekonstruktion künstlerischer Ausstellungsdisplays. Sie gewinnen mit dem wiedererweckten Interesse an den künstlerischen Praktiken der 1960er und 1970er Jahren an Virulenz. Jenseits der performativen Künste, in dessen Kontext das Stichwort Re-enactment die Diskussionen der letzten Jahre dominiert, kommen diese Debatten v. a. im Kontext der ortsspezifischen Kunst auf. Miwon Kwons Definition zufolge »site-specific art, whether interruptive or assimilative, gave itself up to its environmental context, being formally determined or directed by it«.210   Ortsspezifische Arbeiten werden demnach entweder für eine unbeschränkte Dauer angefertigt, wie es v. a. bei Arbeiten im Außenraum der Fall ist, oder aber speziell für eine Ausstellung gefertigt und werden mit Ende der Laufzeit entsprechend vernichtet. Rezipiert werden können und müssen sie daher stets vor Ort, »in a sensory immediacy of spatial extension and temporal duration […], rather than instantaneously perceived in a visual epiphany by a disembodied eye«.211 Die Konsequenz, die sich hieraus ergibt, wurde mit Richard Serras im Kontext der Versetzungspläne seiner Skulptur Tilted Arc (1981) geäußertem Diktum »to remove the work is to destroy it«212 schlagwortartig auf den Punkt gebracht. Ähnlich formulierte es Robert Barry bereits 15 Jahre zuvor in Bezug auf die Präsentation seiner Drahtarbeiten. Sie waren »made to suit the place in which it was installed. They cannot be moved without being destroyed.«213    Hieran wird deutlich, dass nicht nur der räumliche Kontext, sondern auch der Akt des »Installierens« entscheidend für die Authentizität ist, aber v. a. auch für die »wahre« Bedeutung

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Kwon, Miwon : One Place after Another. Site-specific Art and Locational Identity, Cambridge (Mass.) /  London 2002, S. 11. Ebd. Serra, Richard : »Letter to Donald Thalacker, January 1, 1985«, in : Weyergraf-Serra, Clara  /   Buskirk, Martha ( Hg.) : The Destruction of Tilted Arc : Documents, Cambridge ( Mass.) 1990, S. 38. Arthur R. Rose ( Pseud.) : »Four Interviews with Barry, Huebler, Kosuth, Weiner«, in : Arts Magazine 2 (1969 ), S. 22. Hier zitiert nach Kwon 2002, S. 12.

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eines Kunstwerks. Wie Boris Groys herausstellte, gewinnt bei einer Installation, die selbst durchaus orts- oder kontextspezifische Züge tragen kann, der Aspekt der Temporalität demgegenüber eine größere Bedeutung.214   Eine Installation ist immer an Gegenwart gebunden. Bei Displays, wie sie hier im Mittelpunkt stehen, kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu : Sie müssen stets innerhalb des Dispositivs der Ausstellung gedacht werden. Laut Kwon proklamiert Buren bereits 1970 : »Whether the place in which the work is shown imprints and marks this work, whatever it may be, or whether the work itself is directly – consciously or not – produced for the Museum, any work presented in that framework, if it does not explicitly examine the influence of the framework upon itself, falls into the illusion of self-sufficiency – or idealism.« 215

»Spezifisch« in Bezug auf einen Ort zu sein, heißt daher, wie Kwon weiter ausführt, »to decode and  / or recode the institutional conventions so as to expose their hidden operations – to reveal the ways in which institutions mold art’s meaning to modulate its cultural and economic value; to undercut the fallacy of art’s institutions’ autonomy by making apparent their relationship to the broader socioeconomic and political processes of the day.«216

Auch jenseits einer Buren’schen Ausstellungspolitik wird an der für ein Display geltenden gegenseitigen Einflussnahme von Gezeigtem und dem Rahmen des Gezeigten ein Kernproblem des posthumen Umgangs mit derartigen künstlerischen Praktiken deutlich. Nicht nur die Gegenwart des Gezeigten, sondern auch der institutionelle Kontext spielt eine Rolle. Ein künstlerisches Ausstellungsdisplay, so wird hieran nochmals deutlich, besteht stets aus der Verbindung von sichtbaren und unsichtbaren Prozessen. Während Ersteres prinzipiell rekonstruierbar und wiederholbar ist, ist es Letzteres nicht. Zudem vermitteln künstlerische Ausstellungsdisplays, wie sie hier im Fokus stehen, jeweils eine konkrete Haltung des dahinter stehenden Künstlersubjekts. Nach ihrem Ableben entscheiden Kuratoren –

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Groys, Boris : »The Topology of Contemporary Art«, in : Condee, Nancy  /   Enwezor, Okwui  /  Smith, Terry ( Hg.) : Antinomies of Art and Culture. Modernity, Postmodernity, Contemporaneity, Durham ( NC ) /  London 2008, S. 71 ‒ 80, hier S. 77. Dort heißt es : »An installation cannot be a copy of another installation because an installation is by definition present, contemporary. An installation is a presentation of the present, a decision that takes place here and now.« Buren, Daniel : »The Function of the Museum«, in : Artforum 12 /1 (1973 ), S. 68. Vgl. auch Kwon 2011, S. 13  f. Ebd., S. 14.

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oftmals in Absprache mit dem Nachlass und Fachspezialisten – über eventuelle Rekonstruktionen, während Konservatoren und Restauratoren diese fachlich begleiten oder auch ausführen. Die zuvor von Künstlern getroffenen Entscheidungen bezüglich der Angemessenheit der Präsentation ihrer Kunst übertragen sich so auf den eben genannten Kreis an Spezialisten. Einher geht dies mit der Gefahr, entweder die Handschrift einer künstlerischen Arbeit zu verfälschen oder bzw. damit einhergehend eine quasi-künstlerische Position einzunehmen. Beim posthumen Umgang mit Beuys’ Œuvre zeigt sich gerade dieser Aspekt als der für die Vehemenz der Debatten ausschlaggebende. Durch die enge Verbindung seines schamanistischen Auftretens und der Präsentationsweise seines Werks verlieh Beuys zu Lebzeiten seinen Arbeiten den Eindruck von Authentizität und Intensität.217   Heute dagegen werden seine raumgreifenden Arbeiten oft als leblos, tot oder »displaced« empfunden, eine Akkumulation von Objekten, deren synthetisierender bzw. transzendenter Geist fehlt.218   Ihr vormaliges Spannungsverhältnis von Bühnensituationen und Anschauungsfeld ist dem reinen Display gewichen. Posthum kann eine Arbeit von Beuys daher nur noch ausgestellt werden. Auch in dieser Hinsicht stellt Beuys’ fehlende Präsenz gerade im Hinblick auf seine raumbezogenen Arbeiten Kuratoren wie Restauratoren vor ernsthafte Probleme. Ihnen wird nicht nur die Aufgabe zugetragen, die Materialien, sondern auch den mit dem Künstlersubjekt verbundenen Mythos zu erhalten.219   Das »einfach Ab-

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Vgl. z. B. Schalhorn, Andreas : Joseph Beuys : »Das Ende des 20. Jahrhunderts« (= Theorie der Gegenwartskunst, Bd. 3 ), Münster 1995, S. 117. Er zitiert hier Wolfgang Mattheuer : »1976 erlebte ich Beuys selbst in Kassel in seiner freien Universität und vor seiner Honigpumpe. Ich verstand nichts, aber es war imponierend. Seine Ausstrahlung fehlt in Berlin. Seine Utensilien verarmen ohne die Faszination durch seine Persönlichkeit. Er musste seine Botschaften verkünden, ohne sein gehobenes Wort bleibt die Badewanne leer und wärmt kein Filz, und kein Ding schockt oder macht frösteln, was Bilder von Dingen ja können.« Vgl. auch ebd., S. 120  ff. Z. B. de Leeuw, Riet : »The Precarious Reconstruction of Installations«, in : Hummelen, Ijsbrand  /  Sillé, Dionne / Foundation for the Conservation of Modern Art  /  Netherlands Institute for Cultural Heritage ( Hg.) : Modern Art : Who Cares ?, Amsterdam 1999, S. 211 ‒ 221, hier S. 212. Zur Thematik vgl. auch Matyssek, Angela ( Hg.) : Wann stirbt ein Kunstwerk ? Konservierungen des Originalen in der Gegenwartskunst, München 2010. Die Herausgeberin geht davon aus, dass es außerhalb der Medizin keinen Bereich gibt, in dem so viele Humanmetaphern benutzt werden wie bei der Konservierung und Restaurierung von Kunst. Es sei üblich, ohne Anführungszeichen über das »Leben«, »Sterben«, die »Verletzungen« oder das »Altern« von Objekten zu sprechen. Ebd., S. 9. Ebd.

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stellen« als künstlerische Strategie funktioniert nicht mehr. Sie ist, wenn überhaupt, eine kuratorische Entscheidung geworden. Betont Beuys zwar in einem Interview mit Frans Haks, dass er sich nicht mehr in verkaufte Werke einmische und sogar gegebenenfalls ihren »Missbrauch« durch die Institutionen dulde, tue er dies doch nur, weil er an die starke eigene Sprache der Kunstwerke glaube und den in seinem Urteil und Erkenntnisvermögen freien Menschen : »Und wie das Museum das auch arrangiert und in welchen Kontext das Museum die Sache auch stellt : Die Menschen, die das anschauen, sind frei und unabhängig oder sagen wir mal : In der Zukunft haben sie die Möglichkeit, das zu sein. Die werden immer nur die Sache anschauen, und viele werden dann bemerken, ob Mißbrauch mit der Sache getrieben worden ist oder ob es richtig präsentiert ist.« 220

An diesem Zitat wird der Glaube an ein starkes Betrachtersubjekt deutlich, das unabhängig von der Art des nicht vom Künstler vorgenommenen Displays innerhalb einer Institution über dessen Angemessenheit urteilen kann. Es setzt damit zugleich ein Subjekt voraus, das um die »wahre« Aussage der künstlerischen Arbeit weiß bzw. diese zumindest erahnen kann. Doch wird die von Beuys intendierte unmittelbare Erfahrbarkeit seiner Arbeiten heute überlagert von den ausstellungsbegleitenden Debatten. Führten zwar schon Beuys’ zu Lebzeiten stattgefundene Wiederaufbauten der Displays zu immer neuen Variationen, so evozieren heutige Versuche durch Kuratoren schnell den Verdacht der Verfälschung oder künstlerischen Imitation. Weggefährten und enge Vertraute von Beuys wie Heiner Bastian oder Johannes Stüttgen sind in diesen Debatten häufig meinungsführend, wenn auch zum Teil völlig verschiedener Auffassungen. Während Heiner Bastian beispielsweise sich berufend darauf, dass er »12 Jahre Installationen mit Beuys gemacht habe« 221, berechtigt sieht, in seiner Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau 1988 neue Gruppierungen der Räume »in der Tradition von Beuys« durchzuführen, fordert Stüttgen gerade eine Betonung des provisorischen Charakters der Arbeiten und plädiert in Zweifelsfällen für eine Präsentationform, in der die Arbeiten bewusst in Einzelteile zerlegt präsentiert werden.222    Beuys selbst hatte dies im Rahmen seiner

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Beuys, Joseph / Haks, Frans : Das Museum : Ein Gespräch über seine Aufgaben, Möglichkeiten, Dimensionen …, Wangen 1993, S. 16. Bastian, Heiner : »Die Aura ist nicht das ganze Sein des Kunstwerks. Peter Funken und Thomas Wulffen befragen Heiner Bastian, den Organisator der Beuys-Ausstellung«, in : Kunstforum 93 (1988 ), S. 321 ‒ 324, hier S. 323. Vgl. Elsen 1992, S. 11.

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Ausstellung im Guggenheim 1979 mit der Honigpumpe am Arbeitsplatz (1984 ) praktiziert und wie beschrieben nicht zuletzt auch mit Arena. In der von Harald Szeemanns kuratierten Beuys-Retrospektive im Pariser Centre Georges Pompidou 1994 (     Joseph Beuys : Retrospective, 30.06. ‒  03.10.1994 ) war Beuys’ Witwe Eva Beuys maßgeblich am Aufbau beteiligtt. Dies kann als ein weiterer Versuch gelten, einen möglichst starken Eindruck von Authentizität zu vermitteln. Allerdings stellen heutzutage gerade ihre strengen Auflagen hinsichtlich der Herausgabe von Arbeiten und ihren Präsentationsbedingungen oft eine Herausforderung im Umgang mit Beuys’ Œuvre dar.223   Dem ungeachtet mehrten sich bereits in Bezug auf die Pariser Ausstellung kritische Stimmen. »Umfeldpsychologisch«, schreibt Szeemann rückblickend auf die Vorbereitungen der in abgewandelter Form bereits zuvor in Zürich gezeigten Retrospektive, »war meine Ausstellung nach derjenigen in Berlin und Düsseldorf zusätzlich belastet durch die verfestigte Meinung, nach Beuys’ Tod sei eine Beuys-Ausstellung nicht mehr möglich«.224 Nicht nur bezogen auf einzelne raumgreifende Arbeiten wurden daher posthum Fragen um die Authentizität virulent, sondern, gerade weil Beuys seine Ausstellungen überwiegend selbst konzipierte, auch in Bezug auf das gesamte Ausstellungsdisplay. So zeigt sich an den Debatten um das Ausstellen von Beuys besonders eindrücklich, wie eng seine künstlerische Praxis über die einzelnen Werkkategorien hinausgehend die gesamte Ausstellungssituation mit einbezog. Szeemann musste sich etwa den Vorwurf gefallen lassen, in Bezug auf die 1992 im Kunsthaus Zürich vorgenommene Neuinstallation der Olivensteine (1984 ), die ursprünglich von Beuys in der Freskohalle des italienischen Castello di Rivoli nahe Turin aufgestellt wurden, eine pseudokünstlerische Position einzunehmen und letztendlich die eigentliche Bedeutung der Arbeit im neutralen weißen Ausstellungsraum zu vernichten.225   Deutlicher noch wird es bei dem Wiederaufbau von Palazzo Regale im Rahmen der Ausstellung Joseph Beuys. Kult des Künstlers im Hamburger Bahnhof in Berlin 2008 : Präsentiert in einem auf den Originalmaßen basierenden in die Ausstellungshalle im Erdgeschoss eingebauten White Cube mit zwei Eingängen und neutralem Bodenbelag verlor die Arbeit nicht nur Teile ihrer ursprünglich sie konstituierenden kompositionellen Spannung, sondern über die zwei mögli-

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Dieser Umstand veranlasste beispielsweise Szeemann später dazu, von Zensur zu sprechen. Szeemann, Harald : »Copyright – Auf Leben und Tod. Offener Brief an Knud Jensen und Lars Nittve«, in : Artis 48 (1996 ), S. 26. Der Streit um den Nachlass beschäftigt Gerichte seit Jahren, da die Erben des Künstlers allein rechtlich durch ihn befugt sind, diese zu verwalten. Szeemann 1997, S. 12. De Leeuw 1999, S. 215  f.

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chen Zugangswege auch die Betrachterführung. Ohne die über den Raumbezug erzeugte Spannung zerfällt das Display letztendlich wieder in seine Einzelteile, die somit stärkeren Werkcharakter erhalten, als es Beuys vermutlich recht gewesen wäre.226    Leicht besteht für die mit dem Aufbau betrauten Kuratoren die Gefahr, von Beuys-Experten und -Weggefährten eines »falschen« Werkverständnisses bezichtigt zu werden, und es stellt sich posthum verstärkt die Frage nach der Berechtigung im Umgang mit Beuys’ Arbeiten. Was kann heute aber überhaupt als »Original« gelten, wenn es schon zu Lebzeiten wie etwa im Fall des Kapitalraums diverse gleichberechtigte Fassungen einzelner Arbeiten gab und vieles ein »work in progress« war ? Für Kunsthistoriker, Kuratoren und Restauratoren stellt sich hiermit ein sie alle gleichermaßen betreffendes Problem. Mehr als unausgesprochene denn schriftlich fixierbare Regel gilt heute die letzte Präsentationsform, die von Beuys zu Lebzeiten vorgenommen wurde, für alle weiteren posthumen Ausstellungen als verbindlich. Doch ist die tatsächliche Situation von Fall zu Fall verschieden und erlaubt je nach Eigentümer und Leihgeber gegebenenfalls auch einen freieren Umgang mit der Arbeit. Teils unter hohem technischen Aufwand durchgeführte Laservermessungen,227 Skizzen und fotografische Vorlagen, die einen räumlichen Transfer der Arbeiten und ihren Wiederaufbau ermöglichen sollen, sind überwiegend posthum an den jeweiligen Museen entstanden und widersprechen nicht zuletzt Beuys’ Prinzip, die Arbeit kontextspezifisch im Fluss zu halten. Sie stellen neben den noch von Beuys selbst angefertigten Aufbauplänen und -skizzen dem ungeachtet die maßgeblichen Richtlinien aller posthumen Wiederaufbauten.228    Gerade den von Beuys selbst angefertigten

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Zum Stichwort der »Verwerkung« künstlerischer Ausstellungsdisplays vgl. auch Abschnitt »Zur Verwerkung von The Happy End« im Kippenberger‐Kapitel, S. 159 ‒ 178. Beuys’ Ende des 20. Jahrhunderts etwa wurde von ihm selbst Anfang der 1980er Jahre in drei verschiedenen Fassungen konzipiert. Die mit 44 Basaltsteinen umfassendste von ihnen wurde 2002 von Restauratoren vom Haus der Kunst in München, wo Beuys sie noch selbst aufgebaut hatte, in die Pinakothek der Moderne umgesetzt. Wie bei den meisten seiner Arbeiten hatte Beuys keinen Plan für zukünftige Aufbauten festgehalten, und so entschied sich das Restauratorenteam dafür, die Basaltsteine mithilfe von GPS-Technologie an einem geeigneten Ort innerhalb der Sammlung millimetergenau wieder aufzubauen – ein Verfahren, das auch innerhalb der Beuys-Forschung durchaus umstritten ist, da der Künstler selbst mit Sicherheit nie so technizistisch vorgegangen wäre. So z. B. im Fall von Das Ende des 20. Jahrhunderts, vgl. Rainbird, Sean : »At The End of the Twentieth Century : Installing After the Act«, in : Ausst.-Kat. Joseph Beuys. Actions, Vitrines, Environments, Menil Collection, Houston, 08.10.2004  ‒  02.01.2005, Tate Modern, London, 04.02. ‒  02.05.2005, London 2004, S. 136  ‒149.

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Aufbau- oder Gedankenskizzen wird zudem meist eine eigene künstlerische Wertigkeit zugeschrieben. Sie gehen damit über ihren rein funktionalen Wert hinaus und sind vielmehr als Teil des Entstehungsprozesses zu begreifen, ohne definitive Gültigkeit. Besonders bei dem praktischen Umgang mit den Arbeiten wird noch einmal die Kernfrage nach dem Werkbegriff deutlich, der sich letztendlich auf alle künstlerischen Ausstellungsdisplays ausweiten lässt und dadurch zunehmend an Relevanz gewinnt : Was ist alles konstitutiver Teil der Ausstellungssituation und was erscheint besonders retrospektiv als kontingent ? Sind ganze Räume zu rekonstruieren, ihre Lichtsituation, Wand- sowie Bodengestaltung mit einbezogen, oder ist es vielmehr angemessen, ursprünglich dezidiert kontextspezifische Arbeiten heute in einem neutralen White Cube zu zeigen ? Und wie ist es etwa mit selbst Wandlungen unterliegenden Elementen wie den von Beuys eingesetzten Lebensmitteln – überlässt man sie ihren Fäulungsprozessen oder tauscht man sie mit der Zeit aus ? Von Seiten der ausstellenden Institutionen wird der Umgang mit diesen Problematiken sehr unterschiedlich gehandhabt. Im Hessischen Landesmuseum Darmstadt gilt beispielsweise nach wie vor der 1969 verfasste Vertrag von Ströher als verbindlich. Es wird der Wunsch des Künstlers, diese Werksammlung unverändert und geschlossen zu erhalten, so weit wie möglich befolgt, um die Authentizität des letzten Zustands zu wahren. Doch stellt sich auch hier im Rahmen der Sanierungsarbeiten im Museum die Frage nach den konzeptuellen Grenzen des Werks. So vertritt das Museum die Ansicht, dass die Wandbespannung lediglich als Gegebenes und nicht als Teil des Werkes zu betrachten ist und daher aus konservatorischen Gründen durchaus ausgetauscht werden darf.229   Zwar ist der Block Beuys nicht dezidiert für das Hessische Landesmuseum Darmstadt entstanden und hätte prinzipiell auch an einem anderen Ort verbleiben können, doch bezog Beuys sich in der Einrichtung der Räume durchaus auf das Museum und seine Bestände. So musste der Block Beuys nicht zuletzt durch den Verkauf der Pop Art-Sammlung Ströhers Einbußen einstecken. Die Sammlung stellte für Beuys ein zentrales Gegenüber innerhalb des Hessischen Landesmuseums dar und diente ihm als solches zugleich seiner Eigenverortung als Künstler. Deutlicher wird die spezifische Bindung der Beuys’schen Displays an ihren jeweils institutionellen Rahmen noch anhand von Zeige deine Wunde (1974  ‒1975 ) oder den beiden Krefelder Beuys-Räumen. Bei Ersterer bestimmte Beuys beim Aufbau im Münchener Lenbachhaus im Januar 1980 die Auswahl des Teppichs mit und verband die ursprünglich für das Kunstforum in der Fußgängerunterführung Maximilianstraße   / Altstadtring entstandene Arbeit so dezidiert mit der innenarchitektonischen Beschaffenheit des musealen

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Telefonat mit Klaus-D. Pohl vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt am 11.02.2010.

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Raumes. Es war ihm hierbei wichtig, dass der Ausstellungsbesucher zunächst die ganze Sammlung des Museums durchqueren musste, um schließlich geprägt von den dort gesammelten Eindrücken in seinen Raum einzutreten.230   Bei Letzteren entschied Beuys nach Erweiterung der Sammlung 1976 dezidiert, dass die Fenster der ihm nun zur Verfügung stehenden Räume des Krefelder Kaiser Wilhelm Museums geschlossen zu sein hatten. Sie wurden nach seinen Vorgaben mit Hartfaserplatten abgedeckt und ebenso wie die Fensterahmen und Marmorfensterbänke mit weißer Wandfarbe überstrichen; ein Eingriff, der eine Veränderung der gesamten Raumwirkung zur Folge hatte. Ein von ihm mit etwas Abstand zu der an der hinteren Wand aufgebauten Arbeit Barraque D’Dull Odde angebrachtes Absperrgitter mit Durchgangstür aus Maschendraht und Dachlatten dient nicht nur zum Schutz, sondern vielmehr als Erweiterung des Werks in den musealen Raum hinein. Im Februar 1977, so heißt es auf der Website des Museums, »baute Joseph Beuys in zwei Tagen und Nächten bis zur völligen Erschöpfung die ›Barraque D’Dull Odde‹ an alter Stelle ab und an dem neu gestalteten Ort wieder auf. Danach wurden gemeinsam mit dem Künstler alle übrigen Beuys-Arbeiten im selben Raum installiert. Den Prozess des Aufbaus ließ er ausführlich fotografisch dokumentieren.« 231

Erweitert wurde dieses Ensemble 1984 von Beuys durch den Einbezug der frühen skulpturalen Arbeiten Brunnen (1952 ) und eines roten Gummischlauchs, den er so im Raum anordnete, dass er als Bindeglied zwischen den Einzelobjekten fungierte und auf diese Weise den Raum als Ganzes zum Kunstwerk erhob. Nach dem 2007 beschlossenen Abzug der Sammlung Lauff, zu der auch Teile dieses Ensembles gehören, entspinnt sich in den Medien eine heftige Diskussion um deren Erhalt. Erst der Eingriff des städtischen Kulturausschusses und die anschließend erfolgte Schenkung konnten schließlich den Abzug der Beuys-Räume verhindern. Ein Auseinanderreißen und ein Einzelverkauf der Arbeiten käme, so der Museumschef Martin Hentschel, »einem Akt der Kunstzerstörung nahe«.232   Die eher ungewöhnlich akribische Dokumentation von Beuys’ Seite gibt ihm Recht. Im

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Vgl. Ackerman, Marion : »Beuys und der Betrachter«, in : Ausst.-Kat. Joseph Beuys. Parallelprozesse, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 11.09.2010  ‒16.01.2011, hg. von Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2010, S. 350  ‒ 363, hier S. 351. http://www.kunstmuseenkrefeld.de/d/sammlung/josephbeuys/index.html  ( Abruf am 30.11.2013 ). http://www.wz-newsline.de/ ?redid=182769  ( Abruf am 30.11.2013 ).

II. B euys  |  103

Gegenzug zu diesen Beispielen war Palazzo Regale von vornherein nur als temporäre Ausstellung in dem Napolitaner Ausstellungsraum gedacht, was gegen die Logik des posthumen Erhalts spricht. Die Präsentation im White Cube verhindert, dass kontextuelle Bezüge entstehen, die sich additiv über die Arbeit legen und neue Bedeutungsdimensionen eröffnen. Doch bleibt nach Beuys’ Ableben auch beim Versuch historisch genau und im Sinne des Künstlers zu handeln viel Raum fürs Spekulative. Zwar geraten Fragen bezogen auf den Erhalt von ortsspezifisch angelegten Arbeiten zunehmend auch in Bezug auf andere Künstler, die ebenfalls stark situativ arbeiten, in den Fokus von Kuratoren und restauratorischer Forschung. Beuys bleibt insofern ein extremes Beispiel, als die posthumen Debatten um sein Werk ungewöhnlich aufgeladen und seine von ihm initiierte Sakralisierung dadurch zumindest teilweise fortgeschrieben wird. Dennoch ist nicht abzustreiten, dass Beuys’ Displays gerade durch die Präsenz des Künstlers und den um ihn kultivierten Mythos belebt wurden und häufig in enger Beziehung zu seinen nun nicht mehr stattfindenden Aktionen standen, die zu einer allegorischen Aufladung der Exponate beitrugen. Werkekomplexe wie der Block Beuys büßen in diesem Sinne ihre Funktion als »Energiefeld« ein und sind so in einem Status quo verblieben, der wiederum selbst zum Fall einer Förderinitiative wurde. Jeder neue Aufbau seiner Arbeiten ist heute nunmehr vor dem Hintergrund des jeweils aktuellen Forschungsstands sowie kuratorischer und restauratorischer Handhabungen der Zeit zu sehen. Insofern ruft jedes posthume Display gerade bei Kennern von Beuys’ Œuvre stets eine ganze Genealogie von Varianten auf, vor deren Hintergrund aus Kritik formuliert werden kann und an der sich das Urteil über die Angemessenheit der Präsentationsform zu bemessen hat. Von Seiten der Kunstinstitutionen wird inzwischen verstärkt dazu übergegangen, diese Problematiken bereits in die Ausstellungen reflexiv einzubeziehen. Die Bayrische Kunstsammlung brachte 2007 im Rahmen des 2002 stattgefundenen Transfers von Das Ende des 20. Jahrhunderts vom Haus der Kunst in die Pinakothek der Moderne eine umfassende Publikation heraus, die sich dem Problem in mehreren Aufsätzen dialektisch näherte. In Düsseldorf fand 2009  / 2010 etwa bereits im Vorfeld der großen Ausstellung    Joseph Beuys. Parellelprozesse in der Kunstsammlung am Grabbeplatz unter dem Titel Beuys Ausstellen ? eine umfassende Diskussionsreihe mit Ausstellungsmachern, Weggefährten und Wissenschaftlern statt, die das Bewusstsein über die Schwierigkeiten und Kontroversen bereits von vornherein in die Ausstellungsplanung integrierte, öffentlich zur Diskussion stellte und sich somit implizit unangreifbar machte. Es ist heutzutage folglich kaum möglich, eine Arbeit von Beuys zu rezipieren, ohne diese Problematiken mit zu reflektieren. So bleiben nach Beuys’ Tod und ohne die Aura seiner Präsenz als Künstler am Ende v. a. die faktischen Bestandteile seiner Arbeiten, losgelöst von den damit verbundenen prozessualen Entstehungsbedingungen. Dies ermöglicht, seine Arbeiten unab-

104 |  II. B euys posthum

hängig von Beuys’ verschiedenen Parallelprozessen für neue, vom Autor losgelöste Betrachtungsweisen zu öffnen. Die Objekte werden mit der Zeit zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen und aus dem Kontext ihrer vormaligen Zusammenhänge gelöst – umso stärker je jünger die Betrachtergeneration, die den Tumult um Beuys und ihn als öffentlich agierenden Künstler nicht miterlebt hat.

III.  Martin Kippenberger : Aneignung und Kommentar

Martin Kippenberger (1953  ‒1997 ), selbstdeklarierter Nachfolger von Beuys,1 ist mehr noch als jener ein »Ausstellungskünstler«.2   Die über 120 ihm zu Lebzeiten gewidmeten Einzelausstellungen organisiert er zum Großteil selbst. Zwar spricht Kippenberger davon, dass »exhibitions as such are a running gag for the artist. Nothing more to it.«3   Auch konstatiert er in einem 1993 mit Jutta Koether geführten Interview, dass Ausstellungen überbewertet seien. »The exhibition itself«, so Kippenberger, »doesn’t make a shit of difference, since in any case nobody sees it. You can change the world for yourself, but exhibitions are totally superflu-

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3

Vgl. Loers, Veit : »›I had a vision‹ Kippenberger und Beuys«, in : Ausst.-Kat. Modell Martin Kippenberger. Utopien für Alle, Kunsthaus Graz am Landesmuseum Joanneum, 15.09.2007  ‒  06.01.2008, hg. von Peter Pakesch, Köln 2007, S. 58  ‒  67, hier S. 61, und Jutta Koether in : Ausst.-Kat. Make Your Own Life. Artists In and Out of Cologne, Institute for Contemporary Art, University of Pennsylvania, 21.04. ‒  31.07.2006, The Power Plant Contemporary Art Gallery, Harbourfront Centre, Toronto, 09.09. ‒  25.11.2006, Henry Art Gallery, University of Washington, Seattle, Philadelphia 2006, S. 38 : »As for Kippenberger’s persona, I think he had a very particular trajectory; he was definitely informed by Beuys, even in an oppositional way, but it was clear.« Der Begriff geht zurück auf Oskar Bätschmann. Vgl. Bätschmann, Oskar  : Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997. Martin Kippenberger im Interview mit Jutta Koether : »Martin Kippenberger. An artist doesn’t have to be old, he doesn’t have to be new. An artist has to be good«, in : Flash Art 24 / 156 (1991), S. 88  ‒  93, hier S. 89.

106 |  III. A neingung und K ommentar

ous. Unless you have a family to feed. Art is nothing like film. You can’t at all think of it as big business, it’s always a kind of ›one-man business‹.«4    Doch ist es augenscheinlich, wie pointiert und geschickt er seine Ausstellungen arrangiert. So nimmt er dieses »one-man business« durchaus sehr ernst, bricht dieses aber durch den Einbezug seines persönlichen Netzwerks in seiner auf eine singuläre Künstlerfigur ausgerichteten Struktur zugleich auf. Vor allem bezüglich der Quantität an Ausstellungsproduktionen sowie den damit einhergehenden parergonalen Strukturen, die in einem (scheinbaren) Missverhältnis zu seiner tatsächlichen Anerkennung als Künstler zu Lebzeiten steht, bildet Kippenberger daher ein ebenso paradigmatisches wie singuläres Beispiel dafür, wie sich mit der folgenden Künstlergeneration auch der Umgang mit dem Ausstellungsformat ändert. Pastiche und Appropriation wurden in den 1980er Jahren gängige künstlerische Mittel, die bei jemandem wie Kippenberger auch auf der Ebene des Ausstellungsdisplays zum Einsatz kamen. Gepaart ist dieser konzeptueller Umgang mit dem Zeigen von Kunst mit einer – sich schon bei Beuys abzeichnenden und durch die erste Generation institutionskritisch arbeitender Künstler informierte – direkte Bezugnahme auf die gegebenen Markstrukturen und eine Reflexion über die eigene Rolle im Kunstbetrieb. Kippenbergers Ausstellungspraxis soll im Folgenden daher einerseits in Bezug auf seine Vorgängergeneration diskutiert werden, und andererseits als europäischer Gegenpart zu Mike Kelley fungieren, dessen zwar zu einem parallelen Zeitpunkt entstehenden, doch von völlig unterschiedlichen Diskursen genährten Ausstellungsdisplays im Anschluss hieran im Fokus stehen.

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Kippenberger, in : Kippenberger  /  Koether 1991, S. 89.

III. K ippenberger  |  107

Martin Kippenberger, Ausstellungskünstler In der Nachfolge von Beuys Beuys, der fast ausschließlich sein eigenes Œuvre »kuratiert« und dies mit seiner eigenen Mythologie verknüpft, bleibt verstärkt durch die signifikante Weste und den Hut immer als Künstler erkennbar. Er suggeriert mit seinem Auftreten noch eine Einheit des Werks im modernistischen Sinne, das ohne ihn als quasi-genialische Künstlerfigur nicht zu denken ist. Historisch gesehen bricht dieses Modell in der Folge auf. An seine Stelle tritt wie eingangs angeführt ein Künstlertypus, der verschiedene Rollen annehmen sowie auf verschiedenen Feldern agieren kann und dementsprechend flexibel und anpassungsfähig ist. Mit dieser Abkehr von einer genialischen Künstlerfigur, die primär physische Kunstobjekte produziert, wächst auch das Bewusstsein darüber, ein Künstler unter vielen zu sein, der sich sowohl zur Geschichte als auch zur Gegenwart zu verhalten hat.5   Hieran zeichnet sich eine für die Ausläufer der Postmoderne typische Form des innerkünstlerischen bzw. kunsthistorischen Referenzialismus ab, die bis dato so nicht denkbar war. Kunstproduktion geht daher verstärkt mit einem Situieren nicht nur im Zeitgeist, sondern auch in Bezug auf die Geschichte einher. Trotz der Sonderrolle, die Martin Kippenberger gerne zu geschrieben wird, tritt mit ihm daher ein für die Zeit durchaus paradigmatischer Künstlertypus auf, der innerhalb des Kunstfeldes auf verschiedenen Ebenen agiert. Die unterschiedlichen von Kippenberger eingenommenen Positionen und Rollen vom Kurator und Sammler über Kunstvereinsleiter bis hin zum Museumsdirektor ermöglichen ihm nicht nur ein breit gestreutes Handlungsfeld, sondern auch einen distanzierten Blick auf sich in seiner Rolle als Künstler, die, wie Martin Prinzhorn betont, »eine unter vielen war, obwohl schlussendlich alles in ihr verschmilzt«.6   Dieses Verhältnis von einer Distanz zum

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Louise Lawler beispielsweise betont ganz explizit, eine Künstlerin unter vielen zu sein. »A work of art«, so Lawler, »is produced by many different things. It isn’t just the result of an encumbered creative act. It’s always the case that what is allowed to be seen and understood is part of what produces the work. And art is always a collaboration with what came before you and what comes after you.« Crimp, Douglas : »Prominance Given, Authority Taken : An Interview with Louise Lawler by Douglas Crimp«, in : Lawler, Luise ( Hg.) : Louise Lawler : An Arrangement of Pictures, New York 2000, o. P. Prinzhorn, Martin : »Kunst als Veranstaltungsraum«, in : Groetz, Thomas ( Hg.) : Gitarren, die nicht Gudrun heißen. Hommage à Martin Kippenberger, Berlin 2002, S. 53  ‒  55, hier S. 53. Vgl. auch Diederichsen, Diedrich : »Der Selbstdarsteller : Martin Kippenberger zwischen 1977  ‒ 1983«, in : Ausst.-Kat. Nach Kippenberger, Museum Moderner

108 |  III. M artin K ippenberger , A usstellungskünstler

Kunstbetrieb und gleichzeitig aktiver Teilhabe an ihm ist auch für Kippenbergers Ausstellungspolitik bestimmend. Von Beginn seiner künstlerischen Karriere an beschränkt sich Kippenberger nicht auf die Produktion singulärer Kunstobjekte, sondern macht die eigene Vermarktung sowie Positionierung innerhalb der Kunstwelt und -geschichte über nicht immer nur Beifall erntende öffentliche Auftritte, unzählige Publikationen und das Kuratieren von Ausstellungen zum Teil seiner künstlerischen Arbeit : »Es geht eben nicht an, dass ich warte. Es dauert zu lange. Man macht schliesslich seine Arbeit zu seiner Zeit. Jeder tut das, auch der Künstler. Meine Befriedigung ist, dass es rauskommt. Weil die Sachen nicht im Museum zu sehen sind, also mehr als einer Handvoll Leute zugänglich gemacht werden können. Nach der Ausstellung, nach dem In-die-Welt-gekommen-Sein, mache ich meine Arbeit eben auch über andere Wege öffentlich, über Bücher, Publikationen aller Art, Poster, Aktionen und jetzt auch das Unterrichten, Delegieren. Museum ist Altertumsquatsch. Obwohl jeder jetzt schon weiss, dass ich derjenige bin, der die 80er Jahre erfasst hat.« 7

Mit dieser Haltung schafft er sich innerhalb der ihm lange Zeit skeptisch gegenüberstehenden Kunstwelt einschließlich ihrer zentralen Institutionen eine Unabhängigkeit, die ihm zwar nicht immer Sympathien einspielt, ihn jedoch auch ein stückweit unangreifbar macht. Über den Einsatz von Widmungen, Pastiches und vergleichbaren rhetorischen Stilmitteln dienen Kippenberger seine Kataloge dazu, eine über die temporäre Ausstellung hinausgehende Diskursivierung und soziale wie kunsthistorische Verortung seiner künstlerischen Produktion in die Wege zu leiten. Dies geschieht nicht ohne Ironie : Vergleichbar mit seiner Adaption von Beuys’ Werklauf     /   Lebenslauf   lässt sich auch sein Umgang mit dem Künstlerbuch zugleich als eine Persiflage auf die Künstlerlegende verstehen, in dem sie wie Diedrich Diederichsen betont, stets ein Leben im Jetzt und zugleich für die Ewigkeit zu arbeiten implizieren.8

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Kunst Stiftung Ludwig, Wien, 11.06. ‒  31.08.2004, Van Abbemuseum, Eindhoven, 22.11.2003  ‒  01.02.2004, hg. von Eva Meyer-Hermann und Susanne Neuburger, Wien 2003, S. 42  ‒  61. Koether, Jutta : »Gute Kunst, Intensität und Gute Laune. Gespräch mit Jutta Koether«, in : Ausst.-Kat. Martin Kippenberger. Kippenberger sans peine   /   Kippenberger leicht gemacht, Musée d’Art Moderne et Contemporain, Genf, 30.01. ‒  25.05.1997, hg. von Daniel Baumann, Genf 1997, S. 39  ‒  86, hier S. 54  f. Diederichsen, Diedrich : »Die Leseratte«, in : Koch, Uwe ( Hg.) : Kommentiertes Werkverzeichnis der Bücher von Martin Kippenberger, 1977  ‒ 1997, Köln 2002, S. 11 ‒ 17, hier S. 14.

III. K ippenberger  |  109

Reagiert Kippenberger spontan auf die jeweilige Ausstellungssituation und macht sich den Zufall zu eigen, wird zugleich von einer fast konservativen Genauigkeit bei der Hängung seiner Bilder berichtet, die seinem künstlerischen Ansatz zuwiderlaufen schien und bisher häufig unbeachtet blieb. »The whole idea of positioning«, formuliert es Jan Avigkos retrospektiv, »was important for Kippenberger – that something not be too beautiful, that it must have integrity but must also be confrontational.«9  Auch verlinkt Kippenberger zahlreiche Ausstellungen thematisch über die dazu publizierten Kataloge und über die Auswahl der Objekte untereinander, sodass sich über eine längere Zeitspanne und unterschiedliche Räume über sie ein relationales Gefüge herausbildet, das – wie schon bei Beuys – eine alternative Ordnung seines Œuvres jenseits der herkömmlichen chronologischen etabliert. Kippenbergers Ausstellungen sind demnach als eine den einzelnen Objekten übergeordnete, narrative Struktur zu verstehen, die es ihm erlaubt, der jeweiligen Ausstellungssituation eine in Zeit und Raum spezifische Bedeutungsdimension zukommen zu lassen. Entgegen des ersten Eindrucks, den Kippenbergers Ausstellungsdisplays erzeugen mögen, sind auch sie von einer konzeptuellen und durchaus strategischen Dimension getragen, die für die öffentliche Wahrnehmung seines Œuvres zu Lebzeiten maßgeblich ist. Die eigene Situierung innerhalb der Kunstwelt bei gleichzeitiger ironischer Hinterfragung und schamloser Offenlegung ihrer Strukturen bildet somit eine der Hauptantriebskräfte der Kunst- und Ausstellungsproduktion des »Selbstdarstellers«10 Kippenbergers. Während Beuys also vorrangig die vorhandenen institutionellen Strukturen nutzt, um seinen Kunstbegriff zu vermitteln und eine neue Kunsterfahrung anzustoßen, lässt sich von Kippenberger behaupten, dass er sich – sofern überhaupt möglich – die Strukturen aneignet, um diese zugunsten seiner eigenen Sichtbarkeit zu korrigieren und zu persiflieren.

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Avigkos, Jan: »Peter Principle«, in : Artforum 41 /  6 ( 2003 ), S. 100. Dort heißt es weiter : »There was one moment that was very telling to me. Martin’s painting, several dozen of them, had been installed and were ready for the opening, and we were waiting to go to lunch. But here was Martin, measuring everything, making sure every painting was hanging straight on the wall. I thought it was so anachronistic in relation to the paintings. It seemed to belie the notion of spontaneity and casualness as the prevailing idiom.« Laut Diederichsen war er der erste, der schon in den 1970er Jahren immer wieder so genannt wurde. Vgl. Diedrichsen, Diedrich : »Der Selbstdarsteller : Martin Kippenberger zwischen 1977  ‒ 1983«, in : Ausst.-Kat. Nach Kippenberger, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, 11.06. ‒  31.08.2004, und Van Abbemuseum Eindhoven, 22.11.2003  ‒  01.02.2004, hg. von Eva Meyer-Hermann und Susanne Neuburger, Wien 2003, S. 42  ‒  61.

110 |  III. M artin K ippenberger , A usstellungskünstler

Auch kann Kippenberger anders als Beuys abgesehen von einigen Sammlern, wie die Familie Grässlin, über lange Zeit kaum institutionelle Unterstützung genießen. Er ist daher zu großen Teilen darauf angewiesen, sich seine eigenen Strukturen der öffentlichen Sichtbarkeit zu schaffen. Hierfür setzt er neben seinen Ausstellungen und den damit zusammenhängenden parergonalen Strukturen wie Reden und Kataloge v. a. den »subinstitutionellen Rahmen«, unter dem Diederichsen Kneipen und Partys fasst, als Plattform ein.11   Zu sehen ist dies auch vor dem Hintergrund einer Zeit, in der der Erfolg von Künstlern zunehmend anhand ihrer öffentlichen Präsenz bemessen wird, sie den Status von Popstars erlangen und Thema der Boulevardpresse werden können. Rankings und Bestenlisten sind weit verbreitet. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs steigen die Verkaufszahlen der Galerien und das Sammeln von Kunst gehört zunehmend zum gehobenen Lebensstil.12 Der für Kaufentscheide Maßstäbe setzende Kunstkompass des deutschen Wirtschaftsmagazins Capital geht Anfang der 1990er Jahre in dem hierzu im Magazin abgedruckten Kommentar davon aus, »daß Kunst nicht messbar und nicht vergleichbar ist, wohl aber das Renommée, das der Künstler durch Ausstellungs- und Publikationserfolge in der Fachwelt genießt«.13   »Die Rangskala«, so heißt es weiter, »wertet aus, was Museumsdirektoren, Ausstellungsmacher und Publizisten derzeit für wichtig halten und im Kunstbetrieb fördern. Es handelt sich also um den objektiven Versuch, Ruhm und Rang der zeitgenössischen Künstler zu erkunden.«14 Entsprechend wird die Sichtbarkeit des eigenen Werks auch Kippenbergers oberste Maxime – auch hier, so ist zu vermuten, mit dem Anspruch vor allen anderen zu stehen, ganz so, wie er Dieter Roth mit der Anzahl seiner Publikationen übertrumpfen wollte.15   Dabei überwiegt die Quantität zumindest auf den ersten Blick vor dem Einhalten eines bestimmten Qualitätsstandards.

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Diederichsen, Diedrich »Uwe« : »Die Blumen desjenigen, das aber auch nicht böse ist«, in : Ausst.-Kat. Cosima von Bonin. The Cousins, Kunstverein Braunschweig, 04.02. ‒  26.03.2000, Köln 2000, S. 9  ‒ 15, hier S. 11. Boll 2011, S. 25. Capital – das deutsche Wirtschaftsmagazin 11 (1992 ), S. 150. Ebd. Vgl. Büttner, Werner : »Kurze Beschreibung der hervorstechendsten Eigenschaften unseres Freundes Martin, den ein verständnisloses Organ viel zu früh von uns genommen hat«, in : Groetz 2002, S. 9  ‒ 11, hier S. 9.

III. K ippenberger  |  111

Selbsthilfe im Kunstbetrieb Nicht zuletzt bedingt durch seinen häufigen Wohnortwechsel bewegt Kippenberger sich schon früh auf internationaler Ebene und ist bei seinen Ausstellungsorten angesichts ausbleibender Einladungen von größeren Kunstinstitutionen nicht besonders wählerisch. Eine Ausstellung im Guggenheim abzusagen, wäre ihm ebenso wenig in den Sinn gekommen wie dessen Direktoren, ihn einzuladen. Auf seine erste größere Einzelausstellung Miete Strom Gas 1986 im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt und damit in unmittelbarer Nähe des Block Beuys, folgt erst mit elf Jahren Abstand auf Einladung des mit ihm inzwischen befreundeten Veit Loers im Museum Abteiberg in Mönchengladbach die Ausstellung Der Eiermann und seine Ausleger, deren Laufzeit er schon nicht mehr bis zum Ende erleben sollte.16 Bereits in seiner Zusammenarbeit mit dem für seine erste museale Ausstellung verantwortlichen Kurator Johann-Karl Schmidt wird sein ambivalentes Verhältnis zur »Institution Kunst« und ganz konkret zum Museum deutlich. Er begegnet der Einladung mit einer Ausstellung, an der seine künstlerische Handschrift besonders eindrücklich ablesebar wurde. In dem hierzu erscheinenden und von Kippenberger selbst konzipierten Katalog lässt er alle für ihn zu der Zeit wichtigen Weggefährten wie Diedrich Diederichsen, Bazon Brock, Martin Prinzhorn, Hubert Kiecol und Georg Herold zu Wort kommen und bringt damit zugleich unabhängig von den institutionellen Strukturen sein eigenes soziales und diskursives Umfeld mit ein.17 Es scheint, so Schmidt, als »war es ihm unbehaglich, jetzt endgültig in den Kunstmarkt aufgenommen und vereinnahmt zu werden, in einem Museum auszustellen mit seinen Ewigkeitsansprüchen.«18   Kippenbergers Ausstellungen setzen, wie be-

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Im Unterschied zu seinen Malerkollegen wie beispielsweise Rainer Fettig, die zu dieser Zeit bereits große Erfolge verbuchen konnten und als »arriviert« galten, wurde Kippenberger von den meisten Museumsdirektoren und Käufern zu dieser Zeit immer noch nicht als Künstler ernst genommen. Vgl. Kippenberger, Susanne : Kippenberger : Der Künstler und seine Familien, Berlin 2010, S. 290. Vgl. Amanshauser, Hildegund : »› … und die Absicht, daß sich dann auch so etwas wie Schönheit einstellt.‹ ( Heimo Zobernig )«, in : Ausst-Kat. Heimo Zobernig, Neue Galerie, Graz, 01.‒  21.03.1993, Salzburger Kunstverein, 02.03. ‒ 18.04.1993, S. 30  ‒  36, hier S. 32 : »Zobernig gibt die Regeln für ein Spiel vor, ein Spiel der Selektion – wer wird um welchen Text gebeten, wer liefert ihn ab, wer nicht. Die Auswahl der Texte gibt nicht nur über den Autor, sondern auch über seinen Umgang mit dem Kunstbetrieb Auskunft und über die herrschenden Selektionsmechanismen ( was wird warum abgelehnt, was gibt der Autor selbst aus welchen Gründen frei, was wird nicht veröffentlicht ).« Schmidt, Johann-Karl hier zitiert nach Kippenberger 2010, S. 291.

112 |  III. M artin K ippenberger , A usstellungskünstler

reits angedeutet, diesen Ewigkeitsansprüchen zumindest vordergründig ein stetes Reagieren auf und Verorten in der Zeit und den gegenwärtigen künstlerischen Trends entgegen. Produziert wird meistens direkt auf die Ausstellungen hin. Kippenberger passt die Auswahl der einzelnen Arbeiten sowie ihr Display jeweils den gegebenen Situationen an und ergänzt diese häufig spontan um einzelne Objekte und Zufallsfunde. Alles und jeder kann zum Teil seiner Ausstellungs- und damit einhergehender Publikationspraxis werden – nicht immer zur Freude der oder des öffentlich Bloßgestellten. Die Themen und Titel der Ausstellung nehmen häufig – und meist mit ironischem oder parodistischem Unterton – direkten Bezug auf aktuelle kulturelle Ereignisse, enthalten faktische Zustandsbeschreibungen oder beziehen sich auf den Zeitpunkt der Ausstellung (Gib mir das Sommerloch  19, Gut beleuchtete vorweihnachtliche Ausstellung an Leopoldstraße    20  ). Andere raumgreifende Displays waren Ergebnisse von längeren Reisen (Tankstelle Martin Bormann  21 ) oder scheinen »wie aus dem Leben gegriffen« und in direktem Bezug zu seinem persönlichen Umfeld zu stehen. So druckt Kippenberger beispielsweise in dem Katalog zu seiner, mit dem anspielungsreichen Titel Anlehnungsbedürfnis 86 versehenen Ausstellung in der Münchener Villa Stück sämtliche Adressen seiner ExFreundinnen ab. Dieser stetige Verweis auf das eigene Umfeld, ob ironisch oder nicht, geht einher mit dem zu diesem Zeitpunkt voranschreitenden »Aufstieg der Ausstellung« zu dem zentralen Format der Vermittlung kultureller Werte. Zugleich nimmt auch das Netzwerk, innerhalb dessen ein Künstler sich bewegt, einen immer größeren Stellenwert ein. Im Interview mit Jutta Koether stellt Kippenberger 1994 fest, »daß es immer wichtiger wird, sich permanent darüber klar zu werden, in welchem Kontext man hängt und lebt. Diesen zu bestimmen, das eigene Netzwerk aufzubauen, ist eine entscheidende Aufgabe für den Künstler. Daran arbeite ich jetzt. Und nicht nur diesen Zusammenhang herzustellen, sondern ihn auch sichtbar zu machen, unauslöschlich zu manifestieren.« 22

Wie Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrer gemeinsam verfassten Schrift Der neue Geist des Kapitalismus herausstellen, liefert das künstlerische Handeln einerseits das Vorbild für die neuen Managementmodelle, die einen kreativen,

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Galerie Erhard Klein, Bonn, Eröffnung am 08.06.1986. Dazu erschien das Künstlerbuch Endlich. Kunstraum Daxer, München, 11.12.1991 ‒  31.01.1992. Ihr ging die sogenannte »Magical Misery Tour« durch Brasilien 1985 / 86 voraus. Kippenberger, in : Ders.  /  Koether, Jutta : B – Gespräche mit Martin Kippenberger, Stuttgart 1994, S. 18.

III. K ippenberger  |  113

flexiblen und kommunikativen Typus erfordern,23 wirken diese andererseits über das Kuratorische zugleich zurück auf das Handeln von Künstlern.24   Vor diesem Hintergrund lässt sich die Arbeit des Einzelnen nicht länger als eine von der Erwerbsperson losgelöste Ware betrachten.25  Eine Trennung von Privat- und Berufsleben verschwindet mit der Folge einer engen Verquickung von charakterlichen Eigenschaften und Kompetenz. Kippenberger scheint diese Entwicklung bewusst zu affirmieren. Er war, so gesehen, »immer im Dienst«. Das künstlerische Subjekt als individueller Akteur bzw. die Darstellung eines bestimmten Künstlersubjekts und dessen Produktivität werden eng miteinander verknüpft und finden in der Ausstellung wiederum ihre Sichtbarkeit. Sie zeigt sich besonders – und das werden die folgenden Beispiele deutlich machen – in Kippenbergers bewusster Inszenierung seiner An- bzw. Abwesenheit als Künstler innerhalb seiner Ausstellungen. Er spielt hierbei nicht nur mit verschiedenen Displaykonventionen – von der Adaption Beuys’scher Vitrinen bis hin zum Format der Retrospektive ‒, auch wurden. viele seiner Ausstellungen bezeichnenderweise entweder von vornherein oder mit der Zeit zunehmend als eigenwertige, künstlerische Arbeiten rezipiert. So lässt sich fast durchgehend von einem werkhaften Charakter der Kippenberger’schen Ausstellungsdisplays sprechen, die heute vermehrt zu mal mehr und mal weniger geglückten ( Teil-)Rekonstruktionen geführt haben. Eine scharfe Trennung zwischen seiner kuratorischen Praxis und der Produktion einzelner künstlerischer Arbeiten führt daher in die Irre. Sie sind in Bezug auf das Format der Ausstellung stets zusammen zu denken und rücken Kippenberger damit an die Stelle einer in dieser Hinsicht für die Nachfolgegeneration mit Figuren wie Cosima von Bonin, Merlin Carpenter oder Michael Krebber einflussreichen Figur. Zugleich sind in Bezug auf sein kuratorisches Handeln Einflüsse von Künstlern wie Joseph Beuys, aber auch von Louise Lawler als jemand, die ihre eigene Position immer im Abgleich mit dem schon Vorangegangen sieht, oder auch Jeff Koons zu erkennen. In Anlehnung an das Ausstellungsprinzip von Jeff Koons konzipiert Kippenberger beispielsweise die Dreifachausstellung Cologne  / Los Angeles  /  New York (1990  ‒1991), die zeitversetzt Dreierauflagen von Editionen in jeweils leicht abgewandelter Form bei Hetzler in Köln, Metro Pictures in New York und bei Luhring Augustine Hetzler in Los Angeles zeigt. In dem sie dezidiert den Kunstmarkt bedienen, wirken

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Vgl. Boltanski, Luc   /   Chiapello, Ève : Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2006, S. 191  f. Vgl. Machart, Oliver : »Das kuratorische Subjekt. Die Figur des Kurators zwischen Individualität und Kollektivität«, in : Texte zur Kunst 86 ( 2012 ), S. 29  ‒  41. Boltanski  /  Chiapello 2006, S. 179.

114 |  III. M artin K ippenberger , A usstellungskünstler

sie verhältnismäßig abgeklärt und professionell. Sie basieren laut Kippenberger »all on the same theme, but developed in various ways, since I had to consider the specifics of the galleries and the places where they’re located…« 26. Der dazu publizierte Katalog zieht die drei Ausstellungen zusammen – eine Strategie, die er häufiger verfolgt.27   Oft variieren die Titel der Kataloge von den Ausstellungen, in deren Rahmen sie erscheinen. Durch die Pubertät zum Erfolg heißt etwa der Katalog von Kippenbergers erster Ausstellung Lieber Maler, male mir … in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst in Berlin 1981. Im selben Jahr wird er erstmals in der damals noch in Stuttgart ansässigen Galerie Max Hetzler gezeigt – ein erster, wenn auch nicht unbedingt finanzieller Erfolg. Den Kommentar zu seinem Werk liefert er so in der Form von Anekdoten und Äußerungen in Interviews, die er seit den frühen 1990er Jahren vermehrt gibt, gleich mit, um ein selbstbestimmtes Bild von sich als Künstler in die Öffentlichkeit zu tragen. Die eigene Verortung in der Kunstwelt wie -geschichte wird so zu einem integralen Bestandteil von Kippenbergers künstlerischer Praxis, die Eigeninitiative des Ausstellens für ihn zu einer Art Selbsthilfeprogramm, das in seiner Konsequenz unvergleichlich ist.28 Der subinstitutionelle Rahmen : Kippenbergers Büro und die Paris Bar Schon während seiner Studienzeit in Hamburg tut Kippenberger sich als Organisator von Ausstellungen jenseits der etablierten Kunstinstitutionen hervor : 1977 zeigt er in seiner Wohngemeinschaft unter dem Titel Schimärenbilder Arbeiten von Ina Barfuss, Hajo Bötel, Anna Oppermann, Thomas Wachweger und Joachim Krüger, gefolgt von einer zweiten Ausstellung mit dem Titel Al vostro servizio, in der neben Kippenbergers in Florenz entstandener 73-teiligen Serie Uni di voi, un tedesco in Firenze ( Abenteuerbilder in 6-facher Tonbildschau, Zeichnungen, Souvenirs ) auch Arbeiten von Krüger und Achim Duchow zu sehen waren.29    Wenig später gründet Kippenberger in einer Fabriketage in Berlin Kreuzberg, die er zusammen mit seiner

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Kippenberger, in : Koether, Jutta : »Martin Kippenberger. An artist doesn’t have to be old, he doesn’t have to be new. An artist has to be good.«, in : Flash Art 156 (1991), S. 88  ‒  93, hier S. 88. Auch die Kataloge Endlich 1 ‒  3 sowie Eurobummel I-III zogen thematisch zusammenhängende Ausstellungen zusammen und unterstrichen durch diesen Zug zugleich ihre konzeptuelle Dimension. Vgl. Koether 1997, S. 54. Vgl. Kippenberger 2010, S. 135.

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zukünftigen Galeristin Gisela Capitain seit 1978 bewohnte, Kippenbergers Büro. In loser Anlehnung an Andy Warhols Factory dient es als ein Multifunktionsort, der sowohl für ausschweifende Partys als auch für Ausstellungszwecke genutzt wurde. Seine Künstlerfreunde Bötel, Meuser und Krüger zeigen hier ihre Arbeiten, bevor es kurz vor der Schließung im November 1979 zu einer finalen Gruppenausstellung mit dem auf eine Berliner Malereifirma namens Elendt zurückgehenden Titel 1. Außerordentliche Veranstaltung in Bild und Klang zum Thema der Zeit : Elend kommt. Zu den Beteiligten zählen wiederum Personen aus Kippenbergers direktem Umfeld : Ina Barfuss, Werner Büttner, Walter Dahn, Georg Herold, Jochen Krüger, Meuser, Albert und Markus Oehlen, Brigitta Rohrbach, Thomas Wachweger sowie Kippenberger selbst. In der Berliner Morgenpost – die dieser Ausstellung aus heutiger Sicht erstaunlicherweise eine Kritik widmete – heißt es : »Nur zwei der Aussteller sind Berufskünstler, der Rest sind Köche, Kellner oder Klempner.«30 Jutta Koether sieht hierin retrospektiv berechtigterweise vielmehr eine Art »Armory Show«, in der die heute durchaus bekannte Generation deutscher Künstler ihr Debüt gibt.31  Auf Elend folgt 1980 die außerordentliche Veranstaltung in Bild und Ton : Aktion Pisskrücke – Geheimdienst am Nächsten im Hamburger Künstlerhaus sowie als dritter Teil Finger für Deutschland in Immendorfs Düsseldorfer Atelier mit begleitendem Konzert im Ratinger Hof. Kippenbergers zweites Standbein in Berlin ist die besonders in den 1980er und 1990er Jahren von der Kunstszene hochfrequentierte Paris Bar in der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg , die von 1979 bis 2010 von dem mit ihm befreundeten Künstler Mich(a)el Würthle sowie von Reinald Nohal geführt wurde. Von Anbeginn hängen hier als bewusstes Statement in Bezug auf das damals im Vergleich zu Köln eher provinziell auftretende Berlin zeitgenössische Kunst, vorrangig Malerei und Zeichnungen, in »russischer Hängung« an den Wänden. Die einzelnen Arbeiten stammen entweder aus dem Besitz Würthles, der ausgehend von der Bar eine umfangreiche Kunstsammlung aufbaute, oder aber als Leihgaben von Künstlern, Galeristen und Sammlern aus dem Umfeld der Besitzer.32   Zur ersten, sich über die Jahre immer wieder weiter entwickelnden Hängung zählen heute so einschlägig bekannte Namen wie Markus Lüpertz, Georg Baselitz, Dieter Roth, Daniel Spoerri, Ina Barfuss, Thomas Wachweger, Andy Warhol, Arnulf Rainer und Kippenberger, zur Verfügung gestellt von unter anderem dem Kunstsammler Heiner Bastian

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Vgl. ebd., S. 167. Ebd. Michel Würthle spricht von Berlin zu der Zeit als »ein fürchterlich liebenswürdiger Provinzhut«. Würthle, Michel : Paris Bar, Berlin, Berlin 2000, S. 62.

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Abbildung 1: Paris Bar, Berlin, 1991

sowie Robert Rauschenberg, Günther Brus und Walter Pichlera.33   1979 vermacht Kippenberger Würthle seine Florenzbilder, die daraufhin über die nächsten Jahre die Wände des Restaurants zieren und dem Künstler im Gegenzug freies Essen für sich und eine weitere Person auf Lebzeiten gewähren. Die Paris Bar, die sich gerade nicht als eigene Kunstform versteht und deren Besitzer Mischformen wie »Galeriecafé« oder »Kneipenkunst« prinzipiell ablehnen, bietet damit letztendlich einen guten Querschnitt durch die Kunst der 1980er und 1990er Jahre und erzählt durchaus sehr persönliche Geschichten über sie – ein Aspekt, der wie bereits mit dem Prinzhorn-Zitat angedeutet, auch für Kippenbergers Ausstellungen zentral werden sollte. »Obwohl es den Bildern oft nicht gut tut, diese Anwesenheit im Lokal«, wie Würthle konstatiert. »Da stellt man auch nicht im eigentlichen Sinne aus, sondern zeigt eher Flagge.« 34 Auch Kippenberger zeigt hier Flagge als im April 1991 die von Christos M. Joachimides und Norman Rosenthal kuratierte Ausstellung Metropolis im Berliner Gropius Bau eröffnet. Diese Schau verfolgt in der Tradition der Zeitgeist-Ausstellung von 1982 das Ziel, »die Kunst am Anfang der neunziger Jahre auf den Punkt [ zu ] bringen«, jedoch ohne Kippenberger zu berücksichtigen, obwohl der Kunststandort Köln neben New York ausdrücklich als zentral in der Einführung erwähnt wurde.35  Als Reaktion hierauf nimmt Kippenberger kurzerhand mithilfe von Stu-

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Würthle 2003, S. 63. Ebd., S. 62. Joachimides, Christos M. : »Das Auge tief am Horizont«, in : Ausst.-Kat. Metropolis. Inter-

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denten und Freunden über Nacht eine Neuhängung der Paris Bar vor und liefert damit dem Vernissagenpublikum des Gropius Baus, dass vorhersehbarerweise dort später am Abend einkehrt, auf diese Weise seinen eigenen Beitrag. »Verjüngung der künstlerischen Ausstattung der ›Paris Bar‹, Berlin, durch Arbeiten u. a. von Louise Lawler, Laurie Simmons, Barbara Ess und Zoe Leonard« vermerkt Kippenberger dazu in seinem Lebenslauf.36   Diese von Kippenberger zusammengestellte Auswahl von v. a. Künstlerinnen aus seiner eigenen Kunstsammlung besteht so lang bis sie nach und nach vom Nachlass abgezogen wurde und damit letztendlich länger, als sie ein Museum je hätte zeigen können. Die Paris Bar bildet durch ihren Status innerhalb der Berliner Kunstszene somit eine Ausnahme bezüglich der Reichweite von Kippenbergers Interventionen. Zugleich wird an ihr jedoch ein Grundzug von Kippenbergers Displaystrategien deutlich : der des Dekors [ Abb. 1 ] . In jedem Ort, an dem er für einen längeren Zeitraum wohnt, sucht Kippenberger sich ein Hotel, Restaurant oder Café, das für ihn als »zweites Wohnzimmer« fungiert, und richtet dieses häufig mit eigenen Arbeiten ein : sei es das Café Central in Köln, eine Pizzeria in Frankfurt oder das Kippys in St. Georgen. Durch diesen Kontext der Präsentation wird die hierin gezeigte Kunst automatisch verstärkt als Dekor und damit Teil einer spezifischen Situation wahrgenommen. Schon Marcel Broodthaers verwendet bekanntermaßen im Zuge seiner Serie von Retrospektiven diesen Begriff. Bei ihm zielt er ausgehend von Duchamp auf der einen und Magritte auf der anderen Seite auf eine Entleerung der Bedeutung von Objekten ab. Wie Dorothea von Hantelmann herausstellt, sind Broodthaers’ Dekor-Objekte »wie Chiffren einer Arbeit am Problem der Referenz, an der Frage nach einer Funktion von Kunst zwischen Ästhetik und Dekor«.37   Von Hantelmann verweist in diesem Zusammenhang auf Hans-Georg Gadamers Auseinandersetzung mit dem Dekorativen, in dessen erstem Band seiner Hermeneutik, Wahrheit und Methode, es heißt : »Das Wesen der Dekoration besteht eben darin, daß sie jene zweiseitige Vermittlung leistet, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zu ziehen, seinen Geschmack zu befriedigen, und doch auch wieder ihn von sich wegzuweisen in das größere Ganze des Lebenszusammenhangs, den sie begleitet.«38  Demnach ziehen

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nationale Kunstausstellung Berlin 1991, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 20.04. ‒ 21.07.1991, hg. von Christos M. Joachimides und Norman Rosenthal, Stuttgart 1991, S. 11  f., hier S. 11. Auch Andrea Fraser war hier mit ihren Smileys und Frownies vertreten, allerdings fielen sie immer wieder von der Decke, was Kippenberger bei ihrer nächsten Begegnung zu dem Spruch »Kunst muss hängen« veranlasste. Vgl. Kippenberger 2010, S. 218. Von Hantelmann, Dorothea : How to do things with art, Zürich / Berlin 2007, S. 132. Gadamer, Hans-Georg : Gesammelte Werke Bd.1: Hermeneutik I : Wahrheit und Methode :

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die Kunstobjekte in diesen Kontexten zwar den Blick an, aber nur, um ihn von dort auf die Gesamtsituation zu richten. Stärker als bei einer Ausstellungssituation innerhalb eines institutionellen Rahmens wird hierüber ein Wechselspiel zwischen Kunst und realem, für das Alltagsleben des Künstlers zentralen Raum, der Betrachtung eines einzelnen Objekts und seines situativen Kontextes erzeugt. Auch wenn diese Ein- bzw. Übergriffe an den hier aufgeführten Orten tatsächlich im Sinne von für die jeweiligen Räume geschaffenen Dekorationen und Inneneinrichtungen zu verstehen sind, lassen sie sich zugleich auch als eine grundlegende Strategie von Kippenbergers Ausstellungsaufbauten verstehen. So tendieren seine Displays auch innerhalb institutioneller Strukturen dazu, den klassischen White Cube zu dekonstruieren und durch die eher einer Einrichtung als Ausstellung entsprechende Anordnung der Exponate eine alternative Kunsterfahrung zu ermöglichen.39 Einsatz von Freundeskreis und Sammlung Dass auch Kippenbergers Ausstellungsdisplays in klassischen institutionellen Kontexten wie Galerien und Museen häufig enge Bezüge zu seinem sozialen und künstlerischen Umfeld aufweisen, liegt v. a. daran, dass er zunehmend keine Differenz mehr zwischen seiner eigenen künstlerischen Produktion und seinen Sammlungsbeständen zieht. Bereits in den frühen 1980er Jahren fängt Kippenberger an, Kunst zu sammeln bzw. oft im Tausch mit von ihm geschätzten Künstlern wie etwa Albert Oehlen künstlerische Arbeiten zu erstehen.40   Seit 1991 kommen durch seinen Aufenthalt in Los Angeles und seinen Kontakt mit der dortigen Kunstszene verstärkt zeitgenössische amerikanische Positionen dazu. Ausgehend

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Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1990, S. 163. Vgl. auch Dorothea von Hantelmanns Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk als Dekor in : von Hantelmann 2007, S.  129  ff. Vgl. hierzu Gadamer 1990, S.163: »Zwar soll es nicht zum Verweilen einladen und als dekoratives Mittel nicht selber betrachtet werden, sondern lediglich eine begleitende Wirkung tun. […] Es wird daher im allgemeinen gar keinen gegenständlichen Inhalt haben oder denselben durch Stilisierung oder Wiederholung soweit nivellieren, dass der Blick darüber hinweggleitet.«, sowie von Hantelmann 2007, S. 131. Besonders deutlich wird das Motiv des Möblierens etwa im Titel von Kippenbergers Künstlerbuch Vergessene Einrichtungsprobleme in der Villa Hügel, das 1996 im Zusammenhang mit seiner Ausstellung in der Esslinger Villa Merkel erschien. Seine Kunstkäufe liefen in der Regel ganz offiziell über die Galerie und nicht direkt über den Künstler.

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von seiner sich stetig vergrößernden Kunstsammlung wächst in den frühen 1990er Jahren auch Kippenbergers dem damaligen Zeitgeist entsprechendes Interesse am Kuratieren. Im April 1991 spricht er etwa gegenüber der Kuratorin Elizabeth Millard Wright davon, dass er jetzt selbst Kurator sei und gerade seine Sammlung katalogisiere.41 Wright lädt ihn daraufhin ins Forum for Contemporary Art in St. Louis ein, um eine Ausstellung mit Arbeiten aus seiner Sammlung zu realisieren. Kippenberger kombiniert für die hieraus resultierende Ausstellung Pictures of an Exhibition eigene bis in die frühen 1980er Jahre zurückreichende Gemälde von u. a. Werner Büttner, Chérie Samba, Richard Prince, Jeff Koons, Michael Krebber, Albert Oehlen und Jörg Schlick. »On one level it is a long overdue retrospective of his paintings. On the other, it is a look at the give and take of the ideas that prevailed during the last decade, and on yet another level it is an installation by Martin Kippenberger […].«42   Kippenberger selbst zieht, wie bereits aus dem oben angeführten Zitat deutlich wird, nicht immer eine scharfe Trennlinie zwischen beiden Bereichen. Vielmehr konstatiert er : »These pictures are all my works«43.  Während Broodthaers angeblich unter anderem auch deswegen anfing, selbst Kunst zu produzieren, da er kein Geld zum Sammeln von Kunst hatte,44 lässt sich von Kippenberger behaupten, dass das Sammeln und Produzieren von Kunst fließend ineinander gehen und dies über seine Ausstellungsdisplays auch klar zutage tritt. Anders als bei Broodthaers beispielsweise, der sich für die Kunstwerke innerhalb seiner Ausstellung Der Adler vom Oligozän bis Heute (1972 ) mithilfe von Johannes

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Wright Millard, Elizabeth : »Introduction«, in : Ausst.-Kat. Pictures of an Exhibition, Forum for Contemporary Art, St. Louis, 12.11. ‒  31.12.1993, St. Louis ( Mo.) 1993, S. 3. Ebd. Die Ausstellung wurde vom 22.01. bis 19.02.1994 bei Metro Pictures in New York gezeigt. Vgl. Pressetext zur Ausstellung im Nachlass des Künstlers. Vgl. auch Kippenberger, in: Koether 1991, S. 91: »Really I view my collecting as part of my work  ! And I’ve learned in the meanwhile to be totally indifferent to whether or not an artist whose work I’m buying ›has a future‹. None of that baleful wailing means anything at all if an artist makes work that really has a meaning for me; and if it fits with the other things, that’s already quite enough. But another side to the story is that the financing if his particular part of my work, the financing of my collecting, means that I myself have to sell more pictures, more than otherwise necessary. So there’s a price you have to pay for everything. Hubert Kiecol, Meuser, and Förg also have a place in the collection. That keeps you well protected from any idea that you have to make everything yourself. Earlier I always had a way of appropriating things by others when I thought that they were good.« Vgl. Crimp, Douglas : »This Is Not a Museum of Modern Art«, in : Ausst.-Kat. Marcel Broodthaers, Walker Art Center, Minneapolis, 09.04. ‒ 18.06.1989, S. 71 ‒  91, hier S. 71.

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Cladders eines regulären Leihverkehrs bedienen musste, ist Kippenberger durch den vorangegangenen Kauf legitimer Besitzer der angeeigneten Kunst, was ihm bei der Auswahl einen freien Handlungsspielraum einräumt. Im Interview mit Jutta Koether äußert Kippenberger 1991: »Früher habe ich ja noch Originale von Künstlern genommen […]. Und jetzt lass’ ich die Kunst der anderen so stehen, wie sie ist, wie sie ankommt. Aber im Zusammenhang. So ist es halt. Solange man nicht Léger heisst, wo man das Bild immer wieder erkennen kann, heisst es : Geschichten erzählen.« 45 Diese Haltung korreliert mit dem sich zu der Zeit verändernden Kunstbegriff, im Zuge dessen das von Frederic Jameson zu den wesentlichen Merkmalen postmoderner Verfahren zählende Pastiche an die Stelle der originären Schöpfung rückte.46   Dies hat auch eine tiefgreifende Veränderung des Künstlersubjekts zur Folge, das nicht mehr »aus sich heraus etwas Neues schafft«, sondern sich vielmehr aneignend und parasitär verhält.47  Roland Barthes’ Aufsatz »Der Tod des Autors« gilt als eine der zentralen Textbezüge dieser Zeit, sowohl aus künstlerischer wie theoretischer Perspektive. Die erste Welle der für die 1980er und frühen 1990er Jahre paradigmatischen und auch hier aufgerufenen Praxis der »Appropriation« wird vorrangig mit Fotografie assoziiert und entsteht etwa zeitgleich mit der Ankunft und Verbreitung poststrukturalistischer Theorien der Reproduktion und Wiederholung in New York.48  Dieser künstlerische Ansatz manifestiert sich in der von Douglas Crimp organisierten Pictures-Ausstellung im New Yorker Artists Space 1977, auf die Kippenberger in seinem Ausstellungstitel offensichtlich anspielt, sowie in der losen Gruppe von Künstlern der sich gerade formierenden Metro Pictures Galerie, in der auch Kippenberger ab Mitte der 1980er Jahre ausstellen sollte. Neben der hierunter vorrangig assoziierten »image-based form of appropriation«49 bildet sich auch ein Strang der »object-based appropriation« heraus. Jeff Koons’ und Haim Steinbachs Aneignung und Präsentation von Konsumgütern etwa wird unter dem Begriff »commodity art« gefasst, die auch in Bezug auf Mike Kelleys

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Koether, Jutta : »Ein Interview mit Martin Kippenberger«, in : Texte zur Kunst 3 (1991), S. 81 ‒  95, hier S. 89. Graw, Isabelle : »Wo Aneignung war, soll Zuneigung werden. Faszination, Subversion und Enteignung in der Appropriation Art«, in : Ausst.-Kat. Louise Lawler and Others, Kunstmuseum Basel, Museum für Gegenwartskunst, Basel, 15.05. ‒  29.08.2004, hg. von Philipp Kaiser, Ostfildern 2004, S. 45  ‒  67, hier S. 45. Ebd. Vgl. Welchman, John C. : »Introduction«, in : Ders. : Art after Appropriation. Essays on Art in the 1990s, Amsterdam u. a. 2001, S. 1 ‒  64, hier S. 10. Ebd., S. 18.

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Displaystrategien noch einmal eine größere Rolle spielen wird. Um Kippenbergers Position in diesem Kontext deutlicher zu machen, sei der Fokus an dieser Stelle zunächst auf Louise Lawler gerichtet und damit auf eine Figur, die sich genau an der Schnittstelle dieser beiden appropriierenden Verfahren bewegt und daher u. a. für Kippenberger eine zentrale Rolle spielen sollte.50    Lawler fokussiert in ihren Fotografien häufig auf Details aus privaten oder öffentlichen Displays von Kunst und auch in ihren eigenen Ausstellungen spielt die Hängung ihrer Bilder stets eine entscheidende Rolle. Sie verwendet hierfür bevorzugt den Ausdruck »arranged by«.51  »[ L] like a curator, gallery, or collector«, so formuliert es Ann Goldstein, »she ›arranges‹ the objects according to a theme or underlying agenda and exhibits them as her work.« 52   Ihre Form der Aneignung läuft in diesem Fall also über das Herstellen bzw. die Wiedergabe einer ganz bestimmten Ausstellungsituation, über die sie wiederum kritische Aussagen hinsichtlich des Ausstellungssystems und Fragen der Repräsentation trifft. Dies impliziert auch, dass ihre Praxis voll und ganz von dem abhängt, was andere bereits vor ihr produziert und   / oder arrangiert haben. »The inclusion of ›others‹«, so Goldstein, »is not only an aspect of her work, which incorporates the works of others into its content, it is also a characteristic of its conception, fundamental structure, and development«.53  Lawler selbst konstatiert in einem Interview mit Martha Buskirk : »I think art is part and parcel of a cumulative and collective enterprise, viewed as seen fit by the prevailing culture. Other

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Vgl. Kippenberger  / Koether 1994, S. 7. Dort beschwert Kippenberger sich, dass »[d]ie wichtigste Frau«, Louise Lawler, nicht in der 1993 erstmals abgedruckten Extra-Hitliste für Künstlerinnen in den CAPITAL-Charts auftaucht. Vgl. Lawlers frühe Ausstellung An Arrangement of Pictures bei Metro Pictures, bei der sie sich Arbeiten anderer Künstler der Galerie aneignete, indem sie sie bzw. Fotos davon präsentierte. Dabei habe sie ganz bewusst Arbeiten produziert, die dem Stil der Galerie entsprächen. Vgl. Crimp, Douglas : »Prominence Given, Authority Taken. An Interview with Louise Lawler«, in : Lawler, Louise ( Hg.) : An Arrangement of Pictures, New York 2000, o. P. Goldstein, Ann : »Baim-Williams«, in : Ausst.-Kat. A Forest of Signs. Art in the Crisis of Representation, Museum of Contemporary Arts, Los Angeles, 07.05. ‒ 13.08.1989, hg. von Catherine Gudis, Cambridge ( Mass.) 1989, S. 21 ‒  64, hier S. 43. Goldstein, Ann : »In the Company of Others«, in : Ausst.-Kat. Louise Lawler. Twice Untitled and Other Pictures (  looking back ), Wexner Center for the Arts, The Ohio State University, Columbus, Ohio, 16.09. ‒  31.12.2006, hg. von Helen Molseworth, Cambridge ( Mass.) 2006, S. 133  ‒ 142, hier S. 134.

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work, outside work, makes up a part of this.«54  Aneignung und Zuneigung sind hierbei, wie Isabelle Graw in Bezug auf Lawlers Praxis herausstellt, stets als gekoppelt zu verstehen.55  Das »Louise Lawler and Others«, wie es in einer Ausstellung im Kunstmuseum Basel, Museum für Gegenwartskunst 2004 zum titelgebenden Stichwort erhoben wurde, macht einen Aspekt deutlich, der auch für Kippenberger zentral werden sollte und der in seiner Retrospektive in Genf 1997 schließlich unter dem Stichwort »Kippenberger et ses amis« eine entsprechende Formulierung findet. Neben dem Rückgriff auf seine Sammlungsbestände spannt Kippenberger immer wieder von ihm geschätzte Künstlerkollegen in seine eigenen Ausstellungen ein, verteilt an seine Assistenten Auftragsarbeiten – sehr wohl unter Berücksichtigung ihrer jeweils eigenen künstlerischen Ansätze – oder setzt sich für Letztere persönlich bei Galeristen ein ( durchaus bis es ihnen, wie beispielsweise Michael Krebber, auf die Nerven geht ).56   Die Anderen, und hierin liegt eine gravierende Differenz etwa zu der Praxis von Beuys, der als singuläre Person seine »individuelle Mythologie« vertritt, sind stets Teil seiner Praxis. Nicht immer so fair wie Lawler und auch nicht immer mit demselben aufklärerischen Bestreben lässt er andere für sich produzieren, wie besonders an der Peter-Ausstellung deutlich werden wird. Konsequenz aus Kippenbergers Handeln ist nicht die, wie Ann Goldstein es in Bezug auf Lawler formuliert, Dezentrierung ihrer eigenen Rolle und Identität als

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Buskirk, Martha : »Interview with Louise Lawler«, in : October 70 (1994 ), S. 98  ‒ 112, hier S. 106. Vgl. Graw 2004. Cosima von Bonin, deren soziales Netz einige Überschneidungen mit dem Kippenbergers aufweist, wird auf ihre Art und damit aus der Perspektive einer Künstlerin innerhalb eines in den 1980er und frühen 1990er Jahren immer noch von Männern dominierten Kunstfeldes das Statement des »Wir sind viele« konsequent fortführen. MK2 FORMULA ( ART & IDEAS ) ( 2010 ) etwa war eine direkte Homage an Kippenbergers Lampenskulpturen. Aber auch mit dem Einsatz von Hochsitzen in ihren Ausstellungen [allerdings : tritt sie, wenn auch halbironisch, als »Domina« auf, die eine Schar von Kreativen um sich schart, die in einem »sklavischen Abhängigkeitsverhältnis« zu ihr stehen. Auf die Bezeichnung der »Sklaven« besteht sie selbst. Vgl. »Der Vampir von Köln agiert im Loop«, Cosima von Bonin im Interview mit Philipp Ekardt und Jan Kedves, in : Spex 337 ( 2012 ), S. 66  ‒ 73, hier v. a. S. 69  f., sowie Gray, Zoe : »Introduction : Delicious Deligent Indolence«, in : Cosima von Bonin, hg. vom Witte de With, Center for Contemporary Art, Rotterdam (= Source Book 9 / 2010 ), Rotterdam 2010, S. 11‒ 17, hier S. 14. In ihrem Katalogtext zu Louise Lawler and Others weist Isabelle Graw daraufhin, dass Aneignung sich immer auch in der zentralen Instanz der Lehrer-Schüler-Beziehung organisiere. Graw 2004, S. 45.

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Künstler, sondern vielmehr eine Bestärkung des Künstlersubjekts und seines Einflusses.57   Auch war seine Form der Aneignung wie bereits angedeutet oft mit dem vorangegangenen käuflichen Erwerb der Arbeiten verbunden. Sie gehörten ihm rechtlich bereits. Durch die Inklusion in seine Ausstellungen stellt er zudem einen direkten Bezug zu seiner eigenen künstlerischen Produktion her und eignet sich auf diese Weise auch das symbolische Kapital dieser Arbeiten an. Die einzelnen Exponate fungieren demnach innerhalb der Ausstellung als Träger verschiedener Narrative. Dies kann, aber muss nicht zu einer Bedeutungsverschiebung dieser Objekte führen, wie besonders die Analysen von I had a Vision, Deep Throat und The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« deutlichen machen werden. Es hängt immer auch von der thematischen Ausrichtung der Ausstellung insgesamt wie auch ihrer in Zeit und Raum spezifischen Situation ab. Kippenberger als Kunstvereinsleiter und Museumsdirektor Anfang der 1990er Jahre vollzieht Kippenberger schließlich einen symbolischen Rollenwechsel vom Künstler zum Kurator bzw. Museumsdirektor und Vorsitzenden eines Kunstvereins. Mit dem 1993 gegründete Museum of Modern Art Syros ( MOMAS ) sowie dem Kunstverein Kippenberger, der zwischen 1993 und 1994 im Museum Fridericianum bestand, schafft er sich sowohl innerhalb als auch außerhalb bestehender institutioneller Strukturen temporäre Plattformen, um Ausstellungen mit künstlerischen Positionen aus seinem Umfeld zu organisieren. Er verhilft auf diese Weise einer Reihe von noch wenig etablierten Künstlern zu größerer Sichtbarkeit. Doch geschieht dies auch hier wiederum nicht ganz ohne Eigennützigkeit und geprägt von einer stark parodistischen Haltung. Der Kunstverein Kippenberger wird von Kippenberger im Rahmen des von Veit Loers initiierten Museum auf Zeit betrieben, das, selbst einem institutionskritischen Ansatz folgend,58 aus verschiedenen, von Künstlern gestalteten Räumen besteht. Auch dieses Projekt geht von Kippenbergers Sammlung aus und ist als eine Reaktion auf seinen Ausschluss aus den großen Ausstellungsprojekten der Zeit zu verstehen : Trotz Lehrauftrags in Kassel war er 1992 zum wiederholten Male

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Vgl. hierzu auch Goldstein 2006, S. 138 : »Freely moving through the different functions and positions in the network that supports the display of contemporary art, Lawler also decentered her own role and identity as an artist – not only playing with authorship, but unraveling the conventional distinctions that separate the artist and the gallery dealer.« Vgl. Avgikos, Jim : »Eigengift«, in : Ausst.-Kat. Nachtschattengewächse, Museum Fridericianum Kassel, 16.05. ‒  08.08.1993, Kassel 1993, S. 29  ‒  37, hier S. 34  f.

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nicht zur Teilnahme an der documenta eingeladen worden. Kippenberger schlägt dem damaligen Direktor des Fridericianums daher vor, eine Art Nach-documenta und zugleich Vor-documenta mit seiner Sammlung in dessen Räumen zu veranstalten.59   Loers, der grundsätzlich Gefallen an dieser Idee findet, richtet nach Kürzungen seines Budgets in den Räumen im rechten Flügel des Erdgeschoss eine Folge von permanenten Rauminstallationen bis zur nächsten documenta ein, an denen Joseph Beuys, Franz West, Günther Förg, Meuser ( Kabinett ), Cady Noland, Jeff Koons, Kippenberger und Imi Knoebel beteiligt sind.60 »Die Idee des Projektes ist es«, so Loers in der Presseankündigung, »wichtige internationale, vorwiegend deutsche Künstler der achtziger Jahre gesondert vom Ausstellungsbetrieb langfristig in Räumen zu zeigen, in denen es alles andere als museal zugehen soll.«61 Das Projekt nehme damit »bewusst Bezug auf den ältesten Museumsbau des europäischen Kontinents und die Idee der seit 1955 hier stattfindenden documenta«.62 Das Museum auf Zeit unterzieht sich somit sowohl der kritischen Reflektion der »Idee vom Museum als auch die von der Kunstausstellung« und bietet im Gegenzug den geladenen Künstlern größtmöglichen Freiraum in der Gestaltung ihrer Ausstellungssettings.63 Statt eigene Arbeiten zu präsentieren, wie es bis auf Franz West, der seine Wiener Ateliersituation mit Arbeiten von seinen Studenten nachbaut,64 alle der eingeladenen Künstler tun,65 entscheidet Kippenberger sich dafür, in seinem Raum gleich zu Beginn des Museumsflügels nur Arbeiten anderer, überwiegend mit ihm befreundeter Künstler zu zeigen. Sein Ausstellungsprogramm beginnt mit Zeich-

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Die nächste, von Cathrine David kuratierte documenta x fand 1997 statt. Das Museum auf Zeit eröffnete am 16.05.1993, die Arbeiten von Imi Knoebel und Jeff Koons wurde erst später realisiert. Aus dem Pressetext, Archiv des Museum Fridericianum, Kassel. Ebd. Ein vorläufiger Arbeitstitel hieß bezeichnenderweise »Hausbesetzung«. Aus einem Brief von Loers an Kippenberger vom 2. Dezember 1992, Archiv des Museum Fridericianum, Kassel. Der Raum enthielt neben Arbeiten von Franz West selbst auch Arbeiten von Emilio Prini, Herbert Brandl, Heimo Zoberning, Albert Oehlen, Mariella Simoni und Werner Büttner. Am 7. Juni 1994 räumte er öffentlich und unter Mithilfe der Besucher um. Von Beuys war der Raum für direkte Demokratie zu sehen, auf den sich Imi Knoebel in seiner Arbeit direkt bezog. Von Cady Noland war die raumgreifende Installation Deep Social Space (1990 ) aufgebaut, Günter Förg zeigte seine Bilder aus Luftlack auf Polyethergewebe ( ohne Titel, 1993 ), von Meuser gab es u. a. Wandung (1986 ) und ohne Titel (1988 ) zu sehen.

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nungen von Albert Oehlen aus der Sammlung SUMAK ( Susanne und Martin Kippenberger ), woran sich Gruppen- wie Einzelausstellungen von Künstlern aus seinem direkten Umfeld anschließen. Nach der zweiten Einzelausstellung, die Kippenbergers damaliger Assistent Ulrich Strothjohann unter dem Titel Material aus dem Loch vom 7. September bis 31. Oktober 1993 bestreitet, folgt die mit Quotentitel versehene Themenausstellung Frauenkunst-Männerkunst, die sich aus erotischen Zeichnungen, Fotografien und Collagen aus der Sammlung SUMAK zusammensetzt und wenige Monate zuvor bereits innerhalb seiner Candidature à une rétrospective im Pariser Centre Georges Pompidou zusehen war. Der Pressetext bewirbt die Ausstellung mit »pornografischen Klassikern wie Man Ray, Mike Kelley, Cindy Sherman und Zoe Leonard bis zu anonymen Stücken aus der Volkskunst«.66 Nicht zu übersehen gewesen sei »das Zuchthausblatt von Ronald Jones und das Lustblatt von Gretchen Faust sowie das Video Strowman von Paul Myoda, das bereits in New York im letzten Jahr Furore machte«.67   Es folgen Einzelausstellungen von Cosima von Bonin, die vom 13. März bis 23. Mai 1994 ihren Strickbikini ohne Titel (1994 ) zeigt. Auch Michael Krebber und Johannes Wohnseifer sind noch im selben Jahr mit Einzelausstellungen vertreten. Innerhalb seines »Kunstvereins« richtet Kippenberger in einem separaten Raum zudem die sogenannte Kippenberger Dia Art Foundation ein, die auf Anfrage des Künstlers in ironischer Anspielung auf die bekannte New Yorker Stiftung tatsächlich Dia-Projektionen aus den Beständen diverser Persönlichkeiten der internationalen Kunstszene, darunter Künstler ebenso wie Kritiker und Galeristen, zeigt.68   Auch diese Entscheidung ist wiederum in direktem Bezug zur anstehenden documenta zu verstehen – diese Präsentationsform von neuen Arbeiten junger Künstler sollte als Anregung für die Auswahl der nächsten Kasseler Großausstellung dienen. Mit der Präsentation von ca. 100 Dias des von Josef Strau und Stephan Dillemuth in Köln geleiteten alternativen Ausstellungsraums vom Friesenwall 120, die chronologisch einen Eindruck von den dortigen Aktivitäten vermitteln, greift er zudem indirekt auch das Hauptthema des von Loers initiierten Museum auf Zeit wieder auf. 69   Die ironische Betitelung von Kippenbergers Beitrag als »Kunstverein Kippenberger« ist

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Aus dem Pressetext, Archiv des Museum Fridericianums, Kassel. Ebd. Darunter : Jan Avigkos vom Artforum, Werner Büttner, Stephan Dillemuth ( Diaprogramm des Friesenwall-Ausstellungsprojekts in Köln ), Meuser, die Galerie Christian Nagel, Ronald Jones, Kurt Kalb ( Diaprogramm von Dieter Roth ), die Villa Arson in Nizza sowie Heimo Zobernig. Vgl. Lawlers Slideshow Sides by Night : Now That We Have Your Attention What Are We Going To Say  ?  bei Metro Pictures 1985.

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selbst auf einen Scherz Loers’ zurückzuführen und nimmt Bezug auf den Umstand, dass in den Räumen links im Erdgeschoss ohne Rücksprache mit ihm der Kasseler Kunstverein eingezogen war. Die von Kippenberger entworfenen Lettern prangen über dem Eingang und erwecken so den ebenso fälschlichen wie großspurigen Eindruck, als seien darunter alle der folgenden Künstlerräume zu fassen.70 Mit dem von Kippenberger 1993 ins Leben gerufenen MOMAS auf der gleichnamigen griechischen Insel führt er den im Rahmen seines Kunstvereins vollzogenen, bewussten Rollenwechsel nun in Broodthaers’scher Manier vom Künstler zum Museumsdirektor auf einer halb-fiktiven Ebene weiter fort. Der verweisende Rohbau eines Schlachthofs an einem der schönsten ( und von den Einwohnern als Liebesnest  ) genutzten Orte dient hierbei als räumliche Setzung des de facto imaginären und das heißt in diesem Fall auch wiederum im Unterschied zu Broodthaers ohne jegliche institutionelle Struktur existierenden »Museums«. Legitimiert als solches wird es allein durch die Handlungen Kippenbergers, die wenigen heute bekannten Fotografien, Skizzen und Einladungskarten.71  Zu den eingeladenen Künstlern zählen Hubert Kiecol (1993 ), Ulrich Strothjohann (1994 ), Stephen Prina (1995 ), Cosima von Bonin   /  Christopher Williams (1995 ), Michel Majerus (1996 ), Heimo Zobernig (1996 ) und Johannes Wohnseifer (1996 ). Sie wurden gebeten, »non-art« zu machen, d. h. in diesem Fall ortsspezifische Variationen ihre jeweiligen Arbeiten.72   Anders als seine Tätigkeit im Rahmen des Kunstverein Kippenberger war dieses Projekt vorrangig parodistischer Natur. Das MOMAS reiht sich damit in Geschichte von Künstlermuseen ein und fällt zugleich aus

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In einem Brief von einem aufgrund der »nachpubertären Ergüsse« in Kippenbergers Kunstverein aufgebrachten Kassler Bürger an Veit Loers vom 18. Dezember 1993 heißt es : »[…] Wenn Sie das Konzept der Künstlerräume und seine Realisation noch halbwegs retten wollen, dann sollten Sie schleunigst Herrn Kippenberger aus dem Ensemble entfernen oder wenigsten in den letzten, schmalen, hinter dem Förg-Raum sich anschließenden Raum verlagern, der zur Zeit als Abstellraum genutzt wird. Übrigens : Wieso gestatten Sie, daß Herr Kippenberger seinen Hinweis auf seinen ›Kunstverein Kippenberger‹ von der Eingangshalle aus sichtbar geradezu großkotzig anbringen kann. Es wird dadurch für Besucher der Eindruck erweckt, daß der ganze rechte Teil des Erdgeschosses mit allen Räumen dieser ›Kunstverein Kippenberger‹ ist (zumal der ganze linke Teil den Kassler Kunstverein beherbergt.).« Vgl. Meyer-Hermann, Eva : »Broken Off – Unvollständiges, Unfertiges, Abgekürztes und Fragmentarisches bei Martin Kippenberger«, in : Ausst.-Kat. Extended, Sammlung Landesbank Baden-Württemberg im ZKM, Museum für Neue Kunst, Karlsruhe, 21.05. ‒  18.10.2009, hg. von Lutz Casper, Heidelberg 2009, S. 134  ‒ 138, hier S. 138. Vgl. Wool, Christopher : »Blue Streak«, in : Artforum 41 / 6 (2003 ), S. 101.

III. K ippenberger  |  127

ihr heraus.73  Die jeweiligen Ausstellungen, die sich in ihrer Produktion auf die vorhandenen Materialien vor Ort beschränken sollten, gehen häufig nicht über die Einladungskarte und die daraus erfolgten Zusammentreffen auf der Insel hinaus. Gerade letzteres erfüllt noch eine zweite Funktion : Es markiert den geschickt inszenierten Übergang von Kippenbergers sommerlichem Rückzug ins Private zurück in die Öffentlichkeit.74   Doch kehren wir zunächst zurück zum Anfang von Kippenbergers Karriere.

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Zum Künstlermuseum vgl. Bronson, A. A.  /   Gale, Peggy ( Hg.) : Museums by Artists, Toronto 1983; Post, Christiane : Künstlermuseen. Die russische Avantgarde und ihre Museen für Moderne Kunst, Berlin 2012; Legge, Astrid : Museen der anderen »Art« Künstlermuseen als Versuche einer alternativen Museumspraxis, Hamm 2001 ( http://sylvester.bth.rwth-aachen. de/dissertationen/2001/090/01_090.pdf  [ Abruf am 04.08.2014 ] ). Vgl. Hermes, Manfred : »Museum of Modern Art Syros. MOMAS, ab 1993«, in : Ausst.Kat. Nach Kippenberger, 2003, S. 178  ‒ 180, hier S. 180.

128 |  III. D urchbruch mit P eter

Durchbruch

mit

Peter

Die Galerie als Abstellkammer Maßgeblich beigetragen zum internationalen Durchbruch Kippenbergers hat seine heute als legendär geltende Ausstellung Peter – Die russische Stellung im Sommer 1987 in der damals noch in Köln ansässigen Galerie Max Hetzler [ Abb. 2 ]. Sie wird von Kippenberger selbst am Ende seines Lebens als sein »Hit« bezeichnet, und das scheinbar durchaus zu seiner eigenen Überraschung angesichts der bis dato ausbleibenden positiven Resonanz in der Presse.75  Peter hingegen erntet sowohl in Europa als auch in den USA positive Kritiken. Die Ausstellung soll hier als ein frühes und entscheidendes Beispiel dafür dienen, wie Kippenberger innerhalb eines kommerziellen Rahmens, eben einer auf den Verkauf ausgerichteten Galerie, sich eines Displays bedient, das einerseits mit der Erwartungshaltung der Betrachter bricht und zugleich eine direkte Verknüpfung der spezifischen Ästhetik seiner Skulpturen und ihrer Präsentationsweise schafft. Sie fällt noch in die Zeit vor Kippenbergers gezielter Auseinandersetzung mit kuratorischen Verfahren und zeigt zugleich bereits einige auch für spätere Ausstellungen zentrale Strategien wie der Appropriation und des Positionierens zu den künstlerischen Trends der Zeit auf. Peter bildet zugleich den Auftakt einer Reihe von Ausstellungen, die über ihre Titel, dazu erscheinende Kataloge und / oder sich überschneidende Exponate zueinander in enger Beziehung stehen. In der Konsequenz, mit der er dieses Verfahren zeitlebens verfolgt, wird ein Grundcharakteristikum seiner Ausstellungsdisplays besonders deutlich : das Ineinandergreifen von spontanem Reagieren auf die gegebene Situation und bewusst inszeniertem, konzeptuellem Handeln. Kippenberger zeigt in Peter – Die russische Stellung ausschließlich direkt für die Ausstellung produzierte, skulpturale Arbeiten. Sie bildet zusammen mit den 1985 in der Galerie Bärbel Grässlin ausgestellten »Hunger-Skulpturen« den maßgeblichen Einstieg in seine bildhauerische Tätigkeit und entspricht mit der Hinwendung zur raumbezogenen Gesamtkonzeption Peter einen dem Zeitgeist entsprechenden Schnitt in seinem bisherigen, v. a. auf Malerei oder vereinzelte skulpturale Arbeiten konzentriertem Œuvre.76   Dicht gedrängt sind in dem etwa

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Vgl. Martin Baumann in seinem Ausstellungskonzept für die Ausstellung Martin Kippenberger. Respektive 1997  ‒ 1987, S. 11 ( unveröffentlichtes Skript aus dem Nachlass des Künstlers ). Vgl. Diederichsen, Diedrich : »The Poor Man’s Sports Car Descending a Staircase : Kippenberger as Sculptor«, in : Ausst.-Kat. Martin Kippenberger. The Problem Perspective, The Museum of Contemporary Art, Los Angeles, 21.09.2008  ‒  05.01.2009, hg. von Lisa

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Abbildung 2 : Martin Kippenberger, Peter – Die russische Stellung, Ausstellungsansicht, Galerie Max Hetzler, Köln, 1987

40 Quadratmeter großen Galerieraum ein heterogenes Ensemble von 45 verschiedenfarbigen und in den Höhen wie Materialien variierenden, möbelartigen Objekten ohne Sockel auf dem Boden aufgestellt, die in ihrer Gesamtwirkung durch ihre scheinbar fehlende Ordnungsstruktur Assoziationen an eine Abstellkammer, einen Lagerraum oder einen Dachboden hervorrufen. Viele dieser Arbeiten sind mit Rollen versehen, die ihre Mobilität und folglich auch potenziell veränderbare Aufstellung im Ausstellungsraum suggerieren. Damit bietet die Ausstellung das Gegenteil von dem, was ein Besucher gewohntermaßen von einer Ausstellung bei Hetzler mit seiner »großzügigen Weise einer weiten Raumflucht mit mäßiger Bestückung«77 erwarten konnte. »Die weite Halle, üblicherweise groß genug, um ein zahlreiches sich zur aktuellen Szene rechnendes Vernissagen-Publikum problemlos aufzunehmen, ohne Beschädigungen der zwei Handvoll ausgestellten Künstlerarbeiten zu riskieren«, heißt es etwa in einer Kritik von Friedemann Malsch, »diese weite Halle bietet jetzt gerade noch Platz für ungefähr 20 Menschen im Inneren der Galerie«.78 Michael Hentschel spricht bezeichnenderweise von einem »artless arrangement«79 in Bezug auf Peter und damit scheint Kippenbergers Ausstellungsaufbau in seiner

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Gabrielle Mark, Cambridge (Mass.) / London 2008, S. 118  ‒ 156, hier S. 120. Vgl. Malsch, Friedemann : »Martin Kippenberger – ›Peter‹«, in : Kunstforum 9 (1987 ), S. 340. Ebd. Hentschel, Martin : »Martin Kippenberger, Max Hetzler« in : Artforum 26 / 2 (1987 ), S. 142.

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betont provisorischen Wirkung auf den ersten Blick nicht allzu weit entfernt von Beuys’ Verfahren des »einfach Abstellens«. Auch diese Ausstellung scheint nichts gemein zu haben mit den herkömmlichen Ausstellungspraktiken innerhalb kommerzieller Galerien, die in der Regel auf die Präsentation von Kunst als Ware und damit der Rezeption von einzelnen, zum Verkauf stehenden Arbeiten ausgelegt sind. Mit dem Aufstellen verweigert sich Kippenberger vielmehr eines Ausstellens. Zugleich schlägt das »Aufstellen« im Unterschied zu dem Beuys’schen »Abstellen« den Bogen auf ironische Weise zurück zu einer altmodischen Art und Weise der Kunstpräsentation, wie man es beispielsweise von Gipsabgusssammlungen antiker Skulpturen kennt. Auf diese Weise erscheint Peter als eine Verkaufsausstellung, die so tut, als wäre sie keine. Das Display, und darin greift sie die Errungenschaften von avantgardistischen Ausstellungsprojekten wie beispielsweise Yves Kleins Le Vide (1958 ) und Armans Le Plein (1960 ) wieder auf, erhält dadurch einen gestischen Charakter.80 Persiflage und Appropriation in einem Der Titel der Ausstellung nimmt Bezug auf die sogenannte »Petersburger Hängung« und stellt damit bereits auf dieser Ebene eine Referenz zu einer bekannten und als veraltet geltenden musealen Displayform von Malerei her. Die für das 19. Jahrhundert übliche Form des gedrängten Displays von über- und nebeneinandergehängten Gemälden auf einer Wand, wie es auch in der Hermitage in St. Petersburg gehandhabt wird, lässt die architektonische Beschaffenheit des Raumes in den Hintergrund treten. In seiner sogenannten Hamburger Hängung, Umzüge 1957  ‒1988, Fallende Flüge, die Kippenberger 1989 in der Galerie Gisela Capitain in Köln vornahm, verfolgt er genau dieses Prinzip [ Abb. 3 ].81  Auch in der Hängung der erotischen Zeichnungen in seinem Kunstverein greift er auf eine vergleichbare »Tapezierung« der Wände mit Kunst zurück.82 Seine »Stellung« von Skulpturen in

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Zur Galerie als Geste vgl. O’Doherty, Brian : Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space (expanded edition), Berkeley  /  Los Angeles  /  London 1999, S. 87  ‒ 107. Die Hamburger Hängung, Umzüge 1957  ‒ 1988 befindet sich heute in einer Privatsammlung und wurde beispielsweise in der Ausstellung Martin Kippenberger. Das 2. Sein mit den Angaben »89 Teile, Installationsmaß variabel« erneut gezeigt. Vgl. Ausst.-Kat. Martin Kippenberger. Das 2. Sein, große Retrospektive zum 50. Geburtstag des Künstlers, Museum für Neue Kunst / Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, 08.02. ‒  24.04.2003, hg. von Götz Adriani, Köln 2002, S. 98  f. und S. 102  f. Neben dem Ausdruck von Kippenbergers Überproduktion wird an dieser Hängung zugleich eine Dimension des Privaten deutlich, mit der Kippenberger, nicht zuletzt bereits von seinem Elternhaus vertraut war. Vgl. Kippenberger 2010, S. 80, sowie Martin

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Abbildung 3 : Martin Kippenberger, Die Hamburger Hängung, Umzüge 1957 – 1988, Fallende Flüge, Ausstellungsansicht, Galerie Gisela Capitain, Köln, 1989

der Galerie Hetzler hat jedoch einen gegenteiligen Effekt.83   Durch die gedrängte Platzierung der Objekte in Kippenbergers Ausstellung wird der Raum in seinen physischen Grenzen besonders stark hervorgehoben und eine kontemplative Betrachtung der einzelnen Werke zunächst geradezu ausgeschlossen. »One constantly thinks about the fact that so many sculptures can fit into one room«, bemerkt Stephan Schmidt-Wulffen in seiner Kritik.84  Erst an zweiter Stelle erfolgt die Wahrnehmung der formalen Beschaffenheit und Qualität der einzelnen Objekte. Bei Kippenberger allerdings sieht sich nur wer in das sich hinter diesem Raum befin-

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Kippenberger in : Baumann, Daniel : »Picasso vollenden. Gespräch mit Daniel Baumann«, in : Ausst.-Kat. Martin Kippenberger. Kippenberger leicht gemacht. mit Erkennungsfotos, Musée d’Art Moderne et Contemporain, Genf, 30.01. ‒  25.05.1997, Genf 1997, S. 6  ‒  36, hier S. 6. Kippenbergers Badezimmer in seiner Frankfurter Wohnung Anfang der 1990er Jahre etwa war ähnlich zugehängt mit Kunst. Im Englischen »Position«. Vgl. Baker, George : »Out of Position«, in : Artforum 47 / 6 ( 2009 ), S. 142  ‒ 151, hier S. 144 : »Position is a word that I understand as Andrea Fraser uses it, denoting one element within the total set of practices and dispositions that make up the field of art. But it is a term that was put to specific use by Kippenberger as well, […] referring to the chaotic, salon-style display practices of museums like. […] A position is a sporting term as much as it pertains to a job; it might even refer to the stake upon which one wagers in a financial transaction ( positions can be ›traded‹).« Schmidt-Wulffen, Stephan : »Martin Kippenberger, Max Hetzler, Cologne«, in : Flash Art 137 (1987 ), S. 111.

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dende Büro der Galerie gelangen will auch gezwungen, die Ausstellung tatsächlich zu durchqueren. So lassen sich die einzelnen Objekte entweder als Konglomerat und damit geschlossen als Kunstwerk betrachten und   / oder aus nächster Nähe bei dem Versuch, sich durch den Raum und damit zwischen den einzelnen Objekten hindurch zu bewegen. Damit entpuppt sich die Ausstellung zugleich als Persiflage auf die avantgardistische Präsentationsweise von Skulptur. Constantin Brancusi beispielsweise besteht nach einer herben Enttäuschung im Rahmen seiner Beteiligung an einer Gruppenausstellung in der New Yorker Sculptors Gallery, bei der seine Arbeiten in einer Reihe auf Sockeln direkt vor der Wand zwischen bzw. zum Teil auch vor Gemälden ausgestellt wurden, in der Folge auf die selbstbestimmte Präsentation seiner Arbeiten. In An Exhibition of Sculpture by Brancusi im Arts Club of Chicago 1927, für die Duchamp in enger Absprache mit Brancusi die »Aufstellung« seiner Skulpturen übernimmt, sind die einzelnen Skulpturen, nun verteilt im Raum, von allen Seiten zu betrachten.85   Erstaunlich nah kommt Kippenberger dieser Disposition, die durch die untrennbare Verknüpfung von Skulptur und Sockel, ihre unterschiedlichen Höhen, Formen und Materialitäten im Raum entsteht und die keine bestimmte Betrachterführung vorgibt. Doch während Brancusis Arbeiten sich trotzdem unter einem »Single Style« zusammenfassen lassen, dominiert bei Kippenberger eine bewusst inszenierte Stillosigkeit. Deutlich wird dies in Bezug auf das Gezeigte : Das scheinbar Provisorische und zugleich betont »Unkünstlerische« von Kippenbergers Display korrespondiert auch hier mit der Ästhetik der Exponate. Diese setzen sich aus leicht veränderten Fundstücken, weiterverarbeiteten Kunstwerken sowie einer Vielzahl offensichtlich stümperhaft durchgeführter Schreinerarbeiten zusammen. In den von Kippenberger veranlassten Aufzeichnungen seines derzeitigen, mit der Konzeption und Konstruktion der Skulpturen beauftragten Assistenten Michael Krebber heißt es in der Publikation Café Central diesbezüglich : »Isch bin de Anjestellte von de Kippenberjer und isch bin hier auf Montage in Tenneriffa. […] Die Kanarier arbeiten langsam, und Verabredungen gelten nicht immer. Nicht so der Schreiner. Er ist Mitglied einer frommen Gemeinschaft, und das gab mir sofort Vertrauen. Ich war heute morgen mit drei Aufträgen bei ihm : Zeichnungen von komplizierten Kisten, Papiermodell dazu, und Wörterbuch. Der Schreiner versteht alles falsch. […] So entsteht Kunst.«86

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Von der New Yorker Präsentation liegt mir leider keine Abbildung vor, daher muss ich mich auf diese zweite Station beziehen. Auch Duchamp hatte schon zuvor eine hohe Sensibilität gegenüber der Präsentation von Kunst bewiesen. Vgl. Gülicher, Nina : Inszenierte Skulptur. Auguste Rodin, Medardo Rosso und Contanstin Brancusi, Berlin 2011, S. 130. Eintrag vom 22.12.1986 in : Kippenberger, Martin : »Café Central. Skizze zum Entwurf

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Kunst entsteht der Krebber’schen Anekdote nach eben gerade durch das Misslingen der vom Künstler beim Handwerker in Auftrag gegebenen Arbeiten. Dessen ungeachtet sind zahlreiche von Kippenberger für gut befundene »Fehler« und »sculptural jokes« auf Krebber selbst zurückzuführen.87   Die Abgabe der Verantwortung und Ausführung der eigenen künstlerischen Ideen werden so – angereichert durch die Ideen Anderer – zum eigentlichen künstlerischen Akt erklärt. Diederich Diederichsen spricht in seinem für den Katalog der Ausstellung verfassten Text daher von einem »Nicht-Denken« in Bezug auf den Herstellungsprozess und die Anordnung der Skulpturen.88  Eines Nicht-Denkens, das weniger eine Negation von Logik impliziert als das es eine breitgefächerte Existenz des Möglichen erlaubt jenseits kategorialer Werturteile und Schubladen, v. a. aber eine Ununterscheidbarkeit von Scharfsinn und Stumpfsinn. Dem Zufall wird dabei eine auktoriale Meta-Position zugeschrieben, wie sie bereits bei den Dadaisten Verbreitung fand. Künstlern wie Hans Arp galt der Zufall als Vehikel für ihren »Protest gegen die rationelle Gradlinigkeit des Denkens« und als Medium für ein »bewusstes Ausbrechen aus der Rationalität«.89   Anders als jener tritt Kippenberger dessen ungeachtet jedoch durchaus als Stratege auf und bedient sich auch bei dieser Ausstellung einer Reihe bewusst inszenierter rhetorischer Mittel. Der für das Nicht-Denken zentrale, egalitäre Charakterzug beispielsweise findet seine Entsprechung in dem die einzelnen Skulpturen vereinenden Überbegriff »Peter«. Kippenberger setzte ihn schon zuvor in diversen Titeln wie beispielsweise Gib Gas Peter ! oder als Nachsilbe in den verschiedensten Wortkombinationen wie Gesinnungspeterei ein. Auch wurde er zu einem konstanten Bestandteil in seiner alltäglichen Rede als Platzhalter mit einem recht offenen Bedeutungsspektrum. Doch, wie Diederichsen betont, enthält diese Zuschreibung stets auch eine kritische und zum Teil abwertende Dimension : »It could only be used for things or people that were not sufficiently complex, that could be reduced to an attribute or function. To the extent that someone was a Peter, he was reducible –

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einer Romanfigur«, in : Ders. : Wie es wirklich war. Am Beispiel Lyrik und Prosa, hg. von Diederich Diederichsen, Frankfurt am Main 2007, S. 155  ‒  334, hier S. 262  f. Zum Modell des »Kippenberger Assistant« vgl. Carpenter, Merlin : »Back Seat Driver«, in : Groetz 2002, S. 27  ‒  30, hier S. 27. Diederichsen, Diedrich: o.T., in: Ausst.-Kat. Martin Kippenberger. Peter, Galerie Max Hetzler, Köln, 05.06. ‒  05.07.1987, Köln 1987, S. 5  f. Hans Arp gilt als eigentlicher Entdecker des schöpferischen Zufalls. Vgl. Krieger , Verena: Sieben Arten, an der Überwindung des Künstlerkonzepts zu scheitern, in : Hellmold, Martin   /   Kampmann, Sabine    /   Lindner, Ralph   /   Sykora, Katharina ( Hg.) : Was ist ein Künstler ? Das Subjekt der modernen Kunst, München 2003, S. 117  ‒ 148, hier S. 136.

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or reduced himself – to a kind of brand. The Peter-ness of an object or person contained their willingness to carry themselves to the market. For the art critic Kippenberger, »Peter« stood for the increasingly common case of the artist who – in a post-conceptual art world engaged in an increasingly bitter contest for attention – seeks to replace the old notion of personal style with a simple conceptual signature, a method employed successfully time and again that was easy to recognized as a method and generated easily recognizable results.« 90

Die Bezeichnung »Peter« fungiert in diesem Ausstellungszusammenhang auch als ein Signum der Aneignung und ruft darüber die Frage nach der Autorschaft auf. So wurden nicht nur die Arbeiten und tatsächlichen Möbel seines Assistenten – die Skulptur Wittgenstein etwa war vormals der Jugendschrank Krebbers – unter dem Begriff gefasst, auch ein Gerhard-Richter-Gemälde aus Kippenbergers eigener Kunstsammlung wurde im tischartigen Model Interconti als reziprokes Readymade im Sinne Duchamps ( Rembrandt als Bügelbrett ) 91 zum »Peter gemacht« [ Abb. 4  ].92   Kunst wird Material für Kunst, die wiederum als Gebrauchsobjekt erscheint, jedoch nicht als solches tatsächlich zum Einsatz kommt, wie Duchamp es forderte. Niemand nutzt das Modell Interconti tatsächlich als Kaffeetisch.93   Der Gestus der Aneignung zeichnet sich daher weniger als einer aus, der die Grenzen zwischen Kunst und Gebrauchsobjekt verwischen will. Vielmehr erhebt Kippenberger sich hiermit über den an internationalem Ansehen und Handelswert weit über ihm stehenden Richter, indem er ihn zur Tischplatte degradiert.94   So werden die Skulpturen um zahlreiche Anekdoten bezüglich ihrer Entstehungsumstände aufgeladen, zu denen Kippenberger bzw. Krebber selbst über den ebenfalls 1985 im Hamburger Meterverlag erschienenen Text Café Central. Skizze zum Entwurf einer Romanfigur maßgeblich beigetragen haben. Über ironisch-flapsige Ähnlichkeitsbeziehungen etwa zu den Skulpturen von Donald Judd und Reinhard Mucha,

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Diederichsen 2008, S. 120. Vgl. Duchamp, Marcel : »Apropos of ›Readymades‹ [1966 ]«, in : Hulks, David  /  Potts, Alex   /  Wood, Jon ( Hg.) : Modern Sculpture Reader, Leeds 2007, S. 224. Zu den unterschiedlichen Präsentation des Model Interconti vgl. Ausst.-Kat. Kunst nach Kunst, Neues Museum Weserburg, Bremen, 18.08. ‒  03.11.2002, hg. von Neues Museum Weserburg Bremen, Bremen 2002, S. 127. Vgl. Caldwell, John : »Martin Kippenberger. New Work«, in : Ausst.-Kat. I had a vision, anlässlich der Ausstellung Put Your Eye in Your Mouth, San Francisco Museum of Modern Art, 13.06. ‒  25.08.1991, San Francisco 1991, S. 9  ‒ 11. Cosima von Bonin sollte in ihrer Ausstellung in der Andrea Rosen Gallery 1991 ähnlich verfahren. Kippenberger kaufte das von ihm hierin integrierte Bild selbst – allerdings zum Preis eines von Bonin.

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Abbildung 4 : Martin Kippenberger, Modell Interconti, 1987

aber auch zu Zeitgenossen wie Koons und Steinbach stellt Kippenberger zudem formale Verbindungen her zu aktuellen wie vergangenen Strömungen innerhalb der bildhauerischen Praxis, die der ganzen Ausstellung eine unnachahmliche Situationskomik verleihen. Nicht zu Unrecht nennt Eva Meyer-Hermann die Ausstellung daher ein »Erinnerungslabyrinth des 20. Jahrhunderts«95, in dem bekannte Originale der Skulpturgeschichte aufgerufen und zugleich verunglimpft werden. Die für diese Ausstellung produzierten Werke stellen zugleich die Aktualität bzw. Angemessenheit der Werke in Frage, auf die hier angespielt wird. Somit geht es in der Ausstellung Peter ganz grundsätzlich um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, eine »moderne« Skulptur zu entwickeln.96   Wie die einzelnen Skulpturen ist daher auch die gesamte Ausstellung als eine »conceptual signature« im Sinne Diederichsen zu begreifen, die sich selbst wiederum aus ironischen Referenzen auf tradierte Displayformen generiert. Doch operieren weder Display noch Skulpturen nur in Abgrenzung eines überkommenden Begriffs von Kunst und ihrer Präsentation, sondern setzen sich zugleich zu aktuellen künstlerischen Tendenzen in Beziehung. Mit und gegen den Zeitgeist Im Laufe der Zeit ist die Ausstellung zwar über zahlreiche fotografische Reproduktionen und Rekonstruktionsversuche als eine Ausstellung mit geradezu werkhaftem Charakter in die Geschichte eingegangen. Paradoxerweise wird sie darüber zugleich aus ihrem historischen Kontext gelöst. Dieser erweist sich jedoch als

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Meyer-Hermann, Eva : »Peter-Skulpturen 1987«, in : Ausst.-Kat. Nach Kippenberger, 2003, S. 102  ‒ 107, hier S. 102. Schmidt-Wulffen, Stephan : »Lebendes Vehikel«, in : Groetz 2002, S. 14  ‒  20, hier S. 16  f.

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höchst relevant, um die konzeptionelle Dimension und den strategischen Einsatz der Ausstellung ganz zu erfassen. Mitte Juni 1987, also während der Laufzeit von Peter, eröffneten ohne Beteiligung Kippenbergers die Skulptur-Projekte Münster (13.06. ‒  04.10.1987 ) unter der Leitung von dem ihm skeptisch gegenüberstehenden Kaspar König sowie in Kassel die documenta 8 (12.06. ‒  20.09.1987 ) unter der Leitung von Manfred Schneckenburger. Sie bildeten zu diesem Zeitpunkt die künstlerischen Großereignisse in Westdeutschland und zogen ein internationales Publikum an. Zum Thema gemacht hatten sich Schneckenburger und sein Team die wechselseitigen Berührungspunkte von Architektur, Design und Kunst, eingebettet in die Generalfrage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst und »den Spielräumen von Autonomie und Funktion« 97 – ein Thema, das in der Peter-Ausstellung ebenfalls eine Rolle spielt. Die ebenfalls zeitgleich stattfindende Ausstellung New York New in der Kölner Galerie Paul Maenz ( 05.06. ‒  31.07.1987 ) zeigt neue amerikanische Positionen der Objektkunst, darunter Jeff Koons und Haim Steinbach.98  In den Kritiken der Peter-Ausstellung ist wiederholt auf diese zeitliche Koinzidenz hingewiesen worden. Brooks Adams etwa behauptet in der Zeitschrift Art in America, dass »much of the excitement missing from both group shows seemed embodied in Kippenberger’s foray into sculpture – a one-man band full of movable Merzbau metaphors, post-Beuysian transports and ramshackle Renish responses to Neo-Geo.«99   Jutta Koether konstatiert in der Zeitschrift Artscribe gar, dass »[t]he importance of this exhibition for the contemporary German art

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Manfred Schneckenburger : »documenta und Diskurs«, in : Ausst.-Kat. documenta 8, Kassel 1987, 12.06. ‒  20.09.1987, Bd.1, Kassel 1987, S. 15  ‒ 19, hier S. 16. Beteiligt waren Arbeiten von Ashley Bickerton, Jeff Koons, Peter Schuyff, Haim Steinbach, Philip Taaffe und Meyer Vaisman. Im Ausstellungsbooklet wird der New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz wie folgt zitiert: »Diese Ausstellung zeigte am Beispiel von sechs New Yorker Künstlern die – formal wie inhaltlich – veränderte künstlerische Sensibilität der jungen amerikanischen Generation. Obwohl die Werke häufig abstrakt scheinen, sind sie dennoch niemals gegenstandslos. Vielmehr triff hier Abstraktion wieder in Verbindung mit konkreten physischen und gesellschaftlichen Formen des Alltags. Was sich dabei zeigt, ist ein neuer ›Realismus‹. Ein ›Realismus‹, der fast immer mit einem Blick formuliert wird anstelle eines, der sich nach innen, auf das Selbst richtet – ein Realismus, dessen Gegenstand ein Kommentar zur Konsumgesellschaft sein kann, der Mißbrauch des Kunstwerks, die Rolle des Künstlers, der Fortschritt der Technik, der Verlust an politischen Idealen oder Kritik an der Kultur. Ein ›Realismus‹ also, der absolut nichts mit ›Darstellung‹ zu tun hat.« Adams, Brook : » Martin Kippenberger at Max Hetzler«, in : Art in America 11 (1987 ), S. 189.

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scene cannot be overestimated«.100   Und weiter : »It is no accident that its opening coincided with that of documenta – with its influential contingent of polite German handyman – sculptors – and that of the new American object show at Paul Maenz ( Koons, Steinbach etc.).«101   Beides, das heißt sowohl die auf handwerkliche Präzision abzielende deutsche Bildhauerkunst, auch bekannt als »Düsseldorfer Modellbauer«, als auch die sich mit dem Kunstwerk als Ware auseinandersetzenden Arbeiten der jüngeren amerikanischen Bildhauer, wird von Kippenberger als zeitgemäßer Ansatz negiert und seine Peter-Skulpturen vielmehr als Vorschlag eines möglichen dritten Wegs postuliert.102 Über diese Ausstellung kommentiert Kippenberger daher nicht nur bestimmte Tendenzen innerhalb der europäischen und nordamerikanischen Bildhauerei, sondern darüber hinaus zugleich auch die Art und Weise der Präsentation dieser Kunst, indem er über die formalen Referenzen selbst eine scheinbar auf Beliebigkeit basierende Form von Überblicksschau kreiert. Das Schlagwort von der »Kunst als Kommentar«, wie es häufig in Bezug auf Kippenbergers künstlerische Praxis fällt, lässt sich daher auch auf die Ebene des Ausstellungsdisplays übertragen.103

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Koether, Jutta : »Martin Kippenberger, Hetzler«, in : Artscribe International 09  ‒ 10 (1987 ), S. 89  f., hier S. 89. Ebd. Auch heißt es weiter: »With this collection of detail-obsessed, critical hardcore-folklore Kippenberger humorously and emphatically challenges all those German sculptors and tinkerers, with their ›craftsmanship‹ and their meaningful individual objects. He plays with their fetishes like ›Fine Workmanship‹ and ›perfect proportion‹ and other puritanical impulses; he sniffs them out, gives way to them, then confronts them with beautiful deliberate technical mistakes, then corrects them but leaves them unfinished as half corrected mistakes. […].« Vgl. auch Avigkos, Jan , in: Ders. 2003, S. 100 : »I remember in 1987 seeing the ›Peter‹ exhibition at its first venue at Max Hetzler’s in Cologne, which stopped me in my tracks. The show coincided with a certain kind of rupture that was beginning to be seen in the United States, at least in terms of production values and aesthetics.« Vgl. Kapielski, Thomas : »Ducomenta [ sic ] in Köln. Es hätte sich dieser Artikel, dieser ganze anstrengende Enthüllungs- und Erklärungskram erübrigt und wäre ein Erlebnis guter Kunst gewesen, wenn man nicht nach Kassel hätte müssen, sondern nach Köln können. Dort war in der Galerie Hetzler eine ›russische Stellung‹ namens ›Peter‹ bezogen worden und hatte ›Installation‹ mit eins in Freimut optischen Gewissens changiert. Keine ›Gegen-Documenta‹, sondern alles außer ›Documenta‹ und die noch außerdem.« Kapielski, Thomas : »Kassel – Documeta [ sic ]«, in : Konkret 08 (1987 ), S. 48. Vgl. hierzu Schmidt-Wulffen, Stephan : »Martin Kippenberger. Max Hetzler, Cologne«, in : Flash Art 137 (1987 ), S. 111: »Kippenberger […] here takes the opportunity for a hearty satiric commentary on his colleagues : Kippenberger in the gown of a post-minimalist

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Sie unterliegen damit einer doppelten Referenzstruktur : Die ausgestellten Objekte sind voller Anspielungen auf von ihm als veraltet degradierte künstlerische Praktiken, während die Ausstellung als Ganzes wiederum an sowohl zeitgenössische als auch veraltete Praktiken des Ausstellens verweist. Insofern wird die Ausstellung zur Plattform, die ihm über das Display ein weitreichendes Bezugssystem ermöglicht, innerhalb dessen er seine eigene künstlerische Praxis verorten kann. Es mag daher geradezu erstaunen, dass Kippenberger entgegen seiner Gewohnheit zur Eröffnung dieser Ausstellung abwesend war.104   Während er bereits in der Kneipe saß, übernahm Krebber dessen Funktion in der Galerie. Gerade auch mit Blick auf Beuys wird hieran deutlich, dass Kippenbergers Ausstellungen ihn als vermittelnde Künstlerfigur nicht brauchen. Obwohl Kippenberger eine enorme Präsenz als Künstler hatte und nicht selten seine eigenen Eröffnungsreden hielt, tritt er anders als Beuys nicht als »mediumistischer Künstler« auf. Seine Arbeiten sind offener angelegt, verweisen auch nicht auf einen übergeordneten, revolutionierenden Kunstbegriff. Die Ausstellung samt den dazugehörigen Titeln »spricht« für sich allein. Sie konstruiert – auch bedingt durch die ihr inhärente Situationskomik – ihr eigenes Narrativ, angereichert durch die zahlreichen, durchaus bewusst überlieferten und durch sein Umfeld weiter kultivierten Anekdoten. Damit verweigert sich diese Ausstellung letztlich einer Wiederholung und Rekonstruktion. Bei posthumen Präsentationen der Peter-Skulpturen wie beispielsweise bei der von Ann Goldstein kuratierten, ersten umfassenden Retrospektive in Nordamerika, The Problem Perspective, bei der die Skulpturen in Anlehnung an die erstmalige Präsentation einfach auf einer vergleichbaren Grundfläche aufgestellt sind, geht diese Interdependenz von Raum, Objekten und zeitbedingtem künstlerischem wie kuratorischem Umfeld verloren. Anders als etwa seine Gemälde sind besonders die heutigen Präsentationen seiner Skulpturen als singuläre Objekte – und das

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sculptor. There is hardly an artist whose role Kippenberger does not play. Parkkeeper Box Vitell reminds one of Imi Knoebel’s commodes – a box which the foreword of the elaborate catalogue assures was built by a Spanish park-keeper for himself and his dog. A screen with shining mirror lamella is titled Rainer Werner Fassbinder, and it recalls the work of Niek Kemps. Somewhere between the awkward Worktimer, a metal workcar with briefcases as lights, and Harmonic Scale, a refrigerator wrapped in terrycloth, lies the spirit of gallerycolleague Reinhard Mucha. Of course, Kippenberger doesn’t want to ›spit into the soup‹ of any of these artists. His foremost interest lies in the sculpture-boom phenomenon. The way he assimilates this new formal sense and the awkward way he translates this cuttingly clarifies the superficiality which he insinuates is the public’s attitude in its additive art-consumption.« Vgl. Carpenter 2002, S. 27.

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gilt beispielsweise auch für seine Lampenskulpturen, die er als »[ g ]ut ausgeleuchtete vorweihnachtliche Ausstellung an Leopoldstraße« im Winter 1991 / 1992 im Kunstraum Daxer in München zeigte – daher immer durch einen Mangel gekennzeichnet. Durch das fehlende, zeitspezifische situative Zusammenspiel geht auch der narrative Rahmen verloren. Zurückgeworfen auf ihre Singularität evozieren sie zudem – und das v. a. im musealen Kontext – verstärkt Fragen nach ihrer jeweils spezifischen bildhauerischen Qualität.105 Ausstellungskatalog und Psychobuildings Begleitend zur Peter-Ausstellung erscheint ein von Kippenberger entworfener und seinem Freund Michel Würthle gewidmeter Katalog im Din-A5-Format [ Abb. 5 ]. Hierin sind die Skulpturen der Ausstellung neben acht nicht in der Ausstellung gezeigten Preisbildern jeweils einzeln in Schwarz-Weiß abgedruckt und darunter mit ihren Titeln versehen. Neben einer ebenfalls nicht vollständig mit den in der Ausstellung gezeigten Arbeiten übereinstimmenden Bestandsliste ist zudem der Text von Diederichsen in deutscher und englischer Sprache abgedruckt. In Layout und Typografie greift er im Sinne eines Pastiche den schlanken, in schlichtem Schwarz-Weiß gehaltenen Katalog von Piero Manzoni auf, der 1972 bei der New Yorker Galerie Sonnabend erschienen war und über diesen Verweis zum einen automatisch einer augenzwinkernden Nobilitierung der eigenen künstlerischen Produktion gleichkommt und zum anderen eine weitere Vereinnahmung in sein Peter-Konzept darstellt.106 Im Gegensatz zum gedrängten und auf eine Gesamtwirkung abzielenden Display in der Galerie Max Hetzler finden im dazu erscheinenden Katalog die einzeln auf je einer Seite abgebildeten Peter-Skulpturen nun in der Fotografie als singuläre Objekte ihre Berechtigung und überdauern als solche die Ausstellung. 1988 finden zahlreiche der Skulpturen wiederum als Fotografien in Kippenbergers bei Walther König erschienenem Künstlerbuch Psychobuildings Eingang [ Abb. 6   ]. Dessen Layout und Format entspricht dem des Berliner Theorieverlags Merve mit dem

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So wurde es beispielsweise konsequent in der Ausstellung sehr gut | very good im Hamburger Bahnhof in Berlin ( 23.02. ‒ 18.08.2013 ) gehandhabt, in der etwa einzelne Skulpturen aus der Peter-Ausstellung als einzelne Objekte auf Sockeln präsentiert wurden. Im Gegensatz dazu wurde bei der Problem Perspective in Los Angeles ( 21.09.2008  ‒  01.05.2009 ) und New York ( 01.03. ‒ 11.05.2009 ) dagegen versucht, die Peter-Skulpturen in Anlehnung an ihre erstmalige Präsentation bei Max Hetzler 1987 als Gesamtensemble zu zeigen. Vgl. Koch 2002, S. 133  f.

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Abbildung 5 : Martin Kippenberger, Peter, Ausstellungskatalog, Galerie Max Hetzler, Köln, 1987

Abbildung 6 : Martin Kippenberger, Psychobuildings, Künstlerbuch, Verlag der Buchhandlung König, Köln, 1988

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signifikanten Unterschied, dass Kippenberger deren ikonische Raute auf dem Cover umkehrt.107   In dieser Publikation sind Fotografien der Skulpturen integriert in eine unkommentierte Zusammenstellung von Schwarz-Weiß-Aufnahmen verunglückt wirkender architektonischer Versatzstücke und Leerstellen, zufällige Objektanordnungen im Straßenbild oder Kunst im öffentlichen Raum, deren abfällige Bezeichnung als »Stadtmöblierung« hier eine ironisierende Wendung findet.108 In dem Künstlerbuch sind die Skulpturen titel- und kommentarlos gemeinsam mit ihren nicht-künstlerischen Pendants unter einem anderen Sammelbegriff stärker in der Alltagsrealität denn im Kunstkontext verortet. Ihr Status als Kunstobjekte wird hierüber wieder aufgehoben und es eröffnet sich darüber rückwirkend auf die Rezeption der Skulpturen eine weitere Bedeutungsebene, die bei zukünftigen Präsentationen der Skulpturen stets weiter mitschwingt. Auch wenn diese Publikation erst nach der Peter-Ausstellung erschien, lässt sich die hierin vorgenommene Kontextualisierung der Skulpturen zugleich als ihr eigentlicher Ausgangspunkt begreifen. Geht es bei Peter noch um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, eine moderne Skulptur zu entwickeln, dienten die verunglückten Gebäude oder Sperrmüllszenerien augenscheinlich als legitime wie unfreiwillige Vorbilder. In den folgenden Präsentationsformen einzelner Skulpturen aus dem spezifischen Kontext der Peter-Ausstellung wird genau dieses Spannungsverhältnis von Autonomie und ihrer Aufgabe in einem überbordenden Gesamtkonzept verstärkt Thema. Plötzlich, so Kippenberger in Bezug auf die Peter-Skulpturen, »kommst du auf andere Gedanken und kannst dir eine Geschichte erzählen. Wie bei den Psychobuildings, die ich auf der Straße gesehen und photographiert habe, die plötzlich so einen Reiz haben. Du entwickelst plötzlich so einen Blick, so dass du es für dich selber entdecken kannst. Das hat mit Erinnerung zu tun und Freunden. Du entwickelst plötzlich Freundschaft mit etwas, was du früher nicht gesehen hast. Du brauchst nicht mehr ins Museum zu gehen, es ist auf der Strasse. Das sind alles Anstöße, um dir deine eigene Welt zu basteln, die aber lustig ist.« 109

Dieses Prinzip des »Anders-Sehens« und der Aufladung bzw. Anreicherung von Objekten mit einem narrativen Potenzial wird auch in späteren Ausstellungen als zentrales Motiv durchscheinen. Insofern zeigt eine Ausstellung von Kippenberger

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Ursprünglich sollte das Buch wie sein Fotobuch Frauen (1980 ) tatsächlich im Merve Verlag erscheinen, doch kam es aufgrund eines Missverständnisses nicht dazu. In diesem Sinne ist auch das MOMAS auf Syros als Beispiel eines Psychobuildings zu begreifen. Baumann 1997, S. 28.

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immer mehr als das faktisch Vorhandene. Die häufig ins Anekdotische, (Situations-) Komische und   / oder Ironische zielenden Bedeutungshöfe der einzelnen Exponate treten in Beziehung zu dem Ausstellungsthema, während die Ausstellungen selbst wiederum explizit oder implizit Verbindungslinien zueinander aufweisen. Angesichts des weiteren Ausstellungsverlaufs der Peter-Skulpturen wird dieses Grundprinzip des Kippenberger’schen Ausstellens schnell ersichtlich : die über einen längeren Zeitraum erfolgende, stetige, auch durch den ausbleibenden Verkauf bedingte Neuordnung und -konstellation von Objekten aus verschiedenen Zusammenhängen und unter sich wandelnden Themen. Die eigenen Arbeiten werden wie auch seine Kunstsammlung zum Grundstock zukünftiger Displays, nicht zuletzt aus dem basalen Grund, dass sich seine Arbeiten zu dieser Zeit noch schlecht verkauften und sich somit häufig nach wie vor im Besitz des Künstlers befanden. Den im Kontext der Peter-Ausstellung publizierten Katalog lediglich als begleitend anzusehen führt daher in die Irre. Vielmehr, und das ist für Kippenbergers Kataloge typisch, verweist er durch nicht in direkter Verbindung mit der Ausstellung stehenden Abbildungen über diese hinaus und schlägt eine Brücke zu anderen Arbeiten. Über Widmungen, Pastiches und vergleichbare rhetorische Stilmittel verfolgen sie eine über die temporäre Ausstellung hinausgehende Diskursivierung und soziale wie ( pseudo-) kunsthistorische Verortung seines künstlerischen Handelns. Kippenbergers Publikationen sind daher immer auch Künstlerbücher, die zwar oft in Verbindung zu Ausstellungen stehen, aber auch ein davon unabhängiges, eigenes Verweissystem untereinander aufbauen. Letzteres wird besonders deutlich, wenn man sich die auf Peter folgenden Ausstellungen samt ihrer Kataloge anschaut. Verkettung von Ausstellungen Nach seiner ersten Station in Köln wird Peter im selben Jahr noch in Wien, Graz und schließlich New York gezeigt, jedoch unter verschiedenen Ausstellungstiteln und variierend in ihrer Objektauswahl und Art des Displays : In der Galerie Peter Pakesch in Wien heißt die Ausstellung Peter 2, bei Metro Pictures in New York Sorry III und in der Grazer Galerie Bleich-Rossi Reise nach Jerusalem. Bis auf Sorry III publiziert Kippenberger zu diesen Ausstellungen ebenfalls im Manzoni-Design gehaltene Kataloge, die die Verbindung zwischen ihnen verstärken. Auch die 1987 in der Galerie Gisela Capitain gezeigte und »dem englischen Adel« gewidmete Ausstellung Petra ( 09.09. ‒  07.11.1987 ) steht in diesem Kontext. Im Gegensatz zu Peter enthält der ebenfalls im Manzoni-Design gestaltete Katalog nur Textbeiträge von Frauen und bildet somit das weibliche Pendant zur Peter-Ausstellung. Entsprechend der zweiten Auflage von Peter bei Peter Pakesch erhält Petra mit Nochmal

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Petra 1988 eine Nachfolgerin in der Kunsthalle Winterthur (11.10. ‒12.11.1988 ), in der überwiegend Arbeitsskizzen und Entwürfe der Peter-Skulpturen auf Hotelbriefpapier zu sehen sind. Im Vorwort des Katalogs zu Nochmal Petra druckt Kippenberger die mit J. K. unterschriebene Rezension »Die Ironie ist abgenutzt« ab, die sich auf eine frühere Ausstellung in der Galerie Borgmann-Capitain in Köln bezieht und seine Arbeitsweise als »eine auf die Spitze getriebene Beliebigkeit, deren ironische und witzige Grundlage längst abgenutzt ist«, kritisiert.110   Jene /r J. K. findet lediglich die Zeichnungen lebendig und »nicht so mühsam wie die fertigen Skulpturen, auf die sie sich beziehen«.111   Damit bedient Kippenberger sich einer Strategie, die bereits Broodthaers im zweiten Band seines zur AdlerAusstellung 1972 erscheinenden Kataloges anwandte : Er nimmt in seine ausstellungsbegleitenden Publikationen die Kritik an seiner Arbeitsweise bereits in diese auf und stellt sich über diesen Gestus des Rückschlags als der Überlegenere und somit vom Kunstmarkt wie von der Kunstkritik Unabhängige dar. Vergleichbar mit den Psychobuildings werden über den Katalog zu Nochmal Petra zudem ein nachträglicher Einblick in den Herstellungsprozess der Peter-Skulpturen gegeben und die Vorzeichnungen zu einem den Skulpturen gleichberechtigen Objekt der ästhetischen Erfahrung gewendet. Neben den hier erwähnten Ausstellungen erscheinen zu fünf weiteren Kataloge im Manzoni-Design, darunter auch zu Broken Neon [ Abb. 7   ], einer im Rahmen des steirischen herbst 87 im Grazer Forum Stadtpark von Kippenberger kuratierten Gruppenausstellung (21.09. ‒11.10.1987 ). Hierfür wählt er überwiegend skulpturale Arbeiten von u. a. Albert Oehlen, Werner Büttner, Bettina Semmer, Georg Herold, Michael Krebber, Marcel Bieter, Georg Jiri Dokoupil, Hubert Kiecol, Joseph Beuys, Reinhard Mucha, Meuser, Heimo Zobernig, Jutta Koether, Stefan Nessmann, Markus Oehlen, Günther Förg, Beat Zgraggen, Franz West, Fischli & Weiss, Hannes Brunner, Michael Kienzer und ihm selbst aus. Anschließend wird die Ausstellung in der Münchner Galerie Christopher Dürr und in der Pariser Galerie Sylvana Lorenz in leicht variierter Besetzung gezeigt. In dieser nur wenige Monate auf Peter folgenden Ausstellung entscheidet Kippenberger sich, nun in der Rolle des Kurators, zu einem vom Display und Thema durchaus vergleichbaren Ansatz. »The subject of Broken Neon«, heißt es in der Kritik von Françoise-Claire Prodhon, »takes off from the impossibility and the failure of all ›original creation‹ according to Marcel Duchamp.« Und weiter : »Voluntary labyrinthine in its con-

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Ausst.-Kat. Martin Kippenberger. Nochmal Petra, Kunsthalle Winterthur, 11.10. ‒  12.01.1988, Winterthur 1988, o. P. Ebd.

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tent and its presentation, Broken Neon raises not without irony a major problem and reveals through a few excellent pieces ( Dokoupil, A. Oehlen, Armaly, Bloom, Kiecol …) the will to not cultivate dead ends.« 112 Einerseits erhält so jede einzelne Skulptur einen exponierten Platz, der eine Rundumsicht ermöglicht, andererseits evozieren die Skulpturen aber durch ihre Heterogenität und Fülle einen ähnlichen Eindruck wie die Peter-Ausstellung.113 Entsprechend ist im zusammen mit Jörg Schlick konzipierten Katalog von Broken Neon unter lauter Einzelabbildungen von Arbeiten der an der Ausstellung beteiligten Künstler auch eine Installationsansicht der Peter-Ausstellung unter dem Titel »Russische Stellung« abgebildet. Durch die über das Layout vorgenommene Einreihung des Katalogs in seine Serie von Einzelausstellungen wird Kippenbergers Autorschaft in Bezug auf diese Ausstellung noch einmal bestärkt.114 Vergleichbar mit der eingangs erwähnten späteren Ausstellung Pictures of an Exhibition von 1991 zieht er auch hier keine Differenz zwischen der Präsentation seiner eigenen Werke und denen anderer Künstler. Kippenberger verfolgt somit als Kurator ein mit dem Künstler Kippenberger vergleichbares Interesse. Er bedient sich aber im Unterschied zu dem Großteil seiner Ausstellungen über die Sockel eines klaren Bezugs auf eine traditionelle Präsentationsweise von Skulptur, ganz so, als würde er darüber seinen hier vollzogenen Rollenwechsel mit ausstellen. Während er mit Peter als Bildhauer in Abgrenzung seiner deutschen wie amerikanischen Kollegen klare Position bezieht, stellt er mit Broken Neon das bildhauerische Umfeld aus, das seinen Zuspruch findet. Insofern geht auch mit dieser Ausstellung eine Situierung der eigenen Praxis einher. Über diese Reihe lose miteinander ver-

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Prodhon, Françoise-Claire : »Broken Neon. Sylvana Lorenz, Paris«, in : Flash Art 144 (1988 ), S. 144. Vgl. van den Berg, Karen : »Zeigen, Forschen, Kuratieren«, in : Dies.  /  Gumbrecht, Hans Ulrich ( Hg.) : Politik des Zeigens, München 2010, S. 143  ‒ 168, hier S. 159 : »War das Arsenal an Dingen zweiter Ordnung – Sockel, Vitrine, Rahmen – noch im 19. Jahrhundert eher Zierrat und Schmuck, der die ausgestellten Objekte eher als Möblierung erscheinen ließ, so ist die entscheidende Funktion des Sockels nun v. a. das schlichte Abstandhalten.« Das Prinzip des projektorientierten Ausstellens wird Kippenberger weiterverfolgen. Vgl. hierzu: Heavy Mädel, Pace  /  MacGill Gallery, New York, 25.01. ‒ 23.02.1991 ( enthält 52 auf die im Rahmen der raumgreifenden Arbeit Heavy Burschi aus demselbem Jahr von Merlin Carpenter angefertigten, abfotografierten und dann zerstörten Gemälde Bezug nehmende Zeichnungen auf Briefpapier des Hotel Chelsea in Köln, Ausst.-Kat.), Only Heavy, Luhring Augustine Gallery, Santa Monica, 1991 ( dazu erschien sein Buch Fred the frog rings the bell once a penny two a penny into a penny hot cros buns, Köln 1991) sowie schließlich Heavy Burschi, Kölnischer Kunstverein, 10.11.‒ 22.12.1991 (  Ausst.-Kat.).

III. K ippenberger  |  145

Abbildung 7 : Martin Kippenberger, Broken Neon: Armaly, Bloom, Büttner, Dokoupil, Fischli & Weiss, Flatz, Frtisch, Herold, Kiecol, Kippenberger, Krebber, Meuser, Muscha, Oehlen, West, Zobernig, Ausstellungsansicht, Galerie Sylvia Lorenz, Paris, 1988

bundenen Ausstellungen sowie den auch in seinen Gemälden und Zeichnungen wieder auftauchenden Anleihen an die Peter-Skulpturen schafft Kippenberger eine Verkettung, ohne dass sich hieraus eine stringente Argumentation ergibt. Vielmehr erscheint sie paradigmatisch für sein projektorientiertes Denken, das an ein Verwertungsprinzip gekoppelt ist, in das alles und jedes stetig wieder eingespeist wird.

146 |  III. A llegorien auf das K ünstlerdasein

Allegorien

auf das

Künstlerdasein

In den 1990er Jahren steigt Kippenbergers Bekanntheitsgrad mit der Folge, dass nun zumindest im Ausland auch von institutioneller Seite umfangreichere Ausstellungen von ihm gefragt sind. Damit hat sich das Verhältnis von künstlerischer Produktion und Ausstellen zumindest teilweise umgekehrt. Anders als bei den frühen, häufig selbstinitiierten Galerieausstellungen kommen die Ausstellungsanfragen nun primär von außen und erfordern damit ein Reagieren des Künstlers auf die gebotene Situation. Die Ausstellungen werden folglich verstärkt zum Anlass für eine bestimmte, kontextspezifische Zusammenstellung von Exponaten und nicht andersherum. Kippenberger reagiert auf derartige Anfragen, indem er – auch bedingt durch die nach wie vor nur mäßigen Verkaufserfolge – auf vorhandene Arbeiten aus seinem Atelier zurückgreift und diese je nach Ausstellungssituation zu bildhaften Einheiten unter variierenden Titeln zusammenfügt. Das jeweils Neue und Andere der Ausstellung sind daher nicht vorrangig die Exponate, sondern vielmehr ihre ausstellungsspezifische und damit entsprechend situationsspezifische Anordnung und thematische Ausrichtung. Stärker als bei Beuys unterliegen die einzelnen Objekte dadurch einer Dynamisierung und gehen stetig neue Relationen ein. Drei Beispiele sind in dieser Hinsicht besonders signifikant : Kippenbergers zweite museale Einzelausstellung Put Your Eye in Your Mouth, 1991 im San Francisco Museum of Modern Art, Deep Throat als sein Beitrag im Rahmen der Projektreihe Topographie. Sachdienliche Hinweise im selben Jahr sowie das erstmals 1994 im Boijmanns van Beuningen gezeigte The Happy End of Kafka’s »Amerika«. Was alle drei vereint ist die hohe Überschneidungsdichte ihrer Exponate sowie die hohe Bildhaftigkeit ihrer Displays. Alle drei Ausstellungen reflektieren über das Spiel mit der realen An- bzw. Abwesenheit den ( gesellschaftlichen ) Status des Künstlers. Sie gewinnen dadurch eine allegorische Dimension, die mal deutlicher, mal weniger deutlich zutage tritt und in ihrer Lesbarkeit immer auch abhängig ist vom Wissen des Betrachters. Verstärkt wird Letzteres dadurch, dass die Ausstellungen jeweils Bezüge zu filmischen oder literarischen Narrativen herstellen, über die der Zusammenhalt der einzelnen Exponate gestärkt und zugleich eine fiktionale Dimension des jeweiligen Ausstellungsdisplays als Ganzes hergestellt wird.115

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Nach Kendall L. Walton besteht »eine fiktive Wahrheit […] darin, daß es eine Anweisung gibt […] sich etwas vorzustellen. Fiktionale Aussagen sind Aussagen, die man sich vorstellen soll – gleich ob man sie sich vorstellt oder nicht.« Walton, Kendall L.: Mimesis as MakeBelieve. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge (Mass.)  /  London 1990, S. 39. Das Konzept der Ausstellung wurde, wie Martin Prinzhorn treffend herausstellte, »von Kippenberger immer weniger als Aneinanderreihung von Einzelstücken verstanden,

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Dieses Vorgehen Kippenbergers erscheint besonders bezeichnend vor dem Hintergrund des von Gilles Deleuze 1990 in einer Reihe kürzerer Artikel konstatierten Übergangs von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft. Er markiert den Wandel von einer Disziplinierung durch geschlossene Institutionen, zu denen Deleuze unter anderem Gefängnisse, Schulen, Fabriken und Krankenhäuser zählt, hin zu einer Kontrolle durch dezentral organisierte Netzwerke, mit der auch eine Veränderung des Verhältnisses von Individuum und Masse einhergeht. An die Stelle der »einsamen Masse« rückt nun eine subjektive Singularität, die sich durch Heterogenität und Flexibilität auszeichnet.116    Diese grundlegenden gesellschaftlichen Verschiebungen schlagen sich auch auf das Künstlerdasein und Ausstellungswesen nieder. Wie Branden W. Joseph bezüglich letzterem herausstellt, fungiert ein zeitgenössisches Kunstmuseum anstelle »einer Folge einzelner Objekte in einer Reihe historisch voranschreitender Räume« nun vielmehr »als ein zeitweiliger Knoten in einem globalen Netzwerk künstlerischer Zirkulation, in dem die vorderen vereinzelten Schauplätze von Erziehung, Produktion, Display und Konsum zunehmend ineinander fallen.« 117   Kippenberger erscheint mit seiner unermüdlichen, seinen Freundeskreis involvierende sowie immer wieder auf seine jeweilige Situation rekurrierende Ausstellungstätigkeit geradezu als Prototyp hierfür. Vor allem retrospektiv bilden drei erwähnte Ausstellungen eben solche »zeitweilige Knoten«, die über ihre allegorische Anlage zugleich ein Bild davon geben, unter welchen Bedingungen und mit welchen Strategien er als Künstler innerhalb des Kunstfeldes agiert und wie er auf aktuelle Ausstellungspolitiken reagiert. Auffallend hierbei ist, dass er sich mehrfach des zumindest imaginierten Perspektivwechsels bedient – etwa durch Fotografien aus der Vogelperspektive oder aber in die Ausstellungen integrierte Hochsitze – und damit zugleich einen Blick von außen in seine Displays integriert. Insofern wird an den folgenden Ausstellungsbeispielen vielmehr noch eine Verschränkung der beiden von Deleuze in historischer Abfolge gesehenen Modelle deutlich, in dessen Fokus er als singulärer Künstler im Verhältnis zu den gegebenen institutionellen Strukturen steht.

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sondern als Plattform, auf der er seine Kunst zu größeren narrativen Einheiten zusammenfassen konnte. Die Geschichten, die dabei entwickelt wurden, ersetzten in einem immer hören Maße die tatsächliche Repräsentation durch die Kunstwerke.« Prinzhorn, Martin : »Wegweiser«, in : Ausst.-Kat. Nach Kippenberger, 2003, S. 240  ‒  251, hier S. 248. Vgl. hierzu : Deleuze, Gilles : »Brief an Serge Daney. Optimismus, Pessimismus und Reisen«, »Kontrolle und Werden«, »Postskriptum über die Kontrollgesellschaft«, in : Ders. : Unterhandlugen 1972  ‒ 1990, Frankfurt am Main 1993, S. 101 ‒ 120, S. 243  ‒  253, S. 254  ‒  262. Joseph, Branden W. : »Kontrollgesellschaft«, in : Texte zur Kunst 66 ( 2007 ), S.  90  ‒  93, hier S. 91.

148 |  III. A llegorien auf das K ünstlerdasein

Bedingung für Kippenbergers Vorgehen ist zudem, dass die einzelnen Exponate offen genug angelegt sind, immer neue quasi-syntaktische Verbindungen eingehen zu können. Wiederum im Unterschied zu Beuys, bei dem die einzelnen Objekte mit einer bestimmten »richtigen« oder »wahren« Lesart in Zusammenhang gebracht werden können bzw. derartiges immer wieder behauptet wird, überlassen Kippenbergers Objekte dem Betrachter von vornhinein einen größeren Freiraum. Sie werden im Laufe ihrer Ausstellungsgeschichte daher im Latour’schen Sinne zu Bündeln von Assoziationen,118 die angereichert durch die zahlreichen Anekdoten sich mit der Zeit und durch den jeweiligen Kontext ihrer Präsentationen erweitern, verschieben und verändern. Auf diese Weise ergibt sich eine komplexe Referenzstruktur nicht nur zwischen den einzelnen Objekten, sondern auch zwischen ihren Ausstellungskontexten. Besonders die ausufernden Maße der zwischen Kunstwerk und Ausstellung in der Ausstellung oszillierenden Arbeit The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« muss dabei auch vor dem Hintergrund einer Anfang der 1990er Jahre weit verbreitete Praxis gesehen werden, gängige künstlerische Formate zu sprengen und Ausstellungsräume mit massigen, oft kleinteiligsten Installationen zu füllen.119   Gerade an diesem letzten Beispiel wird zudem das Spannungsverhältnis deutlich werden, dass sich zwischen der in dem Display angelegten Dynamik und der durch das Ableben des Künstlers automatisch einsetzenden »Verwerkung« dieser Arbeit ergibt – etwas, dass sich bereits an dem Ausstellungsprojekt Deep Throat abzuzeichnen beginnt. Visionen mit dem Auge im Mund Die Ausstellung Put Your Eye in Your Mouth findet 1991 auf Initiative des zu dem Zeitpunkt noch sehr jungen und für noch wenig etablierte künstlerische Positionen aufgeschlossenen Kurators John Caldwell im San Francisco Museum of Modern Art statt.120   In ihr zeigt Kippenberger v. a. eigene Arbeiten aus den letzten zwei Jahren sowie von anderen Künstlern für ihn ausgeführte Auftragsarbeiten.

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Vgl. Latour, Bruno : Das Parlament der Dinge, Frankfurt am Main 2010, v. a. S. 103  ‒110. Paradigmatisch hierfür sind etwa die Arbeiten von Jason Rhoades und Thomas Hirschhorn. Kippenberger lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Los Angeles, vgl. Kippenberger 2010, S. 399. Gegenüber Jutta Koether äußerte er 1991: »[I]ch glaub, irgendein Ziel hast du damit erreicht ! Und das wird man nie wieder erwischen, das Gefühl, so richtig die erste Einzelausstellung in einer größeren Galerie oder in einer anderen Stadt […]. Und San Francisco ist halt was Tolles, der Polke hat da ja vorher ausgestellt und installiert.« Zitiert nach ebd.

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Abbildung 8 : Martin Kippenberger, Put Your Eye in Your Mouth, Ausstellungsansicht , San Francisco Museum of Modern Art, 1991

Bekanntheit erlangt und über ihre Laufzeit hinaus bewahrt hat die Ausstellung v. a. durch die von dem Fotografen Ben Blackwell gemachte Aufnahme des achteckigen Ausstellungsraumes aus der Vogelperspektive. Anhand ihrer wird die von Kippenberger vorgenommene, kreisförmige Anordnung der einzelnen Exponate im Zentrum des Raumes besonders deutlich ersichtlich [ Abb. 8    ] : An den Wänden des als Oktogon angelegten Raumes hängen verhältnismäßig klassisch von seinem derzeitigen Assistenten Adam Kuczynski angefertigte kleinformatige Aquarelle. Diese zeigen anstelle der Originale, wie später üblich, seine gesamten bis dato erschienenen Publikationen, auf denen jeweils eine Lupe liegt. Durch die Vergrößerung wird der künstlerische Wert dieser Bücher symbolisch hervorgehoben.121 Gegenüber lehnt lose an der Wand das titelgebende bzw. das den Titel aufgreifende, großformatige Bild mit schwarzem Schriftzug auf weißem Grund von Cosima

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Laut Merlin Carpenter handelte es sich hierbei um Kopien von Aquarellen, die er ein Jahr zuvor in Hamburg gezeigt hatte. Carpenter 2002, S. 29.

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von Bonin.122 Die überwiegend skulpturalen Arbeiten in der Mitte des Raumes sind in ihrer doppelten Zirkelstruktur auf einen idealen Betrachterstandpunkt im Zentrum ausgerichtet und wenden dem Betrachter beim Eintreten in den Raum zunächst weitgehend ihre »Rückseite« zu. Die äußere Form dieser Struktur wird durch einige leicht gerundete hölzerne und zum Teil mit Tapete beklebte Stellwände bekräftigt, die – wie schon bei Beuys’ Palazzo Regale – eine farblich vom restlichen Fußboden abgesetzte, schmale Bordüre aufgreifen und darüber einen direkten Bezug zu den architektonischen Gegebenheiten des Raumes herstellen. Auf diesen Stellwänden angebracht sind u. a. sechs weiße Latexbilder (1991), Das Ende des Alphabets (1989 ) sowie My Way shooting around L. A. (1990 ) – eine Arbeit, die hauptsächlich aus einer Kleiderstange mit weißen, bedruckten T-Shirts besteht. Dazwischen befinden sich ein silberner Hochsitz (1991), einzelne Lampenskulpturen, zwei gegeneinander gelehnte Fotografien der von Merlin Carpenter auf nach Kippenbergers Vorlage gemalten Bilder aus der Ausstellung Heavy Burschi (Kölner Kunstverein, 1991) sowie Teile der 1990 in der Anders Tornberg Galerie in Lund gezeigten Ausstellung Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald (dort im Gegensatz zu hier noch in Kombination mit echten Birkenstämmen). Letztere kann wiederum als ironische Anspielung auf den dramatischen Gebrauch dieser Landschaft durch den zu diesem Zeitpunkt hochgeschätzten, in der Tradition deutscher Malerheroen stehenden Anselm Kiefer aufgefasst werden. Weiter innen sind der Container aus Heavy Burschi mit den zerstörten Gemälden Carpenters aufgestellt sowie der quadratische Tisch mit hölzerner Tischdecke und gestapelten, gerahmten Fotografien von Plastikspaghettigerichten aus japanischen Schaufensterauslagen Under The Eiffel Tower in Tokyo lauwarm (1990 ), der formal auf Donald Judd sowie über den Titel auf Walter de Maria anspielenden Broken Kilometer  /  Heimweh-Highway (1991), weitere Lampenskulpturen und eine AirFrance-Sitzbank mit drei Schalenstühlen und Tisch, die später in The Happy End of Kafka’s »Amerika« wieder auftauchen sollten. Im Zentrum dieser Kreisstruktur befindet sich das Karussel mit Schleudersitz (1991), das seiner eigentlichen Funktion beraubt, nun scheinbar endlose, ins Absurde führende Runden drehte.123 »The seat must be the artist’s own«, heißt es im einführenden Text des Kurators, »and the fence that surrounds him, taken from a soccer field, suggest the public nature

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Was an den anderen beiden Wänden des Raumes hing, lässt sich heute aufgrund von mangelndem Dokumentationsmaterial nicht mehr rekonstruieren. Vgl. Caldwell 1991, S. 11.

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of his role as an artist«.124     Bezeichnenderweise ist der Sitz jedoch leer. Erst über die Imagination des Betrachters füllt sich diese Leerstelle und die gesamte Ausstellung wird über ihr bildhaftes Arrangement als Allegorie auf das Künstlerdasein lesbar.125 Als Stilmittel der Rhetorik dient die Allegorie, wie es Cicero in seinem Buch De oratore erstmals ausführt, sowohl der Verdeutlichung des Redegegenstands als auch zu dessen Verbergen. Sie dient der Kürze der Darstellung und zugleich der Unterhaltung des Publikums und wird traditionellerweise mit Personifikationen in Verbindung gebracht. Mit Craig Owens, der in den 1980er Jahren neben Benjamin Buchloh dafür sorgt, dass diese rhetorische Figur wieder Eingang in die kunsthistorischen Debatten erlangt, lässt sich sagen, dass »in allegorical structure, then, one text is read through another, however fragmentary, intermittent, or chaotic their relationship may be«.126     Dabei bildet sich eine Allegorie nicht erst durch die kritische Lesart eines Textes heraus, sondern ist diesem – wie an dem hier behandelten Beispiel deutlich wird – in seiner Struktur bereits inhärent. »Allegorical imagery«, so Owens weiter, »is appropriated imagery; the allegorist does not invent images but confiscates them. He lays claims to the culturally significant, poses as its interpreter. And in his hands the image becomes something other ( allos = other + agoreuei = to speak  ). He does not restore an original meaning that may have been lost or toscured; allegory is not hermeneutics. Rather, he adds another meaning to the image. If he adds, however, he does so only to replace : the allegorical meaning supplants an antecedent one; it is a supplement. This is why allegory is condemned, but it is also the source of its theoretical significance.« 127

Als Supplement fügt die Allegorie der gebotenen Situation eine weitere Bedeutungsebene hinzu und lässt darüber die Ausstellung insgesamt als eine ausgefeilte kompositorische Struktur mit einem eigenen künstlerischen Wert erscheinen.128 Was im Titel der Ausstellung zunächst wie eine Anspielung auf das englische Idiom

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Ebd. Abgesehen von den wenigen Worten John Caldwells ist im Katalog in Bezug auf Kippenbergers Displaystrategie erstaunlicherweise lediglich von einem »fresh concept« die Rede. Owens, Craig : »The Allegorical Impulse : Towards A Theory of Postmodernism«, in : October 12 (1980 ), S. 67‒ 86, hier S. 68. Owens 1980, S. 69. »Es ist«, so Loers in Bezug auf Put Your Eye in Your Mouth, »als beobachtete das herausgelöste Auge die Ausstellungsinstallation und diese spiegle sich in ihm«. Loers, Veit : »›I had a vision‹. Kippenberger und Beuys«, in : Ausst.-Kat. Modell Martin Kippenberger, 2007, S. 58  ‒  66, hier S. 60.

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»putting words in your mouth« klingt,129 bezieht sich im wortwörtlichen Sinne auf eine etwas in Vergessenheit geratene rheinische Humoreske. Die hierin angesprochene Aufforderung, sich das Auge in den Mund zu stecken, hat ihren Ursprung in dem Buch der Katastrophen (1911) von Hermann Harry Schmitz.130   Die letzte darin aufgeführte Geschichte »Der Mann mit dem verschluckten Auge« handelt von einem jungen Mann, der aufs Land zieht und beschließt, Yogi zu werden. Im Zuge einer Meditationsübung steckt er sich sein rechtes Auge in den Mund und lässt es einmal durch sämtliche Organe wandern, bis es durch den Darm wieder das Tageslicht erblickt. Der auf dem Land bisher reichlich verhöhnte und nun sowohl nach vorne als auch nach hinten blickende Erzähler landet schließlich beim Zirkus. Dort kann er mit seiner Aufsehen erregenden Nummer gutes Geld verdienen. Die Kenntnis dieses Textes dürfte gerade in San Francisco nicht vorhanden und von Kippenberger daher auch nicht als maßgebliche bedeutungsstiftende Referenz intendiert gewesen sein. Auch handelt es sich um keine eins zu eins Übertragung eines literarischen Textes in bildhafte Anschaulichkeit. Dennoch bekräftigt ein Wissen um diesen Text die Ausstellungssituation in San Francisco in ihrer allegorischen Dimension. Entsprechend der rheinischen Humoreske lässt sich die hier gebotene Situation selbst mit der Zirkusarena in Verbindung bringen, innerhalb derer der Künstler seine akrobatischen Übungen zur Begeisterung des Publikums vollzieht. Die Referenz auf den Text lässt uns also ein zweites Bild im ersten erkennen, ohne dass sich zwischen beiden eine große Differenz auftut.131  Anders ausgedrückt könnte man sagen, dass durch die allegorische Lesart des Displays über die stilistische Ähnlichkeit beider Quellen ihre allein durch den Wandel des Mediums an sich beträchtlichen Unterschiede an Relevanz verlieren.132  Die einzelnen Objekte innerhalb der Ausstellungssituation werden dadurch jedoch nicht entleert, sie erhalten prinzipiell ihren Status als autonom existierende Kunstobjekte. Doch führt die allegorische Auslegung zu einem Changieren in Bezug auf ihre Deutung innerhalb dieses ganz spezifischen Kontextes und darüber wiederum zu einer partiellen Auflösung ihres Status als autonome Objekte.

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Zu Deutsch »Jemand die Worte im Mund umdrehen«. Auch Louise Lawler nannte bezeichnenderweise eine ihrer Arbeiten so. Loers 2007, S. 58. Vgl. hierzu Gebauer, Gunter : »Sich-Zeigen und Sehen als. Wittgensteins zwei Bildkonzepte«, in : Böhm  /  Egenhofer  /  Spies 2010 , S. 75  ‒ 89, hier S. 81  f. Vgl. de Man, Paul : »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, in : Ders. : Die Ideologie des Ästhetischen, hg. von Christoph Menke, Frankfurt am Main 1993, S. 83  ‒130, hier S. 100.

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»Put your eye in your mouth« ist eine Aufforderung, deren Adressat prinzipiell offen gehalten wird. Ist es der Ausstellungsbesucher, der hier angesprochen wird oder sind es Kippenbergers Künstlerkollegen ? Und zu welchem Zwecke sollte man dies tun – mit dem Ziel, am Ende als gefeierte Nummer im ( Kunst-) Zirkus zu landen ? Der manchmal fast schmerzhafte Witz in Kippenbergers Ausstellungsdisplays ist in der Tat nicht zu unterschätzen : Unter den salopp und ironisch daherkommenden Arrangements und Titeln verbirgt sich ein zum Teil durchaus bitteres Reflektieren über das Dasein des Künstlers.133    So besteht der von der Ausstellung abweichende Titel des begleitenden Katalogs I had a vision aus einer klaren Aussage in der ersten Person Singular, die angesichts der auf das Künstlersubjekt abzielenden Referenzen des Displays nahe legt, auch hierin den Künstler / Kurator selbst als Sprecher zu sehen. Die Vision, von der hier gesprochen wird, steht sich im Präteritum, was den Titel als ein retrospektives Sinnieren über den eigenen künstlerischen Werdegang auslegen lässt, deren Ausgang – Vision erfüllt oder nicht – aber offen gelassen wird. Der Katalog enthält nur die Aquarelle seiner Bücher unter der Lupe, ganz so als müsste man sich diese nur ( endlich ) genauer anschauen, um »den Kippenberger« in seiner ganzen Bandbreite zu erfassen und zu würdigen. In ihnen scheint Kippenbergers »Vision« verborgen.134   Auf der Rückklappe ist der Künstler selbst auf (s)einer Franz-West-Liege zu sehen, sinnierend den Blick nach oben gerichtet. Es liegt nahe, dieses Bild wiederum als Reflexion Kippenbergers über seine eigene Rolle im »Kunstzirkus« als sich selbst inszenierender Künstler und gleichzeitig kritischer Beobachter von dessen Mechanismen zu lesen. Die Bilanz, die Kippenberger in diesem Jahr in Bezug auf sein Leben und Künstlerdasein zieht und die sich auch in den erstaunlich offenen Interviews der Zeit widerspiegelt,135 findet auf diese Weise auch im Display seiner Arbeiten Ausdruck. Der über den

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Zur Verbindung von Allegorie und Melancholie vgl. Benjamin, Walter : Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt am Main 1972. Vgl. Loers 2007, S. 58. Vgl. auch Kippenberger im Gespräch mit Jutta Koether : »Ich habe viele Visionen gehabt und … Ich hab ja immer meine Serien gekriegt. Mit neun Jahren habe ich es – so was nennt man im groben Erleuchtung – gehabt, und da wurde mir alles vorausgesagt, dass ich es mache.« Kippenberger  /  Koether 1994, S. 148. Das Gespräch mit Jutta Koether wurde im Katalog der Ausstellung erstmals auf Englisch abgedruckt. Im selben Jahr erschien das umfassende Interview in der Zeitschrift Artfan, in dem er erklärt, dass er grundlegende Strukturen in seinem Leben ändern müsse, damit er wieder aufnahmefähig werde »auch für andere Sache[n] und die anders sehe.« Wiederabdruck in : o. V. : Ein Mond scheint am Himmel. Gespräch mit Martin Kippenberger, Berlin 2010, S. 36. Susanne Kippenberger spricht von einem »Wendepunkt« in Kippenbergers Leben. Kippenberger 2010, S. 448.

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Installationshot von Ben Blackwell vollzogene Wechsel in die Vogelperspektive erlaubt es wiederum, die Ausstellungssituation unter einem ganz bestimmten Aspekt zu sehen und darüber die Referenz auf eine literarische Vorlage Kippenbergers visuell anschaulich zu machen.136   Sie wird von ihm bezeichnenderweise für die Rückseite seiner noch im selben Jahr im Taschen Verlag erscheinenden Monografie ausgewählt, die – wiederum in Anlehnung an Beuys – auch seinen selbstverfassten Lebenslauf enthielt. Kunstgeisterbahn im U-Bahn-Schacht Die Verdichtung einzelner Werkgruppen zu einer allegorisch anmutenden Struktur findet in Kippenbergers noch im selben Jahr in Wien realisierten, unterirdisch angelegten Ausstellung Tiefes Kehlchen   /   Deep Throat einen weiteren Höhepunkt. Im Rahmen der von den Wiener Festwochen initiierten Projektreihe Topographie. Sachliche Hinweise, die sich zum Ziel gesetzt hatte, ein längerfristiges Programm für Kunst im öffentlichen Raum zu entwickeln,137 wird Kippenberger vom verantwortlichen Komitee ein stillgelegter und zu diesem Zeitpunkt zunächst noch renovierungsbedürftiger U-Bahn-Schacht als Ausstellungsfläche zur Verfügung gestellt. Deep Throat ist sein erstes umfassenderes Projekt im öffentlichen Raum.138 Der mit Kippenberger befreundete Linguist Martin Prinzhorn spricht in dem hierzu erscheinenden Katalog – für die Zeit typisch – erstmals von Kippenberger als Kurator.139      Von einer Ausstellung im herkömmlichen Sinne kann hier jedoch weit weniger noch als in San Francisco die Rede sein, vielmehr sind die einzelnen

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Vgl. Gebauer 2010, S. 80, und Lüthy, Michael : »Das Medium der ästhetischen Erfahrung. Wittgensteins Aspektbegriff, exemplifiziert an Pollocks Malerei«, in : Koch, Gertrud  /  Maar Kirsten  /  McGovern, Fiona ( Hg.) : Imaginäre Medialität   /   Immaterielle Medien, München 2012, S. 125  ‒142. Ziel der Projektreihe Topographie. Sachliche Hinweise war es, ein längerfristiges Programm für Kunst im öffentlichen Raum zu entwickeln, für fünf Jahre geplant, Kippenberger war mit Lawrence Weiner ( im Flakturm Esterházypark ) und Gerwald Rockenschaub ( mit einem Fernsehprogramm ) Teil von Topographie I : Festraum im September 1991. Das 1992 auf Syros initiierte METRO-Net-Projekt sollte sein letztes sein. Beide greifen das U-Bahn-System als Thema auf. Prinzhorn, Martin : »Jenseits der Diskursanalyse. Der Kurator Kippenberger«, in : Ausst.Kat. Martin Kippenberger. Tiefes Kehlchen, Topographie Sachdienliche Hinweise, Eine Projektreihe der Wiener Festwoche, Topographie 1: Festraum, 26.09. ‒ 11.11.1991, hg. von den Wiener Festwochen, Wien 1991, S. 33  ‒  46.

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Abbildung 9 : Martin Kippenberger, Tiefes Kehlchen, Wien, 1991, Situation vor dem Tunnel mit Elektromobil, Birkenwald, Heavy Burschi und Kippenblinkys

Arbeiten Kippenbergers zu einem geschlossenen Ganzen und direkt in Bezug auf die räumlichen Gegebenheiten arrangiert. Viele der Exponate decken sich zwar mit den in San Francisco ausgestellten Arbeiten, doch erscheinen sie über ihr Display hier in einem neuen und stärker auf den gegebenen Raum hin ausgerichteten Zusammenhang. Mit Deep Throat bedient Kippenberger sich – wenn auch mit einer ordentlichen Portion Schalk im Nacken – somit dem Thema der Wiener Festwochen entsprechend eines im klassischen Sinne ortsspezifischen Displays. Sein Konzept für die Bespielung der ihm zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten ist zweiteilig angelegt : Ebenerdig gestaltet er im Eingangsbereich eine Art Informationsraum mit Multiples und zahlreichen seiner Kataloge, die mit den Tisch- und Stuhl-Ensembles die Möglichkeit der Vertiefung in sein bisheriges Œuvre bieten. Zugleich wirkt er wie eine Art kommentierende Sekundärebene zum unterirdischen Raum, in dem Kippenberger seinen »eigentlichen« künstlerischen Beitrag zeigt. In Anlehnung an die spezifischen Charakteristika der U-Bahn-Eingänge seiner derzeitigen Heimatstadt Frankfurt am Main war dieser obere Raum zudem mit einer mehrteiligen Wandarbeit versehen, die wie dort auf bestimmte lokale Berühmtheiten wie etwa Goethe aufmerksam macht und so die ursprüngliche Funktion dieses Raumes hervorhebt. Von hier aus führt eine metallene Treppe hinunter in den Schacht, den die Architekten Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger vom Architekturbüro PAUHOF in Absprache mit dem Künstler trockenlegten und architektonisch ausgestalteten. Steigt man die Treppe in den Schacht hinunter, bietet sich dem Betrachter eine zunächst recht unüberblickbare Mischung aus Amüsierbetrieb und Kinosaal [ Abb. 9  ]. Neben einigen Lampenskulpturen spenden nur wenige Baustellenlampen in den schummrigen und auf Anhieb schwer überschaubaren Räumlichkeiten zusätzliches Licht und sorgen so

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für eine durchaus unheimliche Atmosphäre. Hier gibt es im Unterschied zu Put Your Eye In Your Mouth kein Außerhalb, vielmehr tritt der Betrachter über die Treppe in eine von Kippenberger gemeinsam mit den Architekten durchkomponierte Gesamtsituation ein, deren Rezeptionsabfolge zu großen Teilen fest vorgegeben ist. Durch die zahlreichen an Möbel erinnernden Skulpturen und architektonischen Elemente wirkt der Raum mehr eingerichtet als gehängt, wie es in einer regulären Ausstellung der Fall wäre, und bietet dementsprechend eine grundsätzlich andere Voraussetzung der Kunsterfahrung als noch in San Francisco – auch wenn die einzelnen Exponate sich zu großen Teilen überschnitten. Am Fuße der Treppe befindet sich ein eingebauter Korridor mit je drei schwarzen Latexbildern auf jeder Seite. Er führt links zu drei später von Cosima von Bonin in ihren Ausstellungsdisplays als wiederkehrendes Motiv adaptierten Hochsitzen. Diese bieten auch hier zumindest imaginär eine andere Perspektive auf und zugleich Kontrolle über die Situation im Schacht. Zugleich wirken sie wie ein ironischer Kommentar auf die unterirdische Lage der Ausstellung. Die Hochsitze gehen auf der rechten Seite über in eine Installation des Birkenwalds mit den hölzernen Pillen. Hierauf folgen Heavy Burschi und die Kippenblinkys. In einem ellipsenförmigen, metallenen Einbau hängt daran anschließend der Broken Kilometer, der direkt auf die Installation des Eierkarussels sowie der Cineastenabgänge in einer hölzernen Nische endet. In den anschließenden kleineren Seitenräumen stehen bzw. hängen weitere Lampen- und Bronzeskulpturen, die drei Multiples Mirror for Hang Over Bud sowie eine auf die Berliner Mauer anspielende, mit Offsetdrucken beklebte freistehende Wand. End- und Zielpunkt des Ausstellungsgangs jedoch ist eine Wand mit breitem Sehschlitz, durch die man – möglicherweise in Anspielung auf Marcel Duchamps letztes Werk Ètant Donné – Diaprojektionen aus dem 1970er Jahre Arthouse-Pornofilm und Namensgeber dieses Objektensembles Deep Throat von Gerard Damiano sieht. Aus einer Ecke schallt zudem Musik von den Rolling Stones. Dabei verweist Kippenberger in seiner Fassung von Deep Throat nicht nur auf das filmische Vorbild, sondern zugleich auf das Nachleben der Hauptdarstellerin Linda Lovelace : Von der Projektion der Stills in die andere Richtung des Tunnels zurückblickend, bietet sich die Sicht auf ein großformatiges Gemälde Jack Bauers,140 das diese nach Abbruch ihrer Pornokarriere als schwangere Frau in der Natur zeigt und somit zu einem Zeitpunkt, als sie bereits entschie-

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Sohn des österreichischen Schriftstellers und Mitbegründer der Lord Jim Loge Wolfgang Bauer und Student an der Akademie. Vgl. Neuburger, Susanne : »›Mir scheint, ich habe zu tief gesägt … ‹ Assoziation und Dissoziation in Martin Kippenbergers Tiefem Kehlchen«, in : Ausst.-Kat. Nach Kippenberger, 2003, S. 152  ‒163, S. 158.

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denen gegen die Pornoindustrie kämpft. Dieses Bild wird von Kippenberger auch für die Einladungskarte eingesetzt, was seine leitmotivische Rolle innerhalb dieses Displays hervorhebt.141 Nur in der Ausstellung, nicht aber im Film ist ein derartiges synchrones Nebeneinander von zwei Zeitebenen, die Gegenüberstellung eines Vorher-Nachher, die, wie es Susanne Neuburger ausdrückt, »Dichotomie Mutter-Hure«142 möglich. Und doch bleibt dies nur eine Blick- und Deutungsachse innerhalb dieser Gesamtsituation. Ein wesentlicher Aspekt auch dieses Displays ist wiederum Kippenbergers Inszenierung seiner eigenen Rolle : Als erste Orientierung und Leitlinie innerhalb Deep Throat dienen auf dem Boden ausgelegte graue Schienen, die in Anleihe an eine Kamerafahrt das filmische Motive stärken und vergleichbar mit dem Eingangsbereich zugleich ortsspezifisch die ursprünglich geplante Nutzung dieses Tunnels als U-Bahn-Schacht aufrufen. Sie führen an allen unterschiedlichen Stationen des langgestreckten Raums vorbei und legen so die in den Rezensionen wiederholt fallende Bezeichnung als »( Kunst-) Geisterbahn« nahe.143   Unverhofft taucht in regelmäßigen Abständen ein Wagen auf, auf dem ein künstliches Alter Ego Kippenbergers mit einem Kopf aus Gießharz sitzt, das ferngesteuert auf den Schienen zielgerichtet von einem Ende der Ausstellung hin zur »Peep-Show« am anderen Ende fährt. Nach einer Weile wird er zurückgespult und das Spiel beginnt aufs Neue.144   Durch die von Kippenberger selbstgesteuerte Stellvertreterfigur

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Vgl. Neuburger 2003, S. 154. Zwischen den Hochsitzen und diesem Gemälde befand sich eine Absperrung mit einem Minigolffeld. Hier sollte ursprünglich ein Café eingerichtet werden. Ebd. Vgl. z. B. Nesweda, Peter : »Flakturm-Parolen und Kuntsgeisterbahn«, in : Der Standard vom 25. September 1991, S. 11, oder Frohmann, Günther : »U-Bahn.Tunnel wird zum Rummelplatz«, in : Salzburger Nachrichten vom 12. Oktober 1991, S. 22. Die illegalen Partys, die in dem Wiener Tunnel während des Ausstellungsaufbaus gefeiert wurden und bei denen dann tatsächlich auch neben symbolischen Trophäen wie dem Kopf und den Händen des Alter Egos Kippenbergers »noch ein paar Dinge, die man gebrauchen kann, für eine Wohnungseinrichtung, Lampen und so Zeugs« mitgenommen wurden, machen deutlich, wie stark der Gestus des Ausstellens von Kunst im Sinne des Herausstellens herbei zugunsten eines Einrichtens der gegebenen Räumlichkeiten mit Kunst zurückgenommen wurde : »[…] dann sind sie noch in ein Zimmer reingegangen, so mit Skulpturen. Ein Bild aus dem Eck genommen, sich so ein bisschen eingerichtet. Kleines Lagerfeuer gemacht, wie sich das gehört und dann abgeschluckt.« Kippenberger, Martin, in : o. V. : Stellen Sie sich vor, ein Mond scheint am Himmel. Gespräch mit Martin Kippenberger, Berlin 2007, S. 78 ( Fußnote zu S. 12 ).

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(»In diesem Fall bin ich der Fahrer dieses durch den Tunnel brausenden Zuges« 145 ) inszeniert er sich hier gerade durch sein Agieren hinter den Kulissen als Urheber wie Steuermann der gebotenen Situation. Gibt es durch diese Achse einerseits eine Linearität in der Ausstellung, wird diese andererseits aufgebrochen durch die Architektur ( Seitenräume, Nischen etc.) und die Bedeutungshorizonte, die sich jeweils und abhängig vom Wissensstand des Betrachters hinter den einzelnen Arbeiten eröffnen. In dieser von Diederichsen als »Orgie der Simultaneität« bezeichneten Ausstellungssituation liegt auch die maßgebliche Differenz zum Film als zeitbasiertem Medium. Deep Throat erzählt keine »Geschichte«, sondern eröffnet vielmehr einen Raum vieler potenzieller Narrative, die zugleich eng an die persönliche Ausstellungsgeschichte ( und biografischen Daten) Kippenbergers geknüpft sind.146    Verweist sie einerseits zurück auf bisherige Ausstellungskontexte der einzelnen Arbeiten, so deutet sie retrospektiv auch in die Zukunft, da viele Arbeiten auch in der Folge zum Teil von Ausstellungen werden sollten. Einzelne Elemente wurden verkauft, wie etwa der Tunnelbogen mit dem Broken Kilometer an die Sammlung Grässlin, die diese auch so als Einzelobjekte ausstellt,147 und dadurch quer über die Erdkugel verstreut. Im Zuge der von Eva Meyer-Hermann im Van Abbemuseum Eindhoven kuratierten Ausstellung NachKippenberger ( 22.11.2003  ‒  01.02.2004  ) wurden Teile von Deep Throat in einem separaten Raum rekonstruiert. Herausgelöst aus seinem ursprünglich dezidiert ortsspezifischen Kontext wird innerhalb der musealen Strukturen eine völlig neue Erfahrungssituation geschaffen, die mit der von Kippenberger in Wien vorgenommenen kaum vereinbar ist und auch von Seiten der kuratorischen Leitung bewusst vermieden wurde. Als Fragment kann es daher immer nur auf seinen ursprünglichen Ausstellungszusammenhang verweisen, wie im Katalog über einen ausführlichen Text von Susanne Neuburger und ein Interview mit den Architekten

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Kippenberger, in : Nesweda 1991, S. 11. Die Ausstellung ist, so Diedrichsen, »in jeder Hinsicht ein großer Einschnitt. Das Motiv des Abstiegs in eine verrufene, böse, gefährliche und ausbeuterische Welt, ebenso wie die Idee der Baustelle, die durch die provisorisch wirkende Beleuchtung verstärkt wurde, das Gepräge des Illusionsraumes des Kinos, nicht zuletzt das Assoziationspanorama von Mine und Bergwerk, das schließlich auf den Beruf des Vaters verwies, die durch das pornographische Innuendo aufgeladene Superallegorie – all dies heizt die Vorstellungen einer neuen stärkeren verbindlicheren Kunstpraxis an, an denen der zuweilen leicht resignierte Kippenberger dieser Zeit herumlaborierte«. Diederichsen, Diedrich : »Welteroberung : Meta-Museum und METRO-Net«, in : Ausst.-Kat. Modell Martin Kippenberger, 2007, S. 34  ‒ 57, hier S. 41. Vgl. Martin Kippenberger im Kunstraum der Sammlung Grässlin, 19.04.2008  ‒14.06.2009.

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ausdrücklich geschehen. Gleichzeitig führt auch die Bezeichnung als Fragment in die Irre, da Deep Throat aus produktionsästhetischer Sicht zum Entstehungszeitpunkt eben einfach auf die vorhandenen Arbeiten Kippenbergers zurückgreift und zu einer situationsbedingten Konstellation zusammenführt, aber hierüber keinerlei dauerhafte Fixierung ebendieser impliziert. Die einzelnen Objekte gehen immer wieder neue Beziehungen ein und erlauben zusätzlich zu den ihnen durch ihre Ausstellungsgeschichte eingeschriebenen Narrativen jeweils andere, von Kontext wie Zeitpunkt abhängige Lesarten. Kippenbergers Œuvre entwickelt sich daher nicht einfach in einer linearen Abfolge, sondern bricht diese zugleich durch die stetige Neukombination von Objekten aus unterschiedlichen Entstehungskontexten und -zeiten immer wieder auf. Ältere Arbeiten werden durch die Kombinationen mit neuen immer wieder in die Gegenwart geholt und auf diese Weise durch den neuen Kontext automatisch aktualisiert. Die einzelnen Ausstellungen bilden nicht nur, wie verdeutlicht, durch ihre narrative Struktur zugleich ein temporäres »Abbild« davon, wie Kippenberger sich jeweils zu den sich verändernden Ausstellungspolitiken verhält, sondern auch wie er sich selbst innerhalb dessen inszeniert. Mit Kippenbergers Tod findet diese Dynamik innerhalb seines Œuvres ein abruptes Ende. Am Beispiel von The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« soll diesem Aspekt unter dem Stichwort der »Verwerkung« genauer nachgegangen werden. The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« – Ausstellung und / oder Kunstwerk ?148 The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« ist die komplexeste und umfassendste Arbeit von Martin Kippenberger. Anlass für seine Adaption von Franz Kafkas 1927 durch Max Brod posthum veröffentlichte Novelle Amerika149 war die Einladung zu seiner ersten niederländischen Einzelausstellung im Rotterdamer Boymans Van Beuningen Museum 1993. Kippenberger nutzt die Einladung, um sein erklärtes Ziel, das offene Ende der Kafka’schen Novelle fortzuschreiben und zu einem, wie es heißt, »glücklichen Ende« zu bringen, nun auch in die Tat umzusetzen.150   Aus-

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Ein Teil dieses Kapitels erschien unter dem Titel »Ein endlos glückliches Ende ? Über das Ausstellen von Martin Kippenbergers ›The Happy End of Franz Kafka’s Amerika‹« in : Döhl, Frédéric / Feige, Daniel Martin / Hilgers, Thomas / McGovern, Fiona ( Hg.) : Konturen des Kunstwerks. Zur Frage von Relevanz und Kontingenz, München 2013, S. 159  ‒176. Seit der kritischen Kafka-Ausgabe von 1983 erscheint der Roman überwiegend unter dem ursprünglich vorgesehenen Titel Der Verschollene. Kippenberger, in : Kippenberger / Koether 1993, S. 150. Auch hierin könnte man eine in-

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gangspunkt seiner Realisierung ist das Setting der Einstellungsgespräche am Ende des Kafka-Textes. Besonders angesichts der prekären Marktsituation Anfang der 1990er Jahre und Kippenbergers zu diesem Zeitpunkt noch ausbleibenden Anerkennung im Kunstbetrieb lässt sich diese Arbeit daher als Allegorie auf die ewige Bewerbungssituation des Künstlers lesen – ein Thema, das in seiner Ausstellung Candidature à une Retrospective im Pariser Centre Georges Pompidou im selben Jahr noch einmal explizit werden wird. Nicht nur changiert The Happy End während der Laufzeit zwischen Bühne und Ausstellung, auch entzieht es sich gerade durch seine Kombination von Objekten eigener und fremder Autorschaft trotz zunehmender »Verwerkung« markttypischem Mechanismen wie dem Verkauf. Mit Kafka auf dem Fußballfeld Das finale, von Brod »Das Naturtheater von Oklahoma« überschriebene Kapitel von Kafkas Novelle beginnt mit dem jobsuchenden Protagonisten Karl Roßmann, dessen Aufmerksamkeit nach einer Reihe gescheiterter Versuche, in Amerika Fuß zu fassen, auf ein Plakat mit der viel zitierten Aufschrift gelenkt wird : »Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Theater in Oklahoma aufgenommen ! Das große Theater von Oklahoma ruft euch ! Es ruft nur heute, nur einmal ! Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer ! Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns ! Jeder ist willkommen ! Wer Künstler werden will, melde sich ! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort !«151

Verführt davon, dass jeder willkommen sei, unabhängig vom beruflichen Hintergrund, macht sich Karl auf den Weg nach Clayton, ohne sich über eine potenzielle Bezahlung – auch dies ein leidiges Thema im Kunstbetrieb – im Klaren zu sein. In Kafkas Romanfragment findet die Bewerbungssituation auf einem Rennplatz mit Tribünen statt. Grund hierfür ist der erwartete hohe Andrang an Bewerbern. Der Weg zu den nach Berufsgruppen aufgeteilten Aufnahmekanzleien führt zunächst zwischen den vor dem Eingang des Rennplatzes positionierten, bis zu zwei Meter hohen Postamenten hindurch, auf denen als Engel verkleidete Frauen mit goldglänzenden Trompeten stehen. Die geschilderte Situation erinnert an Bilder des Jüngsten Gerichts – auch hier wird geurteilt und bestimmten Gruppen zugeordnet ‒, vor dem der Protagonist verschiedene Personen aus den unterschiedlichen

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direkte Anspielung an Beuys und dessen Auseinandersetzung mit James Joyces Finnegans Wake sehen. Beuys hatte das Buch höchstwahrscheinlich ebenfalls nie ganz gelesen. Vgl. Riegel 2013, S. 154. Kafka, Franz : Der Verschollene. »Amerika«, Berlin 1995, S. 257.

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Abbildung 10 : Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika«, Ausstellungsansicht, Boijmans Van Beuningen Museum, Rotterdam, 1994

Etappen seines bisherigen Amerikaaufenthalts wiedertrifft. Gemeinsam werden sie nach ihrer Aufnahme in das »Theater« in einen Zug mit unbekanntem Reiseziel gesteckt. Dies jedoch entgegen der Ankündigung auf dem Plakat keineswegs als Künstler : Karl wird als technischer Arbeiter eingestellt und das unter dem Namen »Negro«, ohne Ausweis und Papiere. Kippenberger bleibt in seiner Adaption des Themas der kafkaesk-sportiven Atmosphäre im Großen und Ganzen treu, wendet aber zugleich die Gewichtung der Situation von einer Einzelsportart, wie sie ein Rennplatz impliziert, auf den Mannschaftssport : Die Tische und Stühle von The Happy End sind rasterartig auf grünem Kunstrasen mit den weißen Markierungen eines Fußballfeldes aufgestellt [ Abb. 10  ].152   Die Tatsache, dass in der literarischen Vorlage höchstens die als Engel verkleideten Figuren an Theater erinnern und jeder vielmehr sich selbst spielt, veranlasste Walter Benjamin zu der These, dass sich Kafkas Drama auf der Bühne des Welttheaters abspielt, »dessen Prospekt der Himmel darstellt«153, und bei dem Ort und Handlung direkt aufeinander bezogen sind. Bei Kippenberger nun ist die hierin implizierte Verbindung zur Natur einer künstlich konstruierten Situation gewichen : Seine Bühne für die schicksalsentscheidenden Bewerbungsgespräche ist innerhalb eines Museums aufgebaut; eines Ortes also, der der Präsentation von

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Das Feld hat genau genommen allerdings eher die Maße eines Handball- statt eines Fußballfeldes. Benjamin, Walter : »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages«, in : Ders. : Benjamin über Kafka. Texte, Briefzeugnisse, Aufzeichnungen, hg. von Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1981, S. 9  ‒ 39, hier S. 19.

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Kunstwerken dient und der im Fall des Rotterdamer Museums zudem den Anspruch erhebt, mit seiner Sammlung und den darin enthaltenen »Meisterwerken« die gesamte europäische Kunstgeschichte abzudecken. Auf den Tischen befinden sich mit Nummern versehene Aufsteller unterschiedlichen Designs, die den bürokratischen Unterton der Anordnung unterstreichen und sich als Persiflage auf die derzeit tonangebende Kontext-Kunst lesen lassen.154 Tisch 42 ist etwa laut zusätzlichem Messingschildchen »reserviert für Rainald Goetz« und nimmt damit explizit Bezug auf eine Person aus dem zeitgenössischen Kulturbetrieb, ohne dass diese je dort Platz genommen hätte.155   An den beiden Längsseiten sind, wie es typischerweise bei einem Sportplatz der Fall ist, hölzerne Tribünen aufgestellt, die für die Laufzeit der Ausstellung von einem Kinderzirkus in Rotterdam ausgeliehen wurden und rot angestrichen sind. Zudem laufen auf Monitoren, die über den Tribünen angebracht sind, Videos mit Aufnahmen aus dem Stadtbild New Yorks sowie von Cheerleadern, die angeführt von der damaligen amerikanischen Freundin des Künstlers ihm mit dem Spruch »Kippenberger is my man ! If he can’t do it nobody can !« zujubeln und damit das Setting nicht nur um die passende akustische Dimension erweitern, sondern zugleich für den ersehnten Applaus zugunsten des Künstlers sorgen.156   Zwei in dem rechten Tor aufgestellte Hochsitze, ein direkt auf dem Feld aufgestellter Bademeisterstuhl und ein Tennishochsitz, die die Engelspostamente Kafkas aufzugreifen scheinen, erlauben einen ( zumindest imaginierten ) Überblick von erhöhtem Standpunkt und implizieren die potenzielle Kontrolle über das Geschehen auf dem Platz.157

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Vgl. hierzu den für diese Diskussion tonangebenden Ausstellungskatalog Kontext-Kunst. Kunst der 90er Jahre, hg. von Peter Weibel, Ostfildern 1995, sowie Stefan Germers kritische Auseinandersetzung mit dem sich hieraus entwickelnden Diskurs und Weibels Stellung innerhalb dessen. Germer, Stefan : »Unter Geiern«, in : Texte zur Kunst 19 (1995 ), S. 83  ‒ 95. Vgl. Ausst.-Kat. The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika«, Deichtorhallen Hamburg, 12.02. ‒  25.04.1999, hg. von Zdenek Felix, Köln 1999, Abb. S. 54. Ein weiteres Motiv für die Betonung der sportlichen Atmosphäre war angeblich auch die Tatsache, dass sich Steffi Graf, John McEnroe, Boris Becker und Michael Stich aufgrund eines Tennisturniers in der Stadt aufhielten und zu einem Museumsbesuch verlockt werden sollten. Vgl. Kippenberger 2010, S. 463. Zwischenzeitlich wurden die Hochsitze auch in der von Hans Ulrich Obrist mitkuratierten Überblicksausstellung Qui ? Quoi ? Où ? über Gegenwartskunst des gerade wiedervereinigten Deutschlands im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris gezeigt ( 22.10.1992  ‒17.01.1993 )

III. K ippenberger  |  163

Ein großer Teil der Tische und Stühle stammt aus Kippenbergers eigener, über die Jahre gewachsener Sammlung von Designklassikern. Kombiniert sind diese mit Beständen aus der Möbelsammlung des Museums, eigens für die Ausstellung vom Künstler hergestellten Möbelobjekten sowie mit zum Teil leicht abgewandelten Kunstobjekten früherer Ausstellungskontexte – darunter etwa einige Skulpturen aus der Ausstellung Peter sowie das Eierkarussell und die vier Hochsitze aus der Ausstellung Deep Throat. Diese Präsentation eigener Kunstwerke unterschiedlichster Entstehungszeiten bietet daher auch einen retrospektiv angelegten Überblick auf seine eigene Ausstellungsgeschichte – die jedoch, wie hieran besonders offensichtlich wird, nicht unbedingt immer von Verkaufserfolgen geprägt war. Darüber hinaus sind auch Arbeiten anderer, meist mit ihm befreundeter Künstler aus seiner über die Jahre gewachsenen Kunstsammlung in die Ausstellung integriert, ohne extra als solche ausgezeichnet zu werden.158   So präsentiert sich auf dem aufgebauten Feld eine Mischung aus seriell Produziertem und Unikaten, ( zum Teil designhistorisch bedeutenden ) Gebrauchsmöbeln und im Kunstmarkt etablierter »Hochkunst« sowie deren jeweiliger ironischer Subvertierung, die sich insgesamt wiederum aus Leihgaben und Besitztümern des Künstlers unterschiedlicher Autorschaft zusammensetzen. Folglich konstituiert sich dieses »Werk«, von dem Kippenberger selbst als einer Ausstellung spricht,159 bei seiner ersten Realisierung in Rotterdam über Elemente, die zum Teil dem ausstellenden Ort ( das heißt der musealen Sammlung und dem architektonischen Kontext ) und zum anderen Teil seiner privaten wie künstlerischen Biografie geschuldet sind und die hier in eine vom Künstler festgelegte Ordnungsstruktur mit allegorischem Charakter gebracht werden. Alle Elemente auf diesem Feld werden so Teil eines »Kippenbergers« innerhalb einer von ihm konzipierten Ausstellung seiner Arbeiten. Die fiktive Dimension von The Happy End Die Art der Aufstellung und Zuordnung der Objekte liefert innerhalb des Ausstellungskontextes keinerlei Auskunft über ihre Provenienz. Diese Indifferenz gegenüber der Herkunft und Autorschaft der einzelnen Elemente innerhalb von The Happy End wird verstärkt dadurch, dass ihre situative Anordnung – zwei Stühle zu einem Tisch auf einem Fußballfeld – zum einen wiederum einen stark bildhaften

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Darunter befinden sich zum Beispiel eine Lampe von Cosima von Bonin sowie mehrere Stühle von Franz West. Dazu kommen einige Leihgaben aus den Beständen der Kunstgewerbeabteilung des Museums, einige Möbelstücke von einem Tischler aus St. Georgen sowie zahlreiche Möbel aus Kippenbergers eigenem täglichem Gebrauch in Wohnung oder Atelier. Kippenberger 1994, S. 5.

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Charakter hat ( auch hier existieren zahlreiche Aufnahmen aus der Vogelperspektive ) und zum anderen darüber hinaus, stärker noch als bei Put Your Eye in Your Mouth und Deep Throat, durch die Referenz auf den Amerika-Roman Kafkas als Ganzes eine fiktive Dimension erlangt. So können die einzelnen Kunstwerke und ( Design-) Objekte zwar jeweils als ästhetisches Objekt ohne weitere verfremdende Eingriffe durch Kippenberger wahrgenommen werden, erfüllen jedoch zugleich in ihrem Ausstellungszusammenhang eine funktionale Rolle in Bezug auf die Evokation einer fiktiven Sphäre. Dies wird besonders deutlich an den stellvertretend für die potenziellen Bewerber auf einigen der Stühle positionierten Figuren : so etwa bei dem Spiegel-Tisch mit Gliederpuppe oder dem Vom Papst geweihten Tisch mit den zwei afrikanischen Holzskulpturen sowie die ironisch auf die Skulpturen Henry Moores Bezug nehmenden und in diesem Kontext besonders stark anthropomorph wirkenden Hunger-Skulpturen an Tisch Nr. 1. Innerhalb der Inszenierung dieser Als ob-Situation wird ihnen der Anschein eines Modells von Wirklichkeit verliehen, verstärkt wiederum dadurch, dass viele der ausgestellten Objekte keine Kunstobjekte sind, sondern dem Alltagsgebrauch entstammen. Als Modell stehen die einzelnen Objekte primär für das, wofür sie Modell sind, d. h. ihre eigene Identität wird wenn nicht zum Verschwinden so doch – besonders wenn es sich um eigenständige Kunstwerke handelt – zum Oszillieren gebracht.160  Keiner der Künstler wurde nach seinem Einverständnis bezüglich der Aufnahme in The Happy End gefragt, vielmehr hat Kippenberger sich für seine Ausstellung einfach aus seinen Sammlungsbeständen bedient. Er legt damit vergleichbar mit einer thematischen Ausstellung eine ganz bestimmte Lesart dieser Arbeiten in Bezug auf das Gesamtthema nahe : Ein Stuhl von Franz West etwa ist in diesem Zusammenhang 1. ein Gebrauchsobjekt, nämlich ein Stuhl, 2. ein singuläres Kunstwerk, das auf den Autor Franz West zurückzuführen ist, 3. situationsbedingt ein Teil innerhalb der Kafka-Fiktion des »Happy Ends« und 4. der Teil eines Kunstwerks von Martin Kippenberger. So erfährt die in Kafkas Amerika geschilderte Situation in Kippenbergers The Happy End zum einen ihre szenische Umsetzung ins Dreidimensionale. Sie wird real anschaulich, ohne sich jedoch genau an die literarischen Vorgaben zu halten, und zum anderen – bedingt durch dieses ‒, eine Aktualisierung und Bezugnahme auf die heutige Zeit und die Rolle des Künstlers, der sich in einer »kontinuierlichen Bewerbungssituation« innerhalb der Szene, des Marktes und der Gesellschaft befindet. »Die Fiktion«, so heißt es bei Broodthaers, »macht es möglich, Wirklichkeit einzufangen, aber gleichzeitig auch das, was die Wirklichkeit verbirgt«.161

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Vgl. Danto, Arthur C. : Die Verklärung des Gewöhnlichen, Frankfurt am Main 1991, S. 256. Hier zitiert nach Crimp 1989, S. 71.

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Ähnliches behaupten Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch von der Ausstellung : Sie repräsentiere nicht nur das, was zu sehen ist, »sondern auch, was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen wird«.162   So verstärkt die Referenz auf den fiktiven Kafka-Text zugleich den direkten Weltbezug der in The Happy End dargestellten Situation, ihre Reflexion über das Künstlerdasein und dessen scheinbare, kafkaeske Züge tragende Ausweglosigkeit, ohne jedoch einem fadenscheinigen Realismus zu verfallen. Die Konstruktion dieses Weltbezugs ist dabei stets abhängig vom jeweiligen Rezipienten, der sich in die Situation als potenzieller Bewerber zu imaginieren hat und darüber animiert wird, eine – häufig vertraute – reale Situation hier für sich noch einmal durchzuspielen. Zugleich bestreitet Kippenberger jedoch, den Roman je ganz gelesen zu haben. Ob dies der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Deutlich wird jedoch an dieser Äußerung, dass ihm nicht an einer Eins-zu-eins-Übertragung eines literarischen Textes in eine Ausstellungssituation lag. Es handelt sich folglich bei The Happy End um keine Arbeit nach Kafka, sondern vielmehr um eine Adaption des Themas aus dezidiert Kippenberger’scher Perspektive – und damit auch aus einem ganz bestimmten zeitlichen wie räumlichen Kontext heraus. So ist die genaue Kenntnis der literarischen Quelle auch für den Betrachter nicht zwangsläufig notwendig, um – jenseits dieser ikonografischen Dimension – die Ikonik von The Happy End zu erfassen. The Happy End als Kippenbergers »Arena« Obwohl das Feld mit den Tischen und Stühlen bereits in seiner ersten Fassung durch Absperrbänder klar begrenzt wurde, war es dem Ausstellungsbesucher in Rotterdam gestattet, es mit blauen Schutzüberziehern zu betreten und sich durch die Anordnung der Objekte zu bewegen. Auf diese Weise wird er zum integralen Bestandteil der hier gebotenen Situation. Das Geschehen im Inneren des Feldes konnte dabei wiederum von außerhalb beobachtet werden. The Happy End besteht somit aus der klar umrissenen, inneren Struktur aus Möbeln und Skulpturen und liefert über die seitlich aufgestellten Zuschauerränge zugleich seinen zweiten Rahmen, der wiederum Teil von Kippenbergers Inszenierung ist. So ergibt sich eine Dialektik zwischen dem Einbezug des Betrachters und seiner Ausgegrenztheit, was dementsprechend auch verschiedene Modi der Teilhabe und somit auch der ästhetischen Erfahrung zur Folge hat. Besonders deutlich wird diese doppelte Struktur in den Fotografien von der Eröffnung der Ausstellung, bei der die Zuschauerränge vom Vernissagenpublikum besetzt waren, während auf dem Feld im Inneren ein

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Muttenthaler, Roswitha   /  Wonisch, Regina : »Zur Schau gestellt. Be-Deutungen musealer Inszenierungen«, in : Barchet, Michael  /  Koch-Haag, Donata  /  Sierek, Karl ( Hg.) : Ausstellen. Der Raum der Oberfläche, Weimar 2003, S. 53  ‒  64, hier S. 59.

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Akkordeonkonzert geboten wurde sowie an einzelnen Tischen verschiedene Lesungen von Personen aus dem engeren Bekanntenkreis des Künstlers stattfanden [ Abb. 11   ]. Ohne das Wissen der verantwortlichen Kuratoren hatte Kippenberger insgesamt acht Bücher in Auftrag gegeben, in denen jeweils ein Autor seine eigenen Fähigkeiten in der Art eines Bewerbungsgesprächs anpreist. So wird The Happy End an diesem Abend zur Kulisse der Auftritte einzelner Personen und tritt als eigenständiges Werk für die Dauer der Performances in den Hintergrund. Die ausgestellten Objekte verlieren dadurch temporär ihren Charakter eines zusammenhängenden Displays, das sich selbst präsentiert, und werden vielmehr zur Bühne eines Schauspiels, in dem sie den Status von Requisiten einnehmen. Zusätzlich liefert Kippenberger mit der Publikation B – Gespräche mit Martin Kippenberger seine eigene Version von Andy Warhols 24 Stunden abdeckender und gleichermaßen unredigierter Interviewmitschrift a : A novel (1968 ). Kippenberger bewarb sich damit »für eine Anstellung als Einstellungsinterviewer« und kehrt die über das Display evozierte Situation noch einmal um : Kippenberger tritt somit als Künstler innerhalb eines Museums für den selbstausgeschriebenen Posten desjenigen an, der die maßgeblichen Entscheidungen und Einteilungen im Naturtheater bzw. auf dem Fußballfeld trifft. Und er tritt nicht allein an, sondern bringt seine gesammelte Mannschaft mit; zum einen in Form der Möbelstücke und Skulpturen seiner Sammlung und zum anderen durch die Auftritte bei der Vernissage. So unterzieht er die Kunstwelt mit ihrer Aufteilung von Zuständigkeitsbereichen und Entscheidungsträgern einer kritischen Reflexion und erscheint selbst wiederum als jemand, der außerhalb dieser Strukturen agiert 163 und hier nun sein eigenes Verständnis von Künstlerschaft propagiert.164 Eine Rückanbindung an Kippenbergers eigene Rolle als Künstler lässt sich daher kaum ausblenden. The Happy End ist seine Arena, die – ähnlich wie diejenige von Beuys – durch die Zusammenstellung eigener künstlerischer Arbeiten aus unterschiedlichen Entstehungszeiten den Charakter eines Rückblicks auf den eigenen künstlerischen Werdegang und zugleich den einer Situierung in der von bestimmten Ritualen geprägten Kunstwelt in sich trägt. Kippenberger selbst hat The Happy End in einem Interview mit Daniel Baumann als »eine Bewegung, eine Übersiedlung in etwas anderes, ein[en] Übergang« bezeichnet : »Im Happy End of Franz Kafka’s Amerika sind das die verschiedenen Jahrzehnte, jeder erinnert sich mit Sicherheit an einen Stuhl, der für dich das und das verkörpert, schon bist du in der Zeit drin, wie so ein visuelles Nachschlepplexikon. Da können sich die Leute anhand

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Vgl. Loers 2007, S. 58. Vgl. von Bismarck 2010, S. 8.

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Abbildung 11 : Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika«, Aufnahme von der Vernissage im Boijmans Van Beuningen Museum, Rotterdam, 1994

von den Tischen und den acht Büchern, die 1994 anlässlich der Ausstellung in Rotterdam dazu erschienen sind, selber Gespräche, Einstellungsgespräche, die ihnen durch den Kopf gehen, machen. Plötzlich kommst du auf andere Gedanken und kannst dir eine Geschichte erzählen. Wie bei den Psychobuildings, die ich auf der Strasse gesehen und photographiert habe, die plötzlich so einen Reiz haben. Du entwickelst einen Blick, so dass du es für dich selber entdecken kannst.« 165

Als solches entzieht sich The Happy End einem klar umrissenen oder gar zeitlosen Werkbegriff, seine eigene Verfasstheit ist vielmehr bedingt durch die kontextuellen Bedingungen des ausstellenden Museums sowie Kippenbergers eigenem derzeitigen Standing in der Kunstwelt. So ist The Happy End einerseits als Statement des Künstlers zu einem spezifischen Zeitpunkt in Bezug auf seine Karriere und – v. a. in seinem Heimatland – auf die nach wie vor mangelnde Akzeptanz in der Kunstwelt zu verstehen. Dabei bezieht er den Betrachter als aktives Subjekt mit ein. In dessen Hand liegt es nicht zuletzt, The Happy End für Kippenberger auch tatsächlich zu einem solchen zu machen. Dadurch, dass das The Happy End über die vielen Anspielungen dezidiert im Zeitgenössischen verankert ist und ein eingeweihtes Kunstpublikum adressiert, wirft es aus heutiger Sicht nicht nur Fragen nach dem Ausstellen der Arbeit, sondern zugleich auch nach den sich wandelnden Rezeptionsbedingungen auf.

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Kippenberger, in : Baumann 1997, S. 24 und S. 28.

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Der Katalog als Erweiterung und Inventar der Ausstellung Im offiziell zu der Ausstellung erscheinenden Katalog wird das übergeordnete Thema von The Happy End unter dem auf der ersten Seite vermerkten Stichwort »Sollicitatiegesprekken« sowie dessen deutscher ( Einstellunggespräche ) und englischer (      job interviews  ) Entsprechung weiterverfolgt. Abgesehen von einer Auflistung seiner Einzel- und Gruppenausstellungen sowie Monografien, Künstlerbücher und Schallplatten am Ende des Buches enthält er ausschließlich überwiegend assoziativ zusammengestellte Abbildungen, die entweder den ausgestellten Objekten entsprechen oder darüber hinaus mit dem Thema der Ausstellung ikonografisch oder diskursiv in Verbindung stehen. Sie sind durchgängig mit dem Kürzel für niederländisch afbeelding »afb.« versehen166 und nummeriert‚ beginnend bei »afb. 1«, der Außenansicht eines Hauses, bis zu »afb. 330«, einem collagierten Blatt basierend auf einer Seite der New Yorker Daily News. Dazwischen finden sich Ansichten einzelner Stuhl- und Tisch-Situationen, teils aus der Ausstellung, teils aus Büro- oder Bar- und Cafékontexten, Porträts des Künstlers, ein Beurteilungsbogen zum Vorstellungsgespräch, diverse Peter-Skulpturen, verschiedene Ausstellungsansichten ( darunter auch von Deep Throat, sowie eine Ausstellungsansicht von Mike Kelleys Craft Morphology Flow Chart  )167 eigene Multiples, Zeichnungen und Gemälde sowie Ansichten aus dem Atelier und vom Entstehungsprozess einzelner Möbelstücke. Es gibt zahlreiche dokumentarische und historische Fotografien sowie Fotografien, die zum Teil direkt Kippenbergers Umfeld entstammen und etwa das SO36 oder die Paris Bar zeigen und Abbildungen von Arbeiten anderer Künstler wie beispielsweise die Zeichnung Ya tienen asiento aus Goyas Caprichos. Eine Auflösung dieser Nummerierung bleibt dem Betrachter bzw. Leser jedoch vorenthalten, sodass sich die Referenz an das Broodthaers’sche »fig.«, das er als Verweissystem zwischen Bild und Text erstmals in seiner Section Cinéma verwendete,168 geradezu aufdrängt. Seinen Ursprung hat dieses Verfahren in den frühen enzyklopädischen Werken des 18. Jahrhunderts, in denen »fig.« als Abkürzung von »figure« eine Illustration bezeichnet und die Textstelle hervorhebt, der diese Illustration dient. Die Kennzeichnung markiert folglich den Transfer einer Bild- in eine Textebene und impliziert darüber eine Kohärenz dieser beiden Ebenen. »Das Verweissystem ›fig.‹«, so hat es Rainer Borgemeister in Bezug auf Broodthaers formuliert, »gehört einer Vorstellung von Sprache an, die sich als transparent auf die Wirklich-

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Auf der ersten Seite des Katalogs sind in Klammern die deutsche und englische Variante [ Abb.] und [fig.] angegeben. Vgl. den Unterpunkt »Grablegung« im Kelley‐Kapitel, S. 251  ‒ 254. Januar 1971, in einem Keller in der Düsseldorfer Altstadt.

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keit hin erachtet, die sie bezeichnet.«169   Im Gegensatz zu Kippenberger vermeidet Broodthaers jedoch bei seiner Beschriftung von realen Gegenständen in dem wie ein Filmmuseum wirkenden Raum eine korrekte Nummerierung und beschränkte sich auf die Ziffern 1, 2, 12 sowie den Buchstaben A. Über diese Legenden der wie Filmrequisiten wirkenden Objekte entsteht so zum einen ein kontextueller Bezug zu seinem filmischen Werk und lässt sie zugleich als Darstellungen von etwas erscheinen. Borgemeister weist daraufhin, dass sich hieraus zwei Möglichkeiten ergeben : Zum einen setzt die Übertragung eine Äquivalenz zwischen Zeichen und Sache voraus, sodass der Betrachter aufgefordert ist, die Gegenstände in ein lexikalisches Ordnungssystem zu fügen. Zum anderen könne über den stark symbolischen Wert der Gegenstände ihre Bezeichnung als »fig.« wiederum vernachlässigt werden – Broodthaers selbst habe davon gesprochen, dass sich die Gegenstände »auf eine Art Roman über die Gesellschaft beziehen«.170   Über die Adaption eines enzyklopädischen Verfahrens wird somit letztendlich das Gegenteil erreicht und dessen scheinbar lexikalische Ordnung kontinuierlich gesprengt. Bei Kippenberger nun ist durch die Kontinuität in der Nummerierung ein stärker archivalischer Impuls gegeben,171 der den Anspruch auf Vollständigkeit impliziert, wobei dieser zugleich durch die fehlende sprachliche Bezeichnung des Abgebildeten und damit eines ( scheinbar ) eindeutigen Bezugssystems unterlaufen wird. Nicht zuletzt spielt Kippenberger durch die tatsächlich gegebene Situation sowie durch die Abbildungen im Katalog alle potenziellen Möglichkeiten des Aufbaus wie der Möblierung solcher Gesprächssituationen durch. Auch sie funktionieren zugleich und ähnlich, wie es Broodthaers konstatiert, als weitere, das Display ergänzende Elemente seines zu Ende geführten Kafka-Romans. Einige dieser Fotos finden wiederum unter Plexiglas Eingang in die Platte des Tisch mit Atompilzstuhl, sodass sich eine direkte Verbindung von der Ausstellungsituation zum Bildarchiv des Katalogs ergibt.

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Vgl. Borgemeister, Rainer : Marcel Broodthaers. Lesen und Sehen, hg. von Ulrike Grossart und Tyyne Claudia Pollmann, Bonn /  Berlin 2003, S. 148. Ebd., S. 150. Zu dieser Wendung vgl. Foster, Hal : »Ein archivalischer Impuls«, in : Michalka 2006, S. 49  ‒ 77.

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Zur Verwerkung von The Happy End Im Museum Boijmans Van Beuningen ist die Arbeit 1994 als »geometrische[s] und logische[s ] Zentrum der Ausstellung«, so ist es einer Kritik Tom Holerts zu entnehmen, »seinerseits eingerahmt von zwei Seitenkabinetten, in denen stattliche Mengen von Kunst-ander-Wand zu sehen waren – den Themenansatz ergänzendes, kommentierendes Bildmaterial aus Kippenbergers Atelier ( nochmals aufs Unterhaltsamste remixed im offiziellen Katalog der Ausstellung ).« 172

Auch sind hier wie schon ein Jahr zuvor in seiner das Thema des Bewerbungskandidaten bereits aufgreifenden Ausstellung Candidature à une Retrospective im Pariser Centre Georges Pompidou Vitrinen mit seinen zahlreichen Künstlerbüchern mit ausgestellt.173   Ob diese »beiden Flanken wiederum einem Frage-Antwort-Schema ( über den ›Tisch‹ des Hauptraums hinweg ) gehorchen«, bleibt offen. Holert hat es – so gesteht er in der Kritik ein – nicht weiter geprüft. In der Literatur findet dieser rahmende Aufbau sonst keine Erwähnung, auch das Archiv des Museums verfügt offenbar über keinerlei Dokumente mehr. Was also in seinem ursprünglichen Ausstellungskontext als Kernelement bzw. als eine Art Ausstellung in der Ausstellung fungierte, hat sich in den folgenden Jahren zu einem eigenständigen Werkkomplex entwickelt und zunehmend den Status als Kippenbergers Meisterwerk erhalten.174 Zdenek Felix, der 1999 eine Ausstellung um The Happy End in den Hamburger Deichtorhallen kuratierte, spricht von einem Schlüsselwerk für das Verständnis der künstlerischen Strategien Kippenbergers : »Es ist, wenn man so will, sein ›opus magnum‹, seine zentrale Arbeit, mit deren Vollendung er mehr als drei Jahre beschäftigt war.«175   Dies irritiert gerade angesichts der ausgeführten Überlegungen, ist das »Meisterwerk« eines bildenden Künstlers mit seiner Herkunft aus der Malerei in der Regel doch gerade unabdingbar an einen festen Werkbegriff gekoppelt und der Terminus der »Vollendung«, wie noch zu zeigen ist, hier alles andere als angebracht. Tatsächlich aber hat The Happy End mit der Zeit eine Art der »Verwerkung« erfahren, über die es aus seinem ursprünglichen Entstehungskontext herausgelöst

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Holert, Tom : »Aussitzer. Robert Irwin und Martin Kippenberger«, in : Texte zur Kunst 14 (1994 ), S. 188  ‒195, hier S. 190. Vgl. Loers 2007, S. 60. Dies rührt zum Teil wohl auch daher, dass Kippenberger anscheinend selbst davon gesprochen hat. Vgl. Kippenberger 2010, S. 458. Felix, Zdenek: »Von Kafka zu Kippenberger«, in: Ausst.-Kat. The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika«, 1999, S. 5 ‒ 23, hier S. 7.

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Abbildung 12: Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika«, Ausstellungsansicht , Turbinenhallerne Kopenhagen, 1998

wird und dabei Veränderungen in seiner Gesamtstruktur unterläuft. Mit der Zustimmung Kippenbergers wurde The Happy End zwei Jahre nach der Ausstellung in Rotterdam Teil der umfangreichen Gruppenausstellung Memento Metropolis.176 Ihre erste Station war die Turbinenhallerne in Kopenhagen [ Abb. 12 ], im Anschluss daran ging sie weiter nach Antwerpen (1997 ) und Stockholm (1998 ). Auf Vorschlag der Kuratoren Annesofie Becker und Willie Flindt wurde The Happy End zusammen mit einer Kopie von Théodore Géricaults Floß der Medusa (1819 )177 im Originalformat von 4,91 × 7,16 Metern ausgestellt, wobei Kippenberger selbst an dem Aufbau noch maßgeblich beteiligt ist [ Abb. 13 ]. Durch diese Gegenüberstellung wird das gesamte Arrangement in einen völlig neuen Referenzrahmen gestellt, der den Kafka-Bezug überlagert.178

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Jutta Koether bezeichnet diese Ausstellung im Gespräch mit Kippenberger als »anderes ›Ende‹ eines bestimmten Ausstellungstypus. Ewiger Abgesang der Grossausstellung« und fragt ihn, ob dieser nicht »ähnliche Gefühle wie ein Alterswerk« weckt. Kippenberger sieht den Anspruch dieser Ausstellung in einem »Kontrapunkt zur Documenta, die ja auch nicht mehr wird, was sie mal war«. Koether 1997, S. 62. Erstmals erschienen ist dieses Gespräch in Texte zur Kunst 3 (1991), S. 81‒ 95. Die Kopie befindet sich inzwischen im Besitz des Musée de Picardie in Amien. Nicht zuletzt gab dies den Anstoß für Kippenbergers eigenen Medusa-Zyklus, für den er sich von seiner Frau, der Fotografin Elfie Semotan, in den Posen der einzelnen Figuren auf dem Floß porträtieren ließ.

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Abbildung 13 : Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« (1994 ), Ansicht in der Ausstellung Memento Metropolis, Kulturfarbriken, Stockholm, Schweden, 1998

Zentrales Thema des erstmals 1819 im Salon im Louvre gezeigten Bildes ist das unauflösbare Spannungsverhältnis zwischen Zweifel und Hoffnung der Schiffbrüchigen hinsichtlich ihrer Rettung. Die Konfrontation mit diesem Gemälde von Géricault führt zu einer erhöhten Dramatik der Gesamtsituation, die in Stockholm durch das gedimmte Licht noch gesteigert wurde. In Analogie zu Géricaults Bildthema scheint es in diesem »Happy End« um die direkte Konfrontation mit dem Tod und um den Kampf ums nackte Überleben zu gehen – das für Kippenbergers Arbeit zuvor maßgebliche tragisch-komische Element tritt in den Hintergrund. Das glückliche Ende wirkt hier in so weite Ferne gerückt wie das rettende Schiff von Géricault, während die Bildhaftigkeit des Displays wiederum augenfälliger wird. Dieser Effekt wird zudem dadurch verstärkt, dass die Arbeit in Kopenhagen nicht betreten, sondern lediglich von der umlaufenden Empore des Raumes herab betrachtet werden kann. Auf Absperrbänder wird verzichtet, wodurch Kippenberger die vorhin beschriebene Dialektik von innen und außen zumindest teilweise aufhebt bzw. hier auf die zwei Ebenen des Raumes verschiebt. Viele der Details werden durch die große Entfernung zu den Objekten und der erhöhten Position des Betrachters der ästhetischen Erfahrung entzogen. Auch ist die Anordnung der Tisch-und-Stuhl-Kombinationen eine andere, in Kopenhagen ist sie stärker in die Länge gezogen, wobei die Skulpturen dichter zueinander gerückt sind und so eher den Eindruck eines »Skulpturen-Waldes« als den einer FeldSituation wie in Rotterdam erzeugen. Die Tribünen sowie der grüne Kunstrasen und damit die Markierung als Fußballfeld fehlen ganz. Die Leihgaben aus dem Rotterdamer Museum fallen weg, es gibt keine Lesungen und die Bücher werden auch nicht mit ausgestellt.179  Angesichts der weiteren Ausstellungsgeschichte von

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Der darauf folgende Aufbau in Antwerpen, der dieses Mal durch Kippenbergers damaligen Assistenten Johannes Wohnseifer erfolgte, bot wiederum eine völlig neue Situation. Durch Trennwände war die Arbeit isoliert von den anderen Exponaten der Großausstel-

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The Happy End drängt sich daher die Frage danach auf, wie viel Veränderung bzw. Variation der Ursprungsfassung sein darf, ohne dass das Werk an Qualität verliert, sofern die Begriffe »Ursprung« oder auch »Original« hier überhaupt angemessen sind. Nach dem Tod des Künstlers 1997 gewinnen diese Fragen gezwungenermaßen an zusätzlicher Relevanz. Wie beschrieben fanden viele der vor der erstmaligen Zusammenführung bis dato für den Künstler frei verfügbaren Objekte 1994 in The Happy End Eingang. Ihr »freies Flottieren« scheint posthum endgültig zum Stillstand gekommen zu sein. So bildet The Happy End als Ganzes wiederum einen End- bzw. Kulminationspunkt innerhalb Kippenbergers Œuvre, unterliegt dabei aber nach wie vor einer Eigendynamik. Zum heutigen Ausstellen von The Happy End Heute betreut Ulrich Strothjohann im Auftrag des Nachlasses den Aufbau von The Happy End in den verschiedenen Ausstellungshäusern der Welt. Hierfür gilt die erste Fassung aus Rotterdam als Orientierung, was die Ansicht stützt, dass dieser Fassung der Status eines Originals zuzuschreiben ist. Einen eindeutigen Aufbauplan, der eine exakte Wiederholung der Situation ermöglichen könnte, gibt es jedoch nicht. Aufgrund der enormen Maße dieser Arbeit wird heute mit einem Kernbestand von aus Sicht der Nachlassverwalter für die Konstitution von The Happy End relevanten Elementen gearbeitet, der je nach vorhandenem Platz mit einer Reihe von Variablen aus dem Gesamtbestand ergänzt werden kann. Dabei wird im Unterschied zu Kippenbergers Handhabung in Stockholm der Kunstrasen als eindeutig relevantes Element beibehalten. Zu den Konstanten auf dem Feld zählen unabhängig von der Grundfläche die vier Hochsitze, die bei jedem Aufbau jeweils in den angedeuteten Elfmeterräumen stehen. Von ihnen aus wird die Ausrichtung der anderen Tische und Stühle bestimmt. Da die roten Tribünen aus Rotterdam dem Kinderzirkus wieder zurückgegeben werden mussten, wurden von Strothjohann nach deren Maßen zwei neue Tribünen gebaut, die ebenfalls in der Länge je nach Raumsituation zwischen 13,5 und 20 Metern variieren können.180 Die einzelnen Sets von Tischen und Stühlen bleiben jeweils unveränderlich – Kippenberger selbst hat sie noch in seinem Atelier in St. Georgen fotografieren lassen ‒, nur ihre Anzahl und Nummerierung variiert von Aufbau zu Aufbau. Rotterdam ist die bisher größte Fassung. Im K21 in Düsseldorf beispielsweise betrug die

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lung und ließ mit ihrer einer Abstellkammer ähnelnden Präsentationsform an die PeterAusstellung von 1987 erinnern, so als wolle man seine Ausstellungsgeschichte in einem Zirkelschluss enden lassen. In den Deichtorhallen in Hamburg wurde 1999 dagegen eine metallene Fertigtribüne verwendet.

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Abbildung 14 : Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika«, Ausstellungsansicht, Museum of Modern Art, New York, 2009

Grundfläche 2006 mit 15  ×  20 Metern rund 150 Quadratmeter weniger und zeigte entsprechend auch eine geringere Anzahl an Exponaten. Die jüngsten Aufbauten im Rahmen der retrospektiv angelegten Ausstellung Martin Kippenberger. The Problem Perspective von 2009 im Museum of Modern Art New York und im Los Angeles County Museum of Art zeigen wiederum verschiedene Fassunge [ Abb. 14  ]. Die Anordnung wird also einem wenn auch losen Regelsystem unterworfen, das Kippenbergers Verfahren in Kopenhagen so nicht impliziert hat. Wie schon in Kopenhagen entfällt bei jeder dieser posthumen Aufbauten die am Eröffnungsabend hergestellte performative Dimension der Arbeit. Somit verschiebt sich mit jedem Aufbau aufs Neue das Verhältnis von relevanten und irrelevanten Elementen auf dem Fußballfeld – ohne Autorisierung durch den Künstler. Auch wenn Fotografien neuerer Realisierungen der Arbeit in Ausstellungskatalogen mit dem Jahr 1994 betitelt werden, ist das, was auf diesen Fotografien zu sehen ist, kaum mehr dieselbe Arbeit. Angesichts der geschilderten Ausstellungsgeschichte erscheint es somit fragwürdig, ob sich aus heutiger Perspektive überhaupt von einem Original des The Happy End mit folgenden, daran orientierten Rekonstruktionen sprechen lässt oder ob es nicht vielmehr immer wieder neue Varianten ein und derselben Arbeit sind, die mit einer entsprechenden Datierung versehen werden müssten. Ein Beispiel, das diesem Verfahren bereits zu Lebzeiten eines Künstlers konsequent folgt, ist Imi Knoebels erstmals 1980 ausgestellter Genter Raum. Er besteht aus 449 verschiedenfarbigen Holzplatten, die nach Farben sortiert gestapelt am Boden liegen oder übereinander gereiht an der Wand angebracht sind. Der jeweils vom Künstler durchgeführte Aufbau folgt einem auf

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sehr basaler Ebene mit The Happy End vergleichbaren Prinzip aus Regelwerk und freiem Spiel in Bezug auf die jeweilige Ausstellungssituation. Während die Stapel am Boden stets neu ausgerichtet werden und sich je nach gegebenem Raum in den Ausmaßen verändern, bleibt die Reihenfolge der Hängung an den Wänden nahezu unverändert. Und doch ist die Ursache für die variierende Wiederholung in Kippenbergers Fall eine andere : Sie ist größtenteils einfach dem Bedürfnis geschuldet, The Happy End überhaupt posthum zu zeigen und erfahrbar zu machen, d. h. sie ist viel stärker als in Knoebels Fall von außen bestimmt. Während man bei Knoebel im Sinne Gérard Genettes folglich nach wie vor von einer autografen Kunst sprechen könnte,181 die bereits in ihrer Konzeption auf Fortsetzung angelegt ist, bleibt bei Kippenberger fraglich, ob es zu Lebzeiten überhaupt zu einer derartigen fortwährenden Neupräsentation dieser Arbeit gekommen wäre. Dafür spricht, dass er in Kopenhagen selbst am Aufbau beteiligt war und die Gegenüberstellung mit der Géricault-Kopie seinen Zuspruch fand. Doch das Entscheidende ist, dass dies keine Wiederholung im Sinne einer Wiederkehr des Gleichen ist, sondern dezidiert eine Variation der ersten Fassung in Rotterdam, das heißt, die Arbeit wird hier in ihrer gesamten Ausrichtung auf die neue räumliche Situation bezogen und bewusst in einen anderen Kontext gestellt, ohne dass hierauf notwendigerweise weitere Präsentationen folgen müssen. Wenn man nun die erste Fassung von The Happy End, wie eingangs ausgeführt als Allegorie auf die fortwährende Bewerbungssituation des Künstlers und damit als initialen Text und Kafkas Amerika als seinen Prätext liest, so erhält jede neue Präsentationsform selbst wiederum über ihre Neuausrichtung allegorischen Charakter. Die Verschiebung von initialem Text und Prätext scheint so »ins Endlose hin angelegt« – eine Formulierung übrigens, die Kafka auch in Bezug auf seinen unvollendeten Roman verwendete.182  Dabei bleibt The Happy End eindeutig The Happy End, auch wenn die jeweiligen Präsentationsformen offensichtlich nicht identisch sind und sich die Beziehung von initialem Text und Prätext stetig neu ausrichtet.183   Sie bringen auch ohne dermaßen gravierende Eingriffe wie in

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Vgl. Genette, Gérard : Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt am Main 1993, S. 278. Dort heißt es : »[ D]ie Fortsetzung [unterscheidet sich ] insofern von der Weiterführung, als sie ein Werk nicht seinem Schluß zuführt, sondern, ganz im Gegenteil, über das hinausführt, was ursprünglich als ihr Schluß galt.« Vgl. auch Goodman, Nelson : Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt am Main 1997, v. a. S. 112  ‒115. Vgl. Kafka, Franz : Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, Frankfurt am Main 1976, S. 86. In den Deichtorhallen in Hamburg war die Arbeit beispielsweise mit einer Reihe seiner

176 |  III. A llegorien auf das K ünstlerdasein

Kopenhagen immer Neues hervor, wobei die Bedingungen wie zum Beispiel die Architektur des Ausstellungsraumes sowie die Einbettung in den jeweiligen Präsentationskontext die Erfahrungsmodalitäten dieser Arbeit maßgeblich mitbestimmen. Hierin liegt wiederum eine entscheidende Differenz zu Knoebels Verfahren : Seine Variationen beziehen sich v. a. auf die interne Struktur der Elemente in Bezug zum Raum, während im Fall von The Happy End die externen Elemente, also die Raumstruktur wie das diskursive Umfeld und der Ausstellungskontext Auswirkungen auf seine innere Ordnung, ästhetische Erfahrung und Bedeutungsdimension haben. Dabei verschiebt sich mit dem Ableben des Künstlers die Struktur von The Happy End als einem Konglomerat von Objekten unterschiedlicher Autorschaft, das wiederum unter der sie subsumierenden Autorschaft Kippenbergers erstmalig in Rotterdam 1994 präsentiert wurde, zunehmend zu einer Arbeit, die, vergleichbar etwa mit den musikalischen und performativen Künsten, allografen Charakter hat. The Happy End konstituiert sich heute in seiner jeweiligen vom Künstler losgelösten »Aufführung«. Dabei können Aufführungen, so Nelson Goodman in Sprachen der Kunst, »unterschiedlich sein hinsichtlich Korrektheit, Qualität und sogar hinsichtlich einer eher esoterischen Art von ›Authentizität‹; aber alle korrekten Aufführungen sind gleich echte Einzelfälle des Werks«184.  Damit unterscheiden sie sich von Kopien von Gemälden oder Grafiken, die einfach als Imitationen oder Fälschungen gelten müssen. Eine raumgreifende Arbeit, wie sie hier im Fokus steht, lässt sich zwar aufgrund ihres von Originalen abhängigen Objektcharakters prinzipiell nur schwer fälschen, doch impliziert jeder posthume Aufbau stärker noch als bei musikalischen oder schauspielerischen Aufführungen von Neuem eine Ermessensfrage, ein Agieren »im Sinne des Künstlers«, da Komposition bzw. Konzeption und Aufführung bzw. Aufbau hier zunächst gleichermaßen Teil der künstlerischen Produktion sind. Von Kippenbergers Aufbau in Rotterdam existiert immerhin ein Video, das zeigt, wie er scheinbar intuitiv die einzelnen Objekte auf das Feld schiebt, bis sie sich nach und nach zu einem Ganzen fügen. Dieses Gespür für die richtige Platzierung, die Kippenberger immer wieder bescheinigt wurde, ist heute mit keinem Aufbau wiederherzustellen. Und doch wird sich die Frage nach dem Verlust der Aura, wie sie sich etwa in Bezug auf Beuys’ Werk geradezu aufdrängt, bei Kippenberger nie so extrem stellen wie bei Beuys. Letzterer sah seine Ausstellungen immer auch als eine Art Demonstrationsraum für seinen Kunstbegriff und verstand das

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Selbstporträts zusammen ausgestellt, wodurch wiederum der Aspekt der Selbstdarstellung in The Happy End unterstrichen wurde, während es in New York und Los Angeles Teil einer Retrospektive war. Goodman 1997, S. 113.

III. K ippenberger  |  177

Reden über Kunst und sein Agieren innerhalb seiner Arbeiten als einen dessen maßgeblicher Bestandteile. Bei Kippenberger dagegen fungieren die einzelnen Objekte trotz ihrer allegorischen Dimension stärker selbst als Träger durchaus unterschiedlicher, bewusst offen angelegter Lesarten. Doch sollte hier zwischen zwei idealen Betrachtertypen unterschieden werden : zum einen dem Typus, der gut mit Kippenbergers Œuvre und der Ausstellungsgeschichte von The Happy End vertraut ist, und zum anderen dem Typus, der diese Arbeit ( besonders posthum ) das erste Mal sieht. Während sich ersterem durch eine kunsthistorische Aufarbeitung oder auch persönliche Involviertheit die unterschiedlichen Schichtungen, Anekdoten und Referenzstrukturen dieses Ensembles erschließen, wird letzterem die Arbeit primär als das erscheinen, was dort tatsächlich zu sehen ist. Und doch ist das Insiderwissen besonders in Kippenbergers Fall kein exklusives. Durch Texte, Gespräche und Interviews zieht es auch posthum weite Kreise und erlaubt so auch im Nachhinein ein komplexeres Verständnis der Arbeit. Ein Ende ohne Ende Wie Genter Raum oder Das Ende des 20. Jahrhunderts existiert auch The Happy End aus heutiger Perspektive immer im Plural. Dennoch ist es nicht einfach die Summe aller existierenden Varianten. Zwar scheint es posthum für die Präsentation von The Happy End weder relevant zu sein, ob die Anzahl der Tische und Stühle jeweils identisch ist, noch ob seine Maße beibehalten werden, die im Kontext dieser Arbeiten entstandenen Bücher präsent sind und in welchen übergeordneten Ausstellungskontext es eingebettet ist. Doch gilt es zwischen der künstlerischen Konzeption von The Happy End und dem heutigen pragmatischen Umgang mit ihm zu unterscheiden. Nicht die äußere Form, seine Ausmaße und die Anzahl der Bestandteile bestimmen heute die Konstitution der Arbeit, vielmehr generiert sie sich durch die komplexen Referenzen und Bezüge zwischen diesen und ihrer gemeinsamen Ausstellungsgeschichte. So hat Kippenberger mit The Happy End kein Spätwerk geschaffen, das einen Endpunkt innerhalb seines Œuvres bildet, sondern – angestoßen durch die Einladung zur Gruppenausstellung Memento Metropolis – eine nicht zuletzt unverkäufliche Struktur, die einer in ihr bereits angelegten, fortwährenden Dynamik unterliegt. Zugleich entzieht sich die Arbeit auf diese Weise und im Unterschied zu denen von Beuys nach wie vor einer Form der Musealisierung, die nach Adorno eben zugleich den Beigeschmack einer Mumifizierung trägt.185   Es ist zwar durch seine Ausstellungsgeschichte zu einem Kunstwerk geworden, existiert jedoch im Unterschied zu den Arbeiten von Beuys weitgehend jenseits von festgefahrenen institutionellen Strukturen fort. The Happy End ist ein

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Vgl. den Unterpunkt »Wider das Museum als Mausoleum« im Beuys‐Kapitel, S. 69  ‒ 74.

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endloses Ende geworden und in den verschiedenen posthumen Realisierungsformen nicht zwangsläufig immer glücklich. Bedingt durch das jeweils situationsspezifische Gefüge im Ausstellungsraum sowie die Einbettung in den übergeordneten Ausstellungskontext unterliegt die Arbeit heute eindeutig qualitativen Schwankungen sowohl in der Art der Präsentation als auch der ästhetischen Erfahrung, die sie uns ermöglicht. Die Einschätzung darüber, ob seine jeweilige Präsentationsform als gelungen oder nicht gelungen erachtet werden kann, hängt wiederum von dem Wissensstand und der Urteilskraft des jeweiligen Betrachters ab.

III. K ippenberger  |  179

Die Ausstellung

als

Anlass

zur

Reflexion

Der retrospektive Blick Der rückwärtsgewandte Blick auf das eigene Œuvre, wie es in The Happy End und Deep Throat bereits anklang, wird von Kippenberger seit den frühen 1990er Jahren v. a. über die Ausstellungstitel wiederholt explizit thematisiert. The Beginning was a Retrospective in der Londoner Galerie Karsten Schubert ( 05.12.1991 ‒11.01.1992 ) bildet den scherzhaften Auftakt einer Folge von Ausstellungen, die mit dem Format der Retrospektive spielen und die in seiner ersten tatsächlich retrospektiv angelegten Ausstellung 1997 in Genf mündet. Hieraus lassen sich Rückschlüsse ziehen auf Kippenbergers Verhältnis zu den institutionellen Konventionen und den unausgesprochenen Erwartungen an einen Künstler mittleren Alters, der bereits verschiedene Karriereschritte durchlaufen hat. Wie das Beispiel von Beuys’ Ausstellung im Guggenheim bereits zeigt, beinhaltet eine Retrospektive zugleich immer auch den Zug einer Ehrung, die im Unterschied zu den heutigen Gegebenheiten noch bis in die 1990er Jahre weitgehend posthum verliehen wurde. Kippenberger gehörte 1997 mit 43 Jahren paradoxerweise zu einem der jüngsten Künstler, dem diese Ehre zuteilwurde.186   Heute dagegen ist ein künstlerisch konzeptueller Umgang mit diesem Format unter Künstlern weit verbreitet. Über diese Modeerscheinung hinaus schwingt hierin ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der (akademischmusealen ) Historisierung des eigenen Œuvres mit. Eine Retrospektive impliziert, wie bereits in Zusammenhang mit Beuys’ retrospektiv angelegter Ausstellung im Guggenheim verdeutlicht, die Fügung in eine feste, wissenschaftliche Ordnung. Damit einher geht konsequenterweise die Herauslösung des Kunstwerks aus einem losen relationalen Gefüge, das kontextspezifisch stetig neu geordnet werden kann, so wie Kippenberger es zu Lebzeiten konsequent gehandhabt hat. Das Museum, so hatte ich den Künstler eingangs zitiert, ist für ihn »Altertumsquatsch«. Sein Spiel mit diesem Ausstellungsformat lässt sich daher v. a. als ein ( durchaus tragisches ) Ringen um Anerkennung sowie als ein Versuch der Selbstpositionierung ohne Historisierung werten. Hierfür bemüht er sein Umfeld, arbeitet mit Pastiches vorangegangener Ausstellungen und holt sich bei Experten Unterstützung. Ein durchlaufendes theoretisches Konzept wie etwa bei Broodthaers’ Serie an Retrospektiven wird man bei den hier zu diskutierenden Ausstellungen nicht finden, den Einsatz von Ironie zeichnet sie jedoch alle aus.

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Daniel Baumann, der für die Organisation dieser Ausstellung in Genf verantwortlich war, sieht hierin gar einen Wendepunkt innerhalb der Ausstellungspraxis hin zu einer steten Verjüngung der ausgestellten Künstler. Telefonat mit der Autorin am 24.08.2010.

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Am Beginn stand die Retrospektive Die Ausstellung in der Galerie Karsten Schubert ist Kippenbergers erste Ausstellung in Großbritannien und sollte dies zu Lebzeiten auch bleiben. Erst 2006, also posthum, widmet die Tate Modern Kippenberger eine umfassende Einzelschau.187 Der Bezeichnung »Retrospektive« wird sie schon durch den kommerziellen Kontext nicht gerecht, auch wenn Karsten Schubert durchaus wiederholt Ausstellungen mit dieser Betitelung versieht. Den maßgeblicheren Widerspruch zum Format der Retrospektive aber bildet der Umstand, dass fast alle der ausgestellten Arbeiten aus der allerjüngsten Vergangenheit stammen und hier nun erstmals in dieser Form und ohne weitere Kontextualisierung innerhalb seines bisherigen Œuvres präsentiert werden. Der Zugang zur Ausstellung The Beginning was a Retrospective erfolgt durch einen Vorhang aus Nudelhölzern und einer Pfeffermühle ( ohne Titel, 1991) [ Abb. 15 ], hinter dem sich ein mit den frühen Ausstellungen aus dem Peter-Kontext vergleichbares Sammelsurium an überwiegend skulpturalen Objekten eröffnet. Doch stärker als in seinen früheren Skulptur-Ausstellungen in kommerziellen Galerien verfolgt Kippenberger hier statt scheinbarer Willkür in der Platzierung verstärkt ein Prinzip des Einrichtens der vorgefundenen Ausstellungsarchitektur mit seinen Arbeiten. »If ›truth lies in the apartment‹«, wie Andrew Wilson Kippenberger in seiner Kritik der Ausstellung zitiert, »then this exhibition proposes the gallery as just such a protective and domestic space«.188   So verleiht diese Form der »Möblierung« der Galerie den vorrangig auf den Verkauf von Kunst ausgelegten Räumen eine privatere, wohnliche Atmosphäre, die jedoch zugleich durch die Art der darin platzierten Gegenstände, durch ihre ironischen oder parodistischen Verweise wieder in ihrer Heimeligkeit gebrochen wird. Zum Verweilen lädt hier wenig ein : Hinter dem erwähnten Vorhang sind im Erdgeschoss neben einzelnen Wandarbeiten einige skulpturale Arbeiten auf dem Boden platziert, über die man beim Eintreten zu stolpern gefährdet ist. Eine mit Cineastenabgängen versehene Treppe führt in den oberen Raum mit zwei Vitrinen, von denen die eine mit Katalogen von Giorgio Morandi bestückt ist, während die zweite Kippenbergers eigenes, im Zuge dieser Ausstellung publiziertes Künstlerbuch enthält. Unter dem Titel As Time Goes By hatte Kippenberger hierfür alle bisher von der Karsten Schubert Galerie publizierten Kataloge zu einem Buch zusammengeklebt und mit einem neuen

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Ausst.-Kat. Martin Kippenberger, Tate Modern, London, 08.02. ‒ 14.05.2006, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 10.06. ‒ 10.09.2006, hg. von Doris Krystof und Jessica Morgan, Ostfildern 2006. Wilson, Andrew : »Martin Kippenberger : The Beginning was a Retrospective. Karsten Schubert, London, 05.12.1991 ‒11.01.1992«, in : Forum International 12 (1992 ), S. 89.

III. K ippenberger  |  181

Abbildung 15: Martin Kippenberger, The Beginning was a Retrospective, Ausstellungsansicht , Karsten Schubert Gallery, London, 1991

Schutzumschlag versehen. Kippenberger nennt diese Ausstellung zwar The Beginning was a Retrospective, jedoch richtet sich der rückwärtige Blick vielmehr auf die Ausstellungsgeschichte der Galerie als auf die seiner eigenen Arbeiten und verweist zugleich ironisch auf seine – nicht vorhandene – Stellung innerhalb der britischen Kunstszene. Dabei »wickelt« er die Vorgängerausstellungen metaphorisch in sein eigenes Gewand und macht sie durch die Präsentation in einer Vitrine erst einmal unlesbar. Dies wiederum lässt sich so auslegen, dass man doch bitte vergessen möge, was bisher geschah, denn jetzt sei er am Zuge. In der Rhetorik zeichnet sich Ironie gerade dadurch aus, dass trotz der Negation einer Aussage bzw. der Behauptung des Gegenteils eines tatsächlichen Umstands vom Rezipienten – oder zumindest einem eingeweihten Kreis – ihr »wahrer« Sinn verstanden wird. Da die ironische Wendung somit zugleich ihren logischen Grund hindurchscheinen lässt,189 impliziert die Betitelung, auch wenn es sich bei dieser Ausstellung in der Tat um keine Retrospektive im traditionellen Sinn handelt und Kippenbergers nationale wie internationale Anerkennung seiner künstlerischen Leistungen derzeit noch auf sich warten ließ, vielmehr zugleich

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Japp, Uwe : Theorie der Ironie, Frankfurt am Main 1983, S. 67.

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den Anspruch, dass es hierfür durchaus an der Zeit wäre.190   So bekommt, was vorrangig komisch wirkt,191 in Kippenbergers Ausstellungsdisplay zugleich einen tragisch-ernsten Zug, der auf seine tatsächliche Situation innerhalb der Kunstwelt verweist.192 Der Ironiker distanziert sich von seiner Umwelt, er isoliert sich, um hierüber, wie Peter Szondi es ausdrückt, »seine kritische Lage durch Abstandnahme und Umwertung auszuhalten«.193   Die Umwertung bzw. im Hinblick auf die in der folgenden Ausstellung noch eine Rolle spielenden Situationisten besser noch das Détournement bestimmter Konventionen, wie es sich letztendlich durch alle Ausstellungsdisplays von Kippenberger hindurch zieht, demonstriert zugleich über die Distanzierung die Unabhängigkeit seines Urhebers im Kunstfeld. Er ist Zuschauer, auch wenn er der Handelnde ist.194   Wie bei der Allegorie wird auch über die Ironie der innere Zusammenhalt der einzelnen Exponate von The Beginning was a Retrospective gestärkt, doch ist Letztere vielmehr im Augenblick

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Kippenberger ging davon aus, dass er als derjenige gelten würde, »der die 80er Jahre erfaßt hat«, so wie Polke vor ihm die 1970er Jahre erfasst habe. Vgl. Kippenberger  /  Koether 1993, S. 17. Baudelaire beispielsweise zählt die Ironie zu »le comique absolu« und damit zu einer unendlich höheren Form des Komischen als die intersubjektive Art des Humors. Vgl. de Man 1993, S. 110. Besonders in Erinnerung geblieben ist diese Ausstellung durch einen wiederum höchst ironisch angelegten Artikel in der britischen Boulevardzeitung Daily Mirror, die im Zuge der Hochzeitsvorbereitungen von Lady Helen Windsor titelte »Have an art, Helen ! Well, would you want one of these as a wedding present.« Unter dem Foto des glücklich in die Kamera lächelnden Paares sind neben einer Ansicht der Galerie fünf Arbeiten Kippenbergers aus der Ausstellung mit angehängtem Preisschild und teils ironischen Unterschriften versehen (»COOL DOWN : The fridge has been signed«, »STEP UP : The cinema stairs cost £1,600 but those shoe boxes are beyond price« ), während der Autor des Artikels den Leser auf einen imaginären Ausstellungsrundgang durch »one of London’s daftest displays« mitnimmt. Auch hierbei wird sich v. a. über die Preise der Arbeiten mokiert, deren Berechtigung der Autor nicht Willens ist anzuerkennen : »Mr. Schubert could buy one of the works – all yet unsold – as a wedding gift for Helen. But he might risk getting dobbered with a rolling pin.« North, Nic : »Have an art, Helen !«, in : Daily Mirror vom 9. Januar 1992, S. 3. Hier zitiert nach de Man 1993, S. 117. Vgl. Kierkegaard, Søren : Über den Begriff der Ironie. Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates [1941], Frankfurt am Main 1976, S. 279.

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Abbildung 16 : Martin Kippenberger, Candidature à une Retrospective, Ausstellungsplakat, Centre Georges Pompidou, Paris, 1993

verhaftet 195 und klar von Subjektivität bestimmt.196   So kann der Einsatz von Ironie im Sinne einer ästhetischen Illusionsbrechung innerhalb des Displays – und hier sogar innerhalb eines kommerziellen, d. h. eigentlich zum Verkauf anregenden Rahmens – als klares Differenzkriterium zu einer herkömmlichen Galerieausstellung gelten. Das künstlerische Ausstellungsdisplay impliziert somit immer schon eine ihm eingeschriebene Reflexionsebene, in der Künstler (-kuratoren ) mit den zeitgenössischen wie kontextuellen Bedingungen der Ausstellung zueinander in Beziehung gesetzt werden.

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Vgl. de Man 1993, S. 124. Vgl. Kierkegaard 1976, S. 258.

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Kandidatur in Paris Auf London folgt als nächste Ausstellung Kippenbergers, die im Titel mit dem Wort »Retrospektive« spielt, ein Jahr später die gemeinsam mit Roberto Ohrt konzipierte Candidature à une Retrospective im Pariser Centre Georges Pompidou (15.06. ‒ 22.08.1993 ). Zeitlich darauf abgestimmt zeigt Kippenberger vorab zudem und ohne großen kommerziellen Erfolg in der Pariser Galerie Samia Samoua unter dem Titel Announcement for a candidature to a retrospective seine Kasperlebilder.197  Auch wenn der Titel einen engen Zusammenhang zu der Ausstellung im Pompidou suggeriert, ist diese Ausstellung eher dem Umstand geschuldet, dass sich Kippenberger gerade in Paris befand. Sie weist sonst in Bezug auf die Werkauswahl keine weitere Verbindung zur Ausstellung im Pompidou auf. Wie die »Candidature« im Titel beider Ausstellungen impliziert, nimmt Kippenberger hier bereits das ein Jahr später in The Happy End ganz offensichtlich zum Vorschein kommende Thema des Künstlers als Bewerbungskandidat im Kunstbetrieb auf. Dabei bewirbt er sich keinesfalls nur mit eigenen Arbeiten, sondern bringt einen ganzen Stab an Referenzen mit. Kippenberger tritt in Paris mit einer Ausstellung an, die neben neuen Gemälden v. a. seine Multiples und Publikationen zeigt sowie zahlreiche von ihm bei Künstlern aus seinem Umfeld in Auftrag gegebene Poster und Bestände aus seiner eigenen Sammlung mit überwiegend erotischen Motiven. Mit einer klassischen Retrospektive hat auch diese Ausstellung nicht viel gemein. Es ist vielmehr das Material, das, wie es in einer Kritik heißt, »die Argumente für eine Retrospektive gesammelt vorführt«198 und in diesem Sinne als öffentlich zugängige und betretbare Bewerbungsmappe zu begreifen ist.199 Kippenberger tritt auch in Paris nicht allein an, sondern stellt zugleich sein künstlerisches wie soziales Umfeld zur Schau. Das für die Ausstellung von ihm entworfene Plakat zeigt den Künstler umgeben von seinen Weggefährten anlässlich seines 40. Geburtstags in St. Georgen ( Marmelade, St. Georgen, 25.02.1993 ) [ Abb. 16   ].200   Darunter angeführt sind die Namen aller in der Ausstellung auf Wunsch Kippenbergers mit eingebundenen Künstler – bzw. derjenigen, die hier nun als Künstler gehandelt wurden : Alex, Bernard Buffet, Werner Büttner, Larry Clark, F. L. H., F. C. Gundlach, Valeria Heisenberg, Andi Höhne, Mike Kelley,

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Vgl. Kippenberger 2010, S. 474. Petzel, Friedrich : »Kelley-Kippenberger«, in : Texte zur Kunst 11 (1993 ), S. 198  ‒ 200, hier S. 199.  Im Pressetext heißt es : »La sélection de l’exposition a été composée de telle sorte que le résultat ne soit pas une candidature au sens classique, mais une installation mettant en cause le principe traditionnel de la création artistique et de sa mise en scène.« Farblich war das Plakat auf den Blauton der Metro-Schilder in Paris angepasst.

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Abbildung 17 : Martin Kippenberger, Candidature à une Retrospective, Ausstellungsansicht, Centre Georges Pompidou, Paris, 1993

Hubert Kiecol, Kley, Jeff Koons, Kora Krommer, Marzona, Allan McCollum, Albert Oehlen, Markus Oehlen, Perschalla, Richard Prince, Tobias Rehberger, Hanno Rink, Aura Rosenberg, Jörg Schlick, B. Schulsa, Wilhelm Schürmann, Cindy Sherman, Johannes Wohnseifer und Katharina Würthle. Kippenberger präsentiert sich in Paris inmitten seines sozialen wie künstlerischen Netzwerks, wobei die eigene Sammlung wie schon zuvor etwa in St. Louis neben den eigenen Arbeiten gleichberechtigt den Grundstock der Ausstellung bildet. Auch die Einladungskarte zeigt dieses Foto, allerdings ohne weitere Zusätze. Einladender Kurator des Hauses war de facto Fabrice Hergott ( und als dieser ist er auch auf der Website des Pompidous gelistet ), doch beauftragte Kippenberger Roberto Ohrt, die Ausstellung mit ihm vorzubereiten. Jener hatte schon zuvor Texte für bzw. über Kippenberger verfasst und bildet eine von jenem geschätzte Ausnahme unter den grundsätzlich vom Künstler wenig geschätzten Kunsthistorikern. In Paris dagegen scheint man nur mäßig begeistert von dieser Wahl. Das Rabauken- und Posertum der beiden wirkt dort eher befremdlich.201   Auf Ohrt ist die grundsätzliche Unterteilung der Ausstellung in die drei Bereiche Paris

201

Das geht aus einem im Archiv des Centre Georges Pompidou dokumentierten Briefwechsel hervor. Auch ist beispielsweise ein im Kontext der Ausstellung gefilmtes, sechsminütiges Video erhalten, in dem die beiden in einem Studio mit blauem Hintergrund rauchend und zum Teil mit Sonnenbrille eine Mischung aus ernsthaftem Interview und Lesungen in schlechtem Französisch aus dem Pariser Katalog von Immendorf, der vor Kippenberger in den Räumen ausgestellt hatte, und der im Taschen Verlag mit einem Text Ohrts erschienenen Monografie Kippenbergers vollführen. Das Video läuft mit französischen Untertiteln.

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Bar, Situationismus und Sexualität zurückzuführen, die so zwar in der Literatur angeführt wird, doch gerade die Bezeichnung des mittleren Bereichs aus den Rezensionen und Archivmaterialien nicht derart ausdrücklich hervorgeht. In Erinnerung geblieben ist die Ausstellung v. a. durch ihre 15 Meter lange Glasvitrine, die sich, zusammengesetzt aus neun Einzelvitrinen, durch alle der drei hintereinander liegenden Räume des Studios des Galeries Contemporaines zieht [ Abb. 17  ]. In ihr präsentiert Kippenberger seine Multiples sowie gesammelten Publikationen zusammen mit zahlreichen Katalogen anderer Künstler und einigen theoretischen Schriften. Kataloge von Hanne Darboven und Marcel Broodthaers werden hierbei ebenso zur Schau gestellt wie Künstlerbücher von Ed Ruscha und Dieter Roth sowie Ohrts eigene Monografie über die Situationisten Phantom Avantgarde.202   So sind Kippenbergers eigene, häufig als Pastiche angelegte Kataloge hier neben ihren jeweiligen Originalen sowie inmitten einer weit reichenden Referenzenstruktur von Theorie und künstlerischer Praxis zu sehen, wie es in der stärker konzeptuell ausgerichteten Kunst seit den 1990er Jahren zunehmend gang und gäbe wurde.203 Die Masse der Referenzen ist überwältigend, doch funktioniert ihre Offenlegung »hinter Glas« lediglich als visueller Teaser und kann vom Ausstellungsbesucher weder in die Hand genommen geschweige denn gelesen werden. Zwar wird hier für die Legitimation der eigenen Arbeit ganz offensichtlich der Verweis auf das künstlerisch-diskursive Umfeld Kippenbergers bemüht, und damit sozusagen sein »kulturelles Kapital« vorgeführt, doch bleibt der diskursive Rahmen selbst im Unterschied etwa zu Künstlern, die Leseräume in ihre Ausstellungen integrieren, gleichermaßen trostlos, durch ihr Hinter-Glas-Setzen vielmehr ins Absurde geführt. Den Auftakt der Ausstellung bildet eine kleine flache Vitrine, in der das Dossier und der Katalog zur Ausstellung ausgelegt sind. Letzterer ist wiederum als ein Pastiche des ebenfalls im Pompidou erschienenen und in der Büchervitrine mit ausgestellten Katalogs Is it about a Bicycle ? von Jörg Immendorff angelegt. Dieser hatte direkt vor Kippenberger mit einer gleichnamigen Ausstellung vom

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Ohrt, Roberto : Phantom Avantgarde. Eine Geschichte der Situationistischen Internationale und der modernen Kunst, Hamburg 1990. Vgl. hierzu z. B. Draxler, Helmut : Die Gewalt des Zusammenhangs. Raum, Referenz und Repräsentation bei Fareed Armaly, Berlin 2007 sowie Graw, Isabelle : »Mit besten Empfehlungen  /   Ein Roundtablegespräch über ›Referenzialismus‹ in der zeitgenössischen Kunst mit Dirk von Lowtzow, Pauline Olowska, Stephen Prina and Adam Szymyck, moderiert von Isabelle Graw«, in : Texte zur Kunst 71 ( 2008 ), S. 48 ‒ 67 und Rottmann, André : »Reflexive Bezugssysteme. Annäherung an den ›Referenzialismus‹ in der Gegenwartskunst«, in : Texte zur Kunst 71 ( 2008 ), S. 78  ‒ 94 . Vgl. auch das Unterkapitel »Reflexion statt Rebellion?« im Pernice‐Kapitel, S. 388  ‒  391.

III. K ippenberger  |  187

Abbildung 18 : Martin Kippenberger, Candidature à une Retrospective, Ausstellungsansicht, Centre Georges Pompidou, Paris, 1993

17. März bis 12. April 1993 die Räume bespielt. Bezieht sich Kippenberger hier einerseits auf die unmittelbare Ausstellungsgeschichte des Pompidous, setzt er sich andererseits bewusst in Beziehung zu einem der bekanntesten und international geschätzten deutschen Maler der Zeit, als wollte er dessen Platz einnehmen. Mit dem Pastiche wendet er ein v. a. aus der postmodernen Literatur bekanntes und für den Zeitgeist zentrales Verfahren an, das selbst wiederum von einem ironischen Zug und dessen Nachahmung in der Regel von einer kritischen bzw. bewertenden Haltung gegenüber der Vorlage geprägt ist, die von Verspottung bis bewundernde Anlehnung reichen kann.204   Konkret in den hier erwähnten Fällen trägt sie zu einer spielerischen Aufwertung der eigenen Position bei – vorausgesetzt, man erkennt das Pastiche als Pastiche. So impliziert dieses Verfahren bestimmte Kompetenzen auf Seiten der Betrachter und bringt damit zugleich ein Distinktionsmerkmal mit sich – denn demjenigen, der diese Referenz nicht erfasst, wird der Witz und damit ein für Kippenberger ganz wesentlicher Zug entgehen. Als nächstes sieht sich der eintretende Besucher mit einem von Jeff Koons entworfenen Plakat konfrontiert, das dieser ursprünglich für Kippenbergers 1990 in der Luhring Augustine Hetzler Galerie stattfindenden Ausstellung fertigte und das

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Vgl. Dryer, Richard : Pastiche, Abingdon 2007, sowie Genette 1993, S. 131.

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nun auf einer mit der Tapete Keiner hilft keinem versehenen, frei im Raum stehenden Wand auf Kopfhöhe hängt. Hierauf ist vor einem Porträt von Koons ganz im Sinne eines Ausstellungsmottos zu lesen : »Jeff Koons thinks, Martin Kippenberger is great, tremendous, fabulous, everything.«205   Die 29 weiteren, von verschiedenen Künstlern für Kippenberger angefertigten Plakate sind gegenüber in drei Reihen direkt auf die Wand aufgeklebt und bilden damit indirekt weiteren Support. Auf der Rückseite der Wand mit dem Koons-Plakat hängt ebenfalls vor der Tapete Kippenbergers Ölgemälde Bitte nicht nach Hause schicken (1983) [ Abb. 18  ], das in diesem Kontext seinem Wunsch zu kandidieren noch einmal Nachdruck verleiht und ihn zugleich im Kontrast zu den rühmenden Worten Koons als hilflosen und alleingelassenen Künstler charakterisiert. Vom Eingang aus an der rechten Wand hängt – als humorvolle Anspielung auf die einladende Stadt – das großformatige Ölgemälde Paris Bar (1993 ), auf dem bekanntermaßen selbst wiederum eine von Kippenberger in der Berliner Paris Bar vorgenommene Hängung zu sehen ist. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes wird dieses Bild mit seinem ›realen‹ Pendant konfrontiert : 17 kleinformatige en bloc gehängte Zeichnungen, Gemälde und Fotografien unterschiedlicher Urheber, die normalerweise in der Berliner Paris Bar ihren Platz hatten, finden hier ihren »Ausstieg« aus dem als mise en abyme angelegten Bild. Der Raum zitiert so zu Teilen Kippenbergers informellen Ausstellungsraum der Bar und überträgt diesen zugleich in den institutionellen Rahmen des Pompidous, ohne dass er jedoch die gesamte Atmosphäre der Lokalität samt Mobiliar wiederzugeben versucht.206   Vielmehr führt die Verschiebung des rahmenden Settings zu einer Nobilitierung der ausgestellten Arbeiten wie ihrer Hängung als bewusst intendierte von »Kneipenkunst« zum Museum.207   Mit der Konsequenz, dass die enge Verbindung von Leben und künstlerischer Produktion, wie sie in der Paris Bar einherging, hier völlig ausgeblendet wird. Der Raum ist also keine Reprä-

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Dies war zugleich der Titel einer Ausstellung in der Luhring Augustine Hetzler Galerie, Santa Monica in Kalifornien 1990. Ein Gegenbeispiel hierfür wäre Werner Büttners 2010 vorgenommene Rekonstruktion des Restaurants Jena Paradies im Hamburger Kunstverein. http://kunstverein.de/ausstellungen/archiv/2010-2019/2011/20101218-wernerbuettner.php  ( Abruf am 12.12.2013 ). Im Rahmen der Ausstellung Pop Life. Art in a Material World wurde dieser erste Raum rekonstruiert. Sie wurde in der Tate Modern, London ( 01.10.2009  ‒17.01.2010 ), der Hamburger Kunsthalle, Hamburg (15.02. ‒   09.05.2010 ) sowie The National Gallery of Canada, Ottawa (11.06. ‒ 19.09.2010 ) gezeigt. An die Stelle der originalen Paris Bar rückte hierbei die originalgetreue Replik Homage to Martin Kippenberger von Daniel Richter ( Öl auf Leinwand, 200 × 380 cm, 2004 ), das nach dem Verkauf des Originals an das Auktionshaus Christie’s in der Paris Bar seinen Platz einnahm.

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Abbildung 19: Martin Kippenberger, Candidature à une Retrospective, Ausstellungsansicht, Centre Georges Pompidou, Paris, 1993

sentation der Paris Bar noch seines »Künstlerlebens«, wie es die Ausstellungskonzeption suggeriert, und kann es innerhalb eines solchen Ausstellungsformats auch gar nicht sein. Dennoch vermittelt diese »Mehrstimmigkeit« des Displays nicht nur einen Eindruck von Kippenbergers kulturellem, sondern eben auch sozialem Kapital im Sinne Bourdieus. Rechts neben dem Durchgang in den zweiten Raum hängt aus Kippenbergers Serie der Preisbilder der 8. Preis (1987 ), der wiederum als selbstironischer Kommentar zu seinem eigenen Standing innerhalb der Kunstwelt und besonders im Vergleich zu Albert Oehlen zu sehen ist.208  Letzterem bleibt laut Kippenberger stets der erste Preis vorbehalten. Der quer zum Durchgang in den zweiten Raum aufgehängte Nudelvorhang Per Pasta ad Astra (1989 ) bildet die Überleitung der beiden Räume. Im zweiten Raum hängen neun neue Ölgemälde mit dem Titel Die Erfindung eines Witzes (1993 ), die aus einzelnen Vergrößerungen einer humoristischen Zeichnung bestehen und die sich, so Friedrich Petzel in seiner Kritik der Ausstellung, »als Witz zusammenhängend lesen« lassen.209   Die hintere Wand zwischen den beiden Durchgängen in den dritten Raum ist mit dem aus vier Bögen zusammengesetzten Fotoposter Tankstelle Martin Bohrmann (1986 ) versehen,

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Von Kippenberger ist der Spruch überliefert : »Ich will der Beste unter den Zweitklassigen sein.« Kippenberger 2010, S. 481. Der erste Preis war ihm zufolge Albert Oehlen vorbehalten. Petzel 1993, S. 199; im Pressetext heißt es : »Il est facile de comprende que les neuf tableaux sont les neuf pièces d’un tableau éclaté.« 

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das in der Mitte durch die Vitrine durchbrochen wird und erstmals als Teil einer umfassenden Installation zu dem Thema in seiner ersten deutschen Museumsausstellung Miete Strom Gas im Hessischen Landesmuseum Darmstadt gezeigt wird. Im dritten Raum endet die eine zentrale Achse durch die Ausstellungsräume schlagende Büchervitrine ummantelt von einer Kombination aus drei verschiedenen, an der Decke angebrachten Vorhängen : dem bereits in London ausgestellten Nudelrollenvorhang o. T. (1991) sowie dem aus den Grugahallen stammenden Batik-Vorhang aus Hanf Von Zappa bis Abba (1978 ) und Business-Class, einem Vorhang aus Siebdruck auf Metall und Stoff von 1989.210   Primär jedoch mutet dieser Raum wie eine Art erotisches Privatkabinett an. Die bereits im Zusammenhang mit dem Kunstverein Kippenberger erwähnten, erotisch bis pornografisch aufgeladenen Fotos, Zeichnungen, Bilder, Collagen aus der Sammlung SuMa waren, verteilt über die drei Wände, streng über- und unterhalb einer imaginären Linie gehängt [ Abb. 19 ]. In der Mitte der abschließenden Rückwand befindet sich, diese Linie durchbrechend, das großformatige, bereits aus Deep Throat vertraute, dreiteilige Ölgemälde Lindas Lachen (1991). So trägt die Strenge der Hängung, ihr Ordnungsraster, auf zunächst irritierende Weise zu einer Legitimierung des hier Ausgestellten bei. Zugleich wird in diesem hinteren Raum das Sammeln selbst zum Thema und Gegenstand der Ausstellung und gerade durch die Auswahl von Erotika nun als eigener Fall von Fetischismus vorgeführt.211 Die Ausstellung als Ganze ist insofern reflexiv angelegt in Bezug auf Kippenbergers Dreifachrolle als Künstler, als Kurator und nicht zuletzt als Sammler – eine Rolle die, wie eingangs erwähnt, seit den frühen 1990er Jahren zunehmend sein Interesse bestimmt. Alle drei hiermit verbundenen Praktiken können innerhalb der Ausstellungssituation nicht unabhängig voneinander rezipiert werden und repräsentieren neben dem sozialen und kulturellen über die Sammlung nicht zuletzt auch sein ökonomisches Kapital. Kippenberger bewirbt sich vor französischem Publikum somit dezidiert als ein Artist at large, der nicht nur unterschiedliche Medien und Formate in seiner eigenen künstlerischen Praxis bedient und seine »immateriellen« Kompetenzen ( oder wenn man bei Bourdieu bleiben möchte, sein inkorporiertes Kapital ) gleich mit vorführt, sondern zugleich auch dessen

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Laut Ausstellungsskizze handelt es sich des Weiteren um einen »Grugahallenvorhang« und einen weiteren Vorhang, dessen Bezeichnung ich leider nicht entziffern kann und der auch auf keinem der Installationsfotos gut erkennbar ist. Freud bringt den Trieb des Sammelns mit dem Wiederholungszwang in Verbindung. Vgl. Freud, Sigmund : »Über das Unheimliche [1919 ]«, in : Ders. : Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet [ reprint ], Bd. 12, hg. von Anna Freud et al., London 1955, S. 229  ‒ 268, hier S. 251.

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( ironisch-augenzwinkernde ) Verortung innerhalb der Kunstwelt sowie Einbettung in die Kunstgeschichte vollzieht und diese wiederum kommentiert. Dies jedoch, ohne explizit theoretisch zu werden, rein über die Ausstellungsdisplays – und der in diesem Zusammenhang erscheinenden Publikation und Ephemera wie Plakate und Einladungskarten. Kippenberger lässt hier zu großen Teilen andere Künstler im übertragenen Sinne für sich sprechen, er instrumentalisiert sie zu seinen Zwecken, ohne dass dabei jedoch die Wertschätzung ebendieser Künstler Einbußen hinnehmen muss – einige erfahren umgekehrt vielmehr eine Aufwertung. So muss hier vielmehr und entgegen der herkömmlichen Ausstellungspraxis einer Einzelposition von einer klar gerichteten Dialogizität gesprochen werden und eben nicht etwa einfach von Interpikturalität oder einem Hyperimage, wie Felix Thürlemann es ausdrücken würde.212   Kippenberger geht durch diesen Zug einerseits einen Schritt hinter die Präsentation einer Einzelposition zurück und schlägt damit das wohlwollende Angebot von Fabrice Hergott, in voller Bandbreite dem französischen Publikum sein Œuvre zu unterbreiten, auf fast paradoxe Weise aus. Zugleich wird darüber seine eigene Position als vermeintliche Autorität im Kunstfeld gestärkt. Für die Realisierung dieses Konzepts war er auf Roberto Ohrt und dessen Sprachkenntnisse angewiesen. Doch nicht zuletzt wird an dieser Ausstellung deutlich, dass eine Retrospektive von Kippenbergers Œuvre im konventionellen Sinne als eine ordnende, objektbezogene Präsentationsform nur scheitern kann – nicht umsonst hieß eine der jüngsten retrospektiv angelegte Ausstellung in Los Angeles und New York The Problem Perspective ‒, da Kippenbergers künstlerische Praxis weit darüber hinausgeht. Auch wenn er selbst die Plakate und Bücher als Quasi-Stellvertreter seines umfassenden Netzwerks und künstlerischen Kontextes auswählt, bleiben sie Pappkameraden und seine »Kandidatur« eine zweischneidige Sache. Denn auch das Scheitern und damit die Ablehnung von institutioneller Seite muss als immanenter Teil und und stetiger Antriebspunkt innerhalb seiner Praxis begriff werden. Annahme der Kandidatur in Genf Erst vier Jahre nach seiner Candidature erfolgt Kippenbergers erste tatsächlich retrospektiv angelegte Ausstellung, auch diese bezeichnenderweise im Ausland. In deutschen Sammlungen war Kippenberger zu diesem Zeitpunkt nach wie vor kaum vertreten, wie Daniel Baumann, der Kurator der Genfer Ausstellung Martin

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Vgl. Thürlemann, Felix : »Vom Einzelbild zum ›hyperimage‹ : eine neue Herausforderung für die kunstgeschichtliche Hermeneutik«, in : Neschke-Hentschke, Ada  /  Gregorio, Francesco  /   König-Pralong, Catherine ( Hg.) : Les herméneutique au seuil du XXIème siècle – évolution et débat actual, Paris 2004, S. 223  ‒ 247.

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Kippenberger. Respektive 1997  ‒1976, betont.213   So war auch dieses Unterfangen des Mamco, das jedes Jahr einem zeitgenössischen Künstler aus ihrer Sammlung eine Retrospektive widmet,214 aus finanzieller Hinsicht durchaus heikel. Einige Geldgeber sprangen ab, da ihnen Kippenberger nach wie vor zu unseriös erschien.215   Viele der gezeigten Arbeiten entstammen daher Kippenbergers Depot, in dem zu diesem Zeitpunkt Baumann zufolge etwa 1.000 Arbeiten lagerten.216   Auch Kippenberger selbst schien dieses Format nicht ( mehr ) ganz geheuer. Die spielerische Betitelung als »Respektive«, dessen lateinischer Ursprung respectivus sich als »beachtenswert« übersetzen lässt, im Deutschen standardgemäß jedoch als Ausdruck für »besser gesagt« oder »beziehungsweise« verwendet wird, zeugt hiervon. Der hier veranschlagte Rückblick sei, so Kippenberger, »ekelerregend. Also mich langweilts. Ich glaube, ich habe doch meine Anerkennung durch ein paar Leute bekommen, die ich verstanden habe.« 217   Und trotzdem bietet er für Kippenberger

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Die Ausstellung lief vom 30.01. bis 25.05.1997 und wurde im darauffolgenden Jahr, also posthum, auch im Castello di Rivoli, Museum of Contemporary Art in Turin gezeigt (10.02. ‒ 13.04.1998 ). In der Pressemappe des Museums heißt es hierzu : »La rétrospective annuelle est consacrée à un artiste dont l’œuvre est déjà présente dans la collection du musée. Le but du musée est d’offrir une plus large connaissance d’un travail attentif au passé immédiat ainsi qu’au présent, tout en le marquant à son tour. La rétrospective cherche à montrer les différentes étapes du développement d’un travail, à exposer l’œuvre au regard critique et à rendre possible l’accès à un nombre d’œuvres non présentes dans la collection du Mamco. De plus, la rétrospective souhaite stimuler une discussion avec l’art des trente dernières années également au niveau de l’histoire de l’art ; une discussion qui, à notre avis, fait toujours défaut.« Kippenbergers Retrospektive war die Zweite in dieser Serie. Telefonat mit Daniel Baumann am 24.08.2010. Ebd. Im Interview mit Baumann äußert sich Kippenberger außerdem wie folgt : »Bei der Herstellung werde ich extrem sentimental. Wenn es mir dann noch gelingt, werde ich ein ganz grosser Schnulzenfutzi. Früher habe ich das so gehandhabt, dass ich alle Bilder, auch das beste aufhing zum Verkauf. Aber ich sage den Leuten nicht, welches mein Lieblingsbild ist, und warte, bis die Ausstellung vorbei ist. Dann stelle ich es bei mir ins Lager, und es ist unverkäuflich. So ungefähr zwei Bilder pro Ausstellung.« Martin Kippenberger in : Baumann 1997, S. 36. Im Interview mit Jutta Koether von 1991 formuliert er seine Aversion gegen Museumsdirektoren explizit: »I use every available possibility on the hopes of building up something that stands by itself and talks on its own, since before I get the recognition of ›the others,‹ like ›hanging in the museums,‹ well, I imagine I’m waiting for the hanging of the museum directors. But that’s not about to happen.« Kippenberger, in : Koether 1991, S. 91.

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die Möglichkeit, über drei Etagen auf insgesamt 1.800 Quadratmetern in voller Bandbreite zu zeigen, was er bis dato produziert hat und sich hierfür Bestätigung einzuholen. Die im Titel der Ausstellung festgelegten Eckdaten 1976, dem Jahr, in dem sich Kippenberger entschied »professionell Kunst zu machen«,218 und 1997 markieren durch seinen hierin scheinbar vorweggenommenen Tod im selben Jahr den seine gesamte Schaffensspanne umfassenden Zeitraum. Die Einladungskarte zeigt eine Schwarz-Weiß-Fotografie von Elfie Semotan, auf der Kippenberger, den Blick aus dem Bild heraus nach oben gewendet, mit nacktem Oberkörper und ausgebreiteten Armen vor grünem Hintergrund zu sehen ist – eines der Fotos, das die Grundlage für Kippenbergers letztes Projekt, den Medusa-Zyklus (1996  ), bildet und ihn als dem Tod geweihten, tragischen Helden erscheinen lässt. Im Vergleich zu Paris war diese Ausstellung tatsächlich primär repräsentativ angelegt und bestand überwiegend aus eigenen Arbeiten,219 doch tritt der Künstler auch hier nicht ganz allein auf. Eingeladen waren laut Pressetext ganz offiziell Kippenberger »et ses amis«. Die etwa 350 Exponate aus 20 Jahren umfassende Ausstellung ist streng nach Werkgruppen und somit auf Wunsch Kippenbergers betont didaktisch aufgebaut. Der Gefahr, über eine Retrospektive einer dem Œuvre nicht angemessenen ordnenden Logik zu verfallen, begegnet der Künstler so mit ebendieser ( Un-) Logik. Die Didaktik des Ausstellungsaufbaus wird zugleich ins Absurde geführt, indem er etwa in einem Raum seine Skulpturen nach dem rein formalen Kriterium der Größe anordnet und, wie beispielsweise in dem Raum mit seinen Lampenskulpturen, streng hintereinander in einer Reihe aufstellt. Somit setzt Kippenberger einerseits dezidiert auf eine »blöd museale Schau«,220 deren Werkauswahl in enger Absprache mit dem Kurator erfolgt, und liefert andererseits ein Ausstellungsdisplay, das dezidiert seine künstlerische Handschrift trägt. Drei der Räume im zweiten Stock des Hauses sind von ihm bereits zur Eröffnung des Mamco 1994 aus den Beständen seiner Sammlung kuratiert und dort regelmäßig gezeigt worden. Sie sind unterteilt in die Sektionen Büro Martin Kippenberger, Passage des problèmes solubles sowie Galerie des problèmes résolus und

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Kippenberger, in : Baumann 1997, S. 8  f. Im Pressetext von Daniel Baumann heißt es : »La Respektive du Mamco, qui fait suite sa Candidature à une rétrospective au Centre Pompidou à Paris en 1993, cherchera à rendre accessible son œuvre. Sa première Respektive réunira un ensemble représentatif de son travail  : vingt années de produciton ilimitée, d’ironie et d’absence de style. Elle metrera non seulement les tableaux d’un très bon peintre, mais également une œuvre qui assume une grande liberté intellectuelle, une intensité rare et un sens aigu de l’humeur.« Ebd.

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Abbildung 20 : Martin Kippenberger : Respektive 1997 – 1976, Ausstellungsansicht, Mamco – Musée d'Art Moderne et Contemporain, Genf, 1997

bilden während der Respektive somit eine Art künstlerkuratierte Ausstellung in der Ausstellung, die wiederum ausdrücklich seiner Sammlung und seinen Freunden gewidmet ist. Sie enthält Arbeiten von Michael Krebber, Ulrich Strothjohann, Michael Würthle sowie eine Präsentation des Museum of Modern Art Syros. Die anderen Räume der Ausstellung sind nüchtern in insgesamt 25 Sektionen aufgeteilt und werden auch von der Kritik dementsprechend rezipiert. »Die Ausstellung in Genf macht klar […]«, heißt es beispielsweise in Daniel Kurjaokovićs Rezension, »dass Kippenberger gar nicht so sehr der Querulant ist, als den das Kunstpublikum ihn zu sehen erzogen worden ist. Erstaunlich würdig mutet denn auch seine Antiretrospektive an, mit ihren an eleganteste Museumskultur erinnernden ›Sektionen›, die ein zwar vielgliedriges, aber kohärentes Ganzes nahelegen, das sich beinahe logisch ausbreitet.« 221

Dabei beginnt die »Respektive« – und auch dies ist wiederum programmatisch zu verstehen – in der Sektion »Peinture« 222 mit dem Ölbild Nieder mit der Bourgeoisie (1983 ) wie ein letztes Aufbegehren gegen die Festgefahrenheit eines konservativen Kunstbetriebs. Des Weiteren zählt die noch an Gerhard Richter orientierte Serie Uno di voi, un tedesco in Firenze ( 50 Gemälde, 1976 ), Lieber Maler male mir ( drei Gemälde, 1981) sowie 27 weitere Gemälde aus den Jahren 1984 bis 1993 zu dieser Sektion. Die Sektion »Dessin« umfasst die 80 Zeichnungen der Serie Hotel-Hotel

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Kurjaoković, Daniel : »Tex-Mex-Ästhetik. ›Respektive 1997  ‒1976‹, Martin Kippenberger in Genf«, in : Neue Zürcher Zeitung vom 4. März 1997, o. P. Diese Sektionsbezeichnungen beziehen sich auf die Angaben in der Pressemappe.

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von 1989 bis 1996. »Photographies« (1989 ) enthält sieben Fotografien aus dem Jahr 1989, gefolgt von »Collages« aus den Jahren 1992  ‒1993. In der Sektion »Installation« sind über fünf Räume die installativen Arbeiten und Gemäldekomplexe Krieg Böse (1983  ‒1994 ), Heavy Burschi (1989  ‒1990 ), Don’t Wake Up Daddy (1994 ), die sechs Weißen Bilder (1992 ) sowie acht Latexbilder (1990  ‒1991) verteilt. Die Sektion »Sculpture« umfasst die bereits erwähnten neun Lampenskulpturen (1989  ‒ 1991) [ Abb. 20  ] sowie 40 »caisses« ( Kisten) aus den Jahren 1986 bis 1993, die Kippenberger auf einer Fläche von 500 Quadratmetern überwiegend überwiegend ohne Podest einfach auf dem Boden aufstellte. In der Kritik findet gerade dieser Raum häufig besondere Erwähnung. So heißt es etwa in der Berliner Tageszeitung  : »Angefangen mit einem aus Industriepappe geschnittenen, riesigen Neptun-Zeichen, das schräg von der Decke hängt, bis zum rückläufigen Alphabet ›ZYX‹ an der gegenüberliegenden Stirnwand ist dies ein Skulpturenraum von professionellem Zuschnitt, der allein über die Verteilung der Volumen, der Tonwerte und der Dichte der Materialien als gültige museale Installation gelten kann.« 223

Es bleibt dennoch stark zu bezweifeln, dass ein Museumskurator so eine Art der Anordnung vorgenommen hätte. Indem Kippenberger hier eine nüchtern-formale Einordnung anhand ikonografischer Ähnlichkeit vornimmt, führt er Objekte aus verschiedenen Kontexten zusammen, die in der Art zuvor noch nicht zu sehen waren – auch wenn viele von ihnen erstmals in einer der Peter-Ausstellungen Ende der 1980er Jahre zum ersten Mal gezeigt wurden. So schlägt Kippenberger über die Exponate den Bogen zu seiner ersten erfolgreichen Ausstellung, die hier nun nicht mehr im Rumpelkammer-Display, sondern nun ordentlich in Reih und Glied – die symbolische Musealisierung aufgreifend – präsentiert werden. Unter der Rubrik »Divers« sind abschließend neben den Großprojekten MOMAS und Métro-NET auch die gesamten Einladungskarten, Plakate, Schallplatten, Aufkleber und Bücher aus den Jahren 1976  ‒1996 zu sehen. So wird stärker noch als zuvor in Paris über diese oft zunächst marginal erscheinenden Materialien von dieser Ausstellung aus auf Kippenbergers allumfassende künstlerische Tätigkeit sowie seine bisherige Ausstellungsgeschichte verwiesen. Der »Informationsterror«, von dem Friedrich Petzel in einer Kritik der Candidature in Paris spricht, hat sich hier noch vervielfacht.224   Anders als bei seinem »Auftritt als Künstler« in Paris sind

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Erdmann Ziegler, Ulf : »In Essen nicht ibizen«, in : Die Tageszeitung vom 12. ‒ 13. April 1997, o. P. Petzel 1993, S. 200.

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in Genf auch seine Tätigkeiten als Sammler und Kurator repräsentiert, doch steht hier eindeutig das Display seiner eigenen künstlerischen Produktion im Fokus. Dabei verweigert die Ausstellung durch die quasi-taxonomische Aufteilung im Display geradezu eine Historisierung seiner Arbeiten – man denke etwa an die für Retrospektiven durchaus typische genealogische Aufteilung in Frühwerk und Spätwerk. Sie verläuft vielmehr primär phänomenal bzw. ikonologisch und damit – zumindest in Teilen – betont ahistorisch. Somit werden die Vielfältigkeit seines Œuvres und die verschiedenen Produktionsverfahren des Künstlers als Gleichzeitigkeit vorgeführt, die auch eine besondere Herausstellung einzelner Werkkomplexe gegenüber anderen und somit implizite qualitative Werturteile verhindern. Der Ausstellungsbesucher selbst hat diese Urteile zu fällen. Der zur Ausstellung von Kippenberger konzipierte und gemeinsam mit Baumann herausgegebene, bilinguale Katalog im standardisierten Mamco-Design trägt den ebenfalls sehr didaktisch anmutenden Titel Kippenberger sans peine – avec des chlichés de reconnaissance  /  Kippenberger leicht gemacht – mit Erkennungsphotos und umfasst neben dem Abdruck von Gesprächen Kippenbergers mit Baumann (»Picasso vollenden«) sowie Jutta Koether (»Gute Kunst, Intensität und gute Laune«)225 auch 57 sogenannte Erkennungsfotos, auf denen vorrangig der Künstler zum Teil mit verschiedenen seiner Freunde vor Laternen ( darunter Laternen im öffentlichen Raum wie seine eigenen Lampenskulpturen ) zu sehen ist.226   So rückt er sich in Genf ins sinnbildliche »Licht der Aufmerksamkeit« – schließlich ist er dort zu diesem Zeitpunkt noch nicht besonders bekannt. Zugleich scheint das Motiv des Erkennungsfotos darauf anzuspielen, dass Kippenberger in der Kunstwelt zwar als Persönlichkeit und Selbstdarsteller und dies nicht immer aus besonders wohlwollender Perspektive wahrgenommen wurde, jedoch nicht als Künstler. Kaum jemand kannte tatsächlich sein bisheriges Œuvre. Auch in diesem Katalog sind die einzelnen, oft sehr kleinformatigen SchwarzWeiß-Abbildungen mit dem Kürzel »fig.« sowie der jeweiligen Nummer versehen. Im Unterschied jedoch zu dem zum The Happy End erscheinenden Katalog wird dieses Verweissystem am Ende des Buches mit dem Autor, Titel sowie technischen Angaben der jeweiligen Fotografie tatsächlich aufgelöst. Ursprünglich sollte in dem Katalog jede der oben angeführten Sektionen einzeln besprochen werden, doch

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Dieses Gespräch ist ein Auszug aus dem im Rahmen von The Happy End 1993 veröffentlichten Interviewbuch B – Gespräche mit Martin Kippenberger. Auch hier sind die Fotos in Broodthaer’scher Manier mit der Beschriftung »fig.« plus der jeweiligen Zahl versehen, in diesem Fall mit Auflösung am Ende des Kataloges.

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kam es dazu nicht mehr.227    So bilden statt eines einordnenden, kunsthistorischen Textes Kippenbergers eigene, oft lapidar wirkende Äußerungen in den Gesprächen die Grundlage zum »leichten Verständnis« seines Œuvres.228   Der Künstler erklärt sich selbst, gibt seine Intentionen und zu seinem Kunstverständnis preis, verfasst Einschätzungen zur aktuellen Lage der Kunst und zum Verhältnis zu verschiedenen Künstlerkollegen. An diesem Interview wird einmal mehr deutlich, dass Kippenberger ein sehr abgeklärtes Bild von der Kunstszene bzw. dem Kunstmarkt besaß und somit selbst kontinuierlich auf zwei Ebenen arbeitete, indem er den ( Häufig humoresken bis tragisch-ironischen ) Kommentar über Kunst bereits zum Teil der Kunst werden ließ. Dies lässt sich einerseits in Bezug auf einzelne Arbeiten wie beispielsweise die Peter-Skulpturen behaupten, gilt aber zugleich auch für seine Ausstellungsdisplays. Abgang als Eiermann Wenige Tage nach der Eröffnung seiner Genfer Retrospektive eröffnet im Museum Abteiberg in Mönchengladbach Kippenbergers zweite und zu Lebzeiten letzte Einzelausstellung in einem deutschen Museum [ Abb. 21 ]. Vergleichbar mit Beuys’ Palazzo Regale ist auch diese Ausstellung als ein letztes Positionieren des Künstlers in der Öffentlichkeit und damit entsprechend selbstreflexiv zu sehen. Auf Ein-

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Baumann schrieb mit Kippenberger aber noch die erweiterte Biografie, die in der zweiten Auflage der dem Künstler gewidmeten Monografie im Taschen Verlag erschien. Auf der Rückseite des Katalogs verspricht eine lange Aufzählung »[ z]wei Gespräche über Gott und die Welt, um endlich zu erfahren, was Sie schon immer wissen wollten, ihn aber nie fragen konnten : sein Leben und Werk, seine Urszenen, seine Väter und Neigung, sein ganzer Bildungsroman zusammengefasst in einigen treffenden Sätzen, seine gesellschaftliche Stellung, die ihm Ebenbürtigen, seine Freunde, seine Lehrmethoden, seine Problemlosigkeit mit Problemen, sein Verhältnis zum Geld, seine schwierigen Momente, seine Ungeduld und vorgreifende Weisheit, seine fatalen Entgegnungen, sein schöpferisches Vorgehen und seine Improvisationen auf Messers Schneide, seine unerreichte Professionalität, seine internationalen Imbroglios, seine kleinen Geheimnisse und grossen Erzeugnisse, seine täglichen Gedanken, seine Geburtstage, seine illustren Intuitionen und seine ehrenwerten Intentionen, seine Hintergedanken, die Transparenz seiner Moral, die Strategien seiner Taktiken und umgekehrt, seine kulinarischen Präferenzen, seine um die Ecke schiessende Dialektik, sein angeborener Sinn für Stil, seine bissigen Wortspiele, sein Stolz ohne Grenzen, seine souveräne Einsamkeit und, vor allem, seine unvergleichlich gute Laune, die ihm stets das letzte Wort sichert.«

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Abbildung 21 : Martin Kippenberger, Der Eiermann und seine Ausleger, Ausstellungsplakat, Städtisches Museum Abteiberg, Mönchengladbach, 1997

ladung des nun hier arbeitenden Kurators Veit Loers stellt Kippenberger unter dem Titel Der Eiermann und seine Ausleger über mehrere Räume eine vom Konzept streng ikonografisch ausgerichtete Ausstellung mit skulpturalen, installativen, zeichnerischen und malerischen Arbeiten aus, die er mit Alltagsgegenständen kombiniert. Ihr gemeinsamer Nenner bildet bis auf wenige Ausnahmen das Motiv bzw. die Form des Eis. Die Entscheidung für dieses Ausstellungsthema begründet Kippenberger ganz pragmatisch damit, dass es sich hierbei um ein noch unverbrauchtes Sujet handelte,229 das wie der Frosch, die Laternen oder Pasta zugleich zu einem Wiedergänger in seinem Œuvre zählt : »In der Malerei musst du gucken, was ist noch übrig an Fallobst, das du malen kannst. Da ist das Ei zu kurz gekommen, das Spiegelei ist zu kurz gekommen, die Banane hatte ja schon Warhol gehabt. Da nimmst du dir eine Form, es geht ja immer um kantig, um quadratisch, um die und die Formate, um den Goldenen Schnitt. Das Ei ist weiß und schal, wie kann daraus ein farbiges Bild entstehen ?« 230

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Kippenberger, in : Baumann 1997, S. 28 und S. 30. In seiner Künstlerbiografie notierte er für das Jahr 1996 : »verschärfte Wiederaufnahme

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Ausgangspunkt seines Denkens ist folglich und ungeachtet der unterschiedlichen in der Ausstellung vertretenen Gattungen wiederum die Malerei. Wie schon bei Peter ist auch diese Ausstellung ein bewusstes Statement in Bezug auf die tonangebenden Tendenzen innerhalb der zeitgenössischen Kunst.231 Mit der hier vorgenommenen Neuaufteilung bürstet Kippenberger sein Œuvre ikonografisch gegen die Chronologie ihrer Entstehungszeiten, wobei die Exponate aus Kippenbergers eigener Hand eine Zeitspanne von 1981 bis 1996 umfassen. In der Ausstellung werden dem Ei neben seiner kulturellen Bedeutung vom Kalauer bis zur typisch deutschen Hausmannskost als Artefakt durchaus menschliche Züge zugeschrieben, das zu verschiedenen Emotionen fähig ist. Im zuerst 1996 in der Galerie Soardi und damit ehemaligen Atelier von Henri Matisse in Nizza gezeigten Spiderman-Atelier, das neben der Serie Jaqueline : die Bilder, die Picasso nicht mehr malen konnte innerhalb der Ausstellung thematisch zunächst aus der Reihe fällt, wird diese Dimension zugleich versinnbildlicht. Das von Ulrich Strothjohann für Kippenberger im Stil eines Künstlerateliers im Pariser Stadtteil Montmarte gebaute Spiderman-Atelier ruft noch einmal die romantische Dachstube des schon beim ebenfalls ausgestellten Eierkarussel mitschwingenden »Armen Poeten« auf und damit zugleich das Bild eines Künstlers, der ohne finanzielle Rücklagen und in sozialer Isolation lebt.232   Doch Kippenberger inszeniert sich hier nicht als armer Schlucker, sondern als »( The Amazing ) Spider-Man«, wie er im Comic vollständig heißt, als ein Superheld mit speziellen Fähigkeiten – der jedoch durchaus auch mit Problemen des Alltags zu kämpfen hat. In seiner ersten Präsentation, die unter dem Titel Martin Kippenberger. L’Atelier Matisse souse-loué à Spiderman stattfand, nahm

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des Themas Ei & Nudel«. Vgl. Kippenberger, Martin : »Martin Kippenberger : Leben und Werk«, in : Taschen, Angelika  /  Riemschneider, Burkhard : Kippenberger, Köln u. a. 2003, S. 224  f., hier S. 225. Susanne Kippenberger berichtet davon, dass Kippenberger unter der »Diktatur des Quadrats gelitten« habe. Kippenberger 2010, S. 522. Zugleich liegt ein Bezug zu Marcel Broodthaers Nahe, zu dessen eigenen ikonografischen Wiedergänger neben den Pommes Frites und Muscheln auch die Eierschale gehörte. In seiner eigenen Kosmologie des Eis, über das bereits Herodot und Zenon philosophiert hatten, heißt es : »Tout est oeufs. Le monde est oeuf. Le monde est né du grand jaune, le soleil. Notre Mère, la lune, est écailleuse. En écailles d’oeuf pilées, la lune. Poussières d’oeufs, les étoiles. Tout, oeufs mort et perdus. En dépit de gardes, ce monde solail, cette lune, étoiles de trains entiers. Vides. D’oeufs vides.« Broodthaers, Marcel : »Tout est œufs«, hier zitiert nach Borgemeister 2003, S. 23. Vgl. Gelshorn, Julia : »Creation, Recreation, Procreation. Matthew Barney, Martin Kippenberger, Jason Rhoades, and Paul McCarthy«, in : Davidts, Wouter   /  Paice, Kim ( Hg.) : The Fall of the Studio. Artists at Work, Amsterdam 2009, S. 141  ‒161, hier S. 148.

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er es bereits im Plakat auf gewohnte Weise über ein Foto von Matisses La Danse (1931 ‒1933 ) mit dem französischen Meister auf. Nun lässt er im Studio selbst sein Alter Ego antreten. Die Malereien an den Wänden bzw. im Atelier entpuppen dessen Superkräfte jedoch schnell als die für Kippenbergers Künstlerlaufbahn essentiellen Drogen : »unter Haschisch«, »unter Speed«, »unter Schlaftabletten«, »unter Rotwein« oder »unter Kaffee« steht auf ihnen jeweils auch in englischer Übersetzung geschrieben. Dem Mythos vom Künstler als einem Mensch mit Superkräften, also dem im übertragenen Sinne klassischen Genie, wird hier ein »ganz normaler Mensch« gegenübergestellt, der sich anderer Mittel bedienen muss, um künstlerisch arbeiten bzw. kreativ tätig sein zu können. Kippenberger begegnet auf diese Weise auch Beuys’ viel zitiertem Ausspruch, dass jeder Mensch ein Künstler sei, mit seiner ironischen Umkehrung »Jeder Künstler ist ein Mensch«, mit all seinen Schwächen.233   Diese von autobiografischen Zügen gekennzeichnete Arbeit erhält dadurch eine Schlüsselstellung in Bezug auf die gesamte Ausstellung wie retrospektiv auf Kippenbergers Künstlertum. Dabei stellt Kippenberger wie schon zuvor auch in dieser Ausstellung nicht nur eigene Arbeiten aus. Er integriert einige Bilder des österreichischen Malers und erstem Ehemann seiner Frau Elfie Semontan, Kurt Kocherscheit. Mit diesem appropriierenden Gestus markiert er im Subtext dieser Ausstellung zugleich seine private wie künstlerische Rangordnung. Aneignung und Zuneigung sind anders als zuvor in diesem Fall nicht zwangsläufig dasselbe, sondern auch eine Demonstration von Überlegenheit.234 Ein gesonderter Raum war Thomas Grässlins Sammlung von Überraschungseiern gewidmet, die Kippenberger in flachen Vitrinen oder auf Sockeln und teilweise unter Glas präsentiert [ Abb. 22  ]. Sie ersetzen die ursprünglich geplante Integration des Schranks mit der Eiersammlung von Annette von Droste-Hülshoff, der schließlich als Abbildung im Katalog landete. Bildet die Sektion der Überraschungseier einerseits eine Art Ausstellung in der Ausstellung erscheinen die ursprünglich an Kinder gerichteten Spielzeugfiguren durch ihre gezielt museale Präsentationsform anderseits gleichberechtigt zu Kippenbergers eigenen Arbeiten in den anderen Räumen. In ihrer direkten Kombination aus Sammeln und Ausstellen rufen sie

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Gelshorn 2009, S. 150. Dessen ungeachtet schuf Kippenberger seinen eigenen Mythos. Denn der von Peter Parker, wie Spiderman im »realen« Leben hieß, entwickelte »Netzsprüher«, der ihm das Spinnen unterschiedlichster Netze ermöglichte, könnte ebenso gut eine Erfindung Kippenbergers sein. Wie Parker spann er im Laufe seines Lebens sowohl elastische Fäden ( die auch reißen konnten ), die Spiderman dazu dienten, durch die Wolkenkratzerschluchten Manhattens zu schwingen, als auch stabile Netze zum eigenen Schutz ( oder bei Spiderman eben auch, um Verbrechen einzuwickeln ). Vgl. Graw 2004, S. 59  f.

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Abbildung 22 : Überraschungseier-Sammlung von Thomas Gräßlin, St. Georgen, Ansicht in der Ausstellung Martin Kippenberger, Der Eiermann und seine Ausleger, Städtisches Museum Abteiberg, Mönchengladbach, 1997

Assoziationen an die Wunderkammer oder an Kuriositätenkabinette auf – mit dem gravierenden Unterschied, dass es sich bei den hier ausgestellten, quietschbunten Figuren um keine Einzelstücke, sondern massenproduzierte Objekte einer auf Kinder bzw. deren Eltern abzielenden Marketingstrategie handelt. Der Raum fungiert zugleich als eine Art Kinderabteilung innerhalb der Ausstellung und wurde auch entsprechend angenommen.235 Bezugspunkt Beuys Ein eher indirekter, aber dennoch zentraler Bezugspunkt der Ausstellung insgesamt ist, und damit schließt sich der Kreis, Joseph Beuys. Bereits bei Kippenbergers erster Ausstellung Miete Strom Gas, die nur fünf Monate nach Beuys’ Ableben im Hessischen Landesmuseum Darmstadt eröffnet, scheint er, wie Loers verdeutlicht, »den Beuys’schen Werkbegriffen Fond II und Fond III, die beide Bestandteil des Beuys Block sind, die instabilen und flüchtigen Werte des Arbeitnehmers gegenüberstellen zu wollen«.236   Auf der Einladungskarte posiert Kippenberger mit

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Vgl. z. B. Orzessek, Arno : »Der Eiermann aus Köln. Zum Tod von Martin Kippenberger : ein Besuch in seiner Ausstellung in Mönchengladbach«, in : Süddeutsche Zeitung vom 10. März 1997, o. P. Vgl. Loers 2007, S. 61.

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Geweih in Anlehnung an Beuys mit Hirschgeweih auf seinem Plakat Kunst = Kapital (1980 ) anlässlich der Feier zum 10-jährigen Bestehen des vom Wirtschaftsmagazin Capital herausgegebenen Kunstkompasses bei Denise Renée und Hans Mayer in Düsseldorf. Er nimmt damit noch einmal ganz explizit seine durchaus von gemischten Gefühlen begleiteten Nachfolgerfantasien auf. 237  Innerhalb der Eiermann-Ausstellung bilden Beuys’ Arbeiten, die eng mit dem Museum Abteiberg verbunden waren, bevor die Sammlung Marx mit Ausnahmen von Unschlitt 1996 nach Berlin abzog, auf mehreren Ebenen eine Referenzlinie.238   Im Eingangsbereich mit dem Ticketschalter befindet sich im Museum Abteiberg nun neben den zur ständigen Sammlung gehörigen Beuys-Vitrinen, die Kippenberger während des Ausstellungsaufbaus laut Loers nie aus dem Blick verlor,239 als erstes Ausstellungsstück der von ihm selbst zuvor in seinem derzeitigen Wohnsitz im österreichischen Burgenland gefahrene Eierwagen mit dem dazugehörigen Erkennungslied »Klingelingeling, hier kommt der Eiermann«, der auch das Plakat zierte.240   Die BeuysVitrine im Vorraum des Museums wird im Raum mit den Überraschungseiern, aber auch – in leicht abgewandelter Form – in den anderen Ausstellungsräumen mit ausrangierten Vitrinen aus dem Naturkundemuseum Kassel wieder aufgegriffen, in denen Kippenberger kleinere skulpturale Arbeiten zeigt. Über diese Bezüge reflektieren auch die durchaus sehr divergierenden Pressereaktionen auf diese Ausstellung. »Keck ist die autobiografische Rauminstallation [ gemeint ist das Spiderman-Atelier ] just an jene Stelle gesetzt, wo bis zum Abzug der Sammlung Marx nach Berlin die Beuys’sche Arbeit ›Tallow-Unschlitt‹ gestanden hatte«, heißt es beispielsweise im Handelsblatt.241   Und die Blitz Review kommentiert : »Die langjährige Beschäftigung mit dem Ei, den Eiern und seinen Verwandten und Abwandlungen erfuhr diese Wertschätzung im eleganten Rahmen der Holleinschen Hallen – BeuysVerwalter Bastian im Sinne Marx’ sei ebenfalls dank. Doch konnte Loers es sich nicht verknei-

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Beuys wurde im selben Jahr von Capital zur Nummer Eins des Kunstbetriebs erkoren worden. Vgl. Bätschmann 1997, S. 220  ff. Beuys’ Unschlitt wurde erst 1998 abgezogen, http://museum-abteiberg.de/index.php  ?option=com_content&task=view&id=522&Itemid=180  ( Abruf am 25.05.2013 ). So berichtet Veit Loers in einem Telefonat mit der Autorin am 1. September 2009. Laut Susanne Kippenberger spielte er je nach Stimmungslage auch mal AC / DC oder Wagners Walkürenritt. Kippenberger 2010, S. 528. Elfie Semotan fotografierte den Wagen im Schnee und lieferte damit die Vorlage für Kippenbergers letztes Ausstellungsplakat, das für den steirischen herbst 1997 entstand. Er selbst erschien zur Eröffnung bereits im Rollstuhl. Weinrautner, Ina : »Neues aus der Eier-Küche«, in : Handelsblatt vom 27. Februar 1997, o. P.

III. K ippenberger  |  203

fen, den Verlust der Unschlitt-Blöcke mit der Damien-Hirst-Skulptur ›Looking Forward to a Complete Supression of Pain‹, 1994, als ( wie ich finde unnötiges ) Lamento unserem gerade in Genf ›respektive‹ geehrten Helden an die Seite zu stellen. Dieser kontert jedoch direkt am Eingang mit seinem dreirädrigen italienischen Gefährt, das ( die Stufen holprig hinunter ) dem Eiermann ein dickes Ei auf die Ladefläche stellt, und somit ins Museum legt. Hiermit zieht er bereits alle Sympathien auf seine Seite.« 242

Jemandem ein ( Kuckucks-) Ei ins Nest legen bedeutet für den Betroffenen in der Regel nichts Gutes. Ein Kuckuck legt seine Eier in fremde Nester, um sie dort ausbrüten und großziehen zu lassen. Oftmals wirft der unersättliche Jungvogel auch noch den Nachwuchs der Zieheltern aus dem Nest. Kippenberger nun legt sein »Ei« genau an den Ort, und zwar eine sammelnde und verwaltende Institution, der zuvor untrennbar mit Beuys verbunden war und dessen Nachfolge Kippenberger nun symbolisch antritt. Auch der Aufbau der Ausstellung basierte Loers zufolge auf einem »Stell mal so hin«, sodass sich auch auf dieser Ebene eine Referenz auf Beuys erkennen lässt.243 Zugleich bedient Kippenberger sich jedoch für die sehr nüchtern wirkende Hängung der Flachware des auf ein vergleichendes Sehen angelegten Prinzips, zwischen die guten Bilder immer ein schlechtes zu hängen, um darüber die Guten in ihrer Qualität besonders herauszustellen.244  Eine derartige Hängung impliziert jeweils bereits den konzeptuellen Einbezug des Betrachters, der eben genau diese urtei-

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Jansen, Gregor : »Der Eiermann«, in : Blitz Review vom 21. Februar 1997, o. P. Veit Loers im Gespräch mit der Autorin am 1. September 2009. Vgl. Kippenberger, in Ders. 1994, S. 142: »Es gibt ein Beispiel : ich komm immer auf Lüpertz, weil der sich dermaßen darstellt als Künstler. Daß er Bilder malt, und wirklich perfekt und wirklich gut gemalt, heißt, du findest kein richtiges gutes Bild, und du findest kein richtig schlechtes Bild. Das ist eine Gleichmäßigkeit, die da drin ist, ist nicht sehr aufregend. Deswegen bevorzuge ich doch, in einer Ausstellung noch zwei schlechte Bilder reinzuhängen, und die bauen die anderen Arbeiten auf«. Als Beispiel für ein derart funktional eingesetztes, »schlechtes« Bild kann das Porträt von Elfie Semotan mit Frühstücksei gelten. Vgl. hierzu auch Diederichsen, Diedrich : »Nachwort«, in : Kippenberger 2007, S. 343  ‒ 360, hier S. 358  f. Dieses geradezu didaktische, aber v. a. alles andere als unintentionale Prinzip des anschaulichen Zeigens einer übergeordneten Bedeutungsdimension durch die Konstellation von mehreren Objekten ist auch bei verschiedenen anderen Künstlern wiederzufinden. Wolfgang Tillmanns beispielsweise hing in seinen jüngeren Ausstellungen häufig abstrakte Fotografien in Kombination mit Gegenständlichen, deren Rezeption sich über die Konstellation gegenseitig beeinflusst und zu einer »Verschiebung des Sehens« führt.

204 |  III. D ie A usstellung als A nlass zur R eflexion

lende Leistung in Bezug auf die Bilder vollziehen muss.245   So wird anhand dieser letzten Ausstellung noch einmal sehr explizit – und darin sind sich Kippenberger und Beuys nicht unähnlich – das Zusammenspiel von intentionalen und so weit möglich unintentionalen Elementen in Bezug auf die Präsentation seiner Arbeiten deutlich. Auch schlägt hier ein vorab klar festgelegtes Konzept durch, das bei Kippenberger zugleich stets von Brüchen innerhalb seiner Durchführung gekennzeichnet ist. Ein Abschied als Persiflage Kippenbergers Ausstellungen wirken zwar oft spontan und tatsächlich wurde die Auswahl der Exponate oftmals in letzter Minute festgelegt, doch enthalten sie zugleich stets eine Reflexionsebene, die sich auf die aktuelle Ausstellungssituation sowie den Zeitgeist und sein eigenes Standing in der Kunstwelt bezieht. Durch die Wahl eines derart banal erscheinenden Themas wie der Hommage an das Ei subvertiert er zugleich das Format der thematischen Ausstellung und beschert sich – anders als Beuys – einen höchst ironischen Abgang aus Kunst und Leben, der auch von traurigen und grotesken Tönen gekennzeichnet ist. Während Beuys sich in seiner letzten Ausstellung gebührend und weihevoll als Künstler »zu Grab legt«, scheint der in »karnevaleske[r ] Persiflage« 246 als Eiermann wie Spiderman auftretende Kippenberger vielmehr als Persiflage auf den Ausstellungsbetrieb samt seiner Publikationsorgane. Sein Abschied von der ( Kunst-) Welt nimmt diese zugleich auf die Schippe – wenn auch nicht unbedingt mit völlig neuen Ideen. In einer Rezension der Süddeutschen Zeitung heißt es beispielsweise : »Kippenberger agiert am Nullpunkt künstlerischer Phantasie, indem er ins Museum stellt oder stellen

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Auch Bernd Lohaus und Anny de Decker von der Brüsseler Galerie Wide White Space gingen beispielsweise so vor, um die Qualität von Arbeiten zu prüfen : »In unserem Wohnzimmer hatten wir einen Warhol, einen Polke, einen Fontana und einen Beuys, Werke, von denen wir wussten, daß sie wirkliche gut waren. Sie waren unsere Bezugspunkte, unsere Vergleichsmaßstäbe. Wenn wir wissen wollten, ob ein junger, ein neuer Künstler gut war, hängten wir eine seiner Arbeiten zwischen diese Werke und schauten, ob die Arbeit ›von der Wand fiel‹. Das war unsere Probe : Ein Werk, das nicht stark genug war, ›fiel von der Wand‹. Wenn man täglich mit Kunstwerken im Haus lebt, spürt man schnell, ob von einer Arbeit Kraft ausgeht.« De Decker, Anny, in : Aupetitallot, Yves : »Interview Yves Aupetitallot, Anny De Decker, Bernd Lohaus«, in : Ausst.-Kat. Wide White Space. Hinter dem Museum 1966  ‒1876, Palais voor Schone Kunsten, Brüssel, 28.10. ‒ 31.12.1994, Kunstmuseum Bonn, 05.05. ‒  25.06.1995, MAC, Galerie Contemporaines des Musée de Marseille, April-Mai 1996, hg. von Yves Aupetitallot, Brüssel 1995, S. 21 ‒  81, hier S. 56. Schmidt-Wulffen 2002, S. 18.

III. K ippenberger  |  205

lässt, was selbst im Warenhaus ziemlich langweilig wäre. Die Geste ist maßlos abgenutzt. Aber vielleicht findet der Großmeister der Subversion ein paar Spießer, die sich ärgern.« 247 Die Gestaltung des in diesem Fall als Ergänzung zur Ausstellung erscheinenden, textlosen Katalogs mit unzähligen Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen rund um das Thema Ei überlässt Kippenberger anders als zuvor dem aus Tirol stammenden Künstler Hans Weigand. Mit ihm hatte er vorab über Monate passende Motive zusammengesammelt. Wie in der Ausstellung werden auch hierbei die Grenzen zwischen eigenen Arbeiten und Leihgaben, Kunst und Nicht-Kunst, high und low, Ernst und Witz immer wieder überschritten bzw. durchkreuzt. Sie enthalten unter anderem auch Ausstellungsansichten aus Deep Throat und The Happy End, die wiederum eine thematische Verbindungslinie über das Ei aufmachen. Anders als etwa bei der Publikation zu The Happy End gibt es am Ende dieser Publikation ein Verzeichnis der einzelnen Abbildungen mit den entsprechenden Angaben, die eine Ein- und Zuordnung des Gezeigten erlauben. Durch die impliziten und expliziten Verweisstrukturen, die über die Ausstellung oder den dazu erscheinenden Katalog aufgemacht werden, verdichtet sich Kippenbergers Œuvre zu einem komplexen und v. a. nichtlinearen Ganzen. Die einzelnen Ausstellungen sind gespickt mit Anekdoten, Verweisen und ( halb-)ironischen Anspielungen. Auf diese Weise werden sie zu »Bündeln von Narrativen«, die selbst wiederum einem dem Thema der Ausstellung verpflichteten Narrativ untergeordnet sind. Schon in Kippenbergers erster Solo-Schau Miete Strom Gas mit ihrem auf die elementaren häuslichen Bedürfnisse abzielenden Titel zeichnet sich ein zwiespältiges Verhältnis gegenüber der Institution ab, das sich bei seiner Retrospektive in Genf noch einmal zuspitzen sollte. Die Ausstellung war für Kippenberger ein Format, das sich am produktivsten außerhalb festgefahrener institutioneller Strukturen und bestimmter, mit den verschiedenen Unterkategorien wie Retrospektive oder Einzelausstellung einhergehenden Konventionen gewährt. Insofern ist die Bezeichnung als »Ausstellungskünstler« durchaus von einer Paradoxie geprägt. Das Kuratieren ist nur ein, aber ein elementares, weil öffentliches Betätigungsfeld Kippenbergers als einem Artist at large. Selbst in den Situationen, in denen er mit den Kuratoren der einladenden Institutionen zusammenarbeitet, fällt er die maßgeblichen Entscheidungen, sodass alle seine Ausstellungen zugleich »Künstlerausstellungen« sind – nicht immer nur zur Freude aller Beteiligten. Nach seinem Ableben ist Kippenberger bekanntermaßen zu einem hochgeschätzten und -gehandelten

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Orzessek 1997.

206 |  III. D ie A usstellung als A nlass zur R eflexion

Künstler für Sammler wie Institutionen geworden.248   Seine Fähigkeit, die Geister zu spalten und Museumsdirektoren wie Kuratoren ernsthafte Schwierigkeiten einzuhandeln, sobald sie sich auf seine Seite schlagen, ist weitgehend mit in sein Grab gewandert. Posthum, und das heißt ohne die Präsenz des Künstlers, erscheint sein Œuvre als zugänglicher. Selbst viele derjenigen, die sich zu Kippenbergers Lebzeiten noch gegen ihn aussprachen, änderten ihre Meinung. Heute gilt er als ein fest im Kanon verankerter »Badboy« der jüngeren deutschen Kunstgeschichte, mit dem man nicht zuletzt häufig zugleich seine eigene Unangepasstheit zur Schau stellen konnte. Bei Kippenberger stellt sich somit geradezu der umgekehrte Effekt ein als bei Beuys. Dieser Umstand täuscht jedoch nicht über ein ähnlich gelagertes Problem in Bezug auf das Ausstellen seiner Arbeiten hin. Zahlreiche groß angelegte Ausstellungen wurden Kippenberger in den letzten zwei Jahrzehnten gewidmet, die meisten davon immer noch im Ausland. Bereits die hierzulande erste Retrospektive mit dem Titel Das 2. Sein, die zu Kippenbergers 50. Geburtstag in Karlsruhe stattfand, reflektiert die Schwierigkeit mit dem posthumen Ausstellen seiner Arbeiten mit. Das 2. Sein lässt sich als Kippenbergers museale Auferstehung lesen – eine Problematik, die auch in Eva Meyer-Hermanns Schau Nach Kippenberger ( 2003 in Eindhoven und Wien ) aufschien und die besonders in der bereits erwähnten Retrospektive The Problem Perspective  ( 2008  / 2009 in Los Angeles und New York ) noch einmal bewusst stark gemacht wurde.249   Besonders problematisch erweist sich in dieser Hinsicht die Präsentation von Kippenbergers Skulpturen. So sind es v. a. die heutigen Ausstellungen, die auf diese Leerstelle verweisen, und weniger die Texte über ihn. Dabei lässt sich, wie die hier analysierten Beispiele gezeigt haben, Kippenbergers »Auftritt als Künstler« nicht von der Präsentationsweise seiner Kunst trennen. Während Beuys seinen Lebenslauf zur Ausstellung erklärt, erklärt Kippenberger seine Ausstellungen zum Lebenslauf.250  Die häufig direkt aufeinander Bezug nehmenden und allegorisch angelegten Ausstellungen – samt der damit verbundenen Kataloge, Plakate, Einladungskarten und Eröffnungsreden –

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Vgl. »Roundtable Excerpts : Diedrich Diederichsen«, in : Ausst.-Kat. Make Your Own Life, 2006, S. 34  ‒ 37, hier S. 34. Vgl. auch Prinzhorn 2002. Als erste, ausführliche kunsthistorische Auseinandersetzung mit Kippenbergers Œuvre gilt Roland Schaperts Dissertation Martin Kippenberger : die Organisation des Scheiterns, Köln 1998. Er berücksichtigt Arbeiten bis 1994. Der Titel der Ausstellung geht auf Kippenbergers Gemälde The Problem Perspective. You are not the problem, it’s the problem-maker in your head (1986 ) zurück. Vgl. Baker 2009, S. 147. »Er bearbeitet«, wie Friedrich Petzel es formuliert, »Ausstellungen wie einen biografischen Text, dem der Anmerkungsapparat entweder als Katalog sofort beiliegt oder als exkursives Ausstellungsprojekt nachgeliefert wird.« Petzel 1993, S. 199.

III. K ippenberger  |  207

sind letztendlich das Format, über das sich Kippenberger ein Forum schafft, sich und seine Kunst weitgehend selbstbestimmt einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Über das direkte Verwerten von Lebensereignissen und den Einbezug seines persönlichen Umfelds verknüpft er seine Ausstellungen nicht nur mit seiner eigenen Lebenswirklichkeit, sondern setzt sie immer auch in Beziehung zu den aktuellen künstlerischen und diskursiven Strömungen der Zeit. Das temporäre, zeitspezifische Ausstellungsformat und damit ein Format, das Spontaneität, Witz und Ironie zulässt, bietet sich insofern für Kippenberger an, die eigene Inszenierung als Künstler in die Öffentlichkeit zu tragen, hierüber zu kommentieren, sich klar zu positionieren und den Betrachter direkt zu adressieren. Umso erstaunlicher ist es daher, dass zwar sein Agieren als Artist at large heute weitgehend anerkannt ist,251 doch seine Ausstellungspraxis zumindest im kunstwissenschaftlichen Diskurs bisher kaum Aufmerksamkeit gefunden hat.

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Die Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin 2013 mit dem Titel sehr gut | very good beispielsweise zeigte die ganze Bandbreite seiner Einladungskarten und Plakate und widmete auch seinem musikalischen Umfeld einen Raum.

IV. Mike Kelley : Referenz und Variation

Mike Kelley (1954   ‒ 2012 ) wird häufig als das amerikanische Äquivalent zu Martin Kippenberger gesehen. Auch werden ihre Arbeiten dementsprechend oft von denselben Autoren diskutiert – ein Umstand, der leicht über die grundlegenden Differenzen zwischen ihnen jenseits des sie oberflächlich vereinenden Bad-Boy-Images hinwegtäuschen mag. Beide Künstler kannten sich spätestens seit Kippenbergers Aufenthalt in Los Angeles Anfang der 1990er Jahre und schätzten sich auch bis zu einem gewissen Punkt. Zwar ist von Kippenberger, in dessen Sammlung sich auch einige Arbeiten von Kelley befanden, die Behauptung überliefert, dass Kelley »ihn nachmache«.1   Doch ist diese Sorge, wie sich besonders eindrücklich anhand ihrer Ausstellungsgeschichte aufzeigen lässt, prinzipiell unbegründet. Anders als Kippenberger genoss Kelley eine von marxistischen Theorien und konzeptuellen Ansätzen

1

Veit Loers im Telefonat mit der Autorin am 1. September 2009. Im Gespräch mit Jutta Koether äußert Kippenberger : »Mike Kelley ist ja n neues Beispiel von kalifornischer bunter Kunst. In Kalifornien wird immer gerne bunt gemalt, oder bunt gemacht. Und ein sehr ehrlicher Hippie im Gegensatz zu den anderen Amerikanern, nicht dieses superteure, effekthascherische Herstellungsprinzip, das sehr teuer ist oder aufwendig und Hochglanz. Der macht die Sachen nicht größer als sie sind, was Amerikaner eigentlich sehr gerne machen. Er macht einfache Witze, die schön sind, lieb sind und also, glaube ich, identisch mit seiner Person, aber auch nicht verschlossen gegenüber dem, was um ihn rum passiert, deswegen kann er wahrscheinlich auch nur so was Kleines machen, relative gesehen halt, viel Informationen halt, in Schmutzfarben. Das ist alles korrekt.« Kippenberger   /   Koether 1992, S. 182.

210 |  IV. R eferenz und V ariation

geprägte Künstlerausbildung in Ann Arbor sowie am California Institute of the Arts ( CalArts ) und war bereits seit den frühen 1980er Jahren mit regelmäßigen Ausstellungen sowohl an der West- als auch Ostküste der USA vertreten. Gerade letzteres war derzeit für Künstler von der Westküste keine Selbstverständlichkeit. Dementsprechend stehen Kelley schon relativ früh ein größerer Handlungsspielraum und eine andere Supportstruktur zur Verfügung als Kippenberger.2   Von dieser Disposition ausgehend begibt sich Kelley mit einem jeweils klar formulierten konzeptuellen Ansatz wiederholt dezidiert in die Rolle des Kunsthistorikers und -theoretikers sowie des Kurators. Im Unterschied zu Kippenberger, der seine Ausstellungen dazu nutzt, meist mit großer Spontaneität situationsbezogen Stellung innerhalb aktueller künstlerischer Strömungen zu beziehen und dessen Displays stets von einer Reflexion über seine eigene Künstlerrolle gekennzeichnet sind, widmet sich Kelley im wortwörtlichen wie metaphorischen Sinne dem häufig in Verbindung mit umfangreicheren Recherchen stehenden, quasi kunstwissenschaftlichen Aufzeigen und Herausstellen von künstlerisch wie diskursiv marginalisierten Positionen, dem psychisch Verdrängten und den Abgründen der amerikanischen Kultur und Gesellschaft.

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»Das Wissen erweitern durch Scheitern ?« war ein beispielsweise gemeinsam mit Albert Oehlen und Werner Büttner von Kippenberger formulierter Wahlspruch. Vgl. Brock, Bazon : »Bildjournalismus als ästhetische Macht«, in : Ausst.-Kat. Miete Strom Gas, 1986, S. 61 ‒ 77, hier S. 65.

IV. K elley  |  211

( De-) Konstruktion

von

Sinn

und

Bedeutung

Displaying Minor Histories Es sind die »Minor Histories«, die Kelley interessieren, und die auch titelgebend für einer der drei Sammelbände mit seinen Schriften werden sollten. Diese sind in Anlehnung an Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Aufsatz »What Is A Minor Literature ?« und damit im klassisch postmodernen Sinne in Abgrenzung von der »Großen Erzählung« als kleine Erzählungen jenseits des etablierten Kanons zu verstehen, die sich dennoch durchaus verbreiteter künstlerischer Ausdrucksmittel bedienen. »A minor literature is not the literature of a minor language«, so Deleuze und Guattari, »but the literature a minority makes in a major language«.3   Dabei ist alles Individuelle, das innerhalb dieses »narrow space« entsteht, stets als politisch zu denken.4   Bei Kelley findet sich diese politische Dimension auf mindestens zwei Ebenen wieder : zum einen in der eigenen, stark mit Displaystrukturen arbeitenden künstlerischen Praxis, die sich selbst ebendiesen »Minor Histories« widmet, und zum anderen in seiner dezidiert kuratorischen Tätigkeit, über die er den »Minor Histories« wortwörtlich zur Sichtbarkeit verhilft.5  Seine publizistische Tätigkeit ist wiederum als Teil von beidem zu bergreifen. Über die zu jeder seiner Arbeiten von ihm selbst verfassten Texte speist er seine künstlerischen wie kuratorischen Tätigkeiten direkt in den Diskurs ein, legt seine Intentionen offen und nimmt damit Einfluss auf die Art und Weise, wie seine Arbeiten rezipiert werden.6   Im

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6

Deleuze, Gilles   /  Guattari, Félix   /  Brinkley, Robert : »What Is A Minor Literature ?«, in : Mississippi Review 11/ 3, (1983 ), S. 13  ‒ 33, hier S. 16. Ebd. Vgl. hierzu Goldstein 1989, S. 38 : »Kelley has chosen consistently to place into the ›high‹ art arena that which is outside of it. As a microcosm of society, the art world has difficulty absorbing that which coexists outside of the mainstream. The artworks by Gacy and Bonin emphasize the point, for these ›artists‹ are not only outsiders of society but outsiders to the art world. Their art would not hang on MOCA’s wall if it had not been incorporated into Kelley’s work. Kelley, in setting up this dynamic, opens up to question the function of moral judgment as it relates to both artist and artwork.« In seinen »A Fan’s Notes« spricht Diedrich Diederichsen davon, dass Kelleys Texte nicht als eigenwertige, für sich stehende Kunstwerke wahrgenommen werden sollten : »Instead his work is situated within a ramified or network like thematic field, one that is structured and clearly determinable. And when certain themes require additional information or discursive precision, he simply extends the visual work into the field of the essay.« Diederichsen, Diedrich : »A Fan’s Notes«, in : Artforum 41/ 5 ( 2003 ), S. 33  f.

212 |  IV. (D e -)K onstruktion von S inn und B edeutung

Unterschied jedoch zu einer Figur wie Beuys geht es ihm aber eben gerade nicht primär um die Vermittlung eines von ihm entwickelten Kunstbegriffs, sondern vielmehr um ein Nutzen der gegebenen institutionellen Strukturen und des Displays, um im Gegenzug einen festgefahrenen Kanon aufzubrechen und den Blick auf die Leerstellen und blinden Flecken der Kunstgeschichtsschreibung zu richten und hierüber dem seiner Ansicht nach Unterdrückten und Verdrängten zur Sichtbarkeit zu verhelfen. In einem Interview mit John C. Welchman zieht Kelley bezeichnenderweise eine direkte Analogie zwischen Kunst und Rhetorik : »I think that’s what artists do. They play people. In a sense art is very much like rhetoric; it concerns strategies of controlling people’s emotional responses. Artists are like con-artists.«7   Besonders evident wird Kelleys bewusste Steuerung von der Rezeption seiner Kunst wie ihre Bedeutungszuschreibung an den von ihm konzipierten Ausstellungen samt der damit einhergehenden parergonalen Strukturen wie Strategien des Displays. Der von Kelley vorgenommene Rollenwechsel sowie die damit in Zusammenhang stehende Ausweitung seines künstlerischen Agitationsfeldes erlauben ihm einen entsprechenden Einfluss und eine diskursive Unterfütterung seiner eigenen Praxis. Kelley nutzt daher einerseits das repräsentative Format der Ausstellung und andererseits seinen eigenen Namen und das eigene Standing dementsprechend auch dazu, den eigenen Vorbildern und von ihm geschätzten Künstlerinnen und Künstlern eine Öffentlichkeit und damit Aufmerksamkeit zu geben. Offensichtlicher noch als Kippenberger und d. h. insbesondere frei von einem appropriierenden Gestus wie er für jenen signifikant ist, tritt Kelley somit zugleich als Promoter für seiner Ansicht nach unterrepräsentierte künstlerische Figuren, aber auch theoretische Ansätze auf – ein Ansatz der in den 2000er Jahren unter Künstlern zunehmend Verbreitung fand. Im Zuge des »Aufstiegs der Ausstellung« erhielt folglich auch das Phänomen des Künstler-Künstlers eine neue Art der Präsenz, da nicht mehr nur imoder explizit innerhalb der eigenen Arbeit auf sie verwiesen, sondern sie selbst bzw. ihre Arbeiten innerhalb von ihnen konzipierten Ausstellungssituationen gezeigt wurden. Vor allem gegen Ende seiner Karriere arbeitet Kelley hochprofessionell und mit zahlreichen gut bezahlten Assistenten, wobei er gezielt mit den Kategorien von high und low oder gutem und schlechtem Geschmack spielt. Dass er selbst zu dem wichtigsten Künstler zumindest der amerikanischen Ostküste aufstieg und seit Mitte der 1990er Jahre international stetig an Anerkennung gewann, die mit

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Kelley, in : Welchman, John C. : »God, Family, Fun and Friends. John C. Welchman in Conversation with Mike Kelley«, in : John C. Welchman ( Hg.) : Institutional Critique and after (= SoCCAS [ Southern California Consortium of Art Schools ] symposium, Bd. 2 ), Zürich 2006, S. 337  ‒ 365, hier S. 358.

IV. K elley  |  213

zahlreichen Ausstellungseinladungen einherging, blieb Äußerungen des Künstlers zufolge dennoch ungerechtfertigt und veranlasst ihn im Interview kurz vor seinem Tod zu dem Statement, mit der Kunst eine Weile pausieren zu wollen.8    Bevor ich konkret auf einzelne Ausstellungsbeispiele eingehe, seien vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt v. a. den angloamerikanischen Raum bestimmende Diskurse jedoch auch hier zunächst ein paar grundlegende Charakteristika von Kelleys Displaystrategien skizziert. Mit und gegen die Institution Vor allem im anglo-amerikanischen Raum bildet sich Ende der 1980er Jahre eine Riege von Künstlern heraus, die auf den Errungenschaften der ersten Generation institutionskritisch arbeitender Künstler aufbauen und sich mit den machtpolitischen Implikationen des Displays auseinandersetzen. Im Zuge dessen werden museale Sammlungen verstärkt Ausgangspunkt künstlerischer Interventionen, was ein durchaus zweischneidiges Verhältnis zur einladenden Institution zur Folge hat. Der bereits genannte Fred Wilson bildet mit seinem repräsentationskritischen Ausstellungsprojekt Mining the Museum in der Contemporary & Maryland Historical Society Baltimore 1992 hierfür ein zentrales Beispiel. Aber auch Joseph Kosuth begann bezeichnenderweise zu diesem Zeitpunkt ausgehend von seinem sprachanalytischen Ansatz umfangreichere Ausstellungen zu realisieren. Knapp dreißig Jahre nach Mel Bochners wegweisender Schau Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to be Viewed as Art in der New Yorker Visual School of Arts 1966 steht dieser Wandel paradigmatisch dafür, wie sich als klassisch konzeptuell zu begreifende Ansätze innerhalb der Bildenden Künste zunehmend auch auf das Display von Kunst ausweiten. 1989 entstand Kosuths Ludwig Wittgenstein gewidmete Schau Play of the Unsayable in der Wiener Secession sowie ein Jahr später Play of the Unmentionable für die Grand Lobby-Serie im Brooklyn Museum. Letztere wurde bezeichnenderweise zugleich als Kosuths erste New Yorker Einzelausstellung gehandelt. Sowohl Wilson als auch Kosuth arbeiten in ihren Ausstellungen mit den vorhandenen Sammlungsbeständen, um spezifischen Gegenständen wie Diskursen im wortwörtlichen Sinne zu einer Sichtbarkeit zu verhelfen, was in der bisherigen Ausstellungstätigkeit der jeweiligen Institutionen keine Sichtbarkeit erhielt. So widmet Wilson sich in Baltimore durch die sprichwörtliche »Ausgrabung« von Gegenständen aus der Sammlung sowie Interventionen innerhalb der Präsentation der ständigen Sammlung der unterrepräsentierten Geschichte und Kultur der zahlenmäßig in Baltimore überwiegen-

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Kelley, in : Kinney, Tulsa : »Mike Kelley Goes Full Circle«, in : Artillery 6 ( 2012 ), S. 38  ‒ 43, hier S. 38.

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den Afroamerikaner, während Kosuth auf die sich derzeit verschärfende Kritik an der Geldvergabe der National Endowment for the Arts ( NEA ) reagiert und den Fokus seiner Ausstellung auf das Thema der Zensur richtet. Hierfür wählt er v. a. solche, überwiegend Themen der Erotik und ( Homo-) Sexualität gewidmeten Arbeiten aus dem musealen Bestand aus, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung für Aufregung gesorgt hatten und nach den damaligen Maßstäben der staatlichen Politik und christlicher Interessenverbände nicht gefördert worden wären. Sowohl Wilsons als auch Kosuths Ausstellungsprojekte spielen den jeweiligen Ausstellungshäusern sehr positive Kritiken und weit höhere Besucherzahlen als gewöhnlich ein. Insofern fällt die Kritikalität dieser künstlerischen Ausstellungsprojekte im positiven Sinne zurück auf die einladenden Institutionen.9   Gerade durch diese nicht auflösbare Verstrickung und v. a. in Kosuths Fall direkt auf die derzeitige Politik reagierende, thematische Ausrichtung seiner Ausstellung, erscheint es umso unangemessener, von diesen Projekten als »Installationen« zu sprechen, wie in den begleitenden Texten, Rezensionen und Katalogen geschehen. Sie sind vielmehr zentrale Beispiele für interventionale Strategien, die sich über das Ausstellungsdisplay realisieren. Projekte wie diese implizieren keinen expliziten Wechsel vom Künstler zum Kurator oder umgekehrt, sondern sind vielmehr als logische Ausweitung ihrer jeweiligen Handlungsfelder zu begreifen. Während Wilson als Künstler das fortführt, was er zuvor bereits durch seine Tätigkeit in Kunstinstitutionen begonnen hatte,10 versteht Kosuth sich genau umgekehrt nicht als Kurator, sondern vielmehr als »Creator«, der sich in seiner künstlerischen Arbeit kuratorischer Strategien bedient.11   Im Unterschied zu diesen beiden Figuren ist in Bezug auf Mike Kelleys kuratorische Tätigkeit prinzipiell zu differenzieren zwischen den Ausstellungen, die er aus eigener Initiative organisierte und denen, die er auf Einladung einer Institution realisierte. Weitgehend unabhängig von seiner eigenen Kunstproduktion kuratiert Kelley bereits Mitte der 1980er Jahre eine Reihe von Ausstellungen in Los Angeles wie Black & White (1985 ) und Social Distortion (1986 ), die von ihm geschätzte und zum Teil aus seinem direkten Umfeld stammenden Künstlerinnen und Künstler wie etwa Tony Oursler, John Miller, Erika Beckmann, Paul McCarthy oder auch

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Vgl. zu dieser Problematik z. B. folgende Roundtable-Diskussion : Barry, Judith  /  Green, Renée  /  Wilson, Fred   /  Müller, Christian Philipp  /  Fraser, Andrea : »Serving Institutions«, in : Globus, Doro ( Hg.) : Fred Wilson. A Critical Reader, London 2011, S. 91‒100. Vgl. Foster et al. 2004, S. 626. Vgl. Kosuth, in : Short, Randall : »An Interview with Joseph Kosuth«, in : Ausst.-Kat. The Play of the Unmentionable. An Installation by Joseph Kosuth at the Brooklyn Museum, The Brooklyn Museum, New York, 27.09. ‒  31.12.1990, London 1992, S. 25  ‒ 29, hier S. 27.

IV. K elley  |  215

Raymond Pettibon zeigt und denen er so zu einer größeren Öffentlichkeit und Anerkennung verhalf. 2005 folgte im Museum of Contemporary Art in Los Angeles die von ihm kuratierte Ausstellung Street Credibility mit Arbeiten der Fotografin Diane Arbus und ihrem Umfeld. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind auch Kelleys verschiedene Kollaborationen mit seinem ehemaligen Lehrer Paul McCarthy. Gemeinsam realisieren sie im Rahmen der umfassenden Ausstellung Out of Actions. BETWEEN PERFORMANCE AND THE OBJECT, 1949     ‒1979 im Museum of Contemporary Art in Los Angeles 1998 auf Einladung des Kurators Paul Schimmel und der Leiterin des Vermittlungsprogramms Kim Kanatani eine »Ausstellung in der Ausstellung«, die in der Gil Friesen Visitors’ Gallery als Orientierungshilfe zur eigentlichen Ausstellung gedacht ist.12   Im Gegensatz zum Anspruch der Ausstellung Out of Actions »displaying the results of the artists’ performative activities in ways which will in some way retrace and reveal their creative methods«13 entscheiden Kelley und McCarthy sich bewusst gegen eine didaktisch angelegte Ausstellung und laden stattdessen Performance-Künstler ein, die gerade nicht in der Chronologie des offiziellen Ausstellungskonzepts auftauchen. Dazu zählen John Malpede und das Los Angeles Poverty Department, Allan Kaprow, Tony Conrad, Carolee Schneeman, Michael Smith, David Antin sowie Ann Halprin, die in einer Zeitspanne von zwei Wochen Performances aufführen und damit eine Alternative zur Ergebnisorientiertheit des Ausstellungskonzepts von Schimmel bieten sowie die Künstlerauswahl um zum Teil weniger bekannte Positionen erweitert. »The fetishization of the performance relic«, heißt es in ihrem Begleittext, »reduces the museum to mausoleum using as an excuse the museum’s own architectural boundaries.«14   Und weiter : »It implies that all artworks must be tailored to function within the museum building if they are to earn their definition as art. In this way, the pure of the physical architecture of the museum building is given precedence over the artists’ production. It is possible for the museum to act

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Schimmel, Paul : »Einleitung und Danksagung«, in : Ausst.-Kat. Out of Actions. Aktionismus, Body Art & Performance 1949   ‒1979, The Museum of Contemporay Art at The Geffen Contemporary, Los Angeles, 08.02. ‒10.05.1998, MAK, Wien, 17.06. ‒  06.09.1998, Museu d’Art Contemporani, 15.10.1998  ‒ 06.01.1999, Museum of Contemporary Art, Tokyo, 11.02. ‒11.04.1999, Stuttgart 1998, S. 11 ‒16. Kelley, Mike : »Statement for the Visitor’s Gallery : Out of Actions at the Museum of Contemporary Art, Los Angeles [1998]«, in : Ders. : Minor Histories. Statements, Conversations, Proposals, hg. von John C. Welchman, Cambridge ( Mass.) /  London 2004, S. 112 ‒117, hier S. 113. Ebd., S. 115.

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more as an organizational body, shifting off-site when necessary, and expanding itself to suit the aesthetic needs of the artists who exhibit there.« 15

Als Ausstellung in der Ausstellung sprengen Kelley und McCarthy auf nahezu paradoxe Weise das Ausstellungsformat und machen gerade durch den Verzicht auf das Display von Objekten oder erläuterndem Beiwerk aufmerksam auf die ihrer Meinung nach defizitären Aspekte von Out of Actions. Hierzu zählt auch eine Kritik an der in der Ausstellung entworfenen Chronologie, an dessen Stelle Kelley und McCarthy für ein Aufzeigen des »complex web of simultanous interactions« plädieren, das der Entwicklung künstlerischer Produktionsformen vorausgehe. In der Visitor’s Gallery zeigen sie daher Videodokumentationen der sieben dort stattfindenden Einzelpräsentationen sowie deren Installation und die Berührungsmomente von Künstlern, Vermittlern und Kuratoren, um möglichst umfassend Einblicke in die einzelnen Produktionsprozesse zu geben und darüber dem Besucher einen Blick hinter die musealen Kulissen zu eröffnen. Dem sich zunehmend festigenden Kanon institutionskritischer Praktiken stand er nach eigenen Aussagen daher eher skeptisch gegenüber.16   »The gallery and the art museum«, so Kelley in einem Interview mit John C. Welchman, »are small fish, who cares about them ? Showing in them is hardly any different than showing in the mall. It’s just a fancy-pants version of the same thing. It’s really not important enough to comment on.«17   Dieses Argument erscheint allerdings – und das werden die folgenden Analysen belegen – besonders in Bezug auf Kelleys eigene Ausstellungsgeschichte etwas fragwürdig. Schließlich sind künstlerische Produktion und ihre Präsentation innerhalb der Institution stets als bedingt voneinander zu sehen, wie Positionen der ersten Generation mit Protagonisten wie Broodthaers, Asher und Buren deutlich gemacht haben.

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Kelley 2014, S. 115. Vgl. Kelley, in : Kelley /  Welchman 2006, S. 342. Dort heißt es : »I thought a lot of the work deriving from Institutional Critique was irksome because, in a sense, the artists were parasites on the very institutions about which they complained. For me a gallery or museum was just another place in which to perform or work. I didn’t really hold them in such high regard; I never fetishized them.« In einer früheren Arbeit mit dem Titel From My Institution to Yours (1988 ), die auf eine angebliche Verbindung zwischen der Kunsthochschule Cal Arts und dem Los Angeles County Museum of Art anspielte, bezog Kelley sich dezidiert, aber mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken auf die damals aktuellen Debatten um die »institutional critique«. Ebd., S. 350.

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Funktionen des Displays Dem Display kommt in Kelleys Arbeiten somit stets eine doppelte Rolle zu : Zum einen dient es der wortwörtlichen Zurschaustellung des Unterdrückten, Abseitigen und scheinbar Wertlosen und zum anderen nutzt er es dazu, die Rezeption seiner Arbeiten zu steuern und gegebenenfalls zu korrigieren sowie Verbindungen zwischen einzelnen Arbeiten und Leitmotiven zu schaffen. In seinen Ausstellungen wendet er sich dezidiert gegen eine Fetischisierung des Kunstobjekts, indem er etwa auf klassische museale Präsentationsformen wie den Sockel oder die Vitrine ausdrücklich verzichtet bzw. wenn er sie einsetzt, dies hauptsächlich zu Zwecken des Détournements ihrer herkömmlichen Funktion tut.18   Zugleich wandeln sich die von ihm eingesetzten Materialien und Medien im Laufe seiner künstlerischen Karriere und greifen stets aktuelle Tendenzen und Moden künstlerischer Displayverfahren auf; beginnend bei der in engem Zusammenhang mit performativen Handlungen stehenden, räumlichen Anordnung von Zeichnungen und einfachen skulpturalen Objekten in den späten 1970er Jahren bis hin zu komplexen, multimedialen Projektionsräumen wie den Kandors (1999  ‒ 2012 ) oder Day is Done ( 2005 ) in den frühen 2000er Jahren. Jenseits ihrer sich wandelnden Ästhetik und damit einhergehend auch der Veränderung der Produktionsverhältnisse zeichnen sich kontinuierlich wiederkehrende Topoi ab, die sich durch die verschiedenen Werkphasen und Projekte ziehen. Hierzu zählen seine Auseinandersetzung mit musealen Ordnungssystemen ebenso wie mit der häufig ins biografische tendierenden Lesart besonders seiner frühen Arbeiten und dem sogenannten »Repressed« bzw. »False Memory Syndrome«.19   Vor allem an den hier noch genauer zu analysierenden Stofftierarbeiten, mit denen Kelley seinen internationalen Durchbruch feiern konnte, wird ersichtlich, wie er mit seinen Arbeiten bewusst auf eine auf biografische Deutungen abzielende Rezeption reagiert und dies über ein sich wandelndes Display seiner Arbeiten artikuliert. Das produktive Moment der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vergangenheit sollte zu einem grundlegenden Motor von Kelleys Arbeiten werden und hat v. a. seit seiner ersten Retrospektive im Whitney Museum New York für ihn und sein künstlerisches Schaffen an Bedeutung gewonnen. Im Zuge der Vorbereitungen habe er, so die Kuratorin Elisabeth Sussman,

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Vgl. Taylor, Simon : »The Phobic Object : Abjection in Contemporary Art«, in : Ausst.-Kat. Abject Art. Repulsion and Desire in American Art. Selections from the Permanent Collection, Whitney Museum of American Art, 23.06. ‒  29.08.1993, New York 1993, S. 59  ‒ 83, hier S. 69. Hierunter wird die besonders in den 1990er Jahren in den USA sich zunehmend von der Psychotherapie auch auf Fragen des Rechts- und Strafsystems ausweitende Diskussion über den Wahrheitsgehalt von Erinnerungen gefasst.

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Abbildung 1: Mike Kelley, Educational Complex, 1995

feststellen müssen, dass er in Bezug auf seinen künstlerischen Werdegang seinem eigenen falschen Gedächtnis unterlag. Dieser Umstand veranlasst ihn nicht zuletzt zu dem Architekturmodell Educational Complex (1995 ), das eine Schlüsselstellung in seinem Œuvre einnehmen sollte [ Abb. 1 ]. In diesem Modell, in dem Kelley aus dem Gedächtnis wie auf der Grundlage von Grundrissen jegliche von ihm besuchte Ausbildungsstätten zusammenführt, rückt er Themen wie Erinnerung und verlorene Zeit mit dem Ausbildungssystem und damit einhergehende Formen der Unterdrückung samt ihrer sexuellen Konnotation in den Fokus.20

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Vgl. Stals, José Lebrero : »Dragging Oneself Over the Treshhold of the Exhibition«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley. 1985  ‒1996, Museu d’Art Contemporani de Barcelona, 24.01. ‒ 31.03.1997, Rooseum. Center for Contemporary Art, Malmö, 25.04. ‒15.06.1997, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 05.07  ‒ 31.08.1997, hg. von José Lebrero Stals, Barcelona 1997, S. 13  ‒ 23, hier S. 14  f. Besonders deutlich wird die Schlüsselstellung dieser Arbeit an der von Anne Pontégnie in enger Absprache mit dem Künstler kuratierten Ausstellung Educational Complex Onwards 1995  ‒ 2008 im Wiels in Brüssel 2009. Die Kuratorin Anne Pontégnie geht in ihrer Ausstellung von der Arbeit Sublevel aus, die für sie »the first reworking of Educational Complex (1995 )« darstellt. Pontégnie, Anne : »Educational Complex Onwards 1995  ‒ 2008«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley. Educational Complex Onwards 1995  ‒ 2008, Wiels Contemporary Art, Brüssel, 12.04. ‒  27.07.2008, MUSEION Museum of Modern and Contemporary Art, Bozen, 17.01. ‒ 19.04.2009, hg. von Mike Kelley und Anne Pontégnie, Zürich 2009, S. 1 ‒ 8, hier S. 1.

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Abbildung 2 : Mike Kelley, Categorical Imperative, 1999, Ansicht im Atelier von Mike Kelley

Kelley kehrt in vielen der Arbeiten, in denen das Display eine konstitutive Rolle spielt, gerade das Hässliche, Eklige oder Unheimliche hervor sowie Reste und Überbleibsel aus früheren künstlerischen Arbeiten, die erst über die Präsentation im musealen Ausstellungsraum an ästhetischem Wert gewinnen. Seine kritische Auseinandersetzung mit den gegebenen Konventionen des Displays betrifft somit immer auch bewusst vollzogenes Urteil darüber, was würdig ist, ausgestellt zu werden und was nicht. Letzteres gilt v. a. für die nach einem Recyclingprinzip funktionierenden Arbeiten Categorical Imperative (1999 ) [ Abb. 2 ] und Double Contour with Side Bars ( 2000 ). Diese Arbeiten bestehen zu großen Teilen aus Abfällen und Überbleibsel vorangegangener Kunstproduktionen, die Kelley zu neuen Arbeiten arrangiert. Über die Kombination von Werkresten aus den Arbeiten Educational Complex und Framed and Frame schafft er beispielsweise in seinem Skulpturenensemble Double Contour with Side Bars Verbindungslinien zwischen den beiden zuvor nicht in direkter Verbindung stehenden Arbeiten. Zugleich verweist er über ihre »formlose« Gestaltung und Verzierung durch glitzernde Materialien auf den Komplex seiner Memory Ware-Arbeiten. Diese beziehen sich auf eine kanadische Folk-Art-Tradition und bestehen aus diversen als Andenken geltende Gegenstände wie Kettenanhänger, Perlen, Knöpfe und Glücksbringer, die zu einer schimmernden Collage in Pollock’scher All-over-Ästhetik in Goldrahmen zusammengefügt sind. Die mit Double Contour with Side Bars einhergehende Präsentation von Science-Fiction-Büchern stellt einen Bezug zu An Architecture Composed of the Paintings of Richard M. Powers and Francis Picabia (1997 ) her – eine Arbeit, die Kelley gemeinsam mit Paul McCarthy für die bezeichnenderweise Display betitelte Ausstellung in der Charlottenborg Exhibition Hall in Kopenhagen entwarf. Über das Zusammenspiel des Präsentierten und seiner Präsentationsform

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schafft Kelley somit nicht nur eine Verwertung von Resten, sondern knüpft durch die Weiterverwertung von Materialien, Formen und Titeln – und hierin zeichnet sich wiederum eine Parallele zu den Verfahren von Beuys und Kippenberger ab – zugleich ein komplexes, eine strikt chronologische Werkgenese unterlaufendes Verweissystem zwischen seinen einzelnen Arbeiten.21  Sofern Kelley das Display seiner Arbeiten selbstbestimmt vornahm, ist daher prinzipiell davon auszugehen, dass ihm auch eine konzeptuelle Dimension zuzuschreiben ist. Ein »einfach Abstellen« im Beuys’schen oder auch Kippenberger’schen Sinne wird man bei ihm nicht finden – selbst dann nicht, wenn es wie beispielsweise in der Arbeit Categorical Imperative (1999 ) mit seinen lose auf dem Boden mehrerer Ausstellungsräume verteilten »junk sculptures« auf den ersten Blick so aussehen mag. Kelley nahm diese für die Gemeinschaftsausstellung mit Franz West bei OneTwoThree in Brüssel produzierte Arbeit – wie schon Beuys bei Schmela – zum Anlass, all die Objekte zu zeigen, die sich in seinem Atelier angesammelt hatten, aber bisher nicht zum Einsatz gekommen waren. Bei ihrer collagenhaften Präsentationsform lässt er sich jedoch anders als Beuys von einem Interesse an dem Prozess der Kategorisierung leiten. In einer zu dieser Arbeit entwickelten Audiospur kann der Ausstellungsbesucher zudem Kelleys Erklärungen folgen, wie und warum er zu diesen Objekten gekommen war. So entpuppen sich die wie lose hingeworfenen Objekte und Materialien auch hier als reflexive Form der Präsentation. Eine andere Form des »re-working« findet sich in der 1995 in der KestnerGesellschaft gezeigten Ausstellung Missing Time : Works on Paper 1974  ‒1976, Reconsidered. In ihr kombiniert Kelley eine Reihe von Gemälden aus seiner Studienzeit, die er mit knapp 20 Jahren Abstand im Versuch, sich in seinen damaligen, noch von Hans Hoffmann beeinflussten Malstil zurückzuversetzen, überarbeitete, mit jeweils einem nicht überarbeiteten Gemälde aus den 1970er Jahren. Die Differenz zwischen Altem und Neuem konnte so von jedem Betrachter im Sinne eines vergleichenden Sehens innerhalb der Ausstellung selbst nachvollzogen und ein Urteil über das Gelingen oder Nichtgelingen von Kelleys Verfahren gefällt werden – eine durchaus didaktische Methode, wie sie auch Kippenberger einsetzt. Bei Letzterem allerdings, um qualitative Unterschiede aufzuzeigen, hier hingehen, um den eigenen wortwörtlichen »Fort-Schritt« über eine bestimmte Technik sichtbar zu machen. Dieser, hier noch bewusst ausgestellte Fortschrittsglaube wird besonders

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Vgl. auch Kelley, Mike : »Umgestalten, Wiederverwerten, Vervollständigen und letzte Ergänzungen«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley. Educational Complex Onwards 1995  ‒ 2008, MUSEION – Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst Bozen, 17.01. ‒ 19.04. 2009, hg. von MUSEION – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen, Bozen 2009, S. 30  ‒ 33.

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anhand der letzten von Kelley realisierten Ausstellungsprojekte durch die zunehmend Nachfrage von Seiten des Marktes noch einmal deutlich und sollte ihm nicht zuletzt zum Verhängnis werden. Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass Kelleys Arbeiten stark rezeptionsorientiert angelegt ist und den Betrachter bewusst auf verschiedenen Ebenen anspricht : auf der visuell-ästhetischen, der intellektuellen und häufig auch der physischen bzw. psychischen. Stets muss sich der Betrachter zu dem, was er sieht, in Beziehung setzen und sieht sich entsprechend veranlasst, über seine eigenen Wertekriterien und -maßstäbe zu reflektieren. Über seine Texte setzt Kelley einzelne Arbeiten und Ausstellungen thematisch in Beziehung zueinander und schafft so auch auf dieser Ebene zunehmend den Eindruck eines jenseits der linearen Produktionsabfolge existierenden dichten Netzes, das über diese Verweise auch das Vergangene stets wieder aktualisiert. Manifestiert hat Kelley dieses Prinzip in seinem 2009 für die große Werkschau im Brüsseler Wiels angelegten »projektbezogenen Ablaufschema«, das Arbeiten von den frühen 1990er Jahren bis dato zueinander grafisch in Beziehung setzt und jeweils mit einem kurzen Kommentar versieht. Es erzeugt in seiner visuellen Klarheit den Effekt, dass sein gesamtes bisheriges Œuvre wie ein kohärentes Ganzes wirkt, allerdings – und das ist für die nachfolgenden Ausführungen von besonderem Interesse – ohne eindeutiges Zentrum. Vielmehr laufen verschiedene Werkstränge parallel, beeinflussen sich gegenseitig, konvergieren und teilen sich wieder in unterschiedliche künstlerische Ableger auf. Der diskursive Überbau, den herkömmlicherweise Kunstkritiker und -historiker übernehmen, wird so bereits immanenter Teil der künstlerischen Produktion. In den folgenden Analysen soll nun genau dieser von Kelley noch zu Lebzeiten vorgenommenen Steuerung des Displays seiner eigenen Arbeiten und damit der engen Verknüpfung von seinen Ausstellungssituationen mit der künstlerischen Intention und den sich hieraus ergebenden Rezeptionsmöglichkeiten auf den Grund gegangen werden. Wie bei Kippenberger folgt die Auswahl der zu besprechenden Ausstellungen in chronologischer Reihenfolge, da hierüber zugleich der Einfluss des zunehmenden künstlerischen Erfolgs von Kelley auf die Mittel seiner künstlerischen Produktion und auf den Umgang mit dem Ausstellungsformat diskutiert werden kann. Die Entwicklung des Ausstellungsdisplays aus der Performance Erste Bekanntheit erlangt Kelley in den späten 1970er Jahren v. a. in den USA durch seine Performances, in denen er Tanzelemente, Musik, Objekte und Sprache eng miteinander verknüpft. In Kelleys Worten »dead to their own history« bieten die Performances dennoch Anlass zu einem Blick zurück auf diese Anfangszeit, die eben auch seine erste Auseinandersetzung mit dem Display von Kunst innerhalb

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eines ( kommerziellen ) Ausstellungskontextes darstellt.22   Da die Performances zunehmend von Ausstellungdisplays in nichtkommerziellen Kunsträumen und Galerien zunächst begleitet und schließlich abgelöst werden, lässt sich an ihnen besonders gut aufzeigen, wie sich aus einer anfangs supplementären Struktur eigenständige künstlerische Arbeiten entwickeln, die inzwischen zum Teil selbst Werkcharakter erhalten haben. Erschwert wird ein Nachvollzug dieser Arbeiten heute dadurch, dass keine von ihnen vorsätzlich als Video dokumentiert wurde. Neben den nur vereinzelt existierenden fotografischen Dokumentationen, sind es daher v. a. die durch Rezensionen vermittelten subjektiven Eindrücke und die wenigen von Zeitzeugen verfassten Texte in Ausstellungskatalogen, die hier als Quellen fungieren. »The other side of conceptualism« Kelleys erste, bereits zu Studienzeiten entstehende Performances wie Indianana (1978 ) oder My Space (1978 ) basieren noch ohne aufwendiges Setting auf Beschreibungen einzelner von ihm gefertigter, skulpturaler Objekte. Eingebunden in das sprachliche Narrativ verlieren letztere ihren Status als singuläre Kunstobjekte und werden durchaus mit Beuys’ »Werkzeugen« vergleichbar zu Requisiten innerhalb einer Handlungsstruktur.23   Durch die von Kelley vorgenommenen Übersetzungsprozesse von den Skulpturen in einen geschriebenen Text und vom Text zur mündlichen Verbalisierung anhand der Skulpturen entzogen sich die eingesetzten Kunstwerke und ihre Ableger in den Performances dem Status eindeutiger Bedeutungsträger.24   Sie wurden zu betont offenen Objekten, deren Bedeutungen wandelbar und damit kontingent waren, je nachdem wie mit ihnen umgegangen und wie über sie gesprochen wurde.25   Ein Grund für die Wahl dieses Verfahrens

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Welchman, John C. : »The Mike Kelleys«, in : Graw, Isabelle  /  Vidler, Anthony  /  Welchman, John C. ( Hg.) : Mike Kelley, London  /  New York 1999, S. 44  ‒ 93, hier S. 50. »Irgendwann fiel mir auf, daß sich diese auf unterschiedliche, sich widersprechende Weise beschreiben lassen, so daß sich trotz des Bezuges zum Beschriebenen die Bedeutung verschiebt. Zudem beschäftigte mich, wie sich diese mit der Zeit änderte. […] Als mir die langen Texte zu langweilig wurden, sagte ich mir, das will ich ja gar nicht erzählen. Dabei gelangte ich aber zwangsläufig zu einer Struktur, die das Schreiben begründete. Ich wollte über all diese Dinge im Zusammenhang mit den Objekten reden, und das dauerte mehr als drei Stunden.« Mike Kelley in : Jocks, Heinz-Norbert ( Hg.) : Mike Kelley im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks, Köln 2001, S. 50  f. Martin, Timothy  : »Janitor in a Drum: Excerpts from a Performance History«, in : Ausst.Kat. Catholic Tastes, 1993, S. 56 ‒ 88, hier S. 56. Ebd.

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lag in der Kelley zufolge verkürzten Lesart seiner Skulpturen als Reaktion auf den Minimalismus.26   Mit den Performances – und diese sollen maßgeblich für alle folgenden Arbeiten werden – bezieht er den Akt der Bedeutungszuschreibung, der herkömmlicherweise durch Kunstkritiker oder -wissenschaftler vollzogen wird, bereits mit in die Arbeit ein und erschwert durch die von ihm vorgenommene Öffnung des Bedeutungsspektrums eine klarer Zu- bzw. Einordnung.27   Zugleich, und das wird in den hierauf folgenden, zunehmend komplexer werdenden Performances noch stärker ersichtlich, sind sie auch in bewusster Abgrenzung von den reduktionistischen Tendenzen der zu diesem Zeitpunkt noch tonangebenden New Yorker Konzeptkunst zu sehen, deren Vertreter sich in New York um den Galeristen und Kurator Seth Siegelaub versammelten.28 Prinzipiell geht Kelley bei seinen Performances stets ähnlich vor : Zunächst bestimmt er ein von persönlichem Interesse geleitetes Thema und beginnt daraufhin seine umfangreichen und durch umfassende Notizen begleiteten Recherchen.29 Von dieser konzeptuellen Basis ausgehend entwickelt er ein Verfahren, das, so Kelley, »starts propelling personal associations. It builds a body of notes, a stack of paper. When I have enough of those, I go back and illustrate them. That’s what all the work is. I set aside a few months to make everything, like a production line.« 30   Die subjektiv-assoziative Verkettung von unterschiedlichen Wissensbereichen und Textmaterial verlaufen quer der Kategorien von high und low, gutem und schlechtem Geschmack, Banalem und Hochtheoretischem und schaffen so eine häufig sehr humorvolle, netzartig ineinander verwobene Struktur von Text und performativer Handlung. Häufig bezieht Kelley andere Künstler hierbei mit ein und kombiniert seine ebenso endlos wie sinnlos erscheinenden Monologe mit

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Kelley, in : »Mike Kelley by John Miller«, in : BOMB Magazine 38 (1992 ), http://bombsite. com/issues/38/articles/1502  ( Abruf am 30.09.2013 ). Vgl. hierzu auch Adrian Piper in ihrem Text »Power Relations within Existing Art Institutions [1983 ]«, in : Alberrro, Alexander  /  Stimson, Blake ( Hg.) : Institutional Critique. An Anthology of Artist Writings, Cambridge ( Mass.)  /  London 2009, S. 246  ‒ 274, v. a. S. 252  f. Vgl. Gardner, Colin : »Let It Bleed : The Sublime and Plato’s Cave, Rothko’s Chapel, Lincoln’s Profile«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley. Catholic Tastes, Whitney Museum of American Art, New York, 05.11.1993  ‒ 20.02.1994, The Los Angeles County Museum of Art, 30.06. ‒ 11.08.1994, Moderna Museet, Stockholm, Herbst 1994, hg. von Elizabeth Sussman, New York 1993, S. 112  ‒124, hier S. 112. Kelley, in : Kellein, Thomas ( Hg.) : Mike Kelley, Thomas Kellein. Ein Gespräch – A Conversation, Ostfildern 1994, S. 34. Vgl. Armstrong, Richard : »In the Beginning«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley. Catholic Tastes, 1993, S. 43  ‒ 55, hier S. 52.

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Tanzelementen und Livemusik. Dieser Ansatz ist auch dem Geist von Kelleys damaliger Kunsthochschule CalArts geschuldet, zu deren Lehrergeneration Künstler wie John Baldessari, Laurie Anderson, Douglas Huebler, Robert Cumming und David Askevold gehören. Anders als bei den eng mit sprachphilosophischen und zeichentheoretischen Ansätzen verknüpften Arbeiten eines Joseph Kosuth oder Lawrence Weiner erhalten bei diesen Künstlern der Westküste narrative Strukturen einen wesentlich größeren Stellenwert. Sie alle arbeiten vorrangig mit der Kombination von Fotografie und Textelementen.31   Besonders Askevolds Arbeiten werden in den 1970er Jahren unter dem Schlagwort »narrative art« gefasst. Hierunter wird eine Ausprägung des Konzeptualismus verstanden, die v. a. mit der Kombination von Bild und Text arbeitete und dabei den streng logischen Ansätzen der ersten Generation konzeptueller Künstler oftmals diametral entgegensteht. »Instead of hankering after some Aristotelean idea of essences, like abstract art so often does, their art of people, things, and situations embracing a wide spectrum or real and imaginary everyday life, is a humanising gesture of some significance«, heißt es etwa in James Collins’ Essay in einem für diese Kunstrichtung zentralen Ausstellungskatalog.32  Askevold, den Kelley aus Ermangelung eines besseren Begriffs einmal als »difficult conceptualist« vorstellte,33 zielt in seinen Foto- und

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Vgl. Kelley, Mike : »David Askevold : The California Years [1998 ]«, in : Ders. : Foul Perfection. Essays and Criticism, hg. von John C. Welchman, Cambridge ( Mass.) 2003, S. 194  ‒ 203, hier S. 195. Collins, James : »Narrative«, in : Ausst.-Kat. Narrative Art. An exhibition of works by David Askevold, Didier Bay, Bill Beckley, Robert Cumming, Peter Hutchinson, Jean Le Gac, and Roger Welch with a preface by James Collins, Palais des Beaux-Arts, Brüssel, 26.09. ‒  02.11.1974, o. P.   Weiter heißt es dort : »Don’t be put off though by the amount of writing on the wall in ›Narrative‹. You’re not being given another dated philosophic mumbo jumbo session from the Sixties. ›Narrative‹ is nothing to do with art as a learning situation with gallery-goers as naughty schoolboys. ›Suffer and Learn‹ is not ›Narrative’s‹ motto. More in line with Lewis Carroll’s delightful, and no less philosophic Alice in Wonderland, or somewhat more recently Lenny Bruce’s ironic and no less psychological humor of ›talking dirty and influencing people‹, ›Narrative‹ makes a welcome point to an adult audience that visual art, even if it involves texts – sometimes lengthy – doesn’t have to be scholastic – or dull – to be meaningful.« Zitiert nach Myers, Holly : »David Askevold made it all perfectly unclear«, in : Los Angeles Times vom 3. August 2012, o. P.   Askvold ist ein sehr beliebter Lehrer gewesen, der mit seinen ungewöhnlichen Lehrmodellen neue Wege einschlug. Kelley wie auch Tony Oursler arbeiteten in musikalischer wie künstlerischer Sicht wiederholt zusammen. Auffallend oft wird in Rezensionen von Askevold-Ausstellungen auf seinen Einfluss auf diese beiden Künstler verwiesen.

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Videoarbeiten auf bewusst unlogische Strukturen ab. Sein poetischer Umgang mit Sprache und der Einbezug des Psychischen machen ihn v. a. an der Westküste der USA zu einer singulären und äußerst einflussreichen Figur der Zeit. Kelley arbeitet nicht nur wiederholt mit ihm zusammen, er schlägt auch mit seinen eigenen Performances eine ähnliche Richtung ein.34   Im Unterschied zu den Videound Fotoarbeiten von Askevold erhält in Kelleys Performances jedoch der Körper unvermittelten Anteil am Prozess der Bedeutungskonstitution. Damit gewinnen auch Themen wie Sexualität und das Abjekte Einzug, die in den bis dato geführten Debatten um konzeptuelle Ansätze abgesehen von denen etwa Vito Acconcis kaum eine Rolle gespielt hatten. Expliziter noch als die Vertreter der sogenannten Narrative Art begegnet Kelley einem im Kanon der Kunstgeschichte wie -lehre fest etablierten Begriff von Konzeptkunst mit einem bewusst ausformulierten Gegenentwurf. Besonders der Einsatz von Tanzeinlagen in den Performances stellt in Abgrenzung der ersten Generation von Konzeptkünstlern die Vorstellung von dem »thing-as-idea« in Frage.35   Dennoch handelt es sich auch hierbei um konzeptuelle Arbeiten, die in der Verbindung von Bild- und Textmaterial über die im Verlauf der Performances entstehenden Zeichnungen sowie den Diagrammen oder Amateurfotografien durchaus Parallelelen aufweisen zu den Ansätzen seiner Lehrergeneration.36   »Sitting through a Michael Kelley performance is like watching a Buster Keaton or Mack Sennett at their pie-throwing best, except that they would be lecturing on Jacques Derrida or Claude Levi-Strauss instead of fighting off Fatty Arbuckle or the Keystone Kops.« 37 Als ihr grundlegendes Thema ist daher, wie diese Charakterisierung von Colin Gardner deutlich macht, die Suche nach bzw. das häufig sehr humorvolle Spiel mit Bedeutung und eine Auseinandersetzung mit Glaubenssystemen zu sehen, mit dem Ziel, diese als »propaganda-gonewrong« zu charakterisieren.38   Insofern sind diese Arbeiten bereits auf sehr basaler

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Ein Beispiel für ihre Zusammenarbeit ist die Arbeit The Poltergeist von 1979. Martin 1993, S. 57. Welchman 1999, S. 46. Huebler spielte für Kelley insofern eine zentrale Rolle als das er in Arbeiten wie Crocodile Tears (1981 ‒1997 ) sich Elementen aus seinem Privatleben und besonders seines Standings innerhalb der Kunstwelt bediente. Vgl. Pontégnie 2009 und Graw, Isabelle : »Isabelle Graw in conversation with Mike Kelley«, in : Dies. / Vidler / Welchman 1999, S. 6  ‒ 41, hier Anm. 2, S. 14  f. Gardner, Colin, in : Reader vom 23. März 1984, o. P. Vgl. Armstrong 1993, S. 55.

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Ebene durch ein dekonstruktives Moment gekennzeichnet. Aus der Negation von und   / oder Kritik an etwas Bestehendem, Tradiertem heraus etwas Neues zu schöpfen, wird eins von Kelleys Leitmotiven bleiben.39 Von der Performance zum Ausstellungsdisplay Den Übergang zu einer stärker raumbezogenen Performancepraxis markieren Kelleys zunehmend freiere Assoziationslinien, die zu ihrer zeitlichen Ausdehnung sowie einem stärker ausdifferenzierten Setting führen.40  Aus einzelnen auf dem Boden verteilten Requisiten und Kleidungstücken lässt er imaginäre Landschaften oder Architekturen entstehen ( Indianana [1978 ], Three Valleys [1980 ] ).41   Hierbei werden die eingesetzten Objekte häufig durch ihre Anordnung und Neukontextualisierung in ihren ursprünglichen Bedeutungen verkehrt. So erscheint beispielsweise über die sprachliche Zuweisung Kelleys während der Performance ein umgedrehter Hut als Berg.42   Sprache in Kombination mit Handlung fungiert auch hier folglich wieder als maßgebliches bedeutungskonstituierendes Element von Objekten. Durch ihr im wortwörtlichen Sinne Theatralwerden lösen sich die Objekte im Unterschied zu den eingangs erwähnten Objekten der Minimal Art von ihrer konkreten Beschaffenheit und werden Hilfsmittel im Zuge von Fiktionalisierungen. Sie werden eben gerade nicht als »bloße Objekte« erfahren, sondern erst durch ihre Einbindung in ein theatrales Ereignis mit Bedeutung aufgeladen und in einen narrativen, wenn auch nicht zwangsläufig logischen Zusammenhang gestellt.

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Was Kelley in Bezug auf Fahlströms Arbeiten herausstellte, scheint auch hier zu gelten : »This deconstruction is predicated on the construction of an artistic world – in the form of a model.« Nicht ein singuläres Narrativ wird erzählt, sondern viele zugleich. Hierin ähneln sich Kelley und der von ihm geschätzte Oyvind Fahlström, den er mit seinem Text »Myth Science« (1995 ) aus der Rezeption als Pop-Art-Künstler herausholte, in der er bis dato vorrangig rezipiert wurde, und als politischen, konzeptuell arbeitenden Künstler charakterisierte. »Today – in the wake of a neoconceptualist generation that accepts as a given the ›postmodern‹ plurality of styles ‒«, so Kelley, »it is easier to see Fahlström’s practice as a kind of deconstruction deploying the popular sings which surround us every day, rather than as an exercise in raising ›low‹ cultural material to the lofty realm of fine art.« Kelley, Mike : »Myth Science«, in : Ausst.-Kat. Oyvind Fahlström. Die Installationen, Gesellschaft für Aktuelle Kunst e. V., Bremen, Kölnischer Kunstverein, Köln, Ostfildern 1995, S. 9  ‒17, wieder veröffentlicht in : Kelley 2003, S. 158  ‒177, hier S. 161. Welchman spricht in diesem Zusammenhang etwa von Environment. Welchman 1999, S. 50. Vgl. Armstrong 1993, S. 52. Vgl. ebd.

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Abbildung 3 : Mike Kelley, Monkey Island, Ausstellungsansicht, Rosamund Felsen, Los Angeles, 1983

Confusion : A Play in Seven Sets, Each Set More Spectacular and Elaborate Than the Last von 1982 ist die letzte nach diesem demonstrativen Muster aufgebaute Performance, bei der die in der Galerie ausgestellten Zeichnungen und Skulpturen noch direkt mit der Performance verknüpft waren.43   Zugleich bildet dieses Projekt mit der Ausstellung von Elementen aus der Performance 1982 bei Metro Pictures in New York den Übergang zur Loslösung des Displays von der Performance, die von nun an als zwei zwar inhaltlich sehr eng verbundene, aber dennoch formal zunehmend autonome Ergebnisse der vorangegangenen Recherche existieren sollten. Das umfassende, rechercheintensive Projekt Monkey Island [ Abb. 3 ] wird zunächst gemeinsam mit Confusion 1982 bei Metro Pictures in Form einer Ausstellung gezeigt. Hierauf folgt ein Jahr später die Performance im Beyond Baroque Literary    / Arts Center im kalifornischen Venice sowie eine zweite Ausstellung in der Rosamund Felsen Gallery in Los Angeles. Kelley greift 1985 in der im Theater der Municipal Art Gallery in Los Angeles aufgeführten Performance Monkey Island Part II dieses Projekt noch einmal auf und bringt es damit zugleich zum Abschluss. Wie schon in den vorangegangenen Performances lässt Kelley auch hier in seinen ausschweifenden, von Percussions und Saxophon begleiteten Monologen mithilfe simpler Elemente eine imaginäre Welt entstehen, die den Betrachter wie Zuhörer in ein von sexueller Symbolik gefülltes Land führt. Als zentrales strukturierendes Element der Performance wie des Displays dient ein auf dem

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Ebd., S. 74.

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Boden angeordnetes sanduhrförmiges Diagramm, dessen rote Farbe und elementare Kreuzstruktur mit vielen der weiteren, auf unterschiedlichen Höhen über die Wände und den Boden verteilten Zeichnungen und Objekten korrespondiert. Kelley interpretiert es im Verlauf der Performance nicht nur als Symbol bilateraler Aufteilung, sondern auch als Karte, Diagramm eines menschlichen Körpers, imaginäre Landschaft und Struktur des Geistes.44   Er tritt damit zwar nach wie vor als derjenige auf, der den Dingen über ihre Anschaulichkeit hinaus im Laufe der Performance verschiedene, sich häufig überlagernde Bedeutungen verleiht. Doch sei, wie es in den Kritiken heißt, selbst wer nur die Ausstellung sah, »not at a great loss as to its meaning«.45   Entsprechend der unterschiedlichen sprachlichen Referenzen im Text der Performance erscheinen auch die einzelnen Arbeiten in den Ausstellungen zunächst »wildly disparate«. Christopher Knight berichtet in seiner Kritik von »Charts that simultaneously seem to diagram an insect’s body, the structure of a molecule, and an alchemical ritual; aphorism written as captions to cartoon-like renderings; drawings of monkeys and mandrake roots made from magic marker, Mercurochrome or semen; photographs of the faceted, compound eye of a housefly and of honey-pot ants suspended like stalactites, their bellies swollen with nourishment from which other ants may feed.« 46

Während in den Beuys’schen Aktionen ein didaktisches Moment dominiert und die Vermittlung seines Kunstbegriffs im Vordergrund steht, liegt Kelley weniger an der Vermittlung einer eindeutigen Botschaft und Aufklärung des Publikums. Vielmehr verkehrt er seine eigene Theorie trotz bzw. gerade mit wissenschaftlichen Verfahren und Anschauungsmodellen absichtlich ins Sinnlose oder Absurde und hinterlässt ein in seinen Verständnisbemühungen weitgehend überfordertes Publikum. Hieran wird deutlich, dass Kelley über die Verweigerung von eindeutigen Bedeutungszuschreibungen nicht nur inhaltlich auf Konfusion, sondern ganz gezielt auch auf eine dementsprechende Art der ästhetischen Erfahrung abzielt. Dies trifft sowohl für die Performances als auch für die damit in Verbindung stehenden Ausstellungsdisplays zu. Das Display in den beiden Galerieausstellungen fungiert demnach als ein eigenständiges, mit der Sprache vergleichbares sinnstiftendes Medium. Das fragmentierte Narrativ der Performance, ihre rhizomhaften Verweis-

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Duncan, Michael : »Kelley’s Junk-Shop Pop«, in : Art in America 82/6 (1994 ), S. 86. Armstrong 1993, S. 74. Knight, Christopher : »Mike Kelley turns confusion into art. ›Monkey Island‹ installation is a strange mix of drawings and objects«, in : Los Angeles Herald Examiner vom 27. März 1983, o. P.

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strukturen, Wiederholungen sowie Vergleiche und Gegensätze finden ihre visuelle Entsprechung in den Objekten, Zeichnungen, Diagrammen und v. a. in den assoziativen Verbindungslinien zwischen ihnen, die sich durch die Hängung im Ausstellungsraum ergeben.47   Über die situative Disposition der einzelnen Arbeiten entsteht eine dreidimensionale, ebenfalls rhizomhafte Struktur, deren idealer Betrachterstandpunkt sich in der Mitte des Raumes befindet. Dementsprechend stünde das Diagramm am Boden, wie Christopher Knight betont, »familiar to art historians […] for the relation of the viewer to the illusionistic space in a perspectival painting«48 – nur, dass sich in den Ausstellungen diese Illusion in einen tatsächlichen Raum verkehrt. Mit dem Formatwechsel verändert sich auch die Rolle, die dem Betrachter zugeschrieben wird. Die Sinn produzierende Rolle, die Kelley in der Performance über die Sprache und den Einsatz der einzelnen Requisiten zukommt, wird in der Ausstellung nun auf den Betrachter selbst übertragen. Dabei verkehrt sich der lineare Zeitverlauf der Performance im Display in eine primär räumliche Dimension, in der der Betrachter zunächst mit der gleichzeitigen Präsenz der Objekte, Zeichnungen und Textfragmente konfrontiert eine eigene Zeitlichkeit in der Rezeption bestimmen kann. Indem der Betrachter die Beziehung zwischen den einzelnen Elementen an den Wänden und dem Diagramm am Boden selbst aktiv herstellen muss, wird er zum Co-Autor von Monkey Island, dessen imaginäre Welt über die Dekodierungsbemühungen des von Kelley erzeugten Zeichensystems so auch zu seinem eigenen geistigen Produkt wird. Und doch bleibt es bei den Bemühungen, denn »however clearly we can see that order, we cannot grasp its meaning«, wie es Knight in seiner Kritik schildert.49   So wird auch hier das Moment der Bedeutungsproduktion und der Versuch der Sinnstiftung selbst zum Thema, bei dem der Betrachter nun nicht nur rezipierendes Subjekt, sondern selbst Objekt dieser Erfahrung wird, die letztendlich nur in der Verwirrung und damit im Scheitern enden kann. Evident wird die Loslösung von Display und Performance in dem auf Monkey Island folgenden Projekt The Sublime (1984 ) [ Abb. 4   ]. Hierbei sind Ausstellungsort ( die Galerien Metro Pictures und Rosamund Felsen ) und Ort der Performance

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Welchman verdeutlicht Kelley zitierend, dass »[t]he drawings supplied ›something visual that was analogous to language‹, but were not set up as didactic panels, or illustrational appropriations«, wie es etwa bei Beuys der Fall ist. »To signal this separation«, so Welchman weiter, »he referred to them as ›paintings‹ that were ›not about paint‹ or combines that puzzled over the ›meaning of meaning‹«. Welchman 1999, S. 52. Duncan 1994, S. 86. Knight 1983, o. P.

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Abbildung 4 : Mike Kelley, The Sublime, Ausstellungsansicht, Rosamund Felsen, Los Angeles, 1984

( Museum of Contempory Art, Los Angeles ) wiederum von vornherein getrennt voneinander. Vergleichbar mit Monkey Island konstatieren auch hier die zeitgenössischen Kritiken, »[ that ] it’s not necessary to have seen the performance to embrace the show«.50   Intensiver noch als zuvor widmet sich Kelley mit dem Erhabenen einer Thematik, die ihn auch darüber hinaus weiter beschäftigen sollte und dessen visueller Output unmittelbar aus seinen Recherchen und eigenen, umfassenden Schriften hervorging. The Sublime, so Kelley, »broaches those ideas of infinity; or ideas of loss of self, or ideas of nothing – which are all language and syntactic constructs that use the limits of language to set up a situation that actually doesn’t exist, but can exist through language, like the whole concept of infinity itself. You can use that to test the boundaries of your own thought, and thus throw yourself into an orgasm, a religious orgasm.« 51

Neben den kanonischen Ausführungen zum Erhabenen von Longinus, Kant und Edmund Burke dient ihm als geistige Ausgangsbasis dieses Projekts auch ein Artikel aus dem Magazin National Geographic, der sich mit der Suche nach der größten Blume der Welt beschäftigte. Dessen Sprache fällt für eine Wissenschaftspublikation ungewöhnlich blumig aus, was Kelley wiederum Anlass zu einer pornografischen Deutung bot, um so dem wissenschaftlichen Rationalismus seinen Boden zu entziehen. Auch in den Berichten über diese Aufführungen wird die treibende

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Knight, Christopher : »Artist Mike Kelley redefines ›sublime‹«, in : Los Angeles Herald Examiner vom 8. April 1984. Kelley zitiert nach Gardner 1993, S.  113.

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Kraft der von pulsierenden Percussions begleiteten Performance betont. Sie hat eine stetige Verschiebung des Referenzrahmens zur Folge und ist in ihrer monologischen Struktur von einer Reihe Aphorismen, Slapsticknummern sowie einer Diashow sublimer Banalitäten wie Sonnenaufgänge und Steilhänge durchsetzt.52 Indem Kelley die Suche nach einer Blume in eine sexuell aufgeladene Erzählung über die Beherrschung der Natur durch das männliche Geschlecht verkehrt und das vormals Sublime mit seinen heutigen Kitschvarianten unterläuft,53 schwächt er nicht nur eine romantische Naturauffassung, wie sie traditionell mit dem Erhabenen in Verbindung gebracht wird, sondern dekonstruiert zugleich sein eigenes Narrativ.54 Für die Ausstellung von The Sublime wählt Kelley vergleichbar mit dem Display von Monkey Island für die gut 40 überwiegend in Schwarz-Weiß gehaltenen Zeichnungen eine Hängung, die den Galerieraum in ihrer »synergistic manner« dominiert. Sie wird von einer Soundspur begleitet, deren Klang in einer Kritik als »an abused sheep or duck – interspersed with a muffled ›ouch‹« beschrieben wird.55 In der Mitte des Raumes sind die Requisiten aufgestellt, die in der Performance als Percussioninstrumente dienten und zu deren zentralem Element eine mit »Ajax« beschriftete Stahltonne zählt. Die Requisiten fungieren somit als leicht wiedererkennbares Bindeglied zwischen diesen unterschiedlichen Präsentationsformen und erscheinen innerhalb der Ausstellungen als Symbole eines übergeordneten Sinnzusammenhangs, den es dort auch ohne begleitenden Sprechtext von Kelley zu entschlüsseln gilt. »The drawings in his exhibition«, heißt es in einer Besprechung dieser Ausstellung, »are a veritable anthology of the traditional devices that signify the sublime, but each is subverted by its contemporary idiom«.56   Letzteres schöpft sich v. a. aus dem »glorified commodity value« des Sublimen : »Craggy peaks that one would usually find in a Caspar David Friedrich painting are represented as the cover logo of Cliffs Notes. Kelley thus equates the framing of sublime nature with the rational reduction of the world’s great literature to a collection of ›highlights‹, much like a Thomas Cook tour of European capitals. «57

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Vgl. Martin 1993, S.  79. Gardner 1993, S.  116. Gardner 1984, S.  16. Vgl. Handy, Ellen : »Mike Kelley«, in : Arts Magazine 4 (1984 ), o. P. Knight 1983, o. P. Gardner 1993, S. 117.

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Abbildung 5 : Mike Kelley, The Sublime /  The Sublime Framed, 1983, 10 Teile : Acryl auf Papier, 355,6 × 1.035,05 cm insgesamt, Ausstellungsansicht, Rosamund Felsen, Los Angeles, 1984

Die Ausstellung greift jedoch nicht nur ikonologische Manifestationen des Sublimen auf, sondern spielt zugleich etwa über die stückweise vergrößerten Formate der Zeichnungen mit dem Titel The Sublime / The Sublime Framed [ Abb. 5 ] auf die zeitgenössischen Tendenzen des big-bigger-biggest an, das sich sowohl auf die Gegenwartsmalerei als auch auf die derzeit wachsende Größe von Galerien beziehen lässt.58   Das Display von The Sublime zielt so unabhängig von der Performance auf eine zeit- wie situationsspezifische Dimension des Erhabenen bei dessen gleichzeitiger Ironisierung und bestärkt somit die Rezeption der Ausstellungen als Kunstwerk mit eigener Aussagekraft. Stärker noch als in Monkey Island ist in The Sublime über Bildinschriften eine sprachliche Ebene vertreten, die maßgeblich dazu beiträgt, aus dem Display ein der Performancestruktur ähnelndes »dizzying labyrinth of information« zu machen.59 Kelleys frühe performanceverbundenen Ausstellungen bieten demnach Denkräume im wahrsten Sinne des Wortes, in denen das über die einzelnen Elemente ( visuell ) vermittelte Wissen gerade durch ihre räumliche Disposition an Anschaulichkeit gewinnt. Die ästhetische Erfahrung des körperlich in den jeweiligen Ausstellungssituationen anwesenden Betrachters geht einher mit durch sie ausgelösten komplexen Denkprozessen und das, wie beschrieben, ohne dass die gebotene

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Vgl. Pincus, R.L. : »›Sublime‹ Antics Create a Deflating Experience«, in : Los Angeles Times vom 17. März 1984, S. 8. Drobojowska, Hunter : »Mike Kelley At The Rosamund Felden Gallery«, in : LA Weekly, 20. ‒  26. April 1984, o. P.

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Situation auf einen klaren Erkenntnisgewinn abzielt. Bereits in Bezug auf diese Arbeiten kann von einem demokratischen Betrachterverständnis gesprochen werden. So ist dem Ausstellungsbesucher eine Rezeption auf unterschiedlichen Ebenen möglich – von der rein visuellen, ikonografischen Wahrnehmung bis hin zum Nachvollzug der hier verarbeiteten Theorieansätze und Kelleys daraus entwickeltem eigenen Beitrag zu bestimmten Forschungsfeldern wie der Evolutionstheorie oder dem Erhabenen. Auch wenn die jeweiligen Displays der einzelnen Projekte in den Ausstellungsräumen für sich genommen funktionieren, so erleichtert das Wissen um die damit in Verbindung stehenden Performances die Lesbarkeit einzelner Elemente wie auch der Gesamtsituation und ermöglicht nicht zuletzt erst den ( nachträglichen ) Nachvollzug der hier erfolgten Transferleistungen, deren Auswirkungen auf die Rezeption sowie ihre Gerichtetheit gegen eine von Kelley kritisierte Kanonisierung der Konzeptkunst. Abschluss und Fortleben In Kelleys letztem umfassendem Projekt in diesem Zusammenhang wird die in den vorangegangenen Ausstellungen und Performances sich abzeichnende Gleichwertigkeit ihrer parallel existierenden Erscheinungsformen explizit. Zugleich lässt es sich in seiner Dekonstruktion des geistig Sublimen ausgehend von den drei historischen Figuren Platon, Rothko und Lincoln als thematische Fortsetzung von The Sublime begreifen. Unter dem Titel Plato’s Cave, Rothko’s Chapel, Lincoln’s Profile : a synopsis of the heroic archetypes (male) in Western philosophy, contemporary Amercian Painting, and American history wurde 1985 zunächst eine Installation in der Rosamund Felsen Galerie in Los Angeles gezeigt, bevor ein Jahr später im New Yorker Artists Space eine ebenfalls unter dem Haupttitel Plato’s Cave, Rothko’s Chapel, Lincoln’s Profile laufende Rock-Performance mit der mit ihm befreundeten Band Sonic Youth stattfand, gefolgt von einer zweiten Ausstellung bei Metro Pictures, ebenfalls in New York. Zeitgleich erscheint in diesem Zusammenhang auch eine gleichnamige Publikation Kelleys,60 die wiederum andere Bilder enthält, als sie in den Ausstellungen zu sehen sind, sowie ein Audiotape mit Aufnahmen von Band Sonic Youth. Die einzelnen hier aufgezählten Erscheinungsformen von Plato’s Cave … sind außer ihrem gemeinsamen konzeptuellen Ausgangspunkt, wie Pamela M. Lee betont, »radically different« voneinander und dies gilt stärker als zuvor auch für ihre Rezeption.61   Hier findet keine Übertragung von einer Präsentationsform in die andere mehr statt, sondern vielmehr bietet jede einzelne für sich

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Vgl. Lee, Pamela M. : »Mike Kelley’s name dropping«, in : Word & Image 2 / 3 (1995 ), S. 300  ‒ 319, hier S. 306. Ebd.

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Abbildung 6 : Mike Kelley, Exploring, 1985, Acryl auf Papier, das auf Leinwand geheftet ist und unter der die Besucher durchkriechen mussten, um Kelleys Installation The of Light in Plato’s Cave sehen zu können; Ansicht innerhalb der Ausstellung LA Hot and Cool : The Eighties, MIT List Visual Arts Center, 1987/ 1988

genommen einen für das jeweilige Format spezifischen Beitrag des unter einem gemeinsamen Titel laufenden Projekts, unabhängig von der Entstehungsreihenfolge. Auch sind keine Requisiten der Performance mehr in der Ausstellung enthalten wie noch zuvor. So lässt sich bezogen auf das Ausstellungsdisplay von Plato’s Cave … ein weiterer Shift feststellen hin zu dem, was zu diesem Zeitpunkt bereits gängigerweise unter dem Term »Installation Art« gefasst wird und damit über das dezidiert nur temporär existierende Format der Ausstellung bereits hinausging. Die erste Präsentation in der Rosamund Felsen Galerie ist insofern institutionsspezifisch angelegt, als dass sie selbst eine ( Neu-)Aufteilung der Räume vornimmt : Während der vordere Raum durchaus einer in der Hängung von schwarz-weißen Acrylgemälden Kelleys vormaligen Ausstellungen ähnelt, eröffnet sich dahinter ein mit frei von der Decke hängenden monochromen Stoffbahnen versehener, schummriger Raum, in dessen Mitte sich drei künstliche Feuerstätten befinden. Um Zutritt zu dieser »Höhle« bzw. »Kapelle« und der im Titel erwähnten Ansicht von Lincolns Profil als Teil eines Triptychons zu erlangen, muss der Ausstellungsbesucher zunächst unter einem etwa 40 Zentimeter über dem Boden angebrachten Gemälde einer Tropfsteinhöhle hindurchkriechen, dessen Inschrift »When spelunking, sometimes you have to stoop … sometimes you have to go on all fours … sometimes even crawl . . . . .  crawl worm ! ! « den Betrachter direkt adressiert und zum Wurm und damit niedrigstem Höhlenwesen degradiert [ Abb. 6   ]. Steigt Kelley am Ende seiner Performance symbolisch hinab in Platons Höhle, wird der Betrachter hier nun selbst zum Performer bzw. sieht sich – durchaus angelegt als Hieb auf die gerade aufkommende Partizipationskunst – angesichts dieser Inszenierung zwangs-

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läufig zu einer Auseinandersetzung mit der Situation genötigt : Entweder beugt er sich dem Verlangen nach dem potenziell dahinter Verborgenen oder verweigert sich diesem bewusst. So hat Kelley auch ohne eigene Präsenz wie in den Performances über die Ansprache im Bild und über das Display starken Einfluss auf das Verhalten des Betrachters, dessen eigener Bezug zur Kunst über diese Erniedrigung in Frage gestellt wird. Er impliziert somit bereits in dieser frühen Arbeit eine Kritik am Spektakel, wie es zunehmend von der Kunstwelt eingefordert wird und wie er es in dem multimedialen Ausstellungsprojekt Day is Done ( 2009 ) auf die Spitze treiben sollte. Nutzt Kelley das selbsterteilte Recht, sich über den Betrachter zu erheben einerseits, um ein Situationsbewusstsein des Betrachters zu erwecken, so schafft er über die Art des Displays zudem ein darüber hinausgehendes und – offensichtlicher noch als in The Sublime – kritisches Bewusstsein über die zeitgenössische Entwicklung der Kunst  /-szene sowie der Bedeutung des Displays.62 Mit Plato’s Cave … setzt Kelley seiner Performancepraxis ein erstes Ende – auch mit dem Argument, nicht als Performancekünstler gelten zu wollen.63   In der Tat täuscht die einseitige Rezeption der frühen Projekte als Performances über den künstlerischen Wert seiner ersten Ausstellungsdisplays hinweg. Wie die Performances sind auch jene nun größtenteils »dead to their own history«, die einzelnen Zeichnungen und Objekte verteilt über unterschiedlichste Sammlungen. Aus ihren vormaligen Kontexten losgelöst wird es zunehmend schwierig, die Bedeutungen dieser einzelnen Elemente überhaupt fassen zu können. So wurde beispielsweise in Kelleys erster Retrospektive im New Yorker Whitney Museum 1993 über erläuternde und seine eigenen Ausführungen zitierende Wandtexte versucht, die fehlenden Kontexte wiederherzustellen. Heutige Präsentationen wie die von Confusion oder Plato’s Cave … als »Installationen« hängen ab von der Gunst einer großen Anzahl

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In den zukünftig eigenständigen Präsentationen dieses hinteren Teils von Plato’s Cave … , der in einem neu gebauten Holzcontainer unter dem Titel The Trajectory of Light in Plato’s Cave in folgenden Ausstellungen gezeigt wurde, erfährt das Display eine in dieser Form endgültige Loslösung von der Performance. Der Zugang erschloss sich nach wie vor erst durch das Hineinkriechen und stellt damit ein Motiv dar, das Kelley auch in späteren skulpturalen Arbeiten wie Sublevel (1998 ) mit dessen tunnelartigem Unterbau sowie der hieraus hervorgegangenen Skulptur Rose Hobarth II ( 2006 ) weiterverfolgen sollte. Vgl. Kelley im Interview mit Claudia Bodin : »Das Ganze erreichte eine Komplexität, die mich verrückt machte. Die Performances gingen über drei Stunden. Ich war ständig auf Reisen. Die Welt des Avantgarde-Theaters fiel auseinander, es ging um spektakuläres Entertainment, mit dem ich nichts zu tun haben wollte.« Bodin, Claudia : »Nur geträumt [ 2011]«, http://www.art-magazin.de/kunst/48856/mike_kelley_interview ?p=2  ( Abruf am 25.05.2013 ).

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privater und öffentlicher Leihgeber und bleiben so in ihrer Gesamtheit temporär, in ihrer Displayform angepasst an die jeweilige Ausstellungssituation.64   War Kelley anfangs noch am ( Wieder-)Aufbau mit beteiligt, liegt diese Aufgabe heute in der Hand von Kuratoren oder Museumsdirektoren. Aufgrund der nicht zu garantierenden Vollständigkeit des Displays sowie der variierenden Anordnung je nach Architektur des Ausstellungsraumes werden heutige Aufbauten letztendlich immer als Rekonstruktionen gelten, während den jeweils ersten Präsentationsformen in New York und Los Angeles zunehmend ein von Originalität und künstlerischer Autorschaft bestimmter Werkcharakter zugeschrieben wird – ganz gleich, welcher Anteil dem Betrachter an der Werkkonstitution zugeschrieben wird.65   Eine andere Form der mit diesen frühen Projekten verbundenen, heutigen Displays findet sich in den Performance Related Objects (1977  ‒1979 ), die sich in der Sammlung des Centre Georges Pompidou in Paris befinden. Wie der Titel bereits vermuten lässt, sind hierin einige auf einer bodennahen Plattform nebeneinander präsentierte Objekte aus den Performances als eigenständige Arbeit zusammengeführt. Vergleichbar mit den 1991 wiedergeöffneten Trunks von Paul McCarthy verweisen sie zurück auf die Anfangszeit von Kelleys Karriere, ohne jedoch Aufschluss über ihre vormaligen Kontexte zu geben. Sie erhalten nun wie Kelleys frühe Skulpturen, die die Ausgangsbasis für die Performances lieferten, auf fast ironische Weise wieder eine eigene Wertigkeit als ästhetische Objekte, deren Bedeutung sich vorrangig aus ihrer singulären, materiellen Beschaffenheit konstituiert. In späteren Arbeiten verlagert sich der Einsatz von Sprache entweder in Audiospuren wie beispielsweise im Fall von Categorical Imperative oder in den damit einhergehenden, von Kelley selbst verfassten begleitenden Texten.

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So z. B. erstmals umfassend geschehen in den von Thomas Kellein, Martin Hentschel und Iwona Blazwick organisierten Ausstellungen in der Kunsthalle Basel, die im Anschluss im Portikus Frankfurt und dem Institute of Contemporary Arts, London, zu sehen war, zu denen eine gemeinsame Publikation entstand. Vgl. Ausst.-Kat. Mike Kelley, Kunsthalle Basel, 05.04. ‒  24.05.1992, Portikus Frankfurt, 04.04. ‒  03.05.1992, Institute of Contemporary Arts London, 09.06. ‒ 19.07.1992, hg. von Thomas Kellein, Stuttgart 1992. Vgl. Präsentation im Museum of Contemporary Art in Los Angeles 2012; nur im Ankündigungstext steht der Titel Monkey Island, aber nicht an den Beschilderungen der einzelnen Arbeiten.

IV. K elley  |  237

Half

a

Man

und die

Folgen

Nach dem gezielten Abschluss der frühen performanceorientierten Projekte beginnt Kelley Mitte der 1980er Jahre mit handgefertigten Filzbannern, Teppichen und Stofftieren zu arbeiten, die er in Secondhandläden, bei Garage Sales oder auf Flohmärkten ersteht. Mit diesen Arbeiten wird er zunehmend auch einem internationalen Publikum bekannt.66   Die Komplexität der früheren, stark performancebasierten Arbeiten weicht nun einfacheren Strukturen, Materialien und Formen, deren Bedeutung und Betrachteransprache jedoch auch hier maßgeblich vom jeweiligen Display mitbestimmt werden.67  Unter dem Titel Half a Man fasst Kelley erstmals eine Gruppe von Stofftierarbeiten zusammen, die 1987 in der Rosamund Felsen Galerie und ein Jahr später in der Renaissance Society Chicago ausgestellt werden. 1991 sind in der Kölner Jablonka Galerie auch hierzulande erstmals Arbeiten aus diesem Werkkomplex zu sehen, der noch in demselben Jahr in Pittsburgh seinen von Kelley wiederum bewusst gesetzten Abschluss finden sollte. Betrachtet man die Arbeiten dieses Werkkomplexes von More Love Hours Than Can Ever Be Repaid im Jahr 1987 bis Craft Morphology Flow Chart 1991 als eine fortlaufende Serie, so zeichnet sich formal in ihr ein für die Zeit typischer Wandel vom singulären Kunstwerk hin zu raumgreifenden und kontextreflexiven Displays ab. In den dazwischen liegenden Jahren lassen sich verschiedene Phasen innerhalb dieses Werkkomplexes erkennen, die zugleich direkt aufeinander Bezug nehmen. Durch die Verkettung von Ausstellungen ergibt sich eine für Kelleys Œuvre in ihrer Dichte einzigartige, aufeinander reagierende Argumentationsstruktur, die auch bedingt ist durch ein stetiges Reagieren auf die jeweilige Rezeption des Künstlers. Kelleys eigene künstlerische Arbeiten werden so zum Material, das er in Ausstel-

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Ikonisch ist sein Plattencover für Sonic Youths Dirty (1992 ). Vgl. Kelley im Interview mit Kellein : »I’ve only started to show lot in Europe in the last three or four years. Most people here are only familiar with my works using stuffed animals. I’m now thought of as the ›stuffed animal artist‹. […] I was probably invited to participate in the documenta 9 in Kassel as a result of the popularity of my stuffed animal works. So I decided not to show any of them.« Kelley 1994, S. 5. »If Monkey Island was his breakthrough piece in terms of the art world in Los Angeles, it was the stuffed animals that became his sort of signature work about remembrance, loss, a certain kind of sadness« heißt es in Paul Schimmels Nachruf auf den Künstler. Paul Schimmel zitiert nach Finkel, Jori : »Mike Kelley dies at 57; L.A. contemporary artist«, http://articles.latimes.com/2012/feb/02/local/la-me-mikekelley-20120202  ( Abruf am 16.02.2012 ). Kellein, Thomas : »Ist das Böse wirklich böse ?«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley, 1992, S. 7  ‒10, hier S. 10.

238 |  IV. H alf a M an und die F olgen

lungen gezielt einsetzt, um beim Betrachter eine bestimmte Wirkung zu erzeugen. Zugleich reflektiert er darüber ihren Status von Kunst als Ware und ihre durch den White Cube sich scheinbar zwangsläufig vollziehende Ästhetisierung. Auch wenn Kelley zuvor bereits in Galerien ausstellte, markieren die mit den Stofftierarbeiten verbundenen Ausstellungen nun den endgültigen Übergang zu seiner Präsenz auf dem Kunstmarkt. Geradezu paradigmatisch lässt sich an ihnen ablesen, wie Kelley darum bemüht ist, angesichts des unerwartet hohen Presseechos sowie der mit diesem Schritt einhergehenden Institutionalisierung die Deutungshoheit über seine künstlerische Produktion aufrechtzuerhalten, sich zugleich stets in Bezug auf zeitgenössische Entwicklung der Formate künstlerischer Produktion als auch ihrer Diskursivierung zu positionieren und diese gegebenenfalls zu korrigieren. Jenseits der gebotenen Politiken und Trends innerhalb des Kunstfeldes sowie den etablierten Displaykonventionen würden diese Arbeiten letztendlich nicht funktionieren. Mit Stofftieren gegen die Commodity Art Mit der Wahl des Stofftieres als bereits bestehendes, wenn auch aus dem ursprünglichen kulturellen Gebrauch aussortiertes Objekt bezieht Kelley sich direkt auf den Diskurs um die in den 1980er Jahren als zeittypisch geltende und medial sehr präsente »Commodity Art«.68   Im Unterschied zum Readymade steht in der Commodity Art weniger die Anerkennung von Nicht-Kunst als Kunst im Fokus, als vielmehr die den einzelnen Arbeiten inhärente selbstreflexive Wendung und Präsentation von Kunst als Ware. Als künstlerische Strömung steht sie in direktem Zusammenhang mit dem Kunstmarktboom der 1980er Jahre. Dieser mischt das Kunstfeld, d. h. insbesondere die Einflussnahme auf das Standing eines Künstlers neu und v. a. zum Vorteil der Galerien, während der Einfluss der Museen auf das zeitgenössische Kunstgeschehen stark zurückweicht. Die Gruppe von damals jungen Künstlern, zu der neben Haim Steinbach, Ashley Bickerton und Jeff Koons auch Allan McCollum zählt, operiert bewusst innerhalb dieser Strukturen – und das nicht immer aus einer kritischen Haltung ihnen gegenüber heraus, sondern, wie etwa im Fall Jeff Koons, durchaus bewusst affirmativ.69   »Nie ist die Kunst

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Vgl. Kelley, in : Kelley   /   Welchman 2006, S. 344 : »There was a fixation on the art market. To me, the art market is really not different from other kinds of markets, and that’s why I never felt it was a big sin to be in the market. I mean, a person has to have some kind of job. And no matter what you do you’re inside of the system; so I’ve never understood this idea that selling art is a horrible anti-Leftist thing to do.« Hal Foster verwendet in Bezug auf Jeff Koons und Haim Steinbach bezeichnenderweise

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unverhüllter von den Gesetzen der Mode diktiert worden, nie zuvor war sie wandlungsfähiger« charakterisiert Klaus Honnef 1998 die Kunst der Gegenwart und seine amerikanischen Kollegen wie die Kunstkritikerin Suzi Gablik ähneln sich in der Einschätzung : »[ A ]rt, for the first time in history, faced mass-market conditions.« 70  Die effekthascherische Wirkung von Werbung und Schaufensterauslagen führt zu einer Abstraktion des Konsumobjekts mit der Konsequenz, dass das Verlangen nach Konsumption gegenüber der Darstellung des Gebrauchswerts des Objektes überwiegt.71   Die genannten Künstler reagieren hierauf mit einer bewussten Auseinandersetzung mit dem Objektstatus von Kunst und darauf, wie diesem innerhalb der Warenzirkulation durch die damit verbundenen Marketingstrategien einschließlich des Displays bestimmte Bedeutungen zugeschrieben werden. Das einzelne Objekt als solches, wie besonders McCollums »plaster surrogates« verdeutlichen, ist dagegen in seiner Bedeutung weitestgehend entleert und erscheint mit dem in dieser Hinsicht einflussreichsten Theoretiker der Zeit, Jean Baudrillard, gesprochen als reines »Simulacrum« von Kunst.72 Mit seinen Stofftieren setzt Kelley diesem, die Zeit bestimmenden Trend die Rehabilitierung des handgemachten und damit auch klar gegenderten »Craft Object« entgegen.73   Anders als bei den genannten Künstlern ist bei ihm die »com-

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den Begriff »cute-commodity art«. Vgl. Foster, Hal : »( Dis) agreeable Objects«, in : Ausst.Kat. Damaged Goods. Desire and the Economy of the Object, The New Museum of Contemporary Art, 21.06. ‒ 10.08.1986, hg. von Brian Wallis, New York 1986, S. 12  ‒18, hier S. 17. Hier zitiert nach Hollein 1999, S. 10. Vgl. hierzu Wallis, Brian : »Acknowledgements«, in : Ausst.-Kat. Damaged Goods, 1986, S. 7 : »[ T ]he abstraction of the consumer object has been achieved through the spectacular effects of advertising, display, and presentation – strategies which are directed more at motivating the viewer’s desire for consumption than at demonstrating the utilitarian properties of the object.« Vgl. Baudrillard, Jean : Agonie des Realen, Berlin 1978. Vgl. auch Levine, Cary : »Manly Crafts : Mike Kelley’s ( Oxy) Moronic Gender Bending«, in : Art Journal, Spring   /  Summer 2010, S.  75  ‒ 91. Zur Debatte um »Male Feminism« siehe auch David J. Kahanes Aufsatz »Male Feminism as Oxymoron« (1998 ), auf den Levine hier Bezug nimmt. Kelleys eigenes Interesse am »gender bending« ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Südkalifornien in den 1970er Jahren ein Zentrum des radikalen Feminismus darstellte. Beigetragen dazu hat v. a. das von Judy Chicago und Miriam Schapiro ins Leben gerufenen »Feminist Art Programm« am CalArts (1970  ‒1975 ). Kelley schrieb sich kurz nach der Schließung des Studiengangs an der Kunsthochschule ein (1976 ). Auch Paul McCarthys in seinen Arbeiten vollzogenes Aufbrechen von klaren Genderzuschreibungen kann als zentraler Vorläufer für Kelleys Ansatz gesehen werden.

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modification« des Kunstobjekts eng mit der Frage nach dem Ausbrechen hieraus verknüpft. Er wendet sich daher auch mit dieser Serie von Arbeiten bewusst gegen den Reduktivismus der damals vorherrschenden konzeptuellen und oftmals hochpolierten Ästhetik.74 Seine Objekte zielen auf den – häufig als typisch weiblich kodierten – Affekt ab und unterlaufen dadurch eine vorrangig konsumistische Rezeption. »When artworks started self-consciously commenting on their own status as commodities«, so Kelley in seinem Katalogbeitrag »In the Image of Man« für Carnegie International 1991, »there simultaneously rearouse the interest in escaping commodification. The argument was put forth that the artwork could function analogously to the gift, as an object outside of the system of exchange. This is what initially led to my interest in homemade craft items, these being objects already existing in popular usage that are construction solely to be given away.« 75

Mit dem Aspekt des Schenkens greift Kelley wiederum eine zentrale These des französischen Soziologen und Ethnologen Marcel Mauss auf, der in seinem Buch Essai sur le don ( zu dt. Die Gabe ) anhand des Potlatch zum ersten Mal auf das implizite Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schenkendem und Beschenktem hinwies. Im Unterschied zum Kauf, so Mauss, bei dem die Besitzverhältnisse von Käufer und gekauftem Objekt klar definiert seien, bleibt bei der Annahme eines Geschenks dieses Besitzverhältnis ungeklärt und führt zu einer Bringschuld des Beschenkten gegenüber dem Schenkenden.76 Da Stofftiere fast ausschließlich in der Form eines Geschenks in den Besitz von Kindern gelangen, rückt Kelley hiermit besonders die familiäre Situation zwischen dem beschenkten Kind und dem schenkenden Erwachsenen in den Fokus. Eine zentrale Rolle spielt in diesem

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Vgl. Levine 2010, S. 82. Kelley selbst äußert, dass er »had some harsh criticism from feminist critics regarding my use of craft materials : that I was stealing from women and not giving them credit, etc. I have always been very open in my indebtedness to feminist art, so this reading of my work is delivered only to fan the fire of their cause – at my expense. I find this unnecessary, but such tactics have become very common on the Left.«, in : Kelley  /  Welchman 2006, S. 355. Vgl. Welchman, John C. : »Introduction«, in : Ders. : Art after Appropriation. Essays on Art in the 1990s, Amsterdam 2001, S. 1‒ 64, hier S. 41 ff. Kelley, Mike : »In the Image of Man«, in : Ausst.-Kat. Carnegie International 1991, The Carnegie Museum of Art Pittsburgh, Pennsylvania, 19.10.1991 ‒16.02.1992, Bd. 1, New York 1991, S. 94. Mauss, Marcel : Die Gabe. Die Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften [1925 ], Frankfurt am Main 1968, v. a. S. 15  ‒ 49.

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Abbildung 7 : Mike Kelley, More Love Hours Than Can Ever Be Repaid, 1987, Mixed media, 243,84 × 322,58 × 12,7 cm und   The Wages of Sin, 1987, verschiedene Medien, 132,08 × 58,42 × 58,42 cm

Zusammenhang Donald W. Winnicotts einschlägige Studie zu Übergangsobjekten, in der er Stofftieren und -tüchern im Kindesalter losgelöst von der Mutter beim Erlernen der Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich eine zentrale Rolle zuschreibt.77 Der körperliche Kontakt zum Tier ersetzte in diesem Sinne sukzessive den zur Mutter. So lautet die naheliegende, wenn auch etwas verkürzte Schlussfolgerung : je abgenutzter das Stofftier, desto vernachlässigter das Kind. Als übergeordnetes Thema der Stofftierarbeiten ist daher Kelleys Auseinandersetzung mit Empathie zu sehen – ausgelöst durch sein Bewusstwerden über den hohen Zeitaufwand und die Liebe zum Kind, die in die Produktion dieser handgefertigten Stofftiere und Teppiche investiert wird.78   Mit der Wahl des Stofftiers als künstlerisches Material und seiner oftmals am menschlichen Körper orientierten Gestalt provoziert Kelley bewusst einen Akt der Einfühlung, indem er den Betrachter als direktes Gegenüber adressiert. Einfühlung meint daher ganz im Sinne der von Robert Vischer entwickelten Einfühlungsästhetik »ein unbewusstes Versetzen der eigenen Leibform und hiermit auch der Seele in die Objektsform«.79  So gewinnen die niedlichen,

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Vgl. Winnicott, Donald W. : »Übergangsobjekte und Übergangsphänomene. Eine Studie über den ersten, nicht zum Selbst gehörenden Besitz«, in : Psyche 23 (1969 ), S. 666  ‒ 682. Vgl. John C. Welchmans Eintrag zu »Empathy«, in : Ders. : »Glossary«, in : Aust.-Kat. Mike Kelley, Sammlung Goetz, München 01.12.2008  ‒ 25.04.2009, hg. von Ingvild Goetz, Karsten Löckemann und Stephan Urbaschek, München 2008, S. 217  f., hier S. 217. Vischer, Robert : »Über das optische Formgefühl – ein Beitrag zur Ästhetik [1872 ]«, in : Ders. : Drei Schriften zum ästhetischen Formproblem, Halle  /  Saale 1927, S. 1 ‒  44.

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harmlosen und, wie Kelley betont, geschlechtlosen Tiere leicht die Sympathien des Betrachters und werden durch die ästhetische Einfühlung verlebendigt zu einem fiktionalen Ebenbild.80  Die Tatsache, dass sie starke Gebrauchsspuren aufweisen, verleiht ihnen jedoch zugleich eine abstoßende und irritierende Komponente, die der Einfühlung grundsätzlich zuwider läuft. Die Präsentation von Stofftierarbeiten im Ausstellungskontext erzeugt daher ein Spannungsverhältnis von Einfühlung und Abstoßung, das eine klare Aufteilung von betrachtendem Subjekt und ausgestelltem Objekt unterläuft. Von der Wand an den Boden In der großformatigen Wandarbeit More Love Hours Than Can Ever Be Repaid (1987 ) bringt Kelley diese Dimension mit dem von Mauss indizierten »sklavischen« Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kind und seinen Eltern erstmals zusammen [ Abb. 7  ]. Die zahlreichen Stofftiere und Häkeldecken, die Kelley hierfür auf eine Leinwand aufnäht, bilden somit ein symbolisches Konglomerat des schlechten Gewissens. »Each gift given to a child«, erläutert Kelley im begleitenden Ausstellungskatalog, »carries with it the unspoken expectation of repayment. Nothing material can be given back since nothing is owned by the child. What must be given in repayment is itself ›love‹. Love, however, has no fixed worth so the rate of exchange can never be set. Thus the child is put in the position of being a perpetual indentured servant, forever unable to pay back its debt.« 81

Rezipiert werden diese Arbeiten zunächst v. a. im Kontext der sogenannten Abject Art, wie die Einbindung in die gleichnamige Ausstellung im Whitney Museum of American Art 1993 verdeutlicht. War das Anliegen der Kuratoren zwar ausdrücklich »to talk dirty in the institution«82, sollte darüber jedoch der kompositorische Wert dieser Arbeit nicht übersehen werden. In seiner All-over-Struktur referiert die Wandarbeit auf die Techniken des abstrakten Expressionismus, wie er besonders unter Verweis auf Jackson Pollock weltweit als erste, dezidiert nordamerikanische

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Rugoff, Ralph : »Schmutziges Spielzeug : im Gespräch mit Mike Kelley«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley, Stuttgart 1992, S. 86  ‒ 94, hier S. 86. Kelley, Mike : »Three Projects : Half A Man, From My Institution to Yours, Pay for Your Pleasure«, in : Kelley / Welchman 2004, S. 12  ‒ 20, hier S. 15. Ben-Levi, Jack  /  Houser, Craig  /  Jones, Leslie C.  /   Tayler, Simon : »Introduction«, in : Ausst.-Kat. Abject Art, 1993, S. 7  ‒15, hier S. 7.

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Kunst protegiert wurde. Bezogen auf Kelley bietet sich zudem der von ihm selbst wiederholt gezogene Verweis auf den deutschen Emigranten Hans Hofmann an, dessen expressionistische »Push and Pull«-Technik durch seine Lehrtätigkeit für die folgenden Künstlergenerationen in New York außerordentlich prägend sein sollte.83   Überwiegt bei den expressionistischen Gemälden das Ganze vor seinen Teilen, so bleiben hier die Teile trotz der All-over-Struktur bestehen. Die Stofftiere und Tücher bleiben als solche erkennbar und konterkarieren darüber umso mehr das zwar ebenfalls typisch amerikanische, doch im Kontrast zu der einem Machismos unterlegenden Kunstrichtung des abstrakten Expressionismus vielmehr das als weiblich geltende und nicht der Hochkunst zuzuordnende Handwerk des Quilts oder Patchwork. Diese referenzielle Dimension von More Love Hours … bezogen auf eine dominierende künstlerische Strömung in Nordamerika bleibt auch in den darauf folgenden, das Display im Ausstellungsraum stärker mit einbeziehenden Stofftierarbeiten bestehen. Ist More Love Hours … noch auf eine frontale Betrachtung ausgerichtet und orientiert sich in der Hängung – trotz der Anleihen am abstrakten Expressionismus – am klassischen Tafelbild, so schafft Kelley mit der nächsten Serie der direkt auf dem Boden präsentierten Arenas eine stärker situative Anlage, in der die physischen Grenzen des jeweiligen Kunstobjekts in den sie umgebenden Ausstellungsraum übergehen. In diesen Arbeiten platziert Kelley in der Horizontalen Stofftiere lose auf Strick- und Stoffdecken, die er in den sogenannten Dialogues, bei denen sich jeweils zwei Stofftiere gegenüber sitzen, um Kassettenrekorder ergänzt, von denen ausgehend geloopte Sprecherstimmen in den Raum tönen. Vom Prinzip zunächst vergleichbar mit Carl Andres metallenen Bodenplatten, auf die hier augenscheinlich angespielt wird, markieren auch die Decken ein Feld innerhalb des Ausstellungsraumes. Dieses Feld dient jedoch nicht als eigentliches und betretbares Kunstwerk, sondern fungiert vielmehr als Basis bzw. Grund für die darauf platzierten Objekte. An die Stelle der harten industriellen Ästhetik und spiegelnden Oberflächen von Arbeiten eines Donald Judd oder Carl Andre rückt das Handgemachte, Weiche und Schmuddelig-Gebrauchte. Die hiermit vollzogene Auflösung einer klaren Differenzierung von Hochkunst und Handwerk geht mit einer Vermischung der ihnen eingeschriebenen Genderkonnotationen einher.84 Die bereits im Zusammenhang mit Beuys und Kippenberger auftauchende Bezeichnung »Arena« ruft besonders innerhalb dieses nordamerikanischen Kontextes

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Kelley selbst spricht diesbezüglich wiederholt von einem »pädagogischen Missbrauch« bzw. von Ausbildung als mögliches Trauma. Vgl. z. B. Graw 1999, S. 19. Vgl. Levine 2010, S. 82.

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wiederum Assoziationen an Pollock auf. 85   Innerhalb der von Kelley geschaffenen »Arena« wird der Betrachter durch die physische Präsenz der Stofftiere nun direkt als ein- bzw. mitfühlendes Gegenüber adressiert und das eigentliche »Ereignis« von der Produktion auf die Rezeption verlagert. Zurückzuführen ist diese zweite Phase der Stofftierarbeiten auf eine Atelierkritik im Art Center Pasadena, bei der die Tochter einer Kollegin Kelleys auf einer Decke sitzend mit ihren Spielzeugen die Gespräche der Erwachsenen imitierte.86 Doch im Unterschied zum spielenden und somit aktiv mit den Tieren interagierenden Kind findet in Kelleys Arbeiten diese Form der Verlebendigung aus der Position des Beobachters und Zuhörers statt, der verstärkt durch die akustische Ebene selbst in einen imaginären Dialog mit den Tieren verwickelt und so zum Teil der hier konstruierten Situation wird. Durch die zueinander ausgerichtete Anordnung der Stofftiere auf den Decken, besonders jedoch über die akustische Ebene der Dialogues wird der Eindruck erweckt, als würden sich die Tiere unterhalten. Die Stofftiere werden so unabhängig von ihrer Größe zur direkten Projektionsfläche eines menschlichen Gegenübers, ihre einfachen, undifferenzierten Formen unbewusst idealisiert. Gebrochen wird die Empathie erst beim Nähertreten, wenn Schmutz und möglicherweise abstoßender Geruch der Stofftiere deutlich wahrnehmbar werden und diese vielmehr als verwahrloste Wesen und Ausgestoßene erscheinen lassen.87  Das Ideal, das diese handgefertigten Objekte transportieren, kann nicht weiter aufrechterhalten werden. Ihre »›untouched‹ quality« verkehrt sich in ihr Gegenteil und legt nicht zuletzt Assoziationen an Kindesmissbrauch nahe.88  In der Rezeption liegen auch hier Empathie und Ekel folglich dicht beieinander – mit der Konsequenz, dass ihre gegenläufige Bewegung der Anziehung und Abstoßung eine Kategorisierung und das Einordnen dieser Objekte erschwert. Er wendet sich damit zugleich gegen die als anti-subjektiv geltende Minimal Art, die selbst wiederum v. a. von männlichen Künstlern dominiert wurde.89

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Vgl. den Unterpunkt »Kopplung von Leben und Werk« im Beuys‐Kapitel, S. 75  ‒ 81. Welchman 1999, S. 67. Kelley hat für diese Arbeiten besonders abgenutzte Stofftiere ausgewählt. Vgl. »In the Image of Man«, in : Ausst.-Kat. Carnegie International 1991, The Carnegie Museum of Art Pittsburgh, Pennsylvania, 19.10.1991 ‒16.02.1992, Bd. 1, New York 1991, S. 94. Vgl. Sylvester, Juli : »Talking Failure. Mike Kelley and Julie Sylvester«, in : Parkett 31 (1992 ), S. 100 ‒103, hier S. 100. Vgl. Best, Susan : Visualizing feeling. Affect and the Feminine Avantgarde, London 2011, S.  1  f.

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Abbildung 8 : Mike Kelley, Ausstellungsansicht, Metro Pictures, New York, 1990

Besonders im Vergleich zu den Arbeiten des eingangs erwähnten Haim Steinbach wird deutlich, wie stark der Betrachter bei Kelley in der Arbeit als empfindendes Subjekt adressiert wird und er darüber zugleich eine klare Konstitution von Subjekt und Objekt ins Wanken bringt.90   Zu Steinbachs zentralen Arbeiten der späten 1980er und frühen 1990er Jahre bilden die auf Augenhöhe an der Wand angebrachten, oftmals verschiedenfarbigen Regalborde, auf denen Alltagsobjekte akkurat nebeneinander aufgestellt sind. Hierbei verwendet Steinbach häufig mehrere identische Exemplare eines bestimmten Objekts und betont somit seinen Charakter industriell produzierter Massenware. Durch die Kombination der Objekte auf den Regalen entstehen neue, doch weitgehend unspezifische Bedeutungszusammenhänge, die sich einerseits aus den ursprünglichen kulturellen Kontexten der einzelnen Objekte und zum anderen aus der Projektion des Betrachters auf sie schöpfen. Steinbach zufolge fungieren die hier aufgereihten Objekte wie Redewendungen (»figures of speech«), deren Auflösung dem Betrachter jedoch selbst überlassen wird.91  Handelt es sich hierbei vorrangig um eine Verschiebung einzelner Objekte aus der Warenzirkulation bzw. aus dem Privatbesitz in die Öffentlichkeit des Museums, so wird in Kelleys Displays vielmehr die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Dinge innerhalb der Kultur geschoben, die sonst kaum Beachtung finden. Waren die Stofftiere, folgt man Kelley, als Geschenk ursprünglich nie Teil einer kapitalistischen Warenzirkulation, so enthalten sie zugleich besonders

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Zum Begriff des Abjekten vgl. den Abschnitt »Das Unheimliche als Schnittstelle des Abjekten und des Formlosen« in diesem Kapitel, S. 272  ‒ 277. Vgl. Haim Steinbach im Pressetext zu seiner Ausstellung Special Project : Mr. Peanut Haim Steinbach on Mike Kelley bei Overduin and Kite in Los Angeles ( 05.10. ‒  08.11.2008 ). http://www.overduinandkite.com/archive/PR/SteinbachPR.pdf  ( Abruf am 17.09.2013 ).

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angesichts der aktuellen Debatten zur Commodity Art über das Display die Implikation des Menschen als Ware.92   Was bei Steinbach auf Augenhöhe anschaulich wie Fetischobjekte präsentiert wird, liegt uns bei Kelley nun wie Dreck zu Füßen. Dabei spielt der Präsentationskontext der Arbeiten keine unwesentliche Rolle : Am stärksten ist die zuvor beschriebene Gegenläufigkeit von Ekel bzw. Abschreckung und Empathie aber nicht zuletzt auch die von high und low im White Cube zu erfahren, dem idealisierten, weißen Ausstellungsraum. Hat der cleane Raum bei Arbeiten wie Arena einerseits automatisch eine Form der Ästhetisierung von »Schmutz« und »Abfall« unserer Gesellschaft zur Folge, so ermöglicht er andererseits überhaupt erst eine Wahrnehmung ebendieser innerhalb der Hochkultur.93 Paradoxerweise sind diese Arbeiten angesichts ihrer geringen Materialkosten – Kelley spricht verschiedentlich von 50 amerikanischen Cent pro Stofftier 94 – im Verhältnis zum Verkaufspreis auf dem Kunstmarkt im Laufe der Zeit und Kelleys steigendem Bekanntheitsgrad selbst zum Indikator des Wertesystems der Kunstwelt geworden. Gerade die Installation von mehreren Arbeiten der Arena-Serie in einem Raum wie etwa bei Metro Pictures 1990 [ Abb. 8  ] verdeutlichen, dass Kelley auch diese Dimension bereits in das Display integriert : So sind einige Stofffelder ironischerweise von Abstandhaltern umrahmt, wie es bei besonders wertvollen Ausstellungsstücken in Museen gehandhabt wird, während andere ungeschützt direkt auf dem Boden platziert sind. Bezogen auf den gesamten Raum ergibt sich somit ein von Stofftieren bestücktes Feld, bei dem besonders die Variabilität in der Anordnung der Tiere ins Auge sticht und zu dem Eindruck der Verlebendigung beiträgt. Mal sitzen die Tiere um die Decke herum, mal umarmen sie sich, mal sind sie in Reihen angeordnet. Dabei wird schon hier ihre eigene formale Umkehr durchexerziert und somit eine einheitliche formale Struktur gebrochen. Einzelne Stofftiere befinden sich nicht mehr auf, sondern bereits unter den Decken – zumindest liegt diese Vermutung nahe, auch wenn wie in der Arbeit Arena # 4 ( Zen Garden ) (1990 ) lediglich unebene Hügel erkennbar sind.

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Vgl. Rugoff 1992, S. 86. Interessanterweise wurde Kelleys Privateigentum 2008 im Rahmen einer Ausstellung mit dem Titel Mr. Peanut bei der Galerie Overduin and Kite in Los Angeles zum Gegenstand eines Displays von Steinbach. Steinbach besuchte auf Einladung der Galerie Kelleys Zuhause, sein Atelier und Büro und wählte Objekte sowohl aus seiner privaten Sammlung als auch aus seiner umfangreichen Materialanhäufung für eigene Kunstwerke aus. http://www.overduinandkite.com/Steinbach.htm  ( Abruf am 05.05.2010 ). Vgl. z. B. Kellein 2001, S. 9.

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Abbildung 9 : Mike Kelley, auf dem Boden : Lumpenprole, 1991, an der Wand von links : Ageist Prop, 1991 und Arbeiten aus dem Sack Drawings project, alle 1989, Ansicht innerhalb der Ausstellung Zeitwenden, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 1999

Entzug der Sichtbarkeit In den großformatigen »Afghans« wie Lumpenprole (1991) [ Abb. 9 ] oder dessen späteres und kleineres Pendant Riddle of the Sphinx (1992 ), die sich wie unebene Hügellandschaften im Raum ausbreiten, wird der Entzug der Sichtbarkeit explizit. Wie unter den Teppich gekehrt sind die Tiere in diesen Arbeiten aus dem Blickfeld verschwunden, wobei die klare Streifenstruktur der Decken hier durch die unbestimmbaren Formen der einzelnen Erhöhungen konterkariert wird. Im Titel spielt Lumpenprole auf Karl Marx’ Lumpenproletariat an, als das jener den »Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen« bezeichnet und zu dem er u. a. entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Taschendiebe, Spieler, Bordellhalter, Bettler und Lumpensammler zählt.95  Im Unterschied zu Marx sah Georges Bataille in diesem »Auswurf« etwas Kraftvolles – ein Aspekt, den Rosalind Krauss in ihrem Katalogtext zu der von ihr mitkuratierten Pariser Ausstellung L’informe mode d’emploi in Bezug auf Kelleys Arbeiten wieder aufgreifen sollte : »[ T ]he ›low‹ occurs here not as a substance ( excrement ) or as the theme ( abjection understood as gender and degradation ), but as the functional factor in an operation.« 96   Und weiter :

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Marx, Karl : Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Berlin 1946, S. 61  f. Krauss, Rosalind E. : »The Destiny of the Informe«, in : Bois, Yves-Alain  /  Dies. ( Hg.) : Formless. A User’s Guide, New York 1997, S. 235  ‒ 252, hier S. 249.

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»Since that field itself is an afghan, spread ruglike on the floor, it seems to begin by fixing the pole of lowness within a stable opposition of high / low, and thus operating as a positional absolute. But beneath it is the lower-than-low, which, though we can image theses obscure lumps to be anything we want – the stuffed animals of the works called Arena, for instance, in which these dirty, handcrafted toys sit on crocheted blankets like to many soiled underbellies of elite culture; [ … ] . It is this indeterminacy that is both productive and a result of their being below the surface, not part of a visible space, but jettisoned into the heterological position of nonlogical difference.« 97

Kelley selbst deklariert, dass er mit den Begriffen high und low Probleme habe und stattdessen die Begriffe allowable und repressed bevorzuge.98    Mit diesen Arbeiten gewinnt dieses Begriffspaar zugleich an performativer Dimension. Es ist der Imagination des Betrachters überlassen, den unförmigen Hügeln eine Form zu geben bzw. sie in Verbindung zu bringen mit den in den vorangegangenen Arbeiten noch sichtbar präsentierten Stofftieren. Der Entzug ihrer Sichtbarkeit läutet bereits ein Jahr zuvor den Weg zum Ende auch dieses Werkkomplexes ein. Mit der Empathy Displacement-Serie erfolgt bereits 1990 in der Rosamund Felsen Galerie eine erste »Grablegung«, die als direkte Reaktion auf die Kelley zufolge autobiografisch ausgerichtete Rezeption der Stofftierarbeiten zu verstehen ist. Ausgestellt sind hier 15 Varianten aus der Serie Humanoid Morphology ( 2nd & 3rd Remove ) [ Abb. 10  ], die jeweils aus zwei Teilen bestanden : zum einen an der Wand lehnende schwarz-weiße Acryl-Gemälde, die eine getreue, wenn auch wesentlich vergrößerte Wiedergabe eines Stofftieres zeigen, und zum anderen schwarze, Särgen ähnelnde Boxen, die jeweils direkt vor den einzelnen Gemälden auf dem Boden positioniert waren. Sie enthielten ( angeblich ) das auf dem zugeordneten Gemälde porträtierte Stofftier. Auch wenn die Grabsymbolik eindeutig ist, lässt Kelley den Betrachter hier, vergleichbar mit den Afghans, bewusst im Ungewissen über den Inhalt der Boxen und überlässt der Imagination die Vervollständigung. Während die Stofftiere gerade aufgrund ihrer geringen Größe idealisiert und somit zu Projektionsflächen eines menschlichen Gegenübers wurden, werden in ihrer Darstellung als lebensgroßes Gegenüber vielmehr all die Anomalitäten und Abweichungen der menschlichen Spezies deutlich.99

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Krauss 1997, S. 250. Hal Foster bezeichnet »Lumpen« als einen dritten Begriff zwischen dem Abjekten und dem Formlosen. Vgl. Foster, Hal : »Obscene, Abject, Traumatic«, in : October 78 (1996 ), S. 106  ‒ 124, hier S. 119  f. Kelley, in : Kelley  / Sylvester 1992, S. 103. »If you saw that thing walking down the street«, kommentiert Kelley die Arbeit in einem Interview mit John Miller, »you wouldn’t go near it, it becomes hard to project onto«.

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Abbildung 10 : Mike Kelley, Ausstellungsansicht, Rosamund Felsen Gallery, Los Angeles, CA , 1990, von links : Center and Peripheries #4, 1990, Empathy Displacement Humanoid Morphology ( 2nd and 3rd Remove ) #5 – #15, am Boden : Untitled ( Yarn ), 1990

»Displacement« meint hier folglich weniger die Verlagerung der Empathie auf andere Objekte, wie der Titel zunächst vermuten lässt, als vielmehr ihre Ablösung durch einen gegenteiligen Effekt. Die Wesen erscheinen hier als unheimlich, etwas ehemals – auch aus Kelleys bisherigem Œuvre – Vertrautes begegnet dem Betrachter nun als sein unheimlicher Wiedergänger.100 Auch in den 1991 in der Kölner Jablonka Galerie gezeigten Arbeiten Hanging Sculptures and Deodorizers [ Abb. 11 ] entzieht Kelley dem Betrachter den Blick auf das Angesicht der Tiere. Als farblich aufeinander abgestimmte Lumpen hängen sie hier zusammengenäht und mit den Köpfen nach innen gekehrt von der Decke.

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Kelley, Mike, in : »Mike Kelley by John Miller«, in : BOMB Magazine 38 (1992 ), http:// bombsite.com/issues/38/articles/1502  ( Abruf am 15.12.2013 ). Auch diese Arbeiten wurden später separat gezeigt und verkauft. Als zweites Element dieser Serie waren an der Nebenwand angebrachte Flowcharts, die unter dem Titel Center and Peripheries verschiedene, ebenfalls in schwarz-weißen Acrylgemälden u. a. ein anonymes Mordopfer, ein – stark an Bataille erinnernder – verunstalteter menschlicher Zeh, ein Müllsack sowie das Bild eines protestierenden Studenten auf dem Tinnamen Platz von 1989 zeigen und über ihre Anordnung lose zueinander in Beziehung gesetzt werden. Damit bedient sich Kelley eines Displays, wie es etwa in Mindmapping-Programmen verwendet wird, die der visuellen Darstellung sowie Erschließung eines bestimmten Themenbereichs dienen und auf die freie, assoziative Gedankenentfaltung zielen. Zum Unheimlichem vgl. Unterpunkt »›Mike Kelley, Sunday‐curator‹ – Das Ausstellungsprojekt The Uncanny « in diesem Kapitel, S. 255  ‒ 295.

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Abbildung 11: Mike Kelley, Ausstellungsansicht, Jablonka Galerie, Köln, 1991

Auch diese Stofftiere weisen starke Gebrauchsspuren auf. Der zwischen diesen anthropomorphen Skulpturen hängende graue Müllsack macht die Abfallsymbolik dieser Knäule offensichtlich. An den sie umgebenden Wänden hängt Kelley zudem verschiedene monochrome Wandreliefs aus lackiertem Fiberglas, von denen elektronisch gesteuert eine desinfizierende Mischung aus Sakrotan und Fichtennadeln in den Raum gesprüht wird. Die abstoßende, olfaktorische Dimension der schmuddeligen Tiere wird hier besonders durch ihr Gegenteil, den klinischen Sakrotan- und Fichtengeruch, hervorgekehrt und hebt auf dieser Ebene die ästhetisierende Wirkung des als klinisch geltenden White Cube hervor.101   Im Unterschied zu More Love Hours Than Can Ever Be Repaid geht die Form des einzelnen Tieres hier im Ganzen auf und konstituiert darüber eine neue, skulpturale ( Un-) Form, die umlaufen und von allen Seiten betrachtet werden kann. So werden ihre materielle Qualität sowie die kompositorische Anordnung im Raum hervorgehoben. Letzteres geschieht besonders auch durch die mobileartige und damit ihr Gleichgewicht betonende Hängung über ein an der Decke angebrachtes Seilsystem. Durch die dem Betrachter abgewandten Gesichter der Tiere ist eine Identifizierung mit

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Die für den Braunschweiger Kunstverein entstandene Arbeit Deodorized Central Mass with Satellites (1999 ) ließ Kelley dann die Stofftiere mit den Gesichtern nach innen gekehrt als farblich aufeinander abgestimmte Knäule von der Decke hängen, eine große zentrale Skulptur und mehrere ›Satelliten‹. Begleitend dazu gab es eine »Modenschau« von Kelley und zwei Models. Vgl. Ausst.-Kat. Mike Kelley. Sublevel : Dim Recollection Illuminated by Multicolored Swamp Gas  /  Deodorized Central Mass with Satellites, Kunstverein Braunschweig, 04.09. ‒  31.10.1999, Köln 1999.

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ihnen unmöglich; aus den Knäulen herausragende Körperteile wie einzelne Arme und Beine evozieren vielmehr den Gedanken an tote Körper und verleihen ihnen so auch hier eine unheimliche Dimension. Grablegung Seinen symbolischen wie tatsächlichen Abschluss findet Kelleys Auseinandersetzung mit Stofftieren in der Arbeit Craft Morphology Flow Chart, die für Carnegie International 1991 in Pittsburgh entstand und in einem Raum des dortigen Museums erstmals präsentiert wurde [ Abb. 12  ]. Er verfolgt hier in einer, wie es Elisabeth Sussmann treffend formuliert hat, »Brechtian intervention against [ … ] empathetic sympathy« 102 drei klar voneinander zu unterscheidende Repräsentationssysteme : Auf zweiunddreißig einfachen Klapptischen sortiert und arrangiert Kelley sechzig Stofftiere nüchtern nach ihren Konstruktionsverfahren, Farben und Formen. An den Wänden hingen zudem frontale Schwarz-Weiß-Fotografien der Tiere, denen jeweils ein Lineal zur Seite gelegt wurde, über das der Maßstab ablesbar wurde. Ein drittes Element der Arbeit besteht in einer von einem Archäologen angefertigten Zeichnung einer bestimmten Kategorie von Stofftieren, dem in den Vereinigten Staaten sehr beliebten »Sock Monkey«. Stärker noch als in der Empathy Displacement-Serie steht hier die Morphologie der Tiere im Vordergrund, die anhand von typischen wissenschaftlichen Verfahren und eines etwa aus Naturkundemuseen bekannten Displays anschaulich gemacht wird. Die Maßangaben und nüchterne Präsentationsform entsprachen Kelleys Wunsch »to remove all vestiges of empathy – to deal with the pure ›material nature‹ of the crafts.«103   Doch die Absurdität der Ordnungsversuche Kelleys lassen jeden Anspruch einer Norm fragwürdig erscheinen. Der Verweis auf die von Michel Foucault in seiner Ordnung der Dinge eingangs zitierten »gewissen chinesischen Enzyklopädie« aus einer Erzählung von Jorge Luis Borges liegt nahe.104   Es gibt Tische, auf denen nur ein einziges, scheinbar nicht weiter klassifizierbares Objekt liegt. Versucht Kelley also durch diese Pseudo-Verwissenschaftlichung seines Präsentationverfahrens die psychologische Aufladung dieser Objekte zu negieren, so hat die Unterdrückung dieser Dimension v. a. den gegenteiligen Effekt zur Folge. Gerade dieses, Assoziationen an ein Leichenschauhaus aufrufende Aufbahren der an unser Einfühlungsvermögen

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Sussman, Elisabeth : »Introduction«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley. Catholic Tastes, 1993, S.  15  ‒ 38, hier S. 32. Ebd. Vgl. Krauss 1997, S. 251.

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Abbildung 12 : Mike Kelley, Craft Morphology Flow Chart, 1991, Ansicht innerhalb der Ausstellung The Carnegie International 1991, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh, Pennsylvania, 1991

appellierenden Stofftiere rief starke Reaktionen bei den Betrachtern hervor.105  Die Art ihrer Präsentation bedingt folglich ihre Rezeption und ist somit als gezielt durchgeführter Schachzug zu verstehen. In einem 1992 mit Ralph Rugoff geführten Interview zieht Kelley eine Verbindung von der in einem österreichischen Museum für Pathologie gemachten, sehr unangenehmen Erfahrung zur heutigen kulturellen Funktion von Kunstmuseen : »Alle diese anomalen Körperteile«, so Kelley, »waren zwar etikettiert und klassifiziert, aber ihre Funktionslosigkeit stellte die klassische Art der Präsentation vollkommen in den Schatten. In gewisser Weise war es ein Gruselkabinett, das durch die Zurschaustellung einer Sammlung von Anomalitäten das Normale umso deutlicher hervortreten lässt. In Ermanglung einer Ordnung gelangt man letztendlich zur Ordnung.«106

Kunstmuseen, so Kelley, böten einen vergleichbaren Ort, um sich über die eigenen Wertevorstellungen klar zu werden, wie beispielsweise besonders die von den Nazis organisierte Ausstellung der »Entarteten Kunst« zeige, aber auch bereits Kommentare wie »Mein Kind könnte das genauso gut« widerspiegelten. Sein besonderes Interesse an den heutigen Kunstmuseen liege in den zwei Funktionen, die sie erfüllten : »zum einen die pseudowissenschaftliche Darstellung des ›historischen

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Krauss 1997, S. 251. Kelley, in : Rugoff 1992, S. 90.

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Fortschritts‹ und zum anderen die Präsentation einer Sammlung funktionsloser Objekte, welche die ›normale‹ Ordnung unter Beweis stellen.«107   Kelley nun adaptiert in seiner eigenen künstlerischen Praxis genau diese Funktionen des Museums, um sie dadurch zugleich offenzulegen. So wird in Craft Morphology Flow Chart stärker noch als in den Arbeiten davor der museale Rahmen der Objektpräsentation selbst adressiert. Das Museum fungiert hier vergleichbar etwa mit Beuys’ Palazzo Regale als ein Ort der Inszenierung und wird im klaren Bewusstsein über die Aussagekraft und ikonografische Eindeutigkeit des Displays zur Grabstätte eines ganzen Werkkomplexes.108  Bleiben die Stofftiere zwar jeweils das zentrale Element innerhalb der einzelnen Arbeiten und bewahren damit auch ihre eingangs beschriebenen Deutungsansätze ihre Gültigkeit, so ist es vielmehr der Wandel des Displays, der stets zu neuen Aussagen führt und der die Werke in ihren jeweils ganz konkreten zeit- und kontextspezifischen Bedingungen verortet. Die hier geschilderte Genealogie der Stofftierarbeiten bildet folglich eine in sich geschlossene Struktur mit einem klar definierbaren Anfang und einem vom Künstler selbst gesetzten Ende. Mit der Wahl dieser psychologisch aufgeladenen Materialien sind die Arbeiten dieses Werkkomplexes von vornherein stark auf ihre Betrachterwirkung hin konzipiert, die über ihr jeweiliges Display maßgeblich mit gesteuert wird. Das Abzielen auf eine bestimmte Reaktion bzw. Betrachterwirkung wird dabei v. a. in den letzten, abschließenden Arbeiten zunehmend von einer Rückwirkung der öffentlichen Rezeption und Kunstkritik auf die künstlerische Produktion bestimmt. Das Auseinanderdriften seiner ursprünglichen Intentionalität mit einer Kelley zufolge stark ins Biografische gerichteten Rezeption der Arbeiten – bis hin zu der Vermutung des Kindesmissbrauchs von ihm selbst,

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Ebd, S. 94. Dabei ist Kelley in der Carnegie International Ausstellung nicht der einzige, der den musealen Kontext in seinem künstlerischen Beitrag aufgreift. Allan McCollums Lost Objects etwa bestehen aus um die 500 Gipsabdrücke von Dinosaurierknochen aus der naturkundlichen Sammlung des Museum, die er nebeneinandergelegt auf einem Podest in der Skulpturenhalle des Gebäudes präsentiert, die wiederum an den Dinosaurierraum mit seinen gigantischen Skeletten anschließt. Auch Richard Deacon und Sophie Calle beschäftigten sich in ihren Arbeiten dezidiert mit dem Display von Kunst innerhalb eines musealen Kontextes. Carnegie International 1991 gilt daher neben The End (s) of the Museum in der Fundacio Antonio Tápies in Barcelona (1995 ) als eine der ersten Ausstellungen, in denen gezielt Künstler ausgestellt wurden, die den Präsentationskontext ihrer Arbeiten mitreflektierten. Dies sollte sich bald zu einem Trend entwickeln, der 1999 in der Ausstellung The Museum as Muse im Museum of Modern Art gipfelte.

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der hier nun verarbeitet würde 109 – bedeutet für ihn als Künstler einen Kontrollverlust, dem nur über den Zeigecharakter des Displays Einhalt geboten werden konnte. Die symbolische Grablegung der Stofftiere markiert die Grablegung eines ganzen Werkkomplexes. Sah er in den einzelnen handgefertigten Stofftieren zwar »unconscious projections of the maker«110, so sei deren Produzent keinesfalls mit dem Produzenten Kelley zu verwechseln, der auf die Tiere vielmehr als Material zurückgreift, um über ihr Display bestimmte Aspekte wie sexuelle Konnotationen oder Momente des Nostalgischen bewusst hervorzukehren. Kelley nutzt insofern das Medium Ausstellung – und damit einhergehend auch die kritischen Besprechungen in den Kunstmagazinen – trotz des sich wandelnden Publikums, um die Rezeption seiner Kunstproduktion in eine ganz bestimmte Richtung zu steuern. Hierfür greift Kelley neben dem Display zunehmend auf die Wirkkraft der erläuternden Texte zurück. Und in der Tat sind es Kelleys eigene Äußerungen gewesen, die die Rede von einer biographischen Deutung dieser Arbeiten erst wirklich und anhaltend manifestierte.111   So untermauert er dieses Lesart beispielsweise durch seinen Katalogbeitrag »In the Image of Man« für Carnegie International und bestimmt damit zu großen Teilen zugleich die folgende, »korrigierte« Rezeption seiner Stofftierarbeiten. Eine weitere Konsequenz, die er aus der unerwartet hohen Resonanz zog, war, das Biografische zunehmend selbst als künstlerische Strategie einzusetzen. Somit wurde die angebliche Fehlrezeption wiederum direkt eingespeist in die künstlerische Produktion; ein Interesse, das er bereits in einem Text über seinen Lehrer Douglas Huebler am Cal Arts konstatierte.112   Er gab seinem Publikum damit das, wonach es ihm zufolge verlangte, wenn auch um bewusst falsche Fährten zu legen.

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Vgl. hierzu v. a. Kelley, Mike : »Architectural Non-Memory Replaced with Psychic Reality [1996 ]«, in : Architecture New York 16 (1996  ), wiederabgedruckt in : Kelley   /   Welchman 2006, S. 346. Kelley, in : »Mike Kelley by John Miller«, in : BOMB Magazine 38 (1992 ), http://bombsite. com/issues/38/articles/1502  ( Abruf am 03.10.2013 ). So sprach John Miller, der die Kritiken überprüft hat, im August 2015 beim Launch seines Buches über Mike Kelleys Educational Complex ( London 2015 ) im Berliner Buchladen pro qm von einer weitgehend äußerst positiven Berichterstattung, in der derartige biographische Deutungen gar nicht vorkommen. Zur Rezeption von Kelleys Stofftierarbeiten vgl. auch Messmer, Carmen : Stuffed. Stofftiere in der installativen Kunst, Berlin 2015, S. 178  ‒184. Vgl. Kelley, Mike : »Shall We Kill Daddy ? [1997 ]«, in : Ders. 2003, S. 178  ‒193.

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»Mike Kelley, Sunday curator« – Das Ausstellungsprojekt The Uncanny  113 Eine Ausstellung in der Ausstellung Mit The Uncanny vollzieht Kelley erstmals und in seiner Konsequenz innerhalb seines Œuvres einmalig den Rollenwechsel vom Künstler zum Kurator. Die ursprünglich als künstlerischer Beitrag im Rahmen der Großausstellung Sonsbeek 93 ( 05.06. ‒  26.09.1993 ) im niederländischen Arnheim realisierte Ausstellung sollte im Laufe der Zeit nicht nur zu einer der bekanntesten Arbeiten Kelleys werden, sondern neben den eingangs genannten Beispielen von Fred Wilson und Joseph Kosuth auch zu einem der zentralen Beispiele für den derzeit paradigmatisch werdenden Rollenwechsel vom Künstler zum Kurator. Mit dieser Ausstellung verhilft er nicht nur dem seiner Meinung nach in derzeitigen Ausstellungen unterrepräsentierten Diskurs um die realistische, figurative Skulptur zu Sichtbarkeit, sondern bietet mit dem Fokus auf das Unheimliche zugleich eine alternative Geschichtsschreibung an, die als solche selbst maßgeblichen Einfluss auf die Kunstgeschichtsschreibung hatte. Zugleich lässt sich die in diesem Rahmen von Kelley formulierte Ästhetik des Unheimlichen auch als theoretischer Überbau seiner eigenen künstlerischeren Praxis lesen. Somit sticht The Uncanny nicht zuletzt bedingt durch das große Presseecho als Kelleys ambitioniertestes Ausstellungsprojekt aus seinen bisherigen kuratorischen Unterfangen heraus und ist, wie die folgenden Analysen zeigen werden, zugleich trotz bzw. gerade aufgrund des hier vollzogenen Rollenwechsels untrennbar mit seiner eigenen künstlerischen Agenda verbunden. Ausgangslage für die Realisierung war die Einladung der ebenfalls aus den USA stammenden Kuratorin Valerie Smith, deren Anliegen es war, Kelleys Arbeiten einem größeren Publikum innerhalb Europas zugängig zu machen. Einen Beitrag von ihm in Arnheim erachtete sie als Gegengewicht zu dem ihr zufolge die europäische Kunstszene dominierenden abstrakten Formalismus : »[ T ] here is no one doing the kind of work you are doing, no one here thinks along the terms you are thinking, so it is really in Europe that your work can make a dent and be controversial.«114   Kontrovers in Bezug auf Smiths kuratorische Leitfäden

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Dieses Kapitel geht zurück auf meine im Herbst 2008 am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin eingereichte Magisterarbeit Der Künstler als Kurator. Ein Versuch über Mike Kelleys »The Uncanny«, betreut von Prof. Gregor Stemmrich und Prof. Werner Busch. Smith, Valerie : »Notes on Sonsbeek 93«, in : Ausst.-Kat. Sonsbeek 93, Sonsbeeker Park und andere Orte, 05.06  ‒ 26.09.1993, hg. von Jan Brand, Catelijne de Muynck, und Valerie

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war bereits Kelleys Entscheidung, eine Ausstellung innerhalb ihrer Ausstellung zu kuratieren – auch wenn dies nur mit ihrem Einverständnis erfolgen konnte. Mit The Uncanny bezieht er neben den beiden ebenfalls in Sonsbeek 93 beteiligten Künstlern Annette Messager und Mark Dion, die wie Kelley in den Räumen des Arnheimer Gemeentemuseums arbeiten,115 eine zunächst klare Gegenposition zu den ortsspezifischen Arbeiten, die den Grundtenor von Smiths Ausstellungskonzept bestimmen.116   Innenstadt und Parkanlagen der Stadt bilden das Hauptspielfeld der mit der documenta in Kassel konkurrierenden und wie diese von einem großen internationalen Publikum besuchten Ausstellung. In ihrem im Katalog abgedruckten, einleitenden »Notes on Sonsbeek 93« grenzt Smith sich bewusst von früheren kuratorischen Ansätzen in Sonsbeek ab, die dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend auf Konzeptkunst, Earth und Minimal Art oder Film und Video ausgerichtet waren, und setzt dem eine lose Zusammenstellung von Schlagworten wie »fact«, »reality«, »content«, »multicultural«, »public art« und »common ground« entgegen, die der »complexity of the mind of the 1990s« entsprechen sollten.117   In Anbetracht des nahenden Jahrtausendwechsels veranschlagt sie eine prozessorientierte Ausrichtung, die zeitgenössische, Kontext bezogene Themen aufgreift, die der Komplexität der Diskurse in den 1990er Jahren entsprechen.118   Smith fordert die nach ihren Kriterien für eine Beteiligung an der Ausstellung in Frage kommenden Künstler dazu auf, ihre sonst für den Innenraum bestimmten Arbeiten

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Smith, Arnheim 1993, S. 7  ‒ 24, hier S. 16. In den USA war Kelley 1993 bereits über die Grenzen seines Wohnortes Los Angeles hinaus ein in der Kunstwelt präsenter Name und seine erste große Retrospektive im Whitney Museum of American Art befand sich zu diesem Zeitpunkt gerade in der Vorbereitung, vgl. Sussmann 1993, S. 15. Annette Messager lud Hobbymaler dazu ein, den Blick vom Museumsfenster auf den Rhein zu malen und Mark Dion rekonstruierte zwei Kabinette nach Lithografien aus einem Buch über Bronbeek, einem Arnheimer Museum und Residenz für pensionierte Soldaten. Dabei war das erste mit vergleichbaren Objekten wie auf den Abbildungen und das zweite mit Objekten der heutigen Bewohner des Altenheims bestückt. Die Pensionäre hatten während der Ausstellung Zugang zu den Kabinetten und konnten die Objekte nach Belieben variieren. Vgl. Ausst.-Kat Sonsbeek 93, Arnheim 1993, S. 118, S. 204, S. 129  f. und S. 9, S. 130  ‒135, S. 205  ‒ 213. Vgl. Kelley, Mike : »A new Introduction to The Uncanny«, in : Ausst.-Kat. The Uncanny : by Mike Kelley, artist, Tate Liverpool, 20.02. ‒  03.05.2004, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 15.07. ‒  31.10.2004, hg. von Christoph Grunenberg, Köln 2004b, S. 9  ‒12, hier S. 9. Smith 1993, S. 8. Ebd.

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auf den öffentlichen Raum auszudehnen.119   Kelley setzt dieser Ausstellungspolitik innerhalb des von Smith abgesteckten Rahmens zwar eine bewusst konservative Museumsausstellung entgegen,120 doch entspricht er mit der Wahl des Arnheimer Museums als Rahmen und Ort seiner Arbeit trotz dieser »gesture of ›resistance‹« 121 letztendlich der Forderung Smiths, dass das einzelne Werk seine Bedeutung ausgehend von dem und für den Ort, in dem es besteht, generieren sollte.122 The Uncanny umfasst mehr als 400 figurative Objekte und Fotografien aus unterschiedlichen Epochen und kulturellen Kontexten in einer wunderkammerartigen Zusammenstellung. Den Auftakt der Ausstellung bildet eine fotografische Vergrößerung einer durch die Lavamassen des Vesuvausbruchs in Pompeji natürlich mumifizierten Frau, die wie ein klassisches Türstück über der Eingangstür zu den Ausstellungsräumen des Gemeentemuseums Arnheim hängt. Dahinter eröffnet sich auf fünf Ausstellungsräumen verteilt ein auf den ersten Blick dichtes Nebeneinander von Skulpturen, medizinischen Modellen, menschlichen Gliedmaßen, Masken, Filmrequisiten, ausgestopften Tieren sowie künstlerischen ebenso wie rein dokumentarischen Fotografien, das den Anschein erweckt als sei das gesamte Inventar eines Museums zwar übersichtlich, aber weitgehend ungeordnet präsentiert worden. Betont beiläufig sind Schilder mit Erklärungen zu den einzelnen Exponaten angebracht, sodass der visuelle Eindruck eindeutig über erklärendem Beiwerk dominiert. Als erstes sieht sich der eintretende Betrachter mit den auf Augenhöhe von der Decke hängenden farbigen Wachsköpfen der Arbeit 10 Heads Circle  / Up and Down von Bruce Nauman (1990 ) konfrontiert. Dahinter ist auf einem Podest die Arbeit Ushering in Banality (1988 ) von Jeff Koons platziert, ein farbig lackiertes, lebensgroßes Holzschwein, das von drei Putten umgeben

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Dies hatte zur Folge, dass einige der Arbeiten nur schwer von den Ausstellungsbesuchern aufzufinden waren und Sonsbeek 93 in der Presse zum Teil harsche Kritik einstecken musste. Vgl. Hettig, Frank-Alexander : »Sonsbeek 93. 5.6. ‒  26.9.1993«, in : Kunstforum International 123 (1993 ), S. 313  ‒ 315; Koplos, Janet : »Parachuting in Arnhem«, in : Art in America 10 (1993 ), S. 53  ‒ 56; Lambrecht, Luk : »Sonsbeek 93«, in : Flash Art 127 (1993 ), S. 119; Gibbs, Michael : » Sonsbeek 93«, in : Art Monthly 168 (1993 ), S. 24  f., und Cooke, Lynne : »Arnhem and Chicago Outdoor exhibitions of contemporary art«, in : Burlington Magazine 1088 (1993 ), S. 786  f. Dan Cameron dagegen verteidigt Sonsbeek 93 in seiner Rezension als gelungenen Versuch, zeitgenössische Kunstpraktiken zu kontextualisieren. Cameron, Dan : »Sculpting the Town. Sonsbeek 93«, in : Artforum 32 / 3 (1993 ), S. 89  f. und S. 131. Kelley 2004b, S. 9. Ebd. Smith 1993, S. 9.

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Abbildung 13 : Mike Kelley , The Uncanny, Ausstellungsansicht , Sonsbeek 93, Gemeentemuseum, Arnheim, 1993

ist. Im selben Raum befindet sich rechts an der Wand eine aus einem Ölgemälde und einem Mannequin bestehende Arbeit des belgischen Künstlers Jaques Charlier ( Peinture Tragique, 1991), links daneben eine großgezogene Fotografie, auf der die Schauspielerin Olga Desmond als »lebendiger Marmor« während ihrer Schönheits-Abende in Berlin 1908 zu sehen ist. Auf der anderen Seite des Raumes wurde Kiki Smiths lebensgroße Wachsfigur Virgin Mary (1982 ) neben einer an der Wand hängenden Fotografie aufgestellt, die den Kopf einer Tränen vergießenden Jungfrau Maria aus New Orleans zeigt. Ein ebenfalls lebensgroßer chinesischer Terrakottakrieger steht neben einer Fotoserie, die Bauchrednerpuppen zeigt.123  Wie dieser Raum entziehen sich auch die sich anschließenden Räume einer auf den ersten Eindruck klar erkennbaren Betrachterführung : Eine riesige anatomische Stoffpuppe für Kinder befindet sich in unmittelbarer Nähe der Arbeiten von Jonathan Borofsky Chattering Man Looking at Flying Figure (1983  / 84 ), die aus einem

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Kelley im Interview mit Thomas McEvilley, in : Ausst.-Kat. Sonsbeek 93, Arnheim 1993, S. 137  ‒143, hier S. 138.

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Abbildung 14 : Mike Kelley, The Uncanny, Ausstellungsansicht , Sonsbeek 93, Gemeentemuseum, Arnheim,1993

an der Decke befestigten Dummy und einer auf dem Boden stehenden, abstrakten Holzfigur besteht, einem in Plexiglas eingelassenen Wachsarm aus der Reihe von Paul Theks Technological Reliquaries ( Untitled, 1967  ) und Martin Kippenbergers lebensgroße, mit dem Gesicht zur Ecke gewandte figurative Polyesterskulptur mit dem bezeichnenden Titel Martin, ab in die Ecke und schäm Dich (1989 ) [ Abb. 13 ]. Vor einer Sammlung von medizinischen Anschauungsmodellen hängen an den Wänden u. a. eine Aufnahme aus Max Reinhardts Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen in Berlin 1931, die die darin vorkommende Puppe Olimpia mit zwei sie darstellenden Schauspielerinnen zeigt und ein Foto aus einem deutschen Polizeiarchiv, auf dem die verstümmelten Reste eines Mordopfers zu sehen sind. Weit über Kopfhöhe hängt die fotografische Reproduktion einer Schublade aus Rodins Studio mit Gipsabgüssen verschiedenster Körperteile. Die abschließenden, sogenannten Harem-Räume setzen sich thematisch und in der Präsentationsform der dort ausgestellten Objekte von den vorderen Räumen ab. Lückenlos gehängt befinden sich an den Wänden und auf Stellwänden Alltagsobjekte wie Plattencover, Comic-Hefte oder Postkarten. In Schaukästen sind in Reih und Glied Sammlungen von Murmeln, Löffeln oder auch Schnapsgläsern präsentiert [ Abb. 14   ].

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Hervorgegangen ist sowohl die Auswahl der Exponate als auch die Art des Displays dieser Ausstellung auf Kelleys zusammen mit Paul McCarthy produzierten raumgreifender Videoarbeit Heidi : Midlife Crisis Trauma Center and Negative Media-Engram Abreaction Release Zone, an der er zum Zeitpunkt seiner Einladung zur Teilnahme an Sonsbeek 93 gerade arbeitete. Kelley hatte im Zuge dessen drei Pinnborde mit Assoziationen zu den Ursprüngen und Reichweiten des HeidiMotivs aufrufenden Abbildungen zusammengefügt sind, und die anschließend mit in die Installation einbezogen wurden. Klischeebildern der Heidi-Figur fanden hierin ebenso Eingang wie Ansichten von Schweizer Hütten und Landschaftsaufnahmen sowie Abbildungen des menschlichen Körpers und Gesichts von der Antike bis zur Gegenwart. Letztere sollten Kelley als Vorlage für die in der Videoarbeit eingesetzten Doubles dienen. Durch die collagenhafte Anordnung der etwa gleichformatigen Abbildungen werden die zunächst untereinander scheinbar beziehungslosen Objekte aus Hoch- und Populärkultur frei miteinander verknüpft – eine Methodik, die an Aby Warburgs unvollendet gebliebenen Mnemosyne-Atlas erinnert. Dienten Warburg die Schautafeln hauptsächlich didaktischen Zwecken und die Verweise auf die »niederen« Künste der Erklärung der »hohen«, so ging es Kelley vielmehr um die gleichberechtigte Nebeneinanderstellung von high und low bzw. künstlerischer wie nichtkünstlerischer Objekte. Seine »Pathosformel« sollte die des Unheimlichen werden. Für ihn war The Uncanny laut Valerie Smith »in a sense the show he would have done, had he been allowed to« und sie sah Sonsbeek 93 mit seiner Ausrichtung auf Prozesshaftigkeit als den richtigen Rahmen, dieses Projekt in die Tat umzusetzen. Kelley nahm, wie er betont, seine Rolle als Kurator ernst, verfasste einen ausstellungsbegleitenden Text mit dem Titel »Playing with Dead Things«, dem intensive Recherchen vorausgingen und publizierte diesen in einem unabhängig vom offiziellen Katalog zu Sonsbeek 93 selbst herausgebrachten Katalog [ Abb. 15 ].124 Dieser enthielt neben dem Essay auch einen umfangreichen Abbildungsteil mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die teilweise den gezeigten Exponaten entsprachen, diese teilweise ergänzten oder sie durch Abbildungen von anderen Objekte ersetzten. Zusammen mit den beigefügten Listen der ausgestellten sowie abgebildeten Objekte und zwei Installationsaufnahmen machen der Text und die Abbildungen aus dem Katalog einerseits eine die Laufzeit der Ausstellung überdauernde Dokumentation von The Uncanny und zugleich ein die Ausstellung ergänzendes Supplement – ein beliebig reproduzierbares »imaginäres Museum«.125   So dient der Kata-

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Kelley 2004b, S. 9. Vgl. Malraux, André : Psychologie der Kunst. Das imaginäre Museum, Hamburg 1957, darin v. a. Kapitel I, S. 7  ‒12.

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log als Gegenstand ästhetischer wie theoretischer Reflexion der Ausstellung und bildet dabei selbst einen Teil des künstlerischen Beitrags von Kelley zu Sonsbeek 93. Die Grundbedingung der Realisierung von The Uncanny war folglich der institutionelle Rahmen der Großausstellung, d. h. in diesem Fall das für Kelley innerhalb von Sonsbeek 93 vorgesehene Budget – Kelleys Beitrag war einer der kostspieligsten der Ausstellung insgesamt – und die entsprechend befugten Personen, die in Kooperation mit dem Künstler die Leihgaben von anderen Museen oder aus privaten Sammlungen ermöglichten, die ihm als Privatperson nicht zugänglich gewesen wären.126   Hierin wird bereits die dialektische Spannung zwischen künstlerischer Konzeption und institutionellem Rahmen deutlich, die das gesamte Projekt durchzieht und sich besonders an den 2004 erfolgten Neuauflagen der Ausstellung in der Tate Liverpool ( 20.02. ‒  03.05.2004 ) und dem Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok ) (15.07. ‒  31.10.2004 ) bemerkbar macht. Dass diese Ausstellung elf Jahre später aus ihrem ursprünglichen Realisierungskontext gelöst noch einmal in vergrößertem Umfang in Liverpool und Wien gezeigt wurde, ist vor allem auf die enge Kooperation mit dem in Los Angeles ansässigen Sammler Kourosh Larizadeh zurückzuführen, der die zuletzt genannten Harems 1998 erworben hatte – ein Kauf und damit die Einspeisung der Ausstellung in den Kunstmarkt, dem das Projekt Kelleys durch seine temporäre und ortsspezifische Anlage zunächst zu widerstreben schien. In der Art der Hängung versucht Kelley der Ausstellung von 1993 jeweils so nah wie möglich zu kommen, unterlegt den Exponaten aber insgesamt einem formal-typologisches Ordnungssystem. Auch decken sich viele der Exponate nicht mehr mit denen der ersten Auswahl. Aus ursprünglich 55 in der Werkliste aufgeführten Exponaten, die längst nicht alle gezeigten Objekte umfasst, sind nun 102 geworden. Kelley aktualisiert und erweitert die Ausstellung wiederum ortsspezifisch in Liverpool um Arbeiten der sogenannten Young British Artists ( YBA ) wie The Prodigal Son (1994 ) von Damien Hirst oder für die Zeit typische, hyperrealistische Skulpturen wie Death

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Anhand des im offiziellen Sonsbeeker Katalog abgedruckten, im Vorwege der Ausstellung stattgefundenen Briefwechsels zwischen Smith und Kelley kann das Voranschreiten dieser Zusammenarbeit nachvollzogen werden, einschließlich der auftauchenden Uneinigkeiten hinsichtlich der Finanzierung und des Ergebnisses des ebenfalls dort abgedruckten und auf Smiths Wunsch stattgefundenen Interviews von Kelley mit dem Kunsthistoriker Thomas McEvilley. Erste Skizzen Kelleys sowie Werklisten für The Uncanny stehen dabei neben Smiths Notizen des Atelierbesuchs bei ihm in Pasadena Ende 1992. Der Sonsbeeker Katalog bietet daher nicht nur einen Einblick in den kuratorischen Prozess von Sonsbeek 93, sondern ebenso in den Entstehungsprozess von The Uncanny und die kuratorische Vorgehensweise von Mike Kelley.

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of Che von Gavin Turk. Zudem verjüngt er die die Auswahl durch Arbeiten einiger seiner und Studenten, wie Death of a Replicant (1998 ) von Christiana Glidden und Kristian Burfords During a later period … ( 2002  ‒ 2003 ).127   In Wien finden zusätzlich viele der für diese Stadt typischen Kuriositäten aus den verschiedenen medizinhistorischen Museen, wie dem Pathologischen und Anatomischen Museum, dem Narrenturm und dem Josephinum in die Ausstellung Eingang. Darüber hinaus wurde The Uncanny in Wien auf Anregung des mumok-Kurators Achim Hochdörfer und in Zusammenarbeit mit dem Wiener Filmmuseum um ein umfangreiches Filmprogramm ergänzt. Dieses umfasst frühe expressionistische Filme der 1930er Jahre ebenso wie Klassiker des Horror- und Splatterfilms, so z. B. Frankenstein ( James Whales, 1931), Meshes of the Afternoon ( Maya Deren, 1944 ), Eraserhead ( David Lynch, 1978 ), Re-Animator ( Stuart Gordon, 1985 ) und Dead Ringers ( David Cronenberg, 1988 ).128   In Liverpool fand in Zusammenarbeit mit dem Centre for Research in the Arts, Social Sciences and Humanities (crassh ) in Cambridge und der University of Liverpool ein eintägiges, ausstellungsbegleitendes Symposium statt. Damit wird The Uncanny stärker noch als in Sonsbeek zu einer Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Kuratoren der einladenden Museen, dem Sammler Kourosh Larizadeh und dem Künstler. Diese veränderten Grundbedingungen führten dazu, dass sich – und das zeigt auch die Neuauflage des Katalogs – dieses Ausstellungsprojekt zunehmend aus der alleinigen Kontrolle Kelleys löste. Der aufwendig gestaltete Katalog, der zu diesen beiden neuen Ausstellungen in englischer und deutsch-englischer Fassung beim Kölner Kunstverlag Walther König erschien, enthält neben einem 177-seitigem Abbildungsteil in Farbdruck, mehreren farbigen Installationsaufnahmen, dem Essay »Playing with Dead Things« und einem neuen Vorwort von Kelley auch ein Vorwort der Direktoren der einladenden Institutionen Christoph Grunenberg (  Tate Liverpool ) und Edelbert Kölb ( mumok Wien ). Zudem wurden längere Katalogbeiträge von John C. Welchman sowie Christoph Grunenberg mit in den Katalog aufgenommen, die auf dem rückwärtigen Buch-

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Der vollständige Titel dieser Arbeit lautet : During a later period of Christopher’s residence at boarding school he learnt that if the hand of a sleeping boy were to be submerged in tepid water, the boy would be made to wet his bed. After the passing of a considerable number of years, this knowledge has provided him with a subject for a short video. He is producing the video alone, on this Sunday evening, in a chamber that once served as his mother’s sewing room. In the years between her death and Christopher’s present production, it has contained only a small number of disused items that have failed to find a home elsewhere in the apartment. Vgl. http://www.mumok.at/programm/archiv/film/film-2004/mike-kelley/  ? type=0  ( Abruf am 30.11.2013 ).

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Abbildung 15 : Mike Kelley, The Uncanny, Ausstellungskatalog, Sonsbeek 93, Arnheim 1993

Abbildung 16 : Mike Kelley, The Uncanny, Ausstellungskatalog, Tate Liverpool, Liverpool, 2004

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deckel in einem Zug mit Kelleys Text erwähnt werden. Die zweisprachige Variante des Katalogs wurde neben den Übersetzungen um ein Interview Hochdörfers mit Kelley ergänzt. Auch das Layout lag nicht mehr allein in Kelleys Händen. Auf der Vorderseite des Katalogs, dessen ursprüngliches Hintergrundbild, eine Requisite aus der Fernsehsendung Outer Limits aufgenommen im Wohnzimmer des Sammlers Forest J. Ackerman, in der Neuauflage beibehalten wurde, scheint er selbst diese Einbettung seiner Ausstellung in den Kunstdiskurs aufs Korn zu nehmen : War 1993 der Katalog nur mit dem Schriftzug »The Uncanny« [ Abb. 15 ] versehen, hieß es nun »The Uncanny by Mike Kelley, Artist« [ Abb. 16   ]. Dementsprechend fand The Uncanny, nun eindeutig als eigenständiges Ausstellungsprojekt des Künstlers Mike Kelley präsentiert, große Resonanz in der internationalen Kunstpresse. Dass The Uncanny von Lynne Cooke zugleich in ihren im Artforum veröffentlichten Top Ten der Ausstellungen des Jahres 2004 mit dem dritten Platz gekürt wurde,129 verdeutlicht diesen Shift einmal mehr. Bevor genauer auf die Umsetzung der Ausstellung und dessen Display eingegangen wird, soll jedoch zunächst eine genauere Analyse des von Kelley in seinem Katalogtext »Playing with Dead Things« erfolgen. Denn, wie es Alex Farquharson in seiner Rezension der Liverpooler Ausstellung auf den Punkt bringt, »without the essay the exhibition is just half the story«.130 Rehabilitierung der polychromen figurativen Skulptur unter dem Begriff des Unheimlichen Kelleys Katalogtext »Playing with Dead Things« zählt zu den einflussreichsten seiner Schriften. Er bildet das theoretische Rückgrat der Ausstellung und wurde auch unabhängig von den beiden Ausstellungskatalogen in verschiedenen Publikationen in Gänze wie in Auszügen wieder abgedruckt.131  Kelley entwickelt hierin unter Bezugnahme auf Sigmund Freuds 1919 verfassten Text »Über das Unheimliche« eine Theorie des Unheimlichen in der polychromen, figurativen Skulptur. Damit

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Cooke, Lynne in : »Best of 2004 : 13 Top Tens«, in : Artforum 43/4 (2004 ), S. 152  ‒177, hier S. 158. Farquharson, Alex : »The Uncanny«, in : frieze 83, Mai 2004, http://www.frieze.com/issue/ review/the_uncanny  ( Abruf am 30.11.2013 ). So in dem 2003 von John C. Welchman herausgegebenen Sammelband Foul Perfection, dem ersten von geplanten fünf Bänden der Schriften Kelleys. Die von Welchman darin neu editierte Version wurde auch im Ausstellungskatalog zu der erneuten Präsentation von The Uncanny in Liverpool und Wien 2004 aufgenommen und ich werde im Folgenden aus dieser Textversion zitieren.

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führt er einen derzeit in der Luft liegenden Begriff ein, der jedoch zuvor nicht derart breitenwirksam mit dieser, Anfang der 1990er weitgehend von der Bildfläche verschwundenen und innerhalb aktueller Diskurse vernachlässigten Gattung in Verbindung gebracht wurde.132   Kelley spricht davon, dass figurative Skulptur aus der aktuellen Kunstgeschichte »gelöscht« sei, auch wenn Anfang der 1990er Jahre durchaus ein Widererstarken von realistischen körperlichen Darstellungen in der Skulptur erkennbar wird. Peter Greenaway etwa kuratierte im Winter 1991 / 1992 die große Aufmerksamkeit gefundene und der menschlichen Physis gewidmeten Ausstellung The Physical Self  im Rotterdamer Boymans Van Beuningen Museum. Hierbei greift er – wie es derzeit für von Institutionen eingeladene Gastkuratoren typisch war – auf die Sammlungsbestände des Museums zurück. Die kurze Zeit darauf durch Europa tourende, von Jeffrey Deitch kuratierte Ausstellung Post Human. Neue Formen der Figuration in der zeitgenössischen Kunst dagegen geht von dem Standpunkt aus, dass die derzeitige Künstlergeneration vor dem Hintergrund einer zunehmend technologisierten Welt die figurative Skulptur »praktisch neu erfinde« 133. Ungeachtet der Tatsache, dass sich einige der Exponate von Post Human und The Uncanny überschnitten und auch Kelley selbst mit der Arbeit Brown Star (1991) vertreten war, grenzt er sich klar von beiden Ansätzen ab. Kelleys kuratorisches Anliegen richtet sich vielmehr auf – und hierin taucht ein grundlegendes Motiv seines künstlerischen Ansatzes wieder auf – die Rehabilitierung einer wortwörtlich aus dem Blickfeld geratenen Gattung und Dekonstruktion herkömmlicher Geschichtsschreibung. Zugleich liest sich der in »Playing with Dead Things« entwickelte Kriterienkatalog wie eine Abrechnung mit einem Modernismusverständnis, wie es in den USA federführend von Clement Greenberg geprägt wurde. Dessen im Aufsatz »Sculpture in Our Time« (1958 ) entworfene Theorie findet in Kelleys Katalogtext ihren Widerpart : An die Stelle von Abstraktion, Monochromie und Reinheit des Materials rückt Kelley einen Skulpturbegriff, der die realistischen, polychromen und illusionistischen Eigenschaften der Objekte stark macht und damit eine gegen den modernistischen Autonomiebegriff gewandte Ausrichtung

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Der Kulturhistoriker Martin Jay spricht von »one of the most supercharged words in our current critical vocabulary«. Jay, Martin : »The Uncanny Nineties«, in : Ders. : Cultural Semantics. Keywords of Our Time, Arnherst 1998a, S. 157  ‒164, hier S. 157. Vgl. Vorwort von Edelmann, Asher B.  /  Gianelli, Ida  /  Zdenek, Felix  /  Dakis, Joannou, in  : Ausst.-Kat. Post Human, FAE Musée d’Art Contemporain, Pully  /   L ausanne, 14.06. ‒ 13.09.1992, Castello di Rivoli, Rivoli (  Turin), 01.10. ‒  22.11.1992, Deste Foundation for Contemporary Art, Athen, 03.12.1992  ‒14.02.1993, Deichtorhallen Hamburg, 02.03. ‒  09.05.1993, hg. von Jeffrey Deitch, Pully, Lausanne 1992, S. 15.

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auf die Interaktion von Objekt und Subjekt vertritt.134   Das aus Einzelteilen Konstruierte weicht hier nun dem Fragmentarischen. Während Skulptur laut Greenberg der Königsdisziplin Malerei hinsichtlich ihrer Reduktion auf das »ausschließlich Visuelle« nacheifere, spielt diese bei Kelley eine aufgrund ihrer mangelnden körperlichen Präsenz eindeutig untergeordnete Rolle. Er geht in »Playing with Dead Things« vielmehr auf einen vormodernen Skulpturbegriff zurück,135 der auf die, von Greenberg als Leid der Bildhauerei verurteilte, Verlebendigung eines toten Materials ausgelegt ist.136   Die Ausnahme von Kelleys Untersuchung dieser »aesthetic exclusion« des Modernismus bildet der Surrealismus, der sich gegen die Entwicklungen und Stile der Hochmoderne stellte.137   Verschwand in Europa der historische Surrealismus allmählich von der Bildfläche künstlerischen Schaffens oder ging in individuellen Adaptionen unter, überdauerte er in den USA als ein kultureller Nebenstrom, der, wie Diedrich Diederichsen es formulierte, unabhängig vom Modernismus Greenberg’scher Prägung einerseits und der Kulturindustrie andererseits, »über Jahrzehnte ästhetische Valeurs stiftete, die zugleich aus der Willkür bilderreicher Träume wie aus einer rabiat dezidierten Ablehnung des Bestehenden abgeleitet zu sein schien«.138   Kelley befördert mit The Uncanny einen in dem meinungsprägenden ( und v. a. amerikanischen ) Kanon der Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts vernachlässigten Bereich, ein im Krauss’schen Sinne »optical unconscious«, zum Vorschein, in dem Fetische, Obsessionen, Ekel und Angst ihren legitimen Platz eingeräumt bekommen.139 Die Verknüpfungen, die

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Ich berufe mich hier auf folgende deutsche Fassung : Greenberg, Clement : »Skulptur in unserer Zeit (1958 )«, in : Ders. : Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, Dresden 1997, S. 255  ‒ 264, hier S. 264. Die englische Originalfassung unter dem Titel Sculpture in Our Time wurde zuerst abgedruckt in Arts Magazine 32  /10 (1958 ), S. 22  ‒ 25. Vgl. Hochdörfer, Achim : »An Exhibition as Artwork always interested me. Interview with Mike Kelley, May 25th, 2004«, in : Ausst.-Kat. The Uncanny, 2004, S. A-67   ‒  A-75, hier S. A-68. Vgl. Greenberg 1997, S. 257. Vgl. Hochdörfer 2004, S. A-68. Kelley selbst war durch seinen Lehrer Gerome Kamrowski, der aus der Schule des im New Yorker Raum äußerst einflussreichen Avantgardisten Hans Hofmann kam, während seiner Zeit an der University of Michigan mit der Kunst und den Techniken der Surrealisten vertraut gemacht worden. Vgl. Stals 1997, S. 17  f. Diederichsen, Diedrich : »Der amerikanische Surrealismus als Asyl. Kritik und Verklärung in Goth und anderen Schattenbewegungen«, in : Texte zur Kunst 65 ( 2007 ), S. 92  ‒ 97, hier S. 95. Vgl. Krauss, Rosalind E. : The Optical Unconscious, Cambridge (  Mass.) 1994. In diesem Buch wendet sie sich gegen die »offizielle« Geschichtsschreibung der Kunst des 20. Jahr-

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Kelley in »Playing with Dead Things« zwischen den verschiedenen Aspekten des Unheimlichen herstellt, funktionieren überwiegend assoziativ, reichen von anekdotenhaften Erzählungen aus seiner Kindheit und von Kunsterfahrungen über Schilderungen wissenschaftlicher Experimente zu ( indirekten ) Verweisen auf seine eigenen künstlerischen Arbeiten. »Playing with Dead Things« – Mike Kelleys Entwurf einer Theorie der polychromen figurativen Skulptur Stärker noch als Freud verortet Kelley in seinen Ausführungen das Unheimliche im Bereich der ästhetischen Erfahrung : »It is a physical sensation, and one that, in my case, I have always associated with an ›art‹ experience – generally an interaction with an object or a film.«140   Er betont den Zusammenhang des Unheimlichen mit dem Akt des Erinnerns von etwas Verdrängtem und rückt es in seiner Beschreibung als »somewhat muted sense of horror, horror tinged with confusion« in die Nähe des Erhabenen.141   Zugleich hebt Kelley die Relevanz des Gegenübers bei der Kunsterfahrung hervor, also die Interaktion mit dem betrachteten Objekt. Das Unheimliche ist ihm zufolge verbunden mit einer außerkörperlichen Erfahrung, also einer Erfahrung, bei der man sich so bewusst über seine eigene körperliche Wahrnehmung werde, dass es bei einem das Gefühl erzeuge, sich selbst von außerhalb seines eigenen Körpers zu betrachten. »All of these feelings«, so Kelley, »are provoked by an object, a dead object that has a life of its own, a life which is somehow dependent on   y o u  [ Hervorhebung von Mike Kelley ], is intimately

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hunderts und hält ihr die Geschichte des »optical unconscious« entgegen. Künstlern wie Marcel Duchamp, Jackson Pollock oder Max Ernst dienen ihr als Beispiele, um hieran eine Geschichte der Obsession und Zwänge in der Kunst zu entwickeln, die dem von Greenberg vertretenem Maßstab der »opticality« widerläuft. Kelley, Mike : »Playing with Dead Things«, in : Ders. : The Uncanny, Arnheim 1993, S. 4  ‒ 27, hier S. 4. Ebd., S. 5. Im Interview mit Thomas McEvilley mit dem bezeichnenden Titel »From the Sublime to the Uncanny« kommt diese Verbindung noch stärker zur Sprache. Siehe Ausst.-Kat. Sonsbeek 93, S. 140  ff. Im Interview mit Achim Hochdörfer nennt Kelley das Unheimliche »such a subtle and unthreatening sensation compared to feelings of horror or sublimity«. Höchdorfer 2004, S. A-68. In anderen Arbeiten Kelleys wird der Bezug zum Erhabenen deutlicher, so etwa in – wie der Titel schon sagt – The sublime (1984 ), in dem er sich unter anderem mit Burkes und Kants Schriften auseinandersetzt. Colin Gardner bezeichnet Kelleys Arbeiten selbst als erhaben, da sie »spill […] over language’s ability to frame it ( as oeuvre, career, or, indeed ›work‹ )«. Ders. 1993, S. 112  ‒134.

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connected in some secret manner to your life.«142   Diese starke Erfahrung der eigenen Präsenz gegenüber dem Objekt muss, so Kelley, auch vor dem Hintergrund einer generellen Verschiebung in der Kunst des 20. Jahrhunderts gesehen werden, die sich weg von einer primär retinalen Erfahrung der Objekte bewegt und besonders stark etwa in der Minimal Art zum Tragen komme. Hierunter gefassten Werken gegenüber fühle der Betrachter sich »strangely body-conscious«.143  Die Überschneidung mit dem Gefühl des Unheimlichen liege gerade in der reflexiven Form der Erfahrung, die im Alltagsleben nicht vorhanden sei.144 Kelley umreißt im weiteren Textverlauf von »Playing with Dead Things« einen Kriterienkatalog zum Unheimlichen in Bezug auf die figurative Skulptur, der sich grundsätzlich an den Freud’schen Ausführungen orientiert. Sein Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Einordnung der Auswirkungen des Unheimlichen in Bezug auf die Erfahrung des Betrachters, die er unter verschiedenen Parametern, speziell den ästhetischen und psychologischen und, in geringerem Maße, den historischen würdigt.145   Zu den Parametern, die Kelley in teilweise wörtlicher Anlehnung an die Freud’schen Aspekte des Unheimlichen in seinem Katalogtext anführt, zählen im Einzelnen : Größenverhältnis, Farbe, der Körperteil und die Ganzheit, der Teil und der Mangel ( die Organe ohne Körper 146   ), Readymade und Doppelgänger, Statuen und Tod, die Statue als Stellvertreter sowie also Aspekte des Naturalismus und Realismus ( »Aping the Mirror of Nature« ). Die Gegenstände in der Ausstellung sollen dementsprechend v. a. physisch erfahrbar sein, also dem menschlichen Maß entsprechen, um vom betrachtenden Subjekt als Körper aufgefasst werden zu können. Die laut Kelley in der Moderne lange als verschrien geltende Buchstäblichkeit (literalism) rehabilitiert er in seinem Katalogtext als für die Identifikation

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Kelley 1993, S. 5. Kelley, in : McEvilley, Thomas : »From the Sublime to the Uncanny : Mike Kelley in Conversation with Thomas McEvilley«, in : Kelley 2003, S. 58  ‒ 68, hier S. 63. Ebd. Welchman, John C. : »On the Uncanny in Visual Culture«, in : Ausst.-Kat. The Uncanny, 2004, S. 39  ‒ 56, hier S. 44. Hierin verbirgt sich ein ironischer Verweis auf Gilles Deleuzes und Felix Guattaris »organlose [n] Körper, die den Begriff von Antonin Artaud aufgreifen. Vgl. Deleuze, Gilles / Guattari, Felix : Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 1997, S. 205  ‒ 228. Vgl. auch Welchman 2004, S. 44.

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mit dem Objekt bestimmendes Element.147   Textur und Konsistenz der Figur bzw. des Objekts sollten darüber hinaus die haptische Qualität des menschlichen Fleisches imitieren. Ausnahmen hinsichtlich ihrer Größe bilden für Kelley kleinere Objekte wie ausgestopfte Tiere, Übergangsobjekte wie Stofftiere, Fetische und magische Objekte wie ägyptische Grabskulpturen, die in ihrem jeweiligen rituellen Zusammenhang nach Alter und Erfahrung unterschiedlich wahrgenommen würden. Auch entschied sich Kelley, Fotografien mit in die Ausstellung aufzunehmen, da nicht alle gewünschten Objekte auszuleihen waren bzw. nicht mehr existierten wie etwa die für ihn zentrale Arbeit The Tomb – Death of a Hippie (1967  ) von Paul Thek,148 Oskar Kokoschkas nach dem Vorbild seiner Geliebten Alma Mahler geschaffenen Fetischpuppe von 1919 oder die Fotos von zum Teil ( selbst-) verstümmelten Leichen aus deutschen Polizeiarchiven.149   Die Kunstfotografien etwa von Cindy Sherman (untitled #261 und untitled #263, beide 1992 ) und Hans Bellmer (1936  ‒ 38 ), die Kelley mit in seine Ausstellung aufnahm, behandelte er wie Dokumentationen figurativer Skulpturen und spricht ihnen damit ein Stück weit ihre Wertigkeit als autonome Kunstwerke ab.150   Auch bei Filmrequisiten, deren provisorische Natur wie zuvor schon in der Arbeit Heidi nur innerhalb der filmischen Realität ein Sinn zugestanden wird, spielt Kelley zufolge ihre tatsächliche Größe keine Rolle. Der Reiz des Verborgenen von Filmrequisiten und Spezialeffekten ließen Kelley beispielsweise auch eine Fotografie des weiblichen Roboters aus Fritz Langs Film Metropolis (1926 ) mit in die Ausstellung aufnehmen. Auch wenn nicht alle der ausgewählten Objekte den genannten Parametern entsprechen, so erzeugen sie Kelley zufolge alle ein Bewusstsein von unserer eigenen Sterblichkeit.151   Dass er in seiner Auswahl der Exponate die Malerei unberücksichtigt lässt, die wie die Skulptur in den 1980er Jahren einen Aufschwung des Realismus erlebte,152 kann demnach da-

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Kelley illustriert dies u. a. an den Beispielen von Edgar Degas’ Kleine Tänzerin (1880  ‒1881) und den farbigen Skulpturen der Villa eines Scheichs aus Los Angeles, die einem von den erzürnten Nachbarn initiierten Brandanschlag zum Opfer gefallen waren. Vgl. Kelley, Mike : »Playing with Dead Things«, in : Ausst.-Kat. The Uncanny, 2004, S. 24  ‒ 39, hier S. 30, dort auch Fußnote 32. Vgl. Kelley, Mike : »Death and Transfiguration ( on Paul Thek ) [1992 ]«, in : Welchman 2003, S. 138  ‒149, hier S. 142. Kelley 2004a, S. 27. Ebd. Vgl. Kelley 2004b, S. 9. Vgl. z. B. Faust, Max Ernst  /  de Vries, Gerd : Hunger nach Bildern. Deutsche Malerei der Gegenwart, Köln 1982.

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rauf zurückgeführt werden, dass Kelley die körperliche Präsenz des Gegenübers als ausschlaggebendes Moment für das Gefühl des Unheimlichen erachtet, die in dem Betrachter den Zweifel an dessen Belebtheit oder Unbelebtheit heraufbeschwöre. In den folgenden Textabschnitten verschieben sich Kelleys Überlegungen von einer »ästhetischen Symptomologie«153 des Unheimlichen hin zum Verhältnis dieser Eigenschaften zu künstlerischen Gesten der Moderne ausgehend von Auguste Rodins Körperfragmenten hin zu Marcel Duchamps Readymades. »Duchamp«, so Kelley, »performs the sin of literalism and demands that it is art.«154   Präsentiert im Kunstkontext können diese Objekte unmöglich ihren »realen« Status aufrechterhalten und würden so zu ihrem eigenen Doppelgänger.155   War Rodin seiner Zeit voraus, so habe in der neueren Kunst das moderne Verständnis vom Fragment als Mikrokosmos der Bereitschaft Platz gemacht, Fragmente Fragmente sein zu lassen.156 Das Bild der Ganzheit sei heute lediglich ein »pathetic comment on the lost utopianism of modernism«157, ein Bild, mit dem man nur noch spielerisch umgehen könne, wie Kelley unter Verweis auf die Arbeiten Bruce Naumans ausführt. Unter Berufung auf Deleuzes und Guattaris’ im Anti-Ödipus vertretene These, dass die Schizophrenie dem Normativen Platz gemacht habe, sieht Kelley die Begriffe der Täuschung und Falschheit als inzwischen gebräuchliche Begriffe für die Funktion von Kunst, als deren frühestes Beispiel er den Surrealismus anführt.158 Salvador Dalí zitierend verweist er darauf, dass dessen Inspiration (»masturbation, exhibitionism, crime, love« 159 ) und das Begehren als grundlegende Antriebe des Surrealismus auf den Mangel als zentrales Moment von Kunst verwiesen : »Art is creation in response to lack. Quite different from a stand-in for the archetype, which must be there, somewhere, the art object is a kind of fetish, a replacement for some real thing that is missing.«160 Kelley verschiebt in den beiden Abschnitten zur Statue mit seinem Verweis auf die ikonoklastischen Reaktionen, die realistische figürliche Darstellung in den verschiedenen politischen wie religiösen Kontexten auslösen können, seine Überlegungen zum Unheimlichen damit Freud folgend auf

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Welchman 2004, S. 44. Kelley 2004a, S. 33. Ebd. Ebd., S. 31. Ebd. Ebd., S. 50. Kelley zitiert hier auch Salvador Dalí : L’ane pourri. Le Surrealisme au service de la revolution, Paris 1930. Übers. in: Jean, Marcel (  Hg.) : The Autobiography of Surrealism, New York 1980, S. 268. Vgl. auch Kelley 2004a, S. 32, Fußnote 39. Ebd., S. 32.

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eine gesellschafts- und kulturpolitische Ebene.161   Diese Überlegungen finden sich in der Auswahl einer Reihe von Fotografien wieder, die den Sturz von Statuen oder auch Effigien zeigen, die in Brand gesetzt oder für atomare Testzwecke eingesetzt wurden. Unter der Überschrift »Aping the mirror of nature« leitet Kelley über auf die aktuelle Situation der Kunstproduktion Anfang der 1990er Jahre und hinterfragt mit Blick auf die bewusste Verwendung altmodischer Arbeitstechniken der Surrealisten – gemeint ist etwa Dalís Orientierung an der realistischen Malerei des 19. Jahrhunderts und die Bedienung des Klischees162 – die Begriffe Moderne und Postmoderne : »Their [ the Surrealists’ ] embrace of an ›outmoded technique‹ was wilfully perverse. What was to the modernists a despicable world of conventional, academic imagery became an open field of taboos and dead sign that could be rearranged at will.«163   Sinnvoller erscheint es ihm mit Blick auf die vom Modernismus stilistisch abweichenden Werke surrealistischer Künstler zwischen »high« und »low modernism« zu unterscheiden und nicht von einer zeitlich aufeinander folgenden Bewegung von Moderne und Postmoderne zu sprechen. Kelley leitet davon ausgehend zwei heute vorherrschende, gegensätzliche Versionen des Realismus ab : die eine basiere auf rein materieller Präsenz und die andere auf leerer Konventionalität wie Kitsch, der unter bestimmten Umständen wie im Fall von Jeff Koons Arbeiten ebenfalls seinen Platz in der Kunstwelt erlangt hat. Während die Pop Art versuchte, eine Verbindung zwischen beidem herzustellen, könne der Neorealismus der 1960er Jahre, so Kelley, nur als »a kind of archaism«164 in Bezug auf die künstlerische Produktion von figürlichen Darstellungen verstanden werden, die sich jedoch nicht am Vorbild anderer Statuen orientierte, sondern an dessen fotografischem Abbild. Aus der Sicht Kelleys schufen Künstler wie John de Andrea oder Duane Hanson Werke, die die Banalität eines Wachsmuseums hervorriefen. Sie und viele andere Künstler ihrer Generation, arbeiteten – wie die Surrealisten – »with a kind of formalism of conventions«.165   Mit Charles Rays Male Mannequin (1980 ) beispielsweise würde dem Betrachter eben genau das vorgeführt, was der Titel verspricht : »a standard, store-bought, nude male mannequin«166.  Nur

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Ebd., S. 34  f. Ebd., S. 36. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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durch das Hinzufügen des männlichen Genitals würde der Realismus dieser Skulpturen schließlich fragwürdig und lasse die Schaufensterpuppe dagegen kastriert erscheinen.167 Die Begeisterung der Surrealisten für das Pariser Wachskabinett Musée Grevin schlug sich v. a. in Form der von den beteiligten Künstlern gestalteten Mannequins nieder, die in der Exposition Internationale du Surréalisme in der Galerie Beaux Arts 1938 ausgestellt wurden und von denen Kelley auch ein Foto in The Uncanny aufnahm. Kelley selbst vermutet in seiner Einleitung zu »Playing with Dead Things« nicht nur einen Einfluss der Schriften Freuds auf die Surrealisten, sondern hält es auch für möglich, dass in Freuds Aufsatz über das Unheimliche das Interesse der Avantgarde an der Gliederpuppe widerhallte.168   Es sei eben das Konventionelle wie die Mannequins und das Klischee als präsentes Thema in der gegenwärtigen Kunst, was uns dem Gedankengang Kelleys folgend als Wiederkehr von etwas ehemals Vertrauten zu Freuds Begriff des Unheimlichen zurückführe.169 Im letzten, »The Uncanny« überschriebenen Textteil schlägt Kelley den Bogen zurück zum Anfangsteil seines Katalogtextes und subsumiert noch einmal die für ihn relevanten Kernpunkte aus Freuds Aufsatz. Im Übergangsobjekt, so heißt es dort, tritt das Phänomen des Doppelgängers, der als fremdes Selbst durch die Projektionen von »mental scenarios« durch das eigene Selbst ersetzt werden kann, hervor.170   Kelley definiert es Freud paraphrasierend als »a combination of itself, child and mother, and the psychic doubling that results is an assurance against the destruction of the ego«.171   Er greift die laut Freud mit dem Unheimlichen in Verbindung stehenden Aspekte der Kastrationsangst, des Wiederholungszwangs und des Fetisches noch einmal auf und bringt sie in Verbindung mit dem Akt des Sammelns als eine ständige Wiederholung der Beseitigung eines Mangels. In diesem nicht zu behebenden Mangel vermutet Kelley ein Indiz für den in unserer Gesellschaft vorherrschenden Verlust des Glaubens an das Wesentliche.172 Das Unheimliche als Schnittstelle des Abjekten und des Formlosen Die Verbindung der in »Playing with Dead Things« ausgeführten Parameter zu Kelleys eigener künstlerischer Praxis liegt auf der Hand. Vor allem die in der 1993er Variante von The Uncanny vertretenen Künstlerinnen und Künstler wie Kiki Smith,

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Kelley 2004a, S. 37. Ebd., S. 26. Zum Verhältnis der Surrealisten zu Freud vgl. auch Foster 1993, S. 2  ff. Kelley 2004a, S. 37. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd., S. 38.

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Paul McCarthy oder John Miller stammen überwiegend aus seinem persönlichen Umfeld. Ihre wie auch Kelleys eigene Arbeiten, die Themen wie Krankheit und Ekel, Körperflüssigkeiten und -ausscheidungen, Tod und Verwesung aufgreifen, wurden v. a. in den 1990er Jahren einerseits häufig mit dem Abjekten und andererseits mit dem Formlosen in Verbindung gebracht. Mit dem Unheimlichen führt Kelley daher nicht nur einen neuen Begriff in den Diskurs um die figurative Skulptur ein, sondern etabliert zugleich eine Alternative zu den bestehenden Begriffen, unter denen die ausgestellten Objekte bis dato vorrangig diskutiert wurden. Die theoretische Grundlage der Diskussion um den Begriff des Abjekten in der Kunst bildet Julia Kristevas 1980 erschienenes Buch Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection. Unter dem Abjekten versteht sie weder Subjekt noch Objekt, sondern das Dazwischen, Bewältigungsstrategien mit dem Unreinen und Ekelerregenden umzugehen, für die sie Erbrechen oder Abscheu als Beispiele anführt. Die Erfahrung des Abjekten führt Kristeva zufolge zu einer Konfrontation des Ichs mit seinen Grenzen und Ängsten und schafft damit erst die Voraussetzungen dafür, das Selbst von dem Anderen zu unterscheiden und sich als lebendes Wesen zu begreifen.173   Das Abjekte zeigt eine ursprüngliche Verdrängung (primal repression) auf, die der Bildung einer bewussten Beziehung zwischen dem Subjekt und den Objekten seiner Begierde und der Unterscheidung von Bewusstem und Unbewusstem vorausgehe.174 In Bezug auf die individuelle Entwicklung markiert das Abjekte nach Kristeva die Loslösung des Subjekts von seiner Mutter und damit den Moment der Loslösung des Selbst von dem Anderen. Das Abjekte ist demzufolge etwas, das dem Subjekt fremd und vertraut zugleich ist und einen Zustand evoziert, in dem die Grenzen zwischen Innen und Außen verwischen, »where meaning collapses« 175.  Kristeva fasst das Abjekte als ein Potenzial auf, das »disturbs identity, system, order. What does not respect borders, positions, rules«.176   Mit dem Unheimlichen weist das Abjekte also insofern Schnittstellen auf, als dass es trotz seiner abstoßenden Wirkung vertraute Elemente in sich bergen kann, d. h. durch die unheimliche Wiederkehr von etwas Ursprünglichem zu heftigen physischen oder psychischen Reaktionen führen kann.177   In der Kunst schreibt Kristeva, die sich v. a. auf Beispiele aus der Literatur bezieht, dem Abjekten im Gegensatz zu Kelley jedoch eine kathartische Funktion zu.178

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Kristeva, Julia : Powers of Horror. An Essay on Abjection, New York 1982, S. 3. Ebd., v. a. S. 10  f. Vgl. ebd., S. 2. Ebd. Vgl. ebd. und S. 4  f. Vgl. auch, Jay 1998b, S. 147. Vgl. Kristeva 1982, S. 17.

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Die subversive Kraft, die hinter dem Wiedererstarken der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, seiner Psyche und seinen Krankheiten steht und wie sie in der Ausstellung Abject Art von 1992 besonders stark zum Ausdruck kommt, ist abgesehen von der konservativen Politik Amerikas unter den Regierungen Reagans und Bushs auch vor dem Hintergrund einer zunehmend technologisierten und körperlosen Lebensform zu sehen,179 wie sie etwa in der eingangs erwähnten Ausstellung Post Human stark gemacht wurde und von der sich Kelley ausdrücklich abgrenzt. Wie schon seine früheren Ausstellungsprojekte fungiert auch The Uncanny daher implizit als eine von ihm geschaffene Plattform für die Künstler aus seinem Umfeld und deren vor allen in den USA in konservativen Kreisen auf vehementen Widerstand stoßende Kunst.180   Viele der in The Uncanny gezeigten Arbeiten setzen sich mit Themen wie Sexualität, Feminismus und Gender auseinander. Sie präsentieren ein zeitgenössisches Körperbild, das mit eben den »totalizing and homogenizing notions of identity, system and order« bricht, von dem sich die Kuratoren der Abject Art-Ausstellung bewusst abgrenzen.181  So stehen z. B. in Robert Gobers Körperfragmenten homoerotische Phantasien in enger Verbindung mit der Angst vor Selbstverstümmelung und fungieren angesichts der in den 1990er Jahren allgegenwärtigen Aids-Epidemie wie ein Memento mori.182   Viele der Wachs- und Gummiarbeiten in der Ausstellung wie Gobers untitled (1989  ‒ 92 ), Bruce Naumans From Hand to Mouth (1967 ), bei dem der Titel buchstäblich in ein grünlich wächsernes, aus Arm, Hals und Lippen bestehendes Körperfragment umgesetzt wurde, oder auch Marc Quinns von der Decke hängender und sich der Länge nach zweiteilender menschlicher Gummiabguss No Visible Means of Escape (1998 ) entstanden nach Körperabgüssen der Künstler oder ihrer Assistenten. Sie tragen mit diesem Akt der Selbstverdopplung damit das von Kelley in »Playing with Dead Things« als Aspekt des Unheimlichen angeführte

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Vgl. Taylor 1993, S. 80. Die heftigen politischen Debatten, die um die Abject Art geführt wurden, sind vor dem Hintergrund der sogenannten Culture Wars zu sehen, die sich Ende der 1980er in den USA entzündeten. Vgl. u. a. Davidson Hunter, James : Culture Wars. The struggle to Define America, New York 1991; Bolton, Richard ( Hg.) : Culture Wars. Documents from the Recent Controversities in the Arts, New York 1992; Zimmermann, Anja : Skandalöse Körper / Skandalöse Bilder : Abject Art vom Surrealismus bis zu den Culture Wars, Berlin 2001, S. 170  ‒ 201. Taylor 1993, S. 59  f. Auch Kelley erwähnt Aids im Zusammenhang mit dem Wiedererstarken der figurativen Skulptur, vgl. z. B. Kelley 2004b, S. 10.

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Doppelgängermotiv bereits durch ihre Produktionsweise in sich.183   Auch spiegelt sich beispielsweise Kelleys Beschäftigung mit Freuds Ausführungen zum Unheimlichen in den Fotografien aus Cindy Shermans Serie der Sex Pictures und Hans Bellmers Serie der Poupées. In letztgenannter findet sich eine direkte Anlehnung an die in Freuds Text als unheimlich beschriebenen Puppen und Automaten, da eine der Anregungen für die Aufnahmen eine Opernaufführung der Hofmannschen Erzählungen von Jacques Offenbach war, die auch den Sandmann umfassen.184   Cindy Sherman wiederum bezieht sich in ihren Sex Pictures, die Nahaufnahmen von simulierten Verstümmelungen bzw. deformierten Körper- und Puppenteilen zeigen, auf die Poupée-Serie Bellmers.185   Es gibt also auch direkte Verweise zwischen den einzelnen Arbeiten in Bezug auf das Thema der Ausstellung. Die hier genannten Objekte sind Beispiele, in denen die Verbindung vom Unheimlichen und dem Abjekten besonders offensichtlich scheint. In anderen Arbeiten und v. a. auch in den nichtkünstlerischen Objekten wie die Aufnahmen verstümmelter Leichen oder die konservierten Körperteile treten die Aspekte des Ekels und Schreckens eindeutig stärker hervor als das subtilere Gefühl des Unheimlichen. Mit dem Formlosen soll neben dem Abjekten ein zweiter Begriff ins Spiel gebracht werden, der weniger auf die Subjekt-Objekt-Beziehung ausgerichtet ist, sondern vielmehr die strukturelle Beschaffenheit des Unheimlichen zu unterstreichen vermag. Die Diskussion um das Formlose, oder genauer des eigentlich unübersetzbaren Begriffs informe, geht zurück auf einen Eintrag in dem unvollendet gebliebenen Kritischen Wörterbuch des Surrealisten Georges Bataille. Dort heißt es : »So ist formlos nicht nur ein Adjektiv, das einen Sinn hat, sondern auch ein Ausdruck, der der Deklassierung dient und im Allgemeinen erfordert, dass jedes Ding seine Form hat. Was er bezeichnet, hat keine Rechte in irgendeinem Sinne und lässt sich überall wie eine Spinne oder einen Wurm zertreten. Damit die akademischen Menschen zufrieden sind, ist es in der Tat erforderlich, dass das Universum Form annimmt. Die ganze Philosophie hat kein anderes Ziel : Es geht darum, alles in einen Gehrock, in einen mathematischen Reitmantel zu stecken. Dagegen läuft die Annahme, dass dem Universum nichts ähnelt und es nur formlos ist, auf die Aussage hinaus, dass das Universum so etwas wie eine Spinne oder wie Spucke sei.« 186

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Vgl. auch Foster 1996, S. 152  f. Vgl. ebd., S. 101. Vgl. Krauss, Rosalind E. : »Cindy Sherman : Untitled«, in : Bryson, Norman  /  Dies. : Cindy Sherman 1975  ‒1993, München  /  Paris  /  London 1993, S. 17  ‒ 212, hier S. 208. Bataille, Georges : »Formlos«, in : Ders. : Kritisches Wörterbuch, Berlin 2005, S. 44  f. Der Eintrag zum informe, so Yves-Alain Bois, gelte v. a. der programmatischen Funktion des Wörterbuchs selbst. Bois 1997, S. 18.

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Bataille führt damit einen Begriff ein, der parallel bzw. alternativ zu der binären Opposition von Form und Inhalt gedacht werden muss und der selbst ein Denken in bestimmten Strukturen unterläuft. Das Formlose ist also weder Konzept noch Substanz, sondern bezeichnet vielmehr eine operative Kraft. Yves-Alain Bois und Rosalind Krauss diente das Formlose ( bzw. das französische Äquivalent informe ) in ihrer 1996 im Pariser Centre Georges Pompidou kuratierten Ausstellung L’informe. Le modernisme a rebours als ein begrifflicher Ansatz für den Entwurf einer Neuschreibung der Geschichte sowie der Zukunft der modernen Kunst und ihrer Rezeption.187   Sie reagierten damit zugleich auf ein banalisiertes und zu buchstäbliches Verständnis einer Ästhetik des Abjekten, wie es ausgehend von Kristeva im US-amerikanischen Kunstkontext Verbreitung fand.188   In ihrem dazu erschienen Katalog, der in der Aufmachung an das Kritische Wörterbuch angelehnt ist, führen sie unter dem Kapitel »Entropie« auch das Unheimliche als Teilaspekt des Formlosen auf. 189    Wendet man die Überlegung von Bois und Krauss auf die Objekte in Kelleys Ausstellung an, so changieren diese vielmehr als nicht fixierbare Momente zwischen den ( wahrnehmungsbedingten ) Kategorien des Belebten und Unbelebten, Vertrauten und Unvertrauten, als dass sie bestimmte Aspekte des menschlichen Körpers darstellen. Die Frage, die abjekte Kunst aufwirft, ist die nach der ( Re-) Präsentierbarkeit von etwas Unbewusstem oder Nicht-( Re-) Präsentierbarem.190   Der Unterschied zwischen dem Abjekten und dem Formlosen liegt also v. a. darin begründet, dass ersteres Kristevas Ansatz zufolge auf bestimmte Kriterien und Erscheinungsbilder festlegbar ist, während letzteres gerade diese Kategorisierungen unterläuft.191  In

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Vgl. Bois, Yves-Alain : »Preface«, in : Ausst.-Kat. Formless. A User’s Guide, Paris 1997, S. 9  f. Vgl. »Down and Dirty : Lauren Sedofsky talks with Rosalind Krauss und Yves-Alain Bois«, in : Artforum 34  /10 (1996  ), S. 90  ‒ 95, 125, 131; Rebentisch, Juliane : »Abject, Informe und die Frage nach der Angemessenheit der Interpretation«, in : Texte zur Kunst 24 (1996  ), S. 83  ‒ 93, hier S. 83  f. Vgl. Krauss, Rosalind E. : »Uncanny«, in : Ausst.-Kat. Formless. A User’s Guide, Paris 1997, S. 192  ‒197. Vgl. Foster 1996, S. 156. Vgl. Foster et al. : »The Politics of the Signifier II : A conversation on the informe and the Abject«, in : October 67 (1994  ), S. 3  ‒ 21. Darin v. a. der Beitrag von Rosalind E. Krauss auf S. 3. Vgl. auch Krauss, Rosalind E. : »The Destiny of the Informe«, in : Ausst.-Kat. Formless. A User’s Guide, Paris 1997, S. 236  f. und v. a. S. 252. Dort heißt es : »As this entire project has worked to demonstrate, these processes marked out by the formless are not assimilable to what the art world currently understands as abjection. Furthermore, it is our position that the formless has its own legacy to fulfil, its own destiny – which is partly that of libe-

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der Differenz zwischen dem Abjekten und dem Formlosen spiegelt sich Kelleys doppelte Verwendung des Unheimlichen in seiner Ausstellung : einerseits in Bezug auf die einzelnen Objekte und andererseits in Bezug auf seine eigenen, in den folgenden Kapiteln weiter auszuführenden Strategien der Inszenierung, mit denen bewusst bestimmte Ordnungssysteme unterlaufen werden.192   Mit dem Unheimlichen wählt Kelley folglich einen Begriff, der zum Zeitpunkt seiner ersten Ausstellung innerhalb der Kunst- und Kulturwissenschaft auf sehr aktuellem theoretischem Terrain bewegt und dabei Aspekte aufgreift, die aus den Debatten um das Abjekte und das Formlose hervorgegangen sind. So lässt sich »Playing with Dead Things« als eine von Kelley formulierte Ästhetik lesen und The Uncanny als ein Projekt begreifen, das in enger Verbindung zu Kelleys künstlerischen Grundinteressen und Strategien steht. Mit Blick auf das von ihm gewählte Ausstellungsdisplay wird deutlich werden, dass Kelley nicht nur auf der Textebene mit toten Dingen spielt, sondern auch in der Ausstellung selbst auf performative Weise das Verdrängte wieder zutage befördert. Performanz des Displays Kelleys Ästhetik der polychromen, figurativen Skulptur erfährt in der Ausstellung nicht nur ihre Veranschaulichung, sondern wird für den Betrachter zugleich leibhaft erfahrbar. So lässt sich beispielweise die von Kelley auf die altmodischen Techniken der Surrealisten gemünzte Charakterisierung als »wilfully perverse« ebenso auf seinen eigenen Umgang mit dem Altmodischen übertragen. Der eingangs

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rating our thinking from the semantic, the servitude to thematic, to which abject art seems so thoroughly indentured.« Dass Kelley selbst mit dem Begriff des informe vertraut war, zeigen frühere Arbeiten, in denen er sich bewusst mit Konventionen der bildhaften Wiedergaben von an sich Formlosem auseinandergesetzt hatte, wie z. B. in den Garbage und Lump Drawings (1988, 1991; Abb. 31), die sich an Darstellungen von Müll und Lumpen in Comics orientierten und in der Installation Framed and Frame ( Miniature Reproduction »Chinatown Whishing Well« Built by Mike Kelley after »Miniature Reproduction ›Seven Star Cavern‹ Built by Prof. H.K. Lu«) (1999 ). Vgl. Kelley, Mike : »The Meaning is Confused Spatiality, Framed«, in : Ausst.Kat. Mike Kelley : Framed and Frame (Miniature Reproduction »Chinatown Wishing Well« Built by Mike Kelley after »Miniature Reproduction ›Seven Star Cavern‹ Built by Prof. H.K. Lu«), Test Room Containing Multiple Stimuli Known to Elicit Curiosity and Manipulatory Responses, Le Magasin – Centre National d’Art Contemporain, 16.10.1999  ‒16.01.2000, Grenoble 1999b, S. 62  ‒ 76, hier S. 64.

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geschilderte Eindruck der Fülle und scheinbar fehlenden Systematik der Präsentation der Objekte aus Kunst, Wissenschaft und Populärkultur erinnern an Vorläufer des modernen Ausstellungstypus wie Kunst- und Wunderkammern. Diese frühen musealen Formen waren vorrangig darauf ausgerichtet, für Überraschungen und Verwunderungen zu sorgen und nicht Wissen zu vermitteln.193   Der von den Exponaten ausgehende Effekt des Sensationellen ging v. a. aus der Unvereinbarkeit der in den Sammlungen vorhandenen Objekte aus.194   In Liverpool und Wien verteilt Kelley die Objekte, wie eingangs erwähnt, und entsprechend seines im Laufe der Zeit gesteigerten Interesses an Klassifikationssystemen und formalen Kategorien konsequenter nach einem formal-typologischen Ordnungsprinzip auf die Ausstellungsräume als in Arnheim : »The logic of the exhibition is so obvious that people have a hard time believing that’s all there is to it. The show is organized formally; the figures are grouped by type : lying figures, standing figures, partial figures, puppet-like figures, animals, body-parts. It’s completely straightforward.«195 Kelley wählt somit ein klassifizierendes Ordnungssystem, das dem Betrachter zunächst vertraut erscheint. In Naturkundemuseen, wie dem bereits erwähnten und in dieser Hinsicht Maßstäbe setzenden Pitt-Rivers-Museum in Oxford, ist eine vergleichbare Anordnung der Objekte entsprechend ihrer Funktionen und Formen üblich.196   In Anbetracht von Kelleys Frage nach einer Geschichte der Repräsentation des menschlichen Körpers in der Kunst gestattet ihm die Gegenüberstellung von formal ähnlichen Objekten unter dem Aspekt des Unheimlichen die Schlussfolgerung, dass sich in der Rezeption und ( Kunst-) Produktion im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich nicht viel geändert habe und es schwierig sei, neue Arbeiten von alten zu unterscheiden.197   Die aus Kelleys Sicht ahistorische Beschaffenheit des Unheimlichen findet hierin ihre performative Umsetzung. Zugleich entpuppt sich diese Ordnung der Dinge aber als Farce. Die taxonomische Anlage der Ausstellung fungiert nur als eine erste – scheinbar zu bestimmten kunsthisto-

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Vgl. Bennett, Tony : The Birth of the Museum. history, theory, politics, London  /  New York 1995, S. 2. Ebd. Kelley, in : Hochdörfer 2004, S. A-70. Vgl. auch Müller, Vanessa Joan : »Monster’s Ball. ›The Uncanny‹ von Mike Kelley in der Tate Liverpool«, in : Texte zur Kunst 54 (2004 ), S. 206  ‒ 208, hier S. 208. Vgl. Scholze, Jana : Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004, S. 40  ff. »[ … ] my show was complicated by the fact that it was very difficult to differentiate the contemporary works in the exhibition from earlier ones.« Kelley, in : Hochdörfer 2004, S. A-68  f.

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Abbildung 17 : Mike Kelley , The Uncanny, Ausstellungsansicht,Tate Liverpool, Liverpool, 2004

rischen Erkenntnissen führende – Schicht, unter deren Deckmantel sich bei einer genaueren Betrachtung eine Vielzahl von Querverweisen und Effekten, kritischen Kommentaren und humorvollen Spielereien offenbaren, die der Ordnungsstruktur letztendlich entgegenlaufen. Das Display von The Uncanny ist durchsetzt von zynischen Anspielungen auf die ins absurde tendierende Preispolitik des Kunstmarkts und damit zugleich auch auf ein ( kulturell geprägtes ) Werte- und Urteilssystem. So platziert Kelley etwa Salvador Dalís Buste de Femme Rétrospectif aus Bronze (1933, hier in der Version von 1977 ) neben zwei weiblichen Wachsköpfen, die die Krankheitsmerkmale von Hauttuberkulose zeigen, und einer Wachsbüste der Schauspielerin Leslie Caron, die er entgegen ihres tatsächlichen Wertes mit einem Glaskubus schützt [ Abb. 17  ]. Ein medizinisches Modell umgrenzt er mit Abstandhaltern, wie es bei besonders wertvollen Kunstwerken gehandhabt wird, während direkt daneben die hyperrealistischen und inzwischen auf dem Kunstmarkt hohe Preise erzielenden Figuren von Ron Mueck (Ghost, 1998 ), John Miller ( Now We’re Big Potatoes, 1992 ) und Charles Ray ( Male Mannequin, 1980 ) ungeschützt im Raum und teilweise direkt auf dem Boden aufgestellt sind [ Abb. 18 ].198  Gavin

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In seinem Interview mit Kelley betont Achim Hochdörfer diese sich hinter der Taxonomie verbergende immense Anzahl komplexer und kritischer Anspielungen und Verweise und spricht in diesem Zusammenhang von einer »Mikropolitik« der Ausstellung, »die sich dieser scheinbaren formalen Logik entzieht, sie verletzt und manchmal ›pervertiert‹«. Kelley, in : Hochdörfer 2004, S. A-81.

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Abbildung 18 : Mike Kelley, The Uncanny, Ausstellungsansicht, Tate Liverpool, Liverpool, 2004

Turks Death of Che (2000 ), Christiana Gliddens Death of Replicant (1998 ), Paul McCarthys Garden Dead Men (1992  ‒ 94 ) und Christos Three Nudes in a Bed (1963 ) sind in unmittelbarer Nähe wie in einem Leichenschauhaus auf Podesten gebart bzw. in Schaukästen präsentiert [ Abb. 19 ]. Diese Objekte sind über keinen Zweifel der Beseelung mehr erhaben. Umso stärker stehen sie hier auch für die Angstbereitschaft bzw. Sensationslust des Ausstellungsbesuchers : Für den Betrachter ergibt sich gerade durch diese nüchterne Präsentation der Exponate ein starkes Spannungsgefühl – ein Effekt, der an Kelleys zwei Jahre zuvor entstandene Arbeit Craft Morphology Flow Chart  erinnern lässt [ Abb. 12 ].199

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Kelley selbst bringt diesen Vergleich im Interview mit Hochdörfer. Hochdörfer 2004, S. A-70. Die, so Vanessa Joan Müller in ihrer Rezension der Liverpooler Ausstellung, »aus kunsthistorischer Sicht unorthodoxen, weil phänomenologisch argumentierenden Kombinationen ließen Kelleys These des überall lauernden Unheimlichen sichtbar machen und jedem Plüschtier seine Unschuld nehmen«. Müller 2004, S. 207. Dieter Buchart bekräftigt in seiner Besprechung der Ausstellung diese Wirkung und spricht davon, dass gerade die trockene Systematisierung der Objekte »so manch vertrautes Heimliches unheimlich werden« lässt : »So erringt die riesige anatomische Lehrpuppe für Kinder ebenso dämonische Qualitäten wie Babypuppen, deren Platzierung neben Sexpuppen Kindesmissbrauch assoziieren.« Burchardt, Dieter : »Mike Kelley. Das Unheimliche – Eine Ausstellung als Kunstwerk«, in : Kunstforum International 172 ( 2004 ), S. 374  ‒ 375, hier S. 375. Zu Craft Morphology Flow Chart vgl. Unterpunkt »Grablegung« in diesem Kapitel, S 251 ‒ 282.

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Abbildung 19 : Mike Kelley, The Uncanny, Ausstellungsansicht, Tate Liverpool, Liverpool, 2004

Wie gezeigt, zeichnet sich das Unheimliche gerade durch seine Formlosigkeit und Nichtkategorisierbarkeit aus. Der Versuch, diese Objekte einer Taxonomie in der Ausstellung zu unterwerfen, hat den gegenteiligen Effekt zur Folge. The Uncanny eröffnet ein, wie es in einer Kritik heißt, »emotionales Minenfeld« 200, das die operative Eigenschaft der einzelnen Exponate und deren starke Verbindung zur Psyche des betrachtenden Subjekts hervorkehrt und dadurch die formalen Ordnungsprinzipien unterläuft. Gerade die Dekontextualisierung von Gebrauchsgegenständen aus ihrem uns vertrauten Umfeld und deren Integration in den Ausstellungsraum fördert das Spiel mit dem Unheimlichen. Kelley greift auf das Unheimliche folglich nicht nur als Erklärungsbegriff zurück, sondern setzt es auf der Ebene des Displays als generativen Kunstgriff ein. Unterfüttert wird diese Argumentation durch ein »Wechselspiel von Wiederholung und Konfrontation«.201 Dies wird besonders an den Arbeiten mit Ton deutlich. So gibt der eine Part der zweiteiligen Skulptur Chattering Man Looking at a Flying Figure (1983  /1984  ‒1994 ) von Jonathan Borofsky im unendlichen Loop die Worte »chatter, chatter« von sich und Tony Ourslers The Most Beautiful Thing I’ve Ever Seen (1995 ). Letzteres besteht aus einem weiblichen Dummy, der unter einem gekippt gestellten Sofa liegt und auf dessen Kopf ein Video projiziert ist, dessen Tonspur ein unaufhörliches,

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Müller 2004, S. 207. Ebd.

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ins Hysterische kippendes Lob über die Schönheit der Dinge abspielt. Mit dem infantilen Wiederholungszwang, der hieraus zu sprechen scheint, wird ein weiterer Freud’scher Aspekt des Unheimlichen aufgegriffen.202 Ein anderes Element, das das formale Ordnungsprinzip untergräbt, ist der Einsatz von Humor. Kelley gruppiert die Ausstellungsexponate auf eine Art und Weise, dass es den Anschein hat, als würden sie miteinander agieren : »For example, I placed a John de Andrea figure of a naked woman as if she were looking at a group of Duane Hanson football players, and this was all being watched over by the Virgin Mary. Figures by John Miller, Charles Ray and several others were positioned in such a way as to imply that there was a kind of sexual tension between them. Positioning these figures like this very much reminded me of childhood doll playing – the kind of narratives one invent as one moves figures about. In another section I broke the somber mood by positioning a ridiculous pair of figures within it. There was an entire area of realistic prone figures that looked as if they were dead : works by Paul McCarthy, Gavin Turk, Christiana Glidden, etc. as well as similarly morbid medical models. In the midst of these I placed cheap male and female plastic sex dolls. It’s interesting, the sex dolls were the most ridiculous and phony looking figures in the exhibition, but they were probably the most overtly functional.«  203

Für Kelleys kuratorische Vorgehensweise in The Uncanny findet der Begriff des »Bespielens« der Ausstellungsräume mit seiner mitschwingenden Konnotation – in diesem Fall fingierter – kindlicher Unschuld seinen überaus angemessenen Gebrauch. Kelley scheint sich einen Spaß daraus zu machen, durch die inszenierten Interaktionen der Figuren Grunddispositionen der amerikanischen Kultur zu untergraben, wie etwa das beschriebene Beispiel der auf die Horde Footballspieler blickenden Jungfrau Maria zeigt. Ein Seitenhieb auf die katholische Kirche findet sich auch in der eingangs erwähnten Platzierung der Fotografie einer angeblich auf wundersame Weise Tränen vergießenden Statuette der Jungfrau Maria aus New Orleans von 1980 neben Kiki Smiths lebensgroßer Virgin Mary (1992 ), die in ihrer Imitation von Fleisch und Blut die Dignität der biblischen Figur untergräbt. Zugleich bieten diese narrativen Elemente, die die einzelnen Objekte miteinander verbinden, eine Art Entspannungsmoment in der Ausstellung und der durch die Exponate hervorgerufenen Konfrontation des Betrachters mit dem eigenen Selbst. Die humorvollen Bezüge zwischen den Objekten sind die wiederholte Versicherung dafür, dass der Betrachter sich in einer fiktionalen Welt, frei vom psychologischen Druck seiner jeweiligen Realität in der sicheren Wiege des Ausstellungs-

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Vgl. Müller 2004, S. 207. Hochdörfer 2004, S. A-71  f.

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raumes befindet. Diese Versicherung, d. h. der Rationalisierungsprozess, der in diesem Moment abläuft, – und auch hier ließe sich eine Parallele zum Erhabenen ziehen204  – macht für den Betrachter schließlich das erfahrbar, was ansonsten nicht ästhetisch erfahrbar wäre. In seinem Katalogbeitrag zu The Uncanny verweist Grunenberg auf die Mode des 19. Jahrhunderts, in Museen, Wachsfigurenkabinetten, Dioramen und Panoramen mit einem hohen technischen Aufwand eine perfekte Illusion des Realen herzustellen, die ihren Höhepunkt in einem Pariser Leichenschauhaus fand, das für die Bevölkerung zugänglich gemacht und als »much more fascinating than even a wax museum because the people displayed are real flesh and blood« angepriesen wurde.205   In The Uncanny spielt Kelley mit diesen verschiedenen veralteten Formen des Ausstellungswesens und der Faszination des Realen, ohne dabei in Nostalgie zu verfallen.206    Er adaptiert sie und entfremdet sie zugleich ihrer didaktischen Funktion. Darüber rückt das Museum selbst als Ort des Unheimlichen in den Fokus, einem Ort, in dem Kunst eingefügt in eine beständige Sammlung tendenziell ihrer Lebendigkeit beraubt wird.207    Im gleichen Zug wird der Betrachter selbst zum Objekt dieser Ausstellung. Durch die Konfrontation mit den Exponaten ist der Betrachter einerseits dazu angehalten, seine jeweils eigene Wahrnehmung bzw. sein jeweiliges Verständnis von Kunst zu reflektieren und andererseits durch die psychische Interaktion mit den Objekten sich selbst als physisch präsentes Wesen innerhalb der Ausstellung bewusst wahrzunehmen. Als eine Art »umgekehrter Pygmalionmythos«208 wird der Betrachter durch die Objekte und die ihre unheimliche Wirkung unterstützende Form des Displays auf sich zurückgeworfen. Die durch The Uncanny evozierte Konfrontation des Betrachters mit seinen eigenen Ängsten innerhalb des vertrauten und geschützten Ausstellungsraums steht damit, vergleichbar mit den Stofftieren seiner früheren Arbeiten, in einem starken Kon-

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Edmund Burke bezeichnet das Erleben des Erhabenen in seiner Mischung aus einerseits Schmerz und Schrecken und anderseits der Gewissheit darüber, selbst nicht real von einer Gefahr betroffen zu sein als »delightful horror«. Vgl. Burke, Edmund : A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful  [1759 ], New York 1971. Vanessa R. Schwartz zitiert nach Christoph Grunenberg : »Life in a Dead Circus : The Spectacle of the Real«, in : Ausst.-Kat. The Uncanny, Köln 2004, S. 57  ‒ 64, hier S. 59; vgl. Schwartz, Vanessa R. : »Cinematic Spectatorship before the Apparatus. The Public Taste for Reality in Fin-de-Siècle Paris«, in : Charney , Leo  /  Schwartz, Venessa R. (  Hg.) : Cinema and the Invention of Modern Life, Berkeley 1995, S. 297  ‒ 319, hier S. 304. Vgl. Grunenberg 2004, S. 62. Adorno 2003, S. 215. Vgl. auch Grunenberg 2004, S. 59, Fußnote 16. Vgl. O’Doherty 1999, S. 99.

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trast zu dem die Moderne dominierenden Ausstellungsstandard des White Cube, in dessen puristischer Architektur der Betrachter selbst zu einem Fremdkörper wurde und als »spectator« bzw. »disembodied eye« losgelöst von Körper und Psyche den Exponaten gegenübersteht.209   Auch in dieser Hinsicht liegt der Vergleich zu den Strategien der Surrealisten nicht fern. In ihren manifesthaften Ausstellungen wie der Exposition Internationale du Surréalisme 1938 in Paris wurde die Kontemplation über die einzelnen Werke unterlaufen durch die Konfrontation des Betrachters mit einer psychisch aufgeladenen, Obsessionen und Alpträume verkörpernden ( wie evozierenden ) Form des Displays. Eine surrealistische Ausstellung ist, wie es Germano Celant formuliert, »a voyage through the viscera of the unconscious rather than a walk through a void. They wanted to encourage the senses and the imagination, and they valued the interference of the outside world, whether it took the form of dirt, error, sex, disorder, chance, disgust, fear, perversion … in other words, everything which might provoke a psychological jolt.« 210

»[N ]o one«, so Celant weiter, »can remain rigid und uninvolved, but, rather, all are invited to unleash their emotional and psychological impulses.«211  Die von Kelley im Katalogtext auf theoretischer Ebene geübte Modernismuskritik findet sich folglich auch auf der Ebene des Displays wieder. Für seinen Einsatz veralteter Präsentationsformen von Kunst gilt dabei ebenso, was Hal Foster in Bezug auf diese künstlerische Strategie bei den Surrealisten behauptet : Die Wiederholung des Vergangenen fungiert als Zeichen verdrängter Momente, die mit den Vorstellungen und Konventionen der eigenen Zeit »both critical and comedic« brechen.212

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O’Doherty 1999, v. a. S. 39  ‒  42. Vgl. auch das Unterkapitel »Half a Man und die Folgen« in diesem Kapitel, S. 237 ‒ 286. Celant, Germano : »A Visual Machine. Art installation and its modern archetypes«, in : Greenberg, Reesa   /  Ferguson, Bruce W.  /  Nairne, Sandy ( Hg.) : Thinking About Exhibitions, London 1996, S. 371 ‒ 386, hier 382  f. Ebd., S. 383. Foster 1993, S. 168. Vgl. auch Foucault, Michel : »Andere Räume«, in : von Barck, Karlheinz   /   Gente, Peter   /   Paris, Heidi   /    Richter, Stefan ( Hg.) : Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, darin heißt es : »Die Heterotopie erreicht ihr volles Funktionieren, wenn die Menschen mit ihrer herkömmlichen Zeit brechen.« Ebd., S. 43.

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Die Harems – ein kritischer Kommentar der Ausstellung in der Ausstellung Die Taxonomie der Exponate in den vorderen Räumen tritt in den hinteren Räumen noch offensichtlicher zum Vorschein. Hier zeigt Kelley, wie eingangs bereits angedeutet, und laut Wallis in Sonsbeek noch unter einem Pseudonym 14 sogenannte »Harems«, umfangreiche Sammlungen von Alltagsgegenständen, die Kelley im Laufe seines Lebens zusammengetragen hatte [ Abb. 14   ].213    Präsentiert wurden diese Objekte nach Sammlungen sortiert in Schaukästen und dicht gehängt an Stell- und Ausstellungsraumwänden. Auch hier wurde in der Neuauflage von The Uncanny 2004 das Ordnungssystem noch einmal verstärkt hervorgehoben. Die Visitenkarten sortierte Kelley beispielsweise nach Farben und Berufsbezeichnungen.214   Auch entschied er sich aufgrund der Unmengen an Material dafür, die Harems der Postkarten und erotischen Fotos als DVD-Projektionen zu zeigen und von den Platten in einer »quasi-narrative fashion« eine Auswahl von Tonbeispielen zusammenzustellen.215   Im Katalog von 2004 ist als weiterer Harem eine Sammlung von Zitaten aus diversen Zeitschriftenartikeln, Belletristik, Tagebüchern und wissenschaftlichen Aufsätzen zum Thema unter dem Titel The Halls of Montezuma zusammengetragen, die Kelley als Grundlage für seinen Katalogtext genutzt hatte.216

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Wallis 1993, S. 55. In Sonsbeek umfassten sie 74 Gummitiere ( Harem #1  ), 438 Plattencover ( Harem #2   ), 7 Banner ( Harem #3 ), 12 kleine Fossilien ( Harem #4    ), 6 verbogene Kleiderbügel und eine Antenne, die zum Autoknacken genutzt wurden ( Harem #5   ), 29 Schnapsgläser ( Harem #6      ), 247 Kaugummi-Karten ( Harem #7     ), 96 Visitenkarten ( Harem #8 ), 47 Löffel ( Harem #9  ), 117 Glasmurmeln ( Harem #10   ), 10 Teile von Raucherutensilien ( Harem #11  ), 63 erotische Fotos ( Harem #12   ), 535 Comic-Hefte ( Harem #13  ) und 553 Postkarten ( Harem #14 ). In Liverpool und Wien wurde sie wurden sie um Hygieneartikel ( Harem #15   ), College Flyer ( Harem #16      ) sowie viele weitere Einzelobjekte ergänzt. Koroush Larizadeh im Telefonat mit der Autorin am 14.03.2008. Welchman 2004, S. 48. Die offizielle amerikanische Hymne der Marine beginnt mit der Zeile »From the Halls of Montezuma to the Shores of Tripoli«, wobei »Montezuma« sich auf die Schlacht von Chapultepec (1847  ) während des mexikanisch-amerikanischen Krieges bezieht. The Halls of Montezuma ist auch der Titel eines Marine-Kriegsfilm von Lewis Milestone aus dem Jahr 1950. Kelley hatte zunächst geplant, aus diesen Zitaten einen Dialog für ein Theaterstück zu schreiben. Die »Playing with Dead Things« vorangestellten Zitate sind aus dieser Sammlung entnommen. Vgl. Kelley 2004b, S. 12.

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Mit der Bezeichnung »Harem« bezieht er sich auf den Psychoanalytiker Wilhelm Stekel, der damit als eine Unterkategorie des Fetischismus das Sammeln von bestimmten Objekten ähnlicher Art bezeichnet.217   Zugleich greift Kelley hiermit den oft in der Rezeption vernachlässigten Freud’schen Aspekt des Unheimlichen als triebbedingten Wiederholungszwang auf.218  Freud selbst hatte im Laufe seines Lebens eine umfangreiche Sammlung von überwiegend phallischen Antiken zusammengetragen, die sein Wiener und später Londoner Arbeitszimmer füllten. Im Ausstellungskatalog ist die Abbildung einer Ushabti-Figur aus dieser Sammlung enthalten, sodass Kelleys Harems als Hommage an Freud gelesen werden können.219   Die Gegenstände, die er in den Harems zusammentrug, stammten überwiegend aus Kelleys Alltagsleben, wie die Löffel oder Aschenbecher; andere Gegenstände weisen einen Bezug zu seiner Kindheit auf wie die Glasmurmeln oder Steine während die Visitenkarten einen Einblick in sein über die Jahre gewachsenes, soziales Netzwerk liefern. Einem mit dem Kelley’schen Œuvre bekannten Besucher werden viele dieser Gegenstände vertraut erscheinen – die Quietschpuppen kamen etwa in seiner Band Destroy All Monsters als Percussioninstrumente zum Einsatz, die Comic- und Plattencoverästhetik durchzieht sein malerisches und zeichnerisches Werk, die College-Flyer dienten als Recherchematerial für eine Reihe von Filzbannern. Und auch auf dieser Ebene bleibt ein ironischer Verweis

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Vgl. Kelley 2004a, S. 38, Fußnote 76 : »In allen Fällen von Fetischismus findet sich eine Tendenz zur Serienbildung und einer Art Haremsbildung«, Skekel [sic], Sexual Abberations, S. 33. Bei Freud heißt es : »Das Moment der Wiederholung des Gleichartigen wird als Quelle des unheimlichen Gefühls vielleicht nicht bei jedermann Anerkennung finden. Nach meinen Beobachtungen ruft es unter gewissen Bedingungen und in Kombination mit bestimmten Umständen unzweifelhaft ein solches Gefühl hervor, das überdies an die Hilflosigkeit mancher Traumzustände mahnt.« Freud 1919, S. 249. Und an späterer Stelle : »Im seelisch unbewussten lässt nämlich die Herrschaft eines von den Triebregungen ausgehenden Wiederholungszwanges erkennen, der wahrscheinlich von der innersten Natur der Triebe selbst abhängt, stark genug ist, sich über das Lustprinzip hinauszusetzen, gewissen Seiten des Seelenlebens den dämonischen Charakter verleiht, sich in den Strebungen des kleinen Kindes noch sehr deutlich äußert und ein Stück vom Ablauf der Psychoanalyse des Neurotikers beherrscht. Wir sind durch alle vorstehenden Erörterungen darauf vorbereitet, dass dasjenige als unheimlich verspürt werden wird, was an diesen inneren Wiederholungszwang mahnen kann.« Ebd, S. 251. Vgl. u. a. Barker, Stephen ( Hg.) : Excavations and Their Objects. Freud’s Collection of Antiquity, New York 1996, und Forrester, Jon : »›Mille e tre‹ : Freud and Collecting«, in : Elsner, John   /   Cardinal, Roger ( Hg.) : The Cultures of Collecting, London 1994.

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auf den Modernismus nicht aus – die verbogenen Bügel etwa, die Kelley auf dem Parkplatz des Flughafens in Los Angeles sammelte, lassen an Alexander Calders Mobiles erinnern.220   Kurz : Es sind Objekte, die als eine Art Inventar des eigenen Lebens in enger Verbindung zu Kelleys Biografie und seiner künstlerischen Entwicklung stehen. Die Verbindung vom Unheimlichen zu dem in den Harems offenbarten Prozess des Sammelns besteht zum einen in der sich stetig wiederholenden Verdopplung von ähnlichen Gegenständen und zum anderen in der engen Verbundenheit mit der persönlichen Erinnerung und den Begierden des Sammlers. Wird das Sammeln zur Obsession, d. h. gewinnt der »dämonische Charakter« Überhand, werden Logik und vernünftige Entscheidungen ausgeblendet und die Sammlung selbst erscheint als Spiegelbild der Pathologie des dahinter stehenden Sammlers.221 So erfährt die nüchtern ausschauende Sammlung durch die in dieser Erzählung beschriebenen Spielerei mit den Steinen in Verbindung mit der sexuellen Lust im frühen Kindheitsstadium eine psychologische Aufladung. Ihr Gegenstück aus dem Erwachsenenleben erhalten die Steine in den aus Erotikmagazinen herausgerissenen Fotos ( Harem #12  ).222   Die Harems geben somit ein Bild von Kelleys persönlicher Entwicklung – beginnend bei den kindlichen Steinsammlungen hin zu handwerklich hergestellten Filzbannern aus seinem künstlerischen Werkzusammenhang – und seinem (sub-) kulturellen Hintergrund – Plattencover, Raucherutensilien, Schnapsgläser und Erotikfotos lassen den Sex, Drugs and Rock’n Roll-Lebensstil hochleben, die verbogenen Drahtbügel lassen Mutmaßungen zu einer kleinkriminellen Vergangenheit zu und die Banner einen Verweis auf seine katholische Erziehung. Sie spiegeln mit den Comics oder auch Kaugummibildchen bestimmte Aspekte der amerikanischen Populärkultur und legen in dieser obsessiven Anhäufung der Dinge, wie Burchart es in seiner Kritik treffend formulierte, »schonungslos die moralischen und kulturellen Praktiken unserer heutigen Konsumgesellschaft bloß«.223

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Vgl. Welchman 2004, S. 48. Vgl. Irrek, Hans : »Obsession ∙ Collection«, in : Theewen, Gerhard ( Hg.) : Obsession ∙ Collection. Gespräche und Texte über das Sammeln, Köln 1996, S. 8. Laut Welchman ist der Auslöser für die Harems ganz im Freud’schen Sinne auf eine Kindheitserinnerung Kelleys zurückzuführen, die er in einem Text zu der Arbeit Sublevel : Dim Recollection Illuminated by Multicolored Swamp Glas (1998 ) beschreibt. Vgl. Kelley, Mike : »Sublevel : Dim Recollection Illuminated by Multicolored Swamp Glas [1999]«, in : Ders.: Minor Histories, hg. von John C. Welchman, Cambridge ( Mass.) 2004, S. 102  ‒111, hier S. 105. Vgl. Welchman 2004, S. 47. Burchart 2004, S. 375.

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Während etwa die Comic-Hefte oder Plattensammlung von großer persönlicher Bedeutung für Kelley sind,224 wurden Objektekategorien bewusst mit einem Augenzwinkern auf das Sammlerwesen zusammengestellt, wie etwa die Schnapsgläser oder die billig produzierten Löffel. Einige Sammlungsgegenstände bestehen aus Fundstücken wie beispielsweise die verbogenen Bügel, oder sind von ihrer Grundbeschaffenheit auf den Tausch und nicht den Besitz angelegt, wie etwa die Visitenkarten.225   In letzteren hallt der Themenkomplex des »gift-giving« wider, mit dem sich Kelley in seinen Stofftier-Arbeiten bereits intensiver auseinander gesetzt hatte.226  Durch ihren Übergang vom privaten in den institutionellen Raum unterliegen die Gegenstände der Sammlungen wie die Exponate der vorderen Räume einer Bedeutungsverschiebung, werden losgelöst von ihrer ihnen ursprünglich innewohnenden alltäglichen, rituellen oder auch künstlerischen Bedeutung und exponieren zugleich vermeintlich Privates des Künstlers in der Öffentlichkeit. Und doch ist diese Selbstoffenbarung angesichts Kelleys langjähriger Auseinandersetzung mit dem false memory syndrome mit Vorsicht zu genießen und die Harems daher v. a. als bewusst konstruierter Spiegel seiner selbst zu betrachten, der stark mit der Neugierde der Betrachter spielt. In ihrer streng typologischen Anordnung erinnern die Harem-Räume wiederum an einen veralteten Ausstellungsmodus. Die Anordnung nach Funktion und Stil oder geografischem Ursprung ist hier durch persönliche und ästhetische Kriterien ersetzt worden. Zugleich finden die Harems, in deren Namen die Aura des Verbotenen mitschwingt, mit ihren Konnotationen von materiellen und sexuellen Obsessionen ihre Entsprechung im Geheimkabinett des 19. Jahrhunderts, wie es von Privatsammlern gepflegt wurde.227  Angelegt als Überraschung im hinteren Bereich der Ausstellung fungieren die Harems über die ihnen immanenten Verweise und Anspielungen hinaus als bewusst inszenierter Kommentar zu den vorderen Räumen von The Uncanny. »The Harem room«, so Kelley, »was meant to question the purpose of the exhibition«.228   Was zunächst als eine sorgfältige Präsentation von Objekten erscheint, kann so als weitere Manifestation des Sammlertriebes aufgefasst werden und damit als eine Veranschaulichung des Freud’schen Prinzips eines unbewussten Wiederholungszwangs. Kelley schließt seinen Katalogtext dementsprechend mit den bereits eingangs zitierten Worten : »Now, in the role of Sunday-curator, I present this exhibition, my harem, The

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Kelley 2004b, S. 12. Vgl. Welchman 2004, S. 48. Vgl. S. 240  f. in diesem Buch. Vgl. Grunenberg 2004, S. 63. Kelley 2004b, S. 10.

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Uncanny.« 229   In diesem in der Literatur bisher kaum beachteten selbstreflexiven Gestus wird Kelleys eigenes kuratorisches Vorgehen ironisch gebrochen. Es führt dem Betrachter die subjektive Auswahl der Exponate ebenso vor Augen wie den in »Playing with Dead Things« erwähnten Fetischcharakter von Kunstwerken. Auch verbirgt sich hierin eine Spitze auf den Anfang der 1990er Jahre sich vollziehenden symbolischen Aufstieg der Kuratorenfigur. Kuratoren tendieren zu dieser Zeit verstärkt dazu, selbst eine möglichst markante Handschrift an den Tag zu legen, mit der Konsequenz, dass sie oftmals weniger der Kunst gerecht werden als dass sie vielmehr ihren quasi-künstlerischen Umgang und damit ihre eigene Autorposition zur Schau zu stellen. Dies schlägt sich auch in der sich derzeit etablierenden Wendung des »curated by« nieder, die besonders in Ausstellungsankündigungen häufig gegenüber der Auflistung der in der Ausstellung vertretenen Künstlerpositionen dominiert.230 Curated by Mike Kelley, Artist Auch wenn Kelley selbst diese Zuschreibung als nicht notwendig erachtet, lassen Querverweise zu seinen eigenen Arbeiten bzw. ihnen verwandten Strategien auch The Uncanny nicht von seiner künstlerischer Handschrift und damit Autorschaft trennen.231  Das Spannungsverhältnis, das sich zwischen seiner Rolle als Kurator und der als Künstler dadurch ergibt, spiegelt sich in seiner Bezeichnung als »Sunday-curator« wider, die eine Distanz zum Kurator impliziert, der diesen Beruf professionell ausführt. Indem Kelley mit The Uncanny bewusst als kuratierender Künstler innerhalb von Sonsbeek 93 auftritt, belegt er mehrere Positionen im Kunstfeld zugleich. Zum einen bleibt er in der Rezeption und von der konzeptuellen Anlage der Ausstellung der Künstler Mike Kelley und The Uncanny damit sein künstlerisches Produkt. Zum anderen übernimmt er, und das wird besonders anhand des Katalogs deutlich, zugleich die Vermittlung desselben in Form einer bestimmten, aus seiner Sicht vernachlässigten Geschichtsschreibung und deren Einbettung in den Diskurs. So nehmen bezeichnenderweise Grunenberg und Welchman in ihren Katalogtexten von den von Kelley gesetzten Begriff des Unheimlichen zum Anlass, hiervon ausgehend bestimmte Aspekte der visuellen Kultur bzw. des Museums zu beleuchten. Nur in dem vom mumok-Kurator Achim

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Kelley 2004a, S. 38. Zu den damaligen Debatten um das Kuratorische vgl. z. B. Tannert, Christoph   /   Tischler, Ute ( Hg.) : Men in Black. Handbuch der kuratorischen Praxis, Frankfurt am Main 2004. Vgl. Wallis 1993, S. 55, und Hochdörfer 2004, S. A-67 und S. A-72.

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Hochdörfer geführten Interview wird The Uncanny eingehender als künstlerisches Projekt erörtert, d. h. im Dialog zwischen Kelley in seiner doppelten Rolle und dem Vertreter einer der einladenden Institutionen. Der Künstler behält dabei das tonangebende Wort und wird so auch in dieser Hinsicht zum »ersten Exegeten der eigenen Kunst«232. Dies schlägt sich auch in den Rezensionen nieder, die in ihren Besprechungen der Ausstellung zum Teil unhinterfragt auf »Playing with Dead Things« zurückgreifen und damit die Frage nach einer adäquaten kunstwissenschaftlichen Herangehensweise an diese Form von Kunstproduktion provozieren. Auch den Problemen, die die zweite und dritte Fassung der Ausstellung in Liverpool und Wien mit sich brachte, war Kelley sich durchaus bewusst. In seiner in der Neuauflage des Katalog publizierten »New Introduction to The Uncanny« äußert er Bedenken hinsichtlich der Reinszenierung und integriert diese damit, die Kritik von außen bereits vorwegnehmend, in die Rezeption der Ausstellungen in Wien und Liverpool. Wie eingangs erwähnt entsprang die Ausstellung 1993 in zweifacher Hinsicht dem Zeitgeist : Zum einen durch die Ortsspezifität und zum anderen durch die Ausrichtung auf, so Kelley, »prevalent art discourses at that time«233. Im Gegensatz zu den frühen 1990er Jahren waren nun, elf Jahre später, polychrome figurative Skulpturen in Galerien und Museen keine Seltenheit mehr. Arbeiten von Jeff Koons und den Young British Artist erzielten inzwischen Höchstpreise auf Auktionen. Ein anderes, viel grundlegenderes Problem lag darin, dass den hyperrealistischen Skulpturen der YBAs weder von Kelley noch von kritischen Stimmen in der Presse eine unheimliche Wirkung zugesprochen wurde.234   So bezeichnet ein Kritiker der Frankfurter Rundschau Kelleys Ausstellung als eine »Rumpelkammer des Realen« und spricht vom Unheimlichen selbst als einem »historischen Phänomen«, das den Besucher der Ausstellung sich nur noch manchmal bei diesem Gefühl ertappen lasse.235   Kelley selbst musste angesichts der

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Vgl. Foster, Hal : »Chat Rooms. Künstler-Kuratoren und ihr Zug durch die Gemeinde«, in : Texte zur Kunst 54 ( 2004 ), S. 117  ‒124, hier S. 123. Kelley 2004b, S. 9. Ebd., S. 10. Hilpold, Stephan : »Rumpelkammer des Realen. Mike Kelleys Wiederauflage einer legendären und mittlerweile in historische Ferne gerückten Ausstellung über ›Das Unheimliche‹ im Wiener Museum Moderner Kunst«, in : Frankfurter Rundschau vom 3. September 2004, S. 18. Auch die Süddeutsche Zeitung lässt Zweifel an der unheimlichen Wirkung der Exponate laut werden und sieht das Ausstellungskonzept zum Scheitern verurteilt : »Der Eindruck des Unheimlichen ist nicht nur der subjektiven Verfassung des Betrachters, sondern auch den historischen Bedingungen der Wahrnehmung unterworfen. Die Anfänge der modernen Chirurgie und ihre öffentliche Zurschaustellung waren für den damaligen

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Aktualisierung der Ausstellung um Werke jüngerer figurativ arbeitender Künstler eingestehen, dass diese auf eine völlig andere Weise funktionieren.236   Reagierten viele der in der Ausstellung von 1993 gezeigten Arbeiten auf die damals aktuelle, allgegenwärtige Aids-Epidemie ( wie etwa Robert Gober und Zoe Leonard ) und führten damit dem Betrachter die eigene Sterblichkeit wie ein Memento mori vor Augen, so sind viele der Arbeiten der jüngeren Künstlergeneration kaum mehr der Realität verhaftet, sondern vielmehr im Sinne der derzeit vieldiskutierten Theorien von Jean Baudrillard nur Simulation, die »sich verschiedener Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität, d. h. eines Hyperrealen« 237  bedient. Kelley rekurriert in seiner neuen Einleitung dezidiert auf die Schriften Baudrillards zur Spektakelkultur und dem »Simulacrum« und zeigt sich selbst überrascht, dass ihm dieser Bezug nicht schon früher bewusst geworden ist.238   In ihren Referenzen zu den Massenmedien und der Popkultur bleibe der Bezug der neuen Skulpturen zur tatsächlichen Realität folglich aus, sodass sich die Frage nach ihrer Belebt- oder Unbelebtheit erübrige, wie Kelley am Beispiel von Gavin Turks Pop (1993 ) veranschaulicht : Auch wenn diese Skulptur Sid Vicious von den Sex Pistols darstelle, so werde mit ihr vielmehr das Bild reproduziert, das von ihm durch einen Musikfilm vermittelt wird, in dem er Sinatras »My Way« covert.239   Kelleys Auseinandersetzung mit Baudrillards Theorien zur Spektakelkultur veranlassen ihn zu der grundsätzlichen Frage, ob das Gefühl des Unheimlichen heute überhaupt noch erfahrbar sei.240   Er vermutet im Realen einen gemeinsamen Nenner des Simulacrums und des Unheimlichen, überlässt dann aber die weitere Auseinandersetzung mit dem Simulacrum Welchman, der in seinem Katalogtext den Gedanken aufgreift.241   In-

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Betrachter schockierend. Heute sehen wir uns mit Live-Exekutionen im Internet konfrontiert.« Claudia Lanfranconi : »Einer der auszog, um das Fürchten zu lehren. Mike Kelley inszeniert. Das Unheimliche im Museum Moderner Kunst in Wien«, in : Süddeutsche Zeitung vom 22. Juli 2004, S. 13. Kelley 2004b, S. 10. Baudrillard 1978, S. 7. Er begründet sein Säumnis damit, dass zu Beginn der 1990er Jahre diese Theorien noch nicht auf die Skulptur übertragen wurden. Vgl. Kelley 2004b, S. 10. Ebd. Im Interview mit der Zeitschrift Profil spricht Kelley dann davon, dass der Begriff des Unheimlichen für ihn verbunden ist mit Baudrillards Idee des Spektakels. Profil 29 ( 2004 ), S. 122. Laut Welchman dauert das Gefühl des Unheimlichen nach wie vor an : »In a culture that still preserves visual taboos over the mainstream media representation of dead and mutilated bodies, explicit sexuality, and the naked bodies of children, it is clear that the

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sofern zeigt sich auch an diesem Querverweis die von Kelley gesteuerte Rezeption von The Uncanny, in der er Welchman als den Kunsthistoriker seines Vertrauens auftreten lässt. Der Wandel, den die Ausstellung sowohl hinsichtlich der einzelnen Exponate wie auch des Displays insgesamt im Zuge ihrer beiden Wiederauflagen erfuhr, geht auch hier einher mit einem Wandel der Festigung von The Uncanny als einem Werk des Künstlers Mike Kelley. Angesichts seines gestiegenen Bekanntheitsgrades und der eingespielten Funktionsmechanismen des Kunstbetriebs muss er sich 2004 dementsprechend selbst eingestehen, dass die Ausstellung als von »Mike Kelley, Artist« rezipiert wird und nimmt seine Argumentation auch hinsichtlich der biografisch angelegten Harems ein Stück weit zurück. Wird die Ausstellung als Kunstwerk rezipiert, entpuppen sich die einzelnen Exponate als Träger einer mehrfachen Doppelung. Für die Dauer der Ausstellung werden sie, gleich welcher Autorschaft sie zuzuschreiben sind, zu Elementen von The Uncanny und verlieren dadurch an künstlerischer Autonomie, wie das erwähnte Beispiel der Arbeiten Hans Bellmers oder Cindy Shermans gezeigt hat. Jeff Koons’ Ushering in Banality beispielsweise bleibt zwar aufgrund seines einprägsamen Stils und Bekanntheitsgrades in der Kunstwelt ein Jeff Koons mitsamt seiner das Werk umgebenden Diskurse,242 doch wird es hier unter einer ganz bestimmten, Kelley’schen Lesart präsentiert und unterliegt daher zugleich der Einordnung in die Erfahrung von The Uncanny in seiner Gänze. In The Uncanny schwanken die einzelnen Objekte in ihrer Rezeption folglich zwischen Ding und Zeichen und führen auf den Kontext der Ausstellung bezogen selbst ein »un-heimliches Eigenleben« 243 – unabhängig von dem laut Kelley ihnen immanenten Schwebezustand zwischen belebtem und unbelebtem Körper. Das Unheimliche gewinnt so in Bezug auf Kelleys kuratorisches Unterfangen über die theoretische Ebene hinaus sowohl in Bezug auf die Erscheinung der Objekte als Teil von Kelleys Ausstellung als auch hinsichtlich des Gesamtprojekts The Uncanny als eine »Kunst nach dem Ende der Kunst« die Funktion eines dieses Phänomen der zeitgenössischen Kunstproduktion erklärenden Begriffs.244   Die Ungewissheit über den Status der Originalität der einzelnen

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shuttle of sensation between anxiety, morbid curiosity, desires, and projections on which the uncanny thrives still endures.« Welchman 2004, S. 52. In anderen Kontexten wird das Unheimliche ganz explizit mit dem Simulakrum in Verbindung gebracht. Vgl. Arnzen, Michael : »The Return of the Uncanny. Introduction«, in : Para*Doxa. Studies in World Literary Genres 3 /3-4 (1997 ), S. 315  ‒ 320, hier S. 316. Vgl. Hochdörfer 2004, S. A-72. Vgl. Rebentisch 2003, S. 170. Vgl. Kelley im Interview mit McEvilley, in : Ausst.-Kat. Sonsbeek 93, Arnheim 1993,

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Ausstellungsobjekte und die »gespenstische« Präsenz der Hinterlassenschaften, die für diese Form der Wiederverwertung von Kunst und Formen ihres Displays kennzeichnend ist, sowie der zumindest anfangs noch bewusst offen gelassene Status von The Uncanny zwischen Kunstwerk und kuratierter Ausstellung lässt sich nicht zuletzt als ein unheimliches Manöver per se charakterisieren.245 Zur zukünftige Präsentationsform von The Uncanny Mit der Ausstellung wählt Kelley ein Format, das sich, wie bereits im Zusammenhang mit Beuys gezeigt, prinzipiell der Musealisierung verwehrt. Umso paradoxer erscheint es, dass bei The Uncanny im Unterschied etwa auch zu Kippenbergers The Happy End dieser Versuch dennoch unternommen wurde. Durch den 1998 vollzogenen Verkauf der Ausstellung an den in Los Angeles lebenden Privatsammler Kourosh Larizadeh hat The Uncanny einen neuen Ort und Verantwortlichen für den Zusammenhalt der einzelnen Exponate und ihrer Verwahrung erhalten. Dieser Verkauf war es, wie erwähnt, auch, der die Neuauflage der Ausstellung 2004 in Liverpool und Wien überhaupt erst ermöglichte. Larizadeh versteht sich Eigenäußerungen zufolge jedoch vielmehr als »temporary care-taker«246, denn als Besitzer der Arbeit, dessen eigentlicher Ort die Öffentlichkeit, d. h. der ( museale ) Ausstellungsraum ist. Der v. a. auf Vertrauen und gutem Willen basierende Vertragsabschluss sah einen langsamen Übergang der Harems in den Besitz von Larizadeh im Laufe von 15 Jahren vor.247   Der Kauf initiierte eine für den Sammler wie Künstler andauernde Kooperation, die The Uncanny zu einer Arbeit »in a constant

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S. 138. Dort heißt es : »My view is that art is basically about death in that it’s about representation. The issue of death is especially implicit in Postmodernism.« McEvilley : »Yes, in its being supposedly art after the end of art, art after its own death.« Kelley : »Right, and also, the return of figuration seems to me to involve the tradition of the artwork as memento mori. [ … ].« Hans Belting und Arthur C. Danto erklärten Mitte der 1980er Jahre fast gleichzeitig das (erneute ) Ende der Kunst ( geschichte ). Vgl. Belting, Hans : Das Ende der Kunstgeschichte ?, München 1983, und ders. : Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren, München 1995. Danto, Arthur C. : »The End of Art«, in : Ders. : The Philosophical Disenfranchisement of Art, New York 1986, S. 81 ‒115, und ders. : Art after the End of Art. Contemporary Art and the Pale of History, Princeton 1997. Vgl. Jay 1998a, S. 157. Kourosh Larizadeh in einer E-Mail an die Autorin vom 14.03.2008. Vgl. Freudenheim, Susan : »Singular Commitment; Kourosh Larizadeh’s interest in art by Mike Kelley is a quintessential L. A. story; Series : The collectors : One in an occasional series«, in : Los Angeles Times vom 27. Januar 2002, o. P.

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state of flux«248 werden ließ.249  Mit der Erlaubnis Kelleys erstand Larizadeh auf eBay oder in Secondhand- und Trödelläden immer wieder neue Objekte, die ihm für Kelleys Harems passend erschienen. Laut Eigenaussagen verbrachte er bis zu drei Stunden täglich250 als eine Art »lowly studio assistant«251 mit The Uncanny. Die Entscheidung darüber, ob die einzelnen von ihm erstandenen Objekte Kunst seien oder nicht überließ Larizadeh jedoch dem Künstler. Die Regeln, nach denen Kelley diese Entscheidungen trifft, liefen zunächst scheinbar unbewusst ab und führten zu einem gesteigerten Interesse seinerseits an der, wie Kelley es nennt, »strange kind of psychic relationship«, die zwischen dem Sammler und dem Künstler entstand.252   Mit der Zeit und dem stetigen Wachstum der Harems sah sich Kelley genötigt, seine eigenen subjektiven Auswahlkriterien erneut zu hinterfragen. So ergaben bestimmte Sammlungen für ihn trotz Unvollständigkeiten ein für sich abgeschlossenes Ganzes, in das fehlende Objekte etwa aus ästhetischen Gründen nicht mit aufgenommen wurden.253   Die Regeln ihrer Vervollständigung wie auch ihrer Nicht-Vervollständigung unterliegen damit einem Prozess, der sich losgelöst von der inhaltlichen Bedeutung der Harems stetig weiterentwickelt.254   Förderten der Kauf und dieses Zusammenspiel von Künstler und Sammler einerseits den Erhalt und das Weiterwachsen der Harems, führte dies zugleich zu einer Verschiebung ihrer Bedeutung in Bezug auf The Uncanny in seiner Gänze. Ursprünglich als werkimmanenter Kommentar in der Ausstellung angelegt, lösten sie sich zunehmend aus diesem Zusammenhang und erhielten eigenständigen Werkcharakter. Kelley selbst stand dieser Entwicklung skeptisch gegenüber : »[ W ]hen the Tate approached Kourosh to borrow the Harems on extended loan for display in the museum an alarm went off in my head. I realized that the Harems were being misread as some kind of personal archive or giant assemblage. Such interpretations were completely antithetical to my intentions.« 255    Um dieses Missverständnis in Zukunft zu vermeiden und den organisatorischen Aufwand der Leihgaben zu reduzieren, dokumentierte Kelley die Ausstellung in Liverpool als Film, der bei allen zukünftigen Präsentationen der Harems gezeigt werden soll. Die Harems unterlagen somit einer grundlegenden Verschiebung von einer Ausstellung in der

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E-Mail von Kourosh Larizadeh an die Autorin vom 14.03.2008. Vgl. Kelley 2004b, S. 11. Telefonat der Autorin mit Kourosh Larizadeh am 14.03.2008. Vgl. Larizadeh, in : Freudenheim 2002, S. 2. Vgl. Kelley 2004b, S. 11. Ebd. Ebd., S. 12. Ebd., S. 10  f. und S. 12.

IV. K elley  |  295

Ausstellung, die eben gerade das Gesamtkonzept von The Uncanny parodierte, hinzu einem als eigenständige Arbeit rezipierten Werkkomplex. Im gleichen Zuge wurde das »eigentliche« Ausstellungsprojekt selbst ins Parergonale verschoben und ist heute nur noch über die beiden Ausstellungskataloge sowie die filmische Dokumentation erfahrbar. Anders als Kippenbergers The Happy End, dass sich durch seine Unverkäuflichkeit gerade einer Musealisierung entzieht und damit prinzipiell auch posthume Präsentationformen der Arbeit erlaubt, ist The Uncanny als künstlerisches Ausstellungsdisplay heute Geschichte.

296 |  IV. S pektakel und G egenspektakel

Spektakel

und

Gegenspektakel

Die nächsten beiden groß angelegten Ausstellungsprojekte, die auf The Uncanny folgen sollten, sind zum einen Day is Done ( 2005 ) als erste umfassende Präsentation der sogenannten Extracurricular Activity Projective Reconstructions sowie der mehrteilige Komplex der Kandors (1999  ‒ 2012 ). Beide sind Ausstellungsprojekte, die auf Kelleys Auseinandersetzung mit dem »Repressed Memory Syndrome« zurückzuführen sind und ihren Ausgangspunkt in dessen 1995 erstmals im Rahmen der Ausstellung Towards a Utopian Arts Complex bei der New Yorker Galerie Metro Pictures gezeigtem Architekturmodell Educational Complex haben. Sowohl in Day is Done als auch in den Kandors setzt Kelley sich dezidiert mit Fragen der Synästhesie und der Vorstellung des als typisch europäisch geltenden Gesamtkunstwerks auseinander. Hiervon ausgehend widmet er sich dem Topos der modernistischen Utopien wie ihres künstlerischen und technischen Scheiterns. Zugleich greifen die beiden Ausstellungsprojekte in ihrer Anlage die medialen Veränderungen in Kunst und Gesellschaft der 1990er Jahre auf : Zum einen sind hier formale Ähnlichkeiten zu den in der Zeit zunehmend populär werdenden, raumgreifend und multiperspektivisch angelegten Videoinstallationen zu nennen 256 sowie zum anderen die Einführung und rasante Verbreitung des Internets und damit die Verknüpfung von Technologie und Alltagsleben. Durch den – zumindest geplanten – Einbezug des World Wide Web in das Kandors-Projekt sowie Anleihen an das Zappen durchs Massenmedium Fernsehen und diverse typische Fernsehformate wie Sitcom, Musikvideo oder Talkshow in Day is Done unterscheiden sich die im Zusammenhang mit diesen Werkkomplexen entstehenden Displays in ihrer Ästhetik grundsätzlich von den früheren Ausstellungen Kelleys. Entscheidend hierbei ist zudem, dass Kelley diese Projekte nicht mehr auf eine Ausstellung gerichtet produzierte – ein Umstand, der mit seinem Wechsel von Metro Pictures zu Gagosian und damit zu einer international agierenden Blue-Chip-Galerie zusammenhängt.257  Kelleys

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257

Vgl. Kotz, Liz : »Video Projection. The Space between Screens«, in : Leighton, Tanya (  Hg.) : Art and the Moving Image, London 2008, S. 371 ‒ 385, hier S. 371, oder auch den Ausst.-Kat. Video cult  / ures. Multi-mediale Installationen der 90er Jahre, Museum für Neue Kunst, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, hg. von Ursula Frohne, Köln 1999. Larry Gagosian gehört zu den New Yorker Galeristen, die in den späten 1980er Jahren als relative Newcomer auf den Kunstmarktboom aufsprangen und sich des Prestigetransfers von Künstler und Kunsthändler zu eigen machten. Die hier präsentierten Ausstellungen wurden immer aufwendiger und ähnelten in Größe und Qualität zunehmend musealen Präsentationen. Gagosian entwickelte sich in New York schnell zur Top-Adresse für

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jüngere Ausstellungen in dieser Galerie nun sind von vornherein als über singuläre Ausstellungen hinausgehende, geradezu megalomane Werkkomplexe angelegt, denen ein jeweils äußerst ( zeit-) aufwendiger Produktionsprozess sowie, damit einhergehend, ein enormer Produktionsetat zugrunde liegen. Sie markieren innerhalb Kelleys Œuvre eine Wende hin zum Denken in großen Formaten, die auch in seinem seit den späten 1990er Jahren eintretenden künstlerischen Erfolg auf internationaler Ebene mitbegründet liegt. Ohne die Gewissheit eines entsprechend vorhandenen Kapitals und der weiterhin absehbaren regen Ausstellungstätigkeit wäre so eine Konzeption letztendlich undenkbar – und hierin unterscheidet sich Kelleys Ausstellungspraxis bereits auf ganz basaler Ebene entscheidend von einem Künstler wie Kippenberger, der zeitlebens um institutionelle Anerkennung kämpfen musste.258   Im Fokus der folgenden beiden Kapitel steht daher die Frage nach dem Verhältnis künstlerischer Ausstellungsdisplays mit ihren Referenzen auf das Gesamtkunstwerk und ausgestellter Galerieware sowie – und das betrifft v. a. die Kandors – ihrer zunehmenden Verfransung zu einem den einzelnen Projekten übergeordneten Werkkomplex. Day is Done : Gesamtkunstwerk, Ausstellung oder »totale Installation« ? Mit Day is Done bietet sich dem Ausstellungsbesucher ein gigantisches Spektakel aus unterschiedlichen Musikstilen, Geräuschen, schrillen Farben, bewegten Bildern und sich drehenden Objekten : »The space is packed with a maze of different installations,« heißt es in einer Besprechung, »from freewheeling disco lights and living rooms with furniture that swivels wildly as if possessed, to giant chess pieces

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zeitgenössische Kunst. Dies lag v. a. an deren Politik, Exponate aus dem Sekundär- und Primärmarkt zu mischen. Über die Präsentationen mit von bereits etablierter zeitgenössischer Künstler und Künstler der Moderne von musealer Qualität erreichte die Galerie ein breites, finanzstarkes Publikum und zugleich das benötigte Vertrauen seiner Kunden. Die Förderung von nur einem bestimmten Stil hielt Larry Gagosian für nicht mehr zeitgemäß. Vgl. Hollein, Max : Zeitgenössische Kunst und der Kunstmarktboom, Wien  /  Köln  /  Weimar 1999, S. 107  f. Auch hatte dies, wie berichtet wird, sofortige Auswirkungen auf die Atmosphäre in seinem Studio von einem offenen Think Tank zu einem stetig unter Druck arbeitendem Team und angespannten Mike Kelley.

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Abbildung 20 : Mike Kelley, Day is Done, Ausstellungsansicht, Gagosian Gallery, New York, 2005

and a 15-foot-long missile designated as the ›Gospel Rocket‹« [ Abb. 20 ].259   Zunächst angedacht für die Londoner Räumlichkeiten von Gagosian zeichnet es sich bald ab, dass das Day is Done-Projekt selbst deren Dimensionen übersteigt und im Modus der Ansprache an ein zuvorderst amerikanisches Kunstpublikum gerichtet ist. So wird die Ausstellung schließlich für die New Yorker Dependance der Galerie konzipiert und dort 2005 eröffnet. Im Pressetext angekündigt ist die multimediale Ausstellung mit dem vollständigen Titel Day is Done. Extracurricular Activity Projective Reconstrutions #2  ‒ 32 (2004  ‒ 2005 ) als ein »feature-length ›musical‹ composed of thirty-two separate video chapters«.260   Die einzelnen »Kapitel« bestehen aus fiktiven filmischen Rekonstruktionen von fotografisch festgehaltenen Szenen schulischer Freizeitaktivitäten (extracurricular activities  ), die Kelley aus High-School-Jahrbüchern über Jahre in einem quasi-anthropologischen Verfahren zusammengesammelt und einzelnen Kategorien zugeordnet hatte : »religious performances, thugs, dance numbers, hicks, and hillbillies, Halloween and gothic style, satanic imagery, and equesterian events.«261   Dabei ist diese explizit auf Educational Complex Bezug nehmende Serie der Extracurricular Activity Projective Reconstruction, so Kelley,

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Davis, Ben : »I want my Mike Kelley«, http://www.artnet.com/magazineus/reviews/davis/ davis11-16-05.asp  ( Abruf am 24.05.2013 ). http://www.gagosian.com/exhibitions/24th-street-2005-11-mike-kelley  ( Abruf am 24.03.2010 ). Ebd.

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»designed to fill in these memory blanks with standardized abuse scenarios based on descriptions in the literature of Repressed Memory Syndrome. Details are provided by my own biography intermixed with recollections of popular film, cartoons, and literature. Personal and »mass cultural experience« are treated equally as ›true experience‹.« 262

Als eine erste Realisierung der insgesamt auf ein 24 Stunden langes, öffentliches Ritual angelegten EARPs fand bereits 2000 die eng hiermit verknüpfte, bühnenhaft angelegte Präsentation von EARP #1 A domestic Scene in der Galerie Emi Fontana in Mailand [ Abb. 21 ] statt. Sie geht von einem Foto eines Theaterstücks aus, auf dem zwei Figuren in einer schäbig eingerichteten Wohnung zu sehen sind, deren zentrales Requisit ein Ofen darstellt. Für die innerhalb des EARP #1 auf einem altmodischen Fernseher gezeigte filmische Umsetzung ist das ( amerikanische ) Fernsehdrama der 1950er Jahre Referenzpunkt, was in den Sepia-Tönen der gesamten Situation wieder aufgegriffen wird. Für die Einteilung von Day is Done in einen Jahreszyklus mit geplanten 365 Einheiten bedient Kelley sich dagegen Anleihen an Aleksander Skrjabins unrealisiert gebliebenem Lebenswerk Mystère. Diese universale Liturgie ist auf eine Woche ausgelegt mit dem Ziel, durch die Vereinigung der Künste zu einem kosmischen Bewusstsein zu gelangen. Sie soll im sogenannten Weltenbrand, der ekstatischen Selbstauflösung des Kollektivs, enden. Von einer derart apokalyptischen Synthese der Künste kann auf der wortwörtlichen Ebene bei Kelley allerdings keine Rede sein, ebenso wenig hängt Day is Done – etwa in der Folge von Wagners Entwurf des Gesamtkunstwerks als neuem Musikdrama – der Vision nach, die Künste radikal zu erneuern und über ihre Vereinigung in ein Kunstwerk der Zukunft überführen zu wollen. Im Gegenteil : Mit der Orientierung am Musical bedient Kelley sich eines populären und zuvorderst leicht konsumierbaren Formats, das, auch wenn es ebenfalls verschiedene Künste miteinander vereint, frei von einem radikalen Anspruch an die Zukunft der Künste und ihre Wirkung auf die Menschheit ist. Durch seinen ausgeprägten Unterhaltungswert erscheint es hier nun als zeitgenössisches Pendant des uneingelöst gebliebenen, modernistischen Gesamtkunstwerks, das in für Kelley typischer Manier zugleich re-konfiguriert und dekonstruiert wird. Zugleich ist es von ihm als jemand, der sich gleichberechtigt als Musiker und bildender Künstler sah, als ein Schritt in die Offensive zu denken, diese beiden Seiten nun explizit zusammen zu bringen. Dies ist zum einen vor dem Hintergrund sehen, dass diese Gewichtung an der Ostküste der USA und v. a. in Europa bis zu seinem

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Kelley, Mike : »Extracurricular Activity Projective Reconstruction #1 ( A domestic scene ) [ 2000 ]«, in : Ders. 2004, S. 238  ‒ 241, hier S. 238.

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Abbildung 21: Mike Kelley, Extracurricular Activity Projective Reconstruction #1 ( A Domestic Scene ), 2000, Ansicht innerhalb der Ausstellung Eternity is a Long Time, HangarBicocca, Mailand, 2013

Ableben nur von Wenigen derart wahrgenommen wurde.263  Zum anderen liegt es darin begründet, dass Kelley zu diesem Zeitpunkt kaum mehr Zeit für seine eigene musikalische Tätigkeit fand und nun unter seiner Regie mit professionellen Musikern zusammenarbeiten konnte.264 Bereits für Educational Complex bedient sich Kelley an dem Goetheanum von Rudolf Steiner als einem Referenzpunkt.265  In Day is Done werden nun in der Ausstellungssituation dezidiert verschiedene Sinne angesprochen und vermittelt durch die Projektionen unterschiedliche Künste wie Gesang, Tanz und Schauspiel in dieser Ausstellung zueinander in Beziehung gebracht.266   Die in für Kelley typischer, hier allerdings äußerst aufwendig produzierter Lo-fi-Ästhetik gehaltenen Videosequenzen greifen populäre Fernsehformate auf ebenso wie vertraute Gestalten wie Zombies und Vampire aus den verschiedenen Filmgenres. Die einzelnen Szenen zeigen meist überzeichnete, klischeehafte Vorstellungen von Jugend- und Subkultur. In den Szenen aus dem Clip »Singles’ Mixer« beispielsweise streiten entsprechend gekleidete Studenten in einem Sitcom-artigen Setting über die von

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Vgl. Gordon, Kim : »To Express and to Share«, in : Texte zur Kunst 85 ( 2012 ), S. 240  f., sowie http://www.pbs.org/art21/artists/mike-kelley  ( Abruf am 24.03.2010 ). Vgl. ebd. Kelley, Mike : »Day is Done«, in : Francis, Mark  /  Ders. (  Hg.) : Day is Done, New Haven   /  New York 2007, S. 462  ‒ 465, hier S. 465. »Like Steiner,« so Kelley, »I desire to create a Gesamtkunstwerk – a unification of architecture, theater, dance, paintng, etc. Repressed Memory Syndrome and ›push pull‹ are the unifying theories at the root of all of these varied productions.« Kelly, Mike : »Extracurricular Activity Projective Reconstruction #1 ( A Domestic Scene ) [ 2000 ]«, in : Welchman 2004, S. 238  ‒ 241, hier S. 240.

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ihnen gemalten Idole wie Gene Simmons von Kiss, Countrysänger Garth Brooks, Basketballstar Kobe Bryant, R&B Sänger R. Kelly sowie den Schauspieler Brandon Lee. Andere Szenen verarbeiten Musikrichtungen von E bis U wie Techno, Pop, Folk, Metal, Noise, Gospel, Rap, Jazz, Goth, Country, Minimal und musicalhafte Operetten.267  In den zahlreichen Tanzeinlagen ist ein ähnliches Repertoire an Referenzen zu erkennen ( erotischer Schattentanz, Gothtanz, Gospeltanz etc. ), wobei der moderne Tanz eine besondere Rolle spielt.268   Das Zusammenspiel der einzelnen Sequenzen geschieht auf eine Art und Weise, die zum einen an utopische Multimediaexperimente wie Stan VanDerBeeks Movie-Dome (1963 ) erinnern lässt. Dessen auf einem umfassenden Bildarchiv basierenden dreidimensionalen, simultanen Screeningverfahren in einer von Buckminster Fuller inspirierten Dome-Architektur erwuchs dem Anspruch, eine neue, universale und rein auf Bildern basierende Sprache aus Bildern zu schaffen – ein Anspruch, der in Kelleys mit unserem kulturellen Gedächtnis spielenden Bilderauswahl durchaus wieder aufscheint.269 Zum anderen lassen sich auch Parallelen zum CalArts als einer Art Gesamtschule (»total school«) ziehen. Im Unterschied zu den meisten Kunsthochschulen vereint sie neben den Studiengängen Bildende Kunst und Musik auch Tanz unter ihrem Dach, was sich in den Gängen und offenen Räumen der Schule im Alltäglichen als selbstverständliches Neben- und Miteinander für alle Studierenden und Lehrenden widerspiegelt. Diese Hochschule war nicht nur Teil von Kelleys eigener künstlerischen Ausbildung und damit Bestandteil von Educational Complex, sondern später auch Stätte seiner Lehre sowie – zumindest zu Teilen – auch das Set für den Dreh der Videos. Kelley füllt daher mit dieser Ausstellung nicht nur einfach die weißen Leerstellen aus Educational Complex, sondern verschränkt dessen Räume über die Projektionen zugleich mit der Organisation des »realen« Ausstellungraums : Kelley hatte die mobilen Wände des Ausstellungsraums entfernen lassen und hierin 25 individuelle »video   / sculpture installations« 270 aufgebaut, die sich aus Screens mit variierenden Höhen in eckigen, ovalen und runden Formen, die neben den Videos auch eine Reihe von »spin-offs« zeigen, sowie Requisiten und Elementen aus den

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Die Musik wurde entweder in Reaktion auf das Skript der jeweiligen Szenen geschrieben oder auch vice versa. Vgl. Kelley, Mike : »The Music of Day is Done«, in : Francis  /  Kelley 2007, S. 507  ‒ 517. So ist »Black Curtain« beispielsweise eine eindeutige Persiflage auf den zentralen Tanz von Martha Graham, während der »Horse Dance« Referenzen zum Ballett Russe aufruft. »[ A ] non-verbal international picture-language.« Vgl. VanDerBeek, Stan : »Culture Intercom, A Proposal and Manifesto«, in : Film Culture 40 (1966 ), S. 15  ‒ 18. Hier zitiert nach : http://www.medienkunstnetz.de/source-text/133  ( Abruf am 13.12.2013 ). Kelley 2007a, S. 462.

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jeweiligen Filmsets zusammensetzen. An den Wänden des Galerieraumes hängen jeweils als Paar arrangierte Fotografien von den schwarz-weißen Vorlagen und den farbigen Reenactments sowie im Zusammenhang mit diesen Rekonstruktionen entstandene Zeichnungen. Hierüber war es dem Betrachter möglich, einen Einblick in die verschiedenen Entstehungsschritte von Day is Done zu erlangen. Channel surfing im Ausstellungsraum Die »sculptural stations« organisieren in ihrer quasi-architektonischen Beschaffenheit wortwörtlich den Ausstellungsraum ( wenn auch auf völlige andere Art und Weise, als Beuys es im New Yorker Guggenheim gehandhabt hatte ) und überfordern durch die Unübersichtlichkeit, ihre andauernde Geräuschkulisse sowie verschiedene Bewegungsmomente zugleich gezielt den Betrachter.271   So verfolgt jede »sculptural station« einerseits über das integrierte Video ihren eigenen narrativen Strang und wird andererseits über ihr raum-zeitliches Gefüge zugleich mit den anderen in Beziehung gesetzt, so dass sie ein übergeordnetes, wenn auch nicht-lineares Narrativ erzeugen.272   Die Situation schafft somit also gerade Einheit, Ganzheit und Sinn wie im Gesamtkunstwerk. Die Videos mit insgesamt ca. drei Stunden Material werden von drei verschiedenen Standpunkten ausgehend parallel gestartet und sind so geschaltet, dass sie sich in ihrer Abfolge über die verschiedenen Screens quer durch den Raum verteilen und ihre den Nummerierungen der einzelnen EAPRs geschuldete zeitliche Chronologie zugunsten einer nichtlinearen Bewegungsabfolge im Raum aufbrechen.273   Durch die Parallelschaltung von drei Projektionssträngen des gleichen Materials wird zugleich eine eindeutige Betrachterführung im Sinne eines klar choreografierten Parcours durch die Ausstellung aufgebrochen und das betrachtende Subjekt zurückgeworfen auf seine eigene, wenn auch durch die äußeren Reize gesteuerte Entscheidung. Dieses doppelte Bewegungsmoment von betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt bewirkt eine starke Desorientierung hinsichtlich der Gesamtsituation und erzeugt den Verlust des Gefühls für die in ihr verbrachte Zeit  274  – auch wenn wohl kaum jemand das volle Programm in der Galeriesituation durchschauen wird.

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Rebentisch 2003, S. 146; zur Überforderung vgl. S. 193. Kelley wiederum spricht diesbezüglich neben Anleihen an das Musical bezeichnenderweise auch von Pornos, in denen die übergeordnete Handlung und interne Logik eine untergeordnete Rolle spielt, die in der Tat hier untergeht. Kelley 2007a, S. 465. Ebd., S. 464. Rebentisch 2003, S. 173.

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Wie Volker Pantenburg herausstellt, ist die Erfahrung eines Ausstellungsbesuchs anders als im Kino bestimmt von einem »synchronen Nebeneinander« 275, das immer wieder Entscheidungen vom Besucher einfordert. Unter Rückgriff auf Chris Markers Zapping Zone Installation (1990 ) argumentiert er daher, dass die Rezeptionsmechanismen des Ausstellungskontextes ebenso gut als »Zapping« bezeichnet werden könnten : »Die Alternative ist jeweils da, das Programm kann jederzeit gewechselt werden, und wenn keine ausreichend attraktive Option auszumachen ist, wird um- oder abgeschaltet [ … ] . So wie die Anordnung im Museum durch das räumliche Nebeneinander und die zeitliche Simultaneität bestimmt ist, zeigt sich auch das Zapping verräumlicht.« 276

Kelley nun kommt der heutigen Ausstellungsbesuchern attestierten, kurzen Verweildauer gegenüber einzelnen Kunstwerken in musealen Kontexten auf seine gewohnt zynische Art entgegen. Er orientiert sich bereits in der Konzeption und Schaltung der einzelnen Videos, die in ihrem Bild- und Soundmaterial an unser kulturelles Gedächtnis appellieren, am »Channel surfing« im Fernsehen,277 und damit eines bedingt durch die Einführung der Fernbedienung seit den 1980er Jahren verstärkt auftretenden Konsumverhaltens, dass auf kurze Aufmerksamkeitsspannen, Hyperaktivität und Faulheit zurückzuführen ist. »Zappers«, so der Medientheoretiker Henry Jenkins, und das deutet das oben angeführte Zitat von Pantenburg bereits an, »are people who constantly flip across the dial – watching snippets of shows rather than sitting down for a prolonged engagement. [ … ] Like the folks at cocktail parties who are always looking over their shoulder to see if somewhere more interesting has just entered the room.« 278

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Pantenburg, Volker : »Sharon Lockhart – Raum, Medium, Dispositiv«, in : Frohne, Ursula   /  Haberer, Lilian ( Hg.) : Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst, Paderborn 2012, S. 325  ‒ 342, hier S. 327. Ebd., S. 330. »I wanted«, so Kelley, »to create an experience akin to channel surfing. The structure of movie musicals seemed a good way to achieve this, as they generally dispense with traditional narrative. Musicals are episodic and contain a variety of scenes, acts, and production numbers.« Kelley, in : »Mike Kelley Talks About ›Day is Done‹ ( 2005 )«, in : Artforum 44 / 2 (2005 ), S. 233  ‒ 235, hier S. 235. Jenkins, Henry : Convergence Culture, New York 2006, S. 74. Der hierin zitierte Phillip Swann sieht dieses in den 1990er Jahren für Fernseh- und Vermarktungsstrategien immer relevanter werdende Zuschauerverhalten eindeutig pessimistisch und folgert, dass das Konzept des »appointment television«, das verlangt, zu einer festgelegten Uhrzeit zu Hau-

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Im Unterschied zu dem hier beschriebenen zeitgenössischen Zuschauerverhalten wird in Kelleys Ausstellung dem Betrachter jedoch das aktive Zappen abgenommen und durch das zentral gesteuerte Ablaufschema der einzelnen Videos vielmehr sein eigenes Konsumverhalten in überspitzer Form vorgeführt. Nicht nur wird das Zapping verräumlicht und damit der Knopfdruck durch die Bewegung des Ausstellungsbesuchers ersetzt, vielmehr entfällt prinzipiell auch die Entscheidung überhaupt das Programm zu wechseln. Dabei sind allerdings, auch dies im Unterschied zum tatsächlichen »Channel surfing«, das über die Grenzen einzelner Programme hinweg geht, die einzelnen Clips, wie eingangs beschrieben, jeweils abgeschlossen. Dieses Verfahren lässt sich zu einem bestimmten Grad in Analogie bringen zu Sergej Eisensteins sogenannter »Attraktionsmontage«, wobei die »Attraktion« für eine jeweils abgeschlossene Nummer der (  Theater-) Aufführung steht, über deren geballte Kombination immer neuer sensationeller Darbietungen und aggressiver, auf Schockeffekte abzielende Sinnesreizungen des Zuschauers dieser sich von überkommenden Kunstvorstellungen befreit und im Sinne einer revolutionären Entwicklung zum sozialistischen Menschen veränderbar werden soll. Kelleys Ziel wird zwar weniger die Erziehung zum Sozialismus gewesen sein, doch verbindet ihn mit dieser Technik die bewusste Steuerung von Erfahrung durch Montage, die es dem Betrachter nahezu unmöglich macht, eine »eigene Haltung zu dem auf der Leinwand Gesehenen einzunehmen« 279, sowie das Sich-Bedienen an Anregungen aus den verschiedenen Formen der populären Unterhaltungskultur, v. a. des Jahrmarkts.280 Zugleich obliegt dem Betrachter jedoch im Unterschied zur Situation im Theater – aber auch zur Fernsehcouch im heimischen Wohnzimmer – prinzipiell die Entscheidung, wann und wie er sich durch den Ausstellungsraum bewegt, ob er einzelnen Clips die volle Aufmerksamkeit widmet oder eher die Gesamtsituation auf sich wirken lässt. Ist dieses Prinzip der hier vorgeführten Reizüberflutung durchschaut, kann der Betrachter sich entsprechend reflektiert innerhalb der Situation verhalten.

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se zu sein, um ein bestimmtes Programm zu schauen, bald ( und der Text ist aus dem Jahr 2000 ) der Vergangenheit angehören wird. So die Kritik Tarkowskijs an Eisensteins Montagetechnik. Tarkowskij, Andrej : Die versiegelte Zeit, Frankfurt am Main  /  Berlin 2002, S. 126. Vgl. auch Rebentisch 2003, S. 173. Eisenstein bediente sich Elemente aus der Zirkuswelt und dem Varieté wie Drahtseilakte, Tanzvorführungen sowie die Einbindung von Filmsequenzen.

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»High Art as good as MTV« Der nahezu unvermeidliche Kommentar »Mike Kelley has finally made high art as good as MTV«, wie er in einer Kritik auf der Website artnet fiel,281 bringt die zweischneidige Situation, die Kelley dem Betrachter hier offeriert, klar zum Ausdruck – und nicht zuletzt auch die bittere Ironie seines künstlerischen Werdegangs. Dabei bietet Day is Done zunächst einmal ein sehr anschauliches, weil besonders drastisches Beispiel für das »demokratische Betrachterverständnis« des Künstlers : Wer will kann sich völlig einlullen lassen von dem auf den ersten Eindruck vorherrschenden, auf Sinnesreize abzielenden Spektakelcharakter der Gesamtsituation und darin liegt auch der scharfe Witz dieses Displays. Auf den ersten Blick scheint sich die von Benjamin Buchloh angesichts der Biennale in Venedig 2001, die auch zahlreiche Videoarbeiten zeigte, aufgestellte Diagnose zur zeitgenössischen Ausstellungspraxis auch hier widerzuspiegeln : »Exhibition value – the condition of the secularized modernist work as fully emancipated from cult value and myth – has been replaced by spectacle value, a condition in which media control in everyday life is mimetically internalized and aggressively extended into those visual practices that had previously been defined as either exempt from or oppositional to mass-cultural regimes, and that now relapse into the most intense solicitation of mythical experience.« 282

Zugleich bietet die Ausstellung bei Gagosian, die – und das ist durchaus entscheidend – im Unterschied zur Biennale eine Verkaufsausstellung ist, wiederum einen äußerst komplexen Unter- und Überbau, der erst im Detail sowie am Verhältnis der einzelnen Elemente zueinander und der zahlreichen in die Arbeit eingebauten Referenzen deutlich wird. Der »passiven Hinnahme«283  des multimedialen Spektakels wird somit auch in dieser Arbeit zugleich die Möglichkeit einer aktiven Rezeptionshaltung geboten, die eine physische wie geistige Beweglichkeit erfordert und den Showcharakter als maßgebliches Feature dieser Arbeit auszuhebeln vermag. Kelley begegnet dem – vom zeitgenössischen Betrachter und der Kulturindustrie bzw. dem Markt eingeforderten – Spektakel auf diese Weise mit einem Gegenspektakel, d. h. er schlägt metaphorisch gesprochen den Gegner mit seinen eigenen Waffen.284   Einerseits bietet Kelley der Galerie und dem Publikum damit genau das,

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Davis, Ben : »I want my Mike Kelley [ 2005 ]«, http://www.artnet.com/magazineus/reviews/ davis/davis11-16-05.asp  ( Abruf am 25.05.2013 ). Buchloh, Benjamin : »Control, by Design«, in : Artforum 40 /1 ( 2001), S. 163. Vgl. dazu Debord, Guy : Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996, S. 17. Vgl. Winfried Pauleits Auseinandersetzung mit dem Begriff der »Counter-Strategie« bzw. des »Counter-Cinema« bei Peter Wollen und Laura Mulvey. Pauleit, Winfried : »Riddle of

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was sie von ihm einfordern : eine Show, die im Sinne Adornos allen zeigt, was man hat und was man kann.285   Zugleich verfolgt er eine diesem Prinzip gegenläufige, von Verfremdungseffekten durchsetzte Strategie, in der nach wie vor der Wunsch nach veränderten Verhältnissen enthalten ist. Diese Doppelläufigkeit lässt sich wiederum auch in der Art und Weise des Displays nachzeichnen : Day is Done bleibt in seiner Präsentationsform bei Gagosian trotz seiner Theatralität formal und im Gegensatz etwa zu Ilya Kabakovs Entwurf der »totalen Installation« ein bespielter Galerieraum und kein »vollständig bearbeiteter Raum«, wie die Grunddefinition Kabakovs lautet.286   Dies wird besonders durch die offensichtliche Variabilität der einzelnen – und einzeln zu verkaufenden – Stationen ersichtlich, die dem ( d. h. insbesondere dem am Kauf interessierten ) Betrachter eine Dekonstruktion des Spektakels ermöglichen und die gebotene Situation nicht zuletzt herunterbrechen lässt auf ausgestellte Galerieware. Anders als in Kabakovs Installationen wird das betrachtende Subjekt daher nicht zwangsläufig vereinnahmt von der totalitären Vision des Künstlers und eines klar festgelegten Rezeptionsverhaltens.287

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the Sphinx – Die Arbeit von Laura Mulvey und Peter Wollen zwischen Counter-Strategie und Dekonstruktion«; in : Stemmrich, Gregor (  Hg.) : Kunst   /  Kino ( = Jahresring 48 ), Köln 2001, S. 177  ‒193. Adorno 2004, S. 166. Vgl. Kabakov, Ilya : »Zweite Vorlesung. Der Raum der totalen Installation«, in : Ders. : Über die »totale« Installation, Ostfildern 1995, S. 27 ‒ 36. Zur Differenzierung von Totalkunst und Gesamtkunstwerk vgl. Brock, Bazon : »Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Pathosformeln und Energiesymbole zur Einheit von Denken, Wollen und Können«, in : Ausst.-Kat. Der Hang zu Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800, Kunsthaus Zürich, 11.02. ‒  30.04.1983, Städtische Kunsthalle und Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 19.05. ‒10.07.1983, Museum Moderner Kunst, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, 10.09. ‒13.11.1983, Aarau 1983, S. 22  ‒ 39. Vgl. hierzu auch Pontégnie 2009, S. 8 : »Exhibited in the most prestigious art gallery of its day, that equivalence could suggest a certain fatalism toward the double role of art that overturns the dominant social structures at the same time as it supports it. But Mike Kelley shares with Bakhtin a more conception of the carnival, understood as an ambivalent event in which the spectator is also an actor, and destruction a source of creation. Day is Done espouses to the point of absurdity the forms adopted by the – academic, cultural, psychological – systems that condemn the individual to repetition. The distorting mirror that his work holds up to the languages it studies involves a respect essential for their understanding of effectiveness.«

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Mit seiner Ausrichtung auf Verkaufbarkeit und der Adressierung eines bestimmten Publikums unterscheidet sich Day is Done nicht nur ästhetisch, sondern auch konzeptuell maßgeblich von der früheren Uncanny-Ausstellung. Während Letztere eine quasi-kunsthistorische Position vertrat und einen scheinbaren Rollenwechsel Kelleys impliziert, handelt es sich bei Day is Done vielmehr trotz Bruch um eine klare Fortführung des eigenen Œuvres in neuem Ausmaß und neuen Medien, die – und das ist, wie gezeigt, durchaus entscheidend – aus einer völlig anderen Marktsituation des Künstlers als noch 1993 entstand. Kelley selbst beschreibt die Wirkung von Day is Done als »negative joy« und beharrt damit auf einer Fortführung seiner bisherigen Strategien. Doch verhält sich das Spiel mit den Reaktionen des Publikums in dieser Arbeit ambivalenter als zuvor. Dass es sich bei Day is Done trotz seines New Yorker Ausstellungsortes um ein Musical made in L.A. handelt, wird v. a. daran ersichtlich, dass es sich in seinen gigantischen Ausmaßen einschreibt in die – bezeichnenderweise von Kelley in seiner Arbeit Sublime noch kritisierten – Tendenz des immer Größerwerdens, wie sie sich etwa auch in den »large-scale-installations« seiner Künstlerkollegen Jason Rhoades oder Paul McCarthy an der Westküste der USA widerspiegelt.288   Ebendiese Entwicklung scheint sich quer zu Kelleys rhizomatischem Denken zu verhalten, da innerhalb der Netzstruktur, wie er sie in seinem Chart veranschaulicht, somit durchaus eine einem Fortschrittsgedanken verschriebene Hierarchisierung entsteht. Unvermeidlich wirft die Ausstellung daher die Frage auf, inwiefern die Wahl der Mittel nicht doch mit dem enorm gewachsenen Status Kelleys in der Kunstwelt zu tun hat und sich hier ein (tragisch endendes) Abhängigkeitsverhältnis von Produktivität, öffentlicher Präsentation und Verkauf darstellt.289   Ist Day is Done daher wirklich

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Anfang der 1990er Jahre bemerkte Kippenberger in seinem Interview mit Jutta Koether bezeichnenderweise, dass Kelley im Gegensatz zu den anderen Amerikanern ein »ein sehr ehrlicher Hippie« sei und sich eben gerade nicht »dieses superteure, effekthascherische Herstellungsprinzips« bediene, »das sehr teuer ist oder aufwendig und Hochglanz«. »Der macht die Sachen«, so Kippenberger weiter, »nicht größer als sie sind, was Amerikaner eigentlich sehr gerne machen. Er macht einfache Witze, die schön sind, lieb sind und also, glaube ich, identisch mit seiner Person, aber auch nicht verschlossen gegenüber dem, was um ihn rum passiert, deswegen kann er wahrscheinlich auch nur so was Kleines machen, relativ gesehen halt, viel Informationen halt, in Schmutzfarben. Das ist alles korrekt.« Kippenberger  /  Koether 1994, S. 182. Dementsprechend hebt Diederichsen in einem Nachruf hervor, dass Kelley, »[w ] enn er a [m] Fortschritt der künstlerischen Mittel teilhabe wollte, [ … ] dies nur könnte, wenn er auf der Höhe des Materialstands produziert; das aber nur könnte, wenn er [ … ] zum Unternehmer werden musste«. So aufwendige Arbeiten wie Day is Done konnte

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Kelleys »chicken dance around the artworld«, wie John C. Welchman behauptet, oder ist Kelley zu diesem Zeitpunkt nicht bereits vielmehr ein fester Teil der »artworld« geworden, sodass man eher noch von einem »chicken dance within the artworld« sprechen müsste ? Auch wenn Kelley selbst bis zum Schluss von einem »failure« bezüglich dessen spricht, dass gerade er so einen Erfolg in der Kunstwelt verzeichnen kann,290 ( und den man angesichts seines künstlerischen Anliegens und seiner politischer Haltung durchaus kritisch sehen kann,) so lässt sich nicht verleugnen, dass dieser Erfolg nicht unbedingt nur positiv auf seine Produktivität zurückwirkte.291   Das Bedienen der für die heutige Gesellschaft normal (oder normativ ? ) gewordenen Erlebnisorientiertheit lässt sich auf Anhieb und im Gegensatz zu früheren Ausstellungssituationen nur noch schwer von der Kritik an ihr trennen.292   Der Umstand, dass zu dieser Ausstellung ein Katalog entstand, der – für Gagosian typisch – in seiner Größe und mit dem hohen Anteil an ganzseitigen Farbabbildungen mehr einem coffee table book als einem herkömmlichen Ausstellungskatalog ähnelt und der aufgrund seines hohen Preises letztendlich nur einer gut betuchten Käuferschaft und Bibliotheken zugängig war, wirft berechtigte Zweifel auf, ja, lässt sich geradezu als Verrat an den eigenen Idealen deuten. Zudem erschienen eine Zusammenstellung der Videos sowie der Soundtrack separat auf DVD bzw. CD, sodass der Käufer sich in einer selbstgewählten oder vorgegebenen Reihenfolge Day is Done auch bequem von zu Hause aus auf einem Screen

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er demzufolge nur produzieren, wenn er sich den Anforderungen der Galerien und der Nachfrage der Museen beugte und zugleich selbst als Firma mit zahlreichen Mitarbeitern auftrat. Diedrich Diederichsen, in : Goetz, Rainald  /  Diederichsen, Diedrich : »mehr«, Videomittschnitt der Mosse-Lecture an der Humboldt-Universität zu Berlin, 02.05.2012, http://www.mosse-lectures.de/web/index.php/de/content/archive/SS12.html  ( Abruf am 10.12.2013 ). Laut Diederichsen kursierte in Folge der Finanzkrise der Witz, dass nur noch Kelley verlässlich einstellte, während alle anderen Kunstinstitutionen Personal entließen. Ebd. Kelley, in : Kinney, Tulsa : »Mike Kelley Goes Full Circle«, in : Artillery 6 (  2 012  ) , S. 38  ‒  43. Vgl. hierzu auch Emi Fontana in ihrem Nachruf auf Mike Kelley, in dem sie beschreibt, wie stark sich Kelley in den letzten Jahren seines Lebens verändert habe. »He was paying for his success«, so Fontana, »and it was coming at a very high price, especially for someone who had made failure his aesthetic.« Emi Fontana, in : »Mike Kelley. Ten Tributes«, frieze 146, April 2012, http://www.frieze.com/issue/article/mike-kelley-19542012-tentributes  ( Abruf am 10.12.2013 ). Vgl. hierzu auch Schulze, Gerhard : Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main  /  New York 1993, S. 36.

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angucken oder -hören kann. Insofern ist Kelleys Handeln auch in dieser Hinsicht als ein mit und gegen den Kunstmarkt zugleich zu begreifen, wobei seine Handlungsfreiheit als Künstler besonders im Vergleich zu früheren Ausstellungen, die ähnlich reaktiv entstanden, deutlich abgenommen hatte. Day is Done stellt in vielerlei Hinsicht ein extremes Beispiel dar. Dennoch wird hieran ein grundlegendes Problem des heutigen Ausstellens und damit einhergehend der Kunstproduktion im Allgemeinen deutlich : Eine Nicht-Ausstellung wie sie in den 1970er Jahren von Künstlern und avancierten Kuratoren noch als Mittel gegen die institutionelle und kommerzielle Macht eingesetzt wurde, erscheint heute zumindest an diesem fortgeschrittenen Punkt der Karriere eines Künstlers nicht mehr möglich. Die Kritik der Institutionen wie des Marktes hat ihre Einspeisung in ebendiese erfahren und wird dadurch nicht zuletzt in ihrer Aussagekraft geschmälert. Damit tritt an die Stelle einer vormals als institutionskritisch geltenden Kunst ein Prinzip des sich Verhaltens zu den gegebenen Bedingungen, das jedoch ohne ein Mithalten an die zeitgeistbedingten künstlerisch-technischen Standards und der von außen eingeforderten Produktivität nicht zu denken ist. Das Kandors-Projekt Bedingt dadurch, dass Kelley sich seit den frühen Stofftierarbeiten mit wiederkehrenden Themen wie dem Repressed Memory Syndrome und den Minor Histories beschäftigt, liegen beim mit dem Œuvre des Künstlers vertrauten Betrachter Urteile bezüglich der konzeptuellen Anlage und Ausführung der jeweiligen Arbeit bzw. Ausstellung sowie, unterstützt durch Kelleys Texte und Charts, ihrer Genealogie nahe. Die hieran deutlich werdende Gefangenheit im eigenen Œuvre und seinen Leitmotiven einerseits sowie die steigende Nachfrage von Seiten des Kunstmarktes andererseits werden noch deutlicher im Zusammenhang mit einem parallel angelaufenen Projekt, den Kandors. Trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede weisen diese einige Parallelen zu Day is Done auf und verschmelzen kurz vor Kelleys Ableben in zwei Ausstellungen mit Arbeiten aus der EARP-Serie zu einer Art MetaKunstwerk. Die sich im Kontext von Day is Done bereits abzeichnende Bestimmung seines Produktionsmodus von außen führt zunehmend dazu, dass Kelley vorrangig auf die Vermarktung durch Ausstellungen ausgerichtete Varianten bestehender Arbeiten produziert. Wendete er sich mit den Stofftierarbeiten noch bewusst gegen eine »commodification« von Kunst, wenn auch dies bereits innerhalb der Marktstrukturen, so drohen seine jüngsten Arbeiten nun endgültig ebendiesen Strukturen zu unterliegen und selbst zur gut verkaufbaren »commodity« zu werden. Kelleys Auseinandersetzung mit der aus dem Superman-Comic stammenden, fiktiven Stadt Kandor lässt sich ebenfalls bereits auf die Mitte der 1990er Jahre zu-

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rückführen, wie aus diesem Auszug aus dem zu Educational Complex erschienenen Text »Architectural Non-Memory Replaced With Psychic Reality« (1996 ) deutlich wird : »I find myself constantly thinking about the bottled city that Superman keeps safely stored in his Fortress of Solitude. Inside a bell jar is an entire city filled with living people from his home planet Krypton – a planet that has exploded. Krypton is the home that can never be returned, the past that can never be revisited. Yet there it is, shrunken to the size of a dollhouse – an ageless memento in real time. I wonder if the eternal Man of Steel ever feels desire to smash this city and finally live in the present. That would put a stop to the fear of ending up in the shuttered room.« 293

Die populäre Figur des Comic-Superhelden wird in Kelleys Lesart nun zum Sinnbild eines tragischen Closet Case, dessen sexuelle wie psychische Dimension in den verschiedenen Realisierungsformen seine zunehmend explizite Ausdrucksform findet. Die erste Realisierung findet das hieraus resultierende und stetig wachsende Projekt im Zuge von Kelleys Beteiligung an der Ausstellung Zeitwenden. Ausblicke im Jahr 2000 in Bonn, die sich den Jahrtausendwechsel zum Thema gemacht hatte. Für Zeitwenden entwickelt er ein Projekt mit dem Titel Kandor-Con 2000, dessen Hauptteil aus zwei Modellen der fiktiven futuristischen Stadt Kandor besteht [ Abb. 22 ]. »Wie im Comic dargestellt«, so Kelley, »befindet sich diese Stadt in einer geschrumpften Version unter einer Glasglocke in Supermans Festung der Einsamkeit – als permanente Erinnerung an seine Vergangenheit und Metapher für seine entfremdete Beziehung zu dem Planeten, den er gegenwärtig bewohnt.« 294 Mit dem Titel seines Beitrags bezieht Kelley sich auf den Begriff des »comiccon«, als Kurzform für Convention, wie die Zusammenkünfte von Comic-BuchSammlern in den USA genannt werden und deren Ästhetik er mit dem nüchternen Display dieser Arbeit aufgreift.295  Wegen mangelndem Budget konnten allerdings weder die von Kelley geplante »Kontaktaufnahme mit der großen Anhängerschaft der Superman-Comics über das Internet, um so bildliche Darstellungen zu

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Welchman 2004, S. 322. Künstlerstatement von Mike Kelley, in : Ausst.-Kat. Zeitwenden – Ausblick, Kunstmuseum Bonn, 04.12.1999  ‒  04.06.2000, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 20er Haus, k  / haus – Künstlerhaus Wien, 05.07. ‒  01.10.2000, hg. von Dieter Ronte, Köln 1999a, S. 160. Kelley, Mike : »Superman Recites Selections from ›The Bell Jar‹ and Other Works by Sylvia Plath ( With Reference to Kandor-Con 2000 ) [1999 ]«, in : Kelley  /  Welchman 2004, S. 234  ‒ 237, hier S. 234.

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Abbildung 22 : Mike Kelley, Kandor-Con 2000, 1999  –  2007, Multimedia-Installation mit Video, Ausstellungsansicht, Berlin, 2007

sammeln«296, noch die »Umsetzung dieser Darstellung in eine virtuelle Stadt durch Zugriff auf die aktuelle Architektur-Software, die durch das Internet zugänglich ist«297, realisiert werden. Kelleys Ziel, mit diesem Projekt die damals grassierenden Debatten über die Entfremdung durch das Internet aufzugreifen und in seinem Ausstellungsprojekt die physischen Grenzen des Ausstellungsraumes durch die interaktive Partizipation im Netz aufzubrechen und damit die Erweiterung des Erfahrungsraums dieser Arbeit ins Digitale bzw. Virtuelle, blieb daher unerfüllt.  »The project as a whole«, so Kelley, »then became a mirror of the failure of modernism’s vision of a technological utopia«.298   Auf großen Tafeln ist entsprechend zu lesen, dass Kandor-Con 2000  aus finanziellen Gründen ausfallen musste. Durch Grafiken werden die unrealistische Finanzierung dieses Projekts sowie sein eigener utopischer Charakter hervorgehoben. Dabei ist dieser Umstand auch als ein Scheitern an den Größendimensionen des eigenen Projekts zu sehen, mit dem Kelley sich einige Jahre später auch in Bezug auf sein letztes, zu Lebzeiten unrealisiert gebliebenes Projekt Mobile Homestead konfrontiert sah. Er traf mit seinen großangelegten Vorstellungen zunächst auf Widerstände, worin sich zugleich eine grundlegende Eigenschaft von Utopien, wie sie bereits im Zusammenhang mit Day is Done zur Sprache kamen, widerspiegelt.299

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Kelley 1999b, S. 160. Ebd. Ebd., S. 236. Am 11. Mai 2013 wurde das sogenannte »Mobile Homestead« vom Museum of Contemporary Art Detroit posthum eröffnet und dient im Sinne Kelleys heute als Community Centre mit Atelier in den Kellerräumen. Vgl. http://www.nytimes.com/2013/04/17/arts/ design/a-model-of-mike-kelleys-ex-home-as-art-in-detroit.html ?pagewanted=all&_r=0  ( Abruf am 25.05.2013 ).

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In der ersten tatsächlichen Realisierung des Kandor-Con in Bonn hängen an den Wänden verschiedene gerahmte Collagen der Comic-Städte, deren Kopien statt wie geplant von hunderten Comic-Fans von einem deutschen Sammler von Superman-Comics stammen.300   Zudem wird eine von Martin Middelhauve erstellte Computeranimation der Stadt projiziert. In der Mitte des Raumes stehen um das weiße, auf einem runden Podest aufgebaute und während der Ausstellungsdauer weiter wachsende Architekturmodell herum gruppiert zwei Arbeitstische stehen. Hinter ein Aufsteller mit Kandor-Aufschrift befindet sich zudem ein Screen, auf dem das Video Selections from the »Bell Jar« Other Works by Sylvia Plath (  With Reference to Kandor-Con 2000 ) (1999 ) gezeigt wird. Hierin liest eine als Superman verkleidete Figur Zitate aus Plath-Werken vor, in denen das Bild der Glasglocke vorkommt. Sie erhält in diesem Zusammenhang eine weitere Bedeutungsebene : die der Depression. Die Protagonistin des autobiografisch angelegten und einzigen Romans The Bell Jar (1963 ) der kurz nach dessen Veröffentlichung Selbstmord begehenden Sylvia Plath ist selbst eine angehende Schriftstellerin, die wegen Depressionen verschiedene Klinikaufenthalte über sich ergehen lassen muss und sich als unter einer Glasglocke gefangen beschreibt : »Wherever I sat – on the deck of a ship or at a street café in Paris or Bangkok – I would be sitting under the same glass bell jar, stewing in my own sour air.« 301   Und an anderer Stelle heißt es : »To the person in the bell jar, blank and stopped as a dead baby, the world itself is the bad dream.« 302 Bei Kelley, der in seinen jüngsten Arbeiten ebenfalls verstärkt Autobiografisches einfließen lässt, heißt es in Bezug auf die in seinem Video zitierten Plath-Auszüge : »Superman directs these lines to Kandor, the bell jar city that represents his own traumatic past, for he is the only surviving member of a planet that has been destroyed. Kandor now sits frozen in time, a perpetual reminder of his inability to escape that past and of his alienated relationship to his present world. For us, Kandor is an image of a time that never was – the utopian city of the future that never came to be.« 303

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Vgl. Kelley, Mike : »Kandors«, in : Ausst.-Kat. Mike Kelley. Kandors, Jablonka Galerie, Berlin, 29.09. ‒  22.12.2007, Museum Haus Lange und Museum Haus Esters, Krefeld, 13.03. ‒ 19.06.2011, Köln   /  München 2010, S. 53  ‒ 60. Plath, Sylvia : The Bell Jar [1963 ], London 1999, S. 195. Ebd. Kelley 1999b, S. 236.

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Angesichts der im selben Jahr im Rahmen der EAPR #1 (A domestic scene) ebenfalls aufgegriffenen Referenz auf den Freitod der Künstlerin304 und nicht zuletzt Kelleys eigenem Selbstmord in ähnlicher Manier zwölf Jahre später liegt es nahe, in ebendieser »alienated relationship to his present world« zugleich eine Allegorie auf das zeitgenössische Künstlerdasein zu sehen.305  Supermans »Festung der Einsamkeit« erschiene somit eben nicht nur als Inbegriff einer traumatischen Vergangenheit, sondern zugleich als Bild für den Verlust des Privaten innerhalb der zeitgenössischen Kunstwelt und der eigenen Entfremdung in Bezug auf die das Leben und Handeln des Künstlers maßgeblich beeinflussenden Regeln des Marktes. Durch den Verlust seines Zuhauses gilt der Superheld im Unterschied etwa zu dem bei Kippenberger eine Rolle spielenden Spiderman als ein »Champion of the oppressed« 306 – eine Bezeichnung, die sich durchaus auch auf Kelley und sein Œuvre beziehen lässt. Die Arbeit am Verdrängten wurde, und das wird sich im Zusammenhang mit den verschiedenen hiermit verbundenen Ausstellungsanalysen zeigen, auch Kelleys Aushängeschild, mit dem sich zunehmend auch das kaufkräftige Publikum gerne schmückte. Jürgen Trabant zufolge repräsentiert Superman die »ideale Maschine«, er »symbolisiert diese Entfremdung des Menschen von sich selbst« 307.  Der Superheld erklärt sich »zum absoluten Wert, indem er, totale Autorität, die nichts zuläßt als die unbedingte Übereinstimmung mit sich selbst, die Aura des Heiligen besitzt«.308  Zugleich dient er jedoch den Interessen seiner Produzenten, »die als Exponenten der herrschenden und besitzenden Klasse im spätkapitalistischen System falsches Bewusstsein etablieren müssen«.309   Kelley bewegt sich am Ende seiner Karriere genau auf der Grenze zwischen künstlerischer Selbstbestimmung und den Interessen seiner Produzenten bzw. Galeristen. Anders als beispielsweise Kippenberger erlaubte ihm und zwang ihn seine internationale Anerkennung zu einem Arbeiten in größerem Maßstab und zum Produzieren auf

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»The oven«, so Kelley, »acts as an associational lead-in to a fetishistic portrayal of a ghostly Sylvia Plath, who famously committed suicide by gassing herself.« Kelley, Mike : »Extracurricular Activity Projective Reconstruction #1 ( A Domestic Scene )«, in : Kelley  /   Welchman 2004, S. 238  ‒ 241, hier S. 240. Auch in Day is Done gibt es in dem Clip »Wood Group« eine Szene, in der eine als Zombie verkleidete Figur die sogenannte »suicide bridge« in Pasadena betritt. Trabant, Jürgen : »Superman – Das Image eines Comic-Helden«, in : Ehmer, Hermann K. ( Hg.) : Visuelle Kommunikation. Beiträge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie, Köln 1971, S. 251  ‒ 276, hier S. 255. Ebd., S. 260. Ebd. Ebd.

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Nachfrage. Zugleich steht die Verbindung von »ernster Literatur«, die nur bestimmten Zirkeln vorbehalten ist, und einer Comicfigur von weltweit größtem Wiedererkennungswert, mit der v. a. visuell argumentiert wird, wiederum paradigmatisch für Kelleys künstlerische Praxis – und, das muss man dazusagen, auch für eine bestimmte Richtung innerhalb der Kunst aus Los Angeles mit Vertretern wie dem in enger Verbindung zu ihm stehenden Paul McCarthy oder einem erst in den letzten Jahren einem internationalen Publikum bekannter werdenden Llyn Foulkes.310   Vergleichbar mit dem Format des Musicals bei Day is Done funktioniert die populäre Figur bzw. das Bild von dessen verbanntem Zuhause über das räumlich-akustische Erscheinungsbild wie ein Einstieg in die sich von hier ausgehend entwickelnde, komplexe Verweisstruktur, die jedoch bereits in sich gebrochen ist. Auch diese Arbeit argumentiert folglich auf mehreren Ebenen, die Kategorien wie high und low, unmittelbare visuelle und akustische Erfahrung und darüberhinausgehende Referenzen miteinander vermischen. Die Galerie als immersiver Erfahrungsraum ? Nach ihrem Verkauf an den Hamburger Sammler Harald Falkenberg wird KandorCon 2000 unter Beteiligung von Architekturstudenten 2007 in einem Projektraum in der Berliner Ackerstraße erneut gezeigt. Bezog sich die Arbeit ursprünglich auf die mit der Jahrtausendwende verbundenen Zukunftsvisionen, erscheint sie an diesem Ort viel stärker auf die städtische Entwicklung innerhalb Berlins abzuzielen und die Stadt als Baustelle ins Visier zu nehmen. So gewinnt Kandor-Con 2000 trotz seines utopischen Unterfangens in Berlin an Realitätsbezug. Die prozessuale, weil fortlaufend produzierende Dimension des Projekts wird hier nicht zuletzt dadurch verstärkt, dass dieser Raum als Nebenschauplatz seiner zeitgleich stattfindenden Einzelausstellung in der Jablonka Galerie fungiert und die zweite große Realisierung im Zuge seines Kandor-Projekts darstellt [ Abb. 23 ]. 311 Unter dem einfachen Titel Kandors schafft Kelley im Herbst 2007 gemeinsam mit einem extra dafür angereisten Aufbauteam parallel dazu in der Berliner Dependance der Jablonka Galerie eine laborartige Situation, die den gesamten Ausstellungsraum ausfüllt und wie schon Craft Morphology Flow Chart oder eben auch Day is Done verschiedene Präsentationstypen kombiniert. Im Unterschied zum

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Für Llyn Foulkes, der sowohl wiederholt Bilder von Mickey Mouse und Superman in seinen Reliefs verwendet, stehen diese Figuren allerdings ganz klar für das kapitalistische System. Kelley hatte 1989 seine deutschlandweit erste Ausstellung in den Kölner Räumen der Jablonka Galerie. Dort traf er u. a. auf Diederich Diederichsen. Vgl. Diederichsen, Diedrich  /  Koether, Jutta   /  Prinzhorn, Martin : »How we got to know Mike Kelley«, in : Ausst.Kat. Mike Kelley. Catholic Tastes, 1993, S. 199  ‒ 210.

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Abbildung 23 : Mike Kelley, Kandors, Ausstellungsansicht, Jablonka Galerie, Berlin, 2007

betriebsamen Kandor-Con 2000 wirkt dieses Szenario jedoch wie im laufenden Betrieb verlassen. Der nur über einzelne Projektionen und Screens heraus beleuchtete Raum ist durch verschiedenfarbige, skulpturale Elemente in einzelne Sektionen unterteilt, die über die so entstehende räumliche Struktur die Orientierung für die Bewegung des Ausstellungsbesuchers liefern. In Größe und Farbe variierende Gasflaschen stehen oder liegen auf dem Boden, auf Podesten werden phallushafte Miniaturstädte zum Teil unter handgeblasenen Glasglocken präsentiert, die über Schlauchleitungen mit den Flaschen verbunden sind. In Videoprojektionen an den jeweils nächstgelegenen Wänden werden diese Glocken wiederaufgegriffen. Eingetaucht in verschiedene Farben und abgefilmt mit verschiedenen Materialien in ihrem Inneren, die wie wirbelnde Gase wirken und über die von Scott Benzel mit Kelley entworfene Soundspur auch so klingen, erfüllen sie den Raum nicht nur mit einer akustischen Dimension, sondern zugleich auch mit einem Bewegungsmoment. Ergänzt wird das Ensemble mit an den Wänden angebrachten Lenticulars, 2D-Tafeln mit kontrastreichen und farbintensiven Comic-Ansichten der Stadt Kandor, die sich je nach Blickwinkel des Betrachters verändern und somit ausdrücklich die raumzeitliche Erfahrung der Ausstellung ins Display mit einbezieht. Sie entsprechen in den Motiven und Nummerierungen jeweils einem der Skulpturenensembles. Auf Augenhöhe an den Säulen des Raums sind kleine, altmodische Fernseher angebracht, die in Slow Motion und begleitet von sphärischen New-AgeSounds Kristallbildungen in Einmachgläsern zeigen und das Motiv von Bewegung als Veränderung in der Zeit wieder aufgreifen.312   Vier sogenannte Animations ( 2,

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Vgl. Aichinger, Eric : »Stadt der Zukunft von gestern [ 2007 ]«, http://www.artnet.de/ magazine/mike-kelley-in-der-jablonka-galerie-berlin  ( Abruf am 25.05.2013 ).

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6, 19, 20 ) zeigen auf Flachbildschirmen Computeranimationen der grafisch dargestellten Städte in der Flasche, die zudem mit einer Klangspur versehen sind. Die Städte werden wortwörtlich animiert, zum Leben erweckt. Ein stetiges, von den Projektionen ausgehendes Gurgeln und Zischen unterliegt dem Raum, das vermischt mit von Kelley komponierten, sphärischen Ambientsounds den Ausstellungsraum erfüllt. Neben der Farb- und Lichtgestaltung sowie den diversen Anleihen an modernistisches Design von Art Deco bis zu Memphis-Mustern ist es v. a. die akustische Dimension der Kandors, die bezogen auf die Architektur des Raumes in dieser spezifischen Ausstellungsituation ein synästhetisches Ganzes erzeugt. Wer den Raum betritt, befindet sich umgehend inmitten der von Kelley konstruierten Situation, die wie beim Display von Day is Done in der Gagosian Galerie für den Betrachter kein Außerhalb zulässt. Ungeachtet der Anzahl von Ausstellungsbesuchern, die sich im Raum befinden, ist auch hier jeder Einzelne auf sich gestellt, einen übergeordneten Zusammenhang der Exponate und ihrer verschiedenen Medien herzustellen und sich selbst darin zu verorten. »It’s a visual and acoustic tour de force«, heißt es beispielsweise in einer Kritik der Ausstellung, »a ghostly breathtaking spectacle that leaves gallery goers feeling as though they’ve landed on a different planet«.313   Die Ambientsounds sorgen dafür, dass die durchaus unheimliche Dimension der Kandors keine Überhand gewinnt und sich stattdessen eine Wohlfühlatmosphäre verbreitet. Sie lädt, wiederum im Unterschied zu einer Filminstallation, die eine bestimmte Zeitstruktur der Erfahrung vorgibt, zum selbstbestimmten Verweilen ein und unterscheidet sich damit ironischerweise gar nicht allzu sehr vom Anliegen der Muzak. Dieser Harmonie verbreitende Effekt findet sich auf der Ebene der Farbgestaltung wieder. Auch die Größe, Form und Proportionen der Skulpturen sind auf Harmonie bedacht.314   Hochwertige Materialien wie Edelholz, Edelstahl und handgeblasenes Glas konterkarieren die auf oberflächliche Effekte abzielende Pop-Ästhetik der Comic-Elemente. Für seine Umsetzung der zweidimensionalen Comic-Stadt in eine Ausstellung wollte Kelley, so heißt es ihn zitierend in einer Rezension, die Farbqualitäten von Henri Matisse erreichen, »but in three-dimensional form«.315  In Matisses für diesen Aspekt zentralem Essay »Notizen eines Malers« (1908 ) heißt es : »Sind alle Beziehungen unter den Tönen einmal gefunden, so muß daraus ein lebhafter Farbzusammenklang entstehen, eine Harmonie, ähnlich derjenigen einer musikalischen

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Liebs, Holger : »Mike Kelley«, in : frieze 112, Januar-Februar 2008, www.frieze.com/issue/ review/mike_kelley2  ( Abruf am 10.12.2013 ). Aichinger 2007. Liebs 2008.

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Komposition.« 316   Somit ist die synästhetische Komponente, und hier kommen gleichermaßen die utopischen Farbexperimente Aleksander Skrjabins ( wenn auch in umgekehrter Form ) wieder ins Spiel, bereits in der Farbkomposition der ausgestellten Objekte selbst gegeben, die wie oben beschrieben wiederum zum Teil zusätzlich mit Sound ausgestattet sind. Die Farbe, so Matisse, müsse dem »Ausdruck« dienen und dränge sich ihm »in instinktiver Weise auf«. Seine Farbwahl unterliegt also keiner wissenschaftlichen Theorie, sondern entspricht vielmehr seinen Empfindungen. Sein Traum ist eine Kunst »des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe ohne beunruhigende oder sich aufdrängende Gegenstände, von einer Kunst, die für jeden Geistesarbeiter, für den Geschäftsmann so gut wie für den Literaten ein Beruhigungsmittel ist, eine Erholung für das Gehirn, so etwas wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich von physischen Anstrengungen erholen kann.« 317

Diesen Lehnstuhl allerdings, von dem Matisse an dieser viel zitierten Stelle spricht, bietet Kelley nicht. Auch die Kandors sind erst einmal v. a. Spektakel. Und dort kann, wie es Guy Debord in Die Gesellschaft des Spektakels ausgeführt hat, der Zuschauer sich per se nie zu Hause fühlen.318   Vielmehr beruht der hier beschriebene Eindruck, beim Betreten des Ausstellungsraumes in eine andere Welt einzutauchen, auf einem Umstand, der sich mit dem Begriff der fiktionalen Immersion umschreiben lässt.319   Der Kritik zufolge schafft die Ausstellungsituation somit über ihre akustischen und visuellen Reize ein Eintauchen in eine fiktive Welt, die sich durch die Art ihrer Konstituierung im Ausstellungsraum über den realen Raum legt und diesen vergessen lässt. Dies hätte wiederum eine Fiktionalisierung des Betrachters zur Folge, der sich durch diese Erfahrung der realen Welt entfremdet fühlt und damit dem Kabakov’schen Konzept der totalen Installation nahekäme. Bei ihm heißt es : »Man darf nicht vergessen, daß diese Wände uns nicht nur von der Außenwelt ( der Welt des Museums, der Galerie ) trennen, sondern zugleich auch den Rand der eigenen Welt der Installation darstellen, die immer in der Rolle eines vollständigen Universums auftritt, eines vollständigen, in sich geschlossenen Modells der Welt.« 320

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Matisse, Henri : »Notizen eines Malers [1908 ]«, in : Ders. : Über Kunst, Zürich 1982, S. 64   ‒ 77, hier S. 73. Ebd., S. 75. Vgl. Debord 1996, S. 26. Vgl. Voss, Christiane : »Fiktionale Immersion«, in : Montage 17/2 ( 2008 ), S. 69  ‒ 86. Kabakov 1995, S. 27.

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Doch auch in dieser Arbeit belässt Kelley es nicht beim vollen Eintauchen des Betrachters in die dargebotene Situation, sondern evoziert wiederum eine reflexive Durchbrechung. Die stilisierte Liege im Eingangsbereich der Galerie verweist auf eine tieferliegende psychologische Dimension des zunächst scheinbar vorrangig auf Unterhaltung abzielenden Displays.321   Auch nimmt die phallische Gestalt der Städte ihrem poppigen Erscheinungsbild schnell ihre Unschuld. Zwar bilden die Kandors kein Gegenspektakel wie Day is Done, aber auch bei ihnen arbeitet Kelley auf mindestens zwei Ebenen und spielt über die komplex angelegte Verweisstruktur mit den Potenzialitäten in der Rezeption. Entscheidend ist, dass sich auch diese Ausstellung ganz eindeutig in einzelne Verkaufseinheiten einteilen lässt. Auch hier sind die ausgestellten Objekte nicht einer klassischen Galeriepräsentation entsprechend durch externe Leuchtkörper beleuchtet und als einzelne Objekte herausgestellt,322  vielmehr generiert sich ihre Rezeption durch die von ihnen ausgehende Gesamtsituation und Atmosphäre. Diese läuft dem grundsätzlichen Anliegen von Galerien – eben Kunst zum Verkauf zu präsentieren – ähnlich wie Day is Done zunächst einmal zuwider. Zugleich lassen sich die hier präsentierten Arbeiten für ein einigermaßen geschultes Auge jedoch leicht in einzelne »sculptural stations« dekonstruieren, die sich sehr gut verkaufen ließen. Auch die Tatsache, dass die Betreuung der Produktion der in ihren Maßen jegliche Standards überschreitenden Glocken in der Tschechischen Kavalier Glasfabrik in Sázava dem Glaskünstler Charles Parriott oblag, gibt Aufschluss darüber, wie weit Kelley sich inzwischen sowohl von der Ästhetik als auch von der konzeptuellen Aussagekraft seiner mit ihm nach wie vor primär in Verbindung gebrachten Stofftierarbeiten unterscheidet. In seinem erläuternden Text bemerkt Kelley, dass »[t ] he finished vessels, are, to my knowledge, the largest ones ever produced in this manner«.323 Holger Liebs spricht in seiner Besprechung der Kandors-Ausstellung sogar von

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Vgl. Aichinger 2007. Vgl. Boris Groys zur Ästhetik von Filminstallation : »Früher war das museale Licht eindeutig das symbolische Eigentum des Betrachters : In diesem Licht hat er das Werk gesehen. Jetzt wird das Licht zum Teil des Werks – und wird somit vom Künstler kontrolliert und gestaltet. Der Blick des Betrachters wird dieser Lichtgestaltung unterworfen. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Verschiebung der Macht über die Lichtbedingungen der Bildbetrachtung und somit um die Verschiebung der Sichtbarkeit, um eine neue Kontrolle über den Blick des Betrachters seitens des Künstlers, die noch viel zu wenig reflektiert wird.« Groys, Boris : » … in der Autonomie des Betrachters«, in : Schnitt 22 / 2 ( 2001), S. 10  ‒14, hier S. 10. Kelley 2010, S. 55.

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einem »million-dollar-production budget« 324. Die Kandors spielen zwar auf andere Art und Weise als Day is Done mit verschiedenen visuellen und akustischen Elementen, die das Potenzial haben, eine immersive Erfahrung zu evozieren, doch erzeugen sie auch hier keineswegs eine vollständig in sich geschlossene Welt. Trotz ihres durchaus kritischen Potenzials über die leitmotivische Glasglocke bedient Kelley mit dieser Ausstellung eindeutig den Kunstmarkt. Anhand des weiteren Ausstellungsverlauf der Kandors einschließlich der sich hieraus ergebenden Satellitenprojekte wird im Folgenden Aufschluss deutlich werden, wie sich kommerzielle Anliegen zu den künstlerisch-ästhetischen verhalten und welche Veränderungen in der Erfahrung dies zur Folge hat. Nachfolgende Ausstellungsvarianten und Satellitenprojekte Auf die in der Jablonka Galerie komplett ausgestellte erste Auflage der Kandors folgt die Produktion einer damit identischen zweiten. Lenticulars, Cities und Animations wurden in einer Auflage von fünf produziert, wobei die Nummerierung der Lenticulars zwar mit denen der Kandors korrespondiert. Dennoch wurden alle Arbeiten auch einzeln verkauft. Anders als beim Multiple, das in höherer Auflage produziert und dem durch seinen verhältnismäßig geringen Preis ein Demokratisierungsvermögen zu gesprochen wird, sind diese Auflagenobjekte keineswegs besonders preisgünstig und vielmehr als Reaktion auf die hohe Nachfrage unter Sammlern und Museen zu verstehen. Schon mit Beuys’ Vitrinen deutete sich dieser Trend zur Ökonomisierung der Kunstproduktion an – auch wenn hier noch klar von der eigenen künstlerischen Ideologie geprägt ‒, der v. a. mit den Ausstellungskonzeptionen von dessen Zeitgenossen Andy Warhol in aller Konsequenz vorangetrieben wurde. In den 1990er Jahren ist diese marktorientierte Kopplung von Nachfrage und Produktion zu einem allgegenwärtigen Phänomen geworden, wie etwa Kippenbergers Dreifach-Ausstellungen unter Bezugnahme auf Jeff Koons gezeigt haben. Walter Benjamin spricht in seinem, auch in diesem Kontext relevant erscheinenden Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« von zwei polaren Akzenten, mit denen die Rezeption von Kunstwerken erfolgt : dem des Kultwerts und dem des Ausstellungswerts. Letzteren begreift er als Bestandteil einer demokratischen Ästhetik. Dabei gilt : »Mit den verschiedenen Methoden technischer Reproduktion des Kunstwerks ist dessen Ausstellbarkeit in so gewaltigem Maß gewachsen, daß die quantitative Verschiebung zwischen seinen beiden Polen ähnlich wie in der Urzeit in eine qualitative Veränderung

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Liebs 2008.

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umschlägt.«325   Der Ausstellungswert der Kandors, also das, was ihre Rezeption innerhalb dieses spezifischen Kontextes auszeichnet, weicht im Kontext dieser Galerieausstellung jedoch vielmehr – und damit greife ich Adornos Kritik an Benjamins im Kunstwerke-Aufsatz vertretene These auf – einem Produkt des Marktes.326 Denn auch die Kandors wurden nicht von vornhinein auf eine einmalige Präsentation hin produziert, sondern bereits in der Produktion auf Verkäuflichkeit ausgerichtet. Der Verkauf sorgte folglich für die Zerstreuung der Bestandteile, was in der Folge zu einem breiten Variationsspektrum an unterschiedlichen Ausstellungsdisplays der mit dem Kandors-Projekt assoziierten einzelnen Arbeiten führte. Dies konnte etwa zu Einzelpräsentationen eines Skulpturensembles wie beispielsweise von Kandor #6 im Kölner Museum Ludwig führen, das hier nun als eigenständiges, singuläres Kunstwerk in die Sammlung Eingang fand, ohne Verweis auf den übergeordneten Zusammenhang, aus dem es ursprünglich stammte. Es führte aber auch zu Reinszenierungen bzw. Neuinszenierungen einer Gruppe von Kandors bezogenen Arbeiten und damit einhergehend auch zu unterschiedlichen Erfahrungsmodi. Auf der 7. Shanghai Biennale mit dem Thema Translocalmotion etwa wurde 2008 innerhalb einer eher messeartigen Situation Kandor-Con 2000  in einer aktualisierten Fassung gezeigt. Eine Auswahl von sieben, zu dem Zeitpunkt bereits auf unterschiedliche Sammlungen verteilten Kandors ( die Nummern 1, 4, 6, 13, 15, 17 und 20 ) fand auf der 55th Carnegie International Life on Mars in Pittsburgh 2008 eine zweite umfangreiche Präsentationsform. In der Skulpturenhalle des Carnegie Museum of Art mit seiner an die Cella des Parthenon angelehnten Architektur aus weißem Marmor mit Kassettendecke und rundherum geführtem zweigeschossigem Säulengang war die Anordnung und Erfahrung dieser Arbeiten eine grundsätzlich andere : Aus dem abgedunkelten, laborartigen Galerieraum wurden die Exponate nun in einen strahlend weißen, an das innerste Heiligtum des Parthenon angelehnten Ausstellungsraum verlagert, der ursprünglich für die Präsentation der hauseigenen Gipsabgusssammlung antiker Skulpturen entworfen und genutzt wurde. Zwar wurden auch hier die Fenster abgedunkelt, doch blieb die Erhabenheit der Architektur dennoch erhalten. Von dem balkonartigen oberen Säulengang, der heute für die Exponate aus dem Bereich der dekorativen Künste genutzt wird, war zugleich ein Blick von oben und vergleichbar mit Kippenbergers Präsentation des The Happy End in Kopenhagen über die

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Benjamin, Walter : Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [1935 ], Frankfurt am Main 1963, S. 18  ff. Bei Adorno heißt es unter Bezugnahme auf Benjamins These : »Der ›Ausstellungswert‹, der da den auratischen ›Kultwert‹ ersetzen soll, ist eine imago des Tauschprozesses.« Adorno 1970, S. 73.

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Draufsicht eine neue Perspektive auf die Ausstellungssituation der Kandors geboten. Zugleich kann das Verhalten der anderen Ausstellungsbesucher hier von der Empore aus in einer quasi-panoptischen – und d. h. in diesem Fall der eigentlichen Ausstellungsituation entzogenen – Perspektive beobachtet werden. Gab es in der Jablonka Galerie bis auf den Bereich hinter dem Empfangstisch kein Außerhalb des Ausstellungsdisplays, sind hier die Grenzen vielmehr durch den Säulengang architektonisch markiert. Nur die Projektionen der Gasflaschen sind auf die Wände des Raumes ausgerichtet und beziehen so den ansonsten unbespielten Säulengang mit in die Ausstellungssituation ein. Dennoch erscheinen die einzelnen Ensembles der Kandors hier vielmehr isoliert, wirken innerhalb des freien Feldes der Halle im Vergleich zu der Berliner Situation wesentlich symmetrischer in ihrer Anordnung und fügen sich nicht wie zuvor zu einem Gesamtensemble zusammen, in das der Betrachter zwangsläufig voll und ganz eintaucht. Die Konzentriertheit der Situation mit ihrem Farb- und Soundspiel verliert sich hier stärker in der Architektur, die zwar durch die Projektionen in das Farbspektrum der Kandors eintaucht, aber durch die Raumhöhe sich auch stärker nach oben hin öffnet. So handelt es sich hierbei nicht einfach um einen erneuten Aufbau der Arbeiten, sondern um einen völlig anderen Erfahrungsmodus, der zum einen formal durch die Auswahl der Kandors und zum anderen durch den architektonischen Rahmen und damit einhergehend den gegebenen institutionellen Kontext bestimmt ist. Es sind de facto einfach nicht dieselben Exponate wie in der Präsentation bei Jablonka, doch im Unterschied etwa zu der Day is Done-Präsentation in Wiels auch nicht einfach Satellitenobjekte. So wie es im Superman-Comic keine zwei gleichen Abbildungen der Stadt Kandor gibt, wird auch jeder Aufbau der Kandors von den vorangegangenen variieren. Folglich wird es mit der Zeit immer wieder neue Fassungen geben, deren Relation zueinander sich stetig – auch retrospektiv – neu ausrichtet. Der Kandors-Komplex steht somit in formaler Analogie zur Stadt Kandor innerhalb der Comics, von der es keine standardisierte Form gibt, er ist gleichermaßen »a ghostlike continuous morphand, unless its motion was stopped, its individual facets would not be discernable to the viewer«.327 Zudem gibt es abgesehen von den verschiedenen Präsentationsformen der Kandors in Folge der Jablonka-Ausstellung eine Reihe von Satellitenprojekten dieses Werkkomplexes, die für unterschiedliche Ausstellungssituationen sowohl im kommerziellen wie nichtkommerziellen Bereich entstanden. Die Ausstellung selection from kandors in der Pariser Galerie Ghislaine Hussenot im September 2009 etwa macht schon im Titel klar, dass es sich nur um eine Auswahl eines größeren Werkkomplexes handelt, wobei ebendiese Auswahl hier bereits um neue Elemente

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Kelley 2010, S. 54.

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Abbildung 24 : Mike Kelley, Kandors Full-Set, 2005 – 2009, 21 Städte; gefärbter Urethanharz, 21 Flaschen aus handkoloriertem Pyrex-Glas, 18 Flaschenstopfen : 10 Figuren aus Silikongummi und 8 aus gefärbtem Urethanharz; 6 Sockel; MDF, Holzfurnier, Plexiglas und Beleuchtungskörper, 20 runde Podeste; MDF, Holzfurnier, gehärtetes Glas und Beleuchtungskörper, Gesamtmaße variabel, Maße der Teile variieren

ergänzt wurden : In einem separaten Raum werden die vier aus der 2007er Ausstellung stammenden Videoarbeiten mit den 60-minütigen Loops The Icy Crystaline Depths of Merwaif Grotto, Below the Polar Crust, The Lugubrious Pastel Joys of the Candy-Froth Dolphin Portal, The Spuming Citrus Cavers of the Valley of Ebullience und The Crawling Saffron Slimes of the Unicorn Consort of Satyr Mountain auf speziell dafür entworfenen grauen Felsbrocken aus Kunststoff gezeigt. Im Berliner Schinkelpavillon erfahren diese Arbeiten drei Jahre später eine Einzelpräsentation. Im Winter 2010 werden dort kurz vor der Schließung der Berliner Dependance der Jablonka Galerie unter dem einfachen Titel Mike Kelley ebendiese vier Videoarbeiten samt der Kunststofffelsen als eigenständige Ausstellung gezeigt.328   Diese sind innerhalb des rundumverglasten, oktogonalen Pavillons wie ein Viereck zueinander positioniert, wobei Kelley die Bildschirme jeweils weg von der Mitte hin zu den Fenstern ausrichtete. Die auf Wunsch des Künstlers auf die Dämmerung beschränkten Öffnungszeiten des Ausstellungsraumes, dessen Direktorium Künstler dezidiert dazu auffordert, in ihren Arbeiten auf den Raum einzugehen, geben auch hier den Erfahrungsmodus dieses Werkensembles klar vor. Der ganz von den sphärischen Sounds der Loops erfüllte Raum erhielt hiermit im Gegensatz zu seiner von Transparenz getragenen Wirkung bei Tageslicht einen höhlenartigen, fast intimen Charakter. Im Pressetext der Ausstellung findet die Verbindung zu den Kandors keine ausdrückliche Erwähnung, vielmehr ist einfach die Rede von einer

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Die Ausstellung lief vom 6. Februar bis 27. März 2010.

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»Videoinstallation des Künstlers Mike Kelley aus dem Jahr 2009«.329   Diese wird jedoch bei einer erneuten Ausstellung der Kandors in Krefeld 2011 wieder eindeutig in diesen Kontext eingegliedert. Gänzlich unabhängig von der Jablonka-Ausstellung wiederum zeigt der französische Kunstsammler François Pinault während der Biennale 2009 in der Punta della Dogana am Canal Grande im Rahmen seiner Eröffnungsausstellung Mapping the Studio : Artists from the François Pinault Collection die ebenfalls thematisch eng mit den Kandors verwandte Arbeit Kandors Full Set ( 2005  ‒ 2009 ) [ Abb. 24   ]. Die 21 handgefärbten Flaschen, acht Flaschenstöpsel und 21 Städtemodelle aus Kunstharz waren in geometrischer Anordnung ausgerichtet auf den architektonischen Kontext auf gleichhohen, schlichten dunklen Podesten präsentiert, wobei die der Städtemodelle zylinderförmig und die der Flaschen rechteckig gestaltet sind und jeweils von unten beleuchtet werden. Auch hier ist der Erfahrungsmodus klar vorgegeben : Sie sollen in völliger Dunkelheit betrachtet werden, sodass sich von den verschiedenen Betrachterstandpunkten aus die Farben und Spiegelungen der einzelnen Skulpturen überlagern und so einen »rainbow of visual effects« 330 ergeben. War in den vorangegangenen auf die Kandors bezogenen Ausstellungen stets der Sound ein wesentlicher Bestandteil der Displaysituation gewesen, liegt der Fokus hier nun eindeutig auf der rein visuellen Wahrnehmung der Form- und Farbgebung der Flaschen und Städteformationen. Es werden weniger Sinne auf einmal angesprochen zugunsten der Konzentration auf den Sehsinn.331   Zwar steht

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Vgl. Pressetext der Ausstellung. Kelley 2010, S. 60. Wobei, wie Bazon Brock konstatiert, »[d ] ie Geschichte des Konzepts ›Gesamtkunstwerk‹ mit der Entdeckung verbunden ist, daß jede Wahrnehmungsaufgabe – also auch eine monomediale Malerei, Plastik, Graphik oder Musikkomposition – immer zugleich alle sinnlichen und intellektuellen Wahrnehmungen stimuliert. Die Auffassung, daß Malerei nur das Auge, Musik nur das Ohr, Plastik nur den Tastsinn, Architektur nur den Raumsinn stimuliere, entspricht nicht den tatsächlichen Vorgängen in der menschlichen Wahrnehmung. Die historisch entstandene Spezialisierung der Gattungen wollte die Wahrnehmungsaktivitäten unnatürlich vereinzeln und kanalisieren, um so die einzelnen sinnlichen und intellektuellen Wahrnehmungsleistungen zu steigern.« Brock 1983, S. 25. Da aus Zeit- und Platzgründen 2007 in der Jablonka Galerie nur zehn von ursprünglich 20 anvisierten Kandors-Versionen realisiert und ausgestellt werden konnten, arbeitete Kelley, »mit beträchtlich veränderten Gestaltungsansatz«, so ist es seinen schriftlichen Äußerungen zu diesem Projekt zu entnehmen, fortwährend daran, das Set zu vervollständigen. Das Kandors Full Set ist zusätzlich zu diesem Bestreben nach Vollständigkeit entstanden und enthält, wie der Titel besagt, ein davon losgelöstes vollständiges Set der 20 Kandor-Flaschen.

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diese Arbeit eindeutig im Zusammenhang mit dem Kandors-Projekt, doch handelt es sich hierbei ebenso eindeutig um ein eigenständiges Kunstwerk. So ergibt sich eine Verkettung von einzelnen, thematisch aufeinander bezogenen Ausstellungssituationen, die sich zu einem imaginären Ganzen zusammenfügen lassen, bisher jedoch nie als solches in Erscheinung getreten sind und es in der Form wohl auch nie werden. Reinszenierung Die 2011 in den direkt nebeneinander stehenden, von Mies van der Rohe entworfenen Krefelder Backsteinvillen und heute als Museum genutzten Haus Lange und Haus Esters eröffneten Ausstellung Mike Kelley. Kandors – multimedialer Werkzyklus : Objekte, Installationen, Videoprojektionen lässt sich noch am ehesten als der Versuch einer Reinszenierung der Ausstellung in der Jablonka Galerie begreifen, auch da hierzu 2010 – also zwischen den beiden Laufzeiten – ein ausdrücklich für beide Ausstellungen geltender Katalog von Rafael Jablonka herausgegeben wird. Dieser Katalog enthält neben einem das Kandors-Projekt erläuternden Text von Mike Kelley einen umfangreichen Abbildungsteil mit Installationsansichten und Nahaufnahmen einzelner mit den Kandors assoziierten Arbeiten, einschließlich derjenigen aus der Pinault-Sammlung, dem Schinkelpavillon und dem Carnegie Museum und führt somit visuell wie sprachlich alle bisherigen Realisierungen in einem Buch zusammen. Bis auf wenige Ausnahmen stimmen die Exponate in Krefeld mit denen in Berlin 2007 überein, nur Kandor #6 fehlt aus mangelnder Verfügbarkeit ganz, die Auswahl der beiden Cities ist nicht ganz identisch ( statt 5 und 15 hier nun 00 und 15 ) und die einzelnen Skulpturen variieren zum Teil in ihren Auflagennummern. Die hier ausgestellten Kandors bestehen aus Gründen der Verfügbarkeit fast ausschließlich aus der inzwischen kompletten zweiten Auflage. Es handelt sich daher tatsächlich um andere Kunstwerke als die, die 2007 zu sehen waren, auch wenn sie formal identisch sind. Die Videobildschirme mit den Kristallisierungsprozessen sind durch ihre zuvor im Schinkelpavillon gezeigte, aktualisierte Fassung der Crystal Rocks ersetzt und gliedern somit wie bereits angedeutet ein ›Nebenprojekt‹ ausdrücklich in diesen Ausstellungskontext mit ein – zumindest für die Dauer der Laufzeit. So entsteht bereits hierüber auf der Ebene der Exponate eine Verschiebung, die auch hier eine exakte oder, mit Deleuze gesprochen, mechanische Wiederholung der Ausstellung von 2007 unmöglich macht.332   Auch durch die

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Zu den Stichworten Wiederholung und Display vgl. auch den Unterpunkt »Beuys posthum« im Beuys‐Kapitel, S. 95 ‒  1 04, den Unterpunkt »›The Happy End of Franz Kafka’s Amerika‹ – Ausstellung und   /  oder Kunstwerk?« im Kippenberger‐Kapitel,

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architektonischen Bedingungen ergeben sich wie zu erwarten hier völlig neue Ausstellungsituationen. Der augenscheinlichste Unterschied zu der Berliner Ausstellung liegt in der Aufteilung auf zwei Häuser, wobei im Haus Esters nur die aus fünf ineinander übergehenden Räumlichkeiten im Erdgeschoss, im Haus Lange sowohl das vergleichbar aufgeteilte Erdgeschoss als auch die sechs, überwiegend separat zugänglichen Räume im ersten Stock bespielt werden.333   Verteilt auf die beiden Erdgeschosse sind die Kandors, Lenticulars, Cities und Crystal Rocks zu sehen, während letztere jeweils in Zweierpaaren in dem rechten Eckraum der beiden Häuser aufgestellt werden. Sie erzeugen damit auch hier eine durch den Sound verstärkte Intimität. Die zu den Kandors gehörigen Videos werden räumlich getrennt von den skulpturalen Arbeiten im ersten Stock des Hauses Lange überwiegend in diametraler Anordnung von zwei Flaschenprojektionen in einem Raum gezeigt.334   Dies hat nicht nur eine strikte Unterteilung der Ausstellung in einzeln zu betrachtende Arbeiten zur Folge, sondern auch eine sich von der Berliner Ausstellung erheblich unterschiedene Sounddimension. So sind es in den beiden Erdgeschossen neben den New-Age-Klängen der Crystal Rocks lediglich die Flachbildschirme mit den Flaschenanimationen, die schreiende, atmende oder nörgelnde Klänge von sich geben, während die Räume im oberen Geschoss des Hauses Lange mit den lauten, wirbelnden Sounds der Flaschenprojektionen erfüllt sind, die hier in ihrer unterschiedlichen Gestaltung besonders deutlich hervortreten. Die sonst lichtdurchfluteten Räume sind abgedunkelt, die Rollos, wo vorhanden, heruntergelassen. Von außen wirken die Häuser durch die verdunkelten Fenster verlassen, der Blick in die ebenfalls von Mies van der Rohe konzipierten Gartenanlagen der Häuser ist versperrt. Auch hier ist der gesamte gegebene Raum mit in das Display der Kandors mit einbezogen,335 doch bleibt durch die Aufteilung in die verschiedenen Räume, den besonders im Haus Lange dazwischen liegenden Fluren und dem Treppenhaus immer auch wieder die Möglichkeit, aus der Situation herauszutreten bzw. bewusst in sie einzutreten. Die einzelnen Ensembles können hier viel stärker jeweils

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S. 159 ‒ 178, sowie das Unterkapitel »Die Ausstellung als Wanderzirkus« im Pernice‐ Kapitel, S. 374  ‒ 387. Das Museum hatte ursprünglich vorgehabt, die Ausstellung nur in einem Haus zu zeigen. Dies hätte aber zu großen Einschränkungen bei Anzahl der gezeigten Exponaten geführt ( E-Mail von Mike Kelleys Assistentin Mary Clare Stevens vom 25.05.2011). #3 und #4, #7 und #17, #1 und #20; #13, sowie #15 und #5 wurden jeweils in separaten Räume gezeigt. Kelley arbeitet bei der Vorbereitung der Ausstellung mit Modellen und Fotografien der Häuser, um auf ihre Maße sowie Licht- und Soundverhältnisse bestmöglich eingehen zu können.

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für sich rezipiert werden, kommen in ihrer jeweiligen formalen Beschaffenheit deutlicher zur Geltung, gehen dafür aber auch nicht so sehr ineinander über. Die Entgrenzung der einzelnen Kunstwerke hin auf ihr Gesamtensemble, wie es in der Jablonka-Ausstellung der Fall war und von den Kritikern durchweg als herausstechendes Qualitätsmerkmal der Ausstellung beschrieben wurde, ist auch hier nur noch in abgeschwächter Form gegeben. Die Erfahrbarkeit der inneren Relationalität der einzelnen Exponate im jeweiligen Displaykontext ist somit maßgeblich mitbestimmt durch die äußere Rahmung, d. h. den physischen Behälter ihrer Präsentation. Mit jeder Auswahl und Konstellation von Objekten aus dem KandorsProjekt ergibt sich eine Verschiebung. Dieser Effekt tritt hier stärker als etwa bei den verschiedenen Varianten von The Happy Ends zum Vorschein, da Letzteres immer noch durch den Kunstrasen ihre eigene »Rahmung« mit sich bringt. War das »freie Flottieren« der Objekte bei Kippenberger zu Lebzeiten v. a. dem Umstand geschuldet, dass er aufgrund des mangelnden Verkaufs auf die Arbeiten nach wie vor zugreifen konnte, sie also wieder zu seinem künstlerischen Material machen konnte, hängen die Neukonstellationen bei Kelley vielmehr von der jeweiligen institutionellen Verfügbarkeit der Arbeiten und damit einhergehend auch von den Budgets der ausstellenden Institutionen ab. Im Begleitheft der Krefelder Ausstellung wird von den Kandors als einem »Werkzyklus« gesprochen. Hiermit wird klassischerweise eine Reihe inhaltlich zusammengehörender Kunstwerke bezeichnet, wobei ein Zyklus generell periodisch wiederkehrende, zueinander in Beziehung stehende Ereignisse oder Prozesse benennt. Doch was genau kehrt bei den hier vorgestellten Ausstellungsdisplays wieder und wann sind sie ein Werk ? Wie der Verkauf belegt, werden von Seiten der Galerien alle Bestandteile de facto als eigenständige Kunstwerke gehandelt und können für sich ausgestellt werden. Aus ihren jeweils institutionsspezifischen Konstellationen entstehen, wie zuletzt am Beispiel Krefeld beschrieben, temporäre Ausstellungsituationen, die selbst wiederum für den Moment als geschlossenes Werk rezipiert werden können. Vergleichbar mit den unterschiedlichen Ausstellungsvarianten von Kippenbergers The Happy End treten auch bei denen der Kandors Schwankungen hinsichtlich der Qualität und Intensität dieser »Erfahrungsräume« auf. Betreut wurden die Aufbauten nach wie vor jedoch durch Kelleys Team und erfuhren dadurch wiederum jeweils die Autorisierung des Künstlers.

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Verschmelzung der beiden Werkkomplexe Im selben Jahr wie die Krefelder Ausstellung fanden in den Dependancen der Gagosian Galerie in London und in Los Angeles zwei weitere und damit letzte Galerieausstellungen statt, die in Verbindung mit den Kandors stehen. Zugleich schlagen sie den Bogen zu den fortlaufenden Extracurricular Activity Projective Reconstructions, wie sie bis dato in Day is Done ihre umfassendste Präsentation erfahren hatten. Unter dem Titel Kandor 10 / Extracurricular Activity Projective Reconstruction #34. Kandor 12 / Extracurricular Activity Projective Reconstruction #35    336 in Los Angeles (11.01. ‒  09.02.2011) [ Abb. 25 ], in die unter anderem auch Elemente eingearbeitet waren, die auf die Memory Ware-Serie zurückzuführen sind, sowie die von der Kritik wenig wohlwollend aufgenommen Ausstellung Exploded Fortress of Solitude in London ( 08.09. ‒ 22.10.2011) [ Abb. 26   ] zeigt Kelley thematische wie formale Variationen der Vorgängerausstellungen. Diese bestehen wiederum aus neuen Videos und skulpturalen Arbeiten, ohne jedoch als Ausstellungen die gleiche Dichte wie Day is Done und Kandors zu erlangen und eine vergleichbare Erfahrung zu bieten.337   Hierin liegt auch der Unterschied zu dem RecyclingPrinzip früherer Arbeiten, das in Ansätzen noch durchscheint und in dem durch das Einarbeiten von übriggebliebenen Materialien unterschiedliche Werkstränge miteinander verbunden wurden und darüber zugleich eine Aufwertung der Überbleibsel und Reste erzeugt wurde. Diese Art des Recyclings führt zu einer Verdichtung des Œuvres und schafft über das Display produktive Querverweise. Hier hingegen haben wir es vielmehr mit einer Verschmelzung zweier Werkkomplexe zu tun, die zugleich von einem Zug der Finalität geprägt sind, da hierin scheinbar die Produktion der letzten Jahre kulminiert. Vollzieht Kelley mit der Londoner Schau nun symbolisch die bereits Mitte der 1990er Jahre thematisierte Explosion von Supermans »Fortress of Solitude«, geht dieser vermeintliche Befreiungsschlag zugleich – um im Bild zu bleiben – mit der Implosion eines Produktionsmodus einher, der nicht länger aufrechtzuerhalten war bzw. nicht mehr zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen konnte. Zusammengehalten werden sowohl die Arbeiten des Kandors- als auch des EAPR-Komplexes jenseits ihrer spezifischen Ästhetik zum einen auf sprachlicher

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Nr. #33 ist The Offer ( Extracurricular Activity Projective Reconstruction #33 )  ( 2010 ), eine Komposition für zwölf Hörner und Stimme von Mike Kelley und Scott Benzel, dessen Premiere zusammen mit Kelleys The Judson Church Horse Dance 2009 in der Judson Memorial Church in New York City stattfand. Die letzte Ausstellung im Zusammenhang mit den Kandors war für 2012 in New York geplant, allerdings kam es hierzu durch seinen Tod nicht mehr.

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Abbildung 25 : Mike Kelley, Kandor 10 /  Extracurricular Activity Projective Reconstruction #34. Kandor 12 /  Extracurricular Activity Projective Reconstruction #35, Ausstellungsansicht, Gagosian Gallery, Los Angeles, 2011

Ebene wiederum durch Kelleys begleitende Texte, die in gewohnter Weise die Arbeiten innerhalb seines eigenen Œuvres sowie kunst- und kulturhistorisch kontextualisieren, und zum anderen durch die Nummerierungen und aufeinander verweisenden Betitelungen der einzelnen Arbeiten. Zudem erschien zu der Londoner Ausstellung ein gleichnamiger Katalog, dessen Kaufpreis von 100 US-Dollar und einer Aufmachung mit einem umfangreichen ganzseitigen Bildanteil und nur einem Text von Jeffrey Sconce mehr dem Galerieprogramm als Kelleys Interesse zu entsprechen scheint. So hat diese Zusammenführung zweier ihrerseits in sich weit verzweigter Werkkomplexe über das Display zweier Ausstellungen letztendlich genau die gegenteilige Wirkung : eine Verfransung des Werkes, die zu großen Teilen bedingt durch die Ausstellungspolitiken einer international agierenden Galerie vorangetrieben wurde, auf die sich – und das ist die andere Seite der Medaille – der Künstler nicht zuletzt selbst eingelassen hat. »Given Kelley’s explicit linking of the Kandor and the EAPR series in the 2011 exhibitions«, heißt es in Jeffrey Sconces Katalogtext, »it is tempting to read them in terms of a basic equivalency : the Complex is Kelley’s own personal Kandor, while the subsequent EAPRs constitute so many alternate storylines ( ›crises in infinite galleries‹ ) issuing from the artist’s own personal traumas and repressions. This would be a false lead, however, or perhaps more accurately a falsified lead on Kelley’s part.« 338

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Scones, Jeffrey : »When Worlds Collide«, in. Ausst.-Kat. Exploded Fortress of Solitude aus

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Abbildung 26 : Mike Kelley, Exploded Fortress of Solitude, Ausstellungsansicht, Gagosian Gallery, London, 2011

In der Tat ist es verlockend, die von Sconce vorgeschlagene Analogie zu ziehen. Und in der Tat mag es ein völlig falscher Umgang mit seinem Œuvre sein, hier eine Verbindung zu Kelleys eigener Biografie herzustellen, wie ich es eingangs mit der Glasglocke getan habe. Und doch wird eines mehr als deutlich : Kelleys Prinzip, sein gesamtes Werk auf dem Repressed Memory Syndrome aufzubauen, verwässert zunehmend. Dies wird besonders evident in den jüngeren Pressetexten der Gagosian Gallery, in denen die Ausstellungen nur noch wie Neuauflagen eines alten Sujets wirken, wobei Kelley in der Ästhetik seiner Displays mit der Zeit gegangen ist und diese folglich stets zeitgenössisch erscheinen. Insofern ist die Bezeichnung dieses Komplexes als »Zyklus«, bei dem immer ein Moment des Abgeschlossenen mitklingt, irreführend. Die einzelnen, im Zusammenhang mit der Kandors-Thematik stehenden Arbeiten sind vielmehr Auskopplungen einer auf die 1990er Jahre zurückgehenden Idee. Die einzelnen Arbeiten sind Resultat eines stetigen »re-working«. Dieses unterscheidet sich in seiner konzeptuellen Anlage und Gerichtetheit etwa von den Stofftierarbeiten mit ihrer klaren, mit Anfang und Ende markierten und durch die vermeintlich falsche Rezeption beeinflusste

Anlass der Ausstellung Kandor 10   /  Extracurricular Activity Projective Reconstruction #34, Kandor 12 / Extracurricular Activity Reconstruction #35, Gagosian Gallery, Beverly Hills, 11.01. ‒ 17.02.2011, Kandor 108 / Extracurricular Activity Projective Reconstruction #36, Gagosian Gallery London, 08. ‒  22.10.2011, hg. von der Gagosian Gallery, New York 2011, S. 157  ‒171, hier S. 164.

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Argumentationsstruktur ihrer Präsentationsformen. Diese lineare Dimension, aber auch das direkte Reagieren auf die Rezeption ist bei den Kandors-Arbeiten in dieser Form nicht gegeben. Insofern erscheint Kelleys spätes Interesse an der Idee des Gesamtkunstwerks ungewollt selbstreflexiv : Mit Bazon Brock könnte man sagen, dass diejenigen, die dem Glauben an das Gesamtkunstwerk folgen, selbst als von einer Obsession Beherrschte erscheinen.339  Trotz aller vermeintlich ironischen Distanz in Kelleys Umgang mit diesem Format, seiner Dekonstruktion und Rekonfiguration wird das Scheitern am eigenen »Schöpfungsdrang« gekoppelt an die von außen an ihn herantretenden Forderungen der unaufhörlichen Produktion von Neuem geradezu unvermeidlich. Goodbye Superman Mit Rafael Jablonkas Abschiedsgruß »Goodbye Superman« nach Bekanntwerden von Kelleys Selbstmord auf der Website seiner Galerie möchte ich auch dieses Kapitel schließen. Das »Goodbye Superman« ist insofern auch der Abschied von einer wortwörtlichen »Über-Figur«, da Kelley nicht nur durch seine künstlerische Praxis und Lehre die Generation nach ihm maßgeblich beeinflusste und vielen Künstlern wie Raymond Pettibon oder Oyvind Fahlström durch seine Texte und Ausstellungen aus dem Schatten ins Licht verhalf, sondern auch selbst eine starke Kontrolle über die Rezeption seiner eigenen künstlerischen Praxis ausübte, bei der übliche kunsthistorische Methodiken nicht mehr zu greifen scheinen. Bereits zu Lebzeiten hatte dies auch klare Konsequenzen für den kuratorischen Umgang mit Kelleys Arbeiten. So sind alle größeren, ihm gewidmeten Ausstellungen stets in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden. Im Einführungstext einer der ersten retrospektiv angelegten Ausstellungen im MACBA in Barcelona 1997, schreibt José Lebrero Stals, dass »[o]ne of the outstanding features that distinguishes Kelley’s career as an artist is precisely his great drive and tenacity in staying clear of ›museification‹, ›mummification‹«.340   Er rekurriert damit v. a. auf Kelleys erste, von Elizabeth Sussmann kuratierte Retrospektive Catholic Tastes im New Yorker Whitney Museum 1993, die Kelley vor die von ihm wenig geschätzte Aufgabe des Rückblicks auf die eigene künstlerische Produktion stellte. Mit bitterer Ironie lässt sich sagen, dass er sich durch die Entscheidung zu gehen auch der von Eva Meyer-Hermann konzipierten und bisher umfassendsten Retrospektive entzog, die seit 2010 bedingt durch die Umbauten im Amsterdamer Stedelijk Museum

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Brock 1983, S. 22. Stals 1997, S. 14.

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immer wieder verschoben wurde und den ersten umfassenden Versuch darstellen sollte, Kelleys Œuvre unter thematischer Perspektive zu betrachten. Realisiert wurde schließlich – bereits posthum – eine chronologisch ausgerichtete Ausstellung unter der Kuratorenschaft von Ann Goldstein. Ohne Kelleys Mitsprache wird sein Werk nun sukzessive Gegenstand verschiedener kuratorischer Ansätze werden. Auch seine Texte werden – begünstigt durch ihr Erscheinen in Sammelbänden – nicht mehr wie zuvor als eng mit seiner künstlerischen Praxis verknüpft, sondern stärker davon losgelöst als eigenständige Kategorie rezipiert werden. Knapp zehn Jahre vor seinem Tod äußert Kelley sich in einem Interview mit Thomas Kellein über genau diesen Punkt wie folgt : »There comes a certain point when you’re dead and you can’t do anything about it. What can you do ? Yell from the grave ? After that, your works become academic. There’s nothing you can do about it, unless there are true historians who present the work in the light of the time in which it was made. That’s why art history is very important. That’s also why the role of the museum and the critic is such an important one. When art historians become academics, or art museums just become academic institutions that present things as given histories, they serve no function, except as spokesperson for the status quo.« 341

Die Verwissenschaftlichung seines Œuvres wird sich nicht vermeiden lassen. Im Gegenteil, sie ist sogar notwendig. Doch möchte ich für eine Kunstgeschichtsschreibung plädieren, die eben den von Stals hervorgehobenen »great drive« eines Künstlers nicht nur im Verhältnis zu institutionellen Politiken, sondern auch wissenschaftlichen Kanonisierungsprozessen mitberücksichtigt.

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Kelley, in : Kellein 1994, S. 35.

V. Manfred Pernice : Reflexivität und Kontextspezifik

Das Zeigen

zeigen

Heutzutage werden Künstler nicht nur vermehrt von Institutionen dazu eingeladen, Sammlungsbestände neu zu hängen oder selbst Ausstellungen zu kuratieren, sondern auch von künstlerischer Seite ist ein reflektierter Umgang mit dem Display von Kunst inzwischen gang und gäbe. Dabei stehen weniger die repräsentativen Momente des Ausstellens im Fokus noch die Behauptung der eigenen künstlerischen Position gegenüber bestehenden Diskursen oder Kollegen, wie es bei den drei der bisher diskutierten Künstler noch der Fall war. Vielmehr ist an deren Stelle ein oft auf umfangreichen Recherchen basierendes, stärker über Referenzen funktionierendes und häufig dialogisches Prinzip des Ausstellens anzutreffen. Dieses zeigt sich zudem über die jeweiligen Bedingtheiten und Erfahrungsmodalitäten wie etwa die Institutionsspezifik und Temporalität des Displays wie durch den Einbezug anderer künstlerischer Positionen automatisch aufkommende Autorschaftsfragen überaus bewusst. Zu sehen ist diese Entwicklung auch in Zusammenhang mit dem sich Anfang der 2000er Jahre abzeichnenden, zunehmend kritisch reflektierendem Handeln von Kuratoren und Kunstinstitutionen, wie sie unter dem Begriff des New Institutionalism bzw. der New Museology schlagwortartig auf den Punkt gebracht wurden.1   Die Kritik, die von künstlerischer Seite in der ersten und zweiten Riege sogenannter institutionskritischer Praktiken an einer mangelnden

1

Vgl. hierzu z. B. Doherty, Claire : »New Institutionalism and the Exhibition as Situation«, http://uncopy.net/wp-content/uploads/2012/07/doherty-institutionalism.pdf  ( Abruf am 30.11.2013 ) sowie Farquharson, Alex : »Bureaux de change«, in : frieze 101, September 2006, http://www.frieze.com/issue/article/bureaux_de_change  ( Abruf am 30.11.2013 ).

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Auseinandersetzung mit Repräsentations- und Identitätspolitiken geübt wurde, ist daher inzwischen in die Politik vieler Institutionen inkorporiert worden. Einher geht dies mit einer Entwicklung dahingehend, dass der tatsächliche Besuch von Ausstellungen nicht mehr zwangsläufig das Nonplusultra bildet, um einen Eindruck von der gezeigten Kunst und ihrer räumlichen Anordnung zu erhalten, sondern Fotografien im Internet und in Ausstellungskatalogen zunehmend alternative Rezeptionsformen bilden. Vor dem Hintergrund ebendieser Verschiebungen sollen abschließend die Ausstellungsdisplays von Manfred Pernice ( geb. 1963 ) unter Hinzunahme einiger Beispiele seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Isa Genzken, Cosima von Bonin, Willem de Rooij und Rosemarie Trockel diskutiert werden. Dieses im Gegenzug zu den bisherigen Analysen breite Spektrum an möglichen Vergleichsbeispielen verdeutlicht zugleich, dass mit einer stärker referenziell operierenden Ausstellungspraxis auch Genderdifferenzen zumindest auf der strukturellen Ebene des Ausstellungsdisplays eine zunehmend geringere Rolle zu spielen scheinen. So zeichnen sich Pernices Ausstellungsdisplays weder durch ein betont ideologisches Moment ( Beuys ) aus, noch reflektieren sie selbstironisch das Künstlerdasein ( Kippenberger ) oder schreiben sich, wenn zwar implizit, so doch nicht explizit in aktuelle Diskurse ein ( Kelley ). Vielmehr rückt die Reflexion der Möglichkeiten der Präsentation und Rezeption von Skulptur im Raum aus einer fast klassisch zu nennenden bildhauerischen Perspektive heraus in den Fokus. Stärker noch als bei allen anderen der hier bisher diskutierten Künstler kommen bei Pernice die zwei in der Einleitung aufgemachten Stränge zusammen : In seinen Ausstellungsdisplays ist die ins Situative erweiterte bildhauerische Praxis nicht von der kuratierten Ausstellung zu trennen. Damit knüpft er einerseits an die Errungenschaften der sich ins Situative erweiternden Skulptur der 1960er Jahre an und greift andererseits aktuelle Tendenzen sowohl künstlerischer als auch kuratorischer Ansätze auf. Letzteres spiegelt sich v. a. darin wieder, dass er mit seinen Displays jeweils auf die orts- und kontextspezifischen Bedingungen reagiert und die jeweiligen Spezifika der einzelnen Ausstellungsformate und -kontexte mitreflektiert. Von der Litfaßsäule zum Ausstellungsdisplay Ausgehend von den in den 1990er Jahren für sein Œuvre emblematisch werdenden Dosen- und Containerformen aus simplen Materialien wie Pressspan, Tischlerplatten, Kacheln, Eisenstäben und Beton entwickelt Pernice in den folgenden Jahren situativ angelegte »Felder«, »Treffs« und umfassende Ausstellungen, die sich aus Konstellationen einzelner Skulpturen generieren. Die oft nach einem Bau-

V. P ernice  |  335

Abbildung 1: Manfred Pernice, Fiat V, 2008, Holz, Metall, Farbe, diverse Materialien und Objekte, Gesamtmaß der Installation : 295 × 800 × 592 cm, Ansicht in der Ausstellung Que-Sah, Neues Museum Nürnberg, 2008

kastenprinzip zusammengesteckten skulpturalen Elemente werden um diverse Alltagsgegenstände, Leihgaben sowie Schautafeln und Vitrinen mit Text- und Bildinformationen an den Wänden erweitert. Sie sind daher häufig Zeigendes und Gezeigtes zugleich. Wie seine frühen Architekturmodelle kreieren sie auf diese Weise ein meist auf ortsspezifischen Recherchen basierendes, assoziatives Netz an Informationen, Bildern, Materialien und Formen, das nur in seiner situativen Anordnung lesbar wird. In der Wahl der Materialien, der Titel, ihrer formalen Beschaffenheit wie ihrer Anordnung greifen bereits die einzelnen Skulpturen (-Ensembles ) häufig ortsspezifische Gegebenheiten auf und reflektieren darüber das Verhältnis sowohl vom Innen- zum Außenraum als auch der einzelnen Skulpturen zueinander und in Bezug auf den jeweiligen Ausstellungsraum. Entscheidend hierbei ist, dass seine Skulpturen mit jeder Neupräsentation Veränderungen und Neudatierungen unterliegen. Fiat ist die erste gezielt offen und wandelbar angelegte Arbeit von Pernice [ Abb. 1].2   Anlass für deren Entstehung war die von Pernice befolgte Anfrage des Künstlerhauses Stuttgart, ob er nicht eine »Struktur  / Skulptur« entwerfen könne, die eine Kochstelle integriert.3   Im Zuge der folgenden beiden

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3

Vgl. Schneider, Christiane : »Konversionen«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice, Kunsthalle Zürich, 26.08. ‒  22.10.2000, hg. von der Kunsthalle Zürich, Zürich 2000, S. 25  ‒ 38, hier S. 29. Vgl. http://www.kuenstlerhaus.de/de/archiv/manfred-pernice-fiat_1080  (Abruf am 29.12.2013 ) sowie auch den Pressetext im Kulturspiegel 12 (1998 ). Dort heißt es : »Ein Jungkurator fragte an, ob er sich an der Gruppenschau ›Künstler stellen ihre Lieblings-

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Abbildung 2 : Manfred Pernice, exscape, Ausstellungsansicht, Regen Projects, Los Angeles, 2006

Präsentationsweisen im Städtischen Museum Zwickau und in Bremen anlässlich der Verleihung des dortigen Kunstpreises wird nicht mehr gekocht, die Utensilien wie die elektrische Kochplatte, Schüssel und Plastikbesteck jedoch zumindest in Zwickau noch so installiert, dass sie die Möglichkeit zum Kochen suggerieren. In Bremen wird die Funktion nur noch angedeutet, die Kochstelle aber entfernt. Seit ihrer Erstpräsentation im Künstlerhaus Stuttgart 1997 hat Fiat zudem mit jeder neuen Variation Veränderungen erfahren, die sich auf die ortsspezifischen Gegebenheiten bezogen : Pernice fügt Texte und Bilder hinzu oder tauscht diese aus, wobei besonders das Integrieren von Modellen und Materialien, die eng mit der Entstehung der Skulptur zusammenhängen, die Zeitlichkeit des Ausstellens wie die eigenen Wandelungen mit ausgestellt werden.4 Auch in kommerziellen Ausstellungskontexten ist dieser reflexive und kontextspezifische Umgang mit der Präsentation von Skulptur wiederzufinden. Die unvermeidliche Warenqualität, die in einer Galerie präsentierte Kunst erhält, entgegnet er beispielsweise mit einer bewussten Zurücknahme des sie herausstellenden Gestus : Bei seiner Ausstellung exscape bei Regen Projects in Los Angeles (13.05. ‒17.06.2006  ) holte er die Exponate größtenteils »von der Bühne« [ Abb. 2  ]. Auf der über Eck eingebauten, den Raum diagonal aufteilenden Plattform zentral

4

rezepte vor‹ beteiligen wolle. Pernice wollte nicht und baute dann doch ein drei Meter hohes Modell der Fiat-Testrennstrecke in Turin und setzte obendrauf eine Kochstelle für den Kurator.« Vgl. Schneider 2000, S. 31f. sowie das Unterkapitel »Die Ausstellung als Wanderzirkus« in diesem Kapitel, S. 374 ‒ 387.

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platziert befindet sich lediglich eine Art Blumenvase und eine nahe an der Wand aufgestellte, modulare Skulptur. Die anderen Objekte lehnen an der Wand oder stehen links neben der Plattform innerhalb eines farblich markierten Feldes »einfach so« da. Sie entziehen sich damit wortwörtlich (escape ) einem herausstellenden Ausstellen und eröffnen eine Situation, die wie ein Kippbild zwischen Auf- und Abbau erscheint. Zwei Jahre später dagegen werden in der New Yorker Galerie Anton Kern in der Mitte des Ausstellungsraums die skulpturalen Objekte auf einer modularen Displayfläche in fast altmodischer Art und Weise präsentiert ( Manfred Pernice diary, 28.02. ‒ 29.03.2008 ). In seinen jüngeren Galerieausstellungen rückt v. a. die Frage danach, was überhaupt als Kunst gezeigt werden kann, stärker in den Fokus. Auf der Messe abc in Berlin 2012 etwa packt Pernice seine Arbeiten gar nicht erst aus. Vermischt mit Materialien, die in seinem Atelier verfügbar waren, stapelt er die einzelnen skulpturalen Elemente zu Türmen. Die Arbeit wies etwa Spuren der Produktion seiner Edition für das Magazin Texte zur Kunst auf und nivellierte damit eine Differenzierung von abgeschlossenem Kunstwerk und Arbeitsmaterialien. Ähnlich verfährt er bei seiner Einzelausstellung bei Konrad Fischer in Düsseldorf ( 26.10.2012  ‒12.01.2013 ), bei der ein Großteil seiner Skulpturen aus einem Stapel von immer kleiner werdenden, quadratischen Holzkisten besteht, die an Transportkisten erinnern lassen. Er greift damit ein Motiv auf, dem sich schon Broodthaers bei der Eröffnungsausstellung seines Musée d’Art Moderne bediente und das auch Kippenberger mit seiner Ausstellung A Man and his Golden Arm ( 29.10. ‒  03.12.1994 ) in der Nolan   /  Eckman Galerie in New York aufgreifen sollte. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass die Kisten bei Pernice nicht Kunst enthalten ( wie bei Kippenberger ) oder symbolisch auf sie verweisen ( wie bei Broodthaers ), sondern Kunst sind. Anfang der 2000er Jahre erhält Pernice infolge seines größeren internationalen Bekanntheitsgrads auch erste Einladungen zu umfassenden Soloausstellungen auf internationaler Ebene. Deutlicher noch als an seinen kommerziellen Galerieausstellungen und kleineren Einzelausstellungen, die aus thematisch wie formal zusammenhängenden Skulpturenensembles bestanden, wird an ihnen die für Pernices Ansatz zentrale Interdependenz von Kunstproduktion und dem gegebenen Raum sowie dem jeweiligen Ausstellungsformat ablesbar. »Verdosung«, »Peilung« und »Brei« Dass das Ausstellungsdisplay für Pernice selbstverständlicher Gegenstand künstlerischer Entscheidungsprozesse geworden ist, spiegelt sich auch darin wider, dass er im Rahmen seiner zunehmend räumlich operierenden Praxis drei, sich wechselseitig zueinander verhaltenden Begriffe in Umlauf gebracht hat. Diese lassen sich

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sowohl auf singuläre Arbeiten als auch ihre situative Anordnung innerhalb von Ausstellungszusammenhängen anwenden: den der »Verdosung«, den der »Peilung« und den der »Liquidation« bzw. des »Breis«. Über die hierunter gefassten Verfahren greift Pernice eine Reihe vertrauter Topoi aus der Skulpturgeschichte des 20. Jahrhunderts auf und adressiert zugleich die Prozesse, die zur Anordnung der Skulptur im jeweiligen Ausstellungsraum führen. Eine »Verdosung« kann Ergebnis einer »Peilung« und auch selbst eine »Peilung« sein, während in einer »Dose« »breiähnliche« Zustände vorherrschen können. Die Begriffe »Verdosung« und »Peilung« tauchen bereits Ende der 1990er Jahre auf, während »Liquidation« und »Brei« erst ab 2010 weitere Verbreitung finden. Anders als bei Kelley oder auch Beuys existieren von Pernice jedoch kaum programmatische Texte zu seinen künstlerischen Arbeiten und Verfahren. Hinweise zu den Begriffen und ihren Konnotationen finden sich v. a. in den Arbeiten und ihrer Formsprache selbst, in ihren Titeln oder in handschriftlichen oder schreibmaschinengetippten Textpassagen in den Katalogen bzw. vermittelt durch Gespräche mit dem Künstler entsprechend auch in den Presse- und Katalogtexten anderer Autoren. Pernice entwirft somit eine Art Begriffsbesteck, das sich auf seine Displayverfahren anwenden lässt und das, ungeachtet seiner humoristischen Dimension und Tendenz zur assoziativen Wortspielereien, entsprechend auch in der Sekundärliteratur immer wieder auftaucht. Vor dem Hintergrund der bisher diskutierten Beispiele sollen die von Pernice gewählten Verfahren des Zeigens von Kunst samt ihrer Begrifflichkeiten daher im Anschluss in Beziehung gesetzt werden zum aktuellen Verständnis des Kuratorischen und, um eine Öffnung dieses Kapitels zu erreichen, damit einhergehend zu weiteren zeitgenössischen Beispielen des künstlerischen Umgangs mit dem Ausstellungsformat. Ziel ist es also, einerseits die Spezifik von Pernices Einsatz des Displays herauszustellen und andererseits hiervon ausgehend für die gegenwärtigen Ansätze des Ausstellens bezeichnende Parameter sowohl in Bezug auf die Rolle des Künstlers als auch den Status der Ausstellung aufzuzeigen. Verdosung Um den Begriff der »Verdosung« rankt sich ähnlich wie im Fall von Kippenbergers »Peter« ein durchaus humoristisches semantisches Feld damit in Beziehung stehender Begriffe. Dieses umfasst sowohl Bezeichnungen unterschiedlicher Dosenformen ( z. B. Haupt- und Zentraldose  5 [1998 ] oder Peildose mit Signalfunktion [außer Betrieb ] [ 2003] ) als auch Verfahren wie die der »Verdosungsvorgänge« und Zustandsbeschreibungen wie die der »verdosten Welt« und Akkumulationen wie die des »Dosenfelds« und des »Dosentreffs«.

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Vgl. Bürgi, Bernhard : »Das Unvermögen«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice, 2000, S. 5  ‒ 8.

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Eine Dose ist vergleichbar mit dem Container eine Zweckform, die mit beliebigen Inhalten gefüllt und in der Regel – anders als der Container – über ihre äußere Gestaltung auf ihren Inhalt verweist. Sie impliziert, wie Christine Schneider herausstellt, damit die »weltweite Mobilität von Waren und Menschen und temporären Aufenthalt«.6   Anders als beispielsweise Sol LeWitts Arbeit mit dem Kubus als einem neutralen, »universell anerkannten Standard«7  kommt bei Pernice eine stärker gesellschaftskritische Dimension ins Spiel. Er entlehnt diese Form Beobachtungen des städtischen Raums, einer, wie Peter Herbstreuth schreibt, »›verdosten Welt‹ des Alltags […], die bis ins Detail parzelliert, taxiert, bestimmt und also als verstanden und beherrscht deklariert sei«8 und überführt sie in die Kunst, die selbst wiederum »eine weitere Form der ›Verdosung‹ ist«.9   Seine in Höhe und Durchmesser variierenden Dosenskulpturen sind einfache Zylinder, die aus einem Skelett aus Holzscheiben und Mittelkreuz im Inneren zusammengehalten werden, das mit einer Verschalung aus schmalen Brettern und   / oder Kacheln verkleidet wird. Dabei wirken sie häufig fragmentarisch und nicht ganz zu Ende gebaut. Sie kehren somit ihren Entstehungsprozess nach Außen und öffnen sich zugleich einer stärker assoziativen Lesart. So können Dosen sowohl für Subjekte als auch Objekte stehen : »Ich selber und alle anderen sind eine Dose, insofern sie in einer bestimmten – durch Erziehung, Sozialisation, Herkunft – Weise agieren. Die Welt ist insofern verdost, als sich die Verhältnisse innerhalb der organisierten Rahmenbedingungen abspielen und so übersichtlich und beherrschbar, handhabbar sind.«10

Die Dosenskulpturen funktionieren folglich als Shifter, die je nach Kontext und Konstellation mit neuen Inhalten besetzt werden und neue referenzielle Bindungen eingehen können. Dosen tauchen bei Pernice daher selten allein auf. Er setzt die

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9 10

Schneider 2000, S. 28. LeWitt, Sol : »Der Kubus [1966 ]«, in : Stemmrich 1998, S. 185. Vgl. Herbstreuth, Peter : »Handlung als ästhetische Chance«, in : Ausst.-Kat. Die Dritte Dimension. Plastiken, Konstruktionen, Objekte. Bestandskatalog der Skulpturenabteilung Manfred Pernice, anlässlich der Ausstellung Manfred Pernice 1a – Dosenfeld’ 00, Portikus, Frankfurt am Main, 11.03. ‒  30.04.2000, hg. vom Portikus Frankfurt am Main, Köln 2002, S. 181 ‒188, hier S. 183. Schneider 2000, S. 27. Manfred Pernice zitiert in : Hess, Barbara : »Düren, Blicke«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice. Rückriem  / Böll-Peilung Andere &, hg. von der Günther-Peill-Stiftung, Düren / Berlin 2008, S. 51  ‒ 53, hier S. 52.

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Abbildung 3 : Manfred Pernice, 1a  –  Dosenfeld ´ 00, Ausstellungsansicht, Portikus, Frankfurt am Main, 2000

eigenen Container und Dosen als Akteure ein, »mit denen er Ordnungssysteme reflektiert, ad absurdum führt oder Neuzuordnungen vornimmt und zur ›Gegen-, Neben-, Querverdosung‹ ansetzt«.11   Er fügt sie, wie eingangs bereits angedeutet, zu sogenannten Feldern (1a – Dosenfeld, 2000) und Treffs ( Dosentreff , 2000  ‒ 2013  ) zusammen, die sich in der Regel in ihren Ausmaßen und ihrer Aufstellung an den vorgegebenen architektonischen Bedingungen des Ausstellungsraums orientieren. Das Dosenfeld im Frankfurter Portikus 2000 beispielsweise bezog sich in seiner Ausdehnung auf die Dimensionen des Oberlichtes [ Abb. 3 ].12   In dem zur Ausstellung erscheinenden Katalog gibt Pernice folgende Erläuterungen : »Das Dosenfeld ist eine weitergehende Anwendung der Dose und der Kiste ( Container ), nachdem sich diese unter allen Umständen als Vehikel bewährt haben. Der Einsatz dieser Mittel im Dosenfeld ist Ergebnis konsequenter Dosenüberlegungen. Das erzählt nun keine Geschichte, der man folgt, sondern stellt eine den Besucher umgebende Situation dar. Der Besucher betritt einen Unsinnszusammenhang, eine unerträgliche Zumutung von Einzelaspekten, die nur als künstlerischer Entwurf akzeptabel ist und doch potentiell einen Typus alltäglicher Wahrnehmung parallelisiert. Dieser Typus ist die heterogene Situation – eine temporäre oder permanente Koexistenz von aneinander nicht interessierten Einzelaspekten. Wahrgenommen werden immer nur Sinnzusammenhänge – nie oder selten hingegen die Unsinnszusammenhänge. Das Dosenfeld stellt einen solchen Unsinnszusammenhang dar, der vom Betrachter natürlich ver-

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Schneider 2000, S. 46. Bürgi 2000, S. 5.

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suchsweise sofort in einen Sinnzusammenhang umgewandelt wird. Jede Beschäftigung des Betrachters mit einem Einzelaspekt ergibt Sinn, die Aspekte insgesamt jedoch nicht. Auf der Suche nach Sinnfälligkeit werden diese Unsinnssituationen meist nicht bemerkt, obwohl das Leben voll davon ist.« 13

Es geht hierbei nicht mehr um ein einfaches In-Beziehung-Setzen zu der durch die Objekte hergestellten Situation, sondern immer auch um ein Lesen bzw. eine Dekodierung der in ihr angelegten Verknüpfungen.14  Diese Verknüpfungen können auf sehr unterschiedlichen Ebenen ablaufen, formal-ästhetisch ebenso wie über ihre Bedeutungszuschreibungen und materielle Beschaffenheit. Damit steht weniger das für die 1960er und 1970er Jahre noch zentrale Spiel mit den Sehgewohnheiten und dem Ausloten dessen, was überhaupt als Kunst gezeigt werden kann, im Fokus. Pernices Displays bieten vielmehr an, ködern den Betrachter, aber entziehen sich letztendlich einer eindeutigen Bedeutungszuschreibung. Wie Christine Schneider hervorhebt, funktionieren die Skizzen, Modelle, Fotos, Zeitungsausschnitte und Kopien, »[u]m die Skulpturen herum platziert und   / oder unmittelbar in sie integriert, […] wie ›Links‹, die ein komplexes Verweissystem aus Assoziationen, Motiven, Vergleichen und Konnotationen bilden, zu dem auch Pernices Wahl der Titel beiträgt«.15  Doch ist es müßig, jedem einzelnen Detail nachzugehen, vielmehr führt er mit seiner Art der gezielten Überforderung des Rezipienten die anhaltende Tendenz zu einem ausschweifenden Referenzialismus, wie sie in der Kunst seit den späten 1980er Jahren zu beobachten ist, ad absurdum und hebt die Erfahrungsdimension der Situation selbst als für seine Arbeiten zentral hervor. Die Dosen werden zum leibhaften Gegenüber, was hier besonders durch die bewusst vorgenommene Personifizierung einzelner Skulpturen hervorgehoben wird. Das Dosenfeld thematisiert die Porträts von Personen und ihr fiktives Zusammentreffen, in das der Betrachter zugleich integriert wird. Zum einen adressiert Pernice mit der hierin implizierten Analogie zum menschlichen Körper einen alten Topos der Bildhauerei.16   Zum anderen wird das »Feld« hierdurch metaphorisch Bildnis des soziotopischen Umfelds des Künstlers. Zugleich greift Pernice mit der

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Pernice zitiert im Pressetext zur Ausstellung Manfred Pernice 1a – Dosenfeld’00 im Frankfurter Portikus vom 11.03. ‒  30.04.2010, http://www.portikus.de/exhibition_ 99.html ?&no_cache=1&sword_list[]=pernice  ( Abruf am 08.04.2013 ). Vgl. hierzu Draxler 2007, S. 27. Schneider 2000, S. 28. Vgl. z. B. Krauss, Rosalind E. : »The Double Negative : a new Syntax for Sculpture«, in : Dies. : Passages in Modern Sculpture, Cambridge ( Mass.) 1981, S. 243  ‒ 298, hier S. 267.

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Betitelung als Feld eine Tradition der bildhauerischen Praxis auf, wie sie in Carl Andres Arbeiten paradigmatisch in Erscheinung tritt und die bereits in Bezug auf Kelleys Arenas zur Sprache kamen. Ihm dient der englische Ausdruck field ganz allgemein als Bezeichnung für Werke, die sich auf einer horizontalen Fläche ausdehnen. Als »field works« bezeichnet er Arbeiten für größere, öffentliche Räume (im Unterschied zu »home works«),17 d. h. es handelt sich um einen Begriff für sich horizontal erstreckende Werke, die eine weit ausgedehnte Fläche bilden und die ihrerseits einen Umraum einfordern. Ein Skulpturenfeld adressiert daher immer schon die Beziehung zwischen Werk und Umraum. Der Bezug auf das Oberlicht bei den Ausmaßen des Dosenfelds kann dabei in Analogie gesehen werden zu dem, was für Andre im Unterschied zur ortsspezifischen Ausrichtung einer Skulptur lediglich den Ausmaßen des Ausstellungsraums als »generic space«18 verpflichtet war. Mit der Bezeichnung »Treff« wird zugleich die anthropomorphe Dimension der aufeinandertreffenden Dosenobjekte ( mit Subjektcharakter ) innerhalb der Ausstellungsituation adressiert, in die – wie nun deutlich geworden ist – der Betrachter stets als Akteur mit einbezogen ist. Peilung Im Zusammenhang mit seiner ortsspezifischen Ausstellung Rückriem   /  Böll-Peilung im Dürener Leopold-Hoesch-Museum 2006 führt Pernice den Begriff der »Peilung« ein, der eng mit dem der »Verdosung« gekoppelt ist [ Abb. 4    ]. So heißt es etwa in einer Äußerung des Künstlers im Katalog Die Dritte Dimension : »Verdosungsvorg. sind oft Peilvorgänge«19 und an anderer Stelle : »Ein Netzwerk bestimmter Verdosungen untereinander entstünde so : Peilungen.«20      Peilungen wiederum

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18

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So z. B. Field (1966 ) und Flanders Field, Eindhoven 1978. Vgl. Otto, Julia K. : Skulptur als Feld. Flache Bodenplastik seit 1960, Frankfurt am Main 2006, und Meyer-Hermann  /  Eva Renate : Das Phänomen Bodenplastik. Untersuchungen zu einem Formproblem der sechziger Jahre an Werkbeispielen von Carl Andre, Anthony Caro, Franz Erhard Walther und Franz Bernhard, Bonn 1991, S.71 ff. »… my things … begin in the world and the world is full of different kinds of spaces, different generic classes of spaces; inside gallery spaces, inside private dwelling spaces, inside museum spaces, inside large public spaces, and outside spaces of various kinds too. There’s always a location in mind, not necessarily a specific one, but, rater, a location in scale«, Carl Andre, in : Tuchman, Phyllis : »An Interview with Carl Andre«, in : Artforum 8 /10 (1970 ), S. 55  ‒ 61, hier S. 55. Ausst.-Kat. Die Dritte Dimension, 2002, S. 64. Eimert, Dorothea : »Vorwort«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice, Rückriem    /   Böll-Peilung Andere & , 2008, S. 4.

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Abbildung 4 : Manfred Pernice, Rückriem-Böll-Peilung, Skizze, 2006

zeichnet aus, dass sie Standpunkte bestimmen, also Orte markieren und diese darüber zueinander in Verbindung setzen. Eine »Peilanlage« ist demnach ein vom Künstler bestimmter Ort. »Die bei einer Peilung getroffenen Objekte ( Komplexe )«, führt Klaus Gölz in seinem Katalogbeitrag zur Ausstellung Rückriem    /   BöllPeilung aus, »beginnen nun – in der thematischen Auseinandersetzung mit ihnen – zum Teil der Ausstellung und damit des Kunstwerks zu werden. Das Treffen eines Komplexes steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Treffen einer künstlerischen Entscheidung, ja, ersetzt diese sogar.« 21   Es ist daher als ein Versuch der Entsubjektivierung des eigenen künstlerischen Verfahrens zu begreifen, wobei die Entscheidung, was innerhalb einer Ausstellung als repräsentativ für   /  von den angepeilten Orten gelten kann, was wiederum beim Künstler liegt, von einem großen Interesse an Geschichte und städtebaulichen Entwicklungen geprägt und häufig stark assoziativ angelegt ist.22   »›Formfindung‹« bei Pernice, so heißt es weiter bei Gölz, »[…] also das eigentliche Ausstellbarmachen der erpeilten, erfassten und erwogenen Objekte könnte man vielleicht mit folgenden Worten umreißen : nicht zu Ende bringen, vielleicht sogar nicht einmal richtig beginnen, andeuten,

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Gölz, Klaus : »Wischi-Waschi-Weltfindung«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice, Rückriem    /   Böll-Peilung Andere & , 2008, S. 5  ‒ 7, hier. S. 5. Vgl. ebd.

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anreißen, andenken«.23   Ein streng wissenschaftlich-rationales Verfahren wie das der Peilung trifft somit auf ein bewusst offen gehaltenes und unhierarchisches Netz an Referenzen, dessen Nachvollzug und Deutung letztendlich dem Betrachter überlassen ist – und der in diesen Situationen schnell selbst die sprichwörtliche »Peilung« verlieren kann. Liquidation  /  Brei Um 2010 führt Pernice mit der »Liquidation« einen neuen Begriff ein, der gegenüber dem der »Peilung« zunehmend etwas in den Hintergrund tritt, und der zugleich einen Eindruck von der veränderten Konzeption seiner Displays gibt. Als Liquidation bzw. Brei bezeichnet er das Geflecht, das sich aus dem, »was er selbst mitbringt« 24  – darunter fallen sein eigenes Wissen, Archiviertes und Selbsterlebtes – und dem, was von außen kommt, also etwa durch Ausstellungseinladungen und ortsspezifische Gegebenheiten, ergibt. Es handelt sich hierbei folglich um ein – im Gegensatz zur Peilung – subjektives Beziehungsgeflecht, das zugleich eng an die gegebene Situation gekoppelt ist. Auch »Brei« ist eine Zustandsbeschreibung. Im Unterschied zur Dose, die klare Grenzen aufweist, ist er jedoch als solcher formlos. Er ist Resultat einer Verflüssigung, die das Mischen von unterschiedlichen Aggregatszuständen impliziert. Erstmals an zentraler Stelle taucht er im Titel seiner Ausstellung Liquidation-tischwelten2  im Centre Européen d’Action Artistiques ( CEAAC, 19.06. ‒  03.10.2010  ) im französischen Straßburg auf, wobei der Begriff der »Liquidation« anders als sein vergleichsweise harmlos klingendes Äquivalent »Brei« hier eindeutig Konnotationen der Geschäftsaufgabe und Hinrichtung trägt.25  Liquidation-tischwelten2 besteht aus einer Reihe selbstgezimmerter und gekachelter Zylinder und Quader, auf denen französische Baccarat-Kristallwaren und Keramikobjekte der Marke Strehla zum Teil mit typischen Aufstellern und kleinen beschrieben Kärtchen versehen wie in einem Warenhaus aufgebaut sind [ Abb. 5  ].26   Das Gebäude des CEAAC beherbergte um 1900 das größte Fachgeschäft für Glas und Porzellan innerhalb Elsass-Lothringens und so war der Ausgangspunkt dieser Arbeit eine Recherche zu den kulturellen und politischen Narrativen der für die Gegend schon seit dem 19. Jahrhundert eine große Rolle spielenden Keramikproduktion vor Ort, die sich an

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Gölz 2008, S. 5. So wird er im Straßburger Pressetext zitiert. Im Gespräch mit der Autorin am 30.05.2011 äußert Pernice allerdings, dass sich in dieser Arbeit »Brei« und »Peilung« noch die Waage hielten. Pernices Interesse an Keramik spiegelt sich schon zuvor in Arbeiten wie Bankomat (2005 ) und Haldensleben (2005 ) wider.

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Abbildung 5 : Manfred Pernice, Liquidation-tischwelten2, Ausstellungsansicht, Centre Européen d’Actions Artistiques Contemporaines – CEAAC, Straßburg, 2010

den hinter Glas angebrachten Materialien wie Briefe, Postkarten und anderen Zeitdokumenten widerspiegelte. In einem in der Zeitschrift frieze d / e abgedruckten Künstlerstatement äußert Pernice sich wie folgt zu den hier gezeigten Keramiken : »Was die Objekte gemeinsam haben, ist ihr Vermögen, einen Zeitraum zu eröffnen : Dieser Raum beginnt mit dem angenommenen Entstehungszeitpunkt des Objekts und reicht in unsere Jetzt-Gegenwart. Es breitet sich aus, in dem Maße, in dem diesen Gegenständen das ( gewöhnliche ) Gebraucht-worden-sein zugedacht werden kann. Das wirkt sich auf die anderen Bestandteile bzw. die Umgebung der Arbeit ( also auch die Arbeit selbst) insgesamt aus. […] In vielen Fällen setze ich Objekte ein, um Wirkungen zu organisieren, die mit Materialität und Zeit-Räumlichkeit ( da hinein können Texte und Bilder gestellt sein ) zu tun haben; aber ich verwende sie auch als Dokumente oder narrative Elemente im Verhältnis zu    / mit ›skulpturaler‹ Arbeit. Wohl wegen der Objekthaftigkeit der ›Arbeiten‹ selber überlagern und verschmelzen die Wirkungen zu dem, was sie dann sind und sein sollten.« 27

Im Unterschied zur Peilung, die ein weitgehend zielgerichtetes Verfahren beschreibt, um klare Markierungen zu setzen und damit Relevantes von Irrelevantem zu unterscheiden, zielt der eher rhizomartig angelegte Brei vielmehr auf die Konsistenz der jeweiligen Ausstellungssituation selbst ab und darauf, wie diese sich generiert. Der »Form werdende Brei« kann somit als emblematisch für Pernices bildhauerisches Verfahren gesehen werden und gleichermaßen, wie im Folgenden ersichtlich werden wird, für einige seiner jüngeren Ausstellungskonzeptionen.28

27 28

Künstlerstatement von Manfred Pernice, in : frieze d  /  e 2 ( 2011), S. 96. Vgl. Südbeck, Annette : »Zur Torte in der Kunst – eine Annäherung«, in : Ausst.-Kat.

346 |  V. A usstellungen über das A usstellen

Ausstellungen

über das

Ausstellen

Ein Museum einräumen Die Ausstellung Que-Sah im Neuen Museum Nürnberg ( 25.04. ‒  06.07.2008 ) ist Pernices erste umfassende Museumsschau. Sie basiert unter Rücksprache mit den verantwortlichen Kuratoren weitgehend auf seiner eigenen Konzeption. In der Ausstellung kombiniert er Arbeiten aus den letzten zehn Jahren, die er zu einem auf die gegebenen Räumlichkeiten ausgerichteten und sie zugleich neu aufteilenden Ganzen zusammenfügt. Bereits in den Kapiteln zu Beuys’ und Kippenbergers Ausstellungdisplays wurden Beispiele eines künstlerischen Umgangs mit der Einzelausstellung analysiert, die vorrangig auf eine – wenn auch zum Teil durchaus ironische – Selbstdarstellung abzielen. Trotz eines jeweils übergeordneten Ausstellungskonzepts und, wie im Fall von Beuys, der Zusammenführung einzelner Arbeiten zu »Stationen« weichen beide letztendlich nicht davon ab, singuläre künstlerische Arbeiten in einem übergeordneten Zusammenhang zu präsentieren. Pernice entscheidet sich in Nürnberg hingegen für ein Display, bei dem für Nichtwissende auf Anhieb nicht ersichtlich wird, welche Arbeiten eine geschlossene Werkeinheit bilden und welche ursprünglich als singuläre Skulpturen konzipiert und produziert wurden. Expliziter noch als bei den anderen wird die Einladung zur Ausstellung zum Anlass, ein für die gegebene institutionelle Situation spezifisches Display seiner Skulpturen zu entwickeln. Die Ausstellung besteht der Architektur und funktionalen Aufteilung des Museums entsprechend aus zwei räumlich voneinander getrennten Bereichen : der offene, sich über mehrere Etagen erstreckende Eingangsbereich in dem von Volker Staab entworfenen, neuen Anbau an das denkmalgeschützte Museumsgebäude und der Ausstellungsfläche im ersten Stockwerk. Im Eingangsbereich richtet Pernice seine 2007 erstmals in der Züricher Galerie Mai 36 gezeigte Sitzgruppe airberlin 29 ein und ordnet darum herum die Arbeiten H 2000 ( 2000 ), Kaffee  +  Kuchen ( kuk) ( 2000 ), Peildose mit Signalfunktion (außer Betrieb) (2003 ) sowie 4,7,1 (2007 ) [ Abb. 6   ]. Direkt neben der Wendeltreppe zwischen diesen Arbeiten und der Glasfront steht aufgereiht die dreiteilige Arbeit Zweite Hand ( 2007 ). An der gegenüberliegenden Wand befinden sich einzelne Vitrinen aus der 2008 im Berliner Schinkelpavillon gezeigten 1. Allgemeinen Verkstatt Ausstellung ( 2008 ) sowie die Skulptur Daphne ( 2005 ). Die Skulptur Fernw   /  seh ( 2008 )

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Manfred Pernice. sculpturama, Secession, Wien, 26.11.2010  ‒13.02.2011, hg. von der Secession, Berlin 2011, S. 165  ‒167, hier S. 166. In Zürich wurde die Arbeit noch unter dem einfachen Titel Sitzgruppe geführt.

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Abbildung 6 : Manfred Pernice, Que-Sah, Ausstellungsansicht, Neues Museum Nürnberg, 2008, mit Blick auf   Sitzgruppe Airberlin ( 2007 ), Peildose mit Signalfunktion ( außer Betrieb ) ( 2003 ), Ohne Titel ( 2007 ), Zweite Hand (2007 ), Daphne ( 2005 ) und AVA ( 2008 )

steht direkt neben der Kasse. Pernice geht mit seiner bereits von außen durch die Glasfassade des Museums auf die Fluglinie Air Berlin samt dazugehörigem Jingle referierendem Wartebereich somit auf die gegebene Situation ein und macht zugleich das Angebot, diese anders bzw. besser zu nutzen. Damit bedient er sich eines Verfahrens, das zugleich auf die in den 1990er Jahren populär werdenden »Möblierungsaufträge« an Künstler wie Heimo Zobernig und Jorge Pardo erinnern lässt und Vorläufer in der sogenannten Ambient Art findet. Im Unterschied etwa zu den Arbeiten von Michael Asher, der auch an Celants für die hierfür namensgebende Ausstellung Ambiente-Arte auf der Biennale in Venedig 1976 beteiligt war, besteht jedoch gerade bei Erstgenannten die Gefahr, dass sie in ein Dienstleistungsverhältnis zu den einladenden Institutionen geraten und freiwillig oder nicht durch ihre Designs v. a. zu einer Aufwertung der gebotenen architektonischen Strukturen beitragen.30  Pernices Ensemble wirkt dagegen wie ein Kommentar auf die Künstler wie Artprofessionals gleichermaßen umfassende Jet-Set-Generation, der die hier vermittelte Flughafenatmosphäre bestens vertraut ist. Er rückt somit zugleich auch auf augenzwinkernde Art und Weise das Warten als ein eng mit der zunehmenden Mobilität verknüpftes und für unsere Zeit paradigmatisches Phänomen ins Zentrum. Dies gilt speziell für Künstler wie Pernice,

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Neben Arbeiten von Asher zeigte die Ausstellung u. a. auch Arbeiten von Joseph Beuys, Daniel Buren und Jannis Kounellis. Vgl. Celant, Germano : »Ambient | Art«, in : Studio International 190 / 977 (1975 ), S. 114  ‒123.

348 |  V. A usstellungen über das A usstellen

die viel reisen, um ihre Ausstellungen jeweils selbst aufzubauen. Auf diese Weise verweist er implizit auf die Produktionsbedingungen eines derartig kontextreflexiv und situationsspezifisch angelegten Ausstellungsdisplays. Im Zentrum des quadratischen Ausstellungsraumes im Stockwerk darüber befindet sich die ebenfalls benutzbare Rundbank aus Pernices 2006 während eines Aufenthalts in Düren entstandenen und sich diagonal durch den Raum erstreckenden Arbeit Rückriem    /   Böll-Peilung. Von hier aus, so die mit der Ausstellung betraute Kuratorin Melitta Kliege, »erschließt sich die Verteilung der Werke über das Ziffernblatt einer Uhr«.31   Die einen Raum im Raum bildende Sonderausstellung ( wischi-washy) entspräche demnach der Zwölf. Ihr gegenüber auf sechs Uhr steht die Keramikauslage Bankomat ( 2005 ), auf neun Uhr die bereits erwähnte Arbeit Fiat V  ( 2008 ). Auf der anderen Seite zwischen drei und sechs Uhr erstreckt sich ein eingezogener zweiter, weiß und hellgrau gestrichener Holzboden als Freifläche für einzelne freistehende Skulpturen. Fragmente der erstmals in Frankfurt gezeigten, raumgreifenden Arbeit Dosentreff sowie der ursprünglich im Jahr 2000 für die Hamburger Kunsthalle realisierten Arbeit Die 3. Dimension liegen sich auf ein und sieben Uhr schräg gegenüber.32   So entspricht Pernices Displayverfahren auf dieser Etage insgesamt im weitesten Sinne ( noch ) dem der Peilung – hier allerdings bezogen auf den Standort Museum und das eigene Œuvre. Der Ausstellungsraum wirkt insgesamt wie in verschiedene skulpturale ( Peil-)»Stationen« unterteilt, bei denen einzelne Skulpturen (-Ensembles) in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden und zugleich untereinander neue Verbindungslinien herstellen. Trotz der Fülle an einzelnen Details und der fragmentarischen Wirkung einzelner Arbeiten strahlt diese Anordnung eine große Klarheit aus – nicht zuletzt bedingt dadurch, dass die Zwischenräume und Leerflächen als konstitutiver Teil des Displays erscheinen. Dieses Konstitutivwerden des Zwischenraums hat zur Folge, dass die Konturen der einzelnen, vormals unabhängig gezeigten Arbeiten innerhalb der jeweiligen Ausstellungssituation aufweichen. So sind etwa innerhalb der über Eck gehängten Schautafeln der Rückriem    /   Böll-Peilung die Arbeiten aus der 3. Dimension angeordnet samt drei aus der Hamburger Kunsthalle geliehener Kleinplastiken : Mathias

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Kliege, Melitta : »Kunst als Realitätsmodell. Die Skulpturen von Manfred Pernice«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice. Que-Sah, Neues Museum. Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg, 25.04. ‒  06.07.2008, hg. von Neues Museum. Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg, Nürnberg 2010, S. 83  ‒ 89, hier S. 86. Diese Arbeit wurde ursprünglich im Treppenhaus des Gründungsbaus der Hamburger Kunsthalle gezeigt. Er setzt hierbei seine »Dosen« als Sockel ein, um darauf Kleinplastiken aus der Sammlung zu präsentieren.

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Goeritz’ Meine Hand ( Mi Mano) (1952 ), Man Rays Metronom ( Unzerstörbares Objekt) (1923 /1972 ) sowie August Gauls Vogel Strauß (1903 ). Dazu hängt an der Wand die passende Kopie aus dem Bestandskatalog der Hamburger Skulpturenabteilung. Fungieren hier die gekachelten Dosenformen als Sockel für skulpturale Objekte anderer Künstler, stehen die auf mit Rollen versehenen Dosen aus dem Dosentreff schräg gegenüber vielmehr für sich allein. Ein Foto an der Wand dahinter verweist zugleich auf einen vormaligen Präsentationskontext dieser Arbeiten und überführt somit ein aus Arbeiten wie Fiat bekanntes Verfahren des Aufzeigens der Prozessualität von der Skulptur in den sie beherbergenden Rahmen.33   Aus dieser Perspektive erschließt sich auch der Titel der Ausstellung, Que-Sah, der sich auf einen Band aus dem Brockhaus-Konversationslexikon bezieht. Wie bei jeder Form von Register oder Listen kommt es hierbei zu einer geradezu poetischen Verbindung von eigentlich nicht Zusammengehörigem. Zwar ist in den Katalogtexten zu Que-Sah wiederholt von einem »additiven Verfahren« die Rede,34 doch wird genau genommen in Pernices Ausstellungen nicht einfach etwas hinzugefügt, vielmehr wird etwas erweitert, ergänzt, entgrenzt und in neue Konstellationen zueinander gesetzt. Voraussetzung hierfür ist, dass Pernices Skulpturen nach einem modularen System funktionieren, das stetig neu ausgerichtet und präsentiert werden kann. Ein derartiges Displayverfahren geht daher immer auch mit einer Zurücknahme des exponierten Einzelobjekts einher. Es suggeriert zudem eine Indifferenz und scheinbare Beliebigkeit dessen, was in den Fokus seiner künstlerischen Auseinandersetzung gerät.35   Zugleich weist es auf eine ( physische ) Begrenzung hin, innerhalb derer diese Freiheit möglich ist : die Ausführung einer in diesem Fall retrospektiv angelegten Ausstellung in einem Museum. Eine implizite Konsumkritik ? Konsequenz aus einem Displayverfahren, wie es Pernice verfolgt, ist, dass die mit dem Ausstellen einhergehende Auratisierung des Kunstwerks, also sein Herausstellen innerhalb des typischen White Cubes, zurückgenommen wird. Verstärkt wird dieser Effekt zum einen durch die Verschränkung von Displayhilfsmittel und präsentiertem Objekt innerhalb der einzelnen skulpturalen Arbeiten sowie der Vermischung von eigenen Kunstobjekten, Leihgaben und Alltagsobjekten. Brian O’Doherty zufolge verkehren sich im White Cube, »[e]sthetics […] into a kind of

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So hing beispielsweise auch über Bankomat auf einem gelb gestrichenen Stück Wand eine Produktionsskizze der Arbeit. Vgl. Südbeck 2001, S. 166. Vgl. Büsing, Nicole   /  Klaas, Heiko : »Manfred Pernice«, in : artist. Kunstmagazin 76 / 3 ( 2008 ), S. 52  ‒ 56, hier S. 52.

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social elitism – the gallery space is exclusive. Isolated in plots of space, what is on display looks a bit like valuable scarce goods, jewelry, or silver : esthetics are turned into commerce – the gallery space is expensive.«  36   Mit der Folge, dass ein Aschenbecher geradezu ein heiliges Objekt wird, dass »just as the firehose in a modern museum looks not like a firehose but an esthetic comundrum«.37  Doch gilt das von O’Doherty postulierte »The gallery will make it art anyway« 38 nicht zwangsläufig in seiner für den White Cube bestimmenden Konsequenz auch in Pernices Ausstellungen. Durch die Aufteilung des Raumes in mit verschiedenen auf dem Boden ausgelegten Spanplatten markierte Sektionen, den durch die Skulptur Fiat ermöglichten Höhen- und folglich auch Perspektivwechsel sowie die Sonderausstellung als eigener Sektion innerhalb der Gesamtausstellung wird der typische White Cube des Neuen Museums in seiner auratisierenden Wirkung aufgebrochen und die verschiedenen Präsentationsmodi und -formate zugleich eigenständiges Ausstellungsobjekt. Mit jedem Eingriff in diesen Raum seitens des Künstlers – ob an den Wänden oder am Boden – wird der White Cube als »unmarked space« und damit als offener Raum der Möglichkeiten in einen »marked space« verwandelt.39 Dies hat zur Folge, dass die Objekte in Pernices Ausstellungen zunächst weitgehend weiterhin als das erscheinen, was sie sind : Abfälle aus der Konsumkultur, handgefertigte Keramiken und selbstgebaute Skulpturen und damit auf den ersten Blick alles andere als exklusiv. Bedingt ist dies zum einen durch die faktische Fülle an einzelnen Elementen und zum anderen durch die scheinbare Beiläufigkeit ihrer Präsentation. Scheinbar nur, denn im White Cube wirkt alles, einschließlich des Paradebeispiels des Feuerlöschers, aus seinem Kontext gelöst und ( Her-)ausgestellt. Die unfertig wirkenden Dosen- und Containerformen konterkarieren hier jedoch zugleich ihre Funktion als Sockel und damit das für die Ausstellung maßgebliche Prinzip des Herausstellens. Hier wird nicht die Schönheit der »dummen bloßen Dinge« vorgeführt, wie Rebentisch es etwa von Isa Genzkens Skulpturen behauptet.40   Die von Pernice einbezogenen Verpackungsreste und damit etwas,

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O’Doherty 1999, S. 76. Ebd., S. 15. Ebd., S. 45. Vgl. hierzu Rebentisch 2003, S. 90  f., sowie Luhmann, Niklas : Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 189. Vgl. Rebentisch, Juliane : »Dialektik der Schönheit. Zum Werk von Isa Genzken«, in : Ausst.Kat. Isa Genzken. Oil, Deutscher Pavillon Venedig, Biennale 2007, 10.06. ‒  21.11.2007, Köln 2007, S. 160  ‒165, hier S. 163  f. : Durch die Appropriation von Realität wendete sich Genzken, so Rebentisch, »nicht nur gegen das greenbergsche Verbot jeglicher Gegenständlichkeit, sondern auch gegen den adornoschen Versuch, Kunst auf eine gegenüber

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das gemeinhin als etwas ohne Wert definiert ist,41 eben als das, was vorhanden ist, und das im Unterschied zur Kunst nicht von dauerhaftem, sondern vergänglichem Wert und weitgehend austauschbar ist. Künstler fungieren durch den Einbezug von Abfall in ihre Arbeit dennoch automatisch als Wertschaffende. Wie Franka Ostertag herausstellt, verliert Müll als Material in der Kunst zwar »seine Müllhaftigkeit im materialistischen Sinn«, wird aber in seiner Zeichenform als solcher zugleich bekräftigt.42   Besonders den historischen Avantgarden diente diese Art der »Inszenierung des gesellschaftlichen Ausschusses v. a. als anti-bürgerliches und museumskritisches Mittel« 43 – eine Strategie, die auch in der US-amerikanischen Kunst nach dem Abstrakten Expressionismus an Bedeutung gewinnen sollte. Die sogenannte Junk Art, die der Pop Art vorausging und noch in Kelleys Stofftieren wiederhallt, versucht beispielsweise nicht nur die Kluft zwischen Hoch- und Massenkultur zu überbrücken, sondern inszeniert sich selbst als Teil der müllproduzierenden Ordnung, auf die sie durch ihre Materialauswahl Bezug nimmt. Anders als die historischen Avantgarden, bei denen der Einsatz von Abfällen beim Publikum noch eine heute nicht mehr erzielbare Schockwirkung zur Folge hatte, steht hinter zeitgenössischen Ansätzen vielmehr die Idee des Recyclings und damit ( auf geradezu paradoxe Weise ) die Fortentwicklung eines konsumkritischen Ansatzes, für den beispielsweise Künstler wie Arman stehen. Sie verfolgen den Gedanken, aus dem zu schöpfen, was einerseits in einer Überflussgesellschaft wie der unseren und andererseits in einer weit fortgeschrittenen Kunstgeschichte sowieso vorhanden ist. Nicht die ( ästhetische ) Wertschöpfung eines an sich als wertlos Erachteten wird hier in den Fokus gerückt, sondern vielmehr eine Art der Hierarchielosigkeit und prinzipiellen Austauschbarkeit des Materials und der Form. Bei Pernice, und das ist ein durchaus zeittypisches Phä-

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der Wirklichkeit ebenso polemische wie jenseitig utopische Position festzuschreiben. […] Mit der Übernahme von Bruchstücken empirischer Realität in ihre Kunst will Genzken aber keineswegs die Differenz zwischen Kunst und Realität einebnen. Die Dinge bleiben in Genzkens Arrangements nicht, was sie außerhalb ihrer für die gewöhnliche Wahrnehmung sind : bloße, dumme Dinger. Vielmehr geht es darum, gerade ihrer vom Verbrauch lädierten Gestalt zum Ausdruck zu verhelfen, gerade ihr Schönheit abzugewinnen. […] Schönheit wird hier nicht, als sei dies möglich, jenseits des Warenfetisch konstruiert, sondern – als Ausdruck – in dessen Hinfälligkeit gleichsam aufgefunden.« Vgl. Thompson, Michael : Die Theorie des Abfalls. Über die Schaffung und Vernichtung von Werten, Stuttgart 1981, S. 27. Ostertag, Franka : Waste. Der Müll als Material und Abfall in der US-amerikanischen Kunst und Literatur seit den 1950er Jahren, Berlin 1998, S. 12. Ebd.

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Abbildung 7 : Manfred Pernice, Bankomat (2005 ), Pressspan, Farbe, diverse Materialien und Skulptur von Roswitha Schaab, Gesamtmaß der Installation : 189 × 325 × 172 cm, Ansicht in der Ausstellung Que-Sah, Neues Museum Nürnberg, 2008

nomen, wird nicht mehr im traditionellen Sinne stetig Neues produziert, sondern v. a. unter formalen Aspekten vorhandenes Material kombiniert und arrangiert. Die potenziell ästhetische Wahrnehmung von etwas vermeintlich Wertlosem liegt daher nicht nur an der Verschiebung in das Feld der Kunst, sondern auch – und das haben Kelleys Stofftierarbeiten bereits eindrücklich gezeigt – an der Art ihrer Präsentation. Pernice äußerte zwar im Gespräch, dass auch für ihn das »einfach Abstellen« seiner Arbeiten durch die Aufbauhelfer eine Ideallösung darstelle.44   Diese wird in ihrer Reinform jedoch selten erreicht. Die Objekte unterliegen nach wie vor einer bewusst getroffenen Auswahl und verweisen immer auch auf unser Verhältnis zu ihnen. Somit haben Pernices Präsentationsverfahren stärker noch als etwa in Beuys’ Fall eine Hierarchielosigkeit und Indifferenz in Bezug auf die präsentierten Objekte zur Folge – und das, obwohl es offensichtlich Unterschiede in ihrem künstlerischen wie ökonomischen Wert gibt. Statt einer durch den »Museums-Effekt« 45 bedingten Aufwertung aller in der Ausstellung befindlichen Objekte zu Kunst tritt hier ein beinahe gegenteiliger Effekt zutage : Die innerhalb der Ausstellung präsentierten künstlerischen Arbeiten – und damit meine ich in diesem Fall vorrangig die anderer Künstler – werden nicht mehr augenscheinlich als Kunst identifizier- bzw. von Nicht-Kunst unterscheidbar, sofern die betreffenden Arbeiten dem Betrachter

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Nahe gekommen ist er diesem Prinzip laut Eigenaussagen am ehesten noch mit seiner Ausstellung Liquidation 2.2  (17.04. ‒ 18.06.2011) im Berliner MD 72. Alpers 1991, S. 26.

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Abbildung 8 : Manfred Pernice, Sonderausstellung (wischi-washy), Holz, Farbe, diverse Materialien und mit Keramik von Helmut Menzel und Lithografie morgen wieder wischy waschi von Verena Dengler, Gesamtmaß der Installation : 290 × 1080 × 728 cm, Ansicht in der Ausstellung Que-Sah, Neues Museum Nürnberg, 2008

nicht bereits als solche vertraut sind. So steht beispielsweise mitten zwischen den zahllosen Keramikbehältnissen der Arbeit Bankomat ( 2005 ) [ Abb. 7   ] auch eine Holzskulptur von Roswitha Schaab, die in den Werkangaben auch eindeutig als solche ausgewiesen ist, innerhalb des Konglomerats jedoch nicht besonders heraussticht. Es wird gezeigt, aber nicht im klassischen Sinne exponiert, d. h. es handelt sich um ein Zeigen, das das Herausstellen der Exponate zugleich negiert oder zumindest abschwächt. Pernice verfolgt auf diese Weise eine Art Inversion des Readymade-Prinzips – und das in beide Richtungen : Die Differenzierung von Kunst und Nicht-Kunst sowie von Sockel und Skulptur wird durch sein Präsentationsverfahren so weit bzw. so lange aufgehoben, wie der Betrachter kein Wissen über die Provenienz der einzelnen Objekte hat. Sobald wir als Betrachter die Differenzen erkennen, wird auch der reflexive Gestus des Displays als eben solcher erkennbar. Die Sonderausstellung wischi-washy [ Abb. 8 ] nimmt in dieser Hinsicht im doppelten Sinne des Wortes eine Sonderrolle ein. Angelegt wie ein begehbares Zimmer mit rosarotem Teppichboden und dudelndem Radio sind in ihr vereinzelt Objekt aufgestellt und auf Podesten präsentiert, darunter auch Keramikobjekte von Helmut Menzel, sowie – und das im Kontrast zur restlichen Ausstellung – auch einige Flachware an der Wand angebracht einschließlich der Lithografie morgen wieder wischy waschi von Verena Dengler, einer ehemaligen Studentin von Pernice. Diese beiden Arbeiten sind wiederum in den Angaben im Katalog auch als solche aufgeführt, nehmen innerhalb des gesamten Arrangements jedoch keine

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exponierte Stellung ein.46   So bildet die Sonderausstellung einen Raum im Raum und zugleich eine Ausstellung in der Ausstellung, die einerseits Anklänge an Dekor aufweist und zugleich vom Eindruck des Unfertigen und Improvisierten geprägt aussieht. Die Sonderausstellung erscheint daher trotz weiß gestrichener Wände als Gegenentwurf zum White Cube. Der Titel, der in seinem deutsch-englischen Mischmasch für Undeutlichkeit, Ungenauigkeit oder auch Belanglosigkeit steht, wirkt als Referenz auf das Konzept der thematischen Sonderausstellung, die in ihrer heutigen Ausprägung häufig sehr diskurslastig angelegt ist und dabei zugleich oft im Vagen verbleibt. Vergleichbar mit den Harems in Kelleys The Uncanny fungiert diese Ausstellung in der Ausstellung wie ein Kommentar auf die Gesamtsituation : Pernice führt das von Staniszewski postulierte »Power of Display« durch seine Negation vor – und das sowohl auf der Ebene der Präsentation als auch der inhaltlichen Dimension. Anders als in der Ausstellung von Mike Kelley geht es in der hier vorgenommenen Kombination von Kunst und Nicht-Kunst nicht primär um eine Subvertierung des Wertesystems von Kunst, sondern vielmehr um eine Reduzierung solcher Wertesysteme auf ein Minimum. Der Konsum von Kunst wird hierbei auf humorvolle Art und Weise auf eine Ebene gerückt mit dem Konsum von Nahrungsmitteln und Informationen. Die Dinge wieder in den Fluss bringen Auch Pernices Ausstellungen versuchen v. a. eine aus seiner künstlerischen Praxis heraus entwickelte, angemessene Form des Zeigens zu finden. Der Unterschied zu den Ansätzen der historischen Avantgarde und den bisher diskutierten Beispielen liegt darin, dass seine Ausstellungssituationen reflexiv darauf verweisen, dass es sich um eine jeweils temporäre und kontextspezifische Art der Präsentation handelt. Que-Sah ist nicht nur eine Überblicksschau seiner bisherigen bildhauerischen Tätigkeit, sondern – bedingt dadurch, dass seine Skulpturen immer schon ihr Display mitreflektieren – vielmehr auch seiner bisherigen Ausstellungstätigkeit. Er rekonstruiert hierfür keine ganzen Ausstellungen, wie es beispielsweise Künstler wie Cosima von Bonin und Heimo Zobernig durchaus getan haben und es auch

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Vgl. hierzu Pernices Ausstellung Tutti im Salzburger Kunstverein ( 04.02. ‒ 11.04.2010 ), die er als Gruppenausstellung mit einer Reihe von Arbeiten fiktiver Künstler aufzog und somit von sich als singulärer Autorfigur ablenkte, http://www.salzburger-kunstverein.at/ at/ausstellungen/2010/2010-02-04/manfred-pernice-tutti  ( Abruf am 13.12.2013 ).

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von musealer Seite immer wieder versucht wurde,47 sondern deutet sie lediglich an, häufig in rudimentärer Form. So ist z. B. die 2000 im Rahmen der Reihe ein   / räumen institutionsspezifisch entstandene Arbeit Die 3. Dimension in der Hamburger Kunsthalle48 hier wie damals mit Leihgaben aus den Sammlungsbeständen der Kunsthalle bestückt. Vergleichbar mit Kelleys Kandors – wenn auch in diesem Falle eher gegen den Willen des Künstlers – gab es die Konstellation der Dosen durch Einzelverkäufe zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr als Ganzes. Sie wurden für die Ausstellung temporär wieder zusammengeführt.49   Die hierdurch vollzogene Aktualisierung spiegelt sich in der erweiterten Datierung 2000  / 2008 wider. Die in Nürnberg gezeigte Fassung von Die 3. Dimension gibt gar nicht erst vor, dieselbe Arbeit wie die 2000 in Hamburg zu sein. Gleiches gilt für die Arbeit Dosentreff ( 2000  / 2008 ), während Fiat einfach mit 2008 datiert ist und damit als neue und nicht nur erweiterte oder variierte Fassung einer Vorangegangenen erscheint. Pernice folgt in seiner Ausstellung keiner Chronologie, er zeigt keinen künstlerischen Werdegang auf, sondern zeigt vielmehr ein Panorama seiner bildhauerischen Produktion, die zugleich durch Kohärenz und Variation geprägt ist. Dass sich hierin ein zeitgenössisches Paradigma künstlerischer Displayverfahren widerspiegelt, zeigt sich mit Blick auf die Ausstellungspraxis der von ihm geschätzten Rosemarie Trockel. Angesichts ihrer umfassenden Soloschau Die Verflüssigung der Mutter in der Kunsthalle Zürich 2010 spricht Trockel ganz explizit davon, dass sie »die Dinge wieder in Fluss bringen« möchte.50   Wiederholt und im Vergleich zu anderen

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Letzteres zeigte sich beispielsweise besonders eindrücklich an der Rekonstruktion von Harald Szeemanns Ausstellung When Attitudes Become Form (1969 ) in der Fondazione Prada im Rahmen der Venedig Biennale 2013. Cosima von Bonin zeigte auf der documenta 12    2007 eine Rekonstruktion ihrer Ausstellung Relax it’s Only a Ghost, die vom 2. Juni bis 14. Juli 2006 in der New Yorker Galerie Petzel gezeigt wurde. Vgl. www.räumen.org ( Abruf am 25.05.2012 ). Im Unterschied zu den Kandors von Mike Kelley wurden die Dosen allerdings eher gegen Pernices Willen einzeln verkauft. Hier zitiert nach Sonna, Birgit: »Die Alchemistin«, http://www.art-magazin.de/kunst/ 31099/rosemarie_trockel_zuerich  ( Abruf am 08.04.2013 ).

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Künstlern in diesem Falle nicht erst in jüngster Zeit wurde in den Texten ihrer Ausstellungskataloge hierauf hingewiesen.51   »Es scheint weder möglich«, schildert es beispielsweise Rainald Schumacher, »das Oeuvre durch eine zeitliche Abfolge transparenter werden zu lassen, noch scheint es möglich, durch eine Zuordnung aller Werke zu Werkgruppen einen Blick auf das Ganze zu bekommen. Die Arbeiten in der Chronologie ihrer Entstehung zu analysieren, verbietet sich, weil es kein lineares Entwicklungssystem gibt und weil die Thematik bestimmter Werke auch nach Jahren in neueren Arbeiten unerwartet weitergeführt wird.« 52

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Rainer Speck etwa äußerte sich 1983 anlässlich eines Atelierbesuchs bei der Künstlerin wie folgt : »Auch der Chronist klingelte aufrechten Ganges an der Ateliertür von Rosemarie Trockel – auf allen Vieren verließ er sie.« Zitiert in Eiblmayer, Silvia : »Rosemarie Trockel : Laudatio zur Wolfgang-Hahn-Preisverleihung 2004«, in : Ausst.-Kat. Rosemarie Trockel. Post-Menopause, anlässlich der Ausstellung Rosemarie Trockel. Menopause, Museum Ludwig, Köln, 29.10.2005  ‒12.02.2006, MAXXI, Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo, Rom, 19.05. ‒  06.08.2006, Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig, Köln, hg. von der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig, Köln, Köln 2005, S. 15 und S. 17, hier S. 15. Holger Liebs bemerkte im Zusammenhang mit ihren Videoarbeiten : »Dass bislang so wenig monographische Publikationen über Rosemarie Trockel vorliegen, ist kein Zufall, da Trockel in ihrer Arbeit die Relativität aller kunsthistorischen Beobachtungen vor Augen führt. Der immanente Widerspruch, diese Künstlerin in einer Einzeldarstellung, noch dazu im Rahmen eines klar abgegrenzten Werkzyklus, zu präsentieren, ist kaum zu lösen.« Liebs, Holger : »Drehscheibe Lebenslauf – zu den HerdplattenVideos«, in : Theewen, Gerhard ( Hg.) : Rosemarie Trockels Herde. Werkverzeichnis, Videos, Zeichnungen, Fotos, Editionen, Köln 1997, S. 27  ‒ 37, hier S. 31. »Wie schon in frühen Ausstellungen nutzt die Künstlerin räumliche Gegebenheiten für neue Arbeiten. Hier sind die rotbraunen Terrakottaplatten und die große Fensterfassade zur Altstadt hin der Ausgangspunkt. Die große Wollarbeit – ein fünf Meter hoher, zehn Meter langer und 80 Zentimeter tiefer Vorhang aus einzelnen Teppichwollfäden – empfängt die Besucher schon beim Betreten der Ausstellung und lädt sie ein, sich in die Wolle hinein zu setzen wie ein einem monumentalen Umhang.« König, Kasper : »Vorwort«, in : Ausst.-Kat. Rosemarie Trockel. Post-Menopause, 2005, S. 11  ‒13. Vgl. auch Schumacher, Rainald : »Ein feministischer Rest – mehr konkrete Utopie als wir ahnten«, in : Ausst.-Kat. Rosemarie Trockel, Sammlung Goetz, München, 27.05.  ‒  26.10.2002, hg. von Ingvild Goetz und Rainald Schumacher, München 2002, S. 31  ‒ 51, hier S. 31.

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Für die in ihren Ausstellungen zusammengestellten Objekte gilt daher, was Beatrice von Bismarck als einen für das Kuratieren typischen »Zustand des ›Werdens‹« charakterisiert. Sie generieren »wechselnde und dynamische Bedeutungen im Verlauf von Prozessen der Verknüpfung«.53   Diese Verknüpfungen geschehen achronologisch innerhalb ihres eigenen Œuvres und lassen ihre Kunstproduktion insgesamt als eine stetigen Aktualisierungen und Neuausrichtungen unterworfene erscheinen. Trockels Gruppe der Wollwerke etwa unterliegt einem kontinuierlichen Ergänzen, Überarbeiten und Verwerfen. Dies führt dazu, dass beispielsweise die Autoren des Verzeichnisses ihrer Arbeiten im Katalog zu der Ausstellung PostMenopause bewusst darauf verweisen, dass sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit verfolgen.54    Trockels Œuvre verweigert sich damit einer den gängigen kunsthistorischen Maßstäben entsprechenden Systematisierung. Die Ausstellungen ( und damit einhergehend die Kataloge ) sind daher wiederum stets als ein in Zeit und Raum spezifischer »Zustand« ihres Œuvres zu sehen. Pernice nimmt die hier geschilderte Dynamisierung bereits, wie das eingangs angeführte Beispiel Fiat gezeigt hat, in Bezug auf einzelne Skulpturen vor und weitet dieses Prinzip später auch auf seine Ausstellungen aus. Ein derartiges Verfahren wirft stärker noch als bei Trockel Fragen bezüglich der Abgeschlossenheit seiner künstlerischen Arbeiten auf. Sie werden so gesehen nie fertig, sondern vielmehr kontextspezifisch immer neu präsentiert. Infolge der immer umfangreicher werdenden Ausstellungsprojekte, und das wird im Folgenden zentral werden, verlagert sich das Prinzip der Unabgeschlossenheit bzw. Rekombinierbarkeit stärker vom jeweiligen Objekt auf die Konstellation der Objekte im Ausstellungsraum, die vom Betrachter ein entsprechend »konstellatives Sehen« einfordert.55   Die seinen Skulpturen immanente Zeitdimension muss daher immer mit einer Form der Situations- bzw. Kontextspezifität zusammen gedacht werden. Das zuvor diskutierte Recycling-Prinzip und damit die Vermeidung der Produktion von Neuem wird hierdurch zugleich konterkariert : Jede Ausstellungssituation ist folglich neu und damit zugleich auch einmalig. Auf der Ebene des künstlerischen Ausstellungsdisplays vollzieht sich somit das, was Umberto Eco in seinen Ausführungen zum offenen Kunstwerk als »Kunstwerke in Bewegung« charakterisiert.56   Die Arbeiten sind von einer diesem entsprechenden

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Von Bismarck, Beatrice : »Kuratorisches Handeln. Fragen und Antworten zum Versammeln, Ordnen, Präsentieren, Vermitteln von Kunst«, in : corpusweb.net/kuratorischeshandeln.html ( Abruf am 06.01.2013 ). Vgl. Haberer, Lilian  /  Kraft, Charlotte : »Verzeichnis der Wollarbeiten und wollverwandten Werke«, in : Ausst.-Kat. Rosemarie Trockel. Post-Menopause, 2005, S. 149. Schneider 2000, S. 38. Vgl. hierzu Eco, Umberto : Das offene Kunstwerk, Frankfurt am Main 1977, v. a. S. 27  ‒ 59.

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»Aura der Unbestimmtheit«57 und von einer Mobilität gekennzeichnet und können prinzipiell immer wieder neue Strukturen annehmen. Anders als etwa Kippenbergers Ausstellungsdisplays, die eine allegorische Deutung nahelegen, stehen die Arbeiten von Pernice und Trockel in ihren jeweiligen Displays somit in einer viel suggestiveren Verbindung zueinander. Sie bilden »Möglichkeitsfelder«58, die einer definitiven Form, um nicht zu sagen einem statischen Werkbegriff, geradezu unterlaufen. Zugleich erhalten die einzelnen Ausstellungen selbst jedoch den Status von originären Zusammenstellungen und Displays, der durch den von ihm jeweils persönlich vorgenommenen Aufbau in ihrer Authentizität als eben solche bestärkt wird. Besonders diesem Aspekt soll in seiner vermeintlichen Paradoxie anhand der folgenden Beispiele genauer nachgegangen werden. Ein skulpturales Panorama Pernices nächste umfassende Einzelausstellung in der Wiener Secession ( 26.11.2010  ‒13.02.2011) verweist bereits in ihrem Titel sculpturama durch die Anklänge an das Panorama oder Diorama selbstreflexiv darauf hin, dass es sich hierbei um eine »Schau des Schauens« handelt.59   Stand in Nürnberg eher das Spiel mit unterschiedlichen Ausstellungsformaten ( Überblicksschau, Sonderausstellung, Ausstellung in der Ausstellung etc.) im Fokus sowie die Auseinandersetzung mit der Institution und der Architektur des Museums, tritt in Wien nun vielmehr die Skulptur selbst, ihre Betrachtungs- und Präsentationsform in geradezu didaktischer Manier in den Vordergrund. Leitmotivisch ziehen sich hierbei Referenzen auf die Wiener Kaffeehauskultur durch die Ausstellung. Pernices Verfahren des Breis wird in Verbindung gebracht mit dem Backen von Torten, wodurch auch hier wiederum auf die heute als avanciert geltende Kontextreflexivität von Kunst und ihrer Präsentation angespielt wird.60  Das Ausstellungsdisplay – und das ist

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Eco 1977, v. a. S. 27  ‒ 59. Ebd. Dies wurde auch von der Presse viel stärker noch als in Bezug auf Que-Sah so aufgenommen und verdeutlicht, dass eine Trennung von dem Ausgestellten und dem Modus des Ausstellens nicht mehr möglich ist : »große[n] Schau des Schauens«. Gölz, Klaus : »Einladung zum Tanz. Manfred Pernice in der Secession : Eine große Schau des Schauens«, in : Augustin 289 (2011), S. 26, und einer »Ausstellung über das Ausstellen«, in : Falter 50 (2010 ), o. P. Dies macht sich auch in den Kritiken über die Ausstellung bemerkbar. Vgl. z. B. Gölz 2011, S. 26.

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wiederum paradigmatisch für gegenwärtige Ansätze – erscheint damit nicht nur situations- und   / oder institutionsspezifisch, sondern auch ortsspezifisch. Während in den Anfängen ortsspezifischer künstlerischer Praktiken gerade das Aufbrechen der gegebenen Ausstellungskontexte stand, also die Verlagerung der Realisierung und damit auch des Zeigens von Kunst im öffentlichen Raum, wird nun vielmehr über der Ausstellung immanente Referenzen der Bezug zum Außenraum in den Ausstellungsraum geholt. Geordnete Verhältnisse Fast symmetrisch sind die einzelnen Ausstellungsobjekte zueinander in dem in Mittelschiff und zwei Seitenschiffe klar strukturierten Raum der Wiener Secession angeordnet, der 1898 nach Entwürfen von Joseph Maria Olbrich fertig gestellt wurde und als der erste White Cube gilt. Der gewohnte erste Blick auf die Ausstellung durch die Schwingtüren aus Glasfenstern ist hier mit hellen Stoffen verhängt. Anders als Fiat oder der Loungebereich in Que-Sah stellt die Brücke einen Eingriff in den Zutritt dar und organisiert den Raum durch eine zweite Ebene neu. Der Bereich direkt hinter den Türen ist überdacht von einer betretbaren »Brücke« – hier angesichts der Architektur auch mit einer maritimen Konnotation versehen ‒, die ein Hybrid aus Tunnel und Plattform darstellt und deren Konstruktion zugleich die Schwingtüren in ihrer Funktion einschränken. Sie lassen sich nur noch in eine Richtung öffnen. Von diesem korridorartigen Einstieg in den Raum eröffnet sich ein panoramaartiges Blickfeld auf die nur durch verschiedene Skulpturenensembles strukturierte Ausstellungsfläche [ Abb. 9  ]. Dosenförmige Skulpturen unterschiedlicher Durchmesser und Höhen dominieren den Gesamteindruck ebenso wie eine klar auf Symmetrie bedachte Ausgewogenheit der Anordnung. So ist direkt gegenüber vom Eingang in der hinteren Raummitte die Arbeit evaluation ( 2010 ) aufgebaut, die in ihrer Struktur zum einen die der Brücke wieder aufnimmt und zugleich als optisches Bindeglied zwischen dem rechten und linken Teil der Ausstellungsfläche fungiert. Sie halten sich hier wortwörtlich die Waage. Etwas weiter vorne befinden sich wie an der Mittelachse des Raumes gespiegelt zwei zylinderförmige Skulpturen, die wiederum als Sockel bzw. viel eher noch Ablagefläche diverser Süßwarenverpackungen, eines Puzzles mit dem Motiv »Frühstückstafel« sowie eines tragbaren Kassettenrekorders und Radios der Marke Strehla dienen. Letzteres ist eingeschaltet und sendet in den Raum, wodurch das Motiv der Peilung metaphorisch wieder aufgegriffen wird. Die etwas kleinere und niedrigere Skulptur Kaffee u. Kuchen ( 2010 ) auf der linken Seite greift das für Wien spezifische Motiv der Kaffeehauskultur noch expliziter auf : Neben einem Stapel von Päckchen befinden sich auf diesem Rondell ein Paket Kaffee, Kaffeetassen sowie drei aus Keramik angefertigte Torten.

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Abbildung 9 : Manfred Pernice, sculpturama, Ausstellungsansicht, Secession, Wien, 2010  / 2011

Unweit von hier sind weitere Keramiktorten auf einem metallenen Ständer platziert (Käsekuchen, 2010 ). Direkt daneben steht die Skulptur Tankstelle ( 2010 ), die wiederum als Display mit Sockelfunktion für drei nachgebildete Skulpturen des Wiener Bildhauers Fritz Wotruba dient. Anders als bei den Arbeiten seiner ehemaligen Studenten werden diese Skulpturen vergleichbar mit dem Prinzip für seinen Beitrag zu ein   / räumen in Hamburg neu präsentiert und in Bezug auf Pernices eigenes Œuvre kontextualisiert. Dadurch wird nicht nur ein aus der Mode gekommener, spezifisch österreichischer Kunstgeschmack vorgeführt, Pernice setzt diesem zugleich seinen eigenen Skulpturbegriff entgegen. Durch die Nähe zu den Torten wird hier darüber hinaus eine Analogie von Backen und Bildhauerei suggeriert, die in Pernices Begriff des Breis seine Entsprechung findet. Über die Arbeit Brei(t) ( 2010 ) in der rechten Ecke des Raumes, in der hinter Glas neben Büchern mit historischen Themen und Monografien zu den Wiener Bildhauern Fritz Wotruba und Anton Hanak auch ein Backbuch für Wiener Torten präsentiert sind, findet dieser Begriff zugleich direkten Eingang in die Schau. Integriert in diese Ausstellung sind wie schon bei Que-Sah auch Arbeiten, die bereits zuvor als mehrteilige Ensembles entweder als Einzelausstellung oder als mehrteiliger Beitrag zu einer Gruppenausstellung präsentiert wurden und hier nun eine Aktualisierung erfahren haben : die Arbeiten Tiefengarage ( 2008 / 2010 ) in der linken, hinteren Raumecke sowie das das gesamte rechte Seitenschiff einnehmende Ensemble Liquidation-tischwelten2.1  ( 2010 ) [ Abb. 10 ]. Letzteres besteht aus Teilen der vormals in Straßburg gezeigten Ausstellung Liquidation-tischwelten2, die wie Brei(t) ebenfalls eine Reihe von an der Wand hinter Glas präsentiertem Informationsmaterial enthielt. Dabei sind etwa leere Tellerstände präsentiert, auch beschreiben kleine Aufstellschilder teilweise schon abwesende Dinge. So wird hier gar nicht

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Abbildung 10 : Manfred Pernice, Liquidation-tischwelten2.1, 2010, Ansicht innerhalb der Ausstellung sculpturama, Secession, Wien, 2010  / 2011

versucht, den Eindruck einer genauen Rekonstruktion der vormaligen Einzelausstellung herzustellen, sondern vielmehr diese Unmöglichkeit samt aller damit einhergehenden Leerstellen selbst mit ausgestellt. Im Unterschied zu ihrem ersten, linearen Aufbau in Straßburg, sind die einzelnen Zylinder hier eher kumulativ auf einem grauen Teppichboden angeordnet, der innerhalb des Ausstellungsraumes einen separaten »Raum« einzieht, der jedoch durch einzelne über den Teppich hinausragende Displaytische zugleich wieder überschritten wird. Eben durch diese Überschreitung der Markierung – wie es sie in Que-Sah nicht gab – wird der Bezug zum Gesamtraum und den anderen Exponaten hergestellt. Motivisch ergeben sich über das Geschirr und die Keramik sowie die runden Formen der Displaytische Verbindungen zu den anderen Exponaten. Auf der begehbaren Plattform der Brückenkonstruktion, auf der – zumindest als ich die Ausstellung besuchte ‒, eine Aufsicht saß, die wie ein fester Bestandteil des Settings wirkte, stand ein Wäscheständer mit sieben Socken, der als eine Hommage an die Diplomarbeit seines Schülers Roman Britschgi »Das Geheimnis der fehlenden Socke ?« gilt.61   Der Blick von hieraus erlaubt vergleichbar mit dem von Fiat in Que-Sah wiederum das simultane Erfassen aller Ausstellungsteile von einem erhöhten Standpunkt. Wortwörtlich wird von dieser Position ein dem Format der Soloausstellung entsprechender Überblick auf Pernices künstlerische Produktion der letzten Jahre geboten. Für diesen spezifischen Ausstellungskontext wurde sie zugleich eine Aktualisierung unterzogen, die noch einmal die Frage nach der Abgeschlossenheit von Kunstwerken aufwirft. So wie die Arbeiten hier gezeigt

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Gölz 2011, S. 26.

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Abbildung 11: Manfred Pernice, sculpturama, Einladungskarte, Secession, Wien, 2010  /  2011

sind, werden sie nicht noch einmal zu sehen sein. Auch wenn die Bestandteile der Arbeiten zum Teil identisch bleiben, treten sie immer wieder neu in Erscheinung. Sie präsentieren sich jeweils anders und werden dadurch auch anders erfahrbar. Pernice hielt eigenen Äußerungen zufolge beispielsweise die Art und Weise, wie die Tiefengarage in Rennes 2012 / 2013 gezeigt wurde, für die bisher gelungenste. Das Gelingen einer Arbeit hängt demnach bei Pernice immer auch von der jeweiligen Präsentationsweise ab. Damit impliziert ein derartiges auf die Ausstellungssituation ausgerichtetes Verfahren in einem erhöhten Maße ein Werturteil gegenüber der Art und Weise, wie die Arbeit gezeigt wird. Sie realisiert sich erst im Zeigen. Erst durch den Aufbau vor Ort gewinnt sie ihre Form. Stärker noch als in der Ausstellung Que-Sah ist hier nun die Formfindung selbst zum Displayverfahren geworden. Der Raum wird in der Secession nicht nur eingeräumt und neu aufgeteilt, es wird vielmehr mit und gegen ihn zugleich gearbeitet. Mit Pernices eigenem Vokabular gesprochen, tritt an die Stelle des Prinzips der Peilung hier nun das des Breis. Die Ausstellung als »formgewordener Brei« Seinem Prinzip entsprechend, Skizzen der skulpturalen Arbeiten in eben jene zu integrieren, gewährt Pernice bei dieser Ausstellung über das Motiv der Einladungskarte einen Einblick in die Genese von sculpturama [ Abb. 11 ].62   Dieser an klassische konzeptuelle Praktiken ebenso wie an Arbeiten von Louise Lawler erinnernde Zug macht aus der bereits vorab verschickten und ausgelegten Karte einen Schlüssel zum Verständnis der Ausstellung. Sie zeigt eine wenige Wochen vor der Eröffnung in Bunt- und Bleistift gezeichnete Ausstellungsskizze mit zusätzlichen

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Vgl. Draxler 2007, S. 28.

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handschriftlichen wie getippten Notizen zu ( potenziellen ) Exponaten wie »priv. Unterlagen etc. … usw. … Hausmüll« sowie »1 Video«, »Keramik«, »tankstelle« und »Kaffee u. Kuchen ( K u K )« und eine Reihe halb abgeschnittener Worte, unter ihnen »liquidation 3« sowie »baccarat«. Über der Arbeit evaluation und dem Teil, der später die Brücke werden sollte, ist auf einzelne Buchstaben verteilt das Wort »Brei« zu lesen, ein Begriff, der wie eingangs beschrieben im Zusammenhang mit Liquidation-tischwelten2 erstmals zentral wurde. In ihrem Katalogtext zieht die Kuratorin Annette Südbeck über das Stichwort »Brei« die Analogie vom Kuchenbacken über den Herstellungsprozess von Keramik hin zu Pernices eigenem plastischem Arbeitsprozess. Die Buchstaben B, r, e und i verweisen, wie Südbeck herausstellt, »sowohl auf den Zustand des noch Undefinierten, Umzuformenden als auch auf die damit einhergehende Dialektik zwischen einzelnen Objekten und ihrer räumlichen An- wie Einordnung, die Pernice additives Verfahren [ s.o., FMcG ] bestimmen. Während sich die nahezu symmetrische Strukturierung des Raumes auf der Skizze bereits andeutet, ist der zentrale Eingangsbereich noch formbar.« 63

Das Motiv der Formwerdung findet sich so auf verschiedenen Ebenen der Ausstellung wieder : zum einen, ganz banal, in den Verweisen auf die Wiener Kaffeehauskultur und K & K Monarchie, zum zweiten bezogen auf Pernice einzelne künstlerische Arbeiten, wobei der Begriff sogar im Titel einer Arbeit wieder auftaucht und Liquidation-tischwelten2.1 in dieser Hinsicht die komplexeste innerhalb der Ausstellung darstellt, und drittens auf der Ebene der Ausstellungskonzeption selbst. Die Ausstellung stellt folglich nicht nur Skulpturen aus, sondern stellt den Herstellungsprozess, die den einzelnen Arbeiten zugrunde liegenden Problemhorizonte und bildhauerischen Fragen selbst ins Zentrum dieser Ausstellung. Im Vergleich mit Que-Sah wird deutlich, dass die Arbeiten dort tatsächlich eher noch »ausgestellt« und dem Betrachter zugewandt waren, während hier stärker auf die Rezeption der einzelnen Skulpturen in der Situation selbst abgezielt wird. Die einzelnen Arbeiten, die auf dem Begleitblatt zur Ausstellung durchaus zugeordnet werden, entgrenzen sich zugleich auch hier in den Raum. Es werden durch die symmetrische Anordnung Zusammenhänge und Gegenüberstellungen nahegelegt, die die Arbeiten selbst nicht unbedingt implizieren und auch hier quer jeglicher Form von Chronologie gehen. Motivisch verbindet zugleich das ganze Spektrum der Wiener Kaffeehauskultur sowie über den Titel implizit auch die K & K Monarchie und damit eine direkte, ja fast klischeehafte Anspielung an Wien,

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Südbeck 2001, S. 166.

364 |  V. A usstellungen über das A usstellen

die Stadt, an deren Kunstakademie Pernice selbst eine Zeitlang lehrte und die sich hier durchaus als Kommentar auf für heutige skulpturale Praxis zum guten Ton gehörende Ortsspezifität bzw. Kontextreflexivität verstehen lässt.64   Das Reale erhält somit auf zweifache Weise Einzug in das Gezeigte : zum einen durch die faktischen Reste der Konsumkultur, zum anderen durch die formalen, sprachlichen und humoristischen Referenzen an die Stadt Wien, ihre Geschichte, Kultur und Künstler. Die Ausstellung thematisiert damit nicht nur die spezifische situative Anordnung der Skulptur im Ausstellungsraum, sondern auch die der Ausstellung innerhalb ihres räumlichen, kulturellen und historischen Umfeldes. Auch auf diese Weise durchbricht Pernice den klassischen White Cube und geht zugleich über eine ortsspezifische Installation hinaus. Die Ausstellung wird zu einem tautologischen »Zeigen über das Zeigen«, das sozusagen eine Ebene über dem »Kunst über Kunst« operiert. Dadurch dass seine Displays auf ihre eigenen Bedingtheiten verweisen, ist ihnen zugleich eine didaktische Dimension eingeschrieben. Pernice präsentiert daher nicht nur eine Ausstellung, sondern nutzt das Format der Ausstellung, um eben dieses in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen vorzuführen. Ihr Entstehungsprozess wird so auch für die Ausstellungsbesucher nachvollziehbar. Der Betrachter ist im Bild Für beide Ausstellungen, Que-Sah und sculpturama, gilt folglich, dass sie Zustände von Skulpturen und ihr situatives Zusammenspiel zeigen, die dem jeweiligen Ort und Zeitraum geschuldet sind. Sie setzen somit in einer Wortwörtlichkeit das um, was das jeweilige Ausstellungsformat an Anforderungen wie Problematiken bezüglich der Auswahl und Präsentation von Kunstwerken mit sich bringt. Besonders evident wird dies durch Elemente wie die sich drehende Säule und die Ausrichtung der Sockelhöhen auf ihr menschliches Gegenüber sowie das Angebot, über in das Display integrierte Plattformen verschiedene Perspektiven auf die Ausstellung einzunehmen. Im Unterschied zum klassischen White Cube wird der Betrachter hier nicht als »bodyless eye«, sondern als physisches Wesen adressiert. Unterstützt wird diese Sichtweise durch die eingangs beschriebene Tendenz zur Anthropomorphisierung der Dosenskulpturen, wie sie besonders deutlich im Dosenfeld zutage tritt. Die Ausstellungsbesucher sind in Pernices Ausstellungen aufgefordert, es sich in den verschiedenen Sitzbereichen bequem zu machen oder auf die Plattformen zu steigen, um darüber neue Perspektiven auf das Präsentierte einzunehmen. So sind innerhalb des Ausstellungsraums ideale Betrachterstandorte festgelegt, die

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Vgl. Südbeck 2001, S. 166.

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einen Überblick ermöglichen (bei Que-Sah beispielsweise von der Rundbank und von Fiat) und den Betrachter zugleich der Situation entheben bzw. scheinbar entziehen – ohne sie jedoch zu verlassen. Der Perspektivwechsel und die damit einhergehende Übersicht, die Kippenberger und später auch Cosima von Bonin in ihren Ausstellungen mit den Hochsitzen nur angedeutet haben, werden hier nun ausgeführt. Auf diese Weise wird das Prinzip des für Ausstellungen signifikanten »wandernden Blickpunkts«, der immer neue Aspekte der ausgestellten Arbeiten hervorkehrt, durch Pernices Raumaufteilung noch verstärkt.65   Die Perspektivwechsel in Bezug auf die Präsentation sind im Display mit angelegt und nicht wie etwa bei Kippenbergers I had a Vision erst nachträglich durch die Installationsaufnahme verändert. Pernices Ausstellungen sind, und hierin liegt eine klare Differenz zu den Praktiken der 1960er Jahre, selbst bereits bildhaft. Sie sind Tableau.66   Dabei lässt sich das aus dem Französischen übernommene Wort sowohl mit Gemälde als auch mit Schauspiel oder Bühnenbild übersetzen. Pernices Ausstellungen vereinen alle drei Auslegungen. Die Betrachter in Pernices Ausstellungen werden selbst bereits als Bildelemente einkalkuliert und die hier möglichen Perspektivwechsel finden, anders als bei einem Tafelbild, stets innerhalb der bildhaften Struktur statt. Das Display wird so im wortwörtlichen Sinne »Anschauungsfeld«. Abhängig von der jeweiligen Besucherzahl ergibt sich so ein ausdrücklich einkalkuliertes Wechselspiel des Betrachtens und Betrachtetwerdens und damit der Inklusion in die bestehende Situation wie ihres – allerdings nur scheinbaren – Entzugs. Die »synergetic manner«, von der in Bezug auf Kelleys frühe Ausstellungsdisplays, aber auch in Bezug auf Beuys bereits die Rede war, entsteht bei Pernice v. a. über die formale Ähnlichkeit der einzelnen Ausstellungselemente und ihre Fähigkeit, sich zu modulhaften Landschaften zu fügen. Den mit Verfahren der Peilung implizierten Versuche der Negation von Intention und Subjektivität in Bezug auf das Display steht so der Eindruck von Kohärenz entgegen, der sich nicht zuletzt über einen ebendiese Verfahren verbindenden signature style« des Künstlers auszeichnet. Mit Arbeiten wie dem 1a – Dosenfeld’ 00 zielt er auf »heterogene Situationen« ab, auf eine »temporäre oder permanente Koexistenz von aneinander nicht interessierten Einzelaspekten«67, die jedoch potenziell eine Parallele zu unserer Erfahrung der Alltagswelt aufweisen. Anders als in den Arbeiten der bisher diskutierten Künstler sind Pernices Ausstellungsdisplays folglich nicht

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Zum Perspektiv- bzw. Aspektwechsel vgl. auch Eco 1977, S. 51  f. Vgl. Nollert, Angelika : »Strategien des Ausstellens«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice. Que-Sah, 2010, S. 75 ‒78, hier S. 75. Aus dem Pressetext der Ausstellung, http://www.portikus.de/exhibition_99.html  ( Abruf am 23.10.2013 ).

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auf eine bestimmte Lehre oder Aussage gerichtet, sondern rücken die Erfahrung – von Skulptur in der Situation ihres Ausgestelltseins – und damit den Betrachter als Rezipierenden selbst ins Zentrum.68   Es liegt an ihm, die in Fülle gebotenen, unterschiedlichen Informationsangebote und die unterschiedlichen dem Display immanenten Referenzen und formalen Entsprechungen in einen Zusammenhang zu bringen. Im Zuge der hier geschilderten Entwicklung hat sich also auch die Rezeption von Kunst entsprechend geändert : Als Betrachter sehen wir heute konstellativ und setzen die Objekte innerhalb einer Ausstellung automatisch zueinander in Beziehung, vergleichen sie und versuchen einen Sinn aus dem jeweils konstruierten Zusammenhang herauszulesen.69   Pernice thematisiert besonders Letzteres mit seinen scheinbaren »Unsinns-Strukturen« auf humorvolle Weise. Die suggerierte Relationalität der Objekte untereinander ist besonders bei kontextreflexiven Ausstellungen stets gekoppelt an die potenzielle Referenz einzelner Objekte auf ein Außerhalb. Die Ausstellungsdisplays erscheinen dementsprechend ortsspezifisch und dadurch durchaus originär und in ihrer jeweiligen Realisierung einmalig. Die Bildstrecke als Abkehr vom singulären Installationshot Die zu Que-Sah und sculpturama erschienenen Kataloge zeichnen sich wie die Ausstellungen durch eine Reflexivität gegenüber den spezifischen Eigenschaften des Formats aus. So adressieren sie mit ihren, den Texten vorangestellten, umfangreichen Bildstrecken ein Problem, mit dem sich jede fotografische Vermittlung einer Ausstellung prinzipiell konfrontiert sieht : Wie kann man ein Display, das vorrangig temporär und situativ erfahrbar ist, adäquat über ein zweidimensionalem Medium vermitteln ? Gerade auch angesichts der erhöhten Präsenz und Ab-

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Vgl. Schmidt-Wulffen, Stephan : »Haushalt der Energien«, in : Ausst.-Kat. Manfred Pernice. sculpturama, 2011, S. 171 ‒176, hier S. 174. Dort heißt es : »Die Montagen, die die Ausstellungen als auch die Fotostrecken zur diskursiven Praxis werden lassen, setzen die BetrachterInnen als Handelnde voraus. Sie haben jene Montagen immer in actu zu vollziehen, die der Künstler als ein Feld von möglichen Bezügen vorgegeben hat. Die Zeitlichkeit dieser Praxis ist offensichtlich und wird in den beiden Fotosequenzen leicht anschaulich.« Vgl. Juliane Rebentisch in ihrem Beitrag zur documenta 12 auf dem Workshop »Die ästhetische Ordnung der documenta 12 - Nachlese und Diskussion« des Sonderforschungsbereichs 626 »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« am 9. November 2007 im Roten Salon der Volksbühne Berlin, als Audiofile unter http:// www.sfb626.de/veroeffentlichungen/documenta_workshop/index.html  (  Abruf am 13.12.2013 ).

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rufbarkeit von Installationshots auf Websites wie Contemporary Art Daily aber auch einzelner Galerien und Museen, die einen unmittelbaren Eindruck von Ausstellungen suggerieren, gewinnt diese Frage zunehmend an Relevanz. Dem New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz zufolge besuchen gerade Sammler immer seltener noch tatsächlich Ausstellung, auch werden Galerieausstellungen zunehmend bereits auf das online abrufbare Foto hin inszeniert.70   Zwar ist die Ausstellung nach wie vor Dreh- und Angelpunkt der öffentlichen Präsentation von Kunst, doch hat sich hierdurch ihre Rezeptionsmöglichkeiten maßgeblich erweitert, wenn nicht verschoben. Dementsprechend hat auch von künstlerischer Seite die Frage nach einer adäquaten fotografischen Reproduktion von Ausstellungen besonders in den vergangenen Jahren entscheidend an Bedeutung gewonnen, auch wenn Künstler wie Daniel Buren bereits in den 1970er Jahren angefangen haben, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Wie Brian O’Doherty herausgestellt hat, wird durch den Verzicht auf die Abbildung von Besuchern im klassischen Installationshot auch die auratische Dimension des White Cube reproduziert. »Here at last«, heißt es an entsprechender Stelle, »the spectator, oneself, is eliminated. You are there without being there – one of the major services provided for art by its old antagonist, photography. The installation shot is a metaphor for the gallery space.« 71   Und damit, wäre zu ergänzen, immer auch ein Spiegelbild einer bestimmten Zeit und Ästhetik. Daniel Buren und auch Louise Lawler arbeiten mit genau dieser Qualität : Buren als jemand, der mit seinen »photo-souvenirs« auf die Diskrepanz von Ausstellungssituation und fotografischem Abbild verweist und Lawler als jemand, die mit ihren Fotografien gerade über diese Diskrepanz zurückweist auf die Rahmung der arrangierten Kunst in privaten und öffentlichen Räumlichkeiten durch ihren jeweils situationsspezifischen Kontext. Die einzelnen Fotos der Bildstrecken in Pernices Katalogen nun wurden zwar nicht zwangsläufig vom Künstler selbst aufgenommen; doch weist die Blickregie klare Parallelen zu seiner bildhauerischen Vorgehensweise auf, sodass sie dem ungeachtet als Teil seiner künstlerischen Praxis zu sehen sind. Anders als die auf die physische Präsenz des Betrachters abzielenden Ausstellungen argumentieren sie dem Printmedium entsprechend vorrangig visuell. Pernices Bildstrecken gehen somit über das hinaus, was ein einzelner Installationshot und damit ganz singulärer,

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Vgl. Saltz, Jerry : »Der Tod der Galerieausstellung«, in : http://www.monopol-magazin. de/blogs/der-kritiker-jerry-saltz-blog/201371/Tod-der-Galerieausstellung.html  (Abruf : 03.02.2015 ). O’Doherty 1999, S. 15. O’Doherty vergleicht den Installationshot hier mit den Salongemälden aus den 1830er Jahren.

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statischer »frame« leisten kann, wobei wie in der Ausstellung selbst auch hier die Selektion und Präsentation die maßgeblichen konzeptuellen wie für die Rezeption bestimmenden Parameter darstellen. Besonders deutlich wird dieser Twist im Vergleich zu dem Katalog von Heimo Zobernigs 2011 bei der im Kunsthaus Zürich gezeigten Retrospektive ohne Titel ( in Red ), die ebenfalls eine zentral gesetzte, in Absprache mit dem verantwortlichen Grafiker konzipierte Bildstrecke enthält.72   Im Wechselspiel von Totale und Nahsicht gibt die Bildstrecke von Zobernigs Katalog die Räume der Ausstellung in ihrer dem Gang des Besuchers nachvollziehenden Abfolge und dem entsprechendem Farbspektrum wieder. In ihrem Vorwort zu dieser Publikation spricht Beatrix Ruf davon, dass »[d ]ie nun vorliegende Publikation […] die Ausstellung ohne Titel ( in Red ) in einen fotografischen Gang durch die Räume in Buchform [übersetzt].« 73 Die Kamera tritt damit an die Stelle des Auges, eines jedoch auch hier nach wie vor »spectatorless eye« im Sinne O’Dohertys.74   Die abgebildeten Fotografien unterliegen folglich im Sinne Burens keiner subjektiven, sondern einer apparativen Erinnerung. Seite für Seite folgt ein »frame« auf den anderen. Wie Buren in seinem Essay »Erinnerung der Taten« (1988 ) herausstellte, reichen selbst Fotos nicht aus, um die rahmende Eigenschaft der Fotografie zu sprengen.75   Auch eine Bildstrecke wie diese kann es letztendlich nicht, obwohl sie durchaus eine Dynamik hineinbringt. Sie erhält anders als der singuläre Installationshot filmische Qualität. Ihr

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Zobernig gestaltete seine Kataloge für einige Jahre ausschließlich selbst. Entscheidungen bezüglich des Layouts, der Typografie ( in der Regel Helvetica ) sowie Auswahl der Texte in diesen Publikationen sind fast durchgehend auf ihn zurückzuführen. Helmut Draxler geht soweit zu sagen, dass sich Zobernigs Praxis am besten über seine Kataloge erschließen lassen. »Hier lassen sich am ehesten nicht nur die unterschiedlichen Akzente hinsichtlich der Werke und Werkgruppen, sondern auch das jeweilige Verhältnis zwischen den Texten, den institutionellen Vorgaben und den Arbeitsmethoden erkennen.« Draxler, Helmut : »Konstruktivismus als Allegorie. Skulpturaler Diskurs, Methodik und ästhetische Praxis bei Zobernig«, in : Ausst.-Kat. Heimo Zobernig. Katerlog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 07.12.2002  ‒  02.03.2003, K21 Kunstsammlung NordrheinWestfalen, Düsseldorf, 12.07. ‒  02.11.2003, hg. vom Museum Moderner Kunst Stiftung Wien, Köln 2003, S. 280  ‒ 286, hier S. 280. Ruf, Beatrix : »Vorwort«, in : Ausst.-Kat. Heimo Zobernig. ohne Titel ( in Red ), 2011, S. 6  f., hier S. 7. Vgl. O’Doherty 1999, S. 35  ff. Buren 1995, S. 385  ‒ 398.

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Abbildung 12 : Doppelseite aus dem Katalog zu Que-Sah, Neues Museum Nürnberg, 2008

unterliegt durch die Abfolge der Seiten und Perspektivwechsel automatisch eine zeitliche Dimension, die in Analogie zur zeitlichen Dimension eines tatsächlichen Ausstellungsbesuches gedacht ist.76 Pernices Bildstrecken gehen darüber noch einen Schritt hinaus. Durch den gezielten Einsatz von Multiperspektivität entpuppen sich die Fotografien hierbei als gegenüber ihrem Gegenstand reflexiv. Die Bildstrecken bilden daher nicht nur den Versuch einer »Übersetzung« der Ausstellung in das Medium der Fotografie, sondern vielmehr des Ausstellungskonzepts in ein fotografisches und damit zweidimensionales Medium. Der Bildteil des Que-Sah-Katalogs etwa beginnt mit dem Blick durch den Eingangsbereich im ersten Stock auf Fiat. Das nächste Foto wirkt wie herangezoomt. Es folgt eine Detailansicht sowie eine Sicht von leicht erhöhtem Standpunkt, der auch die Arbeiten hinter Fiat ins Blickfeld rückt. Dem Prinzip treu bleibend folgen Fern- und Nahsichten einzelner Arbeiten und Aufnahmen aus Perspektiven, die ein Besucher der Ausstellung gar nicht einnehmen könnte. Ganzseitige Fotos stehen dabei im Wechsel mit über die Doppelseiten des Katalogs ausgerichteten collageartigen Zusammenstellungen einzelner Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven [ Abb. 12  ]. Anders als bei Zobernig wird hier folglich keine Wiedergabe des Gangs durch die Ausstellung simuliert, sondern die Aufnahmen springen zwischen der Lobby und dem ersten Stockwerk hin und her und verfolgen auch innerhalb dieser beiden Raumzonen sprunghafte Perspektivwechsel. Zudem sind im Unterschied zu Zobernigs Bildstrecke nicht alle Bilder

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Zur Analogie von Installationshot und Filmstill vgl. auch Bahtsetzis, Sotirios : »Installation als meta-kinematographisches Dispositiv«, in : Frohne, Ursula   /  Haberer, Lilian ( Hg.) : Kinematographische Räume in Film und Kunst, München 2012, S. 18  ‒ 39.

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gestochen scharf. Sie verfolgen vielmehr eine Ästhetik der Unschärfe, die nicht zuletzt der schlechten Auflösung und Spontaneität von Handyfotos geschuldet und damit heute durchaus üblich geworden ist.77   Zugleich weist sie eine Referenz auf die Tradition der künstlerischen Skulpturfotografie auf, mit der Künstler wie Brancusi sich über kompositorische Effekte wie Unschärfe bewusst vom verbreiteten Standard absetzten. Skulpturen galt es mit scharfen Konturen abzulichten, damit sie sich als plastische Objekte vom Hintergrund abheben und nicht malerisch wirken.78  Auch die Fotografie ist daher vom Bildhauerischen gedacht. Das »Whishy-Waschi« der Pernice’schen Skulptur findet in der Unschärfe auch seine bildliche Entsprechung. Im Kontrast dazu erhalten die in den Katalogen ganzseitig abgedruckten Wandtexte eine Aufmerksamkeit, wie sie sie in ihrer konstellativen Anordnung in der Ausstellung nicht hatten und fordern somit nun direkter zur genaueren Lektüre auf. Auch sind anders als beim klassischen Installationshot sowohl Museumspersonal als auch Besucher auf den Bildern zu sehen. So wird der Betrachter physisch adressiert und die Maße wieder in Bezug auf die menschliche Physionomie erkennbar. Gerade dadurch, dass eben nicht nur Besucher, sondern auch beispielsweise Aufsichtspersonal zu sehen sind, erwecken die Fotos einen Eindruck des alltäglichen Ausstellungsbetriebs, die Sicherheitsbestimmungen eingeschlossen.79   Im Anschluss an die Bildstrecke folgen zudem Einzelaufnahmen der ausgestellten Arbeiten in ihrer jeweiligen Ausstellungssituation. Dies bricht einerseits mit dem vorangegangenen Verfahren, da die einzelnen Arbeiten hier isoliert von ihrem Gesamtkontext abgebildet werden, und schlägt zugleich eine Brücke zum Gesamtverzeichnis am Ende des Buches. Sie erscheinen hierdurch besonders deutlich als Elemente innerhalb eines Modulsystems, das je nach Ausstellungszusammenhang neu zusammengefügt werden kann. Durch die Gegenüberstellung von penibler Dokumentation einzelner Details, die dem Ausstellungsbesucher entgangen sein mögen, und der Multiperspektivität auf die ausgestellten Objekte entsteht weniger der Eindruck eines durchkomponierten Ganzen als einer Fragmentierung und kaleidoskopartigen Zusammenstellung verschiedener Sichtweisen.

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Beispielhaft für das Spiel mit der Ästhetik von Handyfotos ist etwa die von der Galerie neu herausgegebene Monographie Sergej Jensen ( Berlin 2011). Gülicher 2011, S. 164  f. Schmidt-Wulffen schreibt in seinem Katalogbeitrag diesbezüglich gar von einem »Protokoll« der Ausstellungssituation ( Schmidt-Wulffen 2011, S. 172 ). Doch zeigen die Bildstrecken vielmehr etwas, was der Besucher in der Ausstellung so gar nicht wahrnehmen konnte. Sie bieten vielmehr neue und andere Perspektiven auf die gesamte Situation wie auf die darin enthaltenen Details.

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Abbildung 13 : Doppelseite aus dem Katalog zu sculpturama, Secession Wien, 2010  /  2011

Das Verfahren im Katalog zu sculpturama unterscheidet sich hiervon leicht : Die hier abgedruckte Bildstrecke wirkt klarer und weniger fragmentiert. Dennoch gilt auch hier, wie Schmidt-Wulffen beobachtet, dass die »Dramaturgie […] auch in der weiteren Folge zunächst disparat erscheinende Ausstellungsimpressionen [vereint ], die dann während des Blätterns durch die Erinnerung und vor dem inneren Auge allmählich in eine räumliche Ordnung gebracht werden«.80   An die Stelle der kaleidoskopartigen Auffächerung rückt ein Rückgriff auf Inserts und damit einer typischen Arbeitsweise von Printmedien. Dementsprechend enthält der Katalog nicht nur Nahaufnahmen der in der Ausstellung präsentierten Kopien und Briefe, sondern auch ganze Scans aus Büchern. Die diskursive Ebene des Displays rückt somit stärker als innerhalb der Ausstellung in den Fokus. Einzelne Skulpturen wurden auf verschiedenen Hintergründen, die einer für Pernice typischen Farbskala entsprechen, freigestellt und damit auch aus ihrem Ausstellungskontext herausgelöst. Als besonderer Gimmick sind einige der Abbildungen in 3D gedruckt und eine entsprechende Brille aus Papier beigefügt [ Abb. 13  ]. So können einzelne Skulpturen auch im zweidimensionalen Medium des Buches zu einer der Gattung angemessenen dreidimensionalen Qualität verhelfen. Dieses Spiel mit der Differenz von Zwei- und Dreidimensionalität im Installationshot spiegelt sich auch in den zwei mittig eingefügten Bildern wieder, die aus einem in der Ausstellung stattgefundenem Mode-Fotoshooting hervorgingen. Über sie wird die Ausstellung zum Setting der in ihr arrangierten Modelle. Zugleich rufen sie unvermeidlich eine Genealogie von Modefotografie vor Kunst in Erinnerung, wie sie

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Schmidt-Wulffen 2011, S. 171.

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mit Cecil Beatons Aufnahmen von Models vor Jackson Pollocks Gemälden für die Vogue zu großer Berühmtheit gelangte.81   Dabei sind Modefotos eindeutig gerahmt, sie zeigen bewusst einen bestimmten Ausschnitt. Somit erlangt die dargestellte Szenerie wiederum bildhaften Charakter. Mit der am Ende der Bildstrecke angefügten und durch eine Leerseite abgesetzten Schwarz-Weiß-Fotos einer Lokalität, die mit der Bildunterschrift : »Josef Dabernig. Herna in der Václavská Straße. Abbildungen zu einem nicht verwendeten Drehort in Brno.  /  Herna on ul. Václavská, Brno. Location shots of a location not used in the film.« unterschrieben sind, wird abschließend auf einen Ort verwiesen, der weder in der Ausstellung noch in dem hier erwähnten Film Präsenz erlangte, über den Katalog aber zur Sichtbarkeit verholfen wird. Hierüber schlägt noch einmal die »filmische Regie« durch, der sich Pernice bedient. Doch erzeugt er hierüber kein stringentes Narrativ, sondern bricht dieses ganz bewusst auf. Seine Bildstrecke gibt, wenn auch vom Wechselspiel von Totale und Nahsicht daran orientiert, keinen singulären Gang durch die Ausstellung wieder. Vielmehr bildet sie eine Fortführung der Mittel in einem anderen Medium. Darüber schafft Pernice auch eine Übertragung der zeitlichen Dimension der Ausstellungssituation in die Fotografie. Die Betrachter müssen nicht nur Blättern, sondern durch das Springen der Perspektive – oder, anders ausgedrückt, die harten Schnitte ‒, selbst durch das Rückschließen auf das bereits Gesehene peu à peu die Gesamtsituation für sich herstellen. Sie nehmen, wie Schmidt-Wulffen herausstellt, »dabei eine kontinuierliche Neukonstitution der Raumverhältnisse vor, die dadurch als gemachte erkennbar werden.«82   Auch der Betrachter dieser Bildstrecken ist folglich ein aktivierter und die Rezeption bereits in ihr angelegt. Besonders im Kontrast zu Zobernigs Bildstrecke wird deutlich, dass es sich hierbei um keine Dokumentation einer Ausstellung im Sinne einer linear nachvollziehbaren Aufbereitung handelt, sondern vielmehr der konzeptuelle Ansatz seiner Displays in das Format der Bildstrecken übertragen wird. Damit reflektiert sie den Umstand, dass eine Fotografien eine in der Situation gemachte Erfahrung erset-

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Auch die 1942 von Peggy Guggenheim in New York eröffnete Ausstellung Art of This Century beispielsweise, für die Fredrik Kiesler das Display entwarf, diente als Hintergrund für Modefotografien der Vogue. »Wie hier Zeit konstruiert wird«, stellt Schmidt-Wulffen in Bezug auf die Bildstrecke in sculpturama heraus, »zeigen die Auslassungen von Motiven, etwa wenn die Plattform, von der anfangs nur die Treppe zu sehen ist, erst am Schluss der Bildfolge dargestellt wird. Die BetrachterInnen müssen hier also ›rückschließen‹ auf das bereits Gesehene und nehmen dabei eine kontinuierliche Neukonstitution der Raumverhältnisse vor, die dadurch als gemachte erkennbar werden.« Schmidt-Wulffen 2011, S. 174.

V. P ernice  |  373

zen könnte, und bietet trotzdem ein umfassendes, die Ausstellung überdauerndes »Bild« des Gezeigten. Der Katalog als solcher erhält dadurch eine neue Funktion : Er ist kein rein supplementäres Objekt mehr, das vorrangig der kunsthistorischen Einordnung und diskursivierenden Verortung des in der Ausstellung Gezeigten dient, sondern verhilft vielmehr einer an sich ephemeren künstlerischen Situation zu einer neuen, anhaltenden und prinzipiell für ein Gros erwerblichen Präsenz. Dem Katalog wird somit selbst eine eigenwertige und d. h. in diesem Fall ästhetische und bedeutungsproduzierende Rolle zugeschrieben, ohne dass er zwangsläufig als Kunstwerk gehandelt werden muss.

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Die Ausstellung

als

Wanderzirkus

Zum künstlerischen Umgang mit der Wanderausstellung Abschließend soll noch einmal die Wanderausstellung in den Fokus rücken und damit ein Ausstellungsformat, das zwar bereits mehrfach Erwähnung fand, aber noch nicht explizit zur Sprache kam, und das für Pernices institutionelle Präsenz in den Jahren 2010 bis 2012 eine große Rolle spielen sollte.83   Im Zusammenhang mit den hierunter fallenden Ausstellungen greift Pernice verschiedene, bereits diskutierte Verfahren wieder auf, mit der entscheidenden Differenz jedoch, dass der Bezugsrahmen nicht aus einer, sondern aus drei wiederum in Beziehung stehenden Ausstellungen besteht. Eine Wanderausstellung ist wie die Retrospektive ein klassisch institutionelles Format, das auf der Kooperation von mindestens zwei Ausstellungshäusern in verschiedenen Städten basiert. Sie ist meist mit hohen Produktionskosten und   /  oder einem hohen finanziellen Aufwand verbunden, den die beteiligten Häuser untereinander aufteilen. Hierbei kann es je nach Standort etwa aufgrund der Leihpolitiken zu Variationen in der Werkauswahl und bedingt durch die architektonische Beschaffenheit der Räumlichkeiten zu sehr unterschiedlichen Hängungen der Arbeiten sowie ihrer Wirkung und Erfahrung als Ausstellung insgesamt kommen. Bei vielen Wanderausstellungen handelt es sich zugleich um Retrospektiven oder zumindest überblicksartig angelegte Werkschauen, die einem möglichst großen Publikum zugängig gemacht werden sollen. Sie sind also ein global ausgerichtetes Ausstellungsformat, dessen Adressatenkreis dementsprechend besonders weit gefasst ist. Im Unterschied zu einer für eine bestimmte Institution konzipierten Ausstellung bewegen Wanderausstellungen sich bereits von ihrer konzeptuellen

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Das Format der Wanderausstellung etablierte sich Ende des 19.  Jahrhunderts zunächst vorrangig im Bereich des Kunstgewerbes, ab dem frühen 20.  Jahrhundert dann auch stärker im Bereich der Bildenden Kunst. In den Jahren 1912   /1913 fand beispielsweise die umfassende Wanderausstellung »German Applied Arts« mit deutscher und österreichischer angewandter Kunst statt, die der deutsche Museumsgründer Karl Ernst Osthaus mitorganisierte und die in den Kunstmuseen von Newark, Saint Louis, Chicago, Indianapolis, Cincinnati, Pittsburgh und New York gezeigt wurde. ( Vgl. Topp, Leslie : »Moments in the Reception of Early Decorative Arts in the United States«, in : Ausst.-Kat. New Worlds. German and Austrian Art, 1890  ‒1940, Neue Galerie New York, 28.06. ‒  01.09.2002, hg. von Renée Price, New York 2001, S. 575  f.) Die von Katherine Dreier organisierte International Exhibition of Modern Art 1926   /1927 sowie die Französische Abstrakte Malerei von 1948 stellen weiter frühe Beispiele für Wanderausstellungen dar.

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Anlage her durch Zeit und Raum und sind dementsprechend darauf angelegt, unterschiedliche Rezeptionszusammenhänge zu produzieren. Sie unterliegen, bezogen auf die Ausstellungspolitik und im Vergleich zu anderen Formaten des Ausstellens, immer auch der Gefahr, für alle an der Produktion Beteiligten ins Langweilige, weil Repetitive und Vorhersehbare zu kippen.84   Diese Art der Wiederholung ist zunächst einmal als in diesem Sinne unproduktiv und vorrangig pragmatisch zu denken. Im doppelten Sinne des Wortes kann eine Wanderausstellung »situational boredom« erzeugen, die sich durch »expectable products of a monotonous, repetitious, non-stimulating environment«85 auszeichnet. Eine langweilige Situation führt zu Gleichgültigkeit und erscheint dadurch bedeutungslos. Folglich kann auch eine mangelnde Stimulation innerhalb einer Ausstellung für Langeweile sorgen, sowohl für die an den konzeptuellen und organisatorischen Abläufen beteiligten Personen einschließlich des Künstlers als auch für den Ausstellungsbesucher. Die in den vorangegangenen Analysen immer wieder thematisierte Aktivierung des Betrachters basiert, und das wird hieran besonders deutlich, also stets auf dem Zusammenspiel der Reize, die von der Situation ausgehen und über die bestimmte Rezeptionsprozesse in Gang gesetzt werden sowie dem, was der Betrachter selbst in die jeweilige Situation einbringt.

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So heißt es beispielsweise im Vorwort des Katalogs zu Cosima von Bonins Lazy Susan Series, A Rotating Exhibition 2010  ‒ 2011, »dass die Wanderausstellung hinsichtlich ihrer Gestaltung manchmal für einen Künstler die am wenigsten inspirierende Ausstellungsform sein [ kann]. Und für eine Institution ist die Gastgeberrolle bei einer solchen Schau möglicherweise ebenfalls die am wenigsten attraktive Art des Arbeitens. Wanderausstellungen bergen das Risiko, für alle Beteiligten repetitiv zu werden, losgelöst von den unterschiedlichen lokalen Kontexten.« Schaffhausen, Nicolaus   /    Trevor, Tom   /   Bernard, Christian  /   Pavlovic, Catherine  /   König, Kaspar  /   Baudin, Katia Baudin ( Hg.) : »1.2.3.4 Einführende Bemerkungen«, in : Ausst.-Kat. Cosima von Bonin. 1, 2, 3, 4, anlässlich der Ausstellungsreihe Cosima von Bonin – The Lazy Susan Series – A Rotating Exhibition 2010  ‒ 2012, mit folgenden Ausstellungsstationen : Cosima von Bonin’s Far Niente for Witte de With’s Sloth Section, Loop # 01 of the Lazy Susan Series … 10.10.2010  ‒ 09.01.2011, Witte de With, Center of Contemporary Art, Rotterdam; Cosima von Bonin’s Bone Idle for Arnolfini’s Sloth Section, Loop # 02 of the Lazy Susan Series … 19.02. ‒  25.04.2011, Arnolfini, Bristol; Cosima von Bonin’s Zermatt ! Zermatt ! Z…ermattet ! For Mamco’s Sloth Section, Loop # 03 of the Lazy Susan Series … 08.06. ‒18.09.2011, Mamco, Genf, hg. von Katia Baudin, Köln 2011, S. 6. Gabriel, Martha : »Boredom : Exploration of a Developmental Perspective«, in : Clinical Social  Work Journal 16 (1988 ), S. 156  ‒164, hier S. 156. Vgl. auch Bortolotti, Lisa   /   Nagasawa, Yujin : »Immortality without Boredom«, in : Ratio 22/3 (2009 ), S. 261  ‒ 277, hier S. 268.

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Vergleichbar mit der Retrospektive lassen sich bezeichnenderweise auch bei der Wanderausstellung gerade in jüngerer Zeit zahlreiche Beispiele von Künstlern finden, die dieses institutionell gesetzte Format in ihrer Ausstellungstätigkeit mit reflektieren und zum Teil ihrer künstlerischen Konzeption und Ausdrucksdimension machen. Dies hat zur Folge, dass sich mit der Wendung eines musealen Formats in ein künstlerisches auch die Unproduktivität der Wiederholung einschließlich der hierin implizierten Langeweile ins Produktive wendet. Häufig wird sich in diesem Zusammenhang Analogien zu bereits bestehenden Formaten und Verfahren bedient. Schon Anfang der 1990er Jahre ist in Bezug auf Isa Genzkens erste größere institutionelle Einzelausstellung Jeder braucht mindestens ein Fenster, die Arbeiten aus den Jahren 1980 bis 1992 versammelte und in Chicago, Frankfurt, Brüssel und München gezeigt wurde, von einer »Tournee« die Rede, »die von Ort zu Ort verschiedenen Charakter« hat.86   Diesem wiederholt in Bezug auf Wanderausstellungen herbeizitierten Bild der Tournee entsprechend kommen die einzelnen Ausstellungsobjekte vergleichbar mit einem Konzert oder einem Theaterstück an den verschiedenen Orten zur Aufführung,87 die als solche singulären Charakter trägt und ihr »Arrangement« mit jedem Ortswechsel ändert bzw. an die gegebenen Verhältnisse anpasst. Auch Rosemarie Trockel passte das Konzept ihrer in neun Kapitel gegliederten, retrospektiv angelegten Ausstellung Werkgruppen 1986  ‒1998 mit jeder Station an die räumlichen Gegebenheiten an. Die Ausstellung wird somit selbst zu einem jeweils orts- bzw. institutionsspezifisch ausgerichteten work in progress.88  Im Fokus von Cosima von Bonins 2011 / 2012 in Amsterdam, Bristol, Genf und Köln gezeigter Ausstellung Lazy Susan Series dagegen steht nicht mehr der Prozess im Sinne eines sich fortschreitenden Wandels, sondern das Motiv der Wiederholung selbst. Sie ist als Loop mit je nach ausstellender Institution spezifischen Variationen konzipiert und erhebt damit das Rotationsprinzip der Wanderausstellung selbst zu ihrem Thema. Indem von Bonin sich für ihre Wanderausstellung eines repetitiven Prinzips aus der Musik bedient, das sich wie ein Leitfaden durch ihr gesamtes künstlerisches Œuvre zieht und das sich durch Phasenverschiebungen und additive Prozesse innerhalb der einzelnen »Pattern« auszeichnet, setzt sie ganz bewusst auf ein Kompositionsverfahren, das

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http://www.portikus.de/exhibition_45.html  ( Abruf am 05.01.2013 ). Vgl. hierzu auch den Unterpunkt »›The Happy End of Franz Kafka’s Amerika‹ – Ausstellung und    /  oder Kunstwerk ?« im Kippenberger‐Kapitel, S. 159  ‒ 178. Vgl. Ausst.-Kat. Rosemarie Trockel. Werkgruppen 1986  ‒1998, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 04.09. ‒  15.11.1998, Whitechapel Art Gallery, London, 04.12.1998  ‒   07.02.1999, Staatsgalerie, Stuttgart, 13.03. ‒  23.05.1999, hg. von der Hamburger Kunsthalle, Köln 1998.

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Spannungsaufbau weitgehend verweigert und vielmehr auf Kontinuität ausgelegt ist.89   »Für die Künstlerin«, so heißt es im Ausstellungskatalog, »ist diese rotierende Ausstellung eine Erweiterung der eigenen, in ›Loops‹ verlaufenden Arbeit, für die sie ihre eigenen Ideen immer wieder überarbeitet und anpasst«.90  Doch die mit jedem Ausstellungsaufbau vorgenommene Aktualisierung wird konterkariert mit einer Müdigkeit gegenüber dem Ausstellungsbetrieb, die sich in dem leitmotivisch vertretenen Thema der Langeweile und der Erschöpfung erkenntlich zeigt. Einige der für Cosima von Bonins jüngeren Arbeiten typischen Stofftiere, denen ein »Sloth« auf den Füßen eingeschrieben ist, sitzen oder liegen schlapp in den einzelnen Aufbauten und verbreiten dadurch stellvertretend selbst den wortwörtlichen Eindruck von »situational boredom«. Pernice nun geht mit seiner Serie von drei zusammenhängenden Ausstellungen von Oktober 2010 bis Mitte Januar 2012, die vom Modern Art Oxford, Dundee Contemporary Arts sowie dem S.M.A.K. Gent koproduziert wurden, noch eine Reflexionsebene weiter : Er zieht mit dieser Ausstellungsreihe eine Analogie zum Wanderzirkus und Jahrmarkt, bei dem mit jeder Station die einzelnen Fahrgeschäfte auf- und anschließend wieder abgebaut werden.91   Damit wählt er einen Bezugspunkt, der in seiner zeiträumlichen Organisation dem Museum entgegensteht. Auch wenn, wie Tony Bennett in seinem Buch The Birth of the Museum unter Bezugnahme auf Michel Foucault herausstellt, Museen sich zeitgleich mit Jahrmärkten, dem Festplatz und Panoptikum entwickelten.92   In seinem Aufsatz »Andere Räume« kennzeichnet Foucault Jahrmärkte im Unterschied zu Museen oder Bibliotheken, die aus einer Akkumulation bzw. Speicherung von Zeit bestünden, als »Heterotopien, die im Gegenteil an das Flüchtigste, an das Vorübergehenste, an das Prekärste der Zeit geknüpft sind : in der Weise des Festes. Dies sind nicht mehr ewigkeitliche, sondern absolut chronische Heterotopien. So die Festwiesen, diese wundersamen leeren Plätze am Rande der Stadt, die sich ein- oder zweimal jährlich mit Baracken, Schaustellungen, heterogensten Objekten, Kämpfen, Schlangenfrauen, Wahrsagerinnen usw. bevölkern.« 93

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Vgl. Ekardt, Philipp / Kedves, Jan : »Der Vampir von Köln agiert im Loop«, Cosima von Bonin im Interview mit Philipp Ekardt und Jan Kedves, in : Spex 337 ( 2012 ), S. 66  ‒ 73. Schaffhausen et al. 2011, S. 6. Manfred Pernice im Gespräch mit der Autorin am 30.05.2011. Bennett 1995. Foucault, Michel: »Andere Räume«, in: Barck, Karlheinz   /  Gente, Peter  /  Paris, Heidi  /   Richter, Stefan ( Hg.): Aisthetis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 33 ‒ 46.  Vgl. auch Bennett 1995, S. 1 ff.

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Abbildung 14 : Manfred Pernice, Tutti, Ausstellungsansicht , Kunstverein Salzburg, 2010

Pernice greift mit seiner Wanderausstellung diesen Aspekt des Chronischen auf. Die ausstellenden Institutionen erscheinen im Sinne der »Festwiesen« als weitgehend neutrale Fläche, die mit dem jeweils Mitgebrachten gefüllt bzw. im wahrsten Sinne des Wortes »bespielt« wird. Besonders vor dem Hintergrund einer sich besonders in den großen Kunstinstitutionen fortschreitenden Event- und Festivalkultur, in deren Vordergrund das Erlebnis von einer Aneinanderreihung singulärer Ereignisse steht, lässt sich diese spezifische Ausstellungsreihe daher als ein ebenso emblematisches wie humorvolles Beispiel einer wandernden Attraktion sehen, die ebendieses auch zeigt. Mit jeder Station erfährt die Ausstellungsreihe eine neue, auf den ausstellenden Ort wie Ausstellungsraum bezogene Neuausrichtung, wobei der Grundstock der Exponate bis auf wenige Ausnahmen stets gleich bleibt. So nimmt die Ausstellungsreihe v. a. zwei Aspekte besonders in den Fokus : das wiederholte Zeigen von möglicherweise bereits vertrauten künstlerischen Objekten in immer neuen Kontexten sowie das Auf-, Ab-, und Wiederaufbauen der Objekte selbst. Auf diese Weise rückt Pernice mit seiner Dreifachschau sowohl das Wandern der Ausstellung als auch die Reflexion derselben als Format des Zeigens bzw. des Ausstellens von etwas in den Blick, d. h. thematisiert werden v. a. die künstlerischen Aspekte der Ausstellungsproduktion und nicht nur das permutierende Erscheinungsbild. Dabei variiert der Titel der Ausstellung mit jeder Station, sodass etwa im Unterschied zu von Bonins Konzept, die ihre Ausstellungsreihe klar durchnummeriert hat, hierüber auf Anhieb weder eine chronologische noch thematische Verbindungslinie gezogen wird. In Oxford war die Ausstellung unter dem Titel baldt1 zu sehen, in Dundee unter dem Titel déjà-vu und in Gent schließlich unter dem Titel Brei. Und doch lässt sich ein gemeinsames Merkmal bestimmen : das des »mitgebrachten Raumes«, der zugleich als Display für Gegenstände unterschiedlichster Art fungiert.

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Abbildung 15 : Manfred Pernice, deja vue 12, Ansicht in der Ausstellung Life on Mars. 55th Carnegie International, Carnegie Museum of Art, Pittsburg, 2008  /  2009

Alles schon gesehen ? Pernices Ausstellungsreihe besteht aus fünf zunächst unabhängig voneinander produzierten und bereits zuvor in unterschiedlichen Kontexten gezeigten Skulpturenensembles. Dieser Aspekt des für den Betrachter bereits potenziell Vertrauten wird durch die Rotation und Variation der Ausstellungen in Oxford, Dundee und Gent noch verstärkt und hat eine dementsprechende Auswirkung auf die Rezeption. Bedingung für die unterschiedlichen Erscheinungsweisen der einzelnen Ausstellungen ist das den einzelnen Arbeiten gemeinsame und zugleich leitmotivische Merkmal des »mitgebrachten Raums«.94   Er bildet die Voraussetzung für die für Pernices jüngere Arbeiten zentrale »Brei-Arbeit« auch auf der Ebene der Wanderausstellung. Die betretbare, rondellförmige und in verschiedene Sektionen eingeteilte Arbeit Tutti nahm jeweils eine zentrale Position ein. Sie wurde 2010 erstmalig als Zentrum einer gleichnamigen Ausstellung im Salzburger Kunstverein ausgestellt und kann durch eine mittig eingebaute Wendeltreppe wiederum zugleich als Aussichtsplattform genutzt werden [ Abb. 14  ]. Hierbei treffen Pernices frühere Auseinandersetzungen mit der Dosenform auf seine jüngeren Displaystra-

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Dabei handelt es sich um eine Formulierung, die der Künstler selbst gegenüber der Verfasserin verwendete. Vgl. hierzu auch Dorothea von Hantelmanns Ausführungen zu den einem ähnlichen Prinzip folgenden Cabane Eclatéss von Daniel Buren. Von Hantelmann 2007, S. 108  ff.

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Abbildung 16 : Manfred Pernice, baldt1, Ausstellungsansicht , Modern Art Oxford, 2010

tegien : Die einzelnen Sektionen werden bei jeder Station mit neuen, ortsbezogenen Inhalten versehen, neu gestrichen oder tapeziert und dementsprechend in der Datierung erweitert ( in Oxford datiert auf 2009  ‒ 2010, in Dundee und Gent auf 2009  ‒ 2011). Die »Dose« wirkt hier wie nach innen gekehrt und ist betretbar. Als quasi-architektonisches Element fungiert sie zugleich – und hier taucht das Motiv der Litfaßsäule wieder auf – als Träger für variierende Hängungen von Gemälden, Fotografien und Zeichnungen. Alles ( tutti  ) kann prinzipiell Teil dieser Ausstellung werden, und doch wird jeweils eine ganz spezifische, vom Künstler getroffene Auswahl gezeigt. Dabei verweisen bewusst sichtbar gelassene Spuren des Vorherigen auf die Temporalität der jeweiligen Präsentationsform. Die Ausstellungsgeschichte ist dieser »Zeitraum-Skulptur« 95 wortwörtlich in ihr Display eingeschrieben und wird dadurch zugleich zu einer Art leitmotivischem pars pro toto der Wanderausstellung. Ein zweites zentrales Element der Ausstellung bildet das ursprünglich für die Großausstellung Carnegie International in Pittsburgh 2008 unter dem Titel deja vue 12 produzierte Skulpturenensemble, das sich aus einer Brückenkonstruktion, verschiedenen Vitrinen sowie darin ausgebreiteten und an den Wänden angebrachten Materialien zu verschiedenen Brückenkonstruktionen zusammensetzt [ Abb. 15 ]. Während bei tutti die Datierung mit jeder Station variiert, variiert hier die Titelschreibweise der Arbeit : In Oxford heißt sie DéjaVue, in Dundee und Gent déjàVu. Als drittes zentrales Element stellt die Sonderausstellung : living Platform eine leicht abgewandelte Form der bereits aus der Ausstellung QueSah vertrauten Sonderausstellung wishy-waschi dar. Sie konstruiert wiederum einen »Raum im Raum«. Auch sie wird wie tutti mit jeder Ausstellungsstation in ihrer

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Diese Betitelung fiel im Pressetext des Salzburger Kunstvereins.

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Datierung erweitert.96   Die Lampenskulpturen Borneo, Bronco, Bianca und Billy ( jeweils 2010 ) sowie Skulpturen aus der Apart-Serie ( 2009 ) verkomplementieren das Set dieser Wanderausstellung. Alle genannten Elemente lassen sich Pernices Konzept des Breis zuordnen und fungieren in Bezug auf die Ausstellungskonzeption wiederum als pars pro toto, wie besonders über den Titel der Genter Station ersichtlich wird. Die Abfolge ihres Aufbaus sowie die Anordnung zueinander ändern sich entsprechend der jeweiligen räumlichen Gegebenheiten. In Oxford beginnt die Ausstellung mit der in die Sektionen a) europa, potsdam-tutti salzburg, b) Garage ( Dunkerque) sowie c) Cubism of the everyday unterteilten und in der Upper Gallery als einzige präsentierten Arbeit tutti [ Abb. 16   ]. In der sich hieran anschließenden Middle Gallery sind rechts über Eck die Lampenskulpturen sowie freistehend und über den restlichen Raum verteilt die Skulpturen aus der Apart-Serie untergebracht. Dabei sind die Arbeiten Apart 4, 5, 6 und 6.1 so zueinander positioniert, dass sie die Eckpunkte einer Art quadratischen Raum im Raum markieren und somit ihre vormalige Präsentation in der Galerie Regen Projects in Los Angeles ( 4  ‒  6 Apart, 11.04.  ‒16.05.2009 ) wieder aufgreifen. In der sich daran anschließenden John Piper Gallery ist entlang der rechten Wand die Arbeit déjaVue aufgebaut und links daneben, die restliche Breite des Raumes ausfüllend die sonderausstellung : living platform. Ihre rechte Seitenwand unterteilt die beiden Bereiche und lässt den hinteren, ebenfalls auf einer – allerdings mit grauem Teppich bezogenen – Plattform aufgebauten Teil gleichsam in einer Nische enden. Die Ausstellungsfläche der zweiten Station in Dundee besteht aus drei Räumen, die ebenfalls ineinander übergehen, jedoch für eine andere Aufteilung und andere Proportionen sorgen. In der Gallery 1 baut Pernice entlang der Wand mit dem Eingangsbereich die Arbeit déjàVu auf – auch hier auf einem mit grauem Teppich bezogenen Podest und vergleichbar mit der Oxforder Anordnung ‒, wobei der Brückenteil halb in den Eingangsbereich hineinragt und erst auf der linken Seite des Durchgangs abschließt, während sie auf der rechten Seite mit der Teppich bezogenen Plattform und ihren Displaytischen in einer Art Nische endet. Links neben der Plattform von déjàVu schließt sich auf gleicher Höhe die sonderausstelllung : living platform an, die sich entgegen früheren Präsentationsformen hier jedoch nicht als dreiwandige Bühnensituation und damit Raum im Raum konstituiert, sondern vielmehr zugleich den Durch- bzw. Übergang in die dahinter liegenden Räume markiert. Sie bildet daher selbst eine Art Brückensituation innerhalb der Raumaufteilung. Der sich daran anschließende schmale

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Dazwischen wurde die Sonderausstellung auf der Art Basel gezeigt und konterkarierte dort die Zeitlichkeit der Messekoje. Vgl. Nollert 2010, S. 78.

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Verbindungsteil zwischen Gallery 1 und Gallery 2, in dem hintereinander weg auf der rechten Wand die Lampenskulpturen aufgestellt sind, führt zu einem großen offenen Raum, in dessen Mitte tutti wiederum als einzige Arbeit präsentiert wird. Sie ist hier nun neben einigen aus der vorangegangenen Ausstellung beibehaltenen Elementen wie beispielsweise einem Artikel zu dem für seine streng taxonomische Hängung berühmten Pitts Rivers Museum in Oxford mit Informationen versehen, die dem lokalen Besucher sehr vertraut erscheinen müssen, da sie sich auf die nicht weit entfernte Stadt Kircaldy sowie das Fife Museum & Art Gallery beziehen. Für britische Ausstellungshäuser wenig überraschend können aufgrund von health and safety-Auflagen hier allerdings weder die Wendeltreppe noch das Dach der Konstruktion betreten werden, sodass den Besuchern die Perspektive von einem erhöhten Standpunkt auf die Ausstellungssituation vorenthalten bleibt. In einem kleinen, sich hieran anschließenden Raum sind die vormals frei im Raum stehenden Skulpturen der Apart-Serie ( hier nun Nr. 2  ‒  4 ) vorrangig in den Raumecken platziert. Darunter befindet sich auch die vormalig unter dem Titel The Bridge bei Regen Projects ausgestellte Skulptur. Zwei Aspekte treten in dieser Ausstellung im Vergleich zur vorangegangenen Präsentation in Oxford besonders hervor : zum einen das für die Stadt Dundee emblematische Brückenmotiv – so liegt beispielsweise Iain Banks Roman The Bridge beim Referenzmaterial aus 97 – und zum anderen das über den Ausstellungstitel leitmotivisch auftretende Phänomen des Déjà-vus. Als zweite Station einer Wanderausstellung rückt somit in Dundee das selbstreflexive Spiel mit dem schon Gesehenen und damit nicht Neuem in den Fokus. In dem im Rahmen des Vermittlungsprogramms der Ausstellung entstanden Film äußert Pernice ausdrücklich sein Interesse am »not being new«.98   Diese, dem Fortschrittsgedanken klar widersprechende Haltung lässt an eine Verweigerungshaltung in der Art von Bartlebys »I prefer not to« erinnern und ist in diesem Sinn auch als eine Auseinandersetzung mit der künstlerischer Handlungsfreiheit zu begreifen. Zugleich ruft das Déjà-vu wiederum die bereits im Zusammenhang mit Beuys, Kippenberger und Kelley diskutierte Frage nach dem Verhältnis von Differenz und Wiederholung auf : Auch bei Pernices Ausstellungen handelt es sich um keine Wiederholung im Sinne einer Wiederkehr des Immergleichen. Es ist vielmehr eine Wiederholung, die sich ihrer Variation bereits bewusst ist und dies auch zur Schau stellt. Ein Déjà-vu gilt als fausse reconaissance, als nur vermeintliches Wiedererkennen einer vertrauten Situation, das aber – da scheint sich die Forschung inzwischen einig – auf einer Ge-

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Dies war nicht unbedingt im Sinne des Künstlers. Er gab im Gespräch aber zu, dass ihm das Buch geholfen habe, die psychologische Dimension der Brücke zu verstehen. http://www.dca.org.uk/whats-on/exhibitions/djvu.html  (Abruf am 13.12.2013 ).

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dächtnistäuschung beruht. Damit steht das Déjà-vu wiederum in enger Beziehung zum Unheimlichen, wie es im Zusammenhang mit Mike Kelleys The Uncanny im entsprechenden Kapitel ausgeführt wurde.99   Es erscheint dem Besucher vertraut – vorausgesetzt, dass die Vorgängerausstellung gesehen wurde oder zumindest ein Wissen darüber existiert ‒, und plädiert zugleich für eine Schärfung des Blicks hinsichtlich ihrer Unterschiede. So wird das Vertraute zugleich fremd. Für den Ausstellungsbesucher ergibt sich in dem Moment, in dem die Wanderausstellung selbst Teil eines künstlerischen Verfahrens wird, eine paradoxe Situation. Ihm wird nicht mehr, wie das Ausstellungsformat suggeriert, an verschiedenen Orten das mehr oder weniger Gleiche geboten, sondern trotz überwiegend gleichbleibender Exponate dezidiert unterschiedliche »Attraktionen«. Die Ausstellung kommt dem Betrachter durch ihr Wandern somit nicht mehr räumlich entgegen, vielmehr müsste der interessierte Betrachter mit der Ausstellung wandern, um ihre künstlerischen Spezifika in Gänze erfassen zu können. Im Vorwort zur eingangs erwähnten Ausstellung von Cosima von Bonin heißt es dementsprechend : »Die vier Veranstaltungsorte dieser anderthalbjährigen Rotation teilen sich ein Publikum – die sogenannte internationale Kunstszene reisender Profis ‒, aber jeder von ihnen hat seinen eigenen, spezifischen Besucherkreis, der die jeweiligen Programme verfolgt und ein ganz unterschiedliches Erwartungsspektrum, unterschiedliches Hintergrundwissen und eine andere Kultur mitbringt.« 100

Und doch unterscheidet sich ihr Verfahren auch in dieser Hinsicht von dem Pernices, der selbst in einem Gespräch über diese Ausstellungsreihe das – schon in Bezug auf Kippenbergers Ausstellungen aufscheinende – Stichwort der Melancholie aufbrachte.101   Denn wer sieht schon tatsächlich all diese Ausstellungen, besonders wenn sie nicht in eher peripher liegenden Kunstinstitutionen gezeigt werden ? Während Cosima von Bonin, Rosemarie Trockel und Isa Genzken mit ihren Ausstellungsreihen dem Betrachter über die Ausstellungsvariationen entgegenkommen, sorgt Pernice in erster Linie für eine Verunsicherung. Auf lokaler Ebene wird so dem globalen Format entgegengewirkt : Das eine Ausstellung gar nicht an einem anderen Ort wiederholt werden kann, ohne eine andere Erfahrung ihrer Gesamtanlage wie der einzelnen Exponate zu erzeugen, führt diese Ausstellung exempla-

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Vgl. den Unterpunkt »Mike Kelley, ›Sunday‐curator‹ – Zum Ausstellungsprojekt The Uncanny« im Kelley‐Kapitel, S. 255  ‒  295. Schaffhausen et al. 2011, S. 6. Vgl. den Unterpunkt »Visionen mit dem Auge im Mund« im Kippenberger‐Kapitel, S. 148  ‒154.

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risch vor. Stets muss er sich aufs Neue mit den räumlichen Gegebenheiten auseinandersetzen und die Frage nach dem Raumbezug immer wieder neu ausloten. Bei Pernice kommt im Unterschied zu anderen Künstlern die Kombination mit dezidiert ortsspezifischen Recherchen hinzu. Die jeweils spezifische Realisierung der Ausstellung, also ihr Ausrichten auf die gegebenen institutionellen Strukturen, ihre Räumlichkeiten und länderspezifischen Auflagen, wird hier bewusst erweitert um eine Ortsspezifik im tradierten Sinne. Und doch gilt hier in besonderem Maße : Die Ausstellung in Dundee verlangt kein Wissen nach der ersten Fassung in Oxford, weist aber Spuren von dieser auf, wie es beispielsweise besonders angesichts der überklebten Tapete in der Arbeit tutti deutlich wird. So erhält wie schon in den vorangegangenen Ausstellungen von Pernice und dem »Brei«-Prinzip entsprechend die äußere Realität Einzug in die jeweilige Ausstellung und macht sie dadurch erst zu einer Ausstellung vor Ort, die über eine einfache Neukombination der Exponate hinausgeht. An die Stelle der Ortsspezifität im Sinne des Serra’schen Diktums »Das Werk zu entfernen bedeutet es zu zerstören«102  tritt somit eine dynamischere Variante. Die Ausstellung wie die darin enthaltenen Exponate wandeln sich mit dem Ortswechsel, ohne dabei ihre jeweilige Ortsspezifität einbüßen zu müssen. Sie werden stets aktualisiert, auf die gegebenen räumlichen wie ortsspezifischen Gegebenheiten ausgerichtet, dadurch um Bezüge erweitert, sodass sich zunehmend verschiedene Bedeutungsstrukturen überlagern. Das zeigt das Beispiel Dundee besonders deutlich : Den Brückenskulpturen wird hier eine herausstechende, für diese Ausstellung geradezu leitmotivische Bedeutung zugeschrieben, auch wenn sie bei allen bisherigen Präsentationsformen der Arbeit (einschließlich der ersten Präsentation bei Regen Projects in Los Angeles ) dabei waren. Mit der Herausstellung des Brückenmotivs wird explizit auf die unweit vom DCA gelegene »Brück’ am Tay« verwiesen, deren katastrophaler Einsturz 1879 über 70 Zugpassagieren das Leben kostete und deren Neubau heute als eins der Wahrzeichen Schottlands gilt. In Pernices Ausstellungen sind die »Brücken« somit einerseits faktisch vorhanden und Motive symbolisch ausgestellt und fungieren im Ausstellungsraum zugleich metaphorisch. So erscheint die Brücke neben dem vom Künstler selbst eingebrachten »Brei« als metaphorisches Motiv für die Ausstellungsgestaltung insgesamt, in der scheinbar autonom existierende Räume innerhalb des jeweiligen Ausstellungsraums miteinander verbunden werden. Die Skulpturen selbst fungieren als Brücken, in dem sie ein Stück weit ihre Autonomie aufgeben, um in die jeweilige Ausstellungssituation als Ganzes einzugehen – ohne sich jedoch faktisch unbedingt zu verändern. In einem als Teil des Vermittlungsprogramms in Dundee entstandenen Film über die Ausstellung – auch das ist typisch für das britische Ausstel-

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Serra 1985, S. 38.

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lungswesen – spricht Pernice bezeichnenderweise davon, dass »all work[s] have [an] aspect of borderline, don’t have an exact contour investigate not being defined in a certain way«.103   Die einzelnen Exponate konstituieren auf diese Art und Weise in ihrem Zusammenspiel Situationen, die innerhalb des Ausstellungsraums ihren eigenen »Ort« konstituieren. Aufbauen, Ausstellen, Wegräumen In Gent und damit dritten Station der Wanderausstellung wird abschließend das Produktionsverfahren selbst zum Titel erhoben : Die Ausstellung heißt einfach BREI und ist wiederum anders aufgeteilt, besteht jedoch auch hier aus mehreren hintereinander gelegenen Räumen. Betreten wird die Ausstellung in der Mitte, dem »grote voorzaal« mit Fensterfront, auf dessen rechter Seite die hier nun wieder vollständig betretbare Arbeit tutti aufgebaut ist. Vor ihr ist zur Mitte hin als einzige zusätzliche Arbeit im Vergleich zu den Vorgängerausstellungen noch das flache Rondell mit an der Wand gegenüber des Fensters befindlicher Sofagarnitur D & A Punkt (1997 ) aus der Sammlung des Hauses und damit einzig hier erstmalig ausgestelltes Objekt aufgestellt.104   Links und rechts vom großen Saal schließen sich je-

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So lautet das Originalzitat des Künstlers aus einem Videointerview, das im Rahmen des Vermittlungsprogramms in Dundee entstand und begleitend zur Ausstellung gezeigt wurde. Die Aufteilung von tutti bestand, wie es der Kopie des handschriftlich angefertigten und zum Mitnehmen bestimmten Zettels zu entnehmen war, hier nun aus folgenden Sektionen : A. Kircaldy museum and library sponsored by the number 1 local linoleum factory owner.     Partly used for bomb production during wwII. B. Campus of former technical university in Potsdam ( fountain),    Bus terminal ( demolished ). C. »New Towns« because of city planning policy or reorganization of destroyed      cities of wwII. D.  - One of the ›grand hotels‹ of the ›Belle Epoque‹ was Hotel Europa in Salzburg.    The last owner – an artist – designed and decorated parts of the interior    - Pitt Rivers museum in Oxford    - Winchester Tunnel ( not material ) Somit vereinte diese Präsentationsform der Arbeit Elemente aus allen drei Ausstellungen. Durch die für den jeweiligen Präsentationsort spezifischen Details verwies sie auf die vorangegangene Stationen und damit auf das »Wandern« der Gesamtausstellung.

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weils ausgehend von einem schmalen Gang drei kleinere, symmetrisch zueinander angelegte Räume an. Den linken Raum auf der rechten Seite füllt die Sonderausstellung : living platform komplett aus und bildet damit im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Präsentationsformen nun keinen Raum im Raum mehr, sondern richtet vielmehr einen vorhandenen Raum ein. Nur aus sich selbst heraus beleuchtet, ist sie in schummriges Licht getaucht, das Radio dudelt weiterhin. Teile aus diesem Objektensemble stehen zudem wie aussortiert in dem gegenüberliegenden und ansonsten leeren Raum. In dem Raum am Kopfende des linken Flügels sind die Teile des déjàVus untergebracht, doch wiederum in völlig neuer Aufteilung. Die zuvor sehr präsente Brückenkonstruktion wirkt hier geradezu dekonstruiert und ist trotzdem in den Vitrinen explizit Motiv. Der Teppichboden verleiht diesen Räumen zugleich den Charakter von Interieurs, die sich von den anderen Museumsräumen somit maßgeblich unterscheiden. Auf der anderen Seite des großen Saals im kleinen Raum rechts vom Gang sind die vier Elemente der Apart-Serie aufgestellt, wobei diese hier tatsächlich in den vier Raumecken standen, dazu eine der Brückenskulpturen. Die zweite positionierte Pernice im Übergang zum ansonsten völlig leeren Raum gegenüber. Am Kopfende sind auf die Wände verteilt die Lampenskulpturen untergebracht, wobei die Fenster mit Sperrholz zugestellt sind und nur drei auf unterschiedlichen Höhen angebrachte Sehschlitze die Sicht nach draußen erlauben. Durch das im Unterschied zu den vorangegangenen Ausstellungen auffällige Zulassen von viel weißer Wand fallen die hochkant flach an der Wand angebrachten Heizkörper besonders in diesem Raum als eigene Gestaltungselemente ins Gewicht.105   Die Gesamtausstellungsfläche wirkt durch den vielen Freiraum etwas zu groß, der Zeigegestus der einzelnen Skulpturen bewusst zurückgenommen und verlagert auf Elemente, denen herkömmlicherweise in der Ausstellung keine Aufmerksamkeit zuteilwird. Die einzelnen Objekte erscheinen, zumindest auf der rechten Seite, wie »wegsortiert« bzw. »weggeräumt« und nehmen so wiederum Bezug auf die Tatsache, dass es sich hierbei um die dritte und letzte Station dieser Ausstellung handelt. Auch wenn die Exponate von Seiten des Künstlers einer bewussten kuratorischen Entscheidung unterliegen, wirken sie zumindest teilweise nicht mehr als im klassischen Sinne präsentierte und erscheinen gerade dadurch wiederum als ein für Pernices typisches und damit dezidiert künstlerisches Verfahren. Während etwa in Nürnberg noch viel stärker ausgestellt wurde als hier – die Exponate waren dort noch dem Betrachter zugewandt ‒, kamen hier bei einigen Ausstellungsbesuchern

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Auch hierin lässt sich eine Referenz auf Michael Ashers Arbeit in der Kunsthalle Bern 1992 sehen, in der er sämtliche Heizkörper des Hauses freilegte und diese im Eingangsbereich, basierend auf dem Grundriss des Gebäudes, neu arrangierte.

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durchaus Zweifel auf, ob man sich überhaupt im richtigen Raum befand. So unterläuft Pernice auf diese Weise die gängige Ausstellungspraxis und versucht mit der Negation des Ausstellens das Quasi-Unmögliche innerhalb eines Ausstellungskontextes.106   Die räumliche Umgebung rückt zugleich mit in den Blick – nur so kann eben auch eine Wand gezeigt werden. Vielmehr, als dass die einzelnen Fassungen der Wanderausstellungen ausstellen, räumen sie den gegebenen Ausstellungsraum mit den jeweils gleichbleibenden Exponaten ein und teilen ihn darüber in verschiedene, zu einer in variierenden Relationen stehende Räume auf. Entweder konstituieren sie wie die Sonderausstellung : living platform selbst einen Raum im Raum oder formieren im Falle von prinzipiell freistehenden Skulpturen, wie bei apart, 2  ‒ 4 besonders deutlich wird, über ihre Aufstellung einen Raum in Raum. Pernice baut folglich nicht nur Architektur ähnliche Skulpturen, sondern – einem seinen Skulpturen vergleichbaren Modulsystem folgend – auch Ausstellungen. Er arbeitet nicht nur mit dem Ausstellungsdisplay als einem Format des Zeigens, sondern stärker als alle bisher genannten Beispiele mit der Ausstellungsarchitektur. Der Rahmen des Ausgestellten, sein physischer Behälter, das Bauwerk Museum, wird über die in ihm vom Künstler aufgestellten Objekte zum gleichberechtigen Ausstellungsobjekt.

106

Schon in Dundee war sich Pernice Eigenaussagen zufolge nicht mehr sicher, ob die Dinge wirklich »gezeigt« werden. Pernice im Gespräch mit der Autorin am 30.05.2011.

388 |  V. R eflexion statt R ebellion  ?

Reflexion

statt

Rebellion ?

Wie die hier diskutierten Beispielen deutlich gemacht haben, sind künstlerische Ausstellungsdisplays heutzutage nicht zwangsläufig auf eine bestimmte, vom Künstler festgelegte Lesart und Darstellung ausgerichtet, sondern weist vielmehr komplexe Referenzstrukturen und somit mannigfaltige Perspektiven auf die präsentierten Objekte auf. Somit lässt sich eine zunehmende Verwischung der Grenzen zwischen künstlerischer Arbeit und ihres Displays beobachten; d. h., die künstlerische Arbeit konstituiert sich häufig erst durch das – nicht selten orts- bzw. institutionsspezifisch angelegte – Display. Bezeichnenderweise verbreitete sich in jüngerer Zeit v. a. im englischen Sprachraum die Wendung »the art of display« ( auch als Inversion von »the display of art«) in ihrer auch für diese Arbeit Titel gebenden Doppeldeutigkeit, in der das Zeigen selbst, also die Art und Weise der Präsentation von Kunst, untrennbar mit der Kunst (-Produktion ) verbunden ist.107   Die hierin implizite Verschiebung von »work to exhibition«, also von der Produktion einzelner Kunstwerke hin zu ihrer öffentlichen Präsentation in Ausstellungskontexten, ist bereits in den eingangs geschilderten Positionen der 1960er Jahren angelegt. Dabei steht heute, und dafür ist Pernices Ansatz in der Tat ein bezeichnendes Beispiel, nicht mehr eine vorrangig kritische Auseinandersetzung mit den institutionellen Bedingungen im Fokus, sondern vielmehr ein reflexives Operieren innerhalb des Rahmens, ohne ihn zwangsläufig aufzubrechen. Es geht nicht mehr vorrangig darum, etwa eine Nicht-Ausstellung zu schaffen und damit das Format Ausstellung grundsätzlich in Frage zu stellen oder das Museum für die eigenen Zwecke zu nutzen, bestimmte Konventionen abzuschaffen, sondern um ein transformatives Arbeiten mit bestehenden Bedingungen und Konventionen. Das kritische Potenzial einer derartigen Praxis liegt in den je spezifischen Verfahren der Selektion und Kombination, sowohl in Bezug auf die einzelnen Objekte als auch ihres Displays. Der Einbezug kuratorischer Strategien in die künstlerische Praxis impliziert heute folglich nicht mehr zwangsläufig einen Wechsel oder ein bewusstes Spiel mit Rollen wie noch in den 1990er Jahren, sondern ist längst übliche und damit legitime künstlerische Vorgehensweise. Nicht nur wandelt sich damit das sich im Ausstellungsdisplay manifestierende künstlerische Selbstverständnis, auch unterliegen inzwischen klassische Verfahren wie jene der Appropriation und

107

Vgl. hierzu z. B. das 2013 ausgeschriebene Promotionsmodul »Art of Display« an der Universität Zürich im Unterschied zu dem ausnahmsweise auf zwei Jahre angelegte Forschungsthema »The Display of Art« des Getty Research Institute in Los Angeles, http:// www.getty.edu/research/scholars/years/2010-2011.html  ( Abruf am 21.12.2014 ).

V. P ernice  |  389

Abbildung 17 : Willem de Rooij, Intolerance, 2010, Installation in der Neuen Nationalgalerie, Berlin, 2010; Detailansicht mit hawaiianischen Federobjekten und Gemälde von Melchior d’Hondecoeter

Ortsspezifik als auch der Einsatz von Referenzen einer weiteren Verschiebung. Um diesen Prozess zu verdeutlichen, sei hier abschließend auf ein Ausstellungsprojekt von Willem de Rooij verwiesen. In Ausstellungen wie Intolerance ( 2011) in der Neuen Nationalgalerie in Berlin sowie The Floating Feather ( 2006 ) bei Chantal Crousel in Paris und dessen Pendant Birds in a Park ( 2007 ) in der Galerie Buchholz in Köln kombiniert Willem de Rooij Arbeiten anderer, von ihm geschätzter Künstler zu einer seiner Autorschaft zugeschriebenen, neuen Arbeit. Doch wehrt er sich dagegen, hierin von ihm kuratierte Ausstellungen zu sehen. Stattdessen erklärt er sie zu einem integalen Bestandteil seines künstlerischen Projekts.108   Dieser Gestus impliziert nicht mehr eine Form der appropriativen Hommage wie etwa noch in den 1980er und 1990er Jahren bei Kippenberger, sondern dient auf noch explizitere Art und Weise als bei Pernice dazu, mit der eigenen Arbeit in einen Dialog zu anderen, häufig histori-

108

Vgl. z. B. bei seinem Vortrag auf der Tagung »Artist as Curator« am Central Saint Martins, London, 10. November 2012, http://www.afterall.org/events/artist-as-curator  (Abruf am 15.06.2013 ). Die Ausstellung Birds in a Park umfasste Arbeiten von Fong-Leng, Isa Genzken und Keren Cytter. Im frieze-Interview mit Jörg Heiser und Christopher Williams spricht de Rooij diesbezüglich von »Installation« und äußert, dass »I’m not too comfortable with the work ›display‹ because it makes it sound as if we’re working in a department store«. Heiser, Jörg : »As we speak«, in : frieze 134, Oktober 2010, S. 178-187 sowie online unter http://www.frieze.com/issue/article/as-we-speak  ( Abruf am 02.05.2013 ).

390 |  V. R eflexion statt R ebellion  ?

schen, wenig bekannten oder befreundeten künstlerischen Positionen einzutreten. Der Einbezug von Arbeiten anderer Künstler basiert hierbei explizit auf deren Einverständnis oder aber wie bei Intolerance auf dem Rückgriff auf die gegebenen institutionellen Strukturen, die einen entsprechenden Leihverkehr ermöglichen. Expliziter noch als bei Kippenberger oder Broodthaers entzieht sich diese Konstellation Gemälden Melchior de Hondecoeters und hawaiianischen Federobjekten einer eindeutigen Lesart [ Abb. 17  ]. Sie spielt vielmehr durch die Montage von zwei zunächst nicht so leicht in Einklang zu bringende Objektgruppen aus völlig verschiedenen Kulturkreisen mit den Potenzialitäten von Referenzen und Reflexionsebenen ab.109  Nicht nur zeigt er im Zuge dieser Ausstellung die bisher umfangreichste Zusammenstellung sowohl der Federobjekte wie der Gemälde Hondecoeters, auch schließt er durch die über diese Konstellation aufgerufenen, postkolonialen Diskurse nun wiederum aus künstlerischer Perspektive Aspekte der New Museology mit ein und evoziert damit zugleich die grundsätzliche Frage nach der Legitimation des musealen Displays hawaiianischer Beutekunst in europäischen Museen. Auch wenn diese Ausstellung selbst stark über ihre impliziten und expliziten Referenzen funktioniert, ist de Rooij sich der Gefahr, die eine derartige Praxis mit sich bringen kann, durchaus bewusst. »In the process of referencing«, wie er es in einem Interview mit Jörg Heiser und Christopher Williams formulierte, »artists often forget to make the art piece«.110   Anstelle der, wie Christopher Williams im selben Gespräch formulierte, »era of polemic reference«111 der 1970er Jahre sei nun bedingt durch den leichteren Zugang zu Informationen durch das Internet die Orthodoxie der Referenz getreten, wobei die Referenzen selbst häufiger interessanter seien als das eigentliche Kunstwerk. Sich Referenzen zu bedienen allein mache demnach noch keine ( gute) Kunst. Vielmehr müsse, so de Rooij, der Einsatz von referenziellen Verfahren stets mit einer kritischen Reflexion des verwendeten Materials einhergehen. Es dürfe nicht nur der Referenz wegen eingesetzt werden, sondern solle vielmehr dazu dienen, als Künstler Position zu beziehen. So geht seine Ausstellung Intolerance einher mit einer Rehabilitierung eines in Vergessenheit geratenen niederländischen Künstlers, dem im dazu erscheinenden dreiteiligen

109

110 111

Vgl. hierzu Gludovatz, Karin : »Mit fremden Federn«, in : Texte zur Kunst 80 ( 2010 ), S. 212  ‒ 216, sowie auch Helmut Draxlers Argumentation in Bezug auf Fareed Armalys Arbeiten, dass es nicht mehr »um eine eindeutige Decodierung von Zeichen, Objekten oder Räumen [geht], sondern darum, die ›lesende‹ Verknüpfungsarbeit selbst zur ›Erfahrung‹ zu machen«. Draxler 2007, S. 27. Vgl. de Rooij, in : Heiser 2010. Ebd.

V. P ernice  |  391

Katalog ebenso wie den Federobjekten erstmalig ein Werkverzeichnis gewidmet ist. Die Ausstellung selbst bleibt jedoch dezidiert ein seiner Autorschaft zugeschriebenes Kunstwerk, ohne den Einsatz von Objekten anderer Autorschaft zur Stärkung der eigenen künstlerischen Position zu nutzen noch das Format Ausstellung als solches in Frage zu stellen. Das »Kunstwerk« konstituiert sich somit durch die Anwendung kuratorischer Verfahren, ohne dass zwangsläufig eigene künstlerische Arbeiten involviert sein müssen. Das Kuratorische wird somit nicht mehr als etwas angesehen, das aus dem nicht-künstlerischen Bereich adaptiert wird, um die künstlerische Praxis zu erweitern. Als künstlerisches Verfahren löst es vielmehr Strategien der Appropriation und des Pastiches ab, wie sie für die künstlerischen Ausstellungsdisplays der 1980er und 1990er Jahre zentral waren. Nicht die Aneignung von Objekten steht bei den genannten Beispielen im Vordergrund, sondern das Anschauungsfeld, das die jeweilige Konstellation von Objekten ausgehend von der eigenen künstlerischen Praxis eröffnet und das ein entsprechend verknüpfendes Sehen erfordert. Es definiert sich nicht mehr primär über die Referenz auf etwas Bestehendes, sondern arbeitet mit dem Bestehenden als Material für eine eigene Textur, die sich v. a. über ihre immanenten Referenzen konstituiert. Als solches tendieren künstlerische Ausstellungsdisplays heutzutage – durchaus bedingt durch die Konjunktur des Begriffs Display – dazu, selbst wiederum einem verhältnismäßig starren Werkcharakter zu unterliegen. Sie drohen somit nicht zuletzt den durch den Markt maßgeblich mitbestimmten Wunsch nach Neuem und damit künstlerischen wie kuratorischen Trends zu verfallen, gegen die Künstler über eine mehr oder weniger selbstbestimmte Art und Weise des Zeigens ihrer Kunst Position zu beziehen suchten. Nur ein reflektierter Umgang mit ebendiesen Mechanismen – und darin liegt wiederum die Nähe zum heutigen Status quo institutionskritischer Praktiken ‒, kann somit auch nach wie vor eine Autonomie des künstlerischen Ausstellungsdisplays gewährleisten. Insofern bleibt »die Kunst zu zeigen« selbst eine äußerst dynamische Praxis, die immer auch von den gegebenen Rahmenbedingungen des Ausstellens abhängt.

VI.  Schlussbemerkungen

Wie aus den vorangegangenen Analysen deutlich wurde, ist der institutionelle Kontext sowie das spezifische Format der Ausstellungen von Künstlern zwangsläufig eng mit ihrem jeweiligen Status innerhalb der Kunstwelt verknüpft. Hiervon hängt ab, was innerhalb der bestehenden Strukturen überhaupt realisiert und gezeigt werden kann, welche Arbeiten verfügbar sind, wo und wie viel ausgestellt wird. Dabei eröffnet das – im Fall von Kippenberger durchaus selbstinitiierte – Ausstellen Künstlern zugleich einen entsprechenden Handlungsspielraum, über den sie nicht nur die Präsentation, sondern auch die Rezeption ihres Œuvres maßgeblich mitbestimmen. So führen sie hierüber beispielsweise Werkstränge zusammen, die allein aufgrund ihrer formalen Beschaffenheit oder Entstehungszeit nicht zwangsläufig auf kohärente Weise rezipiert werden. Auch ermöglicht es ihnen, wie besonders bei Pernice, aber letztlich bei allen der hier besprochenen künstlerischen Verfahren deutlich geworden ist, eine stetige Aktualisierung, Erweiterung, und  / oder Überarbeitung ihrer Arbeiten. Die Situations- und Zeitspezifität von Ausstellungen ermöglicht zudem ein stetiges Reagieren auf die gegebenen Umstände und Diskurse ebenso wie auf Kritik und Kollegen. Letzteres haben vor allem die Beispiele von Beuys, Kippenberger und Kelley gezeigt. Aus dieser Perspektive verschiebt sich die Rezeption eines künstlerischen Werks von der einer einzelnen Arbeit hin zu ihrer (temporären) Präsenz innerhalb der jeweiligen spezifischen Ausstellungssituation. Besonders für die diskutierten Beispiele gilt, dass die einzelnen Exponate daher nicht als statische, sondern als dynamische Objekte zu denken sind, deren Bedeutungsdimensionen sich mit den sich wandelnden Präsentationskontexten ebenfalls verändern. Somit lässt sich das Œuvre eines Künstlers nicht mehr als lineare Entwicklung vom Früh- zum Spätwerk hin verfolgen, sondern vielmehr eine netzhafte Struktur zu Tage treten, die aus einem ständigen Wiederaufgreifen und Verwerten,

394 |  VI. S chlussbemerkungen

Neuausrichten und -kombinieren in den jeweiligen Präsentationszusammenhängen besteht. Kelleys Charts sind hierfür ebenso paradigmatisch wie die Genese des Block Beuys (1970 bis heute ), aber auch das im Zusammenhang mit Pernices Ausstellungen thematisierte Bestreben von Künstlern, »die Dinge wieder in den Fluss zu bringen«. So erscheinen ungeachtet der verschiedenen Entstehungszeiten die Exponate stets zeitgenössisch und stehen dadurch häufig in Opposition zum musealen Umgang mit dem Œuvre eines Künstlers. Je orts- bzw. institutionsspezifischer ein Ausstellungsdisplay angelegt ist, desto stärker evoziert es den Eindruck einer zwar zeitlich begrenzten, aber doch singulären Realisierung, die einer starken Autorenstimme unterliegt. Damit läuft sie letztendlich Gefahr, selbst wiederum dem vom Kunstbetrieb vorangetriebenen Bedarf nach Neuem, nach Originalität und Authentizität nachzukommen. Dieses Spannungsverhältnis von künstlerisch selbstbestimmtem Ausstellungsdisplay und Ausstellung als Kunstwerk wird vor allem anhand der von Künstlern selbst vorgenommenen Wiederholungen und Variationen einzelner Displays deutlich. Beuys’ Arena (1970-1972 ), Kippenbergers The Happy End of Franz Kafka’s »Amerika« (1994 ), Kelleys The Uncanny (1993  / 2004 ) und Pernices Wanderausstellung ( 2010-2012 ) liefern hierfür zentrale Beispiele. Die vor allem posthum von institutioneller Seite vorangetriebene »Verwerkung« von künstlerischen Ausstellungsdisplays – etwa durch den Versuch exakter Rekonstruktionen – läuft hierbei der Stärke und dem Potenzial eines Formats, das gerade nicht als statische Gattung zu verstehen ist, häufig zuwider. Posthum erlischt die »Stimme« des Künstlers sowie dessen Möglichkeit, sich über das Display der eigenen Arbeiten direkt zu den jeweiligen Ausstellungsbedingungen zu verhalten. Dies kann, wie das Beispiel Beuys zeigt, einen Verlust oder zumindest eine Verschiebung der »Aura« und der Authentizität des Displays implizieren. Je nach Bestimmungen der unterschiedlichen Nachlassverwaltungen und Besitzer der Arbeiten wird posthum ein meist pragmatischer Umgang mit dem jeweiligen Œuvre verfolgt, bei dem entweder die erste oder die letzte Präsentationsform zu Lebzeiten eines Künstlers als Orientierung für zukünftige Präsentationen oder auch Rekonstruktionen dienen. Die ausgestellten Objekte werden so in der Regel zurückgeworfen auf ihren Status als singuläre, faktische Objekte, deren einzelne, ihnen eingeschriebene Narrative wiederum vom Wissensstand und subjektiven Empfinden der Betrachter abhängen. Um diesem Zustand des Ephemeren entgegenzuwirken und den Arbeiten ein Überleben über ihre Ausstellungsdauer hinaus zu garantieren, tendieren Künstler heute vermehrt dazu, entweder bereits selbst mit Rekonstruktionen zu arbeiten oder – wie die jüngsten Kataloge von Pernice und Heimo Zobernig zeigen – die Bildstrecken in Ausstellungskatalogen als ein die Ausstellung überdauerndes Medium mit einzubeziehen. Ein derart reflexiver Umgang mit dem Ausstellungsformat und dessen parergonalen Strukturen hat eine entsprechende Auswirkung auf die

VI. S chlussbemerkungen  |  395

( kunsthistorische ) Rezeption. So wie die Gruppenausstellungen der historischen Avantgarden und Großausstellungen wie die documenta inzwischen selbstverständlicher Teil der Kunstgeschichtsschreibung geworden sind und Rückschlüsse erlauben auf den jeweiligen state of the art und state of the mind, tragen auch von Künstlern konzipierte Ausstellungen ihrer eigenen Arbeiten heute maßgeblich zu dem Bild bei, das wir von ihrer Kunstproduktion aber auch von ihnen als Künstler erlangen. Das Œuvre eines Künstlers von seinen Ausstellungen zu denken, heißt daher immer auch, es innerhalb eines Kräftefelds von künstlerischen Intentionen, Institutionen, zeitgenössischen Diskursen und Marktpolitiken zu denken. Das Display samt seiner parergonalen Strukturen wie der Einladungskarte, des Ausstellungsposters und -katalogs wird so, last, but not least, selbst zum Indikator für das Verhältnis eines Künstlers zu den institutionellen Strukturen, innerhalb derer er agiert.

L iteraturverzeichnis  |  397

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398 |  L iteraturverzeichnis

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400 |  L iteraturverzeichnis

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424 | A bbildungsnachweis

Abbildungsnachweis

Beuys Alle Abbildungen © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 1 – Foto : Balthasar Burkhard, The Getty Research Institute,      Los Angeles ( 2011.M.30 ), © J. Paul Getty Trust Abb. 2 – Foto : Ute Klophaus, bpk, Berlin 2015,      Joseph Beuys Archiv  /  Stiftung Museum Schloss Moyland Abb. 3 – Foto : Sigwart Korn Abb. 4 – Foto : Rony Heirman Abb. 5 – Foto : Fritz Getlinger © Nachlass Fritz Getlinger,      Joseph Beuys Archiv  /  Stiftung Museum Schloss Moyland Abb. 6 – Foto : Bernhard Becher Abb. 7 – Foto : Ute Klophaus, bpk, 2015,      Joseph Beuys Archiv  /  Stiftung Museum Schloss Moyland Abb. 8 – Foto : Ruth Kaiser Abb. 9 – Foto : R. van den Bichelaer, Archives Van Abbemuseum,     Einhoven, The Netherlands Abb. 11, 12, 13 – Foto : Wolfgang Fuhrmannek Abb. 14 – Foto : George Oliver, Courtesy of Demarco Digital Archive Abb. 15 – Foto : Klaus Staeck Abb. 16 – Foto : Mary Donlon © SRGF, NY Abb. 17 – Foto : Claudio Abate

Kippenberger Alle Abbildungen © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne Abb. 1 – Foto : Jens Ziehe Abb. 9 – Foto : Christian Wachter Abb. 10 – Foto : Janes Linders Abb. 14 – Digital Image © 2009 MoMA, N.Y. Abb. 15 – Foto : Sue Ormerod, London Abb. 17, 18, 19 – Foto : Andrea Stappert

A bbildungsnachweis  |  425

Kelley Alle Abbildungen © Mike Kelley Foundation for the Arts All rights reserved  /   VAGA, New York   /  Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 2, 20, 23, 24 – Foto : Fredrik Nilsen Abb. 5, 7, 10 – Foto : Douglas M. Parker Studio Abb. 8 – Courtesy of Metro Pictures Abb. 9 – Courtesy of Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien,      Leihgabe der Österreichischen Ludwig Stiftung Abb. 11 – Foto : Nic Tenwiggenhorn, Courtesy of Jablonka Galerie, Köln Abb. 12 – Foto : Richard Stoner, Courtesy of Carnegie Museum of Art Archives Abb. 21 – Foto : Agostino Osio, Courtesy of Fondazione HangarBicocca, Milan Abb. 22 – Foto : Gunter Lepkowski Abb. 25, 26 – Foto : Mike Bruce, Courtesy of Gagosian Gallery

Pernice Abb. 1, 6, 7, 8 – Foto: Annette Kradisch, © Neues Museum in Nürnberg Abb. 2 – Foto : Joshua White, Courtesy Regen Projects, Los Angeles, © Manfred Pernice Abb. 3 – Foto : Günzel Rademacher Abb. 5 – Foto : Klaus Stoeber Abb. 9, 10  – Foto : Oliver Ottenschläger Abb. 14 – Foto : Andrew Phelps, Courtesy Salzburger Kunstverein Abb. 15 – Foto : Tom Little, Courtesy of Carnegie Museum of Art, Pittsburgh Abb. 16 – Foto : Stuart Whipps Abb. 17 – Foto : Jens Ziehe

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Dank Ohne den Zuspruch von und regelmäßigen Austausch mit den beiden Betreuern meiner Dissertation, Kollegen und Freunden wäre dieses Buch nie in dieser Form zustande gekommen. Mein herzlichster Dank gilt daher meinem Erstkorrektor Gregor Stemmrich und meiner Zweitkorrektorin Sabeth Buchmann sowie Lisa Åkervall, Daniel Berndt, Birgit Eusterschulte, Hella Gerlach, Dorothea von Hantelmann, Steffi Hoffrichter, Dirck Linck, Michael Lüthy, Kirsten Maar, Tomoko Mamine, Dominikus Müller, Jenny Nachtigall, Cecilia Valenti, Dorothee Wagner, Alena J. Williams und all den anderen hier ungenannten, die zu dieser Zeit für mich da waren. Auch meiner Familie sei für ihre fortwährende Unterstützung herzlich gedankt. Ein großer Dank gilt darüber hinaus Maurice Dorren von der Stiftung Museum Schloss Moyland, Lisa Franzen vom Estate Martin Kippenberger, der Mike Kelley Foundation und Andrea Mihalovic-Lee von VAGA , Michael Schmeiser vom documenta Archiv der Stadt Kassel und den zahlreichen hier nicht einzeln aufgeführten Fotografen, Galerien und Institutionen für ihre teils unermüdliche Hilfe bei der Beschaffung der Abbildungen und Reproduktionsrechte. Tanja Jentsch sei ausdrücklich für das gründliche Lektorat, Martin Müller für das Erstellen von Satz und Umschlagdesign sowie dem transcript Verlag für die angenehme Kooperation gedankt. Last but not least möchte ich mich beim Sonderforschungsbereich 626 »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« der Freie Universität Berlin und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft bedanken, deren finanzielle Unterstützung mir nicht nur erlaubte, ohne große Unterbrechungen meine Dissertation fertigzustellen und die dafür nötigen Forschungsreisen zu unternehmen, sondern auch entscheidend zu ihrer reibungslosen Publikation beigetragen hat.

Image Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Mai 2018, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0

Goda Plaum Bildnerisches Denken Eine Theorie der Bilderfahrung August 2016, ca. 320 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3331-3

Judith Siegmund (Hg.) Wie verändert sich Kunst, wenn man sie als Forschung versteht? Juni 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3216-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Image Franziska Stöhr .endlos Zur Geschichte des Film- und Videoloops im Zusammenspiel von Technik, Kunst und Ausstellung Mai 2016, 436 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 48,99 €, ISBN 978-3-8376-3209-5

Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur April 2016, ca. 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-1711-5

Natalie Lettner Bilder des Bösen? Teufel, Schlange und Monster in der zeitgenössischen Kunst 2015, 498 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3164-7

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Image Henry Keazor, Christiane Solte-Gresser (Hg.) In Bildern erzählen Frans Masereel im intermedialen Kontext Juli 2017, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2821-0

Julia Bulk Neue Orte der Utopie Zur Produktion von Möglichkeitsräumen bei zeitgenössischen Künstlergruppen März 2017, ca. 320 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,99 €, ISBN 978-3-8376-1613-2

Franziska Koch Die »chinesische Avantgarde« und das Dispositiv der Ausstellung Konstruktionen chinesischer Gegenwartskunst im Spannungsfeld der Globalisierung Mai 2016, 750 Seiten, kart., zahlr. Abb., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-2617-9

Susi K. Frank, Sabine Hänsgen (Hg.) Bildformeln Visuelle Erinnerungskulturen in Osteuropa Mai 2016, ca. 350 Seiten, kart., ca. 38,99 €, ISBN 978-3-8376-2717-6

Barbara Martin Zwischen Verklärung und Verführung Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts Februar 2016, 450 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3077-0

Anna Grosskopf Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur Eine Diskursgeschichte künstlerischer Techniken in der Moderne Januar 2016, 490 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-3124-1

Mélanie-Chantal Deiss »Deeply Superficial« Andy Warhols Amerika-Images der 1950er und 1960er als Kulturkritik 2015, 332 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3172-2

Nanette Rißler-Pipka Picassos schriftstellerisches Werk Passagen zwischen Bild und Text 2015, 436 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3177-7

Ivana Pilic, Anne Wiederhold Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft – Transkulturelle Handlungsstrategien am Beispiel der Brunnenpassage Wien Art Practices in the Migration Society – Transcultural Strategies in Action at Brunnenpassage in Vienna 2015, 260 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3191-3

Julia Burbulla Kunstgeschichte nach dem Spatial Turn Eine Wiederentdeckung mit Kant, Panofsky und Dorner 2015, 378 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2715-2

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Erhard Schüttpelz, Martin Zillinger (Hg.)

Begeisterung und Blasphemie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2015 Dezember 2015, 304 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-3162-3 E-Book: 14,99 €, ISBN 978-3-8394-3162-7 Begeisterung und Verdammung, Zivilisierung und Verwilderung liegen nah beieinander. In Heft 2/2015 der ZfK schildern die Beiträger_innen ihre Erlebnisse mit erregenden Zuständen und verletzenden Ereignissen. Die Kultivierung von »anderen Zuständen« der Trance bei Kölner Karnevalisten und italienischen Neo-Faschisten sowie begeisternde Erfahrungen im madagassischen Heavy Metal werden ebenso untersucht wie die Begegnung mit Fremdem in religiösen Feiern, im globalen Kunstbetrieb und bei kolonialen Expeditionen. Der Debattenteil widmet sich der Frage, wie wir in Europa mit Blasphemie-Vorwürfen umgehen – und diskutiert hierfür die Arbeit der französischen Ethnologin Jeanne Favret-Saada. Lust auf mehr? Die ZfK erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 18 Ausgaben vor. Die ZfK kann – als print oder E-Journal – auch im Jahresabonnement für den Preis von 20,00 € bezogen werden. Der Preis für ein Jahresabonnement des Bundles (inkl. Versand) beträgt 25,00 €. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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