Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom: Bautypologie und Architektursymbolik in der spätantiken und frühgriechischen Architektur 9783110804515, 3110157594, 9783110157598

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Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom: Bautypologie und Architektursymbolik in der spätantiken und frühgriechischen Architektur
 9783110804515, 3110157594, 9783110157598

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Hugo Brandenburg Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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Hans-Lietzmann-Vorlesungen

Herausgegeben von Christoph Markschies

Heft 2

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

Hugo Brandenburg

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom Bautypologie und Architektursymbolik in der spätantiken und frühchristlichen Architektur

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

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ClP-Einheitsaufnahme

Brandenburg, Hugo: Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom : Bautypologie und Architektursymbolik in der spätantiken und frühchristlichen Architektur / Hugo Brandenburg. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Hans-Lietzmann-Vorlesungen ; H. 2) ISBN 3-11-015759-4

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Rainer Engel, Berlin Für die Umschlaggestaltung wurden Abbildungen eines Mosaiks aus der Hagia Sophia (Istanbul; 9. Jh.) und des Codex Vat. Graec. 1209, fol. 65 r (Rom; 4. Jh.) verwendet. Das Mosaik zeigt den Erzengel Gabriel, die Handschrift den griechischen Bibeltext Exodus 14,26 f. Datenkonvertierung und Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Werner Hildebrand, Berlin

Vorwort Auf den folgenden Seiten ist die zweite „Hans-Lietzmann-Vorlesung" dokumentiert, die am 22. 11. 1996 der klassische Archäologe Hugo Brandenburg aus Münster an der Friedrich-SchillerUniversität Jena gehalten hat. Von einer gefestigten Tradition kann man bei der zweiten Veranstaltung einer Reihe eigentlich noch nicht sprechen — es sei denn, man wäre Platoniker. Denn dieser Philosoph hat ja wohl in seiner ungeschriebenen Prinzipientheorie das Eine von der unbestimmten Zweiheit unterschieden, τό εν von αόριστος δυάς 1 . Wenn man also Platoniker wäre, dann würde diese zweite Lietzmann-Vorlesung zugleich schon das άόριστον, das nicht Abgegrenzte, also die grenzenlos auf dem Zahlenstrahl vorlaufende Reihe der Lietzmann-Vorlesungen in sich bergen. Die Reihe der „Hans-Lietzmann-Vorlesungen" wird mit dem Beitrag eines Kollegen aus der Disziplin der klassischen Archäologie fortgesetzt. Damit wird zugleich auch an die archäologische Dimension im Werk des namensgebenden Jenaer Kirchenhistorikers Hans Lietzmann erinnert. Sie zeigt sich zunächst in verschiedenen literarischen Arbeiten, obwohl Lietzmann sie nicht im Rahmen eines ordentlichen Studiums vorbereitet hat. Aber schon der Bonner Student erkannte, daß „man ohne genauere Kenntnis der archäologischen Quellen weder vom kirchlichen noch vom profanen Altertum ein deutliches Bild gewinnen k ö n n e " 2 . Über seinen Freund Gerhard Loeschcke gewann 1

Vgl. W. Beierwaltes, Art. H e n (ευ), R A C X I V ( 1 9 8 8 ) , 4 4 5 - 4 7 2 .

2

Vgl. die autobiographischen Bemerkungen Lietzmanns in: Die Religionswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen

II, Leipzig

VI

Christoph Markschies

er den Kontakt zum Bonner klassischen Archäologen

Georg

Loeschcke. Von jenem wurde er in Lehrveranstaltungen und privatissime

ausgebildet. Allerdings veröffentlichte Lietzmann

erst 1911 einen ersten populärwissenschaftlichen Beitrag über „Die Entstehung der christlichen Kunst". Und 1 9 1 2 erschien in zweiter Auflage ein bescheiden „Bilderanhang" genannter Zusatz zu Paul Wendlands Eröffnungsband des „Handbuches zum Neuen Testament": Lietzmann hatte diesem Werk über die „hellenistisch-römische Kultur" vierzehn Tafeln

religionsgeschicht-

lich bedeutender Kunstwerke mit Erläuterungen

beigegeben.

Die Anmerkungen zeigen souveräne Kenntnis einschlägiger Literatur, in der Vorbemerkung ist „Geheimrat L o e s c h c k e - B o n n " gedankt 3 . Und auch in einer autobiographischen Skizze schreibt Lietzmann über seine Jenaer archäologischen Vorlesungen und Übungen: „Bei solchen Vorlesungen schwebte mir immer Vater Löschckes Gestalt als unerreichtes Vorbild vor Augen, der es mit vollendeter Meisterschaft verstand, aus den Scherben und Steinen lebendige Bilder blühenden Lebens und aus den nüchternen Tatsachen schöpferische Strömungen geistiger Kräfte zu wecken"4. Archäologische Arbeit beruht bekanntlich auf der Feldarbeit, auf Reise- sowie Ausgrabungstätigkeit. Lietzmann reiste nach Griechenland (Frühling 1912), Syrien, Palästina und Nordafrika (Frühling 1913); besonders zwei Sizilienaufenthalte haben ihn offenbar sehr beeindruckt und natürlich das Erlebnis der Stadt R o m . Die Jenaer archäologische Sammlung besitzt von ihm aufgenommene Großbilddias 5 , die vielleicht einmal in der Reihe der „Lietzmann-Vorlesungen" publiziert werden könnten. Es scheint wenig verwunderlich, wenn sich die ausführlichste ar-

1 9 2 6 , 7 7 — 1 1 7 (verkürzter N a c h d r u c k in: ders., Kleine Schriften III, T U 7 4 , Berlin 1 9 6 2 , 3 3 1 - 3 6 8 ) , hier 9 9 = 3 5 2 . 3

AaO., 418.

4

Autobiographie (wie A n m . 2 ) , 1 0 7 = 3 6 0 .

5

Freundlicher Hinweis Dr. Plontke-Lüning.

Vorwort

VII

chäologische Arbeit Lietzmanns mit dem Komplex der drei Ausgrabungen unter den römischen Basiliken San Sebastiano, San Pietro in Vaticano und schließlich San Paolo fuori le mura befaßt — wird hier doch die Verbindung von kirchengeschichtlicher und archäologischer Arbeit besonders augenfällig und zugleich dringend. Man kommt sonst zu sehr absurden Annahmen über das Thema „Petrus und Paulus in Rom". Kurz nach der Entdeckung des Trikliakomplexes unter San Sebastiano erschien 1915 die erste Auflage von Lietzmanns entsprechend „Petrus und Paulus in Rom" betitelter Monographie im Rahmen der Arbeiten zur Kirchengeschichte. Eine zweite Auflage dieses Buches veröffentlichte er, nachdem er mit Armin von Gerkan im Herbst 1924 nochmals die entsprechenden Denkmäler und Ausgrabungen untersucht hatte. Auch wenn viele Bemerkungen Lietzmanns durch die seitherige Forschung und vor allem durch die seinerzeit recht kontrovers diskutierten Ausgrabungen unter Sankt Peter ab 1939 überholt sind, setzt sich beispielsweise Elisabeth Jastrzebowska in ihren „Untersuchungen zum christlichen Totenmahl" immer wieder mit Lietzmann und Gerkan auseinander. Auch in der archäologischen Feldarbeit hat Lietzmann, Mitglied der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Instituts, sich zu bewähren versucht: Unter seiner Leitung erfolgte 1928 die Untersuchung und Aufnahme der theodosianischen Landmauer von Konstantinopel; der Vorbericht erschien in den Abhandlungen der Berliner Akademie 6 . In Jena existieren aber auch noch weitere Spuren des archäologischen Interesses von Hans Lietzmann: Er hat der Universität eine „Sammlung für spätantike Kunst" eingerichtet, die entscheidenden Mittel für ihren Ausbau erhielt er 1917 (also mitten im Weltkrieg) von der Carl-Zeiss-Stiftung 7 . Sie bestand (und besteht) zunächst nur aus Büchern und Diapositiven, aber man 6

7

Die Landmauer von Konstantinopel, Vorbericht über die Aufnahme im Herbst 1928 (ABAW. PH 2/1929), Berlin 1929. Autobiographie (wie Anm. 2), 114 = 366.

Christoph Markschies

Vili

darf vermuten, daß an eine Erweiterung durch Kunstwerke und Papyri gedacht war. Wie Lietzmanns jüngst verstorbener Schüler Kurt Aland schreibt, wurde „diese Sammlung ... mit dem bezeichnenden Namen: ,Sammlung für spätantike Kunst' an das archäologische Seminar der Universität angeschlossen, und zwar als bewußte Demonstration des unlöslichen Zusammenhanges, in den die christliche Archäologie zur allgemeinen Archäologie und Kunstgeschichte gehört" 8 . Interessant scheint mir auch, daß hier nicht das Adjektiv „frühchristlich" auftaucht, sondern das frühe Christentum in seinem Kontext der Spätantike gesehen wird. Denn daß der Name dieses Teilgebietes der Archäologie ein Problem darstellt und damit das Selbstverständnis des Faches bis heute umstritten ist, zeigt die recht komplizierte Bezeichnung der 1991 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie zur Erforschung spätantiker, frühmittelalterlicher und byzantinischer Kultur" oder die Tatsache der Umbenennung der „frühchristlich-byzantinischen Sammlung" der Staatlichen Berliner Museen in „Museum für spätantike und byzantinische Kunst" 9 . Fünf Vorschläge wurden seinerzeit für die Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Forscher diskutiert, und die Bezeichnung „Christliche Archäologie" war heftig umstritten 1 0 . Vielleicht hätte man sich auf die 8

K. Aland, in: ders. (Hg.), Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 5 0 J a h r e deutscher Wissenschaftsgeschichte in Briefen an und von H a n s Lietzmann ( 1 8 9 2 - 1 9 4 2 ) , Berlin/New Y o r k 1 9 7 9 , 39.

9

Vgl. die Bemerkung des Direktors Arne Effenberger im neuen Katalog seiner Sammlung: „Der neue und korrekte N a m e will ausdrücken, d a ß dieses M u s e u m sowohl spätantike (und frühchristliche) als auch byzantinische Kunstwerke sammelt und b e w a h r t " (Staatliche Museen zu Berlin [Hgg.], Das M u s e u m für spätantike und byzantinische Kunst, M a i n z 1 9 9 2 , 11).

10

Vgl. dafür das Protokoll der Sitzung der „Arbeitsgemeinschaft Christliche A r c h ä o l o g i e "

v o m 2 8 . 9.

1991

in Bonn:

„Arbeitsgemeinschaft

Christliche A r c h ä o l o g i e " , „Arbeitsgemeinschaft Christliche A r c h ä o l o gie und byzantinische Kunstgeschichte", „Arbeitsgemeinschaft Spätantike Archäologie und byzantinische Kunstgeschichte",

„Arbeitsge-

Vorwort

IX

Worte des Theologen Lietzmann besinnen sollen, daß die „früher übliche Art, das christliche Gebiet als einen Sonderbezirk und eine Art theologische Hilfswissenschaft zu behandeln, ... zu einer vollen Würdigung der frühchristlichen Periode" nicht helfen kann — Worte aus dem Jahre 1926 11 , deren Beachtung vielleicht manche letztlich fruchtlose Diskussion hätte vermeiden helfen. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Theologen Lietzmann auf die christliche Archäologie ist von seinen Schülern nur zu Teilen aufgegriffen worden; wenigstens kurz aber muß an den 1985 verstorbenen Göttinger Ordinarius Carl Andresen 1 2 und dessen „Einführung in die Christliche Archäologie" erinnert werden. Andresen hat sie 1971 im Rahmen des Handbuchs „Die Kirche in ihrer Geschichte" publiziert 13 . Vielleicht dokumentiert dieser Text indirekt, daß die Fachgebiete, die Lietzmann noch zusammenhielt, heute nun einmal in den Händen verschiedener Personen liegen und alles darauf ankommt, ob und wie sie miteinander an bestimmten gemeinsamen Themen arbeiten können. Auch die sehr souveräne Art, in der bei Lietzmann unter Wahrung der Eigeninteressen und methodischen Standards ein Fach das andere befruchtete, hat nicht überall Fortsetzung gefunden, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen: Ich sehe hier reiche und weite Felder für interdisziplinäre Arbeiten.

11 12

13

meinschaft Spätantike und Christliche Archäologie und byzantinische Kunstgeschichte" sowie „Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie zur Erforschung spätantiker, frühmittelalterlicher und byzantinischer Kultur". (Der Vorschlag, der sich schließlich mit deutlicher Mehrheit durchsetzte, stammte übrigens von Bonner Studierenden). Autobiographie (wie Anm. 2), 114 f. = 366. Vgl. die Gedenkpredigt von Α. M. Ritter: Carl Andresen ( 1 9 1 9 - 1 9 8 5 ) , in: ders., Charisma und Caritas. Aufsätze zur Geschichte der Alten Kirche, Göttingen 1993, 3 3 5 - 3 3 8 . C. Andresen, Einführung in die christliche Archäologie (KiG 1 Lfg. B t ), Göttingen 1971.

χ

Christoph Markschies

Eine nahezu geradlinige Fortsetzung der interdisziplinären Weite, mit der der T h e o l o g e Lietzmann Archäologie betrieb, findet in den Arbeiten des Archäologen H u g o Brandenburg statt: Im Artikel „ K i r c h e n b a u " der „Theologischen Realenzyk l o p ä d i e " 1 4 ist in die Darstellung des archäologischen Textbefundes auch d a s patristische Textmaterial g a n z selbstverständlich integriert — und bei einem ehemaligen R e d a k t o r des „Reallexikons für Antike und C h r i s t e n t u m " , von dem die Artikel „ B e l l e r o p h o n " , „ E i n h o r n " und „ G r e i f " s t a m m e n 1 5 , ist d a s ja eigentlich auch kein Wunder. Z u den Begründern dieses monumentalen „Sachwörterbuches zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt" zählt schließlich auch H a n s Lietzmann; er wird noch heute im Innentitel eines jeden Bandes genannt. Brandenburg hat mehrfach schon die Z u s a m m e n h ä n g e von Kirchenbau und Liturgie kundig dargestellt 1 6 , aber auch zu allerlei facharchäologischen Fragen das Wort ergriffen 1 7 . Der

14

15

16

17

H. Brandenburg, Art. Kirchenbau, T R E XVIII (1989), 4 2 1 - 4 4 2 ; vgl. auch ders., Art. Katakomben, LThK V (1996), 1 2 9 2 - 1 2 9 8 . H. Brandenburg, Art. Einhorn, R A C IV (1959), 8 4 0 - 8 6 2 ; ders., Art. Greif, R A C XII (1983), 9 5 1 - 9 9 5 ; ders., Art. Bellerophon, R A C . Suppl. Lfg. 7 (im Satz). H. Brandenburg, Altar und Grab. Z u einem Problem des Märtyrerkultes im 4. und 5. Jh., in: Martyrium in Multidisciplinary Perspective. Memorial Louis Reekmans (BEThL 117), Löwen 1995, 71—98; ders., Kirchenbau und Liturgie. Überlegungen zum Verhältnis von architektonischer Gestalt und Zweckbestimmung des frühchristlichen Kultbaues im 4. und 5. Jh., in: Divitiae Aegypti. Koptologische und verwandte Studien zu Ehren von Martin Krause, hg. v. C. Fluck u. a., Wiesbaden 1995, 36 — 69; ders., Die konstantinischen Kirchen in Rom. Staatstragender Kult und Herrscherkult zwischen Tradition und Erneuerung, in: ΜΟΥΣΙΚΟΣ ANHP. FS für M . Wegner zum 90. Geburtstag, hg. v. O. Brehm/S. Klie, Bonn 1992, 27—58 sowie ders., Roms frühchristliche Basiliken des 4. Jahrhunderts (Heyne-Stilkunde 14), München 1979. In Auswahl: H. Brandenburg, Christussymbole in frühchristlichen Bauwerken, RQ 64 (1969), 7 4 - 1 3 8 ; ders., Das Grab des Papstes Cornelius und die Lucinaregion der Calixtus-Katakombe, J b A C 11/12

XI

Vorwort

erste Band seines mit Giuseppe Bovini erarbeiteten „Repertoriums der christlich-antiken Sarkophage" ist ein unentbehrliches Handwerkszeug 1 8 . Frühere und gegenwärtige Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit von Hugo Brandenburg werden aber nicht nur durch die geographische Mitte Rom zusammen gehalten, sondern durch ihre interdisziplinäre Weite. Daß er nun im Rahmen der „Hans-Lietzmann-Vorlesung" die spannenden und zugleich in mehrfacher Hinsicht paradigmatischen Ausgrabungen der stadtrömischen Kirche S. Stefano Rotondo in einen solchen weiteren Zusammenhang stellt, darf als ein weiterer Beleg solcher Deutung seines œuvres verstanden werden. Jerusalem, 21. September 1997

Christoph Markschies

( 1 9 6 8 / 1 9 6 9 ) , 4 2 - 5 4 sowie ders., Stilprobleme der frühchristlichen Sarkophagkunst R o m s im 4 . Jahrhundert. Volkskunst, Klassizismus, spätantiker Stil, R M 8 6 ( 1 9 7 9 ) , 4 3 9 - 4 7 1 -

eine Bibliographie findet sich

in der Festschrift: Bild- und F o r m e n s p r a c h e der spätantiken Kunst. H . Brandenburg zum 6 5 . Geburtstag, hg. v. M . J o r d a n - R u w e

und

U. Real (Boreas 17), M ü n s t e r 1 9 9 4 , I I I - I V . 18

Repertorium der christlich-antiken Sarkophage, Vol. I: R o m und Ostia, bearb. v. H . Brandenburg u. G. Bovini in Verbindung mit R . Enking u. O . Feld (2 Tie.), Wiesbaden 1 9 6 7 .

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom Bautypologie und Architektursymbolik in d e r s p ä t a n t i k e n u n d frühchristlichen Architektur

D i e f r ü h c h r i s t l i c h e K i r c h e S . S t e f a n o R o t o n d o in R o m , u n w e i t d e r L a t e r a n s b a s i l i k a a u f d e r H ö h e d e s C a e l i u s g e l e g e n , ist m i t ihrer differenzierten, d u r c h d a s K r e i s r u n d b e s t i m m t e n architekt o n i s c h e n G e s t a l t e i n a u ß e r g e w ö h n l i c h e r B a u , d e r in d e r f r ü h christlichen und spätantiken Architektur seinesgleichen ( A b b . 1.; T a f . I ) .

sucht

1

A b e r n i c h t n u r d i e G e s t a l t d e s B a u e s ist

außergewöhnlich,

auch seine A b m e s s u n g e n übersteigen d a s gewöhnliche M a ß : Sie

1

Die hier vorgetragenen Überlegungen nehmen ihren Ausgangspunkt von den Ergebnissen der archäologischen Bauuntersuchung, die ich in Zusammenarbeit und in gemeinsamer wissenschaftlicher Verantwortung mit Dr. Dipl. Ing. S. Storz seit 1985 an der Kirche durchführe. Unsere Untersuchung, die von der Fritz-Thyssen-Stiftung und der Gerda-Henkel-Stiftung unterstützt worden ist und z.Zt. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, nahm ihren Anfang in einer Auseinandersetzung mit den älteren Forschungen von C. Ceschi (S. Stefano Rotondo, M E M P A R A 15, S. III, Memorie XV, Rom 1982) und R. Krautheimer und S. Corbett (S. Stefano Rotondo, C B C R IV, Città del Vaticano 1976, 191—242; R. Krautheimer, Success and Failure in Late Antique Church Planning, in: K. Weitzmann [Hg.], Age of Spirituality. A Symposium, Princeton 1980, 121 — 139, = ders., Wege und Irrwege im spätantiken Kirchenbau, in: ders., Ausgewählte Aufsätze zur europäischen Kunstgeschichte, Köln 1988, 109—133), deren Ergebnisse im Hinblick auf eine Rekonstruktion des Urbaues der Kirche des fünften Jahrhunderts teilweise im Widerspruch zu den Baubefunden stehen. Die von der Universität Münster unter meiner Leitung

2

struktion des Urbaues des fünften Jahrhunderts (ohne Dächer).

durchgeführte Bauuntersuchung hat das Ziel, eine möglichst umfassende Bauaufnahme dieses einzigartigen Baues und eine sorgfältige Erfassung der zugänglichen Befunde vorzulegen, um eine zuverlässige Rekonstruktion des Urbaues und seiner Einordnung in die spätantike Architektur- und Kunstgeschichte und in die Entwicklung des christlichen Kultbaues zu ermöglichen. Zu den bisherigen Ergebnissen unserer Untersuchung und den sich daran anknüpfenden Überlegungen liegen folgende Publikationen vor: H. Brandenburg, Rez. C. Ceschi, S. Stefano Rotondo, Gnomon 57 (1985), 267—280; ders., La chiesa di S. Stefano Rotondo a Roma. Nuove ricerche e risultati. Un rapporto preliminare, RivAC 68 (1992),

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

3

entsprechen mit 22 m Durchmesser des Zentralraumes und 66 m des Gesamtdurchmessers den Querschnitten der großen kaiserlichen Basiliken, sowohl der profanen, wie der Basilica 202—232; Α. Martin, L 'importazione di ceramica africana a Roma tra il IV e il V secolo, in: L 'Africa R o m a n a . Atti VI convegno studi 1988, Sassari 1989, 475—483; ders., Sondages under S. Stefano Rotondo. The pottery and other Finds, Boreas 14/15 (1991/92), 1 5 7 - 1 7 8 ; S. Storz, S. Stefano R o t o n d o in Rom. Untersuchungen am frühchristlichen M a r m o r b o d e n im Kreuzarm N o r d o s t , in: Bericht über die 37. Tagung der Koldewey Gesellschaft, 37/1992 (1994); H . Brandenburg/ S. Storz, Die frühchristliche Kirche S. Stefano R o t o n d o in Rom. Archäologische Bauuntersuchung. Ein Zwischenbericht (I), Das Münster 46 (1993), 2 7 7 - 2 9 2 ; H. Brandenburg/S. Storz, Die frühchristliche Kirche S. Stefano R o t o n d o in R o m . Archäologische Bauuntersuchung. Der antike Schmuckfußboden in der Kapelle der Hll. Primus und Felicianus. Ein Zwischenbericht (II), Das M ü n s t e r 47 (1994), 33—46; H . Brandenburg/S. Storz, Bauuntersuchung und Restaurierung von S. Stefano R o t o n d o , Forschungsjournal der Westfälischen WilhelmsUniversität, Münster 1994, 14—19; S. Storz, Tonröhren im antiken Gewölbebau, Sonderschriften des Deutschen Archäologischen Instituts R o m 10, Mainz 1994, 86; H . Brandenburg, Spolia ed elementi architettonici originali nella chiesa di S. Stefano R o t o n d o e nell' architettura tardoantica a R o m a , in: Corsi di cultura sull' arte Ravennate e Bizantina 41 (1994), 543 — 572; S. Storz, La tecnica della costruzione delle volte con tubi fittili a S. Stefano R o t o n d o a R o m a , ebd., 669—693; H. Brandenburg, Kirchenbau und Liturgie. Überlegungen zum Verhältnis von architektonischer Gestalt und Z w e c k b e s t i m m u n g des f r ü h christlichen Kultbaues im vierten und fünften J a h r h u n d e r t , in: Divitiae Aegypti. Festschrift M . Krause, hg. von C. Fluck u. a., Wiesbaden 1995, 36—69; H. Brandenburg, Die Verwendung von Spolien und originalen Werkstücken in der spätantiken Architektur, in: Antike Spolien in der Architektur des Mittelalters und der Renaissance, M ü n c h e n 1996, 11—39; S. Storz, La tecnica edilizia r o m a n a e paleocristiana delle volte a tubi fittili, in: C. Conforti (Hg.), Lo specchio del cielo. Forme, significati tecniche e funzioni della cupola dal Pantheon al Novecento, Milano 1997, 23 — 41; H . Brandenburg, Sanctus Stephanus in Coelio M o n t e Vulgus S. Stefano R o t o n d o , Korrespondenzblatt des Collegium Germanicum et H u n g a r i c u m 106 (1997), 50—67. Einen Überblick über die Untersuchung der antiken Kirche, ihr späteres Schicksal und ihre Ausstattung in Renaissance und Barock sowie

Hugo Brandenburg

4

Ulpia a m T r a j a n s f o r u m , als auch der m o n u m e n t a l e n kaiserlichen Kirchengründungen des vierten J a h r h u n d e r t s , der Lateransbasilika als der römischen Bischofskirche, der Petersbasilika über d e m G r a b Petri und S. P a o l o über dem G r a b des Apostels Paulus v o r den Toren der Stadt. Der B a u von S. Stefano R o t o n d o besitzt also gleichsam kaiserliche M a ß e . 2 Die Kirche wurde, wie der Liber

Pontificalis,

die r ö m i s c h e

P a p s t c h r o n i k des sechsten J a h r h u n d e r t s , vermeldet, von Papst Simplicius, der von 4 6 8 bis 4 8 3 das Pontifikat innehatte, gew e i h t . 3 D a s heißt nach der Terminologie des Liber

Pontificalis,

d a ß Papst Simplicius die Kirche nur dediziert, aber nicht a u c h erbaut h a t . 4 Wenn uns a u c h die Papstchronik, die im Sinne eines Fürstenspiegels die Leistungen der Päpste gerade auch auf d e m

2

3

4

der Probleme der Restaurierung geben die z.Zt. im Druck befindlichen Akten des von der Universität Münster in Zusammenarbeit mit der Ungarischen Akademie, Rom, im Oktober 1996 in Rom veranstalteten Symposiums „Santo Stefano Rotondo in Roma. Archeologia, Bauforschung, Storia, Restauro". Für die Abmessungen der genannten kaiserlichen profanen und christlichen Großbasiliken vgl. zur Basilica Ulpia J. Packer, Art. Forum Traiani, Lexicon Topographicum Urbis Romae, Vol. II, Rom 1995, 352, Abb. 171/2: Querschnitt 58,76 m, Lichte Weite Mittelschiff 24,97 m; zur Lateransbasilika vgl. R. Krautheimer, CBCR V, Città del Vaticano 1980, 76 f.: Querschnitt 53,73 m, Lichte Weite Mittelschiff 18,73 m; zu St. Peter vgl. A. Arbeiter, Alt-St. Peter in Geschichte und Wissenschaft, Abfolge der Bauten, Rekonstruktion, Architekturprogramm, Berlin 1988, Beilage 1: Querschnitt 63,38 m, Lichte Weite Mittelschiff 23,54 m; zu St. Paul vgl. R. Krautheimer, CBCR V, 155: Querschnitt 65,27 m, Lichte Weite Mittelschiff 24,00 m. Liber Pontificalis XLVIII (I, p. 249 Duchesne) Hic dedicavit basilicam S. Stefani in Celio monte, in urbe Roma, et basilicam beati apostoli Andreae, iuxta basilicam sanctae Mariae. H. Geertman, More veterum. Il Liber Pontificalis e gli edifici ecclesiastici di Roma nella tarda antichità e nell'alto medioevo, Groningen 1975, 1 8 4 - 1 9 1 . Vgl. auch L. Koep, Art. Dedicado, RAC III (1957), (643 — 649) bes. 648 mit Verweis auf Bauinschriften, die Errichtung und Dedikation eines Gebäudes mit unterschiedlichen Termini bezeichnen.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

5

Gebiete der Bautätigkeit besonders herausstellt, den eigentlichen Stifter und Bauherren der Kirche, offenbar einen Nichtkleriker, verschweigt, so gibt uns doch der a r c h ä o l o g i s c h e Befund Hinweise, diesen zu identifizieren. 5 Die Kirche ist, wie die G r a b u n g e n der italienischen Denkmalsbehörde in den siebziger J a h r e n ergeben haben, über der Kaserne einer römischen Spezialtruppe, der Peregrini,

die für

die Logistik und das Meldewesen des Heeres zuständig war, 5

In einem posthum erschienenen Aufsatz (S. Stefano Rotondo: Conjectures, Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 29 [1994], 1 — 18), in dem Krautheimer seine älteren Vorstellungen korrigierend auf den von uns in fortlaufender kollegialer Diskussion mitgeteilten Ergebnissen unserer Untersuchungen aufbaut und seine Vorschläge zur Genese und Rekonstruktion des ursprünglichen Baues von S. Stefano Rotondo weiterentwickelt, übernimmt er zwar jetzt die von uns aufgrund der Untersuchungen Geertmans vorgetragene Interpretation (vgl. Brandenburg/Storz, Zwischenbericht (I) [wie Anm. 1], 1993, 289 f.), daß „dedicavit" nur die Weihung der Kirche meint und nicht auch die Erbauung beinhaltet (ebd. 3. 11. 16 f.; anders Krautheimer, Success and Failure, 123 = ders., Wege und Irrwege, 111 [wie Anm. 1]), Papst Simplicius also nicht der Bauherr der Kirche gewesen ist (vgl. Brandenburg, La Chiesa di S. Stefano Rotondo [wie Anm. 1], 202—204; Brandenburg/ Storz, Zwischenbericht (I) [wie Anm. 1], 1993, 2 8 9 - 2 9 1 ) , gibt jedoch dem Terminus dedicavit einen neuen Sinn: Durch diese Formel würde die Adaption und Umwidmung eines älteren, profanen Baues in eine Kirche bezeichnet. Tatsächlich erwähnt der Liber Pontificalis in dem genannten Passus zusammen mit S. Stefano Rotondo (vgl. oben Anm. 3), daß Papst Simplicius auch die Kirche S. Andrea geweiht habe, für die, wie wir wissen (R. Krautheimer, S. Andrea in Catabarbara, CBCR I, Città del Vaticano 1937, 64 f.), mit geringfügigen Änderungen die Empfangshalle eines Stadtpalastes der Adelsfamilie der Bassii als christlicher Kultbau umgestaltet wurde (vgl. zu diesem Bau F. Guidobaldi, Art. Domus Iunius Bassi, Lexicon Topographicum Urbis Romae, Vol. II [1995], 69 f.). Krautheimer schließt daraus und aus der eingangs schon angesprochenen ungewöhnlichen Gestalt von S. Stefano Rotondo, daß der Bau von S. Stefano Rotondo ursprünglich eine spätantike Palastaula gewesen sei, die von Papst Simplicius zur Kirche umgestaltet und geweiht worden sei. Diese Auffassung ist jedoch nicht zu halten, vgl. dazu unten S. 14 f., Anm. 23 f.; S. 54 f.

6

Hugo Brandenburg

errichtet worden. 6 Es handelt sich also um die gleiche Situation, wie wir sie rund ein Jahrhundert früher an der kaum 700 m entfernt liegenden Lateransbasilika vorfinden. Die Lateransbasilika wurde in den Jahren 312/313 von Konstantin als römische Bischofskirche errichtet. 7 Der Kaiser stellte als Baugelände das Areal der Kaserne der wohl nach der Schlacht an der Milvischen Brücke aufgelösten kaiserlichen Gardetruppe der Equités singulares zur Verfügung. Wie uns dieses und andere Beispiele am Ausgang der Antike zeigen, konnte Fiskalbesitz nur durch die staatliche Autorität in Vertretung des Kaisers oder durch diesen selbst der Kirche übereignet werden. So übertrug noch Anfang des siebenten Jahrhunderts Kaiser Phokas das Pantheon Papst Bonifaz IV., damit dieser dort eine Marienkirche einrichten konnte, und Kaiser Heraclius stellte im Jahre 625 Papst Honorius die vergoldeten Bronzeziegel der Maxentiusbasilika am Forum Romanum zur Verfügung, um die Peterskirche damit neu einzudecken.8 So müssen wir annehmen, daß auch im Falle von S. Stefano Rotondo die Übereignung des an so bevorzugter Stelle auf der Höhe des Caelius gelegenen Grundstückes durch den Kaiser selbst oder auf seine Veranlassung erfolgt ist. 9 6

E. Lissi Caronna, Scoperte sotto S. Stefano Rotondo, in: C. Ceschi, S.Stefano Rotondo (MEMPARA I V / 1 5 ) , 1982, 1 7 5 - 1 8 3 ; dies., Art. Castra Peregrina, Lexicon Topographicum Urbis Romae, Vol. I (1993), 249—251; dies, demnächst in den Akten des römischen Symposions über S. Stefano Rotondo (im Druck).

7

C. Buzzetti, Art. Castra Equitum Singularium, Lexicon Topographicum Urbis Romae, Vol. I (1993), 2 4 6 - 2 4 8 ; R. Krautheimer/ S. Corbett, S. Giovanni in Laterano, C B C R V (1980), 2 8 - 3 3 ; H. Brandenburg, Roms frühchristliche Basiliken des vierten Jahrhunderts, München 1979, 2 2 - 3 7 mit Plan auf S. 25.

8

Für das Pantheon vgl. lib. pont. LXXVIII 2; vgl. C. Hülsen, Le Chiese di Roma nel Medio Evo, Florenz 1927, 363, Nr. 82. Für die Petersbasilika vgl. Krautheimer, CBCR V (wie Anm. 2), 174. Allerdings wird hier von Krautheimer fälschlicherweise der Venus-und-Roma-Tempel für die Herkunft der Dachziegel angegeben. Vgl. Brandenburg, La Chiesa di S. Stefano Rotondo (wie Anm. 1), 203 f.

9

7

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

Sondagen unter dem antiken Fußboden der Kirche, die wir im Rahmen der Bauuntersuchung von S. Stefano Rotondo durchführen konnten, ergaben durch die Auswertung des datierbaren keramischen Fundmaterials, daß die Kaserne wohl am Beginn des zweiten Viertels des fünften Jahrhunderts von der Kirche überbaut worden ist. 10 Kaiser war in dieser Zeit Valentinian III., der in Rom und Ravenna residierte und für den, solange er minderjährig war, seine Mutter Galla Placidia, die uns aus Ravenna als fürstliche Bauherrin und Kirchenstifterin bekannt ist, die Regentschaft führte. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß der ravennatische Chronist Agnellus — in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts — uns Mutter und Sohn auch als Stifter einer Stephanskirche in Rimini benennt 11 und eine mögliche engere Bindung des kaiserlichen Hauses zu dem Märtyrer auch durch eine — allerdings erst mittelalterliche — Legende bezeugt werden könnte, die von der Heilung Valentinians III. durch Stephan berichtet. Auch die außergewöhnliche Gestalt des Kirchenbaues und seine Dimensionen, die ihn als einen Großbau ausweisen, die Lage auf der höchsten Erhebung des Caelius über den stark abfallenden Hügelhängen, weit sichtbar auf der Plattform der nur bis auf das Erdgeschoß niedergelegten Kaserne, lassen darauf schließen, daß der Bau im Bereich der kaiserlichen Bauhütte konzipiert und seine Lage vom kaiserlichen Haus mitbestimmt wurde. In diesem Bereich des Caelius hatten sich in der hohen Kaiserzeit zahlreiche orientalische Kulte angesiedelt, von denen vor allem der der Magna Mater zu nennen ist, deren große fünf-

10

Brandenburg, L a Chiesa di S. Stefano R o t o n d o (wie A n m . 1), 2 2 3 f.; Martin, Sondages (wie Anm. 1), 1 5 7 — 1 6 1 ; Storz, S. Stefano R o t o n d o (wie

Anm. 1),

A n m . 1),

5 9 f.; B r a n d e n b u r g / S t o r z ,

289—291;

Brandenburg/Storz,

Zwischenbericht

(I)

Bauuntersuchung

(wie (wie

A n m . 1), 1 7 - 1 9 . 11

Agnellus, liber pontificalis 4 2 ( F C h r 2 1 / 1 , 2 1 6 / 1 0 f . Nauerth). Hinweis verdanke ich Clementina Rizzardi.

Den

8

Hugo Brandenburg

schiffige Kultbasilika auf der anderen Seite der Via Caelimontana gegenüber S. Stefano Rotondo auf dem Gelände des Ospedale Militare kürzlich durch die Soprintendenza Archeologica di Roma ergraben worden ist. 12 In unmittelbarer Nähe lagen auch die luxuriösen Stadtresidenzen (domus) senatorischer Adelsgeschlechter, wie die reiche und prächtige der Valerier und die des Symmachus, Stadtpräfekten und berühmten Kontrahenten des heiligen Ambrosius, des Bischofs von Mailand, im Streit um die Bewahrung paganer Traditionen. 13 Unter der Eroberung Roms durch die Goten unter Alarich im Jahre 410 hatte der Caelius besonders gelitten. Der Stadtpalast der Valerier wurde verwüstet und geplündert. 14 So wird die Errichtung der Kirche des Protomärtyrers an hervorragender Stelle des Caelius nicht nur durch den zur Verfügung stehenden Bauplatz der nicht mehr genutzten Kaserne bedingt sein, 15 sondern dürfte auch das Ziel gehabt haben, gegenüber den dort angesiedelten orientalischen 12

C. Pavolini, Celio, Ospedale Militare. Basilica Hilariana, BA 1/2 (1990), 171 — 176; ders., L'area del Celio fra antichità e il medioevo alla luce delle recenti indagini archeologiche, in: L. Paroli/P. Delogu (Hg.), Storia economica dell' alto medioevo alla luce dei recenti scavi archeologici, Florenz 1993, 61; ders. u. a., La topografia antica della sommità del Celio, R M 100 (1993), ( 4 4 3 - 4 5 6 ) bes. 4 5 0 - 4 5 6 . Z u den paganen orientalischen Kulten dieser Zone vgl. C. Pavolini, Akten des Internationalen Symposions S. Stefano Rotondo, R o m 1996 (Wiesbaden 1998). Vgl. auch unten S. 15 mit Anm. 24.

13

Vita Melaniae jun. 14 (SC 9 0 , 154 Gorce); G. Gatti, La casa celimontana dei Valerli e il monastero di S. Erasmo, B C o m 1902, 145—163; A. Colini, Storia del Celio, Città del Vaticano 1944, 3 5 3 - 3 5 8 ; Pavolini, L'area del Celio (wie Anm. 12), 61 f.; ders., La topografia antica (wie Anm. 12), 4 5 0 - 4 5 3 ; Guidobaldi, Domus (wie Anm. 5); A. Demandi, Die Spätantike (HAW III/6), München 1989, 285. Vita Melaniae jun. 14 (SC 90, 154 Gorce). Der Bau von S. Stefano Rotondo ist zweifellos auch der umfangreichen Bautätigkeit zuzurechnen, durch die seit dem ausgehenden vierten bis ins frühe fünfte Jahrhundert in Rom zahlreiche, über die Stadt verstreute monumentale Kirchenbauten entstehen, die auffällig häufig über und in öffentlichen Gebäuden errichtet werden. Diese rege Bautä-

14 15

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

9

Kulten die Christianisierung dieses Bereiches der Stadt zu sichern

und durch eine bauliche Erneuerung

den Verfall

des

Q u a r t i e r s aufzuhalten, wie es auch die umfangreichen, durch Inschriften

und

jüngste Untersuchungen

belegten

Restaurie-

rungs- und U m b a u m a ß n a h m e n Valentinians III. im b e n a c h b a r ten C o l o s s e u m belegen. 1 6 Die d e m P r o t o m ä r t y r e r zu weihende Gedächtniskirche eignete sich offenbar besonders für diese Aufgaben. Im Z u g e der im Laufe des vierten J a h r h u n d e r t s aufblühenden M ä r t y r e r v e r ehrung wurden im J a h r e 4 1 5 n. Chr. in Palästina die Gebeine des heiligen Stephanus aufgefunden. D e r Kult fand großen An-

tigkeit, die die Stadt jetzt erst mit einem Netz von Kirchenbauten versieht, ist sicher nicht nur auf das Anwachsen der Gemeinde, also auf pastorale Bedürfnisse zurückzuführen, sondern vor allem auf die Tatsache, daß nun an der Wende zum fünften Jahrhundert in der dicht bebauten Stadt die Grundstücke zahlreicher nicht mehr genutzter oder verfallender öffentlicher Gebäude zur Verfügung stehen, die, wenn sie nicht mehr reparabel sind, zur Materialbeschaffung ausgebeutet werden können. Vgl. die kaiserliche Gesetzgebung dieser Zeit: Cod. Theod. X V 119 vom Jahre 376; Cod. Theod. XV 1,37 vom Jahre 391; Cod. Theod. Nov. Maioran. IV vom Jahre 458. Vgl. dazu auch A. Geyer, „Ne ruinis urbs deformetur ..." Ästhetische Kriterien in der spätantiken Baugesetzgebung, Boreas 16 (1993), 63—77. Im Hinblick auf die Entstehung der frühesten christlichen Kultstätten in Rom sollte dieser Fragestellung weiter nachgegangen werden, was an anderer Stelle geschehen soll. Die prächtige domus der Valerier wurde nach der Katastophe von der heiligen Melania der Jüngeren, der Erbtochter der Valerier, zum Kauf angeboten, da sie sich in das klösterliche Leben zurückziehen wollte. Interessanterweise bietet sie den Stadtpalast auch der Kaiserin an, um ihn der Kirche nutzbar zu machen (Vita Melaniae 14). So entsteht hier auf dem Grundstück in unmittelbarer Nähe östlich von S. Stefano Rotondo wahrscheinlich noch im fünften Jahrhundert das Xenodochium Valerii, eine Pilgerherberge (Gregor, ep. 9,28; Gatti, La casa celimontana [wie Anm. 13], 153), und im sechsten Jahrhundert das Kloster S. Erasmus (Gatti, La casa celimontana [wie Anm. 13], 149). 16

R. Rea, Art. Amphitheatrum, Lexicon Topographicum Urbis Romae, Vol. I, ( 3 0 - 3 5 ) 35.

10

Hugo Brandenburg

hang und breitete sich, wie wir auch aus dem zeitgenössischen Zeugnis des heiligen Augustinus wissen, rasch über die ganze Oikumene aus. 1 7 So ist es sicherlich als eine programmatische Maßnahme zu werten, wenn das kaiserliche Haus dem verehrten Protomärtyrer in der Residenzstadt Rom an einem ausgezeichneten Platz eine anspruchsvolle und würdige Kultstätte errichtete, die in ihren Ausmaßen und in ihrem Aufwand alle anderen zeitgenössischen Kirchengründungen in Rom überragte und durch die die bauliche Erneuerung der Stadt eine wesentlich christliche Prägung erhielt. 18 Doch bevor wir uns dieser Problemstellung zuwenden, die neben der Frage nach dem Bedeutungsgehalt der Bautypologie das Thema unseres Vortrages ist, müssen wir uns mit der Architektur des Baues auseinandersetzen. Der Bau, bestimmt durch eine kreisrunde Gestalt und eine axialsymmetrische Auslegung der Räume und Baukörper, besitzt keine Ausrichtung und scheint somit gleichsam in sich zu ruhen (Abb. 1): Für einen Kirchenbau, der als Stationskirche dem eucharistischen Kult der Gesamtgemeinde unter Vorsitz des Bischofs diente, sicherlich eine ungewöhnliche Plandisposi17

18

Zur Auffindung und Verbreitung der Stephanusreliquien, den Bau von Kirchen mit Pilgerbetrieb und Wunderheilungen vgl. F. van der Meer, Augustinus der Seelsorger. Leben und Wirken eines Kirchenvaters, Köln 1953, 342 f.491 f.566—570; V. Saxer, Morts, martyrs, reliques en Afrique chrétienne aux premiers siècles. Témoignages de Tertullien, Cyprien et Augustin à la lumière de l'archéologie africaine (ThH 55), Paris 1980, 245. Augustinus berichtet von Stephanusmemorien und Heilung durch Reliquien, Aug., civ. Dei XXII 8 (BiTeu 5 7 4 , 2 2 - 5 7 9 , 1 4 Dombart/Kalb) sowie in serm. 320 (PL 38, 1442). Es ist beachtenswert, daß auch die von Papst Sixtus III. errichtete und der Gottesmutter geweihte Basilika, wie S. Stefano eine repräsentative Memoria und Stationskirche, nicht die Maße von S. Stefano Rotondo erreichte. Die Querschnittmaße der dreischiffigen Basilika betragen 35,00 m, die lichte Weite des Mittelschiffes ca. 20,00 m. Vgl. R. Krautheimer/ S. Corbett/ W. Frankl, S. Maria Maggiore III, Città del Vaticano 1967, 46.

11

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

t i o n . 1 9 Kirchliche Z e n t r a l b a u t e n der frühchristlichen Z e i t besitz e n j e d e n f a l l s — bis a u f w e n i g e A u s n a h m e n — d e n B e d ü r f n i s s e n d e r L i t u r g i e e n t s p r e c h e n d e i n e A u s r i c h t u n g a u f ein

Presbyte-

r i u m m i t A p s i s , d a s m e i s t als ein e i g e n e r B a u k ö r p e r d e m Z e n t r a l b a u a n g e f ü g t ist. A l s B e i s p i e l e m ö g e n h i e r K i r c h e n a u f d e m Teil v o n B e t h S h e a n in P a l ä s t i n a , in A p a m e i a in S y r i e n u n d in A m p h i p o l i s in N o r d g r i e c h e n l a n d a u s d e m v i e r t e n / f ü n f t e n J a h r h u n d e r t a n g e f ü h r t sein, die m i t S. S t e f a n o R o t o n d o z w a r

die

s e l t e n e R u n d f o r m g e m e i n h a b e n u n d e b e n s o in e i n e n z e n t r a l e n R a u m u n d U m g a n g g e g l i e d e r t s i n d , a b e r die ü b l i c h e A p s i s u n d d a s in d e n U m g a n g e i n g r e i f e n d e u n d i h n u n t e r b r e c h e n d e P r e s b y t e r i u m a u f w e i s e n ( A b b . 2 ) . 2 0 S o h a b e n d e n n a u c h seit d e r R e -

19

S. Stefano Rotondo zählt zu den Stationskirchen, deren Stationskult auf Papst Leo in der Mitte des fünften Jahrhunderts zurückgeht. Vgl. dazu und zur Organisation des Stationskultes als Gottesdienst der Gesamtgemeine in der Quaresima A. Chavasse, La liturgie de la ville de Rome du V e au VIII e siècle, R o m 1993, 2 3 1 - 2 4 6 .

20

Für die abgeräumte Kirche in Beth Shean (Skythopolis, Palästina) vgl. G . M . F i t z g e r a l d , Beth Shan Excavations 1921 — 1923. T h e Arab and Byzantine Levels, Philadelphia 1931, 1 8 - 3 0 , Taf. 9 - 1 1 , 2 Pläne, Situationsplan; E. Β. Smith, T h e Dome, Princeton 1950, 99, Abb. 155; R. Arav, T h e Round Church at Beth Shan, SBFLA 3 9 (1989), 1 8 9 - 1 9 7 , Taf. 3 5 - 3 7 , Abb. 1 - 6 . Die Kirche hat eine ausgeprägte Ausrichtung mit Narthex, Presbyterium und Apsis. Der Bau bedarf einer neuerlichen Untersuchung. Die bisher aufgrund der unzureichenden Grabungspublikation vorgelegten Restitutionsvorschläge und auch die Datierungen des Baues können nicht überzeugen. Es ist kaum denkbar, daß die Innenkolonnade bei einem Durchmesser des Zentralraumes von 27,00 m nur 12 Säulen mit Interkolumnien von ca. 4,00 m besessen haben soll und daß, wie Arav vorschlägt, der Innenraum ungedeckt gewesen sein soll. Die bei Fitzgerald auf Taf. 2 0 / 1 abgebildeten Kapitelle der Kirche sind sicher Spolien des vierten Jahrhunderts, das auf Taf. 2 0 / 2 wiedergegebene Stück gehört der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts an und könnte aus der Erbauungszeit der Kirche stammen. Auf diese Fragen soll an anderer Stelle eingegangen werden. — Apameia (Syrien): J . Ch. Baity, Guide d'Apamée, Brüssel 1981, 146 f. (Plan). Die Ausrichtung der Kirche wird hier noch durch ein Querhaus betont, das den runden, in Zenralraum und Umgang geglie-

12

Hugo Brandenburg

a)

V *

·Ή=

θ

Abb. 2. Rundkirchen von (a) Apameia (Syrien) und (b) Beth Shean (Palästina), fünftes/sechstes J a h r h u n d e r t , mit Apsis und Presbyterium.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

13

naissance bis in unsere Zeit hinein Gelehrte und Architekten immer wieder vermutet, daß der Bau von S. Stefano Rotondo derten Gemeinderaum vom Presbyterium trennt. Auch hier ist der zentrale Raum des Rundbaues mit einem Durchmesser von 25 m größer als der von S. Stefano Rotondo. — Amphipolis (Griechenland): E. Stikas, Anaskaphe palaiochristianikon basilikon Amphipoleos, Prakt 1980 (1982), 1 4 - 2 0 , Abb. 1; ders., Anaskaphe basilikon Amphipoleos, Prakt 1981 (1983), 2 6 - 3 2 , Taf. A (Plan), Taf. Β (Aufriß, Rekonstruktion), Taf. C (Axonometrie); R. Krautheimer, Early Christian and Byzantine Architecture, London 1986, 493, Anm. 29 (sechstes Jahrhundert?). — Ein ausgeschiedenes Presbyterium und eine Apsis fehlt allerdings auch dem in den Maßen mit S. Stefano Rotondo zu vergleichenden gegliederten Zentralbau von S. Lorenzo in Mailand,

14

Hugo Brandenburg

im Ursprung ein heidnischer Tempel gewesen sei, ein Heiligtum des Gottes Faunus oder der in der Nähe gesuchte Tempel des vergöttlichten Kaisers Claudius. 2 1 Auch einen von Kaiser Nero gestifteten Markt, das Macellum

Neronis,

der nach den antiken

Quellen in der Nähe gelegen haben muß, wollte man seit dem siebzehnten

Jahrhundert

mit

der

Kirche

identifizieren. 22

Schließlich hat jüngst noch Richard Krautheimer, der 1 9 9 4 verstorbene Nestor der frühchristlichen

Archäologie, in einem

posthum erschienenen Aufsatz geglaubt, aufgrund dieser ungewöhnlichen Gestalt in dem Bau eine später für den christlichen Kult adaptierte Palastaula des fünften Jahrhunderts sehen zu müssen. 2 3 Unsere Untersuchungen der letzten Jahre sowie eine bessere Kenntnis der kaiserzeitlichen und spätantiken Architektur bezeugen jedoch, daß der Bau von Grund auf als Kirche errichtet worden ist: Die staffelnde Zuordnung der Raumgruppen und der Baukörper (Abb. 1; Taf. I), das Mauerwerk, das

21

22

23

der dem ausgehenden vierten Jahrhundert zuzuweisen ist, vgl. G. Traversi, Architettura paleocristiana milanese, Mailand 1964, 63 f., Abb. 6; D. Kinney, Le chiese paleocristiane di Mediolanum, in: C. Bertelli (Hg.), Millennio Ambrosiano. Milano, una Capitale da Ambrogio ai Carolingi, Mailand 1987, ( 4 8 - 7 9 ) 54, Abb. 63 f.74. Allerdings wird hier die Ausrichtung des Baues durch das Atrium und eine entsprechend ausgebildete Fassade im Westen bestimmt, Elemente, die bei S. Stefano Rotondo fehlen, so daß die Kirche in der Auslegung und im Aufbau keine Ausrichtung aufweist. Ruccellai (1450): tempio d'idoli. — Flavio Biondo (1446) u. a.: Tempel des Faunus. — Pirro Ligorio: Tempel des Juppiter Peregrinus. — Pompeo Ugonio, Donati u. a.: Tempel des divus Claudius. — Nardini (1665): Tempel des Bacchus. — Isabelle, Lanciani, Hülsen (1927) u. a.: Macellum Neronis. Belege bei C. Hülsen, Le chiese (wie Anm. 8), 474 Nr. 72; M. Armellini/ C. Cecchelli, Le chiese di Roma dal secolo IV al X I X , Roma 1942 2 , 157 f.; W. Buchowiecki, Handbuch der Kirchen Roms, Vol. III, Wien 1974, 944f.; Krautheimer, CBCR IV (1976), 204. Vgl. Anm. 21 und G. Walser, Die Einsiedler Inschriftensammlung und der Pilgerführer durch Rom (Codex Einsidlensis 326) (Historia-Einzelschriften 53), Stuttgart 1987, 198 f., im Anschluß an Lanciani. Vgl. Krautheimer, Conjectures (wie Anm. 5), 8 — 10.15.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

15

Z i e g e l m a t e r i a l , die W i e d e r v e r w e n d u n g v o n älteren kaiserzeitlichen

Werkstücken,

sogenannten

Spolien,

die

charakteristi-

schen s p ä t a n t i k e n F o r m e n der B a u p l a s t i k , die Kreuze und Chris t o g r a m m e a u f K ä m p f e r n und Kapitellen (Taf. II), die k r e u z f ö r migen

Fenster

in

den

Fassaden

der

Kreuzarme

(Taf. V l l l b ;

A b b . 1) und v o r allem die k r e u z f ö r m i g e Gestalt des Baues, mit dessen A r c h i t e k t u r und ihrem B e d e u t u n g s g e h a l t w i r uns im folgenden beschäftigen w e r d e n , lassen keinen Z w e i f e l d a r a n , d a ß d a s B a u w e r k als frühchristliche K i r c h e geplant und g e b a u t w o r den i s t . 2 4 A b e r nicht nur die fehlende A u s r i c h t u n g des B a u e s , s o n d e r n a u c h der P l a n e n t w u r f und das R a u m g e f ü g e sind u n g e w ö h n l i c h

24

Die Annahme, daß in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts eine Palastaula von diesen Ausmaßen, isoliert und ohne entsprechendes Umfeld (Gartenanlagen, Palastbauten) an dieser Stelle des Caelius über der Kaserne der Peregrini, umgeben von einer dichten Bebauung mit Kultstätten und Wohnanlagen (so die unmittelbar benachbarten domus Symmachi und Valerti), errichtet worden sein sollte, hat an sich schon wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Anders der monumentale, spätantike Zentralbau der sogenannten Minerva Medica in den horti Liciniani auf dem Esquilin, der wohl als monumentaler Pavillon zur kaiserlichen Villa des P. Licinius Gallienus gehörte. Vgl. E. Nash, A Pictorial Dictionary of Ancient Rome, Vol. 2 London 1962, 127—129; L. Richardson jr., A New Topographical Dictionary of Ancient Rome, London 1992, 269 f. Vgl. zu diesem Bau auch unten S. 34—37, Anm. 52. Zur spätantiken Bebauung des Caelius vgl. oben S. 8 mit Anm. 12—14. Zu der dort genannten Literatur vgl. auch C. Pavolini, Lo scavo di piazza Celimontana. Un' indagine nel Caput Africae, L'Urbs, Rom 1987, 653 — 685; ders., Indagini archeologiche a piazza Celimontana, Archeologia Laziale 9 (1988), 97—104; ders., Caput Africae I. Indagini archeologiche a Piazza Celimontana (1984—1988), Rom 1993; C. Pavolini u. a., Il Celio, ascesa e decadenza di un quartiere nell'antica Roma, Archeo 11/3 (1996), 3 4 - 3 6 . Eine Veröffentlichung Pavolinis zu den paganen, meist östlichen Kulten und ihren Heiligtümern in diesem Bereich erscheint demnächst in: Akten des Internationalen Symposiums S. Stefano Rotondo, Rom 1996 (im Druck). Vgl. auch die in Anm. 12 genannte Literatur zur basilica Hilariana und den domus in der Zone um S. Stefano Rotondo.

16

Hugo Brandenburg

und ohne unmittelbare Parallele in der frühchristlichen Kirchenbaukunst. Einem kreisrunden Zentralraum mit einer Architravkolonnade von 22 Säulen ist ein Umgang angefügt, dem ein weiterer Ring folgt, der in einen äußeren Korridor und einen größeren inneren Raum aufgeteilt ist und der überdies von vier Kreuzarmen durchstoßen wird (Abb. 1). Dieser gleichmäßigen, axialsymmetrischen Auslegung entspricht auch die Anordnung der Eingänge, die nicht einer Fassade, einem Haupteingang zugeordnet sind, sondern vielmehr, die Richtungslosigkeit des Baues betonend, jeweils zu zweien in der Umfassungsmauer der Diagonalsektoren piaziert sind. Der äußere Ring und auch die Kreuzarme öffnen sich durch Arkadenkolonnaden in das Kircheninnere, die Kreuzarme zudem durch große, dreiteilige Öffnungen mit einer mittleren Arkade, einer sogenannten Serliana, in die zwischen ihnen liegenden Raumteile des zweiten Ringes. Alle Räume sind so durch diaphane Säulenstellungen miteinander verbunden und erlauben damit in zwei Kreisen, durch den ersten Umgang und durch die Kreuzarme und Diagonalsektoren, die Bewegung um den zentralen, von einem Tambur überhöhten Raum. Der Zugang zum Kircheninneren erfolgte über die Türen in der Umfassungsmauer nicht in direkter Linie, sondern in einer zweifach gebrochenen Bewegungsrichtung von den Korridoren über die Kreuzarme, die somit als Vestibüle dienten (Abb. 1). Der komplizierten Zuordnung der Räume im Plangefüge entspricht im Aufbau eine hierarchische Staffelung, die im Außenbau im hohen Tambur kulminierend die Raumkörper gegenseitig absetzend differenziert (Abb. 1). So bietet die Kirche, die damit einem Ordnungsprinzip römischer Architektur folgt, im Außenbau einen geschlossenen, reich gegliederten Baukörper. 2 5 In S. Stefano Rotondo ist also der in einen zentralen Raum mit Umgang gegliederte Zentralbau mit einem kreuzförmig aus15

Tendenzen zu einer G r u p p i e r u n g und Staffelung der R a u m k ö r p e r in einem vielräumigen B a u g e f ü g e u m ein überhöhtes Z e n t r u m zeigen sich

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom gelegten B a u k ö r p e r vereint. Beide Bautypen, der

17 gegliederte

Z e n t r a l b a u und der Kreuzbau, sind der kaiserzeitlichen Architektur und der spätantiken P r o f a n a r c h i t e k t u r v o r d e m vierten J a h r h u n d e r t u n b e k a n n t . 2 6 F ü r den Kreuzbau ist zu vermuten, d a ß sein Fehlen in der kaiserzeitlichen römischen Architektur wohl d a r a u f zurückzuführen ist, d a ß er in statischer und ästhetischer Hinsicht wie auch als R a u m b a u kein befriedigender Bautypus ist, so daß, da kein funktionaler Bedarf bestand, ein entsprechender wurde.27

monumentaler

Bautypus

auch

nicht

entwickelt

Im Gegensatz dazu ist der gegliederte Z e n t r a l b a u , wie

wir im folgenden sehen werden, der Tendenz n a c h in der Ent-

26

27

bereits ausgeprägt in der kaiserzeitlichen Profanarchitektur. Ein markantes Beispiel für diese Tendenz der Zuordnung der Raumkörper in einem komplizierten Raumgefüge bieten die kaiserlichen Thermenbauten Roms. Das Fehlen von kreuzförmigen Bauten in der römischen Architektur wird bereits erwähnt bei J. B. Ward-Perkins, Memoria, Martyrs Tomb and Martyrs Church, JThS. NS 17 (1966), 3 - 8 = Akten des christlichen Archäologenkongresses, Trier 1964 ( = Berlin 1969), 21 — 23; vgl. auch F. W. Deichmann, Archeologia Cristiana, Rom 1993, 97. Allerdings begegnet eine kreuzförmige Gestalt, jedoch nicht mit ausgebildeten Kreuzarmen, sondern mit leicht vorspringenden exedraartigen Ansätzen, auch in Triclinien römischer Villen der Kaiserzeit. Vgl. H. Windfeld-Hansen, Un edificio sepolcrale tardo-antico sulla Via Appia e le origini dei martyria a croce con abside, Archeologia Laziale 10 (1990), 1 0 6 - 1 1 5 . Hier ist die architektonische Gestalt aus der Funktion des Raumes zu erklären: Die Nischen nahmen die Lagerstätten auf. Bei spätantiken Grabbauten begegnet ebenfalls gelegentlich die Kreuzform. Doch ist sie auch hier nicht markant ausgeprägt; es handelt sich jedenfalls nicht um Bauten, die sich aus vier Kreuzarmen zusammensetzen. Vgl. die Beispiele bei Windfeld-Hansen, a. a. O., 106—110, Abb. 1—7. Die eher nur angedeutete Kreuzgestalt dieser Grabbauten ist lediglich als Raumschale der kreuzförmigen Grabkammern zu verstehen, die schon in der hohen Kaiserzeit bekannt sind und deren Nischen in den Kreuzachsen zur Aufnahme der Sarkophage dienten. Daß sich aus diesen Grabbauten die frühchristlichen und frühmittelalterlichen kreuzförmigen Kultbauten, vornehmlich Martyria, mit ausgebildeten Kreuzarmen entwickelt haben sollen, wie Windfeld-

18

Hugo Brandenburg

wicklung der kaiserzeitlichen Architektur bereits angelegt, aber nicht als selbständiger Bautypus ausgebildet worden, da offenbar auch hier über das Bedürfnis einer nur optisch-ästhetischen Ausweitung der Raumgrenze hinaus ein Verwendungszweck für den gegliederten Zentralraum nicht gegeben war. So begegnen beide Bautypen als monumentale, selbständige Bauten zuerst im christlichen Kultbau konstantinischer Zeit, und zwar in kaiserlichen Stiftungen, so daß wir annehmen müssen, daß Entwurf und Planung dieser aufwendigen, repräsentativen Bauten und die Ausbildung ihrer Typologie von den Architekten der kaiserlichen Bauhütte ausgegangen sind. 2 8 Als erstes ist hier die von Kaiser Konstantin in den Jahren 325/326 über dem Grab Christi errichtete Rotunde zu nennen (Abb. 3). Der Rundbau ist aufgegliedert in einen Zentralraum mit einem Umgang, an dessen Außenmauern drei vorspringende Apsidiolen die Kreuzachsen bezeichnen, die auch im Innern von Pfeilern in der zentralen Kolonnade markiert werden. In der Mitte des Zentralraumes, der sich bis heute in wesentlichen Teilen erhalten hat, liegt überwölbt von der Kuppel der Baldachin über dem Grab Christi. 2 9

Hansen annimmt, ist eher unwahrscheinlich, da diese römischen G r a b bauten nicht die formalen und funktionalen Voraussetzungen dafür geboten haben. Die Ausbildung dieser Memorialbauten mit ausgebildeten Kreuzarmen ist nur auf dem Hintergrund der Entwicklung m o numentaler kreuzförmiger Kultbauten in der frühchristlichen Architektur zu verstehen. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 28

Von A. G r a b a r , M a r t y r i u m I. Recherches sur le culte des reliques et l'art chrétien antique, Paris 1 9 4 6 , 2 5 9 f., wird jedoch die Entstehung des Bautypus in der frühchristlichen Architektur des vierten J a h r h u n derts bestritten. Als Vorläufer für die christlichen Bauten dieses Typus, wie auch für S. Stefano R o t o n d o ( 3 1 2 ) , dessen Plan er mit der ture funéraire

antique

architec-

zusammenbringt, sieht er römische Mausoleen,

wie sie in barocken Architekturwerken wiedergegeben werden. Vgl. jedoch dazu S. 2 2 f. mit A n m . 3 4 . 29

V. C. C o r b o , Il santo Sepolcro di Gerusalemme, Vol. I/II, Jerusalem 1 9 8 2 , 5 1 , Vol. II, Taf. 1.3; ders., Il santo Sepolcro di Gerusalemme.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

19

Abb. 3. Rotunde über dem Grab Christi, Anastasis, Jerusalem, mit der angeschlossenen Basilika. Konstantinisch, um 325.

20

Hugo Brandenburg

Wenig später, im Jahre 327 η. Chr., ließ Konstantin in Antiocheia, der kaiserlichen Residenzstadt, dem Vorort der syrischen Provinzen und Sitz des kaiserlichen Statthalters, eine große Bischofskirche errichten, die uns nicht mehr erhalten ist. Doch gibt der Kirchenhistoriker Eusebius in seiner Vita Constantini und in der Tricennatsrede zu Ehren des Kaisers (Laus Constantini), in denen unter den Taten des Herrschers vor allem auch seine Bautätigkeit gerühmt wird, kurze, aber sich ergänzende Beschreibungen der Kathedrale. 30 Aus diesen Texten geht hervor, daß die Bischofskirche der Residenzstadt ein gegliederter Zentralbau in der Form eines Oktogons mit Umgang gewesen ist. Überdies war die Kirche, ebenso die Anastasis, der Kultbau über dem Grab Christi in Jerusalem, mit einem Emporengeschoß ausgestattet; zudem hatte die Antiochener Kathedrale Exedren, wie sie im Text genannt werden, also herausragende, halbrund oder rechtwinklig abschließende Baukörper. Vielleicht hatte der Bau, wenn wir den Text richtig interpretieren, nicht nur einen Umgang, sondern zwei Ringe. 3 1 So war die Käthe-

30

31

Nova et Vetera, SBFLA 38 (1988), 3 9 1 - 4 2 2 , Taf. 2 - 5 ; F. Tolotti, Ii S. Sepolcro di Gerusalemme e le coeve basiliche di R o m a , R M 93 (1986), 471—512, Abb. 1; Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 6 0 - 6 3 . 7 4 f . Grabar, Martyrium I (wie Anm. 28), 409, leitet den Bau fälschlich aus der antiken Grabarchitektur ab. Eus., v.C.III 50,2 (GCS Eusebius 1/1, 1 0 5 , 1 - 2 0 Winkelmann); l.C. 9,15 (GCS Eusebius I, 221 Heikel). Vgl. F. W. Deichmann, Das O k t o gon von Antiocheia: H e r o o n - M a r t y r i o n , Palastkirche oder Kathedrale, ByZ 65 (1972), 40—56. Deichmann weist hier gegen Krautheimer nach, d a ß der aufwendige Bau als Bischofskirche, Kathedrale, errichtet worden ist und nicht eine Palastkirche w a r und d a ß der Bautypus somit auch nicht charakteristisch für Palastkirchen ist. Anders noch Krautheimer, Early Christian Architecture (wie A n m . 20), 75—78 mit Anm. 22. Z u r Rekonstruktion der Kirche und weitere Literatur vgl. Brandenburg, Kirchenbau und Liturgie (wie Anm. 1), 52—60. In der Tricennatsrede l.C. 9,15 spricht Eusebius undifferenziert von οίκιος, also „Schiffen" im Plural, die den Z e n t r a l r a u m umgeben. Das dürfte am ehesten auf mehrere um den Z e n t r a l r a u m gelagerte Umgänge oder Ringe zu verstehen sein. Krautheimer, Early Christian Ar-

Tafel I

T a f e l II

Tafel 111

Blick nach Osten aus dem erhaltenen nordöstlichen K r e n / a r m in den l'miianjj, und das Z e n t r u m .

Tafel IV

Tafel V

a) M a u e r r ü c k s p r u n g ( K u p p e l a u f l a g e r ) i m T a m b u r in H ö h e d e s A n s a t z e s der Fensterbögen.

b) T o n r ö h r e n b a n d

über den A r k a d e n

der D i a g o n a l s e k t o r e n

an d e r

A u l s e n w a n d d e r K i r c h e : A u f l a g e r d e r n a c h t r ä g l i c h ü b e r den i n n e r e n partimenten (ehemalige Höfe) der Diagonalsektoren des f ü n f t e n J a h r h u n d e r t s e i n g e z o g e n e n

heutigen

Raumkom-

(zweiter Ring) der Kirche

Tonröhrengevvölbe.

T u fei V I

Tuf cl VII

Tafel Vili

a) k r e u z f e n s t e r in d e r F a s s a d e d e s n o r d ö s t l i c h e n

Kreuzarnies

(teilweise d u r c h Renaissaneefenster zerstört).

h) Z e i c h n u n g d e s I n n e r e n d e r K i r c h e v o n B a i d a s s a r e P e r u z z i ( 1 4 8 1 / 1 5 3 6 ) , U f f i z i e n , S a n t . 161. Im T a m b u r ist d i e m a r m o r n e W a n d v e r k l e i d u n g s i c h t b a r .

21

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

drale v o n A n t i o c h e i a , die den Typus des gegliederten Z e n t r a l b a u e s v e r t r a t , mit einem zweiten U m g a n g und den E x e d r e n reic h e r gegliedert als die k a u m ältere Anastasis

in J e r u s a l e m . Bei

g e n a u e r e r B e t r a c h t u n g beschreibt Eusebius, w e n n unsere D e u t u n g des T e x t e s richtig ist, also einen B a u , der bis a u f die o k t o g o n a l e Gestalt und das E m p o r e n g e s c h o ß mit m e h r e r e n U m g ä n gen und E x e d r e n das P l a n s c h e m a von S. Stefano R o t o n d o v o r w e g z u n e h m e n s c h e i n t . 3 2 D e r a u f w e n d i g e und reich gegliederte Bau

von

S. Stefano

Rotondo,

der so u n g e w ö h n l i c h

zu

sein

scheint, h a t t e also m ö g l i c h e r w e i s e V o r g ä n g e r , s t a n d in einer typ o l o g i s c h e n T r a d i t i o n , die ihren U r s p r u n g in diesen k o n s t a n t i n i schen K i r c h e n b a u t e n h a t t e . Die ü b e r r a s c h e n d e T a t s a c h e aber, d a ß für die B i s c h o f s k i r c h e v o n A n t i o c h e i a nicht das basilikale S c h e m a g e w ä h l t w u r d e , das

32

chitecture (wie Anm. 20), 76, bezieht diesen Plural aber auf den ebenerdigen Umgang und das Emporengeschoß, die aber in der Vita Constantini (50,2) ausdrücklich geschieden werden. Der Begriff Exedra bedeutet nicht so sehr „Nische", wie Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 76, übersetzt, sondern meint einen dreiseitig geschlossenen, häufig aus dem Baukörper hervorspringenden Annexraum, vgl. F. W. Deichmann, Art. Exedra, RAC VI (1966), 1 1 6 5 - 1 1 7 4 . Vgl. dazu auch unten. Auch der Vorschlag von E. Kleinbauer, The Origins and Functions of the Aisled Tetrakonch Churches in Syria and Northern Mesopotamia, DOP 27 (1972), 110—114, in der Kathedrale von Antiocheia ein Umgangstetrakonch vom Typus S. Lorenzo in Mailand zu sehen, scheitert an der Bedeutung von Exedra und am Wortlaut des Eusebius, der in der Tricennatsrede (l.C. 9,15) ausdrücklich sagt, daß Schiffe und Exedrai im Kreis um den Zentralraum angeordnet seien. — Inschriften in der kreuzförmigen Kirche von Kaoussie aus dem ausgehenden vierten Jahrhundert bezeichnen die gleichschenkligen Kreuzarme als Exedra, vgl. J. Lassus, L'Église cruciforme de Kaoussie, Antioch on-the-Orontes II, The Excavations 1933/36, Princeton 1938, 13. Diese Terminologie legt nahe, auch die Exedrai der Kathedrale von Antiocheia als gleichschenklige, mit dem Oktogon verbundene Kreuzarme zu interpretieren. Der Einwand gegen diese Deutung, daß die Kreuzgestalt im Normalfall für Gedächtnisbauten, Martyria, verwendet wird, ist nicht stichhaltig, da

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Hugo Brandenburg

ja den Normaltypus des christlichen Kultbaues darstellte und in dessen fünfschiffiger Variante sich die großen kaiserlichen Kirchenstiftungen in Rom präsentieren, sondern daß man sich in der Residenzstadt im Osten für das Zentralbauschema entschied, läßt einen wichtigen Schluß zu: Diese Wahl wurde offenbar dadurch bestimmt, daß man für die Bischofskirche einen besonders prächtigen, aufwendigen Bautypus suchte, der sich durch seine reich gegliederte Gestalt auszeichnete. Die gleiche Intention dürfte auch die Wahl des Zentralbauschemas, hier in der Variante des Rundbaues, für S. Stefano Rotondo bestimmt haben, die als Gedächtniskirche zu Ehren des Protomärtyrers und nicht als Gemeindekirche errichtet wurde. Der Bautypus konnte also auf Kirchen unterschiedlicher Funktion, die damit besonders anspruchsvoll ausgestattet werden sollten, übertragen werden. Dieses Faktum, das uns zeigt, daß architektonische Gestalt und Funktion gegeneinander variabel sind 3 3 läßt zudem darauf schließen, daß wir durch die Einbindung der Kirche in einen variantenreichen Bautypus der kreisrunden Gestalt von S. Stefano Rotondo, die uns schon in der Anastasis konstantinischer Zeit und in dem Zentralbau von Beth Shean aus dem fünften Jahrhundert begegnete, schwerlich einen symbolischen Gehalt, den zudem auch nicht eine einzige Quelle belegt, zuweisen können. Die architektonische Gestalt von S. Stefano Rotondo, der kreisrunde, gegliederte Zentralbau, ist also sicher seines Prestiges und seiner ästhetischen Qualitäten wegen für die Memoria des Protomärtyrers gewählt worden und nicht auf-

33

auch die 4 0 8 n. Chr. errichtete Kathedrale von Gaza eine Kreuzgestalt hatte. Vgl. dazu die Diskussion S. 52—54. Dieses Grundprinzip, daß Raumform und Zweck voneinander unabhängige Variablen sind, ein bestimmter Bautypus nicht ausschließlich an eine bestimmte Funktion gebunden ist, hat die frühchristliche Architektur mit der römischen gemein. Vgl. Deichmann, Oktogon von Antiocheia (wie Anm. 30), 56; G. Stanzi, Längsbau und Zentralbau als Grundthemen der Frühchristlichen Architektur, Wien 1979, 32.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

23

grund eines symbolischen Gehaltes. 34 Doch werden wir auf diese Frage später noch zurückkommen. Die Deutung der Gestalt von S. Stefano Rotondo als Aufwandsform und ihre Anbindung an die kaiserlichen Vorgängerbauten, in denen dieser Typus zum ersten Mal Gestalt annimmt, führen uns wieder dazu, in der Gedächtniskirche zu Ehren des Protomärtyrers eine kaiserliche Stiftung zu sehen. Die Kirche sollte offenbar dem Protomärtyrer, dessen Kult im gesamten Reich rasch eine große Anhängerschaft fand, eine würdige und repräsentative Kultstätte bereiten. 35

34

Anders A. Grabar, Martyrium I (wie Anm. 28), 2 6 0 . 3 1 2 f. und öfter, der den Bautypus des gegliederten Zentralbaues und explizit auch den Bau von S. Stefano Rotondo aus der antiken Grabarchitektur ableitet, also eine Typenbindung an die Funktion konstatiert, die in der frühchristlichen Architektur für die Memorialbauten mit Reliquienbettungen fortgesetzt worden sei. Nicht nur die fehlende funktionale Bindung des Typus widerlegt, wie wir gesehen haben, die These Grabars, sondern auch die Tatsache, daß der Typus des Zentralbaues mit Umgang unter römischen Grabbauten nicht zu belegen ist, also auch eine unmittelbare formale Ableitung aus der römischen Grabarchitektur nicht möglich ist. Die Beispiele, auf die sich Grabar (a. a. O . 2 6 0 , Abb. 6 9 . 7 0 . 7 2 . 8 3 ) stützt, sind G. Β. Montano, Li cinque libri di architettura, Vol. I/II, R o m 1691, Vol. I, Taf. 42; Vol. II, Taf. 2.6.7.26.29. 4 2 . 4 6 , entnommen: Es handelt sich hier nicht um die Wiedergabe antiker Grabbauten sondern um barocke Weiterentwicklungen antiker Architekturen. Vgl. dazu H. Windfeld-Hansen, Giovanni Battista Montanos „Rekonstruktioner" af antikke centralbygninger og deres betydning for barokarkitekturen, in: Barokkens Verden, ed. M . Malmanger, Aschehoug 1994, 26 — 52 mit Abb. 1 — 12, darunter Abb. 6 und 7 auch von Grabar zitiert. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Thesen Grabars bei J . B. Ward-Perkins, Memoria (wie Anm. 26), 3 — 24. Unkritisch in der Nachfolge Grabars dagegen u. a. L. Hautecoeur, Mystique et architecture. Symbolisme du cercle et de la coupole, Paris 1954; Ε. Β. Smith, The Dome (wie Anm. 20), passim, bes. 98—100 (Rundkirchen); ders., Architectural Symbolism of Imperial Rome and the Middle Ages, Princeton 1956, passim.

35

Vgl. oben S. 10 mit Anm. 17.

24

Hugo Brandenburg

Der gegliederte Zentralbau, den auch der älteste uns erhaltene Bau dieses Typus, das Mausoleum der Constantina, der Tochter Kaiser Konstantins aus der Mitte des vierten Jahrhunderts (Abb. 4a/b), 3 6 vertritt, war also eine besondere Aufwands-

• I

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Abb. 4a. Mausoleum der Constantina, S. Costanza. Mitte viertes Jahrhundert. Grundriß.

36

M. Stettier, Zur Rekonstruktion von S. Costanza, RM 58 (1943), 76—86, Taf. 4, Beilage 1—3; F. W. Deichmann, Frühchristliche Kirchen in Rom, Basel 1948, 25—30, Plan 4; Brandenburg, Roms frühchristliche Basiliken (wie Anm. 7), 1 0 7 - 1 1 5 , Abb. S. 9 5 - 9 7 .

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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form der frühchristlichen Architektur und nicht primär durch eine bestimmte Funktion bestimmt, wie häufig angenommen wird: 3 7 Denn der Gedächtnisbau über dem Grab Christi in Jerusalem, die Kathedrale in Antiocheia und das Mausoleum in

Abb. 4b. Mausoleum der Costantina, S. Costanza. Aufriß.

R o m , alles kaiserliche Stiftungen, gehören gleichermaßen diesem Typus an. Die Ausbildung dieses Bautypus in der kaiserlichen Bauhütte dürfte allerdings neben dem Wunsche nach einer aufwendigeren Gestaltung durch die Ausweitung des Zentralraumes in eine zweite, hinter dem Säulenschirm der Kolonnade gelegene Raumzone vor allem auch durch die Bedürfnisse des christlichen Kultes bestimmt worden sein: Es bedurfte eines Raumes für den Opfergang der Messe, für Prozessionen und als Bewegungsraum für die Gläubigen, die so die ihnen angewiesenen Plätze im Gemeinderaum erreichen konnten. 3 8 Der Umgang

37 38

Vgl. Anm. 30.34. Zum gegliederten Zentralbau als christlichem Kultbau und zu seiner liturgischen Nutzung vgl. Brandenburg, Kirchenbau und Liturgie, (wie Anm. 1), 5 2 - 6 0 .

26

Hugo Brandenburg

hatte im Zentralbau also die gleiche Funktion wie das Seitenschiff in der in mehrere Schiffe aufgegliederten, säulengestützten Halle der Basilika. So kam aus den Bedürfnissen des christlichen Kultes ein entscheidender Anstoß, den in der kaiserzeitlichen Architektur in vielfältigen Variationen vorliegenden Typus des Rundbaues, in dem in unterschiedlicher Weise die Ausweitung der Raumschale in eine differenzierte Raumstruktur bereits angelegt war, zum gegliederten Zentralbau als einem eigenständigen Bautyp zu erweitern. 39 So sehen wir bereits in runden oder oktogonalen Thermensälen der frühkaiserzeitlichen Architektur, wie etwa schon in Baiae und Pompeji, die Tendenz, die Raumzone durch Nischen in den Wänden auszuweiten. 40 Noch ausgeprägter manifestiert sich diese Tendenz in dem oktogonalen Saal der Palastanlage der Domus aurea in Rom, die Kaiser Nero nach dem verheerenden Stadtbrand von 64 n. Chr. in Rom errichten ließ (Abb. 5). 4 1 Hier weiten sich die Seiten des Oktogons in voller Breite in rechteckige Räume aus. Die an dem Oktogon in einer Flucht liegenden Verbindungstüren zwischen diesen Räumen deuten in

39

40

41

Dazu ausführlicher Brandenburg, Kirchenbau und Liturgie (wie Anm. 1), 5 5 - 5 7 . Zu den Thermensälen von Pompeji und Baiae vgl. F. Rakob, Le cupole di Baia, in: Civiltà dei Campi Flegrei, Atti Convegno Internationale, ed. M . Gigante, Neapel 1992, 2 2 9 - 2 5 8 , Taf. 4 (Pompeji), Taf. 5 - 2 1 (Baiae); L. Crema, L'Architettura Romana, Turin 1959, Abb. 391 f. 613 f. und 182 f. (Baiae); Abb. 78 f., 327 (Pompeji). Zur Bewertung vgl. auch G. Hornbostel-Hüttner, Studien zur römischen Nischenarchitektur, Leiden 1979, 9 8 . 1 0 8 - 1 1 5 u.ö.; W. L. MacDonald, The Architecture of the Roman Empire, Vol. I, New Haven 2 1 9 8 2 , 11 f. (Baiae). Crema, L'Architettura (wie Anm 40), 2 7 0 . 3 1 3 f., Abb. 353 f.; MacDonald, The Architecture (wie Anm. 40), 3 1 - 4 0 , Abb. 2 4 . 2 9 - 3 3 ; L. Fabbrini, Domus aurea. Città e architettura nella Roma imperiale (ARID.S 10), Odense 1983, 169—185; D. Campanile, Praecipua cenationum rotunda, Athenaeum 7 8 (1990), 1 8 6 - 1 9 1 ; D. Scagliarmi Corlaita, Gli ambienti poligonali nell'architettura residenziale tardoantica, Corsi di Cultura sull' Arte Ravennate e Bizantina 42 (1995), 843.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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der Art eines Umganges eine zweite, den zentralen oktogonalen Saal umgebende Raumzone an. Die Integrierung dieser Raumzone zu einem eigenen, einheitlichen Raumgebilde, einem Umgang, der sich um das zentrale Oktogon legt, ist jedoch noch nicht vollzogen.

Abb. 5. Oktogonaler Saal in der Domus erstes Jahrhundert.

aurea des Kaisers Nero. Mitte

Die Auflösung der Wände in Nischen und damit das Vorstoßen in eine zweite Raumzone, die uns die genannten frühkaiserzeitlichen Beispiele zentralisierter Raumgebilde in Thermenund Palastanlagen vor Augen führen, setzt sich in der Architektur der hohen Kaiserzeit fort. Es ist bezeichnend, daß es auch hier keine Bindung dieses Typus, des zentralisierten Nischenbaues, an eine bestimmte Funktion gibt. Er erscheint gleichermaßen im flavischen Kaiserpalast, der Domus Augustana, auf

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Hugo Brandenburg

d e m P a l a t i n , 4 2 in T h e r m e n b a u t e n o d e r als Vestibül in der Villa des Kaisers H a d r i a n in T i v o l i . 4 3 Es ist b e z e i c h n e n d , d a ß das Pantheon

hadrianischer Z e i t , ein m a s s i v e r R u n d b a u mit C o e -

m e n t i c i u m k u p p e l , e b e n f a l l s in die E n t w i c k l u n g s r e i h e des gegliederten Z e n t r a l b a u e s zu stellen ist: G r o ß e N i s c h e n im Innern l ö s e n , a u c h aus b a u t e c h n i s c h e n G r ü n d e n , die bis zu 6 m starke W a n d m a s s e auf (Abb. 6 u n d 7 ) . 4 4 D e r Architrav und die in die N i s c h e n eingestellten Säulen, die die d a r ü b e r l i e g e n d e W a n d z o n e mit F e n s t e r ö f f n u n g e n tragen — ein w i c h t i g e s n e u e s Architekturm o t i v — , verstärken d e n Eindruck einer z w e i t e n , g l e i c h s a m in der T i e f e u m l a u f e n d e n R a u m z o n e . 4 5 D i e o b e r e W a n d z o n e mit

42

43

44

45

Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), 321, Abb. 3 5 9 - 6 2 ; MacDonald, The Architecture (wie Anm. 40), Taf. 58 —61; G. Wataghin Camino, La Domus Augustana, Torino 1966, 30—32.45 — 64; H. Finsen, La résidence de Domitien sur le Palatin (ARID.S 5), Rom 1969; Scagliarmi Corlaita, Gli ambienti (wie Anm. 41), 843 f. Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), Abb. 612.615; H. Kahler, Hadrian und seine Villa bei Tivoli, Berlin 1950, 64; E. Hansen, La Piazza d'oro (ARID.S 1), Rom 1960, 36f.; C. F. Giuliani, Il lato nord-ovest della piazza d'oro, QuadTopAnt 8 (1975), 3 - 5 3 Abb. 5 - 2 7 . 7 4 - 7 8 ; Hornbostel-Hüttner, Nischenarchitektur (wie Anm. 40), 114; Scagliarmi Corlaita, Gli ambienti (wie Anm. 41), 843 f.; W. L. MacDonald, Hadrian's Villa and its Legacy, New Haven 1995, 9 4 - 9 9 , Abb. 114— 118.303 f. Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), 375 f., Abb. 4 4 6 - 5 0 ; H. Kähler, Das Pantheon in Rom, (Vortragsreihe Germanisches Nationalmuseum/ Nürnberg), München 1965, 4 7 - 7 5 , Abb. 7; MacDonald, The Architecture (wie Anm. 40), 9 4 - 1 2 2 , Abb. 98.108; K. de Fine Licht, The Rotunda in Rome. A Study of Hadrians Pantheon, Kopenhagen 1968, Abb. 98.105; Kähler, Hadrian (wie Anm. 43), 92, Abb. 11; HornbostelHüttner, Nischenarchitektur (wie Anm. 40), 109.112, Fig. 23; W. L. MacDonald, The Pantheon, Cambridge/M. 1976, Abb. 4.11.28; F. Lucchini, Pantheon, Rom 1996, Abb. 2.3.24-30. Vgl. Kähler, Das Pantheon (wie Anm. 44), Abb. d-m; ders., Hadrian (wie Anm. 43), 92, Abb. 11; Fine Licht, The Rotunda (wie Anm. 44), Abb. 1.70.65 f.115 f.; MacDonald, The Architecture (wie Anm. 40), Abb. 105 f. 1 2 2 - 1 2 4 ; ders., The Pantheon (wie Anm. 44), Abb. 4.11. 2 6 - 2 9 . 3 6 ; Lucchini, Pantheon (wie Anm. 44), Abb. 2.3.26-29.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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Abb. 6. Pantheon, hadrianisch. Grundriß.

den internen Fensteröffnungen, die das Licht aus der Kuppelöffnung in die Nischen leiten, wird damit als Obergaden definiert, so daß ein Wandaufbau entsteht, der dem des Mittelschiffes der

Abb. 7. Pantheon, Aufriß.

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Hugo Brandenburg

christlichen Basiliken und dem der Zentralräume der frühchristlichen gegliederten Rundbauten wie S. Stefano Rotondo entspricht. Bei einem großen Mausoleum in Porto aus dem dritten Jahrhundert, dessen Wand in ähnlicher Weise wie im Pantheon durch eine Abfolge von Nischen aufgelöst ist, dem aber andererseits der Obergaden mit den Fensteröffnungen fehlt, wird ein weiterer Schritt zur Ausweitung des Raumgefüges und zur Verselbständigung der zweiten Raumzone vollzogen: Den Wandpfeilern zwischen den Nischen sind Säulen vorgeblendet, die losgelöst von der Mauer die Schirmkuppel zu tragen scheinen und so die Wandpfeiler vom Zentralraum absetzen und die Nischen fast als eigene, in der Tiefe sich öffnende Raumzone, die den Zentralraum umgibt, erscheinen lassen (Abb. 8a/b). 46

PIANTA DEL PIANO SUPERIORE

"..—,..,;

- ,

Abb. 8. Mausoleum in Porto (Ostia). Drittes Jahrhundert, (a) Grundriß. (b) Aufriß. 46

Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), 563, Abb. 745; O . Testaguzza, Portus, Rom 1970, 2 0 4 f., Abb. p. 217. Testaguzza läßt die Frage offen, ob es sich bei diesem Bau um einen Kultbau (Tempel) handeln könnte.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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Im Innern des oktogonalen Mausoleums, das sich Kaiser Diokletian in seinem Palast in Split an der dalmatinischen Küste in den ersten Jahren des vierten Jahrhunderts hat errichten lassen, sind schließlich die den Nischenpfeilern vorgeblendeten, freistehenden Säulen mit einer darüber angeordneten zweiten Kolonnade noch stärker von der Wand gelöst, so daß sie den Innenraum in zwei Zonen, einen Zentralraum und eine umgebende Raumzone, aufzugliedern scheinen. 4 7 Die Auflösung der Raumschale durch Nischen in eine zweite Raumzone, die Reduzierung der Wand auf Pfeiler, die das massive Coementicium- oder auch Ziegelgewölbe tragen, die eingestellten oder vorgeblendeten Säulen, die den Eindruck der erweiterten Raumtiefe noch verstärken, nehmen den Innenräumen dieser Zentralbauten den Eindruck lastender Schwere, tendieren dazu, die Raumgrenzen durchlässig zu machen. Es ist bemerkenswert, daß dieser Prozeß an Zentralbauten unterschiedlicher Funktion und Zeitstellung festzustellen ist. Wie stark diese Tendenz zur Ausweitung der Raumschale ist, zeigen Zentralbauten, an denen die Nischen, die die Raumschale durchbrechen, auch im Außenbau hervortreten, und bei denen so die Last des Gewölbes nicht auf einer massiven Wand, sondern auf schmalen Pfeilern zu ruhen scheint. Der schon erwähnte Vestibülbau aus der Villa Kaiser Hadrians bei Tivoli aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts ist ein erstes Beispiel für diesen Bautypus (Abb. 9, am rechten Bildrand). 4 8 Das oktogonale Gebäude mit Wenn dies nach Lage und Typologie des Gebäudes auch nicht wahrscheinlich ist, so würde dies nicht unsere Fragestellung berühren, da Bauten dieses Types unterschiedlichen Zweckbestimmungen

dienen

konnten. Vgl. dazu unten S. 3 8 f. 47

G. N i e m a n n , Der Palast Diokletians in Spalato, Wien 1 9 1 0 , 6 2 — 7 6 , Taf. I X . Χ . X I I . XIII, Abb. 8 7 ; C r e m a , L'Architettura (wie Anm. 4 0 ) , 6 2 4 f., Abb. 8 2 4 ; J . M a r a s o v i c / T. M a r a s o v i c , Diocletian Palace, Z a greb 1 9 6 8 , 17 f., Taf. 5 4 - 6 1 ; J . J . W i l k e s , Diocletian's Palace. Split: Residence of a retired R o m a n Emperor, Sheffield 1 9 8 6 , 4 6 — 5 2 , Taf. Xllf.

48

Vgl. oben S. 2 8 , Anm. 4 3 .

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Hugo Brandenburg

Rechtecknischen in den Kreuzachsen und Halbrundnischen in den Diagonalen hat vor den Wandpfeilern im Innern Säulen mit Kämpferblöcken, die, gleichsam eine zweite Raumzone andeutend, das Gewölbe und die Bögen über den Nischen zu tragen scheinen. Der massive, von einer Coementiciumkuppel überwölbte Ziegelbau erhält durch diese Aufgliederung der Wand in die Tiefe, die den Eintretenden eine feste Raumschale nicht erfahren läßt, etwas Leichtes, wie es den späteren mehrgliedrigen, durch Kolonnaden artikulierten, zentralisierten Raumgebilden eigen ist. Die Tendenz zur Aufbrechung der Raumschale, die sich deutlich auch darin zeigt, daß die Nischen, wie bei dem Vestibülbau der Villa Adriana, auch im Außenbau hervortreten, zeichnet auch andere Polygonalbauten der Folgezeit aus. Als eigenständiger, isolierter Bau findet sich dieser Typus in einer weiteren Variante, zwölfeckig mit sechs ausbuchtenden Rundnischen, die

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33

von Pilastern statt der vorgeblendeten Säulen getrennt werden, im Grabbau der Calventier aus dem späten dritten oder dem frühen vierten Jahrhundert, dessen Reste zwischen Via Appia und Via Appia Pignatelli erhalten sind. 49 Noch ausgeprägter zeigt sich die Auflösung der Raumschale und die Reduzierung auf dünne Wandpfeiler, die im Außenbau als Strebepfeiler zwischen den Rundnischen hervortreten, in einem heute verlorenen Oktogon an der Via Appia nicht weit von Marino, das uns in einer Zeichnung des Giuliano da Sangallo überliefert ist. 50 Bei beiden Bauten weitet sich die Raumschale in den Halbrundnischen zwischen schmalen Pfeilern aus, so daß der Raumeindruck völlig durch die gekurvten Nischen bestimmt ist, eine feste Raumgrenze aber nicht mehr faßbar wird. Diese Bauten erhalten damit eine leichte, fast diaphane, pavillonartige Struktur, in der die feste Wand als Raumgrenze und Wölbeauflager nicht mehr in Erscheinung tritt. In einem wohl dem dritten Jahrhundert zuzuweisenden dekagonalen Zentralbau des gleichen Typs von unbekannter Bestimmung, dem sogenannten Tempio della Siepe auf dem Marsfeld in Rom, der heute nicht mehr erhalten ist, finden sich wiederum die ausgreifenden Halbrundnischen in den Polygonseiten und die mit verkröpftem Gebälk den Wandpfeilern vorgesetzten Säulen, die so die Raumschale in die Tiefe aufgliedern. Keiner dieser hier genannten Bauten hat jedoch einen ausgebildeten Obergaden zwischen Nischen- und Kuppelzone. Die Auflösung auch des Wandbereiches über der unteren Raumzone, wie sie bereits im Pantheon angelegt und vorbereitet ist, wird also zunächst nicht weitergeführt. 51

49

Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), Abb. 836 f. Zu dem Mausoleum ausführlich mit Hinweis auf verwandte Bauten H. Windfeld-Hansen, L'hexaconque funéraire de l'area sub divo du cimetière de Prétextât à Rome, ActaAArtHist 4 (1969), 6 1 - 9 3 , Taf. 1 - 9 .

50

Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), 834; Windfeld-Hansen, L'hexaconque funéraire (wie Anm. 49), Taf. Xlld.

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Hugo Brandenburg

Im sogenannten Tempel der Minerva Medica, einem monumentalen Gartenpavillon, wohl auf dem Gelände der Villa des Kaisers Licinius auf dem Esquilin in R o m , 5 2 der nach Ziegelstempeln der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts zuzuweisen ist, wird diese Struktur zur Vollendung geführt: In einer architektonisch gewagten Konstruktion, die den Schub des Gewölbes auf dünne Wandpfeiler ableitet, sind die Seiten des Dekagons in nach außen ausbuchtende, halbrunde Nischen aufgelöst, in denen, wie Grabungen der Renaissance ergeben haben, Statuen standen. Über den Nischen erhebt sich als weitere Neuerung ein Obergaden, der durch zehn große Fenster durchbrochen wird. Die Mauern der vier Nischen in der Querachse sind zudem noch 51

Im Pantheon empfangen die Fenster ihr Licht aus dem Oculus und leiten es in die in der unteren Raumzone liegenden Nischen. D a ß die Ausbildung einer von Fenstern durchbrochenen Obergadenzone nicht an die Zweckbestimmung des Gebäudes gebunden ist, wird durch die unterschiedliche Funktion der Bauten demonstriert.

52

G. Giovannoni, La sala termale delà villa Liciniana e le cupole romane, Rom 1904, Abb. 12, Taf. If; ders., La tecnica della costruzione presso i Romani, Rom o.J., Abb. 20; Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), 631 f., Abb. 835.838; Nash, A Pictorial Dictionary, (wie Anm. 24), 1 2 7 - 1 2 9 , Abb. 842—845; Α. Κ. Frazer, Four Late Antique Rotundas. Aspects of Fourth Century Architectural Style in Rome, Diss. New York 1964 ( = Ann Arbor 1978), 1 3 1 - 1 4 5 ; Windfeld-Hansen, L'hexaconque funéraire (wie Anm. 49), 83 f., Taf. 13; Ward-Perkins, Architettura Romana, Mailand 1974, 3 0 2 , Abb. 383—386; Richardson, A new Topographical Dictionary (wie Anm. 24), 269, Abb. 59 (drittes Jahrhundert); E. Gatti, Art. Horti Liciniani; Art. Tempio di Minerva Medica, Lexicon Topographicum Urbis Romae, Vol. III, 66 f., Abb. 37 (Gallienus, zweite Hälfte drittes Jahrhundert); M . Stettier, S. Gereon in Köln und der sogenannte Tempel der Minerva Medica, J b Z M u s Mainz 4 (1957), 123 — 128, (Datierung durch Ziegelstempel um 3 2 0 ) , Abb. 1 — 3 (viertes Jahrhundert); Hornbostel-Hüttner, Nischenarchitektur (wie Anm. 40), 114 f.; T. L. Heres, Paries. A Proposal for a Dating System of Late-antique Masonry Stuctures in Rome and Ostia, Amsterdam 1982, 3 5 6 — 3 6 0 , Abb. 65 mit einer Datierung in das vierte Jahrhundert aufgrund des Mauerwerkes; Scagliarini Corlaita, Gli ambienti (wie Anm. 41), 857, Abb. 5.

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Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

durch Arkaden durchbrochen, so daß der Raum sich hier nicht nur ausweitet, sondern durch die Kolonnade auch nach außen öffnet (Abb. 10 und 11). Das basilikale Wandschema — Pfeilerstützen, die Obergaden und Kuppel tragen, und Nischen, die die untere Raumzone nach außen in eine zweite Raumzone er-

0 5 10 ••J • • • • ι • • • • ι

Abb. 10. Sogenannte Minerva Medica. Gärten, Rom. Grundriß.

I

20 I

I

50 I

Empfangssaal in den Licinischen

weitern — klingt hier an. Die leichte, filigrane, gleichsam diaphane Struktur des Baues, dessen Kuppelwölbung nur auf den Wandpfeilern zwischen Fenstern und Nischen zu ruhen scheint, tritt dadurch deutlich hervor. Die von uns aufgezeigte Tendenz der Raumerweiterung und die Reduzierung der tragenden Wand

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Hugo Brandenburg

Abb. 11. Sogenannte Minerva Medica.

Axonometrische Rekonstruktion.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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auf Stützpfeiler in den zentralisierten Wölbebauten der kaiserzeitlichen Architektur erreichen hier in diesem Bau mit dem Versuch, die Wand über den Nischen durch Fenster und die Nischen durch eine Säulenstellung zu öffnen, ihren Höhepunkt. Mit diesem kühnen Vorstoß sind die Grenzen der Konstruktion erreicht: In einer zweiten Bauphase wurden, um die Statik des Gebäudes zu sichern, eine stützende Vorhalle, Strebepfeiler und in der Querachse zwei große halbrunde exedraartige Anbauten angefügt, die den Gewölbeschub an den Pfeilern aufnehmen sollten (Abb. 10 und I I ) . 5 3 Diese Beispiele, die leicht zu vermehren wären, müssen genügen. Der Zentralbau der kaiserzeitlichen römischen Architektur läßt die sich in einer ausgeprägten Experimentierfreude manifestierende Tendenz der römischen Architektur erkennen, die durch die Wölbetechnik gebotenen bautechnischen und bauästhetischen Möglichkeiten auszuschöpfen, indem die Wände des Gebäudes in tragende Pfeiler und in eine mehrfach gekurvte Raumschale aufgelöst und damit optisch in eine zweite Raumzone ausgeweitet werden. 5 4 Es ist bezeichnend, daß diese Tendenz einhergeht mit der konstruktiven Entwicklung der römischen Coementiciumkuppeln zu Leichtkuppeln mit verringerter 53

Von vergleichbarer Kühnheit und Dimension ist der römische Kernbau von S. Gereon in Köln mit ovalem Grundriß und einer dichten Folge halbrund ausbuchtender Nischen, der wohl ein Zömeterialbau, vielleicht ein dem Totenkult (Bankettsaal) dienendes Gebäude gewesen sein dürfte und dem ausgehenden vierten Jahrhundert zuzuweisen ist. Vgl. Stettier, S.Gereon (wie Anm. 52), 123 — 128; Windfeld-Hansen, L'hexaconque funéraire (wie Anm. 49), 84 f., Taf. 14a. und vor allem J. G. Deckers, St. Gereon in Köln. Ausgrabungen 1978/79. Neue Befunde zu Gestalt und Funktion des spätantiken Zentralbaues, JbAC 25 (1982), 1 0 2 - 1 3 1 , Abb. 1 - 6 .

54

Zur Lastabtragung bei römischen Kuppelbauten, so u. a. dem Vestibül der Piazza d'Oro der Villa Adriana, dem Venustempel in Baiae, dem Pantheon und der Minerva Medica vgl. J. Rasch, Die Kuppel in der römischen Architektur, Architectura 15 (1985), 1 1 7 - 1 3 9 , bes. Abb. 2 5 - 2 8 .

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Schubkraft. 55 Die zur Bereicherung der Wandgliederung eingesetzten Säulen gewinnen in diesem Kontext eine selbständige Funktion und gliedern, die Tendenz zur Auflösung der Raumschale unterstützend, indem sie sich von der Wand und den Wandpfeilern lösen, den Innenraum andeutungsweise in ein differenziertes Raumgefüge auf. Diese sich konsequent manifestierende Tendenz zu einer bewegten Gestaltung der Raumschale und die damit einhergehende Auflösung der Raumgrenzen und die Entwicklung filigran zu nennender diaphaner Strukturen bei Zentralbauten des zweiten bis vierten Jahrhunderts dürften als grundlegende Gestaltungsprinzipien römischer Architektur anzusehen sein, die mit der fortschreitenden Vervollkommnung der Wölbetechnik und der zunehmenden Beherrschung ihrer statischen und strukturellen Probleme in der römischen Architektur sich entfalten. 56 Es ist beachtenswert, daß es sich bei den Gebäuden dieses Typs vornehmlich des zweiten und dritten

55

56

Zur konstruktiven Entwicklung spätantiker Kuppeln vgl. J . Rasch, Zur Konstruktion spätantiker Kuppeln vom dritten bis zum sechsten Jahrhundert, Jdl 106 (1991), ( 3 1 1 - 3 8 3 ) bes. 379£. So findet sich die Auflösung der Wand zwischen den den Gewölbeschub tragenden Pfeilern auch bei anderen Bautypen des römischen Wölbebaues, wie den von Kreuzgratgewölben eingedeckten, zentralen Thermensälen der hohen Kaiserzeit. Die Halle der Trajansmärkte (Ward-Perkins, Architettura Romana [wie Anm. 52], 1 2 4 f . , Abb. 142. 146; Crema, L'Architettura [wie Anm. 40], 418 f.; MacDonald, T h e Pantheon [wie Anm. 44], Abb. 5 9 - 6 5 ; L. Ungaro, Art. Mercati di Traiano, Lexicon Topographicum Urbis Romae, Vol. III, 1996, 241—245, Abb. 168) und vor allem die zentralen Thermensäle der großen stadtrömischen Thermenbauten (Kaiserthermen) öffnen sich allseitig in die umgebenden Räume. Dies ist zum Beispiel bei den Caracallathermen und den Diokletiansthermen zu beobachten. Vgl. dazu Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), 5 8 8 , Abb. 777 und 593, Abb. 7 8 6 (Vergleichsschema dieser von drei Kreuzgratgewölben überdeckten Hallenbauten). Dasselbe Konstruktionsprinzip bestimmt die Maxentiusbasilika. Hier sind die Wände der die Halle flankierenden Nebenräume, die seitenschiffartig zusammengefaßt sind, durch große Fenstergruppen aufgelöst (vgl. Crema, L'Architettura [wie Anm. 40], 5 9 3 ,

39

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

Jahrhunderts um Bauten unterschiedlicher Funktion wie Grabbauten, Vestibüle oder Garten- und Palastpavillons handelt. Die grundlegende Strukturierung des Baus und seine Auslegung, abgesehen etwa von der Öffnung der Nischen durch Säulenstellungen, die der monumentale Gartenpavillon der Minerva Medica in den Gärten des Kaisers Licinius zeigt, ist also nicht durch die Zweckbestimmung des Gebäudes veranlaßt. Der entscheidende Schritt aber zu einer selbständigen, den Zentralraum umgebenden Raumzone ist im vierten Jahrhundert in der konstantinischen Stiftung der Anastasis, dem Kultgebäude über dem Grabe Christi aus dem Jahr 3 2 5 n. Chr., der Kathedrale von Antiocheia aus derselben Zeit und wenig später in der Mitte des vierten Jahrhunderts im Mausoleum der Kaisertochter Constantina vollzogen, dem heutigen S. Costanza an der Agnesbasilika in Rom. Grundriß und Aufriß dieses Baues zeigen die unmittelbare Nähe zu den älteren Mausoleen in Porto und Split, nur daß nun die Säulen von der Wand gelöst den das Gewölbe tragenden Tambur stützen, so daß der Umgang als selbständiger Raum vom Zentralraum abgegrenzt wird und damit der gegliederte Zentralbau als eigenständiger Bautypus Gestalt annimmt. 5 7 So verbinden sich in der Neuschöpfung des gegliederten Zentralbaues im Bereich des christlichen Kultbaues konstantinischer Zeit die formalen Tendenzen der kaiserzeitlichen Architektur zur Ausbildung differenzierter, aufwendiger und repräsentativer Raumgebilde mit den Bedürfnissen der christlichen Liturgie und dem Wunsch, der festlichen Gemeindeliturgie in der Kathedrale

Abb. 7 8 5 . 7 8 7 ;

Ward-Perkins,

Architettura

Romana

[wie Anm. 5 2 ] ,

3 0 0 , Abb. 3 8 0 — 3 8 2 ; F. Coarelli, Art. Basilica Constantiniana, B. nova, Lexicon

Topographicum

Urbis

Romae,

Vol.

I,

1993,

170—173,

Abb. 9 5 f.). Ähnliches ist schon in den Endfassaden der unteren halbkreisförmigen E x e d r a der Trajansmärkte zu beobachten. 57

Z u r Anastasis Anm. 3 6 .

vgl. oben S. 18 f., A n m . 2 9 , zu S. C o s t a n z a S. 2 4 f.,

40

Hugo Brandenburg

und den Begehungen in dem Kultbau über dem G r a b e des H e r ren einen würdigen und angemessenen architektonischen R a h men zu g e b e n . 5 8 Es sind dies die beiden Voraussetzungen, die Anlaß zur Schöpfung des gegliederten Z e n t r a l b a u e s in der konstantinischen B a u h ü t t e gegeben haben. So vollendet sich hier im christlichen Kultbau durch den A n s t o ß , die die Erfordernisse der Liturgie gaben, eine Entwicklungstendenz r ö m i s c h e r Architektur und führt zur Ausbildung eines neuen Bautypus. Doch

ist mit diesen Ausführungen

die Bautypologie

von

S. Stefano R o t o n d o n o c h nicht erschöpfend erfaßt. W i r hatten

anfangs gesehen, d a ß in die Außenringe

von

S. Stefano R o t o n d o K r e u z a r m e eingesetzt sind. Als selbständiger Bautypus ist der Kreuzbau der kaiserzeitlichen Architektur

unbekannt.59

römischen

Wohl gibt es kreuzförmige R ä u m e ,

d o c h sind diese meist einem äußeren Q u a d r a t oder Kreis eingeschrieben. In wenigen Fällen, so bei spätantiken

Mausoleen,

wird die K r e u z f o r m des Innenraumes durch die im A u ß e n b a u sich leicht kreuzförmig absetzende R a u m s c h a l e 58

59 60

wiederholt.60

Zur Liturgie in den christlichen Zentralbauten vgl. Brandenburg, Kirchenbau und Liturgie (wie Anm. 1), 52—60. Zur Liturgie in der Anastasis, der Grabesrotunde in Jerusalem, vgl. den Bericht der Pilgerin Aetheria/ Egeria (peregrinatio Egeriae 24,2—5 [FChr 20, 226,10—228 Röwekamp]) über den Gedächtnisgottesdienst unter Leitung des Bischofs am Grabe Christi an den verschiedenen Festtagen. Vgl. auch Brandenburg, Kirchenbau und Liturgie (wie Anm. 1), 55; Tolotti, Ii S. Sepolcro di Gerusalemme (wie Anm. 29), 475—480. Tolotti hat aus der Interpretation der Quellen den berechtigten Schluß gezogen, daß der Zentralraum um das Grab während der religiösen Funktionen dem Bischof vorbehalten war, während die Gläubigen im Ambulatorium standen (476). S. oben S. 17 f., Anm. 27. Vgl. oben S. 17 f. Anm. 27. Windfeld-Hansen, Un edificio sepolcrale (wie Anm. 27), 105 — 110 Abb. 1—7. Der Bau figuriert schon in der Aufstellung der Vorläufer christlicher Kreuzbauten bei S. Guyer, Grundlagen Mittelalterlicher Abendländischer Baukunst, Einsiedeln 1950, 35. Vgl. auch Windfeld-Hansen, L'hexaconque funéraire (wie Anm. 49), 74 f., Taf. X.

41

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

Und auch die für die römische kaiserzeitliche Architektur seit dem Pantheon übliche Nischengliederung im Inneren von Zentralbauten, die die Kreuzachsen betonen, konnte gelegentlich, wie das Beispiel des großen severischen Rundtempels in Ostia zeigt, auch in der Gliederung des Außenbaues durch die leicht aus dem runden Baukörper hervortretenden Rechtecknischen wirksam werden (Abb. 12). 6 1 Doch keiner dieser Bauten, weder die Grabmäler noch der Tempel des dritten Jahrhunderts in Ostia, kann als Kreuzbau angesprochen werden, da die Raumfügung durch diese Disposition und auch die äußere Gestalt des Baues nicht durch die als eigene Baukörper hervortretenden Kreuzarme bestimmt wird und so auch im Innenraum diese Raumerweiterungen nicht anders als Nischen und nicht als eigene Räume erfahren werden. 6 2 Zur Ausbildung des eigentlichen Kreuzbaues kam es jedoch in der kaiserzeitlichen Architektur nicht, offenbar weil für diesen ästhetisch wenig befriedigenden Bautypus auch kein Bedürfnis bestand, das sich aus einer Zweckbestimmung oder einem Bedeutungsgehalt der architektonischen Form hergeleitet hätte. Erst in konstantinischer Zeit begegnet der Kreuzbau, und zwar wiederum als christlicher Kultbau und ebenso wie der Typus des gegliederten Rundbaues wohl in einer kaiserlichen Stiftung. Es ist die von Konstantin errichtete Gedächtniskirche für die Apostel in Konstantinopel, die heute zwar nicht mehr erhal-

61

C r e m a , L'Architettura (wie A n m . 4 0 ) , 5 2 2 - 5 2 4 , Abb. 6 8 5 .

62

Windfeld-Hansen, Un edificio sepolcrale (wie A n m . 2 7 ) , passim, dagegen leitet zahlreiche kleinere christliche kreuzförmige Kultbauten und Memorien von den genannten Grabbauten ab. D o c h dürften diese der ausgehenden Antike und dem frühen Mittelalter angehörenden christlichen Kreuzbauten, die auch eine andere Raumdisposition zeigen, von der Ausbildung des Kreuzbaues in der frühchristlichen Architektur in den großen vorbildhaften Gründungen des vierten Jahrhunderts abhängig sein. Hierzu vgl. die folgende Darstellung, zur Beurteilung der Vorstufen des Kreuzbaues vgl. auch Ward-Perkins,

Memoria

(wie

A n m . 2 6 ) , 2 3 ; Deichmann, Archeologia cristiana (wie A n m . 2 6 ) , 8 4 . 9 7 .

42

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Abb. 12. Augusteion (Tempel), Ostia. Severisch.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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ten ist, nach der Beschreibung, die die zeitgenössischen Quellen geben, und n a c h der Kreuzgestalt der Nachfolgebauten aber ein Kreuzbau gewesen sein d ü r f t e . 6 3 D a ß für die Ausbildung dieses Typus des christlichen Kultbaues der Symbolgehalt der architektonischen Gestalt maßgebend war, belegt die Bauinschrift, die der heilige Ambrosius, Bischof von M a i l a n d , in der von ihm im J a h r e 3 8 2 n. Chr. in Mailand gestifteten Apostelkirche angeb r a c h t hat. Die Kirche, die heute n o c h unter d e m N a m e n S. N a z a r o besteht, w u r d e offenbar nach d e m Vorbild der Konstantinopler Stiftung Konstantins als Kreuzbau errichtet (Abb. 1 3 ) . 6 4

63

Eus., v.C. IV 5 8 - 6 0 ( 1 4 4 , 2 - 1 4 5 , 8 Winkelmann); Greg. Naz. carm. anast., vv. 59 f. (PG 37,1258 — 1259). Stanzi, Längsbau und Zentralbau (wie Anm. 33), 47—49; Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 69 f., mit der Diskussion der älteren Literatur; Deichmann, Archeologia cristiana (wie Anm. 26), 85 f. Sehr spekulativ P.Speck, Die große Kirche von Antiocheia (Poikila Byzantina 6), Bonn 1987, 406 f. Anders C. Mango, Le développement urbain de Constantinople (IVe-VIIe siecles), Paris 1985, 27; ders., Constantine's Mausoleum and the Translation of Relics, ByZ 83 (1990), 51 — 62, der nach einer ausführlichen Diskussion der Quellen den kreuzförmigen Kirchenbau erst Konstantins Sohn Constantius II. zuweisen will. Mango meint, daß Eusebius' Beschreibung eher auf eine Rotunde denn auf eine Basilika zutreffe, da der Kirchenhistoriker die aufragende Höhe betone und keine Säulen erwähne, die für eine kreuzförmige Basilika aber zu erwähnen seien. Aber der Kreuzbau ohne die Aufgliederung in Schiffe durch Kolonnaden, wie ihn die frühen christlichen Kultbauten dieses Typus zeigen, mit einem aufragenden Zentrum (Kaoussie, Sichern, Mailand und andere in Oberitalien, vgl. dazu die Literatur unten S. 46, Anm. 67), würde Eusebius' Beschreibung entsprechen, auch wenn dieser nicht ausdrücklich auf die Kreuzesgestalt eingeht. Auf die Kreuzform spielt Gregor von Nazianz in seinem Gedicht an, und sie wird zudem durch die Basilica Apostolorum in Mailand, die Johanneskirche des fünften Jahrhunderts in Ephesos (vgl. unten S. 48, Anm. 71) und die justinianischen Nachfolgebauten in Konstantinopel (vgl. dazu C. Mango, Byzantine Architecture, New York 1976, 157, Abb. 108) und Ephesos nahegelegt.

64

Traversi, Architettura (wie Anm. 20), 9 1 - 1 0 3 , Abb. 7, Taf. 3 6 - 4 6 ; Kinney, Le chiese (wie Anm. 20), 70—75, Abb. 86 — 89; Krautheimer,

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Ambrosius habe, so heißt es in der Inschrift, die Kirche gegründet, die er Christus im Namen der Apostel geweiht habe. Die Kirche habe die Gestalt des Kreuzes, sie stelle damit den Sieg

Abb. 13. Basilica Apostolorum,

Mailand. Von Ambrosius 382 errichtet.

Christi dar, und das heilige Bild des Triumphes (das Kreuz) zeichne so den Ort aus. 6 5 Dieser Gedanke ist also offenbar be-

6S

Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 81 f., Abb. 38; S. Lusuardi Siena, La „basilica A p o s t o l o r u m " , in: Milano capitale dell' impero r o m a n o 2 8 6 - 4 0 2 d.c., mostra M i l a n o 2 4 . 1 - 2 2 . 4 , Mailand 1990, 1 1 9 - 1 2 3 . 4 7 3 (Plan). Die Inschrift bei E. Diehl, Inscriptiones Latinae Christianae Veteres ( = ILCV) Vol. I, Berlin 1925 = 3 1970, Nr. 1800: Condidit Ambrosius

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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s t i m m e n d für die W a h l der a r c h i t e k t o n i s c h e n Gestalt des Gebäudes gewesen. Ein einzigartiger V o r g a n g , der in der r ö m i schen A r c h i t e k t u r in dieser U n m i t t e l b a r k e i t keine E n t s p r e c h u n g findet und der a u c h in der frühchristlichen A r c h i t e k t u r n u r eine einzige sicher b e s t i m m b a r e , w i e d e r u m allein v o n A m b r o s i u s bezeugte Parallele h a t . 6 6 Es ist das v o n A m b r o s i u s g e g r ü n d e t e o k t o g o n a l e T a u f h a u s der M a i l ä n d e r K a t h e d r a l e , das n a c h den d o r t

66

templum dominoque sacravit/ nomine apostolico, muñere, reliquiisJ forma crucis templum est, templum victoria Christi,/ sacra triumphalis signât imago locum. (Vv.l—4). Für die römische Kaiserzeit fehlen alle Schriftquellen, die einen solch konkreten Bezug zwischen Bedeutung und architektonischer Gestalt eines Gebäudes belegen könnten. Dennoch gibt es einen Bau, das Pantheon in Rom, dessen Architektur in gewisser Weise als Bedeutungsträger verstanden werden kann, wenn auch hier vieles im Ungewissen bleibt und nicht konkretisiert werden kann: Der mit einer Kuppel überwölbte runde Zylinder, der, wie der römische Historiker Cassius Dio bezeichnenderweise einschränkend sagt (LUI 27,2—4), nach seiner Auffassung das Firmament wiedergebe, beherbergte zahlreiche Götterstatuen, darunter Mars, Venus, den divus Caesar und vielleicht auch die Planetengottheiten. Der Bau ist also wohl, auch im Kontrast zur Architektur des traditionellen Tempels, als Ausdruck einer neuen, universellen Gottesidee zu verstehen, und damit dürfte die architektonische Gestalt als Programm zu verstehen sein. Vgl. dazu Kähler, Das Pantheon (wie Anm. 44), 72—75, sicherlich zu konkret in der symbolischen Deutung; vorsichtiger Fine Licht, The Rotunda in Rome (wie Anm. 44), 199; MacDonald, The Pantheon (wie Anm. 44), 7 6 - 9 2 ; A. Wandschneider, Das Pantheon. Raumerfahrung und Sakralbestimmung, Antike Welt 20/3 (1989), ( 9 - 2 4 ) bes. 2 2 f . mit berechtigter Skepsis gegenüber der Deutung der Kuppel als Himmelsgewölbe, aber einer anderen Rauminterpretation, der wir nicht folgen können, wenn auch die Architektur zu Recht als Ausdruck einer allumfassenden Wesensgestalt aufgefaßt wird. — Zur Frage der Symbolik in der früchristlichen Architektur immer noch wichtig die zurückhaltende Darstellung von J. Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters, Freiburg 1924 2 . Heute ist vor allem die kurze, aber grundlegende und umsichtige Behandlung des Themas bei Deichmann, Archeologia cristiana (wie Anm. 26), 89—104, heranzuziehen.

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angebrachten Disticha des Bischofs durch die Achtzahl, die mehrfach seine architektonische Gestalt und deren Gliederung bestimmt, auf die Auferstehung Christi am achten Tage der Woche hinweist, auf seine Erlösungstat und auf das Heil der Taufe. 6 7 So ist es denn bezeichnend, daß sich die Kreuzgestalt vornehmlich bei Gedächtniskirchen, Märtyrerkirchen und dem Heiligen Kreuz geweihten Kirchen wiederfindet. Sie sind seit dem vierten Jahrhundert über die ganze Oikumene verbreitet.

67

Diehl, ILCV I (wie Anm. 65), Nr. 1841, 362. Zur Kathedrale und dem zugehörigen Baptisterium vgl. Traversi, Architettura (wie Anm. 20), 47 f., Abb. 3; Kinney, Le Chiese (wie Anm. 20), 5 3 - 6 0 , Abb. 5 4 - 6 1 ; S. Lusuardi Siena, Il battistero di S. Giovanni alle fonti, in: Milano Capitale (wie Anm. 64), 109 f . 4 6 3 - 4 6 6 (Pläne). Mit der Symbolik der Achtzahl im Anschluß an die Inschrift des Ambrosius hat sich ausführlich beschäftigt F. J . Dölger, Zur Symbolik des altchristlichen Taufhauses. Das Oktogon und die Symbolik der Achtzahl. Die Inschrift des hl. Ambrosius im Baptisterium der Theklakirche von Mailand, AuC 4 (1934), 153 — 187. Zu spekulativ und unkritisch dagegen A. Quacquarelli, L'ogdoade patristica e suoi riflessi nella liturgia e nei monumenti, Quaderni di Vetera Christianorum 7, Bari 1973. Schon Dölger bemerkt zu Recht, daß die aus acht Distichen bestehende Inschrift Sixtus' III. im oktogonalen Lateransbaptisterium die Symbolik der Achtzahl nicht erwähnt. Andererseits ist der oktogonale und polygonale Zentralbau, im Gegensatz zum Kreuzbau, schon in der römischen Architektur in unterschiedlichen Funktionen weit verbreitet (vgl. unsere Diskussion zur Entwicklung des gegliederten Zentralbaues) und weist gegenüber dem Rundbau statische und bautechnische, gegebenenfalls auch ästhetische Vorzüge auf. So ist es methodisch nicht gerechtfertigt, in der Architektur eines jeden Oktogonalbaues, wie etwa der Kathedrale von Antiocheia, einen symbolischen Bedeutungsgehalt im Sinne der ambrosianischen Inschrift verkörpert zu sehen. Zudem ist festzuhalten, daß der Typus des Mailänder Baptisteriums als Oktogonalbau und auch in seiner oktogonalen Innengliederung mit Nischen und Säulenvorlagen keine Neuschöpfung der frühchristlichen Architektur darstellt. Die symbolische Deutung dieser Bauform dürfte nur die Wahl des Bautypus für das Baptisterium bestimmt haben, sie ist also in jedem Falle sekundär und nachträglich an die architektonische Gestalt herangetragen, anders als dies beim Kreuzbau der Fall ist.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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Die dem heiligen Babylas in Kaoussie bei Antiocheia oder die der Maria und den Jungfrauen in Mailand von Ambrosius gegen Ende des vierten Jahrhunderts geweihten Kirchenbauten können hier als augenfällige Beispiele dienen. 6 8 Besonders eindrücklich aber zeigt die bedeutungsvolle Beziehung zwischen Gestalt des Baues und Weihung die dem Heiligen Kreuz gewidmete Kirche, die wohl auch die Kaiserin Galla Placidia in Ravenna im zweiten Viertel des fünften Jahrhunderts, also gleichzeitig mit S. Stefano in Rom, gestiftet hat. 6 9 Ihr angeschlossen sind zwei ebenfalls kreuzförmige Oratorien, darunter das sogenannte Mausoleum der Galla Placidia, die ähnlich wie ein entsprechender Bau an S. Simpliciano in Mailand als Mausoleen dienten. 7 0 68

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Kaoussie: J. Lassus, L'Église cruciforme (wie Anm. 32), 5 f., Abb. 3, Taf. III-IV; Stanzi, Längsbau und Zentralbau (wie Anm. 33), 48 f., Taf. 7, Abb. 1; M a n g o , Byzantine Architecture (wie Anm. 63), 87, Abb. 91; Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 7 5 f . 8 2 f . , Abb. 34. Z u r Basilica Virginum, heute S.Simpliciano, vgl. Traversi, Architettura (wie Anm. 20), 1 1 1 - 1 1 7 , Abb. 9, Taf. VII, 56 — 62; Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 75 f.82f., Abb. 39f.; Kinney, Le Chiese (wie Anm. 20), 75, Abb. 9 1 93; S. Lusuardi Siena, La basilica Virginum, (wie Anm. 64), 135 f.476 (Plan) Die Überlieferung nennt für die Kirche keinen Stifter. Vgl. Deichmann, Ravenna, H a u p t s t a d t des spätantiken Abendlandes, Vol. I I / l , Wiesbaden 1974, 51 f. Doch ist es wahrscheinlich, d a ß dieser Bau, der als Memoria für das Heilige Kreuz errichtet und für den eine Reliquie aus dem Osten beschafft wurde, nicht ohne die Unterstützung Galla Placidias gegründet worden ist, zumal die Tradition (Agnellus, lib. pont. 42 [FChr 21/1, 2 1 4 , 1 2 - 1 4 Nauerth]) das kreuzförmige O r a t o rium am N a r t h e x der Kirche als ihr Mausoleum bezeichnet. Dieses ist wohl als ihr Mausoleum errichtet, aber nicht als solches genutzt worden, da die Augusta 450 η. Chr. in Rom starb und im dynastischen Mausoleum der theodosianischen Familie an S. Peter bestattet wurde. Vgl. C. Rizzardi, Il Mausoleo di Galla Placidia a Ravenna, M o d e n a 1996, 105.130 f. 133 f. Z u m Bedeutunsgehalt der Architektur von S. Croce vgl. Deichmann, Ravenna II/1, 55 f. F. W. Deichmann, Ravenna, H a u p t s t a d t des spätantiken Abendlandes, Vol. I, Wiesbaden 1969, 1 - 3 1 ; ders. Ravenna I I / l (wie Anm. 69),

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Der Konstantinopler Apostelkirche dürfte in der architektonischen Gestalt auch die Johanneskirche des frühen fünften Jahrhunderts in Ephesos über dem Grab des Apostels gefolgt sein, in der der Schnittpunkt der Kreuzarme als eigener, zentraler Baukörper hervorgehoben ist, wie ähnlich schon in der Kirche von Kaoussie bei Antiocheia. 7 1 Deutlicher artikuliert sich diese Tendenz in der monumentalen Kirche des Pilgerzentrums von Qal'at Sem'an vom Ende des fünften Jahrhunderts: Hier sind an das zentrale Oktogon vier basilikal gegliederte Kreuzarme angesetzt. 7 2

158—170 (S. Croce, zu den verwandten kreuzförmigen Bauten, Mausoleum der Galla Placidia); C. Rizzardi, L'architettura a Ravenna d u r a n t e il regno di Galla Placidia, in: Ravenna Studi e Ricerche 1 (1994), 196 f., Abb. 4—5 (Kirche und Mausoleum); S. Gelichi/ P. N o v a r a Piolanti, La chiesa di S. Croce a Ravenna. La sequenza architettonica, Corsi di cultura sull'arte Ravennnate e Bizantina 42 (1995), 3 4 7 - 3 6 6 , Abb. 1—3 (Kirche und Mausoleum); Rizzardi, Il Mausoleo (wie Anm. 69), 129f. (S. Croce und M a u s o l e u m , die verwandten kreuzförmigen Bauten). — Auch die Basilica Apostolorum (heute S. Francesco) in Ravenna aus dem frühen fünften J a h r h u n d e r t hatte nach den Befunden möglicherweise eine kreuzförmige Gestalt, vgl. Rizzardi, Il mausoleo (wie Anm. 69), 201 f.; Deichmann, Ravenna II/2 (wie Anm. 69), 311. — Z u den einschiffigen Kreuzbauten und ihre Verbreitung seit dem vierten J a h r h u n d e r t vgl. das von Guyer, Grundlagen Mittelalterlicher Abendländischer Baukunst (wie Anm. 60), zusammengestellte Material. 71

72

J. Keil/ H, H ö r m a n n , Die Johanneskirche (Forschungen in Ephesos 4), Wien 1951, bes. 2 2 7 - 2 3 4 , 2 9 6 - 3 0 6 , Abb. 4 2 - 4 4 . 6 1 - 6 3 ; Stanzi, Längsbau und Z e n t r a l b a u (wie Anm. 33), 5 0 f . , Taf. 8, Abb. 1; Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 106 f., Abb. 57; R. Pillinger, Die christlichen Denkmäler von Ephesos. Eine Bestandsa u f n a h m e als Rück- und Vorschau, Mitteilungen zur Christlichen Archäologie 2 (1996), (39—70) 51. Der Bau bildete wie die Apostelkirche in Mailand ein lateinisches Kreuz und hatte allerdings Kreuzarme, die durch Kolonnaden in Schiffe geteilt waren. Z u Kaoussie vgl. oben S. 46, Anm. 68. D. Krencker, Die Wallfahrtskirche des Simeon Stylites in Kalat Seman, APAW. P H 4/1939, Berlin 1939, Taf. 6; G. Tchalenko, Villages

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Besonders interessant im Zusammenhang der hier besprochenen Bautypologie ist jedoch ein kleiner Memorialbau, eine Märtyrerkirche, die der Kirchenvater Gregor von Nyssa um das Jahr 3 8 0 n. Chr. in einem Brief an einen Freund, den Bischof Amphilochios von Ikonion, beschreibt. Die ausführliche Baubeschreibung dieses Martyriums, das Gregor auf eigene Kosten errichten möchte, versucht auch mit Angabe von Maßen ein detailliertes Bild des Gebäudes zu geben, da Gregor den Rat und die Hilfe des in Bauangelegenheiten erfahrenen Freundes sucht. 7 3 Die Memoria Gregors folgt nach seiner Beschreibung in den wesent-

antiques de la Syrie du Nord, Paros 1 9 5 3 - 1 9 5 8 , 223-276, Taf. 7 7 - 7 9 . 1 8 0 - 1 8 3 ; P. Verzone, Qalat Seman, Corsi di cultura sull' arte Ravennate e Bizantina 21 (1974), 2 5 9 — 2 8 6 ; Stanzi, Längsbau und Zentralbau (wie Anm. 33), 52—54, Taf. 8, Abb. 2; Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 1 4 5 - 1 5 0 , Abb. 1 0 0 - 1 0 7 (auf p. 145 als Abb. 100 ein nicht mehr gültiger Plan); Mango, Byzantine Architecture (wie Anm. 63), 80, Abb. 83 — 84; J . P. Sodini, Qal'at Sem'an. Quelques donnés nouvelles, Akten des XIII. internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn 1991 ( = Münster 1995), 3 4 8 - 3 6 8 , Plan Abb. 1, Rekonstruktion Abb. 6. 73

Greg. Nyss., ep. 25 ( G N O VIII/2, 7 9 - 8 3 Pasquali). Mit dem Text und seiner Deutung haben sich zahlreiche Forscher beschäftigt. Hier muß eine Auswahl der wichtigsten Schriften genügen: A. Birnbaum, Die Oktogone von Antiochia, Nazianz und Nyssa. Rekonstruktionsversuche, R K W 36 (1913), ( 1 8 1 - 2 0 9 ) 202; K. P. Friedenthal, Das kreuzförmige Oktogon. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Zentralund Kuppelbaues, Karlsruhe 1908, 33 — 51; Guyer, Grundlagen Mittelalterlicher Abendländischer Baukunst (wie Anm. 60), 79; M . Restle, Studien zur frühbyzantinischen Architektur Kappadokiens, München 1979, 7 5 . 1 0 3 f.; Stanzi, Längsbau und Zentralbau (wie Anm. 33), 55; C. Klock, Architektur im Dienste der Heiligenverehrung. Gregor von Nyssa als Kirchenbauer (ep. 25), in: T h e Biographical Works of Gregory of Nyssa. Proceedings of the Fifth Colloquium on Gregory of Nyssa (Mainz, 6 - 1 0 September 1982), ed. by A. Spira (PatMS 12), Cambridge/M. 1984, 1 6 1 - 1 8 0 ; R. Stupperich, Eine Architekturbeschreibung Gregors von Nyssa. Zur Diskussion um die Rekonstruktion des Martyriums von Nyssa im 25. Brief (Asia Minor Studien 3, Studien zum antiken Kleinasien), Bonn 1991, 111 (mit der älteren Literatur).

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lichen Elementen, so in der Kreuzform, wie er ausdrücklich vermerkt, 7 4 den zeitgenössischen Bauten, die wir eben vorgeführt haben: Die gleichlangen Kreuzarme sind an ein Oktogon angesetzt, das in den Diagonalachsen sich in halbrunde Nischen ausweitet und von einer Kuppel überwölbt wird. Säulen, die die Bögen vor den Nischen tragen, sind den Mauerpfeilern vorgelegt (Abb. 14). 75 O b die von Gregor in einem anderen Brief erwähnte Kirche mit Umgang mit diesem Martyrium zu identifizieren ist, muß offen bleiben. 76 Bis auf die Umgänge aber wiederholt das Martyrium von Nyssa die Plandisposition der Kathedrale von Antiocheia, die ein zentrales Oktogon, Umgänge und nach unserer Textinterpretation wohl auch Kreuzarme, Exedrai, gehabt hat. Das kleinere Martyrium in der kleinasiatischen Provinz folgt damit offensichtlich den monumentalen Vorbildern in den Residenzstädten. 77 Das Entwurfsschema für den Memorialbau von S. Stefano Rotondo wäre in der Memoria aus der kappadokischen Provinz und ihren Vorbildern in den Residenzstädten bereits gegen Ende des vierten Jahrhunderts in den Grundzügen — Zentralraum mit angesetzten Kreuzarmen und gegebenenfalls Umgängen — angelegt. Wie sehr diese Planschemata, der Zentralbau und seine Variante, der Kreuzbau, im späten vierten und frühen fünften Jahrhundert zur Diskusssion standen und wie sie bewertet wurden,

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75

76 77

Greg. Nyss., ep. 25,3. Hier erwähnt Gregor ausdrücklich, daß er sich bei seinem Entwurf auf die Kreuzbauten, „die man sieht", bezieht. Vgl. die Rekonstruktion des Grundrisses bei Mango, Byzantine Architecture (wie Anm. 63), 26 f., Abb. 24; Stupperich, Architekturbeschreibung (wie Anm. 73), 120, Abb. 2 mit Rekonstruktion des Grundrisses und des Aufrisses. Das der Konstruktion und der Form nach unwahrscheinliche hohe kegelförmige Dach, das allerdings im Wortlaut des Textes seine Erklärung zu finden scheint, und der zu gedrückte Tambur sind in der Aufrißrekonstruktion allerdings wenig plausibel. Greg. Nyss., ep. 6 , 7 - 1 0 (GNO VIII/2, 3 5 , 1 5 - 3 6 , 6 ) . Vgl. oben Anm. 73. Zu der Plandisposition der Kathedrale von Antiocheia vgl. oben S. 20—22.

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O 10 ' ' ' ' ' I

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40 Im

Abb. 14. Rekonstruktion des Martyriums in Nyssa, Kleinasien, nach der Beschreibung Gregors von Nyssa. Um 380.

führt uns nicht nur der Brief Gregors, sondern auch ein Vorgang vor Augen, von dem uns Marcus Diaconus in seiner Lebensbeschreibung des Bischofs Porphyrios von Gaza berichtet. 78 Die 78

Marc. Diac., v. Porph. 6 6 - 7 9 (CUFr 5 2 - 6 3 Grégoire/ Kugener). Vgl. jetzt F. R. Trombley, Hellenic Religion and Christianization C. 370— 529 (EPRO 115/1), Leiden n.a. 1993, 1 8 8 - 2 8 2 .

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Christen von Gaza hatten unter Führung des Bischofs im Jahre 402 n. Chr. die heidnischen Tempel der Stadt zerstört und schickten sich an, auch das Hauptheiligtum, das Marneion, zu beseitigen. Über das Vorgehen herrschten verschiedene Auffassungen: 79 Die einen meinten, man solle den Bau „von Grund auf niederreißen", andere aber, man solle ihn verbrennen, und wiederum andere, man solle ihn reinigen und zu einer Kirche Gottes weihen. Der letzte Vorschlag ist interessant, da das Marneion ein Rundbau war, der möglicherweise — der Text legt diese Interpretation nahe — durch Kolonnaden in einen kuppelüberwölbten Zentralraum mit Umgängen gegliedert war. 8 0 Man

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Marc. Diac., v. Porph. 66 ( 5 2 , 1 - 5 ) . Marc. Diac., v. Porph. 7 5 ( 5 9 , 1 0 - 6 0 , 1 5 ) . Der Text ist in seinem Wortlaut nicht eindeutig und bedarf einer erneuten Prüfung, die demnächst an anderer Stelle vorgelegt werden soll. In der Architektur ist uns allerdings kein Bau dieser Art überliefert, der den gegliederten Zentralbau für die römische Architektur, auch nicht für den Tempel einer lokalen, nicht klassischen Gottheit, belegen würde. Zu Marnas und seinem Heiligtum mit der Deutung des Textes auf einen Rundbau umgeben von zwei konzentrischen Säulenhallen, für die es ebenfalls keine Parallele gibt, vgl. M . A. Meyer, History of the City of Gaza, New York 1907, 120; G. Downey, Gaza in the Early Sixth Century, Norman 1963, ( 1 4 - 3 2 ) bes. 1 7 f . 2 4 ; C. A. Glucker, T h e City of Gaza in the Roman and Byzantine Periods, Oxford 1987, 48 f.; G. Mussies, Marnas God of Gaza ( A N R W II 18/4), Berlin 1990, ( 2 4 1 2 - 2 4 5 7 ) bes. 2 4 1 8 mit der sicherlich nicht richtigen Deutung der Rundgestalt des Heiligtums als Mausoleum für den sterbenden und auferstehenden Fruchtbarkeitsgott (S. 2454): Weder ist die Rundgestalt typisch für römische Mausoleen, noch ist sie an bestimmte Zweckbestimmungen gebunden. Der Rundbau wird hier eher eine im Gegensatz zum klassischen Kultbau unkanonische Aufwandsform für das Heiligtum einer orientalischen Naturgottheit sein. Vgl. auch F. Seiler, Die griechische Tholos, Mainz 1986, 153.155 zur Bewertung schon der klassisch-hellenistischen Rundbauten vornehmlich als Aufwandsarchitektur. Dies gilt etwa auch für das hellenistische Arsinoeion auf Samothrake, das vor allem als repräsentativer Aufwandsbau und als Mysterienkultstätte (vgl. Seiler, Tholos, [107—115] bes. 114 f.) eine Parallele zu dem allerdings wohl wesentlich jüngeren Marneion darstellt. Es ist die Frage, ob die von den Herausge-

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entschied sich schließlich, den Tempel abzubrennen und an seiner Stelle eine Kirche zu errichten. 8 1 Die Kaiserin Eudoxia stiftete Geld für den Kirchenbau, Soldaten standen zur Verfügung, um das Baumaterial herbeizuschaffen. 8 2 D o c h wurde man sich in Gaza nicht einig, ob man die Kirche wiederum als Rundbau errichten sollte, der interessanterweise, wie ausdrücklich gesagt wird, den Plan des paganen Tempels übernehmen sollte, also offenbar als gegliederter Zentralbau gedacht w a r . 8 3

Andere,

heißt es, hätten diesem Vorschlag widersprochen, da man das Gedächtnis an den heidnischen Tempel völlig tilgen m ü s s e . 8 4 Als die Kaiserin aus Konstantinopel einen kreuzförmigen Plan sendet mit dem Auftrag, nach diesem die Kirche zu bauen, und zudem 3 2 Marmorsäulen zur Verfügung stellt, bewertet man dies in Gaza als einen Akt göttlicher Offenbarung. 8 5 Unter beiden Bautypen, die als repräsentative Architektur für die Hauptkirche von Gaza zur Diskussion standen, wird dem Kreuzbau als dem offensichtlich angemesseneren von der frommen Kaise-

bern der Vita, Grégoire und Kugener, und L. Ryden (ders., Gaza, Emesa und Constantinople, in: Late Antique Cities in the Light of Hagiography. Aspects of Late Antiquity and Early Byzantium, ed. by L. Ryden/O. Rosenquist, Istanbul 1993, 133—137) angesprochene spätere Überarbeitung des Textes (sechstes/siebentes Jahrhundert) auch an dieser Stelle eingegriffen haben könnte: Handelt es sich um eine Rückprojektion zeitgenössischer Architekturformen auf den aus der Anschauung nicht mehr bekannten Tempel des M a m a s ? 81 82 83

84 85

Marc. Diac., v. Porph. 6 6 (53,15) bzw. 6 9 (55,5). Marc. Diac., v. Porph. 75 ( 5 9 , 5 - 1 1 ) . Marc. Diac., v. Porph. 75 (59,10). Diese Nachricht, vorausgesetzt es handelt sich bei dieser Stelle nicht um eine überarbeitete Textpassage (s. oben S. 52, Anm. 79), spricht für die von uns vorgebrachte Interpretation der Textstelle bei Marcus Diaconus, da für einen zentralisierten christlichen Kultbau, dessen Größe von Marcus Diaconus gerühmt wird (Marc. Diac., v. Porph. 9 2 [71,17 f.]), der gegliederte Zentralbau angemessen ist. Marc. Diac., v. Porph. 75 (60,19f.). Marc. Diac., v. Porph. 75 ( 6 0 , 2 4 - 3 7 ) .

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rin der Vorzug gegeben. Es ist beachtenswert, daß die Wahl der Kreuzform, ebenso wie bei Gregor, nicht ausdrücklich mit der Symbolik der architektonischen Gestalt begründet wird. Um so bemerkenswerter ist es, daß der Kreuzplan, für den sich die Kaiserin entscheidet, nicht für eine Memoria, sondern für eine Kathedrale vorgesehen ist. Die Begründung für diese Wahl wird sicherlich im Symbolgehalt der kreuzförmigen Gestalt der Kirche liegen: Ihre Errichtung über der antiken Kultstätte versinnbildlicht den Sieg Christi über das Heidentum, was seinen Ausdruck auch in den Ausrufen „Christus hat gesiegt" der am Bau beteiligten Gemeinde findet, von denen Marcus Diaconus berichtet. 86 Beide Bautypen werden kaum mehr zwei Jahrzehnte später in der Gedächtniskirche von S. Stefano Rotondo miteinander verbunden. Möglicherweise wurde auch hier der Plan, der wiederum das Kreuzschema enthielt, vom kaiserlichen Hofe vorgegeben, zumal Galla Placidia, wie wir sahen, in Ravenna wohl auch als Stifterin des Kreuzbaues von S. Croce anzusehen ist. Der kreuzförmige Typus des christlichen Kultbaues hat in dieser Zeit offenbar im Zusammenhang mit der aufblühenden Märtyrerverehrung besondere Verbreitung gefunden. 87 Die vorgeführten Beispiele ließen sich leicht vermehren. So dürfte es kaum einem Zweifel unterliegen, daß die in das Rund des gegliederten Zentralbaues eingeschriebenen Kreuzarme in S. Stefano Rotondo, der mit einem zentralen Baukörper verbundene Kreuzbau, eine symbolische Bedeutung gehabt hat und daß somit die Kreuzform für die Gedächtniskirche des Protomärtyrers bewußt gewählt worden ist (Abb. 1). Damit haben wir nun auch eine klare Antwort auf die auch gegen alle archäologischen Befunde vor kurzem noch von Krautheimer vorgetragenen Theorien erhalten, daß der Bau von 86 87

Marc. Diac., v. Porph. 78 (62,9). Vgl. Greg. Nyss., ep. 25,3 (GNO VIII/2, 7 9 , 2 1 - 8 0 , 5 ) Anm. 59.61 f.67.69—73 genannte Literatur.

und die in

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S. Stefano aufgrund seiner ungewöhnlichen Gestalt als ein nachträglich für den christlichen Kult adaptierter Profanbau anzusehen sei. 8 8 Für die symbolische Deutung der Rundgestalt des Baues haben wir jedoch keinerlei Anhaltspunkte, weder in den frühchristlichen Bauinschriften noch in der patristischen Literatur. Rund geschlossene Räume und selbständige, überwölbte Rundbauten waren in der kaiserzeitlichen römischen Architektur als repräsentative Aufwandsform in unterschiedlichen Funktionen besonders beliebt. Wie für den gegliederten Zentralbau liegen für diesen Bautypus die Voraussetzungen in der Tradition der kaiserzeitlichen Architektur, vor allem in den von einer Kuppel überwölbten runden Sälen der Thermen, in Bauten wie dem Pantheon in Rom (Abb. 6 und 7), dem Asklepios-Tempel in Pergamon oder in den monumentalen, spätantiken kaiserlichen Mausoleen in Rom und in anderen Residenzstädten wie Saloniki. 8 9 In dieser Tradition, die zahlreiche Bauten unterschiedlicher Funktion und Zeitstellung einschließt, ist ein symbolischer Gehalt, der den Bauformen römischer Architektur ohnehin fremd ist, für den Rundbau nicht auszumachen. 9 0 Er dürfte vielmehr als eine Sonderform, ein gesuchter, repräsentativer, durch die Rundgestalt und ihre Überwölbung mit einer Kuppel auch

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Krautheimer, Conjectures (wie Anm. 5), 11 — 13 (Palastaula). Vgl. Walser, Einsiedler Inschriftensammlung (wie Anm. 22), 197 f. (Macellarti Neronis). Crema, L'Architettura (wie Anm. 40), 3 8 8 , Abb. 4 5 8 f. (Pergamon, Asklepios-Heiligtum), Abb. 698 f. (Caracalla-Thermen, Rundsaal), Abb. 832 f. (Saloniki, Galerius-Mausoleum); J. B. Ward-Perkins, Architettura Romana (wie Anm. 52), 287, Abb. 359 f. (Asklepieion, Pergamon). Eine Ausnahme ist wohl das Pantheon, dessen Architektur aber einen schwer zu konkretisierenden Bedeutungsgehalt hat, der eher in dem bewußt gesuchten Kontrast zu den traditionellen Tempelformen und Gottesvorstellungen liegt denn in einem konkreten, fest umrissenen Symbolgehalt. Vgl. oben S. 4 5 mit Anm. 66.

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ästhetisch besonders ausgezeichneter Gebäudetypus aufzufassen sein. Daß dem kuppelüberwölbten Rundbau im allgemeinen wohl keine symbolische Bedeutung zukam, wird auch durch die Bevorzugung des Kreuzbaues vor dem Rundbau für die Kirche von Gaza nahegelegt. Warum aber für den Zentralbau von S. Stefano Rotondo der Rundbau und nicht das nach dem Zeugnis des Ambrosius symbolträchtige Oktogon als bestimmende Gestalt gewählt wurde, das ja auch in den Bauten von Antiocheia, Nyssa und Qal'at Sem'an wiederkehrt, läßt sich kaum erschließen. Ähnlich wie der Rundbau war das Oktogon oder der Polygonbau, wie wir gesehen haben, als Aufwandsform in der kaiserzeitlichen römischen Architektur in unterschiedlichen Funktionen weit verbreitet. Er war daher sicher wie der Rundbau kein Bedeutungsträger, hatte aber gegenüber dem Rundbau konstruktive und statische Vorzüge. Symbolische Bezüge werden mit dem oktogonalen Zentralbau erst in seiner Verwendung als christliches Taufhaus durch Ambrosius in der Bauinschrift des Mailänder Baptisteriums verbunden. Wenn es auch, wie im Falle des Kreuzbaues, bei diesem einzigen, unmittelbaren Zeugnis bleibt, dürfen wir doch aufgrund der großen Zahl frühchristlicher oktogonaler Baptisterien vermuten, daß ihre architektonische Gestalt, deren bestimmendes Merkmal, die Achtzahl, sich häufig auch in der Form des Taufbeckens, in der Nischenzahl und in der Ausstattung wiederholt, bewußt als Bedeutungsträger gewählt worden ist. 9 1 Daß aber das Oktogon der konstantinischen Kathedrale von Antiocheia, das nach dem Bericht des Eusebius das Planschema von S. Stefano Rotondo in wesentlichen Teilen vorgebildet haben könnte, auch mit einer symbolischen Bedeutung zu belegen ist, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Eusebius gibt uns keinen Hinweis; das tut er allerdings auch nicht im Falle des konstanti-

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Vgl. oben S. 4 5 f. mit A n m . 6 7 .

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nischen Kreuzbaues der Apostelkirche, dessen Bedeutung als Symbolträger kaum zu bestreiten ist. Doch ist zu bedenken, daß es die gedankliche Verbindung von der Taufe als Wiedergeburt mit der Auferstehung Christi ist, die im oktogonalen Baptisterium den symbolischen Bezug zwischen architektonischer Gestalt und Glaubenswahrheit herstellt und damit den Symbolgehalt auf diesen Bautypus zu beschränken scheint. So dürfte es fraglich sein, ob dieser symbolische Bezug auch auf die oktogonale Kathedrale und etwa auch auf das das Oktogon mit der Kreuzform verbindende Martyrium von Nyssa zu übertragen ist, zumal uns Literatur und Inschriften keinen weiteren Hinweis geben und die architektonische Gestalt der Kirche auch als repräsentative, gesuchte Aufwandsform ihre Erklärung findet. So wird die Wahl des Rundbaues in S. Stefano Rotondo im wesentlichen nach formalästhetischen Kriterien erfolgt sein, zumal der für eine Märtyrerkirche entscheidende Symbolgehalt vorrangig in den Kreuzarmen zum Ausdruck kam. In S. Stefano Rotondo, einem wohl vom kaiserlichen Haus geförderten und vielleicht auch in seinem Planentwurf bestimmten Bau, sind zwei in konstantinischer Zeit geschaffene Bautypen des christlichen Kultbaues miteinander vereinigt und in einer überzeugenden Lösung zu einem harmonischen Ganzen gefügt, in dem nicht nur die herausragenden ästhetischen und repräsentativen Qualitäten der diaphanen Struktur des gegliederten Rundbaues, sondern in den Kreuzarmen auch die symbolische Aussage gleichermaßen zur Geltung kommen (Abb. 1, Taf. II/III, Taf. IVa.VI/VII). Auch in konstruktiver Hinsicht zeigt der Bau einige Züge, die ihn als eine schöpferische Adaption des im vierten Jahrhundert entwickelten Typus des gegliederten Zentralbaues ausweisen. Im Gegensatz zum Mausoleum der Kaisertochter Constantina, das, etwa ein Jahrhundert früher entstanden, eine massive Coementiciumkuppel besitzt, die auf einer massiven Mauer über einer doppelten Kolonnade aufliegt und deren Schub vom Tonnengewölbe des Umgangs über eine Nischenmauer aufgefangen

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wird (Abb. 4), besitzt S. Stefano Rotondo einen Tambur von 23 m Höhe und lediglich 70 bis 80 cm Wandstärke (Abb. 1). Die Konstruktion entspricht damit dem Aufbau der mit einem hölzernen Dachstuhl gedeckten römischen Basiliken. Nun sind, wie wir gesehen haben, in der römischen Architektur Rundbau und Kuppel eng miteinander verbunden, verlangt zudem der Raumeindruck des Rundbaues die Vollendung mit einer Einwölbung. So ist auch für den Zentralraum von S. Stefano Rotondo eine ebensolche Abdeckung, also eine Kuppel, anzunehmen. Die ungünstigen Proportionen des Tamburs mit der hohen verschatteten Mauerzone über den Fenstern lassen sich nur dadurch erklären, daß hier im Bereich der Fensterbögen eine Kuppel aufgelegen hat, die diese Mauerzone verdeckte (Taf. IVb). Diese Kuppel wäre von den 22 großen, dicht gesetzten Fenstern der Tamburwand gleichmäßig ausgeleuchtet worden und hätte somit dem Zentralraum ein gleichmäßiges Licht und harmonische Maßverhältnisse gegeben. Tatsächlich befindet sich nun auch im Inneren des Tamburs am Ansatz der Fensterbögen ein Rücksprung in der Mauer, der nur als das Auflager einer Kuppelkonstruktion zu erklären ist. Der Absatz befindet sich genau an der Stelle, an der auch in anderen spätantiken Rundbauten, wie etwa S. Costanza, die Kuppel ansetzt. Gegen die Rekonstruktion eines Wölbetragwerkes scheint nun aber die oben schon angesprochene geringe Mauerstärke der aufgehenden tragenden Wand zu sprechen, die sich oberhalb des Absatzes auf 70 cm verringert. Zudem beträgt der Durchmesser des Tamburs fast 23 m, ein Maß, das dem Querschnitt der Mittelschiffe der kaiserlichen paganen wie christlichen Großbasiliken entspricht und offenbar damit an der Grenze der Spannweiten auch für die Konstruktion eines hölzernen Dachstuhls lag. Bei einer Mauerhöhe von ca. 6 m über dem Absatz müßte die Kuppel bei dem genannten Durchmesser von 23 m in das Dachgestühl eingeschnitten haben. Wir müssen also einen gesprengten Dachstuhl annehmen, eine Konstruktion, die sich

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etwa in Ravenna in S. Vitale aus der ersten H ä l f t e des sechsten Jahrhunderts erhalten h a t . 9 2 Alle diese technischen Bedingungen scheinen nun die Rekonstruktion einer Kuppel in dem Geb ä u d e auszuschließen. D a ß aber ein Wölbetragwerk im Zentralr a u m von S. S t e f a n o R o t o n d o unter diesen Bedingungen dennoch möglich war und zu rekonstruieren ist, zeigt uns die genannte Kuppel aus S. Vitale in Ravenna, die aus zwei Schalen übereinandergelegter Ringe aus Tonröhren, also einem Leichtbaugewölbe, besteht. 9 3 Neben S. Vitale hat sich noch ein weiteres Beispiel für diese Kuppelkonstruktion in Ravenna in dem im fünften Jahrhundert errichteten Baptisterium des D o m e s erhalt e n . 9 4 Und schließlich läßt sich diese Kuppelkonstruktion auch für einen G r o ß b a u wie S. Lorenzo in M a i l a n d aus d e m Ende des vierten Jahrhunderts a u f g r u n d der Grundrißdisposition, die wie auch S. Vitale eine Variante des gegliederten Zentralbaues darstellt, sowie des diaphanen A u f b a u e s des Z e n t r a l r a u m e s und der Funde an Tonröhren im Innern der Kirche erschließen. 9 5 Während die Kuppeln von S. Vitale und dem D o m b a p t i s t e r i u m

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Deichmann, Ravenna II/2 (wie Anm. 69), 6 4 - 6 6 . 6 8 f., Taf. 4 1 - 4 3 . Deichmann, Ravenna II/2 (wie Anm. 69), 64 f.; Storz, Tonröhren im antiken Gewölbebau (wie Anm. 1) 1994, 67.85 und passim (grundlegende Arbeit zur Technik der Tonröhrentragwerke, ihre Anwendung und Verbreitung in der römischen und spätantiken Architektur); E. Russo, Sulla cupola di tubi fittili di S. Vitale di Ravenna, RivAC 72 (1996), 2 8 5 - 3 2 9 . Deichmann, Ravenna II/1 (wie Anm. 69), 18 f., ders., Ravenna, Voi. III, Frühchristliche Bauten und Mosaiken von Ravenna, Wiesbaden 1958, 249, Taf. 3 und 6. S. Storz, Das antike Bauverfahren von Gewölbetragwerken aus Tonröhren. Vorschlag zur Rekonstruktion einer Trompenkuppel aus Tonröhren für die frühchristliche Basilika San Lorenzo in Mailand, in: Bautechnik der Antike, veranstaltet vom Architekturreferat des Deutschen Archäologischen Instituts in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin. Internationales Kolloquium Berlin 1990, 15. —17. Februar (Diskussionen zur Archäologischen Bauforschung 5), Mainz 1991, 224—237.

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in Ravenna eine Spannweite von 16 m und 9,50 m besitzen, ist der Durchmesser des Wölbetragwerkes von S. Lorenzo fast identisch mit den Maßen der in S. Stefano Rotondo vorauszusetzenden Kuppel. Wie die ravennatischen Beispiele zeigen, bieten die aus zweifachen, im Durchmesser abnehmenden Tonröhrenringen aufgebauten Kuppeln alle technischen Eigenschaften, die durch den archäologischen Befund in S. Stefano gefordert werden: Diese Tragwerke benötigen nur ein sehr schmales Auflager, auf dem, wie etwa beim Dombaptisterium in Ravenna, die Röhrenringe aufsitzen; das sich aus Ringen aufbauende, selbsttragende Gewölbe übt kaum einen seitlichen Schub auf die tragende Wand aus. Dieses Tragwerk kann also in Bauten eingezogen werden, die wie S. Stefano Rotondo in ihrem Mauerwerk lediglich für die Lastaufnahme eines hölzernen Dachstuhls ausgelegt sind. Die große Flexibilität der Technik ermöglicht es zudem, komplizierte Verschneidungen, die an den Stichkappen über den Fensterbögen bei dem zu fordernden Kreissegmentprofil der Kuppel auftreten können, problemlos auszuführen, wie spätantike Tonröhrengewölbe in Nordafrika belegen, die mit ihren komplizierten Verschneidungen eine fast barock zu nennende Form besitzen. 96 Eine Stütze für die Hypothese, daß der Zentralraum von einer Kuppel überdeckt war, ergaben Untersuchungen der Obergadenwand im Bereich des Mauerabsatzes (Abb. 1; Taf. IVb.Va). 97 In den Laibungen der Fensterbögen fand sich eine antike Putzschicht, die an der Kante zur Tamburwand hin sauber abgestrichen war, während der Wandpfeiler zwischen den Bögen keine antike Verputzung besaß. Die Wand zwischen den Fenstern war also vom Kuppelfuß verdeckt und bedurfte somit keiner Dekoration. Bis zum Mauerabsatz aber war der Tambur mit Platten aus Buntmarmor ver-

96

97

Vgl. Storz, Tonröhren im antiken Gewölbebau (wie Anm. 1), 48 — 65, Taf. 1 2 - 1 9 , Beilage 3. 6. 7.10. Brandenburg, La chiesa di S.Stefano Rotondo (wie Anm. 1), 221 f.; Brandenburg/Storz, Zwischenbericht (I) (wie Anm. 1), 281 f., Abb. 6 f.

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Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

kleidet, wie eine Zeichnung des fünfzehnten Jahrhunderts, die das Innere der Kirche zeigt, belegt (Taf. Vlllb). 9 8 Reste dieser kostbaren Marmordekoration, die für spätantike Großbauten üblich war, haben sich überall an den aufgehenden Wänden des Gebäudes erhalten, ebenso wie in den Arkadenlaibungen des Umganges. Über der Marmorinkrustation setzt in der Wölbezone spätantiker Bauten gewöhnlich eine Mosaikdekoration an, die die aufwendige Ausstattung vervollständigte. Diese Mosaikdekoration ist nun neben der Marmorinkrustation, der Wandverkleidung mit kostbaren Mamorplatten, auch für S. Stefano Rotondo durch zwei Inschriften aus den Jahren zwischen 523 und 530 n. Chr. bezeugt. Sie berichten, daß Papst Felix die von seinem Vorgänger Johannes begonnene Ausstattung der Kirche mit Marmorschmuck zu Ende geführt und die Dekoration musivo splendore, mit prachtvollen Mosaiken, vollendet h a b e . " Da die Mosaikdekoration, wie bereits erwähnt, in spätantiken Bauten vornehmlich den Wölbezonen vorbehalten war, geben uns diese Inschriften einen weiteren Hinweis auf die Eindeckung des Zentralraumes mit einer Kuppel. So ist in S. Stefano Rotondo also der gleiche Befund anzutreffen, wie er sich auch in S. Costanza findet: Auch hier reichte die Marmordekoration der Wände des Tamburs bis an den Fuß der Kuppel, die ihrerseits mit Mosaiken ausgeschmückt war. 100 98

Krautheimer, C B C R IV (wie Anm. 1), 2 2 4 , Abb. 1 9 6 ; ders., Success and Failure,

124.135,

Abb. 5

=

Wege und Irrwege

(wie A n m . 1),

1 1 0 f . 3 9 5 , Abb. 16. 99

De Rossi, Inscriptiones Christianae Urbis R o m a e ( = I C U R ) , Vol. II, p. 152, Nr. 2 9 ; De Rossi, I C U R II, 152, Nr. 3 2 ; Ceschi, S. Stefano (wie A n m . 1), 8 7 ; Krautheimer, C B C R IV (wie A n m . 1), 1 9 3 .

100

Stettier, Z u r Rekonstruktion von S. C o s t a n z a (wie A n m . 3 6 ) , 7 6 — 8 6 , Beilage 1 / 2 . — Bereits 1 9 9 2 und 1 9 9 3 hatten wir aufgrund unserer Untersuchungen unsere Vorstellung publiziert (vgl. A n m . 9 6 ) , daß der Z e n t r a l r a u m nach den Befunden und den technischen Bedingungen nur mit einem Leichttragwerk, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber mit einer Tonröhrenkuppel eingedeckt gewesen ist, über deren Form wir allerdings vor Abschluß der Untersuchungen noch keine gesicherten

62

Hugo Brandenburg

Aber noch ein weiterer Befund kann unsere Hypothese zur Eindeckung des Zentralraumes mit einem Röhrentragwerk stützen. In den inneren, größeren Raumkompartimenten der Diagonalsektoren, die sich durch Arkaden auf den inneren Umgang der Kirche hin öffneten, haben sich Reste eines Gewölbes aus Tonröhren erhalten, die von der Forschung bisher nicht als solche erkannt worden sind oder falsch interpretiert wurden (Abb. I ) . 1 0 1 Unsere Bauuntersuchung, die sich in den vergangenen Jahren vor allem der wichtigen Frage der Eindeckung des komplizierten Raumgefüges von S. Stefano Rotondo gewidmet hat, um auch die Typologie des Baues zu klären, hat jedoch zu einer endgültigen Deutung dieser Befunde geführt, die keinen Zweifel daran läßt, daß auch diese Raumkompartimente mit einem Tonröhrentragwerk überspannt waren. So befinden sich an der heutigen Außenmauer der Kirche, die sich seit dem zwölften Jahrhundert nur noch auf den Kernbau aus dem zentralen Raum und den ersten Umgang beschränkt, während die Außenringe mit dreien der Kreuzarme aufgegeben wurden, über den Arkaden, die den inneren und den äußeren Umgang tren-

Aussagen machen konnten. In seinem 1994 posthum erschienenen Aufsatz (Conjectures [wie Anm. 5]) hat Krautheimer diesen Vorschlag aufgenommen, ohne unsere Publikationen zu nennen. Ohne die Ergebnisse der fortschreitenden Untersuchungen zu respektieren, rekonstruiert er ein Tonröhrentragwerk in Form einer Faltkuppel (Schirmkuppel), die die in den Kuppelfuß einschneidenden Fensterbögen berücksichtigt, vgl. ebd. p. 5, Abb. 7. Die von Storz und Mitarbeitern auf der Basis seiner Forschungen zu den Wölbröhrentragwerken im Rahmen unserer Untersuchung erstellten maßstabsgerechten Modelle der Tonröhrenkuppel in S. Stefano belegen jedoch, daß aufgrund der technischen und konstruktiven Bedingungen das Tragwerk die Form einer Kreissegmentkuppel ohne Stichkappen über den Fenstern gehabt hat und entsprechend auch nicht als Faltkuppel zu rekonstruieren ist. Vgl. jetzt auch den in dem von C. Conforti herausgegebenen Aufsatzband über die Kuppel erschienenen Aufsatz von Storz (vgl. Anm. 1). 101

So zuletzt von Ceschi, S. Stefano (wie Anm. 1), 70—79 und Krautheimer/Corbett, C B C R IV (wie Anm. 1), 2 2 4 f.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

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nen, in die Mauer eingetiefte ca. 50 cm hohe Bänder, in denen sich Reste von mehreren Reihen aufrechtstehender, ineinandergestecker und leicht von der Wand abgeneigter Tonröhren erhalten haben (Abb. 1; Taf. Vb). 1 0 2 Das an den Arkadenwänden des Umgangs und an den Radialwänden der Kreuzarme umlaufende Gewölbeauflager zeigt im Winkel Reste von Bogensegmenten aus teilweise noch drei ineinandergesteckten, aufrecht stehenden, mit Gips verbundenen Tonröhren, die im Steckverbund eine leichte Kehle bilden und somit den Abschluß des Kompositgewölbes in der Form eines halben vierseitigen Klostergewölbes bezeugen (Taf. Vb). 103 Nebeneinanderstehende, zur Verstärkung in doppelter Schicht ausgeführte Bögen aus Tonröhren bildeten somit das Gewölbe, das das innere, 6,50 m tiefe Raumkompartiment der Diagonalsektoren überspannend gegenüber auf der Kreissegmentmauer auflag, die dieses Raumkompartiment von dem äußeren, korridorartigen an der Umfassungsmauer der Kirche trennte. Das Gewölbe besaß also Kappen, war also eine Art Klostergewölbe über einem kreissegmentförmigen Grundriß. Die Technik der Tonröhrentragwerke erlaubte es zudem, Leichttragwerke ohne Lehrgerüste wirtschaftlich und ohne hohen Material- und Zeitaufwand aus vorgefertigten, genormten Massenbauteilen aufzubauen und gegebenenfalls in eine schon bestehende Konstruktion nachträglich einzuziehen. Tatsächlich deuten denn auch verschiedene Befunde darauf hin, daß die Klostergewölbe in den Diagonalsektoren der Kirche erst in einem zweiten Bauvorgang eingesetzt wurden: So sind die Bänder mit dem Tonröhrenauflager offensichtlich erst nachträglich sehr unregelmäßig und auch in unterschiedlicher Höhe und in unregelmäßiger Breite über den Arkaden in die Ziegelwände einge-

102

103

Brandenburg, La chiesa di S. Stefano Rotondo (wie Anm. 1), 210—217, Abb. 2 f.; Brandenburg/Storz, Zwischenbericht (I) (wie Anm. 1), 2 7 8 - 2 8 4 , Abb. 3 - 5 . Brandenburg, La chiesa di S. Stefano Rotondo (wie Anm. 1); Brandenburg/Storz, Zwischenbericht (I) (wie Anm. 1), 279.

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Hugo Brandenburg

tieft w o r d e n . 1 0 4 Z u d e m überdeckt d a s G e w ö l b e über den inneren R a u m k o m p a r t i m e n t e n der Diagonalsektoren auch bei einem flachen Profil und trotz der A b k a p p u n g an den Enden mit dem darüber zu rekonstruierenden Schutzdach die Fenster im O b e r g a d e n der R a d i a l w ä n d e der Kreuzarme (vgl. A b b . I ) . 1 0 5 D a ß die Röhrentragwerke dieser Diagonalsektoren erst in einer zweiten Phase eingezogen worden sind, belegen auch die G r a b u n g s b e f u n d e aus einigen Sondagen, die wir in den letzten beiden Jahren zu beiden Seiten der U m f a s s u n g s m a u e r der Kirche, also außerhalb und innerhalb des G e b ä u d e s des fünften J a h r hunderts, ausgeführt haben. So haben wir Teile eines die Kirche umlaufenden Kanalsystems gefunden, das der Ableitung des Regenwassers von den ausgedehnten Dachflächen der Kirche diente, d a s aber auch durch Stichkanäle, die in den Diagonalsektoren in die inneren R a u m k o m p a r t i m e n t e führten, diese entwässerte. D a diese Kanäle aber so groß dimensioniert sind, daß sie nur zur A u f n a h m e von Regenwasser gedient haben können, müssen die inneren R a u m k o m p a r t i m e n t e ursprünglich als H ö f e vorgesehen gewesen s e i n . 1 0 6 Krautheimer, C B C R IV (wie Anm. 21), 209.211, Abb. 177.179; Ceschi, S . S t e f a n o (wie Anm. 1), 118.120, Abb. 158.161 f.; Brandenburg, La chiesa di S. Stefano (wie Anm. 1), 215, Abb. 2f; Brandenburg/Storz, Zwischenbericht (I) (wie Anm. 1), 2 7 8 - 2 8 4 , Abb. 3 f.6. 1 0 5 Die schematische Rekonstruktionszeichnung bei Krautheimer, Conjectures (wie Anm. 5), 4, Abb. 1, gibt diesen Befund unrichtig wieder: Abgesehen davon, daß die Form des Gewölbes falsch wiedergegeben ist, fehlt das über dem mit Gips aufgemauerten Gewölbe zu ergänzende Schutzdach, das die Fensteröffnungen überdecken würde. Etwas später (Conjectures, 15) spricht Krautheimer allerdings davon, daß die Fenster im Zuge der Einziehung der Gewölbe geschlossen worden seien. 106 D i e s e Raumkompartimente wurden bereits von Ceschi sowie Krautheimer und Corbett als offene Höfe gedeutet. Die Auflager der Tonröhrengewölbe wurden allerdings als solche nicht erkannt und damit auch nicht das Problem der späteren Eindeckung dieser Kompartimente. Krautheimer/Corbett, C B C R IV (wie Anm. 1), ( 2 2 2 - 2 2 6 ) bes. 224, Abb. 195; Ceschi, S. Stefano (wie Anm. 1), ( 7 0 - 8 5 ) bes. 7 4 f . ; Kraut104

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

65

Wir können damit für den ursprünglichen Planentwurf der Kirche des fünften Jahrhunderts folgenden Zustand rekonstruieren: Ein gegliederter Zentralbau, bestehend aus einem kuppelüberwölbten, kreisrunden Zentralraum und einem Umgang, öffnete sich mit Arkaden in Höfe, die in einem zweiten Ring zwischen den Kreuzarmen gelegen waren (vgl. Abb. 1). In dieser Verbindung von kreisrundem Zentralbau und Kreuzbau wurde durch die in den Diagonalsektoren gelegenen Höfe die Kreuzgestalt, die dem Rundbau eingeschrieben war, besonders betont. Dieser völlig axialsymmetrisch ausgelegten Plandisposition entsprach auch die Lage der Türen, die symmetrisch zu je zweien in der Umfassungsmauer der Diagonalsektoren angebracht waren und durch die man nur über den Weg durch die Kreuzarme in das Kircheninnere gelangte. Im ganzen eine ungewöhnliche Auslegung, die auch eine Ausrichtung auf eine Apsis oder Presbyterium negierend eher einem am Reißbrett entstandenen Idealentwurf denn der Plandisposition eines Kirchengebäudes entspricht, die aber offenbar darin ihre Erklärung findet, daß sie die Kreuzgestalt des Baues und damit seine Symbolaussage besonders hervorhob. 1 0 7 Damit dürfte deutlich sein, daß auch für weitergehende symbolisch-allegorische Ausdeutungen der archi-

heimer, Success and Failure, (121 — 139) bes. 123 = Wege und Irrwege (wie A n m . 1), ( 1 0 9 — 1 3 3 )

bes. 1 1 1 . Krautheimer, Conjectures

(wie

A n m . 5 ) , 3, übernimmt jetzt die Argumente, die für eine spätere Eindeckung der Kompartimente sprechen. E r sucht die Auffassung, d a ß diese K o m p a r t i m e n t e ursprünglich H ö f e gewesen seien, mit dem Hinweis zu stützen, daß unter ihnen Zisternen gefunden w o r d e n seien. Dies trifft nicht zu, wie wir durch unsere Untersuchungen feststellen konnten: Lediglich unter dem nördlichen Diagonalsektor, unter dem heutigen Eingangsbereich, befindet sich eine Zisterne, die aber neben anderen Befunden durch die Schalungstechnik des Gewölbes erst in das Mittelalter, wahrscheinlich ins zwölfte Jahrhundert, zu datieren ist. 107

Darin findet die Auslegung der Diagonalsektoren ihre Begründung, während Krautheimer, Conjectures (wie A n m . 5 ) , 8, „the large spaces outside the cross arms in the diagonal sectors" als „liturgically sheer w a s t e " definiert, um daraus ein Argument für seine These zu gewin-

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Hugo Brandenburg

t e k t o n i s c h e n G e s t a l t v o n S. S t e f a n o R o t o n d o k e i n e m e t h o d i s c h zu rechtfertigende Basis b e s t e h t . 1 0 8 In d i e s e m u r s p r ü n g l i c h e n P l a n e n t w u r f ö f f n e t e s i c h d i e K i r c h e mit A u s n a h m e

der K r e u z a r m e

fast im g a n z e n U m k r e i s

a u ß e n . E i n e f ü r ein K i r c h e n g e b ä u d e ,

nach

d a s die G e m e i n d e

zum

G o t t e s d i e n s t des M y s t e r i u m s der E u c h a r i s t i e a u f n e h m e n sollte, völlig u n g e w ö h n l i c h e D i s p o s i t i o n . 1 0 9

Helles Licht m u ß

damit

a u c h v o n a u ß e n ü b e r d e n U m g a n g in d i e K i r c h e e i n g e d r u n g e n sein,

ganz

im

Gegensatz

zu

den

Lichtverhältnissen

in

den

N e b e n s c h i f f e n f r ü h c h r i s t l i c h e r B a s i l i k e n , die k a u m o d e r h ä u f i g n u r d u r c h indirektes L i c h t beleuchtet w a r e n . D u r c h die A r k a d e n d e s e r s t e n U m g a n g e s l a g d a s K i r c h e n i n n e r e n a c h allen Seit e n o f f e n , s o d a ß W i n d u n d W e t t e r in die K i r c h e konnten.110

eindringen

W i r dürfen daher a n n e h m e n , d a ß a m Festtag des

nen, daß der Bau als Palastaula errichtet worden sei, ebd. 11 — 15. Nach der Eindeckung verloren die Höfe allerdings an Bedeutung im Gefüge des Baues. Für den Gemeindegottesdienst hatten diese zusätzlichen Räume keine stringente funktionale Bedeutung, sie waren lediglich Bewegungsräume. 108

Anders Krautheimer, Conjectures (wie Anm. 5), 13 — 16, der allerdings mit manchen Reserven („not quite proper for a serious scholar's attention") in dem Bau kosmologische Vorstellungen Gestalt geworden sieht, und vor allem S. Ritz, Himmel, Rom o.J., passim, der in der Architektur der Kirche, ohne allerdings auf den baulichen Befund einzugehen, das Abbild des himmlischen Jerusalems der Apokalypse erkennt.

109

Brandenburg, Rez. Ceschi (wie Anm. 1), 276; ders., La chiesa di S. Stefano Rotondo (wie Anm. 1), 2 0 9 - 2 1 3 . Krautheimer, Success and Failure 124—126, Abb. 6 = Wege und Irrwege (wie Anm. 1), 111 f. und 394, Abb. 15, die in einer rekonstruierten Innenansicht gut die Fügung von H o f und überdachten Räumen zeigt. Ebd. (135 = 127) vergleicht Krautheimer dagegen die Öffnung der Höfe mit der sich in fünf Arkaden öffnenden Fassade zeitgenössischer römischer Kirchenbauten wie S. Clemente, S. Vitale, S. Giovanni e Paolo. Doch haben diese Kirchen, im Gegensatz zu S. Stefano Rotondo, das sich zudem nach allen vier Windrichtungen breit öffnet, einen vorgelegten Narthex mit einem Schutzdach, das das Innere der Kirche vor den Unbilden der Witterung schützt.

110

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

67

Protomärtyrers Stephan, am 26. Dezember, an dem sich der Bischof von Rom mit der Gesamtgemeinde zum Stationsgottesdienst in der Kirche einfand, den Witterungsbedingungen des römischen Winters entsprechend die Kirche nur bedingt für den Gottesdienst benutzbar gewesen sein wird. So wird man sich bald dazu entschlossen haben, die Höfe zu überdecken und auch ihre Wände mit Marmordekoration zu versehen, deren Reste sich noch erhalten haben. Die Kirche muß aber bereits bei der Weihung durch Papst Simplicius, der von 468 bis 483 n. Chr. Bischof von Rom war, auch mit Fußböden und Wanddekoration ausgestattet gewesen sein, da sie sonst nicht nutzbar war (vgl. Taf. IVa). So dürfte die nachträgliche Einziehung der Tonröhrentragwerke in den Hofräumen der Diagonalsektoren mit den zwei schon genannten Inschriften in Verbindung zu bringen sein, die die Anbringung von Marmorinkrustation und Mosaiken in der Kirche in den Jahren von 526 bis 5 3 0 n. Chr. unter den Päpsten Johannes I. und Felix IV. belegen. Die nachträgliche Einwölbung der Hofräume der Diagonalsektoren in einer zweiten Bauphase mußte die Ausstattung dieser Räume mit Fußboden- und Wanddekoration und Mosaiken in den Wölbezonen nach sich ziehen. Mit dieser in den zwanziger Jahren des fünften Jahrhunderts vorgenommenen nachträglichen Baumaßnahme wurde das ursprüngliche Planungskonzept der Kirche nachhaltig verändert. Der Kernbau erhielt einen zweiten Umgang, der sich auf die Diagonalsektoren zwischen den Kreuzarmen beschränkte, aber durch die breiten dreiteiligen Öffnungen zu den Kreuzarmen eine zweite kreisende Bewegung um das Zentrum ermöglichte. Die Kreuzarme verloren damit ihre ausgeprägte Selbständigkeit und wurden stärker in das Baugefüge der Kirche integriert. Der gesamte Bau verlor damit aber auch etwas von der diaphanen Durchlässigkeit, die die dünnen, von einer dicht gesetzten Fensterreihe durchbrochenen Mauerscheiben des Tamburs, die sich in die Tiefe staffelnden Kolonnaden und die reich artikulierte Gliederung im Wechsel von beschatteten und belichteten Raum-

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zonen dem von Simplicius geweihten Bau gegeben haben (vgl. Abb. 1). Für die Entwicklung durchlässiger, diaphaner Strukturen bietet die römische Architektur der Kaiserzeit in zentralisierenden Bauten die formalen Voraussetzungen, die sich im Zusammenhang der Tendenzen zur Raumerweiterung von Zentralbauten manifestieren, wie wir dies am Beispiel der sogenannten Minerva Medica gesehen haben. Voll ausgebildete transparente, zentralisierte Bauten, die bereits eine Gliederung in verschiedene Raumzonen aufweisen, zeigen aber auch schon verschiedene Gebäude der Villa Kaiser Hadrians bei Tivoli. Diese Bauten haben bereits das für den usprünglichen Entwurf von S. Stefano beschriebene durchlässige, durch Säulenstellungen artikulierte, in den Volumina auf ein überhöhtes Zentrum hin gestaffelte Raumgefüge mit seiner Fügung und Verschränkung von hellbelichteten, offenen Raumzonen und dunkleren Räumen, von Korridoren, Säulenhallen und Höfen·, die staffelnd einem zentralen, überhöhten Baukörper zugeordnet werden. Besonders eindrucksvoll findet sich diese Raumordnung, die dem Gebäude durch die abwechslungsreiche, offene Gestalt den Charakter eines Pavillons gibt, in dem Speisesaal der sogenannten Piazza d'Oro der Villa Adriana, in dem ein zentraler, allein von gegenläufig gekurvten Säulenstellungen begrenzter Raum in den Diagonalachsen von kleinen Räumen mit offenen, belichteten Nymphäen umgeben ist, während in den sich kreuzenden Hauptachsen sich wiederum offene Höfe sowie der Eingang und ein Nymphäum anschließen (vgl. Abb. 9 am linken Bildrand und Abb. 15). Der Plan des Gebäudes läßt das einfallsreiche Spiel mit gekurvten Säulenstellungen als durchlässiger Raumgrenze erkennen, dessen Möglichkeiten hier erprobt werden, und zeigt zum anderen im Wechsel von offenen und gedeckten Bereichen, von Licht- und Schattenzonen die Tendenz zur Bildung von zentralisierten, komplexen Plandispositionen mit einer Staffelung der Volumina auf ein überhöhtes, wahrscheinlich überwölbtes Zentrum hin, die sich auch sonst in der hohen Kaiserzeit in der

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

Abb. 15. Triclinium der sogenannten Piazza d'Oro, Axonometrische Rekonstruktion.

Villa Adriana,

69

Tivoli.

römischen Architektur manifestiert. 1 1 1 In einer weiteren Variante finden wir dieses Plankonzept in einem größeren Gebäude

11

Vgl. die oben Anm. 25. bereits angesprochene Aufschichtung von symmetrisch zugeordneten Raumgruppen und Volumina, die in dem zentralen, überragenden Thermensaal kulminieren, in stadtrömischen Thermenanlagen seit flavischer Zeit. Diese Staffelung der Raumgruppen und Volumina setzt sich in vielfältigen Varianten in der spätantiken und frühchristlichen Architektur in gegliederten Zentralbauten wie S. Lorenzo in Mailand aus dem Ende des vierten Jahrhunderts, S. Vitale in Ravenna aus der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts (Mango, Byzantine Architecture [wie Anm. 63], 132, Abb. 1 4 3 - 1 4 6 ) , Qasr ibn Wardan in Syrien aus dem sechsten Jahrhundert (Mango, Byzantine Architecture [wie Anm. 63], 146 f., Abb. 1 5 4 - 1 5 7 ) und letztlich in der Hagia Sophia in Konstantinopel (Mango, Byzantine Architecture [wie Anm 63], 1 0 6 - 1 2 1 , Abb. 1 1 5 - 1 2 0 ) fort.

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Hugo Brandenburg

der Villa Adriana, dessen Bestimmung nicht gesichert ist. Ein leicht oblonger, hoher, rechteckiger zentraler Raum, der an den Längsseiten wiederum von einer Säulenarkade aufgegliedert wird, ist an allen vier Seiten von Höfen umgeben, von denen drei, kleeblattartig an den Zentralraum angesetzt, von niedrigeren halbkreisförmigen Portiken umgeben sind. Die Staffelung der Volumina zu einem überragenden Zentralraum, die allseitige Öffnung des zentralen Raumes durch Säulenstellungen und Türen nach außen, die Aufgliederung im Inneren durch Arkaden in mehrere Raumzonen und die Zuordnung von Höfen in den Achsen, die mit halbkreisförmigen Portiken das höhere Zentrum rahmen und den Bau nach außen abschließen, — all dies macht deutlich, daß in diesem Bau im Keim bereits die Tendenzen angelegt sind, die zu so komplexen Strukturen wie der konstantinischen Kathedrale von Antiocheia und dem gegliederten Zentralbau von S. Stefano Rotondo geführt haben (Abb. 16). 1 1 2 Es ist in diesem Zusammenhang beachtenswert, daß Zwischenglieder fehlen, die diese transparenten und in ihrem Raumgefüge variantenreichen Strukturen der Bauten der Villa Adriana in der spätkaiserzeitlichen Architektur weiterführen. Die Bauten der Villa Adriana, die parallel zu den oben besprochenen Zentralbauten in Massivbauweise mit Coementiciumgewölben entstehen, bieten kühne, das Raumkonzept der

112

Das sogenannte Triclinium der Villa Adriana und die sogenannte Minerva Medica wurden bereits von Krautheimer (Success and Failure, [ 1 3 1 - 1 3 4 ] bes. 133 f., Abb. 1 5 - 1 7 = Wege und Irrwege [wie Anm. 1], 128 f. und 411 f. mit Abb. 2 3 - 2 6 , und Conjectures [wie Anm. 5], 11 f.) zum Vergleich für den Urbau von S. Stefano herangezogen; in dem älteren Aufsatz allerdings im Sinne einer Architekturikonologie, indem es sich hier nach seiner Auffassung um eine bewußte Übertragung kaiserlicher Architekturformen auf den christlichen Kultbau handle, der damit in der Tradition kaiserlicher Palastarchitektur stehe, in der späteren Studie aber zur Stützung seiner Theorie, daß das Gebäude ursprünglich als Palastaula konzipiert worden sei. Daß beide Auffassungen nicht zu halten sind, dürften unsere Ausführungen gezeigt haben.

Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom

Abb. 16. Sogenanntes Triclinium, Rekonstruktion.

Villa Adriana,

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Tivoli, Axonometrische

römischen Architektur verändernde Lösungen, die aber in dieser Form zunächst nicht wieder aufgenommen werden, vielleicht weil die technischen Voraussetzungen der Überwölbung solch diaphaner Gebilde bei größeren Abmessungen noch fehlten und erst durch die Entwicklung von Leichtbaugewölben, wie die sich in der Spätantike im Westen des Reiches verbreitenden Tonröhrentragwerke, möglich wurden. So beschränken sich Zentralbauten der spätkaiserzeitlichen Architektur mit Coementicium-

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Hugo Brandenburg

kuppeln wie Minerva Medica auf die Auflösung der Wand, der plastischen, in die Tiefe gestaffelten Durchbildung der Raumgrenze und der Ausbildung einer durchlässigen Stützkonstruktion, die die Kuppel trägt. Die Verwendung der neuen Wölbungstechnik der Tonröhrentragwerke erlaubte die Umsetzung des Bautypus in ein System mit einer durchlässigen Raumgliederung und einem staffelnden Aufbau der Raumkörper, der im kuppelüberdeckten Tambur kulminiert. Sie erlaubte, das System der mit hölzernem Dachstuhl gedeckten Basilika in Bautechnik und differenzierender, staffelnder Raumordnung wie in S. Stefano auf den Zentralbau zu übertragen. So ziehen die Architekten der Kirche, die wohl im kaiserlichen Auftrag ein repräsentatives und in der architektonischen Gestalt aussagefähiges Gebäude schaffen sollten, gleichsam die Summe aus der Entwicklung der römischen Architektur sowohl hinsichtlich der Auslegung und des Raumgefüges als auch der bautechnischen Voraussetzungen. Sie schaffen damit ein Meisterwerk, das ohne unmittelbare Nachfolge geblieben ist und das selbst in seiner heutigen, reduzierten Gestalt durch die Schönheit des Raumeindruckes den Besucher immer noch fasziniert (Taf. II/III und VI/VII).

ABBILDUNGS- UND TAFELÜBERSICHT Taf. I. Santo Stefano Rotondo. Die heutige, auf Zentrum, nordöstlichen Kreuzarm und ersten Umgang beschränkte Kirche von Südwesten. DAI Neg. 81.4829. Taf. II. Blick aus dem erhaltenen nordöstlichen Kreuzarm in das Innere der Kirche. Foto: Gauss. Taf. III. Blick nach Osten aus dem erhaltenen nordöstlichen Kreuzarm in den Umgang und das Zentrum. Foto: Gauss. Taf. IVa. Blick aus dem erhaltenen nordöstlichen Kreuzarm nach Osten in den Umgang und den Zentralraum. Im Vordergrund der restaurierte Marmorschmuckboden aus der Erbauungszeit der Kirche (zweites Viertel fünftes Jahrhundert). Foto: Gauss. Taf. IVb. Blick in den Tambur des Zentralraumes mit der im zwölften Jahrhundert zur Sicherung eingezogenen dreiteiligen Querarkade. Mauerrücksprung (Kuppelauflager) in Höhe der Fensterbögen. DAI Neg. 5 9 . 1 2 8 7 . Taf. Va. Mauerrücksprung (Kuppelauflager) im Tambur in Höhe des Ansatzes der Fensterbögen. DAI Neg. 81.5061. Taf. Vb. Tonröhrenband über den Arkaden der Diagonalsektoren an der heutigen Außenwand der Kirche: Auflager der nachträglich über den inneren Raumkompartimenten (ehemalige Höfe) der Diagonalsektoren (zweiter Ring) der Kirche des fünften Jahrhunderts eingezogenen Tonröhrengewölbe. Foto: Brandenburg. Taf. VI. Blick in den Umgang nach Nordosten auf die Arkaden des nordöstlichen Kreuzarmes. Foto: Gauss. Taf. VII. Blick in den Umgang nach Süden auf die Arkaden des ehemaligen südwestlichen Kreuzarmes. Foto: Gauss. Taf. Villa. Kreuzfenster in der Fassade des nordöstlichen Kreuzarmes (teilweise durch Renaissancefenster zerstört). DAI Neg. 81.4857. Taf. V l l l b . Zeichnung des Inneren der Kirche von Baidassare Peruzzi ( 1 4 8 1 / 1 5 3 6 ) , Uffizien, Sant. 161. Im Tambur ist die marmorne Wandverkleidung sichtbar. Nach Krautheimer, C B C R IV (wie Anm. 1), 2 2 4 , Abb. 196. Abb. 1. Santo Stefano Rotondo. Schematische axonometrische Rekonstruktion des Urbaues des fünften Jahrhunderts (ohne Dächer). Entwurf: H. Brandenburg/S. Storz; Zeichnung: K. Brandenburg.

74 Abb. 2. Rundkirchen von (a) Apameia (Syrien) und (b) Beth Shean (Palästina), fünftes/sechstes Jahrhundert, mit Apsis und Presbyterium. Nach Balty (wie Anm. 20), 146, Abb. 158. Abb. 3. Rotunde über dem Grab Christi, Anastasis, Jerusalem, mit der angeschlossenen Basilika. Konstantinisch, um 325. Nach Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 62, Abb. 27 (B). Abb. 4a. Mausoleum der Constantina, S. Costanza. Mitte viertes Jahrhundert. Grundriß. Nach Stettier (wie Anm. 36), Beilage 1. Abb. 4b. Mausoleum der Constantina, S. Costanza. Aufriß. Nach Stettier (wie Anm. 36), Beilage 2. Abb. 5. Oktogonaler Saal in der Domus aurea des Kaisers Nero. Mitte erstes Jahrhundert. Nach MacDonald (wie Anm. 40), Abb. 30. Abb. 6. Pantheon, hadrianisch. Grundriß. Nach Fine Licht (wie Anm. 44), 91, Abb. 98. Abb. 7. Pantheon. Aufriß. Nach Fine Licht (wie Anm. 44), 97, Abb. 105. Abb. 8a. Mausoleum in Porto (Ostia). Drittes Jahrhundert. Grundriß. Nach Testaguzza (wie Anm. 46), Abb. p. 217. Abb. 8b. Mausoleum in Porto (Ostia). Drittes Jahrhundert. Aufriß. Nach Testaguzza (wie Anm. 46), Abb. p. 217. Abb. 9. Villa Adriana, sogenannte Piazza d'Oro, Tivoli. Rechts das Vestibül. Nach MacDonald (wie Anm. 43), 96, Abb. 114. Abb. 10. Sogenannte Minerva Medica. Empfangssaal in den Licinischen Gärten, Rom. Grundriß. Nach Stettier (wie Anm. 52), Abb. 1. Abb. 11. Sogenannte Minerva Medica. Axonometrische Rekonstruktion. Nach Giovannoni, Sala termale (wie Anm. 52), Abb. 12. Abb. 12. Augusteion (Tempel), Ostia. Severisch. Nach Crema (wie Anm. 40), Abb. 685. Abb. 13. Basilica Apostolorum, Mailand. Von Ambrosius 382 errichtet. Nach Krautheimer, Early Christian Architecture (wie Anm. 20), 82, Abb. 38. Abb. 14. Rekonstruktion des Martyriums in Nyssa, Kleinasien, nach der Beschreibung Gregors von Nyssa. Um 380. Nach Mango (wie Anm. 63), 26, Abb. 24. Abb. 15. Triclinium der sogenannten Piazza d'Oro, Villa Adriana, Tivoli. Axonometrische Rekonstruktion. Nach Kähler (wie Anm. 43), Taf. 16. Abb. 16. Sogenanntes Triclinium, Villa Adriana, Tivoli. Axonometrische Rekonstruktion. Nach Kähler (wie Anm. 43), Taf. 10.

Vorankündigung

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23,0 χ 15,5 cm. XXI, 1.018 Seiten. Mit zwei Faksimiles. 1997. Leinen D M 348 - / öS 2 . 5 4 0 , - / sFr 3 1 0 , • ISBN 3-11-015079-4 Edition der umfangreichen Korrespondenz zwischen M o m m s e n und Harnack mit ausführlichen Kommentierungen. Auswertung und Erschließung von bisher unveröffentlichtem Briefwechsel und umfangreichem Archivmaterial (u.a. zur Geschichte der Kirchenväterkommission). Aus dem Inhalt: Wissenschaftspolitik in Berlin: Die Friedrich-Wilhelms-Universität - Großwissenschaft und Wissenschaftsorganisation - Die Preußische Akademie der Wissenschaften - M o m m s e n , Harnack und das »System Althoff« Die Kirchenväterkommission: Die Anfänge der Kommission - Die Griechischen Christlichen Schriftsteller - Die Prosopographia Imperii Romani saec.IV.V.VI. Der politische Professor und der Gelehrtenpolitiker: M o m m s e n und der Liberalismus - Der Fall Spahn - M o m m s e n und England - Evangelisch-soziale und gouvernementale Politik. Briefedition mit ausfuhrlichem Kommentar Habilitationsschrift. Der Autor ist Privatdozent für Alte Geschichte an der Universität M a n n h e i m .

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