Die historische Entwicklung der Müllerei [Reprint 2019 ed.] 9783486770810, 9783486770797

De Gruyter Book Archive (1933-1945) This title from the De Gruyter Book Archive has been digitized in order to make it

187 82 153MB

German Pages 48 Year 1939

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die historische Entwicklung der Müllerei [Reprint 2019 ed.]
 9783486770810, 9783486770797

Table of contents :
Die hiftorifche Entwicklung der Müllerei
Nachwort des Verfassers

Citation preview

Die historische Entwicklung der Müllerei von

Wilhelm ©Immer

Mit 28 Abbildungen

München und Berlin 1939

Verlag von R. Oldenbourg

Druck von N. Oldenbourg, München

Ä)ill man den ersten Anfängen der Müllerei nachforschen, so heißt tm£, zunächst nicht nur festzustellen, wie die Menschen auf den Gedanken kamen, Früchte des Feldes zu zerkleinern und für den menschlichen Genuß verwendungsfähig zu machen, sondern es ergibt sich zu allererst die Frage: Lat es Brotgetreide, so wie wir es heute kennen, von Arzeiten an bei uns gegeben, oder ist es erst durch Züchtung zu dem geworden, was es heute ist? Bisher konnte diese Frage nur unvollkommen damit beantwortet werden, daß man annahm, unsere verschiedenen Getreidearten seien im Wege der allmählichen Kultivierung aus ursprünglich wild gewachsenen Gräser­ arten des heimatlichen Bodens entstanden; sehr gründliche wissenschaftliche Forschungen der letzten Jahre indes haben uns andere Erkenntnisse gebracht. Expeditionen, die in den Lochsteppen und den Gebirgstälern Asiens tätig gewesen waren, brachten Nachrichten mit, daß man in diesen Gebieten wildwachsende Weizen-- und Gerstearten angetroffen habe, die auf Grund der gegebenen Wachstumsbedingungen in Lohen-- und Trockenlagen Eigen­ schaften aufwiesen, die unseren heimischen Brotgetreidearten mangelten und die ihnen bisher auch nicht anerzogen werden konnten. Anbilden des Wetters und das Klima hatten diesen Brotgetreidearten eine nicht umzubringende Widerstandskraft nicht nur gegen Frost, sondern auch gegenüber bestimmten Krankheiten gegeben, also in erster Linie die Eigenschaften, die wir bei unseren heimischen Getreidearten am meisten vermissen und die einzukreuzen die Wissenschaft sich nunmehr zum Ziel ge­ setzt hat. In dem echt deutschen Bestreben, allem Wesen bis aufs letzte auf den Grund zu gehen, wurde daher die „Deutsche Lindukusch-Expedition 1935" ausgerüstet, die sich zur Ausgabe gesetzt hatte, für die deutschen Zuchtstationen diese Arformen des Getreides in Sämereien und Originalpflanzen als An­ zuchtmaterial zu beschaffen. Ihr erstes Ziel war Nuristan („Land des Lichtes"), ein ungewöhnlich unzugängliches und bisher von fast keines Weißen Fuß betretenes Gebiet im südlichen Lindukusch auf afghanischem Staatsgebiet. Fast bis zu 8000 m ragen die Nuristan einschließenden Bergriesen des Limalaya, des Pamir und des Lindukusch in die Lüste, Pässe von 4000 bis 5000 m vermitteln die Äbergänge von einem Tal in das andere. And gerade diese fast unbewohnten, bisher nur von wenigen wage­ mutigen Forschern besuchten Lochtäler waren es, die sich die „Deutsche Lindukusch-Expedition 1935" als Arbeitsgebiet ausgesucht hatte.

Am 28 Mai 1935 brach die Expedition von Kabuls der Hauptstadt Afghanistans, weitgehendst unterstützt von der afghanischen Negierung, auf. Bis weit in den August 1935 hinein erstreckte sich die außergewöhnlich er­ giebige Arbeit in den nuristanischen Hochtälern, während sich der zweite Teil der Forschungstätigkeit auf britisch-indischem Gebiets in Chitral, abspielte, das über den 4400 m hohen Samavag-Paß erreicht wurde. Eine reiche Fülle gesammelten Materials, etwa 40 Zentner, an land­ wirtschaftlichen und Kulturpflanzenformen sowohl bekannter als auch bisher noch unbekannter Arten war das Ergebnis dieser bis Ende Oktober 1935 durchgeführten, in der afghanischen Hauptstadt begonnenen und auch wieder beendeten „Deutschen Himalaya-Expedition 1935", die nicht, wie beispiels­ weise die bekannten Äindukusch- und Himalaya-Erpeditionen, bergsteige­ rischen Hochzielen, sondern ernstester wissenschaftlicher Arbeit gewidmet war, einer Arbeit, deren Auswertung wir in den nächsten Jahren mit größtem Interesse entgegensehen dürfen! Auch die Landwirtschaftliche Wiffenschaftliche Versuchsstation Altuna in Schweden arbeitet in der gleichen Richtung; sie hat bereits sehr erfolg­ reiche Anbauversuche mit besonders kältewiderstandsfähigen Weizensorten gemacht, die der Dozent Äaary Smith aus dem östlichen Tibet heimbrachte. Für Schweden und Norwegen sind diese Versuche von um so weittragenderer Bedeutung, als die Heranzüchtung besonders winterharter Getreidesorten die Hinausschiebung der Getreideanbaufläche erheblich weiter nach Norden und die Vergrößerung um eine stattliche Zahl von Quadratkilometern zur Folge haben wird. Wenn wir nun annehmen, daß unsere heimischen Getreidearten auf dein Wege von den Hochländern Asiens int Laufe der Jahrtausende zu uns ge­ kommen sind, so haben wir uns die weitere Frage zu stellen, wann etwa die europäischen Völker angefangen haben könnten, systematisch Brotgetreide­ anbau zu betreiben und dieses Getreide zunr Zwecke der Verarbeitung zu Brot zu zerkleinern, denn der Getreideanbau ist ja die Vorbedingung dazu. Da uns in erster Linie die Entwicklung der Verhältnisse int alten Gerntanien interessieren, wollen wir uns im folgenden an die Forschungs­ ergebnisse halten, die uns aus unserer engeren Heintat vorliegen. Es ist anzunehmen, daß schon in frühester Arzeit der menschlichen Ent­ wicklung neben deut Essen der wild wachsenden Früchte und der Fleischnahrung aus jagdbarem Getier der Mensch den Wert der Körnernahrung bzw. ihre Verwendbarkeit zur Herstellung eines schrotartigen Produktes erkannt und insbesondere die Weiterverarbeitung zu Brot schätzen gelernt hat. Es kann daher auch heute gar keinent Zweifel mehr unterliegen, daß die Gerntanen schon sehr frühzeitig Ackerbau, und zwar planmäßigen Ackerbau, getrieben haben, und daß sie keineswegs ein Volk von Nichtstuern waren, von deut ein Studentenlied fälschlicherweise behauptet, sie hätten nur auf der Bärenhaut gelegen und intmer noch eins getrunken!

Alle, die dem nordischen Kulturkreis nun einmal keine Löhe der Gm* Wicklung in urgeschichtlicher Zeit zugestehen wollten, glaubten, daß die Ger­ manen noch um die Zeit um Christi Geburt herum, wenn sie überhaupt Landwirtschaft getrieben, höchstens den primitiven Lackbau gekannt hätten, d. h. die Bearbeitung des Bodens mit der Lacke. Die ursprüngliche Bearbeitung des Bodens erfolgte zweifellos im Lackbau und der Körnerertrag dürste bei dieser Art der Bewirtschaftung nicht sehr groß gewesen sein. Als man aber allmählich dazu überging, die Kriegsgefangenen neben der Lausfrau auf dem Acker zu beschäftigen, als man den Astpflug in Benutzung nahm, das wilde Rind zum Laustier erzogen hatte, konnten erheblich größere Ackerflächen unter Kultur genommen und vorher unvorstellbare Getreidemengen geerntet werden. So berichtet Dr. L. Reinhardt-Basel von Ausgrabungen in den Pfahlbaugebieten des Kantons Zürich, daß dort ganze Schubkarren voll verkohlter und daher aufs beste konservierter Getreidekörner des gemeinen Pfahlbauweizens aus etwa 2 m Tiefe aus den: schon längst vertorsten und zu Land gewordenen Seeboden zutage gefördert wurden. Der Steinzeitmensch schnitt die reifen Ähren mit dem Steinmesser, sein Nachfahre, der Mensch der Bronzezeit, mit Bronzesicheln. Das Aus­ dreschen mit langen schlanken Ruten auf gestampftem Lehmboden dürste eine Errungenschaft der Bronzezeitmenschen sein. Als in Schweden aber eine Felszeichnung entdeckt wurde, die einen Pflüger mit Pflug und zwei Zugochsen unter einem Doppeljoch darstellte, und die sich einwandfrei als aus der ältesten Bronzezeit, um mindestens 1500 v. Chr. Geburt, festlegen ließ, mußte man doch erkennen, daß die Pflug­ kultur in Mittel- und Nordeuropa schon anderthalb Jahrtausende vor unserer christlichen Zeitrechnung bestanden hatte. Verschiedentlich waren auch schon in Torfmooren primitive hölzerne Pflüge gefunden worden, aber sie konnten zeitlich nicht bestimmt werden, so daß man leicht geneigt war, sie als verhältnismäßig jung anzusehen. Da gewinnt nun ein niedersächsischer Fund eine ganz besondere Be­ deutung, der 1927 in einem Torfmoor bei Walle, 4 km nordwestlich von Aurich in Oststiesland, einen hölzernen Pflug lieferte und dessen Fundumstände einwandfrei ein sehr hohes Alter nachweisen lassen. Es ist ein Verdienst des Lehrers Ketteler in Georgsfeld, diesen überaus wichtigen Fund erkannt und geborgen zu haben. Torfgräber fanden im Moor, nur wenig über einer Sandschicht, die den Boden bildete, bearbeitetes Lolz, das der Lehrer Ketteler, obwohl es mit dem Spaten mehrmals durch­ stochen war, doch sofort als Teile eines Pflugs erkannte. Es wurde dieser Pflug, der natürlich durch sein langes Lagern im feuchten Moor mit Wasser gesättigt und ganz weich und schwammig ge­ worden war, zunächst in einem Keller untergebracht und so vor einer ihm schädlich gewordenen schnellen Austrocknung bewahrt. In diesem Grhal-

tungszustand hätte ein Fachmann das Stück sehr gut konservieren und für alle Zeiten im alten Zustand erhalten können, wenn nicht durch das Da­ zwischentreten eines Dritten der Pflug auf einen trockenen und warmen Äausboden gebracht worden märe, wo er bald riß und der Länge und Breite nach in viele Stücke zersprang. In letzter Minute konnte er noch gerettet werden, und heute befindet er sich im Landesmuseum in Hannover.

Abb. 1. Der Pflug von Walle, 3500 v. Chr.

Wie schon erwähnt, wurde dieser Pflug in einem Torfmoor gefunden, und zwar lag er in denr sogenannten schwarzen Torf oder, wie ihn die Wissen­ schaft bezeichnet, dem älteren Bleichmoostors. Die vollständige Einbettung in denr älteren Bleichnroostorf zeigt schon, daß der Pflug einem Zeitalter angehören muß, das vor der Bronzezeit, deren Beginn wir etwa mit das Jahr 2000 v. Chr. ansetzen, liegen muß. Um aber das genaue Alter des Pfluges nachzuweisen, mußte man zu der modernsten Forschungsmethode, die der Wissenschaft bei den Mooruntersuchungen zur Verfügung steht, zur Pollenanalyse greifen. Diese beruht auf der Erkenntnis, daß der Waldbestand nach dein Ab­ schmelzen der Gletscher verschiedentlich gewechselt hat. In die immer höher wachsenden Moore wurde durch Winde der Pollenstaub von den umgeben­ den Bäumen getrieben und durch die konservierende Kraft der Moorsäuren erhalten. Aus dem Überwiegen bestimmter Pollen kann man die einzelnen Schichten nach ihrem Alter bestimmen. Auf Grund dieser Pollenanalyse ist einwandfrei festgestellt worden, daß dieser Pflug das ehrwürdige Alter von 5400 Jahren hat, denn er dürste etwa um 3500 v. Ehr. hergestellt worden sein. Wenn um diese Zeit der Acker mit dem Pflug umgebrochen wurde, so muß daraus geschlossen werden, daß das nur zum Zweck der Bearbeitung des Bodens für den Getreidebau geschehen sein kann. Es beweist uns aber auch die Konstruktion des Pfluges, daß man damals schon die Pflege ein­ zelner Nutztiere gekannt haben muß, denn der Pflug zeigt deutlich den

Ansatz einer Gabel, die sich entweder nach vorn verbreiterte, so daß das Zug­ tier eingespannt werden konnte, oder das Gabelstück wurde sonstwie der Bespannung nutzbar gemacht. Im übrigen beweist das soeben Gesagte die früher schon erwähnte schwedische Felszeichnung mit den beiden vorgespannten Ochsen. Interessanterweise hat die „Deutsche Limalaya-Expedition 1935" Bildaufnahmen mitgebracht, die einen alten nuristanischen Bauen: mit einen: Pflug zeigen, der sich in fast nichts von den: 5400 Jahre alten „Pflug von Walle" unterscheidet! In der Zeit, als die schweifenden Nomadenvölker seßhaft wurden, blieb es das Vorrecht des Mannes, den Familientisch mit Wild zu versorgen, während der Frau die häuslichen Arbeiten und die Bebauung des Feldes zufielen. Zu den letzteren täglichen Gepflogenheiten zählte auch das Zer­ reiben der Getreidefrüchte zu Schrot und dessen Verarbeitung zu Brei bzw. zu brotartigen Fladen. Die ersten Anfänge der Mehlbereitung liegen sonnt zweifellos in den Länden der Frau, und so ist es nicht verwunderlich, wenn vielfach bei den germanischen Völkerschaften der Brauch bestand, die Frau mit den: Mühl­ stein zu begraben. Dieser Brei blieb lange Zeit bis ins geschichtliche Zeitalter hinein die Hauptnahrung, später wurde er auf heißen Steinen zu fladenartigen Broten

Abb. 2. Backen auf heißen Steinen. Zerreiben des Getreides.

gebacken, die zunächst freilich kleisterig waren, weil man die auflockernde Wirkung des Sauerteiges und der Lese noch nicht kannte. Im Laufe der Zeit hat sich eine große Anzahl Funde ergeben, her­ rührend aus Äaus- und Brunnenbauten und aus eigens vorgenommenen wissenschaftlichen Ausgrabungen, die uns einen zuverlässigen Begriff von den Backnethoden im alten Germanien vermitteln. Da vorwiegend Weizen, Gerste und Surfe angebaut wird und weil die beiden letzteren Getreidearten sich wohl zur Verstellung von Brei, nicht aber von Brot eignen, beschränkte sich die Brotbereitung zunächst auf das Verbacken zerriebener oder zerstampfter Weizenkörner; erst später kam der Roggenanbau auf. Indes kannten die Germanen nicht mir Brot, sondern auch bereits verschiedene Arten von Lurusgebäcken, z. B. einen Kuchen, der aus Äeidekorn gebacken und mit Äonig gesüßt wurde; andere Kuchen wieder stellte man unter Verwendung von Früchten und Beeren, wieder andere mit Zutaten von Kräutern, wie Kalmus, Kümmel oder Spitzwegerich her. Das Backen der ursprünglich flachen Fladen in der offenen Äerdstatt aus heißen Steinen oder in der Asche war längst vor Beginn der christlichen Zeitrechnung bei den Germanen ungebräuchlich geworden. Inr Laufe der Zeit ist eine verhältnismäßig große Anzahl altgermanischer Backöfen frei­ gelegt worden, die sich noch in verhältnismäßig guten: Zustand vorfanden, so daß :nan ihr Alter aus 500 v. Chr. bestimmen konnte. Sie waren fast immer unterirdisch angelegt, und zwar so, daß ein Mauerwerk aus festen: Gestein in einen: Ausmaß etwa von 1 qm mit einer gewölbten Decke un­ gefähr 1 2 m unter der Erde errichtet war. Die Decke bestand gewöhnlich aus gebrannten: Lehn: und hatte eine Stärke von 20—30 cm, 11::: die Widerstandsfähigkeit der Decke zu erhöhen, wurde diese vor den: Brennen mit Steinen und Topfscherben durchsetzt. Der Boden des Backofens be­ stand genau so wie die Decke aus gebrannten: Lehm, und das Einschiebeloch war 1 m hoch. Äatte man den: Ofen durch Einfeuern mit Tannenreisig und Äolz die erforderliche Äitze gegeben, so schob man das Brot oder den Kuchen vermittelst dünner Eichenbretter in den Ofen ein und buk in der beißen Asche. Allmählich kan: man auch zu der Erfahrung, daß :nan die holzartigen äußeren Schalenteile des Getreidekornes leichter ablösen und damit aus­ scheiden könne, wenn man das Brotgetreide vor den: Verarbeiten stark anfeuchtete und es dann röstete, um es in diesen: Zustand zu zerkleinern. Auf eine rauhe Steinplatte - Granit wurde wegen seiner Äärte be­ vorzugt ---- - wurde das Brotgetreide in kleinen Mengen aufgeschüttet und mit einen: anderen festen Stein, der flach oder rund sein konnte, zerrieben. Durch das ständige Arbeiten der zwei Steine aufeinander ergab sich auf die Dauer eine Vertiefung, eine Mulde, in den: unteren Stein, was das Zer­ kleinern des Getreides zweifellos angenehmer machte und wohl auch zur

y

Folge hatte, daß man dasselbe nicht immer nur Handvollweise, sondern schon in etwas größeren Mengen aufschütten konnte.

Die Verwendung zweier Steine zum Zerkleinern von Brotgetreide ist bei anderen Völkern einwandfrei nachweisbar bis zu den Altbabyloniern etwa um 4000 v. Chr., bei den Assyrern und bei den Ägyptern, bei den letzteren durch eine Tanagraarbeit, die man in der Gräberstätte von Memphis gefunden hat und die zwei kornreibende Sklavinnen darstellt. Das Figürchen stammt nachweis­ bar aus der Zeit der V. PharaonenDynastie, etwa 2600 v. Chr.

Abb. 5. Kornreibende ägyptische Sklavinnen (Skulptur).

Abb. 6. Griechischer Mörser (Vasenbild).

Es ist ohne weiteres vorstellbar, daß ein auf solch primitive Art ge­ wonnenes Mehl mit allerlei Fremdkörpern durchsetzt war, daß es zunächst einmal alle Schalen- und Lülsenteile, dann die durch das Aneinanderreiben zweier Steine abspringenden Steinsplitter, Ankrautsamen, nur unvollständig zerriebene Körner, erdige Bestandteile vom Ausdreschen auf dem Lehm­ boden usw. enthielt. Immerhin bildete sich damals schon für dieses Pro­ dukt die Bezeichnung „melo", aus dem später unser „Mehl" geworden ist. Seine ursprüngliche Bedeutung war die des „Zerriebenen". Zweifellos wurde dieses „Zerriebene" lange Zeit mit Wasser oder Milch vermengt, und gekocht als Brei genossen; wann und durch welche Zufälligkeiten man auf die Möglichkeit des Brotbackens zu Fladen und damit zum Beginn der Brotherstellung kam, dürfte kaum jemals noch aufzuklären sein. Die

Römer allerdings waren schon lange vor Beginn unserer Zeitrechnung mit der Wirkung des Sauerteiges bekannt. Die Reibplatte hat sich bis aus unsere Zeiten nicht nur bei primitiven Völkerschaften erhalten, sondern sie ist vielfach auch noch in Rumänien, in Albanien, in Mittelamerika usw. im Gebrauch. Aus der Reibplatte und der allmählich in ihr entstandenen Mulde hat sich zweifellos der Mörser entwickelt und die bisher reibende Bewegung wird abgelöst durch die stoßende, quetschende, und die im Knien zu ver­ richtende Arbeit an der Reibplatte kann nunmehr am Mörser im Stehen gemacht werden. Der erste bescheidene Schritt in der Weiterentwicklung der Mehlherstellung ist getan. Lier muß kurz auch über die Aufbewahrungsart des Brotgetreides in der damaligen Zeit berichtet werden. In Baden sind bei Ausgrabungen hohe korbartige Tonbehälter frei­ gelegt worden, die einwandfrei als aus der vorrömischen Zeit stammend nachgewiesen werden konnten und in denen das gleiche Prinzip zur An­ wendung kommt wie heute noch bei den Negervölkern Afrikas. Zur Verwendung des porösen Tones kam man offensichtlich aus der Er­ kenntnis heraus, daß man das kostbare Brotgetreide so am sichersten gegen das Muffigwerden glaubte schützen und den: Mäusefraß wehren 51t können. Allmählich fing nran auch an, sich zu überlegen, wie man die dunklen holzartigen Teile des zerstoßenen Getreidekornes aus dem Schrot heraus und so ein besseres Mehl bekommen könne. Man verwendete dazu zunächst getrocknete Felle, die die kleinen Mehlteilchen durchließen und in denen das Gröbere zurückblieb. Später stellte man mancherlei Geflechte aus Pflanzen­ fasern her, und als die Landweberei aufkam, wurden diese primitiven Siebe durch gewebte Stoffe erseht. Aus den: Mörser entwickelte sich dann die Trogmühle, die wir uns so vorzustellen haben, daß der Unterstem gleichmäßig ausgehöhlt, d. h. aus­ gemeißelt war und eine senkrechte Wand und einen geriffelten Boden batte. In diesen Unterstem war ein Drehstein eingelassen, der mittels eines Landgriffes in drehende und damit in reibende Bewegung gesetzt wurde. Zwischen diesen beiden Steinen wurde auf den: geriffelten Boden des Llntersteines das Getreide zu Mehl zerrieben. In der Trog- oder Landmühle haben wir hier eine weitere Entwicklungs­ stufe der Müllerei erreicht, aus der sich aber schon die viel viel spätere Er­ findung der Mahlgänge ausbaut. Diese Art von Landmühlen finden wir heute noch nicht nur in Asien und Afrika sondern sogar auf der doch gewiß hochkultivierten, zu Dänemark gehörigen Insel Fehmarn. In Deutschland kamen sie in der Kriegs- und Nachkriegszeit als Folge der Getreidezwangsbewirtschaftung zum Zwecke

der privaten Schwarzmüllerei vielfach wieder in Gebrauch, seitdem dürften sie bei uns jedoch das Zeitliche gesegnet haben. Aus der Landmühle entwickelte sich die vergrößerte Form der nun­ mehr durch Tiere angetriebenen Mühle. Der Dreh- oder Läuferstein wurde mit einer Deichsel ausgerüstet und im immerwährenden Kreislauf hielt das Tier den Läuferstein in gleichmäßig mahlender Bewegung auf dem Anteroder Bodenstein. Ein Modell im Deutschen Museum zu München zeigt, daß diese Art der Mehlherstellung selbst heute noch nicht ausgestorben, sondern in den wenig kultivierten Gegenden des Orients immer noch gebräuchlich ist. Zu dem Kapitel Tiermühlen verdienen die bei den Ausgrabungen von Pompeji gefundenen Mühlen besondere Erwähnung. Sie fanden sich neben einer Reihe von Backöfen im Kose eines ehemaligen Bäckers und sie haben die Form einer Sanduhr, d. h. ein massiver steinerner Spitzkegel mit rauher Außenseite wird von einem dünnwandigen Doppelhohlkegel umschlossen, der über dem Spitzkegel beweglich ist. Zwischen dem inneren massiven Kegel und dem beweglichen Äohlkegel ist ein geringer Zwischenraum gelassen, in den das zu vermahlende Getreide vom oberen Äohlkegel her hineingeschüttet und dann durch die drehende Bewegung des Äohlkegels auf der rauhen Oberfläche des Massivkegels zer­ kleinert wird.

Abb. 7. Pompejanische Tiermühle.

Abb. 8. Pompejanischer-Mahlgang.

Der Äohlkegel war mit einer Deichsel versehen, die dem Antrieb durch Tiere oder Sklaven diente. Aus der Aufstellung dieser Mühlen im Anwesen eines Bäckers darf wohl mit Recht darauf geschlossen werden, daß die Bäcker im alten Pompeji — die Stadt wurde im Jahre 79 n. Chr. durch einen Ascheausbruch des

Vesuv zusammen mit ihrer Schwesterstadt Lerkulanum vollständig ver­ schüttet und von 1748 ab allmählich wieder ausgegraben — gleichzeitig ihre eigenen Müller waren. Während somit in den römischen Städten und Ortschaften die Mehlherstellung bereits auf festmontierten Mühlen vorgenommen wurde, war im römischen Heerwesen nach wie vor die leicht transportable Landmühle das gebräuchliche Gerät. An Stelle von Tieren wurde zweifel­ los auch unter den römischen Kaisern viel­ fach Menschenkraft für den Antrieb der Mühlen eingesetzt, zumal durch die ständigen Kriegszüge der Römer kein Mangel an Sklaven war. Von Kaner Konstantin dem Großen beispielsweise ist überliefert, daß er im Jahre 319 n. Chr. „Mühlensklaven" von Sardinien nach Rom verbringen ließ. Wenn bis dahin die Lerstellung von Mehl nrehr oder weniger in den Nahmen der Laushaltungsarbeiten fiel, werden erst­ mals unter bem Kaiser Lonorius (384- 423 Abb. 9. Römische Kompanien. Chr.) der Allgenreinheit dienende römische §>andmühle (Rekonstruktion). Mühlen erwähnt. Richt nur die Römer kannten die bisher beschriebene Art der Mehl­ erzeugung, sondern sie fanden bei ihren: Eindringen nach Germanien den ihrigen sehr ähnliche Einrichtungen. Es ist somit nicht richtig, wenn bis vor kurzen: immer noch behauptet wurde, alle Kultur und alle Technik sei den germanischen Völkern erst über die nach Norden vorstoßenden kultivierten Römer gebracht worden. Das Gegenteil beweist die Bibelübersetzung des Bischofs der Westgoten Alfilas (311- 381 n. Ehr.), denn sie enthält bereits die Erwähnung einer Tiermühle. Das nächste Jahrhundert kennt schon Wassermühlen; das fränkische Volksgeseh und der „Sachsenspiegel" erwähnen sie, und damit sind wir bei der Zeit angelangt, von welcher ab das Mühlenwesen bereits untergesetzlichen Schutz gestellt wurde. Wir kennen aus dieser Zeit die Grund­ lagen des Wasserrechtes. Indessen ist anzunehmen, daß längst vor dem Beginn unserer Zeit­ rechnung Wassermühlen im Orient allgenrein inr Gebrauch waren. Wir kennen eine Wassermühlenbeschreibung des römischen Architekten Pollio Marcus Vitruvius, der unter den römischen Cäsaren Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) und Tiberius (14—37 n. Chr.) Kriegsbaunreister war.

Nach anderen Quellen soll Mithridates, König von Pontos (120—62 v. Chr. eine Wassermühle sein eigen genannt haben. Von den Römern wahrscheinlich zuerst nach dem westlichen Deutsch­ land (Rhein und Mosel) gebracht, finden sich Wassermühlen in der Folge­ zeit bald auch irn übrigen germanischen Siedlungsraum. Die Lex Salica von etwa 450 n. Chr. erwähnt sie und 793 n. Chr. kommt das Marienkloster zu Trier im Wege der Schenkung durch den Bischof Theodorich in den Genuß der Wasserrente der heute noch bestehenden Mühle in Ehrang an der Mosel. Trotz des allmählichen Aufkommens der Wassermühlen hielten die Germanen aber doch noch durch Jahrhunderte hindurch an dem Betrieb ihrer schwerfälligen Tiermühlen fest, die schon bei dem rörnischen Geschichts­ schreiber Publius Cornelius Taeitus (54—117 n. Chr.) in seiner „Germama" und „Vita Agricolae" mehrfach erwähnt werden. Die Belagerung Roms durch die Westgoten in den Jahren 537 und 538 n. Chr. unter ihren: König Witiges führte zwangsläufig zur Erfindung der Schiffsmühlen. Witiges unterband den in der Stadt eingeschlossenen Rörnern die von außen her hereingeleiteten 14 Kanäle, durch die auch die Mühlen in der Stadt betrieben wurden. Durch den Wassermangel drohte eine Hungersnot auszubrechen. Felix Dahn schildert das in seinem Buch „Ein Kampf um Rom" wie folgt: „Durch das Abschneiden des Wassers hatten die Goten den Römern auch das Brot abgeschnitten. Wenigstens schien es so. Denn die sämtlichen Wassermühlen Roms versagten nun. Das aufgespeicherte Getreide, das Cethegus aus Sizilien gekauft, das Belisar aus der Amgegend Roms zwangsweise hatte in die Stadt schaffen lassen, trotz des Murrens der Pächter und Colonen, dieses Getreide konnte nicht gemahlen werden. ,Laßt die Mühlen durch Esel oder Rinder treiben!, rief Belisar. ,Die meisten Esel waren klug genug und auch die Rinder, ach Belisarius', sprach Prokop, ,sich nicht mit uns hier einsperren zu lassen. Wir haben nur so viel, als wir brauchen, sie zu schlachten. Sie können unmöglich erst Mühlen drehen und dann noch Fleisch genug haben, das gemahlene Brot selbst zu belegen? ,So rufe mir Martinus. Ich habe gestern an dem Tiber, die Gotenzelte zählend, zugleich einen Gedanken gehabt...’ Als aber am Abend des gleichen Tages Belisar und Martinus durch zusammengelegte Boote im Tiber die erste Schiffsmühle herstellten, welche die Welt kannte, da sprach bewundernd Prokop: ,Das Brot der Schiffsmühle wird länger die Menschen erfreuen, als deine größten Taten. Dies so gemahlene Mehl schmeckt nach ... Ansterblichkeit!' And wirklich ersetzten die von Belisar erdachten und von Martinus ausgeführten Schiffsmühlen den Belagerten während der ganzen Dauer der Einschließung die gelähmten Wassernrühlen.

Ämter der Brücke nämlich, die jetzt Ponte Sisto heißt, auf der Senkung des Janieulus, befestigte Belisar zwei Schiffe mit Seilen und legte Mühlen über deren flaches Deck, so daß die Mühlenräder durch den Fluß, der aus dem Brückenbogen mit verstärkter Gewalt bervorströmte, von selbst ge­ trieben wurden.

Abb. 10. Lchiffsmühle am?iber

Eifrig trachteten alsbald die Belagerer, diese Vorrichtungen, die ihnen Überläufer schilderten, zu zerstören. Balken, Lolzslöße, Bäume warfen sie oberhalb der Brücke von den: von ihnen beherrschten Teil aus in den Fluß und zertrünnnerten so in einer Nacht wirklich alle Mühlen. Aber Belisar ließ sie wieder aufbauen und nun oberhalb der Brücke starke Ketten gerade über den Fluß ziehen und so auffangend, was, die Mühlen bedrohend, Herabtrieb." Zn Deutschland finden sich Schiffsmühlen nachweisbar erst vom Be­ ginn des 13. Jahrhunderts an. Wir konnnen später noch eingehender aus diese Art von Mühlen zu sprechen. Utit die Zeit Karls des Großen (768 814 n. Chr.) herum und unter seinen unmittelbaren Nachfolgern gewinnt die Müllerei inuner mehr an Be­ deutung. Sie ist längst nicht :nehr die Arbeit der Äausfrau oder des Bäckers, sondern sie ist bereits ein selbständiges Gewerbe, das seinen rechtmäßigen Schutz in der Forn: von Bannmühlen, Mahlzwang, Wafferrecht usw. ge­ sunden hat.

So haben wir in Karl beut Großen den ersten wirksamen Förderer des Müllereiwesens zu sehen, denn bei jedem der von ihm errichteten „Königs­ höfe" mußte eine Mühle entstehen; der Müller und der Bäcker -- vielfach in einer Person — gehörten zun: festen Gesindebestand dieser Königshöfe. Bon Karl dem Großen stammen auch die ersten Vorschriften über reinliches Verfahren bei der Müllerei, über die Verwendung alten und neuen Ge­ treides, über Getreidewucher, Brotsorten, Brotpreise usw. Zn seinen zahl­ reichen „Capitularien" wird auf Schritt und Tritt die ständige Sorge um seine Mühlen erkenntlich. überhaupt hat die Erkenntnis von der Ausnutzung der natürlichen Wasserkräfte von dieser Zeit ab die Müllerei verhältnismäßig schnell vor­ wärts gebracht. Oft besteht der Antrieb nunmehr aus einen: flach gelagerten Wasserrad, das mit einer senkrecht gestellten Welle verbunden ist, die ihrer­ seits die Kraft aus den Läuferstein überträgt und ihn so in rotierende Be­ wegung setzt. Eine besonders anschauliche Vorstellung einer derart beschriebenen Mühle vermittelt uns eine Skizze der Äbtissin Äerad von Landsberg aus dem 12. Jahrhundert.

Abb. 11. Turbinen-Mahlgang (Malerei um 1430). Antrieb mit flachgelagertem Wasserrad.

Abb. 12. Tretmühle des Mittelalters.

Diese flach gelagerten Wasserräder kann man wohl als die ersten Anfänge des Turbinenantriebes hier die Feststellung interessieren, daß auch diese heute noch in Rumänien gebräuchlich ist. Das

mit Fug und Recht ansehen, und es mag Art des Antriebes Modell einer solchen

rumänischen Bauernmühle befindet sich ebenfalls im Deutschen Museum zu München. Die Wasserverhältnisse in Deutschland allerdings waren derart be­ triebenen Mühlen nicht sonderlich günstig, weil sie auf starkes Gefälle an­ gewiesen waren, das sich vielleicht in den gebirgigeren Teilen des Landes fand, nicht aber in den vorwiegend flachen oder hügeligen Gegenden. Es kam wohl auch hinzu, daß man der Ausnutzung der Wasserkraft noch zu wenig nahegekommen war, daß man die Wasserräder noch zu wenig durchkonstruiert hatte und daß auf diese Weise viel Kraft unnütz verloren ging. Der Vollständigkeit halber sei hier noch eine Abart des Mühlen­ antriebs erwähnt: die Tretmühle. Ihr Antrieb bestand entweder aus einer schräg gelagerten Scheibe mit aufgenagelten Tretleisten oder aus einem senkrecht gestellten Rad mit Trittspeichen. Die erstere konnte durch Menschen- oder durch Tierkraft in Bewegung gesetzt werden, indem die Scheibe durch ständiges Belaufen von einer Leiste auf die andere in Bewegung gesetzt wurde, die letztere nur durch Menschenkrast, d. h. durch ein immer­ währendes Arbeiten mit Äänden und Fü­ ßen von einer Speiche auf die andere. Von einer der­ artigen Tretmühle, die ausschließlich durch Menschenkraft betrie­ ben wurde, besitzt das Deutsche Museunr in München ein sehr an­ schauliches Modell. Bis in die Früh­ zeit der Müllerei geht das Mahlen aufWindmühlen zurück. Wenn inan viel­ fach der Meinung war, Kreuzfahrer hätten die Kenntnis von der Aus­ nutzung des Windes für den Antrieb von Abb. 13. Bockwindmühle.

2lbb. 14. Holländer Windmühle.

Mühlen aus dem fernen Orient mit nach Europa gebracht, so muß dem entgegengehalten werden, daß der erste Kreuzzug unter Gottfried von Bouillon in die Jahre 1096 99 fällt, daß aber schon mit 870 n. Chr. die Abtei Croyland in England eine Windmühle besaß. Im Jahre 1105 erhielt ein französisches Kloster den Bau einer Windmühle genehmigt. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wird in Speyerer Arkunden eine stadteigene Bock-Windmühle erwähnt. Im Bau der Windmühlen unterscheidet man hauptsächlich die Bockwindmühle und die Holländer-Windmühle. Die in Deutschland meist gebräuchliche Fornr war itnd ist noch heute die Bock-Windmühle, so genannt nach dem Sockel, dem „Bock", auf dem der als Ganzes drehbare hölzerne Aufbau mit den Flügeln aufmontiert ist. Die Holländer-Windmühle dagegen hat eine gemauerte Turmform, auf der eine Holzhaube aufsitzt, die ihrerseits mit den Flügeln drehbar ist. Ein Prachtstück einer holländischen Windmühle besitzt das Deutsche Museum in München. Auf der rückwärtigen Gartenseite - isaraufwärts steht eine im Jahre 1848 erbaute und bis 1917 in Zingst a. O. in Betrieb gewesene Windmühle, die dem Deutschen Museum von einer bekannten rheinischen Großmühle zum Geschenk gemacht worden ist.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die verschiedenen Windmühlen­ modelle aufmerksam gemacht, die sich im Deutschen Museum befinden, und unter denen wieder das besonders schön ausgeführte Modell der bekannten Mühle von Sanssouci hervorgehoben zu werden verdient. Als Originalität sei unter diesen Modellen auch auf eins verwiesen, das auf einem starken gemauerten Quaderbau ein flachgelagertes Schaufelrad als Windfänger zeigt, eine Konstruktion, die wohl nur sehr vereinzelt in der Praxis Ver­ wendung gefunden haben dürste. Wie kaum ein anderes hat das Windmühlenmotiv von jeher die Maler und Radierer entweder als eigentlicher Vorwurf oder aber als dekorative Beigabe zur Landschaft angeregt. Daß in erster Linie die niederländischen und die niederrheinischen Maler den Windmühlen ihre besondere Liebe zuwendeten, dürfte deshalb verständlich sein, weil ihnen das Motiv auf Schritt und Tritt begegnete. Als besonders schöne Wiedergaben von Wind­ mühlen seien hier erwähnt die Niederländer: Rembrandt: „Die Mühle", im Besitz der Stadt Philadelphia; Jacob van Ruisdael: „Landschaft mit Mühle", im Kaiser-FriedrichMuseum zu Berlin; Jacob van Ruisdael: „Windmühle mit Fluß", int Reichsmuseum zu Amsterdam; Aert van der Neer: „Mondscheinlandschaft", int Kaiser-FriedrichMuseum zu Berlin; der Münchener: Eduard Schleich: „Abendstimmung an der Isar", mit einer Windtnühle auf hohem Flußufer und einer „Abendlandschaft", in der eine Windmühle als Silhouette steht. Von Georges Michel enthält eine Elberfelder Privatsammlung eine sehr schöne „Landschaft mit Mühlen", und schließlich sei auch noch der Eng­ länder John Crome erwähnt, von dem ein besonders schönes Stück: „Wind­ mühle auf Monschold Äeath" in der Londoner National Gallery hängt. Den selbstzufriedenen Müllertyp zu all diesen Mühlen malte Johann August Krafft in seinem „Bildnis des Müllers Jakob Wilder", das die Hamburger Kunsthalle besitzt. Daß auch die Sage mit besonderer Vorliebe die Mühlen zum Hinter­ grund ihres Geschehens ntachte, ist genügend bekannt. Anzählig fast sind die Geschichten, die sich im Guten und int Bösen mit die Mühlen ranken und die in liebevoller Arbeit von Erich Handrick in einem Band mit „Müllersagen" (Verlag Deutscher Müller) zusammen­ gefaßt wurden. Unendlich Vieles wäre noch über die Anregungen zu sagen, die unseren großen Dichtern und Komponisten durch die Romantik der Mühlen gegeben wurden, wenn nicht der für diese Abhandlung zur Verfügung stehende Raum zur Einschränkung auf das Notwendigste zwingen würde. Sei es nun

Goethe,Eichenborf,Bren-tano ober Schubert ober Schumann - ihnen allen war bie Mühle am reut-schenben Bach ein stim­ mungsvolles Bilb, bas bann in ihren Gebichten ttnb Kompositionen seinen Nieberschlag unb über bas Lieb ben Weg zum Volke fanb. Es sann wohl nicht Zufall sein, wenn gerabe bie schönsten unb gefühl­ vollsten Volkslieber von ben Mühlen, ben schönen Müllerinnen unb bett jungen unb alten Müllen: singen; es muß boch wohl auch ber zutiefst im Äerzen bes Volkes vor-hanbene Sinn unb Lang ■?1Ö0. 15. Bildnis des Müllers Jakob Wilder von Job. -August trafst (.Hamburger Nuustl).) zur Zvomantik sich gerabe zu bett Mühlen unb ihren Menschen hingezogen fühlen, betttt sonst könnte es kauttt möglich fein, baß neben bett allgemein bekannten Liebern wie: Zn enteilt kühlen Grunbe bet geht ein Mühlenrab Das Wanbern ist bes Müllers Luft Es klappert bie Mühle am rauschenben Bach Es wohnt ein Müller an einem Teich, lauf Müller, lauf Es wohnte eilte Müllerin zu Schaffhausen in ber Stabt bett Müllerliebern, bie von bes Müller-gesellen Liebe, Lust unb Leib singen, unb bie von Zü-anz Schubert so herrlich sanglich vertont würben, noch eine Menge einfacher in Wort unb Ton aus beut Volksempsinben entstanbener Lieber vorhanben sinb, bie immer wieber bie Mühlen unb bie Müllers­ leute besingen. Aus ber Welt ber Märchen finbett sich in ber bekannten Sammlung ber Gebrüber Grimm eine ganze Anzahl, bie sich mit bett Müllern unb ihren Töchtern beschäftigen. Das „Märchen vom Zaunkönig" beginnt - um nur eines herauszu­ greifen —- nicht gerabe schmeichelhaft in ber Charakterisierung bes Müllers mit bett Worten:

„In alten Zeiten da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung. Fing das Räderwerk der Mühle zu klappern an, so sprach es /Help Äerr Gott, Help Äerr Gott, und war der Müller ein Betrüger und ließ die Mühle an, so sprach sie hochdeutsch und fragte erst langsam ,wer ist da? wer ist da?', dann antwortete sie schnell ,der Müller! der Müller!' und endlich ganz geschwind ,stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vorn Achtel drei Sechter!'" Die schönsten Sagen aber sind doch wohl die vom schlesischen „Müller Crispin", der in den 12 Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönigstag ben Werwolf aus der Waldmühle treibt, der in der Klostermühle in der Walpurgisnacht ein seltsames Erlebnis mit der schönen Müllertochter EvaMaria hat, der mit dem Absonderlichen, so sich Müller Pumphut nennt, auf Wanderschaft geht um die seltsamsten Abenteuer in allerlei geheimnis­ umwitterten Mühlen zu erleben und schließlich die blonde Wicke auf der Mühle zu Gubline heiratet, mit der er heute noch in Glück und Eintracht lebt, wenn er nicht längst gestorben ist. And schließlich läßt Wilhelm Busch, der Altmeister deutschen Äumors, seine beiden bösen Buben ihr wohlverdientes Ende in einer Mühle finden: Max und Moritz wird es schwüle. Denn nun geht es nach der Mühle. „Meister Müller, he, heran! Mahl er das, so schnell er kann!" „Ler damit!!" und in den Trichter Schüttelt er die Bösewichter. Rickeracke, rickeracke. Geht die Mühle mit Geknacke. Äier kann man sie noch erblicke!: Fein geschroten und in Stücken. Doch sogleich verzehret sie Meister Müllers Federvieh. Auf der Bühne sehen wir den Müller nur in ganz weniger: Fällen. D'Albert's Oper „Tiefland", mit dem das böse Prinzip vertretenden Müller Sebastiane gehört allerdings zu den Standardstücken aller Opern-bühnen und das Volksstück von Karl Raupach „Der Müller und sein Kind" kann den Ruhn: für sich in Anspruch nehmen, durch Jahrzehnte hindurch am Allerheiligentage in sämtlichen Wiener Theatern und häufig auch an: Münchener Volkstheater gespielt worden zu sein. Aus der Zellerschen Operette „Der Obersteiger" ist das Lied „Wo sie war die Müllerin zog es auch den Fischer hin" zur Weltberühnttheit gekommen. Das alte Zunftwesen mit seinen: vielfach repräsentativen Charakter brachte es mit sich, daß sich die Zünfte Abzeichen schufen, in denen entweder

20

das in der betr. Zunft vorwiegend benutzte Werkzeug oder auch das in der Hauptsache hergestellte Landwerksstück zur Darstellung gelangte. So entstanden die Zunftwappen, und diese wieder wurden die Vorlage für die Zunftsiegel, die Zunftfahnen, die malerische Ausschmückung der Zunfthäuser, der Verzierungen der Zunftladen usw. Am sinnfälligsten kommt wohl die Verwendung der Zunftzeichen bei festlichen Gelegenheiten in der großen Festwiesenszene der „Meistersinger von Nürnberg" zum Ausdrucks in der die Repräsentanten der verschiedenen Zünfte mit der Zunftstandarte auftreten. Die der Schuhmacher zeigt den Schuh, die der Bäcker die Brezel, die der Schneider die Schere usw. Die im Mittelalter schon stark in Nürnberg vertretene Zunft der Müller ist von Richard Wagner leider vollständig übersehen worden. Die Zunstzeichen mußten entweder von der Stadtobrigkeit oder dem Landesherrn genehmigt sein. So erteilte beispielsweise Erzherzog Ferdinand Carl von ÖsterreichTyrol durch Erlaß vom 3. Februar 1649 den Meistern des Mühlenhand­ werkes zu Lall und Thaur die Erlaubnis, folgende Wappen führen zu dürfen: „vernamentlich mit einen: quattierten schildt, in der obern theil zur rechten handt und linken undern ein Mühlrad!; zur linggen obern und rechten undern aber ein Texl(?) neben dem schildt zur rechten Anser liebe Frau mit dem Khind auf dem recht Armb und in der linggen handt den Scepter, darneben auf der andern seiten des handtwerkhß Patron St. Corbinianus mit dem Bischofsstab in der rechten und einen: Buech in der linggen handt und bei seinen Füßen ein Beer erscheint." Der gleiche Erzherzog Ferdinand Carl von österreich-Tyrol verlieh durch Erlaß vom 28. 3. 1659 (Innsbruck) den Müllern und Becken des Gerichtes Altenburg die Genehmigung zur Führung des nachfolgend be­ schriebenen Wappens: „Ein eignes Wappenzeichen und Sigil nemblich auf der rechten Seiten die gebenedeite Jungfrau Maria mit einer khöniglichen Cron aus den: Laubt, in der rechten Land einen Scepter, auf den: rechten Armb aber Ir allerliebstes Christkindl haltend und in ein Plaw (blau) oder Lasurfarben schildt ein weiß oder silberfarb Mihlrad und darob das mittheil aines Mihlsteins, linker Seite aber St. Belassy mit der bischöfflich Inful aufm Laubt, in der rechten eine prinende (brennende) Kherzen, lingger handt aber ein Bisch offstab haltend, und in weißen oder silberfarben schildt einen Zopf Proth (Brot) und Prözen (Bre­ zen) ..." Am 1530 zeigt das Nürnberger Müllerwappen einen Mühlstein und eine Spitzhaue. Die Zunft der Müller und Becken zu Wettenhausen in: bayerischen Schwaben führte in ihren: Siegel mit der Amschrift

„Sigillum D. Äantwerker. D. Löbl. Herrschaft Wettenbausen" ein Mühlrad über einer Brezel, rechts davon ein Mühleisen, links eine sogenannte Schichtsemmel. Das Siegel des Müllerhandwerks in Perchtoldsdorf bei Wien mit der Jahreszahl 1813 zeigt einen von 2 Löwen gehaltenen mit der Laubkrone bedeckten Schild, darinnen ein Mühlrad überhöht von einen: querliegenden Mühleisen, in der oberen Ecke rechts einen geöffneten Airkel, links ein Winkelmaß. Auch in zahlreichen Adels- und bürgerlichen Wappen finden sich die Symbole der Müllerei. So führen die Grafen Bremer in einen: silbergrundigen Schild links oben und rechts unten zwei halbe Mühlräder. Das Wappen wurde mit Erlaß vom 6. August 1830 von: König von Hannover verliehen. Das Wappen der Grafen von Mettich enthält in: viergeteilten Schild rechts oben und links unten einen aufrecht stehenden silbernen Mühlstein auf roten: Grund. Eines der klarsten müllerischenAdelswappen ist zweifellos das der in Österreich, Angarn und der Schweiz beheinmteten Grafen von Mülinen, das auf silbernen: Grund ein rotes Mühlrad ohne irgendwelche sonstigen Beigaben enthält. Das Wappendiplon: datiert von: 14. Juni 1816. Außerdem finden sich die Müllersymbole des öfteren in den Wappen von Städten, in denen schon in: frühen Mittel­ alter die Mühlen eine besondere OvoUc spielten. So zeigte beispiels­ weise das Wappen der Stadt Mülhausen in: El­ saß (nach den: Dictionaire historique Strasbourg 1865) ein rotes Mühlrad auf silbernen: Grund, während Äeffner, einMit--

arbeitet: an Siebmachers Wappenbuch, der Stadt ein silbernes Mühlrad auf rotem Grund zuspricht. Mühlheim im württenrbergischen Oberamt Tuttlingen hatte bereits int Jahre 1268 ein vierspeichiges schwarzes Mühlrad int silbernen Feld int Wappen. Auch Mühldorf am Inn führt schon auf älteren Darstellungen sein rotes Mühlrad int weißen Feld. Mühlhausen in Thüringen, das offenbar int Lause der Jahrhunderte verschiedentlich sein Wappen geändert hat, zeigt in dem ältesten Siegelstempel den thronenden Kaiser aus der Burg und zu Seiten der Burg je ein Mühleisen. Der Stempel befindet sich im städt. Archiv zu Mühlhausen. Auch zahlreiche Siegel und Münzgepräge (Taler) der späteren Seit zeigen das gleiche Wappenmotiv, einige auch nur das Mühleisen. An das älteste Siegel lehnt sich die Stadtwappenplastik ant Frauentor in Mühlhausen an. Das im Jahre 712 gegründete Aantetn an der Weser kam durch Schen­ kung int 8. Jahrhundert an das Stift Fulda und 1260 an das Äaus Braunschweig-Lüneburg. Sunt Unterschieb von anderen Siedelungen gleichen Namens wurde es wegen der an der Äamel, einem Nebenfluß der Weser, gelegenen Mühle „Quern-Äameln" (von dem gotischen quairn — Mühl­ stein) genannt. Eine ilrfunbe von 1350 erwähnt als Wappen einen Mühlstein mit Mühleisen. Aus betn ältesten bekannten Stempel erscheint die runde Siegelfläche als Mühlstein. Aus einem int Jahre 1757 gestochenen Stempel ist ein ganzes Mühlenrad mit Mühleisen dargestellt, das in einem von 2 Löwen gehaltenen Schilde steht. Äeute führt die Rattenfängerstadt auf rotem Grund einen silbernen Mühlstein mit ausgelegtem Mühleisen, überragt von einem Äelm, der seinerseits wieder von einem dreigiebeligen burg­ artigen Gebäude gekrönt ist. Das alles sind nur wenige Beispiele aus der Anmenge von Material, das über die Susammenhänge zwischen Müllerei und Wappensymbolik vorhanden ist; sie geben aber einen weiteren Beweis dafür, wie bedeutungs­ voll und wie einflußreich das uralte Gewerbe der Müllerei schon im frühen Mittelalter auch auf diesem Gebiete gewesen ist und es wird kaum ein anderes Gewerbe geben, das sich rühmen kann, seine Landwerkssymbole so oft wie die Müllerei für Wappen und Siegel zur Verfügung gestellt zu haben! Oder man denke an die Verbindung der Mühlen mit der deutschen Ortsnamengebung: Mühlacker, Mühlegg, Mühlheim, Mühlhausen, Mühl­ feld, Mühlberg, Mühlburg, Mühlhofen, Mühldorf, Mühlholz, Mühl­ leiten und viele andere mehr. Oder an die Beziehungen zwischen Familiennamen und Mühle: Müller, Müllner, Mühlbauer, Mühlbeck, Mühllechner, Mühleisen, Mühlmeister, Mühlfenzel, Mühlpointner usw., alles Namen, die auf den unmittelbaren Susammenhang zwischen Person und Gewerbe hinweisen.

In schwerster Nachkriegsnotzeit, ^k Ausgabe von Geldscheinen der einzelnen Städte an der Tagesordnung war, ließ die Stadt Berlin das Andenken an die 100 Jahre früher auf dem Mühlenberg vor den: Prenzlauer Tor gestandenen Mühlen dadurch wieder aufleben, und gab den: Zusannnenhang zwischen Müllerei und Brotversorgung des Volkes dadurch sichtbaren Ausdruck, daß sie eine Ansicht des ehemaligen Mühlen-berges als Motiv für einen ihrer Inflationsgeldscheine wählte.

\?lbb. 1/. Die historische Mühle von Sanssouci.

Frankreich ehrte seinen großen Dichter und Schriftsteller Alphonse Daudet 1936 durch die Wiedergabe seiner Windmühle in Fontvieille - die ihm den Stoff für seine „Briefe aus einer Mühle" geliefert hatte - aus einer sehr schön ausgeführten Briefmarke mt Werte von Frs. 2. . Die

Marke ist nach einem Stich von I. Piel in blauvioletter Farbe er­ schienen. Wie die Mühle auch in den Dienst des deutschen Winterhilsswerkes gestellt werden sann, beweist das Beispiel der NSDAP. Bremen, die am Äerdentor das Modell einer Mühle mit der nachfolgenden Auffor­ derung aufgestellt hat: „Ick bin de Möhl, — ick spör de Not. Ick sorg vor Mehl - ick sorg vor Brot. Mi dreiht keen Storm, mi dreiht keen Wind, een Groschen bloot — von Mann, Fro und Kind. Ick dreih mi geern und du muß denken: De gröttste Freide liggt itVrt Schenken. De Not is groot — de Winter lang, de Winterhülpe seggt di Dank! Wat? — Du wullt so voröbergahn? Minsch, schäm di wat! Magst dat woll dohn?" Nicht vergessen werden darf die historische Bedeutung, zu der so manche Windmühle gekommen ist. Es sei hier nur erinnert an die Windmühle beim Park von Sanssouci, wegen deren störenden Geklappers der große Preußenkönig mit den: dickschädligen Müller prozessierte, sich schließlich aber doch geschlagen geben nmßte; oder an die historische Windmühle bei Tauroggen, in der ^ork von Wartenburg gegen den Willen seines entschlußunfähigen Königs den bekannten „Vertrag von Tauroggen" mit den Russen abschloß, der zur Einleitung der Befreiungskriege führte; oder an die Windmühle bei Möckern, die in der Schlacht bei Leipzig den gegen Napoleon verbündeten Monarchen als „Feldherrnhügel" diente. Auch bei einer der größten Naturkatastrophen der letzten Jahrhunderte wird der Windmühlen Erwähnung getan, wenn uns berichtet wird: „Gegen Ende des Jahres 1634 wurde infolge von Sturm und Spring­ flut der die nordische Stadt Nungholt schützende Damm unterspült. Durch die entstehenden Lücken brachen die Wassermassen brausend in das unge­ schützte tiefer liegende Land ein und vernichteten in einer einzigen Nacht über 6000 Menschenleben, bei 50000 Stück Vieh, über 1300 Wohnstätten und 28 Windmühlen. Ein blühender Landstrich mitsamt der Stadt Rungbolt ist damals für immer in den Fluten verschwunden." Wenn in den Vorkriegsjahren und unter der verflossenen Systemwirtschaft ein ganz gewaltiges Absterben der Windmühlen festzustellen war, wenn beispielsweise um das Jahr 1900 noch etwa 11400 und bei Kriegs­ ausbruch noch etwa 4700 Windmühlen in Deutschland vorhanden waren, so hat es heute doch wieder den Anschein, als wenn der derzeitige Bestand sich weiterhin erhalten lassen könnte und als wenn die vielfach aufgekommenen Befürchtungen, die letzten Windmühlen in Deutschland unter Denkmals­ schutz stellen zu nrüssen, behoben seien. Allerdings muß immer wieder be­ rücksichtigt werden, daß die meistens noch festzustellende Unvollkommenheit

der technischen Einrichtungen die Windnrühlen gegen die neuzeitlich einge­ richteten Mittel- und Großmühlen nicht aufkommen läßt. Nach dieser Abschweifung führen wir unsere Leser wieder zurück zum mittel­ alterlichen Stand der Müllerei. Das Mittelalter kennt im allgemeinen als Be­ sitzer von Mühlen nur weltliche oder geistliche Grundherren, Erzbistümer, Bis­ tümer und Klöster, von denen der Müller die Mühle in Pacht hatte. Das Zwangs­ mühlenwesen, d. h. die Verpflichtung jedes Bauern, auf einer bestimmten Mühle mahlen lassen zu müssen, sicherte gleicherweise den: Besitzer der Mühle und dem Pächter laufende Beschäftigung und damit laufende Einnahmen, die uneinheit­ lich in der sogenannten Metze (auch Mihe), d. h. Vergütung in Naturallohn, oder auch in einen: Barlohn bestehen konnten. Bei Schwankungen des Naturallohnsatzes -Abb. 18. Oberschlächtige Wassermühle zwischen 5 12,5 vÄ.kann der letztere Satz (nach Ltrada a?Wßberg 1617) als der meist übliche festgestellt werden und es erscheint nicht uninteressant, daß sich die heutigen Mahllohnsätze in der Lohn- und Kundenmüllerei etwa auf der gleichen Äöhe bewegen. Von Friedrich Barbarossa wurde 1158 das sogenannte „Mühlen­ regal" erlassen, das u. a. die willkürliche Errichtung von Mühlen verbot und dieses Recht allein den Grundherren vorbehielt. Als die darauffolgenden ältesten Mühlenordnungen werden die Frei­ burger von 1347 und die Konstanzer von 1436 angesprochen. In diesen Zeitläuften ist keinerlei technischer Fortschritt in der Müllerei festzustellen; „es klappert die Mühle am rauschenden Bach", aber alle kulturellen Errungenschaften des Mittelalters und der Renaissance gehen nahezu spurlos ernt Mühlengewerbe vorüber; selbst einen Leonardo da Vinci, der sich aus nahezu allen technischen Gebieten mit Erfolg versucht hat, konnte anscheinend das Problem der Müllerei nicht reizen. Besseres zu schaffen. Über den Betrieb von Schiffsmühlen an deutschen Flüssen liegt be­ sonders zahlreiches Material von der Elbe vor, aber es spricht nichts da­ gegen, daß nicht auch die anderen Ströme stark mit Schiffsmühlen besetzt waren. Verläßliche Nachrichten flnden sich erst vom Beginn des 13. Jahr­ hunderts ab in einer Reihe von Erlassen der sächsischen weltlichen und geistlichen Grundherren, von denen der des Churfürsten von Sachsen von: Jahre 1564 an den Sigmund von Pflugk zu Kunitz wegen seines scharfen Befehlstones hier im Wortlaut wiedergegeben sei:

„OBSTR haben die anlagen von schieffmülen off der elbe ohne unsere Erlaubnis verbotten. Du hast deine schieffmüle aber nicht abgeschafft, sondern wieder ausgerücket. Weill dir off der elbe keine Gerechtigkeit zuständig ist, sondern die elbe ANS mit aller Gerechtig­ keit und Herrlichkeit gehörig ist, darfst du bei Verlust deiner müle nicht damit malen, wenn du keinen Zins bezahlest dafür."

Abb. 19. Lchiffsrnühle um 1/0«.

1567 finden wir eine Schiffsmühle in Torgau, die von Ambrosius Francke betrieben wird, 1575 die des Martin Naumann in Lommatsch, 1578 die des Michel Gitzeldt unterm Scharffenberge am Äorn bei Meißen, 1622 die des Abraham Baltzer zu Kleinpronmitz, 1665 die der Witwe eines Äerrn v. Köckeritz in Promnitz. Äeute steht die letzte soweit fest­ stellbar — dieser Schiffsmühlen, die Jahrhunderte alte Bergschiffmühle bei Düben a. d. Mulde unter Naturschutz. 3m 16. Jahrhundert galt das Müllergewerbe keineswegs als be­ sonders ehrbar. Die Schuld daran trugen die unzuverlässigen unter den Müllern, deren wesentliche Verfehlungen in den nachfolgenden Churfürstlich Sächsischen Feststellungen niedergelegt sind: ... Derer Verbrechen so die Müller bey ihrem Ambte begehen können, sind so viele und nach Maßgebung der Gesetze eines jeden Landes-Äerrn so unterschiedlich, daß sie kaum alle zu erzehlen sind. Wir wollen uns also hier an einigen, deren in unsern Sächsischen-Rechten gedacht wird, begnügen lassen. Es verbrechen nach diesem die Müller 1. wenn sie aus Begierde Gewinst zu haben, die schuldige Ordnung in Mahlung des Getreydes nicht in acht nehmen, a) denn das Getreyde muß in der Ordnung, wie es gebracht worden, auch gemahlen werden, b) II. Wenn sie die Mahl-Maschine nicht recht, und nach der vor­ geschriebenen Maaß zubereitete, oder sonst etwas falsches bey Er­ bauung der Mühle begehen, c) III. Wenn sie die, so mahlen lassen, auf einige Weise bevortheilen. IV. Wenn sie nicht genau Acht haben, daß ihre Mühl-Knappen ihrer Pflicht und Schuldigkeit nachleben.

V. Wenn sie sich an dem gesetzten Mahl-Lohne nicht begnügen lassen. VI. Wenn sie die Mühl-Maschine, auf geführte Klage der Mahl-Gäste, nicht verbessern. VII. Wenn sie die Bevortheilung des Äerrns von denen Mühl-Gästen sich das Getreyde nach großen Maaße zu messen, den Lohn aber nach kleinen bezahlen lassen. VIII. Wenn sie ohne die geringste Nothwendigkeit denen benachbarten Mühlen zum Schaden das Wasser stopffen. IX. Wenn sie denen andern Mühlen die MahlGäste abspänstig machen. X. Wenn sie sich des von der Obrigkeit gestempelten Scheffels in Messung des Getreydes nicht bedienen. XI. And wenn sie ohne tringende Noth an Fest-Tagen mahlen... ... Die Straffen, womit die Müller wegen dieser, und gleicher Ver­ brechen pflegen beleget zu werden, dependiten von des Richters Er­ messen, und bestehen meistentheils in Geld-Bußen, Antersagung des Landwercks und dergleichen x r, doch sind sie bißweilen auch härter, dergestalt, daß nach der Größe derer begangenen Mißhandlungen auch wohl Landes-Verweisung und Staupen-Schläge Platz finden können. Ja es können gar die Müller mit dem Strang bestrafft werden, wenn der Werth des Getreydes, um welches sie die Mahl-Gäste oder beit Äerrn betrogen haben, die in der Churfürst!. Sächßl. XVI Const. Part. I V. gesetzte Summe übersteiget: denn dieses Gesetz wird nicht unbillig auf alle, welche ihrem Antte treuloß vorstehen erstrecket... Vielfach wurde der Müller sogar mitsamt seiner Familie ausdrücklich als „unehrlich" erklärt und damit gingen ihnr — auch wenn er sich nicht das geringste zuschulden kommen ließ — alle diejenigen Rechte verloren, die den Angehörigen anderer Äandwerke ohne weiteres zustanden. Mit denr Müller teilten noch etliche andere Berufe das Schicksal des „Anehrlichen": fahrende Künstler, Gaukler, Musiker, Barbiere und — -- der Äenker. Gegen diese Herabsetzung lehnten sich die rechtschaffenen Müller natürlich auf; der Erfolg hing in jedem Fall von der persönlichen Einstellung des betr. Landesherrn oder Grundherrn ab und nicht alle stellten den Müttern derartige Rechtfertigungsschreiben aus wie das nachfolgende: ... daß die Condition derer Müller ehrlich sey, und daß sie aller­ dings mit keinen macula behafftet, bedarff heutigen Tages mit so viel weniger Zweiffel, da es deutlich in denen Reichs-Gesetzen ausgemacht, nach welchen die Gewohnheit, vermöge welcher sie und ihre Kinder als nicht vollkommen ehrlich von der Genteinschafft honetter Leute, pflegten ausgeschlossen zu werden, als irrationabel, gemißbilliget und verworffen worden, (a) Es flüßet also hieraus, daß die Müller, wenn sie sonst nicht in dent Russe eines üblen Lebens und Wandels, oder in Anehren erzeuget sind, weder von Äandwercks-Zünften, noch aus Kauffmanns oder andern ehrlichen Collegiis mit Recht können aus­ geschlossen, viel weniger aber ihren Kindern oder denen, welche ihre Töchter heyraten, in solche zu treten, könne abgeschlagen werden.

(b) Wenn also die Äandwerker, ober andere sie in ihre Gesellschafft anzunehmen sich verweigern, können sie mit leichter Mühe von born Fürsten, oder auch nur von der Anter-Obrigkeit erhalten, daß die Wiederspänstigen zu Beobachtung ihrer Schuldigkeit und der öffent­ lichen Gesetzes angehalten werden, ja sie sind gar wieder dieselben eine Znjurien-Klage anzustellen berechtigt... Nun waren natürlich die Mül­ ler zur damaligen Zeit genau so mit allen menschlichen Schwächen behaf­ tet wie alle anderenZeitgenossen auch. Es gab also in der ehrsamen Müllerzunft auch solche, welche sich der Volksgemein­ schaft und den Ge­ sehen nicht anzu­ passen vermochten. Sie übervorteilten den Kunden oder verübten in ihren: Beruf sonstige Berbrechen. Darunter waren auch an sich vielleicht harmlosere Übertretungen oder Amgehungen der bestehenden Gesetze. Zn den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts war James Watt, der geniale Erfinder der Dampfmaschine, dazu übergegangen, seine ursprüng­ lich als Pumpmaschine für Bergwerke konstruierte Dampfmaschine durch Einführung der Drehbewegung als Antriebsmaschine auch der Industrie dienlich zu machen und damit auf allen Gebieten eine entscheidende technische Amwälzung einzuleiten. 1784 wurde die erste Maschine für die Albiongetreide­ mühlen in London gebaut, 1786 dortselbst die erste Dampfmühle in Be­ trieb gesetzt. Einen weitere:: Fortschritt brachte die Anwendung der Schnecke und des Elevators, die durch den An:erikaner Oliver Ewans der Müllerei dienstbar genmcht wurden. Für die Bewegung des Mahlgutes und der Fertigfabrikate in der Mühle ist damit die Menschenhand nebensächlich ge­ worden, die Bewegung wird nunmehr nmschinell vorgenommen. 1785 läuft in Amerika bereits die erste vollkommen automatisch be­ triebene „Großmühle", und zwar im Gegensatz zu den bisher üblich ge-

wesenen ebenerdigen, in :nehrstöckigen Gebäuden; der Anfang zur „Mehlfabrik" ist gemacht! Von den damaligen amerikanischen Müllern ftmnmt auch die Er­ kenntnis, daß es zweckmäßig sein müßte, die äußere Schale vor den: Ver­ bringen des Mahlgutes auf die Mahlmaschinen vom Getreidekorn loszu­ lösen und sie nicht erst aus den: Schrot herauszuholen. Neben Schäl- und Bürstmaschinen arbeiten die Amerikaner auch mit Neinigungsmaschinen, sie verwenden bereits Aspirateure und gelochte Bleche, sie müssen indessen auch allerhand unvorhergesehene Nebenerscheinungen zu überwinden ver­ suchen, zun: Beispiel die durch die maschinelle Bearbeitung des Mahlgutes in den Maschinen entstehende Luftfeuchtigkeit und die bannt zusammen­ hängende Verschmierung der Siebe und derartiges mehr. 3m Anfang des vergangenen Jahrhunderts ging in Deutschland die Müllerei etwa so vor sich, daß man das Mahlgut unter Zuhilfenahme von Sieben oder eines primitiven Gebläses von Staub und Schmutz reinigte und dann wusch. Das wieder getrocknete Getreide gelangte durch den Trichter auf den Mahlgang, der zu dieser Zeit immer noch aus den: fest­ stehenden Bodenstein und den: über demselben liegenden beweglichen Läuferstein bestand. Das Schärfen der Steine stellte eine besondere Kunst dar, denn die Schärfung nmßte nach bestinunten Regeln und so vorgenommen werden, daß das Mahlgut weder zu stark noch zu schwach angefaßt wurde. Den Ruf, die besten Mühlsteine zu liefern, hatten die französischen Stein­ brüche von la Ferto sous Iouarre, in denen ein Süßwasserquarz gebrochen und aus dessen Brocken besonders harte Mühlsteine zusammengesetzt wurden. In A:::erika waren diese französischen Mühlsteine unter der Bezeichnung „french burrs" ebenso bekannt wie auf den: Kontinent. Latten die Steine ihre Arbeit getan, so lief das Mehl, sofern :::cm ein besonders Helles, also gereinigtes Mehl Herstellen wollte, in einen Woll­ beutel, in den: das Mehl durch ständiges Schütteln und Rütteln von den Schrotteilen befreit, also gesichtet wurde. Man unterschied damals Schrot­ mehl, das grob zwischen den Steinen gemahlen, und gebeuteltes Mehl, das durch den Wollbeutel gegangen war. Der Wollbeutel spielte in damaliger Zeit für die Textilindustrie eine gar nicht unbedeutende Rolle, zwar weniger in Deutschland als vielmehr in England. Wohl bestanden in Preußen, Sachsen und Württemberg eine Reihe von Manufakturen, die als Spezialität Beuteltuchstoffe für Mühlen herstellten, sie erreichten jedoch nicht die hohe Qualität der englischen Beutel­ tuche, welch letztere etwa die halbe Zeit länger aushielten als die deutschen. Bezeichnend für das gute Geschäft, das anscheinend mit der Lerstellung dieser Beuteltuche verbunden war, ist wohl die Tatsache, daß eine derartige Beuteltuchmanusaktur anfangs des vorigen Jahrhunderts in Potsdan: und Berlin von der „Vereinigten Iudenschaft" betrieben wurde! Gern verwendete man in Lolland hergestellte Seidenbeuteltuche.

Woher der Wollbeutel eigentlich stammt - das dürfte einwandfrei nicht festzustellen sein. Französische Chronisten nehnren den Ruhn: für ihre Landsleute insofern in Anspruch, als sie behaupten, im 13. Jahrhundert hätten die Pariser Bäcker Gesellen gehabt, die das Mehl durch Beutel siebten, andererseits besagt aber eine Augsburger Arkunde aus den: Jahre 1276, daß in Augsburger Mühlen um diese Zeit „Beutler" beschäftigt waren, die auch „Schaider" genannt wurden, d. h. Mühlknechte, die das Mehl in seine groben und feinen Bestandteile „schaiden" mußten. In beiden Fällen erfolgte das Beuteln anscheinend nicht durch eine mechanisch betriebene Vor­ richtung, sondern durch Menschenhand, allerdings nnt den: Anterschied, daß in Paris das Beuteln durch die Bäckergesellen, in Augsburg aber schon durch die Mühlknechte vorgenommen wurde. Das von Äand erfolgte Beuteln in Augsburg scheint dadurch erwiesen zu sein, daß der Beutler für jeden Scheffel gebeutelten Mehles einen Lohn von 3 Pfennigen zu bean­ spruchen hatte. Äierher gehört auch eine kurze Betrachtung über den Anterschied in der Flach- und Äochmüllerei, welch letztere sich danmls durchzusehen be­ gann. In der Flachmüllerei stellte man die Steine möglichst dicht aufeinander ein, wodurch das Mahlgut unmittelbar, d. h. schärfer angegriffen wurde, als wenn die Steine weiter auseinander standen. Die Engstellung nannte n:an „Flach-", die Weitstellung „Äochmüllerei". Bei der Flachmüllerei wurde das Getreidekorn rasch und so gründ­ lich zerkleinert, daß auch die äußeren holzartigen Teilchen der Schale mit in das Mehl hineingemahlen wurden, so daß n:an sie nachträglich nicht mehr herausholen konnte und sich wohl oder übel nnt den: so gewonnenen, ver­ hältnismäßig dunklen und weniger ansehnlichen Mehl zufriedengeben umßte. Die Äochmüllerei dagegen ging von den: Prinzip der allmählichen Zerkleinerung des Mahlgutes unter möglichster Erhaltung der Schalenteile aus und gewann auf dem Wege des öfteren Aufschüttens, verbunden mit mehrfacher Siebung, das beste Mehl am Schluß des Mahlprozesses. Besonders die sich in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts stark entwickelnde Wiener Müllerei hat damals schon der Äochmüllerei das weitestgehende Interesse entgegengebracht, insbesondere als man — etwa 1817 — hinter das Geheimnis der Gärung durch Lese gekonunen war und gelernt hatte, aus dem weißen Mehl die heute noch wie ehedem rühmlichst bekannten Wiener Kaisersenuneln zu backen. England übernahm um die Jahrhundertwende als erstes europäisches Land die amerikanischen Verbesserungen und baute sie seinerseits weiter aus. Insbesondere ließ man die reichliche Verwendung von Äolz bei den Mühlen­ einrichtungen fallen und verwendete n:ehr und n:ehr Gußeisen. Statt der bisher gebräuchlichen Äolzwellen und Äolzräder verwendete man nunmehr ausschließlich solche aus Eisen.

Im Anschluß an die Engländer beteiligten sich dann auch die Franzosen an der Verbesserung der Mühlentechnik, insbesondere in der Richtung der Turbinen, die sich aus dem ursprünglich horizontal gelagerten Wasserrad entwickelten. Auf den Versuchen der Franzosen weiterarbeitend, baute die deutsche Firma Äenschel & Sohn in Kassel die Turbine weiter aus, aus der sich im Jahre 1849 die Francis-Turbine entwickelte, welche für die damalige Müllerei eine vollkommen neue Antriebskraft deshalb ergab, weil sie trotz ihrer Klein­ heit nahezu jedes Gefälle und jede Wassermenge bewältigen konnte. In Deutschland hatte inzwischen das Mühlenwesen stärkstes Interesse bei den behördlichen Stellen gefunden. So machte beispielsweise im Jahre 1827 die Königliche Seehandlung in Danzig die ersten Versuche mit der Vermahlung von amerikanischem Weizen, und gleichzeitig stellte sie Ver­ gleichsproben an zwischen amerikanischen und deutschen Mehlen. Diese Vergleiche sollen keineswegs einen sonderlichen Vorsprung der amerikanischen Mehle erbracht haben. Wenn auch die letzteren etliche Prozente feineres Mehl ergaben, so seien die deutschen Mehle den amerikanischen Mehlen dennoch qualitativ ebenbürtig gewesen. Die mancherlei Erfindungen auf maschinellem Gebiet mußten selbst­ verständlich die kommerzielle Initiative auslösen. And so entstand unter der Leitung eines Technikers namens Freund im Jahre 1822 im Auftrag der Firma Schuhmann und Krauske in Berlin die erste Dampfmühle. 1823 baut der gleiche Freund eine Dampfmühle in Magdeburg, welcher 1825 ebenda eine zweite im Auftrag einer englischen Firma unter der Bauleitung des Engländers Murrey unter weitestgehender Ausnützung der amerikanischen und englischen Erfahrungen folgt. In den Jahren darauf entstehen neue Mühlen besonders in den preußi­ schen Seestädten, so in Königsberg und Danzig, und in diese Jahre fallen auch die Anfänge des Mehlexportes, den die preußische Regierung damals schon durch eine Rückvergütung auf die Mehlsteuern zu fördern bestrebt war, „wenn die Mehlausfuhr über See erfolgte". Zu diesen: besonderen Entgegenkonunen sah sich die preußische Regierung deshalb veranlaßt, weil eure Reihe hintereinander liegender guter Ernten etwa von 1815 1820 - einen derartigen Überfluß an Brotgetreide gebracht hatte::, daß die nordischen Länder und England als Zuschußländer nicht n:ehr in der Lage waren, den deutschen Überschuß aufzunehmen. Infolgedessen kan: n:an auf den Gedanken, an Stelle des Brotgetreides Mehl zu exportieren, und es stellt der Tatkraft des damaligen deutschen Mühlenkaufmannes wahrlich kein schlechtes Zeugnis aus, wenn er sich vor­ nimmt, gegen die an:erikanische Konkurrenz in Südan:erika und aus den westindischen Inseln den Karnpf aufzunehmen. Mit welche::: Ernst man auch seitens der Regierung an dieses Problen: herangegangen ist, wird dadurch bewiesen, daß rnan besonders tüchtige und entsprechend vorgebildete

Müller im Jahre 1827 nach Amerika schickte, um die amerikanische Müllerei all der Quelle zu studieren. Der Erfolg blieb denn auch nicht aus, wie folgende Erportzahlen beweisen: 1827 ................................. 46667 Zentner 1828 ................................. 53700 1829 ................................. 26514 1830 ................................. 61544 1831 .................................... 141040 Die wirtschaftliche Bedeutung der Müllerei erkennend, erlassen die Länder Bayern, Württemberg und Baden, auch Österreich, Aufrufe, mit behördlicher Anterstützung Mühlen nach englisch-amerikanischem Muster zu errichten. Württenlberg baute 1830 mit staatlichen Mitteln eine Mühle in Berg bei Stuttgart, in Baden entstand 1834 die erste Dampfmühle in Mannheiln, in Sachsen sind 1835 zwei Dampfmühlen in Leipzig in Betrieb, während sich in Preußen die Königliche Seehandlung nach wie vor der Müllerei aktivest annimnlt, indem sie neue Mühlen baut, alte Mühlen aufkauft und umbaut oder auch stillegt und daneben den Export von Mehl eifrigst pflegt. Wir sehen, daß mit der qualitativen Verbesserung der Mühle auch eine Vermehrung der Mühlenbetriebe Land in Land gegangen ist. Die langen Jahre der Ruhe und des Wohlstandes, die Deutschland nach den napoleonischen Kriegen beschieden waren, und die die Voraussetzungen für eine Ver­ besserung des Lebensstandards mindestens der oberen und Mittelstands­ schichten schuf, waren mit die Veranlassung, daß der Wunsch nach besseren Mehlen immer allgemeiner wurde, und aus diesen Wünschen des mehl­ konsumierenden Publikums entstand die Notwendigkeit, immer mehr Mühlen zu bauen. Wenn die Statistik nachweist, daß beispielsweise in Preußen zu Anfang des vorigen Jahrhunderts rund 25500 Mühlen vorhanden ge­ wesen sind was, nebenbei gesagt, auf rund 400 Einwohner einen Müller ergibt - , so erhöht sich diese Zahl allein auf Grund des statistischen Materials aus 4 preußischen Provinzen bis 1819 um 2000 neue Mühlenbetriebe. Iin Zusammenhang mit der im 3. und 4. Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts auf der ganzen Linie einsetzenden Industrialisierung stellt sich auch die Müllerei verhältnismäßig schnell aus dem Zustand der reinen Lohn- und Amtauschmüllerei aus die Äandelsmüllerei um, d. h. die fabrik­ mäßige Herstellung von Mehl bedingte ein erweitertes Absatzgebiet, das nur dadurch gewonnen werden konnte, daß sich der Müller auf die Handelsmüllerei warf. Anfangs der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden bereits einzelne Mühlen-Aktiengesellschaften, und auch der Mehlhandel als Ver­ mittler zwischen den größeren Handelsmühlen und den Bäckern gewinnt an Bedeutung.

Die Verbesserung der Verkehrswege, das Befahren der natürlichen Wasserstraßen mit den ersten Dampfschiffen, dann der Ausbau einer Reihe wichtiger Kanäle und das das Land von Jahr zu Jahr mehr erschließende Eisenbahnnetz brachten der Äandelsmüllerei noch zwei Jahrzehnte vorher unvorstellbar gewesene Absatzmöglichkeiten; nicht zu vergessen der Gründung des Deutschen Zollvereins, der wenigstens im Warenverkehr die bis dahin bestehenden Hindernisse der deutschen Kleinstaatengrenzen aufhob. Etwa unr das Jahr 1840 herum finden wir eine weitgehendst ausge­ baute Äandelsmüllerei. Zur Vermahlung konunt längst nicht nrehr ausschließlich inländischer, sorrdern in von Jahr zu Jahr zunehmenden Mengen denr deutschen Weizen qualitativ überlegener ausländischer. Wesentliche technische Verbesserungen sind in den 40 er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland nicht gemacht worden; es fehlte viel­ leicht auch der Anreiz dazu, denn die ausländische Konkurrenz, insbesondere die der hochentwickelten Wiener und Budapester Mühlen, wurde durch einen Schutzzoll von 2 Talern auf den Zentner Weizenmehl ferngehalten. Inzwischen schritt außerhalb Deutschlands auch anderwärts die Ver­ vollkommnung der Mühlentechnik mit Riesenschritten vorwärts. Eine Winterthurer Firma baute die Turbine weiter aus, die Franzosen brachten den Trieur als Auslesemaschine auf den Markt, außerdem eine ver­ besserte Windfege, den Tarar, 1867 eine Sortiermaschine mit einer Leistung von 2,5 hl in der Stunde, maschinelle Aufschüttvorrichtungen für die Frucht, Kühlmaschinen (Erhaustoren und Ventilatoren) für Mehl und anderes mehr. Auch das Problem der Walzenmüllerei wurde vorn Ausland her angefaßt. Schon 1588 bringt ein Italiener Namens Ramelli in einen: Werk die Beschreibung einer Mühle mit geriffelter Walze. Er spricht von einer Art Mühle, die fortgetragen werden kann und daher an allen Orten und jederzeit dienstbereit ist, weil ein einzelner Mann zu ihrer Bedienung genügt. NachRamelli wird das Mahlgut durch die Zuschüttvorrichtung und eine Mantelöff­ nung zwischen die geriffelte Walze und den ebenfalls geriffelten Außenmantel gebracht und dann vermahlen. Die Walze hatte eine leicht konische Form und war verstellbar. In England waren schon zwischen 1710 und 1720 bei der Verstellung von Äausmehl ^ ^ und Futterschrot eiserne Walzen mit einem (nach Ramelli 1588) Durchmesser von 10 cm und einer Lange von

50 cm im Gebrauch. 1774 läßt sich L. Watson in Baslow den ersten mit Sternwalzen arbeitenden Walzenstuhl patentieren und 1779 folgt G.Sawlinfon mit einem Stuhl, auf den: zunächst das Getreide auf eisernen Walzen vorgequetscht wurde, dann auf ein Sieb und von diesem aus durch Steinwalzen lief. Entgegen der allgenrein verbreiteten Ansicht sind somit weder Äelfenberger in Rorschach, noch Bollinger in Wien, noch Collier in Paris, noch der Äofrat v. Miller in Warschau (später in Frauenfeld in der Schweiz) die ersten, die sich in den Jahren um 1820 herum mit dem Problem der Walzenmüllerei auseinanderzusetzen versuchten. Keiner von ihnen konnte sich Dauererfolge sichern. Schuld daran war wohl weniger die technische Durcharbeitung der verschiedenen Walzenstühle, als vielmehr die Anlust der Müller, von ihrer altväterlichen Arbeitsweise abzulassen und sich für grundlegend Neues zu entscheiden. Außerdem spielte naturgemäß der sehr hohe Preis dieser neuen Müllereimaschinen eine wesentliche Nolle. Erst dem Ingenieur Sulzberger in Zürich gelang 1834 eine nach da­ maligen Begriffen vollkommene Lösung des Problems. Aus seiner Erfindung ging die Gründung einer A.-G. für den Bau und Ambau von Walzenstühlen in Frauenseld in der Schweiz hervor. Das Prinzip des Sulzbergerschen Walzenstuhles beruhte auf drei übereinander angeordneten Walzenpaaren, von dem die beiden oberen Paare glatt, das untere geriffelt war. Ein unter den: unteren Walzenpaar angeordneter, mit feinen Einbauungen versehener Eisensattel diente zum Auflösen des zusammengepreßten Mahlgutes. Der Antrieb erfolgte von den: mittleren Walzenpaar aus durch Kraftübertragung mittels Zahnrad auf die oberen und unteren Walzenpaare. Trotz dieser umwälzenden Erfindung ging es nur langsanr mit den: Einbau von Walzenstühlen vorwärts. 1852 bringt der Obermüller G.A. Buchholz in Ipswich (England) einen Walzenstuhl heraus, auf dem bereits die Griese gewonnen und durch unterläufige Mahlgänge ausgemahlen wurden. 1867 erhält er ein Patent auf eine Anordnung von Walzen in Verbindung mit Sieben. Die ersten Stahlwalzen verwendete — soweit feststellbar - anscheinend die Ioszef-Walzmühle in Budapest. Diese Walzen waren in der Art einer Feile behauen. Auch hier handelte es sich um Sulzbergersche Stühle, so daß wohl Sulzberger als der Vater des Gedankens für die Verwendung von Stahlwalzen angesprochen werden kann. Der in Budapest tätige Schweizer Abraham Ganz beschäftigte sich um das Jahr 1850 mit dem Problem der Äartgußwalzen; da dieses Material aber zu hart war, um es auf der Oberfläche rauh gestalten zu können, goß Ganz Riffeln auf die Walzen und legte damit den Grundstein für die moderne Walze. Wenn auch diese Lösung keineswegs als ideal angesprochen werden konnte, so war sie doch der Anlaß, daß in Angarn tut Laufe von drei Jahr-

zehnten 13 Großmühlen errichtet wurden, die durchwegs mit Ganzschen Walzenstühlen eingerichtet waren. Im Jahre 1873 zeigte abermals ein Schweizer - Friedrich Wegmann — auf der Wiener Weltausstellung einen mit zwei hintereinander gelagerten Porzellan-Walzenpaaren eingerichteten Walzenstuhl, bei dem er je eine Walze beweglich mit automatischem Gewichtsandruck eingerichtet hatte. Auf diesen Stühlen wurden die Schrote und Griese nicht wie auf Steinen zerrissen, sondern gequetscht, so daß die Kleieteile fast unverletzt blieben. Der Erfolg dieser bedeut­ samen Erfindung waren Bestellungen von nahezu 300 Walzenstühlen allein während der Ausstellung; nebenher liefen große Auf­ ?lbb. 22. Walzensttchl träge der Budapester Mühlen auf Ambauten von Wegmann. nach dem Wegmannschen System. Schweizer Jngenieurgeist und ungarische Anternehmungslust drücken nicht nur diesen Jahren den Stempel für die technische Entwickelung der Müllerei auf, sondern sie legen auch den Grundstein für die dominierende Stellung der ungarischen Mehle in den folgenden Jahrzehnten. Von 1874 bis 1878 arbeitete Wegmann mit der Firma Ganz u. Cie. auf Grund eines Lizenzvertrages zusammen, dann gingen sämtliche Wegmannschen Patente „auf eine Maschine, bestehend aus eigentümlich geriffelten Flächen zurr: Zerkleinern (Schroten) von Weizen und anderer Kornfrucht" und auf „die Anwendung von Äartguß zu schräg geriffelten Walzen mit Gegenplatten" auf die Firma Ganz u. Cie. über, Wegmann baute erfolgreich seine Porzellanwalzenstühle weiter und die Firma Ganz u. Cie. ihre Stühle mit Lartgußwalzen. Dem Leiter der letzteren, dem Deutschen Andreas Mechwart, gelang schließlich auch die Riffelung der Lartgußwalzen und darrrit war das Probiern der Walzenmüllerei im allgemeinen gelöst. In all den Jahren, als sich diese Stühle inr Auslande entwickelten, stand in Deutschland die Müllerei inr Zeichen der Stagnation, dann aber übernahmen auch eine Reihe deutscher Maschinenfabriken die neuen Ideen und aus derrr Bau von Walzenstühlen entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten ein neuer Wirtschaftszweig, die Mühlenbauanstalten, die heute Tausenden und Abertausenden deutscher Ingenieure, technischen Beamten, Arbeitern und kaufmännischen Angestellten Arbeit und Brot geben, Mühlen-bauanstalten, deren Arbeitsgebiet nicht etwa auf Deutschland beschränkt ist, sondern die das „made in Germany" in aller Welt wieder zu hohen Ehren gebracht haben.

In Deutschland scheint als erste Mühle die Vorgängerin der späteren Stettiner Walzmühle AG. im Jahre 1837 zur Verwendung von Eisenwalzen an Stelle von Steinen übergegangen zu sein, denn sie arbeitete nicht nur mit Steinen, sondern auch mit metallenen Walzen, die aus der Schweiz bezogen waren. Bei der hohen Vollkommenheit, welche die österreichisch-ungarische Müllerei auszeichnete sie war, wie schon einmal erwähnt wurde, ganz auf Lochmüllerei eingestellt —, ist es nicht verwunderlich, wenn eine weitere umwälzende Erfindung auf den österreichischen Müller Paur zurückgeht: die der Grießputzmaschine. Deren Funktion bestand darin, unter Ver­ wendung eines Windgebläses die Schalenteile von den noch griesigen Mehlteilen zu trennen. In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts machen sich auch die deutschen Müller in zunehmenden: Maße die technischen Vervollkommnungen zunutze, der Bäcker und die Lausfrau wissen immer mehr die Vor­ züge derjenigen Mehle zu schätzen, die aus technisch modern eingerichteten Mühlen kommen, und so kann sich mit der zunehmenden Produktion auch der Mehlhandel immer mehr entfalten. Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts bestehen in Deutsch­ land 9 Mühlen als Aktiengesellschaften mit einen: eingezahlten Kapital von rund 2300000 Mark, die Dividenden bis zu 25 Prozent ausschütten. Land in Land mit der rapiden Entwicklung der Müllerei und des allgemeinen Wohlstandes ging auch die entsprechende Erstarkung des Bäckergewerbes. Neben der qualitativen Verbesserung des Mehles und den daraus herrührenden gesteigerten Ansprüchen des brotkonsumierenden Publikums ergab sich für den fortschrittlichen Bäcker die Notwendigkeit zu einer Ver­ besserung der Backöfen. Der Übergang der Brauereien von der Lerstellung obergärigen Bieres zu untergärigem und das damit zusammenhängende Ausscheiden der ober­ gärigen Lese für den Bäcker führte gegen Ende der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts zur Erfindung der Getreidepreßhese. Knetmaschine und Teigteilmaschine erleichterten den: Bäcker das Landwerk sehr wesentlich. Der schon erwähnte zunehmende Wohlstand und im Zusannnenhang damit das gesteigerte Verlangen nach besseren Gebäcksorten ließen allmäh­ lich die Lurusbäckerei entstehen. Die ersten Vertreter der feinen Bäckerei waren Wiener oder wenigstens Österreicher, die sich um diese Zeit an vielen größeren Plätzen in Deutsch­ land mit einer sogenannten „Wiener Bäckerei" niederließen. Die Wiener Backart mußte aus Konkurrenzgründen von den deutschen Bäckern aufge­ nommen werden, und die Folge war der gesteigerte Bezug österreichisch­ ungarischer Mehle, und zwar nicht nur nach den frachtgünstig gelegenen süddeutschen Städten, sondern bis weit nach dem Norden des Reiches hinauf.

Um diese Konkurrenz abzuwehren, nmßten sich die deutschen Mühlen notgedrungen dazu bequemen, sich mit ihren: Mahlverfahren den: der österreichisch-ungarischen Mühlen anzupassen, und wenn n:an auch an der Auffassung festhielt, daß sich die deutschen Weizensorten nicht für die Koch­ müllerei eignen würden, so kan: n:an doch zu einen: Zwischending von Kochund Flachmüllerei: der sogenannten Kalbhochmüllerei.

Abb. 23. Die alte Grander Mühle im Sachsenwald, erbaut 1288

So lagen die Verhältnisse etwa bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges im Jahre 1870. Der ständige Fortschritt auf dem Gebiete der technischen Verbesserungen führte zu einen: Unterliegen der Lohmnüllerei und zu einen: ungeahnten Auf­ stieg der Kandelsmüllerei unter Führung der mit der Technik gebenden Großmühlen. Das Sterben der Kleinmühlen ninnnt seinen Ansang! Nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich seht die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands ein, an der, wie alle anderen Ge­ werbe, auch die Müllerei und die Mühlenbauer teilhaben. Die durch den Zusammenschluß der Kleinstaaten zun: einigen Deutschen Neich aufgehobenen innerstaatlichen Grenzen geben den: gesantten deutschen Wirtschaftsleben eine neue Struktur; der Betätigung der Industrie innerhalb des ganzen großen Reiches sind keine Grenzen n:ehr gezogen; die Eisenbahn, die Fluß-

schiffahrt und ein umfangreiches Kanalneh erschließen allmählich die ent­ legensten Gebiete und bringen sie in Verbindung mit dem großen Wirtschaftsmarkt. Die Folge dieser Entwicklung ist die immer stärker fühlbar werdende Konkurrenz, die solange keine sonderliche Bedeutung hatte, als die einzelne Mühle sich :::: Einkauf des Brotgetreides und im Verkauf ihrer Fertigfabrikate auf das ihr zunächstgelegene Gebiet beschränken konnte. Der Absah von Mehl erstreckt sich nun auch schon nicht mehr auf das Gebiet des Deutschen Reiches allein, sondern bei der Verflechtung Deutsch­ lands mit dem Weltverkehr nimmt es in zunehmendem Maße an der Ver­ sorgung anderer Staaten mit Mehl teil, während es die Futtermittel im Land behält. Die restlos weiterschreitende Technik drängt immer mehr auf die fabrik­ mäßige Verstellung von Mühlenfabrikaten hin. Schon Ende der 60er Jahre hatte ein Altonaer Bäckermeister sich für feinen eigenen Bedarf eine Art Zentrifugalsichtmaschine gebaut, die dann von der Finna Nagel & Kämp in den 70er Jahren weiterentwickelt wurde. Aus ihr entstand später der Plansichter. Latten ursprünglich die auf Lochmüllerei eingestellten Mühlen die Walzenmüllerei aufgenonunen, so gelang es sehr bald, auch die Flachmüllerei der Vorteile der Walzen teilhaftig werden zu lassen. In ständig zunehmendem Maße wird die Müllerei in die Bahn des automatischen Betriebes hineingedrängt, weil die zunehmende Konkurrenz gebieterisch das Lerunterdrücken der Unkosten und gesteigerte Ausmahlung bedingt. Die Zentrifugalsichtmaschine weicht den: Plansichter. Bis in die 70 er Jahre hinein unterlag die Müllerei einer besonderen Besteuerung: der Mahl- und der Mahlgangsteuer, welche die Bewegungs­ freiheit der immer mehr zum Großbetrieb hindrängenden Mühlen ganz außerordentlich beeinflußte. Die Mahlsteuer betrug für Weizenmehl 3 Taler je Zentner, für Roggenmehl jedoch nur 10 Silbergroschen. Daraus ergab sich, daß die Hinteren Weizenmehle gegenüber den: Roggenmehl viel zu teuer waren, und die Müller suchten dadurch einen Ausgleich zu schaffen, daß sie die Ausbeute erhöhten und damit die Qualität verschlechterten. Der Schwarz­ handel mit Mehl trieb damals ungeahnte Blüten! Die Mahlgangsteuer basierte auf der Anzahl der betriebenen Mahl­ gänge, weil man ursprünglich von der Ansicht ausging, die Kapazität einer Mühle sei an: zuverlässigsten nach der Anzahl ihrer Mahlgänge zu beurteilen. Sie betrug bei Wind- oder Wasserantrieb jährlich 12 Taler für den Mahl­ gang, bei Dampfmaschinenantrieb 2 Taler je PS. Der Gesetzgeber hatte indes die Rechnung ohne den Wirt, in diesen: Falle ohne den Müller und die Mühlenbauer gemacht, denn sehr bald war man technisch so weit, daß man die Leistung des einzelnen Mahlganges sehr

bedeutend steigern konnte, und die Folge war, daß die Mahlgangsteuer sich nunmehr aus eine erheblich vergrößerte Produktion verteilte, im gleichen Maße aber für die Müller weniger fühlbar wurde. So schuf die Steuer­ schraube mittelbar die Anregung zu tiefgreifenden technischen Erkenntnissen und Neuerungen. Diese Mahl- und Mahlgangsteuern wurden gewisser­ maßen die Vorläufer der in späteren Jahrzehnten von den Klein- und Mittelmühlen so heiß verfochtenen, von den Großmühlen ebenso heiß ab­ gewehrten Amsatzsteuern. Erst das Jahr 1872 brachte das Ende dieser beiden drosselnden Steuern. Der wirtschaftliche Aufschwung nach den: siegreich beendeten deutsch­ französischen Krieg von 1870/71 mußte sich auch in der Müllerei auswirken; die „Gründerjahre" führten zur Errichtung einer Reihe von weiteren Mühlenaktiengesellschaften, von denen im Jahre 1872 allein 5 mit einem Gesamtkapital von 5,5 Millionen Mark entstanden. Einer Gewerbezählung vom 1. Dezember 1875 ist zu entnehmen, daß es damals in Deutschland 59900 Mühlenbetriebe gab, in denen 126563 Personen tätig waren, d. h. auf je 10000 Einwohner kamen 14 Mühlen­ betriebe mit 296 Menschen, denen die Müllerei Beschäftigung gab. Aus diesen Zahlen erhellt, daß der Kleinbetrieb noch vorherrschend war, immerhin zeigt sich die den Kleinmühlen durch die Großmühlen drohende Gefahr schon damals, denn 1860 zählte beispielsweise Preußen 36960 Mühlen, 1875 jedoch nur noch 34880; 15 Jahre fortschreitende Technik hatten also schon genügt, über 2000 Mühlen den Todesstoß zu geben. Wie stark aber die Tendenz zur Bildung der Großindustrie war und der damit in Verbindung stehenden Massenfabrikation, davon ist der Zeit­ raum der hauptsächlichsten Gründungen, etwa von 1882 bis 1895, der beste Beweis. Ob sich die Zollgesetzgebung hin und wieder änderte, ob große Absatzgebiete, wie England, Schottland, Schweden usw., zum größten Teil verloren gingen, ob kleinere oder größere Krisen das größte Verderben an­ richteten, ob zeitweilig das Preisniveau des Getreides außerordentlich er­ höht wurde, unaufhaltsam und unwiderstehlich ist das Fortschreiten zur Betriebskonzentration und ebenso unaufhaltsam der dadurch herbeigeführte Niedergang der kleineren Betriebe. Es bedeuten aber auch viele andere Arsachen des Kleinmüllers Tod. Natürlich hängen sie im tiefsten Grunde mehr oder weniger mit dem all­ gemeinen technischen Fortschritt zusammen. Wenn die perennierenden Flüsse oder Flüßchen, die notdürftig eine kleine Mühle treiben, von großen Kom­ munen aus sanitären Gründen entwässert und ausgetrocknet werden, wenn für die Wasserleitung einer Stadt Wasserabgrabungen notwendig werden, wenn itt landwirtschaftlichen Bezirken zur Erhöhung der Ertragsfähigkeit der Wiesen, die durch Stauwasser der Mühlen unter Wasser gesetzt zu werden pflegen, Wasserflußregulierungen stattfinden, dann handelt es sich eben um höhere und wichtigere Interessen der Allgemeinheit, vor denen kleine Sonder-

int er essen zurückzutreten haben. Derlei ilmftänbc haben, insbesondere in Süd- und Westdeutschland, manche kleine Mühle hinweggefegt. So sind beispielsweise in Würzburg urkundlich 17 Mühlen festzustellen, deren Schicksal beweist, daß nicht unbedingt immer die Entwickelung zur Industrialisierung der Grund für die Stillegung einer Kleinmühle sein mußte. Zum Teil sind diese Mühlen, weil veraltet und baufällig, eines Tages still­ gelegt worden, andere wurden zu landwirtschaftlichen Betrieben umge­ wandelt, wieder andere hängten die Müllerei an den Nagel und stellten sich auf den Ausflugsverkehr mn, eine Mühle mußte dem heutigen städtischen Wasserwerk und eine andere einem modernen Kraftwerk weichen. Die „Kanalmühle" und die „Untere Mainmühle" wurden von der RheinMain-Donau-A.G. aufgekauft und zu anderen Zwecken verwendet.

Abb. 24. Uralt, aber immer noch fleißig.

Zwar nicht so mannigfach sind die Gründe, warum in Nord- und Nord­ ostdeutschland die kleinen Windmühlen, namentlich die Bockmühlen, so zahlreich eingegangen sind, jbier spielt vor allem die Verbesserung der ge­ samten Lebenslage eine Rolle. Die Ansprüche an Güte und Feinheit des Mehles sind gestiegen. So sieht man heute viele dieser Windmühlen still­ stehen. Das alte hölzerne Nöcklein bekommt in Sturm und Wetter ein grünes Aussehen, Planke auf Planke fällt heraus, bis ein mitleidiger Sturm

eines Tages den ganzen morschen Bau zusammenstürzen läßt, sofern die Mühle nicht rechtzeitig unter Denkmalsschutz gestellt wurde. Statt dessen aber türmen sich in den großen Plätzen an den Küsten und den schiffbaren Wasserstraßen gewaltige, 6- bis 7 stockige Riesengebäude, in deren saalartigen großen Räumen man sich neben dem Respekt vor der vollkommenen technischen Einrichtung besonders über eines wundern muß — das säst voll­ ständige Fehlen von Menschen. Walzenstuhl steht neben Walzenstuhl, Lichtmaschine neben Lichtmaschine, nur irgendwo in einer Ecke hantiert, fast verloren im großen Raum, ein beaufsichtigender Müller. Ruhig und geräuschlos arbeitet Maschine neben Maschine, und von unsichtbaren, fast

Abb. 25. Moderne Großmühle.

geheimnisvollen Kräften bewegt, rinnt das zerkleinerte Mahlgut von einer Maschine auf die andere, um die letzte als schneeig-weißes Mehl zu verlassen. Das ist nicht mehr die gute alte Mühle, in der der Müller als Alleiniger vorm Zeug stand, das ist die moderne Mehlfabrik, in der der denkende Geist triumphiert und in der alle rohen mechanischen Arbeiten die Maschine ver­ richtet, während der Mensch nur noch die Aufsicht ausübt. In welchem Maße sich der Großbetrieb auf Kosten des Kleinbetriebes ausgedehnt hat, ergibt schon die einfache Gegenüberstellung des ziffern­ mäßigen Bestandes der Gesamtbetriebe: 1875 ..................... rund 60000 Getreidemühlen, 1882 ..................... „ 58000 1895 ..................... „ 52400 „

1900 ..................... rund 50000 Getreidemühlen 1907 ..................... „ 46200 1925 ..................... „ 35000 1933 ..................... „ 31400 3m Verlauf eines einzigen Menschenalters ist somit die Gesamtzahl der Getreidemühlen auf die Äälfte ihres ehemaligen Bestandes zusammengeschmolzen. Als ein weiteres charakteristisches Zeichen für die beständig wachsende Betriebskonzentration und die enorm sich steigernde Bedeutung des Kapitals gilt vor allen: die Vergesellschaftung der Betriebe, insbesondere die Äber-

Abb. 26. Moderner Walzenstuhlboden.

sührung von Privatbetrieben in die Forn: der Aktiengesellschaften. Je zahlreicher und auf größerer Basis Neugründungen entstehen, oder Privat­ betriebe in diese Forn: überführt werden, um so gewaltiger dokumentiert sich das kapitalistische Elen:ent. Das Jahr 1898 weist wohl die größte Zahl der Aktiengründungen :n:d auch die höchste Zahl der Kapitalsunnnen auf. Als ben:erkenswert verdient hervorgehoben zu werden, daß in diesen: Gründerjahr allein in Bayern 7 Aktienmühlen mit einen: Aktienkapital von 4% Millionen Mark gegründet wurden, so daß Bayern an den: in: Jahre 1898 in Mühlengründungen neu investierten Gesamtkapital mit fast 50 Prozent beteiligt war.

Wie in allen Industrien, in denen die Entwicklung zum Großbetrieb eine wirtschaftlich höchst erregte Übergangszeit schafft, stellt sich auch in der Mühlenindustrie Deutschlands sehr bald eine unausbleibliche Überproduktion heraus, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern; besonders in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und in Österreich-Üngarn. Von überall her ertönt der gleiche Ruf über die zu große Produktion, die der eigene Markt nicht

Äbb. 27. Moderner Plansichterboden.

aufnehmen kann, zusammen mit dem Ruf nach einer Beschränkung der Produktion, ohne daß man allerdings damals den uns heute so geläufigen Gedanken einer allgemeinen Mühlenkontingentierung gehabt hätte. Man be­ schränkte sich zunächst auf schöne und eindringliche Ermahnungen an die Kollegialität der Großen, aber diese Ermahnungen prallen ab, solange noch das eherne Gesetz von der Konkurrenz schrankenlos herrscht. Im Wesen des Großbetriebes liegt die Maffenproduktion begründet, er muß groß produzieren, urn die Generalunkosten im Verhältnis zu den Spezialunkosten herabzudrücken. Aus dem Wesen des Kapitalisnms und der kapitalistischen Produktionsweise ist allein eine Erklärung der in der Müllerei vorhandenen Überproduktion möglich. Im Verhältnis von Kapital und Arbeit war dadurch eine Verschiebung eingetreten, daß die lebendige Arbeitskraft gegenüber dem toten Kapital

mehr und mehr in den Hintergrund trat. Es gelang der modernen Müllerei, an die Stelle der Landarbeit Maschinenkraft zu sehen. Damit wuchs natür­ lich die Bedeutung des Kapitals ganz gewaltig. And so schuf der moderne automatische Mahlbetrieb neben wenigen qualifizierten Arbeitern eine un­ verhältnismäßig große Zahl unqualifizierter Arbeiter, denen meistens ein Verständnis für den technischen Prozeß, wie ihn der alte Müllergeselle noch besaß, vollkommen abgeht. Mit der Jahrhundertwende kann die historische Entwicklung der Müllerei in: allgemeinen als abgeschlossen gelten. Die Verfeinerungen, die seitdem in maschineller Beziehung erfolgten, liegen auf der natürlichen Linie der technischen Fortentwicklung. Allerdings sind es von da ab nicht nur die Großmühlen, die sich die Fortschritte allein zunutze machen. Auch in den Kreisen der Klein-- und Mittelmüller weht ein frischer Wind. Der Kon­ kurrenzkampf, von Jahr zu Jahr stärker werdend, zwingt gebieterisch zur Anpassung an die neuen Arbeitsmethoden, die Müllersöhne besuchen die Fachschulen und arbeiten einige Jahre in den Großbetrieben. Sie kommen, wenn sie mit offenen Augen durch die Welt gegangen sind, mit neuen Ideen zurück aus die väterliche Mühle, und mit ihnen hält die neue Zeit mit einer modernen Mühleneinrichtung ihren Einzug. Dem Dritten Reich Adolf Litlers aber blieb es vorbehalten, auch die Klein- und Mittelmühlen wieder zu dem Ansehen zu bringen, das ihnen im Rahmen der Volksernährung zusteht, und wenn ein erheblicher Anteil an der Verarbeitung des deutschen Brotgetreides int letzten Lalbjahrhundert an die Großmühlen übergegangen ist, so ist die reibungslose Brotversorgung des deutschen Volkes ohne diese Großbetriebe heute einfach nicht mehr vorstellbar, und romantische Erwägungen über deren Existenz­ berechtigung haben der Einsicht zu weichen, daß beispielsweise beim Ausbruch des Weltkrieges 1914 die Großmühlen am Rhein 85 Prozent ihrer Pro­ duktion deut Lande! entzogen, diese ungeheuren Mengen Mehl in die nur für einige wenige Tage versorgten Festungen an der Westgrenze warfen und so mit einem Schlage die Versorgung des Leeres sicherstellten. Der heutige Stand der Müllerei dürfte sich etwa wie folgt darstellen: Die Zahl der Mühlenbetriebe in Deutschland betrug bei der Machtübernahme 1933 rund 31400 mit einer Beschäftigungszahl von rund 100000 Per­ sonen. Die Leistungsfähigkeit kann mit rund 760000 PS angenommen werden. Angefähr zu je einem Drittel sind Kleinmühlen, Mittelmühlen und Großmühlen an der Gesamtverarbeitung des deutschen Brotgetreides beteiligt. Mit abnehmender Leistungsfähigkeit verschiebt sich —- im Zu­ sammenhang mit der technischen Einrichtung — die Verarbeitung von Weizen zugunsten des Roggens bzw. der Verschrotung von Futtergetreide. Nach den Feststellungen des Statistischen Reichsamtes ergaben sich für das Jahr 1927 folgende Vermahlungszahlen:

Mühlen mit einer Tagesleistungsfähigkeit

Getreideart

Roggen....................... Weizen...................... Futtergetreide. . . . Gesamtvermahlung .

unter 5 Tonnen

5—20 Tonnen

20—80 Tonnen

über 80 Tonnen

22°/» 8 °/„ 23°/» 16%

28% 10% 40% 24%

30% 20% 25% 25%

20% 62% 12% 35%

Für die Verarbeitungsmengen in der Lohn-- und Äandelsmüllerei ergibt sich folgendes Bild: Müh)len mit einer Tciigesleistungsfähiclkeit unter 5 Tonnen

Lohnmüllerei .... Äandelsmüllerei. . .

5

20 Tonnen

80% 20%

43% 57%

20

80 Tonnen

über 80 Tonnen

18% 82%

i%

99%

und für die Antriebskräfte wurden vom Statistischen Reichsamt folgende Feststellungen gemacht: Mühle,i mit einer Tclgesleistungsfä higkeit Kraftquelle

Anzahl

unter 5 Tonnen

5

20 Tonnen 20

80 Tonnen

über 80 Tonnen

Wind..................... „ u. künstl. Kraft Wasser..................... „ u. künstl. Kraft nur künstl. Kraft . . andere.....................

1936 1727 10339 5357 3648 650

1804 968 9389 3815 1483 190

127 671 832 1233 1667 250

5 88 107 287 438 139

0 0 11 22 60 51

Gesamtzahl....

23637

17649

4780

1064

144

Aus der Gegenüberstellung der Gesamtzahl der 1933 mit rund 31400 festgestellten und den 1927 vom Statistischen Reichsamt erfaßten 23637 Be­ trieben ergibt sich, daß die hier wiedergegebenen Zahlen sich nicht auf die Gesamtzahl der deutschen Mühlenbetriebe beziehen können, da rund 8000 Be­ triebe bei den Erhebungen des Statistischen Reichsamtes nicht berück­ sichtigt wurden. Da jedoch angenommen werden darf, daß sich die Nicht­ erfassung überwiegend auf Klein- und Kleinstbetriebe erstreckt, könnte sich nur eine Verschiebung bei den Mühlen unter 5 Tonnen Tagesleistungs­ fähigkeit ergeben, von denen rund 11200, also etwa 64 Prozent Windund Wassermühlen sind. Der Mehlverbrauch des deutschen Volkes betrug nach der gleichen Quelle:

im Durchschnitt der Jahre

in Roggenmehl

in Weizenmehl

1908—1913 1924—1929 1929—1934

4/2 3,5 3/1

3,6 3,3 2,8

65,4 55,1 48,3

56,3 52,6 43,7

insgesamt

7,8 Will, t 6,8 „ „ 5,9 tf ff

und je Kopf der Bevölkerung

1908—1913 1924—1929 1929-1934

121,7 kg 107,7 „ 92 „

Die rund 31500 deutschen Mühlen repräsentieren einen Wert von etwa 400 Millionen Reichsmark und ihr jährlicher Amsatz beläuft sich auf weit mehr als 1,5 Milliarden Reichsmark. Die inzwischen durchgeführte Kontingentierung der Mühlen beseitigte die unerträgliche Überproduktion und sicherte dem einzelnen Müller die Ausnutzung seines Betriebes im Verhältnis zum Gesamtbedarf des deut­ schen Volkes an Mühlenfabrikaten; die Marktregelung schuf ihm Festpreise im Einkauf seines Brotgetreides und genügende, wenn auch bescheidene, im Verkaufseiner Fertigfabrikate; die Typisierung verminderte das frühere Vielerlei von Mehlsorten auf einige wenige Standardmehle, der Reichsmehlschlußschein schuf geordnete Zahlungsverhältnisse. Als unmittelbar mit der Landwirtschaft verbundenes, für das deutsche Volk lebenswichtigstes Gewerbe erfreut sich die Müllerei der ganz besonderen Aufmerksamkeit des Reichsnährstandes, der ihr durch die Äauptvereinigung der deutschen Getreide- und Futtermittelwirtschaft, der die Getreidewirt­ schaftsverbände unterstehen und in die inzwischen auch die Wirtschaftliche Vereinigung der Roggen- und Weizenmühlen aufgegangen ist, nicht zuletzt auch durch die Reichsstelle für Getreide, Futtermittel und sonstige land­ wirtschaftliche Erzeugnisse helfen läßt, soweit irgendwie nur zu helfen ist. Die hervorragenden Erfolge der letzten Jahre auf ernährungspoli­ tischem Gebiet beweiseu, daß eine planvoll auf lange Sicht betriebene Vorratswirtschaft nicht nur die Ausfälle bei einer unbefriedigenden Ernte, sondern auch die mehrerer unmittelbar aufeinander folgender geringer Ernten voll ausgleichen, sondern darüber hinaus noch beachtliche Reserven schaffen kann. Die deutsche Müllerei aber kennt nur ein Ziel: Die Sicherung der Ernährung des Volkes und damit seiner politischen Freiheit!

Nachwort des Verfassers. Ich habe mich bemüht, in einer knappen und allgemein verständlichen Übersicht die historische Entwickelung der Müllerei zu schildern, ohne damit Anspruch aus die restlose Abhandlung des Themas erheben zu wollen. Der Miag Mühlenbau-- und Industrie-Aktiengesellschaft Braunschweig bzw. deren Geschäftsstelle in München sei an dieser Stelle der Dank für die freundlicherweise zur Verfügung gestellten Druckstöcke zur teilweisen Be­ bilderung des bestes ausgesprochen. „Glück zu!" Krailling-Planegg (Obb.) irrt September 1938.