Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für fehlerhafte Rechtsetzungsakte [1 ed.] 9783428455058, 9783428055050

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Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für fehlerhafte Rechtsetzungsakte [1 ed.]
 9783428455058, 9783428055050

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MATTHIAS HERDEGEN

Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für fehlerhafte Rechtsetzungsakte

Schriften zum Internationalen Recht Band 29

Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für fehlerhafte Rechtsetzungsakte

Von

Dr. Matthias Herdegen

DUNCKER

&

HUMBLOT I

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Herdegen, Matthias: Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für fehlerhafte Rechtsetzungsakte I von Matthias Herdegen. Berlin: Duncker und Humblot, 1983. (Schriften zum Internationalen Recht; Bd.29) ISBN 3-428-05505-5 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

© 1983 Duncker

ISBN 3 428 05505 5

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Abhandlung ist von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Sommersemester 1983 als Dissertation angenommen worden. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten akademischen Lehrer Herrn Professor Dr. Karl Doehring, der die Arbeit durch Rat und Anregung intensiv gefördert hat. Frau Hannelore Körner sei an dieser Stelle für ihren Einsatz bei der maschinenschriftlichen Fassung des Manuskripts gedankt. Herrn Ministerialrat a. D. Professor Dr. Dr. h. c. Johannes Broermann danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Internationalen Recht" seines Verlages. Heidelberg, im Oktober 1983 Matthias Herdegen

Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................

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§ 1 tJbersicht über die Rechtsprechung des EuGH ..... . ................

19

§ 2 Methodischer Ansatz: wertende Rechtsvergleichung ................

38

§ 3 Vergleich von Normtypen des Gemeinschaftsrechts und der nationa-

len Rechtsordnungen. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

47

§ 4 Rechtsvergleichender Uberblick ....................................

53

I. Bisheriges deutsches Staatshaftungsrecht ....................

53

1. Bedeutung des deutschen Staatshaftungsrechts im Rahmen

wertender Rechtsvergleichung ............................ 2. Mittelbares und unmittelbares normatives Unrecht ........ 3. Grundsätzliche Bedenken gegen eine Staatshaftung für unmittelbares normatives Unrecht .......................... (a) Das Gesetz als Souveränitätsakt ...................... (b) Der konstitutionelle Gesetzesbegriff .................. (c) Regelungsprärogative des Gesetzgebers ............... (d) Budgetäre Bedenken ................................. 4. Amtshaftung ............................................. 5. Folgenbeseitigung ........................................ 6. Enteignungsgleicher Eingriff ............................. 7. Aufopferung .............................................

53 54

11. Haftung nach dem deutschen StHG ..........................

71

55 55 56 59 60 61 63 64 70

111. Französisches Recht ......................................... 75 1. überblick ................................................ 75 2. Normenkontrolle durch Conseil d'Etat und Conseil constitutionnel .................................................. 76 3. Verschuldenshaftung für fehlerhafte Rechtsetzungsakte der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 79 4. Haftung für rechtmäßige Regelungen .................... 80 5. Ausstrahlung des französischen Rechts auf Art.215 Abs.2 EWGV ................................................... 83 IV. Belgisches Recht ............................................

84

V. Luxemburgisches Recht ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

85

10

Inhal tsverzeichnis VI. Niederländisches Recht ......................................

86

VII. Italienisches Recht ..........................................

87

VIII. Englisches Recht ............................................ 1. Parlamentsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

88 88

2. Rechtsetzungsakte der vollziehenden Gewalt .............. 91 3. Aufopferungsansprüche bei rechtmäßigen Hoheitsakten .... 93 IX. Sonstige Rechtsordnungen ... . ............................... § 5 Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und des Vermögens

94

im Gemeinschaftsraum ............................................

96

I. Allgemeines .................................................

96

11. Nationale Rechtsordnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

96

III. Eigentumsschutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention ..................................................... 100 IV. Gemeinschaftsrecht ...... . . . ........ . ........................ 101 § 6 Die Voraussetzungen einer Gemeinschaftshaftung für normatives

Unremt im einzelnen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 106 I. Allgemeines ................................. . . . ............ 106 II. Rechtswidrigkeit der Regelung .............................. 106 1. Prüfungsmaßstäbe für die Rechtmäßigkeit ................ 107 2. Weiter wirtschaftspolitischer Gestaltungsspielraum der Gemeinschaftsorgane ....................................... 107

3. Modell einer reinen Rechtswidrigkeitshaftung ............ 110 III. Eingriff in die subjektive Rechtssphäre ...................... 112 1. 2. 3. 4.

Verletzung einer Rechtsvorschrift mit Schutznormcharakter Verletzung subjektiver Rechte ............................ Materieller Zuweisungsgehalt der verletzten Rechtsnorm .. Einzelne geschützte subjektive Rechtspositionen .......... (a) Freiheit des Warenverkehrs .......................... (b) Freiheit des Wettbewerbs ............................ (c) Vertrauensschutz ....................................

112 113 117 118 118 118 120

IV. Verletzung einer "höherrangigen" Rechtsnorm ............... 122 V. "Hinreichende Qualifizierung" der Rechtsverletzung .......... 124 1. überblick ................................................ 124 2. Schwerwiegendes Fehlverhalten der Rechtsetzungsorgane . 126 3. Qualifizierende Auswirkungen der Rechtsverletzung ...... 128 4. Verletzung der Begründungspflicht ....................... 132

Inhal tsverzeichnis

11

VI. Haftungsbegrenzung durch den Schutzzweck der verletzten Norm ....................................................... 133 VII. Verschulden ................................................ 135 VIII. Kausalität .................................................. 138 IX. Ersatzfähiger Schaden ...................................... 140 § 7 Konkurrierende Haftung von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten . ... 144

I. Gesamtschuldnerschaft gegenüber dem Geschädigten ........ 144 11. Innenausgleich .............................................. 146 § 8 Verhältnis der Schadensersatzklage nach Art. 178 EWGV gegenüber

anderen gemeinschaftsinternen und innerstaatlichen Rechtsbehelfen 148 I. Eigenständigkeit der Schadensersatzklage im Rechtsschutzsystem des EWGV .......................................... 148 11. Verhältnis der Schadensersatzklage nach Art. 178 EWGV gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen .................... 1. überblick über die Judikatur ............................ 2. Eigenständigkeit der Schadensersatzklage nach Art. 178 EWGV gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen ........ 3. Angeblicher Vorrang innerstaatlicher Rechtsbehelfe gegen nationale Durchführungsakte ............................

151 152 155 155

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 160 Literaturverzeichnis ................................................... 161

Abkürzungsverzeichnis A.C. AöR BB BGB BGH BGHZ BVerfG BVerfGE BVerwGE CC

C.E.

CMLRev. DÖV DRiZ DVBl. EAGV EGKSV ELRev. EMRK EuGH EuGRZ EuR EWG EWGV GG GWB JÖR JuS JZ K.B.

LG MDR NJW OLG RabelsZ Ree.

Appeal Cases Archiv des öffentlichen Rechts Der Betriebs-Berater Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Code civil Conseil d'Etat Common Market Law Review Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl European Law Review (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäischer Gerichtshof (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Schulung J uristenzei tung King's Bench Division Landgericht Monatsschrift für Deutsches Recht Neue Juristische Wochenschrift Oberlandesgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reeueil des am~ts du Conseil d'Etat (Reeueil Lebon)

Abkürzungsverzeichnis RG RGZ RIW/AWD Rs. RTDE SJZ Slg. StHG verb. Rs. VwGO ZaöRV ZPO

13

Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Rechtssache Revue trimestrielle de droit europeen Süddeutsche Juristenzeitung Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Staatshaftungsgesetz verbundene Rechtssachen Verwaltungsgerichtsordnung Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zivilprozeßordnung

Einleitung Seit gut zehn Jahren wird der EuGH in zunehmendem Maße mit Schadensersatzklagen Einzelner befaßt, mit denen Ausgleichsansprüche wegen normativen HandeIns der EWG geltend gemacht werden. In der Praxis haben die meisten Haftungsklagen nach Art. 178, 215 Abs. 2 EWGV angeblich fehlerhafte Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane zum Gegenstand. Die geltend gemachten Ansprüche bewegen sich fast durchgehend in beträchtlicher finanzieller Höhe. Die mit einer Haftung für normatives Unrecht verbundenen Probleme haben damit auf Gemeinschaftsebene eine in den Mitgliedstaaten bislang unbekannte, große praktische Bedeutung erlangt. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Rechtsetzungsakte eine Haftung der EWG auslösen können, rührt an grundsätzliche Aspekte der Gemeinschaftsstruktur und des Rechtsschutzsystems des EWGV. Als methodischen Ansatz gibt der Wortlaut des Art. 215 Abs.2 EWGV den rechtsvergleichenden Rückgriff auf die einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und deren allgemeine Rechtsgrundsätze ausdrücklich vor. Daneben steht der Zwang zu einer rechtsschöpferischen Wertungs- und Interessenjurisprudenz, die sich an den Zielen und an der Struktur der Gemeinschaft zu orientieren hat. Bei der rechtsvergleichenden Analyse steht der primäre und sekundäre Rechtsschutz gegen Verordnungen der Exekutive und gegen parlamentarische Gesetze im Vordergrund; darüber hinaus sind auch Regeln der nationalen Deliktsrechte einzubeziehen. Die Voraussetzungen für eine Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht hängen maßgeblich davon ab, ob man die Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten eher den förmlichen Gesetzen oder den allgemeinen Regelungen der innerstaatlichen Exekutive gleichstellt. Dabei leistet die beliebte Formel vom "Legitimations defizit" von Rat und Kommission weniger als der Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Gerichtsschutzes gegen ihr normatives Handeln und auf die weitgehende Austauschbarkeit von Rechtssatz und Einzelakt im Gemeinschaftsrecht. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit einerseits und der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft und ihrer Organe andererseits tritt bei der Haftung für Recht-

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Einleitung

setzungsakte in besonderer Schärfe hervor. Es liegt nahe, Lücken im kassatorischen Gerichtsschutz Einzelner gegen normatives Handeln über die Schadensersatzklage zu kompensieren und diesen Rechtsbehelf zu einem effektiven Instrument sekundären Rechtsschutzes zu machen. Aus marktwirtschaftlicher Sicht gebieten vor allem - häufig bei Verordnungen für den Agrarsektor gerügte - wettbewerbsverzerrende Auswirkungen allgemeiner Regelungen die Wiederherstellung des gestörten Wettbewerbsgleichgewichts durch Ausgleichsleistungen. Rechtspolitisch läßt sich die disziplinierende und präventive Funktion einer Gemeinschaftshaftung ins Feld führen. Auf der anderen Seite sollten wirtschaftliche Risiken, die einer unternehmerischen Betätigung im Gemeinschaftsraum vorgegeben sind, nicht vorschnell auf die Gemeinschaft überwälzt werden. Wenn die "Haftungsschwelle" allzuweit herabgesetzt wird, kann dies ernsthafte budgetäre Schwierigkeiten für die Gemeinschaft nach sich ziehen. Wie die Praxis zeigt, sind etwa bei angeblich wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen im Agrarbereich oder bei Einwirkungen auf langfristige Dispositionen durch Änderungen von Regelungen für Währungsausgleichsbeträge oder für Ausfuhrerstattungen sieben- oder achtstellige Schadensbeträge nichts Außergewöhnliches. Einer Ausuferung der Gemeinschaftshaftung ließe sich bei zu sehr aufgelockerten Haftungsanforderungen nur durch eine große Zurückhaltung beim Verdikt der Rechtswidrigkeit begegnen, etwa über eine Erweiterung des den Gemeinschaftsorganen zuerkannten wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraums über das bisherige Maß hinaus; damit wäre den von Rechtsetzungsakten geschädigten Marktbürgern nicht gedient. Der EuGH hat im Jahre 1971 zum erstenmal die Möglichkeit einer Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht ausdrücklich anerkannt; dabei hat der Gerichtshof das Haftungsmerkmal der "hinreichend qualifizierten Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz des einzelnen dienenden Rechtsnorm" entwickelt. Diese Formel hat die Judikatur in der Folgezeit durch drastische Anforderungen an die Schwere des den Gemeinschaftsorganen angelasteten Rechtsverstoßes und an dessen schädigende Auswirkungen konkretisiert. Leiten lassen hat sich der Gerichtshof wohl vom Vorbild der Rechtsprechung des französischen Conseil d'Etat zur Haftung für Legislativakte und von der Vorschrift des Art. 34 Abs.1 S.3 EGKSV. Die restriktive Rechtsprechung des EuGH hat in der Literatur aus dogmatischen und rechtspolitischen Gründen kritische, häufig schroff ablehnende Aufnahme gefunden. Trotz aller Bedenken gegen die vom EuGH herangezogenen Haftungsmerkmale wird man der Rechtsprechung nur in wenigen Fällen eindeutig unangemessene Ergebnisse attestieren können. Dies beruht

Einleitung

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einmal darauf, daß der Gerichtshof mit Recht den Gemeinschaftsorganen einen erheblichen wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum einräumt, so daß eine Haftung meist schon an der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Regelung scheitert. Haftungsrechtliche Relevanz haben in der Praxis vor allem der Grundsatz des Vertrauensschutzes und das spezielle Diskriminierungsverbot des Art. 40 Abs. 3 Unterabs. 2 EWGV. Anders als bei Verletzungen des Vertrauens auf Rechtskontinuität hat der Gerichtshof die Haftung für festgestellte Verstöße gegen das spezielle Diskriminierungsverbot mehrfach wegen der fehlenden qualifizierten Rechtsverletzung verneint. Dies mag damit zusammenhängen, daß der Gerichtshof oft dazu neigt, eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes von Art.40 EWGV recht rasch anzunehmen, ohne genauer auf die Auswirkungen der beanstandeten Verordnungen auf den Wettbewerb und auf die MarktsteIlung der Betroffenen gegenüber ihren Konkurrenten einzugehen. So gesehen stellt sich die zulasten der Marktbürger sehr strenge Judikatur zur Haftung als Kehrseite einer in diesem Punkt eher großzügigen Annahme von Rechtsverstößen dar. Das im folgenden vertretene Konzept knüpft eine Haftung der Gemeinschaft an die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte. Dieser Ansatz dürfte über eine ausreichende rechtsvergleichende Basis verfügen und ist durch eine deutliche Parallele zum neuen deutschen Staatshaftungsgesetz vom 26.6.1981 charakterisiert. Obwohl dieses Gesetz vom BVerfG wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig erklärt worden ist, kommt den dort vorgesehenen Regelungen im Rahmen von Art.215 Abs.2 EWGV große Bedeutung zu. Eine Haftungsbegrenzung läßt sich einmal durch das Erfordernis des materiellen Zuweisungsgehalts der verletzten Norm erreichen. Dies wirkt sich vor allem bei Rechtsverstößen aus, die sich in einer Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch unverhältnismäßige Maßnahmen erschöpfen. Hier werden keine subjektiven Rechte oder Interessen tangiert, die nicht "an sich" zur Disposition der Rechtsetzungsorgane stehen. Eine weitere Begrenzung der Haftung ergibt sich durch den Schutzzweck der verletzten Norm. Umstritten ist die Frage einer konkurrierenden Haftung von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bei der Durchführung rechtswidriger Gemeinschaftsregelungen durch nationale Behörden. Die Subsidiarität der Gemeinschaftshaftung, von der die Rechtsprechung des EuGH ausgeht, erscheint als fragwürdige Lösung. Das Verhältnis der Klage nach Art. 178, 215 Abs.2 EWGV zu den anderen gemeinschaftsinternen Rechtsbehelfen hat der Gerichtshof im Sinne der Eigenständigkeit der Schadensersatzklage geklärt. Bei einem Nebeneinander von angeblich rechtswidrigen Gemeinschaftsregelungen 2 Herdegen

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Einleitung

und nationalen Durchführungsakten gelangt der EuGH häufig über das Dogma vom Vorrang innerstaatlicher Rechtsbehelfe zur Unzulässigkeit von Gemeinschaftshaftungsklagen. Vor allem die neue re Rechtsprechung mit ihrer starren Verweisung von Marktbürgern auf den nationalen Rechtsweg ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes kaum in Einklang zu bringen; sie entgeht in manchen Fällen dem Vorwurf eines "deni de justice" nur deshalb, weil sie sich im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung auf Gesichtspunkte stützt, aus denen zumindest die Unbegründetheit der Klage folgt. Hier spricht vieles für ein freies Wahlrecht der Geschädigten zwischen der Gemeinschaftshaftungsklage und innerstaatlichen Rechtsbehelfen.

§ 1 Übersicht über die Rechtsprechung des EuGH Mit einer Maßnahme der Gemeinschaftsorgane, die normativen Einschlag hatte, wurde der Gerichtshof im Rahmen von Art. 178, 215 Abs. 2 EWGV zum erstenmal in der Rechtssache Plaumann1 befaßt. Hier hatte die Klägerin eine Entscheidung der Kommission angefochten, mit der ein Antrag der Bundesrepublik Deutschland auf Ermächtigung zur teilweisen Aussetzung des gemeinsamen Außenzolltarifs für bestimmte Südfrüchte abgelehnt worden war; gleichzeitig forderte die Klägerin Ersatz des ihr infolge der negativen Entscheidung erwachsenen Schadens nach Art.215 Abs.2 EWGV. Der Gerichtshof wies die Anfechtungsklage als unzulässig ab, da die Klägerin keine hinreichende individuelle Betroffenheit im Sinne von Art. 173 Abs.2 EWGV geltend machen konnte. Die zulässige Schadensersatzklage drang nicht durch, weil die schadenskausale Entscheidung nicht für nichtig erklärt worden war. Der Gerichtshof vertrat die Ansicht, er dürfe die Rechtswirkung eines solchen - nicht aufgehobenen - Rechtsaktes nicht durch die Zusprechung eines Schadensersatzanspruches beseitigen. Die strittige Entscheidung der Kommission hatte die Ermächtigung zur Änderung von innerstaatlichen Rechtssätzen zum Gegenstand und besaß insofern normativen Gehalt2• In der Entscheidung des EuGH blieb die normative Komponente der angegriffenen Maßnahme unberücksichtigt. Das Urteil Kampjjmeyer 13, das die Haftung für eine rechtswidrige Entscheidung betrifft, ist darüber hinaus für die Auslegung von Art. 215 Abs. 2 EWGV von grundsätzlicher Bedeutung. Eine Reihe deutscher Unternehmen hatte auf Ersatz der Schäden geklagt, die ihnen durch eine Kommissionsentscheidung entstanden sein sollten, die die Bundesrepublik Deutschland zur Beibehaltung von Schutzmaßnahmen bei der Getreideeinfuhr - die Aussetzung der Erteilung von Einfuhrgenehmigungen zum Abschöpfungsbetrag null - ermächtigt hatte. Diese Entscheidung hatte der Gerichtshof vorher in einem Anfechtungsverfahren wegen Verstoßes gegen die ihr zugrundeliegende EuGH, Urteil vom 15.7.1963, Rs. 25/62, Slg. 1963, 214. Dazu Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 28.5. 1963, Slg. 1963, 252 ff., 266; Gilsdorj, EuR 1975, 74. 3 EuGH, Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Slg. 1967, 331 = EuR 1967, 337 m. Anm. von HeldTich, 344 = ZaöRV 28 (1968), 365 m. Anm. von JuTina, 374. 1

2

2*

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§

1 übersicht über die Rechtsprechung des EuGH

Ratsverordnung aufgehoben. Der EuGH entschied, die Kommission habe mit ihrer Ermächtigung das Vertrauen der Getreideimporteure (in die Erteilung von Einfuhrgenehmigungen zum Abschöpfungsbetrag null) verletzt und gegen die Pflicht verstoßen, jede ihr notifizierte Schutzmaßnahme sorgfältig zu prüfen. Die verletzte Vorschrift der Ratsverordnung, die eine Einschränkung des freien Warenverkehrs bei Getreide nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattete, schütze neben allgemeinen Interessen auch die Interessen einzelner Getreideimporteure. Das Verhalten der Kommission bilde einen Amtsfehler, der die Haftung der Gemeinschaft begründe. Der ersatzfähige Schaden umfasse die von den deutschen Behörden bei der Erteilung von Einfuhrgenehmigungen zu Unrecht erhobenen Abschöpfungen; bei einer Lösung von den Kaufverträgen mit den Lieferanten könnten die Klägerinnen die dafür notwendigen, im Vertrauen auf die ordnungsgemäße Anwendung der Ratsverordnung einerseits und wegen der beibehaltenen Schutzmaßnahme andererseits gemachten Aufwendungen verlangen. Nur beschränkt ersatzfähig sei der weitgehend auf spekulativen Faktoren beruhende entgangene Gewinn bei nicht voll durchgeführten Importgeschäften, die dem mit ihrer vollen Abwicklung verbundenen kaufmännischen Risiko entzogen worden seien. Keinen Ersatz könnten für entgangenen Gewinn diejenigen Unternehmen verlangen, die über die Einleitung des Genehmigungsverfahrens hinaus noch keine Dispositionen getroffen hatten. Der Gerichtshof sah die dem Grunde nach festgestellte Gemeinschaftshaftung gegenüber der Haftung der Bundesrepublik als nachgeordnet an; erst müßten die Klägerinnen den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpfen, bevor der EuGH über die Höhe der Schadensersatzansprüche endgültig entscheiden könne. Das Urteil Lütticke4 ist vor allem für die Stellung der Schadensersatzklage innerhalb des Rechtsschutzsystems des EWG-Vertrages von Interesse. Hier ging es um die Klage einer deutschen Firma auf Ersatz des Schadens, der ihr dadurch entstanden sei, daß die Kommission nicht gemäß Art. 97 Abs.2 EWGV gegenüber der Bundesrepublik auf Beseitigung der Umsatzausgleichssteuer auf Milchpulver hingewirkt hatte. Die beklagte Kommission wandte gegen die Zulässigkeit der Klage ein, ihr Ziel sei es, auf dem Umweg über ein Verfahren nach Art. 178 EWGV in Verbindung mit Art. 215 Abs.2 EWGV die Untätigkeit der Kommission feststellen zu lassen und so die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nach Art. 175 EWGV zu unterlaufen. Dieser prozeßhindernden Einrede gegenüber unterstrich der EuGH die Eigenständigkeit der Schadensersatzklage: "Der Vertrag hat die Schadenser4 EuGH, Urteil vom 28.4.1971, Rs.4/69, Slg. 1971, 325; dazu Gotfin / Mahieu, Cahiers de droit europeen 1972, 64.

§ 1 übersicht über die Rechtsprechung des EuGH

21

satzklagen der Artikel 178 und 215 Absatz 2 als selbständige Rechtsbehelfe mit eigener Funktion im System der Klagemöglichkeiten geschaffen und sie von Voraussetzungen abhängig gemacht, die ihrem besonderen Zweck angepaßt sind. Es würde dieser Eigenständigkeit der Klage und der Wirksamkeit des allgemeinen Systems der vom Vertrag vorgesehenen Klagemöglichkeiten zuwiderlaufen, einen die Unzulässigkeit der Klage nach sich ziehenden Umstand darin zu sehen, daß die Erhebung der Schadensersatzklage in bestimmten Fällen zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Untätigkeitsklage nach Art.175 führen könntes." Im Ergebnis wies der EuGH die Klage als unbegründet ab, da die Kommission den mit der Ausübung ihrer Aufsichtszuständigkeit nach Art. 97 Abs.2 EWGV verknüpften Beurteilungsspielraum nicht überschritten habe. Obwohl als Maßnahme der Kommission nach Art. 97 Abs.2 EWGV eine Richtlinie oder eine an die Bundesrepublik adressierte Entscheidung in Betracht kamen, die der Kommission zur Last gelegte Untätigkeit also eine normative Komponente hatte, behandelte der Gerichtshof das Problem der Haftung für normatives Unrecht nicht näher. Grundsätzliche Aussagen zur Gemeinschaftshaftung für normatives Handeln hat der Gerichtshof im Schöppenstedt-Urteil 6 gemacht. Gegenstand der Entscheidung war die Klage einer deutschen Zuckerherstellerin auf Schadensersatz wegen einer Verordnung des Rates. Die Klägerin machte geltend, die Regelungen in dieser Verordnung über Ausgleichszahlungen für Lagerhalter von Zucker seien lückenhaft und diskriminierten Unternehmen in Mitgliedstaaten mit hohem Preisniveau. Der Rat brachte gegen die Zulässigkeit der Klage vor, mit ihr werde im Grunde eine Leistung begehrt, die nicht nur die Kassation der beanstandeten Verordnung, sondern deren Ersetzung durch eine Neuregelung zur Voraussetzung habe. Mit einer Schadensersatzklage dürften nicht die Beschränkungen der Klagemöglichkeiten Privater gegen Gemeinschaftsverordnungen unterlaufen werden. Der EuGH betonte demgegenüber die eigenständige Funktion der Schadensersatzklage gegenüber den anderen gemeinschaftsinternen Rechtsbehelfen. Auf der Ebene der Begründetheit trat zum erstenmal die grundsätzliche Frage in den Vordergrund, ob die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft überhaupt für Rechtsetzungsakte nach Art. 215 Abs. 2 EWGV in Anspruch genommen werden kann. Nach einer eingehenden rechtsvergleichenden Analyse in Orientierung an den Zielen und der Struktur der Gemeinschaft und mit Hinweis auf Art. 34 EGKSV kam Generalanwalt Roemer in seinen Schlußanträgen zum Ergebnis, "es sei, obwohl eine Amtshaftung aus normativem Verhalten nicht in allen 5 6

Slg. 1971,336. EuGH, Urteil vom 2. 12. 1971, Rs. 5/71, Slg. 1971, 975.

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§ 1 übersicht über die Rechtsprechung des EuGH

Mitgliedstaaten bekannt ist, gerechtfertigt, den Grundsatz als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen, eben weil er weit verbreitet ist und in gewissen Fällen sogar formelle Gesetze einschließt"7. Der Gerichtshof bejahte die Möglichkeit einer Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht, ohne näher an die in Art. 215 Abs. 2 EWGV genannten "allgemeinen Rechtsgrundsätze" anzuknüpfen. Für die Haftung für einen Rechtsetzungsakt, der wirtschaftspolitische Entscheidungen einschließt, entwickelte der EuGH besondere Voraussetzungen: Eine Haftung der Gemeinschaft für Schäden, die Einzelpersonen durch einen solchen Akt entstanden sind, könne "nur durch eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der einzelnen dienenden Rechtsnorm ausgelöst werden"8. Da der Gerichtshof die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Regelung verneinte, blieb die Klage ohne Erfolg. Die Formel von der "hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung" kehrt in den späteren Entscheidungen ständig wieder; dieses nicht leicht auszufüllende Kriterium hat seither die Diskussion um die Gemeinschaftshaftung für Rechtsetzungsakte maßgeblich geprägt. In der Rechtssache Compagnie d'approvisionnement 9 machten französische Geteideimporteure geltend, die Kommission habe in zwei Verordnungen die Subventionen für Getreideeinfuhren nach Frankreich im Anschluß an die Abwertung des französischen Frankens zu niedrig bemessen. Die Verordnungen verstießen gegen zugrundeliegende Ratsverordnungen und verletzten das Diskriminierungsverbot des Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV. Deshalb sei die Gemeinschaft zum Schadensersatz verpflichtet. Hilfsweise wurde der Anspruch auf eine Haftung für legale Rechtsetzungsakte wegen "Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit aller Bürger hinsichtlich der öffentlichen Lasten" gestützt, da die Klägerinnen einen "außergewöhnlichen und besonderen Schaden" erlitten hätten. Dem Zulässigkeitseinwand der Kommission, die Klage sei auf Umgehung der Voraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage nach Art. 173 EWGV gerichtet, trat der EuGH mit dem aus den Urteilen Lütticke und Schöppenstedt bekannten Hinweis auf die Eigenständigkeit der Schadensersatzklage entgegen. Einen Verstoß der angegriffenen Kommissionsverordnungen gegen die zugrundeliegenden Ratsverordnungen konnte der EuGH ebensowenig feststellen wie eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes. Dabei betonte der Gerichtshof, daß den Gemeinschaftsorganen bei der Milderung der Auswirkungen von Währungsschwankungen - vor allem nach Art. 103 EWGV - ein weitgespanntes Ermessen eingeräumt sei, das sie im "gemeinsamen Interes7 Schlußanträge vom 13.7.1971, Slg. 1971, 989 ff. (991). 8 Slg. 1971,984 f. 9 EuGH, Urteil vom 13.6. 1972, verb. Rs. 9 und 11/71, Slg. 1972, 391.

§

1 übersicht über die Rechtsprechung des EuGH

23

se" und nicht im Einzelinteresse bestimmter Gruppen von Marktteilnehmern auszuüben hätten. Eine Haftung für legale Rechtsetzungsakte lehnte der EuGH im konkreten Falle ab, da "die Maßnahmen der Kommission im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse lediglich die Folgen mindern sollten, die sich namentlich für sämtliche französischen Importeure aus dem Beschluß des französischen Staates ergaben, den Franken abzuwerten" 10. Das Urteil in der Rechtssache Haegeman 11 ist für das Verhältnis der Gemeinschaftshaftungsklage gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen bei der Durchführung von Gemeinschaftsregelungen durch nationale Behörden von grundlegender Bedeutung. Hier ging es um eine auf Kommissionsverordnungen beruhende Ausgleichsabgabe auf die Einfuhr griechischer Weine, die zu den eigenen Mitteln der Gemeinschaft gehörte und von den nationalen Behörden erhoben wurde. Im Hinblick auf geltend gemachte Schadensersatzansprüche verwies der EuGH die Klägerin auf den innerstaatlichen Rechtsweg: Die Frage einer Gemeinschaftshaftung sei primär mit der Rechtmäßigkeit der Erhebung der beanstandeten Abgabe verbunden; im Rahmen der Streitigkeiten zwischen Privatpersonen und den nationalen Behörden seien hierfür die innerstaatlichen Gerichte zuständig. Daher sei die Schadensersatzklage beim gegenwärtigen Sachstand als unzulässig abzuweisen. In der Rechtssache Wünsche 12 ging es um Schadensersatz für die Einbußen, die die Klägerin infolge der Einführung einer Mindestpreisregelung für Tomatenkonzentratimporte aus Griechenland erlitten haben sollte. Die Gültigkeit der Verordnung war Gegenstand eines Vorlageverfahrens nach Art. 177 EWGV im Rahmen eines anderen Rechtsstreits; einen Rechtsverstoß hatte der Gerichtshof dabei nicht feststellen können. Die Klage hatte keinen Erfolg, da der EuGH eine "hinreichend qualifizierte" Rechtsverletzung verneinte. In der Sache Merkur 13 wandte sich ein deutsches Exportunternehmen mit seiner Schadensersatzklage dagegen, daß die Kommission in Durchführungsbestimmungen zu einer Ratsverordnung keine Ausgleichsbeträge für die Ausfuhr von Getreideprodukten festgesetzt hatte, wie sie in der Grundverordnung im Zusammenhang mit Wechselkursschwankungen vorgesehen waren. Im Hinblick auf die Kommissionsverordnungen hatten die deutschen Behörden Anträge der Klägerin auf Gewährung von Ausgleichsbeträgen abgelehnt. Die (bei Schadensersatzklagen wegen normativen Unrechts mit fast monotoner 10

11 12 13

Slg. 1972, 409. EuGH, Urteil vom 25. 10. 1972, Rs. 96/71, Slg. 1972, 1005. EuGH, Urteil vom 12.7.1973, Rs. 59/72, Slg. 1973, 791. EuGH, Urteil vom 24. 10. 1973, Rs. 43/72, Slg. 1973, 1055.

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Regelmäßigkeit vorgetragenen) Bedenken der Kommission wegen einer angeblichen Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Klage nach Art. 173 EWGV wies der EuGH mit den bekannten dicta zur Eigenständigkeit der Schadensersatzklage zurück. Die Kommission brachte weiterhin - in Anknüpfung an die Entscheidungen Kampffmeyer und Haegeman gegen die Zulässigkeit der Klage vor, die Klägerin müsse erst den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpfen; dabei sei im Rahmen eines Vorlageverfahrens nach Art. 177 EWGV die Rechtmäßigkeit der Kommissionsverordnungen zu klären. Der Gerichtshof äußerte gegenüber diesem Zulässigkeitseinwand, er sei im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufen worden und habe daher die Fehlerhaftigkeit der Verordnungen zu prüfen. Das Gebot einer "guten Rechtspflege" und der "Prozeßökonomie" ließe es nicht zu, die Klägerin erst auf den innerstaatlichen Rechtsweg zu verweisen l4 • Auf der Ebene der Begründetheit verneinte der EuGH einen Verstoß der Verordnungen gegen die zugrundeliegenden Ratsvorschriften und gegen das Diskriminierungsverbot. Dabei billigte der Gerichtshof den Gemeinschaftsorganen bei der Abwehr von Störungen des Warenverkehrs durch Währungsschwankungen ein weites Ermessen und - vor allem bei dringlichen konjunkturpolitischen Maßnahmen - einen großzügigen Beurteilungs- und Prognosespielraum zu. Die dogmatische, wirtschaftliche und wettbewerbsrechtliche Problematik einer Gemeinschaftshaftung für normatives Handeln zeichnete sich im Werhahn-Fall l5 mit deutlichen Konturen ab. Eine Reihe von deutschen Hartweizenmühlen machten mit ihren Schadensersatzklagen Ansprüche von beachtlicher finanzieller Dimension geltend; sie hätten durch Marktordnungsvorschriften des Rates empfindliche Einbußen erlitten. Dessen Preis- und Beihilferegelungen für den Hartweizensektor hätten Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der französischen Konkurrenten hervorgerufen, die damit erhebliche Marktvorteile gegenüber den deutschen Mühlen erlangt hätten. Die Klägerinnen stützten ihren Anspruch auf eine Verletzung des Gebotes der Stabilisierung der Agrarmärkte (Art.39 Abs. 1 (c) EWGV), des in Art.40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV verankerten Diskriminierungsverbotes sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Hilfsweise gründeten sie ihre Klagen auf Entschädigungsansprüche wegen eines rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriffs der Verwaltung. Prozessual stellte sich das Problem der Vertretungsbefugnis auf der Beklagtenseite, da nach dem klägerischen Vortrag das schadens auslösende Verhalten sowohl dem Rat, der die beanstandeten Vorschriften erlassen hatte, als auch der Kommission zuzurechnen war, die die Maßnahmen vorgeschlagen hatte. Während 14

15

SIg. 1973, 1070. EuGH, Urteil vom 13.11. 1973, verb. Rs. 63 - 69/72, SIg. 1973, 1229.

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die Kommission die alleinige Vertretungsbefugnis in Analogie zu Art. 211 EWGV für sich beanspruchte, entschied der EuGH, bei Schadensersatzklagen werde die Gemeinschaft vor dem Gerichtshof durch die Organe vertreten, denen das schädigende Verhalten zur Last gelegt wird. Beantragt werden könne nur eine Verurteilung der Gemeinschaft; die auf gesamtschuldnerische Verurteilung von Rat und Kommission gerichteten Klagen seien deswegen aber nicht unzulässig. Die Beklagtenseite wies darauf hin, daß der Regelungsgehalt der beanstandeten Vorschriften genereller sei als in der Sache Schöppenstedt, in der der EuGH zum erstenmal eine Gemeinschaftshaftung für normatives Handeln im Grundsatz anerkannt hatte. Die Klagen seien im Grunde auf eine Revision der Getreidemarktordnung gerichtet und würden bei Erfolg wegen der Breitenwirkung einer Verurteilung der Gemeinschaft dieses Ziel auch erreichen. Schließlich finde eine Gemeinschaftshaftung für Rechtsetzungsakte nach dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten Dänemark, Irland und Vereinigtes Königreich schwerlich eine Grundlage in den "allgemeinen Rechtsgrundsätzen", auf die Art. 215 Abs.2 EWGV Bezug nimmt. Generalanwalt Roemer sprach sich in seinen detaillierten Schlußanträgen gegen ein Abschwenken auf eine restriktivere Linie aus l6 • Der EuGH griff in lapidarer Weise auf die im Schöppenstedt-Urteil entwickelte Formel von der "qualifizierten Rechtsverletzung" als haftungsbegründendem Merkmal bei Rechtsetzungsakten mit wirtschaftspolitischem Einschlag zurück. Im konkreten Fall verneinte der EuGH einen Verstoß gegen das Stabilisierungsgebot des Art. 39 EWGV; es bedeute nicht, daß unter früheren Marktbedingungen erlangte Marktpositionen unter allen Umständen erhalten bleiben müßten. Auch eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wollte der Gerichtshof nicht erkennen. Ob nach Art. 215 Abs. 2 EWGV eine Haftung für einen rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriff überhaupt begründet sein kann, ließ der Gerichtshof offen, da es schon an der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Gemeinschaftsakte fehle. In der Sache Holtz & Willemsen 17 beanstandete ein deutsches Ölmühlenunternehmen Beihilfevorschriften des Rates für die Verarbeitung von Raps- und Rübsensamen; die Klägerin machte geltend, die zusätzliche Subventionierung italienischer Mühlen sei diskriminierend, und verlangte als Schadensersatz den Betrag, der ihr bei Ausdehnung der Beihilferegelung auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet gewährt worden wäre. Die gegen die Zulässigkeit der Klage vorgebrachte Einrede, mit der Klage werde praktisch wie mit einer Untätigkeitsklage eine Ergän16 17

Schluß anträge vom 18.9. 1973, Slg. 1973, 1257 ff. EuGH, Urteil vom 2. 7. 1974, Rs. 153173, Slg. 1974,675.

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zung der angeblich diskriminierenden Beihilferegelung begehrt, drang nicht durch. Im Ergebnis hielt der Gerichtshof die Klage für unbegründet. Da es sich bei der strittigen Regelung um eine Eilmaßnahme gegen bestimmte Marktstörungen handele, liege in einzelnen Lücken und anderen Unzulänglichkeiten noch kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 40 Abs. 3 Unterabs. 2 EWGV. Zum erstenmal hat der EuGH einen Anspruch auf Schadensersatz für normatives Gemeinschaftshandeln - dem Grunde nach - in der Rechtssache CNTA 18 zuerkannt. Hier ging es um Ausgleichsbeträge, die zur Abwehr von Störungen des Agrarmarktes durch Währungsmaßnahmen für die Ausfuhr und Erzeugung von Raps- und Rübsensamen sowie daraus gewonnenem Öl aufgrund von Gemeinschaftsvorschriften gewährt worden waren. Nachdem die Kommission durch Verordnung ohne eine Übergangsregelung die Ausgleichsbeträge abgeschafft hatte, strengte eine französische Firma eine Schadensersatzklage gegen die Gemeinschaft an. Sie machte geltend, die Beseitigung der Ausgleichsbeträge, die ihr schon bewilligte Beihilfen und Erstattungen erfaßte, habe die Abwicklung laufender Lieferverträge gestört und ihr damit einen erheblichen Schaden verursacht. Der EuGH prüfte anhand des im Schöppenstedt-Urteil für wirtschaftspolitische Rechtsetzungsakte entwickelten Haftungsmaßstabes, ob eine "hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, die einzelnen schützenden Rechtsnorm" gegeben war. Der Gerichtshof führte aus, daß das System der Ausgleichsbeträge in erster Linie zum Schutz der Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Agrarmarktes bestimmt sei und nicht die Unternehmen gegen das Risiko von Wechselkursschwankungen absichern sollte. Jedoch könne ein Unternehmer darauf vertrauen, daß bereits abgeschlossene Geschäfte, von denen er sich faktisch nicht mehr lösen kann (weil er sich gegen Leistung einer Kaution unter Vorausfestsetzung des Erstattungsbetrages Ausfuhrlizenzen hat erteilen lassen), nicht unvorsehbaren Änderungen unterworfen werden, die ihm durch Rücküberbürdung des Wechselkurs risikos Einbußen verursachen. Die Verletzung dieses berechtigten Vertrauens durch die abrupte Abschaffung der Ausgleichsbeträge ohne Übergangsregelungen, deren Unterbleiben nicht durch zwingende Gemeinschaftsinteressen geboten gewesen sei, begründe als Verstoß gegen eine höherrangige Rechtsnorm die Haftung der Gemeinschaft. Den ersatzfähigen Schaden begrenzte der EuGH dem Umfang nach auf die durch die Abschaffung der Ausgleichsbeträge entstandenen Einbußen; auf die Gewinne, die die Klägerin unter dem beseitigten Ausgleichsbetragsregime hätte erzielen können, erstrecke sich der Vertrauensschutz nicht. 18 EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs.74/74, Slg. 1975, 533 = EuGRZ 1975, 426 m. Anm. von Streil, 449 = RIW/AWD 1976, 38 m. Anm. von Mössner, 93.

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Um das Verhältnis der Schadensersatzklage nach Art. 178, 215 Abs.2 EWGV gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen ging es im Urteil Grands Moulins l9• Ein Getreidehandelsunternehmen aus einem französischen Überseedepartement hatte bei den französischen Behörden Ausfuhrerstattungen und Übergangsvergütungen für Lagerbestände beantragt. Agrarverordnungen der Gemeinschaft bestimmten, daß diese Leistungen von den nationalen Stellen zu bewilligen waren. Die Vorschriften galten für das gesamte französische Hoheitsgebiet. Die französischen Behörden hatten die Anträge der Klägerin mit dem Hinweis abgelehnt, die Gemeinschaft hätte für die überseeischen Gebiete keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt. Nachdem die Kommission, an die sich die Klägerin daraufhin gewandt hatte, es abgelehnt hatte, die begehrten Erstattungen und Vergütungen zu zahlen, machte die Klägerin einen Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinschaft geltend. Der Gerichtshof wies die Klage als unzulässig ab: "Weigert sich ein Gemeinschaftsorgan, eine Leistung zu erbringen, die, wenn überhaupt, aufgrund des Gemeinschaftsrechts einem Mitgliedstaat obliegt, so begründet das keine außervertragliche Haftung der Gemeinschaft. Die auf die außervertragliche Haftung gestützte Klage setzt voraus, daß ein von einer Handlung oder Unterlassung der Gemeinschaft herrührender Schaden geltend gemacht wird." Die Klage sei in Wirklichkeit darauf gerichtet, "die Gemeinschaft anstelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zur Auszahlung der Beträge zu veranlassen, die die Klägerin auf grund des Gemeinschaftsrechts für sich beansprucht"20. Da nach den einschlägigen Agrarverordnungen für die beantragten Leistungen die innerstaatlichen Behörden zuständig seien und die Ansprüche gegen diese Behörden nicht von einer Finanzierungszusage der Gemeinschaft abhingen, sei die Klage unzulässig. Ähnlich wie im CNTA-Urteil hatte der EuGH in dem Fall Cooperatives Agricoles de Cereales1 über den begehrten Ersatz von Schäden zu entscheiden, die die Klägerinnen dadurch erlitten haben sollten, daß eine durch Ratsverordnung eingeführte neue Methode zur Berechnung von Währungsausgleichsbeträgen für Getreideexporte aufgrund einer Durchführungsverordnung der Kommission auf Ausfuhrgeschäfte angewendet wurde, für die schon Ausfuhrlizenzen ausgestellt worden waren. Die Klägerinnen stützten ihren Anspruch vor allem darauf, daß die Anwendung des neuen Berechnungsmodus auf schon vor der Einführung der geänderten Berechnungsmethode oder wenigstens vor ihrer erstmaligen Anwendbarkeit abgeschlossene Ausfuhrgeschäfte die 19 20 21

EuGH, Urteil vom 26. 11. 1975, Rs. 99174, Slg. 1975, 1531. Slg. 1975, 1539 f. EuGH, Urteil vom 10. 12. 1975, verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100175, Slg.

1975, 1615.

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Rechte verletzt habe, die sie mit Erteilung der Ausfuhrlizenzen erwor"' ben hätten. Der Gerichtshof verneinte die geltend gemachte Verletzung erworbener Rechte, da die Ansprüche auf Währungsausgletchsbeträge stets erst mit der Durchführung der Exporte entstanden. Generalanwalt Trabucchi hatte dazu ausgeführt, daß die Klägerinnen eben kein bestandskräftiges subjektives Recht auf künftige Zahlungen nach Maßgabe der bei Beantragung oder Erteilung der Ausfuhrlizenzen geltenden Vorschriften gehabt hätten und daß ein solches Recht im Sinne einer Normgewährleistung auch im CNTA-Urteil nicht anerkannt worden seiZl. Die Klägerinnen beriefen sich auch darauf, die Anwendung der neuen Berechnungsmethode habe ihr berechtigtes Vertrauen in die Beibehaltung der früheren Regelung verletzt. Der Gerichtshof betonte demgegenüber, daß bei Abschluß der Exportverträge entweder den Klägerinnen die Ratsverordnung bekannt war oder diese nach Veröffentlichung der Änderungspläne die Neuregelung des Berechnungsmodus hätten voraussehen können. Damit sei die Änderung der Berechnungsregelung und ihre Anwendbarkeit auf die abgeschlossenen Geschäfte in den Risikobereich der Klägerinnen gefallen. In der Rechtssache IBC23 verlangte die Klägerin, ein italienisches Importunternehmen, Ersatz des Schadens, der ihr infolge der Anwendung einer Kommissionsverordnung durch die italienischen Zollbehörden zugefügt worden sei; die Verordnung, die eine Kürzung von Währungsausgleichsbeträgen vorsah, verstoße gegen höherrangiges Recht. Diese Ausgleichsbeträge wurden mit Einfuhrabgaben verrechnet, die von den innerstaatlichen Behörden eingezogen wurden. Wie in den Fällen Merkur oder CNTA ging es um eine Klage wegen angeblich fehlerhafter Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane. Dennoch sah Generalanwalt Warner eher eine Parallele zu den Entscheidungen Haegeman und Grands Moulins24 • Der Gerichtshof folgte dem Generalanwalt im Ergebnis und hielt die Klage für unzulässig: Sie diene dem Ziel, "die Gemeinschaft zu veranlassen, die angeblich zu Unrecht erhobenen Beträge anstelle der innerstaatlichen Behörden zurückzuzahlen"25. über die Rechtmäßigkeit der Durchführungsmaßnahmen der italienischen Verwaltung hätten die innerstaatlichen Gerichte - mit der Vorlagemöglichkeit nach Art. 177 EWGV - zu entscheiden. Daß mit der Schadensersatzklage wegen der Abschaffung von Ausgleichsbeträgen oder anderen Beihilfen durch Gemeinschaftsvorschriften nicht ohne weiteres unternehmerisches Risiko auf die Gemeinzl

23 24 25

Schlußanträge vom 12.11. 1975, Slg. 1975, 1643. EuGH, Urteil vom 27. 1. 1976, Rs. 46175, Slg. 1976, 65. Schlußanträge vom 17.12.1975, Slg. 1975, 86 f. Slg. 1976, 79.

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schaft abgewälzt werden kann, machte der EuGH in dem Urteil Lesieuili' deutlich. Hier klagten mehrere, mit dem Kauf, dem Verkauf und der Verarbeitung von Rapssamen befaßte französische Unternehmen den Schaden ein, den sie infolge der Aufhebung von Währungsausgleichsbeträgen für den Öl- und Fettsektor durch eine Kommissionsverordnung erlitten haben sollten. Sie machten geltend, als Folge dieser Maßnahme seien Störungen des Warenverkehrs eingetreten; diese konnte der Gerichtshof jedoch nicht feststellen. Weiterhin behaupteten die Klägerinnen, die Aufhebung der Ausgleichsbeträge habe sie dem Risiko der Bildung von Preisen ausgesetzt, bei denen das mit dem Regime von (weiterhin geleisteten) Beihilfen und (den nun abgeschafften) Ausgleichszahlungen einmal garantierte Einkommen nicht mehr gewährleistet sei; dafür müsse die Gemeinschaft eintreten. Der Gerichtshof wies darauf hin, daß mit dem System von Beihilfen und Ausgleichsbeträgen kein bestimmtes Einkommensniveau sichergestellt werden sollte. Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes sei die Gemeinschaft nicht zum Schadensersatz verpflichtet. In der Rechtssache Roquette'Il knüpfte der EuGH in der Frage seiner Zuständigkeit bei Streitigkeiten um von innerstaatlichen Behörden aufgrund Gemeinschaftsrechts erhobenen Beträgen an seine früheren Entscheidungen in den Sachen Haegeman und IBC an. Die Klägerin, eine französische Gesellschaft, wandte sich dagegen, daß die französischen Zollbehörden aufgrund einer Gemeinschaftsverordnung für Rechnung der Gemeinschaft Währungsausgleichsbeträge bei der Ausfuhr von Stärkemehlerzeugnissen erhoben hatten. Sie klagte deswegen vor einem französischen Gericht auf Rückerstattung der Beträge und auf Zahlung von Verzugszinsen gegen die französische Verwaltung. Im Rahmen eines Vorlageverfahrens nach Art. 177 EWGV entschied der EuGH, daß die Festsetzung von Ausgleichsbeträgen in der Kommissionsverordnung gegen die zugrundeliegende Verordnung des Rates verstieß. Das französische Gericht verurteilte daraufhin den französischen Staat zur Erstattung der rechtsgrundlos erbrachten Leistungen, wies die Klage aber im Hinblick auf die geltend gemachten Verzugszinsen ab. Parallel zu dem französischen Gerichtsverfahren hatte die Klägerin vor dem EuGH auf Ersatz des ihr durch die rechtswidrige Kommissionsverordnung entstandenen Schadens geklagt. Nach dem französischen Urteil (gegen das keine Berufung eingelegt wurde) begehrte die Klägerin nur noch die Verzinsung der erhobenen Beträge sowie "grundsätzlichen Ersatz" des Schadens, der ihr durch eine als Folge der Verordnung eingetretene Verfälschung der Wettbewerbs26 27

EuGH, Urteil vom 17.3.1976, verb. Rs. 67 bis 85175, Sig. 1976, 391. EuGH, Urteil vom 21. 5. 1976, Rs. 26174, Sig. 1976, 677.

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bedingungen entstanden sei, und zwar in Form einer symbolischen Entschädigung. Im Hinblick auf den Zinsanspruch wiederholte der EuGH seine frühere Formel, Rechtsstreitigkeiten über die Erstattung von Beträgen, die von nationalen Behörden für Rechnung der Gemeinschaft eingezogen werden, fielen in die Zuständigkeit der innerstaatlichen Gerichte und seien von diesen nach Maßgabe nationalen Rechts zu entscheiden, soweit das Gemeinschaftsrecht keine Regelung bereithält. Den Antrag auf symbolischen Schadensersatz wies der Gerichtshof ab, da die Klägerin keinen konkreten Schaden als Folge der beanstandeten Gemeinschaftsverordnung dargetan hatte. über die Zulässigkeit von Klagen, die auf Feststellung der Gemeinschaftshaftung dem Grunde nach gerichtet sind, hatte der Gerichtshof im Urteil Kampffmeyer n 28 zu entscheiden. Hier ging es um Schäden aufgrund von Preis- und Beihilferegelungen für den Hartweizensektor. Der Auffassung der Beklagten, nach Art.178 in Verbindung mit Art. 215 Abs. 2 EWGV seien nur Leistungsklagen zulässig, widersprach der Gerichtshof: Eine Feststellungsklage sei zulässig, wenn die Schadensursache gewiß ist und der Eintritt des geltend gemachten Schadens unmittelbar bevorsteht. Die meisten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ließen eine Haftungsklage bei einem künftigen Schaden zu, wenn dessen Entstehung "hinreichend gewiß" ist. Diese Voraussetzungen sah der EuGH als erfüllt an. Auf Begründetheitsebene gelangte der Gerichtshof zur Klageabweisung, da er die gerügte Verletzung von Art. 39 und 40 EWGV verneinte. Im Fall Compagnie Industrielle du Comte de Loheac29 stand der Umfang gerichtlicher Kontrolle über die Ausübung der Verordnungsgewalt und das Maß der damit verbundenen Gestaltungsfreiheit der Gemeinschaftsorgane im Vordergrund30• Eine Reihe von Rohrzuckererzeugern aus den französischen Departements Martinique und Guadeloupe klagten hier auf Ersatz des Schadens, der ihnen angeblich dadurch entstanden war, daß die Gemeinschaftsorgane bei der Regelung des Interventionspreises für Zucker dem Unterschied zwischen den jährlichen Ernte- und Absatzzeiten in Europa und in den überseeischen Departements nicht Rechnung getragen hatten. Der EuGH verneinte die Rechtswidrigkeit der Regelung, da sich der Rat beim Erlaß der maßgeblichen Verordnung im Rahmen seines wirtschaftspolitischen Ermessens gehalten habe. Weder Art. 39 EWGV noch das Diskriminierungsverbot des Art.40 Abs.3 EWGV seien verletzt. Die Geltendmachung eines außergewöhnlichen, besonderen und unmittelbaren, nach Auffas28 29 30

EuGH, Urteil vom 2. 6.1976, verb. Rs. 56 bis 60174, Slg. 1976, 711. EuGH, Urteil vom 31. 3.1977, verb. Rs. 54 bis 60176, Slg. 1977, 645. Vgl. Generalanwalt Reischl, Schluß anträge vom 10.3.1977, Slg. 1977, 662.

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sung der Klägerinnen schon deswegen entschädigungspflichtigen N achteils hielt der Gerichtshof für unbegründet, weil ein solcher Nachteil nicht in einem Verlust, sondern allenfalls in einer nicht konkret nachgewiesenen Einbuße an Gewinn bestünde. Eine wichtige Konkretisierung der in der Judikatur ständig wiederkehrenden Formel von der "qualifizierten Rechtsverletzung" als Haftungsvoraussetzung bei wirtschaftspolitischen Rechtsetzungsakten brachte das HNL-Urteil ("Zweites Magermilchpulver-Urteil")31. Während der Gerichtshof bis dahin - vom CNTA-Urteil abgesehen - eine Gemeinschaftshaftung regelmäßig schon an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vorschrift hatte scheitern lassen, veranlaßte hier die Feststellung der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Verordnung in einem Vorlageverfahren den EuGH, näher auf die Voraussetzungen einzugehen, an die eine Schadensersatzpflicht der Gemeinschaft wegen normativen Unrechts geknüpft sein soll. Zum erstenmal nahm der EuGH dabei - allerdings nur summarisch - auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Bezug. In der Sache ging es um eine Ersatzpflicht für die schädlichen Auswirkungen einer Ratsverordnung über die Verpflichtung zum Ankauf von Magermilchpulver aus den Beständen der Interventionsstellen, das zur Verwendung in Futtermitteln bestimmt war. Der EuGH hatte (nach Klageerhebung) in parallelen Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EWGV die Verordnung für ungültig erklärt, weil sie die Verpflichtung zum Ankauf von Magermilchpulver zu einem unverhältnismäßig hohen Preis eingeführt habe; die Verpflichtung zum Ankauf zu einem weit überhöhten Preis habe "eine diskriminierende Verteilung der Lasten auf die einzelnen Agrarsektoren" dargestellt32. Demgegenüber hatte Generalanwalt Capotorti in diesen Verfahren zwar einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bejaht, nicht aber eine Diskriminierung im Rahmen eines Konkurrenzverhältnisses; dabei hat er anders als der Gerichtshof das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Diskriminierungsverbot klar voneinander getrennt33 . In dem Schadensersatzverfahren plädierte der Generalanwalt dann in seinen Schlußanträgen, in denen er sich eingehend mit dem Begriff der "qualifizierten Rechtsverletzung" auseinandersetzte, auf der Grundlage der bereits vom EuGH festgestellten Rechtsfehler für eine Haftung der Gemeinschaft (dem Grunde nach)34. Der Ge31 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, Slg. 1978, 1209 = EuGRZ 1978, 242 m. Anm. von Engler, EuGRZ 1979, 377 = EuR 1978, 351 m. Anm. von Fuß, 353 = NJW 1978, 1742 m. Anm. von Grabitz = RIW/AWD 1978, 529 m. Anm. von Modest, 530. 32 EuGH, Urteil vom 5.7.1977, Rs.114176, Bela-Mühle, Slg. 1977, 1211, 1221. 33 Schlußanträge vom 7.6.1977, Slg. 1977, 1230 ff. 34 Schlußanträge vom 1. 3. 1978, Slg. 1978, 1226 ff.

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richtshof verneinte jedoch einen Schadensersatzanspruch der Kläger, deutschen Geflügel- und Eierproduzenten. Zwar diene das durch die Verordnung verletzte Diskriminierungsverbot des Art. 40 Abs. 3 Unterabs. 2 EWGV dem Schutz Einzelner; aber in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten würden Rechtsvorschriften, die das Ergebnis wirtschaftspolitischer Entscheidungen sind, "nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen" eine Haftung der öffentlichen Gewalt für dadurch entstandene Schäden begründen. Dies beruhe darauf, daß "die gesetzgebende Gewalt selbst dann, wenn ihre Handlungen richterlicher Kontrolle unterworfen sind, bei ihrer Willensbildung nicht jedesmal durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden darf, wenn sie Anlaß hat, im Allgemeininteresse Rechtsnormen zu erlassen, welche die Interessen der einzelnen berühren können". Daraus folge, "daß es den einzelnen auf den in die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft fallenden Gebieten zugemutet werden kann, in vernünftigen Grenzen gewisse schädliche Auswirkungen einer Rechtsvorschrift auf ihre Wirtschaftsinteressen ohne Anspruch auf Entschädigung aus öffentlichen Mitteln hinzunehmen, selbst wenn die Vorschrift für ungültig erklärt worden ist". Auf einem Sektor wie dem vorliegenden, der "durch ein für die Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik unerläßliches weites Ermessen gekennzeichnet ist", könne die Haftung der Gemeinschaft "somit nur ausgelöst werden, wenn das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten hat"35. Eine Haftung der Gemeinschaft sei bei der vorliegenden Sachlage abzulehnen; denn die beanstandete Maßnahme habe sehr große Gruppen von Marktteilnehmern betroffen und auf den Einzelnen nur in relativ bescheidenem Umfang schädliche Auswirkungen gehabt. Diese Auswirkungen auf ihre Ertragskraft müßten die auf dem betroffenen Agrarsektor tätigen Unternehmen unter Berücksichtigung der mit dieser Tätigkeit verbundenen wirtschaftlichen Risiken hinnehmen. Zum zweitenmal hat der Gerichtshof die Schadensersatzpflicht der Gemeinschaft für fehlerhafte Rechtsetzungsakte in seinen Urteilen vom 4.10.1979 in den Fällen der "Quellmehl-Haftung" und der "MaisgritzHaftung" bejaht. Dabei knüpfte der Gerichtshof an die im HNL-Urteil entwickelten restriktiven Haftungskriterien an. In den Fällen IreksArkady 36 und Interquell Stärke-Chemie37 verlangten die Klägerinnen Ersatz des Schadens, der ihnen dadurch entstanden sein sollte, daß 35 SIg. 1978, 1225. 36 EuGH, Urteil vom 4.10.1979, Rs.238178, SIg.1979, 2955 = RIW/AWD 1979,849 m. Anm. von Gündisch, 850. 37 EuGH, Urteil vom 4. 10. 1979, verb. RS.261 und 262178, SIg. 1979, 3045 = EuGRZ 1979, 538 m. Anm. von Stein, 540 = EuR 1980, 58 m. Anm. von Hermann, 62.

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durch eine Ratsverordnung bisher gewährte Erstattungen bei der Erzeugung von Quellmehl abgeschafft worden waren, während sie für die Erzeugung der wirtschaftlich substituierbaren Quellstärke beibehalten wurden. In einem Vorabentscheidungsverfahren hatte der Gerichtshof für Recht erkannt, daß die beanstandete Ratsverordnung insoweit mit dem Diskriminierungsverbot unvereinbar sei, als sie Quellmehl und Quellstärke ungleich behandelte. Daraufhin führte der Rat die Erstattungen bei der Erzeugung für Quellmehl zur Brotherstellung wieder ein; dabei war - auf Antrag - eine Rückwirkung auf den Tag der Vorab entscheidung des EuGH vorgesehen. Als Schäden machten die Klägerinnen den Einnahmeausfall für den Zeitraum zwischen dem Wegfall der Erstattungen aufgrund der rechtswidrigen Ratsverordnung und der Anwendbarkeit der neuen Regelung in Höhe der Erstattungen geltend, die die Klägerinnen bei Erstreckung der für Quellstärke gewährten Leistungen auf dem konkurrierenden Quellmehlsektor erhalten hätten. Dem Zulässigkeitseinwand der Beklagten, die Klägerinnen hätten vor den innerstaatlichen Gerichten gegen die zuständigen staatlichen Stellen auf Zahlung der Erstattungen klagen müssen, trat der EuGH mit dem Hinweis auf die Eigenständigkeit der Schadensersatzklage und mit der Erwägung entgegen, daß ein innerstaatliches Gericht einer Zahlungsklage nicht hätte stattgeben können, weil es keine gemeinschaftsrechtliche Norm gebe, die den staatlichen Stellen die Zahlung der verlangten Beträge gestatten würde. Der Gerichtshof konkretisierte das Merkmal der "qualifizierten Rechtsverletzung" unter Rückgriff auf die Formulierungen im HNL-Urteil. Er stellte fest, daß der Rat die Grenzen, die ihm bei der Ausübung seines Ermessens im Rahmen der Agrarpolitik gezogen sind, durch den Verstoß gegen den besondere Bedeutung beanspruchenden, namentlich in Art. 40 Abs. 3 Unterabs.2 EWGV verankerten Gleichheitsgrundsatz "offenkundig und erheblich" überschritten habe. Der EuGH betonte, daß die Verletzung des Diskriminierungsverbots im vorliegenden Fall nur eine "begrenzte und klar umrissene Gruppe von Unternehmen" betroffen habe, da die Zahl der Quellmehlhersteller in der Gemeinschaft sehr gering sei. Schließlich ging nach Ansicht des Gerichtshofes der von den Klägerinnen geltend gemachte Schaden "über die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken hinaus, die eine Betätigung in dem betroffenen Wirtschaftszweig mit sich bringt". Der EuGH wies auch auf das Fehlen einer hinreichenden Begründung für die Beseitigung der Erstattungen für Quellmehl durch die beanstandete Verordnung hin. Der EuGH sah demnach die von ihm aufgestellten Haftungsvoraussetzungen - die offenkundige und erhebliche Verletzung einer höherrangigen und drittschützenden Rechtsnorm, die Schädigung einer begrenzten Gruppe und einen über das normale Unternehmerrisiko hinausgehenden Scha3 Herdegen

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den - als erfüllt an und bejahte einen Schadensersatzanspruch der Klägerinnen dem Grunde nach. Im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit des geltend gemachten Schadens folgte der EuGH der Differenzmaxime, nach der der Schaden in der Differenz zwischen der sich ohne das schädigende Ereignis ergebenden (hypothetischen) Vermögenslage und dem tatsächlichen Zustand besteht38 . Der so berechnete Schaden der Klägerinnen (die sich für einen Verkauf des Quellmehls unter Einbußen und nicht für eine Preiserhöhung mit dem Risiko von Marktverlusten entschieden hatten) decke sich der Höhe nach mit den Erstattungen, die bei Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes für die Quellmehlherstellung hätten gewährt werden müssen. Ähnlich hat der Gerichtshof in seinen Urteilen DGV39 und Dumortier Freres 40 zur "Maisgritz-Haftung" entschieden. Hier ging es um eine

Erstattungsregelung, die die Erzeuger von Maisgritz gegenüber den konkurrierenden Maisstärkeproduzenten diskriminierte. Im Fall Dumortier Freres hatten einige Klägerinnen Schäden eingeklagt, die der Höhe nach über die nichtgewährten Erstattungen hinausgingen und bis zur Unternehmensliquidation geführt haben sollten. Der Gerichtshof verneinte insoweit Ersatzansprüche, da es an einem hinreichend unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen diesen Schäden und der beanstandeten Regelung fehle. Bei der Gemeinschaftshaftung für Rechtsetzungsakte könnten die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam allgemeinen Rechtsgrundsätze "nicht herangezogen werden, um eine Verpflichtung zum Ersatz für jede auch noch so entfernte nachteilige Folge rechtswidriger Vorschriften zu stützen"41. Im Urteil Amylum42 zur "Isoglucose-Haftung" hat der Gerichtshof die Haftungsvoraussetzungen bei normativem Unrecht weiter verschärft. Die Klägerinnen begehrten hier Schadensersatz wegen der Auferlegung einer Produktionsabgabe für Isoglucose aufgrund einer Ratsverordnung. In einem Vorabentscheidungsverfahren hatte der EuGH festgestellt, daß die Produktionsabgaberegelung für Isoglucose "offenkundig unbillig" sei und gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, "der in Artikel 40 Absatz 3 des Vertrages einen besonderen Ausdruck gefunden hat", verstoße43 , während Generalanwalt Reischl eine wett38 So auch Generalanwalt Capotorti, Sc.'J.lußanträge vom 12.9. 1979, Slg. 1979, 2999. 39 EuGH, Urteil vom 4. 10. 1979, verb. Rs. 241, 242, 245 bis 250178, Slg. 1979, 3017. 40 EuGH, Urteil vom 4.10.1979, verb. Rs. 64 und 113176, 167 und 239178, 27, 28 und 45179, Slg. 1979, 3091. 41 Slg.1979, 3117. 42 EuGH, Urteil vom 5. 12. 1979, verb. Rs. 116 und 124177, Slg.1979, 3497. 43 EuGH, Urteil vom 25.10.1978, verb. Rs. 103 und 145177, Royal ScholtenHonig, Slg. 1978, 2037, 2082.

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bewerbsrelevante Diskriminierung (der Isoglucosehersteller gegenüber den Zuckerherstellern) verneint hatte44 • Zur Begründung strenger Haftungsvoraussetzungen wies der EuGH auf die Möglichkeit hin, bei der Durchführung von Gemeinschaftsregelungen durch die nationalen Behörden könne sich der Einzelne, der sich durch Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane in seinen Rechten verletzt glaubt, vor den innerstaatlichen Gerichten zur Wehr setzen und dabei über das Vorlageverfahren nach Art. 177 EWGV eine verbindliche Klärung der Rechtmäßigkeit des Gemeinschaftsaktes erreichen; diese Klagemöglichkeit sei "bereits geeignet, den Schutz der einzelnen wirksam sicherzustellen"45. Obwohl die beanstandete Produktionsabgaberegelung "offenkundig unbillig" gewesen sei, wollte der Gerichtshof den Rechtsverstoß der Gemeinschaftsorgane als nicht so schwer ansehen, "daß man sagen könnte, das Verhalten ... grenze als solches an Willkür und sei somit geeignet, die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auszulösen" 46. Dabei betonte der EuGH, daß die Fehlerhaftigkeit der Gemeinschaftsregelung nicht in der Einführung der Produktionsabgabe für Isoglucose als solcher, sondern vor allem in deren Bemessung gelegen habe. Das Urteil Wagner47 hatte ein angebliches Fehlverhalten eines Gemeinschaftsorganes im Zusammenhang mit der Durchführung rechtmäßiger Gemeinschaftsvorschriften durch die nationalen Behörden zum Gegenstand. Die Klägerin verlangte Ersatz des Schadens, der ihr durch die Ablehnung ihres Antrages auf Annullierung einer Ausfuhrlizenz entstanden sei. Die Lizenz hatte sie auf grund des Zuschlages im Rahmen einer Dauerausschreibung für die Ausfuhr von Weißzucker erhalten. Zwischen Zuschlagserteilung und Ausstellung der Ausfuhrlizenz änderte der Rat die anzuwendenden Wechselkurse für Umrechnungen auf dem Landwirtschaftssektor. Eine Ratsverordnung schränkte die Möglichkeit der Annullierung von Ausfuhrlizenzen weitgehend ein. Diese Verordnung sollte am 1. 7.1976 in Kraft treten; aufgrund eines Streiks erfolgte die Veröffentlichung und Verbreitung des Amtsblattes erst am darauffolgenden Tag. Der EuGH entschied in einem anderen Verfahren, daß die Verordnung daher erst einen Tag später als vorgesehen angewendet werden dürfe. Die Klägerin machte geltend, ihr am 1. 7.1976 gestellter Antrag sei von den nationalen Stellen zu Unrecht in Anwendung der neuen Verordnung abgelehnt worden. Dieser Rechtsverstoß sei auf ein Fehlverhalten der Kommission zurückzuführen, die für die in ihre Sphäre fallende Verzögerung der Veröffentlichung verantwortlich sei und es versäumt habe, die innerstaatlichen Behörden Schlußanträge vom 20.6. 1978, Slg. 1978, 2025 ff. 45 Slg. 1979,3560. 46 Slg. 1979,3561. 47 EuGH, Urteil vom 12.12.1979, Rs. 12179, Slg. 1979, 3657. 44

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über die durch die Verzögerung bedingte Verschiebung des Inkrafttretens der Verordnung zu unterrichten. Der EuGH hielt die Klage für unzulässig: Die Schadensersatzklage der Art. 178 und 215 EWGV "bezweckt nicht, es dem Gerichtshof zu ermöglichen, Entscheidungen der einzelstaatlichen Behörden, denen die Durchführung bestimmter Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik übertragen ist, auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen oder über die finanziellen Folgen zu befinden, die sich aus der eventuellen Unwirksamkeit solcher Entscheidungen ergeben"48. über die Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheides hätten die innerstaatlichen Gerichte zu entscheiden. Der Antrag der Klägerin sei im Grunde auf Ersatz des Schadens gerichtet, der ihr deshalb entstanden sei, weil es ihr nicht gelungen ist, dem ablehnenden Bescheid der nationalen Behörden seine Wirkung zu nehmen. Es komme nicht darauf an, aus welchen Gründen die Klägerin nicht den innerstaatlichen Rechtsweg beschritten hatte. Daher könne sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, mit einer Klage gegen den ablehnenden Bescheid wäre für sie das erhebliche finanzielle Risiko verbunden gewesen, daß die Ausfuhrlizenz nicht ausgenutzt worden wäre und die Kaution verfallen wäre. Mit dem Sucrimex-Urteil49 hat der Gerichtshof diese Judikatur fortgesetzt. Hier ging es um die Ablehnung eines Antrages auf Zahlung von Ausfuhrerstattungen durch die französischen Behörden; dem Antrag lagen ordnungsgemäß erteilte Ausfuhrlizenzen zugrunde, deren Originale verlorengegangen waren. Die Klägerin führte die dilatorische Behandlung des Antrags und seine Ablehnung auf das Verhalten der Kommission zurück, die an die französischen Stellen ein Schreiben im Sinne eines ablehnenden Bescheides gerichtet hatte. Den Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung der in dem Schreiben angeblich liegenden "Entscheidung" der Kommission wies der Gerichtshof als unzulässig ab, da die Mitteilung die französischen Behörden nicht gebunden habe und ihr daher schon irgendeine Rechtswirkung nach außen fehle. Als unzulässig sah der EuGH auch die hilfsweise erhobene Schadensklage an. Das der Kommission angelastete Verhalten falle in den Rahmen der internen Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaftsorganen und den nationalen Behörden. Für die Kontrolle nationalen Verwaltungshandelns seien in erster Linie die innerstaatlichen Gerichte zuständig. In dem Fall Ludwigshatener Walzmühle so klagten deutsche Hartweizenmühlen und Teigwarenhersteller auf Ersatz der Einbußen, die 48 Slg. 1979,3671.

49 EuGH, Urteil vom 27. 3.1980, Rs. 133179, Slg. 1980, 1299. so EuGH, Urteil vom 17.12.1981, verb. Rs. 197 bis 200, 243, 245 und 247/80, Slg. 1981, 3211.

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ihnen durch die Festsetzung eines im Vergleich zum Weichweizenpreis zu hohen Schwellenpreises für im Jahre 1979 in die Gemeinschaft eingeführten Hartweizen entstanden seien. Die beanstandeten Regelungen waren Gegenstand mehrerer Verordnungen von Rat und Kommission. Die Klägerinnen machten geltend, der Abstand zwischen dem Schwellenpreis von Weichweizen und dem von Hartweizen habe eine zunehmende Substitution von Hartweizen durch Weichweizen zur Folge gehabt; dies habe einen Rückgang des Produktionsumfanges der Hartweizenmühlen und eine Minderung der Teigwarenqualität verursacht und damit zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsstellung der deutschen Hersteller gegenüber Konkurrenten in anderen Mitgliedstaaten geführt. Vor allem könnten die italienischen Hersteller den Hartweizen aus den Anbaugebieten in ihrer Nähe zu relativ günstigen Preisen beziehen, während die deutschen Hersteller den Rohstoff zum Schwellenpreis einführten. Die gerügten Rechtsverstöße der Schwellenpreisregelungen, darunter Verletzungen des Diskriminierungsverbotes des Art. 40 Abs. 3 Unterabs.2 EWGV und der allgemeinen Grundsätze der Agrarpreisfestsetzung, vermochte der Gerichtshof nicht zu erkennen. Dabei unterstrich der EuGH den weiten Gestaltungsspielraum der Gemeinschaftsorgane bei der Wahl der ihnen im Rahmen des Vertrages offenstehenden wirtschaftspolitischen Optionen und der von ihnen eingesetzten Instrumente. Außerdem sah der Gerichtshof weder den eingeklagten Schaden noch dessen Kausalzusammenhang mit den beanstandeten Verordnungen als ausreichend substantiiert an. Die Klägerinnen seien bei der Schadensberechnung von einem auf rein subjektiven wirtschaftlichen überlegungen beruhenden "richtigen" Preis für Hartweizen ausgegangen, ohne den speziellen Marktbedingungen innerhalb der Gemeinschaft ausreichend Rechnung zu tragen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Klägerinnen seien im Grunde vor allem darauf zurückzuführen, daß ein gesetzliches "Reinheitsgebot", das die ausschließliche Verwendung von Hartweizen bei der Teigwarenherstellung vorschreibt, in der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zur Rechtslage in manchen anderen Mitgliedstaaten nicht besteht.

§ 2 Methodischer Ansatz: wertende Rechtsvergleichung Die Vorschrift des Art. 215 Abs.2 EWGV gibt den methodischen Ansatz zur näheren Konkretisierung der Haftungsvoraussetzungen und des Umfangs des ersatzfähigen Schadens weitgehend vor: den Rückgriff auf die "allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind". Art.215 Abs.2 EWGV ist, abgesehen von der gleichlautenden Norm des Art. 188 Abs.2 EAGV, die einzige Vorschrift, die den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der nationalen Rechtsordnungen derart konstituierende Wirkung beimißt. Die Regelung liefert insoweit für die Rechtsvergleichung als Mittel normativer Lückenfüllung und Konkretisierung den Hauptansatzpunkt1. Die Bestimmung ist zu einer zentralen EinbruchsteIle für die rechtsstaatlichen Grundsätze des Verfassungs- und Verwaltungsrechts der einzelnen Mitgliedstaaten geworden, die weitgehend im liberalen Staatsdenken des 19. Jahrhunderts wurzeln und vor allem in der Rechtsprechung des BVerfG von Maßstäben zur Ermessenskontrolle des Verwaltungshandelns zu Prüfsteinen für die Einhaltung des gesetzgeberischen "Gestaltungsspielraumes" geworden sind. Dazu gehören etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das allgemeine Diskriminierungsverbot und das Prinzip des Vertrauensschutzes. Die Vorschrift des Art. 215 Abs.2 EWGV hat zwei Komponenten2 : Als "Delegationsnorm" ermächtigt sie den EuGH zu richterlicher Rechtsschöpfung; diese Rechtsschöpfung hat sich an den nationalen Rechtsordnungen und den ihnen gemeinsamen Rechtsgrundsätzen zu orientieren. Der Gerichtshof hat sein Mandat zu prätorischer Rechtset1 Dazu Bleckmann, Europarecht, 3. Auft. 1980, S. 97 ff.; Heldrich, JZ 1960, 681 ff.; ders., Die allgemeinen Rechtsgrundsätze der außervertraglichen Schadenshaftung im Bereich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1961; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, § 5/17 ff. (S. 112 ff.); Jaenicke, in:

Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 859 ff.; Jurina, ZaöRV 28 (1968), 374 ff.; Lecheler, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, 1971, S. 42 ff. und passim; Much, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, S. 726 ff.; Zieger, JÖR 22 (1973), 299 ff. Vgl. auch zum RÜckgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 40 (1963), S. 156 ff. 2 Dazu Generalanwalt Gand, Schlußanträge vom 19.4. 1967 in den verb. Rs. 5,7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967, 367.

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Methodischer Ansatz: wertende Rechtsvergleichung

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zung voll wahrgenommen. Dagegen hat er in seiner Judikatur bisher jeden eingehenderen Bezug auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vermissen lassen. In dem grundlegenden Schöppenstedt-UrteilJ hat der Gerichtshof die Möglichkeit einer Gemeinschaftshaftung für fehlerhafte Rechtsetzungsakte bejaht, ohne dafür einen rechtsvergleichenden Ansatz zu liefern. Daran hat sich auch nichts geändert, als der EuGH zum erstenmal einer Schadensersatzklage - dem Grunde nach - stattgegeben hat4• So erscheinen die Formel von der "hinreichend qualifizierten Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der einzelnen dienenden Rechtsnorm", mit der der EuGH seit dem Schöppenstedt-Urteil im Hinblick auf normatives Unrecht arbeitet, und ihre Konkretisierung durch die neue re Judikatur prima fade als das Produkt einer freien richterlichen Rechtsschöpfung. Die weitgehend abstrakten Leitsätze, die sich der Judikatur entnehmen lassen, sind ihrerseits so ausfüllungsbedürftig, daß sie in ihrer Allgemeinheit keine zuverlässige Subsumtion gestatten. Spärlich sind die Hinweise auf spezielle haftungsrechtliche Grundsätze. Im HNL-Urteil hat sich der EuGH zur Begründung einer restriktiven Handhabung der Haftungsvoraussetzungen summarisch darauf berufen, daß in den meisten Mitgliedstaaten Rechtsetzungsakte mit wirtschaftspolitischem Einschlag nur ausnahmsweise eine Haftung der öffentlichen Gewalt nach sich zögen; diese Einschränkung gründe sich darauf, daß solche gesetzgeberischen Entscheidungen nicht stets durch die Möglichkeit von Schadensersatzverpflichtungen präjudiziert werden dürftens. Mit dem Erfordernis des besonderen und schweren Schadens, das der EuGH im HNL-Urteil aufgestellt hat6, knüpft die Judikatur wohl unausgesprochen an die Rechtsprechung des französischen Conseil d'Etat zur Haftung für Legislativakte und an die Regelung in Art. 34 EGKSV an. Die Möglichkeit eines Anspruches wegen rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriffes hat der Gerichtshof offengelassen7 • Hinter dem Merkmal der Verletzung einer drittschützenden Rechtsnorm dürfte vor allem der Rückgriff auf das deutsche Staatshaftungsrecht stehen. Ausdrückliche Bezugnahmen auf nationale Rechtsordnungen läßt die Rechtsprechung zur Gemeinschaftshaftung vermissen. Dieses Fehlen eines klaren methodischen Ansatzes und der Rückzug auf eine Einzelfalljudikatur, auf eine Art "reasoning from case to case", EuGH, Urteil vom 2. 12. 1971, Rs. 5171, Slg. 1971, 975. EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs. 74174, CNTA, Slg. 1975, 533. 5 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, Slg. 1978, 1209, 1224. 6 Slg. 1978, 1225. 7 EuGH, Urteil vom 13.11.1973, verb. Rs. 63 - 69172, Werhahn, Slg.1973, 1229, 1252. J

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erschweren ebenso wie die Gewinnung subsumtionsfähiger Leitsätze aus der Rechtsprechung verläßliche Prognosen künftiger Entscheidungungen. Deutlich wird dies etwa anhand des Werhahn-Falles 8 • Dort votierte der Generalanwalt Roemer auf der Grundlage des vom EuGH entwickelten Kanons der Haftungsvoraussetzungen für eine Schadensersatzpflicht der Gemeinschaft; dabei attestierte der Generalanwalt den Gemeinschaftsorganen unter Berücksichtigung der Komplexität wirtschaftspolitischer Prognosen eine schwerwiegende Fehlentscheidung mit vermeidbarer wettbewerbsverzerrender Wirkung9 • Der EuGH folgte diesem Entscheidungsvorschlag nicht und verneinte recht summarisch eine qualifizierte Rechtsverletzung. Im HNL-Fall 10 sprach sich der Generalanwalt Capotorti nach eingehender Analyse der Rechtsprechung dafür aus, den Klagen stattzugebenll . Demgegenüber vertrat der EuGH die Auffassung, die geltend gemachten Einbußen seien wegen ihrer breiten Streuung und ihres relativ bescheidenen Umfanges von den betroffenen Unternehmen hinzunehmen. Die Bewältigung der hermeneutischen Fragen und die rechtsvergleichende Analyse hat der EuGH den Generalanwälten und der Literatur überlassen. Grundlegende Bedeutung gewonnen haben vor allem die Schlußanträge von Generalanwalt Gand zum Urteil Kampffmeyer 112 , von Generalanwalt Roemer in den Fällen SchöppenstedtB und Werhahn14 und von Generalanwalt Capotorti zum HNL-Urteil I5 • Einigkeit besteht darüber, daß der Rückgriff auf die einzelnen Rechtsordnungen und ihre Haftungssysteme nicht in einem rezeptiven Sinne zu handhaben ist. Eine Konkretisierung der bewußt weit gefaßten Vorschrift des Art. 215 Abs.2 EWGV unter überbetonung der Rechtsvergleichung auf der Grundlage des "größten gemeinsamen Nenners" würde zu einer Orientierung an der restriktivsten Rechtsordnung führen l6 • Die rechtsschöpferische Aufgabe, vor die Art. 215 Abs. 2 EWGV den Gerichtshof stellt, zwingt bis zu einem gewissen EuGH (Fn. 7), Slg. 1973, 1229. Schlußanträge vom 18.9. 1973, Slg. 1973, 1254 ff. 10 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, Slg. 1978, 1209. 11 Schlußanträge vom 1. 3. 1978, Slg. 1978, 1226 ff. 12 Schlußanträge vom 19.4. 1967 in den verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Slg. 1967, 361 ff. 13 Schlußanträge vom 13.7.1971 in der Rs. 5/71, Slg. 1971, 987 ff. 14 SchluBanträge vom 18.9. 1973 in den verb. Rs. 63 - 69172, Slg. 1973, 1254 ff. 15 Schluß anträge vom 1. 3.1978 in den verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, Slg. 1978, 1226 ff. 16 Vgl. Much, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 846. 8

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Grade zu einer Interessen- und Wertungsjurisprudenz, wie sie einst der englische Rechtslehrer Winfield für das common law umschrieben hat: als "judicial legislation or interpretation founded on the current needs of the community"17. Viel Resonanz hat der Auslegungsvorschlag gefunden, den Generalanwalt Roemer im Anschluß an Zweigert 18 in der Rechtssache Schöppenstedt gemacht hat: Art.215 Abs. 2 EWGV fordere eine wertende Auslegung, bei der "insbesondere die speziellen Vertragsziele und die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur" berücksichtigt werden müssen l9 • Dieser wertende hermeneutische Ansatz hat sich mit Recht in der Literatur weitgehend durchgesetzt2o • Auf der Grundlage dieses Auslegungsmodus kann man den rechtsvergleichenden Befund als Leitlinie verstehen, die dem EuGH bei der Bewältigung seiner rechtsschöpferischen Aufgabe Freiraum für die Entwicklung gemeinschaftsspezifischer Haftungskriterien beläßt21 • Eine Anlehnung an die (vermeintlich) fortschrittlichste nationale Lösung, eine Orientierung an dem "überlegensten" innerstaatlichen System22 , begegnet durchgreifenden Bedenken. Dagegen spricht einmal, daß sich die Anknüpfung an die nationalen Rechtsordnungen nicht rezeptiv, sondern wertend zu vollziehen hat; diese Wertung kann sich nicht an bestimmten, einer nationalen Haftungsregelung zugrundeliegenden Maximen orientieren, sondern in erster Linie an den besonderen Zielen der Gemeinschaft und an ihren Strukturen. Weiterhin würden bei einseitiger Orientierung an einer bestimmten nationalen Rechtsordnung einschneidende Wandlungen der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Rechtsprechung - wie neuerdings im deutschen Staatshaftungsrecht - unmittelbar auf die gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregeln durchschlagen und so zu unerträglichen Schwankungen führen. Die "überlegenheit" einer Rechtsordnung bemißt sich vor allem nach der - relativen - Kongruenz mit Struktur und Zielen der Gemeinschaft; aber hier sind übereinstimmung und Diskrepanz oft verwoben. So erfolgt etwa im französischen Recht ähnlich wie nach der Gemeinschaftsverfassung die originäre Rechtsetzung weitgehend 17 Public Policy in the English Common Law, 42 (1928) Harvard Law Review 76, 92. 18 RabelsZ 28 (1964), 611. 19 Slg.1971, 990. 20 Vgl. Fuß, EuR 1968, 356; Gilsdorf, EuR 1975, 92; Heldrich, EuR 1967, 350; Ipsen (Fn. 1), § 27/3 (S. 538); Much (Fn. 16), S.728, 846. Kritisch demgegenüber Grabitz, in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S. 218. 21 Vgl. Püttner, EuR 1975, 222: "Die nationalen Rechte sind Orientierungspunkt, aber nicht Entscheidungsgrundlage." 22 Vgl. Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 13.7.1971 in der Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg.1971, 990; Heldrich, EuR 1967, 350; Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 611.

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außerhalb eines parlamentarischen Entscheidungsprozesses; für das System der Nichtigkeitsklage hat wohl in erster Linie das französische Verwaltungsrecht Modell gestanden. Andererseits kennt das französische Recht - etwa im Unterschied zum deutschen Recht - kein umfassendes richterliches Prüfungsrecht gegenüber Rechtsetzungsakten; dies gilt vor allem für parlamentarische Gesetze. So sind die besonderen Voraussetzungen, die der Conseil d'Etat für die Haftung wegen per se rechtmäßiger - Legislativakte entwickelt hat, eng mit der begrenzten richterlichen Prüfungskompetenz verbunden und damit an ein gegenüber der Gemeinschaftsverfassung bestehendes "strukturelles Defizit" geknüpft. Die rechtsvergleichende Betrachtung ist auch auf die Rechtsordnungen der 1973 hinzugetretenen Mitgliedstaaten Großbritannien, Irland und Dänemark zu erstrecken23 • Allerdings dürfte die Anerkennung einer Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht durch die Judikatur des EuGH vor dem Beitritt der drei "neuen" Mitglieder schon zum gefestigten Bestand des Gemeinschaftsrechts, zum "acquis communautaire" gehört haben24 • Dies steht der Einwirkung einer neuen Rechtsmasse auf die schon integrierten allgemeinen Rechtsgrundsätze jedoch ebenso wenig entgegen wie der Berücksichtigung innerstaatlicher Rechtsänderungen wie etwa der Neuregelung des deutschen Staatshaftungsrechts. Das gleiche gilt auch im Hinblick auf den Beitritt Griechenlands, Portugals und Spaniens. Die Vorschrift des Art. 215 Abs. 2 EWGV ist in dem Sinne "offen" ausgestaltet, daß sie eine Anpassung der gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregeln an Entwicklungen innerhalb der Gemeinschaft durch den Gerichtshof gestattet. Insoweit wirkt der Verweis auf die nationalen Rechtsordnungen einer Erstarrung und Festschreibung eines bestimmten Haftungsstandards entgegen. Die Entwicklung, die durch diese "dynamische" Verweisung ermöglicht wird, braucht sich nicht unbedingt einspurig in Richtung auf eine Lockerung der Haftungsvoraussetzungen zu vollziehen. So hat der Beitritt von Dänemark, Großbritannien und Irland die rechtsvergleichende Grundlage für eine Gemeinschaftshaftung wegen normativen Unrechts sicher nicht größer werden lassen2S • Auch Änderungen innerhalb der Gemeinschaftsstruktur könnten zu einer Verschiebung der rechtsvergleichenden Anknüpfungspunkte und damit zu einer Wandlung des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregimes führen. Viele Ver23 Dazu Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 18.9. 1973 in den verb. Rs. 63 - 69172, Slg. 1973, 1258; Gilsdorf, EuR 1975, 94 f.; Ipsen, in: Festschrift für H. Jahrreiß zum 80. Geburtstag, 1974, S. 90 ff. 24 a. A. Generalanwalt Roemer (Fn. 23), Slg. 1973, 1258; Gilsdorf, EuR 1975,

94.

2S

Gilsdorf, EuR 1975, 94 f.

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fechter einer großzügigen Haftungsregelung stellen maßgeblich auf die fehlende unmittelbare demokratische Legitimation von Rat und Kommission ab (dazu unten, § 3); im Falle einer weitgehenden übertragung von Rechtsetzungskompetenzen auf das Europäische Parlament müßte eine konsequente Verfolgung dieses Ansatzes zu einer entsprechenden Restriktion der Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht führen. Der Weg "zwischen der Scylla eines gemeinsamen Minimumstandards und der Charybdis unbestimmter Billigkeitsvorstellungen als Haftungsgrundlage"26 führt wohl am ehesten über eine Auslegung, die sich nicht nur an den einzelnen Haftungssystemen orientiert, sondern vor allem auch an den Grundgedanken, welche als "Rationale" hinter der konkreten Ausformung der Staatshaftung in den Mitgliedstaaten stehen27• Darüber hinaus wird man auch im Rechtsstaatsgedanken wurzelnde allgemeine Prinzipien wie die Verbürgung der individuellen Entfaltungsfreiheit oder das Gebot der Rechtssicherheit heranziehen müssen, die ihrerseits Grundlage und Rechtfertigung konkreter subsumtionsfähiger Rechtssätze bilden28 • Die Korrektur eines "schulmäßig" gewonnenen rechtsvergleichenden Befundes durch den Rekurs auf allgemeine rechtsstaatliche Ideen, die den nationalen Rechtsordnungen bekannt sind29 , findet insoweit eine Stütze im Wortlaut des Art. 215 Abs.2 EWGV, als diese Vorschrift nicht auf die Haftungs-, sondern auf die Rechtsgrundsätze der nationalen Rechtsordnungen verweist3O • Ein an der Herausarbeitung allgemeiner, nicht speziell haftungsrechtlicher Rechtsgrundsätze orientiertes Vorgehen birgt die Gefahr eines Abgleitens in diffuse Billigkeitsmaßstäbe in sich. Insbesondere für den Umfang des ersatzfähigen Schadens liefern allgemeine rechtsstaatliche Kategorien keine ausreichend scharfen Konturen3!. Schließlich liegt die Aufgabe der Rechtsvergleichung nicht mehr darin, die Möglichkeit einer Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht als solche zu klären; vielmehr geht es darum, für diese Haftung eine dogmatische Grundlage zu liefern und von daher die Tragweite dieser Haftung zu präzisieren. Daß der schlichte Rückgriff auf allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze nicht sehr weit führt, zeigt ein Blick auf die Vorschrift des Art. 34 EGKSV; die dort getroffene Regelung, die in der Literatur im Hinblick auf eine übertragung auf die Haftung nach Art. 215 Abs. 2 EWGV Heldrich, EuR 1967, 349. Vgl. Jaenicke (Fn. 1), S. 863 ff.; Jurina, ZaöRV 28 (1968), 375. Ähnlich Ipsen (Fn. 1), § 27/3 (S. 538). 28 Vgl. Grabitz (Fn.20), S. 215, 219. 29 Vgl. Lagrange, CMLRev. 1965/66, 32. 30 Grabitz (Fn. 20), S. 217. 3! Vgl. Gilsdorf, EuR 1975, 94. 26

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weithin als zu restriktiv angesehen wird32 , hält wohl einer Prüfung anhand allgemeiner rechtsstaatlicher Postulate stand. Aus diesen Gründen bedarf es einer Rückkoppelung allgemeiner Rechtsgrundsätze an die konkrete Ausformung der Staatshaftung in der Weise, daß der den einzelnen Haftungsinstituten zugrundeliegende Leitgedanke herausdestilliert wird. So läßt sich vom neuen deutschen Staatshaftungsgesetz her der Grundsatz der Ausgleichspflichtigkeit der Verletzung von individualschützenden Normen öffentlichen Rechts und des sekundären Rechtsschutzes von subjektiv-öffentlichen Rechten fruchtbar machen. Etwas allgemeiner kann man für die Tragweite der Haftung an den Schutz der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit in einer marktwirtschaftlichen Ordnung einerseits und an die wirtschaftspolitische Entscheidungsprärogative der öffentlichen Gewalt andererseits anknüpfen. Im Rahmen einer wertenden Rechtsvergleichung kommt der Einbeziehung des Haftungsrechts des EGKSV wegen der von keiner nationalen Rechtsordnung erreichten strukturellen Affinität der Montanunion mit der Verfassung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft große Bedeutung ZU 33 • Allerdings gebietet die Neugestaltung des gemeinschaftsrechtlichen Haftungssystems durch den EWGV (und den EAGV) eine nuancierte Heranziehung des in Art. 34 und 40 EGKSV geregelten Haftungsmodells34 • In die Rechtsvergleichung sollte auch die richterliche Wertungsjurisprudenz im Deliktsrecht der Mitgliedstaaten einbezogen werden. Die Entwicklung des englischen law of torts, die Konkretisierung der Generalklausel des Art. 1382 ce durch die französische Rechtsprechung und - in geringerem Maße - die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB durch den BGH sind oft stark von offener und verdeckter rechtspolitischer Abwägung durch den Richter geprägt35 • Zu ähnlichen "policyconsiderations" ist auch der EuGH bei der Ausfüllung des Art. 215 Abs.2 EWGV aufgerufen. Unmittelbar einschlägig sind die deliktsrechtlichen Wertungen der nationalen Gerichte für die Haftung des Vgl. Funck-Brentano / Combescot, Gazette du Palais - Doctrine 1981, EuR 1978, 362. 33 Generalanwalt Gand, Schlußanträge vom 19. 4. 1967 in den verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967,367: " ... die Gemeinschaften weisen in ihren Aufgaben und ihrer Organisation zu viele Gemeinsamkeiten auf, als daß nicht für die Probleme, die sich aus ihrer Tätigkeit ergeben, auch gleiche Lösungen zu suchen wären." 34 Vgl. Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 1. 3. 1978 in den verb. Rs. 83 und 94176,4, 15 und 40177, Slg. 1978, 1236. 35 Dazu Markesinis / v. Bar, Richterliche Rechtspolitik im Haftungsrecht, 1981; vgl. auch v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. II, 1960, S. 49 ff. 32

498; Fuß,

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Staates in einer Rechtsordnung wie der englischen; dort ist die Krone seit dem Crown Proceedings Act 1947 weitgehend dem allgemeinen Deliktsrecht unterworfen. Auch im belgischen, luxemburgischen und niederländischen Recht regelt sich die Staatshaftung nach den allgemeinen Vorschriften des zivilen Deliktsrechts. Rechtspolitische Wertungen kommen auch in der Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck: etwa in dem Hinweis, daß bei wirtschaftspolitischen Rechtsetzungsakten die Gemeinschaftsorgane nicht durch die Furcht vor einer Haftung in ihrer Entscheidungsfindung beeinträchtigt werden dürften36 • Auf deliktsrechtliche Überlegungen kann etwa im Hinblick auf die Abgrenzung von ersatz fähigen Vermögensschäden und hinzunehmenden finanziellen Einbußen und auf die Schadensersatzpflicht bei Eingriffen in noch nicht zu subjektiven Rechten verdichtete Rechtspositionen zurückgegriffen werden. Über die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind auch die Grundrechte mit einzubeziehen, die Gegenstand der gemeinsamen nationalen Verfassungstraditionen sind. Im Urteil Internationale Handelsgesellschaft hat der EuGH ausgeführt: ". .. die Beachtung der Grundrechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Die Gewährleistung dieser Rechte muß zwar von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein, sie muß sich aber auch in die Struktur und Ziele der Gemeinschaft einfügen37." Als Quelle allgemeiner Rechtsgrundsätze sind daneben die internationalen Verträge zum Schutz der Menschenrechte zu berücksichtigen, denen die Mitgliedstaaten beigetreten sind, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention38 • Niedergeschlagen hat sich diese Rechtsprechung auch in der gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 5.4.1977, die sich zu den in den Verfassungen der Mitgliedstaaten und in der EMRK garantierten Rechten bekennt39 • Unter haftungs rechtlichen Gesichtspunkten beansprucht dabei vor allem die Eigentumsgarantie besondere Bedeutung. Da nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Gemeinschaft selbst, Vertragspartner der EMRK sind, ist eine Einbeziehung der dort niedergelegten Grundsätze über die nationalen 36 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs.83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg. 1209, 1224. 37 EuGH, Urteil vom 17.12. 1970, Rs.11170, Slg.1125, 1135. 38 EuGH, Urteil vom 14.5.1974, Rs. 4173, Nold, Slg: 1974, 491, 507; Urteil vom 28. 10. 1975, Rs.36175, Rutili, Slg. 1975, 1219, 1232; Urteil vom 13. 12. 1979, Rs. 44179, Hauer, Slg.1979, 3727, 3744 ff. Dazu Pescatore, in: Grundrechtsschutz in Europa, hrsg. von Mosler / Bernhardt / Hilf, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 72 (1977), S. 70 ff.; Klein, ebda., S. 133 ff.; Stein, ebda., S. 147 ff. 39 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 12. 1979, Rs.44179, Hauer, Slg. 1979, 3727, 3745.

46

§2

Methodischer Ansatz: wertende Rechtsvergleichung

Rechtsordnungen einem unmittelbaren Rückgriff auf die Konvention als die dogmatisch sauberere Lösung vorzuziehen; dies gilt vor allem im Hinblick auf die authentische Interpretation der EMRK durch den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof, die nur für die Vertragsstaaten verbindliche Wirkung hat4O •

40

Vgl. Stein (Fn. 38), S. 148 ff.

§ 3 Vergleich von Normtypen des Gemeinschaftsrechts und der nationalen Rechtsordnungen Die Suche nach Vergleichsmaßstäben für die normativen Handlungsformen der Gemeinschaftsorgane in den nationalen Rechtsordnungen, nach dem jeweiligen tertium comparationis für die Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane einerseits und der Mitgliedstaaten andererseits bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Die Frage nach vergleichbaren Normtypen im Recht der Gemeinschaft und in den einzelnen Mitgliedstaaten ist vor allem deshalb von Interesse, weil innerhalb der Gemeinschaft nur wenige Rechtsordnungen eine Haftung für förmliche Gesetze kennen. Wenn man den Wortlaut des Art.215 Abs.2 EWGV ernst nimmt, wären mit einer Parallele zwischen den Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane und förmlichen Gesetzen innerstaatlichen Rechts strenge Haftungsvoraussetzungen bei normativem Unrecht vorgezeichnet. Deshalb tendieren die Generalanwälte und viele Stimmen in der Literatur dazu, die Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane in die Nähe von Rechtsverordnungen und anderen Exekutivmaßnahmen der innerstaatlichen Rechte zu rücken!. Der Gerichtshof hat zur Einordnung von Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane gegenüber innerstaatlichen Regelungstypen bisher noch nicht klar Stellung genommen. Im HNL-Urteil, das die Haftung für eine Ratsverordnung zum Gegenstand hatte, hat der EuGH mit Blick auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten davon gesprochen, daß "die gesetzgebende Gewalt, selbst dann, wenn ihre Handlungen richterlicher Kontrolle unterworfen sind", nicht durch die Furcht vor Schadensersatzklagen in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt werden dürfe2• Dieses dictum mag sich so deuten lassen, als ziehe der EuGH eine Parallele zwischen den Gemeinschaftsverordnungen, wenigstens denen des Rates, und förmlichen Gesetzen des innerstaatlichen Rechts3• Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß sich der Gerichtshof ! Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 13.7.1971 in der Rs.5/71, Schöppenstedt, Slg.1971, 990; Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 1. 3.1978 in den verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40/77, HNL, Slg. 1978, 1227 ff.; Engler, EuGRZ 1979, 378 f.; Fuß, EuR 1978, 356 f.; Modest, RrW/AWD 1978, 532; Stein, EuGRZ 1979, 541. 2 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg. 1978, 1209, 1224. 3 So etwa Engler, EuGRZ 1979, 378; Stein, EuGRZ 1979, 541.

§ 3 Vergleich von Normtypen

48

dabei weniger auf Legislativakte im allgemeinen bezieht als vielmehr auf Rechtsvorschriften mit wirtschaftspolitischem Einschlag, die Vermögensinteressen Einzelner häufig in großem Umfang schädigen können, so daß die haftungsrechtliche Privilegierung solcher Rechtsetzungsakte nahe liegt. Eine Differenzierung zwischen Verordnungen und Richtlinien dürfte im vorliegenden Zusammenhang entbehrlich sein. Denn auch Richtlinien können nationale Behörden und Gerichte sowie Individuen unmittelbar binden4• Im übrigen hat bisher die Haftung für Richtlinien noch keine praktische Bedeutung erlangt. Dies rechtfertigt es, im folgenden die Verordnung als normative Handlungsform in den Vordergrund zu stellen. Soweit die Verordnung der Gemeinschaft Exekutivakten innerstaatlichen Rechts wie etwa den deutschen Rechtsverordnungen an die Seite gestellt werden, wird fast durchgehend (auch) damit argumentiert, daß dem gemeinschaftsrechtlichen Verordnungsgeber, also dem Rat oder der Kommission, die unmittelbare demokratische Legitimation fehle, die ein parlamentarischer Gesetzgeber für sich in Anspruch nehmen kann; die Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane seien daher den Rechtsnormen einer nur mittelbar demokratisch legitimierten Exekutive gleichzuordnens. Generalanwalt Capotorti hat in seinen grundlegenden Schluß anträgen zum HNL-Urteil ein janusköpfiges Bild des Rates gezeichnet: " ... der Rat trägt das doppelte Gewand des Gesetzgebers und des Trägers öffentlicher Verwaltung, ohne jene Legitimation, jene Fähigkeit zum Ausdruck der Volkssouveränität zu besitzen, die es rechtfertigen können, den Gesetzgeber von den allgemeinen Regeln über die Haftung auszunehmen6." Damit ist er auf viel Zustimmung gestoßen7 • Der gelegentlich etwas pathetisch vorgetragene Rekurs auf die unmittelbare demokratische Legitimation des parlamentarischen Gesetzgebers und dessen Stellung als Vertreter des souveränen Volkes ist insoweit berechtigt, als die Ausübung von Souveränität - rechts geschichtlich und rechtsvergleichend betrachtet - häufig die Freistellung von einer Unrechtshaftung nach sich zieht. So sind in vielen Mitgliedstaaten wie in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg oder in den Niederlanden förmliche Gesetze als Akte des Souveräns oder seines Repräsentativorgans von einer gerichtlichen Nachprüfung auf Dazu Bleckmann, Europarecht, 3. Auf!. 1980, S. 67. EuGRZ 1979, 378; Fuß, EuR 1978, 357; Stein, EuGRZ 1979, 541. 6 Schlußanträge vom 1. 3. 1978 in den verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15 und 40/77, Slg. 1978, 1229. 7 Vgl. Modest, RIW/AWD 1978, 532 und die oben bei Fn.5 genannten Stimmen aus der Literatur. 4

5 Engler,

§ 3 Vergleich von Normtypen

49

ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem innerstaatlichen Recht ausgeschlossen, so daß insoweit eine Unrechtshaftung des Staates von vornherein nicht in Betracht kommt 8• Andererseits verdunkelt das Abheben auf die unmittelbare demokratische Legitimation als Grundlage der haftungs rechtlichen Privilegierung von Parlamentsgesetzen, daß bei vielen anderen Hoheitsakten eine Ausnahme von der Unrechtshaftung eben nicht an die demokratische Legitimation des betreffenden Hoheitsträgers anknüpft, sondern schlicht an die Ausübung von Souveränität, von unmittelbar durch die Verfassung zugewiesener Hoheitsgewalt. In den nationalen Rechtsordnungen finden sich zahlreiche Exekutivakte - Individualentscheidungen wie Rechtssätze -, die von der gerichtlichen Nachprüfung ausgeschlossen sind. Bis 1947 war die englische Krone von einer deliktsrechtlichen Haftung freigestellt ("The King can do no wrong"), so daß nur eine Haftung der für sie handelnden Organe in Betracht kam9 ; erst der Crown Proceedings Act setzte dieser Immunität der Krone ein Ende 10 . Das englische und das französische Recht kennen eine Reihe von gerichtsfreien Regierungsakten, die "acts of State"l1 und die "actes de gouvernement"12, bei denen eine Unrechtshaftung ausscheidet. Die weitgehende Tabuisierung von englischen Parlamentsgesetzen gegenüber richterlicher Kontrolle liegt nicht etwa in der demokratischen Legitimation des Unterhauses begründet, sondern darin, daß erst durch das Zusammenwirken von Krone und beiden Häusern des Parlaments ein Act of Parliament zustandekommt 13 und daß die "Queen in Parliament" Träger der vollen Souveränität nach innen ist l4 . Daß die unmittelbare demokratische Legitimation und die Ausübung originärer Rechtsetzungsgewalt keine tauglichen Kriterien für die Abgrenzung von parlamentarischen Gesetzen und Verordnungen der Exekutive bilden, zeigt sich am Beispiel Frankreichs: Dort steht die erst seit dem Wahlgesetz von 1962 wenigstens in ihrer höchsten Spitze unmittelbar demokratisch legitimierte - Exekutive aufgrund ihres 8 9

Vgl. auch Stein, EuGRZ 1979, 541. Dazu Winfield / Jolowicz, The Law of Tort, 10. Aufl. von Rogers, 1975,

S. 591 f.

10 Dazu de Smith, Constitutional and Administrative Law, 3. Aufl. 1977, S. 598 ff. 11 Dazu H. Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, 1951, S. 49 ff.; de Smifh (Fn. 10), S. 124 ff.; Winfield / Jolowicz (Fn. 9), S. 594 f. 12 Dazu Fromont, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 52, Bd. 1 (Länderberichte) (1969), S. 234 ff.; H. Schneider (Fn. 11), S. 47 ff. 13 Dazu Heuston, Essays in Constitutional Law, 2. Aufl. 1964, S. 18; de Smith (Fn. 10), S. 81 ff. 14 Dicey, Introduction to the Study of the Constitution, 10. Aufl. hrsg. von Wade, 1959, S. 73; de Smith (Fn. 10), S. 63 f. 4 Herdegen

50

§ 3 Vergleich von Normtypen

sogenannten "pouvoir reglementaire" als rechtsetzendes Organ auf gleicher Stufe wie der parlamentarische Gesetzgeber, dessen legislative Zuständigkeiten enumerativ aufgelistet sind (vgl. Art. 34 und Art. 37 der Verfassung von 1958). Selbst das deutsche Verfassungsrecht, das gesetzesvertretende oder gesetzesändernde Verordnungen aufgrund vorkonstitutioneller Ermächtigungen ausschließt (Art. 129 Abs.3 GG), kennt einen Fall von Rechtsetzungsakten der Bundesregierung mit Gesetzeskraft (Art. 119 S. 1 GG). Auch das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren als solches ist für die Freistellung förmlicher Gesetze von richterlicher Kontrolle und damit von einer Unrechtshaftung nicht ausschlaggebend. Das läßt sich an Gesetzen verdeutlichen, denen kein parlamentarischer Willensbildungsprozeß, sondern eine Volksabstimmung zugrundeliegt. So hat der französische Conseil constitutionnel seine eigene Prüfungskompetenz gegenüber einer "loi-referendaire", die die direkte Wahl des Staatspräsidenten durch das Volk zum Gegenstand hatte, mit der Begründung verneint, der Verfassungs rat sei nicht zu einer Prüfung des Volkswillens befugt, in dem die nationale Souveränität ihren Ausdruck finde l5 • Schließlich erscheint eine Abgrenzung von Rat und Kommission gegenüber einem parlamentarischen Gesetzgeber nach dem Grad ihrer jeweiligen demokratischen Legitimation schon deshalb als wenig ergiebig, weil Träger der "Gemeinschaftssouveränität" (wenn man überhaupt den Begriff der Souveränität in diesem Zusammenhang verwenden kann) eben nicht die Gesamtheit der Gemeinschaftsbürger, sondern noch immer die Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge" sind. Nachdem sich aus der fehlenden unmittelbaren demokratischen Legitimation von Rat und Kommission keine überzeugende Parallele zwischen Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane und Regelungen der innerstaatlichen Exekutive ableiten läßt und dieser Gesichtspunkt keine umfassende Gleichbehandlung aller Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane stützt, stellt sich die Frage nach einer Differenzierung zwischen "originärer" und abgeleiteter Rechtsetzung. Die Folge einer solchen Unterscheidung wäre etwa eine Gleichstellung von "Grundverordnungen" des Rates (mit allgemeinen wirtschaftspolitischen Regelungen) mit Parlamentsgesetzen einerseits und von Durchführungsverordnungen der Kommission mit innerstaatlichen Exekutivakten andererseits l6 • 15 Conseil constitutionnel, Entscheidung vom 6. 11. 1962, mit Erläuterungen wiedergegeben in: Favoreu / Philip, Les Grandes Decisions du Conseil Constitutionnel, 1975, S. 181 ff. 16 Vgl. Fuß, EuR 1978, 356 f.; Gilsdorf, EuR 1975, 91, Fn. 46.

§ 3 Vergleich von Normtypen

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Sieht man einen Hauptgrund für die "Immunität" von förmlichen Gesetzen gegenüber richterlicher Rechtmäßigkeitskontrolle und für die daraus folgende Freistellung des Staates von einer Unrechtshaftung oder für die sonstige Privilegierung von Legislativakten des Parlaments in der unmittelbaren Zuweisung von Rechtsetzungskompetenzen, so könnte dieser Aspekt wenigstens prima facie für eine Parallele zwischen in originärer Rechtsetzung ergangenen Ratsverordnungen und Parlamentsgesetzen sprechen; denn der EWGV hat den Rat zum primären Rechtsetzungsorgan gemacht. Das Gemeinschaftsrecht knüpft jedoch daran - anders als viele nationale Rechtsordnungen - nicht die Folge, daß die Rechtsverordnungen des Rates von gerichtlicher Prüfung freigestellt sind, sondern unterwirft sie ebenso wie die Rechtsetzungsakte der Kommission einer umfassenden Kontrolle durch den EuGH. Eine haftungsrechtliche Differenzierung zwischen Ratsverordnungen und Kommissionsverordnungen findet im Rechtsschutzsystem des EWGV demnach keine Grundlage17 • Schließlich bezieht auch Art. 34 EGKSV die originären Rechtsetzungsakte der Hohen Behörde ohne weitere Differenzierung in die Haftung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl wegen für nichtig erklärter Regelungen mit ein. Denkbar ist auch eine Differenzierung nach dem Inhalt der Rechtssätze. Danach werden etwa Grundverordnungen des Rates mit großer wirtschaftspolitischer Tragweite den detaillierten ergänzenden oder durchführenden Verordnungen (nicht nur der Kommission, sondern auch des Rates) gegenübergestelltl8 • Unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit des Regelungsinhalts, des Planungs- oder Maßnahmecharakters einer Vorschrift läßt sich jedoch für Verordnungen der Gemeinschaftsorgane ebensowenig eine zwingende Differenzierung treffen wie für innerstaatliche Rechtssätze. Auch Regelungen der Exekutive können weitreichende wirtschaftspolitische Bedeutung haben, ohne daß sie deswegen in den innerstaatlichen Rechtsordnungen einem anderen Haftungsregime unterstellt werden als schlichte technische Durchführungsbestimmungen. Am überzeugendsten dürfte es sein, die Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane ohne weitere Differenzierung weitgehend den Exekutivakten innerstaatlichen Rechts gleichzustellen und diese Parallele auf die Ausgestaltung des kassatorischen Rechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht zu stützen. Wie Generalanwalt Capotorti in seinen Schlußanträgen zum HNL-Urteil hervorgehoben hat, "weist das in Artikel 173 EWG-Vertrag geregelte System der Anfechtungsklagen starke Ähnlichkeiten mit den Rechtsbehelfen auf, die einige innerstaatliche Rechts17

18

Gilsdorf, EuR 1975, 91, Fuß, EuR 1978, 356 f.

Fn.46.

52

§ 3 Vergleich von Normtypen

ordnungen gegen Verwaltungshandlungen zur Verfügung stellen" 19. In diesem Zusammenhang liegt ein entscheidendes Moment für die haftungsrechtliche Gleichbehandlung von Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane mit Handlungsformen der Verwaltung in den nationalen Rechtsordnungen in ihrer Unterwerfung unter eine Ermessenskontrolle durch den EuGH. Im Sinne dieser Parallele läßt sich vor allem auf die starke Affinität zwischen den Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane und den von der französischen Exekutive im Rahmen ihrer eigenständigen Rechtsetzungsbefugnis erlassenen Regelungen verweisen. Die Verordnungen der französischen Exekutive sind, soweit sie nicht ausnahmsweise Gesetzesrang haben, ebenso wie andere "actes administratifs" unter dem Gesichtspunkt des "exces (detournement) de pouvoir" justiziabel und lösen grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie rechtswidrige Einzelakte eine Haftung für dadurch verursachte Schäden aus. Im deutschen Recht ist vor allem von Forsthoff die Affinität von Gesetzgebung und Verwaltung im Hinblick darauf hervorgehoben worden, daß das BVerfG die Einhaltung des "gesetzgeberischen Ermessens" kontrolliert: "Von Ermessen kann nur dort die Rede sein, wo das Ziel eines HandeIns primär gegeben ist, und es darauf ankommt, die angemessenen Mittel zur Erreichung dieses Zieles zu wählen. Das trifft grundsätzlich für das Verwaltungshandeln zu20." In diesem Zusammenhang ist auch die weitgehende Austauschbarkeit von Normen und Einzelakten unter inhaltlichen und funktionalen Gesichtspunkten, die im Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf staatengerichtete Entscheidungen besonders ausgeprägt ist21 , von Bedeutung. Sichtbar wird dies etwa bei der Haftung für das Unterlassen von Maßnahmen, für die das Gemeinschaftsrecht sowohl die Handlungsform des Rechtssatzes als auch die der Entscheidung bereitstellt22 •

19 Schluß anträge vom 1. 3.1978 in den verb. Rs. 83 und 94176,4, 15 und 40177, Slg. 1978, 1228. 20 In: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 234. 21 Vgl. Bleckmann (Fn.4), S. 77 ff. 22 Vgl. EuGH, Urteil vom 28.4.1971, RS.4/69, Lütticke, Slg.1971, 325.

§ 4 Rechtsvergleichender Überblick I. Bisheriges deutsches Staatshaftungsrecht 1. Bedeutung des deutschen Staatshaftungsrechts im Rahmen wertender Rechtsvergleichung

Für eine wertende Rechtsvergleichung kann das deutsche Staatshaftungsrecht besonderes Interesse beanspruchen: In der Rechtsprechung nehmen haftungsrechtliche Topoi, die im deutschen Recht wurzeln oder dort eine spezielle Ausprägung erfahren haben, einen wichtigen Platz ein. So hat der EuGH mit dem Rückgriff auf das Merkmal der Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht oder einer dem Schutz des Einzelnen dienenden Rechtsnorm l an Haftungsvoraussetzungen angeknüpft, wie sie vor allem für § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gelten2 • Bei der Ersatzpflicht für Eingriffe in Vermögenspositionen zieht der EuGH manche Grundsätze heran, die im deutschen Recht vor allem im Schutzbereich von Art. 14 GG angesiedelt sind, etwa die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Eine Haftung für rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriff hat der Gerichtshof erörtert, ohne sich darüber abschließend zu äußern3• Mit dem Erfordernis des besonders qualifizierten Schadens lehnt sich der EuGH wohl vor allem an den Sonderopfergedanken an, der ähnlich wie in der französischen Judikatur im deutschen Haftungsrecht eine zentrale Rolle spielt. Allerdings ist gerade bei der Haftung für normatives Unrecht dem Rekurs auf das Sonderopferprinzip mit größter Vorsicht zu begegnen. Eine ausgeprägte "strukturelle Kongruenz" mit dem Gemeinschaftsrecht kennzeichnet das deutsche Recht insofern, als dort in einem von allen anderen Mitgliedstaaten unerreichten Umfang ein richterliches 1 EuGH, Urteil vom 14.7.1961, verb. Rs. 9 und 12/60, Vloeberghs, Slg.1961, 427, 467 f.; Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg.1967, 331, 354 f.; Urteil vom 2.12.1971, Rs.5/71, Schöppenstedt, Slg. 19>71, 975, 984 f. 2 Vgl. Generalanwalt Gand, Schlußanträge vom 19.4. 1967 in den verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg.1967, 368; Generalanwalt Dutheillet de Lamothe, Schluß anträge vom 17.2. 1971 in der Rs.4/69, Lütticke, Slg. 1971, 346. 3 EuGH, Urteil vom 13.11. 1973, verb. Rs. 63 - 69/72, Werhahn, Slg.1973, 1229, 1252.

§ 4 Rechtsvergleichender überblick

54

Prüfungsrecht gegenüber Rechtsetzungsakten aller Art besteht. Haftungsrechtliche Konzepte sind hier nicht mit irgendwelchen Justiziabilitätslücken vorbelastet. Vor allem zwingt anders als etwa in Frankreich nicht die Privilegierung bestimmter Hoheitsakte unter dem Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeitskontrolle dazu, die besondere Qualität des Schadens zur Grundlage eines auf dem Sonderopfergedanken fußenden Ausgleichsanspruchs zu machen. Die Diskussion um die Haftung für normatives Unrecht hat im Zuge der Neuregelung der Staatshaftung durch das Staatshaftungsgesetz vom 26. 6. 1981 (StHG) eine neue Belebung erfahren. Aus diesen Gründen erscheint das deutsche Staatshaftungsrecht für eine paradigmatische Erörterung der grundsätzlichen Aspekte der Haftung für normatives Unrecht besonders geeignet. 2. Mittelbares und unmittelbares normatives Unrecht

Nach dem bisherigen Staatshaftungsrecht bereitet die Haftung für mittelbares normatives Unrecht (normatives Unrecht im weiteren Sinne), d. h. die Haftung für auf rechtswidrigen Normen beruhende Vollzugsakte, keine speziellen dogmatischen Schwierigkeiten. Ähnlich wie bei genuin rechtswidrigem Verwaltungshandeln gelangen die Grundsätze der Amtshaftung (§ 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG), der Folgenbeseitigung und des enteignungsgleichen Eingriffs oder der Aufopferung zur Anwendung4• Bei rechts- oder bestandskräftigen Vollzugs akten mit verfassungswidriger oder sonst rechtswidriger normativer Grundlage bilden die Präklusionsregelungen von § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 S.l VwGO eine Barriere für einen Folgenbeseitigungsanspruch in Gestalt des "Normenvollzugsbeseitigungsanspruchs"5; denn die durch diese Vorschriften geschützte Rechts- bzw. Bestandskraft der Vollzugsakte darf nicht durch einen auf Wiederherstellung des status quo ante gerichteten Anspruch unterlaufen werden6 • Dagegen stehen Kompensationsfolgen wie Schadensersatz oder Entschädigung außerhalb des Regelungsbereiches von § 79 Abs.2 BVerfGG und § 183 S.l VwGO, da sie die Wirksamkeit des Vollzugs akt es nicht in Frage stellen7• 4

5

Dazu Oldiges, DÖV 1977,75 ff. Schenke, DVBl. 1975, 128.

6 Der rechtswidrige, aber wirksame Vollzugs akt schließt als "Rechtsgrund" für den bestehenden Zustand einen Folgenbeseitigungsanspruch aus, Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1978, S. 199. 7 Schenke, DVBl. 1977, 128. Anders etwa A. Arndt, BB 1960, 1351 f.; Jaenicke, in: Haftung des Staats für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S.128; Oldiges, DÖV 1977, 77. Für eine umfassende Sperrwirkung dieser Vorschriften im Rahmen des neuen Staatshaftungsrechts Schäfer I Bank, Staatshaftungsrecht, 1982, § 5 Rn. 65.

I. Bisheriges deutsches Staatshaftungsrecht

55

Die Staatshaftung für unmittelbares normatives Unrecht (normatives Unrecht im engeren, eigentlichen Sinne), der die folgenden Ausführungen gelten, ist stets Gegenstand einer heftigen Kontroverse gewesen. Zur Begründung einer solchen Haftung hat man vor allem die Institute der Amtshaftung, des enteignungsgleichen Eingriffs und der Aufopferung sowie den Folgenbeseitigungsanspruch und einen allgemeinen Wiedergutmachungsanspruch herangezogen. Mit vielen Unterschieden im einzelnen hat sich die grundsätzliche Anerkennung einer Staatshaftung für normatives Unrecht unter Einschluß des legislativen Unrechts in der Literatur weitgehend durchgesetzt8• 3. Grundsätzliche Bedenken gegen eine Staatshaftung für unmittelbares normatives Unrecht

Die Bedenken gegen eine Inanspruchnahme des Staates wegen fehlerhafter Rechtsetzung waren und sind weitgehend grundsätzlicher Art. Sie richten sich in erster Linie gegen eine Haftung für förmliche Gesetze. (a) Das Gesetz als Souveränitätsakt

Hinter der Ablehnung einer (Amts-)Haftung für parlamentarische Rechtsetzungsakte durch das RG stand ursprünglich die Vorstellung, das Gesetz sei ein Souveränitätsakt, an den überhaupt keine Haftungsfolgen geknüpft werden dürften9• Die von einem mystischen Einschlag nicht ganz freie Vorstellung vom Souveränitätscharakter parlamentarischer Rechtsetzung lebt - auf unterschiedlicher geschichtlicher und staatsrechtlicher Grundlage - vor allem noch im englischen und französischen Recht fort. Für die haftungs rechtliche Differenzierung zwischen Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane und Parlamentsgesetzen in den Mitgliedstaaten wird auch in der gegenwärtigen Diskussion die unmittelbare demokratische Legitimation des Parlaments lO bemüht. Dem Gedanken vom Souveränitätscharakter des förmlichen Gesetzes wurde die Grundlage entzogen, als das RG ein materielles Prüfungsrecht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen 8 In diesem Sinne etwa: Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht? 1963, S. 12 ff. (63 ff.); Forsthoff, BB 1960, 1138; Haas, System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten, 1955, S.67; Haverkate, NJW 1973, 441 ff.; Jaenicke (Fn.7), S. 124 ff.; Jerusalem, SJZ 1950, Sp.7; Moller, NJW 1967, 2338 ff.; Oldiges, Der Staat 1976, 381 ff.; Rüfner, BB 1968, 88ß; Schack, MDR 1953, 514 ff.; ders., MDR 1968, 186 ff.; ders., DÖV 1971, 446 ff.; Schenke, DVBl. 1975, 121 ff.; Schwabe, NJW 1971, 1658; SeImer, Der Aufopferungsanspruch auf vermögensrechtlichem Gebiet, Diss. Frankfurt/Main, 1965, S. 100 ff.; Wolf! / Bachof, Verwaltungs recht I, 9. Aufl. 1974, § 64 I b 5 (S. 562). 9 RGZ 118, 325, 327; 130, 319, 321. Dazu Dagtoglou (Fn. 8), S. 17 f. 10 Zum Begriff der demokratischen Legitimität etwa C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 4. Aufl. 1969, S. 39.

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§ 4 Rechtsvergleichender Überblick

für sich in Anspruch nahmll . Haftungsrechtliche Konsequenzen in Richtung auf eine Amtshaftung für legislatives Unrecht hat das RG daraus jedoch nicht gezogen l2 . Bemerkenswert ist, daß die Entwicklung des richterlichen Prüfungsrechts in der Weimarer Zeit eng mit dem Eigentumsschutz durch die Gerichte verbunden war 13 • Dieser Schutz blieb allerdings auf die kassatorische Ebene beschränkt. Die Gerichte rückten insoweit in die klassische Funktion des Parlaments als Garant des Eigentums des Bürgers ein. Den vorläufigen Endpunkt der damit eingeleiteten "Demontage" des parlamentarischen Supremats und der Annäherung der Legislative an die Exekutive bildet die Unterwerfung der Gesetzgebungstätigkeit des Parlaments unter eine umfassende Ermessenskontrolle durch das BVerfG. Diese Entwicklung hat sich von der klassischen Konzeption der gegenüber der Exekutive besonders legitimierten und unter dem Blickpunkt der gerichtlichen Kontrolle privilegierten parlamentarischen Rechtsetzung weit entfernt.

(b) Der konstitutionelle Gesetzesbegriff Eine wesentliche Rolle in der Argumentation gegen eine Haftung für unmittelbares normatives Unrecht hat die klassische Konzeption des Gesetzes als einer generellen und abstrakten Regelung gespieJt14. Damit eng verwoben ist die Vorstellung, als unmittelbar schadensverursachender Akt komme nicht das Gesetz in Betracht, sondern nur ein Vollzugsakt, gegen den ausreichende kassatorische und kompensatorische Rechtsbehelfe zu Gebot stehenl5 . Diese Erwägungen lassen sich cum grano salis auch auf Verordnungen der Exekutive mit generellem Regelungsgehalt übertragen. Als Schädiger tritt in diesem Sinne nicht der Gesetzgeber, sondern die normenvollziehende Verwaltung in Erscheinung. Diese Vorstellung regierte noch lange Zeit unter der Geltung der Weimarer Verfassung; dort vollzog sich nach klassischer Auffassung der Eingriff in Freiheit und Eigentum auf administrativem Wege oder durch den Richter l6 . Dieses Denken ist auch heute noch nicht 11 RGZ 102, 161, 164; 111,320,322. 12 Vgl. RGZ 130, 319, 32l. 13 Dazu Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1975, S. 255 f. 14 Dazu Dagtoglou (Fn.8), S. 18 ff., 39 f. m. w. Nachw. Zum "konstitutionellen Gesetzesbegriff" in diesem Sinne etwa C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928 (Neudruck 1957), S. 151 f.; ders. (Fn. 10), S. 52 ff. 15 Dazu Dagtoglou (Fn.8), S. 18 ff.; vgl. auch Bettermann, AöR 86 (1961), 140 ff. 16 C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 152: "Auf der Unterscheidung von genereller gesetzlicher Regelung und Anwendung dieser Regeln durch den Richter oder eine Verwaltungsbehörde beruht die eigenartige Konstruktion des rechtsstaatlichen Schutzes. Der Eingriff in Freiheit und Eigentum geschieht nicht durch Gesetz, sondern auf Grund eines Gesetzes ... Das Gesetz ist Grundlage, d. h. generelle Voraussetzung, aber nicht Instrument des Eingriffes."

I. Bisheriges deutsches Staatshaftungsrecht

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völlig überholt, wie die Rechtsprechung des BVerfG zum Vorrang der Administrativenteignung vor der Legalenteignung zeigt l7 . Von der klassischen Vorstellung ist das RG abgerückt, als es die Enteignung durch Gesetz zuließl8. Die klassische Formtypik des bürgerlichen Rechtsstaates geht vom generellen Gesetz als einem konstituierenden Hoheitsakt aus, der auf Schaffung einer ihren Wert selbst in sich tragenden Ordnung gerichtet ist l9 . überholt wurde diese klassische Vorstellung durch die politische und soziale Entwicklung, die den Staat dazu zwang, das förmliche Gesetz als Instrument zur Steuerung vor allem wirtschaftspolitischer Verhältnisse und Vorgänge einzusetzen. Der parlamentarische Gesetzgeber bedient sich des förmlichen Gesetzes zur Konkretisierung vorgegebener Zwecke und übernimmt insoweit traditionell von der Verwaltung wahrgenommene Funktionen. So hat das BVerfG betont, die Legalenteignung sei "wesensmäßig ,Verwaltung' durch Gesetz"20. Das Maßnahmegesetz ist zum notwendigen - allerdings über Gebühr strapazierten - Mittel zur Verwirklichung situationsgebundener Ziele geworden21 . Mit dem Einsatz des Gesetzes als Mittel der zweckgebundenen Lenkung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Prozesse zur nicht mehr unbedingt vollzugs bedürftigen Regelung konkreter Interessenkonflikte sind die inhaltlichen Grenzen zwischen legislativen und administrativen Regelungen zunehmend fließend geworden. Das Grundgesetz schützt mit den Grundrechten den Einzelnen gegen rechtswidrige Eingriffe durch die Legislative ebenso wie gegen ein Fehlverhalten der vollziehenden Gewalt. Der Einzelne kann auch gegen Rechtsetzungsakte des Parlaments direkt gerichtlich vorgehen, wenn er geltend machen kann, dadurch unmittelbar in seinen Grundrechten verletzt zu sein; diese "unmittelbare Betroffenheit" und damit die Zulässigkeit der direkten Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz werden nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Vollzugs akt erforderlich oder möglich ist22 • Den entscheidenden Schritt zur Annäherung von legislativen und administrativen Akten hat die Rechtsprechung des BVerfG mit der Unterwerfung des parlamentarischen Gesetzgebers unter eine Ermessenskontrolle getan23 • Diese Ermessenskontrolle von Gesetzgebungsakten durch das BVerfG ist nicht auf Maßnahmegesetze 17 BVerfGE 24,367,400 ff. 18 RGZ 103, 200; dazu Ossenbühl (Fn. 6), S. 120. 19 FOT5thoff, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 224 ff. 20 BVerfGE 24, 367, 401. 21 Vgl. BVerfGE 4, 7, 18; 10, 89, 108; eingehend dazu FOT5thoff (Fn.19), S. 221 ff., 226. 22 Vgl. Bettermann, AöR 86 (1961), 139 ff. 23 Seit BVerfGE 3, 19, 24; dazu FOT5thoff (Fn. 19), S. 233 f.

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§ 4 Rechtsvergleichender überblick

beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf "konstituierende" Ordnungsnormen wie etwa die strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruches24 oder Vorschriften über Scheidung und Scheidungsfolgen25 • Diese Kontrolle der Einhaltung des "gesetzgeberischen Ermessens" oder des "Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers" stimmt strukturell mit der Ermessenskontrolle nach § 114 VwGO weitgehend überein; sie ist insbesondere Grundlage einer überprüfung von Gesetzgebungsakten am Maßstab der Verhältnismäßigkeit. Eine Verhältnismäßigkeitskontrolle setzt voraus, daß der Gesetzgeber - ähnlich wie die Verwaltung - an vorgegebene Werte und Ziele gebunden ist, mit denen die getroffene Regelung in eine Zweck-Mittel-Relation gestellt werden kann26 • Ob diese Rechtmäßigkeitsprüfung unmittelbar und zwangsläufig Konsequenz der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip ist, kann hier dahinstehen. Entscheidend ist, daß sich Legislativakte und Verwaltungshandeln nicht mehr in der Art der Kontrolle, sondern nur noch in den Prüfungsmaßstäben und in der Kontrolldichte unterscheiden. Für eine grundsätzliche Privilegierung von Parlamentsgesetzen unter dem Gesichtspunkt des Gerichtsschutzes ist demnach kein Raum27 • Die weitgehende Austauschbarkeit und überschneidung legislativer und exekutiver Funktionen und Handlungsformen spricht für eine prinzipielle Gleichstellung von Legislative und Exekutive nicht nur bei der Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern auch bei der Haftung für rechtswidrige Eingriffe in die Rechtssphäre Einzelner28• Ähnliche überlegungen lassen sich auch im Sinne der Gleichstellung von Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane mit administrativen Handlungsformen innerstaatlichen Rechts anstellen. Die Funktionen, die nach der klassischen Konzeption des Rechtsstaats entweder der Legislative oder der Exekutive zugewiesen sind, und das Instrumentarium der jeweiligen Handlungsformen sind bei den Gemeinschaftsorganen und ihren Akten noch stärker verwoben als im deutschen Recht.

BVerfGE 39, 1, 51 ff. BVerfGE 53, 224, 245 ff. 26 Forsthoff (Fn. 19), S. 234 f. 27 Forsthoff (Fn. 19), S.236: "Die Auffassung, daß das Parlament als Exponent des demokratischen Volkswillens eine größere Freiheit von Kontrolle habe als die Verwaltung, findet weder im Grundgesetz eine Stütze, noch ist sie überhaupt rechtsstaatlich zu begründen." 28 Forsthoff, BB 1960, 1138: "... wenn Legislative und Exekutive heute vielfach ineinanderfließen, exekutivische Akte in Gesetzesform gekleidet werden und legislative Akte von der Verwaltung ergehen, dann entbehrt es der Rechtfertigung, die Staatshaftung auf exekutivische Akte zu beschränken und die Normsetzung von ihr auszuschließen." 24

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(e) Regelungsprärogative des Gesetzgebers Gegen eine Haftung für normatives Unrecht ist auch geltend gemacht worden, mit der Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen werde der Richter nicht mehr kassatorisch tätig, sondern reformatorisch. Er müsse dann implizit den korrekten Norminhalt selbst bestimmen; darin liege ein unzulässiger Eingriff in die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers29 • Gelegentlich wird auch der Präklusionsregelung des § 79 Abs.2 BVerfGG der Rechtsgedanke entnommen, daß normatives Unrecht zwar eine angemessene Wiedergutmachung erfordere, dazu aber nur der Gesetzgeber berufen sei30• Das auf die Abgrenzung rechtsetzender und richterlicher Funktionen abhebende Argument kehrt auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene wieder; so brachte in der Rechtssache Sehöppenstedt der Rat gegen die dort erhobene Schadensersatzklage vor, sie ziele im Grunde auf Ersetzung der beanstandeten Regelung durch eine bestimmte, vom EuGH zu treffende Neuregelung und sei daher unzulässig31. Nach überwiegender Auffassung steht jedoch ein Regelungsvorbehalt zugunsten des Gesetzgebers einer Staatshaftung für normatives, auch legislatives, Unrecht nicht entgegen32 • Ein institutionelles Verbot für ein Eingreifen des Richters in einen an sich dem Gesetzgeber vorbehaltenen Regelungsbereich besteht unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht33 • Allerdings ist etwa bei der Beanstandung von Besoldungsgesetzen der Verfassungsrichter bei einem Verstoß gegen Art.33 Abs.5 GG darauf beschränkt, den Verfassungsverstoß festzustellen, ohne den betroffenen Beamten selbst einen Anspruch auf angemessene Besoldung zubilligen zu können34 • Dies bedeutet aber lediglich, daß der Richter in einem Normenkontrollverfahren nicht die Be~ fugnis hat, reformatorisch mit Breitenwirkung Leistungsansprüche zuzuerkennen, die einer gesetzgeberischen Entscheidung vorbehalten sind. Ähnlich darf der Verfassungsrichter bei der diskriminierenden Vorenthaltung von Vergünstigungen nicht selbst die verletzte Gleichheit wiederherstellen, indem er die gesetzliche Vergünstigung auf den benachteiligten Personenkreis erstreckt, da er damit die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers verletzen würde35 • Anders liegt es bei der Zuerken-

Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 794 f. A. Arndt, BB 1960, 1351 f.; Ipsen, in: Festschrift für H. Jahrreiß zum 80. Geburtstag, 1974, S. 94 f. Vgl. demgegenüber Haverkate, NJW 1973, 441; Schenke, DVBl. 1975, 128. 31 Rs.5/71, Slg. 1978, 978. 32 OLG Hamburg, DÖV 1971, 238, 239; VG Frankfurt, DRiZ 1967, 353, 357; Hauerkate, NJW 1973, 441; Schenke, DVBl. 1975,126,128. 33 OLG Hamburg, DÖV 1971, 238, 239. 34 Vgl. BVerfGE 8, 1, 19; 8, 28, 34 f. 35 BVerfGE 22, 349, 361 f. 29

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nung von Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen im Rahmen der Staatshaftung. Eine richterliche Entscheidung, die einen Träger öffentlicher Gewalt wegen normativen Unrechts zur Erbringung von Ausgleichszahlungen verurteilt, wirkt anders als ein Rechtssatz nur inter partes36 • Außerdem wird durch die Zuerkennung eines Ausgleichsanspruches nicht etwa die fehlerhafte Regelung durch Richterspruch "korrigiert", sie liefert lediglich den Ausgangspunkt für die Bemessung des ersatzfähigen Schadens. (d) Budgetäre Bedenken

Die in der Praxis gewichtigsten und bei der Neuregelung des Staatshaftungsrechts auch durchschlagenden Bedenken gegen eine Haftung für legislatives Unrecht sind budgetärer Natur37 : Eine umfassende Haftung wegen rechtswidriger Gesetze könne zu einer übermäßigen Belastung des Staatshaushalts führen 38 ; die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen drohe die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers zu beeinträchtigen39 • Auf ähnliche Erwägungen hat der EuGH seine auf Eindämmung der Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht gerichtete Judikatur gestützt4O • Derartige budgetäre Bedenken dürfen aber nicht übersehen lassen, daß sich der Staat nicht mit Berufung auf finanzielle Belastungen und auf die Haushaltsprärogative des Parlaments rechtlich begründeten Verpflichtungen entziehen darf. Daher haben in der Diskussion um eine Ersatzpflicht des Staates für hoheitliches Unrecht budgetäre überlegungen nur rechtspolitischen Argumentationswert. Vor allem verliert das Bedenken der Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers stark an Gewicht, wenn man berücksichtigt, daß das Grundgesetz mit der auch den Gesetzgeber bindenden Garantie von Grundrechten dessen Entschließungsfreiheit von vorneherein begrenzt41 • Die Junktimklausel des Art. 14 Abs.3 GG und das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG sollen dem Gesetzgeber bei seiner Entscheidungsfindung gerade das Faktum und die Konsequenzen eines Eingriffes in Eigentum und andere grund rechtlich geschützte Rechtspositionen des Einzelnen vergegenwärtigen. Außerdem kann die "disziplinierende" Wirkung von möglichen Haftungsfolgen nur ein rechtsstaatliches Plus bedeuten42 • Die nach Maßgabe der 36 Vgl. OLG Hamburg, DÖV 1971,238, 239. Ähnlich hat sich der EuGH geäußert, Urteil vom 13.6.1972, verb. Rs. 9 und 11/71, Compagnie d'approvisiannement, Slg. 1972, 391, 405. 37 Dazu Schäfer / Bank (Fn. 7), Einleitung Rn. 123, 151. 38 Vgl. A. Arndt, BB 1960, 1351 f.; Bender, DÖV 1979, 114. 39 Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 655 f. 40 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94/76,4, 15 und 40177, HNL, Slg. 1978, 1209, 1224. 41 Vgl. Haverkate, NJW 1973, 442; Schenke, DVBl. 1975, 125.

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bisherigen Erfahrungen im deutschen Recht in Betracht kommenden Fälle einer breiten Schadensstreuung sind selten43 • Schließlich besteht in vielen Fällen normativen Unrechts für den Gesetzgeber die Möglichkeit, eine neue, anstelle der fehlerhaften Vorschrift tretende Regelung zu erlassen und damit nach den Grundsätzen der hypothetischen Kausalität eine Minderung oder gar einen Ausschluß des sonst ersatzfähigen Schadens herbeizuführen44 • Demgegenüber ist allerdings auf Gemeinschaftsebene zu berücksichtigen, daß sich die vor dem EuGH eingeklagten Schadensersatzansprüche häufig in beträchtlicher Höhe bewegen und daß fehlerhafte wirtschaftspolitische Verordnungen der Gemeinschaftsorgane oft eine Vielzahl von Unternehmen schädigen können. Das finanzielle "Korsett" der Gemeinschaft ist in Relation zu möglichen Ersatzverpflichtungen wegen normativen Unrechts so knapp zugeschnitten, daß bei einer allzu niedrig angesetzten Haftungsschwelle ernsthafte budgetäre Schwierigkei ten drohen. 4. Amtshaftung

Das RG hat die Anwendbarkeit der Amtshaftungsgrundsätze auf legislatives Unrecht mit Hinweis auf die "Selbstherrlichkeit" des parlamentarischen Gesetzgebers verneint45 • Demgegenüber hat der BGH eine Haftung aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG für legislative Akte offengelassen46 • Bejaht hat das OLG Tübingen47 eine Amtshaftung für die verfassungswidrige Verordnung einer Landesregierung. Das OLG Hamburg48 hat die Möglichkeit einer Amtshaftung wegen einer unzureichenden Beamtenbesoldungsregelung als legislatives Unrecht im Grundsatz anerkannt. Das VG Frankfurt 49 hat einer auf Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht gestützten Klage wegen des im Erlaß einer unzulänglichen Besoldungsregelung liegenden legislativen Fehlverhaltens des Staates stattgegeben. In der Literatur hat sich weitgehend die Auffassung durchgesetzt, die von einer Anwendbarkeit des Amtshaftungsinstituts auf normatives, auch legislatives, Unrecht ausgehtso. Daß auch Abgeordnete als Amtsträger im haftungsVgl. Futterer, BB 1980, 182. Vgl. Schäfer / Bonk (Fn. 7), Einführung Rn. 123. 44 Schenke, DVBl. 1975, 127. 45 RGZ 118, 325, 327. Ahnlich noch Scheuner, BB 1960, 1256: "Der Gesetzgeber entscheidet frei. Für sein Fehlgreifen gibt es keine Amtshaftung ... " 46 BGHZ 56, 40, 44 ff.; BGH, NJW 1980, 2700, 2703. 47 MDR 1953, 564. 48 DÖV 1971, 238. 49 DRiZ 1967, 353. so Dagtoglou (Fn.8), S. 31 ff.; Forsthoff, BB 1960, 1138; Haverkate, NJW 1973, 441 ff.; Oldiges, Der Staat 1976, 383 ff.; Schack, MDR 1968, 188; Schenke, 42

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rechtlichen Sinne zu qualifizieren sind51 , wird zutreffend mit der weiten Fassung des Art. 34 GG, dem Abrücken von einem individualisierbaren Fehlverhalten als Haftungsvoraussetzung52 und mit dem Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 GG begründet, der vom "Amt" des Abgeordneten spricht. Den Kern der Kontroverse um eine Haftung für normatives Unrecht bildet die Frage, ob die Abgeordneten bzw. die Rechtsetzungsorgane der Exekutive Adressaten von drittschützenden Amtspflichten sein können53 • Der BGH54 hat betont, daß Gesetze und Verordnungen grundsätzlich generelle und abstrakte Vorschriften enthielten, so daß der Gesetzgeber in der Regel lediglich Amtspflichten gegenüber der Allgemeinheit wahrnehme, nicht gegenüber bestimmten Personen. Allerdings könnten ausnahmsweise - etwa bei Maßnahme- oder Individualgesetzen - die Belange Einzelner derart tangiert sein, daß sie als "Dritte" im Sinne von § 839 BGB zu behandeln sind55 • Demgegenüber ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Abgrenzung nach dem Adressaten- oder Wirkungskreis kein taugliches Kriterium für die Konturierung der Amtspflicht bildet; vielmehr bestimmt sich die Amtspflicht der Rechtsetzungsorgane nach den ihrer Tätigkeit zugrundeliegenden Rechtsnormen und deren personalem Schutzbereich56 • Solche Verpflichtungen gegenüber dem Einzelnen begründen insbesondere die Grundrechtes7 • Gerade an den Grundrechten zeigt sich deutlich, daß die Zahl der Interessenten für die Scheidung von Individual- und Allgemeininteresse unerheblich ist und daß ein Rechtssatz, der alle Bürger begünstigt, zum Schutz jedes Einzelnen bestimmt sein kannsB. Vielmehr ist die Bestimmtheit des Interessentenkreises entscheidend59• Ein Rechtssatz, der subjektiv-öffentliche Rechte für einen bestimmten DVBl. 1975, 124 ff. Anders etwa Jaenicke (Fn.7), S.125; Scheuner, BB 1960, 1256. Vgl. auch Menger, Verwaltungsarchiv 63 (1973), 84 f. (Amtshaftung nur bei personalbezogenen Rechtsetzungsakten). 51 So m. w. Nachw. Dagtoglou (Fn.8), S. 31 ff.; Schenke, DVBl. 1975, 124. 52 Vgl. BGHZ 11, 192, 197 f. 53 Dazu Dagtoglou (Fn.8), S. 38 ff.; Oldiges, Der Staat 1976, 385 ff.; Ossenbühl (Fn. 6), S. 62; Schenke, DVBl. 1975, 124 ff. 54 BGHZ 56, 40, 44 ff. 55 Ähnlich Dagtoglou (Fn.8), S. 39 f.; Wolf! / Bacho! (Fn.8), § 64 I b 5 (S. 562 f.). 56 Oldiges, Der Staat 1976, 389 f. 57 Jerusalem, SJZ 1950, Sp.7; Haverkate, NJW 1973, 442: "Die Amtspflicht der Abgeordneten zur Wahrung der Verfassung besteht jedem gegenüber, der durch die Verletzung dieser Pflicht in seiner grund rechtlich geschützten Freiheitssphäre beeinträchtigt wird." Ähnlich Schenke, DVBl. 1975, 125. Auf die Drittbezogenheit der auch den nationalen Gesetzgeber bindenden Vorschriften der EMRK mit der Folge einer aus Art. 50 EMRK ableitbaren Schadensersatzpflicht stellt Moller, NJW 1967, 2338 ff., ab. 58 Bacho!, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 297. 59 Bacho! (Fn.58), S.297.

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Personenkreis begründet wie die Grundrechtsvorschriften, ist begriffsnotwendig drittbezogen60 • Auf der Ebene der kommunalen Rechtsetzung ist anerkannt, daß die Gemeinderatsmitglieder im Verfahren der Bauleitplanung in Wahrnehmung einer drittschützenden Amtspflicht handeln61 • Der Verstoß gegen formelle Vorschriften, insbesondere gegen Zuständigkeitsnormen, bildet grundsätzlich noch keine Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht der Rechtsetzungsorgane62 , denn diese formellen Vorschriften vermitteln grundsätzlich keine subjektiven Rechtspositionen. Soweit der Verstoß gegen Verfahrensvorschriften in der bauleitplanerischen Rechtsetzung durch die Gemeinden eine Amtspflichtverletzung darstellen kann, liegt dies in der materiellen Relevanz von Festsetzungen in Bauleitplänen für den Inhalt des Grundeigentums begründet63 • Zur Begrenzung des ersatzfähigen Schadens hat man zutreffend auf die zivilrechtliche Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang und vom Schutzzweck der Norm verwiesen64 • Ersatzfähig sind demnach nur die Einbußen, vor denen der verletzte Rechtssatz schützen soll. Mit der Anerkennung von durch subjektiv-öffentliche Rechte vermittelten Amtspflichten und mit der weitgehenden Objektivierung des Verschuldensbegriffes6S ist das Institut der Amtshaftung nicht mehr allzuweit von einer Gefährdungshaftung oder dem von HaaSX' und von Menger67 verfochtenen "allgemeinen Wiedergutmachungsanspruch" entfernt. 5. Folgenbeseitigung

Ob der Eingriff in die Rechtssphäre Einzelner, der unmittelbar durch eine rechtswidrige Norm bewirkt wird und zu einem fortwährenden rechtswidrigen Zustand führt, einen Anspruch auf Beseitigung der von dem fehlerhaften Rechtsetzungsakt verursachten Folgen im Sinne eines "Normenvollzugsbeseitigungsanspruches" auslösen kann, ist nach bisherigem Recht kaum geklärt68 • Das Institut des Folgenbeseitigungsan60 Bacho! (Fn. 58), S. 296 f.; Haverkate, NJW 1973, 442; Oldiges, Der Staat 1976, 390 f. 61 BGH, DVBI. 1976, 173, 175 f.; Degenhardt, NJW 1981, 2666. 62 Vgl. BGH, NJW 1959, 1316; LG Freiburg, MDR 1953, 564, 565. 63 Degenhart, NJW 1981, 2667. 64 Haverkate, NJW 1973, 444. 6S Dazu Ossenbühl (Fn. 6), S. 46 f. 66 Siehe oben Fn. 8, S. 59 ff. 67 In: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 347 ff. (350). 68 Dazu Schenke, DVBI. 1975, 123 f.

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spruches69 gewährt dem Einzelnen bei einem rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in seine Freiheitssphäre einen Anspruch auf Beseitigung einer dadurch geschaffenen fortwirkenden Beeinträchtigung, d. h. die Wiederherstellung des vor der Beeinträchtigung bestehenden Zustandes, sofern dies möglich ist70 • Auf verfassungsrechtlicher Ebene wird man die Freiheitsgrundrechte, vor allem Art.2 Abs.1 GG und Art. 14 GG als Grundlage des Folgenbeseitigungsanspruches anzusehen haben71 • Nach Inhalt und verfassungs rechtlicher Fundierung kommen als Gegenstand eines Folgenbeseitigungsanspruches auch unmittelbar durch normatives Handeln bewirkte Beeinträchtigungen in Frage. Gegen einen Folgenbeseitigungsanspruch in solchen Fällen wird damit argumentiert, anders als rechtswidrige Verwaltungsakte seien rechtswidrige Normen nichtig, so daß sie der Bürger auch nicht vorläufig für sich als verbindlich hinnehmen muß72 • Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß eine rechtswidrige Norm zunächst den Anschein der Gültigkeit für sich hat und daß wenigstens förmliche Gesetze bis zu ihrer Verwerfung durch den Richter die Verwaltung binden. Außerdem ist anerkannt, daß das Entstehen eines Folgenbeseitigungsanspruches nicht davon abhängt, daß der Eingriff durch einen Verwaltungsakt bewirkt wurde73 • Wenn demnach schon ein bloß faktischer Eingriff einen Folgenbeseitigungsanspruch auslösen kann, muß dies erst recht für eine Beeinträchtigung durch eine normative Regelung gelten. Demnach ist nach dem bisherigen Staatshaftungsrecht ein Folgenbeseitigungsanspruch bei normativem Handeln zu bejahen. 6. Enteignungsgleicher Eingriff

Bei unmittelbaren Eingriffen in die Rechtssphäre Einzelner durch Rechtssatz steht nach der bisherigen Praxis das Institut des enteignungsgleichen Eingriffes im Vordergrund. Die bislang in der Rechtsprechung entschiedenen und die in der Literatur diskutierten Fälle, die sich auf die Haftung für normatives Unrecht beziehen, haben meist die Beeinträchtigung von Vermögenspositionen zum Gegenstand: etwa die Schädigung von Unternehmen durch eine ungültige Ladenschlußregelung74 , rechtswidrige Regelungen über die Sonntagsarbeit75 , Dazu Bettermann, DÖV 1955, 528 ff.; Ossenbühl (Fn.6), S. 190 ff.; WeyVerhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. I, 1968, Gutachten B; Wolf! / Bachof (Fn. 8), § 5411 (S. 477 ff.). 70 Bettermann, DÖV 1955, 536; Weyreuther (Fn. 69), B 105. 71 Weyreuther (Fn.69), B 78 ff. ffi. w. Nachw. Vgl. auch BVerwG, DÖV 1971, 857, 858; BVerwGE 44,235,243. 72 Schenke, DVBl. 1975, 124. 73 BVerwG, DÖV 1971,857. 74 LG Freiburg, MDR 1953, 564; Dagtoglou (Fn.8), S.26; Selmer (Fn.8), S.106. 69

reuther,

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Einführung von Steuern mit Erdrosselungswirkung76 oder unzulängliche Besoldungsregelungen. Die zum enteignungsgleichen Eingriff entwickelten Grundsätze77 lassen sich grundsätzlich für jeden rechtswidrigen Eingriff von hoher Hand heranziehen. Von der Tatbestandsstruktur des Instituts her bestehen keine bestimmten inhaltlichen Anforderungen an die Rechtsnatur des Eingriffsaktes. Eine Anwendbarkeit des Instituts auf unmittelbar durch einen Rechtsetzungsakt herbeigeführte Vermögenseinbußen ist daher zu bejahen78 • In der Rechtsprechung hat sich zuerst das LG Freiburg79 im Grundsatz für eine Entschädigungspflicht des Staates bei rechtswidrig-schuldlosen Eingriffen durch Gesetz in subjektiv-öffentliche Rechte, insbesondere Grundrechte, ausgesprochen; es hat dabei auf die Grundsätze des Aufopferungsanspruches (§ 75 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht), auf die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers (Art. 1 Abs.3 GG) und auf Art. 14 Abs. 3 GG hingewiesen80 • Das OLG Hamburg81 hat die Möglichkeit einer Staatshaftung für enteignungsgleichen legislativen Eingriff bei einer unzulänglichen Beamtenbesoldungsregelung anerkannt 82 • In diesem Zusammenhang hat das Gericht betont, daß der Einzelne unter haftungs rechtlichen Gesichtspunkten gegenüber Eingriffen durch den Gesetzgeber nicht weniger schutzwürdig ist als bei Beeinträchtigungen durch die Exekutive83 • Der BGH hat bejaht, daß ein enteignungsgleicher Eingriff unmittelbare Folge eines Gesetzes sein kann84 ; in gleichem Sinne hat er zur Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff wegen des in einer Rechtsverordnung enthaltenen Verbotes von Werbefahrten entschieden85 • Nach der bisherigen Judikatur des BGH kam eine Staatshaftung aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff immer schon dann in 75 Forsthoff,

BB 1960, 1135 ff.

A. Arndt, BB 1960, 1351 f.; Dagtoglou (Fn. 8), S.27. 77 Dazu Kreft, in: Kommentar zum BGB, hrsg. von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes, 12. Aufl., vor § 839 Rn. 16, 33 ff.; Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 94 ff.; Ossenbühl (Fn.6), S. 147 ff.; Selmer (Fn. 8), S. 15 ff., 111 ff. 78 So Oldiges, Der Staat 1976, 395 ff.; Schack, MDR 1968, 188 f.; Selmer (Fn. 8), S. 100 ff.; Schenke, DVBl. 19'75, 122. Dagtoglou (Fn.8), S. 27 ff., 56 ff., 76

zieht bei durch ungültige Normen bewirkten Vermögensschäden in erster Linie das Institut der Aufopferung heran; kritisch dazu Selmer (Fn. 8), S. 108 ff. 79 MDR 1953, 564. 80 MDR 1953, 565. 81 DÖV 1971, 238, 240. 82 Allerdings wäre in dem dort entschiedenen Fall im Rahmen von Art. 33 Abs. 5 GG wohl eher ein Aufopferungsanspruch in Betracht gekommen. 83 DÖV 1971, 240. 84 BGHZ 56, 40, 42. 85 BGH, NJW 1980, 2700. 5 Herdegen

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Betracht, wenn ein (rechtmäßiger bzw. rechtswidriger) Hoheitsakt unmittelbar auf eine in die Eigentumsgarantie einbezogene Rechtsposition einwirkt und dadurch dem Betroffenen ein "Sonderopfer" auferlegt86 • Ein den Inhalt oder die Schranken des Eigentums bestimmender Rechtssatz kann eine Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff nach der Rechtsprechung des BGH dann auslösen, wenn die Regelung die Grenzen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG überschreitet 87 • Von den bisher geltenden Grundsätzen zum enteignenden und enteignungsgleichen Eingriff, wie sie der BGH herausgearbeitet hat, hat sich das BVerfG neuerdings deutlich distanziert 88 , allerdings ohne sich auf diese Institute ausdrücklich zu beziehen: Bei Beeinträchtigungen des Eigentums könne der Bürger nur dann eine Entschädigung verlangen, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist; andernfalls müsse er auf "Aufhebung des Eingriffsaktes" klagen. Ein Wahlrecht zwischen einem direkten Vorgehen gegen den Eingriffsakt und einer Entschädigung habe er nicht 89• Ob sich das BVerfG dabei in erster Linie auf eine Art Gesetzesvorbehalt oder auf die Schadensminderungspflicht des Betroffenen oder aber auf die Bestandskraft unanfechtbar gewordener Eingriffs akte stützt, ist nicht völlig klar. Von dieser neuen Rechtsprechung dürften jedenfalls Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff in den Fällen unberührt bleiben, in denen der Eingriff Schäden ausgelöst hat, die durch kassatorische Rechtsbehelfe und damit verbundenen primären Rechtsschutz nicht (oder nicht in vollem Umfang) abgewehrt werden können. Dies entspricht der Bestandsgarantie des Eigentums, die nicht minder als das private Recht gegenüber privaten Eingriffen auch Ausgleichs- und Beseitigungsansprüche bei rechtswidrigen Beeinträchtigungen von hoher Hand gewährleistet90• Demnach bleibt auch nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG gerade bei fehlerhafter Rechtsetzung Raum für Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff, zumal es hier nicht um ein Wahlrecht zwischen Entschädigung und "Aufhebung des Eingriffsaktes" geht und der Gesichtspunkt der Bestandskraft des Eingriffsaktes keine Rolle spielt. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Neuregelung durch das Staatshaftungsgesetz (vgl. § 14 Abs.3) weitgehend an die Rechtsprechung des BGH anknüpft91 • Dazu Kreft (Fn. 77), vor § 839 Rn. 33 ff. BGH, NJW 1980, 2700, 270l. 88 BVerfG, NJW 1981, 745, 746 f.; dazu Baur, NJW 1981, 1734 ff.; Rittstieg, NJW 1981,721 ff.; Rupp, NJW 1981,1732 f. 89 BVerfG, NJW 1981, 747. 90 Vgl. BVerwGE 44, 235, 243. 91 Baur, NJW 1981,1735 f.; Schäfer / Bonk (Fn. 7), § 14 Rn. 20 ff. 86

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Ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, daß von hoher Hand in eine unter die Eigentumsgarantie fallende Rechtsposition eingegriffen wird. Bei Rechtsetzungsakten mit wirtschaftspolitischem Einschlag, wie sie im Rahmen von Art. 215 Abs. 2 EWGV im Vordergrund stehen, kommt vor allem ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht. Dabei ist von Bedeutung, daß bestimmte günstige wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für die unternehmerische Betätigung, die das Wettbewerbsrisiko positiv mitbestimmen, grundsätzlich nicht von der Eigentumsgarantie erfaßt werden92 • Anders liegt es nur dann, wenn der Unternehmer auf das unveränderte Fortbestehen einer für seine wirtschaftliche Betätigung günstigen Rechtslage sich verlassen und einrichten durfte, so daß ein Vertrauenstatbestand begründet ist93 • Um den geschützten Umfang des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes geht es in den häufig unter dem Begriff der Plangewährleistung94 diskutierten Fällen, in denen sich der Unternehmer bei seiner wirtschaftlichen Betätigung an normativ fixierten Planungs bedingungen orientiert und bei seinen Dispositionen mit unerwarteten Änderungen der Rechtslage konfrontiert wird95 • Diese Fallkategorie spielt auch in der Judikatur des EuGH zu Art. 215 Abs.2 EWGV eine große Rolle96 • Die diese Fälle kennzeichnende Problematik liegt darin, daß hier anders als beim "klassischen" entschädigungspflichtigen Eingriff in die aktuelle Vermögenssubstanz an sich mit marktwirtschaftlicher Betätigung verbundene Risiken zunächst für den Unternehmer entweder abgeschwächt oder sogar völlig aufgefangen werden und später auf ihn zurückgewälzt werden, nachdem die hoheitliche Planung bereits zur Grundlage individueller Dispositionen gemacht worden ist97 • Geschützt werden dabei nicht das Vertrauen als solches, sondern die durch das Vertrauen hervorgerufenen Vermögensdispositionen; für die vermögenswerten Güter ist der Vertrauensschutz ausschließlich im Normbereich von Art. 14 GG an ge sie92 BVerfGE 45, 142, 173; 51, 193, 222; BGH, NJW 1980, 2700, 2701: "Außerhalb des von der Eigentumsgarantie umfaßten Gewerbebetriebs in seiner konkreten Gestaltung verbleiben grundsätzlich die allgemeinen Gegebenheiten und Chancen, innerhalb deren der Unternehmer seine Tätigkeit entfaltet. Diese Umstände, die keinen konkreten Bezug zu einem bestimmten einzelnen Gewerbetrieb haben, mögen für das Unternehmen von erheblicher Bedeutung sein und über das Risiko des Unternehmers entscheiden, seine Leistungen günstig anzubieten und rentabel abzusetzen, sie werden aber nicht dem geschützten Bestand des einzelnen Unternehmens zugeordnet." 93 BGHZ 25,266,269 f.; BGH, NJW 1980, 2700, 2701. 94 Dazu etwa Ossenbühl (Fn. 6), S. 176 ff. 95 Vgl. RGZ 139, 177 ("Gefrierfleisch"); BVerfGE 30, 392 ("Berlinhilfe"); BGHZ 45, 83 ("Knäckebrot"). 96 Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 14. 5. 1975, RS.74174, CNTA, Slg. 1975, 533. 97 Vgl. OssenbühZ (Fn. 6), S. 179 f.

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delt98 • Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes läßt sich die Problematik der Plangewährleistungsfälle wohl nur dann befriedigend lösen, wenn man dem Gesetzgeber einen weiten wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum einräumt, innerhalb dessen er entschädigungslos auf vom Fortbestehen bestimmter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen abhängige Vermögenschancen einwirken darf. Einen solchen Gestaltungsspielraum hat das BVerfG im Rahmen von Art. 2 Abs.1 GG bei Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit anerkannt99 • Das Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist als "Rahmenrecht" kaum schärfer konturiert als das von Art.2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und läßt sich in seinem Umfang häufig nur durch eine Abwägung zwischen dem Anliegen des Gesetzgebers und den beeinträchtigten Individualinteressen bestimmenloo • Hinter dem Institut des enteignungsgleichen Eingriffs stehen zwei jeweils verschiedenen Konzepten zuzuordnende Grundsätze: das Prinzip der Unzumutbarkeit und das der Rechtswidrigkeit lol • Durch Hoheitsakt auferlegte Einbußen lösen erst dann einen Ausgleichsanspruch aus, wenn sie die Grenze der Sozialpflichtigkeit (Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG) überschreiten lO2 • Beim enteignenden Eingriff wird die Unzumutbarkeit dadurch bewirkt, daß in formaler ("gesetzesimmanenter") Hinsicht gleich behandelte Normadressaten unterschiedlich in ihrer materiellen Rechtsposition getroffen werden, weil die vom Gesetz auferlegte Vermögenseinbuße an mit der tangierten Eigentumsposition nicht von vornherein essentiell und situations bezogen verbundene Merkmale anknüpft, sondern an äußere (akzidentielle) Merkmale l03 • Im Rahmen von Art. 215 Abs.2 EWGV ging es um einen solchen Verstoß gegen den "gesetzestranszendenten" Gleichheitssatz etwa im Fall Compagnie Industrielle du Comte de LoheaclO4 ; hier hatte eine Regelung über den Interventionspreis für Zucker dem von den europäischen Verhältnissen abweichenden Ernte- und Absatzrhythmus nicht Rechnung getragen. Das unzumutbare Sonderopfer beruht beim enteignenden Eingriff nicht schon auf einer der gesetzlichen Regelung immanenten VermögensBVerfGE 36, 281, 293; BGH, NJW 1980, 2700, 2701. BVerfGE 4, 7, 15 f.; 30, 292, 319; dazu Ipsen, in: Festschrift für H. Jahrreiß zum 80. Geburtstag, 1974, S. 95 f. 100 Vgl. BGH, NJW 1980, 2700, 2701 f.; Badura, AöR 98 (1973), 159, 161 ff.; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. II, 1960, S. 83 ff. (99 ff.). 101 Maunz (Fn. 77), Art. 14 Rn. 95. 102 BGHZ 58, 124, 127; Kreft (Fn. 77), vor § 839 Rn. 33 ff. 103 Verstoß gegen den "gesetzestranszendenten" Gleichheitssatz, dazu Wolf! I Bacho! (Fn. 8), § 60 I b 3 (S. 525 ff.). 104 EuGH, Urteil vom 31. 3.1977, verb. Rs. 54 bis 60176, Slg. 1977, 645. 98

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I. Bisheriges deutsches Staatshaftungsrecht

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einbuße, sondern erst auf einem durch die Verknüpfung der gesetzlichen Regelung mit einem bestimmten realen Lebenssachverhalt bewirkten Schaden lO5 • Demgegenüber wird das Sonderopfer nach der Rechtsprechung des BGH I06 in den Fällen des enteignungsgleichen Eingriffs grundsätzlich schon durch die Rechtswidrigkeit des Eingriffsaktes konstituiert. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Eingriff nur deswegen rechtswidrig ist, weil er an formellen Mängeln leidet l07 • Die für administrative Vollzugsakte geltenden Maßstäbe für die Bestimmung des Sonderopfers lassen sich nicht ohne weiteres auf Gesetzgebungsakte übertragen, die rechtswidrig in die Vermögenssphäre eingreifen. Beim enteignungsgleichen Eingriff aufgrund eines verfassungsmäßigen Gesetzes orientiert sich die Opfergrenze an der durch das Gesetz im Rahmen von Art. 14 Abs.1 S.2, Abs.2 GG allgemein festgelegten, entschädigungslos hinzunehmenden Eigentumsbeschränkung. Der Vollzugs akt schafft jedenfalls dann, wenn er das die Sozialbindung konkretisierende Gesetz in materieller Hinsicht verletzt, per se ein Sonderopfer. Anders als die normenvollziehende Verwaltung ist der Gesetzgeber zur Konkretisierung der Sozialbindung befugt; er darf das Eigentum insoweit beeinträchtigen, als er dabei an eine situations gebundene und dem Eigentum immanente "Pflichtigkeit" anknüpft lO8 • Daher begründet erst der über die Sozialbindung hinausgehende Eingriff einen Anspruch auf Ausgleich lO9 • Einbußen, die zwar durch einen rechtswidrigen legislativen Eingriff herbeigeführt werden, aber sich im Rahmen der Sozialbindung halten, liegen außerhalb des Schutzbereiches von Art. 14 GGIIO. Auf der anderen Seite würde man dem Umfang der Eigentumsgarantie nicht Rechnung tragen, wenn man wegen der Breitenwirkung abstrakt-genereller Normen eine Haftung nur bei der besonderen Beeinträchtigung eines begrenzten Personenkreises durch einen Rechtssatz annehmen wollte 111 ; denn gewisse, die Sozialbindung sprengende Einbußen wie der Vollentzug von Eigentum brauchen auch dann nicht entschädigungslos hingenommen werden, wenn viele oder gar alle Inhaber der betreffenden Eigentumsposition tangiert werden112 • Der Rückgriff Vgl. Wolff / Bachof (Fn. 8), § 60 I b 3 (S. 526). BGHZ 32, 208, 210 f. 107 BGHZ 58,124, 127; Kreft (Fn. 77), vor § 839 Rn. 34. 108 Vgl. Ossenbühl (Fn.6), S.122; Wolft I Bachof (Fn.8), § 60 I b 3 (S. 525 f.). 109 Oldiges, Der Staat 1976, 398 ff.; Selmer (Fn.8), S. 103 f. Ähnlich Jaenicke (Fn. 7), S. 126. Anders Dagtoglou (Fn. 8), S. 58: Bereits durch die Verfassungswidrigkeit als solche wird das entschädigungspflichtige Sonderopfer indiziert. 110 BGH, NJW 1980, 2700, 2701. 111 So aber Jaenicke (Fn. 7), S. 125 f.; Schenke, DVBl. 1975, 122. 112 Kreft (Fn. 77), vor § 839 Rn. 49. 105 106

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§ 4 Rechtsvergleichender überblick

auf den Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist nur dann sinnvoll und geboten, wenn die gesetzliche Regelung ihrem abstrakten Inhalt nach dem Einzelnen soviel von seiner Dispositionsbefugnis läßt, daß die Opfergrenze nur durch den Vergleich mit den anderen Inhabern gleicher oder ähnlicher Eigentumspositionen ermittelt werden kann. Eine Enteignung im haftungsrechtlichen Sinne liegt dann ohne Rücksicht auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, wenn der Wesensgehalt des Eigentums (Art. 19 Abs.2 GG) angetastet wird 113 • Der Umfang der Entschädigung bei enteignungsgleichem Eingriff orientiert sich am Erfordernis des Ausgleichs für die hoheitlich auferlegte Einbuße 114 • Dabei ist zunächst voller Ausgleich für Substanzverlust zu gewähren 115 • Inwieweit entgangener Gewinn ersatz fähig ist, hängt davon ab, ob die gewinnbringende Nutzung vorhandenen Kapitals und der Einsatz der beeinträchtigten Vermögenspositionen im einzelnen Fall von der Eigentumsgarantie erfaßt werden, ob sich Nutzungsmöglichkeiten oder angebahnte Geschäfte schon zu gegenwärtigen und konkreten Werten verdichtet haben l16 • So hat der BGH bei einem durch eine rechtswidrige Rechtsverordnung angeordneten Verbot von Werbefahrten die Ersatzfähigkeit des durch das Verbot bewirkten Gewinnverlustes anerkannt l17 • 7. Aufopferung

Das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs ist nur eine besondere Ausprägung des Aufopferungsgrundsatzes 118 • Nach den von der Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätzen gewährt das Institut der Aufopferung bei hoheitlichen Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter des Bürgers im Allgemeininteresse einen Anspruch für dadurch bewirkte besondere Einbußen119 • Der BGH hat den nach §§ 74, 75 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht eigentlich auf rechtmäßige Hoheitsakte zugeschnittenen Aufopferungstatbestand l20 auf rechtswidrige Eingriffe erweitert l21 • Die Grundsätze der Aufopferung müssen auch bei normativem Unrecht Anwendung finden, insbesondere bei rechtswidrigen Eingriffen des Gesetzgebers in grundrechtlich geBGHZ 30, 338, 341; 60, 145, 147; Kreft (Fn. 77), vor § 839 Rn. 49. Dazu Maunz (Fn. 77), Art. 14 Rn. 111 ff. l1S Vgl. BGHZ 31, 338, 351; Maunz (Fn. 77), Art. 14 Rn. 112. 116 Dazu Rüjner, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungs recht, 5. Auf!. 1981, S. 479 ff. 117 BGH, NJW 1980,2700. 118 BGHZ 13, 88, 91. 119 BGHZ 9, 83; Ossenbühl (Fn.6), S. 80 ff. m. w. Nachw. 113

114

120 121

Dazu Ossenbühl (Fn. 6), S. 77. BGHZ 20, 61; 65, 196, 206.

H. Haftung nach dem deutschen StHG

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schützte Rechtsgüter122 • Eine haftungsrechtliche Privilegierung der unter den Schutz von Art.2 Abs. 2 GG oder von Art. 14 GG fallenden Rechtsgüter gegenüber anderen Grundrechten läßt sich schwer rechtfertigen 123 • Daher dürfte der vom BGH auf Eingriffe in Leben, Gesundheit und Freiheit beschränkte Schutzbereich des Aufopferungsinstituts auf andere Grundrechtsgüter wie die Berufsfreiheit oder die Wettbewerbsfreiheit zu erstrecken seinl24 • 11. Haftung nach dem deutschen StHG Die starken Strömungen in Praxis und Rechtslehre, das seit langem als reformbedürftig angesehene Staatshaftungsrecht auf eine neue einheitliche Grundlage zu stellen, sind in das Staatshaftungsgesetz vom 26.6.1981 (StHG) eingemündet. Dieses Gesetz hat das BVerfG mit Entscheidung vom 19. 10. 1982 wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig erklärtl. Trotzdem wird man die im StHG vorgesehenen Regelungen bei der Rechtsvergleichung zu berücksichtigen haben und ihnen im Rahmen von Art. 215 Abs. 2 EWGV einen maßgeblichen Stellenwert einräumen können. Über den Ansatz einer erforderlichen Neuregelung, das Abrücken vom Amtshaftungssystem, den Verzicht auf den Verschuldensnachweis und die Anknüpfung der Staatshaftung an rechtswidrige Eingriffe in die subjektive Rechtssphäre, besteht weitgehend Einigkeit2• Davon dürfte ähnlich wie das StHG auch eine an dessen Stelle tretende neue gesetzliche Regelung ausgehen. Das StHG hat aus rechtsvergleichender Sicht insofern "Modell charakter" , als dahinter die mit systemverschiedenen Haftungsinstituten und ihren Mängeln gemachte Erfahrung steht und als dabei die Rechtslage in anderen Staaten und in den Europäischen Gemeinschaften berücksichtigt worden ist3• Das StHG sollte eine allgemeine Haftung der Träger öffentlicher Gewalt für die Verletzung drittschützender Pflichten öffentlichen Rechts regeln (§ 1 Abs. 1 StHG). Es knüpft damit die Haftung an rechtswidrige Eingriffe in subjektiv-öffentliche Rechte; denn ein Rechtssatz, der zum 122 Vgl. Dagtoglou (Fn. 8), S. 54 ff.; Haverkate, NJW 1973, 443; Kessler, DRiZ 1979, 263; Lücke, AöR 104 (1979), 233, 243. 123 Lücke, AöR 104 (1979), 243; vgl. auch Haverkate, NJW 1973, 443. 124 Vgl. DüT"ig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz (Fn.77), Art.2 Rn. 27; Wolff / Bachof (Fn. 8), § 61 I e (S. 536).

BVerfG, EuGRZ 1982,369 = NJW 1983, 25. Vgl. Bender, DÖV 1979, 109 f.; Schäfer, DÖV 1982, 10 ff. m. w. Nachw. 3 Vgl. das rechtsvergleichende Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zur Reform des Staatshaftungsrechts, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975. 1

2

72

§ 4 Rechtsvergleichender überblick

Schutz individueller Interessen bestimmt ist, begründet stets ein subjektiv-öffentliches Recht4• Damit ist der sekundäre, haftungs rechtliche Individualschutz in Parallele zum primären Rechtsschutz ausgestaltet. Rein durchgeführt ist das Konzept einer Unrechtshaftung allerdings nur bei Grundrechtseingriffen, während bei sonstigen Rechtsverletzungen der Exkulpationsbeweis offensteht (§ 2 Abs. 1 und 2 StHG). Diese allgemeinen Haftungsgrundsätze sollten uneingeschränkt für fehlerhafte Rechtsetzungsakte ohne Gesetzesrang gelten; lediglich Maßnahmen der Gesetzgebung im formellen Sinne werden von der privilegierenden Sonderregelung des § 5 Abs.2 S. 1 StHG nicht erfaßt. Der Begriff "Gesetzgeber" im Sinne dieser Vorschrift erstreckt sich nur auf die legislativen Körperschaften des Bundes und der Länder; Rechtsverordnungen der Exekutive und Satzungen der Selbstverwaltungskörperschaften sind nicht privilegierts. Soweit der Entlastungsbeweis vorgesehen ist, handelt es sich um ein Relikt aus dem System der Amtshaftung, das angesichts der verschuldensunabhängigen Haftung für Grundrechtsverletzungen bei fehlerhafter Rechtsetzung selten praktische Bedeutung erlangen könnte. Die Parallelität von primärem und sekundärem Rechtsschutz würde gegenüber der bisherigen Rechtslage bei fehlerhafter Rechtsetzung eine saubere haftungsrechtliche Lösung ermöglichen, bei der es nicht auf den Verschuldensnachweis oder ein Sonderopfer ankommt. Die von der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte ausgehende Regelung der staatlichen Haftung gestattet es, für den Umfang des ersatzfähigen Schadens mit den zu § 839 BGB entwickelten Grundsätzen die zivilrechtlichen Lehren vom "Schutzzweck der Norm" und vom Rechtswidrigkeitszusammenhang heranzuziehen6 • Schäden, die außerhalb des Schutzbereiches der verletzten Vorschrift liegen, sind demnach nicht ausgleichspflichtig7 • Problematisch ist vor allem bei Rechtsetzungsakten mit wirtschaftspolitischem Einschlag, inwieweit Eingriffe in das unbenannte Freiheitsgrundrecht des Art.2 Abs. 1 GG als Grundrechtsverletzung im Sinne von § 2 Abs.2 StHG aufzufassen sind. Nach der Ausdehnung des Schutzbereiches von Art. 2 Abs. 1 GG auf alle belastenden EingriffeS 4 Bachaf, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 296 ff.; Schäfer I Bank, Staatshaftungsgesetz, 1982, § 1 Rn. 102; Walff / Bachaf, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 43 I (S. 318 ff.). 5 Schäfer I Bank (Fn. 4), § 5 Rn. 52 ff. 6 Haverkate, ZRP 1977, 34; Schwerdtfeger, JuS 1982, 3. Eher kritisch zum Rückgriff auf diese zivil rechtlichen Lehren Schäfer / Bank (Fn.4), § 1

Rn. 227 ff. 7 Vgl. Jauernig I Teichmann, BGB, 2. Aufl. 1981, vor §§ 249 - 253 Anm. V 4 m.w.Nachw. S BVerfGE 6, 32.

11. Haftung nach dem deutschen StHG

73

würde die Einbeziehung jeglicher Beeinträchtigung des "status negativus" die Möglichkeit des Entlastungsbeweises weitgehend ausschalten und so in Abkehr von § 2 Abs. 1 S.2 StHG eine umfassende Staatshaftung auslösen, bei der das Verschulden überhaupt keine Rolle mehr spielt9• Alle rechtswidrigen Vermögensbeeinträchtigungen kämen als ersatzpflichtige Grundrechtsverletzungen in Betracht. Daher sind rechtswidrige Eingriffe in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG dann - und nur dann - als Grundrechtsverletzungen im Sinne von § 2 Abs. 2 StHG anzusehen, wenn sie in "verfassungsbezogener" Weise das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit beeinträchtigen1o • Nur die als Ausprägung des auf freie Entfaltung angelegten Menschenbildes des Grundgesetzes näher konkretisierten Komponenten der Handlungsfreiheit sind mit eigenem materiellen Zuweisungsgehalt ausgestattet und daher haftungsrechtlich eigenständig geschützte Rechtsgüter ll . Unter dem Gesichtspunkt der Haftung für normatives Unrecht hat vor allem die Verbürgung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und der Wettbewerbsfreiheit 12 Bedeutung. Dabei ist der weitgespannte wirtschaftspolitische Gestaltungsspielraum der Rechtsetzungsorgane 13 zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite verlangt der verordnete Plan aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des "laissez-faire"Grundsatzes 14 nach besonderer Rechtfertigung. Keine völlige Klarheit herrscht darüber, wie die Vorschrift über die Nichtersatzfähigkeit entgangenen Gewinnes bei Grundrechtsverletzungen (§ 2 Abs.3 S.2 StHG) zu verstehen ist. Diese Ausnahme vom Grundsatz der wirtschaftlichen Totalreparation (§ 2 Abs.3 S.l StHG) dürfte an die restriktive Berücksichtigung von hypothetischen Schäden bei enteignungsgleichen und aufopferungsgleichen Eingriffen anknüpfen l5 • Damit soll wohl lediglich der entgangene Gewinn als nur mittelbarer Schaden von den ersatzfähigen Vermögenspositionen ausgeklammert werden l6 • Demnach ist der entgangene Gewinn dann auszugleichen, wenn sich im Entzug von (konkreten) Gewinnchancen der Grundrechtseingriff unmittelbar niederschlägt 17 • Eine andere AusleRn. 158; Schwerdtfeger, JuS 1982, 3. Rn. 204, § 2 Rn. 64 f., 119. 11 Vgl. etwa die Aufzählung der besonders geschützten Freiheitsräume bei Schäfer / Bonk (Fn. 4), § 2 Rn. 63. 12 Dazu Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 43 ff. 13 Vgl. BVerfGE 30, 292, 319. 14 Vgl. Doehring, Sozialstaat, Rechtsstaat und freiheitlich-demokratische Grundordnung, 1978, S.39. 15 Vgl. Schäfer / Bonk (Fn. 4), § 2 Rn. 130. 16 Schwerdtfeger, JuS 1982, 3. 17 Ähnlich Haverkate, ZRP 1977, 37. 9

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Schäfer / Bonk (Fn.4), Einführung Schäfer / Bonk (Fn. 4), Einführung

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§4

Rechtsvergleichender überblick

gung würde der Schutzfunktion von Art. 12 Abs. 1 GG und von Art. 2 Abs.l GG als Garantien der Wirtschaftsfreiheit nicht gerecht l8 • Verletzungen der Berufsfreiheit, die unmittelbar einen Verdienstausfall bewirken, begründen daher eine staatliche Ersatzpflicht l9 • Ähnliches muß bei enteignungs gleichen Eingriffen gelten, die nach der (insoweit deklaratorischen) Verweisungsvorschrift des § 14 Abs.3 StHG den §§ 2 ff. StHG unterfallen20 • Schon nach bisherigem Recht kann der Verletzte bei Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, die gerade im Entzug oder in der Beeinträchtigung von Verdienstmöglichkeiten liegen, den entgangenen Gewinn verlangen21 • Gegenüber unter gesetzlichen Normen privilegiert das StHG Akte der förmlichen Gesetzgebung, die unmittelbar Schäden auslösen; eine Haftung wird insoweit vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung ausgeschlossen (§ 5 Abs. 2 S. 1 StHG). Keine Anwendung findet das Haftungsprivileg auf mittelbares legislatives Unrecht, d. h. auf den Vollzug verfassungswidriger Gesetze. Für rechtswidrige Vollzugsakte haftet der ausführende Träger öffentlicher Gewalt auch dann, wenn deren Rechtswidrigkeit allein auf dem Verfassungsverstoß des zugrundeliegenden Gesetzes beruht (§ 5 Abs.2 S.2 StHG). Der Rückgriff ist in § 11 StHG vorgesehen. Die Privilegierung der Parlamentsgesetzgebung war in erster Linie Ausfluß von budgetären Ängsten in den Gesetzgebungs- und Finanzressorts von Bund und Ländern22 • Die Sonderregelung des § 5 Abs.2 S. 1 StHG ist aus verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Gründen vielfach auf berechtigte Kritik gestoßen23 • Wenn man wie das StHG von der Ausgleichspflichtigkeit von Verletzungen subjektiv-öffentlicher Rechte ausgeht und aus der - durchgehenden Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) haftungsrechtliche Konsequenzen zieht, ist der Haftungsausschluß für legislatives Unrecht wenig folgerichtig24 • Ob ein Haftungsprivileg für legislatives Unrecht, wie es § 5 Abs.2 S. 1 StHG statuieren wollte, an sich einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten würde oder ob ungeachtet einer derartigen Sonderregelung wenigstens die bisherigen richterrechtlichen Grundsätze für die Haftung wegen enteignungsgleichen Eingriffs durch Gesetz oder wegen Aufopferung fortgelten würden2S , sei hier dahingestellt. Vgl. Haverkate, ZRP 1977, 37; Schwerdtfeger, JuS 1982, 3. Rüfner, AöR 106 (1981), 564. 20 VgI. Rü/ner, AöR 106 (1981), 564. 21 Vgl. BGH, NJW 1980, 2700; siehe auch oben § 4 I 6. 22 Schäfer I Bank (Fn. 4), Einführung Rn. 123. 23 VgI. etwa Bender, DÖV 1979, 111 ("AngstklauseI ders., Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1981, Rn. 772; Futterer, BB 1980, 182; Kessler, DRiZ 1979, 263 f.; Lücke, AöR 104 (1979), 236 ff. 24 Vgl. Lücke, AöR 104 (1979), 236 fr., 240. 18

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U

);

111. Französisches Recht

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111. Französisches Recht 1. 'Uberblick

Das französische Recht ist für das Rechtsschutzsystem des Gemeinschaftsrechts und die Judikatur des EuGH von prägendem Einfluß. Für die auch Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane erfassende Nichtigkeitsklage nach Art. 173 EWGV dürfte wohl das französische Verwaltungsrecht mit dem "recours pour exces de pouvoir" das Leitbild abgegeben haben. Die Rechtsetzung von Rat und Kommission ähnelt stark der von einer parlamentarischen Ermächtigungsgrundlage unabhängigen Rechtsetzung durch die französische Exekutive im Rahmen des auf Art.37 der Verfassung von 1958 beruhenden "pouvoir reglementaire" . Diese Rechtsetzung durch die Exekutive steht eigenständig neben der des Parlaments!. Dabei ist die Gesetzgebung des Parlaments durch die Enumeration von Regelungsgegenständen in Art. 34 der Verfassung ("domaine de la loi") sachlich begrenzt2• Auch insoweit sind gewisse Parallelen zum Gemeinschaftsrecht sichtbar, das bis jetzt nur im Bereich der Haushaltsgesetzgebung dem Europäischen Parlament substantielle Mitwirkungsbefugnisse bei der Rechtsetzung einräumt (Art. 203 EWGV). Neben der Rechtsetzung im Rahmen von Art. 37 der Verfassung gibt es allgemeine Regelungen durch die Exekutive aufgrund einer originären Rechtsetzungbefugnis, die wie Parlamentsgesetze als "actes legislatifs" angesehen werden3 ; dazu gehören die Verordnungen ("ordonnances") zur Errichtung wichtiger Staatsorgane der Fünften Republik nach Art.92 der Verfassung4 und Notstandsmaßnahmen nach Art. 16 der Verfassung in an sich dem Parlamentsgesetzgeber vorbehaltenen Bereichen5• Hinzu kommt noch die Rechtsetzung durch die Exekutive mit parlamentarischer Ermächti25 Vgl. Kessler, DRiZ 1979, 263 f.; Rüfner, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auf!. 1981, S. 508; ders., AöR 106 (1981), 571. !

Dazu Laubadere, Traite de droit administratif, 8. Auf!. Bd.l, 1980,

Nr. 92 ff.

2 Eine der Hauptfunktionen des mit der Verfassung von 1958 ins Leben gerufenen Conseil constitutionnel besteht - zumindest nach den Intentionen seiner Gründerväter - darin, die Regelungskompetenz der Exekutive gegenüber einem übergriff des Parlaments zu schützen; dazu Cappelletti, The ,Mighty Problem' of Judicial Review and the Contribution of Comparative Analysis, Legal Issues of European Integration 1979/2, 6; Waline, in: Favoreu / Philip, Les Grandes Decisions du Conseil Constitutionnel, 1975, Vorwort, S. XI. 3 Dazu Fromont, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, Länderberichte und Rechtsvergleichung, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967),

8.177. 4

5

Vgl. C.E., Urteil vorn 12.2. 1960, Sociele Eky, Rec. 101. C.E., Urteil vorn 2. 3. 1962, Rubin de Servens, Rec. 143.

76

§ 4 Rechtsvergleichender überblick

gungsgrundlage durch gesetzesvertretende Verordnungen nach Art. 38 der Verfassung oder aufgrund eines durch Referendum beschlossenen Gesetzes6 • Schließlich sind noch die Ausführungsregelungen zu Parlamentsgesetzen zu nennen7 • Die Haftung für Rechtsetzungsakte steht auch im französischen Recht in engem Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeitsprüfung durch den Richter: Einer Normenkontrolle unterliegende Rechtsetzungsakte begründen im Falle eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht einen Schadensersatzanspruch nach den allgemeinen Grundsätzen der "responsabilite pour faute de service". Bei nach richterlicher Prüfung für rechtmäßig erkannten oder einer Normenkontrolle nicht unterliegenden Rechtsetzungsakten kommt eine Haftung unabhängig von Rechtswidrigkeit und Verschulden in Betracht, die der Gefährdungshaftung ("responsabilite pour risque") im weiteren Sinne zuzuordnen ist. 2. Normenkontrolle durch Conseil d'Etat und Conseil constitutionnel

Die in Frankreich noch heute lebendige Furcht vor einem "gouvernement des juges" hat ihren Ausdruck in einer - ursprünglich fast ängstlichen - Zurückhaltung der Judikatur gegenüber einer Rechtmäßigkeitskontrolle von Gesetzgebungsakten im materiellen Sinne gefunden8• Das einmal verkündete Parlamentsgesetz gilt traditionell und auch heute noch als ein für den Richter unantastbarer "Souveränitätsakt"9. Demgegenüber unterliegen seit der Mitte des letzten Jahrhunderts Akte der Exekutive mit allgemeinem Regelungsgehalt grundsätzlich ebenso wie anderes Verwaltungshandeln einer verwaltungsgerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle im Wege der Anfechtungsklage ("recours pour exces de pouvoir") und der Inzidentprüfung ("contröle incident")lo. Voraussetzung für eine solche verwaltungsgerichtliche Kontrolle ist stets, daß es sich um einen "acte des autorites administratives" und nicht um einen "acte legislatif" handelt. Unter der Dritten Republik ging man zunächst davon aus, daß Rechtsetzungsakte der Exekutive aufgrund eines Parlamentsgesetzes die Rechtsnatur ihrer Ermächtigungsgrundlage teilten und daher eine verwaltungsgerichtliche ÜberVgl. C.E., Urteil vom 19.10.1962, Canal, Rabin et Gadat, Rec.552. Dazu Laubadere (Fn. 1), Nr. 100 ff. 8 Dazu Cappelletti (Fn. 2), 3 ff. 9 Framant, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, hrsg. von Masler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 52, Bd. 1 (Länderberichte) (1969), S.233; vgl. aber zu gegenläufigen Tendenzen - insbesondere in der Judikatur der Cour de cassatian - Cappelletti (Fn.2), 7 ff. 10 Framant, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive (Fn.9), S. 231 f.; zur geschichtlichen Entwicklung Lang / Weil / Braibant, Les Grands Arrets de la Jurisprudence administrative, 7. Aufi. 1978, S. 78 f. 6

7

III. Französisches Recht

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prüfung unzulässig sei l1 • Davon ist der Conseil d'Etat in der Entscheidung Compagnie des Chemins de ler de l'Est l2 abgerückt; das Gericht stufte solche sekundären Rechtsetzungsakte als "actes administratifs" ein und sah demgemäß den Verwaltungsgerichtsweg eröffnet. Diese Judikatur hat der Conseil d'Etat auf die im Rahmen der "pouvoir reglementaire" (Art. 37 der Verfassung) erlassenen Regelungen in der Entscheidung Syndicat general des ingenieurs-conseils l3 ausgedehnt. Insbesondere ist der Conseil d'Etat dabei zu einer materiellen Rechtmäßigkeitskontrolle am Maßstab der "allgemeinen Rechtsgrundsätze" ("principes generaux du droit") gelangt, auf die die Präambel der Verfassung von 1958 Bezug nimmt l4 . Konkretisieren lassen sich diese allgemeinen Rechtsgrundsätze vor allem über den Verweis der Präambel der Verfassung von 1958 auf die Erklärung über die Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und auf die Präambel der Verfassung von 1946, die ihrerseits auf die "principes fondamentaux reconnus par les lois de la Republique" verweist, sowie durch die darin wurzelnde "republikanische Tradition" ("tradition constitutionnelle republicaine")ls. Zu den danach geschützten Rechtsgütern zählen etwa die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit ("liberte du commerce et de l'industrie") und die wohlerworbenen Rechte ("intangibilite des droits acquis")16. Im Rahmen des "recours pour exces de pouvoir" prüft der Conseil d'Etat auch die Rechtsetzung der Exekutive mit parlamentarischer Ermächtigungsgrundlage nach Art. 38 der Verfassung auf ihre Rechtmäßigkeit 17 • Eine Gültigkeitskontrolle scheidet aus bei Parlamentsgesetzenl8 . Auch bei den als Legislativakten qualifizierten Notstandsregelungen aufgrund von Art. 16 der Verfassung 19 und den Verordnungen nach Art. 92 der Verfassung20 lehnt der Conseil d'Etat eine Rechtmäßigkeitsprüfung ab. Nicht justiziabel sind schließlich die als Dazu Long I Weil I Braibant (Fn. 10), S. 76 f. 12 Urteil vom 6.12.1907, Rec.913; dazu Long / Weil / Braibant (Fn. 10), S. 75 ff. 13 Urteil vom 26. 6. 1959, Rec.394. 14 Dazu Cappelletti (Fn.2), 5; Long / Weil / Braibant (Fn.lO), S. 482 ff. (486 ff.). IS Cappelletti (Fn. 2), 5; Long / Weil / Braibant (Fn. 10), S.485. 16 Dazu Long / Weil / Braibant (Fn. 10), S. 485 f. 17 C.E., Urteil vom 24. 11. 1961, Federation nationale des Syndicats de police, Rec.658. Dagegen ist der Verwaltungsgerichtsweg nicht eröffnet bei Verordnungen, die das Parlament mit Gesetzeskraft ausgestattet hat, weil es sich hier um "actes legislatifs" handelt, dazu Laubadere (Fn.1), Nr.104; Long I Weil / Braibant (Fn.10), S.78. Vgl. zu den auf einem Referendum beruhenden Verordnungen C.E., Urteil vom 19.10.1962, Canal, Robin et Godot, Rec. 552. 18 C.E., Urteil vom 6. 11. 1936, Arrighi, Rec. 966. 19 C.E., Urteil vom 2.3. 1962, Rubin de Servens, Rec. 143. 20 C.E., Urteil vom 12.2. 1960, Societe Eky, Rec. 101. 11

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§ 4 Rechtsvergleichender überblick

"actes de gouvernement" klassifizierten Hoheitsakte der Exekutive; dabei handelt es sich vor allem um völkerrechtliche Hoheitsakte, um die Mitwirkung am parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren und um Notstandsmaßnahmen nach Art. 16 der Verfassung21. Gerade in diesen Bereichen verlagert sich der Rechtsschutz zunehmend von der Rechtmäßigkeitsprüfung auf die Ebene der Kompensation für Eingriffe in die individuelle Rechtssphäre Zl • Diese Nichtjustiziabilität von Exekutivakten zeigt deutlich, daß einer auf die Wechselbeziehung zwischen unmittelbarer demokratischer Legitimation und Umfang des Rechtsschutzes abstellenden Argumentation im Rahmen von Art. 215 Abs. 2 EWGV mit größter Vorsicht zu begegnen ist. Ausgestrahlt hat die Heranziehung der "principes generaux du droit" als Prüfungsmaßstab durch den Conseil d'Etat auf die Kontrolle von Parlamentsgesetzen durch den Conseil constitutionnel23 • Die Kontrolle von Parlamentsgesetzen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung beschränkt sich auf die Phase zwischen Verabschiedung und Verkündung des Gesetzes (Art. 61 Abs.2 der Verfassung). Ein einmal ordnungsgemäß verkündetes Parlamentsgesetz kann nicht mehr an höherrangigem innerstaatlichen Recht gemessen werden24 • Umstritten ist die Behandlung von Parlamentsgesetzen und ihnen gleichgestellten Verordnungen der Exekutive durch den Richter beim Konflikt mit höherrangigen Normen internationalen Rechts25 • Art. 55 der Verfassung räumt den ordnungsgemäß in innerstaatliches Recht umgesetzten völkerrechtlichen Verträgen - vorbehaltlich der Vertragstreue der anderen Seite - den Vorrang gegenüber Parlamentsgesetzen ein26 • In besonderer Schärfe stellt sich die Frage nach der Bindung des französischen Richters an die parlamentarische Gesetzgebung bei Verstößen gegen Vorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Zumindest bei Normen des sekundären Gemeinschaftsrechts läßt sich ein Konflikt wohl nicht allein über Art. 55 der Verfassung lösen. Der Conseil d'Etat folgt bisher entgegen dem Wortlaut 21 Dazu Fromont, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive (Fn. 9), S. 234 ff.; Long I Weil / Braibant (Fn. 10), S. 14 ff., 337 ff., 534 ff. Zl Fromont, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive (Fn.9), S. 237. Vgl. C.E., Urteil vom 30.3. 1966, Compagnie generale d'energie radio-electrique,

Rec.257. 23 Entscheidung vom 16.7.1971, Journal Officiel vom 18.7.1971; dazu F'avoreu / Philip (Fn. 2), S. 267 ff. 24 Dazu Cappelletti (Fn.2), 9; Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht? 1963, S. 72. 25 Dazu Cappelletti (Fn. 2), 7 ff.; Laubadere (Fn. 1), Nr.417. 26 Die Vorschrift lautet: "Les traites ou accords regulierement ratifies ont, des leurs publication, une autorite superieure a celle des lois, sous reserve, pour chaque accord ou traite, de son application par l'autre partie."

IH. Französisches Recht

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von Art. 55 der Verfassung der lex posterior-Regel. In der umstrittenen Entscheidung Byndicat general des Fabricants de semoules de France27 hat es der Conseil d'Etat demgemäß bei einer naheliegenden Divergenz zwischen Regelungen der französischen Exekutive mit Gesetzesrang und einer Ratsverordnung abgelehnt, die innerstaatlichen Legislativakte auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen. Ähnlich zurückhaltend ist die Rechtsprechung des Conseil constitutionnel bei der Kontrolle von Parlamentsgesetzen. Als gegenüber der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ein Verstoß gegen Art.2 der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend gemacht wurde, betonte der Conseil constitutionnel, eine Prüfung von Parlamentsgesetzen auf ihre Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Verträgen liege außerhalb seiner Zuständigkeit28 • Demgegenüber hat die Cour de cassation in der Rechtssache Administration des Douanes cl Bodete Ca/es Jacques Vabre entschieden, daß im Konflikt zwischen einem Parlamentsgesetz und primärem Gemeinschaftsrecht im konkreten Falle nicht das französische Gesetz, sondern das höherrangige Gemeinschaftsrecht anzuwenden sei29 • Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung der Cour de cassation bildet Art. 55 der Verfassung; an den darauf gegründeten Vorrang des Gemeinschaftsrechts läßt sich konstruktiv eine übernahme der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsregeln knüpfen3D • Unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten ist zu berücksichtigen, daß nach der Rechtsprechung der Cour de cassation der Vorrang des Gemeinschaftsrechts die Gültigkeit des im konkreten Falle zurücktretenden Gesetzes unberührt läßt3!. 3. Versmuldenshaftung für fehlerhafte Rechtsetzungsakte der Exekutive

Bei einer fehlerhaften Rechtsetzung durch die Exekutive kommt eine Verschuldenshaftung in Betracht32 • Im Falle der Rechtswidrigkeit haftet der Staat ebenso wie bei Individualentscheidungen nach den für C.E., Urteil vom 1. 3. 1968, Rec. 149. Urteil vom 15.1.1975, Journal Officiel vom 16.1.1975; dazu Favoreu / Philip (Fn.2), S. 357 ff. 29 Cour de cassation (Chambre mixte), Urteil vom 24.5. 1975, Actualite juridique - Droit administratif 1975, 567 m. Anm. von Boulouis, 569 ff.; dazu Cappelletti (Fn.2), 7 ff.; Favoreu / Philip, Revue du droit public et de la science politique en France et a l'etranger (Chronique constitutionnelle et parlementaire fran!;aise) 1975, 1335 ff. 3D Vgl. Boulouis (Fn. 29), 574. 3! Vgl. Cappelletti (Fn.2), 8; Favorell / Philip (Fn.29), 1340. Vor allem bleibt abzuwarten, welche Haltung der Conseil d'Etat in Zukunft einnehmen wird (dazu Favoreu / Philip (Fn. 29), 1339 f.). 32 Dazu Fromont, in: Haftung des Staates (Fn.3), S. 177 f.; Laubadere (Fn.1), Nr.1272. 27 28

80

§ 4 Rechtsvergleichender überblick

die "responsabilite pour faute de service" geltenden Regeln33 • Dabei ist von einem objektivierten Begriff des Amtsfehlers ("faute de service") auszugehen34 • Rechtswidrigkeit ("iIlegalite") und Verantwortlichkeit ("responsabilite") werden von der Judikatur insofern auseinandergehalten, als die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme nicht unbedingt eine Haftung auslöst; dies gilt vor allem für lediglich formelle Mängel35 • Die materielle Rechtswidrigkeit scheint dagegen für die Judikatur weitgehend die Verantwortlichkeit zu indizieren. So neigt die neuere Rechtsprechung wohl dazu, rasch und ohne eingehende Prüfung von der materiellen Rechtswidrigkeit auf einen Amtsfehler zu schließen, selbst wenn die Rechtswidrigkeit nur auf einer irrigen Einschätzung der Sachlage ("erreur d'appreciation") beruht 36 • Im Rahmen der Verschuldenshaftung kann eine Ersatzpflicht auch dann eintreten, wenn die geschädigten Normadressaten keine herausgehobene Gruppe bilden und sie kein Sonderopfer ("prejudice special") trifft37 • Eine Beschränkung der Haftung für normatives Handeln auf Regelungen mit Maßnahmeoder Einzelfallcharakter, wie sie im Rahmen des deutschen Amtshaftungsrechts vielfach befürwortet wurde, findet sich im französischen Recht also nicht. Ein haftungsbegründendes Verschulden kann auch im Nichterlaß von notwendigen Ausführungsregelungen zu einem Gesetz liegen38• Die Haftung wegen Verschuldens löst einen auf wirtschaftliche Totalreparation des Schadens gerichteten Ersatzanspruch aus 39 : ersetzt werden demnach alle als sicher absehbaren Einbußen einschließlich des entgangenen Gewinns, sofern sie unmittelbare Folgen des Eingriffes sind ("dommage effectif et direct"). 4. Haftung für rechtmäßige Regelungen

Im 19. Jahrhundert haben Rechtsprechung und Lehre den Souveränitätscharakter der Parlamentsgesetzgebung als Barriere irgendwel33 C.E., Urteil vom 6.7.1934, Saciete Van Outryve, Rec.789. Zur "responsabilite paur faute": Framant, in: Haftung des Staates (Fn.3), S. 150 ff.; Laubadcre (Fn. 1), Nr. 1229; Wittmann, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975, S. 42 ff. 34 Fromont, in: Haftung des Staates (Fn. 3), S. 150. 35 Fromont, in: Haftung des Staates (Fn.3), S.151; Laubadcre (Fn.l), Nr.1233. 36 C.E., Urteil vom 26. 1. 1973, Ville de Paris clDriancourt, Rec.78; anders noch die bei Wittmann (Fn. 33), S. 52 zitierte Judikatur. 37 C.E., Urteil vom 21. 5. 1954, Sode te Brodard et Taupin, Rec.293; Laubadcre (Fn. 1), Nr. 1272. 38 Dazu Laubadcre (Fn. 1), Nr.426. 39 Dazu Framant, in: Haftung des Staates (Fn. 3), S. 170 ff.

111. Französisches Recht

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cher Ersatzansprüche angesehen40 • Eine Ausnahme vom Grundsatz der absoluten Haftungsfreistellung des Staates in seiner legislativen Tätigkeit machte der Conseil d'Etat zunächst zugunsten von Vertragspartnern des Staates, deren vom Staat eingeräumte Rechte durch Gesetz beschnitten wurden41 . In der Grundsatzentscheidung La Fleurette hat der Conseil d'Etat zum erstenmal einen Anspruch auf Entschädigung wegen der Auswirkungen eines Parlamentsgesetzes zugesprochen42 . Dabei ging es um ein Gesetz zum Schutz von Molkereierzeugnissen, das die Herstellung von Substitutionsprodukten für Sahne verbot, welche nicht ausschließlich aus Milch hergestellt wurden; die Gesellschaft La Fleurette mußte daraufhin die Produktion eines sahneähnlichen Erzeugnisses einstellen. Nachdem der Conseil d'Etat verneint hatte, daß die verbotene Produktionstätigkeit für das Allgemeinwohl schädlich war, erkannte er der Gesellschaft nach Maßgabe des Grundsatzes der Lastengleichheit der Bürger ("principe de l'egalite devant les charges publiques") einen Entschädigungsanspruch zu. Der Klägerin sei im Interesse der Allgemeinheit ein besonderer Schaden auferlegt worden; da nichts für den Willen des Gesetzgebers spreche, die Klägerin dieses Sonderopfer allein tragen zu lassen, müsse dieser Schaden auf die Gemeinschaft überwälzt werden43 . Diese Rechtsprechung zur "responsabilite du fait des lois" hat der Conseil d'Etat in der Folgezeit fortgeführt 44 und auf rechtmäßige Regelungsakte der Exekutive ausgedehnt: etwa auf Verordnungen mit parlamentarischer Ermächtigungsgrundlage ("decrets-Iois")45, auf Ministerialverordnungen ("arretes interministeriels")46 und auf Allgemein40 C.E., Urteil vom 11. 1. 1838, Duchdtelet, Rec.7; E. LaferTiere, Traite de la jurisdiction administrative et des recours contentieux, 2. Aufl., Bd.lI, 1896, S. 13: "La loi est ... un acte de souverainete, et le propre de la souverainete est de s'imposer a tous, sans qu'on puisse reclamer d'elle aucune compensation." Dazu H. v. Caemmerer, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten (Fn.33), S. 56 f.; Dagtoglou (Fn.24), S. 72 ff.; Laubadere (Fn. 1), Nr. 1276 f.; Lang / Weil / Braibant (Fn. 10), S. 245 f. 41 C.E., Urteil vom 12.7.1929, Administration des Chemins de Jer de l'Etat, Rec. 721. Dabei handelte es sich im Grunde um eine vertragliche Haftung des Staates ("responsabilite contractuelle"), vgl. Trotabas, Manuel du Droit public et administratif, 18. Aufl.. 1975, Nr. 388. 42 Urteil vom 14. 1. 1938, Societe anonyme des produits laitiers "La Fleurette", Rec.25; dazu H. v. Caemmerer (Fn.40), S. 57 f.; Dagtoglou (Fn.24), S. 74 f.; Lang I Weil / Braibant (Fn. 10), S. 244 ff. 43 "... rien, ni dans le texte meme de la loi ou dans ses travaux preparatoires, ni dans l'ensemble des circonstances de l'affaire, ne permet de penser que le legislateur a entendu faire supporter a l'interessee une charge qui ne lui incombe pas normalement; ... cette charge, creee dans un interet general, doit etre supportee par la collectivite ..." 44 C.E., Urteil vom 1. 12. 1961, Lacombe, Rec. 674. 45 C.E., Urteil vom 22. 10. 1943, Societe des Etablissements Lacaussade, Rec.231. 46 C.E., Urteil vom 27. 1. 1961, Vannier, Rec. 60.

6 Herdegen

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§ 4 Rechtsvergleichender überblick

verfügungen eines Bürgermeisters47 . Schließlich hat der Conseil d'Etat eine Haftung auch bei in innerstaatliches Recht transformierten völkerrechtlichen Verträgen anerkannt48• Der Abschluß solcher Verträge durch die Regierung bildet einen gerichtsfreien "acte de gouvernement"49. Obwohl es ohne die Umsetzung de.s Vertragsinhalts in innerstaatliches Recht an einem ersatzfähigen Schaden fehltso, bezieht sich die Haftung wohl auf den Vertragsschluß durch die Exekutive. Es ist allerdings fraglich, ob diese Haftungsgrundsätze auch auf andere "actes de gouvernement" Anwendung finden51 . Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Kompensationsanspruch läßt sich am ehesten als eine Art Aufopferungsanspruch kennzeichnen52 . Die von der Judikatur herausgearbeiteten Voraussetzungen für eine bei rechtmäßigen Rechtsetzungsakten eintretende Haftung beziehen sich einmal auf den Willen der Rechtsetzungsorgane und zum anderen auf die Natur de.s Schadens53 . Der gesetzgeberische Wille darf nicht auf die entschädigungslose Auferlegung des Schadens gerichtet sein. Danach entfällt eine Haftung etwa, wenn eine für die Allgemeinheit gefährliche oder schädliche Tätigkeit untersagt oder beeinträchtigt wird54 . Der Schaden muß gerade dem Anspruchsberechtigten ein Sonderopfer auferlegen ("prejudice special"). Daneben muß der Schaden durch besondere Schwere gekennzeichnet sein ("prejudice anormalement grave"). So hat der Conseil d'Etat bei wirtschaftsordnenden Maßnahmen (Ausweitung des staatlichen Alkoholmonopols), die die Produktionstätigkeit eines Unternehmens nicht im Kern getroffen haben, die bewirkten Einbußen als nicht ausreichend für eine Haftung angesehen55 . Die neuere Rechtsprechung scheint ein Sonderopfer auch dann anzunehmen, wenn es sich um eine Mehrzahl von Beeinträchtigten handelt, sofern diese eine in sich geschlossene, aus der Allgemeinheit herausgehobene Gruppe bilden56 • 47 C.E., Urteil vom 22.2. 1963, Commune de Gavarnie cl Benne, Rec. 113. C.E., Urteil vom 30.3. 1966, Compagnie generale d'energie radio-electrique, Rec. 257; dazu Long I Weil I Braibant (Fn. 10), S. 534 ff. 49 Dazu Fromont, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive (Fn.9), S. 235 ff. so C.E., Urteil vom 13.7.1979, S.A. Compagnie de participation, de recherches et d'exploitations petrolieres (COPAREX), Rec.319. 51 Vgl. Laubadere (Fn. 1), Nr.467. 52 So DagtogZou (Fn.24), S. 70. 53 Dazu H. v. Caemmerer (Fn.40), S. 59 ff.; Laubadere (Fn.1), Nr.1279; Long I Weil I Braibant (Fn. 10), S. 248 ff. 54 Vgl. C.E., Urteil vom 6.1.1956, Manufacture franr;aise d'armes et de cycles, Rec.3. 55 C.E., Urteil vom 22. 10. 1943, Societe des Etablissements Lacaussade, Rec.231. 56 Vgl. C.E., Urteil vom 25. 1. 1963, Ministre de l'Interieur cl Bovero, Rec. 53; dazu Laubadere (Fn. 1), Nr. 1279. 48

In. Französisches Recht

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5. Ausstrahlung des französischen Rechts auf Art. 215 Abs. 2 EWGV

Die vom Conseil d'Etat entwickelten Haftungsgrundsätze, die bei nicht justiziablen oder nach Prüfung für gültig erkannten Rechtsetzungsakten gelten, haben die Judikatur des EuGH stark beeinflußt. Ähnlich wie der Conseil d'Etat fordert der EuGH das Vorliegen eines besonderen und erheblichen Schadens57 • Auch in der vom EuGH im Rahmen von Art. 215 Abs.2 EWGV wohl implizit herangezogenen Vorschrift des Art.34 EGKSV dürfte die Rechtsprechung des Conseil d'Etat ihren Niederschlag gefunden haben. Die nach Art. 34 EGKSV eintretende Haftung der Montanunion beschränkt sich auf die Fälle, in denen "ein Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen ... einen unmittelbaren und besonderen Schaden erlitten" haben. Die rigiden Voraussetzungen für den ersatzfähigen Schaden bei der Haftung für rechtmäßige Normen im französischen Recht stehen mit den Lücken in der Normenkontrolle bei "legislativen" Akten von Parlament und Exekutive in engem Zusammenhang. Als Folge dieser strikten Anforderungen hat der Conseil d'Etat erst in ganz wenigen Fällen eine Haftung konkret bejaht. Daher überzeugen die Bedenken, die gegen eine übertragung dieser Grundsätze auf die Haftung der Gemeinschaft für normatives Unrecht nach Art. 215 Abs.2 EWGV vorgebracht worden sind58 • Bei einer Heranziehung des französischen Rechts kommt eher ein Rekurs auf die für rechtswidrige Akte geltenden Grundsätze mit der Maßgabe in Betracht, daß auf das Verschuldenserfordernis verzichtet wird. Dafür spricht, daß der bei der Haftung nach Art.40 EGKSV vorausgesetzte Amtsfehler in Art.215 Abs.2 EWGV nicht als Haftungsmerkmal enthalten ist59 • So ließe sich vor allem dem im französischen Recht entwickelten Schutz der individuellen Freiheit durch die Bindung der Rechtsetzungsorgane an die "principes generaux du droit" auch haftungs rechtlich Rechnung tragen.

57 Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL ("Magermilchpulver-Haftung"), Slg. 1978, 1209, 1224 f.; vgl. auch die Schlußanträge von Generalanwalt Capotorti vom 1. 3. 1978, Slg. 1978, 1234 f. 58 Generalanwalt Capotorti (Fn. 57), Slg. 1978, 1234 ff.; Fuß, in: Festschrift für F. A. von der Heydte, 1. Halbbd., 1977, S.183 Fn.39; Stein, EuGRZ 1979, 542. 59 Vgl. Generalanwalt Capotorti (Fn. 57), Slg. 1978, 1232 f.

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§ 4 Rechtsvergleichender überblick

IV. Belgisches Recht Die Haftung des Staates regelt sich in Belgien nach den allgemeinen delikts rechtlichen Vorschriften der Art. 1382 ff. des Code civil 1• Ausgangspunkt und Grundlage der Staatshaftung bilden die Verletzung eines subjektiven Rechts, der rechtswidrige Eingriff in die individuelle Freiheitssphäre; dabei kommt es grundsätzlich nicht auf die Rechtsnatur des Eingriffsaktes an2: " ••• les gouvernants ne peuvent rien que ce qu'ils so nt charges de faire et sont, comme les gouvernes, soumis a la loi; ... ils sont limites dans leur activite par les lois et notamment par celles qui organisent les droits civils et ... s'ils lesent l'un de ces droits, le pouvoir judiciaire peut declarer que leur acte a ete accompli sans pouvoir, qu'il est donc illegal et constitutif de faute et accorder la reparation du prejudice ainsi cause ..."3. Neben der Herbeiführung eines rechtswidrigen Erfolges wird in der Regel ein Verschulden vorausgesetzt, d. h. die Verletzung einer auf Gesetz oder Verkehrsanschauung beruhenden Sorgfaltspflicht4 • In Ausnahmefällen, vor allem bei Eigentumsbeeinträchtigungen durch öffentliche Arbeiten, kommt eine auf die Eigentumsgarantie des Art. 11 der Verfassung gestützte verschuldensunabhängige Haftung in Betrachts. Im Rahmen einer Schadensersatzklage können die ordentlichen Gerichte auch Rechtsetzungsakte der Exekutive im Wege der inzidenten Normenkontrolle auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen6 • Nach diesen Grundsätzen können auch Verordnungen der vollziehenden Gewalt ("arretes reglementaires") eine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen 7• So hat die Cour de cassation bei der rechtswidrigen Einführung eines Impfzwanges durch eine Verordnung die Haftung des Staates für Impfschäden gemäß Art. 1382 CC bejaht8 • Auch auf ein Unterlassen im Bereich der Rechtsetzung 1

Cour de cassation, Urteil vom 5. 11. 1920, Pasicrisie beIge 1920, I, 239; dazu

Gambier, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Or-

gane, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), s. 45 ff.; H. v. Mangoldt, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975, S. 29 ff. Die Generalklausel des Art. 1382 CC hat folgenden Wortlaut: "Taut fait quelconque de l'homme, qui cause a autrui un domrnage, oblige celui par la faute duquel il est arrive, a le reparer." 2 Dazu Gambier (Fn. 1), S. 53; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 32. 3 Cour de cassation (Fn. 1), 240. 4 Gambier (Fn. 1), S. 54; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 29 ff. S Dazu Gambier (Fn.1), S. 47 f., 54, 56; H. v. Mangoldt (Fn.1), S.31. 6 Dazu Velu, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 52, Bd. 1 (Länderberichte) (1969), S. 96, 98. 7 Dazu Gambier (Fn. 1), S. 63; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 33. 8 Cour de cassation, Urteil vom 26.4. 1963, Pasicrisie beIge 1963, I, 905.

V. Luxemburgisches Recht

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durch die Exekutive kann ein Ersatzanspruch nach Art. 1382 CC gestützt werden9• Demgegenüber ist eine Staatshaftung für die parlamentarische Gesetzgebung ausgeschlossen. Der belgische Richter ist zu einer überprüfung von förmlichen Gesetzen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung nicht befugt lO • Die haftungsrechtlich geschützten Rechte der Bürger stehen zur Disposition des parlamentarischen Gesetzgebers. Eine von einem Parlamentsgesetz angeordnete oder gedeckte Maßnahme der öffentlichen Gewalt kann demnach begrifflich kein deliktisches Verhalten i. S. von Art. 1382 ff. CC darstellen11 • Bei einem außergewöhnlich schweren Schaden ("dommage exceptionnel") aufgrund einer Maßnahme der öffentlichen Gewalt kann der Conseil d'Etat gemäß Art. 7 des Gesetzes über den Conseil d'Etat vom 23.12.1946 nach allgemeinen Billigkeitsgrundsätzen im Wege des "avis" eine Entschädigung zusprechen l2 • Diese Möglichkeit eines Billigkeitsausgleichs scheint aber nur bei Maßnahmen der vollziehenden Gewalt gegeben zu sein13 •

v. Luxemburgisches Recht In Luxemburg unterfällt die Haftung des Staates wie in Belgien den Art. 1382 ff. des Code civil l . Gegen Rechtsetzungsakte der Exekutive ist der Rechtsweg nicht eröffnet 2; demgemäß können solche allgemeinen Regelungen auch keine Verschuldenshaftung auslösen3• Allerdings können die Gerichte rechtswidrige untergesetzliche Normen zwar nicht aufheben oder für nichtig erklären, aber ohne Anwendung lassen4• VerH. v. Mangoldt (Fn. 1), S.34. Cambier (Fn. 1), S. 62 f.; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 33. 11 Vgl. Cour de cassation (Fn. 8), 907: "... il n'appartient point aux tribunaux d'apprecier si une mesure, ordonnee par l'Etat en execution et dans les limities d'une loi et prise en vue du bien commun, est efficace ou meme est ou pourrait etre eventuellement dangereuse, pareille decision dependant du pouvoir souverain de l'Etat ..." 12 Dazu Cambier (Fn. 1), S. 48; Velu (Fn. 6), S. 88. 13 Arendt, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe (Fn. 1), S. 466 f.; anders Gilsdorf, EuR 1975,92. 9

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1 Arendt, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 453 ff.; H. v. Mangoldt, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975, S. 84. 2 Arendt (Fn. 1), S. 479, 480, 482; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 85. 3 Arendt (Fn. 1), S. 482; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 85. 4 Arendt (Fn. 1), S.480; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 85.

§ 4 Rechtsvergleichender überblick

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säumt es die Exekutive, eine notwendige Ausführungsregelung zu einem Gesetz zu erlassen, kann dieses Unterlassen wohl eine Schadensersatzpflicht nach Art. 1382 ce begründens. Förmliche Gesetze werden als Souveränitätsakte angesehen; daraus leitet man - ähnlich wie einst das französische Recht - den AUf/schluß jeglicher Staatshaftung bei Legislativakten ab ("irresponsabilte de l'Etat-Iegislateur")6.

VI. Niederländisches Recht Das niederländische Staatshaftungsrecht ist im wesentlichen eine Schöpfung der Zivilrechtsprechung auf der Grundlage der Art. 1401 bis 1407 des Burgerlijk Wetboek1• Die Ersatzpflicht des Staates setzt grundsätzlich voraus, daß ein dem Staat zurechenbares rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten einen Schaden verursacht hat2• Dabei scheint die Rechtswidrigkeit des HandeIns weitgehend das Verschulden zu indizieren3• Verordnungen des Königs oder der Minister und sonstige untergesetzliche Rechtsetzungsakte unterfallen einer inzidenten Normenkontrolle durch die Gerichte4• Im Falle eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht können sie eine Staatshaftung auslösen, zumindest wenn bei ihrem Erlaß deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestandens. Gesetze im förmlichen Sinne können von den Gerichten nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden; eine Staatshaftung für schädigende Folgen eines verfassungswidrigen Gesetzes ist demnach ausgeschlossen6. Allerdings finden Gesetze und sonstige nationale Regelungen, die gegen unmittelbar anwendbare Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages oder einer Verordnung einer internationalen oder supranationalen Organisation wie etwa der EWG verstoßen, nach Arendt (Fn. 1), S. 470; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S. 85. Arendt (Fn. 1), S. 453 f., 466 ff.; H. v. Mangoldt (Fn. 1), S.85. Zu Ausnahmen bei Eingriffen in "vertragliche" Rechte Arendt, S. 467 ff. 5

6

I Prins, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 488 ff.; Stein, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975, S. 86 ff. 2 Prins (Fn. 1), S. 494 ff. 3 Prins (Fn. 1), S. 495 f.; Stein (Fn. 1), S. 88. 4 Dazu Langemeijer, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 52, Bd.2 (Länderberichte) (1970), S. 808. S Stein (Fn. 1), S. 94 f. 6 Prins (Fn. 1), S. 502; Stein (Fn. 1), S. 93 f.

VII. Italienisches Recht

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Art.66 der Verfassung keine Anwendung7• In diesen Fällen dürfte eine Staatshaftung zwar nicht für das zurücktretende Gesetz, wohl aber für Durchführungsregelungen in Betracht kommen, die die Freiheit oder das Vermögen eines Bürgers beeinträchtigen8 •

VII. Italienisches Recht Im italienischen Recht haftet der Staat grundsätzlich für Schäden, die auf ein ihm zurechenbares rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zurückgehen'. Unter den Begriff der Rechtswidrigkeit faßt die noch herrschende Meinung (insbesondere die Judikatur) nur die Verletzung subjektiver Rechte, während nach einer vordringenden Ansicht in der Literatur auch die Verletzung .,legitimer Interessen" eine Schadensersatzpflicht auslösen soll2. Das Erfordernis des Verschuldens spielt nur eine untergeordnete Rolle, da es nur bei der Verletzung allgemeiner Sorgfaltsregeln nachgewiesen werden muß, während bei Verstößen gegen Rechtsnormen eine Verschuldensvermutung eingreift3• Förmliche Gesetze können vom Verfassungsgerichtshof (Corte Costituzionale) auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Der Verwerfung eines Gesetzes durch die Corte Costituzionale wird im Hinblick auf die Ungültigkeit des Gesetzes überwiegend rückwirkende Kraft beigemessen4, so daß insoweit eine Haftung für legislatives Unrecht durchaus in Betracht käme. Jedoch geht man in Italien davon aus, daß ein Gesetz niemals einen unmittelbar schädigenden und ersatzpflichtigen Eingriff in die individuelle Rechtssphäre darstellt; erst ein administrativer Vollzugsakt kann demnach ein rechtswidriges menschliches Verhalten bilden, das die Schadensersatzpflicht des Staates auslösts. Ähnliche Überlegungen gelten für Verordnungen der Exekutive mit Gesetzeskraft6 • Weniger kategorisch wird eine Haftung für sonstige untergesetzliche Rechtsetzungsakte verneint, wenn dadurch unmittel7 8

Prins (Fn. 1), S. 502; Stein (Fn. 1), S. 94. Vgl. Prins (Fn. 1), S. 502.

, Dazu Galeotti, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 300 ff.; Oellers-Frahm, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975, S. 73 ff. 2 Oellers-Frahm (Fn. 1), S. 76 f. 3 Galeotti (Fn. 1), S. 312 ff. 4 Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht? 1963, S.80; Galeotti (Fn. 1), S. 337. s Galeotti (Fn. 1), S. 338; Oellers-Frahm (Fn. 1), S. 83. 6 Galeotti (Fn. 1), S. 326 f.

§ 4 Rechtsvergleichender überblick

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bar subjektive Rechte verletzt werden. Allerdings neigt man dazu, auch hier eine Ersatzpflicht erst an Vollzugsakte zu knüpfen7 • VIII. Englisches Recht 1. Parlamentsgesetze

Im Vereinigten Königreich liegt die umfassende Gesetzgebungskompetenz beim Parlament, d. h. genauer bei der "Queen in Parliament". Ein neues Gesetz kommt in der Regel auf Vorschlag der Regierung durch Beschluß der beiden Häuser des Parlaments und Zustimmung der Krone zustande. Dabei tritt das Oberhaus im politischen Willensbildungsprozeß hinter das Unterhaus zurück; zwingend erforderlich ist für einen Act of Parliament stets ein Beschluß des Unterhauses und die Zustimmung der Krone!. Nach der klassischen Auffassung von der Souveränität des Parlaments ("parliamentary sovereignty"r sind dessen Regelungsbefugnis keine materiellen Schranken gesetzt: ". .. Parliament ... has, under the English constitution, the right to make or unmake any law whatever; ... no person or body is recognised by the law of England as having a right to override or set aside the legislation of Parliament"3. Nach dieser traditionellen Auffassung steht die Allmacht des Parlaments nur unter einer denkbaren Einschränkung: es könne nicht seine Nachfolger in kommenden Legislaturperioden binden4 • Anders als die gesetzgebenden Körperschaften etwa in der Bundesrepublik Deutschland oder in Frankreich oder als die rechtsetzenden Gemeinschaftsorgane läßt sich das britische Parlament nicht als "pouvoir constitue" im Gegensatz zu einem übergeordneten "pouvoir constituant" (dem Volk bzw. den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft) begreifen. Die "Queen in Parliament", nicht das Volk, ist der Souverän im Rechtssinnes . Von der geschichtlichen Entwicklung her gesehen hat das Parlament die Rolle eines Garanten von Freiheit und Eigentum gegen Übergriffe 7

Galeotti

(Fn. 1), S.327.

! Dazu de Smith, Constitutional and Administrative Law, 3. Aufl. 1977, S. 81 ff.; Wade / Phillips, Constitutional and administrative law, 9. Aufl. von Bradley, 1980, S. 42 f., 70, 170 ff. 2 Dazu Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, 10. Aufl., hrsg. von Wade, 1959, S. 39 ff.; Heuston, Essays in Constitutional Law, 2. Aufl. 1964, S.1 ff.; de Smith (Fn.l), S. 63 ff.; Wade / Phillips (Fn.l), S. 58 ff. 3 Dicey (Fn. 2), S. 39 f. 4 "Parliament cannot bind its successors"; dazu Dicey (Fn.2), S. 64 ff. 5 Dicey (Fn.2), S. 73.

VIII. Englisches Recht

89

der Krone6• Die Verbürgung von Freiheitsrechten, um die es vor allem in den inneren Kämpfen des 17. Jahrhunderts ging, richtete sich gegen die Exekutive. Gegen die Allgewalt des Parlaments schützen keine Grundrechte. Freiheit und Eigentum stehen zur Disposition des parlamentarischen Gesetzgebers7 • Das verdeutlicht etwa der berühmte BUTmah Oil-Fall. Nachdem das House of Lords wegen der Zerstörung von Anlagen im Zweiten Weltkrieg einen Entschädigungsanspruch gegen die Krone zugesprochen hatteS, hob das Parlament den Richterspruch durch ein Gesetz rückwirkend auf, das Ansprüche gegen die Krone wegen solcher Kriegsschäden ausschloß9. Die "legislative supremacy of Parliament" wird grundsätzlich auch durch internationale vertragliche Bindungen oder durch allgemeine völkerrechtliche Grundsätze nicht begrenztlO • Ein richterliches Prüfungsrecht gegenüber Parlamentsgesetzen kennt das englische Recht nach klassischer Auffassung nicht: "All that a court of law can do with an Act of Parliament is to apply it ll ." Aus der Omnipotenz des Parlaments und aus der Bindung des Richters an seine Gesetzgebungsakte hat man die auch heute noch unbestrittene Konsequenz abgeleitet, daß ein Act of Parliament nie Ansprüche auf Schadensersatz oder sonstige Haftungsfolgen auslösen kann l2 • Die klassische Konzeption vom Supremat des Parlaments bedarf mehrfach der Korrektur und Nuancierung. Einmal können nach einer vordringenden neue ren Auffassung die Gerichte ein formelles Prüfungsrecht gegenüber Parlamentsgesetzen in Anspruch nehmen: bei der Nichteinhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften fehlt es an einem authentischen Ausdruck des Willens des Souveräns und damit an einem gültigen Act of Parliament 13 • Zum anderen ist die Frage unge6 Dazu Wade I Phillips (Fn.l), S. 55 ff.; vgl. auch Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1975, S. 33 ff. (40 ff.). 7 Wade J Phillips (Fn. 1), S.89. S Burmah Oil Co. Ltd. v. Lord Advocate [1965] A.C. 75. 9 Dazu Frowein, ZaöRV 25 (1965), 735, 742 ff.; siehe auch Wade I Phillips (Fn. 1), S.62. 10 Wade I Phillips (Fn. 1), S.63. 11 Keir / Lawson, Cases in Constitutional Law, 6. Aufl. von Lawson und Bentley, 1979, S. 1. 12 Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht? 1963, S. 66 f.; Morvay, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975, S.67, 72; Street, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 55 (1967), S. 247. 13 Dazu Heuston (Fn.2), S.6 ff. mit Hinweis auf australische und südafrikanische Entscheidungen; vgl. auch Wade / Phillips (Fn. 1), S. 70 ff.

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§ 4 Rechtsvergleichender überblick

klärt, inwieweit das Parlament in seiner Allmacht nicht doch bestimmte, als Grundnormen fungierende oder die Souveränität einschränkende Rechtssätze gegen spätere Änderungen absichern kann und die eigene Gesetzgebungsbefugnis einzugrenzen imstande ist l4 • So haben etwa Stimmen in der schottischen Judikatur deutliche Zweifel an der Befugnis des Parlaments geäußert, rechtswirksam im Act of Union with Scotland 1707 enthaltene Konstitutionsnormen über die Vereinigung Englands und Schottlands und deren Verhältnis zueinander abändern zu können 1S • Noch schärfer stellt sich das Problem der unbegrenzten Gesetzgebungsbefugnis des Parlaments im Hinblick auf das Statute of Westminster 1931, das in section 4 die Zustimmung eines Dominion verlangt, wenn sich die Gesetzgebung des britischen Parlaments auf dessen Gebiet erstrecken S01l16. Den stärksten Einbruch in das Dogma der Souveränität des Parlaments haben der Beitritt des Vereinigten Königreichs zu den Verträgen über die Europäischen Gemeinschaften und das durch das Vertragsgesetz vorgesehene Eindringen von Vorschriften des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts in den innerstaatlichen Rechtsraum gebracht l7 • Ob die englischen Gerichte bei einem Konflikt zwischen einem Act of Parliament und einer Norm des Gemeinschaftsrechts das innerstaatliche Gesetz anwenden oder zurücktreten lassen werden, ist offen. Es ist aber gut denkbar, daß sie im Konfliktsfall der Gemeinschaftsnorm auch gegenüber einem späteren Parlamentsgesetz den Vorrang einräumen, zumindest solange der European Communities Act 1972 in Kraft ist l8 • Aus diesen Einschränkungen der Souveränität des Parlaments und der Bindung englischer Gerichte an seine Gesetzgebung konkrete haftungsrechtliche Folgerungen herleiten zu wollen, wäre wohl SpekulaDazu de Smith (Fn. 1), S. 87 ff.; Wade I Phillips (Fn. 1), S. 67 ff. Vgl. MacCormick v. Lord Advocate (1953) Seots Law Times 255 per Lord President Lord Cooper: "The principle of the unlimited sovereignty of Parliament is a distinctively English principle which has no counterpart in Scottish constitutional law." Dazu Heuston (Fn.2), S.9 f.; Wade I Phillips (Fn. 1), S.77 ff. 16 Dazu de Smith (Fn.l), S. 74 ff.; Wade / Phillips (Fn.l), S. 395 f.; vgl. auch Lord Denning M.R. in Blackburn v. Attorney-General [1971] 1 W.L.R. 1037, 1040. 17 Dazu de Smith (Fn.l), S.77 ff.; Wade I Phillips (Fn.l), S. 76 f., 126 ff. Als zentrale Vorschrift des European Communities Act 1972 bestimmt section 2 (1): "All such rights, powers, liabilities, obligations and restrictions from time to time created or arising by or under the Treaties, and all such remedies and procedures from time to time provided for by or under the Treaties, as in accordance with the Treaties are without further enactment to be given legal effect or used in the Uni ted Kingdom shall be recognised and available in law, and be enforced, allowed and followed accordingly; ..." 18 Vgl. Lord Denning M.R. in Blackburn v. Attorney-General [1971] 1 W.L.R. 1037, 1039 f.; de Smith (Fn.l), S.80; Wade / Phillips (Fn. 1), S. 128 f. 14

1S

VIII. Englisches Recht

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tion. Schon die nach allgemeinen Grundsätzen des common law zu beurteilende Deliktsfähigkeit des Parlaments dürfte zu verneinen sein. Auch ein Zurechnungssubjekt, das für fehlerhafte Gesetzgebungsakte des Parlaments einzustehen hätte, dürfte es nicht geben. Die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften des Parlaments sind keine "agents" oder "servants" der Krone, für deren Handeln sie nach dem Crown Proceedings Act 1947 haften mußl9. Eine haftungsrechtliche Anknüpfung an die Zustimmung der Krone zu einem Parlamentsgesetz scheidet aus, weil es sich dabei um einen - allerdings gebundenen - Akt in Ausübung der Kronprärogative handelt20 • 2. Rechtsetzungsakte der vollziehenden Gewalt

In beschränktem Umfang übt die Exekutive kraft der Prärogative der Krone noch originäre Rechtsetzungsbefugnisse aus21 • Danach kann die Krone durch Verordnungen ("Orders in Council" oder "letters patent") vor allem eine Gesetzgebungstätigkeit für die Kolonien ausüben und Regelungen für den öffentlichen Dienst erlassen. Wie andere Prärogativakte kann diese Rechtsetzung von den Gerichten daraufhin überprüft werden, ob sie sich sachlich im Rahmen der Prärogative hält; eine darüber hinausgehende Kontrolle auf Fehlgebrauch der Prärogative findet nicht statt22 • In weitem Umfang hat das Parlament Rechtsetzungsbefugnisse auf die Exekutive übertragen {"delegated legislation")23. Diese sekundäre Rechtsetzung durch die Exekutive ist verschiedentlich als Abdankung des Parlaments als Gesetzgeber zugunsten der Regierung kritisiert worden24• Sie läßt sich nach sachlichem Umfang und Regelungsintensität wohl eher mit der Normsetzung der Gemeinschaftsorgane als mit der durch Art. 80 GG und den Parlamentsvorbehalt begrenzten Rechtsetzung durch die Exekutive im deutschen Recht vergleichen. Diese Parallele zu den Normen des sekundären Gemeinschaftsrechts reicht noch weiter. Section 2 (2) des European Communities Act 1972 legt die Umsetzung ausfüllungsbedürftiger Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in innerstaatliches Recht weitgehend in die Hände der ExekuVgl. Dagtoglou (Fn. 12), S. 69. Vgl. seetion 11 des Crown Proceedings Act 1947; zum "royal assent" de Smith (Fn. 1), S. 106 f.; Wade I Phillips (Fn. 1), S. 178 f., 228 f. 21 Dazu de Smith (Fn. 1), S. 138 f., 321; Wade I Phillips (Fn. 1), S. 234 f. 22 Dazu de Smith (Fn. 1), S. 115; Wade / Phillips (Fn. 1), S. 240 ff. 23 Dazu de Smith (Fn.1), S. 320 ff. (324 ff.); Wade I Phillips (Fn.1), S. 564 ff. Ob sich die abgeleitete Rechtsetzung in der Form von Ministerialverordnungen ("ministerial regulations") oder von auf einer Ermächtigung der Krone beruhenden "Orders in Council" vollzieht, macht sachlich keinen Unterschied, de Smith (Fn. 1), S. 139. 24 Dazu de Smith (Fn. 1), S. 321 m. w. Nachw. 19

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§ 4 Rechtsvergleichender überblick

tive; dabei reicht die Regelungsbefugnis der Regierung vorbehaltlich einiger Einschränkungen (etwa hinsichtlich der Rückwirkung von Vorschriften) ebensoweit wie die des Parlaments, so daß auch bestehende Parlamentsgesetze abgeändert werden können2S • Ob bei diesen Rechtsetzungsakten eine ultra vires-Kontrolle durch die Gerichte ausgeschlossen ist26 , ist nicht völlig klar; zumindest eine gerichtliche Prüfung des gemeinschafts rechtlichen Bezuges dürfte aber stattfinden27 • Eine andere Form der unter gesetzlichen Rechtsetzung bilden die "bylaws" der Kommunen und der öffentlichen Körperschaften28 • Die Gerichte üben mit den erwähnten Einschränkungen über die Rechtsetzung der Exekutive - in der Regel inzident - eine Rechtmäßigkeitskontrolle aus 29 • Untergesetzliche Normen werden einmal auf Verfahrensfehler und zum anderen darauf überprüft, ob sie sich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage halten. Gegenüber einer darüber hinausgehenden Inhaltskontrolle scheinen die Gerichte bei Rechtsetzungsakten der Regierung sehr zurückhaltend zu sein3o. By-laws werden dagegen auch auf offenkundigen Ermessensfehlgebrauch ("unreasonableness") und auf den Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze überprüft31 . Nach dem Crown Proceedings Act 1947 haftet die Krone für das ihr zurechenbare Verhalten ihrer Organe ("servants" und "agents") nach den allgemeinen Regeln des Deliktsrechts ("law of torts")32. Allgemeinen deliktsrechtlichen Regeln folgt die Haftung sonstiger Hoheitsträger wie der kommunalen Verwaltungen und der rechtlich verselbständigten "public bodies", die keine Organe der Krone sind33 . 2S Dazu de Smith (Fn.l), S. 328 f. ("This is probably the most sweeping grant of delegated legislative powers to the Executive in modern times except under emergency conditions", ebd., S.329); Wade I Phillips (Fn.l), S. 569 f. 26 Vgl. Wade I Phillips (Fn. 1), S. 569 f. 27 Vgl. de Smith (Fn. 1), S. 328 Fn.28. 28 Dazu Wade I Phillips (Fn. 1), S. 360, 578. 29 Dazu Bradley, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 52, Bd. 1 (Länderberichte) (1969), S.341, 364 ff.; de Smith (Fn. 1), S. 337 ff.; Wade I Phillips (Fn. 1), S. 569, 571 ff. 30 Dazu Bradley (Fn.29), S.365; Wade I Phillips (Fn.l), S.569, 573. 31 Bradley (Fn.29), S.365; de Smith (Fn.l), S.340; Wade I Phillips (Fn.l), S.595. 32 Section 2 (1) des Gesetzes bestimmt: "Subject to the Provisions of this Act, the Crown shall be subject to all those liabilities in tort to which, if it were a private person of full age and capacity, it would be subject: (a) in respect of torts committed by its servants or agents ..." Dazu Morvay (Fn.12), S. 66 ff.; de Smith (Fn.l), S. 598 ff.; Street (Fn.12), S. 230 ff.; Wade I Phillips (Fn. 1), S. 623 ff. 33 Vgl. de Smith (Fn. 1), S. 603; Street (Fn. 12), S. 231, 238 ff.

VIII. Englisches Recht

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Von den einzelnen delikts rechtlichen Fallgruppen ("torts") kommt vor allem eine Haftung wegen "negligence" in Frage. Voraussetzung für eine Haftung bildet demnach in der Regel die Verletzung eines auf Gesetz beruhenden Gebots oder einer allgemeinen Sorgfaltspflicht34 • Dabei ist zu beachten, daß die Krone grundsätzlich für risiko reiche Maßnahmen, die Ausdruck einer politischen Wertentscheidung sind, auch dann nicht haftet, wenn dagegen Bedenken bestehen; in der Regel wird eine Haftung erst durch Akte auf Durchführungsebene ("operational level") begründet, die gegen eine Sorgfaltspflicht im Rahmen der vorgegebenen politischen Entscheidung verstoßen35 • Die Frage, inwieweit rechtswidrige Verordnungen der Exekutive eine deliktsrechtliche Schadensersatzpflicht auslösen können, ist bislang in der Judikatur nicht geklärt. Nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts dürfte aber dann eine Haftung der Krone in Betracht kommen, wenn der Rechtsetzungsakt nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist, damit ultra vires ist, und wenn mit seinem Erlaß eine (Sorgfalts-)Pflichtverletzung verbunden war36. 3. Aufopferungsansprüche bei rechtmäßigen Hobeitsakten

Der Gedanke des Lastenausgleichs für durch rechtmäßige Hoheitsakte im Allgemeininteresse auferlegte Opfer, wie er im deutschen und französischen Recht entwickelt wurde, ist auch dem englischen Recht nicht fremd; allerdings hat der Aufopferungsgedanke dort erst spät Fuß ge faßt. Die Leitentscheidung stammt vom House of Lords in dem schon erwähnten Fall Burmah Oil Co. Ltd. v. Lord Advocate37 • Dort ging es um die Zerstörung umfangreicher Ölanlagen der Kläger in Birma durch britische Truppen im Zweiten Weltkrieg, die verhindern wollten, daß die Anlagen in japanische Hände fallen. Die Zerstörung des klägerischen Eigentums geschah in Ausübung der Kriegsprärogative der Krone und bildete damit einen nicht weiter justiziablen, rechtmäßigen Hoheitsakt. Das House of Lords griff auf die kontinentalen Naturrechtslehren zu entschädigungspflichtigen Eingriffen in das Eigentum im Allgemeininteresse kraft des dominium eminens des Souveräns zurück und erkannt einen Entschädigungsanspruch zu. Der daraufhin erfolgte Ausschluß solcher Ansprüche wegen Kriegsschäden durch Parlamentsgesetz läßt das Prinzip der Entschädigungspflichtigkeit von Eingriffen in das Eigentum kraft der Prärogative der Krone unbeDazu Morvay (Fn. 12), S. 68 ff.; Street (Fn. 12), S. 236 ff. Dazu Lord Denning, The Discipline of Law, 1979, S. 250 ff. (253); vgl. Horne Office v. Dorset Yacht Co. Ltd. [1970], A.C. 1004. 36 Morvay (Fn. 12), S. 72; Street (Fn. 12), S. 242. 37 Burmah Oil Co. Ltd. v. Lord Advocate [1965] A.C. 75; dazu Frowein, ZaöRV 25 (1965), 735 ff.; Wade / Phillips (Fn. 1), S. 238. 34

35

§ 4 Rechtsvergleichender überblick

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rührt 38 • Da der heutige Souverän im Sinne der naturrechtlichen Maximen zum dominium eminens die "Queen in Parliament" und nicht etwa die Krone allein ist39 , liegt es nahe, diese Grundsätze auf Parlamentsgesetze zu übertragen, solange der gesetzgeberische Wille nicht ersichtlich auf einen entschädigungslosen Eingriff gerichtet ist. Dieser Schritt ist aber von den Gerichten oder in der Literatur nicht gemacht worden. Einer solchen Haftung für Parlamentsgesetze dürfte im übrigen entgegenstehen, daß das Spannungsverhältnis zwischen privaten Eigentumsrechten und dem dominium eminens des Souveräns im Sinne der Naturrechtslehre im heutigen parlamentarischen System aufgehoben ist. Andere Überlegungen gelten insoweit für die Rechtsprechung des französischen Conseil d'Etat, die bei der Haftung für Parlamentsgesetze nicht auf an sich überholte Theorien zum entschädigungspflichtigen Eingriff kraft des dominium eminens zurückgreift, sondern auf den Grundsatz der Lastengleichheit der Bürger abstellt. Diese Rechtsprechung verdeutlicht auf rechtsvergleichender Ebene, daß der Ausschluß oder die Beschränkung der Justiziabilität von Hoheitsakten daran geknüpften Entschädigungsansprüchen für den Eingriff in Individualrechte nicht unbedingt entgegensteht. Umgekehrt zeigt sich auch hier, daß der Rückzug auf den Aufopferungsgedanken in engem Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit des Eingriffsaktes und der fehlenden Bindung der öffentlichen Gewalt an verfassungsrechtlich verbürgte Grundrechte steht. Für eine Heranziehung des Aufopferungsgrundsatzes besteht demnach im Rahmen der Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht kein Anlaß.

IX. Sonstige Rechtsordnungen Unter den 1973 hinzugetretenen Rechtsordnungen regelt das Recht Irlands die Staatshaftung wesentlich restriktiver als das verwandte englische Recht und läßt sie nur dann eintreten, wenn sie ausnahmsweise ausdrücklich vorgesehen ist!. Eine Haftung für Rechtsetzungsakte ist im irischen Recht nicht bekannt. Es ist dort anscheinend nicht einmal geklärt, ob der Gesetzgeber trotz der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie nur gegen Entschädigung Enteignungsakte vornehmen darf2• 38 39

Vgl. Wade / Phillips (Fn. 1), S. 238. Vgl. Lord Reid, [1965] A.C. 108; Frowein, ZaöRV 25 (19,65), 741 f.

! Gilsdorf, EuR 1975, 95; Ipsen, in: Festschrift für H. Jahrreiß zum 80. Geburtstag, 1974, S. 92 m. w. Nachw. 2 Frowein, in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S. 189 m. w. Nachw.

IX. Sonstige Rechtsordnungen

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In Dänemark nehmen seit 1920 die Gerichte für sich die Befugnis in Anspruch, auch Gesetze inzident auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung hin zu überprüfen; dabei ist vor allem die Verbürgung der Eigentumsfreiheit (§ 73 des dänischen Grundgesetzes) als Prüfungsmaßstab von großer praktischer Bedeutung3 • Eine Amtshaftung kommt auch für legislatives Unrecht in Betracht, ohne daß die Gerichte bisher Ersatzansprüche wegen fehlerhafter Gesetzgebungsakte nach Amtshaftungsgrundsätzen zugesprochen hätten4• Im übrigen gehen die Gerichte bei der Kontrolle wirtschaftspolitischer Entscheidungen und sonstiger Wertungen des Gesetzgebers sehr zurückhaltend vorS. In Griechenland geht die herrschende Lehre offenbar von einer Staatshaftung für fehlerhafte Rechtsetzungsakte aus; eine Haftung für verfassungswidrige Gesetze soll dann in Frage kommen, wenn diese unmittelbar von der Verfassung gewährleistete subjektive Rechte verletzen6 • Nach dem spanischen Staatshaftungsrecht scheinen wenigstens Verordnungen der Exekutive unter den gleichen Voraussetzungen wie sonstiges Verwaltungshandeln eine Ausgleichspflicht des Staates für dadurch herbeigeführte Vermögensverletzungen auszulösen7•

Thygesen, EuGRZ 1978, 440. Gilsdorj, EuR 1975, 95. 5 Gilsdorj, EuR 1975, 95; Ipsen (Fn. 1), S.93. Vgl. auch die von Lorenzen, EuGRZ 1976, 337, referierten Gerichtsentscheidungen zu § 73 des dänischen Grundgesetzes. 6 So der - allerdings schon von 1965 datierende - Bericht von Tsatsos, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 220 ff. 7 Garcia de Enterria, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe (Fn. 6), S. 594 ff. (600). 3

4

§ 5 Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und des Vermögens im Gemeinschaftsraum I. Allgemeines Bei der Gemeinschaftshaftung nach Art. 215 Abs. 2 EWGV geht es im Kern um den sekundären Rechtsschutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und des Vermögens der Marktbürger gegen Eingriffe durch wirtschaftsordnende Maßnahmen. Dieser Bezug zur subjektiven Rechtssphäre wird allerdings in der Judikatur des EuGH durch die starke Betonung objektiver Rechtsgrundsätze gelegentlich verdunkelt. Die Gewährleistung der individuellen Entfaltungsfreiheit und der Schutz des Eigentums sind eng miteinander verklammert. Diese Beziehung hat vor allem das BVerfG hervorgehoben: "Das Eigentum ist ein elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht. Ihm kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglicheni." An der Nahtstelle zwischen der Garantie der persönlichen Entfaltungsfreiheit und der des Eigentums steht die Gewährleistung der freien Berufsausübung.

11. Nationale Rechtsordnungen Der EuGH hat mehrfach betont, daß die in den "gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten" anerkannten und in den nationalen Verfassungen verbürgten Grundrechte zum Inhalt der allgemeinen Rechtsgrundsätze gehören, die der Gerichtshof zu wahren hat l . Die Mitgliedstaaten bekennen sich zur persönlichen und wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit als grundlegendem Rechtsgrundsatz. Dies I

BVerfGE 24,367,389. Ähnlich BVerfGE 42, 64, 76 f.; 50,290,339 ff.

EuGH, Urteil vom 17.12.1970, Rs.11170, Internationale HandelsgesellSlg. 1970, 1125, 1135; Urteil vom 14.5.1974, Rs.4/73, Nold, Slg.1974, 491, 507; Urteil vom 13.12. 1979, Rs.44179, Hauer, Slg. 1979, 3727, 3744 f.; vgl. auch die Schlußanträge von Generalanwalt Capotorti vom 8.11. 1979 zum Hauer-Urteil, Slg. 1979, 3759 m. w. Nachw. I

schaft,

11. Nationale Rechtsordnungen

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läßt sich schon unmittelbar ihrer Zugehörigkeit zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entnehmen, deren marktwirtschaftliche Orientierung in schroffem Gegensatz zum Interventionismus kollektivistischer Staats- und Gesellschaftssysteme steht. Im deutschen Recht hat der Schutz der individuellen Dispositionsfreiheit, das Prinzip des "laissez-faire" den Rang eines "Grundtenors der Verfasung"2. Art. 2 Abs. 1, 12 Abs.1 und 14 GG bieten umfassenden Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, des freien Leistungswettbewerbs und der freien Berufsausübung3• In Frankreich ist das Bekenntnis zur allgemeinen Handlungsfreiheit schon in die Erklärung über die Menschen- und Bürgerrechte von 1789 aufgenommen worden4 ; über den Verweis der Präambel der Verfassung von 1958 auf die Erklärung von 1789 gehört die Gewährleistung der individuellen Entfaltungsfreiheit zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die auch die Gesetzgebungsorgane binden. Das englische Recht anerkennt die Freiheit der Person und des Eigentums als "fundamental rights"5. Die Verfassung des Vereinigten Königreichs enthält keine formellen Verbürgungen von Freiheit und Eigentum, wenn man von den vor allem im 17. Jahrhundert entstandenen Dokumenten zum Schutz gegen Übergriffe der Krone in die Rechte des Parlaments und die Freiheitssphäre des Bürgers absieht6• Nach dem klassischen Verständnis der "rule of law"7 liegt der Schutz von Freiheit und Eigentum nicht in der Niederlegung allgemeiner, mit besonderer Verbindlichkeit ausgestatteter Rechtssätze, sondern in den konkreten Regeln einfachen Rechts. Eingriffe der Exekutive in diese Rechtsgüter bedürfen der Ermächtigung durch Gesetz oder die könig2 Vgl. Doehring, Sozialstaat, Rechtsstaat und freiheitlich-demokratische Grundordnung, 1978, S.39: "Dem ... laissez-faire-Prinzip ist die Funktion eines Grundtenors der Verfassung zuzuerkennen; der verordnete Plan bedingt Freiheitsbeschränkung und rechtfertigt sich nur als Korrektur zur Restauration der Freiheit." 3 Dazu m. w. Nachw. Frotscher, JuS 1981, 662 ff., 890. 4 Art. 2: "Le but de toute association politique est la conservation des d.roits natureIs et imprescriptibles de I'homme. Ces droits sont la liberte, Ia propriete, la surete et la resistance a l'oppression." Art. 4 lautet: "La liberte consiste a pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas a autrui: ainsi l'exercice des droits natureIs de chaque homme n'a de bornes que celles qui assurent aux autres membres de la societe la jouissance de ces m€mes droits. Ces bornes ne peuvent etre determinees que par la loi." 5 Dazu de Smith, Constitutional and administrative law, 3. Auf!. 1977, S. 439 ff.; Wade / Phillips, Constitutional and administrative law, 9. Auf!. von Bradley, 1980, S. 441 f. 6 Dazu Wade / Phillips (Fn. 5), S. 10 ff. 7 Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, 10. Auf!. hrsg. von Wade, 1959, S. 183 ff. (195 ff.). 7 Herdegen

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§ 5 Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und Vermögensschutz

liche Prärogative, d. h. die der Krone noch verbliebene originäre "Hausmacht". Schutz gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen finden die Bürger bei den ordentlichen Gerichten, die grundsätzlich alle Exekutivakte auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen; allerdings beschränkt sich bei Prärogativakten die Prüfung auf den Umfang der in Anspruch genommenen Prärogative8 • Der Bürger genießt demnach Entfaltungsfreiheit, soweit diese nicht durch Rechtssatz begrenzt ist9• Parlamentsgesetze, die die Exekutive zu Eingriffen in Freiheit und Eigentum durch Rechtssatz oder Einzelakt ermächtigen, werden von den Gerichten eng ausgelegt lO • Das Vereinigte Königreich ist Vertragspartner der Europäischen Menschenrechtskonvention; die Konvention ist jedoch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt worden11 • Die Gerichte verschaffen der EMRK aber insoweit Geltung, als sie sich an der Auslegungsmaxime orientieren, daß der parlamentarische Gesetzgeber nicht gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstoßen Will12• Das Eigentum ist in den meisten Mitgliedstaaten der Gemeinschaft durch geschriebene Grundrechtsgarantien gegen entschädigungslose Entziehung oder Aushöhlung durch die öffentliche Gewalt umfassend geschützt. Gegen den Entzug von Privateigentum oder eine den Wesensgehalt des Eigentums tangierende Nutzungsbeschränkung ohne Entschädigung schützen etwa Art. 14 GG, Art. 2 und Art. 17 der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 13 , Art. 11 der belgischen Verfassung, Art. 16 der luxemburgischen Verfassung, Art. 165 der niederländischen Verfassung, Art. 42 Abs. 2 und Abs. 3 der italienischen Verfassung, § 73 der dänischen Verfassung und Art.43 der irischen Verfassung l4 • Demgegenüber bietet die englische Verfassung gegen Beeinträchtigungen des Eigentums durch Parlamentsgesetze keinen Schutz. In der Praxis wird aber bei der Ermächtigung zum Entzug von Privateigentum regelmäßig eine Entschädigung vorgesehen l5 • Wird die Exekutive zu einem solchen Eingriff in das Eigentum ermächtigt, bede Smith (Fn. 5), S. 115. Dazu de Smith (Fn. 5), S. 439 ff.; Wade / Phillips (Fn. 5), S. 441 ff. 10 Dazu de Smith (Fn.5), S.274, 338; Wade / Phillips (Fn.5), S.278, 515. 11 de Smith (Fn. 5), S.441; Wade / Phillips (Fn. 5), S. 536. 12 de Smith (Fn. 5), S. 130; Wade / Phillips (Fn. 5), S. 536. 13 Art. 17 bestimmt: "La propriete etant un droit inviolab1e et sacre, nul ne peut en etre prive, si ce n'est lorsque 1a necessite publique, Iega1ement constatee, l'exige evidemment, et sous la condition d'une juste et prealable indemnite." 14 Dazu Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 8. 11. 1979 in der Rs. 44/79, Hauer, Slg. 1979, 3760; Frowein, in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S.189, 191 mit Hinweis auf die Rechtslage in Irland, die im Hinblick auf die Entschädigungspflichtigkeit von Enteignungen nicht völlig klar zu sein scheint. 15 Wade / Phillips (Fn.5), S.463. 8

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11. Nationale Rechtsordnungen

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darf der Ausschluß von Entschädigungsansprüchen einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungl6 • Die verfassungsrechtliche Gewährleistung von privaten Eigentumsrechten hat vielfach Auswirkungen auf den haftungsrechtlichen Schutz gegen rechtswidrige Eingriffe. So ist im deutschen Recht die Eigentumsgarantie nicht nur mit umfassendem kassatorischen Rechtsschutz gegen Verletzungen durch oder aufgrund eines Gesetzes oder durch sonstige hoheitliche Maßnahmen bewehrt. Sie bildet auch die Grundlage für Ersatzansprüche wegen rechtswidriger Eigentumsbeinträchtigungen17 (siehe oben § 4 I 6). Der Zusammenhang zwischen der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie und der Staatshaftung bei schädigenden Eingriffen in das Eigentum findet sich auch in Belgien bei der Gefährdungshaftung für Eigentumsbeeinträchtigungen (siehe oben § 4 IV). Bei der Eigentumsgewährleistung ist einschränkend zu berücksichtigen, daß auch in Rechtsordnungen mit einer weitreichenden Eigentumsgarantie wie in der deutschen einmal gegebene (günstige) wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für die unternehmerische Betätigung grundsätzlich außerhalb des Schutzbereiches des Eigentumsrechtes stehen (siehe oben § 4 16). Dem verfassungsrechtlichen Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und des Eigentums sind in den nationalen Rechtsordnungen durch die Sozialpflichtigkeit Schranken gezogen, die der Gesetzgeber konkretisieren kann. Gerade bei wirtschaftsordnenden Maßnahmen hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen im Interesse der Allgemeinheit die individuelle Dispositionsfreiheit entschädigungslos beeinträchtigt werden kann l8 •

16 de Smith (Fn.5), S.338; Wade / Phillips (Fn.5), S.463. Vgl. Newcastle Breweries, Ltd. v. R. [1920] 1 K.B. 854, 866 per Salter J.: "It is an established

rule that astatute will not be read as authorizing the taking of a subject's goods without payment unless an intention to do so be clearly expressed ... This rule applies no less to partial than to total confiscation, and it must apply a fortiori to the construction of astatute delegating legislative powers." 17 Vgl. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 2, 14 Abs. 3 StHG. 18 Dazu mit Hinweis auf die nationalen Regelungen zur Beschränkung der Eigentumsgarantie Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), Slg. 1979, 3760 ff. 7·

100

§ 5 Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und Vermögensschutz

111. Eigentumsschutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention Beim gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsschutz ist auch Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK vom 20.3.1952 zu berücksichtigenI. Da es bei der Gemeinschaftshaftung häufig um den Entzug von einseitigen Vergünstigungen durch die Gemeinschaft und die Beeinträchtigung von sonstigen öffentlich-rechtlichen Vermögenspositionen geht, ist es von Bedeutung, daß der Schutzbereich von Art. 1 des Zusatzprotokolls in neuerer Zeit auch auf subjektiv-öffentliche Rechtspositionen erstreckt worden ist2• So hat die Europäische Menschenrechtskommission auf eigenen Beiträgen beruhende Anwartschaften auf soziale Altersversicherung als ein von Art. 1 des Zusatzprotokolls geschütztes Recht anerkannt3• Umstritten ist, ob der Entzug von Eigentum nach Art. 1 des Zusatzprotokolls stets nur gegen Entschädigung zulässig ist4• Die Europäische Kommission für Menschenrechte folgte zunächst der Auffassung, der Verweis auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über die Enteignung in Art. 1 Abs. 1 sei als Rechtsgrundverweisung zu verstehen und beziehe sich demnach nur auf die Enteignung von Ausländerns. In neue ren Entscheidungen der Kommission zeigt sich dagegen die Tendenz, auch bei Inländern im Fall der Enteignung einen Entschädigungsanspruch als verbürgt anzusehen6• Generalanwalt Capotorti hat in diesem Zusammenhang dafür votiert, jedenfalls "auf Gemeinschaftsebene die Verpflichtung zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung an die enteigneten Personen im Einklang mit der in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten weitgehend bestehenden Tendenz" anzuerkennen7 • Diese Auffassung verdient wegen der engen Verknüpfung der Eigentumsgarantie mit der Gewährleistung der individuellen Entfaltungsfreiheit und mit dem Vertrauensschutz Zustimmungs. Dafür spricht auch, daß die Möglichkeit des entschädigungslosen Entzuges 1 EuGH, Urteil vom 13.12.1979, RS.44179, Hauer, Slg.1979, 3727, 3745; Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 8. 11. 1979, Slg. 1979, 3760. 2 Dazu Frowein, in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S. 190 f. 3 Müller ./. Österreich, European Commission of Human Rights, Decisions and Reports 3 (1976) 25, 31 f. 4 Dazu etwa Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), Slg. 1979, 3760 f.; Frowein (Fn.2), S. 191 ff. S Gudmundsson ./. Island, Yearbook of the European Convention on Human Rights 3 (1960), 394, 422 ff. 6 Dazu m. w. Nachw. Generalanwalt Capotorti (Fn.l), Slg.1979, 3761; Frowein (Fn.2), S. 192. 7 Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), Slg. 1979, 3761. S Frowein (Fn.2), S. 193.

IV. Gemeinschaftsrecht

101

von Eigentum durch nationale Instanzen gegenüber eigenen Staatsangehörigen zu erheblichen Störungen des freien Leistungswettbewerbes innerhalb der Gemeinschaft führen könnte. Art. 1 des Zusatzprotokolls regelt ebensowenig wie etwa Art. 14 GG die Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Eigentumsbeeinträchtigung durch die öffentliche Gewalt. Herleiten läßt sich eine Schadensersatzpflicht bei rechtswidrigen Eingriffen - auch durch Rechtsetzungsakte - aus Art. 50 EMRK9. Nach dieser Vorschrift kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Verstößen gegen die Konvention dem Verletzten eine gerechte Entschädigung zuerkennen, wenn die Rechtsordnung des betreffenden Vertragsstaates keine angemessene Wiedergutmachung gestattet. Dieser Anspruch läßt sich als eine von der Kompetenzvorschrift des Art.50 EMRK vorausgesetzte "ungeschriebene delikt ische Sanktion" für Verletzungen der EMRK begreifen lO •

IV. Gemeinschaftsrecht Der Grundsatz der freien wirtschaftlichen Betätigung bildet ein tragendes Strukturprinzip der Gemeinschaftsverfassung. Dies ergibt sich vor allem aus den Vorschriften über den freien Warenverkehr (Art. 3 (a), 9 ff. EWGV), den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr (Art. 3 (e), 48 ff., 52 ff., 67 ff. EWGV) und über den freien Leistungswettbewerb (Art. 3 (f), 85 ff. EWGV). Das Gemeinschaftsrecht gewährt dem Einzelnen das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit, das nur in dem für das Allgemeininteresse notwendigen Maße, d. h. unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, eingeschränkt werden darf l . Große Bedeutung hat im Rahmen von Art. 215 Abs. 2 EWGV der Verstoß gegen das Verbot von Diskriminierungen. Gegen die sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung auf dem Agrarsektor schützt Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV. Der EuGH scheint darin vor allem ein Willkürverbot zu sehen, das vor dem Hintergrund des wirtschaftspolitischen "Beurteilungsspielraumes" der Gemeinschaftsorgane (erst) dann verletzt ist, wenn sich diese von "offensichtlich irrigen" Erwägungen leiten lassen2 • Der Gerichtshof neigt dazu, das spezielle Diskriminierungsverbot des Art. 40 EWGV in einen "rein objektivrechtlichen" Zu9 10

Moller, NJW 1967, 2339 ff. So Moller, NJW 1967, 2341.

1 Generalanwalt Dutheillet de Lamothe, Schluß anträge vom 2. 12. 1970 in der Rs. 11170, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1150 m. w. Nachw. 2 EuGH, Urteil vom 24.10. 1973, Rs.43172, Merkur, Slg.1973, 1055, 1074.

102

§ 5 Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und Vermögensschutz

sammenhang zu stellen3• Gelegentlich werden in der Judikatur des EuGH der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Diskriminierungsverbot vermengt4• Letztlich geht es - was allerdings in der Rechtsprechung nicht immer deutlich wird - beim Diskriminierungsverbot des Art.40 EWGV um den Schutz der Wettbewerbsfreiheit gegen die sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung von Marktkonkurrenten und gegen Maßnahmen mit "faktischer Kartellwirkung"5. Bei Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV steht daher - anders als beim allgemeinen Gleichheitssatz - der Schutz der wirtschaftlichen Freiheitssphäre im Vordergrund6 • Dieses vermögens- und wettbewerbsbezogene Verständnis von Art.40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV erleichtert gegenüber einer mehr objektivrechtlichen Auslegung die haftungsrechtliche Einordnung von Verstößen gegen dieses spezielle Diskriminierungsverbot. Eine Gemeinschaftshaftung dient in diesem Zusammenhang nicht der Kompensation für willkürliche Ungleichbehandlung, sondern dem Ausgleich für die Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit und der Wiederherstellung des marktwirtschaftlichen Gleichgewichts7• Die Garantie der freien Berufsausübung hat der EuGH als Inhalt des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes anerkannt, ohne bisher den Umfang dieser Gewährleistung näher zu konturieren8 • Die Gewährleistung des Privateigentums kommt im EWGV mehrfach zum Ausdruck9• Nach Art. 222 EWGV läßt der Vertrag "die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt" (vgl. auch Art. 83 EGKSV und Art. 91 EAGV). Der marktwirtschaftlichen Orientierung und Zielsetzung der EWG sind die Gewährleistung von Privateigentum und die unternehmerische Dispositionsfreiheit über Vermögenswerte vorgegebenlO • Vorschriften wie die Art. 85 ff. EWGV, 3

Fuß in einer Anmerkung zum HNL-Urteil, EuR 1978, 354.

Etwa im Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg. 1978, 1209, 1224: hier spricht der Gerichtshof davon, "daß ... die Verpflichtung zum Ankauf von Magermilchpulver zu einem derart disproportionierten Preis eingeführt wurde, daß sie einer diskriminierenden Verteilung der Lasten auf die einzelnen Agrarsektoren gleichkam ...". 5 Vgl. Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 18.9. 1973 in den verb. Rs. 63 - 69173, Werhahn, Slg.1973, 1261 ff.; Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 12.9. 1979 in der RS.238178, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2993 ff. 6 Ähnlich Fuß, EuR 1978, 354, 356; vgl. auch Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG, 1970, S. 111. 7 Vgl. Generalanwalt Capotorti (Fn. 5), Slg. 1979, 2999. 8 EuGH, Urteil vom 14.5. 1974, Rs. 4/73, Nold, Slg. 1974, 491, 507; Urteil vom 13.12.1979, Rs. 44179, Hauer, Slg. 1979, 3727, 3750. 9 Zum Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht Riegel, Das Eigentum im europäischen Recht, Diss. Erlangen-Nürnberg, 1975, S. 66 ff.; ders., DVBl. 1977,749 ff. 10 Riegel (Fn. 9), S. 157 ff.; ders., DVBl. 1977, 749. 4

IV. Gemeinschaftsrecht

103

die prima facie als Begrenzungen der Eigentumsfreiheit erscheinen, verbürgen im Grunde die Verfügungs- und Nutzungsbefugnis als maßgebliches Element des Eigentums ll . Schrankenlose Dispositionsfreiheit führt - nicht nur im Bereich des Leistungswettbewerbes - in letzter Konsequenz zur Aufhebung eben dieser Freiheit. Ähnliches gilt für den Freiheitsbegriff des deutschen Grundgesetzes: Die Schranken der Freiheitsrechte wirken nicht hemmend, sondern freiheitskonstituierend l2 . Daß die Eigentumsfreiheit auf Gemeinschaftsebene als ein auch die Rechtsetzungsorgane bindendes Grundrecht verbürgt ist, hat der EuGH im Fall Hauer eingehend ausgeführt 13 • Schon früher hatte der Gerichtshof klargestellt, daß der Eigentumsschutz keinesfalls auf "bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten" erstreckt werden könne, "deren Ungewißheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört"14. Eine positive Umgrenzung der von der Eigentumsgarantie erfaßten Vermögenspositionen hat der EuGH noch nicht geliefert. Der Gerichtshof hat im Hauer-Urteil, in dem es um die Nutzung von Grundeigentum zum Weinanbau ging, unter Hinweis auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten die Sozialbindung des Eigentums betont, die auch die Beeinträchtigung der Nutzungsbefugnis im Interesse strukturpolitischer Ziele gestatte l5. Gleichzeitig hat der Gerichtshof betont, daß die Eigentumsbeeinträchtigung von den Gemeinschaftszielen gedeckt sein und dem VerhäItnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen mußl6. Sozialbindung bedeutet damit auf Gemeinschaftsebene "Marktbindung" des Eigentums l7 . Ihre Grenze findet die als Konkretisierung der Sozialbindung zulässige Eigentumsbeschränkung dort, wo die Verfügungs- und Nutzungsbefugnis in ihrem WesensgehaIt angetastet wird und davon nichts Substantielles mehr übrig gelassen wird l8 . Vor dem Hintergrund der Regelung des Art. 222 EWGV dürfte der völlige Entzug von ausschließlichen Verfügungs- und Nutzungsbefugnissen über Vermögensrechte durch oder aufgrund von Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts unzulässig sein, wenn sich diese Befugnisse bislang allein nach inner11

12

Riegel, DVBl. 1977, 750. Doehring, Sozialstaat, Rechtsstaat und freiheitlich-demokratische Grund-

ordnung, 1978, S. 19. 13 EuGH (Fn.8), Sig. 1979, 3745 ff. 14 EuGH, Urteil vom 14.5. 1974, Rs. 4/73, Nold, Sig. 1974, 491, 508. 15 EuGH (Fn.8), Sig. 1979, 3746 ff. 16 Sig. 1979, 3747 ff. 17 Dazu Riegel, DVBl. 1977,751 f. 18 EuGH, Urteil vom 13.12.1979 (Fn.8), Slg.1979, 3747; Riegel, DVBl. 1977, 752 m. w. Nachw.

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§ 5 Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und Vermögensschutz

staatlichem Recht richteten. Soweit das Europäische Gemeinschaftsrecht eine Enteignung ausdrücklich zuläßt, wird damit ein Anspruch auf Entschädigung verknüpft, so etwa in Art. 22 EAGV I9 • Daraus und aus den Entschädigungsgarantien in den nationalen Rechtsordnungen sowie aus Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK wird man den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Entschädigungspflichtigkeit von Enteignungen herleiten können20 • Für die Entschädigungspflichtigkeit rechtswidriger Eingriffe in das Eigentum oder eigentumsähnlich verfestigte Vermögenspositionen sprechen schon auf Grundrechtsebene gewichtige Gründe. Zwar läßt sich der Parallele zwischen der Entschädigungspflichtigkeit von rechtmäßiggezielten Enteignungen und Ersatzansprüchen wegen rechtswidriger Beeinträchtigungen ähnlich wie im deutschen Recht entgegenhalten, daß diese beiden Eingriffsformen begrifflich streng auseinanderzuhalten sind und daß bei der Entschädigung für rechtmäßige Enteignungen nicht alle von der Eigentumsgarantie erfaßten Vermögenspositionen vollen Ausgleich erfahren müssen21 • Auf der anderen Seite gebietet der Zusammenhang zwischen Eigentumsgarantie und Schutz der persönlichen Freiheit die Wiederherstellung der erlittenen vermögensrechtlichen Einbuße durch Ersatzleistungen und zwar auch dann, wenn der Eingriff durch einen Rechtsetzungsakt erfolgt ist. Bei der Haftung der Gemeinschaft für fehlerhafte Rechtsetzungsakte nach Art.215 Abs.2 EWGV stehen vor allem Eingriffe in öffentlichrechtliche Vermögenspositionen im Vordergrund. Im Zusammenhang mit dem primären und sekundären Rechtsschutz solcher öffentlichrechtlicher Positionen hat der EuGH auf andere Institute als die Eigentumsgarantie zurückgegriffen. Beim Entzug sogenannter "wohlerworbener Rechte"22 durch Maßnahmen mit normativem Charakter hat der Gerichtshof in einer Entscheidung zur Besoldungsangleichung zunächst auf die Regeln über den Widerruf von rechtmäßigen Einzelentscheidungen zurückgegriffen23 • Bedenken hat diese Rechtsprechung vor allem unter dem Gesichtspunkt ausgelöst, daß damit dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine Art "Selbstbindung" aufgezwungen werden könnte24 • 19

20

Dazu Riegel, DVBl. 1977, 752 f. Vgl. Generalanwalt Capotorti (Fn.5), Slg.1979, 3761; Riegel, DVBl. 1977,

752 f. 21 Vgl. Weyreuther, Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. I, Gutachten, 1968, B 152 ff. 22 Zu wohlerworbenen Rechten und ihrem Schutz im Gemeinschaftsrecht Püttner, EuR 1975, 218 ff. 23 EuGH, Urteil vom 5.6. 1973, RS.81172, Slg. 1973, 575, 583 ff.; dazu Ipsen, EuR 1973, 339 ff. Zu Widerruf und Rücknahme individueller Verwaltungsentscheidungen Püttner, EuR 1975, 224 f. 24 Ipsen, EuR 1973, 340; Püttner, EuR 1975, 227.

IV. Gemeinschaftsrecht

105

Später hat der EuGH auf die allgemeinen Grundsätze zur Rückwirkung von Rechtsvorschriften und über den Vertrauensschutz abgestellt25 • Im CNTA-Fall anerkannte der Gerichtshof einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit der Abschaffung von Währungsausgleichsbeträgen wegen fehlender "übergangsmaßnahmen zum Schutz des berechtigten Vertrauens der betroffenen Unternehmer"26. Es scheint, daß der EuGH personal- oder statusbezogenen Vermögenspositionen wie etwa den wohlerworbenen Rechten im Besoldungsbereich stärkere Schutzwürdigkeit beimißt als gewerblichen und sonstigen wirtschaftlichen Vergünstigungen, die die unternehmerische Marktstellung und Planung mitprägen und beeinflussen27 • So hebt der Gerichtshof beim Entzug solcher marktbezogener Vergünstigungen anders als bei Eingriffen in mehr personalbezogene Rechte28 - darauf ab, ob mit den Änderungen zu rechnen war29 und ob die Änderung der Rechtslage in den Risikobereich der tangierten Unternehmen fällt 3O •

EuGH, Urteil vom 5.7.1973, Rs.1/73, Westzucker, Slg.1973, 723, 728 ff. EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs.74174, Slg. 1975, 533, 549; dazu Streil, EuGRZ 1975, 449 f. 27 Dazu Püttner, EuR 1975, 228. 28 VgI. EuGH, Urteil vom 5.6. 1973, Rs. 81172, Slg. 1973, 575, 583 ff. 29 EuGH, Urteil vom 5.7.1973, Rs.1173, Westzucker, Slg. 1973, 723, 730. 30 EuGH, Urteil vom 10. 12. 1975, verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100175, Cooperatives Agricoles de Cereales, Slg. 1975, 1615, 1639 f. 25

26

§ 6 Die Voraussetzungen einer Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht im einzelnen I. Allgemeines Der Wortlaut des Art. 215 Abs.2 EWGV liefert nicht mehr als ein ausfüllungsbedürftiges Skelett der Haftungsvoraussetzungen: Die Vorschrift äußert sich auf Tatbestandsseite lediglich darüber, daß das Verhalten eines Organes oder eines Bediensteten der Gemeinschaft für einen Schaden kausal geworden sein muß. In der Rechtssache Holtz & Will emsen hat der EuGH ausgeführt, es sei erforderlich, daß "die den Organen vorgeworfene Handlung rechtswidrig und ein tatsächlicher Schaden eingetreten ist sowie daß zwischen der Handlung und dem behaupteten Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht"!. Die zusätzlichen Haftungsbedingungen bei normativem Unrecht hat der Gerichtshof mit der Formel von der qualifizierten Verletzung einer höherrangigen und drittschützenden Rechtsnorm umschrieben (dazu unten, III - V).

11. Rechtswidrigkeit der Regelung Das einzige in der Judikatur der EuGH klar konturierte Tatbestandselement bildet die Rechtswidrigkeit der schadensauslösenden Gemeinschaftsnorm!. Häufig folgen dem Verdikt der Rechtswidrigkeit über eine Vorschrift im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 173 oder Art. 177 EWGV Schadensersatzklagen. Umgekehrt liegt die Bedeutung der Schadensersatzklage auch in der Möglichkeit, einzelnen Marktbürgern die Inzidentkontrolle einer Rechtsnorm zu eröffnen. In seiner früheren Rechtsprechung ist der EuGH davon ausgegangen, daß ein nicht für nichtig erklärter Rechtsakt keinen haftungsbegründenden Amtsfehler darstellen könne2• Dies hatte zur Folge, daß für eine erfolgversprechende Schadensersatzklage in der Regel die besonderen Voraussetzungen für eine Individualklage nach Art. 173 EWGV bzw. !

EuGH, Urteil vom 2. 7. 1974, Rs. 153173, Slg. 1974, 675, 694.

Vgl. EuGH, Urteil vom 2. 12. 1971, Rs.5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, 985: "Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft setzt zumindest die Unrechtmäßigkeit der angeblich schadensstiftenden Handlung voraus." 2 EuGH, Urteil vom 15.7.1963, RS.25/62, Plaumann, Slg.1963, 214, 240. !

H. Rechtswidrigkeit der Regelung

107

für eine Untätigkeitsklage nach Art. 175 EWGV erfüllt sein mußten3 • Von dieser Auffassung ist der Gerichtshof mit Hinweis auf die Eigenständigkeit der Schadensersatzklage im Rechtsschutzsystem des EWGV in den Urteilen Lütlicke4 und Schöppensiedts abgerückt. 1. Prüfungsmaßstäbe für die Rechtmäßigkeit

Die Rechtswidrigkeit kann sich einmal aus dem Verstoß gegen Primärrecht ergeben. So kommt etwa bei Regelungen für den Agrarmarkt oft eine Verletzung des speziellen Diskriminierungsverbotes von Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV in Betracht. Bei Durchführungsverordnungen der Kommission stellt sich häufig die Frage nach einem Verstoß gegen die zugrundeliegende Ratsverordnung. Mit der zunehmenden Anerkennung ungeschriebener rechtsstaatlicher Maximen hat der Rückgriff auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit an praktischer Bedeutung gewonnen. Hinzu kommt die Gewährleistung der Eigentumsfreiheit und der Berufsfreiheit, deren Verletzung bisher in der Judikatur des EuGH noch keine haftungsrechtliche Relevanz erlangt hat. Eine an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes orientierte Rechtmäßigkeitskontrolle führt zu einer nicht leicht überschaubaren Abwägungskasuistik, die wohl bis zu einem gewissen Grad unumgänglich ist6• Das Fehlen eines umfassenden gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtskataloges bewirkt, daß die Verbürgung objektiver Rechtsgrundsätze noch weitgehend den Ausgangspunkt für den Schutz der subjektiven Rechtssphäre bildet. So wird bei der Beeinträchtigung subjektiver Rechtspositionen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens in die Rechtskontinuität anders als etwa im deutschen Recht nur der Grundsatz des Vertrauensschutzes und nicht die Eigentumsgarantie herangezogen7 (dazu oben, § 5 IV). 2. Weiter wirtschaftspolitischer GestaItungs-

spielraum der Gemeinsdlaftsorgane

Mit dem Verdikt der Rechtswidrigkeit ist die Judikatur des EuGH zurückhaltend, wenn es um die Regelung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte geht. Gerade in den Entscheidungen zur Gemeinschaftshaftung betont der Gerichtshof den weiten wirtschaftspolitischen Ge3 Dazu Gilsdorf, in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl.., Art. 215 Rn. 39. 4 EuGH, Urteil vom 28.4. 1971, Rs. 4/69, Slg. 1971, 325, 336. 5 EuGH (Fn. 1), Slg. 1971, 983 f. 6 Vgl. etwa zum Vertrauensschutz Fuß, in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S. 208 ff. 7 Zum deutschen Recht Fuß (Fn. 6), S. 206 f.

108

§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

staltungsspielraum der Rechtsetzungsorgane 8• Besonders großzügig verfährt der Gerichtshof mit der Zubilligung eines breiten Entscheidungsfreiraumes bei Dringlichkeitsmaßnahmen, die sich auf eine nur "globale" Beurteilung der Wirtschaftsverhältnisse gründen9• Im HNL-Urteil hat der Gerichtshof ausgeführt, auf einem Rechtsetzungsgebiet, das durch "ein für die Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik unerläßliches weites Ermessen" gekennzeichnet ist, könne die Haftung der Gemeinschaft nur dann eintreten, wenn eine gravierende Ermessensüberschreitung vorliegt lO • Die Bedeutung einer wirtschaftspolitischen Einschätzungsprärogative unterstreicht der Gerichtshof im Urteil Ludwigshafener Walzmühle im Hinblick auf Preisregelungen auf dem Hartweizensektor: "Bei der Festlegung ihrer einschlägigen Politik verfügen die zuständigen Gemeinschaftsorgane nicht nur über einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der tatsächlichen Grundlage ihres HandeIns, sondern sie können auch weitgehend nach ihrem Ermessen die im Rahmen der Vorgaben des Vertrages verfolgten Ziele bestimmen und das für ihr Vorgehen geeignete Instrumentarium wählen11 ." Während gegen das Merkmal des schwerwiegenden Rechtsverstoßes im Zusammenhang mit der Ermessensüberschreitung durchgreifende Bedenken bestehen, ist die Zuerkennung eines weiten Gestaltungsspielraumes als solche sachlich berechtigt. Das ergibt sich aus der notwendigen Entscheidungsfreiheit der Gemeinschaftsorgane, die ständig zu währungs- und wirtschaftspolitischer Intervention und Steuerung aufgefordert sind l2 • Den Gemeinschaftsorganen steht bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen eine Einschätzungsprärogative mit breiter Irrtumsmarge zu13 • Diese Prärogative besteht ratione materiae unabhängig von einer unmittelbaren demokratischen Legitimation der Entscheidungsträger. Die wirtschaftspolitische Wahlfreiheit der Gemeinschaftsorgane darf nicht über eine überspannte richterliche Kontrolle der von ihnen 8 EuGH, Urteil vom 13. 6. 1972, verb. Rs. 9 und 11/71, Compagnie d'approvisionnement, Slg.1972, 391, 408; Urteil vom 14.5.1974, Rs.74/74, CNTA, Slg.

1975, 533, 547. 9 EuGH, Urteil vom 24. 10. 1973, Rs.43/72, Merkur, Slg. 1973, 1055, 1074. 10 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15 und 40/77, Slg. 1978, 1209, 1225. 11 EuGH, Urteil vom 17.12.1981, verb. Rs. 197 bis 200, 243, 245 und 247/80, Slg. 1981, 3211, 3251. 12 Daher wird man insoweit auch nicht von einer "gemeinschaftsrechtlichen Staats raison" (vgl. Engler, EuGRZ 19,79, 379) sprechen können. 13 In diesem Sinne etwa Generalanwalt Mayras, Schlußanträge vom 27.6. 1973 in der Rs.43/72, Merkur, Slg.1973, 1086; Fuß, in: Festschrift für F. A. von der Heydte, 1. Halbbd., 1977, S. 184 ff. (186): "Der wirtschaftspolitische Gesetzgeber darf sich in seiner Prognose irren, er braucht nicht mit neuen, im nachhinein als zweckmäßig erkannten Steuerungsinstrumenten zu experimentieren und er kann - zumindest vorübergehend - Ziel- und Interessenprioritäten setzen."

II. Rechtswidrigkeit der Regelung

109

entwickelten Prognosen, Wertungen und Prioritäten ex post in Frage gestellt werden. Auch das BVerfG hat anerkannt, "daß dem Gesetzgeber bei wirtschaftsordnenden Maßnahmen, die den Freiheitsspielraum für die wirtschaftlich tätigen Individuen einengen, hinsichtlich der Auswahl und technischen Gestaltung dieser Maßnahmen ein weiter Bereich des Ermessens zusteht"14. Besonders deutlichen Ausdruck findet im deutschen Recht die wirtschaftspolitische Einschätzungsprärogative im Rahmen der vollziehenden Gewalt in § 70 Abs.5 S.2 GWB; danach ist bei der Ermessenskontrolle von Entscheidungen der Kartellbehörden "die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung der Nachprüfung des Gerichts entzogen". Daß ähnliche Grundsätze auch für das Handeln der Gemeinschaftsorgane gelten, ergibt sich aus Art. 33 Abs. 1 S.2 EGKSV: Die Nachprüfung von Entscheidungen oder Empfehlungen der Hohen Behörde durch den Gerichtshof darf sich "nicht auf die Würdigung der aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen sich ergebenden Gesamtlage erstrecken, ... es sei denn, daß der Hohen Behörde der Vorwurf gemacht wird, sie habe ihr Ermessen mißbraucht oder die Bestimmungen des Vertrages oder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt". Dieser Rechtsgedanke des Montanunionsvertrages läßt sich cum grano salis auch auf die Haftung nach Art. 215 Abs.2 EWGV übertragen in dem Sinne, daß nicht eine gerichtliche Beurteilung der Marktverhältnisse an die Stelle wirtschaftspolitischer Wertungen von Rat oder Kommission treten darf und nicht jeder Irrtum die Rechtswidrigkeit einer Regelung nach sich zieht l5 . Die Zubilligung eines weiten wirtschaftspolitischen Entscheidungsspielraumes führt nicht zu einer bedenklichen Einschränkung der Rechte der Gemeinschaftsbürger und zu einer Verkürzung ihrer Rechtsschutzmöglichkeitenl6 . Die Einschätzungsprärogative der Gemeinschaftsorgane ist an wirtschaftspolitische Ordnungs- und Steuerungsmaßnahmen geknüpft, bei denen es um einen ständigen "Wettlauf mit den unaufhörlich wechselnden Situationen und Problemen" geht l7 . In diesem Bereich haben sich die betroffenen Rechtspositionen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes selten zu subjektiven Rechten mit Bestandsschutz verfestigt l8 . Andererseits endet das wirtschaftspolitische Ermessen dort, wo den Marktbürgern Einbußen auferlegt wer14 BVerfGE 30, 292, 319; vgl. auch BVerfGE 4, 7, 15 f.; 25, 1, 19. 15 Vgl. auch Herrmann, in: Festgabe für K. Zweigert, RabelsZ 45 (1981),

419 f.

16 Vgl. demgegenüber Engler, EuGRZ 1979, 379. 17 Fuß (Fn. 6), S. 204. 18 Vgl. Fuß (Fn. 6), S. 208 ff. (211).

110

§6

Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

den, die über die marktwirtschaftlicher Tätigkeit vorgegebenen Risiken hinausgehen, und subjektive Rechte verletzt werden, etwa durch die grundlose Ungleichbehandlung von Konkurrenten. Demnach hätte etwa im Werhahn-Urteil l9 bei den beanstandeten Preis regelungen auf dem Hartweizensektor angesichts der dadurch bewirkten schwerwiegenden Wettbewerbsverzerrung ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV nicht mit Erwägungen verneint werden dürfen, für die wohl nur auf Verschuldensebene Raum war2°. Aus diesen überlegungen ergibt sich, daß der Ermessensprüfung haftungsrechtlich eine maßgebliche Filterfunktion zukommt21 • Dies gilt vor allem unter dem Blickpunkt der Abwägung von Allgemein- und Individualinteressen22 , der Situations- und Sozialgebundenheit der tangierten Rechtspositionen und der Zumutbarkeit ihrer Entziehung. 3. Modell einer reinen Rechtswidrigkeitshaftung

Die dargestellte Filterfunktion, die die überprüfung des normativen Gestaltungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane hat, legt es nahe, die Rechtmäßigkeitskontrolle zum Angelpunkt der Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht zu machen23 • Für eine Haftung käme es demnach in erster Linie darauf an, ob die geltend gemachten Schäden von "ermessensfehlerhaften" Rechtsetzungsakten verursacht worden sind. Für eine solche Rechtswidrigkeitshaftung läßt sich anführen, daß häufig das Vorliegen einer subjektiv-öffentlichen Rechtsposition und eines rechtswidrigen Eingriffes nur in einem einheitlichen Abwägungsvorgang festgestellt werden kann. Deutlich wird dies vor allem bei sogenannten Rahmenrechten wie dem Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und anderen in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie fallenden Vermögenspositionen im deutschen Recht24 • Auf Gemeinschaftsebene vollzieht sich der Schutz des unternehmerischen Vertrauens in den Fortbestand bestimmter Regelungen, die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die weitere Verwendbarkeit vorhandener Vermögenswerte zum Gegenstand haben, weitgehend über eine Abwägung von Allgemein- und Individualinteressen unter BerückEuGH, Urteil vom 13. 11. 1973, verb. Rs. 63 - 69/72, Slg. 1973, 1229, 1248 ff. Vgl. Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 18.9.1973, Slg. 1973, 1261 ff. 21 So etwa Grabitz, NJW 1978, 1743; ders., in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S.227. 22 Grabitz (Fn. 21), S.227. 23 Vgl. Grabitz (Fn. 21), S. 227; Stein, EuGRZ 1979, 541 f. 24 Dazu m. w. Nachw. v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd.lI, 1960, S. 99 ff.; Badura, AöR 98 (1973), 160 ff. 19

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11. Rechtswidrigkeit der Regelung

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sichtigung von vorgegebenen oder auf die Gemeinschaft überwälzten unternehmerischen Risiken25 • Auf der anderen Seite ist das Modell einer reinen Rechtswidrigkeitshaftung schwerwiegenden Bedenken ausgesetzt. Der fehlerhafte Ermessensgebrauch der Rechtsetzungsorgane braucht nicht unbedingt mit einer Verletzung subjektiver Rechtspositionen verbunden zu sein, die einen Ausgleich durch Ersatzleistungen gebietet. Eine reine Rechtswidrigkeitshaftung birgt die Gefahr einer Einzelfalljudikatur und einer Ausuferung der Gemeinschaftshaftung bei der Beeinträchtigung von Vermögenspositionen in sich, welche sich noch nicht zu subjektiven Rechten verdichtet haben. Auf rechtsvergleichender Ebene findet eine reine Rechtswidrigkeitshaftung wohl kaum eine hinreichende Grundlage. In den meisten nationalen Rechtsordnungen setzt die Haftung für fehlerhaftes Verwaltungshandeln die Verletzung von Rechtsnormen oder Amtspflichten voraus, die den subjektiven Interessen der Geschädigten dienen sollen26 • Das gilt etwa für das deutsche Staatshaftungsrecht. Das belgische und wohl auch das italienische Recht fordern die Verletzung eines subjektiven Rechts. Das französische Recht läßt zwar beim Unrecht einen Verstoß gegen objektives Recht ausreichen, kommt aber über das Konzept der "faute" auf Verschuldensebene zu einer Haftungsbegrenzung27 • Bei einem Fehlen des Bezugs des ersatzpflichtigen Eingriffes zur subjektiven Rechtssphäre würde sich das Problem des ersatz fähigen Schadens und seiner Begrenzung weitgehend erst im ZusammenhaIlig mit der haftungsausfüllenden Kausalität (und nicht schon bei der haftungsbegründenden Kausalität) stellen. Die Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsnormen ergibt sich in vielen Fällen nicht erst aus einer Abwägung von Individual- und Allgemeininteressen unter Einbeziehung schädlicher Auswirkungen auf die Normadressaten. Inwieweit etwa gegen den allgemeinen Gleichheitssatz oder gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßende Normen oder ihre Ermächtigungsgrundlage verletzende Durchführungsverordnungen Schadensersatzansprüche auslösen, läßt sich nicht mit allgemeinen Abwägungskriterien beantworten. Außerdem zwingen Haftungssysteme, die für eine Ersatzpflicht nicht den Eingriff in bestimmte subjektive Rechtspositionen wie etwa das 25 EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs.74174, CNTA, Slg. 1975, 533, 548 ff.; Urteil vom 10. 12. 1975, verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100175, Cooperutives Agrieoles, Slg. 1975, 1615, 1636 ff. Vgl. auch BVerfGE 30, 392, 401; BGH, NJW 1980, 2700, 2701. 26 Dazu Steinberger, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 759 ff. 27 Steinberger (Fn. 26), S. 760.

112

§

6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

Eigentum verlangen, verstärkt zu rechtspolitischen Wertungen28 • Ein Beispiel bilden deliktsrechtliche Vorschriften mit Generalklauselcharakter wie Art. 1382 ce im französischen Recht oder das englische Institut des "tort of negligence". Im übrigen gelangt auch das englische Recht zu einer Haftungseingrenzung, indem es sich des flexiblen Konzepts der Verletzung einer Verhaltenspflicht gegenüber dem Geschädigten ("breach of duty") bedient29 • Demnach kann die Rechtswidrigkeit von Rechtsetzungsakten der Gemeinschaftsorgane allein noch nicht die Pflicht zum Ausgleich der dadurch verursachten Schäden begründen. 111. Eingriff in die subjektive Rechtssphäre

Daß die Rechtswidrigkeit eine notwendige, aber nicht ausreichende Haftungsvoraussetzung bei normativem Unrecht darstellt, hat der EuGH von Anfang an betont. Im Interesse einer Haftungseingrenzung hat der Gerichtshof die Formel von der "qualifizierten Rechtsverletzung" entwickelt: Bei einem Rechtsetzungsakt, der wirtschaftspolitische Entscheidungen einschließt, könne "die Haftung der Gemeinschaft für den Einzelpersonen etwa durch diesen Akt entstandenen Schaden nach den Vorschriften von Artikel 215 Absatz 2 des Vertrages nur durch eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der einzelnen dienenden Rechtsnorm ausgelöst werden"!. Den Begriff der wirtschaftspolitischen Maßnahme faßt der Gerichtshof weit und erstreckt ihn auch auf Durchführungsverordnungen von Rat und Kommission, hinter denen kein eigenes wirtschaftspolitisches Konzept steht2• Demgemäß hat der Bezug der Formel von der qualifizierten Rechtsverletzung auf wirtschaftspolitische Entscheidungen in der Judikatur bisher nie zu einer praktisch relevanten Begrenzung ihrer Anwendung auf Rechtsetzungsakte geführt. 1. Verletzung einer Rechtsvorschrift mit Schutznormcharakter

Mit dem Erfordernis der Verletzung einer "den einzelnen schützenden Rechtsnorm" stellt der Gerichtshof schon im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität den Bezug zur subjektiven Rechtssphäre her. Auf den Schutznormcharakter der verletzten Vorschrift hat der 28 Dazu v. Caemmerer (Fn.24), S. 65 ff.; Markesinis / v. Bar, Richterliche Rechtspolitik im Haftungsrecht, 1981, passim. 29 Dazu Winfield / Jolowicz, The Law of Tort, 10. Aufl. von Rogers, 1975, S. 45 ff.

! EuGH, Urteil vom 2. 12. 1971, Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, 984 f. 2 Dazu m. w. Nachw. Gilsdorj, EuR 1975,97.

111. Eingriff in die subjektive Rechtssphäre

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EuGH schon im Vloeberghs-Urteil bei der Amtshaftung nach Art. 40 EGKSV abgestellt: die verletzte Norm müsse gerade zum Schutz der Interessen des Geschädigten bestimmt sein3• Daß dieser Bezug der verletzten Norm zur Rechtssphäre des Geschädigten auch im Rahmen von Art. 215 Abs.2 EWGV vorliegen muß, hat vor allem Generalanwalt Roemer im Plaumann-Fall aufgezeigt4• Dieser Auffassung ist der EuGH im Urteil Kampffmeyer I gefolgts. Das Merkmal der Schutznormverletzung läßt sich rechtsvergleichend überzeugend begründen (oben II.3). Am deutlichsten kommt diese Haftungsvoraussetzung wohl in § 1 Abs. 1 des neuen deutschen Staatshaftungsgesetzes zum Ausdruck; die Vorschrift knüpft daran an, daß die öffentliche Gewalt "eine Pflicht des öffentlichen Rechts, die ihr einem anderen gegenüber obliegt", verletzt. Daß die Gemeinschaftshaftung nur bei Verletzung einer Vorschrift mit Schutznormcharakter eintritt, leuchtet ein: Der Geschädigte erhält einen Ausgleichsanspruch, weil er in einer besondevs geschützten Rechtsposition verletzt worden ist6 • Die Verletzung von Vorschriften mit Schutznormcharakter rückt den Geschädigten in der Regel gegenüber der Allgemeinheit in eine besondere Nähebeziehung zu den Gemeinschaftsorganen7 ; aber darauf kommt es insofern nicht an, als auch vielen oder gar allen Marktbürgern zustehende subjektiv-öffentliche Rechte haftungsrechtlichen Schutz genießen. Haftungsrechtliche Relevanz gewinnt die Gewährleistung objektiver Rechtsgrundsätze wie des Vertrauensschutzes oder des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erst durch die Verbindung mit der individuellen Freiheitssphäre. So genießt noch nicht das bloße unternehmerische Vertrauen in den Fortbestand einer die Wirtschaftsverhältnisse mitgestaltenden Regelung haftungsrechtlichen Schutz, sondern erst die vertrauensbedingte Vermögensdisposition8• 2. Verletzung subjektiver Rechte

Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die rechtswidrige Beeinträchtigung subjektiver Interessen genügt oder ob die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte zu fordern ist. Im Vloeberghs-Urteil hat der EuGH, Urteil vom 14.7.1961, verb. Rs. 9 und 12/60, Slg. 1961,427,467 ff. Schluß anträge vom 28. 5. 1963 in der Rs. 25/62, Slg. 1963, 267 f. 5 EuGH, Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Slg. 1967,331, 354 f. 6 Vgl. Fuß, EuR 1968, 359; ders., EuR 1978, 355; Gilsdort, in: Groeben 1 Boeckh 1 Thiesing 1 Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn.40. Kritisch zur Schutznormtheorie Gotfin 1 Mahieu, Cahiers de droit europeen 1972, 87 ff. 7 Vgl. Fuß, EuR 1978,355. 8 Vgl. EuGH, Urteil vom 14. 5. 1975, Rs.74174, CNTA, Slg. 1975, 533, 549 f. 3

4

8 Herdegen

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

EuGH zu Art. 40 EGKSV ausgeführt, bei einem pflichtwidrigen Nichteinschreiten der Hohen Behörde gegen die Verletzung von Art. 4 (a) EGKSV durch einen Mitgliedstaat könnten die in den Schutzbereich der Vorschrift fallenden Unternehmen "sich mit Recht als in ihren berechtigten Erwartungen oder ihren Rechten verletzt betrachten und verlangen, daß der ihnen auf diese Weise verursachte Schaden ersetzt werde"9; dabei ging es allerdings nicht um normatives Unrecht, sondern um das Unterlassen einer staatengerichteten Entscheidung. Die GeneralanwäIte tendieren zumindest in neuerer Zeit dazu, auf die Verletzung subjektiver Rechte abzustellen lO • In der Literatur wird demgegenüber eine Beschränkung der Haftung auf eine Verletzung "echter" subjektiver Rechte gelegentlich als zu eng angesehenll . Dafür, eine Haftung nur bei der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte eintreten zu lassen, spricht schon die Gefahr einer Ausuferung der Haftung, der am besten mit der Begrenzung der haftungs rechtlich geschützten Vermögenspositionen zu begegnen ist. Das deutsche Staatshaftungsrecht setzt ebenso wie das belgische und wohl auch das italienische Recht die Beeinträchtigung subjektiver Rechte voraus. Die Privatrechtsvergleichung zeigt im übrigen, daß auch bei vielen deliktsrechtlichen Instituten, die an sich das Vermögen global schützen, die Ersatzfähigkeit von reinen Vermögenseinbußen durch strenge Anforderungen an die schadensbegründende Verletzung von VerhaItenspflichten oder an den notwendigen Kausalzusammenhang oder auch aufgrund offener rechtspolitischer Wertungen durch die Gerichte erheblich eingeschränkt wird12 • So reicht der Ausgleich für "economic loss", den das englische Institut des "tort of negligence" gewährleistet, kaum über den von § 823 Abs. 1 BGB bewirkten Eigentumsschutz hinaus 13 • Auch im Rahmen des ebenfalls das Vermögen schützenden § 839 BGB neigt die Judikatur dazu, die Haftung für bloße Vermögensschäden einzudämmenl4 • Vor allem bei Eingriffen in die unternehmerische Vermögenssphäre ist zu berücksichtigen, daß ein überspanntes AnspruchsEuGH, Urteil vom 14.7.1961, verb. Rs. 9 und 12/60, Slg. 1961, 427, 468. Vgl. Generalanwalt Mayras, Schlußanträge vom 27.6.1973 in der Rs. 43172, Merkur, Slg. 1973, 1079; Generalanwalt Trabucchi, Schluß anträge vom 23.4. 1975 in der RS.74174, CNTA, Slg. 1975, 555 f.; Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 1. 3.1978 in den verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg. 1978, 1230 ff.; ders., Schlußanträge vom 12.9. 1979 in der Rs.238178, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2993, 2998 f. 11 So etwa Gilsdorf, EuR 1975, 105. 12 Vgl. v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, 1960, S. 65 ff. 13 Dazu Markesinis I v. Bar, Richterliche Rechtspolitik im Haftungsrecht, 1981, S. 14 ff. 14 Vgl. BGHZ 39, 358, 364 f.; 66, 398, 399 f.; Medicus, Bürgerliches Recht, 10. Aufl. 1981, Rn. 785 m. w. Nachw. 9

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111. Eingriff in die subjektive Rechtssphäre

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und Assekuranzdenken mit den marktwirtschaftlicher Tätigkeit vorgegebenen Risiken unvereinbar ist, welche der Leistungswettbewerb und die Wandelbarkeit der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen mit sich bringen1s • Ähnliche Überlegungen müssen auch bei Eingriffen von hohe I' Hand gelten. Beim "lebenden Unternehmen" ist ein umfassender eigentumsähnlicher Bestandsschutz nicht denkbarl6 • Eine Haftung für die rechtswidrige Beeinträchtigung bloßer Vermögensinteressen würde zu einem nicht mehr akzeptablen Schutz von wirtschaftlichen Chancen und Rahmenbedingungen führen 17 • Das Institut des enteignungsgleichen Eingriffes schützt im Bereich des Rechts auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nur konkrete, zum aktuellen Bestand des Unternehmens gehörende Werte l8 • Auf Gemeinschaftsebene ist die unternehmerische Tätigkeit oft von vornherein mit besonderen Risiken etwa aufgrund von Währungsschwankungen l9 , besonderen klimatischen Wachstumsbedingungen20 oder aufgrund VOn nachteiligen Standortverhältnissen21 belastet. Diese Risiken dürfen nicht vorschnell über eine Haftung der Gemeinschaft auf die Allgemeinheit überwälzt werden. Die Haftung für normatives Unrecht ist vor allem deshalb auf die Verletzung subjektiver Rechte zu beschränken, weil der Gesetzgeber (im materiellen Sinne) nur an höherrangiges Recht gebunden ist und nicht an irgendwelche ungeschriebene Sorgfaltspflichten. Daher läßt sich der Ausgangspunkt einer Haftung für fehlerhafte Rechtsetzungsakte nicht von der Verletzung bestimmter Verhaltens anforderungen, sondern nur vom Eingriffsobjekt her fixieren. Dies ergibt sich auch daraus, daß die Rechtsetzung der öffentlichen Gewalt grundsätzlich keiner Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegt, die die normative Interessenabwägung als Vorgang erfaßt. Ausnahmen wie die Kontrolle des Abwägungsprozesses beim Erlaß kommunaler Satzungen im deutschen Recht22 lassen sich nicht auf die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaftsorgane übertragen, zum al auch im deutschen Recht der Erlaß IS Vgl. v. Caemmerer (Fn. 12), S. 91 ff.; Markesinis I v. Bar (Fn. 13), S. 14 ff.; Medicus (Fn. 14), Rn. 611. 16 v. Caemmerer (Fn. 12), S. 99. 17 Vgl. v. Caemmerer (Fn. 12), S. 102. 18 Vgl. BGH, NJW 1980, 2700, 2701; v. Caemmerer (Fn. 12)" S. 99 ff. 19 Vgl. EuGH, Urteil vom 14. 5. 1975, Rs. 74174, CNTA, Slg. 1975, 533, 545 ff.; Urteil vom 10. 12. 1975, verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100175, Cooperatives Agricoles de Cereales, Slg. 1975, 1615, 1636 ff. 20 Vgl. EuGH, Urteil vom 31. 3.1977, verb. Rs. 54 bis 60176, Compagnie Industrielle du Comte de Loheac, Slg. 1977, 645, 657 ff. 21 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.11. 1973, verb. Rs. 63 - 69/72, Werhahn, Slg. 1973, 1229, 1248 ff. 22 Vgl. BVerwGE 45,309,312 ff.; 47, 144, 146 ff.

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§6

Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

von Verordnungen durch die Exekutive keiner solchen Kontrolle unterworfen ist. Bei einer Schädigung von Individuen durch normatives Unrecht der Gemeinschaftsorgane sind nur solche Interessen ersatz fähig, zu deren Schutz die verletzten höherrangigen Rechtsnormen bestimmt sind. Die Verletzung einer Rechtsnorm, die Individualinteressen gegenüber der öffentlichen Gewalt zu dienen bestimmt ist, bildet stets die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts; denn eine solche Vorschrift begründet per se ein subjektiv-öffentliches Recht23 • Damit ist die Antinomie zwischen subjektivem Recht und bloßem Interesse als geschützten Positionen bei der Verletzung höherrangiger Rechtsnormen durch die Gemeinschaftsorgane im Grunde aufgehoben. Für das Vorliegen eines subjektiv-öffentlichen Rechts kommt es auf die Zahl der begünstigten Interessen nicht an, sondern vielmehr darauf, daß deren Kreis hinreichend bestimmt ist24 • Interessen, die bloß faktisch als Reflex von nur der Allgemeinheit dienenden Interessen begünstigt werden, genießen keinen Schutz25 • Demgemäß hat der EuGH im Vloeberghs-Fa1l 26 dargelegt, daß die Vorschrift des Art. 4 (a) EGKSV über den freien Warenverkehr allein dem Schutz der Produktion innerhalb der Gemeinschaft dient; die Begünstigung von ordnungsgemäß eingeführten Erzeugnissen aus Drittländern sei nur "eine Reflexwirkung der Garantie, die der Vertrag den in der Gemeinschaft hergestellten Erzeugnissen gewähren wollte". Eine Beeinträchtigung dieser schwachen Position könne keine Haftung nach Art. 40 EGKSV auslösen. Im CNT AUrteil27 betonte der Gerichtshof, daß die Gewährung von - später abgeschafften - Ausgleichsbeträgen mehr auf die Beseitigung von Störungen der Agrarmarktorganisation durch Währungsschwankungen abzielte als auf die Absicherung von Unternehmen gegen die Risiken von Währungsschwankungen; daher kam eine Haftung der Gemeinschaft nur unter dem Gesichtspunkt eines durch weitere Umstände begründeten Vertrauensschutzes in Betracht. Zu verneinen ist der Schutznormcharakter wohl bei der Vorschrift des Art. 39 EWGV, die die Zielsetzungen der gemeinsamen Agrarpolitik umreißt und schon wegen der Pluralität dieser Ziele kaum zum Schutz von Individualinteressen bestimmt sein kann28 • Keinen Schutznormcharakter wird man in der Re23 Bachof, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 296 ff.; Wolft I Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Auf!. 1974, § 43 I (S. 318 ff.). 24 Bachof (Fn.23), S. 297. 25 Vgl. Wolff I Bachof (Fn. 23), § 43 I b 1, 2 (S. 321 ff.).

EuGH, Urteil vom 14.7.1961, verb. Rs. 9 und 12/60, Slg. 1961, 427, 467 f. EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs. 74174, Slg. 1975, 533, 549. 28 Vgl. Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 1. 3. 1978 in den verb. Rs.83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg.1978, 1231; Gilsdorf (Fn.6), Art. 215 Rn. 41. 26

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III. Eingriff in die subjektive Rechtssphäre

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gel den gemeinschaftsrechtIichen Verfahrens- und Formvorschriften zuerkennen können29 • Aus diesem Grund ist auch die Verletzung von Begründungspflichten nicht geeignet, die Haftung der Gemeinschaft nach sich zu ziehen30 • 3. Materieller ZuweisungsgebaIt der verletzten Rechtsnorm

Eine Haftung der Gemeinschaft wird man nur insoweit bejahen können, als die verletzte Rechtsnorm einen materiellen Zuweisungsgehalt31 hat. Die Verletzung einer Rechtsnorm löst demnach nur dann Ausgleichsansprüche aus, wenn diese Norm ihrem Inhalt nach den Schutz von Vermögensinteressen bezweckt und nicht etwa nur die Ausprägung abstrakter Gerechtigkeitsgebote darstellt. So tritt bei Rechtsetzungsakten, deren Rechtswidrigkeit sich in einem Verstoß gegen den VerhäItnismäßigkeitsgrundsatz oder das allgemeine Gleichbehandlungsgebot erschöpft, keine Gemeinschaftshaftung ein. In diesen Fällen kommt nur eine Beeinträchtigung von subjektiven Interessen in Betracht, die "an sich" zur Disposition der Rechtsetzungsorgane stehen. Im Amylum-Urteil stützte der EuGH die Klageabweisung unter anderem darauf, daß an der beanstandeten Einführung einer Produktionsabgabe für Isoglucose nicht die Abgabe als solche, sondern nur ihre Berechnungsmethode und Höhe rechtswidrig waren32 • Dieses Argument wäre bei einem auf die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beschränkten Rechtsverstoß überzeugend gewesen, aber nicht bei einer Verletzung des wettbewerbsrechtlichen Diskriminierungsverbotes, auf die sich der Gerichtshof bezog. Ähnlich liegt es bei Regelungen, bei denen die Rechtswidrigkeit allein durch den Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und nicht auch durch die Verletzung anderer subjektiv-öffentlicher Rechte konstituiert wird. In diesen Fällen stehen den Betroffenen auch ohne Schadensersatzansprüche ausreichende kassatorische und reformatorische Rechtsbehelfe zu Gebote. Sie können bei diskriminierenden Belastungen auf dem Umweg über eine Haftung der Gemeinschaft nicht so gestellt werden, wie wenn si:e gegen 'die Belastung als solche ein subjektiv-öffentliches Recht schützte. Bei der Vorenthaltung von Vergünstigungen, auf die an sich kein Rechtsanspruch besteht, darf die Korrektur der Normlücke nicht durch die Zuerkennung von SchadensersatzGilsdorf (Fn. 6), Art. 215 Rn. 43. Gilsdorj (Fn. 6), Art. 215 Rn. 43. 31 Zu diesem Begriff Medicus (Fn. 14), Rn. 706 ff. 32 EuGH, Urteil vom 5. 12. 1979, verb. Rs. 116 und 124177, Slg. 1979, 3497, 3561. Der Gerichtshof spricht davon, daß "eine angemessene Abgabe vollkommen gerechtfertigt war". 29

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

ansprüchen vorgenommen werden. Sofern der Rechtsverstoß nicht mehr durch eine die generelle Rücknahme der Leistung statuierende Regelung geheilt werden kann, beruht dies grundsätzlich auf dem Vertrauensschutz, den die bisher Begünstigten genießen. Ein über die Gewährung der zunächst vorenthaltenen Leistung hinausgehender Schadensausgleich läßt sich damit jedenfalls nicht begründen. Anderes gilt bei Eingriffen in die Wettbewerbsfreiheit durch die Diskriminierung von Konkurrenten. 4. Einzelne geschützte subjektive Rechtspositionen

Bei der Haftung der Gemeinschaft stehen als ersatzfähige Positionen die von den wirtschaftlichen Freiheitsrechten geschützten Interessen im Vordergrund. Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und die freie Disposition über Vermögenswerte sind auf Gemeinschaftsebene in weitem Umfang geschützt33 • Für die Begründung von Schadensersatzansprüchen kommt es dabei auf einen Eingriff in die Freiheitssphäre der Betroffenen an und zwar in der Weise, daß sich die tangierten Vermögenspositionen zu einem echten subjektiven Recht verdichtet haben. Im folgenden soll ein überblick über einige unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten besonders wichtige Rechtspositionen gegeben werden. (a) Freiheit des Warenverkehrs Als subjektives Recht, dessen Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann, ist das Recht auf freien Warenverkehr garantiert34• Insoweit gilt das gleiche wie für den EGKSV35 • (b) Freiheit des Wettbewerbs Die die Freiheit des Wettbewerbs als eines tragenden Strukturprinzips der Gemeinschaft verbürgenden Vorschriften des EWGV haben ebenfalls individualschützenden Charakter, soweit sie sich (auch) an die Gemeinschaftsorgane richten wie vor allem die allgemeine Zielbestimmung des Art. 3 (f) EWGV36 • Eine auUerordentlich wichtige Rolle spielen für den Agrarmarkt Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV. Dabei kommt es entscheidend nicht auf die formelle Ungleichbehandlung an, sondern auf den Eingriff in Siehe oben, § 5 IV. EuGH, Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg.1967, 331, 354 f.; Generalanwalt Gand, Schlußanträge vom 19.4.1967, Slg.1967, 369. 35 Vgl. EuGH, Urteil vom 14.7.1961, verb. Rs. 9 und 12/60, Vloeberghs, Slg. 1961,427,467 f. 36 Vgl. dazu Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 7.6.1977 in der Rs. 114176, Bela-Mühle, Slg. 1977, 1236 f. 33

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III. Eingriff in die subjektive Rechtssphäre

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den freien Leistungswettbewerb37• Bei Verstößen gegen das spezielle Diskriminierungsverbot des Art.40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV durch rechtsetzende Maßnahmen mit faktischer "Kartellwirkung" zeigt sich vielleicht am deutlichsten, daß ein auf kassatorische RechtsbeheUe beschränkter Gerichtsschutz ungenügend ist: Die aufgrund der diskriminierenden Maßnahmen einmal eingetretene Wettbewerbsverzerrung wirkt ungeachtet der Ungültigkeit der Norm und der Rechtswidrigkeit möglicher Durchführungsakte fort und gebietet eine Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen den Konkurrenten durch Schadensersatzleistungen der Gemeinschaft38 • Bedenklich ist, daß der EuGH gelegentlich bei wettbewerbsverz·errenden Regelungen die den Hechtsetzungsorganen zugute gehaltene Komplexität der Marktverhältnisse stärker gewichtet als selbst erhebliche Eingriffe in die Wettbewerbsposition der Geschädigten39• Auf der andel'en Seite hat der Gerichtshof auch schon vorschnell einen Verstoß gegen Art. 40 kbs.3 Unterabs.2 EWGV bejaht, ohne der Frage nachzugehen, inwieweit zwischen den "ungleich" behandelten Unternehmergruppen überhaupt ein Konkurrenzverhältnis besteht. So hat der EuGH in den "Magermilchpulver"-Fällen von der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ohne weiteres auf eine Diskriminierung geschlossen4O • Durch diese Entscheidung auf Rechtswidrigkeitsebene schien die Frage einer Gemeinschaftshaftung für die beanstandeten Regelungen in positivem Sinne präjudiziert41 • Mit kaum überzeugenden Darlegungen zur Natur der Ermessensüberschreitung, zur Zahl der Geschädigten und zu den von ihnen zu tragenden Risiken hat der Gerichtshof dennoch eine Schadensersatzpflicht der Gemeinschaft verneint42 • Methodisch vorzuziehen gewesen wäre es wohl, schon die wett37 Vgl. Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 12.9. 1979 in der Rs. 238178, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2993 ff.; Fuß, EuR 1978, 354, 356. 38 Vgl. Generalanwalt Capotorti (Fn.37), Slg. 1979, 2999 zu diskriminieren-

den Erstattungsregelungen auf dem Quellmehl-, Gritz- und Stärkesektor: "... die unterschiedliche Behandlung hatte wirtschaftliche Auswirkungen und Auswirkungen auf das Vermögen; da es sich um einen Rechtsverstoß handelt, schafft der Schadensersatz auf der Vermögensebene Abhilfe und stellt damit das wirtschaftliche Gleichgewicht ex post wieder her." 39 EuGH, Urteil vom 13.11.1973, verb. Rs. 63 - 69172, Werhahn, Slg.1973, 1229, 1248 ff.; vgl. demgegenüber Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 18.9. 1973, Slg. 1973, 1261 ff. 40 EuGH, Urteil vom 5.7.1977, Rs. 114176, Bela-Mühle, Slg.1977, 1211, 1221. Vgl. demgegenüber Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 7.6.1977, Slg. 1977, 1230 ff.; Fuß, EuR 1978, 354, 356. 41 Vgl. Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 1. 3. 1978 in den verb. RS.83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg.1978, 1226 ff. (1243). 42 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg. 1978, 1209, 1224 f. Kritisch dazu Engler, EuGRZ 1979, 377 ff.; Fuß, EuR 1978,353 ff.; Grabitz, NJW 1978, 1742 f.; Modest, RIW/AWD 1978, 530 ff.

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

bewerbsrelevante Diskriminierung zu verneinen43 und die Haftung wegen der verbleibenden Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes am fehlenden materiellen Zuweisungsgehalt dieses Prinzips scheitern zu lassen.

(e) Vertrauenssehutz Neben der Verletzung des in Art. 40 Abs. 3 Unterabs. 2 EWGV niedergelegten Diskriminierungsverbotes hat der V'erstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes in der Praxis wohl die größte Bedeutung44 • Der Rückgriff auf abstrakte rechtsstaatliche Kategorien ist dabei ebenso unergiebig wie die auf einen Argumentationskreisel hinauslaufende Formel vom Schutz des "berechtigten" Vertrauens45 • Zu berücksichtigen ist weiter, daß etwa im englischen Recht der Schutz des Vertrauens auf Rechtskontinuität äußerst schwach ausgebildet ist, wie Generalanwalt Warner dargelegt hat46 • Entscheidend ist auf haftungsrechtlichem Gebiet wiederum der Eingriff in subjektive Vermögenspositionen, in einen durch vertrauensbedingte Dispositionen erlangten Besitzstand47 • Maßgebliches Gewicht kommt hier dem Verfestigungsgrad der tangierten Vermögensposition ZU48 • Bei wirtschaftsordnenden Normen kollidiert das Individualinteresse an der Rechtskontinuität oft mit dem Bedürfnis, durch Anpassung der Rechtslage mit dem sich unablässig wandelnden Wirtschaftsgeschehen Schritt zu halten49 • Dies zwingt zu einer einzelfallbezogenen Abwägung. Anders als bei personal- oder statusbezogenen "wohlerworbenen" Rechten geht es bei Vergünstigungen im Zuge wirtschaftsordnender Maßnahmen meist nicht um Regelungen im Individualinteresse. Im Vordergrund steht vielmehr - vor allem auf dem Agrarsektor - die Abwehr von Störungen des Leistungswettbewerbs und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Marktorganisation. Ein Beispiel bildet das ständig neugestaltete System des Ausgleiches von wettbewerbsverzerrenden WährungsschwankungenSO. Häufig liegt die 43 Vgl. Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 7.6.1977 in der Rs. 114176, Bela-Mühle, Slg. 1977, 1230 ff. 44 Zum Schutz des Vertrauens auf Rechtskontinuität eingehend Fuß, in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S. 201 ff.; siehe auch oben, § 5 IV. 45 Dazu m. w. Nachw. Fuß (Fn. 44), S. 203 ff. 46 Schlußanträge vom 15.3. 1973 in der Rs. 81172, Slg. 1973, 592 ff. 47 Vgl. Fuß (Fn.44), S.206. Siehe auch BGHZ 65, 155, 163 (zum Vertrauens-

schutz bei Interventionen auf dem EWG-Getreidemarkt). 48 Generalanwalt Trabucchi, Schlußanträge vom 23.4. 1975 in der Rs.74174, CNTA, Slg.1975, 555 ff.; ders., Schluß anträge vom 12.11.1975 in den verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100175, Cooperatives AgTicoles de Cereales, Slg. 1975, 1643 f.; Fuß (Fn.44), S. 208 ff. Vgl. auch BGHZ 65, 155, 164. 49 Fuß (Fn.44), S. 204, 211 f.

111. Eingriff in die subjektive Rechtssphäre

121

durch wirtschaftssteuernde Regelungen bewirkte Vergünstigung darin, daß wirtschaftliche Risiken wie etwa die Änderung von Wechselkursen, mit denen die Tätigkeit der betroffenen Unternehmen von vornherein belastet ist, durch Währungsausgleichsbeträge oder sonstige Leistungen auf die Allgemeinheit verlagert werden. Auch dann, wenn durch solche Maßnahmen subjektiv-öffentliche Rechte begründet werden wie der Anspruch auf den Ankauf von Agrarerzeugnissen durch die staatlichen InterventionssteUen, stehen diese Vergünstigungen in der Regel zur Disposition der Rechtsetzungsorgane51 • Der Entzug solcher Vergünstigungen führt grundsätzlich zur Wiederherstellung der ursprünglichen Risikoverteilung und verletzt allein dadurch noch keine Rechtsposition mit Bestandsschutz52 • An einem Bestandsschutz wird es meist auch deshalb fehlen, weil Gegenstand dieser mit einer wirtschaftsordnenden Zielsetzung geschaffenen Berechtigungen eine "freiwillige" Leistung aus öffentlichen Mitteln bildet, hinter der kein Einsatz unternehmerischer Mittel steht53 • Anders verhält es sich, wenn der betroffene Marktbürger einmal nach bislang geltendem Recht einen festen Besitzstand erlangt hat, der über eine bloße Erwerbschance hinausgediehen ist54• Eine derartige subjektive Rechtsstellung mit Bestandsschutz wird man dann anerkennen müssen, wenn die Normadressaten im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage Vermögensdispositionen durchgeführt haben, die nicht oder nur mit Verlust rückgängig gemacht werden können. So hat der EuGH im CNTA-Fall die im Vertrauen auf die Kontinuität von Währungsausgleichsregelungen getätigten Dispositionen für schutzwürdig erachtet; die von den Klägern wirksam abgeschlossenen Lieferverträge, für die sie sich gegen eine Kautionszahlung unter Vorausfestsetzung des Erstattungsbetrages Ausfuhrlizenzen hatten erteilen lassen, konnten nach der Abschaffung der Ausgleichsbeträge für den betroffeden Agrarsektor und der damit verbundenen "Rücküberbürdung des Wechselkursrisikos" weder ohne Verluste rückgängig gemacht noch ohne Einbußen durchgeführt werden55 • Daß es hierbei um den Schutz unter50 EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs. 74174, CNTA, Slg. 1975, 533, 549; Urteil vom 10. 12. 1975, verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100175, Cooperatives Agricoles de Cereales, Slg. 1975, 1615, 1636 ff.; dazu Fuß (Fn.44), S. 212 f. 51 Fuß (Fn.44), S. 211 f.; vgl. auch BVerfGE 45, 142, 168 ff. 52 Vgl. EuGH, Urteil vom 14.5.1975, RS.74174, CNTA, Slg.1975, 533, 549; Urteil vom 17.3.1976, verb. Rs. 67 bis 85175, Lesieur, Slg.1976, 391, 410 f.; Generalanwalt Trabucchi, Schluß anträge vom 12.11.1975 in den verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100175, Co operatives Agricoles de Cereales, Slg. 1975, 1641 ff. 53 Vgl. BGHZ 65, 155, 163. 54 Vgl. BGHZ 65, 155, 164 im Hinblick auf die Abschaffung von Interventionsregelungen für den EWG-Agrarmarkt. 55 EuGH, Urteil vom 14.5. 1979, Rs. 74174, Slg. 1975, 533, 549.

122

§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

nehmerischer Aufwendungen und Vermögensdispositionen und nicht von Gewinnerwartungen geht, zeigt sich daran, daß sich die Haftung der Gemeinschaft nur auf den Ausgleich aktueller Einbußen (das "damnum emergens") und nicht auch auf den Ersatz entgangenen Gewinns erstreckt56 • Die Grenzen des Vertrauensschutzes hat der EuGH etwa in der Entscheidung Cooperatives Agricoles de Cereales aufgezeigt: Dispositionen, die zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die Änderung der Rechtslage absehbar war, begründen keinen Bestandsschutz57 • Dabei schraubt der Gerichtshof die im Einzelfall gestellten Anforderungen an die Aufmerksamkeit und juristische Sachkenntnis der Betroffenen - etwa im Hinblick auf Initiativen der Rech"bsetzungsorgane zur Änderung von Vorschriften oder auf di'e Begründung von Verordnungen - oft übermäßig hoch58 • Zu gleichen Ergebnissen gelangt man, wenn man wie im deutschen Recht für den Eingriff in Vermögenspositionen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die Eigentumsgarantie heranzieht59 • Vermögensrechtliche Vergünstigungen, die der Abwehr von vorübergehenden Störungen des Warenverkehrs und des Wettbewerbs dienen, die nicht auf langfristige Dispositionen der betroffenen Marktbürger zielen und die sich lediglich als einseitige Gewährung der öffentlichen Hand darstellen, bilden regelmäßig noch keine eigentumsähnlich verfestigte Rechtsposition60 • Der Eigentumsschutz setzt dort ein, wo der Bürger wirksam eine in die Substanz seines Gewerbetriebes oder sonst in sein Vermögen eingegangene Vergünstigung im Sinne eines "gesicherten Besitzstandes" gewonnen hat61 oder wo die frei:e Verfügung über bereits vorhandene Vermögensgüter des Bürgers tangiert wird62 •

IV. Verletzung einer "höherrangigen" Rechtsnorm Nach der Rechtsprechung des EuGH muß die Verletzung einer "höherrangigen" Rechtsnorm gegeben sein. Dabei ist unklar, ob es sich um eine durch ihren Gehalt und ihre Bedeutung innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung besonders herausgehobene Rechtsnorm handeln EuGH (Fn. 55), Slg. 1975, 549 f. EuGH, Urteil vom 10. 12. 1975, verb. Rs. 95 bis 98174, 15 und 100/75, Slg. 1975, 1615, 1638 ff. 58 Dazu m. w. Nachw. Fuß (Fn.44), S. 205 f. 59 Vgl. BVerfGE 36, 281, 293; 45, 142, 168 ff.; BGHZ 65, 155, 169 f.; BGH, NJW 1980, 2700, 2701. 60 Vgl. BGHZ 65,155, 169; Fuß (Fn. 44), S.211. 61 BGHZ 65,155, 164, 169. 62 BGH, NJW 1980, 2700, 2701. 56

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IV. Verletzung einer "höherrangigen" Rechtsnorm

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mußI. Die Verletzung einer im Sinne der Rechtsnormenhierarchie höherrangigen Vorschrift ist schon begrifflich der Rechtswidrigkeit immanent und bedürfte eigentlich keiner weiteren Hervorhebung. Fordert man die Verletzung einer im materiellen Sinne höherrangigen Norm, so hätte dies vor allem bei Durchführungsverordnungen, deren Rechtswidrigkeit sich in einem Verstoß gegen die zugrundeliegende Verordnung erschöpft, eine empfindliche Haftungseinschränkung zur Folge. Der Gerichtshof hat etwa beim Diskriminierungsrverbot des Art. 40 Abs. 3 Unterabs. 2 EWGV die "Wichtigkeit" dieses Grundsatzes "im System des Vertrages" betont2 • Auf der anderen Seite hat der Gerichtshof nicht erkennen lassen, nach welchen Kriterien sich der besondere Rang einer Vorschrift bemessen soll. Im CNTA-Fall hat der EuGH unmittelbar von der rechtswidrigen Beeinträchtigung berechtigten Vertrauens auf die Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm geschlossen3• Im übrigen prüft der Gerichtshof zunächst den geltend gemachten Rechtsverstoß als solchen und nicht die Bedeutung der angeblich verletzten No'rm4; dies gilt auch dann, wenn der Verstoß gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht gerügt wirds. Für die Anknüpfung an die Verletzung von "Grundrechten" oder von allgemeinen Rechtsgrundsätzen mit Grundrechtsrang spricht der Aspekt eines "sekundären Grundrechtsschutzes"6; aber auch einfache subjektive Rechte müssen gegen Rechtsetzungsakte haftungsrechtlich geschützt sein7 • Eine Haftungsbeschränkung auf die Verletzung von Normen mit Grundrechtscharakter und andere zentrale Vorschriften des primären Gemeinschaftsrechts hätte bei Ratsverordnungen kaum eine ins Gewicht fallende FilterwirkungB. Bei Durchführungsvorschriften kann die Verletzung der zugrundeliegenden Verordnung gelegentlich schwerer wiegen als der Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze9. Außerdem findet das Erfordernis der Verletzung eines Grundrechts oder eines sonstigen zentralen Rechtsgrundsatzes auf rechtsvergleichenI Dazu Cahier, in: Melanges offerts a P. Reuter, 1981, S. 134 ff.; Gilsdorf, in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn. 70. 2 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, Slg. 1978, 1209, 1224; Urteil vom 4. 10. 1979, Rs.238178, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, 2973. 3 EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs. 74174, Slg. 1975, 533, 549. 4 Cahier (Fn. 1), S. 135. S Vgl. etwa das Urteil im CNTA-Fall (Fn. 3), Slg. 1975, 547 f. 6 Vgl. Fuß, EuR 1978, 356, 360. 7 In diesem Sinne zum Vertrauensschutz Fuß, in: Festschrift für H. Kutscher, 1981, S.207. 8 Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 70. 9 Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 70.

124

§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

der Ebene keine hinreichende Stütze, wenn man die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaftsorgane dem Verwaltungshandeln zuordnet; denn weder das deutsche noch das französische, belgische, niederländische oder englische Recht kennen bei rechtswidrigen Verordnungen der Exekutive eine solche Haftungsbegrenzung. Daher sprechen die besseren Gründe dafür, sich auch bei der Haftung für Rechtsetzung.sakte mit dem Verstoß gegen eine im Sinne der Normenhierarchie höherrangige Vorschrift zu begnügenlO •

V. "Hinreichende Qualifizierung" der Rechtsverletzung 1. Uberblick

Unter den von der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Haftungsmaßstäben wirft die Formel von der "hinreichenden Qualifikation" der Rechtsverletzung besonders intrikate Probleme auf. Obwohl dieses Haftungsmerkmal ständig in der Judikatur wiederkehrt, hat sich der Gerichtshof lange Zeit nicht veranlaßt gesehen, es näher zu präzisieren. Generalanwalt Roemer faßte unter den Begriff der qualifizierten Rechtsverletzung zunächst den ,,'besonder:s krassen Verstoß gegen Rechtsregeln"I. In die gleiche Richtung zielte Generalanwalt Reischl, wenn er im Zusammenhang mit der gerügten Verletzung des Diskriminierungsverbotes einen "besonders deutlichen Verstoß gegen dieses Prinzip, eine offensichtliche, schwere Mißachtung seines Grundgehalts" verlangte2. Noch im CNTA-Fall begnügte sich der Gerichtshof mit der Feststellung, die Kommission habe bei der Abschaffung von Ausgleichsbeträgen ohne zwingende Gründe keine Übergangsregelungen zum Schutz des berechtigten Vertrauens der betroffenen Unternehmer vorgesehen, "mithin" eine höherrangige Rechtsnorm verletzt und "infolgedessen" eine Haftung der Gemeinschaft begründet3• Daher lag es in der Folgezeit nahe, dem Kriterium der qualifizierten Rechtsverletzung eine echte haftungseinschränkende Funktion überhaupt abzusprechen4• Eigenständige Bedeutung hat das Merkmal der qualifizierten Recht,sverletzung zum erstenmal im HNL-UrteiP erlangt, nachdem dort der beanstandete Rechtsetzungsakt vorher in mehreven Vorab entscheidungs10

So Cahier (Fn. 1), S. 135; Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 70.

Schluß anträge vom 18.9.1973 in den verb. Rs. 63 - 69/72, Werhahn, Slg. 1973, 1259. 2 Schluß anträge vom 8.5. 1974 in der Rs. 153173, Holtz & Willemsen, SIg. 1974, 705. 3 EuGH, Urteil vom 14. 5. 1975, Rs. 74174, SIg. 1975, 533, 549. 4 Vgl. Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 1. 3. 1978 in den verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, SIg. 1978, 1231 f. 5 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, SIg. 1978, 1209. 1

V. "Hinreichende Qualifizierung" der Rechtsverletzung

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verfahren wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot für ungültig erklärt worden war. Der Rat argumentierte, nur die besonders deutliche und schwere Mißachtung eines Rechtsgrundsatzes könne eine Gemeinschaftshaftung auslösen6 • Die Kommission wollte eine qualifizierte Rechtsverletzung erst dann als gegeben ansehen, wenn einem umgrenzten Personenkreis ein schwerer Schaden zugefügt worden war7 • Demgegenüber plädierte Generalanwalt Capotorti dafür, stattdessen auf das Gewicht abzustellen, das der verletzten Norm "aufgrund ihves Inhalts und ihrer Funktion innerhalb des Systems" zukommt8• Der Gerichtshof folgte weitgehend der Argumentation von Rat und Kommission und konkretiS!ierte den Begriff der qualifizierten Rechtsverletzung durch besondere Anforderungen an das Fehlverhalten der Rechtsetzungsorgane und an dessen Auswirkungen. Diese Haftungseinschränkung hat der EuGH unter Berufung auf allgemeine Rechtsgrundsätze mit der Überlegung gerechtfertigt, daß die Haftung der Gemeinschaft bei Maßnahmen mit wirtschaftspolitischem Einschlag nicht zu einer Lähmung der Gesetzgebungstätigkeit ihrer Organe führen dürfe. Daher komme eine Gemeinschaftshaftung bei normativem Unvecht nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen in Betracht9• Auf dieser restriktiven Linie bewegt sich auch die spätere Judikatu rIo. Im Amylum-Fall führte der Gerichtshof für seine haftungseingrenz-ende Formel die weiteve, erstaunl.iche Begründung an, bei der Durchführung von Rechtsetzungsakten der Gememschaftsorgane durch nationale Behörden könne srich der Marktbürger, der sich durch die Gemeinschaftsregelung verletzt fühlt, vor den innerstaatlichen Gerichten gegen den nationalen Durchführungsakt zur Wehr setzen. Die Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftsnorm könne dann im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EWGV geklärt werden: "Diese Klagemöglichkeit ist bereits geeignet, den Schutz der einzelnen wirksam sicherzustellenlI." Mit der Eigenständigkelit der Schadensersatzklage im Rechtsschutzsystem des EWGV ist diese Argumentation kaum in Einklang zu bringen. Slg. 1978, 1216. Slg. 1978, 1214 f. 8 Schlußanträge vom 1. 3. 1978, Slg. 1978, 1232. 9 Slg. 1978, 1224 f. 10 EuGH, Urteil vom 4. 10. 1979, Rs.238/78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, 2972 ff.; Urteil vom 4. 10. 1979, verb. Rs. 241, 242, 245 bis 250/78, DGV, Slg. 1979, 3017, 3038 ff.; Urteil vom 4.10.1979, verb. Rs. 261 und 262/78, Interquell Stärke-Chemie, Slg. 1979, 3045, 3063 ff.; Urteil vom 4. 10. 1979, verb. Rs. 64 und 113/76, 167 und 239/78, 27, 28 und 45/79, Dumortier Freres, Slg.1979, 3091, 3113 ff. 11 EuGH, Urteil vom 5.12.1979, verb. Rs. 116 und 124/77, Slg.1979, 3497, 3560. 6 7

126

§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

2. Schwerwiegendes Fehlverhalten der ReclJ.tsetzungsorgane

Seit dem HNL-Urtell fordert der Gerichtshof für eine Haftung bei normativem Unrecht einen evidenten und schwerwiegenden Rechtsfehler: "Auf einem Rechtsetzungsgebiet wie dem vorliegenden, das durch ein für die Durchführung der gemeinsamen AgrarpoEtik unerläßliches weites Ermessen gekennzeichnet ist, kann die Haftung der Gemeinschaft ... nur ausgelöst werden, wenn das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten hat I2 ." Während der EuGH im HNL-Urteil letztlich auf die - freilich in das Fehlverhalten der Gemeinschaftsorgane eingespiegelten - Auswirkungen der beanstandeten Vorschrift abgestellt hat, hat er in den lsoglucose-Fällen zum erstenmal eine Schadensevsatzklage wegen einer rechtswidrigen Regelung ausdrücklich daran scheitern lassen, daß der Fehler nicht schwer genug wiege: Die inkl'iminierte Produktionsabgabenregelung habe zwar den Isoglucosehersvellern gegenüber den Zukkerherstellern eine "offenkundig unbillige" Mehrbelastung auferlegt, aber dabei habe der Rat die Grenzen seines Ermessens doch nicht so "offenkundig und erheblich" überschritten, daß die Haftung der Gemeinschaft begründet sei13 • Schon diese Poten:zJierung der Evidenz von Rechtsßehlern, die schwer verständliche Differenzierung zwischen "offenkundiger Unbilligkeit" -einerseits und "offenkundiger und erheblicher Ermessensübel'schreitung" andererseits machen deutlich, wie sehr das Erfordernis des krassen Ermessensfehlgebrauchs an mangelnder begrifflicher Schärfe leidet. Hier handelt es sich um eine Elinzelfalljudikatur, deren Ergebnisse nur schwer zu prognostizieren sind. Die Argumente gegen das Vorliegen eines schwerwiegenden Ermessensfehlgebrauchs hätten den Gerichtshof konsequenterweise dazu bringen müssen, schon in den vorausgegangenen Vorabentscheidungsverfahl'en d9.e Verletzung des Diskrrl.minierungsvel"lbotes zu verneinen l4 , wie es Generalanwalt ReischI mit guten Gründen vorgeschlagen hatte l5 • Ob der Gerichtshof die an ein schwerwiegendes Fehlverhalten der Gemeinschaftsorgane anknüpfende Haftungseinschränkung der Ebene des Unrechts oder der des Verschuldens zuordnen will, läßt sich nicht ohne weiteres beantwortenl6 • Generalanwalt Capotorti scheint dieses 12 EuGH, Urteil vom 25.5. 1978, verb. RS.83 und 94176, 4, 15 und 40177, Slg. 1978, 1209, 1225. 13 EuGH, Urteil vom 5.12.1979, verb. Rs. 116 und 124177, AmyZum, Slg.1979, 3497, 3561. Dabei spielte die überlegung eine Rolle, daß nicht die Abgabe als solche, sondern nur ihre Berechnungsmethode und Höhe rechtswidrig war. 14 GiZsdorf, in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn. 69. 15 Schlußanträge vom 20.6.1978 in der Rs.125177, Koninklijke SchoZfenHonig, Slg. 1978, 2025 ff. Schluß anträge vom 23. 10. 1979 in den verb. Rs. 116, 124 und 143177, AmyZum, Slg. 1979, 3567.

V. "Hinreichende Qualifizierung" der Rechtsverletzung

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- von ihm abgelehnte - Haftungsmerkmal zum Verschulden zu rechnen17 • Demgegenüber siedeln die Generalanwälte Roemer18 und Reischzt9 die Schwere des Rechtsverstoßes im Rahmen der Rechtswidrigkeit an. Jedenfalls wivd in den jüngeren Entscheidungen des EuGH ein Verschuldensvorwurf nicht näher geprüft. Am sinnvollsten dürfte es sein, Überschreitungen des den Rechtsetzungsorganen eingeräumten Gestaltungssprelraumes durchgehend als Element des Unrechts und nicht des Verschuldens einzustufen2O • Die Prüfung der Ermessensüberschreitung unter dem Topos der "qualifizierten Rechtsverletzung" ist unglücklich und irreführend. Konzediert man - wie es mit Recht der EuGH tut - den Gemeinschaftsorganen einen weiten Gestaltungsspielraum für ihre Rechtsetzungstätigkeit, dann ist es wenig überzeugend, als Haftungsmerkmal eine offenkundige und erhebliche überschreitung der ohnehin großzügig bemessenen Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten zu verlangen21 • Es leuchtet nicht ein, wenn bei einer ausdrücklich festgestellten Diskriminierung den "offenkundig unbillig" behandelten Unternehmen ein Ausgleich selbst für erhebliche Einbußen deshalb abgesprochen wird, weil der Ermessensfehler nicht eklatant genug gewesen sei22 • Auch der rechtsvergleichende Ansatz des HNL-Urteils, in den Mitgliedstaaten löse das Verhalten des primär dem Allgemeininteresse verpflichteten Gesetzgebers nur ausnahmsweise Ersatzansprüche aus23 , stützt die Restrliktion der Gemeinschaftshaftung durch überspannte Anforderungen an das Fehlverhalten der Rechtsetzungsorgane nicht. Die haftungsrechtliche Privilegierung von Gesetzgebungsakten beruht vornehmlich auf einer fehlenden oder sehr begrenzten Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Gerichte, etwa in Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden oder in Großbritannien. Demgegenüber unterliegen die Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane einer umfassenden Ermessenskontrolle. Im übrigen ist in den nationalen Rechtsordnungen, soweit dort eine Haftung für normatives Unrecht besteht, das Erfordernis eines eklatanten Rechtsverstoßes als Haftungsmerkmal unbekannt. Dazu Gilsdorf (Fn. 14), Art. 215 Rn. 45. Schlußanträge vom 1. 3.1978 zum HNL-Urteil, Slg. 1978, 1233. 18 Schluß anträge vom 18.9.1973 in den verb. Rs. 63 - 69172, Werhahn, Slg. 1973, 1259. 19 Schluß anträge vom 8. 5. 1974 in der Rs. 153173, Holtz & Willemsen, Slg. 1974, 705, 707. 20 Vgl. Stein, EuGRZ 1979, 541. 21 Fuß, in: Festschrift für F. A. von der Heydte, 1. Halbbd. 1977, S. 177 f.; Stein, EuGRZ 1979, 541; vgl. auch Generalanwalt ReischI, Schluß anträge vom 23.10.1979 in den verb. Rs. 116, 124 und 143177, Amylum, Slg.1979, 3571. 22 In gleichem Sinne Gilsdorf (Fn. 14), Art. 215 Rn. 69. 23 Slg. 1978, 1224. 16

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

Damit erweist sich das Erfordernis eines offenkundigen und grav~e­ renden Rechtsverstoßes bei normativem Unrecht sowohl rechtsvergleichend als auch im Rechtsschutzsystem des EWGV als ein Fremdkörper, auf den man im Rahmen von Art. 215 Abs.2 EWGV verzichten sollte24 • Wie es scheint, hat der Gerichtshof das Bedürfni:s nach einer Haftungseinschränkung durch das Merkmal des schwerwiegenden Rechtsverstoßes dadurch selbst geschaffen, daß er - wie in den Magermilchpulver- oder in den Isoglucose-Fällen - gelegentlich eine wettbewerbsrelevante Diskriminierung im Sinne von Art.40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV recht großzügig bejaht hatte. 3. Qualifizierende Auswirkungen der Rechtsverletzung

Im HNL-Urteil hat der EuGH eine Schadensersatzpflicht der Gemeinschaft mit dem Argument verneint, die die Käufer von proteinhaltigem Mi:schfutter diskriminierende Verordnung habe sehr große Gruppen von Marktteilnehmern betroffen und habe nur in bescheidenem Umfang Belastungen mit sich gebracht: "Die Auswirkungen der Verordnung auf die Ertragskraft der Unternehmen überschritt alles in allem nicht den Umfang der wirtschaftlichen Risiken, die der Täägkeit auf den betroffenen Agrarsektoren innewohnen25 ." Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof in den Fällen der Quellmehl- und der Maisgritz-Haftung fortgeführt. Dort hat der EuGH der kleinen Zahl der tangierten Unternehmen und dem Ausmaß der von ihnen erlittenen Einbußen entscheidendes Gewicht beigemessen26 • Für eine auf die Auswirkungen des Verstoßes abstellende Haftung'seingrenzung27 bieten sich mehrere Ansatzpunkte an: Die Rechtsprechung des französischen Conseil d'Etat zur "responsabilite du fait des lois", dde Sonderopferlehre des deutschen Rechts und die Regelung des Art. 34 EGKSV. Inwieweit sich die dort enthaltenen Rechtsgedanken für die Haftung nach Art. 215 Abs.2 EWGV übernehmen lassen, ist umstritten. Einigkeit scheint jedenfalls darüber zu herrschen, daß über strenge Schadenskriterien nicht das Merkmal des unmittelbaren und individuel24 Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge zum HNL-Urteil, Slg. 1978, 1233; Fuß (Fn.21), S.178; Gilsdorf, EuR 1975, 104; ders. (Fn.14) Art.215 Rn. 69; Stein, EuGRZ 1979, 541 f.

25 EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15 und 40/77, Slg. 1978, 1209, 1225. 26 EuGH, Urteil vom 4. 10. 1979, Rs.238/78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, 2973; Urteil vom 4.10.1979, verb. Rs. 241, 242, 245 bis 250/78, DGV, Slg. 1979, 3017, 3038 f.; Urteil vom 4.10. 1979, verb. Rs. 261 und 262/78, Interquell, Slg. 1979, 3045, 3064 f.; Urteil vom 4. 10. 1979, verb. Rs. 64 und 113/76, 167 und 239/78,27,28 und 45/79, Dumortier Freres, Slg. 1979, 3091, 3114. 27 In diesem Sinne Gilsdorf, EuR 1975, 104 ff.; ders. (Fn. 14), Art. 215 Rn. 71 unter Nuancierung seiner früher vertretenen Auffassung.

V. "Hinreichende Qualifizierung" der Rechtsverletzung

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len Betroffenseins im Sinne von Art. 173 Abs.2 EWGV bei der Schadensersatzklage auf Begründetheitsebene eingeführt werden darf28 • Das Konzept des Schadensausgleichs bei einem "prejudice special et grave" wurde vom französischen Conseil d'Etat unter Rückgriff auf den Grundsatz der Lastengleichheit im Hinblick auf die Haftung für Gesetze entwickelt29 • Sein Anwendungsbereich beschränkt sich ausschließlich auf solche Legislativ- und Administrativakte, die für rechtmäßig erkannt worden sind oder keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen und daher per se als rechtmäßig gelten. Soweit das französische Recht eine Staatshaftung für normatives Unl"'echt kennt, ist diese nicht mit besonderen Anforderungen an die Zahl der Geschädigten oder an die Schwere des Schadens gebunden. Dieser Befund steht einer Heranziehung der von der französi:schen Judikatur an die Auswirkungen rechtmäßiger Hoheitsakte geknüpften Haftungskriterien im Rahmen von Art. 215 Abs. 2 EWGV entgegen30 • Allerdings hat die französische Rechtsprechung zum "prejudice special et grave" eine Parallele in Art. 34 EGKSV geflIDden. Diese Vorschrift gewährt den von e.iner für nJichtig erklärten Entscheidung oder Empfehlung betroffenen Unternehmen oder Unternehmensgruppen Ausgleichsansprüche wegen des von ihnen erlittenen "unmittelbaren und besonderen" Schadens. Gegen eine übernahme dieser Haftungsvoraussetzung 'spricht, daß in den Wortlaut von Art. 215 Abs.2 EWGV das Merkmal des besonderen und unmittelbaren Schadens gerade keinen Eingang gefunden hat3!. Der Rekul"'s auf den Sonderopfergedanken des deutschen Rechts zur Einführung spezieller Schadenskl"'irerien in den Bereich von Art. 215 Abs. 2 EWGVist ebenfalls dem Einwand ausgesetzt, daß er eigentlich nicht auf rechtswidrige (oder rechtswidrig-schuldhafte) Eingriffe zugeschnitten ist32 • Das gleiche gilt für Aufopferungsansprüche bei E1n28 Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 1. 3.1978 zum HNL-Urteil, Slg.1978, 1236; Fuß (Fn.21), S. 180 f.; Gilsdorj (Fn.14), Art. 215 Rn. 71. 29 Dazu oben, § 4 III 4. 30 Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 1. 3.1978 zum HNL-Urteil, Slg.1978, 1234; Cahier, in: Melanges offerts a P. Reuter, 1981, S.128; Fuß (Fn.21), S.183 Fn.39; Stein, EuGRZ 1979, 541. Vgl. demgegenüber Gilsdorj (Fn. 14), Art. 215 Rn. 68, 71. Die Meinung, bei der Haftung wegen "rupture de l'egalite devant les charges publiques" handele es sich im Grunde um eine Rechtswidrigkeitshaftung (so Hennann, EuR 1980, 67 Fn. 33 a), übersieht, daß einmal in Kraft getretene Legislativakte nicht an höherrangigem innerstaatlichen Recht gemessen werden und daß der parlamentarische Gesetzgeber nicht unbedingt an den Grundsatz der Gleichheit der öffentlichen Lasten gebunden ist (vgl. auch Auby, DÖV 1955, 538). 3! Vgl. Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 1. 3.1978 zum HNLUrteil, Slg. 1978, 1236. 32 Vgl. Fuß (Fn.21), S.181; zur ursprünglichen Beschränkung des auf dem Grundsatz der Lastengleichheit fußenden Aufopferungsanspruches auf rechtmäßige Eingriffe Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 2. Auf!. 1978, S. 77.

9 Herdegen

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

griffen in das Eigentum im englischen Recht33 • Daneben ist zu berücksichtigen, daß beim enteignungsgleichen Eingriff durch Rechtssatz dem Merkmal des Sonderopf.ers IlIicht die gleiche Bedeutung zukommt wie beim Eingriff durch Einz-elakt. Bei rechtswidrigen Gesetzgebungsakten löst nicht schon jede Eigentumsbeeinträchtigung einen Ersatzanspruch aus, sondern erst der über die Sozialbindung hinausgehende und deswegen rechtswidrige Eingriff34 ; denn der Gesetzgeber ist anders als die Verwaltung im Rahmen der Sozialbindung zur entschädügungslosen Eigentumsbelastung befugt. Auch die Rechtsetzungsorgane der Gemeinschaft haben die Möglichkeit, das Eigentum "im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation und aus strukturpolitischen Gründ'en"zu beschränken35 • Umgekehrt spielen bei einer über die Sozialpflichtigkeit hinausgehenden Eigentumsbeeinträchtigung die Verletzung des Gleichheitssatzes und die Spezialität des Schadens keine Rolle mehr36• Entscheidend gegen die Heranziehung des Sonderopfergedanken:s spricht, daß sie bei der Haftung für normatives Unrecht auf Gemeinschafmebene zu -einer Kumulation von Haftungselementen aus wesensverschiedenen Systemen führt 37 • Die für eine Ersatzpflicht ausschlaggebende Nähebeziehung zwischen dem Geschädigten und der öffentlichen Gewalt, die nach der Sonderopferlehre durch die besondere Einbuße hergestellt werden sol ps, ist bereits mit der Verletzung einer drittschützenden Norm gegeben. Wenn man im Rahmen von Art. 215 Abs.2 EWGV an die Verletzung einer Vorschrift mit Schutznormcharakter und damit an die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts anknüpft, ist für das Merkmal des Sonderopfers kein Raum mehr39• Dies zeigt sich deutlich bei der Haftung, wie sie das deutsche Staatshaftungsgesetz vorgesehen hat; dort kommt es neben dem rechtswidrigen Einbruch in die rechtlich geschützte Freiheitssphäre nicht auch noch auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und auf ein Sonderopfer an. Auf eine Haftungseindämmung von der Zahl der Ersatzberechtigten her 2lielt auch die Auffassung, die die Haftung der Gemeinschaft auf Rech'bsetzungsakte beschränken will, die den Charakter von EinzelDazu oben, § 4 VIII 3. Vgl. Oldiges, Der Staat 19-76, 399 ff.; SeImer, Der Aufopferungsanspruch auf vermögensrechtlichem Gebiet, Diss. Frankfurt/Main, 1965, S. 103 f. Anders Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht? 1963, S.58. 35 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.12.1979, Rs.44/79, Hauer, Slg. 1979, 3727, 3747. 36 Vgl. BGHZ 30, 338, 341; 60, 145, 147. 37 Fuß, EuR 1968, 362 f.; ders. (Fn. 21), S. 182 ff. 3S Gilsdorf, EuR 1975, 105. 39 Fuß (Fn.21), S. 182; ähnlich Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 1. 3. 1978 zum HNL- Urteil, Slg. 1978, 1236 f. 33

34

V. "Hinreichende Qualifizierung" der Rechtsverletzung

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fall- oder Maßnahmegesetzen haben oder zumindest in ihren Auswirkungen einer Individualregelung nahekommen. Dabei handelt es sich teils um einen mit der Sonderopferlehre verknüpften Gedanken4O , teils um ein davon unabhängiges Konzept 1• Die Beschränkung auf Regelungen mit Maßnahmecharakter dürfte gerade bei den wirtschaftso'rdnenden Verordnungen -der Gemeinschaftsorgane nicht die gewünschte Filterwirkung haben. Vor allem fehlt der Anknüpfung an den Einzelfall- oder den Maßnahmecharakter eine rechtsvergleichende Grundlage. Dieses Konzept geht wohl von einem Amtshaftungssystem aus, das die Verletzung einer dr.ittbezogenen Amtspflicht von der Rechtswidrigkeit tl"ennt 42 • So wurde für die Staatshaftung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG lange Zeit angenommen, nur bei Maßnahme- oder EinZlelfallgesetzen könnten die davon betroffenen Einzelpersonen als "Dritte" im Sinne von § 839 BGB in einem näheren Verhältnis zu den Rechtsetzungsorganen stehen (dazu oben, § 4 I 4). Davon ist schon unter dem Amtshaftungsregime eine vordl"ingende Literaturmeinung mit dem überzeugenden Hinweis auf die amtspflichtbegründende Funktion der Grundrechte abgerückt (dazu oben, § 4 I 4). Für den Dualismus zwischen Amtspflichtverletzung und Rechtswidr,igkeit, dem im deutschen Recht das Staatshaftungsgesetz ein Ende setzen sollte, ist im Gemeinschaftsrecht kein Platz; hier richtet sich die Haftung nicht nach der Verletzung einer drä.ttbezogenen Amtspflicht, sondern nach dem Verstoß gegen einen Rechtssatz mit Schutznormcharakter43 • Auch die Haftung für enteignungsgleiche Eingriffe durch Gesetz ist nicht davon abhängig, daß es sich um Einzelfalloder Maßnahmegesetze handelt. Dies ergibt sich schon daraus, daß es bei über die Sozialpflichtigkeit hinausgehenden Eigentumsbeeinträchtigungen und den Wese11JSigehalt des Eigentums tangierenden Eingriffen nicht auf den Aspekt der Ungleichbehandlung gegenüber anderen Rechtsinhabern ankommt44 • Im übrigen kann das Abstellen auf den Grad der Generalisierung einer Norm 'in der Praxis zu erheblichen Abgl"enzungsschwierigkeiten führen. Das zeigen etwa die Schlußanträge von Generalanwalt Roemer im Werhahn-Fall 45 • Dort betraf die beanstandete Regelung einerseits z'ahlreiche Unternehmen; andererseits ließ sich sagen, daß sie für die Betroffenen, "weil sie angeblich an den Kern ihrer Existenz rührt, zumindest in die Nähe eines Maßnahmegesetzes gerückt ist". 40 41 42 43 44

45



So bei Gilsdorf, EuR 1975, 106. Ipsen, in: Festschrift für H. Jahrreiß zum 80. Geburtstag, 1974, S.96. Vgl. Fuß (Fn. 21), S. 179 ff. Fuß (Fn. 21), S. 182. Vgl. auch Fuß (Fn. 21), S. 181; Oldiges, Der Staat 1976,400. Schluß anträge vom 18.9. 1973 in den verb. Rs. 63 - 69172, Slg. 1973, 1259.

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

Auch abseits dogmatischer Erwägungen bestehen starke Bedenken dagegen, die Haftung für fehlerhafte Rechtsetzungsakte von der Zahl der Betroffenen und der Schwere des Schadens abhängig zu machen. Eine Beschränkung der Einsatzpflicht auf die Fälle, in denen ein eng umgrenzter Kreis von Personen oder Unternehmen Einbußen erleidet, würde in l'etzter Komsequenz zu bizarren Ergebnissen führen: So würden selbst existenzbedrohende Maßnahmen gerade dann keine SchadensersatzaIlJSprüche auslösen, wenn sie einen ganzen Wirtschaftszweig mit vielen Unternehmen schädigen46 • Wie diffus das Kriterium des schweren Schadens ist, hat Generalanwalt CapotoTti deutlich gemacht47 : Einbußen, die ein Großunternehmer leicht verkraften kann, können kleine Unternehmen in ernsthafte Li:quiditätSischwierigkeiten stürzen. Andererseits ist es wenig sinnvoll, bei Maßnahmen mit generellem Regel-ungsgehalt und einer gewissen Breitenwirkung das Schwerekriterium nach der Wirtschaftskraft der einzelnen betroffenen Unternehmen zu variieren48 • Demnach sprechen überzeugende Gründe dagegen, die Haftung der Gemeinschaft für normatives Unrecht durch besondere Anforderungen an das Ausmaß und die Streuung der bewirkten Einbußen einzuschränken. 4. Verletzung der Begründungspflicht

Die neuere Rechtsprechung scheint im Rahmen der "qualifiziertem Rechtsverletzung" auch dem Umstand Bedeutung beizumessen, daß die beanstandete Regelung "ohne hinreichende BegrüIl!dung" getroffen worden 1st49 • Abgesehen von einer möglichen Indizwirkung im Hinblick auf die Schwere des Rechtsverstoßes wird man jedoch einer Verletzung der Begründungspflicht keine eigenständige Rolle zusprechen können; denn der Begründungspflicht als solch-er fehlen -der Schutznormcharakter und der materielle Zuweisung!Slgehalt, so daß der in ihrer Verletzung liegende Mangel haftungsrechtlich irrelevant istso. Außerdem erscheint es wenig sinnvoll, beli. einer materiell rechtswidrigen Maßnahme eine "hinreichende Begründung" zu verlangen. Schließlich besteht bei einer Verletzung der Begründungspflicht kaum ein Kausalzusammenhang zwischen diesem Rechtsverstoß und dem eingetretenen Schaden. 46 47

Funck-Brentano / Combescot, Gazette du Palais - Doctrine 1980, 498. Schlußanträge vom 1. 3.1978 zum HNL-Urteil, Slg. 1978, 1234.

48 Vgl. auch Generalanwalt Lagrange, Schlußanträge vom 7.6.1961 in den verb. Rs. 14, 16, 17,20,24,26,27/60 und 1/61, Meroni, Slg. 1961, 382 f. 49 EuGH, Urteile vom 4.10.19179 (Fn.26), Slg. 1979, 2973; Slg. 1979, 3039; Slg. 1979,3065; Slg. 1979, 3114. 50 Vgl. Gilsdorf (Fn. 14), Art. 215 Rn. 43.

VI. Haftungsbegrenzung durch den Schutzzweck der verletzten Norm

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VI. Haftungsbegrenzung durch den Schutzzweck der verletzten Norm Hinter den erörterten Konzepten zur Qualifikation der Rechtsverletzung steht dats berechtigte Anliegen, einer Ausu~erung der Gemeinschaftshaftung entgegenzuwirken. Die Gemeinschaft ist keine Assekuranzanstalt, di-e stets für alle denkbaren unternehmerischen Einbußen aufzukommen hat, die mit Fehlentscheidungen ihrer Organe verbunden sein können. Je leichter es ist, die Gemeinschaft bei normativem Unrecht auf El'Satzlei1stungen in Anspruch zu nehmen, desto mehr könnte in ,der Judikatur die Neigung wachsen, die Rechtswidrigkeitsschwelle anzuheben. Einen wichtigen Fd.lter auf der Ebene der haftungSibegründenden Kausalität bildet schon der Ausschluß von Ersatzansprüchen in den Fällen, in denen sich der Rechtsverstoß in der Verletzung von Vorschriften ohne materiellen Zuweisurrgsgehalt erschöpft (dazu oben, § 6 111 3). Eine wirksame Haftungsbegrenzung setzt in diesem Zusammenhang aber voraus, daß man Verletzungen des Verhältnismäßtigkeitsgrundsatzes, des allgemeinen Gl'eichheitssatzes und des wettbewerbsrechtlichen Diskriminierungsverbotes deutlich auseinanderhält und bei der Verletzung von Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV den Eingriff in den fl"eiJen Wettbewerb eingehender erörtert, als dies der Gerichtshof manchmal 'getan hat, wie etwa in den Magermilehpulver- und Isoglueose-Fällen. Damit ist keine empfindl1iche Restl"iktion des kassatorischen Rechtsschutzes verbunden, da davon die Fl"age einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitspl1inzips unberührt bleibt, an die der EuGH gewiß keine übertriebenen Anforderungen stelltl. Soweit bei normativem Unrecht das Bedürfnis nach einer weiteren Haftungseingrenzung besteht, läßt 'Sich dieses Ziel mit einer Begrenzung des ersatzfähigen Schadens durch den Schutzzweck der verletzten Norm erreichen, ohne daß dafür die Formel von der qualifizierten Rechtsverletzung bemüht werden muß. So 'Schützen die Grundsätze über den freien Wettbewerb einschließlich des in Art. 40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV niederg,elegten Diskriminierungsverbotes nicht vor den Risiken, die - vor allem auf dem Agrarsektor - der unternehmerischen Betätigung vorgegeben sind 2• Solche Risiken können demnach zu einer Minderung des ersatzfähigen 1 Vgl. EuGH, Urteil vom 5.7.1977, RS.114176, Bela-Mühle, Slg.1977, 1211, 1221. 2 Vgl. Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 18.9. 1973 in den verb. Rs. 63 - 69172, Werhahn, Slg.1973, 1261 ff. (1271 f.); Generalanwalt ReischI, Schlußanträge vom 23.10.1979 in den verb. Rs. 116, 124 und 143177, Amylum, Slg. 1979, 3575 f.

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

Schadens führen. Demgegenüber gelangt die Prax:is manchmal über (summarische) Risikoüberlegungen gleich zum völligen Haftungsausschluß3. Auch bei Verstößen gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes zeigt sich, daß der Schutzzweckgedan~e eine ausreichende Haftungsbegrenzung gewährleistet und dabei den auf die Schwere oder besondere Auswirkungen des Rechtsverstoßes abstellenden Konzepten überlegen ist. Würde man das ohnehin flexible Institut des Vertrauensschutzes im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität mit solchen qualifizierenden Elementen befrachten, bestünde die Gefahr einer diffusen Wertungskasuistik. Bezeichnenderweise ist der EuGH im CNTA-Urteil auf die Qualifikation der Rechtsverletzung nicht näher eingegangen und hat den ersatzfähigen Schaden nach der Reichweite des berechtigten Vertrauens begrenzt4• Verknüpft man den Grundsatz des Vertrauensschutzes mit dem Schutz der subjektiven Vermögenssphäre, so gelangt man mit der Schutzzwecktheorie zu einer Beschränkung der Haftung auf die Beinträchtigung der im Vertrauen auf Rechtskontinuität getätigten VermögeIl&dispositionen. Als ernatzfähig erwe.ist sich demnach in der Hegel nur die Einbuße an aktuellen Vermögenswerten. So können Exportunternehmen bei der nicht vorhersehbaren Aufhebung von Währungsausgleichsbeträgen wegen der dadurch bewirkten Störung bereits abgeschlossener Geschäfte nur echte Verluste wie verlorene Investitionen oder davon veranlaßte Leistungen an die Vertragspartner ernetzt verlangen; dagegen besteht kein Anspruch auf Zahlung der Ausgleichsbeträge als solche oder auf Ersatz entgangenen Gewinns5• Entscheidend .ist dabei, daß sich insoweit das Interesse der betroffenen Unternehmen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht zu einem subjektiven Recht verdichtet hat, das nicht zur Disposition der Rechtsetzungsorgane steht6 • Der Grundsatz des Vertrauensschutzes soll nicht vor dem Entzug von Leistungen schützen, auf die ohne den geänderten Rechtssatz kein Anspruch besteht, sondern davor, daß der Marktbürger, der im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage Vermögensdispositionen getroffen hat, dadurch Einbußen erleidet7• 3

Vgl. EuGH, Urteil vom 25.5.1978, verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177,

HNL, Slg.1978, 1209, 1225; an das HNL-Urteil anknüpfend Generalanwalt

ReischI (Fn. 2), Slg. 1979, 2575 f. 4 EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs. 74174, Slg. 1975, 533, 549 f. 5 EuGH (Fn. 4), Slg. 1975, 549 f. 6 Gilsdorf, in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215, Rn. 53. 7 Vgl. Generalanwalt Trabucchi, Schluß anträge vom 12. 11. 1975 in den verb. Rs.95 bis 98174, 15 und 100175, Co operatives Agricoles de Cereales, Slg. 1975, 1643 f.; Generalanwalt Capotorti, Schluß anträge vom 12.9. 1979 in der Rs. 238178, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 3002 f.

VII. Verschulden

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Das hier vertretene Konzept begnügt sich ,auf Unrechtsebene mit dem Verstoß gegen eine drittschützende Rechtsnorm UIl!d der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts und stellt die Bez~ehung zwischen Rechtswidrigkeit und haftungsausläsendem Unrecht über das Merkmal des Eingriffs in dJie rechtlich geschützte subjektive Freiheitssphäre her. Dieser Ansatz ist durch eine deutliche Parallele zum neuen deutschen Staatshaftungsgesetz gekellJIlzeichnet. Auch im französischen, belgischen, n~ederländischen und englischen Recht setzt die Haftung für fehlerhafte Rechtsetzungsakte auf Unrechtebene allenfalls die Verletzung eines subjektJiven Rechts voraus. Der Verzicht auf zusätzliche "qualifizierende" Haftungsmerkmale, denen scharfe Konturen fehlen und die Rechtswidrigkeit und haftungsbegründendes Unrecht weit auseinanderklaffen lassen, dient der Rechtssicherheit. Eine völlig zureichende Haftungsbegrenzung wird durch das Erfordernis des materiellen Zuweisungsgehalts der verletzten Norm und durch den Schutzzweckgedanken sichergestellt. Das zeigt sich auch daran, daß dieses Konzept weitgehend zu gleichen Ergebnissen führt wie die bisherige Rechtsprechung des EuGH. Darüber hinaus vermeidet der allein auf die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts abstellende Ansatz ein bedenkHches Auseinanderfallen der Haftungsvoraussetzungen für Einzelakte und Rechtsnormen. Das bewährt sich in den Fällen, in denen der geltend gemachte Rechtsverstoß im Unterlassen eines Rechtsaktes besteht, der sowohl in der Form eines Rechtssatzes als auch als EntJscheidung hätte ergehen können8• Ähnliches gilt dort, wo eine Entscheidung "normativen Einschlag" hat wie etwa eine staatengerichtete Ermächtigung zur Änderung nationaler Rechtssätze9 • Vor allem werden damit bei einer konkurrierenden Haftung der Gemeinschaft und eines für individuelle Durchführungsakte verantwortlichen Mitgliedstaates sachgerechte Ergebnisse gewährleistet: Einmal sehen sich d~e betroffenen Bürger nicht schon wegen der größ.eren Erfolgschancen darauf verwiesen, wegen der Durchführungsakte Ansprüche gegen den Mitgliedstaat vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Zum anderen wird so der auf normatives Unrecht gestützte Innenregreß eines für individuelle Ausführungsakte haftenden Mitgliedstaates gegen die Gemeinschaft erleichtert.

VII. Verschulden Die Frage, ob eine Haftung der Gemeinschaft nach Art. 215 Abs. 2 EWGV überhaupt ein Verschulden der verantwortlichen Organe voraussetzt, läßt sich vor dem Hintergrund der Rechtsprechung nicht einVgl. EuGH, Urteil vom 28.4.1971, Rs.4/69, Lütticke, Slg. 1971, 325. Vgl. Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 28.5.1963 in der Rs. 25/62, Plaumann, Slg. 1963, 252 f., 266. 8

9

136

§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

deutig beantworten!. Im Rahmen der Haftung für Amtsfehler nach Art. 40 EGKSV geht man in Anlehnung an den französischen Begriff der "faute de service" vom Erfordernis eines Verschuldens im objektivierten Sinne aus2 • Dieser Linie ist der EuGH zunächst auch bei der Haftung nach Art. 215 Abs.2 EWGV gefolgt3. Im Lütticke-Urteil führte der Gerichtshof jedoch nur noch "das Vorliegen eines Schadens, das Bestehen eines Kausalzusammenhanges zwischen dem geltend gemachten Schaden und dem den Organen zur Last gelegten Verhalten und die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens" als Haftungsvoraussetzungen ausdrücklich an4 • Die neue re Judikatur geht auf das Merkmal des Verschuldens und auf die Vorwerfbarkeit des Rechtsverstoßes überhaupt nicht mehr eins. Im CNTA-Fall etwa hat der Gerichtshof allein auf die Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes abgestellt, ohne den Verschuldensvorwurf zu erörtern6 • Allerdings finden unter dem Topos der "qualifizierten Rechtsverletzung" Merkmale Eingang, die sich auch im Rahmen des Verschuldens abhandeln ließen (dazu oben, V2). Jedenfalls bei Rechtsetzungsakten erscheint es berechtigt, auf das Element des Verschuldens ganz zu verzichten7 • Dafür spricht einmal, daß man bei der Fassung des Art. 215 Abs.2 EWGV - bewußt - von der in Art. 40 Abs.1 EGKSV enthaltenen ausdrücklichen Bezugnahme auf einen "Amtsfehler" abgesehen hat8 • Soweit nach dem deutschen Staatshaftungsgesetz eine Haftung für normatives Unrecht eintreten sollte, stehen Grundrechtsverletzungen - wohl vor allem im Bereich des Art. 14 GG - im Vordergrund; insoweit kommt es auf ein Verschulden nicht mehr an (§ 2 Abs. 2 StHG), während im übrigen im Hin! Dazu Gilsdorf, in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn. 45 ff. 2 EuGH, Urteil vom 15. 12. 1961, verb. Rs. 19, 21/60, 2 und 3/61, Fives, Sig. 1961, 611, 647; Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 19.4.1961 in den verb. Rs. 9 und 12/60, Vloeberghs, SIg.1961, 510 ff.; Much, in: Haftung des Staates für das rechtswidrige Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 730 ff. m. w. Nachw. 3 EuGH, Urteil vom 14.7. 1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Sig. 1967, 331, 354. 4 EuGH, Urteil vom 28.4.1971, Rs.4/69, Sig. 1971, 325, 337. S Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 1. 3. 1978 in den verb. Rs. 83 und 94176, 4, 15 und 40177, HNL, SIg.1978, 1233; Beyerlin, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-PlanckInstituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1975, S. 127 ff.; Fuß, RTDE 1981, 14 f. 6 EuGH, Urteil vom 14.5. 1975, Rs. 74174, Slg. 1975, 533, 549. 7 In dieser Richtung etwa Cahier, in: Melanges offerts a P. Reuter, 1981, S.145. 8 Dazu Gotfin / Mahieu, Cahiers de droit europeen 1972, 69, 85 ff. m. w. Nachw.

VII. Verschulden

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blick auf den Schadens ausgleich in Geld das Verschulden vermutet wird (§ 2 Abs. 1 S.2 StHG). Die Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten wie Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Italien und Großbritannien setzen zwar bei der Haftung für rechtswidriges Verwaltungshandeln in der Regel ein Verschulden voraus; insoweit bedarf es jedoch häufig keines besonderen Nachweises. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß es bei Rechtsetzungsakten primär nicht um die Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten geht, sondern um den Verstoß gegen höherrangiges Recht. Hier von "Fahrlässigkeit" der Rechtsetzungsorgane zu sprechen, erscheint wenig sinnvoll. Ob man in diesem Zusammenhang von einer Verschuldensvermutung ausgeht9 oder davon, daß die Rechtswidrigkeit das Verschulden "indiziert und in aller Regel auch impliziert"IO oder ob man demgegenüber völlig auf das Verschuldenserfordernis verzichtet, ist letztlich eine mehr terminologische Frage; denn die Umstände, die zu einer Entlastung der Gemeinschaftsorgane vom Verschuldensvorwurf führen könnten, werden bereits auf Rechtswidrigkeitsebene berücksichtigt 11 • So wird der "Fehleranfälligkeit" von wirtschaftspolitischen Dringlichkeitsmaßnahmen durch die Zuerkennung eines besonders großen "Toleranzspielraums" Rechnung getragen l2 • In Verbindung mit dem Verschuldenserfordernis stellt sich die Frage, ob im Rahmen von Art. 215 Abs.2 EWGV für eine "Gefährdungshaftung" aufgrund enteignungsgleicher Eingriffe als eigenständigem Institut Raum ist. Der EuGH hat es bisher dahingestellt sein lassen, ob die Gemeinschaft wegen eines rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriffes auf Entschädigung in Anspruch genommen werden kann 13 • Für eine solche verschuldensunabhängige Haftung spricht die im Staatshaftungsrecht Deutschlands (dazu oben, § 4 I 6) und Belgiens (dazu oben, § 4 IV) bekannte Ableitung von Ausgleichsansprüchen aus der Eigentumsgarantie. Andererseits besteht bei einem Haftungssystem, das an die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte anknüpft (und hierin auch die Eigentumsgarantie einbezieht) und in dem das Verschulden keine oder nur eine terminologische Bedeutung hat, kein Bedürfnis mehr für eine daneben stehende Haftung für enteignungsgleiche Eingriffe l4 . Auch 9 Generalanwalt Capotorti (Fn.5), Slg. 1978, 1233 mit Hinweis auf das belgische, luxemburgische, niederländische und italienische Recht. 10 So Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 46. 11 Vgl. Generalanwalt Capotorti (Fn. 5), Slg. 1978, 1233. 12 Vgl. EuGH, Urteil vom 24. 10. 19'73, Rs. 43172, Merkur, Slg. 1973, 1055, 1074. 13 EuGH, Urteil vom 13.11. 1973, verb. Rs. 63 - 69/72, Werhahn, Slg.1973, 1229, 1252; skeptisch zur Anerkennung eines solchen Anspruchs Generalanwalt Roemer in seinen Schlußanträgen vom 18. 9. 1973 zu diesem Urteil, Slg. 1973, 1273 f. 14 Ähnlich Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 47.

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

das deutsche Staatshaftungsgesetz integriert den bisherigen enteignungsgleichen Eingriff in die allgemeine Haftung für die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte (§ 14 Abs. 3, letzter Halbs. StHG).

VIII. Kausalität Das Merkmal der Kausalität zwischen normativen Eingriffsakten und dem eingetretenen Schaden folgt weitgehend den auch für Einzelakte geltenden allgemeinen Regeln!. Generalanwalt Lagrange hat für die Haftung nach Art.40 EGKSV die Ansicht vertreten, daß bei einem nur "mittelbaren Schaden ein Recht auf Schadensersatz nicht entsteht"2. Dieser Linie ist der EuGH gefolgP. Das Erfordernis des unmittelbaren Schadens knüpft an den Begriff des "prejudice direct" des französischen Rechts an4, der wohl weiter ist als der Begriff der Unmittelbarkeit beim enteignungsgleichen Eingriff des deutschen Rechts: Ausgeschlossen werden sollen damit vor allem Schäden, die sich nach den Grundsätzen der logischen Vorhersehbarkeit nicht mehr als direkte Folgen des Fehlverhaltens der öffentlichen Gewalt darstellens. Auch das englische Recht berücksichtigt bei der Konkretisierung deliktsrechtlicher Sorgfaltspflichten und beim Ausschluß des Ersatzes für den "entfernteren" Schaden Gesichtspunkte der objektiven Vorhersehbarkeit6 • Letztlich kommt der Gerichtshof im Rahmen von Art. 40 EGKSV zu Ergebnissen, die denen der deutschen Adäquanzlehre entsprechen7; danach muß das haftungsbegründende Ereignis bei einem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nach der Prognose eines erfahrenen Beobachters geeignet sein, den Schaden herbeizuführen8• Die Rechtsprechung zu Art. 215 Abs.2 EWGV hat sich zunächst kaum mit dem Kausalitätsbegriff befaßt. Einige Generalanwälte haben sich - auch unter Heranziehung des Adäquanzgedankens - bei der Haftung für individuelle und generelle Akte für eine Übernahme der bei Art. 40 EGKSV geltenden Grundsätze ausgesprochen9 • ! Dazu Fuß, EuR 1968, 363 ff.; Gilsdorf, in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn. 61, 67, 71. 2 Schlußanträge vom 7.6.1961 in den verb. Rs. 14, 16, 17, 20, 24, 26, 27/60 und 1161, Meroni, Slg. 1961, 380. 3 EuGH, Urteil vom 12.7.1962, Rs. 18/60, Wonns, Slg. 1962, 395,420. 4 Much, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 738; vgl. auch Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 19.4.1961 in den verb. Rs. 9 und 12/60, Vloeberghs, Slg. 1961, 517. 5 Dazu m. w. Nachw. Much (Fn.4), S. 738 f. 6 Dazu Winfield I Jolowicz, The Law of Tort, 10. Auf!. von Rogers, 1975, S. 64 f., 84 ff. 7 Much (Fn. 4), S. 738 m. w. Nachw. 8 Dazu mit Hinweisen auf die einzelnen Nuancierungen der Adäquanztheorie Jauernig / Teichmann, BGB, 2. Aufl. 1981, vor §§ 249 - 253 Anm. V 3.

VIII. Kausalität

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Die neue re Judikatur scheint bei normativem Unrecht die Anforderungen an die "Nähe" des ersatzfähigen Schadens erheblich verschärfen zu wollen. Im Fall Dumortier Freres machten im Zusammenhang mit der diskriminierenden Abschaffung von Erstattungen für die Hersteller von Maisgritz einige Klägerinnen Schäden geltend, die der Höhe nach über die nichtgeleisteten Erstattungen hinausgingen und in Einzelfällen bis zur Unternehmensliquidation geführt haben sollen. Der Gerichtshof verneinte die Ersatzfähigkeit solcher Schäden pauschal mit dem Argument, hier fehle es an der "hinreichenden Unmittelbarkeit": Bei der Haftung für Rechtsetzungsakte könnten "die den Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze, auf die Artikel215 Absatz 2 EWG-Vertrag verweist, nicht herangezogen werden, um eine Verpflichtung zum Ersatz für jede auch noch so entfernte nachteilige Folge rechtswidriger Vorschriften zu stützen"lO. Es ist jedoch schwer einzusehen, daß bei der Haftung für Rechtsetzungsakte gerade existenzbedrohende Vermögens schäden auch dann nicht ersatzfähig sein sollen, wenn sie sich noch in den Grenzen der Adäquanz und der logischen Vorhersehbarkeit haltenll . Eine Haftung der Gemeinschaft kann auch dann begründet sein, wenn an der Entstehung des Schadens das vertragswidrige Verhalten eines Mitgliedstaates mitgewirkt hat. Unproblematisch sind die Fälle, in denen sich die innerstaatlichen Organe auf den Vollzug einer rechtswidrigen Vorschrift beschränken und deren Rechtswidrigkeit zwangsläufig auf die nationalen Durchführungsakte durchschlägt; hier wird die haftungsbegründende Kausalkette schon deswegen nicht unterbrochen, weil die innerstaatlichen Behörden keine Verwerfungskompetenz gegenüber Gemeinschaftsnormen haben l2 • Auch bei der Nichterfüllung einer Aufsichtspflicht gegenüber den Mitgliedstaaten steht der mitwirkende Kausalbeitrag des Mitgliedstaates nicht unbedingt dem unmittelbaren Ursachenzusammenhang entgegen13 ; allerdings wird in diesen 9 Generalanwalt Gand, Schlußanträge vom 19.4. 1967 in den verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967, 374 ff.; Generalanwalt Dutheillet de Lamothe, Schlußanträge vom 17.2.1971 in der RS.4/69, Lütticke, Slg. 1971, 347. Auf die adäquate Verursachung, die anscheinend auch Generalanwalt Dutheillet de Lamothe (Slg. 1971, 347) genügen lassen will, stellt Generalanwalt Roemer ab, Schluß anträge vom 18.9. 1973 in den verb. Rs. 63 - 69172, Werhahn, Slg.1973, 1271. 10 EuGH, Urteil vom 4.10.1979, verb. Rs. 64 und 113176, 167 und 239178, 27, 28 und 45179, Slg.1979, 3091, 3117; vgl. demgegenüber die Schluß anträge von Generalanwalt Capotorti vom 12.9. 1979, Slg. 1979, 3010. 11 So auch Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 67, 71. 12 Gilsdorf (Fn. 1), Art.215 Rn. 81. Vgl. EuGH, Urteil vom 13.2. 1979, Rs. 101178, Granaria, Slg. 1979, 623, 636 f. 13 Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 19.4. 1961 in den verb. Rs. 9 und 12/60, Vloeberghs, Slg. 1961, 518: "Die Tatsache, daß das Verhalten eines Mitgliedstaates die Kausalkette ausgelöst hat, schließt nicht aus. daß die

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

Fällen eine Haftung in der Regel am fehlenden Schutznormcharakter der die Aufsichtspflicht statuierenden Vorschriften scheitern l4 • Schließlich kommt auch bei Maßnahmen, die die Mitgliedsstaaten zu individuellen oder generellen Rechtsakten ermächtigen, eine Gemeinschaftshaftung in Betracht ls . Bei Richtlinien, die unmittelbar anwendbar sind, dürften die gleichen Grundsätze gelten wie bei Verordnungen l6 • Problematisch ist unter Kausalitätsgesichtspunkten, ob auch Richtlinien, denen die unmittelbare Anwendbarkeit fehlt, eine Haftung der Gemeinschaft auslösen können oder ob hier allein die Mitgliedstaaten für die Rechtsakte haften, mit denen die Richtlinien in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sind. Gegen die Annahme einer überholenden Kausalität 17 und für die Möglichkeit einer Gemeinschaftshaftung spricht die Parallele zur Rechtslage bei staatengerichteten Entscheidungen und beim Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen gegen vertragswidriges Verhalten eines Mitgliedstaates. IX. Ersatzfähiger Schaden

Die Ersatzfähigkeit des Schadens setzt zunächst voraus, daß dieser bestimmt und gegenwärtig ist l . Dahinter steht in erster Linie das französische Konzept des "prejudice certain et actuel"2. Während der EuGH in seiner früheren Rechtsprechung zu Art. 40 EGKSV recht strenge Anforderungen an die Bestimmtheit gestellt hat3, hat er bei Art.215 Abs.2 EWGV im Urteil Kampffmeyer II relativ großzügige Maßstäbe an die notwendige Substantiierung des Schadens im Rahmen einer Feststellungsklage angelegt: Danach soll es im Rahmen der Zulässigkeit ausreichen, wenn der Schaden unmittelbar benachfolgende Unterlassung der Hohen Behörde als unmittelbare Schadensursache angesprochen wird." Vgl. auch EuGH, Urteil vom 21. 1. 1976, Rs. 40175, Praduits Bertrand, Slg. 1976, 1, 8 f. 14 Gilsdarf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 44. IS EuGH, Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967, 331, 352 ff. 16 Vgl. Schäfer 1 Bank, Staatshaftungsgesetz, 1982, Einleitung zu §§ 1 - 13 Rn. 27. 17 Vgl. Schäfer 1 Bank (Fn. 16), Einleitung zu §§ 1 - 13 Rn. 27. 1 Generalanwalt Capatarti, Schlußanträge vom 12. 9. 1979 in der Rs. 238178, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 3000; Cahier, in: Melanges offerts a P. Reuter, 1981, S.147; Much, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner

Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 739. 2 Much (Fn. 1), S. 739 m. w. Nachw. 3 Dazu m. w. Nachw. Gilsdarf, in: Groeben 1 Boeckh 1 Thiesing 1 Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn. 58.

IX. Ersatzfähiger Schaden

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vorsteht und mit hinreichender Sicherheit vorausgesehen werden kann4• Der Zulassung von Feststellungsklagen mit der Geltendmachung eines nicht bestimmten, sondern nur bestimmbaren Schadens wird man im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes sowie im Hinblick auf § 256 ZPO und entsprechende Prozeßvorschriften in anderen Rechtsordnungen zustimmen müssens. Einer weiteren Auflockerung des Bestimmtheitserfordernisses sollte auf der anderen Seite vor allem bei der Haftung für Rechtsetzungsakte entgegengewirkt werden, um die Grenzen zwischen der Schadensersatzklage und der an besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen gebundenen Nichtigkeitsklage zu wahren6 • Im Hinblick auf die erforderliche Konkretisierung des Schadens stellt sich das Problem, ob bei der diskriminierenden Versagung von Vergünstigungen die Betroffenen einen Anspruch auf eine Leistung in Höhe des vorenthaltenen Betrages im Wege der Schadensersatzklage durchsetzen können7 • Diese Frage ist bei der Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes zu verneinen, da es hier am materiellen Zuweisungsgehalt der verletzten Norm fehlt 8 (dazu oben, III 3). Bei einem Verstoß gegen das spezielle wettbewerbsbezogene Diskriminierungsverbot des Art.40 Abs.3 Unterabs.2 EWGV macht der Gerichtshof in seiner neue ren Rechtsprechung den Betrag der vorenthaltenen Leistung zum Ausgangspunkt der Schadensbemessung9 • Dem ist zuzustimmen, da bei der Diskriminierung gegenüber Konkurrenten die vorenthaltene Leistung - vorbehaltlich eventueller Möglichkeiten der Schadensminderung - den ersatzfähigen Mindestschaden ausmacht. Dabei handelt es sich nicht um die Zuerkennung eines Rechtsanspruches auf die nicht gewährte Vergünstigung auf der Grundlage eines "nur noch hypothetischen Schadensbegriffes"lO, sondern um den Ausgleich einer allemal in Höhe der vorenthaltenen Leistung eingetretenen Beeinträchtigung der MarktsteIlung gegenüber den anderen Wettbewerbern11 • Begrenzt wird der ersatzfähige Schaden vor allem durch den Schutzzweck der verletzten Norm (dazu oben, VI). Im Rahmen der sich daraus EuGH, Urteil vom 2.6. 1976, verb. Rs. 56 bis 60174, SIg. 1976, 711, 742 f. Generalanwalt Reischl, Schluß anträge vom 17.3.1976 zum KampffmeyerUrteil, SIg. 1976, 752 mit Hinweisen auf das dänische, niederländische, italienische und englische Recht; vgl. auch zum belgischen Recht Goffin, Journal des Tribunaux 1981, 1. 6 In diesem Sinne Gilsdorf (Fn. 3), Art. 215 Rn. 58. 7 Dazu Gilsdorf (Fn. 3), Art. 215 Rn. 54. 8 Vgl. demgegenüber Gilsdorf (Fn. 3), Art. 215 Rn. 54, 83. 9 EuGH, Urteil vom 4. 10. 1979, Rs.238178, Ireks-Arkady, SIg. 1979, 2955, 2973 f.; Urteil vom 4.10. 1979, verb. Rs. 64 und 113176, 167 und 239178, 27, 28 und 45179, Dumortier-Frcres, Slg. 1979, 3091, 3115 f. 10 Vgl. Gilsdorf (Fn. 3), Art. 215 Rn. 54. 11 Ähnlich Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), SIg. 1979, 2999 f. 4

5

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§ 6 Die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen

ergebenden Grenzen gilt der Grundsatz der wirtschaftlichen Totalreparation: Der Geschädigte soll vermögensrechtlich so gestellt werden, wie wenn die haftungsbegründende Verletzung der subjektiven Rechtssphäre nicht eingetreten wäre 12 • Demnach kann der Geschädigte grundsätzlich auch Ersatz des entgangenen Gewinns verlangen, falls dieser hinreichend substantiiert ist!3. Soweit der entgangene Gewinn bei einer Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes vom ersatzfähigen Schaden ausgeklammert wird wie im CNTA-Fall (dazu oben, III 4 (c) und VI), beruht dies auf dem Schutzzweck der verletzten Norm. Verallgemeinern im Sinne eines generellen Ausschlusses des Ersatzes von entgangenem Gewinn bei normativem Unrecht läßt sich diese Einschränkung daher nicht l4 • Zu einer Reduzierung des Ausgleichsanspruches führen mitwirkendes Verschulden des Geschädigten sowie Verletzungen der Schadensminderungspflicht l5 • In diesem Zusammenhang ist fraglich, inwieweit die Möglichkeit der Abwälzung des Schadens auf Dritte als anspruchsmindernder Faktor zu berücksichtigen ist. Der EuGH hat in seinen Urteilen vom 4. 10. 1979 bei der Haftung für diskriminierende Erstattungsregelungen auf dem Quellmehl-, Gritz- und Stärkesektor geprüft, ob die geschädigten Produzenten die erlittenen Nachteile durch höhere Preise auf ihre Abnehmer abwälzen konnten l6 • Diese Berücksichtigung einer möglichen Schadensabwälzung auf Dritte im Sinne einer Anspruchsminderung begegnet erheblichen Einwänden. Einmal beseitigt die Preiserhöhung auch dann, wenn sie sich nicht negativ auf den Absatz auswirkt, die eingetretene Beeinträchtigung der Marktstellung der geschädigten Unternehmen nicht. Die Möglichkeit eines Preisaufschlages besteht schließlich auch bei der hypothetischen Gewährung der vor12 Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), Sig. 1979,2999: "Der Schadensersatz soll das Vermögen des Geschädigten in den Zustand versetzen, in dem es sich ohne den Rechtsverstoß befunden hätte, oder zumindest der Lage näherbringen, die ohne den Rechtsverstoß eingetreten wäre." 13 EuGH, Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, SIg.1967, 331, 358 f.; Generalanwalt Capotorti (Fn.1), SIg.1979, 3001 ff.; Gilsdorf (Fn. 3), Art. 215 Rn. 53. 14 Ähnlich Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), Slg. 1979, 3002 f. 15 Dazu m. w. Nachw. Bleckmann, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, hrsg. von Mosler, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), S. 786 f.; Fuß, EuR 1968, 368 ff.; Gilsdorf (Fn.3), Art. 215 Rn. 59; Jaenicke, in: Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, S. 873 ff.; Krüger, Die Abhängigkeit der Amtshaftungsklage von der erfolgreichen Durchführung der Nichtigkeitsbzw. Untätigkeitsklage im Recht der EWG, 1976, S. 103 ff. 16 EuGH, Urteil vom 4. 10. 1979, Rs.238178, Ireks-Arkady, Sig. 1979, 2955, 2974; Urteil vom 4.10.1979, verb. Rs. 241, 242, 245 bis 250178, DGV, Sig. 1979, 3017, 3040.

IX. Ersatzfähiger Schaden

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enthaltenen Vergünstigung l7 • Zumindest schmälert eine tatsächlich durchgeführte oder auch nur mögliche Preiserhöhung nicht den ausgleichsfähigen entgangenen Gewinn. Zum anderen unterliegt die Preisgestaltung in einem marktwirtschaftlichen System der freien unternehmerischen Entscheidung und kann daher nicht zum Gegenstand einer Schadensminderungspflicht gemacht werden l8 • Außerdem geht es nicht an, über die Schadensminderungspflicht auf eine Abwälzung der nachteiligen Folgen eines Rechtsverstoßes auf eine - unter Umständen wenig leistungsfähige - Gruppe von Dritten hinzuwirken und so die Gemeinschaft auf Kosten eines Teiles der Marktbürger zu entlasten. Aspekte der Schadensminderungspflicht fließen auch in die Frage ein, inwieweit bei der Durchführung rechtswidriger Gemeinschaftsnormen durch nationale Behörden die Geschädigten gehalten sind, den innerstaatlichen Rechtsweg gegen die nationalen Durchführungsakte zu beschreiten (dazu unten, § 811).

Vgl. Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), SIg. 1979, 3005. Generalanwalt Capotorti (Fn. 1), SIg. 1979, 3006; Rudden I Bishop, ELRev. 1981, 243 ff. (256). 17

18

§ 7 Konkurrierende Haftung von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten Häufig wirken an der Schadensverursachung durch normatives Unrecht der Gemeinschaftsorgane nationale Behörden mit, die rechtswidrige Gemeinschaftsregelungen vollziehen. Hier stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen eine Haftungskonkurrenz von Gemeinschaft und Mitgliedstaat im Verhältnis zum Geschädigten und im Innenverhältnis der beiden Hoheitsträger zueinander auslöst.

I. Gesamtschuldnerschaft gegenüber dem Geschädigten Da ein die Gemeinschaftshaftung begründender Kausalzusammenhang nicht durch die Mitwirkung eines Mitgliedstaates beim Vollzug von Gemeinschaftsregelungen ausgeschlossen wird (dazu oben, § 6 VIII), kann die Haftung der Gemeinschaft mit der eines Mitgliedstaates konkurrieren. Verpflichtungen eines Mitgliedstaates aufgrund rechtswidriger Vollzugsakte - etwa im Hinblick auf Schadensersatz oder auf Rückerstattung zu Unrecht erhobener Beträge - gegenüber dem Geschädigten werden abschließend von den nationalen Gerichten nach nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht beurteilt, während die Entscheidung über die Gemeinschaftshaftung nach Art. 215 Abs.2 EWGV ausschließlich in die Zuständigkeit des EuGH fällt!. Die unterschiedlichen Haftungsregime, denen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten unterworfen sind, und die Zweispurigkeit des Rechtsweges dürfen weder zu einem doppelten Ausgleich für den Geschädigten noch zu einer Rechtsschutzverweigerung durch eine wechselseitige Verweisung auf die Haftung des jeweils anderen Hoheitsträgers führen. Der EuGH scheint das Problem der Konkurrenz von Ansprüchen gegen die Gemeinschaft und gegen einen Mitgliedstaat zulasten des Mitgliedstaates im Sinne der Subsidiarität der Gemeinschaftshaftung lösen zu wollen. Im Fall Kampffmeyer [2 hatte ein Teil des eingeklagten Schadens die unberechtigte Erhebung von Abschöpfungen bei der Getreideeinfuhr durch die deutschen Behörden zum Gegenstand. Zu diesen Maßnahmen hatte die Kommission die Bundesregierung durch 1 2

EuGH, Urteil vom 13.2. 1979, Rs. 101178, GranaTia, SIg. 1979, 623, 638. EuGH, Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, SIg. 1967,331.

I. Gesamtschuldnerschaft gegenüber dem Geschädigten

145

eine später vom Gerichtshof aufgehobene Entscheidung ermächtigt. Hier lag demnach ein konkurrierendes Fehlverhalten von deutschen Behörden und Gemeinschaftsorganen vor. Um eine zweifache Liquidation des geltend gemachten Schadens durch die Klägerinnen zu verhindern, gab ihnen der Gerichtshof auf, erst den innerstaatlichen Verwaltungs- und Rechtsweg zu erschöpfen. Erst dann könne über den Umfang der dem Grunde nach festgestellten Gemeinschaftshaftung entschieden werden3 • Gegen die Einführung des Subsidiaritätsprinzips ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß sie den Geschädigten "in unzumutbarer Weise in ein Spiegelkabinett gemischt gemeinschaftlichen-nationalen Rechtsschutzes ohne Effizienz" verweist4• Der Rechtsgedanke der längst als antiquiert erkannten Vorschrift des § 839 Abs. 1 S.2 BGB, von dem sich der Gerichtshof möglicherweise hat leiten lassen, läßt sich zu einer Begründung der Subsidiarität der Gemeinschaftshaftung schon deswegen nicht heranziehen, weil die Gemeinschaft und die zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts berufenen nationalen Hoheitsträger gegenüber dem Geschädigten haftungsrechtlich eine Einheit bildens. In Anlehnung an deliktsrechtliche Vorschriften wie § 840 Abs. 1 BGB über die solidarische Haftung mehrerer Schädiger und an entsprechende Grundsätze im französischen Zivilrecht6 oder im common law7 wird man von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz ausgehen können, nach dem die Gemeinschaft und ein Mitgliedstaat bei konkurrierenden Ansprüchen des Geschädigten nach außen gleichstufig als Gesamtschuldner haften8• Demnach kann der Geschädigte nach seiner Wahl die Gemein3

Slg. 1967, 356, 358.

Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, § 27110 (S. 540). Kritisch zur Subsidiarität der Gemeinschaftshaftung auch Fuß, in: Festschrift für H. P. Ipsen, 1977, S. 627 ff.; Gilsdorf, in: Groeben 1 Boeckh 1 Thiesing 1 Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn. 80; Gaffin, Journal des Tribunaux 1981, 2; Hartley, ELRev.1977, 252, 261 ff.; Jones, Legal Issues of European Integration 198111, 37 ff.; Jurina, ZaöRV 28 (1968), 384 ff. S Fuß (Fn.4), S.628 mit Hinweis auf BGHZ 63, 319; vgl. auch Ipsen (Fn.4), §27/10 (S.541). 6 Dazu Weill! Terre, Droit civil Les obligations, 2. Aufl. 1975, Nr.747, 4

932 ff. 7 Dazu Winfield! Jolowicz, The Law of Tort, 10. Aufl. von Rogers, 1975, S. 545 ff. 8 Generalanwalt Gand, Schlußanträge vom 19.4. 1967 in den verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, Kampffmeyer I, Slg.1967, 376; Andre, NJW 1968, 333 f.; Aubin, Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten bei gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Verwaltungsakten, 1982, S. 244 ff.; Fuß (Fn.4), S. 267 ff.; ders., RTDE 1981, 20 f.; Gilsdorf (Fn.4), Art.215 Rn. 79 f.; Ipsen (Fn.4), § 27/10 (S.540). Gegen die Annahme von Gesamtschuldnerschaft etwa Generalanwalt Capotorti, Schlußanträge vom 23. 1. 1979 in der Rs. 101178, Granaria, Slg. 1979, 643 ff. Daß sich die Haftung des Mitgliedstaates grundsätzlich nach nationalem Recht beurteilt, steht einer gesamtschuldnerischen Haftung von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten 10 Herdegen

146

§ 7 Konkurrierende Haftung von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten

schaft oder den Mitgliedstaat in Anspruch nehmen. Leistungen des einen Gesamtschuldners muß er sich gegenüber dem anderen Hoheitsträger anspruchsmindernd anrechnen lassen9 •

11. Innenausgleich Die Inanspruchnahme von einem der beiden haftenden Hoheitsträger kann ohne Innenausgleich zu einer unberechtigten Privilegierung des anderen führen. Der Umfang, in dem der an den Schädiger leistende Gesamtschuldner bei der anderen Seite Regreß nehmen kann, bestimmt sich einmal nach haushalts rechtlichen Kriterien und zum anderen nach dem Gewicht des Kausalbeitrages, der vor allem vom Verschulden abhängig sein dürfte'. In diesem Zusammenhang kommt ein Rückgriff auf die Regelungen des § 426 BGB in Betrachf. Erstattet etwa ein Mitgliedstaat Beträge, die seine Behörden aufgrund einer rechtswidrigen Gemeinschaftsregelung für Rechnung der Gemeinschaft eingezogen haben, wird man dem Mitgliedstaat einen Rückgriff gegen die Gemeinschaft einräumen müssen. Anders liegt es nach den Grundsätzen über die Vorteilsausgleichung, wenn die erhobenen Abgaben dem Mitgliedstaat zugute kommen. Umgekehrt kann die Gemeinschaft bei einer Verurteilung zu Schadensersatz wegen einer rechtswidrigen Abgabenregelung Regreß bei dem Mitgliedstaat nehmen, dem die erhobenen Beträge zugeflossen sind. Daß ein Mitgliedstaat bei der Haftung wegen eines Durchführungsaktes, dessen Rechtswidrigkeit sich zwingend aus dem "durchschlagenden" Rechtsverstoß der zugrundeliegenden Gemeinschaftsregelung ergibt, im Innenverhältnis vorbehaltlich einer möglichen Vorteilsausgleichung - von der Gemeinschaft freigestellt werden muß, folgt schon daraus, daß die innerstaatnicht entgegen, wie Aubin (S. 247 f.) - mit Hinweis auf Art. 27 EAGV und auf die auch nach nationalem Recht zu beachtende Tilgungswirkung von Ersatzleistungen der Gemeinschaft zugunsten eines Mitgliedstaates im Außenverhältnis - dargelegt hat. 9 Vgl. Gilsdorj (Fn. 4), Art. 215 Rn.80. , Ähnlich Gilsdorj, in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art.215 Rn. 80. Aubin, Die Haftung der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten bei gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Verwaltungs akten , 1982, S. 249 ff., kommt bei der Erstattung von zu Unrecht für Rechnung der Gemeinschaft erhobenen Abgaben im Innenverhältnis zur alleinigen Haftung der Gemeinschaft und umgekehrt bei der gemeinschaftsrechtswidrigen Erhebung von nationalen Abgaben zur primären Haftung des Mitgliedstaates als Bereicherungsschuldner; diese vorrangige Haftung des Bereicherungsschuldners stützt Aubin auf die Heranziehung von § 255 BGB für den Regreß des auf Schadensersatz haftenden Gesamtschuldners und auf ähnliche Regelungen in anderen nationalen Rechtsordnungen. 2 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, § 27/10 (S. 540).

11. Innenausgleich

147

lichen Behörden mangels "Verwerfungskompetenz" auch rechtswidriges Gemeinschaftsrecht solange anwenden müssen, bis der EuGH die Rechtswidrigkeit festgestellt haP. Eine Parallele für einen solchen Innenausgleich findet sich in der Vorschrift des § 11 S.l StHG; danach kann beim Vollzug einer rechtswidrigen Norm der für den Vollzugsakt haftende Hoheitsträger bei der für den Rechtsetzungsakt verantwortlichen Körperschaft Rückgriff nehmen. Läßt die rechtswidrige Gemeinschaftsregelung dem Mitgliedstaat bei ihrer Anwendung einen Ermessensspielraum, wird man eine Haftungsquotelung im Innenverhältnis in Erwägung ziehen müssen4 • Für die prozessuale Geltendmachung von Regreßansprüchen gegen die Gemeinschaft durch einen Mitgliedstaat kommen sowohl eine Klage nach Art.178 EWGV in Verbindung mit Art.215 Abs.2 EWGV (analog)5 als auch eine Untätigkeitsklage nach Art. 175 EWGV6 in Frage; die Gemeinschaft kann einen Rückgriffsanspruch im Verfahren nach Art. 169 EWGV durchsetzen7 •

3 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.2. 1979, Rs. 101178, Granaria, Slg. 1979, 623, 636 f. Eine Haftung auf Schadensersatz wäre hier vor allem nach dem deutschen Staatshaftungsgesetz verschuldensunabhängig bei Grundrechtseingriffen in Betracht gekommen, Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, 1981, Einleitung zu §§ 1 - 13 Rn.3I. 4 Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn.8I. 5 Andre, NJW 1968, 335; vgl. auch Goffin, Journal des Tribunaux 1981, 2. 6 Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 80. 7 Andre, NJW 1968, 335; Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 80.

10·

§ 8 Verhältnis der Schadensersatzklage nach Art. 178 EWGV gegenüber anderen gemeinschaftsinternen und innerstaatlichen Rechtsbehelfen Eine oft schwer zu überwindende Hürde liegt für Schadensersatzklagen nach Art. 178 in Verbindung mit Art.215 Abs.2 EWGV wegen fehlerhafter Rechtsetzungsakte schon in den Anforderungen an die Zulässigkeit. Daran läßt vor allem die neuere Rechtsprechung viele Klagen scheitern. Die Zulässigkeitsprobleme ranken sich einmal um das Verhältnis der Schadensersatzklage zu den anderen gemeinschaftsinternen Rechtsbehelfen. Zum anderen geht es um die intrikate re Frage, wann die Schadensersatzklage vor dem EuGH bei einem Nebeneinander von fehlerhaften Gemeinschaftsvorschriften und nationalen Durchführungsakten gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen subsidiär ist. I. Eigenständigkeit der Schadensersatzklage im Rechtsschutzsystem des EWGV Ein in den Klageerwiderungen von Rat und Kommission bis vor kurzem ständig wiederkehrendes Vorbringen gegen die Zulässigkeit von Schadensersatzklagen wegen normativem Unrecht richtete sich gegen die angebliche Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen, die Art. 173 Abs.2 EWGV an die Nichtigkeitsklage Einzelner stellt; demnach sei eine Schadensersatzklage in den Fällen unzulässig, in denen die beanstandete Regelung die Kläger nicht unmittelbar und individuell betroffen habe. Ähnliches soll im Hinblick auf die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 175 EWGV gelten (Einwand der allgemeinen Umgehung)!. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn neben die beanstandete Gemeinschaftsregelung ein innerstaatlicher Durchführungsakt tritt, so daß man den Geschädigten als erst durch die nationale Maßnahme unmittelbar betroffen ansehen könnte2 • Im Zusammenhang damit steht die Berufung auf den Grundsatz, der Gerichtshof könne bei der Entscheidung über eine Schadensersatzklage ! Vgl. im Sinne der Umgehungsthese das Vorbringen der Kommission in der Hs.4/69, Lütticke, Slg. 1971, 329 und in den verb. Hs. 9 und 11/71, Compagnie d'approvisionnement, Slg. 1972, 396. 2 Fuß, in: Festschrift für H. P. Ipsen, 1977, S. 619 f.

1. Eigenständigkeit

der Klage im Rechtsschutzsystem des EWGV

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nicht unmittelbar die Ersetzung einer vertragswidrigen Regelung durch eine bestimmte Neuregelung statuieren3• Die Überlegung, der EuGH dürfe nicht durch Zuerkennung von Ersatzansprüchen die Kompetenzen der Rechtsetzungsorgane überspielen, liegt vor allem bei Schadensersatzklagen wegen der rechtswidrigen Vorenthaltung von Vergünstigungen nahe. In solchen Fällen haben die beklagten Gemeinschaftsorgane oft geltend gemacht, hier handele es sich um eine als Schadensersatzklage verschleierte Normerlaßklage, die auf Änderung der beanstandeten Regelung im Sinne des Klagebegehrens ziele; eine solche Klage sei aber nach der Vorschrift des Art. 175 Abs. 3 EWGV, die dem Einzelnen einen Rechtsbehelf wegen des Nichterlasses einer Verordnung versagt, unzulässig4 • Der Gerichtshof hat dem Umgehungseinwand den Boden entzogen, indem er die Eigenständigkeit der Schadensersatzklage im gemeinschaftsinternen Rechtsschutzsystem betont hat: "Der Vertrag hat die Schadensersatzklage der Art. 178 und 215 Absatz 2 als selbständigen Rechtsbehelf mit eigener Funktion im System der Klagemöglichkeiten geschaffen und sie von Voraussetzungen abhängig gemacht, die ihrem besonderen Zweck angepaßt sind. Sie unterscheidet sich dadurch von der Anfechtungsklage, daß sie nicht die Beseitigung einer bestimmten Maßnahme zum Ziel hat, sondern den Ersatz des Schadens, den ein Gemeinschaftsorgan in Ausübung seiner Befugnisse verursacht5." Damit hat der Gerichtshof zugleich seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, nach der ein Rechtsakt, der nicht für nichtig erklärt worden ist, keine Schadensersatzansprüche auslösen könne6 • Die neuere Judikatur hat mit dem Bekenntnis zur Eigenständigkeit der Schadensersatzklage überhaupt erst die Voraussetzungen für eine praktisch relevante Gemeinschaftshaftung geschaffen. Der Umgehungsthese wird man zugeben müssen, daß über "konstruierte" Schadensersatzklagen in der Tat die Möglichkeit eröffnet wird, die Rechtmäßigkeit normativen HandeIns der Gemeinschaft inzident überprüfen zu lassen und so die Zulässigkeitsbarrieren für den "frontalen" Angriff Einzelner gegen Rechtsetzungsakte zu unterlaufen. Dies gilt vor allem dann, wenn man die Anforderungen an die Bestimmtheit So das Vorbringen des Rates in der Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 978. Vgl. das Vorbringen der Kommission in den verb. Rs. 9 und 11/71, Compagnie d'approvisionnement, Slg. 1972,396 f. 5 EuGH, Urteil vom 2.12.1971, Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, 983 f.; ähnlich schon EuGH, Urteil vom 28.4. 1971, Rs.4/71, Lütticke, Slg. 1971, 325, 336. Dazu Go/fin I Mahieu, Cahiers de droit europeen 1972, 67 ff. 6 EuGH, Urteil vom 15.7.1963, Rs. 25/62, Plaumann, Slg. 1963, 214, 240: "Der Gerichtshof kann nicht auf dem Wege über eine Schadensersatzklage die Rechtswirkungen einer Entscheidung, die nicht für nichtig erklärt worden ist, durch Urteilsspruch beseitigen." 3

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§ 8 Die Klage nach Art. 178 EWGV und andere Rechtsbehelfe

des geltend gemachten Schadens weitgehend auflockert (dazu oben, § 6 IX). Trotzdem sprechen überzeugende Gründe dagegen, aus dem Umgehungsgedanken Einwände gegen die Zulässigkeit von Schadensersatzklagen Privater wegen normativen Unrechts herzuleiten. Die Schadensersatzklage richtet sich eben anders als die Nichtigkeitsklage oder die Untätigkeitsklage nicht auf Rechtmäßigkeitskontrolle durch kassatorischen Rechtsschutz, sondern auf Ausgleich für erlittene Einbußen7• Verschleierte Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklagen lassen sich oft auf Zulässigkeitsebene über angemessene Anforderungen an die Substantiierung des Schadens und an das Rechtsschutzbedürfnis bei Feststellungsanträgen abblocken. Im übrigen ist es von zweitrangiger Bedeutung, ob solche Klagen auf der Ebene der Zulässigkeit oder erst der Begründetheit scheitern. Während ein stattgebendes Urteil im Rahmen von Art. 173 und Art. 175 EWGV "erga omnes" wirkt, beschränkt sich die Rechtskraft von Entscheidungen über Schadensersatzbegehren auf die Parteien des Rechtsstreites8 • Der Rechtsgedanke der Vorschrift des Art. 34 EGKSV (die die Haftung wegen für nichtig erklärter Entscheidungen oder Empfehlungen zum Gegenstand hat und die an eine erfolgreiche Nichtigkeitsklage nach Art. 33 EGKSV anknüpft) läßt sich weder auf Art. 40 EGKSV noch auf Art. 215 Abs. 2 EWGV übertragen9 • Schließlich ist es nur zu begrüßen, daß die Schadensersatzklage die Möglichkeit eröffnet, die Lücken im primären Rechtsschutz Privater gegen Rechtsetzungsakte bis zu einem gewissen Grad zu überbrückenlo • Daß der Nichtigkeits- oder der Untätigkeitsklage im Hinblick auf die Geltendmachung der Rechtswidrigkeit von normativem Handeln der Gemeinschaftsorgane keine Exklusivität zukommt, ergibt sich vor allem aus der Vorschrift des Art. 184 EWGV, die stets die inzidente Kontrolle von Verordnungen und anderen Rechtsetzungsakten gestattetll . Die Berechtigung des Anliegens, mit einer Schadensersatzklage auch das 7 Generalanwalt Roemer, Schlußanträge vom 13.7.1971 in der Rs.5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 992 f. 8 EuGH, Urteil vom 13.6. 1972, verb. Rs.9 und 11/71, Compagnie d'approvisionnement, Slg. 1973, 391, 405. 9 Vgl. Generalanwalt Roemer (Fn.7), Slg. 1971, 991; Gilsdorj, in: Groeben /

Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 215 Rn.39. 10 Generalanwalt ReischI, Schlußanträge vom 8.5. 1974 in der Rs. 153173, Holtz & Willemsen, Slg.1974, 700; Fuß, EuR 1978, 362; Goffin, Journal des Tribunaux 1981, 2; Schwarze, in: Festschrift für H.-J. Schlochauer, 1981, S.940. 11 Generalanwalt Dutheillet de Lamothe, Schlußanträge vom 14.7.1971 in den verb. Rs. 9 und 11/71, Compagnie d'approvisionnement, Slg. 1972, 413.

II. Verhältnis der Klage zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen

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Ziel einer Rechtmäßigkeitskontrolle des Gemeinschaftshandelns zu verfolgen, hat der Gerichtshof im Amylum-Urteil anerkannt l2 • Allerdings hat er dabei seine frühere Auffassung dahingehend nuanciert, daß die Möglichkeit einer Rechtmäßigkeitskontrolle von Gemeinschaftsakten über das Vorlageverfahren nach Art. 177 EWGV im Rahmen eines innerstaatlichen Rechtsstreites über Durchführungsakte der nationalen Behörden auch im Schadensersatzprozeß nach Art. 178, 215 Abs. 2 EWGV zu berücksichtigen sei; dies rechtfertige es, auf Begründetheitsebene restriktive Anforderungen an die Gemeinschaftshaftung zu stellen. Mit der gerade vom EuGH hervorgehobenen Eigenständigkeit der Schadensersatzklage ist dies nur schwer zu vereinbaren. Daß die Schadensersatzklage Einzelner wegen normativen Unrechts nicht an die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Art. 173 Abs. 2 oder Art. 175 EWGV geknüpft ist, scheint inzwischen fast allgemein anerkannt zu sein l3 • Allerdings erfolgen auch in neuerer Zeit noch gelegentlich Versuche, mit dem Umgehungs einwand Schadensersatzklagen zu Fall zu bringen l4 •

11. Verhältnis der Schadensersatzklage nach Art. 178 EWGV gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen In vielen Fällen, in denen Schadensersatz wegen fehlerhafter Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane geltend gemacht wird, haben an der Schadensentstehung auch nationale Durchführungsakte mitgewirkt. In diesem Zusammenhang ist es umstritten, inwieweit die Gemeinschaftshaftungsklage gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen gegen die Durchführungsakte subsidiär ist l . Dabei sind rein prozeßrechtliche Kategorien wie das Rechtsschutzbedürfnis und materiellrechtliche Aspekte wie die Schadensminderungspflicht eng miteinander verflochten. Der EuGH neigt vor allem in seiner neueren Judikatur 12 EuGH, Urteil vom 5.12.1979, verb. Rs. 116 und 124/77, Slg.1979, 3497, 3560. 13 Fuß (Fn.2), S. 619; Gilsdort, EuR 1975, 81 ff.; ders. (Fn.9), Art. 215 Rn. 39. 14 Vgl. etwa das Vorbringen der französischen Regierung in der Rs.106/81, Kind, Sitzungsbericht vom 5.5. 1982, S. 42 (Slg. 1982, 2910). 1 Dazu vor allem Aubin, Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten bei gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Verwaltungsakten, 1982, S. 185 ff.; Durdan, ELRev. 1976, 431 ff.; Elster, CMLRev.1975, 91 ff., 254 ff.; Fuß, in: Festschrift für H. P. Ipsen, 1977, S. 629 ff.; ders., RTDE 1981, 18 ff.; Gilsdort, EuR 1975, 83 ff.; ders., in: Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art.215 Rn. 73 ff.; Gotfin, Journal des Tribunaux 1981, 2 ff.; Harding, CMLRev.1979, 389 ff.; Hartley, ELRev.1977, 249 ff.; ders., ELRev.1978, 212 ff.; Jones, Legal Issues of European Integration 198111, 1 ff.; Lewis, Current Legal Problems 1980, 99 ff.

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§ 8 Die Klage nach Art. 178 EWGV und andere Rechtsbehelfe

dazu, den ganzen Komplex des Nebeneinanders von gemeinschaftsinternen und innerstaatlichen Rechtsbehelfen auf Zulässigkeitsebene abzuhandeln. 1. Vberblick über die Judikatur

Im Urteil Kampffmeyer I ging es um ein konkurrierendes Fehlverhalten von Kommission und deutschen Staatsorganen; der Gerichtshof bejahte die Gemeinschaftshaftung dem Grunde nach, aber gab zugleich den Klägerinnen auf, den innerstaatlichen Rechtsweg vor der endgültigen Entscheidung über ihre Ansprüche gegen die Gemeinschaft auszuschöpfen2 • Damit hat der EuGH das sich aus einer Konkurrenz von Rechtsschutzmöglichkeiten ergebende Problem materiellrechtlich im Sinne einer Subsidiarität der Gemeinschaftshaftung gelöst (dazu oben, § 7 I). Sehr hoch hat der Gerichtshof die Zulässigkeitsschwelle im Haegeman-Urteil3 gesetzt, wo es um eine der Gemeinschaft zufließende Abgabe ging, die aufgrund angeblich rechtswidriger Gemeinschaftsregelungen von den nationalen Steuerbehörden erhoben wurde. Den Antrag auf Schadensersatz wies der Gerichtshof als unzulässig ab: Die Ersatzpflicht der Gemeinschaft hänge in erster Linie von der Rechtmäßigkeit der Erhebung der Abgabe ab. Darüber hätten die innerstaatlichen Gerichte im Rahmen der Beziehungen zwischen den belasteten Einzelpersonen und den nationalen Steuerbehörden zu entscheiden4• Auf eine großzügigere Linie ist der Gerichtshof in der Rechtssache eingeschwenkt, die eine Schadensersatzklage wegen Gemeinschaftsverordnungen über Ausgleichsbeträge betraf; aufgrund dieser Regelungen hatten die deutschen Behörden Anträge auf Gewährung solcher Beträge abgelehnt. Gegenüber dem Zulässigkeitseinwand, die Klägerin müsse erst den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpfen, wobei im Verfahren nach Art. 177 EWGV die Rechtmäßigkeit der beanstandeten Verordnungen geklärt werden könne, erklärte der Gerichtshof, er sei im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufen worden: " ... er hat daher zu prüfen, ob diesen Verordnungen die behaupteten Fehler anhaften. Es würde im übrigen gegen die Grundsätze einer guten Rechtspflege sowie der Prozeßökonomie verstoßen, wollte man die Klägerin zwingen, nationale Rechtsbehelfe auszuschöpfen und so längere Zeit auf die endgültige Entscheidung über ihren Antrag zu warten6." Damit bekannte sich der Gerichtshof zum Postulat effektiven Merku~

2 EuGH, Urteil vom 14.7.1967, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66, SIg. 1967, 331, 356, 358. 3 EuGH, Urteil vom 25. 10. 1972, Rs. 96171, SIg. 1972, 1005. 4 SIg. 1972, 1016. S EuGH, Urteil vom 24. 10. 1973, Rs. 43172, SIg. 1973, 1055.

11. Verhältnis der Klage zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen

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Rechtsschutzes unter Ablehnung der Subsidiarität der Haftungsklage nach Art. 178, 215 Abs. 2 EWGV7. Als Revirement in Richtung auf die restriktive Haegeman-Judikatur stellt sich die Entscheidung im IBe-Fall8 dar. Dort ging es um Schadensersatzansprüche wegen der Erhebung von Ausgleichsbeträgen aufgrund einer Gemeinschaftsverordnung durch die italienischen Behörden. Obwohl eine mögliche Rechtswidrigkeit der nationalen Durchführungsakte allein auf einer Rechtswidrigkeit der Gemeinschaftsregelung beruhen konnte, wies der Gerichtshof die Klage als unzulässig ab. Die Klage ziele in Wirklichkeit auf überprüfung der Rechtmäßigkeit der Durchführungsmaßnahmen und auf Erstattung der eingezogenen Beträge; dafür seien die innerstaatlichen Gerichte zuständig9 • Auf dieser Linie bewegen sich auch die Urteile in den Fällen Lesieur lO und Roquette ll •

In den genannten Fällen ging es meist um die Anwendung fehlerhafter Rechtsetzungsakte der Gemeinschaft durch die nationalen Behörden. In der Rechtssache Wagner 12 hatte der Gerichtshof dagegen über Ersatzansprüche wegen der angeblich unrichtigen Anwendung (rechtmäßiger) Gemeinschaftsvorschriften zu entscheiden13 • Hier hatten die deutschen Behörden den Antrag der Klägerin auf Annullierung der ihr erteilten Exportlizenz abgelehnt; die Ablehnung führte die Klägerin auf ein Fehlverhalten der Kommission im Hinblick auf die verspätete Veröffentlichung einer Verordnung zurück. Auch in diesem Fall verwies der EuGH die Klägerin auf den innerstaatlichen Rechtsweg. Die Klägerin begehre letztlich Ersatz für denjenigen Schaden, "der ihr entstanden ist, weil es ihr nicht gelungen ist, dem ablehnenden Bescheid ... seine Wirkungen zu nehmen". Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, daß eine Klage vor dem innerstaatlichen Gericht ein erhebliches finanzielles Risiko (Kautionsverfall) bedeutet hätte l4 • Ähnlich hat der Gerichtshof im Sucrimex-Urteil lS entschieden, wo es sich Slg. 1973, 1070. Vgl. Generalanwalt Mayras, Schlußanträge vom 27.6.1973 zum MerkuTUrteil, Slg. 1979, 1079 ff. 8 EuGH, Urteil vom 27. 1. 1976, Rs. 46175, Slg. 1976, 65. 9 Slg. 1976, 79. 10 EuGH, Urteil vom 17.3.1976, verb. Rs. 67 bis 85175, Slg. 1976, 391, 406 f. 11 EuGH, Urteil vom 21. 5.1976, Rs. 26174, Slg. 1976,677,686. 12 EuGH, Urteil vom 12.12.1979, Rs. 12179, Slg. 1979,3657. 13 Einen angeblich auf ein Fehlverhalten der Gemeinschaftsorgane zurückzuführenden Rechtsverstoß der innerstaatlichen Behörden bei der Durchführung rechtmäßiger Gemeinschaftsvorschriften hatte schon das Urteil Grands Moulins zum Gegenstand, EuGH, Urteil vom 26.11. 1975, Rs.99174, Slg. 1975, 1531. 14 Slg. 1979, 3671 f. IS EuGH, Urteil vom 27.3.1980, Rs. 133179, Slg. 1980, 1299. 6

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§8

Die Klage nach Art. 178 EWGV und andere Rechtsbehelfe

um ein fehlerhaftes Verhalten der Kommission im Rahmen der internen Zuammenarbeit mit den innerstaatlichen Behörden handelte. Diese Entscheidungen zementieren das Dogma von der Subsidiarität der Klage nach Art. 178, 215 Abs.2 EWGV in striktester Form. Den bisherigen Kulminationspunkt hat die Judikatur vom Vorrang innerstaatlicher Rechtsbehelfe in der Rechtssache Interagra 16 erreicht. Dort ging es um die Voraus festsetzung von Ausfuhrerstattungen für den Export von Butter in die UdSSR aufgrund einer Kommissionsverordnung. Die Klägerin hatte einer sowjetischen Außenhandelsstelle ein bis zum Dezember 1981 befristetes Angebot über die Lieferung von 25 000 Tonnen Butter gemacht und am 17.11.1981 bei der französischen Verwaltung die Vorausfestsetzung der Ausfuhrerstattungen nach der geltenden Verordnung beantragt. Die Kommission ordnete in einer neuen Verordnung mit Wirkung vom 20.11. 1981 die Aussetzung der Ausfuhrerstattungen und ihrer Vorausfestsetzung an. Nachdem die französische Verwaltung nach Maßgabe einer an die nationalen Interventionsstellen gerichteten Mitteilung der Kommission den Antrag der Klägerin zurückgewiesen hatte, nahm die sowjetische Seite das Lieferangebot an und bestand ungeachtet des Wegfalls der Vergünstigung auf der Durchführung des Vertrages. Sie setzte die Klägerin in Verzug und verlangte Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Die Klägerin begehrte deswegen nach Art. 178, 215 Abs.2 EWGV Schadensersatz wegen der Aufhebung der bisherigen Regelung über Ausfuhrerstattungen und der Mitteilung an die nationalen Behörden und berief sich dabei auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Obwohl die Klägerin ihren Antrag auf ein angebliches Fehlverhalten der Kommission gestützt hatte, wies der EuGH die Klage als unzulässig ab. Der geltend gemachte Schaden gehe letztlich auf den ablehnenden Bescheid der französischen Behörden zurück; die Kontrolle solcher in Anwendung des Gemeinschaftsrechts ergangenen nationalen Maßnahmen falle in die Zuständigkeit der innerstaatlichen Gerichte. Die Entscheidung geht nicht darauf ein, ob der Klägerin - wenn man die behauptete Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes unterstellt - mit einer bloßen Kassation des ablehnenden Bescheides der französischen Behörden gedient gewesen wäre. Ebensowenig ist ersichtlich, wie die Klägerin vor den französischen Gerichten mit einem Schadensersatzbegehren hätte durchdringen können.

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Urteil vom 10.6. 1982, Rs. 217/81, SIg. 1982,2233.

11. Verhältnis der Klage zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen

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2. Eigenständigkeit der Schadensersatzklage nach Art. 178 EWGV gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen

Die neuere Rechtsprechung mit ihrer Verweisung auf den innerstaatlichen Rechtsweg ist in der Literatur stark umstritten. Den weithin anerkannten Ausgangspunkt für die Lösung des Konkurrenzproblems bildet die Überlegung, daß die Schadensersatzklage nach Art. 178 in Verbindung mit Art. 215 Abs.2 EWGV und die innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht Teile eines einheitlichen Rechtsschutzsystems bilden und daß daher einer Gemeinschaftshaftungsklage nicht der Einwand einer "Umgehung" der innerstaatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten entgegengesetzt werden kann 17 • Die innerstaatlichen Gerichte entscheiden abschließend darüber, inwieweit Ausführungsakte zu rechtswidrigen Gemeinschaftsregelungen eine Haftung nationaler Hoheitsträger auslösen. Dem auf den innerstaatlichen Rechtsweg verwiesenen Marktbürger räumt das Gemeinschaftsrecht keinen Rechtsbehelf dagegen ein, daß es nationale Gerichte vertragswidrig unterlassen, die Rechtmäßigkeit der einem angegriffenen Durchführungsakt zugrundeliegenden Gemeinschaftsvorschrift im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EWGV klären zu lassen. Bis zur "Verwerfung" eines fehlerhaften Rechtsetzungsaktes der Gemeinschaftsorgane durch den Gerichtshof zielen die Rechtsbehelfe gegen nationale Durchführungsakte ins Leere. Die nationalen und die gemeinschaftsinternen Rechtsbehelfe stehen autonom nebeneinander. Die innerstaatlichen Gerichte urteilen allein über die Rechtmäßigkeit nationaler Hoheitsakte und über durch solche Akte begründete Ansprüche gegen nationale Hoheitsträger; die Zuerkennung von Ausgleichsansprüchen gegen die Gemeinschaft liegt außerhalb ihrer Zuständigkeit l8 • Schon aus diesem Grund kann man nicht mit dem Hinweis auf innerstaatliche Rechtsbehelfe gegen Durchführungsakte das Rechtsschutzinteresse für eine Schadensersatzklage gegen die Gemeinschaft verneinen19 oder gar das schwere Geschütz des Rechtsrnißbrauchs auffahren. Es ist schwer einzusehen, weshalb für Schadensersatzklagen gegen die Gemeinschaft wegen fehlerhafter Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane eine andere Zuständigkeit als die des EuGH begründet sein kann, nur weil die Ausführung dieser Gemeinschaftsregelungen den nationalen Behörden obliegtlO. Ähnliche Bedenken mögen es gewe17 Fuß (Fn. 1), S. 623 ff.; Gilsdorf, EuR 1975, 85 f.; ders. (Fn. 1), Art. 215 Rn. 74 m. w. Nachw. 18 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.2. 1979, Rs. 101178, Granaria, Slg. 1979, 623, 638. 19 Vgl. Fuß (Fn. 1), S. 637 ff. 20 Goffin, Journal des Tribunaux 1981, 3; vgl. auch Aubin (Fn.l), S. 206 ff.

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§ 8 Die Klage nach Art. 178 EWGV und andere Rechtsbehelfe

sen sein, die den Gerichtshof gelegentlich veranlaßt haben, eine Klage auf Schadensersatz als "verschleierte Zahlungsklage" auf Erstattung der von den nationalen Behörden erhobenen Beträge oder auf die von ihnen abgelehnten Leistungen aus- oder umzudeuten21 • 3. Angeblicher Vorrang innerstaatlicher Rechtsbehelfe gegen nationale Durchführungsakte

Die Anerkennung der Eigenständigkeit der Schadensersatzklage nach Art. 178, 215 Abs.2 EWGV und der Zuständigkeit der EuGH auch bei einem konkurrierenden Fehlverhalten von Gemeinschaftsorganen und nationalen Behörden schließt es noch nicht aus, daß man beim Vollzug rechtswidriger Gemeinschaftsregelungen Anfechtungs- und Leistungsklagen wegen der innerstaatlichen Maßnahmen, die das letzte Glied in der schadensbegründenden Kausalkette darstellen, gegenüber der Gemeinschaftshaftungsklage als die sachnäheren und daher vorrangigen Rechtsbehelfe ansieht. Diese Auffassung wird von Gilsdorf mit der Maßgabe vertreten, daß das Beschreiten des innerstaatlichen Rechtsweges erfolgversprechend und zumutbar sein muß 22. Gestützt wird diese Verweisung auf den innerstaatlichen Rechtsweg mit dem Hinweis auf die Kompetenzverteilung zwischen innerstaatlichen Instanzen und dem EuGH sowie auf prozeßökonomische Erwägungen, die eine Zweispurigkeit des Rechtsweges mit freier Wahlmöglichkeit der Rechtsbehelfe für den Betroffenen als überflüssig und verwirrend erscheinen lassen sollen23 • Eingebettet wird dieses Konzept in das Prinzip der Schadensabwehrpflicht24 • Der Gefahr eines Ablaufes der fünf jährigen Verjährungsfrist des Art.43 der Satzung des EuGH soll dadurch begegnet werden, daß man die Vorschriften über die Verjährungsunterbrechung (Art. 43 S. 2 der Satzung) auf die Klageerhebung vor innerstaatlichen Gerichten analog anwendet2S • Dieses Konzept würde einer Überlastung des EuGH durch direkte Klagen der durch Rechtsetzungsakte der Gemeinschaftsorgane Geschädigten entgegenwirken26 • Zugleich vermeidet es gegenüber der Recht21 Vgl. EuGH, Urteil vom 27.1. 1976, Rs.46175, lBe, 1976, 65, 79. Kritisch zu dieser Umdeutung von Klageanträgen Fuß (Fn. 1), S. 635. 22 Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 74 ff.; ähnlich ders., EuR 1975, 86 ff. 23 Gilsdorf, EuR 1975, 87; ders. (Fn. 1), Art. 215 Rn. 74. 24 Gilsdorf, EuR 1975, 86 ff.; ders. (Fn.l), Art. 215 Rn. 75. Vgl. auch Aubin (Fn. 1), S. 233 ff. (243), im Sinne einer Obliegenheit zur Schadensabwendung durch nationale Rechtsbehelfe, die nicht direkt gegen eine haftungsbegründende Amtspflichtverletzung und auf Schadensausgleich gerichtet sind (Vorrang von gemeinschaftsrechtlich begründeten Zahlungsansprüchen gegen Mitgliedstaaten und von Anfechtungsklagen gegen Ablehnungsbescheide von nationalen Behörden). 25 Gilsdorf (Fn. 1), Art. 215 Rn. 77. 26 Gilsdorf, EuR 1975, 88; ders. (Fn. 1), Art. 215 Rn. 74.

II. Verhältnis der Klage zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen

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sprechung des EuGH durch seine Flexibilität die vor allem von Generalanwalt Mayras 27 kritisierte starre Handhabung des Subsidiaritätsprinzips, die zu einer Verweigerung effektiven Rechtsschutzes führen kann, wenn sie den Betroffenen zu einer zeitraubenden, kostspieligen und obendrein erfolglosen Erschöpfung des staatlichen Rechtsweges zwingt. Auf der anderen Seite sprechen trotz der Kautelen der Erfolgsaussicht und der Zumutbarkeit gegen den grundsätzlichen Vorrang innerstaatlicher Rechtsbehelfe schwerwiegende Gründe. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob man jenes Konzept im Rahmen der Zulässigkeit oder - was wegen der materiellrechtlichen Natur der Schadensminderungspflicht näherliegt - erst bei der Begründetheit berücksich tigt28 • Wenn man die Subsidiarität der Gemeinschaftshaftung ablehnt und Mitgliedstaat und Gemeinschaft materiell rechtlich als nach außen gleichstufig haftende Gesamtschuldner ansieht (dazu oben, § 7 I), wird man konsequenterweise dem Geschädigten auch prozessual ein Wahlrecht einräumen müssen, ob er gegen die Gemeinschaft oder gegen den Mitgliedstaat oder gegen beide gerichtlich vorgeht29 • Über das Konzept der Schadensminderungspflicht und des Vorranges innerstaatlicher Rechtsbehelfe darf man nicht zu einer unberechtigten Entlastung der Gemeinschaft und zu einer Beschränkung der Passivlegitimation zuungunsten des für die Ausführung beanstandeter Gemeinschaftsregelungen zuständigen Mitgliedstaates gelangen. Diese Überlegungen führen dazu, daß der Betroffene dann nicht auf den innerstaatlichen Rechtsweg verwiesen werden darf, wenn sich der geltend gemachte Schaden der Höhe nach mit einer zu Unrecht erhobenen Abgabe oder einer vorenthaltenen Vergünstigung deckt. Wenn hier der Mitgliedstaat nach gerichtlicher Verurteilung - sei es aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches oder einer fortbestehenden Subventionsregelung30 - leistet, tritt damit keine Schadensminderung ein, sondern schlicht Erfüllung durch einen der beiden Gesamtschuldner. Schlußanträge vom 27.6.1973 in der Rs.43172, Merkur, Slg.1973, 1079 ff. Vgl. Gilsdorj (Fn. 1), Art. 215 Rn. 78. 29 Vgl. Fuß (Fn.l), S.642; Gotfin, Journal des Tribunaux 1981, 5. Ähnlich im Grundsatz auch Aubin (Fn.l), S. 206 ff. (216, 223). Dagegen will Generalanwalt Warner anscheinend die Marktbürger stets dann auf den innerstaatlichen Rechtsweg verweisen, wenn es um die Zahlung von nach Gemeinschaftsrecht ziffernmäßig feststehenden Beträgen geht und kein über die angeblich rechtswidrige Erhebung oder Vorenthaltung bestimmter Summen durch nationale Behörden hinausgehender Schaden geltend gemacht wird, Schlußanträge vom 6.12.1977, Rs. 126176, Dietz, Slg. 1977, 2447 ff.; dazu Jones, Legal Issues of European Integration 1981/1, 24 f. 30 Vgl. Gilsdorj, EuR 1975, 89. 27

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§

8 Die Klage nach Art. 178 EWGV und andere Rechtsbehelfe

Auch haushaltsrechtliche Gesichtspunkte3! vermögen in diesem Zusammenhang nicht den Vorrang innerstaatlicher Rechtsbehelfe und die Subsidiarität der Gemeinschaftshaftungsklage zu stützen. Bei einer Verurteilung der Gemeinschaft durch den EuGH läßt sich eine ungerechtfertigte Privilegierung der Mitgliedstaaten - etwa bei einer Haftung wegen einer den Mitgliedstaaten zugute kommenden Abgabenregelung - über den Innenausgleich vermeiden. Umgekehrt kann das Beschreiten des innerstaatlichen Rechtsweges dazu führen, daß zunächst der im Innenverhältnis nachrangig haftende Hoheitsträger in Anspruch genommen wird. Jedenfalls bewältigt ein vom Vorrang innerstaatlicher Rechtsbehelfe ausgehendes Konzept nicht mehr haushaltsrechtliche Probleme im Innenverhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, als es schafft. Im übrigen sollte der Zugang zum EuGH für den von einer rechtswidrigen Gemeinschaftsregelung Betroffenen nicht von den internen Rechtsbeziehungen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten abhängig gemacht werden. Auf den innerstaatlichen Rechtsweg wird man den Bürger im Rahmen des Zumutbaren nur dann verweisen können, wenn eine Gemeinschaftsregelung und der auf ihr beruhende nationale Durchführungsakt Schäden auszulösen drohen, die über die unberechtigte Erhebung von Abgaben oder die Vorenthaltung von Vergünstigungen der Höhe nach hinausgehen. Insoweit haftet die Gemeinschaft nicht für Einbußen, die durch das Ergreifen innerstaatlicher Rechtsbehelfe, auch solche des einstweiligen Rechtsschutzes, hätten abgewehrt werden können32 • Weiter reicht die Schadensminderungspflicht des Geschädigten, wie sie sich in Anlehnung an Vorschriften wie § 6 StHG oder § 254 Abs. 2 BGB begründen läßt, wohl nicht. Problematisch ist auch die so begrenzte Verweisung des Geschädigten auf den innerstaatlichen Rechtsweg insofern, als damit in ein gemeinschaftsrechtliches Verfahren unter Umständen subtile Fragen nationalen Rechts hineingetragen werden, die eigentlich außerhalb der Zuständigkeit des EuGH liegen. Im Interesse effektiven Rechtsschutzes wird man an die noch bestehende oder versäumte Möglichkeit der Schadensminderung durch innerstaatliche Rechtsbehelfe, deren Nachweis ohnehin der Gemeinschaft obliegt, strenge Anforderungen stellen müssen. Die mit dem Haegeman-Urteil eingeleitete und vorläufig im Interagra-Fall kulminierende Rechtsprechung von der generellen Subsidiarität der Gemeinschaftshaftungsklage gegenüber innerstaatlichen Rechtsbehelfen ist demnach abzulehnen. Vielmehr mindert sich der von der Gemeinschaft zu ersetzende Schaden nur unter besonderen Um3! 32

Vgl. Gilsdorf, EuR 1975, 88 f. Vgl. demgegenüber Fuß (Fn. 1), S. 626.

11. Verhältnis der Klage zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen

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ständen wegen der Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht. Das Recht des Geschädigten, zwischen innerstaatlichen Rechtsbehelfen und der Klage nach Art. 178, 215 Abs.2 EWGV zu wählen, bleibt davon unberührt.

Zusammenfassung Die Merkmale einer Haftung der EWG für fehlerhafte Rechtsetzungsakte nach Art. 215 Abs. 2 EWGV sind durch den Rückgriff auf die einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und durch eine richterliche Wertungsjurisprudenz zu gewinnen. Rechtsvergleichend sind die einer Ermessenskontrolle unterworfenen normativen Regelungen der Gemeinschaftsorgane eher innerstaatlichen Verordnungen als förmlichen Gesetzen gleichzustellen. Die Haftung der Gemeinschaft für Rechtsetzungsakte sollte an die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geknüpft werden. Dabei stehen die Haftung für Eingriffe in die Wettbewerbsfreiheit durch diskriminierende Regelungen (Art.40 Abs.3 EWGV) und der Vertrauensschutz bei unternehmerischen Vermögensdispositionen im Vordergrund. Die Anerkennung eines weiten wirtschaftspolitischen GestaItungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane, das Erfordernis eines materiellen ZuweisungsgehaIts der verletzten Vorschrift und der Schutzzweck der Norm gewährleisten eine ausreichende Haftungsbegrenzung. Die von der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes darüber hinaus geforderten Haftungsmerkmale wie ein gravierender Rechtsverstoß, ein besonders schwerer Schaden und eine kleine Zahl von Betroffenen sind abzulehnen. Bei rechtswidrigen nationalen Vollzugsakten stehen die Haftung der EWG und die der Mitgliedstaaten gleichstufig nebeneinander. Bestehende innerstaatliche Rechtsbehelfe gegen Vollzugsakte schließen die Zulässigkeit einer Schadensersatzklage nach Art. 178 EWGV nicht aus; sie sind nur begrenzt im Rahmen der Schadensminderungspflicht zu berücksichtigen.

Literaturverzeichnis Andre, Achim: Konkurrierende Ersatzansprüche vor deutschen Gerichten

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