Die institutionelle Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen: Eine dogmengeschichtliche Untersuchung im Lichte des Ordoliberalismus und der Neuen Institutionenökonomik [1 ed.] 9783428509973, 9783428109975

Die Herausforderungen der Globalisierung machen eine Anpassung politischer und rechtlicher Institutionen an neue gesells

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Die institutionelle Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen: Eine dogmengeschichtliche Untersuchung im Lichte des Ordoliberalismus und der Neuen Institutionenökonomik [1 ed.]
 9783428509973, 9783428109975

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M A R C EVERS

Die institutionelle Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen

Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von

Heinz Grossekettler, Münster · Bernhard Großfeld, M ü n s t e r Klaus J. H o p t , Hamburg · C h r i s t i a n K i r c h n e r , B e r l i n D i e t e r R ü c k l e , T r i e r · Reinhard H. S c h m i d t , F r a n k f u r t / M a i n

Band 47

Die institutionelle Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen Eine dogmengeschichtliche Untersuchung im Lichte des Ordoliberalismus und der Neuen Institutionenökonomik

Von Marc Evers

Duncker & Humblot · Berlin

Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbei im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: WB-Druck GmbH & Co., Rieden im Allgäu Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-10997-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ

Vorwort Herausforderungen wie die Globalisierung zeigen, daß es institutionelle Anpassungsbedarfe gibt und daß ordnungspolitisches Denken damit auch heute noch notwendig ist und weiterentwickelt werden sollte. Diese Arbeit stellt einen Versuch dar, eine moderne Argumentationsgrundlage für ordnungspolitische Gestaltungsvorschläge zu schaffen. Ziel ist es, Ansätze der heutigen Neuen Institutionenökonomik und des „traditionellen" Ordoliberalismus deutscher Prägung anhand konkreter Problemstellungen zu verbinden. Die Arbeit ist im Sommer 2001 von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Sie wäre ohne die Unterstützung Vieler nicht zustande gekommen. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Heinz Grossekettler, der mir die Anregung zu dieser Arbeit gab und mir in jeder Hinsicht hilfreich zur Seite stand und mich auch in kritischen Momenten großartig unterstützt hat. Herrn Prof. Dr. Karl-Hans Hartwig danke ich für die Zweitberichterstattung und für viele kritische Hinweise. Meinen Vorgesetzten, Herrn Prof. Dr. Wolfgang von Zwehl und Herrn Prof. Dr. Dietrich Börner, danke ich dafür, daß sie mir eine akademische Weiterentwicklung ermöglichten. Für konstruktive Kritik und fruchtbare Diskussionen während der letzten Jahre bedanke ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Finanzwissenschaft und des Prüfungsamtes der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Ganz herzlich danke ich Frau Dr. Ulrike Augustin für die Durcharbeitung des Manuskripts und für viele wertvolle Anregungen. Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, Brunhild und Franz-Josef Evers. Ohne sie hätte ich weder studieren noch promovieren können. Daher ist ihnen diese Arbeit gewidmet. Rheine, im Frühjahr 2002

Marc Evers

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung

15

I.

Erkenntnisziele der Ordnungsökonomik

II.

Erkenntnisziele der Neuen Institutionenökonomik

15 16

III. Ziel der Arbeit: Synthese

17

B. Vorbetrachtungen I.

20

Ordoliberale Ordnungstheorie

20

1. Dogmengeschichtliche Einordnung als liberale Schule 2. Dogmengeschichtliche Einordnung als institutionalistische Schule

II.

20 .

3. Verhaltensannahmen

26

4. Wesentliche Züge des ordoliberalen Programms

27

Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

31

1. Dogmengeschichtliche Einordnung

31

2. Verhaltensannahmen

32

3. Grundzüge der Konzeptionen

35

a) Ökonomische Analyse des Rechts

35

b) Neuere Kollektivgütertheorie

36

c) Prinzipal-Agent-Theorie

38

d) Neue Politische Ökonomie

41

e) Ökonomische Theorie der Verfassung

42

f) Theorie des institutionellen Wandels

43

g) Transaktionskostenökonomie ren

45

und plastische Produktionsfakto-

III. Brücken

49

1. Evolutorisches Unternehmertum

50

2. Soziokatalyse

51

IV. Zentralbegriffe

54

1. Institutionen

54

2. Organisationen

57

3. Transaktionskosten

57

4. Effizienz

59

C. Ausgewählte Problembereiche I.

23

61

Die Änderung von Randbedingungen

61

1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik

63

a) Die Ursachen institutionellen Wandels

65

b) Der Verlauf institutionellen Wandels

70

8

nsverzeichnis aa) Spontaner vs. geplanter Wandel

70

bb) Pfadabhängigkeit und Beziehungen von Institutionen

72

cc) Phasen institutionellen Wandels

77

c) Die Industrielle Revolution

81

d) Zusammenfassung

83

2. Die Sicht der Ordoliberalen a) Die Ursachen institutionellen Wandels b) Verlauf institutionellen Wandels

90

c) Deutschlands Weg zum Land der Kartelle

97

d) Zusammenfassung 3. Vergleichende Stellungnahme II.

84 85

104 105

Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

106

1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik

107

a) Anreize zu monopolistischen Strukturen

107

aa) Effizienz

107

bb) Macht

119

cc) Zusammenfassung

124

b) Folgen monopolistischer Strukturen

125

c) Konsequenzen monopolistischer Strukturen

126

d) Zusammenfassung 2. Die Sicht der Ordoliberalen a) Anreize zu monopolistischen Strukturen

131 132 133

aa) Effizienz

133

bb) Macht

139

cc) Zusammenfassung

151

b) Folgen monopolistischer Strukturen

151

c) Konsequenzen monopolistischer Strukturen

155

d) Zusammenfassung

163

3. Vergleichende Stellungnahme

164

a) Gemeinsamkeiten

164

b) Unterschiede

165

c) Fazit

169

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts 1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik

171 172

a) Ursachen und Funktionen einer Rechtsordnung

172

b) Folgen für die ökonomische Analyse des Rechts

175

c) Anwendungsbereiche aa) Ökonomische Analyse von Property-rights

176 177

bb) Ökonomische Analyse des Schadensrechts

179

cc) Ökonomische Analyse des Vertragsrechts

183

dd) Ökonomische Analyse des Patentschutzes

191

ee) Neuere Entwicklungen

193

d) Zusammenfassung

194

nsverzeichnis 2. Die Sicht der Ordoliberalen

195

a) Ursachen und Funktionen einer Rechtsordnung

195

b) Folgen für die ökonomische Analyse des Rechts

199

c) Anwendungsbereiche

201

aa) Das Verhältnis zwischen Akteuren beider Marktseiten: Anbieter und Kunde 203 bb) Das Verhältnis zwischen Akteuren der Anbieterseite I: Fusionen und Kartelle 206 cc) Das Verhältnis zwischen Akteuren der Anbieterseite Monopolisten und Außenseiter d) Zusammenfassung 3. Vergleichende Stellungnahme

II: 208 209 211

a) Gemeinsamkeiten

211

b) Unterschiede

211

c) Fazit

213

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik 1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik a) Ursachen sozialer Zielkonflikte b) Das Verhalten der am Willensbildungsprozeß Beteiligten

214 215 215 220

aa) Politiker und Wähler

221

bb) Bürokratie

227

cc) Wirtschaftliche Interessensgruppen c) Zusammenfassung 2. Die Sicht der Ordoliberalen

231 238 239

a) Ursachen der Existenz öffentlicher Machtgruppen und ihr Verhalten 239 b) Das Verhalten der am Willensbildungsprozeß Beteiligten aa) Politiker bb) Bürokratie

243

cc) Korporationen/Berufsstände

245

c) Folgen

250

d) Konsequenzen

253

e) Zusammenfassung 3. Vergleichende Stellungnahme a) Gemeinsamkeiten

V.

241 242

257 257 258

b) Unterschiede

261

c) Fazit

263

Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung . . 264 1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik

265

a) Gründe für eine Verfassung

265

b) Einstimmigkeit auf Regelebene

265

c) Das Interdependenzkostenkalkül

269

d) Senkung der Diskriminierungskosten

272

nsverzeichnis

10 e) Zusammenfassung

2. Die Sicht der Ordoliberalen

276

a) Gründe für eine Wirtschaftsverfassung

276

b) Breite Akzeptanz ökonomischer Regeln

277

c) Justiziabilität ökonomischer Regeln

279

d) Senkung der Diskriminierungskosten

280

e) Senkung der Entscheidungsfindungskosten

286

0

Zusammenfassung

288

3. Vergleichende Stellungnahme

288

a) Gemeinsamkeiten

288

b) Unterschiede

290

c) Fazit

292

D. Kritische Würdigung I. II.

275

293

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 293 Die Auffassungen der Schulen im Lichte unterschiedlicher Rahmenbedingungen 295 1. Effizienz und Macht

295

2. Der hohe Integrationsgrad der Ordoliberalen

308

III. Würdigung von Kritikpunkten im Lichte der Ergebnisse

311

E. Abschluß

314

Literaturverzeichnis

316

Stichwortverzeichnis

331

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 : Abbildung 2:

Klassifikation liberaler Schulen

22

Historische Wurzeln des Ordoliberalismus und der Neuen Institutionenökonomik

33

Abbildung 3:

Individual- und Kollektivgüter

37

Abbildung 4:

P-A-Beziehungen

40

Abbildung 5:

Einflußgrößen von Transaktionskosten

46

Abbildung 6:

Kostenbestandteile

52

Abbildung 7:

Systematik der Rahmenbedingungen

64

Abbildung 8:

Transaktionskostengründe für die Zunahme der Staatstätigkeit nach North

82

Abgeleitete unterstellte Ursachen extremer Pfadabhängigkeit

93

Abbildung 9:

Abbildung 10: Unternehmensgrößenfördernde und -hemmende reize aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik

..

Effizienzan107

Abbildung 11: Kostendegressionsvorteile in der Neuen Institutionenökonomik . 109 Abbildung 12: Kostenunterschiede bei unterschiedlichen Beschaffungsarten . . . 112 Abbildung 13: Unternehmensgrößenfördernde

und -hemmende Machtanreize

aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik

120

Abbildung 14: Wohlfahrtsverluste und -gewinne bei horizontaler Konzentration 127 Abbildung 15: Konzentrationsfördernde und -hemmende Effizienzanreize aus Sicht der Ordoliberalen 133 Abbildung 16: Konzentrationsfördernde und -hemmende Machtanreize aus Sicht der Ordoliberalen

140

Abbildung 17: Verteilung der Unsicherheit bei Konkurrenz und Monopol

144

Abbildung 18: Transaktionskosten der öffentlichen Hand

156

Abbildung 19: Indikatoren von Marktmacht

158

Abbildung 20: Zwei-Personen-Gefangenendilemma

174

Abbildung 21: Bedeutung einer Rechtsordnung für die allokative Effizienz Cease-Theorem und Hobbesschex Urzustand Abbildung 22: Regime der Gefährdungshaftung

175 181

12

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 23: Regime der Verschuldungshaftung

182

Abbildung 24: Bedeutung einer Rechtsordnung für die allokative Effizienz im Ordoliberalismus 196 Abbildung 25: Lösung eines Zwei-Personen-Gefangenendilemmas durch Sanktionierung des Regelbruchs 199 Abbildung 26: Untersuchung von Marktbeziehungen in der ordoliberalen ökonomischen Analyse des Rechts 202 Abbildung 27: Haushaltspläne ohne und mit Verhandlungen

216

Abbildung 28: Verhalten der öffentlichen Verwaltung

229

Abbildung 29: Konfliktbereinigung in Gesellschaften durch Verbände

233

Abbildung 30: Einflußgrößen auf den Gewinn von Interessengruppen

234

Abbildung 31 : Zunahme der Staatstätigkeit nach Euchen

251

Abbildung 32: Implementation des ordoliberalen Programms durch Beeinflussung des Denkens 254 Abbildung 33: Rent-seeking-Gefangenendilemma

260

Abbildung 34: Interdependenzkostenkalkül

269

Abbildung 35: Interdependenzkostenkalkül eines minoritären Mitgliedes bei heterogenen und polaren Präferenzen 271 Abbildung 36: Interdependenzkostenkalkül eines majoritären Mitgliedes bei heterogenen und polaren Präferenzen 271 Abbildung 37: Interdependenzkostenkalkül eines Mitgliedes bei heterogenen und polaren Präferenzen auf mehreren Dimensionen Abbildung 38: Regeln zur Senkung der Interdependenzkosten

272 273

Abbildung 39: Sanktionierung des Konsensbruches im Falle kleiner und großer Gruppen 288 Abbildung 40: Gleichverteilung und Polarität der Präferenzen

310

Abkürzungs- und Symbolverzeichnis A]

Gewinn aus produktiver Effizienz der Produzenten

A2

Wohlfahrtsverlust der Konsumenten

AN

Anbieter

Ba, B a b

Budgetgeraden

Bd.

Band

bspw.

beispielsweise

DIK

Diskriminierungskosten

d. V.

der Verfasser

EK

Entscheidungsfindungskosten

etc.

et cetera

F & E

Forschung und Entwicklung

GK

Grenzkosten

GN

Gesamtnutzen

Herv.d.d.V.

Hervorhebung durch den Verfasser

Herv.i.O.

Hervorhebung im Original

I I , 12, 13

Indifferenzkurven

IK

Informationskosten

INK

Interdependenzkosten

ISK

Individuelle Schadenskosten

i. w. S.

im weiteren Sinne

K'(c,m)

Grenzkosten (bei Konkurrenz, Monopol)

KMD-Konzept

Koordinationsmängel-Diagnosekonzept

KS

Kosten der Schädigung

KV

Kosten der Schadensvermeidung

max, min

maximal, minimal

MZB

marginale Zahlungsbereitschaft

Ν

Nachfrage, Nachfrager

η

Anzahl aller Individuen

NIE

Neue Institutionenökonimik

NPÖ

Neue Politische Ökonomie

Ρ

erforderliche Ja-Stimmen

ρ (c,m)

Preis (bei Konkurrenz, Monopol)

PA

Prinzipal-Agent

PK, APK(s)

Produktionskosten, Produktionskostenvorteil bei Marktbezug

q (c,m)

Ausbringung (bei Konkurrenz, Monopol)

s

Spezifitätsgrad

14

Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

SK

Soziale (Grenz)Kosten

TK, ATK(s)

Transaktionskosten, Transaktionskostenvorteil bei Marktbezug

u.U.

unter Umständen

V

Sorgfaltsniveau

Xk

Menge eines Kollektivgutes

Xp

Menge eines Privatgutes

z.B.

zum Beispiel

z.T.

zum Teil

Α. Einleitung Ι . Erkenntnisziele der Ordnungsökonomik „Globalisierung" und politische Öffnung bewirken seit 10 Jahren einen rasanten wirtschaftlichen Wandel. Drastisch sinkende Transaktions- und Transportkosten schaffen starke Marktwachstumspotentiale und eine wachsende Wettbewerbsintensität auf nationalen und internationalen Märkten. Die möglichen Reaktionen der Politik auf die neuen ökonomischen Herausforderungen werden kontrovers und lebhaft diskutiert. 1 Diese Fragen erscheinen neu, sind es im Kern jedoch nicht. Bereits vor einem halben Jahrhundert befaßten sich in Deutschland die Vertreter des Ordoliberalismus mit den gleichen Problemen. Walter Euchen, Exponent des nationalökonomischen Zweiges dieser interdisziplinären Schule, stellte seinem Werk folgende Frage voran: „Wie kann der modernen industrialisierten Wirtschaft eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung gegeben werden?" (Euchen, 1949, S. 1). Darauf suchte die Forscher- und Lehrgemeinschaft der Ordoliberalen Antworten. 2 Es ging den Ordoliberalen um die Untersuchung und Initiierung von Mechanismen, die in arbeitsteiligen, dynamischen und hochkomplexen Sozialsystemen die unzähligen individuellen Pläne im Hinblick auf die Ziele Freiheit, Wohlstand, Sicherheit und Gerechtigkeit koordinieren, 3 eine Aufgabe, die angesichts der eingangs genannten Phänomene höchst aktuell ist. 4 Diese Mechanismen werden als Ordnungen bezeichnet. Euchen definiert eine Wirtschaftsordnung als „Gesamtheit aller Formen, in denen die Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses in concreto - hier und dort, in Gegenwart und Vergangenheite - erfolgte und erfolgt." {Euchen, 1959, S. 167). In moderner Reflexion definiert Grossehettler eine Wirtschaftsordnung als diejenigen „institutionellen Regelungen im weitesten Sinne, welche

1

Vgl. etwa Diekmann (1997), S. 683 ff.; Forrester (1997); Vanberg (1999), Woll (1999), S. 79 ff.; Zoll (2000). 2 Zu Begriff und Abgrenzung des Ordoliberalismus vgl. ausführlich Grossehettler (1997) und ergänzend hierzu Lenel (1998). 3 Aismöller (1981), S. 69 f f ; Euchen (1952), S. 1 ff. 4 Zur dogmengeschichtlichen Einordnung vgl. die Abschnitte B.I.l. und B.I.2.

16

Α. Einleitung

• die Verteilung der Entscheidungskompetenzen (Handlungsrechte), • die Verteilung von Informationen und die Richtung von Informationsflüssen und die Anreizstruktur für die Wirtschaftssubjekte bestimmen." (Grossekettler, 1997, S. 39). Sie beschreibt „ . . . die Gesamtheit aller institutionellen Nebenbedingungen, welche den Entscheidungsraum der Wirtschaftssubjekte beschränken." (Grossekettler, 1989, S. 7). 5 Der Ordoliberalismus fragt danach, wie eine Wirtschaftsordnung zu gestalten ist, welche die Wirtschaftssubjekte motiviert, sich gesamtwirtschaftlich wohlfahrtssteigernd zu verhalten. Obwohl solche Fragen eigentlich zeitlos sind und gerade vor dem Hintergrund des rasanten ökonomischen Wandels der letzten Jahre an Brisanz gewinnen, wird ein zunehmender Verfall ordnungspolitischen Denkens konstatiert. 6 Besaß der Ordoliberalismus in Deutschland bis in die 60er Jahre hinein noch einen dominierenden Einfluß auf die Wirtschaftspolitik, so hat seine Wirkung auf Wissenschaft und Politik ab Mitte der 60er Jahre kontinuierlich nachgelassen.7 Zwar wird in neuerer Zeit ordoliberales Gedankengut wieder im Zusammenhang mit der Transformation der Wirtschaftsordnungen ehemaliger Ostblockstaaten nachgefragt. 8 Auch bestehen spürbare Einflüsse im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und in den Grundsätzen der Monopolkommission und des Bundeskartellamtes. Jedoch ist weder in der deutschen Wirtschaftspolitik noch in der heutigen Institutionenökonomik eine Wirkmächtigkeit ordoliberaler Ideen festzustellen. 9

I I . Erkenntnisziele der Neuen Institutionenökonomik Der sehr geringe Einfluß ordoliberalen Gedankengutes auf die heutige Institutionenökonomik verwundert, wenn man sich zum Vergleich die Erkenntnisziele der Neuen Institutionenökonomik (NIE) vergegenwärtigt. Die 5 Diese Definition greift zurück auf einen Ansatz von Neuberger, Duffy (1976), den Böhm jedoch schon im Jahre 1946 vorgedacht hat. Vgl. Böhm (1996), S. 319; Grossekettler (1997), S. 39. 6 Pies (2000a), S. 1. In normativer Hinsicht ist eine Maßnahme dann gesamtwirtschaftlich ordnungspolitisch gerechtfertigt, wenn die mit ihr verbundenen Änderungen des Rechtsrahmens (durch das Parlament oder durch Regulierungsakte der Verwaltung) mit einer Erhöhung gesamtwirtschaftlicher Effizienz korrespondieren. Vgl. auch Grossekettler (1997), S. 41. 7 Zur Entwicklung liberaler Ordnungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Fehl, Schreiter (1997), S. 219 ff.; Grossekettler (1997), S. 93 ff.; Lenel (1997), S. 85 ff.; Schlecht (1997), S. 99 ff. 8 Vgl. z.B. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 38; Schüller, Krüsselberg (1992). 9 Grossekettler (1996); ders. (1997); Monopolkommission (2000).

III. Ziel der Arbeit: Synthese

17

Modelle der NIE sind äußerst zahlreich, sie lassen sich jedoch auf drei Grundintentionen zurückführen: • Im positiven Sinne analysiert die NIE, • welche Entscheidungen eigennutzorientierte beschränkt rationale Individuen innerhalb gegebener Institutionen fällen würden (choice within rules), • wie Institutionen entstehen und sich ändern (choice of rules). • Im normativen Sinne verfolgt die NIE das Erkenntnisziel, • wünschenswerte Institutionen zur Regelung gesellschaftlicher Interaktionen zu begründen (choice of rules). 10 • Bei der weitläufigen Literatur zu dieser Forschungsrichtung lassen sich bei sehr grober Klassifikation zwei Teilrichtungen identifizieren: • eine eher einzelwirtschaftliche Richtung, welche primär das Institutionengefüge in einzelnen Unternehmen, Haushalten und Märkten untersucht und neoklassische mikroökonomische Analysen erweitert. In dieser Arbeit werden hierzu die Transaktionskostenökonomie, die Kollektivgütertheorie, die ökonomische Analyse des Rechts und die Prinzipal-Agent-Theorie gezählt. • eine eher gesamtwirtschaftliche Richtung, welche Entstehen, Wandel und Auswirkungen gesellschaftlicher Institutionen analysiert. Hierunter werden in dieser Arbeit die Ökonomische Theorie der Politik, die Verfassungsökonomik und die Theorie des institutionellen Wandels subsumiert.

I I I . Ziel der Arbeit: Synthese Speziell in Deutschland erscheint mit Blick auf mittelfristig zunehmende korporatistische Tendenzen in der Wirtschaftspolitik im Verein mit den eingangs beschriebenen Tendenzen, die unter dem Stichwort „Globalisierung" subsummiert werden, eine (Re-)Vitalisierung ordnungspolitischen Denkens äußerst wünschenswert. 11 Dazu kann die NIE das richtige Rüstzeug liefern: Ihre Sprache erlaubt zum einen die Modellierung auch komplexer ökonomischer Sachverhalte, die von der Neoklassik nicht angegangen werden konnten, 1 2 ist zum anderen jedoch leicht zu erlernen und daher populär. Auch sind beide Denkansätze hinsichtlich ihrer Erkenntnisziele durch die starke 10 Leipold (1987, 1989); Witte (1995), S. 12 ff.; Zur dogmengeschichtlichen Einordnung der NIE vgl. Abschnitt B.II. 1. 11 Grossekettler (1997), S. 94; Pies (2000a), S. 1. 12 Schumann (1992), S. 452 f. 2 Evers

Α. Einleitung

18

Betonung der Bedeutung von Institutionen für individuelle Handlungen eng verwandt. Einzelne Brücken zwischen beiden Richtungen bestehen bereits. 13 Ziel dieser dogmengeschichtlichen Arbeit ist es, in einem umfassenden und dynamischen Sinne mit dem Argumentationsgerüst der NIE zu beschreiben, wie eine Wirtschaftsordnung zu gestalten ist, welche den Wirtschaftssubjekte Anreize bietet, sich wohlfahrtssteigernd zu verhalten. Es soll folgendes gezeigt werden: • Die Ordoliberalen dachten vermutlich in ähnlichen Modellen wie die Vertreter der NIE. Ähnliches Denken bewirkt ähnlich Sprache. Daher soll gezeigt werden, daß wesentliche ordoliberale Interessensfelder inhaltliche und sprachliche Schnittstellen zur heutigen NIE aufweisen. Sie werden in der Sprache der NIE aufbereitet. • Hierdurch kann eine Erweiterung ordoliberalen Denkens gelingen. Da, wie zu zeigen sein wird, die Vertreter beider Richtungen ähnliche Verhaltensannahmen zugrunde legen und diese mit ähnlichen Denkmustern verbinden, öffnet sich dem Ordoliberalismus prinzipiell das gesamte Feld der NIE. • Aber auch die NIE kann durch diese integrierte Betrachtung gewinnen. Beide Richtungen hatten ihre jeweilige Blüte zu unterschiedlichen Zeiten. Somit wurden auch Probleme unterschiedlich gewichtet. Daher öffnen sich auf Basis gemeinsamer Grundansichten und Denkmuster auch der NIE diejenigen Bereiche, die der Ordoliberalismus detaillierter betrachtet. • Auf diese Art entsteht ein Argumentationsrüstzeug, mit dem die ordoliberale Methodik wiederbelebt werden kann: Das Auflösen vermeintlicher Zielkonflikte durch Hinweis auf Perspektiven einer Verbesserung des Niveaus aller betrachteten Ziele. 1 4 Dabei dient Abschnitt B. der inhaltlichen Vorbereitung: Die beiden Schulen werden dogmengeschichtlich eingeordnet, Annahmen und Grundzüge der Konzeptionen werden kurz vorgestellt. Anschließend werden bereits vorhandene Brücken diskutiert und Zentralbegriffe erläutert. Schwerpunkt der Arbeit ist Abschnitt C. Hier werden problemorientiert die oben gesetzten Ziele verfolgt. Diskutiert werden diejenigen Bereiche, welche den Ordoliberalen am wichtigsten erschienen: Es geht um die Reaktion auf Änderungen ökonomischer Randbedingungen, um Ursachen und 13

Grossekettler (1996), S. 309 ff.; ders (1997), S. 103 ff.; Pies (2000, 2000a); Schmidtchen (1989), S. 161 ff.; und Abschnitt B.III. 14 Eine solche Vorgehens weise bezeichnet Pies (2000 a) als „orthogonale Positionierung 44.

III. Ziel der Arbeit: Synthese

19

Folgen von Vermachtungstendenzen, um die ökonomische Analyse von Rechtsregeln, um die Untersuchung von Anreizproblemen im politisch-öffentlichen Bereich sowie um die Schaffung anreizkompatibler Regeln auf konstitutioneller Ebene. Das jeweilige Thema wird dabei zuerst aus Sicht der NIE geschildert, danach wird die entsprechende Sicht der Ordoliberalen in der Sprache der NIE aufbereitet. Eine vergleichende Stellungnahme, in der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Ansichten gegenübergestellt werden, schließt die Behandlung des Themas ab. In Abschnitt D. wird auf Grundlage der Ergebnisse von Abschnitt C. systematisch nach den Gründen für die herausgearbeiteten Unterschiede geforscht. Als Argumentationsgrundlage wird dabei zunächst eine Heuristik von North (1991, 1992), anschließend ein Erklärungsmodell von Rabushka, Shepsle (1972) und Kirsch (1997) herangezogen. Abschnitt E. faßt die wesentlichen Ergebnisse zusammen und wagt einen Ausblick. Methodisch gesehen geht es bei dieser problemorientierten Vorgehensweise nicht um „Ausschlachtung" ordoliberaler Literatur nach Inhalten, die - im Sinne einer naiven 1-zu-1-Übertragung - auch heute noch aktuell sein könnten. Es geht vielmehr darum, die Sprache, die Argumentation der Ordoliberalen herauszuarbeiten und nachzuvollziehen, um sie für das moderne Gerüst der NIE nutzbar zu machen. 15 Bezüglich der NIE-Literatur wird weniger eine mathematisch formale als eher eine verbale Präsentation gewählt. Inhaltlich gesehen werden die zahlreichen NIE-Modelle lediglich in ihren Grundformen skizziert. Bei der Darstellung der ordoliberalen Theoriewelt wird die Perspektive der Freiburger Schule dominieren. Dies empfiehlt sich auch deshalb, weil mehrere Autoren die Zusammenfassung der Freiburger und der Kölner Schule zum Ordoliberalismus i.w.S. für unzulässig haiten. 1 6

15

Vgl. auch Pies (2000a), S. 1. So halten Lange-von Kulessa, Renner (1998) die Perspektive der Kölner Schule und insbesondere Müller-Armacks für nicht vereinbar mit der Staatsauffassung, die dem Ordoliberalismus eigentlich zugrunde liegt. 16

2*

Β. Vorbetrachtungen Ι . Ordoliberale Ordnungstheorie 1. Dogmengeschichtliche Einordnung als liberale Schule Der Ordoliberalismus ist in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts als deutsche Variante des Neoliberalismus entstanden.17 Im Vergleich zu anderen liberalen Konzeptionen, dem Altliberalismus und dem Sozialliberalismus, nimmt der Ordoliberalismus hinsichtlich der verfolgten Ziele des Wettbewerbs und der an den Staat gestellten Aufgaben eine Mittelstellung ein. Hauptziel bei allen liberalen Konzeptionen ist die Freiheit als Gegenpol zum Zwang. Die Gewichtung von Freiheit und Zwang ist jedoch in den verschiedenen liberalen Schulen unterschiedlich. Die Altliberalen betonen das Freiheitsziel am stärksten. Sie glauben, daß sich in einem Wettbewerb, in welchem auf prozesspolitische Eingriffe von staatlicher Seite verzichtet wird, basierend auf den freien Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte auf evolutorischem Wege spontane Ordnungen bilden, die den Wettbewerb erhalten (Selbstbehauptungstendenz). Das freie Spiel der Kräfte garantiere die Übereinstimmung der individuellen Interessen mit dem Gemeinwohl (prästabilierte Harmonie). Dem Staat als Ausüber von Zwang komme lediglich die Aufgabe zu, Freiheitsrechte in einer Rechtsordnung zu sichern (rechtsstaatliche Aufgabe), ansonsten sich jedoch auf die Gestaltung von Einzelgesetzen, nicht Systeme von Gesetzen zu beschränken. Diese sollen dem Ideal einer Common-law-Gesellschaft mit Per-se-Verboten möglichst nahe kommen. Auch die Gestaltung eines infrastrukturellen Rahmens obliege dem Staat, da es sich für Private aufgrund des Schwarzfahrerproblems nicht lohne, solche Investitionen zu tätigen. 18 Ein derartiger Institutionenrahmen würde sich durch Adaptionsprozesse im internationalen Wettbewerb durchsetzen. Bekannte Vertreter dieser Auffassungen sind F. A. von Hayek , E. Hoppmann, G. Stigler und M. Friedman} 9 von Hayek kann darüber hinaus eine Mittlerrolle zwischen den Alt- und den Ordoliberalen zugesprochen werden: Wichtige aus seinen Arbeiten heraus17

Grossekettler (1997), S. 1. Böhm (1933), S. 101. 19 Vgl. Grossekettler (1989), S. 22 f.; ders. (1997), S. 8 f.; Partsch S. 19 ff.; von Hayek (1967), S. 11 ff. 18

(1954),

I. Ordoliberale Ordnungstheorie

21

zulesende Verhaltensannahmen finden sich auch bei originär ordoliberalen Autoren wieder. Auch publizierte er in der Zeitschrift „ORDO, Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft", dem Sprachrohr der Ordoliberalen. 20 A m anderen Ende des liberalen Kontinuums stehen die Sozialliberalen, Die Ziele der konjunkturellen Stabilität und der sozialen Sicherheit in Form von Gleichheit rangieren zwar auch für sie hinter dem Hauptziel Freiheit. Diesen Zielen messen sie jedoch eine stärkere Bedeutung bei als die anderen liberalen Schulen. Dem Staat falle die Aufgabe einer Globalsteuerung zu, 2 1 ihm werden rechtsstaatliche, leistungsstaatliche und vor allem wohlfahrtsstaatliche Funktionen zugeschrieben. Er solle jedoch nur da eingreifen, wo erwiesen sei, daß Märkte eine Aufgabe nicht besser bewerkstelligen könnten. Eine solche Ordnung wird zuweilen als „limitierter Interventionismus" bezeichnet. Als ein Stammvater des Sozialliberalismus gilt Franz Oppenheimer, die Durchsetzung sozialliberalen Gedankengutes ist eng mit dem ehemaligen Bundeswirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller verbunden. Die Ziele Stabilität, soziale Gerechtigkeit sowie Wohlstand und Wachstum sind auch Bestandteile des ordoliberalen Zielkataloges, sie werden von deren Vertretern jedoch schwächer gewichtet als von den Sozialliberalen. Beiden Richtungen ist der Glaube an eine Selbstzerstörungstendenz des Wettbewerbes gemeinsam: Es gebe dem Wettbewerb innewohnende Kräfte, welche vor allem in Form von Kartellierungs- und Monopolisierungstendenzen die Freiheit der Individuen bedrohe. 22 Daher müsse der Staat Spielregeln in Form von Prinzipien zur Sicherung der Wettbewerbsordnung schaffen. Die Prozesspolitik habe jedoch im Zweifelsfall wegen der leichteren Handhabung und höheren Rechtssicherheit allgemeiner Rechtsnormen hinter der Ordnungspolitik zurück zu stehen. Dem Staat obliegen somit rechtsstaatliche und leistungsstaatliche Aufgaben sowie die Sicherung sozialstaatlicher Belange. 23 Insofern sind die Ansprüche an das Zwangsorgan Staat bei den ordoliberalen Autoren geringer als bei den Sozialliberalen. 24

20 von Hayek lehrte von 1962 bis 1967 in Freiburg. Es ist umstritten, ob von Hayek eindeutig den Altliberalen zuzuordnen ist. Vgl. Lenel (1998), S. 543. Einen Überblick über Biographie und Lebenswerk gibt Vanberg (2000a). 21 Steuerung bedeutet Lenkung durch einseitige Befehlsketten, während man bei der Regelung mit teilautonomen Reglern und bei Zielabweichungen mit negativem Instrumenteneinsatz arbeitet. Vgl. hierzu Grossekettler (1997), S. 13. 22 Vgl. z.B. Böhm (1948), S. 197 ff.; Eucken (1948), S. 56 ff.; ders. (1952), S.53 ff.; ders. (1950), S. 3 ff.; Grossekettler (1997), S. 4; Müller-Armack (1948), S. 125 ff.; Rüstow (1949), S. 101 ff. 23 Zur Interpretation des Begriffs „Soziale Marktwirtschaft" im ursprünglichen und im modernen Sinne vgl. Grossekettler (1998). 24 Grossekettler (1997), S. 12 f.

Β. Vorbetrachtungen

22

Eine Abstufung hinsichtlich der Staatsauffassung und des Gerechtigkeitsziels erfährt die ordoliberale Schule durch die Unterscheidung zwischen der Kölner Schule und der Freiburger Schule. Während die Ordoliberalen der Freiburger Schule um Eucken und Böhm und ihre Schüler die Rolle des Staates hauptsächlich in der Sicherung individueller Freiheit sehen (individualistische ,,Bottom-up"-Perspektive), soll der Staat nach Auffassung der Vertreter der Kölner Schule um Müller-Armack und seinen Schülern die Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Ziele gewährleisten sowie für die Aussöhnung verschiedener Weltanschauungen sorgen (soziale Irenik, möglicherweise holistische ,,Top-down"-Perspektive). Daraus ergeben sich auch Unterschiede für die Bedeutung des Gerechtigkeitsziels: Die Freiburger Schule interpretiert Gerechtigkeit vor allem im Sinne von Leistungsgerechtigkeit und Chancengleichheit, die Verteilung des Sozialproduktes und Entlohnung der Produktionsfaktoren soll anhand ihrer Leistungsbeiträge erfolgen, dabei soll jedes Individuum gleiche Startchancen erhalten. 25 Demgegenüber interpretieren die Vertreter der Kölner Schule Gerechtigkeit auch in Form von Gleichheit, ohne dabei freilich den Leistungsgesichtspunkt aus den Augen zu verlieren. Als Gründungsväter der Freiburger Schule gelten Walter Eucken, Hans Großmann-Doerth und Franz Böhm, Gründungsvater der Kölner Schule ist Alfred Müller-Armack. 26Als Promotor ordoliberalen Gedankenguts kann der ehemalige Bundes wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard angesehen werden. Folgende Abbildung soll das eben Beschriebene noch einmal verdeutlichen:



Freiheit Wohlstand

0

0-1

Stabilität

0

Sicherheit

0 Altliberale

Zwang

1

>1

0-1

1

>1

0-1

1

>1

Ordoliberale

Sozialliberale

„Nichtliberale"

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 1 : Klassifikation liberaler Schulen

• „ 0 " bedeutet, der Staat darf die in Spalte 1 dargestellten Ziele nicht verfolgen, sie werden in einer reinen Freiheitsordnung „von selbst" erreicht. 25 26

Rawls (1975), S. 336; Rüstow (1949), S. 146 ff.; Witte (1995), S. 121. Grossekettler (1997), S. 21 ff.; Lange-von Kulessa, Renner (1998), S. 79 ff.

I. Ordoliberale Ordnungstheorie

23

• „ 0 - 1 " bedeutet, die Ziele werden in einer reinen Freiheitsordnung nicht immer „von selbst" erreicht. Die Wirtschaftspolitik muß Spielregeln schaffen, die dazu führen, daß dort, wo die Bildung spontaner Ordnungen nicht funktioniert und der Wettbewerb Entartungsgefahren (z.B. Monopolisierungstendenzen) unterliegt, der Wettbewerb erhalten bleibt. • „ 1 " bedeutet, der Staat muß die Ziele durch eine gesteuerte Wirtschaftspolitik verfolgen. • „>1" bedeutet, daß das Freiheitsziel nicht mehr das Hauptziel der Wirtschaftspolitik ist und der Staat die Befugnis hat, im Sinne höher gewichteter Ziele wie Wohlstand durch direkte Anordnungen die Freiheit der Individuen einzuschränken.

2. Dogmengeschichtliche Einordnung als institutionalistische Schule In diesem Abschnitt werden diejenigen Schulen skizziert, die über personelle Einflüsse die Vertreter des Ordoliberalismus in Ihren Ansichten und Denkweisen geformt haben. Schwerpunktmäßig werden hierbei die institutionalistisch geprägte Historische Schule und der Amerikanische Institutionalismus betrachtet. Die historischen Wurzeln des Ordoliberalismus liegen darüber hinaus auch in der sozialrechtlichen Richtung, der Österreichischen Schule und der Chicago-Schule. 27 Wichtige Vertreter der Österreichischen Schule (z.B. F. A. von Hayek ) und der Chicago-Schule (z.B. W. Lippmann, H. C. Simons), deren Auffassungen denen der Ordoliberalen verhältnismäßig nahekommen, können der oben bereits erörterten Schule der Altliberalen zugeordnet werden. 28 Ein starker institutionalistischer Einschlag ergab sich für die ordoliberale Schule durch ihre Verbindung zur Historischen Schule und zum amerikanischen Institutionalismus sowie durch den Juristen Böhm.29 Auf dessen Einfluß wird später noch ausführlich einzugehen sein, an dieser Stelle seien die Historische Schule und der amerikanische Institutionalismus in ihren Grundzügen skizziert. Die Historische Schule, die einen älteren und einen jüngeren Zweig aufweist (ältere/jüngere Historische Schule) strebte nach einer allumfassenden Theorie gesellschaftlicher Hergänge. 30 Zwischenziel auf diesem Wege sollte 27 Vgl. hierzu die Genealogie bei Grossekettler (1997), S. 14. Gemeint ist hier die „alte" Chicago-Schule. Der neue Zweig steht dem mikroökonomischen Zweig der NIE sehr nahe. 28 Grossekettler (1997), S. 15 f. 29 Grossekettler (1997), S. 14 ff.

Β. Vorbetrachtungen

24

ein System von Partialtheorien sein. Diese wiederum sollten anhand ausgiebiger empirischer Beobachtungen entwickelt werden. Die Statistik erlangte in diesem Zusammenhang eine sehr große Bedeutung. Basierend auf breit angelegten historischen Beobachtungen entstanden Stufentheorien: Man suchte nach Gesetzmäßigkeiten, welche im Zeitablauf immer bessere Lösungen der jeweiligen Koordinationsprobleme ermöglichen und die Menschen zu höheren Kulturgraden führen. Die Gewinnung dieser Gesetztmäßigkeiten sollte strikt auf empirischen Beobachtungen basieren. Inhaltliche Parallelen zum Ordoliberalismus ergeben sich schon aus dem gleichen Erkenntnisziel der Forschung nach einem gesellschaftlich wünschenswerten Institutionengefüge. 31 Eine personelle Brücke stellt die Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen Eucken und seinem Doktorvater Hermann Schumacher dar, einem Vertreter der jüngeren Historischen Schule. Euckens wirtschaftshistorische Kenntnisse, die er vor allem durch Schumacher erlangte und von denen er umfangreichen Gebrauch machte, 32 waren wohl eine Grundlage für seine Betonung der Wichtigkeit rechtlicher und ökonomischer Rahmenbedingungen.33 Die heutige Kritik an der Historischen Schule stützt sich weitgehend auf den Vorwurf der vermeintlichen Theorielosigkeit. 34 Hierbei wird jedoch einerseits nicht bedacht, daß eine allumfassende Theorie gerade das Ziel war, auf welches die Vertreter der Historischen Schule hinarbeiteten, welches jedoch sehr viel strenger als bei anderen Theorien anhand empirischer Beobachtungen legitimiert werden sollte. Nicht die (nicht vorhandene) Theorielosigkeit, sondern die induktive Methodik der Historischen Schule müßte einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. 35 Andererseits werden in den Stufentheorien bereits Fragen angegangen, welche vor allem der gesamtwirtschaftliche Zweig der NIE heute im Visier hat: Die Entwicklung verschiedener Wirtschaftsordnungen als Reaktion auf sich ändernde Randbedingungen. 36 30

Zur Historischen Schule vgl. Krüsselberg (1992), S. 65 f. Schumpeter und Schmölders wiesen darauf hin, daß die Historische Schule wegen ihres methodischen Versuches, vielfältigste gesellschaftliche Entwicklungen in einen theoretischen Gesamtzusammenhang zu bringen, gerade in der Erforschung von gesellschaftlichen Institutionen Einfluß hinterlassen habe. Vgl. auch Vanberg (2000), S. 7 ff. 32 Vgl. z.B. Eucken (1952), S. 26 ff. 33 Grossekettler (1997), S. 22; Hutchison (1984), S. 22. 34 Diese Kritik findet sich in der neueren Literatur (vgl. z.B. Krüsselberg (1992), S. 65 f.), aber auch schon bei Eucken und Böhm (vgl. z.B. das Geleitwort von Lutz zu Eucken's „Grundsätze" (1952), S. V I I I ff.; Böhm (1937), S. V I I ff.). 33 Ähnlich Richter (1996), S. 582, 587 ff. 36 Richter (1996, S. 573 ff.) hebt frappierende inhaltliche und sogar gedanklichverbale Ähnlichkeiten der Ausführungen Schmollers und zweier Hauptvertreter der 31

I. Ordoliberale Ordnungstheorie

25

Auch der „Ältere Institutionalismus" amerikanischer Prägung betont die Bedeutung des historischen Wandels und der statistischen Beschreibung für die Interpretation ökonomischer Vorgänge. 37 Es werden Wechselwirkung zwischen ökonomischem Handeln und institutionellem Umfeld konstatiert. Ein Wandel in der einen kann einen Wandel in der anderen Sphäre verursachen. Konflikte können den Untergang alter und die Entstehung neuer Institutionen bewirken. Der Mensch wird nicht mehr als rein nutzenmaximierender Homo oeconomicus betrachtet. Somit müßten „realistischere" Verhaltensannahmen getroffen werden. Als Basis institutioneller Ordnungen werden von J. R. Commons Rechtsordnung und Gesetze angesehen. Neben Commons, der als Bindeglied sowohl zwischen dem „Alten" Institutionalismus und der NIE, als auch über Gustav Schmoller zwischen der deutschen Historischen Schule zum „Alten Institutionalismus" angesehen werden kann, 38 werden als Gründungsväter dieser Denkschule Th. B. Vehlen, R. T. Ely und W. C. Mitchel genannt. 39 Ein direkter Einfluß der deutschen Historischen Schule, die ja wiederum Euchen beeinflußt hat, auf den „Alten Institutionalismus" wird von Schumpeter konstatiert. 40 Nicht feststellbar ist jedoch ein direkter Einfluß des „Alten Institutionalismus" auf den Ordoliberalismus, wohl aber ein indirekter Einfluß über ein gemeinsames Institutions matter-Denken. 41 Die sogenannte sozialrechtliche Richtung in der Nationalökonomie, als deren Exponent Karl Diehl angesehen werden kann, betont die hohe Bedeutung der Rechtsordnung eines Landes für dessen Ökonomie. 42 Ohne Recht herrscht ein Kampf aller gegen alle. Das Recht setzt der Wirtschaft die Normen, innerhalb derer sie sich bewegt. Wichtigstes Element einer Rechtsordnung ist die Eigentumsordnung. Recht und Wirtschaft müssen integriert und in einem dynamischen Sinne untersucht werden. Euchen, zu dessen Ansätzen er Verbindungen seines Ansatzes sieht, hat nach Diehh Ansicht die NIE, Coase und North, hervor: Seiner Meinung nach gaben sowohl Schmoller als auch Coase und North ihrer Wissenschaft dadurch eine neue Perspektive, daß sie die gleichen, jeweils neuen Fragen aufwarfen (wobei Coase und North noch einen Schritt weitergehen, indem Sie Antworten vorschlagen. Vgl. Richter (1996), S. 587.). Zu den Stufentheorien vgl. die entsprechenden Ausführungen bei Diehl (1941), hier vor allem die sehr interessante an die Strindberg- Erzählung „Die Insel der Seligen" angelehnte Einleitung. Zur Entwicklung von Wirtschaftsordnungen unter sich ändernden Randbedingungen aus der Perspektive der NIE vgl. Abschnitt C.I. 37

Vgl. hierzu Krüsselberg (1992a), S. 94 f. Grossekettler (1989), S. 28; Richter (1996), S. 567 ff. 39 Grossekettler (1989), S. 29 ff.; Hutchison (1984), S. 24 f.; Krüsselberg (1992a), S. 95. 40 Vgl. Hutchison (1984), S. 22. 41 Grossekettler (1989), S. 27. 42 Vgl. zu dieser Richtung Diehl (1941), insbs. S. 17, 19, 20, 29, 51 ff., 88, 100, 38

110.

Β. Vorbetrachtungen

26

Bedeutung des Rechts nicht nachhaltig genug gewürdigt. Lorenz von Stein zählt Diehl zu den Vorläufern der sozialrechtlichen Richtung, zu deren zeitgenössischen Mitgliedern zählt er J. R. Commons und Franz Böhm. Anhand dieser personellen wie aber auch inhaltlichen Übereinstimmungen hinsichtlich der Forderung nach der interdependenten Untersuchung von Wirtschafts- und Rechtsordnung kann eine enge Verwandtschaft der sozialrechtlichen Richtung mit dem Ordoliberalismus konstatiert werden.

3. Verhaltensannahmen Bevor das Programm der Ordoliberalen skizziert wird, werden die diesem Programm zugrundeliegenden Annahmen menschlichen Verhaltens herausgestellt, die man aus dem frühen ordoliberalen Schriftgut, vor allem aus dem Werk Euckens gewinnen kann. Im Unterschied zur Neoklassik legen die Ordoliberalen ihren Ausführungen nicht den vollständig informierten und vollständig rational handelnden Homo oeconomicus zugrunde. Bezüglich der Wahrnehmung der Umwelt glaubt Eucken, daß der Mensch nicht den gesamten Wirtschaftsprozess überblicken kann, sondern jeweils nur den Ausschnitt, welcher ihn aufgrund seiner individuellen Umwelt umgibt. Innerhalb dieser Umwelt ist, so Eucken, für ihn das Verteilungsproblem das vordringende Problem der Wirtschaftspolitik. 43 Der Mensch fragt sich: „ . . . Warum erhalte ich ein kleineres Einkommen als mein Nachbar? ..." (Eucken, 1952, S. 12). Und an anderer Stelle: „Die Umwelten des einzelnen Industriellen, Bauers, Arbeiters, Angestellten umfassen stets nur einen sehr kleinen Ausschnitt des ganzen modernen Wirtschaftsprozesses." (Eucken, 1948, S. 78 f.). Man kann aus dem Gesagten schließen, daß es dem Menschen weniger um die Maximierung seines absoluten Einkommens geht, sondern er seine Motivation daher bezieht, ein möglichst hohes Einkommen in Relation zu den ihm bekannten Einkommen zu beziehen. Ein weiterer Autor, der ordoliberalem Gedankengut zumindest nahe steht, nämlich von Hayek , ist ähnlicher Meinung. Er konstatiert, daß menschliches Wissen begrenzt sei und der Mensch nur Ausschnitte seiner Umwelt verarbeiten könne. Zusätzlich zu den eher eigennützigen Motiven sieht er jedoch auch die Möglichkeit altruistischer Verhaltensweisen. 44 Die Ordoliberalen stellen also im wesentlichen zwei Punkte heraus: • Der Mensch kann nur in der Umwelt wirken, die er aufgrund seiner begrenzten Fähigkeiten wahrnehmen kann. • In dieser Umwelt verhält er sich als Nutzenmaximierer. Seinen Nutzen mißt er anhand seiner (zur Umwelt) relativen pekuniären Situation. Altru43 44

Vgl. Eucken (1948), S. 78 f.; ders. (1952), S. 6, 11 f.; von Hayek (1948), S. 29. Vgl. von Hayek (1948), S. 29.

I. Ordoliberale Ordnungstheorie

27

istische Motive sind nicht ausgeschlossen. Der Mensch verfolgt seine Ziele jedoch mitunter auch durch opportunistische Verhaltensweisen. 45 Bei diesen Verhaltensannahmen war es nur folgerichtig, daß Schmölders (1952) forderte, die Nationalökonomie wieder auf festen Boden zu stellen. Man müsse die realitätsfernen Verhaltensannahmen der Neoklassik überdenken und sich die Erkenntnisse der Verhaltensforschung nutzbar machen. Nur wenige Jahre später tat dieses Simon (1955, 1957), auf den sich später Williamson (1990) berief.

4. Wesentliche Züge des ordoliberalen Programms Ihr Programm haben die Ordoliberalen in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt und ausführlich in den ersten Bänden des seit 1948 erscheinenden Jahrbuchs für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (ORDO) dargelegt. Es wird hier in aller Kürze in Anlehnung an Euckens „Grundsätze der Wirtschaftspolitik" (1952) skizziert. (1) Als wirtschaftspolitische Ziele werden genannt: Freiheit, Wohlstand, Sicherheit und Gerechtigkeit. 46 (2) Seit dem späten 18. Jahrhundert hat die Befreiung der Menschen von überkommenen Bindungen zu Volkswirtschaften geführt, die sich auszeichnen durch • eine immer weiter voranschreitende Industrialisierung, Technisierung, Arbeitsteilung und Spezialisierung und • eigenverantwortliche, dezentrale Planung von Angebot und Nachfrage durch die Wirtschaftssubjekte. (3) Die oben genannten Ziele können in einer komplexen Volkswirtschaft mit einem hohen Grad an Arbeitsteilung nur verwirklicht werden durch ein funktionsfähiges Preissystem: Der Preis ist der geeignete Knappheitsmesser, der eine bestmögliche Faktorallokation, eine bestmögliche Koordination der Angebots- und Nachfragemengen, die Lenkung der Investitionen in die besten Verwendungen sowie eine leistungsgerechte Faktorentlohnung sichert. In einer herrschaftsfreien Sozialordnung ist echter Leistungswettbewerb unter dem Primat der Konsumenten das Zwischenziel zur Erreichung der unter (1) genannten Ziele. 4 7 45

Böhm (1966, S. 140) nennt als Beispiele Wucher, Betrug, und unlauteren Wettbewerb. In seinem Buch „Wettbewerb und Monopolkampf 4 beschreibt er verschiedene Facetten des „Nichtleistungskampfes", vgl. Böhm (1933), S. 250 ff. 46 Vgl. Alsmöller (1981), S. 69 ff. und die dort zitierte Literatur. Zu möglichen Zielkonflikten vor allem in bezug auf die Ziele „Freiheit" auf der einen und „Sicherheit" bzw. „Gerechtigkeit" auf der anderen Seite vgl. Pies (2000a).

28

Β. Vorbetrachtungen

(4) In einem in diesem Sinne exakt arbeitenden Preissystem können die Produzenten nicht dauerhaft von Grenzkostenpreisen abweichen. Sie agieren in der Marktform der vollständigen Konkurrenz im Sinne des Ordoliberalismus. 48 (5) Im Gegensatz zur Auffassung der Vertreter des Laissez-faire glauben die Ordoliberalen, daß das Verfolgen des Eigeninteresses im Zusammenhang mit der Wahrung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht notwendigerweise zur Realisation des Gesamtinteresse führt. 49 Man darf daher nicht allein auf die Bildung spontaner Ordnungen vertrauen, die immer wieder in die Marktform der vollständigen Konkurrenz münden. Die größte Gefahr für Märkte sind Monopolisierungs- und Karteilie rung stendenzen. Da permanent Anreize zur Monopolisierung bestehen, finden bei zu großem Vertrauen auf die Bildung funktionaler spontaner Ordnungen Markttransformationen von der Form der vollständigen Konkurrenz in die Form des Monopols statt (Selbstzerstörungstendenz des Wettbewerbes). Im politisch-administrativen Bereich ist der Einfluß von Interessensgruppen auf die Wirtschaftspolitik und somit auf die Wirtschaftsordnung die größte Gefahr. Solche Gruppen handeln stets eigennützig und oft dem Gesamtwohl zuwider. Ihr Einfluß führt zu dysfunktionalem Punktualismus in der Wirtschaftspolitik und zur „Gruppenanarchie". (6) Aus (3), (4) und (5) folgt, daß Monopole und damit einhergehende Marktmacht sowie Punktualismus die Lösung des oben beschriebenen Koordinationsproblems und somit die Erreichung der unter (1) genannten Ziele gefährden und sogar unmöglich machen können. (7) Es besteht somit die Notwendigkeit • der Entscheidung für eine Ordnung im Sinne des Leistungswettbewerbes (Wettbewerbsordnung) sowie • des Schutzes der Wettbewerbsordnung vor den ihr innewohnenden Entartungstendenzen (größte Gefahren: Monopolisierung und Punktualismus unter dem Einfluß von Interessensgruppen). 50 (8) Die Erfüllung dieser Notwendigkeiten muß rechtlich abgesichert werden, da die Wettbewerbsordnung ein Kollektivgut ist: Von ihrem Nut47

Aismöller (1981), S. 69; Eucken (1949), S. 32 ff.; ders. (1952), S. 155 ff.; Miksch (1948), S. 182; von Stackelberg (1949), S. 193 ff. 48 Zur Verwendung des Begriffs „Vollständige Konkurrenz" im klassisch-statischen Modell und im Sinne der Ordoliberalen vgl. Grossekettler (1989), S. 9; ders. (1996), S. 18; Schmidt (1999), S. 6 ff. 49 Vgl. Eucken (1952), S. 26 ff. 50 Vgl. hierzu auch Grossekettler (1997), S. 4 f.

29

I. Ordoliberale Ordnungstheorie

zen, nämlich der Verwirklichung der unter (1) genannten Ziele, kann und soll letztendlich niemand ausgeschlossen werden, und die Kosten der Anwendung des Rechts auf zusätzliche Bürger sind relativ gering. Sowohl bei der Entwicklung eines in sich konsistenten und mit der Wettbewerbsordnung kompatiblen Rechtssystems als auch bei der Anwendung konkreter Rechtsregeln sollen Juristen und Ökonomen zusammenarbeiten: Das durch Ökonomen gewonnene Wissen muß durch Juristen „justiziabilisiert" werden. Die Juristen sollen anschließend dieses in Recht geronnene ökonomische Wissen in die Rechtsordnung konsistent integrieren und sowohl praktisch als auch politisch anwendbar machen. Juristen sollen sich für ökonomische und Ökonomen sich für juristische Sachverhalte interessieren. Dabei sollen Juristen, oft entgegen ihrer Vorprägung, die Wirtschaft als Terrain geregelten Kampfes, als interdependentes Entscheidungssystem und Gebiet des öffentlichen Rechtes anerkennen. 51 In dieser Zusammenarbeit ist ein System von Spielregeln zu schaffen, deren Einhaltung der Staat garantieren kann und soll (Justiziabilität) und die als Leitbilder für die Wirtschaftssubjekte und die Wirtschaftspolitik dienen können (Nachvollziehbarkeit). 52 (9) Solche Spielregeln sind die Euckenschen Prinzipien: Die konstituierenden

Prinzipien

53

(Ordnungspolitik)

Kl:

Fundamentalprinzip des umfassenden Strebens nach Konkurrenzpreisen,

K2

Primat der Preisstabilität,

K3

Offenhalten der Märkte,

K4

Bevorzugung von Privateigentum als Kompetenzzuteilungsinstrument,

K5

Wettbewerbskonforme Verwendung von Vertragsfreiheit,

K6

Vermeidung von Haftungsbeschränkungen,

K7

Vorhersehbarkeit und Stetigkeit der Wirtschaftspolitik.

Die konstituierenden Prinzipien begründen eine Entscheidung für eine Wettbewerbsordnung. Sie schaffen den institutionellen Rahmen des Wirtschaftsprozesses. (Fortsetzung

51 52 53

Grossekettler (1996), S. 309 ff.; ders. (1997), S. 80 ff. Partsch (1954), S. 19 ff. In Anlehnung an Grossekettler (1997), S. 47.

nächste Seite)

Β. Vorbetrachtungen

30 (Fortsetzung

der Tabelle) Die regulierenden

Prinzipien (Prozesspolitik)

Rl:

Eindämmung und Korrektur von Marktmacht,

R2:

Gerechtigkeitsorientierte Korrektur der Einkommensverteilung unter Berücksichtigung der Einwirkung auf die Investitionen und der Hilfe zur Selbsthilfe,

R3:

Korrektur externe Effekte,

R4:

Korrektur anormaler Angebotsreaktionen.

Die regulierenden Prinzipien beeinflussen den institutionellen Rahmen dort, wo Gefahr besteht, daß der Wettbewerbsordnung innewohnende Tendenzen diesen Rahmen dysfunktional verändern würden. Die potentiellen Ergänzungsprinzipien El:

Vermeidung des Punktualismus und Integration der Wettbewerbsordnung in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung,

E2:

Zurückhaltung bei konjunkturpolitischen Maßnahmen,

E3:

Hilfe zur Selbsthilfe. Die staatspolitischen Prinzipien

Sl:

Begrenzung der Macht von Interessensgruppen,

S2:

Subsidiaritätsprinzip bei der Übernahme neuer Aufgaben sowie Vorrang der Ablauf- vor der Prozesspolitik.

(10) Nur, wenn jede wirtschaftspolitische Maßnahme jedem von ihr tangierten Einzelprinzip genügt und auch die Entwicklung der Rechtsordnung an den Prinzipien der Wettbewerbsordnung orientiert wird, ist aufgrund der Interdependenz der Ordnungen die Verwirklichung einer Wettbewerbsordnung und somit die Erfüllung der wirtschaftspolitischen Ziele gewährleistet. Zusammenfassend ausgedrückt glauben die Ordoliberalen, daß Institutionen für das wirtschaftliche Verhalten der Menschen eine große Rolle spielen (Institutions matter), daß Selbstorganisation durch spontanes Entstehen, Ändern und Vergehen von Institutionen jedoch nicht immer zu einem institutionellen Rahmen führe, der Eigen- und Gesamtinteresse automatisch übereinstimmen lasse, sondern daß der institutionelle Rahmen in diesem Sinne bewußt zu gestalten sei. Bei einer solchen Wirtschaftspolitik seien sowohl ökonomische Anforderungen als auch die juristische Umsetzbarkeit und vor allem die Orientierung eines konsistenten Rechtssystems an der Wettbewerbsordnung zu beachten. Eine Rechtsordnung darf somit nicht aus

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

31

isoliert nebeneinanderstehenden Einzelgesetzen bestehen, sondern muß als System miteinander in Verbindung stehender Rechtsregeln gestaltet werden, welche an den Prinzipien der Wettbewerbsordnung, den Euckenschen Prinzipien auszurichten sind. 54

I I . Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik 1. Dogmengeschichtliche Einordnung Der „Alte" Institutionalismus hob als erste Denkschule die Bedeutung des institutionellen Rahmens für die Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten hervor. Die Bedeutung dieses Rahmens sowohl für die Rechtsordnung als auch für die Volkswirtschaft eines Landes stellte Commons heraus. Auf dessen Erkenntnisse können sich diejenigen Zweige der Neuen Institutionenökonomik berufen, die mit dem Begriff „Transaktionskosten" arbeiten. Deren Vertreter kritisieren jedoch an den „alten" Institutionalisten die mangelnde theoretische Fundierung ihrer Auffassungen und wollen dieses Vakuum mit den neoklassischen Theorieelementen füllen. Ihre Absicht ist es dabei, zu erklären, • wie Institutionen entstehen, sich ändern und vergehen, • welche Wirkungen Institutionen auf das wirtschaftliche Verhalten der Menschen haben. 55 Die historischen Anfänge der „ N I E " liegen weiter zurück, als es ihr Name vermuten läßt. Im Jahre 1937 betrachtete Ronald Coase in einem berühmt gewordenen Aufsatz „The Nature of the Firm" als erster Volkswirt Allokationsvorgänge innerhalb der Unternehmung. Die Unternehmung wurde erstmals nicht nur als Produktionsfunktion, sondern auch als Institution zur Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten interpretiert. Weiterhin wurde die Annahme von der Kostenlosigkeit der Inanspruchnahme des Marktes aufgehoben: Er wurde als Institution betrachtet, deren Betrieb nicht kostenfrei zu haben ist. 5 6 Die Betriebskosten eines Systems bezeichnete Arrow später als „Transaktionskosten". 57 Seit den 60er Jahren gelangten Vorgänge innerhalb der Unternehmung immer stärker in das Blickfeld der Verhaltens- und der Wirtschaftswissenschaften. Cyert und March (1963) prägten eine deskriptive Verhaltenstheorie 54

Grossekettler (1997), S. 44 ff. Leipold (1992), S. 96 f. 56 Schumann (1992), S. 434 ff.; Vanberg (2000), S. 8. 57 Arrow (1969), S. 59 ff.; Bössmann (1981), S. 667 ff.; Coase (1937), S. 331 ff.; Schumann (1992), S. 413 ff. 55

Β. Vorbetrachtungen

32

der Unternehmung, Leibenstein (1966) wich mit dem Begriff der „X-Ineffizienz" von der Annahme der Realisation der Minimalkostenkombination ab. 5 8 Seit dieser Zeit entstanden auch die für diese Arbeit wichtigen Zweige der N I E : 5 9 • Ökonomische Analyse des Rechts, • Neuere Kollektivgütertheorie, • Prinzipal-Agent-Theorie, • Neue Politische Ökonomie, • Ökonomische Theorie der Verfassung, • Theorie des institutionellen Wandels, • Transaktionskostenökonomie und Theorie plastischer Produktionsfaktoren. Die NIE ist speziell in ihrer Ausprägung als Transaktionskostenökonomie auf viele Bereiche der Beschäftigung mit dem Wirtschaftssystem „Unternehmung" angewendet worden, sie kann zurecht als Schnittstelle der Volkswirtschaftslehre mit der Betriebswirtschaftslehre angesehen werden. Die historischen Wurzeln der NIE sowie des Ordoliberalismus sollen in der nebenstehenden Abbildung noch einmal deutlich werden.

2. Verhaltensannahmen60 Bevor die für diese Arbeit wichtigsten Richtungen der NIE skizziert werden, sind die Gründe herauszustellen, warum es die NIE und ihre Teilrichtungen überhaupt gibt: Es sind die von der Neoklassik teils grundverschiedenen Verhaltensannahmen, die zu den heute dominierenden NIE-Varianten geführt haben. Richter, Furubotn (1996) haben folgende für die gesamte NIE charakteristischen Annahmen herausgestellt. 61 • Methodologischer Individualismus: Die Menschen sowie deren Präferenzen, Fähigkeiten, Ziele und Ideen sind nicht gleich. 62 Kollektive und Organisationen existieren nicht aus 58

Vgl. Cyert, March (1963); Leibenstein (1966), S. 392 ff.; Schumann (1992), S. 413 ff. 59 Vgl. auch Grossekettler (1997), S. 94; Leipold (1992), S. 96 f.; Williamson (1990). 60 Einen ausführlichen und eingehenden lehrbuchartigen Überblick geben Erlei, Leschke, Sauerland (1999) und Richter, Furubotn (1996). Schüller, Krüsselberg (1992) geben in ihrer Schriftenreihe ausführliche begriffliche Erläuterungen. Zum Lehrbuch von Erlei, Leschke, Sauerland (1999) vgl. ergänzend Breuer (1999). 61 Richter, Furubotn (1996), S. 1 ff.

3 Evers

^ I

ι:

φ j1

I

(1990), S. 2 ff.; ders. (1996), S. 3 ff.

^

, ιΠ

Österreichische Schule

*

Chicago-Schule

Rechtswissenschaft

Neoklassik

Abbildung 2: Historische Wurzeln des Ordoliberalismus und der Neuen Institutionenökonomik

(1997), S. 14; Williamson

Ordoliberalismus

φ

Sozialrechtliche Schule

Neue Institutionenökonomik

Quelle: Eigene Darstellung unter Bezug auf Grossekettler

jf

Organisationstheorie Alter Institutionalismus

]

Historische Schule

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

33

34

Β. Vorbetrachtungen

einem Selbstzweck heraus, sondern aufgrund individueller Kalküle ihrer Mitglieder. Die zuletzt genannte Annahme hat, wie Buchanan (1987) betont, bereits Knut Wicksell in seinem Buch „Finanztheoretische Untersuchungen" im Jahre 1896 herausgearbeitet. 63 • Maximierendes

Verhalten:

Jedes Individuum verfolgt die Maximierung seines eigenen Nutzens, sei er pekuniärer oder nicht-pekuniärer Art. Der Maximierungstätigkeit werden durch die bestehende institutionelle Ordnung Restriktionen auferlegt. Das Verhalten von Organisationen oder Kollektiven ist somit nur aus dem Maximierungsverhalten ihrer Mitglieder heraus zu verstehen und untersuchbar. Auch diese Annahme war eine Grundlage der Analysen von Wicksell. 64 • Individuelle

Rationalität:

Die Vertreter der Neoklassik, aber auch frühe Ansätze der NIE, z.B. in der Prinzipal-Agent-Theorie, der ökonomischen Analyse des Rechts oder im Public-Choice-Ansatz, legen menschlichem Verhalten vollständige oder vollkommene individuelle Rationalität zugrunde. Moderne Ansätze, wie z.B. der von North (1988, 1992) oder auch der von Williamson (1975, 1985) gehen davon aus, daß der Mensch nur die Informationen verarbeiten kann, die ihm gefiltert durch seine begrenzte Umwelt zugehen und die er aufgrund individueller Fähigkeiten auch verarbeiten kann. Simon (1957) und Williamson (1990) sprechen von „begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten" und „eingeschränkter Rationalität". • Opportunismus: Unter Opportunismus versteht Williamson (1975, 1985) die Eigenschaft des Menschen, sein Eigeninteresse nicht nur mit fairen Mitteln zu verfolgen. Es handelt sich um „ . . . die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List ..."(Williamson , 1985, S. 54). Die Möglichkeiten des Auftretens opportunistischer Verhaltensweisen sind so zahlreich, daß 62 Zur Diskussion um die Stabilität von Präferenzen vgl. Stigler, Becker (1977) und Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 4. 63 Vgl. Buchanan (1987), S. 244, Wicksell (1896), S. 77. Zu Knut Wicksell vgl. auch Grossekettler (1989b). 64 Vgl. Buchanan (1987), S. 245, Wicksell (1896), S. 86 f. Simon (1957, 1959, 1978, 1981) legte seinen Analysen die Annahme satisfizierenden Verhaltens zugrunde, der Mensch wolle nicht ein maximales, sondern lediglich zufriedenstellendes Niveau der Bedürfnisbefriedigung erreichen. Williamson (1990) übernimmt zwar eine andere Annahme Simons, nämlich die der eingeschränkte Rationalität, geht jedoch im folgenden von kostenminimierenden Verhalten aus (was bei gegebenen Preisen spiegelbildlich Gewinnmaximierung bedeutet), vgl. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 9 ff.; Williamson (1990), S. 34 f.

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

35

umfassende Verträge, die alle Formen von Opportunismus ausschließen, in der realen Welt prohibitiv kostspielig wären. • Es existieren Bedürfnisse, die nicht individuell, sondern nur kollektiv friedigt werden können.

be-

Bereits in der Verhaltensannahme der individuellen Rationalität ergibt sich eine Analogie zur ordoliberalen Annahme begrenzter menschlicher Fähigkeiten: Hier wie dort werden dem Menschen keine vollkommenen, sondern begrenzte Möglichkeiten zugestanden, die sich darin ausdrücken, daß sie nur einen Teil ihrer Umwelt denkend verarbeiten können. Hieraus ergibt sich das Bestreben, die gesamte Umwelt mit verschiedenen Modellen zu erklären, um so die Unsicherheit über die Umwelt und die Zukunft zu reduzieren.

3. Grundzüge der Konzeptionen Vor dem Hintergrund dieser Annahmen werden die oben genannten Zweige der NIE im folgenden kurz dargestellt. a) Ökonomische Analyse des Rechts Unter dem Begriff „Economic Analysis of Law" werden diejenigen Ansätze subsumiert, die sich mit der ökonomischen Analyse von Rechtsregeln befassen. 65 Die moderne ökonomische Analyse des Rechts entstand wie die Theorie der Property-rights größtenteils infolge des einflußreichen Coase-Artikels „The Problem of Social Cost" aus dem Jahre I960. 6 6 Eine wichtige Aussage dieser Arbeit ist als Coase-Theorem in die ökonomische Theorie eingegangen und lautet: „In einer Welt ohne Transaktionskosten spielt die Erstausstattung der Akteure mit Handlungsrechten keine Rolle. Infolge der kostenlosen Verhandel- und Übertragbarkeit dieser Rechte werden die Akteure stets auf reiner Verhandlungsbasis das allokative soziale Optimum erreichen." Die wahre Tragweite dieser Aussage ergibt sich jedoch erst, wenn man sie umgekehrt liest: „In einer Welt mit Transaktionskosten spielt die Erstaustattung der Akteure mit Handlungsrechten für das allokative Ergebnis eine entscheidende Rolle. Daher ist schon bei der Zuteilung dieser Rechte das voraussichtliche allokative Ergebnis zu berücksichtigen."

65 Vgl. Grossekettler (2000), S. 1; Schäfer, Ott (2000), S. 5 f. Eine Übersicht über den Stand der ökonomischen Analyse des Rechts gibt Kerber (2000). 66 Cooter, Ulen (2000), S. 2; Schäfer, Ott (2000), S. 5 ff.; Vanberg (2000), S. 8 f.

3*

36

Β. Vorbetrachtungen

Das Coase-Theorem ist zwar häufig, vor allem wegen der Ausblendung distributiver Wirkungen und strategischen Verhaltens kritisiert worden, ohne jedoch je im Kern angegriffen worden zu sein, da unter Modifikation der Annahmen (Annahmen der Verteilungsneutralität von Verhandlungslösungen und Ausschaltung strategischen Verhaltens) das Coase-Theorem seine weitreichende Aussagekraft behält. 67 Die Coaseschen Überlegungen waren Ausgangspunkt einer Fülle ökonomischer Analysen verschiedener Rechtssphären, z.B. des Vertragsrechts, des Schadensrechts, des Prozessrechts oder des Umweltrechts. Schon an dieser Stelle sei jedoch erwähnt, daß die Vertreter der modernen ökonomischen Analyse des Rechts auf die Ideen eines Vordenkers im deutschsprachigen Raumes hätten zurückgreifen können, vielleicht sogar müssen. Franz Böhm war in den 30er und 40er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts der juristische Kopf der Ordoliberalen und hat große Bereiche des damaligen ökonomischen Wissens in die Sprache des Rechts übertragen und so für das Recht vor allem in normativer Hinsicht fruchtbar gemacht. Die Funktionen und Hintergründe seiner ökonomische Analyse des Rechts waren sogar identisch mit den Absichten der modernen ökonomischen Analyse des Rechts, wie später gezeigt werden wird. 6 8 b) Neuere Kollektivgütertheorie Mit der Kollektivgütertheorie werden in der NIE eine Vielzahl von Phänomenen analysiert. So ist die besondere Charakteristik von Kollektivgütern, oder, wie Mancur Olson es nennt, die Logik von Kollektivgütern, in der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ) der entscheidende Grund für die Existenz und das Verhalten öffentlicher Machtgruppen. 69 Ein Kollektivgut wird im folgenden in Anlehnung an Grossekettler (1998 und 1999b) definiert als ein Gut, das mindestens eine der folgenden beiden Eigenschaften erfüllt: 7 0

67 Zur Rezeption dieses Aufsatzes vgl. etwa Fritsch, Wein, Ewers (1996), S. 104 ff.; Schäfer, Ott (2000), S. 89 ff.; Wegehenkel (1980); ausführlich zum Werk von Ronald Coase vgl. Pies (2000). 68 Zu Böhms Beitrag zu einer Ökonomischen Theorie der Gesetzgebungslehre vgl. Grossekettler (1996). 69 Vgl. z.B. Frey, Kirchgässner (1994), S. 201 ff.; Kirsch (1997), S. 148 ff. Die besonderen Charakteristika eines Kollektivgutes wurden in den 60er-Jahren von Olson in seinem Buch „The Logic of Collective Action", hier zitiert in der 1992er Auflage „Die Logik kollektiven Handelns", herausgearbeitet. Zu Mancur Olson vgl. auch Pies, Leschke (1997). 70 Die folgenden Ausführungen lehnen sich an Grossekettler (1998, 1999b) an. Vgl. auch Side ras (2000).

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

37

• Ein Individuum kann andere Individuen nicht vollständig von der Nutzung des Gutes ausschließen, da der Ausschluß mit (Exklusions-)Kosten verbunden wäre, die seinen Nutzen überkompensieren würden. • Die Nutzung des Gutes ist mit unvollständiger Rivalität verbunden. Der Nutzen eines Individuums wird also nicht auf 0 reduziert, wenn auch ein anderes Individuum das Gut nutzt. Diese Definition anhand der Klassifikationsvariablen „Grad der Verwendungsrivalität" und „Grad der privatrechtlichen Exkludierbarkeit" kann anhand einer 4-Felder-Tabelle veranschaulicht werden. Grad der privatrechtlichen Exkludierbarkeit Klubkollektivgut

Individualgut

• Wirtschaftliche Exklusion möglich

• Wirtschaftliche Exklusion möglich

• Keine Verwendungsrivalität

• Verwendungsrivalität

Prototypisches

Kollektivgut

• Wirtschaftliche Exklusion un-

Quasikollektiv gut • Wirtschaftliche Exklusion unmöglich

möglich • Keine Verwendungsrivalität

• Verwendungsrivalität

»» Grad der Verwendungsrivalität Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Grossekettler

(1998).

Abbildung 3: Individual- und Kollektivgüter

Finanzierung- und Organisationsregeln: Grossekettler (1999) hat gezeigt, wie man ausgehend von diesem Ansatz Finanzierungs- und Organisationsregeln zur Bereit- und Herstellung von Kollektivgütern ableiten kann. So lassen sich für die Klassifikationsvariable „Rivalitätsgrad" Zwischenwerte abschätzen und daraus Finanzierungsregeln ableiten. Der Rivalitätsgrad ergibt sich als Produkt der Elastizität der bereitzustellenden Menge in bezug auf zusätzliche Nutzer und der Elastizität der Kosten in bezug auf zusätzliche bereitzustellende Mengeneinheiten. Herrscht keine Rivalität, so müssen die Nutzer einen reinen Beitragstarif entrichten. Bei vollständiger Rivalität ist der Tarif ein reiner Grenzkostenpreis in Form einer Gebühr. Bei Werten des Rivalitätsgrades zwischen 0 und 1 wird ein Mischtarif aus einer Beitragsund einer Gebührenkomponente gefordert. Organisationsregeln lassen sich folgendermaßen ableiten: Die Wahl des optimalen Versorgungsverbandes ist abhängig von der Realisation zweier Prinzipien, dem Subsidiaritätsprinzip und dem Kongruenzprinzip. Das Kon-

38

Β. Vorbetrachtungen

gruenzprinzip wiederum unterteilt sich in drei Teilprinzipien, in das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz (Deckung der Kreise der Nutzer und Zahler), das Demokratieprinzip (Deckung der Kreise der Entscheidungsunterworfenen und Kontrollberechtigten) und das Prinzip der Immediatkontrolle (Dekkung der Kreise der potentiell und tatsächlich Kontrollberechtigten). Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip ist der kleinste Verbandstyp zu wählen, der a) die Realisierung des herausgearbeiteten Tarifs gewährleisten kann und b) das Kongruenzprinzip nicht verletzt. Mit „kleinster Verbandstyp" ist der Verbandstyp mit dem niedrigsten Extensionsniveau, mit der geringsten „Entfernung" vom Individuum gemeint, wobei „Entfernung" nicht regional gemeint ist, sondern als „Entfernung vom Zustand unverdünnter Eigentumsrechte". 71 Es handelt sich hier also um eine Minimierungsaufgabe unter den Nebenbedingungen der Durchsetzung des optimalen Tarifs und der Wahrung des Kongruenzprinzips. Es ist weiterhin zwischen Bereitstellung und Herstellung zu trennen. Hier ist zum einen eine Untersuchung der Produktions- und Transaktionskosten gefordert, wie sie von Williamson (1990) und in dieser Arbeit in Abschnitt C.II.l. geschildert wird. So können hochspezifische und regelmäßig wiederkehrende Investitionen, bei deren Ergebnissen eine Qualitätskontrolle wegen großer Zukunftsunsicherheiten zudem sehr schwierig ist, eine Herstellung durch die öffentliche Verwaltung lohnend machen, während eher unspezifische und punktuell vorzunehmende Tätigkeiten, deren Ergebnisse gut meßbar sind, aufgrund von Massenproduktionsvorteilen von externen Spezialisten billiger erledigt werden können. Zum anderen sind auch Verfahrenspräferenzkosten ins Kalkül zu ziehen: Diese Kosten spiegeln fiktive Prämien wieder, welche die Bürger bei privater Erstellung des Gutes zur Versicherung gegen Wagnisse zahlen würden. Solche Prämien wären z.B. im Falle der Erstellung des Gutes „Recht und Ordnung" durch eine Privatpolizei wegen der Gefahr der Ausnutzens dieser Macht zu privaten Zwekken und der damit zusammenhängenden unkalkulierbaren Risiken prohibitiv hoch, so daß die Erstellung dieses Gutes durch einen dem öffentlichen Recht unterworfenen Staat ökonomisch sinnvoll erscheint. 72 c) Prinzipal-Agent-Theorie Ausgangspunkt der Prinzipal-Agent-Theorie (P-A-Theorie) ist die Überlegung, daß wirtschaftliche Akteure Teile komplexer Aufgaben unter den 71 Grossekettler (1999) definiert das Extensionsniveau zum einen als Finanzierungskompetenz eines Verbandes im Sinne seiner gegenüber seinen Mitgliedern gegebenen Möglichkeiten zur Kostenumlage und zum anderen als Grad der Verdünnung von Eigentumsrechten. Vgl. Grossekettler (1999), S. 543. 72 Vgl. im einzelnen Grossekettler (1999), S. 532 ff.

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

39

Knappheitsbedingungen begrenzter Zeit, begrenzter Ressourcen und positiver Informationskosten an Beauftragte delegieren. Der Auftraggeber wird dabei als Prinzipal, der Auftragnehmer als Agent bezeichnet. Unter der obigen Annahme eigennützigen Verhaltens und des Auftretens exogener Zufallsereignisse entstehen aus einer solchen P-A-Beziehung Kosten, die zusammenfassend als Agenturkosten bezeichnet werden. 73 Bestandteile der Agenturkosten sind: (1) Überwachungskosten des Prinzipals, (2) Kautionsausgaben des Agenten, (3) Residualverlust. Ad (1) Überwachungskosten des Prinzipals: Eine vollständige Kontrolle des Agenten ist aufgrund positiver Informationskosten nicht möglich. Daher muß der Prinzipal ein Anreizsystem schaffen, welches den Agenten motiviert, so zu handeln, daß das Ergebnis seiner Handlungen für den Prinzipal zu möglichst hohen Gewinnen führt. Auch muß er Ressourcen für direkte Überwachungstätigkeiten einsetzen. Ad (2) Kautionsausgaben des Agenten: Kautionsausgaben des Agenten haben eine Garantiefunktion in dem Sinne, daß der Agent bestimmte für den Prinzipal schädliche Handlungen unterläßt bzw., daß der Prinzipal bei Vornahme solcher Handlungen kompensiert wird. Ad (3) Residualverlust: Der Residual veri ust bezeichnet die Gewinndifferenz zwischen der besten Lösung in einer „klassischen" Welt und der Lösung in einer Welt mit positiven Informationskosten. Das Agenturproblem besteht für den Prinzipal darin, eine solche Anreizstruktur zu schaffen, daß dieser Verlust möglichst gering gehalten wird. 7 4 In der Realität sind eine Vielzahl von P-A-Beziehungen auszumachen. Erlei, Leschke, Sauerland (1999) geben folgende Beispiele:

73

Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 74 ff. Jensen, Meckling (1976), S. 308; Richter, Furubotn (1996), S. 166 f.; Schumann (1992), S. 456 f. 74

Β. Vorbetrachtungen

40

Agent

Prinzipal Vorgesetzter

Arbeitnehmer

Kreditgeber

Aktionär, Management

Vermieter

Mieter

Wähler

Politiker

Politiker

Bürokrat

Monitor

Team-Mitglied

Quelle: Darstellung in enger Anlehnung an Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 75.

Abbildung 4: P-A-Beziehungen

P-A-Beziehungen können nach Arrow (1985) danach modelliert werden, ob es sich um ein Problem versteckter Aktion oder versteckter Information handelt. Um ein Problem versteckter Aktion handelt es sich, wenn nach Vertragsabschluß die Tätigkeit des Agenten (z.B. Arbeitsintensität eines Team-Mitglieds) nicht oder nur unter Hinnahme hoher Überwachungskosten beobachtet werden kann. Ein Problem versteckter Information liegt vor, wenn der Agent Beobachtungen macht, die dem Prinzipal verborgen bleiben und die er dem Prinzipal aus Eigennutzgründen verschweigt. 75 Man kann innerhalb der P-A-Literatur unterschieden zwischen einer eher formalen und einer eher verbalen P-A-Theorie. Die formalen Ansätze untersuchen das Maximierungsverhalten von Prinzipalen und Agenten mathematisch und sind streng mikroökonomisch fundiert, während die eher verbalerklärenden Ansätze ohne ausdrückliche mikroökonomische Fundierung und im allgemeinen nicht-mathematisch die Funktionsweisen von Überwachungssystemen untersuchen. 76 In der Rezeption dieser Richtungen wird anerkannt, daß die P-A-Theorie die Nationalökonomie als Wissenschaft für die Analyse vieler in der Realität vorzufindenden Organisationsformen geöffnet hat. 7 7 Sowohl die Annahmen als auch die Ergebnisse der mathematisch-formalen Arbeiten sehen sich jedoch starker Kritik ausgesetzt. So monieren Richter, Furubotn (1996) die Annahme der vollkommenen Voraussicht nach Vertragsabschluß in diesen Modellen. Sie kritisieren weiter eine Inkonsistenz in den Modellannahmen, nämlich die, daß ineinigen Punkten unvollkommene Information besteht, in den übrigen Punkten jedoch vollkommene Information (Problem des „blinden Flecks"). Oft wird den Akteu75 76 77

Arrow (1985), S. 38; Richter, Furubotn (1996), S. 163. Richten Furubotn (1996), S. 166. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 165 f.

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

41

ren vollkommene Rationalität unterstellt. Auch ist die prognostische Qualität der formalen Modelle fraglich, da durch Variation der Informationstechnik in den Modellen sich praktisch jedes Anreizschema herstellen läßt. 78 Ferner sind die Anreizschemata in der Realität weit weniger kompliziert als in der formalen P-A-Theorie. 79 Es ist jedoch gerade Zeichen wichtiger Zweige der NIE und des Ordoliberalismus, daß man zwar unter Verzicht auf komplette mathematische Fundierung, aber unter enormen Zugewinn an Analysemöglichkeiten einen großen Erkenntniszuwachs anzustreben versucht. So ist es nicht verwunderlich, daß Richter, Furubotn (1996) die nicht-mathematischen Ansätze als wesentlich gehaltvoller für die Analyse von Institutionen erachten. 80 Auch in dieser Arbeit werden ausschließlich verbal-erklärende Ansätze zur Anwendung kommen. d) Neue Politische

Ökonomie 81

Nimmt man gemäß der Annahme des methodologischen Individualismus an, daß das Handeln von Kollektiven letztendlich auf die Nutzenmaximierungskalküle ihrer Mitglieder zurückzuführen ist, so liegt es nahe, die im politische Prozess beteiligten Gruppen abseits von der Annahme allwissender und wohlwollender Diktatoren zu modellieren. Grundsteine zu dieser Neuen Politischen Ökonomie wurden Ende der 50er Jahre und Anfang der 60er Jahre gelegt. Schumpeter (1946) und Downs (1957) verglichen den Wettbewerb in der Politik mit dem Wettbewerb im Markt: Die Parteien sind Anbieter von Programmen, die Wähler als Nachfrager bewerten die Programme und wählen in rationalen Wählerentscheidungen diejenige Partei, deren Programm für sie den höchsten Nutzen bringt. Bei Annahme eines „Links-Rechts-Raumes" für Programme und symmetrischer eingipfliger Verteilung der Wählerpräferenzen in diesem Raum sind es die Präferenzen des Medianwählers, die sich letztendlich durchsetzen werden. 82 Arrow (1951) wies darauf hin, daß die Wählerpräferenzen nicht widerspruchsfrei zu aggregieren sind. Daher sind im politischen Willensbildungsprozess Zielkonflikte zu lösen. Olson (1991, 1992) entwickelte eine Theorie der Bildung und Auswirkungen von Interessensgruppen auf das wirtschaftliche Wachstum in Demo78 Dies gilt jedoch auch für diejenigen verbal präsentierten Ansätze, die schlecht operationalisierbare Begriffe verwenden. 79 Vgl. hierzu auch Schumann (1992), S. 457 f., Richter, Furubotn (1996), S. 166 ff., 241 f. 80 Richter, Furubotn (1996), S. 166. 81 Die Ausführungen dieses Abschnitts lehnen sich, wenn nicht anders gekennzeichnet, an Frey (1991) an. 82 Vgl. auch Kirsch (1997), S. 184 ff.; Rattinger (1980), S. 19 ff.

Β. Vorbetrachtungen

42

kratien. Er kommt zu dem Schluß, daß relativ kleine und gut organisierte Gruppen einen starken Einfluß ausüben können und Verteilungskämpfe zu Lasten relativ großer und unorganisierter Gruppen gehen. So kann es, nach Olson, sogar zum Niedergang von Nationen kommen. Diese Gefahr wird von Becker (1996, 1996a) durch die Annahme funktionierenden Wettbewerbs zwischen Interessensgruppen um ein begrenztes Budget relativiert. Das Verhalten von privaten und öffentlichen Verwaltungsangestellten (Bürokraten) analysiert Niskanen (1971, 1978). Im Sinne einer Nutzenmaximierung, die mit Prestige-, Macht-, und Einkommensmaximierung korreliert ist, verfolgen Bürokraten annahmegemäß die Maximierung des ihnen zugewiesenen Budgets. Hierdurch können erhebliche Ineffizienzen in der privaten und vor allem öffentlichen Verwaltung resultieren. Die Weiterentwicklung der Neuen Politischen Ökonomie hat vor allem zu einer internationalen Theorie der Politik geführt und zu einer Theorie des Kampfes um Renten. Renten kommen in dieser Theorie durch Monopolpositionen zustande. Sie werden durch politische Anbieter gewährt, damit diese sich ihrerseits der Unterstützung mächtiger Interessensgruppen bedienen können. Diese Kämpfe um Renten sind reine Verteilungskämpfe, sie gehen zu Lasten der großen und schlecht- bzw. unorganisierten Gruppen. 83 e) Ökonomische Theorie der Verfassung Die Ökonomische Theorie der Verfassung kann man im weiteren Sinne auch als Gegenstand der Neuen Politischen Ökonomie betrachten. Ihren Vertretern geht es um die Erforschung, die Wahl und die Gestaltung von Regeln des menschlichen Zusammenlebens (choice of rules). Ausgangspunkt ist die Interpretation eines Kollektivs als Zusammenschluß mehrerer Personen mit dem Zweck, gemeinsame Ziele zu erreichen. Es sind Regeln zu schaffen (1) über die kollektiven Ziele, die Wege dorthin und die Verteilung der Erträge, (2) über den Prozess der kollektiven Einigung. Ad (1) Regeln über kollektive Ziele, die Wege dorthin die Verteilung der Erträge: Da Einzelbeiträge zur Gesamtleistung oft nur sehr schwer meßbar sind, bestehen je nach Beschaffenheit von Verfassungsregeln für die Individuen verschieden starke Anreize, eine möglichst geringe Eigenleistung in die Gemeinschaft einzubringen. Dem steht der Wunsch nach einem möglichst großen Anteil an der Gesamtleistung gegenüber. Somit besteht die Gefahr der Bereicherung zu Lasten des Kollektivs. Ein Beispiel hierfür ist 83

Einen Überblick zur Theorie der Rentensuche liefert Tollison (1982).

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

43

waghalsiges oder gar betrügerisches Verhalten in einer Versicherungsgemeinschaft (moral hazard) mit den Folgen steigender Kosten beim Versicherungsgeber und steigender Beiträge bei Versicherungsnehmern. Auch die Teamproduktion (die in Abschnitt B.IV.3. kurz erläutert wird) ließe sich hier anführen. Ad (2) Regeln über den Prozess der kollektiven Einigung: Diese Regeln sind im Hinblick auf die mit dem jeweiligen Entscheidungsprozess verbundenen Kosten zu untersuchen. Dieses sind in der Sprache von Buchanan und Tullock (1962) externe Kosten der nicht an der Abstimmung Beteiligten und Entscheidungsfindungskosten. Als Extrempole eines Kontinuums der Entscheidungsfindung seien die Einstimmigkeitsregel und die Diktatur betrachtet. Bei Gültigkeit der Einstimmigkeitsregel sind die externen Kosten der nicht an der Abstimmung Beteiligten minimal, die Entscheidungsfindungskosten jedoch maximal. Bewegt man sich im Abstimmungskontinuum auf den Gegenpol der Diktatur zu, so sinken die Entscheidungsfindungskosten und steigen die externen Kosten der von der Abstimmung Ausgeschlossenen. Es ist diejenige Entscheidungsregel zu wählen, bei der die Summe beider Kostenkurven, die Interdependenzkosten, ein Minimum annehmen. Die Richtung der Constitutional Economics wurde maßgeblich von J. M. Buchanan inspiriert, der stark von den Arbeiten Wickseils beeinflußt ist. Weitere Vertreter sind Tullock und Eschenburg. Buchanan und Tullock haben mit ihrem Werk „The Calculus of Consent" aus dem Jahre 1962 einen wesentlichen Einfluß auf diese Forschungsrichtung ausgeübt. Auf eine starke Verwandtschaft zum Ordoliberalismus hat Vanberg (1988) hingewiesen. So haben beide Richtungen bei der Betrachtung von Vorgängen in Sozialsystemen eine betont regelorientierte Perspektive, der institutionelle Rahmen sei bestimmend für das Verhalten der Menschen. Einen wichtigen Unterschied sieht er jedoch darin, daß die Vertreter der Constitutional Economics sich mehr mit der Begrenzung der Macht von Parteien und Verbänden, also des Staates beschäftigen, während die Ordoliberalen schwerpunktmäßig auf das Zähmen privater Macht abstellen, wohl auch durch ihre Erfahrungen mit der Wirtschaftspolitik der Weimarer Republik und dem Dritten Reich erklärbar. 84 f) Theorie des institutionellen

Wandels

Auch bei der Theorie des institutionellen Wandels werden Anreize für die Individuen untersucht, sich auf gemeinsame Normen zu einigen, sie zu befolgen oder abzulehnen. Der institutionelle Rahmen kann sich dabei entweder spontan fortentwickeln oder Ergebnis bewußter Planung sein. 84

Grossekettler

(1989), S. 30; Vanberg (1988), 21 ff.

44

Β. Vorbetrachtungen

Beide Entwicklungsarten haben mit Problemen zu kämpfen. Bei bewußter Planung besteht das Problem des Gefangenendilemmas: Regeln sind Kollektivgüter. Die Vorteilhaftigkeit von Regeln nimmt man gern in Anspruch, solange man darauf vertrauen kann, daß die anderen die Regeln beachten. Man selber befolgt die Regel jedoch nicht und befreit sich so von deren persönlichen Nachteilen. Eine spontane Evolution wird um so schwieriger, je größer die Gruppe wird, je weniger wiederholbar eine Entscheidungssituation ist und je weniger Informationen die Akteure übereinander haben. Die Erwartungsbildung und mit ihr das Koordinationsproblem werden schwieriger. 85 Hier sind politische Unternehmer gefragt, die durch innere Selektion (Zwang durch den Staat) oder äußere Selektion (Eigentumsrechte) den institutionellen Wandel bewerkstelligen. Staat und Eigentumsrechte sind die zentralen Institutionen in der Theorie des institutionellen Wandels. Hauptvertreter dieser Richtung ist D. C. North* 6 Er ist der Auffassung, daß zum einen das Machtsicherungsinteresse der Herrschenden ein wichtiger Grund für die Fortdauer ineffizienter Eigentumsrechte ist: Machtsicherung ist sehr teuer, äußere Rivalen werden mit militärischen Mitteln abgeschreckt, loyales Verhalten innerer Rivalen durch hohe Einkommen und Privilegien erkauft. Revolutionen sind wegen der hohen individuellen Kosten der Revolutionäre und ihres Kollektivgutcharakters selten. Zum anderen kommen bei der Entwicklung eines institutionellen Rahmens erhebliche Pfadabhängigkeiten zum tragen: Vor allem über Jahrhunderte entwickelte formlose Beschränkungen reduzieren die Unsicherheit und sind somit sehr zäh, unabhängig davon, ob sie auch effizient sind. Die Theorie des institutionellen Wandels hat mit dem Ordoliberalismus die Forderung und den Versuch einer ökonomisch fundierten theoretischen Durchdringung geschichtlicher Vorgänge gemeinsam. Eine personelle Brücke besteht in den Beiträgen F. A. von Hayeks , der sich sehr früh mit dem Unterschied zwischen spontaner Evolution und bewußter Planung befaßt hat und den Ordoliberalen nahestand.87 Während die Ordoliberalen jedoch auch Wechselwirkungen der Wirtschaftsordnung mit der Rechtsordnung und der Staatsordnung untersuchen, sind North's Erklärungsansätze fast ausschließlich ökonomischer Natur. 88

85

North (1992), S. 13 ff. Als Hauptwerke dieser Richtung können Norths Werke „Theorie des institutionellen Wandels" und „Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung" angesehen werden. 87 Vgl. z.B. von Hayek (1948), S. 24 ff. 88 Vgl. auch Leipold (1992a), S. 99. 86

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

g) Transaktionskostenökonomie Produktionsfaktoren

45

und plastische

Die bisherige Darstellung wichtiger Zweige der NIE hat zum einen gezeigt, daß, neoklassischer Tradition folgend, versucht wird, menschliche Verhaltensweisen mit Kosten-Nutzen-Kategorien zu erklären. Zum anderen spielen bei der Kosten-Kategorie die Transaktionskosten eine gewichtige Rolle. Die Offenheit der NIE zeigt sich dabei schon ich den Ansichten der Autoren darüber, was eigentlich unter Transaktionskosten zu verstehen ist. In diesem Abschnitt wird die Definition von Grossekettler vorgestellt. Abschnitt B.IV.3. befaßt sich mit weiteren Interpretationen des Transaktionskostenbegriffs. Der Ansatz von Grossekettler

läßt sich wie folgt skizzieren:

(1) Ein Gut kann zum einen durch sein sachliches Nutzenstiftungspotential (Qualität) definiert werden und zum anderen durch Ort und Zeit seiner Lieferung. (2) Kosten sind allgemein definiert als Nutzenverzicht, mithin als Faktorverzehr. (3) Die Entlohnung desjenigen Faktorverzehrs, der beim Hersteller durch Verarbeitung (Produktionskosten) und beim Handel durch den Transport (Distributionskosten) anfällt, wird unter dem Begriff „Haupt- bzw. Transformationskosten" subsumiert. Das Ergebnis dieses Faktorverzehrs ist quasi im Gut physisch gespeichert und wechselt bei Auslieferung der Ware in den Verfügungsbereich des Käufers. (4) Die Transaktionskosten umfassen denjenigen Faktorverzehr, der aufgrund des unvollständigen Informationsstandes der Beteiligten entsteht und nicht in der Ware selbst gespeichert ist, sondern als Nebenkosten von Transaktionen dem Zustandekommen und der vertragsgerechten Absicherung von Transaktionen dient. (5) Daraus ergibt sich folgende Transaktionskostendefinition: „Transaktionskosten sind jene Nebenkosten des Erwerbs von Verfügungsrechten über ein Gut, die wie etwa Such- oder Prüfkosten auf Märkten oder Überwachungskosten in Organisationen die Konsumreife des Gutes weder dadurch erhöhen, daß sie als produktionsbedingter Faktorverzehr im Endprodukt gespeichert werden, noch dadurch, daß sie als distributionsbedingter Faktorverzehr von Ort und Zeit der Lieferung abhängen; im Unterschied zu den Hauptkosten - den Transformationskosten, die als Produktionskosten der Hersteller oder Distributionskosten des Handels anfallen - dient der so bezeichnete Faktorverzehr dem Zustandekommen und der inhaltlichen Ausführung von Verträgen

Β. Vorbetrachtungen

46

und würde in einer Welt vollkommener Information entfallen." (Grossekettler, 1997, S. 105.). Einflußgrößen auf Transaktionskosten sind in der folgenden Abbildung dargestellt, sie werden anschließend in Anlehnung an die Governance-Richtung von Williamson diskutiert. Einfluß

Kategorie

Wirkung

Menschliche Faktoren

• beschränkte Rationalität

positiv

(Verhaltensannahmen)

• Opportunismus • als Folge:

positiv

Informationsasymmetrien Spezifische Faktoren

Umweltfaktoren (politisch-rechtliche Rahmenbedingungen)

• Faktorspezifität

positiv

• Häufigkeit • Inhaltsunsicherheit

negativ positiv

• Abschlußunsicherheit • Anzahl potentieller

negativ

positiv

Vertragspartner

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schüller, Krüsselberg

(1992), S. 105 f.

Abbildung 5: Einflußgrößen von Transaktionskosten

Unter Abschlußunsicherheit wird hier die Unsicherheit darüber verstanden, ob überhaupt ein Vertragsabschluß zustande kommt bzw. ob überhaupt ein Vertragspartner gefunden werden kann. Inhaltsunsicherheit meint die Unsicherheit über den Gegenstand eines abzuschließenden oder bereits abgeschlossenen Vertrages, also über Verhandlungsausgänge mit einem bereits gefundenen potentiellen Geschäftspartner. 89 Allgemein gilt, daß je höher der Ertrag der gegenwärtigen Verwendung den der nächstbesten Verwendung übersteigt (Quasi-Rente), je größer die Unsicherheit und je größer die Gefahr eines opportunistischen Raubes der Quasi-Rente (Hold-Up) ist, desto teurer auch die rechtliche Absicherung und Kontrolle der Vertragserfüllung ist. Umgekehrt sinken die Transaktionskosten mit steigender Häufig89 Die Begriffe „Abschlußunsicherheit" und „Inhaltsunsicherheit" finden sich in diesem Kontext nicht in der Literatur. Sie ergeben sich jedoch aus den Ausführungen in Schüller, Krüsselberg (1992) und werden hier als Arbeitsbegriffe weiter verwendet. Williamson (1990, 1996) erweitert eine von Koopmans stammende Kategorisierung in primärer und sekundärer Unsicherheit um die Komponente der Verhaltensunsicherheit, welche sich aus der Möglichkeit opportunistischer Verhaltensweisen ergibt.

II. Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik

47

keit und somit sinkendem individuellen nachträglichen Anpassungsbedarf von Verträgen. Ein weiterer zentraler Gegenstand ist die Untersuchung von Vertragsausgestaltungen. Ein Vertrag ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft in beiderseitigem Einverständnis. In der Transaktionskostenökonomie wird zwischen bilateralen Verträgen und relationalen Verträgen unterschieden. Bilaterale Verträge werden jeweils zwischen zwei Individuen auf einem Markt über jeweils eine Leistung geschlossen. Die in der Klassik vorausgesetzten klassischen Verträge sind bilaterale Verträge, bei denen Leistung und Gegenleistung sowie Vertragsbeginn und -ende ex ante exakt festgelegt sind. 90 In einer Welt mit Transaktionskosten wäre der fortwährende Abschluß von bilateralen Verträgen wegen opportunistischen Verhaltens und Unsicherheiten mit hohen Such-, Abschluß- und Kontrollkosten verbunden. Bei Konflikten müßten öffentliche Gerichte eingeschaltet werden. Eine solche Lösung ist wiederum mit hohen Transaktionskosten verbunden, da die Richter nicht von vornherein über den Streitgegenstand und seine Hintergründe informiert sind und die Anwälte einem großen Anreiz zu opportunistischem Verhalten unterliegen (Court Ordering). Somit besteht ein Anreiz zum Abschluß zeitraumbezogener relationaler Verträge. Es werden nicht alle Details geregelt, sondern nur die Beziehungen der Vertragspartner zueinander (unvollständige Verträge), für Faktorleistungen wird ein fixes Entgelt vereinbart (z.B. Arbeitsverträge). Konflikte können jetzt auch intern durch Schiedsstellen geregelt werden (Private Ordering), es fallen für die Beteiligten dabei geringere Transaktionskosten an als bei einer Lösung durch öffentliche Gerichte. Eine wichtige Absicherung gegen opportunistisches Ex-post-Verhalten ist die Reputation der Vertragspartner 91 So entstehen Unternehmen, weil erstens die Transaktionskosten der Faktorüberlassung und -nutzung für Unternehmer und Faktoreigentümer geringer sind als beim Abschluß bilateraler Verträge und zweitens der Unternehmer eine Aussicht auf einen Residualgewinn hat, der sich als Differenz zwischen den zu zahlenden fixen Faktorentgelten und der Bewertung der Unternehmerleistung durch den Markt ergibt. Es bestehen Probleme der Zurechnung der bewerteten Marktleistung auf die einzelnen Faktorbeiträge, woraus sich die in Abschnitt B.IV.3. zu erläuternden Probleme der Teamproduktion ergeben. Die optimale Struktur bilateraler Verträge (Konstellation: Markt) und relationaler Verträge (Konstellation: Hierarchie) ergibt sich aus der Leistung des Unternehmers, der ein Anreizsystem zur Verfügung zu stellen hat, welches sicherstellt, daß das eingebrachte Vermögen firmenspezifisch genutzt wird. Notwendig sind ein90

Richter (1990), S. 571 ff.

91

Schumann (1992), S. 437 ff.; Williamson (1989), S. 141.

48

Β. Vorbetrachtungen

deutige Verfügungsrechte über den Faktoreinsatz, ungeschmälerte Aneignungsrechte des residualen Unternehmergewinns sowie Instrumente zur internen Machtbeschränkung. Der Produktionsfaktor Arbeit ist durch eine Besonderheit gekennzeichnet: Er kann verhandeln und seinen Einsatz selbst variieren. Ist es für qualitativ gute Ergebnisse nun notwendig, daß ein Angestellter Learning-by-doing-Effekte durch einen breiten und nicht zu formalisierenden Ermessensspielraum erzielt, so spricht man von einem plastischen Produktionsfaktor. Wegen der mangelnden Formalisierbarkeit ist eine vollständige vertragliche Leistungsverpflichtung nicht möglich, der Verhandlungsspielraum des plastischen Produktionsfaktors ist mithin größer als der eines nicht-plastischen Produktionsfaktors (z.B. eines mit einfachen Aushilfstätigkeiten betrauten Arbeiters). 92 So spricht Eschenburg (1977) von „Überspezialisierung", wenn bei einfachen Jobs Spezialisierungseffekte schon sehr schnell erreicht werden. Die Inhaber dieser Jobs benötigen einen nur sehr geringen Ermessensspielraum, können mit sehr geringen Rüstkosten einen anderen Job zugeteilt bekommen und haben mithin eine relativ schlechte Verhandlungsposition. 93 In der Regel ist es jedoch sowohl für den Eigner des Faktors Arbeit als auch für den Unternehmer vorteilhaft, den Produktionsfaktor Arbeit zur raschen Realisierung von Lerneffekten und zur Bildung von spezifischem Humankapital durch langfristige Verträge gegen zu starke Einkommenschwankungen und Ausbeutungsgefahren zu schützen. 94 Man kann weiterhin zwischen Produkten unterscheiden, bei dessen Erstellung die Reputation des Herstellers mit dem Arbeitsinput stark korreliert ist (z.B. die Reputation einer Bank mit dem Auftreten des Bankangestellten) und Produkten, bei denen der Input von der Reputation weitgehend separiert ist (z.B. Aushilfstätigkeiten). Im ersten Fall spricht man von zentraler Positionierung, im letzteren von peripherer Positionierung. Der Arbeiter hat nun gegenüber dem Unternehmen eine um so stärkere Verhandlungsposition, je größer sein Ermessensspielraum ist und je zentraler er positioniert ist. 9 5 Die Transaktionskostenökonomie, deren bedeutendste Vertreter Coase und Williamson sind, betont, ähnlich wie die Ordoliberalen, die Bedeutung von Institutionen für das Handeln der Menschen und die Notwendigkeit einer theoretischen Fundierung bei der Analyse von Institutionen. Es werden

92 Grossekettler führt als Beispiel die Struktur von Arbeitsverträgen im öffentlichen Dienst an, bei denen Beamte oft einen breiten Ermessensspielraum benötigen. Vgl. Grossekettler (1999), S. 553 f. 93 Vgl. Eschenburg (1977), S. 151. 94 Vgl. auch Grossekettler (1998), S. 7. 95 Bonus (1993), S. 3, Grossekettler (1999), S. 553 f.

III. Brücken

49

jedoch hauptsächlich die Institutionen Markt und Unternehmung untersucht. Die Rechtsordnung spielt in den Bereichen eine Rolle, in denen sie mit den beiden erstgenannten Institutionen in Verbindung steht. Eine umfassende Beschäftigung mit der Rechtsordnung oder Grundsatzfragen der Volkswirtschaft findet bei dieser einzelwirtschaftlich/mikroökonomisch orientierten Richtung nicht statt. 96 Mit dem Einbau von Transaktionskosten in wirtschaftswissenschaftliche Modelle werden diesen Modellen auch diejenigen Verhaltensannahmen zugrunde gelegt, welche die Existenz von Transaktionskosten begründen. Der Grund für die Kostspieligkeit von Transaktionen und Tauschvorgängen ist nämlich die Unvollkommenheit der Menschen: Es herrscht Unsicherheit über die Zukunft, der Mensch handelt rational lediglich in Beziehung zu seinen Motivationen und beschränkten Informationsverarbeitungskapazitäten. Damit würde man mit einem schlichten Einbau eines Transaktionskostenmoduls in ein ansonsten neoklassisches Modell zwei inkompatible Welten miteinander verbinden. 97

I I I . Brücken Die Ausführungen in den vorherigen Abschnitten haben gezeigt, daß es dogmenhistorische sowie inhaltliche Verbindungen zwischen dem Ordoliberalismus und der NIE gibt. In Abschnitt B.IV. werden zudem einige auffällige Parallelen in der Verwendung und Auslegung zentraler Begriffe aufgezeigt. Schon dieser Stelle sei als Beispiel die Interpretation des Transaktionskostenbegriffs in der NIE angeführt. Williamson (1996) führt in diesem Zusammenhang aus: „In mechanischen Systemen achten wir auf Reibung: Greifen die Zahnräder ineinander, sind die einzelnen Teile geschmiert, gibt es überflüssigen Schlupf oder andere Energieverluste?" (Williamson , 1996, S. 12). 53 Jahre zuvor schreibt Böhm im Zusammenhang mit dem Auftreten temporärer Machterscheinungen auf Wettbewerbsmärkten: „Die Störungswirkungen, die von den summierten Fällen wettbewerblichen Nichtleistungskampfes ausgeht, kann man daher am besten als Reibungswiderstand bezeichnen. In der volkswirtschaftlichen Diskussion pflegt man ... vom „Sand in der Maschine" zu sprechen." (Böhm, 1933, S. 86). Später spricht er dem Privatrecht die Eigenschaft zu, individuelle Pläne mit einem Minimum an Reibung zu lenken. 98 Bereits hier deutet der Gebrauch gleicher Bilder auf eine prinzipiell gleiche Denkrichtung hin, wobei, wie später ausgeführt wird, es aus ordoliberaler Sicht in gewissen Situationen durchaus sinnvoll sein kann, Sand ins Getriebe einiger Maschinen zu streuen. 96 97 98

4 Evers

Vgl. Grossekettler (1989), S. 28. Richter, Furubotn (1996), S. 62 ff. Böhm (1966), S. 88.

Β. Vorbetrachtungen

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Eine umfassende Beschäftigung mit beiden Perspektiven aus einem Blickwinkel hat bisher aber nicht stattgefunden. Es gibt jedoch Brücken zwischen den Schulen. Zwei solcher Brücken werden im folgenden vorgestellt"

1. Evolutorisches Unternehmertum Schmidtchen (1989) stellt einen Ansatz vor, in dem er die spontane Änderung von Wirtschaftsordnungen untersucht. 100 Zwar kritisiert er an der von Eucken beeinflußten deutschen Ordnungstheorie die seiner Meinung nach fehlende theoretische Durchdringung der Evolution von Institutionen, verweist jedoch auf folgende Gemeinsamkeiten des Transaktionskostenansatzes mit der Ordnungstheorie: • Es geht um die Koordination dezentraler Handlungen. • Effiziente Lösungen des Koordinationsproblems werden gesucht. • Man hat die Wahl zwischen verschiedenen Koordinationsmechanismen. • Die Existenz historischer Zwangsläufigkeiten wird bestritten. • Es gilt das Kriterium des Institutionenvergleichs. • Nicht das Eigentum per se, sondern die (damit verbundenen) Planungsund Dispositionsrechte an Produktionsmitteln sind entscheidend. • Die Euckenschen Prinzipien tragen zur Senkung der Transaktionskosten marktlicher Koordination bei. Eine Maßnahme muß nicht mehr auf all ihre Auswirkungen auf die Volkswirtschaft überprüft werden, sondern nur noch auf ihre Verträglichkeit mit den Prinzipien. 101 • Die ordnungstheoretische Frage „Warum kommen Zentralverwaltungswirtschaften nicht ohne Märkte aus?" ist das Komplement zur Coaseschen Frage „Warum gibt es Unternehmungen als Inseln der Planwirtschaft in Marktwirtschaften?". 102

99

Eine weitere interessante, hier aber nicht behandelte Brücke ist der Artikel von Dichmann (1997) über die institutionelle Ausgestaltung der Tarifautonomie in ordoliberaler Sicht, aufbereitet in der Sprache der NIE. 100 Vgl. zu diesem Abschnitt Schmidtchen (1989), S. 161 ff. 101 Grossekettler (1997), S. 110 f. 102 Böhm (1933) sprach schon 4 Jahre vor Erscheinen des bahnbrechenden Ctföjtf-Beitrages im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Machtgebilden von „Inseln auf dem Meere der Wirtschaftsfreiheit" ( S. 190). Vgl. auch ders. (1950), S. X X V I . Ferner war es der gleiche Anstoß, der Coase und die Ordoliberalen zu ihren Ausführungen bewegte: Die Auseinandersetzung „zentrale versus dezentrale Planung". Vgl. Pies (2000), S. 3 f.; Eucken (1952), S. 1 ff.

III. Brücken

51

Hierauf aufbauend stellt er für seinen Erklärungsversuch folgende Annahmen heraus: • Individuen planen eigenverantwortlich und selbständig (Methodologischer Individualismus). • Wegen der Unsicherheit über die Pläne der anderen Individuen und beschränkter Rationalität spiegeln die nachgefragten und angebotenen Gütermengen zwar individuell richtige, aber im Gesamtkontext falsche Lösungen wieder. Es entstehen Koordinationslücken. • Unternehmertum wird im Siner Kirzners als Fähigkeit interpretiert, diese Koordinationslücken zu entdecken und zu schließen. Anreiz zur unternehmerischen Betätigung ist ein Arbitragegewinn als Entlohnung für das Aufdecken und Schließen einer Koordinationslücke. Das Unternehmertum ist ein Produktionsfaktor, der sich bei der Produktion jedoch nicht abnutzt, er wirkt quasi als Katalysator. Die Veränderung einer Ordnung geht nun folgendermaßen vor sich: Es bestehen Koordinationslücken bzgl. eines bestimmten Gutes oder Dienstleistung. Zwei Individuen wollen ein Gut tauschen. Ein Tausch des Gutes wäre wegen der Unsicherheit und beschränkten Rationalität der Individuen mit hohen Transaktionskosten verbunden. Ein drittes Individuum entdeckt, daß ein Tausch mit geringeren Transaktionskosten möglich und eine Schließung der Lücke durch Vermittlung lohnend wäre. Es glaubt nämlich, daß der maximale Preis, den die Individuen ihm zu zahlen bereit wären (Differenz zwischen dem Preis mit hohen Transaktionskosten und dem Preis mit niedrigen Transaktionskosten) seine Kosten des Aufspürens und Schließens der Lücke übersteigt. Der Unternehmergewinn umfaßt also die Transaktionskostendifferenz abzüglich der Kosten der Vermittlungstätigkeit. Dehnt man dieses Beispiel auf viele Individuen aus und nimmt man gemäß der Property-rights-Theorie an, daß Institutionen transaktionskostensenkend wirken können, so erhält man eine theoretische Erklärung für das Verhalten „politischer Unternehmer", die entdecken, daß man Spielregeln mit der Absicht der Senkung des Transaktionskostenpegels ändern kann und daß iese Änderung durchführbar und lohnend ist.

2. Soziokatalyse Abschnitt B.II, hat gezeigt, daß es den Vertretern der „Alten" und Neuen Institutionenökonomik darauf ankommt, Bestimmungsgründe des Wandels von Institutionen und Einflüsse von Institutionen auf das Verhalten der Menschen zu finden und zu analysieren. Hauptmotiv einer Änderung ist die Erwartung einer Transaktionskostensenkung. 103 Auch der Ansatz des Evolutorischen Unternehmertums beruht auf diesem Motiv. 4*

Β. Vorbetrachtungen

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Einzelwirtschaftlich gesehen mag diese Sichtweise richtig sein. Bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtungsweise ergeben sich jedoch zwei zusätzliche Aspekte: Zum einen kann das Transaktionskostenoptimum vom Transaktionskostenminimum abweichen, zum anderen ist eine Senkung gesamtwirtschaftlicher Transaktionskosten durch die Erhöhung einzelwirtschaft-licher Transaktionskosten möglich. Grossekettler (1997) und Pies (2000) weisen darauf hin, daß es geamtwirtschaftlich durchaus ein Abweichen des Transaktionskostenoptimums vom Transaktionskostenminimum geben kann. Die Gesamtkosten eines Gutes oder einer Dienstleistung setzen sich nach Grossekettler folgendermaßen zusammen:

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Grossekettler

(1997), S. 104 f.

Abbildung 6: Kostenbestandteile

Der durch eine Transaktion bedingte Faktorverzehr beeinflußt nicht das Endprodukt des Produktions- oder Distributionsprozesses, ist aber die entscheidende Einflußgröße für die Geschwindigkeit, mit der solche Prozesse ablaufen und können im Extremfall gewisse Prozesse völlig zum Stillstand bringen. 1 0 4 Transaktionskosten sind somit negativ korreliert mit der Variablen Geschwindigkeit. Je höher die Transaktionskosten sind, desto langsamer laufen Marktprozesse ab. Der Vergleich mit chemischen Katalysatoren liegt somit nahe: Grossekettler vergleicht Transaktionskosten nicht mit Reibung, sondern mit Katalysatoren und nennt den Einsatz von Transaktionskosten als wirtschaftspolitisches Instrument Soziokatalyse. W 5 Weiterhin kann das gesamtwirtschaftliche Transaktionskostenniveau durch Transaktionskosten auf einzelwirtschaftlicher Ebene gesenkt werden. In Abschnitt C.II.2. wird beispielsweise dargestellt, wie aus ordoliberaler 103 104 105

Vgl. auch North (1986), S. 231. Zur Transaktionskostendefinition von Grossekettler Grossekettler (1997), S. 105 f.

siehe Abschnitt B.II.3.g).

III. Brücken

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Sicht monopolistische Strukturen die Unsicherheit auf der Konsumentenseite erhöhen können. Hohe Transaktionskosten auf einzelwirtschaftlicher Ebene etwa zur Verhinderung von Kartellen können somit die Unsicherheit der breiten Nachfrageschicht und mithin die Transaktionskosten auf gesamtwirtschaftlicher Ebene senken. So fordert z.B. Rüstow einen „liberalen Interventionismus", der „ . . . als konforme Anpassungsintervention in der Wirkungsrichtung der Marktgesetze zur Sicherung ihres möglichst reibungslosen Ablaufs (...) eingreift." (Rüstow, 1950, S. 132, Herv.d.d.V.). 1 0 6 Akzeptiert man nun die ordoliberale Auffassung, daß es dem Wettbewerb innewohnende Entartungstendenzen gibt, denen man durch bewußte Gestaltung des institutionellen Rahmens entgegentreten muß, und die neoinstitutionalistische Auffassung, daß der Betrieb von Institutionen nicht kostenfrei ist, so gelangt man zu folgendem Ergebnis: • Diejenigen Transaktionskosten sind erwünscht, die mit Institutionen verbunden sind, welche die Wettbewerbsordnung begründen und schützen. Es sind diejenigen Transaktionskosten, die mit der Durchsetzung der Euckenschcn Prinzipien einhergehen (z.B. Kosten des Schmiedens eines Preiskartells). Oder, um ein schon verwendetes Bild fortzuführen: Es ist sinnvoll, Sand ins Getriebe derjenigen Teil-Maschinerien zu streuen, welche entgegen der gesamtwirtschaftlich erwünschten „Wettbewerbsmaschinerie" laufen. • Diejenigen Transaktionskosten sind unerwünscht, die mit Institutionen verbunden sind, welche zur Beschränkung des Wettbewerbs führen (z.B. Kosten der Gewinnung von Markttransparenz). 107 Diese Aussagen sind mit der Forderung Böhms (1966) kompatibel, daß wirtschaftlicher Erfolg Instruktionswert besitzen müsse. 108 Im Gegensatz zur Interpretation von Williamson werden Transaktionskosten also nicht als stets unerwünschte Reibung interpretiert. Vielmehr gilt es, Regeln so zu gestalten, daß die Wirtschaftsordnung einer optimalen Transaktionskostensirwte/r möglichst nahe kommt. 1 0 9 Auch Erlei, Leschke, Sauerland (1999) fordern, in der NIE zu berücksichtigen, daß Transaktionskosten aus gesamtwirtschaftlicher Sicht durchaus erwünscht sein können, nämlich dort, wo Institutionen einen funktionalen Wettbewerb be- oder verhindern und die Konsumenten ohne den Wettbe106

Vgl. auch die bei Grossekettler

(1996, 1997, 1999) angeführten Literaturstel-

len. 107 Grossekettler (1996), S. 309 ff. Ähnlich fordert Böhm (1933) die Implemantation eines Automatismus, der Leistungskampf belohnt und Nichtleistungskampf bestraft. Vgl. Böhm (1933), S. 71 ff. 108 Böhm (1966), S. 91. 109 Zu Williamsons Interpretation vgl. Williamson (1993), S. 12.

Β. Vorbetrachtungen

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werb erhaltende Transaktionskosten benachteiligt würden. 1 1 0 In diesem Sinne kann man Kartellverträge als formelle Regelwerke und Kollusionen als formlose Beschränkungen zur Beschränkung des Wettbewerbs interpretieren, die es zu verhindern g i l t . 1 1 1 Grossekettler Prinzipien Sätze ren ab, die eine beit werden an aspekte solcher kostenstrukturen

(1997) leitet in einer Umformulierung der Euckenschen von Regeln zur Gestaltung der TransaktionskostenstruktuWettbewerbsordnung sicherstellen sollen. 1 1 2 In dieser Aranderer Stelle anhand konkreter Problemstellungen TeilRegelsätze konkretisiert und entsprechende Transaktionsin heuristischer Weise abgeleitet.

I V . Zentralbegriffe In diesem Abschnitt werden diejenigen Begriffe noch einmal konkretisiert, die im Ordoliberalismus und in der NIE von zentraler Bedeutung sind. 1. Institutionen Spätestens seit der Hochzeit der deutschen jüngeren Historischen Schule sind Institutionen Untersuchungsgegenstand der Wirtschaftstheorie. 113 Die Beschäftigung mit der Materie erfolgte dabei auch im älteren amerikanischen Institutionalismus zunächst in ethischer und soziologischer Hinsicht und war in dieser Phase eher theoriefrei. 114 Die Ordoliberalen werden von der NIE im allgemeinen nicht als Vorläufer einer systematischen Institutionenforschung entdeckt, obwohl die ordoliberalen Autoren Institutionen nicht nur für das gesellschaftliche Leben für grundlegend hielten, sondern sie auch detailliert erforschten. 115 „Institution" ist neben „Transaktionskosten" der Zentralbegriff der NIE. North (1992) versteht unter einer Institution „ . . . die Spielregeln einer Gesellschaft oder, förmlicher ausgedrückt, die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktionen.(S.l)". Die Definition ist noch einmal aufgeführt, um die Ähnlichkeit zu Schmollers Definition aus dem Jahre 1900 aufzuzeigen: Eine Institution ist „ . . . eine partielle, bestimmten Zwecken dienende, zu einer selbständigen 110

Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 241. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 236 ff. 112 Grossekettler (1997), S. 103 ff. 113 Krüsselberg (1991), S. 65 ff.; Richter ( 1996), S. 576 f.; Schmoller ( 1900), S. 61. 114 Leipold (1991), S. 96; Richter (1996), S. 582 ff. 115 Hier sei insbesondere Böhms „Wettbewerb und Monopolkampf 4 erwähnt. Weitere Hinweise finden sich bei Grossekettler (1997), S. 93 ff.; ders. (1989), S. 27. Eine Ausnahme bei den NIE-Vertretern ist Vanberg (1988). 111

IV. Zentralbegriffe

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Entwicklung gelangte Ordnung des Gemeinschaftslebens, welche das feste Gefäß für das Handeln von Generationen, oft von Jahrhunderten und Jahrtausenden abgibt: das Eigentum, die Sklaverei, die Leibeigenschaft, die Ehe, die Vormundschaft, das Marktwesen, das Münzwesen, die Gewerbefreiheit, das sind Beispiele von Institutionen." (Schmoller, 1900, S. 61). Der Institutionenbegriff wurde von verschiedenen Autoren meist zum Zwecke des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes augfgefächert. Es entstanden Typisierungen von Institutionen. Lachmann unterscheidet zwischen inneren und äußeren Institutionen. Unter den äußeren Institutionen einer Marktwirtschaft versteht Lachmann diejenigen Normen, die das notwendige Rahmenwerk einer Marktwirtschaft sicherstellen. Die inneren Institutionen hingegen bilden sich im Ablauf der Marktprozesse. Sie entstehen, um den Erfordernissen des Marktes zu genügen, üben jeweils eine spezifische Funktion aus und wandeln sich gemäß der Erfordernisse. 116 Von den Autoren der NIE unterscheidet North zwischen formlosen Beschränkungen und formgebundenen Regeln. 1 1 7 Unter formgebundenen Regeln versteht North niedergeschriebene politische und wirtschaftliche Regeln sowie Verträge. Er entwickelt eine Hierarchie formgebundener Regeln und ordnet sie nach der Kostspieligkeit ihrer Änderungen an: Verfassungen, Gesetze, Common Law, spezifische Anordnungen, individuelle Verträge. Ihr Zweck besteht in der Erleichterung von Tauschvorgängen in Gesellschaften, in denen der Nutzen solcher Regeln wegen technologischer Standardisierungsmöglichkeiten und der zunehmenden Komplexität der Gesellschaften anstieg. Sie seien in modernen repräsentativen Demokratien nötig wegen der Senkung der hohen Kosten der Messung von Güter- und Dienstleistungseigenschaften beim Tauschvollzug, der etwaigen Betrugsfeststellung, des Trittbrettfahrens sowie der Sanktionierung von Aussteigern. Da die formgebundenen Regeln nun für eine Vielzahl von Individuen gelten und somit nicht jedes Detail menschlichen Zusammenlebens regeln können, müssen sie hinreichend allgemein formuliert sein. Dadurch hinterlassen sie aber auch einen Unsicherheitsraum. Hier beginnt nun das Wirken formloser Beschränkungen. Bei den formlosen Beschränkungen handelt es sich um Wissen, Werte und andere verhaltensrelevante Faktoren, die durch Lehre und Nachahmung von einer Generation zur anderen übertragen werden. Ihr Zweck ist die Erweiterung, Ausarbeitung und Einschränkung formgebundener Regeln, die Schaffung gesellschaftlich sanktionierter Verhaltensnormen sowie intern bindender Verhaltenskodices. 118 Ergänzen die formlosen Beschränkungen die formgebundenen Regeln in dieser Weise, passen sie also 116

Lachmann (1963), S. 63 ff. Dies ist eine Unterscheidung, die Pejovich aufgreift. Dieser spricht von formellen und informellen Institutionen (Pejovich, 1998, S. 4 ff.). 118 North (1992), S. 43 ff.; S. 55 ff. 117

Β. Vorbetrachtungen

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zu den formgebundenen Regeln, so ist in dieser Arbeit die Rede von einem konsistenten institutionellen Rahmen. Auch im ordoliberalen Schrifttum findet man Hinweise auf diese Funktion formloser Beschränkungen, von Hayek (1948) betonte, daß Überlieferungen und Gebräuche in kleinen Gesellschaften Regeln schaffen, die das Verhalten der Menschen in weitem Maße voraussagbar machen, eine Funktion, die später auch North Institutionen zuschrieb. 119 Partsch (1948) führte aus, daß das Recht des englischen Parlaments in seiner Gesetzgebung in keiner Weise beschränkt ist, der Bürger sich jedoch darauf verlassen könne, daß nicht etwa ein Gesetz erlassen wird, daß „alle blauäugigen Kinder sofort nach der Geburt umgebracht werden müßten". Weiter argumentiert Partsch, daß der genaue Umfang einer Freiheitssphäre auch ein „Ergebnis der in dem Staatswesen wirkenden soziologischen Faktoren" sei. 1 2 0 Eine weitere Typisierung des Institutionenbegriffs stammt von Kiwit/ Voigt (1995). Sie gründen ihre Überlegungen teilweise auf die Nordischen Begrifflichkeiten und nennen vier Typen von internen Institutionen und den Typus der externen Institutionen. 121 • Interne Institutionen vom Typ 1 sind Regeln, die sich selbst überwachen, deren Einhaltung also für den Einzelnen von unmittelbar größerem Nutzen als deren Nichteinhaltung ist (Beispiele: Sprache, Verkehrsregeln). • Interne Institutionen vom Typ 2 sind Regeln, die mit einer imperativen Selbstbindung verbunden sind, bei denen der Einzelne deren Nutzen als mittelbar höher einschätzt als das Brechen dieser Regeln (Dekalog, kategorischer Imperativ). • Bei internen Institutionen vom Typ 3 handelt es sich um solche Regeln, die nur durchgesetzt werden, weil sie von anderen Akteuren informell überwacht werden (Umgangsformen). • Interne Institutionen vom Typ 4 zeichnen sich durch eine formelle private Überwachung aus (selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft). • Bei den externen Institutionen handelt es sich um das positive Recht, sie zeichnen sich durch staatliche Überwachung aus. Eine Brücke zu den internen Institutionen stellen dabei auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe dar. Sie sind Ausdruck tradierter Ansichten, herrschender Meinungen und Interpretationen der Umwelt, also der wichtigsten Einflußgrößen der internen Institutionen der Typen 1 bis 4.

1,9 120 121

von Hayek (1948), S. 39. Partsch (1948), S. 220, 223. Kiwit, Voigt (1995), S. 123 f.

IV. Zentralbegriffe

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Es ist bei der Vorstellung dieser Typisierung darauf hinzuweisen, daß Institutionen bei Kiwit und Voigt, anders als bei North, nicht die individuellen Verträge umfassen. Von diesem Unterschied abgesehen sind jedoch beide Definitionen ineinander überführbar: Interne Institutionen der Typen I bis I I I nach Kiwit /Voigt sind formlose Beschränkungen nach North, interne Institutionen des Typs IV und externe Institutionen nach Kiwit/Voigt sind formgebundene Regeln nach North, wobei die Änderung externer Institutionen teurer ist als die der internen vom Typ 4.

2. Organisationen Schmoller (1900) versteht unter einer Organisation „die personelle Seite der Institution." Nach North ist eine Organisation eine Gemeinschaft von Individuen, die mit dieser Gemeinschaft ihre individuellen Nutzen zu maximieren suchen. Dieser Nutzen kann mit pekuniären Größen (Einkommen, Gewinn) oder nicht-pekuniären Größen (Macht, Prestige) korreliert sein. Die Gelegenheiten der Nutzenmaximierung werden der Organisation dabei durch die gesellschaftlichen institutionellen Rahmenbedingungen vorgegeben. 1 2 2 Das Spannungsverhältnis von Organisationen und Institutionen ist der Ausgangspunkt für das von North (1992) entwickelte Theoriegebäude und wird in dieser Arbeit vor allem im Abschnitt über die Änderung von Randbedingungen zur Anwendung kommen. 1 2 3 Ähnlich wie bei den Institutionen kann man zwischen formalen Organisationen (z.B. ein Unternehmen) und informellen Organisationen (z.B. eine Marktgemeinschaft) unterscheiden. 124

3. Transaktionskosten In der NIE existiert keine einheitliche Transaktionskostendefinition. Allgemein geben Transaktionskosten den Ressourcenverzehr an, der beim Transfer von Property-rights zwischen ökonomischen Agenten entsteht (Pejovich, 1998, S. 5). Man kann jedoch zwei Hauptrichtungen unterscheiden: Die eher einzelwirtschaftliche Richtung, die vor allem von Williamson und 122

North (1992), S. 87 ff. Die von North angewandte strikte Trennung zwischen Institutionen und Organisationen war in der NIE bis in die 80er Jahre hinein nicht selbstverständlich. In einigen Lehrbüchern werden unter Institutionen ohne weitere Unterscheidung Regeln und Organisationen subsumiert. Grossekettler subsumiert unter Institutionen i.w.S. Spielregen (als Institutionen i.e.S.) und Organisationen, vgl. Grossekettler (1997), S. 36 f. 124 Richter, Furubotn (1996), S. 8 f. 123

Β. Vorbetrachtungen

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seiner Governance-Richtung repräsentiert wird, versteht unter einer Transaktion den Transfer eines Gutes oder einer Dienstleistung über eine technische separierbare Schnittstelle. 125 Transaktionskosten werden dabei unter Bezug auf Arrow (1969) beschrieben als Kosten, die beim Abschluß von Verträgen entstehen und aus Verständigungsschwierigkeiten zwischen den an einer Transaktion Beteiligten resultieren. 126 Es handelt sich um Suchund Informationskosten (Ex ante Transaktionskosten), Verhandlungs- und Abschlußkosten (bei Vertragsabschluß) sowie um Kontrollkosten (Ex post Transaktionskosten). In der vor allem von North repräsentierten gesamtwirtschaftlich orientierten NIE legt man dem Transaktionskostenbegriff keine Vor-während-nachEinteilung zugrunde. Transaktionskosten sind die Summe aus Meßkosten und Durchsetzungskosten. Meßkosten sind Nutzeneinbußen, die den Akteuren zum einen wegen der Messung der Attribute des Tausches entstehen und zum anderen aus Zurechnungsproblemen. 127 Letztere sind vor allem der Grund für die Kosten der Koordination von Teamproduktion, deren Probleme hier kurz erörtert werden. Nach Alchian und Demsetz (1972) ist das Gesamtergebnis eines Produktionsteams zwar höher als die Summe der Einzelbeiträge der Teammitglieder, es kann den einzelnen Teammitgliedern jedoch wegen der hohen Meßkosten nur sehr schwer zugerechnet werden. Die Teammitglieder wissen dieses und haben so einen Anreiz, den eigenen Beitrag möglichst gering zu halten und sich so als Trittbrettfahrer zu verhalten. Es ist ein Organisator (monitor) einzusetzen, der als Anreiz für seine kontrollierende und organisierende Managertätigkeit Anspruch auf das Ergebnis der bewerteten Teamleistung abzüglich der Entlohnung der Teammitglieder erhält (Residual Claimant). Weiterhin erhält er das Recht, die Teammitglieder zu beobachten, zentraler Verhandlungspartner zu sein, über die Zusammensetzung des Teams zu entscheiden sowie das Recht, die vormals genannten Rechte zu veräußern. Für einen Eigentümer, der für die Kapitalausstattung des Unternehmens verantwortlich ist, wird es sich nicht lohnen, all diese Rechte aus der Hand zu geben und einen Großteil des Risikos ohne Aussicht auf das Residualergebnis zu tragen. Daher wird der Eigentümer der klassischen kapitalistischen Unternehmung auch gleichzeitig dessen Manager sein. 1 2 8

125

Williamson (1990), S. 1, 20. Schumann (1992), S. 437 f. 127 Vgl. z.B. Barzel (1982), S. 27 ff.; North (1985), S. 34 ff.; ders. (1992), S. 32 ff. 128 Alchian, Demsetz (1972), S. III ff.; Richter, Furubotn (1996), S. 169 f.; Schumann (1992), S. 455. 126

IV. Zentralbegriffe

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An dieser Stelle sei noch einmal auf die ebenfalls eher gesamtwirtschaftliche Interpretation des Begriffs „Transaktionskosten" von Grossekettler hingewiesen. Diese Sichtweise wurde ausführlich in Abschnitt B.II.3.g) erläutert. Transaktionskosten sind ein weitgehend heuristisches Konzept mit der Gefahr, im Notfall als Erklärung für alles herhalten zu können, aber mit dem unschätzbaren Potential, vieles plausibel erklären zu können. Man sollte also mit diesem Begriff sorgfältig umgehen. 129 4. Effizienz Grundsätzlich läßt sich bezüglich des Effizienzbegriffs eine statische und eine dynamische Interpretation unterscheiden. Dem neoklassischen Begriff der Pareto-Effizienz liegt eine statische Interpretation zugrunde (Zustandseffizienz). Es geht um Gleichgewichtszustände wie bspw. den Ausgleich von Grenzkosten und Grenznutzen. Die Anhänger dieser Effizienzrichtung gehen aus von einer schnellen Anpassung dieser Größen bei Änderungen der Rahmenbedingungen. Interpretiert man Effizienz in dynamischer Hinsicht, so spricht man von Koordinationseffizienz. Es geht darum, sich mit einer hinreichenden Geschwindigkeit einem Gleichgewichtszustand zu nähern. Grossekettler unterscheidet dabei fünf in Marktwirtschaften beobachtbare Prozesse: den Ausgleich von Angebot und Nachfrage (Markträumungsprozeß), die gewinnorientierte Allokation von Faktoren (Renditenormalisierungsprozeß), die Erosion temporärer Übermachtpositionen (Übermachterosionsprozeß) sowie Verfahrens- und Produktfortschritt (Verfahrens- und Produktfortschrittsprozeß). 130 Die Effizienzinterpretation im Ordoliberalismus ist nicht ganz eindeutig. Eucken definiert in den „Grundlagen der Nationalökonomie" eine Wirtschaftsordnung als „Gesamtheit aller Formen, in denen die Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses in concreto - hier und dort, in Gegenwart und Vergangenheit - erfolgte und erfolgt." (Eucken, 1959, S. 167) und interpretiert nationalökonomischer Probleme als „Lenkungsprobleme". Hier scheint der dynamische Aspekt betont zu werden. Grossekettler entwickelt mit seinem KMD-Konzept ordoliberales Gedankengut weiter und legt diesem Konzept die dynamische Interpretation von Effizienz als Koordinationseffizienz zugrunde.

129

Richter (1991), S. 419 ff. no j m v o n Grossekettler entwickelten Koordinationsmängel-Diagnosekonzept wurden Indikatoren zum Aufspüren von Stabilitäts- und Niveaudefekten bzgl. der aufgeführten Prozesse entwickelt. Vgl. Grossekettler (1989a), S. 321 ff.; ders. (1991), S. 467 ff.; ders. (1997), S. 41 ff.; 103 ff.

60

Β. Vorbetrachtungen

In der NIE finden sich Anhänger beider Effizienzinterpretationen. Williamson legt seinen Untersuchungen einen statischen Effizienzbegriff zugrunde. Er untersucht in seiner Governance-Richtung in komparativ-statischer Weise die Vorteilhaftigkeit verschiedener institutioneller Arrangements in einem gegebenen gesamtwirtschaftlichen institutionellen Rahmen in Abhängigkeit von Kostendegressionsvorteilen und Spezifität bei verschiedenen Häufigkeitsgraden. Diese Sichtweise stellt ohne Zweifel eine Erweiterung der MikroÖkonomie dar, gesamtwirtschaftliche Vorgänge werden jedoch ebenso ausgespart wie andere Prozesse als der Markträumungsprozeß. 1 3 1 Eine dynamische Effizienzsicht legt North seinen Untersuchungen zugrunde. Er spricht von Anpassungseffizienz und definiert sie als „ . . . die Arten von Regeln, die den Entwicklungspfad einer Wirtschaft über die Zeit bestimmen. Außerdem geht es dabei um die Bereitschaft einer Gesellschaft, Wissen und Bildung zu erwerben, Innovationen zu bewirken, Risiko zu übernehmen und in verschiedener Hinsicht kreativ tätig zu werden sowie Probleme bzw. Engpässe in der Gesellschaft im Verlaufe der Zeit zu bewältigen." (North, 1992, S. 96). Zusätzlich zum Markträumungsprozeß hat North also die Fortschrittsprozesse und den Renditenormalisierungsprozeß im Auge, nicht aber den Übermachterosionsprozeß. Auch bieten die obigen Ausführungen keine operationalen Anknüpfungspunkte. Da aber, wie schon ausgeführt, die NIE eine größtenteils auf heuristischen Modellen basierende Schule ist und auch bei sorgsamen Umgang mit den neuen heuristischen Begriffen, vor allem mit dem Begriff „Transaktionskosten", man ein erhebliches Erklärungspotential in der Hand hat, wird im folgenden bei statischen Untersuchungen die Williamsonscht, bei dynamischen Untersuchungen die Northsche Effizienzinterpretation verwendet.

131 Verfahrens- und Produktfortschritt können im Williamson- Kontext begrenzt, nämlich auf der Mikroebene modelliert werden. Unter den Annahmen, daß Forschungs- und Entwicklungsausgaben hoch und hochspezifisch sind, lohnt sich eine Integration dieser Tätigkeiten. Vgl. auch Abschnitt C.II.

C. Ausgewählte Problembereiche I. Die Änderung von Randbedingungen Die Betonung der Bedeutung von rechtlichen Randbedingungen für die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft ist eine der augenscheinlichsten Gemeinsamkeiten der ordoliberalen und der neoinstitutionalistischen Schule. Dabei geht es, wie oben herausgearbeitet, um die Frage, wie selbstverantwortliche Individuen unter welchen Bedingungen planen und handeln. Man kann die NIE wie gesagt in einen eher einzelwirtschaftlichen und einen eher gesamtwirtschaftlichen Zweig aufteilen. 132 Die wichtigsten Arbeiten auf dem Gebiet der einzelwirtschaftlichen Untersuchungen können dabei Williamson (1975, 1985) zugesprochen werden. Er untersucht institutionelle Arrangements in komparativ-statischer Weise und nimmt, wie oben ausgeführt, den institutionellen Rahmen und einen gewissen Grad an Unsicherheit als gegeben an. 1 3 3 Exponent des gesamtwirtschaftlichen Zweiges innerhalb der NIE ist North. Zentrale Untersuchungsgegenstände sind für ihn explizit Änderungen von Randbedingungen. Seine Arbeiten sind zum großen Teil Gegenstand des Abschnitts C.I.I., in dem es um Änderungen von Randbedingungen aus Sicht der NIE geht. Lenel (1949) und Böhm (1950) betonen im Zusammenhang der Ausgestaltung einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit den jeweiligen zeitlichen und örtlichen Daten, wobei Böhm und Rüstow auch den Begriff „Randbedingungen" verwenden. 134 In seiner klassischen Definition des Begriffs „Wirtschaftsordnung" spricht Eucken von den „ . . . jeweils realisierten Formen (Hervorhebung durch d.V.), ... in denen der Wirtschaftsprozess in concreto abläuft." (Eucken, 1952, S. 23). Röpke hebt hervor, daß eine Wirtschaftsordnung eine Koordinationsfunktion und eine Anreizfunktion habe. 135 Auf diesem Gedanken aufbauend geht Grossekettler bei der Herleitung seiner Definition des Begriffs „Wirtschaftsordnung" von Institutionen als „ . . . die Gesamtheit der gesetzlichen und gewachsenen Regeln des Rechts, des sittlich-kulturellen und politischen Verhaltens, der Traditionen Konventionen und der wirtschaftlichen Usancen . . . " (Grossekettler, 1997, 132 133 134 135

Vgl. zu dieser Einteilung auch Richter (1996), S. 573. Vgl. auch die Ausführungen bei North (1992), S. 32 ff. Böhm (1950), S. X X I I ; Lenel (1949), S. 356. Röpke (1997), S. 40.

62

C. Ausgewählte Problembereiche

S. 39) aus. Mit Hilfe der Institutionen wird ein für die Wirtschaftssubjekte spürbarer Koordinationsmechanismus in Gang gesetzt. Eine Wirtschaftsordnung wird somit verstanden als die Summe aller institutioneller Regelungen, „ . . . welche die Verteilung der Entscheidungskompetenzen (Handlungsrechte), die Verteilung von Informationen und die Richtung von Informationsflüssen und die Anreizstruktur für die Wirtschaftssubjekte bestimmen." (Grossekettler, 1997, S. 39) oder kürzer als „ . . . die Gesamtheit aller institutionellen Nebenbedingungen, welche den Entscheidungsraum der Wirtschaftssubjekte beschränken." (Grossekettler; 1989, S. 7). In diesem Zusammenhang bezeichnet Grossekettler Anpassungsbedarfe zur Bewältigung neuer Herausforderungen als Adaptionsbedarfe. 136 Der Vergleich der Definitionen deutet bereits darauf hin, daß mit „Formen" bei Eucken der institutionelle Rahmen einer Volkswirtschaft gemeint i s t . 1 3 7 Ganz deutlich wird die grundlegende Bedeutung des institutionellen Rahmens für eine Wirtschaftsordnung, wenn man sich die Definition des Begriffs „Institution" von North vor Augen führt: Sie sind nämlich Spielregeln einer Gesellschaft oder ... die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion." (North, 1992, S. 3). Die Zusammenschau der Zitate ergibt: Die Wirtschaftsordnung basiert auf dem institutionellen Rahmen einer Gesellschaft. Dieser wiederum variiert mit der Änderung gesamtwirtschaftlicher Randbedingungen. In dieser Arbeit wird zwischen gesamtwirtschaftlichen Randbedingungen und institutionellen Rahmenbedingungen unterschieden. Zwar beeinflussen sich Rand- und institutionelle Rahmenbedingungen gegenseitig. Jedoch ist zum einen der Einfluß der Randbedingungen auf die institutionellen Rahmenbedingungen stärker als der umgekehrte Einfluß, zum anderen ändern sich die Randbedingungen stets langsam und wirken stets langfristig, während es Institutionen sowohl langfristiger Art (z.B. formlose Beschränkungen) als auch mittelfristiger Art (z.B. formelle Regeln) gibt. Gesamtwirtschaftliche Randbedingungen waren in der Eucken sehen Betrachtung vor allem das Vorhandensein vieler Millionen zu koordinierender Einzelpläne und die seit der Industrialisierung stark vorangeschrittene Spezialisierung. 138 Ähnlich benennt North den beispiellosen Bevölkerungsanstieg sowie die weitgetriebene Spezialisierung in den Produktionsprozessen als diejenigen Änderungen von Randbedingungen, welche die zweite wirtschaftliche Revolution (Industrialisierung) kennzeichneten. 139 Er führt aus, daß die Änderung von Randbedingungen über eine Änderung von Propertyrights und Verhandlungsstärken die Änderung des institutionellen Rahmens 136 137 138 139

Grossekettler (2000), S. 3; ders. (2000b), S. 1. Vgl. auch Grossekettler (1989), S. 7. Eucken (1952), S. 1 ff. North (1988), S. 1, 176 ff.

I. Die Änderung von Randbedingungen

63

beeinflußt. 140 Aus dem Gesagten ist somit zu folgern, daß die Entwicklung des institutionellen Rahmens und somit der Wirtschaftsordnung einer Volkswirtschaft bestimmt wird durch Veränderungen in den Randbedingungen und der Struktur der Property-rights. Damit ist ein Ausgangspunkt für die Analyse der Reaktion von Wirtschaftsordnungen auf Änderungen in den Randbedingungen im Sinne der NIE geschaffen. Es wird in Abschnitt C.I.l. ausgebaut und in Abschnitt C.I.2. auf die Ausführungen der ordoliberalen Autoren zu den Änderungen in ihrer Umwelt angewandt. In Abschnitt C.I.3. werden die Ansichten beider Schulen verglichen.

1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik Im vorhergehenden Abschnitt wurde herausgearbeitet, daß die Änderung des institutionellen Rahmens bestimmend für die Änderung einer Wirtschaftsordnung ist. W i l l man also die Ursachen des Wandels von Wirtschaftsordnungen untersuchen, so muß man sich mit den Ursachen des Wandels von Institutionen befassen. Für den institutionellen Wandel ursächlich sind Änderungen in den Randbedingungen Es geht in diesem Abschnitt darum, aus dem neoinstitutionalistischen Schrifttum die wichtigsten Randbedingungen zu identifizieren und eine Systematik der Ursachen und Wirkungszusammenhänge zu entwerfen. Einen Überblick über die Systematik der Randbedingungen und Institutionen gibt Abbildung 7. Unter dem Begriff „Rahmenbdingungen" werden also die als exogen angenommenen Naturgesetze sowie die endogenen Größen Randbedingungen und Institutionen subsumiert, welche im wechselseitigen Zusammenspiel auf Prozesse und Partialmärkte einwirken. Dieser Abbildung liegt die Annahme zugrunde, daß zwischen den einzelnen Ebenen zwar gegenseitige Einflüsse existieren, daß jedoch der Einfluß einer äußeren auf eine innere Ebene stärker ist als der Einfluß einer inneren auf eine äußere Ebene. 141 Diese Systematik wird nun anhand der neoinstitutionalistischen Literatur untersucht. 140

Als Beispiele sei die Entwicklung exklusiver Eigentumsrechte als Folge der ersten wirtschaftlichen Revolution und die Änderung der Property-rights aufgrund der gestiegenen Ertragsrate neuen Wissens angeführt. North (1988), S. 76 ff.; 149 ff. 141 Eine Ausnahme bildet die Ebene der Naturgesetze. Hier wird ein einseitiger Einfluß auf die nachgelagerten Ebenen angenommen. Eine ähnliche Systematik hat Erlei (1998) herausgearbeitet. Vgl. Erlei (1998), S. 148; Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 23 ff. Die dargestellten Interdependenzen zwischen den Ebenen lehnen sich z.T. an diese Arbeiten an. Eine Institutionenkategorisierung gemäß Lachmann ist unabhängig von dieser Systematik und kann auf beiden Institutionenebenen angewendet werden.

C. Ausgewählte Problembereiche

Naturgesetze, als exogen angenommen Randbedingungen, langfristig Faktorproportionen und daraus resultierende relative Preise • Bevölkerungswandel • Technologie und Nachfragestruktur • Informationskosten

Ideen/Ideologien

Institutionen, lang- und mittelfristig • • • •

• • • •

formlose Beschränkungen (North) bzw. Institutionen Typ 1 - 3 (Kiwit/Voigt) bzw. Kultur (Erlei, Leschke, Sauerland) bzw. äußere/innere Institutionen (Lachmann) Institutionen, mittelfristig formelle Regeln (North) bzw. Institutionen Typ 4 und extern (Kiwit, Voigt) bzw. gesetzliche Rahmenbedingungen (Erlei, Leschke, Sauerland) bzw. äußere/innere Institutionen (Lachmann)

Prozesse, Partialmärkte, mittel-, und kurzfristig

• • • • •

Organisationen Interessensgruppen Politiker Bürokratie Unternehmen Familien etc.

Wirtschaftsleistung • • • •

Markträumung Gewinne und Renditen Marktmacht Innovation

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 7: Systematik der Rahmenbedingungen

I. Die Änderung von Randbedingungen

a) Die Ursachen institutionellen • Faktorproportionen rungswandel

65

Wandels

und daraus resultierende relative Preise: Bevölke-

Relative Preise erachten North und Thomas (1973) als den Hauptauslöser institutionellen Wandels. In den historischen und sehr langfristig angelegten Untersuchungen dieser Autoren spielt die Relation der Preise für die Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital eine Hauptrolle. Diese Relationen ihrerseits werden beeinflußt vom Bevölkerungswandel, der über eine Änderung der Boden/Arbeit-Preisrelation die Anpassung von Propertyrights nach sich zieht. Diese Änderung ist, vereinfacht ausgedrückt, z.B. verantwortlich für das Neolithikum, die erste wirtschaftliche Revolution. 1 4 2 Es bleibt also festzuhalten, daß das System der relativen Preise eine Randbedingung für den institutionellen Rahmen darstellt. „Bevölkerungswandel" ist eine Komponente der Randbedingung „relative Preise". • Relative Preise: Technologie und Nachfragestruktur Wagner hat bereits im Jahre 1894 die Entwicklung exklusiver Eigentumsrechte an Hofstätten und Boden bei den Germanen geschildert. 143 In seinem berühmten Aufsatz „Toward a Theory of Property-rights" aus dem Jahre 1967 arbeitet Demsetz in ähnlicher Weise Ursachen der Änderung von Property-rights anhand der Entwicklung exklusiver Eigentumsrechte bei den Labrador-Indianern heraus. Zunächst wurden die Biberbestände auf der kanadischen Halbinsel Labrador frei gejagt, es herrschte quasi Kollektiveigentum am gesamten Jagdbestand. Externe Effekte, die Dezimierung des Biberbestandes durch einen einzelnen Jäger, der aber für alle Jäger spürbar wird, waren gering, da zunächst nur zur Eigenversorgung gejagt wurde. Der aufkommende Pelzhandel induzierte jedoch zusätzliche Gewinnanreize, es begann eine Phase der „Überjagung", negative externe Effekte wirkten sich nun spürbar aus. Die Häuptlinge der betroffenen Stämme kamen überein, exklusive Eigentumsrechte zu vergeben. Wegen der Seßhaftigkeit der Tiere waren diese auch vergleichsweise kostengünstig durchzusetzen. 144 Neu eintretende und spürbare externe Effekte waren also der Auslöser für eine Änderung der Property-rights in diesem Beispiel. Die Gewinne aus der Internalisierung überstiegen deren Kosten. Im Labrador-Beispiel wurden externe Effekte durch eine Verschiebung der relativen Preise als Ausdruck der Änderung von Nachfragestrukturen bewirkt. Nach Leipold (1989) kann mit einem solchen Beispiel auch eine Änderung des Technologiestandes als 142 143 144

5 Evers

North, Thomas (1977), S. 229 ff.; North (1988), S. 76 ff. Grossekettler (1989), S. 27. Demsetz (1967), S. 347 ff.

66

C. Ausgewählte Problembereiche

Ursache der Änderung von Property-rights erklärt werden. 145 Technologiestand und Nachfragestruktur sind ihrerseits Randbedingungen, die das System der relativen Preise beeinflussen. Sie sind in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung nicht kurzfristig beeinflußbar und Ursachen für den Wandel von Institutionen. • Relative Preise: Informationskosten Auch in den Untersuchungen von Libecap zur Entstehung von Propertyrights spielen Änderungen im Vektor der relativen Preise oder des Technologiestandes eine auslösende Rolle. Anders als Demsetz glaubt er jedoch nicht, daß sich neue effiziente Property-rights angeregt durch die Kräfte des Marktes rasch bilden bzw. ineffiziente Property-rights rasch erodieren. Änderungen in den Randbedingungen „relative Preise" und „Technologie" sind zunächst einmal Anlaß zu Verhandlungen, wobei die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Verhandlungsausgang und die Verhandlungsintensität mit fünf Faktoren wie folgt korreliert ist: • positiv mit der Höhe der erwarteten Gewinne, • negativ mit der Anzahl der Verhandlungspartner, • positiv mit der Homogenität der Verhandlungspartner, • positiv mit der Abweichung der vorgeschlagenen von der gegebenen Eigentumsverteilung, • negativ mit Informationsproblemen. 146 Informationsproblemen oder Informationskosten kann nun über Libecabs Überlegungen hinaus insofern eine Sonderstellung zugebilligt werden, als sie das Gewicht anderer Faktoren beeinflussen: Niedrige Informationskosten etwa in Form von modernen Übertragungstechniken können Verhandlungen zwischen einer großen Zahl von Verhandlungspartnern erleichtern, indem sie den Informationsfluß systematisieren und beschleunigen. Auch das Gewicht der Homogenität wird beeinflußt, da man sich durch bessere Informationsgewinnungsmöglichkeiten schneller und besser über seine Verhandlungspartner informieren kann. Die Gewichte dieser Faktoren werden durch bessere Informationstechnologien und mithin sinkenden Informationskosten zwar nicht auf 0 gedrückt, sie können jedoch reduziert werden. Da Informationskosten eng mit dem Stand der Technologie verknüpft sind und sich deren Änderungen kurzfristiger Einflußnahmen entziehen, werden sie im folgenden als Randbedingung interpretiert, welche die Randbedingung „relative Preise" beeinflußt. 145 146

Leipoldi 1989), S. 134. Libecap (1989), S. 11; Richter, Furubotn (1996), S. 123.

I. Die Änderung von Randbedingungen

67

• Ideen/Ideologien In den vorstehenden Erklärungen lösten die jeweiligen Ursachen stets einen institutionellen Wandel aus, der effizient oder zumindest im Einklang mit ökonomischen Erklärungen über das Maximierungsverhalten von Individuen von statten ging. North (1988) machte allerdings darauf aufmerksam, daß es in der Menschheitsgeschichte immer wieder Vorgänge zu verzeichnen gab, die sich konventionellen ökonomischen Erklärungsversuchen entziehen, wie etwa die Aktionen von Umweltaktivisten, die von ihren Taten in konventionell-ökonomischer Hinsicht keinen individuell zurechenbaren Nutzen, sondern Schaden haben. Ein weiteres plastisches Beispiel sind die Mitglieder der Abolitionistengruppen, die sich in den USA der Sklaverei entgegenstellten, und die trotz zahlreicher Nachteile und Entbehrungen für ihre Überzeugungen kämpften und schließlich obsiegten. Da solche Verhaltensweisen ökonomisch (noch) nicht erklärbar sind, sie andererseits aber den Lauf der Geschichte maßgeblich beeinflussen können, fordert North eine Theorie der Ideen/Ideologien. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß Menschen ihre Überzeugungen infolge von Lernprozessen gewinnen, die von den Erfahrungen in der jeweils individuell wahrnehmbaren Umwelt und der Vergangenheit abhängen. Es bilden sich interne Modelle der Umwelt, welche die Unsicherheit des Individuums über seine Umwelt reduzieren und ihm als Erklärungsmuster dienen sollen. 1 4 7 Der Einfluß der sich so bildenden Ideen/Ideologien auf den institutionellen Wandel ist um so stärker, je geringer der von der Gesellschaft wie auch immer gesetzte Preis ist, den man für die Äußerung seiner Überzeugungen zahlen muß. 1 4 8 Mit der integrierten Untersuchung von Institutionen und Organisationen gelang es North (1992), diese Ansätze weiterzuentwickeln: Die Mitglieder einer Organisation streben danach, ihre individuellen Nutzen mit Hilfe der Organisation zu maximieren. Die Gewinnmöglichkeiten der Organisationen (Unternehmen ebenso wie Staaten, Parteien, Familien etc.) werden durch den institutionellen Rahmen determiniert. Dieser determiniert somit auch die Nachfrage nach bestimmten Fähigkeiten der Mitglieder (Wissen), um die Gewinne auszuschöpfen. Dabei handelt es sich um vermitteltes und durch Tradierung gewonnenes Wissen. Bei der Tradierung oder Vermittlung von Wissen kommt es auch auf die Weltanschauung des Lehrenden an, die wiederum mit den in der Gesellschaft herrschenden Ideen/Ideologien zu-

147

Hierdurch erklärt sich nach Buchanan (1987) auch die Attraktivität von Ideen/Ideologien, welche die Unsicherheit auf den ersten Blick sehr stark dadurch reduzieren, daß sie den Individuen klar vorschreiben was sie „tun sollen" oder „nicht tun sollen". 148 North (1988), S. 46 ff.; ders. (1992), S. 52 f.; 100 f. *

C. Ausgewählte Problembereiche

68

sammenhängt. Bei der Aufnahme von Wissen, also des Lernens, auch des Lernens durch Tun, kommt es auf die subjektive Wahrnehmung der Umwelt durch den Lernenden sowie auf dessen gottgegebene Fähigkeiten und Ehrgeiz an. Umgekehrt kann eine schon vorhandene Weltanschauung des Lernenden wie ein Filter auf Informationsaufnahme und -Vermittlung wirken. Aus alledem folgt erstens, daß Überzeugungen abhängig sind von der Umwelt des Überzeugungsträgers, und zweitens, daß diese so stark sein können, daß es sich für den Überzeugungsträger „lohnt" diese Überzeugung auch unter Hinnahme von Entbehrungen zu äußern und zu versuchen, auf die Überzeugungen anderer einzuwirken und so die Gewinnaussichten von Organisationen, etwa von Parteien zu verändern und so einen Wandel in den Institutionen zu initiieren. Nach North gibt es zähe Weltanschauungen, die nur langsam, aber immerhin änderbar sind. Ideen/Ideologien sind somit eine Randbedingung im Sinne dieser Arbeit, ihr Zusammenhang mit dem institutionellen Rahmen ist wechselseitig. Änderungen von Ideen/Ideologien haben eine um so stärkere Wirkung auf den institutionellen Rahmen, je geringer der Preis ist, den man für die Äußerung seiner Überzeugung zahlen muß. 1 4 9 • Die Entstehung von Ideen/Ideologien North selbst weist darauf hin, daß eine Theorie der Ideologie notwendiger Baustein einer neuen Theorie der Wirtschaftsleistung sein muß, daß in der Literatur hierzu jedoch lediglich vereinzelte Ansätze existieren. 150 Die Entstehung innerer Erklärungsmodelle erklärt er mit der Notwendigkeit der Reduktion von Unsicherheit des Einzelnen über seine Umwelt. 1 5 1 Diese Ansätze werden durch Überlegungen von Kiwit und Voigt (1995) über die Diffusion subjektiver Modelle auf der Ebene der gesamten Gesellschaft und somit über deren Erhebung zu einer Ideologie bereichert. 152 Sie gehen davon aus, daß eine Gesellschaft als Zusammenspiel zahlreicher Kleingruppen zu interpretieren ist, innerhalb derer die Mitglieder sich zwar nicht alle gegenseitig persönlich kennen, jedoch mit hinreichend geringen Informationskosten miteinander in Verbindung treten können. Diese Kleingruppen sind durch eine hohe Interaktionsintensität innerhalb der Gruppe und einen Abfall der Interaktionsintensität nach außen gekennzeichnet. Individuen, die ihre internen Modelle mit starker Überzeugungskraft mitteilen können, werden die internen Modelle anderer Mitglieder beeinflussen. Hat eine genü149

North (1992), S. 98 ff. North (1988), S. 7 ff.; 49 ff. 151 North (1992), S. 3 ff. 152 Die folgenden Ausführungen basieren auf den Überlegungen von Kiwit, (1995), S. 138 ff. 150

Voigt

I. Die Änderung von Randbedingungen

69

gende Zahl von Mitgliedern eine gewisse Überzeugung übernommen, so entwickelt die Überzeugung positive Netzwerkexternalitäten. Diese können in Form von sozialem Druck auf Außenseiter bestehen, wenn diese die Überzeugung nicht teilen. Sie können auch in der Reduktion der Unsicherheit eines neuen Mitgliedes bestehen, welches sich nicht zwingenderweise ein neues Modell bilden muß, sondern mit geringen Informationskosten auf das bereits vorhandene Modell zurückgreifen kann. Die kritische Masse ist dann erreicht, wenn ein so großer Teil der Gruppe eine Überzeugung teilt, daß die Übernahme der herrschenden Überzeugung für das nächste Mitglied eher lohnt als das „Aussuchen" einer anderen oder das Bilden einer neuen Überzeugung. Diese kritische Masse ist in Kleingruppen aufgrund der dort geringeren Informationskosten sehr viel schneller erreicht als in der gesamten Gesellschaft. 153 Bei diesen nun zu Regelcharakter „beförderten" internen Modellen handelt es sich zunächst um gruppeninterne Institutionen. Eine Diffusion auf Gesellschaftsebene wird dann stattfinden, wenn erstens die verschiedenen gruppeninternen Institutionen unterschiedliche ökonomische Auswirkungen haben und zweitens diese Unterschiede auch wahrgenommen und Gegenstand von Neuverhandlungen sein können. Der Diffusionsprozess vollzieht sich also in drei Stufen: Individuum, Kleingruppe, Gesellschaft. 154 Zusammenfassend ergeben die vorstehenden Ausführungen folgendes: Um sich mit dem Wandel von Wirtschaftsordnungen zu beschäftigen, muß man sich mit dem institutionellen Wandel, den inneren Rahmenbedingungen, und dessen Ursachen, den Randbedingungen bzw. dem äußeren Rahmen beschäftigen. Als Randbedingungen wurden aus der NIE identifiziert: Relative Preise und als dessen Komponenten Technologie, Informationskosten und Bevölkerungswandel, sowieldeen/Ideologien. 155 Im weiteren Verlauf geht es um den Ablauf und die Geschwindigkeit institutionellen Wandels und somit um die Untersuchung der Interdependenzen der in Abbildung 7 dargestellten Ebenen sowie um deren Fristigkeiten.

153

Diese Argumentation findet sich so nicht bei Kiwit, Voigt (1995). Die Schlußfolgerungen sind jedoch gleich. 154 Vgl. auch Pejovich (1998), S. 9 f. 155 Die von Leipold betonten Nachfrage Verschiebungen ergeben sich als Folge von Änderungen in diesen Bedingungen und sind quasi „Mittler" zwischen den Auslösern und den Änderungen.

70

C. Ausgewählte Problembereiche

b) Der Verlauf institutionellen

Wandels

aa) Spontaner vs. geplanter Wandel 1 5 6 Im vorstehenden Abschnitt wurden die potentiellen Auslöser institutionellen Wandels genannt und erklärt. Eine Änderung einer Randbedingung löst im System der Rahmenbedingungen Wirkungen und Wechselwirkungen aus, von denen auch das Institutionengefüge erfaßt wird. A m Ende eines Anpassungsprozesses könnte, vereinfachend ausgedrückt, ein neues stabiles institutionelles Gleichgewicht stehen, wenn entweder eine Änderung der informellen Regeln ausreicht, um den gesamten institutionellen Rahmen zu einem konsistenten Endzustand zu führen, der auch mit den geänderten Randbedingungen verträglich ist, oder aber der Rahmen sich auch unter Änderung der formalen Regeln ändert. Im neuen Gleichgewicht sind für jeden Akteur die Opportunitätskosten wieder unter dem Nutzen des neuen Gefüges gesunken. 157 Bei der Untersuchung des Anpassungsprozesses, um den es in C.I.l.b) geht, können zunächst zwei gegensätzliche Positionen unterschieden werden: • Institutioneller

Wandel erfolgt

spontan

Eine Änderung in den Rahmenbedingungen wird Auswirkungen haben, wenn die Differenz zwischen Nutzen und Opportunitätskosten für den Betroffenen höher ist als bei anderen institutionellen Bedingungen. Nach einigen Entscheidungen und Anpassungen erhält man ein nicht bewußt geplantes neues Gleichgewicht. Die Entwicklung des Geldes ist für diese Art des institutionellen Wandels ein klassisches Beispiel. Das gegenüber dem Naturaltausch erheblich geminderte Transaktionskostenniveau wurde für alle Beteiligten spürbar, so daß der Wandel rasch und effizient erfolgte. Weitere Beispiele für Institutionen, die aufgrund spontaner Selektions- und Immitationsprozesse entstanden, sind das Privateigentum oder der Grundsatz von Treu und Glauben, von Hayek (1967) ist der Ansicht, daß spontaner institutioneller Wandel in der Regel auch effizient ist und fordert eine Gesellschaft, in der es nur Per-Se-Verbote g i b t . 1 5 8 Die Ordoliberalen hegten Skepsis bezüglich dieser optimistischen Sichtweise funktionsfähiger reiner spontaner Selektion. Böhm hält effizienten Wandel in einigen Bereichen wie z.B. der Sprachentwicklung für wahrscheinlich, hält es jedoch andererseits auch für wahrscheinlich, daß in einem Systemwettbewerb zumindest tem156

Frühe Gedanken zu dieser „Dichotomie" institutionellen Wandels stammen von von Hayek. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Grossekettler (1997), S. 6 ff.; Streit (1999), S. 93 ff.; von Hayek (1948), S. 24 ff. 157 Ähnlich North (1992), S. 101 f. 158 von Hayek (1967), S. 33.

I. Die Änderung von Randbedingungen

71

porär nicht die effizienteren Institutionen, sondern die mächtigeren Organisationen sich durchzusetzen vermögen. 159 Später zeigte Leipold (1989) anhand der Spieltheorie, daß effizienter spontaner Wandel nur unter speziellen Bedingungen wahrscheinlich ist. Er ist umso wahrscheinlicher, je weniger Akteure involviert sind, je besser die Informationen der Akteure übereinander sind und je größer die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung der Entscheidungssituation ist. Unter diesen Bedingungen sind die Informations- und Transaktionskosten der Kooperation sehr gering. Diese Bedingungen dürften jedoch in modernen Volkswirtschaften unter den Randbedingungen unzähliger Pläne und daher viel höherer Informationskosten als in kleinen Gruppen kaum anzutreffen sein, womit Böhms Ansicht unterstrichen wird. • Institutioneller

Wandel wird bewußt initiiert und koordiniert

Eine Instanz mit entsprechenden Befugnissen fungiert als Promotor institutionellen Wandels, die Einführung und Planung von Institutionen erfolgt „von oben". Eine vollständige „Institutionenkontrolle" ist in modernen Gesellschaften aufgrund hoher Transaktionskosten zentraler Leitung jedoch höchst unwahrscheinlich, somit werden künstlich geplante Institutionen auch nicht geplante Anpassungen nach sich ziehen. So werden künstliche und natürliche Selektion oft miteinander verknüpft sein. Im Idealfall ist künstliche Selektion auf Metaregeln gestützt, denen vorher, wieder im Idealfall, alle Betroffenen zugestimmt haben. Institutioneller Wandel wird somit umso eher durch Planung bedingt sein, je mehr Akteure involviert sind, je schwächer das Wissen der Akteure übereinander ausgeprägt ist und je schwächer die Akteure von Wiederholungen von Entscheidungssituationen ausgehen können. 1 6 0 So kann die Erhaltung und Durchsetzung von Recht und Ordnung grundsätzlich nicht Privatorganisationen überlassen werden, da erstens aufgrund des Kollektivgutcharakters eines Rechtssystems niemand einen Anlaß hat, die extrem hohen Kosten der Rechtsdurchsetzung auf sich zu nehmen und zweitens bei privater Bereitstellung dieses Gutes erhebliche Verfahrenspräferenzkosten entstehen würden. 1 6 1 Man beachte, daß über die Effizienz des neuen Zustandes keine Aussagen getroffen wurde. Spontane wie geplante Evolution können zu effizienten wie ineffizienten Zuständen führen. Auch sind in der Realität beide Evolutionsformen vorzufinden, jeweils in Abhängigkeit von der Anzahl der 159

Böhm (1950), S. X X V I I I ; ders. (1966), S. 88 f., 138. Leipold (1989), S. 131 f.; ders. (1992), S. 97 f.; Richter, Furubotn (1996), S. 27, 117 f. 161 Zum Begriff „Verfahrenspräferenzkosten" vgl. Grossekettler (1999), S. 551 und Abschnitt B.II.3.b). 160

72

C. Ausgewählte Problembereiche

Akteure, deren Wissen übereinander und der Wiederholbarkeit der jeweiligen Entscheidungssituation. 162 Ein übergreifendes Konzept ist das Konzept der Pfadabhängigkeit. Es wurde ursprünglich zur Erklärung der Evolution von Technologien verwendet und von North (1992) und in der Weiterentwicklung von Kiwit, Voigt (1995) auf den Bereich der Institutionen übertragen. Letztere untersuchen zusätzlich die Auswirkungen bestimmter institutioneller Beziehungen auf den institutionellen Wandel. bb) Pfadabhängigkeit und Beziehungen von Institutionen 163 Mit der Unterscheidung zwischen Institutionen und Organisationen und deren integrierter Behandlung hatte North eine Grundlage, sowohl die Entstehung als auch den Fortbestand ineffizienter Institutionen zu erklären. Er fügt die Bausteine in seiner theoretischen Erklärung des Verlaufes institutionellen Wandels zusammen und bedient sich dabei des Konzeptes der Pfadabhängigkeit, welches zuvor von Arthur (1988) für die Problematik konkurrierender Technologien herangezogen wurde. Nach Arthur gibt es Mechanismen, die für eine rückkoppelnde Selbstverstärkung sorgen: • hohe Fixkosten, • Lerneffekte mit dem Effekt der Qualitätsverbesserung und/oder der Durchschnittskostensenkung, • Koordinationseffekte, die eine Zusammenarbeit von Akteuren mit ähnlichen Erfahrungen vorteilhaft machen und • adaptive Erwartungen. Diese Faktoren haben folgende Auswirkungen: • multiple Gleichgewichte, • mögliche Ineffizienzen, wenn eine ineffiziente Technik eine „kritische Masse" erreicht hat, • Blockierung, wenn man mit einer einmal angewandten Lösung gute Erfahrungen gemacht hat und das Erlernen von mit dieser Lösung verbundenen spezifischen Fähigkeiten eine versunkene Investition wäre, wenn der eingeschlagene Weg verlassen würde, • Pfadabhängigkeit, wenn eine „kritische Masse" erreicht wird: Nutzen z.B. immer mehr Nutzer ein bestimmtes Computer-Betriebssystem, so 162 163

Leipold (1989), S. 131 ff. Vgl. Zu diesem Abschnitt North (1992), S. 109 ff.

I. Die Änderung von Randbedingungen

73

werden Investitionen in die Entwicklung und Herstellung alternativer Betriebssysteme sich immer weniger mehr lohnen. Nach North (1992) können alle Selbsverstärkungsfaktoren auf Institutionen übertragen werden: Fixkosten setzt er gleich mit den Errichtungskosten einer neu zu schaffenden Institution. Lerneffekte entstehen, indem der institutionelle Rahmen Organisationen bestimmte Gewinnmöglichkeiten offeriert, deren Ausschöpfung mit bestimmten zu erlernenden Fähigkeiten verbunden ist. Es ergeben sich unmittelbare Koordinationseffekte durch Verträge mit anderen Organisationen und mittelbare durch staatliche Investitionen in komplementäre Techniken. Mit zunehmender Häufigkeit von Vertragsabschlüssen, die spezifisch für einen bestimmten institutionellen Rahmen sind, verbinden sich Erwartungsstabilisierungen, die vor allem bei Regeln von Bedeutung sind, deren Anwendung einen Ermessensspielraum notwendig machen, wo also plastische Produktionsfaktoren Entscheidungsträger sind. 1 6 4 Die obigen Ausführungen begründen eine Stabilität aufgrund zunehmender Erträge. Nach North sind daneben unvollkommene Märkte für den institutionellen Wandel charakteristisch, sie sind die Hauptursache für ineffiziente Pfade. Wegen der begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten der Menschen und Unsicherheit über die Zukunft und die Aktionen anderer sind Transaktionskosten von Belang. So werden historische Erfahrungen und ideologische Einstellungen von Entscheidungsträgern eine Rolle spielen. Sie wirken auf die inneren Erklärungsmuster ein, mit denen die Akteure sich ihre komplexe Umwelt erklären und so deren Unsicherheit reduzieren. Da der Mensch über seine Umwelt aber nur unvollkommen uninformiert sein kann, machen diese Faktoren, so North, Märkte unvollkommen und mindern die Wahrscheinlichkeit (anpassungs)effizienter Prozesse. Kiwit, Voigt (1995) legen ihren Untersuchungen ein modifiziertes Konzept der Pfadabhängigkeit sowie ein Konzept der Beziehung interner (nicht staatlicher) zu externen (staatlichen) Institutionen zugrunde. 165 Bei der Analyse ordoliberalen Schriftgutes an späterer Stelle wird die im folgenden dargestellte Sichtweise in Verbindung mit dem Nordischen Gedankengut verstärkt angewandt. Zusätzlich zu hohen Fixkosten, Lern- und Koordinationseffekten berücksichtigen Kiwit, Voigt Netzwerkexternalitäten: Eine mit Netzwerkeffekten verbundene Ressource stiftet dem einzelnen einen um so höheren Nutzen, je mehr Akteure diese Ressource (Netzwerk) nutzen.

164

Als Beispiel sei die Struktur von Arbeitsverträgen im öffentlichen Dienst genannt, vgl. Grossekettler (1999), S. 553 f. 165 Die folgenden Ausführungen lehnen sich an Kiwit, Voigt (1995) an.

74

C. Ausgewählte Problembereiche

Weiter lehnen sie es ab, den Fixkostenbegriff unkritisch auf den Begriff „Errichtungskosten" zu übertragen. Bei der Errichtung einer Institution handelt es sich um ein Problem kollektiven Handelns, nicht aber um ein Problem der Pfadabhängigkeit. Vielmehr sind Fixkosten im Sinne zeitlich in etwa gleicher Höhe periodisch anfallender Kosten zu interpretieren. Es ist somit zu untersuchen, ob solche Kosten im Marktprozeß unter den gegebenen institutionellen Bedingungen geringer sind als unter Alternativbedingungen. Dieses ist genau dann der Fall, wenn im Marktprozeß spezifisches Sach- und Humankapital investiert werden muß und es echte Alternativen in dem Sinne gibt, daß die Institution keine Zwangsinstitution, sondern über Anrufung von Instanzen Änderungen zugänglich ist. Bestehen solche Alternativen und können sich die bestehenden Institutionen aufgrund spezifischer Sach- und Humankapitalinvestitionen halten, so wird Pfadabhängigkeit vermutet. So kann man bspw. vermuten, daß in rechtsstaatlichen Demokratien einige Institutionen, die bestimmte Interessensgruppen begünstigen, auch deshalb schwer änderbar sind, weil die Akteure hohe spezifische Sach- und Humankapitalinvestitionen im Vertrauen auf den Fortbestand der bestehenden institutionelle Lage getätigt haben. Hier läßt sich als Beispiel das innerhalb des bestehenden Normensets erworbene Wissen von Lobbyisten, Anwälten und Politikern anführen, welches unter alternativen Normensets von der Entwertung bedroht wäre (Kiwit, Voigt, 1995, S. 134). Neben spezifischen Investitionen in Sach- oder Humankapital und Netzwerkeffekten erachten Kiwit, Voigt wie North die kognitive Verankerung von Institutionen als Prüfkriterium für eine Pfadabhängigkeit. Sie kommen zu folgenden Ergebnissen: • Typ 1: Sich selbst überwachende Institutionen (z.B. Sprache) sind pfadabhängig vor allem wegen der (schon definitorisch bei diesem Typ auftretenden) Netz werkeffekte. • Typ 2: Durch imperative Selbstbindung verinnerlichte Konventionen (z.B. Dekalog) sind pfadabhängig vor allem aufgrund intensiver kognitiver Verankerung. Oft handelt es sich dabei um Jahrhunderte alte kulturspezifische Normen. Sie sind im Verständnis dieser Arbeit tradierte Ideen/Ideologien und mit erheblichen Erwartungsstabilisierungen verbunden. • Typ 3: Auch bei informell durch andere Akteure überwachte Regeln (z.B. gesellschaftlichen Konventionen) spielt die kognitive Verankerung und dadurch die Erwartungsstabilisierung die Hauptrolle. • Typ 4: Bei formell durch andere Akteure überwachten Regeln (z.B. selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft) spielen spezifische Sachkapitalund Humankapitalinvestitionen in ein Überwachungs- und Durchsetzungssystem die Hauptrolle. Außerdem ist das Rechtssystem ein Kapital-

I. Die Änderung von Randbedingungen

75

gut: Eine hinreichende Konstanz des Rechts stabilisiert Erwartungen, senkt die Unsicherheit über die Zukunft und mithin das Transaktionskostenniveau. 166 • Externe Institutionen: Auch bei staatlich überwachten Regeln (positives Recht) sind spezifische Investitionen von Belang, und zwar zusätzlich wegen der Nachfrage von Interessensgruppen nach begünstigenden Regelungen. Ist eine Investition im Sinne eines Interessenarrangements durch eine Änderung des institutionellen Rahmens vom Versinken bedroht, so ist schon allein diese Aussicht ein Hemmschuh für institutionellen Wandel. Wendet man die Northsche Typisierung an und geht man davon aus, daß kognitive Verankerung und automatische Selbstüberwachung die Befolgung von Institutionen in besonderem Maße lohnend machen und daher Pfadabhängigkeiten sehr stark hervorrufen, so kommt man zu dem Schluß, daß Institutionen der Typen 1 bis 3 (nach North: formlose Bechränkungen) in hohem Maße pfadabhängig und daher nahezu änderungsresistent sind, während die Institutionen vom Typ 4 und „extern" (nach North: formelle Regeln) zwar änderbar sind, aber nur unter Aufbringung erheblicher Kosten und Überwindung des Schwarzfahrerproblems. Als weitere Bestimmungsgröße betrachten Kiwit, Voigt (1995) die Beziehung von internen und externen Institutionen zueinander. Ihre These ist, daß ein durch Änderung von Randbedingungen ausgelöster institutioneller Wandel von der Art dieser Beziehung beeinflußt wird. Sie unterscheiden im wesentlichen drei Arten von Beziehungen: • Konfligierende

Beziehung

Eine konfligierende Beziehung interner zu externer Institutionen liegt vor, wenn mit der Befolgung einer internen Institution gleichzeitig eine externe Institution verletzt wird. Ein institutioneller Wandel, der durch interne Institutionen ausgelöst wird, der externen Institutionen widerspricht, ist von zwei Voraussetzungen abhängig: Erstens müssen die internen Institutionen im Sinne eines oben beschriebenen Diffusionsprozesses über die Ebene der Kleingruppe hinaus für eine kritische Zahl an Individuen lohnend werden. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kommt es auf das erwartete Sanktionsverhalten des Staates an: Werden Sanktionen erwartet, so wird sich der Wandel eher in Richtung eines informellen Sektors mit hohen Geheimhaltungsund mithin Transaktionskosten vollziehen. Der Wandel wird quasi „eingesperrt". Wird die neue institutionelle Konkurrenz vom Staat geduldet, so ist ein konsistenter Wandel des gesamten Institutionengefüges möglich. 166 Brennern, Buchanan (1993), S. 137; Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 279; Witte (1995), S. 118.

76

C. Ausgewählte Problembereiche

• Substitutive

Beziehung

Interne und externe Institution stehen in einer substitutiven Beziehung, wenn die Beschränkung menschlicher Interaktion in etwa gleichförmig erfolgt und die Regeldurchsetzung entweder staatlicher oder privater Natur ist. Von dieser Beziehung sind insbesondere interne Institutionen vom Typ 3 (informelle Durchsetzung durch Private) und vom Typ 4 (formelle Durchsetzung durch Private) betroffen. Grundsätzlich ist die private Beilegung von Konflikten für die Konfliktbeteiligten mit geringeren Transaktionskosten verbunden als die staatliche Beilegung durch Gerichte. Gleichwohl ist sie nicht unabhängig von der Praxis der staatlichen Beilegung und Regeldurchsetzung zu sehen, da einerseits die erwartete Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens und des Ausgangs von Gerichtsverfahren und die damit verbundenen noch höheren Transaktionskosten die Erwartungen und Entscheidungen der Akteuren beeinflussen werden und andererseits Sitten und Gebräuche privater Streitbeilegung über unbestimmte Rechtsbegriffe die externen Institutionen beeinflussen. Durch den Wandel dieser internen Institutionen wird auch der Wandel der externen Institutionen mitbestimmt. Die Beziehung von Institutionen vom Typ 4 zu externen Institutionen kann dann einen Wandel hervorrufen, wenn die privaten und staatlichen regeldurchsetzenden Organisationen ein eigennütziges Interesse an der Anrufung durch Konfliktparteien haben. Wettbewerbsvorteile kann eine Organisation dabei durch Änderungen am Modus der Regeldurchsetzung erlangen. • Komplementäre Beziehung Man spricht von einer komplementären Beziehung, wenn menschliche Interaktionen in etwa gleichförmig beschränkt werden und an der Regeldurchsetzung sowohl durch der Staat als auch Private beteiligt sind. 1 6 7 Bestimmte Verhaltensweisen werden sowohl sozial als auch staatlich gefördert oder geächtet: Alle fünf Institutionentypen geben den gleichen Impuls. Greift man auf die Northsche Typisierung zurück, so ist hier die Bedingung erfüllt, daß die vorhandenen formlosen Beschränkungen die vorhandenen formalen Regeln so erweitern, ausarbeiten und einschränken, daß sie das gesamte Institutionengefüge zu einem stabilen entscheidungstheorethischen Rahmen, also zu einer konsistenten Institutionenmatrix ergänzen. 168 Die Funktion von Institutionen, die Reduktion der Unsicherheit, wird durch diese Harmonie in besonderem Ausmaße erfüllt, so daß nur wenig Wandlungsbedarf erkennbar ist.

167

Kiwit, Voigt (1995), S. 124. Die Autoren erwähnen auch die neutrale Beziehung. Sie ist im Kontext dieser Arbeit jedoch nicht relevant. Auch Kiwit, Voigt behandeln sie sehr knapp und wohl nur der Vollständigkeit halber. 168 North (1992), S. 47, 103.

I. Die Änderung von Randbedingungen

77

Mit den Aussagen über die Wirkungen bestimmter Beziehungen von internen zu externen Institutionen können zwar Erkenntnisse über Voraussetzungen und Geschwindigkeit institutionellen Wandels gewonnen werden, nicht jedoch über die Effizienz des Wandels. So kann etwa eine drastische Änderung von Preisrelationen nach institutioneller Umgestaltung geradezu schreien, zähe wachstumshemmende ineffiziente externe Institutionen und sie ergänzende interne Institutionen aber können sie abblocken. Der Rahmen ist konsistent, aber ineffizient. cc) Phasen institutionellen Wandels Wie geht nun ein institutioneller Wandel vor sich. 1 6 9 Als Auslöser sei eine Änderung der relativen Preise betrachtet, die den Organisationen neue Gewinnmöglichkeiten offeriert. 170 Sie induzieren Bestrebungen zur Verhaltensänderung, Neuverhandlungen und damit steigende Transaktionskosten, wenn sich die Beteiligten hinreichende Verbesserungen ihrer Situationen erhoffen. Als Ergebnis dieser Verhandlungen könnte eine Änderung der formlosen Beschränkungen, der formellen Regeln oder von beidem stehen. Die Geschwindigkeiten der dabei ablaufenden Prozesse sind von der Schnelligkeit der Wahrnehmung der Änderung durch die Akteure sowie durch deren subjektive Modelle determiniert. Voraussetzung ist, daß durch die Änderung die Opportunitätskosten der Beteiligten über ein kritisches Niveau steigen, welches sie zu Verhandlungen veranlaßt. 171 Eine Änderung der formlosen Beschränkungen kann in der Lockerung, Modifizierung oder Umgehung bereits vorhandener Gewohnheiten oder Sitten bestehen. Diese Umgestaltung in Richtung neuer formloser Beschränkungen wird im Sinne eines erfolgreichen Diffusionsprozesses zunächst innerhalb der Organisation vor sich gehen. Ist die Organisation hiermit erfolgreich und wird dieser Erfolg von anderen Organisationen registriert, so sind die Voraussetzungen für eine Diffusion auf Gesellschaftsebene und eine Änderung des gesamten institutionellen Rahmens gegeben. Eine Änderung 169

Die folgende Ausführungen lehnen sich weitgehend an North (1992), S. 98 ff. an und werden durch die Bereicherungen seiner Theorie durch Kiwit, Voigt (1995) ergänzt. 170 Auch eine Änderung der herrschenden Ideen/Ideologien ist als erster Auslöser denkbar, ob sie jedoch als Erstauslöser fungieren können, ist fraglich. Vgl. North (1992), S. 100. 171 Das Konzept eines kritischen Opportunitätskostenniveaus paßt zu den Annahmen beschränkter Rationalität und satisfizierenden Verhaltens: Die Akteure entscheiden nicht fortwährend neu und sind keine reinen Maximanden. Vielmehr existiert orientiert an einem als „befriedigend" erachteten Nutzenniveau ein kritisches Opportunitätskostenniveau, bei dessen Überschreitung der Akteur tätig wird. Vgl. Kiwit, Voigt (1995), S. 125 ff.; Simon (1955), S. 99 ff.

C. Ausgewählte Problembereiche

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formloser Beschränkungen ist jedoch sehr schwer zu initiieren und extrem kostspielig, da gerade im Bereich tradierter spezifischer Kulturmerkmale durch oft jahrhundertelange und tradierte Lerneffekte, durch spezifische Humankapitalinvestitionen, durch Netzwerkeffekte und adaptive Erwartungen enorme Unsicherheitsreduktionen und Pfadabhängigkeiten bestehen. Auch wird der gesamtgesellschaftliche Diffusionsprozeß einige Zeit in Anspruch nehmen, in der die Akteure die neue Norm nicht kostenlos anwenden können. Ein Wandel formloser Beschränkungen ist nicht ausgeschlossen, wird aber nur in kleinen Schritten und inkrementell vor sich gehen. 172 Die Änderung formgebundener Regeln ist ebenfalls sehr kostspielig und erfordert die Lösung des Schwarzfahrerproblems, so daß Organisationen diesen Komplex des institutionellen Rahmens nur dann ändern werden, wenn sie sich hinreichend sicher über die Kosten sowie den Nutzen eines solchen Vorhabens sind. Diese Schätzungen können Intermediäre vornehmen, wie etwa Handels verbände oder Lobby gruppen. 173 Da diese Kosten direkter meß- und spürbar sind, als die zwar höheren, aber eben nicht direkt spürbaren Kosten der Änderung formloser Beschränkungen, werden Organisationen folglich zunächst über eine Modifikation ihrer Verhaltensweisen (der formlosen Beschränkungen) versuchen, ihre Gewinnmöglichkeiten besser auszuschöpfen. Wegen der starken Pfadabhängigkeit formloser Beschränkungen ist ein Wandel der formellen Regeln unabdingbar. Ein neues institutionelles Gleichgewicht, in dem nicht mehr weiterverhandelt wird, die Transaktionskosten also auf dem ursprünglichen Niveau wieder angelangt sind, wird man jedoch nur erhalten, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: 1 7 4 • Der institutionelle Rahmen ist konsistent, denen Regeln passen zueinander.

die formlosen und formgebun-

Ein inkonsistenter institutioneller Rahmen, in dem die formlosen Beschränkungen nicht die formellen Regeln gleichförmig ergänzen, sondern ihnen u.U. sogar zuwiderlaufen, ist mit erheblichen Erwartungsdestabilisierungen verbunden. Hierdurch wird die Unsicherheit über die Zukunft und mithin das Transaktionskostenniveau erhöht. • Dieser Rahmen paßt zur geänderten Randbedingung (im oberen Beispiel: zu den neuen Preisrelationen). Paßt ein institutioneller Rahmen nicht zu den geänderten Randbedingungen, so bleiben Gewinnpotentiale unausgeschöpft. Die Individuen und 172

Vgl. auch Pejovich (1998), S. 7 f. Dieser Northsche Gedankengang korrespondiert mit Schmidtchens Idee vom evolutionären Unternehmertum. 174 Dabei wird vorausgesetzt, daß ein Gleichgewicht existiert und dieses dynamisch erreicht werden kann. 173

I. Die Änderung von Randbedingungen

79

Organisationen werden also weiter nach Ausschöpfungsmöglichkeiten suchen. Diese Suchaktivitäten erhöhen das Transaktionskostenniveau. Entsteht kein neues Gleichgewicht, so wird die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Zustand vor und nach der Störung wahrgenommen und in gewissem Maße das Verhalten der Menschen und somit wiederum Ideen/Ideologien beeinflussen, es wird eine neue „Anpassungsrunde" ausgelöst. Diese Stufen werden wegen der Zähigkeit vieler Usancen klein sein, der Wandel erfolgt inkrementell. Wegen der bisweilen von den formgebundenen Regeln abgekoppelten Entwicklung formloser Beschränkungen kann allein durch die Änderung der formlosen Beschränkungen eine Anpassung nur mit geringer Wahrscheinlichkeit erreicht werden. 175 Um diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen ist eine „Mitarbeit" der formgebundenen Beschränkungen notwendig: • Es muß Institutionen geben, die Verhandlungen über formgebundene Regeln möglich machen. • Es muß Institutionen geben, welche die Transaktionskosten der Änderung formgebundener Regeln dämpfen und zur Lösung des Schwarzfahrerproblems beitragen. • Es muß Unternehmer mit hinreichender Verhandlungsfreiheit, auch gegenüber den durch sie Vertretenen geben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird institutioneller Wandel begünstigt. Mit Blick auf institutionelle Beziehungen wird er ferner bei Vorliegen folgender Voraussetzungen begünstigt: • bei aufkommenden mit externen Institutionen konfligierenden internen Institutionen durch Duldung der neuen Gewohnheiten. Kiwit und Voigt nennen als erfolgreiche Beispiele die Entstehung von Stadtstaaten als Inseln ökonomischen Wandels in Europa und den Erfolg japanischer Tochtergesellschaften im Ausland. Eine Übernahme von Teilen der (noch) konfligierenden Institutionen in staatliches Recht, etwa durch neue Auslegungen unbestimmter Rechtsbegriffe durch „progressive" Juristen, kann den Wandel noch beschleunigen. • bei substitutiven Beziehungen, wenn zwischen den regeldurchsetzenden Organisationen Wettbewerb herrscht und sich dieser Wettbewerb auf Modifikationen in der Rechtsprechung bezieht. • bei einer möglichst geringen Anzahl komplementärer institutioneller Beziehungen.

175 Und dieses ist nach North wohl der Normalfall: „ . . . Man beachte (jedoch), daß eine Änderung bei einer der Arten von Beschränkungen die Transaktionskosten ändern . . . " (North, 1992, S. 103 f.; Herv.d.d.V.).

80

C. Ausgewählte Problembereiche

Diese Bedingungen beziehen sich auf den Wandel selbst. Über Effizienz ist noch nichts gesagt. Legt man diesem Begriff die Northsche Interpretation als Anpassungseffizienz zugrunde, so ist ein Wandel dann effizient, wenn der institutionelle Rahmen die Fähigkeit besitzt, sich rasch an neue Randbedingungen anzupassen. Da institutioneller Wandel aber pfadabhängig ist, wird eine rasche Anpassung um so eher erfolgen, • entweder je kleiner der Anteil der Ideen/Ideologien am institutionellen Rahmen ist. Spielen im unrealistischen Extremfall nur die relative Preise eine Rolle, so nähert man sich dem neoklassischen Idealfall. • oder je eher Ideen/Ideologien eine effiziente Anpassung erlauben. Aufgrund zunehmender Erträge irgendeines institutionellen Rahmens können auch ineffiziente Pfade verfolgt werden, da ein Interesse an der Stabilität irgendeines institutionellen Rahmens besteht. Eine tradierte Zentral- oder Staatsgläubigkeit etwa kann effiziente Anpassungsprozesse dauerhaft hemmen. 1 7 6 Hieraus ergeben sich erstaunliche Schlußfolgerungen: Oben wurde bereits ausgeführt, daß Ideen/Ideologien eine umso größere Rolle im gesamten Institutionengefüge spielen, je niedriger der Preis des Offenbarens von Überzeugungen ist. Überwiegen in einer Gesellschaft nun Ideen/Ideologien, die ineffiziente Institutionen begünstigen, so könnte es sich lohnen, diese durch einen hohen Preis des Offenbarens von Überzeugungen zurückzudrängen. 1 7 7 Unterstellt man jedoch den Menschen ein natürliches Freiheitsbedürfnis (was der Verfasser hiermit tut), so kann man plausibel annehmen, daß die Opportunitätskosten und mithin auch die Durchsetzungskosten auch solcher gutgemeinter Diktat-Institutionen mittelfristig deren Nutzen übersteigen werden. Es entstehen konfligierende interne Institutionen, deren Mißachtung letztendlich zu erheblichen Transaktionskostensteigerungen und Ineffizienzen führt. Dauerhaft effiziente Diktaturen gibt es nicht. In der Pfadabhängigkeit institutionellen Wandels sieht North die Hauptursache dafür, daß Gesellschaftssysteme, teilweise sogar ausgestattet mit dem gleichen formellen Regelüberbau, sich verschieden entwickeln und nicht etwa aufgrund langfristig sinkender Informationskosten konvergieren. Geschichte ist von Belang. 1 7 8

176 N w t h führt a ] s Beispiel des Verfolgens ineffiziener Pfade die Entwicklung lateinamerikanischer Wirtschaften unter Fortleben alter spanischer (genauer: kastilischer) Traditionen an. Vgl. North (1992), S. 121 ff.; 134 ff. 177 Vgl. hierzu auch Yanez (1997) über die Entwicklung der chilenischen Volkswirtschaft. 1 8 North (1992), S. 1 0 .

I. Die Änderung von Randbedingungen

81

Die Voraussetzungen, die den Wandel selbst betreffen, kann man als die beim gegenwärtigen Stand der Forschung bekannten notwendigen Bedingungen anpassungseffizienten Wandels bezeichnen, die Voraussetzungen über den Einfluß der Ideen/Ideologien als hinreichende Bedingungen. c) Die Industrielle

Revolution

Nachdem in den vorherigen Abschnitten die wesentlichen theoretischen Erkenntnisse der NIE über den institutionellen Wandel zusammengetragen wurden, werden diese nun anhand des Beispiels der industriellen Revolution aufbereitet. Die industrielle Revolution oder, nach North, die Zweite Wirtschaftliche Revolution, ist die Epoche, deren Auswirkungen die ordoliberalen Autoren nachhaltig geprägt haben und anhand derer Erfahrungen sie sich ihr Bild von der Wettbewerbsordnung machten. Die neoinstitutionalistisch interpretierten Ursachen und Auswirkungen dieser Epoche werden in Abbildung 8 in weitgehender Anlehnung an North (1988) dargestellt. 179 North (1988) hält die Zweite Wirtschaftliche Revolution nicht für ein Ereignis mit einem definierten Startpunkt, wie etwa die Erfindung der Dampfmaschine. Vielmehr sei es bereits in den Jahrhunderten zuvor zu den wichtigsten Weichenstellungen gekommen: Zu Beginn vermutet North einen langsamen Wandel der Ideen/Ideologien hin zu einer steigenden Wahrnehmung der nützlichen Ergebnisse der Naturwissenschaften, verbunden mit einem Rückgang des Einflusses der Kirche auf die Meinungsbildung. Im nächste Schritt kam es zu einem Austausch zwischen Naturwissenschaftlern und Erfindern. Man wurde sich der hohen gesellschaftlichen Ertragsrate der Vermehrung des Grundlagenwissens bewußt. Schließlich, und das war der wichtigste Schritt, kam es zu einer Änderung der formellen Regeln: Es kam zur Herausbildung von Property-rights, welche die positiven Effekte neuen Wissens internalisierten. 180 Es kam in der Folge zu einer Änderung des Gefüges der relativen Preise. Die Transaktionskosten sanken aufgrund zurückgehender Seeräuberei und größerer Schiffe, aber auch aufgrund der Errichtung organisierter Märkte. Es wurde für Organisationen rentabel, sich weniger auf die Verteidigung alter als vielmehr auf Eroberungen neuer Märkte zu konzentrieren, die wiederum nach vermehrter Produktion verlangten. Diese Eroberungen wurden durch neue Techniken (Reihenfertigung, Dampfmaschine) möglich, welche den erhöhten Ausstoß durch Spezialisierung und Realisierung von Größenvorteilen begünstigten. Die erneute Än179 180

6 Evers

North (1988), S. 163 ff. Manifestiert z.B. in der englischen Patentgesetzgebung von 1624.

82

C. Ausgewählte Problembereiche

Änderung von Ideen/Ideologien

Bemühung um TK h , ) d u k l i o n

+

Bemühung um TK M o n o p o ,

Λf

1r Staatsanteil

Legende: TKgesamt: TKProduktion: TKMonopol: PK:

|

f

Transaktionskostenpegel der gesamten Volkswirtschaft Transaktionskosten bei Produktionsvorgängen Transaktionskosten der Monopolisierung Produktionskosten

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 8: Transaktionskostengründe für die Zunahme der Staatstätigkeit nach North

I. Die Änderung von Randbedingungen

83

derung der relativen Preise führte zu einer Änderung der Transaktionskosten dergestalt, daß die separierten Vorgänge zu koordinieren und die Einsätze und Ausstöße zu messen waren und die typischen Probleme bei Teamproduktion, z.B. Drückebergerei (shirking), an Bedeutung gewannen. Es entstanden neue Organisationen, nämlich Unternehmen und Betriebe, welche die Vorteile der ortsnahen Koordination und Messung in Form von Großbetrieben nutzten. In dieser Phase wurden Großbetriebe auch durch Unteilbarkeiten der Produktion gefördert. Langlebige Investition in fixen Kapitalien erhöhten die Gefahr des Opportunismus und somit erneut die Transaktionskosten. Im Zuge der Industrialisierung und Spezialisierung entstanden neue Gruppen und neue Umwelten, somit auch neue interne Modelle der Wirklichkeit, die, wenn sie stark genug waren, die Ebene der Kleingruppe verlassen konnten und zu einer Ideologie wurden. Es gab mithin viele Gruppen und viele Ideologien. Um diese Gruppen für ihre Zwecke zu gewinnen, wurde es im politischen Prozess für Interessengruppen lohnend, mit Hilfe dieser Ideologien und der vertretenen Gruppen Macht zu erlangen und sich des Staates für ihre Zwecke zu bedienen. In diesen Rent-seeking-Vorgängen sowie in der immer häufiger geforderten Vermittlungstätigkeit des Staates wegen gestiegener Transaktionskosten sehen North (1988) oder auch Theurl (1990) Ursachen zunehmender Staatstätigkeiten und Staatsquoten. 181 d) Zusammenfassung Die moderne Definition des Begriffs „Wirtschaftsordnung" als Summe aller institutioneller Regelungen, „ . . . welche die Verteilung der Entscheidungskompetenzen (Handlungsrechte), die Verteilung von Informationen und die Richtung von Informationsflüssen und die Anreizstruktur für die Wirtschaftssubjekte bestimmen." (Grossekettler, 1997, S. 39) verlangt geradezu nach einer Erforschung des Wandels von Wirtschaftsordnungen mit Hilfe der Neuen Institutionenökonomik. Institutioneller Wandel ist auch immer ein Wandel der Wirtschaftsordnung. 182 Als Auslöser institutionellen Wandels nennt die NIE zwei Cluster von Randbedingungen: Änderungen in den relativen Preisen, speziell in der Technologie, in den Informationskosten und im Bevölkerungsstand, sowie Änderungen in den tradierten Konventionen, herrschenden Meinungen, Sitten, in dieser Arbeit zusammenfas181 Theurl (1990) weist zudem auf interessante Analogien des Northschen Ansatzes zur Erklärung gestiegener Staatstätigkeit zum Wagnerschen Ansatz hin. Die dortige Abbildung zum Northschen Erklärungsansatz zur Zunahme der Staatstätigkeit unterscheidet detaillierter als die obige Abbildung zwischen Produktions- und Haushaltssphäre. 182 Vgl. auch Leipold (1989), S. 129 ff.; North (1988), S. 34 ff.

6*

84

C. Ausgewählte Problembereiche

send als „Ideen/Ideologien" bezeichnet. Vielversprechende Ansätze zu einer neuen umfassenden Theorie der Geschichte und des institutionellen Wandels liefert North (1988, 1992). Er betont, daß der Mensch nur mit den Informationen arbeiten kann, über die er verfügt und zu deren Verarbeitung er fähig ist. Bei der Reduktion von Unsicherheit ist Geschichte von Belang. North überträgt das Konzept der Pfadabhängigkeit auf den Wandel von Institutionen und erhält ein heuristisches theoretisches Analyseinstrumentarium. Es ist erweiterbar durch die Modifizierung des Konzeptes der Pfadabhängigkeit und der Berücksichtigung des Verhältnis verschiedener Institutionentypen. North selbst weist darauf hin, daß seine Theorie sich noch in den Kinderschuhen befindet. 183 Seinem Modell wie auch dessen Erweiterungen und Modifikationen können zum einen wegen der immer noch herrschenden Uneinigkeit über den Transaktionskostenbegriff sowie des mangelnden Prognosegehaltes zur Zeit keine prognostischen und allenfalls heuristische Fähigkeiten zugebilligt werden. Diese Fähigkeiten allerdings tun gute Dienste und helfen bei der Analyse vorhandener Wirtschafts- und Sozialordnungen, wie North selber bei der Untersuchung der nord- und lateinamerikanischen sowie der westeuropäischen Geschichte gezeigt hat. In den folgenden Abschnitten werden Ursachen und Prozesse institutionellen Wandels aus Sicht der Ordoliberalen beschrieben und im Lichte der NIE aufbereitet.

2. Die Sicht der Ordoliberalen Im vorherigen Abschnitt wurde ein Analyseinstrumentarium aus verschiedenen neoinstitutionalistischen Ansichten gewonnen, mit welchem man die Ursachen, die Voraussetzungen und den Verlauf institutionellen Wandels erfassen kann. Gemäß der generellen Vorgehensweise in dieser Arbeit wird in den folgenden Abschnitten untersucht, inwieweit dieses Instrumentarium auf die Ansichten ordoliberaler Autoren anwendbar ist. Dabei werden zunächst aus der frühen ordoliberalen Literatur themenrelevante Elemente identifiziert und anschließend mittels neoinstitutionalistischer Sprache aufbereitet. Das Vorgehen ist dabei analog dem vorhergehenden Abschnitt: Zunächst werden Ursachen des Wandels von Wirtschaftsordnungen aus den einschlägigen Quellen identifiziert, darauf Hinweise auf eine theoretische Betrachtung institutionellen bzw. historischen Wandels. In C.I.2.c) wird anhand eines konkreten Beispiels nach Hinweisen zu ordoliberalen Ansichten zur Pfadabhängigkeit institutionellen Wandels geforscht, nämlich anhand Deutschlands Weg in eine kartellierte Wirtschaft. Abschnitt C.I.2.d) faßt die Aussagen zusammen.

18

North

(1992), S.

1 .

I. Die Änderung von Randbedingungen

a) Die Ursachen institutionellen

85

Wandels

Nach Lenel (1949) ist die Gestaltung der Wirtschaftsordnung „ . . . von den Daten der jeweiligen Zeit und des jeweiligen Ortes abhängig." (Lenel, 1949, S. 356). Eucken (1952) nennt sechs Daten, vor deren Hintergrund eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung vorzunehmen ist: „Die Bedürfnisse der Menschen; die Gaben und Bedingungen der Natur; die Arbeitskräfte; die Gütervorräte aus früherer Produktion, ferner das technische Wissen und schließlich die rechtliche und soziale Ordnung, die den Handlungen der Wirtschaftssubjekte Richtung geben kann und Grenzen setzt." (Eucken, 1952, S. 377). Bezüglich der rechtlichen und sozialen Ordnung unterscheidet Eucken zwischen geschriebenen Gesetzen, ungeschriebenen Sitten und Gebräuchen und dem „Geist, in dem die Menschen leben und sich an die Spielregeln halten." (ebenda). Die Umwälzungen der industriellen Revolution und ihre Auswirkungen bewirkten die gewaltigsten und weithin spürbarsten Datenänderungen für die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert. 184 Dieses gilt auch für die jene Ereignisse aus der Rückschau betrachtenden ordoliberalen Autoren. Für Eucken waren der Beginn der Industriellen Revolution um 1770 und die Französische Revolution von 1789 die sichtbaren geschichtlichen Auslöser, für Böhm waren es der nordamerikanische Befreiungskrieg und die Französische Revolution, die eine Umgestaltungsperiode einläuteten, die sich bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts erstreckte. 185 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, die zugleich Leitmaxime für die Ordoliberalen ist: „Wie kann der modernen industrialisierten Wirtschaft eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung gegeben werden?" (Eucken, 1949, S. 1). Im ersten Band ORDO heißt es im Vorwort als allererstes: „Wie muß die Wirtschafts- und Sozialordnung beschaffen sein, in der sich ein menschenwürdiges und wirtschaftlich erfolgreiches Leben entwickeln kann?" • Technologie und Nachfragestruktur Euckens Variante der Leitmaxime am Ende des obigen Absatzes ist somit nicht ganz so allgemein wie die eben dargestellte. Er stellt an den Anfang seiner Untersuchungen diejenigen historischen Bedingungen, die sich seiner Meinung nach am stärksten von denen der vorindustriellen Zeit unterscheiden, nämlich die der „industrialisierten Wirtschaft". An anderer Stelle konkretisiert er diese Bedingungen noch weiter und nennt „Industrialisierung und moderne Technik ...", die „ . . . einen einzigartigen Um184

Vgl. Böhm (1933), S. 93 f.; Eucken (1948), S. 56; ders. (1952), S. 1. Vgl. Böhm (1933), S. 93 f.; Eucken (1952), S. 15. Anders als North sehen diese Autoren also punktuelle Ereignisse als Beginn der wirtschaftlichen Umwälzungen an. 185

C. Ausgewählte Problembereiche

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Sturz in der Geschichte bewirkt (haben)." {Eucken, 1952, S. 1). Diese Bedingungen nennt er auch an anderer Stelle. 1 8 6 Böhm nennt explizit Technik und Arbeitsteilung als Voraussetzungen für eine freie Verkehrswirtschaft. 187 Irmler konstatiert im Rückgriff auf Lippmanns „Die Gesellschaft freier Menschen" ein seit der Industrialisierung enorm gestiegenes Tempo des technischen Fortschritts. 188 Röpke sieht neben Bevölkerungsdruck auch Technisierung und Maschinisierung als Hauptursachen moderner Kulturveränderungen. 189 Röpke und Rüstow gehen zudem auf konkrete technische Änderungen ein, nämlich auf Unteilbarkeiten und hohe Fixkosten zu Beginn der Industrialisierung. 190 Die Änderung der Technologie wird also als wesentliche Bestimmungsgröße für die Änderung von Wirtschaftsordnungen gesehen. Aufgrund der von den Ordoliberalen festgestellten langfristigen Tragweite dieser Änderungen ist der Technologiestand auch aus Sicht der Ordoliberalen eine Randbedingung im Sinne dieser Arbeit. Eucken nennt weiterhin bei seiner Untersuchung gesamtwirtschaftlicher Daten die „Bedürfnisse der Menschen" als erstes Datum. 1 9 1 Es steht also zu vermuten, daß er, ähnlich wie die Vertreter der NIE, heute die Nachfragestruktur in einer bestimmten historischen Situation als gesamtwirtschaftliche Randbedingung interpretieren würde. • Bevölkerungswandel

und Informationskosten

Der technologische Wandel steht am Anfang der Euckenschen Untersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Bedingungen der vorindustriellen Zeit und der Gegenwart verdeutlicht er anhand einer Eigenwirtschaft. Eine solche Wirtschaftsform ist, wie auch von Rüstow (1949) herausgestellt wird, gekennzeichnet von einer geringen Anzahl von Akteuren und von wirtschaftlicher Autarkie. Der „Leiter" einer solchen Wirtschaft ist aufgrund der begrenzten Anzahl an zu koordinierenden Plänen ohne weiteres in der Lage, diese Koordinationsaufgabe zu übernehmen und ein Funktionieren der Eigenwirtschaft zu gewährleisten. 192 Eucken hebt hervor, daß solche Wirtschaftsordnungen in der Vergangenheit vorherrschend waren, sie jedoch in einem langfristigen Vorgang zurückgedrängt worden seien und sich dieser Vorgang während der Industrialisierung erheblich beschleunigt habe. 1 9 3 Die „Ratio" eines Einzelnen reiche nun nicht mehr aus, die vielen 186 187 188 189 190 191 192 193

Vgl. z.B. Eucken (1948), S. 56; ders. (1952), S. 377. Vgl. Böhm (1933), S. 101; ders. (1950), S. X X I V . Irmler (1948), S. 297 ff. Röpke (1944), S. 28. Vgl. Röpke (1948), S. 155 ff.; Rüstow (1949), S. 100. Eucken (1952), S. 377. Vgl. Eucken (1948), S. 56 ff.; ders. (1952), S. 15 ff.; Rüstow (1949), S. 114 ff. Ähnlich Partsch (1948), S. 214 ff.; vgl. auch Böhm (1950), S. X X .

I. Die Änderung von Randbedingungen

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Millionen Einzelpläne zu koordinieren. Dieses gehe über die Fähigkeiten eines Einzelnen weit hinaus. 1 9 4 Nach Lenel und Böhm ist eine zentrale Planstelle weder in der Lage, Kosten und Nutzen aller Konsumgüter zu quantifizieren noch die kostengünstigsten Produktionsverfahren zu ermitteln. 1 9 5 Dieses gilt nach Böhm auch für den Einbau vorhandener Eigenwirtschaften in ein übergeordnetes interdependentes Wirtschaftssystem. 196 Mit den Ausführungen über die beschleunigte Verdrängung der Eigenwirtschaften erhält man einen Hinweis darauf, daß für Eucken und auch Böhm der Bevölkerungswandel eine Rolle spielt. Röpke hält die Bevölkerungsentwicklung für eine der Hauptursachen der Änderung der Lebensumstände. 197 Auch erhält man einen Hinweis auf, in moderner Sprache, im Gegensatz zu Einzelwirtschaften hohe Informationskosten, die eine Koordination in großem Stile durch einen Einzelnen unmöglich machen. In einem anderen Zusammenhang spricht Eucken von der „erhöhten Anpassungsflexibilität technischen Wissen", die sich seit der Industrialisierung entwickle. 1 9 8 Ebenso konstatiert er verbesserte Verkehrs- und Reisemöglichkeiten, also sinkende Transportkosten. Eucken schildert weiter, daß die sinkenden Transportkosten einhergehen mit verbesserten Techniken in der Nachrichtenübermittlung und nennt als Beispiele Telegraph, Telefon und Rundfunk. 1 9 9 Auch hier kann man Eucken dahingehend interpretieren, daß Informationskosten für ihn eine Rolle spielen und die Informationskosten im Laufe der Industrialisierung sinken. Eucken könnte somit zwei konträr verlaufende Kostenkurven im Kopf gehabt haben: Sinkende Informationskosten pro Kopf sorgen für eine Vergrößerung der Märkte und für steigende Informationskosten zentraler Leitung. Hierin wie auch im Bevölkerungswandel sieht Eucken durch die Industrialisierung ausgelöste langfristige Trends. Bevölkerungswandel und Informationskosten können somit auch in ordoliberaler Hinsicht als Randbedingungen im Sinne dieser Arbeit interpretiert werden. 194 Böhm (1950), S. X I X ; Eucken (1952), S. 57. An anderer Stelle nennt er „die Arbeitskräfte 4 ' als gesamtwirtschaftliches Datum (Eucken, 1952, S. 377), wobei zunächst unklar bleibt, ob er an dieser Stelle die Anzahl an Arbeitskräften meint oder auch deren Ausbildung und innere Einstellung (beeinflußt durch Ideen/Ideologien). Ausbildung und innere Einstellung können jedenfalls unter anderen von Eucken an dieser Stelle genannten Daten subsumiert werden, nämlich unter „das technische Wissen" und „Geist, in dem die Menschen leben und sich an die Spielregeln halten" (ebenda). Nach Vermutung des Verfassers dürfte Eucken also auch beim Datum „Arbeitskräfte" eher an deren Anzahl gedacht haben. 195 Böhm (1966), S. 98, 138; Lenel (1948), S. 310 f. 196 Böhm (1950), S. X X I I . 197 Röpke (1944), S. 28. 198 Eucken (1950), S. 8. 199 Eucken (1952), S. 43 ff.; 228, ders (1950), S. 3, 5.

88

C. Ausgewählte Problembereiche

• Ideen/Ideologien Einen großen Raum räumen die frühen ordoliberalen Autoren dem Einfluß von Ideen/Ideologien auf die wirtschaftliche Entwicklung von Gesellschaften ein. Müller-Armack beklagt bspw. die zu seiner Zeit herrschende Meinung von der Zentralverwaltungswirtschaft als überlegene Wirtschaftsform, eine Meinung, die auf alle gesellschaftlichen Gebiete durchgeschlagen habe und Spuren hinterlasse. 200 Ähnlich prangert Röpke den seiner Meinung nach irrigen herrschenden Glauben an die Großbetriebe als fortschrittliche Organisationsform an. 2 0 1 Einen ähnlichen Ton schlägt Rüstow an bei seinem Angriff auf die herrschende Überzeugung davon, daß die stetig steigenden Fixkosten zwangsläufig das Ende der freien Verkehrswirtschaft einläuteten. 202 Die letztgenannten Autoren benutzten diese Auffassungen allesamt als Aufhänger ganz zu Anfang ihrer gerade zitierten Arbeiten, was übrigens darauf hindeutet, daß dem Leserkreis, dessen Aufmerksamkeit ja erregt werden sollte, diese Auffassungen nur allzu geläufig waren. Kronstein (1950) unterstreicht den großen Einfluß der Ideen Adam Smiths auf die Väter der amerikanischen Revolution. 2 0 3 Eucken (1948, 1949, 1952) und Böhm (1933,1950) widmeten sich bei Ihren Untersuchungen ausführlich dem Einfluß der jeweils herrschenden Ideologien auf die Wirtschaftsordnung, den sie als sehr stark und sehr nachhaltig einstufen. 204 Eucken hält ihren Einfluß auf die Wirtschaftspolitik und somit auf den institutionellen Rahmen für „vielfach wichtiger als die wirtschaftlichen Tatsachen selbst" (Eucken, 1952, S. 210). Er spricht vom „Geist, in dem die Menschen leben und sich an die Spielregeln halten." (Eucken, 1952, S. 377). Böhm stellt heraus, daß Kartellierungen leichter und schneller in Nationen mit antidemokratischen Traditionen durchzuführen seien. 205 Nach Auffassung Euckens kann der Mensch jeweils nur Ausschnitte des gesamten Wirtschaftsprozesses überblicken (Eucken, 1948, S. 78 f.; ders., 1952, S. 6, 11). Ideologien fungieren hierbei zum einen als Mittel zur Reduktion von Unsicherheit: Anstatt den gesamten Prozess zu überblicken, wird das Denken der Menge durch Propaganda bestimmt {Eucken, 1948, S. 77 f., ders. 1952, S. 193). Zum anderen fungieren sie für Interessengruppen als Mittel zum Zwecke der Gewinnung der Masse für ihre

200

Müller-Armack (1948), S. 125 ff. Röpke (1948), S. 55 ff. 202 Rüstow (1949), S. 155 ff. 203 Kronstein (1950), S. 75. 204 Vgl. z.B. Böhm (1933), S. 93 ff.; 147 ff.; ders. (1950), S. L I V ff.; Eucken (1952), S. 193 ff.; 377. 205 Vgl. Böhm (1950), S. L X f. 201

I. Die Änderung von Randbedingungen

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Zwecke. Ideologien entstehen dabei zuerst in den Köpfen einzelner Personen und werden dann, wenn sie einmal eine oder mehrere Interessensgruppen als nützlich erachtet wurde, von diesen übernommen und als Werkzeug zur Durchsetzung ihrer Interessen benutzt (Eucken, 1952, S. 200 ff.): Ideologien und die damals übliche Allegorisierung („der Kapitalismus", „der Mancismus", „der Imperialismus") 206 dienen den jeweiligen Gruppen als Mittel zur Senkung der Durchsetzungskosten (des Staates zur Durchsetzung einer staatstragenden Ideologie, dem Kartell zur leichteren Durchsetzung zukünftiger Kartellverträge). 207 Die Analogien zu den Ausführungen von North sind verblüffend. Beide Autoren sehen eine Funktion von Ideen/Ideologien darin, dem Einzelnen die Unsicherheit über seine Umwelt zu reduzieren. Sehr interessant ist der Vergleich der von Eucken gesehenen Funktion der Allegorisierungen mit der von North gesehenen Funktion der Religion in der Antike: Beide Instrumente sollen der jeweiligen Interessensgruppe die Durchsetzungskosten einer Ideologie senken. Eucken sieht in der Allegorisierung von Ideologien ein Mittel, um die Ideologie den Menschen besser zu erklären und somit schmackhaft zu machen (Eucken, 1952, S. 206). North hält Religion in der Antike zuallererst als ein Mittel zur „Rationalisierung der Umwelt" (North, 1988, S. 97), aber damit zusammenhängend für Herrscher als ein Mittel zur Senkung der Kosten zur Durchsetzung von Machtansprüchen. So nahm der persische Herrscher Darius den Namen des ägyptischen Sonnengottes Re an, um seinen Ansprüchen auf das fremde Land einen „legalen" Anstrich zu geben (North, 1988, S. 104). 2 0 8 Ein Unterschied in den Auffassungen besteht darin, daß Eucken Ideen/ Ideologien zusätzlich explizit die Funktion zuschreibt, Interessensgruppen als Werkzeug zu dienen. Dieses sagt North nicht explizit, es ist jedoch seinen Ausführungen implizit zu entnehmen (s.o.). Ferner erachtet es Gather (1949) als notwendig, die Ertragsrate neuen Wissens (in Northscher Diktion) dort zu begrenzen, wo sie zur Bildung dauerhafter Monopole führt. 2 0 9 Alles in allem kann man aus dem frühen ordoliberalen Schriftgut die Randbedingungen „Technologie und Nachfragestruktur", „Informationsko-

206

Verschiedene „Ismen", wie man heute sagen würde. Daß solche Stilmittel von Interessensgruppen auch heute gern benutzt werden, zeigt der in den Medien fast allgegenwärtig anzutreffende Gebrauch polarisierender Begriffspaare: „die Reichen und die Armen", „die Besserverdienenden und die Schwachen", „privater Reichtum und öffentliche Armut", Schüller (1997), S. 734. 208 Fehl, Schreiter (1997, S. 226) schreiben den Ordoliberalen explizit die Leistung zu, selbst eine gewisse Wettbewerbsideologie in Deutschland initiiert zu haben. 209 Gather (1949), S. 273 f. 207

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C. Ausgewählte Problembereiche

sten" und „Ideen/Ideologien" direkt identifizieren, während die Randbedingung „Bevölkerungswandel" dem Schriftgut indirekt zu entnehmen sind. Eucken nennt als zweites gesamtwirtschaftliches Datum zudem die „Gaben und Bedingungen der Natur". 2 1 0 Dieses Datum wurde zu Beginn des Abschnitts C.I.l. unter dem Stichwort „Naturgesetze" als exogene Rahmenbedingung (nicht Randbedingung!) herausgearbeitet. 211 Interessanterweise stellt Eucken klar, daß selbst dieses Datum nicht unbeeinflußbar sei und selbst „das Klima eines Landes durch menschliches Eingreifen verändert werden . . . " kann (Eucken, 1952, S. 378). 2 1 2 b) Verlauf institutionellen

Wandels

• Institutionen und Organisationen Eucken subsumiert unter dem Datum „rechtliche und soziale Ordnung" sowohl Gesetze, als auch Sitten und Gewohnheiten. 213 Diese Unterscheidung geht parallel zu Norths Unterscheidung zwischen Institutionen als formgebundene Regeln und Institutionen als formlose Beschränkungen. North untersuchte als Erster in systematischer und ausführlicher Form die Interdependenzen zwischen Institutionen und Organisationen: Organisationen streben die Maximierung ihres Nutzens unter den u. a. durch Institutionen gesetzten Restriktionen. Er war jedoch nicht der erste Autor, dem dieser Zusammenhang bewußt war. So beschrieb Böhm bereits 1933 den Zusammenhang zwischen der Institution des „Auslesekampfes" und Organisationen. Böhm unterscheidet bei seiner Analyse der Institution des Wirtschaftskampfes zwischen „Selbsthifekrieg" und „Auslesekampf. Während beim „Selbsthilfekrieg" sämtliche Mittel erlaubt sind, die zur Erringung des Sieges führen, inklusive der direkten und vorsätzlichen Schädigung von Konkurrenten, ist beim „Auslesekampf' nur ein „ganz bestimmter Kräfteeinsatz zugelassen", nämlich die Überflügelung des Konkurrenten durch bessere Leistungen im Sinne der Kunden. Dieses führt letztendlich dazu, daß diejenigen Eigenschaften besonders gefördert werden, die mit genau diesem Kräfteeinsatz verbunden sind. 2 1 4 Auf diese Weise werden die Wirtschafts2,0

Eucken (1952), S. 377. Rahmenbedingungen = Naturgesetze + Randbedingungen + Institutionen. Vgl. Abschnitt C.I.l. 212 Externe Effekte spileten somit für Eucken eine Rolle, was aus Euckens Ausführungen zum Prinzip R3, „Korrektur externer Effekte" hervorgeht. Eucken selbst behandelt diese Problematik unter dem Stichwort „Wirtschaftsrechnung". Vgl. Eucken (1952), S. 301 ff. 213 Vgl. Eucken (1952), S. 377. 211

I. Die Änderung von Randbedingungen

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Subjekte dazu angehalten, bestimmte Eigenschaften zu trainieren und durch Lerneffekte spezifisches Humankapital zu bilden. 2 1 5 Die Implementierung des Auslesekampfes als Institution gewährt „ . . . eine elastische Anpassung der gesellschaftlichen Organisationen an wechselnde äußere Verhältnisse, indem er die Beteiligten und die Qualifikationen immer wieder aufs neue gruppiert, sobald neue Aufgaben auftauchen, neue Anstrengungen notwendig werden, neue Bedürfnisse zu befriedigen sind." (Böhm, 1933, S. 112, Herv.d.d. V.). Ähnlich konstatiert Rüstow (1949), daß die Bismarcksche Protektionismuspolitik eine Tendenz zur Kartellierung auslöste. 216 Genau diese Zusammenhänge hat viele Jahre später North mit anderen Worten beschrieben: Der institutionelle Rahmen bestimmt gewisse Gewinnmöglichkeiten für die Organisationen. Bestimmte Gewinnmöglichkeiten korrelieren mit gewissen Fähigkeiten, diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Es entsteht in den Organisationen eine Nachfrage nach diesen Fähigkeiten, die es somit zu erlernen g i l t . 2 1 7 Oder anders ausgedrückt: Institutionelle Rahmenbedingungen bestimmen als Selektionsprinzipien die Fortpflanzungs- und Ausbreitungsgeschwindigkeit von Organisationstypen. • Zwangsläufigkeiten Böhm schreibt Eucken zwei große Pionierleistungen zu. Die größere sei ohne Zweifel sein Beitrag zu einer integrierten Theorie der Wirtschaftsordnung, mittels derer es möglich geworden sei, einen Überblick über die Ordnungsformen und der jeweiligen Vor- und Nachteile zu erhalten. Seine andere bedeutende Leistung sei, daß er Anfänge zu einer theoretischen Erklärung historischer Vorgänge gemacht habe, die in der zeitgenössischen Forschung noch nicht erkennbar gewesen seien. 218 Mit anderen Worten: Eucken bietet eine Theorie des institutionellen Wandels und erfüllt somit in gewisser Weise die viele Jahre später von North (1988) aufgestellte Forderung nach einer integrierten theoretischen Untersuchung von Institutionen und Ideologien. 219 Grundlegend für diese Euckenschen „Urtheorie des institutionellen Wandels" ist die Unterscheidung zwischen theoretisch behaupteten Zwangsläu214

Böhm (1933), S. 109. Andere Beispiele zur Humankapitalspezifität bei den Ordoliberalen befinden sich in Abschnitt C.II.2. 216 Rüstow (1949), S. 130 f. 217 North (1992), S. 52 ff.; 100 f.; Abschnitt C.I.l. dieser Arbeit. Schmölders (1950) führt als Beispiel die Auswirkungen hoher Unternehmenssteuern an, welche die Unternehmen zum Erlernen von Umgehungspraktiken anreizen (S. 158, 164). 218 Böhm (1950), S. X X . Es hat zwar andere Geschichtstheorien gegeben, denen die Ordoliberalen jedoch wohl skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden. Vgl. z.B. Lenels (1950, S. 293 ff.) Rezension zur Geschichtstheorie von James Burnham. 219 North (1988), S. 7 ff. 215

92

C. Ausgewählte Problembereiche

figkeiten und Tendenzen. Unter einer postulierten „Zwangsläufigkeit" versteht Eucken einen von Vordenkern wie Hegel, St. Simon, oder Marx unterstellten Geschichtsablauf, der auch in der Geisteshaltung der Romantik seinen Niederschlag findet. 2 2 0 Gemäß Hegel ist menschliche Vernunft ein Fortschrittsgesetz, welches durch den einzelnen Menschen nicht beeinflußbar sei. Der Mensch habe dem Kommando des Weltgeistes zu parieren. St. Simon und seine Anhänger glaubten, im Gesetz des Fortschritts ein Geschichtsgesetz entdeckt zu haben, welches mit der selben Unerbittlichkeit wie ein Naturgesetz, etwa das Gravitationsgesetz wirke. So entwickle sich die Gesellschaft unter Durchlaufen auch von „kritischen" Zuständen zu einem organischen Endzustand, in welchem alles Leben und Wirtschaften von zentraler Stelle gelenkt und organisiert sei. St. Simons Einfluß auf das Denken wird schon dadurch deutlich, daß er und seine Anhänger Begriffe geprägt haben, die auch heute noch geläufig sind: Sozialismus, Individualismus, Industrialismus etc. So haben sie zur Allegorisierung von Ideologien beigetragen. Ebenso unterstellte Marx einen dialektischen Geschichtsprozess der zwangsläufig ablaufe und dem sich zu widersetzen keinen Sinn habe. Die Gesellschaft werde die Expropriateure expropriieren und sich so im Endzustand des Kommunismus der vom Kapitalismus entwickelten Produktivkräfte bedienen. Typisch für die Romantik war eine Art Hingebung an den Volksgeist und die Geschichte, eine Einstellung, die alles, was historisch gewachsen ist, schon dadurch rechtfertigt, daß es historisch gewachsen ist, wie etwa das Recht oder Geistesbewegungen.221 Diese Auffassungen lassen sich ohne weiteres in die Sprache des neoinstitutionalistischen Instrumentarium des vorhergehenden Abschnitts übersetzen. Die nebenstehende Abbildung gibt einen Überblick darüber, an welche Ursachen von Pfadabhängigkeiten die Ordoliberalen heute denken könnten, wenn sie Schriften der eben genannten Autoren läsen. Allen Vertretern der Auffassung der Zwangsläufigkeit ist gemein, daß sie eine extreme Pfadabhängigkeit institutionellen Wandels unterstellen, welche die Einflußnahme individueller Ideen auf den Wandel komplett negieren. „Extreme Pfadabhängigkeit" in der obigen Abbildung bedeutet, daß schon nur bei einem „ja" in einer Zeile der bezeichnete Effekt den wirksamen Einfluß individuellen Handelns ausschließt. Im einzelnen unterstellen diejenigen, die sich auf die Weltvernunft oder die Richtigkeit von historisch Ge220 221

Böhm (1950), S. L V I I ; Eucken (1952), S. 216 f. Böhm (1933), S. 148 f.; Eucken (1952), S. 200 ff.

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I. Die Änderung von Randbedingungen

Lerneffekte

Netzwerkeffekte

kognitive Verankerung

adaptive Erwartungen

Koordinationseffekte

Hegel

ja

ja

ja

ja

nein

St. Simon

ja

ja

ja

ja

ja

Romantik

ja

ja

ja

ja

nein

Marx

ja

nicht klar

nicht klar

nicht klar

ja

Geistesströmung

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 9: Abgeleitete unterstellte Ursachen extremer Pfadabhängigkeit

wachsenem beziehen, die Romantiker, Hegel und St. Simon, extrem starke Netzwerkeffekte, Lerneffekte, Erwartungsstabilisierungen und kognitive Verankerungen: Die Regel wird von jedem befolgt, weil sie langerprobt und sinnvoll ist, so daß es sich für den einzelnen nicht lohnt, sie nicht zu befolgen, eben weil sie jeder befolgt. Wird die Regel von der Folgegeneration erlernt, so ist auch sie gezwungen, die Regel zu befolgen. Durch den genialen menschlichen Geist wird sie beim Erlernen und bei der Anwendung weiterentwickelt, ein Abweichen ist aber nicht möglich. St. Simon und Marx betonen zudem die enorme Konzentrationswirkung der technischen Entwicklung. In der Zukunft werde die gesamte Wirtschaft von oben gesteuert bzw. das Kapital in wenigen Händen konzentriert. Es steht zumindest zu vermuten, daß diese Autoren eine starken Einfluß von Koordinationseffekten, die sich mit zunehmenden Lerneffekten immer weiter verstärken werden, unterstellen. Ähnliche Gedanken könnten auch die Ordoliberalen heute hegen, wenn ihnen die Auffassungen der Vertreter der Zwangsläufigkeitsideologien begegneten. Folgende Zitate lassen dies vermuten: Eucken schreibt: „Denker der Vergangenheit sind immer wieder auf die Tatsache gestoßen, daß der Mensch mit einem frei getanen Schritt in ein Netz gerät in dem er unfrei wird." (Eucken, 1952, S. 222, Herv.d.d. V.). In einem anderen Zusammenhang schreibt Böhm: „Immerhin hatte sie (die Lehre, d. V.) sich so eingebürgert, daß eine Umkehr psychologisch erschwert war. Das Verlassen eingefahrener Denkschleifen erfordert erfahrungsgemäß Zeit; ..." (Böhm, 1933, S. 189, Herv.d.d. V.). An anderer Stelle fordert er, daß die „ . . . Einsicht in den Baugedanken der Lenkungswirtschaft Gemeingut im Volk, Gemeingut in den Reihen der Wirtschaftenden und ihrer Interessenverbände, Gemeingut aber auch in den Reihen der Regierenden, der Parlamentarier, der Erzieher und der Journalisten wird ..." (Böhm, 1966, S. 100, Herv.d.d. V.). Man darf vermuten, daß Euckens Netz in den Aktionen einer Vielzahl anderer Akteure besteht, die ein abweichendes Handeln unlohnend machen

94

C. Ausgewählte Problembereiche

und somit Netzwerkexternalitäten von Regeln vorliegen. Das Böhm-Zitat ist nach Meinung des Verfassers ein klarer Beleg dafür, daß Böhm von der kognitiven Verfestigung von Regeln überzeugt w a r . 2 2 2 • Tendenzen Eucken fordert, dem Denken in Zwangsläufigkeiten abzuschwören und wieder an die Freiheit des Menschen zu glauben. Neben dem Denken in Ordnungen fordert er ein Denken in Tendenzen. 223 Ähnlich wie eine Zwangsläufigkeit beeinflußt eine Tendenz den Lauf der Geschichte in einer bestimmten Art und Weise. Der Unterschied liegt in der Stärke der Beeinflussung. Bei einer Zwangsläufigkeit kann der Lauf der Geschichte mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 vorhergesagt werden, bei einer Tendenz können zukünftige Entwicklung lediglich mit einer gewissen von 1 verschiedenen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden. Daraus ergibt sich, daß eine Tendenz es sowohl erlaubt, daß „ . . . eine andere Richtung als die wahrscheinliche eingeschlagen wird ..." (Eucken, 1952, S. 216), als auch verschiedene Möglichkeiten bei einer eingeschlagenen Richtung zu wählen. Es wird deutlich, daß bei Vorliegen von Tendenzen der Mensch Einflußnahmemöglichkeiten hat. Eucken konstatiert jedoch auch, daß diese Einflußnahmemöglichkeiten begrenzt sind. Sie sind zum einen begrenzt durch das nutzenmaximierende Verhalten der Wirtschaftssubjekte, 224 zum andern durch den Einfluß von Ideen/Ideologien. 225 So ist es dem geschulten Nationalökonomen, der die Erfahrungen der Industrialisierung konsequent ausschöpft, möglich, Tendenzen zu prognostizieren und zu reagieren. Konsequenterweise fordert er, wirtschaftspolitische Maßnahmen anhand der durch sie ausgelösten Wirkungen zu prüfen:

222 Böhm hebt hervor, wie wichtig für das Funktionieren einer Privatrechtsordnung es ist, daß „die Einsicht in den Baugedanken des Lenkungssystems Gemeingut im Volk ... wird." (Böhm, 1966, S. 100, Herv.i.O.). Es muß „das praktische Kooperieren der Menschen unter den Bedingungen und den Spielregeln dieser Ordnung und in Unterwerfung unter ihre Spielregeln unablässig trainiert werden." (Böhm, 1966, S. 101, Herv.i.O.). 223 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Eucken (1952), S. 216 ff. 224 Als Beispiele nennt Eucken (1952, S. 213 ff.) die Tendenzen, die durch den Preisstopp von 1936, durch die auf die Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre reagierende Wirtschaftspolitik, durch die Enstehung beiderseitiger Monopole auf Arbeitsmärkten und durch die interzonale Wirtschaftspolitik von 1946/1947 ausgelöst wurden. Lutz (1949, S. 211 ff.) nennt als Beispiel die durch Einführung geldpolitischer Planung mit dem Ziel der Vollbeschäftigung angestoßene inflationistische Tendenz. Gather (1949, S. 295) untersucht die von der zeitgenössischen Patentgesetzgebung ausgelösten Tendenzen zur Marktvermachtung. 225 Eucken (1952), S. 219.

I. Die Änderung von Randbedingungen

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(1) Zunächst sei die unmittelbare Wirkung der Maßnahme abzuschätzen, sie sei zwangsläufig. So werde ein Schutzzoll auf Eisen die Eisenpreise erhöhen. (2) Weiter sei die ausgelöste Tendenz abzuschätzen, die sich unter den o. a. Restriktionen ergibt. So wird es im Falle des Eisenschutzolls aufgrund der Motivation der Unternehmen und unter dem Einfluß von kartellfreundlichen Ideologien höchstwahrscheinlich zur Monopolbildung in der Eisenindustrie kommen. (3) Schließlich seien wegen der Interdependenz der Ordnungen die Wirkungen auf andere Ordnungen abzuschätzen. So könnte die Monopolbildung über die Bildung mächtiger Interessengruppen Einfluß auf die Gesetzgebung haben. In diesen Punkten ist auch schon ein einfaches Beispiel für den Verlauf institutionellen Wandels gegeben. Die Ausführungen sind verträglich mit den Untersuchungen von North über das Verhalten von Organisationen, die sich nutzenmaximierend unter den Restriktionen des institutionellen Rahmens verhalten. Wieder sind erstaunliche Analogien zwischen North und Böhm zu erkennen: North stellt das Phänomen grundsätzlich verschiedener Entwicklungspfade von Gesellschaften mit verschiedenen Ideen/Ideologien aber dem gleichen formellen Regelüberbau dar und nennt als Beispiele die Evolutionspfade Lateinamerikas und der USA. Böhm stellt heraus, daß „antiliberale Rebellionen" sich fast ausschließlich auf Nationen mit obrigkeitsstaatlichen Traditionen beschränkt hätten und nennt als Beispiele Deutschland und Russland. Mehr oder weniger immun gegen solche „Rebellionen" seien Nationen mit demokratischen Traditionen gewesen, wie z.B. die angelsächsischen, skandinavischen oder niederländischen Staaten. 2 2 6 Auch diese Ausführungen sprechen für die Existenz der oben herausgearbeiteten hinreichenden Bedingungen, daß effizienter Wandel umso wahrscheinlicher ist, entweder je kleiner der Anteil der aus Ideen/Ideologien hervorgehenden formlosen Beschränkungen am institutionellen Rahmen ist oder je eher formlose Beschränkungen eine effiziente Anpassung erlauben. Böhm ist offenbar der Ansicht, daß effiziente Anpassung bei liberalen Institutionen wahrscheinlicher ist als bei freiheitsbeschränkenden Institutionen. Weitere Analogien finden sich bei Böhms Ausführungen über den von ihm vermuteten Evolutionspfad einer ZentralverwaltungsWirtschaft. In einer solchen Wirtschaftsordnung, so Böhm, bilden sich aufgrund sehr hoher Transaktionskosten in den planerisch verwalteten Märkten mit großer Wahrscheinlichkeit „verkehrswirtschaftliche Enklaven". Diese zu bekämpfen sei mit einem „ . . . unermeßlichen Grad von Autorität, brutaler Entschlossenheit 226

Böhm (1950), S. X X V I , L X f.

96

C. Ausgewählte Problembereiche

und gottähnlicher Einsicht", also wiederum mit prohibitiv hohen Transaktionskosten verbunden. Das erhöhte Transaktionskostenniveau führt seinerseits zu stärkeren „Abwehrideologien" im Volke, was wiederum ein noch stärkeres Eingreifen des Staates und wieder steigende Transaktionskosten induziert. Es kommt also zu einem Teufelskreis. Zum einen handelt es sich bei dem Begriff der „verkehrswirtschaftlichen Enklaven" um das Komplement zur Coase-Aussage von Unternehmen als Inseln der Planung, zum anderen sind Böhms Ausführungen verträglich mit der Ansicht von Kiwit, Voigt, daß die Bekämpfung konfligierender interner Institutionen mit sehr hohen Transaktionskosten verbunden sind. 2 2 7 Eucken fordert von der Wirtschaftspolitik, sowohl auf Ideen/Ideologien Einfluß zu nehmen als auch auf formelle Regeln, um in diesem Sinne die Wahrscheinlichkeiten für Tendenzen, die konform einer noch zu errichtenden Wettbewerbswirtschaft sind, zu erhöhen. Dieses kann um so besser in „Momente(n) der Krisis" geschehen, in denen grundsätzliche Entscheidungen gefällt werden, von denen „eine Kette weiterer wirtschaftspolitischer Entscheidungen und Tendenzen ausgehen" (Eucken, 1952, S. 219). 2 2 8 Ähnlichkeiten mit dem Konzept der Pfadabhängigkeit sind zum einen im langfristigen Zeithorizont von „Serien" oder „Ketten" von Tendenzen zu sehen. Die Tendenzen selber interpretiert Eucken eher als mittelfristig. Eine zweite Analogie ergibt sich darin, daß Eucken dem Menschen zwar die Fähigkeit der Einflußnahme zuschreibt und ihn auch diesbezüglich in die Pflicht nimmt, er die Möglichkeiten der Einflußnahme jedoch als begrenzt ansieht. Auf ähnliche Effekte der Pfadabhängigkeit, wie sie North oder Kiwit/ Voigt sehen, kann man bei Eucken selbst jedoch nicht stoßen. Man kann sie, wie oben gezeigt, bei der Euckenschtn Beschreibung der Auffassungen der Vertreter einer Zwangsläufigkeitsideologie ableiten. Eucken hat sie für sein Konzept des historischen Wandels jedoch nicht verwendet, wahrscheinlich auch deshalb, weil er die Zwangsläufigkeitsideologien ja so vehement ablehnt und sich dann nicht noch deren Argumente aufs Banner schreiben will. Eucken selber war überzeugt davon, daß jeder gebildete Leser seine Theorie ohne Schwierigkeiten fruchtbar für viele andere wirtschaftliche Vorgänge machen kann. 2 2 9 Böhm ist sogar der Ansicht, daß mit dem Euckenschen Geschichtsinstrumentarium eine systematische Analyse vieler histori227 Böhm (1950), S. X X V I f.; Schmidtchen (1989), S. 161 ff. Böhm sprach schon 4 Jahre vor Erscheinen des bahnbrechenden Coase-Beitrages im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Machtgebilden von „Inseln auf dem Meere der Wirtschaftsfreiheit". Vgl. Böhm (1933), S. 190. 228 Hier ergeben sich Analogien zu den Ausführungen von North (1992) zum diskontinuierlichen Wandel. 229 Eucken (1952), S. 222.

I. Die Änderung von Randbedingungen

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scher Institutionen, z.B. der Institution des Feudalismus, möglich i s t . 2 3 0 Aus heutiger Sicht ist festzustellen, daß Euchens Geschichtstheorie zwar nicht vollständig auf das Konzept der Pfadabhängigkeit übertragbar, jedoch mit ihm verträglich und zusätzlich mit prognostischen Fähigkeiten ausgestattet ist. Man gewinnt aus den Schilderungen Böhms und vor allem Euchens den Eindruck, daß sie zumindest die Entwicklung einer klaren Theorie „ i m Kopf 4 gehabt hätten und das Skizzieren der Grundzüge einer solchen Theorie nur der Anfang gewesen sei. Es steht zu vermuten, daß Euchen eine solche Theorie geliefert hätte, wenn ihm dieses nicht durch seinen frühen Tod im Jahre 1950 verwehrt worden wäre. c) Deutschlands Weg zum Land der Kartelle Die Verteidigung der Wettbewerbsordnung gegen die Gefahren der Kartellierung und des Interessenspunktualismus sind die Hauptaufgaben der Wirtschaftspolitik in einer solchen Ordnung. Daß die Autoren die Gefahr, die von einer durch und durch kartellierten Wirtschaft ausgehen, noch klar vor Augen hatten, ist aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen nicht verwunderlich. 231 Böhm war Kartellreferent im Reichswirtschaftsministerium, Euchen fertigte seine Dissertation über Verbandsbildung in der Seeschiffahrt an. 2 3 2 Aus den Schriften vor allem von Euchen und Böhm ist viel über die deutsche Kartellgeschichte seit der Industrialisierung zu entnehmen. Mit dem in Abschnitt C.I.l. dargestelltem Analyseinstrumentarium, vor allem mit dem Konzept der Pfadabhängigkeit, sollen die Ausführungen dieser Autoren ausgewertet werden und ein Versuch der Erklärung unternommen werden, warum gerade Deutschland zum Land der Kartelle wurde. Das Reichsgericht fällte am 4. Februar 1897 das folgenschwere Urteil, daß Kartelle grundsätzlich rechtswirksam sind. Da in der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 keine expliziten Bestimmungen für Kartelle enthalten waren, bildete das Reichsgerichtsurteil die erste und für 50 Jahre bestimmende Rechtsgrundlage für Kartelle und kartellartige Zusammenschlüsse in Deutschland. 233 Mit dem neoinstitutionalistischen Analyseinstrumentarium ist es nun nicht schwer, aufgrund dieser eigentlich simplen Information zu prognostizieren bzw. zu erklären, wie sich Unternehmen aufgrund eines solchen Urteils verhalten. Die Änderung der formellen Regeln offerierte den betroffe230

Böhm (1950), S. X X . Zum Einfluß der Umwelt der Autoren auf deren Meinungsbildung vgl. Abschnitt D.II. 232 Vgl. zu den Lebenswegen Grossekettler (1997), S. 22 ff. 233 Böhm (1948), S. 197 f. Vgl. auch Fehl, Schreiter (1997), S. 225 ff. 231

7 Evers

C. Ausgewählte Problembereiche

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nen Organisationen, den Unternehmungen, über die erleichterte Möglichkeit von Absprachen aller Art neue Gewinnmöglichkeiten. Diese sehr verlockenden Anreize waren zudem unschwer wahrzunehmen und zu erlernen, und so kam es bald zu erheblichen Kartellierungstendenzen, die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges mit der Notwendigkeit einer Umstellung auf Kriegswirtschaft wirkten beschleunigend. 234 Diese Wirkung war vorauszusehen. Interessanter sind jedoch weitere, tiefergehenden Fragen: Warum konnte ein solches Urteil überhaupt gefällt werden und solche nachhaltigen Auswirkungen zeitigen? Welche Meinungen und Ideologien haben diese Ordnungsform so lang quasi unterfüttert? Die Antworten werden, diesmal ausführlicher, mit dem Intrumentarium aus Abschnitt C.I.l. versucht. Dabei wird zunächst, North (1992) folgend, der institutionelle und geschichtliche Hintergrund der Entscheidung von 1897 aufgezeigt und anschließend die weitere Entwicklung skizziert: • Geschichtlicher Hintergrund Nach dem 30jährigen Krieg war Deutschland in viele kleine voneinander unabhängige und wirtschaftlich isolierte Klein- und Kleinststaaten zerfallen. Preußen, daß hier stellvertretend betrachtet wird, bestand auch unter dem Einfluß der beginnenden Industrialisierung aus isolierten Märkten. Die Industrialisierung, besonders die rasante Bevölkerungsentwicklung sprengte traditionelle Gefüge und zwang vor allem nach der Niederlage gegen Napoleon 1806 zum Handeln. Institutioneller Wandel war erforderlich, diese Erforderlichkeit wurde ebenso erkannt wie die Notwendigkeit einer Orientierung über Richtung und Stärke des Wandels. 235 • Randbedingungen (1) Bevölkerung North (1988) und Wellenreuther (1993) weisen auf ein starkes Bevölkerungswachstum hin. Diese wie auch ordoliberalen Autoren wie Eucken (1948, 1952) oder Böhm (1933) machen auf die Verstädterung vor und während der Industrialisierung aufmerksam. (2) Technologie Nach North (1988), aber auch Eucken (1950, 1952), Röpke (1948) und Rüstow (1949) waren der Beginn und der Zenit der Industrialisierung durch Unteilbarkeiten und hohe Fixkosten gekennzeichnet, die zu dieser Zeit Konzentration begünstigten. Die ordoliberalen Autoren konstatieren jedoch an gleicher Stelle, daß diese Vorteile nach Überschreitung der Hochzeit der Industrialisierung tendenziell abnahmen. 234 235

Böhm (1948), S. 198; Wellenreuther Kopsidis (1993), S. 51 f.

(1993), S. 87.

I. Die Änderung von Randbedingungen

99

Die neuen Techniken führten zu verstärkter Spezialisierung und Arbeitsteilung. Die höheren Kosten bei der Koordination der Produktion, die erhöhten Meß- und Durchsetzungskosten, führten nach North zu zentralen großen Produktionsstätten, an denen die Tätigkeiten der Arbeiter leichter überwachbar waren. (3) Informationskosten Man kann dem ordoliberalen Schriftgut entnehmen, daß bei der Koordinierung einer großen arbeitsteiligen Wirtschaft wesentlich höhere Informationskosten zentraler Leitung anfallen als bei der Koordination einer Eigenwirtschaft. Andererseits wird konstatiert, daß die Informationskosten pro Kopf sinken. Auch für die Transportkosten werden abnehmende Trends vermutet. (4) Ideen/Ideologien Spezialisierung und Arbeitsteilung ließen neue Gruppen mit neuen Umwelten und somit auch neue Ideen/Ideologien entstehen. Eine übergreifende Ideologie war die Auffassung von der prästabilierten Harmonie. Man müsse den Dingen nur ihren Lauf lassen, dann werde sich das Gleichgewicht schon einpendeln. 236 Weitere zu dieser Zeit herrschende Ideologien sind die C.I.2.b) aufgeführten, die allesamt eine Zwangsläufigkeit der Geschichte predigten und ein Ausgeliefertsein an den „Volksgeist", den „Genius". 2 3 7 Eucken weist ferner auf eine gewisse Verklärung des Mittelalters h i n , 2 3 8 Rüstow zudem auf eine ausgeprägte Sehnsucht nach Gemeinschaft. 239 von Hayek ist der Auffassung, daß die typische deutsche Eigenart des Strebens nach einer möglichst „originellen Individualität" letztendlich dazu führe, daß, modern ausgedrückt, institutioneller Wandel weniger durch die Änderung formloser Beschränkungen, sondern durch die Änderung formeller Regeln von statten gehe, dies führe gerade in einem Land mit obrigkeitsstaatlicher Tradition zum Rufen nach dem Staate. 240 Diese obrigkeitsstaatlichen Denkmuster zu jener Zeit stellt Grossekettler heraus: Es war seit dem Mittelalter allgemeine Auffassung, daß der Staat von Gott eingesetzt sei und über der Gesellschaft mit ihren Interessenskämpfen stehe. Der Staat habe für Allgemeinwohl und Moral zu sorgen. 241 236

Böhm (1933), S. 147.; Eucken (1948), S. 80; ders. (1952), S. 195. So auch Böhm (1933), S. 148 f.; Miksch (1950), S. 33 f.; Müller-Armack (1950), S. 254. 238 Eucken (1952), S. 148, 347. 239 Rüstow (1949), S. 138. 240 von Hayek (1948), S. 41 ff. 241 Grossekettler (1999c), S. 5. 237

7*

C. Ausgewählte Problembereiche

100

• Institutioneller

Rahmen

Der institutionelle Rahmen im Preußen des beginnenden 19. Jahrhunderts trägt im wesentlichen noch feudale und obrigkeitsstaatliche Züge: Es gab ein ständisch orientiertes in Zünften organisiertes Bürgertum, die Bauern waren zum großen Teil noch Leibeigene ihres Grundherrn. Der Adel hatte schließlich ein eigenes vitales Interesse am Ständesystem. Die notwendigen Reformen wurden „von oben", nämlich von Mitgliedern der bürokratischen Elite erlassen. Im Zuge einer Politik, die man heute als „angebotsorientiert" bezeichnen würde, wurde im Jahre 1818 die Gewerbefreiheit erlassen. 242 Weitere wichtige Entwicklungen in der formellen Institutionenkomponente ist der Erlaß der Gewerbeordnung von 1869 und die Gründung des Kaiserreiches 1871. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1818 und dem Erlaß der Gewerbeordnung 1869 handelte es sich um Entscheidungen über die Wirtschaftsverfassung: Es wurde eine herrschaftliche Sozialordnung (Merkantilismus) durch eine herrschaftsfreie Sozialordnung (freie Verkehrswirtschaft) ersetzt. 243 Kartellrechtliche Bestimmungen waren in der Gewerbeordnung von 1869 nicht enthalten. Über die informellen Regeln werden explizit keine Angaben gemacht. Sie dürften sich jedoch aus den Ideen/Ideologien der damaligen Zeit hergeleitet haben. • Schlußfolgerung In Preußen und später im Kaiserreich gab es eine ausgeprägte obrigkeitsstaatliche Tradition. In dieser Tradition verbanden sich die überlieferte Einstellung vom Staate als Problemloser (der ja auch die Gewerbefreiheit „von oben" durchsetzte) mit der neuen Sehnsucht nach Gemeinschaft und mit den neuen Zwangsläufigkeitsideologien. Es steht somit zu vermuten, daß auch die Richter am Reichsgericht im Jahre 1897 von diesen Auffassungen nicht frei waren und daher eine positive Grundeinstellung zu Kartellen als „Gebilden der Gemeinschaft" hatten. Diese Vermutung wird durch die Schilderungen Böhms bestärkt: So konstatiert er aus der Urteilsbegründung, daß die Richter mit den Ideen der Klassik vertraut waren, da sie zumindest die Meinung wiedergeben, daß Eigennutz letztendlich zum Gemeinnutz führen könne. Im Endeffekt glaubt es jedoch dem in Rede stehenden Kartell, einem Kartell der sächsischen Holzschliffindustrie blind, daß ohne Kartell in dieser Branche ruinöse Konkurrenz herrsche, daß das Kartell in der Lage sei, dieses zu vermeiden und in gutem Glauben handele, den das Kartell im übrigen auch nicht beweisen müsse. Böhm spricht von einem „geradezu unfaßlichen Blankovertrauen". 244 Röper hat später herausgestellt, daß sich die 242 243

Kopsidis (1993), S. 57 ff. Böhm (1933), S. 107 f.

I. Die Änderung von Randbedingungen

101

Richter zudem bei ihrem Urteil auf eine wissenschaftlich nicht zu rechtfertigende Literatur beziehen, drei von fünf Autoren waren Interessensvertreter. 2 4 5 • Weitere

Entwicklung

Mit dem Reichsgerichtsurteil wurden somit den Unternehmen neue Gewinnmöglichkeiten geschaffen, die sie ausnutzten. Böhm kritisiert, daß das Gericht die Einführung der Gewerbeordnung von 1869 nicht als einen verfassungsmäßigen Akt erkannt habe. Mit der Zulassung von Kartellen seien Enklaven in der herrschaftsfreien Sozialordnung entstanden, die zunächst einmal aus Unkenntnis geduldet wurden. Sie wurden mit einem unzureichenden Recht „behandelt", nämlich mit einem Recht aus der Zeit in der Kartelle noch nicht die aktuelle Wirkung besaßen. Neue Einsichten in die Materie kamen zu spät, da eine Umkehr „psychologisch erschwert" war, und das Verlassen der „eingefahrenen Denkschleife" Zeit erforderte. 246 Mit anderen Worten: Es sind mit der externen Institution Gewerbeordnung Organisationen mit konfligierenden internen Institutionen entstanden. Das externe Recht wurde jedoch nicht angepaßt, da • eine Änderung dieser externen Institution von Verfassungsrang sehr kostspielig gewesen wäre und die Kostspieligkeit aus Unwissenheit bei Einführung der Gewerbeordnung nicht gesehen wurde, da man diese als Institution von Gesetzesrang interpretierte und • die Ideen/Ideologien durch eine starke kognitive Verankerung und die daraus abgeleiteten internen Institutionen der Typen 3 und 4 sowie externen Institutionen durch spezifische Humankapitalinvestitionen in das bestehende Rechtssystem gekennzeichnet waren und • keine Instanz erkennbar war, welche die Wettbewerbsordnung wieder durchsetzte, weil eine entsprechende Institution in der Gewerbeordnung fehlt. Zwar wurde 1923 eine lockere Mißbrauchsaufsicht geschaffen, diese war jedoch mit unbestimmten und unjustiziablen Rechtsbegriffen durchsetzt. Zudem haben sich in der Gesellschaft neue Ideen/Ideologien durchgesetzt, welche die kartellierte Wirtschaft stützen, und die im übrigen alle von Böhm (1933) widerlegt werden. • In der Öffentlichkeit verteufelt man den „kalten Manchesterliberalismus". Rechts-Konservative Kreise waren der Ansicht, in den Kartellen müsse der Unternehmer wenigstens auf seine Kartellbrüder Rücksicht nehmen. Links-Sozialistische Kreise sahen in der zunehmenden Verbreitung privater und öffentlicher Machtkörper eine Art Vorform sozialistischer Wirt244 245 246

Böhm (1948), S. 197 ff. Köper (1950), S. 239 ff. Die folgenden Ausführungen lehnen sich an Böhm (1933), S. 149 ff. an.

102

C. Ausgewählte Problembereiche

schaft, so daß hier die Ansichten sich unversöhnlich gegenüberstehender Gruppen sich eigentlich deckten. 247 • Die prästabilierte Harmonie gilt auch auf Gruppen- bzw. Kartellebene. Man hat es hier somit mit einer höheren Form als mit derjenigen der Konkurrenz zu tun. • Außerdem seien die Dinge kleiner als der Mensch. Eine Privatrechtsordnung sei nicht dazu da, Ethik zu treiben oder das Leben zu verweichlichen. 2 4 8 Organisch gewachsene Dinge seien besser als organisierte Dinge. 2 4 9 Auch von der Kirche wurde diese Geisteshaltung unterstützt. In der Enzyklika Rerum Novarum 2 5 0 prangert Papst Leo X I I I gleich zu Beginn die Vereinzelung des Arbeiters und dessen Ausgeliefert sein an eine hemmungslose Konkurrenz an. Als beste Lösung des Problems werden Korporationen der Gewerbetreibenden nach Art der „Handwerkerinnungen zu Zeiten unserer Vorfahren" propagiert und ein schlichtendes Eingreifen des Staates in Streitfällen. Für viele Menschen verbanden sich mit dem Gedanken an eine solche Ordnung Geborgenheit und Sicherheit. 251 Diese Sehnsucht nach Geborgenheit ist wohl auch durch den Schock über die vielen hart und offen geführten Interessenskämpfe in der Weimarer-Republik entstanden. Die Menschen waren an die während der Kaiserzeit übliche obrigkeitsstaatliche Praxis des Ausfechtens solcher Kämpfe „im stillen Kämmerlein" gewöhnt. Das hierin investierte und spezifische Humankapital war nun entwertet, Lerneffekte mit der neuen Praxis und somit neues Humankapital konnte sich sowohl im Volk als auch bei den Volksvertretern aufgrund vieler und harter Krisenschocks noch nicht bilden. 2 5 2 Diese Ideologien haben in der Folge auch auf das Verhalten von Richtern und politischen Entscheidungsträgern durchgeschlagen. In diesem Zusammenhang ist auch die Ausstattung der privaten Machtkörper mit öffentlichrechtlichen Befugnissen während der Zeit der Weimarer-Republik zu sehen. 2 5 3 247

Vgl. auch Böhm (1937), S. 154; ders. (1950), S. LUI, Miksch (1950), S. 69 f. Hier kommt das ganze rechtliche Mißverständnis zum Vorschein: Es handelt sich bei der in eine Kartellordnung transformierten Wirtschaft nicht um eine Privatrechtsordnung, sondern um eine Wirtschaftsverfassungsordnung. Böhm (1933), S. 173. 249 Man beachte, daß St. Simon von „organischen Zuständen" sprach (Eucken, 1952, S. 202). 250 Hier zitiert nach Mensel (1949), 229 ff. 251 Hensel (1949), S. 239 f., 251 f., 256. Zur gegenwärtigen Diskussion um die Beziehung der Kirchen zur Ordnungspolitik im allgemeinen und zum Ordoliberalismus im speziellen vgl. Schüller (1997), S. 727 ff.; Spieker (1997), S. 757 ff. 252 Vgl. Grossekettler (1999c). Zu den Krisen der Weimarer-Republik vgl. Abschnitt D.II. 248

I. Die Änderung von Randbedingungen

103

In der zweiten Phase hat somit eine Anpassung der externen Institutionen an die internen in Richtung Komplementarität stattgefunden, so daß institutioneller Wandel noch weniger wahrscheinlich wurde. 2 5 4 Der von North geschilderte Einfluß grundsätzlich verschiedener Ideen/ Ideologien auf die Evolutionspfade verschiedener Gesellschaften ist auch den Schilderungen der Ordoliberalen zu entnehmen. Während Böhm quasi die „Annahme" der Kartelle durch die herrschenden Ideen/Ideologien in Deutschland durch breite Bevölkerungsschichten beschreibt, geht aus den Schilderungen Kronsteins über die amerikanische Wirtschaftsgeschichte hervor, daß massiv auftretenden Konzentrationstendenzen bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder mit großen Volksbewegungen entgegengetreten wurde, was eher auf eine Grundstimmung in der amerikanischen Bevölkerung gegen offensichtliche Vermachtungstendenzen hinweist. 2 5 5 Mit Blick auf die oben herausgearbeiteten notwendigen und hinreichenden Bedingungen lassen sich die Ausführungen wie folgt zusammenfassen: • Erste Phase: 1818 (Erlaß der Gewerbefreiheit) sierung)

bis 1897 (Kartellegali-

Folgende notwendige Bedingungen waren erfüllt: • Es gab Unternehmer mit hinreichender Verhandlungsfreiheit. • Es entstanden mit externen Institutionen konfligierende internen Institutionen, diese wurden jedoch geduldet. So war das Preußen der damaligen Zeit zwar noch immer stark obrigkeitsstaatlich geprägt, die sich im Wirtschaftsleben herausbildenden Freiheiten wurden jedoch mit Verweis auf die Institution der Gewerbefreiheit geduldet. Ein institutioneller Wandel war in dieser ersten Phase also vergleichsweise leicht möglich. Folgende hinreichende Bedingungen aber waren nicht erfüllt: • Der Einfluß der Ideen/Ideologien auf den institutionellen Rahmen war groß. • Die Ideen/Ideologien erlaubten keine effiziente Anpassung. Die tradierte Zentral- und Staatsgläubigkeit in Verbindung mit den Zwangs253

Vgl. Eucken (1952), S. 170 f., 324. Pejovich (1998, S. 9) ist der Auffassung, daß komplementäre Institutionen transaktionskostensenkend wirken. Dies ist jedoch nur unter der Bedingung richtig, daß der institutionelle Rahmen effizient ist und die Koordinationsprozesse auf Märkten nicht behindert. 255 Vgl. Kronstein (1950), S. 75 ff. In heutiger Zeit ist die Haltung der Amerikaner zu Konzentrationsbestrebungen natürlich eine andere. Diese Haltung ist beispielsweise an der NIE oder auch der Chicago-Schule abzulesen und dürfte aus drastisch gewandelten Randbedingungen resultieren, vgl. dazu Abschnitt D.II. 254

104

C. Ausgewählte Problembereiche

läufigkeitsideologien hemmten effiziente Anpassungsprozesse und förderte Kartellbildungen. Effizienter institutioneller Wandel war also vergleichsweise scheinlich. • Zweite Phase: 1897 (Kartellegalisierung) Republik)

unwahr-

bis 1933 (Ende der Weimarer-

Die notwendige Bedingung möglichst weniger komplementärer Institutionen war nicht erfüllt: Durch die Kartellegalisierung wurde eine formelle Norm geschaffen, die Kartellbildungen förderte. In der Folge wirkten sowohl die tradierten als auch die sich neu bildenden Ideen/Ideologien auf die Entwicklung der formlosen Beschränkungen derart, daß sich immer mehr komplementäre institutionelle Beziehungen bildeten. Ein Pfadwechsel wurde daher immer unwahrscheinlicher. Da effizienter Wandel schon an der Nichterfüllung dieser notwendigen Bedingung scheitert, müssen hinreichende Bedingungen nicht zwingenderweise untersucht werden. Zur Abrundung soll dieses hier trotzdem geschehen: Folgende hinreichende Bedingungen waren nicht erfüllt: • Der Einfluß der Ideen/Ideologien auf den institutionellen Rahmen war nach wie vor groß. • Die Ideen/Ideologien erlaubten keine effiziente Anpassung. Es wurden vielmehr Ideen/Ideologien von den profitierenden Organisationen gefördert und von der Gesellschaft angenommen, welche Deutschland auf dem ineffizienten Pfad, dem Weg zum Land der Kartelle, noch beschleunigten. So wurde zunächst, vor allem ausgelöst durch kontraproduktive Ideen/ Ideologien, ein ineffizienter Pfad eingeschlagen. Dieser konnte dann kaum noch verlassen werden, da diejenigen Ideen/Ideologien, die sich nachfolgend etablierten, die vom ineffizienten Pfad profitierenden Organisationen in ihrem Streben unterstützten.

d) Zusammenfassung Die ordoliberalen Autoren haben es sich zur Aufgabe gemacht, auf die drastisch geänderten Umstände nach Beginn der Industrialisierung zu reagieren und eine Anwort auf die Frage zu geben, welche Wirtschaftsordnung zu diesen Bedingungen paßt. Sie stellen explizit Technisierung, Industrialisierung, Arbeitsteilung und Spezialisierung an den Beginn vieler Untersu-

I. Die Änderung von Randbedingungen

105

chungen. Sie setzen sich jedoch auch ausführlich mit den herrschenden Ideen/Ideologien auseinander. Eucken lehnt die vorherrschenden Zwangsideologien ab und bietet eine Theorie geschichtlichen Wandels an, bei der er die Tendenzen statt Notwendigkeiten in den Vordergrund rückt. Die Untersuchung eines geschichtlichen Vorgangs, der von den Ordoliberalen ausführlich untersucht wurde, nämlich Deutschlands Weg zum Land der Kartelle, hat gezeigt, daß deren Ausführungen mit dem neoinstitutionalistischen Instrumentarium ausgewertet werden können. Es zeigte sich weiterhin, daß vor allem bezüglich der damaligen Ideen/Ideologien erhebliche Pfadabhängigkeiten zu erkennen waren.

3. Vergleichende Stellungnahme Die vergleichende Stellungnahme zu diesem Abschnitt kann kurz ausfallen, da fundamentale Unterschiede oder Diskrepanzen zwischen den Ausführungen der Vertreter der NIE nicht erkennbar sind. So gehen beide Richtungen von ähnlichen menschlichen Verhaltensannahmen aus, nämlich Nutzenmaximierung innerhalb einer ihnen zugänglichen begrenzten Umwelt. Hierauf begründen sie die Notwendigkeit einer Reduktion von Unsicherheit durch Institutionen. Die Ordoliberalen rücken dabei stärker den Einfluß von Ideen/Ideologien auf den Wandel von Institutionen in den Vordergrund, dieses ist aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Vielzahl von Ideologien und ihren schädlichen Auswirkungen nachzuvollziehen. 256 Dementsprechend sind der ordoliberalen Literatur, vor allem bei Böhm, Hinweise auf Pfadabhängigkeiten vor allem von Ideen/Ideologien zu entnehmen. Euckens Tendenztheorie war für die damalige Zeit ein Fortschritt, da geschichtliche Vorgängen zum erstem Male mit einer übergreifenden Theorie analysiert wurden. Es zeigen sich bezüglich des Zeithorizontes und der Unterscheidung zwischen kontinuierlichem und diskontinuierlichem Wandel Analogien zu North (1992). Auch Beziehungen verschiedener Institutionentypen wurden von den Ordoliberalen beachtetet. Von Interesse war vor allem die konfligierende Beziehung zwischen einer faktisch in eine korporatistische Ordnung transformierte Wirtschaft und der dem Namen nach noch bestehenden Freien Verkehrswirtschaft. Alles in allem hat diese Abschnitt gezeigt, daß zwischen dem gesamtwirtschaftlichem Zweig der NIE und den Ordoliberalen bezüglich zweier Punkte Gemeinsamkeit herrscht: Institutionen sind von Belang, Geschichte ist von Belang. Gerade diese gemeinsame Basis sollte Grundlage für weitere integrierte Betrachtungen beider Richtungen sein. 256

Vgl. z.B. Eucken (1952), S. 200 ff.

106

C. Ausgewählte Problembereiche

I L Private Willensbildung I: Das Monopolproblem Die Ordoliberalen sehen zwei große Gefahren für eine Wettbewerbsordnung, die weitgehend sich selbst überlassen wird: Zum eine fürchten sie, daß im Zuge des Rent-seeking-Vorgangs mächtige Interessengruppen auf den Staat in Richtung ihrer Partikularinteressen Einfluß zu nehmen versuchen. Zum anderen fürchten sie, daß der Wettbewerb sich selbst zerstören könnte, da permanente Anreize zu Monopolisierungen bestehen. Der Staat hat nach Auffassung der Ordoliberalen die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß beides nicht geschieht. Grossekettler bezeichnet die Notwendigkeit der Verteidigung des Kerns einer Wirtschaftsordnung gegen solche immanenten Degenerationsgefahren als Repressionsbedarf. 251 Mit den Auffassungen der Ordoliberalen darüber, wie man sich gesellschaftliche Willensbildungsprozesse zum Schutze einer Wettbewerbsordnung zunutze machen kann, befaßt sich Abschnitt C.IV. In diesem Abschnitt geht es um Möglichkeiten, die Wettbewerbsordnung wirksam vor einer Transformierung in eine monopolistische Wirtschaft zu schützen. Unter einem Monopolisten wird hier zunächst ein Marktteilnehmer, in der Regel ein Anbieter verstanden, der auf einem Markt eine beherrschende Stellung anstrebt. Ein Monopolist muß also nicht auch gleichzeitig Einzelanbieter auf einem Markt sein. Wichtig ist nur, daß er diese Stellung anstrebt. Monopolisten sind somit auch potentielle Partner in Kartellverträgen. Ein Kartell hat nämlich das Ziel, durch Koordination des Marktverhaltens mehrerer konkurrierender Unternehmen den Wettbewerb auszuschalten. 258 Das Monopolproblem wird zuerst aus dem Blickwinkel der NIE betrachtet. Es werden Anreize, Wirkungen und Konsequenzen untersucht. Bei der Untersuchung der Anreize wird zwischen konzentrationsfördernden und -hemmenden Anreizen unterschieden. Die sich anschließende Analyse des Problems aus Sicht der Ordoliberalen erfolgt analog. Dabei wird eine Untersuchung der wichtigsten ordoliberalen Aussagen zu diesem Problemkomplex in der Sprache der NIE versucht. Der Abschnitt schließt mit einer vergleichenden Stellungnahme, in der die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede anhand der von Böhm (1933) genannten Marktmacht-Indikatoren noch einmal herausgearbeitet werden.

257 258

Grossekettler (2000), S. 3; ders. (2000b), S. 1. Bundeskartellamt (2000), S. 6.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

107

1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik Die NIE beschäftigt sich mit Monopolisierungstendenzen sowohl in der Form der horizontalen Konzentration als auch der vertikalen Integration, wobei das Schwergewicht jedoch eindeutig auf den Gegenstand der vertikalen Integration liegt. 2 5 9 a) Anreize zu monopolistischen Strukturen aa) Effizienz Die NIE versteht sich als an der Effizienzforderung ausgerichtete Theorie.260 Dementsprechend werden hauptsächlich, jedoch nicht ausschließlich Effizienzerhöhungen und die daraus resultierende Nutzung von Kostensenkungspotentialen als Anreize zur Bildung monopolistischer Strukturen genannt. 2 6 1 In der folgenden Abbildung werden die hier betrachteten fördernden und hemmenden Effizienzanreize zur Vergrößerung eines Unternehmens durch Konzentration oder Integration gegenübergestellt. fördernd Kostendegressionsvorteile • Massenproduktionsvorteile • hohe Fixkosten • Netzwerkexternalitäten

hemmend Transaktionskostensenkung

Betriebsgrößennachteile

Transaktionskostenerhöhung

• hohe Unsicherheit • Wiederholbarkeit • hohe Spezifität • gute Reputation • Kollusion

• X-Ineffizienzen • Drückebergerei

• hohe Agenturkosten • Zurechnung von Innovationen • kurzsichtiges Management • Überreizung der Unternehmenskultur

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 10: Unternehmensgrößenfördernde und -hemmende Effizienzanreize aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik

259 Vgl. Schmidt (1999), S. 98 ff.; Picot, Dietl (1990), S. 182, Richter, Furubotn (1996), S. 310. 260 Richter, Furubotn (1996), S. 317 ff.; Williamson (1990), S. 30 ff. 261 Economies of Scope (Verbundvorteile), die vor allem im Handel relevant sind, werden hier nicht betrachtet.

108

C. Ausgewählte Problembereiche

Ein Monopolisierungsanreiz besteht, wenn die Vorteile größerer Unternehmen aus Kostensenkungen die Kosten der Unternehmensvergrößerung, es sind dies die höheren Kosten der Messung und Zurechnung der Erträge auf die einzelnen Produktionsfaktoren und die erhöhten Koordinationskosten, übersteigen. Die einzelnen Punkte werden im folgenden näher untersucht. • Fördernde Anreize: Kostende gre ssionsvorteile

262

Der Begriff „Kostendegressionsvorteile" beschreibt eine technologische Situation, in der die gesamten Produktionskosten unterproportional zur Ausbringungsmenge zunehmen. Bei einer Outputverdopplung würden die Produktionskosten nicht bis auf den doppelten Betrag steigen. Daraus ergibt sich, daß in den Bereichen, in denen Kostendegressionsvorteile vorliegen, die durchschnittlichen Totalkosten sinken. Bei ertragsgesetzlichem Kostenverlauf sollte langfristig diejenige Ausbringung realisiert werden, bei der die durchschnittlichen Totalkosten minimal sind, vorausgesetzt, diese Ausbringung liegt innerhalb des Nachfrageraums (d.h. es liegt kein natürliches Monopol vor). Bei linearem Kostenverlauf ist der Ausbringungsbereich mit Kostensenkungspotentialen bei Existenz von Fixkosten theoretisch nach oben unbegrenzt. Es sollte diejenige Ausbringung realisiert werden, ab der ein Rückgang der Stückkosten nur noch marginal und somit kaum noch spürbar wäre. Je höher bei linearem Kostenverlauf die Fixkosten sind, desto höher sind die Ausbringungsmengen, bei denen sich spürbare Kostensenkungspotentiale ergeben und desto höher sind somit die mindestoptimalen Betriebsgrößen. Betriebsgrößenvorteile können nach Untersuchungen der Monopolkommission folgende Ursachen haben: 2 6 3 - Spezialisierungsvorteile aus Arbeitsteilung, - Mindesteinsatzmengen von Produktionsfaktoren, - konstruktionstechnische Beziehungen, „Zwei-zu-drei-Regel", - Ersparnisse aus zentraler Reservehaltung, stochastische Größenersparnisse, - unterschiedliche Kapazitätsgrößen bei aufeinanderfolgenden Fertigungsstufen, - Losgrößenersparnisse. 262

In diesem Abschnitt werden lediglich die Auswirkungen von Kostendegressionsvorteilen skizziert. Zur Herleitung dieser Erkenntnisse sei auf die entsprechenden Ausführungen in einschlägigen Lehrbüchern verwiesen, z.B. Fritsch, Wein, Ewers (1996), S. 143 ff.; Schmidt (1999), S. 84 ff. 263 Zitiert nach Schmidt (1999), S. 89. Vgl. außerdem Fritsch, Wein, Ewers (1996), S. 143 f.; Grossekettler (1999), S. 540 f.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

109

Eine weitere Ursache von Kostendegressionsvorteilen sind positive Netzwerkexternalitäten. Sie können entstehen, wenn ein Gut einem Nutzer um so mehr Nutzen stiftet, je mehr Nutzer dieses Gut nutzen (Beispiel: Telefonnetze). 264 So können auch bei komplementären Produkten indirekte Externalitäten entstehen (Computer und zugehörige Programme). 265 Im Kontext der NIE sind die Produktionskosten eine Komponente einer Gesamtgröße, die ein Entscheider, sei es eine Organisation, ein Unternehmen, eine Privatperson oder der Staat, gering halten sollte. Im Ansatz von Williamson (1990) setzen sich die Gesamtkosten aus den Produktions- und Transaktionskosten zusammen. Kostendegressionsvorteile wirken sich auf die Produktionskosten aus und spielen somit eine Rolle im Entscheidungsprozeß. North (1992) und Barzel (1982) legen ihren Überlegungen eine andere Begrifflichkeit zugrunde. Die gesamten Kosten setzen sich der Art nach aus den Transformations- und Transportkosten sowie den Transaktionskosten zusammen. 266 Hier wirken Kostendegressionsvorteile auf die Komponente „Transformationskosten". Williamson

North, Barzel

Gesamtkosten

Gesamtkosten

Transaktionskosten

Produkt!ionskosten

Transformations-

Transaktionskosten

Transportkosten

• Meßkosten

ii

• Durchsetzungskosten

Kostendegressionsvorteile Quelle: eigene Darstellung.

Abbildung 11 : Kostendegressionsvorteile in der Neuen Institutionenökonomik

• Fördernde Anreize: Transaktionskosteneinsparungen Die weiteren von den Vertretern der NIE genannten fördernden Anreize können unter den Begriff „Transaktionskosteneinsparungen" subsumiert werden. Hauptsächlich werden Probleme der vertikalen Integration unter264

Kiwit, Voigt (1995), S. 128. Richter, Furubotn (1996), 317; Tirole (1988), S. 405. 266 Ähnlich Grossekettler (1997), S. 103 ff., der die Transportkosten jedoch zu den Transformationskosten zählt, weil sie ein durch seine Verwendungseigenschaft, dem Lieferort und dem Lieferzeitpunkt definiertes Gut „verändern", indem sie Lieferort und -Zeitpunkt beeinflussen. 265

110

C. Ausgewählte Problembereiche

sucht. Das wohl bekannteste Anwendungsgebiet ist die mit dem Ansatz von Williamson (1990) untersuchte Make-or-buy-Problematik. Daneben werden jedoch Punkte aus dem Themenkomplex der horizontalen Konzentration, auch in der abgeschwächten Form der Kollusion betrachtet. Während die Erkenntnisse, die sich aus der Untersuchung der Einsparungsmöglichkeiten aufgrund vorliegender spürbarer Kostendegressionsvorteile ergeben, direkt aus der neoklassischen Doktrin übernommen wurden und von daher als Teil einer in sich abgeschlossenen theoretischen Denkschule in die NIE eingingen, ist die Komponente „Transaktionskosten" Gegenstand einer Forschung, deren Abschluß noch nicht abzusehen ist. Von daher können die unter „Transaktionskosteneinsparungen" zusammengefaßten Punkte nicht Gegenstand einer abschließenden Abarbeitung dieser Anreize sein. Zunächst werden Transaktionskosteneinsparungen bei vertikaler Integration, anschließend bei horizontaler Konzentration untersucht. Zugrunde gelegt wird die Transaktionskosteninterpretation nach Williamson. • Transaktionskosteneinsparungen

bei vertikaler

Integration

(1) Der Ansatz von Coase Coase (1937) stellte als Erster ein theoretisches Konzept dar, anhand dessen erklärt werden konnte, inwieweit es aufgrund von Transaktionskostenvorteilen lohnend erscheint, marktliche Transaktionen in die Unternehmung hinein zu integrieren. Ganz in der Diktion der Neoklassik argumentierte er, daß die Koordinationstätigkeit der Unternehmensleitung durch abnehmende Grenzerträge und mithin steigende Koordinationskosten gekennzeichnet sei. Auf der anderen Seite sei es teurer, Transaktionen über den Markt anstatt im Unternehmen abzuwickeln. Somit sei es solange lohnend, marktliche Transaktionen in die Unternehmung hinein zu verlegen bis die Transaktionskosteneinsparungen gerade den angestiegenen Koordinationskosten entsprechen. 267 (2) Der Ansatz von Williamson Der wohl bekannteste Ansatz, der sich mit Transaktionskosteneinsparungen aus vertikaler Integration befaßt, wurde von Williamson ab Mitte der 70er Jahre entwickelt. Die folgenden Ausführungen stellen Grundzüge des Governance-Ansatzes von Williamson (1990) dar. 2 6 8 Hierbei sind Transaktionskosteneinsparungen und die Realisierung 267

Zur Rezeption Coasschen Gedankengutes vgl. auch Pies (2000). Williamson lieferte später auch ein kombiniert neoklassisch-transaktionskostentheoretisches Modell, vgl. Williamson (1997), S. 34 ff. Im folgenden wird jedoch, in der Konsequenz des weiteren Vorgehens, auch hier mit dem heuristischen Modell argumentiert. 268

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

111

von Kostendegressionsvorteilen Komponenten desselben Entscheidungsproblems. Williamson

untersucht verschiedene Transaktionsdimensionen:

• Unsicherheit Wie in Abschnitt Β bereits dargelegt, erhöht steigende Unsicherheit die Kosten eines Vertragsabschlusses (Unsicherheit in Form von Inhaltsunsicherheit) und erhöht somit die Transaktionskosten. Es geht sowohl um zukünftige mit Wahrscheinlichkeiten abzuschätzende Ereignisse, als auch um Ereignisse, deren Eintreten bei Vertragsabschluß in keiner Weise prognostiziert werden können. Williamson betrachtet einen gegebenen nicht näher benannten Grad an Unsicherheit. 269 • Häufigkeit Je häufiger eine Transaktion vorgenommen wird, desto geringer ist der nachträgliche Anpassungsbedarf von Verträgen und desto geringer sind somit die Transaktionskosten. Bei Williamson wird zwischen einmaligen und regelmäßig wiederkehrenden Transaktionen unterschieden. • Faktor Spezifität Je spezifischer ein Produktionsfaktor ist, desto eingeschränkter sind seine alternativen Verwendungsmöglichkeiten und desto höher ist somit die Quasi-Rente, die sich aus dieser Transaktion ergibt. Je höher nun die Quasi-Rente ist, desto größer ist die Gefahr ex post opportunistischen Verhaltens und desto höher ist der Bedarf an detaillierter Vertragsausgestaltung in Form von glaubhaften Sicherungen gegen Ex post Opportunismus, was wiederum mit höheren Transaktionskosten verbunden ist. In der Literatur unterscheidet man räumliche Spezifität, physische Spezifität, Humankapitalspezifität, Widmungsspezifität und Markenartikelspezifität: 270 Ο Räumliche (Standort-) Spezifität liegt vor, wenn aufgrund von Standortvorteilen Lager- oder Transportkosten eingespart werden können. Ο Physische (Sachkapital-) Spezifität bezeichnet die Eignung eines Vorproduktes zur weiteren Verwendung. 269

Schumann (1992), S. 438; ders. (1987), S. 397. Die folgenden Ausführungen lehnen sich an Schumann (1992), S. 440 ff. an. Vgl. auch Ehrmann (1989). Richter, Furubotn (1996) stellen auf S. 361 eine leicht von der obigen Darstellung abweichende Typisierung von Spezifität vor. 270

C. Ausgewählte Problembereiche

Bei der Humankapitalspezifität geht es um die Vorteile einer spezialisierten Ausbildung (Erfahrungskurveneffekte), besonders aber um Einsparungen durch „learning by doing" während der Vertragsbeziehung und das Kennenlernen von Besonderheiten des Vertragspartners (idiosynkratisches Wissen). Ο Widmungsspezifität liegt bei einer einem ganz bestimmten Kunden gewidmeten Investition vor. Ο Markenartikelspezifität meint den besonderen Wert, den Vertragsbeziehungen mit den Käufern eines Produktes durch einen Werbefeldzug einer Vertragsseite in dieses Produkt erhalten. In Franchiseunternehmen ist es z.B. legitim, die nachgelagerte Stufe zu reglementieren, da die durch Werbung erlangte Reputation der vorgelagerten Stufe sonst leicht gefährdet und bei Kundenbeziehungen nicht mehr als Sicherung eingesetzt werden könnte. Williamson hat Verläufe von Produktions- wie Transaktionskosten in Abhängigkeit von der Faktorspezifität untersucht. Das Ergebnis soll folgende Abbildung verdeutlichen.

APK(s)

^

ATK(s)

Legende: s: Spezifitätsgrad APK(s): Produktionskosten vorteil bei Bezug über den Markt ATK(s): Transaktionskostenvorteil bei Bezug über den Markt Quelle: Darstellung in Anlehnung an Schumann (1992), S. 448.

Abbildung 12: Kostenunterschiede bei unterschiedlichen Beschaffungsarten

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

113

Bei geringer Spezifität ist der Produktionskostenvorteil bei marktlicher Beschaffung hoch, da Kostendegressionsvorteile spezialisierter Hersteller genutzt werden können. Die Anzahl möglicher Vertragspartner ist groß. Der Faktor ist bei Eigenerstellung in der Produktion erheblich teurer als bei Marktbezug, nicht realisierte Kostendegressionsvorteile wirken sich sehr stark aus. Der Produktionskostenvorteil sinkt mit steigender Spezifität, da es immer weniger geeignete Hersteller gibt und Kostendegressionsvorteile immer seltener sind. Aus diesen Gründen verschwindet schließlich bei hoher Spezifität der Produktionskostenvorteil. Der Transaktionskostenvorteil bei marktlicher Beschaffung ist bei geringer Spezifität positiv, jedoch nicht so hoch wie der Produktionskostenvorteil. Die geringeren Transaktionskosten des Marktbezuges ergeben sich aus dem geringeren Vertragsausgestaltungsbedarf beim Marktbezug wenig spezifischer Faktoren gegenüber der bei Eigenerstellung kostspieligeren Verträge zur Beschaffung und Kontrolle der Produktionsfaktoren oder zur Umstellung des Produktionsapperates. Mit zunehmender Spezifität und somit zunehmender Quasi-Rente wird dieser Vorteil immer geringer, da die Transaktionskosten marktlicher Beschaffung aufgrund der geringeren Anpassungsflexibilität marktlicher Koordinationen stärker steigen als diejenigen interner Erstellung. Er kehrt sich ab einem gewissen Spezifitätsgrad schließlich in einen Transaktionskostennachteil um, da bei dieser Spezifität die Vertragsausgestaltungen bei Eigenherstellung weniger aufwendig wären als bei Bezug über den Markt. Bei den in dieser Art von Williamson unterstellten Kostenverläufen existiert ein Spezifitätsgrad s 2 , ab dem vertikale Integration vorteilhaft ist, da der Gesamtkostenvorteil marktlicher Beschaffung sich ab diesem Spezifitätsgrad in einen Gesamtkostennachteil verwandelt. 271 (3) Besonderheiten des „Produktionsfaktors

Arbeit"

Diese Erkenntnisse gelten auch für eine Integration des Produktionsfaktors Arbeit, wobei jedoch Besonderheiten zu beachten sind. Ein Arbeitsvertrag wird als relationaler Vertrag konzipiert werden, da es für beide Seiten wegen begrenzter Rationalität und Unsicherheit über die Zukunft zu kostspielig ist, sich ex ante für alle ex post eintretenden Eventualitäten abzusichern. 272 Darüber hinaus ist ein gewisser Ermessensspielraum für bestimmte Outputs unabdingbar, z.B. für Verwaltungs- oder Beratungstätigkeiten, da hier die Bildung idiosyn271 Eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Kosten Verläufe befindet sich z.B. bei Schumann (1992), S. 445 ff. 272 Richter, Furubotn (1996), S. 344. 8 Evers

114

C. Ausgewählte Problembereiche

kratischen Wissens einen großen Anteil am Output hat (plastischer Produktionsfaktor). Eine vollständige Kontrolle wäre zu kostspielig. Weiterhin steht dem „Arbeiter" im Gegensatz zum Unternehmer nicht die Möglichkeit der Diversifizierung seines Kapitals, nämlich seines Humankapitals zur Verfügung. Er tätigt eine spezifische Investition, die ihn langfristig an die Organisation bindet. Im Gegenzug erhält er, in den Arbeitsvertrag quasi eingebettet, von der Unternehmung eine Art Versicherung gegen zu hohe Lohnschwankungen (impliziter Vertrag). Auch kann spezifisches Humankapital nur dann gebildet werden, wenn es gegen Ausbeutung abgesichert i s t . 2 7 3 Mit dieser Argumentation liefert die NIE eine Effizienzerklärung für Nominallohnstarrheiten. (4) Innovationen Innovationen spielen bei der getrennten Betrachtung von konzentrationsfördernden und -hemmenden Anreizen eine ambivalente Rolle. An dieser Stelle sollen zunächst die fördernden Anreize betrachtet werden. Erlei (1998) und Erlei, Leschke, Sauerland (1999) definieren eine Innovation als Weiterentwicklung einer Invention zu einem gebrauchsfähigen Produkt, welches bestimmte Konsumentenbedürfnisse befriedigen kann. Innovationen sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet: • Es handelt sich oft um aufwandsintensive Aktivitäten. • Da der Erfolg eines neuen Produktes schlecht prognostizierbar ist, sind Innovationsaktivitäten mit einer großen Unsicherheit über die Zukunft verbunden. • Die anfallende Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sind anderweitig nur begrenzt einsetzbar, sie sind durch hohe Sach- und Humankapitalspezifität gekennzeichnet. Argumentiert man entlang des Williamson- Schemas, so ist der Transaktionskostenvorteil von F&E-Aufwendungen bei Bezug über den Markt negativ, es wird ein Punkt rechts von S\ auf ATK(s) realisiert. Bei steigender Unsicherheit über die Zukunft werden marktliche Transaktionen für jeden Spezifitätsgrad teurer, so daß sich ATK(s) zum Ursprung verlagert und der Punkt s 2 , ab dem sich vertikale Integration lohnt, früher erreicht wird. Diese Argumentation spricht für eine Integration dieser Aktivitäten. 2 7 4 273 274

Grossekettler (1998), S. 7; Richter, Furubotn (1996), S. 242; Taylor (1987). Erlei (1998), Kapitel III; Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 242 ff.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

115

(5) Reputation Eine weitere Möglichkeit des Einsparens von Transaktionskosten ergibt sich durch die Reduktion von Unsicherheit aufgrund einer guten Reputation? 15 In Anlehnung an Kreps (1990) wird die Reputation eines Unternehmens als Erwartung potentieller Transaktionspartner über die Reaktionen des Unternehmens auf unvorhergesehene Situationen interpretiert. Eine gute Reputation, also die (z.B. auf Vergangenheitserfahrungen) basierte Erwartung, daß sich das Unternehmen zukünftig im Sinne des Transaktionsaktes zum beiderseitigen Nutzen („fair") verhalten wird, reduziert die Unsicherheit auf beiden Seiten: Man wird ex ante seine Suche nach einem geeigneten Vertragspartner auf Partner mit gutem Ruf beschränken oder zumindest Partner mit schlechtem Ruf meiden. In den Verhandlungen selber wird man nicht mehr jede Einzelheit festlegen wollen, da man eine gewisse Vorstellung von der Identität des Partners hat. W i l l das Unternehmen seinen guten Ruf auch in Zukunft halten, so wird es sich ex post im Sinne seines guten Rufes verhalten und den Anpassungsbedarf des geschlossenen Vertrages gering halten. Vertragsverhältnisse mit Unternehmen von gutem Ruf werden also mit geringeren Transaktionskosten verbunden sein als mit Unternehmen von schlechtem oder keinem Ruf (unbekannte Unternehmen). Mit Bezug auf Williamsons Ansatz läßt sich somit argumentieren, daß bei steigender (guter) Reputation ceteris paribus bei jeder Spezifität s der Transaktionskosten vorteil bei Bezug über den Markt verringert, da die Transaktionskosten unternehmensinterner Abwicklung sich verringern. Die Kurve ATK(s) verlagert sich zum Ursprung und der Spezifitätsgrad s 2 , ab dem vertikale Integration vorteilhaft ist, wird früher erreicht. Eine gute Reputation wird für einen Unternehmer umso wichtiger, je größer die Preis- oder Qualitätsunsicherheit auf Seiten der Nachfrager ist und je langfristiger die Vertragsbeziehung angelegt ist. • Transaktionskosteneinsparungen

bei horizontaler Konzentration

Die Ergebnisse das vorherigen Abschnitts lassen sich auch auf den Gegenstand der horizontalen Konzentration in Form der Kollusion übertragen. Eine solche Quasi-Absprache zwischen konkurrierenden Verkäufern oder Käufern (Fellner, 1949) wird erleichtert, wenn ein Partner in etwa abschätzen kann, wie sich ein anderer Partner in gewissen Situationen verhält. Positive Einflußfaktoren auf eine solche implizite Zusammenar275 Vgl. hierzu Hume (1739/40), S. 205; Kreps (1990), S. 92 f.; Richter, Furubotn (1996), S. 319, 364 ff.

8*

C. Ausgewählte Problembereiche

116

beit sind die im Sinne der kollusiven Marktseite gute Reputation der Akteure sowie eine begrenzte Anzahl an Akteuren. So hat die Spieltheorie gezeigt, daß bei sich wiederholenden Handlungen und guter Information der Akteure übereinander (gute Reputation) sowie begrenzter Anzahl der Akteure sich „Wie-du-mir-so-ich-dir-Strategien" lohnen: Ein Zug des Gegenspielers wird mit einem gleichartigen Zug auf der anderen Seite beantwortet. 276 Empirisch beobachtbar ist diese Strategie in Oligopol-Branchen mit hohen markenartikelspezifischen Investitionen. 277 Preissenkungen lohnen sich dann nicht, wenn sie einen Abfall der Werbeintensität nach sich ziehen und infolge dessen die spezifischen Markenartikel-Investitionen dem Versinken preisgegeben werden. Werbung ist somit effizient, sie dient als Schutz gegen Ex post Opportunismus und als Zugangsschranke gegen Außenseiter, um Quasi-Renten der sich am Markt befindlichen Unternehmen aus Markenartikel-Investitionen zu schützen. 278 • Hemmende Anreize: Barrieren sionsvorteilen 279

bei der Realisierung von Kostendegres-

• X-Ineffizienzen Dieser von Leibenstein (1966) eingeführte Begriff meint die Differenz zwischen den tatsächlich anfallenden Produktionskosten und den Mindestproduktionskosten bei gegebener Ausbringung (Realisation der Minimalkostenkombination). Er argumentiert, daß diese Diskrepanz aufgrund fehlenden Wettbewerbsdrucks und mangelnder Kontrolle des Produktionsfaktors Arbeit durch das Management existiere. So könnte bei einer Bewegung in Richtung auf die theoretisch optimale (Mindest-) Betriebsgröße und daraus resultierender Konzentration Marktmacht entstehen und der Wettbewerbsdruck gemindert werden. Es entstehen Verluste aufgrund mangelnder Motivation. 2 8 0 • Drückebergerei

( shirking )

Bereits im Jahre 1937 hat Coase darauf hingewiesen, daß auch die Koordination innerhalb der Unternehmung nicht kostenlos ist und eine Grenze zur Verlagerung marktlicher Transaktionen in die Unternehmung hinein darstellt. Von Alchian und Demsetz (1972) wird diese Grenze im Zusammenhang mit den Problemen bei Teamproduktion untersucht. Eine Vergrößerung des Teams „Unternehmung" ist mit zusätzlichen Kosten verbunden. Es bestehen große Schwierigkeiten, die 276 277 278 279

Näheres vgl. hierzu Axelrod (1984). So z.B. in der amerikanischen Zigarettenindustrie. Richten Furubotn (1996), S. 323 f. Übernahmekosten bleiben in den nachfolgenden Ausführungen unberücksich-

tigt. 280

Schmidt (1999), S. 93 ff.; Schumann (1992), S. 413 f.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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durch den Markt bewertete Gesamtleistung der Unternehmung den einzelnen Teammitgliedern zuzurechnen. Es entstehen Kosten durch Drükkebergerei und Kosten des Monitoring. • Hemmende Anreize: Gestiegene Transaktionskosten mit integrierten Unternehmen

bei Verträgen

in und

• Zu hohe Agenturkosten Der Ansatz von Alchian und Demsetz über die Teamproduktion beleuchtet die Meßproblematik bezogen auf ein klassisches kapitalistisches Unternehmen, in dem der Eigentümer zugleich Manager und Kontrolleur ist. Fama und Jensen (1983) wenden die positive Prinzipal/Agent-Theorie auf diese Zurechnungsprobleme an. Sie heben die Annahme der Eigentümer-Manager-Identität auf und bauen in ihr Modell auch Agenturkosten ein: In einem Unternehmen, in dem spezifische Informationen auf nur wenige Personen verteilt sind, sollten Entscheidungmanagement und Entscheidungskontrolle vereint sein, da sich so Kosten der Agentenüberwachung (Agenturkosten) einsparen lassen. Da die Risikokosten der Eigentümer aus der Schwankung der in kleinen Unternehmen verhältnismäßig kleinen Gewinne ebenfalls gering sind, steht einer Identität von Eigentümer und Manager, die mit einer positiven Anreizstruktur für das Unternehmen verbunden ist, nichts im Wege. Mit steigender Komplexität des Unternehmens, also steigender Anzahl der Personen mit spezifischen Informationen, wird es jedoch immer lohnender, Spezialwissen auszunutzen und Agenten mit den relevanten Kenntnissen Entscheidungsbefugnisse zu übertragen. Mit Anzahl und Ermessensspielraum der Agenten wächst freilich der Umfang der Agenturkosten. Auch sind in komplexen Unternehmen die Risikokosten der Eigentümer höher als in kleinen Unternehmen. Beide Kosten lassen sich jedoch eindämmen, wenn man den Agenten die Entscheidungsbefugnis, den Eigentümern jedoch die Entscheidungskontrolle zuweist. Übersteigen jedoch die Agenturkosten die Vorteile der Nutzung des Spezialwissens der Agenten, so ist hier eine Grenze der Integration neuer Abteilungen und neuer Manageragenten erreicht. 281 • Mangelnde Zurechenbarkeit

von Innovationen

Alchian und Demsetz haben gezeigt, daß mit der Größe eines Teams auch die Meßkosten und mithin die Kosten der Zurechnung von Erträgen zu einzelnen Produktionsfaktoren und Organisationseinheiten zunehmen. Diese gilt auch für Innovationen aus der Forschungs- und Entwicklungs(F&E-)abteilung eines Unternehmens. Wegen gewachse281 Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 94 ff.; Fama, Jensen (1983), S. 303 ff.; Richter, Furubotn (1996), S. 168 ff.

C. Ausgewählte Problembereiche

118

ner Zurechnungsprobleme wird es für die F&E-Abteilung in einem gewachsenen Unternehmen schwieriger, das gleiche Stück des „Gewinnkuchens" zu behalten und nicht ein Teil dieses Stücks an andere, neue oder umgestaltete Abteilungen abtreten zu müssen. Die schwerere (weil kostspieligere) Zurechenbarkeit der Innovationsgewinne kann Leistungsanreize der F&E-Abteilung mindern und stellt eine Integrationsgrenze dar. Eine bestimmte F&E-Leistung wird mit ex ante höheren Anreizen in Form von Zusatzvergütungen und/oder mit ex post höheren Kon troll kosten für die Abteilung verbunden sein. 2 8 2 • Kurzsichtigkeit

des Management

Eine weitere Integrationsgrenze bei Trennung von Eigentum und Kontrolle ergibt sich aus der Überlegung, daß der Nutzen der Manager nicht zwingenderweise mit dem Nutzen des gewachsenen Unternehmens hochkorreliert sein muß. So ist bei Integrationsvorhaben zu beachten, daß Manager, die nicht Eigentümer sind und keine spezifischen Investitionen in das Unternehmen getätigt haben, im Sinne ihrer eigenen Zielsetzung so handeln werden, daß ihr Nutzen gemehrt wird. Je größer das Unternehmen jedoch ist, desto unwahrscheinlicher ist es, daß der Managernutzen an das langfristige Unternehmenskapital geknüpft ist: In einer Ein-Personen-Gesellschaft ist das Unternehmenskapital mit dem Managerkapital identisch. Bei einer Expansion wird der Manager neue Kapitalgeber suchen müssen, die Einlagen in das Unternehmen tätigen und so das Unternehmenskapital erhöhen. Der Anteil des Managerkapitals am Gesamtkapital wird bei einer Expansion jedoch sinken unter der plausiblen Annahme, daß Unternehmenskapital schneller wächst als das Managerkapital. Sinkt dieser Anteil unter eine kritische Grenze, so werden die Manager zunehmend kurzfristige Planungshorizonte haben. Wollt η die Eigentümer ihrem Unternehmen langfristig eine starke Marktstellung verschaffen, so besteht dort eine Integrationsgrenze, wo sich keine geeigneten Manager mehr finden, deren Eigeninteresse langfristig mit dem Eigentümerinteresse korrelliert ist. Eben dieses wird der Fall sein, wenn die Manager nicht spezifisch investiert haben. In diesem Falle wird eine bestimmte Managerleistung mit höheren Kontrollkosten „erkauft" werden müssen. 283 • Überreizung der Unternehmenskultur Der von Kreps (1990) geprägte Begriff der „Unternehmenskultur" ist eng mit dem Begriff „Reputation" verbunden. Während es bei einer guten Reputation darauf ankommt, daß potentielle Vertragspartner ein 282 283

Richter, Furubotn (1996), S. 368; Williamson (1990), S. 161 f. Richter, Furubotn (1996), S. 367; Williamson (1990), S. 157.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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„faires" Verhalten mit Recht erwarten dürfen, wird bei Vorliegen einer gewissen Unternehmenskultur die Unsicherheit der potentiellen Vertragspartner noch weiter gemindert. Auch während eines bestehenden „fairen" Vertragsverhältnis können im Laufe der Zeit immer wieder auslegungsbedürftige Situationen auftreten, die es zu klären gilt. Unter Unternehmenskultur wird nun die Gleichsinnigkeit dieser Auslegungen verstanden. 284 Die Organisation „Unternehmung" verleiht sich quasi ein Prinzip, eine Leitmaxime, wie unvorhergesehene Situationen auszulegen sind. Dieses Prinzip wird unter den potentiellen Vertragspartnern bekannt gemacht und angewendet, denn die Reputation des Unternehmens ist eng mit der Anwendung des Prinzips verknüpft 2 8 5 Bei einer Integration wächst nun durch die hinzugewonnenen Eigenschaften der integrierten Abteilungen die Anzahl der potentiellen Situationen, auf die das Prinzip anzuwenden ist. Ebenso können neue Prinzipien hinzutreten, um den neuen Situationen gerecht zu werden. Auf jeden Fall aber wird die Unklarheit und somit die Unsicherheit über die zukünftige bzw. fortgeschriebene Kultur des Unternehmens bei den potentiellen Vertragspartnern erhöht. 2 8 6 Die höheren erwarteten Kosten von Transaktionen nach einer Integration haben die Verantwortlichen in ihr Kalkül einzubeziehen. bb) Macht Da die NIE sich als vorwiegend an Effizienzforderungen ausgerichtete Theorie versteht, sieht sie natürlich überwiegend Effizienzgründe als Konzentrationsanreize. Zu den oben zusammengetragenen acht fördernden Effizienzanreizen treten so auch lediglich drei Machtanreize. Die wohl bekannteste Machtdefinition stammt von Max Weber: Macht ist die Möglichkeit, in einer Sozialbeziehung den eigenen Willen auch gegen den Willen anderer durchzusetzen. 287 Ähnlich definiert Grossekettler mit Bezug auf Marktprozesse Macht als Fähigkeit, Marktprozesse im Sinne eigener Zielsetzungen beeinflussen zu können. 2 8 8 Im vorangegangenen Abschnitt wurde die Monopolproblematik entweder aus der Sicht eines Unternehmens oder der Sicht eines Marktes, also jeweils aus Sicht einer Organisation betrachtet. Die Perspektive war von daher eher einzelwirtschaftlich. Wird die Gesamtheit der Organisationen einer Volkswirtschaft betrachtet, wandelt sich die Perspektive also zu einer eher 284 285 286 287 288

Richter, Furubotn (1996), S. 179. Kreps (1990), S. 93. Kreps (1990), S. 129; Richter, Furubotn (1996), S. 369 f. Leipold (1992b), S. 110; Weber (1926), S. 28. Grossekettler (1985), S. 208; Schengber (1996), S. 10 ff.

C. Ausgewählte Problembereiche

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gesamtwirtschaftlichen Betrachtung, so wird erkennbar, daß Macht durchaus eine Triebfeder für Monopolisierungstendenzen sein kann. An diesem Punkt setzt North in seiner gesamtwirtschaftlichen Perspektive an. Einen zusammenfassenden Überblick über die in der Neuen Institutionenökonomik behandelten fördernden und hemmenden Machtanreize zur Unternehmensvergrößerung gibt folgende Abbildung: fördernd • hohe Monopolrente • Finanzbedarf des Herrschers/Staates • sonstige institutionelle Fehlanreize

hemmend • Macht innerhalb des integrierten Unternehmens - Verhandlungsstärke der Faktoreigentümer - Prestigeziele des Management - Vortäuschung falscher Reputation - Prestige von Innovationsprojekten - Beeinflussungungskosten • Macht innerhalb des Oligopois • Macht der Außenseiter

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 13: Unternehmensgrößenfördernde und -hemmende Machtanreize aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik

• Fördernde

Anreize

• Hohe Monopolrente Die vorwiegend einzelwirtschaftlich orientierte NIE stellt größenfördernde Effizienzgründe in den Mittelpunkt ihrer Analysen. Bei einer Hinwendung zu einer mehr gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise erkennt die NIE jedoch durchaus an, daß es machtintendierte monopolistische Strukturen geben kann. So wird in der Rent-seeking-Literatur der Begriff der Monopolrente diskutiert: Tollison (1982) unterscheidet klar zwischen den Begriffen „Rent-seeking" und „Profit-seeking". Während „Profit-seeking" als gesunder Anreiz in einer kompetitiven Marktumgebung zu effizientem Wirtschaften verstanden wird, handelt es sich beim „Rent-seeking" um Bestrebungen, einen Markt in die Form des Monopols zu transformieren. Der dabei entstehende Ressourcenverlust z.B. durch Lobbytätigkeiten (Tollison nennt das Engagement und die Bezahlung von Anwälten, damit zusammenhängend auch Ungleichgewichte auf dem „Markt für Anwälte") geht zu Lasten der Allgemeinheit. 2 8 9 Die Monopolrente in ihrer Eigenschaft als Gewinn 289

Tollison (1982), S. 577 f.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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führt somit an sich nicht zu einer verzerrenden Umverteilung von Renten von den Konsumenten zu den Produzenten. Erst das Bestreben, eine Monopolstellung zu erreichen, ist nicht mehr durch Effizienzgründe zu rechtfertigen und führt zur Ressourcenverschwendung. • Finanzbedarf des Herrschers/Staates In seiner neoklassischen Theorie des Staates nimmt North (1988) in der einfachsten Form einen Herrscher an, der als diskriminierender Monopolist öffentliche und halböffentliche Güter zur Verfügung stellt. Ziel des Herrschers ist die Maximierung seines Einkommens, welches annahmegemäß in Friedenszeiten aus Steuereinnahmen besteht. Die Verhandlungsmacht des Staates gegenüber seinen Untertanen oder gewissen Untertanengruppen kann sich nun aufgrund von Änderungen der relativen Preise (hervorgerufen bspw. durch Bevölkerungswandel) oder ideologischen Einstellungen ändern. Handelt es sich bei diesen Gruppen um Unternehmen oder sonstige auf ökonomischen Gewinn zielende Organisationen, so können diese sich eine staatlich geschützte Monopolstellung erkaufen, wenn sie stark genug sind, dem Herrscher Finanzmittel zu verwehren. North führt als Beispiel den gewachsenen Finanzbedarf Frankreichs und Spaniens (genauer: Aragons) an: Im Falle Frankreichs gewährte nach dem Hundertjährigen Krieg die Krone den Zünften auf lokaler Ebene Monopolrechte, um sich Liquidität zur Verteidigung von Property-rights gegen die englischen Besatzerheere und marodierenden Söldnerheere zu beschaffen. 290 Auch in Spanien benötigte die Krone Geld, welches Sie im Gegenzug zur Gewährung von lokalen Monopolrechten an Zünfte erhielt. 2 9 1 Auch Ekelund, Tollison (1980, 1982) entwickelten eine ähnliche Theorie des Rent-seeking im Merkantilismus. 292 In Deutschland ist diese Form der Finanzierung seit dem 12. Jahrhundert als Regalienfinanzierung bekannt. 293 Festzuhalten bleibt, daß die jeweiligen Organisationen Monopole auf ihren Märkten nicht aus Gründen einer höheren wirtschaftlicher Effizienz ihrer eigenen Leistungserbringungen erhielten, sondern aufgrund ihrer Verhandlungsstärke. • Sonstige institutionelle

Fehlanreize

Nach North (1992) werden die Gewinnmöglichkeiten für Organisationen maßgeblich durch die Gestaltung des institutionellen Rahmens mitbestimmt. Organisationen sind annahmegemäß Nutzenmaximierer, ihre 290 291 292 293

North (1988), S. 154. North (1988), S. 156; ders. (1992), S. 134 ff. Ekelund, Tollison (1980), S. 567 ff.; dies. (1982). Grossekettler (2000b), S. 13.

122

C. Ausgewählte Problembereiche

Mitglieder werden ihr Wissen und ihre Fähigkeiten dort verbessern, wo der Aufwand die höchsten Erträge zeitigt. 2 9 4 Daraus folgt, daß institutionelle Fehlanreize Organisationen zu Aktionen verleiten können, die für sie gewinnbringend, aber gesamtwirtschaftlich ineffizient sind. Hierunter können auch Machtpraktiken fallen. • Hemmende Anreize Neben den oben besprochenen anreizhemmenden Effizienzgründen werden folgende anreizhemmenden Machtgründe diskutiert. • Macht innerhalb des integrierten (1) Verhandlungsstärke

Unternehmens: Grenzen der Integration

der Faktoreigentümer

Werden zur Williamsonschen Betrachtungsweise neben Spezifitätsüberlegungen auch die Struktur der Property-rights einbezogen, so ist die Verhandlungsstärke der Faktoreigentümer von Belang. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß die Leiter der integrierten Unterabteilungen nach wie vor ihren Nutzen, bestehend aus Einkommen und/oder Macht und Prestige, zu maximieren suchen. Die Struktur der Property-rights nach einer Integration wirkt sich nun auf die Möglichkeiten der Einflußnahme „integrierter Manager" auf die Unternehmenspolitik aus. Ein Manager einer als Profit-center geführten Abteilung hat bspw. Zugriff auf einen größeren Teil des Unternehmenskapitals als ein Leiter eines Cost-centers. Die Zielsetzung eines mächtigen „integrierten Managers" aber muß nicht immer mit den ökonomischen Zielen der Unternehmung korreliert sein. 2 9 5 (2) Macht als Managermotivation Dieser Punkt knüpft an die Argumentation unter dem Punkt „Kurzsichtigkeit des Management" an. Zur Erinnerung: Ist der Nutzen des Managers nicht oder nur gering mit den langfristigen Unternehmenszielen korreliert, so neigt das Management eines gewachsenen Unternehmens zur kurzfristigen Gewinnmaximierung. Managerziele müssen nicht immer pekuniärer Art sein, sondern können auch aus Prestige- und Machtehrgeiz bestehen. Diese Ziele sind natürlich je gewichtiger, desto größer das Unternehmen und die Möglichkeiten der Einflußnahme sind. Haben Manager vornehmlich eigene Prestigegründe in ihrem Kalkül, die wenig mit den Unternehmenszielen zu tun haben, so stellt dieses Prestigetreiben eine Integrationsgrenze dar. 2 9 6 294 295 296

North (1992), S. 92 ff. Richter, Furubotn (1996), S. 362 f. Richter, Furubotn (1996), S. 367; Williamson (1990), S. 157.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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(3) Ex post Opportunismus durch Vortäuschung falscher Reputation Macht ein Unternehmen einem hochspezialisierten Zulieferer ex ante Versprechen, die es ex post nicht einhält, so ist der Zulieferer vertraglich an das integrierte Unternehmen gekettet, wobei ihm ein großer Teil der Quasi-Rente geraubt werden kann. Dabei nutzt es dem Zulieferer auch nicht, wenn er aus guten Gründen, z.B. aufgrund von Vergangenheitserfahrungen, von einer guten Reputation des Unternehmens ausging. Durch Leistungsverschlechterung oder Manipulation der internen Verrechnung kann ein großer Teil des Einkommenstroms aus dem Vertragsverhältnis entwertet werden. Ein solches Ausnutzen von Verhandlungsmacht kann zukünftige Integrationsvorhaben gefährden. 297 (4) Prestige von Innovationsprojekten Innovationen sind prestigeträchtig. Erfolgreiche Innovationen lassen sich nämlich nicht nur am Produktmarkt gut verkaufen, sondern auch denjenigen in eine bessere Verhandlungsposition kommen, dem diese Innovationen zugerechnet werden. Somit ist es im Sinne von Prestigezuwächsen für die Zentrale einerseits lohnend, die im gewachsenen Unternehmen schwerer gewordene Zurechnung der Innovationen zu Abteilungen sich selbst zunutze zu machen und sie als „ihre" Innovationen zu verkaufen und andererseits durch Gestaltung der internen Verrechnung sich einen Großteil der Gewinne anzueignen. Diese Probleme sind der F&E-Abteilung bekannt, sie werden in Verhandlungen eine Rolle spielen. Die oben beschriebenen Zurechnungsprobleme von F&E-Erträgen werden somit durch den Prestigeanreiz und die Machtmöglichkeiten der Zentrale verstärkt. 298 (5) Beeinflussungskosten Die gewachsene Machtposition des Top-Management nach einer Integration kann als Anreiz zum „unternehmensinternen Rentseeking" interpretiert werden: Es wird für Mitarbeiter mit eigenen Nutzenfunktionen je nach Möglichkeit der Einflußnahme des TopManagement auf höhere Erträge und Kapitalien lohnender, Mitglieder des Top-Management im Sinne eigener Zielsetzungen zu beeinflussen. Wie oben ausgeführt, müssen die individuellen Nutzen297

Richter, Furubotn (1996), S. 367 f. Zulieferer in Erwartung desselben Schicksals werden diese Art des Ex post Opportunismus in ihre Verhandlungsstrategien einbeziehen, was wiederum die Transaktionskosten zukünftiger Verträge erhöht. Insofern ist dieser Punkt nicht überschneidungsfrei mit den oben diskutierten aus hohen Transaktionskosten resultierenden Effizienzgründen. 298 Richter, Furubotn (1996), S. 368; Williamson (1990), S. 162.

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C. Ausgewählte Problembereiche

funktionell nicht notwendigerweise mit der Nutzenfunktion des Unternehmens identisch sein. So mag es zu einem vermehrten Zeitaufwand zur Beeinflussung des Top-Management durch nachgelagerte Organisationseinheiten kommen. Informationen werden u.U. verzerrt nach oben weitergegeben, je nach Zielsetzung des Informationstransferierenden. Der Impuls zur ökonomische Verschwendung kann auch von oben nach unten laufen, wenn das Top-Management nicht im Unternehmenssinn, sondern aus Prestigegründen übermäßig interveniert. A l l diese Aktivitäten hemmen die Effizienz des Unternehmens. 299 • Macht innerhalb des Oligopois Den in der traditionellen Literatur zur Industrieökonomik dominierenden Anreizen einer Gewinnzusammenlegung in einem Kartell stellt Williamson (1975) Transaktionskostenargumente entgegen. Ein vollständig determinierter Vertrag über eine Gewinnzusammenlegung scheitert an den prohibitiv hohen Durchsetzungskosten, die mit einem solchen Vertrag ex post verbunden wären. Opportunismusmöglichleiten ergeben sich aus 1) unterschiedlichen Kostenstrukturen der Unternehmen, 2) unterschiedlichen Produktarten sowie 3) unterschiedlichen Marktpositionen. Da die Unternehmen diese Möglichkeiten kennen, werden sie einen vollständigen (klassischen) Gewinnaufteilungsvertrag ablehnen. 300 • Macht der Außenseiter Ein monopolisierter oder durch Kollusions- oder Konzentrationstendenzen gekennzeichneter Markt bietet Außenseitern die Chance, die Bedingungen dieses Marktes, z.B. überhöhte Preise, „vom Markt zu nehmen", ansonsten aber ihre Freiheitsgrade auszunutzen und etwa zu den hohen Preisen höhere Mengen abzusetzen als die in einem Kartellvertrag festgelegten Quoten, welche die Kartellmitglieder höchstens abzusetzen sich verpflichtet haben. Diese Marktorganisation ist ein öffentliches Gut, von denen die Außenseiter nicht ausgeschlossen werden können. Sie verhalten sich als Trittbrettfahrer und schränken den Aktionsradius des Kartells ein. 3 0 1 cc) Zusammenfassung Ganz in der Tradition seines Lehrers Coase argumentiert Williamson , wenn er feststellt, daß mit der Integration von Markttransaktionen auf der 299 300 301

Milgrom, Roberts (1990), S. 89; Richter, Furubotn (1996), S. 370, 384. Williamson (1975), S. 234 ff. Richter, Furubotn (1996), S. 315.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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einen Seite Transaktionskosteneinsparungen verbunden sind, auf der anderen Seite man jedoch regelmäßig mit unternehmensinternen Anreizverschlechterungen, die aus Effizienz- oder auch Machtgründen resultieren, zu kämpfen hat. Anreizneutralität gibt es weder bei vertikaler Integration noch bei horizontaler Konzentration. Es werden bei jeder Vergrößerung sowohl fördernde wie auch hemmende Anreize wirksam. Weitere zusammenfassende Schlußfolgerungen über die in der NIE herauszulesenden Grundansichten über Integrationsanreize lassen sich über einen Vergleich der Abbildungen über die Effizienzanreize und der Machtanreize gewinnen. Bezüglich der Effizienzanreize könnte bei acht fördernden und sechs hemmenden Anreizen ein nahezu ausgeglichenes Verhältnis bestehen. Bei den Machtanreizen überwiegen mit sieben zu drei vermutlich die hemmenden Anreize. Die fördernden Machtanreize sind zudem gesamtwirtschaftlicher Natur. Rein einzelwirtschaftlich gibt es keinen einzigen fördernden Machtanreiz. Macht und Effizienz werden zwar nicht als Gegenpole scharf voneinander getrennt. Es wird auch betont, daß Integration aus Effizienzgründen geschehen kann (aber nicht muß). Aus dem obigen Überblick über die in der NIE konstatierten Integrationsanreize gewinnt man jedoch folgenden Eindruck: Es gibt viele fördernde und viele hemmende Effizienzanreize. Daneben gibt es viele hemmende, aber kaum einen fördernden Machtanreiz. Folglich existiert ein vorhandenes Monopol oder ein vorhandenes Kartell mit großer Wahrscheinlichkeit aus Effizienzgründen, die so stark sind, daß sie auch die hemmenden Effizienz- und Machtanreize überkompensieren. Diejenigen Teilgebiete der NIE, die sich mit Integrationsanreizen befassen, bezeichnet man deshalb als ,vEffizienzrichtung", 302 b) Folgen monopolistischer Strukturen Die Ansichten der Vertreter der NIE über die Folgen, die sich aus dem Monopolisierungsanreizen ergeben, stehen den Aussagen derjenigen Autoren, die in Monopolisierungstendenzen vor allem den Anreiz von Marktmacht sehen, teilweise diametral entgegen. Anders als die Vertreter der Monopolrichtung glauben die Vertreter der NIE als Anhänger einer Effizienzrichtung, daß Abweichungen von den Bedingungen des vollkommenen Marktes weniger aus bei den Unternehmen liegenden Machtgründen als vielmehr aus Effizienzgründen vorhanden sind und je nach Einzelfall diese Abweichungen ein Mehr an Wettbewerb bewirken. 3 0 3 302

Hier wurde als Ergebnis festgehalten, daß der einzelwirtschaftlich orientierte Zweig der NIE zur Effizienzrichtung zählt. Williamson (1990, S. 26 ff.) zählt die Transaktionskostentheorie von vornherein zur Effizienzrichtung.

126

C. Ausgewählte Problembereiche

Bezüglich der Wirkungen bei vertikaler einige Punkte aufgelistet: 304

Integration

hat Bonus (1993)

• Vertikale Integration kann ein Weniger an Marktmacht bedeuten, wenn man sich aus transaktionsspezifischen Abhängigkeiten befreien kann. • Vertikale Integration kann Preise senken, wenn kostensparende Arrangements entstehen und Kostensenkungen an die Konsumenten weitergegeben werden. • Man kann durch vertikale Integration Wettbewerbsvorsprünge aufbauen. Nach der fundamentalen Transformation - Transformation einer Wettbewerbssituation vor Vertragsabschluß in ein bilaterales Monopol nach Vertragsabschluß - kann man nämlich im Laufe der Vertragsdauer transaktionsspezifisches Know-how entwickeln. • Die Reglementierung eines Transaktionspartners kann legitim sein, wenn bspw. mit unseriösem Verhalten der anderen Seite eine Reputationsschädigung einhergehen kann. • Bei der institutionellen Absicherung sensitiver Transaktionen kann Preisdiskriminierung z.B. in Form von Preisnachlässen legitim sein. Auch Abweichungen in Richtung der horizontalen Konzentration können wettbewerbsförderliche Wirkungen haben. Die folgenden Punkte stammen aus Bonus (1993) und Richter, Furubotn (1996): 3 0 5 • Preisführerschaft und über dem Konkurrenzpreis liegende Preise sind dann ökonomisch effizient, wenn die Akteure hohe markenspezifische Investitionen getätigt haben. • Starre Preise auf Produkt- und Faktormärkten können Unsicherheit auf der gleichen wie auf der gegenüberliegenden Marktseite reduzieren. • Zugangsbeschränkungen zur Abwehr von Außenseitern können bei der Absicherung von aus Effizienzgründen bestehenden Quasi-Renten mithelfen. • Absprachen können über das Eintreten in größere Märkte Konkurrenz ermöglichen. c) Konsequenzen monopolistischer Strukturen Die Ansichten in der NIE über vorhandene monopolistische Strukturen haben natürlich Auswirkungen auf die Meinung über die Behandlung der entsprechenden Märkte. 303 304 305

Richter, Furubotn (1996), S. 341. Bonus (1993), S. 6. Bonus (1993), S. 6; Richter, Furubotn (1996), S. 341.

127

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

K' Ρ

Pm

\

Pc

K'(c)

A

qmqc Legende: K'(c,m): q (c,m): ρ (c, m): Aji A2:

Grenzkosten (bei Konkurrenz, Monopol) Ausbringung (bei Konkurrenz, Monopol) Preis (bei Konkurrenz, Monopol) Gewinn aus produktiver Effizienz der Produzenten Wohlfahrtsverlust der Konsumenten

q

Quelle: Darstellung in enger Anlehnung an Schmidt (1999), S. 97.

Abbildung 14: Wohlfahrtsverluste und -gewinne bei horizontaler Konzentration

Bei Vorliegen horizontaler Konzentration fordert Williamson von der Wettbewerbspolitik, einen Vergleich anzustellen zwischen den Nachteilen der Konzentration bei den Konsumenten, die sich aus höheren Preisen ergeben, und den Vorteilen der Produzenten, die sich aus geringeren Kosten durch effizientere Produktion ergeben. Horizontale Konzentration ist dann wohlfahrtsfördernd, wenn der Wohlfahrtszuwachs der Produzenten (Aj), den Verlust der Konsumenten ( A 2 ) übersteigt. Hier wird implizit unterstellt, daß die Kosteneinsparungen durch Realisierung von Kostendegressionsvorteilen und Transaktionskosteneinsparungen die zusätzlichen Kosten aus Effizienzverschlechterungen und Transaktionskostenerhöhungen übersteigen. Darin wird die allgemein von den Vertretern der NIE geteilte Ansicht deutlich, daß vorhandene monopolistische Strukturen höchstwahrscheinlich aus Effizienzgründen gerechtfertigt sind. Auch wird das Konsumenteninteresse nicht mehr in den Vordergrund gestellt. Ferner wird nicht beachtet, daß positive Wohlfahrtseffekte auch durch internes Wachstum erreicht werden können. Auch werden bei diesem Konzept in der Literatur Operationalisierungsprobleme konstatiert. 306 306

Schmidt (1999), S. 97 f.; Williamson (1968), S. 18 ff.

C. Ausgewählte Problembereiche

128

Bei der Behandlung natürlicher zwei Konzepte diskutiert:

Monopole werden in der NIE-Literatur

(1) Regulierung, (2) Versteigerung der Anbieterkonzession (Franchise-Bidding). Ad (1) Regulierung: Sehr skeptisch, wenn auch nicht vollkommen ablehnend stehen die Neoinstitutionalisten der laufenden behördlichen Regulierung natürlicher Monopole gegenüber. Zweck einer Regulierung natürlicher Monopole ist es, die Konsumentenrente zu maximieren. Grossekettler hat gezeigt, daß Güter natürlicher Monopole als Klubkollektivgüter aufgefaßt werden können: Zwar verursacht ein zusätzlicher Nutzer fühlbare zusätzliche Kosten, diese liegen jedoch innerhalb des Nachfrageraums unter den Durchschnittskosten 307 . Hierauf aufbauend präferieren Borchert und Grossekettler (1985) den Vorschlag der Gründung eines Nutzervereins, der für die Inanspruchnahme des Gutes einen gespaltenen Tarif erhebt: Eine Grenzkostenkomponente (analog einer Gebührenkonponente im Preis für ein Klubkollektivgut) garantiert die wohlfahrtsoptimale Ausrichtung der Nachfrageentscheidungen, eine Komponente zur Fixkostendeckung (analog einer Beitragskonponente) schafft interne Anreize zur Gesamtkostensenkung. Traditionellen Konzepten externer Regulierung stehen sie skeptisch gegenüber. Im Falle einer Preisregulierung mit dem Ziel der Realisation eines Durchschnittskostenpreises könnten die Nachfrager ihre Entscheidungen nicht mehr am (wohlfahrtsoptimalen) Grenzkostenpreis orientieren, intern entfielen durch die Garantie der Dekkung aller Kosten Anreize zur Wirtschaftlichkeit. Sie entfielen auch, wenn die externe Stelle den Grenzkostenpreis vorschriebe und die Kostenunterdeckung durch öffentliche Subventionen ausgeglichen würde. In diesem Falle müßten außerdem auch Nichtnutzer zahlen, das Kongruenzprinzip wäre verletzt. 3 0 8 Die Argumention gegen externe Regulierungen natürlicher Monopole wird durch die Vertreter der NIE untermauert: Aufgrund der Annahmen positiver Informationskosten und Herausbildung spezifischen Wissens (Humankapitals) in der Monopolunternehmung ist anzunehmen, daß der Monopolist mehr Informationen über seine Kostenstrukturen besitzt als eine außenstehende Regulierungsbehörde. Diese Informationen kann die Behörde nur unter Aufbringung von Meßkosten in Erfahrung bringen. Dadurch entsteht für Anbieter mit niedrigen Kosten eine sogenannte Informationsrente, er muß durch Transferzahlungen dazu gebracht werden, seine wahren (niedrigeren als von ihm vorgegebenen) Kosten zu offenbaren. Je höher die 307 308

Siehe Borchert, Grossekettler (1985), S. 315 ff. und Abschnitt B.II.3.b). Vgl. Borchert, Grossekettler (1985), S. 53 f.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

129

Meßkosten sind, desto höher wird die Transferzahlung an den Anbieter sein. Geht man weiterhin davon aus, daß diese Transfers letztendlich von Steuerzahlern zu entrichten sind, so könnte schließlich die Konsumentenrente durch die Transferzahlungen und indirekt über die Meßkosten aufgezehrt werden. 309 Im Sinne der Vertragstheorie kann eine Regulierungsbehörde als Agent aufgefaßt werden, der eine das Verhältnis von Marktakteuren regelnde „Verfassung" im Auftrag der Akteure durchsetzt (Beispiel: Eine Energieregulierungsbehörde regelt langfristig das Verhältnis zwischen Stromerzeugern und -abnehmern). 310 Interpretiert man eine Regulierungsbehörde als Prinzipal, welcher Marktanbieter (Agenten) überwacht, so kann es zu einem Sperrklinkeneffekt kommen, wenn die Regulierungsbehörde keiner Verpflichtung im Sinne einer vorhersehbaren Gestaltung von Anreizmechanismen unterworfen ist: Da in einem solchen Fall ein Agent aufgrund hoher Zukunftsunsicherheit zu keiner mehrperiodigen Strategie fähig ist, wird er dann nicht im volkswirtschaftlichen Effizienzoptimum produzieren und anbieten, wenn bei Realisierung dieses volkswirtschaftlichen Optimums er sich nicht in seinem individuellen Gewinnmaximum befände. Der Monopolanbieter müßte dann nämlich ein „Einrasten" zukünftiger Ziele auf diesem Niveau (im Sinne einer zukunftigen „Arbeitsnorm" auf Niveau des volkswirtschaftlichen Effizienzoptimums) befürchten. Für diesen Fall wird in der NIE die Notwendigkeit institutioneller Bindungen der Regulierungsbehörde gesehen, um den regulierten Anbietern den aus Zukunftsunsicherheiten resultierenden Anreiz zu volkswirtschaftlich suboptimalem Verhalten zu neh311

men. Weitere Gründe für die wahrscheinliche Unwirksamkeit von öffentlichen Regulierungstätigkeiten sehen Schanze und Hax. Nach Schanze können Unternehmen Regulierungen wie der Hase dem Igel davonlaufen, indem sie den juristisch abgesteckten Regulierungsbereich verlassen und ihre Aktivitäten auf einen neuen Markt verlagern. 312 Hax befürchtet, daß in Kenntnis 309

Ähnlich argumentieren Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 249 ff. Goldberg (1976); Richer, Furubotn (1996), S. 178. 311 Richter, Furubotn (1996), S. 276 f. 312 Schanze gibt ein Beispiel dafür, wie eine Änderung der Randbedingungen „relative Preise" und „Technologie" einen Vorstoß in einen nicht-regulierten Markt bewirken können: Die Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland über kleingedruckte Passagen in Verträgen aus dem Jahre 1976 bezogen sich nicht auf individuell verhandelte Texte. Im Zuge der EDV-Entwicklung und der damit immer billiger werdenden Erstellung privater und individueller Verträge wurde es für die betroffenen Unternehmen lohnend, von den alten Standardverträgen abzuweichen und individuell verhandelte Texte in die Verträge einzuarbeiten. Sie sind wie der Igel dem Hasen der Regulierung entkommen. Vgl. Richter, Furubotn (1996), S. 347; Schanze (1995), S. 162 ff. 310

9 Evers

130

C. Ausgewählte Problembereiche

dieses Verhaltens die öffentliche Hand einen Anreiz hat, ihre Tätigkeit auch auf vermutete „Fluchtbereiche" auszudehnen und so die Staatstätigkeit und mithin die Staatsquote zu erhöhen. 313 Ad (2) Versteigerung der Anbieterkonzession (Franchise-Bidding): Ein anderer Weg wird vor allem von den Vertretern der Chicago-Schule vorgeschlagen. Deren Idee des Franchise-Bidding besteht kurz gesagt darin, den Wettbewerb auf dem Markt durch einen Wettbewerb um den Markt zu ersetzen. 314 So argumentiert Demsetz (1968), daß bei Vorliegen eines natürlichen Monopols die Preise nicht zwingenderweise über den Durchschnittskosten liegen müssen. Ein natürliches Monopol könne nämlich als Konzession betrachtet werden, die es in einer Ex-ante-Bietphase zu versteigern gilt. In dieser Phase herrsche Wettbewerb zwischen den Bietern. Preis und Qualität des Produktes des zum Zuge kommenden Bieters würden so nur unwesentlich, für den Konzessionsnehmer gerade noch lohnend, von Preis und Qualität in einer Ex post Wettbewerbssituation abweichen. Hier handelt es sich jedoch um ein vortreffliches Beispiel für eine fundamentale Transformation in der Diktion von Williamson mit all den ihr innewohnenden Gefahren, vor allem der Gefahr ex-post-opportunistischen Verhaltens bei langfristigen Verträgen, welche mit großer Unsicherheit über die Zukunft behaftet sind. 3 1 5 Williamsons Befürchtungen gelten dem Erstvergabekriterium, welches künstlich oder obscur sein kann und daher nicht unbedingt zu Preisen nahe denen einer Wettbewerbssituation führen muß. Auch kann während der Vertragslaufzeit der Anbieter opportunistisch handeln und das Preis-/ Kostenverhältnis oder seine Leistungserbringung verschlechtern. Erlei, Leschke, Sauerland (1999) weisen auf die Schwierigkeiten hin, die ein kurzfristiger Franchise-Vertrag mit sich bringt: Bei der Notwendigkeit der Investition in langlebiges spezifisches Sach- und Humankapital werden bei Kurzfristverträgen tendenziell zu geringe Kapazitäten errichtet. 316 Auch der Einfluß des (nach North (1992) nie effizienten) politischen Marktes kann zu Erfüllungsschwierigkeiten führen. Ferner könnte nach der Vertragslaufzeit bei Neuausschreibung der Altbieter Vorteile gegenüber potentiellen Neuanbietern haben. 317 Erlei, Leschke, Sauerland (1999) machen zudem darauf aufmerksam, daß konsequenterweise auch das Verhalten einer Vergabebehörde anhand der Annahmen der Eigeninteressen der in der Behörde Tätigen und des methodologischen Individualismus modelliert werden muß. So würde die Behörde bei einer nachträglichen Entziehung des FranchiseRechts Fehler eingestehen, was negative Auswirkungen auf das Prestige der 313 3,4 315 3,6 317

Hax (1995), S. 182 ff.; Richter, Furubotn (1996), S. 347. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 251. Vgl. auch Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 252. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 256. Richter, Furubotn (1996), S. 336 f.; Williamson (1976), S. 76 ff.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

131

Behörde hat. Die Geisel „Reputation der Behörde" ist also nach FranchiseVergabe einer Zerstörungsgefahr ausgesetzt, wieder hat man es mit dem Phänomen der fundamentalen Transformation zu t u n . 3 1 8 Insgesamt betrachten die Vertreter der NIE sowohl laufende öffentliche Regulierungstätigkeiten als auch Franchise-Bidding-Praktiken eher skeptisch. Hohe Informationskosten und opportunistisches Verhalten können im Extremfall die von einem Einschreiten der öffentlichen Hand erwarteten Vorteile für die Konsumenten sogar überkompensieren. Bezüglich der wirtschaftspolitischen Behandlung vertikaler Integration werden in der NIE keine expliziten Ausführungen gemacht. Wie oben dargelegt wurde, betonen die Vertreter der NIE hier sehr stark die Effizienzanreize. Das Auftreten vertikaler Bindungen wird somit konsequenterweise auch nicht als großes wirtschaftspolitisches Problem gesehen, welches es staatlicherseits zu behandeln gilt: Vertikale Bindungen existieren aus Sicht der NIE höchstwahrscheinlich aus Effizienzgründen und sind mit Vorteilen für Anbieter- und Nachfrager verbunden, so daß öffentliche Regulierung sich diesbezüglich in der Regel erübrigt. 3 1 9 d) Zusammenfassung Die Verhaltensannahmen, die der NIE zugrunde liegen, lassen die Autoren dieser Richtung zu teilweise völlig anderen Schlußfolgerungen gelangen als die Vertreter der Neoklassik oder des Monopolzweiges der Wettbewerbstheorie. Begrenzte Rationalität, Opportunismus, die Unsicherheit über die Zukunft sowie asymmetrische Informationsverteilungen machen Transaktionen kostspielig und lassen viele Praktiken, die einst als Ausdruck von Marktmacht interpretiert wurden, in einem anderen Licht erscheinen: Hochspezifische Investitionen machen vertikale Integration effizient. Beruht eine starke Stellung auf einer guten Reputation, so ist diese Stellung aus Effizienzgründen gerechtfertigt. Besonders in Branchen mit hohen markenspezifischen Investitionen dienen informelle Absprachen, Werbung und Marktzutrittsschranken zur Absicherung hoher Quasi-Renten und sind somit wettbewerbskonform. Diese Integrationsanreize treten zu den „traditionellen" Anreizen der Massenproduktionsvorteile, hoher Fixkosten und Netzwerkextrnalitäten. Trittbrettfahrerprobleme bei gewachsenen Unternehmen in Form von X-Ineffizienzen und wachsender Drückebergerei, Koordinations3,8

Vgl. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 254 f. Als Gegenposition läßt sich die sogenannte Preisbindung der zweiten Hand anführen, das Vorschreiben von Absatzpreisen und sonstigen Geschäftsbedingungen für nachgelagerte Stufen. Bei dieser Art der vertikalen Kooperation handelt es sich eindeutig nicht um eine effizienz- sondern um eine machtintendierte vertragliche Bindung. Vgl. Borchert, Grossekettler (1985), S. 292, 304. 319

*

132

C. Ausgewählte Problembereiche

Probleme in Form kostspieligerer Kompetenzzuweisung, kostspieligere Kontrolle untergeordneter Abteilungen und auch des Top-Management wegen höherer Kontrollkosten sowie der schwierieger werdende Aufbau einer kohärenten Unternehmenskultur können jedoch Sand ins Getriebe streuen. Macht wird eher als hemmender Integrationsfaktor gesehen. Die wenigen fördernden Machtanreize sind gesamtwirtschaftlicher Natur, Macht wirkt eher integrationshemmend in Form der Möglichkeit steigender Machtkämpfe und somit kostspieligerer Transaktionen innerhalb des Unternehmens, des Oligopois sowie auf Seiten von Außenseitern, die zudem noch aus Effizienzgründen bestehende Quasi-Renten gefährden könnten. Dementsprechend skeptisch bis ablehnend stehen die Vertreter der NIE Regulierungsbestrebungen der öffentlichen Hand gegenüber. Man geht davon aus, daß vorhandene Monopole oder kartellartige Organisationen höchstwahrscheinlich aus ökonomisch zwingenden Gründen so organisiert sein müssen, wie sie es nun einmal sind. Regulierung wird zwar nicht vollkommen abgelehnt, tritt aber höchstens dort lediglich als eine von mehreren Möglichkeiten in die Diskussion ein, wo die Möglichkeit eines Machtmißbrauchs am ehesten für wahrscheinlich gehalten wird, nämlich im Falle natürlicher Monopole. Auch hier wird behördliche Regulierung nur solange gerade noch akzeptiert, wie nicht bessere Möglichkeiten gefunden sind. Im Falle horizontaler Konzentration ist gemäß der Argumantation Williamsons ein Verfahren zu finden, welches den Produzentenvorteil aus der Erhöhung der Produzentenrente durch Effizienzerhöhung gegen den Konsumentennachteil aus der niedrigeren Konsumentenrente durch den höheren Preis und die geringere abgesetzte Menge abwägt. 3 2 0

2. Die Sicht der Ordoliberalen Die Vertreter der NIE sehen sich selbst als Vertreter eines an Effizienzforderungen ausgerichteten Forschungszweiges. Effizienz wird als dominierender Konzentrationsanreiz angesehen. Als Komponenten von Effizienz gelten Kostendegressionsvorteile und Transaktionskosteneinsparungen. Beim Ordoliberalismus spielt, wie im weiteren Verlauf der Arbeit gezeigt wird, der Effizienzanreiz eine Nebenrolle, der Machtanreiz übernimmt in dieser Forschungsrichtung die Hauptrolle bei der Erklärung von Monopolisierungstendenzen. Eine strikte Trennlinie zwischen vertikaler und horizontaler Konzentration läßt sich bei den Ordoliberalen im nachhinein nicht ziehen, so daß in diesem Abschnitt nicht nach diesen Integrationsrichtungen getrennt untersucht wird.

320

Vgl. Williamson (1968), S. 18 ff.

133

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

In Abschnitt C.II.2.a) werden die von den Ordoliberalen angenommenen Anreize dargestellt. In Abschnitt C.II.2.b) werden die Wirkungen monopolistischer Strukturen, in C.II.2.c) daraus resultierende Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik untersucht. Dabei werden die im vorigen Abschnitt erarbeiteten Schlußfolgerungen der NIE zum Vergleich herangezogen. Anschnitt C.II.2.d) faßt das Gesagte zusammen. a) Anreize zu monopolistischen Strukturen aa) Effizienz Analog zum obigen Vorgehen sollen auch im ordoliberalen Kontext zunächst fördernde und hemmende Effizienzanreize untersucht werden. Eine thesenartige Darstellung enthält die folgende Abbildung.

fördernd Kostendegressionsvorteile Massenproduktionsvorteile

hemmend Spezifität

• SachkapitalSpezifität • Standortspezifität

Kostendegressionsvorteile

Spezifität

Nichtrealisierung

generell langfristig

bei konjunktureller Unterauslastung

abnehmende Spezifität

• Humankapitalspezi fität Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 15: Konzentrationsfördernde und -hemmende Effizienzanreize aus Sicht der Ordoliberalen

• Fördernde Anreize: Kostendegressionsvorteile Bei der Betrachtung von Konzentrationstendenzen trennt Eucken strikt zwischen dem, was man in der modernen Literatur „innere" und „äußere" Konzentration nennt. 3 2 1 Nicht die innere, durch Betriebswachstum bedingte Konzentration stellt für ihn ein Problem dar, sondern „daß viele Werke unter einheitliche Leitung geraten". 322 In bezug auf die innere Konzentration vertritt er die Meinung, daß in Ausnahmefällen und bei optimaler Kapitalausstattung gewisse Produkte mit Massenproduktions321 322

Vgl. z.B. Lenel (1988), S. 137 ff.; Schmidt (1999), S. 134 ff. Eucken (1950), S. 10.

134

C. Ausgewählte Problembereiche

vorteilen produziert werden können und im Extremfall sogar „ . . . die Produktion nur eines einzigen Werkes ausreicht, um einen Markt optimal mit dem Gute zu versorgen.". 323 Böhm argumentiert, daß aufgrund „ordnungsgemäß sich vollziehender Größenentwicklungen ... die Kaufkraft des Bedarfs nur wenige oder gar nur ein einziges Unternehmen alimentiert oder ... technische Gründe (Leitungsnetz) den Bedarf an einen einzelnen Unternehmer bindet." (Böhm, 1937, S. 141 f., Herv.d.d. V.). Nach Rüstow (1949) ist die optimale Betriebsgröße dort sehr hoch, wo die Fixkosten sowohl absolut als auch relativ zum gesamten Kapitaleinsatz gesehen hoch sind. 3 2 4 Er nennt als Beispiele den Schienenverkehr oder „public utilities, die aus natürlichen, technischen oder sonstigen Gründen eine unvermeidliche Monopolstruktur haben ..." (Rüstow, 1949, S. 134). Röpke (1948) räumt die Existenz gewisser Vorteile der Massenproduktion zumindest zu Beginn der Industrialisierung e i n . 3 2 5 Auch Böhm sieht, daß Rationalisierungsfortschritte zu Konzentration führen können. 3 2 6 Es zeigt sich also, daß die Existenz von Kostendegressionsvorteilen für die Ordoliberalen evident ist. Nach Eucken sind solche Monopole zugelassen, die aufgrund der Realisierung von Kostendegressionsvorteilen bestehen („wirkliche", „unvermeidbare", „kostensparende" Monopole). 3 2 7 Nach Miksch können Monopole auch aus „natürlichen technischen" Gründen bestehen. 328 Und Euckens Aussage, daß durch diese Art der Konzentration einer Unternehmung es erst ermöglicht werde, am internationalen Wettbewerb teilzunehmen 329 weist eine frappierende Ähnlichkeit mit der Aussage der NIE auf, daß Integration mehr Wettbewerb bewirken könne. • Fördemde Anreize: Spezifität Der Begriff taucht bei den Ordoliberalen freilich nicht unter diesem Namen auf, der Einfluß einer begrenzten Verwendbarkeit von Gütern wurde jedoch unter verschiedenen Problemstellungen untersucht. 330

323

Eucken (1949), S. 65; ders. (1950), S. 11. Rüstow (1949), S. 112. 325 Röpke (1948), S. 156. 326 Diese Fortschritte führen jedoch, so Böhm, nur im Extremfall zu einer echten Monopolisierung. Böhm (1933), S. 63. 327 Eucken (1952), S. 292 ff.; ähnlich Rüstow (1949), S. 112, 134. 328 Miksch (1948), S. 187. 329 Eucken (1950), S. 12, 230 ff. 330 Williamson (1990, 1996) nennt zahlreiche Vorläufer, welche die begrenzte Verwendbarkeit von Produktionsfaktoren angesprochen hatten. Hierunter befindet sich erstaunlicherweise jedoch kein einziger Ordoliberaler, obwohl diese noch vor den von Williamson zitierten Autoren diese Problematik ausdrücklich ansprachen. 324

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

135

• Standortspezifität Eucken (1952) bezeichnet den Kauf einer Kohlezeche durch ein Hüttenwerk als „kostensparenden Zusammenschluß". 331 Schmitt (1950) ist der Auffassung, daß Rohstoffvorkommen in einer bestimmten Region „ballende" Wirkungen haben, da verarbeitende Industrien sich wegen der geringeren Transportkosten in der Nähe der Rohstoffe ansiedeln. 332 Diese Aussagen sind fast deckungsgleich mit der o.a. Definition des Begriffs „Standortspezifität" und weisen starke Ähnlichkeiten mit den Ausführungen von Joskow (1985) über diese Art der Spezifität auf: Joskow stellte in einer empirischen Untersuchung fest, daß Kohlekraftwerke bevorzugt in der Nähe von Kohleschächten errichtet werden, um Lager- und Transportkosten zu sparen. 333 Euckens Aussagen zur Stellung der Arbeiter zu Beginn der Industrialisierung lassen sich ähnlich interpretieren: Er führt als Beispiel eine Baumwollspinnerei in einem schlesischen Gebirgstal an. Wegen geringer oder nicht vorhandener Möglichkeiten der Arbeiter, dieses Gebirgstal zu verlassen (keine Reisemöglichkeiten und soziale Bindungen), besteht für die Weberei ein Nachfragemonopol nach Arbeit. 3 3 4 Mit anderen Worten: Es bestehen hohe Mobilitätskosten für den Faktor Arbeit. Diese Kosten setzen sich zusammen aus Transport-, bzw. Raumüberwindungskosten (mangelnde oder fehlende Fortbewegungsmöglichkeiten) und hochspezifischen Humankapitalinvestitionen in ein soziales Umfeld (soziale Bindungen). • Humankapitalspezifität Der letzte Satz des vorherigen Abschnitts deutet bereits an, daß die Ordoliberalen auch Umstände beschrieben, die heute unter dem Stichwort „Humankapitalspezifität" subsummiert werden. Erlei, Leschke, Sauerland (1999) nennen Komponenten ortsgebundenen Humankapitals: Ortskenntnisse, erlernte formelle Regeln, gegebenenfalls die Landessprache und schließlich die Komponente, die auch Eucken beim Begriff „soziale Bindungen" wohl ehesten vorgeschwebt hat, nämlich spezifische Investitionen in ortsgebundene informelle Regeln, also die geübte Findung und Entwicklung einer eigenen Position im sozialen Umfeld. 3 3 5 Auch Partsch stellt beim überwiegenden Teil der Bevölkerung des frühen 19. Jahrhunderts einen natürlichen „Hang zur Seßhaftigkeit" fest. 3 3 6 331 332 333 334 335 336

Eucken (1952), S. 283. Vgl. Schmitt (1950), S. 173 ff. Vgl. Richter, Furubotn (1996), S. 138, 362. Vgl. Eucken (1952), S. 43 ff. Vgl. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 388 ff. Partsch (1948), S. 242.

136

C. Ausgewählte Problembereiche

Aufgrund dieser beiden Faktoren, Raumüberwindungskosten und ortsspezifische Humankapitalinvestitionen, besteht eine hohe Quasi-Rente des Wohnsitzes eines Arbeiters nahe seiner Arbeitsstätte. Man kann Eucken somit dahingehend interpretieren, daß für ihn Arbeit nicht nur ein standortspezifischer Produktionsfaktor ist, sondern auch erhebliche Humankapitalspezifitäten die Bindung des Arbeiters an den Produktionsort fördern. Humankapital wird von den Ordoliberalen jedoch vor allem im unternehmerischen Kontext gesehen. So beschreibt von Stackelberg die intuitiven Fähigkeiten eines Unternehmers, sich an die optimale Faktoreinsatzkombination heranzutasten, die zu errechnen wegen des immens hohen Rechenaufwandes nicht möglich sei. Diese Fähigkeit vergleicht er mit der Fähigkeit eines Bienenvolkes, einen Bienenstock optimal zu bevölkern, ohne daß die Bienen das für diesen Zweck mathematisch korrekte Suchverfahren der Differentialrechnung beherrschen. 337 Böhm schreibt dem Recht die Funktion zu, „ . . . den psychologischen Anreiz (zu schaffen) ..., der die Kampfbeteiligten veranlaßt, diejenigen Talente, auf die das Recht Wert legt, aufs tatkräftigste auszubilden." (Böhm, 1933, S. 111). An anderer Stelle vertritt er die Ansicht, daß sich ein „Sittenempfinden" erst nach einer Entscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsverfassung „entfalten" könne. 3 3 8 Dieses „Entfalten" läßt sich als durch Lerneffekte induzierte Herausbildung spezifischen Humankapitals zu bestimmten formellen Regeln interpretieren. Eucken verwendet den Begriff „ . . . Fingerspitzengefühl', das notwendig ist, um im Wettbewerb zu bestehen" (Eucken, 1952, S. 271). Er betont, daß ein Unternehmer nur dann ein Gespür für die optimale Kombination von Produktionsfaktoren entwickeln kann, wenn er in einem gewissen Rahmen Verfügungsgewalt über diese Produktionsfaktoren besitzt. Aus diesem Grunde steht er betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeiter eher skeptisch gegenüber. 339 Anders ausgedrückt: Der grundsätzlich dezentralen Planungskompetenz ist dort eine Grenze gesetzt, wo die Bildung unternehmerspezifischen Humankapitals so stark beeinträchtigt wird, daß die entgangene Kosteneinsparung durch Anwendung unternehmerischen Humankapitals stärker wiegt als die Kosten der Koordination untergebener Produktionsfaktoren. Eng verwandt hiermit ist der Gedankengang, den Coase in seinem Aufsatz von 1937 verfolgte, als er nach der Grenze der Integration von Produktionsfaktoren in die Unternehmung forschte. 340

337 338 339

von Stackelberg (1949), S. 197; ähnlich Röpke (1997), S. 43, 57. Böhm (1933), S. 199. Eucken (1952), S. 271, 320 f., 376 f.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

137

• Sachkapitalspezifität Eucken beschreibt auch den Aufkauf einer Gießerei durch ein Hüttenwerk als kostensparend. 341 Einen solchen Vorgang würde man in der NIE als Integration aufgrund hoher Sachkapitalspezifität interpretieren. Insgesamt wird gesehen, daß begrenzte Verwendungsmöglichkeiten von Produktionsfaktoren und somit erhöhte Spezifitäten Ursachen einer Monopolisierung sein können. Eine getrennte Betrachtung nach verschiedenen Spezifitätsarten findet sich bei den Ordoliberalen freilich nicht, es lassen sich jedoch literarische Beispiele für Standortspezifität, Humankapitalspezifität sowie Sachkapitalspezifität finden. • Hemmende Anreize: Barrieren sionsvorteilen

bei der Realisierung von Kostendegres-

Ein wesentlicher Unterschied ordoliberaler Autoren zu den Vertretern der NIE ist stärkere Betonung der Nichtrealisierbarkeit von Kostensenkungspotentialen wegen geringer oder fehlender Nachfrage. So spricht Böhm (1933) von der Möglichkeit der Konsumenten, der Abhängigkeit von einem Monopol durch „BedarfsVerlagerung" zu entkommen, Röpke (1948) bezieht Nachfrageschwankungen im Konjunkturkreislauf in seine Untersuchung der optimalen Betriebsgröße mit ein. Kostensenkungspotentiale sind nach seinen Ausführungen nur dann zu realisieren, wenn die für die Realisierung notwendige Mehrproduktion sich auch am Markt absetzen lasse. 342 Rüstow (1949) geht auf das von Schmalenbach angesprochene vermeintliche Problem der Fixkosten ein, wonach generell gestiegene Fixkosten eine freie Verkehrswirtschaft unmöglich machen und Großbetriebe auf dem Vormarsch seien. Für die für hohe Fixkosten verantwortlichen immobilen Kapitalien seien Risikozuschläge in die Preise einzukalkulieren. Das Problem der Fixkosten existiere dann nicht, wenn die Nachfrager die hohen Preise in diesen Produktionszweigen nicht akzeptierten. 343 • Hemmende Anreize: langfristig

abnehmende Spezifität

Die Ordoliberalen nehmen an, daß Spezifitäten, begrenzte Verwendbarkeiten von Produktionsfaktoren, konzentrationsfördernd sein können. Es wird jedoch, meist begründet auf historischen Beobachtungen, unterstellt, daß diese Spezifitäten generell im Zeitablauf sinken.

340 341 342 343

Eucken hätte sich auf Coase (1937) beziehen können. Eucken (1952), S. 283. Böhm (1933), S. 12 ff.; Röpke (1948), S. 155 ff. Vgl. Rüstow ( 1949), S. 111 f.

C. Ausgewählte Problembereiche

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• Sachkapitalspezifität Eucken konstatiert, daß große Investitionen zwar in der Vergangenheit nur spezifisch verwendbar gewesen sein mögen, im Zeitablauf jedoch sich die „Anpassungsfähigkeit des technischen Wissens" erhöht habe, Investitionen daher vielseitig verwendbar seien und der Produktionsapperat einer Fabrik schneller auf neue Produkte umgestellt werden könne. 3 4 4 Es sei also im Verbund mit sinkenden Informationskosten pro Kopf eine im Zeitablauf sinkende Sachkapitalspezifität zu beobachten. 345 Die Kapitalien werden vielseitig verwendbar und sind somit immer seltener als fix zu interpretieren, was wiederum die Bedeutung der Fixkosten senkt. • Standortspezifität Weiterhin wird eine abnehmende Standortspezifität des Produktionsfaktors Arbeit angenommen. Wegen verbesserter Verkehrs- und Reisemöglichkeiten und daher sinkender Transport- und somit Mobilitätskosten könnten die Arbeiter leichter ihren Wohnort und somit auch ihren Arbeitgeber wechseln. 3 4 6 Rüstow (1949) weist auf die Verbesserung der Transportmöglichkeiten hin, die der Übergang von der Eisenbahn zum Automobil hervorgerufen habe. Er sieht schließlich einen Zusammenhang zwischen der sinkenden Standortspezifität des Faktors Arbeit und sinkender Sachkapitalspezifität: Durch diese Tendenzen sei Heimarbeit möglich geworden, der Arbeiter „könne sich seine Maschine ins Haus stellen" und habe dadurch „vitale Vorteile". Auch die Entstehung der Heimarbeit habe dekonzentrierende Wirkungen. 3 4 7 • Humankapitalspezifität Partsch (1948) sieht, daß im Zeitablauf die Zahl derjenigen Menschen abgenommen hat, die ortsspezifisches Humankapital investiert haben. So hätten Industrialisierung und Krieg die Fähigkeit der Freizügigkeit in starkem Maße gefördert, wodurch ortsspezifische Quasi-Renten sanken. 3 4 8 Bei einem Vergleich der monopolfördernden und -hemmenden Effizienzanreize fällt das ordoliberale Urteil eher zugunsten der hemmenden Anreize aus: Bezüglich der Realisierung von Kostendegressionsvorteilen wird die Meinung vertreten, daß optimale Betriebsgrößen Branchen- und Konjunk344

Eucken (1950), S. 8. An anderer Stelle konstatiert Eucken explizit sinkende Informationskosten pro Kopf, nämlich bei der Feststellung verbesserter Nachrichtentechniken. Vgl. Eucken (1952), S. 43 ff.; 228, ders. (1950), S. 3, 5 und Abschnitt C.I.2. 346 Eucken (1950), S. 3; ders. (1952), S. 43 ff. 347 Rüstow (1949), S. 141 f. 348 Vgl. Partsch (1948), S. 242. 345

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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turschwankungen unterworfen seien und der Trend eher zu mittleren bis kleinen Betriebsgrößen gehe. 3 4 9 Auch sinkenden Sachkapital-, Standortund Humankapitalspezifitäten wird großes Gewicht beigemessen. Die Existenz von Monopolen aus Effizienzgründen wird zwar nicht bestritten, sie seien jedoch eher selten. 350 Alles in Allem kann man die Ordoliberalen dahingehend interpretieren, daß Änderungen in den Randbedingungen, nämlich sinkende Informationskosten pro Kopf und technischer Fortschritt, sinkende Spezifitäten und einen Rückgang der Bedeutung von Massenproduktionsvorteilen nach sich ziehen. bb) Macht • Vorbetrachtungen Die NIE betrachtet das Monopolproblem überwiegend als Effizienzproblem. Alle ordoliberalen Autoren, die sich mit dem Monopolproblem beschäftigen, sehen im Motiv der Macht die Hauptursache für Monopolisierungstendenzen. Miksch (1948) sieht im Vorhandensein von Macht auf einem Markt die Tendenz zum wirtschaftlichen Ungleichgewicht. So stehen einem Angebotsmonopolisten mehr Möglichkeiten offen als einem Anbieter in einem Markt mit der Form der vollständigen Konkurrenz. Letzterer kann bei seiner Preissetzung nicht dauerhaft vom Grenzkostenpreis abweichen, 351 während die Preissetzung des Monopolisten auch von dessen sonstigen Präferenzen abhängig ist. Er kann seinen Gewinn maximieren, muß es aber nicht. Es stehen ihm bspw. auch die Möglichkeiten der Preisdifferenzierung oder der Absatzmaximierung offen. Auch kann er nicht-pekuniäre Prestigeziele verfolgen. Mit anderen Worten: In der Marktform des Angebotsmonopols hat ein Anbieter mehr Freiheitsgrade als in der Marktform der vollständigen Konkurrenz. 352 Böhm (1933) bezeichnet diejenige Stellung auf einem Markt als monopolistisch, die erstens einem Anbieter die Anzahl der Freiheitsgrade gegenüber der Form der vollständigen Konkurrenz erhöht und in der er zweitens nun „ . . . den Einfluß des freien Wettkampfes um den Grenznutzen auf die Preis- und Angebotsgestaltung ... beseitigen oder ... beeinträchtigen" kann. 3 5 3 Die fördernden und hemmenden Machtanreize sind in der folgenden Abbildung zusammengestellt und werden nachfolgend erläutert. 349 350 351 352 353

Vgl. z.B. Röpke (1948), S. 155 f.; Rüstow (1949), S. 124. Eucken (1950), S. 10. Grossekettler (1989), S. 9. Vgl. Böhm (1933), S. 4; ders. (1950), S. X X X V I I ; Miksch (1948), S. 175 ff. Böhm (1933), S. 4 f.

C. Ausgewählte Problembereiche

140

hemmend

fördernd • Reduktion von Unsicherheit

• Macht der Außenseiter

• Redundanz glaubhafter Sicherungen

• Macht des Kunden

gegen Ex post Opportunismus - fehlende Substitutionsmöglichkeiten

• Transaktionskosten des Kartellvertrages

- spezifische Güter auf einem monopolistischen Markt • Finanzbedarf des Herrschers/Staates Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 16: Konzentrationsfördernde und -hemmende Machtanreize aus Sicht der Ordoliberalen

• Fördemde Anreize Eine Möglichkeit, die einem Anbieter bei vollständiger Konkurrenz nicht offensteht, ist die Realisierung einer Monopolrente. Ob und in welchem Ausmaß der Anbieter sie realisiert, ist zunächst unklar, denn er kann als Monopolist persönliche Präferenzen geltend machen. Betreibt er etwa Absatzmaximierung, so realisiert er überhaupt keine Monopolrente, geschweige denn einen Gewinn. Betreibt er hingegen Preisdifferenzierung, so realisiert er eine maximale Monopolrente, welche auch die gesamte Konsumentenrente umfaßt. Die Ordoliberalen gehen jedoch davon aus, daß im Normalfall ein Anbieter Gewinnmaximierung betreibt und seine persönlichen Präferenzen daher in Richtung Realisation einer Monopolrente gehen. Die Realisation einer Monopolrente wird also als genereller Anreiz zur Errichtung einer Monopolstellung gesehen. 354 In den Genuß dieser Möglichkeit kann man auf einzelwirtschaftlicher Ebene auf zweierlei Art kommen: durch Reduktion von Unsicherheit und durch die Redundanz glaubhafter Sicherungen gegen Ex post Opportunismus. • Reduktion von Unsicherheit Diejenigen, die auf Anbieterseite eine mit Kartellen durchsetzte Volkswirtschaft als fortschrittlich propagierten, haben immer auch argumentiert, daß die Unwegbarkeiten der Konkurrenz eine Kooperation notwendig machten, da andernfalls „ruinöse Konkurrenz" die Existenzen vieler Unternehmer vernichte. Die freie Verkehrswirtschaft wurde abfällig als „Manchestertum" bezeichnet. 355 Böhm stellt einen Geist des „,statischen Beharrungs- und Schutzbedürfnisses" fest, eine „Politik der 354 355

Z.B. Böhm (1933), S. 3; Eucken (1952), S. 30 ff. Böhm (1937), S. 154.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

141

künstlichen Abkapselung gegen die Wirkungen und Ansprüche eines dynamischen Wirtschaftsgeschehens, eine Politik der Existenzsicherung und der Erhaltung des status quo" (Böhm, 1937, S. 146, Herv.i.O.). Systematisch analysiert er das Kampfprinzip, welches in der Marktform der vollständigen Konkurrenz gültig ist, nämlich das des geregelten Leistungskampfes: Die Koordination der vielen Millionen Einzelpläne erfolgt bei vollständiger Konkurrenz dezentral über das Preissystem, sie erfolgt in einer herrschaftsfreien Sozialordnung. 356 Dieser von Böhm geprägte Terminus kommt der neoinstitutionalistischen Definition des Marktes sehr nahe. Ein Markt wird in der NIE verstanden als soziale Einrichtung sich wiederholenden Tausches zwischen einer Mehrheit von Tauschreflektanten. Der Markt ist ein Netzwerk relationaler Verträge zwischen Einzelpersonen, die potentielle Käufer oder Verkäufer sind und in vertikalen oder horizontalen Geschäftsbeziehungen stehen können. 3 5 7 Freilich verstand Böhm bei seinen Überlegungen zum Markt unter horizontalen oder vertikalen Bindungen nicht so sehr wie die Vertreter der NIE langfristige Beziehungen, beiden Richtungen ist jedoch folgendes gemein: Die Beteiligten folgen keinem verabredeten Plan sondern handeln nach ihrer freien Willensbildung. Da der auf jeden Beteiligten zurückfallende Nutzen der Gemeinschaft höher eingeschätzt wird als die auf jeden Beteiligten zurückfallenden Kosten, ist ein Fortbestehen der Gemeinschaft auch ohne zentralen Plan prinzipiell möglich. 3 5 8 In der Terminologie der Property-rights-Theorie bedeutet das, daß die Konfliktlösungsart der friedlichen Kooperation (z.B. Aneignung eines Gutes unter Akzeptanz des Grenzkostenpreises) für die Beteiligten transaktionskostengünstiger ist als die Konfliktlösungsart der Konfliktaustragung (z.B. Aneignung eines Gutes durch Raub und damit einhergehende Gefährdung des sozialen Friedens), die Ordnung setzt sich im Idealfall quasi „von selbst" durch. Auch kann diese Sozialordnung mit der Terminologie der Theorie sich selbst durchsetzender Verträge beschrieben werden. Zwischen allen Marktbeteiligten besteht quasi ein impliziter Vertrag: Alle sind sich einig, daß der Markt und die sich dort abspielenden Tauschvorgänge nicht oder zumindest nicht überwiegend von einem mit Zwangsgewalt ausgestatteten Dritten überlassen werden darf. 3 5 9

356 Noch einmal sei darauf hingewiesen, daß mit „vollständiger Konkurrenz" hier nicht das klassisch-statische Modell gemeint ist, sondern „vollständige Konkurrenz" im Sinne der Ordoliberalen. 357 Richter, Furubotn (1996), S. 296 f. 358 Ähnlich Böhm (1933), S. 118 f. 359 Vgl. Richter, Furubotn (1996), S. 171 f.

C. Ausgewählte Problembereiche

142

Die bei vollständiger Konkurrenz herrschende Kampfinstitution ist, wie gesagt, die des geordneten Leistungswettbewerbes: Leistungskampf ist Parallelkampf. Zwei oder mehr Anbieter müssen eine Aufgabe lösen. Die Entscheidung darüber, wem die Lösung am besten gelungen ist, obliegt einer dritten Instanz, dem Kunden. Dem Sieger winkt als Preis der Abschluß eines Kundengeschäfts. Die Regeln in diesem Kampf werden durch die Rechtsordnung gesetzt. Sie ist hier Richter von Kampfes wegen, d.h. sie läßt die in der herrschaftsfreien Sozialordnung sich bildende Institution des geordneten Leistungskampfes zu, da mit ihr sozialförderliche Wirkungen verbunden sind. 3 6 0 Die Institution des Leistungskampfes enthält im gewerblichen Wettbewerb nun eine Besonderheit: Sieg ist nicht gleich Gewinn. Der Abschluß eines Kundengeschäfts muß nicht lukrativ sein. Er ist es nur, wenn der erzielte Preis die Kosten des Geschäfts auf Anbieterseite übersteigt. 361 Nach Böhm stellt sich somit in der Sprache der NIE folgender Sachverhalt dar: Bei vollständiger Konkurrenz muß ein Anbieter ex ante unter den vielen potentiellen Geschäftspartnern, welche die Möglichkeit des Ausweichens auf andere Anbieter haben, einen Partner finden und zum Abschluß eines Geschäfts bewegen. Dieses ist mit den hohen Such- und Informationskosten einer hohen Abschlußunsicherheit verbunden. Sie können so hoch sein, daß es sich für einen Anbieter nicht lohnt, viele einzelne potentielle Kunden direkt anzusprechen und auf das jeweilige Präferenzsystem des Einzelnen einzugehen. Sie werden vielmehr versuchen, viele Kunden zugleich anzusprechen und zu diesem Zwecke ihr absatzpolitisches Instrumentarium, vor allem das Instrument der Werbung einsetzen. Gemäß der NIE ist Werbung der Ausdruck von Investitionen in Markenkapital 362 und fungiert in erster Linie als Informationsträger. Bei Suchgütern entstehen dem Werbenden durch irreführende Werbung Kosten, da der Kunde den Nutzen des Produktes für sich mit geringen Suchkosten abschätzen kann. Bei falschen Informationen wird der Kunde zukünftig vom Kauf absehen. Bei Erfahrungsgütern ist der Informationsgehalt geringer, aber immerhin erfährt der Kunde, daß das Unternehmen auf eine gute Reputation Wert legt. 3 6 3 In der Interpretation der Ordoliberalen aber dient Werbung dem Werbenden in erster Linie als Mittel, Kunden zum Tausch zu bewegen und somit zum Ausbau seiner Marktposition. Während in der NIE Werbung also als durchaus sozial förderlich gesehen wird, ist 360 361 362 363

Vgl. Böhm (1933), S. 212 ff. Böhm (1933), S. 217 ff. Richten Furubotn (1996), S. 240, 281. Nelson (1974), S. 730 ff.; Richter, Furubotn (1996), S. 319 f.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

143

in ordoliberaler Interpretation Werbung vornehmlich förderlich für den Werbenden. Hat der Anbieter nun einen Partner gefunden, so muß er dafür sorgen, daß dieses Geschäft für ihn ex post auch lukrativ ist. Die daraus resultierende hohe Inhaltsunsicherheit mit der Möglichkeit nicht kostendekkender Preise macht unter Umständen teure Verhandlungen notwendig. Der Abschluß eines Kundengeschäfts ist bei vollständiger Konkurrenz also mit hoher Abschluß- und hoher Inhaltsunsicherheit bei den Anbietern verbunden. Die hohen Transaktionskosten bei den Anbietern sind für sie ein Anreiz zur Kooperation. Auch die Nachfrager unterliegen einer Abschlußunsicherheit, da sie unter vielen verschiedenen Anbietern wählen können und somit Such- und Informationskosten entstehen. Sie unterliegen jedoch keiner Inhaltsunsicherheit, da in einer Wettbewerbssituation der Preis niedriger und die Konsumentenrente höher ist als in einer Monopolsituation. Als Gegenpol wird das Angebotsmonopol betrachtet. Für die Nachfrager bestehen keine Ausweichmöglichkeiten, so daß hier keine Abschlußunsicherheit mehr vorliegt. Auf der Anbieterseite herrscht wegen der vielen Nachfrager Abschlußunsicherheit. Sind die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager jedoch beschränkt und der Bedarf hoch (Verkäufermarkt), so ist die Abschlußunsicherheit der Anbieter geringer als bei vollständiger Konkurrenz. Die aus dem Einsatz des absatzpolitischen Instrumentariums resultierenden Such- und Informationskosten sind gegenüber der Marktform der vollständigen Konkurrenz sehr viel geringer. Weiter herrscht auf Anbieterseite (geringe Preiselastizität der Nachfrage vorausgesetzt) keine Inhaltsunsicherheit, das Geschäft ist wegen des zu erzielenden hohen Preises immer gewinnbringend. Auf der Gegenseite herrscht große Inhaltsunsicherheit. Niemand kann sich seiner Konsumentenrente mehr sicher sein, wählt der Monopolist die Möglichkeit der vollständigen Preisdifferenzierung, schrumpft sie sogar auf Null. Bei fehlenden Ausweichmöglichkeiten muß Inhaltsunsicherheit jedoch nicht notwendigerweise die Transaktionskosten erhöhen, da es der Monopolist sich erlauben kann, auf Verhandlungen zu verzichten. Er kann sie mit dem Hinweis auf fehlende Bezugsalternativen abblocken. Einer Reduktion der Unsicherheit auf Anbieterseite steht also eine Erhöhung der Unsicherheit auf Nachfrageseite gegenüber. Die im Vergleich zur Konkurrenz niedrigere Abschlußunsicherheit der Nachfrager in einer Anbietermonopolsituation wird auch in der NIE gesehen. Am Beispiel der Blockbuchungspratik des DeBeers-Kartells im Rohdiamantenverkauf etwa wird argumentiert, daß sogar Informationsunterdrückung vorteilhaft sein kann, wenn dadurch die ansonsten hohen Meßkosten gedrückt werden und „rententrächtige" Langfristbe-

144

C. Ausgewählte Problembereiche

Monopol

Konkurrenz Unsicherheit

Anbieter

Nachfrager

Anbieter

Nachfrager

Abschlußunsicherheit

hoch

hoch

mittel

niedrig

Inhaltsunsicherheit

hoch

niedrig

niedrig

sehr hoch

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 17: Verteilung der Unsicherheit bei Konkurrenz und Monopol

Ziehungen aufrecht erhalten werden können: Da eine Qualitätsmessung und Zusammensetzung eines Steinsortiments mit sehr hohen Meßkosten und vielleicht sogar mit dem Zusammenbruch des Marktes verbunden wäre, greift die DeBeers-Gruppe zu folgenden Maßnahmen: Die Steine werden homogen sortiert und in zuvor zusammengestellten „sights" ausgewählten Kunden angeboten, wobei eine Zurückweisung der sight zur Nichtberücksichtigung dieses Kunden bei zukünftigen Kaufeinladungen führt. 3 6 4 Hier handelt es sich nach Richter, Furubotn (1999) um einen sich selbst durchsetzenden Vertrag, da auch die Kunden von der Senkung der sonst prohibitiven Meßkosten dadurch einen Nutzen ziehen, daß deren Renten aus einem Langfristverhältnis mit dem Anbieter erhalten bleiben. Diese Renten schätzen sie höher ein, als den Nutzen des Nichtkaufes unterdurchschnittlicher sights. 365 Die bei den obigen Ausführungen beleuchteten Extrempole Konkurrenz und Monopol können auch auf Oligopole übertragen werden. Bei Kundengeschäften müssen die Anbieter nämlich auch die Reaktionen der Konkurrenten in ihr Kalkül ziehen. Je geringer die Anzahl der Konkurrenten und je gleichförmiger ihr Verhalten ist, desto geringer wird die Abschluß- und Inhaltsunsicherheit sein. Hinzu kommt, daß wegen prohibitiv hoher Transaktionskosten die große Gruppe der Konsumenten nicht organisierbar ist. So es möglich, das Gruppen gleicher oder auch entgegengetzter Marktseiten sich zum Nachteil der Konsumenten bspw. auf höhere Preise einigen. 3 6 6 Euckens Ausführungen zu diesem Themenkomplex sind zwar weniger detailliert, aber mit Böhms Ausführungen voll kompatibel. Im Zusammenhang der Erläuterung des Prinzips der Haftung schreibt Eucken 364

Kenney, Klein (1983), S. 502. Richter, Furubotn (1996), S. 322 f. 366 Grossekettler (1997), S. 80 f. Zur unterschiedlichen Organisierbarkeit großer und kleiner Gruppen vgl. Abschnitt C.IV.l.b)cc). 365

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

145

(1952), daß die Integration von Betrieben und Unternehmungen bei voller Haftung „ . . . ein weit größeres Risiko in sich (birgt) als bisher, und der Anreiz zur Verschachtelung und Konzernbildung ... wesentlich vermindert (wird)." (Eucken (1952), S. 283). Eucken beschreibt dieses als „prophylaktische Wirkung". Unter der Voraussetzung voller Haftung wird somit eine Transaktionskostenstruktur geschaffen, die den Integrationsanreiz hemmt und somit inhibierend wirkt, da die Redundanz von Unsicherheit bei voller Haftung weniger stark ausfällt als bei unvollständiger Haftung. Zum Prinzip der Konstanz der Wirtschaftspolitik führt er aus, daß eine durch wirtschaftspolitische Variabilität erhöhte Unsicherheit die Konzernbildung fördert. Viele Unternehmen neigten in solchen Situationen zur Beteiligung oder zum Kauf von „Firmen anderer Produktionszweige". 367 Hier handelt es sich also um konglomerate Zusammenschlüsse zur Risikodiversifikation und mithin zur Reduktion von Unsicherheit. A m klarsten bringt Maier die Argumentation auf den Punkt: „Durch Zusammenschlüsse von Einzelnen oder Betrieben werden Machtgruppen gebildet, die Sicherheit für ihre Mitglieder suchen durch Abschirmung ihres Tätigkeitsfeldes gegen unerwünschte Veränderungen der Umwelt, indem sie Preise oder Produktionsmengen dem Wettbewerb entziehen. Da aber die Umwelt sich deshalb nicht weniger ändert, werden nur die Folgen dieser Verschiebung auf andere, nicht geschützte Teile der Gemeinschaft abgeladen. Die Unsicherheit wird dadurch insgesamt nicht kleiner, ja vielleicht sogar größer." (Maier y 1950, S. 22). Insgesamt sind für die Anbieter die Transaktionskosten in einer Monopolsituation geringer, da für sie in den Genuß einer erheblichen Unsicherheitsreduktion kommen. Die daraus resultierende zusätzliche Gewinnmarge ist Teil der Monopolrente. Man beachte: Im Kontext der NIE bedeutet „Reduktion von Unsicherheit" das Einsparen von Transaktionskosten und ist daher effizient. Die Ordoliberalen dagegen sehen hinter der Reduktion der Unsicherheit ein Mittel zum Zweck der Machterlangung: Macht bedeutet, seine Interessen anderen Interessen überordnen zu können. In ordoliberaler Diktion bedeutet dieses in ökonomischer Hinsicht die Fähigkeit, sich nicht zwingend am Konkurrenzpreis orientieren zu müssen. Dieses wird erleichtert durch die Reduktion von Unsicherheit. • Redundanz glaubhafter Sicherungen gegen Ex post Opportunismus Nach der NIE entstehen bei spezifischen Transaktionen Quasi-Renten. Die Aufteilung der Quasi-Rente beruht dabei auf dem speziellen Um-

367

10 Evers

Eucken (1952), S. 289.

C. Ausgewählte Problembereiche

146

stand der Transaktion und auf der Stärke der Verhandlungspartner. 368 In diesem Zusammenhang sind glaubhafte Sicherungen gegen Ex post Opportunismus sehr wichtig: Die Quasi-Rente ist ständig der Gefahr des Raubes durch einen Vertragspartner (Hold-Up) ausgesetzt. Ein Vertrag käme nicht zustande, wenn ein Vertragspartner seinem Gegenüber einen Raub zutrauen würde, dieser muß sich gegen etwaige Raubverdächtigungen wirksam absichern. Dieses kann z.B. durch seine Reputation geschehen: Steht ein potentieller Partner in dem Ruf, sich bei Vertragserfüllung fair in dem Sinne zu verhalten, daß er sich nach Vertragsschluß nicht opportunistisch verhält, so wird er eher als Geschäftspartner akzeptiert als jemand, der in einem schlechten Ruf steht. Sind spezifische Investitionen Geschäftsgegenstand und sind potentielle Partner wegen beschränkter anderweitiger Verwendungsmöglichkeiten auf die Transaktion angewiesen, so werden sie sich um einen guten Ruf bemühen, um Verträge möglich zu machen. Nur so kann es zur sogenannten fundamentalen Transformation kommen: Eine Situation mit vielen Wettbewerbern vor Vertragsschluß wird in ein bilaterales Monopol nach Vertragsschluß transformiert, da der Produktionsfaktor nicht oder nur sehr beschränkt anderweitig einsetzbar ist und da sich im Laufe der Vertragsbeziehung spezifisches Humankapital in Form idiosynkratischen Wissens als zusätzlicher, nicht abnutzbarer Produktionsfaktor bildet. 3 6 9 Es ergeben sich zwei Unterschiede bei der Betrachtung von dem, was die Vertreter der NIE „fundamentale Transformation" nennen durch sie und durch die Ordoliberalen. Zum einen kommt es den Vertretern der NIE hauptsächlich auf einen Transfer von Produktionsfaktoren an, während die Ordoliberalen schwerpunktmäßig den Endverbraucher, den Konsumenten betrachten. 370 In dieser Arbeit spielt dieser Unterschied jedoch keine große Rolle, da die Begriffe der vertikalen Integration auf alle Marktvorgänge übertragbar sind. Wie eine Vorleistung als Produktionsfaktor für ein Endprodukt behandelt wird, so wird hier das Endprodukt als Produktionsfaktor für den Nutzen des Endverbrauchers interpretiert. Eine Quasi-Rente für den Verbraucher entsteht aus den Vorzügen des Bezugs eines Endproduktes von einem ganz bestimmten Anbieter. Die Quasi-Rente kann so z.B. aus der Preisdifferenz zu einem teureren Anbieter bestehen oder aus vom Verbraucher geschätzten Vorzügen eines Markenartikels, der nur von einem ganz bestimmten An368

Vgl. Schumann (1992), S. 445. Vgl. Schumann (1992), S. 440, 442 ff. 370 Ygj Williamsons Ausführungen über die vertikale Integration (1985) und die Ausführungen darüber bei Schumann (1992), S. 436 f.; vgl. auch Böhm (1933), S. 94 ff. 369

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

147

bieter bezogen werden kann. Die Quasi-Rente des Käufers besteht dabei aus der Differenz des geschätzten Nutzens des Bezugs eben dieser Marke gegenüber dem Nutzen des Bezugs der als zweitbesten eingeschätzten Marke. Die Quasi-Rente des Verkäufers besteht aus der Differenz zwischen dem hohen Preis, den der Kunde zahlt, weil er einen Nutzen aus dem Produkt eben dieser Marke zieht, und dem niedrigen Preis eines markenlosen, aber ansonsten gleichwertigen Produktes. 371 Zum anderen, und das ist im Zusammenhang dieser Arbeit wichtig, betrachten die Vertreter der NIE spezifische Transaktionen, bei denen beide Verhandlungspartner keine oder nur beschränkte Ausweichmöglichkeiten haben. Die Ordoliberalen gehen bei ihren Ausführungen jedoch davon aus, daß solche Bindungen durchaus asymmetrischer Natur sein können: So können die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager beschränkt sein, bei Vorliegen monopolistischer Strukturen die Anbieter jedoch auf andere Nachfrager ausweichen. Fehlende Ausweichmöglichkeiten haben zwei Gründe: (1) fehlende Substitutionsmöglichkeiten, (2) spezifische Güter auf einem monopolistischen Markt. Ad (1) Fehlende Substitutionsmöglichkeiten: Herrscht auf einem Markt für ein Gut ein Angebotsmonopol und gibt es keine vergleichbaren Produkte, welche den Nutzen der Verbraucher in etwa gleichem Umfang erhöhen, so sind die Konsumenten gezwungen, dieses Gut vom Monopolisten zu beziehen. 372 Ad (2) Spezifische Güter auf einem monopolistischen Markt: Herrscht auf einem Markt, auf dem verwendungsbeschränkte Güter gehandelt werden, ein Monopol, so sind die Abnehmer auf den Handel mit dem Monopolisten angewiesen. Böhm (1933) betrachtet Spezifitäten am Beispiel von Vertragsbeziehungen im Baugewerbe, wo „ . . . jede Einzelleistung spezialisiert und individualisiert ist mit der Maßgabe, daß sie nur an einen bestimmten Abnehmer (Nachfragemonopol, d.V.) abgesetzt werden kann und unverwendbar bleibt, wenn dieser Abnehmer die Abnahme verweigert." (S. 53). Nichts anderes hat viele Jahre später Williamson mit „Spezifität" gemeint. Diese Betrachtungsweise hat natürlich Konsequenzen auf die Bewertung von Geschäftsbeziehungen. So spricht Böhm (1933) von „Wucher", wenn ein Vertragspartner auf die Leistung des anderen angewiesen ist und letzterer überhöhte Preise diktiert. 3 7 3 Als Ergebnis bleibt 371

Klein, Lejfler (1981), S. 630; Richter, Furubotn (1996), S. 333. Ähnlich argumentiert Böhm und betrachtet exemplarisch den Fall des Angebotsmonopols, dem viele Nachfrager gegenüber stehen, vgl. Böhm (1933), S. 11. 372 Vgl. Böhm (1933), S. 34 f. 10*

148

C. Ausgewählte Problembereiche

festzuhalten: Ist bei einer Vertragsbeziehung nur ein Partner in seinen Ausweichmöglichkeiten beschränkt, so kommt der unbeschränkte Partner in den Genuß eines Machtzuwachses. Er erhält eine ungleich stärkere Verhandlungsposition und kann sich ein größeres Stück des Quasi-Renten-Kuchens einverleiben, ohne dabei glaubhafte Sicherungen gegen Ex post Opportunismus abgeben zu müssen. Diese stärkere Position erhält er nicht aus Effizienzgründen, sondern aus Umständen, die nicht auf seiner Leistung oder Qualifikation beruhen. Die Verhandlungsposition von potentiellen Vertragspartnern wird mithin auch von der Marktform bestimmt. Nachfrager in einem monopolisierten Markt können nicht lediglich auf gleich artige (substitutive), nicht aber auf gleich wertige Produkte ausweichen. Müssen Partner darüber hinaus in eine Vertragsbeziehung keine glaubhaften Sicherungen einbringen, weil Substitutionsmöglichkeiten fehlen oder spezifische Investitionen Vertragsgegenstand sind, so sparen sie Transaktionskosten. Es ergeben sich zusätzliche Gewinnmöglichkeiten, die Teil der Monopolrente sind. • Finanzbedarf des Herrschers/Staates Auch die Ordoliberalen beschreiben Vorgänge, die im Zusammenspiel von fiskalischen Begehrlichkeiten von Herrschern und Staatsorganen und dem privaten Monopolstreben Konzentrationsbestrebungen in der Geschichte immer wieder befördert haben. Diese Thematik ist eine der Hauptgegenstände des Abschnitts C . I V . 3 7 4 • Hemmende Anreize Als hemmende Machtanreize, die dem Machtstreben des Monopolisten entgegenstehen, werden bei Böhm die Macht der Außenseiter, die Macht des Kunden sowie die Macht der anderen Kartellmitglieder genannt. 375 • Macht der Außenseiter Außenseiter haben einen Anreiz, im „Schatten der Monopolisten" ein lukratives Dasein zu führen. Sie können einem kartellierten Markt beitreten und den Monopolpreis als Datum akzeptieren, ohne sich der Kartellmengenquote zu unterwerfen. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, den Preis „vom Markt zu nehmen" und die eigene Leistung über der Leistung der Kartellmitglieder zu halten. 3 7 6 Das Kartell bzw. die Monopolisten haben als Abwehr die Möglichkeit, dem Außenseiter seine Position „abzukaufen" und ihn ins Kartell aufzunehmen und die 373

Vgl. Böhm (1933), S. 53 f. An dieser Stelle sei ledigich auf die Ausführungen Böhms (1933), S. 329 ff. verwiesen. 375 Böhm (1933), S. 166 f. 376 Böhm (1933), S. 6 ff. 374

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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Möglichkeit, den Außenseiter zu bekämpfen. Sie wären gegenüber dem Außenseiter jedoch in einer schlechten Verhandlungsposition: Man kann die Monopolstellung als spezifisches Gut betrachten, welches seine Spezifität daherleitet, daß ein Vertrag nur zwischen ganz bestimmten Partnern geschlossen werden kann. Diese Partner sind das Kartell und der Außenseiter. Die Quasi-Rente aus einem solchen Vertrag käme allein dem Außenseiter zugute, er wäre als Außenseiter in einer besseren Situation, da er den Monopolpreis akzeptieren, sich aber nicht den Kartellbedingungen unterwerfen müßte. Der Preis, den das Kartell dem Außenseiter für dessen friedliches Verhalten zahlen müßte, wäre prohibitiv hoch. Da der Außenseiter dem Vertrag ausweichen kann, wird er dieses auch tun, er wird den Monopolschatten nutzen. 3 7 7 Die Marktorganisation kann man auch als Kollektivgut interpretieren, von dessen Vorzügen (z.B. hohe Kartellpreise) der Außenseiter nur mit prohibitiv hohen Kosten ausgeschlossen werden kann. Als Trittbrettfahrer wird er jedoch ansonsten nicht die Kartellbedingungen akzeptieren, sondern z.B. höhere Mengen absetzen, als es der Kartell vertrag erlaubt. Ordoliberale und Neoinstitutionalisten kommen hier also zu gleichen Ergebnissen, wenngleich die Interpretationen dieser Situation unterschiedlich sind. Nach Böhm handelt es sich beim Kampf der Monopolisten gegen Außenseiter um einen Ausdruck monopolistischen Machtstrebens, während die Vertreter der NIE Zugangsschranken gegen Außenseiter aus Effizienzgründen, nämlich zur Absicherung von Quasi-Renten, durchaus als legitim erachten. • Macht des Kunden Ein Kunde hat die Möglichkeit, dem Monopolisten durch Ausweichen oder durch Bedarfsverlagerung zu entkommen. Ein Kunde kann um so leichter ausweichen (1) je mehr Anbieter vorhanden sind, (2) je mehr Substitutionskonkurrenz herrscht, (3) damit zusammenhängend je geringer die Spezifität des Produktes ist. 3 7 8 Diese Sichtweise korrespondiert mit der Perspektive der NIE. Bei Vorliegen der drei oben genannten Voraussetzungen hat ein Kunde gegenüber einem Markenartikelhersteller Macht. Gemäß Williamson (1983) kann er nämlich, wenn er mit der Leistung oder dem Produkt des Markenartikelanbieters nicht einverstanden ist, bei seiner nächsten Kaufentscheidung diesen Anbieter ignorieren. Dehnt sich solches Verhalten auf eine größere Kundengruppe aus, so verflüchtigt sich die Reputation des Anbieters, die Vertragsgeisel wird zerstört. 379 377 378 379

Böhm (1933), S. 8 f. Böhm (1933), S. 166. Richter, Furubotn (1996), S. 321.

C. Ausgewählte Problembereiche

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• Transaktionskosten

des Kartellvertrages

Verhandlungsschwierigkeiten potentieller Kartellbrüder können nach Böhm (1933) erwachsen aus „internen Spannungen zwischen den Individualinteressen" (S. 166). Diese können resultieren aus (1) unterschiedlichen Kostenstrukturen der Kartellmitglieder, (2) aus Quotenkämpfen und unterschiedlicher Investitionspolitik sowie (3) aus dem unterschiedlichen Einsatz derjenigen Teile des absatzpolitischen Instrumentariums, welche sich nicht auf den Gegenstand des Kartell Vertrages beziehen. 380 Diese Gründe ähneln denjenigen, die Williamson (1975) zur Untermauerung seiner Hypothese anführt, daß es einen voll-determinierten Gewinnaufteilungsvertrag nicht geben kann, nämlich unterschiedliche Produkte, unterschiedliche Kostenstrukturen und unterschiedliche Marktpositionen. 381 Nach seiner Ansicht ist ein solcher Vertrag deshalb unmöglich. Böhm schätzt die Macht der Kartellmitglieder schwächer ein. Er mißt den Individualbestrebungen der einzelnen Mitglieder zwar eine gewisse Bedeutung zu, geht aber nicht so weit, zu behaupten, daß das Kartell hierdurch an seinem Gewinnstreben gehindert würde. Eine weitere Quelle von Verhandlungsschwierigkeiten ist eine hohe Anzahl potentieller Teilhaber gemeinsamer Machtstrategien. Eine informelle Zusammenarbeit in Form von gentlemen agreements oder Frühstückskartellen (Kollusion) ist bei wenigen Akteuren möglich, wird jedoch mit wachsender Anzahl in Frage kommender Partner ungleich schwieriger. 382 Die Möglichkeiten eines monopolisierten Marktes sind, so Böhm, für die Anbieter zu verlockend, als daß er an Einzelinteressen scheiterte. Diesen hemmenden Anreizen kommt zwar eine gewisse Bedeutung zu, Böhm schätzt sie jedoch im Vergleich zu den fördernden Machtanreizen als schwach ein. So besteht zwar für Außenseiter ein Anreiz, einem Kartell nicht beizutreten, die Existenz eines Kartells wird jedoch vorausgesetzt. Kunden können zwar unter Umständen auf andere Angebote ausweichen, nicht aber auf bessere Angebote. 383 Auch wird das Sanktionssystem innerhalb des Kartells als wenig funktionsfähig eingeschätzt. 384 380

Böhm (1933), S. 8; Eucken (1952), S. 36 ff.; Lenel (1988), S. 137 ff. Abschnitt C.II.l.a)bb). 382 Böhm (1937), S. 143. 383 Böhm (1933), S. 43. 384 Böhm (1933), S. 166; Eucken (1949 und 1952) schreibt im Zusammenhang seiner Herleitung des Prinzips der Haftung, daß Haftungsbeschränkungen dort zulässig sind, wo „ . . . ein Kapitalgeber nicht oder nur begrenzt für die Geschäftsführung verantwortlich ist: etwa der Kleinaktionär oder Kommanditist." (Eucken, 1949, S. 59; ders., 1952, S. 281). Auch Lenel (1949, S. 369 f.) ist der Ansicht, daß Haf381

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

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cc) Zusammenfassung Alles in allem sehen die Ordoliberalen Effizienzanreize und Machtanreize zur Monopolisierung. Die Effizienzanreize resultieren aus Kostendegressionsvorteilen und aus spezifischen Verwendbarkeiten. Es wird jedoch eher dahingehend argumentiert, daß es Monopole aus Effizienzgründen in Ausnahmefällen geben mag, in der Regel jedoch hemmende Effizienzanreize den Ausschlag gäben oder zumindest fördernde und hemmende Effizienzanreize sich egalisierten. Der Anreiz der Macht, resultierend aus Möglichkeiten zur Reduktion von Unsicherheit und der Redundanz glaubhafter Sicherungen, sei klar dominierend, die hemmenden Machtanreize zwar vorhanden, aber schwach. Das Machtmotiv sei die Triebfeder für alle Monopolisierungsbestrebungen. b) Folgen monopolistischer Strukturen Der vorherige Abschnitt hat gezeigt, daß das Machtmotiv für die Ordoliberalen der Hauptanreiz zur Monopolisierung ist. In diesem Abschnitt werden nun das monopolistische Verhalten und seine Auswirkungen untersucht. Nach Tollison (1982) geht der durch das Erkämpfen einer Monopolstellung eintretende Ressourcenverzehr zu Lasten der Allgemeinheit. Diese Art der Ressourcenverschwendung wird von den Ordoliberalen detailliert beschrieben: Das Erkämpfen und Verteidigen einer monopolistischen Stellung hat Auswirkungen auf (1) das Kampfverhalten des Monopolisten, (2) auf die Investitionspolitik des Monopolisten und Innovationsvorgänge, (3) auf die wirtschaftliche Sicherheit, (4) auf die wirtschaftliche Gerechtigkeit und (5) auf den Rechtsstaat. Ad (1) Das Kampfverhalten des Monopolisten: Eine monopolistische Stellung auf einem Markt ist mit einer Erhöhung der Freiheitsgrade der Anbieter, damit verbundener Reduktion der Unsicherheit der Anbieter sowie tungsbeschränkungen dort zulässig sind, wo die Zahl der Eigentümer sehr hoch ist und der einzelne Eigentümr einen nur geringen Einfluß auf die Wahl der Geschäftsführer hat. Außerdem sollte der Eigentümer die Geschäftsführer „richtig" auswählen. Eine Analogie zu den Ausführungen der Vertreter der NIE über die Trennung von Entscheidungsmanagement und Entscheidungskontrolle und der Vermeidung prohibitiv hoher Agenturkosten ist zwar unübersehbar. Hier jedoch einen hemmenden Machtanreiz bei den Ordoliberalen zu entdecken, wäre nach Ansicht des Verfassers eine Überinterpretation.

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C. Ausgewählte Problembereiche

mit der Redundanz glaubhafter Sicherungen gegen Ex post Opportunismus verbunden. Bei seinen Ausführungen geht Böhm davon aus, daß die damit verbundenen Vorteile der Anbieter (niedrige Transaktionskosten, hohe Quasi-Renten) so groß sind, daß für die Anbieter ein Übergang vom Leistungskampf zum Nichtleistungskampf gegen Außenseiter lohnend erscheint. Die zusätzlichen Erträge aus einer Monopolstellung übersteigen in der Einschätzung des Monopolisten die Kosten des Nichtleistungskampfes. Er verhält sich somit als Trittbrettfahrer: Die allen zukommenden Vorteile der herrschaftsfreien Sozialordnung, nämlich friedliche Kooperation im Sinne der Vermeidung von Raub und gewaltsamen Kampf, werden in Anspruch genommen. Gleichzeitig aber strebt er eine Beherrschung des Marktes im Sinne eigener Zielsetzungen an. Eine Monopolstellung und die damit verbundenen lockenden Vorteile wiederum können nur unter Umgehung oder Sabotage des Leistungswettbewerbes erlangt werden. 385 Im Monopolkampf gilt es, die Außenseiter anzugreifen und sie in ihrer Leistungsfähigkeit zu schädigen, da sich ein Abkaufen der Außenseiterstellung nicht lohnt. Das Leistungsprinzip ist jetzt ausgeschaltet. Die Kampfanstrengung ist jetzt nicht mehr auf das Entwickeln der eigenen Qualifikation und Leistungsfähigkeit gerichtet, um die Gunst eines Kunden zu erlangen. Es herrscht nicht mehr Parallelkampf, sondern ein Zwei-Fronten-Kampf. 386 Nicht mehr das Kundeninteresse, das individuelle Machtstreben der Anbieter ist jetzt dominierend. In moderner Terminologie spricht Grossekettler von Störungen des Markträumungsprozesses sowie des Übermachterosions387

prozesses. Marktzugangsschranken bestehen also, so die Ordoliberalen, aus Gründen, die nichts mit der Leistungsfähigkeit der Marktteilnehmer zu tun haben. Über die faktische Aufhebung der Gewerbefreiheit verursachen die Kampfpraktiken aber auch auf direktem Wege Koordinationsmängel. Es kommt ferner zu Preisen, die nicht die Knappheit der Güter widerspiegeln und zu weiteren Koordinationsmängeln im betreffenden Markt führen. 388 Aus der Perspektive der Neuen Institutionenökonomik können Zugangsschranken jedoch sehr wohl aus Gründen der Leistungsfähigkeit bestehen, nämlich dann, wenn sie helfen, Quasi-Renten aus spezifischen Investitionen abzusichern. Schranken bestehen hier, um die während der Vertragsbeziehungen erworbenen Leistungsfähigkeiten der Insider gegen Angriffe von außen zu schützen. 385

Böhm (1933), S. 41, 194 ff. Böhm (1933), S. 2, 108 ff. 387 Zu diesen Begriffen und zum Koordinationsmängel-Diagnosekonzept vgl. Grossekettler (1989a), S. 321 ff.; ders. (1991), S. 467 ff.; ders. (1997), S. 41 ff.; 103 ff. 388 Vgl. Eucken (1952), S. 41 f. 386

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

153

Ad (2) Investitionspolitik und Innovation: Hat ein Monopolist im Nichtleistungskampf tatsächlich eine Monopolstellung erlangt, so unterliegt er durch die reduzierte Unsicherheit nicht mehr der Effizienzkontrolle durch den Markt. Es sind Über- oder Unterinvestitionen möglich, je nach Machtkalkül und persönlicher Präferenz des Monopolisten. 389 Eine effiziente Anpassung der Kapazitäten und damit einhergehend eine effiziente Innovationslenkung durch den Preis- und Zinsmechanismus ist nicht mehr gewährleistet. Der Monopolist kann investieren und innovieren, er muß es aber nicht. In einem Kartell werden höhere Investitionen meist zum Zwecke des Erkämpfens einer höheren Quote getätigt. 3 9 0 Innovationen sind nach Meinung der Ordoliberalen in monopolisierten Branchen aufgrund fehlenden Konkurrenzdrucks und erheblicher Unsicherheiten über den zukünftigen Erfolg von Innovationen sogar eher unwahrscheinlich. In moderner Terminologie spricht Grossekettler von Störungen des Renditenormalisierungsprozesses sowie des Verfahrens- und Produktfortschrittprozesses. 391 Erlei (1997) weist darauf hin, daß technischer Fortschritt auch mit einer erhöhten Unsicherheit über zukünftige Gewinnmöglichkeiten verbunden ist und eine teilweise Entwertung von erworbenem Humankapital bedeutet. Da im Monopolfall Innovationen kein „Muß" sondern nur noch ein „Kann" sind, wird es zum Rückgang innovativer Anstrengungen kommen. Aus dieser Sichtweise sind Investitionen in Markenkapital, z.B. in Werbung oder auch Unternehmensrepräsentanzen wie luxuriös ausgestattete Geschäftsniederlassungen, verschwendet, wenn sie nicht mit der eigentlichen Leistungsfähigkeit verknüpft sind. Gerade dieses aber behauptet die NIE: Unsicherheit wird hier aus Effizienzgründen reduziert. Ohne Informationen über die Unternehmen und Produkte würden gewisse Märkte aufgrund prohibitiv hoher Transaktionskosten zusammenbrechen. Ad (3) Wirtschaftliche Sicherheit: Mit einer Monopolstellung ist eine geringere Unsicherheit beim Monopolisten verbunden, die Unsicherheit der Marktgegenseite hat sich gegenüber der Form der vollständigen Konkurrenz jedoch erhöht. Die Konsumentenrente ist bei einem Angebotsmonopol unsicher, bei einem Nachfragemonopol auf einem Markt für Faktorleistungen ist die Entlohnung der Faktoreigentümer, speziell der Arbeiter, abhängig von den Präferenzen des Monopolisten. 392 In der NIE, speziell in der Theorie impliziter Verträge, wird die Möglichkeit wirtschaftlicher Unsicherheit von Arbeitnehmern aufgrund der Nicht-Diversifizierbarkeit des Humankapitals in einer langfristigen Arbeitsvertrags389 390 391 392

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Böhm (1933), S. 36 f.; Eucken (1952), S. 36 ff.; Rüstow (1949), S. 111. Eucken (1952), S. 36 ff. die o.a. Literaturstellen zum Koordinationsmängel-Diagnosekonzept. Eucken (1952), S. 43 ff.

154

C Ausgewählte Problembereiche

beziehung ebenfalls gesehen, die Schlußfolgerungen sind jedoch, wie oben beschrieben, optimistischer: Um die Arbeitskräfte zu binden, bieten die Arbeitgeber in ihren Verträgen eine „eingebaute" Versicherung gegen starke Nominallohnschwankungen an. Die Verhandlungsposition des „Produktionsfaktors Arbeit" wird also stärker eingeschätzt, ein Arbeitnehmer muß aufgrund dieses impliziten Vertrages nicht fürchten, von heute auf morgen durch den Arbeitgeber seines Lohnes beraubt zu werden. Ad (4) Wirtschaftliche Gerechtigkeit: Gerechtigkeit wird bei den Ordoliberalen der Freiburger Schule wie Eucken und Böhm als Leistungsgerechtigkeit interpretiert. Eine leistungsgerechte Entlohnung der Faktoreigentümer findet jedoch, wie oben beschrieben, nicht mehr statt. Diese Auffassung teilt die NIE dann, wenn monopolistische Strukturen nicht aus Effizienzgründen bestehen (was ja gemäß der NIE sehr selten ist) und die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer bezüglich ihrer Entlohnung im Unternehmen schwach ist. Dieses wird dann der Fall sein, wenn die Reputation der Unternehmung vom Input des Arbeiters separierbar ist und der Arbeiter einen nur geringen Ermessensspielraum hat. Bei den Ordoliberalen der Kölner Schule wie Müller-Armack wird Gerechtigkeit auch als Gleichheit interpretiert. 393 Auch bei dieser Interpretation ist die Marktform des Monopols mit Ungerechtigkeiten verbunden. Der Monopolist bezieht aus der Reduktion der Unsicherheit und bei spezifischen Gütern aus den Möglichkeiten, sich den Großteil der Quasi-Rente anzueignen, eine Monopolrente, die zu Lasten der Konsumentenrente geht. Es findet also eine Umverteilung zugunsten der Produzenten statt. Auch diese Auffassung ist mit der NIE vereinbar, wenn nicht Effizienzgründe das Monopol am Leben erhalten und der „Produktionsfaktor Arbeit" nur sehr schwer über seine Entlohnung verhandeln kann. Ad (5) Der Rechtsstaat: In einem Rechtsstaat moderner Prägung soll die Freiheit des Einzelnen sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber den Privaten geschützt werden. Herrscht auf einem Markt ein Monopol, so wird die Freiheitssphäre des Einzelnen durch einen Privaten, nämlich den Monopolisten verletzt. Beim Angebotsmonopol besteht nicht mehr die Freiheit des Ausweichens auf bessere Angebote, je dringlicher der Bedarf, desto stärker wird die Freiheitsbegrenzung empfunden. 394 Bei einem Nachfragemonopol nach Faktorleistungen müssen die Faktoreigentümer sich den Bedingungen des Nachfragers fügen, Arbeiter können faktisch gezwungen werden, Niedrigstlöhne zu akzeptieren oder die Arbeitsstätte zu wechseln. In diesem Zusammenhang werden private Schiedsgerichte sehr schlecht beurteilt. Staatliches Recht werde verdrängt und dem Recht von Interessens393 394

Vgl. Müller-Armack (1948), S. 125 ff.; Rüstow (1949), S. 101 ff. Ähnlich Böhm (1933), S. 29 ff.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

155

gruppen geopfert. 395 Sei es einmal so weit gekommen und sei den Kartellen dieses Feld überlassen worden, so sei die gesamte Staatsordnung in Gefahr, zu entarten. 396 Hier ergibt sich ein weiterer Unterschied zu Williamson, der im „Private Ordering" eine transaktionskostensenkende Institution sieht. Im ordoliberalen Kontext ist „Private Ordering" ein Instrument zur Reduktion von Inhaltsunsicherheit aus Machtgründen. c) Konsequenzen monopolistischer Strukturen Für die NIE, die sich als Effizienzrichtung versteht, ergibt sich ein Handlungsbedarf bei Auftreten monopolistischer Strukturen bei horizontaler Konzentration nur dann, wenn der Produzentenvorteil den Konsumentennachteil nicht übersteigt. Vertikale Integration resultiert in den meisten Fällen aus Kostensenkungspotentialen. In den meisten Fällen wird sich also auch eine gesonderte Behandlung vertikaler Integration erübrigen, solange nicht doch Machtgründe die Oberhand haben oder es sich um natürliche Monopole handelt. Hier werden die Möglichkeiten der Regulierung und der Vergabe von Anbieterkonzessionen diskutiert. Auch diese Optionen sind jedoch den Problemen hoher Informationskosten und opportunistischen Verhaltens ausgesetzt. Eine geeignete theoretische Brücke, welche die Ordnungstheorie mit der NIE in derem Sinne verbindet, ist Schmidtchens evolutorisches Unternehmertum. Institutionen entstehen dort, wo sie zur Senkung des Transaktionskostenpegels beitragen können und diese Handlung auch gewinnbringend ist. Im ordoliberalen Kontext hingegen resultieren Monopolisierungstendenzen überwiegend aus Machtgründen, aus Effizienzgründen nur in Ausnahmefällen. Das Machtmotiv ist permanent vorhanden. Dort, wo es offen zu Tage tritt in Form von Nichtleistungskampf, ist ihm entgegenzutreten. Eine geeignete Brücke im Sinne der Ordoliberalen zur NIE ist der Soziokatalyse-Ansatz von Grossekettler. Transaktionskosten sind dort erwünscht, wo sie dysfunktionale Handlungen verhindern. In der weiteren Analyse wird versucht, anhand dieses Instrumentariums Hinweise auf Transaktionskostenstrukturen bei der wirtschaftspolitischen Behandlung des Monopolproblems zu gewinnen. Neben den Transaktionskosten, die von den Marktakteuren aufgebracht werden müssen, sind die internen Transaktionskosten solcher Maßnahmen bei der entsprechenden Organisation von Wichtigkeit. Diese resultieren zum einen aus Meß- bzw. Informationskosten'. Diese Kosten resultieren ex ante aus Abschätzungen über den Impuls, also Stärke und Stoßrichtung einer 395 396

Vgl. Böhm (1933), S. X I ; Eucken (1952), S. 48 ff. und Abschnitt C.IV.2. Vgl. Böhm (1948), S. 197 ff.

156

C. Ausgewählte Problembereiche

Maßnahme, 397 ex post aus den bekannten Zurechnungsproblemen innerhalb der Organisation, also X-Ineffizienzen, „shirking" und Agenturkosten. Zum anderen bestehen die internen Transaktionskosten aus Durchsetzungskosten: Hier handelt es sich um die Kosten der Kontrolle derer, die an der Durchsetzung beteiligt sind und die Kosten der Sanktionierung von Abweichungen vom Ziel der regulierenden Organisation. Die Durchsetzungskosten wiederum sind um so höher, je weniger die Nutzen der Organisationsmitglieder mit Nutzen und Zielrichtung der Organisation korreliert sind. So werden bspw. die Handlungen eines Vertreters einer industriellen Interessengruppe innerhalb einer Kartell- oder Monopolbehörde dem Interesse dieser Behörde mit großer Wahrscheinlichkeit zuwiderlaufen und nur schwer in gewünschte Bahnen zu lenken sein. Aus diesem Grunde wird auch „Private Ordering" abgelehnt. Im Sinne der Property-rights-Theorie sollten die Interessen der Manager, in diesem Falle Regulierungsbeamten, langfristig mit dem Ziel der Organisation verknüpft sein, was durch eine Anstellung auf Lebenszeit erreichbar ist. Kurzsichtigkeit und Interessensdivergenzen sind also die Quellen der Durchsetzungskosten einer entsprechenden Behörde. Transaktionskosten Transaktionskosten der Behörde Meßkosten

Durchsetzungskosten

Transaktionskosten im

Ex ante

• Kurzsichtigkeit

Markt

• Abschätzung des Maß-

• Interessensdivergenzen

nahmeimpulses Ex Post • X-Ineffizienzen • „shirking" • Agenturkosten Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 18: Transaktionskosten der öffentlichen Hand

Es ist also die Verhältnismäßigkeit einer wirtschaftspolitischen Maßnahme abzuschätzen: Der geschätzte Nutzen der Maßnahme, hier die vermutlich entstehende Wirkung der Transaktionskosten im Markt, ist mit den Kosten der Maßnahme, hier der Summe aus Meß- und Durchsetzungsko397 Im folgenden wird in Anlehnung an das Konzept von Barzel und North mit dem Meßkostenbegriff fortgefahren.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

157

sten, zu vergleichen. Die Transaktionskosten im Markt sollen die Anreize für die Akteure so verändern, daß die Ausübung von Macht sich nicht mehr lohnt. 3 9 8 Ansatzpunkte für eine Wettbewerbspolitik im ordoliberalen Sinne bestehen dabei auf zwei Ebenen: (1) Verhinderung der Machtbildung bei machtmotivierten monopolistischen Strukturen, (2) Verhinderung der Machtausübung len.399

bei effizienzmotivierten

Monopo-

Ad (1) Verhinderung der Machtbildung bei machtmotivierten monopolistischen Strukturen: Sind es die nach den Ordoliberalen üblichen Machtmotive, die bei freiem Wettbewerb Monopolisierungstendenzen anstoßen, so sollte unter Beibehaltung des Wettbewerbes als herrschaftsfreie Sozialordnung diesen Tendenzen entgegengetreten werden, wo sie auftreten. Die Rechtsordnung ist hier also Richter von Kampfes wegen. 400 Die Überprüfung jeder einzelnen Maßnahme und laufende Kontrolle von Unternehmen ist nach Eucken und auch Maier jedoch (1) mit prohibitiv hohen Meßkosten verbunden, und (2) mit der Gefahr der Bildung diskretionärer (Macht-) Spielräume bei der ausführenden Behörde und somit hohen gesellschaftlichen Durchsetzungskosten einer wettbewerbskonformen Wirtschaftspolitik.401 Daher wird postuliert, nach geeigneten Indikatoren zu suchen, die mit Macht- und Nichtleistungskampfpraktiken hochkorreliert und aus Erfahrungswerten zu gewinnen sind. 4 0 2 Solche Indikatoren nennen Eucken (1952) und Böhm (1933), sie sind in Abbildung 19 zusammengefaßt 403 Dort, wo einer oder mehrere der aufgezählten Tatbestände auftauchen, ist zu vermuten, daß Marktmacht oder der Versuch der Erringung von Marktmacht vorliegt. Die Vornahme dieser Vermutung obliegt einer unabhängigen Kartellbehörde. Die Kartellbehörde hat nicht die Aufgabe, den Marktakteuren wettbewerbsschädigendes Verhalten nachzuweisen: So muß die Behörde 398

Vgl. Böhm (1937), S. 160. Vgl. z.B. Böhm (1933), S. 40 ff.; ders. (1937), S. 146 f. 400 M i t „Kampf 4 meint Böhm die Institution des Parallelkampfes in einer Wettbewerbsordnung, der „Leistungskampf 4 sei. Diese Form des Kampfes sei sozial förderlich, daher müsse die Rechtsordnung zur Erhaltung dieses „Kampfes" als Richter von Kampfes wegen beitragen. Formen des „Nichtleistungskampfes", der nicht auf das Wohl des Kunden, sondern auf die Vernichtung des Konkurrenten gerichtet sei, müsse die Rechtsordnung entgegenwirken, in diesem Falle sei sie Richter von Friedens wegen. Vgl. Böhm (1933), S. 187 ff. 401 Vgl. Böhm (1933), S. 15 ff.; Eucken (1952), S. 294 ff.; Maier (1950), S. 24 f. 402 Vgl. Eucken (1952), S. 294 ff. 403 Vgl. Böhm (1933), S. 73 ff., 250 ff., 289 ff., 291 ff.; Eucken (1952), S. 238, 247 ff., 264 ff., 269 ff., 275 ff., 279 ff. 399

158

C. Ausgewählte Problembereiche

Gewalt

Exklusivverträge

Einschüchterung

Drohung

Werksspionage

Sperren

Sabotage

Preisbindungen

Betrug

Verrufserklärung

Diebstahl

Dumping

Unterschlagung

Einführungspreise

Patentmißbrauch

Schädigungspreise

lügnerische Anpreisung

Lockartikel

Suggestionsreklame

Treuerabatte

abwertende Kritik

Verkauf nach Ladenschluß

Ausnutzen von Verwechslungsmöglichkeiten

untertarifliche Entlohnung

Verleumdung fremder Leistung

Versilberungspreise

Abwerben von Kunden

Steuervorzug

Zwang Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Aismöller (1982), S. 81 f.

Abbildung 19: Indikatoren von Marktmacht

ihre Durchsetzungskosten niedrig halten, aus diesem Grunde sind in dieser Organisation unabhängige Experten zu beschäftigen. Diese jedoch sind naturgemäß nicht so gut über eine Branche informiert wie die Branchenmitglieder selbst. Aus dieser Informationsasymmetrie erwachsen der Behörde prohibitiv hohe Meßkosten über den Maßnahmeimpuls. Böhm fordert daher die Umkehr der Beweislast: Nicht der Kläger hat die Absicht der Schädigung nachzuweisen, sondern der Beklagte die Absicht der Nichtschädigung. Kann er dieses nicht, so ist ihm das fragliche Verhalten zu verbieten. 404 Der Grundgedanke des Aufspürens von Vermachtungstendenzen anhand beobachtbarer Merkmale wird im von Grossekettler entwickelten Koordinationsmängel-Diagnosekonzept (KMD-Konzept) systematisiert: Mit Hilfe eines solchen Systems können Vermachtungstendenzen detektorisch, also aktiv im Sinne eines „KarteiIchecks" ermittelt werden. 405

404 Auch dem Vorschlag der Errichtung einer Wirtschaftsdemokratie erteilt Böhm eine Absage. Erstens führe auch eine Beteiligung der Arbeiter und Konsumenten an Kartellentscheidungen nicht zu effizienten Ergebnissen, da Informationsasymmetrien zugunsten der Unternehmerseite bestehen. Zweitens sind hier die Interessenten die Promotoren, was zu einer falschen Anreizstruktur führt. Vgl. Böhm (1933), S. 133 ff., 162 ff.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

159

Ad (2) Verhinderung der Machtausübung bei effizienzmotivierten Monopolen: Bei Vorliegen effizienzmotivierter monopolistischer Strukturen sind die Anreize so zu verändern, daß sich das Marktergebnis in etwa so einspielen würde, als ob vollständige Konkurrenz herrsche. Nach Böhm ist diese Rekonstruktion jedoch mit hohen Meßkosten über den Maßnahmeimpuls verbunden: Bestimmend für das Ergebnis bei vollständiger Konkurrenz sei die Leistung des Grenzbetriebes. Diese kann jedoch nicht mehr festgestellt werden, da der Monopolist den Grenzbetrieb „usurpiert' ' habe. 4 0 6 Auch sei nach Böhm ein direktes Eingreifen des Staates in den Wettbewerb nicht mit der Funktion des Wettbewerbes als herrschaftsfreie Sozialordnung vereinbar, der Staat solle sich ja gerade die Handlungen der am Wettbewerb Beteiligten, zu denen sie sich ohne Zwang entscheiden, nutzbar machen. 407 An anderer Stelle vertritt er jedoch die Meinung, daß bei einer Beschränkung auf wenige Märkte diese staatliche Aufgabe durchaus gelingen könne. 4 0 8 Eucken ist der Auffassung, daß der Grenzkostenpreis festgestellt werden könne und bei „unvermeidbaren" Monopolen hiervon Gebrauch gemacht werden müsse. Er ist der Ansicht, daß für Monopole, die aus Effizienzgründen bestehen und die zu zerschlagen daher dysfunktional wäre, eine staatliche Monopolaufsicht geschaffen werden müsse, die das Gebaren des Monopolisten so streng überwacht, daß hiervon auch abschreckende Signale auf andere Unternehmer ausgehen. Auch Rüstow (1949) fordert eine „scharfe Staatsaufsicht mit Preisgenehmigung und Lieferzwang". 409 von Stackelberg empfiehlt eine Monopolsteuer zur Verringerung monopolistischer Freiheitsgrade, eine progressiv gestaffelte Steuer mit der Bemessungsgrundlage Gewinn/Umsatz. Schmitt fordert mit Bezug auf eine Umstrukturierung des Eisenbahnwesens eine „genaue und laufende Kostendurchleuchtung und Kontrolle der Tarifgebarung auf Kostendeckung" 4 1 0 Alles in allem sollen Transaktionskosten also eine inhibierende Wirkung entfalten, die staatliche Monopolkontrolle hat also sehr hohe Kosten zu setzen für Transaktionen, die wettbewerbsschädlich wirken. 4 1 1 Die Rechtsordnung ist bei der Behandlung natürlicher Monopole Richter von Friedens wegen, sie soll den Nichtleistungskampf schon im Keim ersticken, andernfalls würde er unvermeidlich ausbrechen. 412 Zu beachten 405

Die derzeitige deutsche Praxis sieht eher eine sensorische, also passive Überwachung der Funktionsfähigkeit von Märkten vor. Vgl. Grossekettler (1991), S. 467 ff., ders. (1997), S. 123 ff.; ders. (1998a), S. 52 ff. 406 Vgl. Böhm (1933), S. 47 ff. 407 Vgl. Böhm (1933), S. 121 ff. 408 Böhm (1937), S. 148 f. 409 Rüstow (1949), S. 134. 410 Schmitt (1950), S. 196. 411 Vgl. Eucken (1949), S. 64 ff.; ders. (1952), S. 292 ff.

160

C. Ausgewählte Problembereiche

sind jedoch mögliche interne Koordinationsineffizienzen: Eine Monopolkontrolle, die mit einer derartigen Macht ausgestattet ist, wird einen großen Verwaltungsapperat benötigen. Dieser kann wiederum mit hohen Meßkosten aus X-Ineffizienzen, „shirking" und Agenturkosten sowie Durchsetzungskosten aus Kurzsichtigkeit und Interessensdivergenzen der Organisationsmitglieder verbunden sein. Zusammenfassend sieht Böhm sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen von Behörden, die wirtschaftliches Recht durchzusetzen bzw. zu erhalten haben. So könne ein staatliches Monopolamt mitunter bürokratische Schwerfälligkeiten aufweisen. Mit anderen Worten: Die erhöhten Ex post Meßkosten eines großen Verwaltungsapperates resultierend aus X-Ineffizienz, „shirking" und Agenturkosten können den Zielen der Organisation im Wege stehen. Auch bestehe die Gefahr der Einflußnahme von Industrievertretern auf die Beamten und somit von hohen Durchsetzungskosten durch Interessensdivergenzen. Außerdem sieht er die Möglichkeit, daß bei der Legitimierung von Monopolen eine mächtige Behörde schnell in die Öffentliche Kritik gerät und die Stellung der Unternehmer gestärkt werde. 4 1 3 Hier sind Analogien zu den Ausführungen von Erlei, Leschke und Sauerland über die Rolle von Bürokraten im Franchise-Bidding-Prozeß erkennbar: Dort ist die Vergabe einer Konzession vergleichbar mit einer fundamentalen Transformation. Eine solche fundamentale Transformation kann jedoch gemäß Böhm auch bei der laufenden Regulierung bei der Legitimation eines Monopols eintreten. Auch hier steht ex post die Reputation der Regulierungsbehörde auf dem Spiel, die Bürokraten sind daher starken Einflüssen der legitimierten Unternehmung ausgesetzt. Zur Vermeidung bzw. Dämpfung derartiger Probleme schlägt Böhm ein staatliches Monopolamt vor, welches die Behandlung vermeidlicher und unvermeidlicher Monopole vereinen soll: • Es wird gefordert, daß der Zweck der Behörde per Gesetz festgelegt werde, nämlich die Eliminierung vermeidbarer und die Kontrolle unvermeidbarer Monopole. Der Behörde soll der Gebrauch ihrer Macht zu anderen als diesen Zwecken per Gesetz verboten werden. • Die Behörde soll, ähnlich dem Konzept der Bundesbank, unter öffentlicher Kontrolle gestellt werden und nur dem Gesetz unterworfen sein. Hiervon verspricht sich Böhm die Vermeidung diskretionärer Spielräume. • Alle Entscheidungen sollen kollegial getroffen werden. Die Entscheidungen müssen begründet werden, der Behörde obliegt der Nachweis der Gesetzestreue jeder Entscheidung. 414 4,2 413

Vgl. Böhm (1933), S. 187 ff. Vgl. Aismöller (1982), S. 87 f.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

161

Hier ergeben sich interessante Parallelen mit den Forderungen innerhalb der NIE, Regulierungsbehörden institutionell zu binden, um den Regulierten die Zukunftsunsicherheiten zu nehmen. 415 Eucken fordert von einer Kartellbehörde - übertragen in die Sprache der Nie - , hohe Transaktionskosten zu setzen für wettbewerbsbeschränkende Verträge und so die Akteure wieder zu wettbewerblichem Verhalten anzureizen 4 1 6 Rüstow fordert noch schärfer eine „straffe staatliche Marktpolizei", die bei oligopolistischen Strukturen die Freiheit der Akteure solange einzuengen habe, bis „der verbleibende Rest nur noch im Sinne des Leistungswettbewerbes ausgenutzt werden kann." 4 1 7 Auch neuere Untersuchungen über die institutionelle Ausgestaltung von Kartellbehörden sind mit dem Ansatz Böhms kompatibel. So führt Dujim (1999) aus, daß Kartellbehörden das Kollektivgut „Wettbewerbsschutz" dann sehr effizient zur Verfügung stellen können, wenn ihre institutionelle Ausgestaltung folgenden Anforderungen genügt: • Personelle und finanzielle Unabhängigkeit, • Zuständigkeit für alle Sektoren, keine Ausnahmebereiche, • gleichmäßige Ahndung von Verstößen gleicher Wirkung, • Möglichkeit der wirksamen Verfolgung von Verstößen (z.B. Anzeigepflicht von Fusionen vor Vollzug), • einheitliche Zuständigkeit (eine Wettbewerbsbehörde), • Beschränkung der Behörde auf die Verfolgung eines einzigen Ziels, • Beschränkung der Behörde auf einen einzigen Aufgabenbereich, • möglichst niedrige Anwendungsschwellen (etwa hinsichtlich der Umsatzzahlen oder Marktanteile), • hohe Kosten für die Änderung der gesetzlichen Grundlagen, auf denen die Behörde handelt, • Mitwirkungsrechte bei allen Maßnahmen, die sich auf den Wettbewerb ausrichten. 414

Grossekettler (1998), S. 5. Zur Unabhängigkeit von Karteilbehörden vgl. auch Dujim (1999), S. 323 ff.; Möschel (1997), S. 241 ff. 415 Vgl. Abschnitt C.II.l.c). 416 Vgl. Eucken (1952), S. 278 f. 417 Rüstow (1949), S. 133 f. Formulierungen wie „straffe staatliche Marktpolizei" dürften mit dazu beigetragen haben, daß dem Ordoliberalismus in öffentlichen Diskussionen ungerechtfertigt bisweilen eine autoritäre Attitüde unterstellt wurde. Eucken meinte mit dem Begriff „starker Staat" etwas anderes, als man aus Rüstows Begriff herauslesen könnte, nämlich nicht elitäre Eingriffe „von oben", sondern die Unabhängigkeit des Staates gegenüber Partialinteressen. Vgl. Grossekettler (1997), S. 28 ff.; ders. (1998), S. 7. 11 Evers

162

C. Ausgewählte Problembereiche

Es läßt sich zusammenfassend folgern, daß die Ordoliberalen die Sicherung einer Wettbewerbsordnung implizit als Kollektivgut interpretieren, welches von den Akteuren selbst nicht zur Verfügung gestellt werden wird. Die Bereitstellung muß daher der öffentlichen Hand übertragen werden. 418 Es sind Behörden zu schaffen, welche den Marktakteuren Transaktionskosten mit inhibierenden Wirkungen für wettbewerbsbeschränkende Aktionen auferlegen sollen. Bemerkungen zu den „Als-Ob"-Konzepten: Vor allem bei der Wettbewerbspolitik auf der Ebene der Anreize bei natürlichen Monopolen werden von vielen Ordoliberalen Maßnahmen vorgeschlagen, die inhibierende Transaktionskostenstrukturen schaffen, die aber auf eine Rekonstruktion der Datensituation in einer Wettbewerbsordnung hinauslaufen 4 1 9 Solche Maßnahmen setzen Konzepte der Feststellung der Grenzleistung voraus. Aus Sicht der NIE können solche Konzepte jedoch niemals wirksam sein, da sie aufgrund asymmetrisch verteilter Informationen zuungunsten der öffentlichen Hand mit prohibitiv hohen Meßkosten verbunden sind. Mit dem Einbau von Transaktionskosten verschwinden nämlich die Annahmen vollständiger oder zumindest erfüllender Informationen über die Interna eines Unternehmens. 420 Derartige auch als „Als-Ob-Wettbewerb" bezeichnete Konzepte erweisen sich auch aufgrund der Unvorhersehbarkeit marktwirtschaftlicher Wettbewerbsprozesse als nicht praktikabel 4 2 1 Eucken dürfte diese Probleme vermutet haben, als er empfahl „ . . . in ... Fällen, in denen die Grenzkosten höher sind als die Durchschnittskosten ... den Schnittpunkt von Durchschnittskosten und Nachfragekurve zu wählen. Zwar ist dieser Preis nicht ganz systemgerecht, aber er ist leichter feststellbar." (Eucken, 1952, S. 297, Herv.d.d. V.). Ebenso räumt Schmitt große Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seiner Forderung nach Kontrolle auf Kostendeckung im Eisenbahnwesen ein, wenngleich er sie nicht für unmöglich hält. 4 2 2 Auch von Stackelbergs Monopolsteuer ist nach Schmölders mit der Feststellung überbetrieblicher und branchenunabhängiger Normen verbunden. Solche Normen seien jedoch mit prohibitiv hohen Meßkosten verbunden und somit nicht willkürfrei aufzustellen. 423 Böhms und Euckens Vorstellung vom Feststellen und Aufspüren geeigneter Machtindikatoren kommt der Welt der NIE mit ihrer Annahme begrenz418

Vgl. hierzu auch Dujim (1999), S. 323 ff. Eine Ausnahme ist Schmölders. Böhm ist der Meinung, daß trotz der Usurpation des Grenzbetriebes der Zustand der vollständigen Konkurrenz vor allem aus Erfahrungswerten heraus rekonstruiert werden könne. Vgl. Böhm (1933), S. 46 ff. 420 Richter, Furubotn (1996), S. 62 ff. 421 Schmidt (1999), S. 147 ff. 422 Vgl. Schmitt (1950), S. 196. 423 Vgl. Schmölders (1950), S. 165, 169; von Stackelberg (1949), S. 193 ff. 419

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

163

ter Informationsverarbeitungskapazitäten schon sehr nahe. Das Aufspüren von Indikatoren ist nämlich mit erheblich geringeren Meß- und Durchsetzungskosten verbunden als die laufende Kontrolle von Unternehmen. 424 Die Aussage Böhms, daß der Grenzkostenpreis nicht mehr festgestellt werden könne, ist zudem voll kompatibel zu den Ausführungen der NIE-Vertreter Erlei, Leschke und Sauerland, nach denen die zu regulierende Unternehmung bessere Informationen über ihre Kostenstrukturen als eine Behörde besitzt und daher in den Genuß einer Informationsrente kommt.

d) Zusammenfassung Für die Ordoliberalen spielen Effizienz- und Machtgründe als Konzentrationsursachen eine Rolle. Konzentration kann aus Effizienzgründen geschehen, diese können aus Kostendegressionsvorteilen sowie aus hoher Spezifität (Sachkapital-, Standort-, Humankapitalspezifität) resultieren. Dem stehen jedoch in der Regel eine stark schwankende Nachfrage sowie generell sinkende Spezifitäten gegenüber. Konzentration geschieht daher eher selten aus Effizienzgründen. Eine überragende Bedeutung kommt dem Machtmotiv zu, dem Anreiz dauerhaft eine Monopolrente erzielen zu können. Dieser ergibt sich vornehmlich aus der Reduktion von Abschluß- und Inhaltsunsicherheit sowie aus der Redundanz glaubhafter Sicherungen gegen Ex post Opportunismus, wenn nur der Monopolist Ausweichmöglichkeiten hat. Dieser Anreiz ist permanent vorhanden und eine Gefahr für die sonst sozialförderliche Eigenschaft des Wettbewerbes, die Eigeninteressen der Individuen effizient zu koordinieren, ein funktionierendes Preissystem vorausgesetzt. Der Anreiz zum Nichtleistungskampf ist stark. In einem Monopol sind die Marktgegebenheiten in hohem Maße von den persönlichen Präferenzen des Monopolisten abhängig, was dessen Sicherheit erhöht, die der Gegenseite jedoch senkt. Sämtliche Ziele, Freiheit, Wohlstand, Sicherheit und Gerechtigkeit können nur noch schwer oder gar nicht mehr erreicht werden. Der Staat muß diesen Auswirkungen entgegentreten. Die seltenen „Effizienzmonopole" müssen einer straffen und abschreckenden Überwachung durch eine Monopolaufsicht unterworfen werden. Dort, wo Machtmonopole vermutet werden, haben die Marktakteure gegenüber einer Kartellbehörde nachzuweisen, daß sie in der Absicht der eigenen Leistungssteigerung handeln. Ansonsten ist ihnen das der Behörde aufgefallene Verhalten zu verbieten. Bei der Organisation, Aufgabenzuteilung und Größe der Behörden sind wiederum Effizienzgrenzen, die aus Meßkosten und Durchsetzungskosten bestehen, zu beachten. Dabei hält die NIE mit der Methode, Macht als

424 Diese Erkenntnis ist ein Ausgangspunkt des Koordinationsmängel-Diagnosekonzeptes von Grossekettler. Vgl. Grossekettler (1997), S. 41 ff., 123 ff.

1*

164

C. Ausgewählte Problembereiche

Möglichkeit risikolosen opportunistischen Verhaltens zu modellieren, ein Werkzeug bereit, auch die machtintendierte Perspektive der Ordoliberalen in neuer Sprache aufzubereiten.

3. Vergleichende Stellungnahme In diesem Abschnitt werden die Ansichten der Ordoliberalen und der Vertreter der NIE auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Gründe für unterschiedliche Ansichten untersucht. Ausgangspunkt ist die Alsmöllersche Liste der von Eucken und Böhm deduzierten Machtindikatoren. Dort, wo auch die Vertreter der NIE Machtanreize sehen, kann man Gemeinsamkeiten beider Richtungen ausmachen. Unterschiede sind dort festzustellen, wo die Vertreter der NIE eher Effizienzanreize vermuten. Einige Handlungen sind nicht eindeutig zurechenbar. Bei der Analyse der ordoliberalen Machtindikatoren aus neoinstitutionalistischer Sicht ist zu beachten, daß aus der gesamtwirtschaftlichen Sicht der NIE sämtliche Punkte dem Machtanreiz dann zugeordnet werden können, wenn sie aufgrund institutioneller Fehlanreize für die jeweiligen Organisationen lohnend erscheinen. 425 In einzelwirtschaftlicher Perspektive herrscht in der NIE kein trennscharfes „Entweder Macht oder Effizienz"-Denken. Jeder Einzelfall ist danach zu untersuchen, ob er eher dem Machtanreiz oder eher dem Effizienzkriterium entspricht. Aus den obigen Untersuchungen über die Anreize, die zu monopolistischen Strukturen führen, lassen sich jedoch Anhaltspunkte über die Wahrscheinlichkeiten gewinnen, mit denen eine Praktik dem Macht- oder Effizienzcluster zuzuordnen ist. Einige Punkte aus der Liste der Machtindikatoren werden in der NIE nicht oder nur marginal behandelt, bei ihrer Abarbeitung werden Vermutungen angestellt. Mit Hilfe des KMD-Konzeptes ist es jedoch möglich, die Funktionsfähigkeit von Märkten detektorisch zu überprüfen und so die Einzelfallbeantwortung der Frage „Ist Macht angesichts der Effizienzzunahme hinnehmbar?" zu erleichtern. a) Gemeinsamkeiten Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß die Ordoliberalen grundlegende Punkte angesprochen haben, die auch in der heutigen Diskussion, auch in der NIE, eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Die Ausführungen der Ordoliberalen sind einer Analyse in der Sprache der NIE zugänglich. Beide Schulen betrachten Faktorspezifitäten und Kostendegressionsvorteile als fördernde Effizienzanreize sowie Prestige- und Gewinnstreben als för425

Vgl. North (1992), S. 92 ff.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

165

dernde Machtanreize zur Monopolisierung. Übereinstimmung besteht auch hinsichtlich der Forderung nach institutioneller Bindung von Regulierungsbehörden. Bei folgenden ordoliberalen Machtindikatoren ist plausibel anzunehmen, daß auch die Vertreter der NIE sie als Machtpraktiken interpretieren würden: - Gewalt, - Einschüchterung, - Werksspionage, - Sabotage, - Betrug, - Diebstahl, - Unterschlagung. Gemäß der Theorie der Property-rights ist es Aufgabe eines funktionsfähige institutionellen Rahmens, die Gewalt zu domestizieren. Einzig und allein der Staat als Inhaber eines Gewaltmonopols ist zur Ausübung von Gewalt, freilich nach strengen Regeln, berechtigt. 426 Gewalt unter den Staatsangehörigen ist zu verhindern. Auch fast alle anderen Punkte der obigen Liste sind im leicht erweiterten Sinne zum Komplex „Gewalt" zu zählen, es werden exklusive Eigentumsrechte verletzt. Bezüglich dieser Punkte herrscht also weitgehend Einigkeit zwischen den Autoren der NIE und des Ordoliberalismus, die obigen Praktiken entspringen Machtgelüsten und sind unzulässig. b) Unterschiede Die Gewichtung der Anreize zu und Auswirkungen von monopolistischen Strukturen der beiden Schulen sind grundlegend verschieden. Die NIE legt das Schwergewicht eindeutig auf Effizienzanreize, diese Einschätzung zieht sich durch die gesamte neoinstitutionalistische Literatur. Die Ordoliberalen hingegen sehen die Selbstzerstörungstendenz des Wettbewerbs durch den Hang zur Monopolisierung ehemals freier Märkte hauptsächlich durch Machtstreben begründet, darin sind sich die wichtigen ordoliberalen Autoren, allen voran Eucken und Böhm, einig. Daraus ergeben sich die oben dargestellten unterschiedliche Ansichten der Schulen über die Folgen und die Behandlung monopolistischer Strukturen. So begründen die ordoliberalen Autoren ihre Vorschläge zur institutionellen Bindung von Regulierungsbehörden mit dem potentiellen Machtmißbrauch der Behörde. In der NIE steht man Regulierungen durch externe 426

Richter, Furubotn (1996), S. 54 f.

C. Ausgewählte Problembereiche

166

Stellen sehr skeptisch gegenüber. Sollten sie dennoch angewandt werden, so werden (mit dem Ordoliberalismus durchaus konforme) Forderungen nach institutionellen Bindungen mit den erheblichen Transaktionskosten der Regulierten und daraus resultierende individuell rationale aber volkswirtschaftlich suboptimale Entscheidungen begründet. Folgende ordoliberale Machtindikatoren dürften die Vertreter der NIE eher als Ausdruck einer effizienten Handlung interpretieren: • Patent(mißbrauch) Beim Patentmißbrauch dachten die Ordoliberalen zwar auch an Erfinderschutz, vor allem aber an Machtpraktiken zur Erreichung oder zum Ausbau monopolistischer Positionen. Eucken nennt als Beispiele Grundpatente, Sperrpatente, Patentkartelle, Patentaustausch innerhalb eines Kartells und Markenschutz. Solche Praktiken führen letztlich zur Monopolbildung aus Machtgründen und zur Nichtweitergabe ertragreicher Innovationen an Konkurrenten, somit zur Störung der Produkt- und Verfahrensfortschrittspro427

zesse. In der NIE werden Patente jedoch durchaus als starker funktionaler Anreiz zu effizientem Wirtschaften angesehen. Daher wird der Wortteil „mißbrauch" in der Überschrift in Klammern gesetzt. Nach North (1988) ist bei unzureichendem Patentschutz der gesamtwirtschaftliche Fortschritt gefährdet: Patente dienen der Absicherung exklusiver Rechte an geistigem Eigentum. Durch die Exklusivität werden eine hinreichend hohe Ertragsrate neuen Wissens und mithin Innovationsanreize gewährleistet. 428 Weiter werden in der NIE Patente als auf Effizienzgründe beruhende Marktzutrittsschranken interpretiert 4 2 9 Durch einen Patentschutz, der für eine gewisse Zeit gültig ist, läßt sich ein Anreiz zu Innovationen schaffen, die ansonsten aufgrund ihres Kollektivgutcharakters unterbleiben würden: F&E-Aufwendungen sind in der Regel quantitativ hoch und hochspezifisch. Müßte ein Investor damit rechnen, daß er für keinen Zeitraum ein Exklusivrecht an den neuen Produkten oder Verfahren besitzt, so müßte er mit einer schnellen Entwertung der spezifischen Investitionen durch Imitatoren rechnen, so daß den hohen Aufwendungen ein nur geringer Ertrag gegenübersteht. Die Imitatoren hingegen könnten die Gewinne einstreichen, ohne die hohen und hochspezifischen F&E-Aufwendungen zu getätigt zu haben. Innovationen sind somit ein Kollektivgut, in dessen Genuß Imitatoren als Trittbrettfahrer kommen könnten: 4 3 0 427

Eucken (1952), S. 41, 268 ff. Eine ausführliche Darstellung der Problematik einer Reform des Patentrechts aus früher ordoliberaler Sicht liefert Gather (1949), S. 270 ff. 428 North (1988), S. 111 ff. 429 Richter, Furubotn (1996), S. 330.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

167

- lügnerische Anpreisung, - Suggestionsreklame, - abwertende Kritik, - Ausnutzen von Verwechslungsmöglichkeiten, - Verleumdung fremder Leistung, - Abwerben von Kunden. Diese Punkte werden von Böhm unter dem Stichpunkt „Werbung" subsumiert. Böhm fordert, daß Werbeinhalte der Wahrheit entsprechen müßten. Rüstow vertritt hier eine innerhalb des frühen Ordoliberalismus wohl „radikale" Ansicht. So sollen alle Werbeformen verboten werden, die nur Großfirmen möglich sind. Er selbst sieht die von ihm geforderte Maßnahme, Werbung auf Fachausstellungen zu reduzieren, als radikales Vorgehen an 4 3 1 Gemäß der NIE werden Werbeinhalte mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch der Wahrheit entsprechen, denn andernfalls verliert der lügende Anbieter seine Reputation, bei Suchgütern noch eher als bei Erfahrungsgütern. Der Kunde hat dann nämlich die Möglichkeit, die Geisel „Reputation" zu zerstören. Doch selbst, wenn die obige Praktiken (mit Ausnahme der eben behandelten lügnerischen Anpreisung) zutreffen, geschehen sie höchstwahrscheinlich aus Effizienzgründen, wenn Sie zum Aufbau einer Reputation oder Unternehmenskultur durch Investition in Markennamenkapital dienen. Dann sind sie auch als Marktzutrittsschranke zulässig: - Zwang, - Exklusivverträge, - Drohung. Diese Praktiken können der Absicherung sensitiver Transaktionen vor allem im Zuge vertikaler Bindungen dienen, bei denen es stark auf die Reputation des Reglementierenden ankommt. Als Beispiel seien Franchise-Unternehmen genannt: - Sperren, - Preisbindungen, - Verrufserklärungen. Aus Sicht der NIE kann es sich bei diesen Praktiken um Marktzutrittsschranken handeln, die zur Absicherung von Quasi-Renten notwendig sind:

430 431

Ähnlich Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 300 f. Vgl. Rüstow (1949), S. 136.

C. Ausgewählte Problembereiche

168

- Dumping, - Einführungspreise, - Schädigungspreise, - Lockartikel, - Treuerabatte. Zusätzlich zur Möglichkeit sozial förderlicher Marktzutrittsschranken tritt hier die Möglichkeit, daß ein Anbieter diese Preise setzt, weil er Kostendegressionsvorteile realisieren kann. Die folgenden Handlungen sind nicht eindeutig dem Effizienz- oder Machtanreiz zuzuordnen: • Verkauf nach Ladenschluß Zu diesem Punkt machen die Ordoliberalen keine detaillierten Erläuterungen. Es steht zu vermuten, daß die Umgehung des entsprechenden Gesetzes als Machtpraktik interpretiert wird. Da ein solches Gesetz im Heimatland der NIE, den USA, freilich unbekannt ist, können weitere Aussagen zu diesem Punkt nicht getroffen werden. 4 3 2 Im übrigen dürfte für die Ordoliberalen das Ladenschlußgesetz schon als solches fragwürdig gewesen sein, da es für diese Institution keine einsichtige Rechtfertigung gab. • Untertarifliche

Entlohnung

Durch die Brille der NIE dürfte diese Praktik kein Ausdruck von Macht sein, wenn der untertarifliche Lohn effizient in dem Sinne ist, daß er an der Produktivität des Arbeiters orientiert ist und der Arbeiter eine hinreichende Verhandlungsstärke, z.B. als zentral positionierter plastischer Produktionsfaktor besitzt (wobei in diesem Fall eine untertarifliche Bezahlung natürlich unwahrscheinlich ist) 4 3 3 • Versilberungspreise Nach Böhm handelt es sich hier um Billigangebote, die ein Anbieter macht, um kurzfristige Engpässe zu überwinden oder Läger zu räumen (Sommerschlußverkauf). Böhm sieht in diesem Falle eine Kollision zwischen der Sphäre des Privatrechtes, nach dem Billigverkäufe durch Privatpersonen natürlich zulässig sind, und der Sphäre des Wettbewerbsrechtes, nach dem Versilberungspreise nicht die wahre Leistungsfähigkeit des An432 Man müßte dann eine ausführlichere Diskussion führen, wenn man nicht nach der Umgehung, sondern nach den Sinn der Institution „Gesetzliche Ladenschlußzeiten" fragen würde. Dieses würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 433 Man beachte: Auch nicht-rechtliche Praktiken können im Sinne der NIE effizient sein. Richter, Furubotn (1996), S. 330.

II. Private Willensbildung I: Das Monopolproblem

169

bieters widerspiegeln. So ergibt sich die Frage, welches Recht stärker gewichtet sein soll, worauf Böhm jedoch keine eindeutige Antwort g i b t . 4 3 4 Aus Sicht der NIE dürfte es sich hier um eine legitime Praktik handeln, zu der der Anbieter aus Effizienzgründen in der Lage ist. Es ist fraglich, ob die NIE diese Praktik überhaupt als machtintendiert bezeichnen würde. • Steuervorzug Aus der gesamtwirtschaftlichen Perspektive der NIE handelt es sich bei steuerlichen Bevorzugungen durch die öffentliche Hand wahrscheinlich um einen Umstand, der aufgrund des Einflusses mächtiger Interessensgruppen auf den politischen Markt existiert. 435 Hier dürfte also Übereinstimmung zwischen den Forschungsrichtungen herrschen. c) Fazit Die NIE hat in ihrer einzelwirtschaftlichen Ausprägung weit über die Neoklassik hinausreichende Erkenntnisse über die Unternehmung und mit ihr zusammenhängende Transaktionen gebracht. Auch sind wertvolle Beiträge über die Vielfalt vertraglicher Beziehungen ermöglicht worden 4 3 6 Es läßt sich jedoch auch feststellen, daß durch die Brille der NIE das Monopolproblem hauptsächlich als Effizienzproblem gesehen wird. Es geht um die Minimierung der Summe aus Transaktions- und Produktionskosten. Kaum untersucht wird der Einfluß von Marktmacht. Es besteht somit die Gefahr, im Zweifel jede Monopolisierungstendenz als effizienzfördernd zu erklären und somit durch die Wettbewerbspolitik zuzulassen 4 3 7 Diese starke Fokussierung auf Kostenargumente wird von Lenel als einseitig kritis i e r t 4 3 8 Auch wird in der Literatur die Uneinigkeit über den Begriff „Transaktionskosten" und die damit bei einigen Autoren verbundene mangelnde Operationalität moniert. 4 3 9 Dieses geht einher mit den Problemen der Messung von Transaktionskosten. Beim derzeitigen Stand der Diskussion ließe sich mit dem Hinweis auf Transaktionskosten so ziemlich alles rechtfertigen oder ablehnen. Ähnliches gilt für den Begriff „Propertyrights".440 Man muß jedoch bedenken, daß diese neue Forschungsrichtung noch nicht abgeschlossen und zukunftsoffen ist. Schon jetzt sind „Transak434

Böhm (1933), S. 298 f. Libecap (1989), S. 6 ff.; North (1988), S. 154. 436 Schumann (1992), S. 452 f. 437 Lenel (1988), S. 137 ff.; Schumann (1992), S. 452 f. 438 Vgl. Lenel (1988), S. 137 ff. 439 Auch Coase hatte noch keine klar umrissene Definition des Begriffs „Transaktionskosten" im Kopf. Vgl. Pies (2000), S. 15 ff. 440 Richter (1991), S. 419 ff. 435

170

C. Ausgewählte Problembereiche

tionskosten" ein hervorragendes heuristisches Konzept, mit dem man ökonomische Analysen auf vielen Bereichen anstellen kann. 4 4 1 Man kann sie sogar auf alles anwenden, wenn man alles gute mit „Nutzen" und alles schlechte mit „Kosten" gleichsetzt. Eben diese Offenheit ist Chance und Gefahr dieses Ansatzes. Interpretiert man mit Grossekettler Transaktionskosten nicht als Reibung, sondern als Katalysatoren, so läßt sich der Transaktionskostenbegriff schärfer fassen und operationalisieren. Mit Hilfe des KMD-Konzeptes ist es möglich, systematisch zu überprüfen, ob ein Markt „koordinationseffizient" ist. Die Vertreter des Ordoliberalismus sehen Effizienz- und Machtgründe für Konzentration, wenngleich „unvermeidbare" Monopole aus Effizienzgründen eher für Ausnahmen gehalten werden. Die generelle Unterstellung sinkender Spezifitäten erscheint aus heutiger Sicht nach Meinung des Verfassers überholt. Hier hat die NIE klar gezeigt, daß getrennt nach Produkten bzw. Faktoren untersucht werden muß. Auch waren Besonderheiten des Produktionsfaktors „Arbeit" nicht Gegenstand ordoliberaler Untersuchungen. Aus Sicht der NIE ist Arbeit ein plastischer Produktionsfaktor, der seinen Einsatz variieren kann und der zur Bildung von spezifischem Humankapital, welches sowohl dem Unternehmen als auch dem Arbeitnehmer als auch den Konsumenten nützt, gegen zu starke Variationen und gegen Ausbeutungsbestrebungen geschützt werden muß. 4 4 2 Die Ordoliberalen sehen ferner erhöhte Innovationstätigkeiten von Monopolisten lediglich als Ausdruck erhöhter Freiheitsspielräume und als nur zufällig effizient, während die NIE diesen Komplex differenzierter betrachtet und sowohl Effizienzanreize zu erhöhter Innovation in monopolistischen Unternehmen sieht als auch unternehmensgrößenbedingte Grenzen der Innovationstätigkeit. Die Aussagen der Ordoliberalen sind jedoch mit Bezug auf ihre Umwelterfahrungen folgerichtig und weitreichend. Bezüglich einiger Schlußfolgerungen ergeben sich sogar erstaunliche Analogien zur NIE. Als Beispiel seien Böhms Ausführungen über spezialisierte Leistungen erwähnt, die nur in einer bestimmten Vertragsbeziehung einen Ertrag abwerfen 4 4 3 Und Euckens Aussage, daß Konzentration aus Effizienzgründen wettbewerbsförderlich sein kann, deckt sich geradezu mit der Beurteilung der Wirkung der vertikalen Integration bei Bonus (1993) 4 4 4 Auch haben die Ordoliberalen, vor allem Böhm, einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf das deutsche und indirekt auch auf das europäische Wettbewerbsrecht gehabt. 445 441

Richter, Furubotn (1996), Vgl. auch Grossekettler (1998), S. 7. 443 Böhm (1933), S. 53. 444 Eucken (1950), S. 12; ders. (1950), S. 230 ff. 445 So verbietet das GWB ausdrücklich Schädigungspraktiken („unbillige Behinderungen") wie Boykotte, Liefer- oder Bezugssperren, vgl. § 20, Abs. 1, 2 und 4 S. 2 442

ΠΙ. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

171

Die Untersuchung hat gezeigt, daß die ordoliberalen Ansichten zum Monopolproblem mit dem Instrumentarium der NIE gut systematisiert werden können. Mit dessen Begrifflichkeiten können nicht nur Effizienz-, sondern auch Machtmotive erklärt werden. Die Forschungsrichtungen stehen nicht in diametraler Gegenposition , vielmehr sehen wir durch die Brille der NIE beide Seiten derselben Medaille. Dieses rührt aus der Stärke der NIE her, sich sehr nahe am Menschen und ferner als die pure Neoklassik vom Homo oeconomicus zu bewegen. Eine Symbiose zwischen beiden Forschungsrichtungen in bezug auf das Monopolproblem scheint also möglich, die Analyse des Monopolproblems der NIE kann unter Rückgriff auf ordoliberale Erkenntnisse um eine „Machtkomponente" erweitert werden. Freilich bleiben die angesprochenen Operationalisierungs- und Abgrenzungsprobleme des Transaktionskostenbegriffs weiter bestehen. Einige Grundzüge der Problematik der Interpretation und Behandlung von Monopolen konnten jedoch in ihren Umrissen skizziert werden.

I I I . Private Willensbildung I I : Ökonomische Analyse des Rechts Zwischen der Rechtsordnung und der Wirtschaftsordnung einer Gesellschaft besteht ein unmittelbarer Zusammenhang, der bereits aus einer Gegenüberstellung der Definitionen der Begriffe erwächst: Eine Wirtschaftsordnung ist der Bereich des institutionellen Rahmens, welcher die Entscheidungskompetenzen, die Verteilung von Informationen und die Richtung von Informationsflüssen sowie Anreizstrukturen für die Wirtschaftssubjekte regelt. 4 4 6 Der institutionelle Rahmen seinerseits besteht nach North aus formlosen Beschränkungen und formgebundenen Regeln. Versteht man unter der Rechtsordnung nun die niedergeschriebenen formgebundenen Regeln (Rechtsordnung im engeren Sinne) oder den gesamten institutionellen Rahmen (Rechtsordnung im weiteren Sinne), so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Begriffe „Wirtschaftsordnung" und „Rechtsordnung" zu großen Teilen sich decken und prinzipiell jeder Bereich aus der Sicht des anderen Bereiches untersuchbar ist. Solche Untersuchungen gibt es im angelsächsischen Raum seit den 60er Jahren 4 4 7 Vorläufer hätte die moderne ökonomische Analyse des Rechts jedoch in denjenigen ordoliberalen Autoren erkennen können, welche sich mit juristischen Fragestellungen im Kontext der Verwirklichung und AufGWB; Bundeskartellamt (2000), S. 21 f., 26. Zu weiteren Nachweisen vgl. Grossekettler (1998), S. 19 ff. 446 Grossekettler (1997), S. 39. 447 Vgl. Cooter, Ulen (2000), S. 2; Grossekettler (2000), S. 1; Schäfer, Ott (2000), S. 5 f.

172

C. Ausgewählte Problembereiche

rechterhaltung einer Wettbewerbsordnung beschäftigten. 448 Die von Eucken betonte Interdependenz der Ordnungen verlangt geradezu nach einer Analyse gegenseitiger Wirkungen von Änderungen in den Sphären der Wirtschaftsordnung und der Rechtsordnung. Der Jurist Franz Böhm „übersetzte" dabei zeitgenössische wirtschaftspolitische Ansichten und Fragestellungen in die Sprache seiner Profession, der Jurisprudenz und machte diese wiederum für ökonomische Analysen zugänglich. 449 Es ist Ziel dieses Abschnitts, Parallelen und Unterschiede zwischen der modernen ökonomischen Analyse des Rechts und den entsprechenden Ideen der Ordoliberalen herauszuarbeiten. Schwerpunkt wird dabei die ökonomische Analyse des Zivilrechts sein. Eine ökonomische Analyse des öffentlichen Rechts ist in ähnlich ausgeprägter Form weder bei den Ordoliberalen, noch bei den modernen Vertretern zu erkennen. 450 Eine Ausnahme bildet hier die Verfassungsökonomik, 451 sie ist Gegenstand des Abschnitts C.V. dieser Arbeit. Auch geht es in diesem Abschnitt eher um ökonomische Fragestellungen als um detaillierte Analysen bestehender Rechtsnormen. In Abschnitt C.III. 1. werden zunächst Grundzüge und themenrelevante Anwendungen der modernen ökonomischen Analyse des Rechts herausgearbeitet, Abschnitt C.III.2. stellt die wichtigsten ordoliberalen Aussagen zur Interdependenz der Ordnungen der Wirtschaft und des Rechts dar, die vergleichende Stellungnahme des Abschnitts C.III.3. beschließt diesen Abschnitt.

1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik a) Ursachen und Funktionen einer Rechtsordnung Fragt man nach den Ursachen und Funktionen einer Rechtsordnung, so kann man an Erkenntnisse des Abschnitts C.I. über den institutionellen Wandel anknüpfen: Institutionen begrenzen soziale Interaktionen und machen menschliches Verhalten in einer Welt positiver Informations- und 448

Cooter, Ulen (2000) sind der Auffassung, daß die begrenzte Interaktion zwischen den Richtungen der Jurisprudenz und der Wirtschaftswissenschaft erst seit den frühen 60er Jahren im Gefolge des Coase-Artikels „The Problem of Social Cost (1960) sich erweiterte. M i t Blick auf die interdisziplinäre Forschungsgemeinschaft der Ordoliberalen muß diese Aussage klar verneint werden, eine solche Zusammenarbeit war in Freiburg in den 30er Jahren gängige Praxis. Vgl. Grossekettler (1997), S. 92; Möschel (1985), S. 45. 449 Vgl. dazu die Nachweise bei Grossekettler (1996). 450 Die Ansätze von Rose-Ackermann (1994) und Grossekettler (2000c) können als Ausnahmen angesehen werden. 451 Grossekettler (1997), S. 94.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

173

Transaktionskosten vorhersehbarer und berechenbarer, vorausgesetzt, es existieren wirksame Sanktionsmechanismen für den Fall des Regelbruchs. 452 In einer Welt ohne Institutionen existieren keine gesicherten Propertyrights. Solch eine Welt wäre gekennzeichnet durch den exzessiven Einsatz von Ressourcen für ständige Kämpfe um knappe Güter. Gütertausch und Arbeitsteilung wären mit prohibitiv hohen Transaktionskosten belastet und würden unterbleiben. Daraus folgt unmittelbar, daß ohne gesicherte Property-rights die Gesellschaft sich in einem Kampf aller gegen aller befände, im Hobbesschen Urzustand, in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Hier herrschen im allokativen Bereich extreme Ressourcenverschwendung, im distributiven Bereich das Gesetz der Stärke sowie ständige Unsicherheit des Einzelnen über sein zukünftiges Schicksal 4 5 3 Es liegt auf der Hand, daß schon mit dem Übergang dieses regellosen Gebildes in eine Rechtsgesellschaft an sich erhebliche Transaktionskostenersparnisse und Möglichkeiten zur Wohlstandssteigerung verbunden sind, die man zusammenfassend als Friedensdividende bezeichnen kann 4 5 4 Eingesparte Kampfund Verteidigungsausgaben können jetzt produktiv verwendet werden, es werden langfristige Investitionen möglich. 4 5 5 Eine Rechtsordnung ist jedoch ein Kollektivgut, dessen Bereitstellung mit erheblichen Schwarzfahrerproblemen verbunden ist. Erlei, Leschke, Sauerland (1999) haben anhand eines spieltheoretischen Beispiels gezeigt, daß ohne wirksame Sanktionierung es sich für niemanden lohnt, eine Regel einzuhalten, da der individuelle Nutzen der Regellbrechung höher ist als der Nutzen der Regeleinhaltung, vorausgesetzt, der Regelbrecher erwartet, daß alle anderen die Regel befolgen: Betrachtet seien die Pay Offs zweier Akteure (A und B) bei Regelbruch und bei Regelbefolgung:

452

North (1992), S. 1. Vgl. Hobbes (1990 (1651)); Kirsch (1997), S. 20 f.; 46 f. Dieser von vielen Ökonomen betrachtete Anti-Referenzpunkt ist ein gedankliches Konstrukt. Realiter hat es wohl schon zu Beginn der Menschheitsgeschichte gewisse gewohnheitsrechtliche Regeln primitiven Tauschhandels gegeben. Vgl. Eibl-Eibesfeldt (1997), S. 483 ff., 821 ff.; Grossekettler (1999), S. 526 f. 454 Schäfer, Ott (2000), S. 525 f. 455 Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 273 f. 453

174

C. Ausgewählte Problembereiche

A folgen I

brechen 5

11

7

folgen 0

5 Β in

0

IV

1

brechen 7

1

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 274.

Abbildung 20: Zwei-Personen-Gefangenendilemma

Der sozial optimale Zustand ist Zustand I, beide befolgen die Regel. Individuell optimal sind jedoch die Zustände I I und III. Sie sind jedoch nicht stabil, da der leer ausgehende Akteur einseitig die Regelbruch-Strategie wählen kann und dadurch seine Situation verbessert. Daher ist Zustand IV, der kollektive Regelbruch ein stabiles Nash-Gleichgewicht. Ohne Sanktionierung herrscht Anarchie. Eine Rechtsregel muß somit den Zweck erfüllen, daß ihre Befolgung für alle von höherem Nutzen ist als ihr Bruch. Sie muß zum einen zur Stabilisierung von Erwartungen beitragen und somit Eigenschaften eines Kapitalgutes besitzen. 456 Dieses ist nur möglich, wenn ein Individuum erkennt, ob ein Tatbestand durch eine Regel erfaßt wird, wenn es auf den Fortbestand der Regel vertrauen kann und wenn die Regel wirksam durchgesetzt werden kann. Zum anderen muß eine Rechtsregel jedoch auch flexibel auf Änderungen von Randbedingungen reagieren können, ohne allerdings in einen Konflikt mit dem Ziel der Erwartungsstabilisierung zu geraten. 457 Hier sind die in Abschnitt C.I. herausgearbeiteten notwendigen und hinreichenden Bedingungen konsistenten und effizienten institutionellen Wandels zu nen-

456 457 458

Erlei, Leschke, Sauerland ( 1999), S. 279. Kiwit, Voigt (1995), S. 120; Streit, Mangels (1996), S. 76. Vgl. Abschnitt C.I.l.b).

. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

175

Legende: TK: Transaktionskosten T K min: minimale Transaktionskosten T K max: maximale Transaktionskosten Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 21: Bedeutung einer Rechtsordnung für die allokative Effizienz Coase-Theorem und Hobbesscher Urzustand

b) Folgen für die ökonomische Analyse des Rechts Eine Rechtsordnung erfüllt ökonomische Zwecke, weil die Welt nicht transaktionskostenfrei ist. Dieses ist die Aussage des Coase-Theorems. Eine Verknüpfung des Coase-Theorems und der Erkenntnisse über die Ursachen einer Rechtsordnung soll Abbildung 21 verdeutlichen. Ohne Transaktionskosten, so Coase, spielt die Erstausstattung mit Rechten für das Allokationsergebnis keine Rolle. Bei positiven Transaktionskosten befindet man sich bei Verzicht auf eine irgendwie geartete Rechtsordnung im Hobbesschen Urzustand, in dem es wegen prohibitiv hoher Transaktionskosten keine Wohlfahrtssteigerung durch Tausch gibt. Eine Rechtsordnung ist also schon an sich wohlfahrtsfördernd. Zur Gestaltung einer Rechtsordnung gibt das Coase-Theorem in komplementärer Form einen Hinweis: „In einer Welt mit Transaktionskosten spielt die Erstausstattung der Akteure mit Handlungsrechten für das allokative Ergebnis eine entscheidende Rolle. Daher ist schon bei der Zuteilung dieser Rechte das voraussichtliche allokative Ergebnis zu berücksichtigen". 459 Cooter, Ulen

176

C. Ausgewählte Problembereiche

(2000) interpretieren das Coase-Theorem in normativer Hinsicht: „Structure the law as to minimize the harm caused by failures in private agreements!"460 Diese Aussage kann als Leitsatz der modernen ökonomischen Analyse des Zivilrechts angesehen werden. Nach Schäfer, Ott (2000) hat die ökonomische Analyse des Rechts folgende Aufgaben: (1) Sie fragt danach, wie eine bestehende Struktur und Verteilung von Property-rights zustande kam. (2) Sie untersucht die Auswirkungen einer Struktur von Property-rights auf das Ziel der Allokationseffizienz. (3) Sie forscht nach den Voraussetzungen für die Herausbildung einer effizienten Property-rights-Struktur. (4) Sie fragt danach, wie eine allokationseffiziente Property-rights-Struktur beschaffen sein sollte. 4 6 1 Im Hinblick auf diese Ziele müssen im Zuge der Rechtsanwendung Richter einige Punkte beachten, die dem traditionellen juristischen Denken vielleicht fremd sind: 4 6 2 (1) Die Gesellschaft ist Drittpartei. Scheinbar private Dispute müssen so gelöst werden, daß sie der Gemeinschaft als Ganzes nützen. (2) Der Richter muß die Folgen alternativer Entscheidungen mit Hilfe der ökonomischen Analyse des Rechts bewerten. (3) Er muß wissen, welche Folgen am ehesten mit Gemeinwohlzielen vereinbar sind 4 6 3 c) Anwendungsbereiche Auf Grundlage der oben herausgearbeiteten Erkenntnisziele sind zahlreiche Ansätze zur ökonomischen Analyse verschiedener Rechtsgebiete entstanden. In dieser Arbeit werden Grundzüge folgender Gebiete behandelt: • Ökonomische Analyse von Property-rights, • Ökonomische Analyse des Schadensrechts, 459

Das Grase-Theorem wurde zuvor in Abschnitt B.II.3.a) erläutert. Cooter, Ulen (2000), S. 93. 461 Schäfer, Ott (2000), S. 10. 462 Zu Vermutungen über die spezifischen Eigenarten der juristischen Profession und des juristischen Denkens vgl. Grossekettler (1996), S. 309 ff.; ders. (1997), S. 80 ff.; ders. (1998). 463 Schäfer, Ott (2000), S. 16. 460

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

177

• Ökonomische Analyse des Vertragsrechts, • Ökonomische Analyse des Patentrechts, • Neuere Entwicklungen. 464

aa) Ökonomische Analyse von Property-rights Die Theorie der Property-rights analysiert die Zuteilung von Handlungsrechten bei der Nutzung knapper Ressourcen. 465 Sie geht nach Coase davon aus, das der Umgang mit knappen Gütern in einer Welt mit positiven Transaktionskosten von den Verfügbarkeits- und Handlungsrechten an diesen Gütern abhängt. Coase' grundlegende Arbeit „The Problem of Social Cost" kann als Fundament der modernen Analyse von Eigentumsrechten angesehen werden. Diese Rechte umfassen den Gebrauch eines Gutes (usus), die Einbehaltung der Erträge des Gutes (usus fructus), die Veränderung des Gutes (abusus) und das Recht auf entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung dieser Rechte. 466 Sie können einer Person (Privateigentum, exklusive Property-rights) oder mehreren Personen (Kollektiveigentum, verdünnte Property-rights) zugeordnet sein. In welcher Form Property-rights nun wahrgenommen werden, beruht auf handlungsrechtlichen Sozialbeziehungen. Als Extremfälle werden marktliche und hierarchische Transaktionen genannt. Zunächst seien marktliche Transaktionen betrachtet. Bei geänderten Knappheitsverhältnissen bestehen Anreize zur Veränderung von Property-rights. Angenommen, die Ressource sei im Anfangszustand ein freies Gut (z.B. Wildbestände). Es wäre Verschwendung, den Marktakteuren für diese freie Ressource exklusive Property-rights zuzuordnen, da deren Nutzung keine Grenzkosten verursacht. Durch Änderungen in den Randbedingungen können ehemals freie Ressourcen jedoch knapp werden. Es werden Nutzungskonflikte bei weiterhin freiem Zugang induziert. Diese können nun in einer ersten Klasse von Fällen durch die Vergabe exklusiver Eigentumsrechte gelöst werden. Coase zeichnet in seinem Aufsatz von 1960 zunächst eine Welt ohne Transaktionskosten und ohne Marktversagen, in der den Akteuren im Ausgangszustand exklusive Property-rights zugeordnet sind, in der jedoch ein Knappheitsproblem auftritt. Er zeigt jedoch weiter, daß in dieser Welt sich unabhängig von der Anfangsausstat464 Hier nicht betrachtete zentrale Bereiche sind die ökonomische Analyse des Vertragsbruchs (Kerber, 2000, S. 157 ff.; Schäfer, Ott, 2000, S. 421 ff.) sowie die Analyse der optimalen Kriminalitätsbekämpfung {Becker, 1968, S. 169 ff.; Erlei, Leschke, Sauerland, 1999, S. 275 ff.). 465 Zur Theorie der Property-rights vgl. etwa Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 571 ff.; Pejovich (1998), S. 5; Richter, Furubotn (1999). 466 Richter (1990), S. 575.

12 Evers

178

C. Ausgewählte Problembereiche

tung mit Property-rights aufgrund kostenloser Verhandlungen immer das allokative soziale Optimum einspielen würde. Harold Demsetz untersucht die Auswirkungen der Verknappung einer ehemals knappen Ressource anhand der Entstehung exklusiver Eigentumsrechte bei den Labrador-Indianern: Als die zunächst frei jagdbaren Wildbestände infolge der zusätzlichen Anreize durch den Pelzhandel immer knapper wurden und die Übernutzung dieser lebensnotwendigen „Ressource" mit immer höheren Kosten auf Seiten der Ureinwohner verbunden war, wurden exklusive Eigentumsrechte vereinbart, um die sich in „CommonPool-Verluste" negativen externen Effekte zu dämpfen: Die Kosten der Internalisierung waren geringer als die Kosten der negativen externen Effekte 467 Es gibt jedoch eine weitere weitaus größere Klasse von Fällen, bei denen Nutzungskonflikten im Zusammenhang mit verschiedenen Arten des Marktversagens eine Rolle spielen und die Zuordnung exklusiver Property-rights die Knappheitsprobleme nicht löst. Folgende Arten des Marktversagens werden betrachtet: • Marktmacht, • Kollektivgüterprobleme, • Externe Effekte, • Opportunistisches Verhalten, • Instabilitäten. 468 Die Durchsetzung exklusiver Property-rights wird in diesen Fällen zu teuer. In einer Welt positiver Transaktionskosten können die Bedingungen, die ein „spontanes" Entstehen effizienter Verfügungsrechte ermöglichen, nicht mehr oder in nur abgeschwächter Form vorzufinden sein. Bei einer Vielzahl von Verhandlungspartnern, die wenig übereinander wissen und die nur selten wiederholt mit demselben Partner interagieren, steigen die Durchsetzungskosten exklusiver Property-rights so stark an, daß eine dritte Partei auf welche Art auch immer „Durchsetzungshilfe" leisten muß, wie North (1992) mit Bezug auf Erkenntnisse aus der Spieltheorie gezeigt hat. 4 6 9 Politische Märkte, die letztendlich Art und Erscheinung des „Durchsetzers" determinieren, werden aber meist nicht effizient sein, da

467

Demsetz (1967), S. 347 ff. Schäfer, Ott (2000), S. 95 ff. Eine andere Kategorisierung von Marktversagenstatbeständen schlagen Fritsch, Wein, Ewers (1996) vor. Ihrer Meinung nach wird das Problem der „Öffentlichen Güter" bereits abgedeckt, wenn man die Phänomene „Unteilbarkeiten" und „Externe Effekte" untersucht (S. 281 ff.). 469 North (1992), S. 13 ff. 468

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

179

diejenigen, die den Staat lenken, ihre Zwangsgewalt in eigenem Interesse und oft auf Kosten der Gesellschaft ausüben und sich so das Trittbrettfahrerproblem zunutze machen. 470 Auch Verteilungsinteressen stehen der Entwicklung effizienter Property-rights oft entgegen. Je stärker nämlich die einflußnehmenden Interessensgruppen während einer Neuverhandlung über Property-rights sind und je schiefer die Ausgangsverteilung des Gesamtnutzens ist, desto stärker werden Verteilungsinteressen Effizienzüberlegungen überlagern und im Vordergrund vor allem politischer Verhandlungen stehen. 4 7 1 Genau an diesem Punkt aber wird die ganze Tragweite des CoaseTheorems spürbar, die Erstaustattung der Akteure mit Handlungsrechten spielt die entscheidende Rolle. Daher sollte schon bei der Erstaustattung das voraussichtliche allokative Ergebnis ins Kalkül gezogen werden. 4 7 2 Am anderen Ende des Kontinuums handlungsrechtlicher Sozialbeziehungen stehen hierarchische Beziehungen. Nach neoinstitutionalistischer Auffassung werden Subordinationsmechanismen der marktlichen Koordination dann vorgezogen, wenn so die Summe aus Transaktions- und Produktionskosten minimiert wird. Diese Überlegungen waren Bestandteil des Abschnitt C.II. 1. bb) Ökonomische Analyse des Schadensrechts Im weitesten Sinne beschreibt das Schadensrecht die Summe aller Normen, welche die Verlagerung von Schäden vom Geschädigten zum Schädiger zum Gegenstand haben. 473 In ökonomischer Hinsicht lassen sich Schäden als nicht-pekuniäre negative externe Effekte modellieren. 474 Aktivitäten einer oder mehrerer Verursacher führen zu Beeinträchtigungen des Nutzens einer oder mehrerer anderer Akteure, ohne daß die Verursacher diese Beeinträchtigungen ökonomisch spüren. Nach Calabresi* 15 sind mit einer Schädigung drei Arten von Kosten verbunden: Primäre Kosten messen den Wert des Nutzverzichts aller Schäden beim Opfer und umfassen sowohl dessen materielle als auch dessen immaterielle Schäden und alle Drittschäden. Unter sekundären Kosten versteht man alle Nutzenentgänge, die risikoaversen Akteuren dann entstehen, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, Schadens470 North, S. 71 f. Diese pathologische Tendenz kann jedoch durch Verfassungsgerichte gedämpft werden, soweit die Richter bei der Urteilsfindung auch auf ökonomischen Sachverstand zurückgreifen, wie Grossekettler (2000a) am Beispiel der Verabschiedung des Maßstäbegesetzes zum Bund-Länder-Finanzausgleich in der Bundesrepublik Deutschland gezeigt hat. 471 Libecap (1989), S. 6 ff. 472 Vgl. Fritsch, Wein, Ewers (1996), S. 104 ff.; Schäfer, Ott (2000), S. 89 ff. 473 Schäfer, Ott (2000), S. 112. 474 Fritsch, Wein, Ewers (1996), S. 74 ff. 475 Vgl. Calabresi (1972), S. 26 ff. 12*

180

C. Ausgewählte Problembereiche

Streuungen durch das Poolen von Risiken z.B. durch Versicherungen vorzunehmen. Der Wert der sekundären Kosten bemißt sich dann aus der Differenz zwischen dem Nutzen bei versichertem Einkommen und dem erwarteten Nutzen bei unversichertem Einkommen. Bei tertiären Kosten handelt es sich um Nutzenentgänge, die durch die Nachbereitung des Schadensfalls verstehen, wie z.B. die Kosten von Rechtsstreitigkeiten, der gutachterlichen Aufnahme von Schäden oder Kosten des Starfvollzuges. 476 Ziel der Rechtsprechung ist es, die sozialen Kosten zu minimieren. Diese bestehen aus den Schadensvermeidungskosten des Schädigers sowie aus den Kosten der Schädigung, verstanden als primäre, sekundäre und tertiäre Schadenskosten.477 Prinzipiell lassen sich hinsichtlich der Beeinflußbarkeit der Schadenshöhe zwei Konstellationen unterscheiden. • Die Geschädigten haben keine Einflußmöglichkeiten auf die Schadenshöhe478 • Die Geschädigten können die Schadenshöhe beeinflussen Schäden) 4 7 9

(reziproke

Im Falle reziproker Schäden ist diejenige Zuordnung von Schadenskosten durch die Rechtsordnung vorzunehmen, welche unter Beachtung der reziproken Abhängigkeit sozial optimal wäre. Hierbei kann durchaus vom Verursacherprinzip abgewichen werden: Hätte ein Geschädigter ceteris paribus mit geringeren Kosten als der Verursacher den Schaden abwenden können (der Geschädigte ist der „cheapest cost avoider") und übersteigt der zusätzliche Vermeidungsaufwand des Geschädigten nicht den erwarteten zusätzlichen Schaden (Erfüllung der „Learned- Hand-Bedingung"), so ist die Klage des Geschädigten abzuweisen. 480 Im weiteren Verlauf wird nur die erste Konstellation betrachtet. Auch wird unterstellt, daß es lediglich einen Schädiger gibt (Monokausalität). Gefährdungshaftung und Verschuldungshaftung: 481 Die institutionelle Ausgestaltung von Haftungsregeln als Gefährdungshaftung oder Verschuldenshaftung sind die grundlegenden Regime des Haftungsrechts. Im Regime der Gefährdungshaftung werden dem Schädiger sämtliche Schäden zugeordnet, die er verursacht hat und die ihm nachgewiesen werden. Die Konsequenzen werden anhand der folgenden Abbildung verdeutlicht. 482 476

Schäfer, Ott (2000), S. 116 ff. Schäfer, Ott (2000), S. 128 ff.; Fritsch, Wein, Ewers (1996), S. 76. 478 Vgl. z.B. Schäfer, Ott (2000), S. 145 ff. 479 Vgl. z.B. Schäfer, Ott (2000), S. 207 ff. 480 Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 280 ff.; Schäfer, Ott (2000), S. 211 ff. 481 Die folgenden Ausführungen lehnen sich eng an Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 28 ff. an. 477

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

Legende: KV: Kosten der Schadensvermeidung ISK: Individuelle Schadenskosten V: Sorgfaltsniveau Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schäfer,

181

KS: Kosten der Schädigung SK: Soziale Kosten Ott (2000), S. 161.

Abbildung 22: Regime der Gefährdungshaftung

Mit steigendem Sorgfaltsniveau V steigen beim Verursacher die Kosten der Schadensvermeidung KV. Gleichzeitig sinken die Kosten der Schädigung KS, die ja im Regime der Gefährdungshaftung dem Verursacher vollständig zugerechnet werden. Somit weist die Kurve der Summe dieser Kosten, die Kurve der sozialen Kosten SK, ein Minimum bei V * auf. Durch die Zurechnung sämtlicher Kosten zum Verursacher ist sichergestellt, daß der Verursacher dasjenige Sorgfaltsniveau wählt, welches auch sozial optimal ist. Der individuelle Schadenskurve entspricht der sozialen Schadenskurve. Einem Regime der Gefährdungshaftung sind bspw. Betreiber von Kernkraftanlagen unterworfen. Wird hingegen eine Haftungsregel im Sinne der Verschuldungshaftung konstruiert, so haftet ein Verursacher erst dann, wenn er ein ex ante festgelegtes Sorgfaltsniveau unterschreitet (siehe Abbildung 23). Wählt der Verursacher ein geringeres Niveau (z.B. durch fahrlässiges Verhalten), so muß er wie im Regime der Gefährdungshaftung für alle Schäden aufkommen, so daß bis zum festgelegten Sorgfaltsniveau V * seine 482

S. 161.

Vgl. zu den folgenden beiden Darstellungen Darstellung Schäfer,

Ott (2000),

182

C. Ausgewählte Problembereiche

Legende: KV:

Kosten der Schadensvermeidung

ISK: Individuelle Schadenskosten Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schäfer,

V:

Sorgfaltsniveau

KS: Kosten der Schädigung Ott (2000), S. 161.

Abbildung 23: Regime der Verschuldungshaftung

individuelle Schadenskurve der sozialen Schadenskurve entspricht. Darüber hinaus hat er jedoch nicht mehr für die Schäden, sondern lediglich für die eigenen Schadensvermeidungskosten aufzukommen. Daher entspricht ab V * die individuelle Schadenskurve der Kosten der Schadensvermeidung. Angenommen, die Rechtsprechung sei in der Lage und Willens, das sozial optimale Sorgfaltsniveau zu erkennen und festzulegen. Dieses sei in der obigen Abbildung V*. In diesem Fall ist es auch für den Verursacher optimal, das sozial optimale Sorgfaltsniveau einzuhalten. Überspannt die Rechtsprechung die Sorgfaltsanforderungen erheblich, nämlich über V * * hinaus, so wird bei den unterstellten Kostenverläufen der Verursacher ebenfalls das sozial optimale Sorgfaltsniveau einhalten. Sind die gesetzten Anforderungen dagegen geringer als V * oder liegen sie zwischen V * und V * * , so weicht das individuelle Optimum vom sozialen Optimum ab. Ein erster Vergleich der beiden Regime zeigt eine prinzipielle Überlegenheit der Gefährdungshaftung. Der Verursacher wird gezwungen, den gesamten sozialen Nutzenverzicht ins Kalkül zu ziehen. Gilt dieses Regime für alle Akteure, so nähert man sich der Coase-Welt, in der es keine Transaktionskosten gibt. Hier wird jedoch gleichzeitig die Bedingung impliziert, unter der die Gefährdungshaftung überlegen ist: Die Transaktionskosten müssen sich in den Bereichen, in denen die Gefährdungshaftung zur Anwendung kommt, auf einem geringen Niveau bewegen. Außerdem müssen

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

183

die dem Verursacher zugerechneten Kosten ein gutes Schadensäquivalent darstellen. Andernfalls kann ein Regime der Verschuldungshaftung vorteilhaft sein. Ist das Auffinden des optimalen Sorgfaltsniveaus zu teuer, so kann ein Verursacher auch durch überspannte Sorgfaltsanforderungen der Gerichte angereizt werden, das sozial optimale Sorgfaltsniveau einzuhalten.

cc) Ökonomische Analyse des Vertragsrechts Vertragsfreiheit und Vertragsrecht: Property-rights werden in der Regel durch Verträge übertragen. Im Sinne der Allokationseffizienz ist es notwendig, daß Property-rights an den Ort ihrer produktivsten Verwendung gelangen. Unter der Annahme eigennützigen Verhaltens aller Akteure und der Randbedingung prohibitiv hoher Informationskosten einer generellen effizienten Zuordnung durch Subordination soll jeder Akteur die Freiheit haben, zwischen den Alternativen der Selbstnutzung einer Ressource oder dem Verkauf der Ressource zu wählen. 4 8 3 Durch ein derart ausgestaltetes dezentrales Entscheidungssystem wird gewährleistet, daß Preise entstehen, welche ihre Informationsfunktion in dem Sinne erfüllen, daß sie die Knappheiten von Ressourcen adäquat wiedergeben. Es wird weiterhin ein Anreizsystem induziert, welches auch im dynamischen Sinne für Innovationsan484

reize sorgt. In einer Welt ohne Transaktionskosten und völliger Zukunftssicherheit würden unabhängig von der rechtlichen Ausstattung der Akteure zu jeder Zeit vollständige Verträge abgeschlossen, welche den Nutzen der beteiligten Akteure erhöhen. Realiter gibt es jedoch Transaktionskosten und eine unsichere Zukunft. Außerdem treten die in Abschnitt C.II, dargelegten Probleme des Opportunismus auf. Das Vertragsrecht hat nun, spieltheoretisch ausgedrückt die Aufgabe, Spiele mit ineffizienten Lösungen in Spiele mit effizienten Lösungen zu verwandeln. 485 Ihm kommen zwei wesentliche Funktionen zu: (1) Die Reduktion von Transaktionskosten, (2) Die Reduktion von Unsicherheit aufgrund von Marktmacht. 4 8 6

483 Subordination ist mit Blick auf Abschnitt C.II, nicht völlig ausgeschlossen. Es wird den Akteuren jedoch anheim gestellt, Koordinationsverträge oder Subordinationsverträge abzuschließen. Sie haben das Recht, bei jeder Verhandlung diejenige Vertragsform zu wählen, welche ihren Präferenzen am ehesten entspricht. 484 Cooter, Ulen (2000), S. 262; Schäfer, Ott (2000), S. 365. 485 Cooter, Ulen (2000), S. 187; Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 274 ff. 486 Ähnlich Schäfer, Ott (2000), S. 369 ff.

184

C. Ausgewählte Problembereiche

Beide Punkte haben eine Schnittmenge: Niedrige Transaktionskosten machen opportunistisches Verhalten unwahrscheinlicher et vice versa. Der besseren Lesbarkeit halber werden sie trotzdem getrennt behandelt. Ad (1) Die Reduktion von Transaktionskosten: In dieser Arbeit werden folgende in der modernen ökonomischen Analyse des Rechts diskutierte Möglichkeiten zur Senkung von Transaktionskosten durch das Vertragsrecht dargestellt: • Rekonstruktion des vollständigen Vertrages, • Allgemeine Geschäfsbedingungen und private Schiedsgerichtsbarkeit, • Reputation und Berufsethik, • Vertrauensschutz, • Gewährleistungsrecht, • Gläubigerschutz. • Rekonstruktion

des vollständigen

Vertrages

Ein vollständiger Vertrag ist unangreifbar. Die beteiligten Parteien haben ihn in rationalem Selbstinteresse in einem Zustand der Allwissenheit und unendlich weiser Voraussicht geschlossen. Die Vertragspartner haben sich ex ante über alle Risiken geeinigt. Somit befinden sich die verhandelten Ressourcen nach Vertragserfüllung am Orte ihrer produktivsten Verwendung487 In einer Welt mit Transaktionskosten können niemals sämtliche Risiken vor Vertragsschluß zugeordnet werden. Bei Rechtsstreitigkeiten wird von der Rechtsprechung gefordert, die Situation anhand einer Rekonstruktion des Referenzmodells „vollständiger Vertrag" auszulegen. In einer Welt ohne Transaktionskosten hätten die Parteien das Risiko demjenigen zugeordnet, der es mit dem geringsten Aufwand beherrschen kann (cheapest cost avoider), vorausgesetzt, der Risikovermeidungsaufwand ist geringer als der Erwartungswert des Risikos (Learned Hand-Formel). Ist Schadensvermeidung unmöglich, so hat derjenige zu haften, der sich mit dem geringsten Aufwand gegen das Risiko versichern kann (cheapest insurer). Ist eine Versicherung gegen ein Risiko wegen der Probleme des moral hazard oder adverser Selektion nicht vorhanden, so hat derjenige zu haften, dem es am ehesten möglich ist, aufgrund geringerer Informationskosten oder der Wirksamkeit des Gesetzes der großen Zahl das Risiko selbst zu tragen (superior risk bearer) 4 8 8

487 488

Cooter, Ulen (2000), S. 206; Schäfer, Schäfer Ott (2000), S. 376 ff.

Ott (2000), S. 373.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

185

• Allgemeine Geschäfsbedingungen und private Schiedsgerichtsbarkeit In Abschnitt C.I. wurde dargelegt, daß formgebundene Regeln für eine Vielzahl von Menschen gelten und daher nicht jede Einzelheit menschlichen Zusammenlebens regeln können. Es ist daher die Aufgabe formloser Beschränkungen, die formgebundenen Regeln zu ergänzen. Ähnlich werden in der modernen ökonomischen Analyse des Rechts allgemeine Geschäftsbedingungen beurteilt. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBs) sind Institutionen, die formell durch andere Akteure sanktioniert werden (Institutionen vom Typ 3 ) . 4 8 9 Sie sollen eine Senkung der Transaktionskosten dadurch bewirken, daß sie Verträge von individuellem Regelungsbedarf befreien. Mit ihnen wird oft auch eine Zuordnung von Risiken im oben beschriebenen Sinne angestrebt. 490 Oft mißlingen diese Absichten jedoch. Als Grund wird in der modernen ökonomischen Analyse des Rechts der Akerlofschen destruktiven Marktdynamik ein besonderes Gewicht beigemessen 4 9 1 Kennen Käufer nicht die individuelle Qualität eines Gutes, sondern nur dessen Durchschnittsqualität auf dem gesamten Markt, so werden Anbieter hoher Qualität nicht belohnt, wenn höhere Qualität auch mit höheren Produktionskosten verbunden ist. Erhöhen die Anbieter nämlich nach einer Innovation den Güterpreis, so stellen die Käufer eine Preiserhöhung fest, nicht aber eine Qualitätsverbesserung. Sie wandern ab, die Durchschnittsqualität verschlechtert sich. In der nächsten Runde werden nun die nach der „ersten Ausscheidungsrunde" neuen besten Anbieter nicht belohnt und verlassen den Markt. Das Anreizsystem „Markt" versagt und kann ein Stadium erreichen, an dem die Qualität derart miserabel ist, daß die Nachfrage vollends ausbleibt und der Markt zusammenbricht. Auch AGBs tragen Eigenschaften solcher Güter. Nur mit erheblichem Informationsaufwand können viele AGB-Klauseln von den Nachfragern bewertet oder überhaupt in Erfahrung gebracht werden. Daher besteht die Gefahr, daß sich diejenigen komplizierten AGB-Klauseln durchsetzen, die letztendlich die schlechteste Qualität in dem Sinne besitzen, daß sie eine nicht leistungs-adäquate Renten-Umverteilung von den Konsumenten zu den Produzenten bewirken. Es wird vorgeschlagen, einen AGB-Wettbewerb auf solche Klauseln zu beschränken, welche mit vertretbarem Aufwand von den Nachfragern in Erfahrung gebracht und bewertet werden können 4 9 2 489

Kiwit, Voigt (1995), S. 123 f. Schäfer Ott (2000), S. 394. 491 Zur Akerlofachen Marktdynamik vgl. Akerlof (\910). 492 Schäfer Ott (2000), S. 478 ff. Schon an dieser Stelle sei auf Parallelen zu den Ausführungen des Ordoliberalen Großmann- Doerth zu diesem Thema hingewiesen. Vgl. Großmann-Doerth (1933) und Abschnitt C.III.2.c)aa). 490

186

C. Ausgewählte Problembereiche

Im gleichen Zusammenhang sind die Überlegungen Williamsons zur privaten Schiedsgerichtsbarkeit zu sehen. Eine Streitbeilegung im Kontext relationaler Verträge durch öffentliche Gerichte (Court Ordering) ist teurer als die Streitbeilegung durch private Schiedsgerichte (Private Ordering), da Richter für eine Vielzahl von Fällen entscheiden müssen und daher den spezifischen Kontext eines relationalen Vertrages nicht so genau kennen wie branchen- oder unternehmensinterne Beteiligte an einem zivilrechtlichen Schiedsgerichtsverfahren. In Kenntnis der hohen Kosten der Anfechtung eines Schiedsgerichtsurteils und in der Erwartung, daß der private Schiedsspruch durch öffentliche Gerichts in den meisten Fällen nicht verworfen wird, werden die Beteiligten den Schiedsspruch auch akzeptieren. 493 Diese optimistische Sichtweise ist jedoch umstritten. 494 • Reputation und Berufsethik Die Funktion der Reputation eines Anbieters wurde bereits in Abschnitt C.II.l. erläutert: Ein Anbieter wird sich umso eher um eine gute Reputation bemühen, je größer die Unsicherheiten über Produktpreise und -qualitäten bei den Nachfragern sind und je langfristiger die Vertragsbeziehung aufgrund hoher Abwanderungskosten oder spezifischer Investitionen angelegt ist. Auf diese Weise werden Transaktionskosten eingespart. Diese Überlegungen gelten für einen einzelnen Anbieter, können aber mit Hilfe der Akerlof-Argumentation auf Gruppen von Anbietern gleichartiger Produkte ausgeweitet werden. Herrschen auf Nachfragerseite erhebliche Informationsdefizite bezüglich der Leistungen und Qualitäten der angebotenen Produkte, so kann bei unkoordiniertem Verhalten der Anbieter sehr leicht die oben beschriebene Akerlof-Oymmik initiiert werden. Diese Gefahr besteht besonders bei hoch-professionalisierten und hochspezialisierten Berufsfeldern (z.B. Ärzte, Anlageberater, Anwälte). Erkennen die Beteiligten jedoch diese Gefahr und einigen sich darauf, gemeinsam eine Reputation des gesamten Berufsstandes aufzubauen, eine Berufsethik, so können sie dem „A/:er/ö/-Struder entrinnen. So können sich die Anbieter einer Branche anhand eines Ehrenkodex darauf einigen, daß nur hervorragende Qualitäten angeboten und nur hochqualifizierte Anbieter zugelassen werden. Die Unsicherheiten der Gegenseite könnten auf diese Art stark reduziert werden. 495 In einer solchen Konstellation könnten qualitätsbezogene Marktzutrittsschranken evolutorisch stabil und effizient sein 4 9 6 493

Vgl. Schumann (1992), S. 437 ff.; Streit, Mangels (1996), S. 86 ff. So ist Behrens (1993) der Ansicht, daß private Schiedsgerichtsbarkeit auch zur Benachteiligung schwächerer Marktakteure führen kann. Er beruft sich dabei auf einen ordoliberalen Autor, nämlich Heinrich Kronstein (1963). Zur in der modernen ökonomischen Analyse des Rechts vorherrschenden optimistischen Sichtweise vgl. Dasser (1989). 494

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

• Vertrauensschutz

187

497

Bei der ökonomischen Analyse des Vertrauensschutzes geht es um die Frage, wann und wie materielle Anreize für die kostengünstige Beschaffung gesellschaftlich produktiver Informationen institutionell vermittelt werden sollen. 4 9 8 Dabei werden vier Voraussetzungen herausgestellt: (a) Asymmetrische Verteilung der Informationskosten, (b) Produktivität der Informationen, (c) Möglichkeit opportunistischen Verhaltens, (d) Bildung einer Vertrauensprämie. Nur, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind und zudem Opportunismus wahrscheinlich höher prämiert wird als Vertrauen, ist Vertrauensschutz eines Klägers geboten. Ad (a) Asymmetrische Verteilung der Informationskosten: Nach der modernen ökonomischen Analyse des Rechts ist der Vertrauensschutz eines Klägers nur unter der Voraussetzung geboten, daß der Kläger höhere Informationskosten bezüglich des in Rede stehenden Sachverhaltes zu tragen hatte als der Beklagte. Dieses ist u.a. bei all denjenigen Gütern der Fall, bei denen ein Käufer die Qualität erst nach Kauf des Gutes (Erfahrungsgut) oder überhaupt nicht feststellen kann (Glaubensgut, Expertengut). Ad (b) Produktivität der Informationen: 499 Die ökonomische Analyse des Recht fragt danach, wie eine allokationseffiziente Property-rights-Struktur beschaffen sein sollte. Eine Information wird demzufolge danach beurteilt, ob sie sozial produktiv ist, ob sie also zu einem gesellschaftlichem Nettowohlfahrtsgewinn führt. Führt sie zu einem Wohlfahrtsgewinn nur für den Einzelnen oder ist sie gar kontraproduktiv, so ist die Voraussetzung produktiver Informationen nicht erfüllt. 5 0 0 495

Schäfer, Ott (2000), S. 471 ff. Die Vertreter staatlich gesetzter Marktzutrittsschranken in den Handwerksbranchen (Meisterbrief) konstatieren Qualitätsunsicherheiten auf Seiten der Kunden und evolutorische Instabilität einer „Hand werksethik" ohne staatliche Hilfestellung. Ist man der Auffassung, daß in vielen Bereichen des Handwerks Qualitätsunterschiede mit vertretbarem Aufwand festgestellt werden können, so entfällt die Argumentationsgrundlage für staatliches Eingreifen vollens. 497 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Schäfer, Ott (2000), S. 461 ff. 498 Schäfer, Ott (2000), S. 483. 499 Zum Problem der werterhöhenden und wertsenkenden Informationen vgl. Schäfer, Ott (2000), S. 486 ff. 500 Hierdurch erklärt sich auch die Institution des Datenschutzes: Herrscht ein vollständiger Informationsstand über die Präferenzen aller Individuen, nicht aber über die Auswirkungen strategischen Verhaltens, so werden opportunistische und ausbeuterische Praktiken zunehmen, man nähert sich dem Hobbessohen Urzustand. 496

188

C. Ausgewählte Problembereiche

Ad (c) Möglichkeit opportunistischen Verhaltens: Opportunistische Verhaltensweisen eröffnen einem Vertragspartner dann die Chance auf einen hohen Zusatzgewinn, wenn er Handlungen vornehmen kann oder Informationen hat, über die der Partner keine Kenntnis besitzt. Als weitere Ursache wurde in Abschnitt C.II, eine Konstellation beschrieben, in der ein Vertragspartner über erheblich mehr Ausweichalternativen verfügt als sein Partner. Ad (d) Bildung einer Vertrauensprämie: Eine Vertrauensprämie ist der Ersatz, den ein Anbieter dafür erhält, daß Nachfrager aufgrund vergangener Erfahrungen seinen guten Anbieterleistungen vertrauen können. Sie kann z.B. in der Akzeptanz eines hohen Preises für einen Markenartikel bestehen. Eine Vertrauensprämie kann sich über die Reputation eines einzelnen Anbieters bilden oder über den guten Ruf einer Branche mittels des Wirkens einer Berufs- oder Standesethik. Vertrauensschutz ist also geboten • wenn der Kläger (Käufer) höhere Informationskosten zu tragen hatte als der Beklagte (Verkäufer), • wenn die in Rede stehenden Informationen sozial produktiv sind, • wenn mit einer Opportunismusprämie zu rechnen ist, die eine etwaige sich am Markt bildende Vertrauensprämie übersteigt. • Gewährleistungsrecht

501

Anhand der bis hierhin erarbeiteten Ergebnisse können auch Schlußfolgerungen für eine allokationseffiziente Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts gezogen werden: Geht man von risikoaversen Käufern und risikoneutralen Verkäufern 502 aus, so lassen sich Gewährleistungsrechte als vom Verkäufer angebotene Versicherungen des Käufers gegen Sachmängel interpretieren: Der Verkäufer garantiert einen mangelfreien Zustand und erhält für diese Zusatzaufwendungen vom Käufer einen Aufschlag, der maximal dessen Risikoprämie betragen kann. Kann der Verkäufer dann für Schäden rechtlich haftbar geDaher kann es produktiv sein, Präferenzen zu verheimlichen. In dieser Arbeit wird „vollständige Information" in einem umfassenden Sinne dahingehend definiert, daß vollständige Information auch über die Folgen strategischen Verhaltens besteht. Im ersteren, einschränkenden Sinne verstehen Schäfer, Ott (2000, S. 93 ff.) „vollständige Information". Mit Bezug auf das Coase-Theorem kann die zusätzliche Annahme „Ausklammerung strategischen Verhaltens" dann entfallen, wenn man „vollständige Information" im letzteren, umfassenden Sinne definiert. 501 Vgl. hierzu Schäfer, Ott (2000), S. 440 ff.; Priest (1981), S. 1297 ff. 502 In bezug auf ein verkauftes Produkt wird ein Verkäufer aufgrund der Vielzahl verkaufter Produkte risikoneutral sein.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

189

macht werden, so unterliegt er einem Anreiz für Qualitätsverbesserungen. In einem vollständigen Vertrag würde sich der Verkäufer verpflichten, für sämtliche Mangelschäden zu haften (Gefährdungshaftung). Mangelfolgeschäden könnten jedoch auch durch waghalsiges Verhalten des Käufers entstehen. Daher würde in einem vollständigem Vertrag für Mangelfolgeschäden eine Verschuldungshaftung des Verkäufers festgelegt, so daß der Käufer für Risiken, welche nur er kennt, sich am Markt versichern müßte. •

Gläubigerschutz

Die Art, wie ein Unternehmen von potentiellen Gläubigern für Mißerfolge haftbar gemacht werden kann, wird in der Unternehmensrechtsform geregelt: Ein Gläubiger kann einen Gesellschafter einer OHG persönlich und unbeschränkt haftbar machen, der Gesellschafter einer GmbH dagegen kann nur bis zur Höhe seiner Einlage haftbar gemacht werden. Auch hier besteht also ein Zielkonflikt zwischen erwünschten Anreizwirkungen von Unternehmensneugründungen einerseits und eines möglichst umfassenden Gläubigerschutzes andererseits. Dieser Konflikt wird dann vom Markt zufriedenstellend gelöst, wenn Gläubiger die Rechtsform schon in der Firma des Unternehmens erkennen. Auch der Numerus Clausus der Unternehmensrechtsformen erhöht die Markttransparenz. 503 Spezifische Probleme ergeben sich bei Unternehmen, deren Aktien sich im Streubesitz befinden. Hier besteht auf Kapitalgeberseite rationales Desinteresse an einer Kontrolle des Managements, da die Aufwendungen hierfür den auf den einzelnen Kapitalgeber entfallenen Nutzenanteil übersteigen würden. In Deutschland versucht man dieses Problem zu lösen, indem die Kapitatlgeber ihre Kontrollrechte an Banken mit Depotstimmrechte übertragen. Zwar kann so das Interesse an der Managementkontrolle wieder hergestellt werden. Es ist jedoch keinesfalls sichergestellt, daß die Banken, die eigene Ziele verfolgen, die Manager im Sinne der Eigentümer kontrollie™

504

ren. Ad (2) Die Reduktion von Unsicherheit aufgrund von Marktmacht: Wesentliche Eigenschaft eines vollständigen Vertrages ist, daß er unter fairen Bedingungen zustande gekommen ist. Alle vorstehenden Ausführungen zum Vertragsrecht knüpfen hieran an. Ein Vertrag, der unter Machtausübung einer Vertragsseite zustande kam, ist kein vollständiger Vertrag und somit keine Referenz für die ökonomische Analyse des Rechts. 505 Er behindert die produktivitätsorientierte Zuordnung von Property-rights und mindert Innovationsanreize. In Abschnitt C.II, wurde zudem dargelegt, daß 503 504 505

Schäfer, Schäfer, Schäfer,

Ott (2000), S. 606 f. Ott (2000), S. 602 f. Ott (2000), S. 365.

190

C. Ausgewählte Problembereiche

Marktmacht die Ausweichmöglichkeiten des Partners beschränkt und daher Opportunismus in solchen Beziehungen wahrscheinlicher wird. An diesem Punkt ist ein Unterschied der deutschen und der angelsächsischen modernen ökonomischen Analyse des Rechts festzustellen: Im wichtigsten deutschen Lehrbuch dieses Zweiges, dem von Schäfer und Ott, wird Marktmacht erstaunlicherweise kaum behandelt. Es wird, der Tradition der NIE folgend, vornehmlich nach Effizienzerklärungen für Marktversagenstatbestände geforscht. 506 So wird Marktmachtargumenten in bezug auf die Problematik Allgemeiner Geschäftsbedingungen mit dem Argument widersprochen, daß zur Zeit des Vorherrschens dieser Marktmachtansicht beschränkende AGBs gerade nicht von Großunternehmen, sondern von Unternehmen in eher atomistisch strukturierten Märkten benutzt wurden. 5 0 7 Ferner wird Marktmacht bei geringwertigen homogenen Wirtschaftsgütern dort konstatiert, wo die zusätzlichen Transaktionskosten der Suche nach einem besseren Produkt dessen zusätzlichen Nutzen übersteigen. Hier hat der Anbieter kaum Abwanderung zu befürchten. 508 Schwerpunkt der Untersuchungen ist jedoch der Marktversagenstatbestand der externen Effekte. Das wichtigste angelsächsische Lehrbuch von Cooter und Ulen räumt Machtmachtargumenten dagegen einen etwas breiteren Raum ein. Während Schäfer und Ott eine Gleichverteilung von Macht zwischen den Vertragspartnern fordern und in diesem Kontext potentiell Drittbetroffene ausblenden, nehmen Cooter und Ulen ausdrücklich Bezug auch auf Kartellverträge. Solche Verträge behindern ebenso wie ein Vertrag eines Monopolisten mit der Marktgegenseite die dynamische Effizienz von Märkten und sind daher zu verbieten. Sie nehmen ausdrücklich Bezug auf die Marktform: Standardverträge zwischen Partnern der gleichen Marktseite mindern deren Transaktionskosten. Ist der Markt zudem eher monopolistisch organisiert auf der Seite, auf der die fraglichen Verträge abgeschlossen wurden, so hat man es mit großer Wahrscheinlichkeit mit Kartell Verträgen zu tun. Kartell Verträge sind ihrer Meinung nach zu verbieten. 509

506 In einer Reflexion des Cease-Theorems führt Wegehenkel (1980, S. 36) unter Zitierung von Schmidtbauer (1974) aus: „Fehlanpassungen liegen dann vor, wenn die optimale Allokation im Sinne eines Pareto-Optimums verfehlt wird. Die optimale Allokation verfehlt man insbesondere dann, wenn knappe Ressourcen vergeudet oder unzureichend eingesetzt werden." Unter diese Formulierung fällt auch Marktmacht. In der Folge widmen sich die meisten Autoren der NIE jedoch, wie auch Wege henke l, Effizienzargumenten. So weist er nach, daß der Coase-Welt ein Ausschnitt aus einem Totalmodell der vollständigen Konkurrenz zugrunde liegt (S. 43 f.). Marktmacht wird nicht ausgeschlossen, sondern ausgeblendet. 507 Schäfer Ott (2000), S. 478. 508 Schäfer, Ott (2000), S. 467.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

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dd) Ökonomische Analyse des Patentschutzes 510 Bei der Schaffung von Institutionen zum Umgang mit neuem Wissen sind Anreize zu vermitteln, neues Wissen zu schaffen und vorhandenes Wissen in die produktivsten Verwendungen zu lenken. Das Gut „Wissen" besitzt nun die Eigenschaft, daß das Exklusionsprinzip nicht mehr wirtschaftlich angewandt werden kann, sobald neues Wissen bekannt wird, also verwertet werden soll. Es erhält dann die Eigenschaft eines prototypischen Kollektivgutes. Durch uneingeschränkte Nachahmungsmöglichkeiten gelangt vorhandenes Wissen zwar in seine produktivste Verwendung, jedoch ohne Belohnung für den Innovator. Die Ertragsrate neuen Wissens ist somit denkbar gering, Anstrengungen zur Generierung neuen Wissen werden unterbleiben. 511 Jeder Schutz neuen Wissens ist jedoch zumindest temporär mit monopolistischen Spielräumen verbunden. Es ist somit der Punkt zu finden, an dem der marginale Wohlfahrtsgewinn des Schutzes neuen Wissens gerade noch dem marginalen Wohlfahrtsverlust aus der Beschränkung des Wettbewerbes für neues Wissen entspricht. Folgende in der modernen ökonomischen Analyse des Rechts diskutierte Vorschläge zur Lösung dieses Zielkonfliktes werden dargestellt: (1) Versteigerungslösung, (2) Forschungspools, (3) Staatliche Forschungsförderung, (4) Zwangslizenzen, (5) Variation von Schutzbreite und Schutzdauer. Ad (1) Versteigerungslösung: Bei der Versteigerung eines Forschungsrechts an den Meistbietenden wird diesem das exklusive Recht an der Forschung zuerkannt. Dadurch wird sichergestellt, daß Über- oder Unterinvestitionen in die Forschung vermieden werden, wenn die Annahme zutrifft, daß die Höhe der Gebote von den eigenen Forschungskosten abhängt und von den eigenen Einschätzungen über die Vermarktungsmöglichkeiten des neuen Wissens. Man erhofft dadurch, demjenigen das Exklusivrecht zu erteilen, der das neue Wissen am produktivsten verwerten kann. Ad (2) Forschungspools: Die Gründung von Forschungspools trägt dem Kollektivgutcharakter neuen Wissens Rechnung. Mehrere Unternehmen schließen sich zu dem Zweck zusammen, eine Forschungseinrichtung zu er509

Cooter, Ulen (2000), S. 277 ff. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Schäfer, Ott (2000), S. 577 ff. 511 Die steigende Ertragsrate neuen Wissen sah North als Auslöser einer Tendenz, die schließlich zur Zweiten Wirtschaftlichen Revolution führte, vgl. Abschnitt C.I.l.c). 510

192

C. Ausgewählte Problembereiche

richten und zu finanzieren, deren Früchte in Form von Patenten dann dem Pool zugute kommen. So soll das Exklusionsprinzip quasi auf Klubbasis wiederhergestellt und neues Wissen zu einem Klubkollektivgut gemacht werden. Zu untersuchen ist, inwieweit von einem solchen Pool Gefahren der Nutzung monopolistischer Spielräume gegenüber den nichtbeteiligten Unternehmen ausgehen. Ad (3) Staatliche Forschungsförderung: Ähnlich werden staatliche Forschungsförderungen begründet. Hier wird quasi die gesamte Gesellschaft zum Klub, dessen Mitglieder die Bereitstellung des für sie nützlichen Kollektivgutes finanzieren. Staatliche Forschungsförderung wird für Erfindungen vorgeschlagen, bei denen nicht abzusehen ist, wer von ihr in Zukunft via Benutzung oder via Verwertung profitieren kann, bei denen also die Gründung eines Pools an zu hohen Informations- und Transaktionskosten scheitert. Eine weitere Begründung erfährt das Instrument der staatlichen Forschungsförderung in der Informationsasymmetrie zwischen Kapitalgebern und Forschern in einem Unternehmern. Die Ursachen des Scheiterns eines Forschungsprojektes können Kapitalgeber aufgrund ihrer „Ferne" vom Unternehmen häufig nicht adäquat beurteilen. Risikoaverse Forscher können daher zu Unterinvestitionen in Forschungsaufwand neigen, wenn sie befürchten müssen, daß sie auch dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie für ein Scheitern nicht verantwortlich sind. So können sie die Wahrscheinlichkeit der Entwertung spezifischen Humankapitals gering halten. Als nachteilige Punkte können die gleichen Argument angeführt werden, wie sie die NPÖ in der Theorie des Staatsversagens geltend macht: Eigennutzorientierung und Macht von Interessengruppen und Politikern sowie sehr hohe Informationskosten bezüglich des Forschungsgegenstandes können zu Über-, Unter- oder Fehlinvestitionen führen. 5 1 2 Ad (4) Zwangslizenzen: Ist für die Herstellung eines Produktes eine Vielzahl von Lizenzen nötig und ergänzen sich diese zu einer dem Charakter nach limitationalen Produktionsfunktion, so wächst die Gefahr opportunistischen Verhaltens jedes einzelnen Lizenzgebers. Die Kündigung nur eines Lizenzgebers kann zur Produktionseinstellung führen. Die Produzentenrente wird zur Quasi-Rente aus einem Geflecht hochspezifischer Verträge, in dem der Produzent das schwächste Element ist: Er kann im Extremfall zur Abtretung der gesamten Quasi-Rente an die Lizenzgeber gezwungen werden und wird daher ex ante im Zweifel die Herstellung des Produktes unterlassen, so daß Ressourcen unternutzt werden.

512

Vgl. Abschnitt C.II. 1.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

193

Auf der einen Seite wird in solchen Fällen durch die Gewährung von Zwangslizenzen die Gefahr der Ausnutzung monopolistischer Spielräume eingeengt. Auf der anderen Seite entsteht jedoch ein neues Schwarzfahrerproblem, da der Erwerber der Zwangslizenz allein die Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen hat. Ad (5) Schutzbreite und Schutzdauer: Es werden ferner die Wirkungen von Variationen der sachlichen Breite eines Patentes sowie der Patentdauer diskutiert. Eine große Schutzbreite und eine lange Schutzdauer induzieren hohe Gewinnanreize, aber auch Gefahren monopolistischer Spielräume, während die Begrenzung von Schutzbreite und -dauer zwar einem breiteren Wettbewerb Rechnung trägt, aber Innovationsanreize hemmt. In diesen Fragen gibt es keine einheitliche Meinung, was auch mit Problemen der Feststellung optimaler Schutzbreiten und -dauern zusammenhängen dürfte. ee) Neuere Entwicklungen Eingangs wurde dargelegt, daß die ökonomische Analyse des öffentlichen Rechts bei weitem nicht den detaillierten Stand der ökonomischen Analyse des Zivilrechts hat (sieht man von der ökonomischen Theorie der Verfassung ab). Grossekettler hat jedoch auf drei besonders im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen Ökonomen und Juristen interessante neuere Entwicklungen hingewiesen, die kurz skizziert werden: 5 1 3 (1) Gemeinwohlrichtigkeit, (2) Grundrecht auf Rechtskorrekturen, (3) Gesetzesfolgenabschätzung. Ad (1) Gemeinwohlrichtigkeit: Die Idee der Gemeinwohlrichtigkeit des Rechts oder nach „Rationalität der Gesetzgebung" wird besonders von Führ (1999) betont. Danach ist ein Gesetzgeber nicht völlig frei bei der Konstruktion und Implementierung neuer Gesetze, sondern Regeln unterworfen. Die Gesetzgebung muß diskriminierungsfrei erfolgen sowie den ökonomische Erfordernissen nach Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit genügen. Diese Position hat auch Eingang in die Verfassungsrechtsprechung gefunden. Ad (2) Grundrecht auf Rechtskorrekturen: Oben wurde dargelegt, daß eine Rechtsordnung flexibel, aber nicht erwartungsdestabilisierend in bezug auf Änderungen in den Randbedingungen zu sein hat. Diese Eigenschaft kann nach Schwintowski (1996, 1998) durch die Implementierung eines ein513

13 Evers

Vgl. zu den folgende Ausführungen Grossekettler

(2000, 2000c).

194

C. Ausgewählte Problembereiche

klagbaren Rechts der Bürger auf Rechstkorrekturen für den Fall gefördert werden, daß sich Gesetze als ineffizient erweisen. Um solche Korrekturen auch gegen politische Widerstände durchzusetzen, müsse dieser Regel Grundrechtscharakter verliehen werden. Ad (3) Gesetzesfolgenabschätzung: Unter dem Einfluß einer Bewegung gegen übermäßige Regulierungen seitens des Staates hat sich in den angelsächsischen Ländern eine „Lehre von den Grundsätzen guter Wirtschaftsgesetzgebung und -Verwaltung" etabliert. Es wird in deren Kontext verlangt, daß die Ziele neuer Gesetzentwürfe erläutert, mögliche Alternativen aufgezählt werden, die Erforderlichkeit des in Rede stehende Mittels bewiesen wird sowie Kosten und Nutzen abgeschätzt werden. Hier ist aus einem Anwachsen staatlich gesetzter Transaktionskosten eine Bewegung entstanden, die systematisch auf deren Herabsenkung hinwirken w i l l . 5 1 4 d) Zusammenfassung Die moderne ökonomische Analyse des Rechts geht von der Coaseschen Annahme aus, daß die Welt nicht frei von Transaktionskosten und daher die Erstausstattung der Akteure mit Property-rights von besonderer Wichtigkeit ist, da sie das Allokationsergebnis maßgeblich mitbestimmt. Bei der Beilegung von Rechtsstreitigkeiten ist es mithin nicht das oberste Ziel, einen Ausgleich zwischen den Streitparteien zu schaffen, sondern im Sinne der Erfüllung der Präventivfunktion die Auswirkungen verschiedener Urteile auf die Allokationseffizienz in der gesamten Volkswirtschaft abzuschätzen, zu bewerten und das Urteil zu fällen, welches am ehesten dem Ziel der gesellschaftlichen Allokationseffizienz entspricht. Nicht nur die privaten, sondern die sozialen Kosten sind ins Kalkül zu ziehen. Durch diese Methodik und durch die schon hervorgehobene Stärke der NIE, viel näher am Menschen zu sein, als der Homo oeconomicus der Neoklassik, lassen sich wertvolle Erkenntnisse für die Gestaltung von Institutionen gewinnen. Die Skizzierung einiger Teilbereiche der modernen ökonomischen Analyse des Rechts hat gezeigt, daß überwiegend Effizienzerwägungen und die Theorie externer Effekte herangezogen werden, um Marktversagen zu begründen, welches wiederum korrigierende rechtliche Eingriffe rechtfertigen kann. An diesem Punkt knüpft die Kritik vor allem an der neoklassich-mikroökonomischen Perspektive der durch Posner vertretenen Chicago-Schule an: Aufgrund rigider Verhaltensannahmen reagieren die Modellergebnisse sehr sensitiv auf Änderungen. Teilweise versagt das mikroökonomische Instrumentarium bei der Modellierung komplexer Sachverhalte. 515 Probleme der

514 515

Zur Gesetzesfolgenabschätzung vgl. Hahn (1998). Kerber (2000), S. 154 ff.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

195

Marktmacht werden, obwohl prinzipiell modellierbar, größtenteils ausgeblendet. In weiten Teilen, vor allem in der deutschen Literatur, wird eine Gleichverteilung von Marktmacht mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt. Einwände werden auch gegen die meist komparativ-statische Sichtweise erhoben, die den Blick auf das Kriterium der dynamischen Effizienz verstellt. 516 Die vermeintliche „Schlagseite" der modernen ökonomischen Analyse des Rechts zugunsten des Zivilrechts wird durch einige neuere Entwicklungen etwas ausgeglichen, die versuchen, im Sinne einer ökonomischen Analyse des öffentlichen Rechts auch den Gesetzgeber stärker in die Pflicht zu nehmen im Hinblick auf die Gestaltung effizienter öffentlich-rechtlicher Normen. 2. Die Sicht der Ordoliberalen a) Ursachen und Funktionen einer Rechtsordnung Die ökonomischen Gründe dafür, daß Rechtsordnungen in einer Welt positiver Transaktionskosten überhaupt existieren, leitet die NIE aus dem Vergleich zweier Zustände her. Der Zustand der Regellosigkeit wird verglichen mit einem Zustand unter Regeln (wobei über Art und Inhalt der Regeln noch nichts gesagt wird). Einen Überblick über den entsprechenden Ansatz im Ordoliberalismus gibt Abbildung 24. Allgemein gehen die Ordoliberalen davon aus, daß es eine reibungslose Welt nicht gibt, so daß die Darstellung auf den Fall T K > 0 beschränkt wird. Bei seiner Untersuchung der Koordinationsmechanismen in einer Verkehrswirtschaft einerseits und in einer Zentralverwaltungswirtschaft andererseits kommt Miksch zu dem Ergebnis, daß auch eine reine Verkehrswirtschaft nicht ohne ein Mindestmaß an Rechtsordnung gedacht werden kann. Ohne Rechtsordnung herrscht Anarchie. 5 1 7 Eine Rechtsordnung ist versittlichte Macht in dem Sinne, daß diese Macht nicht Ausdruck individueller Willkür ist, sondern Ausdruck eines durch Zustimmung legitimierten Gesetzes. 518 Er betrachtet implizit drei Zustände: (1) Im regellosen Zustand herrscht Anarchie, (2) in der reinen Verkehrswirtschaft herrscht versittlichte Macht, die Rechtsordnung sorgt dafür, daß die Individuen gegenseitig ihre Lebenssphä516 Kerber (2000, S. 156) sieht eine möglich Weiterentwicklung in der Analyse von Wirkungen von Rechtsnormen auf Wettbewerbsprozesse und auf die Generierung neuen Wissens. 517 Miksch (1950), S. 30. 518 Miksch (1950), S. 64.

1

C. Ausgewählte Problembereiche

196

Legende: TK:

Transaktionskosten

Ϊ^Leitung· Informationskosten zentraler Leitung Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 24: Bedeutung einer Rechtsordnung für die allokative Effizienz im Ordoliberalismus

ren achten und Schädigungen unterlassen, (3) in der zentralen Verwaltungswirtschaft beseitigt die Rechtsordnung sämtliche Freiheitssphären. Fragt man nach den Funktionen, welche im Ordoliberalismus einer Rechtsordnung zuerkannt werden, so ist zunächst auszugehen von der im Ordoliberalismus gesehenen Grundaufgabe einer jeden Ordnung: Die Schaffung einer Wirtschafts- und Sozialordnung, in der sich ein menschenwürdiges und wirtschaftlich erfolgreiches Leben entwickeln kann. 5 1 9 Hierauf basierend sehen die Ordoliberalen die Funktionen von Rechtsregeln in Beziehung zu den jeweiligen historischen Randbedingungen. Hier kann an Abschnitt C.I. angeknüpft werden: Die Ordoliberalen heben hervor, daß in kleinen isolierten Sozialsystemen mit wenigen Mitgliedern mit relativ wenig Informations- und Transaktionsaufwand eine zentrale Leitung das Koordinationsproblem lösen kann. Mit der Verschmelzung vormals isolierter Eigenwirtschaften sind jedoch Sozialsysteme erheblich komplexeren Ausmaßes entstanden, eine zentrale Lösung des Koordinationsproblems ist wegen 519

Vgl. erster Band ORDO (1948), Vorwort der Schriftleiter, S. VII.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

197

prohibitiv hoher Informationskosten nicht mehr möglich. 5 2 0 An die Stelle der Subordination tritt die Koordination als herrschaftsfreie Sozialordnung. Hierdurch erfährt auch die Rechtsordnung einen Bedeutungswandel. Nach wie vor sollen die Ressourcen an die Orte ihrer produktivsten Verwendung gelangen können. Der neue Zuteilungsmechanismus beruht jetzt jedoch auf der Abstimmung von Plänen gleichberechtigter Individuen. Bezüglich des Privatrechtes heben die Ordoliberalen folgende Punkte hervor: (1) Die Abschaffung alter Bindungen hat zu einer erheblichen Zunahme der Bedeutung des Privatrechts geführt. 521 (2) Entscheidungssystem: Um die Wanderung von Ressourcen in die produktivsten Verwendungen zu ermöglichen, benötigt jeder Einzelne Entscheidungsfreiheit über den Einsatz oder Verkauf eigener Ressourcen und über den Kauf fremder Ressourcen. 522 (3) Informationssystem: Den Erfolg oder Mißerfolg einer Entscheidung erfährt das Individuum kostengünstig über das Preissystem. 523 Der Preis einer Ressource muß dabei den Nutzenverzicht an anderer Stelle im System wiederspiegeln. 524 (4) Anreizsystem: Unter den von den Ordoliberalen getroffenen Verhaltensannahmen werden Lernprozesse in Gang gesetzt. Die Individuen werden in den Stand gesetzt, erfahrungsgemäß erfolgreiche Transaktionen durchzuführen und andere zu unterlassen. 525 Sie investieren dabei in ihr eigenes Humankapital und erlangen „Fingerspitzengefühl". 526 In der Folge heben die Ordoliberalen die Zuordnung exklusiver Propertyrights (Privateigentum), Vertragsfreiheit und Gewerbefreiheit als freiheitsschaffende Institutionen hervor. 5 2 7

520 Vgl. Böhm (1950), S. X I X ff.; ders. (1966), S. 98, 138; Euchen (1948), S.56 ff.; ders. (1952), S. 15 ff.; 57; Lenel (1948), S. 310 f.; Partsch (1948), S. 214 ff.; Röpke (1944), S. 28; Rüstow (1949), S. 114 ff. 521 Böhm (1933), S. 93 ff.; ders. (1937), S. 22 ff.; ders. (1950), S. X L V I I I ; ders. (1966), S. 76 ff. 522 Böhm (1933), S. 118 ff., 230 f., Eucken (1952), S. 270 ff., 275 ff.; von Hayek (1948), S. 33 f. 523 Böhm (1966), S. 92; Eucken (1949), S. 32 ff.; ders. (1952), S. 155 ff.; Miksch (1948), S. 182; von Stackelberg (1949), S. 193 ff. 524 von Hayek (1948), S. 36 f. 525 Böhm (1966), S. 88 ff., S. 233. 526 Eucken (1952), S. 270 ff. 527 Eucken (1948), S. 73; ders. (1952), S. 42, 270 ff., 275 ff.; Rüstow (1949), S. 123.

198

C. Ausgewählte Problembereiche

An eine Selbstregulierung einer mit diesen Institutionen ausgestatteten Privatrechtsordnung glauben die Ordoliberalen jedoch nicht. Sie betonen daher folgende Aufgaben öffentlich-rechtlicher Institutionen: ( 1 ) Entscheidungssystem: Der Mensch neigt auch zu opportunistischen Verhaltensweisen. Böhm ist wie die Vertreter der NIE der Ansicht, daß es sich für den Einzelnen lohnt, eine Regel zu brechen, wenn er erwarten kann, daß alle anderen die Regel befolgen. 528 Daher müssen Grenzen der Freiheiten der Individuen gezogen und abgesichert werden. Niemand darf das Recht besitzen, die Property-rights anderer einzuschränken. Hier erfahren die Institutionen des Privateigentums und der Vertragsfreiheit ihre Grenzen. 529 (2) Informationssystem: Voraussetzung erfolgreicher Dispositionen ist die Möglichkeit, kostengünstig Informationen über Dispositionsalternativen und Dispositionsfolgen erhalten zu können. Böhm fordert daher von der öffentlichen Hand, Anstrengungen zu unternehmen die Informationskosten des Preissystems zu reduzieren (z.B. durch Erhöhung der Verkehrssicherheit, der Transparenz des Wirtschaftsgeschehens, die Verbesserung der Nachrichtenverbreitung, Mobilitätsförderung und Förderung des Meinungsaustausches). 530 Er und Eucken betonen außerdem die Wichtigkeit einer stabilen Währung und der Konstanz der Wirtschaftspolitik, um Zukunftsunsicherheiten zu reduzieren. 531 Auch sollte nach Böhm die öffentliche Hand sich um eine Senkung des Transaktionskostenniveaus bemühen (z.B. durch Schaffung von Standards). 532 (3) Anreizsystem: Regelbrüche müssen sanktioniert werden. Diese Sanktionen müssen außerdem Präventivwirkungen entfalten. 533 So wird, spieltheorethisch ausgedrückt, eine N-Personen-Dilemma-Situation in eine N-Personen-NonDilemma-Situation transformiert:

528

Böhm (1966), S. 140. Böhm (1933), S. 118 ff.; Eucken (1948), S. 73 ff.; ders. (1949), S. 23, 27; ders. (1952), S. 270 ff., 275 ff.; Miksch (1948), S. 175 ff.; ders. (1950), S. 59. 530 Böhm (1966), S. 100. 531 Böhm (1966), S. 100; Eucken (1952), S. 255 ff., 285 ff. 532 Böhm schreibt: „Das bloße Funktionieren ihres (der Privatrechtsordnung, d.V.) eigenen Kreislaufs bedarf einer Wartung, die sie nicht aus sich selbst heraus bewerkstelligen kann." (Böhm, 1966, S. 86). 533 Böhm (1937), S. 150; Eucken (1952), S. 37, 150, 296 ff. 529

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

199

A brechen

folgen I

5

II

7-7=

0

1-7=

-6

folgen 0

5 Β

III

0

IV

brechen 7-7 =

0

1-7=

-6

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 350.

Abbildung 25: Lösung eines Zwei-Personen-Gefangenendilemmas durch Sanktionierung des Regelbruchs

Hier wird Regelbruch mit einem Pay Off von 7 sanktioniert. So wird Zustand I zum stabilen Nash-Gleichgewicht, da einseitiges Abweichen für keinen Akteur eine Verbesserung bringt. Diese Sanktionen muß nach Böhm die öffentliche Hand vornehmen: „Sie (die Privatrechtsordnung, d.V.) braucht ... einen bewaffneten Nachtwächter, im übrigen aber werden die Pläne ihrer Mitglieder mit Hilfe des Privatrechts geräuschlos, automatisch und mit einem erstaunlichem Minimum von Reibungs- und Ungehorsamswiderstand gelenkt." (Böhm, 1966, S. 87 f . ) . 5 3 4 Er stützt diese Aussage durch Verweis auf die Historie: „So gehören denn ja auch Funktionen, die zu nichts anderem nutz sind als zum Stimulieren gesellschaftlicher Abläufe ... schon zu den sehr alten Prärogativen der Könige." (Böhm, 1966, S. 86 f.). Diese Grundansicht ist jedoch voll mit der Gedankenwelt der NIE vereinbar, wonach es sich bei der Durchsetzung von Normen um ein Kollektivgut zweiter Ordnung handelt und im oben beschriebenen Sanktionierungsmechanismus das Schwarzfahrerproblem ohne öffentliche Hilfestellung höchstens in kleinen homogenen Gruppen bewältigt werden kann. 5 3 5 b) Folgen für die ökonomische Analyse des Rechts Die Ausführungen des vorherigen Abschnitts lassen sich in einer einzigen Aussage Böhms zusammenfassen, der seine Auffassung von der Gestaltung von Rechtsregeln ähnlich pointiert wie Coase formulierte: 534 535

Vgl. auch Böhm (1937), S. 144 f. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 350; Kirsch (1997), S. 76 ff.

200

C. Ausgewählte Problembereiche

„Das Recht muß ... die Widerstände und die fördernden Momente der Außenwelt so gruppieren, daß der Trieb, der die Menschen ... in Bewegung setzt, den für das Zustandekommen der herrschaftsfreien Kooperationsordnung erforderlichen Weg nimmt." (Böhm, 1933, S. 122 f . ) . 5 3 6

Vielleicht hätte Coase diese Forderung folgendermaßen formuliert: Unter hohen Kosten zentraler Leitung gestalte man ein System dezentraler Leitung mit Hilfe von Rechtsregeln, die systemdeformierende Handlungen mit hohen Transaktionskosten belegen und die Transaktionskosten system stabilisierender Handlungen minimieren. 5 3 7 Man kann diesen Satz Böhms als Leitsatz der ordoliberalen ökonomischen Analyse des Rechts interpretieren. Auch den Gedanken der Ordoliberalen liegt der Ansatz zugrunde, daß Rechtsregeln entscheidenden ökonomischen Einfluß haben. Gerade dieses sei in der Vergangenheit jedoch verkannt worden: • Die in Abschnitt C.I.2. beschriebenen Ideen/Ideologien postulierten geradezu das Gegenteil des Böhmschen Leitsatzes. Eine Gestaltung des Soziallebens sei aufgrund zwangsläufiger Entwicklungen von vornherein zum Scheitern verurteilt. 538 Es gilt, so die Ordoliberalen, diese Haltung zu überwinden und die Interdependenz zwischen Rechtsordnung und Wirtschaftsordnung zum Grundgedanken der Rechtsanwendung werden zu lassen. 539 • Juristen sollten ein Gespür für ökonomische Fragestellungen vermittelt werden. Andernfalls kann es zu ökonomisch fatalen Fehlentscheidungen kommen. 5 4 0 Böhm macht auf berufsspezifische Unterschiede in den Professionen der Juristen und Ökonomen aufmerksam, die von Grossekettler (1997, 1999b) zusammengefaßt werden. So sind im Denken der Juristen sowohl bei privatrechtlichen als auch bei öffentlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten Kläger und Beklagte sowie Streitzeitpunkte klar definiert. 536

In dieser Grundforderung stimmen die Ordoliberalen mit der damaligen Auffassung der Katholischen Kirche überein: Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip soll die Gesetzgebung so beschaffen sein, daß daraus von selbst die Wohlfahrt der Allgemeinheit und des Einzelnen gesteigert werde, es sei denn, das Naturrecht konfligiert mit einem höheren Recht wie z.B. der Gemeinschaft selbst. Vgl. Hensel (1949), S. 234, 238, 265. 537 Ähnlich Grossekettler (1996), S. 309 ff.; ders. (1997), S. 81. 538 Vgl. auch Böhm (1933), S. 127 ff., 175 ff.; ders. (1937), S. I X ff.; Miksch (1950), S. 66. 539 Vgl. die Vorworte in Böhm (1933, 1937); Eucken (1952), S. 180; Gather (1949), S. 271, 285, 291 f. 540 Ein Beispiel ist das Urteil des Reichsgerichtes aus dem Jahre 1897 über die Legalisierung von Kartell Verträgen. Vgl. Böhm (1937), S. 150 ff.; ders. (1948), S. 197 ff. und Abschnitt C.I.2.c).

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Die Prozesse selbst sind stets darauf ausgerichtet, einen Frieden zwischen den Beteiligten herzustellen. Marktprozesse beruhen dagegen nicht auf einzelnen, sondern auf einer Vielzahl größtenteils gleichzeitig ablaufender Einzelentscheidungen, die es zu koordinieren gilt. Die Rechtsordnung ist hier „Richter von Kampfes wegen". 5 4 1 • Aufgrund prohibitiv hoher Transaktionskosten ist es ferner, wie in Abschnitt C.IV.l. noch dargestellt werden wird, oft nicht möglich, große Gruppen wie die Konsumenten oder Steuerzahler zu organisieren und somit als Beklagte oder Kläger anzuhören. Die Folgen der unbedachten Anwendung orthodoxen juristischen Denkens auf dynamische Tauschprozesse können Transaktionskostenstrukturen sein, die erhebliche Koordinationsstörungen nach sich ziehen. 542 • Auf der anderen Seite aber sollen Ökonomen die Fähigkeit der Juristen zur Formulierung von Normen anerkennen, welche den Staat stark gegenüber dem Einfluß von Interessengruppen machen können. 5 4 3 • Außerdem besitzen Juristen die Fähigkeit zur Umsetzung vager Formulierungen in justiziable Rechtsbegriffe. Diese Eigenschaften sollten Ökonomen berücksichtigen und den Juristen justizialisierbare Meta-Regeln zur konsistenten Gestaltung einer Wirtschaftsverfassung liefern. 5 4 4 Unbestimmte Rechtsbegriffe können Einfallstore für systemdeformierende Ideen/Ideologien sein. Diese können nämlich in der Sprache von Kiwit, Voigt (1995) die internen Institutionen maßgeblich beeinflussen und über eine gefärbte Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe schließlich die externen Institutionen verändern. c) Anwendungsbereiche Basierend auf dem oben hergeleiteten Anspruch der ordoliberalen ökonomischen Analyse des Rechts haben sich die Ordoliberalen sowohl positiv 541

Böhm (1933), S. 108 ff.; ders. (1966), S. 83 f. Dieses ist z.B. dann der Fall, wenn Kartelle sich zu Lasten von Konsumenten einigen (Eucken, 1992, S. 17), Beweislasten falsch verteilt, die Durchsetzungskosten prohibitiv hoch sind oder Prozessgeschwindigkeiten nicht zueinander passen (Grossekettler, 1997, S. 80 f.). In Abschnitt C.I.2.c) wurde darauf hingewiesen, daß diese Probleme Deutschlands Weg zum Land der Kartelle erst ermöglichten. 543 Böhm (1933), S. 124 f., 176; Grossekettler (1999c); Partsch (1954), S. 20 ff. 544 Böhm (1966), S. 138; Eucken (1952), S. 307; Gather (1949), S. 291 f. Die Ordoliberalen führen zahlreiche Beispiele für unjustiziable Rechtsbegriffe an. Zum Begriff „Mißbrauch" vgl. Eucken (1952), S. 172; zum Begriff „gute Sitten" Böhm (1933), S. 198 ff. Gather (1949, S. 291) fordert, den Begriff „Schutz des öffentlichen Interesses" zu ersetzen durch den Begriff „Schutz der Wirtschaftsverfassung". Zu den Schwierigkeiten einer justiziablen Monopoldefinition vgl. Böhm (1933), S. 15 ff. 542

202

C. Ausgewählte Problembereiche

als auch normativ mit der Ausgestaltung von Rechtsordnungen befasst. Die Betrachtungen waren dabei immer auf den konkreten historischen Kontext bezogen und geleitet von folgender Frage: Wie können die Verfolgung der Ziele Freiheit, Wohlstand, Sicherheit und Gerechtigkeit in einer Welt, gekennzeichnet durch hohe Informationskosten zentraler Leitung, niedriger Informationskosten pro Kopf und konzentrationsfördernder Ideen/Ideologien, rechtlich flankiert werden? Eine Systematik der Fragestellungen der Ordoliberalen soll folgende Abbildung geben, die sich an eine von Pies (2000, 2000a) gewählte Systematik anlehnt:

Legende: AN:

Anbieter

N:

Nachfrager

Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Pies (2000), S. 20.

Abbildung 26: Untersuchung von Marktbeziehungen in der ordoliberalen ökonomischen Analyse des Rechts

Die Anbieterseite wird durch die AN-Akteure repräsentiert, die Nachfrager sind mit „ N " gekennzeichnet. Die beiden links angeordneten Anbieter sind potentielle Fusionisten oder Kartellierer, der rechte Anbieter repräsentiert einen Außenseiter. Ziel der Rechtsprechung gemäß der Ordoliberalen ist es, die Transaktionskosten der vertikalen Beziehungen (dicke Pfeile) zu reduzieren und die horizontalen Beziehungen mit hohen Transaktionskosten zu belasten. 545 Machtbeziehungen sollen dabei sowohl in vertikaler wie in horizontaler Hinsicht mit hohen Kosten belegt werden. In dieser Arbeit werden dabei folgende Bereiche in ordoliberaler Perspektive untersucht:

545

Nach Böhm (1933, S. 198 ff ) und Eucken (1949, S. 24 f.) ist Leistungskampf Parallelkampf. Die Kämpfer (Anbieter) greifen sich nicht gegenseitig an, sondern richten ihre Anstrengungen auf den Kunden.

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• Das Verhältnis zwischen Akteuren beider Marktseiten: Anbieter und Kunde, • Das Verhältnis zwischen Akteuren der Anbieterseite I: Kartelle, • Das Verhältnis zwischen Akteuren der Anbieterseite II: Monopolisten und Außenseiter. aa) Das Verhältnis zwischen Akteuren beider Marktseiten: Anbieter und Kunde Die grundlegenden ökonomischen Probleme, die aus ordoliberalem Blickwinkel bei Verträgen zwischen Anbietern und Kunden erwachsen, wurden ausführlich in Abschnitt C.II.2. beschrieben. Ein monopolistischer Anbieter unterliegt erstens einer geringeren Zukunftsunsicherheit als die Nachfrager. Zweitens muß er glaubhafte Zusicherungen gegen Ex post Opportunismus in erheblich geringerem Maße aufwenden, als bei atomistischen Strukturen. Seine Opportunismusprämie steigt mit sinkenden Abwanderungsmöglichkeiten der Nachfrager, bedingt durch mangelnde Substitutionsmöglichkeiten oder spezifische Investitionen. Ganz allgemein heben die Ordoliberalen hervor, daß Marktmacht die Institutionen der Vertrags- und Gewerbefreiheit obwohl kodifiziert, faktisch aufhebt. 546 Marktmacht wird überwiegend in der Form des Angebotsmonopols untersucht. Eine solche Marktorganisation beschränkt die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrage und mindert die Anreize des Angebots, Güter und Dienstleistungen den Präferenzen der Nachfrage möglichst umfassend anzupassen.547 Die Anbieter haben zusätzliche Freiheitsspielräume, so daß die Preise in den meisten Fällen nicht mehr die volkswirtschaftlichen Opportunitätskosten wiederspiegeln. 548 Sie können sowohl darüber in Form monopolistisch überhöhter Preisforderungen liegen, als auch darunter in Form von gegen Außenseiter gerichtete Kampfpreise. 549 In beiden Fällen verlieren sie ihre anreizkompatible Signalfunktion. 550 Mit anderen Worten: In einem vollständigen Vertrag würde unter Konkurrenzbedingungen ein Tausch exakt mit dem Preis belegt, der den Opportunitätskosten des Güteranbieters entspricht.

546 Euchen (1949), S. 49, 53 ff.; ders. (1952), S. 49 f., 103; von Hayek (1948), S. 48, 84. Diese Argumente gelten auch für Arbeiter im Falle einer Nachfragemachtstellung der Unternehmer auf dem Arbeitsmarkt, vgl. z.B. Eucken (1952), S. 43 ff., 187; Rüstow (1949), S. 123. 547 Vgl. z.B. Böhm (1933), S. 20 f., 34 ff. und Abschnitt C.II. 548 Miksch (1948), S. 175 ff. 549 Böhm (1933), S. 227 f.; Eucken (1949), S. 24. 550 Böhm (1933), S. 230 f.; Eucken (1949), S. 24; von Hayek (1948), S. 36.

204

C. Ausgewählte Problembereiche

Die Rekonstruktion eines solchen Vertrages suchen die Ordoliberalen mit der Wiederherstellung einer Machtgleichverteilung zwischen Anbietern und Kunden zu erreichen. 551 • Eine anbieterseitige Begrenzung der Ausweichmöglichkeiten der Nachfrage ist unzulässig. Daher sind Praktiken der Marktschließung zu verbieten (Prinzip des Offenhaltens der Märkte, Eucken, 1952, S. 275 ff.). • Ebenso sind „falsche" Preise grundsätzlich unzulässig (Böhm, S. 71 ff., 129).

1933,

Es werden jedoch Schwierigkeiten bei der Ermittlung der „richtigen" Preise eingeräumt. Zum einen ist die Preiskalkulation eins Unternehmers für Außenstehende wie für die Rechtsprechung aufgrund asymmetrischer Informationsverteilung mit sehr hohen Informationskosten verbunden. Zum anderen steht auch ein Anbieter selbst vor hohen Informationshürden, wenn er den mittel- oder langfristig „richtigen" Preis setzen will: Zukunftsunsicherheiten im Zusammenhang mit Nachfrageschwankungen machen langfristig „richtige" Preisforderungen nahezu unmöglich. 5 5 2 Aus diesen Gründen befürwortet Böhm, diejenigen Verlustpreistaktiken zuzulassen, die lediglich auf den Kundengewinn zugeschnitten sind und mit denen nicht ein anderer Anbieter in Form eines Kampfpreises geschädigt werden soll (defensiver Anpassungspreis, Versilberungspreis, Einführungspreis, Lockartikelpreis). 553 Anders ausgedrückt: Wünschenswert wäre eine umfassende Haftung eines Monopolisten für den Nutzenverzicht des Kunden, den dieser aufgrund des Angebotsmonopols erleidet. Es bestehen jedoch Probleme bei der Messung des Referenzmaßstabes „richtiger" Preis. Daher wird eine Verschuldenshaftung mit sehr hohen Sorgfaltsanforderungen vorgeschlagen. Ein solches Haftungsregime steuert bei monokausaler und einseitiger Schadensverursachung das Sorgfaltsniveau des Verursachers auf das soziale Optimum, wie die moderne Analyse des Schadensrechts zeigt. 5 5 4 Der Analyse der Allgemeinen Geschäftsbedingungen räumen die Ordoliberalen einen breiten Raum ein. AGBs sind nach Böhm ein Wettbewerbsparameter. 555 Großmann-Doerth hebt die Bedeutung des „selbstgeschaffenen 551

Miksch (1950), S. 65. Böhm (1933), S. 292 ff. 553 Böhm (1933), S. 304 ff. 554 Röpke (1948) und von Stackelberg (1949) hatten wohl eher eine Art Gefährdungshaftung im Kopf. Gemäß von Stackelbergs Monopolsteuer-Konzept soll dem Staat mit wachsender Monopolmacht des Anbieters ein immer größerer Teil der Differenz Umsatz - Stückkosten zukommen. Röpke stellt fest, daß bei Zuordnung sämtlicher privater und extern verursachter Kosten zu einem Großbetrieb dieser in jedem Falle unwirtschaftlich wäre. 555 Böhm (1933), S. 27 ff. 552

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Rechts der Wirtschaft" hervor, welches zur Zeit der Ordoliberalen alle wichtigeren Zweige des Wirtschaftsverkehrs beherrscht habe. 5 5 6 Die Ordoliberalen sehen in den AGBs solange kein Problem, wie sie sich intra legem auf Märkten bilden. 5 5 7 Großmann-Doerth hebt sogar ausdrücklich hervor, daß bei Abwesenheit von Macht AGBs zweckmäßig sind: Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft ist flexibler als staatliche Recht. Auch fallen bei schiedsgerichtlicher Streitbeilegung durch Beteiligte der gleichen Branche erheblich geringere Informationskosten an als bei Streitbeilegung durch Gerichte. 558 Bei Machtabwesenheit haben AGBs somit systemstabilisierende Wirkungen. Diese Ansichten gehen verblüffenderweise fast parallel zu den Ausführungen Williamsons über „Private Ordering". 5 5 9 Stärker werden jedoch systemdeformierende Wirkungen betont. Besteht eine asymmetrische Machtverteilung, so werden Opportunismusmöglichkeiten zementiert. Der Monopolist hat über eine Ausgestaltung der AGBs weitere Möglichkeiten zur Reduktion von Unsicherheit und zur Umverteilung von Nutzen von der Nachfrage zum Angebot. Ein geregelter Ausgleich der Interessen scheitert. 560 Auch herrscht die Gefahr der Beeinflussung von Schiedsgerichten durch die vertretenen Branchen. 561 Außerdem wird die Gefahr der Verdrängung der staatlichen Rechtsordnung hervorgehoben. Die Erosion staatlichen Rechts wird beschleunigt, wenn über unbestimmte Rechtsbegriffe Ansichten und Auslegungen von Interessensjuristen einfließen, wenn also über unjustiziable Begriffe interne Institutionen der Typen 3 und 4 die externen Institutionen verändern und so die machtintendierten Ideen/Ideologien die Rechtsordnung beeinflussen. So verliert die staatliche Rechtsordnung ihre Fähigkeit, das Kollektivgut „Machtlosigkeit auf den Märkten" bereitzustellen. 562 In der Folge spricht Böhm von „Rechtszersplitterung", eine Ansicht, die durch von Nell-Breuning offenbar nicht geteilt wurde. Er verteidigte die berufsständische Ordnung u.a. mit dem Argument, daß sie eine Abkehr vom Rechtsmonopol des Staates bewirke. Diese ist jedoch nur dann sozial förderlich, wenn wirksamer Wettbewerb zwischen des Rechtssphären herrscht und keine Kosten der Abwanderung bestehen. Genau diese Bedingung ist jedoch unter Machtbedingungen nicht mehr gegeben. 563 556

Großmann-Doerth (1933), S. 5. Eucken (1952), S. 296. 558 Großmann-Doerth (1933), S. 19. 559 Schumann (1992), S. 437 ff.; Williamson (1989), S. 141. 560 Böhm (1933), S. 27 ff.; ders. (1937), S. 158; ders. (1950), S. L I ; Eucken (1949), S. 6; ders. (1952), S. 51 ff. 561 Böhm (1937), S. 157 ff. 562 Böhm (1937), S. 158 ff.; Eucken (1949), S. 6; ders. (1952), S. 295; Großmann-Doerth (1933), S. 9, 26. 557

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C. Ausgewählte Problembereiche

In einer Machtsituation kann auch ein Gewährleistungsrecht nicht mehr seine Versicherungsfunktionen erfüllen: Ein Anbieter kann jetzt wegen begrenzter Ausweichmöglichkeiten der Nachfrage höhere Preisaufschläge als Gegenleistung zu seinen Garantieleistungen verlangen, als in einer Konkurrenzsituation. Sie können somit über der Risikoprämie des Nachfragers liegen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß bei starker Beschränkung der Ausweichmöglichkeiten (z.B. bei hochspezifischen Investitionen und Monopolstellung einer Marktseite) keine Garantieleistungen mehr angeboten werden. Hierdurch entfallen Anreize zur Produkt- und Verfahrensinnovation.

bb) Das Verhältnis zwischen Akteuren der Anbieterseite I: Fusionen und Kartelle W i l l man die in Abbildung 26 dargestellten horizontalen Beziehungen durch hohe Transaktionskosten inhibieren, so muß man Einschränkungen der Vertragsfreiheit hinnehmen. Die Ordoliberalen sehen die Gefahr solcher horizontaler Bindungen darin, daß sie die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrage durch Kartellierungen oder Fusionen beschränken und so opportunistische Verhaltensweisen auf der Anbieterseite wahrscheinlicher machen. 564 In moderner Sprache ausgedrückt würden Kartellverträge andere Verträge nach sich ziehen, welche unter asymmetrischer Machtverteilung zustande kommen. Dieses wiederum bewirkt Nutzeneinbußen und eine verstärkte Nachfrage nach Rekonstruktion vollständiger Verträge durch die Rechtsprechung. Kartellverträge wären somit ein Negativ-Summenspiel. Diesen Tendenzen muß die Rechtsprechung zuvor kommen: • Kartellverträge sind zu verbieten. • Fusionen sind nur insoweit zuzulassen, wie sie aus Effizienzgründen geschehen würden. • Es ist sicherzustellen, daß diese Effizienzmonopole keine Machtpraktiken gegenüber der Gegenseite (oder Zulieferern) anwenden. • Künstlichen Kartellierungsken. 5 6 5

und Fusionstendenzen ist entgegenzuwir-

Die Ordoliberalen hatten vor allem zwei Tendenzen ihrer Zeit im Auge: (1) Kartellierungstendenzen durch die Patentgesetzgebung, (2) Fusionstendenzen durch Haftungsbeschränkungen. 563

Vgl. hierzu Böhm (1937), S. 157 f.; von Nell-Breuning (1950), S. 224 ff. Vgl. Eucken (1948), S. 74; ders. (1952), S. 275 ff. 565 Böhm (1933), S. 35, 40 ff.; ders. (1937), S. 142, 146, 148 ff.; Eucken (1952), S. 291 ff. 564

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Ad (1) Kartellierungstendenzen durch die Patentgesetzgebung: Patente sind nach Eucken dadurch gekennzeichnet, daß sie ihrem Inhaber ein Ausschließlichkeitsrecht zur Herstellung, zum Gebrauch, zur Nutzung und zum Verkauf eines Gutes verleihen. 566 Ihr ursprünglicher Zweck bestand in der Gewährung von Anreizen zur Innovation in Form temporärer Vorsprungsgewinne. 5 6 7 Im Zuge der Rechtsauslegung einer in Unkenntnis der ökonomischen Wirkungen stehenden Justiz sind Patente jedoch zum Zwecke der Schließung von Märkten verwendet worden. Patente behindern so die Wanderung der Ressourcen in ihre produktivsten Verwendungen. In Kartellen wirken sie darüber hinaus quasi als Katalysator: Enthalten Kartellverträge Klauseln zum Patentaustausch und zum Verlust des Patentes bei Kartellaustritt, so verliert ein Kartellmitglied beim Verlassen des Kartells einen Großteil seiner Quasi-Rente aus dem Kartellvertrag. 568 In der Folge fordert Gather von der Rechtsprechung die Vertragsfreiheit in der Art einzuschränken, daß die Benutzung einer Erfindung nicht mit Praktiken verknüpft sein darf, die im Verkehr zumindest als unbillig angesehen würden. Er fordert weiter die Beseitigung von Sperr- und Vorratspatenten. Einig sind sich die Ordoliberalen in der Vermutung, daß wahrscheinlich nur ein allgemeiner Lizenzzwang den Zielkonflikt zwischen Innovationsanreiz und Monopolisierungsgefahr lösen kann: „Vielleicht ist es nötig, auf seine (des Patentes, d.V.) Verleihung und damit auf die Schließung des Angebotes überhaupt zu verzichten und statt dessen ein System einzuführen, nach dem der Patentinhaber verpflichtet ist, die Benutzung der Erfindung gegen eine angemessene Lizenzgebühr jedem ernsthaften Interessenten zu gestatten." (Eucken, 1952, S. 269). Dieser Satz macht jedoch deutlich, daß die Diskussion auch für die Ordoliberalen noch offen w a r . 5 6 9 Ad (2) Fusionstendenzen durch Haftungsbeschränkungen: Unternehmerische Haftung hat die Funktion, durch Belohnung guter Leistung und Bestrafung schlechter Leistung die besten Unternehmer auszulesen. Erfolg und Mißerfolg müssen spürbar sein, so daß der Haftung eine ähnliche Signalfunktion wie dem Preissystem zukommt. 5 7 0 Aber auch hier besteht ein Zielkonflikt: Durch Haftungsbeschränkungen wurde ursprünglich das Ziel verfolgt, kleinen und mittleren Betrieben den Marktzutritt zu ermöglichen und so die Märkte zu öffnen. In der Folge kam es jedoch zu Konzentrationswir566

Eucken (1949), S. 40. Eucken (1949), S. 40; ders. (1952), S. 268; Gather (1949), S. 273; Rüstow (1949), S. 135. 568 Eucken (1949), S. 36 f.; ders. (1950), S. 7; ders. (1952), S. 229 f., 238, 268 ff. 569 Vgl. Eucken (1952), S. 268 ff.; Gather (1949), S. 280 ff.; Rüstow (1949), S. 135. 57 0 Eucken (1952), S. 279 ff.; Lenel (1948), S. 316. 567

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C. Ausgewählte Problembereiche

kungen: Die Beteiligung an einem Unternehmen mit beschränkter Erfolgshaftung ist mit weniger Zukunfstunsicherheiten verbunden als die Beteiligung an einem Unternehmen mit voller Haftung. 5 7 1 Aus diesen Erfahrungen heraus fordern die Ordoliberalen, daß in jedem Falle volle Erfolgshaftung bestehen müsse. Beschränkungen dürfe es nur dort geben, wo der Kapitalgeber nicht mit dem Management betraut ist (z.B. in Aktiengesellschaften). In jedem Falle aber haftet diejenige Person, die anstelle des Eigentümers unternehmerische Entscheidungen fällt. 5 7 2 cc) Das Verhältnis zwischen Akteuren der Anbieterseite II: Monopolisten und Außenseiter Das Verhältnis zwischen Monopolist und Außenseiter ist kein vertragliches Arrangement, sondern eine Konfliktbeziehung: Die Ordoliberalen betrachten es als Kampf von Monopolisten gegen Außenseiter, um diese aus dem Markt zu drängen. 573 In Abschnitt C.II.2. wurde gezeigt, daß dieser Kampf die Schädigung des Außenseiters zum Ziel hat, nicht dessen Überflügelung durch Leistung. Die Formulierung des Sachverhalts in modernen Worten ähnelt der aus dem vorherigen Abschnitt: Der Monopolkampf ist nicht auf die Verbesserung der eigenen Leistung im Sinne der Nachfragerpräferenzen gerichtet, sondern auf die Schädigung eines anderen Anbieters. Es handelt sich um opportunistisches Verhalten und Schadenszufügung außerhalb einer Vertragsbeziehung. Im Zuge dieses Kampfes werden Ressourcen verschwendet, da sie nicht in die volkswirtschaftlich produktivsten Verwendungen geleitet, sondern allein zur Schädigung eingesetzt werden. Würde sich ein solches Verhalten im Markt etablieren, käme es zu erheblichen Ressourcenverschwendungen und zu einer volkswirtschaftlich falschen Auslese nicht der Besten, sondern der Stärksten unter Anwachsen des volkswirtschaftlichen Transaktionskostenniveaus. 574 Außerdem käme es zu einer erheblichen Nachfrage nach Rekonstruktion vollständiger Verträge, da Verträge unter asymmetrischer Macht immer häufiger würden. Dieses hat die Rechtsprechung zu antizipieren:

57 1

Eucken (1952), S. 279 ff. Eucken (1952), S. 281; Rüstow (1949), S. 135. 57 3 Böhm (1933), S. 8 f. 57 4 Böhm spricht von einer „Feudalisierung"; Böhm (1958), S. 172 ff.; ähnlich Miksch (1950), S. 43 f. In diesem Zusammenhang ist auch das Problem des selbstgeschaffenen Rechts der Wirtschaft in Form wuchernder Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu sehen. (Eucken, 1952, S. 51 f)· 57 2

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Praktiken, die auf die Schädigung anderer Marktakteure gerichtet sind, sind zu untersagen. Böhm (1933) unterscheidet zwischen Leistungskampf und Nichtleistungskampf. Bei letzteren sind solche Praktiken zulässig, die nicht auf die Schädigung von Außenseitern abzielen. 575 Eine interessante Frage ist, ob ein potentieller Anbieter Vertrauensschutz im modernen Sinne auf Leistungswettbewerb und Abwesenheit von Schädigungswettbewerb genießen kann. Vertrauensschutz wird gewährt, wenn • der Beklagte über einen höheren Informationstand verfügt als der Kläger, • diese Informationen produktiv sind und • die Opportunismusprämie höher ist als eine etwaige Vertrauensprämie. Aus ordoliberaler Sicht sind alle drei Voraussetzungen erfüllt: Der beklagte Monopolist hat einen großen Einfluß auf den Markt, er kennt die Umstände des Zustandekommens und des Inhalts der Marktergebnisse in jedem Falle besser als Außenstehende. Diese Informationen sind sowohl für den Außenseiter als auch für die Volkswirtschaft produktiv: Könnte ein Außenseiter absehen, daß sein Leistungspotential das Potential des Insiders auf einem Wettbewerbsmarkt übertrifft, so würde er den Marktzutritt wagen und für Innovationen sorgen. Erwartete er aufgrund der Information, daß er den Markt nicht bestreiten könnte, so unterließe er den Zutrittsversuch, wodurch Ressourcen eingespart würden. Schließlich ist die Opportunismusprämie des Beklagten sehr viel höher als eine etwaige Vertrauensprämie, da die erwarteten Vorteile aus der Monopolrente seine Kosten aus einem temporären Abwehrkampf übersteigen würden. So ist also auch in moderner Sprache unter den Annahmen der Ordoliberalen eine Umkehr der Beweislast in Verfahren zu begründen, in denen ein Außenseiter einen Monopolisten wegen vorsätzlicher Schädigung verklagt. 5 7 6 d) Zusammenfassung Das interdisziplinäre Zusammenwirken von Juristen und Ökonomen sowie die Beschäftigung mit den gleichen zeitgenössischen ökonomischen Erosionstendenzen versetzte die Forschungsgemeinschaft der Ordoliberalen in die Lage, eine Brücke zwischen beiden Professionen zu schlagen. 577 Die Zusammenarbeit war geprägt von dem Bemühen, ökonomische Zusammen57 5 576 57 7

14 E vers

Böhm (1933), S. 304 ff. Vgl. Böhm (1933), S. 58 ff., 134 ff. und Abschnitt C.II.2. Grossekettler (1997), S. 3 f.

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C. Ausgewählte Problembereiche

hänge in justiziable Begriffssysteme zu übersetzen und so eine Dolmetscherfunktion wahrzunehmen. 578 So konnten normative Regeln hergeleitet werden, welche im Ziel der Lösung eines Rechtsdissenses nicht eine pure Umverteilung zwischen Beklagtem und Kläger sahen, sondern Regelausgestaltungen, die systemstabilisierende Wirkungen fördern und systemdeformierende Wirkungen inhibieren. Unter der historischen Randbedingung hoher Informationskosten der Leitung ist dieses System eine Koordinationsordnung, die herrschaftsfreie Wettbewerbsordnung. Unter dieser Prämisse untersuchten die Ordoliberalen ausführlich, wie auf die zu deren Zeit augenscheinlichste Art des Marktversagens, der Marktvermachtung, zu reagieren ist: Asymmetrische Machtverteilungen haben zu knappe Mengen und zu hohe Preise (Störung der Markträumungsfunktion), 5 7 9 mangelnde Anreize zu effizienten Investitionen (Störung der Renditenormalisierungsfunktion), 580 mangelnde Innovationsanreize (Störung der Produkt- und Verfahrensfortschrittsfunktionen) 581 sowie machtintendierte Ressourcenverschwendung für Schädigungsmaßnahmen582 zur Folge, sind durch die Rechtsprechung zu beseitigen. Effizienzmotivierten Machtkörpern sind Machtpraktiken zu verbieten. 583 Von dieser normativen Basis ausgehend analysierten die Ordoliberalen zeitgenössische rechtliche Fragestellungen wie die Behandlung von Kartellverträgen, die Überwachung effizienter Monopole, das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft, das Haftungsrecht sowie das Patentrecht. Bei allen Bereichen überwog klar die Marktmachtperspektive, jedoch wurde analog zum Monopolproblem die Effizienzperspektive niemals aus den Augen verloren. So konnte auch eine Aufbereitung ordoliberaler Ansichten über die Ausgestaltung von Rechtsregeln in der Sprache der NIE gelingen. Ebenso überwog eine eher zivilrechtliche Perspektive. Obwohl Wettbewerbsschutz als öffentliche Aufgabe verstanden wird, machen die Ordoliberalen bezüglich der Ausgestaltung des öffentlichen Rechts kaum konkrete Vorschläge. Ausgenommen von dieser Kritik sind Böhms Vorschläge zum Monopol- und Kartellrecht, das zwar auf privatrechtliche Tätigkeiten zielt (Regulierungszweck), als solches seiner Meinung nach aber öffentliches Recht sein sollte.

57 8 57 9 580 581 582 583

Böhm (1933), S. IX. Eucken (1952), S. 31 f. Eucken (1952), S. 36 f. Eucken (1952), S. 38 f. Böhm (1933), S. 67, 291; Eucken (1952), S. 40 ff. Eucken (1952), S. 291 ff.

III. Private Willensbildung II: Ökonomische Analyse des Rechts

211

3. Vergleichende Stellungnahme a) Gemeinsamkeiten Die neoinstitutionalistische und die ordoliberale ökonomische Analyse des Rechts fußen auf demselben Fundament: Ohne Rechtsordnung kann eine moderne, arbeitsteilige Sozialordnung nicht existieren. Bei der konkreten Ausgestaltung von Rechtsregeln und der Lösung von Rechtsstreitigkeiten kommt es nicht primär darauf an, Kosten von einer zur anderen Partei im Sinne einer Sühnefunktion umzuverteilen. Vielmehr ist die gesamte Volkswirtschaft als Partei einzubeziehen, die Kosten sind so zuzuordnen, daß die Lösung Gemeinwohlzielen genügt, der Konsument ist Nebenkläger. Das Recht hat zuallererst eine Präventivfunktion. Dabei hat die Nationalökonomie den Juristen ökonomisches Wissen, geronnen in umsetzbare und justiziable Normen und Prinzipien zuzuliefern. Die Juristen müssen sich diesem Wissen öffnen und sich vielleicht gegen angelernte Gewohnheiten in den Dienst der Erhaltung einer herrschaftsfreien Sozialordnung stellen. 584 Von dieser gemeinsamen Denkbasis aus stellen Forscher beider Richtungen die gleichen Fragen. 585 • Wie ist die bestehende Struktur und Verteilung von Rechten zustande gekommen? • Welche Auswirkungen hat die Rechtsstruktur auf die Allokationseffizienz? • Was sind die tatsächlichen Voraussetzungen für die Herausbildung einer effizienten Rechtsstruktur? • Wie sollte die Rechtsstruktur mit Blick auf das Ziel der Allokationseffizienz beschaffen sein? b) Unterschiede Ein erster Unterschied ergibt sich aus der Gegenüberstellung der jeweiligen Leitsätze der Forschungsrichtungen: Leitsatz der modernen ökonomischen Analyse des Rechts: „Structure the law as to minimize the harm caused by failures in private agreements!". 5 8 6

584 Grossekettler Ott (2000), S. 15 ff. 585 Grossekettler

14*

(1996), S. 309 ff.; ders. (1997), S. 80 ff.; ders. (1998); Schäfer, (1996), S. 309 ff.; Schäfer,

Ott (2000), S. 10.

212

C. Ausgewählte Problembereiche

Leitsatz der ordoliberalen ökonomischen Analyse des Rechts: „Unter hohen Kosten zentraler Leitung gestalte man ein System dezentraler Leitung mit Hilfe von Rechtsregeln, die systemdeformierende Handlungen mit hohen Transaktionskosten belegen und die Transaktionskosten system stabilisierender Handlungen minimieren." 5 8 7

Während es ind er Neuen Institutionenökonomik um die Minimierung von Transaktionskosten geht, suchen die Ordoliberalen nach einer optimalen Transaktionskostenstruktur. Beide Ansätze lassen sich jedoch ineinander überführen. Dazu wird die Größe „Transaktionskosten" in zwei Komponenten zerlegt: TKgesamt = TKMarkt

+ TKschutz

T K g e s a m t gibt die gesamten volkswirtschaftlichen Transaktionskosten wieder, T K M a r k t sind die Kosten von Verträgen zwischen Marktakteuren. T K S c h u t z sind die Kosten einer Politik im Sinne Böhms: Es sind Kosten der Wettbewerbsbehörde, welche machtintendierte Kooperationen und Konzentrationen verhindern und das Gebaren effizienzintendierter Kooperationen und Konzentrationen überwacht 588 sowie Kosten der Bereitstellung von Kollektivgütern, welche Markttransaktionen erleichtern (z.B. Infrastruktur, Erhöhung der Markttransparenz). 589 Wird kein Wettbewerbsschutz betrieben ( T K S c h u t z = 0) so ist T K M a r k t sehr hoch, da aufgrund vermachteter Strukturen auf allem Märkten die Koordinationsfunktionen nur unzureichend erfüllt und Dispositionsalternativen nur unter Aufwendung hoher Kosten in Erfahrung gebracht werden können. Mit zunehmenden Schutzaktivitäten steigen die Kosten der Wettbewerbsbehörde an, es wird ein größerer Verwaltungsapparat benötigt, die Behörde wird anfälliger gegenüber dem Druck von Interessengruppen. 590 Auf der anderen Seite trägt die Behörde jedoch zur Senkung von T K M a r k t bei, da durch die zunehmende Behinderung von Vermachtung und Förderung von Mobilität und Transparenz Markttransaktionen immer besser koordiniert werden können. Mit steigenden T K S c h u t z sinkt also T K M a r k t . Weiterhin sei angenommen, daß bis zu einem gewissen Grade die Grenzkosten des Wettbewerbsschutzes geringer sind als die Grenzabnahme der Transaktionskosten im Markt. 5 9 1 Dann ergibt sich folgende Empfehlung: 586

Cooter, ölen (2000), S. 93. Böhm (1933), S. 122 f.; Grossekettler (1996), S. 309 ff.; ders. (1997), S. 81. 588 Vgl. Abschnitt C.II.23. 589 Böhm (1966), S. 100. 590 Vgl. Abschnitt C.II.2.c). 591 Diese Annahme ergibt sich aus den Empfehlungen der Ordoliberalen, speziell aus dem Leitsatz Böhms. Denn wäre er davon überzeugt gewesen, daß Wettbewerbspolitik mehr kostet als nützt, hätte er die obige Empfehlung niemals ausge587

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Wende solange Kosten für den Wettbewerbsschutz auf, bis die Grenzkosten des Wettbewerbsschutzes dem Grenznutzen einer verbesserten Marktkoordination entsprechen. Ausgehend von diesen prinzipiell gleichen Voraussetzungen ist jedoch analog zum Monopolproblem die Gewichtung von Macht- und Effizienzargumenten sehr unterschiedlich. Die moderne ökonomische Analyse des Rechts ist klar effizienzorientiert. Marktmacht wird als Problem erkannt, jedoch kaum als solches behandelt. Die Ordoliberalen hingegen legen das Schwergewicht dagegen eindeutig auf Marktmacht als Marktversagensgrund. So fällt auch die Beurteilung einzelner Probleme unterschiedlich aus. Die moderne ökonomische Analyse des Rechts sieht den Grund eines mitunter gestörten AGB-Wettbewerbs in Informationsasymmetrien und erklärt Störungen mit Hilfe der Akerlof-Dynamik. Private Ordering wird als effizientes Instrument zur Senkung von Transaktionskosten gesehen und trägt zur Konsistenz des institutionellen Rahmens bei. Auch die Ordoliberalen erkennen die Vorteile dezentraler Rechtsprechung an, aber nur unter der Bedingung einer Wettbewerbsordnung. Diese galt es jedoch erst noch zu implementieren. In einer Welt der Marktmacht aber sind die meisten AGBs Instrumente zur Verwandlung von Konsumentenrente in Monopolrente. Sie stellen mit der Rechtsordnung konfligierende Institutionen dar, welche institutionellen Wandel hin zu noch stärkerer Vermachtung bewirken können. In der NIE wird auch der Berufsethik die Funktion zuerkannt, Informationskosten auf Seiten der Nachfrage zu senken. Die Ordoliberalen jedoch machen darauf aufmerksam, daß branchenspezifische Ideen/Ideologien zur Schließung der Märkte beitragen können und somit zur Vermachtung. 592 c) Fazit Im Prinzip bestätigt die Untersuchung der Ansätze beider Forschungsrichtungen zur ökonomischen Analyse des Rechts das Fazit des vorherigen Abschnitts: Es kann nicht konstatiert werden, daß beide Forschungsrichtungen sich in bezug auf die ökonomischen Analyse des Rechts inhaltlich ausschließen. Vielmehr ergeben sich bezüglich der Effizienzüberlegungen, die wiederum in beiden Richtungen angestellt werden, erstaunliche Übereinstimmungen. Wieder ist die Gewichtung grundsätzlich unterschiedlich. Die moderne ökonomische Analyse des Rechts untersucht Rechtsregeln vorwiesprochen. Böhms Ausführungen über Kosten und Nutzen einer solchen Behörde machen die Annahme plausibel, daß ab einem gewissen Aktivitätsniveau die Behörde mehr Kosten als Nutzen verursacht. 592 Vgl. Abschnitt C.I.2.

214

C. Ausgewählte Problembereiche

gend unter Effizienzgesichtspunkten, während die Ordoliberalen diese hauptsächlich aus der Perspektive der Marktmacht betrachten. Dabei sind die wesentlichen ordoliberalen Auffassungen ohne Probleme in die moderne Sprache übersetzbar, was wiederum für gleiche Denkrichtungen spricht. Wir sehen also wieder beide Seiten einer Medaille. Die moderne ökonomische Analyse des Rechts kann Machtphänomene erfassen und modellieren, eine Analyse aus ordoliberaler Sicht ist um die Effizienzperspektive zu erweitern. So können erneut beide Richtungen gewinnen, der Ordoliberalismus und die NIE.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik Die Notwendigkeit zur Verteidigung einer Wirtschaftsordnung gegen immanente Entartungsgefahren nennt Grossekettler Repressionsbedarfe. 593 In Abschnitt C.II, wurde in diesem Zusammenhang die erste von beiden Gefahren geschildert, welche die Ordoliberalen für äußerst gefährlich für die Wettbewerbsordnung und somit für eine menschenwürdige Wirtschafts- und Sozialordnung hielten: Die Auswirkungen des Verhaltens privater Machtkörper, deren Ziele Gemeinwohlzielen in den meisten Fällen zuwider laufen. In diesem Abschnitt geht es nun darum, die zweite Gefahr zu untersuchen, welche es nach ordoliberaler Lehre abzuwehren gilt: Die Auswirkungen des Verhaltens öffentlicher Machtkörper. In der Sprache der NIE hat man es hier mit der Analyse der Auswirkungen des Verhaltens öffentlich auftretender Kollektivakteure zu tun, zu denen Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, aber auch Politiker, Parteien und Bürokraten gehören. 594 Dieser Teil der NIE wird als Neue Politische Ökonomie (NPÖ) bezeichnet. 595 Es ist von daher nicht verwunderlich, daß die Ausführungen der Ordoliberalen darauf hindeuten, daß „ . . . die Erkenntnisse der Ökonomischen Theorie der Politik von den Ordoliberalen der ersten Generation nicht gerade als Novitäten betrachtet worden wären." (Grossekettler, 1997, S. 9 0 ) . 5 9 6

593

Grossekettler (2000), S. 3; ders. (2000a), S. 1. Eine ähnliche Unterscheidung nehmen Frey, Kirchgässner (1994) vor, die, ähnlich wie in dieser Arbeit, zunächst getrennt die verschiedenen Wirkungen des Preissystems bei Konkurrenz und Monopol beschreiben, darauf die Wirkungen des Zusammenspiels von Parteien und Wählern, der öffentlichen Verwaltung und wirtschaftlicher Interessen sgruppen. 595 Frey (1991), S. 493. Richter, Furubotn (1996, S. 37 f.) sehen die NPÖ zwar als Teil der NIE an, setzen in ihrem Lehrbuch jedoch andere Schwerpunkte. Erlei, Leschke, Sauerland (1999, S. 307 ff.) gehen bei ihrer Betrachtung der NIE ausführlich auf die NPÖ ein. 594

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

215

Eine Analyse dieses Problemkreises aus neoinstitutionalistischer und ordoliberaler Sicht bietet sich also an. Dabei wird wieder zunächst aus neoinstitutionalistischer und dann aus ordoliberaler Sicht argumentiert. Zunächst geht es jeweils um die Anreize zur Bildung öffentlicher Machtkörper, sodann um das Verhalten der Beteiligten und ihre ökonomischen Auswirkungen. Ein zusammenfassender Vergleich beschließt dieses Abschnitt. Insbesondere im NIE-Teil geht es dabei nicht um eine lehrbuchartige Komplettdarstellung der sehr umfassenden Literatur und sehr zahlreichen Modelle der NPÖ, sondern um die Vorbereitung eines Vergleiches der Modellannahmen und Verhaltensauswirkungen, die in den beiden Schulen konstatiert werden. Die NPÖ-Modelle werden somit in ihren Grundformen skizziert. 597

1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik a) Ursachen sozialer Zielkonflikte

598

Mit Hilfe der oben skizzierten Theorie öffentlicher Güter lassen sich eine Vielzahl der Ursachen von Konflikten zwischen der Gesellschaft und ihren Untergruppen plausibel machen. Die dargestellte Systematik von Grossekettler zur Bereitstellung und Finanzierung von Kollektivgütern ist dabei normativer Art, es werden Vorschläge zur Bereit- und Herstellung von Kollektivgütern gemacht, die den Euckenschen Prinzipien genügen. 599 Dem steht jedoch der institutionelle Rahmen der Realität gegenüber, der bisweilen diametral von der Grossekettlerschcn Soll-Konzeption abweicht. Die NPÖ hat sich die Erklärung der in der Realität vorzufindenden Ineffizienzen zur Aufgabe gemacht. Die Charakteristika von Kollektivgütern sind verantwortlich für ein Phänomen, welches in der NIE-Literatur als „Trittbrettfahrerproblem" oder 596

Röpke selbst machte von dem Ausdruck „Politische Ökonomie" Gebrauch. Vgl. Krüsselberg (1999), S. 3 ff. 597 Die Bereiche des internationalen politischen Wettbewerbs und des Wettbewerbs zwischen Jurisdiktionen bleiben dabei ohne Verlust an für die Arbeit relevanten Erkenntnisen ausgeblendet, vgl. hierzu Richter , Furubotn (1996), S. 463 ff.; Erlei , Leschke, Sauerland (1999), S. 371 ff. Zum Wettbewerb der Jurisdiktionen sei insb. auf die Arbeiten von Breton (1996), Tiebout (1956), sowie auf den Beitrag von Kübbeler ( 1999) hingewiesen. 598 Zu den nachstehenden Ausführungen vgl. Grossekettler (1996, 1998). In dieser Arbeit wird unter „öffentlicher Machtgruppe" jede Teilgruppe einer Gesellschaft verstanden, die sich aufgrund noch zu diskutierender Gründe Sonderrenten aneignen können. 599 Die Orientierung an den Euckenschen Prinzipien findet sich bei Grossekettler (1999) zwar nicht wörtlich, sie ergibt sich aber im Zusammenhang mit anderen Literaturstellen, in deren Kontext sich Grossekettler klar zum Ordoliberalismus bekennt, z.B. Grossekettler (1989), S. 15; ders. (1997), S. 59 ff.

C. Ausgewählte Problembereiche

216

„Schwarzfahrerproblem" bezeichnet wird. Mit diesen Begriffen wird ein Zielkonflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität benannt. Dabei wird in der NPÖ-Literatur vor allem auf die erste der beiden oben genannten Kollektivguteigenschaften abgestellt: Es ist - jedenfalls auf der Basis privaten Rrchts - nicht möglich, andere Nutzer von der Inanspruchnahme des Gutes vollständig auszuschließen. 600 Im folgenden seien zwei Individuen, A und Β mit identischen Nutzenfunktionen und gleich hohen Budgets angenommen, welche auf den Kauf von Mengeneinheiten eines Privatgutes und auf die Bereitstellung von Mengeneinheiten eines Kollektivgutes aufgeteilt werden können. 6 0 1 Xp

Legende: X k : Menge des Kollektivgutes B a , B a b : Budgetgeraden

Xp: Menge des Privatgutes I I , 12, 13: Indifferenzkurven

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 27: Haushaltspläne ohne und mit Verhandlungen

Zunächst sei eine Situation betrachtet, in der nicht verhandelt wird. Individuum A offenbart seine Präferenzen und stellt das Kollektivgut bereit. Es teilt sein Budget auf den Kauf des Privatgutes und auf die Bereitstellung des Kollektivgutes auf. Es ergibt sich die Budgetgerade B a und die Indifferenzkurve I I . Da nun A das Kollektivgut bereitgestellt hat und Β von der Nutzung nicht ausgeschlossen werden kann, wird das Kollektivgut für Β kostenlos: Er nutzt die von A bereitgestellte Menge des Kollektivgutes und gibt sein gesamtes Budget für das Privatgut aus. Somit erreicht er die hö600 601

Vgl. z.B. Kirsch (1997), S. 148 ff. Ein ähnliches Beispiel findet sich bei Kirsch (1997), S. 149 f.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

217

here Indifferenzkurve 12, und zwar nur deshalb, weil er seine wahren Präferenzen nicht als Erster offenbart hat. Unterstellt man, daß auch A diese Logik bekannt ist, so ist es für beide Individuen rational, das Kollektivgut nicht bereitzustellen. Beide befinden sich in einem Gefangenendilemma, denn unter den Modellannahmen ergibt sich das paradoxe Ergebnis, daß das unterbleibt, was eigentlich alle wollen: Die Bereitstellung eines Gutes, das allen nützt. Eine Lösung ohne Verhandlungen führt also in diesem Modell zu einem Suboptimum. 602 Nun sei unterstellt, daß die Individuen kostenlos miteinander verhandeln können. Beide kennen die Logik von Kollektivgütern, beide wissen aber auch, daß eine Bereitstellung für beide vorteilhaft wäre. Unter der Annahme, daß beide sich darauf einigen, die bereitzustellende Menge je zur Hälfte zu finanzieren, gilt für beide Individuen die Budgetgerade B a b , da der Preis zur Bereitstellung einer Mengeneinheit des Kollektivgutes für beide vereinbarungsgemäß nur halb so hoch ist, wie für das einzige bereitstellende Individuum im Falle ohne Verhandlungen. Bei den unterstellten Kurvenverläufen erreichen nun beide Individuen die höhere Indifferenzkurve I 3 . 6 0 3 Allgemein ausgedrückt ist es für alle Mitglieder vorteilhaft , sich auf Regeln zur Bereitstellung des Kollektivgutes zu einigen. Für die weiteren Überlegungen wird nun die Annahme nicht existenter Transaktionskosten aufgehoben. Es gibt Meßkosten beim Verhandeln in der Form, daß die jeweiligen Vorschläge der Individuen und deren Konsequenzen zu bewerten und abzuschätzen sind. Dieses impliziert auch Unsicherheit über die Zukunft. Ist eine Vereinbarung getroffen, so kann sie außerdem nicht kostenfrei durchgesetzt werden, da die Durchsetzung von Regeln schon an sich ein Kollektivgut ist: Sorgt einer für die Durchsetzung einer Regel, so gilt sie für jeden. 6 0 4 Je höher die Transaktionskosten von Verhandlungslösungen sind, desto wahrscheinlicher werden die oben beschriebenen Gefangenendilemmasituationen, desto unwahrscheinlicher wird also die Bereitstellung des Kollektivgutes. Olson (1992) hat die Faktoren herausgestellt, welche die Höhe der Transaktionskosten kollektiver Verhandlungs-

602 Buchanan (1987) spricht von einer Situation, in der dezentraler Tausch nicht zu einem Optimum führt. Der Konsens muß auf einer anderen Ebene, nämlich auf der Regelebene gesucht werden. Vgl. Buchanan (1987), S. 247. 603 Die beiden Individuen würden sich einigen auf eine Aufteilung der Bereitstellungskosten, die es beiden ermöglicht, auf eine höhere Indifferenzkurve als 12 zu gelangen. Dieses Ergebnis ist analog der Aussage von Coase (1960) über die Verteilung von Property-rights bei Vorliegen externer Effekte, daß in einer Null-Transaktionskosten-Welt Verhandlungslösungen unter allokationspolitischen Überlegungen zu einem sozialen Optimum führen. 604 Vgl. Kirsch (1997), S. 62 ff., 76 ff.

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C. Ausgewählte Problembereiche

lösungen und somit die Wahrscheinlichkeit der Bereitstellung von Kollektivgütern beeinflussen: Mit wachsender Gruppengröße wächst die Zahl der Verhandlungspartner, mithin die Meßkosten und als Folge einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Schwarzfahrerei auch die Durchsetzungskosten. Außerdem sinkt mit wachsender Gruppengröße der Anteil des Kollektivgutes, der dem einzelnen Individuum zukommt, wodurch die individuelle Beitragsbereitschaft reduziert wird. Je homogener weiterhin die Intensitäten der einzelnen Kollektivgüterbedürfnisse sind, desto unwahrscheinlicher wird ein einseitiges Nachgeben, was die Transaktionskosten erhöht. Sind die Intensitäten dagegen heterogen, so kann es im Extremfall sogar dazu kommen, daß ein einzelnes Individuum einen so großen Nutzen aus dem Kollektivgut bezieht, daß es das Gut wohl oder übel auch für alle anderen bereitstellt und den Preis allein zahlt. 6 0 5 Die Einigung auf Regeln zur Bereitstellung eines Kollektiv gutes ist also umso wahrscheinlicher, je kleiner die Gruppe ist und je heterogener die Intensitäten der Bedürfnisse der Gruppenmitglieder ausgeprägt sind. Diese in der Realität auftretende Problematik kann durch zwei in der NPÖ diskutierte Mittel gemildert werden: (1) Selektive Anreize, (2) Formlose Beschränkungen. Ad (1) Selektive Anreize: Positive selektive Anreize bestehen darin, daß ein Verbandsmanagement (z.B. die Leitung einer Gewerkschaft) den Mitgliedern für deren Mithilfe bei der Bereitstellung eines Kollektivgutes (in der Regel ein monetärer Verbandsbeitrag) ein Privatgut zur Verfügung stellt (z.B. gewerkschaftliche Ferieneinrichtungen). Mit steigender Gruppengröße wird jedoch der Kollektivgutanteil für das einzelne Mitglied so gering werden, daß die Nutzensumme aus positivem Anreiz und Kollektivgutanteil seine Nutzeneinbuße in Form des Beitrages und sonstigem Engagement für den Verband nicht mehr übersteigt. Auf der anderen Seite erreicht die Summe der notwendigen positiven Anreize ab einer bestimmten Gruppengröße einen prohibitiv hohen Preis. 6 0 6 Negative selektive Anreize bestehen in der Ausübung von Zwang. Die Mitglieder (z.B. Gewerkschaftsmitglieder) leisten einen Beitrag (Streik) und erkaufen sich so Straffreiheit. Olson (1991) nennt als Beispiel das „handfeste" Einschreiten von Streikposten gegen Streikbrecher. 607 Auch die 605

Kirsch (1997), S. 151 ff. Im obigen Beispiel wurde eine kleine Gruppe (2 Mitglieder) mit homogenen Bedürfnisintensitäten (identischen Nutzenfunktionen) angenommen. Das im Nichtverhandlungsfall Individuum A das Kollektivgut bereitstellte, lag daran, daß es die Logik der Kollektivgüter nicht durchschaute und daher seine Präferenzen offenbarte. 606 Vgl. Kirsch (1997), S. 60 f.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

219

Wirkung negativer selektiver Anreize ist durch eine kritische Gruppengröße begrenzt, da ab einer bestimmten Gruppengröße die Bereitschaft für den einzelnen nachzugeben aufgrund des immer kleiner werdenden Kollektivgutanteils zurückgeht und daher auch Zwangsmaßnahmen wegen steigender Durchsetzungskosten eine obere Grenze haben. Ad (2) Formlose Beschränkungen: Formlose Beschränkungen werden von Kirsch (1997) als verhüllter Zwang bezeichnet und im weitesten Sinne zu den negativen selektiven Anreizen gezählt. Von North (1991) wird ihnen die Eigenschaft der Reduktion von Unsicherheit zugesprochen. Wie in den vorherigen Abschnitten ausführlich diskutiert, sind tradierte formlose Beschränkungen in erheblichem Maße einer Pfadabhängigkeit unterworfen und mithin nur schwer änderbar. In der NPÖ wird als zusätzlicher Aspekt ein psychologisches Moment gesehen: Der Mensch entwickelt nicht nur ein Selbstinteresse, sondern auch ein Interesse an einem „Selbst". Dieses Interesse bezieht sich auch und vor allem auf den Umgang mit anderen Individuen. Aufgrund dieses tiefenpsychologischen Bedürfnisses ist es für ihn von höchstem Nutzen, individuelle formlose Beschränkungen zu entwikkeln. Der größte Teil dieser Normen wird sich dabei durch seine Erziehung bilden. Formlose Beschränkungen, die wiederum nicht auf die Gesellschaft als Ganzes, sondern nur auf eine bestimmte Gruppe gerichtet sind, werden, wie Coleman (1990) ähnlich wie Axelrod (1984) herausstellt, sich am ehesten dann bilden, wenn die Gruppe klein und die Informationskosten gering sind, mithin also enge soziale Beziehungen bestehen. 608 Somit dürften formlose Beschränkungen eher bei kleinen Gruppen doch noch eine Bereitstellung ermöglichen. Selektive Anreize und formlose Beschränkungen können somit das Kollektivgutproblem mildern. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß in einer Welt positiver Transaktionskosten die Bereitstellung von Kollektivgütern durch eine kritische Gruppengröße und durch einen kritischen Gleichförmigkeitsgrad der Bedürfnisintensitäten begrenzt ist. In Volkswirtschaften, die Millionen von Individuen umfassen, existieren nun sowohl Kollektivgüter, die von allen Wirtschaftssubjekten nachgefragt werden (Gemeinwohlinteressen) als auch Kollektivgüter, die von Teilgruppen nachgefragt werden (Partikularinteressen). Im Gemeinwohlinteresse liegt die Verfolgung der Ziele Wohlstand, Gerechtigkeit und Sicherheit, sie korrespondieren mit allokativen, distributiven und stabilisierenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen. 6 0 9 Partikularinteressen hingegen äußern sich im Streben nach Sonderrenten. Hier handelt es sich um Ziele ganz bestimmter Gruppen von Wirt607

Vgl. Olson (1991), S. 25 f. Vgl. Kirsch (1997), S. 76 ff., 89 ff. 609 Zu den Zielen wirtschaftspolitischen Handelns des Staates vgl. Musgrave , Musgrave, Kullmer (1990). 608

220

C. Ausgewählte Problembereiche

schaftssubjekten, deren Größe jeweils nur einen Bruchteil der Gesellschaft ausmachen. Die Kollektivgüter Wohlstand, Gerechtigkeit und Sicherheit werden von allen Wirtschaftssubjekten, mithin auch von allen Teilgruppen angestrebt. Von den großen Gruppen ist jedoch aufgrund ihrer vergleichsweise schlechten Organisierbarkeit und der weniger intensiven Spürbarkeit des jeweiligen Kollektivgüternutzens nur eine vergleichsweise schwache Bereitstellungsmotivation zu erwarten. Dieses gilt vor allem für Konsumenten, Sparer, Steuerzahler und Wähler. Sonderrenten kommen ex definitione jedoch nur Teilgruppen zugute. Aufgrund ihrer geringen Größe und aufgrund der besseren Organisierbarkeit und intensiveren Spürbarkeit des Kollektivgüternutzens von Sonderrenten ist die Bereitstellungsmotivation der Teilgruppen für diese Kollektivgüter stärker ausgeprägt. Man hat also zwei Ebenen von Kollektivbedürfnissen zu unterscheiden. Zum einen gibt es Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft, zum anderen Bedürfnisse nur der jeweiligen Subgruppe. Dabei folgt aus den obigen Überlegungen, daß es für jedes Gesellschaftsmitglied rational erscheint, als Subgruppenmitglied etwaige Partikularinteressen intensiv zu verfolgen, als Gesellschaftsmitglied sich jedoch für Gemeinwohlinteressen vergleichsweise schwach einzusetzen. Auf der Ebene der Gesamtgesellschaft kommt es somit zu einem Auseinanderdriften individueller und kollektiver Rationalität. An sich bestünde kein Problem, wenn kein Zielkonflikt zwischen Partikular- und Gemeinwohlinteressen bestünde, was z.B. von den Vertretern einer Theorie der prästabilierten Harmonie angenonmen wurde und von der heutigen Chicago-Schule für viele Bereiche angenommen w i r d . 6 1 0 Besteht jedoch ein Zielkonflikt, so wird es im Zeitablauf zu einer Überlagerung von Allgemeinwohlinteressen durch Partikularinteressen kommen: Das Zusammenwirken der Logik kollektiven Handelns auf verschiedenen Ebenen, nämlich auf der Ebene schlecht zu organisierender und der Ebene gut zu organisierender Gruppen führt zu einer Nutzenaneignung kleiner Gruppen zu Lasten aller. Diese Situation wird im folgenden als sozialer Zielkonflikt bezeichnet und anhand verschiedener in der NPÖ diskutierter Modelle untersucht. b) Das Verhalten der am Willensbildungsprozeß

Beteiligten

Die verschiedenen Ausprägungen sozialer Zielkonflikte werden seit nunmehr über 20 Jahren in der NPÖ diskutiert. Dabei wurden je nach der am Willensbildungsprozess beteiligten Gruppe verschiedene Modelle entwikkelt. In dieser Arbeit wird das Verhalten folgender Gruppen analysiert: 610

Vgl. die Abschnitte B.I.I., C.I.2.c) und Grossekettler

(1989), S. 23.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

221

• Politiker und Wähler, • die Bürokratie, • wirtschaftliche Interessengruppen. 611 aa) Politiker und Wähler Bereits in den 40er-Jahren stellte Schumpeter (1946) heraus, daß in Demokratien letztendlich derjenige Entscheidungsmacht besitze, dem diese Entscheidungsmacht durch die Wähler verliehen worden sei, der sich also im politischen Konkurrenzkampf durchgesetzt habe. Downs (1957) hob in der Folge das Eigennutzstreben der Politiker hervor und Herder-Dornreich (1959) betonte, daß es nicht darauf ankomme, in Rousseauscher Tradition einen Volkswillen zu identifizieren, sondern nach allgemein akzeptierten Regeln eine Wählermehrheit für ein Ergebnis kollektiven Handelns zu finden. Luhmann (1969) spricht von der Legitimation politischer Macht durch Verfahren. 612 So wurde das Spannungsverhältnis zwischen Politikern und Wählern schon relativ früh konsequent im Lichte des methodologischen Individualismus betrachtet. Im folgenden wird zunächst die Seite der Wähler untersucht und anschließend mit der Seite der Politiker zusammengeführt. • Wähler und Informationbereitschaft

613

Wähler haben die Auswahl zwischen verschiedenen politischen Programmen, bei denen es um öffentliche Belange, um die Bereitstellung und Finanzierung von Kollektivgütern geht. Dabei ist für den Wähler vor allem Informationsvermittlung und -aufnähme von Belang. 6 1 4 Der Wähler wird dann eine weitere Information aufnehmen, wenn deren Nutzen deren Kosten übersteigt. Das Informationskosten/-nutzenverhältnis bei Kollektivgutentscheidungen entscheidet sich nun grundsätzlich von dem bei Entscheidungen im Zusammenhang mit reinen Privatgütern. Einerseits liegen die Informationskosten um Bereitstellung und Finanzierung eines 611 Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch die Ausführungen bei Daumann (1999), S. 173 ff. 612 Kirsch (1997), S. 184 ff. 613 Zu den folgenden Ausführungen vgl., wenn nicht anders vermerkt, Kirsch (1997), S. 181 ff., 214 ff. 6,4 Genau genommen stellen Informationsaufnahme und -Vermittlung den ersten Schritt der Präferenzäußerung eines Wählers über Bereitstellung und Finanzierung eines Kollektivgutes dar. In einem zweiten Schritt geht es darum, die aufgenommenen Informationen im Zusammenhang mit individuellen Nutzenvorstellungen in eine Wahlentscheidung umzusetzen. Vgl. zu Kosten und Nutzen dieses Partizipationsvorgangs Erlei, Leschke , Sauerland (1999), S. 321 ff.; Kirsch (1997), S. 224 ff.

222

C. Ausgewählte Problembereiche

Kollektivgutes erheblich über denen eines Privatgutes. Ursächlich hierfür ist die vergleichsweise breite sachliche Streuung der durch die Bereitstellung tangierten Bereiche. Damit verbunden ist die Notwendigkeit des Erwerbens und Handhabens von Fachwissen in vielen Disziplinen und die Notwendigkeit der Berücksichtigung vieler externer Effekte und Interdependenzen. Andererseits liegt der erwartete Informationsnutzen um Bereitsstellung und Finanzierung eines Kollektiv gutes erheblich unter dem eines Privatgutes. Selbst, wenn dem Wähler die Auswirkung der Gesamtentscheidung auf seine Wohlfahrt voll bewußt ist, so weiß er doch auch, daß die Entscheidung, welche er aufgrund der aufgenommenen Informationen fällt, im kollektiven Enmtscheidungsprozeß doch nur ein sehr geringes Gewicht hat. Somit werden die zuvor individuell aufgenommenen Informationen nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit wirksam. Hinzu kommt, daß ein hoher Informationsstand um Bereitstellung und Finanzierung eines Kollektivgutes wiederum ein Kollektivgut ist, da von einer wohlinformierten Kollektivgutentscheidung letztendlich niemand ausgeschlossen werden kann und der Nutzen des Gutes über alle Gruppenmitglieder streut. Daraus folgt, daß Wähler sich über Privatgüter umfassender informieren werden als über Kollektivgüter. Dieses Phänomen war den Ordoliberalen sehr bewußt und spielte bei deren Vorschlägen zur Implementierung einer Wettbewerbsordnung eine entscheidende Rolle, was in Abschnitt C.IV.2. gezeigt werden wird. Im folgenden wird untersucht, ob die mangelnde Bereitstellung des Kollektivgutes „umfassender Informationsstand über Kollektivgüter" durch die Existenz heterogener Bedürfnisintensitäten der Informationsvermittlung oder durch die Mechanismen selektiver Anreize oder formloser Institutionen gemildert wird. - Heterogene Bedürfnisintensitäten

der Informationsvermittlung

Es ist plausibel, anzunehmen, daß einige Individuen einen sehr hohen privaten Nutzen aus der Vermittlung von Informationen ziehen. Hierzu zählen Politiker, Buchautoren, Künstler, Prediger oder Journalisten. Die Vermittlung von Informationen dient diesen Gruppen als Mittel, ihre eigenen gottgegebenen Fähigkeiten, Eloquenz, Darstellungstalent und berufsspezifische Qualitäten in eigene Wohlfahrt umzuwandeln. Dabei werden diese Gruppen bestrebt sein, die Kosten der Informationsaufnahme möglichst gering zu halten. Das führt z.B. beim Kampf um Wählerstimmen dazu, daß Politiker die Informationskosten dadurch senken, daß sie ihre jeweilige Partei mit einer Idee/Ideologie in Verbindung bringen. Der Bürger wird einen großen Teil seiner Wahlentscheidung von einem Vergleich seiner subjektiven internen Modelle mit den Parteiideen/-ideologien abhängig machen.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

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Auch kann ein Individuum Informationskosten abwälzen auf einen Verband, der wiederum aus Eigennutzgründen Informationen aufnimmt und verarbeitet und sie seinen Mitgliedern als Kollektivgut bereitstellt, aber diese Informationen auch in Rent-seeking-Prozessen Politikern gegenüber einsetzen kann. Der Verband hat somit „verbandseigennützige" Vorteile, insofern ist die Argumentation des vorherigen Absatzes auf die Verbandsebene übertragbar. Analog machten die Ordoliberalen solche Gruppen als „ordnende Potenzen" aus, welche schon aus Eigennutz das Wohl der gesamten Bevölkerung im Auge haben mußten, wie später gezeigt werden wird. - Selektive Anreize Der Wirksamkeit selektiver Anreize liegt eine Kopplung eines Bereitstellungsbeitrages mit einem Privatgut zugrunde. Als Beispiel für ein solche Privatgüter führt Olson (1991, 1992) gewerkschaftseigene Ferieneinrichtungen und Sondertarife für Gewerkschaftsmitglieder bei Versicherungen an. Auch die Informationsaufnahme durch die Bürger, die ja an sich schon ein Kollektivgut darstellt, enthält gewisse selektive Anreize: Der Bürger hat zumindest eine gewisse Vorstellung von den Parametern, die seine eigene Wohlfahrt betreffen. Daher senkt er die Informationskosten dadurch, daß er die Informationen aufnimmt, von denen er annimmt, daß sie seine Wohlfahrt betreffen. Hiermit verbunden ist auch die Kopplung von Informationen an das Privatgut einer unterhaltsamen und „actionreichen" Informationsvermittlung („Infotainment"). Ähnlich sprachen die Ordoliberalen im Zusammenhang mit den Einflußnahmeversuchen von Interessengruppen von „Propaganda". 615 - Formlose Beschränkungen Dieser Mechanismus wird in der Literatur nicht explizit im Zusammenhang mit dem Kollektivgut „Informationen" betrachtet. Plausibel ist jedoch die Überlegung, daß es in liberalen Gesellschaften zur Entwicklung einer „Informations- oder Wissenskultur" kommt: Stimmt man der Annahme heterogener Bedürfnisintensitäten bei der Informationsvermittlung zu, so folgt daraus, daß die angesprochenen Gruppen auf Nachfrage nach den von ihnen ausgesandten Informationen angewiesen sind. Daher werden Sie, gemäß der Northschen Aussagen, versuchen, zum einen gewisse selektive Anreize zu nutzen (z.B. Transport der Informationen per Infotainment), zum anderen aber auch auf formlose Beschränkungen Einfluß zu nehmen: So müssen Politiker im Kampf um Wählerstimmen den Bürgern suggerieren, daß das Programm ihrer Partei gut, das der gegnerischen Parteien aber schlecht ist. Da alle Parteien so handeln, setzt ein 615

Siehe Abschnitt C.I.2.a).

224

C. Ausgewählte Problembereiche

Kampf um Wählerüberzeugungen ein, der aber nur geführt werden kann, wenn die Bürger bereit sind, sich zu informieren. 616 Aus all dem folgt, daß die Bürger aus rationalen Gründen einen Informationsstand anstreben, der zwar nicht gleich Null, aber sehr niedrig ist. Die Präferenzoffenbarung bezüglich der Bereitstellung und Finanzierung von Kollektivgütern ist unvollständig. Es ist daher rational, Kontrollrechte auf Zeit abzugeben an Deligierte, an Politiker, welche die Verhandlungen stellvertretend für die Bürger führen. Es entsteht das erste Glied einer P/AKette: Wähler Politiker 6 1 7 • Politiker und Wahlen In der NPÖ werden Politiker als Nutzenmaxi mierer und als Interessengruppe modelliert. 6 1 8 Politiker mit homogenen Ideen/Ideologien organisieren sich in Parteien. Sie leisten an die Partei einen Beitrag in Form von Zeitaufwand, Arbeit und finanzieller Unterstützung und erstreben als Partei gemeinsam das Kollektivgut „Macht", welche sich z.B. in der Möglichkeit äußert, als Regierungspartei höhere Diäten oder prestigeträchtige Projekte durchzusetzen. 619 Der folgenden Darstellung liegen die Ausführungen von Erlei, Leschke, Sauerland (1999, S. 332 ff.) zugrunde und damit die vereinfachenden Annahmen, daß es zwei Parteien gibt, jeder Wähler eine Stimme hat, es um die Bereitstellung eines einzigen Kollektivgutes geht, bei dem keine Rivalität im Konsum herrscht und daß die Finanzierung dieses Kollektivgutes mittels einer Kopfsteuer erfolgt. Unter der Annahme kostenloser Informationsaufnahme und -Vermittlung würde sich der Programmwettbewerb der Parteien ausschließlich auf die Bereitstellungsmenge beschränken. Sie würden sich auf den Steuersatz herunterkonkurrieren, der durch die minimalen Bereitstellungskosten determiniert ist. Die Erhebung einer höheren Steuer würde nämlich zu einer Budgetverknappung beim Wähler führen und daher zu Nutzeneinbußen. Seine Stimme fällt jedoch der Partei zu, von deren Programm er sich einen möglichst hohen Nutzen verspricht. Daher wählt er die Partei, deren Programm die ceteris paribus geringsten Steuerabzüge für ihn bringt. Bieten jedoch beide Parteien in ihren Programmen den durch die minimalen Bereitstellungskosten dezimierten Steuersatz an, so bleibt als strategische Variable nur die Bereitstellungsmenge übrig. 616 Kirsch (1997) spricht in diesem Zusammenhang von der indirekten Demokratie als „Lern- und Lehrveranstaltung". Vgl. Kirsch (1997), S. 208 ff. 617 Vgl. auch Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 323 f. 618 Vgl. Tollison (1982), S. 595. 619 Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 326 f.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

225

Weiter sei angenommen, daß die Wählerpräferenzen mit der Höhe der Bereitstellungsmenge korreliert sind (z.B. mag ein „linker" Wähler hohe, ein „rechter" Wähler geringe Bereitstellungsmengen präferieren) und ein Wähler diejenige Partei wählt, deren Programm seinen Vorstellungen näher steht als das der anderen Partei. Das Stimmenmaximierungskalkül führt dann dazu, daß diejenige Partei gewinnt, welche gemäß ihres Programms als Regierungspartei diejenige Menge bereitstellen würde, welche der Präferenz des Medianwählers entspricht. Dieser Wähler ist hinsichtlich seiner Präferenzen genau in der Mitte des durch die Höhe der Bereitstellungsmenge determinierten Spektrums angesiedelt. 620 Es bleibt als erstes Ergebnis festzuhalten, daß selbst in einer Null-Informationskosten-Welt zwar die Bereitstellung der präferierten Menge effizient erfolgt und es keine Budgetüberschüsse gibt, die Menge an sich jedoch nur bei homogenen Präferenzen aller Bürger allokativ optimal ist. Denn dann sind alle Wähler Medianwähler. Selbst bei Abwesenheit von Informationskosten ist eine effiziente Allohation nicht gewährleistet. Werden nun wieder positive Kosten der Informationsaufnahme und -Vermittlung angenommen, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß eine Regierungspartei einen monopolistischen Spielraum sowohl zu einer Variation der Bereitstellungsmenge als auch zur Schaffung von Budgetüberschüssen zur Finanzierung etwa von hohen Diäten und Prestige-Investitionen besitzt. Dieser Spielraum wird durch die positiven Kosten der Informationsbeschaffung über das Programm der Oppositionspartei verursacht. Die Regierungspartei wird nämlich nur dann abgewählt, wenn für den Medianwähler der erwartete Nutzen des Regierungsprogramms geringer ausfällt als der erwartete Nutzen des Oppositionsprogramms zuzüglich der Kosten der Informationsbeschaffung über das Oppositionsprogramm. Somit kann selbst bei höherem erwarteten Nutzen des Oppositionsprogramms die Regierungspartei wiedergewählt werden. Bei positiven Informationskosten sind weder effiziente Allokation noch effiziente Bereitstellung gewährleistet. In der Literatur werden weitere Nachteile der oben beschriebenen Zusammenhänge beschrieben. Frey, Kirchgässner (1994, S. 143 ff.) stellen heraus, daß diese Form der Abstimmung (einfache Mehrheitsregel) nicht die Abbildung verschiedener Präferenzintensitäten erlaubt. 621 Es besteht ferner die Möglichkeit der dauerhaften Ausbeutung einer Mehrheit durch eine Minder620

Bei einer ungeraden Anzahl an Wählern steht der Medianwähler genau in der Mitte: Die Anzahl derer, die eine höhere Menge als der Medianwähler präferieren, ist dann ebenso groß wie die Anzahl derer, die eine geringere Menge wünschen. Zur Herleitung des Ergebnisses des Stimmenmaximierungskalküls vgl. Downs (1957); Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 332 ff.; Kirsch (1997), S. 234 ff. 621 Arrow (1951) stellt heraus, daß bei Mehrheitsentscheidungen, bei denen es mehrere Alternativen und mehrere Dimensionen innerhalb der Alternativen gibt, zy1 Evcrs

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C. Ausgewählte Problembereiche

heit. Diese Gefahr dürfte vor allem dann auftreten, wenn der Umgang mit dieser Form der Abstimmung noch ungelernt ist, sich noch keine Erfahrungskurveneffekte bemerkbar machen und der Kollektivgutnutzen noch nicht so klar gesehen wird, die Informationskosten also besonders hoch sind. 6 2 2 Auch ist im Zuge von Stimmentauschvorgängen ein strategisches Wahlverhalten möglich, welches die Präferenzabbildung verzerrt. 623 Als Folge dieser Abstimmungsform wird die Möglichkeit des Auftretens politischer Konjunkturzyklen genannt. So wird nach den Wahlen eine restriktive Konjunkturpolitik betrieben, verbunden mit der Dämpfung von Inflationserwartungen. Vor den nächsten Wahlen wird expandiert, was kurzfristig die Arbeitslosigkeit senkt und mittelfristig, also nach den Wahlen, die Inflationsrate erhöht. In der NPÖ existieren zahlreiche Modelle zu diesem Themenkomplex 6 2 4 Auch die staatliche Investitions-, Transfer- und Preispolitik bei öffentliche Gütern kann durch Wahlzeitpunkte beeinflußt werden. Ferner werden Investitionen bevorzugt, deren Nutzen weithin sichtbar ist, deren Kosten jedoch verschleiert werden. Auch kann es zur Bevorzugung wirtschaftlicher Interessengruppen kommen, wenn sich die Regierungspartei von deren Informationspolitik gegenüber dem Wähler eine Erhöhung der Wiederwahlchance erhofft. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird gezeigt werden, daß die Ordoliberalen diese Ergebnisse bereits vorgedacht haben. Als Vorteil der Mehrheitsabstimmung nennen Frey, Kirchgässner (1994), daß das Prinzip „jeder hat eine Stimme" dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, wenngleich die Wahlbeteiligung auch vom Einkommen beeinflußt wird und auch regionale ökonomische Unterschiede Über- oder Unterrepräsentanzen wirtschaftlicher Gruppen bewirken können. 6 2 5 Als weitere Vorteile werden die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung genannt sowie die relativ geringen Transaktionskosten der Mehrheitsabstimmung. 626 Als Ergebnis bleibt jedoch festzuhalten, daß man in der NPÖ von einem Überwiegen der beschriebenen Nachteile ausgeht: Es besteht ein sozialer Zielkonflikt: Das Stimmenmaximierungsverhalten der politischen Kaste wird höchstwahrscheinlich Ergebnisse zeitigen, die, wenn überhaupt, nur zufällig den Präferenzen der Gesamtbevölkerung entsprechen.

klische Mehrheiten und inkonsistente Präferenzordnungen die Folge sind, was von vornherein eine funktionierende Präferenzerhebung verhindert. 622 Vgl. auch Grossekettler (1999c). 623 Vgl. hierzu auch Buchanan, Tullock (1962), Kapitel 10. 624 Frey (1991), S. 494. 625 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Frey, Kirchgässner (1994), S. 143 ff. 626 Frey, Kirchgässner (1994), S. 143 ff.; Kirsch (1997), S. 224 ff.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

227

Allgemein wird als Konsequenz in der NPÖ vorgeschlagen, schon konstitutionell so weit wie möglich Wettbewerbsbedingungen zwischen den Parteien herzustellen. So soll kleineren und neuen Parteien der Marktzugang erleichtert werden. Direkte Abstimmungen sollen stärker in den politischen Prozess integriert werden. Eine Erhöhung der Markttransparenz und damit eine Senkung von Informationskosten erhofft man sich von der vermehrten Einrichtung unabhängiger Stellen wie z.B. Rechnungshöfen, von der Einführung von Gesetzen mit gesetzlicher Auslauffrist (Sunset-Gesetzen), von einer verstärkten Begründungspflicht der Regierung bei Gesetzesvorhaben und einem vereinfachten Steuer- und Transferwesen. 627 bb) Bürokratie Wie wird eine in einem politischem Prozess determinierte Bereitstellungsmenge eines Kollektivgutes finanziert und bereitgestellt? Die NPÖ geht bei der Beantwortung dieser Frage von zwei Annahmen aus: (1) Positive Transaktionskosten der Bereit- und Herstellung, (2) Annahme des methodologischen Individualismus. Ad (1) Positive Transaktionskosten der Bereit- und Herstellung: Der Bereitstellungs- und Herstellungsprozess von Kollektivgütern ist ebenso mit Transaktionskosten verbunden wie die Herstellung von Privatgütern. Die Transaktionskosten resultieren zum einen aus den Kosten aus hoher Spezifität, hoher Unsicherheit über die Zukunft und mangelnder Wiederholbarkeit von Transaktionen. Desweiteren sind auch Verfahrenspräferenzkosten relevant, die bei hoheitlichen Tätigkeiten aus fiktiven Versicherungsprämien resultieren, welche die Bürger zur Abdeckung der Risiken privater Bereitstellung zu zahlen bereit wären (so existiert z.B. eine Präferenz der Bereitstellung des Gutes „Recht und Ordnung" durch ein hierarchisch-staatliches Verfahren statt durch den Markt). 6 2 8 Ad (2) Methodologischer Individualismus : Die in der öffentlichen Verwaltung tätigen Beamten handeln nicht als wohlwollende und allwissende Diener wohlwollender und allwissender Diktatoren, sondern verfolgen eigene Ziele, die pekuniärer Art sein können, aber nicht müssen. Aus diesen 627 Zu nennen sind hier die Vorschläge zu einer negativen Einkommenssteuer sowie zum Bürgergeld (Brümmerhof 2001, S. 307 ff.; Engels (1986); Mitschke (1985)). 628 Grossekettler (1999), S. 552; Kirsch (1997), S. 310 ff. Letzterer betrachtet jedoch lediglich die Transaktionskosten. Frey, Kirchgässner (1994) blenden darüber hinaus auch etwaige Transaktionskostenvorteile aus, die für eine Integration sprechen könnten und gehen von einer prinzipiellen Überlegenheit von Marktmechanismen auch bei staatlichen Aufgaben aus. Vgl. Frey , Kirchgässner ( 1994), S. 173 ff.

1

228

C. Ausgewählte Problembereiche

individuellen Zielfunktionen heraus ist das Handeln der Verwaltung zu analysieren. Es ergibt sich, daß zwischen Regierung und staatlicher Verwaltung eine P/A-Beziehung der Bereitstellung existiert. 629 Es ist ab einem gewissen Spezifitäts- bzw. Unsicherheitsgrad auf der einen Seite lohnend, diese Tätigkeiten zu integrieren, also staatlich bereitzustellen. Auf der anderen Seite ist es aber zum einen für die Regierung zu kostspielig, die Leistungen durch Regierungsmitglieder selbst bereitzustellen: Konkrete Bereitstellungsaufgaben werden daher spezialisierten Beamten übertragen, wodurch auch Lern- und Erfahrungskurveneffekte nutzbar gemacht werden können. Zum anderen ist es wegen des erhöhten Spezifitäts- bzw. Unsicherheitsgrad zu kostspielig, diese Beamten vollständig zu kontrollieren. Es ergibt sich somit folgende P/A-Kette: Der Wähler fragt Kollektivgüter nach, deren Menge nach einem politisch determinierten Verfahren ermittelt wurde. Diese Bereitstellungsaufgabe wird für eine Legislaturperiode an die gewählte Regierung weiterdelegiert. Hier ist der Wähler Prinzipal, die Regierung Agent. Die Regierung delegiert nun die Details der Bereitstellung an die öffentliche Verwaltung weiter. Hier ist die Regierung nachfragender Prinzipal, die Verwaltung anbietender Agent. Die Verwaltung besteht ihrerseits aus Kollektivakteuren 630 und zerfällt in Untergruppen, Referaten oder Abteilungen, die den Prinzipalen (z.B. Ministerien) angeschlossen sind. Das folgende Modell berücksichtigt diese Annahmen und Konsequenzen und basiert auf Ausführungen bei Erlei, Leschke, Sauerland (1999). 6 3 1 Als (indirekter) Nachfrager nach der Bereitstellung fungiert das Parlament, als Anbieter die öffentliche Verwaltung. Es wird weiter angenommen, daß der Nutzen der Verwaltungsbeamten entweder mit der Höhe der Bereitstellungsmenge korreliert ist (durch ein höheres Prestige und durch mehr Macht oder durch ein höheres Einkommen bei höheren Bereitstellungsmengen) oder mit der Höhe eines diskretionären Finanzspielraums. Daraus ergeben sich die anhand Abbildung 28 dargestellten Konsequenzen. Als Finanzierungsrestiktion gelte, daß die Summe der marginalen Zahlungsbereitschaften das Steueraufkommen, vereinfacht das Produkt aus einer Kopfsteuer und der Zahl der Steuerzahler/Wähler, nicht überschreiten darf. Da nun bei höherem Kopfsteuersatz, also höherem Preis des öffent629 Hiervon strikt zu trennen sind die Make-or-buy-Analysen der Herstellung. So erfolgt die Bereitstellung in der Regel durch Verwaltungsbeamte, die Herstellung aber gemäß eines Gesamtkostenvergleiches entweder durch staatliche oder private Anbieter. 630 Vgl. Kirsch (1997), S. 319. 631 Vgl. zur folgenden Darstellung Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 342 ff. Vgl. auch Brümmerhof (2001), S. 248 ff.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

229

GK MZB

Legende: GK: MZB:

Grenzkosten marginale Zahlungsbereitschaft

B: N:

Bereitstellungsmenge Nachfrage

Quelle: Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 344.

Abbildung 28: Verhalten der öffentlichen Verwaltung

liehen Gutes, vom Parlament (dessen Wiederwahl von der dem Wähler aufgebürdeten Steuerlast abhängt) weniger von diesem Gut nachgefragt wird, ergibt sich der fallende Verlauf der Nachfragekurve N. Die Angebotskurve entspricht der Grenzkostenkurve der Bereitstellung GK, es werden konstante Grenzkosten angenommen. Strebt die öffentliche Verwaltung nun nach einer möglichst hohen Bereitstellungsmenge, wie z.B. von Niskanen (1971) angenommen, so wird sie die Menge B 2 vorschlagen, denn bei dieser Menge gleichen sich die Einnahmen ABC und die Ausgaben CDE aus. Die Verwaltung wird diese Menge aufgrund ihres Informationsvorsprungs gegenüber dem Parlament auch durchsetzen können. Zwar erfolgt die Bereitstellung betriebswirtschaftlich effizient, ökonomisch optimal wäre jedoch die Menge Bj. Maximiert die Verwaltung ihren diskretionären Finanzspielraum, so wird sie die gesamtwirtschaftlich optimale Menge B j durchsetzen, denn bei dieser Menge realisiert sie den maximalen Spielraum ABC. Allerdings wird die Verwendung dieses Spielraums dann in Form verschleiernder Kostenerhöhungen „getarnt" werden (betriebswirtschaftliche Ineffizienz). Bei einer Mischstrategie werden Mengen zwischen B j und B 2 realisiert.

230

C. Ausgewählte Problembereiche

Analog zu diesen Ergebnissen werden in der Literatur bei fehlenden konstitutionellen Vorkehrungen zu hohe Staatsquoten konstatiert. 632 Auch ist es wahrscheinlich, daß „Verwaltungsmonopole" X-Ineffizienzen und Slacks aufgrund fehlender Wettbewerbsanreize nach sich ziehen. 6 3 3 Auch bei dieser Beurteilung haben die Ordoliberalen im übrigen eine ähnliche Denkrichtung. Aufgrund der oben dargestellten Konstellationen ergibt sich ein fehlerhaftes Informations- und Motivationssystem, welches nicht für die Belohnung effizienter und die Bestrafung ineffizienter Handlungen sorgt. 6 3 4 Das Nutzenmaximierungsverhalten der Bürokratie führt zu Fehlallokationen, die über höhere Steuern und ineffiziente Bereitstellungspraktiken zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Hierin liegt ein sozialer Zielkonflikt begründet. Als Abhilfemaßnahme wurde in der früheren Bürokratie-Literatur z.B. von Niskanen (1971) vor allem die Einführung von Wettbewerb unter Verwaltungsbehörden vorgeschlagen. Dieser Vorschlag war jedoch stets der Kritik unterzogen, daß der Verwaltungsoutput nur schwer meßbar sei und die Gestaltungsmöglichkeiten der Behörden sehr beschränkt seien. 635 Ein neuerer, sehr interessanter Vorschlag von Deubel (1999) sieht vor, die öffentlichen Haushalte zweistufig zu gliedern: In der ersten Stufe sorgen Kernhaushalte für die Bereitstellung wichtiger Kollektivgüter wie Infrastruktur, Dienstleistung sowie Gesetzes werke. In der zweiten Stufe werden bei der Herstellung diejenigen Teilleistungen, die aufgrund von Produktions-, Transaktions- und Verfahrenspräferenzkostenvorteilen privat erstellt werden können, privaten Zulieferern anvertraut. Die restlichen Leistungen werden zwar öffentlich erstellt, jedoch von Betriebshaushalten. Auch diese Betriebshaushalte sollen jedoch soweit wie möglich unter Wettbewerbsbedingungen arbeiten. Dieses soll erreicht werden • durch ein kaufmännisches anstelle eines kameralistischen Rechnungswesens, • durch Einführung von Auftragnehmer-Auftraggeberbeziehungen. Deubels Vorschlag stellt also auf eine Simulation von Wettbewerbsbedingungen ab, wodurch letztendlich eine effiziente Lenkung von Produktionsfaktoren und somit eine Reduktion des Produktivitätsrückstandes gegenüber dem privaten Sektor erreicht werden soll 6 3 6 632

Vgl. Bernholz, Breyer (1994), S. 146 ff. Aus diesen Ineffizienzen resultiert ein beträchtliche Produktivitätsrückstand gegenüber dem privaten, vor allem export-ori enti erten Sektor, worauf Deubel (1999, S. 149 ff.) mit Nachdruck hinweist. 634 Vgl. Koppel (1979), S. 22 f. 635 Kirsch (1997), S. 318. 633

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

231

cc) Wirtschaftliche Interessensgruppen Dem Problembereich der wirtschaftlichen Interessensgruppen wird sowohl in der NPÖ als auch im Ordoliberalismus breiter Raum eingeräumt, wobei zunächst die eine Untersuchung aus Sicht der NPÖ erfolgt. In Realdemokratien erlaubt es der Grundsatz der Koalitionsfreiheit auch den Trägern wirtschaftlicher Interessen, sich zusammenzuschließen und ihre Interessen gemeinsam zu artikulieren. In Anlehnung an Daumann (1999) und Hartwig (1997) wird eine wirtschaftliche Interessengruppe definiert als Vereinigung von Personen oder Organisationen, die freiwillig und auf Dauer angelegt ist mit dem Hauptziel, den Mitgliedern wirtschaftliche Sondervorteile zu verschaffen. Nebenziel ist die Bereitstellung von Kollektivgütern für die Mitglieder. 6 3 7 Ohne institutionelle Einschränkung dieser Interessensartikulation werden wirtschaftliche Interessensgruppen getreu der Annahme der Nutzenmaximierung danach trachten, den institutionellen Rahmen einer Volkswirtschaft so zu verändern, daß sie ihren Mitgliedern Kollektivgüter präsentieren können, welche mindestens den individuellen Beiträgen entsprechen, denn ansonsten käme es gemäß der Logik kollektiven Handelns nicht zu einem Zusammenschluß. Diese Kollektivgüter bestehen in Einkommens- und Gewinnvorteilen der Mitglieder gegenüber Nicht-Mitgliedern. 638 Solche Vorteile werden bei der Beeinflussung von Politik und Verwaltung mit dem Ziel einer Änderung des Institutionellen Rahmens zugunsten der jeweiligen Interessensgruppe, im Extremfall zur Schaffung einer eintrittsgeschützten Monopolstellung erstrebt. Als Maßnahmen, die den Interessensgruppen den Genuß solcher Renten ermöglichen sollen, werden Wahlkampfbeiträge, Zusicherung von Wählerstimmen, Informationen über Wählerpräferenzen, das Angebot einer gütlichen Zusammenarbeit und im Extremfall Korruption und Bestechung genannt. 639 Solche Maßnahmen wirken sich anders als das Gewinnstreben im Wettbewerb nicht zum Vorteil der Konsumenten aus und stellen daher gemäß der Theorie des „Rent-seeking" künstlich geschaffene Renten dar. 6 4 0 Bei der Bildung wirtschaftlicher Interessengruppen kann auf die einleitenden Ausführungen über die Logik kollektiven Handelns zurückgegriffen werden: Kollektive Handlungen erfolgen umso eher, je kleiner die Gruppe 636 Vgl. Deubel (1999). Deubel war tätig als Stadtkämmerer und Oberstadtdirektor der Stadt Solingen. Er ist derzeit Staatssekretär im Finanzministerium des Landes Rheinland-Pfalz. 637 Daumann (1999), S. 172; Hartwig (1997), S. 657 ff. 638 Brümmerhof! (2001), S. 154; ähnlich Becker (1996), S. 195. 639 Vgl. Frey (1991), S. 495; Frey , Kirchgässner (1994), S. 209. 640 Vgl. zum Begriff des „Rent-seeking" Abschnitt C.II.l.a)bb) und die in Tollison ( 1982) angegebene Literatur.

232

C. Ausgewählte Problembereiche

ist und je unterschiedlicher die Bedürfnisintensitäten der Gruppenmitglieder ausgeprägt sind. Mit wachsender Gruppengröße und zunehmender Homogenität der Bedürfnisintensitäten wächst die Bedeutung selektiver Anreize und formloser Beschränkungen, wobei letztere eher die Probleme zunehmender Homogenität der Intensitäten als diejenigen zunehmender Gruppengröße mildern können. Ausgehend von diesen Überlegungen, die in der NIE unstrittig sind, werden zwei Konsequenzen für das Verhalten wirtschaftlicher Interessengruppen und der daraus resultierenden Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes diskutiert: (1) eine eher optimistische Sicht: systemstabilisierende (2) eine eher pessimistische Sicht: systemdeformierende

Wirkungen, Wirkungen. 6 4 1

Ad (1) eine eher optimistische Sicht: systemstabilisierende Wirkungen: Kirsch (1997) macht deutlich, daß unter gewissen Umständen das Nebeneinander wirtschaftlicher Interessengruppen Konfliktpotential vom Staat fernhalten kann. 6 4 2 Ausgangspunkt ist das gesamte Zielkonfliktpotential einer Gesellschaft. Ein Teil des Konfliktpotentials wird quasi jedes Individuum „mit sich selber ausmachen" und intraindividuell anhand einer „inneren Ordinalskala" lösen. 6 4 3 Die folgende Abbildung zeigt, wie bei verbandlicher Interessensorganisation das verbleibende Konfliktpotential „abgearbeitet wird". Dabei werden folgende Annahmen zugrunde gelegt: • Es besteht eine heterogene Bedürfnisstruktur innerhalb der Gesamtbevölkerung. • Die Verbandsbildung in der Gesellschaft wird nicht institutionell gehemmt. • Alle Interessen sind gleich organisierbar. • Der Staat verhält sich verteilungsneutral.

641

Vgl. Hartwig (1997) S. 661 ff. Diesen Umstand haben auch die Ordoliberalen gesehen, wenn auch schwächer gewichtet. 643 Kirsch (1997), S. 237 ff., 292. 642

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

Intraverbandliche

Bedürfnisstruktur in der Bevölkerung

Bedürfhistruktur

homogen

heterogen Bereinigung im Verband

homogen heterogen

233

Bereinigung zwischen den Verbänden

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 29: Konfliktbereinigung in Gesellschaften durch Verbände

Das Feld oben links ist nicht besetzt, da die Bedürfnisstruktur der Bevölkerung annahmegemäß heterogen ist und diese Heterogenität sich entweder innerhalb der Verbände oder zwischen den Verbänden niederschlagen muß. Schlägt sie sich hauptsächlich innerhalb der Verbände nieder, beherbergt also der Verband Mitglieder mit verschiedenen Bedürfnissen, so wird ein Großteil der Konflikte innerhalb der Verbände ausgetragen. Schlägt sich die Heterogenität hauptsächlich zwischen den Verbänden nieder, ist also die Gesamtheit der Verbände einer Gesellschaft heterogen, so wird ein Großteil der Konflikte zwischen den Verbänden ausgetragen. 644 Das Feld unten rechts ist nicht besetzt, da Heterogenität innerhalb und unterhalb der Verbände zu einem sehr hohen Konfliktpotential führen würde und die Annahme plausibel ist, daß bei Unterschiedslosigkeit in der Organisierbarkeit der Interessen sich Verbände der Art heterogen/homogen (Feld oben rechts) oder der Art homogen/heterogen (Feld unten links) bilden würden, da in einer solchen Verbandsorganisation die Wahrscheinlichkeit von Konflikten geringer wäre. Bei einer solchen Organisation der Gesellschaft würden unter der Annahme gleicher Organisierbarkeit aller Verbände Bereitstellungskonflikte über Kollektivgüter nicht über die öffentliche Hand, sondern über Interessensverbände geführt werden, was zu einer Entlastung des Staates und letztendlich des Steuerzahlers führen würde. 6 4 5 Zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt auch Becker (1996 und 1996a), und zwar auch unter teilweiser Aufhebung der Annahme gleicher verbandlicher Organisationsbedingungen. In der Tradition von Bentley (1908) fordert 644

Dieses geschieht auch dann, wenn ein Individuum gleichzeitig Mitglied mehrerer Verbände ist und eigentlich wieder in einen Zielkonflikt geriete. Durch Ideen/ Ideologien und in der Folge formlose Institutionen und formelle Beschränkungen innerhalb der Verbände kann sich das Zielsystem des Verbandes vom Zielsystem des Mitgliedes ablösen. Coleman (1971) spricht von der „Verselbständigung korporativer Macht". 645 Vgl. Kirsch (1997), S. 292 f.

234

C. Ausgewählte Problembereiche

er, eine Situation herzustellen, in der die Interessensgruppen dem Wettbewerb der Interessen ausgesetzt sind. 6 4 6 Der Markteintritt müsse folglich für alle Arten wirtschaftlicher Interessensgruppen erleichtert werden. Letztendlich seien alle Interessengruppen der gesamtwirtschaftlichen Budgetrestriktion Subventionen = Steuereinnahmen unterworfen. Er schreibt ferner großen Gruppen durchaus die Fähigkeit schlagfertiger Organisation, der Druckausübung und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu, wenn er ihnen auch nicht, wie Olson, die Schlagkraft der kleinen Gruppen zusprechen möchte. Der Gewinn einer Interessensgruppe ist dabei von folgenden Faktoren abhängig: Einfluß

Wirkung

Druck des eigenen Verbandes

positiv

Druck anderer Verbände

negativ

Kosten der Beeinflussung von Politik und Verwaltung

negativ

Kosten der Eindämmung des Trittbrettfahrens

negativ

Kosten des Rent-seeking

negativ

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 30: Einflußgrößen auf den Gewinn von Interessensgruppen

Ein Anbieter-Verband einer bestimmten Branche trachtet nach Subventionen, ein Nachfrager-Verband nach verminderter Steuerlast. Dem eigenen Druck steht einem Verband direkt der entgegengesetzte Druck anderer Verbände sowie Kosten der Beeinflussung politischer Entscheidungsträger und der Eindämmung des Trittbrettfahrens gegenüber. Indirekt treffen den Verband die Kosten des Rent-seeking, die als Allokationsverzerrungen und Minderung von Leistungsanreizen durch Umverteilungsmaßnahmen letztlich die gesamte Gesellschaft treffen. In der Folge müssen bei gewinnmaximierendem Verhalten die Verbände jeweils auf den Druck anderer Verbände reagieren. Sie werden jedoch auch bestrebt sein, die interne Verbandsorganisation zu verbessern und die Kosten des Rent-seeking gering zu halten. Auch bei dieser Sichtweise gelangt man also zu dem Schluß, daß eine wettbewerbsähnliche Organisation der Gesellschaft in Verbänden die Bereitstellung von Kollektivgütern erleichtern kann. 646

Zu den folgenden Ausführungen vgl. Becker (1996), S. 163 ff.; ders. (1996a), S. 185 ff.; Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 354 ff. Zu Gary Becker vgl. auch Pies , Leschke (1998).

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

235

Ad (2) eine eher pessimistische Sicht: systemdeformierende Wirkungen: Die von Becker vorgetragene Position ist innerhalb der NPÖ eine Mindermeinung und auch Kirsch (1997) stellt der optimistischen Sichtweise eine sehr pessimistische Sichtweise gegenüber. 647 Diese Sichtweise beruht auf den Schlußfolgerungen Olsons, der den Niedergang der Nationen als Folge der Zunahme des Drucks organisierter Partikularinteressen als letztendlich unausweichlich einschätzt. 648 Die Annahmen (3) und (4) werden jetzt gänzlich aufgehoben. Es gibt zum einen erhebliche Unterschiede in der Organisierbarkeit von Interessen. Wie oben ausgeführt, lassen sich diejenigen Interessen vergleichsweise gut in Verbänden organisieren, die von nur wenigen Individuen vertreten werden und/oder bei denen es erhebliche Unterschiede in der Interessensintensität gibt. Auch unter Zuhilfenahme selektiver Anreize oder formloser Beschränkungen kann die Gruppengröße nicht beliebig ausgeweitet werden. Daraus ergeben sich drei Schlußfolgerungen: • Wirtschaftliche Partikularinteressen, also insbesondere Interessen einzelner Branchen, lassen sich erheblich besser organisieren als die Interessen großer Gruppen, nämlich die der Konsumenten, Sparer, Wähler und Steuerzahler. • Auch innerhalb der Verbände gibt es Individuen, deren Interessensintensität stärker ausgeprägt ist als die des „Fußvolkes". Die Funktionäre werden mehr für einen Einkommens- oder Prestigezuwachs des Verbandes tun, da ihr Ansehen stärker mit dem Verbandserfolg korreliert ist als das der „Normalmitglieder". 6 4 9 • Gut organisierte Partikularinteressen können sich zu Lasten der unorganisierten Gemeinwohlinteressen einigen. So können sich Produzenten und Anbieter schnell auf Lohnerhöhungen einigen, wenn die zusätzlichen Kosten aufgrund monopolistischer Strukturen auf die Nachfrager abgewälzt werden können. Zusätzlich wird die Annahme der Verteilungsneutralität der öffentlichen Hand aufgehoben. Daraus ergeben sich zwei weitere Schlußfolgerungen: • Für die organisierten Interessen besteht über die Einigung zu Lasten Dritter hinaus die Möglichkeit und der Anreiz, Rent-seeking zu betreiben. 647

Vgl. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 360; Kirsch (1997), S. 294 ff. Auch im Ordoliberalismus überwiegt klar die pessimistische Sichtweise, siehe Abschnitt C.IV.2. 648 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Erlei, Leschke , Sauerland (1999), S. 348 ff.; Kirsch (1997), S. 294 ff.; Olson (1991), S. 20 ff. 649 Diese Aussage ist ähnlich derjenigen, daß innerhalb politischer Parteien die Funktionäre eher den gesellschaftlichen Median ansteuern als das „Parteifußvolk", da erstere von einem Wahlsieg stärker profitieren als letztere.

236

C. Ausgewählte Problembereiche

• Die gesamtgesellschaftlichen allokativen Verzerrungen sind, der Aussage Beckers widersprechend, aufgrund ihrer breiten Streuung für die Mitglieder eines Rent-seeking-Verbandes deutlich schwächer spürbar als die dem Verband direkt zukommenden Vorteile des Rent-seeking. Es entsteht ein Austauschverhältnis zwischen den Verbänden und der Politik sowie den Verbänden und der Verwaltung. • Das Austauschverhältnis

zwischen Verbänden und der Politik

Aufgrund positiver Informationskosten sind Politiker stets unvollständig über Wählerpräferenzen informiert. Wirtschaftliche Interessengruppen hingegen besitzen relativ präzise Informationen über das Verhalten ihrer Klientel und können dieses darüber hinaus durch ihre Marktmacht beeinflussen. Auch monetäre Zuwendungen in Form von Spenden werden in der NPÖ erwähnt. Im Gegenzug zur Verfügungstellung von (oftmals bewußt verzerrten) Informationen und von Geld drängen die Verbände auf politische Entscheidungen, welche der jeweiligen Branche Zusatzgewinne verschaffen und die jeweiligen Märkte dem Extrem des eintrittsgeschützten Monopols annähern sollen. 6 5 0 Als Beispiel seien Einfuhrsperren oder Mindestpreisregelungen in der Landwirtschaft erwähnt. Dabei trachten die Rent-seeker und Politiker stets danach, der Öffentlichkeit den Transfer der Zusatzgewinne zu verschleiern und die nicht zu verschleiernden Maßnahmen mit Scheinbegründungen zu versehen, um von den negativen Auswirkungen abzulenken, nämlich allokativen Verzerrungen und der Minderung von Leistungsanreizen, die letztendlich allen schaden. 651 • Das Austauschverhältnis

zwischen Verbänden und der Bürokratie

Die vergleichsweise präzisen Informationen der Verbände sind auch für die öffentliche Verwaltung der Hauptgrund für die Zusammenarbeit mit den Verbänden. Für viele Entscheidungen werden Informationen über Wählerpräferenzen oder über bestimmte Branchen benötigt. Auch kann die öffentliche Verwaltung Transaktionskosten auf Verbände abwälzen, indem den Verbänden öffentliche Aufgaben übertragen werden. 6 5 2 Als Gegenleistung verlangen die Verbände auch hier eine Ausfüllung des Ermessensspielraums der Bürokraten im Sinne der vertretenen Branchen. Es ist ferner plausibel anzunehmen, daß der Austausch zwischen den Verbänden und der Bürokratie durch niedrige Transaktionskosten die Verständigung beider Sphären erleichtert wird. Olson stellt heraus, daß die 650 Vgl. Brümmerhof { 1990), S. 123, Frey, Kirchgässner (1994), S. 209 ff. Die Verzerrung hat dort eine Grenze, wo sie offensichtlich wird: Zukünftige Reputation und damit Verhandlungsstärke eines Verbandes sind dann gefährdet. 651 Vgl. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 363 ff. 652 Frey, Kirchgässner (1994), S. 206; Kirsch (1997), S. 318 ff.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

237

Dienste von Verbänden und der Politik sich dahingehend ähneln, daß beide Gruppen Kollektivgüter zur Verfügung stellen. 653 So sind beide Gruppen verwandt in ihren formlosen Beschränkungen, bevorzugen ähnliche Umgangsformen und haben ähnliche Arbeitsabläufe zu bewältigen. Schon hierdurch werden Verhandlungen erleichtert und Einigungen wahrscheinlicher. 654 Zusammenfassend wird in der NPÖ-Literatur festgestellt, daß unter bestimmten Bedingungen eine verbandliche Organisation einer Gesellschaft zwar gemeinwohlförderlich sein kann, daß diese Bedingungen, vor allem die gleiche Organisierbarkeit aller Interessen und die Verteilungsneutralität des Staates, in der Realität kaum anzutreffen sind. Insofern überwiegt die Meinung, daß bei der verbandlichen Organisation einer Gesellschaft systemdeformierende Effekte überwiegen. Die unterschiedliche Organisierbarkeit der Interessen wird in der NPÖ kaum bestritten. Gibt nun der Staat seine Verteilungsneutralität auf, so wird Rent-seeking lohnend. In einer Spirale von Druck und Gegendruck wird der Staat schließlich zum Spielball der Interessen von Pressure-Groups. 655 In der Folge wird es zu einer Ausbreitung monopolistischer und kartellierter Märkte kommen, denn das ist ja das Ziel der Rent-seeker. Hiermit einhergehend ist eine nur unzureichende Lösung der Koordinationsaufgaben Markträumung, Renditenormalisierung, Übermachterosion sowie Produktund Verfahrensfortschritt verbunden. Anstrengungen werden ferner kaum noch zur Steigerung ökonomischer Effizienz unternommen, sondern führen zu Verteilungskämpfen und Verteilungskoalitionen, was wiederum eine Minderung der Leistungsanreize nach sich zieht. Hierin liegt ein sozialer Zielkonflikt begründet: Die gesamtgesellschaftlichen Kollektivgüter Wohlstand , Gerechtigkeit , Sicherheit werden nur unzureichend bereitgestellt, ein Übergewicht erhalten Sonderrenten mit dem Ergebnis eines rückläufigen Wirtschaftswachstums. Als Konsequenz fordern Frey, Kirchgässner (1994), mittels verfassungsmäßiger Verankerung so weit wie möglich einen Wettbewerb zwischen den Verbänden herzustellen und die Transparenz ihrer Aktivitäten durch Offenlegungszwang zu erhöhen. Auch soll der Staat großen Gruppen wie Steuerzahlern und Konsumenten Organisationshilfe leisten. 6 5 6 Erlei, Leschke, Sau653

Olson (1991), S. 22 f. Vgl. Kirsch (1997), S. 319. 655 von Hayek (1981), S. 23 ff., S. 137 ff.; Kirsch (1997, S. 302) sieht Deutschland auf dem Weg zu einer Verbandsdemokratie, von Alemann (1981) spricht von „Neokorporatismus". An dieser Stelle sei auch an die Ausführungen Böhms über Deutschlands Weg zum Land der Kartelle hingewiesen, vgl. Abschnitt C.I.2.c) sowie Böhm (1937), S. 150 ff.; ders. (1948). 656 Vgl. Frey, Kirchgässner (1994), S. 217 f. 654

238

C. Ausgewählte Problembereiche

erland (1999) fordern ebenfalls eine Senkung der Informationskosten der Wähler durch Aufklärung. Hier haben „Informationsorganisationen", Sachverständigensräte, Forschungsinstitute aber auch die Medien ihr Tätigkeitsfeld. Wenn nämlich die Verschleierung von Rent-seeking-Auswirkungen nicht mehr gelingt, wird das jeweilige Opportunitätskostenniveau eines institutionellen Zustandes für die Bürger meßbar. Bei einem zu hohen Opportunitätskostenniveau würde dann der Druck auf den politischen Sektor wachsen, die Dinge zu ändern. Auch Daumann (1999) erhofft sich von der Einrichtung von befristeten Institutionen (Sunset-Legislation) und entsprechender Überprüfungen von in der Tagespolitik vorgeschlagenen Gesetzen eine Erhöhung der Transparenz verteilungspolitischer Implikationen solcher Eingaben und eine stärkere Initiierung zwischenverbandlichen Wettbewerbs. 6 5 7 Einer Zerschlagung von Interessensgruppen werden nur wenige Erfolgschancen zugebilligt, da die transaktionskostensenkenden Wirkungen von Verbänden durchaus gesehen werden. Informationen über den Wählerwillen werden durch Verbände kostengünstig dem politischen Sektor vermittelt. Auch erhalten Bürger die Möglichkeit, ihre Interessen gegenüber der Öffentlichkeit zu artikulieren und eine Motivation zu politischem Handeln, womit letztendlich wieder ein Kollektivgut bereitgestellt w i r d . 6 5 8 Eine Zerschlagung von Interessensgruppen würde auch die Koalitionsfreiheit eindämmen und somit ein Grundrecht stark beschneiden. c) Zusammenfassung Die NIE in ihrer Ausprägung als NPÖ hat deutlich gemacht, daß es im laufenden ökonomischen Prozess zu erheblichen Zielkonflikten bei der Bereitstellung von Kollektivgütern kommen kann. Nimmt man mit Olson an, daß die Wahrscheinlichkeit, daß es zur Bereitstellung von Kollektivgütern kommt, in kleinen Gruppen wesentlich höher ist als in großen Gruppen, so gelangt man zu einer ersten Grobunterscheidung: Es ist schwieriger, eine Gesamtgesellschaft mit Kollektivgütern zu versorgen, als Subgruppen. Die Subgruppen werden ihre Ziele nämlich eher durchsetzen. Differenziert man auf der Ebene der Subgruppen weiter, so gelangt man nach einer Modellierung der einzelnen Subgruppen, der Politiker, der Bürokratie und der wirtschaftlichen Interessensverbände, unter der Annahme des methodologischen Individualismus zu der Schlußfolgerung, daß Subgruppen bei der Verfolgung ihrer Ziele allgemeinwohlschädliche Kuppelprodukte hervorbringen, die erhebliche Zielkonflikte der zwischen den Zielen der jeweiligen Subgruppe und der Gesamtgesellschaft bewirken. In der NPÖ überwiegt dabei 657 658

Daumann (1999), S. 195 ff. Vgl. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 362 ff.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

239

die pessimistische Sichtweise, daß im Zusammenspiel von wiederwahlorientierten Politikern, budgetorientierten Bürokraten und rentensuchenden Verbänden es sogar zum Niedergang von Nationen kommen kann. 6 5 9 Die bereits angedeuteten Analogien zu den Ausführungen ordoliberaler Autoren werden nun systematisch erarbeitet.

2. Die Sicht der Ordoliberalen Die Ordoliberalen haben nicht nur zu Erkenntnissen beigetragen, die später die Constitutional Economics wissenschaftlich bereichern konnten. Auch über die öffentliche Willensbildung im laufenden Prozess haben die Ordoliberalen Standpunkte formuliert, welche von der Annahme wohlwollender und allwissender Diktatoren und altruistischer und allwissender Stände weit abrückten. Dieses kommt schon dadurch deutlich zum Ausdruck, daß Eukken und Böhm als Hauptvertreter nicht glaubten, daß mit der Wettbewerbsordnung das Paradies vom Himmel falle und alle es dankbar annähmen, sondern daß die Wettbewerbsordnung unter Berücksichtigung der Motivationen der an der öffentlichen Willensbildung Beteiligten implementiert werden müsse. 660 Eucken (1952) kritisiert das zeitgenössische Denken, daß der Staat „ . . . von vielen Menschen als ein Wesen angesehen (wird, d. V.), dem fast unbeschränkte Aufgaben übertragen werden könnten, als ob er der unabhängige und wohlwollende Vater seiner Bürger wäre!" (Eucken , 1952, S. 330, Herv.d.d.V.). Die Rechtsordnung muß, so Böhm (1933) „ . . . die Widerstände und die fördernden Momente der Außenwelt so gruppieren, daß der Trieb, der die Menschen ... in Bewegung setzt, den für das Zustandekommen der herrschaftsfreien Kooperationsordnung erforderlichen Weg nimmt." (Böhm, 1933, S. 122 f.) Folglich hebt Eucken ganz klar hervor: „Die Ordnung des Staates ist ebenso eine Aufgabe wie die Ordnung der Wirtschaft." (Eucken, 1952, S. 331). Die Ordoliberalen verwerfen somit die Hypothese allwissender und altruistischer öffentlicher Entscheidungsträger und betrachten sie als Eigennutzmaximierer, ebenso wie später die Vertreter der NPÖ. Hier besteht also eine weitere Schnittstelle zwischen beiden Forschungsrichtungen. a) Ursachen der Existenz öffentlicher und ihr Verhalten

Machtgruppen

Die NPÖ hält mit der Theorie Olsons über die Logik kollektiven Handelns seit den 60er Jahren eine allgemeine Theorie bereit über die Bildung 659 660

von Hayek (1981), S. 23 ff., S. 137 ff.; Kirsch (1997), S. 302; Olson (1991). Vgl. Eucken (1952), S. 326; Grossekettler (1997), S. 72 ff.

240

C. Ausgewählte Problembereiche

von Subgruppen, deren Ziele von den Zielen der Gesellschaft abweichen. Zwar findet sich bei den Ordoliberalen keine ähnlich allgemeine Theorie wie die der Logik kollektiven Handelns. Die Existenz von Kollektivgütern sowie wesentliche Unterschiede zwischen kleinen und großen Gruppen dürften den Ordoliberalen jedoch sehr wohl bewußt gewesen sein. Böhm nennt Sprache, Privatrecht und Marktpreissystem als Einrichtungen zur Planungserleichterung autonom handelnder Menschen, also zur Senkung von Transaktionskosten. 661 Weiterhin erscheint es für Eucken selbstverständlich, daß Verhandlungen mit „wenigen Großen" weniger kostspielig sind als Verhandlungen mit „vielen Kleinen". 6 6 2 Er und auch Röpke sind ferner der Auffassung, daß Gewerkschaften besser Druck ausüben können als unorganisierte Arbeiter und als die große Gruppe der Konsumenten, da kollektives Handeln der Konsumenten mit großen Kosten verbunden ist, die auch das Primat der Konsumenten einschränken könnten. 6 6 3 Auch sind für Berufsstände Sonderrenten schneller und besser spürbar als die mittelbaren Vorteile einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung: „Daß der Wettbewerb ihnen (den Berufsständen, d.V.) ... auf die Dauer stärker nützt, wird meist nicht gesehen, denn diese Erkenntnis setzt die gedankliche Durchdringung des Gesamtwirtschaftsprozesses voraus, während die unmittelbaren Vorteile des Monopols direkt ins Auge springen" (Eucken, 1952, S. 326). Die Nachteile monopolistischen Gebarens wiederum sind, so Böhm, den eigentlichen Verursachern gegenüber der Öffentlichkeit nur schwer glaubhaft zuzurechnen, zumal die eigentlichen Verursacher offensichtliche Mißstände anderen Ursachen zuordnen. 664 Böhm spricht von einer „Vernebelung der Wirtschaftsatmosphäre". Und Rüstow (1949) schreibt: „Da in der modernen (...) Arbeitsteilung fast jede der beteiligten Wirtschaftsgruppen an ihrer Stelle für das Funktionieren des wirtschaftlichen Gesamtprozesses unentbehrlich (...) ist, so braucht man nur alle Angehörigen einer solchen Gruppe hinreichend straff zu organisieren, um durch gleichzeitige Arbeitseinstellung dieser Gruppe den gesamten Wirtschaftsprozeß schwer zu stören oder gar lahmzulegen, und um durch Drohung mit solchem Vorgehen einen erpresserischen Druck ausüben zu können: . . . " (Rüstow, 1949, S. 118). Modern ausgedrückt: Kleine Gruppen sind leichter organisierbar als große Gruppen und daher besser im Hinblick auf kollektive Handlungen zu organisieren. Sondervorteile kleiner Gruppen sind für deren Mitglieder vergleichsweise stark spürbar. Die Nachteile des Rent-seeking hingegen streuen über die große Gruppe der Konsumenten und sind aufgrund der hohen Komplexität des Wirtschaftsprozesses den Rent-Seekern nur schwer zuzurechnen.

661 662 663 664

Böhm (1966), S. 88. Eucken (1952), S. 94. Eucken (1952), S. 163, 294; Röpke (1950), S. 270. Böhm (1933), S. 39.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

b) Das Verhalten der am Willensbildungsprozeß

241

Beteiligten

Die Ordoliberalen beschäftigten sich mit nahezu den gleichen Arten öffentlicher Machtgruppen, wie die Vertreter der NPÖ. Dabei werden die einzelnen Gruppen teilweise detailliert hinsichtlich der Gruppenbildungsanreize und der Konsequenzen des Verhaltens der Gruppe für die Wirtschaftsordnung beschrieben. In einer Wettbewerbsordnung sollen die Konsumenten die Machtgruppe sein. Die Ordoliberalen der Kölner- sowie der Freiburger Schule schließen sich der Smithschen Auffassung vom Primat der Konsumenten an. Nur durch die möglichst gute Versorgung der Konsumenten wird die Wohlfahrt der Gesellschaft erhöht. Diese Aufgabe obliegt den Produzenten. In einer Wettbewerbsordnung sei der Kunde also Richter von Kampfes wegen und entscheide über Produzentenerfolg oder -mißerfolg. 665 Kartellierte oder monopolisisierte Strukturen bewirken jedoch eine Machtverschiebung zugunsten von Partikularinteressen. Den Konsumenten und Wählern wiederum fehlt oft das Wissen um komplexe wirtschaftliche Vorgänge. 666 Als Träger von Partikularinteressen identifizieren die Ordoliberalen: • Politiker, • Bürokratie, • Korporationen/Berufsstände. In einer Interpretation im Lichte der NIE sind also die Konsumenten die große Gruppe, deren Interessen aber durch die Interessen der Subgruppen überlagert werden können 6 6 7 Eucken faßt unter dem Begriff „Berufsstand" die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen jeweils einer Branche zusammen. Werden diese Organisation unter einem rechtlichen Dach zusammengefaßt und dem neuen Gebilde öffentlich rechtliche Befugnisse verliehen, so spricht Eucken von einer „Korporation". 6 6 8 Ebenso wie die Vertreter der NPÖ analysieren die Ordoliberalen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände unter den gleichen Gesichtspunkten. Analog zu Abschnitt C.IV.l. werden nun die genannten Subgruppen aus Sicht der Ordoliberalen betrachtet. 665 Böhm (1933), S. 101 f., 237; Eucken (1952), S. 163; Miksch (1948), S. 194; ders. (1949), S. 313; ders. (1950), S. 55 f.; Müller-Armack (1948), S. 135 ff. 666 V g l e t w a R ö p k e (1997), s. 38. 667 Vanberg (1999) schlägt vor, analog zum Begriff „Konsumentensouveränität" auf wirtschaftlicher Ebene von „Bürgersouveränität" auf politischer Ebene zu sprechen. 668 Eucken (1952), S. 144 ff. 16 E vers

242

C. Ausgewählte Problembereiche

aa) Politiker Bei den Ordoliberalen wird bei der Betrachtung der Tätigkeit der öffentlichen Hand nicht strikt zwischen verschiedenen Gruppen der öffentlichen Hand unterschieden, es gibt keine separate ordoliberale Theorie der Parteien und keine separate Theorie der Bürokratie. So konstatiert Eucken zwar die verschiedenen Entwicklungen in der Rechtssphäre, der Parlamente und Bürokratie, für ein weitaus wichtigeres Kennzeichen seiner Zeit hält er jedoch die Zunahme der Staatstätigkeit und die gleichzeitge Abnahme der Staatsautorität infolge des stetig wachsenden Einflusses wirtschaftlicher Interessensgruppen, wobei er in der Analyse nicht zwischen den einzelnen staatlichen Bereichen unterscheidet. 669 Konsequenterweise stellt Eucken zunächst einmal fest, daß staatliche Stellen allgemein mit der Lenkung des gesamten Wirtschaftsprozesses schlichtweg überfordert sind, die prohibitiv hohen Informationskosten verhindern die zentral geleitete Erfüllung der Koordinationsaufgaben 6 7 0 Bei ihm und anderen Autoren sind jedoch klare Hinweise zu finden auf die Hintergründe des Handelns sowohl von Politikern als auch Bürokraten, deren Folgen und den Konsequenzen. Eucken und Böhm heben hervor, daß Parlamentarier in Demokratien auf die Stimmungen der Wähler Rücksicht nehmen müssen und daß diese Rücksichtnahme ihre Haltung beeinflußt. 671 Auch Partsch (1948) weist in einem andern Kontext darauf hin, daß „Rücksichten auf die Wählerschaft" für alle politischen Parteien eine strenge Restriktion darstellen. 672 von Mering (1950) spricht von einer Abhängigkeit der RegierungsVertreter von der Stimmung der Wählerschaft. 673 Abseits von den Ordoliberalen weist Schumpeter darauf hin, daß es den Wählern aufgrund der Komplexität politischer Entscheidungsgegenstände unmöglich ist, zu „mäßigen Kosten" mit ihnen zu experimentieren. 674 von Mering weißt auch schon auf eine Folge der Abhängigkeit der Parlamentarier vom Wählerwillen einerseits und der notwendigerweise unvollständigen Präferenzoffenbarung der Wähler andererseits hin: „Sie müssen, wenn sie wieder gewählt werden wollen, am Ende ihrer Amtszeit auf sichtbare Maßnahmen im Interesse der ihnen anvertrauten Gemeinden hinweisen können, die ihre Wiederwahl rechtfertigen." Auch sei „ . . . die Versuchung, Pläne in der Hochkonjunktur in Angriff zu nehmen, sehr groß." (von Mering, 1950, S. 118).

669 670 67 1 67 2 67 3 67 4

Eucken (1952), S. 327 ff. Vgl. Eucken (1952), S. 330 f. sowie die in Abschnitt C.I.2.a) zitierte Literatur. Böhm (1966), S. 145; Eucken (1948), S. 69. Partsch (1948), S. 217. von Mering (1950), S. 118. Schumpeter (1946), S. 418, zitiert nach Röpke, Lenel (1948), S. 295.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

243

Eine Übertragung dieser ordoliberalen Aussage auf die gesamtwirtschaftliche Ebene erinnert an die Aussage heutiger Vertreter der Theorie politischer Konjunkturzyklen, daß bei angenommener Wiederwahlorientierung der politischen Entscheidungsträger etwa zwei Jahre vor Wahlen eine expansive Beschäftigungspolitik eingeleitet werden, um rechtzeitig zum Wahlzeitpunkt niedrige Arbeitslosenquoten präsentieren zu können. 6 7 5 Die Überlegungen der Vertreter der NPÖ zu politischen Konjunkturzyklen und der politisch bedingten Unmöglichkeit antizyklischen Verhaltens wären für die Ordoliberalen sicherlich keine Überraschung. In moderner Sprache lassen sich deren Ausführungen folgendermaßen interpretieren: Politiker sind machtorientiert und unterliegen der Wiederwahlrestriktion . In diesem Prozeß können der Eigennutz der Politiker und der Wähler aufgrund positiver Informationskosten auseinanderdriften. Hierin besteht ein sozialer Zielkonflikt. bb) Bürokratie Aus den Ausführungen Gathers (1949) über die Reform der Patentgesetzgebung heraus steht zu vermuten, daß er in einem gewissen Umfang Effizienzgründe aufgrund der Wissensbildung durch Learning By Doing für die Ausdehnung des bürokratischen Sektors gesehen haben könnte: Bei einer neuen Patentgesetzgebung könnten die alten Verfahren der Patentabwicklung (Anmeldung, Durchführung des Verfahrens, Gebührenerhebung etc.) reibungslos übernommen werden und so „ . . . die Praxis eines eingespielten Apparates . . g e n u t z t werden. 6 7 6 Doch auch hier widmet das ordoliberale Schrifttum dem Machtanreiz einen ungleich größeren Raum. Der Machtanreiz zur Monopolbildung ist, so Eucken, nicht nur für die Eigentümer und Arbeiter in Monopolunternehmen spürbar, sondern auch „ . . . für eine breite Schicht von Kommissaren, Beamten und Funktionären ersten, zweiten und dritten Ranges." (Eucken , 1952, S. 150). 6 7 7 Dieses Machtstreben der Bürokratie sei nicht nur in Zentralverwaltungswirtschaften vorhanden, sondern bereits im Zeitalter des Laissez-faire zu beobachten gewesen. 678 Wiebel (1949) spricht von dem „ . . . Wuchern der Macht aus den verschobenen Fugen einer Behördenwirtschaft, . . . " (Wiebel, 1949, S. 346). von Mering (1950) ist der Ansicht, daß eine Ausdehnung des staatlichen Sektors wegen des Widerstandes der Bürokratie nur schwer rückgängig zu machen sei. 6 7 9 675

Zur Darstellung dieses Zyklus aus Sicht der NPÖ vgl. z.B. Frey (1991),

S. 494. 67 6 677 67 8 67 9

1

Gather (1949), S. 296. Ähnlich Miksch (1950), S. 42. Eucken (1952), S. 150 f. von Mering (1950), S. 126.

244

C. Ausgewählte Problembereiche

Dabei ist es im Zusammenspiel von Politik und Bürokratie unmöglich, so Eucken, die Bürokratie wirksam zu kontrollieren. 680 Miksch (1948) stellt heraus: „Die parlamentarische Körperschaft muß sich ... auf das Gesetzgebungsrecht beschränken, das ergibt sich nicht nur aus der Lehre von der Gewaltenteilung, sondern folgt aus ihren Arbeitsmöglichkeiten" (Miksch, 1948, S. 194, Herv.d.d. V.). In der Folge kommt es bei Ausdehnung staatlicher Tätigkeiten zur Gefahr einer immer stärkeren Abhängigkeit der Bürger von der Bürokratie und somit zu Freiheitseinschränkungen. 681 Maier (1950) konstatiert, daß das Preissystem an Lenkungsfähigkeit einbüßt, Investitionen wegen steigender Unsicherheiten zurückgedrängt werden und die hohen „Unterhaltskosten der Bürokratie" den Leistungsfaktor der Gesamtwirtschaft belasten, somit die gesamtwirtschaftliche Produktivität einschränken. 682 Eucken nennt direkt die Verminderung der Produktivität, die Verschlechterung der Versorgung und Freiheitsbeschränkungen. 683 Modern ausgedrückt läßt sich dieser Zusammenhang wie folgt darstellen: Die Kontrolle der Verwaltung ist kostspielig und kann daher niemals vollständig sein. Daher sind Kontrollrechte abzugeben und der Verwaltung Ermessensspielräume einzuräumen. Je komplexer die Aufgaben des Staates werden, desto höhere Transaktionskosten fallen an und desto breiter werden die Spielräume der Verwaltung. Die Verwaltung selbst hat genau daran ein Interesse, da breitere Ermessensspielräume mehr Möglichkeiten zur Durchsetzung eigener Zielsetzungen, also mehr Macht bedeuten. Der Nutzen von Bürokraten ist somit hochkorreliert mit dem Umfang der staatlichen Tätigkeit. Nimmt man nun an, daß dieser Umfang in starkem Maße vom staatlichen Budget abhängt, so kann man schlußfolgern, daß auch die Niskanensche Modellannahme der Budgetmaximierung Zustimmung bei den Ordoliberalen gefunden hätte. Unter dieser Annahme gelangt man zu der Schlußfolgerung daß in der NPÖ die Ziele der Budgetmaximierung und der Erweiterung des diskretionären Spielraums weitgehend unabhängig voneinander gesehen werden, während in ordoliberaler Interpretation ein breiteres Budget einen größeren Spielraum der Verwaltung hervorruft. Die Folge sind steigende Transaktionskosten des öffentlichen Sektors im Verein mit einer Ausdehnung der Bürokratie und somit sinkender Produktivität in der Gesamtwirtschaft. Es kommt zu Freiheitseinschränkungen durch die Zunahme von Willkürentscheidungen, zu allokativen Verzerrungen und zu Minderungen von Leistungsanreizen. Somit werden, modern ausgedrückt,

680 681 682 683

Eucken (1952), S. 191. Vgl. Eucken (1952), S. 191; Miksch (1948), S. 194 f. Vgl. Maier (1950), S. 23 f. Vgl. Eucken (1952), S. 317.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

245

sowohl allokativ ineffiziente Bereitstellungsmengen als auch betriebswirtschaftlich ineffiziente Bereitstellungspraktiken angenommen. Darüber hinaus sind Machtverschiebungen zugunsten der Bürokratie , verbunden mit Freiheitseinschränkungen wahrscheinlich , womit ein weiterer sozialer Zielkonflikt beschrieben wird. cc) Korporationen/Berufsstände • Monopole und Interessensgruppen Dem Einfluß von Interessensgruppen auf Politik und Wirtschaftsordnung einer Gesellschaft wird im ordoliberalen Schrifttum ein breiter Raum eingeräumt. Die Analyse dieser Gruppen ist eng verknüpft mit der Analyse des in Abschnitt C.II. behandelten Monopolproblems. Zum einen können monopolistische Branchen ihre Interessen vergleichsweise geballt artikulieren und politischen Einfluß geltend machen. 684 Zum anderen ist die Übertragung öffentlich rechtlicher Befugnisse an monopolisierte Branchen für den Staat leichter als die Übertragung dieser Befugnisse an nicht monopolisierte Branchen. Verhandlungen mit „wenigen Großen" sind nämlich leichter als Verhandlungen mit „vielen Kleinen", außerdem kann bei monopolistische Branchen schon auf eine geeignete Verwaltung großer wirtschaftlicher Bereiche zurückgegriffen werden. 685 Hier könnte man von niedrigen Transaktionskosten des Rent-seeking sprechen. Insofern erschien die Weiterentwicklung von Monopolen zu Korporationen und Berufsständen zu Interessensgruppen den Ordoliberalen nur logisch. 6 8 6 • Anreize wirtschaftlicher

Interessensgruppen

(1) Monopolrenten Die Ordoliberalen interpretieren die Einflußnahme wirtschaftlicher Interessensgruppen auf die Staatsordnung quasi als Fortsetzung des Monopolstrebens privater Gruppen. Daher behalten die Ausführungen zu den Monopolanreizen aus Abschnitt C.II.2. auch in diesem Kontext ihre Gültigkeit. Auch den Gewerkschaften werden diese Anreize zugeschrieben. Arbeitnehmervereinigungen sind zwar zuerst als Gegenbewegung entstanden zu Nachfragemonopolen nach Arbeit, um durch Reduktion überhöhter Unsicherheit der Übermacht der Marktgegenseite zu entkommen. Abnehmende Informations- und Raumüberwindungskosten 684 685 686

Vgl. Eucken (1952), S. 292 f.; ders. (1948), S. 68 f. Vgl. Eucken (1952), S. 93 f., 235 f.; Hemel (1949), S. 254 f. Vgl. auch Hensel (1949), S. 254.

246

C. Ausgewählte Problembereiche

sowie sinkende Standortspezifitäten führten jedoch zu verbesserten Verhandlungspositionen der Arbeiter. Unter diesen geänderten Randbedingungen wurden Gewerkschaften nun nicht mehr als legitime Gegenpartei interpretiert, sondern als Machtgebilde mit einem Interesse an Renten aus einem bilateralen Monopol in Form hoher Tarifabschlüsse. 687 Auch ohne Gewerkschaften sind die Arbeiter an Monopolrenten ihres Unternehmens interessiert, da so die Bereitschaft des Unternehmens zur Gewährung höherer Löhne wächst 6 8 8 Für die vertretenen Arbeiter sind hohe Löhne Quasi-Renten aus einem Tarifvertrag. 689 (2) Umgestaltung der Wirtschaftsordnung Niedrige Transaktionskosten des Rent-seeking in monopolisierten Branchen werden von Eucken als Anreiz zur Einflußnahme auf den Staat gesehen. Eucken schöpft diese Erkenntnis aus konkreten Erfahrungen mit der Realität, nennt also nicht direkt einen Grund für seine Annahme. An anderer Stelle gewinnt man jedoch den Eindruck, daß die Veränderung der Wirtschaftsordnung infolge des Drucks starker ökonomischer Machtpositionen für ihn eine Selbstverständlichkeit ist, die durch die Erfahrung bestätigt wird. Es liegt für ihn nahe, daß die Schließung der Märkte auch mit Hilfe politischen Einflusses betrieben wird, wenn ein ausreichendes Druckpotential in Form von Monopolmacht vorhanden i s t . 6 9 0 Die Transaktionskosten des Rent-seeking werden zusätzlich gesenkt, wenn der Staat die Einflußnahme nicht bekämpft oder sogar vorsieht. So stellt Böhm (1933) fest, daß gemäß Weimarer Reichsverfassung die Bereiche der Lohnarbeit, der Boden- und Wohnwirtschaft aus der wirtschaftlichen Freiheitssphäre herausgenommen wurden. Dieses entsprach der damaligen Auffassung, daß sich die Preise in diesen Bereichen nicht durch Spotmarktverträge auf Konkurrenzmärkten, sondern durch Kooperationsverträge zwischen Kartellen ergeben sollten, im Bereich der Lohnarbeit also durch Verhandlungen zwischen Arbeitgeber verbänden und Gewerkschaften. 691 In einer solchen Wirt687 Diese Ansicht wurde durch Rückgriff auf Erfahrungen in den USA, England und Frankreich gestützt. Vgl. Böhm (1933), S. 12; Eucken (1952), S. 46, 186, 327; Hensel (1949), S. 246, 255; Lutz (1949), S. 211 f.; Miksch (1950), S. 51; Rüstow (1949), S. 118; von Mering (1950), S. 127 und die entsprechenden Ausführungen in Abschnitt C.I.2. 688 Eucken (1952), S. 171. 689 Dichmann (1997), S. 687. 690 Vgl. Eucken (1948), S. 74 f.; ders. (1949), S. 36 f.; ders. (1952), S. 264 f.; 292. Diesen Eindruck bestätigen die Erfahrungen mit vielen Verbänden nach dem zweiten Weltkrieg. Vgl. hierzu Hartwig (1997), S. 655 ff.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

247

schaftsordnung, so Böhm, bleibt dem Einzelnen keine andere Möglichkeit der Präferenzäußerung als die der Einflußnahme auf die politische Willensbildung, da der Preismechanismus faktisch außer Kraft gesetzt w i r d . 6 9 2 (3) Ideen/Ideologien Die Wirkmächtigkeit von Ideen/Ideologien ist, wie in Abschnitt C.I.2. ausgeführt, für die Ordoliberalen von entscheidender Bedeutung. Das Zusammenspiel von obrigkeitsstaatlichen Traditionen, „Gemeinschaftsideologien" und der Glaube an eine zwangsläufige geschichtliche Entwicklung erleichterte auch die Bildung und das Wirken von Interessensgruppen. So traten die Kirchen für eine ständisch gegliederte Gesellschaft ein mit berufsständischen Organisationen als Träger. 6 9 3 • Das Austauschverhältnis

zwischen Interessensgruppen und der Politik

Analog zu Abschnitt C.IV.l.b) bc) soll hier den Hinweisen der Ordoliberalen nachgegangen werden, inwieweit die Interessensgruppen den öffentlichen Entscheidungsträgern Renten abkaufen können. Eine umfassende Einflußnahme auf Rechtsprechung und Wirtschaftsordnung wird von Eukken (1952) konstatiert. 694 Auch die Durchsetzung der juristischen Sphäre mit „Interessensjuristen" wird kritisiert. 6 9 5 Dabei trachten die Interessensgruppen danach, Monopolrenten durch Schließung der Märkte auch und vor allem mit Hilfe des Staates zu erlangen. Eucken (1949, 1952) nennt als Beispiele Investitionsverbote, Anbaubeschränkungen, Errichtungsverbote, Einschränkungen der Mobilität des Produktionsfaktors Arbeit, Behinderungen der freien Berufswahl, Lizenssysteme mit Bedarfsprüfungen und auch die Schaffung eines numerus clausus. 696 Böhm (1933) stellt aus wirtschaftshistorischen Erfahrungen heraus fest, daß einem Staat in Geldnot Renten leicht abkaufbar sind. 6 9 7 Ferner sieht Schmölders (1950) die Tendenz der Einflußnahme auf das Steuersystem zur „Sicherung von

691

Vgl. Böhm (1933), S. 340 f. Vgl. Böhm (1933), S. 346. Später (1950) spricht er im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der Konsumenten in einer Wettbewerbsordnung von „plebi szitärer Urabstimmung" (S. X LVI): Die Verbraucher haben jederzeit die Möglichkeit, von einem Angebot zum anderen zu gehen, die Kosten des Exit sind mithin niedrig. 693 Vgl. Eucken (1952), S. 347 f.; Hemel (1949), S. 239 f.; von Nell-Breuning (1950), S. 211 ff. 694 Eucken (1952), S. 327. 695 Vgl. Böhm (1937), S. 150 ff.; ders . (1948), S. 197 ff.; Kronstein (1950), S. 75 ff.; Lenel (1949), S. 350; Röper (1950), S. 238 ff. 696 Eucken (1952), S. 264 f.; ders. (1949), S. 36 f. 697 Vgl. Böhm (1933), S. 329. 692

248

C. Ausgewählte Problembereiche

Steuersubventionen". 698 von Mering sieht staatliche Beschäftigungsgarantien als Ursache für überhöhte Lohnforderungen a n . 6 9 9 Was bieten die Interessensgruppen dem Tauschpartner Politik als Gegenleistung? Eine direkte Aussage findet sich hierzu nicht, man kann jedoch aus der Zusammenschau verschiedener Zitate vermuten, daß auch die Ordoliberalen die Angewiesenheit wiederwahlorientierter Politiker auf Informationen der Interessensgruppen vermuteten sowie eine Druckverstärkung durch monopolistische Marktmacht. So erkennt Hensel (1949) durchaus die Möglichkeit einer Beratungstätigkeit öffentlicher Stellen durch berufsständische Organisationen im positiven Sinne an: „Solange die Berufsstände lediglich beratende Funktionen hätten und die Regierung nicht von ihnen abhängig wäre, würde dies lediglich eine fachmännische Beratung bedeuten, die förderlich sein könnte." (Hensel (1949, S. 249, Herv.d.d. V.). Auch Böhm (1966) hält Interessensgruppen in einer Privatrechtsordnung für völlig legitim, solange sie, in den Worten von Hartwig (1997), Kollektivgüter nach innen mit Hilfe von Praktiken bereitstellen, die ordnungskonform, also nicht sytemdeformierend sind. 7 0 0 Es werden jedoch überwiegend nachteilige Wirkungen betont. Mit Bezug auf Schumpeter s Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" betonen Röpke und Lenel die große Gefahr der Informationsverzerrung: „Die Vertreter der Gruppeninteressen arbeiten mit Methoden, die der Reklame der Geschäftsleute entsprechen. Sie appellieren an das Unterbewußtsein, vermeiden rationale Argumente und schaffen durch häufige Wiederholung derselben Behauptung eine Meinung." (Röpke, Lenel, 1948, S. 294). Eucken (1948) schreibt: „Die Rücksicht auf die Stimmung der Wähler ... beeinflußte ... die Haltung vieler Parlamentarier. Aber nunmehr üben die wirtschaftlichen Machtgruppen ... einen weit stärkeren politischen Einfluß aus. Die neu gebildete wirtschaftliche Macht äußerte sich auch politisch" (Eucken, 1948, S. 69, Herv.d.d. V.). Und später: „Nach der Erfahrung geht es über die Kräfte eines modernen Staates hinaus, in einer Wirtschaftsordnung, in der große Teile der Industrie monopolisiert sind, eine wirksame Monopolaufsicht durchzuführen. Hier ist der politische Einfluß der Interessensgruppen zu stark, ..." (Eucken, 1952, S. 292). Zusammenfassend ist plausibel zu vermuten, daß die Ordoliberalen ein Austauschverhältnis zumindest im Kopf hatten, in welchem wirtschaftliche Interessensgruppen dem Staat die Errichtung künstlicher Marktzutrittsschranken abkaufen mit Hilfe von Informationsvermittlung und -Verzerrung sowie durch politischen Druck durch Ausspielung von Marktmacht.

698 699 700

Schmölders (1950), S. 144 f. von Mering (1950), S. 114. Böhm (1966), S. 148; Hartwig (1997), S. 661 ff.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

• Das Austauschverhältnis

249

zwischen Interessensgruppen und der Bürokratie

Aussagen über das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessensgruppen zur Bürokratie lassen sich aus den Ausführungen Euckens über die Bürokratie entnehmen. Er nennt die Bürokratie der Wirtschaft und die Bürokratie des Staates in einem Atemzug und spricht von einer „Schicht der sozialen und wirtschaftlichen Bürokratie" CEucken , 1952, S. 150). Böhm (1950) sieht eine „formlose und ungestalte Apparatur von öffentlichen Dienststellen und privaten Verbandsstellen" und damit eine „Armee von Funktionären". 701 Im ordoliberalen Schrifttum findet sich keine abweichende Meinung. Auch wird bei der Analyse des Verhaltens der öffentlichen Hand nicht strikt zwischen Politikern und Bürokraten unterschieden. Daher sind die Erkenntnisse über die Bürokratie und über das Verhältnis der Interessensgruppen zur Politik auf das Verhältnis der Interessensgruppen zur Bürokratie übertragbar: Auch die staatliche Bürokratie ist an Informationen der Interessensgruppen interessiert. Im Gegenzug gestalten die staatlichen Bürokraten ihren Ermessensspielraum zugunsten der Interessensgruppen. Diese Aussage ist vollkommen kompatibel mit den obigen Zitaten und Aussagen der Ordoliberalen, aber auch mit den entsprechenden Aussagen der NPÖ. Euckens weist ferner auf organisatorische Ähnlichkeiten der staatlichen und wirtschaftlichen Bürokratie hin. So würden bei Verstaatlichungen die „Bürokratie der Syndikate" gleich bleiben. 7 0 2 Hier ergibt sich eine weitere Analogie zu der Aussage der NPÖ, daß niedrige Transaktionskosten an der Schnittstelle zwischen Verbänden und öffentlicher Verwaltung deren Verhältnis „schmieren". Kirsch (1997) schreibt:" Kollektivakteure verkehren gemeinhin problemloser mit anderen Kollektivakteuren als mit Individualakteuren." (Kirsch, 1997, S. 3 1 9 ) . 7 0 3 Auch die Ordoliberalen konstatieren also ein Überwiegen systemdeformierender Wirkungen der Tätigkeiten wirtschaftlicher Interessensgruppen und somit einen weiteren sozialen Zielkonflikt.

701

702 703

Böhm (1950), S. X X X V I .

Vgl. Eucken (1952), S. 93.

Auch der bei Grossekettler (1997) diskutierte Maßnahmenkatalog MüllerArmacks kann als Arrangement eines Austauschverhältnisses interpretiert werden, nämlich im Sinne der Idee Lorenz von Steins vom sozialen Königtum: Der König soll einen Interessenausgleich zwischen den Reichen und den Armen dadurch herbeiführen, daß eine Revolution niemandem nützt, da die Reichen ihre Privilegien, die Armen ihre sozialen Mindestsicherungen verlieren würden. Vgl. Grossekettler (1990), S. 19 ff.; ders. (1997), S. 57 f.

250

C. Ausgewählte Problembereiche

c) Folgen Die integrierte Behandlung der verschiedenen Subgruppen durch die Ordoliberalen erlaubt es, anders als in Abschnitt C.IV.l. die Folgen des Verhaltens der Akteure zusammenfassend zu beschreiben. Wenn auch z.B. Böhm (1966) systemstabilisierende Auswirkungen von Interessensverbände solange für möglich hält, wie die Interessen der Vertretenen mit „ordnungskonformen" Mitteln wahrgenommen werden (Bereitstellung von Kollektivgütern „nach innen"), so dominieren im ordoliberalen Schrifttum eindeutig Hinweise auf systemdeformierende Auswirkungen. Dabei kann man die Aussagen im wesentlichen unter zwei Kategorien subsummieren: (1) Zementierung des Monopolproblems und (2) Zunahme der Staatstätigkeit. Ad (1) Zementierung des Monopolproblems: Eucken stellt fest, daß das Experiment einer „Wirtschaftspolitik der Mittelwege" aller Erfahrung nach zu „festgefügten Verbänden monopolistischer Prägung" führte. 7 0 4 Als konkretes Beispiel des Einflusses von Interessensgruppen führt er die Bevorzugung von Großkonzernen sowohl im Haftungsrecht als auch im Steuerrecht an. 7 0 5 Generell zementiert die Errichtung von Marktzutrittsschranken auf Betreiben der Interessensgruppen monopolistische Macht. Somit behalten die ordoliberalen Aussagen über die Folgen monopolistischer Verhaltensweisen in Abschnitt C.II.2. auch hier ihre volle Gültigkeit. Ad (2) Zunahme der Staatstätigkeit: Die Ordoliberalen halten die Zunahme der Staatstätigkeit aus ihren wirtschaftshistorischen Erfahrungen heraus für eine Folge der Zunahme des Einflusses von Interessensgruppen. 706 Zu den ordoliberalen Ausführungen zu diesem Thema gibt Abbildung 31 einen Überblick. Die Anreize, Folgen und Konsequenzen von Unternehmen zur Monopolisierung von Märkten wurden ausführlich in Abschnitt C.II.2. diskutiert. Auch die spiegelbildliche Argumentation bei Zusammenschlüssen der Arbeiterinteressen zu Gewerkschaften, die in ihrer Frühphase als legitime Gegenmachtpartei, später als Wahrnehmer monopolistischer Interessen interpretiert werden, ist bereits diskutiert worden. In der obigen Abbildung führen zwei Stränge zum Ergebnis „Zunahme Staatstätigkeit". Auf der linken Seite wird der Staat verlangt als Anbieter transaktionskostensenkender Institutionen bei Verhandlungen, auf der rechten Seite als Anbieter transaktionskostensenkender Institutionen bei der Ausübung von Monopolmacht. Zunächst sei die linke Seite betrachtet. Als Folge der Monopolbildung sowohl 704 705 706

Eucken (1952), S. 146. Eucken (1952), S. 283. Vgl. Grossekettler (1997), S. 52.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

Unternehmen

Monopole

Gewerkschaften

—i—

251

Arbeiter

bilaterale Monopole

\

λ

Berufsstände/ Korporationen

Staat als Schlichter

/ I r

Staat als „Monopolhelfer"

1r

ir Bemühung um TKpr0dUktion ψ

Zunahme Staatstätigkeit

Bemühung um TKMonopoi ^

^ Erhöhung ^ Transaktionskosten Legende: TKProduktion: Transaktionskosten bei Produktionsvorgängen TKMonopol: Transaktionskosten der Monopolisierung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an die entsprechenden Ausführungen bei Eucken (1952).

Abbildung 31 : Zunahme der Staatstätigkeit nach Eucken

auf der Produzenten- als auch auf der Arbeiterseite entstanden bilaterale Monopole. Diese Gebilde werden von den Ordoliberalen sehr schlecht beurteilt. Zum einen treten Monopolkämpfe auf der Produzentenseite auf, verbunden mit den in Abschnitt C.II.2. beschriebenen Kampfpraktiken und deren Folgen wie Sperren, Exklusivverträgen oder Kampfpreisen, die im betreffenden Markt Koordinationsmängel verursachen. 707 Zum anderen bekämpft auch eine Marktseite die andere. Eucken (1952) beschreibt die erfahrungsgemäßen Folgen eines solchen „gleichgewichtslosen Zustandes": Streiks, Sperren und Aussperrungen. Hier macht es für die Ordoliberalen keinen Unterschied, ob die betreffenden Branchen in einem Berufsstand zusammengefaßt sind oder nicht. Die Monopolkämpfe lösen im weiteren Ver707

Böhm (1958, S. 172 ff.) spricht von einer „Feudalisierung"; ähnlich Miksch (1950), S. 43 f. In diesem Zusammenhang ist auch das Problem des selbstgeschaffenen Rechts der Wirtschaft in Form wuchernder Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu sehen. (Eucken, 1952, S. 51 f.). In der Terminologie von Kiwit/Voigt handelt es sich um interne Institutionen vom Typ 4.

252

C. Ausgewählte Problembereiche

lauf eine starke Tendenz zu staatlichen Schlichtungen in den betreffenden Branchen aus und somit zu vermehrter Staatstätigkeit. 708 Doch auch ohne staatliche Schlichtung sind bilaterale Einigungen oft mit Nachteilen auf Seiten der Konsumenten verbunden, weil eine Organisation aller Konsumenten zu kostspielig ist und sie daher ihren Willen nur unzureichend artikulieren können. So sind bilaterale Einigungen auf hohe Löhne und die Durchsetzung hoher Preise in monopolistischen Branchen sehr wahrscheinlich. Die zweite Ursache zunehmender Staatstätigkeit sind niedrige Rent-seeking-Kosten monopolisierter Branchen. Dabei geht es zum einen um den Einfluß der Interessenten auf die Politik zur direkten Umgestaltung des Rechtssystems. Infolge des Drucks der Interessentengruppe kommt es nämlich zu einer umfassenden Beeinflussung der Rechtsordnung eines Landes. 7 0 9 Die Folgen sind Koordinationsstörungen in der gesamten Wirtschaft. Schmölders (1950) nennt verminderte Leistungsanreize infolge eines von Gruppeninteressen durchwucherten Steuersystems. 710 Eucken (1952) weist auf die Bevorzugung von Großkonzernen im Steuer- und Haftungsrecht h i n . 7 1 1 Zum anderen können Interessensgruppen den Staat zur Abtretung seiner Kompetenzen drängen, somit zur Transformation privater in öffentliche Machtkörper und daher einer Ausdehnung des staatlichen Sektors an sich. Hier nennt Eucken (1952) die Ausstattung der Syndikate mit öffentlich rechtlichem Zwangscharakter in der Weimarer Republik. 7 1 2 Hinzu tritt das Interesse der privaten und staatlichen Bürokratie an einer Ausdehnung der Staatstätigkeit. Zwar wird in beiden Fällen der Staat als transaktionskostensenkende Organisation verlangt. Im Ergebnis kommt es jedoch zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Transaktionskosten. Zum einen ist, wie in Abschnitt C.I.2. gezeigt, die Koordination unzähliger Einzelpläne wegen prohibitiv hoher Informationskosten nicht möglich. Eine Zunahme zentraler Lenkungselemente führt somit zu Koordinationsdefiziten. Zum anderen werden Monopolstellungen von Interessensgruppen zementiert und die Transaktionskosten der Marktgegenseite erhöht. Eine zunehmende Bürokratisierung verstärkt diese Tendenzen. Das Problem wird durch Zusammenhänge und Vermaschungen zwischen den Märkten verstärkt. Eucken (1952) beschreibt Interdependenzen zwischen den Märkten, den Marktformen und den Ordnungen. Auch sieht er 708

Vgl. Eucken (1952), S. 244; Hensel (1949), S. 242, 256. Vgl. Eucken (1952), S. 327; Böhm (1937), S. 150 ff.; ders. (1948), S. 197 ff.; Lenel (1949), S. 350; Röper (1950), S. 238 ff. 710 Schmölders (1950), S. 145. 711 Eucken (1952), S. 283. 712 Vgl. Eucken (1952), S. 170 f., 327 f.; ähnlich Böhm (1933), S. 343 f. 709

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

253

die Gefahr eines Dauerzustandes von Monopolkämpfen in Volkswirtschaften, die von monopolistischen und oligopolistischen Branchen durchsetzt sind. 7 1 3 Auf die Gefahren von Koordinationsstörungen im Gefolge einer Auflösung der ökonomische sinnvollen Gliederung der Wirtschaft in Haushalte und Betriebe durch eine berufsständische Gliederung macht Hensel (1949) aufmerksam. 714 Böhm (1950) schließlich warnt eindringlich vor wirtschaftlichen und sozialen Dauerkrisen und von einer „Anarchie der Interessenhaufen" 7 1 5 Die erhöhten gesamtwirtschaftlichen Kosten aufgrund von Ineffizienzen und Transaktionskosten machen nun ihrerseits Koordinationen schwieriger, so daß erneut der Staat als transaktionskostensenkende Organisation gefragt ist. Somit ergibt sich bei mangelnder ordnungspolitischer Gegensteuerung ein Teufelskreis, in dem die Staatstätigkeit und die Transaktionskosten immer weiter zunehmen. Zusammenfassend läßt sich folgender Zusammenhang konstatieren: Organisierte Interessen streben nach der Schließung der Märkte sowohl auf privatrechtlicher, als auch auf öffentlich-rechtlicher Ebene. Dabei stellen sie den eigennutzorientierten Politikern und Bürokraten oft verzerrte Informationen zur Verfügung und „erhalten" im Gegenzug Veränderungen des Rechtsrahmens, die Monopolrenten sicherstellen sollen. Die Folge sind allokative und distributive Verzerrungen sowie Beeinträchtigungen der Stabilität und der Freiheit und eine Tendenz zur Zunahme der Staatstätigkeit. d) Konsequenzen Nach Eucken kann eine Gesellschaft diesem Teufelskreis nur entrinnen, wenn die zwei staatspolitischen Prinzipien beachtet werden: Sl: Begrenzung der Macht von Interessensgruppen, S2: Subsidiaritätsprinzip bei der Übernahme neuer Aufgaben sowie Vorrang der Ablauf- vor der Prozeßpolitik. 716 Das Prinzip Sl versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Prinzip S2 spiegelt noch einmal die Aussagen des Abschnitts C.I.2. wider, nachdem die zentrale Koordination der Einzelpläne mit prohibitiv hohen Informationskosten verbunden ist. 7.3

Vgl. Eucken (1952), S. 7, 42 f., 47 f., 180 f. Hensel (1949), S. 247 f. Er warnt auch von Inflationsgefahren (S. 255). Diese werden auch von Lutz (1949, S. 211 f.) und von Mering (1950, S. 114) gesehen. Auf das Drängen von Interessensgruppen nach konjunkturpolitischen Eingriffen des Staates weist Rüstow (1949, S. 137) hin. 715 Böhm (1950), S. X X X V I . 716 Ausführlich hierzu Eucken (1952), S. 332 ff. 7.4

C. Ausgewählte Problembereiche

254

Die Ordoliberalen belassen es jedoch nicht bei bloßen Forderungen, sondern zeigen, anders als andere Theoretiker, eine Strategie auf, mit der das ordoliberale Programm mittelfristig implementiert werden kann. 7 1 7 Ihnen schwebt eine Beeinflussung des bestehenden institutionellen Rahmens vor über die Beeinflussung formloser und formgebundener Institutionen über Ideen/Ideologien. Die folgende Abbildung gibt einen ersten Überblick:

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 32: Implementation des ordoliberalen Programms durch Beeinflussung des Denkens

In Abschnitt C.I.2. wurde belegt, daß Ideen/Ideologien für die Ordoliberalen von überragender Bedeutung waren. Im Verein mit dem Eigennutzstreben der Politiker ist es dann nur folgerichtig, auf die Ideen/Ideologien Einfluß zu nehmen: Ändern sich die Institutionen in Richtung auf eine Akzeptanz, später auf eine Forderung der Wettbewerbsordnung durch die Wähler, so ist es für Politiker rational, die Euckenschen staatspolitischen Prinzipien zu beachten und durchzusetzen. Das bedeutet, daß die Einflüsse der Träger der Wettbewerbsordnung stärker sein müssen als die Einflüsse der Gegner der Wettbewerbsordnung. Diese Forderung soll die unterschiedliche Stärke der Einflußpfeile verdeutlichen.

7,7

S. 4 ff.

Vgl. zu diesem Abschnitt auch Grossekettler

(1997), S. 72 ff.; ders. (2000),

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

255

Die Entscheidung für die Wettbewerbsordnung ist eine Gesamtentscheidung und kann nur durch Organisationen geschützt werden, die ein Inter71 8 esse am Wohlergehen der gesamten Volkswirtschaft haben. Die in Frage kommenden Organisationen müssen also zwei Voraussetzungen erfüllen: Erstens müssen sie das Denken der Bevölkerung beeinflussen können und daher im Volk eine hohe Akzeptanz besitzen, zweitens müssen sie ein Interesse an der Durchsetzung der Wettbewerbsordnung haben. Zumindest müssen sie gemeinwohlorientiert sein, um von der Wettbewerbsordnung überzeugt werden zu können. Die Berufsstände kommen für diese Aufgabe somit nicht in Frage, sie haben zwar Einfluß auf das Denken, sind jedoch lediglich am Wohl der jeweils vertretenen Gruppe interessiert. 719 Eucken schreibt die Fähigkeit, das Denken der Menschen im Sinne der Wettbewerbsordnung beeinflussen zu können, der Wissenschaft und den Kirchen zu. Die Medien spielen für Welter eine entscheidende Rolle. Erhard hat die Bedeutung des Wirtschaftsministers betont. 7 2 0 Die Wissenschaft hat die Aufgabe, zum einen im positiven Sinne Modelle der Realität zu entwerfen, zum anderen jedoch im normativen Sinne Urteile darüber abzugeben, welche Institutionen („Ordnungsformen") dem Aufbau einer menschenwürdigen Ordnung adäquat sind. Dabei ist es plausibel anzunehmen, daß Eucken der Wissenschaft in Realdemokratien ein gewisses Eigeninteresse an einer Gemeinwohlorientierung zuschreibt. Der Erfolg eines Wissenschaftlers ist abhängig von der Nachfrage nach seinem Wissen bspw. in Form von Publikationen oder Beratertätigkeiten. Indikator des Nutzens dieses Wissens ist für einen potentiellen Nachfrager die Fachausrichtung und vor allem die Reputation des Wissenschaftlers, welche dieser wiederum als Geisel im Sinne Williamsons bei Vertragsverhandlungen einsetzen kann. Der Reputation kommt im Bereich der Wissenschaft wegen der sehr kostspieligen Messung der Eigenschaften des „Produktes Wissen" eine höhere Bedeutung zu als bspw. im Bereich der gewerblichen Wirtschaft. Reputation und auch die Diffusion des Wissens sind zudem Ergebnisse langfristiger Prozesse. Ferner besteht wegen sinkender Informationskosten ein immer intensiverer internationaler „Wissenswettbewerb". Diese neoinstitutionalistischen Überlegungen lassen Euckens Einschätzungen plausibel erscheinen. 721 Auch die Kirchen , so Eucken , haben einen großen Einfluß auf das Denken der Menschen. Zudem ist anzunehmen, daß Eucken sie prinzipiell für 718

Vgl. Böhm (1937), S. X I X ; ders. (1950), S. X X X I V ; ders. (1966), S. 143; Miksch (1950), S. 47 f., 51 f. 719 Vgl. Eucken (1952), S. 326 f.; Miksch (1950), S. 51 f. In dieser Hinsicht lassen sich auch Böhms (1966, S. 143) Ausführungen interpretieren. 720 Grossekettler (1997), S. 74 ff. 721 Vgl. Eucken (1952), S. 340 ff.; Grossekettler (1997), S. 75 f.

256

C. Ausgewählte Problembereiche

gemeinwohlorientiert hält: „Wenn auch die Kirchen sich ihrer Bestimmung nach aus dem Streit der politischen Parteien heraushalten müssen, so kann es ihnen andererseits nicht gleichgültig sein, in welchen Ordnungen die ihnen anvertrauten Menschen leben." (Eucken, 1952, S. 347). Es sei jedoch noch Überzeugungsarbeit zu leisten, um sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche von überkommenen Ideen/Ideologien abzubringen, von denen sie annehmen, daß sie mit dem Gemeinwohl eher kompatibel seien als die Wettbewerbsordnung. Im Ergebnis müßten Wissenschaft und Kirchen „an einem Strang" ziehen. 7 2 2 Die Medien waren für Welter, wohl auch aus dem Eindruck der Propaganda des Nationalsozialismus heraus, eine entscheidende Größe zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Folgerichtig stellte er die Frankfurter Allgemeine Zeitung, deren Gründungsmitglied er war, in den Dienst des Ordoliberalismus. Auch die Neue Zürcher Zeitung kann in diesem Zusammenhang als ordoliberales Sprachrohr verstanden werden. 7 2 3 Innerhalb einer gewählten Regierung sollte, so Ludwig Erhard, der Wirtschaftsminister als Generalreferent für alle wirtschaftspolitischen Fragen fungieren. Die Beeinflussung des Denkens sollte vom Wirtschaftsminister aus in zwei Richtungen verlaufen, in Richtung der Politik und in Richtung der Wähler. Hier sollte der Wirtschaftsminister mit den Medien zusammenarbeiten. 724 Innerhalb der Wissenschaften lag Böhms Augenmerk lag auf das Verhältnis zwischen Juristen und Ökonomen. Auf der einen Seite müssen die Rechtsordnung und die Wirtschaftsordnung eines Landes zueinander passen, da, wie Eucken betont, alle Ordnungen interdependent sind. 7 2 5 Auf der anderen Seite existieren bedingt durch die Verschiedenheit der Ausbildungen gewisse Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ökonomen und Juristen, auf die Grossekettler (1997, 1999b) hinweist und die in Abschnitt C.III.2. beschrieben wurden. Das Zusammenwirken beider Professionen ist jedoch entscheidend für eine funktionsfähige Wettbewerbsordnung. Es ist

722 Vgl. Eucken (1952), S. 347 ff.; Grossekettler (1997), S. 76 f.; Hemel (1949), S. 229 ff. Gegenwärtig scheinen sich die beiden großen Kirchen von ordoliberalem Gedankengut eher zu entfernen und sich dem Kollektivprinzip zu nähern, wie man den Ausführungen im „Gemeinsamen Wort" des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahre 1997 entnehmen kann. Vgl. dazu Schüller (1997), S. 727 ff.; Spieker (1997), S. 757 ff. 723 Grossekettler (1987), S. 21; ders. (1997), S. 83 f. 724 Grossekettler (1997), S. 84 ff. Zu den ordnungspolitischen Weichenstellungen im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsministerium nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Schlecht (1997), S. 99 ff. 725 Eucken (1952), S. 180 f.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

257

notwendig, daß Juristen und Gerichte „Sachgerechtigkeit" im Sinne der Wettbewerbsordnung interpretieren und daß ein konsequent an der Wettbewerbsordnung ausgerichtetes Regelsystem geschaffen wird. Daher sollen durch ökonomische Bildung der Juristen und durch Formulierung justitiabler Leitlinien durch Ökonomen die Transaktionskosten an dieser entscheidenden wissenschaftlichen Schnittstelle reduziert werden. e) Zusammenfassung Die Ordoliberalen glauben ebensowenig wie die Vertreter der NPÖ an durchgehend altruistische und allwissende Politiker und Funktionäre. Auch sie machen erhebliche soziale Zielkonflikte zwischen den Zielen der Gesellschaft und den Zielen von Subgruppen aus. Als Subgruppen identifizieren sie die Politiker, die Bürokratie sowie wirtschaftliche Interessensgruppen. Dabei nennen die Ordoliberalen als vorrangiges Ziel von Politikern deren Wiederwahl. Diese sind jedoch aus Knappheitsgründen gezwungen, Aufgaben an die Verwaltung abzugeben. Die Verwaltung ihrerseits hat ein vitales Interesse an einer Ausdehnung der ihnen zugewiesenen Aufgaben, denn sie bedeutet breitere Ermessensspielräume und damit mehr Macht. Ein Hauptuntersuchungsgegenstand der Ordoliberalen sind wirtschaftliche Interessensgruppen. Deren treibendes Motiv ist die Suche nach Monopolrenten. In diesem Kontext streben sie die Schließung der Märkte auch mit öffentlichrechtlichen Mitteln an. Als Gegenleistung stellen sie den Politikern Informationen zur Verfügung, die jedoch nur allzu oft verzerrt sind. Es besteht ferner eine Affinität zwischen der Verbandsbürokratie und der Staatsbürokratie in Form niedriger Transaktionskosten an dieser Schnittstelle. Die Folgen des Zusammenspiels dieser Subgruppen sind die Zunahme der Staatstätigkeit und die Zunahme der Transaktionskosten in der gesamten Volkswirtschaft. Dieser Tendenz wollen die (Eucken nahestehenden) Ordoliberalen mit der Eindämmung der Macht von Interessensgruppen und mit der Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips sowie der Einräumung einer Vormachtstellung staatlicher Ordnungs- vor staatlicher Prozeßpolitik begegnen. Die Durchsetzung ihrer Ansichten streben die Ordoliberalen durch aufklärende Einflußnahme auf das Denken der Menschen an.

3. Vergleichende Stellungnahme Ein erster grober Vergleich der Positionen der Ordoliberalen und der Vertreter des NPÖ-Zweiges der NIE ergibt, daß sich beide Forschungsrichtungen mit grundsätzlich dem gleichen Problem beschäftigen: Der öffentliche Willensbildungsprozeß ist, analog zur privaten Willensbildung, das Produkt von Nutzenmaximierungskalkülen verschiedener Gruppen. Aber auch im 17 Evcrs

258

C. Ausgewählte Problembereiche

öffentlichen Bereich führt ein pures Laissez-faire nicht automatisch zur bestmöglichen Koordination der Pläne der Wirtschaftssubjekte, da gut organisierte Interessen in den meisten Fällen die nicht oder schlecht organisierten Interessen überlagern und ihnen entgegenstehen. Es kommt zu sozialen Zielkonflikten. Ein augenscheinliches Indiz für eine gleiche Denkrichtung ist auch die Auseinandersetzung mit Schumpeter s Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie". Lenel vermittelte 1948 dem deutschen Leser einen Inhaltsüberblick, der gleiche Artikel enthält eine flammende Kritik von Röpke, der pointiert eine strenge Gegenposition zu Schumpeter s optimistischen Ansichten über die Aussichten des Sozialismus annimmt und der seiner Meinung nach positivistischen Denkrichtung und dem Zwangsläufigkeitscharakter der Schumpeterschen Aussagen entgegentritt. 726 Schumpeter s Buch wird ausgiebig von Eucken zitiert, der ebenfalls Gegenpositionen zu den SchumpeterAnsichten einnimmt. 7 2 7 Ähnlich bezieht sich fast 50 Jahre später Becker (1996) auf Schumpeter , wenn er einerseits zwar Schumpeter^ Beitrag zu einer positiven Theorie des Wettbewerbs würdigt, andererseits jedoch Schumpeter s Einschätzung, daß individuelle Gruppenanreize durch kollektive Anreize überkompensiert werden könnten, widerspricht. 728 Man könnte hier von einer gleichen negativen Einflußwirkung sprechen: Schumpeter s Buch hat Vertreter beider Richtungen zu parallelen Gegenstatements veranlaßt. Im folgenden werden detaillierter Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. a) Gemeinsamkeiten Ordoliberale und NPÖ-Vertreter legen Verhaltensannahmen zugrunde, die sehr ähnlich sind: In der NIE werden Wirtschaftssubjekte als Nutzenmaximierer modelliert, die auch zu opportunistischen Verhaltensweisen neigen und sich aufgrund positiver Transaktionskosten nur eingeschränkt rational verhalten. Daraus folgt, daß bei der Erforschung des Verhaltens von Kollektiven man zuerst das Verhalten des einzelnen Mitgliedes erforschen muß. Die Ordoliberalen stellen heraus, daß der Mensch sich zwar als Nutzenmaximierer verhält, er jedoch aufgrund seiner begrenzten Fähigkeiten nur in einer begrenzten Umwelt wirken kann. Die Folge, die Erklärung von Gruppen anhand eines bzw. jedes ihrer Mitglieder, haben die Ordoliberalen nicht 726 727

Röpke, Lenel (1948), S. 277 ff. Vgl. Eucken (1952), S. 38, 100, 102, 116, 127, 136, 153, 206, 226, 239, 270,

308. 728

Becker (1996), S. 163 ff.

IV. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der Politik

259

explizit herausgestellt, sie folgt aus den ordoliberalen Annahmen jedoch unmittelbar, so daß die grundlegenden Verhaltensannahmen beider Richtungen ineinander überführbar sind. In der Konsequenz erklären beide Richtungen das Verhalten verschiedener Subgruppen einer Gesellschaft anhand der Nutzenmaximierungskalküle ihrer Mitglieder. Beide Richtungen betonen auch, daß Subgruppen stärkere Organisationsanreize haben und über wirkungsvollere Einflußmechanismen verfügen als große Gruppen. Dabei entstehen infolge der Zielverfolgung der Subgruppen allgemeinwohlschädliche Kuppelprodukte, es kommt zu sozialen Zielkonflikten. Außerdem werden starke Analogien zwischen der öffentlichen und der privaten Bürokratie ausgemacht. Eine Folge des unkontrollierten „Auslebens" sozialer Zielkonflikte ist zum einen die langfristige Zunahme der Staatstätigkeit. NIE-Vertreter wie Ordoliberale kommen dabei zu dem Schluß, daß diese Zunahme letztlich aus der Nachfrage nach Institutionen zur Transaktionskostensenkung im Produktionsbereich folgt sowie aus der Nachfrage nach Institutionen zur Senkung der Transaktionskosten der Monopolisierung. 729 Zum anderen, und zumindest ein Großteil der Vertreter der NIE ist dieser Meinung, folgt aus der konfliktären Überlagerung von Allgemein- durch Partialinteressen ein Trend zu starken Wohlfahrtseinbußen, dem beide Richtungen den Charakter eines Gesetzes zuschreiben. 730 Dabei fällt die Parallelität der von den Ordoliberalen geprägten Begriffe „Gruppenanarchie" (Eucken ) und „Interessenhaufen" (Böhm) einerseits und die Schilderung der Folgen von „Organisationsmacht und Staats(ohn)macht" durch Kirsch (1997) andererseits ins Auge. 7 3 1 Als Konsequenz schlagen Vertreter beider Richtungen konstitutionelle Vorkehrungen vor, welche die sozialen Zielkonflikte durch Regelbindung entschärfen sollen. Besonderes Gewicht bei der Durchsetzung solcher Institutionen wird der Aufklärung der Wähler über ökonomische Sachverhalte beigemessen. So soll die kostengünstige Messung des jeweiligen Opportunitätskostenniveaus einer ökonomischen Konstellation ermöglicht werden, so daß die Bereitschaft zur Präferenzäußerung bei Wahlen wächst. Letztendlich kann so das Eigennutzstreben der Subgruppen mit dem der Gesamtgesellschaft korreliert werden. Einer der NPÖ vergleichbaren theoretischen Basis konnten sich die Ordoliberalen nicht bedienen, so daß der Terminus „Modelle" übertrieben 729 Diese folgt schon optisch aus einem Vergleich der Abbildungen zur Zunahme der Staatstätigkeit nach North und nach Eucken. Für weitere Erklärungsansätze zur Zunahme der Staatstätigkeit vgl. Grossekettler (1999) und die dort zitierte Literatur. 730 Böhm (1937), S. 150 ff.; ders. (1948), S. 213; Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 253. 731 Vgl. Böhm (1933), S. S. XI, 29 ff.; ders. (1948), S. 197 ff.; ders. (1950), S. X X X V I ; Eucken (1952), S. 49 ff.; 171; Kirsch (1997), S. 20 f., 300 ff.

17*

260

C. Ausgewählte Problembereiche

scheint und abgeschwächt werden sollte durch „systematische Überlegungen". Die Folgen und Konsequenzen, die sich aus ihren systematischen Überlegungen ergeben, weisen jedoch eine erstaunliche Ähnlichkeit mit modernen Empfehlungen auf. Dieses spricht für das ökonomische Fingerspitzengefühl der Ordoliberalen. 732 Beide Perspektiven sozialer Zielkonflikte können wie folgt dargestellt werden:

Mitglieder kleine Gruppe: 10, Mitglieder große Gruppe: 10000 Legende: GN:

Gesamtnutzen

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 33: Rent-seeking-Gefangenendilemma

Ein Mitglied der großen Gruppe wird aufgrund hoher Transaktionskosten der Organisation und des Sanktionierens von Schwarzfahrern letztendlich mehr Kosten als Nutzen von der Verfolgung von Gruppenzielen haben, (angenommener Netto-Pay-Off: -1), während ein Mitglied einer kleinen Gruppe erheblich geringere Kosten der Bereitstellung des Gruppenkollektivgutes hat und bei ihm der Nutzen auch aufgrund höherer Schlagfertigkeit überwiegt (angenommener Netto-Pay-Off: 2). Verfolgen zu Anfang beide Gruppen nicht den eigenen Gruppennutzen, sondern den sozialen Nutzen (Zelle IV), so hat erhält jedes Gesellschaftsmitglied einen Netto-Pay-Off von 1, es entsteht ein Gesamtnutzen von 10010 (= 1 * 10 + 1 * 10000). Es lohnt sich nun für die kleine Gruppe, den Konsens zu brechen und nur den eigenen Gruppennutzen zu verfolgen. Die Sonderrenten werden von der großen Gruppe zur kleinen Gruppe umverteilt, so daß die Situation der 732

Grossekettler

(1997), S. 72.

V. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der

261

Zelle I I entsteht. Diese Zelle wird nicht mehr verlassen: Wählt eine Gruppe eine andere Strategie (die Strategie der anderen Gruppe ändert sich nicht), so stellt sie sich schlechter. Bei den angenommenen Werten ist der Übergang von Zelle IV zu Zelle I I mit erheblichen Einbußen beim Gesamtnutzen verbunden. Diese Darstellung ist auch auf die Monopolproblematik übertragbar. Hier steht der großen Gruppe der Konsumenten eine begrenzte Anzahl an Anbietern gegenüber. Mit steigender Anbieterzahl sinkt die Monopolisierungsgefahr, die kleine Gruppe nähert sich der großen Gruppe an. Die Anzahl potentieller Anbieter steigt aus Nachfragersicht mit deren Ausweichmöglichkeiten, also mit Intensität der Substututionskonkurrenz und abnehmenden spezifischen Investitionen bzw. Gütern. b) Unterschiede Die Vertreter der NPÖ legen ihren Überlegungen eine Annahme explizit zugrunde, welche die Ordoliberalen zwar implizit beachten aber nicht separat untersuchen: Die Existenz von Kollektivgüterbedürfnissen. Durch die Trennung von Individual- und Kollektivgüterbedürfnissen wurde es möglich, dem Verhalten der verschiedenen Subgruppen eine analytische Form zu geben, es der Sprache der Ökonomie zugänglich zu machen und so die Grundlage für eine Vielzahl von Modellen zum Verhalten von Subgruppen zu schaffen. Bei der Analyse des Prozesses der öffentlichen Willensbildung tritt ein grundlegendes Unterscheidungsmerkmal zwischen beiden Forschungsrichtungen deutlich hervor: Die Vertreter der NPÖ arbeiten weitgehend mit komparativ-statischen Modellen, während die Ordoliberalen die Existenz und das Verhalten öffentlicher Machtgruppen als Ergebnisse historischer Prozesse erklären und somit eine dynamische Problemsicht haben. 733 Dieses war besonders für Euchen geradezu eine Notwendigkeit: „In der Währungspolitik, Krisenpolitik, Agrarpolitik, Kartellpolitik, Handelspolitik, Steuerpolitik (seit der Industrialisierung, d.V.) usw. liegen große Erfahrungen vor. Freilich müssen diese Erfahrungen ausgeschöpft werden." ... „Die Menschen von damals konnten von der industriell-technischen Wirtschaft nicht genug wissen, um ihr eine zureichende Verfassung zu geben. So waren sie bis zu einem gewissen Grade auf Spekulation angewiesen. - Heute ist dies anders." (Euchen, 1952, S. 15). Diese dynamische Herangehens-

733 Eine Ausnahme bei den Vertretern der NIE ist, wie bereits in Abschnitt Β herausgearbeitet wurde, D. C. North (1988, 1992). Er arbeitet zwar die statischen Theoriebausteine der NPÖ in sein dynamisches Theoriegebäude ein, kann aber nicht als originärer Vertreter der NPÖ gesehen werden.

262

C. Ausgewählte Problembereiche

weise ist erklärbar aus den Lebensläufen und den Zeitumständen der Ordoliberalen. Euchen wurde ein Großteil seines Wissens durch seinen Doktorvaters Hermann Schumacher vermittelt, einem Vertreter der Jüngeren Historischen Schule. 7 3 4 Außerdem besaßen zur Zeit der Ordoliberalen die Denkrichtungen des Historismus und des Positivismus eine dominierende Stellung. 735 Da die Informationskosten nun stets positiv sind, schafft sich der Mensch interne subjektive Modelle zur Erklärung seiner Umwelt, die jedoch wiederum abhängig sind von den subjektiven Modellen der Wissensvermittl e r . 7 3 6 So ist die Vermutung plausibel, daß die Ordoliberalen von diesen Denkrichtungen nicht gänzlich frei sein konnten, weil sie erstens mit diesen Richtungen während ihrer wissenschaftlichen Ausbildungen Erfahrungskurveneffekte gesammelt haben und zweitens noch keine z.B. der NIE vergleichbaren Theoriegebäude vorhanden waren. Die weiteren Unterschiede sind weniger grundlegend und unmittelbar aufgrund der verschiedenen Umwelten und des unterschiedlichen Standes der Wissenschaft einsichtig. So fällt die Beurteilung bilateraler Monopole auf dem Arbeitsmarkt heute sicherlich anders aus als zu Zeiten der Ordoliberalen. Die NIE betont, daß trotz langfristig sinkender Informationskosten der Produktionsfaktor Arbeit Besonderheiten besitzt und aus Effizienzgründen gegen zu starke Lohnschwankungen auch im Sinne des Unternehmers geschützt werden muß. 7 3 7 Auch sind Arbeitsmarktkämpfe heute wohl mit weniger Transaktionskosten belastet als zur Zeit der Ordoliberalen, da im Gegensatz zur Zeit der Weimarer Republik beim Aushandeln von Tarifverträgen bereits Erfahrungskurveneffekte („Verhandlungsrituale") existieren und die heutigen Ideen/Ideologien wohl weniger obrigkeitsstaatlich geprägt sind. Die Ordoliberalen dagegen stehen vor allem Mitbestimmungsrechten in Betrieben eher skeptisch gegenüber, da sie fürchten, daß dadurch die Handlungsfreiheit des Unternehmers und damit seine Möglichkeiten des Aufbaus von Humankapital empfindlich gestört würden. 7 3 8 Die Vorteile der Humankapitalbildung von Arbeitnehmern werden noch nicht gesehen. 739 Daß die Kirchen heute nicht mehr als maßgebende meinungsbildende Gruppe innerhalb der NPÖ gesehen wird, ist wohl aus geänderten Ideen/ Ideologien und des nachziehenden Verschwindens der Dimension „Reli734

Grossekettler (1997), S. 22 f. Böhm (1937), S. IX ff.; Euchen (1952), S. 200 ff. 736 North (1988), S. 46 ff.; ders. (1992), S. 52 f., 98 ff. 737 Die Besonderheiten des Produktionsfaktors Arbeit wurden in Abschnitt C.II.l.a) aa) herausgearbeitet. Die ordoliberale Sicht wird ausführlich von Böhm (1951) dargestellt. 738 Vgl. Grossekettler (1999c). 739 Zur Tarifautonomie vgl. Dichmann (1997), S. 677 ff. 735

V. Öffentliche Willensbildung I: Ökonomische Theorie der

263

gionszugehörigkeit" heraus verständlich. 740 Die höhere Bedeutung der Juristen bei den Ordoliberalen ist auf den Einfluß Böhms zurückzuführen und auf den besonderen Zeitumstand der zeitlichen und räumlichen Nähe der Träger starker gleichgerichteter Präferenzen in verschiedenen Disziplinen. Die unterschiedliche Beurteilung wirtschaftlicher Interessengruppen bei den Ordoliberalen und bei Becker schließlich ist wohl auf die unterschiedlichen Lebensumstände der Vertreter der Forschungsrichtungen zurückzuführen: Erstens waren die im Vergleich zu den heutigen Weltmärkten viel kleineren Märkte des Deutschlands der Ordoliberalen schon aufgrund ihrer begrenzten Größe auch durch Interessengruppen leichter kartellierbar, 741 zweitens lebten die Ordoliberalen in einer kartellierten und von Interessengruppen durchwobenen Welt, in der die negativen Erscheinungen überwogen. Becker nimmt ferner einen funktionsfähigen Wettbewerb von Interessengruppen unter der Voraussetzung gleicher Marktzutrittschancen für alle Interessensgruppen a n . 7 4 2 Diese Voraussetzung dürfte jedoch in der Weimarer Republik aufgrund der verfestigten Gemeinschafts- und Zwangsläufigkeitsideologien nur sehr unzureichend erfüllt gewesen sein. Ab 1933 lebten sie zudem in einem totalitären System, für das auch Becker Chancengleichheit ausdrücklich ausschießt. 743 c) Fazit Die Ordoliberalen machten Ausführungen zu nahezu allen Gebieten, die auch heute die Vertreter der Neuen Politischen Ökonomie bewegen. Sie legten ihre Gedanken im wesentlichen nicht formalisiert, sondern eher bildhaft anschaulich nieder. 7 4 4 Die vorstehenden Untersuchungen haben gezeigt, daß die Aussagen der Ordoliberalen in der Sprache der NIE und der NPÖ nicht nur übersetzt werden können, sondern sich vielfach hier auch wiederfinden. Grundsätzliche Unterschiede sind, anders als bei der Analyse der privaten Willensbildung, bei beiden Forschungsrichtungen kaum auszumachen. Dort, wo Unterschiede bestehen, ergänzen sich beide Richtungen. Eine Weiterentwicklung beider Richtungen unter beiderseitigem Nutzen ist also auch im Bereich der ökonomischen Analyse öffentlicher Willensbildungsprozesse möglich. Anknüpfungspunkte könnten z.B. eine „Theorie der Medien" oder eine „Theorie der Wissenschaft" im ordoliberalen Sinne sein. Eine Theorie der Medien im ordoliberalen Sinne hätte z.B. zu berücksichtigen, daß Mitglieder öffentlich-rechtlicher Medien ihre Maximierungs740 741 742 743 744

Kirsch (1997), S. 259. Olson (1991), S. 42 f f Becker (1996), S. 163 f f Becker (1996), S. 183 f. Grossekettler (1997), S. 90 f.

264

C. Ausgewählte Problembereiche

kalküle, ähnlich wie Bürokraten, eher auf die Politiker und somit mittelbar auf den Kunden, die Mitglieder privater Medien zwar auch mittelbar auf den Kunden, aber unmittelbar eher auf Werbeeinnahmen von Unternehmen gerichtet sind. Gedanken zu den Nutzenmaximierungskalkülen von Akademikern sind z.B. bei Becker (1995a) und Grossekettler (1997) vorhanden. 7 4 5

V. Öffentliche Willensbildung I I : Ökonomische Theorie der Verfassung Die Ordoliberalen waren der Überzeugung, daß eine Wettbewerbsordnung sich nicht „von selbst" erhalten könne, da durch Regelbruch sich erhebliche Sondervorteile in Form von Monopolrenten und „Markt-Schließungs-Renten" erzielen lassen. Zur Wettbewerbsordnung gebe es jedoch unter den geänderten Randbedingungen keine Alternative. Daher müsse der Wettbewerbskonsens erstens hergestellt und zweitens institutionell abgesichert werden. Hierzu haben die Ordoliberalen, vor allem die Vertreter der Freiburger Schule, ausführliche Vorschläge gemacht. 746 Dieses sind die gleichen Fragen, welche auch die Vertreter der modernen Constitutional Economics wie Buchanan und Vanberg bewegen: Unter welchen Bedingungen werden sich rationale und aufgeklärte Individuen auf langfristige allgemeingültige Institutionen einigen? Es wird untersucht, wie man der Phänomene des Markt- und Staatsversagens, welche die NPÖ aufdeckt, auf der konstitutionellen Ebene Herr werden kann. Beide Richtungen konstatieren also in einem ersten Schritt erhebliche soziale Zielkonflikte, welche im laufenden Prozess bei unbeschränktem Verhalten unter den Annahmen der Eigennutzorientierung aller Akteure sowie positiver Informations- und Transaktionskosten ausbrechen. In einem zweiten Schritt geht es darum, wie das Verhalten der Akteure langfristig beschränkt werden kann, um im Interesse aller Akteure diese Zielkonflikte zu lösen oder zu vermeiden. Der erste Schritt, die Aufdeckung sozialer Zielkonflikte bei unbeschränktem Verhalten, war Gegenstand der Abschnitte C.I. bis C.IV. In diesem Abschnitt geht es um den zweiten Schritt, nämlich um Fragen der Schaffung sozial förderlicher Verfassungsregeln und deren Rechtfertigung. Dabei werden in Abschnitt C.V.l. zunächst aus Sichtweise der modernen Constitutional Economics die Gründe von Verfassungsproblemen sowie Vorschläge zur deren Lösung in den Grundzügen dargestellt. Aufgrund der so gewonnenen Erkenntnisse werden in Abschnitt C.V.2. die Ansichten der 745 746

Vgl. Becker (1995a), S. 182; Grossekettler Eucken (1952), S. 341 ff., 325 ff.

(1997), S. 75 f.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

265

Ordoliberalen über die entsprechenden Probleme und Lösungsvorschläge bei der Schaffung einer Wirtschaftsverfassung im Sinne der Wettbewerbsordnung in der Sprache der NIE aufbereitet und systematisiert. Abschnitt C.V.3. hebt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in beiden Richtungen hervor und schließt mit einem kurzen Fazit.

1. Die Sicht der Neuen Institutionenökonomik a) Gründe für eine Verfassung Eine Systematik sozial förderlicher Regeln, also ein institutionelles Arrangement zur Lösung oder Vermeidung sozialer Zielkonflikte, ist ein Kollektivgut. Die Bereitstellung auch dieses Kollektivgutes erfolgt jedoch nur dann, wenn sich die Mitglieder des Kollelktivs auf Regeln zur Bereitstellung geeinigt haben. Gibt es keine entsprechende Institution, so besteht ein Gefangenendilemma, individuelle und kollektive Rationalität driften auseinander und die Bereitstellung des Kollektivgutes unterbleibt. Eine unterbleibende Bereitstellung des Kollektivgutes „Recht und Ordnung" schließlich führt zum Hobbesschen Urzustand, 747 Es besteht somit ein Bedarf nach Regelungen zur Bereitstellung dieses Kollektivgutes. Folglich besteht eine Nachfrage nach gesellschaftlicher Kooperation. Die Richtung der Constitutional Economics untersucht nun, wie eine Verfassung, verstanden als langfristig angelegte Regeln menschlichen Zusammenlebens, unter der Zielsetzung der Nutzenmaximierung unter der Bedingung der Knappheit zustande kommt und welche Anforderungen an sie zu stellen sind. 7 4 8 Bei der folgenden Darstellung wichtiger Grundzüge der Constitutional Economics wird schwerpunktmäßig die Buchananschc Perspektive zugrunde gelegt. 7 4 9 b) Einstimmigkeit

auf Regelebene

Ausgestaltung und Begründung von Regeln können gemäß der Constitutional Economics niemals getrennt voneinander untersucht werden. Bereits im Jahre 1896 hat Wicksell herausgestellt, daß Ergebnisse kollektiven Han747 Eine andere Auffassung vertritt Nozick (1976, S. 144 ff.), der von Lockes Urzustand als theoretischen Referenzpunkt ausgeht, in dem jede Person bereits unveräußerliche Rechts besitzt. Vgl. Witte (1995), S. 119. 748 Vgl. Homann (1986), S. 51 sowie die Definitionen in Schüller, Krüsselberg (1992). 749 Zum evolutionstheoretischen Ansatz vgl. Streit (1999); von Hayek (1969), Witte (1995), S. 95 ff. Zu von Hayeks Anforderungen an Regeln vgl. Daumann, Hösch (1998).

266

C. Ausgewählte Problembereiche

delns nur dann legitim sind, wenn ihnen alle Gesellschaftsmitglieder zustimmen. 7 5 0 Somit ist nur diejenige institutionelle Ausgestaltung legitim, welche einstimmmig beschlossen wurde. Nach Buchanan, Tullock (1962) kann Einstimmigkeit jedoch niemals auf der Ebene der Ergebnisse erzielt werden, da die Transaktionskosten kollektiver Einigungen mit zunehmender Zahl der Verhandlungspartner schnell eine prohibitive Höhe erreichen. 751 Nach Eschenburg (1977) sind Regeln zu finden über das anzustrebende Kooperationsergebnis, über den Weg zu diesem Ergebnis und über die Verteilung des Ergebnisses. Ferner muß es aber Regeln über das Verfahren geben, mit dem eine Einigung über diese Punkte herbeigeführt werden soll. Man hat es hier mit einem unendlichen Regreß zu tun: Es muß Regeln über Regeln geben, über die man sich wieder nach einem bestimmten Schema einigen muß usw. 7 5 2 Im Rückgriff auf Buchanan, Tullock (1962) wird daher vorgeschlagen, die Einstimmigkeitsregel nicht auf die Ebene der Ergebnisse, sondern auf die Ebene der Verfahren anzuwenden. Bei Einstimmigkeit auf der Regelebene ist nämlich jeder gezwungen, diesen Regeln auf der Ergebnisebene zu gehorchen, auch, wenn er zeitweise zu den Verlierern gehören sollte. 7 5 3 Aber auch die Herbeiführung von Einstimmigkeit auf der Regelebene ist mit erheblichen Problemen verbunden. Auch die vergangenen und zukünftigen Generationen müßten nämlich ihre Zustimmung zu einem contract social geben, die Unmöglichkeit dessen versteht sich jedoch von selbst. 754 Auch eine Einigung unter der derzeitigen Generation ist wieder mit großen Problemen verbunden, da bei heterogener Bedürfnisstruktur der Gesamtbevölkerung Einstimmigkeit wieder nur unter prohibitiv hohen Transaktionskosten möglich erscheint. In der Literatur werden mehrere Konzepte diskutiert, wie man diesem Dilemma entrinnen kann, drei dieser Konzepte werden im folgenden skizziert. (1) Schleier der Ungewißheit, (2) Cross-Cutting-Cleavages, (3) Hypothetischer/impliziter Vertrag. 750

Vgl. Buchanan (1987), S. 247; Frey, Kirchgässner (1994), S. 34; Kirsch (1997), S. 137 ff. 751 Vgl. Buchanan (1987), S. 247. Zum Stellenwert des Konsenskriteriums der Buchananschcn Constitutional Economics vgl. Vanberg (2000b). 752 Vgl. Eschenburg (1977), S. 25 ff.; ähnlich Frey, Kirchgässner (1994), S. 28 ff.; Kirsch (1997), S. 134 ff. 75 3 Buchanan (1987), S. 247 f. Zu James Buchanan vgl. auch Pies , Leschke (1996, 1996a). 754 Vgl. Homann (1986), S. 51.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

267

Beim Schleier der Ungewißheit wird eine Urvertragssituation, quasi eine „Stunde Null" angenommen, während die anderen Konzepte nicht von einer Rekonstruktion einer bestimmten historischen Situation, sondern von einem kontinuierlichen Prozeß der Regelüberprüfung ausgehen. Ad (1) Schleier der Ungewißheit: Dieses auf John Rawls (1975) zurückgehende Konzept trägt der Tatsache Rechnung, daß man sich selbst bei heterogener Bedürfnisstruktur schnell auf Regeln einigen kann, wenn für jeden die Zukunft völlig im Dunkeln liegt. In einer solchen Situation muß nämlich jeder damit rechnen, mit gleicher Wahrscheinlichkeit in Zukunft zu den Gewinnern oder Verlierern zu gehören. Jedes Mitglied hat somit einen Anreiz, Regeln vorzuschlagen, die ihn auch als Verlierer nicht allzu stark belasten würden. Das Gros des Konfliktpotentials wird also intraindividuell ausgetragen, jeder überlegt sich, unter welchen Regeln er als potentieller Gewinner sich als potentiellen Verlierer kompensieren könnte. 7 5 5 So erscheint es z.B. wahrscheinlich, daß unter dem Schleier der Ungewißheit man sich auf moderate Institutionen zur sozialen Sicherung einigt ebenso wie auf Regeln zur Begrenzung der Macht von Interessengruppen. 756 Ad (2) Cross-Cutting-Cleavages : North (1992) betont, daß Geschichte von Belang ist und auch bei einer Neukonstituierung die Zukunft sehr selten völlig im Dunkeln liegt, so daß die oben dargestellte Rawlssche Urvertragssituation in der Realität sich sehr selten einstellen dürfte. Weitere Risse erhält der Schleier durch sinkende Informationskosten: Mit der enorm fortschreitenden Chip-Technik und weltweiter Informationsvernetzung wird es immer mehr Menschen möglich, Zukunftsszenarien kostengünstig zu simulieren. 7 5 7 Ein Alternativkonzept stellen die von Kirsch (1997) diskutierten „Cross-Cutting-Cleavages" dar. Dieses auf Rabushka und Shepsle (1972) zurückgehende Konzept berücksichtigt, daß die kollektive Entscheidungsfindung in mehreren Dimensionen, „cleavages" erfolgen kann. So kann man politische Belange unter den Gesichtspunkten der Sprache, der Religion, 755

Besteht schon eine Ausgangs Verteilung und kann man die Zukunft abschätzen, etwa, weil man Mitglied einer Interessensgruppe ist, so werden die politischen Verhandlungen von Verteilungskonflikten überlagert, vgl. Libecap (1989), S. 6 ff. Zu John Rawls vgl. auch Pies , Leschke (1995). 756 Vgl. Buchanan (1987), S. 248; Frey , Kirchgässner (1994), S. 34 ff.; Kirsch (1997), S. 137 ff.; Rawls (1975). Die Rawlssche Urvertragssituation, gekennzeichnet durch den Schleier der Ungewißheit, ist Ausgangspunkt des Schemas zur Beurteilung finanzpolitischer Maßnahmen von Grossekettler (1999, S. 585 ff.). Möschel (1997, S. 249) ist der Meinung, daß der EG-Vertrag von 1957 aufgrund der damals noch nicht vorhersehbaren Entwicklungen unter dem Schleier der Ungewißheit zustande kam. 757 In einer spieltheoretischen Modellierung kommt Müller (1999, S. 207 ff.) zu dem Ergebnis, daß ein Schleier der Ungewißheit (Rawls) oder der Unsicherheit ( Buchanan, Tullock) fairen Regeln sogar im Wege stehen kann.

268

C. Ausgewählte Problembereiche

der Rasse, der Schichtzugehörigkeit etc. diskutieren. Mit wachsender Anzahl politisch relevanter sich nicht überschneidender Dimensionen macht sich nun ein Effekt der gesellschaftlichen Risikodiversifikation bemerkbar: Bei nur einer Dimension kann ein Individuum relativ genau abschätzen, ob es in Zukunft zu den Gewinnern oder Verlierern zählt, mit steigender Dimensionenzahl muß es jedoch berücksichtigen, daß er auf der einen Dimension zu den Gewinnern, auf der anderen Dimension aber zu den Verlierern zählen kann. Auch hier wird es nach einem intraindividuellen Willensbildungsprozeß Regeln vorschlagen, unter denen er als potentieller Gewinner sich als potentiellen Verlierer kompensieren würde. Es wird also Konfliktpotential vom Kollektiv abgehalten. Es ist jedoch anzumerken, daß die Einführung neuer Dimensionen, wie oben herausgearbeitet, wieder ein Kollektivgut ist und die schon vorhandenen Dimensionen das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses sind. 7 5 8 Ad (3) Hypothetischer/impliziter Vertrag: Homann (1986) diskutiert das auf Kant (1910 ff.) zurückgehende Konzept des hypothetischen Vertrages. Danach sind diejenigen Regeln legitim, denen alle Gesellschaftsmitglieder zustimmen könnten. Ein faktischer Abstimmungsprozeß entfällt also. Es bleibt jedoch die wichtige Frage offen, welcher Instanz diese Feststellung obliegt. Zum einen sind die Organisationen der parlamentarischen Demokratie, wie oben herausgestellt, eigennutzorientiert, zum anderen würde auch aus diesem Grunde eine Überlassung solcher Fragen an ausgewählte Personen die Gefahr einer Oligarchie heraufbeschwören. 759 Das Konzept des impliziten Vertrages versucht, dieses Problem durch weitere Annahmen zu lösen. Eschenburg (1980) hat den impliziten Vertrag mit dem Schlagwort „Legitimation durch Verbleib" beschrieben: Ein (bestehender) Gesellschaftsvertrag wird dadurch legitimiert, daß die Mitglieder zwar nicht explizit ihre Zustimmung erklären, aber implizit zustimmen, indem sie freiwillig unter der bestehenden Ordnung leben, sie also weder widersprechen (voice) noch abwandern (exit). 7 6 0 In der Realität ist jedoch sowohl der Voice-, als auch der Exit-Mechanismus mit Kosten verbunden. Es existieren die zu Beginn des Abschnitts C.IV. beschriebenen Kosten des Voice in Form von Kosten des Wählens und Kosten der Wahlteilnahme aufgrund des Kollektivgutcharakters von Wahlen, Kosten der öffentlichen Willensbildung, der Informationsaufnahme und des aktiven Informierens. Ebenso existieren Kosten des Exit in Form von Kosten der Raumüberwindung, Such- und Informationskosten, sowie Kosten aus der Entwertung spe758

Vgl. Kirsch (1997), S. 140 ff.; Rabushka, Shepsle (1972). Vgl. Homann (1986), S. 60 ff.; Kant (1910 ff.), S. 297. 760 Zu den Begriffen „exit" und „voice" vgl. Hirschmann (1974); Kirsch (1997), S. 46 ff. 759

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

269

zifischen Humankapitals, die dadurch entstehen, daß man bei Abwanderung ein neues soziales Umfeld betritt, mit neuen spezifischen Gegebenheiten des Wohnortes, neuen formlosen Beschränkungen und Ideen/Ideologien, bei Abwanderungen größeren Stils auch einer neuen Sprache und neuen formellen Regeln. Diese Kosten lassen auch das Konzept des impliziten Vertrages unvollkommen erscheinen. 761 Alles in allem weisen alle vorgestellten Konzepte sowohl Vor- als auch Nachteile auf, eine prinzipielle Überlegenheit eines Konzeptes kann nicht konstatiert werden. In konkreten Situationen wird man folglich auf eine nutzvolle Ergänzung aller Konzepte angewiesen sein. c) Das Interdependenzkostenkalkül Die bisherigen Überlegungen zielten darauf ab, der Einstimmigkeit auf der Regelebene möglichst nahezukommen, da Einstimmigkeit auf der Ergebnisebene unmöglich herbeigeführt werden kann. Buchanan und Tullock (1962) haben anhand ihres viel zitierten Modells des Interdependenzkostenkalküls erläutert, welche Überlegungen rationale Individuen anstellen, wenn es um die Verabschiedung einer Abstimmungsregel geht: EK DIK INK

0

Ρ

Legende: DIK: Diskriminierungskosten η: Anzahl aller Individuen P: erforderliche Ja-Stimmen

η EK: Entscheidungsfindungskosten INK: Interdependenzkosten

Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 421 ff.

Abbildung 34: Interdependenzkostenkalkül 761 Vgl. Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 386 ff.; Homann (1986), S. 60 ff.; Kirsch (1997), S. 214 ff.

270

C. Ausgewählte Problembereiche

Für den einzelnen sind zum einen die Diskriminierungskosten D I K von Belang. Entscheiden alle η Individuen, gilt also die Einstimmigkeitsregel auf der Ergebnisebene, so kann ex definitione nicht gegen die Präferenzen des Einzelnen entschieden werden, die Diskriminierungskosten sind 0. Entscheidet ein einziges Individuum für das gesamte Kollektiv, so ist die Gefahr, daß gegen die Bedürfnisse des Einzelnen entschieden wird, am größten. Der überproportional von rechts nach links steigende Verlauf der DIKKurve ist Ausdruck der Tatsache, daß bei heterogener Bedürfnisstruktur diese Gefahr immer größer wird, je weniger Ja-Stimmen für eine Entscheidung erforderlich sind. Zum anderen sind auch die Kosten der Entscheidungsfindung EK relevant. Entscheidet nur ein Individuum, so hat die EK-Kurve an dieser Stelle ein Minimum. Je mehr Ja-Stimmen jedoch erforderlich sind, desto mehr Ressourcen müssen für Verhandlungen verbraucht werden. Auch wächst die Gefahr strategischen Verhaltens wie z.B. des Stimmenkaufes und der Entscheidungsblockade. Die Annahme eines überproportionalen Verlaufs ist auch hier aufgrund der Annahme einer heterogenen Bedürfnisstruktur der Bevölkerung plausibel. Die Aggregation beider Kategorien ergibt die Interdependenzkosten. Im obigen Fall ist diejenige Abstimmungsregel optimal, die ein Ja-StimmenAnteil von P/n erfordert, da hier die Interdependenzkosten ein Minimum erreichen. 762 Wenn die Präferenzen nicht nur heterogen, sondern auch polar sind, so besitzen die Kurven der Diskriminierungs- und Entscheidungsfindungskosten einen Sprung. Die Abbildung 35 gibt das Kalkül eine Mitgliedes wieder, welches zu einer gesellschaftlichen Minderheit gehört. Bei wenigen erforderlichen JaStimmen wird es bei den Entscheidungsfindungskosten dort einen Sprung (oder zumindest extreme Grenzwerte) geben, wo das Mitglied über die Minorität hinaus die Mitglieder der Majorität überzeugen muß, deren Interessen weit von denen der Minorität entfernt sind. Ähnlich weist die Kurve der Diskriminierungskosten dort einen Sprung auf, wo auch Mitglieder der Minorität zustimmen müssen, deren Präferenzen viel näher an denen des Individuums liegen als die Präferenzen der Majorität. Das Individuum präferiert entweder die Abstimmungsregel PI oder P2. Spiegelbildlich kann für ein Mitglied der Majorität argumentiert werden. Für ihn ergibt sich die in Abbildung 36 gezeigte Kurve der Interdependenzkosten.

76 2 Buchanan, Tullock (1962); Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 420 ff.; Homann (1986), S. 54 ff.; Kirsch (1997), S. 123 ff.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

271

EK DI Κ INK

INK

DIK

ΕΚ

0

1

PI Diskriminierungskosten Anzahl aller Individuen P I , P2: erforderliche Ja-Stimmen bei präferierter Abstimmungsregel

Legende: DIK:

P2

Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Kirsch (1997), S. 132 ff.

Abbildung 35: Interdependenzkostenkalkül eines minoritären Mitgliedes bei heterogenen und polaren Präferenzen

Legende: INK: P3:

Interdependenzkosten erforderliche Ja-Stimmen bei präferierter Abstimmungsregel

η

EK: Entscheidungsfindungskosten INK: Interdependenzkosten

n:

Anzahl aller Individuen

Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Kirsch (1997), S. 132 ff.

Abbildung 36: Interdependenzkostenkalkül eines majoritären Mitgliedes bei heterogenen und polaren Präferenzen

272

C. Ausgewählte Problembereiche

Das Mitglied der Majorität wird also P3 präferieren. Steht eine Gesellschaft mit derartiger Bedürfnisstruktur vor dem Problem einer Verfassungsgründung, so gibt es aufgrund der unterschiedlichen Interdependenzkosten der Mehrheits- und der Minderheitsmitglieder vermutlich einen scharfen Regeldissens. Dieser kann entschärft werden, wenn nicht auf dieser einen Dimension, sondern auf mehreren sich nicht überlagernden Dimensionen argumentiert wird. Bei zwei sich genau entgegenstehenden Dimensionen, bei denen ein Individuum mal zur Mehrheit, mal zur Minderheit zählt, ergibt sich für ein Individuum vermutlich folgende Situation:

Legende: INK: Interdependenzkosten P: erforderliche Ja-Stimmen

n:

Anzahl aller Individuen

Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Kirsch (1997), S. 142 ff.

Abbildung 37: Interdependenzkostenkalkül eines Mitgliedes bei heterogenen und polaren Präferenzen auf mehreren Dimensionen

Nach einem intraindividuellen Entscheidungsprozess wird das Individuum die mittlere Interdependenzkostenkurve vor Augen haben. Da auch die anderen Individuen auf der einen Dimension zur Mehrheit, auf der anderen zur Minderheit zählen, wird der Verfassungsdissens entschärft. Genau dieses ist der Grundgedanke der Cross-Cutting-Cleavages. d) Senkung der Diskriminierungskosten Einstimmigkeit auf der Regelebene ist stark an die Bedingung ungefähr gleicher Eintrittswahrscheinlichkeiten des Gewinner- und des Verliererfalls beim Einzelnen geknüpft. Im intraindividuellen Entscheidungsprozeß wird

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

273

der Einzelne solche Regeln vorschlagen, die ihn auch als Verlierer zumindest partiell kompensieren könnten. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit der Einstimmigkeit über einen contract social, der mehr als nur eine Abstimmungsregel enthält, wird steigen, wenn auf der Ergebnisebene auch im Fall der Überstimmung der Einzelne nicht allzu starke Nutzeneinbußen erleidet. Er erstrebt die Senkung der Diskriminierungskosten, verstanden als Kosten des Überstimmtwerdens bzw. als Nutzeneinbuße durch den Eintritt von für ihn unerwünschten Abstimmungsergebnissen. 763 Erlei, Leschke , Sauerland (1999) zeigen Regeln auf, die eine Senkung der Diskriminierungskosten bewirken, ohne daß die Entscheidungsfindungskosten im gleichen Umfang steigen (ergänzt sind hier das Grundrecht auf Rechtskorrekturen sowie die Prinzipien rationaler Gesetzgebung). 764 Gemeinwohlprinzipien

politischen Handelns

Grundrechte und liberale Rechte

ökonomische Basisprinzipien

Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft

Prinzipien rationaler Gesetzgebung

Prinzipien der Trennung der Staatsgewalt

individuelle Freiheitsrechte

fiskalische Äquivalenz

Euckensche Prinzipien

Gemeinwohlrichtigkeit

horizontale Gewaltenteilung

Grundrecht auf Rechtskorrekturen

Subsidiaritätsprinzip

Prinzip der best practice policy

vertikale Gewaltenteilung

Gleichheitsgrundsatz Wirtschaftlichkeitsprinzip Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Erlei, Leschke , Sauerland (1999), S. 424 ff.

Abbildung 38: Regeln zur Senkung der Interdependenzkosten

Grundrechte stellen bedingte Veto-Rechte dar, mittels derer das Individuum vor Diskriminierungen durch die Mehrheitsmeinung geschützt werden soll. Das Grundrecht auf Rechtskorrekturen soll eine Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung auch gegen politische Widerstände sicherstellen. 765 Mit den Grundrechten verwandt, aber nicht mit ihnen identisch sind die sogenannten liberalen Rechte. Liberale Rechte stellen Institutionen zur Sen763

Vgl. Erlei, Leschke , Sauerland (1999), S. 421; Kirsch (1997), S. 124. Zu den folgenden Ausführungen vgl. Erlei, Leschke Sauerland S. 424 ff. 765 Vgl. Grossekettler (2000), S. 11; Schwintowski (1996, 1998). 764

18 Evers

(1999),

274

C. Ausgewählte Problembereiche

kung der Diskriminierungskosten dar. Eine Institution wird dann als liberales Recht bezeichnet, wenn sie festlegt, daß ein Zustand dann auch sozial zu präferieren ist, wenn er durch ein einziges Individuum präferiert wird. Beispiele sind z.B. das Recht auf Schutz der Intimssphäre und auf die freie Wahl der Religionszugehörigkeit. Liberale Rechte können nicht mit wohlfahrtsökonomischen Prinzipien begründet werden, da eine Person ein liberales Recht ohne Rücksicht auf die Präferenzen anderer Personen ausüben darf, wodurch soziale Zielkonflikte induziert werden können. 7 6 6 Liberale Rechte tragen jedoch langfristig zur Senkung der Diskriminierungskosten bei, da sie einer Person einen intimen, unantastbaren Freiraum zusichern. Durch die Gemeinwohlprinzipien politischen Handelns und die Prinzipien der Gewaltenteilung soll eine Senkung der Diskriminierungskosten durch eine möglichst weitgehende Vermeidung sozialer Zielkonflikte bzw. durch die Annäherung individueller an kollektiver Effizienz erreicht werden. Das auf Olson (1969) zurückgehende Prinzip der fiskalischen Äquivalenz soll eine strikte Verbindung zwischen Nutzern, Zahlern und Entscheidungsberechtigten bei der Bereitstellung von Kollektivgütern herstellen und so Kosten durch unnötige Verschwendung verhindern. Grossekettler (1999) fordert die Anwendung des Kongruenzprinzips, bestehend aus dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz, dem Demokratieprinzip und dem Prinzip der Immediatkontrolle. Durch Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips sollen diejenigen Kosten verhindert werden, die entstehen, wenn Kompetenzen einer Körperschaft mit zu hohem Extensionsniveau übertragen werden, obwohl sie auch von einer Körperschaft niederen Extensionsniveaus wahrgenommen werden könnten. 7 6 7 Der Gleichheitsgrundsatz verbietet grundsätzlich Ungleichbehandlungen und sieht Diskriminierungen nur für die Erhöhung der Funktionsfähigkeit der Ordnung vor, verbietet also willkürliche Diskriminierungen. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip soll gewährleisten, daß kollektive Ziele so verwirklicht werden, daß bei der Bereitstellung des Kollektivgutes möglichst geringe Kosten anfallen, die ja auch diejenigen tragen müssen, welche der Bereitstellung nicht zugestimmt haben. Grossekettler (1997) hat ein Prüfschema entworfen, welches auf einer Neuformulierung der Euckenschen Prinzipien beruht. Mit Hilfe dieses Schemas sollen diejenigen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen herausgefiltert werden, die verfassungsökonomischen Vorstellungen möglichst nahe kommen. 7 6 8 Die Euckenschen Prinzipien werden von den NIE-Vertretern Erlei, Leschke, Sauerland explizit im verfassungstheoretischen Kontext genannt. Sie tragen zur Senkung der Diskriminierungskosten bei, da sie eine soziale Marktwirtschaft begründen. „Sozial" bedeutet dabei, daß die Prinzipien für 766 76 7 768

Vgl. auch Schäfer, Ott (2000), S. 518; Sen (1970), S. 152 ff. Grossekettler (1999), S. 543 f. Vgl. Grossekettler (1997), S. 113 ff.; ders. (1999), S. 581 ff.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

275

jeden gelten. Nur in einer solchen Wirtschaftsordnung kann eine hohe Bedürfnisbefriedigung und hinreichende soziale Sicherheit gewährleistet werden, die Kosten des Verlierens sind in dieser Ordnung vergleichsweise niedrig.769 Werden die Prinzipien rationaler Gesetzgebung angewandt, so werden willkürliche Diskriminierungen vermieden und Transaktionskosten der späteren Gesetzesanwendung gesenkt. 770 Das Prinzip der horizontalen Gewaltenteilung soll über eine unabhängige Gerichtsbarkeit und einen wirksamen Kontrollmechanismus Diskriminierungen und Verschwendungen begegnen. Personell und materiell unabhängige Richter werden eher im Sinne der Regeln des Gemeinwesens entscheiden, als bspw. von Parteien oder Interessengruppen abhängige Richter. Auch die Trennung in Legislative und Exekutive soll Verstöße des politischen Sektors gegen die oben genannten Prinzipien unter dem Einfluß von Interessensgruppen oder eigenem Machtstreben minimieren und so die Diskriminierungskosten senken. Mit Hilfe des Prinzips der vertikalen Gewaltenteilung sollen die Kosten des Exit und Voice in Grenzen gehalten und so ein Wettbewerb unter den Jurisdiktionen ermöglicht werden. e) Zusammenfassung Die Erkenntnisse der NPÖ sind verfassungstheoretisch systematisch verwertbar und Bestandteil konstitutioneller Reformvorschläge. Verfassungen, verstanden als langfristig gültige Regeln menschlichen Zusammenlebens, sind nur dann legitim, wenn man mit gutem Grund von einer einhelligen Zustimmung zu diesem Gesellschaftsvertrag ausgehen kann. Im laufenden Prozeß wäre die Einstimmigkeitsregel jedoch mit prohibitiv hohen Kosten verbunden. Daher sind Mechanismen zu suchen, welche die potentiellen Diskriminierungen in Form sozialer Zielkonflikte durch Fehlanreize im laufenden Prozeß möglichst gering halten. Solche Mechanismen sind Verfassungsprinzipien. In diesem Kontext können die von Grossekettler (2000) erläuterten Prinzipien rationaler Gesetzgebung gesehen werden. Erlei, Leschke , Sauerland (1999) nennen die Grundrechte, ökonomische Basisprinzipien, die Euckenschen Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft sowie die Prinzipien der Gewaltenteilung. Diese Autoren sind somit neben Vanberg eine der wenigen Vertreter der NIE, die den Ordoliberalismus als Teil der Entwicklung eines neuen Institutionalismus sehen.

769 Vor Erlei, Leschke, Sauerland hat Vanberg auf eine enge Verwandtschaft der Ordoliberalen zum Ansatz der Constitutional Economics hingewiesen. Vgl. Vanberg (1988), S. 17 ff. 770 Vgl. Abschnitt C.III. 1 .c)ee). 18*

276

C. Ausgewählte Problembereiche

2. Die Sicht der Ordoliberalen Erkenntnisziel der Ordoliberalen ist die Gestaltung von Institutionen zur Schaffung einer menschenwürdigen Gesellschaftsordnung vor dem Hintergrund der Gefahren vermachteter privater und öffentlicher Entscheidungsstrukturen. 771 Der Wirtschaftsordnung als Teilordnung einer Gesellschaftsordnung messen die Ordoliberalen höchste Bedeutung bei, da sie gleichsam der „unterste aller Lebensbereiche" (Riistow, 1949, S. 100) sei. Konsequenterweise nimmt die Gestaltung einer Wirtschaftsverfassung bei den Ordoliberalen einen hohen Rang e i n . 7 7 2 Die Euckenschen Prinzipien interpretieren Erlei, Leschke, Sauerland (1999) explizit als Institutionen von Verfassungsrang zur Senkung der Diskriminierungskosten. Schon an dieser Stelle kam eine enge Verwandtschaft ordoliberaler Ideen mit der Richtung der Constitutional Economics zum Ausdruck. Im folgenden werden detaillierter weitere Parallelen untersucht. Dabei werden entsprechende ordoliberale Gedanken in der Sprache der modernen Constitutional Economics aufbereitet. Schwerpunktmäßig geht es dabei um die Untersuchung der Euckenschcn Prinzipien als Kernstück einer Wirtschaftsverfassung im ordoliberalen Sinne. 7 7 3 a) Gründe für eine Wirtschaftsverfassung Die Ordoliberalen betonen an verschiedenen Stellen, daß eine Verfassung, in der zwar die grundlegenden Freiheitsrechte der Menschen als Abwehrrechte gegen den Staat gesichert sind, die jedoch keine Prinzipien vorsieht, anhand derer die Bedrohung der Freiheit durch Private abgewehrt werden kann, letztendlich wieder zur Freiheitsberaubung führt, nämlich durch Monopole und wirtschaftliche Interessensgruppen. Die Gesellschaft verkomme, so Böhm, zu einem „Interessenhaufen", nach Eucken herrscht „Gruppenanarchie". 774 Diese Wortwahl erinnert stark an den Begrifft vom „Hobbesschzn Urzustand", in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, in dem extreme Ressourcenverschwendung und das Gesetz der Stärke herr771 Vgl. Eucken (1949), S. 1 und das Vorwort zum ersten Band des Jahrbuchs ORDO aus dem Jahre 1948. 772 Mit der Gestaltung einer Wirtschaftsverfassung befaßte sich vor allem Eucken. Gesellschaftsphilosophische Fragen standen im Mittelpunkt der Arbeiten von Rüstow und Röpke. Vgl. Grossekettler (1997), S. 31 f. 773 Zur Diskussion um die Konformitätskriterien vgl. Grossekettler (1997), S. 52 ff. 774 Vgl. Böhm (1933), S. XI, 29 ff.; ders. (1948), S. 197 ff.; ders. (1950), S. X X X V I ; Eucken (1952), S. 49 ff., 171; Partsch (1948), S. 214 ff.; ders. (1954), S. 19 ff.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

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sehen, in dem Tauschakte folglich mit prohibitiv hohen Transaktionskosten belastet sind. 7 7 5 Aus dieser Startsituation ergibt sich eine Nachfrage nach Regeln vorteilhafter Kooperation, die aber ihrerseits wieder ein Kollektivgut darstellen. Ähnlich argumentieren die Ordoliberalen. Da freiwillige Beschränkungen der Akteure nicht mit deren individuellen Nutzenmaximierungskalkül vereinbar sind, müssen entsprechende Kooperationsregeln in die Verfassung integriert werden, um so der Bedrohung der Freiheit durch die Freiheit zu begegnen. 776 b) Breite Akzeptanz ökonomischer Regeln Während in einer kleinen Eigenwirtschaft die Pläne noch konsensual koordiniert werden können, steigen mit wachsender Gruppengröße die Transaktionskosten zentraler Leitung stark an und erreichen schnell eine prohibitive Höhe. Daher wird ein Koordinationsmechanismus benötigt, der quasi automatisch wirkt und Transaktionskosten einspart. Preise sind in modernen Wirtschaften der Knappheitsmesser, der es den Akteuren ermöglicht, nicht die gesamte Wirtschaftsordnung in alle Einzelheiten verstehen zu müssen, sondern ihre Präferenzen lediglich anhand der Preise abzugleichen. Sie bedingen somit eine enorme Einsparung von Transaktionskosten. Miksch vergleicht das Preissystem mit einer „ . . . lautlos und unmerklich arbeitende(n., d.V.) Rechenmaschine ...", welche „ . . . die verschiedenen einander entgegengesetzten Bestrebungen in Übereinstimmung bringt." {Miksch, 1948, S. 182). 7 7 7 Durch die geänderten Randbedingungen wurde ein Abgehen von der Einstimmigkeitsregel auf der Prozeßebene erzwungen. In einer Eigenwirtschaft kann ein Individuum von einem etwaigen Verzicht überzeugt werden, wenn ihm eine zukünftige Kompensation zugesagt wird. In einer modernen Wirtschaft hat es den Verzicht ohne institutionelle Aussicht auf garantierte zukünftige Kompensation hinzunehmen. Die neue Abstimmungsregel ist nun eine Regel von Verfassungsrang. Die Richtung der Constitutional Economics betont, daß ein kollektives Regelwerk verstanden als Gesellschaftsvertrag nur durch die Zustimmung aller legitimiert i s t . 7 7 8

77 5

Hobbes (1990 (1651); Kirsch (1997), S. 20 f., 46 f. Vgl. z.B. Eucken (1952), S. 275 ff. 77 7 Böhm (1966) vergleicht das Marktpreissystem mit einem „modernen" Computer. Dieser selbst ist nicht zu einem Urteil fähig, reagiert aber sensibel gemäß seiner Programmierung auf die Dateneingaben. 77 8 Homann (1986), S. 48 ff. Ganz ähnlich argumentiert Miksch (1950) bei seinen Ausführungen über die Funktion, die innerhalb einer Wirtschaftsverfassung die 776

278

C. Ausgewählte Problembereiche

Dabei betonen Ordoliberale wie Neoinstitutionalisten den Unterschied zwischen der Regelebene und der Prozeßebene. Für Eucken hat „ . . . die ordnungspolitische Entscheidung ... vor den einzelnen wirtschaftspolitischen Handlungen zu stehen." (.Eucken, 1952, S. 250). Die Ordoliberalen stehen dem Gedanken spontan gewachsener effizienter Ordnungen skeptisch gegenüber und begründen insofern staatliche Tätigkeiten im ökonomischen Bereich. Diese müssen sich jedoch auf die Regelebene beschränken, da ein effizientes Eingreifen auf der Prozeßebene an zu hohen Transaktionskosten scheitert. 779 Denn die „Ratio" eines Einzelnen, so Eucken, reicht nicht aus, viele Millionen Einzelpläne zu koordinieren. 780 Einzelansprüche an den Staat dürfen somit in einer Verfassung nicht geregelt werden. 781 Das bedeutet auch, daß sich Richter und Verwaltung der Verfassung unterzuordnen haben. 782 Dem Ideal der Einstimmigkeit auf der Regelebenen kann man sich annähern, indem man unter dem Schleier der Ungewißheit abstimmt, Präferenzen anhand vieler politisch relevanter Dimensionen gebildet werden oder man hypothetische oder implizite Zustimmung annimmt. Nach dem Kriege gingen in Deutschland viele Nationalökonomen wohl implizit davon aus, daß unter dem Schleier des Nichtwissens die von den Ordoliberalen vorgeschlagene Wirtschaftsordnung einstimmig akzeptiert werden würde. 7 8 3 Die Ordoliberalen haben betont, daß die Wettbewerbsordnung verstanden als Regelwerk von Verfassungsrang nur dann entstehen kann, wenn zum einen die potentiellen Träger einer solchen Ordnung ihr zustimmen und zum anderen die Bevölkerung die Politiker in deren Eigeninteresse dazu zwingt, eine Wettbewerbsordnung aufzubauen und zu verteidigen. 784 Breite Akzeptanz ist also auch im ordoliberalen Sinne ein Legitimationskriterium für eine langfristig stabile Wirtschaftsordnung. 785 Einem GesellschaftsverRechtsordnung hat. Sie ist letztlich nur durch die Zustimmung des Individuums legitimiert (S. 64). 77 9 Vanberg (1988), S. 21 ff.; Abschnitt C.I.2. a). 780 Böhm (1950), S. X I X ; Eucken (1952), S. 57. 781 Partsch (1954), S. 24 ff. 782 Eucken (1952), S. 307. 783 Grossekettler (2000), S. 2. 784 Vgl. Grossekettler (1997), S. 72 ff. und Abschnitt C.IV.2.d). 785 Vanberg (1988), S. 27 f. Auch Partsch dürfte dieser Ansicht gewesen sein, als er vermutete, daß die klare Entscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsordnung im Grundgesetz ausblieb, weil der Zeitpunkt der Verabschiedung des Grundgesetzes keine „gute Stunde" für eine solche Entscheidung gewesen sei. Vgl. Partsch (1954), S. 24 ff. Diese Vermutung wird von Folz (1994, S. 66) und Grossekettler (1996, S. 309 ff.) bestätigt. Die oben dargestellte Auffassung gilt im Übrigen nicht oder jedenfalls nur sehr eingeschränkt für Müller-Armack. Vgl. Lange-von Kulessa, Renner (\99S), S. 79 ff.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

279

trag müssen im Idealfall alle Individuen zustimmen (tatsächlicher Vertrag) oder zumindest zustimmen können (hypothetischer Vertrag). Daher sind in Verfassungsregeln auch die Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu berücksichtigen. 786 Ähnlich betont Eucken, daß wirtschaftspolitische Prinzipien keine dekalog-gleiche absoluten Dogmen seien, sondern daß sie in Beziehung zum jeweiligen „historischen ,Moment 4 " gesehen werden müßten. Wirtschaftspolitik darf weder doktrinär noch punktualistisch sein. 7 8 7 c) Justiziabilität

ökonomischer Regeln

Oben wurde bereits ausgeführt, daß Ökonomen und Juristen sich ihrer Bedeutung für die institutionelle Ausgestaltung einer Wirtschaftsordnung und ihrer berufsspezifischen Eigenarten bewußt sein sollten. Dabei kommt den Ökonomen die Aufgabe zu, juristisch handhabbare Meta-Regeln zu liefern, die zwar einen Ermessensspielraum zulassen können, jedoch nicht die Schaffung ordnungsinkonformer Institutionen zuläßt. Als Negativbeispiele führt Böhm (1933) die Begriffe der „guten Sitten" und der „unverhältnismäßigen Schadenszufügung" an, die derart auslegungsfähig sind, daß sie Interessensgruppen als Einfallstor zum Rent-seeking, zur machtintendierten Umgestaltung der Rechtsordnung dienen. 788 An anderer Stelle hebt Eucken (1952) die mangelnde Operationalität des Begriffs „Mißbrauch" hervor. 7 8 9 Partsch betont, daß Verfassungsprinzipien justiziabel sein müssen. 790 Kronstein weist auf dysfunktionale Wirkungen unbestimmter Rechtsbegriffe während der Entwicklung der amerikanischen Wirtschaftsordnung h i n . 7 9 1 Mit Hilfe der in Abschnitt C.I.l. erarbeiteten Terminologie kann man diese von den Ordoliberalen vorgefundenen Sachverhalte wie folgt beschreiben: Baut man unbestimmte Rechtsbegriffe in externe Institutionen ein, so verändern sich die externen Institutionen mit den internen Institutionen und vor allem mit den herrschenden Ideen/Ideologien. Damit aber ist die erste Bedingung einer raschen Anpassung des institutionellen Rahmens an neue Randbedingungen nicht erfüllt, nämlich ein möglichst geringer Anteil der Ideen/Ideologien am institutionellen Rahmen. Auch die zweite notwendige Bedingung, nämlich die Wirkung von Ideen/Ideologien, die eine 786 Homann (1986), S. 49, 60 f. Ähnlich betonte von Hayek , daß eine Regel nur dann das Prädikat „Prinzip" verdient, wenn sie zwar nicht in allen, aber in der Mehrzahl der Fälle Wohlstandssteigerungen bewirkt. Vgl. von Hayek (1948), S. 34 f. 787 Eucken (1952), S. 251. 788 Vgl. Böhm (1933), S. 197 ff., 203 ff. Zu den „guten Sitten" vgl. auch Böhm (1948), S. 201; Partsch (1948), S. 230. 789 Vgl. Eucken (1952), S. 172. 790 Partsch (1948), S. 221; ders. (1951), S. 24 ff. 791 Vgl. Kronstein (1950), S. 89.

280

C. Ausgewählte Problembereiche

rasche Anpassung an neue Randbedingungen erlauben oder fördern, waren zur Zeit der Ordoliberalen nicht erfüllt. Daher verwundert es nicht, daß die Ordoliberalen in unbestimmten Rechtsbegriffen eine große Gefahr für eine funktionierende Wirtschaftsordnung sehen. d) Senkung der Diskriminierungskosten Bei Abweichungen von der Einstimmigkeitsregel steigt für jeden die Wahrscheinlichkeit, im laufenden Prozess auch zu den Verlierern gehören zu können. Folglich treffen Verfassungen nur dann auf eine breite Akzeptanz, wenn sie Regelungen enthalten, welche die resultierenden Kosten des Überstimmtwerdens senken. Die Ordoliberalen nennen Grund- und Freiheitsrechte als sehr wichtige Institutionen zur „Einschränkung der absoluten Volksherrschaft zu Gunsten der Gerechtigkeit". 792 Eucken nennt Grundrechte, Freiheitsrechte, und die Trennung der Staatsgewalten als Institutionen zur Verwirklichung des Rechtsstaates, welche die Rechtssphäre der Bürger gegenüber dem Staat und gegenüber anderen Bürgern sichern sollen. 7 9 3 Das größte Augenmerk gilt der Schaffung einer Wirtschaftsverfassung. Daher werden im folgenden die Euckenschcn Prinzipien als Kernstück des ordoliberalen Programms näher beleuchtet. 794 Euckens leitet die Notwendigkeit anwendbarer wirtschaftspolitischer Prinzipien aus der Unterscheidung zwischen „Prinzip" und „Moment" her: Es sind einerseits Verfassungsinstitutionen zu schaffen, die in einem „historischen Moment" möglichst wenig Diskriminierungspotential in sich bergen. Zum anderen müssen Verfassungsregeln jedoch „allgemein" sein, also in möglichst vielen „Momenten" anwendbar sein. Hat man ein in diesem Sinne allgemeines Set von Regeln gefunden, so muß man Einzelinstitutionen nicht mehr in allen Details prüfen, sondern an eben diesem Regelset ausrichten. In der Sprache der Constitutional Economics: Die volle Ausrichtung von Regeln an einem historischen Moment und der Präferenzen einer möglichst großen Zahl der in diesem Moment betroffenen Akteure kann in diesem einen Moment zwar mit geringen Diskriminierungskosten verbunden sein, bewirkt aber wahrscheinlich hohe Diskriminierungskosten in der 792

Partsch (1948), S. 224. Weitere Hinweise bei Böhm (1933), S. 336. Eucken (1952), S. 48 ff., 253. Miksch (1950) weist auf Euckens Pionierleistung bei der Unterscheidung zwischen „Prinzip" und „Moment" hin (S. 29). 794 Die Euckenschen Prinzipien hier als Kernstück ordoliberalen Gedankenguts zu beleuchten und dabei Müller-Armacks Konfirmitätskriterien auszublenden ist auch mit Verweis auf Lange-von Kulessa, Renner (1998) zulässig, die ausdrücklich darauf hinweisen, daß „Soziale Marktwirtschaft" nicht mit „Ordoliberalismus" gleichzusetzen ist. Vgl. Lange-von Kulessa, Renner (1998), S. 79 ff. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Grossekettler (1997), S. 44 ff.; Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 433 ff. 793

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

281

Zukunft, da die Wahrscheinlichkeit ewig gleicher oder ähnlicher historischer Momente gering ist und die Gewinner/Verlierer-Konstellationen sich ändern. Verallgemeinert man das Regelset und richtet es auf die wahrscheinlich eintretenden zukünftigen Momente aus, so werden die gegenwärtigen Diskriminierungskosten zwar wachsen, die erwarteten Diskriminierungskosten bis zu einem gewissem Grade jedoch sinken. Eine Obergrenze der Allgemeinheit von Verfassungsregeln scheint Eucken dort zu sehen, wo Rechtsbegriffe zu unbestimmt werden und derartig breite Ermessensspielräume bei der Anwendung in einem historischen Moment zulassen, daß sie Interessensgruppen Einfallstore zum Rent-seeking bieten und somit wieder zum Anwachsen der Diskriminierungskosten führen. Es handelt sich hier also um ein Minimumproblem unter der Restriktion, daß die Entscheidungsfindungskosten nicht in gleichem Umfang zunehmen. Im folgenden werden die Euckenschen Prinzipien im Hinblick auf ihre Funktion als Institutionen zur Senkung der Diskriminierungskosten untersucht. Kl : Fundamentalprinzip

des umfassenden Strebens nach Konkurrenzpreisen

Ihre Funktion als Knappheitsmesser können Preise, so die Ordoliberalen, nur bei „vollständiger Konkurrenz" erfüllen, da sie sonst nicht mehr die Knappheiten gemäß der Präferenzen der Akteure wiedergeben würden. Die Koordination der Einzelpläne wird schwerer und das Transaktionskostenniveau steigt. Mithin steigt die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Ergebnisse, also die Diskriminierungskosten. Kommt nämlich für den einzelnen Akteur ein unerwünschtes Ergebnis zustande und sind die Transaktionskosten hoch, so kann er neue Verträge eben aufgrund des hohen Transaktionskostenpegels vergleichsweise schwer abschließen, so daß er erstens den Zustand des „schlechten Vertrages" länger ertragen muß und zweitens der Neuvertrag teuer wird: Transaktionskosten ziehen Diskriminierungskosten nach sich. 7 9 5 K2: Primat der Preisstabilität Inflation verursacht kollektive Kosten in Form von Transaktionskosten der Anpassung der Kassenhaltung, der Neuauszeichnung von Preisen, der

795 Vgl. Böhm (1958), S. 171 ff.; Grossekettler (1997), S. 48 f.; Schmidtchen (1989), S. 161 ff.; von Stackelberg (1949), S. 193 ff. und Abschnitt B.III.l. Rüstow (1949, S. 101, 127) spricht von „Reibungen, Hemmungen und Kraftverlusten", die bei Ausschaltung des marktwirtschaftlichen Automatismus und gesamtwirtschaftlicher Subordination unvermeidlich entstünden. In diesem Zusammenhang ist auch die von Eucken (1948, 1949, 1952) so oft vorgetragene Forderung nach der Interdependenz aller Ordnungen zu sehen Nach Gather (1949, S. 292) müssen die einzelnen Ordnungselemente miteinander harmonieren, da es sonst zu „ . . . neuen Reibungen und Störungen im Wirtschaftsgefüge . . k o m m e .

282

C. Ausgewählte Problembereiche

Neuverhandlungen, der sogenannten Inflationssteuer, 796 der nicht kalkulierbaren Politik zur Inflationsbekämpfung und der Verzerrung der relativen Preise, die schließlich die Abstimmung der Pläne erschwert und in Koordinationsmängeln mündet. Hier ist erneut auf die Gefahr politischer Konjunkturzyklen hinzuweisen: Regierungen neigen oft dazu, vor Wahlen eine Expansionsphase mit Hilfe der Notenpresse in Gang zu setzen (wenn das Gesetz es zuläßt). 7 9 7 K3: Offenhalten

der Märkte

Es wird eine aktive Politik für offene Märkte gefordert, da nicht nur die tatsächliche, sondern auch die potentielle Konkurrenz positive Anreize vermittelt. Einmal erzielte Vorsprungsgewinne bei Produkt- oder Prozeßinnovationen können in offenen Märkten schwerer zementiert werden als in geschlossenen Märkten, da bei niedrigen Marktzutrittsschranken auch Akteure von außen durch Innovationen, die von den Kunden angenommen werden, den Markt vergleichsweise kostengünstig betreten können. Hierdurch werden der Produkt- und der Verfahrensfortschrittsprozeß gefördert und somit eine Plankoordination zu niedrigeren Transaktionskosten gewährleistet. K4 und K5: Bevorzugung von Privateigentum als Machtzuteilungsinstrument und wettbewerbskonforme Verwendung von Vertragsfreiheit Sichere Property-rights sind die Grundvoraussetzung zur Vermeidung des Hobbesschen Urzustandes und zur Möglichkeit der Aneignung von Gewinnen. Sie sorgen somit für ein Anreizsystem für die Suche nach produktiveren Verwendungen von Faktoren und einer besseren Ausrichtung von Gütern und Dienstleistungen an den Präferenzen der Nachfrager, erleichtern somit die Plankoordination und senken den Transaktionskostenpegel. Eucken betont, daß nur unter gesicherten Eigentumsrechten ein Unternehmer Fingerspitzengefühl entwickelt, oder in moderner Sprache, daß nur unter sicheren Property-rights Humankapital entwickelt werden kann. Gesicherte Property-rights und Vertragsfreiheit sollten jedoch immer im Zusammenhang mit dem Fundamentalprinzip gesehen und wettbewerbskonform verwendet werden. Daher sind hohe Transaktionskosten zu setzen für Verträge, welche die Vertragsfreiheit anderer beseitigen können. K6: Vermeidung

von Haftungsbeschränkungen

Gewinne belohnen die Fähigkeit des Anbieters, erstens Güter oder Dienstleistungen den Präferenzen der Nachfrage entsprechend zu liefern und zweitens dieses so kostengünstig wie möglich zu bewerkstelligen. Ver796 797

Zur Inflationssteuer vgl. auch Huck (1993), S. 120 ff. Vgl. Abschnitt C.IV.2.b)aa).

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

283

luste sanktionieren mithin entweder die Unfähigkeit des einen oder des anderen. Könnten Verluste ausgeschlossen werden, so bestünde ein Anreiz zur Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen. Haftungsbeschränkungen sorgen dafür, daß die Spiegelbildlichkeit zwischen Gewinnen und Verlusten eingeschränkt wird, je mehr das geschieht, desto risikoreichere Investitionen werden getätigt und ein desto größerer Teil des Risikos kann auf die Kapitalgeber oder auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. In der Folge kommt es zu verzerrten Präferenzabstimmungen, damit zu Koordinationsmängeln und zu erhöhten Transaktionskosten. 798 K7: Vorhersehbarkeit

und Stetigkeit der Wirtschaftspolitik

Eine volatile Wirtschaftspolitik z.B. im Bereich der Steuer- oder Subventionspolitik erhöht die Unsicherheit über die Zukunft, erhöht die Transaktionskosten und mindert die Erwartungswerte von Investitionen. In der Folge sinkt das Investitionsniveau und das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik. Die Präferenzabstimmung wird somit verzögert. 799 Rl: Eindämmung und Korrektur

von Marktmacht

Dieses Prinzip ist die Konsequenz des in Abschnitt C.II, ausführlich diskutierten Monopolproblems. R2: Gerechtigkeitsorientierte Korrektur der Einkommensverteilung unter Berücksichtigung der Einwirkung auf die Investitionen und der Hilfe zur Selbsthilfe Oben wurde bereits ausgeführt, daß unter dem Schleier vollkommener Ungewißheit rationale Individuen solche Regelungen vorschlagen, unter denen sie als potentielle Gewinner sich als potentielle Verlierer kompensieren könnten. Aber auch bei einem durchlässigen Schleier ist die Einigung auf moderate Institutionen zur sozialen Sicherung wahrscheinlich. Jemand, der sich eher zu den zukünftigen Verlierern zählt, wird selbstredend Redistributionsinstitutionen vorschlagen. Aber auch die potentiellen Gewinner werden solchen Regelungen in gewissem Maße zustimmen, da sie ein Interesse am Kollektivgut „sozialer Frieden" haben, verstanden als Aufrechterhaltung der Marktordnung. Eine unzureichende Bereitstellung dieses Gutes äußert sich z.B. in Diskriminierungen, Vandalismus und zunehmender Gewalt. Solcher Mängel der Wettbewerbsordnung will Eucken vorbeugen. Dabei soll der Staat die Redistribution auf Hilfe zur Selbsthilfe beschränken, da weitergehende Subsidien verminderte Leistungsanreize bewirken, die letzt-

798 799

Vgl. hierzu auch Miksch (1950), S. 55; Schmölders (1950), S. 142. Vgl. auch Böhm (1950), S. X X X V I I I .

284

C. Ausgewählte Problembereiche

endlich zu Koordinationsmängeln bspw. infolge verminderter Produktivitäten führen. R3: Korrektur

externer Effekte

Werden Kosten verursacht, die dem Verursacher nicht angelastet werden und sind Transaktionskosten insgesamt von Belang, so bestehen verminderte Anreize zur Vermeidung von Verschwendung. Es entstehen weitere Transaktionskosten direkt durch die nicht angelasteten Kosten und indirekt durch die NichtVermeidung dieser Kosten in der Zukunft. Die Gefahr solcher externen Effekte sieht Eucken in umweltschädlichen Industrieemissionen und in der Gefährdung der Gesundheit von Arbeitnehmern. Beiden Diskriminierungsarten ist vorzubeugen. 800 Auf die Gefahr von Schädigungen der Allgemeinheit durch Großbetriebe macht allerdings Röpke am deutlichsten aufmerksam. Unter „latenten Kosten des Großbetriebes" versteht er Kosten, „ . . . die deshalb nicht weniger real sind, weil sie überhaupt nicht in seiner (des Großbetriebes, d.V.) Bilanz erscheinen, sondern von der Allgemeinheit getragen werden." (Röpke, 1948, S. 164). Als Beispiele nennt er die Kosten einer Infrastruktur infolge von Massenansiedlungen und „Minusposten des Lebens in Flußverunreinigungen, Landschaftsverschandelungen, Überlastungen des Eisenbahnsystems, Rußplage, Lärm, Geruch, ..." (Röpke, 1948, S. 165). An gleicher Stelle nennt Röpke auch die Kosten der Minderung der sozialen Sicherheit. A l l diese Kategorien subsumiert er unter dem Begriff „soziale Kosten des Großbetriebes" und fordert, sie diesem auch anzulasten: „In allen diesen Fällen wissen wir nicht, wie es mit der Wettbewerbsfähigkeit des Großbetriebes bestellt wäre, wenn er alle Kosten, die seine Existenz der Gesamtheit verursacht, zu tragen hätte und darüber hinaus angehalten würde, die nicht unmittelbar zu Geldausgaben führenden Schädigungen abzustellen oder angemessen zu entschädigen." (ebenda). Zwar entspricht diese Auffassung nicht der Erkenntnis der Theorie der Property-rights, daß nicht ein Schädigungsminimum, sondern ein Schädigungsoptimum anzustreben ist, 8 0 1 jedoch kann nach Ansicht des Verfassers mit dem Röpke-Zitat jedem begegnet werden, der behauptet, Umweltbelange seien den Ordoliberalen der ersten Stunde fremd gewesen. R4: Korrektur

anormaler Angebotsreaktionen

Liegen solche Angebotskurven tatsächlich vor, so besteht ein Anfangsverdacht auf Markt versagen. Die Verlierer haben ihre Position jetzt nicht mehr aufgrund ihrer schlechten Marktleistung, sondern aufgrund von Um800 Coase (1960) kommt zwar zu einem anderen Ergebnis, aber nur unter der Annahme einer Null-Transaktionskosten-Welt. 801 Vgl. Coase (1960).

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

285

ständen, die sie nicht zu vertreten haben. Eucken vermutet eine starre Arbeitsangebotskurve zur Frühzeit der Industrialisierung, die zu großem Elend unter Teilen der Arbeiterschaft geführt habe. Solche Diskriminierungen seien zu verhindern. 802 In der Folge habe sich der Verlauf der Kurve jedoch normalisiert, so daß bilaterale Monopole auf dem Arbeitsmarkt nun eigentlich dysfunktional seien. Eucken und Böhm haben somit noch nicht den Produktionsfaktor Arbeit als plastischen Produktionsfaktor erkannt. El: Vermeidung des Punktualismus und Integration der Wettbewerbsordnung in Gesetzgebung , Rechtsprechung und Verwaltung Wirtschaftspolitische Maßnahmen müssen in allen relevanten Bereichen auf ihre Verträglichkeit mit der Wettbewerbsordnung überprüft werden, da sie ansonsten wirkungslos werden können. Wird bspw. ein Antitrust-Gesetz erlassen, schöpft die Verwaltung jedoch ihren Ermessensspielraum unter dem Druck von organisierten Interessensgruppen konzentrationsfördernd aus, so wird keine Wirkung erzielt, die in diesem Zusammenhang getätigten Einzelaktionen von Rechtsprechung und Verwaltung sind verschwendet, da den damit zusammenhängenden Transaktionskosten kein Nutzen gegenüber steht. E2: Zurückhaltung

bei konjunkturpolitischen

Maßnahmen

Direkte Eingriffe in die Nachfrage bewirken immer Veränderungen der relativen Preise, ohne daß diese Änderungen durch neue Knappheitsrelationen gerechtfertigt sind, da aufgrund prohibitiv hoher Informationskosten die Zentrale die wahren Knappheiten nicht kennen kann. Die Abstimmung der Einzelpläne wird somit verzerrt. Diese Argumentation Euckens wird unterstrichen, wenn man den Crowding-Out-Effekt hoher Zinsen infolge einer wachsenden Staatsverschuldung anführt oder die Möglichkeit politischer Konjunkturzyklen und den Druck von Interessensgruppen. Ad-hoc-Eingriffe bringen unnötige Kosten mit sich. Staatliche Konjunkturpolitik sollte regelgeleitet erfolgen bspw. durch eine progressive Einkommenssteuer und einer potentialorientierten Geldpolitik. In der neuen Literatur zu diesem Thema werden Teilordnungen vorgeschlagen, die eine konstitutionelle Verankerung von Institutionen vorsehen, die den diskretionären Spielraum der Fiskalpolitik begrenzen. 803 802

Die Annahme einer inverser Angebotskurve auf dem Arbeitsmarkt lag auch der Müller- A rmack-Forderung nach Mindestlöhnen zugrunde. Diese Annahme ist heute überholt, entsprach aber dem damaligen Stand der Wissenschaft. Vgl. Grossekettler (1997), S. 70. 803 Vgl. Grossekettler (1997), S. 46. Schwarzner (1991) schlägt z.B. eine Verschuldungsordnung vor. Grossekettler (1999 a) macht Vorschläge zu einer Reform der Abwicklung von Genehmigungsverfahren.

286

C. Ausgewählte Problembereiche

S1 und S2: Begrenzung der Macht von Interessensgruppen und Subsidiaritätsprinzip bei der Übernahme neuer Aufgaben sowie Vorrang der Ablauf- vor der Prozeßpolitik Diese Regeln wurden oben ausführlich im Zusammenhang mit dem „Capturing" des Staates durch wirtschaftliche Interessensgruppen diskutiert. Oben wurde hergeleitet, wie durch das Zusammenwirken öffentlicher Akteure Transaktionskosten „produziert" werden. Sie stellen erstens für potentielle Verlierer hohe Diskriminierungskosten dar und bewirken zweitens durch die Zementierung der Monopolmacht ein enormes Anwachsen der Zahl der Verlierer. e) Senkung der Entscheidungsfindungskosten Die Ordoliberalen betonen den starken Einfluß von Ideen/Ideologien auf das Denken der Menschen, auf Institutionen und auf die Wirtschaftsordnung. Sie plädieren dafür, dieses Feld nicht den Partikularinteressen zu überlassen, sondern es aktiv im Sinne der Wettbewerbsordnung zu bestellen. So ist auf einer ersten Stufe um breite Akzeptanz für die Regeln einer Wirtschaftsverfassung, für die Euckenschen Prinzipien zu werben. Den zweiten Schritt deutet Eucken mit den Worten an: „Die Prinzipien braucht im einzelnen und in ihrem Zusammenhang nur die verantwortliche Führerschicht voll zu verstehen. Aber die Grundgedanken sind aus dem alltäglichen wirtschaftlichen Leben heraus leicht einsichtig zu machen." (Eucken, 1952, S. 308). Er unterscheidet strikt zwischen „Form" und „Prozess". 804 Grossekettler betont den transaktionskostensparenden Charakter der Euckenschen Prinzipien: Ist einmal über den Prinzipienkatalog abgestimmt worden und ist er auf breite Akzeptanz gestoßen (Form: Regelebene), so müssen vorgeschlagene Institutionen von Gesetzesrang nicht mehr in all ihren Einzelauswirkungen (Prozeß: Prozeßebene), sondern lediglich noch auf Prinzipienkonformität untersucht werden. Die so eingesparten Transaktionskosten kann man zum einen, wie Grossekettler es vorschlägt, im Kontext der Theorie des Marktversagens als verringerte Duchsetzungskosten bei der Bereitstellung des Kollektivgutes „Wirtschaftsordnung" verstehen. 805 Zum anderen kann man sie im Kontext der Constitutional Economics als eingesparte Entscheidungsfindungskosten interpretieren: Wirtschaftliche Verfassungsregeln sind so zu konzipieren, daß sie einerseits ein möglichst geringes Diskriminierungspotential enthalten, aber andererseits eine zukünftige Überprüfung vorgeschlagener Institutionen zu möglichst geringen Transaktionskosten ermöglichen. Für Eucken können Gesetze nur an allgemeinen

804 805

Eucken (1952), S. 308. Ähnlich Böhm (1966), S. 138. Grossekettler (1997), S. 61 f.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

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Prinzipien ausgerichtet sein, diese müssen jedoch in möglichst vielen Momenten ihre Anwendung finden können und sind aus der Erfahrung zu ge. . — Winnen. 806 Auch die Forderung nach Justiziabilität der Prinzipien ist in diesem Kontext zu sehen. Die Bewertung vorgeschlagener Institutionen und somit die Entscheidungsfindung wird erleichtert. In einem weiteren Zusammenhang wird es für den Wähler leichter, politische Programme zu bewerten, sie sind jetzt nicht mehr in den Einzelwirkungen, sondern anhand der Prinzipien zu evaluieren. So sinken die Informationskosten der Wähler, während der Druck auf die Politiker steigt, in ihrem Eigennutzbestreben prinzipienkonforme Programme vorzuschlagen. Gelingt es sogar, die Euckenschen Prinzipien beim Wähler zu internen Institutionen vom Typ 2 zu befördern (Regeln mit imperativer Selbstbindung, bei denen der Einzelne deren Nutzen als mittelbar höher einschätzt als das Brechen dieser Regeln, z.B. Dekalog, kategorischer Imperativ), so könnten selbst die massiven Informationsverzerrungen von Interessensgruppen ihr Ziel verfehlen: Der direkte Kostenanteil, den ein Rent-seeker dem Einzelnen aufbürdet, ist zwar nach wie vor kaum spürbar. Der Einzelne hat jedoch die Regel als „Gebot" gespeichert und empfindet dessen Bruch als kumulierten Prinzipienverstoß. Auf diesem Wege verspürt er hohe indirekte Kosten. 8 0 7 Die Akzeptanz der Institution einer unabhängigen Notenbank ist nach Ansicht des Verfassers ein gutes Beispiel für die Senkung der Entscheidungsfindungskosten durch ein Euckenschcs Prinzip, dem Prinzip K2: Primat der Preisstabilität. Hier fordert Eucken die organisatorische Einrichtung einer unabhängigen Notenbank. 808 Nach Inkrafttreten des Bundesbankgesetzes im Jahre 1957 machten die Menschen mit einer unabhängigen Notenbank gute Erfahrungen in Form von Preisstabilität. Die (tradierten) Erfahrungen mit einer abhängigen Notenbank waren dagegen eher schlecht und bestanden vor allem in der intensiv empfundenen Zeit der Hyperinflation in den 20er Jahren. 809 Man darf unterstellen, daß breiten Kreisen die einzelnen ökonomischen Transmissionsmechanismen nicht bekannt sind. Somit ist es allein ein mittelbares Opportunitätskostenkalkül, welches die Akteure anhält, auch ohne Kenntnis der genauen ökonomischen Hergänge die effiziente Institution zu präferieren.

806 Vgl. Eucken (1952), S. 250 ff. Auch Partsch betont, daß das Leitsätzegesetz keine Institution von Verfassungsrang sei, da es nur auf einen bestimmten historischen Moment zugeschnitten sei. Partsch (1954), S. 28. 807 Grossekettler (1997), S. 63; ders. (2000), S. 6; ders. (2000b), S. 5. 808 Eucken (1952), S. 255 ff. 809 Vgl. Huck (1993), S. 112 ff.

288

C. Ausgewählte Problembereiche

f) Zusammenfassung In ökonomischen Prozessen ist unter den geänderten Randbedingungen wegen der prohibitiv hohen Transaktionskosten der Koordination von Millionen von Plänen ein Abgehen vom Prinzip der Einstimmigkeit, wie es in Eigenwirtschaften noch realisierbar gewesen sein mag, unabdingbar. Es sind Regeln zu schaffen, inwieweit von der „archaischen Einstimmigkeit" abgewichen werden kann und übermäßige Diskriminierungen zu vermeiden sind. Hier streben die Ordoliberalen einen breiten Konsens auf der Regelebenen an. Auch zukünftige Generationen sollen einer Wirtschaftsverfassung zustimmen. Daher müssen Verfassungsinstitutionen handhabbar sein, aber auch einen hinreichenden Allgemeinheitsgrad aufweisen. Solche Regeln sind die Euckenschen Prinzipien. Die Ordoliberalen sind überzeugt, daß die Anwendung dieser Regeln in jedem „historischen Moment" die möglichen Diskriminierungen auf ein Minimum zurückführt.

3. Vergleichende Stellungnahme a) Gemeinsamkeiten Die Bedrohung eines Regelkonsenses durch Partikulartinteressen schafft nach Ansicht der Ordoliberalen sowie der Vertreter der Constitutional Economics gesellschaftliche Dilemma-Situationen: Ein einseitiges Abgehen vom Konsens lohnt sich und wird möglich, wenn die Gegenseite erheblichen Organisations- oder Anreizproblemen ausgesetzt ist. Daher ist ein Konsens konstitutionell abzusichern, Konsensbrüche sind zu sanktionieren:

große Gruppe Gruppennutzen Gruppennutzen

I

- 2 (=-1-1)

0(=2-2)

III Sozialer Nutzen

1

Sozialer Nutzen

II

0

0 (=2-2)

- 2 (=-1-1)

IV 1

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 39: Sanktionierung des Konsensbruches im Falle kleiner und großer Gruppen

1

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

289

Die Sanktion des Konsensbruchs muß eine Anreizsituation schaffen, welche die Gruppen veranlaßt, die sozial förderliche Strategie IV zu wählen. Hierin sind sich die Forschungsrichtungen einig. In der obigen Abbildung wird (in Anlehnung an Abbildung 33) der Regelbruch eines Mtglieds der großen Gruppe mit einem Sanktions-Pay-Off von - 1 belegt, der Regelbruch eines Mtglieds der kleinen Gruppe mit einem Sanktions-Pay-Off von -2. Die Bedeutung des Ordoliberalismus als Vorläufer und Bestandteil der Richtung der Constitutional Economics wird in neuerer Zeit von einigen Autoren der Constitutional Economics und der NIE ausdrücklich betont. 8 1 0 Einen systematischen Überblick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede des ordoliberalen und des neoinstitutionalistischen Ansatzes liefert Vanberg (1988). Er stellt heraus, daß sowohl die Ordoliberalen der Freiburger Schule als auch die Vertreter der Constitutional Economics streng unterscheiden zwischen der Ebene der Regeln und der Ebene der Prozesse, die sich in Abhängigkeit von den Regeln ergeben. So haben beide Richtungen eine regelorientierte Perspektive. 811 Ordoliberale und Vertreter der Constitutional Economics betonen weiterhin, daß eine Verfassung als grundlegendes und langfristig angelegtes Institutionenset nur durch die möglichst breite Zustimmung der Betroffenen legitimiert werden kann. Letztendlich wird diejenige Verfassung die breiteste Zustimmung finden, die bei starker Unsicherheit über die Zukunft im alltäglichen Prozeß zwar hohe Gewinnanreize offeriert, jedoch auch den Verlierern einen Anreiz zum Verbleiben bietet. Eine weitere Analogie zur Vertragstheorie wird bei den ordoliberalen Forderungen nach Einwirkung ordnender Potenzen auf die öffentliche Meinungsbildung im Sinne der präferierten Wirtschaftsverfassung deutlich. Ähnlich wird beim Konzept des hypothetischen Vertrages eine Elite mit der Formulierung von Regeln beauftragt, denen alle zustimmen könnten. Da es aber auch bei Konsens auf der Regelebene im laufenden Prozeß immer wieder Überstimmte geben wird, sind die Nachteile für die Verlierer im Sinne der Stabilität der Verfassung möglichst gering zu halten, ohne jedoch Entscheidungen im laufenden Prozeß unverhältnismäßig zu erschweren.

8,0

Vgl. z.B. Erlei, Leschke, Sauerland S. 93 ff. 811 Vanberg (1988), S. 21 ff.

(1999), S. 431 ff.; Vanberg (1988),

290

C. Ausgewählte Problembereiche

b) Unterschiede Vanberg (1988) stellt drei wesentliche Unterschiede zwischen ordoliberalen Verfassungsvorstellungen und der modernen Verfassungsökonomik heraus: (1) Die ergebnisorientierte Sichtweise der Kölner Schule. (2) Fehlende institutionelle Reformvorschläge für den politischen Sektor. (3) Strengere Legitimationsbasis der modernen Verfassungsökonomik. Ad (1) Die ergebnisorientierte Sichtweise der Kölner Schule: Dieser vor allem von Müller-Armack vertretene Zweig der Ordoliberalen vertrat im Gegensatz zu den „Freiburgern" um Euchen und Böhm eine Sicht, die eher auf die Prozesse als auf die Regeln gerichtet ist. So ist der Müller-Armacksche Maßnahmenkatalog im Gegensatz zu den Euckenschen Prinzipien auf einen bestimmten historischen Moment, der „Stunde Null" zugeschnitten. Allgemein betonen die Vertreter einer eher ergebnisorientierten Perspektive, daß die Marktergebnisse in Konkordanz zu weitergehende Zielen zu bringen sind, wobei im Schrifttum dieses Zweiges nicht klar ist, welche weitergehende Ziele gemeint sind. Diese Ziele variieren von distributiven (z.B. Müller-Armack) bis hin zu ethisch-soziologischen Aspekten (z.B. Röpke, Rüstow). Si 2 In diesem Zusammenhang kritisiert von Hayek (1967) den Terminus „soziale Marktwirtschaft", dessen Komponente „sozial" er für nicht operational und für ein Einfallstor kurzsichtiger politischer Interessen hält. 8 1 3 Dabei dürfte das unterschiedliche Umfeld der Autoren eine Rolle bei ihrer späteren wissenschaftlichen Ausrichtung gespielt haben, Müller-Armack einerseits war Sohn eines Betriebsleiters, Eucken andererseits Sohn eines Literaturnobelpreisträgers und Böhm Sohn eines Ministers. 8 1 4 Es erscheint plausibel, daß aufgrund der verschiedenen Lebensläufe Müller-Armack mit den alltäglichen Problemen der Arbeiterschaft eher vertraut war und daher vielleicht Umverteilungsforderungen eher zuneigte als Eucken und Böhm. Ad (2) Fehlende institutionelle Reformvorschläge für den politischen Sektor: Die Ordoliberalen treten vehement für die Begrenzung privater und öffentlicher Macht ein. Bei der Begrenzung öffentlicher Macht betonen sie die Notwendigkeit der Begrenzung des Einflusses wirtschaftlicher Interes-

8,2

Grossekettler (1997), S. 17 ff., 26 ff.; Vanberg (1988), S. 25. Zu den Vorstellungen der oben genannten Autoren vgl. z.B. Müller-Armack, A. (1981), Röpke (1948 und 1997), Rüstow (1949). 813 von Hayek (1967), S. 83. 814 Die möglichen Gründe unterschiedlicher Ansichten werden in Abschnitt D.II.2. diskutiert.

V. Öffentliche Willensbildung II: Ökonomische Theorie der Verfassung

291

sensgruppen auf die öffentliche Willensbildung, sie machen erstaunlicherweise jedoch kaum institutionelle Reformvorschläge zur Begrenzung der Macht öffentlicher Entscheidungsträger selbst. 815 Hierin sieht Vanberg jedoch keinen Mangel im ordoliberalen Theoriegebäude, sondern ein Ergebnis der Ausrichtung ihrer Ausführungen an praktischen Problemen. Die Degeneration des öffentlichen Sektors aber erschien den Ordoliberalen gerade als Folge des Ausuferns der Macht wirtschaftlicher Interessengruppen. Es bleibt die interessante Frage zu stellen, ob und welche Vorschläge zur Restriktion des politischen Sektors der Ordoliberale Eucken gemacht hätte, wenn er länger gelebt hätte oder heute leben würde. 8 1 6 Ad (3) Strengere Legitimationsbasis der modernen Verfassungsökonomik: Die normative Basis für eine Verfassung ist in der modernen Verfsssungsökonomik streng individualistisch: Es ist Einstimmigkeit auf der Regelebenen zu erreichen. Scheitert der Konsens an der Kostspieligkeit seiner Herbeiführung, so ist der Einstimmigkeit mit Konzepten möglichst nahe zu kommen, die jedoch wieder streng individualistisch sein müssen. 817 Die Ordoliberalen gehen dabei nicht von einer Urvertragssituation aus, sondern von einem kontinuierlichen Prozess und wollen eine breite Akzeptanz der Wettbewerbsordnung durch Einflußnahme auf die Willensbildung der Wähler herstellen. Dieses aber bedeutet, daß erstens angenommen wird, daß die Wettbewerbsordnung diejenige Wirtschaftsverfassung ist, die eigentlich die breite Mehrheit präferiert. Zweitens wird jedoch angenommen, daß die Mehrheit noch nicht weiß, daß die Wettbewerbsordnung die „richtige" Verfassung ist und drittens, daß eine Elite diese Kenntnis besitzt: „Die Prinzipien braucht im einzelnen und in ihrem Zusammenhang nur die verantwortliche Führerschicht voll zu verstehen. Aber die Grundgedanken sind aus dem alltäglichen wirtschaftlichen Leben heraus leicht einsichtig zu machen." (Eucken, 1952, S. 308, Herv.d.d.V. ) . 8 1 8 Bei den Ordoliberalen ist somit quasi eine gewisse Exogenität der Willensbildung zu erkennen, während die Willensbildung in der modernen Verfassungsökonomik vollständig in den Individuen endogenisiert ist. Auch bei den Ordoliberalen geht jedoch alle Macht vom Individuum aus, welches in seiner Willensbildung letztend8,5 Ausnahmen sind die Vorschläge zur Einrichtung einer unabhängigen Notenbank sowie zur Monopolbehandlung. Vgl. Eucken (1952), S. 255 ff. sowie Abschnitt C.II.2. 816 Vanberg (1988), S. 24 f. 817 Vgl. z.B. Kirsch (1997), S. 134 ff. 818 Auch nach damaliger Auffassung der christlichen Soziallehre obliegt nach von Nell-Breuning (1950, S. 220 f.) die Feststellung, was konkret als „Gemeinwohl" anzusehen sei, der „Politik 44 bzw. einer rechtmäßigen staatlichen Instanz, (wobei von Nell-Breuning offen läßt, welche Instanz er konkret im Auge hat). Diese Auffassungen finden sich in ähnlicher Form beim Konzept des hypothetischen Vertrages, wieder.

19*

292

C. Ausgewählte Problembereiche

lieh frei ist und nicht zur Zustimmung gezwungen werden darf. Insofern scheint dem Verfasser der Vorwurf „Legitimationsdefizit" zu weit gegriffen. Richtig ist jedoch, daß die modernen Verfassungstheoretiker bei ihren Modellen eine konsequentere individualistische Linie verfolgen. Dieser Unterschied mag in den noch nachwirkenden obrigkeitstaatlichen Ideologien begründet liegen. Von ihnen haben sich die Ordoliberalen jedoch ebenso konsequent und weit entfernt wie die Vertreter der modernen Institutionenökonomik. c) Fazit Die ordoliberale Lehre von der Gestaltung von Wirtschaftsverfassungen entspricht im wesentlichen den Anforderungen, die moderne Vertreter der Constitutional Economics an rationale langfristige Regeln stellen. Diese Übereinstimmung ordoliberaler und moderner Verfassungslehre wird auch von einigen Autoren der NIE gesehen. So nennen Erlei, Leschke, Sauerland (1999) in ihrem Lehrbuch über die Neue Institutionenökonomik die Ordoliberalen ausdrücklich als einen Vorläufer der NIE und integrieren Euckens Prinzipien in ihre Darstellung der modernen Verfassungstheorie. Beide Richtungen unterscheiden strikt zwischen der Regel- und der Prozeßebenen, sind von der Notwendigkeit breiter Zustimmungen zu allgemeingültigen Langfrist-Institutionen überzeugt und forschen nach Möglichkeiten, der Verluste potentieller Verlierer unter der Bedingung gering zu halten, daß Entscheidungsprozesse nicht unnötig erschwert werden. Unterschiede ergeben sich speziell zur Kölner-Schule in deren ergebnisorientierter Sichtweise. Auch liegt der modernen Verfassungsökonomik eine wesentlich strengere Legitimationsbasis im Sinne des normativen und methodischen Individualismus zugrunde. Darüber hinaus machen die heutigen Verfassungsökonomen detailliertere institutionelle Reformvorschläge für den politischen Sektor. Es bleibt speziell nach Euckens potentiellem Einfluß auf die Weiterentwicklung der Verfassungsökonomik zu fragen, den er hätte ausüben können, wenn er nicht so früh verstorben wäre. Seine Vorschläge enthalten Hinweise auf die Senkung von Diskriminierungskosten in großen arbeitsteiligen Sozialsystemen, die als zeitlos angesehen werden können, wie Grossekettler bei einer modernen Formulierung der Euckenschen Prinzipien gezeigt hat. Aus diesen Prinzipien lassen sich außerdem moderne institutionelle Reformvorschläge ableiten. 819 819

Vgl. Grossekettler (1997), S. 103 ff.; ders. (1999), S. 532 ff. Ein konkretes Beispiel gibt Grossekettler (2000) mit seinen Vorschlägen zur Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs.

D. Kritische Würdigung Bevor die Gründe unterschiedlicher Auffassungen systematisch untersucht werden, dient der folgende Abschnitt der kurzen Darstellung der wichtigsten Ergebnisse des Abschnitts C. Anschließend werden einige an den Ordoliberalen vorgetragene Kritikpunkte im Lichte der Ergebnisse dieser Arbeit gewürdigt.

I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse • Die Änderung von Randbedingungen Grundlegende Unterschiede in den Auffassungen über Ursachen und Auswirkungen institutionellen Wandels konnten nicht festgestellt werden. Beide Schulen sehen Bevölkerungswandel, Änderungen der relative Preise, der Informationskosten und von Ideen/Ideologien als Auslöser institutionellen Wandels. Die Ordoliberalen betonen dabei die Bedeutung von Ideen/Ideologien stärker als die Vertreter der NIE. • Monopolproblem Die Vertreter beider Richtungen betrachten sowohl Effizienz- als auch Machtargumente bei der Analyse des Monopolproblems. Gerade der einzelwirtschaftliche orientierte Zweig der NIE aber sieht diesen Themenkomplex klar aus einer Effizienzperspektive. Diese Gewichtung ist bei den Ordoliberalen reziprok, hier treten Machtargumente in den Vordergrund, wobei Effizienzargumente jedoch ausdrücklich nicht ausgeschlossen werden. Die ordoliberale Perspektive ist in die Sprache der NIE übersetzbar, so daß eine integrierte Behandlung des Monopolproblems, in dem Macht- und Effizienz gleichgewichtet sind, möglich und wünschenswert erscheint. • Ökonomische Analyse des Rechts Die Ergebnisse der Analyse des Monopolproblems erfahren auch bei der ökonomischen Analyse des Rechts ihre Bestätigung. Ausgehend von gleichen Erkenntniszielen gewichten die Vertreter der NIE Effizienzgesichtspunkte klar stärker, klammern Machtargumente aber nicht aus. Analog legen die Ordoliberalen ein starkes Gewicht auf Machtargumente, ohne dabei Effizienzgesichtspunkte aus den Augen zu verlieren. Somit können auch in diesem Bereich beide Richtungen voneinander profitieren.

294

D. Kritische Würdigung

• Ökonomische Theorie der Politik Anders als bei den beiden vorhergehenden Problembereichen dominieren hier wieder die Gemeinsamkeiten. Die Argumente der vorherrschenden Ansichten der NPÖ finden sich im ordoliberalen Schrifttum wieder. Vor allem die Ansichten Olsons über den systemdeformierenden Einfluß von Interessengruppen korrespondieren mit den Meinungen im Ordoliberalismus. • Ökonomische Theorie der Verfassung Auch hier gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu verzeichnen. Die Konzeption der Euckenschcn Prinzipien werden in Teilen der NIE als Vorläufer bzw. Bestandteil einer ökonomischen Theorie der Verfassung betrachtet. Die moderne Richtung der Constitutional Economics zeichnet sich jedoch durch eine strengere Bindung an den methodologischen und normativen Individualismus aus: Es soll die Ordnung präferiert werden, die alle bevorzugen. Bei den Ordoliberalen geht man davon aus, daß die Bevölkerung von einer ganz bestimmten Ordnung, der Wettbewerbsordnung zu überzeugen ist. Alles in allem liegen die wesentlichen Unterschiede bei den einzelwirtschaftlichen Problembereichen (Monopolproblem, Ökonomische Analyse des Rechts). Effizienz wird als Basis ökonomischer Phänomene in der NIE ungleich stärker gewichtet als im Ordoliberalismus. Letzterer hat klar eine Machtperspektive. Das zweite Merkmal ist zeitlicher und räumlicher Art: Der Ordoliberalismus war im wesentlichen eine deutsche Forschungsrichtung, welche cum grano salis von 1930 bis 1950 eine gewisse Meinungsführerschaft im deutschsprachigen Raum ausüben konnte. Die NIE hingegen ist heute nahezu auf der ganzen Welt verbreitet, grundlegende Modelle entstanden bereits in den 50er Jahren. Erstaunlich dabei ist, daß die Ordoliberalen nahezu alle Probleme systematisch untersuchten, welche heute die gesamte NIE beschäftigt. Diese Untersuchungen geschahen aber in nur der Hälfte der Zeitspanne und mit ungleich weniger Autoren, aber mit teilweisen verblüffenden inhaltlichen argumentativen Parallelen: Die Ordoliberalen arbeiteten integriert, während die NIE eine eher verstreute Richtung darstellt. Beide Unterscheidungsmerkmale werden im folgenden untersucht. Dabei wird die unterschiedliche Effizienzgewichtung anhand des Northschen Analyseinstrumentariums untersucht. Basis hierfür sind die Änderungen von und Wechselzusammenhänge in den Rahmenbedingungen „Bevölkerungsstand", „Technologie", „Informationskosten", „Ideen/Ideologien" und „Institutioneller Rahmen". Der unterschiedliche Integrationsgrad wird anhand eines Ansatzes aus der Neuen Politischen Ökonomie Kirsch (1997) und Rabushka, Shepsle (1972) untersucht.

. Die Auffassungen der Schulen

295

I I . Die Auffassungen der Schulen im Lichte unterschiedlicher Rahmenbedingungen 1. Effizienz und Macht Worin liegen nun die Ursachen dieser unterschiedlichen Bewertungen? Eine Ad-hoc-Antwort lautet: Die Autoren der jeweiligen Schule machten ihre Erfahrungen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Ländern, nämlich zum einen im Deutschland der 20er und 30er Jahre, zum anderen im Nordamerika der 60er Jahre bis zur Gegenwart. Eine systematische Antwort auf diese Frage soll mit dem dieser Arbeit zugrunde gelegten neoinstitutionalistischen Argumentationsgerüst versucht werden, wie es vor allem North (1992) entwickelt hat. Dabei werden diejenigen Rahmenbedingungen untersucht, die sich für die ordoliberalen Autoren einerseits und neoinstitutionalistischen Autoren andererseits signifikant unterscheiden: Es sind Beschaffenheit von und Wechselwirkungen zwischen dem jeweiligen Stand der Technologie und der Informationskosten sowie Interdependenzen zwischen dem jeweiligen institutionellen Rahmen und sich darin entwickelnder Ideen/Ideologien. Bei letzteren ist die Wechselwirkung zwischen herrschenden Ideen/Ideologien der Umwelt und der subjektiven Modelle der Autoren zu untersuchen. 820 Anhand dieses Instrumentariums werden die Umfelder betrachtet, innerhalb derer die Ansichten der Autoren sich herausbildeten. Die Bedingung „Bevölkerungsstand" wird vorab betrachtet, da der entscheidende Bevölkerungswandel sich als Folge der Industriellen Revolution und somit vor der Zeit der Ordoliberalen ereignet hat und die diesbezüglichen Bedingungen für die Autoren beider Schulen in etwa vergleichbar sind. North selbst weist darauf hin, daß die Entwicklung des Instrumentariums noch im Entstehen begriffen ist. Seine Analyse biete zwar zahlreiche Anhaltspunkte, die systematische Erforschung von Institutionen stehe jedoch erst an ihrem Beginn. 8 2 1 Diese Offenheit seines heuristischen Modells machen im Zusammenspiel mit der Problematik der Transaktionskostenmessung eine mathematische Beweisführung unmöglich. 8 2 2 Man erhält jedoch ein systematisches Bild und somit starke Indizien über die Ursachen der verschiedenen Ansichten. Somit ist weniger eine mathematisch exakte Zustandsbeschreibung der jeweiligen Rahmenbedingungen gefragt als vielmehr das Herausarbeiten von Unterschieden in den Rahmenbedingungen der Umwelt der Ordoliberalen und der Vertreter der NIE. Daher wird auch 820

North (1992), North (1992), 822 Schon wegen kostenbegriffs kann S. 107 f. 821

S. 98 ff. S. 164, 168. der erheblichen Operationalisierungsprobleme des Transaktionsdas Modell nur heuristisch sein. Vgl. Grossekettler (1997),

D. Kritische Würdigung

296

auf eine technische Datenanalyse verzichtet und auf Hinweise über die jeweiligen Bedingungen in der einschlägigen Literatur zurückgegriffen. • Deutschland in den 20er und 30er-Jahren Aus den Lebensläufen der Vertreter des Ordoliberalismus und den Erscheinungsjahren ihrer ersten wichtigen Werke geht hervor, daß die Zeit der Weimarer-Republik sowie die ersten Jahre der Nazi-Diktatur im wesentlichen deren Ansichten maßgeblich geprägt haben. 823 Eucken promovierte 1913, habilitierte 1921 und begann mit seiner Kritik am damaligen Wirtschaftssystem mit einer Untersuchung der deutschen Geldpolitik (Eucken, 1923). Diese Kritik setzte er 1925 in Tübingen und ab 1927 in Freiburg fort. Böhm war ab 1925 Kartellreferent im Reichswirtschaftsministerium. Ab dieser Zeit reiften seine Ansichten, die er schließlich in „Wettbewerb und Monopolkampf' im Jahre 1933 zusammenfaßte. Auch Müller-Armack begann seine wissenschaftliche Karriere in der Weimarer Republik; er promovierte 1923 und habilitierte 1926. Röpke habilitierte 1922, Rüstow konnte seine Habilitation wegen des Ersten Weltkrieges nicht zu Ende bringen, war zunächst ab 1919 Referent im Reichswirtschaftsministerium. Im Kontext der religiös-reformsozialistischen Schule verfestigte sich seine Ansichten hin zu ordoliberalen Ideen. Die Rahmenbedingungen dieser Zeit werden im folgenden näher untersucht. Man kann einiges über die Entwicklung der herrschenden Ideen und Ideologien und den Autorenansichten aus den Schilderungen der Autoren selbst herauslesen und verfügt somit über verläßliche Quellen. • Geschichtlicher

Hintergrund

824

Das Deutschland der Zwischenkriegszeit war gekennzeichnet durch strukturelle wirtschaftliche Krisen. Der Zusammenbruch des Goldstandards in Verbindung mit den hohen Reparationsforderungen der Sieger des Ersten Weltkrieges waren Ursachen einer Hyperinflation in Deutschland, ausgelöst durch eine expansive Geldpolitik. Sie wurde durch eine Währungsreform im Jahre 1924 unter Kontrolle gebracht. Durch den Dawes-Plan sollte Deutschland zudem ökonomisch in die Lage versetzt werden, die Reparationen zu begleichen. Die Kosten der Inflation wurden größtenteils von den Arbeitnehmern getragen. Die 20er und die beginnenden 30er Jahre waren geprägt von zunehmender wirtschaftlicher Konzentration, die mit der Realisation von Rationalisierungspotentialen, der Fixkostensenkung, technischem Fortschritt und erhöhter Produktivität begründet wurden. Faktische Auswirkungen waren 823 824

Zu den Lebensläufen vgl. Grossekettler (1997), S. 21 ff. Vgl. zu diesem Abschnitt Huck (1993), S. 104 ff.

II. Die Auffassungen der Schulen

297

natürlich auch Wettbewerbsbeschränkungen. Auf den Arbeitsmärkten setzte sich in Folge noch ungeübter Verhaltensweisen bei Tarifverhandlungen das Instrument der Zwangsschlichtung durch den Staat durch, so daß die Tarifpolitik mehr und mehr in die Hände des Staates glitt und tendenziell zu einer Inflexibilität der Löhne nach unten führte. 8 2 5 International begannen die Staaten ferner, ihre Märkte für deutsche Produkte zu schließen. Anfang der 30er-Jahre wurden die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise spürbar, deren Ursachen in Deutschland der Niedergang traditioneller Industrien, die mangelnde Funktionsweise der Arbeitsmärkte, der erodierende internationale Goldstandard sowie hohe Reparationsforderungen waren. Unter dem Reichskanzler Brüning wurde versucht, bei einer Reduktion der Staatsausgaben das Budget durch zusätzliche Steuern auszugleichen. Zudem wurden Deutschland aufgrund der Erfahrungen ausländischer Anleger mit der deutschen Inflation kaum noch langfristige Kredite gewährt, was die finanzielle Lage der öffentlichen Hand noch verschlimmerte. • Randbedingungen (1) Bevölkerung Wichtig im Zusammenhang dieser Arbeit ist die Feststellung, daß im Deutschland der Weimarer Republik wie auch in anderen Industrieländern Europas eine hohe Bevölkerungsdichte vor allem in den Städten zu verzeichnen war. Eucken stellt fest, daß zu seiner Zeit das wirtschaftliche Lenkungsproblem charakterisiert war durch die Aufgabe der Koordination vieler Millionen Einzelpläne. Dieses Problem sei zu vorindustriellen Zeiten noch nicht in der später vorzufindenden Schärfe und Form sichtbar gewesen. Er spricht von „Vermassung", wenn er den Zustand des Menschen in der Großfabrik oder in der Großstadt beschreibt, in die zunehmend die ehemalig im Agrarsektor Beschäftigten ziehen. 8 2 6 Auch North nennt beispielloses Bevölkerungswachstum und Verstädterung als Folge der Industrialisierung. 827 (2) Technologie Eucken hält die im Vergleich zur vorindustriellen Zeit höhere Komplexität der Produktionsvorgänge und damit zusammenhängend den erheblich höheren Grad an Arbeitsteilung für das wichtigste Merkmal der Produktionstechnologie seiner Zeit und stellt diesen Aspekt ne825 Vgl. auch die Ausführungen der Ordoliberalen hierzu, z.B. Eucken (1948), S. 188 ff., 244, 292 ff. 826 Eucken (1948), S. 56 ff.; ders. (1952), S. 2 ff., 16 ff., 187 ff. 827 North (1988), S. 163 ff.

D. Kritische Würdigung

298

ben der Tatsache der erheblich gewachsenen Zahl der Einzelpläne an den Beginn seiner Untersuchungen. 828 In Abschnitt C.II.l. wurden weitere ordoliberale Ansichten über Stand und Entwicklung von Produktionstechnologien unter den Stichworten „Kostendegressionsvorteile" und „Spezifität" herausgearbeitet. Mit diesem Komplex haben sich insbesondere Eucken, Röpke und Rüstow auseinandergesetzt. Sie kommen zusammenfassend zu folgendem Ergebnis: Für die Zeit zu Beginn der Industrialisierung wird die Relevanz hoher Fixkosten und somit spürbarer Kostensenkungspotentiale bei hohen Ausbringungsmengen sowie technischer Unteilbarkeiten nicht bestritten. Da Kostensenkungspotentiale jedoch nur bei entsprechend hohen Absatzerwartungen realisiert werden können und auch die Sachkapitalspezifität aufgrund erhöhter Anpassungsflexibilität technischen Wissens im Zeitablauf sinkt, ist die Bedeutung der Fixkosten in den 20er und 30er Jahren, entgegen der damals herrschenden Meinung, auf ein Maß gesunken, welches die Kartellierungen dieser Zeit aus ökonomischen Gründen nicht mehr rechtfertigt. Ferner sorgen verbesserte Transportmöglichkeiten für eine sinkende Standortspezifität insbesondere des Faktors Arbeit. Die Vertreter der NIE vertreten ähnliche Ansichten. North hält die gestiegene Ertragsrate neuen Wissens für die Ursache einer Verschiebung der relativen Preise in Richtung steigender Erträge des Humankapitals, die über gestiegene Humankapitalinvestitionen zunächst zu verbesserten Militärtechniken und somit zur Kolonialisierung und zur Vergrößerung von Absatzmärkten führten. Die erhöhte Nachfrage verlangte nach höheren Produktionsmengen, die durch die Realisierung von Kostendegressionsvorteilen über eine weitgehende Spezialisierung (Arbeitsteilung, d.V.) realisiert wurden. Auch North bezeichnet technische Unteilbarkeiten und hohe Fixkapitalien als weitere technologische Kennzeichen der Produktion zu Beginn der Industrialisierung. 8 2 9 (3) Informationskosten Mit sinkenden Transportkosten, verbilligten Übertragungsmethoden und sinkender Standortspezifität des Faktors Arbeit wird auch ein schnellerer und vielseitigerer Transport von Informationen möglich. Die so sinkenden Informationskosten pro Kopf bewirken eine Vergrößerung der Märkte sowie eine Zunahme der Substitutionskonkur828

Eucken (1948), S. 56 ff.; ders. (1950), S. 2 ff. Die Vorteile der Spezialisierung (Realisierung von Kostendegressionsvorteilen) überkompensierten deren Nachteile (höhere Transaktionskosten durch gestiegene Zahl an Austauschakten). North (1988), S. 163 ff., 176 ff., 182 ff. 829

II. Die Auffassungen der Schulen

299

renz. Mögen zu Beginn der Industrialisierung geschlossene Märkte infolge hoher Informationskosten ein gewichtiger Grund für das Bestehen von Monopolen gewesen sein, so gilt dies gemäß der Ordoliberalen nicht mehr für deren Wirkzeit. Eucken stellt in diesem Zusammenhang fest, daß vor allem Nachfragemonopole nach Arbeit an Bedeutung verlieren. 830 (4) Allgemeine Ideen/Ideologien Hier sei an die entsprechenden Ausführungen in Abschnitt C.I.2. erinnert. Zu nennen sind hier die Zwangsläufigkeitsideologien, die Sehnsucht nach Gemeinschaft sowie die tradierte Zentral- und Staatsgläubigkeit. • institutioneller

Rahmen

Nach der Einführung der Gewerbefreiheit in Deutschland 1869, der Kartell-Legalisierung durch das Reichsgericht 1897 und der Ausrichtung auf die Kriegswirtschaft in Folge der Ersten Weltkrieges glich die Weimarer Wirtschaftsordnung einer berufsständische Ordnung. 831 Das Deutschland dieser Zeit war von Kartellen durchzogen, Deutschland galt als das klassische Land der Kartelle. 8 3 2 Dieser Zustand wurde durch die Rechtsordnung trotz einer seit 1923 bestehenden lockeren Mißbrauchsaufsicht weitgehend gestützt. Diese formgebundenen Institutionen wurden ergänzt durch formlose Beschränkungen, die sich in der damals herrschenden Meinung wiederspiegelten: Die kartellierte Organisation der Märkte sei eine „höhere" Form der Wirtschaftsorganisation. Wegen der erheblichen Unsicherheiten wettbewerblicher Formen würden die Anbieter unweigerlich in den Ruin getrieben. Wettbewerbliche Formen wurden als „Manchestertum" verteufelt. 833 Auch sei dieser Zustand wegen der hohen Massenproduktionsvorteile großer Betriebe, die vor allem aus hohen Fixkosten und technischer Unteilbarkeiten resultierten, geradezu eine wirtschaftliche Notwendigkeit. 834 • Ideen/Ideologien

der Ordoliberalen

Mit diesem Zeitgeist hatten sich die Ordoliberalen auseinanderzusetzen. In der Sprache von North kann man jedoch sagen, daß deren subjektive Modelle nicht mit der herrschenden Meinung übereinstimmten. 835 Für den institutionellen Rahmen, den sie in den 20er und 30er Jahren vorge830 831 832 833 834 835

Eucken (1952), S. 225 ff.; ders. (1950), S. 3 ff. Grossekettler (1997), S. 49 ff. Böhm (1948), S. 198. Böhm (1937), S. 154; ders. (1948), S. 198; Eucken (1952), S. 170 ff. Röpke (1948), S. 155 ff.; Rüstow (1949), S. 110 ff. Β zgl. der folgenden Ausführungen vgl. North (1992), S. 21 ff.

300

D. Kritische Würdigung

funden haben, sahen sie, wie oben beschrieben, schlicht keine wirtschaftlich begründete Notwendigkeit. Diese Oppositionshaltung kann nach North in der Motivation der Akteure liegen und in der Art, ihre Umwelt zu entschlüsseln. Über die Motivation der Autoren, in den 20er-Jahren gegen die herrschende Meinung zu opponieren, kann nur gemutmaßt werden. Laut North kann die Zielsetzung von Individuen sowohl in der Erzielung rein persönlichen Nutzens bestehen als auch in Altruismus, der auch über die Einbeziehung des Nutzens von Familienmitgliedern hinausgeht. 836 Für die Betonung des persönlichen Nutzens ordoliberaler Autoren spricht die Auffassung, daß Wissenschaftlern oft ein Neuerungsbedürfnis zugesprochen wird: Um sich im Wettbewerb der Wissenschaftler zu behaupten, muß man, freilich fundiert und belegbar, gegen herrschende Schulen argumentieren oder zumindest neue Ideen einbringen. 837 Es ist natürlich auch möglich, daß man durch Argumentation gegen den Trend seine Reputation als Wissenschaftler aufs Spiel setzt. Dieses ist jedoch nach Meinung des Verfassers weniger als Altruismus denn mehr als berufliche Risikobereitschaft zu interpretieren, wenn man durch Äußern abwegiger Auffassungen nicht um Leib und Leben fürchten muß, nach North also der Preis des Offenbarens von Überzeugungen niedrig ist. Die ordoliberalen Autoren argumentierten in den 20er Jahren gegen den Trend und bereicherten die wissenschaftliche Diskussion um neue Ideen, während dieser Zeit könnte man bei ihnen eine mehr eigennützige Motivation vermuten. Eine stark altruistische Motivationskomponente kann man jedoch spätestens ab dem Zeitpunkt vermuten, ab dem die Autoren ihre zuvor erworbenen Ansichten während der Nazi-Diktatur gegen die offizielle Propaganda offen vertraten: Eucken sprach sich im Jahre 1940 (!) in seinen „Grundlagen der Nationalökonomie" klar gegen die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik aus. Böhm gründete 1936 zusammen mit Eucken und Großmann-Doerth die Schriftenreihe „Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtschöpferische Leistung", in der er im Vorwort den zeitgenössischen Relativismus und Historismus stark kritisierte. Bedenkt man, daß der Preis des Offenbarens solcher Überzeugung ab 1933 nach oben schnellte, so gelangt man zu dem Eindruck, daß spätestens ab der Manifestation der Nazi-Diktatur in den 30er-Jahren das altruistische Motivationsmoment überwog. Die Tatsache, daß auch im 1942 erschienenen Sammelband „Der Wettbewerb als Mittel volkswirtschaftlicher Leistungssteigerung und Leistungsauslese" der Akademie für 836 North (1992), S. 26. Zum auf die Familie bezogenen Altruismus vgl. Becker (1981). 837

Grossekettler (1997), S. 78. Diese Einstellung ist selbstverständlich nicht als verwerflich, sondern als legitim zu interpretieren.

II. Die Auffassungen der Schulen

301

deutsches Recht gegen die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik argumentiert wurde, beweise, so Lenel (1949), „ . . . daß die Verfechter der Wettbewerbsordnung auch in einer Zeit der größten Unfreiheit ihre Überzeugungen vertreten haben." {Lenel, 1949, S. 352). Dieser Eindruck erhärtet sich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Böhm wegen seines Eintretens gegen die Judenverfolgung 1937 aus dem Amt gejagt wurde und Röpke aufgrund massiver Kritik am Nazi-Regime bereits 1933 in die Schweiz emigrieren mußte. 8 3 8 Auch über die Entschlüsselung der Umwelt durch die Autoren kann man nur Mutmaßungen anstellen. Wieder werden hier nur die Hauptautoren Eucken und Böhm als stellvertretend betrachtet. Gemäß North können auch rational handelnde Individuen nur diejenigen Informationen verarbeiten, zu deren Aufnahme sie aufgrund ihrer Informationsverarbeitungskapazitäten (Intelligenz, d.V.) fähig sind und die ihnen durch ihre Umwelt verfügbar gemacht werden. Subjektive und objektive Modelle werden sich somit immer unterscheiden. 839 Welche Informationen waren also für Eucken und Böhm verfügbar? Eucken wuchs im Hause des Literaturnobelpreisträgers Rudolph Eucken auf, Böhm als Sohn eines Juristen und späteren badischen Kultusmisters. 840 Beide Autoren dürften ihre Umwelt in ihrer Erziehungsphase als „Kinder aus gutem Hause" wahrgenommen haben, wodurch sie wohl auch weniger für sozialistischen Thesen offen gewesen sein dürften. 841 Ihnen wurde ein Studium und eine wissenschaftliche Karriere ermöglicht. Während ihrer wissenschaftlicher Laufbahn nahmen sie schon von Berufswegen in wissenschaftlicher Art und Weise die Informationen bzgl. der sie umgebenden Wirtschaftsordnung auf. Diese gerieten jedoch im Widerspruch zu deren individuellen Überzeugungen, die sie aufgrund ihrer Befähigung und ihres Ehrgeizes erlangen konnten. So war zur Zeit der frühen universitären Betätigung der Autoren die Jüngere Historische Schule herrschende theoretische Meinung. Ein brennendes Problem der Zeit, wie die Inflation der 20er Jahre, vermochte diese Richtung jedoch nicht theoretisch zu durchdringen. Hier brach Eucken mit der Historischen Schule, durch die er zuvor durch seinen Doktorvater Schumacher stark beeinflußt wurde. 8 4 2 In dieser frühen Phase, in der noch der persönliche Nutzen altruistische Interessen über838

Grossekettler (1997), S. 24; Krüsselberg (1999), S. 3 ff. North (1991), S. 21 ff. 840 Grossekettler (1997), S. 22 f.; ders. (2000b), S. 8 f. 841 Müller-Armack hingegen war Sohn eines „einfachen" Betriebsleiters und somit Kind einer anderen Umwelt. Dies mag sich in den verschiedenen Auffassungen Müller-Armacks einerseits (Gerechtigkeit durch Umverteilung) und Euckens/Böhms andererseits (Gerechtigkeit ist Leistungsgerechtigkeit) ausgewirkt haben. Vgl. Grossekettler (1997), S. 26 ff. 842 Grossekettler (1997), S. 22; Hutchison (1984), S. 22; Lutz (1950), S. X. 839

302

D. Kritische Würdigung

wogen haben mag, kann es für die Autoren nützlich gewesen sein, ihre Überzeugungen der herrschenden Lehre entgegen zu stellen. Diese Überzeugungen dürften später, als es ungemein „kostspieliger" wurde, für diese Überzeugungen einzutreten, sich verfestigt haben: Die Autoren waren von einer kartellierten Welt umgeben und sahen die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Sie waren zutiefst davon überzeugt, daß dies nicht der richtige Pfad, sondern der Weg in den Abgrund war. Man kann also, unter Zuhilfenahme des Northschcn Analyseinstrumentariums, zumindest systematische Vermutungen über den Meinungsbildungsprozeß der Autoren anstellen. Sie hatten 1) wohl auch durch ihre Herkunft die Möglichkeit, wissenschaftliche Informationen systematisch zu verarbeiten, nämlich durch Studium und Arbeit an Universitäten, 2) die geistig-analytische Fähigkeit, der herrschenden Meinung ihre Version der Dinge entgegenzustellen, 3) die zunächst vielleicht mehr eigennützige wissenschaftliche Motivation, die Opposition zu suchen, und schließlich 4) die später wohl mehr altruistische Motivation, ihre verfestigten Überzeugungen zu verteidigen. • Die USA seit Beginn der 60er-Jahre Die Vertreter der NIE geben weit weniger über den Werdegang ihrer Überzeugungen preis als die Ordoliberalen. Zumindest Williamson nennt in „Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus" die wissenschaftlichen Vorbilder, die ihn und andere Vertreter der NIE in ihrem Denken geprägt haben. Zu nennen sind Commons, Knight , Llelewyn und natürlich Coase.843 Dieser wiederum bezog in seinen grundlegenden Arbeiten aus den Jahren 1937 und 1960 jeweils Gegenpositionen zu herrschen Strömungen: Im Jahre 1937 gegen den Dualismus Sozialismus - Kapitalismus, im Jahre 1960 gegen Denkmuster der Pigouschen Wohlfahrtsökonomik. 844 Als Indikator für den Beginn der Wirkzeit der Vertreter der NIE fungieren wiederum die Erstveröffentlichungen bedeutender Vertreter der Forschungsrichtungen. Coase' berühmter Aufsatz aus dem Jahre 1937 genießt dabei insofern eine Sonderstellung, als daß seine gedankliche Vorarbeit jahrzehntelang zwar wahrgenommen, aber nicht angemessen gewürdigt und weiterentwikkelt wurde, auch, da der Transaktionskostenbegriff wegen seiner damals starken operationalen Unklarheit in Verruf geriet. 8 4 5 Von der Neuen Institutionenökonomik, wie wir sie heute verstehen, kann man, so Bössmann, ab dem Anfang der 70er Jahre sprechen. 846 die meisten Vorarbeiten wurden jedoch schon in den 60er und teilweise in den 50er Jahren geschaffen. 847

843 844 845

Williamson (1990), S. 1 ff. Pies (2000), S. 3 ff., 12 ff. Williamson (1990), S. 4.

II. Die Auffassungen der Schulen

303

Bei der Analyse der Rahmenbedingungen mit dem heuristischen Northschen Instrumentarium ist es in dieser Arbeit wichtig, die Unterschiede zu den Rahmenbedingungen der Ordoliberalen zu skizzieren. • Geschichtlicher Hintergrund Wichtig in dieser Arbeit ist die Feststellung, daß die USA der Gegenwart bei weitem nicht den Krisen ausgesetzt sind, denen Deutschland in der Zwischenkriegszeit ausgesetzt war. Die USA ab den 60er Jahren können, neben Europa und Japan, als wirtschaftliche Groß-, wenn nicht sogar Hegemonialmacht angesehen werden. 848 • Randbedingungen (1) Bevölkerung Die USA umfaßt ein Vielfaches der Fläche des Deutschlands der 20er und 30er Jahre. Zwar gibt es große Ballungszentren, im Gesamtzusammenhang hat man es in den modernen USA aber mit einer geringeren Bevölkerungsdichte als im Deutschland der Weimarer Republik zu tun. Aber die Grundaufgabe einer Wirtschaftsordnung ist auch hier die Koordination vieler Millionen Einzelpläne. (2) Technologie und Informationskosten Der technologische Wandel der letzten drei Jahrzehnte ist insbesondere durch Innovationen auf dem Sektor der Informationsverarbeitung gekennzeichnet, so daß sich eine gemeinsame Behandlung der Bereiche „Technologie" und „Informationskosten" anbietet. Technologische Unterschiede ergeben sich vor allem aus der fortschreitenden Automatisierung durch elektronische Datenverarbeitung. Hierdurch wurden zwei Tendenzen ausgelöst. In produktionstechnischer Hinsicht schwinden in vielen Branchen Unteilbarkeiten und verringert sich die Bedeutung von Fixkosten mit der stetig abnehmenden Spezifität von Hardware- und Softwarelösungen. 849 In moderner Fortsetzung der Industriellen Revolution wird, wie Chandler (1977) es nennt, der dauerhafte „Hochgeschwindigkeitsdurchsatz", also die Produktion großer Stückzahlen ermöglicht. Die Notwendigkeit kontinuierlicher und hochflexibler Massenproduktion ist eine Reaktion auf stark vergrößerte Märkte teilweise weit über nationale Grenzen hinaus infolge der zweiten ausgelösten Tendenz. 850 In informationstech846 847

Bössmann (1981), S. 670. Dies gilt vor allem für die ersten Beiträge zu einer ökonomischen Theorie der

Politik. 848 849

Vgl. z.B. die Ausführungen bei Pfister (1998), Kapitel 8 bis 12. Richter, Furubotn (1996), S. 371 f.; The Economist (1993a), S. 13.

304

D. Kritische Würdigung

nischer Hinsicht wurden nämlich in den letzten beiden Jahrzehnten durch Innovationen in der Informationsübertragungstechnik die Informationskosten pro Kopf erheblich gesenkt. Die Entwicklung des Fernsehens oder elektronischer Informationsaustauschnetze wie des BTX-Netzes oder des Internet mit einer exponential wachsenden Nutzerzahl mögen hierfür als Beispiele gelten. Kennzeichen der Globalisierung sind die weltweite Zunahme der Exporte von Waren und Dienstleistungen, die zunehmende Mobilität des Faktors Kapital 8 5 1 sowie immer kürzere Innovationszyklen und Zeiträume in denen innovatorische Vorsprungsgewinne erzielt werde können. 8 5 2 Beide Tendenzen werden überlagert von Konzentrationstendenzen im Bereich von bei Soft- und Hardwareprodukten, die von Netzwerkexternalitäten und Kompatibilitätsstandards gekennzeichnet sind (Betriebssysteme, Datenformate). 853 Den Beginn solcher Tendenzen haben die Ordoliberalen, wie oben dargestellt, erkannt. Sie wurden zu deren Zeit freilich nicht durch Computerisierung hervorgerufen. Die Geschwindigkeit, mit der die Informationskosten pro Kopf seit den 60er Jahren eben durch Innovationen in der Informationstechnologie sinken, ist weitaus höher. Die enormen Unterschiede in der Größe der Märkte ist die für diese Arbeit wichtigste Auswirkung der geänderten Technologien: Während das Europa der 20er und 30er-Jahre durch voneinander durch Protektionismus weitgehend abgeschottete Märkten gekennzeichnet war, ist Nordamerika ein vergleichsweise großer Markt, innerhalb dessen Grenzen kein Protektionismus existiert. 8 5 4 Heutzutage ist die Größe eines Marktes jedoch nicht auf die Größe eines Landes beschränkt. Die dramatisch gesunkenen Informationskosten pro Kopf ermöglichen Märkte globalen Ausmaßes. 855 Die Marktakteure müssen sich nicht nur gegen nationale, sondern zunehmend gegen internationale Konkurrenz durchsetzen, was wiederum mit zusätzlichen Anstrengungen verbunden ist, neues Wissen zu entdecken, um es in Gewinn zu transformieren. 856 850

North (1988), S. 179. Vgl. etwa Dichmann (1997), S. 683 ff.; Vanberg (1999), S. 1 ff. 852 Berg (1996), S. 195 ff.; Zu einer ordnungstheoretischen Perspektive vgl. Vanberg (1999). 853 Monopolkommission (2000a); Richter, Furubotn (1996), S. 317; The Economist (1993b), S. 14. 854 Grossekettler (1989), S. 23; ders. (1998), S. 5. Schon Müller-Armack (1950, S. 262) sprach von der „Überschaubarkeit und Konkretheit früherer Lebensordnung" als eine spezifisch europäische Eigenschaft. 855 Vgl. auch Bundeskartellamt (2000), S. 17. 851

305

II. Die Auffassungen der Schulen

(3) Allgemeine Ideen/Ideologien und institutioneller

Rahmen

North (1988, 1992) weist vor allem auf die Idee/Ideologie des „Spirit of Competition" hin. Zur Bildung dieses „Spirit of Competition" dürfte eine aus der Phase der Besiedlung des Westens stammende und verinnerlichte Einstellung geführt haben: Wirtschaftliche Dispositionsfreiheit ist ein Naturrecht, welches ein Individuum dem Staat überlassen kann. Dem steht die vom historischen Fürstenstaat geprägte kontinentaleuropäische Auffassung gegnüber, daß der Staat als originärer Träger wirtschaftlicher Rechte dem Individuum wirtschaftliche Freiheit gewähren kann und nicht einmal den Beweis antreten muß, daß er wirtschaftliche Dinge besser regeln kann, als private Individuen. 8 5 7 • Institutioneller

Rahmen

Über die Entwicklung der „institutionellen Matrix" und deren ökonomischer Effizienz liegen Hinweise von North (1988, 1992) vor. Der Institutionenmix der nordamerikanischen Ökonomie genügt überwiegend den Bedingungen ökonomischer Anpassungseffizienz. Viele bereits effiziente formlose und formgebundene Institutionen sind von den einstigen englischen Kolonialherren übernommen worden, sie schlagen sich in der Verfassung der USA und anderen formgebundenen Institutionen wie z.B. der Northwest-Ordinance nieder. Der „Spirit of Competition" als formlose „Leitinstitution" sorgt dafür, daß die Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen durch die inkrementelle Änderung formloser Institutionen überwiegend effizient von statten geht. North führt als Beispiel den überwiegend effizienten Immobilienmarkt und als seiner Meinung nach wichtigsten Indikator den überwiegend effizienten Kapitalmarkt der USA a n . 8 5 8 • Ideen/Ideologien

der Vertreter

der NIE

Bezüglich der Einstellungen der Vertreter der NIE kann man davon ausgehen, daß ihre Motivation, mit der sie ihre Ansichten vertreten, eher eigennützigen Motiven entspringt: In den 50er und 60er Jahren war die wettbewerbspolitische Diskussion stark vom Konzept der Workable Competition beeinflußt, das z.T. noch am Lehrbuchleitbild der vollständigen Konkurrenz festhielt. 859 Die Ansichten der NIE wie auch der neuen Chicago-Schule standen diesem Trend entgegen. Die USA setzt als demokratischer Rechtsstaat nun einen im Vergleich zum Deutschland nach 1933 sehr niedrigen Preis für die Offenbarung von Überzeugungen, so daß im 856 857 858 859

20 Evcrs

Gerken (1998), S. 269 ff. Ähnlich Grossekettler (1998), S. 5 f. North (1992), S. 1 ff, S. 75 ff., S. 83 ff. Vgl. dazu z.B. Schmidt (1999), S. 9 f.

D. Kritische Würdigung

306

Vergleich zum Deutschland in den Jahren nach 1933 die Vertreter der NIE zwar um Reputation, nicht aber um Leib und Leben fürchten mußten, wenn sie ihre von der herrschenden Meinung abweichenden Überzeugungen äußerten. Es steht zu vermuten, daß es im wissenschaftlichen Markt sogar lukrativ war, gegen die herrschende Meinung und für „Big Business" zu argumentieren. Bei der Entschlüsselung ihrer Umwelt finden die Autoren Bedingungen vor, die von denen der Umwelt der ordoliberalen Autoren stark abweichen: Sie leben und lebten in einer im Großen und Ganzen effizienten und nicht kartellierten Wirtschaft. Zum einen war und ist der nordamerikanische Markt schon wegen seiner Größe schwerer kartellierbar als die protektionistisch voneinander weitgehend abgeschotteten Märkte des Europas der 20er und 30er Jahre. 860 Zum anderen schwinden, wie oben herausgestellt, in vielen Bereichen die technologischen Effizienzgründe (hohe Fixkosten, Unteilbarkeiten) für Konzentrationstendenzen. In einigen Bereichen, wo sie dennoch sichtbar auftreten, kann man plausible ökonomische Gründe für eine Konzentration bzw. Kooperation angeben (z.B. Netzwerkexternalitäten bei Soft- und Hardwareprodukten). Doch selbst in diesen Bereichen besteht, sogar ohne staatliches Eingreifen, eine erhebliche Wettbewerbsintensität. 861 Auch dürfte der „Spirit of Competition" und die Auffassung von Freiheit als individuelles Naturrecht für die Überzeugungen der Autoren eine gewichtige Rolle spielen. • Vergleich Die Autoren beider Schulen leben in völlig verschiedenen Welten. Die ordoliberalen Autoren lebten in einer Welt der Kartelle, die nach ihren zutiefst vertretenen Überzeugungen sowohl nicht mehr mit ökonomischen Notwendigkeiten gerechtfertigt werden konnte als auch zu den von ihnen beobachteten wirtschaftlichen Fehlanpassungs- und Unsicherheitssituationen führte. Letztendlich habe dieser Zustand sogar dazu geführt, daß ein totalitärer Apparat sich der Machtkörper leicht bedienen konnte, mit all den bekannten katastrophalen Folgen. 8 6 2 Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen anhand der formgebundenen (kartellfreundliche Rechtsprechung seit 1897) wie formlosen Institutionen (Konkurrenz ist „Manchestertum") und ihrer zunächst vielleicht wissenschaftlich-eigennützigen, später eher altruistischen Motivation ist es nachzuvollziehen, daß sie zu dem Schluß kamen, daß Kartelle vornehmlich auf Machtinteressen beruhen. Da diese Interessensgruppen auch mit dem Unsicherheitsargument Kartellierungen zu rechtfertigen

860 861 862

Grossekettler (1989), S. 23. Berg (1992), S. 260, Gerken (1998), S. 269 ff. Vgl. Böhm (1948), S. 197 ff.

II. Die Auffassungen der Schulen

307

versuchten, lag es für die Ordoliberalen nahe, auch die Bestrebung nach Reduktion von Unsicherheit dem Machtkalkül zuzuordnen. Dagegen sind in der Umwelt der Autoren der NIE Kartelle nicht mehr die Gefahr, die sie in der Welt der Ordoliberalen waren. Die Märkte haben sich erheblich vergrößert, die Anpassungsgeschwindigkeiten haben sich aufgrund stark gesunkener Informationskosten pro Kopf erhöht. Auch verlieren Fixkosten- und Unteilbarkeitsprobleme in manchen Branchen erheblich an Bedeutung. Globale Märkte und hohe Absatzzahlen ermöglichen in vielen Branchen einer großen Anbieterzahl die Realisierung von Kostendegressionsvorteilen, ohne, daß die Wettbewerbsintensität zwingend sinkt. In der Zeit der Ordoliberalen aber waren die Märkte aufgrund höherer Informations- und Raumüberwindungskosten als heute kleiner und die Nachfrage aufgrund höherer Informations- und Mobilitätskosten in ihren Ausweichmöglichkeiten beschränkter, eine Realisierung von Kostendegressionsvorteilen war in der Regel mit Marktmacht verbunden. Auch Untersuchungen von Olson (1991) zeigen, daß sich auf kleinen Märkten leichter Machtkörper zu bilden scheinen, da mit der Größe des Marktes die Transaktionskosten ansteigen und Kooperationen mithin schwieriger werden. 863 Diejenigen Konzentrationsbestrebungen, die heute aus technologischen Gründen bestehen und gleichzeitig zu Macht auf großen Märkten führen, gründen meistens auf Netzwerkexternalitäten. Diese sind jedoch ökonomisch effizient. Es mag Konzentrationsbestrebungen aus Machtgründen geben, sie sind für die Vertreter der NIE jedoch wohl von ähnlich geringer Bedeutung, wie es ökonomische gerechtfertigte Kartelle für die ordoliberalen Autoren waren. Von einer Welt der Kartelle kann man nicht mehr sprechen. Die Institutionenmatrix im Nordamerika der letzten beiden Jahrzehnte schließlich erlaubt im Großen und Ganzen nach North eine effiziente Anpassung an neuen Bedingungen. Dieses geht auch einher mit formlosen Institutionen, dem tradierten amerikanischen „Spirit of Competition" und der Auffassung der Freiheit als individuelles Naturrecht, wodurch größere Resentiments gegen staatliche Eingriffe bestehen als auch im heutigen Kontinentaleuropa. Zwar mag es auf einzelnen Märkten Konzentrationsbestrebungen geben, man kann jedoch nicht von einer „Welt der Kartelle" sprechen. Technologische Gegebenheiten, formgebundene und formlose Beschränkungen und die Erfahrungen der Autoren der NIE mit ihrer Umwelt sprechen somit dafür, daß sie die Gefahr wirtschaftlicher Konzentration durch Macht weit weniger stark gewichten als die ordoliberalen Autoren. Sobald Transaktionskosten in die Analyse einbezogen wurden, war es nur logisch, Maßnahmen zur Reduktion dieser Kosten durch Reduktion von Unsicherheit als effizient zu interpretieren.

863

20*

Vgl. Olson (1991), S. 42 f.

308

D. Kritische Würdigung

Alles in allem war somit die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der ökonomisch wünschenswerten Marktorganisation im Umfeld der Ordoliberalen größer als im Umfeld der Autoren der NIE. Der Unterschied in der Interpretation der Reduktion der Unsicherheit rührt zum Teil daher, daß die ordoliberalen Autoren den Begriff „Transaktionskosten" in der heutigen Ausprägung nicht kennen und somit auch die Reduktion von Unsicherheit nicht mit einer Kostenreduktion assoziieren konnten. Entscheidend ist jedoch, daß die Ordoliberalen hierzu auch keinen Anlaß hatten: Sie erkannten erhebliche Koordinationsineffizienzen, die sie in einer weitgehend kartellierten Wirtschaft vorfanden. So verwundert es nicht daß sie auch aufgrund ihrer wissenschaftlichen Arbeit Kartelle und Monopole für Koordinationsineffizienzen verantwortlich machten.

2. Der hohe Integrationsgrad der Ordoliberalen Die Modelle der NIE entstehen und variieren über einen langen Zeitraum mehr oder weniger unabhängig voneinander, während die Ordoliberalen quasi integriert arbeiteten. Dieses mag ein zeitlicher Vergleich belegen. Die theoretische Hochzeit des Ordoliberalismus dauerte ungefähr von 1930 bis 1950. 8 6 4 während die hier erwähnten Modelle der NIE bis auf das Jahr 1951 zurückgehen (Arrow, 1951, Unmöglichkeit der widerspruchsfreien Präferenzerhebung und -aggregation). Als weitere für die NIE grundlegende Beiträge aus den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts seien genannt: Simon (1955, 1957), Tiebout (1956) und Downs (1957). Als „Grundstein" der NIE schließlich gilt der bahnbrechende Beitrag von Coase aus dem Jahre 1937. 865 Die Modelle der NIE werden somit seit ungefähr minimal 50 und maximal 60 Jahren entwickelt, die Ordoliberalen schrieben zu nahezu allen Aspekten der heutigen NPÖ in noch nicht einmal der Hälfte bis einem Drittel dieser Zeit. Böhm lobt Eucken mit den Worten: „Er hat die Probleme seiner Wissenschaft in ihrer ganzen interdependenten Verflechtung übersehbar gemacht, die Gefahr der Sprachverwirrung, die immer mit der zunehmenden Differenzierung der Probleme und mit der fortschreitenden und unvermeidlichen Aufspaltung in spezialisierte Forschungszweige verbunden ist, mit wenigen meisterhaften Griffen überwunden." (Böhm, 1950, S. X X X I X ) . Im folgenden wird ein politikökonomischer Erklärungsansatz zu dieser „konzentrierten Integration" gegeben, der sich an Überlegungen von Kirsch (1997) und Rabushka, Shepsle (1972) anlehnt. 8 6 6

864 865

Erlei, Leschke, Sauerland (1999), S. 20 ff. Bössmann (1981), S. 667 ff.; Coase (1937), S. 331 ff.

II. Die Auffassungen der Schulen

309

In Abschnitt C.V.l. wurde als ein Ergebnis festgehalten, daß ein Konsens bei der Diskussion um Regeln umso eher eintreten wird, je mehr Dimensionen der Entscheidungsfindung im politischen Prozess relevant sind. Spielt sich die Entscheidungsfindung auf wenigen Dimensionen ab, steigt die Wahrscheinlichkeit des Dissenses. Bei nur einer Dimension kann jeder Akteur seine zukünftige Position sehr genau einschätzen, er wird Regeln ablehnen, welche ihn auf dieser Dimension als Verlierer zurücklassen. So wird es im Extremfall zu einem unversöhnlichen Gegenüber potentieller Gewinner und Verlierer kommen: Gilt nur die Dimension „Rasse", so steht Schwarz gegen Weiß. In Realdemokratien kann es zur Einführung neuer Dimensionen kommen, wenn genügend Wähler aufgrund sich ändernder Randbedingungen auf einer neuen Dimension, bspw. der „Ökologie" argumentieren und die Politiker diese Präferenzäußerung wahrnehmen und in deren Eigeninteresse darauf reagieren. Neudimensionierung ist somit ein Kollektivgut und mit hohen Kosten für die Pioniere und Trittbrettfahrermentalität bei der Masse der Interessenten der neuen Dimension verbunden. Das Trittbrettfahrerproblem kann gelöst werden durch selektive Anreize (z.B. durch den Erlös von Büchern oder Präsenz der Pioniere in den Medien) oder bei heterogenen Bedürfnisintensitäten (z.B. durch das Engagement von Umweltschutzaktivisten). Die Anzahl der Dimensionen hat dort eine Obergrenze, wo die zusätzlichen Gesamtkosten des Entscheidens auf verschiedenen Dimensionen aufgrund zunehmender Komplexität den zusätzlichen kollektiven Nutzen und den zusätzlichen Nutzen der Pioniere aus selektiven Anreizen und der Befriedigung besonders drängender Bedürfnisse überschreiten. In diesem Punkt entspricht der Nutzen einer zusätzlichen Dimension deren Kosten. So kommt es bei Änderungen von Randbedingungen zur Einführung, zur Verschmelzung oder zum Verschwinden von Dimensionen. 867 Ist nun der Preis des öffentlichen Offenbarens von Überzeugungen, verstanden als Kosten des Voice, sehr hoch, so dürfte ein offener Regeldissens unwahrscheinlich sein, man könnte diesen Zustand als „Präferenzdissens" bezeichnen. Auch die Einführung neuer Dimensionen wird erheblich verteuert, so daß es vermutlich weniger Dimensionen gibt als bei freiem Meinungswettbewerb. Eine solche Situation zeichnet sich dadurch aus, daß in Analogie zur Präferenzdarstellung im Medianwählermodell keine Gleichverteilung herrscht, sondern eine Massierung von Präferenzen an den Polen. Bei einer Präferenzverteilung auf wenigen Dimansionen kann am ehesten Konsens erreicht werden, da die Akteure viele Dimensionen bei ihrer Ent866

Kirsch (1997), S. 140 ff.; North (1992), S. 26 ff., 100 ff.; Rabushka, Shepsle

(1972). 867

Vgl. Kirsch (1997), S. 250 ff.

D. Kritische Würdigung

310

Stimmenzahl Präferenzintensität

Politischer „Dimensionenmix" Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 40: Gleichverteilung und Polarität der Präferenzen

Scheidung ins Kalkül ziehen müssen. Ist im Extremfall aber nur eine Dimension relevant, kann niemand mehr in der Mitte stehen. Herrschen zudem Diskriminierungsinstitutionen, so ist auch klar, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern zählt, wodurch auch die Stärke der Bedürfnisintensitäten erhöht werden dürfte. Die Polarität wird zementiert. Allgemein scheint es wahrscheinlich, daß in Diktaturen die Zahl der Präferenzen um die Pole herum höher ist als in Realdemokratien und die Präferenzen dort auch stärker ausgeprägt sind. Technisch ausgedrückt: Bei gleicher Bevölkerungszahl ist das Integral unter beiden Verteilungen im gesamten Definitionsbereich gleich. Die Teilintegrale um die Pole herum sind jedoch bei einer Präferenzverteilung auf wenigen Dimensionen höher als die entsprechenden Teilintegrale bei einer Präferenz Verteilung auf vielen Dimensionen. Das bedeutet, daß die Interaktionswahrscheinlichkeit zweier gleichgerichteter Präferenzen an den Polen mit abnehmender Dimensionenzahl steigt und somit die Transaktionskosten der Interaktion dann ceteris paribus geringer sind. Die Ordoliberalen lebten nun zum Großteil in einem Land mit obrigkeitsstaatlichen Traditionen und Gemeinschafts- und Zwangsläufigkeits-Ideologien. 8 6 8 Man glaubte gemeinhin, daß der „starke Staat" oder der „Weltgeist" zu entscheiden habe, wodurch die Einführung neuer Dimensionen schon vor 1933 vergleichsweise teuer war, da im Vergleich zu Gesellschaf868

Grossekettler

( 1999 c).

III. Würdigung von Kritikpunkten im Lichte der Ergebnisse

311

ten mit Freiheits-Ideologien mehr an Überzeugungsarbeit geleistet werden mußte. Ab 1933 schnellte zusätzlich der Preis des Offenbarens von Überzeugungen in die Höhe. Man darf annehmen, daß nicht nur die Neueinführung von Dimensionen „von unten" sich nahezu prohibitiv verteuerte, sondern in der Diktatur unliebsame Dimensionen „von oben" unterdrückt wurden. Es ist anhand der obigen Überlegungen plausibel anzunehmen, daß die Anzahl polarer Präferenzen mit starken Intensitäten im Vergleich zu Demokratien höher war. So erhält man einen Anhaltspunkt für die räumliche und zeitliche Nähe der Ordoliberalen: Sie lebten in einer Zeit und in einem Land, indem es an den Polen mehr und stärkere Präferenzen gab als in anderen Ländern und somit eine höhere Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens von Präferenzen an einem Pol zu dieser Zeit. Die im Vergleich zu den USA geringere geographische Größe Deutschlands lassen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens von Präferenzen in diesem Land plausibel erscheinen. So wirkten die zeitliche und die räumliche Nähe zusammen. Nach Böhm (1950) war die Zeit reif für die Einsicht, daß der Ordnungsgedanke zusammen mit dem Interdependenzgedanken in den Mittelpunkt rückte und diese Einsicht zunächst unabhängig voneinander in verschiedenen Disziplinen reifte. Oben wurde herausgearbeitet, daß die Ordoliberalen zu den Opponenten des Nazi-Regimes zu zählen sind. Daß, so Böhm (1950), in Freiburg der Funke übersprang, 869 kann zudem als Indiz für die geringen Transaktionskosten der Verständigung der Träger starker gleichgerichteter Präferenzen sein.

I I I . Würdigung von Kritikpunkten im Lichte der Ergebnisse Zwei Kritikpunkte sind es nach Ansicht des Verfassers wert, anhand der vorliegenden Ergebnisse kurz diskutiert zu werden: (1) Methodologische Kritik: Exogenität des Datenkranzes. (2) Inhaltliche Kritik: Allmächtige und wohlmeinende Politiker. Ad (1) Methodologische Kritik: Exogenität des Datenkranzes: In seinen „Grundlagen der Nationalökonomie" schreibt Eucken: „Gesamtwirtschaftliche Daten sind diejenigen Tatsachen, die den ökonomischen Kosmos bestimmen, ohne selbst unmittelbar von ökonomischen Tatsachen bestimmt zu sein. An den faktischen gesamtwirtschaftlichen Daten endet die theoretische Erklärung. Aufgabe der Theorie ist es, die notwendigen Zusammenhänge bis zum Datenkranz zu verfolgen und umgekehrt zu zeigen, wie von den einzelnen Daten das wirtschaftliche Geschehen abhängt. Aber die ökonomi-

869

Böhm (1950), S. X L .

312

D. Kritische Würdigung

sehe Theorie ist nicht fähig, ihr Zustandekommen zu erklären." (Eucken, 1965, S. 156). Diese Ansicht wurde vor allem von Kirchgässner kritisiert: „Innerhalb des Datenkranzes bekommt Menger Recht; zur Untersuchung des Datenkranzes ist jedoch der Ansatz von Schmoller zu verwenden." (Kirchgässner, 1988, S. 56). Unterzieht man das Werk Euckens und der Ordoliberalen jedoch einer Gesamtschau, so wird nach Meinung des Verfassers diese Kritik relativiert. Eucken betont in seinen „Grundlagen" von 1952 wieder und wieder die Interdependenz der Ordnungen, analysiert institutionellen Wandel in positiver wie normativer Hinsicht und hebt besonders die Wandelbarkeit und Wichtigkeit der staatlichen Rechtsordnung hervor. Böhm liefert eine ökonomische Analyse des Rechts, die den gleichen Erkenntniszielen verpflichtet ist, wie die Rechtsanalyse der NIE. Kurz: Der Datenkranz wird erheblich dünner, wenn man das gesamte ordoliberale Ideengut betrachtet: Er ist der institutionelle Rahmen, innerhalb dessen sich die Theorie bewegt. Ordoliberale Wirtschaftspolitik aber ist Institutionengestaltung! Dieses haben die vorangegangenen Untersuchungen klar gezeigt. Wer aber Institutionen gestaltet, der ändert den DatenkranzZ 870: „Diese gesamtwirtschaftlichen Daten, die der Theoretiker als solche hinzunehmen hat, braucht der Wirtschaftspolitiker nicht als gegeben hinzunehmen. Für ihn sind sie vielmehr die bestgeeingneten Ansatzpunkte für seine Maßnahmen. Wirtschaftspolitik im engeren und im weiteren Sinne wirkt gerade durch Veränderung der Daten." (Eucken, 1952, S. 378, Herv.i.O.). Freilich fließen in vielen Modellen der NIE Variablen als endogen ein, welche von den Ordoliberalen in der theoretischen Betrachtung als exogen angenommenen wurden. Dies ist jedoch kein Vorwurf an Eucken, sondern eine Anerkennung an die NIE. Schließlich hat Pies (2000a) gezeigt, daß gerade Euckens und von Hayeks Methodik im Verein mit der NIE Auswege aus vermeintlichen Zielkonfliktsdiskussionen wie „Gerechtigkeit versus Freiheit" weisen kann. Ad (2) Inhaltliche Kritik: Allmächtige und wohlmeinende Politiker: Witte (1995) wirft Eucken vor, er agiere in seinen Modellen mit allmächtigen und wohlmeinenden Politikern. Da diese nicht allwissend seien, müßten sie, so Eucken, von der Wissenschaft nur über die richtigen Wege belehrt werden. 8 7 1 Zugegebenermaßen könnte man bei einigen Aussagen Rüstows tatsächlich diesen Eindruck bekommen. Er fordert eine „straffe staatliche Markt870 871

Grossekettler (1997), S. 90. Witte (1995), S. 5 f.

III. Würdigung von Kritikpunkten im Lichte der Ergebnisse

313

polizei", welche die Akteure zum Leistungswettbewerb geradezu zwingen soll. 8 7 2 Nach Meinung des Verfassers wird man jedoch mit der oben geäußerten Kritik gerade Eucken und Böhm nicht gerecht. Sie und alle anderen ordoliberalen Autoren, die sich mit der Materie beschäftigen, modellieren Politiker durchaus als machtbewußt und eigennützig. Denn wären sie es nicht, würden sie nicht wiederwahlorientiert handeln. 873 Die der Wissenschaft beigemessenen Bedeutung ist aus den oben dargestellten Lebensumständen der Ordoliberalen erklärbar. Sie würden heutzutage wahrscheinlich andere ordnende Potenzen erkennen. Der Aufklärung der Bevölkerung über ökonomische Zusammenhänge würden sie jedoch zweifellos einen ebenso hohen Stellenwert beimessen wie die Vertreter der NIE. Abschnitt C.IV. hat außerdem gezeigt, daß die gewünschte Haupteinflußrichtung politischer Macht nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben, von den Wählern zur Politik verlaufen soll. Politiker werden weder als allmächtige, noch wohlwollende Diktatoren modelliert. Vielmehr sollen sie durch eine „Volksideologie der Wettbewerbsordnung" im politischen Prozeß zur Schaffung systemstabilisierender Institutionen gezwungen werden. 8 7 4

872

Grossekettler (1997), S. 28 ff.; ders. (1998), S. 7; Rüstow (1949), S. 133 f. Diese Verhaltensannahme war, wie in Abschnitt C.IV.2. dargestellt, für die Ordoliberalen eine Selbstverständlichkeit. 874 Grossekettler (1997), S. 90 f. 873

E. Abschluß Ordoliberalismus ist Institutionenökonomik. Und er kann Neue Institutionenökonomik sein. Diese Arbeit zeigte folgendes: • Nahezu sämtliches Gedankengut der Ordoliberalen kann in der Sprache der NIE ohne große Schwierigkeiten aufbereitet werden. Die teilweise verblüffenden Übereinstimmungen in den Untersuchungen, die sich bisweilen sogar in der unbewußt fast parallelen Wahl von Begriffen niederschlägt, lassen vermuten, daß die Forscher beider Richtungen mit gleichen Denkmodellen arbeiten und gearbeitet haben. Die ordoliberale Sichtweise ist ohne weiteres analytisch modellierbar und kann zur beiderseitigen Horizonterweiterung einen wesentlichen Beitrag leisten. • Eine Erkenntniserweiterung des Ordoliberalismus kann gelingen. Ordoliberale Institutionenökonomik hat sich nie Effizienzgründen verschlossen, sie waren integrale Bestandteile ihres Theoriegebäudes. In heutiger Zeit würden sie in einem modernen Ordoliberalismus ungleich stärker gewichtet. Aber auch ein moderner Ordoliberalismus wäre nie einzelwirtschaftlich fixiert, sondern gesamtwirtschaftlich orientiert. • Aber auch die Erkenntnisbreite der NIE kann durch die ordoliberale Perspektive erweitert werden, denn Macht spielt eine Rolle. Dabei bedarf es nicht etwa des Mißbrauchs oder der willkürlichen Auslegung noch unscharfer Begriffe, wie etwa des Transaktionskostenbegriffs, sondern dessen Definition aus einer neuen Perspektive. In der Zusammenschau kann man Transaktionskosten nicht mehr als reine Minimierungsgröße ansehen, Referenz ist die richtige Struktur, die optimale Zuordnung von Transaktionskosten. Hier befinden sich Coase und Böhm auf einer Linie. • Mit der Integration beider Richtungen konnte ein Argumentationsrüstzeug geschaffen werden, welches das Aufbrechen festgefahrener Frontstellungen im Sinne orthogonaler Positionierungen (Pies, 2000) auch auf subkonstitutioneller Ebene ermöglicht. Zum letzten vielleicht wichtigsten Punkt ein Beispiel: Eine Weiterentwicklung der NIE wird vermutlich an neue Erkenntnisse der kognitiven Psychologie anknüpfen: So, wie die heutige NIE zu großen Teilen auf der Annahme der bounded rationality (Simon 1955, 1957) fußt, kann die morgige NIE neue Erkenntnisse über individuelles, regelmäßig irrationales Verhalten in bestimmten Situationen einarbeiten. Tversky und Kahnemann haben nachgewiesen, daß unter bestimmten Bedingungen Urteile gefällt werden, die an gewisse interne

E. Abschluß

315

Referenzpunkte geknüpft sind, welche stark von den tatsächlichen Sachverhalten abweichen können. Menschen tendieren dazu, weithin sichtbaren Ereignissen oft eine unangemessen hohe Bedeutung zuzumessen 875 . „Kohle-Subventions-Demonstrationen" lenken das Mitgefühl auf die betroffene Branche und lenken ab von den erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten von Erhaltungssubventionen.

Hier hat eine moderne Institutionenökonomik ihr Feld. Sie hat die richtigen Referenzpunkte zu setzen, sie muß aufklären und die weit überwiegenden Vorteile des Wettbewerbs im Kopfe fühlbar machen. So werden die Menschen in die Lage versetzt, Opportunitätskostenniveaus besser zu messen. 8 7 6 Die Frontstellung „Sicherheit durch Umverteilung versus Leistungsanreize durch Freiheitsspielräume" wird aufgebrochen zugunsten einer gemeinwohlorientierten Perspektive. 877 Soziale Sicherheit wird als Abtausch für die Zustimmung zur Gesellschaftsordnung interpretiert, als Institution zur Senkung der Diskriminierungskosten einer Wettbewerbsordnung, aber nicht mehr als Institution zur Wohlstandserhaltung einer Branche. 878 Es bleibt schließlich zu hoffen, daß das Instrumentarium der NIE weiterentwickelt wird und an Konturen gewinnt. Denn noch ist diese Forschungsrichtung mit vielen unscharfen Begriffen durchsetzt. Hoffnungsvoll ist, daß im Zusammenspiel des einzel- und des gesamtwirtschaftlichen Zweiges der NIE nicht mehr alles als „effizient" interpretiert werden kann, was man in der Realität vorfindet. Und gerade der Ordoliberalismus kann durch sein ausgeprägtes Denken in Institutionen, durch integrierte Betrachtungen der Makro- und der Mikroebene, durch die (in der einzelwirtschaftlichen Neuen Institutionenökonomik faktisch fehlende) Betonung der Gefahren von Markt- und Interessensmacht und nicht zuletzt durch das teilweise weitreichende prognostische und visionäre Denken seiner Protagonisten einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung der NIE liefern und im Gegenzug selbst von ihr profitieren. Neue Institutionenökonomik und moderner Ordoliberalismus sind moderne Institutionenökonomik.

875 Ingrid Zoll (2000) hat diese Befunde in einer beeindruckenden Untersuchung empirisch nachgewiesen. Gemeint sind vor allem die Availability Heuristik (Abweichung einer wahrgenommenenen von der tatsächliche Häufigkeitsverteilung, Tversky, Hahnemann, 1974, 1982), die Representativness Heuristik (Beurteilung von Sachverhalten aufgrund von Informationen, die für repräsentativ gehalten werden, dies jedoch nicht sein müssen, Tversky, Kahnemann, 1974, 1982 a), und die Framing Anormalie (die Beurteilung eines Sachverhaltes ist allein von dessen Präsentation abhängig, Tversky, Kahnemann, 1981). Vgl. auch Schäfer, Ott (2000), S. 63 ff. 876 Die mittlerweile spürbaren Erfolge der Öffnung des Telekommunikationsmarktes mögen als Beispiel dienen. Vgl. Monopolkommission (2000). 877 Zoll (2000, S. 26) spricht von einer „Kanalisierung der Wettbewerbsordnung". 878 Pies (2000a), S. 16; Sala-i-Martin (1997).

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Stichwortverzeichnis Abschlußunsicherheit 46, 142 ff.

Eigentumsordnung 25

Adaptionsbedarfe 62

Eigenwirtschaft 86, 99, 277

AGB, Allgemeine Geschäftsbedingun-

Entscheidungsfindungskosten

gen 185, 190, 204 f., 213 Als-Ob 162 Altliberalen, die 20 f., 23 Altliberalismus 20 Anarchie 174, 195, 253, 325 Auslesekampf 90 Berufsstände 240 f., 245, 248, 255 beschränkte Rationalität 46 Bürokratie 221, 227, 230, 236, 238, 241 ff., 249, 252, 257, 259, 326

Faktorspezifität

Coase-Theorem 35 f., 175 f., 179, 188, 190 Constitutional Economics 43, 239, 264 ff., 275 ff., 280, 286, 288 f., 292, 294, 323, 329 Court Ordering 47, 186 Cross-Cutting-Cleavages 266 f., 272 Datenkranz 311 f. Diskriminierungskosten 13, 269 ff., 276, 280 f., 286, 292, 315 Durchsetzungskosten 58, 80, 89, 99, 124, 156 ff., 160, 163, 178, 201, 218 f. Effizienz 13, 16, 59, 71, 77, 80, 107, 121, 124 f., 127, 132 f., 163 f., 168, 170 f., 175, 190, 195 f., 237, 274, 293 ff., 305

43,

111 f.

Franchise-Bidding 128, 130 f., 160 Freiburger Schule

cheapest cost avoider 180, 184 cheapest insurer 184 Chicago-Schule 23, 103, 130, 194, 220, 305

13,

269 ff., 273, 281, 286 f. Ergänzungsprinzipien 30 Euckenschen Prinzipien 29, 31, 50, 53 f., 215, 274 ff., 280 f., 286 ff., 290, 292, 294 Evolutorisches Unternehmertum 50 externe Effekte 30, 65, 90, 179, 194, 217, 222, 284

19, 22, 154, 241,

264, 289, 323 Gefährdungshaftung

180 ff., 189, 204

Gesellschaftsvertrag 268, 275, 277, 279 Gewerbefreiheit

55,

100,

103,

152,

197, 203, 299 Gewerkschaften

214,

240 f.,

245 f.,

250, 318 Governance-Richtung 46, 58, 60 Haftung 144, 150, 204, 207 Haftungsbeschränkungen

29,

150,

206 f., 282 f. Historische Schule 23 f., 301 Hobbesscher Urzustand 173, 175, 187, 265, 276, 282 horizontale Konzentration 127 Humankapital 48, 74, 91, 102, 114, 130, 136, 138, 146, 153, 170, 197, 262, 282 Humankapitalspezifität 91, 111 f., 114, 133, 135, 137 f., 163

332

Stichwortverzeichnis

Ideen/Ideologien 67 ff., 74, 77, 79 ff., 84, 87 ff., 94 ff., 99 ff., 103 ff., 200 ff., 205, 213, 224, 233, 247, 254, 256, 262, 269, 279, 286, 293 ff., 299, 305 impliziter Vertrag 114, 141, 266, 268 Individualismus 32, 41, 51, 92, 130, 221, 227, 238, 292, 294, 329 Industrialisierung 27, 62, 83, 85 ff., 94, 97 f., 104, 134 f., 138, 261, 285, 297 ff., 322 Industrielle Revolution 81 Informationskosten 13, 39, 58, 66, 68 f., 71, 80, 83, 86 f., 90, 99, 128, 131, 138 f., 142 f., 155, 183 f., 187 f., 192, 196 ff., 202, 204 f., 210, 213, 219, 221 ff., 225 f f , 236, 238, 242 f., 252 f., 255, 262, 267 f., 285, 287, 293 ff., 298, 303 f., 307 Inhaltsunsicherheit 46, I I I , 143 f., 155, 163 Innovation 114, 153, 170, 185, 207 Innovationen 60, 114, 117, 123, 153, 166, 209, 282, 303 f. Institutionalismus 23, 25, 31, 54, 275, 322 Institutionen 17 f., 24 f., 30 f., 41, 44, 48, 50 f., 53 f f , 61 ff., 66 ff., 79 f., 84, 90 f., 95 ff., 101, 103 ff., 142, 155, 157, 168, 172 f., 185, 187, 191, 194, 197 f., 201, 203, 205, 213, 222, 233, 238, 250 f., 254 f., 259, 264 f., 267, 273 f., 276, 279 ff., 283, 285 ff., 292, 295, 299, 302, 305 ff., 312 f., 315, 318 f., 322 f., 325, 330 Interdependenzkosten 13, 43, 269 ff. Interessengruppen 28, 30, 41 f., 74 f., 83, 88 f., 95, 106, 155, 169, 179, 192, 201, 212, 214, 221, 223, 226, 231 f., 234, 236, 238, 242, 245, 247 ff., 252 f., 257, 263, 267, 275 f., 279, 281, 285 ff., 291, 294, 306, 316 Juristen 23, 29, 79, 172, 193, 200 f., 209, 211, 256, 263, 279, 301, 321, 327 Justiziabilität 29,279,287,318

Kartell 89, 97, 100 f., 103 f f , 124 f., 148, 150, 153, 156, 201, 203, 206, 237, 299, 306 f f , 317, 326 Kartellbehörde 157, 161, 163, 318 Kartellierung 91, 97 Kartell vertrag 54, 89, 124, 149, 190, 206 f. Kirche 81, 102, 200, 247, 255 f., 262, 327 f. KMD-Konzept

13, 158

KMD-Konzept siehe auch Koordinationsmängel-Diagnosekonzept Kölner Schule 19, 22, 154, 290 Kollektivgut 28, 36, 149, 161 f., 166, 173, 199, 205, 216 ff., 222 ff., 238, 265, 268, 277, 283, 309 Kollektivgütertheorie 17, 32, 36 Kollusion 107, 110, 115, 150 Kongruenzprinzip 37, 128 Konsumentenrente 128 f., 132, 140, 143, 153 f., 213 Koordinationsmängel-Diagnosekonzept 13, 59, 152 f., 158, 327 Koordinationsmängel-Diagnosekonzept siehe auch KMD-Konzept Korporationen 102,241,245 Kostendegressionsvorteile 108 ff., 113, 132 f., 164, 168, 298 Laissez-faire 28, 243, 258 Learned- Hand-Bedingung 180 Leistungswettbewerb 27,209,313 Macht 30, 38, 42 f., 57, 83, 119 f., 122 ff., 132, 139 f., 145, 148 ff., 157, 160, 163, 168, 190, 192, 195, 205, 208, 213, 221, 224, 228, 233, 243 f., 248, 250, 253, 257, 267, 286, 290 f., 293, 295, 307, 313 f. Manchestertum 140, 299, 306 Markenartikelspezifität 111 f. Marktprozesse 52, 55, 59, 119, 201, 317, 320 Meßkosten 58, 109, 117, 128, 143, 156 ff., 162 f., 217 f.

Stichwortverzeichnis Medianwähler 225

öffentliche Verwaltung 227 ff., 236, 318

Medien 89, 238, 255 f., 263, 309 Merkantilismus

100, 121

Monopol 13, 28, 89, 94, 108, 125 ff., 130, 132, 134, 137, 146 f., 151, 154 f., 159 f., 163, 210, 214, 245 f., 251, 262, 276, 308 Monopolaufsicht

159, 163, 248

Monopolisierung

106

121, 144, 170, 285,

Monopolproblem 106, 139, 169, 171, 210, 213, 293 f. Monopolrente 120, 140, 145, 148, 154, 163, 209, 213 Neoklassik 17, 26 f., 32, 34, 110, 131, 169, 171, 194 69, 73, 94, 109,

Neue Politische Ökonomie 214, 322

13, 32, 41,

Neue Politische Ökonomie siehe auch NPÖ Neue Institutionenökonomik siehe NIE Nichtleistungskampf 159, 163, 209

53,

152 f.,

Ökonomische Analyse des Rechts 35, 171, 293 f.

32,

Ökonomische Theorie der Politik 214, 294, 317

17,

Ökonomische Theorie der Verfassung 32, 42, 264, 294 Österreichische Schule 23

Monopolist 106, 121, 128, 139 f., 143, 147 ff., 151 ff., 159, 163, 170, 190, 203 ff., 208 f.

Netzwerkexternalitäten 304, 306 f.

38, 42, 214,

155,

NIE 13, 16 ff., 23 ff., 31 f., 34 ff., 41, 45, 49 f., 53 ff., 57 f., 60 f., 63, 69, 81, 83, 86, 103, 105 ff., 109, 114, 119 f., 125 ff., 131 ff., 137, 139, 141 ff., 145 ff., 149, 151, 153 ff., 161 ff., 190, 194 f., 198 f., 210, 213 ff., 232, 238, 241, 257 ff., 261 ff., 265, 274 f., 289, 292 ff., 298, 302, 305, 307 f., 312 ff. NPÖ 13, 36, 192, 214 ff., 218 ff., 224, 226 f., 231, 235 ff., 241, 243 f., 249, 257 ff., 261 ff., 275, 294, 308 NPÖ siehe auch Neue Politische Ökonomie

Opportunismus 34, 83, 111, 116, 123, 131, 140, 145 f., 148, 152, 163, 183, 187, 190, 203 Opportunitätskosten 70, 77, 80, 203 Ordnungspolitik

16, 21, 29, 102, 319,

322 f., 327 f., 330 Ordnungstheorie

20,

31,

50,

155,

321 ff., 325, 327, 329 Ordoliberalen, die 15, 18 ff., 26 ff., 30, 36, 43 f., 48, 50, 54, 70, 84 ff., 89, 91 ff., 103, 105 f., 132 ff., 139 ff., 145 ff., 151 ff., 157, 162 ff., 168, 170, 172, 185, 195 ff., 200 ff., 212 ff., 222 f., 226, 230, 232, 239 ff., 247 ff., 254, 257 ff., 275 ff., 284, 286, 288 ff., 297, 299, 302 ff., 307 f., 310 ff. Ordoliberalismus 5, 15 f., 18 ff., 23 ff., 28, 32 f., 41, 43 f., 49, 54, 59, 102, 132, 161, 165 ff., 170, 195 f., 214 f., 231, 235, 256, 275, 280, 289, 294, 296, 308, 314 f., 320, 323 Organisationen 32, 34, 45, 57, 67 f., 71 ff., 76 ff., 81, 83, 90 f., 95, 98, 101, 104, 119, 121, 132, 164, 231, 247 f., 255, 268, 328 P-A-Theorie 38 ff. Partikularinteressen 241, 286

106, 219 f., 235,

Pfadabhängigkeit 72 ff., 92 f., 96 f., 219

78, 80, 84,

plastische Produktionsfaktoren 45, 73 Politiker 40, 214, 221 ff., 236, 238, 241 ff., 248, 254, 257, 264, 278, 287, 309, 311 ff. prästabilierte Harmonie 20, 102

334

Stichwortverzeichnis

Prinzipal-Agent-Theorie

17, 32, 34, 38

Prinzipal-Agent-Theorie siehe auch PATheorie Prinzipien, konstituierende 29 Prinzipien, regulierende 30 Prinzipien, staatspolitische 30, 253 ff. Private Ordering 213

47, 155 f., 186, 205,

Privateigentum 29, 70, 177, 197, 282 Privatrechtsordnung 248 Produzentenrente

94,

102,

198 f.,

132, 192

Property-rights 35, 51, 57, 62 f., 65 f., 81, 121 f., 141, 156, 165, 169, 173, 176 ff., 183, 187, 189, 194, 197 f., 217, 282, 284, 318, 324 Protektionismus 304 Prozesspolitik 21, 30, 253, 257, 286 Quasi-Rente 46, 111, 113, 116, 123, 126, 131 f., 136, 138, 145 f., 148 f., 152, 154, 167, 192, 207, 246 Randbedingungen 18, 24 f., 57, 61 ff., 65 f., 68 f f , 75, 78, 80, 83, 86 f., 89 f., 98, 103, 129, 139, 174, 177, 183, 193, 196, 210, 246, 264, 277, 279, 288, 293, 297, 303, 309 Rechtsordnung 20, 25, 29 ff., 44, 49, 142, 157, 159, 171 ff., 175, 180, 193, 195 f., 200 f., 205, 211, 213, 239, 252, 256, 273, 278 f., 299, 312, 328 Regulierung 128 f., 131 f., 155, 160 relative Preise 65 f., 69, 80, 129, 293 Rent-seeking 83, 106, 120 f., 123, 223, 231, 234 ff., 240, 245 f., 252, 260, 279, 281, 319, 328 Repressionsbedarf 106 Reputation 47 f., 112, 115 f., 118, 120, 123, 131, 142, 146, 149, 154, 160, 167, 184, 186, 188, 236, 255, 300, 306 Rivalitätsgrad 37

Sachkapitalspezifität 111, 137 f., 298 Schleier der Ungewißheit 266 f., 278 Selbstbehauptungstendenz 20 Selbsthifekrieg 90 Selektive Anreize 218 f., 223 shirking 83, 116, 156, 160 Sicherheit 15, 21 f., 27, 102, 145, 151, 153, 163, 202, 219 f., 237, 275, 284, 315, 324 Sozialliberalen, die 21 Sozialliberalismus 20 f. Sozialordnung 27, 85, 100 f., 141 f., 152, 157, 159, 196, 211, 214 sozialrechtliche Richtung 25, 318 Soziokatalyse 51 f., 155 Spezifität

60, 111, 113, 115, 133 ff.,

137, 147, 149, 163, 227, 298, 303 Spezifi tätsgrad 13, 112 ff. Spieltheorie 71, 116, 178 Spirit of Competition 305 ff. Standortspezifität 111, 135, 137 f., 298 Subsidiaritätsprinzip 30, 37, 200, 253, 273, 286 Teamproduktion 43, 47, 58, 83, 116 f. Tendenzen 17, 30, 92, 94, 96, 105, 138, 157, 206, 252, 303 f. Theorie des institutionellen Wandels 17, 32, 43 f., 91,323, 325 Transaktionskosten 14, 31, 35, 38, 45 ff., 49 ff., 57 f f , 71, 73, 75 ff., 81 f f , 95, 109 ff., 115, 117, 123, 140, 143 f f , 148, 150, 152 f., 155 f., 159, 161 f., 166, 169, 173, 175, 177 f., 182 ff., 190, 192, 194 ff., 200 ff., 206, 212 f., 217 ff., 226 f., 236, 240, 244 ff., 249, 251 ff., 257 ff., 262, 264, 266, 275, 277 f., 281 ff., 288, 298, 307 f., 310 f., 314, 321, 327 Transaktionskostenökonomie 17, 32, 45, 47 f., 319 Unsicherheit 35, 44, 46, 49, 51, 53, 61, 67 f., 73, 75 f., 78, 84, 88 f., 105,

Stichwortverzeichnis 111, 113 ff., 119, 126, 130 f., 140, 143 ff., 151, 153 f., 173, 183, 189, 205, 217, 219, 227, 245, 267, 283, 289, 307 f. Unternehmenskultur 118,132,167 Unternehmertum 51, 78, 155, 327 Verfahrenspräferenzkosten Verfassungsökonomik

38, 71, 227

17, 172, 290 ff.

Verschuldungshaftung 180 ff., 189 vertikale Integration

113 ff., 126, 131,

146, 155 Vertragstheorie 129 vollständige Konkurrenz 28, 139, 141, 143, 153, 162, 190, 305 Wähler 40 f., 220 f., 224 ff., 228, 235, 238, 242 f., 248, 254, 256, 259, 287, 291, 309 Weimarer-Republik 102 f., 296 Wettbewerbsordnung 21, 28 ff., 53 f., 81, 97, 101, 106, 157, 162, 172, 210, 213 f., 222, 239 ff., 247, 254 ff.,

264 f., 278, 283, 285 f., 291, 294, 301, 313, 315, 327 Widmungsspezifität

111 f.

Wirtschaftsminister 255 f. Wirtschaftsordnung 15 f., 18, 28, 44, 53, 59, 61 ff., 83, 85, 88, 91, 95, 104, 106, 171 f., 200, 214, 241, 245 ff., 256, 275 ff., 286, 299, 301, 303, 317, 320 ff., 326, 329 Wirtschaftspolitik 16 f., 23, 26 ff., 43, 88, 94, 96 f., 133, 145, 157, 198, 250, 279, 283, 300, 312, 317, 319 ff., 324, 328 Wissenschaft 16, 25, 40, 255 f., 262 f., 285, 308, 312 f. X-Ineffizienz 32, 160 X-Ineffizienzen 230

116, 131, 156, 160,

Zentralverwaltungswirtschaft 195

88,

Zwangsläufigkeiten 50, 91 f., 94

95,