Die Gunst des Augenblicks: Neuere Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität 9783205115335, 3205773233, 9783205773238

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Die Gunst des Augenblicks: Neuere Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität
 9783205115335, 3205773233, 9783205773238

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Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg Herausgegeben von Robert Kriechbaumer • Franz Schausberger • Hubert Weinberger Band 24

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Dr.-Wilfric HaslauerBibliothek

Manfried Rauchensteiner • Robert Kriechbaumer (Hg.)

Die Gunst des Augenblicks Neuere Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität

BÖHLAU VERLAG W I E N • K Ö L N • WEIMAR

Gedruckt mit der Unterstützung durch: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten Androsch International Management Consulting Ges. m. b. H.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-205-77323-3 Das Werk ist urheberrechdich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2005 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. und Co. K G , Wien • Köln • Weimar http ://www.boehlau.at http ://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Druck: Ferdinad Berger & Söhne, 3580 Horn

Inhaltsverzeichnis

1. Manfried Rauchensteiner: Einleitung

7

2. Siegfried Beer: Die »Befreiungs- und Besatzungsmacht« Großbritannien in Österreich, 1945-1955

23

3. Günter Bischof: Die Amerikaner als Besatzungsmacht in Osterreich, I 945 _I 955

75

4. Thomas Angerer: Französische Freundschaftspolitik in Österreich nach 1945. Gründe, Grenzen und Gemeinsamkeiten mit Frankreichs Deutschlandpolitik

113

5. Stefan Karner: Zu den Anfängen der sowjetischen Besatzung in Österreich 1945/46

139

6. Barbara Stelzl-Marx: Die »Wiedervereinigung« Österreichs: Kontinuität und Wandel

187

7. Robert Kriechbaumer: »Annus Mirabilis« 1955 - Das Gemeinsame und die unterschiedlichen Befindlichkeiten

223

8. Gregor Schöllgen: Nukleare Rüstung, Deutsche Frage, asiatische Krisen. Weltpolitische Rahmenbedingungen 1954/55

257

9. Rolf Steininger: Österreichs Weg zum Staatsvertrag 1945-195 5

273

10. WolfgangMueller: Anstelle des Staatsvertrages: Die UdSSR und das Zweite Kontrollabkommen 1946

291

11. KlausEisterer: Die brasilianische UNO-Initiative 1952

321

12. Roman Sandgruber: Das wirtschaftiiche Umfeld des Staatsvertrages

359

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Manfried Rauchensteiner

13. Michael Gehler: Der Staatsvertrag, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Frage 1947/49-1955

379

14. Ludwig Steiner: »Annus memorabilis«

433

15. Dieter A. Binder: 1955 - Nicht als Zäsur gesehen. Anmerkungen zur österreichischen Kulturpolitik in den langen i95oer-Jahren

457

16. David Rezac: »Mechanik des Endes« - Finalisierung und Durchführung des österreichischen Staatsvertrages im Jahre 1955

485

17. Wolf gang Schallenberg: Obsoleterklärung einiger Artikel des österreichischen Staatsvertrages

503

18. Franz Cede: Staatsvertrag und Neutralität aus heutiger Sicht

519

19. Ernst Hanisch: Abschied von der Staatsvertragsgeneration

537

Autorenverzeichnis

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Personenregister

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Manfrìed Ranch ensteiner

Einleitung

Die Zeit der alliierten Besetzung Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg und der Abschluss des österreichischen Staatsvertrags vom Belvedere sind längst in die Geschichte zurückgesunken. Die Forschung hat sich ihrer bemächtigt und müht sich schon seit langem, Zusammenhänge und nie gewusste Details herauszuarbeiten. Dann und wann werden auch noch Zeitzeugen befragt, doch wenn einmal 50 und 60 Jahre vergangen sind, dann werden jene immer weniger, die glaubhaft versichern können, dass sie diese Zeit nicht nur erlebt, sondern sehr bewusst durchlebt und womöglich handelnd mitbestimmt haben. Es gibt sie noch, diese Zeugen einer Zeit, die von etwas zu berichten wissen, das eine Art Fundamentierung der österreichischen Zweiten Republik geworden ist, bei der sich - wie man immer besser erkennt - insofern etwas für die österreichische Geschichte in ihren langfristigen Abläufen Ungewöhnliches ergeben hat, nämlich das gute Ende. Wo immer man sonst hinschaut, ist dieses gute Ende a priori nicht gegeben, und man muss schon bis zu den Napoleonischen Kriegen zurückgehen, um ein größeres österreichisches Ganzes, die Habsburgermonarchie, an einer Ereigniskette festzumachen, die über Jahre und Jahrzehnte von Krieg, Not und Niederlage gekennzeichnet war, ehe dann alles zu einem vergleichsweise guten Ende gekommen ist. Bei späteren Einschnitten im Geschichtsverlauf eines historischen Österreich, ob das nun das große oder das kleine war, gelingt es fast nie, eine auch nur annähernd ähnliche Feststellung zu treffen, und der positive Ausgang eines Geschehens und das Bild eines im Großen und Ganzen einheitlich freudig gestimmten Landes gehören zu den absoluten Seltenheiten. Damit ist aber nur ein Ereignis an sich gemeint, nicht aber das, was zurückgesunken ist in die Geschichte. Schwieriger wird es daher bereits, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, ob die einmal vorhanden gewesene Stimmung und die Erinnerung insgesamt ausreichen, um auch noch Jahrzehnte danach mit vergleichbarer Freude aufzuwarten. Noch kann natürlich nicht festgestellt werden, ob die Erinnerung an den fünfzig Jahre zuvor abgeschlossenen österreichischen Staatsvertrag im Jahr 2005 eine regelrechte Hochstimmung aufkommen lassen wird, doch Skepsis ist schon im Vorfeld angesagt. Schon jetzt ist klar, dass sich nicht alle gleichermaßen einbinden lassen, dass sie ihre Unzufriedenheit und gelegentlichen Hass auf ein Land, das sie wohl oder übel als ihr Heimatland anzusehen haben, zum absoluten Maßstab nehmen. Doch auch das ist bekanntlich österreichisch, denn eine Nestroyformulierung wie: »Mir geht nichts über mich« kommt wohl nicht von ungefähr. Möglicherweise hat das mit dem Nationalcharakter zu tun, der es immer häufiger verhindert, dass gemeinsame Freude aufkommt und auch jene

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Feste gefeiert werden, die abseits des privatesten Bereichs zum kollektiven Erleben gehören. Allerdings gibt es auch dafür Erklärungen und Einschränkungen, denn zum einen lässt sich Freude nicht einfach perpetuieren und zum anderen empfindet jene Generation, für die ein Ereignis wie der Abschluss des österreichischen Staatsvertrags 1955 in eine Art Mitte des Lebens gefallen ist, anderes als die Generation davor, vor allem aber auch anderes als die Generationen danach. Es ist gewesen; dass es seinerzeit als unendlich wichtig eingestuft wurde, dass es Anlass zu kollektiver Freude gewesen ist und in regelmäßigen Abständen wieder dazu einlädt, sich zu freuen, muss für die Nachkommenden noch lange nicht Grund zu vergleichbarer Freude sein. Vielleicht macht es sie sogar verlegen bis regelrecht ärgerlich, denn jeglicher Hinweis auf die Leistung vorangegangener Generationen verbindet sich fast automatisch mit der Aufforderung, es gleichzutun. Und derartige Aufforderungen schätzt man nicht unbedingt. Es gibt aber noch viel Banaleres als die Erinnerungsdistanz zum Gedächtnisort Staatsvertrag. Osterreich hat durch Migration mindestens so starke Änderungen erfahren wie durch den Generationenwechsel, und auch dadurch ist jene Gleichmäßigkeit geschwunden, die früher einmal des Kaisers Geburtstag oder der Independence Day für die USA war und ist. Vielleicht haben wir es aber auch nur nicht verstanden, jenen Zuwanderern und jenen Fremden mehr als ein Aufenthalts-, nämlich ein Heimatgefühl zu geben, das sie befähigt hätte, Träger der Idee von einem neuen Osterreich zu werden. Ein Argument kann aber nicht mehr herangezogen werden, um als Erklärung für ein zu geringes persönliches Engagement und das Fehlen eines kollektiven Freudengefühls genannt zu werden, nämlich eine Inflation von vergleichbaren Feiertagen. Die Zweite Republik versucht, ganz im Gegenteil, mit drei Daten auszukommen und hat nur einem einzigen Feiertagscharakter angedeihen lassen. Diese drei Daten sind der 27. April 1945 als Tag der österreichischen Unabhängigkeitserklärung - Independence Day auf österreichisch, sozusagen; der 15. Mai 1955 als Tag des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrags; und schließlich der 26. Oktober 1955 als jener Tag, an dem das Verfassungsgesetz über die immer währende Neutralität verabschiedet worden ist. Der Tag der Unabhängigkeitserklärung hat sich abseits der jeweiligen österreichischen Bundesregierung, die zu einer Festsitzung zusammentritt, nicht ins Bewusstsein eingegraben. Dass es ein Denkmal der Unabhängigkeitserklärung im Schweizer Garten in Wien und 300 m von jenem Oberen Belvedere entfernt gibt, wo der Staatsvertrag unterzeichnet wurde, gehört zu den großen Geheimnissen, die die Republik um diesen Tag und den eine Stadt um ihre Denkmäler macht. Man ist sehr wohl an Robert Musil gemahnt, der so feinsinnig festgestellt hat, dass kaum etwas so unsichtbar ist wie Denkmäler im öffentlichen Raum. Dass der 15. Mai 1955 weit stärker im Bewusstsein verankert ist, rührt wohl daher, dass eher instinktiv als durch eine konsequente Verweisimg auf die Bedeutung des Tages eine Traditionalisierung stattgefunden hat, die nur deshalb nicht stärker zum Tragen gekommen ist, weil schon 1958 bei der Diskussion darüber, ob der Tag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags vielleicht feierlich begangen werden sollte

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und eventuell auch die Qualität eines Nationalfeiertags hätte, ein Gegenargument aufkam, das schlagkräftiger nicht sein konnte: Im Mai, so hieß es - und so ist es gibt es ohnedies schon so viele Feiertage; man sollte also nicht noch einen weiteren hinzufügen, sondern sich ein anderes Datum suchen. Dieses andere Datum wurde dann der 26. Oktober als jener Tag, an dem ein Osterreich nach Wiedererlangen seiner vollen Souveränität aus freien Stücken die Erklärung der immer währenden Neutralität des Landes abgab. Unausrottbar und vielleicht auch unvermeidbar wurde der Tag allerdings immer und bis in die Gegenwart damit in Verbindung gebracht, dass an diesem 26. Oktober 1955 der letzte Besatzungssoldat Osterreich verlassen hätte. Obwohl es glatter Unsinn war und ist, erübrigt es sich allmählich dagegen anzukämpfen, denn da es seit zumindest zehn Jahren zu den Usancen der österreichischen Politik gehört, am Nationalfeiertag die Neutralität nicht zu erwähnen, wird sich an der falschen Interpretation des Datums wohl kaum noch etwas ändern. Doch was für die Neutralität gilt, gilt ähnlich für den Staatsvertrag. Denn trotz der verhältnismäßig langen Zeit von 50 Jahren und akribischer Forschung ist immer wieder festzustellen, dass Ursachen, Zusammenhänge und Auswirkungen des Vertragswerks noch keinesfalls abschließend dargestellt werden können und sich auch immer wieder markante Irrtümer breit machen. Aber natürlich ist auch die Geschichte des Staatsvertrags etwas, wo neue Forschungen auch neue Ergebnisse bringen, sich allmählich die Gewichtungen verschieben und schließlich auch eine Neupositionierung insofern vorgenommen werden kann, als es doch immer den Anschein hatte, als würde dieser Vertrag lediglich etwas abschließen, nämlich die Besatzungszeit. Genauso gut könnte man jedoch den österreichischen Staatsvertrag auch als etwas sehen, das in die Zukunft weist und mit dessen Hilfe eine ganz entscheidende Weichenstellung vorgenommen worden ist: Es kam zu einer Neuordnung in Europa; die sicherheitspolitischen Gegebenheiten verschoben sich fast ruckartig, und nicht nur für Osterreich war »am Tag danach« alles anders. Die Sicht dessen, was da vor sich gegangen ist, kann gar nicht einheitlich sein, denn schon auf Grund der Vielteilung Österreichs und der unterschiedlichen Entwicklung in den Besatzimgszonen war alles denkbar uneinheitlich. Das begann in oft kleinen Orten, die durch Demarkationslinien oder dann Zonengrenzen geteilt waren, und setzte sich dort fort, wo jede Besatzungsmacht ihre Besonderheiten entwickelte und sowohl ihr politisches Grundkonzept wie auch ihre sozialen Besonderheiten, wirtschaftlichen Gegebenheiten und kulturellen Traditionen auf ihre Zonen zu übertragen begann. Dabei werden Machtstrukturen ebenso deutlich wie jene Besonderheiten, die schließlich jede einzelne Besatzimgsmacht in ihrem Verhältnis zu Osterreich entwickelte. Das wird auch im Rahmen dieses Bandes behandelt und findet sich in den Beiträgen von Siegfried Beer, Günter Bischof, Thomas Angerer und Stephan Karner. Es treten aber auch besondere Aspekte hervor, die zu einer Verschiebung der etwas klischeehaften Bilder vom »Goldenen Westen« und dem »Wilden Osten« beitragen, einem Paradigmenwandel, dem sich besonders Robert Kriechbaumer widmet.

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Immer wieder tritt dabei auch die Ambivalenz hervor, die sich daraus ergab, dass man sich schon während des Kriegs nicht ganz klar werden konnte, was Osterreich war und was es sein würde. Die Ambivalenz setzte sich dort fort, wo Befreiung und Besetzung Hand in Hand gingen und man schließlich auch in den Besatzungsmächten Befreier und Okkupanten zu sehen hatte, die dringendst gebraucht wurden, um Ordnung im Chaos der ersten Nachkriegszeit zu schaffen, am Leben erhielten und erste Wiederaufbauhilfe leisteten, dann aber als entbehrlich angesehen wurden - wäre da nicht auch noch die Schutzfanktion gewesen, die einzelne Gruppen, ganze Bundesländer und letztlich auch der Gesamtstaat in Anspruch nahmen. Erst allmählich begannen die Zonen und Länder zusammenzuwachsen und bildete sich ein Ganzes heraus, das wieder den Anspruch erheben konnte, als Staatswesen mit einer ausgeprägten Individualität gesehen zu werden. Mit der Ambivalenz ebenso wie mit dem Prozess des Teilens und wieder Zusammenwachsens beschäftigt sich der Beitrag von Barbara Stelzl-Marx. In dem Augenblick freilich, da Osterreich zusammen mit seinen Besatzungsmächten über einen Vertrag zu verhandeln begann, der die Bedingungen des Abzugs der alliierten Truppen und Voraussetzungen für die Erlangung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität enthalten sollte, waren auch die Nachbarn Österreichs gefragt. Sie verfolgten daher ebenso wie die unmittelbar Betroffenen den Gang der Verhandlungen. Und letzdich waren sie genauso involviert. Das galt für alle, die sich mit Gebietswünschen herumgeschlagen hatten, wie Italien und Jugoslawien, in besonderem Maß aber für Deutschland. Denn für jeden bedeutete die Möglichkeit des Vertragsabschlusses auch die Aussicht auf eine Neuorientierung. Es gab Wiederanknüpfungen oder zumindest Versuche derselben. Politik und Geschichtsbilder erhielten fallweise revisionistische Züge. Auf jeden Fall genügte es nicht so zu tun, als ob es ein bruchloser Ubergang gewesen wäre, auch wenn es natürlich jede Menge Anknüpfimgsmöglichkeiten gab und aus einer letztlich gemeinsamen Geschichte einmal das eine, dann das andere stärker hervorzuheben war. Am auffälligsten ist aber sicherlich, dass mit dem Staatsvertrag vom Belvedere das Ende des alliierten Besatzungsregimes gekommen war und damit auch sichtbar jene Periode endete, die vom Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, der nationalsozialistischen Herrschaft, von Krieg, Widerstand und Verfolgung, vor allem aber der gewaltsamen Befreiung des Landes 1945 und der anschließenden Besetzung und Teilung geprägt gewesen war. Es endete auch - scheinbar - jene Ambivalenz, die in der Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 ihren Ausgang genommen und von Österreich als Opfer und Täter des nationalsozialistischen Deutschland gesprochen hatte. Zwischenzeitlich waren für den Opfer- wie den Täteraspekt jede Menge Argumente beigebracht worden. Es war darüber diskutiert worden, was es mit der so genannten Mitschuldklausel der Moskauer Deklaration auf sich hatte, in der so überdeutlich daraufhingewiesen wurde, dass bei der endgültigen Regelung der Österreichfrage alles das in Rechnung gestellt werden sollte, was Österreich selbst zu seiner Befreiung beitragen würde. Es war auch immer wieder von der

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Verantwortung gesprochen worden, der Österreich nicht entfliehen könne; doch in der Folge kreiste die Diskussion mehrheidich um die Frage, welche Menge an Schuld Osterreich auf sich geladen hatte, welche Möglichkeiten zum Widerstand genutzt und welche nicht genutzt worden waren, bis dahin, dass immer bohrender gefragt wurde, was getan worden war, um Wiedergutmachung zu leisten. Doch merkwürdigerweise fand dabei ein Vorgang kaum nennenswerte Beachtung, nämlich die österreichische Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945, die wohl eine der sichtbarsten Handlungen war, mit der sich ein neues Osterreich zum Zeitpunkt seiner Geburt von der Vergangenheit abzunabeln gesucht und in sicherlich anderer Weise, als es die Alliierten gemeint hatten, deutlich zu machen bestrebt gewesen ist, dass es gesonnen war, Verantwortung zu übernehmen. Nicht mit allen Konsequenzen, freilich. Es hat aber nicht nur im Falle Österreichs den Anschein, dass autonome Akte der Selbstreinigung und Selbstfindung nicht gefragt waren, zumindest aber erst mit den mittel- und langfristigen Konzeptionen der Alliierten in Einklang gebracht werden mussten, sodass der Vorgang des Beendens und des Anfangens zum Prozess wurde und schließlich - im Fall Österreichs - zehn Jahre in Anspruch nahm. Es wäre aber unbillig, die Besatzungsmächte lediglich als Hemmnisse einer rascheren und radikaleren Entwicklung zu sehen, denn sie hatten natürlich enorme Probleme im Jahr 1945, die nicht nur durch Fragen des politischen Wiederbeginns gekennzeichnet waren, sondern in erster Linie durch die fundamentale Not in einem durch den Nationalsozialismus entarteten und durch den Krieg verwüsteten Land. Die Alliierten waren nolens volens Schutzmächte geworden, die verhinderten, dass Österreich - was durchaus der Fall hätte sein können - regelrecht implodierte und damit jener Auflösung entgegenging, die nach dem Ersten Weltkrieg sehr wohl eine Zeit lang gedroht hatte. Doch die Alliierten begannen auch ein Gezerre, da der Osten wie der Westen Österreich auf seiner Seite haben wollte. 1945 war noch durchaus nicht klar, welche Regelungen gefunden werden müssten, um alle anstehenden Fragen dauerhaft zu lösen. Dass das zweckmäßigerweise mit Hilfe eines Vertrages geschehen sollte, war wohl zu erwarten gewesen. Bis es aber dazu kam und Verhandlungen dazu aufgenommen wurden, durchlief Österreich gewissermaßen im Zeitraffer seine Geschichte ab 1918. Zunächst einmal galt es zu überleben, und was nach dem Ersten Weltkrieg die »Wracken«, also Feldrüben, waren, das wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Erbsen und Bohnen in den von der Roten Armee besetzten und am Leben zu erhaltenden Teilen des Landes. Anderswo hatte man es scheinbar besser, doch wenn es statt Brot Dosenkeks gab, ließ sich der Hunger genauso wenig stillen. Noch während des Zusammenbruchs der nationalsozialistischen Herrschaft begann das politische Leben: mit unterschiedlichen Demokratievorstellungen, einer bis ins letzte Detail gehenden Kontrolle durch die Besatzungsmächte, gegen die man sich gerne aufgebäumt hätte und dann auch aufzubäumen begann. Anderseits zwangen sie zur Einheit und ebenso brauchte man sie, um die jenseits der Uberlebensfrage angesiedelten Pro-

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bleme zu lösen. Am auffälligsten war dabei wohl, dass ebenso wie nach dem Ersten Weltkrieg zunächst die territorialen Fragen aufbrachen. Dabei spielten mehrfache Begehrlichkeiten eine Rolle. Österreich äußerte in einem Fall, nämlich Südtirol, massive territoriale Wünsche und setzte - wie nach dem Ersten Weltkrieg - die Angliederung Südtirols mit existentiellen Fragen des staatlichen Überlebens gleich. Obwohl es zunächst den Anschein hatte, als ob sich einige der alliierten Besatzungsmächte sehr wohl zu Anwälten Österreichs machen würden und einer Angliederung Südtirols das Wort redeten, stellte sich letztlich heraus, dass diese Frage weder Sowjets und Amerikanern noch Briten oder Franzosen wichtig genug schien, um sich nennenswert zu exponieren. Österreich erlitt ein außenpolitisches Debakel. Als eine Art minimaler Ausgleich für die unerfüllt gebliebenen Wünsche im Fall Südtirols wurde dann der Wunsch nach Angliederung Ödenburgs/Soprons geäußert. Doch diese Begehrlichkeit wurde weder von nennenswerten Teilen Österreichs unterstützt, noch war sie geeignet, zum Ziel der offiziellen Politik zu werden. Wohl aber war es Ziel der offiziellen Politik und wurde schließlich eine der zentralen Fragen der Regelung territorialer Aspirationen nach dem Zweiten Weltkrieg, dass sich Österreich gegen jugoslawische Forderungen nach Abtretung des südlichen Kärnten und kleiner Teile der Steiermark zur Wehr setzte und schließlich regelrecht auf eine Formel hindrängte, die besagte, die Grenzen Österreichs würden jene sein, wie sie am i. Jänner 1938 existiert hatten. Damit sollte dann eigentlich nicht mehr groß über das Kanaltal und die Gottschee gesprochen werden und ebenso jenes Geplänkel ein Ende haben, wo in Salzburg Wünsche nach dem Anschluss des bayerischen Berchtesgadenerlands und des so genannten Rupertiwinkels laut geworden waren oder aber in Verhandlungen mit der Tschechoslowakei Grenzveränderungen im Bereich der Nord- und Ostgrenze, vor allem an der Marchmündimg, diskutiert worden waren. Zur Geschichte im Zeitraffer gehörte auch, dass Österreich sein Verhältnis zu einem ohnedies nur mehr historischen Deutschland überdenken musste und dabei kurzfristig den Opferaspekt so ins Spiel bringen wollte, dass Österreich bei der angestrebten vertraglichen Regelung Wiedergutmachung durch Deutschland zu bekommen gehabt hätte. Entgegen den in Österreich gehegten Hoffnungen ließ der Beginn der Verhandlungen mit den Alliierten auf sich warten. Die Verträge mit Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland wurden vorgezogen, doch schließlich, Anfang 1947, kam es zu den ersten Anhörungen, bei denen Österreich Rede und Antwort zu stehen hatte. Das Vorausgedachte, mittlerweile in Österreich selbst von den Alliierten Resümierte und in Vorverhandlungen Hinterfragte fand schließlich Eingang in ein britisches Dokument, das als Entwurf für einen Österreichvertrag erstmals im April 1947 im Rahmen der Moskauer Außenministerkonferenz der Siegermächte vorlag. Damit begann ein noch nicht absehbarer Verhandlungsmarathon, der im Beitrag von Rolf Steininger behandelt wird. Zunächst war der österreichische Außenminister lediglich als Auskunftsperson geladen und musste schließlich erleben, wie so gut wie alle Hoffnungen zunichte gemacht wurden. Es waren aber nicht nur die von den Sowjets erhobenen Forderungen nach um-

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fangreicher materieller Wiedergutmachung und die ebenfalls von den Sowjets unterstützten jugoslawischen Forderungen nach Abtretung des südlich von Gail und Drau gelegenen Gebiets Kärntens, welche die Verhandlungen an einem toten Punkt anlangen ließen, sondern ebenso Forderungen der westlichen Alliierten, die auf erhebliche Souveränitätsbeschränkungen Österreichs hinausliefen und das Scheitern in Moskau besiegelten. Der einzige Lichtblick war, dass die Verhandlungen weitergeführt werden sollten, dass man auf Ebene von Sonderbevollmächtigten nach Lösungen suchen wollte und schließlich auch bei diesen Verhandlungen in Wien eine sehr wichtige Entscheidung fiel, dass nämlich den Sowjets ihre materiellen Forderungen, vornehmlich jene nach dem so genannten Deutschen Eigentum in Osterreich, durch die Zahlung von 150 Millionen Dollar und etliche Zusatzleistungen abgegolten werden könnten. 1948 fand die nächste Außenministerkonferenz statt und fing insofern vielversprechend an, als es in der Osterreichfrage schon klar umrissene Lösungsmöglichkeiten gab. Doch nun zeigte sich, dass die westlichen Alliierten, vornehmlich Amerikaner und Briten, diesen Lösungen eher entgegenbangten, als dass sie noch in ihr sicherheitspolitisches Konzept gepasst hätten. Die kommunistischen Machtübernahmen in Ungarn 1947 und in der Tschechoslowakei 1948 wurden als Alarmzeichen gewertet, dass für den Fall eines Abzugs der Alliierten aus Osterreich auch hier ein ähnlicher Umschwung stattfinden könnte und dann niemand mehr da wäre, um jene Schutzfunktion auszuüben, um die es ja von allem Anfang an auch gegangen war. Also waren die Westmächte ganz froh, dass die Sowjets weiterhin für die jugoslawischen Gebietsforderungen eintraten und die Verhandlungen an diesem Punkt abermals scheiterten. In welchem Zusammenhang der Staatsvertrag international zu sehen ist und wie sich vor allem Deutschland auf seinen Nachbarn im Süden einzustellen begann, der alles daran setzte, aus der als gemeinsam angesehenen deutschen Geschichte auszubrechen, wird von Gregor Schöllgen und Michael Gehler behandelt. Ein ums andere Mal war festzustellen, dass die Besatzungsmächte, ebenso wie Deutschland und manchmal auch Österreich, regelrecht erleichtert waren, wenn wieder eine Staatsvertragsrunde ergebnislos endete. Doch immer wieder ging es weiter, und schließlich schienen 1949 nur mehr wenige Details zu klären zu sein, ehe an einem bereits fixierten Datum, nämlich dem 1. September 1949, der Vertrag unterschriftsreif vorliegen würde. Doch innerhalb von wenigen Monaten veränderten sich die Voraussetzungen für den Westen ebenso wie für die Sowjetunion in einer Weise, die es ihnen angesichts einer Zeit zunehmender Spannungen nicht ratsam erscheinen ließ, ihre Positionen in Österreich aufzugeben. Das Land diente scheinbar keinem anderen Zweck, als Frontstaat zu sein, nicht aber um seiner selbst willen, sondern aus der Logik des Kalten Kriegs heraus. Bis zu einem gewissen Grad entsprach das aber genau jener Zwitterstellung, die Österreich seit der Moskauer Deklaration 1943 einnahm, nämlich befreit und besetzt zu sein; jetzt war es eben westlich und östlich der Fronten des Kalten Kriegs, auf eigentümliche Weise im Zentrum und gleichzeitig an der Peripherie, und auf jeden Fall dazu verdammt, noch länger besetzt zu sein.

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Nicht, dass es nach 1949 keine nennenswerten Versuche gegeben hätte, voranzukommen, doch die Initiativen blieben ohne Ergebnis und mussten es vielleicht auch bleiben, da die Sowjetunion Anfang der 5oer-Jahre den Anschein erweckte, immer sklerotischer zu werden, und sich erst nach dem Tod Stalins im März 1953 wieder aus der Erstarrung löste. In diese Zeit fallen eine ganze Reihe von Versuchen, die Verhandlungen wieder flott zu bekommen, vor allem eine in ihren Details noch wenig bekannte Initiative, die Vereinten Nationen ins Spiel zu bringen, wie dies Klaus Eisterer in seinem Beitrag schildert. Doch auch dieser Vorstoß führte nicht zum gewünschten Erfolg. Erst als sich eine neue sowjetische Führung etabliert hatte, ging es weiter, und es konnte daher als regelrechtes Signal verstanden werden, dass schon 1953 die Weichen für eine nächste und, wie man natürlich hoffte, letzte Österreich-Runde gestellt wurden. Bei der Außenministerkonferenz, die dann im Februar 1954 in Berlin stattfand, lag im Wesendichen der Entwurf von 1949 vor, allerdings hatte sich mittlerweile ein Wort in die Diskussion geschlichen, das wie kein anderes eine neue sicherheitspolitische Dimension deutlich machen sollte: Neutralität. Zum einen aber war eine mögliche österreichische Neutralisierung gedanklich noch nicht ausgereift, zum anderen konnte sich gerade die Sowjetunion noch nicht zur Gänze von den älteren »Strickmustern« der Osterreich-Verhandlungen lösen und verlangte, dass bei einem grundsätzlich schon vereinbarten Abzug der Alliierten aus Osterreich symbolische Truppen so lange stationiert bleiben sollten, bis es auch einen Deutschland-Vertrag gäbe. Aus der Sicht der Gegenwart hätte das bedeutet, dass Kontingente von nicht bestimmter Größe vielleicht bis 1989 oder 1990 in Osterreich verblieben wären. Die Verhandlungen in Berlin scheiterten. Schließlich aber, und auch das war nicht vorhersehbar gewesen, kam es zum entscheidenden Durchbruch. Moskau suchte in direkten Verhandlungen mit Osterreich die noch strittigen Punkte auszuräumen und machte eine völlig neue Art der Gegenrechnung auf: Für das österreichische Zugeständnis, nach Abschluss des Staatsvertrags nicht der NATO beitreten zu wollen und womöglich einen militanten antisowjetischen Kurs zu steuern, sondern neutral wie die Schweiz zu werden, willigten die Sowjets in die Revision einer ganzen Reihe von staatsvertraglichen Bestimmungen ein, wollten sich auch mit geringeren materiellen Leistungen zufrieden geben, die zahlenmäßigen Beschränkungen für das österreichische Heer fallen lassen und auch einen kompletten Truppenabzug vornehmen. Die österreichischerseits schon klar definierte Absicht, immer während neutral zu werden, war zweifellos der Schlüssel zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen. Uber die Dimensionen der Neutralität war man sich aber in Wien zweifellos noch nicht im Klaren, wie David Rezac detailliert ausführt. Das alles sollte schließlich im Rahmen eines außertourlichen Außenministertreffens in Wien besiegelt werden. Österreich willigte ein, obwohl mehr als deutlich war, dass es in Bedingungen einwilligte, die bei Amerikanern und Briten auf Skepsis und Misstrauen stießen. Spätestens bei dieser Gelegenheit wurde aber auch offenkundig, dass der österreichische Staatsvertrag nicht nur eine längst fallige

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Bereinigung von Fragen bringen sollte, die aus Anschlussbewegung, Nationalsozialismus und Krieg herrührten, sondern eine Investition in die Zukunft sein sollte. Wie groß etwa die britische Skepsis war, erhellt aus Äußerungen des britischen Hochkommissars und Botschafters in Osterreich, Sir Geoffrey Wallinger, der schlichtweg meinte, Osterreich hätte sich komplett über den Tisch ziehen lassen, und die Einigung mit den Sowjets würde mit dem Münchner Abkommen von 1939 zu vergleichen sein. Letztlich beugten sich aber auch die Westmächte der Notwendigkeit, mit der Sowjetunion und deren neuer Führung die Zukunft zu gestalten und größere Probleme zu lösen, als sie die Osterreichfrage darstellte. Das sollte freilich nicht verhindern, dass auch Amerikaner, Briten und Franzosen noch vor dem Außenministertreffen in Wien in bilateralen Verhandlungen eine Reihe von Zugeständnissen erreichten, die auch materiell ins Gewicht fielen und zusammen mit den der Sowjetunion vertraglich zugesagten Zahlungen, Lieferungen und Leistungen den Preis der Freiheit ausmachten. Die materiellen Komponenten des Vertragswerks listet Roman Sandgruber in seinem Beitrag auf. Und Osterreich konnte auch in diesen letzten Runden nichts verweigern, weil es nicht ein abermaliges Scheitern der Staatsvertragsverhandlungen riskieren durfte. Die letzte Runde in Wien war schließlich tatsächlich weit mehr von dem bestimmt, was die Zukunft bringen sollte, als dass sich noch irgendwer nennenswert für die österreichische Vergangenheit interessiert hätte oder auch Dinge fortschreiben wollte, die seinerzeit, 1943 in Moskau, in die Osterreichdeklaration vom 1. November geschrieben worden waren und wo in ambivalenter Weise von Opfer und Täter die Rede gewesen war. Jetzt galt nur mehr, was dann Außenminister Leopold Figl nach Unterzeichnung des Staatsvertrags in den immer wieder zitierten Satz kleidete: »Osterreich ist frei.« Mit der Unterzeichnung des Vertrags am 15. Mai 1955 wurde eine Art Operationskalender wirksam, wo immer das eine das andere nach sich zog. Zunächst einmal begann die Ratifikationsdebatte, die nicht nur in Osterreich, sondern auch bei den Signatarstaaten in deren Parlamenten durchzuführen war, bis schließlich das letzte Exemplar der Ratifikationsurkunde im sowjetischen Außenministerium einlangte, wo das in Wien unterzeichnete Staatsvertragsdokument mit allen Siegeln und Unterschriften deshalb verwahrt wurde, weil der sowjetische Außenminister nicht turnusmäßig, aber sehr wohl mit der Zustimmung seiner Kollegen den Vorsitz geführt und dementsprechend das Dokument zur Verwahrung übernommen hatte. Am 27. Juli 1955 endete nicht nur die Wirksamkeit des Zweiten Kontrollabkommens, über dessen Zustandekommen Wolfgang Müller nicht zuletzt auf Grund russischer Quellen berichtet; es begann auch jene im Vertrag festgeschriebene 90-Tage-Frist zu laufen, die für den Abzug der Besatzungstruppen aus Osterreich vorgesehen war. Man durfte allerdings auch länger bleiben, denn im Vertrag hieß es ausdrücklich, dass der Abzug der Truppen spätestens bis 31. Dezember 1955 finalisiert sein sollte. Doch es war klar, dass sich alle an die 90-Tage-Frist halten wollten, vor allem die Sowjets, die schließlich als Erste ihren Truppenabzug bewerkstelligten. Dementsprechend bereitete Österreich sein Neutralitätsgesetz vor, das aus guten Gründen, und auch

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durchaus in Absprache mit den Alliierten, keinen Eingang in den Staatsvertrag selbst gefunden hatte, sondern als eigenes Bundesverfassungsgesetz und souveräner Akt verabschie det werden sollte. Franz Cede lotet im Folgenden die Dimensionen aus. Erst mit der Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes und mit dem UNO-Beitritt Österreichs am 14. Dezember 1955 war dann das komplexe Werk von Verhandlungen, Daten und Verträgen, mit denen eine weit mehr als zehn- oder siebzehnjährige Vergangenheit aufgearbeitet wurde, unter Dach und Fach. Das »annus memorabilis«, wie es der einzige noch lebende nennenswerte Zeitzeuge, Ludwig Steiner, beschreibt, neigte sich seinem Ende zu. Was der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags folgte, waren aber nicht nur die Ratifikationsdebatten, die Räumungsfrist und der Abzug der alliierten Truppen, der Jubel und eine gewisse Fassungslosigkeit, was sich alles im Zeitraum von wenigen Monaten veränderte und Osterreich regelrecht in seine Zukunft schleuderte. Ebenso gehört zu diesem Ablauf, dass man sich über den Erfolg der Rekonstruktion Österreichs wie auch über Eigentümlichkeiten, Fehler und zumindest partielle Misserfolge klar zu werden begann. Nicht alles war geglückt. Und schließlich konnte auch die Wiedereröffnung des Wiener Burgtheaters und der Staatsoper nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im Bereich der Kulturpolitik manches regelrecht zugeschüttet worden war und daher erst wieder sichtbar gemacht werden musste. Ein Prozess, der nicht immer ganz einfach war, regionale Verschiedenheiten aufwies und letztlich Jahrzehnte benötigte, wie Dieter A. Binder einprägsam ausfuhrt. Österreich hatte einige Mühe, wieder zu sich selbst zu finden. Und auch die Nachbarn im engeren und im weiteren Sinn mussten sich erst an die neue Situation gewöhnen. Wahrscheinlich wurden auch etliche Bestimmungen, die der österreichische Staatsvertrag enthielt, erst nach und nach voll erfasst und in ihrer Relevanz für die Zukunft bedacht. Die Feststellung, dass Österreich ein souveräner Staat sei mit einem genau definierten Territorium, nämlich jenem, das bis 1937 als Österreich gegolten hatte, schien eine Art Selbstverständlichkeit zu sein. Dennoch: Erst jetzt gab es jene vertragliche Sicherheit, die sämtlichen Gebietswünschen, seien sie österreichischerseits einmal in Erwägung gezogen worden, sei es, dass es Gebietswünsche der Nachbarn waren, jegliche Aktualität nahm. Und die Nachbarn waren in besonderer Weise gefordert. Die Achtung der Menschenrechte wurde ebenso als selbstverständliche Verpflichtung vertraglich abgesichert, wie der Schutz der slowenischen und kroatischen Minderheit in Österreich und die Möglichkeit zu deren kultureller Entfaltung. Besonders auffällig waren die militärischen und die Luftfahrtbestimmungen. Sie luden geradezu ein, die entsprechenden Passagen mit einem gewissen Kopfschütteln zu lesen oder sich auch regelrecht daran zu stoßen, denn was sollte das Verbot von Unterseebooten, Seeminen und bemannten Torpedos im Falle Österreichs ? Schon eher konnte plausibel gemacht werden, dass sich Österreich in Zukunft des Besitzes von atomaren, chemischen und biologischen Waffen entschlagen sollte. Was im Gegenzug dazu eingehandelt wurde, war die Zustimmung der übrigen Staatsvertragssignatare, dass Österreich ein Heer auf Grundlage der allgemei-

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nen Wehrpflicht und ohne zahlenmäßige Beschränkung aufstellen konnte, sodass auch die Kompatibilität zwischen dem Staatsvertrag einerseits und dem Neutralitätsgesetz andererseits gegeben war, in dem sich Osterreich dem Schweizer Vorbild entsprechend verpflichten wollte, seine Souveränität und territoriale Integrität notfalls unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden militärischen Mittel zu verteidigen. Doch gerade die sicherheitspolitische Komponente zeigt eine gewisse Willfährigkeit und Leichtfertigkeit der vertragsschließenden Mächte, wo der Teufel im Detail steckte und auch schon früh die Interpretation der Bestimmungen einsetzte, wie Wolfgang Schallenberg beschreibt. Zu den Luftfahrtbestimmungen des Staatsvertrags gehörte auch, dass es Österreich verboten sein sollte, zivile Flugzeuge deutscher oder japanischer Bauart zu besitzen oder aber solche Flugzeuge, bei denen wesentliche Bauteile deutschen oder japanischen Ursprungs waren. (Das wurde 1955 zwar zum wenigsten als eine Einschränkung empfunden und entwickelte sich erst Jahrzehnte später zum Problem.) Osterreich übernahm es auch mit dem Staatsvertrag, jene zu entschädigen, denen vornehmlich aus rassischen Gründen nach 1938 ihr Eigentum entzogen und ihr Kunstbesitz geraubt worden war. Der am längsten verhandelte und schließlich lediglich als eine Art Kostenfaktor des Staatsvertrags in Rechnung zu stellende Abschnitt behandelte das so genannte Deutsche Eigentum bzw. Forderungen der Sowjetunion, wie ihr die Herausgabe dieses Eigentums abgegolten werden sollte. Merkwürdigerweise sollte sich dann herausstellen, dass gerade diese komplizierte Materie, um die jahrelang gerungen und zeitweilig regelrecht gefeilscht worden war, schließlich nur eine temporäre Belastung darstellte. Denn die Zahlung der Ablöse konnte auch in Form von Warenlieferungen erfolgen, die Schiffe und Anlagen der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft konnten um zwei Millionen Dollar zurückgekauft werden, und die der Sowjetunion vertraglich zu liefernden 10 Millionen Tonnen Erdöl wurden schließlich 1958 auf rund 6,5 Millionen reduziert. Alles in allem war es etwas, das leistbar war. Das hinderte freilich nicht, dass nicht in ganz Österreich ein gemeinsames Gefühl der Freude aufkam und lediglich Erleichterung über den Abzug der Besatzungstruppen zu verspüren gewesen wäre. Ost- und Westösterreich hatten sich in den zehn Jahren aneinander geklammert und auseinander gelebt. Wieder - und jetzt endgültig - zusammenzufinden war eine Aufgabe der Zukunft und alles andere als ein schmerzloser Vorgang, so wie das Barbara Stelzl-Marx beschreibt. Der Staatsvertrag hatte aber auch jede Menge Auswirkungen auf das bilaterale Verhältnis zu den Nachbarn Österreichs, wobei es wahrscheinlich für die allermeisten völlig unerwartet kam, dass die Bundesrepublik Deutschland das Gefühl hatte, von Österreich nicht nur im Stich gelassen worden zu sein, sondern mehr noch, dass der Vertrag nicht zuletzt auf Kosten Deutschlands geschlossen worden war. Es sei daher noch einmal auf den Beitrag von Michael Gehler verwiesen. Dabei ging es zum wenigsten um die Fragen eines möglichen Anschlusses, denn dergleichen spielte auch in Deutschland so gut wie keine Rolle mehr; wohl aber machte der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer deut-

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lieh, dass er die Beispielfolgen des Österreichvertrages für Deutschland fürchtete; und er wie seine Regierung wollten keinesfalls den österreichischen Weg gehen. Außerdem hatte man in der Bundesrepublik Deutschland den Eindruck, Osterreich würde seinen Besatzungsmächten jegliche materielle Forderung erfüllen wollen und dabei übersehen, dass der Begriff »Deutsches Eigentum« nicht nur ein verbales Konstrukt war, sondern sehr wohl auch zum Ausdruck brachte, dass in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft sehr viel Kapital nach Osterreich geflossen war und nicht zuletzt der Verbesserung der industriellen Infrastruktur der damaligen Ostmark gedient hatte. Konnte das alles mit Verweis auf eine Art historischer Schuld Deutschlands entschädigungslos preisgegeben werden? Die deutsche Regierung glaubte das nicht und brach am 14. Mai 1955 de facto ihre diplomatischen Beziehungen zu Osterreich - wenngleich nur kurzfristig - ab. Erst nach Jahren konnte eine regelrechte Normalisierung Platz greifen. Andere Nachbarn hatten keineswegs mit vergleichbaren Problemen zu tun, doch für alle war die Situation insofern anders und neu, als immer auch in Rechnung gestellt worden war, dass beispielsweise die Amerikaner in Salzburg, Briten in Kärnten, aber auch Sowjets in Ostösterreich gewesen waren, und nun, und eigentlich erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg, standen sich die Nachbarn unmittelbar und ohne »große Brüder« gegenüber. Somit beendete der österreichische Staatsvertrag zwar formell etwas, was Vergangenheit war, doch ebenso und eigentlich viel mehr öffnete er den Weg in eine Zukunft, die erst gestaltet werden musste. Und auch das fiel noch in die Zuständigkeit jener Generation, die Krieg und Wiederaufbau, Besatzungszeit und Staatsvertrag erlebte und durchlebte. Dem Abschied von dieser Generation widmet sich abschließend Ernst Hanisch. Wenn daher mit dem vorliegenden Band gerade in einem Jahr, das zur Erinnerung an eine 50 und 60 Jahre zurückliegende Geschichte einlädt, aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln Analysen gegeben werden, dann geschieht das im Rahmen einer Gedächtniskultur, die zwar immer wieder in Frage gestellt wird, deren Berechtigung aber schon deshalb außer Zweifel steht, weil sie zunächst mit einer Art Datensicherung beginnt und erst im Weiteren daran geht, jenes Mehr an Wissen zu akkumulieren und in die Interpretation einer historischen Periode einfließen zu lassen, die sie auch gegenwärtig neu erschließt. Dabei wird immer wieder die zeitliche Distanz eine Rolle spielen, denn sie ist Voraussetzung dafür, dass wir mit jener Selbstverständlichkeit an die Ereignisse herangehen, die deutlich macht, wie sehr Geschichte Erfahrungswissenschaft ist. Diese Erfahrung lässt uns zunächst einmal feststellen, dass im Umfeld von Besatzungszeit und Staatsvertrag ein politischer und sozialer Wandel stattgefunden hat, der ganz entscheidenden Einfluss auf die Lebensbedingungen hatte. Man ist sogar versucht, von einer Zeit davor und danach zu reden und sie mit dem Differenzierungsgrad der Gesellschaft gleichzusetzen. In der Zeit davor, jener Periode also, die durch die unmittelbare Nachkriegszeit und die Notgemeinschaft gekennzeichnet gewesen ist, vermittelte Osterreich noch das Bild einer einfach strukturierten Gesellschaft mit unmittelbaren Abhängigkeiten der Menschen voneinander und mittelbaren Abhängigkeiten über größere räumliche, zeitli-

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che und soziale Distanzen hinweg. Die Zeit danach ist wiederum zunehmend dadurch gekennzeichnet, dass die unmittelbaren Abhängigkeiten voneinander in Abnahme begriffen waren, während die materiellen und institutionellen Bedingungen des Lebens ständig zugenommen haben. Man könnte auch einen anderen, gewissermaßen makrohistorischen Zugang zu Besatzungszeit und Staatsvertrag suchen und sich mit der Frage nach der Einmaligkeit oder auch der Rekurrenz der Vorgänge befassen, so wie das Reinhard Kosseieck getan hat. Und sicherlich werden sich viele Beispiele dafür finden, wo Einmaligkeit ins Spiel gekommen ist, ebenso wie sich beliebig viele Beispiele nennen lassen, welche Wiederholbarkeit dem einen wie dem anderen innewohnt. Zunächst einmal hat jeder einzelne Vorgang vom Kriegsende, der Befreiimg Österreichs und der Besetzung angefangen bis hin zum Staatsvertrag und seinen Folgen Aspekte des Einmaligen an sich. Ebenso aber fällt auf, dass die Wiederholbarkeit eine außerordentliche Rolle spielte. Das begann schon damit, dass sich der provisorische Staatskanzler der Zweiten Republik, Karl Renner, der auch für ihn nicht vorhersehbar gewesenen Situation bewusst wurde, dass er einen Vorgang der Staatswerdung, den er schon 1918 mitgemacht und in Abläufe zu bringen gehabt hatte, wiederholen konnte. Ab diesem Augenblick waren seine eigenen Handlungen und waren auch die Beobachtungen, die österreichischerseits und seitens der Besatzungsmächte angestellt wurden, immer wieder auf Wiederholbarkeit und Vergleichbarkeit hin ausgerichtet, und gerade dieses Rekurrenzstreben prägte die Handlung, da selbstverständlich getrachtet wurde, erkannte Fehler zu vermeiden und nur dort Vergleichbares zu schaffen, wo man sich des positiven und glücklichen Ausgangs sicher sein konnte. Solcherart wurde aus einem Jahrzehnt weit mehr, als dass es lediglich ablief, seine Ereignisse hatte und auf Grund der Vielzahl der Geschehnisse eine größere Dichte aufzuweisen scheint als vergleichbare Zeiträume. Und unter Zugrundelegung dessen, dass dieses bewusste Einbinden rekurrenter Phänomene in ansonst singuläre Abläufe eine Rolle spielte, lässt sich eine fast schon abwegig erscheinende Feststellung treffen, dass nämlich die Geschichte tatsächlich als Erfahrungswissenschaft genutzt worden ist, zumindest aber, dass die Erfahrung, die letzdich innerhalb einer Generation gewonnen werden konnte, ausreichte, um bewusstes Handeln zu erzielen. Vielleicht macht auch das gerade die Bedeutung dieses ersten Jahrzehnts der Zweiten Republik aus. Die Ordnung, die in den Beiträgen dieses Bandes anzutreffen ist, orientiert sich zum wenigsten an längeren historischen Abschnitten, sucht jedoch immer Momente zu beleuchten, die den Vergleich mit Vorangegangenem und Nachfolgendem zulassen. Die Zeit, um die es geht, hebt sich so deudich von jenem von Eric Hobsbawm so genannten »Zeitalter der Katastrophen« ab, dass nicht zuletzt mit Blick auf das Ende der Periode sehr wohl der Eindruck einer positiv gestalteten und bis zu einem gewissen Grad bewältigten Zeit entsteht. Welche ungelösten Probleme mitgenommen worden sind, was alles zu wenig beachtet und was alles unzureichend erledigt worden ist, erfuhr wohl erst durch die nachkommende Generation und durch die historische Aufarbeitung ihre Benennung und lud dazu ein, auch das erste Jahrzehnt der Zweiten Republik und auch eine so au-

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Manfried Raucbensteiner

genscheinüche Erfolgsgeschichte kritisch zu sehen. Ob man dabei so weit gehen will wie Peter Handke, der Osterreich recht unterschiedslos als »Land der Verlierer« bezeichnete, mag dahingestellt bleiben. Aber natürlich ist es auch eine Frage von Zäsuren und Periodisierungen. Richtig ist, dass Osterreich als Land, das aus dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie nach dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen war, seinen Neuanfang nicht in vergleichbarer Weise meistern konnte wie jenes Osterreich, das aus dem zusammenbrechenden Großdeutschen Reich hervorging. Es ist richtig, dass der um 1900 geborene Österreicher das Scheitern der Republik, das Scheitern des autoritären Ständestaats und vielleicht auch das Scheitern jeglicher Hoffnung, die sich mit dem so genannten Anschluss 1938 verbunden hat, erlebte. Gleichzeitig war jedes dieser Scheitern auch damit verbunden, dass etwas Neues begonnen hat, wieder die Chance auf Neubeginn gegeben war und genutzt werden konnte und sich daher dem »Land der Verlierer« sehr wohl auch etwas entgegenstellen lässt, das Ausdruck von Hoffnung sein kann und Erreichtes begrifflich widerspiegelt. Das Abrechnen mit der Vergangenheit weckt zudem dann zwiespältige Gefühle, wenn man sich vor Augen hält, dass derjenige, der nicht nur urteilend, sondern auch verurteilend an die Vergangenheit herantritt, sich selbst verabsolutiert, für erfahrener, besser, kritischer und eben anders sieht als jene, die er der Kritik unterzieht. Vielleicht war man sich nach dem Ersten Weltkrieg noch zu wenig bewusst, wie stark gerade ein so kleines Land wie Osterreich fremd determiniert sein musste, ein Umstand, der nach dem Zweiten Weltkrieg fast schon in Initiationsriten ähnlichen Formulierungen mündete. Man muss sich dazu nur die Formulierungen der Unabhängigkeitserklärung ansehen, in deren Erläuterungen nichts mehr auffallt als der Hinweis darauf, dass Osterreich bereits 1938 seiner sämtlichen Möglichkeiten entledigt, aller Mittel beraubt und aller historischen Bindungen verlustig gegangen ist. Daraus resultierte nicht nur die Erklärung, dass sich Osterreich von der großdeutschen Idee lossagen und seinen Weg aus Eigenem versuchen wollte, sondern auch die Feststellung, dass es dazu fremder Hilfe bedurfte. Diese Fremddeterminiertheit gehörte schließlich ebenso zum »Design« der Zweiten Republik, wie das Ernst Hanisch so plastisch beschrieben hat, wie das Rekurrente und das Einmalige, von denen bereits die Rede war. Durchgängig wird mit den in diesem Band vereinigten Beiträgen ein Hinweis darauf gegeben, dass die Zeit der alliierten Besetzung Österreichs und der Staatsvertrag ebenso wenig monokausale Erklärungen vertragen wie irgendeine andere Periode. Und wahrscheinlich wird auch das Gute wie das Böse in den Erklärungsmodellen seinen Platz finden, denn letztlich sind sie ebenso historische Kategorien wie Recht und Unrecht, Tat und Untat. Auch das Jahrzehnt der Besetzung gehört daher unter diesem Prätext rudimentiert. Wir haben es auch im Folgenden mit dem Phänomen Zeit zu tun und sind uns vielleicht zu wenig bewusst, wie sehr uns Zeit zu schaffen macht, sei es, dass sie den Blick unscharf werden lässt, sei es, dass sie erst die nötige Distanz schafft, um neu und anders ur-

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teilen zu können. Das Phänomen der Beschleunigung wird ebenso vorkommen wie der Versuch des bewussten Verlangsamens, und wahrscheinlich ist es richtig, wenn man dieses letzterwähnte Phänomen der NS-Ideologie von der Zeit danach abhebt. Zentrum und Peripherie, also scheinbar vorgegebene Verhältnisse, werden dahingehend zu relativieren sein, als gerade die Fremddeterminiertheit deutlich macht, dass für die österreichische Nachkriegszeit die Zentren außerhalb des eigenen Landes gelegen sind und folglich das eigene Land zur Peripherie werden konnte. Eine eher ungewöhnliche Vorstellung, die freilich mit einer eher banalen Feststellung in Verbindung zu bringen wäre, wonach man sich selbst nicht so wichtig nehmen sollte. Auch nicht mit Blick auf vergangene Zeiten. Aber freuen wird man sich doch können?

Siegfried Beer

Die »Befreiungs- und Besatzungsmacht« Großbritannien in Osterreich, 1945-1955

»[...] a small lion was walking between a huge Russian bear and a great American elephant.« (Winston S. Churchill on Yalta Conference, 1945) »To separate Austria from Germany, to eliminate Nazi influence, and to create Austria as an independent state without undue delay.« (John Mair, A C A , B E , 1956)

I.

EINLEITUNG

Das Jahrzehnt vom Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa im Mai 1945 bis zur Erringung des österreichischen Staatsvertrages im Mai 1955 wird in Osterreich in erster Linie als Epoche der alliierten Besatzung verstanden.1 Jüngere Forschungen haben zu Recht bedeutende Elemente der Uneinheitlichkeit und Unterschiedlichkeit in der Erfahrung dieser prägenden ersten Dekade der Zweiten Republik herausgestrichen,2 denn bei genauerer Betrachtung der inneren Gliederung dieses Besatzungsdezenniums werden je nach Region bzw. Zone und je nach Besatzungsmacht signifikant voneinander abweichende Verläufe und Befunde deutlich.3 Ohne Zweifel waren wenigstens die frühen Besatzungsjahre wesentlich von militärischer Okkupation, Bevormundung und Kontrolle als Besatzungsherrschaft durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs erlebt worden. Jede der vier Besatzimgsmächte entwickelte eine von den drei anderen Mächten durchaus unterscheidbare Grundhaltung, Kontrolle, Politik und Diplomatie und wird daher in der 1

Vgl. dazu vor allem Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz 1979 und Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955, Wien 1998.

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Vgl. z. B. Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge, ed. Manfried Rauchensteiner/ Wolfgang Etsch-

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mann (= Forschungen zur Militärgeschichte 4), Graz 1997. Vgl. Manfried Rauchensteiner, Das Jahrzehnt der Besatzung als Epoche in der österreichischen Geschichte. In: Österreich unter alliierter Besatzung 1945—1955, ed. Alfred Ableitinger/ Siegfried Beer/ Eduard G. Staudinger, Wien 1998, 15-39.

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Siegfried Beer

historischen Beurteilung richtigerweise differenziert gesehen. Die Rolle des Vereinigten Königreiches Großbritannien, das sich den Aggressoren des Zweiten Weltkrieges in Europa und in Asien am längsten entgegengesetzt hatte, als Befreier und Besatzer in Österreich wird in der historischen Forschung bisweilen unterschätzt und ist lange auch vernachlässigt worden.4 Allerdings ist in den letzten Jahren vor allem die zonale Kontrolle und ab 1946/47 zunehmend österreichfreundliche Politik der Briten in der Steiermark, in Kärnten und auch in Wien vor allem aus britischen Akten untersucht und analysiert worden.5 Zunächst ist festzuhalten, dass vor allem die Westmächte den Anschluss vom 13. März 1938 de facto und auch de jure anerkannt hatten und ihre Haltung dazu erst im Laufe des Krieges gemäß ihren Interessen veränderten.6 Während hochrangige Vertreter der So4 Fundierte, auf Quellen beruhende Arbeiten wurden zunächst nur zum Thema Nachkriegsplanung der Briten vorgelegt: Guy D. D. Stanley, Great Britain and the Austrian Question, 1938-1945, Ph.D. Thesis, University of London 1973; Reinhold Wagnleitner, Großbritannien und die Wiedererrichtung der Republik Osterreich, phil. Diss. Salzburg 1975; Joan E. Hills, British Policy and Strategy toward Austria in the Years 1943-1945, Ph.D. Thesis, University of London 1975 und Robert H. Keyserlingk, Austria in World War II. An Anglo-American Dilemma, Montreal 1988. Die britische Osterreichpolitik in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erst in den 8oer-Jahren in zwei weiteren, zwar gediegenen, jedoch relativ schwer zugänglichen anglo-amerikanischen Dissertationen thematisiert: Robert Knight, British Policy toward Occupied Austria, 1945-1950, Ph.D. Thesis, University of London (LSE) 1986 und Günter Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation: Austria in International Politics 1940-1950, Ph.D. Thesis, Harvard University 1989. Aus letzterer Dissertation ist in (leider) etwas komprimierter Form die m. E. bislang beste Gesamtanalyse Österreichs im Kontext der internationalen Politik des ersten Nachkriegsjahrzehnts entstanden: Günter Bischof, Austria in the First Cold War, 1945-1955. The Leverage of the Weak, London 1999. Aus einer früheren Dissertation nur bedingt weiterentwickelt: Alice Hills, Britain and the Occupation of Austria, 1943-45, London 2000. Als signifikanter Beitrag zur britischen Osterreichpolitik von Kriegsende bis Erreichung des Staatsvertrages darf eine erst jüngst approbierte Dissertation hervorgehoben werden: Warren Wellde Williams, British Policy and the Occupation of Austria, 1945-1955, Ph.D. Thesis, University of Wales at Swansea 2004. 5 Vgl. Die »britische« Steiermark 1945-1955, ed. Siegfried Beer, Graz 1995; Gabriela Stieber, Die Briten als Besatzungsmacht in Kärnten, 1945-1955, unveröffentlichtes Ms. (2000); quasi eine Kurzversion dieser Arbeit bei Gabriela Stieber, Die Briten als Besatzungsmacht. In: Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland, ed. Helmut Rumpier/ Ulfried Burz (= Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945), Wien 1998, 107-136. Freilich muss zugegeben werden, dass die Erforschung der Rolle der Briten als Besatzungsmacht in Deutschland nicht nur bedeutend früher einsetzte, sondern sich auch als analytisch wesentlich fortgeschrittener erweist als die österreichische. Vgl. z. B. Britische Besatzung in Deutschland. Aktenerschließung und Forschungsfelder, ed. Adolf M. Birke/ Eva A. Mayring, London 1992 oder Patricia Meehan, A Strange Enemy People. Germany under the British 1945-50, London 2001. 6 Vgl. dazu vor allem: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des »Anschlusses« vom März 1938, ed. Gerald Stourzh/ Brigitte Zaar (= Veröffendichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs 16), Wien 1990. Zur völkerrechdichen Position Großbritanniens zum Anschluss 1938 hieß es in einem FO-Rechtsgutachten vom 20. Jänner 1945 völlig unmissverständlich: »H.M.G. have given both de facto and de jure recognition to the incorporation of Austria into the German Reich.« The National Archives (TNA), vormals Public Record Office (PRO), FO 371, C 263/83/3.

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wjetunion schon ab 1941 von der Notwendigkeit der Wiedererrichtung eines unabhängigen Osterreich sprachen, stellten sich die Westmächte in Wirklichkeit erst ab 1943 der zukünftigen Osterreichfrage. Bei diesen frühen Überlegungen, die vor allem von London ausgingen, standen im Wesentlichen drei Varianten zur Debatte: 1. eine katholische Föderation Bayern-Österreich(-Ungarn); 2. eine Donaukonföderation nach dem Modell der Habsburgermonarchie; 3. ein unabhängiges Osterreich. Eine Integration Österreichs in ein wie immer geartetes Nachkriegsdeutschland wurde von den Alliierten als ernsthafte Diskussions- und Planungsvariante praktisch nie in Erwägung gezogen. Der im Spätherbst 1943 in Moskau als Kompromissformel erarbeiteten Deklaration der Außenminister Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA lag letztlich das dritte Modell zugrunde, weil man von ihm am ehesten einen im Sinne von Widerstand umsetzbaren Propagandaeffekt erhoffte. Vor allem für den britischen Kriegspremierminister Winston Churchill blieb die Frage der Nachkriegsgestaltung im zentraleuropäischen Donauraum dennoch weiterhin durchaus offen. Die später zum Gründungsdokument der Zweiten Republik hochstilisierte Moskauer Erklärung sollte den höchst ambivalenten Charakter der alliierten Besatzung in Osterreich vorwegnehmen.7 Freilich ist nicht zu übersehen, dass die anglo-amerikanischen Planungen über die künftige Militärregierung der Alliierten in Osterreich ganz auf dem Konzept der Errichtung einer »konstitutionellen Diktatur« in einem militärisch zu besetzenden Territorium aufbauten, deren wichtigste Anliegen einerseits die Demokratisierung des befreiten und zugleich besiegten Landes und andrerseits die Entfaschisierung seiner Gesellschaft und Politik sein sollten. Gerade die vielschichtige Widersprüchlichkeit, die im Programm der Wiederherstellung eines Konstitutionalismus mit dem Mittel diktatorisch-militärischer Notvollmachten in Form eines anfangs noch deutlich militärisch strukturierten Kollektivprotektorats geradezu immanent war, ist den Österreichern vor allem in den beiden ersten Nachkriegsjahren nachhaltig vorexerziert worden.8 In diesem Zusammenhang muss mit Nachdruck daran erinnert werden, dass die für Österreich in Aussicht gestellte Freiheit und Selbstständigkeit eben nicht durch einen entschlossenen Befreiungskampf der Österreicher selbst, sondern erst durch das Blutopfer alliierter Soldaten ermöglicht worden war. Darüber hinaus aber begünstigte die allseits mitgetragene Maxime der Notwendigkeit der Loslösung Österreichs von Deutschland die Halbwahrheit der von der Provisorischen Staatsregierung Renner sofort aufgegriffenen und geschickt vertretenen Opferthese.9 Allerdings war den Alliierten in dieser Hinsicht zunächst nicht viel vorzumachen. Gerade die Briten argumentierten in 7

Vgl. dazu vor allem Günter Bischof, Die Instrumentalisierung der Moskauer Erklärung nach dem 2. Welt-

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Zur Definition des Instruments der Militärdiktatur in besetzten Gebieten vgl. Carl J . Friedrich, Der Ver-

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Nachzulesen in der von Renner verfassten Osterreichischen Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945.

krieg. In: Zeitgeschichte 20 (1993) 345-366. fassungsstaat der Neuzeit, Berlin 1953, 688f. Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, Jg. 1945,1. Stück, i . M a i 1945.

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der frühen Besatzimgsphase immer wieder damit, dass die Österreicher den Krieg gegen England auch zu ihrer Sache gemacht und jedenfalls sich im Kampf mit der Waffe von den deutschen Soldaten in nichts unterschieden hätten.10 Eine nicht immer leicht nachvollziehbare Unschlüssigkeit der Alliierten in Bezug auf Osterreich spiegelt sich nicht zuletzt auch in den langwierigen Verhandlungen der E u ropäischen Beratenden Kommission in London wider, die neben der zonalen Aufteilung des Landes auch die Parameter einer zunächst bedingungslosen Kontrolle in Deutschland und Österreich zu erarbeiten hatte. Für Österreich konnte beides bekanntlich erst Wochen nach der militärischen Besetzung des Landes unter Dach und Fach gebracht werden: am 4. Juli 1945 das Abkommen über die Alliierte Kontrolle, das so genannte Erste Kontrollabkommen und am 9. Juli 1945 das Abkommen der Alliierten über die Besatzungszonen sowie über die gemeinsame Verwaltung der Stadt Wien. 1 1 Die folgenden Ausfuhrungen gelten ausschließlich der Besatzungsmacht Großbritannien. E s muss daher zunächst einmal der Frage des Machtstatus Londons in diesen Jahren nachgegangen werden, um den globalen Kontext britischer Zentraleuropapolitik verstehen zu können.

10 Diese britische Argumentation blieb auch 1946 und 1947 noch im Spiel. So erinnerte ein führender britischer Geheimdienstoffizier Anfang 1946 daran, Osterreich als »integral part of the Reich, participated for five and a half years ill the German war against the Allied Powers, her contribution in all spheres during this period falling in no way short of that of other parts of the Nazi Empire« zu sehen. H. B. Hitchens, Relations with the Austrians, 2 January 1946. In: TNA, FO 1020/ 2146. In ähnlicher Weise klagte der damalige Leiter des German Department, J. M. Troutbeck, die Österreicher »go on pretending that they never fought against us at all«, und der Politbeamte im ACA(BE), Peter Wilkinson, klärte einen hohen österreichischen Beamten am Ballhausplatz im Jänner 1947 dahingehend auf, »England behandle Osterreich als Feind, da die Mehrheit der Österreicher im deutschen Heer gekämpft habe«. FO minute Troutbeck, 25 February 1946. In: TNA, FO 371/ 57233/ C 2765, bzw. Außenamt-Bericht vom 9. Jänner 1947, zit. in: Robert Graham Knight, Besiegt oder befreit? Eine völkerrechtliche Frage historisch betrachtet. In: Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949, ed. Günter Bischof/Josef Leidenfrost (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, 81. 11 Zu den Beratungen in der EAC vgl. Edgar L. Erickson/ Donald R. Whitnah, The American Occupation of Austria. Planning and Early Years, Westport, C T 1985, passim; Rauchensteiner, Sonderfall, 27-45 u n d Bischof, Responsibility and Rehabilitation, 54-74.

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I I . D I E INTERNATIONALE E B E N E »Do not, my friends, I beg you, underestimate the enduring strength of Britain.« (Winston S. Churchill, 1947) »It is in brief the problem whether, after the economic exhaustion of the war years, we have the power and resources to maintain the armed forces [...] required to permit us to play the role of a Great Power.« (A.V. Alexander, Minister of Defence, 1949) D e r amerikanische Politologe William Fox, der 1944 den Begriff »Superpower« geprägt und ihn in etwa als »great power plus great mobility of power« definiert hat, inkludierte zunächst neben den U S A und der Sowjetunion auch Großbritannien in dieser exklusiven Kategorie. 1 2 A u c h der britische Diplomatiehistoriker Donald C a m e r o n W a t t hat mit Nachdruck daran erinnert, dass die Rolle Londons in den allerersten Jahren nach Kriegsende dem Beitrag entsprach, den Großbritannien zur Niederringung Deutschlands und Italiens geleistet hatte. 13 So waren Gestus und Annahme einer fortdauernden britischen Großmachtstellung damals keineswegs einem eigenen Größenwahn oder einer groben Fehleinschätzung seiner alliierten Partner entsprungen, sondern entsprachen durchaus der damaligen Realität und Konstellation. 14 Es herrscht in der internationalen Forschung

12 William T. R. Fox, The Super-Powers: The United States, Britain and the Soviet Union - Their Responsibility for Peace, New York 1944, 21. Ein anderer amerikanischer Experte, der nach dem Krieg der Zentraleuropakorrespondent der New York Times wurde, hatte schon 1942 das Verhältnis Washington-London für die zukünftige Weltpolitik zentral gesetzt: »Next to winning the war, the most important question for Americans is their future relations with Englishmen. These relations will determine the role of the United States in world affairs. It may even be said they will determine the fate of the world. [...] Paradoxically enough, only in so far as they cooperate with Great Britain through and after the war can Americans keep the American way of life. If they refuse to cooperate with Great Britain, they must replace Great Britain, become a great imperial power, and themselves perform these coercive acts for which they have often reprehended Englishmen. Negatively or positively, the fate of the United States is bound up with the fate of Great Britain.« John MacCormac, America and World Mastery. The Future of the United States, Canada, and the British Empire, New York 1942, 3. 13 Donald Cameron Watt, Between Great Britain and Little England. In: Tunes Literary Supplement, 11. Februar 1996,11. 14 Ein ähnliches Urteil findet sich bei: Anne Deighton, The »frozen front«: the Labour government, the division of Germany and the origins of the cold war, 1945-47.1111 International Affairs 63 (1987) 449: »Whatever happened later, Britain was, and still regarded itself as, a major power in the immediate post-war years.« Trotzdem wäre der Vorwurf des Größenwahns in Richtung Foreign Office völlig fehlgerichtet, denn schon im Juli 1945 konstatierte Sir Orme Sargent, der künftige beamtete Chef der britischen Außenpolitik, in einem »Stocktaking after VE-Day« bezeichneten Memorandum:»[...] in the minds of our big partners, especially that of the United States, there is a feeling that Great Britain is now a secondary power and can be treated as such.« In: Documents on British Policy Overseas, Series I, Volume 1, London 1984, Document

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w e i t g e h e n d K o n s e n s darüber, dass es v o r allem G r o ß b r i t a n n i e n war, das bis 1947/48 w e nigstens in E u r o p a den K u r s und T o n der politischen Auseinandersetzungen w e i t g e h e n d b e s t i m m t e , v o r a l l e m i m U m g a n g m i t der S o w j e t u n i o n . 1 5 In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g w u r d e sogar die F r a g e gestellt: » D i d G r e a t Britain Start the C o l d W a r ? « 1 6 W e n n g l e i c h sich der N i e d e r g a n g G r o ß b r i t a n n i e n s spätestens ab M i t t e der 5oer-Jahre b e s c h l e u n i g t e , blieb es i m g a n z e n ersten N a c h k r i e g s j a h r z e h n t z u m i n d e s t die f ü h r e n d e militärische und wirtschaftliche M a c h t W e s t e u r o p a s , dessen politische Stabilität in auff a l l e n d e m K o n t r a s t e t w a z u F r a n k r e i c h u n d jedenfalls z u m R e s t K o n t i n e n t a l e u r o p a s stand. 1 7 E r s t aus d e r P e r s p e k t i v e des letzten V i e r t e l j a h r h u n d e r t s erscheint der N i e d e r g a n g L o n d o n s so eklatant, nämlich i m globalen M a ß s t a b v o n der 3. Position 1945 zur 6. P o s i t i o n 1980. 1 8 G r o ß b r i t a n n i e n w a r j e d o c h n i c h t n u r w ä h r e n d des K r i e g e s , s o n d e r n blieb auch in den ersten Nachkriegsjahren die dritte W e l t m a c h t , oder vielleicht etwas g e w a g t a u s g e d r ü c k t : die » z w e i e i n h a l b t e « S u p e r m a c h t der W e l t . 1 9 D i e s e r R a n g lässt sich durch Z a h l e n , etwa d u r c h Rüstungsstatistiken, aber auch durch qualitative Faktoren aus Politik u n d W i r t s c h a f t , belegen. N o c h 1947 z. B . gab L o n d o n einen g r ö ß e r e n Anteil seines B r u t t o s o z i a l p r o d u k t s f ü r die V e r t e i d i g u n g aus als die U S A o d e r die U d S S R . N o c h

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Nr. 102. Vgl. dazu auch Anthony Adamthwaite, Britain and the World 1945-1949: The View from the Foreign Office. In: Power in Europe? Great Britain, France, Italy and Germany in a Postwar World, 1945-1950, ed. Josef Becker/ Franz Knipping, Berlin/New York 1986, 9-25. In einer britischen Analyse wird dieser Einfluss bescheiden als Vermögen Londons charakterisiert, »to persuade the Americans to see the world through British spectacles«. The Foreign Policy of the Labour Government 1945-51, ed. Ritchie Ovendale, Leicester 1984,6. Vgl. dazu auch Donald C. Watt, British Military Perceptions of the Soviet Union as a Strategic Threat, 1945-1950. In: Power in Europe?, 325-338. Robert Frazier, Did Britain Start the Cold War? Bevin and the Truman Doctrine. In: T h e Historical Journal 27 (1984) 715-727. Vgl. auch: Britain and the First Cold War, ed. Anne Deighton, London 1990. Der angesehene Militärhistoriker Michael Howard sieht die ersten Jahre des Kalten Krieges, vor allem die frühen 5oer-Jahre, sogar als das silberne Zeitalter Großbritanniens als Großmacht, in denen »almost at a stroke its war-time pre-eminence was restored«. Michael Howard, 1945-1995: Reflections on Half a Century of British Security Policy. In: International Affairs 71 (1995) 709. Vgl. dazu etwa Victor H. Rothwell, Großbritannien und die Anfänge des Kalten Krieges. In: Kalter Krieg und Deutsche Frage. Deutschland im Widerstreit der Mächte 1945-1952, ed. Josef Foschepoth, Göttingen 1985, 88-110 und den Großbritannien-Beitrag von David Reynolds in: The Origins of the Cold War in Europe. International Perspectives, ed. David Reynolds, London 1994, hier 7 und 78f. Dieser Zahlenterminus stammt von Sir Alexander Cadogan, dem damaligen obersten Beamten im Foreign Office, der in Potsdam - in pessimistischer Perspektive - davon sprach, dass aus den Großen Drei der Kriegsallianz die »Großen Zweieinhalb« geworden seien. The Diaries of Sir Alexander Cadogan 1938-1945, ed. David Dilks, London 1971, 778. Fox hat seine 1944 argumentierte Einbeziehung Großbritanniens unter die zukünftigen drei Supermächte später folgendermaßen begründet und verteidigt: » S o long as Churchill was perceived as leading a united Commonwealth-Empire, Britain seemed to have the potential to enter the super-power club - advanced technology, sizeable human and industrial potential, and the ability to project its power in all the theatres of world political competition.« William T. R. Fox, T h e Super-Powers Then and Now. In: International Journal 3 5 (1980) 421.

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1 9 5 1 hatte Großbritannien in 4 0 Ländern fast eine Million M a n n unter W a f f e n und 1 9 5 2 wurde es die dritte Nuklearmacht der W e l t , immerhin acht J a h r e vor Frankreich. 2 0 D a s Vereinigte K ö n i g r e i c h wäre bis zur G r ü n d u n g der N A T O im J a h r e 1 9 4 9 w a h r scheinlich der einzige Staat Europas gewesen, der einem hypothetischen A n g r i f f der S o wjetunion in Westeuropa mit konventionellen Mitteln wenigstens auf eine gewisse Z e i t hätte standhalten können. 2 1 A u c h darin m a g eine W u r z e l des britischen Selbstvertrauens dieser ersten Nachkriegsjahre gelegen sein. O h n e Zweifel war die Selbsteinschätzung der Briten, sowohl die der L a b o u r - R e g i e r u n g als auch die der Bevölkerung, in diesen Jahren n o c h i m m e r die einer globalen G r o ß m a c h t und es spricht einiges dafür, dass auch die Fremdeinschätzimg L o n d o n s in W a s h i n g t o n , M o s k a u und anderswo zumindest bis 1 9 4 7 / 4 8 so beschaffen war. Großbritannien war also auch nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig die drittmächtigste N a t i o n der W e l t , konnte jedoch keineswegs, wie schon während des Krieges, an die amerikanische oder sowjetische M a c h t heranreichen. 2 2 Natürlich waren die strukturellen Probleme des siegreichen Großbritannien nach dem K r i e g nicht zu übersehen: die Abhängigkeit L o n d o n s von amerikanischen Lieferungen wurde im L a u f e des Krieges immer größer, in fast allen Bereichen, nicht nur bei W a f f e n und M u n i t i o n . W ä h r e n d die I m p o r t e dramatisch stiegen, fiel der Exporthandel: 1 9 4 4 20 1950 etwa lag Großbritannien mit seinem Gesamtbruttosozialprodukt an dritter Stelle, gemessen an der Pro-Kopf-Verteilung des B N P jedoch an zweiter Stelle, doppelt so hoch wie die der Sowjetunion. Siehe Paul Kennedy, T h e Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to 2000, New York 1987, 369. Im selben Jahr lag der Anteil des britischen Exports an Fertigwaren nur geringfügig (25,5%) hinter dem der USA (27,3%). Vgl. Malcolm Chalmers, Paying for Defence: Military Spending and British Decline, London 1985, 126. Vgl. dazu auch Rothwell, Anfange des Kalten Kriegs, 103 und Reynolds, Großbritannien, 78f. 21 1950 schrieb der amerikanische Botschafter in Großbritannien an das State Department in Washington: »Großbritannien ist die einzige Macht westlich des Eisernen Vorhangs - außer uns selbst die eine wirksame militärische Macht ausüben kann.« Zitiert in: Alan Dobson, Die »Special Relationship«. Zur Entwicklung der britisch-amerikanischen Sonderbeziehung seit 1945. In: Großbritannien: Geschichte. Politik. Wirtschaft. Gesellschaft, ed. Hans Kastendiek u. a., Frankfurt/Main 1995, 352f. 22 Zum Themenkomplex Machtbewusstsein bzw. Machtverfall Großbritanniens nach 1945 vgl. z. B.: F. S. Northedge, Descent from Power. British Foreign Policy 1945-1973, London 1974; Elisabeth Barker, T h e British between the Superpowers, 1945-1950, Toronto 1983; Roy Douglas, World Crisis and British Decline 1929-56, London 1986; Alan Sked, Britain's Decline: Problems and Perspectives, Oxford 1987; David Sanders, Losing an Empire, Finding a Role. British Foreign Policy since 1945, London 1990; David Reynolds, Britannia Overruled. British Policy and World Power in the Twentieth Century, London 1991; Robert Holland, T h e Pursuit of Greatness. Britain and the World Role, 1900-1970, London 1992; Bernd Ebersold, Machtverfall und Machtbewußtsein. Britische Friedens- und Konflikdösungsstrategien 1918-1956 (= Beiträge zur Militärgeschichte 31), München 1992; Michael Blackwell, Clinging to Grandeur. British Attitudes and Foreign Policy in the Aftermath of the Second World War, Westport, C T 1993; Stuart Croft, T h e End of Superpower: British Foreign Office Conceptions of a Changing World, 1945-51, Aldershot 1994; Corelli Bamett, T h e Lost Victory. British Dreams, British Realities 1945-1950, London 1995; und Großbritannien, das Empire und die Welt: Britische Außenpolitik zwischen »Größe« und »Selbstbehauptung«, 1850-1990, ed. Hans-Heinrich Jansen/Ursula Lehmkul, Bochum 1995.



Siegfried Beer

z. B. auf ein Drittel des Jahres 1938. John Maynard Keynes sprach schon 1945 von einem »financial Dunkirk«, vor dem England stehe, und auch davon, dass amerikanische Finanzhilfe dringend nötig wäre, ohne die »a greater degree of austerity would be necessary than we have experienced at any time during the war«.23 Die Versorgungslage im Inneren war insbesondere 1946/47 äußerst kritisch, subjektiv vielleicht sogar schwieriger als im Krieg;24 die Rationierungen dauerten an, teilweise bis in die frühen Fünfzigerjahre. Dazu kam eine sehr ernste Zahlungsbilanzkrise, die sogar die britische Währung gefährdete. Der extreme Winter 1946/47 verschärfte die Krise in dramatischer Weise: er brachte Industrie, Wirtschaft und Transportwesen wochenlang zum Erlahmen, sodass es zu einer schwerwiegenden, in diesem Ausmaß bisher unbekannten Energiekrise des Landes kam. Insgesamt betrachtet befand sich Großbritannien zu Beginn des Jahres 1947 in einer staatsbedrohenden Finanzkrise.25 Vor die Alternative gestellt, dem britischen Volk noch größere materielle Opfer als während des Krieges aufzuerlegen oder Abstriche zu machen von außenpolitischen Programmen, fiel die Wahl der von Clement Attlee und Ernest Bevin geprägten LabourRegierung auf letztere Option: die Uberdehnung Großbritanniens, also die Wucht der Verpflichtungen Londons in der Welt, trat zunehmend in das Zentrum politischer Uberlegungen in Whitehall. Die Antwort der Regierung Attlee war der sukzessive Rückzug aus Indien, Palästina und aus dem südosteuropäischen Raum, vor allem aus der Türkei und aus Griechenland. Dieser Rückzug, dem eine parallele Tendenz in Zentraleuropa entsprach, war großteils finanzpolitisch determiniert.26 Diese Krisenlage wurde jedoch keinesfalls als Eingeständnis der völligen Aufgabe globaler Interessen verstanden. Im Gegenteil: Die Übernahme neuer Verpflichtungen der USA vor allem in Europa und bald darauf die kollektive Form der Atlantischen Allianz sollten Großbritannien schon Ende der 4oer-Jahre wieder freispielen, als vordringlich eingestufte globale Interessen auch weiterhin wahrzunehmen und zu erhalten. Was das »British Interest«, also die Orientierung der britischen Regierung und wohl auch der britischen Bevölkerung, betraf, ist jedenfalls bis 1948 folgende Rangordnung der außenpolitischen Interessen zu konstatieren:27

23 Lord Keynes-Memorandum »Our Overseas Financial Prospects«, 14 August 1945. In: TNA, PREM 8/35, CP (45) 112. Vgl. Paul Kennedy, The Realities Behind Diplomacy: Background Influences on British External Policy, 1865-1980, London 1981, 318. 24 Im Juli 1946 musste die Labour-Regierung sogar Brot rationieren, was selbst während des Krieges nie notwendig gewesen war. 25 Vgl. Terry H. Anderson, The United States, Great Britain, and the Cold War, 1944-1947, Columbia, M O 1981, 171-175 und Kenneth O. Morgan, The People's Peace. British History 1945-1990, Oxford 1991, 65-69. 26 Vgl. Reynolds, Great Britain, 8 3 t 27 Britische Spitzenpolitiker von Labour wie auch der konservativen Opposition beschworen damals einmütig die für die britische Außenpolitik geltende Perspektive der »drei Kreise« (Commonwealth/Empire, Son-

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1. das Empire oder das Commonwealth, immer noch Quelle des Reichtums und der Hoffnung Londons 2. das Verhältnis zur USA, mit der die Politik des »Special Relationship« fortzuführen war; und erst dann 3. Europa In einer gewissen Weise kann behauptet werden, dass London und Washington einander brauchten, wenn auch wechselseitig nicht im selben Ausmaß.28 Churchill war ein entschlossener Verfechter einer anglo-amerikanischen Partnerschaft in allen Fragen der Weltpolitik gewesen und der Regierungswechsel zu Labour unter Attlee, mitten in der Konferenz von Potsdam, hat darin wie auch sonst zu keinen wirklichen Brüchen in der britischen Außenpolitik geführt; 29 trotzdem gab es genug Konfliktpotential über die natürliche Rivalität zwischen London und Washington hinaus: - London hatte Angst vor einem neuen US-Isolationismus in Europa - Washington betrachtete das Empire immer noch mit Argwohn - Die Popularität der USA in Großbritannien war nicht sehr groß. Umgekehrt gab es auch eine eigenartige Anglophobie in Amerika.30

derbeziehung zu den USA und Europa); so etwa Churchill in seiner berühmten Rede vom 19. September 1946 in Zürich. 1948 sprach Churchill sogar von der »Doktrin der drei Kreise«, durch welche die überlappenden Bereiche des britischen Engagements in der Welt definiert würden. Zitiert nach Graeme P. Anton/ Wolfram Hanrieder, The Foreign Policies of West Germany, France and Britain, Englewood Cliffs, N. J. 1980, i77f. vgl. auch The Policy of the British Labour Governments, 1945-1951, ed. Ritchie Ovendale, London 1984. 28 David Reynolds bringt die Position Londons auf die Kurzformel: Great Power by Interdependence. Vgl. Reynolds, Britannia Overruled, 178-185. Die einschlägige Literatur zum Spezialverhältnis Londons zu Washington im 20. Jahrhundert ist längst unüberschaubar geworden. Zu den anregendsten Untersuchungen gehören: Anglo-American Relations since the Second World War, ed. Ian S. McDonald, New York 1974; D. Cameron Watt, Succeeding John Bull. America in Britain's Place 1900-1975, London 1984; Ritchie Ovendale, The English-Speaking Alliance: Britain, the United States, the Dominions and the Cold War, 1945-1951, London 1985; Robin Edmonds, Setting the Mold: The United States and Great Britain, 1945-1950, Oxford 1986; David Dimbleby/ David Reynolds, An Ocean Apart. The Relationship between Britain and America in the Twentieth Century, London 1988; Robert M. Hathaway, Great Britain and the United States. Special Relations since World War II, Boston 1990; und C . J . Bartlett, »The Special Relationship« : A Political History of Anglo-American Relations since 1945, London 1993. 29 Vgl. Reinhold Wagnleitner, Die Kontinuität der britischen Außenpolitik nach dem Wahlsieg der Labour Party im Juli 1945. In: Zeitgeschichte 5 (1978) 273-291. 30 Mitte 1947 z. B.waren laut einer britischen Gallup-Umfrage 22% der Briten der Meinung, die USA strebe eine Weltherrschaft an. Vgl. The Gallup International Public Opinion Polls: Great Britain, 1937-1975, ed. George H. Gallup, Vol. 1, New York 1976, 161.

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Trotzdem blieb Großbritannien die einzige europäische Großmacht, die als bedingungslose Verbündete Amerikas in diesen ersten Jahren nach dem Krieg zur Verfügung stand. Die Entscheidungsträger in Washington neigten allerdings dazu, London eher als Führungsmacht Westeuropas, also nur im europäischen Kontext anzusehen, die weltpolitische Bedeutung des Commonwealth jedoch als gering zu veranschlagen.31 Diese Konstellation änderte sich erst 1947/48, als einigermaßen klar wurde, dass Washington sich auf keinen Fall in einen neuen Isolationismus flüchten würde. Dennoch konnte die Furcht Londons, Washington könnte sich über die Köpfe der Briten und Westeuropäer hinweg mit Moskau arrangieren, erst im Vorfeld der Verhandlungen, die zur Gründung der NATO führten, wirklich abgebaut werden.32

I I I . P L A N U N G E N FÜR O S T E R R E I C H »It would be foolish to ignore the fact that the Austrian Republic of 1919-1938 did not succeed in arousing the patriotic devotion of its

Citizens.«

(FO Memorandum »The Future of Austria«, June 1943)

Betrachtet man die Rolle Großbritanniens bei der alliierten Behandlung des Problemkreises Österreichs von 1943 bis etwa 1948 wird man behaupten können, dass Großbritannien diejenige Großmacht war, die in diesen fünf entscheidenden Jahren über weite Strecken die wichtigsten Initiativen gesetzt hat. In London wurden die frühesten Schritte zur alliierten Nachkriegsplanung unternommen, die von ersten Überlegungen, Osterreich in die psychologische Kriegführung einzubeziehen, ausgingen und zur so genannten Moskauer Deklaration führten; viele der Initiativen bei der nicht ganz zufällig in London tagenden Europäischen Beratenden Kommission (EAC), die sich auch mit der zukünftigen Zonenaufteilung und mit dem Kontrollapparat in Osterreich beschäftigte, hatten ihren Ursprung im Foreign Office; auch in der konkreten Besatzimgspolitik in Osterreich im Sommer 1945 sowie nach Errichtung der Alliierten Kommission bzw. des Alliierten Rates im Frühherbst 1945, insbesondere bei der Verweigerung der Anerkennung der Provisorischen Staatsregierung Renner durch die Westalliierten, waren die Briten federführend; von britischer Seite kamen auch die allerersten Anstöße und Ideen zu

31 Vgl. dazu insbesondere Robert M. Hathaway, Ambiguous Partnership. Britain and America, 1944-1947, New York 1981; Ritchie Ovendale, Britain, the U.S.A and the European Cold War, 1945-8. In: History 67 (June 1982) Nr. 220, 217-236, und Henry Butterfield Ryan, The Vision of Anglo-America: the U.S.-U.K. Alliance and the Emerging Cold War, 1943-1946, Cambridge 1987. 32 Vgl. dazu auch: Richard A Best, Jr., Co-operation with Like-minded Peoples. British Influences on American Security Policy, 1945-1949, New York 1986; Michael Dockrill, British Defence since 1945, New York 1988 und Dan Keohane, Labour Party Defence Policy since 1945, London 1993.

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den Bemühungen um ein Zweites, verbessertes Kontrollabkommen für Österreich.33 Erst danach konnte der Zeit der Bevormundung Österreichs durch die vier Besatzungsmächte die Phase der sukzessiven, ab 1947 sich beschleunigenden Emanzipation Österreichs gegenüber den Kontrollmächten folgen. Die Briten inszenierten den Hauptwiderstand gegen die sowjetische Macht- und Wirtschaftspolitik in Österreich, wie sie überhaupt als Hauptträger des wachsenden Konflikts mit der Sowjetunion bis hin zur Truman-Doktrin 1947 und zum Marshallplan 1947/48 fungierten. Diese Rolle Londons als einer Initiativen setzenden und zu Verantwortung bereiten Großmacht zieht sich geradezu kontinuierlich von Anfang 1943 bis zur Mitte 1948, als mit dem ERP-Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Österreich die Führungsrolle in der Österreichpolitik der westlichen Besatzungsmächte ganz eindeutig und unwiderruflich an Washington abgegeben wurde. Woran war London am Problemfall Österreich eigentlich gelegen? Es ist hier wohl von einer Betrachtung der Haltung Großbritanniens gegenüber den Regierungen der Ersten Republik Österreich zwischen 1918 und 1938 auszugehen, welche insgesamt als von einem wohlwollenden Desinteresse an der nationalen österreichischen Entwicklung bestimmt charakterisiert werden kann. London praktizierte zwischen den Kriegen im besten Falle eine Politik des verbalen Engagements für ein eigenständiges Österreich, das sich zwar gegen die Bedrohimg der eigenstaatlichen österreichischen Souveränität wandte, sich angesichts des Ernstfalls der Anschlusskrise im März 1938 jedoch nur in ohnmächtiger Beobachtung erschöpfte. Kurzum, dem Schicksal Österreichs kam in der konkreten Skala der britischen Interessen in Europa nie mehr als eine untergeordnete, bestenfalls tertiäre Bedeutung zu.34 Dementsprechend schnell war die De-facto-Anerkennung des Anschlusses erfolgt: am 2. April 1938 wurde die britische Gesandtschaft in Wien in ein General-Konsulat umgewandelt.35 Premierminister Churchill hatte schon am 9. November 1940 das dem Deutschen Reich einverleibte Österreich unter denjenigen Ländern genannt, für die England in den Krieg gegangen wäre. Noch deutlicher wurde er bei einer Ansprache vor österreichischen Emigranten am 18. Februar 1942 vor seinem Amtssitz 10 Downing Street, als er angeblich wortwörtlich sagte: »We can never forget in this island that Austria was the

3 3 Vgl. dazu vor allem Alfred Ableitinger, Großbritannien und das Zweite Kontrollabkommen. Genese und Gehalt des britischen Regierungsentwurfes vom 4. Februar 1946. In: Österreich unter alliierter Besatzung, 71-109. 34 Vgl. dazu Siegfried Beer, Der »unmoralische« Anschluß. Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931-1934 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 75), Wien 1988. 3 5 »Thenceforward His Majesty's Government may be said, for all purposes, to have recognised the annexation of Austria by Germany.« FO-Memorandum »Austria«, 25 May 1943. In : TNA, PREM 4/33/7, W. P. (43)218.

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first victim of Nazi aggression.«36 Am 10. Juni 1942 hatte Churchill in einem Aktenvermerk an Außenminister Anthony Eden seine Osterreichlinie verfeinert: »I do not propose to subject myself to any special inhibition about Austria. I certainly look forward to its liberation and thereafter to its re-establishment, either as a separate State or as the Centre of a mid-Europe confederation.«37 Hier schlug zum ersten Mal die oben schon angedeutete, einstweilen jedoch nur für die Spezialisten des Foreign Office erkennbare romantisch-nostalgische Faszination des Kriegspremiers für die Doppelmonarchie (notwendigenfalls minus die Habsburger) durch.38 Churchill hatte sich also der Idee verschrieben, Wien wieder zum Status der Hauptstadt einer »großen Konföderation an der Donau zu verhelfen«. Dennoch ist zu konstatieren, dass auch bei Churchill die Option der Eigenstaatlichkeit Österreichs seit 1942 nie mehr gänzlich aus dem Horizont britischer Zentraleuropapolitik verschwand.39 Die ersten Impulse zu einer offiziellen alliierten Willenserklärung in der Frage Osterreich wurden Anfang 1943 im Psychological Warfare Executive (PWE) gesetzt, die auf Propaganda und Anzettelung des Widerstands der Osterreicherinnen gegen Hitler abzielten. In den ersten Überlegungen des Foreign Office, die in das von Geoffrey Harrison verfasste Memorandum »The Future of Austria« mündeten, war nicht mehr in erster Linie von Österreich als dem »ersten Opfer« sondern von der Verantwortlichkeit der am Krieg teilnehmenden Österreicher und von einem erst zu leistenden Beitrag bei der Niederringung des Hitlerregimes die Rede.40 Harrison kam zur Uberzeugung, dass die Wiederherstellung eines souveränen Kleinstaates Österreich zwar die besten Aussichten böte, allerdings wären dafür zwei Voraussetzungen nötig: zum einen die Bereitschaft der zukünftigen Vereinten Nationen, von einer Bestrafung des Landes abzusehen, und zum anderen, ihm vor allem substantielle politische und wirtschaftliche Unterstützung zukommen zu lassen. Damit hatte London für sich den intern durchaus umstrittenen Weg des Verzichts auf Reparationsleistungen durch Österreich eingeschlagen, der auch weiterhin beibehalten wurde. Die längerfristige Absicherung der Uberlebenschancen Österreichs wurden jedoch allemal in einer späteren Assoziierung mit mittel- und südosteuropäischen Ländern, also in einer konföderalen Lösung gesehen.41 Die schließlich am 1. November am Ende der Moskauer Konferenz als Annex Nr. 6 des Protokolls der Außenministerkonferenz unterzeichnete Österreich-Deklaration stellte den kleinsten gemeinsamen Nenner der Alliierten dar, der 36 The London Times, 19 February 1942, zit. bei Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralitat und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955, Wien 1998, 14. 37 TNA, PREM 4/33/7. 38 Vgl. Keyserlingk, Austria in World War II, 100. 39 Vgl. Bischof, Responsibility and Rehabilitation, 28. 40 Die Genese dieser Denkschrift vom Erstentwurf des 3. April bis zur Endfassung vom 25. Mai 1943 füllt fast ein ganzes Aktenbündel: TNA, FO 371/ 34465. 41 Vgl. dazu insgesamt vor allem Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 11-28.

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- wie Robert Keyserlingk und in Folge auch Günter Bischof aufzeigten - jedenfalls von den anglo-amerikanischen Unterzeichnern damals keinesfalls als Magna Charta für ein gesichertes Wiedererstehen Österreichs verstanden wurde. 42 Im Foreign Office wurde zumindest noch während des ganzen Jahres 1944 die Meinung vertreten, dass die Moskauer Deklaration die britische Regierung keinesfalls auf diese einzige Option der W i e dererrichtung Österreichs in den Grenzen von 1937 festgelegt hätte.43 Durch die Moskauer Koppelung der Prinzipien Aussicht auf Unabhängigkeit und (Mit-)Verantwortung für Befreiimg wurde gleichzeitig das Prinzip Ambivalenz etabliert, welches das Verhalten der zukünftigen Besatzungsmächte nicht nur bis Kriegsende, sondern bis tief in die Besatzungszeit hinein charakterisieren sollte.44 Zugleich aber drückt sich in dieser D e klaration auch schon die alliierte Erkenntnis aus, dass Österreich ein Spezialfall ist und, damals natürlich unvorhersehbar, zehn lange Jahre nach Kriegsende auch bleiben sollte.45 Die Hoffnungen, welche die leitenden Stäbe der psychologischen Kriegführung im P W E und wohl auch so mancher Österreichexperte im Foreign Office in diese Österreich-Erklärung setzten, sollten sich freilich nicht erfüllen.46 Jedenfalls äußerten sich auch nach ihrer Verkündimg und Verbreitung die Vertreter von P W E und vor allem auch der mit der Aufgabe der subversiven Penetration Hitlerdeutschlands beauftragte Special Operations Executive (SOE) sehr kritisch über Stärke und Potential des österreichischen Widerstandes.47 S O E konnte im südösterreichischen Raum nie entscheidend Fuß fassen. N u r wenige der von Italien aus geflogenen, meist durch Blindabwurf mit Fallschirmen

42 Vgl. Keyserlingk, Austria in World War II, 144-148 und Bischof, Instrumentalisierung, 352. 43 Vgl. Reinhold Wagnleitner, Die britische Osterreichplanung. In: Österreich und die Sieger, ed. Anton Pelinka/ Rolf Steininger, Wien 1986, 70. 44 Vgl. Robert Graham Knight, Besiegt oder befreit? Eine völkerrechtliche Frage historisch betrachtet. In: Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949, ed. Günter Bischof Josef Leidenfrost (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, 75-91. 45 Vgl. Günter Bischof, Anglo-amerikanische Planungen und Überlegungen der österreichischen Emigration während des Zweiten Weltkrieges für Nachkriegs-Österreich. In: Österreich 1945, 31. Keyserlingk lehnt die Idee eines Spezialstatus für Österreich ab. Siehe Keyserlingk, Austria in World War II, ix. Stourzh verwendet den vorsichtigeren Begriff der »Zwischenstellung« Österreichs; z. B. in Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 44. Der austro-amerikanische Politikwissenschafüer Kurt Tweraser wiederum spricht von »Zwitterstellung« bzw. »Zwitterding«. Siehe Kurt Tweraser, US-Militärregierung Oberösterreich 1945-1950, Bd. 1, Linz 1995, 32. 46 In einer Einschätzung des britischen Außenamtes von Mitte 1946 hieß es: »[...] there is undoubtedly a strong dislike of the Nazis in general and the Prussians in particular, but the overwhelming majority of Austrians are not prepared to take any personal risks.« Aktennotiz Oliver Harvey, 2 July 1944, TNA, FO 371/ 3 8 8 3 9 / C 8260.

47 Anfang 1945 hieß es in einem SOE-Memorandum schon ziemlich resignativ: » We do not consider that the allies will be able to make any declaration sufficiendy attractive to the Austrians to persuade them to embark on a policy of open resistance, or to help us to any significant extent.« Headquarters Clowder Mission (SOE Austria), The Future of Special Operations in Austria, 18 February 1945, TNA, FO 371/ 46603/ C 1305.

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getätigten Geheimoperationen, bei denen häufig auch freiwillige österreichische Kriegsgefangene beteiligt waren, erbrachten den erhofften Erfolg, nämlich strategisch oder taktisch verwertbare Informationen aus dem Inneren des Dritten Reiches oder Kontaktmöglichkeiten zu aktiven Widerstandsgruppen in Osterreich.48 Eine Zwischenbilanz nach 12-monatigen Penetrationsversuchen in Gebiete, die von italienischen und jugoslawischen Partisanen kontrolliert waren, fiel aus der Sicht von SOE eher ernüchternd, aber historisch akkurat aus: »It is most unlikely that any widespread resistance movement will develop in Austria before Germany herself suffers total defeat. [...] In no case can >organized< resistance be developed before midsummer 1945 ,«49 Mehrere Geheimunternehmen, darunter die über jugoslawisches Partisanengebiet geplante Infiltration Südösterreichs durch die sog. »Clowder«-Mission, endeten daher auch tragisch; andere, die zwischen Februar und April 1945 unternommen wurden, konnten z. B. Kontakte zu steirischen Widerstandszellen knüpfen und diese in Tagen der Befreiung durch die Alliierten auch umsetzen.50 Die SOE-interne Geheimdienstgeschichte des Zweiten Weltkrieges urteilt vorwurfsvoll: »The work of the last few months was enough to show that in favourable circumstances an Austrian resistance could be created; but [...] the Austrians did not move except to join the winning side.«51 Wenngleich die Planungen für die Behandlung Deutschlands und Österreichs nach dem Krieg weitgehend parallel verliefen, kristallisierte sich spätestens im Frühjahr 1945 eine gemeinsame anglo-amerikanische Grundposition zu Osterreich heraus, die einen Sonderstatus für Österreich erkennen lässt. So hieß es im Vorwort des von den Briten 48 Eine Auflistung der wichtigsten, bekannt gewordenen britischen Erkundungslinternehmen findet sich bei Siegfried Beer/ Stefan Karner, Der Krieg aus der Luft. Kärnten und Steiermark 1941-1945, Graz 1992, 77. 49 Charles Villiers, SOE-Memorandum, H. Q. Clowder Mission: Future of Special Operations in Austria, 16 January 1945. In: TNA, FO 371/46603. 50 Das bekannteste britische Unternehmen bleibt die Absetzung Albrecht Gaiswinklers im Gebiet von Bad Aussee Anfang April 1945. Vgl. Albrecht Gaiswinkler, Sprung in die Freiheit, Wien 1947. Zur Tätigkeit britischer Geheimdienste auf österreichischem Boden vgl. M. R. D. Foot, SOE. The Special Operations Executive 1940-46, London 1984, 2 0 7 ^ Siegfried Beer, Alliierte Planung, Propaganda und Penetration 1943-1945. Die künftigen Besatzungsmächte und das wiederzuerrichtende Osterreich, von der Moskauer Deklaration bis zur Befreiung. In: Das Burgenland im Jahr 1945, ed. Stefan Karner, Eisenstadt 1985,81-84; Thomas M. Barker, Social Revolutionaries and Secret Agents: The Carinthian Slovene Partisans and Britain's Special Operations Executive (= East European Monographs 2 76), New York 1990 und Peter W i l kinson, Foreign Fields. The Story of an SOE Operative, London 1997, 191-244. Nunmehr liegen auch zwei aus den erst vor kurzem geöffneten, als fragmentarisch anzusehenden SOE-Akten vor: Gerald Steinacher, The Special Operations Executive (SOE) in Austria, 1940-1945. In: International Journal of Intelligence and Counterintelligence 15/2 (2002) 2 U - 2 2 1 und Peter Pirker, Agents in Field. Zur Rekrutierung von Mitarbeitern der »Austrian Section« im britischen Geheimdienst »Special Operations Executive« 1942-1944. In: Zeitgeschichte 31 (2004) H. 2, 88-120. Vgl. auch: Patrick Martin-Smith, Widerstand vom Himmel. Österreicheinsätze des britischen Geheimdienstes SOE 1944, ed. Peter Pirker, Wien 2004. 51 W. J. M. Mackenzie, The Secret History of SOE: The Special Operations Executive 1940-1945, London 2002,699.

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und Amerikanern ausgearbeiteten Handbuchs der Militärregierung in Österreich: »The problem of Military Government in Austria is a peculiar one. Austria has fought against the Allies and therefore merits treatment as a defeated enemy. Nevertheless, we intend that a free and independent Austria, purged of all traces of Nazi influences and ideologies, should be re-established. We must be firm therefore, as in Germany, and demand unquestioning obedience to our orders, but at the same time, we must assist the genuine non-Nazi factions in Austria to re-establish themselves and their country.«52 In einem fur den einfachen anglo-amerikanischen Besatzungssoldaten in Osterreich gedachten Taschenfuhrer, der noch 1944 erstellt wurde, erscheint diese Grundhaltung etwas weniger abstrakt erklärt: »It was in part the Austrian people's own fault that their country was overrun by the Germans and that they found themselves fighting in Hitler's armies. The fact that we have beaten Hitler has given them another chance. They are lucky.«53 Dass nicht jeder Osterreichspezialist in den Londoner Planungsministerien den Sonderstatus Österreichs in allem und jedem mittragen wollte, bezeugt das ehrliche Diktum eines maßgeblichen Beamten im Foreign Office: »Were it not for the strategic importance of keeping Austria separate from Germany, we would let this flabby country stew.«54

IV. BEFREIUNG UND

KONTROLLE

»Denazification is indeed not only an Austrian responsibility. In delegating tasks to the Austrians we have almost forgotten the essential fact that it is Allied policy and not necessarily Austrian policy at all to rid Austria of the Nazis. [...] It is the Allied task to enforce denazification and to force the Austrians to denazify.« (Brig. H . B. Hitchens, A C A , B E , Intelligence Organization, March 1946)

Die Britische 8. Armee rückte am 7-/8. Mai in Kärnten und erst am 23-/24. Juli in ihr gesamtes Zonengebiet in der Steiermark ein.55 Die britischen Militärs und ab September das Militärregierungspersonal konnten ihr Besatzungsregime in Österreich mit einem klar umrissenen Programm beginnen, zu dessen vorrangigen Zielen die Trennung Österreichs von Deutschland, die Demilitarisierung und die Ausmerzung des Nazismus gehörten. Zunächst jedoch stand die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Vordergrund und bald auch die Hilfestellung bei der Rückkehr zu einem normalen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Österreicher. Besonderes Au52 Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces (SHAEF), Office of the Chief of Staff, Provisional Handbook for Military Government in Austria, April 1945, 3f. 53 Entnommen einer von der Information&Education Section des Mediterranean Theater of Operations, US Forces (MTOUSA) herausgegebenen Broschüre: Austria. A Soldier's Guide (1944). 54 Aktenvermerk J. M. Troutbeck, 4 J u l y 1944. In: TNA, FO 371/ 38838/ C 826. 55 Zu den militärischen Befreiungsaktionen der Briten um Osterreich vgl. Alex Ward, Die Rolle der britischen

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genmerk richtete die britische Besatzungsmacht sofort auf die katastrophale Versorgungslage und den fast vollständigen Zusammenbruch der Infrastruktur in ihrer Zone.56 Freilich gab es schon in der Anfangsphase der militärischen Besetzung Südösterreichs eine gefährliche Konfliktsituation mit Tito-Jugoslawien, die wenige Tage nach Kriegsende beinahe zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hätte.57 Darüber hinaus sollte die von den Briten zu schützende österreichische Grenze zu Jugoslawien noch auf Jahre hinaus unsicher und gefährlich bleiben.58 Die Anstrengungen der Briten waren getragen von einer disziplinierten, harten, aber durchaus fairen und in Ansätzen wohlgesonnenen Grundhaltung gegenüber den Österreichern, die sich an konkreten Belegen festmachen lässt. So suggerierte der erste britische Militärgouverneur, Oberst Alexander Wilkinson, ein Australier, wenige Wochen vor Übernahme der Steiermark von den Sowjets seinen designierten Militärregierungsoffizieren folgende fast unverständlich positive Charakterisierung der Bevölkerung des zu besetzenden Landes:59 »Most of us have now seen enough of Austria to have leamed: [...] that the Austrians are fundamentally honest and can be trusted. [...] that they keep their houses spotlessly clean.

Streitkräfte bei der Besetzung Südösterreichs im Jahr 1945. In: Österreich 1945, 157-183 und Schneider, Operation »Freeborn«, 160-182. Zur frühen britischen Besatzungspolitik in der Zone vgl. die einschlägigen Artikel in: Graz 1945 (= Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 25), Graz 1994 und in: Die »britische« Steiermark; weiters: Wilhelm Wadl, Britische Besatzung in Kärnten und in der Steiermark bis zum Jahresende 1945. In: Osterreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge, 247-272. 56 Vgl. The Allied Task in Austria. White Paper on Austria, 12 January 1946. In: TNA, War Office (WO) 204/ 3973. Die breit wirksame Tätigkeit der Besatzungsmächte wird insbesondere im lokalen und regionalen Rahmen sehr deudich. Vgl. z. B. Siegfried Beer, Judenburg 1945 - im Spiegel britischer Besatzungsakten (= Judenburger Museumsschriften X), Judenburg 1990, und Ders., »There is a Good Deal of Work to be Done.« Die Amerikaner und Briten im Bezirk Liezen 1945/46. In: Forschungen zur Geschichte des AlpenAdria-Raumes. Festgabe Othmar Pickl, ed. Herwig Ebner u. a. (= Schriftenreihe des Instituts fur Geschichte der Karl-Franzens-Universitat 9), Graz 1997, 29-57. 57 Vgl. dazu Alex Ward, Die Rolle der britischen Streitkräfte bei der Besetzung Südösterreichs im Jahr 1945. In: Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge, 157-183. 58 Vgl. dazu vor allem Felix Schneider, Britische Besatzungs- und Sicherheitspolitik in der Steiermark In: Vom Bundesland zur Europäischen Region. Die Steiermark von 1945 bis heute, ed. Joseph F. Desput (= Geschichte der Steiermark 10), Graz 2004, 60-98. In diesem Kontext muss wohl auch die umstrittene Ubergabe von jugoslawischen, sowjetischen und mit dem ungenauen Uberbegriff »Kosaken« bezeichneten Formationen samt Angehörigen gesehen werden, die jedoch nicht direkt der Besatzungstätigkeit der Briten in Österreich zugeteilt werden sollte. Zu diesen Nachkriegsepisoden britischer Repatriierungspolitik vgl. exemplarisch: Robert Knight, Harold Macmillan and the Cossacks: Was there a Klagenfurt Conspiracy? In: Intelligence and National Security 1 (1986) 234-254. 59 Colonel A. Wilkinson to all Officers of Gau Steiermark, 13 June 1945. In: TNA, FO 10207/3284.

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[...] that their administrative system is a very good one and their officials appear to be very efficient. [...] that most Austrians are well-educated and highly cultured. [...] that some, at any rate, of the Austrians were fairly lukewarm Nazis.«

So verwundert es nicht, dass nach einer Phase der von oben verordneten Non-Fraternisierung schon ab Herbst 1945 das Verhältnis der Besatzungssoldaten zur einheimischen Bevölkerung und zum besetzten Land entkrampft wurde, wie ein schon früh in einer britischen Monatszeitschrift veröffentlichter Brief eines in Wien eingesetzten Besatzungsoffiziers belegt:60 »After initial doubts [the British soldiers] have come to like the place. [...] T h e y rather like the Austrians, too. [...] There is an instant sympathy between the British soldier and the Austrian civilian.«

Das sich stetig entwickelnde Wohlwollen der britischen Besatzungsmacht vis-a-vis den Eliten des Landes wie auch gegenüber seinen Menschen fiel sicherlich auch deshalb leichter, weil Osterreich zum Unterschied zu Deutschland lediglich eine »re-orientation«, keine »re-education« zugemutet wurde.61 Die Briten verfolgten auch etliche auf eine mittlere Perspektive angelegte Ziele, so etwa das der Ausbildung einer neuen kollektiven, österreichisch-republikanischen Identität.62 Zu diesem Zwecke betonten die britischen Militärregierungsoffiziere bei jeder Gelegenheit die historischen, kulturellen und ethnischen Unterschiede der Österreicher zu den Deutschen. Auch auf historisch bedingte Differenzen in Sprache und Wesensart wurde mit Nachdruck hingewiesen.63 »Austria and Germany spoke the same language, in theory at least. But the temperaments of the two peoples were antipathetic in a number of ways. [...] Finally there was a difference of character between the Austrian and the German peoples [...]. T h e Austrians had a quality which their enemies called irresponsibility and slackness, but which their friends preferred

60 Alan Pryce-Jones, Letter from Vienna. In: Horizon 13 (March 1946) Nr. 75, 200. Vgl. auch die ätzenden Bemerkungen dieses Österreich-erfahrenen Offiziers zu Detailaspekten früher britischer Besatzungswirklichkeit in Österreich in: Alan Pryce-Jones, The Bonus of Laughter, London 1987, 138-146. Dazu aus der Sicht einer viel beschäftigten Dolmetscherin: Masha Williams, White Among the Reds, London 1980. 61 Vgl. John Mair, Four-Power Control in Germany and Austria 1945-1946 (= Survey of International Affairs 1939-46), London 1956, 269. 62 Vgl. dazu die ausgezeichnete Studie von Johannes Feichtinger, Innen- und Außenansichten der britischen Besatzungsmacht über Österreich. In: Das ist Österreich. Innensichten und Außensichten, ed. Ursula Prutsch/Manfred Lechner, Wien 1997, 149-204. 63 Mair, Four-Power Control Austria, 319.

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to call cheerfulness, tolerance, a refusal to take things too tragically. [...] it was symbolized in their preference for the light comedies of Mozart as against the massive heroics of Wagner.« Großbritannien mag dadurch einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Identitätsfindung der österreichischen Nation in der Zweiten Republik geleistet haben.64 Den Briten ging es in Osterreich bewusst um die Wiedererrichtung eines funktionierenden Gesamtstaates, der den fragmentierten Zustand des kleinen besetzten Landes aufzulösen imstande wäre. Dafür galt es auch föderalistische »Patriotismen«, »Egoismen« und »Partikularismen« zu überwinden, die natürlich auch durch besatzungspolitische Zwänge gefördert wurden. 65 W i e der scharf beobachtende Verwaltungsoffizier Alan Pryce-Jones nach seinem Einsatz in Wien Anfang 1946 ironisierend-kritisch anmerkte:66 »There are at present eight separate States inside the country. Each of the occupied zones is a separate State, each of the occupying armies is a separate state with its own language, its own social code, its own national objectives, its own organizations for finance, maintenance and supply. Somewhere in the background there is a ninth State, Austria, the'chief function of which is to be talked about at meetings.« Es waren die Engländer, die von Anfang an die Nichtanerkennung der Provisorischen Regierung Renner forcierten und lange genug auch erreichten. Diese Episode ist das Kernstück eines antizipierten anglo-sowjetischen Kalten Krieges in Osterreich, durch den sich die Engländer angesichts der Entwicklungen z. B. in Polen, Bulgarien und Rumänien dem sowjetischen Expansionismus entgegenstellen wollten.67 Bekanntlich verwehrten die Briten der Regierung Renner zunächst die Anerkennung:

64 Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte z. B. der leitende britische Erziehungsoffizier in der Steiermark, (Oberst) J. R. Hands, in seinem Referat bei der Arbeitswoche der steirischen Lehrer schon im August 1945, als er den »großen Unterschied zwischen der deutschen und der österreichischen Lebensauffassung« am Beispiel zweier steirischer Künstler folgendermaßen herausarbeitete: »Die deutsche Kultur legt im allgemeinen überschätzten Wert auf Kraft, Macht, nationale Überlegenheit, auf das Außere vielmehr als auf das Innere, während die österreichische Kultur, wie es sich klar im Barock darstellt, gütiger, freundlicher, feiner und zarter ist.« Siehe Unser Weg. Pädagogische Zeitschrift, Sondernummer, 1. Heft (November 1945) izf. 65 Vgl. Eduard G. Staudinger, Ökonomische Aspekte der frühen Besatzungszeit. In: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 25/2 (1995) 46. So kam es, dass z. B. dem berühmten Slogan des obersten Militärregierungsoffiziers in Graz: »Alles für Steiermark« von dessen Stellvertreter ein korrigierender Zusatz hinzugefügt wurde: »Ziemlich viel für Steiermark und alles fur Osterreich.« Rede von Lt. Col. K. C. Boyd anlässlich der Eröffnung der Hochschulwoche Graz am 6. Oktober 1945. Zit. in: Military Government Styria. Colonel A. C. Wilkinson, D. S. O, M. C., G. M. 24 July 1945-7 February 1946, Graz 1946, 59. 66 Pryce-Jones, Letter from Vienna, 197. 67 Vgl. Bischof, Responsibility, 101-112; 177-205.

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1. wegen der einseitigen Vorgangsweise der Sowjets 2. weil diese Regierung nur auf Wien bzw. den sowjetisch besetzten Osten Österreichs beschränkt war 3. weil sie schon vor dem Zonen- und Kontrollabkommen etabliert wurde 4. weil damit der Aufbau von Verwaltung und Politik von unten nach oben verhindert wurde, wie ihn die Briten vorgezogen hätten 5. weil man in London von Dr. Renner zunächst keine hohe Meinung hatte 6. weil die Kommunisten überproportional darin vertreten waren, noch dazu durch Staatssekretäre, die den Krieg in Moskau verbracht hatten.68 In dieser Angelegenheit, wie auch zuvor schon in der Frage der Übernahme der Wiener Sektoren durch die Westalliierten und der Etablierung der Alliierten Kommission in Wien, war die britische Politik beinahe destruktiv. Die maßgeblichen Vertreter des Foreign Office in Osterreich bzw. die Österreich-Referenten in London drängten nicht nur auf eine Einbeziehung der westlichen Bundesländer in die bestehende, sondern überhaupt auf Einsetzung einer neuen Provisorischen Regierung, in der der Einfluß der Kommunisten zurückgedrängt würde.69 Dazu sollte es vor den Wahlen im November 1945 nicht mehr kommen, wohl aber zu einer schließlich doch gemeinsamen Anerkennung der Regierung Renner im Alliierten Rat am 20. Oktober 1945. Die Nichtanerkennung der Provisorischen Regierung führte vor allem auch dazu, dass die Briten die Verfahren der Entnazifizierung in ihrer Zone bis Februar 1946 nach eigenen Kriterien, also unter Missachtung der österreichischen Verbots- und Kriegsverbrechergesetzgebung durchführten, wodurch österreichische Stellen kaum eingebunden waren. Der punitive Aspekt der Bestrafung von NS-Parteigenossen war ihnen nicht wichtiger als der präventive Faktor, also das Anliegen der Ausradierung jeglichen NS-Gedankengutes vor allem bei der Jugend und in den heiklen Bereichen Bildung und Justiz. Auch bezüglich der Aussichten einer Strategie der Umerziehung machte man sich keine Illusionen: »Once a Nazi always a Nazi. [...] Real loyalty can be expected only from the next generation [...].Freundesland< schien für uns nur Gleichgültigkeit, Verachtung oder sogar unterschwelligen Haß übrig zu haben.«45 Anfang September 1945 sah der bereits erwähnte Generalverwalter die französische Besatzungsmacht in Österreich sogar »beinahe in derselben Situation wie die Deutschen in Frankreich nach zwei Jahren Besatzung« und fürchtete die Entwicklung eines regelrechten »Widerstands« nach dem Muster der französischen Résistance.46 General Béthouart, der Oberkommandierende und Hochkommissar, nahm sich daraufhin in einer von der Tiroler Tageszeitung veröffentlichten Ansprache vor den Landeshauptleuten Tirols und Vorarlbergs kein Blatt mehr vor den Mund:

41 Klaus Eisterer, Die Stimmung in der französischen Besatzungszone in Österreich im ersten Nachkriegsjahr (1945/46). In: Ders. (Hg.), Tirol zwischen Diktatur und Demokratie (1930-1950). Beiträge für Rolf Steininger zum 60. Geburtstag (Innsbruck 2002) 129-158, hier 149. 42 5. Jänner 1954, Ministère des Anciens Combattants et Victimes de la Guerre / Direction des Pensions et des Services Médicaux, au Ministère des Affaires Etrangères / Direction des Affaires Politiques / Sous-Direction d'Europe. MAE, Europe 1944-1960 / Autriche 261. 43 Georges Castellan, Österreich als Faktor in der französischen Nachkriegspolitik - Ein Kommentar. In : Günter Bischof, Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949 (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4, Innsbruck 1988) 293-300, hier 296. 44 Angerer, Besatzung, Entfernung ... Integration?, 88-100. Ders., Der bevormundete Vormundansprechen... ist berechtigt, einmalig von W e n nach W e n zu reisen .. .< Gültig für drei Monate.«99 Allerdings blieben - vorerst - »Kontrollposten entlang der Demarkationslinie zum Zweck der militärischen Kontrolle und der öffendichen Sicherheit bestehen«.100 Mit Beschluss des Alliierten Rates vom 25. April 1946 wurden die österreichischen Polizeibehörden ermächtigt, an österreichische Staatsbürger alliierte Dauerpässe auszustellen.101 Das Zweite Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 stellte im Artikel 4 die Aufhebung aller noch verbliebenen Beschränkungen des Personen- und Warenverkehrs innerhalb Österreichs in Aussicht, worin es heißt: »Der Alliierte Rat wird die Beseitigung aller noch verbleibenden Einschränkungen innerhalb Österreichs betreffend die Bewegung von Personen, von Waren oder anderen Verkehr sicherstellen. [...] Die Zonengrenzen werden sodann keine anderen Wrkungen haben, denn als Grenzen der Autorität und der Verantwortlichkeit der jeweiligen Hochkommissare und des Aufenthalts der Besatzungstruppen.«102 Das Exekutivkomitee des Alliierten Rates entschied daraufhin am 9. Juli 1946 in Anwendung des Artikels 4 des Kontrollabkommens, den freien Verkehr im gesamten Gebiet der Republik Österreich für österreichische Staatsbürger sowie alle Staatsbürger der vier Alliierten oder neutralen Mächte103, die vor 13. März 1938 ihren Wohnsitz in Öster98 »1. April 2000«: Regie: Wolfgang Liebeneiner, Österreich 1952. 99 Wie lange brauchen wir sie noch?. In: Arbeiter-Zeitung. 100 Gazette Nr. 5, April 1946, S. 15. Zit. nach: Stearman, Die Sowjetunion und Osterreich, S. 94. 101 Bemerkenswert erscheint hier, dass die Ausstellung von alliierten Reisebewilligungen an ehemalige Mitglieder der SA und SS, Parteianwärter oder Mitglieder der NSDAP oder an Funktionäre einer NSDAPOrganisation vom zuständigen Bezirkskommandanten genehmigt werden musste. Wetz, Geschichte der Wiener Polizeidirektion, S. 453. 102 Zit. nach: Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 94. 103 Als Feindstaaten galten Japan, Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Finnland, Italien und Deutschland. Alle

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reich hatten, zu ermöglichen, vorausgesetzt, sie waren im Besitz der notwendigen amdichen Identitätspapiere. Alle anderen Personen bedurften weiterhin einer von den alliierten Behörden ausgestellten Reiseerlaubnis.104 Österreich erreichte daher - im Gegensatz zu Deutschland - bereits 1946 mit dem Zweiten Kon trollabkommen gewissermaßen seine »Wiedervereinigung«, aber bis 1955 unter den erschwerten Bedingungen einer alliierten Besatzung. In dieser von Unsicherheit gekennzeichneten Situation konnten die potentiellen Barrieren leicht mit realen Hindernissen verwechselt werden.105 Bemerkenswert erscheint, dass für Angehörige und das Zivilpersonal der Besatzimgsmächte vergleichsweise noch restriktivere Bestimmungen galten. Im September 1945 waren dem alliierten Personal besondere »graue« Pässe ausgestellt worden, die eine Überschreitung der Zonengrenze erlaubten. Sobald die Zonengrenzkontrollen für nichtalliierte Reisende gelockert wurden, führte diese Bestimmung jedoch zu einer Benachteiligung britischer, französischer und amerikanischer Staatsbürger, da die »grauen« Pässe nur auf bestimmten Strecken gültig waren. Franzosen und Amerikaner durften beispielsweise nur bei Enns in die sowjetische Zone einreisen, selbst wenn sie von Süden her nach Wien kommen wollten, und mussten daher Umwege auf sich nehmen.106 Bereits vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages und der endgültigen Abschaffung des Identitätsausweises 1955 bedeutete die kontinuierliche Abnahme der Zonenkontrolle nicht nur eine große Erleichterung für die österreichische Bevölkerung,107 sondern auch die Verringerung des Gefühls, in einem geteilten Land zu leben. So gaben die westlichen Alliierten ihre gegenseitige Interzonenkontrolle bereits im Sommer 1948 auf, während noch bis zum Juni 1953 alle Personen, welche die Demarkationslinie der sowjetischen übrigen Staaten waren als alliierte oder neutrale Staaten anzusehen. Vgl. Wetz, Geschichte der Wiener Polizeidirektion, S. 454. 104 Wetz, Geschichte der Wiener Polizeidirektion, S. 454. Der freie Verkehr im gesamten Gebiet Österreichs war nach wie vor Displaced Persons nicht gestattet, außer in Form von organisierten Transporten zur Uberstellung von einer Besatzungszone in die nächste oder zur Durchreise. Auch Personen, auf die der § 17 des Verbotsgesetzes zutraf, waren davon ausgenommen. Vgl. Wetz, Geschichte der Wiener Polizeidirektion, S. 454. 105 Dieter Stiefel, Coca-Cola kam nicht über die Enns: Die ökonomische Benachteiligung der sowjetischen Besatzungszone. In: Günter Bischof, Dieter Stiefel (Hg.), »80 Dollar«. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948-1998. Wien - Frankfurt 1999, S. 111-132, hier: S. 113. 106 Wetz, Geschichte der Wiener Polizeidirektion, S. 453. Als Folge der sowjetischen Teilblockade Berlins im April 1948 hatte westliches Militärpersonal während dieser Zeit zusätzlich zu den gewohnten »grauen Pässen« auch Lichtbildausweise beim Zonenübertritt vorzuweisen. Vgl. dazu: Günter Bischof, »Prag liegt westlich von W i e n « : Internationale Krisen im Jahre 1948 und ihr Einfluss auf Österreich. In: Günter Bischof, Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949. Innsbruck 1988, S. 315-346, hier: S. 325. 107 Die Auflassung der regelmäßigen Personenkontrollen an der sowjetischen Zonengrenze galt grundsätzlich nur für österreichische Staatsbürger. Hinsichtlich der Staatsangehörigen der drei westlichen Besatzungsmächte und aller anderen nicht-österreichischen Staatsbürger blieben die bis dahin bestandenen Vorschriften aufrecht. Vgl. Wetz, Geschichte der Wiener Polizei, S. 455.

Barbara Stelzl-Marx

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Zone per Bahn, Auto, Schiff oder zu Fuß überschritten, ihre Identitätskarten vorweisen mussten. Als wichtigsten Grund für das einseitige Festhalten an dieser Beschränkung gab die sowjetische Besatzungsmacht an, dass sich die »Displaced Persons« nicht frei in Osterreich bewegen können sollten. Erst als Folge von Stalins Tod im März 1953, woraufhin Ministerpräsident Georgij Malenkov eine Reihe lang ersehnter Erleichterungen des Besatzungsregimes einleitete, wurde am 8. Juni 1953 auch die Kontrolle an den Demarkationslinien der sowjetischen Zone für österreichische Staatsbürger aufgehoben:108 Ais sowjetische Soldaten die Schranke auf der Brücke zwischen Urfahr (sowjetische Zone) und Linz (amerikanische Zone) entfernten, wurde aus Freude und Dankbarkeit sogar ein improvisiertes Tanzfest veranstaltet.109 Weniger als drei Monate später, am 4. September 1953, gab das Exekutivkomitee des Alliierten Rates bekannt, dass laut Artikel 4 des Kontrollabkommens alle noch bestehenden Beschränkungen des Personen- und Güterverkehrs innerhalb Österreichs aufzuheben waren. Jedem Hochkommissar blieb jedoch vorbehalten, den Personen- und Güterverkehr in seiner Zone zum Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder aus militärischen Gründen zu kontrollieren. Der endgültige Schlussstrich unter die alliierte Kontrolle wurde schließlich am 24. Juni 1955 gezogen, als das österreichische Innenministerium den viersprachigen Identitätsausweis für ungültig erklärte. Ab diesem Zeitpunkt war kein Österreicher mehr verpflichtet, den Identitätsausweis bei sich zu tragen oder überhaupt noch zu besitzen. Allerdings konnte er laut Weisung des Bundesministeriums für Inneres weiterhin freiwillig für Legitimationszwecke verwendet werden, da ansonsten die aus der Abschaffung dieser Karte resultierenden Schwierigkeiten bei der Ausweisleistung zu groß geworden wären.110 Abgesehen von den mitunter sehr zeitaufwändigen Kontrollen an der Zonengrenze waren zonenüberschreitende Reisen häufig auch mit Gefahren und Unannehmlichkeiten verbunden gewesen, die von der Verhinderung der Weiterfahrt bis zur - nicht nur kurzfristigen - Festnahme reichen konnten. So sind für die Zeit von 1945 bis Mitte 1953 mehr als 50 Verhaftungen österreichischer Zivilisten durch sowjetische Besatzungsorgane belegt, die an der sowjetischen Zonengrenze - insbesondere an der Ennsbrücke und am Semmering, aber auch am steirisch-burgenländischen Zonenübergang in Fürstenfeld-Rudersdorf - erfolgten. Bei rund der Hälfte dieser Fälle ist eine anschließende Verurteilung - primär wegen Spionage - und Verbringung in die Sowjetunion nachweisbar. Zumindest fünf dieser an der Zonengrenze festgenommenen Zivilisten wurden zum 108 Stearman, Die Sowjetunion und Österreich, S. 94, S. 154. 109 Stearman, Die Sowjetunion und Osterreich, S. 1 J4f. Ein Foto der sowjetischen Brückenkontrolle in Urfahr findet sich etwa in: Harry Slapnicka, Oberösterreich - zweigeteiltes Land 1945-1955. Linz 1986, S. 89^ Slapnicka bezeichnet hierin die Zonengrenzen als »Nahtstellen des Unmuts«. 110 Beispielsweise erklärte die Postdirektion, dass sie nach der Erklärung des Innenministeriums vom 24. Juni 1955 den Identitätsausweis etwa bei Geldauszahlungen nicht mehr zu Legitimationszwecken anerkennen werde, da laut Postordnung ausschließlich gültige Ausweise anerkannt werden durften. Vgl. Wetz, Geschichte der Wiener Polizei, S. 456.

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Tode verurteilt. In vier dieser Fälle wurde die Todesstrafe vollzogen, bei dem Gendarmeriebeamten Franz Kiridus wurde die Strafe zu 25 Jahren Arbeitsbesserungslager im GULag umgewandelt. Die Mehrheit dieser Zivilverurteilten kehrte erst 1953 nach Stalins Tod bzw. 1955 nach Abschluss des Staatsvertrages in die Heimat zurück.111 Einer der prominentesten und spektakulärsten Fälle in diesem Zusammenhang ist jener von Dr. Margarethe Ottdlinger, die Anfang November 1948 auf der Rückfahrt von einer Dienstbesprechung in Oberösterreich am sowjetischen Ufer der Ennsbrücke nach Kontrolle ihrer Ausweispapiere an der Weiterfahrt gehindert und auf die sowjetische Kommandantur nach Sankt Valentin gebracht wurde. Ottdlinger, eine der ranghöchsten Beamten Österreichs, die zu diesem Zeitpunkt die Planungssektion im Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung leitete, wurde wegen Spionage für die Amerikaner zu 25 Jahren Strafarbeitslager verurteilt. Auch sie kehrte erst 1955 - im Zuge der Entstalinisierung Chruscevs amnestiert - aus der Sowjetunion nach Osterreich zurück. Ihre Rehabilitierung erfolgte bereits 1956. 112 Daher überrascht es kaum, dass gerade an der Grenze zur sowjetischen Zone häufig eine gespannte, angstvolle Atmosphäre herrschte, sodass sich die Identitätskarte und die damit verbundene Kontrolle tief im kollektiven Gedächtnis verankert hat. »Ja, Zonengrenze. Man musste also diese Identitätskarten herzeigen. [...] Sie war in Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch abgefasst. Diese vielen Seiten wurden immer gestempelt, sodass der Stempel immer auf zwei Seiten gleichzeitig war. Im Falz hat man das gestempelt. Und die Russen haben die Stempel gezählt. Und wenn irgendeiner gefehlt hat, war das ungültig. Dann wieder zurück. Das war damals Tagesgespräch. Hast du genug Stempel drin?«, 113 erinnert sich etwa ein Wiener Zeitzeuge. Auch die Arbeiter-Zeitung bringt die angstvolle Atmosphäre bei der Kontrolle zur Sprache, wobei hier auf das alte Feindbild von der »Gefahr aus dem Osten« in der Form eines indirekten Zitates rekurriert wird: »Wenn der Zug an der Ennsbrücke hält und der Schaffner freundlich in jedem Abteil erinnert: >Bitte, die Ausweise vorzubereiten^ dann kriecht ein unheimliches Gefühl von der Magengrube bis in die Kehle. Ein Auslandsjournalist schrieb einmal, wenn sich 111 AdBIK, Datenbank österreichischer Zivilverurteilter in der UdSSR. Vgl. dazu insbesondere: Harald Knoll, Barbara Stelzl-Marx, Osterreichische Zivilverurteilte in der Sowjetunion. Ein Überblick In: Andreas Hilger, Mike Schmeitzner, Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Band 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955. Köln - Weimar - Wien 2003, S. 571-605; Harald Knoll, Barbara Stelzl-Marx, Sowjetische Strafjustiz in Österreich: Verhaftungen und Verurteilungen 1945-1955. In: Karner, StelzlMarx (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. 112 Vgl. dazu insbesondere: Stefan Karner (Hg.), Geheime Akten des KGB. »Margarita Ottilinger«. Graz 1992; Stefan Karner, Zur Politik der sowjetischen Besatzungs- und Gewahrsamsmacht. Das Fallbeispiel Margarethe Ottilinger. In: Alfred Ableitinger, Siegfried Beer, Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. Wien - Köln - Graz 1998, S. 401-430. Ingeborg Schödl, Im Fadenkreuz der Macht. Das außergewöhnliche Leben der Margarethe Ottilinger. Wien 2004. 113 Archiv des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz - Wien - Klagenfurt (AdBIK), Oral-History-Interview (OHI), VD-0289, Hans Banner. Wien 21.1.2004.

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der Zug der Enns nähert, ersterben die Gespräche und ein dumpfes Gefühl der Unsicherheit schleiche durch die Waggons, das rätselhafte Ungeheuer Asien poche an die Herzkammern Europas.«114 Das Thema Angst schwingt auch in der Erzählung einer Wienerin mit, deren Freundin im sowjetisch besetzten Urfahr wohnte, allerdings im in der US-Zone gelegenen Linz die Schule besuchte. Somit musste sie jeden Tag zweimal die Zonenkontrolle passieren, wobei ihre Mutter »immer Angst hatte, ob sie geschnappt wird«.115 Analog dazu entwickelte sich in den Erzählungen ehemaliger steirischer Kriegsgefangener in sowjetischer Hand die Aussage »Zu Hause bin ich erst, wenn ich über'm Semmering bin« zu einem regelrechten Topos. Erst nach der Ankunft in der von den Briten besetzten Steiermark und nach überstandener Zonenkontrolle fühlten sich die Heimkehrer vor dem direkten Zugriff der Sowjets sicher und frei.116 Bemerkenswert erscheint, dass gerade zu den zentralen und häufig auch mit Angst verbundenen Erfahrungen der Besatzungszeit zahlreiche Witze entstanden, die zum Teil bis heute tradiert werden.117 Diese oft makaberen Witze oder Anekdoten, die das Thema der Vergewaltigung ebenso einschlössen wie Plünderungen oder den allzu raschen Gesinnungswandel vieler Österreicher, stellten gewissermaßen eine der Strategien dar, schwierige und schmerzliche Situationen zu verarbeiten. Dabei schwingt häufig auch eine gewisse Überheblichkeit gegenüber dem suggerierten niedrigeren Bildungsgrad des »Russen« mit.118 Im Zusammenhang mit der gefiirchteten Zonenkontrolle kursierte beispielsweise der Witz, dass ein »Russe« im Identitätsausweis einen Harnbefund vorfand, die Stempel zählte und daraufhin mit starkem Akzent sagte: »Du haben Zucker und Eiweiß. Du nehmen mit nach Hause für Frau und Kind.« 119 Die Anspielung auf die schlechte wirtschaftliche Lage der österreichischen Bevölkerung gab hierbei ebenso viel Grund zum Lachen wie die Parodie auf die naive Gutmütigkeit des scheinbar nur halbgebildeten Besatzungssoldaten, der den Harnbefund nicht richtig deuten konnte.

1 1 4 W i e lange brauchen wir sie noch?. In: Arbeiter-Zeitung. 115 Helene Wind, Freundliche Auskunft. Wien 24.8.2004. 116 Ela Hornung, Gertrud Kerschbaumer, »Ich bin erst zu Haus, wenn ich über'm Semmering bin!« Stationen des Heimkehrens in die »britische« Steiermark. In: Siegfried Beer (Hg.), Die »britische« Steiermark 1945-1955. Graz 1955, S. 261-276, hier: S. 267. 117 Herrn RRat DI Hans Wind, Wien, sei für die Wiedergabe bzw. Aufzeichnung einiger dieser Witze herzlich gedankt. 118 Zu den zentralen Topoi sowjetischer Besatzungssoldaten in Osterreich vgl.: Irene Bandhauer-Schöffmann, Ela Hornung, Der Topos vom sowjetischen Soldaten in lebensgeschichtlichen Interviews mit Frauen. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Jahrbuch 1995. Wien 1995, S. 28-44; Barbara Stelzl-Marx, »Russenkinder« und »Sowjetbräute«. Besatzungserfahrungen in Osterreich 1945-1955. In: Clemens Vollnhals, Mike Schmeitzner (Hg.), Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Osterreich 1945-1955. Dresden 2005 (in Druck). 119 Herrn Prof. Dr. Othmar Pickl, Graz, danke ich für diesen Hinweis herzlich.

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Auf der anderen Seite polemisierte die Arbeiter-Zeitung, dass den Österreichern das Witzemachen über die I-Karten 1952 längst vergangen wäre: »1946/47 machte man über die I-Karte noch Witze. Etwa über den Wiener, der gerade vor der Kontrolle aufs Klo musste. Als das kontrollierende Organ dann mit einem energischen Pochen an der Tür fragte: >Papira?!< kam auf gut Wienerisch treuherzig zurück: >Danke schön, brauch i net - hab i selber !< Seither ist uns das Witzemachen über die I-Karten längst vergangen. Im Gegenteil - man könnte weinen über einen solchen Hinteitreppenwitz der Nachkriegsgeschichte, wie die I-Karte einer ist. Die Forderung: >Wie lange brauchen wir sie noch?< kommt aus tiefstem Herzen eines ganzen Volkes.«120 Neben den Zonengrenzen stellte die unterschiedliche Wirtschaftspolitik in den einzelnen Besatzungszonen einen wesentlichen Bereich dar, der nicht nur das Leben der Österreicher massiv beeinflusste, sondern auch zu einem deutlichen Ost-West-Gefälle der Industrie führte, das bis zum heutigen Tag sichtbar ist. Eine zentrale Rolle spielten hierbei die Demontagen ganzer Betriebe und die Requirierungen von Vermögenswerten aus dem so genannten »Deutschen Eigentum« in der sowjetischen Besatzungszone.121 Die Verwaltung des von der UdSSR beanspruchten »Deutschen Eigentums« wurde von der USIA 122 wahrgenommen, wodurch der Einfluss der österreichischen Regierung auf die beschlagnahmten Betriebe völlig ausgeschaltet war. Diese exterritoriale Wirtschaftstätigkeit der USIA, die etwa 280 Industriebetriebe mit mehr als 50 000 Arbeitern umfasste,123 fugte der österreichischen Wirtschaft beträchtlichen Schaden zu.124 Die ökonomisch benachteiligte Ostzone, die zudem mehr als 90 % der Kriegszerstörungen aufzuweisen hatte, hinkte im Wiederaufbau von Anfing an nach. Bereits 1947 120 Wie lange brauchen wir sie noch?. In: Arbeiter-Zeitung. 121 Hinsichtlich der wirtschaftlichen Aktionen der sowjetischen Besatzung Österreichs lassen sich zwei Phasen erkennen: zunächst eine Militarphase vom April 1945 bis zum Frühsommer 1946, die »Kriegsbeuteund Trophäenaktion«, die durch Demontagen, Beutemachen und die Sicherstellung der Versorgung der Besatzungstruppen gekennzeichnet war. Die zweite durch den Befehl Nr. 17 eingeleitete Phase ab dem Frühsommer 1946 verlagerte sich auf die Ausnützung der laufenden Produktion. Vgl. dazu: Stiefel, CocaCola kam nicht über die Erms, S. 116; Otto Klambauer, Ein Uberblick über Entwicklung und Organisation des USIA-Konzemes. In: Die USIA-Betriebe in Niederösterreich. Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde. Bd. 5. Wien 1983, S. 1-79, hier: S. 4-27. 122 USIA = Upravlenie sovetskom imuscestvom v Avstrii (Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Österreich). 123 Die Zahl der USIA-Betriebe und der Beschäftigten änderte sich mehrfach und ist nicht ganz unumstritten. Vgl. Stiefel, Coca-Cola kam nicht über die Enns, S. n6f. 124 Alle in der sowjetischen Zone gelegenen Einrichtungen, die nach sowjetischer Definition als »Deutsches Eigentum« zu betrachten waren, wurden gemäß dem auf den 27. Juni 1946, d. h. einen Tag vor der Unterzeichnung des Zweiten Kontrollabkommens, datierten Befehl Nr. 17 direkt unter sowjetische Verwaltung gestellt. Neben den 280 Industriebetrieben mit 50 000 Arbeitern gehörten dazu die Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft (DDSG), der Großteil der Erdölindustrie und 157 000 ha Boden. Vgl. dazu: Aichinger, Die Sowjetunion und Österreich, S. 285^; Bischof, Die Planung und Politik der Alliierten, S. 119; Otto Klambauer, Die USIA-Betriebe. Phil. Diss. Wien 1978, S. 179-227.

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hatte sich - nicht zuletzt durch die Westorientierung der österreichischen Wirtschaft auf Grund des Eisernen Vorhangs - eine deutliche Verlagerung der Industriebeschäftigung von Ost nach West ergeben und auch die österreichischen Investitionen konzentrierten sich auf Westösterreich. Zudem machte sich bei der Bevölkerungsentwicklung die »Go west ¡«-Aufforderung der Amerikaner bald bemerkbar. In Westösterreich hingegen schien die »wärmende Sonne des Marshall-Plans«: Die Ernährung war besser, das Leben leichter, in vielen Gegenden war von der Besatzungsmacht kaum etwas zu spüren und das European Recovery Programm (ERP) 125 förderte den Wirtschaftsaufschwung.126 Bemerkenswert erscheint, dass Osterreich im Rahmen des European Recovery Programs das einzige Empfängerland darstellte, das teilweise unter sowjetischer Besatzung stand.127 Wenngleich 81 % der Marshall-Plan-Hilfe in die Westzone floss, sollte durch die Einbeziehung von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland sowohl ein allzu großes Auseinanderdriften von West- und Ostösterreich in wirtschaftlicher Hinsicht als auch eine soziale Spaltung des Landes verhindert werden.128 Allerdings trug nicht zuletzt der Marshall-Plan zur regionalen Schwerpunktverschiebung nach Westen bei.129 Die wirtschaftliche Wiedervereinigung von Ost- und Westösterreich sollte daher noch Jahre nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages dauern. Schließlich war das Gros der Marshallplangelder und der österreichischen Investitionen nach Westösterreich geflossen, und die nun zurückgegebenen, während der Besatzungszeit als »Deutsches Eigentum« von den Sowjets beschlagnahmten Betriebe waren völlig veraltet. Auch hatte die gegenseitige Konkurrenzierung zwischen USIA und den gezielt mit ERP-Mitteln aufgebauten westlichen Ersatzbetrieben zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der USIA-Betriebe gefuhrt, die dem Konkurrenzkampf nicht gewachsen waren.

125 Das »European Recovery Program« (ERP), besser bekannt als Marshall-Plan, war das größte W i r t schaftshilfeprogramm aller Zeiten. Osterreich erhielt von allen Ländern pro Kopf den zweithöchsten Anteil, übertroffen nur von Norwegen. Vgl. zu dem nach dem US-Außenminister George C. Marshall benannten Programm v. a. Günter Bischof, Dieter Stiefel (Hg.), »80 Dollar«. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948-1998. Wien 1999; Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Osterreich. Graz - Wien - Köln 1989. 126 Stiefel, Coca-Cola kam nicht über die Enns, S. i n f . ; Ingrid Fraberger, Dieter Stiefel, »Enemy Images«: The Meaning of »Anti-Communism« and Its Importance for the Political and Economic Reconstruction in Austria after 1945. In: Günter Bischof, Anton Pelinka, Dieter Stiefel (Hg.), The Marshall Plan in Austria. Contemporary Austrian Studies. Bd. 8. New Brunswick - New Jersey 2000, S. 56-97, hier: S. 7of. 127 Ferdinand Lacina, Der Marshall-Plan - Ein Beitrag zur Übergangswirtschaft Österreichs. In: Günter Bischof, Dieter Stiefel (Hg.), »80 Dollar«. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948-1998, S. 17-20, hier: S. i7f. 128 Eisterer, Österreich unter alliierter Besatzung, S. 162; Andrea Komlosy, The Marshall Plan and the Making of the »Iron Curtain« in Austria. In: Günter Bischof, Anton Pelinka, Dieter Stiefel (Hg.), The Marshall Plan in Austria. Contemporary Austrian Studies. Bd. 8. New Brunswick - New Jersey 2000, S. 98-137, hier: S. ii9f. 129 Stiefel, Coca-Cola kam nicht über die Enns, S. 123.

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Durch die Verstaatlichung der meisten dieser Betriebe, den Ausbau von Wasserkraftwerken oder etwa den Bau von Gaspipelines sollte das Ost-West-Gefälle nun ausgeglichen werden. Wichtig für das Zusammenwachsen war außerdem der Ausbau von Richtfunkstrecken von Telefon, Radio und Fernsehen, wodurch die einzelnen Bundesländer stärker miteinander verbunden wurden. Differenzen zwischen den einzelnen Zonen gab es auch hinsichtlich der Besatzungskosten und der Präsenz der alliierten Soldaten. Während die USA im Sommer 1947 auf die Bezahlung der Besatzungskosten verzichteten und sogar mehr als 300 Millionen USDollar an Osterreich refundierten, folgten die anderen Mächte erst 1953/1954. Daraufhin reduzierten die Franzosen und Briten ihre Truppenstärke so radikal, dass als Gegengewicht zu den 40 000 sowjetischen Soldaten praktisch nur mehr die amerikanischen Verbände im Land verblieben.130 Ungefähr zeitgleich mit der Aufhebung der Zonenkontrolle wurde auch die alliierte Post-, Telegrafen- und Rundfunkzensur eingestellt, und die Sowjetunion ersetzte als letzte der vier Besatzimgsmächte den militärischen Hochkommissar, Vadim Sviridov, durch einen zivilen Diplomaten, den Gesandten Ivan Il'icev. Parallel zu diesen Erleichterungen im Besatzungsregime signalisierte die österreichische Regierung, dass sie an der Wiederaufnahme der Staatsvertragsverhandlungen interessiert war. Trotz dieser sukzessiven Erleichterungen im Besatzungsregime bestand bis zum Abschluss des Staatsvertrages und auch noch über den Abzug der alliierten Truppen hinaus ein Unterschied - nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in psychologischer Hinsicht - darin, in welcher der Zonen man lebte. Als Stichwort sei hier etwa die Beziehung zu den alliierten Soldaten und die damit verbundenen Vorurteile und Ängste angeführt. Wegen der Übergriffe von Rotarmisten zu Kriegsende und zu Beginn der Besatzungszeit, aber auch als Resultat der nationalsozialistischen Propaganda und der latenten antikommunistischen Stimmung im Land wurde es - abgesehen von der wirtschaftlichen Benachteiligung - vielfach als Nachteil angesehen, in der sowjetischen Zone zu leben. Nicht übersehen werden darf auch der Umstand, dass Österreicher, die über ihre Arbeit - etwa in einem USIA-Betrieb oder im Sowjetischen Informationsdienst - gewissermaßen in einem engen Kontakt zur sowjetischen Besatzungsmacht gestanden waren, nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages mitunter Diskriminierungen ausgesetzt waren. Immer wieder wird von der Schwierigkeit berichtet, nach dem Verlust eines solchen Arbeitsplatzes 1955 rasch einen neuen Posten zu finden.

130 Eisterer, Österreich unter alliierter Besatzung, S. 162.

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ÖSTERREICHISCHE I D E N T I T Ä T UND N A T I O N A L B E W U S S T S E I N : E N T W I C K L U N G UND F A K T O R E N

Einen der wichtigsten Bereiche im Zusammenhang mit der »Wiedervereinigung« Österreichs stellte die Herausbildung einer differenzierten und vor allem emotional verankerten nationalen Identität131 und eines österreichischen Nationalbewusstseins dar.132 Schließlich war während der NS-Zeit, wie einleitend dargelegt, alles unternommen worden, um die alte österreichische Identität zu eliminieren und ein österreichisches Sonderbewusstsein im »Dritten Reich« zu verhindern. Mit der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus im Mai 1945 begann nun zaghaft eine Rückbesinnung auf die eigene, nichtdeutsche Geschichte und Identität. Eine von der Politik gezielt forcierte Abgrenzung von Deutschland sollte ebenso dazu beitragen wie die Förderung kultureller Initiativen in der Nachkriegszeit, die das wachsende Selbstbewusstsein der Republik unterstrichen. Den Höhepunkt stellte hierbei freilich die Unterzeichnung des Staatsvertrages dar, der, wie es Bundesminister Figl ausdrückte, den »siebzehn Jahre dauernden dornenvollen Weg der Unfreiheit« beendete. Doch selbst 1956 fühlten sich noch weniger als 50 % der Bevölkerung als Teil einer österreichischen Nation. 133 Einige der zentralen Identifikationsmomente, ihre Entwicklung und Faktoren sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Gerade vor dem Hintergrund der vierfachen Besatzung des Landes, die eine »Dialektik von Befreiung und Besetzung«134 ergab und eine selbstständige Entfaltung Österreichs bis zu einem gewissen Grad behinderte, versuchten die österreichischen Politiker von Anfang an gezielt, ein österreichisches Nationalbewusstsein zu verankern.135 Die

131 Im Zusammenhang mit der »österreichischen Identität« sei darauf verwiesen, dass es die eine einheitliche nationale Identität schlechthin nicht gibt, sondern dass es je nach sozialer, ethnischer, parteipolitischer und regionaler Zugehörigkeit unterschiedliche Ausformungen österreichischer Identitäten gibt. Vgl. dazu: Ruth Wodak, Rudolf de Cillia, Martin Reisigl, Karin Liebhart, Klaus Hofstätter, Maria Kargl, Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität. Frankfurt am Main 1998, S. 163. 132 Zum Nations- bzw. Heimatbegriff vgl. u. a. Ernst Bruckmüller, Die Entwicklung des Osterreichbewusstseins. In: Robert Kriechbaumer (Hg.), Osterreichische Nationalgeschichte nach 1945. W i e n - K ö l n - W e i mar 1998, S. 369-396; Domik, Erinnerungskulturen im Cyberspace, S. 49f.; Ernst Hanisch, Reaustrifizierung in der Zweiten Republik und das Problem eines österreichischen Nationalismus. In: Lutz Muser, Gotthart Wunberg, Eva Cescutti (Hg.), Gestörte Identitäten? Eine Zwischenbilanz der Zweiten Republik. Ein Symposion zum 65. Geburtstag von Moritz Csäky. Innsbruck - Wien - München - Bozen 2001, S. 27-34. 133 Fröhlich-Steifen, Die österreichische Identität im Wandel, S. 62. Dieses Nationalbewusstsein verdichtete sich ab den i9Öoer-Jahren zu einer »österreichischen nationalen Identität«. Vgl. Wodak et al., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, S. 1 1 9 - 1 2 1 . 134 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 402. 135 Hubert Feichtlbauer, Aus der Geschichte gelernt. In: Robert Kriechbaumer (Hg.), Osterreichische Nationalgeschichte nach 1945. Wien - Köln - Weimar 1998, S. 343-368, hier: S. 352.

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neue österreichische Bundeshymne136 oder die neuen Staatssymbole sollten ebenso dazu beitragen wie die Feierlichkeiten zum »950. Jahrestag Österreichs« am 1. November 1946, wobei die erstmalige Erwähnung des Namens »Ostarrichi« von den Politikern zum nationalen Gründungsmythos erklärt wurde. Im Zentrum dieses ersten bewussten nationalen Gedenktages der Republik, in dessen Rahmen auch eine »Osterreichische Sportwoche« abgehalten wurde, stand das Bemühen, die eigene, nichtdeutsche Geschichte des Landes zu betonen und zu einem wesendichen Bezugspunkt des Selbstverständnisses zu erklären.137 Somit überrascht es kaum, dass auch den kulturellen Initiativen in der Nachkriegszeit eine dezidierte Abkehr von Deutschland gemein war. Gerade der Kultur, die wie kaum ein anderer Bereich in den Nachkriegsjahren boomte, kam eine wichtige Rolle für das wachsende Selbstbewusstsein der Republik und den österreichischen Nationalstolz zu. Sie wurde zum Symbol für die künsderische Größe der österreichischen Nation. Schon Mitte Juni 1945 legte die OVP ihre grundsätzliche Einstellung zur Kultur- und Kunstpolitik folgendermaßen vor: »Zielbewusste Pflege des österreichischen Geistes und schärfste Betonung des eigenständigen österreichischen Kulturgutes, das in dem Vätererbe auf uns überkommenen chrisdich-abendländischen Ideengut begründet ist.«138 So nahmen das Ensemble der Wiener Staatsoper, die nach dem Krieg zerstört war und erst 1955 wiedereröffhet wurde, ebenso wie die Wiener Philharmoniker oder die Salzburger Festspiele ihre Arbeit 1945 sofort wieder auf. Auch die 1955 erfolgte Wiedereröffnung der Staatsoper und des Burgtheaters selbst, deren Wiederaufbau auch die sowjetische Besatzimgsmacht tatkräftig unterstützt hatte,139 wurden schließlich zu einem Staatsakt hochstilisiert.140 136 Mit Ministerratsbeschluss wurde am 22. Oktober 1946 das »Bundeslied« von Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Autorschaft jedoch nicht eindeutig nachweisbar ist, zur österreichischen Bundeshymne erklärt. Am 25. Februar 1947 beschloss der Ministerrat, den Text der Dichterin Paula von Preradovic nach Vornahme kleiner Änderungen als offiziellen Text der neuen österreichischen Bundeshymne zu genehmigen. Vgl. Gustav Spann, Fahne, Staatswappen und Bundeshymne der Republik Osterreich. In: Elisabeth Morawek (Hg.), 26. Oktober. Zur Geschichte des österreichischen Nationalfeiertages. Wien o. J., S. 3 5 - 4 1 , hier: S. 40. 137 Bruckmüller, Die Entwicklung des Österreichbewusstseins, S. 379; Emst Bruckmüller, Österreichbewusstsein nach 1945. In: Gerhard Jagschitz, Stefan Karner (Hg.), Menschen nach dem Krieg - Schicksale 1945-1955. Innsbruck 1995, S. 8-13, hier: S. 11; Stefan Spevak, Das Jubiläum »950 Jahre Osterreich«. Eine Aktion zur Stärkung eines österreichischen Staats- und Kulturbewusstseins im Jahr 1946. W i e n München 2003, S. i n 138 Zit. nach: Evelyn Deutsch-Schreiner, Theater im »Wiederaufbau«. Zur Kulturpolitik im österreichischen Parteien- und Verbändestaat. Wien 2001, S. 244. 139 Die sowjetische Besatzungsmacht förderte seit Kriegsende und Beginn der Besatzungszeit im Rahmen ihrer kulturpolitischen Maßnahmen die Wiederaufnahme des Hochkulturbetriebes in Österreich. So nahm beispielsweise das Burgtheater am Vorabend der Feiern zum 1. Mai mit Unterstützung des sowjetischen »Kulturoffiziers«, Major Miron Levitas, in einem Ausweichquartier den Betrieb wieder auf. Vgl. Hilde Haider-Pregler, »Das Burgtheater ist eine Idee...«. Die Jahre 1945 bis 1955 - Eine Zwischenzeit des öster-

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Ein besonders krasses Beispiel für die offizielle antideutsche Haltung war die Einführung des Begriffes »Unterrichtssprache« für den Deutschunterricht in den Schulen durch den konservativen Unterrichtsminister Felix Hurdes (1945 bis 1952), was ihm die spöttische Bezeichnung »Hurdestanisch« einbrachte.141 Hurdes forderte das Ende der »geistigen und kulturellen Abhängigkeit« Österreichs von Deutschland und die Erziehung der Kinder im erwachenden Heimatbewusstsein zu überzeugten Österreichern: »Die Schulen in Österreich müssen österreichische Schulen, die Theater in Österreich müssen österreichische Theater, die Verlage österreichische Verlage werden; ihr wird Österreich genau so offen stehen wie der englischen, französischen, russischen, tschechischen, südslawischen, aber Österreich wird aufhören, das Hinterland Deutschlands zu sein, das alle deutschen Irrwege zu seinem Unglück gläubig nachtappt.«142 Dementsprechend stand die Vermittlung der Geschichte des Habsburgerreiches, der Leistungen österreichischer Künstler und Wissenschaftler, lokaler Brauchtümer ebenso auf dem Lehrplan wie die Besichtigung österreichischer Fabriken oder Ausflüge zu österreichischen Denkmälern der Nationalgeschichte. Auch gezielte Schüler- und Lehreraustauschprogramme zwischen West- und Ostösterreich sollten das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.143 Neben der Kontinuität zur Ersten Republik und der zunehmenden ideologischen sowie wirtschaftlichen Westorientierung entwickelte sich auch die »Opferthese« rasch zu einem wesentlichen Bestandteil des österreichischen Selbstverständnisses in der Nachkriegszeit, die realpolitisch-pragmatisch betrachtet eine »diplomatische Meisterleistung«144 war. Opfer zu sein, ersparte nicht nur vieles, sondern einte auch.145 Damit ging reichischen Staatstheaters?. In: Hilde Haider-Pregler - Peter Roessler (Hg.), Zeit der Befreiung. Wiener Theater nach 1945, S. 84-122, hier: S. 84; Oliver Rathkolb, Planspiele im Kalten Krieg. Sondierungen zur Kultur- und Theaterpolitik der Alliierten. In: Hilde Haider-Pregler - Peter Roessler (Hg.), Zeit der Befreiung. Wiener Theater nach 1945, S. 40-64, hier: S. 45; Nikolaj Lun'kov, Russkij diplomat v Evrope. Tridcat' let v desjati evropejskich stolicach. Moskau 1999. 140 Die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper am 5. November 1955, bei der Beethovens »Fidelio« aufgeführt wurde, war noch prestigeträchtiger als jene des Burgtheaters. Bei beiden Eröffnungsvorstellungen sollte die Idee der Freiheit auf die Bühne gebracht werden. Vgl. Mathias Pape, Ungleiche Brüder. Osterreich und Deutschland 1945-1965. Köln - Weimar - Wien 2000, S. 417-432. 141 Fröhlich-Steffen, Die österreichische Identität im Wandel, S. 63. 142 Felix Hurdes, Österreich als Realität und Idee. Politische Zeitprobleme. Heft 6. W i e n 1946, S. 15, zit. nach: Emil Brix, Zur Frage der österreichischen Identität am Beginn der Zweiten Republik. In: Günter Bischof, Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Osterreich und die Alliierten 1945-1949, S. 93-104, hier: S. 103. 143 William T. Bluhm, Building an Austrian Nation. The Political Integration of a Western State. New Häven - London 1996, S. I33f. 144 Ulfried Burz, Der schwierige Umgang mit der Republik Österreich. In: Ulfried Burz (Hg.), Vortragsreihe der Universität. Millennium »Ostarrichi«. Ein Anlass zur historisch-politischen Besinnung. Klagenfurt 1997, S. 59-68, hier: S. 67. 145 Roman Sandgruber, Das 20. Jahrhundert. Geschichte Österreichs. Wien 2003, S. 102.

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eine partielle Verdrängung der Jahre 1938 bis 1945 Hand in Hand, was zugleich zu einer relativ raschen gesellschaftlichen Rehabilitierung ehemaliger österreichischer Nationalsozialisten führte. Bestärkt durch die Moskauer Deklaration übernahm der Staat keine Verantwortung für die in Osterreich oder von Österreichern während der NS-Zeit verübten Gräueltaten. Und auch bei einem Großteil der Bevölkerung führte die »Opferthese« zu einer nur oberflächlichen Vergangenheitsbewältigung, was noch dadurch bekräftigt wurde, dass eine Mitschuldklausel im Staatsvertrag in letzter Minute verhindert werden konnte.146 Erst 1986 kam es zur ersten großen öffentlichen Debatte dieser Frage im Zuge der Waldheimaffäre.147 Ein weiterer zentraler, identitätsstiftender Mythos der frühen Zweiten Republik waren der Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder, wobei sich auch hier die Frage nach Mythos und Realität stellt.148 Denn dem positiv besetzten Bild von kraftvoll zupackenden, vom Aufbauwillen durchdrungenen »Trümmerfrauen«, die vor allem in den schwer zerstörten Gebieten Ostösterreichs vom Nationalsozialismus befreit - freiwillig - Bombenschutt beseitigten und ihren Anteil an der Aufbauleistung erbrachten, stand das negativ besetzte Bild der zum Arbeitseinsatz zwangsverpflichteten ehemaligen Nationalsozialistinnen, den »Trümmerweibern«, gegenüber.149 Zudem ging eine zunehmende Benachteiligung von Frauen im Berufsleben Hand in Hand mit dem Prozess der (Re-) Etablierung der bürgerlichen Klein- oder Kernfamilie in der Nachkriegszeit.150 Die gesellschaftliche Diskriminierung von Österreicherinnen, die Beziehungen mit sowjetischen Besatzungssoldaten hatten, ist nur ein Ausdruck dafür.151 Auf der anderen Seite er146 Fröhlich-Steffen, Die österreichische Identität im Wandel, S. 65; Anton Pelinka, Zur österreichischen Identität. Zwischen deutscher Vereinigung und Mitteleuropa. Wien 1990, S. 63; Brigitte Bailer, They Were All Victims: The Selective Treatment of the Consequences of National Socialism. In: Günter Bischof, Anton Pelinka (Hg.), Austrian Historical Memory and National Identity. New Brunswick - London 1997, S. 103-115. 147 Zur Entwicklung und Frage der Revision der Opferthese vgl. u. a.: Fröhlich-Steffen, Die österreichische Identität im Wandel, S. n j - 1 5 6 ; Michael Gehler, Die Affäre Waldheim: Eine Fallstudie zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in den späten achtziger Jahren. In: Rolf Steininger, Michael Gehler (Hg.), Osterreich im 20. Jahrhundert. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Wien - Köln - Weimar 1997, S. 355-414; Meinrad Ziegler, Waltraud Kannonier-Finster, Österreichisches Gedächtnis. Uber Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien - Köln - Weimar 1993. 148 Fröhlich-Steffen, Die österreichische Identität im Wandel, S. 58; Erika Thurner, Nationale Identität und Geschlecht in Österreich nach 1945. Innsbruck - Wien - München, S. 9-14; Dornik, Erinnerungskulturen im Cyberspace, S. 45-50. 149 Erika Thurner, Frauenleben 1945 ... In: Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Wien 1995, S. 10-24, hier: S. I5f. 150 Thurner, Frauenleben 1945, S. i8f. 151 Stelzl-Marx, »Russenkinder« und »Sowjetbräute«. Aber auch Österreicherinnen, die Beziehungen zu westlichen Besatzungssoldaten hatten, waren Diskriminierungen ausgesetzt. Vgl. dazu insbesondere: Ingrid Bauer, »Besatzungsbräute«. Diskurse und Praxen einer Ausgrenzung in der österreichischen Nachkriegsgeschichte 1945-1955. In: Irene Bandhauer-Schöffinann, Ciaire Duchen (Hg.), Nach dem Krieg.

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leichterte der Wiederaufbau vielfach die Positionierung der männlichen Arbeiter als »Helden der Nation« sowie - im Umweg über die Baustelle - die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in die österreichische Gesellschaft.152 Während der politische Kampf um den Staatsvertrag die politische und staatliche Einheit Österreichs begründete, bestärkte und bewahrte der Abschluss des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 die nationale Einheit.153 Schließlich lieferte der »Annus mirabilis« 1955 - endlich - das positive als gemeinsamen Erfolg zu interpretierende und somit nationsstiftende Ereignis, das wie schon die Moskauer Erklärung von 1943 an der Opferthese festhielt.154 Worte wie »das Volk Österreichs«, »Wir«, »Österreich« oder »österreichisches Volk«, die Bundesminister Leopold Figl bei seiner Ansprache »mit freudig bewegtem Herzen« vorbrachte, sind Ausdruck für die identdtätsstiftende Bedeutung des Staatsvertrages, der Österreich zehn Jahre nach Kriegsende die staatliche Souveränität und Unabhängigkeit zurückgab:155 »Österreichs Volk jubelt heute, Österreichs Volk dankte heute für die Freiheit, Österreichs Volk geht heute aber auch mit dem festen Vorsatz der Pflichterfüllung für die ganze Welt an die Arbeit. Wenn nun die Glocken von ganz Österreich, vom Bodensee bis zum Neusiedler See, von der Thaya bis zu den Karawanken, läuten, dann läuten sie eine neue Zeit für Österreich ein, dann künden sie, dass Österreich frei ist.«156 Die »wahre Befreiung« und »endgültige Freiheit« durch den am 15. Mai 1955 im Marmorsaal des Oberen Belvedere in Wien unterzeichneten Staatsvertrag kommt besonders plakativ durch die berühmte »Balkonszene« zum Ausdruck, wo Figl mit seinen vier Amtskollegen aus Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und den USA das Vertragswerk der österreichischen Bevölkerung voller Freude und Stolz präsentierte. Die dabei entstandenen Fotos wurden zu einem festen Bestandteil nicht nur des kollektiven Gedächtnisses, sondern auch des kulturellen Bildgedächtnisses157 Österreichs. Nach wie Frauenleben und Geschlechterkonstruktionen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Herbholzheim 2000, S. 261-276; Karin M. Schmidlechner, Frauenleben in Männerwelten. Kriegsende und Nachkriegszeit in der Steiermark. Wien 1997, S. 8off.; Renate Huber, »Als Mann hätte er mich interessiert, als Mann ...«. Beziehungen von Vorarlberger Frauen zu französischen Besatzungssoldaten auf der Basis lebensgeschichtlicher Interviews. In: Montfort49, 1997/2, S. 177-196. 152 Thurner, Nationale Identität, S. 46-54; Dornik, Erinnerungskulturen im Cyberspace, S. 47. 153 Der Abschluss des österreichischen Staatsvertrages zeigt, dass in Osterreich nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen war, was Deutschland versagt blieb: die Bewahrung der Einheit des Landes. Vgl. Bollmus, Staatliche Einheit, S. 677. 154 Bruckmüller, Die Entwicklung des Osterreichbewusstseins, S. 384; Susanne Fröhlich-Steffen, Die österreichische Identität im Wandel. Wien 2003, S. 57. 155 Rolf Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag. In: Rolf Steininger, Michael Gehler (Hg.), Osterreich im 20. Jahrhundert. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Band 2. Wien 1997, S. 217-257, hier: S. 217. 156 Bundesministerium für Unterricht, Osterreich frei. Dokumente II. Wien 1956. 157 Zum »kulturellen Gedächtnis« vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992, S. 48f.

Die »Wiedervereinigung« Österreichs: Kontinuität und Wandel

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vor finden sie Eingang in Schulbücher, Jubiläumsschriften, Ausstellungen, Dokumentarfilme und inzwischen auch Websites.158 Der bis heute gepflegte Mythos vom »Abzug des letzten Soldaten aus Osterreich« und der damit einhergehenden »endgültigen Befreiung« von den »Befreiern« - wurde auch durch den »ersten wirklichen Feiertag der Zweiten Republik« bekräftigt, nämlich durch die am 26. Oktober 1955 vom Nationalrat angenommene immer währende Neutralität.159 Durch die Feierlichkeiten des »Tags der Fahne«160 sollten die Unabhängigkeit Österreichs und die immer währende Neutralität über Schulen vor allem der jüngeren Generation ins Bewusstsein gerückt werden.161 1965 wurde dieser Tag zum österreichischen Nationalfeiertag erklärt,162 wodurch die Neutralität spätestens seit den i97oer-Jahren immer stärker im kollektiven Bewusstsein hervortrat. Sowohl der Staatsvertrag als auch - in zunehmendem Maße - die Neutralitätserklärung entwickelten sich seit 1955 zu den dominanten »nationalen« Symbolen österreichischer Eigenständigkeit und ermöglichten das Entstehen und Gedeihen eines Österreich-Patriotismus.163

158 Katharina Wegan, »Heilige Zeiten«. Der österreichische Staatsvertrag und seine Jubiläen. In: Zeitgeschichte. 28. Jahrgang. September/Oktober 2001. Heft 5, S. 277-297. 159 Am 25. Oktober 1955, dem Ende der im Staatsvertrag vorgesehenen Räumungsfrist von 90 Tagen ab InKraft-Treten des Staatsvertrages, verließen die letzten (britischen) Besatzungssoldaten Österreich. Die Räumung Österreichs durch sowjetische Truppen war bereits am 19. September 1955 abgeschlossen worden. Am Tag nach dem Ablauf der Räumungsfrist, nicht am Tag des Abzuges des letzten Besatzungssoldaten, wie vielfach angenommen wird, beschloss der Nationalrat das Bundesgesetz über die Neutralität Österreichs. Vgl. dazu: Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955. Österreichs Weg zur Neutralität. Graz - Wien - Köln 1985, S. 170; Gerald Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 549; Gerald Stourzh, Österreichs Weg zum Staatsvertrag und zur Neutralität. In: Elisabeth Morawek (Hg.), 26. Oktober. Zur Geschichte des österreichischen Nationalfeiertages. Wien o. J., S. 5 - 1 5 ; Wolfram Dornik, Erinnerungskulturen im Cyberspace. Eine Bestandsaufnahme österreichischer Websites zu Nationalsozialismus und Holocaust. Berlin 2004, S. 49; Thomas Macho, Die letzten Fremden. Feiertag der Zweiten Republik. In: Lutz Muster, Gotthart Wunberg, Eva Cescutti (Hg.), Gestörte Identität? Eine Zwischenbilanz der Zweiten Republik. Ein Symposion zum 65. Geburtstag von Moritz Csäky. Innsbruck - Wien München - Bozen 2001, S. 44-59; Alfred Verdross, Die immerwährende Neutralität Österreichs. In: Elisabeth Morawek (Hg.), 26. Oktober. Zur Geschichte des österreichischen Nationalfeiertages. Wien o. J., S. 51-62; Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag, S. 239f. 160 Vgl. dazu etwa: Jugend schwingt die rotweißrote Fahne. Österreichs Schuljugend feierte den Tag der Flagge. In: Arbeiterzeitung. 26.10.1955, S. 1. 161 Fröhlich-Steffen, Die österreichische Identität im Wandel, S. 61; Nationalfeiertag von 1966 an frei! In: Arbeiterzeitung. 26.10.1965, S. 1. 162 Fröhlich-Steffen, Die österreichische Identität im Wandel, S. 58. 163 Bruckmüller, Die Entwicklung des Österreichbewusstseins, S. 384; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955, S. 170-172.

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Barbara Stelzl-Marx SCHLUSSBEMERKUNG

Gerade im Zusammenhang mit dem »großen Jubiläumsjahr 2005«164 wird deudich, dass die 50 bzw. 60 Jahre zurückliegenden historischen Ereignisse des Kriegsendes und vor allem auch der Unterzeichnung des Staatsvertrages österreichweit zum Anlass genommen werden, Ausstellungen und Konferenzen zu veranstalten sowie zahlreiche Publikationen oder Informationsmaterialien etwa für Schüler herauszugeben. Insbesondere die Tage der »Befreiung« (27. April 1945) und der »endgültigen Freiheit« (15. Mai 1955) bzw. der nach wie vor von Mythen umrankte Abzug des letzten Besatzimgssoldaten und die einen Tag später erfolgte Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes (26. Oktober 1955) stellen Fixpunkte im österreichischen Gedächtniskalender dar. In der Rückbesinnung auf die »Stunde Null« im Jahre 1945 und die »Stunde Eins« liegt der Gründungsmythos der Zweiten Republik Österreich. Die hier dargestellten Meilensteine, die sukzessive zu einer »Wiedervereinigung« Österreichs nach Kriegsende führten, trugen nicht nur wesendich zur Herausbildung eines Österreichbewusstseins bei, sie werden auch heute noch bewusst in Erinnerung gerufen und vor dem Vergessen bewahrt. Eine besondere Rolle spielte hierbei die innere Konsolidierung, der innere Zusammenhalt der Großparteien. Auch die von österreichischer und westalliierter Seite oftmals befürchtete Teilung des Landes und Einbeziehung Ostösterreichs in das sowjetische Imperium lag in keiner Phase im sowjetischen Interesse. Wenngleich kein »Eiserner Vorhang« durch das Land ging, mussten dennoch die Zonengrenzen überwunden werden. Gerade in wirtschaftlicher Hinsicht driftete das Land immer mehr auseinander, kam es zu einem starken Ost-West-Gefälle. Die wirtschaftliche »Wiedervereinigung« von Ost- und Westösterreich war im Gegensatz zur inneren Konsolidierung mit dem »annus mirabilis« nicht abgeschlossen, sondern wurde 1955 erst in die Wege geleitet.

164 Vgl. insbesondere die Programmübersicht in: Österreich 2005. Das Lesebuch zum Jubiläumsjahr mit Programmübersicht. St. Pölten - Salzburg 2004.

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»Annus Mirabilis« 1955 - Das Gemeinsame und die unterschiedlichen Befindlichkeiten

In seiner Neujahrsansprache 1955 erklärte Bundespräsident Theodor Körner, Osterreich warte mit wachsender Ungeduld »auf den großen Augenblick ..., in dem die Befreiung endlich zur Freiheit werden soll«.1 Und Bundeskanzler Julius Raab bemerkte, Osterreich trete »mit einem reinen Gewissen in das neue Jahr ein, aber auch mit dem festen Entschluss, alles zu tun, um unsere Freiheit wieder zu erlangen. Wir verlangen und werden alles dazu beitragen, dass man sich ehestens wieder zusammenfindet und die letzten Verhandlungen über den Abschluss des Staatsvertrages beendet, damit Osterreich sein Recht und seine Freiheit wieder erlangt.«2 Wenig später betonte er neuerlich die Causa prima der österreichischen Politik vor dem 8. Landesparteitag der OVP-Oberösterreich mit dem Hinweis, dass Osterreich »mit allen ... großen Leistungen seit 1945 ... ein Recht darauf« habe, »den Staatsvertrag zu verlangen, und wir werden dies im Jahre 1955 in noch verstärktem Maße tun«.3 Die demonstrative Einforderung des Staatsvertrages und damit der vollen Souveränität kontrastierte allerdings mit dem, wenn auch in der Zwischenzeit deutlich gemilderten, Besatzungsalltag. Hatte die Vergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens durch einen afroamerikanischen Besatzungssoldaten in Salzburg am 21. Dezember 1954 in Salzburg für erhebliche öffentliche Erregung gesorgt - der Vergewaltiger wurde einen Monat später von einem Kriegsgericht der US-Armee zum Tode verurteilt - , so meldete das »Salzburger Volksblatt« Anfang Jänner 1955 zwei neuerliche Vergewaltigungen von jungen Salzburgerinnen durch Angehörige der amerikanischen Besatzungsmacht.4 Und in Wien legte in der Sitzung des Alliierten Rates der sowjetische Hochkommissar Iwan Iljitschow sein Veto gegen das Budget 1955 ein, da in diesem eine Erhöhung der Ausgaben für die Exekutive vorgesehen war. Das für die Exekutive vorgesehene Budget in der Höhe von 187,6 Millionen Schilling verstoße sowohl gegen das Kontrollabkommen wie auch gegen den Beschluss des Alliierten Rates vom 10. September 1945, in dem jegliche militärische Tätigkeit in Osterreich verboten worden sei. Die Exekutive werde von der Bundesregierung systematisch zu einer »illegalen militärischen Formation« ausgebaut,

1 Salzburger Nachrichten (SN) 2.1. 1955. S. 1. 2 Salzburger Volkszeitung (SVZ) 3. 1. 1955. S. 2. 3 SVZ 7. 1. 1955. S. 2. 4 Salzburger Volksblatt (SVB) 7. 1. 1955. S. 3.

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die mit Hilfe der westlichen Besatzimgsmächte als Polizeistreitkräfte getarnt werde. Die Bundesregierung möge den erhöhten Aufwand aus dem Budget streichen und ihn füir soziale und kulturelle Zwecke verwenden, dann könne seitens der U d S S R der Haushaltsvoranschlag 1955 zur Kenntnis genommen werden. 5 Obwohl diese Begründung nicht den Tatsachen entsprach und die Aufwendungen für die gesamte Exekutive lediglich 0,75 % des Budgets betrugen, musste Osterreich auf Grund der Bestimmungen des Zweiten Kontrollabkommens6 die 31-tägige Wartefrist verstreichen lassen, bis der Budgetentwurf in Kraft treten konnte. Gleichzeitig erregte der Fall des Leiters der Dolmetscherstelle im Wiener Bürgermeisteramt, Dr. Alfred Sokolowski, erhebliches Aufsehen und heftige Reaktionen. Dieser war bei seinem Besuch in der russischen Kommandantur festgenommen worden und blieb, trotz der Intervention von Bürgermeister Franz Jonas, in sowjetischem Gewahrsam. Wenig später ließ die sowjetische Besatzimgsmacht verlauten, Sokolowski werde vor ein Militärgericht gestellt, da er angeblich am 12. Juni 1942 von der Roten Armee zur Wehrmacht übergelaufen sei. Auf die Frage, warum man gegen den Leiter der Dolmetschstelle erst jetzt Vorwürfe erhebe, wurde entgegnet, man habe gegen ihn erst ermittelt, als er durch »Handlungen, die mit seinen dienstlichen Obliegenheiten als Ubersetzer des Wiener Magistrats unvereinbar sind, die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat. Diese Handlungen lieferten die Grundlage, ihn der subversiven Tätigkeit gegen die so-

5 Neues Österreich 1 5 . 1. 1 9 5 5 . S. 1. 6 Das 2 . Kontrollabkommen vom 2 8 . Juni 1 9 4 6 sah in Artikel 6 vor, dass »alle legislativen Maßnahmen, so wie sie vom Alliierten Rat bestimmt sind, und internationale Abkommen, die die österreichische Regierung abzuschließen wünscht, ausgenommen Abkommen mit einer der Vier Mächte«, vor ihrem In-Kraft-Treten und ihrer Veröffentlichung »von der österreichischen Regierung dem Alliierten Rat vorgelegt werden. Im Falle von Verfassungsgesetzen bedarf es der schriftlichen Zustimmung des Alliierten Rates, bevor ein solches Gesetz veröffentlicht werden und in Kraft treten kann. Im Falle aller anderen legislativen Maßnahmen und internationalen Abkommen darf angenommen werden, dass der Alliierte Rat seine Zustimmung erteilt hat, wenn er binnen einunddreißig Tagen nach Einlangen der Alliierten Kommission die österreichische Regierung nicht benachrichtigt, dass er gegen eine legislative Maßnahme oder gegen ein internationales Abkommen Einspruch erhebt. Solche legislativen Maßnahmen oder internationalen Abkommen können dann veröffentlicht werden und in Kraft treten....« Die entscheidende Erleichterung betraf die Formel des »reverse veto«, d. h. des negativen Vetos. In Zukunft war nicht mehr der Einspruch einer einzigen Macht ein Verhinderungsgrund, sondern nur ein einstimmiges Veto, was eine Blockierung der österreichischen Gesetzgebung erheblich reduzierte. Wenngleich ursprünglich vorgesehen war, das 2. Kontrollabkommen spätestens nach 6 Monaten einer neuerlichen Beratung durch die vier Mächte zu unterziehen, so wurde diese nie aufgenommen, sodass das Abkommen bis zum 2 7 . Juli 1 9 5 5 , dem Tag des In-Kraft-Tretens des Staatsvertrages und der Auflösung der Alliierten Kommission, gültig blieb. Zum 2. Kontrollabkommen vgl. Manfried Rauchensteiner: Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1 9 4 5 bis 1 9 5 5 . - Graz/Wien/Köln 1 9 7 9 . S. 1 4 9 f r . Gerald Stourzh: Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzimg Österreichs 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . 4 . Aufl. - Wien/Köln/Graz 1 9 9 8 . S. 3 4 f r .

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wjetischen Besatzungstruppen zu verdächtigen.«7 Am folgenden Tag betonten die SPÖAbgeordneten Slavik, Pölzer, Weikhardt, Czernetz, Holoubek und Genossen in einer parlamentarischen Anfrage, die Verhaftung Sokolowskis habe »der österreichischen Öffentlichkeit und darüber hinaus der gesamten freien Welt mit einem Schlag die ganze Brutalität des volksdemokratischen Systems zum Bewusstsein gebracht«.8 Die Befindlichkeiten der Österreicher und der politischen Eliten waren zu Jahresbeginn 1955 durchaus ambivalent. Der vom Kalten Krieg und seinen Konjunkturen geprägte Besatzungsalltag war zur Routine geworden, man hatte gelernt, mit den Besatzern zu leben, im Westen deutlich besser als im Osten. Das die späten i94oer-Jahre dominierende Problem der Lebensmittelversorgung verlor seine dominierende Position. 1953 hatte sich die Nahrungsmittelversorgung so weit gebessert, dass mit 1. Juli für den Bezug von Lebensmitteln keine Karten mehr notwendig waren und bereits über die Frage der agrarischen Uberschüsse und notwendiger Marktregulierungen diskutiert wurde. Der Bierkonsum, des Österreichers liebstes Getränk, war im Braujahr 1954/55 doppelt so hoch wie im Braujahr 1936/37, und die österreichische Filmindustrie bemühte sich nach Kräften mit einem verkitschten Habsburg- und Heimat-Mythos um die Konstruktion eines österreichischen Menschen und damit einer österreichischen Nation.9 Wenngleich man die Hoffnung auf einen Staatsvertrag nicht aufgegeben hatte, so war doch der Optimismus auf Grund der vielen Enttäuschungen einer weit verbreiteten Skepsis gewichen. So bemerkte vor dem Hintergrund der Einladung einer österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau und des bevorstehenden zehnjährigen Bestandes der Zweiten Republik die »Arbeiter-Zeitung« Anfang April, es stelle sich die Frage, ob es »ein glückliches Omen« sei, »dass die Einladung österreichischer Regierungsvertreter nach Moskau gerade in die Zeit fällt, da wir uns anschicken, den zehnjährigen Bestand der Zweiten Republik zu feiern? Wir wagen es fast nicht zu hoffen, weil wir seit jenen Apriltagen 1945 doch immer wieder enttäuscht wurden.«10 Zu sehr war einem bewusst ge7 Neues Österreich 19.1.1955. S. 1. 8 Neues Österreich 20. 1. 1955. S. 2. 9 Zur materiellen Situation vgl. Roman Sandgruber: Vom Hunger zum Massenkonsum. In: Gerhard Jagschitz, Klaus Dieter Mulley (Hg.): Die »wilden« 1950er Jahre. Gesellschaft, Formen und Gefühle eines Jahrzehnts in Österreich. - St. Pölten/Wien 1985. S. 112-122. Zur Rolle des Films vgl. Susanne E. Rieser: Bonbonfarbene Leinwände. Filmische Strategien zur (Re-)Konstruktion der österreichischen Nation in den fünfziger Jahren. In: Thomas Albrich, Klaus Eisterer, Michael Gehler, Rolf Steininger (Hg.): Österreich in den Fünfzigern. - Innsbruck/Wien 1995. S. 119-136. Der Habsburg- und Österreich-Mythos, vom Ständestaat als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus forciert und in der NS-Ara verboten, wurde zum bevorzugten Sujet der Konstruktion einer österreichischen Nation. »Erzherzog Johanns große Liebe« (1950), »Kaiserwalzer« (1953) oder »Kaisermanöver« (1954) wurden zu Publikumsmagneten und Kassenschlagern und antizipierten die Sissy-Begeisterung, »Weißes Gold« (1949), »Das weiße Rössl« (1952), »Echo der Berge« bzw. »Der Förster vom Silberwald« (1954) oder »Das Lied der Hohen Tauern« (1955) prägten das über die Grenzen Österreichs hinaus werbewirksame Genre der idyllischen Heimat. 10 AZ 3.4.1955. S. 2.

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worden, dass die Frage des Staatsvertrages keine isoliert österreichische war und der Außenpolitik des Ballhausplatzes enge Grenzen gesetzt waren. Ein Annus mirabilis schien zu Jahresbeginn 1955 keineswegs in Sicht. So meldete das »Salzburger Volksblatt«, dass die amerikanischen Streitkräfte den Ausbau ihrer Wohnanlagen im Raum von Camp Roeder planten und dadurch endlich die Rückstellaktion der US-Besatzungsmacht einen deutlichen Schritt vorwärts käme.11 Nur die Änderung der weltpolitischen Konstellation konnte Osterreich den ersehnten Staatsvertrag bescheren. So erklärte Außenminister Leopold Figl in einer Rundfunkansprache Mitte Jänner 1955 (unbewusst) prophetisch, er hoffe, dass die Großmächte ihre Gespräche über eine friedliche Koexistenz wieder aufnehmen würden. Im Rahmen dieser Wiederaufnahme der Gespräche könnte es zu neuerlichen Verhandlungen über Österreich kommen. Eine Einigung über Osterreich könnte dabei als erhofftes Signal für eine Annäherung der Blöcke dienen. Voraussetzung dafür aber sei die Entkoppelung der Frage eines österreichischen Staatsvertrages von anderen politischen Problemfeldern wie etwa jenem Deutschlands. Diese Koppelung habe 1954 wesentlich zum Scheitern der Berliner Gespräche beigetragen. »Da eine Verständigung im Interesse der Sicherheit und des Friedens tatsächlich von allen angestrebt wird, besteht meines Erachtens die Gewissheit, dass noch heuer - und zwar ernstlicher als je zuvor - über Osterreich verhandelt werden wird.«12 Und Staatssekretär Bruno Kreisky ergänzte wenig später in einem Vortrag über »Außenpolitische Tatsachen und Probleme«, »die Lösung des österreichischen Problems sei deshalb besonders kompliziert, weil es nicht um den Staatsvertrag, sondern um weltpolitische Probleme gehe. Eine Lösimg der österreichischen Frage sei nur zu erwarten, wenn sich auch die internationale Lage entspanne.«13 Die erhoffte Änderung der weltpolitischen Lage kam rascher als gedacht. Sie nahm ihren Anfang in der Entmachtung des sowjetischen Ministerpräsidenten Georgij M. Malenkow durch den Ersten Sekretär der KPdSU Nikita S. Chruschtschow. Am 8. Februar 1955 verlas Malenkow, dessen innerparteiliche Position durch den schlechten Zustand der Landwirtschaft sowie das Bekanntwerden seiner direkten Involvierung in die von Berija inszenierte und von Stalin angeordnete »Leningrader Affare« 14 geschwächt war, in der Sitzung des Obersten Sowjet einen Antrag, in dem er bat, von seinem Posten als Mi-

11 SVB 2 9 . 1 . 1 9 5 5 . S. 3. 12 N e u e s Osterreich 18. 1. 1955. S. 2. 13 N e u e s Osterreich 22. 1. 1955. S. 2. 14 Bei der »Leningrader Affäre« 1949/50 handelte es sich u m eine vor d e m Hintergrund des Bruchs Stalins mit T i t o 1948 von Berija, Malenkow und Suslow inszenierte Kampagne gegen den ehemaligen Leningrader Parteichef, Gründer des K o m i n f o r m und Chefideologen der K P d S U , Shdanow, der auf Grund eines von Berija behaupteten »hochverräterischen« Komplotts zahlreiche hochrangige Funktionäre der K P d S U zum Opfer fielen. D i e »Leningrader Affare« wurde nach dem Tode Stalins 1953 in einer parteiinternen U n tersuchung aufgerollt.

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nisterpräsident zurücktreten zu dürfen.15 Diesem Wunsch wurde stattgegeben. Wenngleich Malenkow Mitglied des Präsidiums des Z K der KPdSU blieb, so verlor er mit dem ihm nunmehr übertragenen Posten eines Ministers für Kraftwerke und stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates seinen bisherigen politischen Einfluss. Sein Nachfolger als Ministerpräsident wurde Nikolaj Bulganin, ein Gefolgsmann Chruschtschows, der sich damit in dem innerparteilichen Ringen um die Linie der sowjetischen Außenpolitik gegenüber Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow durchzusetzen vermochte. Während nämlich Molotow an der bisherigen Außenpolitik Moskaus festhielt, plädierte Chruschtschow für eine flexiblere Position gegenüber dem Westen und war bereit, dies am Beispiel der sowjetischen Haltung gegenüber einem österreichischen Staatsvertrag zu demonstrieren. Molotow war gezwungen, am Tag der Regierungsumbildung vor dem Obersten Sowjet die neue flexiblere Haltung Moskaus in einer Grundsatzrede anzudeuten, in der er bezüglich Osterreich erklärte, die Sowjetregierung halte eine weitere Verzögerung der Staatsvertragsverhandlungen für unverantwortlich. Die damit ausgelöste intensive Kontaktaufnahme zwischen Wien und Moskau gipfelte in der Note der Sowjetunion vom 24. März und der Einladung einer österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau. Angesichts der sich überraschend ändernden außenpolitischen Rahmenbedingungen und der bevorstehenden Reise der österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau am 11. April bemerkte Rene Marcic in den »Salzburger Nachrichten«, dass man sich in der internationalen Diplomatie nunmehr auch wiederum »über die baldige Lösung der Osterreichfrage und über den Termin für eine umfassende Konferenz mit den Sowjets, womöglich in Wien«, unterhalte, »und dies alles, als ob es völlig natürlich wäre ... Denken wir ein wenig zurück: wie trist sah noch alles vor einem Dreivierteljahr aus!... Nach zehn Jahren scheint sich der Augenblick eingestellt zu haben, da es nicht mehr den Interessen der Sowjets widerspricht, unser Land zu räumen.«16

G E G E N DIE » B L I N D U N T E R Z E I C H N E R « U N D FÜR E I N E P O L I T I K STÄRKE. D I E POSITION DER W E S T L I C H E N

DER

BUNDESLÄNDER

Im Vorfeld der neuerlichen Staatsvertragsverhandlungen wurden die innerösterreichischen Differenzen in der Frage der Taktik und Zielsetzungen deutlich. Vor allem in Salzburg vertrat man dabei die Ansicht, dass die bisher vereinbarten Verhandlungsergebnisse ausschließlich sowjetische Forderungen beinhalteten und auf Grund der wirtschaftlichen und politischen Implikationen nicht zu akzeptieren seien, da sie Österreich zu einem sowjetischen Satelliten degradieren würden. Dabei wandte man sich vor allem gegen die 15 Roy Medwedjew: Chruschtschow. Eine politische Biographie. - Stuttgart/Herford 1984. S. 109. 16 Rene Marcic: Wir sind über den Berg. In: S N 2-/3. 4. 1955. S. 1.

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v o n der Bundesregierung trotz der drückenden wirtschaftlichen und finanziellen B e stimmungen des im N o v e m b e r 1949 ausgehandelten Vertragsentwurfs vertretene M e i nung, ein schlechter Vertrag, der den A b z u g der Besatzimgsmächte bringe, sei besser als keiner. 17 Vielmehr müsse durch eine Politik der Stärke der Vertragstext in wesendichen Punkten völlig neu verhandelt werden. Bereits im O k t o b e r 1954 hatte Ferdinand M a n n d o r f v o r d e m H i n t e r g r u n d der gescheiterten Berliner Außenministerkonferenz 1 8 und der sowjetischen Forderung nach ein e m Verbleiben der, w e n n auch reduzierten, Besatzungstruppen in Osterreich bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland 1 9 bemerkt, Osterreich müsse auf der

17 Adolf Schärf hat in einem Schreiben an Leon Blum vom 30. Dezember 1949 die Motive der österreichischen Bundesregierung dargelegt. »Ich will nicht bestreiten, dass die getroffene Einigung zwischen den vier Mächten für Osterreich äußerst drückend ist; ohne ausländische Hilfe werden wir kaum imstande sein, die Lasten, die aus dem Staatsvertrag erwachsen, abzutragen;... Wir nehmen an, dass Russland keine einzige der in den bisherigen Verhandlungen errungenen Klauseln und Vorteile mehr fallen lässt, es sei denn, es würde durch einen neuen Krieg oder eine sonstige Umwälzung in der Weldage dazu gezwungen. Russland hat alles, was es in Österreich haben will, derzeit fest in der Hand, die Ölquellen, die Donaudampfschifffahrt, es hat aber auch das in der Hand, was es aufgeben müsste, wenn der Staatsvertrag in Wirksamkeit tritt: die etwa 230 österreichischen Fabriken und Betriebe, die es als so genanntes >Deutsches Eigentum< in Anspruch nimmt. Solange der Staatsvertrag in Schwebe ist, besitzt Russland also das, was es sich wünscht, und überdies eine solche Menge von österreichischen Betrieben, dass es von dort aus den größten wirtschaftlichen Einfluss auf das Land und auf die Arbeiterschaft ausüben kann. Ich wage die Behauptung, dass ein kommunistischer Staatsstreich in der Ostzone Österreichs oder in der interalliierten Zone Wiens dann von Erfolg begleitet sein könnte, wenn die Russen ihn wünschen und unterstützen. Die Anwesenheit der Russen im Lande bedeutet für jedes Parlament und für jede Regierung eine standige Quelle der Unsicherheit und der Gefahren: Es ist klar, dass ein solcher Staatsstreich binnen weniger Wochen zur Zerreißung Österreichs nach deutschem Muster fuhren würde, weil eine Staatsstreich-Regierung in den übrigen Zonen Österreichs keine Anerkennimg finden würde. (...) Praktisch bedeutet das Besatzungsregime, dass ein beträchtlicher Teil der Marshall-Plan-Hilfe unsichtbar aus Österreich abfließt. Der Abzug der Besatzungstruppen würde fast automatisch das Budget in Ordnung bringen. (...) Hin und wieder taucht der Gedanke auf - nicht nur in unseren Kreisen - , sich mit der gegenwärtigen Lage abzufinden und bloß darauf hinzuarbeiten, dass das Besatzungsregime erleichtert und an die Stelle des jetzigen Kontrollabkommens ein anderes gesetzt werde, das vor allem die Größe der Besatzungstruppen einschränkt. Wir halten von einer solchen Politik nichts, wenn sie auf mehr als einige Monate berechnet ist. Sie setzt voraus, dass Russland sich dazu bereit findet; es wird sich aber ebenso schwer dazu bereit finden, wie zum Staatsvertrag; ein solches >milderes< Besatzungsregime würde vermutlich zur Folge haben, dass die endgültige Lösung der österreichischen Frage erst zusammen mit der deutschen erfolgt.« (Adolf Schärf: Österreichs Erneuerung 1945-1955. Das erste Jahrzehnt der zweiten Republik. - Wien 1955. S. 207fr.) 18 Zur Berliner Außenministerkonferenz vgl. Stourzh: Um Einheit und Freiheit. S. 30iff. 19 Der für die österreichische Delegation unannehmbare sowjetische Vorschlag für eine neue Bestimmung zu Artikel 33 des Staatsvertrags lautete, »zur Verhinderung von Versuchen eines neuen Anschlusses den Abzug der Truppen der vier Mächte, die sich auf dem Territorium der entsprechenden Zonen Österreichs befinden, bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland aufzuschieben. Alle ausländischen Truppen sind gleichzeitig mit der Auflösung der Alliierten Kommission aus Wien abzuziehen. Die in Österreich

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vollen Anerkennung seiner Souveränität bestehen. »Dazu gehört, dass die Besatzungstrappen abziehen und das österreichische Territorium ausschließlich der österreichischen Hoheit untersteht. Dazu gehört weiter, dass die Frage einer österreichischen Verbindung mit irgendeiner Macht oder einer Mächtegruppe grundsätzlich Osterreich überlassen bleibt... Die Gefahren, die in der gegenwärtigen Situation ruhen, liegen ... in der Verlockung fair Osterreich, für die Vorteile des Staatsvertragsabschlusses im Lande Unsicherheitsfaktoren einer Besatzung oder einer getarnten Besatzung in Kauf zu nehmen.«20 Vor dem Hintergrund der Billigung der Pariser Verträge durch die französische Nationalversammlung, dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO und dem Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten Pierre Mendes France, im Mai 1955 Vier-Mächte-Gespräche zu fuhren, wobei der Abschluss eines Staatsvertrages für Osterreich auf der Tagesordnung stehen sollte, eröffnete Otto von Habsburg in der Silvesternummer der »Salzburger Nachrichten« mit einer ausführlichen Analyse der bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen die Diskussion um die bei eventuell bevorstehenden neuerlichen Verhandlungen einzuschlagende Taktik Österreichs. »Der Staatsvertrag in seiner derzeit bestehenden Form ist beinahe ausschließlich das Werk der Sowjetunion. Schritt für Schritt haben die Westmächte bei so ziemlich allen Punkten den russischen Forderungen nachgegeben. Es ist bezeichnend, dass jede Konzession, ja auch schon jede Andeutung einer solchen, stets als endgültig zugunsten des sowjetischen Standpunktes verbucht wurde. Heute ist das Werk daher eine Kapitulation - auf unsere Kosten. Denn schließlich ist es ja Osterreich, welches die Folgen der westlichen Großzügigkeit tragen wird.« Zudem würden die politischen Bestimmungen des Vertragsentwurfes »die österreichische Souveränität beschränken und uns einen halb-kolonialen Status auferlegen.... zeitweilig verbleibenden Truppen der vier Mächte werden nicht mehr als Besatzungstruppen gelten, keine Besatzungsfunktion erfüllen, sowie sich in die Angelegenheiten der österreichischen Verwaltungsbehörden und in das öffentliche und politische Leben des Landes nicht einmischen. Die Rechtslage dieser Truppen wird durch ein Sonderabkommen bestimmt, das von den vier Mächten unter Beteiligung Österreichs auszuarbeiten ist und gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages mit Osterreich seine Gültigkeit erlangen soll.« Die österreichische Bundesregierung lehnte in ihrer Stellungnahme vom 13. Februar 1954 die sowjetische Forderung als »völlig unannehmbar« ab. Vgl. Eva-Marie Csäky: Der Weg zu Freiheit und Neutralität. Dokumente zur österreichischen Außenpolitik 1945-1955. Wien 1980. S. 328. (Schriftenreihe der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen Band 10.) 20 Ferdinand Manndorf: Moskaus Spiel um Osterreich. In: SN 9./10. 10. 1954. S. if. S. 2. Der vollständige Abzug der Besatzungstruppen wurde auch von Bundeskanzler Julius Raab anlässlich seines USA-Besuchs im November 1954 bei einem Mittagessen mit amerikanischen Auslandsjournalisten am 23. November 1954 als zentrale Bedingung für den Abschluss eines Staatsvertrages bezeichnet. (SN 24. 11. 1954. S. 1.) Allerdings, so ließ er am folgenden Tag bei seinem Besuch in New York wissen, sei auch eine Erstreckung der Abzugsfrist bis zu zwei Jahre, wie dies der französische Ministerpräsident Pierre Mendes France vorgeschlagen hatte, diskutabel. (SN 3. 12. 1954. S. 2.)

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Schon die Präambel des sog. Staatsvertrages ist für einen bewussten Österreicher unannehmbar. In ihr wird von der Verantwortung unserer Heimat am Krieg gesprochen. Mit dieser juristisch unhaltbaren Konstruktion wollen die Mächte den diktatorischen Charakter des Instrumentes rechtfertigen.« Die militärischen und Luftfahrtbestimmungen gingen weit über den Vertrag von St. Germain hinaus und machten es Osterreich unmöglich, sich selbst zu verteidigen, und die Artikel 56 und 5721 enthielten die Gefahr, dass »Osterreich einer dauernden politischen Kontrolle der Großmächte« unterworfen würde. All dies sei »mit dem Begriff eines unabhängigen und demokratischen Österreich unvereinbar.... Gegenüber diesen Bedenken wird ein einziges, allerdings gewichtiges Argument für die Annahme des Diktates durch Österreich ins Treffen geführt. Es ist dies das Interesse der unter russischer Besetzung befindenden Gebiete. Diese sollen endlich von einem furchtbaren, nimmehr zehnjährigen Albdruck befreit werden. Dies zu erreichen ist viele, schwere Opfer wert. Kein Preis dürfte zu hoch sein, solange damit nicht die Selbstständigkeit und Freiheit Österreichs selbst aufgegeben werde. Bei dem gegenwärtigen Vertragsentwurf ist dies aber der Fall.«22 Österreich sei, so Gustav Canaval am Vorabend der Einladung einer österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau, »heute ... bedroht durch das Damoklesschwert eines Staatsvertrages, der gemäß zahlreicher, nun wohl lückenlos vorliegender Beweise die einseitige Satellitisierung unter Moskaus Einfluss für Österreich mit sich bringen würde, wenn er zur Tat würde«.23 Daher müsse Österreich eine würdige und unbeugsame Haltung in der Frage des Staatsvertrages einnehmen. Nur so könne es die Anerkennung in der Welt und eventuell eine Revision der derzeitigen entwürdigenden Vertragsbedingungen erreichen. Ein Staatsvertrag dürfe nicht um jeden Preis ausgehandelt werden.

21 Die Artikel 56 und 57 regelten die Stellung der »Missionschefs« und die »Auslegung des Vertrages«. In ihnen hieß es u. a.: Artikel 56. 2. Die vier Missionschefs werden der österreichischen Regierung Anleitung, technischen Rat und Aufklärung geben, die etwa erforderlich sein sollten, um die rasche und wirksame Durchführung des vorliegenden Vertrages dem Wortlaut und dem Sinne nach zu sichern. 3. Die österreichische Regierung soll den genannten vier Missionschefs jede nötige Information erteilen und jeden Beistand leisten, den sie zur Erfüllung der ihnen aus dem vorliegenden Vertrage erwachsenden Aufgaben benötigen. Artikel 57. 1. Soweit kein anderes Verfahren in irgendeinem Artikel des vorliegenden Vertrages besonders vorgesehen ist, wird jede Meinungsverschiedenheit über die Auslegung oder die Durchfuhrung des Vertrages, die nicht durch unmittelbare diplomatische Verhandlungen beigelegt wird, den vier Missionschefs vorgelegt werden... 22 Otto von Habsburg: Osterreichische Neujahrsgedanken. In: SN 31. 12. 1954. S. 1. 23 Gustav A. Canaval: Europas österreichische Stunde. In: SN z6./it]. 3. 1955. S. if. S. 1.

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Massiv wandte er sich gegen die sich vor allem im Osten Österreichs sammelnde Gruppe »der Vertreter der Blindunterzeichner«, bestehend aus »liberal-sozialistischen Journalisten, avantgardistischen Katholiken und selbstverständlich dem russophilen Kommunistenabgeordneten Dr. Ernst Fischer ..., welcher ... dann im unpassendsten, weil letzten Moment, vor der Desavouierung durch Russland der österreichische Vizekanzler Dr. Schärf Unterstützung verlieh«.24 Es sei von dieser vor allem ostösterreichischen Gruppe der »Blindunterzeichner« falsch und infam, den vorwiegend aus den westlichen Bundesländern stammenden Kritikern des vorliegenden Staatsvertragsentwurfs zu unterstellen, sie würden aus letztlich kleinlichen Gründen den Abschluss eines Vertrages verhindern wollen. Genau das Gegenteil sei der Fall. Den Kritikern liege »ganz sicher alles an der Einheit Österreichs, denn gerade diese Einheit wäre jetzt durch ein Inkrafttreten des ganzen Entwurfes ... aufs äußerste gefährdet«.25 Die »Salzburger Nachrichten« hätten sich mit dem Silvesterartikel Otto von Habsburgs zum Sprachrohr der Kritiker am vorliegenden Staatsvertragsentwurf und dessen Annahme gemacht. Daraufhin sei »das Gezeter gewisser alter Weiber in Skriptoren- und Parlamentshosen« losgegangen. »Im Westen Österreichs habe man leicht reden und wir seien Gegner des Staatsvertrages überhaupt... Die Wahrheit ist, dass sich eine berechtigte und höchst patriotische Opposition gegen gewisse ... Artikel des Entwurfes richtete, und dass es heute sehr danach aussieht, dass ohne diese Opposition es nie zu der heute erreichten, zweifellos wichtigen Korrektur gekommen wäre.«26 In den westlichen Bundesländern stand man auch den Bestrebungen einer Revision des Artikels 10, Abs. 2, der die völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs, das Habsburgergesetz vom 3. April 1919 aufrechtzuerhalten, beinhaltete, aufgeschlossen und weitgehend unterstützend gegenüber. Im Februar 1955 erklärte der Gesandte a. D. Theodor Hornbostel bei einem Vortrag in Innsbruck, der vorliegende Staatsvertragsentwurf müsse bei eventuell bevorstehenden neuerlichen Verhandlungen wesentliche Änderungen erfahren, dies schließe auch die Bestimmungen des Artikels 10, Abs. 2 ein. Die Forderung nach einem völlig neuen Staatsvertrag stieß bei Raab, Figl und Schärf auf Ablehnimg, die für substantielle Modifikationen im Zuge neuerlicher Verhandlungen, in die Österreich jedoch als aktiver Teilnehmer eingebunden sein sollte, plädierten. Im Gegensatz dazu erfreute sich jedoch jene nach Eliminierung von Artikel 10, Abs. 2 der wohlwollenden und aktiven Unterstützung von Bundeskanzler und Außenminister. Raab bemühte sich während der Staatsvertragsverhandlungen mehrmals, den Koalitionspartner unter Hinweis auf die damit verbundene Einengung der Souveränität sowie moralische Bedenken für eine gemeinsame Initiative zur Streichung des Habsburger-Artikels zu gewinnen, wobei er auch Bundespräsident Theodor Körner einschaltete. Die 24 Ebda. 25 Gustav A. Canaval: Die Einheit Österreichs. In: SN 12./13. 3. 1955. S. if. S. 2. 26 Canaval: Europas österreichische Stunde. S. 1.

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SPÖ lehnte dies strikt ab, wobei sie für ihre ablehnende Haltung einen nicht zu überwindenden innerparteilichen Widerstand sowie jenen der Sowjetunion als Gründe angab.27 Anfang März diagnostizierte Schärf vor sozialistischen Abgeordneten und Bundesräten einen engen Konnex zwischen der Forderung nach einer generellen Neuverhandlung des Staatsvertrages und der Streichung von Artikel 10, Abs. 2. Die Forderung nach einer generellen Neuverhandlung des Staatsvertrages werde den Habsburgern zuliebe erhoben, da für deren Aufenthalt in Osterreich bestimmte Voraussetzungen auch im Staatsvertrag vorgesehen seien.28 Und Karl Waldbrunner erklärte am 2. April 1955 vor dem Bundestag des BSA im Arbeiterheim Favoriten: »Wir Sozialisten sprechen nicht nur von einer Garantie gegen den Anschluss an Deutschland, sondern auch von einer Garantie gegen die Restauration der Habsburger, von der einige nicht einflusslose Personen in der ÖVP träumen.«29

Z W I S C H E N M A R K T UND S T A A T . ORDNUNGSPOLITISCHE D I F F E R E N Z E N IM V O R F E L D U N D W Ä H R E N D DER S T A A T S V E R T R A G S V E R H A N D L U N G E N

Ende Jänner 1955 erklärte Staatssekretär Fritz Bock vor der Mitgliederversammlung der Salzburger Industriellenvereinigung, Osterreich habe im Bereich des öffentlichen Sektors einen Grad erreicht, der nicht mehr überschritten werden dürfe. Wenngleich die verstaatlichten Betriebe kaum mehr zu privatisieren seien, so sollten doch, um marktwirtschafdichen Mechanismen größeren Raum zu schaffen, in einem gewissen Ausmaß Privatisierungsschritte unternommen werden.30 Mit dieser Erklärung wurden die Konfliktzonen der ordnungspolitischen Positionen der beiden Koalitionsparteien in den i95oer-Jahren angesprochen. Vor allem seit der Berufung des Leiters der wirtschaftspolitischen Abteilung der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft, Reinhard Karnitz, an die Spitze des Finanzministeriums 1952 verschärften sich, bei gleichen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen wie Wirtschaftswachstum, Währungsstabilität und Vollbeschäftigung, durch die von ihm vertretene Position der Sozialen Marktwirtschaft die ordnungspolitischen Differenzen zwischen OVP und SPÖ. In seinen marktwirtschafdichen Bestrebungen wurde Karnitz, der der SPÖ Staatsinterventionismus und Dirigismus vorwarf, von Fritz Bock unterstützt.

27 Vgl. Hellmut Andics: Der Fall Otto Habsburg. Ein Bericht. - Wien/München 1965. S. l ^ f . Hermann A. Griesser: Konfisziert. Österreichs Unrecht am Hause Habsburg. - Wien/München 1986. S. 8off. 28 SVB j . 3. 1955. S. 2. 29 AZ 3.4. 1955. S. 1. 30 SN 29.1. 1955. S. 5.

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Dieser betonte Anfang April 1955 angesichts der bevorstehenden Wiederaufnahme der Staatsvertragsverhandlungen und der damit verbundenen Frage des »Deutschen Eigentums« vor der Wiener Industriellenvereinigung, in Osterreich dürfe kein weiterer Schritt in Richtung Ausweitung der öffentlichen Wirtschaft gesetzt werden. Der Rückbau des überproportional großen Anteils des öffentlichen Sektors sei dringend geboten. Einer der »wenigen gangbaren Wege ... bestehe darin, gewisse Dinge, die jetzt in der Regie des Staates, der Länder oder Gemeinden geschehen, auf privatwirtschaftlicher Ebene durchzuführen«.31 Die verstaatlichte Industrie habe bisher mit 4,6 Mrd. Schilling mehr als beinahe das Doppelte der für die Privatwirtschaft verteilten Marshallplangelder in der Höhe von 2,4 Mrd. Schilling erhalten. Osterreich nähere sich mit einer solchen Politik »immer mehr dem kommunistischen staatswirtschafitlichen System«.32 Die ÖVP blies zum Angriff auf das sog. »Imperium Waldbrunner«, das angesichts der von der SPÖ geforderten weitgehenden Verstaatlichung des Deutschen Eigentums eine erhebliche Stärkung zu Lasten des privatwirtschaftlichen Sektors erfahren sollte. Es dürfe, so die Botschaft der ÖVP, durch die erhoffte Rückgabe des Deutschen Eigentums zu keiner Expansion des ohnedies bereits überproportionalen Anteils des öffentlichen Sektors und damit auch des wirtschaftspolitischen Einflusses der SPÖ kommen. Verkehrsminister Karl Waldbrunner erwiderte auf diese Bemühungen am 2. April 1955, die SPÖ sei in der Frage des Deutschen Eigentums bestrebt, diese Betriebe auf Grund der notwendigen wirtschaftlichen Unabhängigkeit Österreichs »von dem Einfluss jeder ausländischen Macht, auch von Deutschland, unabhängig« zu halten. »Die ÖVP darf nicht glauben, dass die Verstaatlichung in Österreich auf dem Weg über das Deutsche Eigentum wieder rückgängig gemacht werden kann.«33 Und die »Arbeiter-Zeitung« kommentierte den Vorstoß Bocks vor der Wiener Industriellenvereinigung mit der Bemerkung, dass es ein »ÖVP-Funktionär ... offenbar immer als eine Erleichterung« empfinde, »wenn ihm Gelegenheit geboten wird, seinen Verstaatlichungskomplex ein bisschen abzureagieren. (...) Das Verhalten der Volkspartei in der Frage der Verstaatlichung ist beschämend und ihr Komplex fast komisch - während, zu ihrem Ärger und zum Wohle der Republik, die verstaatlichten Betriebe blühen und gedeihen.«34 Nach der Rückkehr der Regierungsdelegation aus Moskau, wo die sowjetische Regierung ihre Bereitschaft zu einer grundlegenden Revision ihrer bisherigen Positionen und damit auch die Rückgabe des Deutschen Eigentums und der Erdölquellen sowie der D D S G bekundet hatte, erklärte Vizekanzler Schärf vor der Wiener Konferenz der SPÖ über das künftige Schicksal der USIA-Betriebe: »Man hat dieser Tage in ÖVP-Blättern lesen können, dass durch die Ubergabe der USIA-Betriebe, der Erdölverwaltung und der

31 S N 7.4. 1955. S. 2. 32 Ebda. 33 AZ 3 . 4 . 1 9 5 5 . S. 1. 34 K. A.: Bock-Sprünge. - In: AZ 8. 4. 1955. S. if.

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Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft an den österreichischen Staat der Bereich der verstaatlichten Industrie >leider< vergrößert wird. Es gibt also Leute in Osterreich, die diese Betriebe und Bodenschätze lieber in den Händen der Russen als unter der Verwaltung eines österreichischen Ministeriums sehen möchten! Wir sind aber überzeugt, dass die verstaatlichte Verwaltung der ehemaligen USIA-Betriebe zu einem so eindeutigen Erfolg fuhren wird, dass sich die ÖVP in ein paar Jahren ihrer heutigen Haltung schämen wird.« Die von den Vertrauensmännern der Wiener SPO verabschiedete Resolution rief dazu auf, dafür zu sorgen, »dass die in Moskau erreichten wirtschaftlichen Erfolge nicht zur Bereicherung einzelner Kapitalisten missbraucht werden dürfen«. 35 Gleichzeitig bemerkte OVP-Generalsekretär Alfred Maleta in einer Wahlversammlung in Niederösterreich über das künftige Schicksal der USIA-Betriebe: »Eine weitere kalte Sozialisierung der Wirtschaft werden wir nicht dulden. Es gibt genügend Beispiele von Misserfolgen aus dem Machtbereich Ingenieur Waldbrunners, die den Schluss nahe legen, die Verstaatlichung nicht weiter voranzutreiben, sondern lieber den umgekehrten Weg zu gehen, sollen Staat und Wirtschaft nicht schwere Verluste erleiden.« 36 Die Fronten waren damit am Vorabend der entscheidenden Wiener Beratungen im Mai bezogen. Angesichts der sich abzeichnenden deudichen Fortschritte bei der Wiener Botschafterkonferenz fasste die Parteivertretung der SPO unter Vorsitz von Vizekanzler Schärf am 6. Mai eine Entschließimg, in der die wirtschafdichen Fragen und damit auch das künftige Schicksal der USIA-Betriebe im Kontext der Staatsvertragsverhandlungen angesprochen wurde, » i . Die Sozialistische Partei erklärt als oberstes Wirtschaftsziel für die auf Grund des Staatsvertrages in das Eigentum der Republik Österreich übergehenden Betriebe die Sicherung der Arbeitsplätze und die Verstärkung der österreichischen Produktion. Die Sozialistische Partei betrachtet als beste Gewähr für die Erreichung dieser Ziele, soweit Betriebsumfang und Wirtschaftszweig hiefür eine geeignete Grundlage bieten, die Führung dieser Betriebe durch Organe der öffentlichen Wirtschaft.« 37 Kurz zuvor hatte sie zur Finanzierung der in den USIA-Betrieben notwendigen Investitionen eine deutliche Erhöhimg der Lohn- und Einkommenssteuer gefordert.38 Die ÖVP habe nach den Moskauer Gesprächen, so die »Arbeiter-Zeitung« klassenkämpferisch, die Privatisierung der USIA-Betriebe befürwortet und sich vehement gegen eine Ausweitung der Verstaatlichung gewandt. »Was dann die Privatwirtschaft damit anfangen, ob und in welchem Umfang sie diese Betriebe weiterfuhren oder ob sie sie stilllegen wird, und welches Schicksal die dort beschäftigten Arbeiter und Angestellten erwartet, das alles interessiert die Herren der Volkspartei nicht. Sondern nur eines: um Gottes willen keine weitere Verstaatlichung. ... Natürlich spielt hier nicht nur die grundsätzliche Gegnerschaft 35 36 37 38

AZ 22.4.1955. S. if. AZ 23.4. 1955. S. 2. AZ 7. 5.1955. S. i. SN4. 5.1955. S. 2.

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der ÖVP gegen die verstaatlichte Wirtschaft eine Rolle. Der Verkauf einiger hundert Wirtschaftsunternehmen an private Unternehmer wäre ja auch ein riesiges Geschäft, ...eines, bei dem Protektion geübt und Provisionen eingesteckt werden können, eines, bei dem man vermitteln, zuschanzen und schieben kann.«39 Und Alfred Migsch erklärte vor dem Parteitag der Salzburger SPO in Richtung ÖVP: »Aus der Parole >Bereichert euch!< wird nichts!«40 Die ideologischen Positionen prallten in der Frage des Schicksals der USIA-Betriebe mit erheblicher Schärfe aufeinander. Für Reinhard Karnitz hatte »der Plan, der in jenen sozialistischen Kreisen diskutiert wird, die möglichst die gesamte Investitionstätigkeit und Wirtschaft in der Hand des Staates vereint sehen wollen,... ausgesprochen politischen Charakter«.41 Bei der bevorstehenden ordnungspolitischen Weichenstellung für die künftige Wirtschafts- und Finanzpolitik schien die großkoalitionäre Harmonie bei den Staatsvertragsverhandlungen ernstlich gefährdet. Während die SPO für die Verstaatlichung des Großteils der Betriebe und eine weitgehende Konzentration der Investitionstätigkeit bei der öffentlichen Hand plädierte, votierte die ÖVP für eine weitgehende Privatisierung oder aber für eine Mitarbeiterbeteiligung. Die Idee der wenig später vor allem vom ÖAAB propagierten »Volksaktien« war geboren.42 Sie bildeten neben dem von Gewerkschaftssekretär Franz Prinke forcierten Wohnungseigentum die zweite Säule des programmatischen Anspruchs auf Privatisierung und Streuung des Eigentums durch Bildung von Vermögen in Arbeitnehmerhand in den i95oer-Jahren. Der Bundesobmann des ÖAAB und Wiener Vizebürgermeister Lois Weinberger erklärte bei der 1. Mai-Feier 1955 der Wiener ÖVP: »Die Betriebe, die nun wieder an Österreich zurückkommen, müssen der Arbeiterschaft erhalten bleiben. Nur meinen wir dies nicht so wie die Sozialisten, die sie nur über die weitere Verstaatlichung, praktisch also über ihren Zentralsekretär Minister Waldbrunner erhalten wissen möchten. Wir glauben dagegen, dass gerade in diesen Betrieben oder doch in vielen von ihnen Gelegenheit wäre, die Arbeiter direkt am Unternehmen zu beteiligen. Auf diese Weise würde doch auch die Produktion gesichert werden und so ansteigen, dass die gesamte Volkswirtschaft daraus Nutzen ziehen könnte.«43 Die Staatsvertragsverhandlungen sicherten Österreich nicht nur das sog. »Deutsche Eigentum«, sondern auch die Erdölfelder und die DDSG. Die sowjetischen Ansprüche mussten allerdings mit etwa 7,35 Milliarden Schilling abgelöst werden.44 Der Staatsver39 K. A.: Das Erbe der USIA. - In: AZ 8. 5. 1955. S. if. S. 1. 40 Demokratisches Volksblatt (DVB) 16. 5.1955. S. 5. 41 S N 4 . 5. 1955. S. 2. 42 Zur Volksaktie vgl. Hermann Withalm: Aufzeichnungen. 2. Aufl. - Graz/Wien/Köln 1973. S. 57fr. 43 SVZ 2. 5. 1955. S. 2. 44 Von den 7,35 Milliarden Schilling wurden 3,9 Milliarden in Warenlieferungen, 2,7 Milliarden in Öllieferungen und 750 Millionen in Zahlungen an die Sowjetische Militärbank beglichen. Die Schürfrechte westlicher Erdölgesellschaften wurden mit 400 Millionen Schilling abgegolten.

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trag verbot der österreichischen Regierung die Rückgabe des »Deutschen Eigentums« an seine Vorbesitzer mit Ausnahme des sog. »Kleinen Deutschen Eigentums«, d. h. von Vermögenswerten bis 260 000 Schilling (10 000 Dollar). Der überwiegende Teil der insgesamt 319 USIA-Betriebe wurde privatisiert und brachte einen Erlös von 2,5 Milliarden Schilling. Wenngleich es zudem zur Ausgabe von Volksaktien kam, denen jedoch kein großer Erfolg beschieden war, wurde der bedeutendste Teil des Deutschen Eigentums verstaatlicht und stärkte damit die ohnedies bereits dominante wirtschaftspolitische Position des Staates. Die O V P löste 1956 auf Grund ihres Wahlerfolges das von ihr so heftig bekämpfte »Königreich Waldbrunner« auf und übertrug die Leitung der verstaatlichten Industrie der neu gegründeten »Osterreichischen Industrie- und Bergbauverwaltungs-Gesellschaft« (IBV), an deren Spitze mit Hans Igler ein Parteigänger der O V P trat. Eine Entpolitisierung der verstaatlichten Industrie erfolgte damit jedoch nicht, sie blieb bis zu ihrer völligen Privatisierung Anfang des 21. Jahrhunderts ein Spielball der wechselnden politischen Konstellationen und ihrer Akteure, der Parteien.

Die Sorgen des » G o l d e n e n W e s t e n s « - Das Beispiel

Salzburg

Zu Jahresbeginn 1955 meldete das »Salzburger Volksblatt«, dass der Silvesterrummel in der Festspielstadt »stürmischer, lauter, fröhlicher und optimistischer denn je« gewesen sei. Die Menschen hätten sich am 31. Dezember 1954 in den Geschäften gedrängt, »um für das Fest letzte Besorgungen zu machen. In den Abendstunden setzte ein Sturm auf die Kinos und die durchwegs schon faschingsmäßig dekorierten Lokale ein, sodass es lange vor Mitternacht kaum noch möglich war, einen freien Platz zu finden.«45 Und an prominenter Stelle wurde gemeldet, dass die Opel-Werke in Rüsselsheim mit sofortiger Wirkung beträchtliche Preissenkungen für sämtliche Typen, einschließlich des CaravanCombi und des Schnelllieferwagens, in Kraft gesetzt hätten.46 Ergänzt wurde diese Meldung durch den Hinweis, dass »seit Kriegsende ... mit der ständigen Zunahme der M o torisierung ein dauerndes Ansteigen der Verkehrsunfälle festzustellen« sei. »Das abgelaufene Jahr brachte einen neuen Unfallrekord in der Stadt Salzburg mit einer Steigerung der Verkehrsunfälle um ein Viertel der Ziffern von 1953.«47 Doch nicht nur die offensichtlich zunehmende Motorisierung - 1955 war bereits jeder 7. Salzburger/in motorisiert - galt als Wohlstandsindikator, sondern auch die Änderung der Reisegewohnheiten. Durch die Devisenliberalisierung in den OEEC-Ländern seit dem Winter 1953/54 wurde der Mittelmeerraum zum zunehmend nachgefragten 45 SVB3.1.1955.S.3. 46 SVB4.1.1955.S. 3. 47 SVB 5.1. 195 j. S. 3.

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Reiseziel der Salzburger. Vereinzelt wurden sogar Reisen nach Indien und Südafrika verkauft, die den sagenhaften Betrag von 16 000 Schilling kosteten.48 Der Durchbruch zur Konsumgesellschaft erfolgte auf der Basis einer boomenden Wirtschaft. Die Salzburger Industrie, in die seit 1948 1,2 Milliarden Schilling an ERPMitteln geflossen waren, hatte zu Jahresbeginn 1955 Hochkonjunktur. 1954 war der Stromverbrauch gegenüber dem Vorjahr um 19 % gestiegen, die Ausfuhr von Industrieprodukten von 490 auf 660 Millionen Schilling. Das Landesarbeitsamt meldete im März 1955 einen sichtbar werdenden Mangel an Arbeitskräften und die Landeshauptstadt einen neuen Nächtigungsrekord. Die 1954 verzeichneten 361 231 Nächtigungen bedeuteten eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 15 232, wobei die Spitze während der Festspielzeit erreicht wurde, in der, so das »Salzburger Volksblatt« nicht ohne Stolz, sogar 20 Chinesen, 415 Brasilianer und 356 Ägypter registriert wurden, während aus den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang kein einziger Gast kam.49 Und die USFA-Angehörigen und deren Familienmitglieder sowie amerikanische Zivilisten tauschten zu Jahresbeginn 1955 360 486 Dollar in insgesamt 9 Millionen Schilling um, rund 2 Millionen Schilling mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.50 Salzburg war der Inbegriff des »Goldenen Westens«. Hier hatte man sich mit der USamerikanischen Besatzungsmacht arrangiert, sie war in den nunmehr zehn Jahren ihrer Präsenz zu einem festen Bestandteil des Lebens geworden, der überall seine Spuren hinterließ. Vor allem aber war sie ein dominanter Wirtschaftsfaktor, der durch seine materielle Kultur und Lebensweise Anerkennung und Bewunderung, aber auch Neid und Ablehnung erzeugte. Wie immer auch die psychische Befindlichkeit war, man konnte sich ihres Einflusses kaum entziehen. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der amerikanischen Besatzungsmacht lösten die Erfolg versprechenden Staatsvertragsverhandlungen und der damit bevorstehende Abzug der US-Streitkräfte erhebliche Irritationen und Ängste aus. Die »Salzburger Nachrichten« bemerkten Ende April 1955, dass bei Abschluss des Staatsvertrages »die wirtschaftliche Struktur unseres Landes durchgreifende Änderungen erfahren« wird. »Es liegt nahe, dass jetzt vor allem in Wien und Niederösterreich an die bevorstehende Umschichtung wirtschaftskonjunkturelle Erwartungen geknüpft werden, die stellenweise geradezu einer Hausse-Spekulation gleichkommen. Und es darf weiter nicht überraschen, dass man sich in Wien noch keine besonderen Gedanken über das wirtschaftliche Schicksal Alpenösterreichs - im Jargon noch immer gern >Provinz< genannt - macht. (...) Es ist nun freilich nicht so, dass es einen wirtschaftspolitischen Begriff >Westösterreich< gibt. ... Das zeigt sich besonders unter Berücksichtigung des kommenden Staatsvertra48 SVB 13.1.1955. S. 5. 49 SVB 20.1. 1955. S. 5. 50 S V Z 1 1 . 2 . 1955. S. 5.

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ges. Denn die einzelnen Bundesländer, ja sogar innerhalb der Bundesländer einzelne Gebiete ... sind in ihrem Wirtschafegefiige und in ihrer bisherigen Wirtschaftsentwicklung je und je sehr verschieden nachhaltig von den Besatzimgsverhältnissen in Osterreich betroffen worden.« Während Vorarlberg z. B. seit eineinhalb Jahren keinen französischen Besatzungssoldaten beherberge und die Industriestruktur des Landes durch eine wirtschaftliche Renaissance Wiens und des Wiener Beckens keine Beeinträchtigung erfahre, sei dies in Salzburg, vor allem der Landeshauptstadt und deren Umgebung, anders. Salzburg habe durch die Anwesenheit der US-Besatzungsmacht wirtschaftlich erheblich profitiert. Vor allem habe diese durch »ihre Bauten einen Industrie- und Handelsbereich aufgepumpt, von dem sehr viele andere Handwerksbetriebe abhängen. Die Tatsache, dass Salzburg andererseits nur wenig industrielle Neugründungen nach dem Kriege erlebte, gibt ihm keine Aussicht auf den Verbleib von Produktionsstätten neueren Datums, die der Arbeitslosigkeit begegnen könnten. Zu dieser ungünstigen Situation kommt noch, dass man vielleicht doch die wirtschaftliche Bedeutung der Sonderstellung Salzburgs als Ausfluss ihrer politischen Bedeutung gar nicht hoch genug bewerten konnte.« Salzburg habe während und nach dem Krieg zahlreiche Dienstleister angezogen, die erheblich zum wirtschaftlichen Aufstieg des Landes beitrugen. Angesichts des Abschlusses des Staatsvertrages zeichne sich aber »am wirtschaftlichen Horizont Salzburgs Wettergewölk ab, das zwar kein Gewitter andeutet, aber doch unfreundliches Wirtschaftswetter. Angefangen von der Aufgabe des Senders Rot-Weiß-Rot und seinem Ubergang in jedenfalls weniger investierende österreichische Hände bis zum Freiwerden ganzer Wohnsiedlungsgebiete, in denen nur Englisch gesprochen wird, von der Zusammenballung des Luxusgüterkonsums in Zeiten der Hochsaison an Stelle der bisher ganzjährigen Inanspruchnahme in einem zwar ruhigeren, aber doch konstanten Rhythmus, von dem Weggang der Nachrichtenagenturen aus aller Welt... bis zur geringeren Inanspruchnahme der Verkehrsmittel werden sich erhebliche Reduktionen des Geldumlaufes und folglich der Liquidität von Handel, Gewerbe und Hotellerie ergeben.« Salzburg sei aber in der Zwischenzeit »in einem Maße zu einem geistigen und wirtschaftlichen Zentrum mit Ausstrahlung nach anderen Ländern ... geworden, dass ihm dieser Rang nicht mehr genommen werden kann«. Um aber seine hervorragende wirtschaftliche Position auch in Zukunft halten zu können, müsse die Salzburger Wirtschaft und Wirtschaftspolitik bereits jetzt verstärkt füir die Zukunft planen und Umstellungen vornehmen. »Vielleicht sollte man auch einen Wirtschaftskreis füir wirtschaftliche Forschung und Planung unter Patronanz der Landesbehörden, der Kammern und der Institutionen zur Bildung der öffentlichen Meinung schaffen.«51 Anfang Mai 1955 stellte ein vertrauliches Gutachten der Salzburger Wirtschaft für die Landesregierung fest, dass der Abschluss des Staatsvertrages und der Abzug der US-Besatzungsmacht einen gesamtwirtschaftlichen Einkommens- und Umsatzrückgang von 51 SN 23-/24.4.1955. S. 3.

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680 Millionen Schilling pro Jahr füir das Land nach sich ziehen werde. Gemessen am lokalen Sozialprodukt von 4,5 Milliarden Schilling bedeutete dies eine Kaufkraftverminderung von mindestens 15 %. In der Stadt Salzburg, St. Johann und Saalfelden werde es »besonders ernste Friktionen mit Betriebsstillegungen und Arbeitslosigkeit und mit empfindlichen Einkommensrückschlägen« geben.52 75 % der Salzburger Espressos befürchteten einen bevorstehenden Bankrott. Eine positive Auswirkung sei lediglich im Bereich des Wohnungsmarktes zu erwarten, bei dem es zu einer deutlichen Entspannung kommen werde. Auf Grund dieses Szenarios müsse für Salzburg bei den bevorstehenden Finanzausgleichsverhandlungen »eine Bevorzugung angestrebt« werden.53 Gleichzeitig betonte eine Tagung von Tourismusexperten und Vertretern des Landes Salzburg, die sich mit der Lage des Fremdenverkehrs nach dem Abzug der US-Streitkräfte befasste, dass in Zukunft die Devise »Besucht das Fremdenverkehrsland Salzburg« besondere Bedeutung haben werde. Die Vertreter St. Gilgens wiesen daraufhin, dass die Kaufleute des Ortes während des Sommers an den Wochenenden ihre Geschäfte offen halten und nötigenfalls auch selber bedienen würden, sollte keine befriedigende Lösung bei den Ladesöffnungszeiten in den Tourismuszentren gefunden werden.54 Neben den Kammern und der Landesregierung rückten auch die Parteien die Folgen des Abzugs der US-Streitkräfte in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Die OVP forderte als Ausgleich die Stationierung einer starken Garnison des neuen Bundesheeres ohne Beeinträchtigung des frei werdenden Wohnraums, der ausschließlich der Zivilbevölkerung zugute kommen sollte. Durch den Neubau des Festspielhauses, die Verfolgung des Universitätsgedankens und ein umfassendes Infrastruktur-Investitionsprogramm sollten die notwendigen zusätzlichen Wachstumsimpulse geschaffen werden. Zudem sei der Beendigung des Barackenelends besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die OVP-Mitglieder der Landesregierung mögen rechtzeitig alle Vorkehrungen treffen, so der Große Klub der Salzburger OVP in seiner Resolution, »damit durch den Abzug der amerikanischen Besatzungsmacht keine empfindlichere Schrumpfung des Wirtschaftsvolumens und des Beschäftigtenstandes eintritt. Besondere Sorgfalt ist hiebei der reibungslosen Unterbringung der Arbeiter und Angestellten, die bisher bei den USFA beschäftigt waren und in Salzburg zu verbleiben gedenken, zu widmen ...Bruderpartei der englischen Labour-Party< bezeichnete, so fühlt sie sich heute als die >Bruderpartei der englischen Konservativen^ An dieser Wandlung möge man erkennen, wie stark es den ehemaligen Christlichsozialen und früheren Heimwehrlern gelungen ist, Einfluss in der Osterreichischen Volkspartei zu bekommen.«69 Und anlässlich der zwanzigsten Wiederkehr des 12. Februar 1934 stellte die »Arbeiter-Zeitung« fest, man habe sich geschworen, »die Schuldigen nicht zu vergessen« und »der Opfer zu gedenken, die Wahrheit zu verbreiten.... Wir haben die Geschichte des Februar geschrieben; wir haben seine Vorgeschichte erzählt, wir haben die Kämpfe geschildert und die Februarkämpfer sind selber zu Worte gekommen.... Das war eine historische Aufgabe: Zu zeigen, wie das Parlament ausgeschaltet, die Demokratie zerstört, der Bürgerkrieg vorbereitet wurde. Die Schuld der Dollfuß und Starhemberg, der Schuschnigg und Fey festzustellen, die Blutschuld jener Galgenchristen, die den Namen Gottes im Munde und den Strick des Henkers in der Hand führten.... Es ist daher ein törichtes Verlangen, von uns ... zu begehren, wir sollten nicht mehr über den Februar reden. Darauf gibt es nur eine Antwort: Wir haben zu reden und - sie 68 Schärf: Österreichs Erneuerung. 69 Zit. bei DVB 5.4.1955. S. if.

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haben zu schweigen.«70 Und auch in der vom Parteivorstand der SPO am 13. Mai 1955 angesichts des erfolgreichen Abschlusses der Staatsvertragsverhandlungen veröffentlichten Resolution wurde mit deutlicher Spitze gegen die OVP und unter indirekter Gleichsetzung des autoritären Ständestaates mit der NS-Herrschaft betont, dass »nach dem Zusammenbruch der faschistischen Herrschaft in Osterreich ... die österreichischen Sozialisten die einzige politische Kraft« gewesen seien, »die in der Welt als demokratische politische Partei bekannt war. Die Namen Karl Renner und Karl Seitz waren verbunden mit dem heldenhaften Widerstandskampf der sozialistischen Arbeiter gegen die faschistischen Diktaturen.«71 Am 16. April 1955 fand im Festspielhaus anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Zweiten Republik eine Feierstunde der Salzburger SPO statt, bei der Zentralsekretär Otto Probst in seinem Hauptreferat den Topos sozialistischer Geschichtsinterpretation - Karl Renner als Gründungsvater der Zweiten Republik und geistiger Vater des Staatsvertrages - betonte. »Als hochbetagter Mann ging Dr. Karl Renner daran, die Zweite Republik aufzurichten, wie er auch die Erste Republik errichtet hat. Es war der Wille der Sozialisten: Osterreich muss ein einheitlicher Staat werden.... Auch unsere politischen Gegner mussten das historische Verdienst Karl Renners anerkennen. (...) Wir dürfen auch nie übersehen, dass unsere Republik in diesen zehn Jahren stets ein sozialistisches Staatsoberhaupt hatte.«72 Eine Woche später erklärte Adolf Schärf in seinem Bericht über die Moskauer Verhandlungen vor der Wiener Konferenz der SPO im Großen Saal des Konzerthauses, »der verewigte Bundespräsident Dr. Karl Renner« sei »der Erste gewesen, der den Gedanken äußerte, dass Österreich nicht einen Friedensvertrag, sondern einen Staatsvertrag bekommen soll, durch den seine Unabhängigkeit und Freiheit wieder hergestellt wird, da es selbst keinen Krieg geführt habe.«73 Und der 1. Mai-Aufruf 1955 der SPO wies darauf hin, dass sich der Wiederaufbau Österreichs »zuerst unter der weit blickenden Führung des zweimaligen Baumeisters unserer Republik, des großen Staatsmannes Dr. Karl Renner«, vollzogen und »unter der weisen Leitung des nachfolgenden, vom ganzen Volk gewählten Bundespräsidenten Theodor Körner fortgesetzt« habe.74 Am 27. April 1955, der zehnten Wiederkehr der Unabhängigkeitserklärung der Zweiten Republik, variierte die »Arbeiter-Zeitung« den Topos Karl Renner als Heros und Staatsmann mit dem Hinweis, »Österreichs Wiedergeburt« sei »dank der Schaffenskraft des Sozialisten Karl Renner, der Österreich schon einmal, 1918, aus den Schrecken eines Zusammenbruches in eine neue staatliche Ordnung geführt hatte«, gelungen. »Man sollte die Geschichte der Apriltage 1945 immer wieder lesen, um zu ermessen, wie groß das Werk und wie fast übermenschlich die Arbeit war, die zum einheitlichen und wirt70 71 72 73 74

R. K.: Im Gedenken an den 12. Februar. - In: AZ 12.2. 1955. S. if. S. 1. AZ 14.5. 1955. S. 1. DVB 18.4.1955. S. 3. DVB 22.4. 1955. S. 1. AZ 24.4.1955. S. 1.

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schaftlich gefestigten Österreich unserer Tage geführt hat.«75 Am Vorabend der Unterzeichnung des Staatsvertrages wies die SPÖ nochmals daraufhin, dass »der sozialistische Staatskanzler Renner« 1945 »zum zweiten Mal die demokratische Republik« geschaffen habe und es »Österreichs Sozialisten« gewesen seien, die »ihr das Tor zur Anerkennung durch die demokratischen Völker und zur Freundschaft mit den arbeitenden Menschen der ganzen Welt« geöffnet hätten.76 Der Parteivorstand erklärte am 14. Mai, der Bogen der Kämpfer für Österreichs Freiheit spanne sich von Renner über Seitz bis Helmer und Böhm.77 Und das Salzburger »Demokratische Volksblatt« bemerkte am Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages: »Das Wort >Staatsvertrag< kann nicht genannt werden, ohne dass wir Sozialisten an den ersten Kanzler der Zweiten Republik, an den verewigten Genossen Dr. Renner, denken müssten. Dieser große Staatsmann und überzeugte Demokrat hat im Verein mit seinen Mitarbeitern den Anstoß zu jener elementaren Bewegung unseres Volkes gegeben, die dem Staatsvertrag galt und deren zähe Beharrlichkeit nun belohnt werden soll.«78 Anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages galt es, gegenüber der öffentlichen Dominanz des ÖVP-Duos Raab und Figl die SPÖ als die Freiheitspartei zu positionieren und - mit deutlicher Spitze gegenüber dem Koalitionspartner - deren demokratische Tradition und Standfestigkeit zu betonen. Oscar Pollak betonte am Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages, die Sozialisten hätten sich die Freiheit »schon in Dollfuß' und Hitlers Kerkern« herbeigesehnt und »ausgemalt«. Nun werde die SPÖ »über die Demokratie in Österreich, über die österreichische Republik« wachen. »Wir haben eine Koalition, einen Pakt zur loyalen Zusammenarbeit in der Regierung dieses Landes mit einer anderen politischen, demokratischen Partei. Wir paktieren nicht mit der Reaktion, welche Farbe immer sie trage; wir werden ihr nicht die österreichische Republik und auch nicht die Wehrmacht dieser Republik ausliefern.«79 Die »Arbeiter-Zeitung« ließ wenige Tage später im Rückblick auf die ersten zehn Jahre der Zweiten Republik wissen, dass die Sozialisten die einzigen gewesen seien, die sich nicht an die Besatzungsmächte, vor allem die Sowjetunion, angebiedert hätten und damit für die schließlich errungene Freiheit hauptverantwortlich zeichneten. Neben den moskauhörigen Kommunisten fehlte es »in den abgelaufenen zehn Jahren auch nicht an Versuchen bürgerlicher Politiker, sich mit dem Beizebub gutzustellen - hintenherum natürlich. Und die Feigheit dessen, was gewisse bürgerliche Tageszeitungen sagten, wurde nur noch durch das übertroffen, was sie in kritischen Situationen - nicht sagten. Ihren offiziellen Ausdruck fand diese kniewei75 J. S.: Österreichs Wiedergeburt. In: AZ 27. 4. 1955. S. if. S. 1. Mit dem Hinweis auf das Lesen der Ereignisse der Apriltage 1945 ist die 1945 erschienene Denkschrift Karl Renners über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs und die Einsetzung der Provisorischen Regierung der Republik gemeint. 76 AZ 14. 5.1955. S. 1. 77 DVB 14.5.1955. S. 1. 78 DVB 15.5. 1955. S. 1. 79 Oscar Pollak: Heute ist der Tag der Fahnen. - In: AZ 15. 5. 1955. S. if. S. 2.

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che Haltung in der Figl-Fischerei. Der heutige Herr Außenminister, der Sonntag seine Unterschrift neben die des russischen Außenministers Molotow gesetzt hat, hat diesen Triumph nur dem Umstand zu verdanken, dass er seinerzeit daran gehindert wurde, seine Unterschrift neben die eines Ernst Fischer zu setzen.«80 Gegenüber Bundeskanzler Julius Raab und dessen umfassender medialer Präsenz während der Staatsvertragsverhandlungen argwöhnte man seitens der SPO einen unangebrachten »Personenkult«. »Es liegt uns fern, die Arbeit des Bundeskanzlers als Leiter der Regierungsdelegation in Moskau herabzusetzen oder zu übersehen, welch intensive Vorbereitungen diese Reise erforderte. Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass es eben nicht nur der Kanzler war, der nach Moskau flog, sondern dass sich in seiner Begleitung der Vizekanzler als Vertreter der politischen Partei befand, die bei den letzten Parlamentswahlen die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte. Es steht fest, dass Vizekanzler Dr. Schärf, der an allen Besprechungen in Moskau teilnahm, an dem Verlauf der Beratungen ebensolchen Anteil hatte wie der Bundeskanzler.«81 Die nunmehrige Aussicht auf den Abschluss eines Staatsvertrages sowie die Erlangung der vollen Souveränität sei vor allem auch den sozialistischen Mitgliedern der Regierungsdelegation zu verdanken, da diese »insbesondere die wichtigen wirtschaftlichen Zugeständnisse erreicht haben«.82 Adolf Schärf wurde nicht müde zu betonen, dass die in Moskau erzielten erheblichen Fortschritte im Bereich der wirtschaftlichen Bestimmungen des Staatsvertrages vor allem das Ergebnis der sozialistischen Initiativen seien. Es sei die SPO gewesen, die gegen deutlichen Widerstand der OVP nicht nur auf die Rückgabe der USIA-Betriebe, sondern auch der Erdölfelder und der DDSG gedrungen habe.83 Vizekanzler Schärf, so die »Arbeiter-Zeitung« am Vorabend der Unterzeichnung des Staatsvertrages, »erkannte zuerst die Notwendigkeit, durch die wirtschaftliche Unabhängigkeit der kommenden politischen Freiheit die sichere Grundlage zu geben. Er führte die Sozialistische Partei in einen damals aussichtslos scheinenden Kampf um Österreichs Rechte auf seine Bodenschätze und ihre wirtschaftliche Nutzung.« 84 Vor dem Landesparteitag der Salzburger SPO erklärte der Wiener Stadtrat Alfred Migsch als Vertreter des Parteivorstandes: »Wenn aber Österreich heute neben der politischen Freiheit auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangt hat, so verdankt es das dem Wirken eines Mannes, unseres Parteiobmannes Vizekanzler Dr. Adolf Schärf. (...) Heute verdankt das österreichische Volk Dr. Schärf die Erringung seiner wirtschaftlichen Freiheit.«85 80 F. K.: Die Lumpen haben nicht Recht gehabt. In: AZ 2 1 . 5 . 1955. S. if. S. 2. Zur sog. Figl-Fischerei vgl. Karl Gruber: Zwischen Befreiung und Freiheit. Der Sonderfall Osterreich. - Wien 1953. S. 164fr. Ernst Fischer: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945-1955. - Wien/München/Zürich 1973. S. 213fr. 81 D V B 19.4. 1955. S. 1. 82 AZ 24.4. 1955. S. 1. 83 AZ 13. 5. 1955. S. 1. 84 AZ 14. 5. 1955. S. 1. 85 D V B 16. 5. 1955. S. 5.

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Die ÖVP habe die wirtschaftliche Dimension des Staatsvertrages bei den Moskauer Verhandlungen völlig vernachlässigt und sei erst durch die hartnäckige Haltung der SPÖ-Delegationsmitglieder zu einer Haltungsänderung gezwungen worden. Dadurch, so Schärf, habe die Zweite Republik, im Gegensatz zur Ersten, erst die volle Souveränität erreicht und seien jene negativen Konsequenzen verhindert worden, welche die ökonomische Lage der Zwischenkriegszeit kennzeichneten. Wäre die SPÖ nicht mit am Verhandlungstisch gesessen, die ÖVP hätte einen erheblich schlechteren Vertrag ausgehandelt. »Die Misswirtschaft der bürgerlichen Parteien in der Ersten Republik nach dem Austritt der Sozialdemokratischen Partei aus der Konzentrationsregierung führte zum Zusammenbruch der Währung und zur so genannten Genfer Sanierung, die Osterreich einer strengen Kontrolle unterwarf. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das Osterreich der Ersten Republik nie die volle Souveränität besaß, sondern stets unter vertragsmäßigen und vertragswidrigen Vormundschaften - man denke an die spätere Abhängigkeit von den Achsenmächten - seufzte.«86 Wenngleich diese Darstellung nicht den Tatsachen entsprach - Bundeskanzler Raab wies bereits im Vorfeld der Moskauer Verhandlungen auf die Notwendigkeit der vollen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit hin87 und Außenminister Figl warf bereits am ersten Verhandlungstag in Moskau gegenüber Außenminister Molotow die Frage auf, ob die Sowjetunion bereit wäre, in der Frage des Öls und der DDSG Ablösen zu akzeptieren88 -, so war damit jene Argumentationslinie gefunden, die der SPÖ zu garantieren schien, ihre Rolle bei den Staatsvertragsverhandlungen nicht nur sachlich, sondern auch emotional zu betonen, zumal die Frage der wirtschaftlichen Bestimmungen auch mit der Habsburgerfrage verknüpft und hoch emotional aufgeladen wurde, wobei man an die damnatio memoriae der Gründungsphase der Ersten Republik anknüpfte. Vor dem Landesparteitag der Tiroler SPÖ wandte sich Bruno Pittermann vehement gegen »die Märchenerzähler der ÖVP«, zu denen sich »nun auch der Herr Bundeskanzler« gesellt habe. Die ÖVP habe keineswegs als Erste die Forderung nach der Neutralität Österreichs89 erhoben und versuche »auch sonst recht klägliche Manöver, um das österreichische Volk zu verwirren. Sie hat es unserem Vizekanzler Dr. Schärf sehr verübelt, dass er noch vor der Reise der Regierungsdelegation nach Moskau offen die Forderung nach Rückgabe des so genannten >Deutschen Eigentums< erhoben hat. 86 Adolf Schärf: Der Wiener Vertrag. Besser als St. Gennain. In: AZ 22. 5. 1955. S. if. S. 1. 87 In der »Sendung des Bundeskanzlers« im Sender Rot-Weiß-Rot erklärte Raab Anfang April 1955: »In einem weiteren Punkt wollen wir eine Auffassung darlegen, dass man uns auch in wirtschaftlicher Beziehung die Möglichkeit geben muss, nach allen Richtungen unabhängig zu bleiben, dass wir aber auch die Berücksichtigung unseres Standpunktes verlangen müssen, in •wirtschaftlicher Hinsicht Handlungsfreiheit zu behalten.« (Neues Österreich 5. 4. 1955. S. 2.) 88 Stourzh: Um Einheit und Freiheit. S. 422. 89 Aus Platzgründen kann auf den Aspekt der Neutralität in der politischen Auseinandersetzung nicht eingegangen werden.

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Sie selbst hatte eine andere Sorge, die ihr weit wichtiger erschien: die Beseitigung der Klausel aus dem Staatsvertrag, die die Rückkehr der Habsburger unmöglich macht. Darum bemühten sich die Herren, darum kreisten ihre Gedanken Tag und Nacht. Den Sozialisten schienen aber die wirtschaftlichen Interessen Österreichs wichtiger. Die OVP war für die Heimkehr der Habsburger, die Sozialisten waren für die Heimkehr der Erdölquellen, der USIA-Betriebe und der Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft.«90 Bereits zu Jahresbeginn 1955 hatte Oskar Pollak anlässlich des Begräbnisses von Erzherzog Eugen, einst Feldmarschall der Monarchie, die Frage eines auf Grund der jahrhundertelangen Verbundenheit des Hauses Habsburg mit der österreichischen Geschichte sachlicheren Umgangs mit dem Thema »Habsburg« emotional im Stile sozialdemokratischer Verdammungsrhetorik der Jahre 1918/19 beantwortet: »Wir wollen gar nicht daran erinnern, dass der Glanz des Herrscherhauses in der alten österreichischen Monarchie erkauft war um den Preis des Elends von Millionen, die Tradition bezahlt mit dem Blut, das in zahlreichen Kriegen vergossen wurde, und mit dem Unrecht, das durch Jahrhunderte an den entrechteten Massen des Volkes verübt wurde. Wir wollen nur feststellen: als jene alte Unrechtsordnung, als die Monarchie in Osterreich zerbrach, da war eine geschichtliche Tatsache gesetzt, die unwiderruflich ist. Die Monarchie ist von der Geschichte abgeschafft worden.«91 Der Staatsvertrag wurde der erste »Kampf der Bilder« in der österreichischen Nachkriegsgeschichte. In diesem Kampf dominierte die OVP mit ihren beiden Ikonen Julius Raab und Leopold Figl, die nicht nur die veröffentlichten Bilder, sondern auch zahlreiche Karikaturen und Witze in der kollektiven Wahrnehmung assoziativ mit dem Staatsvertrag verbanden. Julius Raab, bereits in der Ersten Republik und im Ständestaat in politischen Spitzenpositionen tätig, war, bereits bevor er Bundeskanzler wurde, als Präsident der Bundeswirtschaftskammer die graue Eminenz der ÖVP und auch der österreichischen Innenpolitik, den auch der politische Gegner respektierte. Ernst Fischer bemerkte in seinen Erinnerungen, dass »dieser ehemalige Heimwehrfiihrer ... kein Faschist« gewesen sei, sondern »österreichischer Reaktionär von altem Schrot und Korn«. Er habe »durch seine politische Entwicklung bewiesen, wie unfest die Grenzen der alten Kategorien geworden sind.... Er war aufrichtig. Sein österreichischer Patriotismus hatte kein Nebengeräusch der Verlogenheit oder Sentimentalität. Er wünschte der >Herr im Hause< zu sein, ohne die Sucht so vieler emporgekommener Politiker nach Privilegien.«92 Oskar Helmer wurde, wie die meisten Sozialisten, nicht müde, auf die Heimwehrvergangenheit Raabs und seine, ihrer Meinung nach, nicht gefestigte demokratische Gesinnung hinzuweisen, attestierte ihm aber die Bereitschaft zum Kompromiss, den »er als dienendes Mittel benützt, um das von ihm angestrebte Ziel zu erreichen. (...) Als Gegner ist 90 AZ 24. 5. 1955. S. 1. 91 Oskar Pollak: Von der Geschichte abgeschafft. In: AZ 9. 1. 195J. S. if. S. 1. 92 Fischer: Das Ende einer Illusion. S. 218.

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Bundeskanzler Raab nicht zu unterschätzen; er weiß, was er will, und hält an seiner Gesinnung fest.«93 Es war Raabs historische Leistung, bereits mit seiner Berufung an die Spitze der Bundesregierung eine Wende in der österreichischen Außenpolitik hin zu einer Verständigung mit der Sowjetunion anzustreben. Sollten sich die weltpolitischen Rahmenbedingungen als günstig erweisen, so schien ihm eine bilaterale Annäherung an Moskau bei einer gleichzeitig vorsichtigen Lockerung der strikten Westbindung, wie sie Außenminister Karl Gruber vertreten hatte, als unabdingbare Voraussetzung für den Abschluss eines Staatsvertrages. Seine freundlichen Signale gegenüber der Sowjetunion wurden vom sozialistischen Koalitionspartner mit hämischen Kommentaren versehen, die dem Kanzler Liebedienerei gegenüber Moskau vorwarfen. In seiner Geschichte der ersten zehn Jahre der Zweiten Republik, die am Vorabend des Abschlusses des Staatsvertrages erschien, bemerkte Adolf Schärf, der negative Ausgang der Berliner Verhandlungen im Februar 1954 sei »fiiir die Volkspartei und für Ing. Raab persönlich eine schwere Enttäuschung« gewesen. »War er doch jener Politiker, der seit 1945 in gewissen Zeitabständen immer wieder glaubte, dass er besonderes Entgegenkommen bei den Russen erzielen könnte ... Und er war der Mann, der im Sommer 1953 glaubte, gerade ihm werde es gelingen, ein besonders gutes Verhältnis zu den Russen herzustellen.«94 Bereits beim Erscheinen von Schärfs Darstellung sollte sich sein Urteil als falsch erweisen. In der öffentlichen Wahrnehmung galt Raab nun nicht mehr nur als der Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft und damit als »kleiner Kapitalist«, sondern auch als Architekt des Staatsvertrages, unterstützt von seinem langjährigen persönlichen und politischen Weggefährten Leopold Figl, der in unnachahmlicher Weise Volkstümlichkeit mit Bauernschläue verband und im Rahmen des Staatsvertrages endgültig zum über die Parteigrenzen akzeptierten und beliebten »Poldl« wurde. Mit Julius Raab und Leopold Figl verfügte die OVP im bereits unmittelbar nach der Rückkehr aus Moskau einsetzenden Kampf um die Erinnerung über zwei nicht zu schlagende Trümpfe. Als Raab am 14. April 1955 telefonisch aus Moskau mit der OVP-Bundesparteileitung und dem OVP-Pressedienst in Kontakt trat und um die Verlautbarung ersuchte, dass Osterreich frei werde, sprach Gustav Canaval dem Großteil der Österreicher aus der Seele, als er kommentierte, dass »der vorläufig noch nicht in seinen Auswirkungen zu schätzende Erfolg der Moskauer Reise ... ein Erfolg der Regierungskoalition, gestützt und gestärkt durch den zähen Widerstandswillen des ganzen österreichischen Volkes« sei. »Es ist aber auch ein Erfolg, der ohne die stete und unentwegte Initiative des Bundeskanzlers nicht zustande gekommen wäre.... Es darf daran erinnert werden, mit welcher Skepsis die journalistisch beaufschlagte öffendiche Meinung des Westens seinerzeit den Regierungsantritt des Kanzlers Raab kom93 Oskar Helmer: 50 Jahre erlebte Geschichte. - Wien 1957. S. 329. 94 Schärf: Österreichs Erneuerung. S. 349^

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mentiert hatte! ... Mit dem ihm angeborenen Talent, eigene und fremde Kräfte bewegen zu können, und mit der zusätzlichen Gabe des wahren Staatsmannes, sie auch richtig einzusetzen, begann Raab die ganze Kontrapunktik des politischen Konzertes zu handhaben.«95 Für die »Salzburger Volkszeitung« wusste die österreichische Bevölkerung nach der Rückkehr der Regierungsdelegation aus Moskau und der Ankündigung einer Botschafterkonferenz in Wien genau, dass »die Bewältigung dieser noch vor uns liegenden Aufgaben in guten Händen« sei, »ihr Vertrauen zu Julius Raab« sei »heute größer denn je zuvor. Ihm ist beschieden worden, was Millionen von Österreichern seit zehn langen Jahren sehnsüchtig erwartet haben. Er ist der Kanzler, der uns die Freiheit gebracht hat.«96 Die gegensätzlichen Positionen der Koalitionsparteien wurden am Vorabend des Beginns der Wiener Botschafterkonferenz anlässlich der 1. Mai-Feiern deutlich. Indem Raab die beiden Leitmotive - Soziale Marktwirtschaft und Staatsvertrag als Garanten der inneren und äußeren Freiheit, die von einer das Staatsganze stets im Auge behaltenden OVP errungen und garantiert wird - geschickt und unter Berufung auf einen barocken Katholizismus miteinander verband, erklärte er gegenüber den Enunziationen der SPO: »Das Fest des 1. Mai ist viel älter als marxistische Ideologien und Klassenkampfparolen. Schon unsere Vorväter begingen den >dies maialis< als den Tag, an dem nach langen und schweren Wintermonaten das Licht endgültig durchbricht. Sie feierten ihn aber auch als Beginn des Monats, der Maria, der Gottesmutter, die wir Österreicher die Magna Mater Austriae nennen, gewidmet ist. Erst seit wenigen Jahrzehnten wird versucht, das große Ereignis dieses Tages in enge parteipolitische Schranken zu zwängen und an die Stelle des Verbindenden das Trennende zu setzen. Diese Versuche sind bald in äußeren Formen erstarrt. Nicht durch inneren Antrieb, sondern durch Verpflichtung, ja Zwang, werden die Massen auf die Straße geführt. Die Menschen haben in den schweren Jahrzehnten, die hinter uns liegen, viel zu eindringlich erfahren, was wahre Freiheit bedeutet, als dass sie glaubten, man könne diese Freiheit durch Marschieren und Demonstrieren erringen oder beweisen. Aus dieser Erkenntnis hat es die Österreichische Volkspartei von Anfang an abgelehnt, den 1. Mai auf der Straße zu begehen.... Zum wahren inneren Frieden gehört nämlich mehr als der Marsch hinter roten Fahnen und Spruchbändern, es muss sich auf die Gewissheit eines gesicherten Arbeitsplatzes, eines gerechten Lohnes, einer menschenwürdigen Behausung und entsprechender sozialer Leistungen stützen. Diese Gewissheit der Bevölkerung unseres Landes zu vermitteln, hat sich die Österreichische Volkspartei bemüht. ... Ich glaube ..., dass die Beantwortung der Frage, wer mehr für den Arbeiter zu tun imstande sei, die überlebte marxistische Ideologie oder unser fortschrittliches Wirtschafts- und Sozialprogramm, sehr eindeutig ausfallen würde. 95 Gustav A. Canaval: Der Botschafter des Friedens. In: SN 16./17.4. 1955. S. if. S. 1. 96 S V Z 1 8 . 4 . 1955. S. 1.

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Den Bemühungen um das Freisein im Inneren des Landes hat sich erfolgreich der Kampf um die äußere Freiheit hinzugesellt. Wir alle hoffen zuversichtlich, ja wir sind überzeugt davon, dass dies der letzte i. Mai ist, den Osterreich als besetztes Land begeht. Damit hat dieser Tag aber für uns erst recht einen Sinn erhalten, der ihn über jede parteiliche Bindung hinaus erhebt. Wir feiern diesen i. Mai nicht, um daraus Antrieb für gegenseitige Kämpfe, sondern um Kraft für gemeinsame Arbeit zu schöpfen, die in überreichem Maß vor uns liegt. Darum danken wir an diesem l a g dem Herrgott für das Erreichte und richten unseren Blick in die Zukunft: Es geht endlich der Freiheit entgegen.«97 Bei der i. Mai-Kundgebung der Wiener Ö V P erweiterte Lois Weinberger diese Argumentation - in deutlichem Gegensatz zu den Bemühungen der SPO - um die Interpretation der Geschichte der Zweiten Republik als Ergebnis der Politik der OVP: »Es waren weder Sozialisten noch Kommunisten, sondern Männer der OVP, die die Befreiung Österreichs schon lange vor 1945 vorbereitet hatten und dem wiedergewonnenen Vaterland im April 1945 dann Pate gestanden sind. Osterreich wurde seither auch ununterbrochen von Männern der O V P geführt und sein grandioser Aufstieg ist neben der opfervollen Haltung und Leistung des ganzen Volkes vor allem ihnen zu danken.«98 Ahnlich argumentierte die »Salzburger Volkszeitung« im Vorfeld des a. o. Bundesparteitages der O V P am 18. Mai 1955 mit Blick auf die Geschichte der Zweiten Republik: »Wie keine zweite Partei fühlt gerade sie (die OVP, Anm. d. Verf.) sich mit dem Schicksal dieses Landes und seiner Bevölkerung verbunden. Als es im Jahre 1945 darum ging, den Staat wiederzuerrichten, hatten die Männer der O V P in der Bundeshauptstadt Wien und draußen in den Landeshauptstädten und Gemeinden die Arbeit aufgenommen. Ihre Sprecher waren es vor allem, die sich bei den ersten Länderkonferenzen zur Einheit und Gemeinsamkeit des Landes bekannten und eine wesentliche Voraussetzung für die Abhaltung freier allgemeiner Wahlen schufen. Zerreißung, Entzweiung und manches andere böse Schicksal blieb Osterreich dadurch erspart, dass im November 1945 eine frei gewählte Regierung mit einem Kanzler der Osterreichischen Volkspartei an der Spitze vor der Volksvertretung erscheinen und ihr Programm darlegen konnte. Noch einmal im Laufe der folgenden Jahre hat die Österreichische Volkspartei entscheidend in die Aufwärtsentwicklung dieses Landes eingegriffen. Als im Jahre 1952 die ausländische Hilfe zu Ende ging und ein Beschluss über den zukünftigen Wirtschaftskurs Österreichs gefasst werden musste, war es die ÖVP, die jenes Konzept offenlegte, dessen Verwirklichimg es dem Lande ermöglichte, aus eigener Kraft eine nie zuvor gekannte Konjunktur zu erreichen.«99 Auf ihrem o. a. Bundesparteitag am 18. Mai 1955 in den Wiener Sofiensälen unterstrich die Ö V P ihre konzeptionelle und verhandlungstechnische Dominanz bei den 9 7 Julius Raab: D e r Freiheit entgegen. In: S V Z 30. 4/1. 5. 1955. S. 1. 9 8 S V Z 2. 5 . 1 9 5 5 . S . 2.

9 9 S V Z 12. 5. 1955. S . i .

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Staatsvertragsverhandlungen gegenüber der Darstellung der SPÖ. Julius Raab betonte in seinem Hauptreferat, dass der »Entschluss, in Hinkunft eine Politik der Neutralität zu betreiben, ... ein kühner« gewesen sei und »in den Reihen der OVP geboren« wurde. »Zu dieser Auffassung - das stelle ich ausdrücklich fest - musste sich dann auch unser Koalitionspartner bekehren, da er erkannte, dass dies der einzige Weg sei, auf dem eine Befreiung Österreichs erreicht werden könnte. Ich stelle fest, dass nachträglich auch in der Sozialistischen Korrespondenz herumzudeuteln versucht wird, wieviel zentimeterweise an den Ereignissen der Moskauer Verhandlungen auf die eine oder andere Gruppe entfallen, wie dies aus der Wiedergabe der Erklärungen des Stadtrates Migsch hervorgeht. Das ist ein kleinliches Verhalten. In Moskau ist die Delegation einheitlich und geschlossen aufgetreten, und die Beurteilung über den Anteil am Erfolg überlassen wir ruhig der Bevölkerung.« 100 Und er betonte in Blickrichtung Figl, »falls irgendwo in sozialistischen Geschichtswerken eine andere Darstellung zu finden sein wird, dass es einzig und allein ihm gelungen ist, in der Schlusssit100 Stenografisches Protokoll des a. o. Bundesparteitages der ÖVP, abgehalten am 18. Mai 1955 in Wien HI., Sofiensäle. S. 13. Zu den Verhandlungen in Moskau und die Frage der Neutralität vgl. Ludwig Steiner: Erlebnisbericht über die Moskauer Verhandlungen vom April 1955. In: Alois Mock, Ludwig Steiner, Andreas Khol (Hg.): Neue Fakten zu Staatsvertrag und Neutralität. - Wien 1980. S. 15-46. S. 42t (Studienreihe der Politischen Akademie. Band 12.) Karl Heinz Ritschel: Österreich ist frei! Der Weg zum Staatsvertrag 1945 bis 1955. - Wien 1980. S. 5öf. Stourzh: Um Einheit und Freiheit. S. 423 ff- Die SPÖ forcierte seit den frühen i95oer-Jahren den Begriff der »Paktfreiheit« nach schwedischem Vorbild an Stelle der »Neutralität«, die eine völkerrechtlich enge Bindung beinhaltete. Zudem spielte bei der ablehnenden Haltung der SPÖ ihr prinzipielles Misstrauen gegen die Neutralitätsrhetorik der österreichischen Kommunisten sowie ihre strikte Westorientierung eine erhebliche Rolle. Anfang April 1955 plädierte die »ArbeiterZeitung« für den Begriff der »Paktfreiheit«, d. h. Österreich sollte sich lediglich verpflichten, keine militärischen Bündnisse abzuschließen und keine militärischen Stützpunkte auf seinem Territorium zuzulassen. Neutralität könne es nur im Krieg geben und sei eine Begrifflichkeit »aus einer früheren Epoche«, die »in unsere Zeit gar nicht mehr hinein passt«. (AZ 6.4. 1955. S. if. S. 1, vgl. auch AZ 10. 4. 1955. S. if. S. 2.) Nach den Moskauer Verhandlungen bemerkte Oskar Pollak, dass die Neutralität »lediglich von Österreich - und zwar nach dem Abschluss des Staatsvertrages« in einer nochmaligen formellen Erklärung seiner bloß militärischen Neutralität im Sinne der Paktfreiheit abgegeben werden könnte. (Oskar Pollak: Rund um die Hoffnung. In: AZ 23.4. 1955. S. if. S. 1.) Und Ernst Koref betonte in der Nationalratsdebatte über die Moskauer Verhandlungen, für die SPÖ gebe es »auf weltanschaulichem Gebiet... kein Paktieren und keine Konzessionen. ... Wir sind weltanschaulich dem Westen verbunden.« (AZ 29. 4. 1955. S. 2.) In ihrer skeptischen Haltung gegenüber dem von Raab bewusst in die Diskussion gebrachten Begriff »Neutralität« wurde sie von den »Salzburger Nachrichten«, einem der Sprachrohre der westlichen Bundesländer, unterstützt. So bemerkte Rene Marcic, das Wort »Neutralität« löse, »wenn man es seiner konkreten historischen Substanz beraubt und auf die Gegenwart anwendet, einen bitteren Nachgeschmack der Negativität und geistigen Passivität« aus. »Das widerspricht dem österreichischen Wesen: Österreich ist in Europa und bekennt sich vorbehaldos zu Europa! Deshalb ist es treffender, von militärischer Bütidnislosigkeit zu sprechen, worauf es den Sowjets in der Hauptsache ankommt und worin die freie Welt keine Abkehr Österreichs von der abendländischen Verwandtschaft zu erblicken vermag.« (Rene Marcic: Politisches Schönwetter hält an. In: SN 23-/24.4. 1955. S. 1.)

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zung der Außenminister die Präambel zurechtzufeilen«.101 Trotz aller Erfolge weise der Staatsvertrag allerdings auch »einige Schönheitsfehler« auf, die »aus dem alten Vertragsentwurf auch in den neuen übernommen wurden. Ich verweise hier als Beispiel nur auf die vollkommen überflüssige Souveränitätsbeschränkung, die der Artikel 10 beinhaltet. Der zweite Absatz verpflichtet Osterreich, das Habsburgergesetz aufrechtzuerhalten. Eine derartige Bestimmung erscheint schon deswegen überflüssig, weil eine Änderung oder Abschaffung des Habsburgergesetzes ohnehin nur im Wege der Verfassung durch Zwei-Drittel-Majorität durchzufuhren wäre. Ich habe daher immer die Auffassving vertreten, dass dieser Artikel im Staatsvertrag völlig überflüssig ist, weil die Bestimmungen der österreichischen Verfassung in dieser Hinsicht ohnehin klar genug gefasst sind. Das Aufrechterhalten dieses Artikels stellt zweifellos eine Einschränkung unserer Souveränität dar. Und aus diesem Grunde habe ich noch vor Abschluss der Konferenz dem Herrn Bundespräsidenten einen Besuch abgestattet, ihn darauf aufmerksam gemacht und ihn gebeten, durch eine Intervention die Möglichkeit eines einheitlichen Vorgehens der österreichischen Delegation auf Streichung zu schaffen. Leider war es auch dem Herrn Bundespräsidenten nicht möglich, die Sozialistische Partei zu unserer Auffassung zu bekehren.« 102 Generalsekretär Alfred Maleta betonte in seiner Rede, dass die OVP bei den Staatsvertragsverhandlungen »mit Schwierigkeiten kämpfen musste, die seitens der Sozialistischen Partei gemacht wurden«. Ein Bundesparteitag müsse zu diesem Verhalten der SPO und deren Versuchen von »Geschichtsklitterungen« a posteriori »auch offen etwas ... sagen, damit nicht etwa eine falsche Geschichtsauffassung entsteht...«. So hätten in den letzten Wochen zahlreiche sozialistische Redner Behauptungen aufgestellt, »die nicht unwidersprochen bleiben können. Besonders Herr Vizekanzler Schärf hat sich dazu geäußert, dass die Erfolge, nämlich die Hinwegräumung der wirtschaftlichen Fesseln, die dem ursprünglichen Staatsvertragsentwurf anhafteten, in erster Linie, ja geradezu ausschließlich, Erfolge der Sozialistischen Partei seien. Ich möchte dazu jetzt in aller Offenheit und ziemlich klar und eindeutig feststellen, dass eine Absprache zwischen den beiden Parteien bestanden hat, dass bei der Moskauer Reise und den dortigen Verhandlungen alles daran gesetzt werden muss, um diese wirtschaftlichen Fesseln zu beseitigen, dass darüber aber in der Öffentlichkeit nichts gesprochen werden soll, damit nicht der Erfolg gefährdet werde. Die Volkspartei hat sich aus staatspolitischer Disziplin, wie schon so oft, an diese Vereinbarung gehalten, der Herr Vizekanzler aber hat darüber gesprochen und dadurch in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als ob dies ein Verdienst der Sozialistischen Partei gewesen wäre.« 103 Die Einigung über den Staatsvertrag verdanke »das Land weitgehend der Initiative und dem Mut zu neuen Wegen, die Bundeskanzler Ing. 101 Ebda. S. 14. 102 Ebda. S. 22. 103 Ebda. S. 133t

»Annus Mirabilis« 1955 - Das Gemeinsame und die unterschiedlichen Befindlichkeiten

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Raab vom Tage seines Amtsantrittes an, nicht immer von allen verstanden, zielbewusst verfolgte und bewies. Die Tatkraft, mit der er Osterreich der Freiheit entgegenfahrte, bleibt in der Geschichte des Vaterlandes unvergessen. Die Österreichische Volkspartei dankt aber auch Außenminister Dipl. Ing. Figl, der in den schwersten Zeiten die volle Last der Verantwortung getragen hat. Bei der Sitzung der Außenminister hat er die Streichung der diffamierenden Behauptung von der Mitverantwortung Österreichs am Zweiten Weltkrieg aus der Präambel beantragt und erreicht.«104 Bei seinem erfolgreichen Versuch in der Sitzung der Außenminister am 14. Mai 1955 habe er mit der »stillen Opposition, die sich durch verschiedene, wie soll ich sagen, zwischenflüsternde Rufe seitens des Herrn Staatssekretärs Kreisky bemerkbar gemacht hat«, zu kämpfen gehabt. Österreich verdanke somit »eindeutig der Österreichischen Volkspartei diese Beseitigung des diffamierenden Artikels«, während auf Grund des Widerstandes der SPÖ gegen die Streichung des Artikels 10, Abs. 2 eine Souveränitätsbeschränkung aufrecht geblieben sei.105 Für Lois Weinberger war »das Urteil des Volkes darüber, wer das Verdienst an diesem Erfolg hat,... bereits« erfolgt. »Auf den Straßen unserer Städte und Dörfer, vor dem Belvedere, vor dem Schloss Schönbrunn und überall dort, wo der einfache und kleine Mann unseres Volkes gestanden ist und gejubelt hat, wurde es klar und deutlich, dass die Österreicher wissen, wem sie vor allem dieses wunderbare Geschenk der Freiheit zu danken haben. Es wurde nicht nach Schärf und anderen Leuten gerufen. Unsere Freunde wurden immer wieder gerufen, unsere Freunde wurden bejubelt. Immer hat man nach Raab und Figl gerufen.«106 Der Erfolg hat viele Väter. Die Positionen im Vaterschaftsstreit um den Staatsvertrag waren bezogen. Doch der verbale Schlachtenlärm verklang bald und die Mühen der Ebene der Freiheit traten wieder in den Vordergrund. Julius Raabs Aufforderung zu Pfingsten 1955, »mit Gott fiir eine schönere Zukunft Österreichs«107 zu arbeiten, wurde befolgt. Freilich gab es auch hier Differenzen. Während die einen wähnten, mit Gott zu arbeiten, meinten die anderen, weitgehend auf ihn verzichten zu können.

104 Ebda. S. 137. 105 Ebda. S. 136. 106 Ebda. S. i44f. 107 Julius Raab: Zwischen Ostern und Pfingsten. - In: SVZ 28. 5. 1955. S. 1.

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Nukleare Rüstung, Deutsche Frage, asiatische Krisen Weltpolitische Rahmenbedingungen 1954/55

Anfang 1953 wurden die Weichen gestellt: Am 20. Jänner 1953 trat der Republikaner Dwight D. Eisenhower das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten an. Wenige Wochen darauf, am 5. März 1953, starb der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Ministerpräsident der Sowjetunion, Josef Stalin. In der Rückschau haben die beiden Ereignisse mehr gemeinsam als ihre zeitliche Koinzidenz. In ihrem Gefolge wurden weitreichende Entscheidungen in der europäischen Politik gefällt, wurden unter anderem die deutsche und die österreichische Frage gelöst; zugleich markieren sie den Einstieg in das Zeitalter der Entspannung, auch wenn das noch nicht sogleich erkennbar war.

I. E I N E NEUE AMERIKANISCHE D O K T R I N

Immerhin war Eisenhower während des Zweiten Weltkrieges Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte und von 1950 bis 1952 Oberbefehlshaber der NATO-Verbände in Europa gewesen. Während des Wahlkampfes, der sich vor dem Hintergrund des KoreaKrieges abspielte, hatte Eisenhower die Containment-Politik der amtierenden demokratischen Regierung für gescheitert erklärt und stattdessen eine Politik des Roll back, des offensiven Zurückdrängens des Kommunismus, gefordert. Dieses Konzept, mit dem der neue Präsident bei seinen Wählern im Wort stand, fand ein Jahr später seine sicherheitspolitische Ergänzung in der Doktrin der Massive retaliation, der massiven Vergeltung. Am 12. Jänner 1954 sprach Außenminister John Foster Dulles in einer Rede vor dem Council on Foreign Relations in New York erstmals öffentlich von der Notwendigkeit, Aggressoren »abzuschrecken«, indem man ihnen Gegenmaßnahmen bis hin zu einer massiven nuklearen Vergeltung in Aussicht stellte. Die Vereinigten Staaten behielten sich damit ausdrücklich vor, einen konventionell vorgetragenen Angriff gegebenenfalls atomar zu beantworten. Die Gründe für die neue Strategie wurden von Dulles in seiner Rede gleich mitgeliefert. Einmal war es unmöglich, sich gleichzeitig auf eine mögliche Auseinandersetzung »in der Antarktis und in den Tropen, in Asien, im Nahen Osten und in Europa, zur See, zu Land und in der Luft« vorzubereiten. Und dann ging es darum, durch einen deutlichen Abbau, wenigstens aber durch ein Einfrieren der konventionellen Streitkräfte die Verteidigungslasten »weniger kostenaufwendig« zu machen. Dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa stan-

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den Mitte der i95oer-Jahre 13 Divisionen zur Verfügung, kaum genug, um gegen einen Angriff der Roten Armee bestehen zu können, die allein in der D D R 22 kampfbereite Divisionen stationiert hatte. Eine wirkungsvolle Verbesserung dieser Lage hätte enorme Mittel verschlungen; der damit einhergehende Ausbau der Heeresstärke erwies sich zudem in den meisten europäischen Staaten als politisch nicht durchsetzbar. Offenbar waren sich anfänglich weder Eisenhower noch Dulles der enormen Probleme ihrer außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen bewusst. Zwar ließen die Vertreter der neuen Administration nie einen Zweifel, dass der nukleare Vergeltungsschlag eine, aber nicht die einzig mögliche Antwort auf einen Angriff sei. Aber natürlich musste das Konzept, zumal in Verbindung mit der Roll-back-Drohung, aggressiv wirken. Im Verlaufe der i95oer-Jahre wurde offenkundig, in welchem Maße die amerikanische Politik gleichsam zum Gefangenen ihrer eigenen Doktrin zu werden drohte. Die Ankündigung zweier derart offensiv formulierter Maximen, die eben keine ausformulierten Konzepte waren und auch nicht sein konnten, ließ nämlich nur zwei Optionen zu: Entweder man folgte ihnen und wurde im Sinne von Roll back und gegebenenfalls Massive retaliation unmittelbar aktiv, wenn eine kommunistische Aggression zu verzeichnen war, und das bedeutete Krieg. Oder aber man tat das nicht und verlor damit erheblich an Glaubwürdigkeit. Auch eine solche Entscheidung war nicht ungefährlich, mussten doch die eigenen Verbündeten in zunehmendem Maße an der Zuverlässigkeit der westlichen Führungsmacht zweifeln. Zudem konnte das Nichtbefolgen der eigenen Maxime auf amerikanischer Seite eine wachsende Sicherheitslücke schaffen. Tatsächlich griffen die Amerikaner in den i95oer-Jahren nur zweimal militärisch ein, und zwar in Regionen bzw. in Staaten, in denen zu diesem Zeitpunkt kein Kräftemessen mit einer der beiden kommunistischen Mächte zu erwarten war. Das gilt für die massive Unterstützung des Putsches vom Sommer 1954 in Guatemala und für die Interventionen im libanesischen Bürgerkrieg vom Juli bis zum Oktober 1958. Anders verhielt es sich mit den Krisen und Kriegen in Deutschland, Vietnam, Taiwan und Ungarn. Dort waren sowjetische bzw. rotchinesische Truppen direkt oder indirekt engagiert, und schon deshalb kam es in keinem dieser Fälle zu einer militärischen Intervention der USA. Das galt sowohl für die brutale Niederschlagung der Massendemonstrationen in Ost-Berlin durch sowjetische Truppen am 17. Juni 1953, die mit Protesten gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen ihren Anfang genommen hatten, als auch für die blutige Niederwerfung des Aufstandes in Ungarn dreieinhalb Jahre darauf. Konsequent hielten sich die Amerikaner auch in Vietnam zurück, wo die militärische Lage der Franzosen zusehends kritischer wurde, oder auch im Konflikt zwischen Taiwan und China. Dort war es im August und September 1954 erstmals zu Gefechten um einige nationalchinesische Inseln in der Straße von Taiwan gekommen, eine Entwicklung, die am 23. August 1958 mit dem Beginn des Dauerbombardements von Quemoy und Matsu durch Truppen der Volksrepublik China eine gefährliche Zuspitzung erfuhr. Allerdings war Washington in diesen Situationen darauf bedacht, sich durch Taipeh nicht das Heft aus

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der Hand nehmen und in eine politisch-militärische Zwangslage bringen zu lassen. Zwar verpflichteten sich die Vereinigten Staaten am 2. Dezember 1954 vertraglich zur Unterstützung Taiwans gegen einen bewaffneten Angriff im Westpazifik; zwar sprach Außenminister Dulles am 4. September 1958 von der Ermächtigung des Präsidenten, »die bewaffneten Streitkräfte der Vereinigten Staaten« unter anderem fur die »Sicherung und den Schutz« Quemoys und Matsus einzusetzen. Doch schränkte schon der amerikanische Senat bei der Ratifizierung das besagte Abkommen am 9. Februar 1955 beträchtlich ein; seit dem 1. August 1955 verhandelten amerikanische und chinesische Diplomaten mit Unterbrechungen geheim über einen Gewaltverzicht in der Straße von Taiwan; und in der schweren Krise des Sommers 1958 beließen es die USA im Wesendichen bei demonstrativen Gesten. Daraufhatte Peking wohl spekuliert. Denn auch der chinesischen Führung war bekannt, dass sich die Vereinigten Staaten zu eben dieser Zeit im Nahen Osten in einer schwierigen Lage befanden. Ein Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkrieges musste man in Washington bilanzieren, dass der Abschied vom vertrauten Isolationismus und die Hinwendung zum dauerhaften weltpolitischen Engagement nicht nur sehr kostspielig war, sondern auch höchst riskant. Das erklärt die auffallende Umsegelung von Klippen, die den Anstoß für eine direkte, militärische Konfrontation mit der Vormacht der kommunistischen Welt hätten bilden können. Daher peilte schon die Regierung Eisenhower, unmittelbar nach ihrer Amtsübernahme und unbeschadet ihrer rhetorischen Offensiven, ein neues sicherheitspolitisches Ziel an, das alsbald alle anderen überragen sollte. Dieses Ziel hieß »Entspannung«. Die Ent-Spannung der internationalen Beziehungen war die Antwort auf die Waffe des Kalten Krieges, die Nuklearwaffe. Etwa zehn Jahre lang, von 1953 bis 1963, verliefen beide Entwicklungen parallel, und es war nicht vorherzusagen, ob Konfrontation oder Détente schließlich die Oberhand gewinnen würde. Erst die schweren internationalen Krisen um Berlin und Kuba in den Jahren 1961/62 sollten am 5. August 1963 mit dem Atomteststoppabkommen zu einem ersten messbaren Schritt auf dem Weg zur Kontrolle der neuen Vernichtungswaffen und damit zur Entspannung fuhren.

II. D I E SOWJETUNION NACH S T A L I N

Dass dieser Prozess in den Jahren 1953/54 begann, hatte auch damit zu tun, dass der Tod Josef Stalins den Beginn einer neuen Epoche in der Weltpolitik einläutete. Zwar hatte der Diktator noch selbst am 25. Dezember 1952 in einem Interview mit der »New York Times« betont, dass die Sowjetunion an einer »Beendigung des Krieges in Korea interessiert« sei. Aber das hatte nichts mehr daran ändern können, dass Stalin für westliche Beobachter die Verkörperung von Expansion und Aggression blieb. Nach seinem Tod, der auch das Ende einer dreißigjährigen Epoche sowjetischer Geschichte bedeutete, machte sich im Westen die Hoffnung auf eine Kurskorrektur in der Außenpolitik Mos-

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kaus breit. Noch war freilich nicht abzusehen, wer der neue starke Mann sein und welches Konzept er verfolgen würde. Nachfolger als Ministerpräsident wurde Georgij M. Malenkow, und am 7. September 1953 übernahm ein im Westen relativ unbekannter Mann die Position des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der KPdSU: Nikita Chruschtschow, der dann auch von 1958 bis 1962 das Amt des Ministerpräsidenten bekleiden sollte. Offenbar war die neue Garde im Kreml immer für eine Überraschung gut. Das wurde spätestens 1955/56 deutlich. So musste Malenkow im Februar 1955 seinen Hut nehmen. Er zog damit die Konsequenz aus einer verfehlten Außen-, vor allem aber Wirtschaftspolitik. Seine Nachfolge trat Nikolaj Bulganin an, der alsbald zusammen mit Chruschtschow in der sowjetischen Außenpolitik einen neuen Stil einführte, die »Reisediplomatie«. Gemeinsam fuhren die beiden zunächst nach Belgrad, dann zum Vierer-Gipfel nach Genf, Ende des Jahres nach Indien, Burma und Afghanistan, 1956 unter anderem nach England und 1957 nach Finnland. Den Höhepunkt dieser Kampagne bildete zweifellos ein Besuch in den USA, den Chruschtschow im September i960, allerdings ohne den inzwischen entmachteten Bulganin, unternahm und in dessen Verlauf es zu einem prestigeträchtigen Gipfeltreffen mit Präsident Eisenhower kam. Nicht weniger bedeutsam für den sich anbahnenden Entspannungsprozess als die Personalentscheidungen im Kreml waren die atemberaubenden technischen Fortschritte im nuklearen Bereich. Am 1. November 1952 zündeten die Vereinigten Staaten erfolgreich die erste Wasserstoffbombe. Sie hatte die hundertfache Sprengkraft der HiroshimaBombe. Am 8. August 1953 kündigte Malenkow an, dass die Vereinigten Staaten »nicht Monopolisten in der Produktion der Wasserstoffbombe« seien. Vier Tage später wurde eine starke nukleare Explosion im sowjetischen Zentralasien registriert. Fortan musste man davon ausgehen, dass auch auf diesem Gebiet grundsätzlich eine Patt-Situation herrschte. Die Experten in den USA nahmen sogar an, dass es den Sowjets seit dem Sommer 1953 möglich war, eine Wasserstoffbombe nicht nur zu zünden, sondern auch in einer Größe herzustellen, die ihren Transport mit einem Flugzeug zuließ. Am 22. November 1955 gelang sowjetischen Wissenschaftlern schließlich die Zündung der ersten Zweistufen-Wasserstoffbombe, der »Superbombe«. Das war nicht einmal 20 Monate nach dem ersten erfolgreichen Versuch ihrer amerikanischen Kollegen: Das Tempo der Aufholjagd erhöhte sich, die Abstände wurden kürzer, und der Druck auf beide Seiten, Konsequenzen zu ziehen, nahm zu. Schließlich kam es in den Jahren 1953/54 auch in Asien zu einer deutlichen Entspannung der internationalen Lage: Im Juli 1953 wurde der Waffenstillstand für Korea geschlossen und 13 Monate später derjenige für Indochina. Mit ihm ging ein Konflikt zu Ende, der lange im Schatten des Korea-Krieges gestanden hatte, dessen Verlauf und Beendigung jedoch gleichfalls eine weit über die Region hinausgehende Bedeutung erlangen sollte. Begonnen hatte alles am 2. September 1945, dem Tag der japanischen Gesamtkapitulation, als in Hanoi durch einen damals unbekannten Mann namens Ho Chi

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Minh die »Demokratische Republik Vietnam« ausgerufen wurde. Am 19. Dezember des folgenden Jahres eröffnete diese den Kampf gegen die Franzosen, die in Saigon erneut ihr koloniales Regiment errichtet hatten. Fast acht Jahre sollte sich der erste Indochinakrieg hinziehen. Mit zunehmender Dauer wurde dieser Konflikt fast zwangsläufig und auch in dem Sinne ein Bestandteil des Kalten Krieges, dass die Supermächte und ihre Verbündeten auf Seiten der beiden kriegführenden Parteien Stellung bezogen. Das geschah verstärkt seit 1950: Im Jänner nahmen China und die Sowjetunion diplomatische Beziehungen zur Demokratischen Republik Vietnam auf und unterstützten deren Krieg gegen die französischen Kolonialherren in zunehmendem Maße durch Waffenlieferungen. Frankreich wiederum erfuhr entsprechende Hilfe durch die Vereinigten Staaten; 1954 bestritten die USA fast 80% der französischen Kriegskosten. Dennoch erlitt Frankreich in Indochina eine schwere Niederlage, von der sich die Kolonialmacht nie mehr erholte. Es war der Anfang vom Ende des traditionsreichen französischen Ubersee-Imperiums. Symbol und Legende dieses Debakels war Dien-Bien-Phu. Der Kommandeur der französischen Indochina-Armee, General Henri Navarre, hatte diesen Ort als einen von mehreren Ausgangsbasen für die große Frühjahrsoffensive des Jahres 1954 ausgewählt, durch die der Gegner empfindlich geschwächt und zugleich Laos vor einem Ubergreifen der Kampfhandlungen geschützt werden sollte. Sträflich unterschätzte er dabei dessen Fähigkeit, innerhalb kurzer Zeit und unter Mobilisierung enormer menschlicher Energien große Verbände zu verlegen. So sahen sich die Franzosen in Dien-Bien-Phu unerwartet von einer dreifachen Ubermacht eingekesselt, die ihrerseits am 13. März 1954 zum Angriff überging. Rasch wurde klar, dass die Endastung von außen kommen musste, und zwar entweder durch eine militärische Intervention oder durch eine Lösung am Verhandlungstisch. Die eine konnte, so wie die Dinge lagen, effektiv nur durch die USA gewährt, die andere allein durch die UdSSR bewirkt werden. Eisenhower war zu einem Einsatz der US-Luftwaffe nur unter der Bedingung bereit, dass sich weitere Verbündete, allen voran Großbritannien, an dem Unternehmen beteiligten. In London verspürte man jedoch keinerlei Neigung, für Frankreich die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Die Sowjets ihrerseits wussten, dass sie ein Pfund in der Hand hatten, mit dem sich wuchern ließ, und warteten daher die Kapitulation der französischen Einheiten ab: Am 7. Mai 1954 zog der Gegner die Rote Fahne auf dem französischen Kommandobunker in DienBien-Phu auf. Der südostasiatische Krieg und insbesondere der Waffenstillstand hatten weit über die Region hinausweisende Folgen. Die Beendigung des Krieges in Vietnam verstärkte, wie gut ein Jahr zuvor das Ende des Korea-Krieges, den Trend zu einer allgemeinen Entspannung, für die ja auch der Wechsel in der sowjetischen Führung und das sich einstellende atomare Patt zu sprechen schienen. Außerdem aber hatten die Verwicklungen in Indochina auch direkte Rückwirkungen auf Europa. So ist seit der Indochinakonferenz das Gerücht nicht verstummt, wonach es sich bei der Vermittlung des Waffenstillstan-

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des, der am 21. Juli 1954 unterzeichnet wurde, um eine sowjetische Vorleistung gehandelt habe, die durch das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im französischen Parlament abgegolten worden sei. Die E V G war im Mai 1952 durch Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und eben die Bundesrepublik aus der Taufe gehoben worden. Sie ging auf einen Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten vom Oktober 1950 zurück, der mit dieser Flucht nach vorn die Hoffnung verbunden hatte, die seit Ausbruch des Korea-Krieges im Raum stehende deutsche Wiederbewaffnung unter französische Kontrolle stellen zu können. Dass eine hochgerüstete Bundesrepublik auch für die Sowjets eine unerquickliche Vorstellung sein musste, ist nahe liegend. Und so setzten sie alle Hebel in Bewegung, einen deutschen EVG-Beitritt zu verhindern. Das hatte schon für die so genannten Stalin-Noten des Frühjahrs 1952 gegolten, und es galt auch für ihre Taktik im Indochinakrieg. Fest steht jedenfalls, dass sich die Sowjetunion weigerte, einen Kompromiss zu ermöglichen, der den Abzug der bei Dien-Bien-Phu eingeschlossenen französischen Verbände ermöglicht hätte, und vielmehr deren Kapitulation mit allen Folgen, wie dem Sturz der Regierung Laniel, abwartete. Fest steht auch, dass die neue französische Regierung unter Pierre Mendes-France den angestrebten, vergleichsweise glimpflichen Waffenstillstand durch die Vermittlung der Sowjetunion erhielt, die ihrerseits zu diesem Zeitpunkt in Europa das Kardinalziel verfolgte, die E V G zu verhindern. Fest steht schließlich, dass der EVG-Vertrag am 30. August 1954 in der französischen Nationalversammlung scheiterte. Genau genommen scheiterte er indirekt, da er erst gar nicht auf die Tagesordnung kam. Problematisch war das Scheitern der E V G weniger in militärischer Hinsicht. Mit der N A T O stand ja eine Alternative bereit, und schon seit Ende Juni 1954 hatten in Washington amerikanisch-britische Besprechungen in dieser Angelegenheit stattgefunden. Schwerwiegender waren die politischen Folgen, welche die Entscheidung der französischen Nationalversammlung zeitigen sollte. Tatsächlich war den wenigsten Zeitgenossen bewusst, dass der EVG-Vertrag »in erster Linie«, wie Konrad Adenauer später gesagt hat, den Sinn hatte, die europäische Einigung zu fördern. Denn Artikel 38 sah ausdrücklich die Möglichkeit der Gründimg einer »Europäischen Politischen Gemeinschaft« (EPG) vor, und am 10. September 1952 hatte die Konferenz der Außenminister der im April 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) dann auch die Realisierung dieses Artikels beschlossen. Sie hatte damit einen Vorschlag des italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi aufgegriffen, der wie Adenauer, Schuman oder Monnet zu den Vätern des modernen Europagedankens gehört. Diese überzeugten »Europäer« verbanden mit der E P G die Überlegung, dass nur ein politisch voll integrierter Kontinent die Chance habe, sich in Zukunft gegenüber der Sowjetunion, aber eben auch gegenüber den USA zu behaupten.

Nukleare Rüstung, Deutsche Frage, asiatische Krisen III. DIE DEUTSCHE

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FRAGE

Das unrühmliche Ende von E V G und E P G bedeutete aber nicht nur einen Rückschlag für Europa, sondern auch für Deutschland. Wie wollte man jetzt noch den Westmächten die Wiedervereinigung schmackhaft machen? Ohnehin erlahmte deren Bereitschaft zur Unterstützung des deutschen Wunsches in dem Maße, in dem der nukleare Wettlauf an Tempo gewann. Mit der Zündung der ersten sowjetischen Wasserstoffbombe und den Fortschritten auf dem Gebiet der entsprechenden Trägersysteme wie Langstreckenbombern und Raketen mussten sich die Prioritäten in den westlichen Metropolen und vor allem in Washington ändern. Das wussten auch die Sowjets, und sie setzten fortan konsequent auf diese Karte. In den kommenden Jahren standen die beiden zentralen Fragen, die Wiedervereinigung Deutschlands und die Entspannung im internationalen Bereich, in einem Konkurrenzverhältnis. In Bonn sah man mit wachsender Besorgnis, dass die Westmächte ihren Entspannungskurs offenkundig auf Kosten der Deutschen Frage verfolgten. Klarsichtige Beobachter, wie Karl Georg Pfleiderer, FDP-Abgeordneter und später deutscher Botschafter in Belgrad, wussten, dass dafür die »beiden großen Problemkreise Atom und Ostasien« verantwortlich waren. Daraus erwachse zwangsläufig die »Neigung ..., die Teilung Deutschlands zur Grundlage einer west-östlichen Verständigung zu machen«. Fühlbar wurde diese allmähliche Änderung der internationalen Großwetterlage auf den alliierten Vierer-Konferenzen der Jahre 1954-1959. Den Anfang machte die Außenministerkonferenz der vier alliierten Siegermächte in Berlin, die erste dieser Art seit fünfJahren. Dass sich Dulles, Molotow, Eden und Bidault am 25. Jänner 1954 trafen, hatte mehrere Gründe: Neben dem Friedensvertrag für Korea und dem Waffenstillstand in Indochina ging es um einen Staatsvertrag für Osterreich, eine Lösung der Deutschlandfrage oder auch eine Erörterung jener Probleme, die sich aus dem atomaren Patt ergaben. Zwar trennte man sich am 18. Februar ohne greifbares Ergebnis, doch in der Gewissheit, wie die Weichen in der internationalen Politik gestellt und welche Lösungen fortan auszuschließen waren. Die Forderungen des Westens wurden durch den britischen Außenminister Eden vorgetragen. Sie sahen an erster Stelle einen Friedensvertrag für Österreich vor, das auf Grund des Kontrollabkommens vom 4. Juli 1945 von den vier Mächten gemeinsam besetzt war. An zweiter Stelle folgte die Deutsche Frage, deren Lösung in mehreren Schritten erfolgen sollte: Erst nach freien Wahlen in Gesamtdeutschland und der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands war die Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit den alliierten Siegern des Zweiten Weltkrieges vorgesehen. Erwartungsgemäß lehnte Molotow die westlichen Forderungen rundweg ab und trat seinerseits mit Vorschlägen hervor, die an die Initiativen Stalins vom Frühjahr 1952 erinnerten und zugleich in einem entscheidenden Punkt über diese hinausgingen. So regte der sowjetische Außenminister den Abzug aller Besatzungstruppen aus West- und Ostdeutschland innerhalb eines halben Jahres an, mit Ausnahme einiger weniger Verbände, die den weiteren Gang der Dinge zu überwachen hat-

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ten. Der Plan ging vom Status quo der Teilung Deutschlands aus. Den beiden neutralisierten Staaten sollte zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung eine Polizeitruppe zur Verfügung stehen. Dann aber legte Molotow den Entwurf eines Vertrages über die »kollektive Sicherheit« in Europa auf den Verhandlungstisch. Zumindest indirekt nahmen die Sowjets einen Gedanken wieder auf, der bereits in der Zwischenkriegszeit eine beträchtliche Rolle gespielt hatte. Man darf annehmen, dass sie damit auch das Ziel verfolgten, den Ausbruch eines Krieges zu verhindern, der die Sowjetunion in die dritte große Katastrophe innerhalb weniger Jahrzehnte führen hätte können, und dass dieses Bestreben eine Konstante sowjetischer Außenpolitik bis hin zum KSZE-Prozess geblieben ist. Aber natürlich hat der Kreml mit seinem Vorschlag immer auch ein zweites Ziel im Auge behalten, nämlich die Festschreibung des Status quo in Europa und insbesondere in Deutschland. Allein 1954 unternahmen die Sowjets drei weitere Vorstöße in diese Richtung - am 31. März, am 24. Juli und am 13. November. Bemerkenswert ist vor allem der Vorschlag vom 31. März, weil er nicht nur die Teilnahme der USA an einem »Gesamteuropäischen Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa« in Aussicht stellte, sondern weil die Sowjets darin anregten, gemeinsam eine Beteiligung der UdSSR an der NATO zu erörtern, und das Ganze in der Absicht, hier endgültig die projektierte »Europaarmee« vom Tisch zu bringen, in der nach sowjetischer Lesart »den westdeutschen Streitkräften mit hitlerfaschistischen Generälen an der Spitze die Hauptrolle zugewiesen« wurde. Die Westmächte lehnten diese Initiativen in der Regel mit dem gleichen Argument ab, mit dem sie Molotow schon in Berlin entgegengetreten waren. Danach besaß für sie, abgesehen von einer Lösung der Österreich-Frage, die Wiedervereinigung Deutschlands die Priorität vor einem Vertrag über »kollektive Sicherheit in Europa«, und insofern stand Deutschland in diesen Jahren tatsächlich im Zentrum der Weltpolitik. Indem sich Washington, London und Paris auf einen solchen Katalog festlegten, schlössen sie allerdings einen Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa grundsätzlich nicht aus. Darin konnte man bereits ein erstes Entgegenkommen sehen, und für manchen Beobachter war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch für die Westmächte die Prioritätenliste zugunsten der Sicherheitsfrage verändern würde. Am 25. März 1954 veröffentlichte die Regierung der UdSSR eine Erklärung über die Anerkennung der Souveränität der DDR. Wie im Deutschland-Vertrag zwischen der Bundesrepublik und den westlichen Alliierten vom 26. Mai 1952 waren auch in diesem Dokument einige einschränkende Vorbehalte festgeschrieben. Dazu zählten insbesondere jene Funktionen, die mit der Gewährleistung der Sicherheit im Zusammenhang standen und die sich auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes bezogen. Durch die Erklärung wurde der Bundesregierung das von ihr nicht anerkannte SED-Regime als direkter Verhandlungspartner zugeordnet. Diese Zumutung musste nicht nur das Ziel der Wiedervereinigung gefährden, sondern auch den Bonner Anspruch auf die alleinige Vertretung des deutschen Volkes. Aber konnte man verkennen, dass die anvi-

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sierte Aufhebung des Besatzungsstatuts und die Erlangung weitgehender Souveränität durch die Bundesrepublik diesen Trend mitverursacht, in jedem Falle aber beschleunigt hatte? Auch das Scheitern der E V G Ende August 1954 änderte daran nichts, im Gegenteil, musste doch jetzt so rasch wie möglich eine alternative Lösung gefunden werden. Insgesamt waren die Ausgangsbedingungen während der anstehenden Verhandlungen für die Bundesrepublik günstiger als in den voraufgegangenen Jahren, da der E V G - und damit der Deutschland-Vertrag in seiner alten Fassung nicht in Bonn Schiffbruch erlitten hatte, sondern in Paris. Zur Debatte stand ein ganzes Paket von Abmachungen, die auf mehreren Konferenzen ausgehandelt und unterzeichnet wurden. Den Anfang machte die so genannte Londoner Neunmächtekonferenz vom 28. September bis zum 3. Oktober 1954. An ihr nahmen Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande und die Vereinigten Staaten teil. Hier einigte man sich im Prinzip darauf, das Besatzungsstatut aufzuheben und die Bundesrepublik in eine fast vollständige Souveränität zu endassen. Im Gegenzug erklärte sich Bonn bereit, sowohl der NATO als auch dem Brüsseler Pakt, also der so genannten Westunion vom 17. März 1948, beizutreten. Um den nach wie vor erheblichen Bedenken Frankreichs gegenüber einer weitgehend souveränen und zudem aufgerüsteten Bundesrepublik die Spitze zu nehmen, sicherten die USA, Kanada und Großbritannien zu, ihre Truppen auf dem Kontinent zu belassen. Drei Wochen später nahmen dann diese und andere Vereinbarungen konkrete Vertragsformen an. Vom 19. bis zum 23. Oktober 1954 fänden in Paris insgesamt fünf Konferenzen zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik, den neun Unterzeichnern der Londoner Akte, den 14 NATO-Staaten und der Bundesrepublik, den fünf Westunionsstaaten, der Bundesrepublik und Italien sowie schließlich eine Zweimächtekonferenz zwischen der Bundesrepublik und Frankreich statt. Im Ergebnis wurden auf diesen Konferenzen insbesondere vereinbart: die Neuregelung des Verhältnisses der drei westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges zur Bundesrepublik, deren Beitritt zur NATO, die Aufnahme der Bundesrepublik und Italiens in die Westunion, die damit gleichzeitig in »Westeuropäische Union« (WEU) umbenannt wurde, sowie ein deutschfranzösisches Abkommen über ein Saarstatut, das allerdings in einer Volksabstimmung scheiterte, so dass das Saarland zum 1. Jänner 1957 in die Bundesrepublik eingegliedert werden konnte. Auf der Basis des so genannten zweiten Deutschland-Vertrages, der gegenüber der ersten Fassung für die Bundesrepublik weitere Vorteile brachte, wurde endlich die Besatzungszeit in der Bundesrepublik beendet. Die Hohen Kommissare wurden durch Botschafter der drei Westmächte ersetzt, und die Stationierung ihrer Truppen erfuhr durch jeweils bilaterale Verträge eine Neuregelung. Ausdrücklich bekräftigten die drei Westmächte ihre Sicherheitsgarantien für die Bundesrepublik und für Berlin, ausdrücklich bestätigten sie auch den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik.

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Auch in der geänderten Fassung des »Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten« vom 23. Oktober 1954 behielten sich Washington, London und Paris »die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung« vor. Daran hat sich bis zum In-Kraft-Treten des »Zwei-Plus-Vier«-Vertrages am 15. März 1991 nichts geändert. Als besonders wichtig erwies sich der häufig unterschätzte Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler Pakt. Damit entfiel die antideutsche Stoßrichtung der Union von 1948, die sich ja auch gegen den Fall »der Wiederaufnahme einer deutschen Angriffspolitik« gerichtet hatte. Im Übrigen gab die Bundesregierung im Rahmen des WEU-Vertrages eine einseitige Erklärung auf Gewaltverzicht ab. Auf diese hat sich Bonn bis Mitte der i9Öoer-Jahre immer wieder berufen, wenn die Sowjetunion oder einer ihrer Verbündeten einen Vorstoß zur Unterzeichnung eines Gewaltverzichtsabkommens unternahm, mit dem nach damaliger Auffassung eben auch der Status quo im geteilten Deutschland festgeschrieben worden wäre. Aus französischer Sicht schließlich bedeutete die W E U , die im Unterschied zur NATO eine automatische Beistandspflicht gegen jeden bewaffneten Angriff auf einen Partner vorsieht, auch einen Ersatz für die EVG, ja insofern gegenüber dieser einen Gewinn, als Großbritannien Gründungsmitglied des Brüsseler Paktes und damit der W E U war. Tatsächlich bildete die W E U in der Sturmphase der europäischen Desintegration der i9Öoer-Jahre mitunter die letzte institutionelle Brücke Großbritanniens nach Westeuropa. Da es sich bei der W E U um ein rein europäisches Unternehmen handelte, hoffte man in Paris zudem, eine weitgehende Kontrolle über die deutsche Wiederaufrüstung ausüben zu können. Die Annahme war jedenfalls in einem Punkt zutreffend. In den Anlagen I—III des Protokolls Nr. III zum WEU-Vertrag findet sich nämlich der einseitige Verzicht der Bundesrepublik auf die Herstellung bestimmter Waffen auf ihrem eigenen Territorium. Dazu zählten insbesondere atomare, bakteriologische und chemische Waffen. Nachdem der Deutsche Bundestag am 27. Februar 1955 die Pariser Verträge gegen die Stimmen der SPD ratifiziert hatte, traten sie am 5. Mai 1955 in Kraft. Damit war die Bundesrepublik, von den zitierten Vorbehalten und Einschränkungen abgesehen, souverän. Am 7. Mai fand die konstituierende Sitzung des WEU-Rates statt, und zwei Tage später, am 9. Mai 1955, wurde der junge Teilstaat schließlich in die NATO aufgenommen. Damit war nicht nur die politische und militärische Westintegration der Bundesrepublik völkerrechtlich vollzogen und besiegelt. Vielmehr war die rheinische Republik auf den Tag genau zehn Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches »nicht mehr isoliert«, wie Adenauer schon nach Unterzeichnving des EVG-Vertrages prognostiziert hatte; ihre Vertreter saßen jetzt im Kreise »dieser ganzen Nationen am gleichen Tisch«.

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KONSEQUENZEN

Es liegt auf der Hand, dass dieser Prozess nicht nur von den westlichen Nachbarn der Bundesrepublik mit Neugier, Interesse und gelegentlich mit Argwohn beobachtet wurde, sondern auch von ihren östlichen, allen voran von der Sowjetunion. Wie schon im Umkreis des E V G - und des ersten Deutschland-Vertrages begleitete Moskau die Entwicklung der Jahre 1954/55 m i t einer Serie von Vorstößen. Dazu gehörte auch die schon erwähnte Note vom 13. November 1954, in welcher der Kreml 23 europäische Staaten, die USA sowie einen Beobachter der Volksrepublik China nach Moskau einlud, um über den Vorschlag einer europäischen Sicherheitskonferenz zu beraten. Nach Ablehnung dieses Vorschlages durch die Westmächte hielten die Sowjets die Konferenz ausschließlich mit Teilnehmern aus den kommunistischen Staaten ab. Das war die Geburtsstunde des Warschauer Paktes. Vor allem aber veröffentlichte der Kreml am 15. Jänner 1955 eine Erklärung, in der sich Warnung und Angebot die Waage hielten. Dem unmissverständlichen Hinweis, dass die Ratifizierung der Pariser Abkommen »mit der Wiederherstellung Deutschlands als einheitlichen, friedliebenden Staat nicht zu vereinbaren« sei, folgte eine Offerte in sorgfältig gewählten Formulierungen: »Das deutsche Volk muss durch die Abhaltung allgemeiner freier Wahlen in ganz Deutschland, einschließlich Berlin, die Möglichkeit haben, seinen freien Willen zu äußern, damit ein einheitliches Deutschland als Großmacht wiederersteht und einen würdigen Platz unter den anderen Mächten einnimmt.« Zehn Tage später untermauerte der Kreml sein Angebot, indem die Sowjetunion als letzte der alliierten Sieger den Kriegszustand mit ganz Deutschland für beendet erklärte und ihre Nachrichtenagentur TASS an diesem 2 5. Jänner von der möglichen Freilassung der noch etwa 10 000 Kriegsgefangenen sprach. Indessen vermochte auch das nichts mehr an der Entscheidung der Bundesregierung zu ändern, obgleich die SPD, anders als im Falle der »Stalin-Noten«, nachdrücklich eine sorgfältige Prüfung und gegebenenfalls Verhandlungen forderte. Die Weichen waren gestellt, und am 5. Mai war das anvisierte Ziel erreicht. Die sowjetische Reaktion Heß erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten. Am 7. Mai 1955, dem Tag, an dem sich die W E U mit deutscher Beteiligung konstituierte, kündigte Moskau die Bündnisverträge mit Großbritannien und Frankreich von 1942 bzw. 1944, die ursprünglich auf eine Dauer von 20 Jahren und in der Absicht geschlossen worden waren, nach Beendigung des Krieges »eine neue Bedrohung von Seiten Deutschlands zu verhindern«, wie es im Text des sowjetisch-französischen Bündnis- und Beistandspaktes hieß. Eine Woche später, am 14. Mai 1955, kam es in der polnischen Hauptstadt zur Gründung des so genannten Warschauer Paktes. Seine Mitglieder waren neben der Sowjetunion Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien, die Tschechoslowakei, Albanien sowie die DDR, die allerdings erst am 28. Jänner 1956 Vollmitglied wurde. Der Vertrag sollte 20 Jahre und für die Vertragsparteien, die ihn nicht zwölf Monate vor Ablauf dieser Frist

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kündigten, weitere zehn Jahre in Kraft bleiben. Er sollte in dem Augenblick seine Gültigkeit verlieren, in dem ein gesamteuropäischer Vertrag über »kollektive Sicherheit« in Kraft treten würde, den anzustreben sich die Mitglieder des Warschauer Paktes unentwegt bemühen wollten. Einen Tag nach Gründung des Warschauer Paktes fand schließlich am 15. Mai 1955 in Wien die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages statt, gegen den sich die Sowjetunion jahrelang gesperrt hatte. Zweifellos stand dahinter die Befürchtung, auch der größere, von den Westmächten besetzte Teil Österreichs werde andernfalls über kurz oder lang in die westlichen Gemeinschaften einbezogen. Diese Grundüberlegung musste für die eurasische Macht Sowjetunion zu entsprechenden Konsequenzen auch in ihrer Ostasien-Politik führen. Und in der Tat signalisierte Molotow im September 1954 gegenüber Japan Gesprächsbereitschaft. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen kam es am 19. Oktober 1956 in Moskau zur Unterzeichnung einer sowjetisch-japanischen Deklaration, mit deren In-Kraft-Treten der Kriegszustand zwischen beiden Staaten beendet wurde. In der sensiblen Frage der Kurilen einigte man sich auf einen Kompromiss: Danach sollten zwei dieser Inseln nach Abschluss des Friedensvertrages von Moskau an Tokio zurückgegeben werden. Dazu ist es nie gekommen. Die sowjetische und später die russische Regierung haben sich über das Ende des Kalten Krieges hinaus konsequent geweigert, diesen Schritt zu tun. So sahen die Jahre 1954/55 den Abschluss der Blockbildung, und das keineswegs nur in Europa. Zwar lag das Gravitationszentrum noch eindeutig auf dem alten Kontinent, da die Nahtstelle zwischen den beiden großen Blöcken eben mitten durch Deutschland verlief. Doch fand die Blockbildung in der außereuropäischen Welt ihre Fortsetzung und Ergänzung. Am 8. September 1954 wurde durch die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich sowie Australien, Neuseeland, die Philippinen, Thailand und Pakistan die »South East Asia Treaty Organization« (SEATO) gegründet. Im Unterschied zur NATO sah dieser »Südostasien-Pakt«, der eine unmittelbare Reaktion auf das französische Indochina-Desaster war, aber keine Beistands-, sondern lediglich eine Konsultationspflicht vor. Außerdem blieben ihm wichtige Länder der Region wie Japan, Indonesien oder Indien fern. Den Trend zur Blockbildung verstärkte auch der so genannte Bagdadpakt, der am 24. Februar 1955 durch die Türkei und den Irak gegründet worden war. Nach dem Sturz der Monarchie im Irak 1958 und dem Austritt des Landes aus dem Pakt im März des folgenden Jahres wurde er als »Central Treaty Organization« (CENTO) durch die Türkei sowie durch Großbritannien, Pakistan und Iran fortgeführt, die dem Abkommen im Laufe des Jahres 1955 beigetreten waren. Natürlich konnten die letztgenannten Pakte in ihrem politischen oder militärischen Gewicht kaum einem Vergleich mit der NATO oder dem Warschauer Pakt standhalten. Aber sie machten doch deutlich, dass sich der Kalte Krieg über seine eigendichen, europäischen, ja deutschen Ursprünge hinaus inzwischen zu einem globalen Phänomen ausgeweitet hatte. Das zeigte sich nicht zuletzt in der definitiven Festlegung der sowjetischen Deutschland- und Europapolitik. Bis 1955 hatte sich Moskau zwei bzw. drei Möglichkeiten offen gehalten.

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Wie zuletzt die sowjetischen Initiativen der Jahre 1952 und 1955 gezeigt hatten, schloss der Kreml eine gesamtdeutsche Lösung nicht grundsätzlich aus. Dabei dachte man entweder an ein Gesamtdeutschland, das in seinem inneren Zuschnitt nach dem Vorbild der D D R gestaltet worden wäre, oder aber, und daraufliefen die sowjetischen Vorstöße hinaus, an ein bis zur Oder-Neiße-Linie verkleinertes, neutralisiertes, in Maßen zur Selbstverteidigung fähiges vereinigtes Deutschland, das sich allerdings keinem gegen die Sowjetunion gerichteten Bündnis hätte anschließen dürfen. Zweifellos hat die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und ihre konsequente Westintegration der sowjetischen Führung einige Entscheidungen abgenommen. Jedenfalls legte sich Moskau immittelbar nach In-Kraft-Treten der Pariser Verträge auf die »Zwei-Staaten-Theorie« fest. Danach gab es auf dem Boden des Deutschen Reiches westlich der Oder-Neiße-Linie, die für die Sowjetunion längst den Charakter einer definitiven Grenze angenommen hatte, zwei deutsche Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Daran ließen Nikolai Bulganin und Nikita Chruschtschow auf der Gipfelkonferenz des Sommers 1955, der ersten seit Potsdam, wenig Zweifel. An dem Treffen, das vom 18. bis zum 23. Juli in Genf stattfand, nahmen Präsident Eisenhower für die Vereinigten Staaten, Anthony Eden, der im April dieses Jahres die lang ersehnte Nachfolge Churchills angetreten hatte, füir das Vereinigte Königreich sowie Ministerpräsident Edgar Faure für Frankreich teil. Im Zentrum dieser »Konferenz des Lächelns« stand die Deutsche Frage und eben deshalb konnte sie keine Ergebnisse vorweisen, die irgendeine Bewegung in die festgefahrene Situation gebracht hätten. Aber das war wohl auch gar nicht beabsichtigt. Zwar übernahm in der abschließenden »Direktive der Regierungschefs an die Außenminister« vom 23. Juli 1955, jedenfalls rhetorisch, nochmals ein sowjetischer Politiker die Formel von der »Wiedervereinigung Deutschlands« - übrigens zum letzten Mal bis zum Beginn der »Zwei-Plus-Vier«-Gespräche bzw. zum Besuch Bundeskanzler Kohls in der Sowjetunion im Februar 1990. Doch rangierten im abschließenden Kommunique die »Interessen des deutschen Volkes« auf der gleichen Ebene wie die »europäische Sicherheit«. Damit hatten die Westmächte die 1954 in Berlin aufgestellte Reihenfolge aufgegeben. Konnte es noch einen Zweifel geben, dass die sowjetische Außenpolitik auch in Zukunft von der Existenz zweier deutscher Staaten ausgehen würde? Diesen Eindruck hatte sich inzwischen auch Adenauer selbst machen können. In der Zeit zwischen dem Genfer Gipfel und der Folgekonferenz der Außenminister am gleichen Ort war der Kanzler nämlich nach Moskau gereist. Der Besuch ging auf eine Einladung der Sowjets zurück, die am 7. Juni, also nach In-Kraft-Treten der Pariser Verträge, ausgesprochen worden war. Insofern ist auch in dieser Einladung ein unmittelbarer Ausdruck der »Zwei-Staaten-Theorie« zu sehen. Adenauer war das natürlich bewusst, und mit der Annahme der Einladung und dem Besuch trug er auf seine Weise den weltpolitischen Realitäten Rechnung. Konkret verfolgte er mit seiner Visite einen doppelten Zweck: Einmal reiste er nach Moskau, »um für die Heimkehr vieler tausend Menschen zu kämpfen«. Dann aber

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versuchte der Mann aus Rhöndorf einer Tendenz gegenzusteuern, die sich seit dem Genfer Gipfel drohend abzeichnete und auf eine Lösung der deutschen Frage durch die Vier Mächte ohne deutsche Beteiligung hinauslief. Im Übrigen nahm der Kanzler die Einladung erst an, nachdem er zuvor die drei westlichen Verbündeten konsultiert hatte, und selbstverständlich hielt er deren Moskauer Botschafter während der Gespräche stets auf dem Laufenden. Während seines Besuchs, der vom 9. bis zum 13. September 1955 stattfand, gelang es dem Kanzler, von den sowjetischen Gesprächspartnern Chruschtschow und Bulganin die Zusage zur Freilassimg der noch in der Sowjetunion internierten Deutschen zu erhalten. Es handelte sich dabei um 9 628 Kriegsgefangene, die nach sowjetischem Recht als Kriegsverbrecher verurteilt worden waren, sowie eine etwa doppelt so große Zahl von Zivilinternierten. Die Heimkehr der letzten deutschen Gefangenen im Oktober 1955 wurde in der Bundesrepublik vor allem als persönliches Verdienst Konrad Adenauers gewertet. Sie hat nicht immaßgeblich zu seiner wachsenden Popularität und damit zu seinem überlegenen Sieg in den Wahlen zum dritten deutschen Bundestag beigetragen, welcher der C D U im September 1957, zum ersten und einzigen Mal während des Kalten Krieges, die absolute Mehrheit sicherte. Im Gegenzug musste sich der Kanzler allerdings auf ein weitreichendes Zugeständnis einlassen: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau und Bonn. In der deutschen Delegation war man sich der Brisanz dieses Schrittes bewusst. Die Sowjetunion war nunmehr das erste und vorerst einzige Land, das diplomatische Beziehungen zu beiden deutschen Staaten unterhielt. Damit hatte die Bundesregierung ihrerseits einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur »Zwei-Staaten-Theorie« geleistet. So sah man das auch in Moskau. Dort wurde zwei Tage nach Abreise der bundesdeutschen Delegation demonstrativ eine Delegation der D D R empfangen. Hatte Chruschtschow schon bei einem Zwischenaufenthalt auf seinem Rückweg vom Genfer Gipfel in Ost-Berlin am 26. Juli die Frage aufgeworfen: »Ist denn nicht klar, dass die mechanische Vereinigung beider Teile Deutschlands, die sich in verschiedenen Richtungen entwickeln, eine unreale Sache ist?«, so wurde dieser Refrain am 20. September in einem von Bulganin und Grotewohl unterzeichneten Vertrag einmal mehr intoniert. Nach dem auf der Basis »völliger Gleichberechtigung« geschlossenen Vertrag war die DDR »frei in der Entscheidung über Fragen ihrer Innenpolitik und Außenpolitik, einschließlich der Beziehungen zur Deutschen Bundesrepublik sowie der Entwicklung der Beziehungen zu anderen Staaten«. Gezielt war der Text dieser zweiten so genannten Souveränitätserklärung im Inhalt wie in seiner Wortwahl dem modifizierten Deutschland-Vertrag zwischen den Westmächten und der Bundesrepublik nachempfunden. Spätestens im September 1955 waren also auch in der wichtigsten Frage Tatsachen geschaffen worden: Auf dem Territorium Deutschlands wesdich der in Potsdam beschriebenen und inzwischen unausgesprochen von allen vier Siegermächten als Grenze akzeptierten Oder-Neiße-Linie gab es zwei Staaten. Diese waren auf der Grundlage der

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Verträge, die sie mit den jeweiligen Besatzungsmächten geschlossen hatten, in ihren inneren Angelegenheiten vollständig und in den äußeren Angelegenheiten weitgehend souverän. Eingeschränkt wurde die äußere Souveränität in beiden Fällen durch jene Vorbehalte, die sich auf den künftigen Friedensvertrag, also insbesondere auf Deutschland als Ganzes und Berlin bezogen. Damit war, auch wenn sich das damals kaum jemand eingestehen mochte, die Teilung Europas abgeschlossen. Der Mauerbau des Sommers 1961 bedeutete, so gesehen, die konsequente, von allen Siegermächten akzeptierte Zementierung dieses Status quo. Die Voraussetzung für seine nicht gewaltsame Änderung konnte nur im Zusammenbruch eines tragenden Pfeilers der Nachkriegsordnung bestehen. Dass dieser Jahrzehnte später mit der Auflösung der Sowjetunion tatsächlich eintreten sollte, hat sich Mitte der i95oer-Jahre niemand vorstellen können.

LITERATUR

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RolfSteininger

Österreichs Weg zum Staatsvertrag 1945-195 51 Am Sonntag, den 15. Mai 1955, um genau 11.30 Uhr, unterzeichneten die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion, der USA und Österreichs Antoine Pinay, Harold Macmillan, Wjatscheslaw Molotow, John Foster Dulles und Leopold Figl - im Marmorsaal des Wiener Schlosses Belvedere den Staatsvertrag, der Österreich die staatliche Souveränität und Unabhängigkeit zurückgab. Es war ein Ereignis, auf das die Österreicher zehn Jahre gewartet hatten. Im Rückblick stellt sich die Frage, warum es so lange gedauert hatte. In der Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 hatten die späteren Sieger die Wiederherstellung eines unabhängigen, freien Österreich nach Kriegsende festgelegt. Im April 1945 war dieses Österreich denn auch entstanden, wenn auch auf einseitigen Beschluss der Sowjets und monatelang von den Westmächten nicht anerkannt. Diese Anerkennung kam im Oktober 1945, im Anschluss fanden dann die ersten gesamtösterreichischen freien Wahlen statt - die zu einem Desaster für die österreichischen Kommunisten wurden. Im ausbrechenden Kalten Krieg spielte Österreich eine besondere Rolle. »Die Vier im Jeep« wurden zu einem Symbol für eine mehr oder weniger funktionierende Viermächte-Verwaltung. Im Mai/Juni 1946 hatte der amerikanische Außenminister James Byrnes seinem österreichischen Kollegen Karl Gruber in Paris versichert, dass spätestens in einem Jahr der Staatsvertrag unterschrieben würde. Es sollten neun lange Jahre werden. Auf der Außenministerkonferenz in Paris 1946 wurde das Thema Österreich nicht behandelt. Der sowjetische Außenminister Molotow hatte argumentiert, die Tagesordnung sei bereits überladen, und es sei wichtiger, zuerst Friedensverträge mit Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Finnland und Italien abzuschließen. Auf der Konferenz der Stellvertretenden Außenminister in London vom 14. 1. bis 25. 2. 1947 führten die Verhandlungen über den Staatsvertrag zwar zu einem Vertragsentwurf, bei dem allerdings nur in 14 Punkten eine Einigung erzielt wurde. Immerhin wurde ein »Vertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen, demokratischen Österreich« in Aussicht gestellt. Bei der anschließenden Außenministerkonferenz in Moskau (10. 3.-24. 4.) und den Tagungen der österreichischen Vertragskommission der Vier Mächte in Wien (12. 5.-11. 10.) standen zwei strittige Fragen im Vordergrund: die jugoslawischen Gebietsforderungen an Österreich und das »deutsche Eigentum«. 1

Ausführlich zur Gesamtproblematik meine Darstellung: Der Staatsvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938-1955, die im Min 2005 im Studienverlag Innsbruck - Wien - Bozen erscheint.

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Während die Westmächte auf den Grenzen von 1938 für Österreich beharrten, machten sich die Sowjets die jugoslawischen Forderungen zu eigen. Jugoslawien verlangte in Kärnten ein Gebiet von 2 470 km2 und 180 000 Einwohnern einschließlich Klagenfurts und eines Teils der Stadt Villach, in der Steiermark ein Gebiet von etwa 230 km2 mit ca. 10 000 Einwohnern. Die Westmächte lehnten diese Forderungen ab, die Sowjetunion unterstützte Jugoslawien grundsätzlich, ohne sich allerdings auf eine genaue Größenordnung festzulegen; im Übrigen wissen wir heute, dass sie Jugoslawien schon bald dazu drängte, seine Forderungen zu reduzieren, was 1948/49 auch geschah. 1948 kam es dann allerdings zum Bruch zwischen Stalin und Tito. Das bedeutete gleichzeitig das Ende der sowjetischen Unterstützung für die Ansprüche Jugoslawiens. Im Sommer 1949 einigten sich die Vier Mächte darauf, dass Österreichs Grenzen unverändert bleiben sollten, allerdings ein Minderheitenschutz im Staatsvertrag zu verankern sei. So entstand damals der heute als Artikel 7 bekannte Minderheitenschutzartikel des Staatsvertrages. Dieser Artikel schloss und schließt insbesondere den Anspruch der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, Burgenland und Steiermark auf Elementarunterricht in slowenischer und kroatischer Sprache sowie auf eine verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen ein.2 Das zweite Hauptproblem war das »deutsche Eigentum«. Die Auffassungen der Westmächte und der Sowjetunion über das, was als deutscher Besitz in Österreich anzusehen war, klafften weit auseinander. Der Vermittlungsvorschlag des Franzosen Paul Cherriere, wonach die Sowjetunion 58% des Eigentums beim Erdöl und 100% der Donaudampfschi fffahrtsgesellschaft sowie als Ablösezahlung für alle anderen Ansprüche 100 Mio. Dollar erhalten sollte, wurde von Außenminister Molotow auf der Londoner Außenministerkonferenz im November/Dezember 1947 entschieden zurückgewiesen. Molotow forderte 200 Mio. Dollar. 1948 traf man sich dann in der Mitte bei 150 Mio. Dollar. Die Sowjetunion beanspruchte darüber hinaus allerdings zusätzliche Rechte, vor allem im Bereich der Erdölindustrie und der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Dennoch zeichnete sich 1948 eine Lösung ab. Sie wurde durch die weltpolitische Entwicklung verhindert. 1948 waren es die Westalliierten, die wegen der für sie überraschenden und in ihren Folgen nicht absehbaren Entwicklung in Ost-Mitteleuropa, vor allem in der Tschechoslowakei, einen Österreich-Vertrag verzögerten und unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt nicht herbeiführen wollten. Auf der Außenministerkonferenz im Mai/Juni 1949 in Paris geschah dann das völlig Unerwartete. Die Westmächte wollten die Stärke der sowjetischen Loyalität den Jugoslawen gegenüber testen und boten in den ersten Tagen der Verhandlungen einen Kompromiss an: keine weitere Unterstützung der jugoslawischen Forderungen durch die Sowjets, dafür Zustimmung des Westens zu sowjetischen Wirtschaftsforderungen in Österreich. 2 Zur Genesis vgl. Bollmus, Risiko, S. 107-126.

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Die Sowjets gingen auf den Handel ein. Außenminister Wyschinski stimmte dem westlichen Angebot zu und gab die jugoslawischen Forderungen ohne weiteres auf. Dafür akzeptierten die Westmächte, dass Osterreich eine Pauschalzahlung von 150 Mio. USDollar für das »deutsche Eigentum« in Osterreich zu leisten hätte - zahlbar innerhalb von sechs Jahren - sie akzeptierten ferner die sowjetische Forderung nach 60% der österreichischen Erdölförderung für einen Zeitraum von 30 Jahren ab Vertragsabschluss sowie 60% der Ölschürfirechte fiir eine Suchdauer von acht Jahren und eine Olförderung von weiteren 25 Jahren ab Fündigwerden. Bei der D D S G sollte die Sowjetunion alle Vermögenswerte in Ungarn, Rumänien und Bulgarien sowie in Ostösterreich erhalten. Plötzlich war die Streitfrage, die die Gespräche seit Monaten blockiert hatte, gelöst. Als die Konferenz zu Ende ging, wurden im Kommunique die großen Linien des Kompromisses angedeutet und die stv. Außenminister angewiesen, die Details auszuarbeiten und bis zum 1. September 1949 einen unterschriftsreifen Vertrag fertig zu stellen. Der auf der Konferenz erreichte Kompromiss war ein klares Zeichen fiir Stalins Bereitschaft, einen Österreichvertrag abzuschließen. Was hat Stalins Sinneswandel damals bewirkt? Zum einen stimmten sicherlich die wirtschafdichen Bedingungen, zum anderen aber wollte Stalin damals die Osterreichlösung für etwas ganz anderes nutzen, nämlich für eine Lösung auch der deutschen Frage. Wir wissen heute, dass die Sowjets mit großen Erwartungen in die Außenministerkonferenz nach Paris gegangen waren. Die Hauptfrage war Deutschland, die nicht entschieden wurde. Allerdings erwartete Stalin für den Herbst eine weitere Außenministerkonferenz, in der Hoffnung, dieses Problem doch noch zu lösen. Der politische Berater des Chefs der sowjetischen Militäradministration in Deutschland, Wladimir Semjonow, machte dies am 19. Juli 1949 gegenüber dem Vorsitzenden der SED, Wilhelm Pieck, deutlich. Pieck notierte: »Österreich-Frage [...] Hauptmeinungsversch[iedenheiten]Unabhängigen< zu schützen. Wenn auch die Debatte in der Generalversammlung den Staatsvertrag um nichts näher bringt, sollte sie wenigstens zu Österreichs Stabilität beitragen, indem sie den Koalitionsparteien hilft, ihre starke Stellung im Parlament zu bewahren.«39 Wie reagierten die vier Mächte auf das österreichische Vorhaben? Acheson hatte noch während seines Besuches in Wien das State Department angewiesen, sich eingehend mit dieser Frage zu befassen. Er selbst war vor seiner Wien-Reise in dieser Frage sehr zurückhaltend gewesen, scheint sich dann aber Grubers Argumenten geöffnet zu haben.40 Union from doing anything drastic here«. Labouchere an FO, Tel. 100 Saving, 8. 7. 1952, confidential. PRO, F O 371/98068/CA 1071/141.

38 So Gruber in einem Gespräch mit Maurice Schumann, Staatssekretär im französischen Außenministerium, sowie François Seydoux. Aufzeichnung von Hancock (FO) über eine diesbezügliche Mitteilung durch die französische Botschaft. Diese Informationen wurden dem britischen Außenminister Anthony Eden vorgelegt. Am Rande der zitierten Stelle vermerkte dieser: »What nonsense«. Hancock, [Minute], 24. 10. 1952. PRO, F O 371/98074/CA 1071/261.

39 Sir Harold Caccia, britischer Hochkommissar in Österreich, an FO, Tel. 158 Saving, 19. 12. 1952, confidential. PRO, FO 3 7 1 / 9 8 0 3 9 / C A 1 0 1 3 / 2 3 . Vom britischen Gesandten Labouchere war schließlich die Ansicht geäußert worden, Gruber wolle durch seine Aktivitäten »sein persönliches Prestige vermehren«. Dies wurde bestärkt durch eine Mitteilung, der SPO-Partner in der Regierung sei im Vorfeld nicht konsultiert worden. Labouchere an William Denis Allen (Head of Central Department, FO), 1. 8. 1 9 5 2 , confidential. PRO, FO 3 7 1 / 9 8 0 6 9 / C A 1 0 7 1 / 1 6 4 . Diese Mitteilung war jedoch unrichtig: Die SPÖ war eingebunden, und Bundeskanzler Figl (ÖVP) wie Vizekanzler Adolf Schärf (SPÖ) hatten die Initiative gutgeheißen. Labouchere an Hancock, 20. 8. 1952, confidential. PRO, FO 3 7 1 / 9 8 0 7 0 / C A 1 0 7 1 / 1 8 5 . Vgl. dazu auch den entsprechenden Passus in Adolf SCHÄRF, Österreichs Erneuerung 1 9 4 5 - 1 9 5 5 . Das erste Jahrzehnt der Zweiten Republik (Wien 1 9 5 5 ) 3 4 3 T 40 So Dowling zum französischen Hochkommissar Jean Payart. Payart an MAE, Tel. 1 8 7 3 / 8 0 , 2 7 . 7. 1 9 5 2 . MAE/ NTJOI, vol. 105.

Die brasilianische UNO-Initiative 1952

Am 24. Juli - vor seiner Abreise nach Brasilien - erhielt Gruber eine vorläufige Stellungnahme aus Washington (vorläufig deshalb, weil sie noch nicht mit London und Paris abgesprochen war):41 Das einzige, allerdings nicht zu schwer wiegende Argument gegen die Befassung der Vereinten Nationen sei, dass es für die drei westlichen Mächte unter Umständen schwierig werden könnte, nach dieser Aktion wieder die Kontrolle über die Staatsvertragsverhandlungen zu gewinnen. Dem stünden aber mehrere, bedeutendere Vorteile gegenüber: 1. könne man dadurch das Österreich-Problem auf der globalen Bühne präsent halten; 2. könne man dabei klarstellen, dass das Scheitern der Vertragsverhandlungen ausschließlich auf sowjetische Unaufrichtigkeit und Intransigenz zurückzuführen sei; 3. könne man zeigen, dass der Westen sich in den Verhandlungen aufrichtig und geduldig zeige und bereit sei, um des Friedens willen vernünftige Zugeständnisse zu machen; 4. könne man das Interesse der Westmächte an Osterreich herausstellen und dazu beitragen, die Ausrichtung Österreichs nach Westen zu stärken. Mit anderen Worten: In Washington wurde die UNO-Initiative vor allem als groß angelegte Propaganda-Aktion gesehen. Die österreichische Initiative sollte nicht über eine der Besatzungsmächte, sondern über einen Drittstaat lanciert werden, der kein direktes Interesse an Österreich habe. Diese Konstellation würde dann den Westmächten in der Debatte die Möglichkeit geben, ihre Bemühungen um einen Abschluss des Staatsvertrages ausführlich darzulegen. Die Briten waren von Gruber über sein Vorhaben nicht konsultiert worden - sie wurden darüber bloß informiert.42 In einer ersten Reaktion unterrichtete William Allen, der Leiter des auch für Österreich zuständigen Central Department im Foreign Office, den stellvertretenden britischen Hochkommissar Labouchere in Wien, man sei in London der Ansicht, dass die vorgeschlagene Initiative wohl kaum zu irgendwelchen nützlichen Ergebnissen führen werde, sondern allenfalls zu einer Ost-West-Propagandaschlacht im Rahmen der UNO, auf welche die Briten nun wirklich keinen Wert legten.43 Doch wie hatte es Patrick Hancock vom selben Department in einer Aktennotiz schon am 11. Juli kurz und bündig auf den Punkt gebracht: »We can't stop it.«44 Das wurde nun auch Labouchere mitgeteilt: »Eigentlich können wir nichts tun, um zu verhindern, dass die Österreicher das durchziehen, wenn sie das wollen.«45 Da die UNO-Initiative allenfalls posi41 DoS an US-Botschaft Wien, Tel. 2 1 1 , 22. 7 . 1 9 5 2 , secret. NARA, RG 5 9 , 6 6 3 . 0 0 . Die österreichische Überlieferung in: BKA-AA an Botschafter in Washington, London und Paris, ZI. 1 5 4 . 0 1 9 - P 0 I / 5 2 , 29. 7. 1 9 5 2 , geheim. OStA, AdR, BKA-AA, Sekt. II-pol. 1952, Staatsvertrag (ib), Schachtel 215. 42 Labouchere an FO, Tel. 1 0 0 Saving, 8. 7. 1 9 5 2 , confidential. PRO, FO 3 7 1 / 9 8 0 6 8 / C A 1 0 7 1 / 1 4 1 . 43 Allen an Labouchere, 22. 7. 1 9 5 2 , confidential. PRO, FO 3 7 1 / 9 8 0 6 8 / C A 1 0 7 1 / 1 4 2 . 44 Minute Hancock, 11. 7. 1952. Ebd. 45 Allen an Labouchere, 22. 7. 1952, confidential. Ebd.

Klaus Eisterer

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üve Auswirkungen auf die Stimmung in Österreich haben könnte, wolle man die Österreicher machen lassen und ihnen nichts in den Weg legen. Allerdings - sollte das Ganze scheitern, etwa, weil andere Staaten nicht kooperieren wollten, sei man im Foreign Office darüber nicht betrübt. Der französische Botschafter in London, René Massigli, berichtete, im Foreign Office sehe man wie im Quai d'Orsay die Nutzlosigkeit, ja die Nachteile dieses Vorhabens; aber schließlich läge es bei Wien, zu beurteilen, ob die österreichische Öffentlichkeit »eine spektakuläre Geste ohne jede Bedeutung« benötige oder nicht.46 In einer Note an die französische und amerikanische Regierung wurde Mitte August die britische Position zusammengefasst:47 Die Regierung Ihrer Majestät unterstütze die Wiener Regierung in ihrem Vorhaben, der österreichischen Öffentlichkeit vor Augen zu fuhren, dass die Westmächte alles daran setzten, den gegenwärtigen unbefriedigenden Zustand zu beenden. Es sei jedoch eine »Illusion« zu glauben, eine Befassung der Vereinten Nationen werde den Staatsvertrag einem Abschluss näher bringen. Die UdSSR werde dadurch nicht dazu bewogen, ihre gegenwärtige unkooperative Haltung aufzugeben. Generell lehne es die britische Regierung auch ab, die U N O als ein Propagandaforum zu missbrauchen. Doch da Gruber seine Initiative nun schon gestartet habe, gehe es darum, das Beste daraus zu machen. Die Franzosen dachten ähnlich: Anfang August ließen sie die westlichen Verbündeten wissen, sie hätten bisher die größte Zurückhaltung dieser Initiative gegenüber geübt, da sie ihres Erachtens nicht geeignet sei, eine rasche und endgültige Lösung des Problems herbeizuführen. Es sei jedoch nicht klug, sich gegen diesen Schritt der österreichischen Regierung zu stellen, die dies selbst sehr wohl auch so sehe, aber »aus politischen und psychologischen Gründen die öffentliche Meinung der Welt auf die Situation lenken möchte, in der sich Österreich sieben Jahre nach Ende des Krieges noch immer befindet«.48 Mitte August teilten sowohl der französische wie der britische stellvertretende Hochkommissar dem Ballhausplatz mit, dass ihre Länder bereit seien, Österreich bei der geplanten UNO-Initiative zu unterstützen.49

4internationalen Kommunismus< wahrgenommenen Sowjetunion war entsprechend gespannt. Sogar der im Zuge des Kriegseintrittes gegen die Achsenmächte 1942 erfolgte Beitritt zu den Vereinten Nationen war innenpolitisch höchst umstritten, da die Armee, die Kirche und Teile des Regimes selbst sich nicht damit abfinden wollten, dass man sich nun »im selben Boot wie die Russen« befinde.69 Im April 1945 wurden diplomatische Beziehungen zur UdSSR aufgenommen,70 doch das Verbot der PCB Anfang 1947 wirkte sich auf dieses Verhältnis aus: Moskau trat eine Pressekampagne gegen die brasilianische Regierung, den Bundespräsidenten Eurico Dutra sowie das brasilianische Heer los, auf die Brasilien mit einer scharfen Note antwortete. Als dem brasilianischen Vertreter in Moskau »die Protestnote im Original und ohne ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung« zurückgestellt wurde, brach Brasilien am 20. Oktober 1947 seine Beziehungen zur Sowjetunion ab.71 Der Schutz brasilianischer Interessen in der UdSSR wurde durch die USA wahrgenommen.72 Am 30. August dieses Jahres war als ein Ergebnis der lateinamerikanischen Außenministerkonferenz von Petropolis auch der Interamerikanische Beistandspakt (»Vertrag von Rio«) zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und des Friedens auf dem Kontinent geschlossen worden,73 in dem der österreichische Gesandte in Rio »jedenfalls die Konstituierung einer antikommunistischen und antifaschistischen amerikanischen Einheitsfront« sah.74 Dennoch war der Abbruch der Beziehungen wesentlich von innenpolitischen Motiven bestimmt worden.75 Die Beziehungen zu Osterreich hingegen waren von ganz anderer Qualität: Schon jene zur Ersten Republik waren friktionsfirei gewesen und hatten sich durch ein geradezu freundschaftliches diplomatisches Verhältnis ausgezeichnet. Brasilien hatte den »Anschluss« 1938 de jure nicht anerkannt und hatte auch nach dem Kriegseintritt gegen das Dritte Reich im August 1942 jene Österreicher in Brasilien, die sich nach wie vor als Österreicher und nicht als Staatsangehörige des Deutschen Reiches sahen, nicht - wie Deutsche, Italiener und Japaner - zu den »feindlichen Ausländern« gezählt, die einer Spezialgesetz-

69 Gerson MOURA, Sucessos e ilusöes. Relaçôes internacionais do Brasil durante e apös a Segunda Guerra Mundial (Rio de Janeiro 1991) 29. 7 0 FAUSTO, H i s t ö r i a d o B r a s i l , 3 8 6 .

71 Retschek an BKA-AA, ZI. 2724/47-pol, 31. 10. 1947: »Lateinamerika und der Kommunismus«. ÖStA, AdR, BKA-AA, Sekt. II-pol. 1947 (Brasilien 24). 72 Amtsvermerk, ZI. 1 1 0 . 7 2 0 - P 0 I / 4 7 , 2 6 . 11. 1 9 4 7 . OStA, AdR, BKA-AA, Sekt. II-pol. 1 9 4 7 (Brasilien 2 4 ) . Jean-Baptiste DUROSELLE, Histoire diplomatique de 1 9 1 9 à nos jours (études politiques, économiques et sociales, Paris 1 9 9 3 " ) 5 0 2 F . 74 Retschek an BKA-AA, ZI. 2474/47-pol, 20. 9. 1947: »Die >Interamerikanische Außenministerkonferenz von Petropolis< und der >Vertrag von Rio de JaneiroKurzvertrag< nicht ins Gespräch zu bringen. Weiter könne er nicht gehen. Doch Gromyko bestand darauf: Der Kurzvertrag müsse zurückgenommen werden. An diesem Punkt einigte man sich auf eine Vertagung. Als man sich drei Tage später wieder zusammensetzte, hatten die westlichen Vertreter einen Kompromissvorschlag vorzulegen: »Wir werden bereit sein, den Kurzvertrag zurückzuziehen, wenn wir einen gerechten und ausgeglichenen Vertrag auf jeder anderen Basis - einschließlich des langen Entwurfes - ohne weitere Verzögerung abschließen können. Da die sowjetische Regierung ihre Bereitschaft erklärt hat, den Vertrag auf der Basis des langen Vertragsentwurfes abzuschließen, schlagen wir hiermit formell vor, die Diskussionen damit zu beginnen, indem wir diesen Entwurf durchgehen.« 174 Gromyko insistierte: Der Kurzvertrag müsse zurückgenommen werden, bevor andere Fragen hinsichtlich Österreichs behandelt werden könnten. Es war deutlich, dass die Gespräche zu keinem Ergebnis fuhren würden. Der turnusmäßige Vorsitzende, der Vertreter Frankreichs, sprach sich für eine Vertagung und für eine Weiterführung der Gespräche frühestens in einigen Wochen aus. Dies würde dem sowjetischen Vertreter die Möglichkeit geben, sich mit seiner Regierung zu beraten. Dies war die offizielle Begründung. Doch inoffiziell wollten die Westmächte damit »den An173 U S - B o t s c h a f t L o n d o n an D o S , Tel. 4 3 7 1 , 6 . 2. 1953, secret. N A R A , R G 59,663.00. Schon zuvor war dieses wesendiche Anliegen der U d S S R in einem halbseitigen Artikel in der Pntwda herausgestrichen worden: D i e Westmächte müssten ihren >Kurzvertrag< zurückziehen, der unvereinbar sei mit d e m Ziel der Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Osterreich und mit den aus Potsdam resultierenden Verpflichtungen im Hinblick auf die Sowjetunion. E s war jedoch kein Hinweis darauf zu erkennen, o b sie dafür im G e g e n z u g auf ihre anderen Bedingungen ( Ü b e r p r ü f u n g der Entnazifizierung und Entmilitarisierung Österreichs, E r f ü l l u n g der Vertragsverpflichtungen in Hinblick auf Triest) verzichten würde. U S - B o t s c h a f t M o s k a u an D o S , Tel. 1047, 17. 1. 1953, restricted. N A R A , R G 59,663.00. 174 U S - B o t s c h a f t L o n d o n an D o S , Tel. 4379, 7. 2. 1953, secret. E b d .

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sichten der österreichischen Regierung, wie sie von Gruber ausgedrückt worden waren«, nachkommen (sprich die »deprimierende Auswirkung auf die Stimmung in Osterreich« kurz vor den Wahlen vermeiden) - und den Druck auf die Sowjetunion aufrechterhalten. 175 In seinem noch im selben Jahr herausgebrachten Buch »Zwischen Befreiung und Freiheit« resümiert Gruber den Erfolg der Aktion folgendermaßen: »Taktisch erreichten wir, dass die Russen nach langer Abwesenheit, wenigstens ohne weitere Bedingungen, am Verhandlungstisch erschienen. Die von uns veranlasste Sitzung der Stellvertreter in London verlief zwar ergebnislos, aber es war leicht zu erkennen, dass die Russen jetzt nach neuen Wegen zu suchen begannen.«176 Das ist nur bedingt richtig (und Gruber wusste das): Ja, die Russen setzten mit ihrem bedingungslosen Erscheinen ein Zeichen - und konnten dadurch propagandistisch glaubhaft machen, dass sie die Verhandlungen nicht torpedieren wollten.177 Doch nein, sie suchten nicht nach neuen Wegen: Denn ihre Bedingung wurde sofort, zu Beginn der Sitzung, nachgereicht - und sie lautete, wie sie bereits im Sommer 1952 gelautet hatte: Rücknahme des Kurzvertrages. Dies war schon in der sowjetischen Note vom 14. August 1952 verlangt worden, in der sich Moskau dazu herabgelassen hatte, nach fünf Monaten auf die wesdichen Noten vom 13. März (durch die der Kurzvertrag ins Spiel gebracht worden war) zu reagieren.178 Eine Änderung der sowjetischen Staatsvertragspolitik war durch die UN-Aktion nicht erreicht worden.

175 US-Botschaft London an DoS, Tel. 4399, 9. 2. 1953, secret. Ebd. 176 GRUBER, Zwischen Befreiung und Freiheit, 298 f. 177 Das war im State Department missbilligend registriert worden. Office Memorandum von Peter Rutter an Varnum Lansing Collins (beide: Office of Western European Affairs), 10. 2. 1953, Secret: »Meeting of Austrian Deputies«. NARA, RG 59, 663.00. 178 Sowjetische Note in: Kennan an DoS, Tel. 297,15. 8. 1952, restricted. Ebd.

Roman Sandgruber

Das wirtschaftliche Umfeld des Staatsvertrages

Die Diskussion um Österreichs Freiheit und die Verhandlungen um den österreichischen Staatsvertrag hatten naturgemäß nicht nur eine politische und strategische Dimension, sondern auch eine ökonomische, und diese ökonomische Dimension musste angesichts der Not und wirtschaftlichen Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr viel größer erscheinen, als sie uns aus der Sicht der Wohlstandsgesellschaft 50 bis 60 Jahre später vorkommen muss. Mussten die Österreicher damit rechnen, für ihre von vielen Landsleuten zumindest passiv mitgetragene oder sogar aktiv verfolgte Kooperation mit dem Nationalsozialismus und ihre Teilnahme am Zweiten Weltkrieg mit Reparationen und Entschädigungsforderungen in hohem oder zumindest unbekanntem Ausmaß belastet zu werden, oder konnten die Österreicher erwarten, dass sie als erstes Opfer der Hitler'schen Aggression und als eines der ökonomisch bedrängtesten Länder der ersten Nachkriegsjahre von allen alliierten Forderungen freigestellt würden? Was würden die Kosten der Freiheit sein? Die Position der Alliierten war hier zumindest undeutlich: Österreich, das erste freie Land, das Hitlers Angriffspolitik zum Opfer gefallen sei, solle von deutscher Herrschaft befreit werden, hieß es in der von den Außenministern Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten am 30. Oktober 1943 verabschiedeten Moskauer Erklärung. Gleichzeitig wurde daraufhingewiesen, dass »Österreich für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hider-Deutschlands eine Verantwortung« trage, der es nicht entrinnen könne. Dass man mitten im Krieg stand, erklärt die anschließende, etwas drohende Formel, dass man für die zukünftige Bewertung »die Haltung der österreichischen Bevölkerung während des Krieges in Rechnung stellen« werde.1 Wie Gerald Stourzh aus den Notizen des maßgeblich beteiligten stellvertretenden sowjetischen Außenministers Andrej Wyschinskij nachweisen konnte, wurde in der Vorbereitung der Moskauer Deklaration sehr heftig um die Formulierung gerungen, ob es die Österreicher seien, die eine Verantwortung tragen, wie es von den Engländern und Amerikanern vorgeschlagen worden war, oder ob man nicht besser »Österreich« zu schreiben habe, wie die Sowjetunion meinte. Wyschinskij notierte: »Ich richtete die Aufmerksamkeit darauf, dass >sie< (Österreich ist im Russischen weiblich) Verantwortung für die Beteiligung am Krieg an der Seite Deutschlands trägt.« So kam es dann in die Moskauer 1

Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutrali tat und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955 (Wien 1998) nf., insbes. 2iff., 6oyi.

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Deklaration. Außenminister Molotow erreichte noch die Ersetzung der Formel »NaziAggression« durch »hitlersche Aggression« und »Nazi-Deutschland« durch »HitlerDeutschland«.2 Die russische Formulierung, dass nicht »die Österreicher« sondern »Österreich« fiir die Beteiligung am Krieg Verantwortung trügen, ging am Kern der wirklichen Verantwortung vorbei, indem sie nicht die damals handelnden Menschen der Schuld oder Mitschuld zieh, sondern einen Staat, der in dieser Periode gar nicht existierte, und zielte damit ganz offensichtlich auf die Sicherstellung staatlicher Reparationen. Österreich als erstes Opfer der nationalsozialistischen Aggression war ein zentraler, von den Alliierten zwar nicht ganz ernst genommener Stehsatz der österreichischen Nachkriegsdiplomatie. Die österreichische Regierung in dieser Zeit extremer Not und Bedrängnis wäre allerdings schlecht beraten gewesen, anders zu argumentieren: Opfer zu sein, ersparte nicht nur vieles, auch vielleicht viel Geld, sondern einte auch. Österreich ging es nach 1945 vor allem um die Abgrenzung zu Deutschland und die Entwicklung einer spezifisch österreichischen Identität und Staatsideologie. Eine starke Betonung der Täter-Rolle oder gar einer Rechtsnachfolge nach dem Dritten Reich wäre hier, wenn schon nicht einem selbstzerstörerischen Akt, so doch einer politischen Gratwanderung gleichgekommen (Michael Gehler).3 Die »Opferthese«, wenn auch mit »pflichtgemäßer Erwähnung« der Verantwortlichkeitsklausel, entsprach durchaus den persönlichen Erfahrungen der nach 1945 in Österreich Regierenden. Die »Opferthese« hatte politisch zweifellos ihre Funktion erfüllt. Österreich war damit nicht nur von den Identitätsproblemen der Zwischenkriegszeit und des Anschlusses entlastet, sondern auch aus der Kriegsschulddiskussion herausgenommen. Allerdings hat sie viele ungelöste Probleme hinterlassen, nicht nur dazu verleitet, in den Rückstellungs- und Entschädigungsleistungen an Opfer des Nationalsozialismus sich zu sehr auf Deutschland zu verlassen und die eigenen Anstrengungen zurückzunehmen, sondern auch die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit zu vernachlässigen. Von der ökonomischen Verantwortung hat sie Österreich ohnehin nicht freigestellt, auch wenn in der nachfolgenden Diskussion manchmal so getan worden ist, als hätte Österreich seine Freiheit und seinen Wohlstand nur geschenkt bekommen und selbst nichts dafür geleistet, genauso wie unmittelbar nach 1945 so getan wurde, als hätte sich Österreich ausschließlich selbst am eigenen Schopf aus dem Schlamassel gezogen. Die wirtschaftliche Last, die 1945 auf Österreich zugekommen war und noch zuzukommen drohte, stellte sich sehr bedrohlich dar. Am 29./30. Oktober 1946 hielt der Nationalrat eine Geheimsitzung, die erste seit dem Jahr 1918, die nur am 30.10. um n Uhr für eine Festsitzung der Bundesversammlung anlässlich der groß aufgezogenen Feier2 Stourzh, Um Einheit und Freiheit 2 3. 3 Michael Gehler, Der lange Weg nach Europa. Österreich vom Ende der Monarchie bis zur EU, 2 Bde (Innsbruck 2002).

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lichkeiten zu »950 Jahre Österreich« unterbrochen worden war und nachher bis in die Abendstunden des 30. Oktober fortgesetzt wurde, mit einer abschließenden Resolution an die Bundesregierung, ihre Bemühungen in Hinsicht auf folgende Ziele fortzusetzen: Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs, Sicherung der Einheit des Landes, Beendigung der militärischen Besetzung, Schutz der Demokratie, Sicherung der heimischen Produktion für den inländischen Bedarf, Aufhebung aller wirtschaftlichen Beschränkungen, Überführung der besetzten Betriebe und Produktionsstätten in die Verfügungsgewalt der österreichischen Bundesregierung etc. Die Proklamation endete mit dem Satz: »Der Nationalrat appelliert an alle freien Völker sowie an die Regierungen und Parlamente der Welt, Österreich die Freiheit zu geben und die Voraussetzung für die Sicherung der Existenz und des Unterhalts des Volkes zu schaffen. Helft, Österreich wieder frei und lebensfähig zu gestalten!«4 Über den Umfang der alliierten Demontagen in den Jahren 1945/46 gehen die Schätzungen weit auseinander. Angaben von 1 200 bis 1 500 Millionen Dollar sind sicherlich zu hoch gegriffen. Auch die oft genannten 500 Millionen Dollar sind recht vage, dürften aber zu Preisen der frühen 5oer-Jahre umgerechnet in etwa zutreffen. Der Gesamtwert der sowjetischen Demontagen kann wohl nur mehr sehr schwer festgestellt werden. Laut Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung belief sich der Wert der im Jahre 1945 beschlagnahmten Maschinen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland auf 650 Millionen Schilling. Darüber hinaus wurden Rohstoffe, Halb- und Fertigfabrikate im Wert von 180 Millionen Schilling, Transportmittel im Wert von 20 Millionen und Bargeld für 50 Millionen Schilling beschlagnahmt. Die Steiermark erlitt während der kurzen russischen Besatzung einen Schaden von etwa 200 Millionen Schilling (Wertbasis April 1946).5 Das stimmt auch ungefähr mit der Summe von 1,019 Milliarden Schilling überein, die die Industriellenvereinigung im Jänner 1946 in einem Bericht an die USA als Schaden nannte.6 Die österreichische Bundesregierung rechnete dies im Juli 1952 auf 500 Millionen Dollar um.7 500 Millionen Dollar zu einem Schillingkurs von 1:26 wären 13 Milliarden Schilling. 13 Milliarden Schilling 1955 entsprächen etwa 2 Milliarden Schilling Ende 1945. Karin Will kommt auf 4,27 Milliarden Schilling Verlust für Österreich durch die Demontagen und ca. 2 Milliarden durch Beschlagnahmungen, allerdings wiederum ohne Definition, auf welchen Stichtag sich diese summarische Angabe bezieht.8 Die Sowjetunion sah in den Demontagen berechtigte Kompensationen für die durch die Mitschuld Österreichs am Krieg verursachten Schäden. Da die meisten Anlagen 4

Karl Gutkas, Die Feiern »950 Jahre Osterreich« im Jahre 1946, Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N F 62,1996,675^

5

Ost. Inst. f. Wirtschaftsforschung, Die Produktivität der österreichischen Industrie, 6. Sonderheft (Wien

6

Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945-1955 (Graz 1979) 177.

1949). 7

Karl Ausch, Licht und Irrlicht des österreichischen Wirtschaftswunders (Wien 1965) 9 5 t

8

Karin Will, Die Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Osterreich (Wien 1978) 75.

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durch unsachgemäße Demontage unbrauchbar wurden, handelte es sich in Wirklichkeit eher um Zerstörungen als um Kompensationen und Reparationen. Im Durchschnitt hätten die Sowjets 20 bis 30 Millionen Dollar pro Jahr an Reparationen aus ihrer Zone seit Kriegsende herausgeholt, in den 4oer-Jahren sogar bis zu 50 Millionen, meint Bischof.9 Die amerikanischen Stellen schätzten, dass die sowjetische Ausbeutung der österreichischen Ressourcen seit 1945 Osterreich 20 Milliarden Schilling (ca. 800 Millionen Dollar) kostete.10 Insgesamt könnten es zwischen 1945 und 1962 insgesamt etwa 1,5 Milliarden Dollar (etwa 40 Milliarden Schilling zu Preisen von 1955) gewesen sein, die Osterreich an Reparationen an die Sowjetunion leistete, ungefähr so viel, wie die Amerikaner an Hilfe an Osterreich leisteten. An alle Besatzungsmächte zusammen, insbesondere an die Sowjets, Briten und Franzosen, zahlte Osterreich zwischen 1945 und 1953 insgesamt etwa 6 Milliarden Schilling in laufenden Preisen an Besatzungskosten. Aufgewertet zu Preisen von 1955 waren es fast 35 Milliarden Schilling oder 1,4 Milliarden Dollar.11

DIE U S I A Ab Februar 1946 begann die Rote Armee gemäß den Potsdamer Beschlüssen, die eine Abdeckung der alliierten Reparationsforderungen aus dem Deutschen Eigentum vorsahen, mit der Beschlagnahme von Betrieben. Die Diskussion, ob es sich bei der unscharfen und dehnbaren Definition des »Deutschen Eigentums« auf der Potsdamer Konferenz um einen Verhandlungsfehler oder um eine kalkulierte Zustimmung der wesdichen Alliierten gehandelt habe, wird eher in Richtung Inkompetenz zu entscheiden sein.12 Mit dem Befehl Nr. 17 vom 27. Juni 1946 wurde die Übernahme der gesamten deutschen Vermögenswerte im östlichen Osterreich in das Eigentum der Sowjetunion dekretiert. Insgesamt wurden mehr als 300 Industrie- und Bergbaubetriebe, rund 140 landund forstwirtschaftliche Besitzungen mit über 160 000 Hektar Kulturfläche, die Mineralölverwaltung und die D D S G zu sowjetisch verwalteten Konzernen zusammengefasst. Die USIA, zuerst USIWA (Upravlenie Sovetskim Imuscestvom v [vostocnoj] Avstrii =

9 Günter Bischof, A soviet »New Look« on the Danube and the emancipation of Austrian foreign Policy in 1953. In: Focus Austria: vom Vielvölkerreich zum EU-Staat; Festschrift für Alfred Ableitinger zum 6j. Geburtstag (hg. von Siegfried Beer, Graz 2003) 444. 10 Bischof, A soviet »New Look« 448. 11 Bischof, A soviet »New Look« 449. Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 224. Ausführlich auch: Lothar Gruber, Die Kosten der Besetzung Österreichs durch die alliierten Mächte nach dem Zweiten Weltkrieg (DA W U Wien 1979). 12 Arno Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik in Osterreich 1945-1949 (Wien 1986) 42ff.; Hubert Steiner, Die USIA-Betriebe. Ihre Gründung, Organisation und Rückgabe in die österreichische Hoheitsverwaltung, MÖSTA 1992, 2o6ff.

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Verwaltung des sowjetischen Vermögens im [östlichen] Österreich) und die SMV (Sowjetische Mineralölverwaltung) zählten in ihren besten Zeiten rund 55 000 Beschäftigte und produzierten rund 5% des österreichischen Bruttoinlandsprodukts.13 Beschlagnahmt wurde das Deutsche Eigentum, wobei die Definition strittig war, was als Deutsches Eigentum gelten sollte, entweder jenes Vermögen, das vor 1938 in deutschem Besitz war, oder die nach 1938 von deutschen Investoren bzw. vom Staat neu errichteten Unternehmen und Anlagen oder drittens auch alle jene Unternehmen, die zwischen 1938 und 1945 mehr oder weniger gewaltsam in Deutsches Eigentum übergegangen waren, durch Arisierung, feindliche Übernahmen und Verkauf. Beschlagnahmt wurden aber auch einzelne Unternehmen, die sich nie in deutschem Besitz befunden hatten, etwa die Erste Osterreichische Maschinenglasfabrik (zu 100% in englischen Händen), die österreichischen Niederlassungen des Unilever-Konzerns (zur Hälfte englisch, zur Hälfte niederländisch) oder auch das in der russischen Zone gelegene Werk des schweizerischen Brown-Boweri-Konzerns. Der USIA-Konzern umfasste fast 50% der Industriebetriebe und etwa 30% der Produktionskapazität in der sowjetischen Zone. 14 Das WIFO schätzte 1955 den Anteil der USIA am Bruttoproduktionswert der österreichischen Industrie in Höhe von 52 Milliarden Schilling mit etwa 8,5% (= 4,52 Milliarden Schilling).15 Eine andere Quelle spricht von einem Produktionswert der USIA-Betriebe von 5,2 Milliarden für das Geschäftsjahr 1954 und ca. 5,5 Milliarden für 1955. 16 Insgesamt reichen die Mutmaßungen über die jährliche Produktion von 550 Millionen bis 6,5 Milliarden Schilling, mit einem Kernbereich von 3 bis 5 Milliarden Schilling.17 Die Entwicklung der USIA-Betriebe kann in drei Phasen unterteilt werden: Die erste Phase bis 1951 war von hohen Gewinnen gekennzeichnet. 1950 wurde der höchste Beschäftigtenstand mit 37 179 Personen (ohne Verwaltung und SMV) erreicht. Die zweite Phase war von einer Rezession gekennzeichnet, durch zunehmenden Verschleiß, Folgen der Planwirtschaft und mangelnde Bindung an die österreichische Wirtschaft. In der letzten Phase, im Jahr 1955, als die Ubergabe an Österreich klar war, erfolgte eine systematische Ausschlachtung der Betriebe.

13 Otto Klambauer, Die USIA-Betriebe (Diss. Wien 1978); Die USIA-Betriebe in Niederösterreich. Geschichte, Organisation, Dokumentation (Wien 1983) 4fr., i8ff., 45fr.; Emst Bezemek, »Der lange Weg zur Freiheit«. Der Bezirk Hollabrunn unter sowjetischer Besatzung. In: Krieg und Besatzungsalltag in Niederösterreich 1945 (Hollabrunn 1994), 52ff.; William Lloyd Stearman, Die Sowjetunion und Österreich 1945-1955 (Bonn 1962) 55fr. 14 Will, Verwaltung des sowjetischen Vermögens 42. 15 WIFO, Monatsberichte, Juli 1955, 310. 16 Das »Deutsche Eigentum« als Produktionsbasis. Die Umsätze in seinem verstaatlichten und nichtverstaatlichten Bereich. In: Berichte und Informationen, 1956, H. 514, S. 11. 17 Will, Verwaltung des sowjetischen Vermögens 43f.

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Der österreichischen Volkswirtschaft wurden damit Güter und Leistungen im Ausmaß von etwa 2% des Bruttoinlandsprodukts entzogen. In den USIA-Geschäften konnte man zwar billig einkaufen, vor allem Zigaretten.18 Bei Zigaretten war man auf österreichischer Seite deswegen so empfindlich, weil die Tabakbesteuerung in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine zentrale Position in der staatlichen Finanzgebarung einnahm. Daher wurde von der Tabakwerbung ganz massiv auf die staatserhaltende Funktion des Rauchens angespielt: »Raucht Regie, dann rauchen Österreichs Schornsteine...!« 19 Durch die USIA-Läden und ihre illegale Zigaretteneinfuhr entstand der Republik ein Schaden von 1,4 bis 1,75 Milliarden Schilling. 1955 erstellte das WIFO eine Schätzung über das Ausmaß der USIA-Warenlieferungen an den Osten. Man kam dabei für das Jahr 1954 auf Grund der Eisenbahn- und Schifffahrtsstatistik auf etwa 150 0001 Lieferungen in die Sowjetunion. In die anderen Ostblockstaaten wurde wesentlich mehr exportiert. Nach Abzug der Gegenlieferungen und einer annähernden monetären Bewertung dieses Güterstromes kam das WIFO auf etwa 1,6 Milliarden Schilling, für die die USIA, und erst recht die Republik Osterreich, keine Gegenleistung erhielt.20 Eine andere Schätzung ging von ähnlichen Werten aus, dass von etwa 4 bis 4,5 Milliarden Schilling jährlichen Umsatz der USIA etwa 1,3 Milliarden Schilling in den illegalen Export gingen.21

D I E U S I A U N D DIE W E S T V E R L A G E R U N G DER Ö S T E R R E I C H I S C H E N W I R T S C H A F T

Die USIA-Betriebe, die eine Art exterritorialer Stellung einnahmen, nur einen Teil der vorgeschriebenen Zölle und Steuern entrichteten und die Gewinne ins Ausland transferierten, beeinflussten die Wirtschaftsentwicklung in der russischen Besatzungszone in mehrfacher Hinsicht negativ: durch Konkurrenzierung der privaten Betriebe, durch zu geringes Steueraufkommen, durch geringe Investitionstätigkeit und dauernden Substanzverzehr und durch Gegenstrategien und Gegengründungen der übrigen Alliierten.

18 Günter Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation. Austria in international Politics, 1940-1950 (Diss. Harvard 1989) 320; Steiner, Die USIA-Betriebe 2o6ff.; Die USIA-Betriebe in Niederösterreich 32off.

19 Ernst Trost, Zur allgemeinen Erleichterung ...: Eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des Tabaks in Österreich (Wien 1984) I78ff.; Clemens M. Hutter, Kaprun. Geschichte eines Erfolgs (Salzburg 1994) 172; Roman Sandgruber, Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genussmittel (Wien 1986), 156fr. 20 Vgl. Franz Pisecky, Österreich bezahlte seine Freiheit mit 153 Milliarden. In: B & I, 1980, Heft 8, 24. 21 Hermann Kratochwill, Was kostet die Freiheit? In: Arbeit und Wirtschaft 1955, H. 8, 270; Karin Will beziffert den Verlust durch Steuerentgang und illegalen Warentransfer für Österreich auf 3,3 Milliarden Schilling.

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Auf amerikanischer Seite entwickelte man in den Jahren 1947/48 einen so genannten »Neutralisierungsplan«, um der Wirtschaftspolitik der UdSSR in Osterreich entgegenzuwirken und das Schwergewicht der österreichischen Industrie nach Westen zu verlagern. Die wirtschaftliche Bedeutung der USIA-Betriebe und der »Ostzone« generell sollte entscheidend geschwächt und deren wirtschafdiche Lebensfähigkeit letztlich untergraben werden.22 Solche Pläne beschworen die Gefahr der Teilung des Landes herauf und finden bei der österreichischen Regierung daher wenig Unterstützung. Die Intention der Schwächung der U S I A fand aber in der Verteilung der Marshall-Plan-Mittel ihren Niederschlag. In den westlichen Besatzungszonen wurden Ersatzproduktionen aufgenommen. 23 Während im September 1937 etwa 60,4% der Industriebeschäftigten auf Ostösterreich (Wien, Niederösterreich, Burgenland) und 39,6% auf Westösterreich entfielen, waren es 1947 nur mehr 48,6% für Ostösterreich und 51,4% für Westösterreich und 1954 hatte sich die Verteilung auf 46% zu 54% verschoben.24 Die Westorientierung der Wirtschaft Österreichs, die mit dem »Anschluss« und den Investitionen im Krieg eingesetzt hatte, wurde erst nach 1945 einzementiert. Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs und dem westeuropäischen Wirtschaftsaufschwung verlagerte sich das ökonomische Schwergewicht Österreichs noch mehr nach Westen. Insgesamt wurde die Wirtschaftsstruktur des Landes damit ausgewogener und homogener. Mitte 1958 gab es in Oberösterreich, Salzburg und Tirol drei- bis dreieinhalbmal so viele Industriebeschäfügte wie Mitte 1936, in Kärnten, Vorarlberg und Steiermark zwei- bis zweieinhalbmal so viele, in Wien, Niederösterreich und Burgenland nur um die Hälfte bis drei Viertel mehr.25 Die Verlagerung des industriellen Schwergewichtes zeigte sich auch in den Standorten der Großbetriebe mit über x 000 Beschäftigten. Niederösterreich hatte 1930 13 derartige Großbetriebe mit insgesamt 20 500 Beschäftigten, 1959 15 Betriebe dieser Größenklasse mit insgesamt 28 000 Beschäftigten. In Oberösterreich hingegen war die Zahl der Großbetriebe von drei mit 3 400 Beschäftigten auf 15 mit 43 000 angestiegen. Durchwegs war die relative Bedeutung der Mittel- und Großbetriebe gewachsen.26

22 Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik 4jff.; Wilfried Mähr, Der Marshall-Plan in Österreich (Graz 1989) 100. Dabei war vor allem an die allmähliche Einstellung aller Zulieferungen von Rohstoffen, Energie, Industrieprodukten und Investitionsgütern aus dem Westen gedacht. 23 Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik 6iff.; Mähr, Der Marshall-Plan in Österreich 100. 24 Fritz Weber, Die wirtschaftliche Entwicklung. In: Handbuch des politischen Systems Österreichs (hg. v. Herbert Dachs u. a., Wien 1991), 31. 25 Stephan Koren, Die Industrialisierung Österreichs - vom Protektionismus zur Integration. In: Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern - heute - morgen (hg. von Wilhelm Weber, Berlin 1961), Bd. 1, 3 3Öff.; Kurt W. Rothschild, Wurzeln und Triebkräfte der österreichischen Wirtschaftsstruktur. In: Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern - heute - morgen (hg. von Wilhelm Weber, Berlin 1961), 105fr., 111. 26 Franz Mathis, Big Business in Österreich, I: Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen. II:

3 66

Roman Sandgruber D I E K O S T E N DES S T A A T S VERTRAG S

Der Carrière-Plan vom 8. Oktober 1947, benannt nach dem französischen Hochkommissar Paul Carrière, sah als Gegenleistung für einen Staatsvertrag die Ubergabe der D D S G und von 58% der Erträge aus der Erdölförderung an die Sowjetunion vor, dazu Ablösezahlungen für USIA und SMV in noch festzusetzender Höhe und Frist.27 Damit begann ein langes Tauziehen um Ablösesummen und Umfang der Erdöllieferungen. Dem Vorschlag der Österreicher von einer einmaligen Zahlung von 100 Millionen Dollar für die USIA standen sowjetische Forderungen von 200 Millionen gegenüber. Man einigte sich schließlich auf 150 Millionen. Die Sowjets wollten zusätzlich noch die Lieferungen von Hilfsgütern in der unmittelbaren Nachkriegszeit abgegolten erhalten. Hinsichtlich der Frage der Bedeutung der USIA-Betriebe und des österreichischen Erdöls kam es bei den Verhandlungen in Moskau zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Schärf und Raab. Raab gab zu bedenken, das seien heruntergewirtschaftete Betriebe, die USIA sei keine 20 Millionen Dollar mehr wert, Zistersdorf sei auch ausgebeutet. Kreisky und Schärf hingegen plädierten für die Übernahme und waren sich auch einig, dafür einen politischen Preis zu bezahlen.28 Der Preis für die USIA-Betriebe, deren Wert Raab so gering einschätzte, war seit 1949 mit 150 Millionen Dollar festgelegt. Eine Nichtrücknahme stand 1955 nicht wirklich zur Debatte, allerdings die Höhe und Art der Ablösung für das Erdöl, ob es eine festgelegte Menge oder ein bestimmter Prozentsatz der Förderung sein sollte. Man einigte sich schließlich nach zähen Verhandlungen bei den Gesprächen in Moskau vom 12. bis 15. April 1955.29 Die UdSSR verzichtete auf die gesamten österreichischen Erdölvorkommen und die D D S G und verlangte als Kompensation Rohöllieferungen im Umfang von 10 Millionen Tonnen, die schließlich 1958 und i960 in zwei Schritten reduziert wurden, sodass Osterreich schließlich tatsächlich nur 6 Millionen Tonnen zu liefern brauchte. 50 Millionen Schilling Ablöse wurden für die D D S G (= 2 Millionen Dollar) vereinbart. Außenminister Molotow stimmte auch dem Wunsch zu, die 150 Millionen Dollar Ablöse für die USIA in Form von Warenlieferungen zu erhalten. Dazu kamen noch 750 Millionen Schilling, um die Schulden der USIA-Betriebe bei der Sowjetischen Militärbank abzudecken.30 Wachstum und Eigentumsstruktur der österreichischen Großunternehmen im 19. und 20. Jahrhundert. Analyse und Interpretation (Wien 1987/1990), II, i4off., iqjf., 170ff.; Rothschild, Wurzeln und Triebkräfte

mf.

27 Eva-Marie Csäky, Der Weg zu Freiheit und Neutralität. Dokumentation zur österreichischen Außenpolitik 1945-1955 (Wien 1980) 349; Rolf Steininger, 15. Mai 1955. Der Staatsvertrag. In: Osterreich im 20. Jahrhundert, Bd. 2 (Wien 1997) 220. 28 Stourzh, Um Einheit und Freiheit 42 9f. 29 Ausführlich dargestellt bei Stourzh, Um Einheit und Freiheit 439t 30 Ausch, Licht und Irrlicht des österreichischen Wirtschaftswunders 100.

Das wirtschaftliche Umfeld des Staatsvertrages

367

Im Warenabkommen vom 12. Juli 1955 wurden die genauen Lieferfristen für die USIA-Ablöse festgelegt. Bis Juli 1961 sollten die letzten Lieferungen durch die Ende Juli 1955 neu gegründete »Gesellschaft für Ablöselieferungen« abgewickelt sein. Die Reparationszahlungen für die D D S G wurden noch 1955 entrichtet. Auch bezüglich der USIA-Kredite bei der SMB einigte man sich auf einen Kompromiss. Osterreich übernahm 66,7% der Kredite, statt der ursprünglich ca. 750 Millionen 508 Millionen Schilling.31 Die österreichischen Ablöseleistungen schlüsseln sich daher folgendermaßen auf:32 Warenlieferungen für die Dauer von sechs Jahren als Ablöse für die Rückgabe der USIA-Betriebe im Wert von 150 Millionen Dollar bzw. dem Schillingwert von 3 895,1 Millionen Schilling. Erdöllieferungen für die Dauer von zehn Jahren, im Ausmaß von zunächst 10 Millionen t, später herabgesetzt auf 6 Millionen t, hiefür Budgetbelastung 2 668,9 Millionen Schilling. Finanzminister Karnitz bezifferte die Erdölmengen, die die Sowjetunion vorher, in den Jahren 1945 bis 1955 exportiert hatte, mit etwa 11 Millionen t (bei 20 Dollar pro Tonnen ergäbe dies 220 Millionen Dollar oder 5,7 Milliarden Schilling).33 Ablöse für die DDSG-Werte im östlichen Osterreich, 2 Millionen Dollar, 52,2 Millionen Schilling. Zu diesen genau bezifferbaren Leistungen in Gesamthöhe von 6 656 200 Schilling kamen weitere Zahlungen an die Sowjetische Militärbank, betreffend die dortigen Schulden der an Osterreich zu übergebenden Betriebe. Stourzh, mit Bezug auf Knogler 34 , nennt 508 Millionen Schilling, weitere Zahlungen betrafen die Ablöse des Zentrallagers des SMV (67 Millionen Schilling) und der Lager der USIA-Betriebe (20 Millionen Schilling). Bisweilen werden 750 Millionen Schilling angegeben. Das war wohl die ursprünglich verlangte Summe, 760 Millionen Schilling für die USIA und 80 Millionen für die SMV, zwei Drittel davon wurden in bar abgelöst, die SMV-Schulden gestrichen.

D I E K O S T E N DER F R E I H E I T

Die Kosten der Freiheit Österreichs bzw. der Involvierung des Landes und seiner Bewohner in die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und den Zweiten Weltkrieg lassen sich in Wirklichkeit nicht beziffern. Einerseits sind es die Verluste und Schäden, die Osterreich und die Österreicher durch den Anschluss, die Beschlagnahme von Vermögen und Ressourcen und die Vertreibung 31 Steiner, USIA-Betriebe 2 iöff. 32 Stourzh, Um Einheit und Freiheit 595^ 33 Die Wirtschaft, 19, 14.5.1960, S. III. 34 Renald Knogler, Wirtschaftliche Folgen des österreichischen Staatsvertrages (DA, W U Wien 1978) 40.

368

Raman Sandgruber

und Vernichtung vieler Mitbürger erlitten haben, und natürlich auch die Schäden durch Bombenkrieg, Bodenkämpfe und allgemeinen Verschleiß in der Kriegswirtschaft. Dem stehen Investitionen und Betriebsansiedelungen nach 1938 und während des Krieges gegenüber. Auch die Schäden und Kosten der Besatzung sind schwer eruierbar und bezifferbar, die Beschlagnahmungen und Demontagen, die Nutzung von Gebäuden und Ressourcen durch die Besatzungstruppen, die Ausgabe von eigenem Besatzungsgeld und die von Osterreich bezahlten Besatzungskosten. Auf der anderen Seite stehen die Aktiva der Besatzung, die Leistungen, die erbracht wurden, und auch das Geld, das durch ihre Anwesenheit nach Osterreich transferiert wurde, was immerhin solche Größenordnungen ausmachte, dass einzelne Regionalpolitiker auf die Idee kamen, nach dem Abzug der Besatzungstruppen Kompensationen zu verlangen. Drittens sind es die Kosten aus dem Staatsvertrag bzw. aus den sonstigen alliierten Abkommen, insbesondere aus den Potsdamer Verträgen, die den Zugriff auf das Deutsche Eigentum in Osterreich ermöglichten. Dem stehen auf der anderen Seite die Hilfelieferungen der Alliierten, insbesondere der USA, gegenüber. Die Kosten für die Besatzung waren zuletzt nicht mehr hoch gewesen. In den westlichen Zonen war mit den stationierten Truppen sogar ein nicht unwesentlicher Devisenzufluss verbunden. Die bis 1952 von Osterreich bezahlten Besatzungskosten machten etwa 530 Millionen Dollar aus. Die durch die unter russischer Verwaltung stehenden USIA-Betriebe entstandenen Steuerausfälle wurden bis Ende 1951 mit etwa 150 Millionen Dollar beziffert. Was bis 1955 weiter aufgelaufen ist, wird vielleicht noch einmal so viel betragen haben, ganz abgesehen davon, dass die Betriebe abgewirtschaftet wurden. Etwa 500 Millionen Dollar dürfte die österreichische Erdölwirtschaft bis 1955 durch Lieferungen an die UdSSR verloren haben. Wäre der Staatsvertrag in jener Fassung abgeschlossen worden, die noch bis zum Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 als im Prinzip vereinbart galt, so wären große Teile des so genannten »Deutschen Eigentums« in den Besitz der Sowjetunion übergegangen, die Erdölfelder und Raffinerieanlagen, große Teile des Wiener Hafens, die D D S G und ihre Besitzungen. Auch so war es teuer genug. Die Sowjetunion ließ sich ihre Ansprüche mit etwa 7,35 Milliarden Schilling ablösen, davon 3,9 Milliarden in Warenlieferungen, 2,7 Milliarden in Ollieferungen und 750 Millionen in Zahlungen an die Sowjetische Militärbank. Die westlichen Erdölgesellschaften wurden für die 1938 erfolgte Enteignimg ihrer Schürfrechte mit weiteren 400 Millionen Schilling entschädigt (Zahlungen auf Grund des Wiener Memorandums und des Österreichisch-französischen Memorandums in Höhe von 423,4 Millionen Schilling an die westlichen Unternehmen). Die Erlöse aus dem Verkauf der USIA-Betriebe wurden mit etwa 2,5 Milliarden Schilling veranschlagt, sodass eine Nettoleistung von etwa 5,2 Milliarden Schilling verblieb.35 35 Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Stuttgart 1985), 128; Oliver Rathkolb,

Das wirtschaftliche Umfeld des Staatsvertrages

369

Die Kosten des Staatsvertrags beschränkten sich nicht auf die Reparationszahlungen. Zahlreiche Posten wie Abgeltungsfonds, Kriegs- und Verfolgungssachschädengesetz und Zahlungen an Kirchen und sonstige Institutionen kamen dazu. Eine Bilanz aus dem Jahr 1965 ergab folgende Summen:36 Warenlieferungen für USIA-Betriebe Ablöse für DDSG Erdölabkommen

3 895,1 52,2 2 668,9

Militärbankverbindlichkeiten (ohne Kredite)

181,3

Ablöse für westalliierte Erdölgesellschaften

423,4

Ansprüche alliierter Streitkräfte

443,3

Kriegs- und Verfolgungssachschäden

1 516,2

Abgeltungsfonds

900,7

Entschädigung für beschlagnahmte Vermögen in YU

221,1

Kirchen Sonstiges Summe

42,0 42,3 10 386,5

Franz Pisecky kommt auf eine Budgetbelastung von 12,408 Milliarden Schilling durch den Staatsvertrag, indem er auch die Abschlagszahlungen gemäß dem Bonner Abkommen von 1957 an deutsche Vorbesitzer in Höhe von etwa 2 Milliarden Schilling dazuschlägt.37 Dies wurde aber durch den Verkauf von Deutschem Eigentum im Wert von etwa 1,9 Milliarden Schilling ausgeglichen. Die unmittelbaren Kosten inklusive der Militärbankschulden machten etwa 6,7 bis 6,8 Milliarden Schilling aus. Der Wert der für Osterreich dafür gewonnenen USIA-Betriebe lässt sich schwer abschätzen. Er dürfte kaum höher als 40 Millionen Dollar gewesen sein, etwa eine Milliarde Schilling. Dem stand ein geschätzter Betriebsmittelbedarf von 800 Millionen Schilling gegenüber.38 Großmachtpolitik gegenüber Österreich 1952/53-1961/62 im US-Entscheidungsprozess (Habil. Wien 1993) 384; Felix Butschek, Fundamente der österreichischen Wirtschaft. In: Menschen nach dem Krieg. Schicksale 1945-1955 (hg. von Gerhard Jagschitz/Stefan Karner, Wien 1995), 64; Stearman, Die Sowjetunion und Osterreich 175fr.; Hildegard Hemetsberger-Koller, Die Wirtschaftspolitik Julius Raabs als Bundeskanzler. In: Julius Raab (hg. von Alois Brusatti/Gottfried Heindl, Linz 1986), 25of. 36 Leopold Wallner, Was bezahlte Österreich für seine Freiheit? In: Österreichische Monatshefte, 1965, H. 4, H37 Franz Pisecky, Österreich bezahlte seine Freiheit mit 153 Milliarden. Was die Lasten der Besatzung und des Staatsvertrages kosteten. Erste genaue Zahlen, im »Jahr der Jubiläen«, 1980. In: Berichte und Informationen, 1980, H. 8, 25. 38 Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Staatsvertrags. In: Berichte & Informationen, H. 458, 1955,6; Kratochwill, Freiheit 271.

37°

Raman Sandgruber

Der Ausverkauf der Lagerbestände der USIA-Läden dürfte der UdSSR etwa eine Milliarde Schilling eingebracht haben, Geld, das der österreichischen Wirtschaft verloren ging.39 Auf der anderen Seite standen die Osterreich zugekommenen Hilfeleistungen sowie die Erträge aus den von den Alliierten der Republik auf Grund des Staatsvertrags übertragenen ehemaligen deutschen Vermögenswerten. Aus der Veräußerung, Verwertung und Abwicklung ehemaliger deutscher Vermögenswerte dürfte die Republik etwa 2,5 Milliarden Schilling eingenommen haben. Osterreich hat in den ersten zehn Nachkriegsjahren Auslandshilfe in der Höhe von 1 585 Millionen Dollar (= 41 Milliarden Schilling auf Wertbasis 1955) erhalten. 87% davon leisteten die USA. Im Vergleich zur Genfer Anleihe 192 2/2 3 war dies die sechsfache Summe, noch dazu nicht als Kredit, sondern zum überwiegenden Teil als Geschenk. Den auf etwa 1 250 Millionen Dollar geschätzten Kriegsschäden standen 1 585 Millionen Dollar Auslandshilfe gegenüber.40 A u s l a n d s h i l f e a n Ö s t e r r e i c h (in M i l l i o n e n D o l l a r ) 1945/46 1947 ERP, direkt

1952

1953

1954

91,4

38,5

19,8

3,3

ERP, indirekt UNRRA

1951

94,3 194,2 119,5 127,6

1948

91,6

1949 95,6

1950 83,1

76,0

1955 Summe 1,5

686,8 269,9

11,6

44,0

135,6

38,0

38,0

USA, WarDepartment Kongress-u. Interimshilfe.

54,6 101,5

Beute/Überschussgüter

3,4

30,7

56,2

86,9

29,9

19,6

9,3

4,1

28,2

1,5

1,0

0,1

2,4

1,8

200,0 ? 225,4 279,8 300,1 206,8 206,0 105,4

40,3

Liebesgaben Sonstiges Summe

156,1

3,4

Kanadahilfe

24,8

Quellen: Franz Nemschak, Zehn Jahre österreichische Wirtschaft Der Marshall-Plan in Osterreich (Graz

2,4

69,5 55,6

1945—1955

(Wien

19,8

1955) 23;

1,5

1585,1

Wilfried Mähr,

1989).

39 Will, Verwaltung des sowjetischen Vermögens 71. 40 Bischof, Der Marshallplan in Österreich 4Ö3ff.; Weber, Österreichs Wirtschaft 284, 295; Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 2 0 . Jahrhundert 9 4 ; Butschek, Der österreichische Arbeitsmarkt I 2 6 f f . ; Nemschak, Zehn Jahre österreichische Wirtschaft 22S.

Das wirtschaftliche Umfeld des Staatsvertrages D I E EINGLIEDERUNG DER U S I A ÖSTERREICHISCHE

371

IN DIE

WIRTSCHAFT

Am 13. August 1955 wurden die USIA-Unternehmen und die SMV in einer feierlichen Zeremonie in die österreichische Oberhoheit übergeben. Der Beschäftigtenstand betrug zu diesem Zeitpunkt 57 000 Personen, davon 73% in der USIA, 17% in der SMV, 4% in der Landwirtschaft, der Rest im Handel und in der Verwaltung.41 Die UdSSR bestand darauf, dass keine »diskriminierenden Maßnahmen« gegenüber Mitarbeitern der USIA-Betriebe getätigt werden durften, konkret, dass niemand außer Direktoren entlassen werden durfte. Zudem waren zahlreiche Direktoren noch vor der Ubergabe gekündigt und in den allgemeinen Personalstand versetzt worden. Der Grund dürfte gar nicht so sehr im ideologischen Bereich gelegen sein, sondern im Wunsch, eigene Versäumnisse hinsichtlich produktiver Führung zu kaschieren. Würden die Betriebe auch mit einem geringeren Belegschaftsstand florieren, hätte das die frühere Verwaltung schlecht aussehen lassen. Würden sie mit dem hohen Belegschaftsstand Bankrott gehen, könnte das nur für die Beurteilung des früheren Systems gut aussehen. Die Schulden der USIA und SMV bei der SMB wurden von der Kontrollbank insofern übernommen, als nunmehr die ehemaligen Betriebe der sowjetischen Besatzungsmacht der Kontrollbank 822 Millionen Schilling schuldeten. Nach der Ubergabe der USIA-Betriebe erwartete sich niemand dort »blühende Landschaften«. Man hatte ein ziemlich klares Bild von der Rückständigkeit der Betriebe und vom Aufholbedarf der Regionen in der sowjetischen Zone. Uber die Wege aus dieser Rückständigkeit entbrannten allerdings heftige politische Kontroversen, ob Verstaatlichung oder Eingliederung in private Wirtschaft, aber auch über Standorte bzw. Standortverlagerungen, um Schließung oder Weiterfuhrung. Zwar unterlagen nur 15 Betriebe des ehemaligen USIA-Konzerns dem Verstaatlichungsgesetz von 1946, doch befanden sich die bedeutendsten darunter. Eindeutig war der Passus im Moskauer Memorandum, auf den der sozialistische Vertreter bei den Verhandlungen, Vizekanzler Schärf, nahezu gedrängt hatte: »Die Bundesregierung wird nach Ubergabe der deutschen Vermögenswerte in der sowjetischen Besatzungszone an Osterreich Maßnahmen herbeiführen, die eine Überführung dieser Vermögenswerte in das Eigentum ausländischer Staatsangehöriger einschließlich juristischer Personen privaten oder auch öffentlichen Rechts ausschließen.«42 Die SPO drängte entweder auf Verstaatlichung und Kommunalisierung oder auf Genossenschaften in Arbeitnehmerhand, die OVP plädierte für Privatisierung oder Teilprivatisierung über Volksaktien. 41 Manfred Sams, Die Wiedereingliederung der USIA-Betriebe in die österreichische Volkswirtschaft nach 1955 (DA, Linz 2000). 42 Stourzh, U m Einheit und Freiheit 667,422.

372

Roman Sandgruber

Die finanziell wie technisch sanierungsbedürftigen USIA-Betriebe mussten sinnvoll in die bestehende Verstaatlichte Industrie eingegliedert oder entsprechend privatisiert werden, wobei den verstaatlichten Partnern jeweils schwere Lasten aufgebürdet wurden. Der größere Teil der 319 Betriebe des USIA-Konzerns wurde privatisiert. Die Regelungen im Rahmen des Staatsvertrages, die Teilreprivatisierung bei den verstaatlichten Großbanken und die Ausgabe von Volksaktien konnten aber die dominierende Stellung des österreichischen Staates im Wirtschaftsleben in keinerlei Hinsicht reduzieren. Durch die Übernahme der USIA und die nachfolgenden teilweisen Verstaatlichungen wurde der Staatsanteil weiter erhöht und gleichzeitig auch geschwächt und in seinen Fundamenten erschüttert, indem man durch eine Fusion maroder Betriebe mit gesunden auch diese gefährdete und letztlich in den Ruin trieb. Nach den füir die OVP siegreichen Nationalratswahlen 1956 wurde zwar das »Königreich Waldbrunner«, wie seine Gegner es nannten, aufgelöst. Die Kompetenz für die staatseigenen Betriebe übernahm die neu gegründete »Osterreichische Industrie- und Bergbauverwaltungs-Gesellschaft« (IBV). Generaldirektor wurde Hans Igler (OVP). Proporz und paritätische Führung waren die neuen Schlagworte. Der Staat als Träger der Anteilsrechte wurde beiseite geschoben. An seine Stelle traten die politischen Parteien. 1959 war wieder die SPO siegreich. Die IBV wurde aufgelöst, die Verwaltung der Verstaatlichten Industrie ging an das Bundeskanzleramt über und wurde Vizekanzler Bruno Pittermann (SPO) unterstellt. Die Verstaatlichte Industrie wurde zum Spielball der wechselnden politischen Konstellationen.43

D E R S T A A T S V E R T R A G - E I N E ÖKONOMISCHE Z E I T E N W E N D E ?

Der Vertrag von Wien oder Staatsvertrag - wie er landläufig bezeichnet wird - hat erhebliche psychologische Bedeutung. »Österreich ist frei!« Wie dieser Satz nur sehr bedingte Gültigkeit beanspruchen kann, weil Österreichs Befreiung bereits 1945 anzusetzen ist, so wenig markiert der Staatsvertrag auch wirtschaftsgeschichtlich eine Wende. Österreichs Weg ins Wirtschaftswunder hatte bereits vorher eingesetzt, die WeichenStellungen für Österreichs Einbindung in die liberale Wirtschaftsordnung des Westens waren bereits in den vierziger Jahren gestellt worden, und ab dem Jahre 1950 und der Niederschlagung des Generalstreiks bzw. Putschversuchs schien dieser Weg in eine demokratisch-liberale Gesellschaftsordnung auch nicht mehr gefährdet. 43 Fritz Weber, 1946-1986. 40 Jahre Verstaatlichte Industrie (ÖIAG-Journal, Wien 1986), 1-29; Stephan Koren, Sozialisierungsideologie und Verstaatlichungsrealität in Österreich. In: Die Verstaadichung in Osterreich (hg. von W. Weber, Berlin 1964), 115, I29ff.; Hildegard Hemetsberger-Koller, Der Staat als Unternehmer. In: Unternehmer und Unternehmen. FS für Alois Brusatti (Wien 1989), I25f., 132; Hildegard Hemetsberger-Koller, Julius Raab und die Verstaatlichung. In: Julius Raab (hg. von Alois Brusatti/Gottfried Heindl, Linz 1986), 286.

Das wirtschaftliche Umfeld des Staatsvertrages

373

Die Wachstumsperiode der 5oer-Jahre in Österreich erstreckte sich über zwei volle Konjunkturzyklen, 1953 bis 1958 und 1958 bis 1962. Sozialprodukt und Produktivität stiegen mit hohen Raten. Die Handelsströme expandierten außerordentlich stark. Aber erst gegen Ende zu wurde die Vollbeschäftigung erreicht. Das Arbeitskräfteangebot nahm zu, weil der Agrarsektor leicht Arbeitskräfte abgeben konnte. Die Industrieproduktion war 1959 im Durchschnitt zweieinhalbmal so groß wie im Jahre 1937, erreichte aber in der schwerindustriellen, der chemischen und Investitionsgüterbranche das Dreibis Vierfache des Vorkriegsniveaus, während sie in der traditionsverankerten Leichtindustrie nur um 20 bis 90% darüber lag. Ahnlich war die Verschiebung in der Exportstruktur. Eisen, Stahl und Holz umfassten 1959 mehr als 30% aller Exporte gegenüber rund 20% im Jahre 1937. Die Exportbedingungen erleichterten es Osterreich, seine neue Produktionsstruktur in den Weltmarkt einzugliedern.44 Die regionale Verteilung der Industrie, die Besitzverhältnisse und die Betriebsgrößen wurden ruckartig verändert. Osterreich erlebte eine dramatische Wende zum Industriestaat, die von jenen Sektoren getragen war, die in der Zwischenkriegszeit zu den wachstumsschwächsten gezählt hatten. 1937 waren 37,5% der Wertschöpfung auf den industriell-gewerblichen Sektor und 40,7% auf Dienstleistungen entfeilen. 1952 erbrachte der sekundäre Sektor 47,1%, der tertiäre Sektor hingegen nur 36,6%. Österreichs Schwerindustrie profitierte von innovativen Entwicklungen: Das in den vierziger Jahren entwickelte LD- (Linz-Donawitz) oder Sauerstoff-Blasstahl-Verfahren, das 1949 erstmals vorgeführt und 1952 in Linz in Betrieb genommen wurde, sicherte der österreichischen Stahlindustrie aufJahre hinaus einen hohen Konkurrenzvorteil, da damit die Kosten der Stahlherstellung und auch die Investitionskosten gegenüber den Siemens-Martin-Öfen um 30-50% gesenkt werden konnten. Der Anteil des LD-Stahls an der österreichischen Gesamterzeugung stieg von 0,5% im Jahre 1952 auf knapp 50% i960 und 84% im Jahr 1980. Weltweit lag der LD-Anteil i960 bei 4% und 1980 bei 55%; 45 Die Vorstellungen von einer Wohlstandssteigerung durch Produktivitätssteigerung, Rationalisierung und Investitionsförderung stießen im Nachkriegsösterreich auf offene Türen, sowohl beim Gewerkschafebund und der Sozialistischen Partei wie bei der Österreichischen Volkspartei.46 Der »Österreichische Volkswirt« meinte: »Wir müssen es diesmal anders machen als nach dem Ersten Weltkrieg: Damals wurde der Ausgleich 44 Koren, Die Industrialisierung Österreichs 33öff., 339ff., 344, 35off.; Rothschild, Wurzeln und Triebkräfte I05ff.; Felix Butschek, Der österreichische Arbeitsmarkt - von der Industrialisierung bis zur Gegenwart (Stuttgart 1992), 137fr. 45 Helmut Fiereder, Der Weg zu LD und Breitband. Die Hütte Linz im Kontext der österreichischen Eisenund Stahlplanung nach dem Zweiten Weltkrieg. HJbStL 1991 (1992), 2Öff.; Helmut Lackner/Gerhard Stadler, Fabriken in der Stadt. Eine Industriegeschichte der Stadt Linz (Linz 1990) 232fr., 564fr. 46 Klaus-Dieter Mulley, Wo ist das Proletariat? Überlegungen zu »Lebensstandard und Bewusstsein« in den funfeiger Jahren. In: Die »wilden« fünfziger Jahre (hg. v. Gerhard Jagschitz u. a., St. Pölten 1985), 2off.

374

Roman Sandgruber

der Zahlungsbilanz durch eine fortschreitende Schrumpfung der Produktion und durch eine dauernde Senkung des Lebensstandards erreicht mit einer halben Million Arbeitslosen und völliger politischer und sozialer Zersetzung. Diesmal wollen wir es mit einer Vermehrung, Verbesserung und Verbilligung der Produktion durch zweckentsprechende Investitionen und Rationalisierung versuchen .. ,«47 Auch das Osterreichische Institut für Wirtschaftsforschimg erklärte, die Steigerung der Produktivität sei das Kernproblem der österreichischen Wirtschaft, ja sie sei geradezu die Lebensfrage für Osterreich.48 Das 1928 in einem breiten sozialpartnerschaftlichen Kompromiss errichtete Osterreichische Kuratorium für Wirtschaftlichkeit (ÖKW) wurde 1946 als erste sozialpartnerschaftliche Institution der Nachkriegszeit wieder begründet. 1950 kam das Osterreichische Produktivitätszentrum (ÖPZ) dazu. Zu den Leitern wurden Wilhelm Taucher, der Vorsitzende des Osterreichischen ERP-Büros, und Franz Nemschak, der Direktor des Osterreichischen Instituts für Wirtschaftsforschimg, bestellt. Eine neue Haltung zur Technik hatte sich etabliert. Die Propaganda wirkte. Bauernsöhne wie angehende Akademiker waren im Krieg mit Motoren und Maschinen vertraut geworden.49 Man stand sicherlich unter dem Legitimationsdruck, nationalsozialistischen Schlagworten von Beschäftigungspolitik und Massenkonsum, die immer noch und immer wieder auftauchten, den Boden zu entziehen. Nur mit einer raschen Beseitigung der Arbeitslosigkeit, dem Ausbau der Industrie und Infrastruktur, dem Aufbau eines breit gefächerten Sozialsystems und der Einlösung der von den Nationalsozialisten so propagandawirksam eingesetzten Versprechen einer Wirtschaftswunderwelt konnte die Stabilität des neuen Staates dauerhaft gesichert werden. Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft setzte sich durch. 1955 wurden mit dem ASVG die Weichen für das moderne Sozialsystem gestellt, auch wenn es sich nur um die einheitliche Kodifizierung bereits bestehender Regelungen handelte und erst in den i9Öoer-Jahren der weitere Ausbau des sozialen Systems in Angriff genommen wurde. 1957 wurde die Paritätische Kommission gegründet. 1961 legten sich die Sozialpartner im Raab-Olah-Abkommen auf Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum fest. Die Arbeitszeitverkürzung war vorerst kein Diskussionsthema. Ganz im Gegenteil. Der Wiederaufbau und die Befriedigung des wirtschaftlichen Nachholbedarfs standen im Vordergrund. Die 60-Stunden-Woche blieb durch das Rechtsüberleitungs47 Der Österreichische Volkswirt ( 1 9 4 9 / 5 ) , 48 Die Produktivität der österreichischen Industrie, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, 6. Sonderheft (Wien 1 9 4 9 ) , 5 . 49 Helmut Lackner, Die Mitarbeit der Gewerkschaften bei der Produktivitätssteigerung nach dem 2. Weltkrieg in Österreich. In: Ökologie, technischer Wandel und Arbeiterbewegung (hg. von Helmut Konrad/Arne Andersen, Wien 1 9 9 0 ) , 2 0 7 f r . ; Helmut Lackner, Zur technischen Entwicklung nach 1 9 4 5 . In: Menschen nach dem Krieg. Schicksale 1 9 4 5 - 1 9 5 5 (hg. von Gerhard Jagschitz/Stefan Karner, Wien 1 9 9 5 ) , 74f.; Helmut Lackner, »Der Höchstförderung entgegen«. Produktivitätskampagnen im österreichischen Kohlenbergbau nach 1 9 4 5 . In: FS für Othmar Pickl (hg. von Herwig Ebner u. a., Graz 1 9 8 7 ) , 379ff., 3 8 8 f r .

Das wirtschaftliche Umfeld des Staatsvertrages

375

gesetz formal bestehen, auch wenn die reichsrechtlichen Vorschriften in der Praxis kaum angewendet wurden und die Arbeitszeit durch Kollektivverträge in Anlehnung an das Achtstundentagsgesetz von 1919 geregelt wurde. Aber die ganzen fünfziger Jahre hindurch war die wöchendiche Arbeitszeit beträchtlich höher als in der Zwischenkriegszeit und lag im Durchschnitt über 50 Stunden. Erst als die Kriegsfolgen längst überwunden und das Wirtschaftswunder in vollem Gang war, wurde Mitte der fünfziger Jahre vom Gewerkschaftsbund die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wieder aufgegriffen und 1959 die Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden verkürzt. Die Ausweitung der Produktion und das wirtschaftliche Wachstum standen im Vordergrund: Johann Böhm, den Maurerpolier und Präsidenten des Gewerkschaftsbunds, und Julius Raab, den Baumeister und Bundeskanzler, vereinte der Realitätssinn: »Bevor wir mehr konsumieren können, müssen wir mehr produzieren.«50 In kaum einem Land der wesdichen Welt gab es einen so hohen Prozentsatz verstaatlichter Unternehmen und war das gesamte Wirtschaftsleben so stark von politischen Verbänden geprägt. Daher konnte Osterreich große Teile der planwirtschaftlich organisierten Betriebe in Form der Verstaatlichung in seine Industrielandschaft aufnehmen und die Risken und sozialen Folgekosten relativ gut absorbieren. Dabei half auch die gute internationale Konjunkturlage. Der sozialpartnerschaftlich organisierte Verbändestaat absorbierte die planwirtschaftliche Struktur und konnte soziale Folgen abfedern. Im Nachhinein ist der Staatsvertrag, was seine ökonomische Bedeutung angeht, eher als gering einzustufen. Die ökonomischen Lasten, die er mit sich brachte, erwiesen sich als viel leichter verkraftbar, als man gedacht hatte. Die Weichen für den ökonomischen Erfolg der österreichischen Nachkriegszeit waren schon sehr viel früher gestellt worden, in der grundsätzlichen Ausrichtung der politischen Landschaft auf eine Konsensdemokratie, in der starken Einbindung des Landes in den westeuropäisch-liberalen Entwicklungspfad mit Marshall-Plan und Westorientierung und in der Entscheidung für das soziale und marktwirtschaftliche System im so genannten Raab-Kamitz-Kurs ab 1953. Der Weg ins Wirtschaftswunder stand damit offen. Dem Staatsvertrag blieb die symbolische Funktion, mit einem mächtigen Hochgefühl eine Welle des Optimismus zu schaffen und damit die Konjunktur zu beflügeln.

50 Zit. n. Karl Ausch, Licht und Irrlicht des österreichischen Wirtschaftswunders (Wien 1965), 66; Brigitte Kepplinger/Johann Böhm. In: Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik (hg. von Herbert Dachs u. a., Wien 1995), 78-85, 83.

376

Roman Sandgruber

Die österreichischen E r d ö l l i e f e r u n g e n an die S o w j e t u n i o n 1956 bis 1964 in 1000 t

in $

1956

1 000

18 750

1957

1 000

18 750

1958

1 000

18 750

1959

1 000

18 750

1960

500

9 375

1961

250

4 687,5

1962

500

9 375

1963

500

9 375

1964

250

4 687,5

6 000

11 2500

Quelle: Stourzh, Gerald, U m Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955, Wien 1998, 774 nach: Osterreichische Zeitschrift für Außenpolitik, 4,1964, 27 f.

Die österreichischen W a r e n - A b l ö s e - L i e f e r u n g e n 1955-1961 (in 1000 $ bzw. in t) 1957 1956 1958 1959 1960 1961 Summe in 1 000 $ in 1 000 $ in 1 000 $ in 1 000 $ in 1 000 $ in 1 000 $ int 5 625,7

Erdöl

2 125,5

1 624,5

500 037

970,3

160,2

1 130,5

Summe 1000$ 9 375,7

Ersatzlieferung für Erdöl Stahlschieber

646,7

Winkeleisen Rohre Elektr. Antriebe für Schieber

123,3

238,9

Industriearmaturen

15 411

6 500

248,1

41 1 155 1 079,5

1 996,1

3 603,6

362,2

248,1

Metalllagerschuppen Stahlbleche

646,7 3 603,6

41

3 206,9

1 507,9

5 039,7

91 779

13 985

924,1

1 119,6

1 157,9

16 979

3 070,6

2 486

17 470,4

1 683,7

1 734,9

9610 10 975,3

Verzinkte Bleche

1 356,2

903,9

810,6

Gewalztes Kupfer

1 384,7 1 326,7

1 133,2

Kraftkabel

3 117,4 4 036,6

3 082,9

2 277,4 2 470,1

1 938,9

1 940,2

1 806,6

2 031,9 1 552,6

1 141,9

1 430

1 369

1 336,4

773

1 380,1

8 665,8

1 168,3

896,9

12 884,1

1 548,5

2 084,1

1 405,2

2 108,2

3 149,3

10 483,8

Kunstseidengarne Nitrolacke

1 871

Walzwerkeinrichtungen Chem. Apparate

188,5

6 004

12 002

7 046,2

8 861,8

Das wirtschaftliche Umfeld des Staatsvertrages

377

1956 1957 1958 1959 1960 1961 Summe in 1 000 Sin 1 000 $in 1 000 $in 1 000 $in 1 000 $in 1 000 $ int Dieselkompressoren

1 574,7

1 683

1 683

Maschinen

3 301,3 3 440,5

3 585,2

Kontroll- und Messegeräte

1 065,9

Summe 1 000$

1 502,9 1 502,9

9 012,4

3 041,5 4 133,3 3 129,2

2 0631

796,6

810,4

840,1

902,5

845,8

867,5

5 062,9

2 069,2

1 500,8

1 500

1 593,6

1 614,9

1 400

9 678,5

Schuhe

526,1

481,2

504,3

492,9

511,6

507,7

3 023,9

Kunstseidengewebe

400,4

401,6

400,6

398,7

403,4

401,6

2 406,3

25 398,7 23 602,5 23 706,9 28 828,2 24 325,8 24137,9

150 000

Spezialkraftwagen

Summe

Quelle: Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955 (Wien 1998) 775.

Michael Gehler

Der Staatsvertrag, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Frage 1947/49-1955

I . D E R S T A A T S V E R T R A G IM S C H A T T E N DER D E U T S C H E N F R A G E 1947-1954

1. Die Anfänge der diplomatisch-politischen Beziehungen Osterreich unterhielt nach 1945 zunächst keine regulären diplomatischen Vertretungsbehörden in den deutschen Zonen. Bis 1953 waren es so genannte »Verbindungsstellen«, die von Konsularbeamten und Gesandten geleitet wurden, z. B. von Josef Schöner in Düsseldorf. 1 Als diplomatischer Vertreter in Bonn fungierte nach Schöner Heinrich Schmid 1 9 5 3 / 5 4 ,

u m

dann von Adrian Rotter abgelöst zu werden. A b 1953 gab es mit

Carl-Hermann Mueller-Graaf einen Leiter einer Deutschen Wirtschaftsdelegation in Wien. Die kleine Dienststelle war quasi Botschaft der Bundesrepublik, ein Status, den sie

1 Matthias Pape, Die deutsch-österreichischen Beziehungen zwischen 1945 und 1955. Ein Aufriß. In: Historiscb-Politische Mitteilungen. Archivfiir Christlich-Demokratische Politik 2 (1995), S. 149-172, hier S. 161 und dessen umfassende Monografie: Ungleiche Brüder. Osterreich und Deutschland 1945-1965, Köln - Weimar - Wien 2000. Der Verfasser hat zur Thematik verschiedene Beiträge verfasst, auf die dieser Artikel sich z. T. bezieht: Michael Gehler, Österreich, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 1945/49-1955. Zur Geschichte der gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen Abhängigkeit und gemeinsamen Interessen. IN: Ders./Rainer F. Schmidt/Harm-Hinrich Brandt/Rolf Steininger (Hrsg.), Ungleiche Partner? Osterreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert (Beiheft 15 der Historischen Mitteilungen der Leopold von Ranke-Gesellschaft), Stuttgart 1996, S. 535-580; Ders., Klein- und Großeuropäer: Integrationspolitische Konzeptionen und Wege der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs 1947/49-1960 im Vergleich. In: Gehler u. a. (Hrsg.), Ungleiche Partner?, S. 581-642; Ders., Klein- und Großeuropäer: Überlegungen zu einer vergleichenden Betrachtung der »six«- und »non six«-Staaten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland und Österreich. In: Guido Müller (Hrsg.), Deutschland und der Westen, Festschrift fiir Univ.-Prof. Klaus Schwabe zum 65. Geburtstag (Beiheft 29 der Historischen Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft), Stuttgart 1998, S. 247-261; Ders., »Kein Anschluß, aber auch keine chinesische Mauer«. Österreichs außenpolitische Emanzipation und die deutsche Frage 1945-1955. In: Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G. Staudinger (Hrsg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955 (Studien zu Politik und Verwaltung 63), Wien - Graz Köln 1998, S. 205-268; Ders-, Österreich und die deutsche Frage 1954/55: Zur »Modellfall«-Debatte in der internationalen Diplomatie und der bundesdeutschen Öffentlichkeit aus französischer Sicht. In: 20. Österreichischer Historikertag, Bregenz 1994, Tagungsbericht hrsg. v. Verband der österreichischen Historiker und Geschichtsvereine, Wien 1998, S. 83-134.

380

Michael Gehler

formal allerdings erst nach Auflösung des Alliierten Rats und dem Abzug der Besatzungstruppen 1955 erhielt.2 Mit Beginn der Staatsvertragsverhandlungen ab 1947 betonte Wien »eine klare und dauernde Trennung von Deutschland nicht nur in politischer, sondern auch in wirtschaftlicher und in finanzieller Hinsicht«.3 In Bezug auf den Anschlussgedanken unterstrich Außenminister Karl Gruber in London, Osterreich habe gegenwärtig »viel dringendere Probleme zu lösen, als sich in überlebten Ideologien zu verlieren«.4 Es brauche »unter keinen Umständen internationale Maßnahmen, um eine Wiedervereinigung [sie!] mit Deutschland abzulehnen«.5 Dennoch belegten die Siegermächte Osterreich mit einem Anschlussverbot und verpflichteten Deutschland auf die Anerkennung der Unabhängigkeit der Alpenrepublik.6 Hatte Osterreich gegenüber Deutschland einen »Vorsprung an Staatlichkeit« (Manfried Rauchensteiner),7 so wurde es auf der Agenda der Mächte aber nur als dessen Anhängsel behandelt. So gab es das Problem des »deutschen Eigentums«, auf das die Siegermächte laut Potsdamer Konferenz Ansprüche hatten.8 In steigendem Maße wurde von Osterreich die nachrangige Behandlung gegenüber Deutschland als Nachteil und Degradierung interpretiert.9 Wien wusste um das Ausmaß der Verknüpfung beider Themenkreise in politischer wie rechtlicher Hinsicht.10 Am Ballhausplatz war man der Meinung, dass die Österreich-Frage leichter lösbar sei als die deutsche Frage. 11 Die möglichen Gefahren einer anhaltenden Besatzung traten klar zutage: Eine Spaltung musste unbedingt verhindert 2 Gehler, Kein Anschluß, S. 211; Pape, Ungleiche Brüder, S. 126-139; Niels Hansen, Carl-Hermann MuellerGraaf. Ein Brückenbauer der ersten Stunde. In: Historische Mitteilungen 10 (1997), Heft 2, S. 257-267, hier S. 260. 3 Wiener Zeitung, 25. 1. 1947. 4 Neues Osterreich, 25.1. 1947. 5 Arbeiter-Zeitung, 25. 1. 1947. 6 Kurt Fiesinger, Ballhausplatz-Diplomatie 1945-1949. Reetablierung der Nachbarschaftsbeziehungen und Reorganisation des Auswärtigen Dienstes als Formen außenpolitischer Reemanzipation Österreichs (tuduvStudien, Reihe Politikwissenschaften 60), München 1993, S. 343. 7 Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Osterreich 1945 bis 1955, Graz - Wien Köln 1979, S. 127. 8 Stenographisches Protokoll der 51. Sitzung des Nationalrates der Republik Osterreich, 7. 5. 1947, V. Gesetzgebungsperiode, S. 1414. 9 Ebd. 10 Rede in der Engelmann-Arena in Wien am 6. 10. 1947. In: Michael Gehler (Hrsg.), Karl Gruber. Reden und Dokumente 1945-1953. Eine Auswahl (Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 2), Wien - Köln - Weimar 1994, S. 193-199, hierS. 195. 11 Streng vertraulich »Die Lage in Mitteleuropa« 1.) Das deutsche Problem, 2.) Osterreich. Karl Gruber Archiv (KGA), Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck, Karton 14, Mappe »Div. Vertrauliche Informationen«.

Der Staatsvertrag, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Frage 1947/49-1955

381

werden, wie auch eine abermalige Vormachtstellung Deutschlands (nun vielleicht in wirtschaftlicher Hinsicht) in Europa unvorteilhaft erschien. Während Wien von 1947 bis 1949 das Thema »Staatsvertrag« verstärkt in den Mittelpunkt seiner diplomatischen Initiativen rückte, verschwand der Begriff »Friedensvertrag« aus dem Vokabular westdeutscher Politiker. Während in Österreich seitens der Besatzungsmächte ein gewisses gemeinsames Interesse an der Aufrechterhaltung der Landes- und Staatseinheit, des Alliierten Rats und damit auch eine wichtige Plattform für Viermächte-Gespräche bestand, verschärften sich die Gegensätze in Deutschland seit 1946/47 und spitzten sich 1948/4912 dann so zu, dass die Voraussetzungen für Desintegration und Teilung bereits geschaffen waren.

2. Verzögerung der Staatsvertragsverhandlungen durch Weststaatsgründung und Westintegration der Bundesrepublik 1949-1952 Nach Beendigung der Berlin-Blockade schöpfte die österreichische Staatsvertragspolitik neue Hoffnung, das Paket zu schnüren. Wenn der Verfasser zuletzt geschrieben hatte, die Causa Osterreich bewegte sich »im Kielwasser« der ungelösten deutschen Frage, so ist heute deutlicher und klarer zu sagen, dass sie bis 1954 Geisel der Deutschlandpolitik der Mächte war und dies von der Bundesrepublik, der hier die Hände gebunden waren, so akzeptiert worden ist.13 Starke Vorbehalte im Pentagon bezüglich des zukünftigen sicherheitspolitischen Status Österreichs vereitelten den Vertragsabschluss in der zweiten Jahreshälfte 1949. 14 Einwände dagegen sind vom deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer nicht bekannt. Im April 1950 beklagte Gruber, dass in der öffentlichen Meinung auch des Westens »wir viel zu sehr mit Deutschland in einen Topf geworfen« würden.15 Das schien weiter so zu bleiben, zumal die internationale Lage nach Aufhebung der Berlin-Blockade nur kurzzeitig entschärft war. Die Machtübernahme der Kommunisten in China bewirkte umfassende Sicherheitsmaßnahmen seitens des Pentagon. Österreichs geostrategische

12 Gunther Mai, Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948. Von der geteilten Kontrolle zur kontrollierten Teilung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 23/88, 3. 6. 1988, S. 3-14; Ders., Deutschlandpolitische Entscheidungen im Alliierten Kontrollrat 1945-1948. In: Wilfried Loth (Hrsg.), Die deutsche Frage in der Nachkriegszeit, Berlin 1994, S. 29-66, hier S. 57 ff. 13 Dies zu Pape, Ungleiche Brüder, S. 304 (Anm. 48). 14 Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955. Österreichs Weg zur Neutralität, Graz - Wien - Köln '1985, S. 65-69; Günter Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation: Austria in International Politics, 1940-1950, Harvard University, Cambridge, Massachusetts 1989, S. 727-760 und S. 7Öiff. 15 Die Osterreichische Furche, 8.4. 1950.

382

Michael Gehler

Position im Kalten Krieg gewann an Bedeutung. 16 Spätestens seit Sommer 1950 verbanden sich dann im Zuge des Koreaschocks wirtschafte- mit sicherheitspolitischen Maßnahmen, wobei die drei Westzonen Deutschlands am Schnittpunkt des Ost-WestKonflikts zu einem Bollwerk gegen den Kommunismus ausgebaut wurden. Diese Entwicklung war für Österreichs Anliegen nicht förderlich. Z u diskutieren bleibt, ob es für Osterreich kontraproduktiv war, sich in der Militarisierungsphase des Kalten Krieges (Vojtech Mastny) 17 enger an den Westen anzulehnen, oder ob es in der Stagnationsphase der Staatsvertragsverhandlungen, 18 die völlig im Schatten der blockierten deutschen Frage (Günter Bischof) 19 standen, überhaupt eine Alternative zur so genannten geheimen Wiederbewaffiiung 20 der Westzonen gab. Die Pläne des Pentagon liefen jedenfalls darauf hinaus, den deutschen Weststaat zu bewaffnen und aufzurüsten, was sich mit Adenauers Vorstellungen deckte. 21 Für Osterreich liegen vergleichbar angelegte oder gleiche Pläne nicht vor. Dass die Entwicklung Österreichs seitens der Bundesrepublik mit Skepsis verfolgt wurde, zeigte sich schon Anfing der i95oer-Jahre. In der Presse wurde es infolge der obstruktiven sowjet-kommunistischen Politik als »Negativbeispiel« hingestellt und betont, dass eine »österreichische Regelung« der deutschen Frage nicht in Betracht gezogen würde. Derartige Ideen würden laut Schöner zwar in den deutschen Blättern auftauchen, »jedoch durchwegs als undurchführbar abgelehnt«. 22

16 Vgl. hierzu auch Günter Bischof, »Austria looks to the West«. Kommunistische Putschgefahr, geheime Wiederbewaflnung und Westorientierung am Anfang der fünfziger Jahre. In: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Michael Gehler/Rolf Steininger (Hrsg.), Osterreich in den Fünfzigern (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 12), Innsbruck - Wien 199J, S. 183-209, hier S. 185-190. 17 Vojtech Mastny, Stalin and the Militarization of the Cold War. In: International Security 9 (1984-85), No. 3, S. 109-129.

18 Vgl. den Periodisierungsversuch zur österreichischen »Außenpolitik« auf mehreren Ebenen: Michael Gehler, »Die Besatzungsmächte sollen schnellstmöglich nach Hause gehen.« Zur österreichischen Interessenpolitik des Außenministers Karl Gruber 1945-1953 und zu weiterführenden Fragen eines kontroversen Forschungsprojekts. In: Christliche Demokratie 11 (1994), Nr. 1, S. 27-78, hier S. 43t 19 Günter Bischof, Austria in the First Cold War, 1945-55. The Leverage of the Weak, London - New York 1999, S. 104-129.

20 Günter Bischof, Österreich - ein geheimer »Verbündeter« des Westens? Wirtschafts- und sicherheitspolitische Fragen der Integration aus der Sicht der USA. In: Michael Gehler/Rolf Steininger (Hrsg.), Österreich und die europäische Integration 1945-1993. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung (Institut für Zeitgeschichte, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 1), S. 425-450.

21 Rolf Steininger, Wiederbewaffhung. Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag: Adenauer und die Westmächte 1950, Erlangen - Bonn - Wien 1989, S. 54-69, 93-103, 269-306. 22 Schreiben ZI. 169/P0I/51, ZI. 133.732-P0I/51 (GZ1. 133720-P0I/51), Schöner an das BKA/AA, 14. 3. 1951. Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR), Bundeskanzleramt (BKA/AA), II-pol 1951, Deutschland 2.

Der Staatsvertrag, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Frage 1947/49-1955

Wien hatte allerdings kein Interesse, das Bild vom »Negativ-Beispiel« so stehen zu lassen. Auf dem Weg zu einem Besuch nach Stockholm erklärte Bundeskanzler Leopold Figl bei seiner Zwischenstation am Flughafen München-Riem im Oktober 1950, wie sein Land mit den jüngsten kommunistischen Streiks fertig geworden war. Die Wiederherstellung normaler staatlicher Beziehungen zu Deutschland liege ihm sehr am Herzen.23 Auf hartnäckige Fragen von Journalisten, wann ein Besuch in der Bundesrepublik erfolge, entgegnete er, dass sich beide Länder »in einer seltsamen Situation« befanden: Der Staatsmann eines von vier Mächten besetzten Landes könne nicht in eines fahren, das »augenblicklich aus zweien« bestehe. Die West-Ost-Zonengrenze durchschneide die Möglichkeit eines persönlichen Kontakts.24 Am Ballhausplatz hatte man die immer stärker zur Gewissheit gewordene Teilung Deutschlands realisiert und die Unvergleichbarkeit mit Österreich betont. Diese Art von »deutschen Modell« galt es zu verhindern, ja auszuschließen, sonst hätte dies für die junge Zweite Republik auch das Ende ihrer Existenz bedeutet. Das publizistische Echo auf dieses denkbare Szenario blieb nicht aus. Das Organ der demokratischen Parteien, Neues Österreich, warnte im September 1951 vor irrigen Stimmen, die »uns das deutsche Beispiel vor Augen halten und uns weismachen wollen, Deutschland sei auf dem Wege zur Freiheit schon weiter als wir«. Es erinnerte an drei Gefahren: »die Fortdauer der Zweiteilung und Zerreißung«, die Fortsetzung der Besetzung »samt ihren riesigen Lasten und Souveränitätsbeschränkungen« und die aus dem gesamten Komplex resultierende »Rüstungsverpflichtung«. Das Fazit ließ die Unterschiede deutlich zu Tage treten: »Wie gesagt, es handelt sich um inkomparable, nicht vergleichbare Tatbestände, sowohl in der Wirkung nach innen wie nach außen. In Deutschland geht es um die Eingliederung in das politische, wirtschaftliche und militärische Verteidigungssystem des Westens. In Osterreich aber steht eigentlich das ganz Entgegengesetzte auf dem Spiel: wir sollten, wie Außenminister Gruber erst jüngst gesagt hat, das Feld sein, auf dem eine internationale Entspannung begonnen werden könnte. Wenn ein Staatsvertrag mit Osterreich zustande käme, dann wäre dies der erste Schritt zu einer unblutigen, vernunftgemäßen und konstruktiven Verständigung.« 25

Die Botschaft war klar, auch wenn es nicht so krass ausgesprochen wurde: Wien sollte als Ausgangspunkt für eine Détente und damit auch als Antithese zu der auf Blockbildung und Unterstützung der Konfrontationspolitik ausgerichteten Bundesrepublik dienen. Im November 1951 traf Gruber zum ersten Mal mit Adenauer auf der Außenministerkonferenz in Paris zusammen.26 Trotz klärender Worte in Bezug auf das »Negativbei23 Münchner Merkur, 16. 10. 1950. 24 Die Neue Zeitung, 16. 10. 1950. 25 p. d. [Paul Deutsch], »Deutschland und wir«. In: Neues Osterreich, 19. 9. 1951. 26 Arbeiter-Zeitung, 23. n . 1951; Weltpresse, 22. 11. 1951.

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spiel« Österreich in besatzungspolitischer Hinsicht konnte der Österreicher das Misstrauen des Deutschen v. a. gegenüber der Sowjetunion und ihrer Haltung in Österreich27 nicht beseitigen.28 Es gäbe, so Adenauer weiter, in Deutschland manche Stimmen, die seit einiger Zeit von den Vorteilen einer »österreichischen Lösung« des Problems der deutschen Einheit redeten. Er »müsse eine derartige Lösung unbedingt ablehnen«. Einen Vergleich schloss er kategorisch aus: Die Viermächtekontrolle in Österreich beruhe »auf ganz anderen Gegebenheiten« und könne »für Deutschland kein Muster« bilden.29 In Bonn sorgte man sich demnach schon früh und dies gerade mit Blick auf die noch nicht vollzogene Westintegration der Bundesrepublik, dass sich in Westdeutschland eine analoge Situation wie in Österreich entwickeln könne. Eine ausgewogene Politik zwischen den Besatzungsmächten - auch der sowjetischen! - als Mittel zur Verhinderung bzw. Uberwindung der Teilung Deutschlands war für Adenauer nicht vorstellbar. Eine Koppelung der deutschen Frage mit Österreich im Kontext der westlichen Antwortnoten auf die umstrittenen Angebote Stalins vom Frühjahr 1952 (Blockfreiheit, Neutralität und Einheit Deutschlands) lehnte er ab.30 Adenauer beteiligte sich auf Grund seiner vollen Uberzeugung in die Westintegration an der westlichen Abwehrschlacht der sowjetischen Notenoffensive, die eine Entlastungsstrategie verfolgte und eine Entspannimg v. a. auf handels- und wirtschaftspolitischem Sektor verfolgt hatte. Blockfreiheit und Neutralität, Optionen, die für Österreich ab 1952/53 zunehmend spruchreifer wurden, waren für Adenauer absolute Tabus. Dagegen griff Gruber im Nationalrat in einer bemerkenswerten Rede am 2. April 1952 exakt dieses Thema in bewusster Abgrenzung zur kommunistischen Propaganda positiv auf: Neutralität - wenn sie als völkerrechtlich verbindliches Instrument nicht einseitig, sondern nach allen Seiten gehandhabt werde - sah er als Möglichkeit für eine zukünftige Außenpolitik. Der Zusammenhang mit der ersten Stalin-Note vom 10. März 1952 31 ist dabei evident. Der sowjetische Diktator hatte darin ein einheitliches, jedoch blockfreies, quasi neutrales bzw. neutralisiertes Deutschland vorgeschlagen,32 was im Westen abgelehnt wurde.33 Das hinderte Gruber nicht, eine solche 27 Schreiben ZI. 691-P0I/51 »Gespräch mit Bundeskanzler Dr. Adenauer«, ZI. 141.904-P0I/51 (GZ1. 133.245pol/51), Schöner an Gruber, 29. 11. 1951. OStA, AdR, BKA/AA II-pol 1952, Deutschland 16. 28 Vgl. hierzu auch Herbert Blankenborn, Verständnis und Verständigung. Blätter eines politischen Tagebuchs 1949 bis 1979, Frankfurt/Main - Berlin - Wien 1980, S. 133. 29 Schreiben ZI. 700/P0I/51 (ZI. 146.064-P0I/51), Schöner an Gruber, Bonn, 20. 12. 1951. OStA, AdR, BKA/AA II-pol 1952, Bu-Deutschland 2. 30 Vgl. Michael Gehler, Kurzvertrag für Österreich? Die Stalin-Noten und die Staatsvertragsdiplomatie 1952. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 43 (1994), Heft 2, S. 243-278, hier S. 258f. 31 Vgl. den ersten Notentext bei Rolf Steininger, Eine Chance zur Wiedervereinigung? Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Darstellung und Dokumentation auf der Grundlage unveröffentlichter britischer und amerikanischer Akten (Archiv für Sozialgeschichte Beiheft 12), Bonn 1985, S. 114-116. 32 Vgl. hierzu Wilfried Loth, Spaltung wider Willen. Die sowjetische Deutschlandpolitik 1945-1955. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXIV (1995), S. 283-297, hier S. 292ff. 33 Vgl. Andrej Gromyko, Erinnerungen, Düsseldorf 1989, S. 276f.

Der Staatsvertrag, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Frage 1947/49-1955

Lösung - d. h. im Klartext Stalins Modell für Deutschland (vorausgesetzt sein Vorschlag hatte Substanz, wofür nach wie vor einiges spricht) - für Osterreich zu erwägen. Trotz westlicher Ablehnung konnte und wollte Osterreich also von der russischen Deutschlandpolitik lernen und sie für die Verfolgung der eigenen Interessen nutzen. Der als »Kalter Krieger« beurteilte Politiker34 blickte zurück: »Angenommen, der Staatsvertrag wäre 1949 abgeschlossen worden, und die Welt statt der Abenteuer in Korea Zeuge der einvernehmlichen Räumung unseres Landes geworden. Dann würden in den Vereinigten Staaten heute vielleicht nur 16 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben werden. Von einer deutschen Aufrüstung wäre wahrscheinlich überhaupt niemals die Rede gewesen.« 35

Aufrüstung und Westbindung der Bundesrepublik waren aber der Preis, den Bonn an den Westen entrichtete, um mehr an Handlungsfreiheit im westlichen Bündnis zu erlangen.36 Dies implizierte allerdings den von Historikern kaum kritisch hinterfragten Zirkelschluss, wonach gerade durch die verpflichtende Westbindung ein beträchtliches Maß an innerer (bis 1955) wie äußerer Souveränität (bis 1990) der Bundesrepublik verloren ging. Ihre stufenweise Integration vollzog sich unter fortdauernder alliierter Kontrolle. Rearmierung und Souveränitätsgewinn erfolgten in Osterreich hingegen nicht mit dem Junktim einer Westintegration und dem Preis der Teilung des Landes. Hier kann von einer geistig-ökonomischen und partiell militärischen Westorientierung gesprochen werden. Von Militärbündnissen hielt sich Wien konsequent fern, wie es auch einen Separatfrieden mit dem Westen ablehnte, der rebus sie stantibus nur einem Teil des Landes die Freiheit gebracht hätte, wie eben der Bundesrepublik, während die Menschen in der DDR ihrem Schicksal überlassen wurden. Separatsvertrags- und Militärbündnisverzicht waren der Preis, den Osterreich an die UdSSR für seine staatliche Einheit und die innere wie äußere Freiheit entrichtete - sieht man einmal davon ab, dass der Staatsvertrag dem Land auch Einschränkungen auferlegte wie auch die Neutralität außenpolitische Handlungsspielräume begrenzte. Die entscheidenden Ansätze für völlig unterschiedliche politische Entscheidungen waren in Wien wie in Bonn schon Jahre vor 1955 vorhanden. So deuteten sich bereits 1952/53 die getrennten Wege an, die Österreich und die Bundesrepublik gehen sollten: Neutralität, Einheit und Westorientierung einerseits; NATO, Westintegration und Teilung andererseits. 34 Siehe Günter Bischof, »The Making of a Cold Warrior: Austrian Foreign Policy ä la Gruber, 1945-1953. In: Austrian History Yearbook Vol. XXVI (1995), S. 99-127. 35 Rede und Stellungnahme im Nationalrat, 2. 4. 1952. In: Gehler (Hrsg.), Reden und Dokumente, S. 379-392, hier S. 382. 36 Vgl. Norbert Wiggershaus, Effizienz und Kontrolle. Zum Problem einer militärischen Integration Westdeutschlands bis zum Scheitern des EVG-Vertragswerkes. In: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland 1945-1955. Unterwerfung, Kontrolle, Integration, München 1986, S. 253-265.

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3. Ungeklärt gebliebene Fragen des »deutschen Eigentums« Trotz aller markanter Unterschiede wurden nicht nur auf außenpolitischer Ebene, sondern auch bei der Regelung besatzungsrechdicher Detailfragen Interdependenzen deutlich. Der am 26. Mai 1952 unterzeichnete Generalvertrag, auch »Deutschland-Vertrag« genannt, war aus Sicht der Völkerrechtsabteilung des BKA/AA ein detaillierter »Vorvertrag der vier westlichen Hauptvertragspartner« zur künftigen »friedensvertraglichen Regelung« mit Deutschland, der für Osterreich vermögensrechtlich Nachteile bedeuten konnte. Infolge der faktischen Teilung des Deutschen Reiches waren weder die drei Westmächte noch die Bundesrepublik in der Lage, einen endgültigen Friedensvertrag zu schließen. Bei Regelung dieser Frage ging Wien davon aus, dass Osterreich gegenüber dem Deutschen Reich Anspruch auf die Entschädigung der durch die »Okkupation« von 1938 bis 1945 verursachten »Schäden« habe, was von den vier Besatzungsmächten anerkannt wurde. Weiterhin, dass es auch »dauernd Reparationsleistungen für das Deutsche Reich und damit pro rataparte für die Bundesrepublik Deutschland aus seiner laufenden Produktion« erbringe, die »grundsätzlich« auf das »gesamtdeutsche Reparationskonto gutzubuchen« wären. Im Unterschied davon sei die Bundesrepublik durch den Generalvertrag ausdrücklich davor geschützt, aus ihrer laufenden Produktion Reparationsleistungen zu erbringen. Trotz andauernder österreichischer Vorstellungen hätten die Westmächte den Generalvertrag nicht dazu benutzt, um die Bundesrepublik hinsichtlich des deutschen Eigentums in Österreich zu einem endgültigen und klaren Verzicht zu veranlassen, was aus Sicht des Ballhausplatzes »als beschränktes Zugeständnis politisch durchaus möglich gewesen wäre«. Ein solcher Verzicht schien dazu geeignet, den Abschluss des Staatsvertrages zu erleichtern, zumal auch Artikel 35 seines Entwürfe bis zum definitiven Verzicht Deutschlands im künftigen Friedensvertrag keine volle Sicherheit gebe. Nach Wortlaut des Generalvertrags konnte Wien darauf zählen, dass die Westmächte Osterreich direkte Verhandlungen mit der Bundesrepublik über das deutsche Eigentum empfehlen würden. Österreich hätte aus dieser »offensichtlichen Nachgiebigkeit der Westmächte gegenüber der Bundesrepublik in der Frage des deutschen Eigentums« die Konsequenzen zu ziehen, um nicht in eine noch ungünstigere Stellung gegenüber Deutschland zu gelangen.37 In den Verhandlungen über den Generalvertrag war die Bundesrepublik allerdings zu der Konzession bereit gewesen und im so genannten »Uberleitungsvertrag« vom gleichen Unterzeichnungstag verpflichtet worden, jede im Staatsvertrag später getroffene Regelung über das deutsche Eigentum »hinzunehmen« (Hinnahmeklausel). Das In-Kraft-Treten dieser Vereinbarungen war aber vom In-Kraft-Treten des EVG-Vertrags abhängig gemacht worden, zu dem es nicht gekommen ist.38

37 Äußerung über den Generalvertrag. Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts Wien (AKVI), Wien, BPL, Bene Ordner G - N VI. 38 Pape, Die deutsch-österreichischen Beziehungen, S. i5Öf., i6gf.; Gerald Stourzh, U m Einheit und Freiheit.

Der Staatsvertrag, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Frage 1947/49-1955

Die Beziehungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik waren auf Grund der strittig gebliebenen vermögensrechtlichen Fragen alles andere als frei von Konfliktpotential. Sie bestanden spätestens seit 1949 als bilaterales Problem, blieben ungelöst und schwelten weiter. »Viel Staub aufgewirbelt« hatten daher die Äußerungen des deutschen Justizministers Thomas Dehler (FDP) in einer Wahlversammlung in Göttingen am 2. November 1952: »Die schwarz-rote Koalition mästet sich in Osterreich am deutschen Eigentum.« Obwohl diese Aussage als »Unfreundlichkeit« empfunden werden konnte, wollte Wien keinen expliziten und förmlichen Protest einlegen, wenngleich es sein Missfallen an höchster Stelle bekundete. Dehler bedauerte dann gegenüber Schöner, eine Spannung hervorgerufen zu haben. Er habe »nicht die geringste Absicht« gehegt, die Bundesregierung oder die Koalitionsparteien anzugreifen.39 Trotz aller Beschwichtigungen blieb die Problematik virulent. Die USA und Großbritannien hatten 1949 - im Unterschied zur Sowjetunion und Frankreich - die deutschen Vermögenswerte Österreich bis zum Abschluss des Staatsvertrages zur treuhänderischen Verwaltung »überlassen«.40 Die Regelung des »kleinen« deutschen (Privat-)Eigentums sollte erst nach 1955 in einem deutsch-österreichischen Vermögensvertrag bilateral erfolgen. Die Überlassung des »großen« deutschen (Konzern-)Eigentums in den westlichen Zonen führte dann im Sommer 1955 zur schwersten Krise im noch jungen Verhältnis zwischen Bonn und Wien. Ursache der bundesdeutschen Verstimmung war die Neuregelung der Frage des deutschen Eigentums in Artikel 22, Ziffer 13 des Staatsvertrags von 1955. 41 Die Westmächte übertrugen die Verfiigungsrechte an Österreich, das gezielt daraufhingearbeitet hatte,42 während die Sowjets fiir das »deutsche Eigentum« in ihrer Zone 150 Millionen Dollar Ablöse und 6 Millionen Tonnen Erdöl sowie 2 Millionen Dollar fiir die D D S G einstrichen. Österreich genoss bei der Neuregelung der Frage des deutschen Eigentums nicht nur sowjetische Rückendeckung, sondern auch westliche Unterstützung.43 Der Berliner Praw^-Korrespondent Naumow erinnerte ebenfalls zu Recht daran, dass die Bundesrepublik im »Deutschland-Vertrag« Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955 (Studien zu Politik und Verwaltung 62), Wien - Köln - Graz 4 i998, S. 530. 39 Aufzeichnung Kordt 210-01/55 DI 16570/52,4. und 5. 11. 1952. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA/AA), Bonn, Abt. 3 (Länderabteilung), Referat 304, 210-01/55, Bd. 1; vgl. Das Kleine Volksblatt, 7. 11. 1952; Die Presse, 8. 11. 1952; Pape, Ungleiche Brüder, S. 158-159. 40 Pape, Die deutsch-österreichischen Beziehungen, S. 155. 41 Niels Hansen, Eine peinliche Mission. Wien, 14. Mai 1955: Wider die Enteignung deutschen Vermögens durch den österreichischen Staatsvertrag. In: Historisch-Politische Mitteilungen 2 (1995), S. 223-246, S. 233fr. 42 Ebd., S. 23off. Siehe dagegen die viel ausgewogeneren und objektiveren Ausführungen zum Komplex »deutsches Eigentum« von Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 526-537. 43 Vgl. z. B. »Britische Akzente zum Verhältnis Bonn-Wien«, In: Die Presse, 23.6. 1955, worin auf den Bericht eines 7»»ei-Korrespondenten verwiesen wird, wonach diese Klausel nicht hastig anlässlich der Pariser Verträge zustande gekommen sei, sondern sich schon als Paragraf 2 im Artikel 3 des 6. Kapitels »der Konvention [Generalvertrag] fand, die im Mai 1952 in Bonn unterzeichnet« worden war.

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[sic!] die Verpflichtung übernommen hatte, jedes Abkommen zwischen den vier Großmächten und Osterreich bezüglich der ehemaligen deutschen Vermögenswerte in Osterreich anzuerkennen.44 Die komplexe Problematik kann im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter vertieft werden. Sie ist in der Fachliteratur eingehend behandelt worden.45 Später wird noch einmal darauf zurückzukommen sein. Wenngleich anglo-amerikanische Diplomaten wiederholt von einem »Austrian peace treaty«46 sprachen, wurde der Terminus »Friedensvertrag« von Osterreich abgelehnt. Sowohl eine »Liquidierung der Besatzungszeit«47 (so empfand André François-Poncet den »Generalvertrag«), verbunden mit der Hinnahme der Teilung des Landes und weiterer Präsenz fremder Truppen als auch die von Ivonne Kirkpatrick stammende Formel »halb Friedens- halb Militärvertrag«48 kamen für den Ballhausplatz als Modell nicht in Frage. Adenauer hatte den »Generalvertrag« auch nur als ein »friedensvertragsähnliches Werk« bezeichnet und plädierte aus Gründen der »Propaganda« für den Titel »Deutschlandvertrag«.49 Im Unterschied zur abseits gelegenen »quantité négligeable« Osterreich hatte die Bundesrepublik zentralen Stellenwert im europapolitischen Kalkül der Westmächte, v. a. der USA. Für diese konnte trösdich sein, dass, solange Österreich »allianzfrei«, aber dennoch geistig und ökonomisch westorientiert blieb, sein Potential für den Westen nicht verloren und - was entscheidend war - dem sowjetischen Einfluss zum großen Teil entzogen wurde. Der Kanzlerwechsel von Leopold Figi zu Julius Raab vollzog sich im Jahre 1953 in außenpolitischer Hinsicht problemlos, ohne dass sich die Kontinuität der österreichischen Politik (Westorientierung unter Verzicht auf Separatverträge und militärische Bündnisse) änderte und die westalliierte Österreichpolitik sich zu einer Kursänderung gezwungen sehen musste. Die österreichische Bundesregierung erblickte in der Aufrechterhaltung der inneren Balance, d. h. der Beibehaltung der Großen Koalition und der Präsenz aller Besatzungsmächte, eine temporär betrachtete integritätspolitische Notwendigkeit. Die Vier-Mächte-Kontrolle sollte als Interimslösung bis zum endgültigen Abzug aller Truppen und der Erlangung staatlicher Souveränität dienen. Sie war ein weit geringeres Übel als die Spaltung des Landes, die mit dem Jahr 1938 vermutlich ein zweites Finis Anstriae bedeutet hätte. Und das »Anschluss«-Jahr sollte im Denken und Handeln der österreichischen Politik weiter präsent bleiben ! 4 4 Österreichische Zeitung, 2 1 . 5 . 1955.

45 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 526-537; Pape, Ungleiche Brüder, S. 139-159, 294-349. 46 Bischof, Responsibility, S. 526-622, 727-821. 47 Adenauer und die Hohen Kommissare 1952, hrsg. v. Hans-Peter Schwarz in Verbindung mit Reiner Pommerin, bearbeitet von Frank-Lothar Kroll und Manfred Nebelin (Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amtes, Bd. 2), München 1990, S. 103. 48 Ebd., S. 126. 49 Ebd., S. 145, 340.

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4. »Tauwetter« in den Beziehungen: Der Besuch Grubers in Bonn 1953 Der Besuch von Graber und Staatssekretär Bruno Kreisky vom 19. bis 20. Mai 1953 in Bonn stellte die erste amdiche Fühlungnahme zwischen den Spitzenrepräsentanten beider Länder nach 1945 dar. Das Treffen diente der Herstellung freundnachbarlicher Beziehungen.50 Da es Anzeichen gab, »dass die Sowjetregierung eine Neutralisierung Österreichs anstrebt«, wünschte Bonn zu wissen, wie sich Osterreich hierzu stellen würde. Mit Erleichterung hatte man aufgenommen, dass der Staatssekretär für Inneres, Ferdinand Graf (ÖVP), die Haltung der SPD gegenüber Adenauer als »Hochverrat an Europa« bezeichnet und erklärt hatte, »nur der Kreml könne sich über diese Sabotage aus politischen Gründen freuen«.51 Das konnte die Führung der Bundesrepublik mit Genugtuung erfüllen. Gruber versuchte Adenauer in Bonn verständlich zu machen, dass die politische Lage Österreichs von der Deutschlands »grundlegend verschieden«, zumal das Land von Beginn an »durch ösdiche Initiative in zwei Teile gespalten worden« sei - eine Auslegung, die der westdeutschen Lesart entsprach. Aufgabe der deutschen Bundesregierung könne es, so Gruber, nur sein, durch Stärkung der wirtschafdichen Kraft Westdeutschlands, Aufbau neuen internationalen Vertrauens und besonders Ausarbeitung eines modus vivendi mit den Besatzungsmächten »die beste Voraussetzimg für die künftige Wiedervereinigung Deutschlands zu schaffen«. Das war geradezu prophetisch und entsprach ebenfalls der Zukunftsprognose der »Politik der Stärke« Adenauers. Anders gestalte sich dagegen die Lage Österreichs, ein Land, welches vereint geblieben sei. Gruber argumentierte, Österreich dürfe keine Politik betreiben, die einen Spaltungsprozess einleiten würde. Adenauer schien für Österreichs Lage »volles Verständnis« zu haben.52 Der Bonn-Korrespondent der Presse lobte »die beiden Realpolitiker«, die Garanten dafür seien, dass es »um nichts anderes ging als um nüchternste Realpolitik, die das Scheinwerferlicht der internationalen Aufmerksamkeit nicht zu scheuen braucht«.53 Ubereinstimmung wurde über die Verschiedenartigkeit der beiden Länder und die Unvergleichbarkeit der Situation erzielt. Nicht frei von Opportunismus setzte Wien auf die Existenz eines stabilen und auch militärisch verteidigungsbereiten Systems in Westeuropa, dem die Bundesrepublik angehören sollte. Dies schloss konsequenterweise jede 50 Besuch des österreichischen Außenministers Gruber, Abteilung III des Auswärtigen Amtes, v. Ostermann, an das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Schirmer, 8. 5. 1953. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA/AA) früher Bonn, jetzt Berlin, Abt. 3, Deutschland-Österreich 1952-1953, AZ. 75205/55, Bd. 2, Gruber-Besuch. 51 Kurzfassung, Aufzeichnung 752-05/55 für den Herrn Bundeskanzler, AA, Abteilung DI, Eing. 17. 7. 1953. Ebd. 52 Vgl. Karl Gruber, Zwischen Befreiung und Freiheit. Der Sonderfall Osterreich, Wien 1953, S. 303fif. 53 »Realpolitik und Freundschaft«. In: Die Presse, 22.5. 1953.

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Empfehlung einer Neutralitätspolitik für Deutschland bzw. die Bundesrepublik aus. Gruber pflichtete Adenauer auch bei, dass es schwer vorstellbar sei, eine »natürliche Großmacht zu neutralisieren«, und es »keinen Präzedenzfall dieser Art« gebe. Nicht ohne Eigeninteresse fügte er hinzu, dass die Bundesdeutschen »eine Neutralisierung Deutschlands weder für möglich noch für wünschenswert«54 hielten. Interessanterweise sprach Gruber nur von Neutralisierung, nicht aber von Neutralität. Er knüpfte an die AdenauerRhetorik vollständig an. Wien befürwortete aus ureigenstem Interesse die »Normalisierung«55 der Beziehungen und die Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation mit der Bundesrepublik als Mittel zur Stärkung der territorialen Integrität und nationalen Konsolidierung.56 Dass dabei das Denken in Kategorien der jüngeren Vergangenheit in politischen Kreisen der Bundesrepublik noch latent war, machten Grubers Äußerungen nach seiner Rückkehr aus Bonn deutlich. Im OVP-Nationalratsklub bemerkte er auf die Frage nach der Lebhaftigkeit des Anschlussgedankens in Deutschland, »dass dieser Wunsch bei den Deutschen vermutlich immer vorhanden sein wird«. Er habe aber den Eindruck, »dass die deutsche Regierung den Anschluss nicht durchführen wird« (!), wohingegen er auf dem Standpunkt »kein Anschluss, aber auch keine chinesische Mauer« stehe.57 Im Sommer 1953 erblickte Gruber neue Elemente in der sowjetischen Deutschlandpolitik. Französischen Beobachtungen zufolge erkannte er die Absicht der UdSSR « austriaciser le problème allemand, c'est à dire à reconstruire l'unité allemande par la voie du quadripartisme, avec toutes les conséquences qui pourraient en résulter pour l'orientation de l'Allemagne prise comme un tout«.58 Vier-Mächte-Kontrolle war aber genau das, was Adenauer unbedingt vermieden sehen wollte. Nicht nur Gruber stand offiziell hinter der Politik des deutschen Bundeskanzlers, auch die SPO hatte dem Westintegrationskurs der Bundesrepublik stets offene Sympathie entgegengebracht und damit auch die Oppositionshaltung der SPD gegen Adenauer konterkariert. Es gab also einen österreichischen parteipolitischen Konsens (OVP-SPO) in der offiziellen Gutheißung und Unterstützung des Westintegrationskurses der Bonner Regierung.

54 Reinhard Bollmus, Die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich 1950-1958. Stationen einer skeptischen Freundschaft. In: Christliche Demokratie 1 (1983) 3, S. 9-23, hier S. 14; zur Geschichte und Problematik von Neutralisierungskonzepten vgl. Andreas Hillgruber, Alliierte Pläne für eine »Neutralisierung« Deutschlands 1945—1955 (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften Vorträge G 286), Opladen 1987, S. 5 - 3 1 , hier S. 25ff. 55 So lauteten die Pressekommentare: Neues Osterreich, 20. 5. 1953; Wiener Kurier, 21. 5. 1953. 56 Vgl. die Replik des Außenministers auf VdU-Positdonen Anfang des Jahres: »Dr. Gruber antwortet dem V d U « , 29. 1. 1953. In: Gehler (Hrsg.), Reden und Dokumente, S. 418. 57 Protokoll über die 8. Sitzung des Nationalratsklubs der OVP, 27. 5. 1953. AKVI, Ordner NR-Klub 1953. 58 Télégramme à l'arrivée Vienne an MAE, 12. 6. 1953. Ministère des Aifaires Etrangères (MAE), Paris, Europe, Autriche/URSS, Vol. 268, Fol. 33.

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5. »Unklare Beziehungen sind besser als gar keine« Die Suche nach einem modus vivendi mit der Montanunion ab 1953 Beim koalitionspolitisch fein austarierten Besuch von Gruber und Kreisky in Bonn stand auch die Frage des Verhältnisses zur Montanunion auf der Tagesordnung. Aus der Kurzfassung einer Aufzeichnung für Adenauer geht allerdings hervor, dass die EGKS kein Gesprächsthema auf höchster Ebene war. Wie am Ballhausplatz »die neue Taktik des Kreml« nach Stalins Tod beurteilt und ob Österreich nach Abschluss des Staatsvertrags »zwischen westlicher und östlicher Welt platziert sein« werde, war von größtem Interesse des deutschen Regierungschefs, überragt von der sorgenreichsten Frage des »Alten«: Nachdem »Anzeichen dafür vorhanden« waren, »dass die Sowjetunion eine Neutralisierung Österreichs anstrebt«, trieb den Rhöndorfer vor allem um, wie sich die österreichische Regierung hierzu stellen würde.59 Der Verdacht Adenauers war nicht unbegründet. Julius Raab hatte bereits öffentlich Andeutungen in Richtung Allianzfreiheit gemacht. Vor diesem erhellenden Hintergrund wird einsichtiger, warum die deutsche Kanzlerrepublik viel mehr aus politischen als aus wirtschaftlichen Gründen eine stärkere Anbindung Österreichs an die vor einem Jahr in Kraft getretene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) für wünschenswert hielt: Mit einer solchermaßen betriebenen Annäherung ließen sich Neutralisierungstendenzen für Österreich oder Tendenzen in Richtung Allianzfreiheit minimieren oder gar immunisieren, die sonst möglicherweise auf Deutschland attraktiv oder »ansteckend« hätten wirken können - solange jedenfalls der außen- und sicherheitspolitische Status der Bundesrepublik offen war. Dass Wien die wechselseitigen Beziehungen insbesondere aus ökonomischer Perspektive wahrgenommen hatte und sein Verhältnis zum nördlichen Nachbarn vor allem mit Blick auf dessen gewachsenen Stellenwert positiver zu gestalten bemüht war, wurde Adenauer seitens des Auswärtigen Amtes nicht ohne Genugtuung vermittelt: »Deutschland gegenüber hat die österreichische Regierung bisher Distanz gewahrt. Das steigende Gewicht Deutschlands veranlasst sie jetzt, die Beziehungen zu normalisieren.«60 Im direkten Gesprächsaustausch mit Österreichs Außenminister gab der deutsche Bundeskanzler dann klar zu verstehen, dass er die Wirtschaft nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel der Politik begriff: Adenauer wies Gruber daraufhin, »dass wir auch im europäischen Interesse der österreichischen Wirtschaft helfen sollten. Je stärker ein Volk wirtschaftlich ist, umso widerstandsfähiger ist es gegenüber dem Kommunismus.«61 Gru59 Kurzfassung, Aufzeichnung für den Herrn Bundeskanzler, PA/AA, Abteilung HI, AZ. 752-05/55; mit Akten erstmals den Besuch Grubers in Bonn belegt: Gehler, Österreich, die Bundesrepublik und die Deutsche Frage 1945/49-1953. In: Gehler u. a. (Hrsg.), Ungleiche Partner?, S. 535-580, hier S. 554-557; später dazu Pape, Ungleiche Brüder, S. 204-211. 60 Ebd. (Kurzfassung). 61 Kurzprotokoll Besprechung mit dem österreichischen Außenminister unter Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers, Dienstag, den 19. 5. 1953, 11.15 bis 12.30 Uhr. PA/AA, Abteilung III, AZ. 725-05/55.

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ber ging auf diesen Hinweis nicht ein, hielt er es wahrscheinlich nicht für notwendig, Adenauer von der Widerstandsfähigkeit seiner Landsleute überzeugen zu müssen. Osterreich hatte es bereits seit acht Jahren verstanden, mit den Russen im Lande Politik zu machen und einen modus vivendi zu finden, die Einheit des Staates zu wahren und den Einfluss der Kommunisten sehr gering zu halten. Die KPO war politisch weitgehend bedeutungslos. Es bestand nach 1945, spätestens ab 1947/48 keine reelle Gefahr, dass das Land kommunistisch werden würde, was auch für Deutschland als Ganzes anzunehmen war - wie sollten auch bürgerlich-agrarische Gesellschaften über Nacht sowjetisiert oder gar bolschewisiert werden? Es bestand jedenfalls in beiden Fällen Spaltungsgefahr, im deutschen mehr als im österreichischen, aber auch Wien konnte die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios nicht ausschließen. Das Thema Montanunion war dann Gesprächsgegenstand zwischen den Staatssekretären. Kreisky schilderte das österreichische Interesse an einer »Beteiligung, aber auch die Notwendigkeit, auf die politische Lage Rücksicht zu nehmen, die gerade im jetzigen Zeitpunkt wegen der möglichen Wiederaufnahme der Verhandlungen über den Staatsvertrag besonders geboten ist«. Die Sowjets »argwöhnen hinter den österreichischen Bemühungen um die Montanunion die Absicht, sich an der Aufrüstung des Westens zu beteiligen«. Andererseits brauche Osterreich Kohle und Schrott. Es sei selbst Eisenproduzent. Daher habe es »einen Beobachter nach Luxemburg entsandt, von dessen Berichterstattung es abhängen wird, ob Osterreich eine Reihe von bilateralen Verträgen schließen kann«. Es versuche jedenfalls, »in ein ordentliches Verhältnis mit der Montanunion zu kommen«. Auch in Straßburg unterhalte Osterreich einen Vertreter. Vollmitglied des Europarates zu werden, müsse es aber mit Rücksicht auf die Sowjetunion ablehnen. »Unklare Beziehungen« seien »immerhin besser als keine Beziehungen«, meinte Kreisky, was auf die E G K S gemünzt zutraf. Sein Gegenüber im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, machte deutlich, dass »durch rein bilaterale Maßnahmen die Vorteile, die eine Assoziation mit der Montanunion bietet, nicht erlangt werden könnten«. Im Gegensatz zum starren Gefiige des Europarats biete die E G K S »die Möglichkeit eines Status zwischen der Mitgliedschaft und der Nichtmitgliedschaft«,62 eine Empfehlung, die Kreisky aufmerksam registriert haben, in der Sache aber nichts Neues für den Ballhausplatz gewesen sein dürfte. Später sollte Hallstein als EWG-Kommissionspräsident Osterreich eine bilaterale Zollunion mit der E W G anbieten, worauf Kreisky als Außenminister nicht begeistert reagieren und eingehen wollte.63 War für ihn die europäische Integra-

62 Gehler, Klein- und Großeuropäer. In: Ders. u. a. (Hrsg.), Ungleiche Partner, S. 581-642, hier S. 599-602 (Zitat S. 601). 63 Michael Gehler, Zwischen Supranationalität und Gaullismus. Österreich und die europäische Integration 1957-1963. In: Ders./Rolf Steininger (Hrsg.), Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995 (Institut für Zeitgeschichte, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 4), Wien - Köln - Weimar 2000, S. 497-576, hier S. 537-538.

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tion noch zu deutschlastig, um sich ihr bedenkenlos anvertrauen zu wollen und zu können? Neu war auch die zu erwartende sowjetische Propaganda zum Gruber-Besuch bei Adenauer nicht, doch zeigte sie einmal mehr, wie sensibel man in Moskau auf österreichische Integrationsavancen via Bundesrepublik reagierte. Die EGKS-Ambitionen waren den russischen Beobachtern nicht entgangen. Hierzu ließ Moskau verlauten, dass Grubers Visite in Bonn »dem gemeinsamen Ziel der westdeutschen Industriellen und der >reaktionären< österreichischen Regierung gedient« habe, »den wirtschaftlichen >Anschluss< der österreichischen Schwerindustrie an das Rüstungspotential der Ruhrmagnaten nach dem Muster des Dritten Reiches zu vollziehen«. Darüber hinaus sei auch in Besprechungen über Österreichs Beitritt zur EVG (!) über eine beschleunigte Remilitarisierung beider Länder der politische »Anschluss« vorbereitet worden! Grubers vorsichtig-zurückhaltende Bewertungen seines Besuchs wurden als Täuschungsmanöver ausgelegt.64 Die Mutmaßungen entbehrten ein gehöriges Maß an Wahrheitsgehalt. Es war Propaganda, die den Zweck verfolgte, die Österreicher einzuschüchtern und zu verhindern, dass sie ä la Bonn auf Westintegrationskurs zu steuern begannen. Davon war aber Wien nicht nur auf Grund der außenpolitischen Zwangslage, sondern auch schon aus Gründen der inneren und besatzungspolitischen Konstellation und seiner Staatsräson weit entfernt. Tatsächlich galt es für Wien, sich 1954/55 den Staatsvertragsabschluss zu konzentrieren, der in dieser Zeit im absoluten Mittelpunkt des Interesses der österreichischen Außenpolitik stand. Erst war die Einheit und die Freiheit des Landes zu sichern, bevor man sich auf Österreichs Staatlichkeit gefährdende Westintegrationsexperimente überhaupt einlassen wollte. Julius Raab und Leopold Figl taten exakt das Gegenteil der Politik von Konrad Adenauer und Heinrich von Brentano für die Bundesrepublik. Raab einigte sich freilich mit den Sowjets nicht auf eine »Neutralisierung«65 Österreichs, sondern auf eine zukünftige Politik der Neutralität, worin ein kleiner, aber wesentlicher Unterschied bestand. In der Integrationspolitik blieb es 1955/56 erstaunlichflexibelund unternehmensfreudig. Als der neue bundesdeutsche Außenminister Brentano anlässlich seines Wien-Besuches im November 1955 aus seiner Euphorie für die Aktivitäten einer engeren europäischen Kooperation, v. a. im Europarat und in der Montanunion, keinen Hehl machte, erkundigte sich der Schweizer Gesandte bei Josef Schöner im Außenamt in Wen, wie sich Österreich »heute zu diesem Fragenkomplex« stelle. Darauf erhielt der Eidgenosse die nicht wenig erstaunliche Antwort, »man hätte in Regierungskreisen nie grundsätzliche 64 »Moskau zum Besuch Außenministers Gruber in Bonn«, 5. 6. 1953. PA/AA, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung IV/6, AZ. 752-05/55. 65 So Eckart Lohse, Ostliche Lockungen und westliche Zwänge. Paris und die deutsche Teilung 1949 bis 1955 (Studien zur Zeitgeschichte, hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte 46), München 1995, S. 175.

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Bedenken gegen den Beitritt des Landes zu den erwähnten europäischen Organisationen gehabt«. Der Schweizer Diplomat hielt für das Politische Department in Bern fest: »Im Hinblick auf die Erklärungen, die mir seinerzeit sowohl von Außenminister Figl wie auch vom Chef der Abteilung internationale Organisationen, Gesandter Matsch, gemacht worden waren, wonach die Verbundenheit des Europarates, vorab der Montan-Union, mit der NATO-Organisation Vorsicht im Bezug auf eine zu enge Zusammenarbeit Österreichs mit diesen Organisationen gebiete, war ich auf diese Antwort nicht ohne weiteres gefasst. Botschafter Schöner entging offenbar meine Überraschung nicht, jedenfalls fuhr er fort, es sei richtig, dass die Regierung bisher gewillt war, diesen Organisationen gegenüber eine abwartende Stellung einzunehmen. Von Seiten insbesondere derjenigen Parlamentarier, die gegenwärtig als Beobachter Österreichs im Europarat in Straßburg tätig seien, werde indessen auf eine positivere Einstellung Österreichs gedrängt. Die Interessen des stahlfabrizierenden Österreichs an der aktiven Mitarbeit des Landes in der Montan-Union seien zu offensichtlich, als dass man es sich leisten könnte, in Straßburg weiterhin zu antichambrieren. Irgendwelche Beschlüsse seien von der Regierung freilich noch nicht gefasst worden. Es sei aber zu erwarten, dass diese dem Drängen der interessierten Kreise früher oder später nachgeben werde!«66

Österreichs Position zur E G K S sollte sich Mitte der i95oer-Jahre wie folgendermaßen darstellen: »zur Zeit« abwartend und die konkrete Beitrittsfrage noch verneinend. Es dauerte aber nicht allzu lange, da sollte sich diese Haltung als flexibel genug und veränderbar erweisen. Für die nähere Zukunft wurde dann eine Annäherung, ein assoziationsartiges Verhältnis oder gar eine Mitgliedschaft nicht mehr ausgeschlossen! Sogar Positionen, wie die der Neutralität und der Westintegration, anzunähern oder gar zu vereinen, ist schon bemerkenswert. Österreichs Agieren war für Bonner Denkmuster einfach unvorstellbar: Neutralität und Westintegration wurden dort als unvereinbar gesehen. Es fehlte dort aber auch grundsätzlich an Flexibilität und Manövrierfähigkeit. Externe Gründe gaben für Österreichs Haltung mehr Ausschlag als interne. Ob nämlich nun Österreich selbst nicht wollte oder nicht konnte, war zweitrangig. Ausschlaggebend sollte sein, dass die integrationspolitischen Zwänge durch die Bildung des Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl und die damit verbundenen Exportabhängigkeiten des Landes 1955/56 mehr und mehr unausweichlich wurden. Durch die fortschreitende Senkung der Zollsätze innerhalb der Montanunion und der dadurch vergrößerten Spanne zwischen EGKS-Zöllen und solchen von Drittstaaten entstand eine immer größere Behinderung der österreichischen Eisen- und Stahlexporte in die Länder der 66 Bericht der Schweizerischen Gesandtschaft in Österreich »Betr. U N O und Europa-Organisationen Neutralitätserklärung« an Herrn Bundespräsident Petitpierre, Bern, 22. 1 1 . 1955. Schweizerisches Bundesarchiv (BAR) Bern, E 2300, Microfiche-Sammlung.

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Montanunion. Daraus ergab sich ein stärkerer Integrationsdruck von außen. Der Sektionschef im Handelsministerium, Johann Augenthaler, nannte es »die unbedingte Notwendigkeit« zur Herbeiführung von Zollverhandlungen, »um zu einem tragbaren Zustand für Osterreich zu gelangen«. Bereits am 3. Dezember 1955 war der Vertreter der Hohen Behörde der Montanunion, Dirk Spierenburg, zu Besuch in Wien gewesen und hatte als Voraussetzung zur Einleitung solcher Zollverhandlungen eine Regelung der gegenseitigen Exportpreise gefordert. Osterreich konnte sich hiervon nicht ausschließen, sondern nur mitziehen. So einigte man sich anlässlich des Spierenburg-Aufenthalts über ein Abkommen betreffend Preisregelung, das von der Bundesregierung genehmigt und der Hohen Behörde zur Kenntnis gebracht wurde.67 Kaum war Osterreich in die staatliche Unabhängigkeit entlassen, nahm es den Gewinn an außen- und integrationspolitischer Handlungsfreiheit wahr. Alsbald waren Annäherungstendenzen an den Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl erkennbar. Karl Gruber, nunmehr Botschafter in den USA, ließ zunächst verlauten, dass Österreichs Haltung hierzu unverändert sei: Beobachterstatus, spezielle zweiseitige Abkommen mit jedem der sechs EGKS-Staaten, aber »no present intention of joining the CSC«. Das war die offizielle Position, die der sich gewohnt unumwunden artikulierende Ex-Politiker für das State Department jedoch nicht tininterpretiert ließ, als er seinen amerikanischen Freunden zu verstehen gab: »In commenting, Gruber stated that sooner or later Austria would have to associate itself more closely with the C S C , possibly through an agreement with the C S C replacing the six bilateral agreements. T h e r e was considerable pressure for closer association with the C S C from the Austrian iron and steel industry in view of preferential rates established by the six member nations. T h e Austrian industry was finding it increasingly difficult to compete in C S C markets. If the steel boom should lessen, the situation would become more critical. In addidon there was the problem of scrap for the Austrian steel industry. Austria was becoming more and more dependent upon scrape deliveries from the C S C countries. Finally, there was the question of coal. Austria was currendy dependent on U S coal with some Polish coal as well, but would in the future take more coal from C S C . « 6 8

Weitere Annäherungen und Einigungen ließen daher nicht mehr lange auf sich warten. Mit der Montanunion erreichte Osterreich anlässlich der GATT-Zollsenkungskonferenz in Genf eine Regelung am 8. Mai 1956 in Form eines Zoll- und Preisabkommens sowie Schlichtungsverfahrens, welches durch eine Vereinbarung über eine Anti-Dumping67 Information für den Herrn Bundesminister, Augenthaler, 8. 7. 1956. ÖStA, AdR, Bundesministerium fiir Handel und Wiederaufbau (BMfHW), 3715 H 1956IV 68 »Austrian Matters«, Memorandum of Conversation, January 26, 1956. National Archives Record Administration (NARA), State Department, Record Group (RG) 59 1955-1959, Box 3577.

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Klausel ergänzt werden sollte. Während die EGKS-Staaten 1956 über einen »Gemeinsamen Markt« (EWG) verhandelten, kündigte Osterreich sein Interesse an einer Vollmitgliedschaft in der Montanunion an, was ein Paukenschlag seiner Integrationspolitik war. Dass dann daraus in weiterer Folge nichts wurde, ist freilich eine andere Geschichte.69

6. Das Scheitern der Berliner Außenministerkonferenz und der E V G 1954 Ein Lichtblick war, dass Osterreich im Jänner und Februar 1954 auf der Berliner Außenminister-Konferenz70 mit dem neuen Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky als gleichberechtigter Verhandlungspartner zugelassen war, während die Bundesrepublik darauf noch bis zur Genfer Außenministerkonferenz im Herbst 1955 warten musste. Der politische Stellenwert Österreichs war nach Unterzeichnung des General- und E V G Vertrags (26-/27. Mai 1952) gestiegen, was die Bundesrepublik weder beabsichtigt hatte noch verhindern konnte. Osterreich begann sich allmählich aus seiner unentrinnbar scheinenden Abhängigkeit von der deutschen Frage zu lösen, die sich ihrerseits auf eine Bereinigung, d. h. von der provisorischen auf die definitive Teilung, hin bewegte. Dagegen wurde die zunächst als Provisorium gedachte Bundesrepublik zum Dauerzustand. Trotz gewisser Fortschritte war Osterreich bemüht, seine Politik mit der der Bundesrepublik nicht in zu große Widersprüche geraten zu lassen. Die unterschiedlichen politischen Zielsetzungen von Wien und Bonn sollten nicht gefährdet werden. Im Jänner 1954 berichtete der Vertreter der im Zuge des Staatsbesuchs Grubers installierten »Wirtschaftsdelegation der Bundesrepublik« in Wien, Carl-Hermann Mueller-Graaf, von Raabs Interesse an einem Treffen mit Adenauer und dem Wunsch »nach engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Nachbarländern«. Ferner sei die »Notwendigkeit« betont worden, »auf der Berliner Konferenz nichts zu tun, was dem anderen Land abträglich sein könnte«. Mueller-Graaf gab dem Auswärtigen Amt bekannt, dass Figl »mit großer Entschiedenheit« abgelehnt habe, »dass Österreich den Staatsvertrag

69 Siehe hierzu auch Thomas Angerer, Exklusivität und Selbstausschließung. Integrationsgeschichtliche Überlegungen zur Erweiterungsfrage am Beispiel Frankreichs und Österreichs. In: L'Elargissement de l'Union Européenne. Actes du colloque franco-autrichien organisé les 13 et 14 juin 1997 par l'Institut Culturel Autrichien et l'Institut Pierre-Renouvin. In: Revue d'Europe Centrale 6 (1998), No. 1, S. 25-54, hier S. 41-46; Michael Gehler, Zwischen westeuropäischer Integration und nationalstaatlicher Souveränität: Osterreich, der Schuman-Plan und die Montanunion 1950-1972. In: Tagung des Düsseldorfer Stahlzentrums anlässlich 50 Jahre Montanunion (2002) (i. E.). 70 Vgl. Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955, S. 120-125; Nikolaus Katzer, »Eine Übung im Kalten Krieg«. Die Berliner Außenministerkonferenz von 1954 (Bibliothek Wissenschaft und Politik 53), Köln 1994, S. 195-281, hier S. 222f. und S. 266 (hier basierend aufThoß und den Kreisky-Memoiren).

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mit einer Neutralisierung erkaufen könnte, da dies allen Grundgedanken der österreichischen Politik widersprechen würde«. Osterreich müsse »ein selbstständiger Staat sein«. Der neue Außenminister ließ »sehr deutlich« durchblicken, »dass auch Neutralität im echten Sinne einer freiwilligen österreichischen Politik im Grunde mehr EIN M I T T E L sein würde, UM D E N S T A A T S V E R T R A G zu E R H A L T E N [Herv. M . G.], dass er aber auf Dauer Neutrali tat kaum für möglich halte«.71 Ob diese Feststellung zur Beseitigung des bundesdeutschen Misstrauens gegenüber der Politik Raabs beigetragen hat, dürfte zweifelhaft sein. Angesichts der relativ unflexiblen, d. h. intransigenten sowjetischen Österreichpolitik im Frühjahr 1954 waren Vorbehalte und Sorgen in Bonn eigentlich unbegründet. Wie schwer sich Moskau nämlich tat, von seiner Maxime der deutschen Priorität abzurücken - und damit Österreich weiter als Appendix zu behandeln - , und sich dadurch selbst Wege in Richtung einer Politik der »Neutralisierung« und Neutralität Österreichs (und im Zuge dessen möglicherweise auch Deutschlands) verbaute, zeigte die Berliner Außenminister-Konferenz. Sie endete für Wien enttäuschend. Der Ballhausplatz hatte nicht zuletzt auf Grund des starken Drucks der Öffentlichkeit auf einen baldigen Abschluss des Staatsvertrags gedrängt. Dieser scheiterte jedoch erneut an einem für Österreich inakzeptablen sowjetischen Junktim, die im Osten des Landes stationierten Truppen dort zu belassen, bis dass ein Friedensvertrag mit Deutschland abgeschlossen sein würde. Wieder war der lange Schatten der Deutschlandfrage auf Österreich gefallen, das allerdings gut beraten war, weiterhin Geduld zu üben und nicht in den Fehler zu verfallen, unüberlegte Handlungen zu setzen und eine einseitige politische Ausrichtung anzustreben. Folgerichtig lehnte der Ballhausplatz das Junktim Molotows ab, zumal damit die Möglichkeit zur völligen Unabhängigkeit nicht gegeben war und die Gefahr einer zukünftigen sowjetischen Infiltration bestand. Nachdem die deutsche Frage zunehmend als festgefahren und unlösbar erachtet wurde, wäre es auch verantwortungslos gewesen, das Schicksal Österreichs weiter an das Deutschlands zu binden. Das Junktim Molotows - erst über Deutschland, dann über Österreich bzw. nicht über Österreich ohne Deutschland verhandeln - stand außerdem im krassen Widerspruch der österreichischen Außenpolitik nach 1945, alles zu tun, um von Deutschland und dem deutschen Komplex frei zu werden. Nur vor diesem Hintergrund wird auch das offizielle Festhalten an der Opferthese verständlich, die oft von der jüngeren Zeitgeschichtsforschung nicht ganz zu Unrecht kritisiert wird, aber ohne diesen deutschlandpolitischen Zusammenhang gebührend zu reflektieren. Kreisky kannte die Sorgen, die Bonn wegen des Modellfalles Österreich, der wie gesagt als »Negativ-Beispiel« galt, verbunden mit analogen Überlegungen der bundesdeutschen Opposition bzw. der Sowjetunion hatte. Er betonte gegenüber Mueller-Graaf, Wien könne »nach wie vor keineswegs den Staatsvertrag durch eine Zubilligung von vier 7 1 Ber.-Nr. 5/54, Mueller Graaf an Auswärtiges Amt, 15. 1. 1954,1090/54. PA/AA, Abteilung 3, Referat 304, Ö 94.19, Bd. 43 (35), 82.21-82.50.

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Militärstationen [sie!] in Österreich erkaufen, zumal wenn die Zeitdauer dieser Stationen [sie!] mit der Lösung der deutschen Frage verbunden bliebe«. Selbstverständlich sei man am Staatsvertrag »nach wie vor auf das Dringendste interessiert, aber nur, wenn er von der deutschen Frage gelöst und das Land vollständig geräumt würde«. Kreisky, der es nicht an kritischen Bemerkungen über die »recht unkluge Haltung der SPD gegenüber der EVG-Politik« fehlen Heß, beruhigte Mueller-Graaf, »dass eine vertragliche Bindung der autonomen österreichischen Erklärung, eine allianzfreie Politik treiben zu wollen, nach wie vor nicht beabsichtigt sei«.72 Die bundesdeutsche Politik hatte sich hingegen auf das westliche Junktim eingelassen, wonach die uneingeschränkte Mitwirkung an der westeuropäischen Integration - und damit auch die Fortführung des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion - die Voraussetzung für die westliche Zustimmung zur deutschen Einheit bildete. Trotz der enormen rüstungspolitischen, finanziellen und wirtschafdichen Reserven des Westens, vor allem der USA, musste die Niederringung der UdSSR und der Zusammenbruch der sowjetischen Mangel- und Misswirtschaft aber eine unbestimmte Zeitfrage sein. Einen derart langen Weg zur staatlichen Einheit - der 1955 mindestens als Jahrhundertprojekt erscheinen musste - wollte und konnte Osterreich verständlicherweise nicht gehen. Für die relativ rasch gesicherte Einheit und erlangte Freiheit ging es auch lieber den »langen Weg nach Europa«.73 Kurzer Weg nach Europa hieß das Motto dagegen für die Bundesrepublik, und damit konsequenterweise auch dauernde Teilung Deutschlands und langes Warten auf die Einheit. Die westdeutsche Außen- und Wiedervereinigungspolitik war in der ersten Hälfte der i95oer-Jahre von bemerkenswerter Alternativlosigkeit geprägt, bewegte sie sich doch lediglich im Handlungsspielraum des westlichen Bündnisses bzw. was dieses für zulässig erachtete, während die österreichische Politik trotz vierfacher Besatzung, aber ohne Blockanbindung, relativ manövrierfähig, ja unabhängiger blieb - was ein Paradoxon ist. Dies geschah vor allem dadurch - was Adenauer dezidiert ablehnte - , dass Osterreich den direkten Kontakt zu den Sowjets im Alliierten Rat in Wien und durch ihre Vertretung in Moskau suchte und aufrechterhielt, zumal wenn sich günstige Aussichten zu einem vorteilhaften Dialog boten. Ganz anders die Konstellation beim nördlichen Nachbarn. In Wien musste sich der Eindruck aufdrängen, dass bei der Herbeiführung der deutschen Einheit seitens der Bundesrepublik keineswegs große Eile herrschte, während man sich unentwegt bemühte, den westeuropäischen Integrationsprozess voranzutreiben.74

72 Mueller-Graaf an AA/Bonn, 18. 8. 1954, 211-00/2073/54- Ber. Nr. 450/54. PA/AA, Abt. 3, Referat 304, 211-00/55, Bd. 3, ZI. 20732/54. 73 Michael Gehler, Der lange Weg nach Europa. Osterreich vom Ende der Monarchie bis zur EU, Bd. 1 : Darstellung, Innsbruck - Wien - München - Bozen 2002. 74 Streng geheimes Schreiben ZI. 137-P0I/54 »Unterredung mit Botschafter Blankenhorn«, Rotter an Figi, 9. 9.1954. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol, ZI. 146.308-P0I/54.

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Bonn blickte unentwegt nach dem Westen, während Wien - westlich von Prag gelegen - nach Westen und Osten schauen musste. Die deutsche Einheit war in Bonn am Rhein in weiter Ferne, die österreichische Einheit galt es an der Donau in Wien zu sichern. Der zweite diplomatische Vertreter nach Adrian Rotter in Bonn, Erich Pichler, teilte seinem Chef Außenminister Leopold Figl die Auffassung eines britischen Diplomaten mit, wonach »die Russen und die Franzosen sich mit der Frage der deutschen Einheit mehr beschäftigen als die Deutschen selbst, von denen man echte politische Aktivität erwartet«.75 Hierin bestand wohl einer der fundamentalen Unterschiede in der Politik beider Staaten. Im Zuge des Scheiterns der E V G - die französische Nationalversammlung lehnte die weitere Behandlung am 30. August 1954 ab - kam auf der Londoner Neunmächte-Konferenz im September 1954 v. a. infolge anglo-amerikanischen Krisenmanagements der rasche Beitritt der Bundesrepublik zur W E U und NATO zustande. Hatte der forcierte Westkurs Adenauers den Abschluss des Staatsvertrags sehr lange mitverzögert, was 1952 mit dem innenpolitisch umstrittenen und außenpolitisch durch die Stalin-Noten76 hart umkämpften E V G - und Generalvertrag sowie durch Anspannung der internationalen Lage im Zuge des gescheiterten Aufstands am 17. Juni 1953 in der DDR, aber auch noch während der Berliner Außenministerkonferenz 1954 erkennbar war, so erwies sich die Entwicklung ab Herbst 1954 und im Frühjahr 1955 mit den ratifizierten Pariser Verträgen als günstig für die österreichische Staatsvertragspolitik. Die 1955 erlangte Integrität und Souveränität Österreichs bewegte sich bis dato im schwerlich auflösbar erscheinenden und daher auch unvermeidlichen Kontext der militärischen Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Allianz. Dass Wien in der Phase der Semidetente (FrühjahrSommer 1955) daraus politisches Kapital für den Staatsvertragsabschluss schlagen konnte, war eine beachtliche und eigenständig erarbeitete politische Leistung - denn diese große Chance relativ schnell zu erkennen und gezielt zu nutzen, war eine genuin österreichische Aktion - , v. a. aber auch Ergebnis einer seit 1945 konsequent betriebenen Politik des politischen Loslösungsprozesses von Deutschland. Diese erfolgreiche Politik war allerdings auch nur möglich, weil die in der Deutschlandfrage sicherheitspolitisch gleichsam vor vollendete Tatsachen gestellte Sowjetunion ihre bisher starre Osterreichpolitik modifizierte. Dabei stellt sich nach wie vor die Frage: Ergab sich diese Erkenntnis aus ihrer gescheiterten Politik, Deutschland in seiner Einheit zu belassen bzw. wiederherzustellen,77 oder war es ein neuer - und gleichzeitig letzter (?) - Anlauf, mittels 75 Schreiben ZI. 128-P0I/54 »Von der Brüsseler Konferenz«, Pichler an Figl, 18. 8. 1954. OStA, AdR, BKA/AA, H-pol, GZ1.145.904-P0I/54 (GZ1. 140.636-P0I/54). 76 Vgl. Rolf Steininger, Die Stalin-Note vom März 1952 - eine Chance zur Wiedervereinigung. In: Josef Foschepoth (Hrsg.), Kalter Krieg und Deutsche Frage. Deutschland im Widerstreit der Mächte 1945-1952, Göttingen 1985, S. 362-379. 77 Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994, S. 208-216; Ders., Nachwort zur Taschenbuchausgabe, München 1996, S. 233-239.

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Österreich noch etwas in der für Moskau letztlich unbefriedigend gebliebenen deutschen Frage zu bewegen?

II. D I E »ÖSTERREICHLÖSUNG«

1 9 5 5 ALS

VON DER D E U T S C H E N

EMANZIPATION

FRAGE

1. Das sowjetische Junktim zwischen Deutschland und Österreich fällt Die französische Diplomatie registrierte Presseberichte über das Verhältnis zwischen Deutschland und Osterreich aufmerksam, vor allem solche sowjetischer Provenienz. Gewohnheitsmäßig kündigte der Kreml seine neuen Vorstöße damit an, dass er die Öffentlichkeit durch vorbereitende Artikel in Provinzblättern und jene der Satellitenstaaten alarmierte. Am 9. Jänner hatte z. B. die ungarische Zeitung Magyar Nemzet auf die Gefahr eines Anschlusses Österreichs an die Bundesrepublik hingewiesen. Das gleiche Thema war in der Moskauer Presse aufgetaucht.78 Am 15. Jänner verlautbarte die UdSSR über ihre Nachrichtenagentur TASS, dass »noch ungenutzte Möglichkeiten« zur Lösung der Deutschlandfrage auf dem Verhandlungswege bestünden und bot die »Durchführung von gesamtdeutschen freien Wahlen« unter internationaler Kontrolle an. Moskau forderte dabei von Bonn die Suspendierung der Pariser Verträge und die Anerkennung der DDR. Dafür offerierte die Sowjetregierung allgemeine und freie gesamtdeutsche Wahlen einschließlich Berlin und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als Voraussetzungen für den Abschluss eines Friedensvertrages. Die Konkretisierung dieser Pläne sollte auf einer Viermächte-Konferenz erfolgen. Für den Fall der Ratifizierung der Pariser Verträge durch den Bundestag wurde auf die langjährige Spaltung Deutschlands hingewiesen und mit der vollen Einbeziehung der DDR in das östliche System gedroht. Die deutsche Bundesregierung reagierte auf die Vorschläge via Diplomatische Korrespondenz ablehnend.79 Der britische Botschafter in Wien, Geoffrey Wallinger, war nach sorgfältiger Lektüre zur Auffassung gelangt, dass die Molotow-Rede vom 8. Februar80 die »Neutralisierung Deutschlands« vorschlage, welche immer noch sowjetische Vorbedingung für einen Abschluss des Staatsvertrages sei. Die Einschätzungen des State Departments gingen in die ähnliche Richtung. Figl war überzeugt, dass Molotows Erwähnving eines Truppenrückzugs propagandistischen Hintergrund und der Kreml immer noch nicht aufgegeben

78 Conseiller diplomatique, Note pour le président, 25. 1. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Allemagne-Autriche 1954-1955, EU 6-8-8, Vol. 256, Fol. 100-101. 79 Vgl. die TASS-Meldung in vollem Umfang in : Archiv der Gegenwart 1955, S. 4959-4960. 80 Zur außenpolitischen Rede Molotows vor dem Obersten Sowjet, vgl. Archiv der Gegenwart 1955, S. 5004-5007, hier S. 500Öf.

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habe, ein Niemandsland in Deutschland und Osterreich zu schaffen. Er war sich sicher, dass die Neutralisierung fffeideutschlands auch weiterhin Vorbedingung für jeden sowjetischen Schritt in der Osterreichfrage sei.81 In der Rede hatte Molotow klar festgehalten, »dass die Regelung der österreichischen Frage nicht ohne Zusammenhang mit der deutschen Frage behandelt werden kann, umso weniger angesichts der Pläne zur Remilitarisierung Westdeutschlands, was die Gefahr der Verschlingung - des Anschlusses - Österreichs verstärkt«. Die Verhinderung eines neuen Anschlusses war an die Annahme dahingehender vereinbarter Maßnahmen der vier Mächte in der deutschen Frage geknüpft. Die neue Wendung sowjetischer Politik manifestierte sich in dem Satz: »In diesem Fall könnte der Abzug der Truppen der vier Mächte aus Österreich erfolgen, ohne den Abschluss des Friedensvertrages mit Deutschland abzuwarten.« Molotow verlangte aber eine Viermächte-Konferenz, auf der sowohl die deutsche Frage als auch die Frage des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages zu behandeln wäre.82 Die Ballhausplatz-Diplomatie musste auf Grund dessen wieder befürchten, dass bei den Siegermächten die deutsche Frage gegenüber der eigenen Vorrang bekommen würde. Die Sowjets hatten zwischen beiden Fragen ein Junktim hergestellt und ein Eingehen auf die österreichischen Belange von einer Lösung der deutschen Frage abhängig gemacht. Dies sollte aber nicht so bleiben. Am 11. Februar 1955 berichtete der französische Diplomat Roger Lalouette, dass der plötzliche Rücktritt Georgij Malenkows »große Überraschung« in Wien ausgelöst habe. Mehr als irgendein anderes Land sei Österreich für alles, was sich in Moskau ereigne, empfänglich und berechne sofort die Auswirkungen, die sich daraus für sein unmittelbares Schicksal ergeben. Unter diesem Blickwinkel seien die Erklärungen Molotows am 8. Februar vor dem Obersten Sowjet beurteilt worden und besonders jene zur Österreichfrage. Der stellvertretende sowjetische Hochkommissar in Österreich, Sergej Kudriawzew, wies Lalouette daraufhin, dass ein aufmerksames Studium der Ankündigungen Molotows über Österreich die Erkenntnis erlaube, dass die sowjetische Haltung in dieser Frage nicht mehr dieselbe wie in Berlin sei: »Es gibt etwas Neues.« Die militärische Räumung sei nicht mehr vom Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland abhängig. Eine Viermächtekonferenz über die Österreichfrage könne die deutsche Frage nicht ignorieren, ohne indessen den Ehrgeiz zu haben, diese Frage gleichzeitig zu lösen. Kudriawzew betrachtete es als wesentlich, dass die Vierer-Konferenz mit österreichischer

81 Rolf Steininger, 1955: The Austrian State Treaty and the German Question. In: Diplomacy if Statecraft Vol. 3 (November 1992), Number 3, S. 494-522, hier S. 499; Bruno Thoß, Modellfall Osterreich? Der österreichische Staatsvertrag und die deutsche Frage 1954/55. Ders./Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Zwischen Kaltem Krieg und Entspannung. Sicherheits- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik im Mächtesystem der Jahre 1953-1956, Boppard/Rhein 1988, S. 93-136, hier S. 108. 82 Archiv der Gegenwart 1955, S. 500Öf.

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Beteiligung vor [Herv. M. G.] der endgültigen Ratifizierung der Pariser Verträge abgehalten werden solle.83 Am 23. Februar berichtete der französische Hochkommissar in der Bundesrepublik, André François-Poncet, von einem Gespräch mit Adenauer, in dem dieser sicher schien, die Pariser Verträge ohne Schwierigkeiten im Bundestag ratifizieren zu können, während er sich über die Ratifizierung in Frankreich sorgte.84 Adenauer sollte im ersten Fall Recht behalten. Am 27. Februar passierte das Vertragswerk das bundesdeutsche Parlament trotz großer parlamentarischer Opposition. Wie der französische Botschafter in Moskau, Louis Joxe, berichtete, hatte Österreichs Vertreter Norbert Bischoff den sowjetischen Vertretern Semjonow und Sorin seine Eindrücke von der Molotow-Rede vom 8. Februar geschildert. Demnach hatte der enge Vertrauensmann von Julius Raab die Trendwende in der sowjetischen Osterreichpolitik nicht sofort erkannt oder sehen wollen: Bischoff habe erklärt, dass er hierin neue Elemente für die Lösung der Österreichfrage nicht erkennen könne, welche der deutschen weiterhin untergeordnet sei. Beide sowjetischen Vertreter machten hingegen klar, dass die vorhandenen Bindungen zwischen den beiden Problemen klar zutage treten würden. Die Begleitumstände beider Probleme bedeuten nicht Unterordnung. Sie würden nicht verstehen, warum die österreichische Regierung die Gelegenheit, die ihr geboten wurde, nicht ergreife und vertiefe. Semjonow und Sorin wiesen hartnäckig auf die Gefahr hin, welche die Präsenz amerikanischer Truppen im französischen Sektor für die österreichische Einheit bilden würde. Die Schilderung Bischoffs fasste Joxe zusammen. Erstens: Die sowjetische Regierung suche zweifellos vor Ratifikation der Pariser Verträge in Österreich ein neues »Ablenkungsmittel« (»un nouveau moyen de diversion«). Zweitens: Die sowjetische Position schien damit viel weniger definitiv entschieden (»beaucoup moins tranché«) als in der deutschen Frage. Wenn es um Deutschland gehe, so habe Molotow laufend wiederholt, würde es nach Ratifikation der Pariser Verträge keine Verhandlungsmöglichkeit mehr geben. Im Falle Österreichs begnüge er sich zu sagen, dass die Ratifikation die Anschlussgefahr erhöhen würde und infolgedessen eine Bedrohimg der österreichischen Unabhängigkeit darstelle. Drittens: Die von der Sowjetunion verlangten Sicherheitspfänder bezüglich Österreichs Zukunft müssten umso höher angesiedelt werden. Joxe beurteilte Bischoffs Ansichten als optimistisch, zumal dieser von der Idee ergriffen sei, dass die endgültige Zweiteilung Deutschlands im Zuge der Ratifizierung der Pariser Verträge nicht mit einer Teilung Österreichs Hand in Hand gehe.85 So konnte man 83 Doc. 69, Roger Lalouette, Haut-Commissaire adjoint de la République Française en Autriche an M. Edgar Faure, Ministre des Affaires Etrangères, n . 2. 1955. In: Document Diplomatiques Français (DDF) 1955, Bd. I, S. 158-160. 84 Doc. 90, André François-Poncet, Haut-Commissaire de la République Française en Allemagne an M. Pinay, Ministre des Affaires Étrangères, 23. 2. 1955. In: DDF 1955, Bd. I, S. I98f. 85 Doc. 89, M . Joxe, Ambassadeur de France à Moscou an M . Pinay, Ministre des Affaires Étrangères, 23. 2. 1955. In: DDF 1955, Bd. I, S. I97f.

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es auch ausdrücken. Tatsächlich sollte sich nach definitiver Regelung der deutschen Frage kurzzeitig für Osterreich die Chance bieten, die bislang verschlossenen Türen zum Abschluss des Staatsvertrags zu öffnen. Auf diesen Moment geduldig gewartet und diesen dann auch zielbewusst genutzt zu haben, war das Verdienst der Ballhausplatz-Diplomatie. Am 5. März berichtete Joxe, dass Bischoff anlässlich eines Besuchs bei Molotow seine Ausfuhrungen voll auf die zu erbringenden Garantien gegen einen neuen Anschluss ausgerichtet hatte. Folgt man dem französischen Diplomaten, so hatte Bischoff nun den Eindruck, dass Molotow das österreichische Problem für sich behandeln wolle, es dabei um eine »ernsthafte Eröffnung« ging und sich die Sowjets unabhängig von der Ratifikation der Pariser Ubereinkünfte auf diesem Weg bewegten. Bischoff ließ Joxe wissen, dass er schon seit November letzten Jahres Kontakte gepflegt hatte, um das Osterreichproblem für sich zu behandeln, und darauf keine Antwort erhalten hätte. Es gehe nun darum, der Stellungnahme eine unverbindliche Wendimg (»une tournure inactuelle») zu geben, um sich weiteren Aufschluss über die sowjetische Haltung zu verschaffen.86 Nachdem im Auswärtigen Amt in Bonn im Februar als Erwiderung des Staatsbesuchs von Gruber vom Mai 195387 Protokollchef Hans von Herwarth vorschlug, zu erwägen, Bundesminister Ludwig Erhard mit dem Gegenbesuch in Wien zu betrauen,88 schrillten am Ballhausplatz die Alarmglocken: Rotter wurde zur Sprachregelung angewiesen, zwar »unser prinzipielles Einverständnis mitzuteilen«, daneben aber »selbstverständlich in vorsichtiger und höflichster Form« auf eine Verschiebung auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt hinzuwirken. Ein bundesdeutscher Gegenbesuch schien Wien derzeit »aus außenpolitischen Erwägungen inopportun und nicht wünschenswert«.89 In der Zwischenzeit hatten Staatssekretär Walter Hallstein und Kanzlerberater Herbert Blankenhorn bereits die Auffassung vertreten, »dass gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt in den Beziehungen der Bundesrepublik zu Osterreich alles vermieden werden müsse, was in Frankreich zu Missdeutungen Anlass geben könnte«. Eine deutsche Initiative sei nicht zu erwarten.90 So sollte es auch bis zum Besuch des künftigen Außenministers Brentano im November 1955 in Wien bleiben. Zu diesem Zeitpunkt konnte das State Department bereits mit gutem Grund hoffen, dass der deutsche Besuch »nicht von Neutralitätsgedanken ange86 Doc. 116, Joxe an Pinay, 5. 3. 1955. In: DDF 1955, Bd. I, S. 289^ 87 Vgl. Gehler, Osterreich, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 1945/49-1955, S. 554—557. 88 Schreiben ZI. 84-Res/G/55, Rotter an Wildmann, 8. 2. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol, Deutschland W - 2 , ZI. 313.346-P0I/55 (GZ1. 320.266-P0I/55); vgl. auch Depesche Rotter ZI. 320.604 (319.950-P0I/55), 11. 2.1955. Ebd. 89 Verschluss-Akte ZI. 320.266-P0I/55 (GZ1. 319.950-P0I/55), Schreiben »Streng vertraulich!« des Generalsekretärs Karl Wildmann an Adrian Rotter, 2.3. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol, Deutschland W-2. 90 Depesche Rotter, 11. 2. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol, Deutschland W - 2 , ZI. 320.604 (319.950pol/55); Engelbert Washied, Österreich und die Deutschen, Wien 1987, S. 74f.

Michael Gehler

steckt«91 würde. Die Ausschließlichkeit der Lösungen beider Fragen war bereits festgeschrieben. Zurück ins Frühjahr 1955. Am 7. März berichtete Lalouette von einem Gespräch vom 4. März, in welchem Kudriawzew Kreisky wissen ließ, dass Russland »aufrichtig« wünschen würde, »jetzt« eine Lösung der österreichischen Frage zu finden, worauf Kreisky gefragt hatte, ob dieser Wunsch selbst nach Ratifizierung der Pariser Verträge aufrecht bleiben würde. Mit der gleichen Klarheit sei mit »Ja« geantwortet worden, aber mit dem Zusatz, dass es schwieriger werden würde. Lalouette schätzte wie Kreisky die Aussagen Kudriawzews hoch ein. Kreisky fragte sich, ob der Kreml endlich erkannt habe, dass die Hinhaltetaktik seinen Interessen auf Dauer abträglicher sei und die Pariser Verträge in ihrer Tendenz zur Wiederherstellung der deutschen Macht dienlicher seien, als es die E V G gewesen war. Lalouette teilte bis zu einem gewissen Grad die Auffassung Kreiskys. Angesichts der wachsenden Schwierigkeiten, mit denen Kanzler Adenauer zu kämpfen habe, um das Prinzip der Pariser Verträge gegenüber den Versprechungen auf die deutsche Wiedervereinigung aufrechtzuerhalten, und vor dem Hintergrund wachsenden Interesses, welches sich in Wien für die sowjetischen Vorschläge zeige, meine der Kreml nun, die Zeit sei reif. Die sowjetischen Vorschläge deuteten eine »initiative plus ou moins spectaculaire« an, sei es in der deutschen oder österreichischen Frage oder gar in beiden.92 Implizit vertrat hier Kreisky interessanterweise die These, wonach Moskau mit der Behandlung der Österreichfrage auf die Gestaltung der Deutschlandfrage Einfluss nehmen wolle - ganz im Gegensatz zu späteren öffendichen Äußerungen, die jede Analogie zwischen Osterreichlösung und Deutschlandfrage ausschließen sollten.93 Kreiskys diesbezügliche Äußerungen sind auch stets auf ihre Zweckbestimmtheit zu prüfen.

2. Initiativen von Wien und Hochspannimg der bundesdeutschen Publizistik Während Adenauer und sein engster Beraterkreis im Frühjahr 1955 nicht daran glaubten, mit der Sowjetunion in ertragreiche Verhandlungen in der Deutschlandfrage eintreten zu können,94 sondierte Raab via Bischoff weiter die Möglichkeit bilateraler Gespräche mit der Sowjetunion. Im April sollte dann eine österreichische Delegation den Weg in 91 Depesche ZI. 20811, Gruber an BKA/AA, 28. 10. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol, Deutschland W-2, ZI. 325.763^01/55 (GZ1. 322.333 pol/55). 92 Lalouette an MAE, 7. 3. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Traité d'État, EU 6-9-1, Vol. 288, Fol. 254-255; Vol. 270, Fol. 150-151. 93 Siehe bspw. »So ruhige 30 Jahre hatten wir lange nicht«. Der österreichische Altbundeskanzler Bruno Kreisky über das Jalta-Abkommen und die Neutralität seines Landes. In: Der Spiegel, Nr. 7/1985, S. 124-127, hier S. 126. 94 Vgl. Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, S. i8off.

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die UdSSR antreten, nachdem der Kreml am 24. März 1955 den, wie Ulrich Lappenküper zu Recht schreibt, »sensationellen Vorschlag unterbreitet hatte, die Osterreichfrage gesondert auf einer Viermächtekonferenz zu verhandeln, und Bundeskanzler Raab dazu nach Moskau einlud«.95 Am 26. März telegrafierte Alois Vollgruber aus Paris: Der politische Generaldirektor am Quai d'Orsay Roland de Margerie habe ihm gesagt, dass Moskau beginne, sich der durch die kaum mehr aufzuhaltende Ratifizierung der Pariser Verträge geschaffenen Lage anzupassen. Es sei in seinen Drohungen zu weit gegangen und könne daher vorläufig nicht oder wolle vielleicht jetzt auch nicht über Deutschland sprechen, es wolle aber auch nicht den Kontakt mit dem Westen verlieren. Es werde daher vielleicht bereit sein, über Österreich zu sprechen und den Staatsvertrag unter gewissen Bedingungen zu unterschreiben, hoffend, Osterreich bei dieser Gelegenheit möglichst neutralisieren und aus dem österreichischen Beispiel »gewisse Analogien für die seinerzeitige Lösung in Deutschland vorbereiten zu können«. Am Quai d'Orsay sei man der Ansicht, »dass keine Gelegenheit versäumt werden dürfe, die eine begründete Aussicht auf unsere endliche vollständige Befreiung biete«, meldete Vollgruber. Raab solle die Einladung nach Moskau »jedenfalls annehmen«. Frankreich wäre »jederzeit bereit«, den Staatsvertrag auch mit den zuletzt an die Russen in Berlin gemachten Konzessionen zu unterschreiben und an einer über das bloße Anschlussverbot hinausgehenden Garantie der Unabhängigkeit Österreichs mitzuwirken. Hierbei wäre zu beachten, dass diese Bereitschaft nicht auf eine »Neutralisation Österreichs« hinauslaufe. Gegen einen von einem selbstständigen, freien und unabhängigen Österreich selbst gefassten Beschluss, neutral zu bleiben, habe man nichts einzuwenden, wohl aber gegen eine »Neutralisation Österreichs«. Ob Deutschland in irgendeiner Form an der Garantie teilnehmen sollte, wäre noch zu überlegen [!]. Vermieden werden müsse aber »unbedingt«, dass aus einem neutralen Österreich »irgendwelche Rückschlüsse auf Deutschland« gezogen werden könnten.96 Modellfall-Annahmen wie -Befürchtungen waren deutlich erkennbar vorhanden, ein österreichischer Präzedenzfall für Deutschland sollte jedenfalls imbedingt vermieden werden. Am Ballhausplatz hatte man das alles längst begriffen. Die Ausführungen des Generaldirektors zeigten, dass Frankreich das eine (»neutralisation«) ablehnte, das andere (»Neutralität«) aber durchaus wünschte. Der Quai d'Orsay gab Vollgruber mit der Information quasi eine Art »Blankoscheck« für die auf Verständigungskurs mit der UdSSR steuernde Diplomatie Bischoffs und die Politik Raabs.

95 Ulrich Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der »Erbfeindschaft« zur »Entente élémentaire«, 2 Tèilbde. (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd. 49), Bd. I: 1949-1958, München 2001, S. 822. 96 Depesche Vollgruber, Paris, 26. 3.1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1955, Staatsvertrag 1 c, ZI. 320.976pol/55 (GZ1. 320.959-P0I/55).

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Am 15. März berichtete François-Poncet, dass Bonn mit anhaltendem Interesse die sich entwickelnden Verhandlungen zwischen Wien und Moskau beobachte.97 Zwei Tage später erwähnte François-Poncet, dass die Mehrzahl der westdeutschen Blätter übereinstimmend das politische Geschick lobte, mit der die Wiener Regierung sich bemühe, Moskau zu veranlassen, seine Vorschläge zu verdeutlichen, dabei aber vermeide, sich zu weit darauf einzulassen. Die Medien beurteilten interessanterweise mit weniger Wohlwollen die Trennung, welche die Österreicher zwischen ihrem und dem deutschen Problem durchgeführt wissen wollten. Die Bundesrepublik nehme tatsächlich den Gedanken gerne auf, dass eine »Österreich-Konferenz« als Beispiel und Vorspiel für eine »deutsche Konferenz« dienlich sein könnte.98 Es ist zweifelhaft, ob hier François-Poncet die Stimmungslage in Bonner Regierungskreisen zutreffend einschätzte. Fest steht: François Poncet schloss »Modellfall«-Intentionen der Sowjets weder aus noch unterschätzte er deren Gefahr für den Westkurs Adenauers. Aus vielen seiner Berichte spricht Sorge, teils Staunen, teils Verwunderung über die bundesdeutsche Haltung. Wird sie nicht doch noch auf die österreichische Linie umschwenken? Ein weiterer französischer Beobachter, Claude Michel, hatte aus Bad Godesberg berichtet, dass die sowjetischen Initiativen in der Österreichfrage die »höchste Aufmerksamkeit« erregen würden. Das Alisstrauen, mit dem gewöhnlich die sowjetischen Vorschläge aufgenommen werden, könne die Haltung nicht völlig unterdrücken, dass der Kreml sich mm endlich zu einer konstruktiveren Haltung entschließe. Die SPD, wenngleich bestrebt, an der Spitze des Antikommunismus zu stehen, scheine diese Hoffnung zu teilen.99 Die unterschiedlichen besatzungs- und außenpolitischen Zielsetzungen konnten im Frühjahr 1955 kaum deudicher zu Tage treten: Während Figl und Raab bemüht waren, die Besatzimgsmächte zum Abzug aus Österreich zu veranlassen, legte Adenauer mit seinen engsten Beratern noch im März 1955 fest, dass nichts geschehen dürfe, was den Abmarsch der US-Truppen und die Auflösung ihrer Stützpunkte fördere. 100 Vor diesem Hintergrund sind auch seine und die offiziellen Reaktionen aus Bonn zu der sich anbahnenden Lösung der Österreichfrage zu sehen. Am 25. März berichtete François-Poncet, dass die Einladung des Kreml an Raab, in Moskau über den Staatsvertrag zu verhandeln, in Bonn wie eine »Sensation« gewirkt habe. Man habe dort mit lebhaftem Interesse vermerkt, dass Molotow positiv auf die von Wien erbetene Aufklärung geantwortet, besonders, dass er sich bereit erklärt hatte, an 97 François-Poncet an MAE, 15. 3. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Allemagne-Autriche 1954-1955, E U 6-8-8, Vol. 256, Fol. 134. 98 François-Poncet an MAE, 17. 3. 1955. Ebd., Fol. 141; vgl. auch Lohse, Ostliche Lockungen, S. 177 (Anm. 21

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99 L'Ambassadeur de France Haut Commissaire de la République en Allemagne an Pinay/Direction d'Europe, 16. 3. 1955. Ebd., Fol. 135-137. 100 Schwarz, Der Staatsmann, S. 182.

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einer Viererkonferenz teilzunehmen, die einzig und allein Österreich gewidmet sei. Es würden Fragen gestellt wie, ob Raab gut oder schlecht beraten war, die Einladung herauszufordern, bzw. ob Osterreich in einem Vieraugen-Gespräch in Moskau, welches seine Verbundenheit mit den demokratischen Mächten lösen würde, nicht mehr zu verlieren als zu gewinnen habe.101 Am 27. bzw. 29. Dezember 1954 hatte die Assemblée Nationale die Pariser Verträge (NATO-Beitritt der Bundesrepublik) bzw. den erweiterten Brüsseler Pakt ratifiziert.102 Noch war aber die definitive Entscheidung ausständig. Sie fiel am 27. März 1955 im Conseil de la République, und zwar positiv,103 was für die weitere Entwicklung wichtig war und für die sowjetische Haltung in der Deutschlandfrage maßgebend gewesen sein soll. Auf die französisch-sowjetischen Hintergründe und die entsprechenden deutschlandpolitischen Implikationen haben - v. a. basierend auf den Memoiren von Edgar Faure - der Wiener Historiker Thomas Angerer in seiner Dissertation über Frankreich und Osterreich sowie der Bonner Historiker Ulrich Lappenküper in seiner monumentalen Studie über die deutsch-französischen Beziehungen bereits aufmerksam gemacht. Der sowjetische Botschafter in Paris, Sergej Winogradow, hatte noch vor der Entscheidung des Conseil am 18. März den französischen Regierungschef eindringlich darauf aufmerksam gemacht und hingewiesen, das in Moskau vorhandene Tauwetter für eine Entspannung zu nutzen, um die westdeutsche Aufrüstung zu verhindern, was das Hauptziel des Kreml in puncto Bundesrepublik war. Persönlich merkte er an, dass die deutsche Wiedervereinigung nur bei der Wahl der Neutralität möglich sei. Faure lehnte dieses Anerbieten nicht grundsätzlich ab, sondern gab zu erkennen, dass dies eine »große Frage« sei, die ihm mit Blick auf Eröffnung einer Gipfelkonferenz schwierig zu lösen erschien.104 Die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Diplomatie und Politik, vor wie während des Genfer Gipfels 1955, also schon nach Ratifizierung der Pariser Verträge und nach Abschluss des Staatsvertrags in der Deutschlandfrage noch einen Ausgleich zu finden, der die Möglichkeit der Verwirklichung der Einheit gestattet hätte, stand für den amtierenden französischen Ministerpräsidenten Edgar Faure außer Frage. In einem aufsehener101 François-Poncet an MAE, 25. 3. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, l'URSS-Autriche, EU 6-8-7, V o 1 - 27°> Fol. 205. 102 Wolfgang Benz, Deutschland seit 1945. Entwicklungen in der Bundesrepublik und in der DDR. Chronik - Dokumente - Bilder, München 1990, S. 38. 103 Thomas Angerer, Besatzung, Entfernung ... Integration? Grundlagen der politischen Beziehungen zwischen Frankreich und Osterreich seit 1938/45. In: Friedrich Koja/Otto Pfersmann (Hrsg.), Frankreich Österreich. Wechselseitige Wahrnehmung und wechselseitiger Einfluß seit 1918 (Studien zu Politik und Verwaltung 58), Wien - Köln - Graz 1994, S. 82-102, hier S. 97; Pape, Die deutsch-österreichischen Beziehungen zwischen 1945 und 1955, S. 164^ 104 Thomas Angerer, Frankreich und die Osterreichfrage. Historische Grundlagen und Leitlinien 1945-1955, phil. Diss. Wien 1996, S. 354-356; Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963, Bd. I: 1949-1958, S. 821-822; siehe auch Ernst Weisenfeld, Welches Deutschland soll es sein? Frankreich und die deutsche Einheit seit 1945, München 1986.

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regenden Interview in der Pariser Zeitung Combat, das im Februar i960 im Vorwärts ausführlich behandelt wurde, gab Faure rückblickend Jahre später zu verstehen, es habe 1955 während des Genfer Gipfels »eine Möglichkeit gegeben, mit den Russen zu einer Einigung über die deutsche Frage zu gelangen. Diese Chance sei jedoch infolge des Starrsinns von Foster Dulles versäumt worden.«105 Als Teilnehmer an dieser Konferenz stützte Faure seine Auffassung auf ein Gespräch mit Nikolaj Bulganin, der ihm laut des Berichts im Vorwärts erklärt hatte: »die Sowjetunion habe hinsichtlich des im Frühjahr 1955 abgeschlossenen Staatsvertrages mit Osterreich so viele Zugeständnisse gemacht, dass man ihr jetzt nicht noch zumuten könne, der Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen, ohne dass dieses aus dem westlichen Bündnissystem ausscheide. Gerade in diesem Punkt sei Foster Dulles aber unerbittlich gewesen. Andererseits glaubt Edgar Faure, dass gerade die atmosphärische Verbesserung, die der Abschluss des österreichischen Staatsvertrages hervorgerufen hatte, die besten Voraussetzungen für eine Lösung auch der deutschen Frage geschaffen hätte, wenn nur auf wesdicher Seite die nötige Konzessionsbereitschaft vorhanden gewesen wäre.«106

Die deutsche Bundesregierung antwortete in der »Diplomatischen Korrespondenz« auf die Feststellungen Faures umgehend. Der Vorwärts kommentierte die Reaktion folgendermaßen: »Die Argumentation ist erstaunlich schwach. Im Wesendichen begnügt sich der offiziöse Kommentar mit dem Hinweis, Bidault habe während der Berliner Konferenz im Januar 1954 Molotow gefragt, welche Folgen es haben würde, wenn der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht ratifiziert würde, worauf Molotow geantwortet habe, dass sich damit nichts ändern würde. Die >Korrespondenz< setzt dann lakonisch hinzu, auch 1955 sei die Lage nicht anders gewesen. Gerade das ist aber schon lange die Frage, und muss erst recht nach Faures Erklärung gefragt werden. Der französische Senator ist sehr höflich gewesen und hat als Ursache der westlichen Politik vornehmlich Foster Dulles genannt. Die amerikanische Politik hätte aber niemals so starr sein können, wäre sie darin nicht von Bundeskanzler Adenauer wieder und wieder bestärkt worden. Es ist aktenkundig, dass Adenauer damals den Verzicht auf die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur NATO genauso entschieden abgelehnt hat wie heute.«107

105 H . Lindemann, Die Chance von 1955. Eine aufsehenerregende Erklärung Faures. In: Vorwärts, 26. 2. i960. 106 Ebd., Geneviève Maelstaf, Q u e faire de l'Allemagne? Les responsables français, le statut international de l'Allemagne et le problème de l'unité allemande (1945-1955) (Diplomatie et Histoire/Direction des Archives Ministère des Affaires Étrangères), Paris 1999, S. 537. 107 Ebd. (Vorwärts).

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Die Frage, ob die Sowjets nach der Ratifizierung der Pariser Verträge durch Frankreich Ende März 1955 schon aufgegeben hatten, in der Deutschlandfrage noch etwas zu ihren Gunsten verändern zu können, ist also keinesfalls uneingeschränkt zu bejahen, sondern eher zu verneinen. Während Außenminister Antoine Pinay die Auffassung vertrat, dass Osterreich kein Modell für Deutschland bieten dürfe, zeigte Edgar Faure nicht nur ein hohes Maß an Interesse und Verständnis für das Verlangen nach deutscher Einheit und zog dabei entsprechende Schlüsse mit Blick auf mögliche Kompromisse mit der UdSSR, sondern schloss auch ein bewaffnetes, freiwillig die Neutralität wählendes Gesamtdeutschland nicht aus!108 Gerald Stourzh sieht in der sowjetischen Deutschlandpolitik seit April 1955 v. a. die Absicht der »direkten Kontaktaufnahme mit den Machthabern der Bundesrepublik Deutschland«109, d. h. den Wunsch der Aufnahme von bilateralen Beziehungen mit Bonn, wobei zu diskutieren ist, ob dieser dem Österreich-Präzedenzfall-Argument zwingend widerspricht oder sich in eine solche eventuell intendierte Konzeption nur allzu logisch einfügen ließe. Nur mit einer Verstärkung der bilateralen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Osterreich konnte der »Modellfall« überhaupt seine Wirksamkeit als Vorbild entfalten. Geregelte zwischenstaatliche Beziehungen waren gleichsam eine Voraussetzung hierfür - auch mit der Bundesrepublik. Was Frankreich angeht, hält Ulrich Lappenküper für seine Deutschlandpolitik jedenfalls fest, dass sie »nie eindimensional ausgelegt« war, sondern »stets mit der Option einer gesamtdeutschen Neutralisierung arbeitete«.110 War demnach nur die Deutschlandpolitik Adenauers eindimensional?

3. Bonn lehnt den »Modellfall« sofort ab Verhandlungen in Moskau Die westdeutsche Presse quoll zwar über von Details betreffend die Ankündigung vom 30. März, wonach sich Raab begleitet von Vizekanzler Adolf Schärf, Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky am n . April nach Moskau begeben werde, äußerte sich aber zurückhaltend. Franfois-Poncet beobachtete, dass sie Fragen auswich, wie z. B. ob sie diesen Besuch billige oder ob sie gute Ergebnisse davon erhoffe. Offenbar befürchte sie Konsequenzen und enthalte sich deshalb eines Urteils. Ihre Haltung sei gleich lautend mit der der Bundesregierung. Täglich sei sie aus Wien von den österreichisch-sowjetischen Verhandlungen unterrichtet worden. Aber die Presse habe diese weder ermutigt noch davon abgeraten bzw. kommentiert, schenke ihnen jedoch dafür »die ganze Auf108 Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963, Bd. I: 1949-1958, S. 827. 109 Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 473 (Anm. 363). 110 Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963, Bd. I: 1949-1958, S. 823; siehe auch Maelstaf, Que faire de l'Allemagne?, S. 535-536.

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merksamkeit« und vertrete die Meinung, »dass mit Österreich wahrscheinlich auf Deutschland abgezielt werde«. Jedesmal, wenn der Kreml die Möglichkeit eines Vertrages anschneide, durch welchen Osterreich sich binden würde, dem Adantikpakt nicht anzugehören, in kein Bündnis einzutreten, neutral zu bleiben und die US-Stützpunkte auf seinem Territorium zu beseitigen, sehe man in Bonn wohl, dass es sich darum drehe, verständlich zu machen, dass eine Lösung dieser Art der Bundesrepublik zusagen und diese zur Wiedervereinigung führen könne. Das Ziel der Sowjetunion habe sich daher nicht geändert. Es würde immer so sein, über den österreichischen Umweg, die Wirksamkeit der Pariser Verträge zu verhindern.111 Kanzlerberater Blankenhorn bestätigte Fran^ois-Poncet, »dass die Bonner Regierung, obwohl sie die strengste Zurückhaltung bewahre, mit der größten Aufmerksamkeit das Spiel beobachte, welches augenblicklich zwischen Moskau und Wien laufe«. Er verstehe völlig, »dass der Kreml über Osterreich in Wirklichkeit auf Deutschland abziele«, und es entgehe ihm nicht, »dass eine große Unruhe für die Bundesrepublik entstehen würde, wenn die Lösung, deren Vorlage an Kanzler Raab die Sowjets jetzt vorbereiten, angenommen würde«.112 Blankenborns Aussagen kamen nicht von ungefähr, zumal Adenauer die Auswirkungen des Präzedenzfalls eines neutralen Osterreich auf die Bundesrepublik fürchtete113 - wie der Teufel das Weihwasser. Vom 12. bis 15. April fanden in Moskau die Unterredungen zwischen der österreichischen und der sowjetischen Delegation statt. 114 Am 12. April war auch für den Quai d'Orsay zu erkennen, dass die bundesdeutsche Publizistik mehr Flexibilität in der Wahrnehmung der Vorgänge im Kreml als die Bonner Regierung bewies. Die erhöhte Aufmerksamkeit, welche die deutsche Presse vom 12. April der Reise Raabs nach Moskau widme, und die Vehemenz, mit der sie sich auf die geringsten Einzelheiten des Zeremoniells stürze, welches den Besuch umgebe, spiegle das Ausmaß der leidenschaftlichen Aufmerksamkeit wider, welche Bonner politische Kreise bekunden, um den weiteren Verlauf der österreichisch-sowjetischen Verhandlungen zu verfolgen. Immer offener trete die Tendenz zutage, diese Verhandlung als eine »Wiederholung hinsichdich anderweitiger bedeutsamer Besprechungen« anzusehen, die sich eines Tages über das deutsche Pro-

111 François-Poncet, Bonn, le 30. 3. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, l'URSS-Autriche, EU 6-8-7, V o 1 - 2 7 ° . F o 1 - 2 3 r 112 François-Poncet an MAE, 6. 4. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Traité de l'État, E U 6-9-1, Vol. 289, Fol. 210. 113 Vgl. hierzu auch Manfried Rauchensteiner, Staatsvertrag und bewaffnete Macht. Politik um Österreichs Heer 1945-1955. In: Alois Mock/Ludwig Steiner/Andreas Khol (Hrsg.), Neue Fakten zu Staatsvertrag und Neutralität, Wien 1980, S. 135-155, hier S. 153; vgl. hierzu auch Michael Gehler, »... österreichische Schweinerei«. Reaktionen des deutschen Bundeskanzlers Adenauer auf Staatsvertrag und Neutralität 1955. In: Salzburger Nachrichten, 1. 7. 1995. 114 Vgl. hierzu Stourzh, Geschichte des Staatsvertrags, S. 131-172, hier S. 142-163; Ders., Um Einheit und Freiheit, S. 415-449.

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blem eröffnen könnten. Immer mehr sei man auch geneigt zu glauben, dass die im Falle Österreichs angewandte Verfahrensweise sich auf Deutschland anwenden lassen könnte, anstatt zwangsläufig Zuflucht zur allmächtigen Fürsprache der Alliierten zu nehmen, und es einfacher und sicherer sein würde, gleichzeitig für ein souverän gewordenes Deutschland direkt mit der UdSSR zu verhandeln. In diesem Fall werde die Zugehörigkeit zum Westblock nur noch der unbedingt notwendige Schalthebel sein, um Gespräche mit einiger Aussicht auf Erfolg einzuleiten. Wahrscheinlich entgehen die »unliebsamen Zufälligkeiten« einer derartigen Verhandlung den politischen Kommentatoren nicht. Diese fragen sich vor allem, welcher genauen Art die Garantien sein werden, von welchen die UdSSR die österreichische Unabhängigkeit abhängig machen wolle. Sie verkennen auch nicht, dass die Regelung der deutschen Frage sehr verschiedene und vielschichtigere Probleme stelle als die bezüglich Osterreich, besonders was die Grenzen und die Kontrolle einer eventuellen Neutralisierung betreffe. Schließlich habe die bundesdeutsche Regierung nicht ohne Furcht die Folgen vor Augen, die sich aus einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands in Hinsicht auf Wahlen ergeben. Dennoch, falls im Verlauf der nächsten Tage die sowjetische Regierung, wie es die Logik ihres Manövers wolle, genügend weit auf dem Weg der Zugeständnisse gegenüber Osterreich vorangehen sollte, so bestehe kein Zweifel, dass sich die deutsche Meinung mehr und mehr durch die Aussicht auf einen Bundeskanzler, welchen Namen er auch haben mag, »verlocken« lassen wird, indem er eines Tages seinerseits die Moskaureise durchfuhren werde. 115 In einer Note der Direction Générale politique Europe des Quai d'Orsay vom 12. April 1955 wurde schlüssig argumentiert, dass die UdSSR alles Interesse an einer »Neutralisierung Österreichs« habe: Ein »Autriche neutralisée« würde fur Westdeutschland eine dauernde Lockung (»tentation constante«) bilden, die spürbar die Stellung Adenauers schwächen würde; in dieselbe Lage wie die Schweiz versetzt, würde Österreich ein ziemlich bedeutendes strategisches Hindernis für die NATO-Mächte schaffen, indem es jede Möglichkeit zur Bildung einer »Alpenfestung« beseitigt und indem es die Nachschublinien zwischen Italien und Westdeutschland durchtrenne; dieser »couloir neutre« würde schließlich die Entwicklung eines Schleichhandels zwischen Ost und West mit verbotenen Materialien begünstigen.116 In der Adenauertreuen Publizistik erkannte der französische Beobachter Claude Michel bereits deutlich ablehnende Tendenzen des »Modellfalls«. Der General-Anzeiger, konservative Zeitung aus Bonn, konstatiere, dass die Österreich-Politik schon ihren Widerhall in der Bundesrepublik finde. Erstrangige Politiker hätten sich der »ÖsterreichLösung« für Deutschland angeschlossen, da sein Beispiel »eine Versuchung« für sie sein 115 Haussaire an MAE, 12. 4. 1955, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Traité d'État, EU 6-9-1, Vol. 289, Fol. 235-237. 116 Note Direction Generale Politique Europe/S/Direction d'Europe Orientale, Attitude soviétique à l'égard de la question autrichienne depuis la Conférence de Berlin, 12. 4. 1955. Ebd., Fol. 238-249, hier S. 248f.

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werde. Das In-Kraft-Treten der Pariser Verträge werde der Bundesrepublik aber erlauben, zu einem zukünftigen Zeitpunkt in direkte Verhandlungen mit Moskau einzutreten. Aber es werde Sache des Kanzlers sein, der sich eines Tages in die sowjetische Hauptstadt begeben werde, den Russen vor Augen zu fuhren, dass die »deutsche Lösung« der Natur der Sache nach von der »österreichischen Lösung« verschieden sein müsse, welche man versuche, den Deutschen schmackhaft zu machen. In der halbamtlichen Bonner Rundschau wurde ein Teil des »Manövers« der sowjetischen Osterreichpolitik darin erkannt, auf Deutschland abzuzielen. Das Hauptverdienst, die Sowjets nachgiebiger gemacht zu haben, wurde dabei der »Politik der Stärke« zugerechnet, die von den Alliierten praktiziert werde. Die an Raab ergangene Einladung sei die Frucht dieser Politik, und dann folgte ein bemerkenswerter Vergleich: Während Kurt Schuschnigg im Frühjahr 1938 ohne Rückendeckung nach Berchtesgaden gefahren sei und alleine Adolf Hider gegenübergestanden habe, sei Raab in der Lage, den Sowjets zu sagen, dass die Bedingungen, die sie ihm möglicherweise auferlegen könnten, ohne Wert sind, wenn sie von den Westmächten als nicht annehmbar betrachtet würden.117 Die Herstellung einer Analogie zwischen Raabs geplantem Besuch in Moskau und dem bitteren Gang Schuschniggs zu Hider nach Berchtesgaden auf dem Obersalzberg am 12. Februar 1938 stammte von den Briten.118 Konnte die österreichische Delegation nur nach Moskau fahren und dort auftreten, weil sie westliche Rückendeckung hatte?119 Zunächst ist hierzu festzustellen, dass sich die Begeisterung im Westen über den geplanten Trip merklich in Grenzen hielt, ja sogar davon abgeraten und davor gewarnt worden war. Auch bei den Exponenten der »Politik der Stärke« in Bonn herrschte Skepsis, Unsicherheit und Ungewissheit über den Ausgang der österreichischen Mission. Mit Argwohn wurde dann ihr Ergebnis registriert. Die wesdiche Unterstützung war limitiert, eher überwogen Ablehnung und Misstrauen. Entscheidend war wohl, dass Raab die Entscheidung traf, ohne Rücksichtnahme auf die wesdichen und Adenauers Interessen zu fahren, und die Reise antrat, als die Dinge noch offen waren, während der deutsche Bundeskanzler erst nach Absegnung der Westintegration die Kremlherren besuchen sollte. Für die Einheit Deutschlands war es da schon zu spät.

117 Claude Michel, Ambassadeur de France, Haut Commissaire de la République en Allemagne an Pinay, N é gociations austro-soviétiques, Bad Godesberg, le 12.4. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, L'URSS-Autriche 1955, E U 6-8-7, Vol. 271, Fol. 039-041. 118 Bei Steininger, 1955: The Austrian State Treaty and the German Question, S. 509 ist es Eden; bei Thoß, Modellfall Osterreich?, S. I2if. ist es Kirkpatrick. 119 Für diese Sicht der Dinge, eine doch recht einseitige Beurteilung der Lage (die ident mit der zeitgenössischen propagandistischen und offiziellen Position von Bonn ist!), macht sich v. a. stark: Pape, Ungleiche Brüder, S. 297, wobei wesentliche Elemente der österreichischen Außenpolitik nach 1945 gegenüber Deutschland außer Acht gelassen werden.

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4. Das Resultat der Moskauer Verhandlungen Die Ergebnisse der Moskauer Verhandlungen wurden von den USA v. a. unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf Deutschland überprüft. Neue Töne waren zu vernehmen. Laut Maurice Couve de Murville, französischer Botschafter in Washington, würden die Amerikaner nicht verkennen, dass die von den Sowjets gemachten Zugeständnisse »beträchtlich« seien und die Lösung der Osterreichfrage »entscheidende Fortschritte« gemacht habe. Es war besonders die Wirkung »dieses Präzedenzfalles auf die deutsche Frage«, die dem State Department Sorge bereitete, in aller erster Linie waren es aber die unmittelbaren Folgen auf die deutsche Meinung: Stärkung der Opposition Kanzler Adenauer gegenüber, der auf vermehrte Schwierigkeiten bei der Realisierung der innerstaatlichen Gesetze und der deutschen Wiederbewaffnung stoßen könne; schließlich eventuelle Folgen für eine Änderung der sowjetischen Taktik hinsichtlich Deutschland.120 Bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) am 21. April gab US-Präsident Dwight D. Eisenhower zu erkennen, »that the Soviet gambit on Austria was definitely made with Germany in mind as the real target«, während Secretary of State John Foster Dulles Gruber wissen ließ, dass er nicht daran glaube, dass der deutsche zum österreichischen Fall analog zu sehen sei bzw. dass ein neutrales Osterreich als Modell für ein wiedervereinigtes Deutschland dienen könne.121 Die Haltung in politischen Kreisen der Bundesrepublik blieb indessen bis zu genauerer Information von Zurückhaltung geprägt. Man vermied alles, die »Osterreichlösung« als anwendungsfähig auf ein vereinigtes Deutschland darzustellen. SPD-Oppositionschef Erich Ollenhauer hatte am ehesten den Präzedenzfall zu prüfen und zu würdigen verstanden und den Erfolg von Raab als »ermutigend« bezeichnet und gewünscht, dass »die Bundesregierung und die Westmächte ihrerseits konkrete Schritte unternehmen, um Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit einzuleiten«. Zeitungen, welche seit langem die Wiedervereinigung in den Vordergrund stellten, hatten ihre skeptische Einstellung noch nicht abgelegt. Die Welt aus Hamburg bemerkte, dass nun die kommenden Wochen zeigen würden, ob man sich Optimismus hingeben könne. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschränkte sich auf die Feststellung, dass die sowjetische Außenpolitik kühner geworden sei, obwohl sie bemerkte, dass ihre Haltung zu bezeugen scheint, in Osterreich ein militärisches Neutralitätsmodell zu schaffen, welches auf ein wiedervereinigtes Deutschland zur Anwendung geeignet sei. Andere Blätter hatten schon begonnen, gegen Verlockungen aus dem 120 Maurice Couve de Murville, Ambassadeur de France aux États-Unis an Pinay, Réactions américains au* négociations de Moscou, 14. 4. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, L'URSS-Autriche 1955, E U 6-8-7, Vol. 271, Fol. 066-068; Vol. 289, Fol. 257-259. 121 Steininger, 1955: The Austrian State Treaty and the German Question, S. 515.

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Osten zu warnen. Der General-Anzeiger erläuterte seinen Lesern, warum es falsch sein würde, eine Parallele zwischen Osterreich und Deutschland zu ziehen. Ausgestattet mit einem äußerst unterschiedlichen wirtschaftlichen Potential, nehmen diese beiden Länder auf dem Schachbrett der Weltpolitik Stellungen ein, die nicht vergleichbar seien. Ein neutrales Deutschland, der Unterstützung durch amerikanische Truppen beraubt, werde bald seine Sicherheit durch die Sowjets bedroht sehen. Das einzige Interesse der in Moskau verwirklichten Ubereinkunft bestehe für Deutschland darin, die Tür zu weiteren Verhandlungen, die von den Großmächten über das deutsche Problem geführt werden, einen Spalt weit zu öffnen. In Kreisen der Regierungsmehrheit herrschten dieselben Sorgen und dieselbe Bedächtigkeit vor. Die christdemokratische Rheinische Post präsentierte ihren Lesern eine umfassende Aufstellung der Gründe, weshalb die Osterreichlösung auf Deutschland nicht anwendbar sei. Nach Ansicht des französischen Beobachters sei es Adenauer selbst, der am stärksten und am klarsten die Reaktion der deutschen Regierungskreise auf die Ankündigung der österreichisch-sowjetischen Ubereinkunft zum Ausdruck gebracht hatte (wenngleich er selbst davon überzeugt war, dass die Sowjets mit ihrer Osterreichpolitik auf Deutschland abzielten122): Die sowjetische Schwenkung sei das Zeichen, dass der Kreml die harte Sprache eines geeinten Westens verstanden habe. Er sei bereit, hieraus die erforderlichen Schlüsse zu ziehen. Ein westliches Deutschland ohne westliches Bündnis würde früher oder später die Beute Russlands (»la proie de la Russie«).123 Drei Tage später fosste Fran^ois-Poncet seine Eindrücke zu den Reaktionen in Westdeutschland über das zwischen Raab und Molotow erfolgte Einverständnis zusammen und analysierte die Außenpolitik Adenauers. Alle deutschen Zeitungen schätzten sich »glücklich« darüber, dass Österreich demnächst seine Freiheit und Unabhängigkeit über die Gesamtheit seines Territoriums zurückerhalte und ein beträchdicher Fortschritt in Richtung auf eine allgemeine Entspannung erzielt worden sei. Alle Parteien seien überzeugt, dass tatsächlich nur im Rahmen einer derartigen Entspannung eine Möglichkeit bestehe, das deutsche Problem zu lösen. Die Moskauer Ubereinkunft werde diesem Gedanken durch das Mittel der Rüstungsbegrenzung einen neuen Impuls geben. Die Geister würden sich aber über den Wert des »österreichischen Beispiels« und über die hieraus zu ziehenden Lehren scheiden. Für die Sozialdemokraten seien die aktive Diplomatie Österreichs und das Handeln seines Bundeskanzlers das Vorbild, von dem sich der den Amerikanern zu weit hingebende Adenauer leiten lassen sollte. Ollenhauer habe in Wolfsburg in einer Rede am 17. April 1955 gesagt, dass die »Untätigkeit des Kanzlers«

122 Michael Gehler, « L'unique objectif des Soviétiques est de viser l'Allemagne ». Staatsvertrag und Neutralität 1955 als »Modell« für Deutschland? In: Albrich u. a. (Hrsg.), Osterreich in den Fünfzigern (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 11) Innsbruck - Wien 1995, S. 259-297, hier S. 2yyf(., bes. S. 278. 123 Haussaire an MAE, 15. 4. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Allemagne-Autriche 1954-195j, EU 6-8-8, Vol. 256, EU 6-8-8, Fol. 150.

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daraufhinauslaufe, »die Wiedervereinigungspolitik zu sabotieren«. Auch Deutschland würde seine Einheit wiedererlangen können, wenn es sich für eine Bündnislosigkeit entscheiden würde. Die Aufgabe der Pariser Verträge sei der Preis, der für die Wiederherstellung der Einheit gezahlt werden müsste. François-Poncet fügte hinzu, dass die Formel einer »freiwilligen Neutralität« (»neutralité volontaire«) in der Art der Schweiz eine bessere Propagandawaffe in der Hand der Sozialdemokraten sei als die einer mehr oder weniger aufgezwungenen, von Kontrollen begleiteten »Neutralisierung« (»neutralisation« = »Unschädlichmachung«). Diese letzte Formel sei immer von Adenauer als eine »unstatthafte Rückkehr« (»inadmissible retour«) zu den Potsdamer Prinzipien angeprangert worden; die freiwillige Neutralität hätte aber laut François-Poncet den Vorteil, keine Souveränitätsbeschränkungen auf sich zu nehmen. Jedenfalls habe man seit den österreichisch-sowjetischen Gesprächen in einem liberalen Blatt wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Vorschlag gebracht, eine ausgedehnte neutrale Zone im Herzen Europas zu schaffen, die Deutschland und die europäischen Satelliten der UdSSR umfasse. Die Regierung Adenauer setze im Gegensatz hierzu alle Hebel in Bewegung, um aufzuzeigen, dass es unmöglich sei, die von Österreich erlangte Lösung auf Deutschland anzuwenden. Bis auf weiteres ist die Mehrheit der öffentlichen Meinung dieser Ansicht trotz der Bemühungen der sozialdemokratischen Propaganda und der neutralistischen und nationalistischen Kräfte. Ein Deutschland ohne Bündnis, dies habe Adenauer erneut in Lüneburg/Niedersachsen in einer Rede am 14. April bekräftigt, würde den Sowjets ausgeliefert sein, ohne dass diese zum Krieg Zuflucht nehmen müssten. Die Türe würde damit gleichzeitig der Sowjetisierung Europas geöffnet sein. In anderen Worten: Adenauer denke daran, dass außerhalb der atlantischen Allianz die deutsche Demokratie in ihrer Zukunft schwer bedroht sein würde. Das Gefühl von der Fortdauer der sowjetischen Bedrohung, welches in Deutschland sehr mächtig sei, gebe diesem Argument großes Gewicht, aber man könne der Meinung sein, dass dieses Gefühl sich vermindern werde. Daher habe auch der Kanzler erneut den Abschluss eines allgemeinen Abrüstungsvertrages nahe gelegt, der die Bündnisse jedes der beiden Blöcke unversehrt lässt. Mit einem System des Gleichgewichts der sich kampfgerüstet gegenüberstehenden Streitkräfte, welches sich durch einen Sicherheitspakt zwischen Ost und West äußere, scheine er bereit zu sein, den Frieden zu festigen. Er habe diese Konzeption anlässlich seiner letzten Reise in die USA im November 1954 angedeutet und ohne sie jemals zu verdeutlichen, sei er mehrfach auf sie zurückgekommen.124 Am 19. April 1955 sah François-Poncet die Osterreichfrage als gelöst an. Die sowjetische Note, welche den Alliierten Mächten die Einberufung einer Konferenz mit Absicht des Abschlusses des Staatsvertrages vorschlug, habe die politischen Kreise Bonns nicht überrascht. Diese hätten sie mit Gelassenheit aufgenommen und festgestellt, dass London, Paris und selbst Washington sich geneigt gezeigt haben, zustimmend auf den Mos124 François-Poncet an Pinay, Bad-Godesberg, le 18.4. 1955. Ebd., Fol. 152-155.

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kauer Vorschlag zu antworten. Man erwarte unter diesen Bedingungen eine baldige Zusammenkunft. Nach Fran^ois-Poncet gehe das Gerücht in Bonn um, dass es nicht mehr lange dauern würde, dass der Kreml sich an die Bonner Regierung mit Angeboten wenden würde, analog denen, die zur Lösung des österreichischen Problems geführt haben. Adenauer habe es für nützlich erachtet, auf die jüngsten Erklärungen seines Sprechers zurückzukommen und in einer offiziösen, am 20. April 1955 durch die gesamte Presse wiedergegebenen Mitteilung die Regierungsmeinung genau darzustellen, wobei folgende Punkte angeführt wurden: erstens die in Moskau getroffenen Abmachungen seien ein strahlender Erfolg der »Politik der Stärke«; zweitens sei Deutschland nicht Osterreich. Was für ein Volk von 7 Millionen Einwohnern möglich sei, könne nicht auf ein SiebzigMillionen-Volk angewendet werden. Drittens habe Osterreich keine Pankower Regierung. Die österreichische Bundesregierung sei die Regierung der Gesamtheit des österreichischen Volkes, sie sei gewählt und anerkannt vom Osten und Westen. Viertens würde eine Neutralisierung Deutschlands zum selben Freiheitsentzug führen, wie für die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und andere Satellitenstaaten. Fünftens würden die Bundesrepublik und ein vereintes Deutschland ohne Vorbehalt zur Gemeinschaft der freien Völker gehören. Sechstens: Sollte eine Entspannung zwischen Ost und West mittels wirksamer Vereinbarungen über die Atomwaffen und die Begrenzung der konventionellen Waffen Erfolg haben, werde es immer möglich sein, den deutschen Verteidigungsbeitrag dieser neuen Situation anzupassen.125

5. Österreichs Husarenstück, die Auffassungen Raabs und die schwankende öffentliche Meinung in der BRD Durch regelmäßig einlaufende vertrauliche Lageberichte war Bonn sehr gut über die Auffassung österreichischer Regierungskreise unterrichtet. Raab hatte daraufhingewiesen, dass mit Ratifizierung der Pariser Verträge »eine neue weltpolitische Situation« entstanden sei, die auch »einer völligen Neuorientierung der Politik der Westmächte« bedürfe. Er habe für Osterreich die »entsprechenden Konsequenzen« gezogen. Adenauer scheine »auf anderer Grundlage und mit anderen Methoden ebenfalls das Steuer zeitgemäß herumgeworfen zu haben«. 125 François-Poncet an MAE, 19. 4. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Traité d'État, E U 6 - 9 - 1 , Vol. 290, Fol. 036-037; zur Haltung der SPD und den Vermittlerdiensten der SPO: Gehler, L'unique objectif, S. 2 7 4 ^ ; vgl. dagegen eine andere Position bei Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 468-471; darauf Bezug nehmend: Michael Gehler, Vom Sonderfall zum Modellfall? Osterreich im Spannungsfeld von Kaltem Krieg, »Tauwetter«, Semi-Détente und sowjetischer Deutschlandpolitik 1945-1955: Ein Literaturbericht mit zeitgeschichdichen Kontroversen. In: Jürgen Elvert/Susanne Krauß (Hrsg.), Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert. Jubiläumstagung der Ranke-Gesellschaft in Essen, 2001 (HMRG-Beiheft 46), Stuttgart 2002, S. 175-205, hier S. 192-194.

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Raab, der offenbar an deutschlandpolitischen Fragen interessiert war, hatte ergänzt, dass es »trotz allem sehr schwer sein« werde, »die Sowjets aus der deutschen Sowjetzone herauszubekommen«. Er schien überzeugt, dass sie »natürlich aus Deutschland ebenso wie aus Osterreich hinausgehen« würden, »wenn die Amerikaner weichen würden und auch Deutschland sich neutral erklären würde. Und zweifellos hätten sie [die Sowjets, M. G.] im solchen Sinne [sie!] auch eine Einladung an den deutschen Bundeskanzler nach Moskau bereit.« Er, Raab, der doch selbst den Weg nach Moskau gegangen sei, begreife aber sehr wohl, »dass dies für Adenauer nicht nur ein unerträglicher, sondern auch ein unkluger Gang nach Kanossa [sie!] wäre. Es sei eine bittere, aber politisch unverkennbare Tatsache, dass Deutschland sich das österreichische Husarenstück< nicht leisten könne. Dazu sei es zu groß und stark. Bonn habe eine >besondere Verantwortung-:, die die Bewegungsfreiheit einschränke, Österreichs relative Kleinheit und Bedeutungslosigkeit sei seine Stärke gewesen. Eis habe den sowjetischen Interessen in den Kram gepaßt, Österreichs Bedeutung herauszustreichen [,..].« U 6

Sollte der Bericht Raabs Haltung authentisch wiedergegeben haben, so hieß dies: Moskau erblickte seiner Meinung in Osterreich sehr wohl ein Beispiel für Deutschland, aber Adenauer konnte nach Ansicht des österreichischen Bundeskanzlers nicht darauf eingehen. Dies bedeutete aber nun nicht, dass Raab dies grundsätzlich für ausgeschlossen bzw. unmöglich hielt oder sogar ablehnte.127 Ein Vertrauensmann ließ durchblicken, dass die Sache der deutschen Wiedervereinigung noch nicht aussichtslos sei »und am wenigsten dann, wenn Adenauer an seinem amerikanischen Bündnis trotz allem festhalte, denn die österreichische Delegation in Moskau habe den Eindruck erhalten, dass die Sowjets mit Rücksicht auf ihre Ostasienprobleme in Europa eine Verständigung suchen, die für sie tragbar ist«. Zunächst werde Moskau »wahrscheinlich versuchen, eine Neutralisierung und Nichtbewaffnung ganz [Herv. i. O.] Deutschlands zu erreichen, das heißt in Frankreich und Deutschland den Widerstand gegen die Pariser Verträge zu nähren. Wenn es damit nicht durchdringe, werde es möglicherweise für eine Neutralisierung der Sowjetzone Deutschlands zu haben sein. Allerdings werde es im Hinblick auf den großen Wert der Position Grotewohls und Ulbrichts den Russen schwer fallen, die deutschen Kommunisten ebenso wie die österreichischen einfach beiseite zu schieben. Ist doch das Entgegenkommen Moskaus im Falle Österreichs nicht zuletzt auf die be-

126 Vertraulicher Bericht »Wiener Widerhall der außenpolitischen Stellungnahme des deutschen Bundeskanzlers«, Schreiben von Prof. Fritz Valjavec, 25.4. 1955 an Gesr. Dr. K. Döring/Auswärtige Amt. PA/AA, Abt. 3, Referat 304, Osterreich 94.19, Bd. 40 (32), 82.50-82.80. 127 Dies zu Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 494 (Anm. 19).

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sondere Wirkung in Deutschland berechnet, im Falle Deutschland kombiniert mit den Peitschenhieben aus Ostberlin und mit den Drohungen gegen die USA.« 128 Diese Einschätzungen Raabs hatten vertraulichen Charakter. In der für die Beziehungen Österreichs zur Bundesrepublik äußerst heiklen Situation des Jahres 1955 zeigte er b e wusste Zurückhaltung, versuchte das Einvernehmen mit der C D U / C S U 1 2 9 nicht zu beeinträchtigen und versicherte Adenauer die Richtigkeit seines politischen Kurses. 1 3 0 Raab schloss aber auch den österreichischen Präzedenzfall öffentlich nicht aus. E r sprach nicht v o n »Unvergleichbarkeit«, 1 3 1 sondern lediglich davon, dass die Osterreichlösung »keineswegs schematisch auf die deutsche Frage übertragen werden« könne. 1 3 2 In einem ausführlichen Gespräch mit Raab erführ der Schweizer Gesandte in W i e n im Juni 1955 die Auffassungen des österreichischen Bundeskanzlers zur Neutralität und die Zusammenhänge zwischen Osterreich und Deutschland. In Abweichung von der v o m Gesandten Schöner gegebenen Erklärung zu den Schwierigkeiten der Umschreibung des Neutralitätsbegriffs meinte der Bundeskanzler, der wichtigste G r u n d habe im Umstand gelegen, »dass die Sozialisten zunächst nichts von der Neutralität hätten wissen wollen (vielleicht deshalb, weil ihr Slogan Proletarier aller Länder vereinigt Euch< mit dem Gedanken der Neutralität des Landes nicht recht harmonieren wollte?). Er selbst und seine Parteigenossen hätten nicht die geringste Mühe gehabt, sich mit dem von den Russen lancierten Gedanken der Neutralität zu befreunden. In gewissen Kreisen, besonders bei der Partei der so genannten >Unabhängigenguten Willen< demonstrieren und der prorussischen Propaganda dienen würde«. Alles in allem sähen die erwähnten Kreise in dem Entgegenkommen Moskaus an Osterreich »keinen Beweis der Bereitschaft des Kremls, auch in der deutschen Frage Konzessionen machen zu wollen«.138 Der Bericht Rotters entsprach den Interessen des Ballhausplatzes voll und ganz. Dennoch war die Gefahr einer »Modellfall«-Debatte für Wien noch nicht ausgestanden. Von einer Unterredung mit Blankenhorn anlässlich des Treffens der Sachverständigenkommission zur Vorbereitung der "Viererkonferenz in London erhielt der französische Außenminister Antoine Pinay weitere Informationen. Der deutsche Vertreter ließ keinen Zweifel aufkommen, dass die Pariser Verträge Ausgangsbasis aller deutschlandpolitischen Überlegungen sein sollten. Jeder Deutsche wünsche aber lebhaft die Wiederaufnahme der Ost-West-Gespräche, »da die Frage der Wiedervereinigung bedeutungsvoller denn je sei«. Der Westen müsse die Initiative ergreifen, um sie von den Sowjets zu erkämpfen. Der französische Diplomat Jean Chauvel führte weiter an, dass laut Blankenhorn die deutsche Meinung es bar jeden Realismus finde, dass für Deutschland eine ähnliche Lösung erfolgen werde wie wahrscheinlich für Österreich. Die Neutralisierung Deutschlands würde die Verteidigung des Westens und die amerikanische Truppenpräsenz in Frage stellen. Blankenhorn stellte die Frage, ob dies nicht die erste Etappe der Absorption durch die UdSSR sein würde. Die bundesdeutsche Regierung sei der Ansicht, dass es darauf ankomme, »vor jeder neuen sowjetischen Initiative schnell zu handeln«. Die Tagesordnung einer neuen Konferenz mit der UdSSR müsse breiter angelegt sein und es weiter bringen als in Berlin 1954. 139 138 Schreiben ZI. 51-P0I/55, Ansichten aus CDU-Kreisen über die voraussichtliche Haltung Moskaus in der Deutschlandfrage nach Beendigung der Ratifizierung des Staatsvertrages mit Österreich und der Pariser Verträge; Informationen des Presseattaches, Rotter an Figl, 21.4. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1955, Staatsvertrag 1 A, ZI. 321.536-P0I/55. 139 Doc. 231, Chauvel an Pinay, 28. 4. 1955. In: DDF 1955, Bd. I, S. 525^; zum »Eden-Plan« vgl. Katzer, »Eine Übung im Kalten Krieg«, S. 196-205.

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Die »Österreichlösung« hatte tiefen Eindruck in Bonn gemacht. Beim traditionellen Jahresbankett der ausländischen Presse hielt Adenauer am 25. April 1955 eine Rede, in deren Mittelpunkt die Erklärung stand, dass die Lösung der Frage eines europäischen Friedens ohne die Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich sei. Der Kanzler ging dabei neuerlich von der Feststellung aus, dass die Lösung der österreichischen Frage »keinesfalls als Muster für >Wesen und Methode der Regelung des deutschen Problems dienen< dürfe«. »Osterreich«, so Adenauer wörtlich, »ist ein kleines Land, dessen militärisches und wirtschaftliches Potential nicht ins Gewicht fällt und das überdies am Rande der kritischen Zone liegt [sie!].« Deutschland hingegen befinde sich »genau im Mittelpunkt dieses Spannungsfeldes«. Die Verschiedenheit dieser geografischen Positionen bilde einen entscheidenden Faktor der außenpolitischen Konzeptionen beider Staaten. Deutschland müsse daher in Berücksichtigung seiner geografischen Lage, seiner anders gearteten wirtschaftlichen Bedeutung und seiner engen Verbundenheit mit den anderen Völkern des freien Westens einen eigenen Weg gehen, dessen Ziel der Frieden in der Welt bleiben muss.140 Die Tatsache, dass Adenauer in dieser Rede keinen anderen Staat außer Osterreich namentlich apostrophierte und dies im Zusammenhang mit dem Moskauer Verhandlungsresultat, wurde von vielen Gästen nach Ansicht Rotters »nicht nur als neues Bekenntnis des Kanzlers zur Politik der Pariser Verträge, sondern mehr noch als eine notwendige Mahnung an die deutsche Öffentlichkeit verstanden, nicht an der Regierung zu zweifeln«. 141 Adenauer hatte tatsächlich schwere Bedenken wegen eventueller Auswirkungen der »Österreichlösung« auf die bundesdeutsche Bevölkerung. Zwischen dem 23. und 28. April 1955 war von Allensbach eine vertraulich gehaltene »Blitz-Umfrage« über alle denkbaren Implikationen des »Modellfalls Österreich« durchgeführt worden. Reaktionen von 658 Personen der Bundesrepublik einschließlich West-Berlins über »das russisch-österreichische Abkommen« wurden eingeholt. Die Ergebnisse zeigten, »dass die Mehrheit der öffentlichen Meinung in diesem Abkommen keinen Modellfall erblickt, der auf die russisch-deutschen Verhältnisse angewendet werden könnte«. Im Detail betrachtet waren die Ergebnisse aber nicht mehr so erfreulich für Bonn. 142 Unter »Lockung« stand in der Auswertung, dass die Vorstellung eines wiedervereinigten und neutralisierten Deutschland auf die Mehrheit der Deutschen eine »starke Anziehungskraft« ausübe. 44% glaubten, Adenauer müsse einem sowjetischen Angebot dieser Art zustimmen, »ablehnen« dagegen nur 38%, »kommt drauf an« 5%, während 13% keine Antwort wuss-

140 Schreiben ZI. 52-P0I/55, Bundeskanzler Adenauer zur österreichischen Frage, Rotter an Figl, 28. 4. 1955. ÖStA, AdR, BKA/AA, II-pol 1955, Staatsvertrag 1 A, ZI. 321.761-P0I/55 (GZ1. 320.227-P0I/55). 141 Ebd. 142 Blitzumfrage Modellfall Österreich? Vertraulich! 4. 5. 1955. Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), St. Augustin, Nachlass Otto Lenz, I.172-39, S. 1.

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ten. Alarmierend musste für Adenauer das Resultat wirken, dass 41 % aller Befragten und 89% der Russlandpolitik Bonns skeptisch gegenüberstehenden Personen glaubten, »dass Adenauer die deutsche Wiedervereinigung erreichen könnte, wenn er sich mit den Russen etwas mehr Mühe geben würde«.143 Am 4. Mai 1955 sah sich Pinay nach Gesprächen mit Adenauer am 29. und 30. April in Bonn veranlasst, seine Diplomaten im Ausland zu verständigen. Ohne die Wirkung der letzten sowjetischen Reaktionen auf die deutsche Öffentlichkeit zu bestreiten, sei sich der Kanzler der Anhängerschaft seines Landes an die westliche Allianz sicher und fest entschlossen, auf dem Weg weiterzugehen, den er sich »ein für allemal« vorgezeichnet habe: die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur Gemeinschaft der Westmächte. Adenauer verwies auf die Schwierigkeiten der UdSSR im Äußeren mit China und im Innern mit der Agrarkrise, die dem Westen Handlungsspielraum bieten würden, welcher diese Gelegenheiten nicht vorübergehen lassen sollte, um Initiativen zu ergreifen. Adenauer erklärte, dass es nicht in Frage käme, in der einen oder anderen Form Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, auf Deutschland Lösungen anzuwenden, die aus dem »österreichischen Präzedenzfall« abgeleitet wären und die Neutralisierung zur Voraussetzung hätten. Pinay zeigte sich mit der von Adenauer skizzierten Gesamtschau einverstanden.144 In einem Interview der Neuen Wiener Tageszeitung unter dem Titel »Osterreich aus Bonner Perspektive« bekundete Staatssekretär Otto Lenz (CDU) »aufrichtige Freude«. Obwohl die erzielten Ergebnisse in erster Linie dem Wechsel der sowjetischen Haltung zuzuschreiben seien, könne man indessen den »bemerkenswerten Beitrag der österreichischen Regierung« für diese Ergebnisse nicht bezweifeln, die seit Kriegsende unablässig mit einer »beeindruckenden Zähigkeit« für die Wiederherstellung der Freiheit und Unabhängigkeit des Landes gekämpft habe, was ein wesentlicher Faktor des Erfolges gewesen sei. Nicht weniger entscheidend sei gewesen, dass die Regierung Raab die durch die Molotow-Rede angebotene Chance ergriffen und folgerichtig gehandelt habe. Nach diesen völlig zutreffenden Beurteilungen stellte Lenz die Frage, ob die »Österreichlösung« einen Präzedenzfall für Deutschland darstellen könnte, was gewisse Deutsche als Methode für die Wiedervereinigung anzuwenden glaubten. Diese würden jedoch die Unterschiede verkennen, die beide Fragen voneinander trennen. Zu seinem Glück sei Österreich nie geteilt worden und hatte niemals eine von den Sowjets besoldete Regierung. In der sowjetischen Zone Österreichs gebe es keine kommunistischen Streitkräfte unter sowjetischem Befehl [sie!]. Aus diesen Gründen könne die »Österreichlösung« keinen Präzedenzfall für Deutschland bilden. Selbst Ollenhauer habe erkennen müssen, dass Deutschland nicht Österreich wäre. Die Hoffnungen der SPD, die glaubte, die öster-

143 Ebd., S. 8-13. 144 Doc. 247, Pinay aux représentants diplomatiques de France à l'Etranger, 4. 5. 1955. In: DDF 1955, Bd. I, S. 571-573; vgl. auch Lohse, Ostliche Lockungen, S. 70; Sylvie Guillaume, Antoine Pinay ou la confiance en politique, Paris 1984, S. 124-136.

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reichische Entwicklung würde ihrer Politik in Deutschland dienen, seien enttäuscht worden, wie die Wahlen in Niedersachsen beweisen.145

6. Das Verhältnis zur DDR und Probleme mit der Bundesrepublik wegen Neutralität und Vermögensfragen Als Osterreich seine Souveränität erlangt hatte, kam eine politische Anerkennung der DDR noch nicht in Frage. Dies schloss aber ein Einvernehmen auf einer handelspolitischen Ebene nicht aus. Bereits 1953 wurde ein Abkommen geschlossen, das die Einrichtung einer Außenhandelsstelle in Wien vorsah. Diese Kammer für Außenhandel konnte unterhalb der Regierungsebene vertragliche Regelungen mit westlichen Wirtschaftsorganisationen eingehen, ohne dass damit eine De-facto-Anerkennung des ostdeutschen Staates verbunden war.146 1954 wurde die DDR-Außenhandelsstelle eröffnet. Osterreich sah davon ab, eine gleiche Einrichtung in Ostdeutschland einzurichten. Gerhard Beil, später DDR-Außenhandelsminister, übernahm von 1958 bis 1961 die Leitung der »Kammer für Außenhandel der DDR« in der Bundeshauptstadt. Osterreich machte - analog dem bundesdeutschen Muster von 1953 unter Mueller-Graaf - dieser »Quasi-Botschaft«147 keine Schwierigkeiten. Ganz im Gegenteil wurden damals Beziehungen geknüpft, die ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen beiden Staaten entstehen ließen, obwohl das Handelsvolumen zur DDR im Vergleich zur Bundesrepublik nur ein äußerst bescheidenes Ausmaß erreichte. Hinzu kam noch ein anderer Faktor: In den i95oer-Jahren lebten in der DDR ungefähr zwischen 10 000 und 15 000 Österreicher.148 Um bessere Bedingungen für diese Menschen zu erreichen, war Osterreich zum Tauschgeschäft bereit. Unter westdeutschem Einfluss war kaum ein anderer westlicher Staat bereit, einen DDR-Reisepass anzuerkennen. Selbst die offiziellen Delegationen Ost-Berlins waren von der Gunst der wesdichen Alliierten abhängig, wollten sie in den Westen einreisen. Osterreich war eines der wenigen Länder, das die DDR-Reisepässe anerkannte und Visa einstempelte. Damit erwies sich das neutrale Land als ein Ausreisetor in den Westen. Die Position Österreichs als politisch neutraler und gesellschaftlich und wirtschaftlich westlich ausgerichteter Staat bot der DDR weiterhin die Möglichkeit, über die österreichische Politik Geschäfte mit 145 Lalouette an MAE, 9. 5. 1955. MAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Autriche 1949-1955, Allemagne-Autriche 1954-1955, Vol. 256, Fol. 173; zur erfolglosen Vermittlungsaktion der SPÖ-Fiihrung für die SPD zuletzt Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 468-471 und Gehler, Vom Sonderfall zum Modellfall?, S. 192-194. 146 Washietl, Osterreich und die Deutschen, S. 124. 147 Ebd. 148 Ebd., S. 125.

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dem Westen zu machen. Uber Kompensationshandel konnte die DDR ihre Devisenknappheit mit Hilfe Österreichs aufbessern. Beide Staaten profitierten davon. Dafür erhielt die österreichische Regierung vorzugsweise Industrieaufträge. Das Handelsvolumen blieb bis zur Brandt'schen Ostpolitik recht bescheiden. Erst mit den Ostverträgen schnellte auch das Handelsplus in die Höhe. Andererseits konnten dadurch auch andere westeuropäische Staaten Verträge auf wirtschaftlicher Ebene mit der DDR schließen, und Österreich musste so mit mehreren Ländern konkurrieren. Wiederholt versuchte die UdSSR unter Chruschtschow den Westen und auch Wien zu veranlassen, die DDR diplomatisch anzuerkennen, z. B. beim Besuch der österreichischen Regierungsdelegation im Jahre 1958 oder des Bundespräsidenten Schärf 1959 in Moskau. Zu diesem Zeitpunkt versuchten aber Bundeskanzler Julius Raab und Außenminister Bruno Kreisky Österreich auf dem Wege diplomatischer Kanäle als »Mittler« (Martin Kofler) zu profilieren.149 Wegen des im Laufe des Jahres 1955 sich abzeichnenden österreichischen Bekenntnisses zur Neutralität entstanden Verstörungen im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich,150 was die DDR-Führung nicht ohne Freude registriert haben dürfte. Irritationen zwischen Bonn und Wien entstanden nicht nur, weil deutsche Politiker das österreichische Modell als Gegenentwurf zur Westintegration fürchteten, sondern weil diese Alternativlösung auch die Militärs der jetzt in der NATO integrierten Bundesdeutschen in Verlegenheit brachte und entsprechend Kopfzerbrechen bereitete. Im Auswärtigen Amt in Bonn überlegte man sich die Frage der Anerkennung der österreichischen Neutralität sehr gut. Legationsrat Karl-Hermann Knoke hielt hierzu fest: »Die Entscheidung der Bundesregierung bezüglich ihrer Stellungnahme zu etwaigen österreichischen Anträgen in der Neutralisierungsftage bedarf sorgfältiger Überlegung. [...] So bestechend es wäre, das Verhältnis zu Osterreich durch eine Erklärung der Achtung oder Anerkennung der österreichischen Neutralität entscheidend zu verbessern, so darf doch nicht übersehen werden, dass die Abgabe einer solchen Erklärung nur vertretbar wäre, wenn man davon ausgeht, dass auf eine oder mehrere Generationen ein kriegerischer Ost-Westkonflikt undenkbar ist. W ü r d e es zu einem militärischen Konflikt zwischen der N A T O und den Staaten des Warschauer Vertrages kommen, so würden zwingende militärische Gründe die Besetzung Westösterreichs durch die N A T O erforderlich machen (Herstellung einer direkten Verbin-

149 Martin Kofler, Kennedy. Neutralitat im Kalten Krieg (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 21), Innsbruck - Wien - München - Bozen 2003, S. 58-60. 150 Washietl, Österreich und die Deutschen, S. 84; Rolf Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag. In: Ders./Michael Gehler (Hrsg.), Osterreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden, Bd. 2: Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Wien - Köln - Weimar 1997, S. 217-257, hier S. 237.

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dung zwischen der Bundesrepublik und Italien). Würde die Bundesrepublik, deren Streitkräfte in einem solchen hypothetischen Falle voraussichtlich als erste westösterreichisches Gebiet besetzen müssten, im Spätherbst 1955 die Erklärung abgegeben haben, dass sie die österreichische Neutralität anerkenne oder achte, so würde sich die Bundesrepublik mit Recht den Vorwurf machen lassen müssen, dass sie, wie im Falle Belgiens 1914, eine völkerrechtliche Verpflichtung gebrochen habe. Die[se] Möglichkeit [...] könnte [...] es nahe legen, sich für die schwächste Form, d. h. die Kenntnisnahme zu entscheiden.« 151

Kaum zehn Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges gab es bereits wieder Gedanken über die Eventualität eines Einmarsches und einer Besetzung Österreichs. Auch wenn man einwenden mag, dass dies spekulative Gedankengänge eines Legationsrates152 waren und unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen als 1938 erfolgten, so kann man sich dennoch vorstellen, was Militärstrategen zu dieser Zeit im NATO-Hauptquartier in Möns ausgeheckt haben mögen. Die Quelle erscheint symptomatisch für die Ängste jener Zeit. Ein neuer Krieg mit der Sowjetunion wurde nicht ausgeschlossen, ja ein solcher schien nahe liegend zu sein. Die Vereinigten Stabschefs und deren Vorsitzender, Admiral Radford, vertraten die Auffassung, dass ein neutrales Osterreich ein »schwerer Schlag« für die N A T O sei und große Auswirkungen auf die militärische Strategie haben würde.153 Die Stellungnahme Knokes gab die Meinung der NATO-Strategen wieder, nämlich dass die Neutralität Österreichs im Falle eines militärischen Konfliktes nichts mehr wert wäre. Neben der Neutralität, die seitens der Bundesrepublik nur mehr noch als Faktum hinzunehmen war, gab es die schwierig zu lösende Problematik der bereits angesprochenen wechselseitigen Vermögensansprüche, auf die Bonn immerhin noch Einfluss nehmen konnte. Von Relevanz war hier vor allem das große deutsche Eigentum, also größere Vermögenswerte wie Firmen, Banken und Fabriken, wie etwa die ehemaligen HermannGöring-Werke in Linz. Trotz aller Kriegseinwirkungen, Beschädigungen und Zerstörungen war dieses Vermögen in seinem Ausmaß noch immer enorm. In den Westzonen Österreichs wurde dieses Konzerneigentum der Bundesregierung treuhänderisch unentgeltlich überlassen, in der Ostzone dagegen musste den Sowjets 150 Millionen Dollar Ablöse gezahlt werden.154 Als dem Verlierer des Krieges wurde Deutschland nach 1945 die Enteignung seines Eigentums im Ausland auferlegt, wogegen es keinen Ein151 Legationsrat Knoke an AA, Bonn, 9. 11. 1955. PA/AA Berlin, 304.211-00/94.19./1814/55,: zit. n. Stefan August Lütgenau, Grundstrukturen der österreichisch-deutschen Beziehung nach 1945. In: Albrich u. a. (Hrsg.), Osterreich in den Fünfzigern, S. 237-258, hier S. 248; Washied, Osterreich und die Deutschen, S. 77152 Washied, Osterreich und die Deutschen, S. 77. 153 Steininger, 15. Mai 1955, S. 224. 154 Gehler, Osterreich und die Bundesregierung und die deutsche Frage 1945/49-1955, S. 549; Washied, Österreich und die Deutschen, S. 79.

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spruch einlegen konnte, doch hatte die Bundesrepublik zumindest noch darauf gehofft, dass Osterreich eine Kompensation dafür aufbringen würde. Umso größer waren dann das Entsetzen und die Enttäuschung in Bonn, als Osterreich in den Staatsvertrag eine Klausel eingefügt bekam, die es untersagte, deutsches Eigentum an deutsche juristische Personen zurückzugeben.155 Für Deutschland bedeutete dies einen großen Verlust, für Osterreich war diese Entscheidung hingegen von existentieller Bedeutung, denn dieses ehemalige deutsche Konzernpotential entwickelte sich zu einem der Motoren der österreichischen Wirtschaftskraft. Mit dem Verlust des großen deutschen Konzerneigentums musste sich die Bundesrepublik verärgert abfinden, doch zeigte sich die österreichische Bundesregierung über das kleine deutsche Vermögen von Privatpersonen verhandlungswillig. Ein großer Schritt in diese Richtung wurde beim Besuch des deutschen Kanzlers Adenauer vom 13. bis 15. Juni 1957 in Wien getan, als im »Vertrag zur Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen«,156 der deutschen Privatpersonen eine Entschädigung in Höhe bis zu 260 000 Schilling zugestand, der Streit beigelegt werden konnte.157 Ein Schlussstrich unter dieses Thema wurde am 12. Juni 1961 gezogen, als in Bad Kreuznach ein Finanz- und Ausgleichsvertrag ausgehandelt wurde, der unter anderem auch die Frage nach einer Entschädigung klärte, die die ca. 240 000 deutschen Heimatvertriebenen, die sich in Osterreich angesiedelt hatten, für sich beanspruchten. Die Bundesrepublik leistete die Zahlung von 321 Millionen D-Mark, um alle offenen Ansprüche abzugelten.158

III. ZUSAMMENFASSUNG

Die überraschende Osterreichinitiative der Sowjetunion 1955 erzeugte nicht nur Hochspannung in Bonn, sondern auch eine »gewisse Unruhe« in der französischen Deutschlandpolitik. Am Quai d'Orsay kamen wieder Befürchtungen auf, die es seit 1952 so nicht mehr gegeben hatte,159 zumal angebotene und vollzogene sowjetische Truppenabzüge in der Geschichte keineswegs so exzeptionell waren.160 155 Washietl, Österreich und die Deutschen, S. 79. 156 Alfred Ableitinger, Österreichisch-Deutsche Nachkriegsbeziehungen seit 1945. In: Robert A Kann/Friedrich E. Prinz (Hrsg.), Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Wien - München 1980, S. 199-219, hier S. 208. 157 Washied, Österreich und die Deutschen, S. 87. 158 Ableitinger, Österreichisch-deutsche Nachkriegsbeziehungen seit 1945, S. 208. 159 Vgl. Lohse, Ösdiche Lockungen, S. 174-175. 160 Helmut Handzik, Politische Bedingungen sowjetischer Truppenabzüge 1925-1958 (Internationale Politik und Sicherheit, hrsg. v. d. Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen 34), Baden-Baden 1993 (leider ohne eingehenden Österreich-Bezug).

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Die Forschung urteilte und urteilt unterschiedlich im Casus Austria: Adam B. Ulam sah im Osterreichbeispiel der Sowjetunion einen »erzieherischen Effekt« für die Deutschen,161 Bruno Thoß in der Bereinigung der Osterreichfrage einen Testfall zur Erprobung der sowjetischen Bereitschaft zur Entspannungspolitik und die Voraussetzung zur Abhaltung einer Gipfelkonferenz,162 Eckart Lohse ein »Störmanöver« mit Blick auf die zu verhindernde Westintegration der Bundesrepublik und »östliche Sirenengesänge«163 und Gerhard Wettig wie nicht anders zu erwarten war »Lockungen«,164 wobei sich die genannten Autoren nicht immer bewusst sein dürften, dass sie hier voll in der zeitgenössischen Diktion der Bonner Politik argumentieren, die die sowjetischen Entspannungsinitiativen und Einheitsangebote mit den gleichen Wörtern propagandistisch zu immunisieren versuchte. Dabei wird wiederholt von der »Tatsache« ausgegangen, »dass Moskau im Herbst 1954 und Winter 1954/55 ohnehin eine Wende in der Deutschlandpolitik nicht wirklich anstrebte«165 und »schon längst auf einen Kurs der Festigung des Status quo in Europa eingeschwenkt war«.166 Für diese mit Entschiedenheit und Ausschließlichkeit vorgetragene These gibt es meines Erachtens nach wie vor keine eindeutigen und durchgehend dokumentierten sowjetischen Quellenbelege, die den österreichischen Präzedenzfall ausschließen, weshalb für eine ausgewogene, nuancierte, die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten der sowjetischen Deutschlandpolitik im ersten Halbjahr 1955 berücksichtigende Interpretation zu plädieren ist.167 Die sowjetische Diplomatie drängte im Februar und März 1955, d. h. noch vor Ratifizierung der Pariser Verträge, auf die Abhaltung einer Viererkonferenz, auf der sie die deutsche wie die Osterreichfrage behandelt wissen wollte. Es ging Moskau dabei vor allem um die Verhinderung der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der Einbindung des westdeutschen Potentials in die NATO. Konnte die Ratifizierung der Pariser Verträge nicht mehr wirksam verhindert werden, so sollte wenigstens ihre Anwendung verzögert werden. So lautete auch die zeitgenössische Einschätzung von Bruno Kreisky, 161 Adam B. Ulam, Expansion and Coexistence. The History of Soviet Foreign Policy 1917-67, New York Washington 1968, S. 565. 162 Thoß, Modellfall Österreich? 163 Lohse, Osdiche Lockungen, S. 119; auch Lappenküper »einen neuen Störversuch«: Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963, Bd. I: 1949-1958, S. 820. 164 Gerhard Wettig, Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschland-Politik 1945-1955, München 1999, S. 287. 165 Lohse, Ostliche Lockungen, S. 168. 166 Ebd., S. 177. 167 Diese leistet bisher am überzeugendsten Stourzh, U m Einheit und Freiheit, S. 450-485, auch wenn er letztlich in der sowjetischen Osterreichpolitik 1955 keine Modellfall-Absichten zu erkennen glaubt. Zu sowjetischen Sicherheitskonzepten im historischen Rückblick: Aleksey Filitov, Soviet Security Concepts in Historical Retrospective. In: Kurt R. Spillmann/Andreas Wenger, Russia's Place in Europe. A Security Debate (Center for Security Studies and Conflict Research/Studies in Contemporary History and Security Policy 1), Bern - Berlin-Frankfurt/Main-New Y o r k - P a r i s - W i e n 2000, S. 147-162.

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die vom Großteil der französischen Diplomatie geteilt wurde. Die Vereitelung der deutschen Wiederbewaffhung war ein ernsthaftes Anliegen der UdSSR (während Adenauer Zeit gewinnen wollte, um die deutsche Aufrüstung zu realisieren168). Im Rahmen dieser russischen Zielsetzung bildete das »Modell Osterreich« ein Element. Die Vorbereitungen für die Konstituierung des Warschauer Paktes waren im Falle des Scheiterns der Verhinderung der Pariser Verträge aber auch bereits im Gange. Die sowjetische Deutschlandpolitik war mehrdimensional. Propaganda spielte im Vorgehen des Kreml bei der Osterreichlösung weniger eine Rolle als z. B. 1952 im Falle Deutschlands. Es handelte sich 1955 nicht um Rhetorik, sondern um eine Politik fest zugesagter und umgehend vollzogener Schritte, was glaubhaft demonstriert wurde. Die bereits früh formulierte These vom »Schaufenster«169 der österreichischen Diplomatie erfuhr dadurch eine späte Bestätigung. Julius Raab verstand es, gestützt auf Informationen von Norbert Bischoff, die gewandelte Haltung der Sowjets geschickt für die Interessen seines Landes zu nutzen. Dies konnte nur mit einem Spagat gelingen: einerseits die Sowjets im Glauben zu lassen, dass ihre primär auf Deutschland abzielende Politik nicht wirkungslos sein würde, andererseits den Westen und Adenauer in der Sicherheit zu wiegen, die sowjetischen Initiativen nur im Sinne der Erlangung der Unabhängigkeit für das eigene Land aufzugreifen und diese Politik »keinesfalls« als Modell füir Deutschland zu verstehen. Damit wurde eine zwischen Ost und West bestehende »Unvereinbarkeit« auf den »österreichischen Nenner« gebracht. So erklärt sich auch die öffentliche Zurückhaltung von Raab und Figl bezüglich eventueller Anwendungsmöglichkeiten der »Osterreichlösung«, von Schärf und Kreisky ganz zu schweigen. Die Integration der deutschen Teilstaaten in die jeweiligen Blocksysteme und die sich abzeichnende faktische Teilung Deutschlands hatten den Abschluss des Staatsvertrages von 1947 bis 1954 blockiert. Die Osterreichfrage war auch noch bis 1955 Teilaspekt der deutschen Frage und Funktion der Deutschlandpolitik der Supermächte. So erklärt sich abgesehen von der »Beispielfunktion« des Staatsvertrages für die Sowjets auch die fehlende Bereitschaft der Westmächte, die Neutralität im Staatsvertrag zu verankern und einen solchen zu unterschreiben. Mit Blick auf Adenauers Stellung konnte das nicht geschehen. Jeder Präzedenzfall für ein theoretisch denkbares neutralisiertes Deutschland sollte unbedingt ausgeschlossen bleiben. Für die noch nicht souveräne Bundesrepublik war die rasche Unterzeichnung des Staatsvertrags gekoppelt mit Truppenabzug und selbst erklärter und verpflichtender Neutralität nicht wünschenswert - auch und gerade mit Blick auf die deutsche Öffentlichkeit. Für Wien galt es dagegen, die »deutsche Lösung« in Form der Spaltung unbedingt zu verhindern, während Bonn Osterreich als 168 Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963, Bd. I: 1949-1958, S. 826. 169 Vgl. Gehler, Osterreich, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 1945/49-1955, S. 53Öf.; vgl. dagegen Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 477.

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»Modellfall« kategorisch ablehnte, was am Ballhausplatz mit Erleichterung registriert wurde. Nichtsdestoweniger blieb das Bestreben der Sowjetunion, mittels ihrer Diplomaten an den westlichen Missionen auf diplomatischer, nicht-gouvernementaler, informeller und inoffizieller Ebene den Modellcharakter der Osterreichlösung für die deutsche Frage anzupreisen. Die Intensität dieser diplomatischen Fühler bis zum Mai und Juni 1955 ist bemerkenswert und lange von der Staatsvertragsgeschichtsschreibung kaum gewürdigt worden. Gerald Stourzh referierte diese zuletzt auch im Lichte neuerer Forschungen und bezog sie in ein Mehrebenensystem der Betrachtung des »Modellfalls« ein. Es dürfte von sowjetischer Seite auch mehr als nur die Absicht bestanden haben, ein Zeichen mit Blick auf Entspannungspolitik zu setzen und eine Geste des Entgegenkommens bezüglich der gewünschten Gipfelkonferenz zu machen (Bruno Thoß). Am Quai d'Orsay sah man jedenfalls in der sowjetischen Osterreichpolitik primär den Wunsch, für Deutschland ein Muster für erfolgreiche Verhandlungen anzubieten. Bis zur Genfer Konferenz hatte demzufolge noch substantielles sowjetisches Interesse bestanden, die Blockbildung in Europa zu verhindern und über die deutsche Frage unter Bedingungen zu sprechen, wie sie am Beispiel Österreichs anschaulich und rasch demonstriert wurden. Das war keine abstrakte Propaganda, sondern konkrete Politik. Im Westen hatte man 1955 aber kein Interesse, entspannungspolitisch in die Offensive zu gehen. Hier überwog Status-quo-Denken wie beim 17. Juni 1953 eindeutig vor riskanten neuen Konzeptionen. Es galt, die Westintegration der Bundesrepublik kurz vor ihrem Abschluss nicht mehr unnötig in Gefahr zu bringen. Frankreich hatte besonderes Interesse an der Aufrechterhaltung der deutschen Teilung. So konnte im sowjetischen diplomatischen Kalkül bis zur Gipfelkonferenz der »Modellfall« im Sinne einer Entspannungsoffensive als »Stalinnote des Jahres 1955« im Anschluss an die gescheiterten Verhandlungen von Genf wenigstens noch defensiv als »späte Revanche« für die Niederlage aus der »Notenschlacht des Jahres 1952« in Form einer »doppelten Schuldzuweisung« für die Teilung Deutschlands an den Westen und Adenauer instrumentalisiert werden. Der »Modellfall« blieb von sowjetischer Seite weiterhin zur Beeinflussung der öffendichen Meinung in der Bundesrepublik nutzbar. Wie die von Allensbach durchgeführten Umfragen im Frühjahr 1955 zeigten, war das Urteil der westdeutschen Bevölkerung bezogen auf die entscheidenden außen- und sicherheitspolitischen Fragen Schwankungen unterworfen, sodass eine veränderte konzessionsbereite sowjetische Politik ä la Osterreich mit weiteren Verschiebungen in der Haltung der öffentlichen Meinung rechnen und die Opposition mobilisieren konnte. Dies war auch der einzige Faktor, der noch etwas gegen die Remilitarisierung und die NATO-Einbindung der Bundesrepublik hätte bewirken können. Entscheidend war allerdings, dass die FDP die Westverträge guthieß, die SPD ihre außenpolitische Fundamentalopposition gegenüber Adenauer bereits Mitte 1955 stark abschwächte und gegen Ende der i95oer-Jahre völlig aufgab. Damit waren auch in der innenpolitischen Auseinandersetzimg um alternative Optionen der Bundesrepublik in Sachen Deutschlandpolitik die Würfel gefallen. Diese Entwicklung war so-

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wohl in französischem als auch österreichischem Interesse. Wollte sich Österreich 1955 von der Deutschlandfrage emanzipieren, dann konnte es schlecht gleichzeitig als »Modell« für dessen Lösung dienen. Die Sowjetunion begann sich vor diesem Hintergrund mit den vollendeten Tatsachen abzufinden. Sie war in ihrer Deutschlandpolitik gescheitert. Mit Osterreich war die deutsche Frage nicht mehr in ihrem Sinne zu beeinflussen, zu stark war die Allianz gegen jede mögliche Anwendung eines Präzedenzfalls im Westen. Die zwiespältige Position Adenauers, die nach außen die deutsche Einheit zum höchsten Ziel der Politik der Bundesrepublik hochstilisierte, intern aber klar und eindeutig der Integration des Weststaats Vorrang einräumte,170 gab es im Grunde so auch in Paris, wo man mit der Teilung Deutschlands nicht unzufrieden war. In doppelbödiger Weise fürchtete Frankreich bei öffentlicher Nichtbeachtung des Wiedervereinigungspostulats durch eine Bonner Regierung ein Abdriften der Bundesrepublik nach Osten,171 nicht aber allein weil man diesen für sich genommen militärisch als so gefährlich ansah, sondern weil Paris selbst die Nummer eins, also erster Partner in Moskau, sein und sich in dieser Hinsicht nicht den Rang durch Deutschland ablaufen lassen wollte! Diese französische »Politik der doppelten Sicherheit« durch Teilung Europas und dauernde Spaltung Deutschlands (Georges-Henri Soutou/Genevieve Maelstaf)172 sollte mit stiller Rückversicherung in Richtung Kreml die Sowjetunion beschwichtigen, aber auch gleichzeitig das kommunistisch-russische Bedrohungspotential durch Einbindung des deutschen Teilstaats in die westliche Welt in Form eines antibolschewistischen Bollwerks immunisieren. Osterreich spielte in diesem machiavellistischen Spiel nicht mit.

170 Siehe hierzu für die fünfziger Jahre und besonders im Umfeld der Genfer Außenministerkonferenz 1955: Michael Gehler, Adenauer und die deutsche Einheit: Eine Kontroverse zwischen Kritik, Rechtfertigung und Historisierung. In: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer (2002), Heft 63, S. 5-38. 171 In diese Richtimg argumentiert und interpretiert auch Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963, Bd. I: 1949-1958, S. 848-849. 172 In diesem Sinne wurde die These vorgetragen von Georges-Henri Soutou in seinem Vortrag »Frankreich und der Albtraum eines wiedervereinigten und neutralisierten Deutschlands 1952-1990« auf der vom Deutschen Historischen Institut in London (Hagen Schulze) und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (Horst Möller) in Lichterfelde vom 4.-5. Juli 2003 organisierten Tagung zum Thema »Der Dritte Weg im Zeitalter des Kalten Krieges«. Die Ergebnisse werden publiziert. Zum Konzept der »double sécurité« siehe auch Maelstaf, Que faire de l'Allemagne?, S. 537.

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Der Gedanke an den 15. 5. 1955 ist in meiner Generation untrennbar mit dem Ruf Leopold Figls: »Osterreich ist frei« verbunden und natürlich mit dem Foto, wie er vom Balkon des Belvedere einer begeisterten Menschenmenge den gerade unterschriebenen »Staatsvertrag« samt Unterschriften und Siegel zeigte. W i r spürten - und das mit tiefer innerer Bewegung wir sind Zeugen des Beginns einer neuen Epoche in der Geschichte Österreichs und das nach all dem, was mit und in diesem Osterreich und seinen Menschen seit 1918 geschehen ist. Blickt man in der Geschichte Europas zurück, so kann man sich nur noch an eine Szene erinnern, bei der ein Staatsmann für alle Welt sichtbar einen gerade abgeschlossenen internationalen Vertrag der Öffentlichkeit als Erfolgsbeweis präsentierte. Am 30. September 1938 zeigte der damalige Premierminister des scheinbar so mächtigen britischen Empire, Arthur Neville Chamberlain, am Londoner Flugplatz unter dem Ruf: »Das ist der Friede für unsere Generation« ein Dokument, das Adolf Hitler, Benito Mussolini und der französische Ministerpräsident Edouard Dalladier am gleichen Tag in München unterschrieben hatten. Aber welch unglaublicher Unterschied besteht doch zwischen diesen beiden Vorgängen. Das Münchner Abkommen, das die Abtrennung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei absegnete, war eine weitere Ermunterung für Hitler auf seinem W e g zur Auslösung des Zweiten Weltkrieges, in den auch die Österreicher in so tragischer Weise verstrickt waren. Dagegen zeigte am 15. Mai 1955 der Außenminister des kleinen Österreich am Balkon des Belvedere der Öffentlichkeit jenen Vertrag, der nicht nur die Position Österreichs in Mitteleuropa festschrieb, sondern der in seinen Auswirkungen eine Periode der Entspannung im Ost-West-Konflikt einleitete und damit zu einer Jahrzehnte dauernden friedlichen Entwicklung in Europa beitrug - und noch immer wesentlich beiträgt. Im täglichen Sprachgebrauch nach 1946/47 war »der Staatsvertrag« Ausdruck und Synonym für die Hoffnung der Österreicherinnen und Österreicher auf die Verwirklichung der vollständigen Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität unseres Landes. Dabei war erstaunlich, dass nur wenige sich über die Bedeutung des ganzen Inhaltes dieses Vertragswerkes klar waren. Der Vertragstext schreibt für Österreich wichtige Souveränitätseinschränkungen fest, die theoretisch noch heute gültig sind. Die großen materiellen Lasten, die Österreich im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag zu tragen hatte, traten

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gegenüber dem Gefüihl der vollen Freiheit im Bewusstsein und Erleben der Bevölkerung zurück. »Der Staatsvertrag« wird noch heute von vielen unserer Landsleute - Inhalt hin oder her - als »Magna Charta« der Republik betrachtet. Dabei spielt oft auch die irrige und fast unausrottbare Meinung eine Rolle, die immer währende Neutralität Österreichs sei ebenfalls im Staatsvertrag festgeschrieben. Tatsächlich ist sie das im Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955. Es war ein überaus langer Weg, bis in diesen für Osterreich so entscheidenden Aprilund Mai-Tagen 1955 die volle Freiheit zum Greifen nahe schien und schließlich vertraglich verbrieft wurde. Für einen Angehörigen meiner Generation, der 1938 mit großer Erschütterung und Verbitterung den Untergang der Ersten Republik hautnah miterlebt hatte, der NS-Regime und Krieg in allen ihren Auswirkungen verkraften musste, dem blieb in all der Zeit nur die Hoffnung, Frieden und die Wiederauferstehung Österreichs vielleicht doch noch irgendeinmal zu erleben ... Es war immer eine vorerst nur vage Hoffnung, als der Krieg losbrach, dass damit am Ende auch das Nationalsozialistische Regime vernichtet würde. Aber was geschieht dann mit Österreich? Es war uns von Anfang an ganz und gar nicht klar, ob die Alliierten im Falle eines Sieges über den Nationalsozialismus überhaupt ein unabhängiges Österreich wieder erstehen lassen wollten. Auf welche Weise und unter welchen Voraussetzungen könnte die Wiedererrichtung überhaupt erfolgen ? Im November 1943 zeigte sich ein erster Hinweis, dass die Hoffnung, ja der Traum von einem freien Österreich greifbare Formen annehmen könnte. Die Moskauer Deklaration der drei Alliierten Mächte, USA, GB und UdSSR, vom 1. November 1943 war österreichischen Patrioten aus Radiosendungen (»Feindsender«, unter dem NS-Regime streng verbotenes Abhören von Auslandssendern) und dann durch Mundpropaganda bekannt. Die Wiedererrichtung Österreichs als ein Kriegsziel der Alliierten schien nun festzustehen. Allerdings war in dieser Deklaration von Moskau auch davon die Rede, dass für seine Zukunft Österreich danach beurteilt werden würde, welchen Beitrag es selbst für seine Freiheit leistete. Gerade das gab jeder Widerstandstätigkeit österreichischer Patrioten gegen den Nationalsozialismus erstmals ein klares staatspolitisches und ideologisches Ziel für die Gestaltung der eigenen staadichen Zukunft. Ein Ziel, für das es sich lohnte, mit allen Mitteln zu kämpfen. Das war aus unserer Sicht ein neues Element in der Politik der Alliierten, nachdem die Europäischen Mächte - mit Ausnahme der UdSSR - immerhin die Auslöschung Österreichs 1938 durch konkludente Handlungen international anerkannt hatten. Zwar hatte 1938 die UdSSR gegen den deutschen Einmarsch in Österreich protestiert, bei Kriegsausbruch aber war sie Bündnispartner des Reiches, als es darum ging, Polen zu erobern. Auf alle Fälle war für uns wichtig, dass sich auch die Westmächte nun klar für ein unabhängiges Österreich voll einsetzen wollten.

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Wenn man sich fragt, wie man selbst zur Überzeugung gekommen ist, dass die Alliierten an einer Wiedererrichtung Österreichs interessiert waren, so ist es aus meiner Sicht folgender Vorfall gewesen: Als ich nach meiner Kriegsverwundung 1943 nach Innsbruck zurückkam, haben mich Freunde auf den »Feindsender« BBC und seine Sendezeiten aufmerksam gemacht: auf 41 Meterband dreimal am Tag, 5.45, 15.15 und 17.15. Zum Unterschied von vor zwei Jahren war nicht mehr nur von Deutschland, sondern auch von Osterreich die Rede. Als dann Mitte 1944 ein anderer »Feindsender«, nämlich der Soldatensender West zu hören war, wurde bereits klar zwischen Deutschland und Osterreich unterschieden. Wie und unter welchen Einflüssen die Formulierungen der Moskauer Deklaration zustande kamen und wie sie verwirklicht werden sollten, wusste damals niemand genau. Aber was zählte, war die Hoffnung in einer scheinbar hoffnungslosen Zeit. Besonders wir Jüngeren im Widerstand machten uns damals noch keine Gedanken darüber, wie das Wiedererstehen Österreichs staatsrechdich verwirklicht werden könnte bzw. sollte. Im Vordergrund stand der Kampf gegen den Nationalsozialismus. Als das Kriegsende in den ersten Monaten 1945 unübersehbar näher rückte, gab es innerhalb verschiedener Widerstandsgruppen lebhafte Diskussionen mit erfahrenen Juristen, wie diese Wiedererrichtung unserer Republik erfolgen könnte. Das war allerdings alles Theorie. Die raue Wirklichkeit bei Kriegsende machte dann viele dieser Überlegungen obsolet. Wie das Kriegsende dann tatsächlich von den Menschen in unserem Lande erlebt wurde, hing davon ab, welche Truppe siegreich einrückte und ob dies im Zuge einer Kampfhandlung erfolgte oder nicht. Die Tage des Kriegsendes empfanden die Österreicher also in ganz verschiedener Weise: zeitlich und in unterschiedlicher Qualität. Was zählte, war auf jeden Fall die Befreiung vom Nationalsozialismus und von den Schrecken des Krieges, von denen auch die Zivilbevölkerung in sehr hohem Maße betroffen war. Die alliierten Truppen haben mit der Niederringung des Nationalsozialismus das Wiedererstehen der Republik erst möglich gemacht. Andererseits muss man auch dafür Verständnis haben, dass die Menschen, die nach Kriegsende furchtbare Erlebnisse über sich ergehen lassen mussten, dies bestimmt nicht als Befreiung empfanden. Ganz besonders traf das auf viele Frauen zu. Man kann sicherlich nicht verordnen, dass alle Menschen diese Schicksalsstunden mit den gleichen Gefühlen in Erinnerung haben. Die Bürgerinnen und Bürger erlebten in ihrem täglichen Leben nicht gleich einen neuen Staat mit österreichischen Verwaltungen, sondern zuerst die Regime der jeweils einrückenden alliierten Militärbefehlshaber und in der Folge verschiedene alliierte Militärregierungen und -Verwaltungen. Nur in wenigen Gebieten Österreichs konnten aus dem Widerstand heraus sofort auch österreichische Verwaltungen eingerichtet werden - wie z. B. in Tirol.

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Die Information über die Proklamation der Wiedererrichtung der Republik am 27.4. 1945 in Wien wurde erst Tage später in manchen Bundesländern bekannt. Schließlich waren in vielen Teilen Österreichs noch Kämpfe im Gange oder einrückende alliierte Truppen haben von sich aus die Nachrichtenverbindungen außerhalb ihres Truppenbereiches unterbrochen. Dazu kam, dass sehr verwirrende Meldungen über die Zusammensetzimg einer Provisorischen Regierung zu hören waren. Das führte dazu, dass in manchen Bundesländern anfangs schwere Vorbehalte gegenüber der Provisorischen Regierung Renner aufkamen, einer Regierung, die man als vollkommen unter sowjetischem Einfluss stehend ansah. Das änderte sich erst, als im Zuge der Länderkonferenzen eine Regierungsumbildung mit einer Beteiligung von Vertretern der Bundesländer erfolgte. In der Periode von der Einsetzung der Provisorischen Regierung bis zu den ersten Wahlen war die menschliche, wirtschaftliche und politische Überwindung der ärgsten Kriegsfolgen einfach vorrangig vor allem anderen. In den unmittelbaren Monaten danach hatte man in der Bevölkerung den Eindruck, dass die Festschreibung des zukünftigen Status der Republik, sozusagen des Schicksals Österreichs, in direkten Verhandlungen mit den in Österreich befindlichen Besatzungsmächten erfolgen werde. Da der Alliierte Kontrollrat auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Österreichs mit anderen Staaten genehmigen musste, hatte es den Anschein, dass die Außenpolitik mehr im Inland stattfinde. Mühevoll wurde der diplomatische Dienst aufgebaut und nur schrittweise konnte Österreich zuerst vor allem in den Hauptstädten der vier Alliierten und in weiterer Folge in den Nachbarstaaten funktionsfähige Gesandtschaften oder Vertretungsbehörden einrichten. Erst mit Bekanntwerden der Ausarbeitungen der ersten Vertragsentwürfe für den Text eines Staatsvertrages Anfang 19461 entwickelte sich in der Bevölkerung das Gefühl, das Wissen und vor allem die Sorge, dass nun erst einmal ein sehr umfangreiches Vertragswerk ausverhandelt werden müsste und mit einem baldigen Abzug der Besatzungstruppen und der vollständigen Freiheit nicht zu rechnen sei. In weiten Kreisen der Bevölkerung war damals immer wieder zu hören: »Wozu braucht man überhaupt einen eigenen Vertrag zur Wiedererrichtung der Republik? Diese besteht ja schon und es brauchen ja nur die Besatzungsmächte heimzumarschieren. Das würde doch genügen.« Dabei wurde vieles vereinfacht und übersehen. Dazu nur ein Hinweis: Schließlich hatte Jugoslawien über die Alliierten sehr präzise Gebietsforderungen an Österreich gestellt. 1

Z. B. »Entwurf für einen Vertrag zur Wiederherstellung der Rechtsstellung Österreichs. 2.2. 1946«, AM Dr. K. und „Der erste Amerikanische Vertragsentwurf, Dokument C.F.M. 119« des Außenministerrates, 20. Juni 1946.

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Welche Form eine vertragliche Verankerung der vollen Souveränität Österreichs haben würde, stand genauso in Frage wie etwa die rechtliche Substanz eines solchen Dokuments. Dies wurde erst mit dem Kommunique des Außenministerrates über Osterreich vom 20. Juni 1949 klarer. Allerdings auch nur fiir jene, die über die Alltagssorgen hinaus politisch interessiert waren. Ich war während dieser Zeit als junger Legationssekretär an der Gesandtschaft in Paris und wurde u. a. auch zum Chiffrieren eingeteilt. Das war ein sehr komplizierter Vorgang, der »händisch« erfolgte. Die überaus zeitraubende Tätigkeit, die sich Stunden um Stunden hinzog, hatte allerdings den Vorteil, dass man über alle Vorgänge im Zusammenhang mit der Staatsvertragspolitik voll informiert war. Die Gesandtschaft Paris wurde über alle Initiativen, die von Osterreich oder von den Alliierten ausgingen, auf dem Laufenden gehalten. Schon damals war erstaunlich, wie viele internationale Gremien sich in bunter Reihenfolge mit der Materie befassten: Außenministerkonferenzen, deren Stellvertreter oder Sonderbeauftragte, usw. Immer wieder bekam die Gesandtschaft in diesem Zusammenhang Weisungen, Interventionen durchzufuhren bzw. Erkundigungen im französischen Außenministerium einzuholen. Auch über die Diskussionen innerhalb Österreichs gab es vertrauliche Berichte. Das Grundmuster der österreichischen Staatsvertragspolitik war bis 1952/1953 überwiegend darauf ausgerichtet, zu versuchen, ein möglichst gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu den Westmächten aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt war dies auch eine unbedingte wirtschaftspolitische Notwendigkeit. Dahinter stand die Überlegung, dass die Österreicher im Westen ja nicht als unsichere Kantonisten gelten sollten. Man hatte Sorge, ja Angst, vor dem, was die UdSSR vorhaben könnte. Irgendwie erwartete man von den Amerikanern und Briten, ja man rechnete damit, dass sie irgendwann auf die UdSSR Druck ausüben würden, falls diese einen Abschluss des Staatsvertrages immer wieder verhindern würde. Der Westen, wenn man das so verkürzt sagen will, (schließlich liegt Wien 200 km östlich von Prag) war entweder nicht in der Lage oder nicht willens, einen solchen entscheidenden Druck auf die UdSSR auszuüben. Mit der Verschärfung des Kalten Krieges wurde dies dann immer offenkundiger. Niemand wollte wegen Österreich - allenfalls als letzte Konsequenz - eine kriegerische Auseinandersetzimg fuhren. Übrigens die Österreicher auch nicht! Im »Spiel«, die europäischen Großmachtkräfteverhältnisse neu auszuloten, zeigte sich ein eigenartiges Phänomen: Trotzdem die Sowjetunion im Krieg furchtbare Substanzverluste an menschlichen und materiellen Ressourcen erlitten hatte, kurz gesagt vollständig ausgeblutet und geschwächt war, nutzte sie die Periode nach ihrem großen Sieg, 1945-49, u m 'hre Einflusssphäre in Mittel- und Osteuropa immer mehr auszudehnen und politisch und militärisch zu stabilisieren. Durch ihr offensives Handeln schuf sie so neue vollendete Tatsachen und gestaltete dadurch in diesem Raum die Kräfteverhältnisse klar zu ihren Gunsten neu.

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Die westlichen Alliierten sahen diesem Vorgang etwas hilflos zu. Sie waren vorrangig mit ihren eigenen innenpolitischen Problemen beschäftigt, nachdem der äußere Feind abhanden gekommen war. Wirtschaftlich waren sie voll mit der Umstellung ihrer Kriegswirtschaften beschäftigt. Gleichzeitig verwirklichten sie eine radikale Abrüstungspolitik. Die Sowjets waren sich daher sicher, dass außer Wortspenden vom Westen her keine Reaktionen auf die Ausdehnung ihres Einflussbereiches erfolgen würden. Der Koreakrieg und der beginnende Kalte Krieg haben dann eine andere Entwicklung eingeleitet. 1952/53 wurde immer deutlicher, dass der ganze internationale Verhandlungsmarathon zum Thema Staatsvertrag - bei dem man es seit Jänner 1947 bis zum 15. Mai 1955 auf 308 Konferenzen verschiedener Art und Qualität brachte - die Sowjets nicht dazu bringen konnte, von ihrer starren Haltung abzugehen. Die UdSSR wollte sich ganz einfach in Gremien mit westlichen Mehrheiten nicht zu Entscheidungen drängen lassen. Die Ungeduld der Bevölkerung über die unabsehbar lange Dauer der Besetzung nahm immer mehr zu. In Osterreich wurden neben der offiziellen Regierungspolitik mehrere Versuche unternommen, neue Wege zu gehen. Man versuchte, irgendwie mit den Sowjets ins Gespräch zu kommen. Besonders Prof. Dr. Karl Lugmayer berichtete wiederholt Bundeskanzler Raab von seinen Bemühungen, in Moskau im Rahmen der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft genauere Informationen über die Grundzüge der sowjetischen Haltung zum Staatsvertrag zu erhalten. Raab hörte diesen Berichten immer sehr aufmerksam zu. Allerdings wurden anscheinend die wirklichen Entscheidungsträger über die Österreichisch-Sowjetische Gesellschaft nicht erreicht. Das lag allerdings nicht an dem der ÖVP angehörenden Prof. Karl Lugmayer, sondern vielmehr an den führenden österreichischen Kommunisten in dieser Gesellschaft, die in Moskau vielleicht als Befehlsempfänger geschätzt, aber sonst nicht gerade ernst genommen wurden. Ein Versuch von Bundeskanzler Figl, angeregt von ehemaligen Mithäftlingen im KZ, erste Sondierungsgespräche mit der KPÖ-Führung zu fuhren, wurde von einem der KPÖ-Abgeordneten im Nationalrat, Dr. Ernst Fischer, entgegen den Abmachungen in entstellter Form publik gemacht. Das rief große öffentliche Aufregung besonders in den USA hervor und bestätigte wieder die Erkenntnis, dass die KPÖ kein geeigneter Gesprächspartner war. Es zeigte sich, dass die KPÖ zwar zu manchen Ortskommandanturen der sowjetischen Besatzungsmacht gute Kontakte und oft auch eine enge Zusammenarbeit hatte, aber bei den Moskauer Zentralstellen nicht sehr geachtet war. Dort zählte die Verfolgung der eigenen großen strategischen Ziele allemal mehr als die parteipolitische Taktiererei der KPÖ. Ein anderer Versuch, Verständnis und Unterstützung für die österreichische Position besonders auch bei den verschiedenen UN-Mitgliedstaaten zu bekommen, ging von Außenminister Gruber aus. Die Vereinten Nationen hatten damals ein viel höheres Ansehen, als man es sich heute vorstellen kann.

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In der Folge eines Staatsbesuches in Brasilien, mit intensiven Gesprächen über die internationale Situation Österreichs, kam es durch die brasilianische Regierung zu einer Unterstützungszusage für die österreichische Sache. Am 2. März 1953 starb Josef W. Stalin. Wenige Wochen danach verschwanden die riesigen Bilder Stalins an den Fassaden der sowjetischen Dienststellen in Osterreich. Diese »Säuberung« der Fassaden ging schrittweise vor sich, bis eines Morgens schließlich auch das Straßenschild »Stalinplatz - Schwarzenbergplatz, Wien« verschwunden war. Dieser Vorgang signalisierte, erstmals von außen durchschaubar, den Beginn einer möglichen Änderung der sowjetischen Politik. Wohin dabei die Reise gehen würde, war außerhalb der Sowjetunion nicht erkennbar. Immerhin schien es angezeigt, verstärkt neue Versuche zu unternehmen, um Fortschritte in der Staatsvertragspolitik der UdSSR zu erreichen. Besonders bemerkenswert war ein Gespräch zwischen N e h m und Gruber am 20. 6. 1953 am Bürgenstock in der Schweiz. Gruber übergab dabei N e h m eine »Aufzeichnung«, die den Standpunkt der Bundesregierung zum Problem Staatsvertrag darstellte. Daheim gab es dazu heftige innenpolitische Debatten. Dieses Gespräch führte tatsächlich zu Sondierungen des indischen Botschafters in Moskau, K. P. S. Menon, bei Ministerpräsident Molotow, die überaus interessante und für den weiteren Fortgang wichtige Aspekte über die konkrete Position der Sowjetunion aufzeigten. »... auf die Frage Menons an Molotow, ob die Sowjetregierung eine österreichische E r klärung, keinen Allianzen beizutreten, als befriedigend betrachten könnte, erfolgte die Antwort in dem Sinne: Die Sowjetregierung wüsste schon, was von solchen Erklärungen zu halten wäre.« 2

Wie nicht anders zu erwarten war, konnten diese Sondierungsgespräche jedoch noch keinen Durchbmch herbeiführen. Am i.Juni 1953 wurde Julius Raab Bundeskanzler. Damit begann eine entscheidende Wendimg in der österreichischen Staatsvertragspolitik. Er war überzeugt, mit dem Tod Stalins seien wesentliche Änderungen der sowjetischen Politik in Gang gekommen. Wie es seine Art war, setzte er in aller Ruhe die ersten behutsamen Schritte. Diese Phase der österreichischen Staatsvertragspolitik und auch noch die Jahre unmittelbar danach erlebte ich direkt von Beginn 1952 an als Sekretär von Außenminister Karl Gmber und nach dem Rücktritt Grabers am 26. n . 1953 als Sekretär von Bundeskanzler Julius Raab bis Mai 1958. Der Rücktritt Karl Grabers, der in den überaus schwierigen ersten sieben Jahren der Zweiten Republik Außenminister war, gestaltete sich sehr dramatisch. 2

Gespräch Alfons Dalma mit K. P. S. Menon in den SN, Sept. 53; siehe Gerald Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945-1955.

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Über die Art der Einzelheiten des Rücktrittes hatte ich mehrere vertrauliche Gespräche mit dem Bundeskanzler gehabt, die eher rau ausgefallen waren. Umso überraschender war es dann, dass Raab Gruber noch am letzten Tag von dessen Amtszeit sagte, er solle mit mir reden, damit ich gleich am nächsten Tag als Kanzlersekretär die Arbeit aufnehmen könne. Daraus wurden dann fünf Jahre mit einer großen Zahl menschlich und politisch überaus berührender Erlebnisse. In einem ersten einstündigen Gespräch sagte mir der Bundeskanzler, er wolle alles unternehmen, um die volle Freiheit Österreichs möglichst bald zu erreichen und am Ende werde die Neutralität Österreichs stehen. Uber die Neutralität werde jedoch vorerst nach außen hin nicht gesprochen. Wir müssten mit den Sowjets selbst darüber ins Reine kommen. Sich allein auf den Westen zu verlassen, führe zu nichts. Wir dürften andererseits dabei nicht das Vertrauen des Westens verlieren, aber gleichzeitig müssten wir versuchen, zumindest ein unbedingt notwendiges Ausmaß an Vertrauen mit der sowjetischen Seite herzustellen. Gruber sei in den Augen der Sowjets, zu Recht oder nicht, ein Mann der Amerikaner, daher habe er, Raab, auch den Wechsel im Außenministerium eingeleitet. Figl verstehe es, mit beiden Seiten zu reden. Er habe Zweifel, sagte Raab, ob Gruber seine Neutralitätspolitik hätte mittragen können oder wollen. Gruber werde Botschafter in Washington werden. Dort werde er dringend gebraucht, um die geplante Politik - hin zur Neutralität - den Amerikanern zu erklären. Es gab allerdings auch einen persönlichen Grund für die Rückkehr Leopold Figls in die Bundesregierung. Raab hatte im April 1953 Figl von der Spitze der Bundesregierung und von der Spitze der Ö V P abgelöst. Das belastete natürlich das Verhältnis der beiden Freunde. Daher nutzte Raab gerne die Gelegenheit, Figl mit dem besonders wichtigen Posten des Außenministers zu betrauen. Er wollte damit auch seinen Respekt für die Leistungen Figls in der schwierigsten Zeit dieser Republik ausdrücken. In der Amtszeit von Dr. Karl Gruber als Außenminister waren die wesentlichen Ziele der österreichischen Außenpolitik: Herstellung der vollen Souveränität Österreichs durch den Staatsvertrag, Sicherung der Uberlebenschancen der Südtiroler als Volksgruppe, Regelung der mit fast allen Nachbarländern offenen Fragen (z. B. Vermögensfragen: Besonders Jugoslawien machte bis zum Abschluss des Staatsvertrages Gebietsansprüche geltend, usw.) Gruber war es gelungen, die Unterstützung der gesamten Bundesregierung für die Vertretung der Anliegen der Südtiroler zu erreichen. Das Eintreten Österreichs für eine deutschsprachige Minderheit in dieser Zeit war eine großartige Leistung der österreichischen Politik. Österreich, das - vierfach besetzt - selbst um seine eigene Souveränität kämpfen musste, tat dies, während Millionen von Volksdeutschen in Europa vertrieben wurden und auf der Suche nach neuen Heimstät-

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ten auf den Straßen Europas waren. Ein Drittel der Menschen dieser Flüchtlingstrecks überlebte nicht. Raab machte seine politische Haltung schon bei seinen ersten Gesprächen mit dem sowjetischen Hochkommissar ganz klar. Weltanschaulich sei er überzeugter Christdemokrat und überzeugter Vertreter der parlamentarischen Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft. Er sei an freundschaftlichen Beziehungen Österreichs mit der UdSSR ebenso lebhaft interessiert wie mit den anderen alliierten Mächten. Die Position der Sowjetunion als europäische Großmacht müsse zur Kenntnis genommen werden. Eine Politik der freundschafdichen Beziehungen zu Staaten müsse immer eine Basis in der eigenen Bevölkerung haben. Dies gelte natürlich auch für freundschaftliche Beziehungen zur UdSSR. Um das Verständnis der Bevölkerung für eine solche Politik zu erreichen, seien Bemühungen auf beiden Seiten notwendig. In dieser Hinsicht habe Österreich Probleme mit der sowjetischen Besatzungspolitik. Er halte einige Gesten des Entgegenkommens von sowjetischer Seite für unbedingt notwendig. Dazu sei es unerlässlich, dass das sowjetische Veto im Alliiertenrat gegen verschiedene, für Österreich überaus wichtige, vom Nationalrat beschlossene Gesetze aufgehoben werde. Besonders bedrückend für die Bevölkerung seien einige harte Maßnahmen des sowjetischen Besatzungsregimes. Diese müssten im Interesse der Bevölkerung gelockert werden. Der Bundeskanzler kündigte entsprechende Vorschläge an. Tatsächlich herrschte in Österreich überaus großes Misstrauen gegen die Sowjetunion. Die Ereignisse in Ungarn und der CSSR 1948 machten den Menschen Angst vor all fälligen weiteren Aktionen auch gegen Österreich. Auch die sowjetische Seite hatte schwere Vorbehalte gegen Österreich. Raab war sich sehr im Klaren, dass diese nur durch vertrauensbildende Maßnahmen Schritt für Schritt abgebaut werden konnten. Schon lange hatte den Bundeskanzler die Frage beschäftigt, ob man mit der UdSSR überhaupt Verträge abschließen könne, ob die UdSSR überhaupt vertragsfähig sei. Ein Gespräch mit dem späteren finnischen Staatspräsidenten Kekkonen 1952 bekam da große Bedeutung. Kekkonen, damals in einer ähnlichen Funktion wie ein Wirtschaftskammerpräsident, schilderte die finnischen und besonders seine persönlichen Erfahrungen in Verhandlungen mit den Sowjets. Vor allem dürfe man vom Verhandlungstisch nicht aufstehen, bevor nicht jede kleinste Einzelheit ganz genau festgehalten sei. Die Sowjets wollen wirtschafdiche Verhandlungsergebnisse in ihr Plansystem einordnen können. Eine genaue, ins Detail gehende Textierung sei einfach unerlässlich, dann könne man mit Verlässlichkeit rechnen. Vage politische, juridische oder wirtschaftliche Formulierungen würden unerbittlich ausgenützt. Besonders zu beachten sei auch, dass sprachliche Begriffe benützt werden, die bei beiden Verhandlungspartnern wirklich das Gleiche meinen (z. B. Bedeutung der Worte »Friede«, »Demokratie« im sowjetischen Sprachgebrauch). Unter all diesen Voraussetzungen könne mit einer gewissen Vertragstreue gerechnet werden, die auch auf sowjetischer Seite voll erwartet wird.

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Außerordentliche Bedeutung hatten die Gespräche Raabs mit unserem Botschafter in Moskau, Norbert Bischoff. Er entstammte einer großbürgerlichen Familie, lebte auch in diesem gesellschaftlichen Stil und war dabei ein überzeugter Sozialist. Bei manchen Kollegen im Außenamt hatte er den Ruf eines Sowjetophilen. Besonders die angebliche Übererfüllung der sowjetischen Zehnjahrespläne, wie sie in den sowjetischen Zeitungen mit Lobpreisungen überschüttet wurden, hatte es ihm angetan. Eines war schon unzweifelhaft klar, Bischoff war ein überzeugter österreichischer Patriot. Die bisherige österreichische Staatsvertragspolitik hielt er für viel zu westlich orientiert und gegen die UdSSR gerichtet. Verantwortlich dafür waren seiner Meinung nach Außenminister Gruber und seine, Bischoffs, sozialistischen Freunde in Wien. Nun aber hatte Raab Gruber durch Figl ersetzt und Bischoff erhoffte sich den Beginn einer neuen Phase der Staatsvertragspolitik. Während dieser langen Zeit der internationalen Diskussionen über den österreichischen Staatsvertrag kam immer wieder die Frage auf, ob es bei den herrschenden Spannungen zwischen West und Ost für die Großmächte nicht notwendig oder gar zweckmäßig wäre, zuerst einen »Friedensvertrag« mit Deutschland auszuhandeln, und dann erst die »Osterreichische Frage« zu lösen. Für uns Österreicher war klar, dass diese Lösung bei der rasch und in absehbarer Zeit zunehmenden Verfestigung der DDR als Staat, ja vielleicht in der Lebenszeit unserer Generation, nicht mehr zu erwarten sein würde. Das war ein zusätzlicher gewichtiger Punkt, warum wir imbedingt auf einen baldigen Abschluss des Staatsvertrages drängen mussten, wollten wir nicht bei einer solchen »Friedensregelung« um unsere staadiche Selbstständigkeit fürchten müssen. Im ersten Gespräch mit Bischoff in Wien entwickelte Raab seine Überlegungen zum schrittweisen Aufbau von Vertrauen zwischen Osterreich und der UdSSR und nannte auch sein großes Ziel: Österreichs Neutralität. Bischoff schrieb nach seiner Rückkehr nach Moskau einen persönlichen Brief an Molotow, um von einer neuen Art der österreichischen Politik zu berichten, und betonte, dass nun mit Raab ein Politiker am Werk sei, dem im nationalen Interesse Österreichs ein gutes Verhältnis zur UdSSR, trotz seiner unterschiedlichen ideologischen Positionen, besonders wichtig sei. Diese Politik könne Raab aber nur durchhalten, wenn sie wesentliche und erlebbare Erleichterungen für die Bevölkerung bringe. In den folgenden Wochen und Monaten erreichte Raab wesentliche Erleichterungen des Besatzungsregimes als wirksame Schritte zum Aufbau des gegenseitigen Vertrauens. Bald machte sich ein anderer Ton in den Gesprächen mit dem sowjetischen Hochkommissar bemerkbar. Raab ließ sich nicht mehr wöchentlich zur Berichterstattung ins Imperial, dem Sitz des sowjetischen Hochkommissars, vorladen, sondern er bestand darauf, dass man sich wechselweise besuchte: einmal am Ballhausplatz, einmal im Imperial. Das war nicht nur bedeutsam für die politische Optik, es zeugte von einem Verhan-

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dein auf gleicher Augenhöhe - ein Gespräch unter Gleichen. Es war bemerkenswert, dass besondere politische Gespräche eher am Ballhausplatz geführt wurden und nicht im Imperial. Dem Hochkommissar waren eben die sowjetischen Bräuche beim Abhören, auch die seines Hauptquartiers, gut bekannt. Raab seinerseits bedankte sich öffentlich bei jedem Entgegenkommen, wenn dieses auch keine »große Gnade« war, sondern in normalen Zeiten eigentlich selbstverständlich sein müsste. Vom Koalitionspartner wurde Raab als Sowjetfreund hingestellt. Der sowjetischen Seite wurde aber dadurch klar, dass diese Politik auch für die UdSSR Sinn machte, wollte sie Lösungen in der Osterreichfrage wirklich erreichen. Schon bald zeigten sich Ergebnisse: Am 28. März 1953 erfolgte in der UdSSR eine Häftlingsamnestie. Uber österreichische Intervention wurde diese auch auf verurteilte, österreichische Kriegsgefangene und Zivilinternierte in der UdSSR angewendet. (Bericht Bischoff am 27. April 1953) Am 29. 5.1953 teilte Hochkommissar General Swiridow dem Bundeskanzler mit, dass die UdSSR die Kraftwerksanlage Ybbs-Persenbeug an Osterreich übergeben werde. Anfang Juni 1953 wurde die diplomatische Vertretung der UdSSR in Osterreich in eine Botschaft umgewandelt. Botschafter und Hochkommissar wurde 1 . 1 . Ilijtschow. (Die wesdichen Alliierten hatten die Umwandlung schon 1950 vorgenommen.) Am 8. Juni 1953 erfolgte die Aufhebung der Personenkontrollen an den Demarkationslinien und beschlagnahmte Regierungsgebäude und Wohnräume wurden zurückgestellt. Am 18.6.1953 berichtete Bundeskanzler Raab über diese Entwicklung im Nationalrat. Den Dank an die Sowjets verband Raab mit dem Ruf nach weiterem Entgegenkommen. Schrittweise erfolgte dann in den nächsten Wochen die Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit und der alliierten Zensur. Die seit langem geforderte Schließung der USIA-Läden wurde durchgeführt (im NR ständiges Thema von NR-Abg. Krippner, Floridsdorf, »Lagunen-Greißler« genannt, Vertreter der kleinen Gewerbetreibenden). Diese USIA-Läden waren Geschäfte der sowjetischen Wirtschaftsverwaltung, die nicht der österreichischen Steuergesetzgebung unterlagen und daher in ihrer Preisgestaltung eine unerträgliche Schmutzkonkurrenz für kleine Gewerbetreibende waren. Völlig überraschend stimmten dann die Sowjets im Alliierten Rat dem österreichischen Gesetz über die Rückgliederung der Wiener Randgemeinden an Niederösterreich zu, um den Zustand von vor der NS-Zeit wieder herzustellen. Das hatte für das Land Niederösterreich, aber auch für den Niederösterreicher Julius Raab besondere Bedeutung. Wirtschaftspolitisch war die Arbeitsbeschaffung das große Ziel von Julius Raab. Im Autobahnbau, der damals noch sehr viele Arbeitskräfte erforderte, sah er eine Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen und damit der Wirtschaft einen starken Impuls zu geben.

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Die Autobahn Wien Richtung Westen war für ihn auch eine Gelegenheit, bessere Verbindungen mit den westlichen Bundesländern herzustellen. Dies hatte eine wichtige staatspolitische Bedeutung fiir den Zusammenhalt der Republik. Diese war in Besatzungszonen mit strengkontrollierten Grenzen aufgeteilt. Die einzelnen Besatzimgszonen entwickelten sich immer mehr zu teil-selbstständigen Ländern. Durch diese Realität der Aufteilung Österreichs in Besatzungszonen über fast zehn Jahre war der innere Zusammenhalt der Republik auf Dauer gefährdet. Bessere Verkehrsbedingungen sollten wenigstens auf diesem Gebiet eine festere, wirtschaftliche und politische Bindimg innerhalb Österreichs ermöglichen. Die Grundstücke für die Autobahntrasse waren schon zu Zeiten der Reichsautobahnplanung enteignet worden und bei Kriegsende als so genanntes Deutsches Eigentum Kriegsbeute der Sowjets. Raab machte den Sowjets den Vorschlag, sie sollten gegen spätere Verrechnung im Zuge des Staatsvertrags die Trasse der Republik übergeben, damit mit dem Bau begonnen werden könnte. Besonders die KPÖ entfachte eine wütende Kampagne gegen den Autobahnbau und verleumdete dieses Bauvorhaben als Kriegsvorbereitung für einen NATO-Aufmarsch. Als gerade im Nationalrat der KP-Abg. Ernst Fischer wütende Angriffe gegen Kanzler und Autobahn losließ, konnte ich Raab eine sowjetische Note auf die Regierungsbank im Plenum des Nationalrates überbringen, die mir wenige Minuten vorher der stellvertretende Sowjetische Hochkommissar, Gesandter Semjon Kudriawzew, im Bundeskanzleramt übergeben hatte. Die Sowjets stimmten der Übertragung der Trasse zu. Raab meldete sich nach der Rede Fischers sofort zu Wort. Das gab dann einiges Aufsehen. Bei einem verheerenden Hochwasser an der Donau in Niederösterreich im Juni 1954 setzten die Sowjets Soldaten mit Landungsbooten zur Evakuierung der Bevölkerung ein. Zufällig sahen der Bundeskanzler und ich in Ybbs von einer Zille aus eine solche eindrucksvolle Aktion. Den einstigen Sturmpionieroffizier am Isonzo, Raab, beeindruckte dieser friedliche Einsatz. Da US-Truppen weiter donauaufwärts eine gleiche Aktion durchführten, veranlasste der Kanzler eine österreichische Auszeichnung für US- und Sowjetsoldaten. Dem Vorschlag einer gemeinsamen Überreichung der Auszeichnungen an US- und Sowjetsoldaten konnten beide Seiten nichts abgewinnen. Bei den Sowjets machte diese Verleihung von österreichischen Auszeichnungen im Bundeskanzleramt einen geradezu unglaublichen Eindruck. (»Der österreichische Regierungschef heftet den Sowjetsoldaten, Sergeanten und Offizieren österreichische Orden an die Brust«, so die TASS.) Ein für die Qualität der in Gang befindlichen Verbesserung der österreichisch-sowjetischen Beziehungen bezeichnender Vorgang war am 13. 7.1954 die Einladung an die österreichische Bundesregierung, einen oder mehrere Minister zur Allsowjetischen Landwirtschaftsausstellung nach Moskau zu entsenden. Raab schlug Vizekanzler Schärf vor, ÖVP und SPÖ sollten je einen Minister namhaft machen. Er seinerseits werde Landwirtschaftsminister Franz Thoma entsenden. Schärf wollte die Teilnahme eines

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SPÖ-Ministers im Parteivorstand besprechen. Nach wenigen Stunden teilte er dem Bundeskanzler mit, in der SPO gebe es einen grundsätzlichen Beschluss, dass kein der SPO angehörender Bundesminister Einladungen der sowjetischen Regierung zu solchen Ereignissen in der Sowjetunion annehmen darf. Raab blieb dabei, Thoma zu entsenden, da es sich um eine bewusst positive Geste der UdSSR handelte, die man nützen musste. Auch diese Haltung brachte Raab herbe Kritik des Koalitionspartners ein. Bundesminister Thoma war damit das erste Mitglied der Bundesregierung, das auf Einladung der sowjetischen Regierung in die UdSSR reiste. Die Bundesminister Gruber und Kraulend waren zwar im April 1947 zu den Staatsvertragsverhandlungen in Moskau, das geschah aber nicht auf Einladung der sowjetischen Regierung. Bundesminister Thoma hatte wertvolle Gesprächskontakte in Moskau, die alle eine sowjetische Bereitschaft zu weiteren Gesprächen über den Abschluss des Staatsvertrages erkennen ließen. Schon von Beginn an waren diese Versuche, zu einem unbedingt notwendigen Mindestmaß von gegenseitigem Vertrauen zwischen der UdSSR und Osterreich zu kommen, ständiger Kritik des Koalitionspartners und der Opposition ausgesetzt. Ein typisches Beispiel dafür war die Reaktion auf die Rede des Bundeskanzlers vor dem NO-Landesparteitag der OVP, an dem ich selbst teilnahm. Raab sagte unter anderem: »Es ist taktisch absolut vertretbar, dass langsam das gegenseitige Vertrauen mit den Sowjets hergestellt wird. Es nützt nichts, wenn man den russischen Bären, der mitten im österreichischen Garten steht, immer wieder durch schneidige Sonntagsreden in den Schwanzstummel zwickt.« Und man könne sich doch wohl für ein Entgegenkommen einfach bedanken, so wie das bei uns Brauch sei. Den Sowjets Dank zu sagen, war aber keineswegs populär. Von sozialistischer Seite wurde da von »Versöhnlerei mit den Sowjets« geredet und der Chefredakteur der Arbeiterzeitung und Chefideologe der SPÖ, Dr. Oskar Pollak, schrieb in seinem Blatt: »Herr Raab und die Kommunisten«. »Je mehr die Kommunisten sagen: Raab charascho, desto mehr empfindet das österreichische Volk: Raab nix gut.« In dieser Zeit des relativen sowjetischen Entgegenkommens in Osterreich gab es immer wieder auch Rückschläge in der internationalen Diskussion über den Staatsvertrag. Es war bis in die Schlussrunde ein ständiges Wechselbad zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Ich erlebte dies in einer Phase der Berliner-Konferenz, als am Sonntag, 19. Juli 1954, Bundeskanzler Raab, Vizekanzler Schärf und ich die Telefonanrufe von Außenminister Figl aus Berlin abwarteten. Im Zweistundentakt wechselten sich gute mit weit weniger guten Nachrichten ab. Trotz der letztlich enttäuschenden Ergebnisse der Konferenz der Außenminister in Berlin im Juli 1954, bemühte sich der Bundeskanzler über den sowjetischen Hochkommissar weiter um gute Beziehungen zu den Sowjets. Die Erfahrungen, die Raab mit der Durchsetzung seiner Forderung machte, zeigten ihm, dass der sowjetische Hochkommissar offensichtlich in Moskau gehört und ernst genommen wurde.

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Für die Sowjets waren die Erfahrungen mit dieser Art der Normalisierung der Beziehungen doch auch ein Hinweis, wie sich Osterreich später einmal politisch verhalten würde. Man lernte, sich gegenseitig einzuschätzen. Das ist ein wichtiger Vorgang in der Politik. Das war sicherlich ein Element bei der späteren Entscheidung, einem Abschluss des Staatsvertrages mit Osterreich zuzustimmen. Ein großer Teil technisch-juridischer Vertragssubstanz war ausverhandelt. Was letztlich fehlte, war eine politische Entscheidung von geschichtlicher Bedeutung, die der Sowjetunion aus verschiedenen Gründen nicht leicht fallen konnte. Immerhin müssten Sowjettruppen Gebiete aufgeben, die sie in harten, verlustreichen Kämpfen erobert hatten. Ende 1954 / Anfang 1955 waren in Wien immer intensivere diplomatische Aktivitäten nicht zu übersehen. »Spezielle« Angehörige der vier Alliierten Botschaften versuchten über unterschiedlichste Kontakte zu erfahren, was bei jeder Äußerung von Politikern - sozusagen als Gegenprobe - zu verstehen sei. Dies beschäftigte auch jeden Mitarbeiter des Bundeskanzlers sehr. Von britischer Seite war es Edgeworth M. Leslie, der sich fast täglich gut vorbereitet für alles Einschlägige interessierte. Er war einer der Kontakte unserer Widerstandsgruppe 05 mit den Alliierten in Bern, und nach Kriegsende verfolgte er die Südtirol-Politik von Innsbruck aus. Auch in jener Zeit war er ein sehr wertvoller Kontakt. Von sowjetischer Seite war es ein Botschaftsrat Tarabrin, ein späterer Kabinettchef von Bulganin, der eigens einige Wochen vor Abschluss des Staatsvertrages nach Wien kam. Solche Kontakte boten der österreichischen Seite eine gute Gelegenheit, die Positionen des Bundeskanzlers auf solchen Wegen zu transportieren, bzw. wie wir sagten, »auf die Post zu geben«. Tarabrin sagte schon bald nach seiner Ankunft in Wien, das Schlüsselwort für einen Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen sei »Neutralität«. Bundeskanzler Raab sah dies ohnehin genauso. Am 8. Februar 1955 wurde Bulganin statt Molotow Ministerpräsident der UdSSR. Molotow wurde Außenminister und Stellv. Ministerpräsident. In den nächsten Wochen kam es zu einem umfangreichen Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und der Sowjetregierung. Am 24. 3. 1955 übergab Molotow an Bischoff die sowjetische Antwortnote auf eine österreichische Note von einigen Tagen zuvor. Bei diesem Anlass sprach Molotow im Namen der Sowjetregierung eine Einladung aus an »Bundeskanzler Raab und andere Vertreter Österreichs zu Gesprächen nach Moskau zu kommen«. Wenige Tage später teilte Osterreich nach hektischen Beratungen die Annahme dieser Einladung mit. Weiten Teilen der Bevölkerung war klar, dass nun die Entscheidung nahe war. Von allen Seiten kamen auf den Bundeskanzler Ratschläge aller Art zu, neben sehr ernsten durchaus auch skurrile. Einige bedeutende Persönlichkeiten hatten ernste Bedenken, einem Vertrag mit solchen souveränitätseinschränkenden Bestimmungen zuzustimmen. Der ehemalige Generalsekretär des Außenamtes vor 1938, Hornbostel, lie-

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feite dazu eine umfassende Begründung. Viele forderten zusätzliche Garantien der Westmächte für die Unversehrtheit des zukünftigen Osterreich. Raab war fest entschlossen, jetzt abzuschließen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Natürlich erwartete auch er sich noch substantielle Änderungen mancher Punkte. Er war sich auch der schweren finanziellen Lasten bewusst, die Osterreich auf sich werde nehmen müssen. Er sagte, alles sei besser als die ständige Besetzung, und meinte, wenn man für die Freiheit mit Geld bezahlen kann, dann sei das auf alle Fälle billiger als jeder andere Preis. Da fehlte auch nicht die Mahnimg von Chefredakteur O. Pollak in der Arbeiterzeitung, der schrieb »Raab der Neutralität verdächtigt!«. Raab meinte zu mir, als ich ihm diese Arbeiterzeitung brachte: »Ah, der Pollak - mit dieser Verdächtigung hat er aber ausnahmsweise einmal wirklich recht. Gut schreiben kann er ja.« Zur Art und Weise der politischen Vorbereitung der Entscheidungen für Moskau ist die Feststellung interessant, dass es vor der Abreise nach Moskau keinen Beschluss bezüglich »Neutralität« gab, weder in der Bundesregierung noch im Plenum oder in den Ausschüssen des Nationalrates, des Bundesrates oder der Parlamentsklubs. Raab gab im OVP-Parteivorstand eine Perspektive für die Verhandlungen in Moskau. Abgestimmt wurde über diesen Bericht nicht. Er wurde aber mit Beifall zur Kenntnis genommen. Im SPO-Parteivorstand gab es - so wurde gesagt - nur die Fesdegung, in Moskau nicht über »Neutralität« zu reden. Das Außenamt hatte ein 26-Punkte-Papier vorbereitet. In diesen Punkten wurde dargelegt, wie sich Österreich in Zukunft in der Staatengemeinschaft: verhalten werde: keinen militärischen Bündnissen beizutreten, keine fremden Truppen auf seinem Staatsgebiet zu dulden usw., ohne das Wort Neutralität auszusprechen. Es war die Darstellung einer Art Blockfreiheit, die allerdings bis in alle Einzelheiten aufgelistete Verpflichtungen beinhaltete. Dieses Papier war im Völkerrechtsbüro mit der Politischen Abteilung und dem Generalsekretär erarbeitet worden. Es spiegelte das wider, was zwischen Außenminister Leopold Figl und Staatssekretär Bruno Kreisky vereinbart werden konnte, da sich Kreisky eben an die Beschlüsse des SPO-Parteivorstandes halten musste. Dies alles zeigte, dass die Entscheidungen erst in Moskau definitiv formuliert werden konnten. Das macht die Spannung vor der Abreise auch heute noch richtig verständlich. Zur Spannung trug auch die Art und Weise der sowjetischen Vorbereitungen für die Reise selbst bei. Nach Moskau zu reisen, war damals noch etwas ganz Außergewöhnliches. Die Sowjets planten alles bis ins kleinste Detail. Die verschiedenen sowjetischen Stellen in Wien wollten sich natürlich bei ihren Vorgesetzten in Moskau mit ihrem Eifer hervortun. Das stiftete viel Verwirrung. Auf der österreichischen Seite gab es auch einiges Gedränge dabei, welche Stelle was organisieren sollte. Schließlich wollten möglichst viele bei einem solchen Großereignis sichtbar tätig werden.

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Innerhalb der Regierungsdelegation waren die Teilnehmer bald bestimmt. Schwierigkeiten gab es eher dabei, wer von Ministerien, Nationalrat und Bundesrat, von den Kammern usw. beim Abschied in Vöslau anwesend sein musste bzw. sollte. Die Mitglieder der Delegation mussten sich klar werden, was an Dokumenten mitzunehmen war, wie es mit Telefonverbindungen sein könnte, welches Chiffre-Material man brauchen würde. Da wir im Gästehaus der Sowjetregierung wohnen sollten, waren selbstverständlich Uberlegungen zur Frage des Abhörens nötig. Wie sollte man innerhalb der Delegation diskutieren und Entscheidungen treffen können, wenn man befürchten musste, dass den Sowjets alles sofort bekannt würde. Für alle Fälle wurde ein Minerva Radio mit Plattenspieler mitgenommen, »damit man bei lauter Musik ungestört reden konnte ...!«. Der Radioapparat sollte uns auch ermöglichen, Nachrichten aus Osterreich zu hören. Kurz, es war uns klar: »Jetzt wird es ernst!« Dies würde nicht so eine Verhandlung werden, wie die bisherigen mehr als 300 Verhandlungen, die wir in unterschiedlicher Art und Qualität kennen gelernt hatten. Die Sowjets gaben laufend Wetterberichte. Auch das gehörte zu den freundlichen Vorbereitungen. Wetterberichte waren sonst in den Zeiten des Kalten Krieges ein streng geschütztes Geheimnis. Wohlwollende Freunde informierten uns, wie man sich bei der russischen Gastfreundschaft mit Wodka-Genuss verhalten sollte. Da gab es abenteuerliche Ratschläge. Journalisten baten um Zusagen für Informationen aus Moskau, wie man in Moskau lebt, wie die Leute angezogen sind usw. Die Sowjetunion war, so schien es, einfach ein unbekanntes Land. Zwei Regierungsflugzeuge stellten die Sowjets zur Verfügung, zweimotorige Illuschin 50 Turboprop Flugzeuge mit den Nummern 003/4340403 und 007/4340407. Die sowjetische Flugleitung gab bekannt, dass sehr früh am Morgen gestartet werden müsste, da am späteren Vormittag über der Tatra Turbulenzen zu erwarten seien. So etwas wollte man natürlich den Gästen ersparen. Die umfangreichen Vorbereitungen der Sowjets in diesem Ausmaß zeigten, dass man in Moskau auf Ergebnisse dieses Treffens eingestellt war. Da viele österreichische Persönlichkeiten die Delegation am Militärflugplatz in Vöslau verabschieden wollten, der Flugplatz militärisches Sperrgebiet und nicht leicht erreichbar war, musste für die Abreise ein Treffpunkt der österreichischen Delegation und der Begleiter vereinbart werden. Vöslau war einst Feldflughafen der Deutschen Luftwaffe. Ein Wegweiser mit der Feldpostnummer der Einheit der Deutschen Luftwaffe (!) zeigte den Weg zu dem sonst streng abgesperrten Flugplatz. Zuerst wurde als Treffpunkt der Österreicher der Platz bei der Spinnerin am Kreuz auf der Triester Straße vorgesehen. Da gab es heftige Interventionen. Die Spinnerin am Kreuz, das sei doch eine alte, ja die letzte öffentliche Hinrichtungsstätte Wiens, von da könne man doch nicht auf eine so historische Reise gehen. Den Bundeskanzler rührte das nicht sehr, er war aber dann mit dem Treffpunkt »Altes Linienamt« in der Triester Straße einverstanden.

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Bundeskanzler Raab holte mich um fünf Uhr Früh von der Wohnung ab. Meine Frau, die gerade unser erstes Kind erwartete, war beim Abschied schon etwas besorgt. Im Auto sagte Raab, der sich sichtbar der Aufgabe bewusst war, die vor uns stand, nach einiger Zeit: »Was glaubst Du, was wir dort erleben werden?« Und nach einer Pause: »Du wirst sehen, wir kommen mit der Neutralität zurück.« Eine Karikatur im Kurier traf die allgemeine Stimmung sehr gut. Die vier Regierungsmitglieder saßen in einem Wagerl der Geisterbahn, das gerade auf den Eingang der Grotte zufuhr. Der Eingang war der weit aufgerissene Mund Molotows. Und Raab sagt: »Was werden wir da drinnen sehen?« Die Flugzeuge waren wie ein Salon bequem eingerichtet, wie die gute Stube der oberen Chargen des Sowjetregimes: echte Plüschfauteuils, am Boden angeschraubt, das Geschirr in einer Glaskredenz mit Gummibändern befestigt. Dann war da noch ein großer Speisezimmertisch. Die Bewirtung war üppig. Vorerst war es ein ruhiger Flug. 300 Kilometer vor Moskau kamen wir in einen starken Schneesturm - und da wurde es trotz aller Vorkehrungen ein überaus »holpriger« Flug. Wir alle, im ersten der beiden Flugzeuge, waren schon recht blass, aber wir hielten durch. Die Landung war trotz des unvermindert heftigen Schneesturms perfekt. Bereits im Ausrollen sah man die österreichischen und die sowjetischen Fahnen im Sturmwind, das angetretene Ehrenbataillon und dann die Sowjetprominenz. Persönlichkeiten, deren Namen man aus Zeiten der Zwischenkriegszeit her kannte und die man bisher nie in natura, sondern nur in Zeitungen oder Wochenschauen gesehen hatte. Alle hatten wahrscheinlich einen politischen Weg hinter sich, auf dem Blutvergießen nicht fremd war. Die Lebensläufe eines jeden von ihnen waren uns bekannt, dafür hatten schon die Amerikaner in Wien gesorgt. Der Bundeskanzler begrüßte in kurzen Worten die angetretene Truppe. Trotz eisigen Schneesturms war es berührend, hier die Bundeshymne zu hören, die etwas flotter als üblich gespielt wurde. Die Front wurde von der gesamten Delegation abgeschritten. Während das Bataillon sich zum Vorbeimarsch formierte, machte man sich gegenseitig mit den sowjetischen Offiziellen bekannt. In einer langen Autokolonne, jeder Sitzplatz genau nach Rang oder Bedeutung belegt, ging es vorbei an dem Denkmal, das an der Stelle, an der die Offensive der Wehrmacht vor Moskau endgültig zum Stehen kam, errichtet wurde. Die breite »Rollbahn« (sowjetische Autobahn) in die Stadt war für jeden Verkehr gesperrt, daher waren wir rasch im Zentrum der Stadt. Kolonnen von Frauen säuberten mit Besen die Straßen vom Schnee. Im Gästehaus, direkt neben der österreichischen Botschaft, waren wir bald eingerichtet und schon begannen die ersten internen österreichischen Besprechungen. Im Gästehaus gab es echte altrussische Gastfreundschaft, die Tische bogen sich ...! Am nächsten Tag wurden vorerst die protokollarischen Besuche beim Staatspräsidenten, dann beim Ministerpräsidenten und Außenminister absolviert.

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Staatspräsident Woroschilow wurde ein Brief von Bundespräsident Körner überreicht, in dem um die Heimkehr der Kriegsgefangenen ersucht wurde. Woroschilow sagte eine wohlwollende Prüfung zu. Es war klar, dass darüber erst bei Abschluss der Verhandlungen eine definitive Antwort erwartet werden konnte. Bei einer späteren Gelegenheit fragte Molotow: »Welche Kategorie von Gefangenen wollen Sie, Herr Bundeskanzler? Es gibt acht Kategorien, darunter sind auch Verbrecher.« Raab sagte, dass es bei uns solche Kategorien nicht gebe, er wolle alle Kriegsgefangenen. Allfallige Verbrechen würden in Osterreich von den zuständigen Gerichten abgehandelt werden. Die beginnenden Verhandlungen über Sachfragen machten gute Fortschritte, allerdings in mühseligen Einzelverhandlungen. Bemerkenswert war die gründliche Kenntnis in Einzelfragen der jeweiligen Spitzenverhandler, wie etwa Molotow oder Mikojan. Ein junger sowjetischer Kollege sagte mir, die Sowjetführung habe vorher drei Wochen auf der Krim zugebracht, um das Dossier »Osterreich« durchzuarbeiten. Dass auf der Krim dieses Dossier »Osterreich« mit Eifer studiert worden war, zeigte sich gleich bei den Verhandlungen. Als es darum ging, über die Haltung der österreichischen Politiker zur UdSSR zu diskutieren, griff Molotow gezielt in seinen Aktenordner und las vor, was Innenminister Oskar Helmer (SPO) über die Sowjetunion Sonntag für Sonntag in seinen Reden gesagt hatte. Als Raab meinte: »Ja, der Oskar Helmer, der ist manches Mal impulsiv«, griff Molotow nochmals in den Akt und las vor, was der Staatssekretär im Innenministerium, Ferdinand Graf (OVP), an Sonntagen zu sagen pflegte. Diese »Sonntagsreden« der Minister waren damals berühmt. Dabei wurde auch mit harten Worten gegen die Sowjets nicht gespart, was dazu führte, dass der Bundeskanzler sich nachher die sowjetischen Beschwerden anhören konnte. Diese genaue Sachkenntnis wurde auch bei den Verhandlungen über das Deutsche Eigentum und die Ablöselieferungen sehr deudich sichtbar. Bis in jedes Detail waren die Gesprächspartner über diese überaus komplexen Themen informiert. Die Sowjets wollten die zukünftigen österreichischen Ablöselieferungen für das requirierte »Deutsche Eigentum« in ihr Plansystem einbauen. Die österreichische Delegation erkannte bald, dass es den Sowjets um Bezahlung in Warenlieferungen ging. Sie hatten die bisherigen Lieferungen der USIA-Betriebe in dem laufenden Zehnjahresplan fix einkalkuliert. Für Osterreich hatte dies den Vorteil, dass unsere Volkswirtschaft den Steueranteil am Warenwert lukrieren konnte. Die unbedingt notwendige Umstellung der Produktion der einstigen USIA-Betriebe auf Weltmarktniveau war damit schrittweise möglich und somit die Arbeitsplätze auf zehn Jahre gesichert. Durch diese Warenlieferungen konnten die nun österreichischen Betriebe wertvolle Erfahrungen für Exportgeschäfte mit dem sowjetischen, totalen System der Planwirtschaft machen. Auch bei der Diskussion über die Art der Rückgabe der Erdölfelder zeigte sich die Genauigkeit, mit der die sowjetischen Verhandler in diesem technisch komplizierten Be-

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reich agierten. Das Ergebnis war für Österreich gerade noch annehmbar und jedenfalls besser als befürchtet. Über zehn Jahre sollte eine bestimmte Menge des in diesen Erdölfeldern geförderten Rohöls geliefert werden. Osterreich wollte unbedingt die von den Sowjets als Kriegsbeute betrachtete D D S G zurückkaufen. Das war ganz besonders wichtig, weil sonst auch in Zukunft 14 exterritoriale, sowjetische Anlegestellen entlang der Donau in Österreich weiter bestanden hätten. Die Sowjets wussten genau, worum es uns dabei ging. Mikojan setzte den Preis recht hoch an. Weder die zerstörten Schiffe noch die desolaten Anlegestellen hatten irgendeinen materiellen Wert. Mikojan begann mit einer Forderung von 2,8 Millionen Dollar. Raab begann mit 1,5 Millionen Dollar. Schließlich vereinbarte man, mit Handschlag über den Tisch hinweg, als Preis zwei Millionen Dollar. Raab meinte nachher zu uns: »Noch einmal, wenn man auch nur für einen Teil der Freiheit mit Geld bezahlen kann, dann ist man schon billig dran.« Bei den Verhandlungen wurden gute Fortschritte erzielt. Die Sowjets machten allerdings klar, dass alle Übereinkünfte bei den erledigten Kapiteln nur unter der Voraussetzung gelten würden, wenn über die Gesamtheit der behandelten Punkte Übereinstimmimg erzielt werde. Das machte deutlich, dass es letztlich auf die Festlegung des zukünftigen politischen Wegs Österreichs ankommen würde. Ein Punkt war für uns bei diesen Verhandlungen auch sehr wichtig: Wir wollten alles vermeiden, was Misstrauen bei den westlichen Alliierten über die österreichische Politik bei diesen Gesprächen in Moskau provozieren könnte. Da zeigte es sich nun, dass die Sowjets dafür Verständnis hatten. Auch wollten sie keine neuen Spannungen mit den Westmächten provozieren. Für uns war dies damals überraschend. Nachdem nun die streng gehüteten sowjetischen Archive zugänglich sind, weiß man, wie sehr die sowjetische Führung der beginnenden Chruschtschow-Ara am Abbau der Spannungen des Kalten Krieges interessiert war. Mit der Zustimmung zum Abschluss des bereits weitgehend ausverhandelten Staatsvertrages konnte die UdSSR ihren Willen und ihre politische Entscheidungskraft für eine Entspannungspolitik vor aller Welt unter Beweis stellen. Chruschtschow sagte sieben Jahre später in einem Gespräch mit Bundeskanzler Gorbach und mir in Moskau, dass die UdSSR durch das Erbe Stalins in einer furchtbaren wirtschaftlichen Lage und an einer »Öffnung zur Welt« brennend interessiert gewesen sei. Er habe im Politbüro die Zustimmung zu dieser Politik mit dem Hinweis bekommen, die Wiederherstellung Österreichs sei schließlich ein sowjetisches Kriegsziel gewesen und in der Moskauer Deklaration 1943 festgelegt worden. Während unserer Moskauer Verhandlungen und dann ganz besonders nach dem Öffnen sowjetischer Archive nach der Auflösung der UdSSR war beeindruckend, wie unglaublich wenig der »Westen« von den inneren Vorgängen in der UdSSR wusste. Man muss sich daher schon fragen, welchen praktischen Wert die Informationen der Geheimdienste in dieser Zeit für politische Entschlüsse gehabt haben.

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Die Information der westlichen Botschaften und befreundeter Länder in Moskau erfolgte durch uns auf verschiedenen Ebenen und ganz offen. Die Schwierigkeit war, dass unsere westlichen Gesprächspartner nur schwer glauben konnten, dass die Österreicher, mit den Sowjets »allein gelassen«, so gut vorankamen. Immer kam dabei die Frage: Was habt ihr den Sowjets alles - vielleicht geheim - zugesagt? Gibt es zusätzliche Geheimabsprachen? Bereits am 13. April 1955 war mehr als die Hälfte der Materien behandelt und provisorisch abgeschlossen worden. Molotow gab am späten Nachmittag einen Empfang im Spiridonowska Palais. Dabei kam es zu einem eigenartigen Vorfall. Molotow, ein sowjetischer Dolmetscher, Figl und ich standen beisammen und tauschten Belanglosigkeiten über Wetter und die Schönheit des Kremls usw. aus. Plötzlich sagte Figl: »Herr Ministerpräsident Molotow, Sie können sich kaum vorstellen, wie beeindruckend für mich schon in der Zwischenkriegszeit der Name Molotow, >der Hammerannus mirabilis< der Zweiten Republik, des Jahres 1955. Zu Beginn jenes Jahres hätte niemand gewagt, den Eintritt auch nur eines dieser Ereignisse vorauszusagen. Daran ist die Bedeutung des Jahres 1955 für die Geschichte der Zweiten Republik zu ermessen. Es war der Ausgangspunkt für die weitere internationale Entwicklung eines freien und neutralen Kleinstaates, der sich, von schweren Hypotheken befreit, anschickte, seine eigenständige Stellung in Europa und in der Welt wahrzunehmen.«22 Niemand konnte 1972 ahnen, dass sich etwas mehr als ein Jahrzehnt später eine andere Hypothek auf die Zweite Republik senken wird und der Schatten des Nationalsozialismus das »annus mirabilis« verdunkeln wird.

19 Österreich. Die Zweite Republik, hg. von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik, 2 Bde., Graz 1972. 20 Ernst Hanisch, Die Dominanz des Staates. Osterreichische Zeitgeschichte im Drehkreuz von Politik und Wissenschaft. In: Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa, hg. von Alexander Nützenadel, Göttingen 2004, S. 54-77. 21 Robert A. Kann, Das geschichtliche Erbe - Gemeinsamer Nenner und rechtes Maß. In: Osterreich. Die Zweite Republik, 1. Bd., S. 19-52. 22 Gerald Stourzh, Der W e g zum Staatsvertrag und zur immerwährenden Neutralität. In: Osterreich. Die Zweite Republik, 1. Bd., S. 263.

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3 . K I N D E R UND JUGENDLICHE: D I E 6 8 E R - G E N E R A T I O N

Die in den vierziger Jahren Geborenen hatten als Kinder und Teenager (so der neue amerikanische Name) den Abschluss des Staatsvertrages mitbekommen. Es war die letzte Generation mit direkten Erinnerungen. Sie wurde noch mit den konservativen Werten der fünfziger Jahre erzogen: Fleiß, Sparsamkeit, Ordnungssinn, Selbstständigkeit und Aufstiegswille. Sie sog gleichzeitig die Botschaft der amerikanischen Massenkultur auf Sport, Hollywoodfilme, Rock 'n' Roll, Trampen. Ihre Erfahrungen in der Besatzimgszeit formten weniger die harten frühen Jahre als der fast »idyllische Zustand« (Bruno Kreisky) des Besatzungsbiedermeiers von 1953-1955. Als Angehöriger dieser Generation wird meine Erinnerung an den 15. Mai 1955 im sowjetisch besetzten Waldviertel von zwei Elementen getragen: vom Fußballmatch am Vormittag und von der Rundfunkübertragung der Staatsvertragsunterzeichnung aus Wien. Das war spannend und berührend, aber es ist unklar, was damals für mich wichtiger war, das verlorene Fußballmatch oder der gewonnene Staatsvertrag. Methodisch muss zwischen der 68er-Generation als Erfahrungsgemeinschaft und den politischen 68er-Aktivisten unterschieden werden. Letztere waren eine ziemlich kleine Gruppe von Studenten und jungen Lehrern. Doch die kulturellen Brüche Mitte der sechziger Jahre reichten tief in die ganze Generation.23 Der Aufstand gegen die Väter richtete sich gegen die vorhergehenden zwei Staatsvertragsgenerationen. Exemplarisch kann das am Beispiel von Julius Raab und Bruno Kreisky gezeigt werden. Als Raab 1955 aus Moskau zurückkehrte, sagte er am Flugplatz: »Liebe Österreicher und Osterreicherinnen, vor allem möchte ich meinen Dank sagen dem Herrgott, dass wir diese Stunde in Osterreich erleben konnten.«24 Diese naturwüchsige ländlich-bäuerliche Frömmigkeit war im Sog der Säkularisierung und Urbanisierung zehn Jahre später fast versickert. Und als Raabs Testament nach seinem Tod 1964 von Leopold Figl verlesen wurde, ein durch und durch barockes Testament, mit so schönen Sätzen wie: »Und nun leb wohl schöne Welt. Ich furchte den Tod nicht. Er ist Erlösung von der Erdenschwere, von der vergänglichen Materie, ein schöner Schritt dem wirklichen Endziel zu: Gott zu schauen und seine Herrlichkeit«25, so klangen diese Formulierungen in den sechziger Jahren doch aus einer bereits sehr fernen Zeit hergeweht. Ebenso weckte seine Ermahnung »Alle bitte ich inständig, die rotweißrote Fahne hochzuhalten«26, subjektiv aus dem intensiven Erlebnis des Verlustes entsprungen, in der neuen Generation eher die Erinnerung an den 23 Paulus Ebner, Karl Vocelka, Die zahme Revolution '68 und was davon übrig blieb, Wien 1998. Die 68er. Eine Generation und ihr Erbe, hg. von Bärbel Danneberg, Wien 1998. Vgl. auch : Helmut Konrad, Die 68er Generation der österreichischen Zeithistorikerinnen - eine Perspektive auf generationsspezifische Sozialisationsmerkmale und Karriereverläufe. In: Zeitgeschichte 30 (2003), S. 3 1 5 - 3 1 9 . 24 Zit. in: Peter Gerlich, Julius Raab. In: Die Politiker, S. 476. 25 Ebd. 26 Ebd.

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langweiligen, verordneten »Tag der Fahne« in den Schulen. Das waren markante Mentalitätsbrüche. Im säkularisierten Sektor der Gesellschaft, wie in der Familie Kreisky, spiegelte der Vater-Sohn-Konflikt den Konflikt zwischen einer liberal-pragmatischen Sozialdemokratie und einer re-ideologisierten marxistischen Neuen Linken. Ihr Feindbild war nicht mehr der Kommunismus, sondern die imperialistischen, kapitalistischen, in den Vietnamkrieg verwickelten Vereinigten Staaten von Amerika. Der Aufctandrichtetesich dann gegen die Naziväter. Die Helden waren die Männer und Frauen des Arbeiterwiderstandes. Zwar hatte die 68er-Generation den Opfermythos mit Skepsis betrachtet, aber ihn noch nicht besonders aktiv zerstört. Da im Zentrum die Erforschung des Widerstandes stand, fiel von diesem Standort auch ein mildes Licht auf die Opferthese. Aber der Staatsvertrag verlor seine zentrale Bedeutung für die Generationsidentifikation, und zwar aus zwei Gründen: Erstens: Ende der fünfziger Jahre entwickelte sich die österreichische Gesellschaft zur amerikanisierten Konsumgesellschaft auf kapitalistischer Basis. Aus der Sicht der 68erAktivisten hieß der emotionale Satz »Osterreich ist frei« nun: frei für den verhassten Kapitalismus, der Gesellschaft der »Konsumidioten«. Zweitens: Der Einbruch der Sozialwissenschaften in die Historie führte zu einem Paradigmenwechsel. Nicht mehr die Ereignisse, wie der Staatsvertrag, standen im Mittelpunkt, sondern längerfristigere ökonomische, politische, demografische Strukturen und Prozesse. Das Jahr 1955 verlor sein herausragendes Periodisierungskriterium, es wurde eingeebnet in die »langen fünfziger Jahre«.27 Das Sammelwerk »Osterreich 1945-1995. Gesellschaft, Politik, Kultur« (1995), wesentlich von der 68er-Generation verfasst und bestimmt, gewährte bei über 700 Seiten dem Staatsvertrag knapp 10 Seiten.28 Freilich, die linksliberalen und linken Intellektuellen an den Universitäten und Forschungsinstitutionen bestimmten nicht allein die Geschichtsbilder. Manfiried Rauchensteiner wies in seinem ereignisgeschichtlichen Buch »Die Zwei. Die große Koalition in Osterreich 1945-1966« (1987) dem Staatsvertrag entschieden mehr Seiten zu (60 von 490 Seiten).29 Und die wohl wirkungsmächtigste Geschichtslektion der Zweiten Republik, die Fernsehserie und die Bücher von Hugo Portiseli und Sepp Riff »Osterreich II«, stand noch vollständig im Banne der Koalitionsgeschichtsschreibung und des Mythos Staatsvertrag (»Ein Tag wie kein anderer«).30

27 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 426-455. 28 Österreich 1945-1995. Gesellschaft, Politik, Kultur, hg. von Reinhard Sieder u. a., Wien 1995. 29 Manfiried Rauchensteiner, Die Zwei. Die große Koalition in Österreich 1945-1966, Wien 1987. 30 Hugo Portisch, Sepp Riff, Österreich II. Der lange Weg zur Freiheit, Wien 1986.

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4. DIE

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POST-WALDHEIM-GENERATION

Die in den fünfziger und sechziger Jahren Geborenen besaßen keine direkten Erfahrungen mehr mit der Besatzungszeit und ihrem Ende. Ihre politischen Erlebnisse modellierten die Ära Kreisky und die Debatten um die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim.31 Der Kern dieser Debatten - von den haltlosen Übertreibungen der Beschuldigungen gegen Waldheim abgesehen - lag in der österreichischen NS-Vergangenheit und der Verweigerung sie anzuerkennen sowie in den verzögerten Entschädigungen für die Opfer. Die Meistererzählung, die Bundeskanzler Julius Raab bei seiner Rundfunkrede am 15. Mai 1955 kurz zusammenfasste - Osterreich als erstes Opfer eines machtgierigen Diktators, Österreich als erstes Glied einer Kette, »die unentrinnbar die ganze Menschheit in ein gigantisches Völkermorden hineinzog«32 - , diese Meistererzählung wurde nun destruiert und durch eine andere Meistererzählung ersetzt: Osterreich als Land der Täter, ein Land, das überdurchschnittlich viele NS-Verbrecher gestellt habe. Als Bundeskanzler Franz Vranitzky Ende der achtziger Jahre in New York mit einem freundlichen Passanten ins Gespräch kommend seine österreichische Herkunft deklarierte, musste er prompt hören: »Oh, that old Nazi-country.«33 Vor allem Literaten engagierten sich im Entwerfen des »schwarzen Mythos«, der »legenda negra« von Osterreich.34 Die neue Meistererzählung begann mit einer scharfen Kritik der Opferthese, konstatierte sie als »Lebenslüge« und machte sich auf die Suche nach den »Tabus« der Zweiten Republik.35 Die NS-Geschichte verlängerte sich in die Zweite Republik. Die postmoderne Tendenz der Favorisierung der Memoria, der Erinnerungsgeschichte, auf Kosten der Realgeschichte erzeugte eine andere Geschichtskultur und bald auch eine andere Geschichtspolitik. Die Erinnerung an den Staatsvertrag verblasste. Die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik änderte sich zu einer Geschichte des Versagens gegenüber der NS-Vergangenheit. In den Kreiskyjahren wurde der Staatsvertrag 1980 noch gefeiert, sakralisiert und reinszeniert, theatralisiert und mythisiert, kurze Zeit später begann die Phase der Entmythologisierung und Dekonstruktion.36 Das postmodern angehauchte Buch »Inszenierungen. Stichwörter zu Osterreich« (1995) enthält einen lesenswerten Artikel über den 31 Zeitgeschichte(n) in Österreich. Historikerinnen aus vier Generationen anlässlich »30 Jahre Zeitgeschichte«. In: Zeitgeschichte 30 (2003), H. 6. 32 Zitiert in: Susanne Breuss, Karin Liebhart, Andreas Pribersky, Inszenierungen. Stichwörter zu Österreich, Wien 1995, S. 313. 33 Franz Vranitzky, Politische Erinnerungen, Wien 2004, S. 187. 34 Ernst Hanisch, »Selbsthaß als Teil der österreichischen Identität«. In: Zeitgeschichte 23 (1996), S. 136-145. 35 Anton Pelinka, Von der Funktionalität von Tabus. Zu den »Lebenslügen« der Zweiten Republik. In: Inventur 45/55, hg. von Wolfgang K o s / G e o r g Rigele, Wien 1996, S. 10-23. 36 25 Jahre Staatsvertrag. Protokolle des wissenschaftlichen Symposiums 16. u. 17. Mai 1980, hg. vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien 1980.

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Staatsvertrag, aber über die politischen Akteure gibt es nur mehr ein Stichwort für Bruno Kreisky, Julius Raab und Leopold Figl fehlen bereits, dagegen kann man relativ ausführlich über die Architektin und kommunistische Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky nachlesen: ein deutliches Signal für die Verschiebung der Erinnerungen und für den Abschied von der Staatsvertragsgeneration.37 Diese »Wende« lässt sich auch an den Staatsvertragsbildern nachweisen. Das ikonische Bild der Balkonszene, Figl, den Staatsvertrag der Menge präsentierend, umringt von seinen Amtskollegen, dieses Bild des Triumphes überstrahlte als Stunde Eins (1955) die Stunde Null (1945), ein Bild der Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik, ein Bild, das den alten Brückenmythos evozierte, Osterreich als Vermittler zwischen Ost und West, nun in der Form der Neutralität. 2002 diente das berühmte Balkonbild als Vorlage für ein satirisches Plakat des Künstlerduos Julius Deutschbauer und Gerhard Spring. Beide standen allein am Balkon und präsentierten ein staatsvertragsähnliches Buch und »eröffneten die Offendichkeit im Auftrag des europäischen Instituts für progressive Kulturpolitik«. Auf der Rückseite des Plakates schrieben sie Figls Staatsvertragsrede ironisch um. Diese Desakralisierung des Balkonbildes protestierte gegen den Versuch von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel am 15. Mai 2000 die Rhetorik des Staatsvertrages gegen die »Sanktionen« der EU-Mitgliedsstaaten neu in Einsatz zu bringen.38 Der innerösterreichische Widerstand gegen die OVP-FPO-Regierung wie die »Sanktionen« standen bereits im Kontext der neuen Meistererzählung, der angeblichen Gefahr eines neuen Faschismus in Osterreich. Inzwischen hat sich wohl gezeigt, dass die protestierenden Intellektuellen in die Falle ihrer eigenen Faschismusfantasien und -ängste getappt waren. Der »Rechtsradikalismus« und Jörg Haider entpuppten sich als Halloweenspuk, mehr ein Produkt der Intellektuellenhysterie als eine reale Gefahr für die Demokratie.39 Meistererzählungen verbinden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie streben eine hegemoniale Deutungsmacht an, reduzieren komplexe Zusammenhänge auf einfache Grundmuster, verknüpfen ideologische Botschaften mit konkreten Handlungsanweisungen, sie sind emotional stark appellativ aufgeladen.40 Das gilt für die Opfer- wie für die Tätererzählung. Raabs Rundfunkrede am 15. Mai 1955, als Menschheitsdrama berichtet, zeigt genau diese Charakteristika: als unser Land 1938 der Machtgier eines Diktators zum Opfer gefallen ist; das erste Opfer, das die ganze Menschheit in ein gigantisches Völkermorden hineinzog (der Holocaust wird noch im Völkermorden eingeebnet); Österreichs Freiheit durch den Staatsvertrag als Hoffhungszeichen für andere 37 Inszenierungen, S. 196-172, 274-276, 306-314.

3 8 Katharina Wegan, »Staatsvertrag im Bild«. In: Kunst - Kommunikation - Macht. Sechster österreichischer Zeitgeschichtetag, hg. von Ingrid Bauer u. a., Innsbruck 2004. 39 Dazu leider sehr polemisch, aber im Kern zutreffend: Peter A. Ulram, Svila Tributsch, Kleine Nation mit Eigenschaften. Uber das Verhältnis der Österreicher zu sich selbst und zu ihren Nachbarn, Wien 2004. 40 Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, hg. von Konrad H. Jarausch, Göttingen 2002.

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versklavte Staaten; die von der ganzen Welt bewunderte mustergültige Haltung des österreichischen Volkes während der Besatzungszeit als Voraussetzung des Erfolges; die Aufforderung sich der Neutralität würdig zu erweisen, eine große Familie zu bleiben und die Flagge Rot-Weiß-Rot in Ehren zu halten.41 Schon in den »langen funfeiger Jahren« existierten alternative Erzählungen, siehe beispielsweise die Erzählung des »Herrn Karl« von Helmut Qualtinger und Carl Merz (1961).42 Aber erst seit den sechziger Jahren, als der Holocaust den Rang einer westlichen Meistererzählung erreichte, veränderten sich die Grundkoordinaten der Perspektiven.43 Die österreichische Zeitgeschichte musste im Rahmen dieser Meistererzählung neu interpretiert werden. Innerhalb der Geschichtskultur einer Gesellschaft lassen sich drei Sprachtypen unterscheiden: die Sprache der Zeitzeugen, die Sprache der wissenschaftlichen Historie und die Sprache der öffentlichen Erinnerung.44 Die Zeitzeugen evozieren Alltagssituationen, als politische Akteure berichten sie von ihrer angenommenen Rolle beim politischen Geschehen. Die wissenschaftliche Historie ist hingegen auf Komplexität angelegt, legt besonderen Wert auf Quellen- und Mythenkritik und verknüpft verschiedene Sichten, um aus diesen Spiegelungen der Vergangenheit einen realistischen Kern herauszulösen. Die öffentliche Erinnerung wiederum vereinfacht und ideologisiert, instrumentalisiert die Vergangenheit für die Gegenwart. Alle drei Sprachtypen sprechen in der Gegenwart und für die Gegenwart, aber mit unterschiedlichen Untertönen. Bei der öffentlichen Erinnerung wiederum sind drei Ebenen zu unterscheiden: die Deutungskultur der politischen Eliten, der intellektuellen Eliten und der Bevölkerung. Zwischen diesen drei Ebenen der Deutungskultur entstehen häufig Diskrepanzen und Konflikte. Vor allem die intellektuellen Eliten (Schriftsteller, Journalisten, teilweise auch Historiker) treten dabei gern als Vertreter einer höheren Moral auf. Tatsächlich ist diese höhere Moral (deren Kriterien selten freigelegt werden) häufig nur eine Verkleidung des Willens zur Macht, um den öffentlichen Diskurs zu beherrschen.45 Das kann im Zeichen des Nationalismus dadurch geschehen, dass ein schlaffes Volk zu mehr Aggressivität gebracht werden soll, um das Eigene gegen das Fremde zu verteidigen. Das kann - in Osterreich seit den 8oer-Jahren auf der intellektuellen Seite eher dominant - auch dadurch geschehen, dass die eigene Bevölkerung nur negativ gesehen wird (als »genetische« Nazis). In beiden Fällen stärkt das den Schein der überlegenen Moral des Kritikers. Doch Aufklärung kann nur entstehen, wenn das »Böse« nicht nach außen verlegt, sondern selbstreflexiv zur eigenen Person in Beziehung gesetzt wird.

41 Inszenierungen, S. j i j f . 42 Helmut Qualtinger, Carl Merz, Der Herr Karl, Reinbek 1964. 43 Peter Novick, The Holocaust in American Life, Boston 1999. 44 Tzvetan Todorov, Hope and Memory. Reflections on the Twentieth Century, London 2003, S. 129. 45 Ebd., S. 137-140.

55°

Ernst Hanisch 5 . D I E N E U T R A L I T Ä T ALS S T Ü T Z P F E I L E R DER ÖSTERREICHISCHEN

IDENTITÄT

Ernst Bruckmüller hat 1994 den Neutralitätsmythos als »origo gentis«, als Stammessage der Österreicher, bezeichnet.46 Das dürfte wohl etwas übertrieben sein. Unbestreitbar jedoch ist die zentrale Stellung der Neutralität im österreichischen Selbstbildnis. Was aber verstand die Bevölkerung ursprünglich unter Neutralität? In den Beratungen über das Neutralitätsgesetz im Hauptausschuss des Nationalrates, am 24. Oktober 1955, legte Julius Raab den Kern dieses Selbstverständnisses frei: 90 % der Bevölkerung wollten die Neutralität, das »Heraushalten von den Händeln der Welt«.47 Dieser Kern spiegelt das Abwenden von der Gewalt- und Konfliktgeschichte, von der militärischen Männlichkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er akzeptiert auch die Bereitschaft (wie es in der Neutralitätsentschließung des Nationalrates vom 7. Juni 1955 hieß), dass Osterreich »keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinen Gebieten nicht zulassen« wird.48 Dieser Punkt enthüllt das Abwenden von jeder Großstaatsfantasie. Er schloss jedoch jenen anderen Teil der Neutralitätsentschließung nur unwillig ein, nämlich die »immer währende Neutralität« mit »allen [...] zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen«.49 Das illustriert die prekäre Stellung des Bundesheers in der Zweiten Republik sowie das niedrige Verteidigungsbudget. Umfragen in den neunziger Jahren stellten fest, dass eine qualifizierte Mehrheit der Bevölkerung der Meinung war, dass auf Grund der Neutralität im Falle eines Angriffs andere Staaten Österreich zu Hilfe kommen werden; sei es die NATO oder die UNO. 50 Während in den dreißiger und fünfziger Jahren der Bollwerkmythos gegen den Osten im österreichischen Rollenverständnis beherrschend war, wurde dieser ab den sechziger Jahren vom Neutralitätsmythos, der zentralen Friedenszone zwischen den Machtblöcken, abgelöst.51 Mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Machtblockes (1989/91) und mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (1995) verlor die Neutralität einen Teil ihrer identdtätsstiftenden Kraft. 52 Spiegelbildlich verkehrt zur Situation von 1955 waren nun starke Tendenzen innerhalb der ÖVP für die Aufhebung der Neutralität, während sich 46 Emst Bruckmüller, Österreichbewusstsein im Wandel. Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren, Wien 1994, S. 135. 47 Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 554. 48 Zit. ebd., S. 555. 49 Zit. ebd. 50 Ernst Bruckmüller, Österreichbewusstsein im Wandel, S. 134^ 51 Ebd., S. 133. 52 Ruth Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion der nationalen Identität, Frankfurt/M. 1998, S. 154-162; Michael Gehler, Der lange Weg nach Europa. Osterreich vom Ende der Monarchie bis zur EU, 1. Bd., Innsbruck 2002.

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die SPÖ eher an die Neutralität klammerte. Wie immer dieser historische Prozess ausgehen wird: die österreichische Identität ist gefestigt, sie steht eher in der Gefahr, in einen übertriebenen Nationalstolz auszuarten, als dass das Wegbrechen dieses Stützpfeilers sie gefährden könnte. Dennoch wird die Neutralität in der Bevölkerung emotional noch als hohes Gut behandelt. Das führte zu vielen logischen und geistigen Verrenkungen der politischen Eliten, die jede offene Diskussion vermieden. Nach dem Vertrag von Amsterdam (1997), dem Osterreich beitrat, kam es, wie die dürre Juristensprache sagt, zu einer »partiellen materiellen Derogierung« des Neutralitätsgesetzes - faktisch zu einer starken Ausdünnung der Neutralität.53 Der Historiker des Staatsvertrages Gerald Stourzh hat die Politiker jedoch gewarnt: »Sie sollen mit der Neutralität nüchterner und auch ehrlicher umgehen. Es ist keine Sanktifizierung, also Heiligung auf alle Zeiten am Platz und auch keine Verteufelung.«54 Trotz des Abschiedes, was bleibt von der Staatsvertragsgeneration? Michael Gehler gibt auf diese Frage eine überzeugende Antwort: »Die Nerven bewahrt, Geduld geübt und die territoriale Einheit des Landes bewahrt zu haben, das war das Verdienst der Staatsvertragsgeneration ...« 55

53 Michael Gehler, Der lange Weg nach Europa, S. 428-437. 54 Die Presse, 15. Mai 2004, S. 6. 55 Michael Gehler, Vom Sonderfall zum Modellfall? Österreich im Spannungsfeld von Kalten Krieg, »Tauwetter«, Semi-Détente und sowjetischer Deutschlandspolitik 1945-1955: Ein Literaturbericht mit zeitgeschichtlichen Kontroversen. In: Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2003, S. 192.

Autorenverzeichnis Angerer, Thomas Geb. 1965, Mag. phil., Dr. phil., Ass. Prof. am Institut für Geschichte der Universität W e n , Mitherausgeber der »Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit«, Lehrbeauftragter an der Diplomatischen Akademie in Wien. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der österreichisch-französischen Beziehungen, Geschichte Frankreichs, insbesondere der französischen Europapolitik, Geschichte der Europäischen Integration und der Stellung Österreichs in Europa. Zahlreiche Beiträge zu diesen Themen in Zeitschriften und Sammelbänden. Beer, Siegfried Geb. 1948, Mag. phil., Dr. phil., Ao. Prof. für Neuere Geschichte an der Karl-FranzensUniversität Graz. Forschungsschwerpunkte: britisch-österreichische Beziehungen im 20. Jahrhundert, Besatzungspolitik, Rolle der Geheimdienste, Geschichte der Steiermark im 20. Jahrhundert. Veröffentlichungen u. a.: Der »unmoralische« Anschluss. Britische Osterreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931-1934. (1988). Zus. mit Stefan Karner: Der Krieg aus der Luft. Kärnten und Steiermark 1941-1945. (1995). (Hg.): Die »britische« Steiermark 1945-1955. (1995). Zus. mit Alfred Ableitinger, Eduard G. Staudinger (Hg.): Österreich unter alliierter Besatzung 1945-1955. (1998). Binder, Dieter A. Geb. 1953, Dr. phil., Professor für Neuere Geschichte an der Karl-Franzens-Universitäts Graz sowie an der Andrässy Universität Budapest. Forschungsschwerpunkte: österreichische Zeitgeschichte sowie Kulturgeschichte. Publikationen u. a.: zus. mit Alfred Ableitinger (Hg.): Steiermark. Die Uberwindung der Peripherie. (2001). Die diskrete Gesellschaft. Geschichte und Symbolik der Freimaurerei. (5. Aufl. 2004). Zus. mit Ernst Bruckmüller: Essay über Österreich. Wien/München (2005). Bischof, Günter Geb. 1953, Mag. phil., Dr. phil., MA, Professor of History und Director am »Center of Austrian Culture and Commerce« an der University of New Orleans, Gastprofessuren an den Universitäten München (1992-1994), Innsbruck (1993-1994, 2004), Salzburg (1998) und Wien (1998), Mitbegründer und Mitherausgeber der »Contemporary Austrian Studies«, 2003 Dr.-Wilfried-Haslauer-Forschungspreisträger, zahlreiche Publikationen zu den internationalen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, zur US-Außenpolitik, zum Kalten Krieg, u. a. Austria in the First Cold War 1945-1955. (1999).

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Anhang

Cede, Franz Geb. 1945, Dr. jur., 1968-1970 Assistent am Institut fur Politik und öffentliches Recht an der Universität Innsbruck, 1970-1972 Studienaufenthalt an der »School of Advanced International Studies« (SAIS) in Bologna und Washington (Master of Arts in International Relations). 1972 Eintritt in das österreichische Außenministerium, 1993-1999 Leiter des Völkerrechtsbüros. Nach Auslandsverwendungen in den österreichischen Botschaften in Paris, Rabat, Kinshasa, Los Angeles 1999-2003 Botschafter in Moskau. Seit 2003 Botschafter in Belgien und Leiter der Osterreichischen Vertretung bei der NATO. Zahlreiche Publikationen zu den Themen Völkerrecht, Sicherheitspolitik und Europarecht. Eisterer, Klaus Geb. 1956, Mag. phil., Dr. phil., mehrmonatige Forschungsaufenthalte in Frankreich, Spanien, Brasilien und den USA. Ao. Prof. am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: französisch-österreichische Beziehungen, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Osterreich sowie die Beziehungen Österreichs zu den lateinamerikanischen Staaten im 20. Jahrhundert. Zahlreiche Publikationen zu den Forschungsschwerpunkten, u. a. Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945/46. (1991). La présence française en Autriche (vol. 11995, vol. IL 2004). Die Schweiz als Partner. (1995). Gehler, Michael Geb. 1962, Mag. phil., Dr. phil., 1992-1996 Stipendiat des Fonds zur wissenschaftlichen Forschung (FWF), 2001-2002 Forschungsstipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, 1994 Dr.-Wilfried-Haslauer-Forschungspreisträger, Ao. Prof. für Neuere und Zeitgeschichte am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Permanent Senior Fellow am »Zentrum für Europäische Integrationsforschung« (ZEI) der Universität Bonn, Gastprofessuren an den Universitäten Rostock (2004) und Salzburg (2004/05). Forschungsschwerpunkte: Geschichte der europäischen Integration, Deutsche und Europäische Geschichte, Osterreichische Geschichte im 20. Jahrhundert. Zahlreiche Buchveröffentlichungen zu diesen Themen. Hanisch, Ernst Geb. 1940, Dr. phil., Prof. für Neuere Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg, Forschungsschwerpunkt: Österreichische Gesellschafegeschichte im 20. Jahrhundert. Wichtigste Publikationen u. a.: Die Ideologie des politischen Katholizismus in Österreich 1918-1938. (1977). Der kranke Mann an der Donau. Marx und Engels über Österreich. (1978). Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. (1994). Gau der guten Nerven. Die nationalsozialistische Herrschaft in Salzburg 1938-1945. (1997). Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts. (2005).

Autorenverzeichnis

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Karner, Stefan Geb. 1952, Dr. phil., Prof. und Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz, Leiter des Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung Graz - Wien - Klagenfurt, Österreichischer Wissenschafter des Jahres 1995, Träger des »Alois Mock-Europaringes« und Österreichischer Vertreter in der ECRI des Europarates, wissenschaftiicher Berater zahlreicher Ausstellungen und Dokumentationen. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Zeit- und Wirtschaftsgeschichte sowie zu den humanitären Kriegsfolgen. Darunter u. a.: Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. (1986). (Hg.): Geheime Akten des KGB. »Margarita Ottilinger«. (1992). Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion 1941-1946. (1995). Die Steiermark im 20. Jahrhundert. (2000). Kriechbaumer, Robert Geb. 1948, Mag. phil., Dr. phil., 1976-1979 Forschungsstipendiat der Görres-Gesellschaft, 1980 der Konrad-Adenauer-Stiftung und 1982-1983 der Alexander von Humboldt-Stiftung, Prof. LPA an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Salzburg, Ao. Prof. für Neuere Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Geschäftsführer der Salzburg-Kommission. Forschungsschwerpunkte: Österreichische Geschichte im 20. Jahrhundert, Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Veröffentlichungen u. a.: Österreichs Innenpolitik 1971-1975. (1981). Von der Illegalität zur Legalität. Die ÖVP im Jahr 1945. (1985). Parteiprogramme im Widerstreit der Interessen. (1990). Die großen Erzählungen der Politik. (2001). Die Ära Kreisky. Österreich 1970-1983. (2004). Mueller, Wolfgang Geb. 1970, Mag. phil., Historiker an der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Arbeitsgebiete: UdSSR, Österreich, internationale Beziehungen, Propaganda. Publikationen u. a.: Sowjetbesatzung, Nationale Front und der »friedliche Ubergang zum Sozialismus«. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50 (2003); Die sowjetische Besatzungsmacht in Österreich 1945-1955 und ihre politische Mission (im Erscheinen); Mithrsg.: Sowjetische Politik in Österreich 19451955. Dokumente aus russischen Archiven (im Erscheinen). Rezac, David Geb. 1973, Dr. phil., Assistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Universität Wien, Absolvent der Diplomatischen Akademie Wien. Forschungsschwerpunkte: Internationale und Europäische Sicherheitspolitik und Humanitäres Völkerrecht. Publikationen zum Kosovo-Konflikt sowie zum Irak-Krieg.

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Anhang

Sandgruber, Roman Geb. 1947, Prof. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Johannes-Kepler-Universität Linz, Korrespondierendes Mitglied der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, 1998-2003 Mitglied der Osterreichischen Historikerkommission zur Erforschung des »Vermögensentzugs während der NS-Zeit sowie der Rückstellungen und Entschädigungen ab 1945«, Präsident des Verbundes der oberösterreichischen Museen. Forschungsschwerpunkte: Osterreichische und Allgemeine Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte. Zahlreiche Veröffendichungen, darunter u. a.: Die Anfänge der Konsumgesellschaft. (1982). Strom der Zeit. Das Jahrhundert der Elektrizität. (1992). Ökonomie und Politik. Osterreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (1995). Zus. mit Ernst Bruckmüller, Ernst Hanisch, Norbert Weigl (Hg.): Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert. (Bd. I 2002, Bd. II 2003). Schallenberg, Wolfgang Geb. 1930, Dr. jur., Studien in Wien, Cambridge und Paris, ao. und bev. Botschafter i. R., 1952 Eintritt in den diplomatischen Dienst, Auslandsverwendungen in Paris, London, Buenos Aires, Caracas und Bern. Leiter für Presse und Information sowie Pressesprecher von Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger, Botschafter in New Delhi, Madrid und Paris, Leiter der Kulturpolitischen Sektion im Außenministerium und 19921995 Generalsekretär im Außenministerium. Präsident der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen. Schöllgen, Gregor Geb. 1952, Dr. phil., Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen, Gastprofessuren in New York, Oxford und London. Zahlreiche Publikationen zur Deutschen Zeitgeschichte u. a.: Willy Brandt. Die Biographie (6. Aufl. 2004). Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart (3. Aufl. 2004). Der Auftritt. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne (2. Aufl. 2004). Zus. mit Peter Kloeppel: Luftbrücken. Amerika und die Deutschen (2004). Steiner, Ludwig Geb. 1922, Dipl. -Vw., Dr. rer. soc. oec., 1943-1945 aktiv in der Widerstandsgruppe 05, 1945 Mitbegründer der Tiroler OVP, 1948 Eintritt in den diplomatischen Dienst, 1952-1953 Sekretär von Außenminister Dr. Karl Gruber, 1953-1958 Sekretär von Bundeskanzler Ing. Julius Raab, 1955 Mitglied der österreichischen Regierungsdelegation bei den Staatsvertragsverhandlungen in Moskau, 1961-1964 Staatssekretär im Außenministerium, 1979-1990 Abgeordneter der OVP zum Nationalrat, 1958-1961 Leiter der Osterreichischen Gesandtschaft in Sofia, 1964-1972 Österreichischer Botschafter in

Autorenverzeichnis

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Griechenland und Zypern, 1971-1979 Leiter der Politischen Sektion des Außenministeriums, Generalsekretär-Stellvertreter. 1989-1995 Präsident der Politischen Akademie der OVP, seit 2000 Vorsitzender des Komitees des Osterreichischen Versöhnungsfonds. Steininger, Rolf Geb. 1942, Dr. phil., Prof. und Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck. Gastprofessuren in den USA, Israel und Australien, Senior Fellow des »Eisenhower Center for American Studies« der University of New Orleans und JeanMonnet-Professor. Herausgeber der »Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte«. Forschungsschwerpunkte: Deutsche und Osterreichische Zeitgeschichte, Geschichte der Internationalen Beziehungen, Geschichte Südtirols. Veröffentlichungen u. a.: Deutsche Geschichte seit 1945. 2 Bde. (1997). Wiederbewaffnung! Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag. (1989). Südtirol im 20. Jahrhundert. (1997). Zus. mit Michael Gehler (Hg.): Die Neutralen und die europäische Integration 1945-1995. (2000). Stelzl-Marx, Barbara Geb. 1971, Dr. phil., Studienaufenthalte in Oxford, Wolgograd und Stanford, Erwin Schrödinger Post-Doc Stipendiatin des F W F in Moskau, Koordinatorin des Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kunst »Die Rote Armee in Osterreich 1945-1955«, stellvertretende Leiterin des Ludwig-BoltzmannInstituts für Kriegsfolgen-Forschung Graz - Wien - Klagenfurt. Forschungsschwerpunkte: Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges, Besatzungszeit in Osterreich, sowjetische Propaganda, Lagerkunst und -kultur.

Personenregister Acheson, Dean 90, 309, 322, 324, 326, 328, 333

Blankenhorn, Herbert 403,410,421

Adamovich, Ludwig v. Sen. 463

Blühdorn, Rudolf 540

Adams, Ware 304

Bock, Fritz 232 f. Boeckl, Herbert 463 Bohlen, Charles 283

Adenauer, Konrad 17, 262, 269 f., 278, 285-288, 323> 3 8 i "3 8 4> 388~393> 396> 39 8 {-< 4° 2 >4°4> 406,408-410,412-420,422 f., 427,429-431,456 Alemán, Miguel 341 Allard, Sven 292,315 Allen, Denis 72 Allen, William 329,351 Altmann, Karl 183 Amschl, Hans 56 Angerer, Thomas 9,407 Antonov, Aleksej 143 Arnold, William H. 241 Aslan, Raoul 457,463 Attems, Max 337 Attlee, Clement 30, 80 Aucléres, Dominique 124 f. Augenthaler, Johann 395 Bader, William Banks 77, 293, 314 Bajkov, 1.1. 152 Baiser, Ewald 457 Barbosa, Rui 339 Bauer, Ingrid 107 Bauer, Otto 461 Beer, Siegfried 9 Beil, Gerhard 424 Berijas, Lavrentij P. 154 Bernhard, Thomas 241 Béthouart, M. Emile 71, 125 f., 128, 136, 195, 276, 292, 304,315,320 Bevin, Ernest 30,46 f., 48 f., 58, 63-68, 72, 275 Bidault, Georges 123,263,408 Binder, Dieter A. 16 Birijuzov, S. S. 1 5 1 , 1 5 2 Bischof, Günter 9, 35,45, 52, 362, 382 Bischoff, Norbert 98, 279-281,402-405,429,442 f., 446,453,491,541

Böhm,Johann 375 Böhm, Karl 457 Bonbright, James 343 f. Brecht, Bert 471 Brehm, Bruno 471 f. Brenner, Inge 169 Brentano, Heinrich von 393,403 Bruckmüller, Ernst 550 Bulganin, Nikolaj A. 176, 227, 260, 269 f., 287,408, 446,452 Byrnes,James 273,309,311 Caccia, Sir Harold 49-53,68, 70-72, 74 Camus, Albert 464 Canaval, Gustav 230, 250 Caratano, James Jay 76, 88 Carrière, Paul 366 Cede, Franz 16 Chamberlain, Arthur Neville 433 Chauvel,Jean 1 2 1 , 1 3 1 , 4 2 1 Cheetham, John 58 Cherrière, Paul 87, 274 Chruschtschow, Nikita S. 97, 226 f., 260, 269 f., 287, 425,451,453 Churchill, Winston 25, 31, 33 f., 54, 80, 82, 94 f., 140, 146, 269,474 Clark, Mark W. 79, 82 f., 84, 87, 195, 298, 306, 3 1 1 , 316, 320 Cohen, Benjamin V. 356 Copeland, Aaron 109 Coudenhove-Kalergis, Richard 473 Csokor, Franz Theodor 463 Cullis, Michael F. 58 Czernetz, Karl 225

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Anhang

Dalladier, Edouard 433 Dehler, Thomas 286, 387 Dekanozov, Vladimir G. 202 Deutschbauer, Julius 548 Dimitrov, Georgij 144 DoLlfufi, Engelbert 244 Domanov, Timofej I. 153 Donnelly, Walter 93 Dower, John 79 Dowling, Walter 326 Downing, H . J . 349 Drimmel, Heinrich 543 Duka, M. I. 151 Dulles, Alan 98 Dulles, John Foster 97, 257-259, 263, 273, 278, 284, 408,413 Dumas, Roland 504,531 Dunn, James C. 309 Diirmayer, Heinrich 166 f. Dutra, Eurico 335 Echeverria, Antulio n o Eden, Anthony 34, 53 f., 95, 140, 190, 263, 269, 284,325,356 Eigl, Adolf 103, Eisenhower, Dwight D. 53, 81, 94 f., 97-99, 257-260, 269,413,492-494 Eisterer, Klaus 14 Erhard, Ludwig 403 Erhardt, John 90 Ermacora, Felix 517 Faure, Edgar 269,407-409 Fedorcuk, V V 151 Fedorov, M. F. 152 Fellner, Fritz 544 Figl, Leopold 15,45, 83 f., 86, 9 4 , 9 7 , 1 7 2 , 1 8 3 , 1 8 5 , 202, 207, 216, 210, 226, 231, 243, 246, 248-250, 253, 255, 273, 277, 279, 281, 284, 288, 321, 324^, 336, 383, 388, 393 f., 396, 399 f., 406,409,429, 433.438,44°. 442.447.452-454,497. 538-541. 545. 548 Filho, Artur Bernardes 332 Fischer, Ernst 144, 231, 247, 249, 438,444,461, 463 Fitzmaurice, Gerald G. 348, 350 f. Fontoura,Joao Neves 337,339,343 Forst, Willi 463 Fox, William 27

Franfois-Poncet, André 388,402,406,409 f., 414-416 Franz I, Kaiser von Osterreich 340 Franz Joseph I., Kaiser von Osterreich 538 Galloway, Alexander 47, 63-67 Gasperi, Alcide de 262 Gaulle, Charles de 123, 129 f., 304 Gehler, Michael 1 3 , 1 7 , 3 6 0 , 5 5 1 Geramb, Viktor 477,479,481 Ginsburg, David 87 Ginzburg, S. 176 Girej, Sultan 153 Goeddes, Petra 105 Gorbach, Alfons 451 Gorbatschow, Michail 531 Göring, Hermann 188 Gorostiza,José 342 Graf, Ferdinand 167,183, 389,450 Grogger Paula 476 Gromyko, Andrej 332,352,357 Gruber, Franz 162 Gruber, Karl 87,89,91,96, 200, 250, 273, 321, 323 f , 326-329, 331-333, 336-338, 343 f., 345, 352-356, 358, 380, 383 f., 389-393, 395 f., 403, 413,438-440,442,445 Gugerbauer, Norbert 513 Haar, Rudolf 176 Habsburg, Otto v. 229,231 Hafner, Gerhard 5 1 5 , 5 1 7 Haider,Jörg 512,548 Haiko, Peter 466 Hallstein, Walter 392,403 Haluschka, Helene 467 f., 471 Hancock, P. F. 281, 329 Handke, Peter 20 Hanisch, Ernst 18, 20 Harrison, Geoffrey 34, 120, 281-283 Hayter, William 285 Helmer, Oskar 166 f., 246, 249, 450, 455, 539 Henz, Rudolf 463,465 Hergouth, Alois 480 Herwrth, Hans von 403 Herzog, Wilhelm 467 f., Hitler, Adolf 34, 37, 77, 80 f., 8 6 , 1 2 3 , 1 2 5 , 1 8 8 f., 353.359.412.4 ! 9> 433,452

Personenregister Hobsbawm, Eric 19 Hochwälder, Fritz 109 Hofmannsthal, Hugo von 462 Hohmann, Werner 466 Honner, Franz 200 Hörbiger, Attila 457 Hornbostel, Theodor 2 j 1, 446 Hurdes, Felix 218, 543 H y n d J o h n B . 58

Knogler, Renald 367 Knoke, Karl-Hermann 425 f. Kofler, Martin 425 Kohl, Helmut 269

Igler, Hans 236, 372,

Korp, Andreas 183, 203 Kosseieck, Reinhard 19 Kramer, Theodor 463 Krasnov, Peter 153 Krautsky, Karl 143

Iljitschow, Ivan 215, 223,443 Djitschow, Leonid 495,497 Jankowitsch, Peter 5 1 2 , 5 1 4 Jerram, Sir C. B. 48 Jessup, Philip C. 326,346 Johann, Erzherzog 476,479 Jonas, Franz 224 Josselson, Michael 484 Joxe, Louis 402 f. Kaiser, Jakob 420 Kaltenbrunner, Ernst 104 Karnitz, Reinhard 232, 235, 367 Kann, Robert A. 544 Kapfhammer, Maria 467 f., 470 Karner, Stephan 9 Kazakov, K.P. 151 Kennan, George F. 276, 331 Kennedy, John F. 85 Kernstock, Ottokar 477 Keyes, Geoffrey 71 f., 79, 84, 88-90, 92 f. Keynes, John Maynard 30 Keyserlingk, Robert 35 Kirchschläger, Rudolf 541 Kiridus, Franz 165, 167 f., 2 1 1 Kirkpatrick, Sir Ivone 284, 388 Kirsanov, P. S. 151 Kiselev, Evenij D. 160,178,182, 201 f., 295, 297 f., 300 f., 305 Klahr, Alfred 461 Klaus, Josef 241, 243 Klimt, Gustav 109 Kloepfer, Hans 477 f. Klopfer Hans 476 Knight, Robert 46

561

Konev, Ivan S. 151 f., 156 f., 177 f., 195, 297 f., 300 f., 306, 320 Koplenig, Johann 144, 183 Koptelov, Michail E. 182,201 Körner, Theodor 223, 231, 245, 284, 304,450,491, 500

Kreisky, Bruno 226, 244, 255, 281, 284, 366, 389, 391 f., 396-398,404,409,425,428 f., 447,453 f., 53 8 . 545-548 Kreps, Manfred 467 f., 472 Kriechbaumer Robert 9 Krone, Heinrich 286 Krupp, Arthur 177 Kudriawzew, Sergej 331 f., 401,404,444 Kurasov, Vladimir V 1 5 1 , 1 7 9 , 3 0 6 , 3 1 6 Labouchere, G. P. 329 Lalouette, Roger 401,404 Lammers, Hans Heinrich 189 Lappenküper, Ulrich 405,407,409 Lasky, Melvin 484 Leifhelm, Hans 476 Leitmaier, Markus 540 Lemberger, Ernst 142 f. Lenz, Otto 42 3 Leslie, Edgeworth M. 446 Litvinov, Maksim M. 189, 204 Lohse, Eckart 428 Lovett, Robert A 346 Luger, Johann 293, 315 Lugmayer, Karl 438 Lun'kov, Nikolaj 182,202 Mack, Sir William H. 47 f., 295 Macmillan, Harold 54 f., 273, 285 Maelstaf, Geneviève 431 Mair,John 45,292 Majslrij, Ivan M. 204

562

Anhang

Malenkov, Georgi) M. 94, 97,176,180, 210, 226 f., 260,401,453 Maleta, Alfred 234,254,543 Mann, Thomas 462 Manndorf, Ferdinand 228 Mannheim, Karl 537 Marek, Anton 165-168 Marshall, George C. 87 Massigli, René 330 Mastny, Vojtech 382 Matejka, Viktor 461 Matsch, Franz 337, 345, 394 Mauer, Otto 463 McCreery, Richard L. 83,106,195, 201, 320 Meli, Max 467,476 Mendès-France, Pierre 229, 262 Menon, K. P. S. 439, 454 Merkulov, 181 Merz, Carl 549 Metternich, Klemens Wenzel Fürst 341 Michel, Claude 406,411 Migsch, Alfred 235,247 Mikojan, Anastas I. 450-452 Mikoletzky, Hanns Leo 457,458 Missong, Alfred 461 f. Mock, Alois 504, 512-516, 531 Molden, Fritz 1 2 1 , 1 4 2 f., 484 Molotow, WjatscheslawM. 53 f., 87,96 f., 147,160, 177 f., 182, 227, 247 f., 263 f., 268, 273 f., 277-281, 283 f., 287, 294, 301, 305 f., 310-312, 317 f., 360, 366, 397,400-403,406,408,414,423, 439,446,449 f., 452-454, 538 Monnet,Jean 262 Morocutti, Werner 467,473 Mosse, George L. 476 Mozart, Wolfgang Amadeus 40 Mueller-Graaf, Carl-Hermann 379, 396-398,424, 456 Müller, Wolfgang 15 Muniz, Joäo Carlos 337 f., 342-344, 351 f. Murville, Maurice Couve de 413, Musil, Robert 8, Mussolini, Benito 433, Nabl, Franz 476 Navarre, Henri 261, Nemschak, Franz 85, 374

Nestroyjohann 503 Neves,Joäo 339 Nutter, William H. 495 Ochman, N. P. 151 Olah, Franz 539 Ollenhauer, Erich 413 f., 423 Ottiiiinger, Margarethe 164 f., 168,170, 211 Painlevé, Paul 116 Pannwith, Hellmuth v. 153 Pape, Mathias 420 Patchs, Alexander 81 Pattons, George 81 Pelinka, Anton 293 Perkins, George 326 Pernter, Hans 463 Perwuchin, Michail 287 Peterlunger, Oswald 167 Pfleiderer, Karl Georg 263 Pichler, Erich 399 Pieck, Wilhelm 275 Pinay, Antoine 2 7 3, 409,421,42 3 Pirchegger, Hans 467 f., 475 Pisecky, Franz 369 Piterskij, Georgij 181 Pittermann, Bruno 372 Pius Xn, Papst 474 Plösch, Josef 467 Podlaha, Karl 241 Pollak, Oskar 246, 249,445,447 Pollock, Jackson 109 Porpaczy, Barbara 126 Portisch, Hugo 546 Prichodko, Major 164 Prinke, Franz 235 Probst, Otto 245 Pryce-Jones, Alan 40 Qualtinger, Helmut 549 Raab, Julius 54, 85,94,96-98,178,183, 203, 223, 231, 243, 246-251, 253, 255, 277, 279, 283 f., 287, 366, 375, 388, 391, 392, 396 f., 402, 404-407,409 f., 412-414,416-420,423,425,429, 438-447,449-451,453-455,491,497 f., 500, 523, 538 f., 541, 545, 547 f. Radford, Arthur W. 277,426 Rauchensteiner, Manfried 78, 293, 314, 380, 546

Personenregister Renner, Karl 19, 32,40 f., 43,48, 82 f., 143-147, 149, 156 f., 177, 181 f., 185, 188, 198-200, 203, 205, 243, 245 f., 276, 294,463 Retschek, Anton 336,341 Rezac, David 14 Riff, Sepp 546 Robert, André 117 Roberts, E. T. 495 Roosevelt, Franklin D. 80,141 Rosegger, Peter 476 f., 479 Rotter, Adrian 379, 399,403,420-422 Sandgruber, Roman 15 Sargent, Sir Orme 58 Sartre, Jean-Paul 464 Scelbanin, G. A. 152 Schallenberg, Wolfgang 17 Schärf, Adolf 84, 231, 233, 244f., 247 f., 250, 254 f., 279, 284, 366, 371,409,425,429,445,453 f., 496,498, 538 f. Schaukai, Richard von 462 Scheer, François 506 Schenkendorf, Max v. 478 Schewardnadse, Eduard 504 Schmid, Heinrich 379 Schmidt-Dengler, Wendelin 461 Schöllgen, Gregor 13 Schönberg, Arnold 109 Schöner, Josef 379, 382, 393 f., 541 Schuman, Robert 262, 322 Schumy, Vinzenz 183, 203 Schuschnigg, Kurt 244, 283,412 Schüssel, Wolfgang 548 Schütte-Lihotzky, Margarete 548 Schütz, Wolfgang 420 Sedlmayr, Hans 465,466 Seefehlner, Egon 463 Seiffert, Otto 420 Seiss-Inquart, Arthur 104 Seitz, Karl 245 f. Semetkowski, Walter v. 477 Semjonov, Wladimir 275, 280,402 Seydoux, François 492 Sillaber, Alois 480 Skalnik, Kurt 544 Skorikov, G. P. 152 Slavik, Felix 225, 244

563

Slemin, T. 152 Slobocan, D. Ja. 152 Smirnov, Andrej 181, 201, 300, 305 f., 310, 313 f., 317 f. Sokolowski, Alfred 224 Sommer, Josef 200 Soutou, Georges-Henri 431 Speck, Eduard 467 Spierenburg, Dirk 395 Spitzenberg, Baron Zeßner von 461 Spring, Gerhard 548 Stalin, Josef W. 79 f., 82, 84, 87, 94-96, 139 f., 1 4 2 - 1 4 7 , 1 5 1 , 1 5 4 , 1 7 6 , 180-182, 190, 198-200, 205 f., 210, 226, 257, 259, 263, 274f., 277, 312, 318,323, 384f., 391,439,522 Starhemberg, Ernst Rüdiger Fürst 244 Stearman, William Lloyd 77, 292 f., 315 Steele, Sir James 316 Steinberger, Josef 468, 477-479 Steiner, Ludwig 16, 541 Steininger, Rolf 12, 327 Stelzl-Marx, Barbara 10, 17 Stemenko, Sergej 143 Stewards, Shop 73 Stibill, Rudolf 480 f. Stourzh, Gerald 55, 78,134, 293 f., 308, 314, 359, 367,409,420,430, 517, 523, 544, 551 Strang, William 356 Strasser, Peter 484 Swiridow, Wladimir P. 1 5 1 , 2 1 5 , 4 4 3 Széchenyi, Graflstvän 476 Tarabrin, Grigorij 446 Taucher, Franz 467 f., 475 f. Taucher, Wilhelm 374 Thoma, Franz 444 f., Thompson, Llewellyn 79,281 Thoß, Bruno 428,430 Tibal, André 116 f., 122 Tito, Josip Broz 90, 274, 326, 500, 522 Tolbuchin, Fedor 144 f., 147, 199 Torberg, Friedrich 459,484 Troutbeck, John M. 303,306 Truman, Harry S. 80, 83, 86 f., 89-91, 275, 324 Türk, Helmut 517 Tweraser, Kurt 78, 82

564 Ulam, AdamB. 428 Vargas, Getulio 334, 336, 338 Verdross, Alfred 528 Verosta, Stephan 98, 541 Vollgruber, Alois 405 Vorosilov, Kliment E. 204 Vranitzky, Franz 512, 547 Vysinslrij, Andrej Ja. 297, 306, 310, 314 Wagnleitner, Reinhold 107 f. Waldbrunner, Karl 232-236, 372 Waldheim, Kurt 547 Waldinger, Ernst 463 Wallinger, Sir Geoffrey 15, 53, 279, 281, 285, 288, 400 Warren, Williams 51 Watt, Donald Cameron 27 Weigel, Hans 459,463, 475,484 Weikhardt, Eduard 225 Weinberger, Lois 235, 252, 255 Weinzierl, Erika 544 Werburg, Viktor Andrian Freiherr von 462 Wettig, Gerhard 428

Anhang Wildgans, Anton 467,474 Wildner, Clemens 344 Wildner, Heinrich 541 Wilkinson, Alexander 38 Will, Karin 361 Williams, A.J. 351 Williams, Tennessee 109 Williamson, Francis 90 Winkler, Günther 511 Winkler, Hans 517 Winogradow, Sergej 407, Winter, Ernst Karl 461,462 Winterton, Sir John 49 Wirsing, Giselher 139 Woroschilow, Kliment J . 450 Wyschinsla, Andrej Januarjewitsch 275,359 Young, W . A 282 Zadov, A.S. 152 Zeltov, Aleksej Sergeevic 145, 172, 199, 296 f., 300 Zimin, G. V 151 f. Zmacenko, F. F. 152 Zukov, Georgij K. 151

Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek Hrsg.: Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 11-20: hrsg. v. Wilfried Haslauer, Robert Kriechbaumer u. Hubert Weinberger. Vergriffen: Bd. 5 und Bd. 8 Sonderband 1: Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Die Spiegel der Erinnerung. Die Sicht von innen Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 1998. 17 x 24 cm. 932 Seiten, Gb. ISBN 3-205-98909-0 Sonderband 2: Oliver Rathkolb, Otto Maschke, Stefan August Lütgenau (Hrsg.) Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955-1990 Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 2002. 17x24 cm. XVII, 910 Seiten. Gb. ISBN 3-205-99105-2 Bd. 1: Franz Schausberger (Hrsg.) Ins Parlament, um es zu zerstören Das parlamentarische Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg nach den Landtagswahlen 1932 1995. 17 x 24 cm. 440 Seiten. 16 S. schw.-w. Abb. Gb. ISBN 3-205-98415-3 Bd. 2: Harald Waitzbauer Thomas Bernhard in Salzburg Alltagsgeschichte einer Provinzstadt 1943-1955 1995. 17 x 24 cm. 148 Seiten. 40 schw.-w. Abb. Gb. ISBN 3-205-98424-2 Bd. 3: Christian Dirninger (Hrsg.) Wirtschaftspolitik zwischen Konsens und Konflikt Einsichten und Einblicke in die Strukturen und Abläufe der Wirtschaftspolitik der Zweiten Republik 1995. 17 x 24 cm. 192 Seiten. 4 schw.-w. Abb. Br. ISBN 3-205-98481-1 www.boehlau.atwww.boehlau.de

Bd. 6/0-6/10: Herbert Dachs, Ernst Hanisch, Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945 Bd. 7/1: Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Die Ära Josef Klaus Österreich in den ,kurzen' sechziger Jahren: Dokumente 1998. 17 x 24 cm. 412 Seiten. 24 schw.-w. Abb., Gb. ISBN 3-205-98882-5 Bd. 7/2: Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Die Ära Josef Klaus Österreich in den ,kurzen' sechziger Jahren: Aus der Sicht von Zeitgenossen und in Karikaturen von Ironimus 1999. 17 x 24 cm. 283 Seiten. 34 schw.-w. Abb., Gb. ISBN 3-205-99146-X Bd. 9: Richard Voithofer Drum schließt Euch frisch an Deutschland an ... Die Großdeutsche Volkspartei in Salzburg 1920-1936 2000. 17 x 24 cm. 488 Seiten, Gb. ISBN 3-205-99222-9 Bd. 10: Michael Schmolke (Hrsg.); Sandra Ebner, Thomas Steinmaurer (Bearb.) Der Generalintendant Gerd Bachers Reden, Vorträge, Stellungnahmen aus den Jahren 1967 bis 1994. Eine Auswahl 2000. 17 x 24 cm. 403 Seiten. 19 schw.-w. Abb., Gb. ISBN 3-205-99247-4 Bd. 11: Hanns Haas, Robert Hoff mann, Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Salzburg Städtische Lebenswelt(en) seit 1945 2000. 17 x 24 cm. 432 Seiten, 25 schw.-w. Abb., Gb. ISBN 3-205-99255-5

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Bd. 12: Robert Kriechbaumer Die großen Erzählungen der Politik Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945 2001. 17 x 24 cm. 820 Seiten. Gb. ISBN 3-205-99400-0 Bd. 13: Herbert Dachs, Ernst Hanisch, Roland Floimair, Franz Schausberger (Hrsg.) Die Ära Haslauer Salzburg in den siebziger und achtziger Jahren 2001. 17 x 24 cm. 700 Seiten. 17 schw.-w. Abb., 73 Tab., Gb. ISBN 3-205-99377-2 Bd. 14: Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Der Geschmack der Vergänglichkeit Jüdische Sommerfrische in Salzburg 2002. 17 x 24 cm. 364 Seiten. 47 schw.-w. Abb., 17 Tab. 7 Graf. Gb. ISBN 3-205-99455-8 Bd. 15: Oswald Panagl, Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Wahlkämpfe Sprache und Politik 2002. 17 x 24 cm. 224 Seiten. 12 schw.-w. u. 15 färb. Abb. Br. ISBN 3-205-99456-6 Bd. 16: Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger (Hrsg.) Fast eine Insel der Seligen Handlungsspielräume regionaler Finanz- und Wirtschaftspolitik am Ende des 20. Jahrhunderts am Beispiel Salzburgs 2002. 17 x 24 cm. 168 Seiten. 19 schw.-w. Abb. Br. ISBN 3-205-99476-0 Bd. 17: Robert Kriechbaumer Ein Vaterländisches Bilderbuch 2002. 21 x 27 cm. Ca. 272 Seiten. Ca. 220 schw.-w. Abb. Br. ISBN 3-205-77011-0 Bd. 18: Franz Schausberger (Hrsg.) Engagement und Bürgersinn Helmut Schreiner zum Gedenken 2002. 17 x 24 cm. 496 Seiten. 36 schw.-w. Abb., Gb. 3-205-77072-2 www.boehlau.atwww.boehlau.de

Bd. 19: Laurenz Krisch Zersprengt die Dollfußketten Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Bad Gastein bis 1938 2003. 1 7 x 2 4 cm. 272 Seiten., 16schw.-w. Abb., 156 Tab. u. Graf., Gb. ISBN 3-205-77129-X Bd. 20: Oswald Panagl, Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Stachel wider den Zeitgeist Politisches Kabarett, Flüsterwitz und subversive Textsorten 2004.17 x 24 cm. 216 Seiten, Br. ISBN 3-205-77199-0 Bd. 21: Oskar Dohle, Nicole Slupetzky Arbeiter für den Endsieg Zwangsarbeit im Reichsgau Salzburg 1939-1945 2004. 17 x 24 cm. 254 Seiten, 47 schw.-w. Abb., Br. ISBN 3-205-77255-5 Bd. 22: Robert Kriechbaumer Die Ära Kreisky Österreich 1970-1983 2004. 17 x 24 cm. 568 Seiten, 31 Karikaturen. Gb. ISBN 3-205-77262-8 Bd. 23: Robert Kriechbaumer Österreich! und Front Heil! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front Innenansichten eines Regimes 2004. 17 x 24 cm. 436 Seiten, Gb. ISBN 3-205-77324-1 Bd. 25: Ulrike Engelsberger, Robert Kriechbaumer (Hrsg.) Als der Westen golden wurde Salzburg 1945-1955 in US-amerikanischen Fotografien 2005. 21 x 27 cm. 270 Seiten, 263 schw.-w. Abb., Gb. ISBN 3-205-7732 5-X

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