Die Kunst zu sehen: Johann Heinrich Meyer und die Bildpraktiken des Klassizismus 9783110590074, 9783110588064

Goethes Kunstberater Johann Heinrich Meyer (1760-1832) war einer der Hauptakteure der klassizistischen Bewegung um 1800.

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Die Kunst zu sehen: Johann Heinrich Meyer und die Bildpraktiken des Klassizismus
 9783110590074, 9783110588064

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Teil I. Die Disziplinierung des Blicks: Epistemische Praktiken zwischen Anschauung und Theoriebildung
1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung
2. Linie und Schatten: Zeichnen nach Antiken
3. Anschauung und Notation: Meyers Thesaurus der Kunst 1795–1797
Teil II. Johann Heinrich Meyers Studien zur Farbe und die Koloritdiskussion um 1800
1. Einleitung
2. Stufen der Konzeptionalisierung
3. Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie. Kopierpraxis und Notation in Hinblick auf die Farbenlehre
4. Antik und Modern: Aktualisierungen der Farbe 1808 und 1820
Teil III. Die mediale Dimension der Kunstpolitik
1. Meyers Auffassung vom „Kunstrichter“: Das Kunsturteil zwischen Historisierung und Gegenwartsbezug
2. Die Aktualität der Gegenstandslehre: Zur Kritik an Künstlern des Klassizismus im Vorfeld der Propyläen 1797
3. Die Wertungskategorie des Helldunkel
4. Meyer und die Sammlung Boisserée. Von der Kennerschaft zum lithographischen Diskurs
Resumée
Anhang

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Die Kunst zu sehen

Ars et Scientia Schriften zur Kunstwissenschaft Band 22 Herausgegeben von Bénédicte Savoy, Michael Thimann und Gregor Wedekind

Johannes Rößler

Die Kunst zu sehen Johann Heinrich Meyer und die Bildpraktiken des Klassizismus

De Gruyter

Gedruckt mit Mitteln, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft über das Projekt „Johann Heinrich Meyer (1760–1832) – Kunst und Wissen im klassischen Weimar“ zur Verfügung ­gestellt hat. Vorliegende Studie wurde 2017 als Habilitationsschrift von der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern angenommen.

ISBN 978-3-11-058806-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-059007-4 ISSN 2199-4161 Library of Congress Control Number: 2020944588 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Johann Heinrich Meyer, Physiognomische Studien zum Apoll von Belvedere.   Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen. Satz: SatzBild, Sabine Taube, Kieve Druck & Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

Inhalt

Einleitung__9 Der Weimarische Kunstfreund__11 Von der Kunst zum Wissen__18 Meyers Netzwerke__23 Ziele und Konzeption der vorliegenden Studie__29

Teil I Die Disziplinierung des Blicks: Epistemische Praktiken zwischen Anschauung und Theoriebildung 1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung__41 1.1 Das Detail im Ganzen__41 1.2 Bei Fackelschein__45 2. Linie und Schatten: Zeichnen nach Antiken__56 2.1 Die „Seydelmann’sche Manier“ – Versuch einer stilkritischen Klärung__58 2.2 Antiken-Nachzeichnungen um 1785: De- und Resemantisierung der Form (Medusa Rondanini)__63 2.3 Rotation und Ausschnitt__72 2.4 Winckelmann-Revisionen: Analytische Zeichenpraxis 1795/1796__82 2.5 Conclusio__90 3. Anschauung und Notation: Meyers Thesaurus der Kunst 1795–1797__92 3.1 Vor dem Kunstraub: Meyers Aufzeichnungen als Quelle__94 3.2 Das kontrapunktische Notationsverfahren: Normativität, Eklektizismus und Empirie__98 3.3 Substitutionen: Auf dem Weg zum Gegenstandsaufsatz__103 3.4 Steuerungen: Die tabellarische Methode__107 3.5 Experimentalräume der Kunst__115 a)  Palazzo Albani – Entwurfszeichnung und Karton__116 b) Im Palazzo Colonna: Pendantsystem und autonomieästhetische Theoriebildung__122

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Inhalt



c) Die Erweiterung des Kanons in der Villa Aldobrandini a Magnanapoli: Mantegna, Bellini, Tizian__128 3.6 Aufstieg und Niedergang: Das Trecento als Archaik__140

Teil II Johann Heinrich Meyers Studien zur Farbe und die Koloritdiskussion um 1800 1. Einleitung__147 1.1 Der Abschnitt zur neuzeitlichen Koloritgeschichte in Goethes Farbenlehre__149 1.2 Meyers Mitarbeit an der Farbenlehre__151 2. Stufen der Konzeptionalisierung__157 2.1 Maltechnik und Anschauung 1788–1790__157 2.2 Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795__165 2.3 Blick auf die Farbe in Italien 1795–1797__177 2.4 Bilanz um 1797: Ansätze zu einer Theoretisierung nach Meyers zweitem Italienaufenthalt__185 3. Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie. Kopierpraxis und Notation in Hinblick auf die Farbenlehre__190 3.1 Kopieren und Aufzeichnen 1796__194 3.2 Rationalismus versus Klassizismus: Ramdohr und Meyer über antike Malerei__197 3.3 Antikes Kolorit in der Farbenlehre__202 3.4 Urbild und Denkbild: Die Wiederholung in Öl 1808/1809__206 4. Antik und Modern: Aktualisierungen der Farbe 1808 und 1820__210 4.1 Ein Reformbild in Rom: Gottlieb Schicks Apoll unter den Hirten (1808)__212 4.2 Austreibung des christlichen Spuks mit der Farbe: Die Nazarener und Joseph Raabes Kopien pompejanischer Gemälde __218

Teil III Die mediale Dimension der Kunstpolitik 1. Meyers Auffassung vom „Kunstrichter“: Das Kunsturteil zwischen Historisierung und Gegenwartsbezug__229 2. Die Aktualität der Gegenstandslehre: Zur Kritik an Künstlern des Klassizismus im Vorfeld der Propyläen 1797__234

Inhalt

2.1 Die Gegenstandslehre im Kontext von Aufklärungsästhetik und Kunstmarkt__236 2.2 Die Gegenstände der Zeitgenossen und der Gattungstransfer bei Tischbein__243 2.3 Hetsch und das Problem der Gattungsmischung__250 3. Die Wertungskategorie des Helldunkel__255 3.1 Malerisches Helldunkel__257 3.2 Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien__265 a)  Reproduktion und Qualität__270 b)  Hochschnitt und Holzstich__274 c) Conclusio__279 3.3 Die ideale Beleuchtung der Plastik__280 a)  Die Bildhauerkunst im Rubrikenschema__285 b) Der „schöne Stil“ der griechischen Spätklassik__290 3.4 Wiedererstandene Klassik. Überlegungen zu Friedrich Tiecks Statuen im Gentz’schen Treppenhaus__291 4. Meyer und die Sammlung Boisserée. Von der Kennerschaft zum lithographischen Diskurs__303 4.1 Eingrenzung und Würdigung: Goethes Sicht auf Stefan Lochner__305 4.2 Meyers Besuch 1817 und seine stilkritische Revision__313 4.3 Der Steindruck als kunstpolitische Waffe__321 Resumée__331

Anhang Dokumente__339 Abkürzungen und Siglen__410 Ungedruckte Quellen/Archivalien__411 Bibliographie__412 Register __459 Bildnachweis__466 Farbtafeln__467

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Einleitung

In dem vorliegenden Buch wird versucht, den Zusammenhang von künstlerischer ­Praxis, kunsttheoretischer Reflexion und kunsthistorischem Wissen als einen sich wechsel­seitig vollziehenden Prozess in der Kunst des Klassizismus um 1800 zu betrachten. Der Künstler wird verstanden als Akteur der Wissensproduktion, in welcher sowohl Theorie in Praxis, als auch Praxis in Theorie übergehen. Theoriebildung und Genese neuer Kunstauffassungen konstituieren sich demnach in einem experimentell-künstlerischen Rahmen visueller Aushandlungen, die zeichnerisch oder schriftlich ­fixiert werden. Die Bewusstseinsschärfung für ästhetische Phänomene ist abhängig von einem Instrumentarium, das polyfokal organisiert ist und gerade aus den daraus ent­stehenden Querverbindungen seine erkenntnistheoretische Tiefenschärfe bezieht. Praktiken wie die Statuenbetrachtung bei Fackelschein, das Nachzeichnen von Kunstwerken, der experimentelle Einsatz der Farbe, das Kopieren von Gemälden und verschiedene Formen der schriftlichen oder diagrammatischen Fixierung, aber auch die Nutzung von ­Bildmaterial zweiter und dritter Ordnung wie die Reproduktionsgraphik gehören zu den hier untersuchten Feldern, die zusammen mit den zeitgenössischen räumlich-­musealen Konstellationen ein spezifisches Dispositiv ausbilden. Methodisch schließt dieser Ansatz an jüngere Studien zu Gelehrtenpraktiken und zum Künstlerwissen an.1 In Bezug auf die Stilperiode des Klassizismus,2 die ausgehend von Anton Raphael Mengs und Johann Joachim Winckelmann bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hineinreichte, trägt er zu einer Differenzierung bei, indem ­eine Phase der europäischen Kunstgeschichte behandelt wird, die, im Gegensatz zu der ­etwas zeitversetzten und per se als innovativ geltenden Kunst der Romantik, durch ihre Antike-­ fixierte Auffassung in der Regel als besonders starr und dogmatisch charakterisiert wird. Gerade vor diesem Hintergrund gilt es, der klassizistischen Theoriebildung bei ­aller Normativität eine ihr immanente Labilität zu unterstellen: Vermeintlich stabile ideelle 1

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Aus unterschiedlicher Perspektive seien hier folgende Publikationen exemplarisch genannt: Latour 1986; Crary 1996; Holert 1997; Décultot 2004; Smith 2004; Rees 2007; Hoffmann 2008. Allgemein zum Ansatz der Wissensgeschichte siehe Sarasin 2011. Zur Differenzierung des Gesamtepochenbildes, der sich die vorliegende Arbeit verpflichtet fühlt, siehe in Auswahl Zeitler 1954; Rosenblum 1967; Busch 1993; Ausst.-Kat. Frankfurt 1999/2000; Griener/ Imesch 2004; Beyer 2006; Ausst.-Kat. Frankfurt 2013; Ausst.-Kat. Weimar 2017.

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Einleitung

Konzepte unterliegen einer Dynamik im Feld von ästhetischer Reflexion und künstlerischem Schaffensprozess. Normative Theoreme, welche zur Kunstanschauung operativ eingesetzt werden, erscheinen plötzlich als „Kippfiguren“, welche zwanglos Alternativen zur konventionell-klassizistischen Bewertung generieren oder diese zumindest in neue Bahnen lenken. Im vorliegenden Fall erscheint dies auf den ersten Blick überraschend, fast abwegig, aber in allen angesprochenen Gegenstandsbereichen sind diese Momente der Destabilisierung und Neuformierung latent vorhanden. Ausgangspunkt der Untersuchung bildet der zeichnerische und schriftliche Nachlass des Künstlers, Kunstschriftstellers und Kunstpädagogen Johann Heinrich Meyer (geb. 1760 in Zürich, gest. 1832 in Jena, Tf. I/1–II/1).3 Goethes „Kunstberater“4 erweist sich insofern als Modellfall, als sich in seinem von Winckelmann und Mengs ausgehenden Standpunkt eine prototypische Grundhaltung des Hochklassizismus manifestiert. Seine Beiträge zur antiken und neuzeitlichen Kunstgeschichte repräsentieren par excellence die epochalen methodischen Gegensätze zwischen Normativität und Historizität, ästhetischer Empirie und Totalitätskonstruktion.5 Zudem lässt sich an seinem kunstschriftstellerischen Werk der nach 1800 aufbrechende Konflikt zwischen klassizistischer Traditionsbildung und romantisch-moderner Innovation besonders gut ablesen, ja es ist evident, dass Meyer wesentlich zur Verstärkung des Streits zwischen „Klassikern“ und „Romantikern“6 beigetragen und mit seinen Gegenwartsdiagnosen Grundlagen geschaffen hat, welche die Romantik-Forschung bis heute prägen.7 Die vorwiegend im deutschen Sprachraum verbreitete Vorstellung, welche die Künste des Zeitraums zwischen 1800 und 1830 als Opposition von Klassizismus und Romantik und weni3 4

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Zur Korrektur des Geburtsorts (Zürich statt Stäfa) und des Geburtsjahrs (1760 statt 1759), das sogar auf Meyers Grabstein falsch steht, siehe Klauß 2001, S. 5 f. Neben der Biographie von Jochen Klauß, die in Überschau von Meyers Tätigkeiten zugleich die disparate Forschungslage zusammenträgt und den Nachlass vor allem nach biographischen Spuren auswertet (Klauß 2001), ist als grundlegender Beitrag die Quellensammlung von Margit Wyder zu nennen (Wyder 2010). Nach dem Buch von Ernst Osterkamp 1991, das erstmals Meyer eine zentrale Rolle in Goethes Kunstverständnis einräumt, hat die Goethe-Forschung die Person Meyers erst in den letzten Jahren in Hinblick auf kunsthistorische und kulturtheoretische Fragestellungen verstärkt einbezogen: Dönike 2005; Grave 2006a; Wiegel 2006; Naumann/Wyder 2012; Currie 2013; Keller 2018. – Beiträge zu Einzelaspekten von Meyers Werk bei Rosenbaum/Rößler/Tausch 2013. Zu der ambivalenten Struktur in der Kunstgeschichtsschreibung um 1800, die bereits in den Schriften Winckelmanns angelegt ist, siehe u.a. Grave/Locher/Wegner 2007. Zur Historisierung der Kunst ­Locher 2001. Vgl. Goethes Aufsatz Klassiker und Romantiker in Italien, sich heftig bekämpfend (1819), der nach ­einer Diskussion mit Meyer entstanden ist und die methodische Überlegenheit der „klassischen“ ­Kritik formuliert (vgl. Rößler 2013b, S. 286). FA I/20, S. 417–424, sowie Kommentar, ebd., S. 1264. Wie Frank Büttner hervorgehoben hat, betrifft dies vor allem die intellektuelle Ableitung der romantischen Bewegung aus einem schmalen Corpus zentraler Schriften wie etwa Wackenroders Herzens­ ergießungen. Büttner 1983.

Der Weimarische Kunstfreund

ger als Ausdruck einer einheitlichen Epoche wahrnimmt, geht im Wesentlichen auf die Syste­matisierungsleistungen Meyers zurück. Ihrer polemischen Sprengkraft konnte sich selbst das vermeintlich progressive „romantische“ Lager nicht entziehen, das sich in seiner Formationsphase noch als legitimer Erbe von Aufklärung und Klassizismus verstand.8 Vor diesem Hintergrund wird man, selbst wenn man das sonstige kunstschriftstellerische und besonders das künstlerische Werk als nachrangig bewertet, in der Person Johann Heinrich Meyers eine Relevanz beimessen müssen, die maßgeblich zu der ästhetischen Signatur einer Epoche beigetragen hat. Sein Fall steht exemplarisch für die Wahrnehmungsumbrüche um 1800 und die damit verbundenen Praktiken des Sehens.

Der Weimarische Kunstfreund Gut vierzig Jahre seines Lebens bildete Meyers künstlerischer Wirkungsbereich fast ausschließlich die Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Von der Mitgestaltung von Goethes Privaträumen im Haus am Frauenplan9 über Ent­würfe für Denk- und Grabmäler bis hin zur Mitarbeit an der Ausstattung des Römischen ­Hauses,10 des Wittumspalais und des Residenzschlosses hinterließ er dauerhafte Spuren in der dortigen Kulturtopographie, die das Verständnis der Kunst der Weimarer Klassik bis heute prägen. In der von flachen Hierarchien geprägten Gesellschaft der Residenzstadt war Meyer als Kunstexperte allgemein anerkannt und geachtet. Seit 1792 Lehrer an der Herzoglichen Zeichenschule11 und ab 1807 deren Direktor, übte er einen unmittelbaren Einfluss auf die Geschmacksbildung ganzer Generationen aus.12 Wenn auch einige bekannte Künstlerinnen und Künstler wie Caroline Bardua, Angelica ­Facius, Ferdinand Jagemann, Franz Theobald Horny und Friedrich Preller d. Ä. daraus hervorgingen, widmete sich die oft irreführend als „Akademie“ bezeichnete Institution vor allem der breiten künstlerischen Bildung von Kindern ab neun Jahren, die Meyer mit Geduld und Engagement verfolgte. Mit dieser ausgesprochen sozialen Komponente korrespondieren seine engen Beziehungen zum Weimarer Hof: Als Vertrauter der Herzoginmutter Anna Amalia, dann der Großherzogin Maria Pawlowna und als Prinzenerzieher ­reichte ­Meyers indirekter ästhetischer Einfluss bis in das „Silberne Zeitalter“ unter Groß­herzog Carl Alexander hinein. Gelegenheitsarbeiten wie Festdekorationen, die Illustrie­rung von ­Almanachen oder die Entwürfe von Gedenkmedaillen verweisen auf ­diverse ­weitere Tätigkeiten. Allerdings verlieren sich oft die künstlerischen Spuren in   8 Zur Kontinuität von Aufklärung und Romantik siehe Kemper 1993a; Kemper 1993b.   9 Lichtenstern 1995; Strack 1999; Grave 2011. 10 Vgl. Beyer 2001, darin ibs. Boettcher 2001; Alexander Rosenbaum in: Ausst.-Kat. Weimar 2012b, S. 176 f; Ziegler 2013; Keller 2018, S. 305–317. 11 Klinger 2013, S. 137–153. 12 Rosenbaum 2013.

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Einleitung

1__Johann Heinrich Meyer: Odysseus vor Nausikaa und ihren ­Gefährtinnen, 1789, Feder in Braun und Grau über schwarze Kreide, grau laviert, 20,7 × 29,2 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 2412.

den ­wechselnden Kooperationen ebenso, wie sich der intellektuelle Austausch mit dem täglichen Gesprächspartner Goethe nur ansatzweise rekonstruieren lässt. Das künstlerische Werk mit eigenständigen Bildinventionen ist verhältnismäßig klein:13 Auch wenn ein bedeutender Teil der Zeichnungen bei der Plünderung W ­ eimars durch die napoleonischen Truppen 1806 verloren gegangen sein soll,14 lassen sich die wesentlichen Werke zumindest als Entwürfe im Corpus der Zeichnungen auffinden. 13 Zu Meyer als Künstler siehe das Mappenwerk mit der überblicksartigen Einleitung von Hans Wahl 1918, sowie die Beiträge von Alexander Rosenbaum 2014; Rosenbaum 2015; Rosenbaum 2016, sowie in Ausst.-Kat. Weimar 2012a, Kat.-Nr. 77 und 78, S. 246 f. 14 Nach der von der Weimarer Bevölkerung traumatisch erlebten Plünderung am 14. Oktober 1806 vermisste Meyer ein Portefeuille, das offenbar aus dem Anwesen seines Schwiegervaters Johann ­Friedrich (Kobe) von Koppenfels entwendet worden war. Meyer spricht vom Verlust der „besten meiner Zeichnungen sowohl als Zeichnungen alter Meister die zusammen nach Geltwerth angeschlagen wohl noch mehr betragen möchten.“ (Meyer an Johann Jakob Horner, Weimar 4. 12. 1806, in: Wyder 2010, 56 f). Diese Aussagen haben Spekulationen über ein verlorenes „eigentliches“ Hauptwerk angeregt, welche die unmittelbaren Quellen kaum rechtfertigen können. Meyer bat die Redaktion der Jenaischen Allge­ meinen Literaturzeitung, eine Suchanzeige in das Intelligenzblatt setzen zu dürfen, was laut Randbemerkung bewilligt wurde, aber dann aus ungeklärten Gründen nicht erfolgte (vgl. Meyer an H ­ einrich Carl Abraham Eichstädt, Weimar 12. 11. 1806, ZA-SMB, Autographensammlung, Mappe 0940/2). Vgl. auch Meyer an Karl August Böttiger, Weimar, 11. 10. 1807, SLUB Dresden, Sondersammlungen Mscr.Dresd.h.37,4°, Bd. 128, Nr. 4: „Vom verlohren gegangenen Portefeuille habe ich nie mehr das ­Geringste erfahren.“

Der Weimarische Kunstfreund

2__Johann Heinrich Lips: Odysseus vor Nausikaa und ihren Gefährtinnen (fingiert als antikes Basrelief), 1805, Feder in Grau, in Sepia laviert, bez. unten rechts „H. Lips del. 1805“, Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, Malerbuch der Künstlergesellschaft, M 4, Blatt 32.

Bekannt geworden sind die mehrfachen Ausführungen von Oedipus löst das ­Rätsel der Sphinx (Tf. III/2), mit denen Meyer über mehrere Jahre hinweg autonomieästhetische Grundsätze auszuloten versuchte, um seine Schöpfung am Ende schließlich entschieden zu verwerfen.15 Der Besucher des Goethe-Hauses am Frauenplan trifft im Treppenhaus auf das mit Leimfarben gemalte Deckengemälde einer Iris von 1792, ein Werk, das eng mit Goethes optischen Experimenten zusammenhängt, allerdings zur M ­ itte des 16 20.  Jahrhunderts stark übermalt wurde. Während des Schlossneubaus, dessen interimistischer Leiter der Innenausstattung Meyer 1799/1800 war, konzipierte er für das Louisenzimmer den Zyklus des menschlichen Lebens. Die Bemühungen, dieses monumentale und programmatisch verstandene Werk erneut im westfälischen Minden ausführen oder in Zürich nachstechen zu lassen, blieben erfolglos.17 Wie sehr Meyers Bildideen dennoch auf die Zeitgenossen Einfluss nahmen, zeigt eine Zeichnung seines Freundes und zeitweiligen Weimarer Rivalen Johann Heinrich Lips im Kunsthaus ­Zürich: Das homerische Sujet von Odysseus vor Nausikaa hatte Meyer um 1789 in enger Diskussion mit Goethe behandelt (Abb. 1). Das in der Ikonographie der antiken Relief­ 15 Wyder 2012; Rosenbaum 2015. 16 Vgl. Wyder 2013, S. 61 f. 17 Diese Projekte gehen aus Briefen hervor. Vgl. Meyer an Dr. Nikolaus Meyer, Weimar, 30. 11. 1807 und 2. 12. 1807, ZA-SMB, Autographensammlung, Mappe 0940/1. Meyer an Johann Jakob Horner, Weimar, 22. 2. 1815, ZB-Zürich, Ms M 8.36, Nr. 68, und öfter. Die von Meyer neu gezeichneten Vorlagen heute im Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, Z.Inv-A.B. 2310.

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Einleitung

kunst nicht belegte Thema nimmt Lips im Jahr 1805 wieder auf, indem er in einer lavierten Federzeichnung ein antikes Relief fingiert (Abb. 2). Das Bildthema und insbeson­ dere die Haltung des nackt aus den Büschen hervortretenden Odysseus sind mit Sicherheit von Meyers früherer Zeichnung angeregt. Etwas günstiger fällt das Urteil über Meyer als Kopist und Porträtist aus. 1794 kopierte er in Dresden Annibale Carraccis Genius des Ruhms, der bis 1805 zur Ausstattung des Römischen Hauses gehörte und dann als Plafond im Saal der Herzoglichen Bibliothek diente.18 Die Replik des 2004 verbrannten Gemäldes bildet noch heute das Wahrzeichen der historischen Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Die im ersten Halbjahr 1796 in Rom entstandene maßstabsgetreue Aquarellkopie nach dem antiken ­Fresko der Aldobrandinischen Hochzeit (Tf. XIX) fand ihren dauerhaften Platz im Juno-­Zimmer des Goethe-Hauses.19 Oft reproduziert werden die Porträts:20 Dass ­Meyer trotz seines spröden Realismus über durchaus unterschiedliche Stilregister verfügte, zeigen die ungefähr gleichzeitig 1789 in Neapel entstandenen Porträts der Lady Hamilton (­alias ­Emma Hart, Abb. 3) und der Herzoginmutter Anna Amalia (Abb. 4): Ersteres ist in den ausdrucksstarken Augen und Lippen an den Physiognomien Johann Heinrich ­Wilhelm Tischbeins orientiert und erzeugt in expressivem Zeichengestus einen furienartigen Eindruck, der dem skandalumwitterten Ruf der Attitüdenkünstlerin entspricht. Dagegen ist das Porträt der Anna Amalia in nüchterner Sachlichkeit gehalten und repräsentiert somit den Status der Herzoginwitwe und ehemaligen Regentin auf angemessene Weise. Zur symbiotischen Verwandtschaft geraten das bekannte Goethe-­ Porträt aus der Zeit um 1794 und das Selbstbildnis von 1810, auf deren physiognomische Ähnlich­keiten hingewiesen wurden (Tf. II/1 und II/2).21 Am Beispiel der Kopien und der P ­ orträts wird vor allem deutlich, dass Meyers einfühlender Klassizismus mehr reproduktiv denn kreativ verfährt. Von zentraler Bedeutung ist das publizistische Werk, mit dem Meyer 1794, drei ­Jahre nach seiner Ankunft in Weimar, erstmals hervortrat:22 An den drei bedeutendsten Periodika des Weimarer Klassizismus – Schillers Horen (1795–1797), Goethes ­Propyläen (1798–1800) und Goethes Ueber Kunst und Alterthum (1816–1832) – war Meyer mit archäologischen, kunsthistorischen und kunstkritischen Arbeiten beteiligt.23 18 Boettcher 2001, S. 64–67; Maaz 2013; Rosenbaum 2014. 19 Zur Aquarellkopie der Aldobrandinischen Hochzeit vor allem Handrick 1963. Siehe ausführlich Teil II, Abschnitt 3 der vorliegenden Arbeit. 20 Hierzu Wahl 1918, S. 9. 21 Gudrun Körner in: Ausst.-Kat. Frankfurt 1994, S. 157. 22 Vgl. die in den Zuschreibungen insgesamt zuverlässige, aber nicht vollständige Bibliographie der Meyer-Schriften von Paul Weizsäcker 1886. 23 Zentral zu Meyers archäologischen, kunsthistorischen und ästhetischen Beiträgen ist die grundlegende Studie zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus von Martin Dönike 2005, hier ibs. S. 90–95, 132– 211, 236–278, 294–313.

Der Weimarische Kunstfreund

3__Johann Heinrich Meyer: Lady Emma Hamilton, 1789, schwarze Kreide, 30,4 × 21,2 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 2383.

4__Johann Heinrich Meyer: Anna Amalia, 1789, Graphit, 21,7 × 13,8 cm, unten bez. „Fr: Herzogin Mutter v. Meyer in Neapel gezeichnet“, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 2375.

Nach 1800 dehnte Meyer seine publizistische Tätigkeit zunehmend aus. Er war Zulieferer für die von Goethe verantworteten Neujahrsprogramme der Jenaischen Allgemeinen Litteraturzeitung sowie Rezensent in weiteren Literatur-, Kunst- und Kulturzeitschriften.24 Für Goethes programmatischen Sammelband Winckelmann und sein Jahrhundert (1805), für die Farbenlehre (1810), die Hackert-Biographie (1811) und die ­Italienische Reise (1817) verfasste er kunsthistorisch-kritische Beiträge.25 Diese produktive Text24 Artikel, Berichte und Rezensionen in der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung sind sämtlich aufgeführt bei Weizsäcker 1886. Weitere Zeitschriften (nicht bei Weizsäcker 1886): 1808 ein Beitrag in Prometheus (Wien); 1805–1814 mindestens sieben Beiträge im Journal des Luxus und der M ­ oden (­Weimar); 1814 ein Beitrag in den Zürcherischen Beyträgen zur wissenschaftlichen und geselligen Unter­haltung; 1828/1829 zwei Beiträge im Berliner Kunst-Blatt; 1830–1832 fünf Beiträge in den Jahr­ büchern der Litteratur (Wien). – Siehe Bibliographie im Anhang. 25 Beiträge in Winckelmann und sein Jahrhundert: Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, in: MA 6.2, S. 201–348, sowie: Skizzen zu einer Schilderung Winckelmanns, Teil II, in: MA  6.2, S. 381–389; Beiträge in der Farbenlehre: Hypothetische Geschichte des Kolorits besonders griechischer Maler vorzüglich nach dem Berichte des Plinius, in: MA 10, S. 527–552, sowie: ­Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: MA 10, S. 706–724; Beitrag in P ­ hilipp Hackert. Bio­

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Einleitung

gemeinschaft mit Goethe, die das evidente sprachliche Niveaugefälle zwischen beiden Autoren mehr verstärkte als verdeckte, schlug sich ab 1804 in dem Kürzel W. K. F. – Weimarische Kunst-Freunde – nieder.26 Meyer hielt sich dabei konsequent an die um 1803/1804 getroffene Vereinbarung, den Aufsätzen und Rezensionen nur „mit seiner [Goethes] Einwilligung […], wenn ich sie ihm erst vorgelegt, den Namen der Weimarischen Kunstfreunde [zu] untersetzen“.27 Neben weiteren anonymen Rezensionen oder der Verwendung der Sigle „– y – H.“ trat Meyer in späteren Jahren auch mit namentlich gekennzeichneten Beiträgen hervor,28 indem er auf Anfragen um Beiträge29 mit dem ihm eigenen Pragmatismus ältere Texte verwertete. Die beiden umfangreichsten kunstwissenschaftlichen Arbeiten sind die um 1815 aus Vorlesungen am Weimarer Hof entstandene Geschichte der Kunst (aus dem Nachlass publiziert 1974) und die Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen [und Römern] (1824/1836). Sie folgen konsequent dem stilgeschichtlichen Imperativ des „Winckelmannische[n] Faden[s]“30 in Form einer autopsiebasierten und engmaschig konstruierten Entwicklungsgeschichte. In kaum merklicher Revison seines Vorbildes Winckelmann ersetzte Meyer dessen stufenartige Stilentwicklung aufgrund visueller Befunde durch ein gleichsam evolutionistisches Konzept der allmählichen Übergänge.31 Wenn auch eine fehlende altphilologische Fundierung von Altertumswissenschaftlern wie Friedrich Thiersch kritisiert wurde, erkannten Friedrich Creuzer und Karl Otfried ­Müller an, dass Meyer aufgrund seiner aus der Anschauung geschlossenen Präzision

graphische Skizze, meist nach dessen eigenen Aufsätzen entworfen: Hackerts Kunstcharakter und Würdigung seiner Werke, in: MA 9, S. 842–847; Beiträge in der Italienischen Reise: Über das Betrachten der Statue bey der Fackel, in: MA 15, S. 523–525. Hinzu kommen weitere eingeschaltete Textstücke wie z.B. aus dem „Tagebuch unseres Freundes“ in MA 15, S. 617. 26 Das Publikationsprinzip der W.K.F. lässt sich auf folgenden Punkt bringen: Meyer schreibt, Goethe segnet ab. Mit wenigen Ausnahmen stammen daher so gut wie alle mit W.K.F. gezeichneten Beiträge von Meyer, in denen Goethe allenfalls stilistische Veränderungen vorgenommen hat. Goethe hat somit die Autorschaften zahlreicher Texte Meyers usurpiert, aber ihnen gleichzeitig auch entscheidenden Nachdruck und Bedeutung verliehen. 27 Meyer an Böttiger, 24. 4. 1816, Frankfurt, Freies Deutsches Hochstift, Hs–3151. 28 So schreibt Meyer an den Herausgeber der Wiener Jahrbücher der Litteratur: „ich […] ver­berge nie meinen Namen absichtlich“. Meyer an Johann Ludwig Deinhardstein, Briefkonzept, Weimar, 1. 12. 1831, GSA 64/79,1. 29 Diese Anfragen sind wohl öfters mit dem Hintergedanken an Meyer gestellt worden, dass auch ­Goethe sich an den Zeitschriftenprojekten beteiligt. So bat Friedrich Gottlieb Welcker Meyer um Beiträge für die Zeitschrift für Geschichte und Auslegung der alten Kunst, wenn möglich auch von Goethe (Welcker an Meyer, Göttingen, 8. 1. 1817, GSA 64/78,9). Vgl. auch Ernst Heinrich Toelken an Meyer mit der ­Bitte um Beiträge für das Berliner Kunstblatt, Berlin, 8. 7. 1828, GSA 64/78,6. 30 Goethe, Italienische Reise, in: MA 15, S. 358. 31 Zu Meyers Revision des stufenweisen Epochenmodell Winckelmanns siehe Rößler 2014a.

Der Weimarische Kunstfreund

maßgeblich zu einer empirisch fundierten klassischen Archäologie beigetragen habe.32 Meyers überragende Denkmälerkenntnis floss auch in den umfangreichen Kommentar der Weimarer Winckelmann-Werkausgabe ein, deren Mitherausgeber er ab dem d ­ ritten 33 Band wurde. Unterteilt man die Schriften in einen altertumskundlichen, einen neuzeitlichkunsthistorischen und einen ästhetisch-kritischen Gegenstandsbereich, so nimmt letzterer einen quantitativ geringen Raum ein, bildet aber, da er oft als programmatische Verlautbarung Goethes gelesen wurde und dadurch Breitenwirkung fand, rezeptionsgeschichtlich eine umso schwerere Hypothek. Mit dem 1798 in den Propyläen erschienenen Traktat Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst trat Meyer mit einer normativen Sujet- und Gattungslehre hervor, welche die seit den 1780er Jahren von Immanuel Kant, Karl Philipp Moritz und Goethe entwickelte Autonomieästhetik mit empirischen Beispielen unterfütterte, ihr aber gleichzeitig einen deutlich restriktiven Zug verlieh. An Konzeption und Jury von Goethes Preisaufgaben für bildende Künstler beteiligte sich Meyer intensiv.34 Der direkt in Anschluss an die letzte Preisauf­gabe publizierte Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts (1805)35 ist ein früher Versuch der Historisierung der unmittelbar vorangegangen künstlerischen Entwicklung und kaum von der unbefriedigenden Ergebnissen der Preisaufgaben zu trennen. Spätestens jene kritische Auseinandersetzung mit der Kunst der eigenen Gegenwart begründete ­Meyers negativen Ruf unter den Künstlern in Rom: Die Anmerkungen zu Antonio Canova, Asmus Jakob Carstens, Johann Christian Reinhart, Joseph Anton Koch oder Friedrich Müller (gen. Maler-Müller) provozierten starken Widerspruch36 und verwiesen bereits auf den Graben zwischen Künstlern und Kunstkritik, der sich in den Folgejahrzehnten immer mehr vertiefen und zu publizistischen Kriegen zwischen Künstlern und Kunstschriftstellern führen sollte: „Junge Künstler werden daraus lernen, aus welchem Gesichtspunkt man Kunst und Kunstwerke nicht betrachten soll, und wer das weiß, hat schon einen großen Schritt vorwärts gethan. Negative Wahrheit stellt die positive fest!“ schrieb ­Johann Christian Reinhart in einem Schmähbrief an 32 Hierzu: Dönike 2013b, S. 74 f. Vgl. Creuzer 1834/1846, S. 147; Müller 1826/1827, Bd. 36, S. 172, Bd. 39, S. 145; Thiersch 1829, S. 151 und 402 f. 33 Zu der von Goethe angeregten und von Carl Ludwig Fernow begründeten Weimarer WinckelmannAusgabe siehe Verspohl 2004; Tausch 2017, dort zu Meyers Anteil S. 110 f. 34 Belegreich, wenn auch tendenziös gegen Meyer gerichtet: Scheidig 1958. Revidierte Sichtweisen: ­Osterkamp 1994; Osterkamp 1995; Grimm 1998; Beyer 1999; Dönike 2005, S. 236–278; Gelzer 2012. 35 MA 6.2, S. 201–348. 36 Vgl. z. B. Meyer an Johann Jakob Horner, o.D., ca. 1808, ZB-Zürich, Ms M 8.36, Brief D: „Vor wenigen Tagen habe ich aus Rom vernommen Canova sey höchlich wegen Fernows ihn betreffende Schrift und wegen dem was in Winkelm u. s. Jahrh: steht erzürnt und als vor einigen Jahren die Rezension der Ueber­setzung von Füßlis Akademischen Reden in der Litt. Zeitung stund wußten wir hier bald daß Füßli in London unmäßig über die Weimaraner gehalten.“

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Meyer.37 Die elf ­Jahre ­später erschienene, von Goethe maßgeblich mitangeregte Polemik Neu-­deutsche religios-­patriotische Kunst (1817)38 schloss direkt an die argumentativen Grundmuster des Entwurfs an, indem Meyer die romantische Avantgarde nicht a­ llein in Aufdeckung der Abhängigkeiten von ihren Vorläufern historisch zu relativieren versuchte, sondern auch klare Kritik an ihren inhaltlichen wie formalästhetischen Prämissen übte. Weitere, oft nur indirekt formulierte Angriffe auf zeitgenössische Künstler sollten bis zu Meyers Tod 1832 folgen. Zentral ist die Veränderung des kunstkritischen Fokus, der nun die inhaltsästhetischen Aspekte der Gegenstandslehre den formalästhetischen Gesichtspunkten unterordnet.

Von der Kunst zum Wissen Als früher Kunstwissenschaftler an der Zeitenwende zur Moderne gehörte Meyer zu dem Typus des Künstler-Kunsthistorikers, dessen Historisierungsversuche eng mit der künstlerischen Praxis verwoben waren. Lange nach dem Erliegen der eigenen künstlerischen Produktion hob er 1824 im Vorwort der Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen hervor, „nicht als Gelehrter, sondern als Künstler“ das Metier der Kunstgeschichte zu betreiben.39 Die Parallelität von künstlerischer Praxis und kunstwissenschaftlicher Reflexion ist schon in der ersten Publikation zur der von Anna Amalia in Neapel erworbenen etruskischen Vase mit dem Raub der Cassandra angelegt. Hier lieferte Meyer die Zeichnungen zu den von Johann Heinrich Lips ausgeführten Aquatintatafeln, verfasste aber zugleich zusammen mit Karl August Böttiger den Text der Monographie.40 Besonders gut lässt sich eine solche Parallelführung an der 1810 erschienenen Studie zur Aldobrandinischen Hochzeit nachverfolgen (vgl. Teil 2, Abschnitt 4 der vorliegenden Arbeit): Meyer kopierte 1796 in Rom das antike Gemälde in Aquarellfarben und machte dabei umfangreiche Notizen bezüglich Form und Technik. Um 1808 wiederholte er in Weimar seine eigene Kopie, und zwar diesmal in Ölfarben. Wie zu zeigen sein wird, trugen die Beobachtung der koloristischen Feinheiten und technischen Details durch den aktiven Nachvollzug, die erneute Wiederholung des Kopierprozesses und der damit verbundene Wechsel der Maltechnik entschieden zu Meyers Aufsatz (1810) wie auch zum Verständnis zum antiken Kolorit in Goethes Farbenlehre bei. Auch die Monographie zu Lukas Cranachs Altarretabel in der Weimarer Stadtkirche St. ­Peter

37 Briefentwurf o. D., zitiert in: Baisch 1882, S. 204 f. 38 W.K.F.: Neu-deutsche religios-patriotische Kunst [1817]. In: FA I/20, S. 105–129. 39 Meyer, Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen (1824), Zur Verständigung mit dem Leser, S. IX. 40 Hierzu Joachim Kruse, Kat.-Nr. 139, in: Ausst.-Kat. Coburg 1989, S. 218–220; Wiegel 2007, S. 32 f.

Von der Kunst zum Wissen

und Paul41 speiste sich aus diesem praktischen Impuls: Vorausgegangen war Meyers umfangreiche Reinigung und Restaurierung des Triptychons. Der Zusammenhang von künstlerischer Praxis und exakter Beobachtung ist bereits in der künstlerischen Frühzeit in Stäfa und Zürich erkennbar. Meyers erster Lehrer ­Johann(es) Kölla (1740–1778) galt als Fachmann für bäuerliche Porträts, Genre­ szenen und Nachtstücke.42 Im Kunstdiskurs der Zürcher Aufklärung erkannte man in ihm früh den Sonderfall eines unmittelbar von der Natur geleiteten Autodidakten mit „bloß schauen­de[m] Auge“ (Lavater).43 Einige von Köllas Graphitzeichnungen nach bäuerlichen Sujets bezeugen das konzentrierte Interesse an Licht-Schatten-Verhältnissen, die von einer linienkonturierten Erfassung der menschlichen Körper weitgehend absehen (Abb. 5). Außenkonturen sind oft nur skizzenhaft angedeutet oder werden durch Wieder­holung und Vertiefung derart eingesetzt, dass sie zu abrundenden Körper­schatten werden. Auf der Zeichnung eines Dorfbewohners bestehen die Kopfpartien aus weißen Freilassungen und unterschiedlich verdichteten Grauwerten. Die schraffierten Schatten sind die einzigen graphischen Elemente, die überhaupt eine körper­liche Kohärenz herstellen.44 Nicht die klassizistische Konturlinie, sondern die reali­stische Wiedergabe der Lichtverhältnisse stand am Beginn von Meyers Ausbildung und gehörte zu der ersten künstlerisch eingeübten Seherfahrung. Nach Köllas frühem Tod im Januar 1778 setzte Meyer die Ausbildung bei Johann Caspar Füßli (1706–1782) in Zürich fort.45 Der Vater des ungleich berühmteren Johann Heinrich Füßli (Fusely) gehörte zu den progressiven Kräften in Zürich, die sich angesichts schwach ausgebildeter Strukturen um eine systematische Künstlerausbildung46 und einer damit verbundenen Verbesserung des allgemeinen Geschmacks bemühten. In enger Verbindung mit Bodmer und Breitinger sowie Salomon Geßner und Johann Caspar Lavater stehend, hatte Füßli nicht nur Dichter wie Klopstock und Ewald von Kleist porträtiert, sondern auch eine Kupferstichkunde und eine fünfbändige Vitensammlung schweizerischer Künstler verfasst.47 Als Brieffreund Winckelmanns und Verleger der Hauptschrift von Anton Raphael Mengs war er mit den Prinzipien der klassizistischen Avantgarde vertraut. In seinem Haus hatte er einen Raum mit Gipsen nach 41 42 43 44

Zu Meyers Auseinandersetzung mit Cranach siehe Werche 2015. Koella 2015. Lavater 1775–1778, Bd. 2 (1776), S. 220. Diese formalen Charakteristika scheinen sich kaum mit den gängigen Kategorien schweizerischer Graphik des 18. Jahrhunderts vereinbaren zu lassen. Vgl. beispielsweise die Ausführungen bei PfeiferHelke 2011, S. 51–100. 45 Zu Johann Caspar Füssli siehe Boerlin-Brodbeck 1978; Maurer 1987, S. 367–371; Gramaccini 2008. Eine ausführliche Darstellung zu Johann Caspar Füssli als Künstler, Kunstkenner und Kunstschriftsteller ist Desiderat. 46 Vgl. Boerlin-Brodbeck 2004/2005. 47 Füßli 1769–1779; Füßli 1771.

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5__Johannes Kölla: Porträt eines älteren Mannes, um 1775, Graphit, 16,1 × 15,3 cm, aus: Studienband mit 38 Bl., fol. 6 unten, Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung.

antiken Skulpturen eingerichtet, die für den Zeichenunterricht genutzt wurden.48 Auf den bekannten Quodlibets im Kunsthaus Zürich sind Zeichnungen aus verschiedenen Epochen vereinigt (Abb. 6): Vergleichendes, differentielles Sehen gehörte zu den gängigen Praktiken, die anhand der Graphiksammlung erprobt wurden.49 Diese im Spannungsfeld von reiner Naturbeobachtung (Kölla) und klassizistischer Normenbildung (Füßli) entstandene Konstellation lieferte die wesentliche Grundlage für Meyers Befähigung zum exakten und vergleichenden Sehen. Seit 1784 in ­Italien, bildete er diese Kompetenz systematisch aus. Meyer war vor allem im Umfeld der Werkstatt und Privatakademie des schweizerischen Bildhauers Alexander Trippel tätig.50 ­Johann Heinrich Wilhelm Tischbein hebt in seinen Erinnerungen hervor, dass dort das Zeichnen, Bossieren und Modellieren vor lebenden Modellen und Abgüssen nach Antiken mit lebhaften Konversationen verbunden wurde, was in den meisten anderen ­römischen Akademien nicht zugelassen war.51 Der Eintritt in einen gemeinschaft­lichen 48 49 50 51

Vgl. Schiff 1973, Bd. 1, S. 28. Zu Füßlis Sammlung vgl. knapp Ganz 1943, S. 11. Zu Trippel siehe Ausst.-Kat. Schaffhausen 1993; Ulrich 2004. Tischbein 1922, S. 134.

Von der Kunst zum Wissen

6__Johann Caspar Füßli: Quodlibet mit einem Gemälde, Zeichnungen, einem Schabkunstblatt und ­Briefen, 1755, Öl auf Lw., 56,5 × 77,5 cm, Kunsthaus Zürich, Inv.-Nr.: 2560.

Kunstdiskurs52 markiert einen weiteren Schritt in Meyers Sozialisation zum Altertumskenner und Kunsthistoriker. Wie aus Goethes Italienischer Reise hervorgeht, pflegte er einen engen Umgang mit dem Kreis deutschsprachiger Künstler: Friedrich B ­ ury und Johann Heinrich Lips gehörten zu den engeren Freunden, hinzu kamen Tischbein, ­Angelika Kauffmann, Christoph Heinrich Kniep und der Winckelmann-Freund, Antiquar, Kunstagent und Cicerone Johann Friedrich Reiffenstein. Die Ausbildung von ­Meyers Kennerschaft vollzog sich vor allem im Zeichnen nach Antiken, das ihm zunächst dem Broterwerb diente und sich immer mehr zur „epistemischen Praxis“ verselbständigte (dazu ausführlich in Teil I, Abschnitt 2 der vorliegenden Arbeit). Das angebliche ­erste Zusammentreffen mit Goethe am 3. November 1786, vier Tage nach dessen Ankunft in Rom, ist vermutlich eine Vordatierung im Nachhinein, um den „Freund[] und vierzigjährigen Mitarbeiter[]“ (1826)53 eine herausragende Rolle im römischen Kunstleben zuzuweisen: Als keiner der Künstler Goethes Frage nach dem Meister eines Bildes beantworten konnte, „trat ein kleiner, bescheidener, bisher lautloser Mann her52 Vgl. auch die Ausführungen zu „gemeinschaftlichen Kunstbetrachtungen“ in Rom um 1785 bei ­Sedlarz 2010, S. 155–159. 53 Rezension Goethes unter der Rubrik: Goethe, Kurze Anzeigen, in: FA I/22, S. 283.

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vor und belehrte mich, es sei von Pordenone, dem Venetianer, ­eines seiner besten Bilder […]. Der belehrende Künstler ist Heinrich Meyer, […] der […] seit einigen Jahren hier studiert, die antiken Büsten in Sepia vortrefflich nachbildet und in Kunstgeschichte wohl erfahren ist.“54 Auch wenn Goethe bei Meyer zeitweilig Unterricht im Nachzeichnen antiker Plastik nahm, sah er womöglich als erster, dass dessen eigentliche Begabung weniger in der künstlerischen Produktion, als vielmehr in der Vermittlung und vor allem kunsthistorischen Anschauung lag: „Wie viel ich hierin […] Meyer[] schuldig bin, kann ich nicht sagen. Er hat mir zuerst die Augen über das Detail, über die Eigenschaften der einzelnen Formen aufgeschlossen, hat mich in das e­ igentliche Machen initiiert. […] In seiner Nähe, in einer Reihe von Zeit hoffe ich noch auf einen Grad im Zeichnen zu kommen, den ich mir jetzt selbst kaum denken darf.“55 Dass Goethes knappe Charakterisierung das „eigentliche Machen“ mit der empirischen Detailerkenntnis verbindet, ist meiner Auffassung nach der zentrale Punkt, der die Sonderstellung Meyers im Kunstdiskurs um 1800 auszeichnet. Mit der Übersiedelung nach Weimar und dem damit verbundenen Eintritt in das Umfeld der anbrechenden Weimarer Klassik lassen sich Meyers vielfältige Tätigkeiten und Kontakte nicht nur über den Briefwechsel mit Goethe bestens dokumentieren. Die Biographie von Jochen Klauß hat das Bild von einem marginalisierten Außen­seiter oder stillen Sonderling in Weimar revidiert: Zu Johann Gottfried Herder, ­Christoph Martin Wieland, Karl August Böttiger und Johanna Schopenhauer pflegte Meyer ausge­sprochen enge Bindungen. Ebenso kann von einer (unterstellten)56 Abneigung ­Friedrich Schillers gegen Goethes Kunstfreund keine Rede sein.57 Mit zunehmender Akzeptanz als Kunstexperte wurde jedoch bei Meyer der Wunsch nach einer weiteren empirischen Fundierung seiner Kenntnisse stärker.58 Dieser Wunsch realisierte sich zunächst in Form ­eines Aufenthalts in Dresden von Ende April bis September 1794, wo Meyer die ­Werke der Königlichen Galerie und der Antikensammlung studierte. Dem schloss sich von Herbst 1795 bis Mai 1797 ein erneuter Italien-Aufenthalt an: Von ­Goethe dazu instruiert, entstanden umfassende Aufzeichnungen zu Kunstwerken in italienischen Sammlungen, welche einerseits als Vorarbeiten für ein von Goethe geplantes kultur­histo­ risches Italien-­Werk, andererseits für die gemeinsamen Studien zur Farben­lehre dienen 54 55 56 57 58

Goethe, Italienische Reise, in: MA 15, S. 150 f. Ebd., S. 531 (Rom, 25. 12. 1787). Durchgängig bei Scheidig 1958. Siehe die Widerlegung von Scheidigs Antipathie-Konstrukt bei Klauß 2001, S. 185–189. Vgl. die briefliche Äußerung: „Herder besonders und auch die Herzogin legen mir’s nahe, das Bekannte über die alten Monumente zum Behuf der Kunstgeschichte weiter auseinander zu setzen. Da Sie nun den ganzen Plan und Wesen wissen, so sagen Sie mir doch gelegentlich, ob es Ihnen der Mühe werth erscheint. Etwas Vollständiges und Sicheres kann unter gegenwärtigen Umständen nicht gesagt werden, es diente bloß, um andere aufmerksam zu machen, und wär’ freylich gut, wann’s ausgesprochen wäre.“ Meyer an Goethe, Weimar, 7. 6. 1793, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 67.

Meyers Netzwerke

sollten.59 Auf diese in Rom von November 1795 bis Juni 1796 und im Anschluss daran in Florenz gemachten Aufzeichnungen wird im Lauf der vorliegenden Arbeit zurückzukommen sein (siehe vor allem Teil I, Abschnitt 3). Die Erträge des zweiten Italien-­ Aufenthalts lieferten die Grundlage von Meyers umfangreicher Publizistik, die mit der Gründung der Propyläen 1798 einsetzte. Mit der umfassenden Kenntnis antiker und neuzeitlicher Werke in Rom und Florenz bildete Meyer eine bildkritische Kompetenz aus, die ihm ein Alleinstellungsmerkmal im kunsthistorischen Diskurs um und nach 1800 zusichert.

Meyers Netzwerke Die vorliegende Arbeit erhebt weder den Anspruch auf eine biographische Revision noch denjenigen auf eine Gesamtwürdigung des künstlerischen und schriftstellerischen Œuvres. Einzelaspekte der mit Meyer verbundenen ästhetischen Theoriebildung wie etwa die Gegenstandslehre, die Weimarer Preisaufgaben, der Entwurf zu einer Kunst­ geschichte des 18. Jahrhunderts und der Aufsatz Neu-deutsche religios-patriotische Kunst sind von kunsthistorischer wie literaturwissenschaftlicher Seite erschöpfend behandelt worden. Dies gilt auch für die Weimar-bezogenen Tätigkeiten wie die Ausstattung des Römischen Hauses oder des Residenzschlosses. Eine Studie, die das künstlerische Werk als solches in den Blick nimmt, ist zudem parallel zu dem vorliegenden Buch im Ent­stehen begriffen.60 Ebenso wenig zu erwarten ist eine in sich geschlossene Unter­ suchung über die Beziehungen zu Goethe, der zweifellos die intellektuell prägende und schicksals­entscheidende Person in Meyers Leben war. Gerade diese Verbindung bezeichnet den neuralgischen Punkt jeder Annäherung an Meyer: Zwar fehlt es nicht an Ehrenrettungen oder an Rehabilitierungen hinsichtlich der kunsthistorischen Kompetenz,61 ­ edantischen doch hat Goethes übermächtiger Schatten zugleich das Bild von einem p 62 „Kunstrichter“ festgeschrieben: „Wer Goethes Kunstanschauung nicht explizite an-

59 Zu beiden Projekten siehe bisher: Keller 2018; Currie 2013. Keller versucht in Anschluss an Miller 2002, S. 593, das Italien-Projekt und die Farbenlehre als Pendants zu lesen (S. 318). 60 Parallel zu der vorliegenden Arbeit entstanden die Studien von Alexander Rosenbaum, von 2010 bis 2013 Kollege im DFG-Projekt „Johann Heinrich Meyer. Kunst und Wissen im klassischen Weimar“. In starker Erweiterung sollen sie ebenso in Buchform erscheinen. 61 Waetzoldt 1921/1924, Bd. 1, S. 179–199; Federmann 1936; Gombrich 1992; Hölter 1992; Schillemeit 1993. 62 Selbst die despektierliche Namenserweiterung zum „Kunschtmeyer“ ist in den Titeln zweier um Rehabilitierung bemühter neuerer Arbeiten verblieben (Klauß 2001; Wyder 2010). Dies gilt auch für die besitzergreifende Verbindung mit Goethe („Goethes Kunschtmeyer“, vielfach „Goethemeyer“), die selbst nach etwa zwanzig Jahren intensivierter „Meyer-Forschung“ weiter besteht.

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greifen will,“ so Ernst Gombrich, „hat stets im Kunschtmeyer einen Prügel­knaben zur Hand.“63 Nicht minder negativ fällt bisweilen das Urteil über ­Meyers künstlerische Produk­tion aus, welcher der Ruf eines derivathaften Gipsklassizismus voraus­eilt64 und schon zu Lebzeiten Gegenstand des Spotts war.65 Auch diese Topoi der Rezeption sind wohl kaum von Goethe zu trennen, schließlich kontrastierten Meyers „anämisch“66 wirkende ­Werke deutlich mit dem von Goethe forcierten Kunstbegriff ­einer revitalisierten Antike. Ohne in die Apologetik der kulturhistorisch begründeten Ehrenrettung oder in eine unnötige Aufwertung des künstlerischen Werks verfallen zu wollen, sollen daher im Lauf der Arbeit auch die „außer-goethischen“ Beziehungen berücksichtigt werden. An ihnen zeigt sich eine größere Unabhängigkeit Meyers, als oft angenommen. 1799 erwog der Bildungsminister der kurzlebigen Helvetischen Republik Philipp Albert Stapfer, Meyer zum Direktor einer zu gründenden nationalen Kunstakademie zu berufen: Meyer aus Stäfa ist mir schon lange als geist- und kennntisreicher Künstler aus Christens Munde und besonders aus der Zeitung und den Erläuterungen der Weimarischen Vase bekannt, worauf Kaßandras Raub abgebildet ist. Wollte Gott, wir wären im Stande diesen Mann mit einer würdigen Sphäre und Belohnung in seinem Vaterland arbeiten zu können! Sein Name steht an der Spitze der Künstler, welche Theorie und Ausübung verbinden und dereinst herrliche Dienste thun werden, wenn eine Akademie der Künste organisiert werden kann.67

Die geplante Zentralisierung der Künstlerausbildung in der Schweiz in Form einer Akademie kam zwar nicht zu Stande, doch immerhin gedieh sie so weit, dass Meyer seine Abhandlung Ueber Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste68 als Bewerbungs-

63 Gombrich 1992, S. 54. 64 Vgl. Pfeiffer-Belli 1959. Die reflexhafte Abwertung Meyers findet sich inbesondere in Arbeiten, in denen Meyer als beteiligter Künstler oder Kunstkritiker vorkommt: Scheidig 1959, in der Tendenz noch bei Bothe 2000a, S. 63, u.ö. Vgl. auch folgende in sich widersinnige Abwertung von Meyers Medaillenentwürfen: Eine von Christian Friedrich Tieck ausgeführte Medaille zählt einerseits zu den „prachtvollen, aus der Medaillenproduktion des Klassizismus einzig hervorragenden Medaillons“, während die Rückseite nach einem von Goethe veranlassten, „nicht gerade schönen Entwurf Meyers trefflich modelliert“ ist. Frede 1959, Nr, 45, S. 75. 65 Hünich 1925. 66 So Gerhard Schuster, ehemaliger Direktor des Goethe-Nationalmuseums, mündlich gegenüber dem Verfasser (ca. 2005). 67 Der Minister der Künste und Wissenschaften der einen und untheilbaren helvetischen Republik [Philipp Albert Stapfer] an Johann Jakob Horner, Luzern, 18. 4. 1799, ZB-Zürich, Ms. M. 9, Amtliche Schreiben. 68 Meyer, Ueber Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste, in: Propyläen 2/2 (1799), S. 4–25, 2/2 (1799), S. 141–171, 3/1 (1800), S. 53–65, 3/2 (1800), S. 67–74; Reprint, S. 542–563, 679–709, 765–777, 965–972. Zu dem Aufsatz vgl. Büttner 2016.

Meyers Netzwerke

grundlage übersandte.69 Die hohe Wertschätzung Meyers in der Schweiz als Fachmann in künstlerischen Fragen bedingte sich aus einer Vielzahl von Kontakten, die auch noch nach der Übersiedelung nach Weimar bestanden. Insgesamt fünf Mal hielt sich M ­ eyer nach 1784 über ausgedehnte Zeiträume in Stäfa und Zürich auf: Jeweils 1790/1791 und 1797 auf dem Weg von Italien nach Weimar, sowie über mehrere Monate in den Jahren 1813/1814, 1817/1818 und 1827. Die enge Bindung an das dortige intellek­tuelle Milieu und dessen Geselligkeitskultur manifestiert sich vor allem in der seit 1787 existie­renden Zürcher Künstlergesellschaft, deren Ehrenmitglied Meyer 1819 wurde.70 Die dort gepflegte Kommunikation über Kunst gehörte zu ihrem zentralen Selbstverständnis: Mehrere, in den sogenannten Maler-Büchern eingeklebte Zeichnungen zeugen von der dortigen Dialogkultur, an der neben Künstlern auch gebildete Dilettanten und ­Connoisseurs teilnahmen (Abb. 7).71 In diesem Rahmen traf Meyer auch mit alten Bekannten der beiden Italien-Aufenthalte zusammen, namentlich dem Maler Konrad Geßner, dem Kupferstecher und Zeichner Johann Heinrich Lips und dem Architekten Hans Kaspar Escher.72 Die Schenkung einer mit Deckfarben ausgeführten Version von Oedipus löst das Rätsel der Sphinx (Tf. III/2) sowie einiger Zeichnungen von Johannes Kölla betont die langanhaltende Verbundenheit mit der Künstlergesellschaft.73 Die Zürcher Verbindungen bildeten das Rückgrat von Meyers brieflichem Informationsnetzwerk, das seit 1794 bzw. 1796 vorwiegend aus dem altertumswissenschaftlich ambitionierten Pädagogen Johann Jakob Horner in Zürich und dem Bildhauer Heinrich Keller in Rom bestand. Horner und Keller werden in Meyers Briefwechsel mit Goethe so gut wie nicht erwähnt, obwohl sie allem Anschein nach eminent zu den Kenntnissen 69 Diese Information beruht auf älterer Literatur und ließ sich anhand von Archivalien in der Schweiz nur bedingt verifizieren (kein Belegfund in den entsprechenden Akten der Helvetischen Republik, Bundesarchiv, Bern). Meyer-Ochsner 1852, S. 11; Wißler 1908. In den Briefen an Johann ­Jakob Horner wird der Vorgang vage erwähnt. Meyer an Horner, Weimar, 8. 3. 1799 und 5. 7. 1799, ZB-­Zürich, Ms M 8.36, Nr. 14 und 15. 70 Vgl. Meyer an Johann Jakob Horner, Mai bis 10. Juli 1819, ZB-Zürich, Ms M 8.36, Nr. 99. 71 Zu Abbildung 7: Laut Bildunterschrift im Malerbuch zeigt Freudweilers Zeichnung von links nach rechts folgende Mitglieder der Künstlergesellschaft: Den nicht mit der hier behandelten Person zu verwechselnden gleichnamigen Zeichner und Graphiker Johann Heinrich Meyer aus Zürich (1755– 1829), Martin Usteri, Heinrich Freudweiler (mit Kerze), Caspar Ziegler, Heinrich Füssli, Ludwig Hess, Heinrich Wüst, Salomon Landolt. 72 In das Malerbuch 7 ist eine lavierte Federzeichnung Meyers mit Ganymed und Adler eingeklebt. Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, Malerbuch 1811–1812, M 7, S. 34. 73 Meyer an Horner, Belvedere bei Weimar, 12. 7. 1830, ZB-Zürich, Ms M 8.36, Nr. 126: „endlich aber ist’s geschehen und ich habe in doppeltem Kasten das Gemälde vom Räthsel der Sphynx durch den ­Oedipus gelöst abgehen lassen, diesem noch ferner die sämtlichen Handzeichnungen von Johannes Kölla beygefügt, ferner ist in dem Pappband wo Köllas Zeichungen sind noch ein wilder Kopf welcher den Marius darstellen soll von H. Füßli und ich habe demselben nicht zurückbehalten mögen weil es Ihnen vielleicht nützlicher seyn kann als mir.“

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7__Heinrich Freudweiler: Mitglieder der Zürcher Künstlergesellschaft betrachten ein Gemälde von ­Heinrich Freudweiler, ca. 1794, Feder in Schwarz und Aquarell, Deckweiß, 13,3 × 22,2 cm, Kunsthaus ­Zürich, Graphische Sammlung, Malerbuch der Künstlergesellschaft, 1794, Bd. 1, fol. 2.

künstlerischer Vorgänge und Neuerungen außerhalb Weimars beitrugen. Auch wenn nur Briefe Meyers an Horner bzw. Briefe Kellers an Horner erhalten sind, ist von einem kontinuierlichen Austausch zwischen den drei Freunden und damit zwischen drei Zentren des europäischen Klassizismus auszugehen. Allein das Wissen um die Existenz jener Verbindungen bildet gegenüber einer rein auf Goethe zentrierten Sichtweise ein wichtiges Korrektiv. Da im Lauf der Untersuchung immer wieder auf sie zurückzukommen ist, sollen hier einige wenige Hinweise zu diesem Netzwerk gegeben werden. Meyer lernte Johann Jakob Horner (1772–1831)74 1794 während seines fünfmona­ tigen Aufenthalts in Dresden kennen. Im April 1795 besuchte Horner, der in ­Leipzig Philo­sophie studierte, Jena und Weimar, wo Meyer ihm auch Goethe, Herder und B ­ öttiger vorstellte. Den Grund seiner Reise nach Weimar begründete er gegenüber seinem ­Bruder: „die Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst in 11. Stüke [in ­Schillers Horen, J. R.] sind von unserm Landsmann Heinrich Meyer von Stäfa in Weimar – und er ist eigentlich der Mann um deßentwillen ich nach Weimar gehe. Ich stehe jetzt schon im Briefwechsel mit ihm und hoffe über mein Lieblingsfach manche Aufklärung von

74 Zu Johann Jakob Horner siehe Blümner 1891; Horner 1917.

Meyers Netzwerke

ihm zu erhalten, wie er mir auch alle mögliche Anleitung versprochen hat.“75 Nach der Rückkehr nach Zürich bekleidete Horner diverse Ämter: Unter anderem war er Inspektor des Zürcher Aluminats, wo er Philosophie und Ästhetik lehrte, ab 1817 leitete er die Bibliothek in der Wasserkirche. Er initiierte mehrere kurzlebige Zeitschriftenprojekte und Almanache, in denen unter anderem auch die von Heinrich Keller übersetzte ­Buffalmacco-Vita von Vasari erschien.76 In der Künstlergesellschaft war er nach 1800 ­einer der zentralen Akteure: Er war Verfasser mehrerer Neujahrsblätter mit Biographien zu Schweizer Künstlern wie Joseph Werner, Alexander Trippel, Heinrich Wüst und Johann Heinrich Füßli. Sein altertumskundliches Werk waren die mit Lithographien ausgestatteten Bilder des griechischen Alterthums oder Darstellung der berühm­ testen Gegenden und der wichtigsten Kunstwerke des alten Griechenlandes (1823), das Meyer in Ueber Kunst und Alterthum anzeigte.77 Die in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrten 137 Briefe Meyers an Horner umfassen den Zeitraum von 1794 bis 1830. Sie sind eine bedeutende und kaum ausgewertete Quelle zum Kunst- und Wissenstransfer zwischen Zürich und Weimar.78 Der ebenfalls in Zürich geborene Bildhauer Heinrich Keller (1771–1832) war von Jugend an eng mit Horner befreundet.79 Der Sohn des Obristen Hans Kaspar Keller von Mohrenkopf, dessen Gemäldesammlung später den Grundstock des Kunsthauses ­Zürich bildete,80 hatte seine Ausbildung zum Bildhauer bei dem Trippel-Schüler Joseph Maria Christen in Stans und Luzern absolviert. 1794 ließ er sich in Rom nieder.81 ­Meyer, der ihn dort offenbar durch die Empfehlung Christens oder Horners kennenlernte, ­teilte mit ihm von Januar 1796 bis zur Abreise nach Florenz das Zimmer und nutzte offenbar auch dessen umfangreiche Sammlung von Reproduktionsstichen. In der Zeit dieses engen Umgangs zählte Keller auch Asmus Jakob Carstens zu den engsten römischen Freunden.82 So wurde sein damals entstandenes skulpturales Hauptwerk des ­Diomedes mit dem Palladium von Carstens und Meyer positiv beurteilt.83 Ein Misserfolg blieb der 75 76 77 78 79 80

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Johann Jakob Horner an Kaspar Horner, Leipzig, 31. 3. 1795, in: Horner 1917, S. 232. Vasari/Keller 1815. [Meyer], Bilder des griechischen Alterthum (Rezension), in: FA I/21, S. 493 f. Einige Briefe sind abgedruckt bei Wyder 2010. Zu Keller siehe Wyss 1891; Scheidegger 1965; Gerlach 1973; Klemm 1985. Eine konsistente Aufarbeitung des Keller-Nachlasses im Kunsthaus Zürich fehlt. Die Sammlung des Obristen Keller enthielt vor allem Werke schweizerischer Kunst (vgl. Ganz 1943, S. 16). Während Meyers Aufenthalt in Stäfa 1790/1791 gelangte womöglich Meyers Odysseus verbirgt die Schätze der Phäaken in die Sammlung Keller (Tf. III/1). Öl auf Holz, 90 x 70 cm; bez. links unten: „Stäfa. im Aug. 1791.“, seit 1854 Kunsthaus Zürich, Inv-Nr. 204. Briefe Kellers an Horner 1791–1823 in einem Konvolut von Briefen mit verschiedenen Adressaten im Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, NL Heinrich Keller, Briefe I, P 179. Vgl. Heinrich Keller, Römisches Tagebuch I (Quellenkompilation in Abschriften von Max Schottky), Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, P 182/I, pag. 41 und 123. Klemm 1985, auf Grundlage der Archivalien im Kunsthaus Zürich.

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Einleitung

im Selbstverlag publizierte Großfolioband mit Umrisszeichnungen nach den ­Reliefs von Ghibertis Florentiner Paradiestüre, die in Flaxman-Manier nach Kellers Zeichnungen radiert wurden.84 In den Folgejahren verlegte sich Keller aus gesundheitlichen Gründen auf eine umfangreiche Dramenproduktion, kunstschriftstellerische Gelegenheitsarbeiten und den Marmorhandel. In Rom war er innerhalb der deutschsprachigen Kolonie bestens vernetzt: Er gehörte zum Kreis um Caroline und Wilhelm von Humboldt, Friederike Brun und Bertel Thorvaldsen. Neben Gottlieb Schick förderte er die Nazarener,85 denen er 1817 die Ausmalung im Casino Massimo vermittelte.86 Wie aus ­Meyers Briefen an Horner hervorgeht, hielt Meyer auch nach seiner Abreise aus Rom im Juni 1796 Kontakt zu Keller. Von Keller dürften viele Informationen über deutsche Künstler in Rom stammen, die Meyer in Neu-deutsche religios-patriotische Kunst einarbeitete. Wie wenig bislang die Bedeutung Kellers auch für den Kunstdiskurs in Weimar beachtet wurde, belegt der Umstand, dass er hier als der Verfasser des in Goethes Neujahrsprogramm 1808 abgedruckten Abschnitts zu Johann Martin Wagners Der Rat der Griechen vor Troja identifiziert werden kann, was in den einschlägigen Kommentaren der Frankfurter und Münchner Goethe-Ausgaben nicht erfolgt ist.87 Da die Korrespondenz zwischen Meyer und Keller nicht erhalten ist, werden im Lauf der vorliegenden Arbeit in

84 Ausgeführt von Feodor Iwanowitsch, gen. Kalmück (1764–1832), später Hofmaler in Karlsruhe. 85 Darunter den Zürcher Maler Ludwig Vogel, Gründungsmitglied des Lukasbundes. 86 Keller wird bereits bei Gerstenberg/Rave 1934, S. 104, als möglicher Vermittler genannt. Ein Beleg konnte hierfür bislang nicht erbracht werden, so dass Keller aus der neueren Literatur nahezu verschwunden ist. Vermutlich geht die Annahme auf folgende Briefstelle zurück: „Massimi ist äußerst pünktlich in seinen Unternehmungen. Mir großem Vergnügen habe ich es zu Stande gebracht, daß er sein Cassino (Villa) durch Cornelius und Overbeck in Fresco ausmalen läßt. Er bezahlt für zwei Zimmer 1800 Pilaster; in das erste soll Cornelius Dante’s Divina Commedia; in das Andere Overbeck die Gerusaleme liberata malen; das mittlere ist für Messer Ariost bestimmt.“ Heinrich Keller an unbekannt, Rom, 6. 4. 1817 (Abschrift, I, P 182/I, p. 48). – Die Ausmalung des Dantezimmers übernahmen nach Cornelius’ Abberufung nach München Joseph Anton Koch und Philipp Veit; das Tasso-Zimmer wurde von Overbeck begonnen und von Joseph Führich fertiggestellt; das Ariostzimmer von Julius Schnorr von Carolsfeld 1822–27 ausgemalt. 87 Abschnitt IV der Neuen Unterhaltungen über verschiedene Gegenstände der Kunst als Folge der Nach­ richten von den Weimarischen Kunstausstellungen, in: MA 9, S. 594–597 bzw. FA I/19, S. 373–376. Zur (bislang) ungeklärten Verfasserfrage siehe die Kommentare, MA 9, S. 1265 und FA I/19, S. 831 („Herkunft von Abschnitt VI. unklar, möglicherweise von Fernow“). – Die Autorschaft Kellers klärt ein Brief Meyers an Horner, o.D. [1808], ZB-Zürich, Ms M 8.36, Nr. D: „Bey Gelegenheit vom Loben, fällt mir ein Ihnen zu sagen daß wenn Sie in erwähnter Litt.ZeitungsProgramm eine Nachricht lesen werden von dem kürzlich fertig gewordenen Bild des Hn Wagners aus Würzburg in Rom, die Griech ­Helden vor Troja darstellend Solche etwas starke Lobschrift (von mir noch ein wenig beschnitten) unseren Freund Keller zum Verf. hat.“

Ziele und Konzeption der vorliegenden Studie

archivalischer Spurenlese ein Konvolut von Kellers Briefen an Horner sowie eine handschriftliche Kompilation aus Briefabschriften ausgewertet.88 Meyers unabhängig von Goethe geführtes Netzwerk bestätigt sich auch durch zwei Personen, die bei Goethe dezidiert in Ungnade gefallen waren: Mit dem Altertumswissenschaftler und notorischen Vielschreiber („Meister ubique“) Karl August B ­ öttiger (1760–1835)89 verband Meyer eine lebenslange Freundschaft. Dies schlug sich auch zwischen 1794 und 1810 in drei gemeinsam konzipierten Werken nieder: Meyers erster Publikation zu der Vase mit dem Raub der Kassandra (1794), den Illustrationen zu den Archäologischen Heften (1802) und der Monographie zur Aldobrandinischen Hochzeit (1810). Böttiger war 1804 von Weimar nach Dresden übergesiedelt und blieb mit ­Meyer, der ihn dort 1824 besuchte, weiterhin verbunden. Einige Briefe Böttigers im Meyer-Nachlass und die Gegenbriefe im Böttiger-Nachlass in Dresden90 zeugen von ­einem intensiven Austausch vorwiegend antiquarischer Natur. Für die Spätzeit galt dies vermutlich auch in gradueller Abstufung für den Theologen, Altphilologen und späteren preußi­schen Universitätsreferenten Johannes Schulze (1786–1869), der seit 1818 in Berlin lebte und zusammen mit Meyer Herausgeber der Winckelmann-Ausgabe war.

Ziele und Konzeption der vorliegenden Studie Die Untersuchung konzentriert sich auf Meyers Strategien der Kunstwahrnehmung und der damit verbundenen Produktion von ästhetischem und kunsthistorischem Wissen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine relativ simple Grunderfahrung, die sich beim Lesen von Meyers kunsthistorischen Schriften – zum Beispiel der Propyläen-Aufsätze zu Masaccio oder zu Raffaels Fresken im Vatikan91 – einstellt: Der Verlust an Übersicht durch eine überbordende Fülle von Detailbeobachtungen und Belehrungen, obwohl

88 Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, archivalische Quellen zu Heinrich Keller (meist kein „echter“ Nachlass): Briefkonvolut, verschiedene Empfänger, P 179; drei Bände „Römisches Tagebuch“, bestehend aus im Zeitraum 1832 bis 1849 angefertigten Abschriften von Max Schottky, thematisch gegliedert, Auszüge aus Briefen und Schriften, ohne Quellenangaben, P 182/I–III. Ferner Skizzen­ bücher, Inv.-Nr. 1924/23 und P 178. 89 Zu Böttiger siehe umfänglich Sternke 2008. 90 81 Briefe Meyers sowie 13 Briefe Böttigers an Meyer im NL Böttiger, SLUB Dresden, Sondersammlungen, Mscr.Dresd.h.37,4°, Bd. 128, Nr. 1–94, sowie 9 Briefe Böttigers an Meyer in GSA 64/67,2. Im Anhang von Böttiger 1839/1972, Bd.2, S. 296–313 sind sieben Briefe Meyers an Böttiger aus dem Dresdener Nachlass abgedruckt (Nr. 11, 17, 18, 22, 32, 36, 40). Weitere Briefauszüge bei Geiger 1902. 91 Meyer, Rafaels Werke besonders im Vatikan, in: Propyläen 1/1 (1798), S. 101–127, 1/2 (1799), S. 82– 163, 3/2 (1800), S. 75–96; Reprint 1965, S. 153–179, 268–349, 973–994. Meyer, Masaccio, in: Pro­ pyläen 2/1 (1800), S. 3–52; Reprint 1965, S. 715–764.

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Meyers Texte insgesamt nicht unstrukturiert geschrieben sind.92 Zusammen mit den sprachstilistischen Eigenarten wie der umständlichen Syntax stellt diese Redundanz ohne Akzentsetzungen für jeden Leser eine mentale Herausforderung dar, da sie sich – anders als in zahlreichen anderen zeitgenössischen Bildbeschreibungen – einem Verfahren der rhetorischen oder poetologischen Überformung entzieht, die eine synthetisierende Vermittlung bildlicher Kohärenz durch ein wie auch immer geratenes sprachliches Analogon ermöglichen würde.93 Im Gegensatz zu Goethe neigt Meyer eindeutig zur Parzellierung des Bildes, seine Beschreibungen sind keine sprachlichen Neuschöpfungen und schon gar nicht gemäß der gemeinsam vertretenen autonomieästhetischen Grundsätze „aus sich selbst heraus“ verständlich, sie fordern vielmehr permanent die Sichtbarmachung der Bildvorlage ein.94 Man könnte diese Problematik mit einem allgemeinen Hinweis auf die rhetorische Tradition der Deixis – des objektbezogenen Zeigegestus – oder einem registrierenden Verfahren neutralisieren, doch fehlt Meyers Ausführungen zu Kunstwerken der entscheidende synthetisierende Charakter, auf dessen Grundlage eine mentale Plausibilisierung solcher Vorgänge erst möglich wird.95 Ohne Kenntnis des Beschriebenen, ohne den Zugriff auf eine Abbildung bleiben Meyers wortreiche Texte auffallend sprachlos; sie wirken ermüdend, da sich die Beschreibung von Bild zu Bild wie die unendliche Variation eines immer gleichen Grundmusters – man könnte auch sagen: kunstkritischen Lamentos – vollzieht. Die Sperrigkeit von Meyers Schriften ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. In ­ihrem redlichen und pragmatischen Zugriff auf das Kunstwerk gewinnen sie dann an Anschaulichkeit und Prägnanz, wenn das Beschriebene in Form des originalen 92 Dementsprechend folgert Martin Dönike: „Meyers analytische Beschreibungen der Laokoon- und der Niobidengruppe wie auch der Kapitolinischen Venus sind […] äußerst genau, aber zugleich – ver­ glichen etwa mit Goethes Laokoon-Aufsatz – im höchsten Grade unanschaulich.“ Dönike 2016, S. 286. Zum ordnungsgebenden Verfahren in Meyers Propyläen-Beiträgen siehe Ehrmann 2013. 93 Zur Bildbeschreibung siehe allgemein Boehm/Pfotenhauer 1995. 94 So erklärt Meyer programmatisch zu Beginn seines Raffael-Aufsatzes, die Abhandlung enthalte keine „umständlichen Beschreibungen“, weil Kunstwerke auf diesem Weg nicht zur Anschauung gebracht werden könnten. Sie diene vielmehr „zum Behuf aller derer, welche entweder die Originalbilder zu ­sehen Gelegenheit haben, oder auch nur aus Copien oder Kupferstichen sich davon unterrichten wollen; denn es ist zwischen Anschauen und Begreifen oft ein mächtiger Unterschied, eine gewaltige Kluft befestigt, einige gelangen erst nach unsäglicher Mühe und viele gar niemals zur Erkenntniß[.]“ Meyer, ­Rafaels Werke besonders im Vatikan, in: Propyläen 1/1 (1798), S. 101 f; Reprint 1965, S. 153 f. 95 Hier ist nicht der Ort, die ausgesprochen strittige Frage zu diskutieren, inwieweit zwischen einer (rheto­ rischen) Ekphrasis und einer „wissenschaftlichen“ Bildbeschreibung historisch differenziert werden kann und soll. Der Verfasser hält (im Unterschied zu Rosenberg 1995) an seinem Standpunkt fest, dass die Grauzonen nicht nur stark ausgeprägt sind, sondern auch dass die Kategorisierung nach „lite­ rarischen“/rhetorischen und „wissenschaftlichen“ Bildbeschreibungen disziplinhistorisch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein unhaltbar ist. Dies betrifft beispielsweise auch die „Deixis“, welche, um ihre rhetorische Komponente entkernt, als per se wissenschaftliches Verfahren gedeutet worden ist (vgl. Kase 2010).

Ziele und Konzeption der vorliegenden Studie

Referenz­werks oder zumindest in Form seiner Abbildung vorliegt. Im Lauf der vorliegenden Arbeit wird gelegentlich darauf hingewiesen werden, dass bestimmte Kunstwerke, vor denen Meyer in Italien essentielle Erkenntnisse entwickelte, in den späteren Schriften durch Beispiele ersetzt wurden, die als Reproduktionsstiche verfügbar waren.96 Damit ­wurde dem nordalpinen Betrachter der Nachvollzug eines visuellen Arguments erlaubt, der bei Beibehaltung des ursprünglichen Reflexionsgegenstandes nicht möglich geworden wäre. Die Überführung der Beobachtung erster Ordnung in eine (zeitlich und räumlich versetzte) Beobachtung zweiter Ordnung gehört zu den z­ entralen Operationen in der Weimarer Bildpraxis: Notizen von Meyers Italienaufenthalt 1795–1797 wurden beispielsweise für Rezensionen genutzt, um Reproduktions­graphik nach ihrer Detailtreue zum abwesenden Original zu beurteilen. Im Fall der 1820 nach ­Weimar gelangten Kopien nach pompejanischen Wandgemälden wurde wiederum die malerische Faktur und das Kolorit mit den vorhandenen Kupferstichen abgeglichen und die daraus entstandenen Erkenntnisse über jene Mediendifferenz schriftlich niedergelegt (vgl. Teil II, Abschnitt 4.2.). Das Fehlen immanenter Verständlichkeit von Meyers bildbezogenen Texten ist somit ein starkes Argument für ihre Konfrontation mit den Referenzobjekten. Dass seine Notizen dennoch ein eminent visuelles Potential in sich tragen, zeigt sich schon daran, dass auf ihrer Grundlage noch heute begründete Aussagen über die Provenienz bestimmter Werke gemacht werden können, die andere schrift­ liche Quellen wie etwa Inven­tare an Aussagekraft bei weitem übertreffen (vgl. vor allem Teil  I, Abschnitt  3).97 Meyers ­Texte erhalten also dann einen hohen Grad an Evidenz und Überzeugungskraft, wenn der referierte Gegenstand auf irgendeine Weise zur visuellen Konkretion gelangt. Das gilt besonders für die Notizen des zweiten Italien-Aufenthalts 1795–1797: Als vor Ort gemachte Aufzeichnungen sollen sie zweifellos die Autopsien und Präsenzerfahrungen konservieren, realisieren aber ihre Stellvertreterfunktion für das abwesende Original nur in Form von einem schriftlichen Abbild der prozesshaften Wahrnehmung, die ihrer­seits der ergänzenden Abbildung bedarf. In diesem Zusammenhang lässt sich darüber spekulieren, ob Meyers Aufzeichnungen in den mit Goethe geführten Kunstgesprächen zum Einsatz kamen. Jedenfalls gehörte die Juxtaposition verschiedener Elemente, so zum Beispiel die Parallelisierung von Schrift- und Bildträgern sowie das Ausbreiten von Druckgraphik, originalen Handzeichnungen und/oder Nachzeichnungen zu den festen Ritualen der Weimarer Bild­praxis. „Goethes Kunstsammlung“, so Andreas Beyer 1999, „muß als kontinuier­liches nonverbales Kunstgespräch verstanden werden. In der Anschauung, der wieder­holten und ­ ruppierung vergleichenden Betrachtung, in der Anordnung und stets neu probierten G

96 Siehe die Fälle von Guercinos Kleopatra vor Oktavian und von Raffaels Madonna Colonna, Teil I, 3.2. bzw. 3.4. b). 97 Vgl. auch Meyers Notizen zum Palazzo Barberini, Rößler 2019.

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sollte die kongeniale Begegnung mit dem Medium der Kunst ­möglich ­werden.“98 Die Verfahren der Gruppierung und des damit implizierten Vergleichs kommt besonders in der Graphik zum Einsatz, die als „idealer Kunstkörper“ entscheidend zu Goethes Historisierung der Kunst beitrug.99 Auch andere sinnlich-materielle Komponenten der Weimarer Kultur um 1800 sind in letzter Zeit in den Vordergrund interdisziplinärer Untersuchungen gerückt.100 Diese Ansätze brechen die konventio­nelle Sichtweise auf eine Literatur-dominierte Epoche auf, indem sie im Sinne des material turns die Komponenten des Interieurs, der Ordnungssysteme, der Träger schriftlich oder bildlich fixierter Informationen, der Kopien und Gipsrepliken oder schlicht der „epistemischen Werkzeuge“ in den Blick nehmen. In diese intermedialen Konstellationsbewegungen der Objektkonfiguration und des „paperwork“101 fließen Bild und Schrift in gleicher Weise ein und erzeugen synergistisch ein neues Wissen über Kunst.102 Die multiperspektivische Anlage der Betrachtung und die damit verbundene Erschließung eines künstlerischen Objekts nach seinen inhaltlichen, formalen und materiellen Gestaltungsebenen spiegeln den Versuch wider, angesichts einer umfassenden Wahrnehmungskrise der Kunstbetrachtung eine neue Orientierung zu geben.103 ­Jonathan Crary hat in Bezug auf das Betrachtersubjekt darauf hingewiesen, dass zum Ausgang des 18. Jahrhunderts ein seit der Renaissance gültiges Zeichenregime an Plausibilität verlor, für welches das optische Modell der Camera obscura exemplarisch stand.104 Der Übergang vom visuellen Paradigma der Camera obscura zur modernen Wahrnehmungsphysiologie ist auch in Goethes Farbenlehre präsent, wenn dort der auf chromatische Homogenisierung beruhende „Ton“ eines Gemäldes abgelehnt und zugleich mit einem verfälschenden Effekt identifiziert wird, der sich beim Blick durch ein gefärbtes Glas einstellt.105 Die Lösung findet Goethe bezeichnenderweise in seiner wahrnehmungsphysiologisch begründeten Harmonielehre, welche den „echten“ Ton in Form von Farbkombinationen herstellt und damit eine starke Streuung der Farb­werte in Kauf nimmt. Andererseits versuchen seine Beschreibungsverfahren der „integralen Bildwiedergabe“ durch eine hermeneutisch reflektierte Herangehensweise dem Kunst 98  99 100 101 102

Beyer 1999, S. 409. Grave 2006a. Vgl. auch Grave 2012b. Ausst.-Kat. Weimar 2012a. Latour 1986, S. 25. Vgl. auch Latour 1986, S. 26: „Realms of reality that seen far apart […] are inches apart, once flattened out into the same surface. The accumulation of drawings in an optically consistent space is, once again, the ‚universal exchanger‘ that allows work to be planned, realized, and responsibility to attributed.“ 103 Wie die Forschung von Hans Sedlmayr über Werner Hoffmann bis zu Werner Busch vielfach gezeigt und mit unterschiedlichsten Deutungen begründet hat, ist der Plausibilitätsverlust traditioneller einheitsstiftender Prinzipien das zentrale Symptom der Kunst um und nach 1800. 104 Vgl. Crary 1996. 105 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, §§ 887–893, MA 10, S. 256 f. Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, MA 10, S. 717.

Ziele und Konzeption der vorliegenden Studie

werk eine Einheit in Form von Symbolstiftung wiederzugeben.106 Meyers Bildbetrachtungen reagieren auf dasselbe Problem, können aber den Verlust von Ganzheit selten durch geschlossene Interpretationen kompensieren. Seine Bewältigungsstrategie gründet vielmehr auf dem konsequenten Bruch mit den traditionellen holistischen Bilder­ fassungen: Trotz Bewahrung der konventionellen akademischen Beurteilungsmustern nach Rubriken haben für Meyer die stets auf Bildkohärenz bezogenen Phrasen wie „die Zeichnung ist korrekt“, „der Ton ist gut“; „das Kolorit ist leuchtend“ in ihrer verknappten Anwendung nur noch eine bedingte Relevanz. Seine Betrachtungs- und Bewertungsmaschinerie gibt sich vielmehr den Prinzipien der Disintegration hin: In der Ausdifferenzierung der Details gelingt ihm die Distanzverringerung zum ästhetischen Objekt, die zwar auf immanent sprachlicher Ebene scheitert, aber in der intermedialen Kombination zum Erfolg führt. Vor diesem Hintergrund geht es in folgender Arbeit nicht darum, Bild und Text gegeneinander auszuspielen oder im Gegenzug die Reflexion über Kunst durch einen stummen Diskurs der epistemischen Werkzeuge zu ersetzen. Der spezifische Quellenwert von Meyers Notizen, Zeichnungen und Schriften soll ebenso berücksichtigt werden, wie auch die Genese von kunsthistorischen und ästhetischen Erkenntnissen in Abhängigkeit bestimmter Dispositive der Beobachtung zu sehen ist. Dies betrifft vorgefundene Präsentationen in Galerien, aber auch die mit ihrer Bestandsaufnahme verbundenen Techniken der Kunstbetrachtung. So stellt beispielsweise das von Meyer in Italien genutzte Verfahren einer tabellarischen Kunstbeschreibung Möglichkeiten einer aufschiebenden und damit reguliert-konzentrierten Bildwahrnehmung her, aber auch zugleich die der vergleichenden Zusammenstellung von räumlich voneinander getrennten Objekten – beide Aspekte dienen wiederum verzweigten Verwertungen und Anwendungen, wie etwa der Formulierung einer neuen ästhetischen Theorie des skulpturalen Helldunkel oder der morphologischen Reihenbildung nach kunsthistorischen Einzel­aspekten. Zentraler Untersuchungsgegenstand sind deshalb vor allem die Übergangsmomente zwischen schriftlich-bildlicher Aufzeichnung, ästhetischem Wissen und kunsthistorisch-kritischem Denken. In der Verbindung dieser drei Bereiche liegt die besondere Relevanz von Meyers Leistungen, die ihn zu einem zentralen Akteur des bildkritischen und empirisch fundierten Sehens um 1800 erheben. Von drei Grundannahmen ist auszugehen: Erstens ist Meyers spezifische Kompetenz, über Kunst zu urteilen, durch den künstlerischen Erfahrungszusammenhang fundiert. Diese praktische Komponente der Wissensproduktion ist als latentes Grund­ muster in allen kunsthistorischen und kunstkritischen Arbeiten vorhanden.107 Zweitens reali­sieren sich Meyers Forschungen wie bei kaum einem anderen Kunsthistoriker oder 106 Siehe hierzu umfassend Osterkamp 1991. 107 Dies gilt auch für die rein handschriftlichen Notationen von Kunstwerken, da sie nach Form, Maltechnik und materiellem Befund detailgenau erschlossen werden.

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Ästhetiker seiner Zeit in einem prinzipiell explorativen Zusammenhang, der mit Konstellationen von Experimentalanordnungen verglichen werden kann:108 Das Zustandekommen von neuer kunsthistorischer Erkenntnis hängt, wie im Experiment, von stabilen Grundpfeilern ab, es erschließt sich aber durch eine grundsätzliche Offenheit des Systems, das überraschende Kombinationen ermöglicht. Dies vollzieht sich in Galerien durch die vergleichende Betrachtung benachbarter Werke, durch den Wechsel des Aufzeichnungsmediums oder auch durch die künstliche Erzeugung von Vergleichssitua­ tionen wie etwa die zeichnerische oder schriftlich-diagrammatische Zusammenstellung verstreuter Objekte auf einem Blatt Papier. Die Nutzung vorgegebener bzw. die Herbeiführung neuer Bildkonfrontationen verstärkt drittens die für die moderne Kunstgeschichte so bedeutende Grundkonstellation des vergleichenden Sehens.109 Teil I der vorliegenden Studie widmet sich vorwiegend dem zeichnerischen und handschriftlichen Nachlass an der Klassik Stiftung Weimar. Diese Materialien geben entscheidende Aufschlüsse über die Prozesse der Wissensaneignung und ihre ästhetischen Transformationen. Die beiden Hauptbestände in der Graphischen Sammlung respektive im Goethe- und Schiller-Archiv umfassen circa 2500 Zeichnungen und etwas über 8000, meist beidseitig beschriebene Manuskriptseiten.110 Der Bestand der Zeichnungen erscheint auf den ersten Blick als Ansammlung von heterogenem Material. ­Neben Entwürfen und Ausführungen zu eigenen Bildinventionen bildet ein Kern die Nachzeichnungen nach antiken Skulpturen oder nach ihren Repliken in Gips. Ausgehend von diesem Bestand wird in Abschnitt 2 die erkenntnistheoretische Relevanz von Meyers Nachzeichnungen nach Antiken untersucht. Anhand von paradigmatischen Fällen soll die Transformation von einer ursprünglich dem Broterwerb dienenden künstlerischen Tätigkeit in ein Verfahren der bildpraktischen Wissensgenerierung nachvoll­ zogen werden. Sie gehen von den römischen Kunsterfahrungen Mitte der 1780er ­Jahre aus und grenzen diese von den erkenntnisbezogenen Bildpraktiken während Meyers zweitem Rom-Aufenthalt 1795/1796 ab. Es wird zu zeigen sein, in wie weit Koinzidenzen zwischen der zeitgleichen autonomieästhetischen Theoriebildung und den Techniken der Anschauung bestehen, die wiederum zu einem kritisch fundierten Umgang mit der antiken Skulptur führen. Der dritte Abschnitt von Teil I widmet sich dagegen den primär schriftlichen Aufzeichnungsverfahren. Den Kern des schriftlichen Nach­lasses im Goethe- und Schiller-Archiv bilden fünf Bände mit Aufzeichnungen von Meyers zweitem Italien-Aufenthalt 1795–1797. Sie enthalten ca. 1500 beidseitig beschriebene Blätter mit ausführlichen Objektbeschreibungen in Museen, Sammlungen und Kirchen in Rom und Florenz. Dieses sammlungs- und provenienzgeschichtlich aufschlussreiche 108 Hierzu Rheinberger 1992. 109 Bader/Gaier/Wolf 2010. Vgl. für Weimar: Bertsch 2012. 110 Hinzu kommen weitere, auf den Goethe-Nachlass verstreute Manuskripte. Ich danke Alexander Rosen­ baum für die Angaben.

Ziele und Konzeption der vorliegenden Studie

Material bildete zugleich das Reservoir für alle späteren archäologischen und kunst­ histo­rischen Veröffentlichungen Meyers. Es ist bislang nur punktuell ausgewertet worden und wird in der vorliegenden Arbeit umfassend untersucht.111 Teil II behandelt Johann Heinrich Meyers Beiträge zur klassizistischen Farbästhetik. Sein 1810 in Goethes Farbenlehre publizierter Abriss der neuzeitlichen Koloritentwicklung ist der erste Versuch einer formgeschichtlichen Systematisierung der Farbkonzeptionen von Giotto bis zur eigenen Gegenwart. Bis in das 20. Jahrhundert hinein blieb dieser Ansatz ohne Nachfolge und ist deshalb von herausragender wissenschaftshistorischer Bedeutung. Das dort entwickelte Konzept beruht zum einen Teil auf ­Meyers italieni­schen Aufzeichnungen, zum anderen auf der kontinuierlichen Mitarbeit an ­Goethes physikalischen und physiologischen Studien zur Farbe seit Meyers Ankunft in Weimar 1791. Konkretion erlangt diese über den Briefwechsel bekannte Zusammenarbeit durch einige über den Nachlass verstreute Notizen. Auf Grundlage dieser Quellen lassen sich Zuordnungen in Meyers künstlerischem Werk vornehmen, die hier als analoge Umsetzungen zu Goethes physikalischen Experimenten und farbästhetischen Schlussfolgerungen gesehen werden. In Meyers 1796 in Rom angefertigter Aquarell­ kopie der Aldobrandinischen Hochzeit manifestiert sich schließlich der Zusammenhang von kopistischer Tätigkeit und ästhetischer Erkenntnis. Meyers Auseinander­ setzung mit dem antiken Gemälde führt, so gilt es nachzuweisen, zu einer Harmonielehre des antiken Kolorits, die sich mit den Forderungen der Farbenlehre deckt und damit Meyers zentralen, durch die Bildpraxis gewonnenen farbästhetischen Anteil in Goethes Farbharmonie markiert. Theoretisch stellen Meyers mitformulierte Erkenntnisse der Farbenlehre nach 1800 ein Alleinstellungsmerkmal dar, das jedoch in der zeitgleichen künstlerischen Produktion von diskursiver Relevanz ist. Dies gilt es in Abschnitt 4 anhand von Gottlieb Schicks Gemälde Apoll unter den Hirten (1808) nachzuweisen. Die Auseinandersetzung mit um 1820 von dem Porträtmaler Joseph Raabe angefertigten Kopien nach in Pompeji aufgefundenen Gemälden zeugt von dem langanhaltenden Interesse an farbästhetischen Grundsätzen, die zunehmend im Kampf gegen die romantische Bewegung instrumentalisiert werden. In Teil III untersucht Meyers kunsthistorische Forschung in Parallelführung mit der gegenwartkritischen Auseinandersetzung. Ein bislang unpublizierter Abschnitt aus dem Manuskript zu Meyers Propyläen-Aufsatz Über die Gegenstände der bildenden Kunst zeugt von der innerklassizistischen Genese von Goethes und Meyers autonomie111 An Untersuchungen, die den Meyer-Nachlass im Goethe- und Schiller-Archiv auf unterschiedliche Weise nutzen, nenne ich hier in Auswahl: von Einem 1977 (Edition eines Michelangelo-Manuskripts); Osterkamp 1991 (zu Meyers tabellarischen Beschreibungen), Wiegel 2006 (diverses Archivmaterial und Einbeziehung des künstlerischen Werks), Wyder 2010 (Biographisches, Bezüge zu Goethe, Be­ züge zur Schweiz), Rosenbaum 2014, 2015, Rößler 2011a, 2013a, 2014b, 2019, Currie 2013, K ­ eller 2018 (beide mit Auswertung von Meyers italienischen Notizen) sowie mehrere Beiträge im Band Rosen­baum/Rößler/Tausch 2013.

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ästhetischer Positionierung zwischen 1795 und 1800. Besonders deutlich wird hierin ­eine medial reflektierte Konzeption der Gegenstandslehre, die entscheidend zwischen Sujet und Gattung differenziert. Ein zentrales Moment in Meyers Formauffassung bildet seine Theorie vom Helldunkel in den Künsten: Insbesondere im skulpturalen Bereich führt diese Auffassung zu ästhetischen Forderungen, die ihre zeitgleiche Um­setzung in Christian Friedrich Tiecks Statuen im Haupttreppenhaus des Weimarer Stadtschlosses finden. Schließlich soll anhand von Meyers Auseinandersetzung mit den Werken der Sammlungen Boisserée und Bertram der Zusammenhang von Historisierung und Gegenwartskritik konkretisiert werden: Die koloristische und realistische Gestaltung altniederländischer Malerei wird in Meyers Besprechungen von Johann ­Nepomuk ­Strixners lithographischen Reproduktionen in eine Frontstellung zur italienischen Malerei des Quattrocento und damit auch gegen die nazarenische Auffassung gebracht. • Die vorliegende Studie wurde im April 2017 an Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern als Habilitationsschrift für das Fach Kunstgeschichte eingereicht. Das Verfahren wurde im Dezember 2017 abgeschlossen. Die Ergebnisse des Buchs beruhen auf Forschungen, die von mir vom Juli 2010 bis August 2013 an der Klassik Stiftung Weimar im Rahmen des DFG-Projekts „Johann Heinrich Meyer – Kunst und Wissen im klassischen Weimar“ durchgeführt wurden. Thorsten Valk und ­Reinhard Wegner unterstützten das Projekt in vielerlei Hinsicht, auch durch die zahlreichen Gelegen­heiten, Forschungsergebnisse am Zentrum für Klassik-Forschung (Weimar) sowie in den Kolloquien der Klassik-Stiftung und der Friedrich-Schiller-Universität Jena vorzustellen. Besonderer Dank gilt meinem damaligen Projektkollegen Alexander ­Rosenbaum – nicht nur für seine Hilfsbereitschaft, sondern auch für die intensive und diskussions­ reiche Zusammenarbeit. In Bern hat mich Norberto Gramaccini nach Kräften unterstützt. Ihm, den weiteren Mitgliedern der Habilitations-Kommission und Hubert ­Locher ­danke ich für die Bereitschaft zur Begutachtung der Schrift. Das Dreieck Berlin – Weimar – Bern ermöglichte die Diskussion mit zahlreichen Gleichgesinnten. Von Beginn an gaben Martin Dönike, Johannes Grave, ­Christiane Holm und Stephan Pabst im Umfeld der Weimarer BMBF-Forschergruppe „Sinnlichkeit, Materialität, Anschauung“ wichtige Denkanstöße. Für Hinweise, Dis­kus­sion und Unterstützung danke ich Markus Bertsch, Andreas Beyer, Albert Boesten-­Stengel, ­Heinrich Dilly (†), Daniel Ehrmann, Christine Göttler, J­ oris ­Heyder, ­Gerlinde HuberRebenich, Claudia Keller, Stephan Kemperdick, Rudolf K ­ oella, ­Charlotte ­Kurbjuhn, Thuri Lorenz (†), Bernhard Maaz, Hermann Mildenberger, Susanne Müller-Bechtel, Bernd Nicolai, Ernst Osterkamp, Tobias Pfeifer-Helke, Steffi Roettgen, Peter Schneemann, ­Sabine Schneider, Christian Scholl, Heike Spies, Harald Tausch, Jörg Trempler, Bernhard von Waldkirch, Bettina Werche und Margrit Wyder. Heiko Damm, ­Sabine

Ziele und Konzeption der vorliegenden Studie

Engel, Susanne Pollack und Margarete Vöhringer haben überdies einzelne Kapitel mit konstruktiver Kritik durchgesehen. Dank gilt auch Hannes Bertram, Fotothek der ­Klassik Stiftung Weimar, für die Unterstützung bei der Bildbeschaffung. Von Verlagsseite wurde das Buch von Katja Richter, David Fesser und Kerstin Protz in verlässlicher Form betreut. Michael Thimann, Benedicte Savoy und Gregor Wedekind danke ich für die Aufnahme des Buchs in die ­Reihe „Ars et Scientia“, der DFG für die Übernahme der Druckkosten. Der abschließende Dank gilt meiner ­Familie.

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Teil I Die Disziplinierung des Blicks: Epistemische Praktiken zwischen Anschauung und Theoriebildung

1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

1.1  Das Detail im Ganzen Die Geschichte des europäischen Klassizismus ist eine Geschichte der Distinktionen und Trennungen. Die Zerstörung des barocken Illusionsraums korrespondiert mit der Herauslösung der menschlichen Gestalt aus dem gesamtkünstlerischen Zusammenhang und in ihrer beschränkten Wiedergabe durch den Umriss, welcher die Grenze zwischen ästhetisch wahrgenommener Binnenstruktur und neutral gehaltenem Realraum markiert. Der betonte Objektbezug des vereinzelten Kunstwerks und dessen Neubestimmung im Rahmen von ordnenden Kategorien wie Gattungen und Untergattungen löst nicht nur die wohl organisierte Einheit von Plastik, Malerei und Architektur auf, sie wendet sich ebenso vehement gegen die Prinzipien der Gattungsmischung und der Überschreitung von postulierten Gattungsgesetzen. Die zunehmende Segmentierung, wie sie beispielsweise in Winckelmanns Plädoyer für eine getrennte Betrachtung von Architektur und Plastik oder in den von Lessing gezogenen Grenzen zwischen bildender Kunst und Poesie spürbar wird, verweist auf eine systematische Neuordnung der künstlerischen Phänomene, untrennbar verbunden mit der aufklärerischen Strukturierung aller Lebensbereiche nach Klassen, Unterklassen und in sich begrenzten Gegenstandswelten. Die selektive Wahrnehmung der auf klare Formen fixierten, vom Fluss der Rocaille befreiten und vom antiken Formenkanon angeregten Gestalt fordert zu neuen Wahrnehmungsstrategien von Artefakten heraus. Hinzu kommt die wissenschaftliche wie ästhetische Erfassung von künstlerischen Binnenstrukturen nach systematischen Kriterien. Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) behandelt in zahlreichen Unterparagraphen die Formung von Augen, Nasen und Mündern antiker ­Statuen, von welchen wiederum normative Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden.1 Die empirische Bestandsaufnahme von Einzelteilen zeichnet sich somit nicht nur aus durch

1

Winckelmann, SN 4.1, S. 326, 338–344, 352–358 bzw. S. 339–359 (Geschichte der Kunst des Alter­ thums, Paralleldruck der Ausgaben von 1764, gerade Seitenzahlen, und 1776, ungerade Seitenzahlen). Abschnitt „Von der Schönheit einzelner Theile des Körpers“.

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I.1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

einen starken normativen Zug, sie versucht auch durch Detailanalyse den Gegensatz von Empirie und System zu überbrücken.2 Spätestens an diesem Punkt tritt innerhalb der klassizistischen Theoriebildung und Kunstbetrachtung eine Gegenbewegung ein, durch die sich der Frühklassizismus Mengs’scher und Winckelmann’scher Prägung von dem der Nachfolgegenerationen unter­scheidet. Karl Philipp Moritz’ Aufsatz Die Signatur des Schönen. Inwiefern Kunst­ werke beschrieben werden können? aus dem Jahr 1788 ist Teil dieser Revision, in dem den vom akademischen Eklektizismus angeregten Segmentierungsstrategien Einhalt ge­boten wird. Kristallisationspunkt der Kritik ist Winckelmanns berühmte Beschreibung des Apoll von Belvedere,3 deren rhetorischer Überbietungsgestus und die damit verbundene Erhabenheitsmetaphorik als gescheitertes Unterfangen entlarvt wird: „­Diese Beschreibung hat […] der Betrachtung dieses erhabenen Kunstwerks weit mehr ge­schadet, als genutzt, weil sie den Blick vom Ganzen abgezogen, und auf das Einzelne geheftet hat, welches doch bei der nähern Betrachtung immermehr verschwinden, und in das Ganze sich verlieren soll.“4 Die Teilreferenzen, mit denen Winckelmann die Einzel­partien der Statue beschreibt, werden somit als massive Störung des in sich geschlossenen Werkganzen empfunden. Der Zersplitterung durch Teilreferentialität setzt Moritz eine Vorstellung von repräsentierter Ganzheit entgegen, die nicht abbildhaft im Sinne einer Wiedergabe des reell Gesehenen, sondern nur sprachanalog durch poetische Evokation erzeugt werden kann. Die dem Kunstwerk adäquate Beschreibung soll sich daher nicht der zersplitternden Wahrnehmung von Details widmen; sie ist vielmehr ebenso wie das Kunstwerk selbst etwas eigenständiges, autonomes, das sich vom ursprünglich gesehenen entfernt und erst in der Berührung der Extreme den Status von Repräsenta­tion erhält – eine Repräsentation, die sich allein aus der sprachlichen Neuschöpfung und Neuerfindung des in sich geschlossenen und unteilbaren Werkorganismus legitimiert. Die von Moritz gebildete Opposition zwischen detailreferentieller und gesamtrepräsentationaler Beschreibungskonzeption ist in diesem Sinne nicht allein eine programmatische Positionierung auf rein ästhetisch-systematischer Ebene, sie formuliert zugleich Konsequenzen in der konkreten Betrachtungs- und Beschreibungspraxis. Das erarbeitete autonomieästhetische Theoriefeld muss sich demnach in der sprach­ lichen Wiedergabe von Kunstwerken widerspiegeln, da eine detailfixierte Beschrei-

2 3

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Zum Konflikt zwischen Normativität und Empirie bei Winckelmann siehe u.a. Kreuzer 1959, S. 59– 66; Décultot 2014. Winckelmann, SN 4.1, S. 780/781 (Geschichte der Kunst des Alterthums, Ausgaben von 1764 und 1776). Vorfassungen siehe Winckelmann 1968, S. 269–279. Zu Winckelmanns Beschreibungskonzeptionen siehe Osterkamp 1998. Moritz, Die Signatur des Schönen. Inwiefern Kunstwerke beschrieben werden können?, in: Moritz 1993, Bd. 2, S. 588.

I.1.1  Das Detail im Ganzen

bungspraxis den Anforderungen vom in sich geschlossenen und unteilbaren Werkorganismus diametral entgegensteht.5 In dieser polaren Konstellation zwischen frühklassizistischer und hochklassizistischer Auffassung nimmt Johann Heinrich Meyer eine Sonderrolle ein. Einerseits schreitet er, wie Goethe rückblickend in der Italienischen Reise (1817) formuliert, „den ­sichern von Winckelmann und Mengs eröffneten Pfad ruhig fort“,6 andererseits erweist er sich in der Rolle des Beraters und Zulieferers für Goethes eigene Kunstanschauung als williges Faktotum für autonomieästhetische Vorstellungen. Bei allen Unterschieden, die dabei zwischen Goethe und seinem Kunstberater bestanden haben mögen, ist es jedoch zu einfach, Meyer nur als empirischen Zulieferer für eine ihm sonst fremde Kunstauf­ fassung zu sehen. Denn von Anfang an war er mit den Theoremen des sich in den 1780er Jahren in Rom ausprägenden Hochklassizismus vertraut und an deren Vermittlung beteiligt. Der Schweizer Bildhauer Joseph Maria Christen berichtet von den Erfahrungen während seines Rom-Aufenthalts ab 1788. Nachdem er im Atelier ­Alexander Trippels im Modellieren unterwiesen worden war, hatte er das Glück, mit Herrn Meyer von Zürich, einem damals unstreitig der grössten Kenner der Alterthümer bekannt zu werden. Von diesem erlernte ich erst, dass man die Schönheit nicht in einzelnen Stücken, in Nebendingen oder ausserwesentlichem Zusatze, sondern in der Zusammenstimmung und dem vollkommen ebenmässigen Verhältnisse des Objektes aufsuchen soll. Von ihm lernte ich erst jeden Theil des Gegenstandes prüfen, Haupt- und Nebendinge vergleichen, jedes in ein gehöriges Licht setzen, Richtigkeit gegen Fehler berechnen, das Mannichfaltige vereinzelnen, und nach dem Eindruck des Ganzen urtheilen: und so gelangte ich zu einem gewissen Ideale von Schönheit, und kam zur Kenntnis der unabänderlichen Regeln, nach denen man sich nothwendig richten soll und muss, um den Punkt zu treffen, in dem sich alle Schönheit konzentrirt.7

An dem Bericht ist folgendes bemerkenswert: Erstens belegt er die besondere Stellung, die Meyer bereits in den späten 1780er Jahren im römischen Kunstleben, insbesondere im klassizistischen Zentrum Alexander Trippels und dem daran anschließenden antiquarischen Diskurs eingenommen haben muss; zweitens exponiert er Meyers methodische Anweisungen, die von Christen als Novum ausgewiesen und keineswegs als selbstverständlich begriffen werden. Dies geschieht zwar rückblickend nach einem Jahrzehnt, doch ohne Zweifel authentisch, da Christen nach Meyers Abreise aus Rom kaum noch Gelegenheit gehabt haben dürfte, mit ihm in näheren Kontakt zu treten. Dabei scheint die explizierte Anleitung zum Betrachten von antiken Bildwerken aus mehreren komplexen Vorgängen zu bestehen. So bleibt das betrachtete Detail stets ein fester Bestandteil des Ganzen und lässt sich nicht von diesem trennen. Seine genaue Erfassung fordert den Betrachter zum aktiven Vergleich zwischen den übrigen Einzelteilen heraus, einen 5 6 7

Zur Ästhetik von Karl Philipp Moritz siehe grundlegend Schneider 1998. Goethe, Italienische Reise, in: MA 15, S. 523. Christen 1798, S. 1046.

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I.1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

Vergleich, der zum zentralen Erkenntnisgewinn der unabänderlichen Regeln führt und zum Bewusstsein von bildlicher Kohärenz beiträgt. Im Gegensatz zu dem noch von Winckelmann vertretenen rationalistischen Paradigma von der bloßen Einheit in der Mannigfaltigkeit verliert das Einzelne seine statische Zuordnung innerhalb eines eklektisch organisierten Proportionskanons. Das Einzelne – sei es der anatomische Bestandteil einer Skulptur oder ihre konkrete formale Umsetzung – ist vielmehr in den Ablauf einer prozessualisierten Wahrnehmung eingebunden, die neben dem Wechsel zwischen Detail und Ganzem eine kontinuierlich gleitende Seherfahrung der fließenden Übergänge ermöglicht. Im Rahmen des hier skizzierten Horizonts wird nachfolgend versucht, die Theorieund Interessensfelder Meyers im Kontext seiner Techniken der Anschauung zu deuten.8 Nicht bestritten werden soll die grundsätzliche Starrheit des normativen klassizistischen Systems. Zentral ist allerdings, dass die Stabilität jener Theoreme Denkbewegungen freisetzt, die sowohl auf die Historisierung der bildenden Kunst, als auch auf die künstlerische Praxis zurückwirken. So paradox es zunächst klingen mag: Im Stabilen der Denkfiguren liegt das Instabile, Liquide, Transformative von Meyers Auffassungen begründet. Untersucht werden dabei Formen der Kunstbetrachtung, die den Erschließungsvorgang möglichst nahe am Objekt dokumentieren. Es handelt sich um epistemische Praktiken, die auf verschiedene Weise der Aufmerksamkeitserzeugung, In­for­ma­ tions­er­hal­tung und Wissensgenerierung dienen. So unterschiedlich diese Verfahren zunächst scheinen mögen, in einem Punkt bestehen Gemeinsamkeiten: Alle Techniken dienen der Blickdisziplinierung, die sich dem kunsthistorischen Objekt systematisch nähert und letztlich auf eine vergleichende Betrachtung und Neufiguration von Wissen abzielt. Zudem ist davon auszugehen, dass die hier präsentierten Materialen der Speicherung von visuellen Informationen dienten, welche dem Kunsthistoriker Meyer nicht dauerhaft zur Verfügung standen.9 In so gut wie allen Fällen handelt es sich um Objekte, die Meyer während seiner beiden Italienaufenthalte autopsierte und zum Zweck der späteren Wiederverwertung in irgend einer Form konservieren musste, da sie in der Druckgraphik unzureichend oder im Fall von Skulpturen überhaupt nicht als Repliken zur Verfügung standen. Ausgehend von dieser Interessenlage zeichnen sich die hier vorgestellten Erschließungsverfahren dadurch aus, dass sie sich sämtlich im Bereich der von Moritz verworfenen Detailreferentialität bewegen. Die „Spur“, die laut Moritz vom Objekt zur poetischen Beschreibung führt und das Objekt im Medium der Sprache so inadäquat verfremdet,10 dass sie wiederum ein autonomes Äquivalent bil  8 Zur theoretischen Fundierung einer „Technik des Betrachtens“ siehe Crary 1996.   9 Dies betrifft selbstredend nur Handzeichnungen und schriftliche Notate, selbstverständlich nicht das ephemere Verfahren der Statuenbegehung bei Fackelschein. 10 Zur „Spur“ als vermittelnde Instanz zwischen Kunstwerk und Beschreibung vgl. Moritz 1993, Bd. 2, S.  585–587.

I.1.2  Bei Fackelschein

det, ist im F ­ alle Meyers abgeschnitten. Auch wenn zumindest in den schriftlichen Aufzeichnungen Wertungen an der Tagesordnung sind, verstehen sich die Nachzeichnungen und schriftlichen Fixierungen als Verfahren der Annihilierung an das Objekt und der Ausschaltung des Subjektiven, um den Informationsgehalt möglichst unbeschadet und detail­genau zu erhalten. In allen Fällen sind daher Meyers Erschließungsstrategien Verfahren der Restitution von Referentialität, die sich angesichts sich verändernder theoretischer Prämissen neu definieren muss. Das angewandte Instrumentarium – Fackel, Zeichenstift oder Schreibfeder – konstituiert daher Wahrnehmungsdispositive, welche das Moritz’sche Forderung nach einer analogen und antireferentiellen Beschreibungspoetik möglichst weitgehend zu verhindern suchen, zugleich aber das autonomieästhetische Postulat ­einer fließenden Verknüpfung von Detail und Ganzem aufrecht erhalten.

1.2  Bei Fackelschein Auf der ersten bildlichen Darstellung einer Kunstakademie, dem Kupferstich nach einer Zeichnung Baccio Bandinellis von 1531 (Abb. 8), werfen auf dem Bord postierte Statuetten hohe Schatten an die Wand, bewirkt durch eine Kerze, die sich im abgedunkelten Raum auf der Mitte des Tischs befindet und den mit zwei Kleinplastiken beschäftigten Schülern Licht spendet. Die Ergründung der beiden Objekte vollzieht sich mit Hilfe von äußerst handfesten Tätigkeiten des Betastens und Zeichnens, womit die plastischen Qualitäten sowohl in Form haptisch-sinnlicher Erfahrung als auch sehend-zeichnerisch erfasst werden. Die beiden dargestellten Tätigkeiten korrespondieren somit mit zwei komplementär aufeinander bezogenen Qualitäten der Plastik, denn in gleichen ­Maßen treten Umriss und Körpermodellierung unter verfremdenden Lichtbedingungen hervor. Der sich auf die beleuchteten Oberflächen konzentrierende Zeichner ist auch ­Thema in Darstellungen niederländischer Malerei des 17. Jahrhunderts. Wie hervorgehoben wurde, sind die nächtlichen Kunstbetrachtungen bei Jan Terborch, Gerrit Dou, Gottfried Schalcken und anderen als Programmbilder zu lesen: Die Darstellung der Flamme im Nachtstück gehört zu den besonderen artifiziellen Herausforderungen, das Nachzeichnen der dabei erleuchteten Skulptur zitiert den Topos vom fleißigen Künstler, der auch nachts unermüdlich arbeitet.11 Ein Michael Sweerts zugeschriebenes, seit 1950 im Palazzo Barberini befindliches Bild (Abb. 9) zeigt den zeichnerischen Vorgang im abgeschlossenen Raum als Szene von intimer Privatheit. Selbstvergessen und konzentriert sitzt der junge Künstler am Pult, auf dem zwei überlebensgroße ­Büsten – ein Abguss nach einer der Niobiden und ein Seneca12 – stehen. Von dem verschatteten 11 Schnackenburg 2003. 12 Identifizierung bei Nicolson 1958, S. 126. Die Seneca-Büste galt als antik, ist aber modern.

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I.1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

8__Agostino Veneziano nach Baccio Bandinelli: Die Akademie Baccio Bandinellis in Rom, 1531, ­Kupferstich, 27,3 × 29,8 cm, London, British Museum, V,2.136

Profil des Seneca verdeckt, erzeugt die Öllampe im abgedunkelten Raum eine Halbbeleuchtung, die die starken Volumina der beiden Büsten hervortreten lässt. Diese Traditionslinie verweist neben dem visualisierten Künstler-Exemplum zugleich auf das zentrale Anschauungsparadigma der Niederlande im 17. Jahrhundert. Das Nachzeichnen von Antiken ist als Teil der objektgebundenen Naturbeobachtung ein empirisches Verfahren, das in der Konzentration auf die Oberflächenphänomene keine qualitative Unter­scheidung zwischen idealisierter antiker Schönheit und Realität zulässt. So wird besonders das Zeichnen von beleuchteter antiker Plastik ein Zeichnen „naer het leven“: Die durch das Licht hervorgehobene Plastizität bzw. Reliefwirkung wird als ein dem Natur­bild gleichwertiger Bestandteil der malerischen Darstellung betrachtet.13 13 Alpers 1985, S. 98 f.

I.1.2  Bei Fackelschein

Nicht nur die Bildquellen des 18. Jahrhunderts legen nahe, dass sich die Auffassung und Funktion der Betrachtung von Bildwerken bei künstlich erzeugten Lichtverhältnissen verändert. Drei Aspekte sind hier im Unterschied zu den vorausgehenden Darstellungen auffallend: Erstens wird die Beobachtung der Statuen bei besonderem Licht zunehmend zum Bestandteil eines geselligen und intersubjektiven Vorgangs, bei dem nicht mehr die intime Ateliersituation, sondern die Kommunikation zwischen aktiven Betrachtern im Mittelpunkt steht. Dies belegen die distinguierten Gentlemen, die Joseph Wright of Derby um 1765 darstellt (Abb. 10): Das breit streuende Licht einer künstlichen Quelle beleuchtet eine verkleinerte Replik des Borghesischen Fechters derart, dass der Kontur und die plastischen Gesamtwerte die Aufmerksamkeit des Zeichners wie der beiden anderen Betrachter auf sich ziehen. Effektvoll wirkt die dramatische Extrembeleuchtung durch klare Licht-Schatten-Gegensätze. Soweit ich sehe, dokumentiert Wright of Derby erstmals eine Situation, in der bei extremen Lichtbedingungen die Erfassung von (antiker) Skulptur zum Gesellschaftsereignis wird. Der Künstler tritt nicht mehr allein in Dialog mit dem Objekt, sondern ist gleichwertiger Akteur unter den Connoisseurs.14 Zweitens verengt sich der Vorgang vom moralischen Exemplum bei Sweerts u.a. auf die ästhetische Wahrnehmung der verfremdeten Statue. Nicht der Zeichner an sich, sondern das Objekt selbst steht nun im Mittelpunkt, womit die Betrachtung bei besonderem Licht erstmals zu einem allgemeinen erkenntnisstiftenden Anschauungsmodell und nicht allein künstlerischen Verfahren ausgewiesen wird. Entscheidend ist nun ein dritter Aspekt, der sich auf die rund 15 Jahre nach Wrights Bild erstmals belegbaren Verfahren der Statuenbetrachtung bei Fackelschein bezieht: In der Betrachtung von antiker Plastik findet nun eine Dynamisierung des Vorgangs statt, indem das Standlicht mit der klar gliedernden Beleuchtung eines breitgefächerten Lichtkegels durch das diffuse und sich unkontrolliert verändernde Licht einer beweglichen Fackel ersetzt wird. Dieser letzte Punkt fehlt dem Bild von Wright of Derby: Im Unterschied zu diesem machen Berichte nach 1780 deutlich, dass sich die Wahrnehmungspraktiken im Lauf des 18. Jahrhunderts zu einem fundamentalen Wandel durchdringen, der auch Meyer eine flexiblere Betrachtungskonzeption ermöglicht: die gemeinschaftliche Begehung antiker Statuen bei Fackelschein. Das Aufkommen jener Praxis ist nicht von dem institutionsgeschichtlichen Faktum der Museumsgründungen im 18. Jahrhundert zu trennen. In dem berühmten, in die Italienische Reise eingerückten Aufsatz verknüpft Meyer das Phänomen der Betrachtung von antiken Bildwerken bei Fackelschein eng an die Orte des vatikanischen Museo Clementino und der kommunalen Antikensammlung auf dem Kapitol.15 Das Verfahren, Antikensäle abzudunkeln und Besuchergruppen bei Fackellicht durch die Sammlung 14 Die ältere Person links trägt eine Brille, was sie als Kunstkenner charakterisiert. 15 Meyer, Über das Betrachten der Statue bey der Fackel, in: Goethe, Italienische Reise, MA 15, S. 523– 525. Manuskript in Reinschrift von Meyers Hand in GSA 64/53.

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I.1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

9__Michiel Sweerts zugeschrieben: Der Künstler bei der Arbeit, um 1650, Öl auf Lw., 97 × 135 cm, Rom, Palazzo Barberini, Inv.-Nr.: 2212 (F.N. 42227)

hindurchzuführen, war noch im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert ein Gesellschaftsereignis von großer Beliebtheit. In der Dresdner Antikensammlung wurde es spätestens im ersten Jahrzehnt nach 1800 praktiziert; auch die Eröffnung der Münchner Glyptothek im Jahr 1828 wurde in Beisein Ludwigs I. mit der Betrachtung bei Fackellicht ge­ feiert, womöglich auch als Reverenz des jungen Königs und Goethe-Verehrers an den Bericht in der Italienischen Reise.16 Meyer datiert das Aufkommen dieser Praxis ­unter Vorbehalt auf die frühen 1780er Jahre und vermutet Rom als Entstehungsort.17 Der Hinweis auf die zeitliche Entstehung des Brauchs ist insofern von Bedeutung, als die be16 Schorn 1828, S. 311: „Se. Majestät der König haben neulich die Eröffnung der vollendeten Säle durch die nächtliche Beleuchtung gefeyert, zu welcher eine Anzahl von Künstlern und Kunstfreunden der Hauptstadt eingeladen ward, und welche Se. Majestät selbst mit Ihrer huldvollen Gegenwart beehrten. Die zauberische Wirkung der Fackelbeleuchtung auf Statuen ist denen, welche den Vatikan und das Dresdener Museum auf diese Art gesehen, bekannt, und bewährte auch ihre außerordentliche Kraft, aber auch die Frescogemälde des Göttersaales zeigten sich dabey in einem Farbenreiz und einer Harmonie, die ihnen kaum das hellste und günstigste Tageslicht zu geben vermag.“ 17 Meyer in MA 15, S. 523.

I.1.2  Bei Fackelschein

10__William Penther nach Joseph Wright of Derby: An Academy by Lamplight, ca. 1765, Mezzotinto, 48,5 × 55 cm, Amsterdam, Rijksmuseum

schriebene Konstellation mit Meyers erstem Italienaufenthalt (Ankunft am 2. Juni 1784) zusammenfällt und damit eine für den Verfasser einschneidende Seherfahrung zu markieren scheint. Genau besehen, widerspricht Meyers Bericht einer Forschungskonvention. In Gegensatz zu seiner Darstellung hat die Forschung auf Grundlage zahlreicher anderer Berichte vor allem den illusionistischen Effekt hervorgehoben, bei dem die in das Fackellicht gehüllte Statue für den Beschauer zum Leben erweckt werde. Naheliegend hat man auf Grundlage dieser Beobachtung den Pygmalion-Mythos assoziiert.18 Ergänzend zu dieser illusionistischen Auffassung bildet sich jedoch auch ein antiquarischer Diskurs 18 So in dem belegreichen Abriss im Anhang von Bätschmann 1978, S. 198. Bätschmann weist darauf hin, dass offenbar Meyer „weder für den Effekt der Belebung der Statuen durch das bewegte künst­ liche Licht noch für das dadurch hervorgerufene Transitorische […] irgendein Sensorium“ habe; ­siehe auch Bätschmann 1997b; zur Praxis bei Canova und Thorvaldsen siehe Bätschmann 1997a, S. 21 f; zur größe­ren Einordnung der Phänomene siehe Mülder-Bach 1998 und Kanz/Körner 2006. Johannes Grave hebt an der Begehung bei Fackelschein den effektsteigernden Charakter hervor, sieht darin aber – ähnlich wie hier – vor allem ein Verfahren zu Erschließung von „stilistischen Qualitäten“ des Werks,

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I.1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

aus. So fand Ramdohr die Beleuchtung im Museo Clementino derart schlecht, dass er den Besuch bei Fackelschein unter Anleitung eines kompetenten Führers als schlichte Notwendigkeit ansah.19 Ebenso wird im Bericht Meyers der oft konstatierte Illusionscharakter nur am Rande erwähnt. Die Fackel dient dem analytischen und sezierenden Zugriff auf die antike Skulptur und wird zudem als ein konzentrationsförderndes M ­ ittel zur Kunstbetrachtung auch bei Laien empfohlen: Der von der Besuchergruppe begleitete Kustode bewegt langsam eine einzige Fackel im abgedunkelten Raum, so dass durch den Schein des flackernden Lichts ein begrenzter Betrachtungsradius entsteht. Auf diese Weise werden einzelne Werke aus dem unter normalen Beleuchtungsbedingungen irri­tie­ren­den Statuenwald besonders hervorgehoben; unbekanntes, weil durch ungünstige Raumverhältnisse verdecktes, kommt neu ans Licht und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich.20 Zu der isolierten Erfahrung der Einzelstatue kommt als zweites Merkmal die Sensibilisierung für das plastische Detail und für Oberflächenphänomene hinzu. Insbesondere Karl August Böttiger beschreibt in einem Aufsatz die Wahrnehmung von formalen Differenzwerten, die durch den Lichteinfall der Fackel am bearbeiteten Marmor ermöglicht wird.21 Indem der Kustode näher an die Statue herantritt und die Fackel langsam bewegt, werden die Besucher dazu gezwungen, die Details zu fokussieren und die im Bewegungsablauf zum Vorschein tretenden qualitativen Gegensätze zu erkennen. Die Fackel enthüllt sowohl die schönen Partien wie auch die „Häßlichkeit der sinn­ losen Ergänzung“.22 Auf diese Weise wird eine Differenzwahrnehmung erzeugt, mit welcher der Betrachter die authentische Bearbeitung des Marmors von restauratorischen Eingriffen zu unterscheiden lernt, denn unter den fokussierenden Lichtbedingungen wird der Materialunterschied zwischen Marmor und „Tartar“ erst sichtbar. Eine weitere vom Normalzustand emanzipierte Seherfahrung wird schließlich durch die ungewöhnlichen Perspektivenwechsel generiert. Der Fackelträger positioniert die Licht­quelle derart, dass es zu ungewöhnlichen Licht- und Schattenkonstellationen kommt, etwa indem er die Fackel senkt und dadurch eine von unten kommende Beleuchtung erzeugt. In diesen Verfahren der punktuellen und verfremdenden Blicklenkung befördert die Fackel als Instrument der Deixis nicht allein ein begriffsblindes und vom ikono­graphischen

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das „ungeteilte Aufmerksamkeit“ erzeugt, „da alle anderen Skulpturen in das Dunkel des nächtlichen Museums zurücktreten.“ Grave 2012a, S. 99. Ramdohr 1787, Bd. 1, S. 38: „Man hat die Statuen rund umher an die Wände von Sälen aufgestellt, in denen sie zum Theil gegen das Licht gesehen werden; in Rotunden, deren Fenster sie von allen Seiten beleuchten. Wenn man jetzt von der wahren Würkung der Statuen urtheilen will, so muß man sie bei Fackeln sehen, und in Gesellschaft eines aufgeklärten Führers, der die Beleuchtung dirigiert.“ So schreibt Meyer, dass „die Aufmerksamkeit des Beschauers […] lediglich auf dasselbe gerichtet“ bleibe. MA 15, S. 523. Böttiger 1808. Ebd., S. 5.

I.1.2  Bei Fackelschein

Gehalt emanzipiertes Sehen.23 Die bewirkte Verlangsamung, Kollektivierung und Fokussierung des Sehens macht das gesellschaftliche Ereignis zur intersubjektiven ästhetischen Erfahrung. Der Fackelträger erscheint als Kunstpädagoge mit diktatorischen Vollmachten. In der gelenkten Wahrnehmung entsteht bei der Besuchergruppe ein Konversationszwang, indem das soeben gemeinsam entdeckte Detail die Aufmerksamkeit in voller Gänze beansprucht. Die Frage stellt sich, in wie weit sich die Fackel als Instrument der Erkenntnisgewinnung bewährt hat. Ursprünglich war Meyers Aufsatz als Beitrag für die Propyläen geplant,24 was durch die Einstellung der Zeitschrift verhindert wurde. Einer der letzten dort erschienenen Artikel war eine Miszelle zur Kapitolinischen Venus,25 in der sich Meyer einer intensiven vergleichenden Betrachtung der einzelnen Form­merk­male zuwendet und die seit dem 17. Jahrhundert bekannte Statue in eine Entwicklungs­reihe mit dem Urtypus der Knidischen Aphrodite und der Mediceischen Venus stellt.26 Im Vergleich zu anderen stets nüchtern gehaltenen Kunstbeschreibungen fällt zunächst auf, dass sich Meyer der Statue mit einem hohen rhetorischen Aufwand nähert, ja die sprachliche Intensität, mit der er sich den einzelnen weiblichen Körpermerkmalen zuwendet, wirkt peinlich lasziv.27 Zweifellos verfolgt der forciert-enthusiastische Tonfall das Ziel, die Kapitolinische Venus als weibliches Pendant zum Apoll von ­B elvedere zu etablieren, wobei die Epigonalität zu der schon erwähnten Statuenbeschreibung Winckel­manns vollends durchsichtig wird. Der imitierte Enthusiasmus der Winckelmann’schen Ekphrase lässt somit keinen Zweifel darüber, dass die Statue aus Meyers Sicht zu den Hauptwerken des klassischen Altertums gehört. Allerdings gibt es auch Differenzen zu der Beschreibung Winckelmanns: Meyer vermeidet alle Semantisierung der Form und abstrahiert seine Betrachtung ganz auf die künstlerische Organisationsstruktur des Bildwerks. Überlegungen zu Ikonographie und Gehalt bzw. deren inte­grale Einbeziehung in die Beschreibung fehlen. Die enge Beziehung zwischen dem Bericht über die Statuenbetrachtung bei Fackelschein und der Untersuchung zur Kapitolinischen Venus legt nicht allein die zeitnahe Entstehung beider Texte nahe, sondern auch einen direkten methodischen und thematischen Zusammenhang: Die Kapitolinische Venus wird im Aufsatz zum Fackelschein als exemplarischer Fall ausgewiesen, denn sie erscheint „bei Tageslicht nicht zu ihrem Vorteil, da sie in einem Eckzimmer aufgestellt ist“ (MA 15, 525). Der Propyläen-Aufsatz scheint somit paradigmatisch das Verfahren der Aufmerksamkeitserzeugung und Blick23 Auf die Ausschaltung der Ikonographie zugunsten des Formalen weist auch Grave 2012a, S. 99, hin. 24 Vgl. MA 6.2, S. 967 (Paralipomena zu den Propyläen). 25 Zur Kapitolinischen Venus siehe Helbig 1963–1972, Bd. 2, S. 128–130 Nr. 1277; zur Rezeptions­ geschichte siehe Haskell/Penny 1981, Nr. 84, S. 318–320. Zu Meyers Aufsatz siehe auch Dönike 2016, S. 286. 26 [Meyer,] Die capitolinische Venus, in: Propyläen 3/1 (1800), S. 157–166; Reprint 1965, S. 869–878. 27 Vgl. ebd., S. 159 f (Reprint 1965, S. 871 f).

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I.1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

lenkung unter veränderten Beleuchtungsbedingungen einzulösen, das Meyer bereits in den handschriftlichen Aufzeichnungen zur Kapitolinischen Venus wie folgt formuliert: „Das Auge Irrt & gleitet mit unersättlichem Vergnügen auf diesen wallenden Formen.“28 Meyer notiert ferner rühmend „Schwingung und Fluß des Contours der sich immer verliert & immer wieder erwächst & dem das Auge mit unaussprechlichem Vergnügen folgt, der ihm immer entflieht und immer wieder gehascht & aufgefangen wird[.]“29 Die Form des Ganzen baut sich somit aus der zwingenden und sich notwendig einander bedingenden Abfolge der Details auf. Die aus der formalen Disposition heraus entstehende gleitende Betrachtungsdynamik lässt sich „mit keinem Wort mit keinem Pinsel noch Meißel wieder Ausdrücken“; es ist „alles bewegung & Spiel“.30 Wie in der Aufzeichnung von 1795/96 lässt Meyer auch in dem Aufsatz von 1800 den Blick permanent von einem Merkmal zum anderen wechseln und konstruiert so ­einen formalen Gesamtzusammenhang. Die Einzelpartien werden somit in einen wertenden und stilkritischen Kommentar überführt, denn gemäß der Anforderungen im Fackelschein-Aufsatz sollen an der beleuchteten Statue die „Höhen und Tiefen und Übergang der Teile in einander richtiger erkannt“ werden (MA 15, 525). In diesem ­Sinne kommt Meyer im Propyläen-Aufsatz zu dem Schluss, dass die „größte Kunst […] hauptsächlich auf die Stellen verwendet“ wurde, „wo die Umrisse auf einander stoßen. Daselbst ent­stehen niemals Ecken, sondern immer nur Hohlungen, die Umrisse schmelzen gleichsam zusammen und fließen wieder auseinander.“31 Dieses Fließen betrifft auch die Oberflächenbehandlung des Marmors, dessen tonale Wirkung mit dem maltechnischen Terminus der „Halbtinte“ umschrieben wird: Die Statue zeichne sich aus durch die „milden, zerfließenden Halbtinten (möchten wir sagen) des weichen, gerundeten Fleisches, starke Schatten entgegen zu setzen und solches dadurch noch sanfter erscheinen zu lassen.“32 Jene malerische Komponente des Licht- und Schattenspiels werde zudem gesteigert durch den Kontrast mit den tief gebohrten und dunkle Schatten werfenden Falten. Hell und Dunkel tragen damit ebenso wie der Kontur zu der Wirkungsmacht der Statue bei. Die Übereinstimmung der Teile erzeugt einen „unendlichen Reiz, der unser innerstes Gemüth so wohlthätig bewegt.“33 Meyer weist auf zahlreiche Ergänzungen hin, die mit dem bloßen und oberflächlichen Augenschein nicht erkennbar sind. Der Mittelfinger der rechten Hand, der Zeigefinger der linken Hand sowie die Daumen scheinen deshalb neu zu sein, da, wie seine Oberflächenanalyse belegt, sie „über und über mit falschem Tartar beschmiert sind, eben dasselbe ist auch mit der

28 GSA 64/94, fol. 79v. 29 Ebd. Fast wortgleich im Druck: Propyläen 3/1 (1800), S. 159 f; Reprint 1965, S. 871 f. 30 GSA 64/94, fol. 80r. Fast wortgleich im Druck: Propyläen 3/1 (1800), S. 160; Reprint 1965, S. 872. 31 Propyläen 3/1 (1800), S. 162; Reprint 1965, S. 874. 32 Ebd. 33 Ebd.

I.1.2  Bei Fackelschein

­ ase am Gesicht geschehen.“34 Das von Ausschnitt zu Ausschnitt wandernde Sehen verN mag hier die ergänzten Stellen zu identifizieren. Meyers Autopsie der Venus-Statue belegt den engen Zusammenhang zwischen der Betrachtung bei Fackellicht und der kunstwissenschaftlichen Analyse. Am plastischen Objekt wird ein vergleichendes und differenzielles Sehen statuiert, das auf mehreren Ebenen erkenntnisstiftende Folgen hat. Das Detail hat hier nicht mehr den Stellenwert innerhalb eines eklektisch organisierten Ganzen und innerhalb eines Proportions­ systems, es wird vielmehr als dynamisch gleitendes Oberflächenphänomen wahrgenommen, indem der Blick des Betrachters von Ausschnitt zu Ausschnitt wandert und somit einen kontinuierenden Zusammenhang herstellt. In diesem erkenntnisstiftenden Sinne ist die Statuenbetrachtung bei Fackelschein zu verstehen, die überdies in enger Beziehung zum autonomieästhetischen Wahrnehmungsparadigma steht. Denn wie Karl ­Philipp Moritz schreibt, lässt sich das Verhältnis von Detailbeobachtung und in sich geschlossenem Kunstwerk nur noch als prozessualisierte Sichtweise erfassen: „Die allerfeinsten Erhöhungen werden dem Auge sichtbar, und in dem, was sonst noch einförmig schien, zeigt sich wiederum eine unendliche Mannigfaltigkeit. Weil nun all dies Mannigfaltige doch nur ein einziges vollkommenes Ganzes ausmacht, so sieht man hier ­alles Schöne, was man sehen kann, auf einmal, der Begriff von Zeit verschwindet, und alles drängt sich in einen Moment zusammen, der immer dauern könnte, wenn wir bloß betrachtende Wesen wären“35 Moritz fährt angesichts des so betrachteten Apolls von ­B elvedere fort, dass Winckelmanns Beschreibung der Statue nur auf „Nebendinge“ führt, „als daß die reine Schönheit des Ganzen ihn noch rühren könnte.“36 Epistemologisch hat dieser Wechsel des Aufmerksamkeitsparadigmas weitreichende Konsequenzen. Noch von Auguste Rodin wird berichtet, er habe in abgedunkelten Räumen eine Lampe gegen antike Marmorwerke gerichtet, um die Oberflächengestaltung besser nachzuvollziehen und die Fixierung auf formale Details durch eine dynamische Blickführung zu überwinden.37 In der Statuenbegehung bei Fackelschein wird ein Sehen am plastischen Objekt konstituiert, das auf mehreren Ebenen erkenntnisstiftende Folgen hat: In einem ersten Schritt dient es der ästhetischen Urteilsbildung, indem durch Komparation der Details und im Abgleich mit dem Ganzen ein ästhetisches Ideal erarbeitet wird. An die Stelle einer statischen Segmentierung tritt damit eine elastische Parcellierung. Von dieser normativen Idealkonstruktion leitet sich die Möglichkeit zur Historisierung ab, indem die übergeordnete Komparation zwischen den Objekten ­eine formal begründete, zeitliche Verkettung zwischen den Kunstwerken erlaubt. Die auf Detailvergleich beruhende Anschauung und das daraus resultierende histori34 Ebd., S. 163; Reprint 1965, S. 875. 35 Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788, in: Moritz 1993, Bd. 2, S. 414. 36 Ebd. 37 Rodin/Gsell 1911, S. 57–67.

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I.1. Die autonomieästhetische Kunsterfahrung

sche ­B ewusstsein verfeinern schließlich die Aufmerksamkeit auf plastische Details, die als moderne Restaurierungen entlarvt werden. Die Statuenbetrachtung bei Fackelschein steht somit für einen Wahrnehmungs­ umbruch, in dem die formalen Details als gleitende, in sich fügende und ganzheitliche ­Kette wahrgenommen werden, und nicht, wie in der von Baumgarten bis Winckelmann begründeten rationalistischen Vorstellung, sich am Modell von der Einheit in der Mannigfaltigkeit orientiert. In der italienischen Kunsterfahrung von Goethe, Moritz und Meyer bildet sie das entscheidende Wahrnehmungskorrelat zu der sich parallel kon­ stituierenden Autonomieästhetik aus, welche die Geschlossenheit des als unteilbar erfahrenen Werkorganismus theoretisch begründet, den Blick auf dieses Ganze aber als ein sich aufbauendes Formprinzip aus nicht mehr quantifizierbaren, sondern sich dynamisch aus einander ergebender und sich durchdringender Formmerkmale versteht. In Hinblick auf folgende Kapitel ist die Betrachtung bei Fackelschein als „Ur­szene“ von Meyers spezifischen Umgang mit Skulptur zu verstehen. Sie sensibilisiert nicht nur für die Wahrnehmung von Details, sondern auch für sich ändernde Lichtbedingungen bei der Betrachtung von Statuen, was zu einer eigenständigen Theorie Meyers zum Helldunkel in der Plastik führt (siehe Teil III, Abschnitte 3.3. und 3.4.) und auch ­seine Zeichen­praxis beeinflusst. Eine lavierte Zeichnung nach dem Sterbenden Gallier im Kapitol (Abb. 11) zeigt den Kopf in extrem heller Beleuchtung von vorne, wie sie von ­keinem anderen Künstler aus Meyers römischem Umfeld (Tischbein, Bury, Lips, Kniep) umgesetzt worden wäre. In gleißender Schärfe streift das frontal einfallende Licht das sich struppig nach vorne biegende Haar. Eine Fixierung des Blicks ist für den Betrachter der Zeichnung unmöglich, in starkem Kontrast betonen Licht und Schatten die Volu­ menhaltigkeit des Kopfes, so dass eine fast stereometrische Wirkung entsteht. Licht und Schatten dynamisieren damit den Blick des Betrachters, der dazu gezwungen wird, ­immer wieder vom Detail zum Ganzen, vom Ganzen zum Detail überzugehen.

I.1.2  Bei Fackelschein

11__Johann Heinrich Meyer: Zeichnung nach dem Sterbenden Gallier im Kapitolinischen Museum Rom, Feder in Braun laviert, 37,2 × 25,8 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, Gr-2005/830.7, Rückseite.

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2.  Linie und Schatten. Zeichnen nach Antiken

Das Nachzeichnen von antiken Bildwerken gehört seit der Renaissance zu den grund­ legenden Elementen der Künstlerausbildung. Vasari empfahl, vor dem Studium der Natur mit dem Kopieren nach marmornen Skulpturen oder Gipsen zu beginnen,38 und etablierte damit ein Dogma, das sich noch in Meyers Lehrcurriculum für angehende Künstler findet.39 Zugleich bildet die zeichnerische Erfassung antiker Objekte einen integralen Bestandteil der antiquarischen Forschung, wie sie etwa im 17. Jahrhundert mustergültig im Museo Cartaceo des Cassiano dal Pozzo dokumentiert ist.40 Auch noch nach der Etablierung von Winckelmanns kunsthistorischem Ordnungssystem wird das Nachzeichnen als grundlegendes Verfahren der wissenschaftlichen Aneignung und der damit einhergehenden Distinktion der Formmerkmale angesehen. So weist etwa der Potsdamer Galeriedirektor Matthias Oesterreich 1775 nach Aufzählung der antiken kanonischen Werke in Rom auf die Zeichnung als unentbehrliches Moment der Aus­ prägung zur Kennerschaft hin: „Man muß ein Kenner seyn, und, was noch mehr ist, zeichnen können, wenn man alle diese Arbeiten richtig beurtheilen, und mit einander zu vergleichen, im Stande seyn will.“41 Die Schulung der Hand ist zugleich eine Schulung des Auges, und beides sind Imperative der klassizistischen Geschmackbildung. Als zentrales Konstitutionsmerkmal von Meyers Sozialisation zum Kunsthistoriker steht das Zeichnen nach Antiken am Übergang von der künstlerischen Praxis zur analytisch-morphologischen Kunstbetrachtung. Der Dualismus von künstlerischer An38 Das Nachzeichnen nach Marmor und Gipsen erfolgt nach Vasari vor dem der Natur. Vasari 2006, S. 100. 39 [Meyer,] Ueber Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste. Fortsetzung, in: Propyläen 3/1 (1800), S. 65; Reprint 1965, S. 777: „erst nach plastischen Werken und dann nach der Natur“. 40 Siehe Herklotz 1999. – Zum Zeichnen nach Antiken vgl. im Allgemeinen: Meder 1923, S. 263–276; Laden­dorf 1953; Ausst.-Kat. Berlin 1967; Bober/Rubinstein 1986; Gramaccini 1989; Bartsch/­Seiler 2012; Rombach/Seiler 2012; zum 18. Jahrhundert im Besonderen: Gerlach 1973; Kocks 1984; Stemmer 1996; Ausst.-Kat. Stendal/Wien 2002. Exemplarisch: Ost 1970 (Canova); Guerrini 1971 (Ghezzi); Striehl 1998 (Kniep); Rosenberg/Prat 2002 (J.-L. David); Ausst.-Kat. Rom/Berlin 2003 (J. G.  ­Schadow); Ausst.-Kat. Wien/Stendal 2004 (Franz Caucig); Boehringer/Steuben 2004 (Goethe); Ausst.-Kat. Hanau/­Weimar 2013 (Bury). 41 Oesterreich 1775, Vorbericht, S. 4v.

I.2.  Linie und Schatten

eignung der antiken Formensprache einerseits und wissenschaftlicher Dokumenta­ tion und historischer Kategorisierung andererseits setzt sich in seinem zeichnerischen ­Œuvre kontinuierlich fort, wobei man künstlerische und wissenschaftliche Auseinandersetzung kaum voneinander getrennt betrachten kann. Spätestens nach Meyers ­erstem Italien-­Aufenthalt sind didaktische, ästhetische und analytische Praxis eng miteinander verwoben. In diesem Zusammenhang auffallend ist schon die besondere Funktion, die M ­ eyer der Zeichnung als Informationsträger von künstlerischen Objekten zuweist. In einem Aufsatz über Handzeichnungen aus dem Jahr 1808 unterscheidet er zwischen zwei Kategorien der Zeichnung.42 Der erste Typus entspricht dem der traditionellen idea-­ disegno-Theorie: Die Handzeichnung ist Mittel der Invention, sie fixiert die ersten künstlerischen Ideen und definiert sich weitestgehend über die Linie und die Spontaneität des Strichs. Im anderen Fall spricht Meyer von der „monochromen Zeichnung“. Diese unter­scheide sich von der Entwurfszeichnung dadurch, dass sie Licht und Schatten berücksichtige, plastische Elemente modelliere und Grau in Grau die Farbverteilung simuliere. Mit dieser Dichotomie wird zweifellos auf Unterscheidungen traditioneller Theorien der Zeichnung aufgebaut, so etwa auf Federico Zuccaros Traktat über den disegno (disegno interno und disegno esterno) und auf dem französischen Akademismus, welcher den konturbetonten „dessin au trait“ vom modellierenden „dessin ombré“ unterscheidet.43 Im Gegensatz zu diesem Traditionsstrang werden jedoch beide Zeichnungsformen von Meyer nicht als die aufeinander abfolgenden Schritte von ein- und demselben Werkprozess begriffen, sondern als selbständige, voneinander funktional wie produktionsästhetisch getrennte Zeichnungsgattungen. Während die Kontur- und Entwurfszeichnung Ausdruck der künstlerischen Originalität ist sowie der Genese und ersten Fixierung von Bildideen dient, wird die „monochrome Zeichnung“ als reproduktiver und kopierender Träger nach bereits vollendeten Werken verstanden. Zugleich wird der monochromen Lichtschattenzeichnung ein selbständiger Werkcharakter abgesprochen. Zwar habe es in neuerer Zeit Versuche ihrer Aufwertung gegeben – gemeint ist sicher Asmus Jakob Carstens44 –, jedoch simulierten diese Versuche allenfalls eine Werkeinheit, deren Manko darin besteht, dass sie durch das Fehlen der Farbe nicht zur Vollgültigkeit gelangen könne.45 Die modellierende, in Licht und Schatten arbeitende Zeichnung wird damit auf den Rang eines kopierenden Mediums zurückgestuft. Sie dient dem Zweck einer exakten Wiedergabe bereits vorhandener Werke und sollte deshalb als Vorlagen für Druckplatten der Reproduktionsgraphik verwendet werden. 42 Meyer, Über Handzeichnungen, 1808, Heft 1, S. 12 f. 43 Panofsky 1960, S. 47–53; Bätschmann 1996, S. 24. Zu der grundlegenden Opposition: Busch 2001. 44 Carl Ludwig Fernow hatte in seiner Biographie zu Asmus Jakob Carstens (Fernow 1806) dessen geringe Befähigung zur Farbe konstatiert und ihn als autonomen Zeichner aufgewertet. 45 Vgl. auch den Abschnitt „Streben zur Farbe“ in: Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, §§ 862–866, MA 10, S. 250 f.

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I.2.  Linie und Schatten

Meyers Typologie der Zeichnung ist weder historisch haltbar, noch lässt sie sich stimmig auf sein eigenes künstlerisches Werk anwenden. In der radikalen Verein­ fachung ist diese Dichotomie dennoch von Aussagekraft: Sie leistet erstens Widerstand gegen die von Carstens und Fernow postulierte Autonomie der Handzeichnung samt ihrer Helldunkelqualitäten, zweites formuliert sie gegenüber einer auf den Konturlinearismus festgelegten Druckgraphik den Anspruch auf eine malerische Wiedergabe von Licht- und Schattenwirkungen, wie er tatsächlich in den Jahren nach 1808 durch die Kreidelithographie in nie geahntem Ausmaß realisiert wird.46 Woher kommt aber die Bestimmtheit, mit der Meyer gerade die modellierenden Elemente der Zeichnung mit einer reproduktiven Funktion identifizieren kann? Die Auffassung ist vermutlich auf Meyers eigene Tätigkeit als Kopist antiker Büsten und ­Statuen in Rom zurückzuführen, von der Konrad Geßner im Jahr 1787 brieflich berichtet: Meyer und sein Freund Heinrich Kölla seien „zwey ausgezeichnete Menschen von Fleiß und Talenten“. Er habe antike „Köpfe in Seidelmans Manier von Ihnen ge­sehen, die neben des letztern seine dürfen gestellt werden; Herr Trippel giebt ihren Contours sogar noch den Vorzug.“47 Mit der sogenannten Seydelmann’schen Manier wird Meyer auch an zwei Stellen in der Italienischen Reise in Verbindung gebracht: „[E]r ging den sichern von Winckelmann und Mengs eröffneten Pfad ruhig fort, und weil er in der Seidelmannschen Manier antike Büsten mit Sepia gar löblich darzustellen wußte, so fand niemand mehr Gelegenheit als er, die zarten Abstufungen der frühern und spätern Kunst zu prüfen und kennen zu lernen.“48 Der von Goethe (rückblickend) angeführte Kausalzusammenhang von Historisierungs- und Analyseprinzipien der klassizistischen Theoriebildung und von zeichnerischer Praxis ist somit evident.

2.1 Die „Seydelmann’sche Manier“ – Versuch einer stilkritischen Klärung Sowohl Konrad Geßner wie Goethe bezogen sich in der Charakterisierung von ­Meyers Antikennachzeichnungen auf Creszentius Josephus Johannes Seydelmann (1750–1829), der als der Erfinder der Sepiatechnik gilt.49 Der Mengs-Schüler hatte um das Jahr 1778 in 46 Siehe hierzu die Ausführungen in Teil III der vorliegenden Arbeit. 47 Konrad Geßner an Salomon Geßner, Rom 1. August 1787, in: Bw. Geßner/Geßner, S. 164 (Abdruck bei: Wyder 2010, S. 14). 48 Goethe, Italienische Reise, MA 15, S. 523. – Goethe scheint Meyer unabhängig von dem 1801 erschienenen Geßner-Briefwechsel mit Seydelmann zu assoziieren. Weder befindet sich das Buch in Goethes Bibliothek (vgl. Ruppert 1958), noch lässt sich seine Ausleihe aus der Herzoglichen Bibliothek be­legen (vgl. Keudell 1931). 49 Unklar bleibt, ob Seydelmann zunächst nur mit Mischungen aus Sepia und Bister arbeitete. Zu der ungesicherten Forschungslage vgl. bereits Meder 1923, S. 69 f; Koschatzky 1996, S. 142; Grave 2006b,

I.2.1  Die „Seydelmann’sche Manier“ – Versuch einer stilkritischen Klärung

Rom mit Sepia experimentiert und mit der Beimischung von Bindemitteln wie ­Gummi Arabicum eine sich schnell verbreitende Formel für die auf dem Papier haf­tende Sepiatinte erstellt. Als geschickter Kopist erlangte Seydelmann Bekanntheit, indem er, wie das Beispiel einer Kopie nach Antoine Pesne zeigt (Tf. IV/1 und IV/2), koloristische Werte in ein monochromes System tonaler Abstufungen übersetzte. Aufgrund ihrer steinfarben wirkenden grau-braunen Farbgebung und der Varianz in den tonalen Abstufungen wurde die Sepia im Rom der 1780er Jahre besonders für das Kopieren antiker Büsten und Statuen eingesetzt, so dass die Sepiazeichnung von Zeitgenossen oft allgemein mit Tuschen nach Antiken assoziiert wurde. Schnell scheint ­Meyer das Zeichnen und Lavieren mit Sepia zum Broterwerb adaptiert und zudem, wie ­Rezepte im schriftlichen Nachlass bezeugen,50 mit Mischungen aus Sepia, Bister und ­Tusche experimentiert zu haben. Von Seydelmanns Kopien nach Antiken sind vor allem großformatige Tuschen in Grau erhalten (Abb. 12). Obgleich sie sämtlich in spätere Zeit zu datieren sind, geben sie Aufschluss über sein spezifisches Verfahren der Antiken-Aneignung. Seydelmann arbeitet grundsätzlich ohne konturierende Federzeichnung und ausschließlich mit spitzem Pinsel, dessen Punkte über die gesamte großformatige Bildfläche und ohne Aussparung in verschiedenen Stärken nebeneinander getupft werden. Spuren von Bleistiftvorzeichnungen oder Durchzeichnungen nach Vorlagen – die monumentalen Blätter wurden mehrfach ausgeführt – sind sorgfältig verborgen. In dem zarten und monochromen Punktesystem, das nur durch wenige Weißhöhungen gebrochen wird, wirkt der Einzelkopf in oft nischenartigem Umfeld räumlich eingebunden und durch die Grau­töne modelliert. Durch das Nebeneinandersetzen der stark verdünnten und damit nach ­außen ins Helle abklingenden Tupfer entsteht eine tonale Plastizität, die bei Nahsicht die Außen­kontur des Objekts mit dem Hintergrund watteartig verwebt. Bei stärkerem Abstand wird die Konturwirkung durch entgegengesetzte Grauwerte erzeugt, so zum Beispiel bei einer Tusche nach einer Büste des Apolls von Belvedere (Abb. 12), in welcher sich der Außenkontur des an den Rändern abschattierten Profils durch das Gegenspiel des konvex wirkenden und schattig in den Tiefenraum zurückschwingenden Hintergrund abhebt. Gemäß den zeitgenössischen Empfehlungen zum Nachzeichnen plasti­scher Werke wird der Kopf bei starkem Oberlicht gezeigt: „Die Bildhauerarbeit, die man daselbst zeichnet, muß von einem einzigen Licht, welches von oben einfällt, beleuchtet werden, damit sich die hervorstehenden Partheyen durch Schatten charakterisieren; würde sie von verschiedenen Seiten auf einmal erleuchtet, so wären die ­Formen für die Augen des Schülers nicht merkbar genug, und seine Zeichnung würde

S. 446. Die Nachrichten über Seydelmann, dessen Vornamen unterschiedlich angegeben werden, sind spärlich. Zur Zusammensetzung der Sepia im Allgemeinen vgl. Schwahn 1987. 50 GSA 64/106,6.

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I.2.  Linie und Schatten

12__Creszentius Josephus Johannes Seydelmann: Büste des Apoll von Belvedere, in grauer ­Tusche laviert, 79,6 × 55,1 cm, Kunsthaus Zürich, ­Graphische Sammlung, Dauerleihgabe der Stadt Zürich, Inv.-Nr.: 35096b

I.2.1  Die „Seydelmann’sche Manier“ – Versuch einer stilkritischen Klärung

13__Johann Heinrich Meyer (bisherige ­Zuschreibung: Crescentius Josephus ­Johannes ­­Seydelmann): Zeus von Otricoli, Feder und ­Pinsel in Sepia über Bleistift, 93,2 × 65,2 cm, ­Klassik ­Stiftung Weimar, Museen, KHz1980/00648 (­Standort: Wittumspalais, Treppenhaus).

14__Johann Heinrich Meyer (bisherige ­Zuschreibung: Crescentius Josephus Johannes ­Seydelmann): Juno Ludovisi, Feder und Pinsel in ­Sepia über Bleistift, 94 × 65,3 cm, ­Klassik ­Stiftung Weimar, Museen, KHz1980/00649 (Standort: ­Wittumspalais, Treppenhaus).

keine Wirkung thun.“51 Die stimmungsvolle Einbettung der dargestellten Antiken steigert Seydelmann dadurch, dass die weichen Schlagschatten auf den plastischen Körper fallen. Diese die Härte des Konturs mildernde Technik ist von fließender und samtartiger Wirkung und setzt als Prä-Impressionismus ohne Farbe gerade im Interieurzusammenhang einen atmos­phärisch weichen Akzent. Ähnliche repräsentative Schaustücke finden sich auch im graphischen Nachlass Meyers, wobei drei Fassungen mit einer Togatusbüste nach dem Apoll von Belvedere direkt auf Seydelmann zurückgehen. Die drei Blätter – sie dienten vermutlich Unterrichtszwecken in der Zeichenschule – sind in unterschiedlichen tonalen Stufen auslaviert (Gr–2005/422; Gr–2005/436; Gr–2005/511). Ein Blatt (Gr–2005/422) weist Druckspuren einer Durchzeichnung auf. Wie bei Seydelmann ist der Kopf im Profil nach rechts gewendet, die Beleuchtung kommt von oben, hervorkragende Haarlocken werfen dunkle Schlagschatten auf die Stirn. Auf den Blättern Gr–2005/436 und Gr–2005/511 51 Pierre Soubeyran in der Vorrede zu: Füssli 1769–1779, Bd. 4, S. III–LIV, S. XXXV.

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I.2.  Linie und Schatten

hat der Zeichner die Seydelmann’sche Tupftechnik übernommen, allerdings scheinen die Flecken trockener und damit weniger nuanciert aufgetragen. Zahlreiche Stellen sind unbearbeitet; in Gegensatz zu Seydelmann gelingt es nicht, an den Konturen fließende und bruchlose Übergänge zu gestalten. Es bleibt bei einem skrupulösen Umgang mit der mit Graphit vorgezogenen Zeichnung, die zugleich die Grenzlinie von Helldunkelgegensätzen markiert, die anders als bei Seydelmann stark hervortritt. Die langanhaltende Wirkung Seydelmanns bei Meyer, aber auch die technischen und stilistischen Unterschiede zeigen sich an zwei Beispielen, die ebenso wie die drei Blätter mit der Apollobüste aus der Zeit nach 1800 stammen. Hier ist der repräsentative Charakter besonders auffallend: Zwei monumentale lavierte Zeichnungen nach dem Zeus von Otricoli (Abb. 13) und der Juno Ludovisi (Abb. 14), die seit dem 19. Jahrhundert zur Ausstattung des Weimarer Wittumspalais gehören und dort im Treppenhaus hängen, wurden bislang Seydelmann zugeschrieben.52 Aufgrund der Maße und Vorzeichnungen im graphischen Meyer-Nachlass53 lassen sich die Pendants als zwei bislang verschollen geltende großformatige Blätter Meyers identifizieren, die sich um 1824 in der Großherzoglichen Kunstsammlung befanden.54 Von beiden antiken Werken ­hatte Goethe um 1787 Abgüsse in seiner römischen Wohnung; 1813 erhielt er erneut ­einen Abguss des Zeus von Otricoli,55 1823 schenkte ihm Staatsrat Schultz einen Abguss der Juno Ludovisi – es scheint somit wahrscheinlich, dass Meyer die beiden Zeichnungen kurz vor ihrer Inventarisierung um 1823/1824 anfertigte. Die Pendantkonzeption ist schon an einem maßstabsgleichen Blatt ersichtlich (Gr–2005/996), das vorderseitig den Zeus in Form einer Graphitvorzeichnung mit teilweiser Überzeichnung in brauner Feder sowie einer ansatzweise ausgeführten und gegenüber der Endfassung seitenverkehrten Lavierung zeigt, rückseitig die Juno als Graphitzeichnung mit Feder an der Bekrönung. In der strengen Ansicht en face wie auch in der sorgfältigen Anwendung des nach Helldunkelstufen differenzierenden Pinsels erzeugen die beiden Blätter im Wittums­ palais eine atmosphärisch verdichtete Monumentalität. Verstärkt wird dies gegenüber den Entwürfen durch die drapierten Schultern wie etwa den feingefältelten Chiton der Juno. Die Anregungen durch die Seydelmann’sche Manier und ihre Nachwirkung bei Meyer sind hier besonders gut erkennbar. Dies zeigt die Einbindung der Plastik in den Bildraum und die Berechnung auf Helldunkeleffekte. Insgesamt zeugt der konturbildende Einsatz des Pinsels von Meyers Stilisierungswillen, der den für Repräsenta­ tionszusammenhänge berechneten Schaustücken einen härteren Ausdruck als Seydelmann verleiht. Nicht ganz unzutreffend hat Meyer im selben Zeitraum einen Seydel52 KK 11720 (bzw. KHz1980/00648) und KK 11721 (bzw. KHz1980/00649). Die Zuschreibungen stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. 53 Gr–2005/996. 54 Ausst.-Kat. Weimar 2002, S. 260. Maße ca. 94x 65,8 cm sowie 94,4 × 62,8 cm. 55 Vgl. Eintrag in Goethes Tagebuch vom 24. 2. 1813, in: Goethe, Tagebücher 2007, Bd. 5.1, S. 22.

I.2.2  Antiken-Nachzeichnungen um 1785

mann’schen Kopf nach dem Apoll von Belvedere (vgl. Abb. 12) als zu feminin charakterisiert: „[M]an merkt freilich Seidelmann darin der Kopf ist wohl etwas zu weiblich gerathen vielleicht das Gesicht etwas zu breit, zu gerundet.“56 Zusammenfassend lässt sich behaupten, dass Meyers Anleihen an Seydelmann in den meisten Fällen nur oberflächlich bestehen. Trippels Beobachtung von einem härteren Kontur bei Meyer entspricht dem visuellen Befund. Meyer kombiniert meist durchgezogene Konturen mit breitflächigen Lavierungen, die konkordant zum plastischen Volumen geführt werden, er setzt Weißhöhungen ein und differenziert zwischen Schatten und Linie, bei denen verschiedene Tuschen (Feder in Schwarz, Lavierung in Braun) eingesetzt werden. Seydelmann dagegen verfolgt eine auf Fernwirkungen berechnete Tupftechnik im Sinne eines streng monochromen, von Hell zu Dunkel abgestuften Systems von Graumischungen, das die Linie als gestalterisch selbständiges Prinzip überflüssig macht. Anhand dieser Unterscheidung wird deutlich, dass in Meyers Kopierverfahren ein wesentlich stärkeres analytisches Moment liegt als in den dekorativen Schaustücken Seydelmanns.

2.2 Antiken-Nachzeichnungen um 1785: De- und Resemantisierung der Form (Medusa Rondanini) Eine zentrale Rolle in dem zwischen Künstlerausbildung, Erarbeitung eines kanonischen Bildervorrats und der Weiterentwicklung antiker Formmerkmale angesiedelten Praxisfeld bildeten um 1780 an die rund zehn Privatakademien in Rom, die sich neben der Accademia del nudo etabliert hatten.57 Das Bildhaueratelier von Alexander Trippel, in das Meyer bald nach seiner Ankunft in Rom 1784 eingetreten sein muss, war das kunsttheoretische Zentrum des deutsch-römischen Kreises. Die Erinnerungen Tischbeins, das Tagebuch der Marianne Kraus, Friedrich Johann Lorenz Meyers Darstellungen aus ­Italien wie auch Goethes Italienische Reise berichten von dem heraus­ragenden Diskussionsforum,58 das mit einer umfangreichen Gipssammlung59 ausgestattet war. Friedrich Bury, Johann Heinrich Lips, Christoph Heinrich Kniep, Konrad Geßner, Heinrich Kölla und Meyer, schließlich Goethe zeichneten dort nach Antiken und Akten, fast alle jün56 Meyer an Horner, Weimar, 22. 11. 1826, ZB Zürich, Handschriftenabteilung, Ms M 8.36, Brief-Nr. 117. 57 Auf diese Konjunktur um 1780 verweisen beispielsweise die Briefe des Batoni-Schülers Johann Gottlieb Puhlmann, in denen neben der Aktzeichnung auch die Antikennachahmung eine bedeutende Rolle spielt. Puhlmann 1979, S. 107 (Brief an die Eltern, Rom, 9. 6. 1776). Zu Aktzeichnungen aus ­Meyers Umfeld siehe Müller-Bechtel 2013. 58 Tischbein 1922, S. 134; Kraus 1791/1931, passim; F. J. L. Meyer 1792, S. 142–148; Goethe, Italienische Reise, in: MA 15, S. 474 f. 59 „Verzeichnis derer Antiquen welche sich in meiner Samlung befinden“ (129 Abguss-Nummern), Trippel-­Nachlass, Zürich, M 29, Vereinzelt 12. Die Liste der Gipse ist publiziert bei Rotili 2010.

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I.2.  Linie und Schatten

geren deutschsprachigen Bilderhauer der 1780er Jahre – ­Schadow und Dannecker miteingeschlossen – setzten dort zeitweilig ihre Ausbildung fort. In der L ­ ehre wie in der eigenen bildhauerischen Praxis vertrat Trippel die normativen Grundsätze Winckelmanns auf dogmatische Weise.60 Diesen neoklassizistischen Anschauungen blieb Meyer zeitlebens verbunden; ähnlich wie Carl Ludwig Fernow sah er in dem 1792 verstorbenen Künstler den eigentlichen Erben der Antike, der es mit der Konkurrenz Antonio Canovas langfristig hätte aufnehmen können.61 Dass Trippel ab ca. 1784 von dem ungleich flexibleren Canova bereits vom römischen Kunstmarkt verdrängt wurde, wird oft übersehen.62 Aus dem Umfeld der Trippel-Werkstatt stammen diverse Zeichnungen im Graphischen Nachlass Meyers. Die in diesen Zeitraum sicher datierbaren Antiken-Kopien belegen eine gegenüber anderen Zeichnern wie Bury oder Kniep weitgehend unabhän­ gige Herangehensweise. Ein auf das Jahr 1786 datiertes Blatt zeigt eine Porträtherme des Sokrates, Typus B,63 aus dem Kapitolinischen Museum (Abb. 15 und 16). Anhand der Gegenüberstellung mit dem antiken Original wird erkennbar, dass Meyer einen leicht erhöhten Augenpunkt einnimmt, so dass der im Profil gezeigte Kopf in verschlankter Form wiedergegeben wird. Diese, für die Reproduktion antiker Bildwerke eher ungewöhnliche64 leichte Obersicht und Verjüngung nach unten reduziert nicht nur die Wuchtigkeit des Kopfs und gibt der Herme eine gewisse Eleganz, sie betont zugleich die Dinghaftigkeit und Plastizität des betrachteten Objekts. Dementsprechend ist die Binnenzeichnung sorgfältig in Braun auslaviert; breitflächig aufgetragene Weißhöhungen verstärken die plastische Wirkung. Im Gegensatz zu den von Seydelmann ausschließlich mit spitzem Pinsel getupften Tuschen setzt die Mischtechnik Meyers mehrere graphische Mittel ein. Die sorgfältige Lavierung ordnet sich der Federzeichnung unter, so dass eine bruchlose Einheit von Linie und Schatten entsteht. Registriert werden charakteristische Formmerkmale, etwa das sorgfältig durchgezeichnete Haupthaar. Lichtreflexe und Abschattierungen erzeugen den unverminderten Eindruck von Plastizität, zusätzlich gesteigert durch den frei gelassenen Hintergrund. Eine ähnliche Form der zeichnerischen Aneignung macht sich in einer qualitätvollen Zeichnung nach der Medusa Rondanini bemerkbar (Tf. V). Sie ist mit dem Ent­ stehungsjahr 1786 bezeichnet,65 womit ein unmittelbarer Bezug zu Goethe entsteht, der im Dezember 1786 erstmals von dem Werk berichtet: „Gegen uns über im Palast Ron60 Siehe Ausst.-Kat. Schaffhausen 1993. 61 Fernow, Über den Bildhauer Canova und dessen Werke, in: Fernow 1806/1808, Bd. 1, S. 11–248, hier: S. 18–20. 62 Rößler 2012. 63 Helbig 1963–1972, Bd. 2, S. 289, Nr. 1464. 64 Die Beobachtung der durchgängigen Untersichtigkeit in Darstellungen von antiken Bildwerken im 18. Jahrhundert bei Gerlach 1973, S. 40. 65 Vermerk von Meyers Hand rechts unten: „Die Meduse im Pall. Rondinini 1786.“

I.2.2  Antiken-Nachzeichnungen um 1785

15__Herme des Sokrates, Typus B, Kopie aus der 1. Hälfte des 1. Jh.s n. Chr., griechischer ­Marmor, h: 41 cm, Rom, Konservatorenpalast, Inv.-Nr.: 1163.

16__Johann Heinrich Meyer: Zeichnung nach der Sokrates-Herme im Kapitolinischen Museum, 1786, Feder in Braun laviert mit weißer Kreide, 26 × 19,1 cm, bezeichnet unten „Socrates im ­Capit. Musäum 86.“, Klassik Stiftung Weimar, Museen, Gr-2005/829.37.

danini steht eine Medusenmaske, wo, in einer hohen und schönen Gesichtsform, über Lebensgröße, das ängstliche Starren des Todes unsäglich trefflich ausgedrückt ist. Ich besitze schon einen guten Abguß, aber der Zauber des Marmors ist nicht übrig geblieben. Das edle Halbdurchsichtige des gilblichen, der Fleischfarbe sich nähernden Steins, ist verschwunden. Der Gips sieht immer dagegen kreidenhaft und tot.“66 Ernst Buschor hat Goethes Würdigung, deren weitreichende Implikationen hier nicht erneut im Einzelnen nachgegangen werden sollen, als das überhaupt erste schriftliche Zeugnis über die nachmals berühmte und von König Ludwig I. von Bayern für die Münchener ­Glypto­thek ­erworbene Gorgomaske erkannt (Abb. 17).67 Trotz dieses Befundes ist da66 Goethe, Italienische Reise, in: MA 15, 178. Für weitere Belege siehe die Quellenübersichten bei ­Grumach 1949, Bd. 2, 539–542; Wegner 1949, S. 52–54. 67 Buschor spricht von einer „Entdeckung durch Goethe“. Buschor 1958, S. 9. Zu Goethes Auseinandersetzung mit der Medusa Rondanini und mit der Medusen-Thematik siehe insbesondere Osterkamp 2007, S. 50–66.

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I.2.  Linie und Schatten

17__Medusa Rondanini, römische Kopie nach einem Werk um 440 v. Chr., Parischer Marmor, Höhe 36 cm, Glyptothek München, Inv.-Nr.: Gl. 252.

von auszugehen, dass jene wohl starke „römische Umprägung“68 eines frühklassischen Schildgorgoneions bereits vor Goethes Aufenthalt in Rom eine größere Bekanntheit besaß, da seit ca. 1758 ihre verkleinerte moderne Replik den Rahmen der Eingangstüre zum Palazzo wie ein Apotropaion bekrönt.69 Meyers Zeichnung wird im Folgenden im Kontext einer großangelegten Theorierevision analysiert, die sich in dezidierter Abrückung vom barocken Medusen-Motiv70 vollzieht. Die instabilen, zwischen Schrecken und Mitleid schwankenden Interpretationsmöglichkeiten sind hier verbunden mit der Frage nach der idealen Ansichtigkeit des Hochreliefs, die sich in den Betrachtungsalternativen en face und von der Seite niederschlägt. 68 Floren 1977, S. 155. Vgl. daran anschließend die kritische Diskussion der These von Buschor 1958, S. 32 f, es handle sich um eine römische Kopie des Schild-Gorgoneions von Phidias auf dem Parthenon: Dahlinger/Krauskopf 1988, S. 326. 69 Siehe die Abbildung bei Borsi u.a. 1983, S. 9. 70 Zu neuzeitlichen Darstellungen der Gorgo bis zum 18. Jahrhundert vgl. einführend: Werner Hofmann in Ausst.-Kat. Wien 1987; Davidson Reid 1993, Bd. 2, S. 650–653; Marin 2003, S. 150–203; Cima 2007; Ausst.-Kat. Florenz 2008.

I.2.2  Antiken-Nachzeichnungen um 1785

18__Friedrich Bury: Gorgo vor Persephone (nach der Odyssee, XI, 636 f), aquarellierte Federzeichnung, 29,1 × 39,4 cm, Klassik Stiftung Weimar, Goethes Kunstsammlung, Schuchardt, Nr. 0274, Z 206

In Goethes und Meyers direktem Umfeld entsteht die Umdeutung der Medusa ­Rondanini zu einem paradigmatischen Werk klassizistischer Kunsttheorie. In dichter Folge auf Goethes Bericht entstanden Würdigungen aus dem deutsch-römischen Kreis der späten 1780er Jahre. Trippel, der in seinem Atelier am Corso ebenso wie Goethe ­einen Gipsabguss des Werks verwahrte,71 nutzte 1789 die Medusa Rondanini in einem Schreiben an den preußischen Staatsminister Freiherr Friedrich Anton von Heinitz exemplarisch zur Abgrenzung von der barocken Formensprache.72 Sich auf eine Abbildung nach Andreas Schlüters Gorgo am Schlussstein an der Fassade des Berliner Zeughauses berufend,73 versteht er das antike Werk als Gegenbild zum barocken Niedergang:

71 Nachlass Alexander Trippel, Kunsthaus Zürich, M 29, Vereinzelt 12, „Verzeichnis derer Antiquen ­welche sich in meiner Samlung befinden“, Nr. 53. 72 Zum Kontext der Äußerung siehe Rößler 2012. 73 Trippel bezieht sich auf eine Radierung von Bernhard Rode, 1759. 157 × 105 mm. In: Larven nach den Modellen des berühmten Schlüters gezeichnet und in Kupfer geätzt von B. Rode. Berlin 1759. – Zur Gorgo am Berliner Zeughaus siehe Dautel 2001, S. 72 f.

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I.2.  Linie und Schatten Wo die Alten die alle einfachsten Formen gewehlt, um Auf das angenehme vorzustellen, Betrachte man das erste Bladt welches die Medusa vorstellt, und betrachte diese dagegen die vom Palast Rondanini, was da vor einem Underschied herrscht, diese vom Schlütter, ist Hohl schwach und ohnmächtig. Wie kan man einen solchen Kopff alle diese Würckungen zuschreiben die ihm die Fabel zuerdichtet hat Die ­andere hingegen, bey dem ersten Anblick Erstaunt man, macht Eindruck und Schauder. Das Er­habene großer Caracter, die Augenbrauen die sich ein wenig zusammen ziehen, die großen Augen welche aus­ sehen als weren sie Feuer Spritten? Im wohlgebildeten großen Mund welcher das Schrecken und Ver­ steinerung ausdrückt ohne die Schlangen zu hülfe zu haben, welche nur zwey sind die den Kopf umgeben, und Zischen zu scheinen, die Haare stehen zu Berge und würckt auf einem was man glaubt sie stehen einem auch zu Berge. Und so von dieser Art, in dem Erhabenen Still findet man ville, die dieser nichts nachgeben, nur das sie andere Vorstellungen haben.74

Die bislang von der Forschung unberücksichtigt gebliebene Quelle75 objektiviert die von Goethe vorgenommene Beobachtungen zum common dit im deutsch-römischen Kreis. Wie Goethe betont Trippel den „wohlgebildeten großen Mund welcher das ­Schrecken und Versteinerung ausdrückt“.76 Von präziser Beobachtung ist der Hinweis zu den leicht zusammengezogenen Brauenbögen, welche die Forschung des 20. Jahrhunderts als Umbildung augusteischer Zeit erkannt hat.77 Bezeichnend ist Trippels Beobachtung zum Haarschmuck mit der Begrenzung auf zwei symmetrisch zueinander angeordneten Schlangen, deren untere, teilweise ergänzte Verknotung im Vergleich zu Schlüter einen ornamental geschlossenen Rahmen bildet. Auffallend an dem Urteil des orthodoxen Klassizisten Trippel ist schließlich, dass er in der Geschlossenheit und formalen Perfektion des Werks das von der Medusa ausgehende ambivalente Wirkungspotential adäquat repräsentiert sieht, indem er Schlüters „Kopff alle diese Würckungen“ abspricht, „die ihm die Fabel zuerdichtet hat“. Der antike Medusenkopf ist dagegen Apotropaion und Schreckbild, er betört durch seine Schönheit, ohne dabei die Ausstrahlung von Erstarrung zu verlieren. In der Wertung Trippels und der damit verbundenen Abgrenzung von barocken Medusendarstellungen sind somit Aspekte angelegt, die in der autonomieästhetischen Rom-Erfahrung von Karl Philipp Moritz zum Durchbruch kommen. In dessen Beschreibung der Medusa Rondanini vollzieht sich eine Umdeutung, die unter Ausschöpfung des mythologischen Deutungspotentials eine entscheidende Sinnverschiebung erhält. Zunächst beschreibt Moritz die Medusa Rondanini als Werk mit allen Merkmalen von inhaltlicher wie formaler Geschlossenheit: 74 Trippel an Heinitz, 9. 2. 1789, in: Acta betreffend die intendirte Engagierung des Bildhauers Trippel zu Rom, in die Stelle des verstorbenen Tassaert, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 alt, III, Nr. 29, fol. 31v. 75 Erstpublikation durch meinen Aufsatz Im Blick der Medusa Rondanini (Rößler 2014b, S. 190), der im Folgenden in veränderter Form wiedergegeben wird. 76 „Besonders ist der Mund unaussprechlich und unnachahmlich groß“. Goethe, Italienische Reise, in: MA 15, S. 453 (Juli 1787). 77 Vgl. Floren 1977, S. 155.

I.2.2  Antiken-Nachzeichnungen um 1785 In diesem Meisterstücke der griechischen Kunst ist, durch die furchtbare Größe aller einzelnen Züge, die menschliche Gesichtsbildung, vom übrigen Körper abgesondert, wie ein schreckendes Ganzes dargestellt. – Dies Haupt scheint nur ein Wesen für sich; der Teil ist zum Ganzen geworden – Es ist geflügelt, mit Schlangen umwunden –78

Dann setzt Moritz eine Information in Parenthese, die gegenüber der „kanonischen Fassung des Mythos“,79 nämlich der Perseus-Sage, abweicht: „Ulysses, da er im Reiche der Schatten die Scharen der Toten ankommen sieht, wendet sein Gesicht weg, damit nicht Persephone, die Königin der Unterwelt, dies furchtbare Haupt ihm entgegensende, und daß der grausenvolle Anblick ihn vor Entsetzen nicht versteinere.“80 Moritz erkennt in Einklang mit der modernen Forschung die Funktion des Gorgoneions als Höllen­geist. Im Unterschied zur barocken Auffassung81 assoziiert er nicht den von ­Perseus abgeschlagenen Medusen-Kopf, sondern bringt die Skulptur mit der Homer-Stelle in Verbindung. Die Grundlage für diese Interpretation bildet die symmetrische Komposition und die frontalansichtige Anlage des Kopfes. Diese Vereinnahmung im autonomieästhetischen Sinne ist keine Selbstverständlichkeit, handelt es sich doch vom streng morphologischen Standpunkt aus bei der Gorgo um eine „bizarre Kompositschönheit, die der ganzheitlichen Ästhetik zuwiderläuft“.82 Moritz reaktiviert die seit der Archaik belegbare Deutung der Gorgo als Geist der Unterwelt, die in keiner Verbindung mit dem Perseus-Mythos bzw. mit der Aigis der Athene steht. Mit der Rekurrenz auf einen Passus der Odyssee (XI, 636–637)83 beginnt in der klassizistischen Rezeption die Herauslösung der Medusa Rondanini aus dem ikonographischen Zusammenhang des Schildgorgoneions und ihre Deutung als homerischer Hadesdämon. Ein offenbar von Moritz angeregtes Blatt von Friedrich Bury (Abb. 18) stellt diese Verwebung der Mythologeme wie eine Assemblage zusammen. In dem diffus dunklen, pallastähnlichen Raum thront Persephone, die der Gorgo gebieterisch den Auftrag zur Abwehr des eindringenden Sterblichen erteilt. Burys bildliche Umsetzung der beiden Homer-Verse kennt keine antiken oder nachantiken Vorläufer, weshalb eine direkte Beziehung zu der Stelle bei Moritz besonders plausibel erscheint. Wie ­Moritz in seiner Deutung bezieht sich Bury nicht auf eine echte Handlung aus der ­Odyssee, sondern illustriert die potentielle Gefahr, die Odysseus imaginiert und zur Umkehr bewegt. Es ist zudem bezeichnend, dass der Höllengeist ausgerechnet die Züge der ­Medusa ­Rondanini als Prototyp klassizistischer Medusendarstellung trägt – hier in dezent farb78 79 80 81 82 83

Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788, in: Moritz 1993, Bd. 2, S. 364. Bremmer 1998, Sp. 1154. Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788, in: Moritz 1993, Bd. 2, S. 364. Zu der manieristischen Konzeption vgl. Werner Hofmann in Ausst.-Kat. Wien 1987, Bd. 1, S. 138 f. Ebd., S. 138. Die Odyssee-Stelle gilt als eines der frühesten literarischen Zeugnisse zur Gorgo überhaupt. Besig 1937, S. 5.

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I.2.  Linie und Schatten

licher Umsetzung intuitiv den im 19. Jahrhundert aufkommenden Streit über die Polychromie der antiken Skulptur antizipierend. Ein wesentliches Merkmal der Moritz’schen Beschreibung scheint zu sein, dass sie zunächst von einer Betrachtung des Medusenkopfs en face ausgeht.84 Nur so kann die Interpretation des Hochreliefs als in sich abgeschlossenes Werk inhaltlich wie formal überzeugen. Für Moritz bildet die Homer-Stelle den Anlass, in ekphrastischer Tradi­ tion das antike Bildwerk zu beleben. Transitorisch tritt der Kopf in Aktion und geht wie in Lessings Laokoon-Deutung in der Vorstellung des Betrachters der Ruhe verlustig. ­Bury scheint die Plastik nicht direkt vom Original oder Gips abzuzeichnen. Trotz seiner ­Drehung wirkt der Kopf im Vergleich mit dem Original scheibenartig-flach, weshalb die Annahme naheliegt, dass Bury seine Komposition auf Grundlage einer Nachzeichnung in Frontalansicht angefertigt hat und damit zu einer mühsamen Rückumsetzung gezwungen war. Die Zielgerichtetheit, mit der auf dem Blatt Burys Persephone das Haar der Medusa Rondanini überschneidet, macht die leichte Wendung des Medusenhauptes nach rechts notwendig, welche somit die Ausgangsbasis bei Moritz, nämlich den Blick auf eine Frontalkonzeption überwindet. Sollte Burys Darstellung tatsächlich auf Moritz’ originelle Verknüpfung der Medusa Rondanini mit der Homer-Stelle zurückgehen, so ist die Wendung des Kopfes aus bildorganisatorischen und bildnarrativen Gründen unumgänglich. Doch ist hier entscheidend, dass Bury mit der leichten Drehung des ­Kopfes die Konvention von der Frontalansichtigkeit überwindet. Radikaler als Bury, der mit der leichten Drehung einen Kompromiss eingeht, zeigt dagegen Meyer den Kopf in Dreiviertelansicht und betont damit die Konturen des Umrisses (Tf. V), was durch die sorgfältige und gleichmäßige Lavierung des Hintergrundes noch verstärkt wird. Mit dem neutral gehaltenen Hintergrund kontrastieren die Weißhöhungen in der Binnenzeichnung, die auf die dem Betrachter zugewandte Seite rechts vom Gesichtszentrum Lichtreflexe werfen, so an der rechten Stirnseite, Nasenkante und Kinnhälfte. Die fehlende Abschattierung im Hintergrund führt zu dem ­Effekt, dass der Kopf im leeren Raum zu schweben scheint. Durch diesen Trick umgeht Meyer zugleich ein Problem, das sich dem unbefangenen Betrachter bei einem perspektivisch voll ausgeführten Hintergrund sofort erschließen würde. Die Zeichnung umgeht die sich aufdrängende Abbildungskonvention en face und vermeidet zugleich den bei Seitenansicht drohenden Verlust des ganzheitlichen Körperumrisses. Fast zwangsläufig wird das Werk als vollplastischer Kopf wahrgenommen – ein unbefangener Betrachter wäre nicht in der Lage, in der Zeichnung die Abbildung eines Hochreliefs zu erkennen. Zudem wirkt der Kopf in seiner Wendung zur Seite und Untersichtigkeit verschlankt. Damit neigt die Zeichnung zur Stilisierung. Sie entsteht nicht durch zeichnerische Korrekturen in der Proportion, sondern allein durch eine bewusst gewählte, sich von der 84 Die Beobachtung, dass (zumindest der archaischen) Darstellung des Medusenhauptes immer Frontalität innewohnt, siehe bei Vernant 1985, S. 400.

I.2.2  Antiken-Nachzeichnungen um 1785

Idealansichtigkeit emanzipierende Perspektive. Die zeichnerische Erfassung des K ­ opfes entgegen der Konvention der Frontalansicht entgeht damit der Gefahr eines Verlustes der von Goethe bewirkten Semantisierung: Der halbgeöffnete Mund mit den sichtbaren Zähnen als zentrales Übergangsmoment zwischen Leben und Tod kommt erst in der Dreiviertelansicht zur vollen Geltung. Dass Meyer dem Betrachter den direkten Blick der Medusa entzieht und ihn vor der Konfrontation der Versteinerung schützt, entspricht der damit einhergehenden Bändigung des Schreckens. Meyers Zeichnung bemüht sich somit um ganz andere Qualitäten als der Versuch Burys: Die magische Wirkung des Apotropaions, die Trippel noch bewusst war und die Bury in Anschluss an Moritz nur in einem Akt der illustrativ-narrativen Einbindung vermitteln kann, wird von Meyer durch die stereometrisch wirkende Darstellung im Dreiviertelprofil bezwungen. In seiner Zeichnung ist die Medusa Rondanini buchstäblich selbst zum dinghaften Artefakt erstarrt, da sie keinen Blickkontakt mehr zulässt. Dies hält den Betrachter auf Distanz, da er durch die verweigerte Blickkonfrontation nicht mehr auf einen überwältigungsästhetischen Effekt gewiesen wird und sich nun auf die Wahrnehmung der Oberflächenstruktur konzentrieren kann. Anders gesagt: Ge­ rade in der Distanznahme zum Objekt kann der Betrachter die (ikonographisch denotative) Macht elementaren Schreckens abstrahieren und empfindet die (konnotativen) Momente der Empatie und Rührung: Wie Goethes Beschreibungen in Goethes Italie­ni­ scher Reise nähert sich Meyer der Interpretation der Medusa als „pathetischer Typ“, der Mitleiden erweckt.85 In diesem Zusammenhang bietet sich an, Meyers Zeichnung aus dem Jahr 1786 mit einer zehn Jahre später vorgenommenen Beschreibungsnotiz zu konfrontieren: Die Medusa ist ein vortreffliches Stück die Arbeit ist untadelich von großem Fleiß & genauer Ausführung Sie ist freylich in einem Sinne gedacht & gemacht der Sie von der Lantischen Strozischen etc unterscheidet. Sie ist aber doch keine Carikatur sondern hat große schöne Formen die zwar mehr zum Wilden schreckenden als zum reizend Gefälligen sich neigen daher ist es Zweckmäßig daß die Zähne angegeben sind in den Haaren ist die Behandlung sehr frey und obschon sie ein wenig holgearbeitet sind so deuten sie doch auf gute Zeit der Kunst. Eine gewiße Härte & Schärfe die im Gesicht zu bemercken ist. scheint bloß Absichtl. zu seyn um den Ausdruck der Erstarrung stärcker & deutlicher zu machen. Das Nasenläppchen & die äußerste Nasenspize sind an der linken Seite zum Theil Neu ergänzt sonst ist das Werck unbeschädigt unbedeutende Ergänzungen an den Schlangen ausgenommen [Randbemerkung:] (Spätere Bemerkung) Wenn alles überlegt wird so findet man sich nicht abgeneigt die Meduse für eine Arbeit aus Hadrians Zeit zu halten.86

Der mit dürren Worten notierende Meyer tritt hier mit der Kompetenz des gut präparierten Antiquars auf. Die Medusa Lanti, nach heutiger Kenntnis eine moderne Imi85 Art. „Gorgo“, in: Pauly/Wissowa, 7/2 (1912), Sp. 1630–1655, Sp. 1654. 86 GSA 64/94, fol. 208r und 208v.

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I.2.  Linie und Schatten

tation,87 und ein Kameo in der damaligen Sammlung Strozzi88 werden zum Vergleich herangezogen, welche beide schon bei Winckelmann erwähnt sind.89 Bedeutsam erscheinen die Bewertung der Qualität und die stilkritische Einordnung; die spezifischen Eigenschaften, wie der halbgeöffnete Mund mit den sichtbaren Zähnen, werden nach den Kriterien der „Zweckmäßigkeit“ beurteilt. Eine solche Wertung wäre ohne den klassizistischen Diskussionskontext kaum möglich und verweist auf die mikrostruktuelle Verfeinerung der Beobachtungen. Zugleich gehen semantisierende Formbetrachtung und Wahrnehmung technischer Ausführung in einander über. Mag ein beobachtetes Detail bei ihm psycho­logische Assoziationen hervorrufen, es ist dennoch das Ergebnis eines technischen Kunstgriffs. Schon an diesem Textbeispiel wird deutlich, dass sich Meyer gegenüber den Beschreibungen bei Moritz, Trippel und Goethe zwar als der intellektuell nüchterne, aber in der lapidaren Genauigkeit auch als der unbestechlichere Betrachter erweist. Er erarbeitet nicht nur die formalen Unterschiede gegenüber dem von Winckelmann etablierten ikonographischen Korpus heraus, sondern erwägt sogar, das Werk auf die hadrianische Zeit zu datieren. Dieses stilkritisch freilich nicht haltbare Urteil signalisiert Bemühen um kunstrichterliche Präzision und Unvoreingenommenheit. Ästhe­tische Betrachtung und Aspekt kunsthistorischer Datierung stehen nur noch in loser Beziehung zueinander.

2.3  Rotation und Ausschnitt Die Gegenüberstellung jener Zeichnung aus dem Jahr 1786 mit dem zehn Jahre später erfolgten Notat markiert die Grenze zwischen der noch von einer rein künstlerischen Praxis ausgehenden römischen Frühzeit und einer späteren, inzwischen professionalisierten Kunstbetrachtung. 1786 zeichnete Meyer die Medusa Rondanini, ohne ihre Ergänzungen zu markieren. Gerade letztere werden aber bei der erneuten Autopsie gewissenhaft vermerkt. Die stilisierend-ästhetische Erfassung des Hochreliefs von 1786 zeugt von dem deutlichen Versuch, die Problematik einer zweidimensionalen Wiedergabe auszuschalten und die plastischen Qualitäten mit allen Mitteln zeichnerisch zu optimieren. Hier geht es nicht um die Dokumentation der realen Situation des Objekts oder 87 Zu der modernen Abschreibung siehe Winckelmann, SN 4.2, S. 231, Katalog der antiken Denkmäler, Nr. 499. 88 Ebd., S. 477, Nr. 1139. 89 Winckelmann, SN 4.1, S. 297 (Geschichte der Kunst des Alterthums, 2. Auflage von 1776): „Die ­Gorgonen“: „Der schönste Kopf derselben in Marmor ist einer sehr ergänzten Statue des Perseus im ­Palaste Lanti, in die Hand gegeben; und einer der schönsten auf geschnittenen Steinen ist ein ­Cammeo in dem königlichen farnesischen Museo zu Neapel, ingleichen ein anderer Kopf der ­Medusa in ­Carniol geschnitten, in dem Museo Strozzi, welche beyde von höherer Idea sind, als der so be­rühmte in eben dem Museo mit dem Namen des Solons bezeichnete.“

I.2.3  Rotation und Ausschnitt

von dessen Aufstellung, sondern um die stereometrische Konservierung im zweidimensionalen Medium der Zeichnung. Um dies zu erreichen, verfolgt Meyer die bewusste Einnahme eines unkonventionellen, von der Idealansichtigkeit verschobenen Betrachterstandpunkts. Dass im Fall der Medusa Rondanini zehn Jahre später die schriftliche Fixierung die zeichnerische Erfassung ersetzt und offenbar kein erneuter Versuch in der zeichnerischen Wiedergabe gemacht wird, belegt die analytische Kompetenz M ­ eyers, der inzwischen nicht mehr von Gesamtwirkungen, sondern von morphologischen Kategorien ausgeht. Diese Dominanz der sprachlich-analytischen Vorgehensweise ist nicht ohne Folgen für Meyers zeichnerischen Umgang mit antiken Werken; sie verweist bereits auf eine resignierte Feststellung von 1824, dass keine Abbildung die Qualität des antiken Werks wiedergeben kann.90 Und wenig später (1826) betont er angesichts einer Nachzeichnung nach dem Apoll von Belvedere sowohl den Unterschied zwischen originalem Marmor und Gipsreplik, als auch das zwangsläufige Scheitern der Erfassung des Originals: „Es ist freilich etwas Unerreichbares im Original und da man nicht nach dem Marmor zeichnen konnte der in ungünstigen Lichte stund so mußte man sich der Abgüße bedienen wodurch schon etwas von den Eigenthümlichen. der Seele des Werks verlohren ging.“91 Meyers späte Erkenntnis ist das Eingeständnis der unmöglichen Reproduzierbarkeit der antiken Skulptur in ihrer Totalität. Auswege bilden hierbei neben der umfangreichen Verschriftlichung die zeichnerischen Strategien eines bewussten Verzichts auf die Gesamtwiedergabe des Werks, was gleichzeitig den analytischen Impuls verstärkt. Es fällt dabei auf, dass Meyer eine Strategie der Blickführung etabliert, die sich von Antikenzeichnungen seiner Zeitgenossen unterscheidet: Der Wiener Klassizist Franz ­Caucig hielt sich zwischen 1780 und 1787 in Rom auf und verfertigte ganze Serien von lavierten Zeichnungen nach antiken Statuen (Abb. 19):92 Vollansichtig werden sie mit wenigen ­sicher geführten und durchgezogenen Strichen von der Plinthe auf gezeichnet und souve­rän auslaviert; es dominiert die Sicht auf die künstlerische Gesamtkonzep­tion: Details sind kaum erkennbar, Proportionen werden oft ungenau oder verzerrt wiedergegeben, die physiognomischen Verhältnisse allenfalls in der Andeutung belassen sowie die Verteilung des Faltenwurfs und der Körperschatten mittels großflächiger Lavierungen angedeutet. Ebenso auf Idealansichtigkeit berechnet sind die meisten römischen 90 Meyer an Horner, Weimar, 6. 6. 1824, ZB Zürich, Handschriftenabteilung, Ms M 8.36, Brief-Nr. 109: „Übrigens lieber Freund bin ich des festen Glaubens man müsse an Abbildungen nach Plastischen Werken seyen die Abbildungen nun in Kupfer gestochen oder auf Stein gezeichnet keine gar zu g­ roßen Anforderungen machen denn das beste der Bildwerke kann in Kupfer oder Steindruck nicht dargestellt werden Nenne man mir doch irgend ein Kupfer welches einen ganz genauen würdigen Begriff von einem antiken Kunstdenkmal erwecken könnte alle sind unzureichend freylich mehr und ­weniger.“ 91 Meyer an Horner, Weimar, 22. 11. 1826, ZB Zürich, Handschriftenabteilung, Ms M 8.36, Brief-Nr. 117. 92 Zu Caucig vgl. Ausst.-Kat. Wien/Stendal 2004, dort zahlreiche Abbildungen.

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I.2.  Linie und Schatten

19__Franz Caucig: Zeichnung nach dem ­Abguss der sog. Juno Cesi in der Accademia di ­Francia, Rom, zw. 1780–1787, Feder über Graphit in Grau laviert, 27,3 × 18,6 cm, Akademie der ­bildenden Künste Wien, Kupferstichkabinett, Inv.Nr. 672

20__Johann Gottfried Schadow: Zeichnung nach dem Stehenden Satyr des Praxiteles (sog. Marmor­ faun, heute im Kapitolinischen Museum), ca. 1785–1787, schwarze Kreide, 23,4 × 17,5 cm, bez. u. rechts: „Palazzo ruspoli“, Berlin, Akademie der Künste, Inv.-Nr.: Schadow 652

Skizzen des jungen Johann Gottfried Schadow von 1785/87 (Abb. 20):93 Die Kreide­ zeichnungen erfassen zwar die Statuen in ihrer Gesamtheit realistischer als die zur Stilisierung neigenden Blätter Caucigs, doch sind sie von einem ähnlich raffen­den und größere Partien zusammenfassenden Verfahren geprägt. Dies zeigen die l­ocker gelegten Schraffuren, die, wie etwa an der linken Schulter des stehenden Satyrs von ­Praxiteles zu beobachten, die Plastizität und Lichtverteilung großflächig markieren. Auch Künstler aus Meyers direktem Umfeld, wie etwa Friedrich Bury oder später der Bildhauer ­Heinrich Keller, sind in ihren Antikenkopien vorwiegend an der statuarischen Gesamtwirkung interessiert.94

93 Siehe Ausst.-Kat. Rom/Berlin 2003; Badstübner-Gröger u.a. 2006, Bd. 1, S. 58, Kat.-Nr. 139. 94 Vgl. Burys Zeichnungen im Ausst.-Kat. Hanau/Weimar 2013, S. 170, Nr. 26–29, S. 176 f, Nr. 40–43. Zwei Skizzenbücher um 1799/1800 von Heinrich Keller im Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, Inv. 1924/23 und P 178.

I.2.3  Rotation und Ausschnitt

21__Creszentius Josephus Johannes Seydelmann: Der Zeichenunterricht (Trompe-l’œil), Rötel, 32,3 × 41,2 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett Dresden, C 1962-214.

Die Zeichenpraxis, welche jedoch Meyer spätestens in den 1790er Jahren ent­ wickelt, tendiert zusehends zur seriellen und mehransichtigen Darstellung von Details wie ­Augen, Nasen und Mündern, womit er ohne Frage auf eine Tradition der Künstlerausbildung zurückgreift (sog. ABC-Methode). Das serielle Zeichnen von Körper­teilen ist seit der Renaissance fester Bestandteil des elementaren Zeichenunterrichts, indem durch Wiederholung die Souveränität im Umgang von Physiognomien und der Ausdruck von Leidenschaften eingeübt werden.95 Das mehrfache und genaue Nebeneinandersetzen von ein- und demselben Element auf einem Blatt gilt zudem als Ausweis von bravura, indem der Zeichner sein visuelles Gedächtnis und die Beherrschung des Strichs belegt. Zweifellos ist Meyer von diesen propädeutischen Praktiken der Künstlerausbildung geprägt worden und auch er selbst hat nach diesen Grundsätzen in der 95 Siehe Gombrich 2004, S. 136–144; Alexander Perrig in Ausst.-Kat. Saarbrücken 1997, S. 17 f, 27 (Anm. 56), 52 f, 150–152. Zum Zeichnen nach Vorlagen und nach einzelnen Körperpartien: Kemp 1979, S. 125–126; Dickel 1987, S. 46, 195–201, 213 f.

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I.2.  Linie und Schatten

22__Johann Heinrich Meyer: Zeichnung nach ­einem Gips des Kopfs der Aphrodite von Arles in vier verschiedenen Positionen, undatiert (nach 1802), Feder, braun laviert, 27,3 × 19,5 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 9400/53.

Zeichen­schule unterrichtet. So ging beispielsweise, worauf Hildegard Wiegel hingewiesen hat, eine Zeichnungsserie zu einem Apollo in die Tafeln von Georg Melchior Kraus’ didaktisches Vorlagenwerk ein.96 In Ueber Kunst und Alterthum forderte Meyer später, dass alles, was die Zeichenschüler „verfertigen […] ausführlich mit Ernst und Fleiß“ zu vollenden sei, „denn das feinere Detail, die zartern Schönheiten der antiken Kunst­ werke offenbaren sich nur solchen die nachbildend sie mit Sorgfalt aufzusuchen beflissen sind.“97 Neben der Detailrotation war im 18. Jahrhundert das Zeichnen nach ungewöhnlich positionierten antiken Köpfen durchaus üblich, wie eine Rötelzeichnung von Seydelmann belegt (Abb. 21). Auch die Zeichnungen Meyers nehmen ungewöhnliche Perspektiven ein, wie schon im vorherigen Abschnitt behandelt. Im vorliegenden Fall geht 96 Wiegel 2006, S. 247. Kraus 1800, Heft 1, Tafel 1. Vgl. Gr–2005/401. 97 W.K.F. [Meyer], Vorschläge zu Einrichtung von Kunstakademien rücksichtlich besonders auf Berlin 1821, in: FA I/21, S. 72–101, S. 81 f.

I.2.3  Rotation und Ausschnitt

es jedoch um Extremperspektiven, die seriell hergestellt und auf einem Blatt neben ­einander gesetzt werden. Den Gips der Aphrodite von Arles98 – seit 1802 im Besitz Goethes und um 1807 für Übungen in der Zeichenschule eingesetzt99 – wurde auf ein Blatt im Meyer-Nachlass je zwei Mal in extremer Unter- bzw. Obersicht gezeichnet (Abb. 22). Das gewöhnliche Betrachtungsprinzip, die Rundansichtigkeit der Plastik sukzessive auf horizontaler Ebene zu erschließen, wurde hierdurch auf radikale Weise ins Gegenteil verkehrt. Entgegen einer idealansichtigen Auffassung wird der Kopf auf der vertikalen Ebene in Extrempositionen gebracht und in einem zweiten Schritt leicht von der Seite her gezeichnet. Sinn der Übung ist es offenbar, entgegen der Sehgewohnheit die Idealansichtigkeit und den Primat des Konturs zu durchbrechen und durch ­eine ungewöhnliche Perspektive die verborgenen plastischen Formgesetze zu ergründen. Eine andere Strategie der experimentellen Erschließung des antiken Formenrepertoires ist das Nebeneinandersetzen heterogener Details aus unterschiedlichen Betrachterperspektiven. Das Profil des Apolls von Belvedere teilt eine Zeichnung in zwei T ­ eile, an deren Rändern physiognomische Ausschnitte wiedergegeben werden (Abb. 23): Dem voll durchgezeichneten leicht nach innen gewendeten Profil von links werden ein Auge und die Mundhälfte im Profil nach rechts gegenübergestellt. Beide Gesichtsausschnitte, die wie das obere Augenpaar untereinander proportional leicht verrückt sind, verhalten sich nicht spiegelbildlich zum Vollbild, sondern sind in leichter Gegenwendung zum Betrachter nach vorne dargestellt. Dies ist unter anderem zu sehen an dem nach Innen zurückschwingenden und plastisch vorkragenden Augenlid, dem weichen Schatten in der Augenhöhle und der volleren, mit einer Linie gezogenen Oberlippe. Veränderte Positionen des Zeichners zeigen auch das obere Augenpaar und die drei plastisch ausgearbeiteten Mundpartien in der unteren Blatthälfte, welche die Veränderungen im Körperschatten exakt registrieren. Im Gegensatz zu der in brauner Feder durchgezogenen und eine kompositorische Kohärenz herstellenden Hauptzeichnung dominiert in den sieben Ausschnitten die grauschwarze Feder. Sie wurden also nach dem Trocknen der bildorganisierenden Mittel­ zeichnung in einem zweiten zeichnerischen Schritt in die frei verbliebenen F ­ lächen eingezeichnet. Der Rechtshänder Meyer hat vermutlich oben links mit dem Zeichnen der Ausschnitte begonnen. Folgt man den Fragmenten in Leserichtung von oben nach unten, so vollzieht sich zunächst von dem einzigen annähernd frontalansichtig wiedergegebenen Auge eine Drehung hin zum Profil nach rechts. Nach diesen beiden am linken Bildrand positionierten Ausschnitten des Auges und des Mundes fehlt der Blicklenkung 98 Kopie aus dem 1. Jh. v. Chr. nach einem Werk von Praxiteles, ca. 370 vor Chr., hymettischer Marmor, Höhe der Gesamtstatue 194 cm, Paris, Louvre, Inv.-Nr.: Ma 439. 99 Grumach 1949, Bd. 2, S. 537 f; Wegner 1949, S. 54 f. Vgl. Meyer an Goethe, Weimar, 23. 5. 1807, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 2, S. 186: „In der Zeichenschule geht alles nach Wunsch. Vier Schüler zeichnen Augen, Mund, pp. nach Ihrer Büste der Venus von Arles, vier andere üben sich im großen Saal abgesondert nach Zeichnungen.“

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I.2.  Linie und Schatten

23__Johann Heinrich Meyer: Physiognomische Studien zum Apoll von Belvedere, undatiert, ­schwarzgraue und braune Feder in Braun und Grau laviert, eigh. Bez. „Apol.“, 25,9 × 18,5 cm, ­Klassik Stiftung Weimar, Museen, Gr-2005/513.

I.2.3  Rotation und Ausschnitt

24__Johann Heinrich Meyer: Studien zu einer Niobide, undatiert (1795/1796?), Feder in Braun, ­grau-braun und braun laviert, 25,8 × 37,2 cm, Bez. unten: „eine v dn Töchtern der Niobe“, Klassik ­Stiftung Weimar, Museen, Gr-2005/830.7

die Eindeutigkeit. Wie man auch versucht, die Schritte der Drehung des Kopfs oder des Wechsels des zeichnerischen Standpunkts nachzuvollziehen, die Bewegungsrichtung wechselt mit den beiden verschachtelt wirkenden und in die Halspartie der Hauptzeichnung integrierten Mundausschnitten mindestens einmal. Zudem lenkt der unten rechts positionierte Mund den Blick einerseits auf die Zentral­zeichnung zurück, andererseits auf den dritten Mundausschnitt in der linken unteren Bildecke. Die indexikalische Uneindeutigkeit jenes Fragments bestätigt, dass es sich nicht um ­eine bloße Übungszeichnung nach der sogenannten ABC-Methode mit ihren fragmentierenden Detailzeichnungen nach Auge, Nase und Mund handelt. Das in ein ­Simultanbild übersetzte Gleiten von Detail zu Detail lenkt den Betrachter unweigerlich zu einer kinästhetischen Erfahrung von Ganzheit zurück. Unter Vermeidung konventioneller Frontal- oder Profilansichten befinden sich die Details in ständiger Verweisung aufeinander und in gleitender Bewegung. Dies wird schon dadurch erzeugt, dass Ausschnittzeichnungen des linken und rechten Auges oben sowie Auge und Mund am linken Bildrand in keinem proportional exakten Verhältnis zueinander stehen, sondern leicht voneinander abgerückt sind, somit der Betrachter der Zeichnung zum ständigen Suchen nach kohärenzbilden-

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den Möglichkeiten aufgefordert ist. In der De-Komposition und Fragmentierung des Apollokopfes ist somit ein aktivierendes Moment der Re-Komposition und Wiederherstellung der formalen Einheit enthalten. In dem in permanenter Bewegung bleibenden Prozess des Sehens stellt sich, ähnlich wie bei der Statuenbegehung bei Fackelschein, die Vorstellung von einer im Detail repräsentierten formalen Essenz ein, die bei einer konventionellen Wiedergabe nicht möglich wäre. Ebenso pasticcioartig wirkt ein Blatt zu einer der Niobidentöchter (Abb. 24), auf dem unter Ausnutzung des Platzes die einzelnen Partien offenbar bewusst unsystematisch angeordnet werden. Am unteren Rand passt sich der Augenbogen in die Schulterrundung ein; auf der rechten Blatthälfte verhält sich ein en face wiedergegebenes ­Auge disproportional zur Mund-Nase-Partie; ein fleischig vorkragender Mund wird rechts gegenübergestellt. Auf den künstlerischen Nachlass verstreute Blätter belegen ähn­liche Segmentierungsstrategien, in denen teilweise die Partien ein und derselben Statue in mehrfacher Variation gezeichnet werden.100 Die stereometrische Auffächerung durch die Mehransichtigkeit konserviert den vom Betrachter vollzogenen Wahrnehmungsprozess des rundplastischen Organisationsgefüges, das in der Überschneidung der Kanten, im Wechsel zwischen Konvex und Konkav sowie in der Schattenbildung vom Zeichner präzise erfasst wird. Bei den hier erbrachten Bildbelegen ist die Frage nach den Übungszwecken in der Weimarer Zeichenschule oder nach einer Anwendung im Sinne des wissenschaftlichmorphologischen Interesses nicht eindeutig zu entscheiden.101 Sie erklärt sich nur aus dem Moment des Übergangs von einübender Praxis zur analytischen Erkenntnis. Die Konditionierung für die Wahrnehmung der Feinheiten im Detail bleibt für Meyer, dem Künstler-Kunsthistoriker, unteilbar. Dies ist umso wichtiger, als Meyer, gerade nach dem Eintritt als Lehrer der Weimarer Zeichenschule, die Detailbeobachtung zum zentralen Paradigma seiner Vorgehensweise erhebt. Dies legt jedenfalls ein Brief an Goethe vom 24. Januar 1796 nahe, der einen Erfahrungsbericht über die Besuche im Kapitolinischen Museum gibt: Die einzelnen Zimmer sei er ausführlich durchgegangen, dabei ­habe er „mehr […] beobachtet, bemerkt, beschrieben, als für unsern Zweck unmittelbar nothwendig gewesen wäre“. Besonders das Philosophen- und das Kaiserzimmer hätten ihm „viele Beyträge geliefert“, wobei er versucht habe, „Merkmahle und Kennzeichen ausfindig zu machen, welche fast gar keinen oder doch nur höchst selten einen Irrthum zulassen.“ In der genauen Betrachtung der Bildwerke und in der Suche nach Indizien für spezifische Formentwicklungen sieht Meyer einen konkreten methodischen Ansatz, den er von der traditionellen antiquarischen Gelehrsamkeit scharf abgrenzt:

100 Zum Beispiel Gr–2005/830.164. 101 Vgl. Rosenbaum 2013, S. 239 f.

I.2.3  Rotation und Ausschnitt

25__Johann Heinrich ­Meyer: ­Vergleichende Detailstudien zu antiken Skulpturen in Rom, ­vermutlich Rom 1796, beschriftet, Überklebungen, Feder in Schwarz und Braun, braun und grau ­laviert, 25,5 × 18,5 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 9397. [D]ie Sache selbst würde beweisen, daß das Studium der alten Kunstwerke und ihrer Erkenntniß, ­wenigstens in Bezug auf die Geschichte, von den Antiquaren keine Erweiterung mehr zu erwarten hat. Denn nun kömmt es [an] auf zarte Bemerkung der Zeichnung der Augen, der Art, wie die Linien sich schwingen und sich begegnen, wie der Mund gezeichnet und gearbeitet ist, wie die Haare angesetzt sind, was für Kenntnisse der Künstler gehabt, welchen Theorien er gefolgt seye p., welches alles ohne ein sehr geübtes Aug’ nicht erkannt werden kann.102

Durch ein solches Verfahren der empirischen Erhebung von Indizien und ihres Abgleichs sei es ihm „gelungen, solche sichere, bestimmte Merkmahle und Kennzeichen ausfindig zu machen, welche fast gar keinen oder doch nur höchst selten einen Irrthum zulassen.“ Diese an römischen Porträtbüsten elaborierte Betrachtungsmethode „­müßte sich auch“, folgert Meyer, „auf die griechischen Werke anwenden lassen und eröffnet neue und weite Aussichten.“103 102 Meyer an Goethe, Rom, 24. 1. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 185. 103 Ebd.

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Der in dichtgedrängten Sätzen skizzierte, unmittelbar aus der Aufzeichnungs­praxis entwickelte methodische Entwurf ist umfassend wie programmatisch: Die Erarbeitung eines auf ‚verfeinertem und vergleichendem Sehen‘ beruhenden kunsthistorischen Entwicklungsmodells wird ausschließlich durch den Indizienbeweis begründet. Datierungsfragen lassen sich somit vorwiegend am induktiv erschlossenen und genau betrachteten Detail klären, das in seiner Rundansichtigkeit, d.h. von mehreren Perspek­ tiven aus erfasst und begriffen werden muss. Das so postulierte, am strengen formgeschichtlichen Detailvergleich zu ent­wickelnde Historisierungsmodell trägt zugleich einen normativen Anspruch in sich. Ziel des Verfahrens sei es, aus dem lückenlosen Engschluss der historischen Indizienkette e­ ine Geschichte der Dekadenz zu konstruieren. Der Vergleich der „Schwingungen“ von A ­ uge, Nase, Mund und Haaransatz sowie die Analyse des die körperlichen Volumina ausschöpfenden Liniensystems macht es somit möglich, aus der idealtypischen griechischen Plastik den weiteren Verlauf der Kunst zu erschließen, will sagen: der Naturalismus der römischen Porträtkunst soll nicht nur als Abweichung vom griechischen Ideal erkannt, sondern auch mit Mitteln der strengen Stilkritik belegt werden. Ein Blatt mit lavierten Federzeichnungen (Abb. 25), auf dem die Augenformung und -schwingung des sog. Antinous von Belvedere und einer Lucius Verus-Büste, ­also römische Werke des 2. Jahrhunderts, mit den Augenpartien der berühmten hellenistischen Homerherme und eines nicht eruierbaren Werks aus klassisch-griechischer Zeit gegenübergestellt werden, verdeutlicht den Anspruch, mittels des kontrastiven Vergleichs griechischer und römischer Plastik stilkritische Merkmale zu erarbeiten, die letztendlich in eine morphologische Reihenbildung münden sollen. Die kombinierende Zeichnung von Ausschnitten verschiedener plastischer Werke löst somit das Detail aus der ursprünglichen Gesamtorganisation des Bildwerks und befördert einen Abstrak­ tionsprozess, der der vergleichenden Typenanalyse dient.

2.4 Winckelmann-Revisionen: Analytische Zeichenpraxis 1795/1796 In dem heterogenen Bestand von Meyers Antiken-Nachzeichnungen fallen mehrere Blätter auf, die auf die Zeit des zweiten Italien-Aufenthalts um den Jahreswechsel 1795/96 zu datieren sind und vorwiegend im Kapitolinischen Museum entstanden. Drei dieser Zeichnungen, die vermutlich aus einem Heft getrennt wurden, dienten später als Vorlagen der Abbildungen des Bildanhangs der von Meyer mitherausgegebenen Winckel­mann-Ausgabe, auch ihre Beschriftungen flossen in den dazugehörigen Kommentar ein.104 Zudem ist die 104 Gr–2005/829.30; KK 9400/90; KK 9400/91. Vgl. Meyer an Goethe, Rom, 8. 1. 1796, in: Bw. Goethe/­ Meyer, Bd. 1, S. 172 f: „[…] habe viel merkwürdige, dahin einschlagende Stücke gefunden und m ­ anche

I.2.4  Winckelmann-Revisionen: Analytische Zeichenpraxis 1795/1796

Konzentration auf (vermeintlich) archaische, frühklassische oder archaistische Werke auffallend, womit ein deutliches Datierungsinteresse an bereits von Winckelmann behandelten Werken erkennbar ist. Anders als in den Zeichnungen der 1780er Jahre werden die Schattenwerte nicht mit durchgezogenen Pinselstrichen auslaviert, sondern sind in rot-brauner Farbe (vermutlich einer Bister-Mischung) getupft. Zudem wird der schriftliche Kommentar einbezogen: Eine schwarze Federzeichnung zeigt einen antiken Kopf im Profil bis zu den Schultern (Abb. 26). Nach heutiger Kenntnis handelt es sich um eine Replik nach dem verlorenen frühklassischen Original des Omphalos Apollo aus der Zeit um 460 v. Chr.105 Meyers Zeichnung ist in Rotbraun getupften Flecken und zarten Lavierungen im Haupthaar ausgeführt, so dass durch den Einsatz der graphischen Mittel zwischen Kontur und Modellierung farblich unterschieden wird. Mittels Strichelung wird die verlorene Nasenpartie angedeutet. Im unteren Teil des Blattes befinden sich in situ vorgenommene Notate über die Proportionen der gesamten Statue. Meyer beginnt zunächst mit der stilistischen Einordnung und geht sodann zu den anatomischen Merkmalen über: Die Fig ist überhaupt von strenger Manier An wenigen Theilen elegant genug, in anderen weniger, woraus erscheint, daß sie nach der Natur gearbeitet seyn muß so sind z.B. die Schenkel zierlich, die Brust etwas hoch und geschwollen, die Arme gut & Nervig. Die Ribben und Sägeformigen Muskeln stark und mehr als zierlich angedeutet. Der Magen ist lang und der Bauch etwas kurz.

Nach Angaben zu den modernen Ergänzungen wie etwa die Nase analysiert Meyer die Proportionsverhältnisse: Die Arme sind in der Dicke des Halses der rechte aber stärker als der Linke in dem Maaß daß der Linke die Dicke des Halses umfaße. […] – Von einer Brustwarze zur andern sind es beynahe 5. Part. Die Dicke des l. Schenkels ist gerade 3 Part weil sich die Muskeln etwas blähen. des rechten worauf er steht. etw 1/4 Part weniger lange von der Schulter bis an den Ellenbogen nach dem Arm knochen gemeßen 5 3/4 Part. Bemerkung gemacht, die mich freut und in der Erkenntniß weiter gebracht, also daß, wenn auch wenig gezeichnet worden (es sind nur etwa sechs Stücke nach den ältesten Werken im Capitol), ich doch nicht Ursache habe, die Zeit zu bereuen, die darauf verwendet ist. Aber je mehr ich in diesen Dingen vorwärts dringe, je genauer ich beobachte, je schwieriger und weitläufiger, je verwickelter wird die ­Sache“. Der sicherste Anhaltspunkt für die Datierung auf die Zeit 1795/1796 ist die Beischrift auf der Zeichnung KK 9400/91, welche, wie unten zu zeigen ist, eine noch in Meyers Horen-Aufsatz vertretene Meinung revidiert. 105 Kapitolinisches Museum, Inv. Scu 638. (Stuart Jones, Mus. Cap. 287, Nr. 20, Tf. 69, EA 452–454). ­Meyer bezeichnet die ursprünglich aus der Sammlung des Kardinals Alessandro Albani stammende, lebensgroße Statue als jungen Athleten. Zur modernen Sichtweise und Identifikation mit dem ­Omphalos Apollo siehe Helbig 1963–1972, Bd. 2, S. 191–193, Nr. 1385. Die Statue wird bei Winckelmann nicht erwähnt. Meyer ließ jedoch die Zeichnung in der von ihm herausgegebenen Winckelmann-Ausgabe reproduzieren. Siehe Winckelmann 1808–1820, Bd. 5, Tf. VI; Wiederabdruck im Band der Kupfer-Tafeln, Tf. 22.

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26__Johann Heinrich Meyer: Zeichnung nach dem Kopf des Omphalos-Apoll im Kapitolinischen ­Museum, entstanden um den Jahreswechsel 1795/96, Feder in Grau über Graphit mit brauner Lavierung, beschriftet, 34,3 × 24,5 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 9400/90.

I.2.4  Winckelmann-Revisionen: Analytische Zeichenpraxis 1795/1796 […] Der Hals ist ein wenig mehr als 2 Part dick v. der Kehle auf den Nacken gemeßen unter dem Kinn In der Kehle aber hat er gerade so viel Maß als v. Knie bis an die Stirn er ist etwas kurz die die Brust hingegen fast ein wenig zu lang so daß sie groß ausfällt. Von der Herzgrube an den Nabel der sehr genau nach der Nat. gearbeitet ist ist die lange 3 1/2 Part V da bis an die Scham sind nicht 3 Part. voll.

Der im Profil gezeichnete Kopf steht somit pars pro toto für die anatomische Gesamtkonzeption. Von seiner genauen zeichnerischen Erfassung wechselt Meyer zur sprachlichen Registrierung der Anatomie und Proportion, womit ein Wechsel der Betrachterperspektive vom Profil zur Frontalstellung der Statue einhergeht. Ergänzend befinden sich am rechten Blattrand eine Skalierung mit Maßangaben, auf denen die Abstände innerhalb des Gesichts eingezeichnet werden.106 Strenge Profilansichtigkeit und die Ergründung der Proportionsregeln leiten von einer bloßen kopistischen Erfassung des Objekts zu einer systematisierenden Aufzeichnung über. Sie entsprechen der Direktive Goethes, der Meyer am 13. März 1791 schreibt: „Auf einen Canon männlicher und weiblicher Proportionen loszuarbeiten, die Abweichungen zu suchen, wodurch Charaktere entstehen, das anatomische Gebäude näher zu studieren und die schönen Formen, welche die äußere Vollendung sind, zu s­ uchen, zu so schweren Unternehmungen wünschte ich, daß Sie das Ihrige beytrügen, wie ich von meiner Seite manches vorgearbeitet habe.“107 Jedoch wurde die Ergründung eines Proportionskanons offenbar nicht in der von Goethe erhofften Weise weiterverfolgt. Sie verliert an Relevanz angesichts der Fülle von Zeichnungen, die sich allein auf physiognomische Merkmale von antiken Statuen konzentrieren. Die lebensgroße Statue bezeichnet Meyer später im Kommentar seiner Winckelmann-Ausgabe als Werk „vor dem Eintritt des großen Styls“,108 womit eindeutig das stilgeschichtliche Differenzierungsmoment der Zeichnung in den Vordergrund tritt. ­Meyer kommentiert damit Winckelmanns Ausführungen in der Geschichte der Kunst des Alter­ thums, welche den Übergang von den „Systema“ des „älteren Stils“ zum „­hohen Stil“ umschreiben.109 Die Statue, welche von Winckelmann nicht erwähnt wird, bildet für Meyer den „missing link“ der Entwicklung. Der Künstler habe hier, „wie an einem aka106 Ein ähnliches Verfahren ist auf einem Blatt zu einer sich damals in der Villa Albani befindlichen Pallas Athene erkennbar (Gr–2005/829.31): Die sorgfältig gezeichnete Profilansicht erfasst die physiognomischen Bestandteile und die gewellten Haare mit Präzision, während sich am rechten Rand ebenfalls Achsen mit eingezeichneten Proportionsverhältnissen befinden. Die Zeichnung bildete die Vorlage für die Abbildung in Meyers Ausgabe Winckelmann 1808–1820, Bd. 4, S. 438, Tf. VI, Fig. A; Wiederabdruck im Band der Kupfer-Tafeln, Tf. 14, Fig. A. 107 Goethe an Meyer, 13. 3. 1791, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 54. 108 Meyer, Kommentar (Anm. 907), in Winckelmann 1808–1820, Bd. 5, S. 550. 109 Winckelmann 1808–1820, Bd. 5, S. 235 f. Bzw. Winckelmann, SN 4.1, S. 444 und 445 (Geschichte der Kunst des Alterthums, Auflagen von 1764 und 1776).

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demischen Modell, einige Glieder mehr, andere weniger wohlgestaltet“,110 womit Meyer nicht nur die Unschlüssigkeit der stilistischen Konzeption betont, sondern auch die Mischung von beharrenden und neuen Formelementen umschreibt. Wie Martin Dönike hervorgehoben hat, führte Meyer im Kommentar des 1812 erschienenen fünften Bandes der von ihm herausgegebenen Winckelmann-Ausgabe die Bezeichnung des „gewaltigen“ bzw. „strengen Stils“ ein, mit Hilfe dessen er die Winckelmann’sche Periodeneinteilung nach dem „älteren“ und „hohen“ Stil entschieden erweiterte:111 Angemessen dürfte es wohl seyn, die Dauer des ältern Styls in der Griechischen Kunst nicht bis auf den Phidias zu erstrecken. Denn erstlich wird eine sehr merkliche Abweichung von dem ältern steifen, sogenannten Heturischen Geschmack, nebst dem Streben zum Hohen und Großen wahrgenommen an Denkmalen, welche höchst wahrscheinlich vor dem Phidias gearbeitet sind. Zweites würde, im Fall es nicht also wäre, der Uebergang aus dem ältern Style zum hohen nicht allmählig, sondern wie durch einen Sprung geschehen. Aber nach unserer Ueberzeugung giebt es keine Sprünge, keine gewaltsamen Uebergänge, weder zur Zeit des Hinaufsteigens noch des Sinkens der Kunst, und am wenigsten bei den Griechen, deren ganze Bildung sich nach den Gesetzen der Stätigkeit entwickelte.112

In der Zeichnung, die Meyer im Tafelteil der Ausgabe abbilden ließ, ist die Grund­these bereits angelegt. Dies ist schon daran erkennbar, dass Meyer auf ihrer Beschriftung von einer „strengen Manier“ spricht, somit schon während der zeichnerisch erfassenden Autopsie das entscheidende Stichwort seiner späteren These notiert. Die genaue Erfassung eines Proportionssystems mit Maßangaben bei gleichzeitiger Charakterisierung als „elegant genug“ an „wenigen Theilen, […] in anderen weniger“, nähert sich genau dem Zwischenstil, dem Meyer dann, nach den Entdeckungen der Friese des Zeustempels auf Aegina und des Apollontempels von Phigalia, in seiner eigenen antiken Kunstgeschichte von 1823 endgültig die Bezeichnung „strenger“ bzw. „gewaltiger“ Stil geben wird.113 Das Blatt vom Jahreswechsel 1795/1796 bildet daher den Keim einer Forschungskontinuität, die Meyer anhaltend beschäftigen wird. Frappierend bestätigt sich damit die Beobachtung, dass mit „dem Begriff des ‚strengen Stils‘ […] es dem Künstler Meyer […] gelungen [ist], einen dauerhaften Beitrag zur Wissenschaft der Archäologie zu leisten.“114 Dass die erkenntnisgenerierende Kraft der Antikennachzeichnung bei Meyer kein Einzelfall ist, belegt eine weitere Zeichnung aus derselben Werkgruppe nach einem Relief (Abb. 27). Es handelt es sich um eine ausschnitthafte Wiedergabe nach dem Relief auf einer archaistischen Rundbasis (Cippus) mit Apollo, Diana und Merkur der frühen 110 Meyer, Kommentar (Anm. 907), in Winckelmann 1808–1820, Bd. 5, S. 550. 111 Dönike 2013b, S. 87 f. 112 Meyer, Kommentar (Anm. 824), in: Winckelmann 1808–1820, Bd. 5, S. 516 f. Zitiert auch bei Dönike 2013b, S. 88. 113 Bei Helbig 1963–1972, Bd. 2, Nr. 1385, wird folgerichtig die Statue als „eine der bedeutendsten Apollon­ bilder des Strengen Stils“ bezeichnet (S. 191). 114 Dönike 2013b, S. 90.

I.2.4  Winckelmann-Revisionen: Analytische Zeichenpraxis 1795/1796

Kaiserzeit.115 Jenes Werk aus dem Kapitolinischen Museum hatte Winckelmann 1764 erstmals in der Geschichte der Kunst des Alterthums (Abb. 28)116 im Kupferstich publiziert und als hetrurische und damit mit dem sog. „ältesten“ griechischen Stil verwandte Arbeit besprochen.117 Meyer wiederum griff diesen Hinweis 1795 in dem Horen-Aufsatz Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst auf: Der Cippus gilt ihm dort nicht mehr als hetrurisch, sondern als Beleg für die wissenschaftliche Gründlichkeit des ältesten griechischen Stils, da sich dort eine „ängstliche Sorgfalt“ erkennen lasse. Der Künstler mache zu viel aus der Furcht heraus, zu wenig zu machen.118 Nach Rom zurückgekehrt, wendet sich Meyer folgerichtig dem Werk erneut zu. Auf jener Zeichnung von 1795/96 (Abb. 27) werden nur Merkur (mit Bart) und Apollo bis zum Brustansatz gezeigt; die weiten Abstände zwischen den Figuren werden nicht eingehalten, vielmehr sind ­beide Gottheiten eng zusammengedrängt, so dass der rechte Oberarm Apollos die Gestalt des an sich vollsichtigen Merkurs überschneidet und die erhobenen rechten Hände mit Hermesstab bzw. Pfeil gänzlich fehlen. Trotz dieser höchst problematischen Kontamination verhält sich Meyers Ausschnittzeichnung gegenüber der antiken Vorlage genauer als die vollfigurige Abbildung bei Winckelmann. Schon das größere Format der Zeichnung macht es möglich, die bei Winckelmann kaum erkennbaren Physiognomien und Haarformen akkurat wiederzugeben. Die groben Kontur- und Binnenzeichnungen des Kupferstichs sind auf der lavierten Zeichnung durch eine nach Oberflächen differenzierende Auffassung ersetzt. Der wesentliche Unterschied zu dem Winckel­mann’schen Kupferstich besteht also in der Distanzverringerung, der Imita­tion der materiel­len Oberfläche und der Kennzeichnung von Bruchstellen an den modern ergänzten Nasenspitzen. Vorsichtige und wenig entschiedene Federführung und Lavierung verweisen auf das Bemühen einer korrekten Wiedergabe der Form ohne eigene künstlerische Ambition. Dies zeugt von einem in das Werk einfühlenden Klassizismus, der sich der Problematik jeder zeichnerischen Wiedergabe bewusst geworden ist. So sind denn auch die kleinen tiefliegenden Ohren keine Proportionsfehler des Zeichners, sondern Charakteristika des Werks, wie auch die großen Augen mit vorkragenden Lidern keine Ideali­ sie­rung Meyers sind, sondern die Bearbeitung des antiken Bild­hauers widerspiegeln. ­Alle diese Faktoren generieren die Revision der vorausgegangenen ­Annahmen: Die gewellten Haare und die idealen Züge des Apollo sind nun ein deutliches Indiz für einen nachgeahmten älteren Stil unter Kaiser Hadrian, ebenso wie die Position der Ohren das entscheidende Erkennungszeichen für einen nachahmenden Archaismus sind. Rück­

115 Rundbasis, Rom, Museo Capitolino, h.: 99,5 cm, Salone Nr. 1, Inv.-Nr. 1995. Angaben nach: Winckelmann, SN 4.2, Katalog der antiken Denkmäler, Nr. 880. 116 Winckelmann, SN 4.1, S. 130 (in der Ausgabe von 1764 auf S. 81). Erneut im Tafelteil der M ­ onumenti Antichi Inediti, Rom 1766, Taf. 38. 117 Winckelmann, SN 4.1, S. 158 (in der Ausgabe von 1764 auf S. 98). 118 Meyer, Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst, 1795, S. 33, Reprint, Bd. 1, S. 149.

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27__Johann Heinrich Meyer: Zeichnung nach dem archaistischen Relief auf dem Cippus im Kapitolinischen Museum, 1795/1796, schwarze Feder über Graphit in Braun laviert, 25,8 × 33,3 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 9400/91.

blickend formuliert Meyer diese Erkenntnis im Kommentar der Winckelmann-Aus­gabe auf Grundlage der Notizen auf der Zeichnung: In den Zügen des Apollo nimmt man das völlig ausgebildete Ideal dieser Gottheit wahr. Nichts von dem aufwärts gezogenen Mund, den länglich gegen die Nase gesenkten Augen oder den hageren Körperformen, wodurch sich die wirklich uralten Werke beständig auszeichnen. Leib und Glieder sind im Gegentheil, an gedachtem Apollo, in jugendlicher Fülle, nicht ohne Großheit und mit weich gehaltenen Uebergängen eines Theils in den andern gebildet. Am Haupt sitzt das Ohr etwas tiefer, als es der Regel nach sitzen sollte; dahingegen dieser Theil sonst an unzweifelhaften Denkmälern aus dem hohen Alterthum, meistens etwas zu hoch steht. Auch die Arbeit an den Haaren, läßt die spätere Entstehung dieses Werks ahnden, denn sie sind nicht so drahtartig als sie zufolge der Manier des ältesten Styls seyn würden. Ebenfalls verräth die Behandlung des Marmors eine weit größere Freyheit und Fertigkeit.119

Meyers Zeichnung ist die Blaupause dieser Erkenntnis: Auf ihr sind im Unterschied zu der Abbildung bei Winckelmann sämtliche angeführte Charakteristika sichtbar. In der 119 Meyer, Kommentar (Anm. 680) in: Winckelmann 1808–1820, Bd. 3, S. 397 f.

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28__Abbildung aus: Johann Joachim Winckelmann, Monumenti Antichi Inediti, Rom 1767, Tafelteil, Taf. 38.

zeichnerischen Analyse und der damit gegenüber der Abbildung bei Winckelmann bewirkten Verfeinerung im Detail wird für Meyer eine formgeschichtliche Differenzierung möglich, die zwischen Archaik und Archaismus, damit zwischen originärem und abgeleitetem Stil präzise zu unterscheiden lernt.120

120 Dies trifft auch zu auf eine Zeichnung (Gr–2005/829.30) nach dem sog. Kallimachos-Relief mit Pan und Nymphen, Rom, Museo Capitolino Inv. 614, H 0,455 m, B 0,635 m. Das archaistische Werk stammt aus der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. (Angaben nach Winckelmann, SN 4.2, Katalog der antiken Denkmäler, Nr. 866). Als Beispiel des „ältesten Stils“ wurde es von Winckelmann zu Beginn des Trattato preliminare der Monumenti antichi inediti abgebildet. Meyer erwähnt das Relief ebenfalls in dem Horen-Aufsatz (Meyer, Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst, 1795, S. 36, Reprint, Bd. 1, S. 152). Die ebenfalls um den Jahreswechsel 1795/1796 zu datierende Zeichnung wurde in der kommentierten Winckelmann-Ausgabe abgebildet (Winckelmann 1808–1820, Bd. 5, Tf. V; Wiederabdruck im Band der Kupfer-Tafeln, Tf. 21). Hier folgt Meyer der Zuordnung Winckelmanns.

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I.2.  Linie und Schatten

2.5 Conclusio Ausgangspunkt der Ausführungen war die Annahme, dass sich spätestens zwischen 1780 und 1790 in der klassizistischen Theoriebildung ein Wechsel vom rationalistischen Paradigma der Einheit in der Mannigfaltigkeit hin zu einer Auffassung vollzieht, die das anatomische Detail weniger als statisches Teilstück im Rahmen eines Proportionskanons, sondern als formal flexiblen und fließend-übergehenden Ausschnitt eines unteilbaren Werkganzen versteht. Innerhalb dieses neuen Verständnisses von bildlicher Kohärenz steht Meyer für eine modifizierte Sichtweise, die jenes autonomieästhetische Konzept idealiter anerkennt, aber gerade auf Grundlage dieser neuen Auffassung ein am Objekt vollzogenes vergleichendes und verfeinertes Sehen etabliert. Nach Meyer sensibilisiert etwa die Begehung bei Fackelschein den Betrachter für die distinktive Wahrnehmung der Oberflächenphänomene, in der beispielsweise Ergänzungen und andere formal-technische Besonderheiten zum Vorschein kommen. In diesem Spannungsfeld von autonomieästhetischem Anspruch und empirischer Detailanalyse konstituieren sich verschiedene Modi der Aufzeichnung, die zu weiteren Verfahren der Blickdisziplinierung führen. Spätestens mit dem zweiten Italien-Aufenthalt verabschiedet Meyer den Anspruch auf vollständige Wiedergabe des betrachteten Objekts; stattdessen können durch die stereometrische Auffächerungen der physiognomischen Details plastische Mikrostrukturen erschlossen werden. Diese radikale Distanzverringerung hat verschiedene Konsequenzen: Sie ist erstens von abstrahierender Qualität, da die ausschnitthafte und mehransichtige Betrachtung zur Erkenntnis von morphologischen Gesetzmäßigkeiten führt. Dies ermöglicht zweitens ein induktionsbasiertes Historisierungsmodell, welches erlaubt, unabhängig von den Inhalten und Funktionen zwischen der Kunst der griechischen Klassik und der des römischen Porträtrealismus eine formgeschichtliche Entwicklungsbeziehung herzustellen. Die ausschnitthafte Wiedergabe befördert damit den Indizienbeweis. Die in den Zeichnungen auffallende Reduktion auf die Gesichtszüge ist drittens von charakteristi­ scher Bedeutung, weil sie nahezu alle ikonographisch relevanten Attribute ausschaltet. Die von Meyer später vertretene These, die Plastik sei vor allem symbolisch,121 hat mit dieser selektiven Aneignung zu tun: Das ikonographisch unspezifische Detail führt unter Ausblendung der Attribute zurück auf ein Werkganzes, das seine volle plastische Präsenz ausschöpft und somit nur symbolisch aufgefasst werden kann.

121 Meyer, Über die Gegenstände der bildenden Kunst, in: MA 6.2, S. 44 f; Propyläen 1/1 (1798), S. 49 f; Reprint 1965, S. 101 f. Vgl. in diesem Zusammenhang: W.K.F., Neue Unterhaltungen über verschiedene Gegenstände der Kunst als Folge der Nachrichten von den Weimarischen Kunstausstellungen, in: MA 9, S. 579–598, S. 585: „doch würde nach unserem Ermessen ein gemalter Jupiter Olympius kaum das sein können, was des Phidias Statue desselben war.“

I.2.5 Conclusio

In Meyers Ausschnittzeichnungen kündigt sich auch ein diagrammatisches Element an, das sich in den tabellarischen Rubriken explizit wiederfindet (siehe Abschnitt 3.4.). Wenn Meyer die Ausschnitte verschiedener antiker Bildwerke auf einem Blatt zusammenstellt, dann erfolgt hier eben dasselbe Verfahren synthetisierender Überschau wie in den triadisch aufgebauten Tabellen zur Malerei und Plastik. Die Auswahl mehr oder weniger prominenter Werke aus verschiedenen Zeitaltern, die übrigens Meyer alle in Formen von Nachzeichnungen und schriftlichen Notaten erfasst hat, schafft hier Ordnung gegenüber einer von empirischer Stofffülle geradezu erdrückenden schriftlichen Notationspraxis. Die Zusammenführung von zerstreuten Werken und die dadurch bewirkte Herstellung von relationalen Beziehungen führt dabei zur ikonischen Evidenz.122 Schließlich ist noch auf ein tertium comparationis im Umgang mit plastischen Werken hinzuweisen: Meyers besondere Aufmerksamkeit für Licht- und Schattenphänomene wird ihn zu einer fundamentalen Neubetrachtung der griechischen Plastik anregen (vgl. Teil III, Abschnitte 3.3. und 3.4.). Die hier verfolgte tour d’horizon versuchte eine Entwicklung von der kopistischen Tätigkeit zu einer systematisierten epistemischen Praxis zu rekonstruieren. Diese scheint sich vor allem während des zweiten italienischen Aufenthalts 1795/96 fest etabliert zu haben. Gegenüber einem Notationsverfahren, das Profilansichtigkeit mit schriftlicher Analyse der Gesamtproportion kombiniert, setzt sich die rein zeichnerische Erfassung nach Ausschnitten durch. Sie kommt weitgehend ohne Kommentierung aus und abstrahiert das Detail losgelöst vom Gesamtkörper zum formgeschichtlich relevanten Indiz. Charakteristisch ist zudem eine asymmetrische Gewichtung von Zeichnung und Schrift: Auf den Zeichnungen notiert Meyer allenfalls eine knappe Information über das erfasste Objekt, umgekehrt verhält es sich mit den tausenden Seiten von Notaten zu römischen und florentinischen Sammlungen, in denen nur sporadisch kleine Randzeichnungen auftauchen. Die Zeichnung ist dort meist Abbreviatur für sprachlich schwer formulierbare Beobachtungen. Insgesamt ist daher die Aufzeichnungspraxis des zweiten Italien-Aufenthalts von einer Komplementarität verschiedener, vorwiegend schriftlicher Aufzeichnungssysteme geprägt, wie sie im nächsten Abschnitt untersucht wird.

122 Peirce 1986, S. 205 und 250.

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3. Anschauung und Notation. Meyers Thesaurus der Kunst 1795–1797

In enger Absprache mit Goethe entstand während Meyers zweitem Italienaufenthalt vom Herbst 1795 bis Sommer 1797 ein umfangreiches Konvolut von schriftlichen Aufzeichnungen vor Originalen (GSA 64/90 bis GSA 64/94). Bis zu Meyers Lebensende sollten jene Notizen die zentrale Grundlage für seine archäologischen, kunsthistorischen und ästhetischen Beiträge bilden. Sie flossen nicht nur in die entwicklungsgeschichtlich orientierten Hauptwerke wie den koloritgeschichtlichen Abriss in Zur Farben­lehre (1810), die Geschichte der Kunst (ca. 1815) und die Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und Römern (1824) ein, sondern bildeten auch das empirische Rückgrat fast aller Aufsätze in den Propyläen und der Folgezeit. Seinen Thesaurus der Kunstwerke in römischen und florentinischen Kirchen, Museen und Sammlungen nutzte Meyer auch für Rezensionen: Die unmittelbar vor den Objekten gemachten Beschreibungen kamen nachträglich zum Einsatz bei der Beurteilung von Reproduktionsgraphik wie auch bei der Diskussion von archäologischen und kunsthistorischen Streitfragen.123 Die Beschreibungen führten zweifellos den von Winckelmann formulierten Grundsatz der Autopsie der Originale fort und konservierten den Betrachtungsvorgang schriftlich, indem sie durch den von Goethe auferlegten Zwang zur Versprachlichung124 eine unbedingte Fixierung des Gesehenen verfolgten. Meyers visuelle Kompetenz und sein Kenntnisreichtum, sein Ruf als Hauskunsthistoriker Goethes wie seine Autorität als Kunstexperte im Herzogtum Sachsen-Weimar beruhten zu einem erheblichen Teil auf diesem papiernen Archiv des nicht einmal zwei Jahre währenden Italien-Aufenthalts. Allein in Rom notierte er in einer tour de force von November 1795 bis Juni 1796 auf über tausend Manuskriptseiten den (meist mobilen) Kunstbesitz von 60 Kirchen, zwölf Monate in Florenz, die zunehmend von physischer Erschöpfung und einer offen-

123 So beispielsweise die nur redaktionell geglättete Übernahme der Notiz zur Medusa Lanti in ­Meyers (ano­ nym erschienener) Rezension zu: Osservazioni di Ennio Quirino Visconti sopra un antico ­Cammeo rappresentante Giove Egioco, 1793, in: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 3/2 (1806), vom ­ 28. 6. 1806, Nr. 152, Sp. 607–608. Vgl. GSA 64/94, fol. 198v. 124 Zu der brieflichen Diskussion zwischen Goethe und Meyer siehe ausführlich Osterkamp 1993, S. 101 f.

I.3.  Anschauung und Notation

bar depressiven Erkrankung bestimmt wurden,125 sollten rund 670 beidseitig beschriebene Blätter zu den Uffizien und dem Palazzo Pitti sowie zu den Kirchen hinzukommen. Die mit Eisengallustinte auf Büttenpapier gemachten Notizen enthalten nur wenige ergänzende Randzeichnungen. Nach Abschluss der Italienreise wurden die zunächst als Einzelblattfolgen angelegten Hefte in jeweiliger alphabetischer Ordnung in fünf einheitliche Quartbände gebunden. Drei davon behandeln Rom, untergegliedert nach Palästen, Villen und Kirchen.126 Zwei Bände behandeln die Kirchen und Sammlungen in Florenz und Umgebung.127 In den fünf Bänden finden sich deutlich Gebrauchsspuren wie Randmarkierungen und Unterstreichungen in blauer und roter Kreide, wobei bis auf wenige Nachträge der ursprüngliche vor Ort gemachte schriftliche Bestand unangetastet blieb. Fragt man nach der Intention jener Aufzeichnungen, so kommen vor ­allem zwei Optionen in Betracht: Zum einen gehörten sie zu der Vorarbeit für das von ­Goethe geplante kulturtopographische Italien-Werk,128 zum anderen zur Erweiterung des kunsthistorischen Verständnisses im Goethe-Umfeld, namentlich als Reservoir empirischer Erhebungen für die Studien zur Farbenlehre. Das geplante Italien-Werk musste spätestens mit Goethes Entscheidung, wegen der Kriegsereignisse in Oberitalien 1796 nicht ein erneutes Mal nach Italien aufzubrechen, als gescheitert gelten. Die Brauchbarkeit von Meyers Notizen für eine kulturtopographische Verzahnung von Geologie, Landschaft und konkreter Kunstgeschichte muss jedoch grosso modo ebenso in Frage gestellt werden: Beschreibungen zur Architektur der Villen und Paläste in Rom oder Exkurse zu ihrer landschaftlichen Einbettung finden sich nur selten. Einführende Landschaftstableaus, wie sie Meyer in seinen Propyläen-Beiträgen zu Mantua und Fiesole129 entwirft, sind nur in wenigen Notizen erkennbar. Im Sinne seiner eigenen, vorwiegend stilgeschichtlichen Interessen hat sich also Meyer schnell auf einen radikalen Objektbezug konzentriert und auf größere räumliche Kontextualisierungen, die in Werken wie etwa Volkmanns Italien-Führer durchaus Vorbilder gehabt hätten, verzichtet.130 In

125 Zu Meyers Erkrankung in Florenz vgl. den Bericht von Weinbrenner 1958, S. 160 f; zusammenfassend: Klauß 2001, S. 163–167. 126 GSA 64/92: Kirchen in Rom, 142 Blatt; GSA 64/93: Römische Villen, 110 Blatt; GSA 64/94: Gemälde und Antiken in den Palästen Roms, 264 Blatt. – Die Blätter sind beidseitig beschrieben. 127 GSA 64/90: Kirchen in und um Florenz, 266 Blatt; GSA 64/91: Galerien in Florenz, 412 Blatt. – Die Blätter sind beidseitig beschrieben. 128 Hierzu Keller 2013; Keller 2018. 129 Zu Mantua siehe [Meyer,] Mantua im Jahre 1795, in: Propyläen 3/2 (1800), S. 3–66, Reprint 1965, 901–964. Hierzu: Kurbjuhn 2013. Zu Fiesole siehe: [Meyer,] Über Etrurische Monumente, in: Propyläen 1/1 (1798), S. 90–100, Reprint 1965, S. 118–152. 142–152 (Zweiter Brief). Hierzu: Keller 2016. 130 Wie schon erwähnt, ist Meyers Forschungsprogramm in den beiden Aufsätzen in den Horen niedergelegt: Meyer, Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst, 1795; Meyer, Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst, 1795.

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I.3.  Anschauung und Notation

j­edem Fall bildeten jedoch die Aufzeichnungen in den Folgejahren auch für Goethe ­einen – wenn auch nur bedingten – kunsthistorischen Fundus.131

3.1  Vor dem Kunstraub: Meyers Aufzeichnungen als Quelle Unabhängig von der Frage nach dem konkreten Nutzen für eine kulturtopographische oder rein kunsthistorische Darstellung müssen Meyers Notizen vor dem Hintergrund der mit dem Sommer 1796 schubweise einsetzenden Konfiszierungen durch französische Kunstoffiziere, Zwangsabgaben, Plünderungen und Verkäufe wegen wirtschaftlichen Ruins des römischen Hochadels gesehen werden. Die Beschreibungen von Kunstwerken in römischen Sammlungen und Kirchen sind buchstäblich die ­letzte Bestandsaufnahme des vornapoleonischen Rom. Der Zusammenbruch der seit drei Jahrhunderten kontinuierlich gewachsenen Sammlungsstruktur setzte unmittelbar nach Meyers Ab­reise nach Florenz ein und wurde von Goethe wie von Meyer mit Besorgnis wahrgenommen.132 Artikel 8 des am 23. Juni 1796 zwischen dem unter Befehl ­Napoleons stehenden französischen Heer und dem Kirchenstaat geschlossenen Waffenstillstandsabkommens legte die Abtretung von 100 Kunstwerken aus den päpst­lichen Sammlungen fest; mit der Einnahme Roms im Januar 1798 durch Louis-Alexandre Berthier sollten weitere Legitimationen für Beschlagnahmen durch französische Kunstoffiziere folgen, die in einen triumphalen Einzug der Kunstwerke in Paris am 27. und 28. Juli 1798 mündeten. Nach umfangreichen Forschungen zu diesem Thema wäre es müßig, die für das Pariser Museum aus Rom transferierten Hauptwerke antiker und neuzeitlicher Kunstgeschichte aufzuzählen.133 Doch ist die Veränderung nicht allein auf den napoleonischen „Kunstraub“ zurückzuführen. Die neue Fiskalpolitik der römischen Republik brachte zahlreiche Adelsfamilien in Bedrängnis, was in Notverkäufen wie etwa der Sammlung in der Villa Aldobrandini mündete. Die Aufhebung von Klöstern und Kirchen, aber auch politische Konflikte wie im Fall der Kardinäle Albani und Braschi führten zu weiteren Beschlagnahmen und Verkäufen. Betroffen waren somit nicht nur der päpstliche Besitz, sondern auch bedeutende Sammlungen wie in den Villen Albani

131 Die Zahl der direkten Übernahmen aus Meyers Notizen in die Italienische Reise dürfte gering sein. Meyers Beitrag zur Statuenbetrachtung bei Fackelschein ist nicht Teil des fünfbändigen Thesaurus, ebenso wenig die als Tagebuchauszug eines Freundes zitierte Würdigung von Mengs’ Porträt Papst Clemens’ XIII. (vgl. MA 15, 617, Meyers Manuskript in GSA 64/106,5). 132 Siehe Meyer an Goethe, Florenz, 29. 7. 1796 und Florenz, 18. 9. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 304 und 344 f. Weitere Hinweise zur frühen Rezeption des „Kunstraubs“ in Weimar bei Pommier 1998, S. 81–83. 133 Blumer 1936; Wescher 1976, S. 155–176.

I.3.1  Vor dem Kunstraub: Meyers Aufzeichnungen als Quelle

und Aldobrandini, in den Palazzi Albani, Colonna und Giustiniani, schließlich – als etwas später eintretender Sonderfall – die Antiken in Borghese-Besitz.134 Wie sehr Meyers Aufzeichnungen schon damals im deutsch-römischen Kreis als verlässliche und umfängliche Bestandsaufnahme der sich ankündigenden Ver­luste wahrgenommen wurden, belegt ein im Neuen Teutschen Merkur erschienener Brief F ­ ernows an Böttiger vom 28. August 1796. Die Zerstörung des römischen Kulturorganismus durch den „unersetzlichen Raub“ wird dort, wie in vielen anderen zeitgenössischen Berichten auch,135 wortreich beklagt: „Warum haben Sie nicht geeilt, ­Ihren Entschluß früher auszuführen? Wären Sie in diesem Frühjahr gekommen, wie Sie mich hoffen ließen, so hätten Sie Rom noch in der ganzen Fülle seiner Schönheiten ­sehen und genießen können. Im künftigen wird dies nicht mehr möglich seyn.“136 Das, was laut Fernow der Heraus­geber und Briefadressat Böttiger versäumt hatte, war von M ­ eyer ausgeführt worden. Der Liste mit den konfiszierten Werken aus dem Museo Pio C ­ lementino ergänzt Fernow mit der Bemerkung, „Ihr Freund M. der erst vor kurzem in Rom war und in dessen Seele jeder Eindruck noch frisch und lebendig ist, wird Ihnen den Mangel des ­eigenen Eindrucks ersetzen.“137 Noch deutlicher als bei Fernow findet sich ein enger Konnex von Meyers Aufzeichnungen und der Klage über die Zerstreuung der mobilen Kulturgüter Roms bei Heinrich Keller, der als Meyers Wohngenosse an dessen Streif­ zügen durch römische Sammlungen teilnahm.138 Schon im Dezember 1795 berichtet er, Meyer sei ein „lebendiges Register aller Statuen, Basreliefs, Gemälde u.s.w. kurz ­alles Schönen, was in jedem einzelnen Winkel der Paläste und Kirchen steckt.“139 Wenige Wochen später schreibt er an Horner, Meyers Leitung und „bon sens“ hätten ihm „die Sachen von einer ganz andern Seite ansehen gelehrt, seine Kentniß bey das ihn schier 134 135 136 137

Kalveram 1995; Fabréga-Dubert 2009. Savoy 2001. Böttiger 1796, S. 253. Ebd., S. 255. Ein ähnlicher Brief in: Fernow 2013, S. 193–197 (Fernow an Johann Eduard Pohrt, Rom, 26. 8. 1796). 138 Vgl. Heinrich Keller an unbekannt, Rom, 8. 1. 1796 (Abschrift): „Professor Meyer von Weimar ist wiederum hier; wir wohnen beisammen und sein Umzug ist mir von wesentlichem Nutzen. Seine Ideen einer Kunstgeschichte welche Sie vielleicht aus den Horen kennen veranlaßten diese Reise; er sammelt sich nun überall Data dazu; wir schweifen in müßigen Augenblicken fleißig umher u unser größtes Vergnügen ist es nun Entdeckungen zu machen u schöne Kunstwerke aufzufinden. Wir haben schon von manchen reizenden Kopfe, der ein glänzenderes Schicksal verdiente, den Staub eines h ­ alben Jahrhunderts weggeblasen. Unter anderem kletterten wir den Gipfel einer Colonne und siehe da stand ein colossaler Bacchus fleißig gearbeitet wie eine Camee, von außerordentlicher Schönheit. An e­ inem anderen Orte fanden wir einen halben Minervakopf: Stirn, Nasenansatz, die rechte ­Wange u das Auge gut erhalten, u so noch andere welche Meyer sehr viel Rückschluß u. mir hohe Freude gewährten.“ Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, NL Heinrich Keller, Römisches Tagebuch I, P 182/I, pag. 41. 139 Heinrich Keller an unbekannt, Rom, 11. 12. 1795 (Abschrift), in: Ebd.

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I.3.  Anschauung und Notation

ungeheure Gedächtniß | gut zu statten kömt & S. Belesenheit sind mir außerordentlich nützlich er theilt mir seine Papiere mit & ich suche schon seine Metode abzulernen wie man die Sachen betrachten soll.“140 Umso drastischer und hasserfüllter sind Kellers Berichte über die „Franzosenherrschaft“ während der römischen Republik und die Erschütterung über die Plünderungen.141 Aus rein dokumentarischer Sicht sind daher Meyers Aufzeichnungen 1795–1796 ­eine zentrale Quelle zur römischen Sammlungsgeschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In den Villen und Palästen wie in den Sammlungen auf dem Kapitol und im Vatikan inventarisiert Meyer Raum für Raum, Objekt für Objekt die römische Kunst­ topo­graphie. Die Ausführlichkeit und Verlässlichkeit der Angaben ist mit keinem Kunstführer oder Reisebericht der Zeit vergleichbar.142 Die Fülle der genannten Objekte kann nur durch Inventare oder die wenigen Spezialführer durch einzelne Sammlungen übertroffen werden. Nimmt man beispielsweise den 1783 erschienenen Sammlungsführer der Galleria Colonna als Maßstab,143 so notierte Meyer in den vier Haupträumen der Stanza dei Quadri, der Sala dei Paesaggi, dem Mittelsaal der Galerie und der Sala della Colonna Bellica 36 von insgesamt 88 gezeigten Gemälden (vgl. Dok. 1 im Anhang).144 Dies scheint auf den ersten Blick wenig aussagefähig, ist aber quantitativ wie 140 Heinrich Keller an Johann Jakob Horner, Rom 30. 1. 1796, Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, NL Heinrich Keller, Briefe I, P 179. 141 Heinrich Keller, Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, NL Heinrich Keller, Römisches Tagebuch I, P 182/I, pag. 127–138: „Die Entführung der römischen Kunstwerke durch die Franzosen“; Römi­sches Tagebuch II, P 182/II, pag. 5–9: „Einige Bemerkungen über die Franzosen-Herrschaft in Italien“. 142 Zu diesem Schluss gelangt man, wenn man die herausragenden Quellen zu den römischen Sammlungen des 18. Jahrhunderts konsultiert und mit statistischem Interesse die Zahl der Erwähnungen und Länge der Einzelbeschreibungen mit denjenigen Meyers vergleicht. Zu nennen sind die Reisebeschreibungen und topographischen Werke von Misson 1743, Titi 1763 (EA 1703), Venuti 1766/1767, Volkmann 1777/2011 (EA 1770/1771), Monti 1775, Magnan 1779, Lalande 1786 (EA 1769), Ramdohr 1787, F. J. L. Meyer 1792, Moritz 1786/1788 (in: Moritz 1993, Bd. 2), Vasi 1794/1970 sowie die modernen Editionen der Notizen von Winckelmann (SN 5,1) und Heinse 2003. Zur Aussagefähigkeit von Galeriebeschreibungen in der europäischen Reiseliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts siehe Schudt 1959; ferner: Frances Gage: Must See: Guidebooks, in: Feigenbaum 2014, S. 287–288. 143 Catalogo dei Quadri, e Pitture esistenti nel Palazzo dell’Eccellentissia Casa Colonna in Roma Coll’indicazione die loro Autori Diviso in sei Parti Secondo i respettivi Appartamenti. Rom 1783, 175 ­Seiten mit 1362 Katalognummern. Abgedruckt bei Safarik 1996, S. 628–684. Einer der wenigen Führer durch eine der fürstlichen Sammlungen Roms im 18. Jahrhundert. Hervorzuheben ist die Listung der Gemälde nach Räumen mit entsprechenden Wandangaben, so dass in Kombination und Abgleich mit Meyers Notizen verlässliche Annahmen über die Präsentation zwischen 1783 und 1796 gemacht werden können. 144 Die Vergleichszahlen ergeben sich aus dem Sammlungsführer von 1783 und Meyers Notizen vom Frühjahr 1796 (GSA 64/94, fol. 140r bis fol. 153v. Abdruck des Katalogs von 1783 bei Safarik 1996, S. 635–639, Nr. 31:0116–31:0208 – ich rechne hierbei die vier im Hauptsaal der Galerie gehängten, von Maratta mit Putten und Blumen bemalten Spiegel ab). Die Präsentation scheint im Zeitraum 1783–1796 so gut wie nicht verändert worden zu sein. Nimmt man den Kunstbesitz des gesamten

I.3.1  Vor dem Kunstraub: Meyers Aufzeichnungen als Quelle

qualitativ im oberen Bereich der Reisebeschreibungen und handschriftlichen Notizen der Zeit. So notierte etwa (der freilich vorwiegend an antiken Skulpturen interessierte) Winckelmann 1756 in seinen römischen Arbeitsbuch 14 Gemälde in der Galleria Colonna,145 das 1743 neu aufgelegte Reisebuch von Maximilien Misson beschränkt sich auf die Nennung weniger Künstler,146 der Anhang zu der von Meyer benutzten Neuauflage des Rom-Führers von Filippo Titi listet kursorisch Künstler und Werke auf,147 Lalande hebt vier Landschaften in der Sala dei Paesaggi hervor und nennt neben zahlreichen Antiken zwölf weitere Gemälde in der Galerie.148 Volkmann listet 23 und ­Heinse 5 Bilder in den vier Haupträumen im Palazzo auf.149 Nur Ramdohr, der in anderen Sammlungsbeschreibungen meist deutlich hinter Meyers Notizen zurückbleibt, übertrifft sie in der Zahl der genannten Objekte: Er nennt mit 82 Gemälden nahezu den gesamten Bestand, versehen mit knappen Kommentaren.150 Im Vergleich zu den genannten ­Autoren sind Meyers Angaben zur technischen oder formalen Gestaltung der Werke einzigartig und können punktuell Erkenntnisse zu ungeklärten Provenienzen liefern.151 Zugleich muss festgehalten werden, dass es sich hierbei um Notizen mit der ihr eigenen Problematik handelt. Meyer erfasst meist mehr Kunstwerke als seine Zeitgenossen, doch eine vollständige Auflistung wird nicht angestrebt. Unterschiede bestehen auch in der Ausführlichkeit. So wurden aus Zeitgründen nicht alle Beschreibungen mit gleicher Sorgfalt ausgeführt, insbesondere der wichtigen Sammlung im Palazzo Borghese widmet Meyer am Ende seines Rom-Aufenthalts nur zwei stichpunktartige Seiten.152 Überraschend ist auch das Fehlen der Villa Farnesina mit den Ausmalungen Raffaels und seiner Werkstatt. Hier reichte offenbar der Zugriff auf ein Konvolut von ­ alazzo Colonna in den Blick, so stehen freilich 1362 Katalognummern den 77 bei Meyer erwähnP ten Gemälden gegenüber. Kennzeichnend für Meyers 26seitiges Manuskript ist die Konzentration auf die Haupträume im Piano Nobile, ergänzt durch die Beschreibung der zweiten Galerie im oberen Appartement. 145 Winckelmann, SN 5,1, S. 59 f (Ville e Palazzi di Roma). 146 Misson 1743, Bd. 2, S. 281 f. 147 Titi 1763, Neuauflage des Führers von 1703. Meyers Exemplar mit Marginalien in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, Signatur: Dd8 572a. 148 Lalande 1786. Bd. 4, S. 414–424. 149 Die Zählung bezieht sich jeweils auf Einzelgemälde, nicht auf die feste Ausstattung des Palazzo wie etwa Fresken u.ä. Volkmann 1777/2011, Bd. 2, S. 303–307; Heinse 2003, S. 1041 f. 150 Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 60–110. Unterbrochen von zahlreichen Exkursen beschreibt Ramdohr in der Stanza dei Quadri 17 (S. 71–73), in der Sala dei Paesaggi 27 (S. 74–79), in der Großen Galerie 27 (S. 79–85) und in der Sala della Colonna Bellica 11 Gemälde (S. 87 und 104–107). 151 Siehe hierzu die Ausführungen zu Mantegnas Totem Christus und Anbetung der Hirten im Abschnitt zur Villa Aldobrandini. 152 GSA 64/94, fol. 11r–12v: Galerie Borghese Aldobrandini. Gemeint ist die Gemäldesammlung Aldobrandini in Besitz des Prinzen Paolo Borghese(-Aldobrandini) im Palazzo Borghese. Vgl. Kommentar in MA 15, S. 1109 (dort wird die Aldobrandinische Hochzeit genannt, die sich jedoch nicht im P ­ alazzo Borghese, sondern in der Villa Aldobrandini befand).

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I.3.  Anschauung und Notation

Reproduktions­stichen verschiedener Meister aus, das Meyer über die Graphiksammlung seines Wohngenossen Heinrich Keller vorlag.153 Eine gewisse Systematik ist in der räumlichen Erschließung erkennbar: Die Raumwechsel markiert Meyer oft durch Überschriften oder einen durchgehenden Horizontalstrich. Am Ende der Raumbeschreibung stehende Angaben zu Bildern „über der Thüre“ signalisieren in der Regel den Eingang zum nächsten Zimmer, wobei manchmal noch Hinweise zu Gemälden an der Fensterseite gegeben werden. Sporadisch macht Meyer Angaben zur Hängung, selten zu der Lokalisierung an den einzelnen Wänden (genaue Wandangaben beispielsweise bei der Pinakothek auf dem Kapitol) – hier machen sich die Muster der periegetischen Literatur bemerkbar, die pars pro toto Angaben zur Aufstellungs- und Raumsituation machen. Generell kann für die Sammlungsbeschreibungen angenommen werden, dass Meyer die einzelnen Galerieräume von ihrem Eingang ausgehend und fortschreitend zur nächsten Türe erschließt. Die Positionierung vollplastischer Werke im Raum ist dagegen selten nachvollziehbar. Im Unterschied zu den wenigen listenartig vorgehenden Sammlungsaufzeichnungen von 1790 (vgl. Dok. 2 im Anhang) wirken die Notizen von 1795–1797 hochgradig professionalisiert. Wie insbesondere die Analysen in Abschnitt 3.5. zeigen werden, sind die darin enthaltenen Informationen für präsentationsgeschichtliche Fragestellungen besonders aufschlussreich.

3.2 Das kontrapunktische Notationsverfahren: Normativität, ­Eklektizismus und Empirie Bevor die Untersuchung in Abschnitt 3.5. das Verhältnis von Sammlungspräsentation und Aufzeichnungsverfahren behandelt, ist anhand von einigen Mikroanalysen ­Meyers spezifische Vorgehensweise im Spannungsfeld von Normativität und ­Historizität ­näher 153 Meyers zeitweiliger Zimmergenosse listet in einem Brief die seit 1794 erworbenen Graphik­serien auf, Meyer dürfte sie benutzt haben, wie beispielsweise der mehrfache Verweis auf die von Pier ­Santi ­Bartoli radierten Admiranda in den Notizen belegt. Siehe Keller an Johann Jakob Horner, Rom 8. 10. 1796, Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, NL Heinrich Keller, Briefe I, P 179: „Von ganzen Kupferwerken besitze ich die Admiranda v. Santi Bartoli 83 Blätter antike Basreliefs. Die Colonna trajana 119 BlätterAntike Bronzen 136 Bl. d. Fries v. Rafael in d. Logen 43 Bl. d. Loggen 52 Bl. die Triumph­bögen 52 Bl. d. Antiken Gräber 110 Bl. d. Schiffahrt v. Polidor 8 Bl d. Triumph v. Sigismund v. J. Rom. 33 Bl. Jupiter der die Giganten niederdonnert 9 Bl. v J R. Leo d. × 114 Constantinus v. J.R. 12 Bl. Selbe diese von Bartoli gestochen. Die Köpfe ausgenommen welche v. Aquila sind die Sixt. Kapelle v. G. Mantuono d. jüngste Gericht v. ebendems. die Odyssee 58 Bl v. Theodor v. Thulden. Die Odyssee v. Flaxman 28 Bl. d. Illiade 34 v. ebendems. d. Aischilus v. Ebends. Die Fabel d. Psyche v. ­Rafael 32 Blätter v. verschiednen Meistern. Rafaels Fresken in der Farnesina 22 Bl. klein radirte Blätter v. A. Carracci 60 die vier Jahreszeiten von Pietro Testa. v. dens. d. Sixtinische Kapelle & d. jüngste Gericht in Contour v. Canego. Eine unendliche Menge anderer einzelner Blätter ungeordnet welche ich mir in diesen zwey Jahren zusammengesammelt habe[.]“

I.3.2  Das kontrapunktische Notationsverfahren: Normativität, ­Eklektizismus und Empirie

zu definieren. Wendet man sich einzelnen Werkbeschreibungen der Italien-Notizen 1795–1797 zu, so ist festzustellen, dass Meyer die üblichen Kriterien der akademistischen Kritik anwendet, diese aber in ihrem extensiven Gebrauch und Differenzierungswillen verfeinert, was zwangsläufig eine historische Sicht auf die Kunstgeschichte bewirkt. Ohne Zweifel werden dabei die Werkbeschreibungen von einem normativen Bewertungsgerüst reguliert, das seine Vorläufer unter anderem in den Bologneser Eklektikern, im französischen Akademismus, in den Kategorien von Anton Raphael Mengs oder auch in Reiseführern wie etwa Volkmanns Italien-Buch hat. Zugleich führt die Anforderung, möglichst schnell die Beschreibung niederzulegen, zu sprachlichen Wiederholungen und inhaltlichen Unstimmigkeiten – ihre Konfusionen erhalten durch den Einsatz der sog. tabellarischen Methode als entschleunigendes und vertiefendes Verfahren ein Korrektiv, auf das im Abschnitt 3.4. näher einzugehen ist. In den hier zu untersuchenden Sammlungsnotizen wird dagegen auf knappem Raum die Vielfalt der Aspekte und Assoziationen möglichst so wiedergegeben, dass sie für die späteren kunsttheoretischen und kunsthistorischen Arbeiten in gleicher Weise verwertbar ist. Der Charakter der Notizen ist somit ausgesprochen heteronom, denn sie konstituieren sich in einem Spannungsfeld von Dokumentation, Historisierung und doktrinärer klassizistischer Urteilsbildung. Anhand eines Beispiels lässt sich die zwischen starker Wertung und Distink­ tion schwankende Vorgehensweise aufzeigen. In der Pinacoteca Capitolina sah ­Meyer ­Guercinos großformatiges Werk Kleopatra vor Oktavian.154 Der erste Teil der Notiz ­lautet wie folgt: Die Erfindung & Anordnung dieses Bildes hat gar nichts vorzügliches nichts Gefälliges, aber die Cleopatra ist eine der besten gemahlten Fig des Meisters. Ihr Busen Ihr Gewand | der goldene gestickte Mantel | sind Meisterstücke. Sie hat keinen schönen Kopf und einen offenen nichts bedeutenden Mund. Augustus ist kräftig, sein Kopf zwar Natürlich geistreich, aber ebensowenig Edel als die Stellung. Die Beine sind zwar schlecht gezeichnet die Rüstung und Mantel hingegen vortreffl gemahlt die Gruppe Krieger hinter dem August haben gute Köpfe der Knabe welcher den Helm trägt ist schön & liebl.155

Der Passus fällt zunächst durch ein anscheinend konfuses Nebeneinander extremer Wertungen auf, die lose mit Konjunktionen wie „aber“, „zwar“ und „hingegen“ verbunden werden. Festzustellen sind fünf kontrastreiche Wertungswechsel, so dass drei Sequenzen des Tadels und drei Sequenzen des Lobs miteinander alternieren. Die Wertungen sind rigoros wie gegensätzlich; in dichter Folge finden sich Phrasen wie „vortrefflich gemalt“ und „schlecht gezeichnet“. Die Figuren von rechts nach links beschreibend, parzelliert Meyer nicht nur das Bild, sondern auch die beiden Hauptfiguren nach guten und schlechten Partien. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass in dieser kontrapunktischen Manier ein konsequenter Dualismus durchgehalten wird. Negativ bewertet 154 Guercino: Kleopatra vor Oktavian, Öl auf Lw., 280 × 250 cm, Rom, Pinacoteca Capitolina. 155 GSA 64/94, fol. 132r.

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I.3.  Anschauung und Notation

werden ­Kategorien des disegno wie korrekte Anordnung, Detailzeichnung oder Körperproportion; positiv dagegen genuin malerische Qualitäten wie die Oberflächengestaltung der Kleidung. Letzten Endes bezieht sich das Lob auf nur wenige Teil­stücke und deren maltechnische Faktur: Den brokatbesetzten Mantel der Kleopatra, die ­Rüstung Oktavians und die Köpfe der Soldaten im Hintergrund. Diese Form der kontrast­ reichen Beurteilung unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den kunstkritischen Verfahren des Barock, wie sie beispielsweise Bellori praktizierte. Wertungen nach Einzelkategorien werden von Meyer nicht mehr additiv als Allgemeincharakteristika aufgelistet oder nach vermittelnden „Dyaden“ geordnet,156 sondern treten in einen Mecha­nis­mus der Spannung. Dieser Mechanismus ist symptomatisch, da er auf Wahrnehmungsirritationen verweist, die auf normativen Prämissen der Kohärenzbildung beruhen, welche die neuplatonischen Vorstellungen der idea-Lehre wie auch die damit verbundene bildrhetorische Affektregulierung zugunsten einer immanent-organischen Werkeinheit verdrängt haben. In einem zweiten Schritt erlangt Meyers verschriftlichte Guercino-Autopsie eine neue Ebene: Strenge genommen könnte man dem Bilde den Vorwurf machen daß seine Theile in Rücksicht auf ­Stärke & Schwäche nicht ganz miteinander übereinstimmend wären die Fleischpartien der Cleopatra sind gewiß zu kräftig gegen die klaren Schatten ihres rothen Untergewandes. Die Fig August’s hat außer­ ordentlich starke dunkle Schatten die weder mit der Gedämpften Gruppe der Krieger noch mit der überhaupt helle gehaltenen Cleopatra in Verhältniß stehen. –157

Der in der Notation manifeste Betrachtungsvorgang hat den Blick auf die positiv bewerteten Bildkomponenten des Kolorits gelenkt, die nun hinsichtlich ihrer gesamtharmonischen Abstimmung überprüft werden. „Stärke“ und „Schwäche“ beziehen sich dabei nicht auf die Qualität, sondern auf die Intensität der malerischen Mittel, nämlich einmal in Hinblick auf den Zusammenklang von Inkarnat und Gewandfarben und einmal in Hinblick auf die Helldunkelkoordination, die jeweils als unausgeglichen bewertet werden. Bei der Forderung nach einer Gesamtkoordination des Helldunkels und der dezenten Harmonisierung der Fleisch- und Gewandfarben handelt sich um Kategorien, welche auf die farbästhetischen Überlegungen Goethes und Meyers verweisen.158 Die hier durchexerzierte Anwendung auf Guercino ist insofern zielführend, als das Ergebnis eine gewisse Flexibilität und Anwendungsbezogenheit gewährleistet, die je nach Bedarf für eine differenzierte formgeschichtliche Einordnung des Künstlers verwertbar ist. Dennoch bleibt im Auf und Ab der Wertungen der Nutzen der Beschreibung ohne die Kenntnis des Bildes fragwürdig. Im Guercinio-Abschnitt seiner um 1815 entstandenen 156 Zu den „Dyaden“ bei Bellori vgl. Keazor 2007, S. 15–46. 157 GSA 64/94, fol. 132r. 158 Siehe hierzu ausführlich Teil II der vorliegenden Arbeit.

I.3.2  Das kontrapunktische Notationsverfahren: Normativität, ­Eklektizismus und Empirie

Geschichte der Kunst,159 die als Vorlesung für den Weimarer Hof bestimmt war, übernimmt Meyer die Beobachtung zum Kolorit und Helldunkel, greift aber auf das ebenfalls im Quirinalspalast gezeigte Altarbild mit dem Begräbnis der Heiligen Petro­nilla zurück, was er nicht selbst vor Ort beschrieben hatte, aber als Reproduktionsstich von Nicolas Dorigny allgemein bekannt war und den Zuhörern vorgelegt werden konnte. An der Beschreibung von Guercinos Kleopatra vor Oktavian wird vor allem ein Strukturmerkmal deutlich, das charakteristisch für Meyers kunstkritisches Vorgehen im Allgemeinen, im Besonderen aber hochgradig typisch für die Auseinandersetzung mit Künstlern der Carracci-Nachfolge ist: die kontrastive Gegenüberstellung von Wertungen, die vermeintlich unsystematisch erscheint, aber in der deutlich kontrapunktischen Struktur die Irritationsmomente der Bildwahrnehmung festhält und zudem den Betrachtungsprozess als kritische Denkbewegung ausweist. Dabei folgen die einzeln angewandten Wertmaßstäbe den traditionellen eklektischen Vorstellungen, im Faltenwurf oder in den Helldunkelwerten etwa sind sie sogar dem Formenkanon der Bologneser Schule ganz besonders verpflichtet. Die Distanzierung zur barockklassizistischen Auffassung vollzieht sich in dem Moment, in dem in einer Art Rückbewegung versucht wird, die Einzelbeobachtungen zu einem Gesamturteil zu homogenisieren, somit dem zergliederten Werk die geschlossene Einheit im autonomieästhetischen Sinne zurückzugeben. Gerade hier zeigt sich die Differenz zwischen dem älteren Akademismus und ­Meyers Auffassung, die neben der Befolgung des autonomieästhetischen Grundsatzes von der Geschlossenheit des Werks immer auch den aufklärerischen Aspekt einer permanenten Verbesserungsästhetik mit sich führt. Diese Erschließungsstrategie findet sich auffallend häufig bei Vertretern der Bologneser Schule wie den Carracci, ­Domenichino, ­Guido Reni oder eben Guercino und wird von Meyer in der Pinacoteca Capitolina, dem musealen Zentrum der Barockmalerei, perfektioniert. So bezieht er sich etwa in der Beschreibung einer kleinen Replik der Letzten Kommunion des Heiligen Hieronymus von Agostino Carracci160 auf den bekannten Plagiatsstreit um Domenichinos Altarbild.161 Domenichinos evidente Allusion an das Werk seines Lehrers bezeichnet Meyer als legitimes Verfahren, da an ­Carraccis Bild die Schwächen eindeutig hervortreten. Mit dem Lob für „viel Wißenschaft & gute Zeichnung“ kontrastiert die Kritik an den nicht immer nachvollziehbaren Handlungen einzelner Figuren und ihrer dichten Zusammendrängung auf engem Bildraum: Sollte der welcher schreibt nicht eine überflüßige Fig seyn? wenn er wirkl einen wesentlichen Zug der Geschichte ausdrückt warum ist er denn so versteckt? Falten wie z.b. der Geistliche hat welcher kniet & die Fabel hält werden nicht vom Geschmack gebilligt etc. NB einige Köpfe haben schönes Colorit und

159 Meyer/Holtzhauer 1974, S. 229. 160 Kopie nach Agostino Carracci, 53 × 36,5 cm, Rom, Pinacoteca Capitolina, Inv.-Nr. PC 155. Original von 1591–1597 in Bologna, Pinacoteca Nazionale. 161 Vgl. Cropper 2005. Domenichinos 1614 entstandenes Werk in Rom, Vatikanische Museen.

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I.3.  Anschauung und Notation man giebt noch jetz immer dem Dominichino Schuld er habe seine Communion des Hlgn Hieronymus aus diesem bild ausgezogen war es denn nicht erlaubt ein gutes Bild durch ein weit beßeres zu übertreffen? Unsellige Kritick!162

Übertreffen durch Verbessern: Meyer ist hier weit vom Innovationsdenken der Moderne entfernt. Das Beispiel von Domenichinos Carracci-Übernahme ist ihm ein willkommener Beleg zur Rechtfertigung der aemulatio. Zugleich unterlaufen Meyers Zergliederungs- und Zusammensetzungsstrategien die eigene vorgefasste Meinung und regen zur Revision seiner dogmatischen Wertur­teile an. Der Befund ist geradezu paradox: Während die weitgehend aus dem Barockeklektizismus kommende Zergliederungstaktik gerade den eklektischen Charakter der Bologneser Schule besonders hervorkehrt und die fehlende Bildgeschlossenheit betont,163 stellt sich bei der Betrachtung der an Caravaggio zugeschriebenen Werke in schöner Regelmäßigkeit das Moment ästhetischer Überraschung ein, indem dem Künstler – selbstverständlich nur ausnahmsweise – eine hohe gestalterische Fähigkeit attestiert wird.164 Während sich im Fall der Carracci das eklektische Wertungsverfahren gegen den Eklektizismus selbst wendet und ihn fast dialektisch überwindet,165 gerät bei Caravaggio das durch die Kunstliteratur vorgefasste Vorurteil des populären Naturalismus166 sicht162 GSA 64/94, fol. 125v. 163 Eine wie im Fall von Guercino verfahrende kontrapunktische Beschreibung findet sich beispielsweise im Notat zu Annibale Carraccis Altarbild in Santa Caterina dei Funari: „die Hlge Margaretha auf dem 1 Altar zur Rechten v. H. Caracci hat einen sehr großen & mächtigen Styl in Ihren Formen. schön ist Ihr Kopf zwar nicht, aber er hat dennoch etwas sehr kühnes Rundes von breiten mächtigen Maßen. Die Behandlung ist eben dieser Manier & das Kolorit sehr stark & kräftig die Beleuchtung ist in der Manier von Ludewig Caracci. Von sehr großen dunkeln Partien die Falten sind der Figur gut umgeworffen aber die lichten Stellen könnten beßere Maßen haben. Sie sind zu unterbrochen die Stellung der Fig & das wenige von landschaftlichem Grund hinter ihr ist beydes wohlgedacht die Zeichnung richtig & Meisterhaft beschädigt ist das Bild zwar wie es scheint nicht Aber schmuzig und dunkel geworden.“ GSA 64/92, pag. 31. 164 So bei den Spielern im Palazzo Barberini, heute Forth Worth, Kimbell Art Museum, GSA 64/94, fol. 33v; ebenfalls im Palazzo Barberini Christus unter den Schriftgelehrten, GSA 64/94, fol. 42v; ein ­Caravaggio zugeschriebenes Konzert mit zwölf Halbfiguren in der Villa Borghese, GSA 64/93, fol. 17r; in der Sammlung Giustiniani das Abendmahl zu Emmaus (eigentlich von Nicolas Régnier, heute in Potsdam, Sanssouci), ebd. fol. 188v, die Konkurrenzstücke der weltlichen und göttlichen Liebe von Caravaggio und Baglione, heute Gemäldegalerie Berlin, GSA 64/94, fol. 190r. – Alle genannten ­Werke werden mit den Wortfeldern des ‚Meisterhaften‘ belegt. 165 Zur Kunst und Theorie der Bologneser Reform siehe Posner 1971, Bd. 1; Keazor 2007. 166 Zur Opposition zwischen den Carracci (idea) und Caravaggio (Naturalismus) in Belloris Vite siehe Keazor 2007, S. 17–19, ibs. S. 18: „Fungiert Caravaggio mithin sozusagen als eine Negativfigur, die zwar bereits die notwendige Abkehr von den ästhetischen Prinzipien des Manierismus vollzogen hat, indem sie zum Naturstudium zurückgekehrt, diesem jedoch einseitig verhaftet geblieben ist, figurieren Annibale Carracci und Carlo Maratti als die beiden Hauptpfeiler einer gleichsam über Caravaggio hinweg- und empor führenden Brücke[.]“

I.3.3  Substitutionen: Auf dem Weg zum Gegenstandsaufsatz

lich in die Krise, da die Tendenz zur formalen Vereinheitlichung hinsichtlich Komposition, Farbe und Helldunkel zwar als einseitig, aber in der individuellen Lösung als gestalterisch überzeugender erfasst wird. Angesichts von Caravaggios schlüssig durchgeführter Einseitigkeit muss Meyers verbesserungsästhetischer Anspruch nahezu kapitulieren. Trotz allem ist diese Differenzierungsbereitschaft vor Ort nur als Lizensierung aufzufassen, wie die späteren Urteile zu Caravaggio zeigen.167 Auf entschiedene Weise belegen damit die Aufzeichnungen Meyers den systematischen Konflikt zweier Klassizismen, die in eine unmittelbare und unlösbare Konkurrenz treten: zum einen die empirisch vorgehende, an Einzelwertungen interessierte „barockklassizistische“ bzw. akademistische Tradition, zum anderen die neuere, seit Goethes Italien-Aufenthalt ent­ wickelte autonomieästhetische und hochklassizistische Auffassung von der organologischen Geschlossenheit des Kunstwerks, das aus sich selbst heraus verständlich sein soll. Meyers Verfahren der ästhetischen und stilkritischen Wertung muss in seiner Wider­ sprüchlichkeit als offenes Konzept gesehen werden, in dessen Rahmen sich ein Histo­ risierungsbewusstsein durch hypostasierte Normativität ausbildet. Der Wertungsanspruch ist so hoch, dass selbst berühmte Werke wie der Laokoon oder Raffaels Ma­ donna della Sedia einer absoluten Mustergültigkeit nicht mehr standhalten können. Im Gegenzug treten theoretische Prinzipien mit der vorurteilsfreien Betrachtung in Widerspruch, dass sich jene Normativität der Empirie öffnet. Dadurch setzt ein Mechanismus der Histo­risierung ein, der zwangsläufig jedes beschriebene Werk in seinem Zeitkontext relativiert und bewertet. Auf diese Weise depotenziert sich die Vorstellung von der Existenz eines absoluten Ideals, ohne dass dieses vollständig verschwindet – wie überhaupt die Kategorie des „Idealischen“ kaum mehr in Bezug auf den Bildinhalt, sondern nur in formalästhetischer Hinsicht genutzt wird. In der gleichen Bewegung nimmt die differenzierte Sicht auf alle Epochen der Kunst zu, indem sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass auch in Glanzperioden künstlerisches Mittelmaß und in Perioden des Aufstiegs und Verfalls wiederum künstlerische Spitzenleistungen entstehen können.

3.3  Substitutionen: Auf dem Weg zum Gegenstandsaufsatz Die unfreiwillige Depotenzierung des absoluten Kunstideals durch die Stilkritik ist jedoch nur ein Aspekt von Meyers Aufzeichnungen. Denn dem Aufzeichnungsvorgang selbst liegt ein eminent theoretisches Potential inne, das entscheidend zur Genese autonomieästhetischer Grundsätze beiträgt. Dieser Vorgang ist freilich durch die voraus167 Vgl. Meyer/Holtzhauer 1974, S. 227: „Durch mächtige Gegensätze von Licht und Schatten blendet und besticht er das Auge, nimmt aber gar keine Rücksicht auf die Würde des Charakters der historischen Personen, welche er darstellen will; […] ja gar oft scheint er das Niedrige, Fehlerhafte in der Natur absichtlich gesucht zu haben.“

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I.3.  Anschauung und Notation

gehende Diskussion mit Goethe vorgeprägt. Bereits 1789 hatte Goethe in Berufung auf Karl Philipp Moritz an Meyer geschrieben, „man soll nicht Composition sagen, denn solch ein Werk ist nicht von außen zusammengesetzt, es ist von innen entfaltet. Ein Gedanke, in mehreren Figuren verkörpert.“168 Zwei Monate später heißt es: „Die Zusam­ mensetzung ist nach meinem Begriffe keinen Regeln unterworfen; sie ist die beste, wenn sie, bey Beobachtung der zartesten Gesetze der Eurythmie, die Gegenstände so ordnet, daß man aus ihrer Stellung schon ihr Verhältniß erkennen und das Factum wie ein Mährchen daraus abspinnen kann.“169 Die dem in sich geschlossenen Werkorganismus verpflichtete und durch gleitende figürliche Verweisungen gewährleistete inhaltliche Selbstrepräsentation sollte Goethe im Sommer 1797 in dem Laokoon-Aufsatz exemplarisch ausdeuten, der nicht ohne Grund 1798 die Propyläen eröffnete.170 Zwangsläufig erscheint, dass Meyer bald darauf einen Zusatz publizierte, in dem auf die modernen Ergänzungen und die anatomisch unkorrekten Stellungen der Laokoon-Gruppe hingewiesen wurde.171 Das von Goethe bewusst an den Anfang der Zeitschrift gestellte ästhetische Geschlossenheitsparadigma wurde somit noch in derselben Lieferung mit einem archäologisch fundierten und akademistisch krittelnden Seitenstück relativiert, ja dekonstruiert – in Meyers wie Goethes Auffassung stellte dies keinen Widerspruch dar, die Benennung solcher Inkorrektheiten diente letztendlich dem Ausschluss der die ästhe­ tische Wahrnehmung störenden Faktoren. Die Annahme wäre naheliegend, dass Meyers italienische Aufzeichnungen 1795– 1797 eine geradezu gegenläufige Tendenz zur eigentlichen hochklassizistischen Ästhe­ tik entwickeln und damit einen gesonderten kunstkritischen und kunsthistorischen Diskurs ausbilden. Geht es jedoch um die Spezifizierung der autonomieästhetischen Auffassung durch die von Meyer auf Anregung Goethes ausformulierte Lehre von den geeigneten Gegenständen der bildenden Kunst,172 so bildet Meyers Italien-Aufenthalt das wesentliche Ferment zur Systematisierung jener in den Propyläen dargelegten Sujet­lehre, von der Meyer gegenüber Horner erklärt, „die Eintheilung der verschiedenen ­Arten der Gegenstände“ sei „von den Kunstwerken selbst her genommen.“173 Meyers wichtigster Aufsatz zur Kunsttheorie der Weimarer Klassik ist somit das Produkt italieni­scher Erfahrungen. Er basiert nicht nur auf der Autopsie zahlreicher Kunst­ werke, er stellt auch theoretisch eine Fortentwicklung der vorausgehenden Diskus­sion 168 169 170 171

Goethe an Meyer, o. O., 27. 2. 1789, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 28. Goethe an Meyer, Weimar, 27. 4. 1789, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, 37. Goethe, Über Laokoon, in: MA 6.2, S. 73–88; Propyläen 1/1 (1798), S. 1–19; Reprint 1965, S. 53–71. Meyer, Einige Bemerkungen über die Gruppe Laokoons und seiner Söhne, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 175–176; Reprint 1965, S. 361–362. 172 Meyer (unter Mitwirkung Goethes), Über die Gegenstände der bildenden Kunst, in: Propyläen 1/1 (1798), S. 20–54, 1/2 (1799), S. 45–81 Reprint 1965, S. 72–106 und 231–266). Abdruck in: MA 6.2, S. 27–68. 173 Meyer an Horner, 8. 3. 1799, ZB Zürich, Ms M 8.36, Brief-Nr. 14.

I.3.3  Substitutionen: Auf dem Weg zum Gegenstandsaufsatz

dar, indem spezifische Betrachtungskonstellationen in theoretische Leitsätze umgewandelt wurden. Mit der empirischen Unterfütterung der Gegenstandshierarchie folgte Meyer dem Prinzip von Winckelmanns Versuch einer Allegorie (1766), bildenden Künstlern ­eine produktionsästhetische Anleitung mit geeigneten Bildbeispielen zu liefern,174 doch ­hätte Meyer für die Ausformulierung anhand empirischer Belege wohl nicht nach Italien reisen müssen: So gut wie alle der im Gegenstandsaufsatz genannten Werke waren schon damals in Form von druckgraphischen Reproduktionen verfügbar, wenn nicht sogar als solche in Goethes Besitz.175 Der Anteil der italienischen Erfahrungen an dem Aufsatz ist somit ein anderer und geht über den rein empirisch nachweisbaren Bildbestand hinaus: Denn Meyer hat zwar seine Grundsätze im Sinne der Nachvollziehbarkeit auf ein durch Kupferstiche verfügbares Bildmaterial bezogen, entwickelt hat er sie jedoch – in Rückbindung auf die vorausgegangene und um 1796 brieflich wiederaufgenommene Diskussion mit Goethe – anhand von konkreten Erfahrungen in den römischen und florentinischen Sammlungen. Denn so sehr die autonomieästhetischen Grundsätze bereits im Allgemeinen diskutiert worden waren, die Spezifizierung ihrer Einzeltheoreme wird erst im Herbst 1796 deutlich. Brieflich berichtet Goethe Meyer davon, (mit ­Schiller?) „diese Tage über die Wahl des Gegenstandes176 bey Kunstwerken sehr im Gespräch gewesen“ zu sein und fordert ihn dazu auf, „ja auch auf diesen Punct“ zu sammeln, „da man die ganze Materie nicht dogmatisch, sondern kritisch behandeln könnte, da man überall glückliche und unglückliche Beyspiele könnte reden lassen, so wäre es eine recht schöne Gelegenheit, in und mit dieser Frage so viele andere zur Sprache zu bringen.“177 Meyer erklärt circa einen Monat später: Über die Wahl eines Gegenstandes bey Kunstwerken178 ist es wohl schwer, sich so kurz zu fassen […] und wir werden dieses Capitel wohl bis dahin sparen müssen, wenn wir uns wieder mündlich einander mit­ theilen können. Indessen glaube ich, daß man als allgemeine Regel annehmen kann: je vollständiger sich eine Handlung durch den Sinn des Gesichts begreifen, fassen läßt, je besser paßt sie für die bildenden Künste. Daher sind die Madonnen, heiligen Familien p. so angenehme Gegenstände, weil die Kunst die stummen Gefühle der Zärtlichkeit zwischen Mutter und Kind rein und vollständig ausdrücken kann; wo es hingegen auf geäußerte Gesinnungen, auf Sentenzen und dergleichen ankömmt, das kann nicht gebildet werden.179

174 Winckelmann 1766, S. 130. 175 Sofern nicht ausdrücklich in Meyers Aufsatz erwähnt, ist die entsprechende Reproduktionsgraphik im Kommentar des 3. Bandes der Bibliothek der Kunstliteratur nachgewiesen worden (Klassik und Klassizismus. Hg. v. Helmut Pfotenhauer und Peter Sprengel. Frankfurt a. M. 1995, S. 633–649). Zu ­Goethes Graphiksammlung siehe Grave 2006. 176 Im Druck fett hervorgehoben. 177 Goethe an Meyer, o.O., 15. 9. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 336. 178 Im Druck fett hervorgehoben. 179 Meyer an Goethe, [Florenz], Mitte Oktober 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 369 f.

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I.3.  Anschauung und Notation

Erstmals taucht im Briefwechsel mit Goethe der Ansatz zur Ausdifferenzierung des Gegenstandsproblems auf und es ist signifikant, dass dieser Versuch von dem an empirischer Erfahrung geradezu überquellenden Meyer ausgeht: Die Eignung der Madonnen als Symbol der Mutterliebe und die geringe Darstellbarkeit von „geäußerte[n] Gesinnungen“ und „Sentenzen“ gehören zu den zentralen Theoremen, mit denen Meyer zwei Jahre später seine Sujetlehre in den Propyläen besonders akzentuieren wird. Bezeichnend ist aber auch, dass Meyer anders als Goethe von der rezeptiven Seite her argumentiert und an Grundsätze von Lessings Laokoon anschließt. Nach seinem Scheitern als Künstler verlässt sich Meyer ganz auf die Seherfahrung und den sich ihm ergebenden Bildeindrücken. Ohne es selbst zu merken, bindet er die produktionsästhetische Frage nach dem geeigneten Bildgegenstand an den Betrachter zurück. Die künstlerische Wahl des Gegenstands hat somit das Betrachterurteil, das sich vor dem Bild über den Gesichtssinn fast apriorisch einstellt, zu antizipieren: „[J]e vollständiger sich eine Handlung durch den Sinn des Gesichts begreifen, fassen läßt, je besser paßt sie für die bildenden Künste.“ (s.o.) Eine solche Feststellung lässt sich nur treffen, wenn die eigene künstlerische Produktion zum Erliegen kommt und sich der Fokus ganz auf die systematisierte Bildbetrachtung gerichtet hat. In der Tat lässt sich die konzeptionelle Weiterentwicklung der Gegenstands­lehre anhand von Meyers Betrachterarbeit in den römischen und florentinischen Sammlungen nachvollziehen. Es sind die Sammlungen mit ihrem teilweise dekontextualisierenden und profanierenden Charakter, nicht die Kirchen. Dort ist sich nämlich Meyer des kultischen Bildgebrauchs bewusst, wenn er beispielsweise in der Stigmatisierung des Heiligen Franziskus auf dem von Francesco Trevisani 1719 gemalten Hauptaltar von Ss. Stimmate di San Francesco180 als widerstrebendes Bildthema erkennt, den ästhetischen Wert der Malerei aber mit der Argumentationsfigur der auftragsgerechten Umsetzung der Aufgabenstellung rechtfertigt: „Ein Zustand des Entzückens im Anschauung der Himmlischen Glorie ist es was sein Gemüth beschäftigt & seine Seele erhebt der Schmerz der Wunden die er empfängt zwickt seinen Körper krümt die Finger der rechten Hand & zieht die Muskeln der Augenbrauen & der Stirn an. nicht leicht hat sich ein Mahler einer so schweren Aufgabe beßer entledigt“.181 In den Galerien gelten jedoch diese Argumente nicht mehr. Sie befördern das vergleichende Sehen gerade dann, wenn die Werke thematisch wie stilistisch weitgehend heterogen gehängt sind. Die Theoretisierung tritt oft im Blickwechsel von dem einen zum nächsten Bild ein. Im Palazzo Corsini beispielsweise lobt zwar Meyer Salvatore ­Rosas Prometheus am Felsen hinsichtlich der formalen Ausführung, lehnt aber die

180 Vgl. Buchowiecki 1967–1997, Bd. 3, S. 986. 181 GSA 64/92, pag. 39

I.3.4  Steuerungen: Die tabellarische Methode

drasti­sche Darstellung mit „aus der Wunde hängende[m] Blutigen Eingeweide“ ab.182 Ästhetische Abscheu vor brutalen Bildthemen ist eine der wesentlichen Elemente der späteren Gegenstandslehre.183 Die Darstellung von Schmerz und Leiden ist jedoch zuzumuten, so lange sie nicht die Grenze zum Ekel oder Grauen überschreitet. Genau diese Erkenntnis setzt beim Wechsel in den zweiten Galerieraum ein, in dem Meyer als nächstes Bild einen Ecce homo von Guercino beschreibt: „Der Ausdruck des Schmerzens & der Duldung ist bewundernswürdig es scheint ihm gleichsam ein lebendiger Geist eingehaucht seine Leiden seine Säufzer dringen zum Herzen. Das Colorit ist schön von zarten gut abwechselnden Tinten die Behandlung Meisterhaft frey ohne dem Fleiß & der Ausführung & fleißig ohne der Freyheit & Leichtigkeit zu schaden[.]“184 In der Sublimierung des Leidens durch das zarte und geglättete Kolorit der „gut abwechselnden ­Tinten“ setzt sich die klassizistische Grundhaltung Meyers durch. Der zugleich eintretende räum­liche Wechsel markiert zusätzlich die Oppositionsbildung zwischen zwei ästhetischen Alternativen, die dann im Gegenstandsaufsatz zur Doktrin erhoben werden.185 Jenes Beispiel zeigt, wie stark bei Meyer die Galerie-Präsentationen mit der ästhetischen Denkbewegung verbunden sind. In den räumlichen Konstellationen manifestieren sich die liminalen Schnittpunkte zwischen Anschauung und Theoriebildung.186

3.4  Steuerungen: Die tabellarische Methode Parallel zu den systematischen und in stupender Addition vorgehenden Notizen in Sammlungen und Kirchen wandte Meyer in Rom und Florenz das aus dem französischen Akademismus stammende Beschreibungsverfahren nach Rubriken an,187 das er in der Form von Tabellengittern organisierte (Abb. 29). Bereits auf der Hinreise ent182 GSA 64/94, fol. 157v: „Prometheus am Felsen geschmidet v. Salv. Rosa. hat zwar Verdienste um behandlung & lebhaften Ausdruck ist aber wegen der aus der Wunde hängenden Blutigen Eingeweide so häßlich & schaudererregend daß man des Ansehens nicht froh wird.“ (Öl auf Lw., 220 × 176 cm, Rom, Palazzo Corsini, inv. 484). 183 Vgl. Meyer, Über die Gegenstände in der bildenden Kunst, in: MA 6.2, S. 59–62; Propyläen 1/2 (1799), 65–70; Reprint 1965, S. 251–256. Zu der übergeordneten Diskussion siehe Dönike 2005. 184 GSA 64/94, fol. 157v. 185 Zum Mitleiden des Betrachters und der damit verbundenen darstellerischen Sublimation siehe Meyer, Über die Gegenstände in der bildenden Kunst, in: MA 6.2, S. 61; Propyläen 1/2 (1799), 69 f; Reprint 1965, S. 255 f. 186 Ein weiteres zentrales Beispiel findet sich in Abschnitt 3.5. b) bezüglich der Madonna Colonna. 187 Zur Diskussion und Anwendung des Rubrikenschemas durch Meyer siehe Osterkamp 1991, S. 92– 113; Rößler: Meyers Rubrikenschema, in: Ausst.-Kat. Weimar 2012a, Kat.-Nr. 71, 72, S. 238–237; ­Keller 2018, S. 243–252. Zu den akademischen Rubriken und den damit verbundenen Beschreibungsverfahren im 17. und 18. Jahrhundert siehe im Allgemeinen: Puttfarken 1985; Körner 1988, S. 33–49; Bonfait 2004, S. 31; Kase 2010, S. 84 f, 101, 161.

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I.3.  Anschauung und Notation

29__Johann Heinrich Meyer: Tabellarische Beschreibung von Tizians Bacchus und Ariadne und Giovanni Bellinis Götterfest, Rom, Villa Aldobrandini, 1795/1796, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 64/89, 11. Lage, fol. 35v-36r.

standen in Nürnberg erste Tabellen zu Dürer,188 in München folgt eine tabellarische Beschreibung zu Poussins Urteil des Midas,189 in Mantua eine Schematisierung zu Mantegnas Madonna della Vittoria.190 Die zunehmende Dichte des Schriftbildes indiziert die gesteigerte Routine in der Handhabe der Einzelkategorien. Die bald einsetzende Klage über den hohen Zeitaufwand der Verschriftlichung begegnet Goethe mit der Mahnung, „sich nicht reuen“ zu lassen, „auch an Buchstaben freygiebig zu seyn.“ Insbesondere die tabellarische Methode finde ich auch in ihrer Ausführung fürtrefflich, besonders wird sie dem kunstrichterlichen Gedächtniß auf das beste zu Hülfe kommen, und ich sollte denken, wenn man sich einmahl hierauf geübt hat, so müßte es auch so viel Zeit nicht wegnehmen; denn es verlangte doch mehr

188 GSA 64/95, fol. 2r bis 6r. Zu Dürers Holzschuher-Epitaph in St. Sebald und zu den Kopien der Adamund Eva-Tafeln, damals im Nürnberger Rathaus. 189 GSA 64/95, fol. 16r bis 19v. 190 GSA 64/95, fol. 2r bis 6r (drittes beschriebenes Werk). Diese Rubrikenbeschreibung ging in Meyers Mantua-Aufsatz in den Propyläen ein. Vgl. Propyläen 3/2 (1800), S. 49–51; Reprint 1965, S. 947–949.

I.3.4  Steuerungen: Die tabellarische Methode Stimmung und Anstrengung, zu einem jeden Bilde die eigenthümliche Formel der Beschreibung zu erfinden, die dazu paßte und gehörte. Übrigens wird es immer auf Sie ankommen, wie viel Bilder Sie auf diese Weise genau durchgehen und welche Sie nur obenhin mit einigen Worten berühren wollen. Bey Hauptbildern wird es immer, wie mich däucht, von großem Nutzen seyn.191

Gemäß einer humanistischen Tradition macht hier Goethe die Memorialfunktion von Tabellen geltend, wie er sie selbst anhand von großen Übersichten an seinen Zimmerwänden – so etwa zur Botanik und zu Kants Kategorienlehre, später auch zur Geologie, Musiklehre und zu Meyers antiker Kunstgeschichte – praktizierte.192 In der begrifflichen Aufteilung nach definierten Feldern und den danach erfolgenden Einträgen von Beobachtungen stellt Goethe primär die Ausprägung des (kennerschaftlichen) Gedächtnisses in Aussicht. Zugleich besteht die Tendenz zur Kanonisierung, denn die „tabellarische Methode“ beansprucht nicht die Wiedergabe aller zu würdigenden Objekte, sondern hebt gerade in der Auswahl den besonderen Charakter des Kunstwerks hervor. Zunehmend organisiert Meyer seine Tabellen in Ergänzung zu den Sammlungsnotizen, denn dort werden die tabellarisch beschriebenen Kunstwerke nur noch kurz erwähnt.193 Die Leitfunktion des Rubrikenschemas wird somit deutlich. Meistens nicht in die fünf ­Bände eingebunden, lassen sich die heftartigen Blattsammlungen bei späterer Nachbearbeitung mit anderen Aufzeichnungen kombinieren oder auch dezidiert ausgliedern. Im Vergleich zu den hektisch geführten Sammlungsnotizen ist ihr zentrales Charakteristikum die Verlangsamung in der Objektwahrnehmung. In der Konzentration auf die kanonischen Werke erfolgt nicht nur die reflexive Verfestigung des überzeitlichen Kunstideals, das in der bewussten Entschleunigung der Betrachtung und Aufzeichnung zur normstiftenden Instanz wird, es kann auch in dialektischer Rückbewegung zur Auflösung jenes Ganzheitsdenkens und damit zur Historisierung wie auch stilkritischen Distinktion beitragen. In keinem anderen der Aufzeichnungsverfahren zeigt sich die doppelbödige Struktur von Meyers kunsthistorischem Denken so gut wie in den Rubrikentabellen. Der Hauptgrund für die Aussonderung aus den fünf Bänden mit topographischem Bezug ist vor allem in der Vereinigung von mehreren Werken auf einer Rubrikenstrecke zu sehen, die oft aus unterschiedlichen räumlichen Kontexten stammen. Auf sechs aufeinander folgenden Seiten befinden sich jeweils zwei in der Kopfzeile definierte Tabellenspalten, so dass jedes Gemälde nach 12 Kategorien rubriziert wird. In der Horizontalen verfolgt Meyer meist die Beschreibung nach den Kategorien „Ort, Gegenstand, Meister“, „Erfindung“, „Anordnung“, „Zeichnung“, „Ausdruck“, „Styl Manier“, „Schatten Licht Haltung“ (Helldunkel, Luftperspektive), „Colorit“, „Harmonie der ­Farben“, „Faltenwurf “ sowie „Maßen Wirkung“. Das Rubrikensystem ist hierin nicht 191 Goethe an Meyer, Weimar, 16. 11. 1795, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 146 f. 192 Hierzu Rößler 2014a. 193 Dies betrifft beispielsweise Bellinis Göttermahlzeit, Tizians Bacchus und Ariadne (beide GSA 64/93, Villa Aldobrandini, pag. 1 und 2) oder Michelangelos Tondo Doni (GSA 64/91, fol. 63r).

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I.3.  Anschauung und Notation

immer ­stabil, als Varianten finden sich am Ende die Kriterien „allgemeine Bemerkung“, „­Allegorie“ oder „Zustand“, ebenso werden die Kategorien „Colorit“ und „Harmonie der Farben“ gelegentlich in einer Spalte zusammengefasst. Durch die definierten Felder ist der Beschreibungsakt nach geregelten Bahnen vorstrukturiert und lässt in seiner horizontalen Abfolge wenig Spontaneität zu. Die im schrittweisen Vorgehen strukturierte Wahrnehmung und die dadurch bewirkte Konzentrierung auf Einzelaspekte erzeugt nicht nur ein aufschiebendes Moment der Betrachtung, sie befördert auch den Zwang, ein konkretes Urteil über jeden Bereich zu fällen und die Sensibilisierung für spezifische Formprobleme voranzutreiben. In der gegliederten Trennung und damit verlangsamten Wahrnehmung nach Gehalt, Zeichnung, Helldunkel oder Kolorit wirkt sich das Verfahren abstrahierend aus, denn die Einzelaspekte lassen sich allenfalls durch gelegentliche Querverweise untereinander verbinden. Die regulierte Beschreibungsform regt zugleich die theoretische Reflexion an, da Meyer bei der Fixierung der isolierten Einzelbeobachtung dazu neigt, seine empirische Erhebung zu verallgemeinern und in grundsätzliche Aussagen zu überführen. So normativ die Vorgabe der Rubriken zunächst erscheint, sie hat auch den Charakter einer ästhe­ti­schen Relaisstation, da vorgefasste Meinungen am empirischen Befund überprüft und gegebenenfalls revidiert werden können. So nähert sich die Beschreibung in ihrer diagrammatischen Anlage einer bildmäßigen Struktur: Es entsteht ein mit dem Realbild korrespondierender Denkraum, der in den Einzelfeldern durch Verdichtung der Schrift oder auch durch Leerlassung die qualitativen Vorzüge und Nachteile des beschriebenen Kunstwerks gleichsam neu visualisiert. Während die Abfolge der einzelnen Beschreibungsschritte in der Horizontalen stark reglementiert erscheint, besteht in der Vertikalen eine hohe Flexibilität durch die Zusammenstellung verschiedener Kunstwerke in einer Tabelle. Fast jede Rubriken­strecke vereint in der Zeilenführung zwei oder drei, gelegentlich sogar vier Werkbeschreibungen. In Gegensatz zu den reinen Galerienotizen erfolgt die Zusammenstellung der Objekte meist unabhängig vom jeweiligen Standort und der Datierung. Die Kombination oft sehr unterschiedlicher Kunstwerke auf einer Blattfolge scheint nicht immer gleich reflektiert, doch ergeben sich aus der vergleichenden Gegenüberstellung in der vertikalen Lesart der Spalten Differenzwerte oder Analogien, die in der späteren Nachbearbeitung zu einer morphologischen Reihenbildung beitragen können. So setzt etwa Meyer die früheste, im Oktober 1795 in Nürnberg angelegte und noch zaghaft ausgefüllte Tabelle zu Dürers Beweinung vom Epitaph der Familie Holzschuher in St. Sebald und den Adam- und Eva-Tafeln im Rathaus einige Wochen später mit Mantegnas Madonna ­della Vittoria in Mantua fort. Während Dürers „Zeichnung“ „im Nackenden etwas Mager“ (Holzschuher-Epitaph) bzw. als „steif “ und voller anatomischer Unrichtigkeiten bezeichnet wird, bemerkt Meyer an der Madonna della Vittoria „elegante Formen“.194 Im 194 GSA 64/95, fol. 3r. Spalte „Zeichnung“.

I.3.4  Steuerungen: Die tabellarische Methode

„Ausdruck“, der bei Dürer „nicht besonders gerathen“ ist, erweist sich Mantegna ebenso überlegen, während in „Nachahmung Styl Manier“ ungefähr gleiche Werte der technischen „fleißigen“ Ausführung erkannt werden.195 So wenig ergiebig die Tabelle zunächst erscheint, der grundlegende Dualismus von italienischer und nordalpiner Kunst um 1500 wird hier bereits im tabellarischen Verfahren erarbeitet. In Abstraktion von den raum-zeitlichen Bedingungen wird der flexible Vergleich nach Sujets oder stilistischen Merkmalen ermöglicht. Ein wesentlicher Grund für die Anwendung des tabellarisch strukturierten Rubrikenschemas ist in den von Goethe und Meyer gemeinsam verfolgten Studien zur Farben­lehre zu suchen. Roger de Piles hatte im ausgehenden 17. Jahrhundert die Bewertung nach Einzelrubriken vor allem deshalb etabliert, um im Streit zwischen Rubenisten und Poussinisten der Farbe eine Gleichrangigkeit zur Zeichnung und Komposition zuzubilligen.196 Sein Bewertungssystem nach 16 Punkten in jeder Einzelkategorie setzt die großen Koloristen auf Augenhöhe mit den akademisch bevorzugten Exponenten der Zeichnung, wobei das eklektische Verfahren und Aufteilung nach composition, dessin, coloris und expression nicht angetastet wird.197 Vor diesem Hintergrund ist allerdings das Rubrikenschema kein neutrales Verfahren der Bildanalyse, sondern ein überaus parteiliches Instrument der Koloritbefürworter. Für Meyers spätere Schriften zur Farbe, insbesondere dem koloritgeschichtlichen Abriss in der Farbenlehre, leistet die konzentrierte Analyse im Bereich der Spalten „Colorit“ bzw. „Harmonie der Farben“ entscheidende Vorarbeit. Als Charakteristikum von Tizians Kolorit wird dort die Hebung des Inkarnats durch weiße benachbarte Stoffe bezeichnet.198 Dieses koloritische Gesetz formuliert Meyer erstmals bei der Rubrizierug von Tizians Venus von Urbino (1538). So notiert er in der Spalte „Colorit Farben“: Das Colorit ist unverbeßerl. & nur mit andern Wercken des Tizian zu vergleichen, untder denen es eine vorzügl Stelle behauptet. Die große Maße der Fleischtinten hat eine eben so große Maße weißes Leinenzeug entgegen & dieses wird von dem angrenzenden Braunroth der Matrazze erhöht jenes von dem grünen Vorhange, der Grund macht eine schön gemäßigte Abwechslung der tinten & wird v. dem rothe Gewand der Fig. die sich Peugt belebt, dieses roth balanzirt auch wieder die rothen Maßen der Materazze die Schatten Part. des Fleisches sind sehr Natürl gleichweit v. Roth & grau entfernt Klar & liebl.199

An einem anderen Beispiel aus der Florentiner Zeit werden horizontaler und vertikaler Nutzen der Rubrikentabellen deutlich. Meyer hat Andrea del Sartos um 1525 entstandenes Fresko Madonna del Sacco (Abb. 31) sicher auch deshalb in Rubriken b ­ eschrieben, 195 Ebd., fol. 3v. Spalte „Ausdruck“ sowie Spalte „Nachahmung Styl Manier“. 196 Zu Roger de Piles’ Konzept der Farbe siehe Puttfarken 1985; Lichtenstein 1989. Ausführlicher in Teil II der vorliegenden Arbeit. 197 Tabellarische Übersicht zu den Künstlern mit Punkteverteilung siehe in de Piles 1708/1969, S. 494– 498. 198 Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: Farbenlehre, MA 10, 712 f. 199 GSA 64/89, 4. Lage, fol. 9v, Rubrik „Colorit Farben“.

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I.3.  Anschauung und Notation

30__Michelangelo Buonarroti: Tondo Doni, 1503-1506, ­Tempera auf Holz, 91 × 80 cm, Florenz, Uffizien.

weil es bereits von Vasari als vorbildlich und unübertroffen hinsichtlich der Zeichnung (disegno), der Anmut (grazia), Farbe (colore), Lebendigkeit (vivezza) und Plastizität (­rilievo) gerühmt wurde.200 In diesem Sinne werden die Rubriken zu einem kunsthistorischen Denkraum, der besonders dafür geeignet ist, von traditionellen Urteilen abzurücken und zu neuen Einschätzungen zu gelangen. In der Spalte „allgemeine Bemerkung“ notiert Meyer die Anekdote, der Künstler habe als Bezahlung einen Sack Getreide erhalten und deshalb den Sack in das Fresco gemalt. Meyer verwirft dies sogleich, indem er anmerkt, der Sack sei wohl eher ein Attribut, um die Ruhe auf der Flucht darstellen zu können201 – dieser konkrete, offenbar während des Aufzeichnungsprozesses entstandene ikonographische Hinweis verdeutlicht, wie ein von der vorausgehenden Überlieferung präformiertes Wissen durch konkrete Anschauung substituiert wird. Die durch Rubriken kanalisierte Kunstbetrachtung wird so zum erkenntnisstiftenden Verfahren. Als besonders effektiv erweist sich jene Tabelle in der vertikalen Anordnung, die hier ein raumübergreifendes vergleichendes Sehen ermöglicht (vgl. Dok. 6): Meyer kombiniert die Madonna del Sacco, die sich in einer Portallünette des Kreuzgangs der Santissima Annunziata befindet, mit Michelangelos rund zwanzig Jahre zuvor entstandenem Tondo Doni (ca. 1504–08) in der Tribuna der Uffizien (Abb. 30), womit aus heu200 Vasari 2005b, S. 58. 201 Meyer, Tabelle zur Madonna del Sacco und zum Tondo Doni, Rubrik „Erfindung“ (Madonna del ­Sacco), GSA 64/89, 4. Lage, fol. 3r.

I.3.4  Steuerungen: Die tabellarische Methode

31__Andrea del Sarto: Madonna del Sacco, 1525, Fresko, 191 × 403 cm, Florenz, Santissima Annunziata (Kreuzgang).

tiger Sicht zwei besonders prominente Darstellungen der Heiligen Familie des Florentiner Cinquecento in den tabellarischen Vergleich überführt werden.202 Evident erscheint, dass die schriftliche Konfiguration jener Werke von der gemeinsamen Ikonographie ausgeht, um dann auf die unterschiedlichen Bildlösungen Bezug zu nehmen. Der strategische Einsatz des Rubrikenschemas ist jedoch grundsätzlicherer Art, indem es ein Werturteil zu korrigieren sucht, das in der vorausgegangenen Kunstliteratur nachzulesen war. Denn anders als die Madonna del Sacco, die unter anderem durch einen Reproduktionsstich von Raphael Morghen Verbreitung fand,203 wurde das Frühwerk Michelangelos im ausgehenden 18. Jahrhundert kaum beachtet;204 negative Ur­ teile über eine manierierte Komposition überwiegen bis ins mittlere 19. Jahrhundert.205 Meyer berichtet diesbezüglich Goethe, Michelangelos Tondo sei nahezu vergessen, hinsichtlich der Genauigkeit in der Zeichnung sei es jedoch mit keinem anderen Kunst202 Der Vergleich zwischen beiden Werken wird heute noch bemüht. Vgl. Lisner 2006. 203 Die Popularität des Freskos belegt auch seine Nachstellung in Form eines tableau vivant am Weimarer Hof, die offenbar von Meyer geleitet wurde. Vgl. GSA 64/110. 204 In der Reproduktionsgraphik scheint das Tondo Doni erstmals in der seit 1748 erschienenen Stich­ folge mit sechs Tribunawänden der Uffizien aufzutauchen. Es ist auf dem Blatt mit dem Wandabschnitt gegenüber vom Korridor-Eingang (Wand mit dem Studiolo Ferdinands I.) zu sehen. Vgl. ­Heikamp 1963, S. 213. 205 Vgl. Paola Barocchi, Kommentar in: Vasari 1962, Bd. 2, S. 244–246. Zur geringen Rezeption des ­Tondo Doni siehe Zöllner/Thoenes/Pöpper 2007, S. 442.

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I.3.  Anschauung und Notation

werk vergleichbar.206 Diese angesichts von Meyers ästhetischem Horizont erstaunliche Beurteilung lässt sich anhand der Tabelle nachvollziehen. Der in der Vertikalen gesetzte Ausgangspunkt bei del Sartos Fresko befördert die differenzielle Wahrnehmung: In der Rubrik „Anordnung“ lobt Meyer zunächst die Komposition der Madonna del Sacco im Allgemeinen, dann aber kritisiert er, dass „sich die Hände & die Arme zu sehr auf ­einen Fleck häufen“.207 In der Tat scheinen auf Andrea del Sartos Fresko die parallel gelegten Hände der Maria und des Christkindes durch den breitflächigen Auftrag der matten Farben kaum an Kontur zu gewinnen. Wechselt man in das untere Feld der S­ palte „Anordnung“ und damit zu Michelangelos Tondo Doni, so wird man gewahr, dass ­Meyer gerade der Anordnung der Hände seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet. So hat die Gruppe im ganzen eine gute Form, es ist aber das Interesse hauptsächlich oben gesammelt wo das Christkind mit dem Kopf streng & Hände des Jos. & der Maria wieder eine eigne Gruppe bildet die voll Kontrast ist & in allweg ein Kunststück v Anordnung heißen kan die 3 Köpfe stehen in einem Triangel & werden von den Armen des Christkindes wider zusammen verbunden Von dem r. Arm der Maria & v den beyden Köpfen der Eltern wird dieses wiederum umfaßt & umschließen die beyden Arme der Maria & der Arm od Ermel des Hlgn Jos der beleuchtet ist einen Kreiß um den Kopf der Madonna welcher das Hauptstück des Bildes ist die Köpfe der Hlgn Joseph & des Kindes schließen den Kreis & der leere raum der zwischen den Armen der Maria entsteht füllt das Bein des christkindes künstl aus208

Im Vergleich zu den ‚malerisch‘ wirkenden Übergängen und Verschmelzungen in del Sartos Lünettenfresko vollzieht Meyer in der Beschreibung des Tondo Doni die Anordnung bis ins Einzelne der Glieder nach und weist damit auf den durchgearbeiteten kompositorischen Aufbau hin. Dies zeigt sich schon in der polaren Verwendung abstra­ hierender geometrischer Begriffe wie Triangel und Kreis: Die Anordnung der Köpfe im Dreieck findet demnach in den drei Armstellungen eine strukturelle Fortsetzung. Der als kreisförmig bezeichnete Kopf der Maria wird wiederum von allen anderen Elementen umschlossen (und wirkt damit, so wäre in letzter Konsequenz zu ergänzen, als Gegenpol zur Triangelform, indem er das Tondoformat wieder aufnimmt). Zusammenfassend folgert Meyer brieflich gegenüber Goethe, die „Kunst der Anordnung“ verdiene die „Aufmerksamkeit besonders in dem obern Theil der Gruppe, wohin der Künstler ­ öpfe das ganze Intresse des Stücks zu legen gedachte und darum die Hände, Arme, K versammelt hat.“209 Es ist offensichtlich, dass Meyers Aufmerksamkeit von der als problematisch erachteten Armstellung bei del Sarto auf die besondere kompositorische Lösung bei Michelangelo gelenkt wurde. Die verdichtete und die Körpervolumina be­ 206 Meyer an Goethe, Florenz, 19. 7. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 293. 207 Meyer, Tabelle zur Madonna del Sacco und zum Tondo Doni, Rubrik „Anordnung“ (Madonna del Sacco), GSA 64/89, 4. Lage, fol. 3v. 208 Ebd., fol. 3v. 209 Meyer an Goethe, Florenz, 19. 7. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 293 f.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

tonende Struktur in der oberen Bildhälfte erscheint damit in klarem Gegensatz zu der auf Bildflächenparallelität berechneten Lösung in der Madonna del Sacco.

3.5  Experimentalräume der Kunst Im Folgenden sind unter Berücksichtigung der in den Abschnitten 3.2. bis 3.4. beschriebenen Notationsverfahren die spezifischen Anwendungen im jeweiligen räumlichen Kontext zu untersuchen. Die Anordnung der Objekte im Raum bildet ein schwer zu unterlaufendes Dispositiv aus, auf das nur mit entsprechenden Bewältigungsstrategien der Aufzeichnung zu reagieren ist. Grundsätzlich mögen die Sammlungsnotate ein affir­ma­tives Verhältnis zur räumlichen Vorgabe vermitteln, deshalb sind sie aber nicht rein reproduktiv. Die Ausgliederung der tabellarischen Beschreibungen auf gesonderte Blätter und der nur knappe Verweis auf diese innerhalb der Sammlungsbeschreibung sind das stärkste Signal für einen Aufzeichnungsvorgang, der sich neben der reinen Dokumentation auf Wissensgenerierung und Erkenntnisgewinn bezieht. Das jeweilige Sammlungsprofil, die Form der Präsentation und die schriftliche Erfassung bilden zusammen einen dynamischen Prozess aus. Die Aufzeichnungsverfahren sind daher in ihrer funktionellen Komplementarität zu sehen, denn der Ortsfaktor erfordert einen jeweils flexiblen Umgang mit den Techniken. Die besondere Situation entsteht aus der Konkurrenz der Dispositive – jenem Dispositiv des Raumes einerseits, und jenem Dispositiv der schriftlichen Fixierung andererseits, die sich in verschiedene Formen ausdifferenziert. Beide Komponenten sind gleich wichtig und tragen in ihrem differentiellen Wechselspiel zur Entstehung einer kunsthistorischen Experimentalsituation bei:210 Durch die räumliche Präsentation ist ein stabiler Rahmen gewährleistet, dieser lässt sich aber durch den Wechsel in der Aufzeichnungsform – Sammlungsnotat, Rubrikenschema, sporadisch Zeichnungen – derart modifizieren und durch Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung beeinflussen, dass kunsthistorisches Wissen am betrachteten Objekt nicht nur bestätigt oder vertieft, sondern auch grundlegend neu strukturiert wird. So ist Meyers ästhetischer und kunsthistorischer Erkenntnisgewinn einerseits abhängig von den Sammlungsschwerpunkten und den damit verbundenen inszenatorischen Bedingungen wie etwa Pendanthängungen oder Raumgestaltungen nach bestimmten Ikonographien oder Bildgattungen. Andererseits sind Sammlungsbeschreibung und Rubrikenschema Instrumente zur Beherrschung der jeweiligen Situation vor Ort, indem verschiedene Transformationen stattfinden: Vom präformierten Wissen zur visuellen Evidenz, vom Gesehenen 210 Siehe Rheinberger 1992, S. 21–24: Erfolgreiche Experimentalanordnungen benötigen einen stabilen Rahmen, der sich jedoch im Lauf der Untersuchung verschieben kann und eine gewisse Durchlässigkeit hat.

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I.3.  Anschauung und Notation

zum Wissen, vom der theoretischen Prämisse zur Neuformulierung durch einen ästhetischen Überraschungseffekt usw. In allen Fällen sind im Prozesshaften der Aufzeichnung instabile Momente erkennbar, in denen die normativ-klassizistische Theoriebildung in die Defensive gerät. Mit andern Worten: Spätestens mit dem Einsatz des Rubrikenschemas ändert sich der Charakter der Sammlungsnotate. Sie sind kein mehr oder weniger sprachlich exakt-kohärentes Abbild der vor Ort vorgefundenen Realität, sondern unterliegen selbst einem archivalischen Umschichtungsprozess, wie ihn Michel Foucault in der Archäologie des Wissens beschrieben hat: „Das Apriori der Positivitäten ist nicht nur das System einer zeitlichen Streuung; es ist selbst ein transformierbares Ganzes.“211 Meyers Übertragung von der räumlichen Präsentation zur schriftlichen Notation ist eine heuristische Operation, die durch die unterschiedlichen Aufzeichnungstechniken medial gebrochen wird. Diese bilden wiederum die Grundlage der späteren kunstschriftstellerischen Produktion. Die exemplarischen, sammlungsbezogenen Analysen der drei nachfolgenden Abschnitte sollen dies auf unterschiedliche Weise belegen. a)  Palazzo Albani – Entwurfszeichnung und Karton Der gegen Ende des 16. Jahrhunderts erbaute, vormalige Palazzo Massimo alle Q ­ uattro Fontane (seit dem 19. Jahrhundert: del Drago) war seit 1719 im Besitz der Familie ­Albani.212 Unter Kardinal Alessando Albani, dem Nepoten von Clemens XI. und herausragenden Antikensammler, verlor der Stadtpalast der Familie nach 1758 als Präsentationsort an Bedeutung, da der Kardinal zahlreiche prominente Werke in die neugebaute Villa Albani vor der Porta Salaria auslagern ließ.213 Der von dem Kardinal besonders geförderte Johann Joachim Winckelmann bezog 1758 im Palazzo seine Wohnung und nutzte dort neben der berühmten Bibliothek das Museo Cartaceo des Cassiano dal ­Pozzo für seine archäologischen Studien, ebenso schätzte er die aus dem Besitz Carlo Marattas stammenden 200 Bände mit Zeichnungen, darunter allein zwölf Bände in Folio mit Entwürfen aus dem Nachlass Domenichinos.214 1762 entschied sich der Kardinal

211 Foucault 1981, S. 185. 212 Abdruck des Inventars der Gemälde und Zeichnungen im Palazzo Albani alle Quattro Fontane von 1790 nach einer am 31. 7.  und 1. 8. 1816 angefertigten Abschrift bei Macco/Delfini 1980, S. 23–70. Zur Sammlungsgeschichte im 17. Jahrhundert siehe Lisa Beaven: The Galleria of Cardinal Camillo ­Massimo in the Palazzo Massimo alle quattro fontane: Issues of Audience and Display, in: Strunck/ Kieven 2010, S. 383–400. 213 Zur Geschichte der Sammlung Albani siehe: Albani, Documenti 1980; Beck/Bol 1982; Debenedetti 1993; Brigitte Kuhn-Forte, Kommentar in: Heinse 2005, S. 1245–1253. Zur Geschichte der Zeichnungen und Kartons siehe Prosperi Valenti Rodinò 1993. 214 Zu Winckelmann und die Zeichnungen im Palazzo Albani siehe zusammenfassend Justi 1956, Bd. 2, S. 352 f. Im Besitz von Alessandro Albani waren rund fünf Sechstel des (heute überlieferten) Bestandes der Domenichino-Zeichnungen. Sie waren 1703 von Giovanni Francesco Albani, seit 1700 Papst Clemens XI., erworben worden. Vgl. Pope-Hennessy 1948, S. 9 f.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

zum Verkauf des Zeichnungsbestandes an König George III. von England.215 Womöglich trug jedoch der Widerstand Winckelmanns216 dazu bei, dass wichtige Zeichnungen und einige der seit dem 17. Jahrhundert besonders geschätzten großformatigen Kartons zurückbehalten wurden.217 In den Folgejahrzehnten wurden diese im Piano Nobile des Palazzo unter Glas gerahmt gezeigt. Nach 1796 sollte eine weitere Zerstreuung dieses Bestandes folgen, da der Erbe Kardinaldekan Giovanni Francesco Albani (1720– 1803) als dezidierter Gegner Napoleons galt und die ohnehin prominente Sammlung die besondere Aufmerksamkeit der französischen Kunstkommissäre auf sich gezogen hatte.218 1798 erfolgten Konfiszierungen von Kunstwerken in der Villa und im Palazzo, ein Großteil der verbliebenen Zeichnungen wurden dabei von dem Sammler William Young Ottley erworben und gelangten später in das Ashmolean Museum in Oxford.219 Trotz dieser de facto-Enteignung konnte der in das Königreich Neapel emigrierte Kardinal noch im Frühjahr 1800 147 Gemälde in Wien zum Verkauf anbieten.220 Um 1811 war der Stadtpalast nahezu leergeräumt.221 Ein Bruchteil der Antiken aus der Villa Albani, die in 290 Kisten nach Paris geschafft worden waren, wurde nach 1815 an die Familie zurückgegeben bzw. an den bayerischen Kronprinzen Ludwig verkauft.222 1856 wurden die wenigen verbliebenen Kunstwerke vom Palazzo in die Villa Albani transferiert. Meyers Aufzeichnungen223 dokumentieren die Präsentation im Palazzo, wie sie seit dem Tod des berühmten Kardinals weitgehend unverändert geblieben war. Der Rumpfcharakter und Bedeutungsverlust des Bestandes lässt sich schon daran erkennen, dass nur wenige Werke eindeutig identifizierbar sind: Zu nennen sind Peruginos ­Polyptychon der Geburt Christi,224 eine Kreuzabnahme von Adriaan van der Werff225 und Federico Baroccis Madonna Albani, die als unvollendetes und letztes Werk des Künstlers gilt.226 Erhalten geblieben sind ferner eine kleine Kopie von Raffaels Transfi­ 215 216 217 218 219 220 221

Vgl. Pope-Hennessy 1948, S. 10 f. Winckelmann an Mengs, Rom, 28. 7. 1762, in: Winckelmann, Briefe, Bd. 2, S. 255. Pope-Hennessy 1948, S. 11. Prosperi Valenti Rodinò 1993, S. 28 f. Steinmann 2007, S. 130 ff. Siehe Prosperi Valenti Rodinò 1993, S. 30. Treue 1957, S. 220. Steinmann 2007, S. 133 f. In vielen Punkten unterscheidet sich die materialreiche Darstellung Steinmanns von den Büchern von Treue 1957 und Wescher 1976. Der tendenziöse, vor dem Geschehen des Ersten Weltkriegs zu sehende Charakter macht das erst 2007 publizierte Werk problematisch. 222 Treue 1957, S. 215. 223 GSA 64/94, fol. 1r–9v. 224 GSA 64/94, fol. 7r. Il Perugino: Polyptychon Albani Torlonia (Natività), 1491, 140 × 160 cm, heute Rom, Villa Albani, Sammlung Albani-Torlonia. 225 GSA 64/94, fol. 3v. Heute Rom, Villa Albani, Sammlung Albani-Torlonia. Vgl. Kommentar in Heinse 2005, S. 1251. 226 GSA 64/94, fol. 4r. Federico Barocci: Madonna Albani, Mailand, Sammlung Aldrighetto di Castelbarco-­ Albani, bis 1852 in Besitz der Familie Albani. Vgl. Olsen 1962, S. 220 f, Kat.-Nr. 72.

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I.3.  Anschauung und Notation

guration227 und zwei Kopien nach den Fresken Giulio Romanos in der Sala di Psiche im Palazzo del Te in Mantua. Mehrere leonardeske Werke sind nicht mehr eruierbar, ebenso ein angeblicher Caravaggio mit Judith enthauptet den Holofernes, für den sich schon Wilhelm Heinse begeistert hatte.228 Doch im Unterschied zu Heinses Notizen, die fast nur die prominenten Gemälde verzeichnen, ist an Meyers Beschreibung die Konzen­ tration auf die ausgestellten Kartons und Zeichnungen auffallend, die meist auf prominente ­Werke Giulio Romanos, der Carracci oder Domenichinos rekurrieren. Ihr repräsentativer ­Charakter sollte ohne Zweifel die Ausrichtung der Albani’schen Sammlungspolitik und ihre Einschreibung in eine klassische Traditionslinie betonen. In dieser Sondersitua­tion, einem Bestand mit programmatisch klassischem Charakter bei atypischer Durchmischung von Gemälden, Kartons und Zeichnungen, vollzieht sich Meyers kennerschaftliche Expertise: In seiner Aufzeichnung konstituiert sich die Unterscheidung von Entwurf, Karton, Nachzeichnung oder Kopie von fremder Hand auf besondere Weise. Dies zeigt sich unter anderem an den drei Zeichnungen aus dem Domenichino-­ Bestand, die sich jeweils auf berühmte Ausführungen des Künstlers beziehen. Es handelt sich um Vorzeichnungen zur Heilung des Besessenen aus dem Freskenzyklus in Grottaferrata,229 zum Urteil des Midas aus dem Apollozyklus der Villa Aldobrandini in ­Frascati230 und einer ca. 60–70 cm hohen Zeichnung für das Altarbild mit der M ­ arter des Heiligen Sebastian in Santa Maria degli Angeli in Rom (bis 1736 in St. ­Peter). Hier ist Meyer bestrebt, den Produktionsprozess des Künstlers mit Hilfe von klassizistischen Bewertungskriterien nachzuvollziehen und im Sinne seiner aufklärerisch-verbesserungsästhetischen Auffassung zu exemplifizieren. Dabei ist die kennerschaft­liche Gedächtnisleistung offensichtlich: Die Referenz zum jeweils ausgeführten Werk hält Meyer strikt ein, so dass die vergleichende Wertung von Zeichnung und memorierter Ausführung stets befolgt wird. Die „nur mit wenigen Strichen angegeb[ene]“ Gruppe aus dem ­Fresko des Besessenen erfasst demnach bereits die „das Ganze & die allgemeine Form der ­Fig[uren]“, dieses sei „verständig & geistreich ins werk gesetzt“.231 Anders dagegen sind bei der Zeichnung zum Urteil des Midas die nackten Figuren „mit sorgfalt & bestimt Conturirt.“232 Ganz klar erkennt Meyer in den beiden Zeichnungen unterschied­ 227 GSA 64/94, fol. 8r. Anonyme Replik nach Raffaels Transfiguration (vermutlich Umkreis Cavalier ­d’Arpino), Öl auf Holz, kleines Format, heute Rom, Villa Albani, Sammlung Albani-Torlonia. Vgl. Debendetti 1999. 228 GSA 64/94, fol. 4r. Vgl. Heinse 2003, S. 1043: „Guter Caravaggio“. 229 GSA 64/94, fol. 1v. Heute im Louvre, Cabinet des Dessins, Inv. 9080. Zuordnung bei Prosperi Valenti Rodinò 1993, S. 34, auf Grundlage von Béguin 1959, S. 193 f, Nr. 1. 230 GSA 64/94, fol. 1v. Vgl. Inventar von 1790, in: Macco/Delfini 1980, S. 64. Heute im Louvre, Cabinet des Dessins, Inv. 9915. Vgl. Béguin 1959, S. 194, Nr. 3. 231 GSA 64/94, fol. 1v. 232 GSA 64/94, fol. 2r.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

liche Stadien des Bildentwurfs: Die Skizzierung der ersten Bildfindung und der idealisierende Korrekturprozess an den Einzelfiguren. Der Schritt zwischen beiden Entwurfsstadien wird schließlich reflektiert anhand einer zwei Fuß hohen Zeichnung für das Altar­bild mit der Marter des Heiligen Sebastian (vgl. Abb. 32 bis 34):233 Der Meister ist [2v] nicht zu verkennen Leichtigkeit Geist Ausdruck herrscht in diesen leicht hingeworfenen Strichen & einiges ist wirckl vortrefl. doch ist es schwer zu begreifen wie ein so vortreffl. Zeichner als Dominichin war einige andere Stellen so unrichtig & schwach machen konnte als z.B. der halb­ nackende Mann im Vorgr: welcher sich zum schießen bereitet. Auch wenn man sich vorstellt daß dieses nur ein Entwurf war den er hernach im großen Gemählde freylich in allen Theilen vortreffl ausgeführt hat.234

Die Problematik der Vermittlung zwischen Gesamtentwurf und Einzelfigur ist evident. Wie mehrere Zeichnungen für das Altarfresko belegen, wurde nicht nur der Heilige ­Sebastian entschieden in Körperhaltung und Formauffassung verändert, sondern auch die nach Bogen und Köcher greifende Figur im linken Vordergrund mehrfach korrigiert. Während sie auf einer frühen Skizze noch tiefer im Bildraum steht und mit den ausgestreckten Armen eine in das Bildzentrum führende durchgängige Diagonale bildet (Abb. 32),235 wird die Eckfigur auf zwei weiter fortgeschrittenen Entwürfen in Windsor und im Louvre in starker Verkürzung wiedergeben. Dem von Meyer gesehenen Entwurf ähneln dürfte dabei eine lavierte Federzeichnung in Windsor Castle (Abb. 33):236 Sie zeigt die Figur vom linken Bildrand abgeschnitten und in leichter Untersichtigkeit, die durch den spitz angewinkelten rechten Arm zusätzlich dynamisiert wird. Im vollendeten Altarbild (vgl. Abb. 34) fungiert nun der mit Schurz bekleidete Soldat als kompakte Eckfigur, die mit rechtwinkliger bzw. ausgestreckter Armhaltung eine Bildparallelität aufbaut, damit wie ein Repoussoir den Bildvordergrund organisiert und zugleich mit der Kopfdrehung zu dem ihm zugewandten Soldaten in den Bildraum überleitet. Meyer hat aus seiner klassizistischen Sicht die Probleme der linken Vordergrundszene richtig erkannt, wenn er im Vergleich zwischen Entwurf und Ausführung letzterer den Vorzug

233 Domenichino: Martyrium des Heiligen Sebastian, 1625–30, Santa Maria degli Angeli, Rom. Vgl. auch den 1699 publizierten Reproduktionsstich von Nicolas Dorigny (Abb. 34). Mehrere Zeichnungen in Windsor Castle, abgebildet bei Spear 1982, Bd. 2, Abb. 321 (keine Maßangabe bei Kat.-Nr. 98). Laut Spear 1982, Bd. 1, S. 268, auch Sebastian-Zeichnung im Louvre (201 × 119 cm; Cabinet des D ­ essins, Inv. 35.784; vgl. Béguin 1959, S. 194, Nr. 4); Windsor-Katalog der Domenichino-Zeichnungen führt diverse Figurenstudien zu dem Bild auf, jedoch nicht in der Größe von zwei Fuß, die Meyer angibt (Pope-Hennessy 1948, Kat.-Nr. 939–975). Meyers Beschreibung passt auf die bei Spear abgebildete Zeichnung (Bd. 2, Abb. 321), da dort ein halbnackter Mann im linken unteren Eck im Vergleich zum ausgeführten Altarblatt stärker verkürzt ist. 234 GSA 64/94, fol. 2r–2v. 235 Pope-Hennessy 1948, Kat.-Nr. 939, Tf. 19. 236 Spear 1982, Bd. 1, Kat.-Nr. 98, Bd. 2, Abb. 321. Pope-Hennessy 1948, Kat.-Nr. 940.

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I.3.  Anschauung und Notation

32__Domenichino: Martyrium des Heiligen Sebastian, um 1625, Federzeichnung, Feder mit brauner Tusche, 18,2 × 15,7 cm, Windsor Castle, Inv.-Nr.: 620.

33__Domenichino: Martyrium des Heiligen Sebastian, Feder mit brauner Lavierung, um 1625, 22,1 × 13,9 cm, Windsor Castle, Inv.-Nr.: 619.

gibt. Hier koinzidieren Akademismus der Bologneser Schule und klassizistische Auffassung, was das kompositorische Regelwerk anbelangt. In der Auseinandersetzung mit den Domenichino-Zeichnungen zeigt sich, wie Meyer sein Bewusstsein über den medialen Status von Handzeichnungen am Beispiel der barockklassizistischen Entwurfspraxis ausdifferenziert. Die Sensibilisierung für Fragen des Werkprozesses und der damit verbundenen kennerschaftlichen Zuschreibungen setzt sich in der Betrachtung anderer Bilder fort: Zwei kolorierte großformatige Federzeichnungen nach Giulio Romanos sechs Lünettenbildern zur Hochzeit von Amor und Psyche im Palazzo del Te in Mantua wurden im 18. Jahrhundert Giulio ­Romano selbst zugeschrieben.237 Auch Meyer hält die Zeichnungen für Originale und vermutet in ihnen zunächst einen Entwurf für die Ausführung. Seinem zuvor durch Domenichinos Entwurfspraxis konditionierten Auge entgeht jedoch nicht, dass die Zeichnungen 237 Vermutlich Umkreis Benedetto Pagni da Pescia: Hochzeit von Amor und Psyche, Tempera über Feder, je 60 × 99 cm, zeitgenössische Kopien nach den 1528 datierten Fresken von Giulio Romano im Palazzo del Te in Mantua, Rom, Sammlung Albani Torlonia. De Angelis 1985 (mit Abbildungen).

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

34__Nicolas Dorigny nach Domenichino: ­ Martyrium des Heiligen Sebastian (1625-30, ­Santa Maria degli Angeli, Rom), 1699, Kupferstich und Radierung, 63,5 × 35,6 cm, London, British ­Museum, Inv.-Nr.: U,4.54.

äußerst prätentiös ausgeführt sind und damit keinen Entwurfscharakter haben, was ihm im Notat sogleich zu einer Revision veranlasst: Ich glaube mich zu erinnern daß einige Theile etwas anders als in den Gemählden selbst sind. Z. B. das reizende auf der Erde liegende Mädchen in der Hochzeit v. Amor & Psyche etc es ist freylich immer sonderbar das nun Jul. Rom so sehr kleine & fleißige Entwürfe zu seinen großen Bildern gemacht haben sollte & mehr als ein Bild gerade eine ganze Wand des Zimmers auf einem Blatt. samt den Verzierungen der Friese oder des Gurtes aber welcher v seinen schüllern wird man entgegen fragen würde Sie so gut & meisterhaft gemacht haben & etwas gegen die Vorschrift der Originale zu andern gemahlt haben.238

Beurteilungskriterium ist nicht allein der für Kopien typische Verlust von zeichnerischer oder malerischer Spontaneität, sondern vor allem die Differenz zur Ausführung in Mantua, die sich nicht aus einer logischen Fortentwicklung im Kompositionsprozess erklären lässt. Wie bei der Zeichnung zu Domenichinos Marter des Sebastian beruft sich Meyer auf sein visuelles Gedächtnis, was ihn in die Nähe kennerschaftlicher Verfahren rückt. Die Zuschreibung an Giulio Romano bleibt ihm letztendlich fragwürdig, da er 238 GSA 64/94, fol. 5v.

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I.3.  Anschauung und Notation

deutlich erkennt, dass es sich bei den beiden Bildern nicht um Entwürfe oder Vorlagen handelt, sondern um modifizierte Wiederholungen nach den Wandgemälden. b) Im Palazzo Colonna: Pendantsystem und autonomieästhetische Theoriebildung Wie in den Abschnitten 3.2. und 3.3. gezeigt wurde, stellt die Divergenz von autonomieästhetischer Programmatik und akademisch-eklektischer Bewertungskategorien ein durchgängig systematisches Problem in Meyers Aufzeichnungen dar: In der theoretischen Konzeption folgt Meyer den autonomieästhetischen Grundsätzen von Moritz und Goethe, sein analytisches Instrumentarium aber ist das der akademistischen Kritik und ihrer eklektischen Grundlagen. In der Spannung dieser beiden gegenläufigen Prämissen vollzieht sich Meyers Öffnung zur Empirie, was wiederum nicht von den räumlichen Bedingungen wie etwa der Hängung nach Pendants getrennt werden kann. Im vergleichenden Sehen entsteht zugleich Meyers empiriebasierte Theoriebildung, welche dann sowohl in sein Projekt der Historisierung der Kunst, als auch in die autonomieästhetischen Grundsätze des Aufsatzes Über die Gegenstände der bildenden Kunst einging. Einer der wichtigen Orte dieses Betrachtungs- und Theoretisierungsprozesses ist der Palazzo Colonna (Dok. 1 im Anhang).239 Der 1783 erschienene Sammlungskatalog, der die gezeigten Werke nach Räumen und Wänden wiedergibt und ganz offensichtlich in den Katalognummern der Wandbinnengliederung folgt,240 lässt in Kom­bi­na­tion mit den Meyer’schen Notizen eine nahezu exakte Rekonstruktion der Präsentation in den 1780er und 1790er Jahren zu. Kurz vor 1740 war die 1730 in den Aquarellen von ­Salvatore Colonnelli Sciarra241 wiedergegebene Hängung der im 17. Jahrhundert u.a. von Bernini erbauten dreiteiligen Hauptgalerie verändert worden. Zusammen mit mehreren um 1732 in die Sammlung gekommenen Gemälden aus Salviati-Besitz242 ­wurde in den seit 1698 vergrößerten und mit Deckenbildern Benedetto Lutis und P ­ ompeo 243 ­Batonis ausgestatteten letzten Raum im vorgelagerten Appartement bedeutende Werke aus der Galerie transferiert. Davon betroffen waren unter anderem Francesco ­Albanis Raub der Europa und Ecce homo, Annibale Carraccis Bohnenesser oder auch Raffaels Frühwerk der Pala Colonna. Aus der Sammlung Salviati gelangten zudem eine Version von Tizians Venus und Adonis und der damals ebenfalls Tizian zugeschriebene oktogonförmige Raub des Ganymed von Damiano Mazza (beide heute National Gallery 239 Meyers Notizen in GSA 64/94, fol. 140r bis 153v. Zu der Geschichte des Palazzos und der Sammlung siehe Safarik 1999; Strunck 2007; Paoluzzi 2014. Die Sammlungsinventare von 1611 bis 1795 abgedruckt bei Safarik 1996. 240 Sammlungskatalog von 1783, in: Safarik 1996, S. 629–684. Dies geschieht in horizontalen Bildreihen von oben nach unten. Kleinformatige Pendants werden dabei in der ersten Position unter einer Nummer aufgeführt. 241 Zu den Aquarellen siehe Paoluzzi 2014, passim. 242 Penny 2007, S. 94. 243 Zu den Veränderungen des Zimmers seit 1697 siehe Strunck 2007, S. 119–122.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

London), sowie das unter dem Namen der Madonna Colonna bekannt ge­wordene, ­heute in Berlin befindliche Tafelbild Raffaels hinzu.244 Um 1739 wurde die Stanza dei Q ­ uadri bzw. die nach dem Deckenbild bezeichnete Sala dell’Apoteosi di Martino  V neu eingerichtet.245 Mit jeweils zwei Werken Raffaels und Albanis, mehreren an Tizian zugeschriebenen Bildern, einem Porträt von Tintoretto, dem Genrebild Annibale C ­ arraccis und weiteren Werken aus der Bologneser Schule bildete das Zimmer einen repräsentativen Übergangsraum vom Appartement zum westlichen Anraum der Galerie, der Sala dei ­Paesaggi. Die Bedeutung des Saals auch in familienpolitischer Hinsicht unterstreicht zudem Benedetto Lutis Plafond mit der Apotheose des Colonna-Papsts Martin V., der in die kassettierte Decke eingelassen ist. Es stimmt den Besucher auf die „familiengeschichtliche Thematik der Galerie“ ein und unterstreicht die „Botschaft vom steten Einsatz der Colonna für den Glauben“.246 In Hinsicht auf Meyers Transformation der Bildbetrachtung zur autonomieästhetischen Theoretisierung ist die Hängung der Werke auf der zur Fensterseite gegenüberliegenden Wand von besonderer Bedeutung (siehe meine schematische Rekonstruk­ tion des Wandaufrisses, Tf. VI). In der oberen Wandzone zwischen den Stürzen der beiden Türen und dem oben abschließenden goldenen Blattfries befanden sich jeweils in den Ecken die Tizian zugeschriebenen Werke Venus und Adonis und Raub des ­Ganymed.247 Zur Erzeugung einer Pendanthängung wurde hierfür um 1780 das oktogonale Format des letzteren Bildes an die quadratische Form von Venus und Adonis angeglichen.248 Im Zentrum der oberen Reihe dominierte das Querformat von Albanis Raub der ­Europa, das sich heute an derselben Wand im linken Eck befindet. Zur Rhythmisierung dieser chromatisch durch blaue und rote Gewandfarben dominanten und auch in ihren aufsteigenden Diagonalkompositionen ähnlichen Mythologien waren offenbar zu den ­Seiten von Albanis Querformat je ein kleines Porträt eines nordalpinen Meisters (angeblich Hans Holbein d. J.) und darunter je ein kleines Ovalformat nach Guido ­Reni gehängt.249 Diese vier kleinen Bilder betonten den vertikalen Wandaufbau, indem 244 245 246 247

Raffael: Madonna Colonna, 1508, Öl auf Holz, 77,5 × 56,5 cm, Gemäldegalerie Berlin. Safarik 1999, S. 152, Abb. 277; Clark 1985, S. 216 f. Siehe Abb. 77 und 78 bei Paoluzzi 2014. Strunck 2007, S. 120. Überlegung zur Hängung der beiden Tizian zugeschriebenen Werke und zu ihrer Korrespondenz mit den Deckenbildern siehe auch Penny 2007, S. 95 f. 248 In der von Gavin Hamilton 1773 in Rom herausgegebenen Scuola Italica Picturae abgebildet, ist das Bild in der ergänzten Formatform, aber wie im heutigen Zustand und damit ohne die von Meyer kritisierte Draperie zu sehen. Volkmann spricht dagegen von einer oktogonalen Form (Volkmann 1777/2011, Bd. 2, S. 305). Die Draperien an Venus und Adonis wie am Ganymed stammen somit aus der Zeit von ca. 1773 bis 1796, die Formatänderung muss um oder nach 1770 vorgenommen worden sein. Vgl. auch Penny 2007, S. 95. 249 Sammlungskatalog von 1783, in: Safarik 1996, Nr. 117 („Orbens Svizzero“) und Nr. 118 (zwei Ovale mit den Heiligen Maria Magdalena und Hieronymus von Guido Reni). Zur Identifizierung der Ovale siehe Paoluzzi 2014, S. 114 f.

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I.3.  Anschauung und Notation

sie auf einer Achse mit den kapitellartigen Verkröpfungen des abschießenden Gold­ frieses ­lagen und damit zu den Bildfeldern der kassettierten Decke überleiteten. Die fünfteilige Bildfolge der oberen Wandzone variierte die untere Zone. Wie deutlich aus ­Meyers Aufzeichnung hervorgeht, befand sich Raffaels Madonna Colonna direkt unter ­Albanis Raub der Europa. Diesem unteren Zentralbild zur Seite gestellt waren zwei annähernd gleich große Querformate, nämlich links das Porträt eines Mannes am Spinett von ­Tintoretto und rechts der Bohnenesser von Annibale Carracci. Nach den beiden ­Türen wurde die Bildfolge von zwei hochformatigen Pendants abgeschlossen: links ein Schutzengel mit menschlicher Seele von Guercino, rechts ein damals Parmigianino zugeschriebenes Bild mit der Auferweckung des Lazarus. Mit Ausnahme der Madon­ na Colonna befinden sich die Werke der unteren Reihe noch heute in demselben Raum, teilweise jedoch in einer um das Jahr 2000 erfolgten, die ursprüngliche Pendantstruktur auflösenden Neuhängung.250 Mit den beiden mittelaxial positionierten Hauptbildern des Raubs der Europa und der Madonna Colonna war somit die Ostwand der Sala dei Quadri nach Prinzipien des im 18. Jahrhundert verbreiteten Pendantsystems gegliedert.251 Formal wie inhaltlich ergab sich aus dieser Hängung eine Vielzahl von Bezügen: Die drei großen Mythologien der oberen Zone sollten ohne Zweifel auf die umfassende Liebe zwischen Gott und Mensch zu Lande, zu Wasser und in der Luft anspielen und bildeten das ideale Vermittlungsstück zwischen der unteren Bildreihe mit ihrer realistisch-menschlichen Sphäre und dem allegorisch-panegyrischen, den überzeitlich-transzendenten Wahrheiten zugewandten Deckenprogramm. Die dynamischen Bewegungen ihrer Hauptfiguren ­wurde durch die Rückenakte der Venus bzw. des Ganymed an den Eckbildern besonders betont und bildete in allen drei Bildern eine kompositorisch dominante, nach rechts aufsteigende Diagonale. Albanis Raub der Europa nahm wiederum zusätzlich formale Bezüge zur darunter hängenden Madonna Colonna auf. In beiden Werken dominieren die ungebrochenen Gewandfarben in Blau und Rot, der Jesusknabe repetiert fast in spiegel­verkehrter Haltung den tänzelnd-schwebenden Amor auf Albanis Bild. In der absteigenden Diagonale der Figurenanordnung bildete zudem das Werk Raffaels einen kompositorischen Antipoden zu der oberen Bildreihe. Im horizontalen Zusammenhang wurde die Madonna Colonna mit dem Tintoretto und Carracci von zwei profanen Themen mit den Realismen der venezianischen und Bologneser Spielart flankiert. Diese dem Diesseits zugewandte Tendenz wurde modifiziert durch die beiden Seitenbilder, die mit der Schutzengelszene und der Auferweckung des Lazarus die untere Zone in e­ ine theologische Aussage einbanden und damit das göttliche Wirken auf Erden symboli250 Vgl. Abb. 277 bei Safarik 1999, S. 153, mit den deutlichen Veränderungen bei Paoluzzi 2014, Abb. 77 und 78. 251 Hierzu siehe die Beiträge Thürlemann 2012 und Ganz 2012 im Band Blum u.a. 2012, vgl. auch ­Weddigen 2004, S. 102 f.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

sierten. Auffallend ist schließlich, dass die Madonna Colonna auf die Hängung an der gegenüberliegenden Wand Bezug nahm. Dort hing zwischen den Fenstern, also in der Wandmitte, Raffaels Altarbild der Pala Colonna: auf der Haupttafel die Sacra Conversazione mit der thronenden Muttergottes und Kind und Johannesknaben inmitten der Apostel Petrus und Paulus; im oberen abschließenden Lünettenbild Gottvater (die Tafeln der Predella waren schon 1663 vor den beiden Haupttafeln getrennt worden).252 Die beiden Werke Raffaels – also das Altarbild und die einzelne Madonnentafel – befanden sich somit an den Zentralstellen des Raums und ließen durch die Gegenüberstellung die besondere Wertschätzung des Urbinaten erkennen. In Hinblick darauf, dass die Ostwand um die Madonna Colonna nahezu alle Hauptkünstler der als kanonisch geltenden italienischen Kunstströmungen vereinte, lässt sich sagen, dass die Ausstattung der Sala dei Quadri mit höchster Sorgfalt erfolgt sein muss. Was prädestiniert nun diese Hängungskonstellation zu der Annahme einer zu autono­mieästhetischen Leitsätzen beitragenden generativen Struktur? Meyer notiert nach Zimmereintritt das mittlere Deckenstück von Luti und die in den seitlichen Kassetten befindlichen Allegorien Batonis. Sodann widmet er sich ausführlich der ­Pala ­Colonna als Frühwerk Raffaels an der links vom Eingang hängenden Fensterwand. Bei Beschreibung des Lünettenbildes vermerkt er den fehlenden majestätischen Charakter in der Darstellung Gottvaters, an der Sacra Conversazione lobt er vor allem die Einzel­ figuren und lässt sich auf eine stilkritische Diskussion der Faltenbildung ein.253 Der Blick schweift zur Eingangswand mit mehreren tizianesken Werken, dann verweilt er bei der Schauseite (vgl. Tf. VI). Die drei dominanten Bilder der oberen Zone vermögen ihn hierbei nicht überzeugen: An Venus und Adonis wie am Raub des Ganymed beklagt er die störenden Draperien, die über die „anstößigen Theile“ der Venus und des ­Ganymeds, wiewohl nur Rückenakte, aus Prüderie angebracht worden waren (heute sämtlich entfernt); er nennt sie „unglücklich“, da dadurch beide Bilder an Harmonie verlören. Ebenfalls kann Albanis Raub der Europa nicht überzeugen, denn die Figuren in Lebensgröße verhindern den Effekt einer energetischen Wirkung.254 Nach diesen deutlichen Irri­tationen der Seherfahrung fällt Meyers Blick auf die Madonna Colonna: Unter der Europa v. Albano hängt eine halb Fig: der Madonna mit dem Kind auf dem Schooß & einem Buch in der L. Hand welches für ein Werck v. Raphaels erster Manier gehalten wird. es hat viel gutes in der Zeichnung bes. in den Formen des Kindes viel Lieblichkeit & Anmuth in Stellung & wendung & ist fast nur gar zu helle gemahlt. es besteht indessen der Hauptverdienst deßelben in einer Zartheit des

252 Raffael, Pala Colonna, um 1501/02, Tempera und Öl auf Holz, Lünette: 64,8 × 171,5 cm, Haupttafel 169,5 × 168,9 cm, heute im Metropolitan Museum of Art, New York. Die Mitteltafel der Predella mit Kreuztragung (24,1 × 85,1 cm) befindet sich in der National Gallery London. Vgl. Meyer zur C ­ apellen 2001, Kat.-Nr. 17A–17G, S. 172–185. 253 GSA 64/94, fol. 140r–140v. 254 GSA 64/94, fol. 141r.

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I.3.  Anschauung und Notation Gedankens worin Ihm wenige gleichkommen Es greift nemlich das Christkind der Muter in den Busen & die jungfräuliche Madonna | welche auch in der That als sehr jung vorgestellt ist | weicht ihm aus, & sieht mit einem Blick voll Liebe aber zugleich mit einiger Schüchternheit auf den Knaben nieder der von vollen Gliedmaßen ist & sich auf ihrem Schooß richtig bewegt.255

Im Kontext der geradezu seriell vorausgegangenen ästhetischen Irritationen wie die Vereinzelung von Figuren (Pala Colonna), die Störung der Bildstruktur durch neue Draperien (Venus und Adonis), Überproportionalität (Raub der Europa) und die erneute Störung durch Übermalungen (Raub des Ganymed) ist bezeichnend, dass Meyer an der Madonna Colonna erstmals die Gedanken zu seinem späteren Madonnen-Ideal formuliert: Die Geschlossenheit der Bildstruktur, die Interaktion von Mutter und Kind sowie die Konzentration auf einen innerpsychologischen (fast tiefenpsychologischen!) Vorgang führen direkt auf den später verallgemeinerten Grundsatz zur Madonna mit Kind als Symbol der Mutterliebe, den Meyer im Aufsatz Ueber die Gegenstände der bilden­ den Kunst anhand von Raffaels Madonna della Sedia im Palazzo Pitti exemplifizieren wird.256 Der Grund für diese Substitution liegt darin, dass von dem Bild im ColonnaBesitz keine druckgraphische Reproduktion verfügbar war. Erst Ferdinand Jagemann, der von 1806 bis 1810 als herzoglicher Stipendiat in Italien war, sollte 1810 eine Kopie des Bildes anfertigen und nach Weimar bringen. Die heute verschollene Kopie wurde von Meyer gelobt257 und es liegt nahe, dass sie auf Anregung der Weimarischen Kunstfreunde entstanden war. Die zentrale Hängung der Madonna Colonna legt den Gedanken nahe, in dem Christuskind manifestiere sich der zu Fleisch gewordene Logos. Gerade in Hinblick auf die zur Seite stehenden Pendants mit ihren „realistischen“ Themen und der Außen­ pendants mit den Themen des göttlichen Wirkens in der Immanenz, aber auch in Hinblick auf die obere Reihe, die mit den mythologischen Themen der Liebe von Gott zu Mensch den Gedanken vom göttlichen Aufschwung nahelegt, könnte diese Sicht­weise gestützt werden (vgl. Tf. VI). Meyer eliminiert dagegen den theologischen Gehalt des Madonnenthemas. Dies wird gestützt durch die vorausgegangene Verärgerung über den Zustand der oberen Bilder, welche die Wahrnehmung auf geschlossene Bildstrukturen verstärkt, sowie durch die in unmittelbar benachbarten beiden Werke Tintorettos und ­Annibale Carraccis, die mit ihrem dezidierten Realitätsbezug die Sichtweise auf das Madonnenthema als allgemeines Sinnbild natürlicher Liebe zulassen. Auch wenn gerade diese beiden Werke nicht erwähnt werden, liegt es nahe, dass Meyer nach Abschluss der oberen Reihe sukzessiv die untere Reihe erschlossen hat, sich somit zwei 255 GSA 64/94, fol. 141v. 256 Meyer, Über die Gegenstände der bildenden Kunst, in: MA 6.2, S. 46; Propyläen 1/1 (1798), S. 52; Reprint 1965, S. 104. 257 Belegt in dem nicht zur Veröffentlichung gekommenen JALZ-Neujahrsprogramm 1811 Über einige neuere Kunstwerke (1810). Erstpublikation bei Rößler 2013a, hier S. 294.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

Para­meter konditionieren, welche die Interpretation des Bildes in dieser Form ermög­ lichen: formale Geschlossenheit und lebensweltliche, allgemein-menschliche Qualitäten ohne ­einen näher bestimmbaren transzendenten Bezug. Trägt also die Hängung durch vertikale wie horizontale Bildkonfigurationen zur zentralen Wahrnehmung und ästhetischen Aufwertung der Madonna Colonna bei, so ist die Positionierung der Pala Colonna vis à vis ebenso für eine Differenzierung der Sujets entscheidend. Im Gegenstandsaufsatz heißt es: [K]eine von allen uns bekannten Mythen der bildenden Kunst [gewährt] als Gegenstand so viele Vorteile als die Madonna. Der sanfteste Reiz, das höchste Anziehendste und Tröstende liegt in ihr, der Himmel knüpft sich gleichsam mit der Erde zusammen, in der allmähligen Steigerung ihres Charakters durch verschiedene Stufen vom Menschlichen zum Göttlichen. Wo sie menschlich handelt, mit ihrem Kinde beschäftigt ist, dasselbe pflegt, herzt, u.s.w. da ist sie uns das Symbol der Mutterliebe, des gemütlichsten, reinsten zartesten Triebes im Menschen; sie verliert darum an Innigkeit, an dem Anziehenden und Rührenden für uns, wenn sie in ihrem menschlichen Zustande anders als eine liebende Mutter dargestellt erscheint, denn wir haben ja von der Mutterliebe keinen schönern Begriff als die Mutterliebe selbst.258

Der menschlichen Madonna setzt Meyer den Typus der Himmelskönigin entgegen, die nicht junonisch-stolz oder kalt wie Pallas Athene, sondern erhaben und mit e­ iner Beimischung von „Liebe und Güte“ gezeigt werden soll.259 Ihr Muster ist die Sixtina in Dresden. Die himmlisch-verklärte Madonna ist jedoch bereits ein lizensiertes Sujet, wenn man in Hinblick auf Meyers Niederschrift zur Pala Colonna die Problematik der Sacra Conversazione einbezieht. Bei allen thematischen Gemeinsamkeiten wird hier der Unter­schied zwischen den Bildgattungen umso mehr betont, als Meyer in der Sammlungsnotiz die Inkohärenz im figürlichen Zusammenhang registriert. Dies hat fundamentale Folgen für den späteren Gegenstandsaufsatz. Der Typus der Sacra ­Conversazione wird dort entschieden gegen das Ideal der Mutter mit Kind oder der Heiligen Familie ausgespielt, da er letztendlich aufgrund der unhistorischen Zusammenstellung der Figuren nicht zu rechtfertigen ist. Somit wird die Sacra Conversazione aus dem Kanon darstellungswürdiger Madonnen ausgeschieden, indem sie zur Kategorie der „mysti­schen Bilder“ gezählt wird: „Nach der Einfalt der frühern Kunst sind dergleichen Figuren ganz ohne Verbindung, oder doch ohne interessantes Verhältnis neben einander hingestellt“.260

258 Meyer, Über die Gegenstände der bildenden Kunst, in: MA 6.2, S. 45; Propyläen 1/1 (1798), S. 50; Reprint 1965, S. 102. 259 Ebd., in: MA 6.2, S. 46; Propyläen 1/1 (1798), S. 52; Reprint 1965, S. 104. 260 Ebd., in: MA 6.2, S. 51; Propyläen 1/2 (1799), S. 52; Reprint 1965, S. 238.

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I.3.  Anschauung und Notation

c) Die Erweiterung des Kanons in der Villa Aldobrandini a Magnanapoli – Mantegna, Bellini, Tizian Seit 1601 beherbergte die am Largo Magnanapoli gelegene Villa Aldobrandini eine bedeutende Kunstsammlung, deren Grundbestand von 148 Bildern 1598 von Lucrezia d’Este an den Kardinalnepoten Pietro Aldobrandini übertragen worden war.261 Durch eine komplizierte Erbfolge gelangte die Villa im späten 18. Jahrhundert in den Besitz der Borghese. Mehrere seit 1606 angefertigte Inventare dokumentieren die Entwicklung des Bestands, wobei im Lauf der Zeit durch veränderte Eigentumsverhältnisse zahlreiche Werke auf die Villa Borghese und den Palazzo Doria Pamphilj übergingen.262 Neben dem um 1600 aufgefundenen antiken Gemälde der Aldobrandinischen Hochzeit (Tf. XVIII), das sich im Erdgeschoss mit den Antiken befand, wurden in den oberen Galerieräumen die berühmten Bacchanale Bellinis und Tizians gezeigt. Die ursprünglich im Auftrag Herzog Alfonso I. d’Estes für die camerini d’alabastro im Schloss von ­Ferrara angefertigten vier Großformate waren 1598 mit dem d’Este-Konvolut nach Rom gebracht worden. Während Tizians Venusfest und Fest der Andrier bereits 1638 nach ­Madrid gelangten, wurden Bellinis Götterfest (Tf. VII/1) und Tizians Bacchus und ­Ariadne (Tf. VII/2) erst 1796/1797, also kurz nach Meyers Besichtigung, verkauft. Zu erwähnen sind aber auch zwei Werke Mantegnas, deren Provenienz bislang umstritten war und anhand der Meyer’schen Aufzeichnungen geklärt werden kann. Über die Herkunft des erst später wegen seiner perspektivischen Verkürzung berühmt gewordenen Toten Christus, heute in der Mailänder Brera, fehlten bis jetzt verlässliche Informationen (Tf. VIII/1). Aufgrund der Angabe „tavola“ in den Aldobrandini-Inven­taren wurde mehrfach erwogen, dass es neben dem auf Leinwand gemalten Werk ­eine weitere Version auf Holz gegeben haben muss.263 Dieser Zweifel an der ­Provenienz ­Aldobrandini ist berechtigt, da die grobe Struktur der Leinwandoberfläche auf dem Mailänder Bild mit bloßem Auge erkennbar ist, also bei der Inventarisierung hätte auffallen müssen. Eine bereits aus dem ersten Italien-Aufenthalt stammende Notiz ­Meyers aus dem Jahr 1790 (Dok. 2) kann jedoch klären, dass es sich um einen Flüchtigkeitsfehler handeln muss und damit ein Hauptargument für die Bezweiflung der Pro­venienz nichtig ist: „der Christ in Verkürzung mit Waßerf. auf Tuch gemahlt.“264 Mit sicherem Gespür für die Qualität des Bildes, das in der älteren Kunstliteratur nicht erwähnt wird, fertigte Meyer 1796 eine Rubrikentabelle darüber an (Dok. 5):265 Die Angaben zum Format, 261 Grundlegend zur Villa Aldobrandini: Benocci 1992. 262 Della Pergola 1960–1964 (mit Kommentar). Synoptische Übersicht der Erwähnungen in den Inventaren siehe im Anhang von Benocci 1992, S. 211–254. 263 Inventar von 1626, Nr. 132 in: Della Pergola 1960, S. 433, Kommentar S. 442. Daran anschließend: Lightbown 1986, S. 422. Zur bislang ungeklärten „questione Aldobrandini“ siehe auch Bandera 2014, S. 85–87. 264 GSA 64/89, 2. Lage, fol. 7v. 265 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 26r bis 29r.

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zu der Verteilung der Farben, zu dem am oberen Rand links abgeschnittenen Frauen­ kopf, zum roten Damast des Kissens, der Feinheit der Barthaare und weiteren Details sind deckungsgleich mit dem Mailänder Bild, selbst Fehlstellen266 werden vermerkt. Ebenso kann man eine von Meyer beschriebene Anbetung der Hirten desselben Künstlers als das New Yorker Bild identifizieren (Tf. X).267 Auch hier wurde die Herkunft aus dem ­d’Este-Besitz und später aus der Villa Aldobrandini aufgrund dürftiger Inventarbeschreibungen zu Recht nur erwogen.268 Die figürliche Anordnung in der Landschaft mit Orangenbäumen, die registrierten Goldhöhen am Mantel der Maria und der „Sand“ im Vordergrund lassen nur die Folgerung zu, bei dem notierten Werk ­handle es sich entweder um eine exakt mit dem heute bekanntem Werk übereinstimmende Version oder um das Bild in New York. Meyers Beschäftigung mit Werken in der Villa Aldobrandini lässt sich außergewöhnlich gut dokumentieren. Bereits während des ersten Rom-Aufenthalts fertigte er Anfang 1790 eine Liste mit knappen Kommentaren zu 16 Bildern an (Dok. 2). In seinem kurz vor der zweiten Italien-Reise abgefassten Horen-Aufsatz werden Mantegnas Toter Christus und Bellinis Götterfest gewürdigt,269 und zwar in beachtlicher Syntheseleistung mit den 1794 in der Dresdner Galerie gemachten Beobachtungen zur Malerei des fortgeschrittenen Quattrocento. Im Frühjahr 1796, kurz nach seiner erneuten Ankunft in Rom, wird sich Meyer der Bedeutung des Orts vollends bewusst: Zum ­einen tritt die Aldobrandinische Hochzeit in den Vordergrund des Interesses, indem er diese nicht nur maßstabsgetreu in Aquarellfarben kopiert, sondern auch parallel zum Kopierprozess umfängliche Notizen zu dem Werk macht. Auf diesen für Meyers und Goethes koloritästhetisches Verständnis so fundamentalen Vorgang wird in Teil II der Arbeit näher einzugehen sein. Neben der intensiven Beschäftigung mit dem antiken Wandbild entstehen auf 26 Manuskriptseiten Notizen zu den Gemälden im oberen Appartement (Dok. 3), wobei auch hier ein Verfahren der Parallelisierung zu beobachten ist: ­Mantegnas Toter Christus, Bellinis Götterfest und Tizians Bacchus und Ariadne werden nur kurz erwähnt, da sie gesondert auf Blättern tabellarisch beschrieben werden (Abb. 29, Dok. 4 und 5).270 Mit dieser synergistischen und koordinierten Anwendung der unterschiedlichen Aufzeichnungsmittel korrespondiert Meyers Begeisterung für die räumliche Situation der Villa, wenn er im Februar 1796 an Goethe schreibt: Endlich bin ich dazu gelangt, die Aldrovandinische Hochzeit zu copieren und zu studieren, und hoffe, daß uns dieses noch über den Werth, den die Copie haben mag, eine Summe brauchbarer Erkenntniß einbringen wird. Denn es ist gerade ein glücklicher Zufall, daß ich zugleich das vortreffliche Bacchanal GSA 64/89, 11. Lage, fol. 28 r. Rubrik „Anmerkungen“. Siehe die Beschreibung GSA 64/93, Villa Aldobrandini, pag. 8. Abdruck im Anhang, Dok. 3. Lightbown 1986, Nr. 5, S. 403 f. Meyer, Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst, 1795, S. 22 und 29; Reprint, Bd. 2, S. 984 und 991. 270 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 26r–29r und GSA 64/89, 11. Lage, fol. 35v–38r.

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I.3.  Anschauung und Notation von Tizian und die Göttermahlzeit von Bellini gleich dabey habe und alle Augenblicke Manier mit Manier vergleichen kann. Es ist ohnmöglich zu sagen, wie neu, wie weit und groß, aber auch zugleich wie einfach und klar die Aussichten sind, welche dieses Werk in Betracht auf die alte Mahlerey und die Kunst überhaupt mir zu eröffnen scheint.271

Ganz deutlich geht aus diesen Sätzen hervor, um was es Meyer in der Villa Aldo­branini primär geht. Der Wahrnehmungsfokus ist wie bei keiner anderen Sammlung auf das Kolorit konzentriert, bedingt durch die Malpraxis des Kopierens und durch die für römische Verhältnisse hohe Anzahl von venezianischen Werken.272 Zugleich sind Meyers Techniken der Aufzeichnung kaum von der spezifischen räumlichen Konstellation zu trennen. Im Folgenden wird daher in Abgleich mit anderen zeitgenössischen Quellen Meyers Beschreibung des oberen Appartements als zentrales Dokument zur Rekon­ struktion der damaligen Sammlungshängung gewürdigt. Auf dieser Grundlage soll in einem zweiten Schritt Meyers erkenntnisbezogene Vorgehensweise untersucht werden. Mit 90 erwähnten Gemälden in den fünf Räumen des oberen Appartements der ­Villa gibt Meyers Beschreibung von 1796 gewiss nicht die Präsentation in ihrer Vollständigkeit wieder. Die Aufzeichnung kann aber als die bislang genaueste und umfassendste Quelle zur Hängung im späten 18. Jahrhundert gelten (Dok. 3). An der Verlässlichkeit der Notizen ist nicht zu zweifeln, doch ergeben sich Unterschiede zu den An­gaben in dem 1794 in Überarbeitung erschienen Romführer von Mariano Vasi und in den 1992 edierten Notizen von Ennio Quirino Visconti, die ebenfalls aus den 1790er Jahren stammen.273 Laut Vasi gelangte man in die in zwei Flügel geteilte Galerie des ­Secondo Piano durch eine in der Achsenmitte gelegene Vorhalle.274 Im rechten Flügel zum Garten hin befanden sich zwei, im linken Flügel drei Zimmer, die noch heute durch eine Enfilade verbunden sind.275 Vasi wie Visconti unterteilen ihre Beschreibungen nach den beiden Flügeln, wobei sie Werke im linken Flügel kursorisch auflisten, diejenigen im rechten Flügel nach den beiden Zimmern spezifizieren. Die nur kursorischen Angaben weichen in der Auswahl der genannten Gemälde ab, decken sich aber in der Erwähnung der prominentesten Werke und widersprechen sich in keinem Punkt. Dies lässt die Vermutung zu, dass es sich um dieselbe Präsentation der Sammlung handelt. Meyers Beschreibung differenziert dagegen nicht nach Flügeln, sondern referiert in einer bruchlosen Abfolge die fünf Zimmer. Anzunehmen ist, dass er zunächst die zwei Zimmer im rechten Flügel aufsuchte, da er in der Beschreibung des zweiten Zimmers von einer Supra­porte

271 Meyer an Goethe, Rom, 12. Februar 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 194. 272 Siehe Benocci 1992, S. 41. 273 Abdruck ebd., S. 203. 274 Vasi 1794/1970, S. 217. 275 Der Grundriss von 1970 zeigt Veränderungen des 19. Jahrhunderts (Abb. bei Barsali 1970, S. 395). Demnach wurde im zweiten Zimmer des rechten Flügels eine Wand ohne Durchgang eingezogen, womit im zweiten Raum die Zahl der Fenster von drei auf eines verringert wurde.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

spricht, die „in das andere Zimmer führt“.276 Das erste Zimmer mit den Bacchanalen Tizians und Bellinis ist vermutlich das Eckzimmer zum Garten hin – so, wie etwa bei Wilhelm Heinse beschrieben.277 Die von Meyer als drittes, viertes und fünftes bezeichneten Zimmer bildeten dagegen den bei Vasi und Visconti als linken Flügel bezeichneten Teil der Galerie. Folgt man dieser Annahme, so unterscheiden sich Meyers Angaben zur Hängung in jedem Fall von den Vorläufern: Laut Vasi und Visconti hingen die beiden berühmten Werke Bellinis und Tizians im selben Zimmer wie ein an Parmigianino zugeschriebenes Musenfest,278 Meyer verortet dagegen jenes Bild im zweiten Zimmer und registriert einen angeblichen Caravaggio im ersten Zimmer. Während Meyer Mantegnas Beweinung Christi und Natività im Nachbarraum zum ersten Zimmer und damit in direkter Nachbarschaft zu Bellini und Tizian beschreibt, lokalisieren Vasi und Visconti die Werke Mantegnas im linken Flügel, also in räumlichem Abstand zu den Hauptwerken Bellinis und Tizians auf der anderen Galerieseite.279 Die Divergenz in den räumlichen Zuordnungen der Bilder lässt den Schluss zu, dass es kurz vor der Auflösung und Zerstreuung der Sammlung zu einer partiellen Neuhängung der Werke gekommen sein muss. Bellinis Götterfest und Tizians Bacchus und ­Ariadne verblieben dabei im geräumigen Eckzimmer des rechten Flügels (bei Meyer das 1. Zimmer), während andere, wichtige Werke vom linken Flügel in das angrenzende Zimmer transloziert wurden. Die Konzentration auf die Hauptwerke auf die beiden Räume und die daraus resultierende Entwertung des linken Galerieflügels ist auch sonst erkennbar: Die beiden Werke Mantegnas rückten mit ihrer Hängung in den zweiten Raum näher an die venezianischen Hauptwerke im ersten Zimmer, wobei auffallend ist, dass die in Grisaille gehaltene Beweinung Christi von Bellini (heute Uffizien) in die ­Nähe zu Mantegnas Toten Christus gehängt wurde – die Bemühung, in Analogie zum 276 GSA 64/93, Villa Aldobrandini, pag. 9. Denkbar sind auch andere Zuordnungen der fünf Zimmer in Meyers Beschreibung. In wie weit mit dem „anderen Zimmer“ das erste Zimmer, also im Sinne von zwei vorhandenen Zimmern, gemeint ist, oder die Bezeichnung aus dem situativen Kontext als das nächste anschließende Zimmer gedeutet werden muss, ist unklar. Ich tendiere zur ersten Option. 277 Heinse erwähnt ein „Ekfenster“ im „letzten Zimmer nach dem Garten zu“, in dem sich die Bacchanale befinden. Heinse 2003, S. 1058. Vasi und Visconti bezeichnen jenes Zimmer als das „zweite“ im rechten Flügel. Meyer scheint systematisch und mit Überlegung vorzugehen, indem er vermutlich dort seine Aufzeichnung beginnt und folgerichtig dieses Zimmer als das „Erste Zimmer“ bezeichnet. Nur in einem solchen kohärenten Durchgang in einer Richtung hat die Nummerierung nach fünf Zimmern Sinn. 278 Diese Hängung bestätigt sich aufgrund einer Notiz Wilhelm Heinses von 1783: Tizians „Bacchanal“, Bellinis „Dichterfest“ und ein „Großer Parmeggianino voll Grazie“ befänden sich demnach im „letzten Zimmer nach dem Garten zu unten am Ekfenster“. Heinse 2003, S. 1058. 279 Vgl. Visconti in Benocci 1992, S. 203: „una Madalena di Lionardo da Vinci, un Cristo morte ­iscurcio del cavalier Mantegna, altri del Bassano, fra quali una ‚Nascita des Redentore‘, in cui ha suprato se stresso, una ‚SS. Vergine‘ di Raffaello, alcuni animali di M. Rosa, una ‚Nascita di Cristo‘ di Mazzolino da Ferrata, varij fiamminghi ed altri, che saria lunga ad uno ad uno indicare.“

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voran­gehenden Raum ikonographisch wie formal verwandte Werke als Pendants zu hängen, ist ersichtlich. Überhaupt diente der reich bestückte zweite Raum im Gegensatz zu dem mythologisch dominierten Ersten Zimmer vor allem der Präsentation christlicher ­Sujets: Von Andrea del Sarto und Perino del Vaga stammte jeweils eine Heilige Familie, von Giulio Romano eine Madonna mit Kind, eine Geburts­szene von Bassano. Von ­Ligozzi stammte ein Ecce homo, unter vier kleinformatigen Werken M ­ azzolinos fand Meyer Christus vor Pilatus und eine Darstellung der Trinität vor. N ­ eben dem Parmigianino zugeschriebenen Musenfest fand der christliche Bezug nur eine Auflockerung durch eine Aquarellkopie nach dem damals Giulio Romano zugeschrieben Apolls Tanz mit den Musen (eigentlich von Baldassare Peruzzi, Uffizien). In Hinblick auf die beiden ersten Zimmer lässt sich zudem vorsichtig behaupten, dass mit Bellini, mehreren Werken von Tizian und dem Caravaggio vor allem Vertreter der malerisch-realistischen Traditionslinie gezeigt wurden, mit Künstlern wie Mantegna, Perino del Vaga und Giulio Romano im zweiten Zimmer eher ein Schwerpunkt auf die ‚klassische‘ Form gelegt wurde. Im dritten Zimmer, und damit im linken Galerieflügel, nennt Meyer nur fünf Gemälde: eine Landschaft und ein Wildstück von Rosa da Tivoli (Philipp Peter Roos) sowie an Agostino Carracci, Bronzino und Schedoni („Schidone“) zugeschriebene Werke. Einzig hervorgehoben wird ein „knieender Mann“ von Agostino Carracci.280 Im vierten Zimmer, damit im Mittelzimmer des linken Flügels, lokalisiert Meyer eine Vielzahl von Werken italienischer Schulen, ergänzt um mehrere Manieristen, ein dem El Greco zugeschriebenes Porträt und eine Landschaft mit der Predigt Johannes des Täufers des Patenier-Nachfolgers Herri (met de) Bles, genannt Civetta – die Landschaft ist Meyers einziger Hinweis auf die von Visconti gerühmte hohe Zahl von fiamminghi281 in der Sammlung.282 Insgesamt scheint der Raum mit Kleinformaten behängt worden zu sein, es häufen sich die Angaben zu Halbfiguren und „Bildchen“. Ebenso erwähnt Meyer erstmals eine durchgängige Hängung „oben herum“, was auf eine stärkere Staffelung und Zusammendrängung verweist. Diese Tendenz setzt sich im fünften Zimmer fort. Meyer weist dort mehrfach auf Beschädigungen an den dort zu sehenden Bildern hin oder betont deren Schulbild-Charakter, ebenso schreibt er zwei Altarflügel, die von Dürer stammen sollen, dezidiert ab.283 Aus dem Vergleich zwischen Meyers Aufzeichnung und der seiner Vorgänger lässt sich schließen, dass zur Mitte der 1790er Jahre im oberen Appartement der Villa ­eine Umhängung erfolgt ist. Diese verfuhr nach Priorität und Ansehen der Bilder und ging überdies von der Größe des Formats aus, was sich auch daran ersehen lässt, dass vor 280 281 282 283

GSA 64/93, Villa Aldobrandini, pag. 10. Visconti in Benocci 1992, S. 203. GSA 64/93, Villa Aldobrandini, pag. 11–17. GSA 64/93, Villa Aldobrandini, pag. 17–26.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

a­ llem die Werke im ersten und zweiten Zimmer sich noch heute in prominenten Sammlungen wiederfinden. Die Konzentration der wichtigsten Werke auf zwei aufeinander abfolgende Zimmer bei stark klassifizierender Tendenz könnte indizieren, dass die Neukonzeption aufgrund von Verkaufsabsichten geschehen ist. Bereits in den vorangegangenen Jahrzehnten waren Werke aus dem Bestand wegen der notorischen Geldknappheit des Fürsten Borghese verkauft worden. Wenige Monate nachdem ­Meyer die Zimmerabfolge notiert hatte, gehörte die Galerie der Villa Aldobrandini zu den e­ rsten Sammlungen, die von der Auflösung der alten römischen Kunstlandschaft betroffen waren. Allein an den Maler Pietro Camuccini verkaufte Fürst Giovanni ­Battista ­B orghese um 1796/1797 einige Statuen und 73 Bilder, darunter Bellinis Götterfest und Tizians Bacchanal.284 Weitere Verkäufe sollten folgen.285 In deutschen Zeitschriften wurde die Auflösung der Sammlung als buchstäbliche Verramschung angeprangert.286 Besonders drastisch wird dies zu Beginn des Jahres 1797 beschrieben von Heinrich K ­ eller: „Die Zerstörung ist hier fürchterlich. Die schönsten Gemälde werden um Spott­preise ver­äußert. Ich habe aus der Aldobrandinischen Gallerie für wenige ­Louis d’or zwei ­Leonardo da Vinci und e­ inen Niederländer gekauft u hätte noch Vieles eben so billig haben können. Gar Mancher hat sich bereichert; es wurde mir ein sehr schöner Annibal Carracci, ein Christus für 40 Scudi angeboten; je heiliger der Gegenstand, desto wohlfeiler das Bild!“287 Vor dem Hintergrund der Galerieaufzeichnungen ist Meyers Umgang mit den drei angefertigten tabellarischen Beschreibungen zu Mantegnas Totem Christus, Belli­ nis Götterfest und Tizians Bacchus und Ariadne zu sehen (Dok. 4 und 5). Die raumbezogene Gesamtbeschreibung und exklusive, verdichtete Herausnahme der drei Werke in den Gittertabellen wirken stark koordiniert. Durch die Trennung von dem durch räumliche Bedingungen sanktionierten Aufzeichnungsvorgang der Galeriebeschreibung können je nach Situation und Fragestellung unterschiedliche Erkenntnisgewinne erzielt werden. Eindeutig stilkritisch motiviert ist die Zusammenstellung von Bellinis Götterfest und Tizians Bacchus und Ariadne auf einer Blattfolge (Dok. 4).288 Der ­enge Zusammenhang zwischen beiden Werken ist schon durch die ältere Kunstliteratur verbürgt. ­Vasari nennt das um 1514 entstandene Götterfest nur in der Tizian-Vita und zwar als das l­etzte und unvollendete Werk Bellinis, das sein ehemaliger Schüler T ­ izian

284 Benocci 1992, S. 87. 285 Ebd. 286 Fernow 1799a, S. 61. 287 Heinrich Keller, Römisches Tagebuch I (Quellenkompilation in Abschriften von Max Schottky), Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, P 182/I, pag. 131. 288 Die Rubrikenbeschreibung nach Bellini und Tizian befindet sich im Faszikel GSA 64/89, 6. Lage, fol. 35v–40v.

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um 1529 voll­endet haben soll.289 Daran anschließend griff André Félibien erstmals die Frage nach der Hände­scheidung auf, indem er die Landschaft im Hintergrund T ­ izian zuschrieb.290 Obwohl Meyer in den Horen von dieser Tradition signifikant abweicht und das Götterfest aufgrund seiner gesamttonalen Wirkung als Reflex auf Bellinis Schüler Giorgione deutet und die Überarbeitung Tizians zurückweist,291 schließt er, kaum nach Rom zurückgekehrt, an die ältere Diskussion wieder an. Bezeichnend ist die Vorgehensweise in der tabellarischen Beschreibung auf den von den Galerienotizen gesonderten Einzelblättern, mit der eine Gegenstrategie zur Hängung der beiden Bilder angewandt wird. In den Galerienotizen beginnt Meyer mit einem kurzen Hinweis auf den Bellini, geht dann ausführlicher zu Werken von Caravaggio und Domenichino über,292 um sodann an vierter Stelle Tizians Bacchus und Ariadne zu erwähnen – notiert wird wie bei ­Bellini allein die Signatur.293 Daraufhin setzt Meyer die Gemäldebeschreibungen fort, indem er sich zwei übereinander gehängten Werken von Garofalo und Bassano zuwendet und schließlich zur nächsten Tür gelangt, über der als Supraporte ein Bild aus der Tizianschule hing. Es folgt die Fensterseite des Raumes, die offenbar mit Kleinformaten bestückt war. Laut Vasis Beschreibung von 1794 hingen sich beide Werke gegenüber, die spärlichen Raumangaben bei Meyer schließen dies in der Neuhängung nicht aus, ebenso kann erwogen werden, dass die Pendants gemeinsam auf einer Schau­seite hingen, nicht aber direkt nebeneinander, da Meyer zwischen ihnen jeweils ein Werk ­Caravaggios und Domenichinos auflistet. Im Vergleich mit der regulären Sammlungsbeschreibung ist an der Tabelle auffallend, dass Meyer entgegen der räumlichen Konstellation und entgegen der zeitlichen Genese die Beschreibungsabfolge beider Werke umkehrt und damit Tizians um etwa acht Jahre später entstandenes Bild dem Götterfest von Bellini vorzieht. Die gegenchronologische Anordnung hat Gründe: Meyers Tabelle verkehrt die entstehungsgeschicht289 Siehe Vasari 2005a, S. 23 f. Moderne Restaurierungsbefunde gehen davon aus, dass das Werk von ­Bellini vollendet (als Indiz gilt die Signatur auf dem cartellino) und später von Dosso Dossi über­ arbeitet wurde. Anteile Tizians sollen von dessen dreimonatigem Ferrara-Aufenthalt 1529 stammen, die sich jedoch weitgehend auf Details wie den Hund der Hirschjagd hinten links und die pastos aufgetragene Landschaft beschränken. Bull/Plesters 1990; Jaymie Anderson in: Ausst.-Kat. Washington/ Wien 2006/2007, S. 172–174. 290 Félibien 1666/1972, Bd. 1, S. 189. Ähnlich äußern sich im 19. Jahrhundert William Buchanan (1824), John Ruskin in den Modern Painters 1846 und Gustav Friedrich Waagen 1854. Hierzu Walker 1956, S. 23. 291 Meyer, Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst, 1795, S. 22; Reprint, Bd. 2, S. 984: „Darum verdient auch die Sage wenig Glauben, daß Bellini dieses Bild unausgemacht hinterlassen und ­Titian dasselbe geendigt habe.“ 292 GSA 64/93, Abschnitt „Villa Aldovrandi“, pag. 1. Der angebliche Caravaggio mit der Darstellung e­ ines Konzerts mit sechs Halbfiguren konnte bislang nicht identifiziert werden. Domenichinos „kleines Bildchen v. Hlgn Hieronymus“ befindet sich heute in der National Gallery London. 293 GSA 64/93, Abschnitt „Villa Aldovrandi“, pag 1.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

liche wie räumliche Abfolge, um den stilkritischen Differenzwert besser zu erarbeiten. Die Anteile Tizians an Bellinis Werk werden dadurch sichtbar, dass zuerst an dessen ­eigenem Werk stabile Kriterien in Form und Technik erkannt werden. Das tabellarische Schema zieht somit Tizian vor, um sodann auf Bellini rückzuschließen. Der anhand des Kopierens der Aldobrandinischen Hochzeit geschulte Blick für die maltechnische Umsetzung macht sich hierbei bemerkbar. Die Intensität der Farbe und ihr Auftrag werden zwar in beiden Werken gelobt, doch bei Bellini als zu dünn und trocken, daher als unvollendet beschrieben. In der durch Tizian prästabilierten Sicht auf das Götterfest kommt Meyer in dem letzten Feld der Tabelle zu dem Schluss, dass die Landschaft von Tizian vollendet wurde: „der Grund & vorzügl die Bäume sind vortreffl ausgeführt die Partien der Blätter sind meisterhaft tokkirt & hierin wird also wohl Tizian Hand angelegt & die Tradition daher entstanden seyn daß er das Bild geendigt habe.“294 Meyers tabellarische Beschreibung von Mantegnas Totem Christus (Dok. 5) verfolgt dagegen andere Ziele und ist vor dem Hintergrund der mit der klassizistischen Mantegna-Rezeption einsetzenden Aufwertung der Kunst des Quattrocento zu sehen. ­Ramdohr führte noch im Jahr 1787 in einer hierarchisch geordneten Liste 17 Gemälde in der V ­ illa auf, darunter Tizians Bacchus und Ariadne an erster, Bellinis Götterfest an 14. ­Stelle, die beiden Werke Mantegnas wie auch Bellinis Beweinung Christi überging er. Deutlich wird markiert, dass es sich bei den genannten Werken um M ­ uster des Geschmacks handelt, die „Sammlung von Gemählden der ersten Meister nach Wieder­herstellung der Mahlerei“ sei dagegen „dem Litterator der Künste merkwürdiger als dem Liebhaber.“295 Im Kontrast dazu wird die gleichzeitig erfolgende Aufwertung der Künstler des Quattrocento deutlich. Geht man von einer relevanzbezogenen Auf­ teilung der Gemälde nach Räumen aus, so ist zu konzedieren, dass in der Hängung um 1796 Künstler wie Mantegna, Bellini und der frühe Tizian besondere Wertschätzung erfuhren, während das fortgeschrittene Cinquecento eher ins Hintertreffen geriet. Dies entspricht auch der allgemeinen Interessenverschiebung im deutsch-römischen Kreis seit den späten 1780er Jahren für „Werke des älteren Styls“,296 von der Meyer in Neu-­ 294 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 38r. – In seiner Rezension zu Johann Heinrich Füsslis Lectures on Paiting greift Meyer die Frage nach Tizians Anteilen wieder auf, indem er zu Bellinis Götterfest schreibt: „­allein seine [Tizians] kühnen Pinselzüge stimmen mit der anspruchslosen Behandlungsweise des Bellini nicht überein; sie sind vortrefflich, aber sie stören doch. Man könnte also auch sagen, ­Titian habe seines Meisters Arbeit nicht glücklich ausgebessert, und gleichwohl war Titian ein grösserer Mahler, und bediente sich bey dieser Arbeit keiner andern Art von Werkzeug, als jener sich bedient hatte.“ W.K.F., Rez. Johann Heinrich Füßli, Lectures on Painting, 1801; Vorlesungen über die Mahlerey, Braunschweig 1803, in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1/1 (1804), Nr. 32–34, 7. 2. 1804, 8. 2. 1804, 9. 2. 1804, Sp. 249–369, Sp. 253. 295 Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 182. 296 Meyer, Neu-deutsche religios-patriotische Kunst, in: FA I/20, S. 109. Genannt werden in diesem Zusammenhang Perugino, Bellini, Mantegna, Pinturicchio und „bald auch“ Masaccio.

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deutsche religios-­patriotische Kunst berichtet und von der auch Séroux d’Agincourt oder englische Connoisseurs wie William Young Ottley erfasst wurden.297 Während Aloys Hirt Fra ­Angelicos Ausmalungen der Cappella Niccolina im Vatikanspalast (mit einer Kupfer­stichbeilage von Lips) besonders würdigte,298 erfuhr im Umfeld Goethes Andrea ­Mantegna eine besondere Wertschätzung. So hatte Friedrich Bury in Goethes Auftrag mehrere lavierte Federzeichnungen nach Mantegna in den Uffizien verfertigt.299 In Meyers kurz vor dem zweiten Italien-Aufenthalt in den Horen publizierten Überlegungen zum Quattrocento wird – vermutlich erstmalig in der Kunstliteratur – der ­Tote Christus in der Villa Aldobrandini ausführlicher gewürdigt.300 Versteht man dies als impliziten Forschungsauftrag für die kommende Italienreise, so verwundert nicht, dass Meyer das Werk 1796 auf gesonderten Blättern rubriziert hat. Die Würdigung erfolgt dort zunächst tentativ, was die anfänglich in der Spalte Erfindung eingetragene doppelte Verneinung verdeutlicht, wonach Christus „gar keine unedle Fig[ur]“ habe. Ebenso ambivalent formuliert Meyer sein Urteil über die drei trauernden Frauen am linken Bildrand; sie wirken auf ihn „Alt & sehr garstig aber sie sind nicht niedrig sondern heben den Ausdruck von ehrlicher gutmüthiger Empfindsamkeit“. In Folge verändert sich die Beurteilung zum eindeutig Positiven. So wird dem zunächst konstatierten „Sonder­baren“ und „Künstlichen“ in der Anordnung damit entgegnet, dass M ­ antegna seine Intention, die „Kunst in Verkürzungen“ zu zeigen, „ganz geschickt“ erfüllt h ­ abe 301 – hier folgt Meyer Vasari, der Mantegna als Meister der Verkürzung würdigt. Die Zeichnung ist „für die Zeit da Mantegna lebte […] ein Wunder von guter Form. richtigkeit & Verstand die Hände sind in der That Meisterhaft & die Füße nicht weniger dabey von solcher Bestimtheit & genauer Ausführung die sie der großen Bewunderung werth macht.“302 Das aus klassizistischer Sicht problematische Sujet des toten Christus wertet schließlich Meyer um als Moment der Ruhe, das aufgrund der „zusammengezogenen Augenbrauen & Muskeln der Wangen“ den Anschein habe, „als wenn [er] gleichs[am] von Kämpfen ermüdet ruhete welches vortrefflich gedacht ist“.303 Die graphische „­Härte“ von Mantegnas Zeichenstil hat zwar die Folge, dass die Regeln der „Haltung“ (Luftperspektive) nicht erfüllt werden, doch hat Mantegna die Massenverteilung von Licht und Schatten „nirgends anderswo so schön gemahlt […] & dieser Theil ist in be-

297 Zu William Young Ottley siehe Brigstocke/Marchand/Wright 2010. Zu Séroux d’Agincourt siehe Mondini 2005. Allgemein zu der Tendenz seit den 1780er Jahren siehe Rosenblum 1976, S. 184–188. 298 Hirt 1789. 299 Siehe Ausst.-Kat. Hanau/Weimar 2013, S. 182 f, Nr. 55, 57–59. 300 Meyer, Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst, 1795, S. 29; Reprint 2000, Bd. 2, S. 991. 301 Vasari 2010, S. 62. 302 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 27r, Rubrik „Zeichnung“. 303 Ebd., fol. 27r, Rubrik „Ausdruck“.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

tracht auf seine Zeit & Kunst fast wunderbar“.304 Im Kolorit kommt Meyer zu der Auffassung, dass dieses zwar zurückhaltend eingesetzt, aber dem Gegenstand der Trauer angemessen sei. Die programmatische Erhebung des Toten Christus zum Hauptwerk des Künstlers erfolgt in Kenntnis der auf der Hinreise 1795 in Mantua rubrizierten Madonna ­della ­Vittoria305 und der Nachzeichnungen von Friedrich Bury in Goethes Besitz. Meyers Würdigung kann daher auf einem vergleichsweise profunden Vorwissen aufbauen. Besonders auffallend ist die qualitative Beurteilung in Relation zur Epoche. In der sukzessiven Aufschließung der Qualitäten gelangt Meyer zu dem Urteil, dass Mantegnas Bild vor dem Hintergrund seiner Zeit einem „Wunder“ gleiche, somit im epochalen Zusammenhang als innovative Leistung anzusehen ist. Die Beschreibung des Toten Christus nach Rubriken dokumentiert den Prozess einer ästhetischen Aneignung, die zunächst von einer ambivalent formulierten Annäherung ausgeht und sich dann zum sicheren Urteil über ein kunsthistorisch exzeptionelles Stück erhebt. Die intensive Zuwendung zum Toten Christus hat Auswirkung auf die Bewertung anderer Bilder im zweiten Zimmer der Sammlung. Meyer hat offenbar zuerst das Rubrikenschema zum Toten Christus angelegt und dann in einem zweiten Schritt die Raumbeschreibung vorgenommen. In der komplementären Anwendung der Aufzeichnungsverfahren und der mit ihnen verknüpften papiernen Ordnungssysteme wird ein Bezugsfeld generiert, das den Wahrnehmungsprozess hinsichtlich der Wertung und Historisierung steuert. Entschleunigend wirkt zunächst die Beschreibung des Toten Christus; mit ihr bilden sich Kategorien aus, anhand der sich die ästhetische und historische Bewertung im Vergleich mit anderen Werken im selben Raum entfalten kann. Im übertragenen Sinn zu vergleichen ist das angefertigte Rubrikenschema mit einem im Raum Orientierung gebenden Kompass. In diesem Fall handelt es sich um feste Kriterien hinsichtlich des ästhetischen und historischen Urteils, welche die Wahrnehmung und Urteilsbildung anderer im Raum verteilter Werke vorstrukturieren und in den Spalten notierte Beobachtungen übertragbar und damit operativ einsetzbar machen. Zeigen lässt sich das am Umgang mit Perino del Vaga, einem Künstler aus der ­Raffael-­Schule am Übergang zum Manierismus.306 Aus Meyers Galeriebeschreibung (Dok. 3) geht hervor, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zum Toten Christus die ­Heilige Familie von Perino del Vaga hing (heute Chantilly, Musée Condé, Tf. IX). Bezeichnend ist, dass der Prozess der Urteilsbildung in Meyers Niederschrift zu del Vagas Heiliger Familie reziprok zu demjenigen über Mantegnas Bild verläuft. Es geht vom uneingeschränkten Lob für das Helldunkel aus, führt über die bedingte Würdigung von 304 Ebd., fol. 27v, Rubrik „Licht Schatten Haltung“ (als Fortsetzung unter der Spalte „Nachahm. Styl ­Manier“). 305 GSA 64/95, fol. 2r–6r. 306 Zur Manierismus-Rezeption bei Goethe siehe Osterkamp 2003b, bei Meyer Kurbjuhn 2013.

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I.3.  Anschauung und Notation

Kolorit und Zeichnung, um dann in der Folgerung zu münden: „es ist der Charakter der Kunst aus den Zeiten nach Raphael, daß die Bilder beßer scheinen als Sie sind, die Frühern sind wirkl beßer als Sie scheinen.“307 Am Beispiel eines Werks der Raffaelund Michelangelo-­Nachfolge wird Meyer das rezeptionsästhetische Phänomen gewahr, nach welchem der erste Eindruck der längeren kritischen Betrachtung nicht standhalten kann. Im Bewusstwerden des eigenen Betrachtungsprozesses transformiert er diesen in ein kunsthistorisches Urteil, indem er den gerade erfahrenen Gegensatz von Eindruck apriori und Kunsturteil aposteriori zur ästhetischen Signatur der nach-raffaelischen Epoche erhebt. Bedenkt man, dass Mantegnas Toter Christus in unmittelbarer Nähe zu dem manieristischen Werk hing, so erhält die Bemerkung, die früheren Epochen seien besser, als sie auf den ersten Eindruck erscheinen, ihre besondere Bedeutung. In der Gegenüberstellung beider Werke wird in nuce der in der Villa Aldobrandini voll­ zogene Paradigmawechsel von der Begeisterung für die Kunst des 16. Jahrhunderts zu der der Schulen des Quattrocento erkennbar. Am Beispiel des Umgangs mit del Vagas Heiliger Familie und Mantegnas Totem Christus wird verständlich, wie stark Meyers Qualitätsurteile mit historischen Urteilen verknüpft sind und wie sehr wiederum beides in Bezug auf die rezeptionsästhetische Ebene zu setzen ist. Der Verzeitlichungsaspekt in den Wertungen lässt sich auch an Giovanni Bellinis monochromer Beweinung Christi (heute Florenz, Uffizien, Tf. VIII/2) zeigen, deren Beschreibung bei Meyer direkt an die von Perino del Vagas Heiliger Fa­ milie und der Erwähnung von Mantegnas Totem Christus anschließt. Das mit grauer ­Farbe auf hellgelbem Grund gemalte Tafelbild scheint in der Sammlungspräsentation als Pendant zum Toten Christus eingesetzt worden zu sein, nicht nur wegen des Sujets, sondern auch wegen der ähnlichen Umsetzung des chromatisch reduzierten Toten ­Christus. In Hinblick auf die im 18. Jahrhundert gängige Praxis der Hängung von Pendants um ein mittelaxial eingesetztes drittes Bild kann man annehmen, dass Perino del Vagas farbintensives Werk zwischen den beiden zur Monochromie neigenden Werken hing, was auch ikonographisch eine kontrastreiche Anordnung ergeben hätte. Sowohl in den Sammlungsnotizen aus dem Jahr 1790 wie in der ausführlichen Sammlungsbeschreibung von 1796 bezeichnet Meyer Bellinis Beweinung als ein Werk Mantegnas. Offen­bar war die ältere und korrekte Information von Bellinis Autorschaft in den Inventaren von 1626 und 1682308 bei der neuen Präsentation des Werks nicht berücksichtigt worden. Im Unterschied zu seinem Notat von 1790 (Dok. 2) lässt sich Meyer jedoch nicht beirren und zweifelt ausdrücklich die Zuschreibung an Mantegna an. Er betont zunächst indirekt den Unterschied in der Maltechnik, deren „zarte Striche“ ihn im ­Falle der (Bellinischen) Beweinung an eine Radierung erinnern – beim Toten Christus hatte 307 GSA 64/93, Abschnitt Villa Aldobrandini, pag. 4. 308 Vgl. Della Pergola 1960, S. 431: Inventar von 1626, Nr. 76; Della Pergola 1963, S. 80, Nr. 416: Inventar von 1682.

I.3.5  Experimentalräume der Kunst

Meyer dagegen die „Härte“ in der Zeichnung betont. Wenige Stichpunkte genügen, um weitere stilistische Unterschiede evident werden zu lassen: Die ganze Zeichnung dieses Bildes ist bey allem guten & löbl. so ist sie doch bey weitem nicht so zart genau fein bestimmt & geistreich wie in den Gemelden Christi: v Mantegna die Formen an jenen sind ungleich breiter Eleganter besser verstanden richtiger & deutlicher dieser scheint in der Vergleichung mit jenen leer charakterlos verblasen & unbestimmt, auch haben die Falten einen etwas andern Charakter & sind dort noch weit beßer & natürlicher gemacht.309

Schließlich zieht Meyer den Schluss, das Werk sei wegen seiner an Dürer erinnernden Falten entweder nicht von Mantegna, oder stamme aus einer wesentlich früheren Schaffensperiode des Künstlers. Eine in Parenthese gesetzte Bemerkung zeigt, dass Meyers stilkritischer Befund letztendlich eindeutig ist: „die gänzl Verschiedenheit in der Behandl. und Verschiedenheit der Gesichter & Ihres Ausdrucks läßt wenig wahrscheinlichkeit [für eine Zuschreibung an Mantegna, J.R.] übrig“.310 Die kombinierende Anwendung von tabellarischer Methode und Galeriebeschreibung belegt, dass Meyers kunsthistorische Praxis um 1796 ein hohes stilkritisches Niveau erlangt hat. Sie ist abhängig von einem Dispositiv, das sich aus der spezifischen Präsentation um 1796 und der der diversifizierten Aufzeichnungstechniken in gleiche Maßen zusammensetzt. Die Aufzeichnung nach den Sammlungspräsentationen, die Transformation der Betrachtungen in die wahrnehmungsabstrahierende Strukturvorgaben des Rubrikenschemas und zuletzt die Rückwendung jenes geschaffenen Destillats auf die nebengeordneten Werke konstituieren ein Geflecht formanalytischer Distink­ tionen und Synthesen, das aus den verschiedenen Vergleichskombinationen generiert wird. Wie sehr dies von früheren Verfahren Meyers abweicht, belegen nochmals seine Notizen zur Villa Aldobrandini von 1790 (Dok. 2): Ohne Nennung der Räume notiert Meyer 16 Werke in weitgehend chronologischer Abfolge ihrer Entstehung. Mantegnas Toten Christus erwähnt er nur knapp, während er die als ein Werk Mantegnas ausgewiesene Beweinung Bellinis ausführlicher mit Freskomalerei vergleicht. Ein stilkritischer Vergleich findet dagegen nicht statt, geschweige denn, dass Meyer sich um eine Hände­ scheidung bemühen würde. Ebenso wenig gelangen die Hinweise zu Bellinis Götterfest und zu Tizians Bacchus und Ariadne zur vergleichsbasierten Synthese, obwohl ­Meyer Charakteristika des Farbauftrags benennt. So lässt etwa Meyer bei der Beschreibung von Bellinis Götterfest den Vordergrund völlig aus und konzentriert sich auf die Landschaft, wo er starke Helldunkelkontraste und Lichtphänomene registriert. In den sechs Jahre später entstandenen, schon allein quantitativ überragenden Aufzeichnungen er-

309 GSA 64/93, Abschnitt Villa Aldobrandini, pag. 5. 310 Ebd.

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I.3.  Anschauung und Notation

reicht Meyers formanalytische Betrachtungsweise ein Niveau, das dem neu entstandenen Interesse an der Kunst des Quattrocento besondere Rechnung trägt.

3.6  Aufstieg und Niedergang: Das Trecento als Archaik Eine übergeordnete Frage der italienischen Aufzeichnungen in den Jahren 1795–1797 bleibt die nach den formalen Kennzeichen einer Kunst des Aufstiegs, der Blüte und des Verfalls, die Meyer mit hohem methodologischen Anspruch und, ähnlich wie es sein Vorbild Winckelmann getan hatte, in polemischer Abgrenzung zu der antiquarischen Gelehrsamkeit verfolgt. Gerade weil sich in der antiken Kunst die übergeordneten Gewissheiten wie eine absolute Idealität oder eine stilistische Geschlossenheit immer mehr als brüchig und wenig datierungssicher herausstellen, erarbeitet Meyer stilkritische Kriterien, die von Indizien ausgehen und sichere Anhaltspunkte aufweisen sollen. Die im Abschnitt 2.3. analysierten Zeichnungen verfolgen dieses Programm konsequent. Entsprechend der methodischen Vorgabe des induktiven Schlusses konzentrieren sich auch die meisten der wenigen Randzeichnungen in den Galerienotizen auf Details der Gesichtsformung und Proportion. Wie in Abschnitt 2.4. anhand von Zeichnungen aus dem Kapitol nachgewiesen wurde, zeigt sich dies ganz besonders in der Frage nach dem ältesten Stil der griechischen Kunst, der im Rom des 18. Jahrhunderts fast ausschließlich durch kaiserzeitliche Imitationen bekannt war. In Gegensatz zu Winckelmann, der noch eine große Anzahl dieser archaistischen Werke für authentische Produkte griechischer oder etruskischer Künstler hielt, bemüht sich Meyer um eine stärkere Unterscheidung zwischen dem ältesten Stil und seinen römischen Nachahmungen. Dieses Verfahren findet sich auch in den handschriftlichen Notizen. So zeichnet Meyer in das Manuskript über den Garten der Villa Borghese (Abb. 36) exemplarisch ein Kopfprofil nach den Reliefs eines heute in Paris befindlichen dreiseitigen Sockels, der sog. Ara Borghese:311 Es ist hier nicht auszumachen, um welche der Figuren es sich handelt, doch ist die typisierende Intention im Vergleich zu der Abbildung desselben Reliefs in Winckelmanns Monumenti antichi inediti evident:312 In Winckelmanns Werk weist die Abbildung kaum Originaltreue im Detail auf (Abb. 35), während Meyer gerade hierin ein entscheidendes Charakteristikum des ältesten Stils findet. Der handschriftliche Kommentar vermerkt, dass auf Reliefs des ältesten Stils die Augenformung immer „in der Faße“ (d.h. en face) gezeichnet sei, während „die Köpfe ins Profil“ gewen311 Dreiseitiger Sockel mit zweizonalen Reliefdarstellungen der zwölf Götter und der Horen (sog. Ara Borghese), archaistisches Werk, 2. Jh. n. Chr., Marmor, Höhe 180 cm, Breite 138 cm, damals im Garten der Villa Borghese, heute Louvre, Paris, Inv.-Nr. Ma 672. Siehe Kommentar in Winckelmann, SN 4.2, Katalog der antiken Denkmäler, Nr. 888. 312 Winckelmann, SN 6.2, S. 160, Abb. 15.

I.3.6  Aufstieg und Niedergang: Das Trecento als Archaik

35__Kupferstich mit der Ara Borghese in: Johann Joachim Winckelmann: Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati. Rom 1767, Tafel 15.

36__Johann Heinrich Meyer: Aufzeichnung mit Randzeichnung zu Kunstwerken im Garten der Villa Borghese, 1796, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 64/93, fol. 52 r.

det sind. Die Kopfproportion ist „länglicht gezogen“ und der Mund aufwärts gebogen, während die untere Gesichtspartien stark abfielen. Trotz dieser Manieriertheit bemerke man eine gute Absicht der Künstler und „den Keim neuen hohen Geistes“.313 Seit Sommer 1796 in Florenz, überträgt Meyer dasselbe Verfahren auf die Malerei des Trecento und frühen Quattrocento. Aus Giottos Baroncelli-Polyptychon in S­ anta Croce zeichnet Meyer ebenso schematisch-typisierend die Augenformung, um ebenso wie bei den archaistischen Reliefs die prototypischen Merkmale einer Früh­periode zu erfassen (Abb. 37 und 38). Die dazugehörige notierte Folgerung lautet: „Die Figuren sind alle ein wenig Lang & ohne Wißenschaftliche Kenntniße in den Theilen Gezeichnet. Sie haben meistens alle lange spitzig gezogene Augen schmale Nasen großes 313 GSA 64/93, fol. 52r. Meyer übernahm die vor Ort gemachte Bemerkung in den Kommentar seiner Winckelmann-Ausgabe: Winckelmann 1808–1820, Bd. 2, S. 343.

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37__Giotto di Bondone: Ausschnitt aus der Mitteltafel des Baroncelli-Polyptychons, Marienkrönung, um 1325/1330, Tempera auf Holz, Florenz, Santa Croce. 38__Johann Heinrich Meyer: Aufzeichnung mit Zeichnung zu Giottos Baroncelli-­ Polyptychon, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 64/90, fol. 81v.

s­ chweres Kinn & zu wenig Hinterhaupt.“314 Eine Entwicklungsprogression kann Meyer an den heute nicht mehr erhaltenen, aber damals noch erkennbaren Fresken an den Klostermauern von Santa Croce von ca. 1450 erkennen, die er freilich aufgrund einer falschen Angabe bei Vasari zu früh datiert. Der Kopf eines von Lorenzo di Bicci gemalten monumentalen Christophorus ist ihm Indiz für den künstlerischen Fortschritt im Trecento: „wenn man die Schwierigkeit einer solchen Colloßal Fig erwägt | die damahls noch seltener & ungewöhnlicher waren als jetz | so wird man sie desto mehr schätzen denn sie ist überhaupt gut wiewohl die Linie des Mundes & der Augen nicht richtig miteinander laufen & die Augen noch etwas in die Länge gezogen sind.“315 Man kann hier mit Carlo Ginzburg von der Anwendung eines Indizienparadigmas sprechen:316 Morphologische Details wie die Formung von Augen, Nasen und Haaren erlauben Meyer weitreichende Rückschlüsse in der stilkritischen Analyse. Von besonderer Bedeutung dieser durch Schrift und Zeichnung sukzessiv erschlossenen Ergeb­nisse 314 GSA 64/90, fol. 81v. 315 GSA 64/90, fol. 75v (mit kleiner Zeichnung des Kopfs). 316 Ginzburg 1983.

I.3.6  Aufstieg und Niedergang: Das Trecento als Archaik

ist, dass sie für Meyers gesamtes Historisierungskonzept der Kunst von weit­reichender Konsequenz sind. Erstens kommt Meyer zu dem erstaunlichen Schluss, dass sich Merkmale von aufsteigender Kunst oft mit denen der absteigenden Entwicklung gleichen, wie eine auf den Karneval 1797 datierte Notiz belegt: In der späteren abnehmenden Kunst fehlt es an den Köpfen nicht sowohl an der Zeichnung der Theile z. b. den Augen des Mundes als weil sie Mageres & ohne Eleganz sind das zarte schöne wurde übersehen vergeßen Die Contouren haben das fließende verlohren & eine von den Hauptursachen Ihres geringeren Verdienstes ist daß einige Theile zu schwach andere zu stark angedeutet sind & keine unterordnung darin herrscht. so z. b. daß die oberen Augenlieder dünner weniger vorspringend gemacht wurden muß nothwendig dem Auge von dem Geist & Leben ne[h]men[?] weil die Schatten schwächer werden Wenn jetz der Mund meist geschlossen dargestellt ist so muß auch dieses dem Ausdruck & der Lebendigkeit schaden weil dieser Theil soviel Schatten verliehrt & also die Wirkung schwächer wird Man nehme nun noch die tiefausgebohrten Haare & Bart dazu so wird das Auge fast ganz Vom Gesicht abgeleitet. – & dieses scheint in der Charakterisirung der Kunstwerke späterer Zeit kein geringeres unterscheidungs zeichen zu seyn als die wirklich schlechteren Zeichen & Arbeit – Es ist sehr sonderbar daß sich die steigende und die fallende Kunst auf diesem Punkt einander begegnen […] an [Werken] vom alten Styl [verso] sind die Augenlieder sehr dünn & wenig über dem Augapfel herausstehend. Die Lippen sind geschloßen […] und deßwegen hat der Mund ebenso wenig als die Augen starke Wirksame Schatten woraus folgt daß der Effeckt dieser Theile nicht groß seyn kann. in den Werken aus der Guten Zeit der Kunst ist er hingegen anders da springen die Augenlieder weit vor & verursachen Schatten auf dem Augapfel[.] der Etwas Geöfnete Mund mach[t] ebenfalls eine tiefe dunkle Partie. Dadurch heben sich diese Theile hervor die Einförmigkeit schwindet es entsteht Wirckung Bedeutung Leben[.]317

Meyers Denken nähert sich einem zyklisch strukturierten Modell, dessen Geschlossenheit sich dadurch kennzeichnet, dass zwischen Aufstieg und Verfall formale Analogien bestehen. Dabei bezieht sich der Vergleich weniger auf das Erscheinungsbild in seiner Gesamtheit, sondern auf die qua Induktion erschlossenen Details der Augen und Mundformungen und den daran anschließenden Helldunkeleffekten. Diese Beobachtung überträgt Meyer zweitens auf die moderne Kunstgeschichte, wenn er in demselben Skript vielsagend fortfährt: „Hierzu Erinnere man sich noch daß in der Neueren Kunst in der Mahlerey Tizian sich die regelgemacht[sic] hatte Mund und Augen Starck bedeutend zu machen die übrigen Theile schwebender zu halten. & das Raphael auch gerne die Großen Schatten Massen welche von der Vertiefung des Auges entstehen ganz & ununterbrochen angegeben hat“.318 Aufstieg und Niedergang der Kunst gehören für Meyer zusammen. Während primitive Vorstufen als schöpferische Kulturleistungen gewürdigt werden, tragen ­ihre späteren Wiedergänger das Kainsmal der Dekadenz. Die konstatierte formale Ähnlichkeit mit Frühperioden erweist sich als Regression, als Aktivierung der im Früh­zustand 317 Einzelblatt in GSA 64/89. 318 Ebd.

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I.3.  Anschauung und Notation

l­iebenswert-naiven, aber dann überwundenen Vorformen, die nicht als Muster der Nachahmung geeignet sind. Es ist daher folgerichtig, dass die Malereien des T ­ recento und Quattrocento für Meyer nur solange Bestand haben, wie sie sich in den Entwicklungsgang der Kunst einfügen und nicht als Vorbilder gehandhabt werden. Über 20 ­Jahre später erweist sich die Empirie als Waffe, wenn in einer mit Goethe gemeinsam verfassten Rezension zu einem Reproduktionsstich nach Taddeo Gaddis Abendmahl in Santa Croce vor der Nachahmung der vorraffaelischen Kunst ausdrücklich gewarnt wird. Im „Ernst, Fleiß und Detail“ seien jene Werke zu loben, doch als zerstörerischer Irrtum erweise sich ihre Nachahmung im Ganzen wie im Besonderen.319 Das Nazarener­tum ­sollte damit in das zyklische Modell eingebunden und als regressive Wieder­kehr jenes Aufstieges gedeutet werden.

319 Meyer/Goethe (?), Bildende Kunst, in: FA I/22, S. 61–69, S. 66. Es handelt sich um eine Rezension zu den 1821 von Johann Anton Ramboux gezeichneten und von Ferdinand Ruscheweyh in drei Blättern ausgeführten Kupferstichen La Cena, Pitture di Giotto, nel refettorio del Convento di S. Croce di ­Firenze. Das um 1340 ausgeführte Fresko stammt von Taddeo Gaddi.

Teil II Johann Heinrich Meyers Studien zur Farbe und die Koloritdiskussion um 1800

1. Einleitung

Im Jahr 1972 urteilte der Kunsthistoriker Ernst Strauss (1901–1981) in einem Überblick zur Geschichte der Koloritforschung, dass die von Meyer verfassten Beiträge in Goethes Farbenlehre als die frühesten Ansätze zu einer kunsthistorischen Farbgeschichte zu werten seien. Auch wenn Strauss diese Einschätzung in offenbarer Unkenntnis der Schriften von Anton Raphael Mengs und Christian Ludwig von Hagedorn formulierte,1 so trifft sie doch hinsichtlich der sprachlichen Prägnanz und der großen Zahl der von Meyer behandelten Künstler zu. Vor und noch viele Jahrzehnte nach Meyers Ausführungen von 1810 gibt es in der deutschsprachigen Kunstliteratur keinen vergleichbaren Text, der mit derartiger Präzision eine immanente Geschichte der Farbe vom Trecento bis zur unmittelbaren Gegenwart des Autors wagte.2 Darüber hinaus kommt Strauss zu dem Ergebnis, Meyers Hauptinteresse gelte nicht der Farbe allein, sondern mehr noch ihrem quantitativen Verhältnis zum Helldunkel, das er bald mit dem raumfüllenden „Ton“, bald mit dem formverhafteten „Schatten“ gleichsetzt. Gewiß hatte die traditionelle Kunsttheorie schon seit Leonardo Kolorit und Helldunkel als Medien der Malerei aufeinander bezogen; die Ansicht aber, daß der Grad und die Art ihrer wechselseitigen Durchdringung den anschaulichen Charakter der neuzeitlichen Malerei weitgehend bestimmt und je nach Ländern, Schulen und Meistern beständig verändert, findet sich wohl zum ersten Mal, wenngleich auf naive Weise, bei Meyer ausgesprochen. Sie führt ihn gelegentlich zu auffallend vorzeitigen Feststellungen allgemeiner koloristischer Stilmerkmale, wie etwa im Fall der „Aldobrandinischen Hochzeit“, der klassischen Venezianer, Baroccis oder Guido Renis. Daß darüber hinaus seiner – freilich äußerst summarischen – Auswahl der Werkbeispiele schon die Vorstellung einer chronologischen Entwicklung der Bildfarbe und des Helldunkels, im Einklang mit dem „notwendigen Gang der Malerei“ zugrunde liegt, ist nicht zu verkennen.3

Wie sehr diese Einschätzung zutrifft, zeigt ein punktueller Vergleich zwischen den Schriften Meyers und denen seines wissenschaftshistorischen Bewunderers: Strauss 1

2 3

Siehe Hagedorns „Beytrag zur kritischen Geschichte der Farbengebung“ in Hagedorn 1762, Bd. 2, S.  723–755; Hagedorn 1785/1786, Bd. 2, S. 213–244. Auch die intensiven Analysen der Farbe bei ­Raffael, Tizian und Correggio lassen Anton Raphael Mengs als bedeutenden Vorläufer einer Historie der Farbharmonien erscheinen. Mengs 1843/1844, Bd. 1, S. 134–138 (Raffael), 154 (Correggio), 159– 161 (Tizian), 182 (antike Malerei), Bd. 2, S. 30–51 (allgemein zu Farbe und Farbharmonie) und öfter. Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: MA 10, S. 706–724. Strauss, Zur Entwicklung der Koloritforschung, in: Strauss 1972, S. 195–203, S. 197.

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II.1. Einleitung

konnte zum Zeitpunkt seiner Würdigung nicht wissen, dass Meyer in der erst 1974 aus dem Nachlass herausgegebenen Geschichte der Kunst ein Urteil über Giotto gefällt h ­ atte, das seinen Beobachtungen auffallend nahesteht. In der Werkentwicklung des Künstlers gäbe es, so beide Koloritforscher unisono, einen beachtlichen qualitativen Sprung in der Farbgebung wie in der Licht- und Schattenverteilung. Während laut Meyer an Giottos Madonnen noch eine „gräulich[e] und schwach[e]“ Farbgestaltung auffalle, die Schatten „gegen die Umrisse hin am kräftigsten“ betont sind und zu den plastisch hervortretenden Stellen hin abnehmen würden, habe er in den Fresken der Peruzzi-­ Kapelle in Santa Croce das Kolorit verbessert und ein neues Licht- und Schattensystem entwickelt. Man treffe dort, so Meyer, „Figuren mit breiten, kantigen Massen an. Hier sind die stärksten Schatten und Lichter den höhern Stellen nähergerückt und schwinden gegen den Kontur hin allmählich. Dieses ist für jene Zeit ein wahres Phänomen in der Kunst“.4 Vergleichbar der von Meyer beobachteten „ersten Manier“ Giottos, spricht Strauss von einer „ausgleichende[n] Formmodellierung“5 mittels der Eigenschatten. Die durch sie vortretende Form mache die Bildtiefe reliefartig sichtbar. Es handle sich demnach um eine „aus der Substanz der Fläche […] ausgehobene Form“. Dagegen begännen die Schatten in den Florentiner Fresken „sich in abgestuften Tonhöhen über größere Flächen­komplexe auszubreiten.“6 Abzüglich der hochgerüsteten, an Wölfflin geschulten terminologischen Erweiterung beobachtet damit Strauss weitgehend das­ selbe Prinzip wie Meyer: Den Übergang von einer reliefartig wirkenden und frontal beleuchteten Schattenverteilung hin zu einer von der Seite kommenden und den Bildraum dynamisierenden Beleuchtung mit zusammenfassenden Schattengruppen. Während sich der Hauptstrang der sich um 1800 ausdifferenzierenden wissenschaftlichen Kunstgeschichte vergleichsweise grobschlächtig an den stilgeschichtlichen Ordnungsparadigmen abarbeitet, versteht es Meyer, durch die Kombination von an verschiedenen Orten verstreuten Werken ein fundiertes Urteil zu treffen. Und das unter den schwierigsten Bedingungen, nämlich in Ermangelung der direkten räumlichen Gegenüberstellung der Bildquellen bzw. bei Fehlen eines für Farbanalysen geeigneten Abbildungsmaterials. Meyers hochgradig differenzierter Sicht auf die neuzeitliche Farbentwicklung lag damit ein operativ komplexes und von mehreren Faktoren abhängiges Vorgehen zugrunde. Die einleitenden Überlegungen konzentrieren sich zunächst auf den koloritgeschichtlichen Abriss der Farbenlehre von 1810 und skizzieren die wesentlichen Abweichungen zu Vorgängern wie de Piles und Mengs (1.1.). Die auffallenden Akzentuierungen in den Werturteilen müssen als Rekurs auf Goethes Ausführungen zur ­Farbe ge­sehen werden. Die Analogien zwischen dem allgemeinen Teil Goethes und der 4 5 6

Meyer/Holtzhauer 1974, S. 129. Strauss, Überlegungen zur Farbe seit Giotto, in: Strauss 1972, S. 41–57, S. 46. Ebd., S. 53.

II.1.1  Der Abschnitt zur neuzeitlichen Koloritgeschichte in Goethes Farbenlehre

historisch-­kritischen Spezifizierung Meyers sind als Anhaltspunkt dafür zu werten, dass die Formulierung zentraler Grundsätze in Goethes Farbenlehre ohne die Zusammenarbeit mit Meyer nicht denkbar gewesen wäre.7 In einem zweiten Schritt ist eine Indizienkette zu konstruieren, die sich auf den fundamentalen Wandel von Goethes Farbverständnis bezieht – gemeint ist Goethes Erweiterung der optischen Experimente um einen wahrnehmungsphysiologischen Ansatz nach 1794 (1.2.).

1.1 Der Abschnitt zur neuzeitlichen Koloritgeschichte in Goethes Farbenlehre Der Beitrag Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst setzt die ebenfalls von Meyer verfasste Hypothetische Geschichte des Kolorits8 fort und befindet sich im Historischen Teil der Farbenlehre. Meyer stellt darin die Entwicklung der koloristischen Gestaltung bis zu den Werken der italienischen Hochrenaissance als eine Erfolgsgeschichte stetig fortschreitender Verbesserungen dar, in der zwar das Primat der italienischen Malerei nicht angezweifelt, aber auch Jan van Eyck als angeblicher Erfinder der Ölmalerei und deutsche Künstler wie Wolgemut, Dürer, Holbein und Cranach zumindest erwähnt werden.9 Seiner empirischen Sorgfalt und Redlichkeit ist es geschuldet, dass er die Historisierungsversuche als vorläufige Ergebnisse kennzeichnet und etwa der von Vasari übernommenen Wertung von Cimabue und Giotto als Begründer der neuzeitlichen Malerei mit leiser Skepsis begegnet.10 Diese ambivalente Grundhaltung gegenüber traditionellen Erklärungsmustern der Kunstliteratur macht sich auch an Stellen bemerkbar, an denen der ansonsten mikrologisch angelegte Betrachtungsansatz nicht vertieft wird. So habe Raffael zwar „bewundernswürdige Werke geliefert“ und dabei ein „treffliches Kolorit besessen“, aber, heißt es einschränkend, war „diese Seite nicht die glänzendste“.11 Die knappe Behandlung Raffaels macht deutlich, dass Meyers Abriss einerseits an traditionelle wie problematische Wertungen anschließt, andererseits aber die damit verknüpfte Frage des Rangstreits von disegno und colore gerade   7 Zu Goethes Farbenlehre und zur Farbtheorie im 18. und frühen 19. Jahrhundert siehe in Auswahl: Matthaei 1968; Rehfus-Dechêne 1982; Busch 1988; Gage 1999; Schwarz 1999; Le Rider 2000; Dittmann 2001; Imdahl 2003; Richter 2004; Boskamp 2009; Rehm 2009; Wenzel 2012 (Überblick mit weiter­führender Literatur); Pietsch 2014; Schimma 2014; Bushart/Steinle 2015; Müller 2015; Dönike/­ Müller-Tamm/Steinle 2016. Zu Meyers farbästhetischen Forschungen siehe bisher Currie 2013; ­Wyder 2013; Rößler 2016a.   8 Meyer, Hypothetische Geschichte des Kolorits besonders griechischer Maler vorzüglich nach dem Berichte des Plinius, in: MA 10, S. 527–552.   9 Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: MA 10, S. 709–711. 10 Vgl. einleitend MA 10, S. 706 f. 11 MA 10, S. 710.

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II.1. Einleitung

nicht thema­tisieren will und die diegetische Betrachtung durch möglichst starke Exklusion der angeblichen Nichtkoloristen als störungsfreien Ablauf zu konstruieren sucht. ­Meyers Geschichte der Farbe ist somit über weite Strecken eine Geschichte der besten Koloristen, nicht aber eine Geschichte des Kolorits in der Malerei überhaupt. In diesem Zusammenhang ist schließlich die besondere Würdigung der venezianischen Malerei seit Giovanni Bellini und insbesondere von Tizian und seiner Schüler zu sehen: Auch für Meyer stellt Tizian einen Höhepunkt in der Entwicklung dar, nämlich hinsichtlich der Lebensechtheit des Inkarnats und der Natürlichkeit der dargestellten Materie sowie der gekonnt aufgesetzten Lichtreflexe. Der langen Traditionslinie der Wertschätzung Tizians als einen der ersten Koloristen, die von Ludovico Dolces Dialog Aretino über de Piles’ Aufwertung der Farbe im französischen Akademiestreit bis hin zu Mengs und Hagedorn führt, kann sich somit auch Meyer nicht entziehen. Ganz anders verhält es sich jedoch mit den koloristischen Antipoden Tizians, namentlich Correggio und Rubens. Letzterer war insbesondere von Roger de Piles in seinem Cours de la peinture (1708) als Muster der koloristischen Gesamtwirkung angeführt worden: Während Tizian der erste Kolorist hinsichtlich der ­Lokal- und Gegenstandsfarben sei, also das couleur naturelle mustergültig umsetze, besteche Rubens „in Ansehung der Harmonie“ im couleur artificielle,12 welches nach konsequenten Grundsätzen aufgebaut werde und so eine „Uebereinstimmung des Ganzen“ herstelle.13 Mengs baute in der Bewertung Tizians auf de Piles auf, ersetzte aber Rubens durch Correggio: Dieser erzeuge einen geschlossenen Gesamteindruck durch die Einbettung der Farben in das Helldunkel.14 Die beiden für die weitere kunsttheoretische Diskussion fundamentalen Dualismen Tizian/Rubens bzw. Tizian/­Correggio bilden für Meyer nur noch einen bedingten Ansatz. Es ist in diesem Zusammenhang auffallend, dass Rubens im koloritgeschichtlichen Abriss nur summarisch mit van Dyck und Rembrandt als ein Kolorist „der ersten Reihe“ (MA 10, 716) genannt wird. C ­ orreggio widmet der sich an den Mengs’schen Grundsätzen orientierende Meyer einen längeren Abschnitt, in dem die Beleuchtung und die „Harmonie des Ganzen durch künst­ liches Neben­einanderstellen und Entgegensetzen der Farben“ als zentrale Leistungen und Überbietung Tizians gewürdigt werden (MA 10, 713). Er integriert damit die Beobachtungen von Mengs in seinen eigenen Ansatz – eine absolute Mustergültigkeit erlangt das Haupt der lombardischen Malerschule jedoch nicht.

12 Zu der Unterscheidung siehe Imdahl 2003, S. 27. 13 Zitiert nach der deutschen Übersetzung de Piles 1760, S. 270 f. Vgl. de Piles 1708/1969, S. 241: Im Vergleich zu Tizian, der die besseren Lokalfarben habe: „mais pour les principes de l’harmonie, il en avoit trouvé de solides qui le faisoient operer infailliblement pour l’effet & pour l’accord du Toutensemble.“ 14 Mengs, Ueber die drei grossen Maler Raphael, Correggio und Titian, wie über die älteren Maler überhaupt, in: Mengs 1843/1844, Bd. 1, S. 117–184, S. 152.

II.1.2  Meyers Mitarbeit an der Farbenlehre

Die auffallende Ausblendung von Rubens und die Integration von Correggio als wichtige Stufe in einem historischen Gesamtablauf wird angesichts eines langen Exkurses zu Pietro da Cortona verständlich, der eine wesentliche Verschiebung im kolorittheoretischen Referenzfeld markiert: Cortona wird außerhalb der italienischen Gesamtentwicklung und damit unhistorisch, nämlich erst in Anschluss an Murillo und V ­ elázquez behandelt. Meyer würdigt ihn dort als den „größte[n] Meister“ in „Austeilung der Farben zum Behuf der allgemeinen Harmonie“. Wie die Venezianer habe er die Energie der roten Farbe erkannt und diese „in ungefähr gleichen Massen“ ausgeteilt. In Gegensatz zu Correggio habe er sich dabei nicht nach dem bloßen Gefühl für Harmonie ­leiten ­lassen und das methodische Defizit durch das Helldunkel kompensiert, sondern die Harmonie der Farben auf rational nachvollziehbaren Regeln gegründet. Auch bei den Niederländern sei, womit Rubens implizit gemeint ist, nichts Vergleichbares hinsichtlich der Gründlichkeit im „Harmoniespiel der Farben bekannt“ (MA 10, 718) . Auch hier knüpft Meyer an Mengs an, der bei Pietro da Cortona die Reduktion des Helldunkels zugunsten des farblichen Gesamtarrangements beobachtet hatte.15 Allerdings unterscheidet sich Meyers Würdigung insofern von Mengs, als jener den Einsatz der Farben immer an die dargestellten Objekte gebunden sowie für die Grundfarben Blau, Gelb und Rot stets das Bildzentrum und den Bildvordergrund reserviert hatte.16 Meyer sieht hingegen von einem gegenstandsbezogenen oder bedeutungsdeterminierten Einsatz der Einzelfarbe ab und betont vielmehr die Interaktion der Farben auf der Gesamtbildfläche. Indem er die Regelhaftigkeit in der Verteilung und das aktive Farbenspiel bei Pietro da Cortona betont, verbindet er den neu erkannten Kulminationspunkt der neuzeitlichen Farbgeschichte mit einem Verständnis von Farbharmonie, das sich in der theoretischen Auffassung grundlegend von den Vorgängern unterscheidet. Koordinierend und beherrschend ist nicht die in einem Grundton oder im Helldunkel eingebettete Wirkung der brillant hervorscheinenden Einzelfarben, sondern der farblich immanent regulierte Bildaufbau nach einem kunstvoll arrangierten Farbkontrast.

1.2  Meyers Mitarbeit an der Farbenlehre Mit der Unterscheidung von gegenstandskoloristischer Konzeption bei Tizian und farbkontrastiver Harmonie bei Cortona nimmt Meyer zwei Leitsätze von Goethes Farben­ lehre auf: Die Erkenntnis, dass zum einen grundlegend zwischen Kategorien des reinen 15 Ebd., S. 141. 16 Ebd., S. 132: „Das System auf dem Vordergrund der Gemälde viele lichte Farben anzubringen muss dem Raphael und der florentinischen Schulen eigenthümlich gewesen seyn, denn die Lombarden und andere gute Coloristen brauchten an dieser Stelle stets reine Farben, nämlich Roth, Gelb und Blau, diese sprechen das Auge auch mehr an, als die weisslichten, weil das Weiss den Farben einen luftartigen Ton gibt, und eben dadurch die Lebhaftigkeit vermindert.“

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II.1. Einleitung

Kolorits und zum anderen zwischen Kategorien der interaktiven Farbzusammenstellung nach Harmonien und Akkorden zu differenzieren ist.17 Die auch bei Goethe vorhandene Überzeugung von der emotiven Wirkung der Farben bezieht sich nicht allein auf die Fleisch- und Gegenstandsfarben, deren Relevanz nicht bestritten wird, sondern besonders auf die gesamtkonzeptionelle Verteilung nach Kontrasten. Entscheidend ist, dass Goethe diese Prinzipien in Gegensatz zu älteren Farbakkordkonzepten auf einer abstrakteren Ebene formuliert und dies zudem in kritischer Abgrenzung zu einem den Bildeindruck beherrschenden Gesamtton.18 So merkt Goethe zu den Farb­ akkordkonzepten von Anton Raphael Mengs an, dass dieser zwar die Interak­tion zwischen einzelnen Farben beobachtet, aber seine Vorstellungen von Farbharmonie vom Helldunkel und einem bildbeherrschenden Gesamtton abhängig gemacht habe, dem die Farben subordiniert werden müssten, „ohne eben gerade für sich und unter sich ­einen Anspruch an Übereinstimmung und Ganzheit zu machen.“19 Dem farblich einheit­lichen „Ton“ eines Bildes, dessen Dominanz abgelehnt wird, stellt Goethe somit die koordinierte Struktur der Bildfläche nach Farbgruppen gegenüber, indem die sich gegenseitig fordernden Elemente eine Gesamtfarbigkeit bedingen. Abgeleitet werden diese Prinzipien aus den physiologischen Gesetzmäßigkeiten des Auges.20 So wird etwa der besonders harmonisch wirkende Komplementärkontrast mit dem wahrnehmungsphysio­logischen Phänomen der sogenannten Nachbilder begründet:21 „Das Auge verlangt dabei ganz eigentlich Totalität und schließt in sich selbst den Farbenkreis ab. In dem vom Gelben geforderten Violetten liegt das Rote und Blaue; im Orange das Gelbe und Rote, dem das Blaue entspricht; das Grüne vereinigt Blau und Gelb und fordert das Rote, und so in ­allen Abstufungen und Mischungen.“22 In den praktischen Anweisungen für Künstler hält Goethe jedoch zu solchen offenkundigen und auf Gesetzmäßigkeiten beruhenden Kontrasten Distanz und bezeichnet diese als die von den Künstlern „instinktiv“ umgesetzten Harmonien. Die deutlich pejorative Konnotation des „Instinktiven“ scheint in diesem Zusammenhang bemerkenswert und ist in der Forschung kaum thematisiert worden. Im Gegensatz dazu beruht das „charakteristische“ Kolorit auf einer freieren Zusammenstellung der Farben. Eine solche Kombination erzeugt jeweils eine individuelle Farbtotalität, die in ihrer emotiven

17 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, §§ 803–829, in: MA 10, S. 238–244. 18 Ebd., §§ 891–893, in: MA 10, S. 257. 19 Ebd., Historischer Teil, Abschnitt „Anton Raphael Mengs“, in: MA 10, S. 878. Zu Goethes Auseinandersetzung mit der Farbentheorie von Mengs siehe Rehfus-Dechêne 1982. 20 Zu Goethes Farbkreis siehe grundlegend Matthaei 1968. 21 Zu diesem Phänomen in seiner kunsthistorischen Konsequenz siehe Gage 2011; Pietsch 2011, S. 143– 145. Beide Aufsätze im Band zum Thema „Nachbilder“ (Busch/Meister 2011). 22 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 60, in: MA 10, S. 45.

II.1.2  Meyers Mitarbeit an der Farbenlehre

Ausformung mit der gehaltsästhetischen Konzeption korrespondiert:23 „Hat man […] jene Grundsätze im Auge, so sieht man, wie sich für jeden Gegenstand mit Sicherheit eine andre Farbenstimmung wählen läßt. Freilich fordert die Anwendung unend­liche Modifikationen, welche dem Genie allein, wenn es von diesen Grundsätzen durchdrungen ist, gelingen werden.“24 Goethe fordert für die Farbe die in den Propyläen vertretenen autonomieästhetischen Theoreme ein: Aus sich selbst heraus verständlich zu sein, bedeutet auch in der Farbe eine inhaltsstimmige Geschlossenheit. Gerade in der vorgeblich freien und flexiblen Umsetzung dieser Leitsätze bewährt sich die Vorstellung von der Normativität des Bildgegenstandes: Die reinen Gesetze der sich gegenseitig fordernden Farben sind für eine qualitative Ausdrucksfähigkeit der Malerei nur dann geeignet, wenn sie ihre reinen Kontrast- und Harmonieprinzipien zugunsten einer individualisierten Farbkonzeption überwinden. Die Zusammenstellung des charakteristischen Kolorits beruht auf dem kalkulierten Regelverstoß gegen die auf einfachen wahrnehmungsphysiologischen Gesetzen beruhende Erscheinung des „harmonischen“ bzw. „glänzenden“ Kolorits. Damit vollzieht sich innerhalb des Regelspektrums eine ins Unendliche gehende Modifikation der Ausdrucksfähigkeit im Bild. Von Bedeutung ist nun für die hier skizzierten Teilaspekte der Farbenlehre, dass sie in ihrer konkreten Ausformulierung erst spät belegbar sind. Die Beiträge zur Optik von 1791 beschäftigen sich noch ausschließlich mit den physikalischen Farben, also mit optischen Experimenten mit dem Prisma. Es folgen ein Jahr später die Beobachtungen zu den apparenten Farben, aus denen Goethe die These entwickelt, „daß die Schatten, die wir gewöhnlich für grau halten, meist gefärbt sind.“25 Um 1794 nehmen Goethes chromatische Studien eine entscheidende Wende. In die Überlegungen werden nun die physiologischen Farben verstärkt einbezogen, aus denen schließlich die Kontrastlehren für Künstler entwickelt werden.26 Wie nicht allein der Briefwechsel belegt, war Meyer seit seiner Ankunft in Weimar im November 1791 in Goethes Überlegungen zur Farbe eingebunden. Regelmäßig war er bei optischen und physiologischen Experimenten an­ wesend und ging Goethe bei der Materialbeschaffung zur Hand, so etwa bei der Suche nach geeigneten Prismen oder gefärbten Papieren.27 Aus der expansiven Erweiterung der Interessensgebiete nach dem Erscheinen der Beiträge zur Optik zieht Goethe die Konsequenz, dass die zahlreichen Aufgabenbereiche nur arbeitsteilig und in Kooperation mit Experten bewältigt werden können. In dem im Juli 1793 entstandenen Konzept Einige allgemeine chromatische Sätze, das einen Arbeitsplan für die Farbenlehre formuliert, listet Goethe neben dem Chemiker, Physi23 Dies entspricht der Korrespondenz von „Farbe“ und „Thema“, wie sie Christoph Wagner in einem Forschungsbericht anspricht. Vgl. Wagner 1997. 24 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 888, in: MA 10, S. 256. 25 Goethe, Von den farbigen Schatten, MA 4.2, 347. 26 Vgl. Richter 2004. 27 Siehe hierzu überblicksmäßig Wyder 2013.

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ker, Mathematiker, Mechaniker, Naturhistoriker, Wissenschaftshistoriker und Methodenkritiker auch den bildenden Künstler als notwendigen Kooperationspartner auf. Die Charakterisierung von dessen Aufgaben entspricht den Tätigkeiten Meyers. Die kunsthistorische Auseinandersetzung mit der Farbe und die malpraktische Erprobung von Harmoniegesetzen werden hier nicht gesonderten Akteuren wie etwa dem Ästhetiker und dem Maler zugewiesen. Malpraxis und historische Kunstbetrachtung werden vielmehr als zwei ineinander übergehende Bereiche begriffen. Aufgabe des Künstlers sei es, die Farbe „teils mechanisch“, teils „zu ästhetischen Zwecken“ zu erforschen.28 Besondere Aufschlüsse verspricht sich Goethe davon, dass „er von seiner Erfahrung ausgeht und durch Beispiel zeigt, wo, wie, warum er die verschiedenen Farben benutzt.“ Besonders zu unterscheiden habe der Maler nach den Kriterien: 1. Licht und Schatten, Hell und Dunkel. 2. Lokal-Farbe. Farbe des Gegenstandes ohne Zusammenhang. 3. Apparente Farbe. Die Lehre von der Mäßigung des Lichts und den farbigen Schatten studiert er aufs genauste. 4. Farbengebung. Harmonische Verbindung der Farben durch Zusammenstellung und Vereinigung der Lokal- und apparenten Farben. 5. Ton. Allgemeine Farbe, die über ein ganzes Bild herrscht.29 Es steht außer Frage, dass hier das Forschungsprogramm für Meyer niederlegt wird, der wie kein anderer Künstler in Goethes Umfeld die Verknüpfung von Kunst und Wissen als empirische und praxisbezogene Einheit versteht. Eine solche Verknüpfung von künstlerischer Praxis und empirischer Kunstaneignung soll in den Folgekapiteln untersucht werden. In einigen Punkten ergeben sich hierbei inhaltliche Verbindungen zu den beiden 2013 erschienen Arbeiten von M ­ argrit Wyder und Pamela Currie. Wyder bietet einen profunden Überblick zu Meyers Aktivitäten in Bezug auf die Farbenlehre mit Schwerpunkt auf die physikhistorischen Kontexte, auch bezieht der Aufsatz einige von Meyers malpraktischen Experimenten ein.30 Das Buch von Currie geht wie die vorliegenden Teilkapitel 2.3. und 4.1. von ähnlichen Grundannahmen aus.31 Ein besonderes Verdienst der Studie ist, dass dort erstmalig die zentrale Konjunktion zwischen Goethes Theorie der „apparenten Farben“ und Meyers Analyse von Changeantmalerei aufgedeckt wird. Currie klammert jedoch die praktischen Gesichtspunkte von Meyers Wissensaneignung aus und konzentriert sich auf den Nachweis der von Meyer bemühten Semantiken und ihre Gegenüberstellung mit den farbästhetischen Überlegungen Goethes. Damit wird Meyers Vorgehensweise als Faszi28 Goethe, Einige allgemeine chromatische Sätze, in: MA 4.2, S. 367. 29 Ebd. 30 Wyder 2013. 31 Currie 2013. Unter anderem hervorgegangen aus den Aufsätzen Currie 2008 und Currie 2010.

II.1.2  Meyers Mitarbeit an der Farbenlehre

nation für das Spiel der farbigen Schatten und der Farbharmonien beschrieben und in den diskursiven Bezugsfeldern des 18. Jahrhunderts verortet. In der Frage nach der damit verbundenen Konsequenz greift jedoch die Studie zu kurz, indem Meyer als aktiver Beiträger zu einer kohärenten Systembildung in der Farbenlehre keine Rolle spielt. Der hier verfolgte Ansatz will den Nachweis führen, dass Meyers Notizen opera­ tive Anwendungen sind, die in einem größeren Zusammenhang der Wissensaneignung stehen.32 Neben den Galerienotizen und der „tabellarischen Methode“ sind daher auch Meyers künstlerische Umsetzungen als experimentelle Beiträge zur Farben­ lehre zu analysieren, seine beiden Kopien nach der Aldobrandinischen Hochzeit in den Blick zu nehmen und sein spezifisches Künstlerwissen zu rekonstruieren. Erst in einer solcherart multifokal aufgestellten Form der Wissensanordnung und -generierung, in der sowohl Maltechnik, Farbästhetik und Historisierung der Kunst enthalten sind, lässt sich Meyers spezifischer Beitrag zur Farbenlehre auf adäquate Weise bestimmen.33 Zentrale Thesen und Ergebnisse dieses Teils der Arbeit sind, dass das Ensemble der unterschiedlichen Tätigkeiten in der Farbenlehre zu dem grundlegenden und systembildenden Gegen­satz zwischen „charakteristischen“ und „harmonischen“ Farbkonzepten führt, der wiederum eine kunsthistorische Entsprechung zur antiken und der neuzeitlichen Malerei findet.34 Diese systematisch-historische Verbindung in Goethes Farben­ lehre wurde bislang weitgehend übersehen und scheint der modernen Rezeption des Werks als innovativer Theorie der Farbwahrnehmung geschuldet zu sein. Dass hierdurch – aufgrund Meyers eigenständiger und unabhängig von Goethe erfolgter Rezeption von Pietro da Cortona und der Aldobrandinischen Hochzeit – das Verhältnis von antiker und neuzeitlicher Malerei neu bestimmt wird und eine prinzipielle Überlegenheit der antiken Malerei postuliert wird, ist die außerordentliche Leistung Meyers, die es im Folgenden zu belegen gilt. Mit Goethes Wende zu den physiologischen Farben um 1794 rücken vor allem Farbharmonien und Kontrastgesetze in den Vordergrund von Meyers Interesse. Deshalb unter­scheiden die nächsten Abschnitte zwischen dem Zeitraum bis ca. 1794/1795, der von einer malpraktischen Erprobung der optischen Grundsätze geprägt ist (2.1. und 2.2.), und den professionalisierten Aufzeichnungen in Rom und Florenz 1795–1797, die den ursprünglich experimentellen, auf Gesetze der Maltechnik und Farbwahrnehmung bezogenen Praxisrahmen in eine historisch-systematische Betrachtung überführen (2.3. 32 Zu Goethes experimentellem Vorgehen in Form von Versuchsanordnungen Rehm 2009; Schimma 2014. 33 In der kunsttechnologischen Interpretation der Farbenlehre verdanken die folgenden Ausführungen den Forschungen von Annik Pietsch Denkanstöße. Pietsch 2008; zuletzt Pietsch 2014. 34 Dass ausgerechnet die differenzierteren Farbkontraste des „charakteristischen Kolorits“ die Merk­male antiker Malerei aufweisen, ist als besondere Pointe zu sehen, schließlich wurde um und nach 1800 das „Charakteristische“ zum alternativen Konzept zum reinen Klassizismus erhoben. Zur Diskussion über das „Charakteristische“ siehe Stemmrich 1994; Schönwälder 1995, S. 116–127; Dönike 2005, S. 22–29.

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und 2.4.). Das dritte Kapitel widmet sich ausschließlich Meyers intensiver Auseinandersetzung mit dem antiken Fresko der Aldobrandinischen Hochzeit, für die eine komplementäre Aneignungsstrategie von schriftlicher Aufzeichung und Kopierprozess charakteristisch ist. Hier geht es um nichts weniger als um die Rekonstruktion einer antiken Harmonielehre, die für die Gegenwart aktiviert werden sollte. Das abschließende Kapitel des zweiten Teils belegt an zwei Fallbeispielen die zeitgenössischen Analogien und die langfristige Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundsätzen der Farben­ lehre (Abschnitte 4.1.  und 4.2.).

2.  Stufen der Konzeptionalisierung

2.1  Maltechnik und Anschauung 1788–1790 Bei einem in der Schweiz ausgebildeten Künstler und späteren Lehrer der Weimarer Zeichenschule sind praktisch erworbene Grundkenntnisse im Umgang mit der Farbe vorauszusetzen. Meyers zweiter Lehrer Johann Caspar Füßli sah in der Befähigung zum Kolorit eine besondere Auszeichnung der nordischen Künstler, insbesondere aber auch der Künstler in der Schweiz, die meist das klassisch-antikisierende Italien nicht gesehen hätten.35 Ein geübter Umgang mit Ölfarben, der hinsichtlich der Berateraufgaben für die Farbenlehre von Relevanz gewesen wäre, ist in Meyers künstlerischem Nachlass jedoch nur an wenigen Beispielen belegbar.36 Vermutlich aus der Zürcher Zeit um 1780 stammt ein Leinwandfragment, das als Selbstporträt Meyers anzusehen ist (Tf. I/2). Auf dem Bildnis wie auf der Zürcher Fassung von Odysseus verbirgt die Ehrengeschenke der Phäaken (Tf. III/1) ist das Inkarnat – von Goethe als Hauptaufgabe des Malers und universelle Leistung im Umgang mit der Farbe besonders geschätzt37 – gemäß der Konventionen mit Blautönen angereichert, aber ansonsten von einem deckenden und stumpfen Ton in Beige, der kaum eine vorsätzliche Umsetzung der von Goethe postulierten Normen vermuten lässt. In Weimar nutzte Meyer vor allem das Aquarell, die Gouache und Leimfarben. Die Technik der Ölmalerei hat Meyer an der Weimarer Zeichen­schule nicht gelehrt: Die Schüler sollten in dem 1807 eingeführten dreistufigen Curriculum bis zum Umgang mit Aquarellfarben vordringen,38 eine Vermittlung weiterführender Maltechniken sollte den höheren Kunstschulen vorbehalten sein. Auch seine in Öl aus35 Dokumentiert durch die programmatische Übernahme eines Briefs von Johann Georg Wille an Johann Caspar Füßli, Paris, 4. 12. 1756. Abdruck in: Füssli 1769–1779, Bd. 2, 1769, Vorrede, S. XVIII. 36 Einige Fragmente im Nachlass, die auf den Umgang mit Ölfarben verweisen, können Meyer nicht einwandfrei zugeschrieben werden. Mappe „14 Blatt Ölstudien“, Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen, KK 9616 bis KK 9629. Drei der Fragmente enthalten den Nachlassstempel „Dr. N. Meyer“. Vermutlich der Arzt und Autor Dr. Nikolaus Meyer aus Minden, kunstinteressierter Korrespondenzpartner Goethes und Meyers. 37 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 878, in: MA 10, S. 254. 38 W.K.F. [Meyer]: Vorschläge zu Einrichtung von Kunstakademien rücksichtlich besonders auf Berlin 1821, in: FA I, 21, S. 73.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

geführte Replik der Aldobrandinischen Hochzeit (Tf. XX) zeugt nur bedingt von technischer Versiertheit. Trotz der geringen Praxis ist jedoch zumindest ein theoretisches Wissen über technische Probleme anzunehmen, das Meyer teils über die Schriften Mengs’, teils über die Atelierdiskussionen bei Hackert und Tischbein vermittelt worden ist. Der von Eva Beck aus dem Meyer-Nachlass edierte Aquarellschlüssel von Christoph Heinrich Kniep39 belegt das Interesse an maltechnischen Zusammenhängen ebenso wie zahlreiche weitere Zettel mit Firnisrezepten und Anweisungen für den Umgang mit Farben.40 Dennoch: Wenn es eine Kluft zwischen theoretischem Anspruch und qualitativer Umsetzung in der Praxis bei Meyer gibt, so ist sie nirgends größer als im Umgang mit der Farbe. Die in diesem und im folgenden Abschnitt vorgestellten Text- und Bildquellen aus der Zeit bis zu Meyers zweitem Italien-Aufenthalt müssen daher vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass künstlerische Praxis und Theoriebildung in ihrer jeweils spezifischen Insuffizienz bei Meyer Hand in Hand gehen. Die ästhetische wie auch die technische Schulung wirken für sich betrachtet ungenügend und können auf keinem soliden Fundament aufbauen, so dass nur die Verbindung von beiden zielführend sein kann. Die hier vorgeschlagenen Datierungen der diskutierten Manuskripte stützen sich überwiegend auf Indizien. Von besonderem Reiz ist ein Textfragment im Nachlass, das Einblick in Meyers ­Gedankenwelt zur Zeit seines ersten Italienaufenthalts gibt (vgl. Dok. 7 im Anhang).41 Vermittelt oder fingiert wird eine Gesprächs- und Lehrsituation, wobei der Adressatenkreis nicht eindeutig geklärt werden kann. Die sprachliche Lebendigkeit zeugt von einem unbefangenen Niederschreiben des angeeigneten Werkstattwissens. Das kollektivische „wir“ verrät das Bewusstsein, als Maler unter Gleichgesinnten zu sprechen.42 Mehrere Indizien verweisen auf die Zeit in Neapel vom Sommer 1788 bis Februar 1789: Tischbein wird als Gewährsmann erwähnt, ebenso der Zürcher Maler und Generationsgenosse Konrad Geßner, mit dem Meyer im Juni 1788 nach Neapel gereist war.43 Auffallend ist die Erwähnung beider Künstler in präsentischer Form und die offensichtliche Selbstverständlichkeit, mit der Meyer bei den Adressaten die Bekanntschaft mit dem jüngeren Geßner voraussetzt. Ebenso im Präsens erwähnt Meyer die antiken „Bilder[] in Portici“,44 die einen Ausgleich zwischen Inkarnat und Gewandfarben herstellten. Damit können auch eventuelle Zweifel über die Autorschaft Meyers (etwa in Form 39 40 41 42

Beck 2004. Vgl. mehrere Zettel in GSA 64/106,6. GSA 64/106,6; Zettel 11. Für die Annahme, dass es sich um ein Fragment nach einem um 1793 an Angelika Kauffmann geschickten Brief handelt, in dem Meyer seine Vorstellungen zur Farbenlehre niederlegte, reichen m. E. die Indizien nicht aus. Zu dem Vorgang vgl. Wyder 2013, S. 62 f. 43 Meyer an Heinrich Kölla, Neapel, 19. 08. 1788, GSA 64/81,4. 44 Dokument 7, fol. 2r.

II.2.1  Maltechnik und Anschauung 1788–1790

einer Abschrift) behoben werden. Denn diese Äußerung findet sich auch in einem Brief an Goethe vom April 1789, in dem Meyer nach anfänglicher Skepsis seine Wertschätzung über die antiken Gemälde im Museum in Portici ausdrückte.45 Auch wenn das Fragment durch seine Unbefangenheit auffällt und seine Bestimmung letztendlich im Dunklen bleibt,46 belegt es auf paradigmatische Weise das Werkstattwissen Meyers. Zudem werden offenkundig im Tischbein-Atelier gemachte Beobachtungen mit den in römischen Sammlungen gewonnenen Einsichten zur neuzeitlichen Kunstgeschichte verglichen. Der Einsatz kunsthistorischer Exempla wie Guercino oder Jacopo Bassano stützt den Erkenntniszuwachs in Hinblick auf Maltechnik zusätzlich ab. Das Fragment beginnt mitten in einem Satz über das Aufsetzen der Palette auf „die rechte Art wie wirs immer gemacht haben“,47 worunter die im 18. Jahrhundert üb­liche Anordnung von 24 Farben auf der Palette zu verstehen ist.48 Es ist anzunehmen, dass Meyer zuvor die Invention durch die Zeichnung sowie eine Kreidevorzeichnung auf dem grundierten Bildträger empfohlen hat. Erkennbar ist auch eine in getrennten Arbeitsschritten erfolgende Anlegung der Fleischpartien und der Gewandfarben, denn das Auftragen der Farbschichten bezieht sich offensichtlich zunächst auf das Inkarnat (so dienen die Porträtsitzungen bei Tischbein als Beispiel).49 Anschließend werden die Fleischfarben von den Gewändern abgegrenzt, da für die Draperien offenbar andere Regeln gelten. Dies entspricht der im 18. Jahrhundert üblichen Anordnung auf der ­Palette, bei der die Hauptfarben am oberen Rand und die Fleischfarben in der zweiten Reihe positioniert werden.50 So sind die für die Grundierung des Inkarnats bestimmten Tinten ausschließlich für diese zu verwenden, da „so eine Unfarbe an einer einzelnen Figur“ „sehr häßlich aussehn“ würde51 – Meyer unterscheidet somit zwischen den reinen, für das Gewand vorgesehenen Farben und den ausgemischten Fleischtinten. Der später besonders an der Aldobrandinischen Hochzeit geschätzten Interaktion von Inkarnat und gedämpft schillernden Gewandfarben liegt somit bereits ein produktionsästhetisch reguliertes Dispositiv zugrunde, das die Differenzwahrnehmung der unterschiedlichen ­ estehen in der im farblichen Partien aus malpraktischen Grundsätzen bezieht. Diese b 45 Vgl. Meyer an Goethe, Rom, 5. 4. 1789, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 32 f. 46 Es ist möglich, dass das Fragment zur Lehre genutzt wurde. Im Januar 1789 war Meyer Zeichenlehrer bei einer livländischen Familie in Neapel. 47 Dokument 7, fol. 1r. 48 Boskamp 2009, S. 107. 49 „So haben fast alle großen Meister gemahlt. und so sehe ich Tischbein Mahlen der läßt sich zu einem Bildniß 5. 6. & mehrmahl sitzen wenn er fleißig mahlen will.“ (Dokument 7, fol. 1v) – Bereits Hackert lobte in seinem auf den 10. 11. 1784 datierten Schreiben das Kolorit von Tischbeins Porträts: „Das Porträt­malen, worin unser Künstler ein besonderes Verdienst besitzet, gewöhnte seine Augen früh­ zeitig an ein natürliches und wahres Kolorit.“ Hackert 1785, S. 249. 50 Schmid 1958; Schmid 1966; Boskamp 2009, S. 106. 51 Dokument 7, fol. 2r.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

fortgeschrittenen 18. Jahrhundert verbreiteten Auffassung, das Inkarnat zunächst in ­einer mosaikartigen Grundierung anzulegen, im zweiten Schritt alle Tinten locker aufzutragen und erst dann die umliegenden Lokalfarben nach ihrer „stofflichen“ Differenzierung auszuarbeiten.52 Nicht zu trennen sind Meyers Aufzeichnungen von der zeitgenössischen Diskussion über Maltechnik und zur Nachdunklung bei Bildern. Hackert vertrat Mitte der 1780er Jahre die Auffassung vom Bild als einem lebendigen Organismus, dessen Schichtenaufbau bei unsachgemäßer Anwendung der Farben über die Zeiten nachdunkle.53 Goethes später in Ueber Kunst und Alterthum publizierter Text nach 1790 in Venedig entstandenen Aufzeichnungen enthält ähnliche Beobachtungen zu Tintoretto: Dieser habe „meist alles à la prima und ohne Svelatur auch ohne Grund gemalt. Weil er auf diese Weise stark aufgetragen und der Farbe in ihrer ganzen Dicke schon denjenigen Ton geben mußte den sie auf der Oberfläche behalten sollte; so liegen nicht wie bei ­Paolo ­Veronese hellere Tinten zum Grund. Wenn sich nun das stark gebrauchte Öl mit der Farbe zusammen verändert; so sind auf einmal alle Massen dunkel geworden.“54 Ein indirektes Plädoyer für den schichtweisen und lasierenden Bildaufbau enthält auch ­Meyers Text, wenn er sich ähnlich wie Goethe gegen einen allzu pastosen Farbauftrag wendet. Zudem verrät das Bruchstück eine Skepsis gegen Pigmente wie Smalte, Terra di Siena, Grüne Erde und das im Jahr 1704 erfundene Berliner Blau, deren Nachdunklung im späten 18. Jahrhundert generell befürchtet wurde.55 Dass Meyer ebenso wie Goethe Vertreter venezianischer Malerei, namentlich Bassano, in Zusammenhang mit dem unsachgemäßen Gebrauch von Ultramarin nennt,56 verweist auf den zeitgenössischen Diskussionskontext, welcher den Venezianern trotz ihrer koloristischen Fähigkeiten erhebliche technische Mängel attestierte.57 Erstaunlich sind die kompetenten Bewertungen der Pigmente. Während sich M ­ eyer den üblichen Warnungen vor bestimmten in Verruf geratenen Pigmenten anschließt, ordnet er die Farben systematisch den einzelnen Produktionsprozessen zu: Die Unter­ malung setzt sich aus Bleiweiß mit einer Beimischung von Neapelgelb zusammen; als Lasurfarben gelten Schüttgelb, Asphalt, Ultramarin und Lack(rot). Utramarin, das traditionell teuerste Pigment, lässt sich für Meyer bei Gewandfarben notfalls durch ­B erliner

52 Zur Anlage und Mischung der Inkarnatfarben auf der Palette in Sonderung aller anderen Farben ­siehe die Ausführungen von Meyers Generationsgenossen Pierre Louis Bouvier 1828, S. 193 (mosaikartige Anlage der Inkarnatuntermalung), S. 211–215 („Untermalung der Beiwerke“), u.ö. Hierzu Bleyl 1987. 53 Vgl. Hackert 1800, passim. 54 Goethe, Ältere Gemälde. Neuere Restaurationen in Venedig. Betrachtet 1791 (recte 1790), in: MA, 3.2, 289–296. 55 Vgl. Wagner 1988, S. 17. 56 Dokument 7, fol. 1r. 57 Wagner 1988 S. 17.

II.2.1  Maltechnik und Anschauung 1788–1790

Blau ersetzen, bei der Anlage des Inkarnats empfiehlt er jedoch, darin zu investieren. Beinschwarz dagegen sollte nie für die Fleischfarben verwendet werden.58 Das Interesse an der Grundierung und an der korrekten Pigmentierung s­ollte ­Goethe in Zur Farbenlehre wieder aufnehmen (Didaktischer Teil, §§ 902–910 bzw. §§ 911–914). Ähnlich wie Meyer in seinem Fragment distanziert er sich dort von einer dunklen, oft rotbraunen Grundierung bei den Venezianern (§ 907), da der „energische Grund“ mit der Zeit nachdunkle (§ 909), wodurch „die hellen Farben nach und nach an Klarheit verlieren“ (§ 909).59 Eines von Goethes praktischen Hauptanliegen in der Farben­lehre ist der Ausgleich der Licht- und Schattenpartien in maltechnischer Abhängigkeit von der Grundierung. Dasselbe Ziel verfolgte Meyer als er um 1789 vermerkte, dass eine helle graue Grundierung die Voraussetzung für einen zarten Übergang von Licht zu Schatten bilde.60 Von Meyers früher Aufzeichnung bis zur Farben­lehre von 1810 ist daher der Leitsatz gültig: „Beim Kolorieren“ ist „das untergelegte gleichsam ge­ tuschte Bild immer wirksam.“61 Von zentraler Bedeutung ist in dem Fragment eine Maxime, die in Meyers Ent­ wurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts (1805) und im Neujahrsprogramm der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung von 1807 in abgewandelter Form als Diktum von Mengs bezeichnet wird, das „jetzt noch als allgemeine Kunstregel von Mund zu Munde geht“:62 „Beym Mahlen muß man sich kurz und gut vorstellen man ­Zeichne.“63 Laut Meyers Beitrag im Neujahrsprogramm 1807 lautet der Satz: „Ich erfuhr, daß Mengs oft zu seinen Schülern soll gesagt haben, beim Zeichnen müsse man ans Malen, beim Malen ans Zeichnen denken“.64 Das Theorem von der komplementären Verknüpfung von Malen und Zeichnen, welche Kontur und Farbe zu einer unauflöslichen Einheit verschmelzen soll, wird in Meyers Fragment einseitig zugunsten der Zeichnung betont. Dabei bezieht sich die mehrfach variierte Forderung nach einer Angleichung der Pinselführung an die zeichnerische Motorik besonders auf den abschließenden Malprozess. Im ersten Schritt der Untermalung werde zunächst die Anlage der Massen erforderlich: „[M]an legt breite Flecke auf und vertreibt sie so sanft ineinander als man nur kan.“65 Gemäß eines zeitgenössischen und auch von Jacques-Louis David 58 59 60 61 62 63 64

Vgl. Dokument 7, fol. 1v bis 2r. Goethe, Farbenlehre, in: MA 10, S. 259–60. Dokument 7, fol. 1r. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 904, in: MA 10, S. 259. Meyer, Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, in: MA 6.2, S. 276. Dokument 7, fol. 1r. Meyer, Mitteilungen eines Künstlers an Künstler, Abschnitt XI in: Unterhaltungen über Gegenstände der bildenden Kunst als Folge der Nachrichten von den Weimarischen Preisaufgaben, in: MA 9, S. 556. Vgl. auch MA 6.2, S. 276 mit Meyers Zusatz: „beim Zeichnen soll man immer ans Malen, beim Malen ans Zeichnen denken. In der Tat ein großes, wahres Wort.“ 65 Dokument 7, fol. 1r.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

praktizierten Verfahrens sollen diese in breiten Flecken aufgesetzten Untermalungen an ihren Grenzen sanft ineinander übergehen, so dass der Konturwirkung ihre Härte genommen wird.66 Nach dem Trocknen beginnt der zweite Schritt des Farbauftrags, den Meyer etwas vereinfacht, aber gewiss im Rahmen der klassizistischen Konvention beschreibt: Durch Lasuren sollen die Schattenpartien „hübsch und durchsichtig“ aufgetragen werden, worauf die in die Licht- und Schattenpartien hineinspielenden Farben mit „guten Ziegenpinseln“ „hinein schrafirt“ werden sollen. Diesen Schritt vergleicht M ­ eyer mit dem Zeichnen in verschiedenen Kreiden. Die Ausführung in Schraffuren sei notwendig, „damit man schön bey der Zeichnung bleibe“. Eine „letzte Laßur“ schließlich setze das Bild in „völlige Harmonie“.67 Das hier propagierte Verfahren lässt darauf schließen, dass sich Meyer von Prinzipien Tischbeins leiten ließ. „Tischbein sagt blauer Rock nimmt sich auf grünem Grund nicht gut aus.“68 heißt es auf einem Einzelzettel, der vermutlich aus demselben Zeitraum wie das Fragment zur Malpraxis stammt. Folgt Meyer Tischbeins Auffassung von der Grundierung und Lasierung im Allgemeinen, so ergeben sich im Besonderen Parallelen in der Bewertung der zeichnerischen Anteile im Malprozess. Zu nennen sind Werke wie Tischbeins erstes Hauptbild Konradin von Schwaben und Friedrich von Öster­ reich vernehmen beim Schachspiel ihr Todesurteil (1784) oder Iphigene und Orest, was 1788 in Neapel entstand und kurz darauf von Meyer nachgezeichnet wurde.69 Wie in ­Meyers Text beschrieben, werden dort auf breit angelegten und durch sorgfältige Lavierungen plastisch differenzierten Flächen graphische Elemente mit feinem Pinsel appli­ ziert. Dieser sukzessive Farbauftrag distanziert sich sowohl von der alla Prima Malerei wie auch von der Malweise von Mengs, der die Sichtbarkeit des Pinselstrichs als individuelles Ausdrucksmittel des Künstlers ablehnte.70 Entscheidend ist somit die einseitige Interpretation des Mengs’schen Aphorismus: Wird dort die Komplementarität von Zeichnen und Malen hervorgehoben, um letztlich die Spuren der Werkentstehung zu verwischen, empfiehlt Meyer ein Verfahren, das im Endergebnis der Malerei einen graphischen Effekt verleiht. Meyers teilweise sprunghafte Argumentation liefert zwar keine systematische Anleitung zur Anwendung der Farbe, jedoch verrät sein Fragment eine Vertrautheit mit der gängigen Malpraxis und versteht es, mit den entsprechenden kunsthistorischen Referenzbeispielen die einzelnen Schritte konkret zu belegen. Die getrennte Anlage von 66 67 68 69

Siehe Bleyl 1987, S. 124. Dokument 7, fol. 1v. GSA 64/106,3, Zettel 10. Meyer nach Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Iphigene und Orest, 1788, Feder in Braun, laviert, 66,2 × 53,1 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 10803. Zur Entstehung von Meyers Kopie vgl. Meyer an Goethe, Neapel, 23. 12. 1788, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 15. Tischbeins Bild heute in Schloss Arolsen, Stiftung des Fürstlichen Hauses Waldeck und Pyrmont, Bad Arolsen. 70 Siehe hierzu Roettgen 1999/2003, Bd. 2, S. 404.

II.2.1  Maltechnik und Anschauung 1788–1790

Fleisch- und Gewandfarben korrespondiert mit den jeweils gewählten Künstlerparadigmen: Als vorbildlich für den Einsatz der „zeichnerischen“ Schraffuren im Inkarnat werden die Köpfe in Raffaels Disputà und Schule von Athen ausgewiesen.71 Gegenüber diesem auf das Inkarnat bezogenen Verfahren der schraffierenden Pinselführung zeichnet sich im Bereich der Gewandfarben Guercinos Persische Sibylle in der Pincoteca ­Capitolina als mustergültig aus, die im 18. Jahrhundert oft kopiert wurde.72 Vom Augen­ schein her erkennt Meyer, dass auf den in Englischrot ausgeführten Mantel Schatten in Beinschwarz aufgesetzt sind, während die hellen Stellen mit Zinnober aufgehöht wurden. Meyer bleibt somit bei den herkömmlichen empfohlenen Mustern, ohne diese, wie es etwa Mengs getan hätte, eklektisch miteinander zu verbinden. Eine Synthese von Inkarnat und Draperie bilden vielmehr die Bilder der „klugen Alten“ im Museum von Portici (vgl. Tf. XXV): Sie zeichnen sich aus durch eine koloristische Hebung des Inkarnats, indem die Draperie durch „matte & sanft gebrochne Farben“ gemäßigt wird. Hier fehlt ein „feuriges Roth gelb oder blau“, damit das „Fleisch kräftiger scheinen m ­ öge.“73 Gerade das letzte Beispiel zeugt von der Suche nach unverbrauchten Mustern, die für das Zentralproblem, nämlich die Interaktion von Fleisch- und Gewandfarben, eine vermittelnde Lösung anstreben. Die Erfahrungen in Neapel scheinen also von zentraler Bedeutung zu sein: Einmal verweisen sie auf die Vertiefung des praktischen Wissens durch den Umgang mit Tischbein, andererseits auf die Betrachtung der antiken Wandmalereien als die ideale Vermittlung für ungelöste koloristische Probleme der neuzeitlichen Malereigeschichte. Während letzterer Gesichtspunkt erst 1796 mit Meyers umfassender Analyse der Aldobrandinischen Hochzeit wieder aufgenommen wird, geht das malpraktische Wissen direkt in die Kunstbetrachtung über. Zwei Beispiele aus den Notizen von 1790 mögen dies abschließend belegen. Tizians Werke in der Sammlung Borghese finden einzig Meyers Interesse hinsichtlich der Maltechnik: Gall. Borgh. Die Gratien von Titian die Farbenwechsel des weißen Gewandes die Widerscheine vom blauen Mantel wirken[?] etwas röthlich über die Brüste fält es ins Gelbe. Die götl & weltl Liebe scheint alle schatten Part. ganz grau unterm. zu seyn den die röthl. Tinte darauf enth. Laßirt – die Licht maßen von gleichen hellen Mitteltinten hernach die Lichter & rothen Fleischfarben wie Wangen etc darauf74

Wie im obigen Fragment von 1788/1789 ist es der Aufbau nach Malschichten, den ­Meyer an den beiden Werken Tizians analysiert. Dies betrifft die durchgängig graue Untermalung der Schattenpartien und die Farbwechsel der aufgesetzten Lasuren: Auf den hellen 71 Dokument 7, fol. 1v: „kurz um man muß in Öhl mahlen wie die Köpfe der Disputation, & der Schule von Athen In Fresko gemahlt sind nur daß man die Striche nicht so stark machen muß“. 72 Dokument 7, fol. 2r. – Zu Guercinos Werk und seiner Rezeptionsgeschichte siehe Denis Mahon, Kat.Nr. 59, in: Ausst.-Kat. Frankfurt 1992, S. 287 f. 73 Dokument 7, fol. 2r bis 2v. 74 Notizenheft Rom 1790, GSA 64/89, 2. Lage, fol. 3r.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

Gewändern der sog. „Gratien“75 werden Blau, Rot und schließlich Gelb auf unterschiedliche Weise reflektiert. Bei der Himmlischen und irdischen Liebe (1515/1516) bilden sich „Licht maßen von gleichen hellen Mitteltinten“, auf die schließlich die Lichter und Rötungen der Fleischfarbe appliziert wurden. Der produktionsästhetische Dreischritt „Gemahlt. laßirt & endlich die blizenden Stellen drauf gesetzt“76 wird hier in die Bildbetrachtung integriert. Die Nähe zu zeitgenössischen Beispielen, wie etwa Tischbeins Goethe in der Campagna (Frankfurt, Städel), ist in diesem Kontext auffallend, denn zu vielen anderen Vorbildern77 wäre hier Tizians berühmtes Werk noch hinzuzufügen: Die Korrespondenz zwischen Goethes weißem Rock mit zart differenzierenden Lasuren und einem antiken Relief ähnelt auffallend dem bei Tizian angewandten Prinzip. Das zweite Beispiel von Meyers maltechnisch versierter Kunstbetrachtung von 1790 betrifft eine um 1599 entstandene Tafel mit Bacchus und Silen von Annibale Carracci (Tf. XI), die sich im 18. Jahrhundert im Palazzo Lancelotti befand.78 Das mit Tempera auf Holz gemalte Bild liefert Meyer einen Beleg für den optimalen Ausgleich von Licht und Schatten, da den Schattenschraffuren ein Mittelton unterlegt ist. Der Vergleich mit der antiken Malerei scheint hier angesichts der vorausgegangenen Neapel-Erfahrung nicht zufällig: Apoll & Sylen v. Carracci ist als wärs in den Schönen Zeiten der Kunst & in Griechenl gemacht NB die schrafirungen des Pinsels in Licht & Schatten es scheint als war alles nur in Mitteltint angelegt & das Licht & der Schatten drauf gesetzt das Gegenbild.79

Die Aufzeichnungen zu römischen Sammlungen vom Frühjahr 1790 verdeutlichen, wie stark Meyer zu diesem Zeitpunkt seine Aufmerksamkeit auf die maltechnische Konsistenz der betrachteten Werke lenkt. Eine gehaltsästhetisch orientierte Betrachtung spielt dagegen keine Rolle. Die Sozialisation vom Künstler zum Kunsthistoriker hat hier in einem nahtlosen Transfer begonnen, wobei zu konzedieren ist, dass Meyers Künstlerwissen in weiten Teilen ein theoretisches und kaum ein durch konkrete Praxis abge­ sichertes geblieben ist.

75 Gemeint ist: Tizian, Venus erzieht Amor, um 1565, Öl auf Lw., 116 × 184 cm, Galleria Borghese, InvNr. 170. 76 Dokument 7, fol. 2r. 77 Petra Maisak: Wir passen zusammen als hätten wir zusammen gelebt, in: Ausst.-Kat. Oldenburg 1986, S. 17–50, hier S. 35 f. 78 Vgl. Posner 1971, Bd. 2, Kat.-Nr. und Abb. 116, S. 51. 79 Notizheft Rom, Eintrag vom 13. 2. 1790, GSA 64/89, 2. Lage, fol. 9r (Palazzo Lancelotti).

II.2.2  Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795

2.2  Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795 Der vorangegangene Abschnitt hat gezeigt, dass bei Meyer schon vor der intensivierten Zusammenarbeit mit Goethe eine Kompetenzbildung hinsichtlich maltechnischer Fragen einsetzt. Zwar bleibt das diesbezügliche Wissen im Rahmen der zeitgenössischen Werkstattkonventionen, es bildet aber von Anfang an einen integralen Teil von Meyers kunsthistorischem Urteil, womit sich seine Aufzeichnungen deutlich von der zeitgenössischen Laienkritik oder literarisch geprägten Bildbetrachtung unterscheiden. Dennoch sollte sich mit der Ankunft in Weimar im Herbst 1791 das Verhältnis von malpraktischer Erfahrung und empirischer Erhebung grundlegend ändern: Meyer wird zum „aktiven Partner“80 von Goethe, der seine farbtheoretischen Studien im Mai 1791 mit dem Blick durch ein Prisma begonnen hatte. Dass maltechnisches Wissen, experimentelles Vorgehen und kunstkritisches Verständnis eng aufeinander bezogen werden, belegt ein Zettel im Nachlass, der die drei Bereiche zu „Memorab[ilia]“ zusammenführt. Die beiden dort genannten Daten – März und November 1794 – bilden zugleich zeitliche Eckpunkte für den so wichtigen Dresden-Aufenthalt Meyers von Ende April bis September desselben Jahres: Memorab. [a] es scheint die Erfahrung zu zeigen daß GrünBlau etc auf weißem Grund nur dünn aufgetragen oder vielmehr das Weiße hernach die Lichter sehr grell darauf gesetzt endl. Laßirt – diese Weise scheint die allerklahrsten Farben zu gel. – Ultramarin ist ohnumgängl Nothwendig um ein lichtes Grün hervorzubringen da Berliner Blau zu dunkel ist im Nov. 94 [b] Die Mäßigung der Farben wie in den Bildern des Ostade thut ohngef die Wirkung wie das Medium eines ohngefärbt Glases od. wie uns die Gegenstände in der Camera obscura erscheinen. [c] Bläuliches Papier macht die widerscheine sehr stark blau. in meiner Stube wo die Wände gelb sind wird der Halbschatten alsdenn sehr gelb bemerkt. den 4. März 9481

Die drei Beobachtungen belegen den engen systematischen Zusammenhang von Malpraxis, optischem Experiment und Kunstbetrachtung: [a] Der erste Absatz geht auf Gesetzmäßigkeiten der optischen Mischung und damit des dreidimensionalen Bildaufbaus nach Malschichten ein; die Eignung bestimmter Pigmente wird dabei mitreflektiert. Auf die beiden Folgeabsätze scheint sich die Datierung vom März 1794 zu beziehen. Sie beschreiben zwei experimentelle Situationen: [b] Der Blick durch ein ungefärbtes Glas und der daraus entstehende Effekt der Trübung ist eines von Goethes frühen Ausgangsexperimenten.82 Dass hier just Adriaen van Ostade als Beispiel herangezogen wird, 80 Wyder 2013, S. 49. 81 GSA 64/106,1a, Zettel 16. 82 Vgl. hierzu allgemein Christian Bracht: Andreas Vincenz Mattoni (1779–1864). Karlsbader Glas, in: Ausst.-Kat. Weimar 1999, Bd. 2, S. 611.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

verweist bereits auf die von Meyer intendierte kunsthistorische Wechselwirkung mit dem von Goethe gesetzten Versuchsrahmen. So wird Ostade in Meyers Beitrag zur Geschichte des antiken Kolorits deutlich von der Aldobrandinischen Hochzeit abgegrenzt. Er gilt dort als Künstler, in dessen Werken „kein entschiedener Ton einer im Allgemeinen übergreifenden Farbe“ vorherrscht, sondern dessen „stille Harmonie einzig durch den Überzug einer farblosen dunklen Lasierung“ bewirkt wird.83 Der oben angeführte Vergleich vom Blick durch ein farbloses Glas bildet somit das optische Korrelat zu Os­ tades Koloritauffassung. [c] Der letzte Absatz bezieht sich auf den 14. und 15. Versuch in der Abhandlung Von den farbigen Schatten, die Goethe am 24. Juli 1793 an Jakobi übersandt hat.84 Goethe beobachtet dort die Intensivierung von den durch zwei Lichtquellen entstehenden blauen und gelben Schatten, wenn sie auf ein entsprechend gefärbtes Papier fallen. Da Meyer die Beobachtungen b und c auf das Jahr 1794 datiert, ist naheliegend, dass er die optischen Experimente lediglich nachgestellt hat. Die Wiederholung des Versuchs mit farbigen Schatten, von dem er zu diesem Zeitpunkt nur direkt von Goethe erfahren haben konnte, scheint bereits in malpraktischer Hinsicht erfolgt zu sein: Schließlich hatte Goethe in Einige allgemeine chromatische Sätze für den Maler die Aufgabe formuliert, neben dem Helldunkel und den Lokalfarben auch die „apparenten Farben“, ­also die farbigen Schatten, und die Frage des „Tons“ „teils mechanisch“, „[t]eils zu ästhetischen Zwecken“ zu behandeln.85 Die gegenchronologische Auflistung der drei scheinbar zusammenhangslosen Notate erlaubt es, den ersten, auf November 1794 datierten Satz als malpraktische Schlussfolgerung aus den beiden optischen Experimenten zu lesen, da sich alle drei Beobachtungen mehr oder weniger auf die Intensivierung und Abschwächung von Farbwerten beziehen. Im Jahr 1794 war Meyer offensichtlich bestrebt, die von Goethe experimentell erschlossenen optischen Gesetze auf die Maltechnik zu übertragen. Insofern bildet Meyers Zettel in nuce die unterschiedlichen Ebenen und Auf­ gabengebiete ab, die ihn als Mitarbeiter im „mechanischen“ Sinne einbinden. Meyers künstlerische Erprobung der von Goethe vertretenen Grundsätze lässt sich während seines ersten Weimarer Jahrfünfts auch an Bilddokumenten belegen. In diesem Zeitraum entstand eine Serie von Ölgemälden und Aquarellen, in der Goethe einen engen Zusammenhang mit seinen optischen Experimenten sah. Rückblickend heißt es in der Campagne in Frankreich 1792: „Ich hatte die Farben genugsam in unterschiedenen Lebensverhältnissen beobachtet und sah die Hoffnung auch endlich ihre KunstHarmonie, welche zu suchen ich eigentlich ausgegangen war, zu finden. Freund ­Meyer entwarf verschiedene Kompositionen, wo man sie teils in einer Reihe, teils in Gegensatz zu Prüfung und Beurteilung aufgestellt sah.“ (MA 14, S. 509) In Goethes Briefen, so et83 Meyer, Hypothetische Geschichte des Kolorits besonders griechischer Maler, in: MA 10, 548. 84 Goethe, Von den farbigen Schatten, in: MA 4.2, S. 350. 85 Goethe, Einige allgemeine chromatische Sätze, in: MA 4.2, S. 367.

II.2.2  Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795

wa an Friedrich Heinrich Jacobi, werden Meyers malerische Umsetzungen von Farbkonzepten ebenso erwähnt.86 Die Forschung hat Meyers Dioskurenbild von 1792 mit Hilfe eines Berichts von Karl August Böttiger analysiert (Tf. XIII).87 Die weiteren künstlerischen Beiträge galten bislang als verschollen.88 Auf Grundlage einer handschriftlichen Übersicht Meyers (Dok. 8 im Anhang) kann jedoch an dieser Stelle erstmalig die Zuordnung von vier weiteren Arbeiten aus dem künstlerischen Nachlass erfolgen. Meyers Konzept bezieht sowohl kunsthistorische Beispiele als auch das eigene ­Œuvre ein. Meyer listet insgesamt fünf seiner Werke auf: (1) Geschichte vom Erecht[honius], (2) Raub der Töchter des Leucippus, (3) Glaube Liebe. Hoffn[ung], (4) Melpom[ene] & die Poesie und (5) Die Parzen. Der direkte Vergleich zwischen den eigenen und Werken kanonischer Künstler wird in geradezu grotesker Selbstüberschätzung nicht gescheut. Möglicherweise handelt es sich um ein während des Dresdener Aufenthalts gezogenes Resümee, das Meyer im Juni 1794 gegenüber Goethe ankündigte, als er ihn um Überbringung von zwei seiner Werke nach Dresden bat: „es wäre allenfalls höchst nothwendig und als die letzte Bestätigung unserer gemeinschaftlichen Studien über Harmonie anzusehen, wann man so etwas mit den berühmtesten Werken der Kunst, welche, wie man dafürhält, in diesem Stück excellieren, vergleichen könnte, und ich zweifle nicht einen Augenblick, daß die Vergleichung uns vortheilhaft seyn würde.“89 An der Scharnierstelle zwischen historisch-analytischer Bildbetrachtung und farbexperimenteller Bildpraxis kann Meyers Konzept somit als Resümee der Beiträge zur Formierungsphase von Goethes farbtheoretischen Grundsätzen zwischen 1791 und 1795 gesehen werden, zumal der Terminus „Farbenlehre“ in der Überschrift explizit auftaucht.90 Der Zusammenhang von theoretischer Reflexion und künstlerischer Produktion lässt sich anhand dieses Dokumentes gut nachvollziehen, weil in Antithese zu Werken der Kunstgeschichte eine hierarchische Gliederung der eigenen Werke vorgenommen wird. Die Malerei der Venezianer und der Niederländer sowie die Werke Correggios und Pietro da Cortonas werden zunächst hinsichtlich der Dichotomie von natür­lichem und harmonischem Kolorit aufgelistet. Generell wird ihnen ein Mangel hinsichtlich der Farbharmonie attestiert, die sie allesamt mittels des „Tons“ oder der „Schatten“ auszugleichen suchen: „Oben angezeigte Mittel & Regeln deren sich die Mahler bedient haben sind nicht ganz zu diesem Zweck zureichend. [verso] Darum wurden um Harmonie zu erzwecken, der Ton und Schatten zu Hilfsmitteln gebraucht“. Den Gegenbeweis sollen 86 Hierzu Wyder 2013. 87 Böttiger 1998, S. 56. Hierzu Wyder 2013, S. 54–62. 88 So die Einschätzung bei Wyder 2013, S. 54: „Die Kopien scheinen verloren, und von Meyers Originalen ist offenbar nur eines der drei Bilder erhalten geblieben[.]“ 89 Meyer an Goethe, Dresden, 27. 6. 1794, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 121. 90 Da Pietro da Cortona bereits als Gipfel der neuzeitlichen Koloritentwicklung bezeichnet wird, ist das Konzept vermutlich nach dem zweiten Italienaufenthalt entstanden. Es müssen darin, was die eigenen Werke Meyers anbelangt, eindeutig Notizen aus der Zeit um 1794 eingeflossen sein.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

die „Neue[n] Versuche und Forschungen über die Harmonie der Farben“ antreten, als deren Visualisierung Meyer die fünf Werke aus eigener Produktion anführt. Jenes Verzeichnis kann außerdem zur Klärung einer bislang nicht ausreichend kommentierten Briefstelle beitragen: Goethe übersandte am 7. Juni 1793 drei von Conrad Horny verfertigte Aquarellkopien an Jacobi, die auf Bilder Meyers zurückgehen: „Die Mädchen mit dem Korbe sind Meyers Erfindung. Der Raub der Leucippen nach dem alten Basrelief nur daß sich dort die Mädchen nicht anfassen und dadurch gewisser­ maßen ganz neu.“91 Identifizierbar war bislang nur das ebenfalls in dem Brief er­wähnte Dioskurenbild (Raub der Leukippen, Tf. XIII), mit dem sich Meyer 1792 in die Weimarer Freitagsgesellschaft eingeführt hatte und die aus heutiger Sicht kaum begreif­ liche Begeisterung Wielands und der beiden Herzoginnen ausgelöst haben soll.92 Bei den von G ­ oethe genannten „Mädchen mit dem Korbe“ handelt es sich um Die Ent­ deckung des ­Erichthonios (Tf. XII). Jene „Bildfindung“ wurde von Meyer ebenfalls wie das Dioskurenbild in Öl ausgeführt und befindet sich neben mehreren Vorstudien und Entwürfen in den Weimarer Kunstsammlungen.93 Es ist zugleich zu identifizieren mit jenem Werk, das im Briefwechsel zwischen Goethe und Meyer mehrfach als „farbige ­Mädchen“ tituliert wird. Das Sujet der dritten an Jacobi übersandten Aquarellkopie ist nicht bekannt, doch gibt Meyers Konzept einen Anhaltspunkt. Genannt werden nach dem Erichthonios-­Thema und dem Dioskurenbild die Werke Glaube, Liebe, Hoffnung (Tf. XIV), Melpom[ene] und die Poesie und Die Parzen (vgl. Tf. XV). Während das Bild der beiden Musen nicht identifizierbar ist, existieren von den Parzen wie von Glaube, Liebe, Hoffnung mehrere Versionen, Vorstudien und Entwürfe,94 die jeweils in unterschiedlichen Kontexten verwendet wurden (Glaube, Liebe, Hoffnung eventuell für das Römische Haus 1794;95 die Parzen in veränderter Komposition für das Titelkupfer für Hufelands Makrobiotik).96 Auf beide Werke hat Herder 1797 in der 6. Sammlung der Zerstreuten Blätter Gemäldegedichte in der Tradition der Epigramme der Anthologia Graeca veröffentlicht, auf die weiter unten einzugehen ist.

91 Goethe an Jacobi, 7. 6. 1793, in: Goethe, WA IV/10, S. 73 f. 92 Böttiger 1998, S. 56. 93 Inv.-Nr. G 786. Studien im graphischen Nachlass: KK 9466, Gr–2005/830. 78.  Wichtiges Vorstudienblatt mit Beschriftung: KK 2787. 94 Von den Parzen: Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen, KK 1953 (Aquarell), KK 2452 (Feder und Aquarell), KK 2453 (Feder in Braun), KK 2763 (Graphit, Rötel, Feder), Reg-2012/3087, Goethe Museum Düsseldorf/Sammlung Kippenberg, KK 4837 (Feder auf Bleisstift, aquarelliert). Von ­Glaube Liebe Hoffnung: Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen, KK 2816 (Federzeichnung), Reg– 2011/2343 (Feder auf Bleistift); KK 1954 (Aquarell mit schwarzer Feder). 95 Wahl 1918, S. 9 f. In der neueren Literatur zum Römischen Haus finden sich keine Hinweise auf ein geplantes Fresko. Vgl. Beyer 2001. 96 Maisak 2004, S. 82.

II.2.2  Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795

In der Übersicht (Dok. 8) hat Meyer seine Bilder knapp kommentiert. Indem sich die Anmerkungen steigern, lässt sich der Charakter einer systematischen Abfolge von bildlich erprobten Experimenten erkennen: Das Erichthonios-Bild am Anfang der ­Folge repräsentiert als „erste und simpelste Regel“ die vergleichsweise einfache Zusammenstellung nach den Farben des Regenbogens, womit indirekt auf die Newton’sche Diskussion Bezug genommen wird: „Im Regenbogen & Prisma ist der größte Glanz & ­Höhe der Farben mit der größten Übereinstimmung & der lieblichsten Wirkung verbunden.“97 Die Kombination der weißen Gewandung der in der Mitte stehenden A ­ thene mit den sechs sie umgebenden, jeweils in einer Spektralfarbe gekleideten Figuren folgt hier ­einem seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich praktizierten Muster. Vergleichbar ist Joseph-Marie Viens Gemälde Die von Diomedes verwundete Venus wird von Iris gerettet (1775), in dem die Bekleidung der umstehenden Figuren ebenfalls den sechs Spektralfarben folgt, während die Iris in Weiß erscheint.98 Die Umsetzung des Regen­bogenthemas durch eine Iris wäre auch im Falle Meyers naheliegend gewesen, schließlich hatte er 1792 das Thema für das Deckengemälde in Goethes Wohnhaus gemalt.99 Stattdessen nutzte Meyer mit der Wahl des fest in der Barockikonographie verankerten Erichthonios-Mythos ein Sujet, das keinen unmittelbaren inhaltlichen Bezug zur Farbendiskussion hat:100 Nach einem Vergewaltigungsversuch an der keuschen Athene fällt der Samen des Hephaistos auf die Erde, aus dem der Schlangenmensch Erichthonios geboren wird. Gaia übergibt ihn an Athene, die ihn wiederum in einem geschlossenen Korb den drei Töchtern des Kekrops anvertraut. Als diese trotz Athenes Verbot hineinsehen, verfallen sie beim Anblick des Kindes in Wahnsinn (oder sie werden, wie bei Hederich vermerkt, von Athene mit Wahnsinn bestraft).101 Auch bei der Komposition trifft Meyer eine überraschende Entscheidung. Er orien­ tiert sich nicht an einem genuin antiken oder neuzeitlichen Vorbild, sondern an ­einer der berühmtesten Antiken-Fälschungen des 18. Jahrhunderts (Abb. 39). Der Maler G ­ iovanni Battista Casanova, Bruder des berühmten Abenteurers, hatte Winckelmann Zeichnungen nach vier angeblich nach England verkauften antiken Gemälden zugespielt.102 ­Unter diesen befand sich eine Umsetzung des Erichthonios-Themas, das Winckelmann 1764 gutgläubig als eines der ältesten Zeugnisse antiker Malerei in der Geschichte der

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Dok. 8, verso. Hierzu Boskamp 2009, S. 225. Vgl. Wyder 2013, S. 61 f. Stechow 1963; Art. „Erichthonius”, in: Davidson Reid 1993, Bd. 1, S. 388–389. Zu den Themen Leukippen­ raub und Erichthonius bei Rubens siehe Georgievska-Shine 2009, S. 153–185. 101 Hederich 1770/1967, S. 1031. 102 Zum Vorfall siehe Lehmann 2015; Roettgen 2017. Sowie Kommentar in Winckelmann, SN 4,2, S. 452 f, Nr. 1074.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

39__Nach Giovanni Battista ­Casanova: Die Entdeckung des ­Erichthonios, Kupferstich, aus: ­Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums. Dresden 1764, S. 263.

Kunst des Alterthums abgebildet hatte.103 Die Fälschung war noch zu Lebzeiten Winckelmanns aufgeflogen und wurde folgerichtig in der aus dem Nachlass herausgegebenen ­Wiener Ausgabe nicht mehr berücksichtigt. Es verwundert daher umso mehr, dass sich der Winckel­mann-kundige Meyer davon inspirieren ließ.104 Der Kupferstich nach ­Casanovas Zeichnung zeigt, wie sich die drei Töchter des Kekrops von rechts dem noch verschlossenen Weidenkorb nähern, vor dem Athene warnend steht. Meyer setzt das Thema freilich anders um, indem er den Höhepunkt der Entdeckung als den „fruchtbaren Augenblick“ erkennt und das verzweifelte Zurückweichen der Schwestern zeigt. Zudem sind die Töchter des Kekrops um drei weitere weibliche Personen erweitert, so dass sich die „farbigen Mädchen“ symmetrisch um Athene gruppieren können. Ihre Gewänder repräsentieren jeweils eine reine Farbe und sind in Abfolge des Spektralsystems ange­ordnet. Doppelbödig hat Meyer sein Zitat der Casanova’schen Kunstfälschung in Verbindung mit Newton gebracht. Die Missachtung des Gebots, den Korb nicht zu öffnen, spielt auf Newtons Entdeckung der Spektralfarben an, womit sich das Bild als wissenschaftskritischer Kommentar lesen lässt: Verbreitet Erichthonios durch sein Erscheinen allgemeinen Schrecken, so gleicht dies den nicht absehbaren Folgen von Newtons naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Mit Athene in der Mitte kommt Meyer der Auffassung von der Brechung der Farben aus dem „ekelhafte[n] Newtonische[n] Weiß“ (­Goethe)105 103 Abbildung: Winckelmann, SN 4,1, S. 524 (Geschichte der Kunst des Alterthums, 1764, S. 263); Text ebd., S. 546 (Ausgabe 1764, S. 277 f). 104 Es handelt sich um ein Beispiel von Meyers höchst pragmatischen Umgang mit vorliegendem Bild­ material. Die Nähe zu Casanovas Fälschung wird ihm dennoch bewusst gewesen sein. 105 Goethe, Farbenlehre, in: MA 10, S. 913 (Konfession des Verfassers).

II.2.2  Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795

gefährlich nahe, doch deutet das Mischwesen des Erichthonios, halb Mensch, halb ­Schlange, die Hybridität der physikalischen Diskussion an. Indem Meyer in seiner Syste­matisierung vom „Bunten“ als niedrigster Stufe der farbharmonischen Zusammenstellung ausgeht, zeigt er sich konform mit der von Goethe vertretenen Auffassung. Das erste in den Beiträgen zur Optik beschriebene Experiment ist der Blick durch das P ­ risma auf eine Karte mit weißem Streifen auf schwarzem Grund (§ 45). Von oben nach unten erscheinen die Farben in der Anordnung des Regenbogens: Rot, Gelb, Grün, Blau und Violett.106 Meyer lässt bezeichnenderweise das in den späteren Farbreflexionen so wichtige „Rotgelb“ (Orange) ebenso aus wie Goethe und ergänzt die fünf Farben durch eine sechste Gewandfigur ganz links, die im komplementären Folgeexperiment (§ 46) erstmals erwähnt wird und dem Roten benachbart ist:107 Das sog. „Pfirschblüth“ (Purpur), das im Farbkreis ins Violett übergeht. Überdies teilt Meyer die beiden Dreiergruppen nach „kalten“ und „warmen“ Farben ein, die rein und (weitgehend) schattenlos erscheinen. Dies entspricht dem ersten Teil der Beiträge zur Optik, der von der allgemeinen Beobachtung der „warmen und kalten Tinten“ ausgeht und die „Gegeneinanderstellung der Farben gleichsam ohne Schatten“ als künstlerische Aufgabe formuliert.108 In einem andernorts abgelegten handschriftlichen Kommentar über sein Werk ­äußert sich Meyer noch weitergehender: Erichtonius 1  weil nun auch in der Natur die Farben des Fleischs durch die höchste mögl. Farben der Gewänder geschwächt werden würde & die damit bekleideten gewißermaßen blaß erscheinen müßten so kan es deßwegen im Gemählde wenn die Carnation nicht übertrieb[en] wird ebenfalls nicht anders aussehen werden aber die Farben des Gew. entweder gemildert & der Carnation an kraft untergeordnet oder diese in ihrer Höhe & Lebhaftigkeit jenen gemäß eingerichtet so wird allemahl eine angenehme Wirkung erfolgen. – 2  weil einige Theile des Bildes wie z. B. der Korb & der Knabe darinnen eigentl nach allen Regeln & mit ihrer ganzen Stärke gemahlt sind od. eigentl zu reden weil diesen Theilen nichts benommen worden – so muß deßwegen nothwendig eine Art v. Zweydeutigkeit der Wirkung in dem Bilde herrschen. es ist also billig daß es nicht in Rücksicht der Harmonie v. Licht & Schatten sondern allein in Abs. der Harm. der Farben beurteilt werde –109

Im ersten Punkt kommt Meyer erneut auf seine Erkenntnis zurück, die er bereits 1789 aufgrund seiner Beobachtungen der antiken Wandmalereien im Museum von Portici an Goethe übermittelt hatte.110 Die durch die Gewänder entstehende Buntfarbigkeit lässt sich mit dem Inkarnat regulativ zum Ausgleich bringen: entweder durch die Abschwächung der Fleischfarben oder durch die Milderung der Farbintensität in den ­Kleidern. 106 107 108 109 110

Goethe, Beiträge zur Optik, § 45, in: MA 4.2, S. 279. Ebd., § 46, in: MA 4.2, S. 279. Ebd., § 20, in: MA 4.2, S. 272. Einzelzettel, GSA 64/106,2. Meyer an Goethe, Rom, 5. 4. 1789, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 32 f. – Siehe oben.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

Ein harmonischer Einklang zwischen beidem ist nur zu Lasten des einen möglich. Punkt 2 stellt gegenüber dem Schema (Dok. 8) eine Erweiterung dar, die der ursprünglichen Intention zuwiderläuft, ein an der Spektralfarbenordnung orientiertes Bildbeispiel zu schaffen. Der auf den einfachen Komplementärkontrast von Rot und Grün aufbauende Korb im Bildzentrum übersteigt bereits den Aspekt einer bloßen malerischen Versuchsanordnung. Der wie in den Gewändern unschwer erkennbare pastose Farbauftrag schließt hierbei die Komponenten des Helldunkels aus. Folgt man Meyers Selbstkommentar weiter, so erhält das zweite Bild mit dem Raub der Leukippen (Tf. XIII) eine Steigerung, indem es das Newton’sche Konzept und die einfache Buntfarbigkeit durch den bedeutungsdeterminierenden Einsatz der Farben überwindet. Es folgt Prinzipien der Farbzusammenstellung, nach denen die sich „kreuzenden Farben“ zum Ausgleich von Passivität und Aktivität kommen sollen. Wie beim Erichthonios-Bild ist eine symmetrische Komposition und Farbverteilung beobachtbar, genauso wie eine Orientierung an antiken Reliefs unverkennbar ist.111 Wie Margrit ­Wyder erkannt hat, folgt Meyers Bild der in den Beiträgen zur Optik erstmals vertretenen Auffassung von den beiden lebhaften Grundfarben Blau und Gelb – sichtbar an den Gewändern der beiden Leukippen, die in dynamischer Gegenüberstellung die Dramatik des Moments verstärken sollen. „Die linke, zu Castor gehörige trägt ein blaues Untergewand, ihr Obergewand entspricht Goethes ‚Pfirschblüt‘. Die rechte Frau trägt ein gelbes Untergewand, das dem Blau ihrer Schwester entgegengesetzt ist;“ ihr Obergewand ist dagegen violett gefärbt,112 so dass sich die aktiven und passiven Farben überkreuzen. Mit dem dritten Bildexempel Glaube, Liebe, Hoffnung (Tf. XIV) führte sich Meyer bezeichnenderweise als neuer Direktor der Zeichenschule auf der Weimarer Kunstausstellung 1807 ein.113 Er konnte zu diesem Zeitpunkt womöglich eine gewisse Bekanntheit des Werks in Weimar voraussetzen, schließlich hatte Herder 1797 ein Epigramm darauf publiziert. Bei Hans Wahl und auch noch im Kommentar der Frankfurter Ausgabe zu Herders Gedichten aus dem Jahr 1990 gilt das Werk als verschollen.114 Ent­gegen dieser Angaben ist es in Form einer sorgfältig aquarellierten Federzeichnung (Tf.  XIV) sowie als Entwurfszeichnung115 überliefert. Im Juni 1794 erbat sich Meyer seinen Entwurf über Goethe von Herder zurück, um diesen mit den „farbigen Mädchen“ (Ent­deckung des Erichthonios) vergleichen zu können.116 In seinem Selbstkom111 Wyder 2013, S. 55. 112 Wyder 2013, S. 60. 113 „Glaube, Liebe, Hofnung, nebst einigen Kindern in Aquarell. eigene Erfindung“. Landesarchiv ­Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Akten der Zeichenschule, A 11748, Ausstellungen der Freien Zeichenschule, hier: Ausstellung von 1807, fol. 33–40. 114 Wahl 1918, S. 10; Ulrich Gaier, Kommentar in: Herder 1990, S. 1403. 115 Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 2861. 116 Siehe den oben zitierten Brief. Meyer an Goethe, Dresden, 27. 6. 1794, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 121.

II.2.2  Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795

mentar nennt Meyer Glaube Liebe Hoffnung hinsichtlich der Farbzusammenstellung eine „ganz freye Compos[ition]“,117 womit er es in Antithese zum Leukippenraub und dem damit verbundenen doktrinären Verständnis der Beyträge zur Optik setzt. Aber auch hier behält Meyer, vermutlich ganz vom Vorsatz der Erprobung der Theoreme erfüllt, ein starres axialsymmetrisches Kompositionsschema bei, das die Farben auf die Gewänder verteilt: „die Farben & Ihre Austheilung sind obschon so wichtig doch nicht der Erste Zweck der Kunst, darum ist No. III eine ganz freye Compos. deren Sie untergeordnet und zwahr nach obigen Regeln aber in künstlicher Absicht angepaßt sind.“118 In Abrückung von den beiden vorausgegangenen Werken wird versucht, die Farbe mit den Gesetzen der Komposition und Zeichnung in Einklang zu bringen: Die in Pyramidalform angeordneten, in ihren Kopfwendungen den Blick von links nach rechts leitenden christlichen Tugenden werden in gegenläufiger Richtung von sechs beigeordneten Putten verbunden. Diese Bewegung nach links schließt die Komposition kreisförmig ab, indem zwei weitere, liegende Putten den unteren Bildteil abrunden. Evident ist die Orientierung an ­Raffaels Iustitia-Wand in der Stanza della Segnatura (1511) mit den in die Lünette gestuft angeordneten Allegorien der Weisheit, Stärke und Mäßigung, zumal auch diese von Putten verbunden werden. Von der farbsymbolischen Tradition, wonach die drei christlichen Tugenden mit den Farben Blau, Rot und Grün assoziiert werden, weicht Meyer ab: Unter der mittig sitzenden und weiß gekleideten Allegorie des Glaubens liegt ein ­rotes Tuch, dessen Farbe die beiden seitlich sitzenden Figuren der Hoffnung und Liebe in den Gürteln bzw. im Saum der Gewandung aufnehmen. Rot bildet somit als (nach der Farbenlehre) energetisierende Farbe schlechthin das Bindeglied zwischen den Figuren, während sich wie beim Leukippenraub Blau und Gelb als „aktive“ Gewand­farben an den Personifikationen links und rechts befinden. Sie werden jeweils quantitativ abnehmend modifiziert durch eine kalte Farbe – Grün bzw. Hellblau – und ­einen geringen Anteil von Rot bzw. Gelb. Überraschenderweise folgt Meyer mit dieser „­freyen Composition“ der gebräuchlichsten Farbzusammenstellung überhaupt – wie in der französischen Diskussion lässt er die Primärfarbentrias das Bild dominieren. Die ersten drei Beispiele behandelt Meyer in seinem Selbstkommentar hinsichtlich der Farbverteilung, ohne auf die Kriterien von Licht und Schatten einzugehen. Dies entspricht der systematischen Einteilung in den Beiträgen zur Optik: Um den Beleg zu erbringen, dass die beiden reinen Farben Gelb und Blau aus einer Verdichtung von Hell und Dunkel entstehen, beginnt Goethe mit den Farbenprisma-Experimenten, die sich auf reine Farben konzentrieren. Den Einfluss von Licht und Schatten behandelt er erst im zweiten Teil – eine Systematik, die Goethe in Zur Farbenlehre modifiziert beibehalten wird.119 117 Dok. 8, verso. 118 Ebd. 119 Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 851, in: MA 10, S. 248.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

Das vierte Bild, eine Darstellung der Muse Melpomene und der Poesie, konnte nicht eruiert werden. In Meyers Aufzeichnung heißt es, es handle sich um ein „Beyspiel wie durch annäherung und sanfte Übergänge eine angenehme Wirkung hervorgebracht werden kann“.120 Es ist möglich, dass es sich um eine kolorierte Umsetzung von zwei Musen nach dem von Meyer wegen seiner Licht-Schattenwirkung besonders geschätzten Musensarkophag handelt (vgl. hierzu Teil III, Abschnitt 3.3.; Abb. 48). Die Darstellung des sanften Übergangs von Licht zu Schatten durch Farben würde auf das letzte besprochene Bild mit den Parzen verweisen (Tf. XV): Während in der Darstellung der Melpomene und Poesie erstmals die Verteilung der Massen als ein auf die Farbharmonie bezogenes Konzept behandelt wird, erfolgt im fünften Schritt die Binnendifferenzierung des Helldunkels durch farbige Schatten. Die Parzen gehören zu denjenigen Bildsujets, die Meyer über mehrere Jahre hinweg beschäftigten.121 Es liegen zwei unterschiedliche Kompositionen vor: Ein auf September 1794 datiertes Blatt im Goethe Museum Düsseldorf,122 das als Entwurf für das Titelkupfer von Christoph Wilhelm Hufelands Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu verlängern (1796) gedient hat, sowie drei Aquarellstudien mit einer veränderten, kompakteren Figurenanordnung im künstlerischen Nachlass. Während Meyer die Komposition entsprechend den Anforderungen eines Frontispizes abänderte, konnte er sich bei den Aquarellstudien auf koloritästhetische Fragen und die Wirkung von Licht und Schatten konzentrieren: Der Lichteinfall und die dunkle Grotte gehen eine eng koordinierte Verbindung mit der Gesamtkomposition ein und folgen der mehrfach aufgestellten Forderung nach einem ausgeglichenen bildübergreifenden Helldunkel. Im Folgenden wird ein ausgeführtes Aquarell aus Goethes Besitz analysiert (Tf. XV), dem eine aquarellierte Federzeichnung als Entwurf vorausgegangen ist.123 War in den ersten drei Werkbeispielen die Lichtführung völlig ausgeklammert worden, drängt sich dieser Aspekt in den drei Parzen-Aquarellen auf: Im Sinne der von Meyer vertretenen Vorstellung von einem ausgeglichenen Helldunkel ist das Bild in ­eine helle und eine dunkle Hälfte geteilt, die durch das von hinten rechts einfallende Licht und den tief verschatteten Grotteneingang links strukturiert wird. Die Grenze dieser Einteilung bildet die Zentralfigur der Lachesis, deren Körper in leichter Torsion der Lichtführung folgt. Aus dem rechten Bildhintergrund einfallend, streift das Seitenlicht die vom Betrachter abgewandte und den Lebensfaden spinnende Klotho an Schulter und Knien, beleuchtet die den Faden messende Lachesis am hellsten, um dann auf dem im Schoß ruhenden, die Schere haltenden rechten Arm der in Profilstellung verharren120 121 122 123

Dok. 8, verso. Zur Parzen-Ikonographie des Klassizismus (auch bei Meyer) siehe Maisak 2004. Meyer: Die Parzen, Goethe Museum Düsseldorf, Sammlung Kippenberg, KK 4837. Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen, KK 2452. Auf einer dritten Ausführung ist die Farbgebung stark abgeändert (KK 1953). Sie wird hier nicht behandelt, da sie offensichtlich keinen Bezug zu der von Meyer verfolgten Umsetzung eines Konzepts der aktiven und passiven Farbverteilung hat.

II.2.2  Bildpraxis: Künstlerische Beiträge 1791 bis 1795

den Atropos zu enden. Der so von hinten zwischen Klotho und Lachesis hervordringende Lichtkegel gibt der Dreieckskomposition eine Dynamisierung von rechts nach links, so dass der Blick des Betrachters entgegen einer zur Leserichtung analogen Bildbetrachtung über die drei Stationen des Lebensfadens – spinnen, messen, durchschneiden – gelenkt wird. Deutlich wird die farbexperimentelle Komponente: Während im unteren Bildbereich in der Abfolge der reinen Gewandfarben rot/gelb (­Klotho), blau (­Lachesis) und violett (Atropos) der Bildaufbau farblich gewissermaßen konsolidiert wird und gleichmäßig beleuchtet ist, erfolgt in der horizontalen Bild­mitte eine differenzierte Helldunkelverteilung auf die drei Körper. Sind die beiden Seiten­figuren mit unter­ schiedlicher Gewichtung im Helldunkel zweigeteilt, differenzieren die Halbschatten auf dem Chiton der Lachesis die farblichen Übergänge. Hier scheint Meyer auf ­Goethes Experimente mit farbigen Schatten zu reagieren. Der Körperschatten der L ­ achesis ist blau gefärbt, was auf eine Beleuchtung aus zwei Lichtquellen, einem schwachen Frontallicht und einem dominanten Seitenlicht, verweist. Wie zu Beginn dieses Abschnitts erörtert, hat Meyer Goethes Experimente zu den apparenten Farben in seiner Stube nachgestellt. Überträgt man die in der Abhandlung Von den farbigen Schatten beschriebene Experimentalsituation auf das Bild, so ergibt sich eine stimmige Konzeption:124 Gegen einen verdunkelten Raum – in diesem Fall die Grotte – werden zwei unterschiedlich starke Lichtquellen gerichtet. Subordiniert ist im vorliegenden Fall das Frontallicht, das die Lokalfarben der Untergewänder neutral ausleuchtet, dominant ist das auf die Parzen fallende Seitenlicht. Kreuzt sich der vom dominanten Licht geworfene Schatten mit dem rezessiven Licht, erscheint der Schatten blau gefärbt: „[E]ntgegengesetzte Lichter von differenter Energie bringen wechsel­weise farbige Schatten hervor, und zwar dergestalt, daß der Schatten, den das stärkere Licht wirft, und der von schwächern beschienen wird, blau ist, der Schatten, den das schwächere wirft, und den das stärkere bescheint, gelb, gelbrot, gelbbraun wird.“125 Meyer weist im Kommentar zu den Parzen eigens darauf hin, dass in der Abstimmung von Helldunkel und Farbe eine inhaltliche Koordinierung erfolgt: „In No. V. ist durch die Mittel v. Licht und Schatten wie auch fast unmerklicher Dissonanzen die geringere Activität der einen Seite des Bildes verstärkt & dem Hellen & anziehenden der Anderen |: welche Verschiedenheit durch den gegebenen Character der Fig. erfordert wurde :| gleich gemacht.“126 Der Hinweis auf die unterschiedliche Aktivität der Farben betont den gehaltsästhetischen Einsatz im Sinne einer Bildkonzeption, die sich von der klassizistischen Parzenikonographie unterscheidet.127 Herder hat in seinem Epigramm auf Meyers Bild auf die Verschiebung der Parzen-Semantik bei Meyer hingewiesen. Sie 124 125 126 127

Zu der Versuchsanordnung siehe Schimma 2014, S. 151 f. Goethe, Von den farbigen Schatten, MA 4.2, S. 347. Dok. 8, verso. Maisak 2004.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

sind hier nicht Ausdruck der Trauer wie etwa bei Johann Gottfried Schadows Lünettenrelief am Grabmal des Grafen Alexanders von der Mark von 1788–1790 (Berlin, Alte Nationalgalerie) oder Ausdruck eines geheimnisvollen Mysteriums wie auf der großformatigen Zeichnung von Asmus Jakob Carstens von 1795 (Klassik Stiftung Weimar), sondern legen ihr Gewicht auf eine Symbolik des Lebens, was auch die auf den e­ rsten Blick befremdliche Verwendung für das Titelkupfer von Hufelands Makrobiotik erklärt. ­Klotho ist beim Spinnen des Fadens „Jugendlich-unbesorgt, munter und rüstig am Werk“; Lachesis misst nicht den Lebensfaden, sondern weitet ihn; Atropos schneidet ihn nicht entzwei, sondern zögert mit gesenktem Profil und lässt die Schere auf ­ihrem Schoß ruhen: „Furchtbar waren mir sonst die Schwestern des ehernen Schicksals, / Graue Töchter der Nacht, fremde dem Menschengefühl. / Jetzt verehr’ ich die Hohen, die Mildegesinneten.“128 Die ungebrochenen Gewandfarben in der unteren Bildzone unterstützen die Interpretation. Die „aktive“ Seite liegt damit deutlich im rechten Bildteil mit den beiden aktiven Farben in der Kombination von Rot und Gelb, die durch die dritte Primärfarbe im Bildzentrum ergänzt wird. Die linken Bildhälfte wird schließlich von Violett am Untergewand und Schleier der Atropos dominiert, aber durch ein gelbes Obergewand, also der im Farbkreis gegenüberliegenden Farbe harmonisiert, was einen beruhigenden und ausgleichenden Abschluss herstellt. Herders lebensbetonende Interpretation von Meyers Parzen stimmt somit nicht allein mit der figürlichen Anordnung, sondern auch mit der farbigen Umsetzung überein, was auf die Bemühungen um eine schlüssige Verbindung von Gehalts- und Farbästhetik verweist. An den vier besprochenen Werken wird deutlich, wie stark Meyer zwischen 1791 und 1794 auf Goethes Beiträge zur Optik reagiert und mit seinen Umsetzungen dessen Experimente reflektiert. Dabei lassen sich erste Ansätze zu Fragen der harmonischen Farbzusammenstellung erkennen, die erst mit der Entdeckung der physiologischen Farben ab der Mitte der 1790er Jahre wieder Goethes primäres Interesse erlangen. ­Meyer kam nicht nur der von Goethe gesetzten Aufgabenstellung nach, sondern realisierte damit auch den in den Beiträgen zur Optik formulierten Wunsch, Optik und Maltechnik kohärent zu denken (§§ 18 und 19).129 Dabei lässt sich nicht verkennen, dass Meyer gerade in der maltechnischen Umsetzung optischer Gesetze scheiterte: Offenbar ­führte er nur die ersten beiden Bildbeispiele in Ölfarben aus, gemäß Goethes Vorstellung, dass „man bloß durch die Gegeneinanderstellung der Farben gleichsam ohne Schatten ein sehr vollkommenes Gemälde hervorbringen könnte[.]“130 Versuche, Schattenwerte durch optische Mischungen und Anwendungen raffinierter Lasuren zu erzeugen, blieben ganz offensichtlich aus, wie auch erstaunlicherweise die in der späteren Farben­lehre 128 Herder, Die Parzen. Ein Gemählde von Heinrich Meyer, in: Herder 1889, S. 127 f. Nicht in Herder 1990. 129 Goethe, Beiträge zur Optik, in: MA 4.2, S. 270 f. 130 Goethe, Beiträge zur Optik, § 20, in: MA 4.2, S. 272.

II.2.3  Blick auf die Farbe in Italien 1795–1797

so wichtige Forderung nach einer Austuschung auf hellem Grund ignoriert wurde:131 Der Raub der Leukippen wie die Entdeckung des Erichthonios sind beide durchgängig mit dunkelroter Farbe grundiert, ein an der venezianischen Malerei angelehntes Verfahren, das Meyer schon in dem frühen Fragment zur Maltechnik abgelehnt hatte (siehe oben, vgl. Dok. 7). Die beiden koloritästhetisch anspruchsvolleren Werke Glaube, ­Liebe, Hoffnung und Die Parzen führte Meyer dagegen nur im Aquarell aus. In der Farben­lehre findet dies eine Entsprechung, wenn darauf hingewiesen wird, dass heutige Maler die Belebung durch Licht und Schatten vorwiegend durch das Aquarell erzielten.132

2.3  Blick auf die Farbe in Italien 1795–1797 Der für die Farbenlehre entscheidende Zuwachs an kunsthistorischem Datenmaterial ist mit Meyers Erträgen der zweiten Italienreise verbunden.133 Die in der Forschung oft einseitig vertretene Sichtweise, Meyer sei vor allem für das gemeinsame Projekt ­eines kulturhistorischen Werks erneut nach Italien gereist, lässt sich insofern relativieren, als in allen systematischen Aufzeichnungen die artefaktbezogenen Beschreibungen dominant sind.134 Dass farbtheoretische Überlegungen zu diesem Zeitpunkt nicht allein für Goethe, sondern auch für Meyer höchste Priorität und den Rang eines unumstöß­ lichen Glaubenssatzes erlangt haben, belegen stellvertretend für viele weitere Indizien135 zwei nach Meyers Ankunft in Rom verfasste Briefe. Im November 1795 schreibt er an ­Goethe: „In der That, ich habe weder Hoffnung noch Herz genug, nur jemandem etwas zum Beyspiel von der Farbenlehre zu entdecken, weil ich der guten Sache der Wahrheit zu schaden fürchten muß. Unterdessen darf ich getrost seyn, denn ich sehe, daß mein Gedächtniß glücklich war, daß meine gehabten Vermuthungen meistens zutreffen und, 131 Goethe, Farbenlehre, in: MA 10, S. 259, Didaktischer Teil, § 904. 132 Vgl. Goethe, Farbenlehre, in: MA 10, S. 260, Didaktischer Teil, § 905. 133 Zu Meyers Farbbeschreibungen in Italien siehe bisher nur das Buch von Pamela Currie 2013. In Hinblick auf eine damit verbundene ergebnisorientierte Systematisierung durch Meyer bleibt die Studie jedoch vage, da überall die Tendenz besteht, Meyer als „impressionistisch“ rezipierenden Betrachter zu deuten, der sich am „Harmoniespiel der Farben“ erfreut. 134 Der Einsatz des Rubrikenschemas lässt sich kaum mit einer kulturtheoretischen oder kulturhistorio­ graphischen Fragestellung rechtfertigen. Meyers im Vorfeld des zweiten Italien-Aufenthalts publizierten Aufsätze in Schillers Horen (1795) belegen meiner Ansicht nach eindeutig, dass Meyers persönliche Motivation für die Reise allein durch das Erkenntnisinteresse an der Kunstgeschichte bzw. Historisierung der Kunst bestimmt wurde. Siehe hierzu auch Heinrich Keller an unbekannt, Rom, 8. 1. 1796 (Abschrift): „Seine Ideen einer Kunstgeschichte welche Sie vielleicht aus den Horen kennen veranlaßten diese Reise[.]“ Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung, NL Heinrich Keller, Römisches Tagebuch I, P 182/I, pag. 41. 135 Vgl. auch die rein quantitative Dominanz Meyers in den Belegen zur Vorgeschichte der Farbenlehre. Mommsen 2008, Bd. 4, S. 255–981.

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was das Beste ist und nur unter uns gesprochen werden darf, daß wir bisher auf Wegen gewandelt, die von denen, welchen die guten Geister der Vorzeit gefolgt sind, nicht weit sich ablenken.“136 Knapp drei Monate später fühlt sich Meyer nicht nur aufgrund der erfahrenen bildlichen Belegfülle bestätigt, sein Erleben der Farbe steigert sich nun – während des Kopierens der Aldobrandinischen Hochzeit – zur Euphorie: „Wird es Ihnen nicht wie unbegreiflicher Zauber, ein Zufall oder Verhängniß dünken, wenn Sie vernehmen, daß bloß das Studium der Farben, welches wir zusammen oder ich unter Ihrer Leitung betrieben, mich gegenwärtig in den Stand setzt, mehr von dem Sinn, der Behandlung und den Grundsätzen zu fassen, nach welchen dieses Werk gemacht ist, als sonst jemand und daß, außer Sie und ich oder wer unser Geheimniß sonst vollkommen weiß, auch niemand die Verdienste und zarten Nuancen, ja ich möchte sagen: die Weisheit seiner Farbengebung einsehen kann?“137 In dem oft nur in verschwörerischen Andeutungen fassbaren gedanklichen Austausch über die Farbe spielt das schon in Teil I dieser Arbeit ausführlich behandelte Rubrikenschema eine zentrale Rolle. Das vermeintlich wertneutrale, alle akademischen Rubriken in gleicher Weise berücksichtigende Deskriptionsverfahren markiert in seinem theoriegeschichtlichen Entstehungskontext eine ästhetische Positionierung. Schließlich verfolgte Roger de Piles mit dem System der Punktevergabe nach inhaltlichen und formalen Einzelkategorien nicht die Absicht einer neutralen Würdigung, sondern ge­rade die Aufwertung der vernachlässigten Kategorien Farbe und Helldunkel. Das zweifellos eklektische System nivellierte das von den konservativen Akademikern vertretene Primat von Komposition und Zeichnung und förderte damit ganz automatisch die gesonderte Betrachtung von Farbe bzw. Licht und Schatten. Die Aktivierung des Rubrikenschemas durch Goethe und Meyer in verfeinerter Form erscheint angesichts dieser theoretischen Vorgeschichte nicht zufällig. Hinter der scheinbaren Wertneutralität des Verfahrens verbirgt sich nichts anderes als eine Lenkung der Aufmerksamkeit auf die in der klassizistischen Diskussion eher vernachlässigten Kategorien. Goethes unnachgiebiges Beharren auf der Anwendung des Rubrikenschemas deckt sich dabei auffallend mit dem Arbeitsplan zur Farbenlehre, wonach der beauftragte Künstlerexperte sich vor allem mit Helldunkel und Kolorit zu beschäftigen hat. Die Tatsache, dass Meyer später zahlreiche Beobachtungen aus seinen italienischen Notizen für die Abfassung seines koloritgeschichtlichen Abrisses entnehmen konnte, bestätigt die Vermutung. Vieles deutet also darauf hin, dass der Anlass zu Meyers erneutem Italien-Aufenthalt neben den kulturhistoriographischen Vorhaben in engem Zusammenhang mit Goethes Parallelprojekt der Farbenlehre stand und gerade die Instruktion zur Anwendung des Rubrikenschemas die präzise Beschreibung von Farbarrangements fördern sollte. Die Wirksamkeit des Verfahrens und seine erkenntnisstiftende Funktion zeigt 136 Meyer an Goethe, Rom 22. 11. 1795, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 156. 137 Meyer an Goethe, Rom, 12. 2. 1796, in: Ebd., S. 194 f.

II.2.3  Blick auf die Farbe in Italien 1795–1797

sich insbesondere am Werk von Künstlern wie Pietro da Cortona. Gleich nach seiner Ankunft in Rom schreibt Meyer an Goethe am 12. Dezember 1795: „Peter von ­Cortona zeigt sich auch als einer der Unsern in Rücksicht auf Farben. Zwar scheint er alle seine Sachen bloß empirisch gemacht zu haben, wenigstens habe ich noch keine Regel finden können, welche er stätig befolgt hätte; aber hier und da hat er ein Bild gemacht, dem wir unsere Theorien unterschieben und selbst nach diesen Regeln damit zufrieden seyn müßten.“138 Nach einigen Einschränkungen fährt er fort, der Künstler sei „so weit gekommen, daß er Gewicht der Farbe dem Gewicht von Figuren entgegen gesetzt“ habe.139 Was mit dieser Feststellung gemeint sein könnte, verdeutlichen die Notizen zu ­einem Bild Cortonas in der Kapitolinischen Pinakothek. Meyer beschreibt den Raub der Sabinerinnen (Tf. XVI) nicht in tabellarischer Form, aber konsequent nach Rubriken: Beginnend mit „Erfindung und Anordnung“, geht er über die Motivierung der Figuren und einzelnen Gruppenformationen zur Bewertung der Zeichnung und des Helldunkels über, um sich im letzten Schritt dem Kolorit zuzuwenden. Trotz dieser äußerst formalisierten Vorgehensweise vermittelt das Manuskript einen unverfälschten und ergebnisoffenen Aneignungsprozess, der eine gewisse Spannung zwischen akademischer Doktrin und emanzipatorischen Akt der Wahrnehmung verrät. Typisch für Meyer ist der zunächst unstimmig wirkende Vorgang der Bewertung, deren positiver Grundton von zahlreichen Interventionen begleitet wird: Lobendes wie „Geistreich“, „viel gutes“ oder „lebhaft vorgestellt“ alterniert mit kritischen Bemerkungen wie „nicht von der strengsten Auswahl“, „wohl nicht in allein Theilen richtig“ oder „vielleicht ein wenig übertrieben.“140 Die Kritik bezieht sich auf die barocke Formensprache, die unschwer in den nach der figura serpentinata konzipierten Hauptgruppen zu erkennen ist. Trotz dieser Einschränkungen attestiert Meyer bei der Bewertung des Helldunkels dem Bild ­eine maximale Ausschöpfung des im Sujet vorgegebenen emotiven Potenzials: Schatten und Licht seien über das „ganze Bild“ so verteilt, dass „Unruhe & Bewegung entsteht die dem Gegenstand wohl angemeßen ist & die Wahrscheinlichkeit in der Darstellung vermehrt ohne Verwirrung zu erzeugen, die dem Auge unangenehm seyn würde[.]“141 Mit dieser vom Figürlichen abgelösten und autonomen Konzeption des Helldunkels korrespondiert auch die Beobachtung zur Farbe, die direkt an den hier zitierten Satz anschließt und sich ebenfalls verselbständigt:

138 Meyer an Goethe, Rom, 12. 12. 1795, in: Ebd., S. 159 f. Pietro da Cortona wird bereits bei Meyers Dresden-­Aufenthalt 1794 besonders hervorgehoben: „Ein leicht gemahltes Bildchen oder Skizze von Peter Cortona […] hat mir ausnehmendes Vergnügen verursacht, da ich alles, was ich von diesem Mahler wegen der Harmonie gesagt, dadurch bestätigt gefunden.“ Meyer an Goethe, Dresden, 1. 5. 1794, in: Ebd., S. 88. 139 Ebd. (Brief vom 12. 12. 1795), S. 160. 140 Alle Zitate GSA 64/94, fol. 126r. 141 Ebd.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung das allerhellste Roth hat er auf die rechte Seite [126v] hin ausgesetzt (ein Römer der eine v d Sabinerinnen auffaßt) um dort einen Fleck des Bildes zu beleben welcher ihm sonst zu ruhig geschienen hat auch hob er damit seine Fig von den andern ab & hervor & machte daß der Triangel der großen Gruppe deutlicher erschien. Es zeigt uns aber doch dieser Umstand, daß er seine Farben weniger nach bestimmten Grundsätzen als so wie zufälliges Bedürfniß Sie Nothwendig macht angewendet hat. Indessen ist gleichwohl die Austheilung der Farben einer der Hauptvorzüge die dieses Bild besitzt & man kann nicht läugnen daß Sie klug & vorsichtig & schicklich vertheilt sind. Der Grund ist sehr fröhlich, die Haltung ziemlich gut Widerscheinen & Wirkung & Mittheilung einer Farbe auf die andere bemerkt man nicht.142

Rot ist in der Farbenlehre diejenige Farbe, die als „höchste aller Farberscheinungen“ am meisten Intensität entfaltet.143 Rot ist zugleich in Meyers koloritgeschichtlichem Abriss die Hauptfarbe Pietro da Cortonas, der wie die Venezianer die „Energie der roten Farbe“ erkannt habe.144 Die im Kapitolinischen Museum in situ gemachte Aufzeichnung muss in diesem Zusammenhang als Schlüsselszene angesehen werden. Wie Meyer anmerkt, ist das intensive Rot des Mantels an der Schulter eines überschnittenen Römers nicht Bestandteil der drei dominierenden Gruppen im Bildvordergrund. Jene Figur befindet sich vielmehr etwas weiter hinten im Bildraum und außerhalb des Zentrums. Die hervorstechende rote Stelle wird zudem als „Fleck“ bezeichnet, womit seine Erscheinung nicht primär als Lokalfarbe wahrgenommen, sondern zum regulativen und steigernden Element des gesamten Bildes abstrahiert wird. Diese ungewöhnliche Akzentuierung der Bildperipherie und Loslösung der Farbe vom Gegenständlichen birgt in Bezug auf die schon angesprochene Spannung von ästhetischer Doktrin und emanzipativem Akt der ästhetischen Wahrnehmung ein Problem: Dem vorsichtigen Meyer ist hier offen­ sichtlich nicht ganz wohl, sonst würde er nicht einschränkend folgern, dass Cortona das Prinzip der Farbverteilung nicht nach „Grundsätzen“ sondern aus „zufällige[m] Bedürfniß“ angewendet habe. An dieser nachgeschobenen Bemerkung macht sich die Prägung durch die aufklärungsklassizistischen Vorstellungen von Mengs bemerkbar. Nämlich die Überzeugung, dass die ungemischten Primärfarben allein dem Bildzentrum und den hauptrelevanten Personen oder Gegenständen vorzubehalten sind.145 Die Wahrnehmung des roten Flecks in der Bildperipherie birgt eine gleichsam dia­ lektische Wendung in sich: Der mit Mengs’schen Lehrsätzen vertraute Meyer nimmt den vermeintlichen Regelverstoß wahr, die beobachtete Normabweichung generiert aber fast automatisch neue Erkenntnisse zur Farbe. Dem hier offen zu Tage tretenden Konflikt zwischen Normativität und Empirie ist damit eine relaisartige Funktions­ weise eingeschrieben, die den bildkritischen Betrachter vom doktrinären Standpunkt weg und hin zur Erkenntniserweiterung über immanente Gesetze der Farbharmonie 142 143 144 145

GSA 64/94, fol. 126r–126v. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 794, in: MA 10, S. 236. Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: MA 10, S. 718. Hierzu ausführlich Rehfus-Dechêne 1982, S. 16.

II.2.3  Blick auf die Farbe in Italien 1795–1797

und Farbverteilung führt. Der methodische Vorteil des hier angewandten Rubrikenschemas ist evident: Weil die Farbe im vorstrukturierten Beschreibungsablauf als ­eine der letzten Hauptkategorien behandelt wird, kann durch die entstehende zeitliche Verzögerung die Intensität ihrer Wahrnehmung ganz entfaltet und ein Abstand zwischen dem figürlich-gegenständlichen Bereich erzeugt werden. Das dem Rubrikenschema in­ härente Moment der Aufschiebung, das Dilatorische, gewährleistet einen Abstraktionsprozess, der die Farbe letztendlich nicht marginalisiert, sondern durch die Schaffung eines autono­men Bereichs erst zur vollen Geltung kommen lässt. Auch die später von Friedrich Schlegel ins Spiel gebrachte romantische Kritik an der zergliedernden Wahrnehmung des Kunstwerks146 verfängt in Hinblick auf den methodischen Mehrwert der Rubriken nicht zwingend: Rückbezüge auf die vorangehenden Rubriken sind in der Farbbeschreibung durchaus möglich, ohne dass diese in reiner Funktionsanalogie zum Produktionsprozess gesehen werden muss: Im Fall des Raubs der Sabinerinnen erhält die Farbverteilung eine Konzeption, die unabhängig von Anordnung und Zeichnung zu einer selbständigen Umsetzung des Gehalts führt, ja diesen nicht allein hebt, sondern auch zur vollen Geltung bringen kann. Prominenter als Cortonas Bild in der Kapitolinischen Pinakothek ist sein 1632 von den Neffen Papst Urbans VIII. in Auftrag gegebenes und um 1639 vollendetes Decken­ fresko im Salone des Palazzo Barberini (Tf. XVII),147 das kunstinteressierten Rom­reisen­ den im 18. Jahrhundert nicht unbekannt war.148 Die ausführliche Beschreibung datiert Meyer in seinen Notizen auf den 10. Dezember 1795, also zwei Tage vor dem oben zitierten Brief an Goethe.149 Intensiv widmet sich Meyer der Konstellation nach Figurenpaaren, die fast ausschließlich als reine Träger von Farbarrangements auftreten, wie die Notizen zum unteren Segment im Zentralfeld des Deckenfreskos belegen: Die Hauptfigur ist ganz in Gold mit gelbem Untergewand und orangefarbigem Mantel gekleidet umbgeb mit Licht & Glorie die Gerechtigkeit in Grün & der Friede halb violet angethan stehen ein wenig im Duft & sind der Fig. mit Sternenkrone entgegengesetzt die in ein hell violettes Peplon & gelbes untergewand gekleidet ist ein Streif eines Grünlichen Schleyers geht zwischen diesen beyden Farben durch & verbindet solche Harmonisch. Eine Figur mit purpurnem Mantel & hell & viol: Changeantuntergewand hält & trägt unten den Lorberkranz empor in welchem die Barberinischen Binen stehen Sie ist die hellste & anziehendste & hat ihren Plaz mitten im Bild.150

146 Vgl. Schlegel 1995, S. 42 f. 147 Zum Fresko siehe Merz 1991, S. 235–274; Roettgen 2007, S. 144–155. 148 Vgl. Schudt 1959, S. 378–380. Cortonas Fresko im Palazzo Barberini war laut Moritz’ Reisen eines Deutschen in Italien ohne Obulus frei zugänglich. Vgl. Moritz 1993, Bd. 2, S. 367. 149 Meyers vollständige Beschreibung des Palazzo Barberini ist ediert in Rößler 2019. 150 GSA 64/94, fol. 28v. Diese Stelle wird von Currie 2013, S. 74–79, ausführlich besprochen (Wiederabdruck des Aufsatzes Currie 2008). Currie hebt hervor, dass sich Meyer auffallend stark den Changeant-­ Tönen der Gewänder zuwendet.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

Ein Blick in die Führer von Volkmann, Ramdohr und Moritz verdeutlicht einmal mehr die gegensätzliche bzw. veränderte Schwerpunktsetzung Meyers. Volkmann beschreibt vor allem die Ikonographie des Freskos und bezeichnet knapp die „Haltung“ (Luftperspektive) als „vortrefflich“ sowie das Kolorit als „lebhaft und vortrefflich“. Während die Zeichnung nicht immer ganz überzeuge, habe der Künstler „in dieser weitläuftigen Zusammensetzung sein feuriges und poetisches Genie gezeigt“.151 Ramdohr nennt zwar den Plafond „eine der ersten Frescomahlereien in der Welt“, kritisiert aber die „Menge von einzelnen Handlungen, die nur einer unsichtbaren Beziehung wegen an ­einen Ort zusammen gedränget sind“ sowie „die vollgepfropfte Fläche“, die das Deckenbild „keineswegs zu einem Ganzen“ mache.152 Das Kolorit sei „nicht wahr, sondern lieblich“ und färbe alles „aus einem Tone“.153 Moritz widmet sich dem panegyrischen Gehalt und folgert: „Papst Urban […] hat seiner unbegrenzten Eitelkeit hier ein bleibendes Denkmal gestiftet; und dieses Deckengemälde dienet zugleich zum Andenken an die fürchterliche Gewalt, welche sich die Kirche einst angemaßt hat.“154 Anders als diese mehr oder weniger problemorientierten ikonographischen Über­ legungen sieht Meyer konsequent vom allegorisch-figürlichen Apparat ab und beschreibt das Fresko ausschließlich nach seiner koloristischen Konzeption.155 Die Einzel­ figuren werden zwar korrekt nach ihren allegorischen Bezeichnungen benannt, doch dienen diese gleichsam en passant gemachten Erwähnungen nur als bildtopographische Marken zur späteren Lokalisierung der Farbverteilung, die dann in Weimar anhand eines Stichs nachvollzogen werden sollte oder konnte.156 Das Figürliche ist somit nur pragmatischer Träger des beschriebenen koloristischen Konzepts. Davon ausgehend, schließen sich die farblichen Subsysteme zu größeren Gruppen zusammen, so dass eine flächenhafte Organisationsform der Farbeffekte entsteht, die es dem Betrachter oder späteren Leser der Notizen erlaubt, Korrespondenzen zwischen mindestens drei Ebenen herzustellen: der mikrostrukturellen Ebene der Farbspiele auf den Einzelstoffen, dem Zusammenschluss mehrerer Farben zu harmonischen Kontrasten an den Figuren und schließlich der gesamtkonzeptionellen chromatischen Orchestrierung des Freskos. In Hinblick auf Goethes spätere Farbenlehre fällt auf, dass Meyers Beschrei151 152 153 154 155

Volkmann 1777/2011, Bd. 2, S. 283. Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 275 und 276. Ebd., S. 280 Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien, in: Moritz 1993, Bd. 2, S. 367. Als Gegenbeispiel einer Farbanalyse des Freskos siehe Merz 1991, S. 264–269, der den symbolischen Gehalt der Farbe betont und S. 269 folgert: „Die Farbgestaltung wurde also nicht nach dekorativen Gesichtspunkten konzipiert, sondern orientierte sich vorrangig an den Farben, die durch bestimmte Figuren vorgegeben waren, und an der Hierarchie der Figuren und Farben.“ 156 In Goethes Kunstsammlung befindet sich ein Stich von Cornelis Bloemaert nach dem Fresko. ­Schuchardt 1848, Bd. 1, S. 13, Nr. 101. Bekannt ist ferner der Reproduktionsstich von Johann Friedrich Greuter (ca. 1590–1662) unter Mitarbeit von Camillo Cunigo. Abbildung bei Schudt 1959, S. 379.

II.2.3  Blick auf die Farbe in Italien 1795–1797

bungen der Changeant-Effekte mit dem von Goethe formulierten Interesse an den sog. apparenten Farben korrespondieren.157 Goethes Vermutung, dass Schattenwürfe in der Regel nicht schwarz oder grau sind, sondern farbig, lässt sich an den von Meyer beschriebenen Farbwechseln auf den Stoffen gut nachvollziehen. Die Beschreibung des Changeants dient jedoch nicht allein der Registratur eines bloßen Licht- und SchattenEffekts, sondern ist darüber hinaus eng auf das übrige harmonische Konzept bezogen. Dies zeigt sich etwa an der Beschreibung der Allegorie der Unsterblichkeit (Figur mit dem Sternenkranz, Tf. XVII, unten links). Meyer notiert die Kombination von violettem Peplon mit gelbem Untergewand, somit einen Komplementärkontrast, den Goethe später in der Farbenlehre als harmonisch, aber zugleich als charakterlos und als instinktive künstlerische Reaktion aufgrund wahrnehmungsphysiologischer Gesetzmäßigkeiten bezeichnen wird.158 Die Hebung des Komplementärkontrasts zu einem charakteristischen Harmoniekonzept lässt sich demnach nur durch den Beitrag einer weiteren gemischten Farbe erzielen, die sich sowohl aus der Primärfarbe, in diesem Fall also Gelb, als auch aus einem beiden Bestandteile der korrespondierenden Komplementärfarbe, im hier vorliegenden Fall des Violetten also Rot oder Blau, konstituiert. Die hier zu ermittelnde harmonisierende dritte Farbe besteht also in den Alternativen Grün oder Orange.159 Zum Zeitpunkt der Autopsie scheint Meyer bereits von derselben Überzeugung wie Goethe zu sein, wenn er – etwas forciert – eine mit bloßem Auge kaum wahrnehmbare Beimischung von Grün zu erkennen meint. Es gehe, so vermutet Meyer, ein „Streif eines Grünlichen Schleyers […] zwischen diesen beyden Farben [Gelb und Violett] durch & verbindet solche Harmonisch“. Ein ähnlicher Effekt, der auf später formulierte Grundsätze der Farbenlehre verweist, lässt sich auch in der von Meyer als Dreiergruppe beschriebenen Abfolge der orange-goldgelb gewandeten Figur der Vorsehung und den Allegorien des Friedens und der Gerechtigkeit feststellen. Sie verweisen aber auch auf die theoretisch vorstrukturierte Wahrnehmung, da es kompositorisch keine zwingenden Gründe dafür gibt, die drei Figuren als Farbverbund zusammenzufassen. Pietro da Cortona bildet in Meyers italienischen Aufzeichnungen keine Aus­nahme. ­ iese In zahlreichen Notizen zu anderen Künstlern geht er auf Farbkontraste ein, wobei d jedoch selten explizit als solche ausgewiesen werden. Was mit den oft nur summarischen Bezeichnungen eines „harmonischen“ oder „blühenden“ Kolorits angedeutet ­ errit wird, wie etwa bei so unterschiedlichen Künstlern wie Jacopo da Empoli oder G Dou,160 erweist sich bei Betrachtung der Farbdisposition meist als konform mit den 157 158 159 160

Hierzu siehe auch Currie 2013, S. 74–79. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 887, in: MA 10, S. 256. Vgl. ebd., §§ 822–825, in: MA 10, S. 242 f. Zu Jacopo da Empoli vgl. die Beschreibungen in den Uffizien: Jacopo da Empoli, Hl. Ivo, Öl auf Holz, (heute im Palazzo Pitti, Inventar von 1890, Nr. 1569): „für Pinsel Farbe Behandl Wirkung ein Meisterwerk. […] das Kolorit blühend warm & überaus kräftig.“ (GSA 64/91, fol. 49v). Ferner ebd., fol. 30r. – Zu Gerrit Douw siehe in Abgrenzung zu Frans van Mieris GSA 64/91, fol. 90r.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

Grundsätzen der späteren Farbenlehre. Meyer betätigt sich zugleich als kritischer Rezensent von Farbzusammenstellungen bzw. weiß die unterschiedlichen koloristischen Gestaltungsprinzipen auseinanderzuhalten. Bei einem Besuch der Uffizien notiert er zu Correggios Ruhe auf der Flucht zunächst die gelungene Abstufung des nach Alter und Temperamenten differenzierten Inkarnats, um dann das Manko eines insgesamt unausgeglichenen Farbkontrasts zu vermerken: Joseph hat ein Untergewand von schöner Pfirschblüthfarbe über die Hüfte weiß gebunden. & einen Rothen Mantel der sich fast dem Gelben ein wenig zuneigen will. Es bekommt aber dadurch diese Seite des Bildes das Übergewicht weil der Graue Anzug des St Franzisk. sich nur wenig vom Grunde unterscheidet & nicht gegen das Pfirschblüth & roth bestehen kan.161

Gegen das Prinzip der sich wechselseitig fordernden Farben wurde hier aufgrund der roten und pfirschblütenfarbigen Betonung der linken Bildseite verstoßen – zwei Farbbezeichnungen, die auch Goethe in der Farbenlehre nutzen wird und deren Kombination er als besonders intensivierend auffasst. Ähnlich findet ein Johannes der Täufer von Andrea del Sarto162 nur bedingt Gnade: gegen die Wahl der Farben der Gewänder ist zu erinnern daß der Zinnober rothe Mantel & [das] grasgrün in Viol. Spielende untergew. des Apostels, gegen die weißen Gewändchen od. Kutten der Kinder hart absticht das Colorit ist sonst gut genug.163

Tizians Venus mit Cupido, nach heutiger Kenntnis ein Werkstattbild,164 grenzt Meyer von der sonst am Künstler beobachteten Malweise ab: es muß bemerkt werden daß dieses Bild in Absicht auf Reiz & Annehmlichkeit fürs Auge gegen der anderen Venus darum hauptsächlich viel verliert weil die Fleischtinten gegen das dunkle Purpur Gewand sehr abstehen & also ein greller Übergang entsteht dahingegen bey jener die Maße der Fleischtinten & die Großen Maße des weißen Tuchs auf dem sie liegt mehr sich nähern & der Übergang sanft & angenehm bleibt, auch das Fleisch gegen die Grauen Schatten des Weißen Zeugs blühend erscheint –165

Den Grundsatz der Hebung des Inkarnats durch die Zusammenstellung mit Grau- und Weißwerten wird Meyer später im koloritgeschichtlichen Abriss zum Hauptmerkmal von Tizians Kolorit erklären – ein Kriterium, das in dem Florentiner Werkstattbild nicht erfüllt ist.166

161 GSA 64/91, fol. 64r–64v. 162 Andrea del Sarto, Maria mit Kind zwischen hl. Franziskus und Johannes dem Täufer, 207 × 178 cm, Florenz, Uffizien. 163 GSA 64/91, fol. 50v. 164 Tizian (Werkstatt), Venus mit Cupido, Hündchen und Rebhuhn, Öl auf Lw., 139,2 × 195,5 cm, ­Florenz, Uffizien. 165 GSA 64/91, fol. 67v. 166 Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: Farbenlehre, MA 10, 712 f. – ­Siehe auch die Ausführungen zu Tizian in Teil I, Abschnitt 3.4. dieser Arbeit.

II.2.4  Bilanz um 1797

Die hier aufgelisteten Beispiele aus den Galerienotizen belegen allesamt die hohe farbanalytische Kompetenz Meyers sowie die Vielfalt der von ihm verfolgten Betrachtungsansätze.167 Farbe ist als plural aufgefächertes System verschiedener Konzepte zu verstehen, denen die Auffassung von einer koordinierten flächenhaften Bildstruktur gemeinsam ist. Es wird noch zu zeigen sein, dass Meyer zu einem geschlossenen koloritästhetischen Theoriegebäude nicht durch die Betrachtungen neuzeitlicher Werke, sondern durch die erneute praktische Rückbindung seiner Aufzeichnungen in Form des Kopierens der Aldobrandinischen Hochzeit gelangt (Kapitel 3). Die derart erschlossenen Gesetzmäßigkeiten antiker Farbharmonien wie auch der Licht- und Schattenverteilungen ermöglichen einen kritischen Gegenentwurf zum neuzeitlichen Kolorit, der zur weiteren Historisierung und Abstandsgewinnung zu den hier beschriebenen Objekten beiträgt. In dieser hypostasierten Gleichwertigkeit bzw. Überlegenheit der antiken Malerei bezüglich der Farbharmonie mag auch der Grund liegen, weshalb Meyer dem in den Folgejahren bei August Wilhelm Schlegel, Schelling, Solger oder Hegel entstehenden ästhetischen Dualismus von antik-heidnischer Plastik und christlich-neuzeitlicher Malerei168 nicht folgen wird.

2.4 Bilanz um 1797: Ansätze zu einer Theoretisierung nach Meyers zweitem Italienaufenthalt Die Aufzeichnungen des zweiten Italienaufenthalts mögen den Eindruck vermitteln, als hätte Meyer seine Blickführung vollständig auf ein von gehaltsästhetischen Komponenten befreites harmonisches Kolorit konzentriert. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Wirkung der Farbe ist nach wie vor eng mit dem autonomieästhetischen Gesamtkonzept verbunden. Dass die koloritästhetischen Beobachtungen weiterhin in enger Korrelation zu anderen Bereichen wie etwa der Erfindung oder Zeichnung gedacht wurden, be­legen drei Fassungen einer traktatartigen Abhandlung, die kurz nach Meyers Rückkehr nach Weimar entstanden sein muss.169 Der früheste Entwurf baut noch stark auf das im Abschnitt 2.2. besprochene Konzept zur Farbenlehre auf (vgl. Dok. 8). Während die in Dokument 8 formulierten Bemerkungen zu eigenen Bildern keine Berücksichtigung mehr finden, werden dagegen die Dichotomien innerhalb der Koloritgeschichte ausgebaut. Meyer definiert „die Harmonie od. übereinstimmung der Farben Maßen 167 Ähnliche archivalische Belege sind zitiert bei Currie 2013, S. 69–72. 168 Siehe Müller 1996. 169 GSA 64/107, fol. 3r–6v: Fassung 1, Vorblatt in der Gesamtzählung des Faszikels fol. 3 ohne Paginierung, dann beidseitige Paginierung von 1 bis 6 auf fol. 4–6; fol. 4r ist überschrieben mit „Über die Farbenlehre“; GSA 64/107, fol. 7r–14v: Fassung 2, ohne Titel, die Blätter sind von fremder Hand foliiert mit fol. Folierung 89r–96v; GSA 64/107, fol. 15r–20v: Fassung 3: Blätter von 1–6 foliiert, übertitelt mit „IV.“. – Zitiert wird nach der Foliozählung im Gesamtfaszikel.

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

e­ ines ­Gemähldes“ als den „ästhetischen“ Teil des Kolorits. Die „bloße Nachahmung ­aller Farben­erscheinungen der Natur“, also das natürliche Kolorit, bildet dagegen nur den „mechanischen“ Teil der künstlerischen Produktion: „[E]in Bild konte sehr gut & Natürl gemahlt seyn & dennoch einem sehr unangenehmen Eindruck auf ’s Auge machen wie wirkl der Fall v. Bildern aus Tit[ians] erster Manier vorkommt v einem solchen gemähld könte man dan nicht füglich sagen daß es von gutem Colorit wäre.“170 Ein konventionelles Verfahren zur Harmonisierung des Kolorits sei die Herstellung eines Tons, dessen sich die Niederländer und Venezianer bedienten. Die Niederländer des 17. Jahrhunderts erzeugten den Ton durch eine Farbe, die wie ein firnisartiger Überzug die Bildfläche dominiere und somit eine dem Blick durch ein gefärbtes Glas vergleichbare Wirkung erziele. Dies mäßige zwar die grellen Farben, verführe aber die Maler „die Natur minder sorgfältig nachzuahmen“.171 Diese Ablehnung des „falschen Tons“ ging in die Farbenlehre ein. Sie findet sich sowohl in den entsprechenden Paragraphen des Didaktischen Teils (§§ 891–893) als auch in Meyers koloritgeschichtlichem Abriss.172 Bezüglich der Venezianer ist die Argumentation komplexer: Sie bedienten sich des Tons „nur mit Mäßigkeit“. Aus den „gesammelten Erfahrungen aller denkenden & forschenden Künstler“ entwickelten jedoch Tizian, Tintoretto und Veronese ein koloristisches System, bei dem Rot als die energischste Farbe zum gezielten Einsatz käme und danach Gelb, Violett, Grün und Blau in abnehmender Folge verwendet werde.173 Vereinheitlichung durch den Ton oder die Energetisierung durch den Einsatz reiner und ungebrochener Lokalfarben sind somit die beiden Alternativen, die das Oppositionspaar der niederländischen und venezianischen Malerei bestimmen. Bleiben beide Schulen mit Ausnahme ihrer Häupter auf der Ebene des natürlichen Kolorits, so zeichnet sich das harmonische Kolorit durch ein System der Interaktion aus, bei dem die Gewandfarben durch gemäßigt farbige Schatten gebrochen und im Verhältnis zum Inkarnat gesetzt werden. Exemplarische Meister sind für Meyer Fra Bartolommeo, Andrea del Sarto und vor allem Pietro da Cortona, wobei sie Ausnahmen der neuzeitlichen Koloritgeschichte bleiben.174 Dem ersten Entwurf wurde ein mit einem Paragraphen überschriebenes Vorblatt nachträglich hinzugefügt, das sich der Kategorie der „Erfindung“ zuwendet.175 Die dort niedergelegten Überlegungen folgen den Begriffen der konventioneller Aufklärungsästhetik: Am produktiven Vermögen des Künstlers haben „Genie“ und „Verstand“ An-

170 171 172 173 174 175

Fassung 1, GSA 64/107, fol. 4r (Zählung im Einzelmanuskript, pag. 1). Fassung 1, GSA 64/107, fol. 4v (Zählung im Einzelmanuskript, pag. 2). Farbenlehre, in: MA 10, S. 257 und 717. Fassung 1, GSA 64/107, fol. 4v (Zählung im Einzelmanuskript, pag. 2). Fassung 1, GSA 64/107, fol. 6r (Zählung im Einzelmanuskript, pag. 5). Fassung 1, GSA 64/107, fol. 3r (Zählung im Einzelmanuskript, Seite vor pag. 1).

II.2.4  Bilanz um 1797

teil, während der „Geschmack“ als beigeordneter Faktor korrigierend eingreift:176 Er ist nicht selbst produzierend, sondern Ratgeber des Künstlers.177 Im Anschluss daran unterscheidet Meyer zwischen einer „Natürlichen und Poetischen Erfindung in Kunstwerken“:178 Die Anlehnung an die Goethe’schen Kategorien „einfache Nachahmung der Natur“ und „Styl“ wird hier vollends erkennbar, womit sich eine Entsprechung zu der nachfolgend getroffenen Unterscheidung von „natürlichem“ und „harmonischen“ Kolorit ergibt. Wesentlich an dem Zusatz erscheint jedoch, dass er den Übergang zu zwei offenbar späteren Fassungen des Traktats bildet: Das zweite Manuskript baut die Ein­ leitung über die Erfindung weitgehend aus und fügt explizit die „Manier“ aus ­Goethes triadischem Kategoriensystem hinzu. In Bezug auf den „Styl“ betont Meyer dessen harmonisierende Wirkung,179 womit ein Konnex zu der Vorstellung vom „harmonischen Kolorit“ geschaffen wird. Der koloritästhetische Teil ist in dieser Fassung vollständig umgearbeitet. Die Kategorien des „natürlichen“ und „harmonischen“ Kolorits sowie des Tons werden anfangs ohne historische Belege definiert.180 Es folgt eine knappe Entwicklungsgeschichte des italienischen Kolorits von Giotto bis Pietro da Cortona,181 dem sich ein ebenso neu hinzugekommener Abschnitt über Licht und Schatten anschließt.182 In der dritten Fassung hat Meyer schließlich eine Unterteilung nach Paragraphen aufgegeben. Der Text ist nun nach den Kategorienüberschriften Über Erfindung, Über Zeich­ nung, Von der Anordnung, Vom Ausdruck, Vom Colorit und Über Licht und Schatten strukturiert. Jede der Rubriken verfolgt eine Entwicklungsgeschichte von Giotto bis Raffael in nuce – der Fokus hat sich auf diesen Abschnitt der italienischen Kunstge176 Fassung 1, GSA 64/107, fol. 3r (Zählung im Einzelmanuskript, Seite vor pag. 1): „Diese erste Operation bey Erfindung eines Kunstwerks scheint einzig von dem Produktiven Vermögen bewirkt zu werden welches wir gewöhnlich mit dem Namen Genie belegen, dann aber tritt der Verstand hinzu, & sucht von den Materialien die jenes ihm reicht dasjenige was Es zur treffenden Darstellung am tauglichsten befindet heraus, prüft verwirft Wählt schleift, reyht und ordnet alles zum Ganzen zusammen; und von dieser Seite nemmen sowohl die Anordnung als der Geschmack an der Erfindung einigen Antheil.“ 177 Ähnlich in Fassung 2, GSA 64/107, fol. 11v (Zählung im Einzelmanuskript, fol. 93v): „Der Geschmack ist zwar dem Styl verwandt doch von demselben unterschieden. Er ist nicht selbst produzirend sondern dient dem Künstler bey der Hervorbringung bloß mit gutem Rath und macht keinen der Haupttheile eines Kunstwerks aus schließt sich aber an alle an, Meistert, Putzt, beßert, schleift, alles & sucht die Intereßanteste Seite eines jeden Dinges auszuspähen und zu zeigen. Man könte ihn auch die Wahl nennen.“ 178 Fassung 1, GSA 64/107, fol. 3r (Zählung im Einzelmanuskript, unpaginierte Seite vor pag. 1). 179 Fassung 2, GSA 64/107, fol. 12r (Zählung im Einzelmanuskript, fol. 94r). 180 Fassung 2, GSA 64/107, fol. 13r (Zählung im Einzelmanuskript, fol. 95 r): „Die bloße Nachahmung ist aber für sich selbst noch nicht hinreichend Einheit zu erzwecken und eine Menge von Gegenständen dem Auge leicht faßlich und angenehm darzustellen, wie bey großen Bildern erfordert wird. Hierzu nun bedient sich die Kunst zweyerley Mittel entweder der Harmonie der Farben oder des Tons.“ 181 Fassung 2, GSA 64/107, fol. 13v (Zählung im Einzelmanuskript, fol. 95v). 182 Fassung 2, GSA 64/107, fol. 14r–14v (Zählung im Einzelmanuskript, fol. 96r–96v).

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II.2.  Stufen der Konzeptionalisierung

schichte verengt. Die Übertitelung mit der römischen Ziffer „IV“ wie auch die neu hinzugekommene didaktische Einleitung könnte auf einen neu geplanten Publikationskontext verweisen. In seiner ausgereiften Form war der Traktat offensichtlich als Beitrag für die Propyläen gedacht, indem er entweder im ersten Stück dem Aufsatz Rafaels Werke besonders im Vatikan vorangehen, oder im zweiten Stück der Fortsetzung des Aufsatzes nachfolgen sollte.183 In der Abhandlung wäre damit eine allgemeine Kunstlehre Meyers niedergelegt, die auf den empirischen Erhebungen in Italien beruht und als programmatischer Prolog für den Raffael-Aufsatz gedient hätte. Bezieht man das Konzept Über die Farbenlehre (Dok. 8) mit ein, so ergeben sich mit dieser Vorstufe vier Textstufen, von denen mindestens die beiden letzten nach dem italienischen Aufenthalt entstanden sein müssen. Zu beobachten ist eine zunehmende Historisierung nach einzelnen Formkategorien aus dem Geist der Farbenlehre. Sie beginnt mit der Gegenüberstellung der aus den Beiträgen zur Optik entwickelten Bildstudien mit den kunsthistorischen Exempla (Dok. 8), die stellvertretend für die ­Kategorien Ton, natürliches und harmonisches Kolorit und manieristische Grenzüberschreitung stehen. Diese werden verdrängt von dem Ansatz der lückenlosen Historisierung auf Grundlage der in Italien praktizierten Rubriken, wobei diese in der letzten Fassung in eine festgefügte Struktur nach einzelnen historischen Abrissen überführt werden. Die Beobachtungen zur Farbentwicklung in der letzten Fassung184 hat Meyer in den koloritgeschichtlichen Abriss der Farbenlehre weitgehend übernommen und mit den über das Quattrocento hinausgehenden Ausführungen aus den Frühfassungen vereinigt. Die dichotomen Überlegungen aus der zweiten Fassung zum natürlichen und harmonischen Kolorit sowie zum Ton bei den Venezianern und Niederländern finden sich dort wieder. In die Farbenlehre nicht übernommen hat Meyer dagegen eine weitere fundamentalästhetische Dichotomie, die als eine unausgeführte historische Anti­these der Farben­ lehre bezeichnet werden muss: Den Gegensatz von antikem und manieristischem Kolorit. Das frühe Konzept (Dok. 8) erwähnt in Bezugnahme auf Pietro da Cortona, dass „Beweise hierfür“ (also für dessen Überlegenheit) erbracht werden müssten und setzt dann bei den „Mahlereyen der Alten“ ohne Ausführung an. Auf der linken Spalte gegenüber hat Meyer in Vertikalschrift Vertreter des Manierismus wie Bronzino, ­Livio ­Agresti, die Zuccari und Vasari notiert, ohne dies näher zu kommentieren. Was im Schriftbild des Konzepts nur angedeutet wird, findet sich in der Erstfassung des Traktats ausgeführt wieder: Die „Nachahmer des Mich. Ang.“185 zeichnen sich fast alle durch ­eine extreme Steigerung der Changeanteffekte aus. Auf ihren „Bildern findet sich h ­ elles Lackroth einem Matten Blau von lichtem Ultramarin entgegengesetzt & ­diesem wider 183 Im ersten Stück der Propyläen ist der Raffael-Aufsatz mit der Ziffer V versehen, im zweiten Stück mit der Ziffer III. Meyers Bezifferung im Manuskript mit „IV“ könnte sich auf diese Einteilung beziehen. 184 Fassung 3, GSA 64/107, fol. 18v–19r (Zählung im Einzelmanuskript, fol. 4v–5r). 185 Fassung 1, GSA 64/107, fol. 5v (Zählung im Einzelmanuskript, pag. 4).

II.2.4  Bilanz um 1797

Gelbes auf die Gewänder wo die Lichter hellgelb mittelst mit roth die Schaten grün sind werden häufig angetroffen es läßt als ob widerschein und Mittheilung allen diesen Künstlern ganz unbedeutende Dinge gewesen wären“.186 Meyer liefert hier eine in den Details durchaus nachvollziehbare Charakterisierung des manieristischen Farbgebrauchs.187 Bezeichnend ist, dass diese Beobachtung nicht in den koloritgeschichtlichen Abriss der Farbenlehre einging. Dort war Meyer nur noch an einer weitgehend progressiven Entwicklungsgeschichte interessiert, bei der die größten Störfaktoren ausgeblendet werden. Ebenso symptomatisch ist der Status der antiken Malerei. Gegenüber dem Konzept, das den Nachweis ihrer Vorrangigkeit projektierte, schließt die ausformu­lierte erste Fassung nur mit dem Wunsch ab, „die überbliebenen Alten Gemählde aus Herc. & Pomp: auszubreiten[.] allein da wir nicht im Stande sind hinlängl Rechenschaft davon zu geben so wird es besser seyn diese für jetz zu übergehen und indeß die Hoffnung zu nehren einst etwas befriedigendes darüber sagen zu können“.188 Den Schlussstein von ­Meyer koloritästhetischem Gebäude sollte zweifellos die antike Malerei bilden.

186 Ebd. 187 Zu den Farbsystemen des Manierismus vgl. Hall 1992, S. 149–198. 188 Fassung 1, GSA 64/107, fol. 6v (Zählung im Einzelmanuskript, pag. 6).

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3. Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie. Kopierpraxis und Notation in Hinblick auf die Farbenlehre Ein grundlegendes Problem der farbästhetischen Überlegungen Goethes und Meyers blieb die Streitfrage, ob der antiken oder neueren Malerei der Vorrang gebühre. Am 1. August 1799 resümierte Aloys Hirt vor der Berliner Akademie der Künste jene Diskussion, die für das 18. Jahrhundert bestimmend war. Ungeklärt sei, ob die Malerei der Alten die Einheit der Handlung als ordnendes Prinzip berücksichtigt oder mehrere lose verbundene Szenen nebeneinander dargestellt habe; einer näheren Kenntnis von kompositorischen Prinzipien der Anordnung stünde die Alternative einer am Bas­relief orientierten additiven Bildordnung entgegen; die Vertrautheit mit den Gesetzen der Tiefenräumlichkeit, Luft- und Linienperspektive sei unter den Gelehrten ebenso umstritten wie die Frage nach einem festen Standpunkt der Beleuchtung und dem gesetzmäßigen Einsatz von Lichtquellen. Hirt schließt mit der Frage, die seit der Querelle des Anciennes et des Modernes im ausgehenden 17. Jahrhundert die europäische Kunstliteratur beschäftigt hatte: „Wie weit brachten sie’s im Kolorit, und was sollen wir von ihrer Kenntniss des Helldunkels und der Haltung glauben? […] Und sollten die Neueren in allen den Theilen, welche zur Farbengebung gehören, nicht einen entschiedenen Vorzug über die Alten behaupten?“189 Diese Frage konnte auch Meyer in dem in der Farbenlehre publizierten Abriss zum Kolorit der antiken Malerei nicht eindeutig beantworten.190 Notgedrungen schöpfte er die wesentlichen Informationen aus den antiken Schriftquellen wie Plinius. Der Versuch einer Rekonstruktion antiker Farbharmonien blieb auf ambitionierte Weise uneingelöst. Erschwerend war hierfür das Nichtzustandekommen einer Neapel-Reise im Jahr 1796 durch den Koalitionskrieg.191 Sie hätte es Meyer ermöglicht, die um 1788 im Museum von Portici gemachten Beobachtungen mit dem inzwischen in Weimar erarbeiteten koloritästhetischen Instrumentarium vor den Originalen zu spezifizieren. Die fast einzige Bildquelle blieb somit die Aldobrandinische Hochzeit in Rom (Tf. XVIII). 189 Hirt 1803, S. 209. Zu Hirts Vortrag und der damit verbundenen Berliner Diskussion siehe Garberson 2017, S. 83–86. 190 Meyer, Hypothetische Geschichte des Kolorits besonders griechischer Maler vorzüglich nach dem ­Berichte des Plinius, in: MA 10, S. 527–552. 191 Zu dem Plan vgl. Meyer an Goethe, Rom, 12. 2. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S, 195 f.

II.3.  Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie

Meyers im Frühjahr 1796 angefertigte Aquarellkopie (Tf. XIX) gelangte auf abenteuerlichen Wegen am 17. Oktober 1797 zunächst nach Stäfa und erhielt mit Goethes Rückkehr nach Weimar einen festen Platz an der Südwand des späteren Junozimmers.192 ­Eine Federskizze von Friedrich Gilly vom August 1798 zeigt die Kopie bereits mit zur Seite gezogenen Vorhängen.193 Der heutige Zustand von Meyers Aquarellkopie (Tf. XIX) gibt die ursprüng­liche Leuchtkraft kaum wieder.194 Zwei Jahrhunderte andauernde Lichteinwirkung und kriegsbedingte Wasserschäden haben das aus acht Bögen Büttenpapier zusammengefügte Bild zu einer Ruine gemacht, die allenfalls Mutmaßungen über die ursprüngliche Verfassung zulässt. Nur die aufgesetzten dunkelroten Kreiden zeugen noch von früherer farblicher Frische, die aber in umso stärkeren Kontrast mit den trüben und ausgeblichenen Aquarelltönen tritt. Doch bildete die annähernd maßstabsgetreue Kopie für Goethes Zeitgenossen eine der Hauptattraktionen in den Wohnräumen: Hatte man das Glück, vom Hausherrn in das Wohnungsinnere vorgelassen zu werden, konnte man, unterstützt durch das Aufziehen des Vorhangs, eine wahre Epiphanie antiker Farbenpracht erleben. Karl August Böttiger berichtet von diesem Moment mit sichtlicher Begeisterung: „Nach Tische wird die Aldobrandinische Hochzeit […] aufgezogen. Schöne Beleuchtung durch den gegenüber auf den Dächern befindlichen Schnee.“195 Dem Blick auf die Kopie eilte der Ruf des antiken Originals voraus (Tf. XVIII): Seit der Entdeckung auf dem Esquilin in der Nähe von San Giuliano l’Ospitaliero um das Jahr 1601196 und bis zu den herkulanischen Ausgrabungen des 18. Jahrhunderts galt das römische Wandbild als das bedeutendste und am besten erhaltene Zeugnis antiker Malerei. Die antiquarische Auseinandersetzung mit dem Werk setzte sofort ein.197 Gelobt wurden auch der allgemein gut befundene Erhaltungszustand und die Leuchtkraft der Farben. Künstler des 17. Jahrhunderts schätzten das Werk über die Maßen: Federico Zuccaro, der auch mit einer ersten Restaurierung betraut war, erwähnt das Werk in seinem 1607 publizierten Traktat Idea.198 Neben Rubens und van Dyck fand es vor allem in 192 Zu Meyers Aquarellkopie siehe Handrick 1963, S. 142–166; Eckardt 1966. Allgemein zur Rezep­tions­ge­ schichte siehe Fusconi 1994, dort zu Meyer S. 173–184; Agazzi 1997 (Winckelmann, Meyer, ­Boettiger). Zu Meyer und die Aldobrandinische Hochzeit siehe Rößler in Ausst.-Kat. Weimar 2012a, Nr. 27, S. 184–187; Currie 2013, S. 67 f, Rosenbaum 2013, S. 239 f; Wyder 2013, S. 68–71; Schneider 2016, S. 60–62 und 71; Keller 2018, S. 329–339. Vorliegender Abschnitt ist eine leicht überarbeitete Fassung von Rößler 2016a. 193 Friedrich Gilly: Architektonische Studien aus Weimar, rechts: der Kopie der Aldobrandi­nische Hochzeit in Goethes (späterem) Juno-Zimmer, August 1798, Kupferstichkabinett Staatliche Museen Berlin, Sm 16. 34.  194 Zum Zustand nach der Restaurierung siehe Eckardt 1966. 195 Böttiger 1998, S. 95. 196 Zur Zeitangabe des Fundes siehe Cappelletti/Volpi 1993. 197 Herklotz 1999, S. 288 f; Fusconi 1994, S. 39–57. 198 Zuccaro 1607/1961, S. 257.

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Nicolas Poussin einen Bewunderer, dem eine heute in der in der Galleria Doria P ­ amfilij 199 befindliche Kopie zugeschrieben wurde. Über die Reproduktionsgraphik fand das Fresko Eingang in das europäische Bildgedächtnis. Dem ersten seitenverkehrten Stich nach einer Zeichnung Pietro da Cortonas von 1627 folgten unter anderem die Radierung von Pier Santi Bartoli in dem berühmten und mehrfach wiederaufgelegten Tafelwerk der Admiranda oder die Abbildung bei Montfaucon. Erwähnung findet die Aldobrandinische Hochzeit in Reisebeschreibungen und Sammlungsführern des 18.  Jahrhunderts, so bei Maximilien Misson, Jonathan Richardson, Edward Wright, ­Filippo ­Titi,200 Johann Jakob Volkmann oder Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr.201 Angesichts der Prominenz des Bildes ist es zunächst überraschend, dass es ­keine ­B elege für Goethes Beschäftigung mit dem Wandgemälde vor dem Jahr 1796 gibt. In seinen römischen Briefen und Aufzeichnungen bzw. in der Italienischen Reise wird es nicht erwähnt. Erst ein Brief von Meyer vom Januar 1796 scheint das Interesse geweckt zu haben: „[V]or allem andern läßt sich bedenken, ob nicht die Aldrovandinische Hochzeit eigentlich dasjenige Stück wäre, so die meisten Zwecke für uns erfüllt. Ich ­habe sie gestern gesehen und die Anmuth, die Leichtigkeit, das Geschick, die gute, große Manier der Beleuchtung bewundert und, worüber auch Sie sich verwundern und freuen werden, eine Harmonie und Verständniß der Farben gefunden wie noch in keinem andern Bild.“202 Sofort vergleicht Meyer die harmonische Zusammenstellung des Kolorits mit dem von Pietro da Cortona ausgemalten Plafond im Palazzo Barberini, ­also dem von ihm bestimmten Höhepunkt der neuzeitlichen Koloritgeschichte. Bald nach der ersten brieflichen Erwähnung kopierte er das antike Werk für Goethe. Meyer hatte vermutlich schon bei seinem ersten Italienaufenthalt zwischen 1784 und 1790 eine gewisse Mustergültigkeit in der Aldobrandinischen Hochzeit erkannt, was eine Notiz in seinem graphischen Nachlass nahelegt. Auf einer Liste mit zur Nachahmung geeigneten Figuren nennt er das Fresko an erster Stelle vor antiken Statuen und Reliefs.203 An den Künstlerfreund Heinrich Kölla schreibt er 1788 ernüchtert aus ­Neapel, im Vergleich mit den antiken Malereien im Museum von Portici seien „die ­Alten Gemählde die man in Rom sieht viel besser“204 – gemeint kann hier neben den Malereien der Titusthermen und der Villa Negroni nur die Aldobrandinische Hochzeit sein. Ein Notizenheft vom Frühjahr 1790 belegt den Besuch der Villa ­Aldobrandini 199 Fusconi 1994, S. 58–83; Marchi 2016, S. 297 f. 200 Vgl. Lucilla de Lachenal: Nozze Aldobrandini, in: Ausst.-Kat. Rom 2000, Bd. 2, S. 637–638. Sowie: Dies.: Disegnatore anonimo italiano, intorno al 1630 (Bernardino Capitelli?), da Pietro da Cortona, in: Ebd., S. 430. 201 Volkmann 1777/2011. Bd. 2, S. 234 f. – Zu Ramdohr siehe weiter unten, Abschnitt 3. 2.  202 Meyer an Goethe, Rom, 8. 1. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 175. 203 „Fig. zurnachahmung“. Gr–2005/830. 27.  Die Zeichnung ist mit Transkription publiziert in Rosenbaum 2013, S. 251 f. 204 Meyer an Heinrich Kölla, Neapel, 19. 08. 1788, GSA 64/81,4.

II.3.  Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie

­ hne ­Nennung des Wandbildes, jedoch findet in den Aufzeichnungen die Poussin zugeo schriebene Kopie in der Galleria Doria Pamphilj Erwähnung.205 Als Kenner der Schriften Winckelmanns wird Meyer bereits um 1790 die in der zweiten Fassung der Ge­ schichte der Kunst des Alterthums vertretene These, auf dem Bild sei die Hochzeit von Peleus und Thetis dargestellt, nicht entgangen sein.206 Doch erst mit der Anfertigung der Aquarellkopie im Frühjahr 1796 erhält das antike Bild einen paradigmatischen Stellenwert für die gemeinsam mit Goethe angestellten Reflexionen zur Farbenlehre. Der Aldobrandinischen Hochzeit musste ganz automatisch ein Primat in der Farbenanalyse antiker Malerei zufallen. Die dauerhafte Präsenz, die das Werk in Goethes Wohnung erhalten hatte, sollte in seinem Umfeld weitere Anläufe der wissenschaftlichen und künstlerischen Auseinandersetzung bewirken. Um 1808/1809 fertigte Meyer eine Wiederholung seiner Kopie in Ölfarben an (Tf. XX). In der im Mai 1810 erschienenen Farbenlehre findet das Fresko zwei Mal Beachtung. Für Goethe erschien das Werk vorbildlich hinsichtlich der Helldunkel-Konzeption;207 ­Meyer widmete dem Werk in seiner Hypothetischen Geschichte des Kolorits besonders griechischer Maler mehrere Seiten.208 Für die im selben Jahr von Karl August Böttiger besorgte Werkmonographie steuerte Meyer den umfassenden und auf den italienischen Notizen fußenden Aufsatz Die Aldobrandinische Hochzeit von Seiten der Kunst betrach­ tet bei (AH).209 Böttiger verwies in der Einleitung des Buchs auf die enge Beziehung zwischen der Farbenlehre und Meyers Aufsatz.210 Auch das von Goethe und dem Berliner Staatsrat Christoph Friedrich Ludwig Schultz im Jahr 1819 initiierte Projekt, das inzwischen gereinigte und in die Vatikanische Bibliothek gelangte Original durch den Porträ­ tisten Carl Joseph Raabe erneut kopieren zu lassen,211 zeugt von den Erwartungen, die von einer Rekonstruktion antiker Farbharmonien in Zusammenhang mit Überlegungen der Optik und Farbenphysiologie ausgingen.212 205 Notizenheft von 1790 in GSA 64/89 (2. Lage), fol. 7v (Besuch der Villa Aldobrandini) und fol. 5r (­Galleria Pamphilj). Weitere Besuche in römischen Sammlungen sind in dem Heft auf den Zeitraum zwischen 7. 2. 1790 und 14. 3. 1790 datiert. 206 Winckelmann, SN 4,1, S. 529 (Geschichte der Kunst des Alterthums, 2. Aufl., 1776, S. 561). Vgl. auch Meyers Kritik an der Deutung im Kommentar zu Winckelmanns Versuch einer Allegorie in Winckelmann 1808–1820, Bd. 2, S. 688 f und S. 756. 207 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 860, in: MA 10, S. 250. 208 MA 10, S. 545–550. 209 Meyers Abhandlung wird im Folgenden mit der Sigle AH zitiert: Johann Heinrich Meyer: Die Aldobrandinische Hochzeit von Seiten der Kunst betrachtet, in: Carl August Böttiger: Die Aldobrandinische Hochzeit. Eine archäologische Ausdeutung. Nebst einer Abhandlung über das Gemälde von Seiten der Kunst betrachtet, von H. Meyer. Dresden 1810, S. 171–206. 210 Carl August Böttiger, Vorbericht, in: AH, S. III. 211 Zu dem Projekt siehe weiter unten, Abschnitt 4. 2.  212 Zur Rezeption der Farbenlehre in Berlin und zu Staatsrat Schultz siehe Müller-Tamm 2002, S. 194– 200.

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Auch wenn sich Goethe in seinen Äußerungen über die Qualität antiker Malerei zeitlebens merkwürdig bedeckt hielt,213 ist zumindest aus der Sicht Meyers die Aldobrandinische Hochzeit als zentrales Werk der Weimarischen Reflexionen über Farben und Farbharmonien anzusehen. Kein anderer Künstler, Pietro da Cortona vielleicht ausgenommen, hat die theoretische Konzeption in der Farbenlehre derart beeinflusst wie jener anonyme römische Künstler, der um die Zeitenwende gelebt und sich mit seinem Werk auf ein griechisches Vorbild bezogen hat. In Anbetracht der Jahr­zehnte andauernden Auseinandersetzung Goethes und Meyers mit der Aldobrandinischen Hochzeit stellt sich die Frage nach dem konkreten Zusammenhang zwischen dem antiken Wandbild, seinen Kopien und der Genese farbästhetischer Konzepte im Umfeld der Farbenlehre. Ästhetische Theoriebildung unterliegt hierbei mehreren Transformationen in Form des Kopierens, Beobachtens und Vergleichens.

3.1  Kopieren und Aufzeichnen 1796 Nach Einholung der Kopiererlaubnis führte Meyer das Aquarell von Mitte Februar bis April 1796 aus (Tf. XIX).214 Kompetitiv erfolgte die malerische Auseinandersetzung mit der barocken Ölkopie in der Sammlung Doria.215 Das Poussin zugeschriebene Werk vor Augen, entschied sich Meyer schnell für eine Ausführung in Aquarellfarben, da diese in ihrer matten Wirkung der Freskotechnik wesentlich näher kommen als die gesättigten Ölfarben.216 Die daraus resultierende Entscheidung war dennoch mit Problemen verbunden: Als intensivste Farbe stach am Original das Lackrot am Schurz des Bräutigams hervor. Dessen Nachahmung stellte für Meyer ein technisches Problem dar, da sie im Aquarell mit seiner hellen verdünnenden Wirkung nicht umsetzbar war.217 Er entschied sich daher für den Einsatz einer dunkelroten, ins violette spielenden Kreide, die den Faltenwurf mit seinen hellen Partien erstaunlich exakt erfasst. Gut sichtbar sind an der Kopie die Weißanteile, die mit einer Kreide appliziert wurden. In dem Beitrag für die Farbenlehre vermutet Meyer in dieser dünnen Malschicht das antike Melinum (MA 10, 548). Vom Original in seinem jetzigen Zustand weicht neben den insgesamt verschlank-

213 Vgl. Osterkamp 1991, S. 142–148. Zur Kenntnis antiker Wandmalerei und ihrer Reproduktionen in Weimar siehe Dönike 2013a, S. 49–51, 198–200, 248–250. 214 Vgl. Meyer an Goethe, Rom, 27. 1. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 188. 215 Nicolas Poussin zugeschrieben, Kopie der Aldobrandinischen Hochzeit, Öl auf Leinwand, 141 × 242 cm, Rom, Galleria Doria Pamphilj, Inv.-Nr. FC 359. Vgl. Marchi 2016, S. 297 f. 216 Meyer an Goethe, Rom, 25. 2. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 205: „Öhlmahlerley ist mit der ­ganzen Manier der Alten unvereinbarlich.“ 217 Meyer an Goethe, Rom, 25. 2. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 205: „[…] sich der Purpur, den die Alten so viel angewendet, nicht gut auf diese Art mahlen läßt.“

II.3.1  Kopieren und Aufzeichnen 1796

40__Johann Heinrich Meyer: Aufzeichnungen zur ­Aldobrandinischen Hochzeit, Rom 1796, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 64/93, Abschnitt zur Aldobrandinischen Hochzeit, pag. 0 (Vorblatt mit nachträglichen Anmerkungen).

41__Johann Heinrich Meyer: Aufzeichnungen zur Aldobrandinischen Hochzeit, Rom 1796, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und SchillerArchiv, 64/93, Abschnitt zur Aldobrandinischen Hochzeit, pag. 8.

ten Proportionen218 vor allem die erste, vom linken Bildrand angeschnittene Figur ab. Wie auf allen druckgraphischen Reproduktionen des 17. und 18. Jahrhunderts ist sie weiblich und mit Haarknoten dargestellt, während sie auf dem Original knabenhafte Züge trägt. Parallel zur Kopie bzw. kurz danach gemachte schriftliche Aufzeichnungen auf 21 Manuskriptseiten dokumentieren das intensive Bemühen um eine exakte Bestandsaufnahme.219 Die durch den Kopierprozess bewirkte Verlangsamung der Wahrnehmung schärfte den Sinn für technische und koloristische Details, die von Figur zu Figur, von einer akademischen Rubrik zur nächsten notiert wurden. Verschmutzungen, Restaurierungen, Risse wurden ebenso registriert wie Erkenntnisse zur Grundierung und zum maltechnischen Auftrag. Nach Abschluss der Kopie gemachte Beobachtun218 Hierzu Handrick 1963, S. 153. 219 GSA 64/93, 3. Heft: „Aldobrandinische Hochzeit“.

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gen wurden im Manuskript nachgetragen, so etwa im Fall der Handstellung des Bräutigams, die Meyer auf das Blatt zeichnete und gegenüber seiner eigenen Kopie korri­ gierte (Abb. 40).220 Dokumentiert ist auch der durch den Kopierprozess aktivierte Vorgang eines rekonstruierenden Sehens (Abb. 41): Nahe der rechten Hand der Leierspielerin in der rechten Bildhälfte nahm Meyer einen dunklen Fleck wahr, „welcher wohl das Ende des Schlag Instuments seyn könte“, während an der „Hand selbst […] nichts deutl davon“ wahrzunehmen sei. In der Zeichnung konkretisiert Meyer die Handhaltung mit Plektron und versieht sie mit der Folgerung, „wen die [Hand] indeßen ein ­SchlagInstrument hält so muß es also seyn & sie berührt damit die 3te Saite.“221 Die kopistische Auseinandersetzung mit dem antiken Bild führte damit nicht allein zur Sensibilisierung für einzelne Farbwerte, sondern auch zur gegenständlichen Rekonstruktion beschädigter Stellen des antiken Gemäldes. Die Wahrnehmung des antiken Gemäldes konstituiert sich damit in wechselseitiger und wiederholter Kontrolle von Verschriftlichung, ergänzender Detailzeichnung und dem Vergleich mit der Reproduktionsgraphik und der Poussin’schen Kopie. Dass dieser Ablauf zu einer einseitigen Auseinandersetzung führt, ist auffallend. Im Unterschied zu den zeitgleich entstandenen Notizen zu antiken und neuzeitlichen Kunstwerken in römischen Sammlungen konzentriert sich Meyer allein auf die technischen und formalen Aspekte, fast vollständig klammert er inhaltliche Fragen aus. In dieser Hinsicht folgte er ganz dem kopistischen Verständnis des 18. Jahrhunderts. Der Kopist kann den Geist des Bildes nicht erfassen, seine Tätigkeit dient allein der Aneignung der technischen Kenntnisse.222 Besonderes Interesse galt offenbar den an den Gewändern beobachteten Changeant-­ Effekten. Winckelmann hatte vermutet, die schillernde Darstellung der Gewänder sei durch die Beobachtung von Seidenstoffen angeregt worden.223 Er folgte damit e­ iner älte­ ren kunstliterarischen Tradition, die das „Cangiante“ aus der Struktur des dargestellten Materials ableitete.224 Anders als bei seinem Vorbild Winckelmann ist jedoch ­Meyers Sicht auf das Werk im Jahr 1796 nicht mehr vom antiquarischen Impuls geleitet, sondern orientiert sich an den grundsätzlichen Fragen nach der ästhetischen Harmonie, physiologischen Wahrnehmung und physikalischen Erscheinung der Farben. Die Beobachtung farblicher „Widerscheine und Mittheilung“225 bildet hier, weitgehend losgelöst von einem gegenständlichen Nachahmungsgrundsatz, den Ausgangspunkt für e­ ine syste­matische Beobachtung und Analyse des antiken Kolorits. Auf diese Weise sieht 220 221 222 223

Ebd., S. 8. Ebd., S. 0 (Vorblatt mit nachträglichen Anmerkungen). Siehe Strittmatter 1998, S. 19. Winckelmann, SN 4,1, S. 370 u. 371 (Geschichte der Kunst des Alterthums, Auflagen von 1764 und 1776). 224 Gage 1999, S. 51 f. 225 Meyer an Goethe, Rom, 8. 1. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 175.

II.3.2  Rationalismus versus Klassizismus: Ramdohr und Meyer über antike Malerei

Meyer in den Changeanteffekten nicht das Ergebnis der materiellen Beschaffenheit der dargestellten Textilien, sondern weit grundsätzlicher das physikalische Gesetz der schon erwähnten „apparenten Farben“, das Goethe im Juli 1793 als Arbeitshypothese schriftlich niedergelegt hatte. Gemeint war hiermit die Einwirkung von einem „mehr oder weniger starke[n] benachbarte[n] Licht“ auf den Schatten, was dem Schatten eine farbige Wirkung gebe.226 Der Aspekt der farbig oszillierenden Gewandung bot für einen durch Goethes farbphysikalische Studien der 1790er Jahre konditionierten Betrachter ideale Anknüpfungspunkte. Im Manuskript wie in der späteren Abhandlung sind die an den Draperien beobachteten Wechseleffekte detailliert nachzulesen: Auf dem weißen Gewand der das Bad prüfenden Matrone entdeckt Meyer auf der Lichtseite Anteile von Grün, womit – ganz nach der Gesetzmäßigkeit der apparenten Farben – das grüne Gewand der an der Säule gelehnten Nachbarfigur reflektiert wird. Zusätzlich schimmert nach Meyers Beobachtung am Schenkel der Matrone der gelbe Chiton durch das weiße Übergewand hindurch, was die koloristischen Wechsel nochmals verfeinert. Über das grüne Gewand der weiblichen Figur mit Muschel ist ein violetter Ton lasiert, der die Faltenbrüche durch zarte Effekte steigert (AH 201). Ein „ungemein künstliches Farbenspiel“ entdeckt Meyer an Bett und Polster (AH 200): In den grünen Stoff ist nach dem Gesetz der benachbarten Farben überall ein wenig unvermischtes Gelb mitgeteilt; umgekehrt finden sich Grünanteile in dem darauf liegenden gelben Tuch, womit auch hier das Gesetz der apparenten Farben im Bild verifiziert wird. Die Beispiele ließen sich anhand des Manuskripts von 1796 und des darauf fußenden Aufsatzes von 1810 fortsetzen. Mit der gewissenhaften Übertragung und schriftlichen Notation der Farbwechsel grenzte sich Meyer nicht zuletzt von der von Nicolas Poussin bis Jacques-Louis David vertretenen neoklassizistischen Betonung ungebrochener Lokalfarben ab, indem er die fehlende „Einmischung oder Mittheilung anderer Farben“227 an der Poussin’schen Kopie in der Sammlung Doria kritisiert hatte.

3.2 Rationalismus versus Klassizismus: Ramdohr und Meyer über antike Malerei Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Aufzeichnung von 1796 und der Abhandlung von 1810 besteht in der Positionierung hinsichtlich der seit der Querelle des Anciens et des Modernes virulenten Frage nach der Gleichwertigkeit der antiken mit der neueren Malerei. Die primäre, ganz vom Kopierprozess geleitete Aufzeichnung von 1796 schweigt zu diesem Punkt, obgleich sich an keinem anderen Ort in Rom der Ver226 Goethe, Von den farbigen Schatten, in: MA 4.2, S. 347. 227 GSA 64/93, 3. Heft: „Aldobrandinische Hochzeit“, S. 16

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gleich mehr aufdrängte als in der Villa Aldobrandini. Die venezianische Schule war dort für römische Verhältnisse besonders gut vertreten und ermöglichte somit das Studium von Höhepunkten der neuzeitlichen Koloritentwickung.228 Wie schon in Teil I dieser Arbeit ausgeführt, beherbergte die Sammlung Giovanni Bellinis Göttermahlzeit sowie Tizians Bacchus und Ariadne (Tf. VII/1 und VII/2). Diese Werke eröffneten die Galerie im oberen Appartement der Villa und traten damit in indirekte Konkurrenz zu dem antiken Gemälde im Erdgeschoss.229 Meyers tabellarische Rubrikenbeschreibungen erfassten Inkarnat, natürliches Kolorit, farbliche Gesamtwirkung, Ton und Helldunkel, wobei die Beurteilung erwartungsgemäß positiv, aber nicht überschwänglich ausfiel. Während das Kolorit bei beiden Künstlern als „gut“, „trefflich & wahr“ bewertet wird, scheint ­Tizians Ton der „Ton der Natur od. beßer gar keine[r]“ zu sein.230 Auch wenn diese Beobachtungen keine direkte Auswirkung auf die Notizen zur Aldo­brandinischen Hochzeit hatten, kündigen sie bereits an, was in der Abhandlung von 1810 zum Durchbruch kommt: das Postulat einer grundsätzlichen Überlegenheit der antiken Malerei gegenüber der neueren. Für Meyer repräsentiert die Aldobrandi­ nische Hochzeit die Formgesetze antiker Malerei schlechthin, was sich für ihn gerade durch die Mittelmäßigkeit in der Ausführung bestätigt. Meyer bietet daher eine ­Fülle von Vergleichen auf. So erwähnt er die venezianischen Koloristen (AH 181) und vergleicht das wechselnde Inkarnat punktuell mit dem bei Guido Reni und Francesco ­Albani (AH 182). Den Ton und die Abwechslung der Farben der Alten bezeichnet er als „ungleich mannigfaltiger, gefälliger und auch bedeutsamer“ als bei den Neueren (AH 184). In der Beleuchtung stellt er deren allein an der Natur orientierten Beobachtungen die Widerscheine der Farben und idealischen Helldunkelkonzepte der antiken Meister gegenüber (AH 188). Die Tatsache, dass Meyer das antike Gemälde zu Beginn der Abhandlung mit ähnlichen Worten charakterisiert wie Pietro da Cortona im koloritgeschichtlichen Abriss der Farbenlehre (MA 10, S. 719),231 zeugt von der Auffassung der Hochwertigkeit der antiken Malerei insgesamt. Deren Niederung in Form eines römischen Nachahmers augusteischer Zeit trifft sich mit dem Gipfel der neuzeitlichen Koloritgeschichte. Damit erhält die Abhandlung einen normierenden Anspruch, der das antike Werk in das Zentrum der Überlegungen zur Farbenharmonie rückt: Ein vorurtheilsfreier Beschauer wird von dem heitern fröhlichen Spiel der Farben auf das freundlichste angesprochen, sie erscheinen durchaus munter in reinem ungeschwächtem Zustande oder in gefälligen Mischungen, stehen harmonisch, niemals grell abstechend neben einander und theilen sich durch Wider­scheine mit, auch findet sich das Mittel eines im Ganzen herrschenden Tones angewendet, um noch mehrere Uebereinstimmung zu erzielen und hier fällt dier Ton in’s Violette; man kann aber aus 228 229 230 231

Vgl. Benocci 1992, S. 41. Meine räumliche Rekonstruktion siehe Teil I, Abschnitt 3. 5. c). GSA 64/89, 11. Lage, fol. 37v. Siehe Dokument 4 im Anhang. Vgl. auch die Einschätzung bei Currie 2013, S. 73: Pietro da Cortonas Barberini-Fresko ist für Meyer gleichrangig mit der Aldobrandinischen Hochzeit.

II.3.2  Rationalismus versus Klassizismus: Ramdohr und Meyer über antike Malerei guten Gründen muthmaßen, solcher werde in andern Werken nach Beschaffenheit des Gegenstandes mannigfaltig abgewechselt worden seyn und die Harmonie der übrigen Farben ihn jedesmal entsprochen haben. (AH 183)

Die forcierte Würdigung als Programmbild entspricht keineswegs den Vorstellungen ­aller Zeitgenossen. Ramdohr, der die Aldobrandinische Hochzeit in seinem 1787 erstmals erschienenen Rom-Führer bislang am ausführlichsten besprochen hatte,232 bildet in der Differenziertheit des Urteils und der vergleichenden Abwägung des Für und ­Wider einen deutlichen Kontrapunkt zu Meyer. Seine zwischen regelkonformem Akademismus und unverstelltem Blick für malerische Qualitäten schwankenden Ausführungen sind symptomatisch für die epochale Auseinandersetzung mit der antiken Malerei. Ramdohr schloss an die antiquarische Diskussion über die antiken Kenntnisse der Perspektive an233 und postulierte die enge Gattungsverwandtschaft zwischen antiker Malerei und Basrelief, welche die Figuren nicht im Tiefenraum, sondern auf gleicher Distanz zur Bildebene halten. Die Folge dieser eingeschränkten Kompositionsprinzipien sei die Vereinzelung der Figuren und Vernachlässigung in der szenischen Einheit, was eine dramatische Handlung und sichtbare Interaktion zwischen den Figuren verhindere. Das Manko an Handlung, Komposition und Tiefenräumlichkeit korrespondiert für Ramdohr mit dem Fehlen an physiognomischem und damit affektischem Ausdruck, was die Isoliertheit der Figuren verstärke.234 Dennoch sind für Ramdohr die fehlende Geschlossenheit und das additive Kompositionsverständnis nicht von vollständigem Nachteil, denn er leitet diese Merkmale von einer grundsätzlich anderen Rezeptionshaltung des antiken Betrachters ab. Anders als die Neueren kompensiere dieser den Mangel an poetischer Erfindung durch sein mythologisches Vorwissen, das ihm erlaube, vom Inhalt weitgehend abzusehen und sich ganz auf die malerische Wirkung der Einzelfiguren zu konzentrieren. Ähnlich wie in seiner zwanzig Jahre später formulierten Kritik an Caspar David Friedrichs Kreuz im Gebirge ist Ramdohrs doktrinärer Blick in der Lage, Beobachtungen von innovativer Hellsichtigkeit zu formulieren. Ihn stören nicht die unterbrochenen Konturen und ungewöhnlichen farbharmonischen Zusammenstellungen, die die zeitgenössischen Reisenden an den antiken Gemälden im Museum von Portici massenweise irritieren.235 Im Gegenteil, er erkennt die Qualität in der farblichen Gestaltung, die den Alten zum „Vergnügen des Auges an schönen Formen immer höchster Zweck ihrer Mahlerei war“.236 Vor diesem Hintergrund müsse man „jede Figur für sich betrachten“ 232 Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 163–173. 233 Charles Perrault formuliert erstmals die Beobachtung von einem Aggregatraum der Aldobrandini­ schen Hochzeit, um so der These von der Ebenbürtigkeit der Kunst der Neuzeit besonderen Nachdruck zu verleihen. Siehe hierzu Perrault 1964, Teil 1, S. 219. Vgl. hierzu Imdahl 1964, S. 74 f. 234 Vgl. Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 169. 235 Fitzon 2004, S. 304–322, insbesondere S. 310. 236 Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 170.

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und man finde so „große Schönheiten, reitzende Stellungen, fließende Umrisse, schöne Gewänder.“237 Abgelöst vom dargestellten Inhalt findet hier der impressionistisch wirkende Stil der Malerei augusteischer Zeit eine Wertschätzung, wie sie in der Kunstliteratur zuvor nicht erfolgt war. Mit der Beschwörung der antiken Betrachterhaltung antizipiert Ramdohr den modernen Flaneur, der sich von den ästhetischen Sinneseindrücken der Zerstreuung leiten lässt. Gerade aber in der so konstatierten Neutralitätserfahrung des Gegenständlichen bleibt der konservative Aufklärer bei seinem Hauptkritikpunkt: „Ich gestehe: die Gemählde der Alten erfüllen nicht die Forderungen, die ich an eine ­gute poetische Erfindung mache.“238 In seiner Kritik an der fehlenden Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit der Handlung nähert sich Ramdohr dem autonomieästhetischen Grundsatz Goethes vom „aus sich selbst heraus verständlichen“ Kunstwerk. Das Fundament seiner Ausführungen ist jedoch das des französischen Rationalismus und seiner deutschen Ausläufer. Die Bewertung folgt klar dem gattungstheoretischen Primat des Historienbildes mit der Orientierung an den drei dramatischen Einheiten sowie der Dokrin der expression des passions, die im 17. Jahrhundert von der Pariser Akademie unter Charles Le Brun entwickelt worden war.239 Meyer richtet sich in seiner Abhandlung von 1810 ohne Namensnennung gegen einen „gestrenge[n] Kunstrichter“ (AH 177), dessen Urteile gleich zu Beginn in Form eines fingierten Zitats gerafft wiedergegeben werden. Die implizite Entgegnung greift Ramdohrs rationalistisches Fundament an, indem sie den Dualismus von Inhalt und sich verselbständigender Farbgestaltung widerlegt. Die Einheit des Sujets und kompositorische Geschlossenheit wird von Meyer ausdrücklich bejaht, indem die Anordnung der Figuren als „zweckmäßig“ (AH 177) verknüpfte Szenen in einer aus drei Abteilungen bestehenden Wohnung gedeutet werden, „die kunstmäßig in ein Ganzes verbunden sind“ (AH 178). Dem von Ramdohr konstatierten Mangel an poetischem Gehalt entgegnet Meyer mit dem Hinweis auf die im Gemälde umgesetzte „poetische Freiheit“, denn die zehn Figuren zeichnen sich durch eine „Symbolik“ aus, an die die Maßstäbe der gewöhnlichen Naturnachahmung nicht angesetzt werden könnten (AH 177 f). Mit der Einführung des Symbolischen gleich zu Beginn der Ausführungen entzieht Meyer das Gemälde dem von Ramdohr verfolgten gattungstheoretischen Kontext des Historienbildes und spielt auf die Kategorie der „symbolischen Darstellungen“ an, die in ihrer statuarischen Ruhe an der Spitze der in den Propyläen eingeführten Gegenstandshierarchie noch über dem Historienbild stehen.240 Mit der von Meyer restituierten inhaltlichen und kompositorischen Geschlossenheit des Gemäldes fällt es leicht, auch die koloristische Gestaltung auf den Inhalt abzu237 238 239 240

Ebd., S.163. Ebd., S.169. Kirchner 1991. Meyer, Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst, in: MA 6.2, S. 44–47.

II.3.2  Rationalismus versus Klassizismus: Ramdohr und Meyer über antike Malerei

stimmen. Hatte Ramdohr, hier ganz auf der rationalistischen Auffassung von Le Brun fußend, auf den Mangel an gestischem und vor allem physiognomischem Ausdruck hingewiesen und damit das geringe affektische Potential kritisiert, schließt Meyer in seiner Koloritanalyse an die Position von Roger de Piles an, der dem Inkarnat höhere Ausdrucksmöglichkeiten beimisst als der Physiognomie. Denn allein die Gesichtsfärbung vermag es nach de Piles, unsichtbare Gefühle zum Ausdruck zu bringen.241 Bereits im Abschnitt zum „Ausdruck“ weist Meyer auf die „Scham im Gesichte der Braut“ hin, „die ihre Wangen mit holder Röte färbt“ (AH 180). Im darauf folgenden Abschnitt zum „Colorit“ beginnt Meyer mit der Karnation der Figuren, die sich in insgesamt sechs Stufen vom blassen bis zum dunklen Teint steigert: Die „züchtige Scham“ der Braut; die „blühenden Tinten“ der Zusprecherin und des Mädchens am Dreifuß; die „etwas höhere[n] und abwechselnde[n] Fleischfarben“ der Figuren mit Krone und Leier ganz rechts; das „sehr kräftige[] Colorit“ der sog. „Matrone“ in der linken Flügelgruppe; der „ein wenig bräunliche[] Ton“ der links vom Zentrum stehenden Figur mit ausgießender ­Salbe; schließlich die „[s]tark rotbraune“ und gesättigte Karnation des am Bettende sitzenden Bräutigams (AH 182 f). Braut und Bräutigam bilden damit die äußersten Pole einer emotiven Stufenleiter des Inkarnats: Sie schöpfen „vom Zärtlichsten bis zum Kräftigsten“ und „vermöge des […] beigelegten Charakters“ (AH 182) das geschlechterspezifische und affektische Spektrum der Szene aus. Indem Meyer die Beschreibung des Inkarnats dem koloristischen Gesamtsystem vorzieht, folgt er der für die klassizistische Malpraxis typischen getrennten Anlage von Fleischfarben und Gewandpartien.242 Die eng mit der Kategorie des „Ausdrucks“ verknüpfte Analyse macht aber vor allem deutlich, dass die Farbe für ihn, in Gegensatz zu Ramdohr, eng mit den inhaltlichen Komponenten verbunden wird, indem sie als Träger von Emotionen und Mittel der symbolischen Überhöhung ein integraler Bestandteil der Bildbedeutung wird. Das Inkarnat steht damit pars pro toto für die farbästhetischen Überlegungen. Gegenüber der wertneutralen Notation koloristischer Details von 1796 wird in der Abhandlung von 1810 die Farbe re-semantisiert. Im Rahmen der von Meyer verfolgten Aufwertung des Bildes als „symbolische“ Darstellung wird die vermeintliche Handlungsarmut durch die Ausdrucksfähigkeit der Farbe kompensiert, was sich auch in der von Meyer analysierten Farbharmonie niederschlägt. Hierin, in der vollständigen Angleichung des möglichst abwechslungsreich gestalteten Gesamttons mit dem dargestellten Gegenstand, erweist sich für Meyer die antike Malerei gegenüber den Werken der Neueren eindeutig als überlegen.

241 Vgl. Fend 2007, S. 89. 242 Bleyl 1987, S. 124.

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II.3.  Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie

3.3  Antikes Kolorit in der Farbenlehre Was macht Meyer so sicher, „aus guten Gründen muthmaßen“ zu können, die „Malerei der Alten“ sei in ihrer kolorittheoretischen Reflektiertheit und farbharmonischen Ausführung „ungleich mannigfaltiger, gefälliger und auch bedeutsamer […] als es die Malerei der Neueren ist“ (AH, 183 f)? Der am unteren Rand des antiken Gemäldes verlaufende Farbstreifen gehört zu den typischen rahmenden Elementen der römisch-antiken Malerei des dritten Stils.243 Ebenso typisch für die Malerei augusteischer Zeit ist der den Bildeindruck beherrschende Gesamtton, der aus dem Kontrast der beiden Sekundärfarben Violett und Grün erzeugt wird.244 Hinzu treten die über die Bildfläche verteilte lackrote Schattenfarbe und die drei intensiv gelben, in gleichem Abstand in diagonaler Aufsteigung nach rechts verteilten Stellen. Damit dominiert der Gegensatz zwischen den beiden kalten Farben Violett und Grün, dessen extreme Wirkung durch die Primärfarben von Dunkelrot und Gelb in Form von zwei untergeordneten Komplementärkontrasten gebrochen wird. Dies geschieht in unterschiedlicher Intensität. Während Grün und Gelb vorwiegend als Gegenstandsfarben auftreten, bettet der antike Künstler die Szenerie in einen violetten Gesamtton ein, dessen verwandte Farbe Dunkelrot vorzugsweise für die Körperschatten eingesetzt wird und im rechten Bildzentrum im Schurz des Bräutigams seine Verdichtung findet. Schon in Rom mutmaßte Meyer beim Kopieren, dass der unten fortlaufende Farbstreifen die Hauptfarben des Bildes aufnehme und damit das vom Künstler ausge­wählte farbharmonische System repräsentiere. Ein aquarellierter Zettel mit einer Probe der Farbabfolge, den Meyer einem Brief an Goethe beilegte, bot diesem Anlass zu weiteren Spekulationen (Tf. XXI/3).245 In die Aquarellkopie des Bildes, wie auch in die spätere Ölreplik, ging das Farbband jedoch nicht ein, vermutlich aus der Befürchtung heraus, im direkten Abgleich mit dem unteren Farbschema könnten die im Kopierprozess entstandenen Farbverschiebungen auffallen.246 In jedem Fall ist dieses Element für ­Meyer ein Indiz für die reflektierte koloristische Gestaltung des Bildes, die nicht rein „empirisch“ entstanden sei wie bei den Neueren, sondern auf festen theoretischen Grund­ sätzen beruhe. Die enge Beziehung zwischen dem Farbstreifen und dem Gesamtkolorit des Bildes bestärkt Meyer in der Überzeugung, die Alten hätten den „Ton“ derart verstanden und 243 Mielsch 2001, S. 73. 244 Ehrhardt 1987, S. 68. 245 Meyer an Goethe, Rom, 3. 4. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 217. Die Briefbeilage des Farbstreifens ist abgedruckt bei Wyder 2013, S. 48. 246 So Meyer an Karl August Böttiger bezüglich der übersandten kolorierten Exemplare: „Da sich nun der Streifen auf den Ton der Bilder bezieht dieser aber in unsern Illum: Nachbildungen nur sehr dürftig dargestellt wird so hätte der Streifen keine Bedeutung und bleibt also besser weg.“ Meyer an Böttiger, o.D. SLUB Dresden, Sondersammlungen, Nachlass Böttiger, Mscr.Dresd.h.37,4°, Bd. 128, Nr. 12.

II.1.3  Antikes Kolorit in der Farbenlehre

angewendet, dass dessen Gesamtwirkung durch ergänzende Farben zu einem höchstmöglichen Variantenreichtum gesteigert und damit zum modifizierten Ausdrucksträger des spezifischen Gehalts wurde: „[D]as Werk“, schreibt Meyer in seiner Hypothetischen Geschichte des antiken Kolorits, „mochte übrigens gemacht sein aus was für einem Tone der Charakter und die Bedeutung des Gegenstandes es forderten.“ (MA 10, 548) Während die Neueren ihre Unsicherheit im Ton durch einen meist gelbstichigen Firnis ausgleichen würden,247 fänden die antiken Maler durch die reflektierte Zusammenstellung und durch Kenntnis der Wirkung miteinander verwandter Farben zu höchst individuellen Lösungen. Das antike Farbsystem akkomodiere sich somit wesentlich besser an den Gehalt. Mit dieser Vorstellung lässt sich eine überraschend enge Beziehung zu dem idealtypischen Konzept des „charakteristischen“ und „harmonischen“ Kolorits herstellen, das Goethe im Didaktischen Teil der Farbenlehre vertritt:248 Während das „harmonische Kolorit“ die Totalität des gesamten Farbkreises abbilde und vorzugsweise durch Komplementärkontraste erzeugt werden kann, zeichnet sich das „charakteristische Kolorit“ durch die Dominanz zweier Farben aus, die im Farbkreis durch das Überspringen einer Mittelfarbe kombiniert werden.249 Geforderte Farben werden dabei „bis auf ein Minimum“ ausgeschlossen, um noch eine „Ahndung von Totalität“ zu gewährleisten.250 Die Kombinationen des „harmonischen Kolorits“ sind daher nicht unproblematisch. Die Zusammenstellung zweier sich fordernder Farben birgt nach Goethe die Gefahr in sich, dass diese vom Künstler nicht reflektiert, sondern auf Grundlage einfacher physiologischer Gesetzmäßigkeiten des Auges auf „instinktivem“ Weg erzeugt wird. Gerade dies ist, wie es in § 887 heißt, die Ursache für die „Charakterlosigkeit“ „der meisten Neuern“.251 Das „charakteristische Kolorit“ hingegen hat den Vorzug, dass es „sämtlich etwas Bedeutendes“ hat.252 Es drängt dem Betrachter einen „gewissen Ausdruck“ auf, ohne ihn dabei (im physiologischen Sinne) vollständig zu befriedigen.253 Dies führt zu einem zentralen Moment der individuellen farblichen Ausdrucksgenerierung. Die Dominanz kombinierter „aktiver“ (warmer) Farben Gelb, Gelbrot und Purpur zur Plusseite erzeugt den Effekt des „Mächtigen“, wobei die Gegenfarben Violett und Blau gemieden, Grün am wenigsten berücksichtigt werden soll. Das „Sanfte“ hingegen tendiert zur „passiven“ Seite durch die besondere Berücksichtigung von Blau, Violett und Pur247 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, §§ 891–893, in: MA 10, S. 257, sowie Meyer, Hypothetische Geschichte, in: MA 10, S. 546. 248 Zu den „Charakteristischen Zusammenstellungen“ bzw. zum „Charakteristischen Kolorit“ siehe Didaktischer Teil der Farbenlehre, §§ 816–825 und §§ 880–884. Zu „Totalität und Harmonie“ bzw. zum „Harmonischen Kolorit“ siehe Didaktischer Teil der Farbenlehre, §§ 803–815 und §§ 885–888. 249 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 816, in: MA 10, S. 241. 250 Ebd., § 884, in: MA 10, S. 255. 251 Ebd., § 887, in: MA 10, S. 256. 252 Ebd., § 817, in: MA 10, S. 241. 253 Ebd.

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II.3.  Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie

pur zur Minusseite; Grün wird toleriert; Gelb und Gelbrot möglichst vermieden.254 Dominierend kann somit die Kombination von jeweils zwei Primärfarben Blau und Gelb, Gelb und Purpur, Blau und Purpur (§§ 819–821), aber auch der Kontrast zwischen zwei Sekundärfarben sein, wie die Nennung des Gegensatzes von Gelbrot (­Orange) und Blaurot (Violett) in Paragraph 822 bezeugt.255 Die Sekundärfarbenkontraste von Violett und Grün beziehungsweise von Grün und Orange werden nicht eigens genannt, es ist aber naheliegend, dass diese in die Überlegungen mit einbezogen wurden.256 Die wenigen Fingerzeige in den Abschnitten zum harmonischen und charakteristischen Kolorit deuten darauf hin, dass mit beiden koloristischen Grundsystemen zwischen den Haupteigenschaften der antiken und neueren Malerei unterschieden werden sollte. Das „charakteristische“ Kolorit als stimmungsvolle Zusammenstellung soll nicht allein den rein instinktiv gesuchten und auf bloße Augenbefriedigung abzielenden ­Effekt des harmonischen Kolorits umgehen. Vielmehr ist es Träger einer ausdrucksbezogenen Malweise, die eine engere Beziehung zum Bildgegenstand aufnimmt als das harmonische Kolorit. Hierin zeigt sich offenkundig der Vorzug der antiken Malerei. Der Nachteil des charakteristischen Kolorits besteht jedoch in der tendenziell unbefriedigenden Berücksichtigung der jeweils fordernden Farben. Beide Farbsysteme sind daher durch eine Teilinsuffizienz gekennzeichnet, die sich aus zwei sich gegenseitig ausschließenden Forderungen Goethes ergeben. Zum einen die harmonische Befriedigung des Auges nach wahrnehmungsphysiologischen Gesetzen und zum anderen der sujetbezogene Einsatz von Farbkontrasten, die den Inhalt gerade durch den kalkulierten Verstoß gegen die Wahrnehmungsphysiologie im Sinne des charakteristischen Kolorits ver­ mitteln sollen. In der Farbenlehre gelingt es nicht, diesen Widerspruch durch ein vermittelndes Konzept aufzulösen. Aber die Hinweise, dass sich „für jeden Gegenstand mit Sicherheit eine andre Farbbestimmung wählen läßt“ und dass die Farbkombinationen ins Unendliche spezifizierbar seien,257 zeugen von der Kenntnisnahme der Problematik und dem Versuch einer Annäherung zwischen beiden Harmoniesystemen. Wendet man die Kategorien der Farbenlehre auf die Aldobrandinische Hochzeit an, so werden die Regeln des „charakteristischen“ Kolorits erkennbar. Der von ­Meyer beobachtete violette Ton und die dominante Gegenstandsfarbe Grün erzeugen als kombinierte „passive“ Farben einen „sanften“ Effekt, der mit der thematischen Vorgabe e­ iner Hochzeitsvorbereitung zur Deckung kommt. Gelb, Braunrot (Rot zur Minus­seite) und geringe Anteile von Blau stimmen mit der Forderung nach Einbeziehung weiterer verwandter Farben überein, während Meyer analog zu § 883 die Beobachtung macht, dass in der Aldobrandinischen Hochzeit die warmen (aktiven) Farben ­Orange und Zinnober­ 254 255 256 257

Ebd., §§ 881–883, in: MA 10, S. 255. Ebd., in: MA 10, S. 241–243. Siehe auch Kommentar, MA 10, S. 1111. Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 888, in: MA 10, S. 256.

II.1.3  Antikes Kolorit in der Farbenlehre

rot nicht berücksichtigt wurden (AH 196). Die Forderung nach einem möglichst variantenreichen Grundton scheint somit in dem Werk idealtypisch erfüllt, weshalb M ­ eyer in der Hypothetischen Geschichte des Kolorits der Farbenlehre schlussfolgern kann: Wenn die Neuern, vielleicht durch das Bequeme einiger Farben in der Ölmalerei veranlasst, den Ton ihrer Bilder fast immer gelb gewählt, oder auch zuweilen die Übereinstimmung, wie durch dämmerndes Licht, mit dem farbelosen Dunkel des Asphalts zu bewirken gesucht; so ist man hingegen durch den vorhin erwähnten violetten Ton, welcher in der Aldobrandinischen Hochzeit erscheint, ohne Zweifel berechtigt, der Malerei der Alten überhaupt mehrere Mannigfaltigkeit und Ausbildung von dieser Seite zuzuschreiben, und besagtes Bild, insofern sich nämlich für Erweiterung der Kunst nutzbare Regeln aus demselben ableiten oder wieder auffinden lassen, den Künstlern unserer Zeit zur aufmerksamen Beobachtung zu empfehlen.258

In Hinblick auf die Grundsätze der Farbenlehre setzt das antike Gemälde ein wesent­ liches Desiderat der neueren Malerei um: Die höchstmögliche symbolische Einheit zwischen Gehalt, Ausdruck und Farbe bei gleichzeitigem farblichen Variantenreichtum. Dass diese Ableitung nur auf Grundlage der Existenz des Farbstreifens gelingen kann, ist nicht zu übersehen. Die Bedeutung, die ihm Meyer als „Akkord“ (AH 184) einer spezifizierten farbharmonischen Zusammenstellung beimisst, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses einzige in der Farbenlehre ausführlich besprochene antike Gemälde eine für die Malerei des dritten Stils eher typische als besondere Farbzusammenstellung aufweist. Die Annahme, es handle sich hier um eine auf den Inhalt hin reflektierte farbharmonische Spezifikation, hätte spätestens 1827 ins Wanken geraten müssen, als Goethe und Meyer gemeinsam die von dem preußischen Maler und Lithografen Friedrich Wilhelm Ternite vorgelegten Gouachekopien nach herkulanischen und pompejanischen Gemälden besprachen: „So z. B. herrscht an dem […] Gemälde von den drey weiblichen Figuren Violett vor, Grün und Braun begleiten dasselbe in schöner Mäßigung und Uebereinstimmung. […] Hieraus entsteht ein zauberischer Reiz des gesammten Ganzen, eine Wollust für das Auge, welche die neuern Kunstprodukte meist entbehren; wahrscheinlich aber könnte durch aufmerksames Studiren der noch vorhandenen antiken Gemälde dieser Vorzug wieder erworben werden.“259 Der in der Farbenlehre implizierte Dualismus von „harmonischem Kolorit“ der Neueren und „charakteristischem Kolorit“ der Alten wäre ohne die stabilisierende Analyse des singulär betrachteten antiken Gemäldes ausgeblieben.

258 Meyer, Hypothetische Geschichte des Kolorits, in: MA 10, S. 546. 259 Meyer/Goethe, Bildende Kunst. Sendungen aus Berlin, in: FA I/22, S. 378.

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II.3.  Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie

3.4  Urbild und Denkbild: Die Wiederholung in Öl 1808/1809 Im Vergleich der Notizen von 1796 und der publizistischen Beiträge von 1810 fallen zwei Punkte auf: Erstens betont Meyer im Jahr 1810 die Differenz zwischen antiker und neuerer Malerei stärker als zur Zeit der Aufzeichnungen und der Entstehung der Aquarellkopie in Rom, die den komparativen Aspekt zwischen Alten und Neueren noch nicht beantworten konnten. Zweitens geht diese Unterscheidung einher mit der theoretischen Erarbeitung von zwei grundlegenden Harmoniesystemen in der Farbenlehre, die sich jeweils indirekt auf Meyers historische Ausführungen zur antiken und neueren Malerei beziehen: Dem charakteristischen (antiken) und dem harmonischen (neuzeitlichen) Kolorit.260 Die Arbeitsgrundlage bildeten nach wie vor die vor dem Original gemachten Notizen von 1796, von denen zahlreiche Detailbeobachtungen in die späteren Abhandlungen wortwörtlich einflossen. Die durch den Kopierprozess in Aquarellfarben geschärfte Beobachtung lieferte somit den entscheidenden Beitrag zur mikrologischen Ergründung der koloristischen Elemente, ohne dass diese bereits zu einem gesamt­harmonischen Konzept synthetisiert hätten werden können. In diesem Zusammenhang erscheint relevant, dass Meyer im Vorfeld der beiden Publikationen eine Wiederholung seiner Aquarellkopie in Ölfarben unternahm, die spätestens im Herbst 1809 fertiggestellt wurde (Tf. XX).261 Für den erneuten Anlauf gibt es verschiedene Gründe: Für Böttiger hatte Meyer 1808 eine verkleinerte Replik seiner Kopie angefertigt,262 ebenso überwachte er in der Zeichenschule die Arbeiten an handkolorierten Kupferstichbeilagen für die Monographie,263 von denen ca. dreißig Exemplare von dem Dresdner Verleger Walther vertrieben wurden. Die große Kopie in Öl diente offenbar als Vorlage für die Illuminatoren.264

260 Die Zuordnungen der beiden Harmoniesysteme an die antike und neuzeitliche Malerei scheint mir fundamental zu sein und wurde von der Forschung zur Farbenlehre m. W. bislang zu wenig beachtet. 261 Vgl. den eigenhändigen Eintrag Meyers zur Ausstellung der Zeichenschule im Herbst 1809: „die sogenannte Aldobrandinische Hochzeit Öhlgemälde nach der antiken Mahlerey in der Villa Aldo­brandini in Rom“, in: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Akten Zeichenschule, A 11748, Ausstellungen der Freien Zeichenschule, 1801–1820, fol. 49v. 262 Böttiger in AH, Vorbericht, S. III. 263 Exemplare mit handkolorierten Kupferstichbeilagen konnten nicht eruiert werden. 264 Dies legt eine Äußerung Meyers gegenüber Böttiger nahe: „sollen alle, nach meiner großen Copie, von Müller, Temler oder irgend einen Andern der der Sache gewachsen ist vollendet und Retouchirt werden auf diese Weise können wir wenigstens behaupten die richtigen Farben und überhaupt ­einen Begriff vom Antiken Gemälde dem kunstliebenden Publikum mitgetheilt zu haben[.] […] ­[A]ber man muß von einem Illum. Kupferstich nicht verlangen was nur von einer mit Muße und Sorgfalt verfertigten Copie allenfalls gewährt werden kan.“ Meyer an Böttiger, Weimar, 13. März 1810. SLUB ­Dresden, Sondersammlungen, Nachlass Böttiger, Mscr.Dresd.h.37,4°, Bd. 128, Nr. 13.

II.3.4  Urbild und Denkbild: Die Wiederholung in Öl 1808/1809

Meyers Wiederholung wurde 2011/12 anlässlich der Sonderausstellung Weimarer Klassik – Kultur des Sinnlichen umfassend restauriert.265 Ihre sorgfältige Ausführung und der insgesamt gute Erhaltungszustand bieten Anlass zu Überlegungen zum Zusammenhang von Malpraxis und einem erneuten Anlauf zur Erarbeitung koloristischer Theoreme. In Rom hatte Meyer das Kopieren des antiken Wandbildes in Öl noch aufgrund des abschreckenden Beispiels der Poussin’schen Kopie strikt abgelehnt. Der über zehn Jahre später erfolgte Technikwechsel lässt die Vermutung zu, dass der farbliche Eindruck der damals schon ausbleichenden Aquarellkopie konserviert werden sollte. Sollte dies intendiert gewesen sein, so wäre das Ergebnis nur teilweise zufriedenstellend: Der am Original vorhandene und von Meyer geschätzte leuchtende Gesamtton ist in der Wiederholung in eine helle und cremig-türkise Färbung übersetzt worden, die durch die starke Weißbeimischungen an Gouachemalerei erinnert. Die skizzenhafte Lockerheit des Freskos, welche die erste Kopie noch durch den Einsatz von Kreiden andeutend imitiert, ist hier durch den peniblen Auftrag von Lasuren und die Vermeidung sicht­barer Pinselstriche vollständig verloren gegangen. Schon rein malmotorisch wäre die Imitation der antiken Pinselführung auf Schwierigkeiten gestoßen: Die am Original differenziert getupften farbigen Schatten auf der Gewandung der Matrone (Tf. XXI/2) hätten um 1810 bei einer exakten Nachahmung in Ölfarben zu einer maltechnischen Innovation geführt, die heute an einen impressionistischen Farbauftrag erinnern würde – Meyer als Vorläufer Max Liebermanns und Max Slevogts wäre in der Tat ein interessanter Beitrag zum Zusammenhang von Klassizismus und Moderne. Auffallend sind eine dicke helle Grundierung bei einer starken Ausmischung der Farben mit Weiß sowie ein dünn deckender Farbauftrag, der die Vorzeichnung durchscheinen lässt. Ein Firnis fehlt, wodurch Helligkeit erzeugt und eine zu starke Glanzwirkung verhindert wird. In beiden Punkten erprobt Meyer malpraktische Grund­sätze der Farbenlehre: In den Paragraphen 902 bis 910 des Didaktischen Teils wird in Abgrenzung zum seit dem 16. Jahrhundert üblichen Malen auf dunklen Grundierungen der Mal­auftrag auf hellem Grund befürwortet.266 Dies ähnle dem Umgang mit Aquarell­ farben und habe den Vorteil, dass die Schattenpartien nicht nachdunkeln. Auch der Verzicht auf den Firnis indiziert die theoretische Prägung: In ihm sehen die Weimarischen Kunstfreunde weitere Ursachen für das Nachdunkeln von Bildern und die so bekämpfte Gelbstichigkeit des Gesamttons, der die Entfaltung der Farbharmonien verhindere.267 Neben diesen Merkmalen, die auf die Imitation von Freskotechnik in Öl­farben verweisen, unterscheidet sich Meyers Wiederholung in Öl gravierend von seinem antiken Vorbild durch die einheitlich lasierende Malweise: Die im Original in lockeren 265 Siehe auch Johannes Rößler, Kat.-Nr. 27, in: Ausst.-Kat. Weimar 2012, S. 184–187. 266 Zum Kontext siehe Pietsch 2008, S. 15–40. 267 Dass Meyer im Umgang mit Mastixfirnis vertraut war, belegen unter anderem seine Firnisarbeiten an fünf Bildern Caspar David Friedrichs im Jahr 1810. Vgl. Rößler 2013a, S. 254.

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II.3.  Die Aldobrandinische Hochzeit als gemalte Farbentheorie

Druckern aufgesetzten rotbraunen Schattenpartien fehlen völlig, ebenso wurden die gut sicht­baren diagonalen Schraffuren nicht übernommen. Der freie und spontane Farbauftrag mit seinen die gegenständlichen Begrenzungen übergehenden Pinsel­strichen ist korrigiert durch eine dem Gegenständlichen angeglichene Ausmalung, wodurch ­eine stärkere Plastizität erzeugt wird. Meyer macht hierbei eine eindeutige Bewegung in Richtung einer der beiden formalen Pole des römischen Originals: Die moderne Archäologie geht aus verschiedenen formalen wie ikonographischen Gründen davon aus, dass die Mittelszene auf einem griechischen Vorbild beruht, da diese eine stärkere Räumlichkeit und Plastizität aufweist als die beiden Flügelszenen.268 Meyer entscheidet sich somit in seiner zweiten Kopie für eine durchgängig modelliertere und raumhaltigere Interpretation und gleicht die beiden Seitenszenen in diesem Sinne an. Eine starke Vergegenständ­lichung zeigt sich auch an Details, die Meyer am Original erst nach Abschluss seiner ersten Kopie auffielen. So folgt er bei der Darstellung der Hände den in den Notizen nachträglich niedergelegten Zeichnungen (Abb. 40 und 41) und nicht der Aquarellkopie. Trotz des Verlustes der farblichen Nuancierung durch Zwischentöne zeichnet sich Meyers zweite Kopie (Tf. XX) durch eine überexakte Wiedergabe einiger koloristischer Details aus. Dies betrifft beispielsweise die gelben Farbflecken auf dem Gewand der Leierspielerin oder die pastose Weißhöhung an der Schulter der Braut. Offensichtlich stützte sich Meyer bei der Ausführung nicht allein auf die Vorlage in Goethes Wohnhaus, sondern auch auf seine Notizen, aufgrund derer er die sprachlich niedergelegten Beobachtungen ins Malerische rückübersetzte. Aus diesem Grund erscheinen zahl­ reiche versprachlichte Beobachtungen in der zweiten Kopie als überpointierte Wiedergänger des Originals. Besonders auffallend ist dies bei der Keilfalte des Gewandes der Figur am Dreifuß auf der rechten Bildseite. Sie ist maßgeblicher Beleg für Goethes und Meyers gemeinsame Überlegungen zum antiken Helldunkel, das bei Draperien wie bei einem eckgestellten Pfeiler in eine klare Licht- und Schattenseite aufgeteilt sein soll und sich damit grundlegend vom Helldunkel der Neueren unterscheidet.269 Die Replik in Öl betont diesen Aspekt durch eine kantig scharfe Teilung in eine beleuchtete und eine beschattete Gewandhälfte (Tf. XXI/1). Auch hier wirkt eine von der exemplarischen Beobachtung abgeleitete Verallgemeinerung zurück auf die Kopie, indem durch Wiederholung eine im Original keineswegs eindeutig angelegte Bildpartie an das deduktiv gewonnene Formprinzip angeglichen wird. Versprachlichte, zweifellos aus der Beobachtung gewonnene Formelemente werden somit in der zweiten Kopie des Bildes auf hypostasierte Weise wiedergegeben. Während der erste Kopierprozess zur Verbalisierung der Beobachtungen führte, folgte auf Grundlage der versprachlichten Erkenntnis in den 268 Andreae 1962, S. 6–8. 269 AH, 187 sowie Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, §§ 859–861, in: MA 10, S. 250.

II.1.3  Antikes Kolorit

Aufzeichnungen eine Generalisierung, die in der zweiten malerischen Umsetzung die vormals selektiv wahrgenommenen Details überbetonte. Das Gesehene verfestigte sich zum Wissen; das Gewusste kehrte in der gemalten Wiederholung als Reduktionismus mit normierender Auswirkung wieder. Alles deutet darauf hin, dass Meyer mit der zweiten Kopie ein Denkbild geschaffen hat, das die am Original gewonnenen Erkenntnisse nicht verleugnet, aber das Farb­ system von sichtbaren Pinselstrichen in eine lasierende Ölmalerei überführen sollte. Der Problematik des Techniktransfers war sich Meyer angesichts der im 18. Jahrhundert ausufernden Diskussionen über Enkaustik-Malerei bewusst. So schreibt er in der Hypo­ thetischen Geschichte des Kolorits über die unterschiedlichen Maltechniken der A ­ lten: „Ohne so verschmolzen sanft und weich zu sein, als Malerei mit Ölfarben, gewährte es doch im Ganzen fast eben die Vorteile für allgemeine Wirkung und erhielt nebenbei noch die Eigenschaften, durch welche sich Wasserfarben vorzüglich empfehlen“. Dies bedeute aber kein Plädoyer für eine Wiederaufnahme der antiken Maltechniken, denn es sei naiv zu glauben, „man könne mit Erneuerung technischer Verfahren der Alten auch den Geist ihrer Kunst wieder aufrufen“. Ebensowenig aber müsse man deshalb e­ ine Überlegenheit der Neueren wegen des Gebrauchs von Ölfarben annehmen (MA 10, 549). Die Wiederholung in Ölfarben verdeutlicht diesen aus der Malpraxis gewonnenen Widerspruch: Im Aufbau der Farbschichten, dem harmonischen System und der gegenständlichen Formprinzipien lehnt sich die zweite Kopie an das antike Wandbild an, akkommodiert aber im Pinselduktus den ‚sanften Schmelz’ der Neueren. Meyer macht immer wieder deutlich, dass es sich bei dem antiken Gemälde um ein flüchtiges, skizzenhaftes Nachbild eines verlorenen griechischen Vorbilds handelt. Die Umsetzung des technisch souveränen, ansonsten aber mittelmäßigen Meisters ­einer sinkenden Periode ist ihm vor allem Indiz für den insgesamt hohen Kenntnisstand über Farbharmonien bei den Alten. Der als „überaus flüchtig“ und „skizzenhaft“ (AH 180) beschriebene Farbauftrag bildet dagegen keinen Eigenwert, wie Meyers einschränkende Formulierung belegt: „Obschon die Arbeit im Ganzen nur flüchtig und skizzenhaft ist, so war der Maler dennoch mit großer Sorgfalt um zweckmäßige Abwechslung der Farbentöne, nach Maßgabe der verschiedenen Charaktere der Figuren, bemüht und hat sich darin besonders tüchtig erwiesen.“270 Dass dieser Skizzismus – anders als bei ­Ramdohr – schlecht mit dem normativen Anspruch der Weimarischen Kunstfreunde vereinbar war, musste jedem mit der Propyläen-Ästhetik vertrauten Leser durch ­Goethes Der Sammler und die Seinigen geläufig sein. Auf der Suche nach dem antiken Urbild musste Meyer den im römischen Nachbild angelegten ‚Skizzismus’ überwinden. Seine Auseinandersetzung mit der Aldobrandinischen Hochzeit zeugt von dem Versuch, die antike Farbenharmonie mit einer im Sinne der Farbenlehre revidierten neuzeitlichen Malpraxis auszusöhnen. 270 Meyer, Hypothetische Geschichte des Kolorits, in: MA 10, S. 546.

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4. Antik und Modern. Aktualisierungen der Farbe 1808 und 1820

Die vorangegangenen Ausführungen belegen, dass Meyers fundamentaler Anteil an der Konzeption der Farbenlehre von diversen Praktiken begleitet wurde: Er brachte zunächst seine Kenntnisse über Maltechnik ein, stellte Goethes optische Experimente nach und setzte sie malerisch um, verfasste Notate und fertigte schließlich mit Akribie in verschiedenen Maltechniken Kopien der Aldobrandischen Hochzeit an. Als Gesamtergebnis dieser Tätigkeiten kann die Übertragung der von Goethe um 1794 entdeckten „physiologischen Farben“ auf eine malerisch-koloristische Harmonielehre gelten, von der freilich Meyers Anteil ebenso wenig exakt von Goethes Denkleistung zu unterscheiden ist wie seine erhebliche Rolle als kunsthistorischer Empiriker aus dem Gesamtsystem der Farbenlehre wegzudenken wäre. Die Aldobrandinische Hochzeit, auf die Meyer Goethe ja erst spät aufmerksam gemacht hatte, fungierte hier als Schlüsselbild der theoretischen Reflexion und bestätigte auf verblüffende Weise die von Meyer so pathetisch angesprochene Frage nach dem „Zufall oder Verhängniß“271 seiner Entdeckung: Als einziges analysiertes Zeugnis der antiken Malerei wurde sie durch „Zufall“ das paradigmatische Werk einer ganzen antiken Harmonielehre des Altertums erhoben und so von der neuzeitlichen Malerei abgegrenzt. Ein „Verhängniß“ insofern, als sich im empirischen Vergleich eines größeren antiken Bilderkorpus schnell eine Ernüchterung über die angenommene Gestaltungsvielfalt antiker Farbkonzepte hätte einstellen müssen. Denn die Farbharmonie der Aldobrandinischen Hochzeit kann vor allem als typisch und weniger als (eine von Goethe und Meyer angenommene) spezifische Modifikation in der römischen Malerei des 1. Jahrhunderts gelten. In jedem Fall waren die 1810 im Didaktischen Teil der Farbenlehre formulierten maltechnischen und farbharmonischen Grundsätze bindend für Meyers Wirken. Dies betrifft zum einen die am Bildgehalt orientierte Zusammenstellung der Farben zu einer emotiven Gesamtwirkung, die Meyer nach 1800 nur in einem einzigen Werk, ­Herkules im Trauerhause Admets (1807/1829), umzusetzen versuchte (Tf. XXII). In der Aufteilung nach drei Registern zitiert das Aquarell im Längsformat die Raumkonzeption der Aldobrandinischen Hochzeit, farblich verfolgt es eine fast lehrbuchhafte Anwendung des Gesetzes der aktiven und passiven Farben: Während die Trauerszene mit der 271 Meyer an Goethe, Rom, 12. 2. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 194 f.

II.4.  Antik und Modern: Aktualisierungen der Farbe 1808 und 1820

verstorbenen Alkmene im rechten Bildregister durch gedämpfte Blautöne unterstützt wird, ist die mittlere Bewirtungsszene mit dem (um den Trauerfall noch unwissenden) ­Herakles durch das dominante grüne Ehrentuch derart konzipiert, dass sich der lebhafte Farbe-an-sich-Kontrast (Primärfarbenkontrast aus den Gewandfarben in reinem Rot, Blau und Gelb) in der grünen Einbettung in leichter Beruhigung entfaltet. Die aktive Dienergruppe links nimmt diesen Primärfarbenkontrast auf, modifiziert ihn aber durch das ins Dunkelorange spielende Gewand der Mittelfigur, so dass die Lebhaftigkeit der herbeieilenden Bediensteten gebrochen ist: Sie wissen um die gefühlsambivalente Situation ihres Hausherrn, die einerseits die ehrenvolle Bewirtung des hohen Gasts, andererseits die zunächst verheimlichte Trauer über die Gattin erfordert. Eine solche Um­setzung entspricht der an der Aldobrandinischen Hochzeit statuierten Konzeption ­einer symbolischen Wirkung von Farbkontrasten (nicht der Einzelsymbolik der Farbe). Dass Goethe jenes Aquarell am Ende seines Aufsatzes über die Gemälde Philostrats lobend bespricht, ist daher kein Zufall. Mit der „wohldurchdachte[n] Composition“ korrespondiere das „Glück, womit Licht und Schatten, von Farbe begleitet einander ent­ gegen gesetzt sind, sich keineswegs durch Worte aussprechen lassen“!272 Der andere Aspekt betrifft die maltechnischen Fragen, die sich vielfältig in ­Meyers Wirken nach 1800 finden lassen. Beachtlich ist die mediale Unterscheidung von Aquarell und Ölmalerei hinsichtlich ihres Wirkungspotentials, die Meyer bereits im Entwurf zu einer Geschichte der Kunst des achtzehnten Jahrhunderts (1805) ausführt: Während Ölfarben „Glanz, Klarheit und schöne[n] Schein“ durch Lasuren, also durch das Prinzip der optischen Mischung erzeugten,273 dient das Aquarell der schnellen Ausführung vor Ort. Es bleicht zwar „nach einigen Jahren beträchtlich aus“ und das freie Spiel des ­Pinsels ist durch Aussparung der hellen Stellen eingeschränkt,274 doch dient es opti­mal für „landschaftliche Skizzen“ und dem Kopieren nach Freskogemälden, „deren Farbenton […] gut nachgeahmt werden kann“. Kopien in Ölfarben erhielten dagegen „durch ängstliche Behandlung allemal etwas Frostiges, Unangenehmes“.275 Die S­ tärke der Ölmalerei liege im historischen Fach, da dies „kräftiges, zart nüanziertes Kolorit“ er­for­ dere.276 Das letztendlich auf diese Weise postulierte Primat der Ölmalerei bildet den zentralen Ansatz von Meyers Kunstpublizistik der Jahre nach 1810. Mit der Forderung nach einer lasierenden Malweise und der Erzeugung von optischen Mischungen kann er einerseits die technische Insuffizienz der Nazarener postulieren, andererseits den ­hohen Rang der altniederländischen Malerei in der Sammlung Boisserée erkennen

272 Goethe, Philostrats Gemälde, in: FA I, 20, S. 345. 273 Meyer, Entwurf zu einer Geschichte der Kunst des achtzehnten Jahrhunderts, in: MA 6.2, S. 332. 274 Ebd., S. 317. 275 Ebd. 276 Ebd.

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II.4.  Antik und Modern

(­siehe Teil III, ­Kapitel 3). Im Folgenden soll an zwei Fallbeispielen die zeitgebundene Relevanz der Goethe-Meyer’schen Farbästhetik untersucht werden.

4.1  Ein Reformbild in Rom: Gottlieb Schicks Apoll unter den Hirten Am Ende des koloritgeschichtlichen Abrisses in der Farbenlehre erwähnt Meyer einen „jungen emporstrebenden Maler“ in Rom, der kürzlich „Bilder mit heitern Gründen und gemäßigten zarten, der Wahrheit ähnlichen Tinten des Fleisches verfertigt“ haben soll.277 Wie Pamela Currie erkannt hat,278 spielt Meyer auf einen Artikel im Intelligenz­ blatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur Zeitung an, in dem das 1808 in Rom entstandene Programmbild Apoll unter den Hirten von Gottlieb Schick besprochen wurde (Tf.  XXIII).279 Als Verfasser galt lange aufgrund etlicher textlicher Übereinstimmungen der spätere Schick-Biograph Ernst Platner,280 auch Currie folgt dieser Angabe. Ein in Abschrift überlieferter Auszug aus einem Brief Meyers, der schon 1891 publiziert worden ist und 2010 von Michael Thimann in Erinnerung gerufen wurde,281 weist hingegen Platners Schwager Heinrich Keller als den Verfasser aus: „Ihr Aufsatz über die Gemälde=­Ausstellung des Herrn Schick ist in No. 9 u. 10 des Intelligenzblattes zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung abgedruckt worden, wodurch, wie ich hoffe, dem wackeren Künstler einiger Vortheil zuwachsen wird. Das Publikum scheint mit Interesse auf die gegebenen Nachrichten zu merken und man wünscht einige der beschriebenen Bilder durch Umrisse wiedergegeben zu sehen, um eine nähere Anschauung davon zu erhalten.“282 Meyer hat also den Bericht seines Freundes Keller redigiert und dabei, wie er an Horner schreibt, „gar Vieles Kunst-kritisch-Philosophisches Raisonnement ausstreichen müßen“.283 Gegenüber Horner äußert er sich verhalten über den positiven Tenor der Besprechung: „Ernst ist’s den Herrn aber sie forschen so tief so weit umher fordern vom Kunstwerk so viel und so viel Entbehrliches daß ich sehr fürchte die alter­ thümliche Einfalt welcher jetz nachgejagt wird und vornehmlich das Rechte werden auf diesem Wege nie gefunden werden.“284 Dass Meyer seine Aussage auf eigene Anschau-

277 278 279 280 281 282

Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: MA 10, S. 724. Currie 2013, S. 83, 101–104. Keller 1809. Vgl. Platner 2010, S. 34–44. Wyss 1891, S. 51; Thimann 2010a, S. 134. Meyer an Keller, Weimar, 3. 2. 1809 (Abschrift), in: NL Heinrich Keller, Kunsthaus Zürich, Römisches Tagebuch I (Abschriften Schottkys), P 182/I, pag. 42. 283 Meyer an Horner, Weimar 30. 1. 1809, ZB Zürich, Ms M 8.36, Nr. 39. 284 Ebd.

II.4.1  Ein Reformbild in Rom: Gottlieb Schicks Apoll unter den Hirten

ung stützen konnte, ist unwahrscheinlich. Eine kleine Version von Schicks Gemälde285 gelangte erst 1841 in die Weimarer Kunstsammlungen. Kellers Bericht geht im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Würdigungen ungewöhnlich intensiv auf die koloristischen Werte des Bildes ein und weist hohe Übereinstimmungen mit der Weimarischen Farbreflexion auf. Keller verteidigt vor allem das „Cangiante“ als koloristisches Prinzip, das unabhängig von der Frage nach seiner natürlichen Existenz eine Berechtigung in der Malerei habe. Seine Apologie bezieht sich unter Berufung auf Winckelmann auf die Tatsache, dass auch die Malerei der Alten Changeant-Effekte aufweise.286 Es ist mehr als naheliegend, dass Keller damit an eine der 1796 in Rom geführten Diskussionen mit Meyer anschließt und dass die Annoncierung Schicks in dem von Goethe geförderten und von Meyer mitredigierten Intelli­ genzblatt mit einer gewissen Berechnung erfolgt ist. Als Meyers Wohngenosse in Rom und Begleiter287 muss Keller unmittelbarer Zeuge von dessen Kopiertätigkeit der Aldobrandinischen Hochzeit und deren Erhebung zum koloristischen Musterbild gewesen sein. Dem Aspekt einer bewussten Lancierung Schicks in einer deutschen Zeitschrift widerspricht nicht, das die farbästhetische Programmatik Meyers von Keller adaptiert und von ihm an Schick weitergegeben wurde: Schick emanzipierte sich von der Lokalfarbigkeit des David-Ateliers erst in Rom und nimmt mit seiner Farbauffassung unter den deutsch-römischen Künstlerzeitgenossen eine Sonderstellung ein. Der Vermittlung von Meyers farbästhetischen Überlegungen durch Keller käme somit eine gewisse Plausibilität zu.288 Tatsächlich ähneln einige chromatische Gesetzmäßigkeiten auf Schicks Bild auch bei näherer Betrachtung den Meyer’schen Grundsätzen. Diese auffälligen Übereinstimmungen lassen die Genese der Weimarischen Farbästhetik und des Schick’schen Kolorismus aus gemeinsamem theoretischen Grundlagen und denselben Objekten der Anschauung vermuten. Auch wenn diese Annahme hypothetisch bleiben muss, so bietet die Parallele in jedem Fall den Beleg für das Ineinandergreifen von koloritästhetischer Reflexion und klassizistischer Bildproduktion im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts: Es ist eine Achse, die sich zweifelsohne als elitärer Subdiskurs innerhalb des Hoch­ klassizismus ausbildet und somit nicht als übergreifendes Zeitphänomen generalisier285 Gottlieb Schick, Apollo unter den Hirten, Öl auf Holz, 36,6 × 47,5 cm, Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen G 154. Laut Museumsdatenbank im Jahr 1841 vom Großherzog angekauft. 286 Keller 1809, Sp. 73. Winckelmann SN 4,1, S. 370 u. 371 (Geschichte der Kunst des Alterthums, Fassungen von 1764 und 1776). Vgl. die Ausführungen zur Aldobrandinischen Hochzeit oben, Abschnitt 3.3.  287 Siehe die Quellenbelege mit Aussagen Heinrich Kellers über Meyer vom Dezember 1795 und Januar 1796 in Teil I, Abschnitt 3. 1. , der vorliegenden Arbeit. 288 Currie 2013 hat die Verbindung zu Heinrich Keller übersehen und erwägt die Bekanntschaft Schicks mit Goethe während dessen Stuttgart-Aufenthalt im September 1797 (S. 102). In diesem Fall wäre dies sicherlich nur eine kurze Begegnung gewesen, die kaum Zeit für ausführliche Diskussion g­ elassen ­hätte.

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II.4.  Antik und Modern

bar ist.289 Dass Meyer trotz der Anspielung in der Farbenlehre die Keller’sche Besprechung mit Skepsis bewertete, ist verständlich. Der Text hätte kaum als Anschauungsersatz dienen können, um das Urteil nach den angestrebten Grundsätzen nachvollziehen zu können. Auch der oben zitierte, an Keller gerichtete Wunsch nach Abbildungsbeilagen indiziert dieses Desiderat. So sehr also die Rezeption von Schicks Bild bei dem Weimarer Adressaten nur auf Grundlage seiner Beschreibung und dem Einsatz der entsprechenden Schlüsselbegriffe möglich wurde, so sehr gilt es in umgekehrter Richtung zu fragen, inwieweit Schicks Bild aus einer Vermittlung derselben Grundsätze an Schick durch Keller erklärbar ist. Es ist daher legitim, Schicks 1808 vollendetes Hauptwerk mit der von Meyer anhand der Aldobrandinischen Hochzeit erarbeiteten Auffassung zu vergleichen. Meyer hatte die Aldobrandinische Hochzeit auf Grundlage folgender Kriterien zum exemplarischen Objekt seiner Farbreflexion erhoben: Erstens hinsichtlich des einheit­ lichen Tons, der durch die Anwendung der „benachbarten Farben“ differenziert und belebt wurde, wodurch im Gegensatz zum „falschen Ton“ farbliche Einheit in der Mannigfaltigkeit entsteht. Zweitens durch die musterhafte Anwendung des Inkarnats, das in seiner abgestuften Tönung die affektive Beteiligung der einzelnen Personen, ihre unterschiedlichen Charaktere und nicht zuletzt die Differenzierung nach Alter und Geschlecht zum Ausdruck bringe. Mit der Wertschätzung des Inkarnats kompensierte Meyer den Verlust der barocken Ausdrucksebenen, die in der klassizistischen Wahrnehmung als übertrieben oder manieriert gelten mussten. Drittens betont ­Meyer die Wirkung der Changeanteffekte der Gewänder ganz unabhängig von der materiellen Struktur der dargestellten Stoffe. Hinsichtlich der Nachahmung des natürlichen Kolorits sind changierende Farben das Ergebnis besonderer Lichtverhältnisse und beziehen sich auf die physikalische Momentanerscheinung der farbigen Schatten. Farb­ harmonisch gehen sie jedoch weit über die Berücksichtigung eines bloßen physikalischen Phänomens hinaus, indem sie als wirksames Instrument der Farbdifferenzierung dienen. Je nach Anlage und Situation können sie zur Belebung des Kolorits, zur Dämpfung greller Effekte oder zur koordinierten Helldunkelverteilung eingesetzt werden. Als Ergebnis seiner Kopierpraxis führte Meyer mehrere kunsttheoretische Traditions­ stränge zusammen, die um 1800 in ihrer stimmigen Synthese als ein Alleinstellungsmerkmal gelten können: Die farbästhetische Programmatik grenzt sich einerseits ab von der als zu grell und prachtvoll erfahrenen Buntfarbigkeit des römischen Frühklassizismus von ­Pompeo Batoni und Anton Raphael Mengs, andererseits aber auch von der

289 Dieser Auffassung widerspricht nur vordergründig die Arbeit von Annik Pietsch 2014, welche die künstlerische Rezeption der Farbenlehre in Berlin nachweist. Pietsch konzentriert sich vor allem auf den Farbaufbau, nicht so sehr auf die Übertragung von Goethes farbharmonischen Konzepten.

II.4.1  Ein Reformbild in Rom: Gottlieb Schicks Apoll unter den Hirten

„neuen Energie“ durch Jacques-Louis David,290 die durch Konzentration auf die Gegenstandsfarben und Schwarzanteile in den Schattierungen ein durchkonzeptionalisiertes Verständnis von Lokalfarbigkeit und Helldunkel verfolgten. Beides war aus der Sicht Meyers abzulehnen. Schick hatte zunächst bei Hetsch in Stuttgart und dann zwischen 1798 und 1802 im Pariser David-Atelier gelernt. Nach seiner Ankunft in Rom im November 1802 und dem Eintritt in das intellektuelle und künstlerische Milieu Wilhelm und C ­ aroline von ­Humboldts, Bertel Thorvaldsens, Joseph Anton Kochs und vieler anderer verändert sich sein Zeichnungs- und Malstil fundamental.291 Durch seinen Umgang mit George ­Augustus Wallis und Washington Allston, zwei Malern schottischer bzw. amerikanischer Herkunft, konnte er seine lasurtechnischen Fähigkeiten entscheidend verbessern. Gerade in dieser maltechnischen Perfektionierung und der gezielten Verwendung opti­scher Mischungen im Historienbild wird eine deutliche Abstandsgewinnung zu den Prinzipien der David-Schule erkennbar: Das Inkarnat erscheint modifizierbarer, die Gewandfarben erhalten mehr Differenzierung, die Lasur verschiedener Farben und ihr Durchscheinen ist schon für das bloße Auge sichtbar.292 Die intensive Lokalfarbigkeit und mit schwarzen Schatten erzeugte Helldunkelbindung, die von Schicks Lehrern Hetsch und David gepflegt wurde und die auf dem 1801 für eine Akademiekonkurrenz entstandenen Werk Achill empfängt die Gesandten Agamemnons gut zu sehen ist,293 löst sich auf in ein koloristisches Spiel der Farbwerte, das sich auf der Oberfläche des Gegenständlichen vollzieht. Vergleichbar mit der erst ab 1810 vollumfänglich in Schriften nachlesbaren ­Goethe-Meyer’schen Farbästhetik ist die tonale Konzeption des Bildes (Tf.  XXIII):294 Durch die nackten Figuren dominieren zum Bildzentrum hin die Fleischfarben, die an den Bildseiten mit Rot als der meist verwendeten Gewandfarbe eine fast natürliche ­Allianz eingehen. Als zweite reine Buntfarbe findet sich Blau, während alle anderen Gewandfarben nur gedämpft auftreten. In dem Kreis der versammelten Zuhörer Apolls stoßen Rot und Blau drei Mal als direkt benachbarte Gewandfarben aneinander. Ansonsten stellt Schick die warme Tonalität des Bildes durch die Nebeneinandersetzung verwandter Farben her, die sich in der kreisförmigen Figurenanordnung wie die ver­ eben schiedenen Tönungen eines Fächers darbieten: Auf der rechten Bildseite setzt er n 290 Zur David-Rezeption bei Goethe und seinem Kreis siehe Hermann Mildenberger: Die neue Energie unter David, in: Ausst.-Kat. Frankfurt 1994, S. 280–291. 291 Ulrike Gauß, Einleitung, in: Ausst.-Kat. Stuttgart 1976, S. 12. 292 Diese Qualitäten hebt Keller in seiner Rezension hervor (Keller 1809, Sp. 72). Pauschal urteilt er, dass der „grösste[] Theil[] der modernen Gemälde“ bisher nur „recht gut geschminkt, aber nichts weniger als, im wahrsten Sinne des Wortes, colorirt sind.“ Ebd., S. 73. 293 Farbabbildung bei Holst 2008, S. 89. Das Werk war lange verschollen und wurde 2016 für die Staatsgalerie Stuttgart angekauft. 294 Vgl. auch die Analyse bei Currie 2013, S. 101 f.

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das rote, mit weiß aufgehellte Untergewand des in der rechten Ecke sitzenden Jünglings einen ebenfalls roten, ins Orange spielenden und mit Grünanteilen changierenden Stoff an der danebenliegenden Figur. Dieser wird durch das streifenartig hervorragende Gewand der nachfolgend überschnittenen weiblichen Figur umfangen, das farblich einen Mittelwert der beiden vorausgehenden Rot-Töne herstellt. Von dort multipliziert sich die Staffelung verwandter Farben nach oben, indem das weibliche Figurenpaar sowie das Kind mit Panflöte Gewänder in drei unterschiedlich hellen Grüntönen tragen, rhythmisiert durch den Einschub eines ungebrochenen und einheitlich verwendeten Blau an den Untergewandpartien der aufrecht halbnackten Sitzenden und dem Kopftuch der rechten Liegenden, wodurch eine ins Bildzentrum führende Diagonale entsteht. Die ­dichte Kombination aus den brillant funkelnden Farben Rot, Blau und Grün wirkt wie ein Keil in der sonst gedämpften Abfolge farbiger Flächen. Der ganz hinten stehende und auf Apollo zeigende König Admet nimmt schließlich mit seinem Gewand die dominanten Rottöne der unteren rechten Gruppe in abgeschwächter Form auf. Das matte, ins Vio­lette spielende Purpur wird durch Orangeanteile gebrochen. In Korrespondenz zu diesem steht das helle rotorange Gewand des rechten Knaben der im Bildzentrum stehenden Dreiergruppe: Dieses changiert leicht ins Bläuliche und Grüne, womit eine allzu kontrastive Zusammenstellung mit der benachbarten Gewandfarbe Blau verhindert wird. Jede Kleiderfarbe steht in Korrespondenz zu einer der benachbarten Farben und schafft so einen gleitenden Übergang – sei es durch unterschiedliche Rotund Grüntöne, Blau-Grün-Verbindungen oder die Lasur der in unmittelbarer Nachbarschaft stehenden Farbe. Der starke Kontrast wird allgemein gemieden und nur als Lizenz zur Hebung brillanter Farben eingesetzt. Ganz besonders wird dies an der dominierenden Dreiergruppe um den sitzenden Apollo erkennbar. Apolls angewinkeltes Knie überschneidet den nackten Oberkörper der daneben sitzenden weiblichen Figur. Beide Fleischtöne werden zu einer alabasterfarben wirkenden Einheit verschmolzen. Dies erfolgt jedoch nur, um der changierenden Farbgestaltung am Untergewand der Sitzenden mehr Geltung zu verleihen: Der zart zwischen Rosa und bläulichen Tönungen spielende Stoff bildet als die hellste Stelle im Bildzentrum einen chromatischen Blickfang, der in seinem Faltenwurf an ­antike Vorbilder wie die Figuren der Niobidengruppe erinnert. Eine ebenso differenzierende Interaktion mit den Fleischfarben schafft Schick mit dem über Apolls Schulter hängenden gelblichen Ziegenfell und der dunkelgelben Gewandung des alten Hirten. Auch hier werden keine Kontraste ausgereizt, sondern Farbvariationen modifiziert, welche die Konkurrenz von Inkarnat und Gewandfarben aufheben und ein leicht bewegtes und ausge­ glichenes Farbenspiel erzeugen. Zu Recht ist Schicks Apoll unter den Hirten als der „bildgewordene Ausdruck idealistischer Kunsttheorie und ein Denkbild der ästhetischen Erziehung“295 bezeichnet 295 Thimann 2010b, S. 260. Zur Ikonographie des Werks siehe auch Körner 1993; Trempler 2010.

II.4.1  Ein Reformbild in Rom: Gottlieb Schicks Apoll unter den Hirten

worden. Die Klassizität jenes Reformbildes beruht jedoch nicht allein auf der visuellen Verkörperung des Humboldt’schen Bildungsgedankens und der dezidierten Orientierung am Griechenlandideal, sondern auch auf einem chromatischen Verständnis, das demjenigen des Weimarer Hochklassizismus äußerst nahekommt. Ein an Tizian und vor allem auch an Pietro da Cortona angelehnter farbästhetischer Kanon kommt in Schicks Gemälde zum Tragen, während die farbliche Konzeption der Aldobrandinischen Hochzeit zwar nicht erkennbar, aber doch mit den von Meyer abgeleiteten Theoremen vereinbar ist. Ähnlich der späteren Forderungen der Farbenlehre hält das Werk die Balance zwischen den abgelehnten Extremen der Buntfarbigkeit und des nivellierenden Gesamttons, indem der Einsatz benachbarter, stufenartig über die Bildfläche wandernder Farben und leichter changierender Brechungen eine diskrete Gesamtfarbigkeit erzeugt. Das Gemälde bildet so den Resonanzboden von Meyers chromatischer Romerfahrung von 1796 und der daraus abgeleiteten Grundsätze, ohne dabei die als verbindlich erachteten Muster sklavisch zu imitieren. Frei mit Meyer gesprochen, finden sich bei Schick die Fertigkeit und Kenntnisse „an den verschiedenen Stellen, wo er das Durchscheinende farbiger Gewänder durch Weiß angegeben, wo benachbarte Farben sich einander mitteilen; und ferner in der Wahl und Verteilung der den herrschenden […] Ton des Bildes begünstigenden und von demselben wieder gehobenen Farben, zum Zweck einer fröhlich harmonischen Wirkung des Ganzen.“296 Die Hoffnungen, die in Schicks künstlerische Begabungen gesetzt wurden, sollten sich mit dessen frühem Tod 1812 zerschlagen. Die zeitgleich einsetzende Erfolgs­ welle der Maler des Lukasbundes konnte koloritästhetisch nicht jene Axiome erfüllen, die Meyer und Keller vertraten. Wie sehr Keller, der auch die Nazarener in Rom unter­ stützte, in Schick denjenigen Maler sah, der den Niedergang der deutschen ­Malerei ­hätte aufhalten können, bezeugt ein dem Künstler gewidmetes Sonett in seinem ­Zürcher Nachlass. Es bildet das zehnte und letzte Gedicht in einem Guarini, Tasso, ­Ariost, ­Boccaccio, ­Petrarca, Dante, Michelangelo, Raffael und Cellini gewidmeten Zyklus und unterstreicht damit die herausragende Rolle des Künstlers. In Anspielung auf das Hauptwerk setzt Keller den Künstler mit Apollo „in Arkadiens blühenden Gefilden“ gleich, der mit Gesang die „Grazien […] in den Kreis der Wilden“ führt. Doch dies ist kein Aufbruch, sondern ein pathetischer Abgesang: Im kulturpessimistischen Grundton bezeichnet Keller Schick als den letzten Vertreter einer klassischen Kunstauffassung, der „bekümmert Kunst und Zeit entarten“ sah:

296 Meyer, Hypothetische Geschichte des Kolorits, in: MA 10, S. 546.

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II.4.  Antik und Modern X. Gottlieb Schick. Ein tiefer Wohlklang füllte dein Gemüthe, Du öffnetest der Dichtung Zaubergarten Und tausend Blumen mannigfaltiger Arten Entfalteten dir duftend süße Blüthe. Dein Herz von Kunst und Liebe hoch entglühte Mit frommer Treue mochtest du sie warten, Du sahst bekümmert Kunst und Zeit entarten, Sah’st klar dein Ziel im seligen Gebiete. Wie in Arkadiens blühenden Gefilden Apollo sang, der Dichtkunst, Weisheit Lehren, Die Grazien führt’ in den Kreis der Wilden. So mochtest du sein Priester dich bewähren, Lehrst laut mit deinen lieblichen Gebilden, Wie man die Götter und die Kunst soll ehren.297

4.2 Joseph Raabes Kopien pompejanischer Gemälde 1820: Die Austreibung des christlich-nazarenischen Spuks mit der Farbe Kannte Meyer die Werke Schicks nur durch Kellers Beschreibungen, so manifestiert sich in der Erwähnung am Ende des koloritgeschichtlichen Abrisses eine vage Aussicht auf eine veränderte Situation in der Kunst der Gegenwart, die auf der Erneuerung des Kolorits beruhen sollte. Diese auf dem Hörensagen gründende Hoffnung sollte sich für Meyer in den Folgejahren nicht erfüllen. Die Gründung des den Kunstdiskurs dominierenden Lukasbundes in Wien und die Präsenz der von Rom ausgehenden nazarenischen Bewegung in den Folgejahren bewiesen einmal mehr, dass die Kunst in ihrer Hauptentwicklung rezessiv und gerade in der koloristischen Gestaltung äußerst mangelhaft war. Denn das von Friedrich Schlegel ausgehende romantische Konzept der „farbigen Hieroglyphe“298 sollte sich in seinen künstlerischen Ausführungen als gegenteilig zum Weimarer Verständnis erweisen: Die Symbolik der Einzelfarbe und die starke, in geschlossenen Konturen verfolgte Gegenstandsfarbigkeit bei geringer Brechung durch Schattenfarben musste im Vergleich zu dem von Meyer und Goethe geforderten sub297 Heinrich Keller: X. Gottlieb Schick. Sonette im Nachlass. Kunsthaus Zürich, NL Heinrich Keller, III, P 181. 298 Schlegel 1995, S. 11.

II.4.2  Joseph Raabes Kopien pompejanischer Gemälde 1820

tilen und gedämpften Harmoniespiel der Farben geradezu roh wirken. Die Hoffnungen der Weimarischen Kunstfreunde konzentrierten sich daher in den Jahren nach 1810 weniger auf die deutschen Künstler in Rom, sondern auf das näher gelegene Berlin, wo mit Schinkel, Hegel und vor allem dem bildungspolitisch einflussreichen Staatsrat Schultz prominente Befürworter von Goethes Farbenlehre aktiv waren.299 Meyers Berlin-Aufenthalt im November 1820, wo er als von Goethe abgesandter Gutachter für künstlerische Bildungs- und Erziehungsfragen wie auch des Museums- und Sammlungswesens tätig war, belegt diese Form der Einflussnahme. Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass Meyers für den preußischen Kultusminister Altenstein verfasste Gutachten in der Künstlerausbildung auf die Aspekte der Farbharmonie kaum eingeht.300 Wohl finden sich Ausführungen zum Studium und zur Verbesserung des Helldunkels, doch ist die Berücksichtigung koloritästhetischer Aspekte kaum erkennbar. Die Weimarer gingen wohl fest davon aus, dass die Farbenlehre in Berlin bereits auf nachhaltige Resonanz gestoßen war.301 In einem zu diesem Zeitpunkt beispiellosen Berlin-Weimarischen Kooperationsprojekt hatte Staatsrat Schultz im Jahr 1819 den von Goethe geschätzten Darmstädter Hofmaler und Hauptmann Carl Joseph Raabe (1780–1849) nach Italien gesandt, um die paradigmatischen Werke der Farben­ lehre detailliert zu kopieren:302 Dies betraf vor allem die Aldobrandinische Hochzeit. Von ihr hatte man die Nachricht erhalten, dass sie erneut restauriert und von den Übermalungen des Mengs-Schülers Cristoforo Unterberger befreit worden war.303 Staatsrat Schultz schrieb diesbezüglich ein Promemoria für das Preußische Kultusministerium. Das antike Gemälde sei „nach der lehrreichen Abhandlung des Hofrath Meyer als Canon für die Beleuchtung und Farbgebung zu betrachten.“304 Des Weiteren beauftragte Schultz den Künstler, Werke Tizians, Pietro da Cortonas sowie einige antike Malereien aus den Vesuvstätten im Museum von Portici zu kopieren. Von letzteren erhoffte man sich besonderen Aufschluss über das antike Kolorit. Von diesem Plan ausgehend, verfasste Meyer weitere „Instruktionen“ für die Italienreise.305 Als Porträtist schien Raabe für diese Aufgaben besonders prädestiniert, da eine genaue Beobachtungsgabe und damit getreue Nachahmung des Gesehenen vorauszusetzen war. Trotzdem wurde er noch 299 Siehe hierzu Müller-Tamm 2002; Pietsch 2014. 300 W.K.F. [Meyer]: Vorschläge zu Einrichtung von Kunstakademien rücksichtlich besonders auf Berlin 1821, in: FA I/21, S. 72–101. 301 Pietsch 2014, S. 236–244, u. ö. 302 Zu Joseph Raabe siehe Scheyer 1965, dort zu den Kopien S. 123–125. 303 Die Restaurierungen Unterbergers waren Meyer schon 1796 ein Ärgernis. Siehe Meyer an Goethe, Rom, 12. 2. 1796, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 195 („ein gottloser Restaurateur manche Stelle heillos verdorben hat“); Meyer an Goethe, Rom, 25. 2. 1796, in: Ebd., S. 205. 304 Staatsrat Schultz, Promemoria vom 30. 5. 1819, abgedruckt in: Bw. Goethe/Schultz 1852, S. S. 192. 305 Meyer, Instruktionen für eine Italien-Reise. Im Auftrage Goethes für Joseph Raabe ausgearbeitet von Heinrich Meyer, Weimar, 13. 6. 1819, Abdruck bei Scheyer 1965, S. 129 f.

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II.4.  Antik und Modern

zu einem „practischen Cursus“ über herkulanische und pompejanische Gemälde sowie zu Raffaels Verzierungen im Vatikan bei Schinkel verpflichtet, „weil davon wenig Gutes öffentlich erschienen und zu benutzen ist“.306 In zwei Tranchen wurden die Bilder von Raabe zuerst nach Weimar gesandt und dann nach Berlin weitergeleitet. Seine Kopie der Aldobrandinischen Hochzeit kam am 27. Juli 1820 an. Im August wurde sie bei einem Besuch von Schinkel, Rauch, Tieck und Schultz der Meyer’schen Aquarellkopie gegenübergestellt und mit ihr verglichen. Am 10. Mai 1821 erhielt Goethe mehrere Kopien nach antiken Wandgemälden aus dem König­lichen Museum in Portici (Tf. XXV). Sie zeigten die auf schwarzem Grund schwebenden Tänzerinnen und Kentauren aus der sog. Villa des Cicero, die 1748 im NordWesten Pompejis aufgefunden worden waren und spätestens seit den 1780er Jahren ­eine regelrechte Modewelle bei neoklassizistischen Innenausstattungen ausgelöst hatten.307 Um 1820 waren jene Motive aus claudischer Zeit durch zahlreiche Nachstiche und ­ihre wiederkehrende Anbringung in deutschen Schlössern bereits fester Bestandteil des klassizistischen Bildgedächtnisses. Ihre Farbgebung war zwar in dem mehrbändigen Monumentalwerk der herkulanischen Akademiker detailliert beschrieben worden,308 doch wich sie in den zeitgenössischen Kopien erheblich von den Originalen ab, etwa in einer von dem römischen Maler und Verleger Michelangelo Maestri vertriebenen kolorierten Serie. Dort wurden sie derart verfälscht wiedergegeben, dass ein verlässlicher und exakter Eindruck über die jeweilige Farbharmonie nicht zu gewinnen war.309 Gerade diese Werke bildeten aber für Goethe und Meyer ein besonderes Desiderat: Schließlich beruhte ihre Autopsie auf Besuchen des Museums in den späten 1780er Jahren und damit aus der Zeit vor der Ausweitung ihrer koloritästhetischen Bemühungen. Die Hypothesen über die hohen Qualitäten des antiken Kolorits sollten damit besonders gestützt werden. Auch Staatsrat Schultz versprach sich offenbar von den exakten Kopien entscheidende didaktische Fortschritte, da er forderte, „[j]ede Academie der Künste sollte eine gute Copie dieses Werkes [d.i. die Aldobrandinische Hochzeit] besitzen.“310 Raabes Kopien gingen in die Sammlung der Berliner Akademie der Künste ein. Heute gelten sie als Kriegsverlust,311 so dass sich Aussagen über ihre Zuverlässigkeit und Faktur kaum machen lassen. Im Meyer-Nachlass eruieren ließ sich jedoch ein bis306 307 308 309

Staatsrat Schultz, Promemoria vom 30. 5. 1819, abgedruckt in: Bw. Goethe/Schultz 1852, S. 192. Siehe hierzu Werner 1970; Ausst.-Kat. Stuttgart 1998/1999. Pitture antiche d’Ercolano 1757–1765. Zu Michelangelo Maestri siehe Bothe 2000a, S. 100 f; Rolf H. Johannsen, Kat.-Nr. 162, in: Ausst.-Kat. Berlin/München 20012/2013, S. 217. 310 Staatsrat Schultz, Promemoria vom 30. 5. 1819, abgedruckt in Bw. Goethe/Schultz, S. 192. 311 Angabe nach Pietsch 2014, S. 595. Drei anonyme Aquarellkopien nach den sog. Herkulanerinnen auf blauem Grund, darunter ovaler Blumenkranz, in ovalem hölzernem Rahmen in Goethes Kunstsammlung (Schuchardt 1848–1849, Bd. 1, 334, Nr. 55–57. Anders als Baumgart 1988, S. 50, behauptet, sind

II.4.2  Joseph Raabes Kopien pompejanischer Gemälde 1820

lang unbeachteter Aufsatz (Dok. 9 im Anhang). Er enthält eine Beurteilung und exakte Beschreibung der Kopien nach den pompejanischen Tänzerinnen und Kentauren.312 ­Goethes Mitwirken bei der Entstehung des Texts kann als gesichert gelten. In dichter Abfolge finden sich im Tagebuch die Vermerke über die Ankunft der Kopien am 10. Mai, die zusammen mit Meyer vorgenommene „Vergleichung der Raabeschen Male­ reyen mit dem Herkulanischen Kupferwerke“ am 12. und 13. Mai, schließlich die Beurteilung der „Raabischen Tänzerinnen“ durch Meyer vom 16. bis 18. Mai in Form e­ iner Rezension, die einen Monat später (am 14. 6. ) von Johann August John ins Reine geschrieben wurde.313 Außerdem enthält der 13seitige Aufsatz Handkorrekturen Goethes, die vor allem die Vermeidung sprachlicher Wiederholungen betreffen. Der Text scheint für Ueber Kunst und Alterthum bestimmt gewesen zu sein. Über die Gründe, warum er nicht gedruckt wurde, lässt sich nur spekulieren. In diesem Zusammenhang ist auffallend, dass Meyers ursprüngliche Einleitung offen­ bar ersetzt werden sollte: Ein nachträglich hinzugekommenes Vorsatzblatt scheint von Goethe diktiert zu sein, da aus dem am 16. Mai von Raabe erhaltenen Begleitschreiben314 zitiert wird: In einem Schreiben, Rom den 28. April 1821 meldet Herr Hauptmann Raabe: „Diese Copien haben wegen ihrer Genauigkeit nicht nur in Neapel, sondern auch hier unter den Künstlern Beyfall gefunden, ob schon die Hiesigen diese Gegenstände meiner Studien nicht wohl leiden mögen und diese Arbeiten als verlorne Mühe ansehen.“ Eine solche Äußerung hat uns nicht im mindesten überrascht, denn es ist nichts natürlicher als daß ein jeder dasjenige abzulehnen und zu beseitigen sucht was ihn vernichten würde. Und so ist denn wohl keine Frage daß wenn diesen antiken herrlich heiteren Dämonen beliebt hätte im Pallast Caffarelli zu erscheinen der moderne Trist-frömmelnde Spuk noch schmäliger als geschehen augenblicklich würde verschwunden seyn.315

Der Zusatz gibt Meyers deskriptivem und etwas redundant wirkendem Elaborat den Charakter eines Manifestes mit polemischer Sprengkraft. Goethes Verärgerung über die ablehnende Reaktion der deutschen Künstler in Rom und ihren „Sektengeist“ belegt auch ein Eintrag in den Tag- und Jahresheften.316 Die erwähnte, erste gemein­same Kunstausstellung deutscher Künstler in Rom im Palazzo Caffarelli lag keine zwei ­Jahre zurück.317

312 313 314 315 316 317

dies nicht die Kopien Raabes. Mit gutem Grund weist Scheyer 1965, S. 123, die Autorschaft Raabes zurück, da es sich um Ausführungen in Aquarell, nicht in Ölfarben, handelt. GSA 64/52,2. Es handelt sich um eine Abschrift von Goethes Schreiber Friedrich John mit Handkorrekturen Goethes. Vgl. Steiger/Reimann 1995–2011, Bd. 7, S. 48–52 und S. 60. Abdruck von Raabes Brief in Scheyer 1965, S. 131 f. Dok. 9 (GSA 64/52,2), fol. 1r. Goethe, Tag- und Jahres-Hefte (1820), in: FA I/17, S. 315. Zur Diskussion über die Ausstellung unter hoher Beteiligung der Nazarener in der Preußischen Gesandtschaft in Rom siehe Schönwälder 1995, S. 39–41.

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II.4.  Antik und Modern

Neben der anonymen Rezension in der Allgemeinen Zeitung,318 die mit ähn­lichen Argumenten wie in Meyers Aufsatz Neu-deutsche religios-patriotische Kunst (1817) die Werke der Nazanerer angriff, lagen Goethe und Meyer auch die brief­lichen Nachrichten von Louise Seidler vor. Eines der damals gezeigten Hauptbilder war ­Philipp Veits Religion von 1818/1819 (Tf. XXIV), das im Kunstblatt als positives Beispiel für eine neue Historienmalerei besprochen worden war:319 Auf dem Werk von ­Friedrich ­Schlegels Stiefsohn sitzt die Personifikation der christlichen Religion mit Märtyrer­palme und Kreuzstab in den Trümmern des Kolosseums. Ein Krug, über den ein blutbeflecktes weißes Tuch gelegt ist, steht daneben am Boden.320 Louise Seidler berichtete Goethe: „Die allgemein bewunderte, markante Religion des P. Veit, wünschte ich Ihnen verehrtester Freund von allen zeigen zu können, sie wäre der zweiten Manier Raphaels würdig, und wurde Anfangs immer für eine Copie von ihm gehalten, ob man gleich ­keine besondere Nachahmung beschuldigen konnte.“321 Die nazarenische Formen­sprache mit an den frühen Raffael erinnernder Gesichtsformung und klaren Gewandfarben unterstreicht den umfassenden und einheitlichen Anspruch der christlichen Kunstauffassung. Malerei sollte nicht nur als praktizierte Religion ausgeübt werden, sondern auch die Überwindung des heidnisch-antiken Kunstgeschmacks anstreben. In den Augen von Goethe und Meyer war dies eine Form von Hybris, die zu einer adäquaten Entgegnung geradezu auffordert. Im Aufsatz zu Raabes Kopien repliziert die vermutlich von Goethe verfasste Einleitung auf den in Philipp Veits Programmbild manifesten Anspruch, indem der Spieß umgedreht und eine Austreibung des „Trist-frömmelnde[n] Spuk[s]“ im Palazzo ­Caffarelli durch die pompejanischen „Dämonen“ inauguriert wird.322 Allein die formale Über­ legenheit der antiken Wandgemälde reicht somit aus, den Geschmack der Gegenwart zu überwinden. Und dies in bewusster Umkehrung des von Philipp Veit bemühten Topos vom Sieg des Christentums über die heidnisch-dämonische Welt der Antike. Mit Hilfe dieser Proposition, die allerdings redaktionell nicht schlüssig mit dem nachfolgenden Text harmonisiert wurde, wäre es möglich gewesen, die Meyer’sche Rezension funktional zu vereinnahmen und ihr damit einen übergeordneten Sinn zu verleihen. Sollte die Einleitung tatsächlich von Goethe verfasst worden sein, so hat er die konzeptionelle Schwäche von Meyers Text, nämlich seine rein additive und von Wieder­ 318 Anonym: Über die Kunstausstellung im Palaste Caffarelli zu Rom im April 1819 (Allgemeine Zeitung vom 23. 7. 1819). Teilabdruck in: Busch/Beyrodt 1982, S. 135–139. Als Verfasser gilt Jakob ­Ludwig ­Salomon Bartholdy. Vgl. Büttner 1980/1999, Bd. 1, S. 119 f (Anm. 284). Zum Diskussionskontext siehe Thimann 2013. 319 Anonym, Ausstellung der Werke deutscher Künstler im Palast Cafarelli zu Rom, April 1819, in: Kunstblatt (Morgenblatt für gebildete Stände, Beilage), 1819, Nr. 7, S. 26. 320 Zum Bild siehe Suhr 1991, S. 249 f. 321 Louise Seidler an Goethe, Rom, 28. 4. 1819, GSA 28/855. Seidler beschreibt das Bild erneut in einem Brief an Goethe von 1830 (o.D.), abgedruckt bei Suhr 1991, S. 221 f. 322 Dok. 9 (GSA 64/52,2), fol. 1r.

II.4.2  Joseph Raabes Kopien pompejanischer Gemälde 1820

holungen nicht freie Struktur, auf diese Weise auszunutzen gewusst: Die Redundanz und Insistenz, mit der die formalen Vorzüge der 16 Gemälde nacheinander beschrieben werden, gleicht unter der proponierten Prämisse einer rituellen Handlung, welche die ästhetischer Überlegenheit der antiken Malerei gegenüber der Gegenwart unterstreicht und geradezu durch die unermüdliche Wiederholung dem Leser vor ­Augen führt. Der Auftritt der „antiken herrlich heiteren Dämonen“ wird so zum effektiven Antidot gegen die nazarenische Kunstauffassung. So ist etwa eine der Tanzenden erfüllt von der „Gebärde […] einer vom Taumel ergriffenen Bacchantin; in wildem Tanze schwebt sie wirklich, beyde Füße verschränkt den Linken hinter dem Rechten durch; der Kopf ist gewaltsam über und zurückgebogen; das hellbraune fliegende Haar umwindet ein Blätter­ kranz; mit der ausgestreckten Linken weitet sie die reiche Fülle des Gewandes die Rechte aber faßt, hebt und hält dasselbe vor dem Schoos.“323 Schweben, Bewegung, Gewänderflattern, exaltierte Gebärden sind die immer wieder hervorgehobenen Charakteristika der pompejanischen Figuren und belegen eine dynamisierte und energetisierte Ausdeutung, die der quietiven und sentimentalen Verinnerlichung der aktuellen christlichen Malerei entgegentritt. Redundanz wird hier zum vitalisierenden Prinzip der vom Nazarenertum ausgedörrten Gegenwart. Meyer hat vermutlich als e­ rster den durchweg dionysischen Charakter der schwebenden Figuren erkannt, über den es aufgrund der Attri­ bute wie Schallbecken oder Thyrsoi keinen Zweifel gibt.324 In bewusster Provoka­tion wird eine zwar heitere, aber auch ekstatische und expressive Antike gefeiert, die relativ wenig mit Winckelmanns Lob der Tänzerinnen (1764) oder Schillers E ­ legie ­Pompeji und Herculaneum (1797) gemein hat.325 Die Betonung jener Vorzüge wird nicht zuletzt durch den Vergleich mit Tafeln in dem Werk der herkulanischen Akademiker326 gesteigert, die Goethe und Meyer gemeinsam am 12. und 13. Mai 1821 vorgenommen hatten. Meyer gibt bei jeder Bildbesprechung den Band und die entsprechende Tafelnummer an. Doch ist anzunehmen, dass bei der Seltenheit des Prachtwerks nur die wenigsten Leser Gelegenheit gehabt hätten, Meyers Beschreibungen mit den Kupferstichen tatsächlich gegenüberzustellen. Dies wäre aber in jedem Fall erforderlich gewesen, wie aus Goethes Bemerkung gegenüber Staatsrat Schultz zu ersehen ist: „Eine genaue Recension Meyer’s von den Raabe’schen Bildern wird sie Ihnen noch genießbarer machen, wenn schon jetzt die Vergleichung mit den schwarzen Kupfern hinreichende Anleitung gibt.“327 Das an das Reproduktions323 Dok. 9 (GSA 64/52,2), fol. 5r–5v. 324 Schefold 1952, S. 123 f. 325 Vgl. Winckelmann, SN 4,1, S. 556 und 557 (Geschichte der Kunst des Alterthums, Fassungen von 1764 und 1776). Schiller, Pompeji und Herkulaneum, Vers 31–35. 326 Band 1 (1757) und 3 (1762) des Werks Le Pitture antiche d‘Ercolano e contorni incise con qualche ­spiegazione. 4 Bde., Neapel 1757–1765. Zur Rezeption des Werks in Weimar siehe Dönike 2013a, S. 49–51. 327 Goethe an Schultz, Weimar, 14. 6. 1821, in: Bw. Goethe/Schultz 1852, S. 234.

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II.4.  Antik und Modern

42__Kupferstich von Rocco Pozzi nach ­einem pompejanischen ­Wandbild: ­Tanzende. Aus: Le Pitture antiche ­d’Ercolano e ­contorni incise con qualche spiegazione. 4 Bde., Neapel 1757–1765. Bd. 3, Tafel 30b.

medium Kupferstich gewöhnte Auge sollte wieder in den Genuss der Farben kommen, sei es in direkter Konfrontation mit Raabes originaltreuen Kopien oder auch nur durch Meyers Beschreibung, die diese Differenz unermüdlich hervorhebt. Der komparativen Struktur scheint eine paradoxe Gesetzmäßigkeit innezuwohnen: Je höher die Perfektion des Reproduktionsstichs, desto unähnlicher erweist er sich mit der antiken Vorlage. So vermerkt Meyer bei dem von einer Mänade angetriebenen Kentauren (Abb. 43), dass „Hn. Raabe’s Nachbildung“ trotz ihrer leichten Behandlung ­ öpfe „doch wesentliche Vorzüge vor dem fleißig ausgeführten Kupferstich“ habe; „die K sind geistreicher, haben mehr Charakter und Ausdruck, die Gliederformen bringen den Geschmack des antiken Originals beßer in Erinnerung alles ist lebhafter bewegt.“328 Jener kritisierte ,Fleiß‘ zeigt sich an den Kreuzschraffuren des hinteren Kentauren­körpers, die sich an der hellen erhobenen Seite in kurze Striche und Punkte auflösen und dadurch eine starke Rundung und Räumlichkeit erzeugen. Diese rekonstruierende Vorgehensweise des neapolitanischen Hofkupferstechers Filippo Morghen erweist sich als mani328 Dok. 9 (GSA 64/52,2), fol. 6v.

II.4.2  Joseph Raabes Kopien pompejanischer Gemälde 1820

43__Kupferstich von Filippo Morghen nach einem pompejanischen Wandbild: Von Mänade ­ angetriebener Kentaur. Aus: Le Pitture antiche d‘Ercolano e contorni incise con qualche spiegazione. 4 Bde., Neapel 1757–1765. Bd. 1, Tafel 25.

pulativ, da sie in der Transformation ins druckgraphische Medium die lockere Pinsel­ führung des antiken Malers ignoriert und zu einer figürlichen Klärung drängt.329 Wie schon bei der Aldobrandinischen Hochzeit hebt also Meyer die skizzenhafte und lockere Pinselführung hervor, deren Duktus offenbar von Raabe überzeugend imitiert wird. Bei einer anderen Tafel, den mit der Nummer 11 bezeichnenden Tanzenden in der Ausführung von Rocco Pozzi (Abb. 42), ist es die Angleichung an die Bewegungsrichtung der Draperie, die durch parallele Taillen einen transparenten Effekt in der Gewandung erzeugt. Meyer betont hingegen das Spiel der Farben auf dem Gewand, die sich zu ­einem so zarten Effekt steigern, dass „Farbe und Gestalt des nackten Körpers durchscheinen“. Auch hier ist die aus der medialen und formalen Differenz geschlossene Folgerung konsequent: „neben einander gehalten erscheint die gemalte Figur ein ganz ­anderes Werk als die gestochene“.330 Die Beispiele Morghens und Pozzis übersetzen auf unter­schiedliche Weise die antiken Bilder in das Medium der Druckgraphik: Sie 329 Vgl. Weissert 1999, S. 87. 330 Dok. 9 (GSA 64/52,2), fol. 5v.

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II.4.  Antik und Modern

rekonstruieren – mehr oder weniger bewusst – das Gegenständliche durch plastische Werte, nicht aber die malerische Faktur, die hingegen von Raabe in Kombination mit den entsprechenden Farbwerten nachvollzogen wird. Meyer und der mit ihm an der Betrachtung beteiligte Goethe reizen die Differenz zwischen Reproduktionsstich und der neu vor den Originalen gemachten farbigen ­Kopie bewusst aus, nicht nur um vor dem geistigen Auge des Leser-Betrachters eine von den etablierten Sehgewohnheiten bereinigte antike Malerei wiedererstehen zu lassen, sondern auch, um ihn für das antike Kolorit besonders zu sensibilisieren. Gerade die pompejanischen Tänzerinnen, die in den vorangegangenen Jahrzehnten durch diverse freie Wiederholungen im Kolorit verfälscht wiedergegeben worden waren, werden hier in den differenzierten und changierenden Gewandfarben hervorgehoben. Die dabei erfolgende Auflösung des Konturs und des Gegenständlichen nimmt Meyer deshalb in Kauf, weil die Figuren in Kombination mit der Pinselführung „wie im lebhaften Tanz begriffen“ sind.331 Die Farbe und der mit ihr assoziierte Pinselduktus ist der entscheidende dynamisierende Träger der Figurengestaltung. Was in der Aldobrandinischen Hochzeit noch als Erscheinung eines abgeleiteten routinierten Stils erschien, erweist sich hier als konsequente Form-Inhalt-Beziehung, die sich abseits von der klassischen Auffassung des gerundeten Konturs konstituiert. Gerade in Gegensatz zur nazarenischchrist­lichen Kunstauffassung erweist sich die Anwendung der Farbe immer mehr als Teil ­eines pathos­geladenen und dynamischen Kunstbegriffs, der in der kaum erhaltenen antiken Malerei seinen Fluchtpunkt findet.

331 Dok. 9 (GSA 64/52,2), fol. 3r.

Teil III Die mediale Dimension der Kunstpolitik

1. Meyers Auffassung vom „Kunstrichter“. Das Kunsturteil zwischen Historisierung und Gegenwartsbezug In Teil I und Teil II der vorliegenden Arbeit wurde gelegentlich deutlich, dass Meyers Beiträge zur Historisierung der Kunst immer wieder auf die künstlerische Situation der eigenen Gegenwart Bezug nehmen. Der Doppelbödigkeit der Argumentation, die bei aller Empirie nie die Suche nach geeigneten Vorbildern außer Acht lässt, scheint kein Auskommen zu sein. Grundsätzlich enthält bei Meyer jede normative Aussage eine implizite Gegenwartsadressierung, zugleich ist sie Teil der (empirischen) Historisierung, ganz so, wie es bereits in der klassizistischen Kunstgeschichtsschreibung Winckelmanns im Konflikt von Normativität und Historisierung angelegt war.1 Zentraler Unterschied zu Winckelmann ist jedoch, dass sich Meyer dieser Doppelbödigkeit stets bewusst ist: Historisierung und Wertung miteinander zu verbinden, bleibt ein unabänderliches ­Credo, wie ein Brief an den Hallenser Gelehrten Johann Samuel Ersch, Mitherausgeber der seit 1818 erscheinenden Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, belegt: Bey allem was ich je über alte und neuere Kunst, Künstler und Werke, gedacht, geschrieben, betrachtet, verglichen, beurtheilt habe, bin ich immer vom Historischen, vom Annehmen eines stetigen Steigens und Fallens im Geschmack und Geist und in der Fertigkeit ausgegangen, habe vermeint ich thäte Recht daran, habe mich aber deßwegen mit den meisten angesehenen Alterthumsforschern und Kunstschriftstellern im Widerspruch befunden und die Gegenwart ist selten groß gelobt worden. Nun frägt sich’s ob eine solche Ansicht von der ich nicht zu weichen vermag, nicht eine unangenehme Ungleichheit oder Zwiespalt der in der Enzyklop: von mir herrührenden und von mir nicht herrührenden Artikel verursachen könnte. Wenn dieses Ihnen nichts verschlägt so bin ich desto wohlgemuther.2

Ein vermutlich kurz vor der zweiten Italien-Reise verfasstes, vielleicht für Schillers H ­ oren gedachtes Manuskript Über die Beurtheilung von Kunstwerken3 (Dok. 10) bestätigt schon 1 2 3

Zu diesem grundlegenden Problem bei Winckelmann siehe Décultot 2014. Meyer an Johann Samuel Ersch in Halle, Weimar, 24. 11. 1815, ZA-SMB, Autographensammlung, Mappe 0940/2. GSA 64/16. Als gesichert kann die Datierung in die Zeit vor 1800 gelten, da Meyer die Zeitangabe „bis über die Hälfte des gegenwärtigen Jahrhundert[s]“ macht (fol. 3v). Auf eine Datierung noch vor Beginn der zweiten Italien-Reise im Herbst 1795 verweist die Bezeichnung Pietro da Cortonas als „Manieristen“, die sich Meyer nach der eingehenden Beschreibung des Plafonds im Palazzo Barberini kaum mehr erlaubt hätte.

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III.1.  Meyers Auffassung vom „Kunstrichter“

früh die Tendenz, die Kompetenz als Kunsthistoriker mit derjenigen als „Kunstrichter“ gleichzusetzen. Gemäß autonomieästhetischer Grundsätze bestreitet Meyer die moralische Funktion von Bildthemen, betont aber die allgemein sittlich-kulturelle Wirkung der Kunst, womit er an Schillers Grundgedanken von der „ästhetischen Erziehung des Menschen“ anschließt. Indem der „Kunstrichter“ die Kunstgeschichte zur „Grund­lage“ seines Urteils erhebt, unterscheidet er sich von der Masse des Publikums, das meist manierierten und sensationsheischenden Künstlern wie Gianlorenzo Bernini, Luca ­Giordano, Carlo Maratta und Francisco Solimena sowie – dieser Vorwurf an das Laienurteil ist nicht neu4 – dem krassen Naturalismus5 den Vorzug gebe. Die Ausführung wirkt nicht in sich systematisch geschlossen, sondern ist tentativ um eine Selbstbestimmung der Rolle zwischen Künstlerschaft und Publikum bemüht. Meyer erklärt, dass jedes Kunstwerk zweckfrei und wie ein „Naturprodukt“6 in sich geschlossen ist, wider­spricht aber der Auffassung, dass es perfekt sei. Das Kunstwerk ist für Meyer kein Gegenstand absoluter Vollendung, sondern tendiert immer zum Imperfekten, das stets verbesserungswürdig ist: „Ein Kunstwerk ist als etwas unendliches niemals vollkommen kann niemals für geendigt gelten & daher oft alles was darüber gesagt wird wenig­ stens der Prüfung werth jeder Anstoß der zu seiner Verbeßerung helfen kann soll dem Künstler Willkommen seyn.“7 Mit dieser Feststellung kommt Meyer dem frühromantischen Gedankengut einer unendlichen Transgression des Kunstwerks gefährlich nahe, meint aber das Gegenteil: Das Kunstwerk ist nicht offen hinsichtlich seines Gehalts, sondern unendlich in seinen formalen Mängeln, die es im weiteren Diskussionsprozess aufzudecken und, so gut es eben geht, zu korrigieren gilt – jedes Kunstwerk trägt daher kunstrichterliches Potential in sich, und jeder Künstler ist letztendlich zur demütigen Aufnahme der kunstrichterlichen Hinweise verpflichtet. Damit wertet Meyer den Kunstrichter in seiner geschmacksbildenden Funktion eminent auf und weist ihm eine Rolle zu, die aus dem allgemeinen Prozess der künstlerischen Produktion nicht wegzudenken ist. Denn sein auf nicht erlernbarem, „natürlichem“ Talent fußendes ästhetisches Vermögen ist es, das die Qualität bestimmter Werke aufzudecken und damit alle weiteren Entwicklungen zu steuern vermag. In diesem Zusammenhang unterscheidet Meyer in der Tätigkeit des Kunstrichters zwischen einem „reinen“ Urteil, das auf den ästhetischen Wert an sich gerichtet ist, und einem „billigen“ Urteil, welches das Kunstwerk in seiner historischen Relation sieht und somit eine gerechte Würdigung von Künstlern wie zum Beispiel Giotto ermöglicht. Die Geschichte der Kunst ist demnach 4 5 6 7

Zum topischen Gegensatz zwischen Künstler und dem auf Ultrarealismus fixierten Laien vgl. Dresdner 1968, S. 30 f; Kris/Kurz 1980, S. 134 f. Genannt werden hier Guercino und Rembrandt. Die Kritik am „Naturalismus“ ist das Erbe der barock­ klassizistischen Auseinandersetzung mit Caravaggio und seinen Nachfolgern. Dok. 10 (GSA 64/16), fol. 4r. Ebd., fol. 5r.

III.1.  Meyers Auffassung vom „Kunstrichter“ der einzige mögliche Weg […] dem Kunstwerk und dem Künstler gehörig Recht widerfahren zu laßen das Urtheil wird seine trockene Einseitigkeit verlieren bestimmter und ungleich unterrichtender werden man wird das Steigen und Fallen der Kunst & des Geschmacks im allgemeinen das Heißt die Zeit von den eigenthümlichen Talenten der Künstler zu trennen suchen und so darvon genüge haben selbst in dem Dunkel der barbarischen Jahrhunderte noch schöne Geister zu entdecken Jene beschränkte Rigoristen werden z. B. selbst die Werke des Giotto nicht groß achten dahingegen der billige Kunstrichter sie als Erstlinge der wieder neu auflebenden Kunst mit nachsicht betrachtet und dem außerordentlichen Talent des Meisters gerechte Bewunderung wiederfahren läßt.8

Die in der Summe wenig originelle Argumentation enthält die entscheidende Legitimation für Meyers Kunstpublizistik und zieht sich wie ein roter Faden durch seine Schriften. Die Vorstellung von der grundsätzlichen Kritikoffenheit eines jeden Kunstwerks und die daraus entstehenden methodologischen Konsequenzen decken sich mit dem Befund der italienischen Notizen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass dort die autono­mie­ästhe­ti­sche Anspruchshaltung mit weit älteren rhetorischen und kunsttheoretischen Denkfiguren koinzidiert. Der Eklektizismus der Bologneser Schule der ­Carracci um 1600, Belloris Barockklassizismus, das Rubrikensystem des französischen Akademismus um 1700, die Verbesserungsästhetik der Aufklärung mit der ihr einverleibten Denkfigur der aemulatio – sie alle bilden in ihren nicht immer miteinander zu vereinbarenden Elementen ein operatives Spektrum der kunstkritischen Denkbewegung aus, das bei aller Normativität so weit offen ist, dass es zu überraschenden Neubewertungen führen kann. Umgekehrt können Verfahrensweisen entstehen, welche dem unendlich Defizitären der Kunst die Optionen zur Korrektur aufweisen. Diese Herangehensweise zeigt sich auch in Meyers Umgang mit der Kunst seiner Gegenwart. So betätigt er sich als Verbesserer von Zeitgenossen: Wie Walther Scheidig 1958 ausgeführt hat, zeigt sich bei Meyers Herakles im Trauerhause Admets (Tf. XXII) der Versuch, drei Entwürfe von Ferdinand Hartmann im Sinne der Gegenstandslehre zu optimieren.9 In seinen vielfältigen Bestrebungen als Künstler, Kunstberater, Kunstpädagoge, Kunsthistoriker, Winckelmann-Herausgeber und Ästhetiker sah sich Meyer nach 1800 zunehmend Angriffen ausgesetzt, die in seinem dogmatischen Verharren auf den von ihm als objektiv betrachteten Kunstgesetzen begründet waren. Die Funktionalisierung der Kunstgeschichte ist in der innerklassizistischen Diskussion vor 1800 und danach im Kampf gegen die romantische Bewegung ein, wenn nicht der bestimmende Faktor. Die in Italien gewonnenen Erkenntnisse bilden zweifellos einen Vorrat an Argumenten, die sich auch gegen die Bestrebungen der eigenen Gegenwart einsetzen lassen: Die Gegenstandslehre baut auf den italienischen Beobachtungen auf, die Gesetze koloristi­ scher Gestaltung wurden durch die „Entdeckung“ Pietro da Cortonas und durch das Kopieren der Aldobrandischen Hochzeit bestätigt und weiterentwickelt. Später ­bildet 8 9

Dok. 10 (GSA 64/16), fol. 2v–3r. Scheidig 1958, S. 161–165.

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III.1.  Meyers Auffassung vom „Kunstrichter“

die Erkenntnis über formalästhetische Analogien des Aufstiegs und des Niedergangs der Kunst ein zentrales Argument gegen die Kunst der Nazarener, die von ­Meyer auf die Nachahmung der Malerei der italienischen Frührenaissance verkürzt wird. In dem polemischen Beitrag Neu-deutsche religios-patriotische Kunst (1817), der scharfsinnig die Genese der romantischen Kunstbestrebungen analysiert, wird der rezessive ­Charakter der nazarenischen Formensprache betont, was ohne die Erkenntnisse zum Tre- und Quattrocento im koloritgeschichtlichen Abriss der Farbenlehre nicht möglich ge­wesen wäre – auch hier dient die vorgenommene Historisierung als argumentative Stütze in der Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen. Aus Meyers in den Folgejahren fast dialek­tisch eintretender Hinwendung zur altniederländischen Malerei entsteht ein maltechnisch vollkommenes Gegenbild: Die gehaltsästhetischen Überlegungen der Gegenstandslehre, die sich noch immanent auf die Kunst des Klassizismus bezogen, treten in seinen Beiträgen in Ueber Kunst und Alterthum zugunsten maltechnischer und formalästhetischer Überlegungen zurück.10 Im Folgenden gilt es zu zeigen, wie Meyer die kunsthistorische Empirie seit der Rückkehr aus Italien zunehmend als Instrument der Gegenwartskritik nutzte. Als Kunstschriftsteller sah er sich als integralen und aktiven Teil der Kunstbestrebungen der eigenen Gegenwart. In diesem Sinne war die Gegenstandslehre kein bloßer abstrakter Traktat, und die von der Forschung hinlänglich behandelten Weimarer Preisaufgaben waren keine Aufforderung zum ergebnisoffenen Wettbewerb.11 Beide Projekte aus dem Propyläen-Umkreis bildeten vielmehr bewusste Interventionen an der Grenze von Theorie und Praxis und sollten Missstände in der Kunstentwicklung korrigieren. Der 1805 in Winckelmann und sein Jahrhundert publizierte Abriss zur Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts enthält in jedem Zeitabschnitt einen Überblick zur Kunstliteratur,12 was nichts anderes signalisiert, als dass die Reflexion über Kunst stets als Teil der Kunstproduktion selbst begriffen wird. Theoriebildung trägt alle Merkmale des Progressiven und vollzieht sich nicht analog, sondern vorauseilend zur künstlerischen Praxis. Sie legitimiert zudem jeden dogmatischen Eingriff in die zeitgenössische Kunstentwicklung. Die nachfolgenden drei Analysefelder setzen mit der vieldiskutierten Weimarer Gegenstandslehre ein (2.). Die Forschung hat sich bislang vor allem auf die Nomenklatur der Gegenstandshierarchie konzentriert, die in den dort erstmals formulierten ­Goethe’schen Symbolbegriff kulminierte. Hier soll dagegen anhand des unpubliziert gebliebenen Fortsetzungstextes gezeigt werden, dass die Gegenstandslehre tief im aktuellen Kunstdiskurs verankert war (2.1.) und auf konkrete Kunstwerke reagierte (2.2. und 2.3). Die Gegenstandslehre ist vor allem als Beitrag zur innerklassizistischen Theorie10 Vgl. Rößler 2013b, S. 293. Siehe auch weiter unten, Abschnitt 5. 11 Zu den Weimarer Preisaufgaben siehe Scheidig 1958; Osterkamp 1994; Grimm 1998; Beyer 1999; ­Dönike 2005, S. 236–278; Gelzer 2012. 12 Vgl. Rößler 2011b, S. 387.

III.1.  Meyers Auffassung vom „Kunstrichter“

bildung der späten 1790er Jahre zu sehen, damit vor-romantisch und noch aufklärerischen Konzepten verpflichtet. Meyers Forderungen waren jedoch von Anfang an nicht auf inhaltsästhetische Fragen beschränkt, sondern verbanden sich – wie ja schon die farbtheoretischen Beiträge zeigen konnten – mit dezidiert formalästhetischen Vorstellungen. Einen Brückenkopf vom hochklassizistischen Meyer der Propyläen-Zeit zu jenem der Spätzeit von Ueber Kunst und Alterthum bildet seine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Helldunkel, welche in Abschnitt 3 behandelt wird. Hierin ist ein genuiner Beitrag zur klassizistischen Theoriebildung zu sehen, der sich gattungsübergreifend auf Malerei, Druckgraphik und Skulptur erstreckt. In Hinblick auf die nach 1800 verstärkt auftretende Gegenwartsdiagnose eines verfehlten Helldunkels in der Malerei und Druckgraphik ist die kunstpolitische Dimension dieser Kategorie zu untersuchen (3.1. und 3.2.). Auf plastische Werke übertragen (3.3.), wird von Meyer die Kategorie des Helldunkel überzeugend angewandt, was sich an den Figuren Christian ­Friedrich Tiecks im Gentz’schen Treppenhaus erkennen lässt und Meyers Einflussnahme auf die Ausstattung des Weimarer Schlosses nahelegt (3.4.). Abschnitt 4 behandelt ­Meyers Auseinandersetzung mit der Sammlung Boisserée/Bertram vor dem Hintergrund seiner dezidierten Romantik-Kritik nach 1816. Die formal-technische Bewertung der ­Werke der altniederländischen und altkölnischen Malerei verfolgt eine doppelte Strategie der Histo­risierung wie der Gegenwartskritik (4.1. und 4.2.). Die Litho­graphie (4.3.) als neues Reproduktionsmedium übernimmt zunehmend eine kunstdidaktische und kunstpolitische Funktion: „An die Stelle“ der „Fundierung [der Kunst] aufs Ritual tritt ­ihre Fundierung auf eine andere Praxis: nämlich ihre Fundierung auf Politik.“ (Walter ­Benjamin)13

13 Benjamin 1991, S. 482.

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2. Die Aktualität der Gegenstandslehre. Zur Kritik an Künstlern des Klassizismus im Vorfeld der Propyläen 1797 Dass die Reinheit von Gattungen nicht allein von der Angleichung des Inhalts an die Form, sondern auch von der besonderen Förderung der dafür bestimmten Sujets abhängt, scheint die Ästhetik des Weimarer Klassizismus als grundlegende Einsicht zu bestimmen. Gattungsreinheit bedeutet vorwiegend die Eindämmung kontingenter Faktoren bei der Auswahl innerhalb eines thematischen Spektrums und weniger die bloße Umsetzung gegebener Inhalte. Vorläufer dieser Auffassung sind zweifellos Leon Battista Albertis Verständnis von der istoria und die aus der idea-Tradition stammenden Theorien vom concetto und disegno,14 doch selten zuvor ist in aller Klarheit und Konsequenz ein derartig dezidiertes und gattungsübergreifendes Primat inhaltlicher Komponenten ausgesprochen worden. Die Bestimmung des Inhaltlichen ist hier ein produktions­ästhe­ tischer Akt und somit vorrangige Aufgabe des Künstlers. In literarischen Gattungen scheint diese Einsicht nicht so grundlegend neu zu sein wie in den Bildkünsten: Die Prägung des autonomieästhetischen Konzepts aus einer literarischen Produktion heraus ist umso evidenter, als sich gerade die Suche nach geeigneten Sujets als neuartiges Problem des Kunstmarkts im 18. Jahrhunderts erweist, das Theorie und Praxis der bildenden Kunst zuvor nicht in dieser Form reflektiert haben. Als Kernstück dieser Auffassung kann der von Goethe entworfene und von ­Meyer ausformulierte Aufsatz Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst gelten.15 Jene Abhandlung erschien im ersten und zweiten Stück der Propyläen und steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem von Goethe, Schiller und Meyer verfolgten Programm einer konturierten Scheidung nach Einzelgattungen. Es liegt daher nahe, den Aufsatz in seiner bislang vorliegenden Fassung als Gattungslehre zu lesen: Wie kaum ein anderer Beitrag zur Ästhetik der Goethezeit enthält der Text relevante Hinweise zu einzelnen Untergattungen wie dem „Charakterbild“ oder dem Zyklus, aber auch zu dem konstituierenden Gegensatz von Allegorie und Symbol. Einer rein gattungstheoreti14 Alberti 2002, besonders S. 126–141. Zum größeren Theorierahmen siehe Panofsky 1960; Patz 1986. 15 Meyer (unter Mitwirkung Goethes), Über die Gegenstände der bildenden Kunst, in: Propyläen 1/1 (1798), S. 20–54, 1/2 (1799), S. 45–81 (Reprint 1965, S. 72–106 und 231–266). Abdruck in: MA 6.2, S. 27–68. – Zu dem von Johann Heinrich Meyer auf Grundlage eines Entwurfs von Goethe verfassten Aufsatz siehe: Osterkamp 1991, S. 86–92; Busch 1993, S. 206–210; Chapeaurouge 1986; Stemmrich 1994, S. 93–101; Dönike 2005, S. 132–150. Zum Forschungsstand siehe Rößler 2011a.

III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

schen Lesart widerspricht jedoch, dass der Status von bildkünstlerischen Gattungen von Meyer keineswegs definitorisch geklärt wird und die offenbar synonyme Verwendung von Gegenstand (Sujet) und Gattung nicht von vornherein zur Annahme e­ ines konsistenten Gattungssystems berechtigt. Die systematisch nicht zu überbrückende Kluft des Aufsatzes besteht in der einseitigen Aufwertung des Sujets gegenüber den konventionellen gattungstheoretischen Einteilungen nach Historienbild, Porträt, Genre, Landschaft oder Stillleben. In seiner ursprünglichen Systematik wie in seinem dezidierten Aktualitätsbezug werden die Argumente des Gegenstandsaufsatzes erst dann vollständig transparent, wenn man seine in zwei Handschriften überlieferte Fortsetzung in die Überlegungen einbezieht.16 Konsultiert man die Handschrift im Goethe- und Schiller-Archiv, so s­ ollte das vollständige Traktat aus folgenden Abschnitten bestehen: Auf die in den Propy­läen erschienene kleinteilige Differenzierung nach Gegenständen sollte ein Abschnitt folgen, der sich mit zehn Werken von zeitgenössischen Künstlern beschäftigte. Dieser Abschnitt wurde bislang nur gering von der Forschung berücksichtigt und ist bis heute ungedruckt geblieben.17 Die letzten beiden Teile der Fragment gebliebenen Abhandlung widmen sich gattungstheoretischen Problemen im engeren Sinne: ­erstens dem Problem der Gattungsmischung (ebenfalls ungedruckt); zweitens den Beziehungen zwischen den im ersten Teil explizierten Sujets und den Bildgattungen Malerei, Rund­plastik und Basrelief. Dieser letzte Teil wurde ein Jahrzehnt später im Neujahrsprogramm der Jena­ ischen Allgemeinen Litteraturzeitung von 1808 publiziert. Es handelt sich um die Abschnitte III bis V der Neuen Unterhaltungen über verschiedene Gegen­stände der Kunst als Folge der Nachrichten von den Weimarischen Kunstausstellungen, deren Entstehungszeit in den einschlägigen Kommentaren bislang nur mit der vagen Datierung „vor dem 1.  ­Januar 1808“ eingegrenzt wurde.18 Die Tatsache, dass der Text des Neujahrsprogramms ausnahmslos und nur mit marginalen redaktionellen Änderungen mit dem Manuskript von 1798 übereinstimmt, belegt nicht allein die in den Neujahrsprogrammen verfolgte Kontinuität zur Propyläen-Ästhetik. Liest man vielmehr beide Aufsätze zusammen mit dem ungedruckten Mittelteil als geschlossene Einheit, werden die vollständige gattungstheoretische Konzeption und ihr starker Aktualitätsbezug um 1798 sichtbar. In Anbetracht dieses Befundes erscheint die in den Propyläen vertretene Theorie der Bildgattungen weit komplexer als bisher angenommen. Herauszuarbeiten sind im Folgenden drei Kernpunkte, die das Verhältnis von Überzeitlichkeit und Aktualität, 16 GSA 64/13 und GSA 64/14. Zitiert wird im Folgenden nach der zweiten Fassung (GSA 64/14), die bis zum ungedruckten Abschnitt Korrekturen Goethes und Schillers enthält. Vgl. hierzu die Paralipomena in MA 6.2, S. 990–999. 17 Vgl. Rößler 2011a, S. 345; Rosenbaum 2015, S. 169–171. Die von Norbert Christian Wolf geplante Neuedition von Goethes Propyläen wird den Text im Anhang abdrucken. 18 Kommentare in FA I/19, S. 830 und MA 9, S. 1264.

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

aber auch von Normativität und Empirie näher bestimmen. Zu fragen ist erstens nach dem Vermächtnis der Aufklärungsästhetik: Die Frage nach der Gegenstandswahl und ihrer Systematisierung tangiert zahlreiche Theoreme der Vorläufer, die in das autonomieästhetische Programm der Propyläen transformiert werden. Ihre Sonderstellung resultiert aus der Harmonisierung unterschiedlicher, teilweise untereinander konkurrierender Konzepte, deren Ergebnis hier als reduktionistischer Endpunkt einer sich über das 18. Jahrhundert erstreckenden Diskussion gelesen wird. Zweitens beruht das in den Propyläen vertretene Konzept auf der Auseinandersetzung mit Kunstwerken der beiden vorausgegangenen Jahrzehnte: Zwar bezieht sich der gedruckte Teil nahezu ausschließlich auf die kritische Besprechung von Werken der Antike, der Renaissance und des Barockklassizismus, im ungedruckten Mittelteil jedoch war die kritische Besprechung von zehn zeitgenössischen Werken vorgesehen – die Gegenstandslehre konstituiert sich somit nicht allein retrospektiv in Bezug auf die vergangene Kunst, sondern in kritischer Analyse der vorromantischen Kunstentwicklungen der eigenen Gegenwart. Daran anschließend ist drittens auf Meyers Versuch, die Gegenstandslehre auf die Bildgattungen Malerei, Vollplastik und Basrelief zu beziehen, einzugehen.

2.1 Die Gegenstandslehre im Kontext von Aufklärungsästhetik und Kunstmarkt Dass der Gegenstandsaufsatz in seiner publizierten Form das Ergebnis einer langen, von der Aufklärungsästhetik ausgehenden Theorierevision ist, die sowohl die traditionellen Inventionslehren als auch die Gattungssystematiken betrifft, lässt sich an einigen Vorläufern nachvollziehen: Die akademischen Doktrinen des ausgehenden 17. Jahrhunderts gehen vom Historienbild aus und empfehlen vor allem diejenigen Gegenstände, die im allgemeinen Bewusstsein des Publikums oder der Auftraggeber verankert sind. Der Bildgegenstand gilt dann als adäquat umgesetzt, wenn die pathetische Interaktion zwischen den Figuren im Sinne der expressions des passions korrekt dargestellt wird. Nicht das Sujet selbst, sondern seine kompositorische Umsetzung ist das immanente Problem der Historienmalerei, indem die Gebärdensprache und Physiognomik in Rücksicht auf die drei aristotelischen Einheiten zur inhaltlichen Konvergenz gebracht werden müssen.19 Auch die Frage der Angemessenheit bezieht sich vorwiegend auf das decorum. Noch Algarotti spricht sich 1769 gegen die unhistorische Zusammenstellung von Heiligen (also gegen das Sacra Conversazione-Thema) aus, weil diese gegen die Einheit der Handlung verstieße. Gute Gegenstände seien dagegen die allgemein be-

19 Siehe hierzu Kirchner 1991. Ferner: Körner 1988.

III.2.1  Die Gegenstandslehre im Kontext von Aufklärungsästhetik und Kunstmarkt

kannten und diejenigen, die den meisten Affekt erregen könnten. In der Regel sei das Publikum der beste Richter.20 Die voraussetzungslose Annahme eines konventionalisierten Themenspektrums wird in den deutschen Aufklärungsästhetiken des 18. Jahrhunderts nachhaltig erschüttert.21 Lessings Laokoon indiziert veränderte Anforderungen an die Umsetzung des Inhalts und die Betrachterwahrnehmung, indem nicht nur in Abgrenzung zur Poesie auf die bildkünstlerischen Formgesetze Rücksicht genommen wird, sondern auch die Stellung des Betrachters hinsichtlich seiner rezeptionsästhetischen Kompetenzen in Einklang mit der bildlichen Darstellung gebracht wird – nicht die Affekte und der „Ausdruck“, sondern die formal bedingten Grenzen der Bildkünste gewähren die Empfindung von Schönheit, womit das Verhältnis von Werk und Betrachter weniger auf affektiver Interferenz, sondern auf Prinzipien der visuellen Wahrnehmung und damit ästhetischer Empfindung beruht.22 Die Verständlichkeit von Bildinhalten konstituiert sich nun aus einer neu austarierten Form-Inhalt-Beziehung, die das akademistische Konzept der rhetorischen Überredung und des movere in die Schranken verweist. Damit korrespondiert die Reduktion des Attributiven und des aus emblematischen Traditionen stammenden allegorischen Apparats zugunsten der inhaltlichen Reinheit, Klarheit und sich auf natürlicher Basis konstituierenden Verständlichkeit. So geht Winckelmanns Versuch einer Allegorie von einer natürlichen Konstitution des Bildinhalts aus, indem er für die Allegorie fordert, sie müsse „durch sich selbst verständlich seyn, und keiner Beyschrift vonnöthen haben; es verstehet sich jedoch diese Deutlichkeit Verhältnißweise.“23 Die Hinwendung zu einer organisch strukturierten und sinnlich nachvollziehbaren Geschlossenheit des Bildgegenstandes vernachlässigt auch in Winckelmanns umstrittener Schrift24 das affektive Potential im Bereich der Bild-Betrachter-Konstellation und scheidet die attributiven und subordinierten Elemente von Symbolen oder Beischriften zugunsten einer inhaltlichen Geschlossenheit aus. Trotz ihrer begrifflichen Problematik verweist Winckelmanns Beispielsammlung bereits auf spätere autonomieästhetische Konzepte, indem die kritische Auseinandersetzung mit fehlerhaften restauratorischen Ergänzungen auf der Prämisse von Werkgeschlossenheit beruht.25 Die somit aus der kritischen archäologischen Anschauung gewonnene inhaltliche ­Rekonstruktion von 20 Algarotti 1769, S. 165–167, 175. 21 Ansätze hierzu bereits in Baumgartens Ästhetik von 1758. Vgl. Baumgarten 2007, Bd. 1, S. 96–103, §§ 119–125, S. 171, § 195, S. 177, § 202. 22 Forschungen zu Lessings Laokoon: Mülder-Bach 1992; Mülder-Bach 1998; Baxmann/Franz/Schäffner 2000; Osterkamp 2003a; Schrader 2006; Robert/Vollhardt 2013; Schmälzle 2018. 23 Winckelmann 1766, S. 2. Diese Stelle hat Meyer exzerpiert: „S. 2 heißt es: Die Allegorie soll durch sich selbst verständlich seyn. ferner (S. 29) Einfach deutlich und lieblich.“ GSA 64/106,1, Blatt 14. 24 Zum Versuch einer Allegorie siehe zusammenfassend Rößler 2017b. 25 Vgl. Fischer 1990.

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

­ ragmenten soll zugleich dem Künstler der Gegenwart dienen, indem sich Winckel­ F manns Schrift „vornehmlich“ an die Künstler, „für welche ich schreibe“, wendet.26 Mit Lessings Laokoon und Winckelmanns Versuch einer Allegorie sind somit für den späteren Gegenstandsaufsatz der Propyläen zwei Grundlagen gelegt: einmal die vom rhetorischen Modell getrennte Korrelation zwischen der Eigengesetzlichkeit des Bildes und seiner ästhetischen Rezeption (Lessing); und einmal die empirische Erhebung und Gewinnung von Vorbildern durch empirisch-wissenschaftliche Anschauung, die auf die Wahl des Bildgegenstandes durch den Künstler der Gegenwart übertragbar ist (Winckel­mann). Mit dem Abbau der barocken Gebärdensprache und des damit verbundenen rhetorischen Mittels der Überredung korrespondiert eine Verunsicherung über den Status der inventio. In der Allgemeinen Theorie der schönen Künste weist Johann Georg Sulzer im Artikel „Erfindung“ darauf hin, dass sich die rhetorische inventio vor allem auf das Verbinden aufgefundener Gegenstände (Plural) zu einem geordneten Ganzen beziehe, während sich die Bildkünste primär auf die Auffindung eines Gegenstandes (Singular) konzentrierten.27 Nur wenn von der Einheit des Gedankens ausgegangen werde, ließen sich Anordnung und Ausführung zu einem geschlossenen Ganzen organisieren. Die bildende Kunst ist damit wesentlich stärker von der Themeneinheit abhängig als die Rhetorik, die sich in ihrem primären Vorsatz der Überredung auf das Sammeln von loci und Argumenten bezieht.28 Mit dieser Unterscheidung zwischen den Inventionsbegriffen setzt Sulzer einen endgültigen Grenzstein zwischen Rhetorik und bildender Kunst. Er antizipiert die autonomieästhetischen Positionen Goethes und Meyers, indem er den Bildgegenstand als Faktor im Schaffensprozess aufwertet und damit die Reflexionsfähigkeit des Künstlers betont. Der von Meyer ausformulierte Gegenstandsaufsatz schließt an die Vorstellung vom Bildgegenstand als konzeptueller Einheit an. Damit die Renaissance-Vorstellung von idea und concetto reaktivierend, ist der Gegenstand in seiner ideellen Einheit integral mit der inventio verschmolzen und erhält zugleich eine Leitfunktion im gesamten künstlerischen Schaffensprozess. Parallel zu diesen Voraussetzungen erodiert im 18. Jahrhundert die (erst im vorangegangenen Jahrhundert petrifizierte) klassische Fünfteilung der Bildgattungen29 durch ihre zunehmende Ausdifferenzierung. Christian Ludwig von Hagedorn, den Meyer kritisch wie anerkennend exzerpiert hat,30 entwickelt unter der Prämisse des prodesse et 26 27 28 29 30

Winckelmann 1766, S. 2. Vgl. Art. „Erfindung (Schöne Künste.)“, in: Sulzer 1792, Teil 2, S. 86–96, S. 86. Vgl. Quintilian, Institutio Oratoria, 8,6,44 (Quintilian 1974). Historie, Porträt, Genrebild, Landschaft, Stillleben. Vgl. GSA 64/105, fol. 25v: „Unterdessen läßt sich nicht läugnen daß Hagedorn wenigstens eine ­Ahnung des Rechten gehabt habe. es ließen sich eine Menge Stellen aus dem 1sten Th. seiner Schrift anführen bes. aus den Abhandl. über Allegorie & über behutsamen Gebrauch der Allegorie die gut & richtig gedacht sind gewöhnlich aber ist die Anwendung oder das Beyspiel was er hinzugesetzt um das

III.2.1  Die Gegenstandslehre im Kontext von Aufklärungsästhetik und Kunstmarkt

delectare den wohl anspruchsvollsten Entwurf einer künstlerischen Gattungslehre im deutschsprachigen Raum. Für ihn setzt der Inhalt als einheitsstiftende und für den Betrachter nachvollziehbare Bildkomponente eine Inventionsleistung voraus, die eng mit den Kategorien der Angemessenheit und des Ausdrucks verbunden ist: „Der Mahler, der Bildhauer soll denken. Der Grund des ganzen Bildes und des steinernen Bildes ist ein Gedanke, und dessen anständigster Ausdruck soll des Künstlers vornehmste Sorge seyn.“31 Hagedorn verweist auf die intellektuelle Komponente der Bildinvention, die eng an eine electio innerhalb des thematischen Spektrums gebunden ist: „Bey so mannichfaltigen Gegenständen ist auch die Wahl nöthig. Der Künstler soll die Fabel vernünftigen Absichten, und sich nicht durch Vorurtheile, der Fabel unterwürfig machen.“32 Konzeptionell leitend bleibt jedoch das akademische Verständnis von der „Entgegenstellung der Leidenschaften“33 und die damit verbundene Orientierung an „[t]ugendhafte[n] Handlungen“.34 Hagedorns Unentschiedenheit zwischen moralischer Implikation und ästhetischer Bildeinheit kann drei Jahrzehnte später Ramdohr in seinem Traktat Charis zugunsten der letzteren überwinden. Dort ist ein Bedeutungsverlust des moralischen Aspekts festzustellen, indem das docere des exemplums gegenüber dem delectare zurücktritt. Zugleich wird auf inhaltlicher Ebene die affektisierte Figurenanordnung durch eine vom visuellen Standpunkt aus nachvollziehbare Handlungsführung und damit durch inhaltliche Kohärenz ersetzt.35 Entscheidend ist also nicht der Kontrast der Affekte, sondern die schlüssig motivierte Gesamthandlung, die vom energetischen Konzept der expres­ sion des passions abrückt und dies durch eine semiotische und rationalisierte Bildimmanenz des Gehalts kompensiert. Wie schon bei Hagedorn ist die „Anordnung“ Fortsetzung der „Erfindung“; ihr Verfahren geht vom Bildgedanken aus und verhält sich gegenüber den Einzelteilen subordinierend, nicht koordinierend. Nach gut akademistischer Tradition empfiehlt Ramdohr die allgemein bekannten Begebenheiten aus der Geschichte, Mythologie und Religion,36 doch erinnert die Umsetzung an die von Goethe und Meyer vertretene autonomieästhetische Forderung nach dem allgemein Verständ­ lichen: Gefordert wird „eine Verständlichkeit, die aus dem Sichtbaren selbst fließt“,37 bei der alle Figuren „zu einer gemeinschaftlichen Handlung zusammenhängen sollen, die

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Gesagte zu bethätigen falsch, schlecht gewählt, & zeigt daß dem Verfasser die Sache keineswegs klar gewesen.“ Hagedorn 1762, Bd. 1, S. 320; Hagedorn 1785/1786, Bd. 1, S. 327. Hagedorn 1762, Bd. 1, S. 324; Hagedorn 1785/1786, Bd. 1, S. 331. Hagedorn 1762, Bd. 1, S. 331; Hagedorn 1785/1786, Bd. 1, S. 338. Hagedorn 1762, Bd. 1, S. 442; Hagedorn 1785/1786, Bd. 1, S. 448. Dass die Komponenten der expression des passions weiterhin eine Rolle spielen können, zeigt ­Ramdohrs Auseinandersetzung mit der Aldobrandinischen Hochzeit, siehe Teil II, Abschnitt 3.2. Ramdohr 1793, Bd. 2, S. 186 f. Ebd., 1793, Bd. 2, S. 163.

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

sich aus den sichtbaren Körpern im Gemählde selbst vollständig erklären läßt.“38 ­Diese am Historienbild entwickelten Postulate39 überträgt Ramdohr auch auf andere Gattungen, wenn er etwa das in der Hierarchie traditionell auf der untersten Stufe s­ tehende Stillleben als einen in sich geschlossenen Bildkörper bezeichnet.40 Dass sich Ramdohr in der Frage nach der Gegenstandswahl weitgehend indifferent verhält, ist aus seiner durchweg rationalistischen Prägung erklärbar, welcher der Gehalt zwar als Anlass, nicht aber als Integral per se von nachvollziehbaren Darstellungen gilt. Als geschmackvoll umgesetzt erweist sich derjenige Bildinhalt, dessen Anordnung und Komposition einen für den Betrachter inhaltstransparenten Zusammenhang herstellt. Überlegungen zum Sujet als generativem Faktor im Werkprozess stellt Ramdohr dagegen – anders als später Meyer und Goethe – nicht an. Hagedorn und Ramdohr repräsentieren partiell zwei theoretische Komponenten, die in der von Meyer ausformulierten Gegenstandslehre zusammenfließen. Während Hagedorn der Reflexion über das zu wählende Sujet einen hohen Stellenwert einräumt, in dessen Umsetzung aber primär am pathetisch-figürlichen Interaktionskonzept festhält, vertritt Ramdohr die Vorstellung von einer organisch-inhaltlichen Werkgeschlossenheit, bei der die Vorbedingung einer einheitsstiftenden und reflektierten Gegenstandswahl marginalisiert wird. Bei ihm beginnt die künstlerische Reflexion über den Inhalt erst mit der kompositorischen Anordnung, die damit zur eigentlichen Erfindung wird. Vor diesem Hintergrund ordnen Goethe und Meyer ihr Konzept neu: Die Gegenstandswahl durch den denkenden Künstler ist entscheidend sowohl für die Erfindung wie für die Anordnung, indem beide Schritte im Produktionsprozess als Kontinuum angesehen werden – dies entspräche der Auffassung Hagedorns. Mit Ramdohr rechtfertigen lässt sich der Transfer autonomieästhetischer Kriterien auf die Einzelgattungen der Malerei und Bildhauerei. Sein Traktat Charis ist ein früher Beleg für die Übertragung des Kriteriums der Werkimmanenz und inhaltlichen Geschlossenheit auf sämtliche Bildgattungen, einschließlich des in den Gattungshierarchien niedrig veranschlagten und sich allein auf die detaillierte Naturnachahmung konzentrierenden Stilllebens.41 Vorgänger hat Meyers Gegenstandsaufsatz auch hinsichtlich der kleinteiligen Gattungsdifferenzierung: Es „giebt […] Stilleben, Thierstücke, Landschaften, Perspektiven, Architekturstücke, Bildnisse, Charakterstücke, plastische und mimische Darstellungen des Menschen. Und diese werden wieder gemahlt, in Oel, al Fresco, in Pastell, in Minia-

38 Ebd., S. 162. 39 Zur französischen Diskussion über das Historienbild, von der Ramdohr angeregt sein dürfte, siehe Schneemann 1994. 40 Ramdohr 1793, Bd. 2, S. 117: „Ich sage: seht nicht die Körper, die in dem Gemählde enthalten sind, seht den Körper, der sie enthält, im Ganzen an, und fragt dann, ob diese Stücke vorhanden sind oder nicht!“ 41 In Bezug auf das Stillleben ist Ramdohr innovativer als Meyer.

III.2.1  Die Gegenstandslehre im Kontext von Aufklärungsästhetik und Kunstmarkt

tur u.s.w.“42 – so leitet Ramdohr seine neun Abschnitte zu den einzelnen Bildgattungen ein. Obwohl er einem vom Stillleben bis zum Historienbild aufsteigenden Konzept treu bleibt, deutet nichts darauf hin, dass seine Überlegungen noch einer fünfteiligen Systematik verpflichtet sind; Ramdohr ist vielmehr mit enzyklopädischem Anspruch darum bemüht, die unterschiedlichen Bildgattungen wie das Seestück oder das Tierstück möglichst komplett in eine Reihe einzufügen. Mit diesem Bestreben ist Ramdohr nicht der einzige Kunstschriftsteller: Die ebenfalls 1792 erschienenen Briefe über die Kunst an ­eine Freundin des Dresdner Kammerherrn Joseph Friedrich Freiherr von Racknitz kennen bereits 20 Unterkategorien, die nach zwei Klassen, der „Nachahmung der belebten Natur“ und der „Nachahmung der unbelebten Natur“, unterteilt werden.43 Wie in den Propyläen impliziert die Hierarchisierung der Gegenstände eine Handlungsanweisung an den Künstler, da „es von dem Fleiße eines Mannes zu viel gefordert wäre, wenn er sie alle mit gleichem Glücke nachahmen sollte“.44 Leitend für die Hierarchisierung ist der jeweilige Interessegrad des Publikums. Racknitz unterscheidet daher zwischen den histo­rischen Gegenständen, die „jeden unterrichteten Mann“ interessieren, und „Gemählde[n], die nur für eine bestimmte Anzahl von Menschen interessant sind“.45 Aus diesem Grundsatz heraus entwickelt er seine „Frage, welche Gattung der Mahlerey den Vorzug vor den übrigen verdienet.“46 Deutlicher als bei den Vorgängern und Zeitgenossen ist somit bei Racknitz eine Hierarchisierung der Gattungen in Hinblick auf das Publikumsinteresse zu beobachten. Meyer, der 1793 in Dresden mit Racknitz zusammengetroffen war,47 könnte seine eigenen Überlegungen in Kenntnis von dessen Schrift entwickelt haben. Einen bedeutenden Unterschied zu den traditionellen produktionsästhetischen Vorstellungen in der Frage der richtigen Themenfindung weist schließlich Meyers Aufsatz hinsichtlich des Stellenwerts der schöpferischen Inspiration auf. Eine Fußnote im ungedruckten Manuskriptteil bezieht sich auf einen Bericht in Meusels Neuen Miscella­ neen von 1795 über den Tiroler Maler Joseph Kranewitter (1756–1825), der für die Umsetzung eines bei Ovid beliebig aufgeschlagenen Themas einen Akademiepreis erhalten haben soll. Angeblich erntete Kranewitter für das Sujet „Hekuba, die Polynestor die Augen auskratzt“ zunächst Spott, erhielt dann aber den Preis für die beste Erfindung.48 Die schnelle Umsetzung eines beliebig in der klassischen Literatur aufgefundenen Sujets bzw. die schnelle Verarbeitung eines auf Zuruf erhaltenen Themas, wofür beispiels42 Ramdohr 1793, Bd. 2, S. 116. 43 Racknitz 1792, Teil 1, S. 36. Siehe auch die Übersicht S. 40 f. 44 Ebd., S. 36. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Vgl. Meyer an Goethe, Dresden, 23. 9. 1794, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 137. Goethe stand mit Racknitz seit seinem Karlsbadaufenthalt 1786 in Kontakt. 48 Anonym 1795, S. 73.

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

weise der Illustrator Johann Heinrich Ramberg bewundert wurde,49 ist für Meyer keine Auszeichnung von künstlerischer Flexibilität und Kreativität, sondern Beispiel für eine verfehlte Produktion, die das Bildliche zur Schriftanalogie herabsetzt: Mahlerische Improvisatoren, welche als wahre artistische Gaukler, durch Behändigkeit die Menge blenden aber arm an Geschmack und Sinn den wahren Kenner nicht befriedigen können haben sich bekannt genug gemacht. Wenn die Kunst keine würdigern Beschäftigungen hat keinen edleren Zweck und zu weiter nichts führt, als Buchstaben und Worte figürlich darzustellen, in Gestalten zu übersetzen; so ist sie der unnennbaren Mühe welche das ernste Studium derselben erfordert warrlich nichts werth[.]50

Das Extemporieren von Bildgegenständen weist Meyer ähnlich wie Joshua Reynolds in die Schranken, der die improvisierende Gegenstandsfindung in seiner 12. Rede vor der Londoner Akademie als inadäquat für die Bildkünste erklärt hatte.51 In Gegensatz zu einer von Inspiration und Spontaneität getragenen Bildfindung geht es somit um die Ausschaltung von Kontingenz in der Gegenstandswahl, was vom Künstler durch Reflexion bewältigt werden soll. Martin Warnke hat in seinem Hofkünst­ ler darauf hingewiesen, dass das spontane Aufgabenstellen für Künstler zum beliebten Zeitvertreib von Fürsten gehörte.52 Neben kulturkritischen Vorbehalten gegenüber der Unterhaltung der „Menge“ erklärt sich Meyers Ablehnung der „artistischen Gaukler“ womöglich auch aus einem aufklärerischen Impuls, der die soziale Stellung des Künstlers aus den spätabsolutistischen Abhängigkeiten zumindest produktions­ästhe­ tisch befreien will. Die daraus resultierende intellektuelle Unabhängigkeit des Künstlers entspricht der in Kants Kritik der Urteilskraft vertretenen Auffassung von einer von der Auftragslage unabhängigen und „freien“ Kunst,53 doch verschließt Meyer nicht die ­Augen davor, dass sich die Wettbewerbsbedingungen im ausgehenden 18. Jahrhundert auch für erfolgreiche Künstler verändert haben. Das in der Aufklärungsästhetik vertretene und Horaz entlehnte Argument, geeignete Bildgegenstände sollten das Publikum moralisch erquicken und ihm zugleich gefallen, verfängt hier nicht mehr, da nach neuer Auffassung nur die Innovationsfähigkeit des Künstlers zum interesselosen Wohlgefallen beitragen kann. Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich der Gegenstandsaufsatz der Propyläen zahlreicher Relikte der Aufklärungsästhetik bedient, diese aber konsequent in ein schlüssig vertretenes autonomieästhetisches Programm transformiert. Im Vergleich zu den Vorgängern ergibt sich jedoch auch ein theoretisches Alleinstellungsmerkmal. Dies betrifft sowohl die produktionsästhetische Fundierung wie auch die gestufte Unterscheidung 49 Siehe hierzu Rößler 2013c, S. 10 f. 50 GSA 64/14, fol. 49r–49v. 51 Joshua Reynolds, Discourse XII, in: Reynolds 1885, Bd. 2, S. 38–59, hier: S. 45–47 (12. Rede an die Schüler der Royal Academy vom 10. Dezember 1784). 52 Warnke 1996, S. 297. 53 Kant, Kritik der Urteilskraft, § 43, B 175 bzw. A 173, in: Kant 1983, S. 401 f.

III.2.2  Die Gegenstände der Zeitgenossen und der Gattungstransfer bei Tischbein

nach „vorteilhaften“, „gleichgültigen“ und „widerstrebenden“ Gegenständen, die in keiner der vorausgegangenen Gattungssystematiken eine tragende Rolle spielen. Meyer gibt sich keine Mühe, Doppelnennungen ein und derselben Gattung in den sich ausschließenden Bereichen der „vorteilhaften“ und „widerstrebenden“ Gegenstände logisch zu begründen.54 Den widerstrebenden Gegenständen kann demnach nicht allein die ­Allegorie (aus einer anti-barocken Auffassung verständlich genug) angehören, sondern auch das in der Hierarchie hoch bewertete Historienbild, sofern es durch eine falsche Gegenstandswahl bestimmt wird.55 Die Entscheidung für einen Gegenstand bedeutet damit eine Wahlfreiheit innerhalb eines eng definierten Themenspektrums und vollzieht sich auf eine wesentlich eingeschränktere Weise als bei den Vorläufern. Diese inhaltlich begründete Restriktion hat zum einen zur Folge, dass Meyer seine Überlegungen stark an empirische Beispiele rückbindet, und zum anderen, dass er weitere neue Gattungsuntergliederungen einführt. Das irritierende Moment der von Goethe gegenüber Cotta als „wichtig[] und fundamental[]“ apostrophierten Abhandlung56 besteht somit darin, dass die Dominanz der Gegenstandsfrage gattungstheoretisch mehr Probleme erzeugt, als ihr restriktiver Charakter zunächst suggeriert. Der Faktor des Gehalts ist derart gestärkt, dass er das ohnehin schon destabilisierte System der Bildgattungen aufsprengt und obsolet macht.

2.2 Die Gegenstände der Zeitgenossen und der Gattungstransfer bei Tischbein Als „wichtig“ und „fundamental“ erwies sich das Traktat über die Gegen­stände schon deshalb, weil es in seinem kritischen Gestus indirekt auf die zeitgenössische Kunstproduktion Bezug nimmt. Goethe und Meyer haben ihre Sujetlehre in Reaktion auf Künstler und Kunstwerke entwickelt, die in ihrem direkten Sichtfeld standen.57 Goethes erstem Entwurf vom 13. Oktober 179758 vorausgegangen waren die Besichtigung von Johann Heinrich Füßlis Die drei Eidgenossen beim Schwur auf dem Rütli (1779–1781) im ­Zürcher Rathaus sowie die Atelierbesuche bei Philipp Friedrich Hetsch und J­ohann Heinrich Dannecker in Stuttgart im September 1797, von denen letzterer ­Goethe zu der Aussage verleitete, der Künstler leide „daran, woran wir modernen alle leiden: an der Wahl des

54 Auf diese Unstimmigkeiten hat Gregor Stemmrich 1994, S. 97, hingewiesen. 55 Siehe durchgängig im Abschnitt über „widerstrebende Gegenstände“ in: Meyer (unter Mitwirkung Goethes), Über die Gegenstände der bildenden Kunst, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 58–81 (Reprint 1965, S. 244–267). Abdruck in: MA 6.2, S. 55–68. 56 Beilage zum Brief Goethe an Cotta, Jena, 28. 5. 1798, in: Bw. Goethe/Cotta, S. 23. 57 Folgende Ausführungen erstmals publiziert in Rößler 2015b. 58 Goethe, Über die Gegenstände der bildenden Kunst [Entwurf], in: MA 4.2, S. 121–124.

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Gegenstands“.59 Über Füßlis Rütlischwur hatte Goethe ursprünglich ­eine ­Abhandlung für die Propyläen geplant, die direkt an den Gegenstandsaufsatz an­schließen sollte.60 ­Meyer wiederum hatte während des Rom-Aufenthalts 1795/96 Asmus J­ akob Carstens kennengelernt und die publizistische Flankierung des Künstlers durch Carl Ludwig Fernow und die Replik Maler Müllers aufmerksam verfolgt,61 doch finden diese Zusammenhänge in der gedruckten Fassung des Gegenstandsaufsatzes keine Erwähnung.62 Das späteste Werk, das Meyer hier bespricht, ist der 1765 entstandene und seit 1767 als Reproduk­ tionsgraphik vorliegende Abschied des Calas von Nikolaus Daniel Chodowiecki.63 In ­ihrem vollen Umfang wurde die zeitkritische Intention des Gegenstandsaufsatzes erst mit der Annoncierung der Weimarer Preisaufgaben in den Propyläen erkennbar. Die Konsultation der Meyer-Manuskripte im Goethe- und Schiller-Archiv führt dagegen zu dem Befund, dass die Diskussion über die korrekte Gegenstandswahl von Anfang an anhand von Werken klassizistischer Künstler geführt wurde. Als Brückenkopf zwischen dem ersten, in den Propyläen abgedruckten Teil und seiner zehn Jahre später publizierten Fortsetzung dient ein Abschnitt mit hohem Aktualitätsbezug, in dem ohne Namensnennung Werke von Zeitgenossen diskutiert werden. Anonymität ist dem Kunstrichter Meyer offenbar wichtig: Wie er eigens betont, sei es „keineswegs unsere Absicht jemanden Persönlich mit Tadel zu kränken, sondern nur die übernommene Aufgabe durchzuführen und wünschten wo wie wir überzeugt sind nach auch andere zu überzeugen daß auf die Wahl der Gegenstände bey Werken der bildenden Kunst sehr viel ankomme und dieser Theil die äußerste Sorgfalt und Aufmerksamkeit des Künstlers erfordere“.64 Die besprochenen Künstler und Werke lassen sich trotz fehlender Namensangaben eindeutig identifizieren. Sie werden hier in der Reihenfolge ihrer Nennung katalogisiert: 1. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Hektor wirft Paris seine Weichlichkeit vor und mahnt ihn, in den Kampf zu ziehen, 1786, Öl auf Leinwand, 294,7 × 363,2 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen.65 Ausführliche Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 51r–53v. Siehe Tf. XXVI. 59 Goethe an Schiller, Stuttgart, 30. 8. 1797, in: MA 8.1, S. 404. ­ uisli’s 60 Vgl. Beilage zum Brief Goethe an Cotta, Jena, 28. 5. 1798, in: Bw. Goethe/Cotta, S. 23: „Heinrich F Arbeiten, bezüglich auf sein Gemählde in Zürich und die allgemein bekannten Kupferstiche nach ihn. (Hier werden die im vorigen Artikel [Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst] aufgestellten Grundsätze auf die Arbeit eines einzigen Künstlers angewandt.)“. Den Entwurf zu der Abhandlung Über Heinrich Füeslis Arbeiten siehe in MA 4.2, S. 89. 61 Meyer an Goethe, Rom, 25. 2. 1796 und Florenz, 13. 5. 1797, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 202 und S. 443 f. 62 Fernow empfahl die Sujets von Carstens zur Nachahmung. Fernow 1795, S. 166–168. 63 Indirekte Erwähnung im Gegenstandsaufsatz, Propyläen 1/2 (1798), S. 77; Reprint 1965, S. 263. 64 GSA 64/14, fol. 51r. 65 Siehe hierzu ausführlich Mildenberger 2003, S. 19–51.

III.2.2  Die Gegenstände der Zeitgenossen und der Gattungstransfer bei Tischbein

2. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Sophonisbe und Massinissa (verschollen). Laut Tischbeins Memoiren kurz vor dem Hektor-Paris-Bild entstanden, Titel nach Tischbein: „Sophonisbe, die, im Unglück stolz, auf ihren Überwinder mit Verachtung schauet“.66 Erwähnung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 53v. 3. Asmus Jakob Carstens, Oedipus entdeckt seinen Frevel, 1788, schwarze Kreide auf grauem Papier, mit weißen Deckfarben gehöht, 463 × 547 mm, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 22940.67 Später entstand eine mit „Asmus ­Jacobus Carstens inv. Rome. 1797“ bezeichnete Zeichung zu demselben Thema, schwarze Kreide auf grauem Papier, sparsame Weißhöhungen, 530 × 750 mm, Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen. Da Meyer Mitte Juni 1796 Rom verlassen hatte und das Konvolut der Carstens-Zeichnungen erst nach dem Tod des Künstlers nach Weimar gelangte, ist wahrscheinlich, dass Meyer die Frühfassung oder eine weitere Version kannte. Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 54r–54v. 4. Angelika Kauffmann, Vergil schreibt in Brundisium auf dem Totenbett sein Epitaph, 1785, Öl auf Leinwand, 101,6 × 127 cm, Privatbesitz. – Da das Gemälde bereits im Entstehungsjahr von Neapel nach England gesandt wurde, war Meyer vermutlich nur der 1794 erschienene Farbstich von Thomas Burke bekannt.68 Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 54v–55r. 5. Mehrere Künstler in Rom 1795–1797, angeregt durch: Asmus Jakob Carstens, Fingals Kampf mit dem Geist von Loda, 1796, Öl auf Leinwand, 78,5 × 100,5 cm, Kopen­ hagen, Statens Museum for Kunst. Joseph Anton Koch, Fingals Kampf mit dem Geist von Loda, 1796/97, Sepia, 26,7 × 104,8 cm, ehemals Berlin, Nationalgalerie (Kriegsverlust). Johann Christian Reinhart, Fingals Kampf mit dem Geist von Loda, 1796, Öl auf Leinwand, 149 × 201 cm, Potsdam, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Ders., Fingals Kampf mit dem Geist von Loda, Feder in Braun und Schwarz, schwarz und grau laviert über Bleistift, 588 × 808 mm, ­München, Staatliche Graphische Sammlung.69 Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 55r–56r. 6. Erlkönig nach Goethe, von Meyer als „Gegenstück“ zu Fingals Kampf mit dem Geist von Loda (Nr. 5) bezeichnet. Vermutlich von Johann Christian Reinhart, verschollen.70 Erwähnung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 56r.

66 Tischbein 1922, S. 202. Dort auf Tafel 14 fälschlich Abbildung der Entführung der Briseis von Johann Heinrich Tischbein d.Ä. in der Hamburger Kunsthalle. Ich danke Ute Haug und Markus Bertsch für die Nachrecherche. 67 Büttner 1992, S. 43. 68 Peter Walch in: Ausst.-Kat. Düsseldorf u.a. 1998/1999, Kat.-Nr. 230, S. 386 f. 69 Zu dem Motivkomplex siehe Bertsch 2010. 70 Feuchtmayr 1975, Nr. G 60, S. 330.

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7. Asmus Jacob Carstens, Gastmahl des Plato, 1793, Aquarell, 1795 auf Carstens’ Atelier­ ausstellung gezeigt und von Fernow im Neuen Teutschen Merkur besprochen,71 um 1820 in der Sammlung Kohlrausch/Berlin, heute verschollen. Durchzeichnung von unbekannt und mehrere Entwürfe in der Klassik Stiftung Weimar.72 Erwähnung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 56r–56v. 8. Philipp Friedrich Hetsch, Der Tod des Konsuls Papirius, um 1786/87, verschollen. Erhalten ist eine verkleinerte Replik um 1795, Öl auf Leinwand, 105 × 162 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Nach 1793 erschien ein Kupferstich von J. F. Leybold.73 Ausführliche Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 56v–57v. Siehe Tf. XXVII. 9. Philipp Friedrich Hetsch, Tullia über die Leiche ihres Vaters fahrend, 1786 in Rom entstanden, Öl auf Leinwand, 205 × 305 cm, ehemals Schloss Wilhelma, Stuttgart (Kriegsverlust). Erhalten ist eine lavierte Federzeichnung in Braun und Hellgrau (465 × 678 mm) in der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart.74 Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 57v–58r. 10. Johann Heinrich Dannecker, Hektor, seinen Bruder Paris scheltend, 1794/95, Gips, Höhe ohne Lanze 205 cm, ehemals Stuttgart, Staatsgalerie (zerstört).75 Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 58r–58v. 11. Alexander Trippel, Daphnis und Micon, 1791, Relief für das Denkmal auf Salomon Geßner in Zürich, Marmor, 116 × 144 × 21 cm, Zürich, Schweizerisches Landesmuseum.76 Besprechung im Manuskript: GSA 64/14, fol. 58v. 12. Als „Sühneopfer[]“ kritisiert schließlich Meyer sein eigenes Werk Oedipus löst das Rätsel der Sphinx (Tf. III/2), dessen Sujet er als „widerstrebenden Gegenstand“ verwirft. GSA 64/14, fol. 59r–61r.77 Auffallend ist, dass mit der Ausnahme der überaus erfolgreichen Angelika Kauffmann die hier aufgeführten Künstler sämtlich im Spannungsfeld von spätabsolutistischer In­ sti­tution und sich ausdifferenzierendem freien Kunstmarkt zu verorten sind. Alexander Trippel etwa hatte sich vergeblich um die Berufung zum Hofbildhauer in Berlin bemüht 71 Fernow 1795, S. 163. 72 Ausst.-Kat. Schleswig 1992, Bestand der Weimarer Kunstsammlungen Kat.-Nr. 100–104, S. 148 f und 218 sowie Kat.-Nr. 25 der Carstens-Zeichnungen aus Goethes Besitz, S. 227. Nach Fernow „eine Malerei in Acquarell“. Fernow 1806, S. 171. Später war das Aquarell vermutlich in der Sammlung Kohlrausch/Berlin, wo es Meyer 1820 erneut sah (vgl. GSA 64/100,2, fol. 27v). 73 Herbert Eichhorn, Kat.-Nr. 45, in: Ausst.-Kat. Stuttgart 1993, Katalogband, S. 138–140. 74 Herbert Eichhorn, Kat.-Nr. 43, in: Ebd., S. 136 f. 75 Christian von Holst, Kat.-Nr. 61, in: Ausst.-Kat. Stuttgart 1987, Bd. 1, S. 214–216. 76 Dieter Ulrich, Kat.-Nr. 19, in: Ausst.-Kat. Schaffhausen 1993, S. 116–123. 77 Zu den verschiedenen Versionen des Bildes und der oben erwähnten Textstelle siehe Rosenbaum 2015, S. 171.

III.2.2  Die Gegenstände der Zeitgenossen und der Gattungstransfer bei Tischbein

und stand nach den Erfolgen des aufstrebenden Antonio Canova unter dem verschärften Druck einer unsicheren Auftragslage.78 Carstens’ Konflikt mit der Berliner Akademie und seine demonstrative Loslösung von ihr korrespondierte mit seinem Konzept von autonomer Handzeichnung und selbständig-reflektierender Gegenstandsfindung.79 Kriegsbedingt musste Tischbein 1799 seinen Direktorenposten an der Kunstakademie in Neapel aufgeben, während zur gleichen Zeit der Stuttgarter Hofmaler Philipp Friedrich Hetsch Buchillustrationen ausführen und bürgerliche Aufträge annehmen musste, um seine Existenz zu sichern.80 Das von Goethe und Meyer propagierte produktionsästhetische Primat der Gegenstandswahl durch den reflektierenden Künstler ist somit gerade von dem sozialhistorischen Hintergrund der sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts dynamisch verändernden Auftragsbedingungen nicht zu trennen. Angesichts eines bürgerlichen Kunstmarkts mit zunehmender kritischer Öffentlichkeit und des gleichzeitigen Rückgangs feudaler und kirchlicher Aufträge soll die Gegenstandslehre den Künstler vor zudringlichen Auftraggebern schützen, indem sie die Gegenstandsfindung nicht als Teil eines zu erfüllenden Auftrags beschreibt, sondern dem Bereich künstlerischer Autonomie zuweist. Sie wird zum Angebot, das seinerseits eine entsprechende Nachfrage generiert. Wäre der Mittelteil des Gegenstandsaufsatzes in den Propyläen erschienen, hätten kunstinteressierte Zeitgenossen die meisten Werke identifizieren können. Trippels ­Relief und die Gemälde von Hetsch (Tf. XXVII) waren erst kurz zuvor in den Neuen Miscel­laneen artistischen Inhalts für Künstler und Kunstliebhaber besprochen worden, so dass sich ihre Erwähnung im Manuskript als Replik auf die führende und mit den Propyläen konkurrierende Kunstzeitschrift erweist.81 Angelika Kauffmanns Sterbender Vergil, Hetschs Tod des Konsuls Papirius und das Zürcher Geßner-Denkmal waren zudem über die Reproduktionsgraphik bekannt geworden. Zumindest der deutsch-römische Künstlerkreis hätte die Werke des kurz zuvor verstorbenen Asmus Jakob ­Carstens erkennen können. Einzig Tischbeins Gemälde Hektor wirft Paris seine Weichlichkeit vor (Tf. XXVI), schon wegen seines monumentalen Formats aus der Reihe fallend, hätte von den zeitgenössischen Lesern vermutlich nur schwer identifiziert werden können. Tischbein hatte während seiner Arbeit an dem Gemälde die Hoffnung gehegt, in seinem Förderer Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha einen Käufer zu finden.82 Das Bild verblieb jedoch in Tischbeins Besitz und wurde somit nur einem kleinen Personenkreis bekannt. Bis auf die verspätete Würdigung Goethes in der Italienischen Reise83 und die 78 79 80 81 82 83

Hierzu Rößler 2012. Siehe hierzu Büttner 1996. Vgl. Eichhorn 1993, S. 197. Junker 1796. Vgl. Bothe 2003, S. 17. Siehe Goethe, Italienische Reise, in: MA 15, S. 474. Goethe bespricht das Werk in seinen italienischen Aufzeichnungen vom August 1787 als ein Beispiel, das in Reaktion auf den Schwur der Horatier in

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

ausführ­liche Besprechung in Tischbeins postum erschienener Autobiographie fand das Bild keinen Weg in die Öffentlichkeit und galt bis zu seinem Ankauf durch die Weimarer Kunstsammlungen 2003 als verschollen.84 Als Freund und zeitweiliger „Secretär“85 Tischbeins hatte Meyer zu dem Werk jedoch einen besonderen Bezug. In seinem graphischen Nachlass erhalten ist eine Feder­ umrisszeichnung nach Tischbeins 1788 entstandener und leicht veränderter Einzel­ wieder­holung des Paris-Kopfs.86 Zudem verpackte er gemeinsam mit Friedrich Bury das Bild 1788 für Tischbeins Umzug nach Neapel.87 Die zehn Jahre später entstan­dene Besprechung im unpublizierten Teil des Gegenstandsaufsatzes beschreibt das Werk nicht ganz exakt: Die Angabe, Paris putze gerade seine Waffen, lässt sich nur im übertrage­ nen Sinne mit dem spiegelblanken, auf Paris’ linkem Schenkel ruhenden Helm in Verbindung bringen, der mit der offensichtlich von Kampfspuren abgenutzten Rüstung ­Hektors kontrastiert. Trotz dieser leichten Unstimmigkeit – das Thema aus der Ilias ist unter anderen auch bei Joseph Vien (1779), Angelika Kauffmann (1770) und als Umrisslinienradierung nach John Flaxman belegt88 – ist die Identifizierung mit Tischbeins Bild eindeutig: Intimes Atelierwissen verrät die Angabe, derselbe Künstler habe als Pendant das Sophonisbe-Thema bearbeitet.89 Der Hinweis rekurriert somit auf ein Werkstattinternum, dessen Erwähnung nur für Vertraute einen Sinn ergibt und Tischbeins Werk von anderen Umsetzungen des Hektor-Paris-Themas abgrenzt. Die Besprechung des damals kaum bekannten Werks an erster Stelle einer Reihe, die am Ende in die Selbstkritik des Verfassers mündet, lässt somit vermuten, dass Meyer die Gegenstandslehre besonders an Tischbein adressierte und mit ihrem problemorientierten Ansatz auf die spezifischen Entstehungsbedingungen des Bildes reagierte. Erstaunen muss die dezidierte Kritik an einem der Ilias entnommenen Sujet. Auf Bildthemen nach Homer griffen bekanntlich auch Goethe und Meyer in den Weimarer Preisaufgaben zurück, da sie diese für besonders vereinbar mit autonomieästhetischen Grundsätzen und dem damit verbundenen Postulat vom „Allgemein-Mensch­ lichen“ der Kunst hielten:90 Inhaltsverwandt mit Tischbeins Bild ist die erste Preis­aufgabe Rom entstand. Zur David-Rezeption in Tischbeins Bild siehe ausführlich Mildenberger 2003, passim. 84 Zur Geschichte des Bildes siehe Mildenberger 2003. 85 Christoph Heinrich Kniep an Goethe, 17. Juli oder August 1788, in: Striehl 1998, S. 299. 86 Johann Heinrich Meyer, Umrisszeichnung nach Tischbeins Paris-Kopf, graue Feder auf Papier, um 1788, Klassik Stiftung Weimar, Museen, Inv.-Nr. Gr–2005/830.221. Tischbeins Einzelwiederholung des Paris-Kopfs von 1786, Öl auf Leinwand, 74 × 61 cm, befindet sich heute in der Stiftung des Fürstlichen Hauses zu Waldeck und Pyrmont. Abbildung bei Mildenberger 2003, S. 33. 87 Vgl. Friedrich Bury an Goethe, Rom, 10. 5. 1788, in: Br. Bury 2007, S. 8. 88 Zu der Verbreitung des Bildthemas siehe Mildenberger 2003, S. 30–32. 89 Tischbein 1922, S. 202. Zu der Unstimmigkeit von Tischbeins Beschreibung seines Bildes und zu Quellen aus dem unmittelbaren Entstehungskontext 1786 siehe Mildenberger 2013, S. 23 f. 90 Zu den Weimarer Preisaufgaben und dem mit den Homer-Themen verbundenen Humanitätsideal siehe Scheidig 1958; Osterkamp 1994; Grimm 1998.

III.2.2  Die Gegenstände der Zeitgenossen und der Gattungstransfer bei Tischbein

von 1799 mit dem Sujet Aphrodite führt Paris Helena zu. Die Aufgabenstellung wird damit begründet, dass das Thema „in sich alle erforderlichen Eigenschaften“ zu einer „symbolische[n] Darstellung“ vereinige, da es sich „allemal selbst vollkommen“ ausspreche.91 Tischbeins frühe Bearbeitung eines Homer-Themas zielt vordergründig in dieselbe Richtung. Herausgefordert durch die neuen Entwicklungen im französischen Klassizismus, wandte sich der Maler 1786 von den durch Lavater und Bodmer inspirierten nationalen Themen ab und konzentrierte sich auf die durch Homer verbürgte klassische Humanität. Dennoch ist die inhaltliche Konzeption nicht dieselbe, die ­Goethe und Meyer mit ihrer Gegenstandslehre verfolgen. Erkennbar ist dies insbesondere an der unterschiedlichen Reaktion auf die Französische Revolution und ihre Nachwirkungen: Während Goethe und Meyer angesichts der terreur für eine allgemein-mensch­ liche Kunst plädieren,92 beruhen Tischbeins Homer-Bearbeitungen auf einem allgemeinen Humanitätsideal, das jedoch in der Regel auf das fürstliche beziehungsweise staatsmännische Handeln bezogen ist.93 Meyers verspätete Rezension von 1798 akzentuiert diesen Unterschied besonders deutlich: Mit Sicherheit über die Entstehungsumstände informiert, wendet er sich e­ inem Bild zu, dessen adressatenbezogene Konzeption nicht den vom Künstler erhofften Erfolg hatte. In der Themenwahl offenbart sich das barocke Substrat des fürst­lichen Exemplums, indem Hektor als Mahner und wahrhafter Held dem verweichlichten P ­ aris gegenübersteht. Der Kontrast zwischen den beiden trojanischen Prinzen wird umso deutlicher, als die in Hektor personifizierte Virtus sich durch ihre Moralrede selbst thema­ tisiert. Die höfische und damit der Gegenstandslehre sozialhistorisch zuwiderlaufende Orientierung des Themas – an einen bürgerlichen Adressaten lässt sich kaum denken – macht das Sujet für Meyer derart indiskutabel, dass er die Bildaussage vollständig unter­ drückt beziehungsweise verkennt: Hector ist die handelnde thätige Figur, Paris verhält sich leidend und die schönste aller Frauen interessirt keinen von beyden auch nur im mindesten, wir verlangen aber daß die Schönheit triumphiren soll, und der Held wird uns hier beschwerlich wie einer der die stille trauliche Unterhaltung durch unzeitiges Geräusch stört. Des Paris bedeutendes Verhältniß zur Helena ist doch wohl ohne Zweifel Liebe, er hat für sie Meere durchzogen Thaten gethan, aus unbändiger Leidenschaft das Heilige Gastrecht verletzt, und konnte sich nicht von ihr trennen, selbst da des Vaterlandes, und der Seinigen und sein eigenes Verderben ihm überm Haupte schwebt, was tut er aber hier, der Liebhaber neben seiner Geliebten? er sitzt und putzt seine Waffen.94

91 [Meyer,] Nachricht an Künstler und Preisaufgabe, in: MA 6.2, S. 412. 92 Siehe hierzu Schings 2016. 93 Zur generell moralisierenden und fürstenerzieherischen Komponente von Tischbeins Auseinandersetzung mit Homer siehe Mildenberger 1989, S. 80. 94 GSA 64/14, fol. 52v–53r.

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

Entgegen der Tradition wertet Meyer die Handlungsmotivation von Paris auf und spielt ihn, den bei Homer als feig geschilderten und im Kampf nur durch Zufall erfolgreichen Antihelden, gegen den tugendhaften Hektor aus. Amor vincit omnia: Die Befähigung zur Liebe, und nicht staatspolitisches Handeln oder erfolgreiche Kriegsführung im Sinne des exemplum virtutis, wird hier dem Tugendkatalog hinzugefügt.95 Damit wird freilich die gesamte Disposition des Bildes in Frage gestellt; Feigheit und Verweichlichung des Paris werden gar vollständig negiert. Dies entspricht der in der Gegenstandslehre und in der Propyläen-Ästhetik durchgängig vertretenen Auffassung vom Allgemein-Menschlichen, das die Liebe zu den zentralen Momenten der symbolischen Bildauffassung erhebt.96 Sujets wie die Madonna mit Kind als symbolisierte Darstellung der Mutterliebe oder die Aldobrandinische Hochzeit mit Meyers unterschwelliger Interpretation einer Liebesheirat erfahren in der kunsttheoretischen Auseinandersetzung im Umkreis der Propyläen eine besonders hohe Wertschätzung. In Meyers Kritik an Tischbeins Gemälde wird ‚Liebe‘ zur beherrschenden Kategorie der Bildordnung, aber auch zum dominanten Element der epischen Narration. Davon ausgehend begründet Meyer die Inkongruenz von epischem Sujet und bildlicher Umsetzung: Wenn er den Paris die Helena und den Hector mahlen wollte, so musste er alles was man aus dem Homer und anders woher von ihnen weiß in einem summarischen Begriff fassen und diesen in Character, Stellung und Handlung aufs beste ausdrücken suchen wahrscheinlich enthält die Ilias eine passende Form dazu und vielleicht mehr als nur eine, aber die welche hier gewählt worden, ist für die Kunst widerstrebend und unbequem.97

Mit dem Hinweis, die Ilias enthalte „wahrscheinlich“ bessere Sujets für die bildliche Darstellung, wird zugleich deutlich, dass die Homer-Themen in der anfänglichen Diskussion der Bildgegenstände noch nicht jene Prominenz einnahmen wie kurze Zeit später in den Weimarer Preisaufgaben.

2.3  Hetsch und das Problem der Gattungsmischung In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu der mit Meyer im Herbst 1797 in Stäfa geführten Diskussion über die Bildgegenstände äußert sich Goethe gegenüber Schiller am 23. Dezember 1797 zu dem Problem der Gattungsmischung, indem er sich explizit auf Meyer 95 Zur Spannung von exemplum virtutis und Historizität im Historienbild der Aufklärung vgl. Schneemann 1994, S. 38–42. 96 Vgl. [Meyer,] Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst, in: Propyläen 1/1 (1798), S. 43; Reprint 1965, S. 95. 97 GSA 64/14, fol. 53r–53v.

III.2.3  Hetsch und das Problem der Gattungsmischung

bezieht. „Meyer hat bemerkt daß man alle Arten der bildenden Kunst hat bis zur Malerei hinantreiben wollen, indem diese durch Haltung und Farben die Nachahmung als völlig wahr darstellen kann. So sieht man auch im Gang der Poesie daß alles zum Drama, zur Darstellung des vollkommen Gegenwärtigen sich hindrangt.“98 Die Befähigung zur illusionistischen Darstellung in der Malerei hat Meyer in den elf Jahre später erschienenen Neuen Unterhaltungen über Gegenstände, also dem letzten Teil aus der ursprünglichen Handschrift von 1797/8, besonders hervorgehoben. Die in der Malerei angelegte Tendenz zur Überschreitung der Gattungsgrenzen regt auch Meyer zu einem Vergleich mit dem Drama an: Mit Carl Ludwig Fernow ist er sich einig,99 dass Carstens mit dem aus dem Drama übernommenen Sujet „Ödipus entdeckt seinen Frevel“ die Grenzen der bildlichen Gattungen überschritten habe: Während in der Tragödie des Sophokles die Exposition ausreichend motiviert werden könne, sei die „Wirkung dieses Bildes auf den Beschauer […] ohngeachtet der geschickten Anordnung und Ausführung doch gering“.100: Welche wunderbare Begriffe aber müßte der Mahler von seiner Kunst, dem Zweck und Bedingungen seines Kunstwerks haben, welchen Muth daß er es wagen dürfte eine einzelne Scene dem Werk des Dichters abzureißen, und ohne daß dieselbe einen Bezug oder Rücksicht gewährte. Dem Beschauer für Augen zu legen. Er läßt uns viel ahnden, aber weder etwas wissen noch absehen, und deswegen wenden wir uns unbefriedigt von ihm und seinem Bilde.101

Die Spannbreite der Interferenzen und Abgrenzungen zwischen Malerei, Plastik und Drama wird insbesondere an Meyers ausführlicher Besprechung von Philipp Friedrich Hetschs Bild Tod des Konsuls Papirius (Tf. XXVII) deutlich. Ähnlich wie Tischbeins Hektor gehört es zu den paradigmatischen Werken der deutschen Rezeption von Jacques-Louis David, indem es sich nicht nur in formalem Aufbau und bildparalleler Bewegungsführung den Kompositionsprinzipien des Schwur der Horatier nähert, sondern auch inhaltlich ein für die David-Schule typisches stoisches virtus-Thema zitiert. Dargestellt ist einer der römischen Patrizier, die beim Einfall der plündernden Gallier  98 Goethe an Schiller, Weimar, 23. 12. 1797, in: MA 8.1, S. 470.  99 Fernow kritisiert die Zeichnung wie Meyer als einen der Kunst widerstrebenden Gegenstand, dessen Widrigkeit der Künstler noch eingesehen habe. Siehe Fernow 1806, S. 230: „die lezte seiner ausgeführten Komposizionen, deren Inhalt eigentlich weniger zur malerischen Darstellung, als für die Bühne geeignet ist, weil er im Bilde sich nicht durch sich selbst verständlich ausdrücken kann. Der Künstler erkante seinen Fehlgrif, sobald er die Zeichnung geendigt hatte, und er ward ihm Veranlassung zu sehr treffenden Bemerkungen über die Wahl des Gegenstandes, diesen höchst wichtigen von wenigen Künstlern hinreichend beachteten und erwogenen Theil ihrer Kunst, wo auch die Kentnis des Grundsatzes nicht immer vor Misgriffen sichert, wenn das Urtheil des Künstlers durch ein zu lebhaftes Interesse an der Handlung befangen ist[.]“ 100 GSA 64/14, fol. 54r. 101 Ebd., fol. 54v.

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

ruhig auf den Tod warten. Gegen diese vom römischen bzw. französischen Republikanismus inspirierte Auffassung gäbe es aus Sicht der Weimarer viel zu sagen.102 Meyer jedoch konzentriert sich in seiner Kritik auf ein mediales Problem: Halten doch die einfallenden Barbaren den bei den Hausgöttern gebliebenen und bewegungslos den Tod erwartenden Konsul zunächst für eine Statue, die sie betasten und erst nach plötz­licher Gegenwehr erschlagen. Der prägnante Moment besteht somit in der Darstellung einer Situation, welche vom Betrachterstandpunkt aus die formale Ambivalenz einer zugleich skulpturalen und malerisch-realistischen Menschendarstellung erfordert – somit nicht nur ein Problem der Gattungsmischung tangiert, sondern dieses zugleich zur darstellerischen Aufgabe selbst erhebt. Das thematisch inhärente Problem einer täuschenden Verschmelzung von steinfarbener Skulptur und lebensechtem Inkarnat in der Gestalt des Konsuls erscheint hier als formal wie rezeptionsästhetisch unlösbare Aufgabe, da der Betrachter zwar von der Möglichkeit einer Täuschung überzeugt werden muss, zugleich aber dieser Täuschung nicht erliegen darf, da sonst der im prägnanten Moment fokalisierte Handlungsausgang nicht mehr verstanden wird. Mehr noch: In der von Hetsch versuchten medialen contradictio inadjecto findet Meyer die Grenzscheide zwischen illusionistischer Malerei, plastischer Repräsentation und dem durch psychologische Varianz und zeitliche Sukzession definierten Drama: die Gallier welche den römischen Consul für eine Statue halten sind unsers Bedünkens ein sehr beschwerlicher Gegenstand der Mahler nahm dadurch Pflichten auf sich welche nicht Er sondern nur allenfalls der dramatische Dichter zu erfüllen vermag denn dieser kann seine handelnden Figuren einen Irrthum begehen lassen von welchem der Zuschauer durch das Vorhergehende der Handlung schon unterrichtet ist, und also in das Interesse gezogen sich sehr gut unterhält, aber in der bildenden Kunst scheint der Zuschauer mit den Figuren des Bildes ein völlig gleiches Rechthaben zu müssen besonders bey diesem Gegenstand, wenn der Zweifel [57r] der Gallier ob sie nicht eine Statue vor sich sehen motivirt werden soll, so muß der Consul wirklich etwas ähnliches mit einer Statue haben, alsdann aber geht von der Deutlichkeit verlohren, und so mit das ganze Interesse des Bildes.103

Anhand der täuschenden Darstellung einer Täuschung und der damit verbundenen rezeptionsästhetischen Verstrickungen werden hier von Meyer die medialen Gesetzmäßig­ keiten und Rahmenbedingungen der Malerei bestimmt, die in dem Abschnitt der späteren Neuen Unterhaltungen ihren theoretischen Fluchtpunkt erhalten. Dort versucht Meyer, die medialen Konstitutionsbedingungen von Malerei, Rundplastik und Basrelief zu klären, die auf die Hauptprinzipien der Illusion (Malerei), Repräsentation (Plastik) und Figuration (Basrelief) zurückgeführt werden.104 Der Repräsentationscharakter der 102 Vgl. Schings 2016. 103 GSA 64/14, fol. 56v–57r. 104 W. K. F., Neue Unterhaltungen über verschiedene Gegenstände der Kunst als Folge der Nachrichten von den Weimarischen Kunstausstellungen, in: MA 9, S. 579–598, darin: Über Neigung und Abneigung tauglicher Gegenstände zu den verschiedenen Arten von Kunstarbeiten, S. 584–590.

III.2.3  Hetsch und das Problem der Gattungsmischung

Plastik zeichnet sich demnach durch ihre reine Präsenz aus. Sie soll anders als die Malerei den Betrachter nicht täuschen, sondern ihm durch einen hohen Abstraktionsgrad einen symbolischen Wert vermitteln. An dieses aus der kultischen Funktion der Plastik – Beispiel ist die Zeusstatue des Phidias – abgeleitete Konstrukt schließt sich die Definition der Malerei an: Während die Plastik auf die Vermittlung von stabiler Präsenz festgelegt wird, erzeuge die Malerei einen vorübergehenden, instabilen Täuschungs­effekt, der auf Nachahmung und Illusion beruht.105 Dieses transitorische Moment stellt sich beim Betrachter nur für kurze Zeit ein und löst sodann Bewunderung über die Befähi­ gung des Künstlers aus. Die Malerei mit ihren tiefenräumlichen Qualitäten umfasst daher ein größeres thematisches Spektrum als die Plastik, doch findet sie ihre inhaltlichen Grenzen dort, wo die reine und somit plastische Repräsentation in Form von Allegorie und Symbol sowie die Darstellung von (antiken) Gottheiten anfangen. Eine eigene ästhe­tische Funktionsbestimmung erhält schließlich das Basrelief. Seine Formbedingungen erfordern die Vermeidung des malerischen Tiefenraums, doch eignet es sich durch seine friesartige und lineare Verlaufsform besonders für Simultandarstellungen, welche durch das Illusionspostulat der Malerei nicht gedeckt werden. Folglich weist Meyer den im ersten Teil der Abhandlung besprochenen Zyklus dem Basrelief zu. All dies verweist auf eine straff regulierte und restriktive Gattungstheorie, nach welcher sich noch stärker als in dem Propyläen-Aufsatz eine Identitätssetzung von Bildgattung und geeignetem Gegenstand bzw. Sujet andeutet. In der gedruckten Fassung des Gegenstandsaufsatz von 1798 und seiner Fortsetzung von 1808 fehlt jedoch folgende Äußerung: Von dem Zusammenfließen der Gattungen in Kunstwerken. Die vorerwähnten Gattungen der Kunstwerke sind nicht voneinander abgesondert oder unterschieden sondern fließen zusammen gehen in einander über. Ein jedes Kunstwerk wird sich der einen oder andern zwar mehr annähern und näher mit derselben verwandt seyn doch nur selten so rein und ausschließlich dazugehören daß nicht der Wiederschein einer zweyten Gattung noch nebenher bemerkbar wäre. So ist z. B. die heilige Cezilia von Rafael ein Charakterbild, aber durch die Glorie lobsingender Engel, auf welche die Hauptfigur entzückt hört, und die auch allein auf sie bezug haben, mischt sich dem [62r] Ganzen etwas mystisches bey. Dergleichen Einmischungen des Charakters einer andern Gattung werden zuweilen übergreifend wie in der Disputa über das Sacrament, wo das mystische auf die meisten Figuren Einfluß hat, wenn also das Gemählde von der H. Cecilia die nächste Verwandtschaft mit den reinen Charakterbildern hat, so neigt die Disputa sich schon mehr auf die Seite der mystischen Bilder hinüber. Es war also, wie dieses einzige Beyspiel zeigt keine ganz reine Trennung der Gattungen möglich, sondern man mußte gleichsam die Höhen angeben wo der Begriff immer jeden am deutlichsten und wenigstens gemischt erscheint. und diesem Gemäß sind den auch die Exempel gewählt worden.106

Norbert Christian Wolf weist darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt die Vorstellung von Gattungsreinheit in der Diskussion zwischen Goethe und Schiller weitgehend ge105 Ebd., S. 585 f. 106 GSA 64/14, fol. 61v–62r.

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III.2.  Die Aktualität der Gegenstandslehre

festigt war.107 Vor dem Hintergrund, dass der Passus im Jahr 1798 niedergeschrieben wurde, formuliert jedoch Meyer eine weitreichende Konzession an das Prinzip der Gattungs­mischung. Als Empiriker erwägt er angesichts prominenter gegenläufiger Beispiele ernsthaft die Legitimität der Mischung der Genera. Dies freilich – wie hier im Falle ­Raffaels geschehen – auf der ganz basalen Ebene der neu eingeführten und damit un­histo­risch verwendeten Kategorien des Charakterbildes und der „mystischen“ Gegenstände.108 In diesem Zusammenhang wäre zu fragen, ob die offenbar kurzfristig getroffene Entscheidung, auf den durch Goethes handschriftlichen Vermerk „wird fortgesetzt“109 belegten Plan eines Abdrucks zu verzichten, auf die veränderte Situation nach 1798 reagierte. In der Werkstatt der hochklassizistischen Theoriebildung waren somit die Argumente der romantischen Gegenseite nicht allein bekannt, sie wurden auch als Alternativen erwogen bzw. als ernstzunehmende Grenzphänomene diskutiert. Die mit dem Nichtabdruck erfolgte Selbstzensur belegt die Entscheidung für eine thesen­hafte Zuspitzung im Sinne des Reinheitsdogmas, welche offenbar in direkter Reaktion auf das Auftreten des Athenaeums erfolgte. Die riskante Diskussion von ästhetischen Grenzphänomenen sollte in den Propyläen wie auch im Neujahrsprogramm von 1808 auf jeden Fall vermieden werden. Diese anfänglich liberalere Haltung erklärt sich daraus, dass das vollständige Traktat in seiner Entstehungszeit um 1798 selbstredend noch nicht als antiromantische Kampfschrift gedacht war. Vielmehr ist es als Diskussionsbeitrag innerhalb der klassizistischen Theoriebildung zu verstehen. Die Vorstellung von Gattungsreinheit konstituiert sich nicht allein theorieimmanent, sondern auch auf Grundlage einer breiten Kritik an Werken klassizistischer Malerei und Plastik. Die damit verbundenen Irritationen, aber auch die konzeptionellen Unstimmigkeiten in Meyers eigenem Entwurf zeigen, dass es sich hierbei auch um ein internes Problem der klassizistischen Künstlerpraxis und Theoriebildung handelt. So weist Meyer an ungedruckten Stellen des Traktats darauf hin, dass auch die Kunst der Alten durch Missgriffe in der Gegenstandswahl und durch Phänomene der Gattungsmischung gekennzeichnet sei: „weder die Alten noch Neuern“, heißt es, hätten „nach bestimmten Regeln und Grundsätzen die Gegen­stände gewählt“, sondern sich „empirisch blos von ihrem Gefühle […] leiten lassen“.110 Damit widerfährt dem kulturkritischen Gegensatz von Vergangenheit und Gegenwart ­eine Einebnung, durch die der utopische Charakter der Gattungsreinheit die Schwelle zu ­einem bewusst fiktional gesetzten Konzept der Antike überschreitet.

107 Wolf 2015, S. 33. 108 [Meyer,] Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst, in: Propyläen 1/1 (1798), S. 35–38; Reprint 1965, S. 87–90 (Charakterbild), 1/2 (1799), S. 51–55; Reprint 1965, S. 237–241 (Mystische Bilder); MA 6.2, S. 36–38 und S. 51–53. 109 GSA 64/14, fol. 47v. 110 Ebd., fol. 48r

3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

Die Gegenstandslehre gehörte ohne Zweifel zu den zentralen Instrumenten von G ­ oethes und Meyers Kunstpolitik. Ihre letztendlich geringe Akzeptanz bei den zeitgenössischen Künstlern wie auch die fehlende Durchsetzbarkeit bei den Weimarer Preisaufgaben lassen jedoch Meyer wie Goethe Abstand von einer forcierten Empfehlung nehmen. Zwar finden sich Belehrungen über den geeigneten Bildgegenstand nach 1805 verstreut in ihrer Publizistik, sie nehmen aber keine zentrale Stelle mehr ein. Freilich sind formal­ ästhe­tische Fragen wie die nach der Farbharmonie kaum von denen des Gehalts zu trennen. Doch der diagnostische Befund über die Kunst der Gegenwart ist spätestens nach 1810 umfassender geworden: Er bezieht sich nicht mehr allein auf das Sujet wie bei Hetsch oder Tischbein, sondern auf die gesamte technische und formale Ausführung. Die von Meyer geradezu als dramatisch erlebte Abnahme der regelkonformen akademischen Fähigkeiten galt es insbesondere in den Jahren nach 1810 zu bekämpfen. Die theoretischen Grundlagen dafür wurden jedoch schon in den Propyläen gelegt. Diese Kontinuität in Meyers kunstrichterlichem Denken zeigt sich besonders an der ästhetischen Kategorie des Helldunkel. Wie stark dessen angebliche Vernachlässigung von Meyer als untrügliches Merkmal des Niedergangs wahrgenommen wurde, zeigen seine über Jahrzehnte verstreuten Aussagen. In Bezug auf die Manieristen des Cinquecento notiert er 1796/1797 in Florenz, das „unangenehme“ ihrer Kunst be­ruhe auf der zerstreuten Anwendung von Licht und Schatten und der dadurch bewirkten geringen Mäßigung der Farbe. Eine fehlende Helldunkelkoordinierung führe zur Des­ orien­tierung und Irritation des Betrachters, denn: „da ist keine herrschende Partie sondern gleich große & starke Maßen hie & da einander entgegengesetzt wie sichs eben fügte so daß das Auge sich auf dem Bild Müde irrt.“111 Dieses Dekadenzmerkmal di­ agnostiziert Meyer nach 1810 zunehmend an der Kunst der eigenen Gegenwart: ­Einer der Haupt­kritikpunkte an der Kunst Caspar David Friedrichs ist der Umstand, dass er „das Spiel von Licht und Schatten und Gegensätzen dem höhern Zweck der Bedeutung zum ­Opfer“112 bringt und bei schwacher Anordnung generell nicht weiß, Licht

111 GSA 64/89, kleiner aufgeklebter Zettel, verso. 112 Über einige neuere Kunstwerke. GSA 64/62,1, fol. 21r. Abgedruckt bei Rößler 2013a, S. 293.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

und ­Schatten zu benutzen.113 Beim Besuch der Sammlung Kohlrausch in Berlin 1820 sah Meyer Landschaften von Joseph Anton Koch und Johann Christian Reinhart, was ihn zu der Bemerkung veranlasste, „daß die Landschaftsmalerey eben so im Abnehmen ist wie jedes übrige Fach, an Composition ist kaum zu denken, die Haltung [d.i. Luftperspek­tive, J.R.] wird fast von allen vernachlässigt, so auch die malerische Wirkung von Licht und ­Schatten.“114 Dass diese Beobachtungen nicht ohne kulturpolitische Konsequenz bleiben, belegt das Anschreiben an den preußischen Staatsrat Schultz bei Übersendung eines Gutachtens für den Kultusminister Altenstein, in dem Meyer betont: Wenn Übrigens […] an vielen […] Stellen des Aufsatzes, fast Ermüdend oft auf die Nothwendigkeit Licht und Schatten besser zu beobachten gedrungen wird so bitte ich zu bedenken daß die Vernachläßigung dieses wichtigen Theils der Kunst in allen Fächern außerordentlich groß ist, und soll die Malerey nicht noch tiefer sinken; so müßen besonders von dieser Seite die ernstlichen Verbeßerungen getroffen werden.115

Nicht der Bildgegenstand, sondern die Helldunkelorganisation erfordert um 1820 ­Meyers volle kunstpolitische Aufmerksamkeit: Als umfassende Bewertungskategorie für alle Bildkünste tritt das Helldunkel immer mehr in den Vordergrund, womit Meyer einen zentralen Terminus der italienischen Kunsttheorie und der darauf aufbauenden akademischen Doktrinen aufgreift.116 Dabei ist der Begriff des chiaroscuro, clair-obscur oder Helldunkel alles andere als eindeutig festgelegt. Schon bei Vasari ist ein breites Bedeutungsspektrum von kunsttechnologischen und kunsttheoretischen Aspekten zu beobachten: Die Polarität von Hell und Dunkel ist dort eng geknüpft an Fragen der Monochromie, was wiederum auf die Grisaillemalerei verweist.117 Das Helldunkel tendiert für Vasari mehr zum disegno, weniger zum colore,118 womit er auf eine produktionsästhetische Zwischenstellung der Kategorie anspielt: In der Ölmalerei werden die Schattenpartien nach der Grundierung und Vorzeichnung breit angelegt, so dass diese als Untermalung das eigentliche Kolorit koordinieren. Eine wesentliche Referenz ist für Vasari der von Ugo da Carpi perfektionierte Chiaroscuro-Holzschnitt:119 Mit einer dritten Tonplatte bedient er sich eines Mitteltons, der den Ausgleich zwischen den beiden Extre113 Vgl. Meyer an Goethe, Weimar, 6. 9. 1810, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 2, S. 291. 114 GSA 64/100,2, fol. 27v. 115 Meyer an Staatsrat Schultz, eigh. Abschrift oder Entwurf, o.D. (1821), GSA 64/64,1, fol. 3r–3v. 116 Zu der facettenreichen Begriffsgeschichte des Helldunkel (chiaroscuro, clair-obscur) und den damit verbundenen ästhetischen und wahrnehmungsgeschichtlichen Implikationen siehe u.a.: Verbraeken 1979; Baxandall 1995; Cencillo Ramírez 2000; Busch 2007b; Bohlmann 2008; Frank 2008; Busch 2009, S. 19–41; Gramaccini u.a. 2018. 117 Vasari 2006, S. 120. 118 Ebd. 119 Ebd., S. 142.

III.3.1  Malerisches Helldunkel

men Hell und Dunkel herstellt und damit zum tragenden Element des Bildeindrucks wird. Alle diese Aspekte fließen in die Meyer’sche Auffassung von Helldunkel ein: Seine Bewertungen und Forderungen beziehen sich auf die Natürlichkeit und Reliefwirkung der Schatten und Glanzlichter wie auch auf eine gesamtkompositorisch geregelte Verteilung der Schattenmassen.

3.1  Malerisches Helldunkel Wie Michael Baxandall hervorgehoben hat, bleibt die Unterscheidung zwischen e­ inem „phänomenologischen“ und einem kompositorisch arrangierten Helldunkel eine Grundkonstante in der Kunsttheorie bis ins späte 18. Jahrhundert.120 Mengs spricht in diesem Sinne von einem „natürlichen“ und einem „idealischen“ Helldunkel.121 Analog zum Dualismus von natürlichem und harmonischem Kolorit bewegt sich die Vorstellung von einer korrekten Umsetzung zwischen den Polen der natürlich-exakt nach­ ahmen­den Wiedergabe des Gesehenen und der inventiven Aufgabe des Künstlers im Sinne einer intellektuell schlüssigen bildlichen Gesamtkonzeption. Demzufolge kann es sich wie bei Cennini oder Alberti auf die reliefartige Erzeugung von Gegenständlichkeit durch Schatten beziehen122 oder auf eine geordnete kompositorische Verteilung von hellen und dunklen Partien, wie sie sich seit dem Cinquecento unter dem Einfluss des Chiaroscuro-Holzschnitts immer mehr durchsetzt und vom französischen Akademismus mit der Lehre von der richtigen Verteilung der „Massen“, also der Anwendung eines durchgehenden Kontrasts, weitentwickelt wird. Nach letzterer Auslegung beherrscht das Helldunkel als gesamtkoordinierendes Prinzip den Bildaufbau. Zustimmend exzerpiert Meyer eine Stelle bei C ­ hristian Ludwig von Hagedorn, wonach die „Anordnung […] nichts als eine fortdauernde Erfindung: die Beleuchtung eine fortdauernde Anordnung“ sei.123 Die bereits bei Alberti angelegte produktionsästhetische Abfolge von Erfindung (istoria), Zeichnung, Anordnung und Lichteinfall entspricht in der rigorosen aufklärungsästhetischen Vorstellung Hagedorns einer „Maschine“, die sich im Werkprozess zu einer organischen Bildeinheit strukturiert. Die klare Scheidung der „Massen“ ist dabei eine der Hauptforderungen an den Maler, um eine auf Gehalt und Komposition bezogene Bildkohärenz herzustellen. 120 Baxandall 1995, S. 76. 121 Mengs, Praktischer Unterricht in der Malerei. Einleitung. Über das Lehren und Lernen der Malerkunst, in: Mengs 1843/1844, Bd. 2, S. 3–64, hier S. 23. 122 Cennini 1871 passim; Alberti 2002, S. 116–119. Vgl. zusammenfassend bei Cencillo Ramírez 2000, S. 6–16. 123 GSA 64/105, fol. 25r. Nach Hagedorn 1762, Bd. 1, S. 244 f (Hagedorn 1785/1786, Bd. 1, S. 249): „Die Anordnung ist nichts, als eine fortdauernde Erfindung: die Beleuchtung eine fortdauernde Anordnung. Alles hängt in einer richtigen Maschine des Gemähldes zusammen.“

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

An diese Traditionsstränge anknüpfend, geht es Meyer um die schlüssige Vereinheitlichung von Helldunkel und „Gegenstand“, wobei sich letzteres auf beide Aspekte des Terminus, das „Gegenständliche“ und den „Bildgegenstand“, also den Gehalt des Kunstwerks, bezieht. Ein Entwurf zu einem Lexikonartikel, vermutlich geplant für die Enzyklopädie von Ersch und Gruber, zeigt dies deutlich: Art: zu – Licht und Schatten In der Mahlerey scheint bes: der Theil von der Reflectirenden Beleuchtung od. vielmehr der Erleuchtung durch Reflectirendes Licht noch fast ganz unbenutzt & wäre doch ohne Zweifel von angenehmsten Effeckt Aber freylich gehörte ein viel Tieferes Studium vom Licht & seinen Wirkungen refraction etc dazu als unsere Künstler gewöhnlicher Weise zu besitzen pflegen. Paul Veronese Schidone Rembrand & andere haben zuweilen viel desgleichen Stellen im Halbschatten angebracht keiner ist aber wahrhaft genau gründlich & Zart genug Ein schönes Gesicht ist auf diese Art beleuchtet noch tausenmahl schöner & anmuthiger, oft unwiderstehlich erinnernd, da die Beleuchtung nur mit dem Gegenstande harmonisch ist. Es läßt sich fügl als Grundsatz behaupten daß in jedem Gemählde die Beleuchtung mit dem Gegenstand Harmonisch seyn müßte –124

Bezeichnenderweise expliziert Meyer – wohl in Anschluss an eine Stelle bei ­Leonardo125 – seine Vorstellung am Beispiel des von ihm ansonsten gattungstheoretisch eher vernachlässigten Porträts – eine der wenigen Bildgattungen, welche die Doppelung der gegenständlichen und der koordinierenden Licht-Schatten-Verteilung durch den einheitlichen Bildgegenstand (Sujet) nahezu aufheben. Die harmonische Angleichung des Helldunkels an das Dargestellte bleibt der Ausgangspunkt, wobei als zweiter Aspekt die Forderung erkennbar ist, den Einsatz von weißen Reflexlichtern und der Schattenfarbe Schwarz weitgehend zu vermeiden. Auch hier erweist sich Meyer als gelehriger Schüler von Mengs, der in seinen Schriften vor der Skalierung des Helldunkel durch Beimischungen von Weiß und Schwarz gewarnt und eine koloristische Anreicherung der Schattenwerte gefordert hatte.126 Dementsprechend notiert Meyer in seinen Exzerpten ein dem Ludovico Carracci zugeschriebenes Diktum127 und einen von Alberti her­

124 GSA 64/107, Blatt 2 im Faszikel. 125 Leonardo/Ludwig 1882, Bd. 1, S. 148 f, Nr. 93. 126 Mengs, Ueber die drei grossen Maler Raphael, Correggio und Titian, wie über die älteren Maler überhaupt, in: Mengs 1843/1844, Bd. 1, S. 117–184, S. 132. 127 Malvasia 1678, Bd. 1, S. 481 (Malvasia 2000, S. 288): „Darauf hingewiesen, dass Prospero Fontana sein ärgster Feind sei, antwortete Ludovico: Ich (meinerseits) bin nur ein Feind seines (allzu sorglosen) Gebrauchs von Weiß. Ludovico pflegte nämlich zu sagen, auch nur einen einzigen Pinselstrich Weiß sollte man sich hundertmal überlegen.“ – Ich danke Albert Boesten-Stengel für den Hinweis.

III.3.1  Malerisches Helldunkel

rührenden Topos (bei Meyer: Antonis van Dyck),128 in welchen vor der übertriebenen Anwendung von Weiß gewarnt wird: um einen einzigen Pinsel voll weiß aufzutragen ist hundertfache Überlegung vonnöthen – Caracci. VanDyk. wenn Bleyweiß so theuer wie Ultrm. [Ultramarin] wäre so würde man gewöhnl besser mahlen.129

Den theoretisch formulierten Grundannahmen entspricht Meyers differenzierte und elaborierte Verwendung der Helldunkel-Kategorie in den italienischen Aufzeichnungen von 1795 bis 1797. In dem manchmal sprunghaften Wechsel von einer Subkategorie zur anderen zeigt sich, weshalb Meyer so sehr auf der korrekten Anwendung des Helldunkels insistiert: Es nimmt für ihn eine tragende Mittlerrolle zwischen den Kategorien des Gehalts, der Anordnung, der korrekten Nachahmung und der Farbehandlung ein. Den traditionellen Produktionslehren folgend,130 ist in den tabellarischen Beschreibungen die Spalte zu „Licht und Schatten“ meist zwischen den Rubriken „Styl Manir“, also technische Behandlung, und „Farbe“ (bzw. „Colorit“; „natürliches Colorit“) positioniert. Die für den Gehalt konstitutiven Bereiche „Erfindung“, „Anordnung“, „Zeichnung“ und „Ausdruck“ gehen somit den ausführenden-malpraktischen Kategorien voraus, um dann vom Helldunkel und Kolorit zur Draperie zu wechseln. Die Rubrik „Licht Schatten“ wird ferner oft kombiniert mit dem Begriff „Haltung“, also der im 18. Jahrhundert verbreiteten Bezeichnung für die Luftperspektive. Die Rubrik „Licht und Schatten/Haltung“ erweist sich damit definitorisch als zum natürlichen Helldunkel tendierend. Nach der Kategorie „Faltenwurf “ folgt meist die Rubrik „Massen Wirkung“. Hier ist vorwiegend das Verständnis von einem bildkohärenten Helldunkel zu verorten, wobei zu betonen ist, dass eine Wertung der Massenverteilung meist in der vorausgehenden Rubrik „Licht und Schatten / Haltung“ antizipiert wird. In jedem Fall schließt jene Kategorie den praxisbezogenen Teil der Rubrikenabfolge ab (die letzten Rubriken sind in der Regel die Spalten „Allegorie“ oder „allgemeine Bemerkung“ bzw. „Zustand“ an letzter Stelle). Die Kategorien „Licht und Schatten“ und „Massen“ bilden somit den Anfang und das Ende des maltechnisch definierten Abschnitts im Rubrikenschema. 128 Alberti, De Pictura, cap. 47, in: Alberti 2000, S. 286 f. Alberti verbindet seine Empfehlung einer sparsamen Verwendung von Schwarz und Weiß mit dem Wunsch, „der Kauf weißer Farbe möge die Maler bei weitem teurer zu stehen kommen als derjenige kostbarer Edelsteine“. Im Lehrgedicht (1618) von Karel van Mander ist der Vergleich um Ultramarin erweitert: „Weil viele ihre Akte irrtümlicherweise mit Weiss höhen, und damit die künftighin solches nicht mehr machen, so wünschen einige Schreiber, dass das Bleiweiss so teuer zu bezahlen wäre, wie Edelsteine, die man aus kostbaren Minen ferner Länder holen muss, oder doch so teuer wie Ultramarin.“ Van Mander 1916, S. 278 f, 12. Kapitel, Nr. 33 (Übersetzung von Rudolf Hoecker). Der Kommentar führt einen weiteren Nachweis bei dem Humanisten und Vitruv-Übersetzer Rivius (Walter Ryff) an (ebd., S. 422, Anm. 195). 129 GSA 64/106,3, fol. 3 („Propositi“). 130 Osterkamp 1991, S. 93.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

Einige Beispiele aus den Rubrikentabellen können verdeutlichen, wie sich das Urteil Meyers gerade in diesem Bereich ausdifferenziert. Dies so sehr, dass kein einziges Beispiel angeführt werden kann, in dem alle Anforderungen des Helldunkels vollkommen gelöst erscheinen. So kritisiert Meyer an Rubens’ Schrecken des Krieges im ­Palazzo ­Pitti die „willkürliche“ Anwendung von Licht und Schatten, betont aber zugleich, dass diese „mit großem Verstand über das Ganze ausgetheilt“ seien.131 Die inkorrekte Anwendung im gegenständlichen Detailbereich erfolgt somit unabhängig von der Gesamtwirkung der Massen. Überhaupt führt die genaue Betrachtung der Beleuchtungssituation oft zu verfänglichen und uneinheitlichen Ergebnissen wie etwa im Fall von ­Guido ­Renis ­Aurora im Casino Rospigliosi: In der Einzelumsetzung kann Meyer die mit Seiten­licht erfolgende Beleuchtung der Figuren zwar uneingeschränkt loben, doch erweist sie sich für ihn in der Gesamtkoordinierung als unstimmig und widersprüchlich zum vorgegebenen Gehalt. Denn während die vor dem Sonnenwagen schreitenden Horen von rechtem Seitenlicht beleuchtet werden, erhalten Apollo und Aurora ihr Licht von links. Weder die voranschreitende Aurora noch der im Sonnenwagen sitzende Apollo sind dabei als die lichtspendenden Quellen auszumachen, womit Meyer eine Art Pattsituation konstatiert, die der gehaltsästhetischen Vorgabe des anbrechenden Tages zuwiderläuft: „man könte es für eine Anspielung halten, daß die Aurora von dem nachfolgenden Gott des Tages das Licht empfängt aber warum empfangen es die Stunden nicht auch von demselben?“132 Davon bleiben jedoch, wie im Fall von Rubens, die allgemeinen Massen unberührt: „die allgemeine Wirkung kann nicht anders als angenehm seyn“.133 Auch die eng an das Helldunkel gekoppelte „Haltung“ (Luftperspektive) verhält sich nicht immer konkordant zur gesamten Helldunkelkoordination. Auf einem Werk Garofalos erscheinen die Hintergrundfarben zu grell, während die „Massen“ gut verteilt scheinen.134 Mantegnas Toter Christus (Tf. VIII/1) versagt trotz guter Schattensetzung und der mustergültigen Perspektive gerade im Bereich der „Haltung“.135 131 Rubrikentabelle zu Lorenzo di Credi (Altar in der Kirche Maria Magdalena de Pazzi), Caravaggio (Ruhe in Ägypten, Palazzo Pitti) und Rubens (Schrecken des Krieges, ebd.). GSA 64/89, 6. Lage, fol. 3r, hier: Spalte „Schatten & Licht Haltung“, Rubens. 132 Rubrikentabelle zu Annibale Carraccis Deckenstück in der Galleria Farnese und zu Guido Renis ­Aurora im Casino Rospigliosi. GSA 64/89, 11. Lage, fol. 70v, hier: Spalte „Licht und Schatten Haltung“, Reni. 133 Ebd., fol. 71v, spaltenübergreifend verzeichnet in den Rubriken „Maßen“ und „allgemeine Wirkung“. 134 Rubrikentabelle zu Werken der Kapitolinischen Galerie (Sibylla Persica von Guercino, Providentia von Lodovico Carracci, Vermählung der Heiligen Katharina von Garofalo und eine Madonna von Pietro da Cortona). GSA 64/89, 11. Lage, fol 44r, hier: Rubrik „Licht Schatten Haltung“, zu Garofalo: „Licht & Schatten sind große Maßen und daher ist auch große Ruhe im Bild. Die Haltung ist nicht zu loben selbst im Hintergrunde giebt es grelle Lichter & etwas harte Farben.“ 135 Rubrikentabelle zu Werken in Rom (Beweinung Christi von Mantegna in der Villa Aldobrandini, F ­ resko von Giuseppe Cesari im Konservatorenpalast, Altarblatt von Annibale Carracci in S. G ­ regorio ­Magno), GSA 64/89, 11. Lage, fol. 27v, hier: Rubrik „Licht Schatten Haltung“, Mantegna: „Licht & Schatten d ­ ieses

III.3.1  Malerisches Helldunkel

Mit Sicherheit hätte Meyer analog zu seinem kolorithistorischen Abriss in der Far­ benlehre eine Geschichte des neuzeitlichen Helldunkels schreiben können.136 Als mustergültig wären dort nicht Tizian oder Pietro da Cortona, sondern – neben dem von jeher als kanonisch geltenden Correggio – der späte Raffael, Veronese und die Vertreter der Bologneser Schule erachtet worden. Die Werke der Carracci, Lanfrancos, Guercinos und in verminderter Form Guido Renis werden in Meyers Notizen wie auch in der späteren Geschichte der Kunst in regelmäßiger Wiederkehr hinsichtlich der Austeilung der Massen lobend besprochen. Raffaels Transfiguration schätzte Meyer – in starker Abweichung zu Mengs – wegen der Hebung der Einzelfarben durch die starke Helldunkelkonzeption, die zudem zur „Rundung“ des Gegenständlichen beitrage.137 Dennoch bleibt Meyers Kanon neuzeitlicher Helldunkelmaler ohne eindeutige Präferenz, was sich aus der Überfrachtung des Helldunkelbegriffs erklären lässt. Zeigen lässt sich dies an zwei Beispielen aus den italienischen Notizen. Gemäß Aufzeichnung befand sich Veroneses Gemälde Heilige Helena mit Engel und Kreuz um 1796 in der Kapitolinischen Galerie, heute ist es in der Pinacoteca Vaticana.138 Einleitend bezeichnet Meyer das Werk als „vielleicht das beste Bild dieses Meisters in Rom“, ­eine Wertung, die er ebenso dem stilistisch ähnlichen Bild Venus entwaffnet Amor, damals im ­Palazzo Colonna, zuteilwerden lässt,139 womit die Präferenz für Veroneses Spätwerk Bildes ist gut in großen breiten Maßen & Partien vertheilt & verdient mehr als die Haltung Lob. Den es ist mehr die richtige Zeichnung der Gestalten welche die Verkürzung & den Schein des zurück­weichen­ den hervorbringt als die abnehmende Stärke & Schwäche der Tinten.“ 136 Ansätze hierzu in dem Fragment „Beleuchtung“, GSA 64/107, Blatt 98. 137 Rubrikentabelle zu Raffaels Transfiguration, GSA 64/89, 11. Lage, fol. 72v–74r, hier: fol. 73v, Rubrik „Licht Schatten Haltung“: „die Fig & alle Theile derselben sind aufs vortrefflichste Gerundet sie fallen sehr deutlich in die Augen weil Licht & Schatten auf einer jeden insbesondere großen unge­störte Maße ausmacht, und immer dunkel auf hell & helles auf dunklem absticht, jede Figur und auch die Gruppe heben sich gut und deutlich von einander ab, weiter geht die Kunst der Beleuchtung nicht die Lichten Stellen sind im ganzen Bild herum zerstreut, so wie allenfalls die Gegenstände in der Natur zufällig beleuchtet seyn könnten.“ Im Nachsatz schreibt Meyer: „die Rundung ist wirklich außerordentlich – jedes Theil scheint v dem andern abgelöst scheint tief scheint hoch zu seyn wegen der äußers­ten Wahrheit fällt die Kunst dabey gar nicht ins Auge & es zeugt eben von der hohen Vortrefflichkeit des Werks daß solche Vorzüge dabey als Pflichten angenommen & gemeinigl nicht erwähnt werden.“ 138 Vgl. Pignatti/Pedrocco 1995, Bd. 2, Kat.-Nr. 310, S. 418 f.­ 139 Veronese: Venus entwaffnet Amor, heute Rom, Sammlung Crediop. Inventar von 1714, 25:00664. ­Safarik 1996, S. 781, Abb. 47. – Venus mit nacktem Oberkörper (Übermalungen offenbar entfernt), Beinstellung der Venus wirkt durch Verkürzungen tatsächlich anatomisch inkorrekt. GSA 64/94, fol. 145r: „Venus & Amor v. Paul Veronese – ist eins der besten Gemählde dieses Mstrs in rom v. blühenden Colorit & klahren Schatten, die Gewänder sind zwar nicht Musterhaft gelegt aber fürtreffl gemahlt bey allen diesen Schönheiten bemerkt man doch etwas Steiffes bes. in den Beinen der Venus welche Fehler sonst dem Paul Veron: nicht gewöhnlich war. es ist schade daß die entblößte Brust aus frommen Eyfer mit Drapperie bedeckt worden ist.“

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

deutlich wird. In dem Galerienotat geht Meyer zunächst auf die verinnerlicht-meditative Haltung der Heiligen ein, um dann sogleich zu den Aspekten des Kolorits und des Helldunkels überzugehen. Anordnung oder Zeichnung werden nicht berücksichtigt, womit vor allem die wirkungsästhetisch definierten Bereiche an den Gehalt gebunden werden: Sie scheint nachdenkend zu sitzen und zu schlummern | vielleicht ist hier ein Traum vorgestellt den die Hlge gehabt hat? | das Colorit am Gesicht und den Händen ist ganz Natur & Wahrheit die Schattenpartien sehr groß durch das ganze bild aber überall klar & durch Reflexen erhellt, die Falten des Gewandes sind mehr groß als schön oder wohlgewählt, auch nur nicht einmahl vortheilhaft gelegt aber sie thun dem Auge um der sanften Beleuchtung willen wohl Gezeichnet ist das Bild überhaupt gar nicht übel, mit den Formen des kleinen Engels od Genius kan man zufrieden sein & es ist herrlich Blühend mit zarten Tinten gemahlt das unterkleid der Hlgn hat auf weißem Grund gelbe & blaue Blumen der Mantel ist Carmosinsamt & hat futerreines lackroth er stößt nirgends auf eine Lichte Stelle des Untergewandes der Seßel ist roth gepolstert der Vorhang | im Schatten | grün oder Blau mit gelben Blumen Gelbe Statue | Gold & vergoldet Bronze | die architektur hell grau. Es scheint des P. Veron Grundsatz | wenigstens hier | über die Harmonie gewesen zu seyn viel Schatten zu gebrauchen & denselben wieder überall mit Reflexen zu erhellen zu mäßigen & also den größeren Theil des Bildes in eine Art v. Halblicht zu setzen Von Einwürkung der Farben aufeinander & wie sie sich einander mittheilen ist nichts zu sehen.140

Geschätzt wird neben dem „blühenden“ Kolorit die gemäßigte Beleuchtung im „Halblicht“: Die Massen werden dabei adäquat verteilt und die dunklen Schattenpartien aufgehellt. Irritierend ist dagegen die letzte lapidare Bemerkung, die ohne nähere Erläuterung wie ein Störfaktor die Beschreibung abschließt: Das uneingeschränkte Lob für die Farbe und für Licht und Schatten erhält hier eine auffallende Restriktion. Ähnlich verhält es sich bei der Bewertung von Federico Baroccis Altarblatt zu M ­ ariae Tempelgang in der Chiesa Nuova, das Meyer tabellarisch beschrieb.141 In der Rubrik „Licht Schatten Haltung“ findet sich der Eintrag: „Licht und Schatten ist in diesem Bild großen Lobs werth die Behandlung ist sehr Natürlich ungesucht & giebt großen ­Maßen sowohl im ganzen als in jeder einzelnen Fig. es vertieft sich auch ungemein gut.“142 Das von rechts kommende Seitenlicht stellt tatsächlich einen starken Helldunkeleffekt her, der durch die einheitliche Helldunkelstrukturierung der Hauptfiguren den gesamten Bildaufbau beherrscht. Sowohl die in den Bildraum schauende Rückenfigur rechts vorne, deren nackter Arm und Oberkörper in eine erleuchtete und in eine verschattete Hälfte geteilt werden, als auch die senkrecht fallenden Gewandfalten der links auf der Treppe stehenden heiligen Anna, der dreijährigen Maria und des Hohepriesters werden als vorkantige Grate eingesetzt, welche die jeweilige Figur in eine Licht- und ­eine Schattenseite strukturieren. Die folgende Rubrik nennt das Kolorit „warm Blühend“, „sehr 140 GSA 64/94, fol. 124v. 141 Vgl. Turner 2000, S. 107. 142 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 33v.

III.3.1  Malerisches Helldunkel

gut & verdienstlich“, um dann aber ebenso formelhaft wie im Fall von Veroneses ­Helena auf ein Defizit hinzuweisen: „Von widerschein oder einwirkung der Farben bemerkt man nicht das geringste aber hingegen einiges von Annäherung der Farben wie z.b. das bl: Gew: der St Anna ist ein wenig röthl: der Mantel über des Priesters ebenfalls.“143 Helldunkel und „Widerschein“ bzw. „Einwirkung“ der Farben untereinander scheinen in einem Konkurrenzverhältnis zu stehen. Fragt man daher nach der Quintessenz von Meyers Verständnis von „malerischem“ Helldunkel, so werden verschiedene Vorstellungen miteinander verbunden, die ihrer Anlage nach nicht unbedingt untereinander kompatibel erscheinen. Erstens plädiert Meyer für eine klare Einteilung nach Licht- und Schattenseiten und damit für eine vereinheitlichte Beleuchtung von einer Seite. Die Schattenfarben sind zweitens mit Anteilen der Lichtseite aufzuhellen, während die Lichtseite einheitlich hell und beruhigt erscheinen soll. Mit jener Forderung nach einer Aufhellung der Schattenfarben und der damit verbundenen entschiedenen Ablehnung der Schwarz-Weiß-Skalierung korrespondiert drittens der Wunsch nach einer Integration koloristischer Werte in die Schatten. Insbesondere mit der Forderung nach einer sparsamen Verwendung von Schwarz und Weiß knüpfte Meyer an ältere Werkstatttopoi an. Die Forderung nach Aufhellung des Helldunkel signalisiert dabei eine bewusste Entdramatisierung und Reduktion barocker Helldunkeleffekte. Adäquat umgesetzt erscheint diese Konzeption vor allem in der Aldobrandinischen Hochzeit. Anders als Mengs, der ein höheres Verständnis vom Helldunkel in der antiken Malerei bezweifelt hatte,144 erkennt Meyer gerade in der antiken Kunst ein ideales Prinzip der Beleuchtung: In der Abhandlung zur Aldobrandinischen Hochzeit erklärt er, es sei grundfalsch zu behaupten, die Alten hätten nichts von Licht und Schatten verstanden. Zu den vorbildlich angewandten „unwandelbaren Kunstregeln“ gehöre das „Prinzip der Massen“:145 Die Körper seien auf der einen Seite hell, auf der anderen Seite dunkel beleuchtet; die Lichtseite werde dabei nicht durch auffallende Vertiefungen oder Erhöhungen unterbrochen, die dunkle Seite dagegen durch belebende Licht­reflexe aufgehellt. Dies sei ein Formgesetz, dass bei den Alten überall zu finden sei, sich aber bei den Neueren nie schulbildend durchgesetzt habe. Vor allem die Figuren des antiken Gemäldes setzen laut Meyer das Prinzip der Massenscheidung prototypisch um, indem sich die Gewänder wie bei einem eckgestellten Pfeiler in zwei gleiche Seiten von Licht und Schatten teilen, was den schnellen Übergang von der dunklen zur hellen Seite ermögliche. Die Neueren dagegen hätten den Einzelkörpern oft eine zylinderartige Form

143 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 34r. 144 Mengs, Ueber die drei grossen Maler Raphael, Correggio und Titian, wie über die älteren Maler überhaupt, in: Mengs 1843/1844, Bd. 1, S. 117–184, S. 182, 145 Meyer, AH, S. 187.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

44__Antonio Maria Zanetti nach ­Parmigianino: Stehende junge Frau, 1724, Chiaroscuro-Holzschnitt mit vier ­Platten, 27,5 × 15 cm, London, British Museum, 1958, 0712.37.

45__Johann Heinrich Meyer nach Raffael und Werkstatt: Gottvater befiehlt Noah den Bau der Arche, Detail nach dem 1517–1519 entstandenen Fresko in den Vatikanischen Loggien, ca. 1786, Feder in Tusche, braun laviert, rot und grau aquarelliert, 25,8 × 18,6 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 9484/9.

gegeben, so dass sich der Übergang von Licht zu Schatten nur allmählich vollziehe.146 Diese Beobachtung zur idealen Helldunkelkonzeption findet sich auch in einem kurzen Abschnitt in der Farbenlehre147 über die antike Skulptur und in der Beschreibung der Vatikanischen Loggien in Meyers Raffael-Aufsatz, in der beispielsweise breitflächig ausgeschöpfte Changeanteffekte von Rot zu Hellblau beobachtet werden (Abb. 45): „Es genügte ihm [Raffael], wenn die Figuren durch Licht und Schatten Deutlichkeit und Rundung erhielten, sich von einander durch Gegensätze von Hell und Dunkel ablößten. Die Massen im einzelnen sind überhaupt musterhaft vortrefflich“.148

146 Ebd., S. 188 f. 147 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 859, in: MA 10, S. 250. 148 [Meyer,] Rafaels Werke besonders im Vatikan, in: Propyläen 3/2 (1800), S. 86 f; Reprint 1965, S. 984 f.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien Das Helldunkel als übergreifende, den Kunstdiskurs in seiner Gesamtheit bestimmende Kategorie wird besonders in Meyers Verständnis der Druckgraphik erkennbar.149 Die kunstpolitische Dimension bildlicher Reproduktionsmedien hat Meyer früh erfasst, so dass die Bewertung druckgraphischer Erzeugnisse von den Beiträgen in den Propy­läen bis hin zu Ueber Kunst und Alterthum eine seiner zentralen publizistischen Aktivitäten wurde. Druckgraphik dient hier vor allem der Vervielfältigung und Vermittlung von Bildern, gerade in dieser Funktion ist sie aber für Meyer mehr als ein bloßes Hilfs­ medium, das sich auf eine exakte Wiedergabe beschränkt – sie ist ihrer eigenen medienspezifischen Gesetzmäßigkeit unterworfen, die in einer gewissen Spannung zur bild­ lichen Vorlage steht.150 In dem teilweise ungedruckten Passus der Abhandlung Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst unterscheidet Meyer zwei Arten des Kupferstichs, von denen die e­ ine dem Bereich der Buchillustration und dem damit verbundenen Bild-Text-Verhältnis, die andere der Reproduktionsgraphik zuzuordnen sei. Aspekte einer künstlerisch autonomen Graphik im Sinne des im 19. Jahrhundert formulierten peintre-graveur-Gedankens lässt er außer Acht, so dass der Druckgraphik ausschließlich eine reproduktive bzw. illustrative Aufgabe zuzukommen scheint. Dennoch bleibt es nicht bei der Festlegung auf die Rolle einer allein dienenden und bildinformativen Funktion der drucktechnischen Medien. In Hinblick auf geeignete Bildgegenstände widerfährt ihrer Verwendung vielmehr eine Restriktion, die wiederum aus der Gegebenheit der medialen Konstitutionsbedingungen einer in der Regel schwarz-weißen Bildwiedergabe abgeleitet wird: So wie ein jeder Zweig der bildenden Kunst durch die geschickte oder ungeschickte Wahl der Gegenstände sich entweder Vortheile verschaffen oder hingegen die Schwierigkeiten vermehren kann, so ist dieses auch bey dem blos nachahmenden Fach der Kupferstiche der Fall. Da Sie den Vortheil der Farben nicht haben und blos durch Schatten und Licht weiß und schwarz wirken müssen, so folgt nothwendig daraus daß diejenigen Gemählde in welchen die Farben sehr wesentlich zur Bedeutung beytragen nicht mit Erfolg in Kupfer gestochen werden können [27r] indem zuvieles verlohren geht und nur ein unvollkommener Begriff von der allgemeinen Wirkung des Originalbildes gegeben wird. Diejenigen Bilder wären für den Kupferstecher die bequemsten, welche mit grossen Massen von Licht und Schatten eine schöne Wirkung thun, wo wenig abwechselnde Farben nicht wesentlich in die Bedeutung und den Character des Werks eingreifen und durch weiß und schwarz leicht repräsentirt werden können. Es wäre noch manches über diesen Punkt zu sagen allein da solches dem Capitel von der Harmonie der Farben näher als den Gegenständen angehört, so behalten wir alles einer anderen Gelegenheit auf.151

149 Zu Goethes und Meyers Beziehungen zur Druckgraphik siehe grundlegend Grave 2006a; Grave 2012b. 150 Folgende Ausführungen erstmals publiziert in Rößler 2016b. 151 Meyer, Über die Gegenstände der bildenden Kunst (vollständiges Manuskript des Aufsatzes), GSA 64/14, fol. 26v–27r.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

Der Abschnitt lässt sich nur in Zusammenhang mit dem letzten Drittel der Abhandlung zur Gegenstandsfrage verstehen, die ursprünglich als Fortsetzung für die Pro­ pyläen geplant war und erst 1808 im Neujahrsprogramm der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung gedruckt wurde.152 Wie oben in Abschnitt 2.3 ausgeführt, wurde die von Meyer im Propyläen-Aufsatz verfolgte Hierarchisierung der Sujets nach vorteilhaften, gleichgültigen und widerstrebenden Gegenständen in der bildenden Kunst einer erneuten, diesmal gattungsspezifischen Differenzierung unterzogen, welche die einzelnen Gegenstände zumindest ansatzweise der Malerei, der Rundplastik und dem Bas­ relief zuordnete. Wie in den Propyläen wurde im Neujahrsprogramm von 1808 der obig zitierte Passus nicht berücksichtigt, was in Zusammenhang mit seinem widersprüchlichen Aussagegehalt zu stehen scheint. Denn angesichts der intensiven Bemühungen, Klarheit über die Verwendung von Bildgegenständen zu schaffen, steht hier die Fest­ legung der Druckgraphik als Reproduktionsmedium in evidentem Gegensatz zu den ansonsten vorherrschenden inventiven Überlegungen. Meyer bezieht sich in der medialen Charakterisierung nicht auf den Bildinhalt, sondern auf die formale Beschaffenheit der Bildvorlage. Entgegen einer damals vorherrschenden Konvention geht es Meyer nicht primär darum, dass der Stecher sich der stilistischen Beschaffenheit der Bildvorlage anpasst und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden technischen Mitteln übersetzt.153 Auch fasst Meyer die übliche Differenzierung nach Techniken – so etwa zwischen der „weichen“ Radierung und dem „harten“ Kupferstich – nicht als Lösungsansatz für die angesprochene Vorlagenfrage ins Auge.154 In Umkehrung der traditionellen Hierarchie von Original und Reproduktion wird dem Stecher vielmehr aufgegeben, eine reflektierte Vorentscheidung hinsichtlich der formalen Eignung der Vorlage zu treffen, von der der Erfolg des Medientransfers weitgehend abhängig gemacht wird. Unter bewusstem Ausschluss einer Transposition der Farbwerte macht Meyer die Interdependenz von Original und Reproduktion von der Qualität des Helldunkel abhängig. Er entzieht damit der Druckgraphik in auffallender Weise eine Aufgabe, die in der von Frankreich ausgehenden Kupferstichdiskussion des 18. Jahrhunderts eine zentrale Stelle einnahm: die Übersetzung des Farbspektrums in eine tonal abgestufte Struktur der Grau­töne, ­welche durch die unterschiedliche Verdichtung und Intensität von Strichlagen und Schraffuren

152 W.K.F. [Meyer], Neue Unterhaltungen über verschiedene Gegenstände der Kunst als Folge der Nachrichten von den Weimarischen Kunstausstellungen, Abschnitt III, MA 9, S. 584–590, Passus „Über Neigung und Abneigung tauglicher Gegenstände zu den verschiedenen Arten von Kunstarbeiten“. Der unmittelbare Entstehungszusammenhang dieses Textes mit dem Gegenstandsaufsatz wurde in den Kommentaren der Münchener und Frankfurter Ausgabe übersehen. – Die ersten zwei Sätze des oben zitierten Passus gingen bis zum Ende von fol. 26v in die Abhandlung ein. Vgl. MA 9, S. 389. 153 Vgl. Rümelin 2001, S. 188. 154 Hierzu: Bann 2002, S. 59 und 62.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

erzeugt werden sollte.155 Aus der Sicht Meyers spielt hingegen die Farbe eine nur noch untergeordnete Rolle; unter Umständen wird sie sogar als Störfaktor wahrgenommen, der vom Stecher möglichst auszuschalten sei. Die hier erfolgte Trennung von Farbe und Helldunkel ist insofern radikal, als beide Elemente in der vorangegangenen klassizistischen Diskussion stets als eng aufeinander bezogene malerische Ausdrucksmittel betrachtet wurden. Mengs hatte das Helldunkel als die zentrale Kategorie seines farbharmonischen Konzepts angesehen,156 auch Fernow postuliert noch in seinen römischen Vorlesungen über das Kolorit von 1796, dass sich das idealische Kolorit aus der Kombination von Lokalfarbigkeit und Helldunkeleinbettung ergebe.157 In Gegensatz dazu beendet Meyer den eingangs zitierten Abschnitt mit dem knappen Hinweis, dass die notwendige Trennung der Farbe vom Helldunkel ein Problem für sich darstelle, das „dem Capitel von der Harmonie der Farben näher als den Gegenständen angehört“ und zu einer späteren Gelegenheit zu diskutieren sei.158 Zur Wiederaufnahme dieser Diskussion ist es tatsächlich im Didaktischen Teil der Farben­ lehre gekommen, in der Goethe erneut auf einer getrennten Betrachtung von Farbe und Helldunkel insistiert: „Die Trennung des Helldunkels von aller Farben­erscheinung ist möglich und nötig. Der Künstler wird das Rätsel der Darstellung eher lösen, wenn er sich zuerst das Helldunkel unabhängig von den Farben denkt, und das­selbe in seinem ganzen Umfange kennen lernt.“159 In der Auseinandersetzung mit Mengs heißt es im Historischen Teil der Farbenlehre klipp und klar, dass dessen Vorstellung vom Helldunkel einer autonomen Farbverwendung entgegenstehe.160 Zumindest in ­weiten Teilen werden somit farbharmonische Konzepte unabhängig vom oder in Konkurrenz zum Helldunkel betrachtet. Für die Druckgraphik heißt dies, dass der ­Stecher darauf angewiesen ist, das Helldunkel vollständig von der Farbharmonie zu abstra­hieren. Mit der Warnung vor allzu bunten Vorlagen wendet sich Meyer dezidiert von der französisch dominierten Diskussion des 18. Jahrhunderts ab und verlagert den Fokus auf die medialen Konstitutionsbedingungen der Reproduktionsgraphik. Entscheidend für diese Auffassung ist eine Stärkung der bildkohärenten Werte wie der breitflächigen ­ rinzipien Verteilung der Licht- und Schattenmassen, die eng an gesamtkompositorische P anschließen. Aufbauen konnte Meyer auf Überlegungen, die bei Zurückdrängung der 155 Gramaccini 1997, S. 99 und öfter. Allgemein zur Reproduktionsgraphik und ihrer Nobilitierung durch den Vergleich mit einer literarischen Übersetzung bis ins 19. Jahrhundert Bann 2002. 156 Mengs, Praktischer Unterricht in der Malerei. Einleitung. Über das Lehren und Lernen der Malerkunst, in: Mengs 1843/1844. Bd. 2, S. 23–29. 157 Fernow 1799b, S. 127. 158 Dieser Hinweis kann die Vermutung stützen, dass der Gegenstandsaufsatz Teil eines offenbar geplanten größeren ästhetischen Traktats sein sollte, der auch die Überlegungen zur Farbenlehre einbezogen hätte. 159 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 851, in: MA 10, S. 248. 160 Ebd., S. 878 (Historischer Teil).

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

Koloritfrage vordringlich in der englischen Literatur zur Druckgraphik nachzulesen waren. Bereits Johann Caspar Füßlis Raisonirendes Verzeichniß der vornehmsten Kupfer­ stecher und ihrer Werke von 1771 hatte die beiden theoretischen Kapitel aus William Gilpins anonym erschienenem Essay upon Prints (1768) wortwörtlich übernommen.161 Gilpin seinerseits setzte die Qualitäten von Malerei und Kupferstich prinzipiell gleich, nur mit der entscheidenden Einschränkung, dass der Kupferstich ohne Farben auskomme.162 Die Grundlage für die Nivellierung der Unterschiede zwischen beiden Bild­ medien bildete die nahezu völlige Gleichsetzung der Disposition mit dem Helldunkel, wobei Gilpin die Verteilung des Lichts in großen Massen zum malerischen Prinzip schlechthin erklärte.163 Meyer, der während seiner Ausbildung bei Füßli zwischen 1778 und 1781 mit diesen Gedanken erstmals in Berührung gekommen sein dürfte, gibt ­diese Vorstellung vom druckgraphischen Primat des Helldunkel in seinem Manuskript von 1798 in radikalisierter Form wieder: Im Unterschied zu der Auffassung von Gilpin und seinen Bearbeitern164 sieht Meyer die Reproduzierbarkeit von Farbwerten nicht mehr als irrelevant oder als zu vernachlässigendes Problem an, sondern erhebt sie zum Störfaktor innerhalb der Schwarz-Weiß-Reproduktion. Damit ist der Gedanke einer Transformation der Farbverhältnisse in die Reproduktionsgraphik aus der klassizistischen Reflexion nahezu völlig verdrängt worden.165 Meyers Auffassung resultiert vermutlich auch aus einer Skepsis, die in einem engen Zusammenhang mit der fortgeschrittenen Professionalisierung seiner Kunstbetrachtung steht: Während des zweiten Italienaufenthalts 1795–1797 hatte er seine Kunststudien besonders den formalen Ausdrucksmöglichkeiten der Farbe gewidmet (vgl. Teil II). Nach der umfassenden und detailgenau in Notizen verschriftlichten A ­ utopsie der Originale ist Meyer weniger denn je auf den Anschauungsersatz des reproduzierenden Kupferstichs angewiesen. Dessen Stellvertreterfunktion relativiert sich aufgrund des intensiven visuellen Trainings dadurch, dass der Kenner nun mit voller kunstrich161 Füßlis Buch übernimmt weitgehend die Übersetzung von Johann Jakob Volkmann: Gilpin/Volkmann 1768. – Auf die Übernahme und leichte Bearbeitung der Kapitel 1 und 2 von Volkmanns Übersetzung weist Füßli im Vorwort seiner Schrift hin. Füßli 1771, S. 10. Vgl. hierzu Gramaccini 2008, S. 54 f. 162 „Ein Gemählde unterscheidet sich vom Kupferstich bloß durch Farben, und die Art, wie es ausgeführt ist.“ Füßli 1771, S. 13. 163 Zur Einordnung des Traktats siehe Dobai 1975, Bd. 2, S. 950 f. 164 Die Füßli-Bearbeitung von Gilpins Essay fand 1796 in erneuter Modifikation Eingang bei Huber/Rost 1796–1808, Bd. 1, S. 1–41. Auf S. 17 f Gilpins Passus zum Helldunkel in geringer Abwandlung. 165 Das soll nicht heißen, dass das Theorem der relativen Übersetzbarkeit von Farben durch Grau­werte oder die Prüfung auf Originaltreue in späteren Beiträgen Meyers keine Rolle spielt. In Kunst und Alter­thum merkt Meyer an, dass die Kupferstecher darüber aufgeklärt werden müssten, „was ihrer Kunst zusagt und was dieselbe hingegen nicht vermag.“ Dazu gehöre auch, „den relativen Werth der Farben in Gemälden durch mehr und weniger dunkle Massen, lebhaftere Lichter und tiefere Schatten anzudeuten“. W.K.F. [Meyer], Vorschläge zu Einrichtung von Kunstakademien rücksichtlich besonders auf Berlin. 1821, in: FA I, 21, S. 87.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

terlicher Autorität über die Reproduktionswürdigkeit und -fähigkeit einzelner Werke urteilt. Für Meyer entfaltet sich somit eine bipolare Wertungsdisposition, für die nicht mehr allein der Gedanke an eine adäquate Übersetzung im Zentrum steht, sondern Vorlage und Umsetzung als zwei Bereiche behandelt, die im Idealfall durch das Helldunkel zur Deckung gebracht werden müssen. Dies hat langanhaltende Konsequenzen: Das Theorem der koordinierten Helldunkelverteilung bildet fortan eine wirksame Argumentationsfigur, die später sowohl in Anweisungen an Schüler der Zeichen­ schule wiederkehrt166 wie auch noch in Rezensionen zu Kupferstichen nach Werken des ­Trecento mit Seitenhieben gegen die Nazarener eingesetzt wird167 – als reproduzierbar gilt nur, wie Meyer auch an anderer Stelle in den Propyläen wiederholt, was nach seinen immanenten Gestaltungsprinzipien auch dafür geeignet ist: Alle Gemälde deren Hauptvorzüge im Colorit, im lieblichen Farbenton, der sich über das Ganze verbreitet, im schönen Pinsel und in großer Ausführlichkeit und Sauberkeit bestehen, ja selbst diejenigen welche blos durch das Geistreiche der Ausführung gefallen, können niemals mit vollkommen gutem Erfolg in Kupfer gestochen werden. Der Kupferstecher könnte seine Schuldigkeit daran gethan haben und das Blatt würde, blos um dieses Mißgriffs willen, doch keinen Beyfall finden. Hingegen wird große Wirkung durch Licht und Schatten, erlesener Geschmack in Formen und Falten, vorzügliche Anordnung, es werden schöne Gedanken überhaupt und rührende Motive im einzelnen, sich gut in den Kupferstich übertragen lassen und gewiß eine günstige Aufnahme finden.168

Angesichts der so virulenten Frage nach der Wahl des geeigneten Gegenstandes vermischen sich somit in Meyers Bewertungen von druckgraphischen Erzeugnissen formale und inhaltliche Kriterien. Zugleich verlegt er die Aufmerksamkeit von einem punktgenauen bildtopographischen Einsatz der differenzierten Grauwerte (also der exakten Übersetzung der Farbwerte) hin zu dem Gedanken einer vom Helldunkel koordinierten Gesamtstruktur, die eine reflektierte Auswahl der Vorlage nach den entsprechenden formalen Kriterien notwendig macht. Disposition und Helldunkel treten bei Meyer im Rahmen eines primär gehaltsästhetisch motivierten Urteils in eine enge Beziehung, welche wiederum als die genuine Qualität der Druckgraphik erkannt wird. Auch wenn der Übersetzungsgedanke und die Vorstellung von Farbreferenzialität in den Folgejahren nicht vollständig aufgegeben werden,169 wird das Verhältnis zwischen hellen und dunklen Großpartien zur primären medialen Konstitutionsbedingung erhoben, indem unabhängig von der Farbgestaltung des Originals der gleichwertige Einsatz von Hell

166 So Meyer in einer Briefanlage für seinen Schüler Johann Karl Lieber mit Anweisungen zum monochromen Kopieren von Landschaften. Meyer an Lieber, 20. 9. 1815, GSA 64/81,6. 167 Vgl. die von Goethe und/oder Meyer stammende Rezension zu dem Kupferstich Ferdinand Ruscheweyhs nach einer Zeichnung von Johann Anton Ramboux nach Giottos Cena (1821) (FA I 22, S. 61– 69, hier S. 62). 168 [Meyer,] Rafaels Werke besonders im Vatikan, in: Propyläen 2/1 (1799), S. 155; Reprint 1965, S. 341. 169 Vgl. Grave 2006a, S. 242 f.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

und Dunkel gefordert wird. Entscheidend ist somit die koordinierte Verteilung der sogenannten „Massen“. a)  Reproduktion und Qualität In den Propyläen wendet sich Meyer unter Mitwirkung Goethes mit drei Beiträgen den aktuellen Entwicklungen zu: den höflich rezensierten Landschaften von Wilhelm Friedrich Gmelin, den Drucken der Chalkographischen Gesellschaft zu Dessau sowie den englischen Holzstichen von Thomas Bewick und John Anderson.170 Die umfangreiche Rezension zu den Blättern der 1796 gegründeten Chalkographischen Gesellschaft zu Dessau würdigt zunächst die Bemühungen der unter der künstlerischen Leitung von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff stehenden und von Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau geförderten Aktiengesellschaft.171 Die von Goethe und Meyer gemeinsam verfasste Einleitung geht auf die intendierte Verbesserung des Geschmacks und die Förderung der inländischen (also deutschen) Druckgraphik ein; lobend wird erwähnt, dass die damit verbundenen Bestrebungen hinsichtlich des künstlerischen Werts wie auch die Auswahl der reproduzierten Werke für das Publikum in jedem F ­ alle förderlich seien, weshalb missgünstige Tendenzen mit Nachsicht beurteilt werden s­ ollten: Bey Anfängen einer solchen Art ist manches zufällig, genug wenn die Fortschritte immer zweckmäßig bleiben. Liebhaberey führt zu solchen Unternehmungen, Kenntniß gründet und befestigt sie. Indem man nun also, bey Bestimmung der Arbeiten, die Wahl auf ernsthafte und bedeutende Gegenstände richtet, so ist doch keineswegs zu tadeln daß man sich auch theilweise nach dem Geschmack des Publikums bequemt, die Käufer anlockt, um sie, nach und nach, zu einer höhern Liebhaberey auszu­ bilden.172

Dem reservierten Lob im Allgemeinen und dem Hinweis auf die erzieherische Auf­ gabe der Anstalt folgt eine Reihe von Rezensionen zu etwa dreißig meist in Schabkunst oder Aquatinta ausgeführten Einzelblättern nach mehr oder weniger prominenten Werken von Meistern der ‚klassischen‘ Traditionslinie wie Correggio, den Carracci, ­Domenichino, Poussin, Claude, Batoni oder Hackert. Auch hier ist eine zweigleisige Argumentation erkennbar, in welcher die Beurteilung der Blätter nach dem dargestellten Gegenstand wie nach der technischen Umsetzung des ausführenden S­ techers erfolgt. Hinsichtlich der Gegenstandswahl spielt Meyer auf der für ihn typischen Klaviatur: An 170 Ueber den Hochschnitt, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 164–174, Reprint 1965, S. 350–360; Chalkographische Gesellschaft zu Dessau, in: Propyläen 2/1 (1799), S. 124–161, Reprint 1965, S. 486–523; Zwey Italiänische Landschaften von Gmelin, in: Propyläen 3/1 (1800), S. 150–152, Reprint 1965, S. 862–864. Zu den Textanteilen Goethes siehe FA I 18, S. 609–611 (Ueber den Hochschnitt) und FA I 18, S. 635– 637 (Chalkographische Gesellschaft zu Dessau). 171 Zur Geschichte der Chalkographischen Gesellschaft siehe: Ausst-Kat. Coburg 1987; Ausst.-Kat. ­Dessau 1996. 172 [Meyer,] Chalkographische Gesellschaft zu Dessau, in: Propyläen 2/1 (1799), S. 125; Reprint 1965, S. 487.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

dem Schabkunstblatt nach Poussins berühmtem Hauptwerk Tod des G ­ ermanicus173 kritisiert er in auffallendem Widerspruch zur allgemeinen Wertschätzung des Bildes gegen Ende des 18. Jahrhunderts174 die virtus-Thematik, die er bereits im Gegenstandsaufsatz als widerstrebend verworfen hatte.175 Das von Poussin gewählte Sujet ist demnach von mehr politischem und weniger von allgemein-menschlichem Interesse, da es für den Betrachter „ohne Erklärung unbedeutend bleiben muß“.176 Aus den italienischen Aufzeichnungen 1795–1797 fließt die formale Kritik an dem Werk ein, zu dem ­Meyer die Stichpunkte „nicht elegant geordnet, noch weniger gut gezeichnet und Braun und ­Finster das Colorit“ notiert hatte.177 Schon in Rom kritisiert er den in der Bildmitte positionierten und mit pathetischer Gebärde den Treueeid ablegenden Soldaten, dessen „Drap: oder Mantel wirckl mit sehr wenig Geschmack umgehangen“ sei.178 In der Rezension baut Meyer auf der am römischen Original gemachten Beobachtung auf und erweitert seine Kritik an den Kompositionsprinzipien, indem er anmerkt, dass das „unstatthafte[  ] Zusammenstoßen der Linien“ die Aufmerksamkeit von der wichtigsten Figur des Bildes ablenkt179 – unverkennbar ist, dass Meyer auf dem Blatt das Lineal angelegt hat, um die bereits in Rom intuitiv erfasste kompositorische Schwäche zu verifizieren. Die genaue Kenntnis der Vorlage mit ihrer als problematisch erachteten Helldunkelkonzeption ermöglicht es aber zugleich, dem auf Poussin bezogenen Verriss eine eher nachsichtige Beurteilung der Ausführung in Schabkunst folgen zu lassen. So habe sich der Stecher Johann Joseph Freidhoff „bey dieser großen Platte“ sehr wacker erwiesen: „Die Formen sind getroffen, Falten, Waffen etc. sauber und fleißig ausgeführt. Die Köpfe sind nicht leer, sondern haben alle etwas geistreiches.“180 Mit derselben akademistischen Diktion, mit der er Poussins Werk zunächst kritisiert hatte, gelingt es dem stets um pädagogische Leitung der Gegenwartskünstler bemühten Lehrer der Weimarer Zeichenschule, die Rezension ins Positive zu wenden. In gleicher Manier – Kritik an der Bildauswahl, vorsichtiges Lob für die Stecher und Prüfung auf die Originaltreue – fährt Meyer mit den weiteren Blättern fort. Die Polarität 173 Johann Joseph Freidhoff nach Nicolas Poussin, Der Tod des Germanicus, Schabkunst, 57,8 × 68,4 cm. Siehe Ausst-Kat. Coburg 1987, S. 48, Abb. 18. Vorlage: Nicolas Poussin: Der Tod des Germanicus, 1626–1628, Öl auf Lw., 148 × 198 cm, damals Palazzo Barberini, heute The Minneapolis Institute of Arts. 174 Zur Rezeption des Werks siehe bündig Richard Verdi, Kat.-Nr. 9, in: Ausst.-Kat. Paris/London 1994/1995, S. 162–164. 175 Zu Poussin als Künstler mit widerstrebenden Sujets siehe Propyläen 1/2, S. 75 f; Reprint 1965, S. 261. 176 [Meyer,] Chalkographische Gesellschaft zu Dessau, in: Propyläen 2/1 (1799), S. 131; Reprint 1965, S. 493. 177 GSA 64/94, fol. 24r. 178 Ebd. 179 [Meyer,] Chalkographische Gesellschaft zu Dessau, in: Propyläen 2/1 (1799), S. 132; Reprint 1965, S. 494. 180 Ebd.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

zwischen verfehlter Gegenstandswahl und Betonung des technischen Fortschritts bleibt konstitutiv, doch ist dies nicht das letzte Wort der umfänglichen Besprechung. Im abschließenden Teil nämlich widmet sich Meyer den möglichen Alternativen zu den bisher verwendeten Bildvorlagen: Für die Landschaft nennt er die fast unvermeidlichen Claude Lorrain und Gaspar Dughet.181 Dasselbe gelte auch für die niederländischen Landschaftsmaler mit Italien-Erfahrung wie Jan Both oder Herman Swanevelt, die ebenso die breitflächige Helldunkelkoordination beherrschten, während andere Künstler wie Ruisdael sich durch den technisch virtuosen Auftrag der Farbe auszeichnen, der nur bedingt zur druckgraphischen Umsetzung geeignet sei.182 Die eigentliche Überraschung ist jedoch eine Empfehlung, die außerhalb des Fachs der Landschaftsmalerei liegt: nämlich die Werke von Parmigianino, die aus Meyers Sicht zwar in den Proportionen manieriert und in der Gegenstandswahl manchmal sonderbar wirken, aber im Bereich der Helldunkelkoordination für mustergültig erklärt werden: „Er ist in Gedanken schön und gefällig, seine Grazie versteckt sich nicht, sondern wünscht bemerkt zu werden, sein Styl ist gut, Licht und Schatten sind in große Massen getheilt.“183 An allen genannten Beispielen lässt sich somit das Bemühen um eine verbesserte Auswahl reproduktionswürdiger Werke hinsichtlich der Helldunkelkonzeption erkennen. Die Klärung und Teilung in eindeutige Licht- und Schattenbereiche ist das zentrale Anliegen. In dieser Hinsicht ist zu fragen, ob die meist in Mezzotinto- oder Aquatinta-Technik angefertigten Blätter der Chalkographischen Gesellschaft überhaupt für den von Meyer gewünschten Effekt geeignet waren: Die Schabkunst gewährleistet zwar einen starken Effekt hinsichtlich des Helldunkel, doch verhindert sie wegen ihrer samtigen Wirkung die klare Umrisskonturierung,184 die in der von Goethe und Meyer vertretenen Auffassung gerade in Hinblick auf eine enge Allianz zwischen Disposition und Helldunkel eine zentrale Rolle spielte. Die Aquatintaradierung eignete sich zur Wiedergabe von breitflächigem Pinselauftrag und näherte sich daher den von den Weimarern geschätzten Landschaftslavierungen in Sepia oder Bister, doch war in Dessau aufgrund fehlender technischer Erfahrung die differenzierte Umsetzung der Lichtführung noch nicht weit entwickelt.185 Mit Parmigianino als demjenigen Meister, dessen Helldunkel für die Druckgraphik am besten geeignet sei,186 setzt Meyer vielmehr einen graphikgeschichtlichen Fluchtpunkt zum Helldunkel- oder Chiaroscuro-Holzschnitt (bzw. Clair-

181 Ebd., S. 155–157; Reprint 1965, S. 517–519. 182 Ebd. 183 Ebd., S. 157; Reprint 1965, S. 517. 184 Susanne Netzer in: Ausst-Kat. Coburg 1987, S. 14. 185 Ebd., S. 15. 186 Zur Reproduktionsgraphik nach Zeichnungen Parmigianinos siehe Gnann 2007, Bd. 1, S. 176–203.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

obscur),187 was umso auffallender ist, da jener Künstler im Aufsatz über den Hochschnitt erneut positiv erwähnt wird.188 Johannes Grave hat in seiner Studie zu Goethes Graphiksammlung darauf hingewiesen, dass Goethe italienische Chiaroscuro-Holzschnitte vor allem um 1820 in ­großen Mengen erwarb.189 Doch bildet schon in den Propyläen die bis ins 18. Jahrhundert hinein gepflegte Technik mit ihren italienischen Hauptmeistern Ugo da ­Carpi, ­Domenico Beccafumi und Andrea Andreani einen maßgeblichen Faktor für die Beurteilung von zeitgenössischer Graphik:190 „[A]llein das Schätzbarste und, in gewissem Sinne, auch Kunstgerechteste der ganzen Gattung [des Holzschnitts] sind wohl die, mit drey S­ töcken gedruckten, Blätter, von italiänischen Künstlern, welche getuschte und weiß aufgehöhte Zeichnungen nachahmen.“191 Die sich in den Propyläen ankündigende Wertschätzung der Helldunkelzeichnung und des Chiaroscuro-Holzschnitts scheint in letzter Konsequenz das Ergebnis der eingangs zitierten druckgraphischen Aufgabenstellung hinsichtlich der betonten Umsetzung des Helldunkels. Die besonders für Ugo da Carpi und dessen Nachahmer Antonio Maria Zanetti charakteristische Einteilung der figürlichen und gegenständlichen Binnenstrukturen in eine dunkle und e­ ine ­helle ­Seite, die gleichzeitig den Kontur nicht verwischt (Abb. 44), scheint der angestrebten klassischen Helldunkelkonzeption am nächsten zu kommen. Ebenso harmoniert ­Meyers Vorstellung von einem gleichwertigen Einsatz der hellen und dunklen Partien mit dem im Helldunkelschnitt erzeugten Effekt durch zwei oder drei Druckplatten. ­Eine nähere Vertrautheit Meyers mit der Chiaroscuro-Tradition lässt sich auch an dem 1820 für den preußischen Kultusminister Altenstein verfertigten Gutachten zur Berliner Kunstakademie erkennen: Darin empfiehlt Meyer für die Künstlerausbildung nicht das Anfertigen von ­Grisaillen auf weißem Grund, sondern spricht sich für die Helldunkelzeichnung auf farbigem Papier aus, dessen tragender Mittelton die Grundlage für den gleichwertigen Einsatz von Licht und Schatten in Form von Deckweiß und dunkler ­Tusche bildet192 – eine Zeichentechnik, die in unmittelbarer Beziehung zum Helldunkelschnitt steht und die ­ ffizien studieren Meyer Anfang 1797 bei seinem Besuch der Graphiksammlung in den U 187 Zum Helldunkelholzschnitt siehe Landau/Parshall 1994, S. 183–202 und 274–283; Busch 2009, S. 19– 41. Unter Einbeziehung der Verbreitung von Chiaroscuro-Holzschnitten in Weimar siehe Ausst.-Kat. Rom/Weimar 2001. 188 [Meyer,] Ueber den Hochschnitt, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 165; Reprint 1965, S. 351. 189 Grave 2006a, S. 260. Grave spricht von einer „überdurchschnittliche[n] Häufung von ChiaroscuroHolzschnitten“ in Goethes Sammlung trotz der „unverkennbaren Prägung von Goethes Wahrnehmung durch den klassizistischen Linienstich“. 190 Meyer erwähnt vor allem die Clair-obscur-Zeichnung und den ab ca. 1516 aufkommenden Clair-­ obscur-Holzschnitt in Italien, auch wenn ihm die ältere deutsche Tradition nicht ganz unbekannt zu sein scheint. 191 [Meyer,] Ueber den Hochschnitt, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 165; Reprint 1965, S. 351. 192 W.K.F. [Meyer], Vorschläge zu Einrichtung von Kunstakademien rücksichtlich besonders auf Berlin. 1821, in: FA I 21, S. 83.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

konnte. So erwähnt er im Hochschnitt-Aufsatz einen Farbholzschnitt nach einer Clairobscur-Zeichnung von Parmigianino, der im Vergleich zur Zeichnung eine täuschend echte Faksimile-Qualität erlangt habe.193 b)  Hochschnitt und Holzstich Lag aus der Sicht Meyers die Problematik der von der Chalkographischen Gesellschaft veröffentlichten Drucke bereits in den bevorzugten Techniken wie Schabkunst und Aquatinta begründet, so stellt sich die Auseinandersetzung mit dem um 1780 in England aufkommenden Holzstich alias Xylographie als diffizilere Angelegenheit dar. Die in den englischen Manufakturen geheim gehaltene Technik, bei der die Platte nicht mit dem üblichen Langmesser, sondern mit dem Stichel bearbeitet wurde, galt zunächst auf dem europäischen Kontinent nicht als neuartiges Verfahren, sondern nur als besonders originelle und auflagenstarke Umsetzung des traditionellen Holzschnitts, der im 18.  Jahrhundert allenfalls für minderwertige Buchausstattungen genutzt wurde.194 Der Anlass für den im zweiten Stück des ersten Propyläen-Bandes erschienenen Artikel Über den Hochschnitt ist ein konkreter:195 In einem gemeinsam verfassten Artikel hatten Karl August Böttiger und Friedrich Justin Bertuch in der Septembernummer des Journals des Luxus und der Moden von 1798 die Holzstiche Thomas Bewicks als „Vervollkommnung der Holzschneidekunst in England“ dargestellt und damit dem deutschen Publikum erstmalig bekannt gemacht (Abb. 46).196 Der Berliner Verleger Johann Friedrich Unger (1753–1804), der sich in zweiter Generation um die Reaktivierung des altdeutschen Holzschnitts und dessen qualitative Verbesserung bemühte, antwortete umgehend mit einer Gegenschrift in den Jahrbüchern der preußischen Monarchie im Oktober desselben Jahres.197 Dass dort dem englischen Konkurrenten schlicht technische Unfähigkeit attestiert wird, resultiert aus der Annahme, es lägen klassische Messer­ holzschnitte vor, bei denen der Formschneider die zeichnerischen Mittel der Linie und 193 „Wir haben einst Gelegenheit gehabt, ein solches Blatt mit der wirklichen Originalzeichnung zu vergleichen, und wir fanden im Wesentlichen die Vorzüge des Originals nicht überwiegend. Auch war die übrige Aehnlichkeit so täuschend, daß dieser Holzschnitt, in der berühmten Sammlung, wo die Vergleichung angestellt worden, lange für eine Zeichnung gegolten hat.“ (Propyläen 1/2, S. 165 f; Reprint 1965, S. 351 f) Gemeint sein könnte eine Clair-obscur-Zeichnung Parmigianinos mit Kirke und den Gefährten des Odysseus im Gabinetto dei Disegni e delle Stampe der Uffizien (Inv. Nr. 1972 F), die als Vorlage für einen Farbholzschnitt von Ugo da Carpi in vier Platten diente. Gegenüberstellung in Ausst.-Kat. Carpi 2009, S. 160 f; Gnann 2007, S. 136, und Kat.-Nr. 412. 194 Grundlegend zum Thema: Hanebutt-Benz 1983, bes. Sp. 604–640. 195 Näheres zu dem Vorgang siehe: Kommentar MA 6.2, S. 999–1002; von Biedermann 1927, S. 91–95; Bettmann 1932; Hanebutt-Benz 1983, Sp. 630–640. 196 Böttiger/Bertuch 1798. Der Artikel druckt einen Beitrag aus der Monthly Review nach, in dem die Technik des Holzstichs genau beschrieben wird. Zu Thomas Bewick siehe Tattersfield 2011. 197 Unger 1798. Böttiger und Bertuch hatten in ihrem Artikel die Verdienste Ungers positiv hervorge­ hoben.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

46__Thomas Bewick: The woodlark (alauda arborea), Holzstich, 5,5 × 8 cm (Illustration), 21,7 × 13,7 cm (Seite). In: [Ralph Beilby:] History of British Birds. The figures engraved by T. Bewick. Bd. 1., Newcastle: Beilby & Bewick 1797, S. 183.

Schraffur unzureichend und unvollständig genutzt habe:198 „Statt freier Zeichnung, wo die Striche regelmäßig durcheinander laufen sollen, hat es sich der englische Künstler wieder zu bequem gemacht, und die Striche in die Queer durchschnitten.“199 Auch wenn Unger das Verfahren Bewicks als „Halbkunst“200 denunziert, ist es ex negativo gut charakterisiert: Denn die Methode mit frei geführtem Stichel verfolgt nicht die Simulation eines kohärenten Strichbildes oder eines expliziten Linienkonturs auf weißem Grund, sondern erzeugt durch den flexiblen Einsatz von „kurze[n], bewegte[n] Linien“201 sowie durch die abrupten Wechsel von weißen zu schwarzen Flächen und den damit einhergehenden Umschlag der schwarzen Linie ins Weiße einen ganz anderen Eindruck als die etwas blutleer wirkenden Unger’schen Wiederbelebungsversuche des altdeutschen Holzschnitts.202 Eine dezidiert zeichnerische Auffassung konkurriert mit Effekten von „stofflicher Weichheit und Plastizität“.203

198 Zu diesem Missverständnis siehe Hanebutt-Benz 1983, S. 637. 199 Unger 1798, S. 172. 200 Ebd. 201 Hanebutt-Benz 1983, S. 594. 202 Vgl. Unger 1779. 203 Hanebutt-Benz 1983, S. 594.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

Kurz zuvor hatte Unger eigene Proben zusammen mit Bewicks Illustrationen an Goethe zur kritischen Beurteilung übersenden lassen.204 Die von Unger erhoffte publizistische Flankierung durch Goethe blieb jedoch aus, denn die Holzstiche Bewicks wurden von den beiden Kunstfreunden mit Wohlwollen aufgenommen: „Denn da Unger doch selbst bey seiner schraffierten Manier auf Haltung Anspruch macht, so sehe ich nicht ein, wie man einem Holzschneider verbiethen könnte, an sich die Forderung zu machen, im Ausdruck noch weiter zu gehen und die tiefen Schatten so wie die dunkeln Localtinten durch ganz schwarze Partien auszudrucken, besonders wenn er jene durch helle Striche und diese durch charakteristische Umrisse zu beleben weiß“205 – so ­Goethe an Meyer am 5. November. Und Meyer sekundiert zwölf Tage später: „Nach ­etwas genauerer Anschauung der englischen und Ungers Holzschnitte und Vergleichung beyder mit den alten aus Dürers Zeit hat freylich Herr Unger in seiner Abhandlung […] nicht am besten raisonniert, und es wird Kunst kosten, ihm artiges und freundliches Lob zu ertheilen, wie doch unsere Absicht ist.“206 Nach Betrachtung der Holzstiche B ­ ewicks spricht sich Meyer noch deutlicher gegen die Ansichten Ungers aus: „[U]nterdessen sind wir gegen Unger in einer mißlichen Stellung, da ich einer ganz andern Meinung bin, als er ist.“207 Ein im Meyer-Nachlass befindlicher Entwurf von Schreiberhand hält offenbar die Diskussion mit Goethe fest.208 Die vom Aufsatz inhaltlich nicht abweichenden Stichpunkte zeigen, dass schnell Einigkeit darüber geherrscht haben muss, Unger nicht direkt anzugreifen, sondern nur dessen Bevorzugung des altdeutschen Holzschnitts zu relativieren.209 Allerdings baut Goethes und Meyers Argumentation auf einer Einsicht von Johann Georg Unger (1715–1788), dem Vater des Berliner Verlegers, auf. Dieser hatte erstmals in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem deutschen Holzschnitt des 16. Jahrhunderts eine klare Arbeitsteilung zwischen entwerfendem Künstler und dem Formschneider nachgewiesen. Diese Erkenntnis fußte einerseits auf der systematischen Auswertung der Monogramme und auf stilkritischen Vergleichen, andererseits auf der eigenen praktischen Erfahrung des Holzschneidens, aus welcher Unger d. Ä. den Schluss ziehen konnte, dass Dürer ein solch enormes Arbeitspensum kaum alleine hätte bewältigen können.210 Beide Unger betonen daher die artifizielle und technisch aufwendige Leistung des Holzschneiders, der in einem manuell mühsamen und material204 Vgl. Goethe an Meyer, Jena, 15. 11. 1798, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 2, S. 56. 205 Ebd., S. 57. 206 Meyer an Goethe, [Weimar], 17. 11. 1798, in: Ebd., S. 61. 207 Meyer an Goethe, [Weimar], 21. 11. 1798, in: Ebd., S. 64. 208 GSA 64/21, fol. 1r–1v. Auf eine gemeinsame Diskussion zwischen Goethe und Meyer verweist der Eingangssatz: „Die Hochschnitte kommen wieder zur Sprache.“ 209 Zu Goethes Verhältnis zur altdeutschen Graphik siehe vor allem Grave 2006a, S. 70–76. 210 Johann Georg Unger: Fünf in Holz geschnittene Figuren, nach der Zeichnung J. W. Meil, wobey zugleich eine Untersuchung der Frage: Ob Albrecht Dürer jemals in Holz geschnitten? Berlin 1779.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

47__Albrecht Dürer: Knoten auf schwarzem Grund, vermutlich 1513, Holzschnitt, 27,2 × 21,3 cm, posthumer Abzug in Goethes Graphiksammlung, Klassik Stiftung Weimar, Museen, Goethe-National­ museum, GGr/Sch.I.119,0152.

widerständigen Prozess des Schneidens die Zeichnungsvorlage adäquat auf den Druckstock übertragen müsse. Wie im deutschen Holzschnitt des 16. Jahrhunderts sollte aus Berliner Sicht eine dem Kupferstich annähernd gleichwertige Qualität in der Feinheit von Zeichnung und Schraffur erreicht werden. Die Originalität des Propyläen-Aufsatzes besteht darin, dass trotz des Rückgriffs auf Unger’sche Thesen eine völlig konträre Theorie des Holzschnitts entwickelt wird. ­Ungers normativer Ansatz, der von einer Idealtypik des Linienholzschnitts ausgeht, wird hier mit (überaus fragwürdigen) historischen und produktionsästhetischen Argumenten widerlegt. Meyer denkt dabei nicht von den Schwierigkeiten der Praxis her, sondern geht von den genuin im Material angelegten Ausdrucksmitteln aus, welche auf der Holzplatte eine prinzipielle Gleichrangigkeit von vertieften und erhabenen Partien ermöglichen. Als historischen Beleg nennt er unter anderem die damals wahrscheinlich schon in Goethes Sammlung befindlichen Weißlinienholzschnitte der sogenannten Knoten Dürers (Abb. 47),211 die Illustrationen in Conrad Gesners Vogelbuch von 1557 und natürlich auch den Chiaroscuro-Holzschnitt in Italien und Deutschland. In der 211 [Meyer,] Ueber den Hochschnitt, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 168; Reprint 1965, S. 354: „Was aber ganz hieher gehört sind diejenigen Blätter [Dürers], wo auf runden, schwarzen Schilden eine helle geflochtene Drahtarbeit gezeichnet ist.“ Die sechs Holzschnitte Dürers sind Nachahmungen italienischer Kupferstiche (!) aus dem Umkreis Leonardo da Vincis. Aus diesem Grund enthalten erst die Neuauflagen nach Dürers Tod das Dürer-Monogramm. In Goethes Kunstsammlung befinden sich zwei Nachdrucke aus jener Knoten-Folge. Schuchardt 1848–1849, Bd. 1, S. 119, Nr. 152. Siehe: Schoch/Mende/ Scherbaum 2001–2004, Bd. 2, Kat.-Nr. 144, S. 152 f.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

Annäherung des Holzschnitts an den Kupferstich im 16. Jahrhundert, der Linien und Schraffuren imitiere, liege hingegen der „Keim zum Verderben, zum successiven Absterben“. Die entwerfenden Zeichner hätten die Schwierigkeiten des Schnitts nicht erkannt, weil sie nur an die Zierlichkeit der Zeichnung dachten.212 Der Grund allen Übels ist die aus der Arbeitsteilung von entwerfendem Künstler und Formschneider resultierende Überschreitung der Gattungsgrenze zum Kupferstich. Damit spielt der Artikel auf die klassizistische Grundauffassung von der Gattungsvermischung als Dekadenzmerkmal an:213 Die Formschneider wetteiferten nicht „auf ­eigenem Wege“, sondern „müdeten“ sich in ihrer Sucht, den Kupferstich nachzuahmen, „an Schwierigkeiten ab, wodurch doch zuletzt keine proportionirte Wirkung hervorgebracht wurde.“214 Zwangsläufig musste damit die technische Virtuosität der Formschneider und ihr Anrennen gegen die eigenen Gattungsgrenzen zur Ermüdung und zum Niedergang führen. Gerade in der Arbeitsteilung zwischen Zeichner und Formschneider sehen somit Goethe und Meyer das Problem des altdeutschen Hochschnitts, da dessen materielle Anlagen dem Prinzip der Zeichnung widersprechen. Bewick hingegen gelinge als Zeichner und Holzstecher eine mediengerechtere Umsetzung, da er bereits seine Vorlagen in Hinblick auf die Technik entwerfe.215 Der in seinen Arbeiten erkennbare Wechsel von schwarzen Linien auf weißem Grund und weißen Linien auf Schwarz erweist sich als die dem Medium angemessene Umsetzung. Aus Weimarer Sicht war der Vergleich beider xylographischer Verfahren von Anfang an problematisch. Im Hochschnitt-Aufsatz enden die Ausführungen mit dem scheinbar salomonischen Urteil, dass hinsichtlich der Form dem englischen Holzstich, hinsichtlich des Gehalts dem altdeutschen Linienholzschnitt der Vorzug zu geben sei. Die für Bewick typischen Motive – realistische Tierdarstellungen, die sich in der Ge­ neral History of Quadrupeds und in der History of British Birds mit narrativen Schluss­ vignetten abwechseln – mussten angesichts der gerade erst elaborierten klassizistischen Theoriebildung als allzu populäre und triviale Bildinhalte erscheinen. Dem ‚charakteristischen‘216 Holzschnitt blieb somit das Primat in gehaltsästhetischen Fragen vorbehalten. Dennoch wird am Ende des Aufsatzes eine Lösung zur Überwindung des Inhaltsproblems erkennbar. Dem kleinen Format der Bewick’schen Illustrationen setzen die Weimarer die Hoffnung entgegen, „große Stöcke in dieser neuen Art zu verfertigen“.217 Dass die Vergrößerung des Formats automatisch eine Erweiterung in der inhaltlichen Dimension zur Folge habe, dürfte hierbei mit intendiert sein. Damit erweist sich das po212 213 214 215 216

[Meyer,] Ueber den Hochschnitt, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 166; Reprint 1965, S. 352. Siehe hierzu Wolf 2015. [Meyer,] Ueber den Hochschnitt, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 167; Reprint 1965, S. 353. Ebd., S. 170; Reprint 1965, S. 356. Zur Diskussion über das „Charakteristische“ siehe: Schönwälder 1995; Wolf 2001, S. 248–254, 359– 361 und 471–473; Dönike 2005, S. 22–29. 217 [Meyer,] Ueber den Hochschnitt, in: Propyläen 1/2 (1799), S. 161; Reprint 1965, S. 347.

III.3.2  Reflexionen zu Druckgraphik und Reproduktionsmedien

puläre Medium des Holzstichs wesentlich nachhaltiger für die zukünftige Entwicklung als die Nachahmung des altdeutschen Holzschnitts.218 c) Conclusio Meyers Beiträge zur Druckgraphik sind durchgängig von einer gattungsspezifischen Reflexion geprägt, bei der die beiden Hochdrucktechniken des Chiaroscuro-Holzschnitts und des modernen Holzstichs eine geheime Verbindungslinie aufweisen. Diese ausgesprochen starke Festlegung der Druckgraphik auf das Helldunkel ist im Jahr 1798 als Entgegnung auf die Begeisterung für die schattenlose Umrisslinie der Flaxman’schen Manier zu sehen, die bei Goethe von Anfang an dem Dilettantismusverdacht ausgesetzt war.219 Angesichts der aufkommenden Begeisterung für Flaxman wie für das Charakteristische im altdeutschen Holzschnitt mussten die Bewick-Holzstiche wie eine Alternative für die allgemeine Geschmacksbildung erscheinen. Abgesehen davon ist diese besondere Wertschätzung der als malerisch geltenden und die Fläche positiv ausschöpfenden Druckverfahren wie Holzstich und Chiaroscuro-Holzschnitt auch in Zusammenhang mit der Aufwertung des Helldunkel zu einer genuin klassizistisch-antikisierenden Kategorie zu sehen. Das betrifft Meyers Sicht auf die Helldunkelverteilungen in der Aldobrandinischen Hochzeit, aber auch das Verständnis von einer Idealbeleuchtung der Plastik. Das an sich malerische Konzept des Helldunkel wird damit zu einer gattungsübergreifenden Kategorie. Es ist das verbindende Element zwischen Plastik und Malerei, aber auch jenes Ausdrucksmittel, das der Druckgraphik die reproduktive Übernahme der beiden Großgattungen erst ermöglicht. In Abgrenzung zu der Diskussion über die Übersetzung der Farbe in den Tiefdrucktechniken hat somit Meyer im italienischen Chiaroscuro-Holzschnitt und im englischen Holzstich ein Prinzip erkannt, das einem seiner klassizistischen Hauptgrundsätze entgegenkam. Die material- und formalästhetische Überlegenheit der Bewick’schen Manier mit der gleichmäßigen Tarierung des Helldunkel, der Ausschöpfung der Schwärzen und ihrer zeichnerischen Feinstruktur verleitet letztendlich Meyer gegenüber ­Goethe zu der äußerst hellsichtigen Annahme, dass der Holzstich den Kupferstich verdrängen könnte220 – eine Prognose, die vierzig Jahre später auf dem europäischen Festland Realität werden sollte.

218 Zu Ungers Einlenken nach dem Erscheinen des Hochschnitt-Aufsatzes in den Propyläen und seinen eigenen Versuchen, mit Nachtstücken die Manier Bewicks nachzuahmen, siehe Hanebutt-Benz 1983, S. 640–642. 219 Goethe, Über die Flaxmannischen Werke, in: MA 6.2, S. 144 f. Vgl. auch Goethe an Meyer, o. O., 1. 4. 1799, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 2, S. 85. Zur Ablehnung Flaxmans durch Goethe siehe Busch 1988, S. 162 f. 220 Meyer an Goethe, Weimar, 17. 11. 1798, in Bw. Goethe/Meyer, Bd. 2, S. 61.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

3.3  Die ideale Beleuchtung der Plastik Der hohe Stellenwert des Helldunkel findet sich in der prononcierten Verwendung bei der Beurteilung von Plastik wieder. Nach Meyers Auffassung soll der Bildhauer auf eine Helldunkelstruktur der Bildwerke und damit auf ihre entsprechende Beleuchtung hin reflektieren. Diese Forderung unterscheidet sich von traditionellen Vorstellungen in der Kunstliteratur. So plädierte etwa Roger de Piles für eine ausgewogene Beziehung zwischen nacktem Körper und Draperie und leitete daraus die Grundregel der korrekten Verteilung der „masses“ ab,221 erhob aber diese Forderung ausschließlich für die Malerei. Meyer überträgt die Überlegungen auf die Skulptur und beschränkt sich dabei nicht allein auf ihre immanente Gestaltung, sondern auch auf ihre Präsentation in einem entsprechend belichteten Raum. So bedauert er, „daß wir uns selbst eines Theils des Genusses an diesen herrlichen Resten [antiker Plastik] berauben, indem wir sie willkürlich aufstellen und es im übrigen dem Zufall überlassen pflegen ob er ihnen das Licht, für welches sie der Meister gearbeitet hat, wieder schenken will.“222 Licht-Schatten-Inszenierungen im musealen Umgang mit antiker Plastik waren um 1800 durchaus Usus. Die eingangs dieser Arbeit behandelte römische Erfahrung der Statuenbegehung bei Fackelschein seit den 1780er Jahren wirkt in Meyers Auffassung fraglos nach. Berühmt ist, um nur ein weiteres Beispiel unter vielen zu nennen, Napoleons nächtliche Begehung des Louvre 1810, die Benjamin Zix bildlich festhielt: Der Laokoon wird hierbei mit Lampenlicht von links beleuchtet.223 Meyer überführt jedoch wie kein anderer Kunsttheoretiker die Frage nach der idealen Beleuchtungssituation in ein grundsätzlicheres Konzept, das sowohl die künstlerische Produktion als auch den rezeptiven Umgang mit dem Kunstwerk einbezieht. Als zentraler Ausgangspunkt erscheint die vom Relief angeregte einheitliche Beleuchtung von der linken oder rechten Seite, die bereits auf museumspräsentatorische Verfahren verweist, wie sie sich seit Schinkels Berliner Museum (1830) etablierten.224

221 Vgl. de Piles 1699, S. 64. 222 [Meyer,] Ueber Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste, in: Propyläen 2/2 (1799), S. 177 f, Reprint 1965, S. 705 f. 223 Benjamin Zix: Kaiser Napoleon und seine Gemahlin Marie-Louise besuchen den Saal des Laokoon bei Nacht im Louvre, 1810, lavierte Bisterzeichnung, 26 × 39 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv. 33406. Vgl. Ausst.-Kat. Paris 1999, Kat.-Nr. 153, S. 154. 224 Wegner 1989, S. 272; Fendt 2012. Nach Albert Erbe ist das 1848 errichtete Thorvaldsen-Museum in Kopenhagen das erste Museum, „das in furchtloser Folgerichtigkeit das Problem der Seitenbeleuchtung durchgeführt hat.“ Erbe 1923, S. 30. – Obwohl, wie Bernhard Maaz im Glossar des Buchs Skulp­ tur in Deutschland hervorhebt, die „Lichtverhältnisse […] für die Wahrnehmung von Skulpturen von höchster Wichtigkeit“ sind (Maaz 2010, Bd. 2, S. 673), ist das Thema von der Klassizismus-Forschung bislang kaum angemessen berücksichtigt worden.

III.3.3  Die ideale Beleuchtung der Plastik

Den Zusammenhang zwischen den Praktiken im Rom der ausgehenden 1780er Jahre und der späteren, wohl nach dem zweiten Italienaufenthalt vorgenommenen Theoretisierung belegt eine lavierte Zeichnung (Abb. 48) nach der Frontseite eines Musensarkophags im Museo Pio Clementino (heute Paris, Musée du Louvre). Das um 160 n. Chr. entstandene nachhadrianische Relief wurde seit dem 17. Jahrhundert mehrfach kopiert und reproduziert;225 Meyer greift also auf ein kanonisches Werk der klassizistischen Geschmacksbildung zurück. Im Museo Cartaceo des Cassiano dal Pozzo (17. Jh.),226 bei Montfaucon (1722)227 bis hin zum Tafelteil des von Giambattista Visconti herausgegebenen ersten Bandes des Museo Pio Clementino (1777)228 wird das Relief mit einer Beleuchtung von links gezeigt. Auch Johann Gottfried Schadow zeichnete um 1785/1787 acht der neun dargestellten Musen in einer Beschattung durch das von links kommende Seitenlicht (Abb. 49).229 Durch die paarweise Darstellung auf vier Einzelblättern ist dort der friesartige Reliefzusammenhang weitgehend aufgehoben. Mittels der weichen schwarzen Kreide lässt Schadow die Schattenpartien an den Falten leicht ausfransen, die Führung des Zeichengeräts wirkt tentativ-nachspürend, wodurch nicht plastische Klärung, sondern eine stimmungsvolle Einbindung der Figuren erzeugt wird. Bei der im Zentrum stehenden Mittelfigur, der sich im Profil auf einen Sockel lehnenden Polyhymnia, betonen Schadow wie seine Vorgänger den Körperschatten am Rücken. Das übergeschlagene rechte Bein der Muse und der daran anschließende Sockel bilden eine klare Zweiteilung von Hell und Dunkel, wobei die Partie des an den Sockel anstoßenden Oberschenkels als nahezu frei gelassene Fläche erscheint. Eine andere Wirkung erzeugt Schadow auf demselben Blatt bei der danebenstehenden sechsten (namentlich nicht identifizierbaren) Muse mit Diptychon in der Hand. Ihr Körper ist in eine Schatten- und eine Lichtseite geteilt, so dass sie ihren flächengebundenen Charakter verliert und nahezu stereometrisch aus dem Reliefzusammenhang heraustritt. Vermutlich zur selben Zeit wie Schadow zeichnete und lavierte Meyer das ­Relief als zusammenhängenden Streifen (Abb. 48). Nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob das großformatige und zusammengesetzte Blatt nach dem Original oder e­ inem Gips entstand.230 Die scharf umgrenzten Schatten verweisen auf einen Gips, der, frei von der spiegelnden Oberfläche des Marmors, in einem weitgehend abgedunkelten Raum ­einer künstlichen Lichtquelle ausgesetzt war. Die Beleuchtung kommt radikal von rechts, wodurch die Figuren scharfe Schlagschatten auf den Reliefgrund werfen. In der konturbegrenzten Zeichnung und der durchgängigen, in nur wenigen tonalen Abstufungen 225 226 227 228 229 230

Wegner 1966, Kat.-Nr. 75, S. 36 f. British Museum, Museum Chartaceum, fol. 17, Nr. 20. Siehe Vermeule 1960, S. 10. Montfaucon 1719, Bd. 1, S. 114, Tf. 59, Supplemente III 9.1. Visconti 1782–1807, Bd. 1, S. 285 f, Tf. B2. Badstübner-Gröger u.a. 2006, Bd. 1, S. 36, Kat.-Nr. 75. Zeitgenössische Gipsrepliken des Reliefs konnten bisher nicht eruiert werden. Vgl. die Aufstellung bei Schreiter 2014.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

48__Johann Heinrich Meyer: Zeichnung nach dem Musensarkophag im Museo Pio Clementino (­heute ­Paris), Feder in Braun laviert, Quadrierung über der ­mittleren Muse, 54,3 × 213 cm, Papier in der Mitte verknickt, Klassik Stiftung Weimar, ­Museen, KK 1957.

49__Johann Gottfried Schadow: Zwei Musen nach dem Musen­sarkophag (Polyhymnia und sog. ­Terpsichore), ­schwarze Kreide auf Bütten, 26,9 × 20,4 cm, Berlin, Akademie der Künste, Inv.-Nr.: Schadow 563.

differenzierenden Lavierung erzeugt Meyer eine wesentlich einheitlichere Konzeptualisierung und Stilisierung als der Empiriker Schadow. Schatten- und Lichtpartien sind klar voneinander abgegrenzt und wirken kontrastreich durch den so entstehenden gleißenden Lichteffekt. Anders als Schadow, der die Brechung des Lichts durch den reflektierenden Marmor einbezieht und damit die Schatten fleckenartig und differenziert darstellt, zeigt Meyer ein abstrakt wirkendes System von lavierten Schattenflächen, die durch dünne, von den Faltengraten gebildete Schattenstege untereinander verbunden sind. Damit ist der Blick auf das Werk von vorneherein auf eine Effektsteigerung inner­ halb der medialen Möglichkeiten des Reliefs mit seinen abgestuften Flächenebenen angelegt. Vom Betrachterstandpunkt aus von rechts kommend, gleicht sich das Licht den Gesamtkörperprofilen der mittleren und der ganz rechts positionierten Muse an. ­Diese werden am Rücken beleuchtet und verschatten nach der Körpervorder­seite, so dass das Gesichtsprofil einen Schatten auf den Reliefgrund wirft und damit eine klare Konturierung der Figur erzeugt. Gerade die Polyhymnia erhält im Vergleich zu der SchadowZeichnung ein stärkeres Reliefprofil. An ihrem rechten Oberschenkel bildet sich ein durchgehend vertikal verlaufender und hell erleuchteter Faltengrat innerhalb der Verschattung aus, der parallel zum daran anschließenden Sockel verläuft. ­Dieser wird ver-

III.3.3  Die ideale Beleuchtung der Plastik

50__Kupferstich nach einer ­Zeichnung von Johann ­Heinrich Meyer. Aus: Abbildungen zu ­Heinrich Meyer’s Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen von ihrem Ursprunge bis zum höchsten Flor. Dresden 1825, ­Tafel 12.

doppelt durch einen schmalen, aber umso dunkleren Schlagschatten, der auf die ansonsten helle Sockelhälfte geworfen wird. Auf diese Weise bildet sich am Kontur der Muse ein Lichtrand aus, der den Umriss und die Flächengebundenheit der Figur verstärkt. Die verschatteten Partien wirken so durchsetzt von erleuchteten gliedernden Elementen. Einen ähnlichen Effekt der Profilierung und Absetzung der Reliefebenen erzeugt die Zeichnung an dem auf den Sockel gestützten Arm der Polyhymnia: Der Unter­arm verschattet den hervorragenden Oberarm, so dass eine flächengeschichtete Plastizität erzeugt wird. Auf die Mittelfigur der Polyhymnia einzugehen ist deshalb wichtig, weil die F ­ igur Jahrzehnte später zu einem zentralen Beispiel in Meyers Geschichte der bildenden ­Künste bei den Griechen erhoben wird. Im Abbildungsteil wird der Reliefausschnitt auf Tafel 12 in zwei Beleuchtungssituationen dargestellt (Abb. 50): einmal mit Figur B wie auf ­Meyers Zeichnung mit Beleuchtung von rechts, wobei die Schlagschatten auf dem Reliefgrund entfernt wurden; und einmal mit Figur C in der Beleuchtungssituation von links, ähnlich wie sie Schadow in Rom gezeichnet hatte. Figur B geht auf Meyers Blatt zurück, was auch eine Quadrierung über die Polyhymnia indiziert. Vielleicht unter Heran­ziehung der Abbildung in Viscontis Werk zum Museo Pio Clementino scheint Meyer die zweite Figur C mit veränderter Lichtregie verfertigt zu haben. Im Großen und Ganzen deckt sie sich mit der auf Schadows Zeichnung zu beobachtenden Licht-Schatten-Verteilung, was auf Meyers Befähigung zu einem rekonstruierenden Sehen verweist. Im Kommentar erläutert Meyer die beiden Figuren wie folgt: Die aus dem Basreliefs eines bekannten Sarkophags im Capitolinischen Museum entlehnte Polyhymnia mag wie die sämmtlichen Musen auf jenem Sarkophag einer im Alterthum hochgeachteten Statue nachgebildet seyn. Zuverlässig war dieses Original auch in dem Sinne erfunden und gearbeitet, dass es von seiner linken Seite her (der Rechten des Beschauers) Licht erhalte. Man sehe die Fig. sub Litt. B. Sie erscheint gefälliger, der ursprünglich darzustellen beabsichtigte Charakter und Ausdruck derselben hebt

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel sich besser hervor, als wenn sie, wie in der Abbildung unter C., von ihrer Rechten her (der Linken des Anschauenden) Licht erhält; bey welcher Beleuchtung keine ruhigen wirksamen Massen an ihr, weder im Licht noch im Schatten, entstehen können[.]231

Meyers Auseinandersetzung mit dem Relief des vatikanischen Musensarkophags kann belegen, dass seine Theorie zum skulpturalen Helldunkel das Ergebnis seiner experimentell vorgehenden Zeichenpraxis ist. Die Problematik dieser Verfahrensweise ist evident: Die aufgestellten Grundprämissen erweisen sich als äußerst labil, da die an der Zeichnung explizierten Kriterien kaum der normalen Beleuchtungssituation entsprechen können. Vorausgesetzt werden müsste eine stabile Beleuchtungssituation, also beispielsweise ein geschlossener Raum mit nur einer Lichtquelle. Die aus dem Relief entwickelte Vorgabe verkompliziert sich überdies bei rundplastischen Werken, deren Mehransichtigkeit bei extremem und unwandelbarem Seitenlicht fraglos qualitativ eingeschränkt wäre. In ihrer rigorosen Formulierung ist daher die Vorstellung vom skulpturalen Helldunkel so originell wie problematisch. Es verwundert daher nicht, dass sich in der klassischen Kunsttheorie kaum ein vergleichbarer Ansatz finden lässt. Der von Meyer geschätzte Traktat Leonardos deklariert die Verteilung von Licht und Schatten zur Aufgabe des Malers, während sich am Runderhabenen der Plastik die Schattenwerte ohne Zutun des Künstlers von selbst ergeben. Allgemein empfiehlt Leonardo die Beleuchtung von oben, an die der Bildhauer gebunden sei, ansonsten wisse dieser nichts über die Gesetze von Licht und Schatten.232 Einmal mehr postuliert Leonardo die Vorzüge der Malerei als Medium empirischer Erfahrung und wertet den Bildhauer zum bloßen Handwerker ab, indirekt macht er aber auch auf die Aporie aufmerksam, die schlechthin mit der Annahme eines idealen Helldunkels in der Plastik verbunden ist: Ephemere Faktoren wie das Tageslicht oder wechselnde Aufstellungen machen es nur in Ausnahmefällen möglich, ein stabiles Helldunkel in der Plastik anzunehmen. Obwohl der Terminus des chiaroscuro an die malerische Nachahmung körperlicher und damit plastischer Werte gebunden ist und die Bildquellen mit auffallenden Statuenbeleuchtungen ab dem 17. Jahrhundert zahlreich sind, betritt Meyer mit seiner Forderung ein ästhetisches Niemandsland. Die gattungstheoretischen Konzepte im 18. Jahrhundert folgten meist der Auffassung von Roger de Piles, der im Cours de peinture betont hatte, dass coloris und clair-obscur die beiden genuinen Ausdrucksträger der Malerei seien.233 Winckelmann hebt bekanntlich die Bedeutung des Konturs in der Plastik hervor, in der Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst

231 Meyer, Erklärung der Kupfertafeln, in: Abbildungen zu Heinrich Meyer’s Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen von ihrem Ursprunge bis zum höchsten Flor. Dresden 1825, S. 4. 232 Leonardo/Ludwig 1882, Bd. 1, S. 78–83. 233 De Piles 1708/1969, S. 303. Vgl. hierzu Imdahl 1987, S. 58 f.

III.3.3  Die ideale Beleuchtung der Plastik

(1763) folgt er in der Definition von Malerei der Auffassung von de Piles.234 Auch in den Akademien des fortgeschrittenen 18. Jahrhunderts wurden plastische Werke nach dem Rubrikensystem beurteilt, das die Kategorie des Helldunkel allenfalls über die Rubrik der Draperie berücksichtigte. Dies belegt beispielsweise ein Sitzungsprotokoll der Berliner Akademie der Künste vom 11. Oktober 1788, in welchem für die Beurteilung der Arbeiten von Alexander Trippel die Kriterien „Idee“, „Zeichnung“, „Gewand“ und „Ausdruck“ verwendet werden, nicht aber die Helldunkelkonzeption.235 Die theoretische Ignorierung eines Grundproblems der Plastik durch den Akademismus und führende Ästhetiker der Aufklärung markiert die Distanznahme zur barocken Auffassung, welche inszenatorische Fragen der Lichtführung in der Praxis stark einkalkuliert ­hatte.236 Es wird zu zeigen sein, wie Meyer in Rom durch die Reaktivierung einer an sich barocken Kategorie zu ihrer klassizistischen Neuformulierung kommt. a)  Die Bildhauerkunst im Rubrikenschema Die dafür maßgebliche Relaisstation bilden einmal mehr die in Italien verfertigten tabellarischen Beschreibungen. Es ist bezeichnend, dass Meyer bei den auf Skulpturen bezogenen Rubriken entgegen der akademistischen Konvention die Frage von Licht und Schatten berücksichtigt, somit eine im kritischen Instrumentarium des 17. und 18. Jahrhunderts als genuin malerisch geltende Kategorie auf die Plastik überträgt. Auf fünf  ­Tabellen werden zwei antike, sechs frühneuzeitliche und drei barocke Bildwerke beschrieben. In der jeweiligen Zusammenstellung und Reihenfolge handelt es sich um Gianlorenzo Berninis Frühwerk der Statue der Heiligen Bibiana in Santa ­Bibiana (1624– 26), den Sterbenden Fechter und den Antinous im Kapitolinischen Museum,237 aus römischen Kirchen Andrea Sansovinos Anna Selbdritt (1512) in San Agostino und François du Quesnoys Heilige Susanna (1629–1632) in Santa Maria di Loreto,238 ebenfalls von du Quesnoy der Heilige Andreas (1629) am Vierungspfeiler von Sankt Peter und ­Michelangelos Christus (1519/20) in Santa Maria sopra Minerva,239 schließlich als einzelne Rubrikenbeschreibung Michelangelos Moses am Grabmal Julius’ II. in San ­Pietro in 234 Winckelmann, Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst, und dem Unterrichte derselben, in: Winckelmann, KS, S. 228: „Die Schönheit in der Malerey ist sowohl in der Zeichnung, und in der Composition, als in der Colorit, und im Licht und Schatten.“ 235 Acta betreffend die intendirte Engagirung des Bildhauers Trippel zu Rom, in die Stelle des verstorbenen Tassaert. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 alt, III, Nr. 29, fol. 17r– 17v. 236 Das Fehlen einer Theoretisierung bleibt dennoch auffällig. Zur Beleuchtung in der barocken Plastik, insbesondere bei Bernini, siehe: Kauffmann 1970, S. 81 f, 141–144; Lavin 1980, Bd. 1, S. 104–106 u. ö.; Fehrenbach 2005. 237 GSA 64/94, fol. 106r–108v. 238 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 11r–15v. 239 Ebd., fol. 19r–21r.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

Vincoli (alle Werke in Rom).240 In Florenz rubrizierte Meyer Jacopo ­Sansovinos ­Jungen Satyr (1510–1512), Michelangelos Bacchus (1496) und Donatellos David (1408/9).241 Gegenüber den Malerei-Tabellen auffallend ist die Verschiebung innerhalb der Rubriken­ ordnung: Das Kriterium „Zeit Styl Manier Arbeit“ versetzt Meyer in den meisten Fällen von der ursprünglich angestammten sechsten Stelle auf die zweite und zieht es damit den gehaltsbezogenen Kriterien Erfindung, Anordnung, Zeichnung und Ausdruck vor. Während die Rubriken „Kolorit“ und „harmonisches Kolorit“ selbstredend entfallen, werden die Kategorien des hinteren Abschnitts umgruppiert: Die Rubriken „Falten“ und „Massen“ werden nun „Licht Schatten“ vorgezogen. Die „Wirkung“, in den Malerei-Tabellen unter dem Bereich der „Massen“ abgehandelt, bildet den Abschluss dieser Folge. Sie ist nun dem Kriterium „Licht Schatten“ zugeordnet. Schon an dieser Umstrukturierung wird erkennbar, dass Meyer der bei der Beurteilung plastischer Werke traditionell eminenten Bedeutung der Draperie Rechnung trägt und diese eine gesamtkoordinierende Funktion in Bezug auf die Kategorien „Massen“ und „Licht Schatten“ übernimmt. Überdies sind noch stärker als bei den Tabellen zur Malerei die drei Kriterien „Draperie“, „Massen“ und „Licht Schatten“ eng miteinander verwoben. Sofern die beurteilte ­Figur drapiert ist, erklärt sich aus ihr die Verteilung der Massen, diese wiederum kommen nur zur Geltung bei optimierter Beleuchtung. Mit Bedacht wählt daher Meyer Licht und Schatten als letztes Kriterium und verbindet es mit der „Wirkung“. Beides ist letztendlich nicht allein aus dem Kunstwerk selbst beurteilbar, sondern abhängig von der jeweiligen Aufstellungssituation und der daran gebundenen Beleuchtung. Dass hierbei die antike Skulptur das Vorbild für das plastische Helldunkel bildet, belegt die Zusammenstellung von Berninis Heiliger Bibiana und den beiden kapitolinischen Skulpturen des Sterbenden Fechters und des Antinous in einer Tabelle. Die Rubriken­tabelle kommt hier erneut als Denkraum zur Geltung, da der Vergleich zwischen den stilistischen Extremen Meyer die definitorische Klärung des Begriffs der Massenverteilung in der ­Plastik abnötigt, die ansonsten in seinen Aufzeichnungen und Schriften fehlt: wenn unter Maßen die Stellen verstanden werden wo das Licht breit auffallen & sich ruhig & weit verbreiten soll ohne von Schatten merckl. unterbrochen zu werden. oder wo die Glieder der Fig. so gestellt ist daß ihre Glieder sich nicht kreuzen od. unterbrechen sondern immer so viel mögl ganz sich zeigen so hat Bernini dieses Theil der Kunst nicht verstanden & also wird man es auch in dieser Fig nicht finden[.]242

Es scheint symptomatisch, dass Meyer dies in Betreff auf die Massen von Berninis Hei­ liger Bibiana notiert (vgl. hierzu auch Meyers Zeichnung aus der Zeit des ersten römischen Aufenthalts, circa 1784, Abb. 51). Die Statue wurde von Bernini ohne Zweifel auf eine bestimmte Beleuchtungssituation hin aufgestellt: Der diagonale Lichteinfall von 240 Ebd., fol. 16r–18v. 241 Ebd., fol. 19r–21v. 242 GSA 64/94, fol. 107 v. Rubrik „Maßen“ unter Bernini, Heilige Bibiana.

III.3.3  Die ideale Beleuchtung der Plastik

Nordwest erhellt intensiv die erhobene Hand, die Mund und Nackenpartien, schließlich die goldene Palme, um sich dann in ein die Statue umschmeichelndes Halblicht zu verteilen.243 Gerade am Beispiel Berninis, der wie wohl kein anderer Bildhauer des 17. Jahrhunderts die Beleuchtungssituation einkalkuliert hat und dessen Überlegungen dazu ungewöhnlich gut dokumentiert sind,244 kommt der Unterschied zwischen der barocken und der klassizistischen Auffassung einer adäquaten Beleuchtung von Statuen zur Geltung. Es scheint fast, als hätte Meyer an dieser Stelle den fundamental wichtigen Einsatz des Lichts bei Bernini intuitiv erfasst und sich in der Auseinandersetzung mit dem abzulehnenden Lichtphänomen eine Definition des eigenen Konzepts abgerungen. Er formuliert jenes Gesetz bezeichnenderweise in Form eines Konditionalsatzes, was nichts anderes als die Selbstvergewisserung der eigenen Grundsätze im Angesicht der barocken Überwältigungsästhetik signalisiert. Doch verfehlt Bernini für Meyer in aller Deutlichkeit die Forderung nach einer klaren Massenverteilung – und keine gute Massenverteilung ergibt nach Meyer auch kein gutes Helldunkel. In der entsprechenden Folgerichtigkeit und zugleich in Verkennung von Berninis Intention und Arbeitsweise heißt es daher in der Rubrik „Licht Schatten Wirkung“: „auf Licht & Schatten & die daher entspringende Wirckung ist nicht von dem Meister dieses Bildes acht gegeben worden.“ Aber auch hier ist wiederum bezeichnend, dass Meyer als Ehrenrettung unvermittelt anfügt: „die Wirkung überhaupt ist unläugbar angenehm & gefällig“.245 Wie in den Tabellen zur Malerei gibt das Rubrikenschema die Möglichkeit zur Abweichung von der normativen Setzung und zur Revision der allgemein gültigen künstlerischen Gesetze. Bernini mag zwar in seiner löchrigen Faltengebung, der fehlenden Einheit der Massen und im ungenügenden Helldunkel versagen, das Gesamtergebnis ist jedoch unbenommen gut, da der Künstler eine eigene, von den allgemeinen Formgesetzen grundsätzliche abweichende Lösung findet. In Gegensatz dazu liefert der Antinous im Kapitol eine ideale Lösung in der Massenverteilung: an grundsätzlichem & Theorie hat es dem Künstler des Antinous nicht gefehlt die Maßen sind meister & Musterhaft & alle großen Breiten Partien der Fig dem Licht & dem Auge gezeigt. Edle Simplizität & sanft angenehm schmeichelnd & gefallen nehmen für dieses Werck ein[.]246

Dem Lob für die Massen schließt sich konsequent die positive Beurteilung von Licht und Schatten an:

243 Siehe die genaue Analyse der Lichtverhältnisse bei Fehrenbach 2005, S. 12 f. 244 Vgl. die Einträge im Tagebuch des Paul Fréart de Chantelou. Chantelou 2006, S. 116 (24. 8. 1665, Plädoyer für Oberlicht), 203 (5. 10. 1665, Kritik an zu harter Beleuchtung), 222 (10. 10. 1665, „So schloß er bald dieses Fenster, bald jenes, aber er konnte nicht die richtige Beleuchtung finden“). 245 GSA 64/94, fol. 107 v. Rubrik „Licht Schatten Wirkung“. 246 Ebd., fol. 107v, Rubrik „Maßen“.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

51__Johann Heinrich Meyer: Zeichnung nach Berninis Heiliger Bibiana, ca. 1784, Graphit, Notizbuch, Graphit, bez. oben rechts „S. Bibiana v. Bernini“, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 64/102, fol. 41 r.

52__Edmé Bouchardon: Zeichnung nach der Heiligen Susanna von François du Quesnoy, ­Rötel, 21,6 × 15,6 cm, Paris, Musée du Louvre, Cabinet des dessins, Inv.-Nr.: 23943.

Ein Theil von dem Gefälligen was die Fig des Antinous hat ist auf Rechnung von Licht und Schatten zu setzen. Denn es ist gerade so beleuchtet wie der Künstler sein Licht angenommen hat freylich fällt das Licht jetz etwas zu tief auf ihn. aber es bleibt in gegenwärtigem Zustand noch immer eine von den am besten & zweckmäßigst beleuchteten Antiquen[.]247

Wie die argumentative Verkettung der Einzelkategorien zeigt, führt Meyer in der Rubrik „Licht Schatten Wirkung“ seine Skulpturbetrachtungen zur ästhetischen Synthese, indem Künstlerreflexion und Wirkung auf den Betrachter in eins gesetzt werden. Gerade bei Bildwerken in barocken Sakralräumen wird dies besonders evident, da Meyer hier mit gutem Grund annehmen kann, dass Aufstellung und Lichtregie im Rahmen der gattungsübergreifenden Inszenierung ein fester Bestandteil des Gesamtkonzepts sind. Gestört wird dies jedoch in der Regel durch die zuvor beschriebenen Falten, die bei Bernini oder du Quesnoy als zu kleinteilig und ungeordnet gewertet werden. Während 247 Ebd., fol. 107v, Rubrik „Licht Schatten Wirkung“.

III.3.3  Die ideale Beleuchtung der Plastik

Berninis Heilige Bibiana in ganzer Linie nicht befriedigt, ist dessen „klassischer“ Antipode du Quesnoy deutlich im Vorteil: Nachdem Meyer in der Beschreibung von dessen Heiliger Susanna die Falten und Massen überwiegend positiv beurteilt hat, trägt er in die Rubrik „Wirkung Licht & Schatten“ ein: die Fig. ist ungemein gut beleuchtet. & thut eine gar gute angenehme Wirckung. auch scheint den Künstler auf Ort & Licht vernünftig rücksicht gehabt zu haben den die Statue ist gerade so gestellt wie Sie das Rechts von der Höhe her Einfallende Licht am Glücklichsten treffen kann.248

Zum Zeitpunkt von Meyers Besichtigung in Santa Maria di Loreto war du Quesnoys Statue bereits mehrfach versetzt worden. Erst im 20. Jahrhundert hat sie wieder die originale Aufstellung des 17. Jahrhunderts in der ersten Nische auf der Nord-West-­Seite am Eingang des Sanktuariums gefunden.249 Alle überlieferten Nachzeichnungen vor der Umsetzung im Jahr 1781 zeigen die Statue mit einem von links oben kommenden Lichteinfall. Unwahrscheinlich ist, dass Meyers Angabe, das Licht käme von rechts, von der Figur aus gedacht ist, denn stets verwendet er in den Notizen die Angaben „links“ und „rechts“ vom Betrachterstandpunkt aus. Es ist also keineswegs so, dass Meyer die ­Statue in ihrer Originalaufstellung betrachtet; sein Rückschluss, die Beleuchtung sei im ­Sinne des Künstlers, widerspricht dem heutigen Wissensstand. Was macht aber Meyer so ­sicher, dass er die Helldunkeleinbettung auf korrekte Weise nachvollzieht? Eine in den späten 1720er Jahren entstandene Nachzeichnung des für seine exakten räumlichen Bestandsaufnahmen bekannten Bildhauers Edmé Bouchardon (Abb.  52) zeigt die Statue der Heiligen Susanna in der Rundnische, das Licht kommt von links oben, so dass Schlagschatten auf die rechte Wandseite geworfen werden.250 Die Falten des Gewandes verlaufen in parallelen Diagonalen nach rechts unten. Der Lichteinfall gleicht sich an die dominanten diagonalen Parallelfalten an und mindert daher die Reliefwirkung, während die von der rechten Hand der Heiligen ausgehende, besonders aufwendige und durch zahlreiche Vertiefungen besonders akzentuierte Drapierung im Halblicht bleibt. Eine im Du-Quesnoy-Werkverzeichnis abgebildete Fotografie nach ­einer Replik der Statue zeigt die von Meyer präferierte entgegengesetzte Beleuchtung von rechts:251 Das von der rechten Hand ausgehende und sich über das Gewand verbreiternde Faltenbündel wird reliefartig beleuchtet, da das Licht auf die erhobenen Faltenpartien trifft. An den vertieften Bohrungen werden die Verschattungen noch gesteigert. Die Verteilung der Massen scheint gegliederter, da sich nun der Lichteinfall mit dem Relief der sich zur rechten Körperseite ausbreitenden Schwungfalten kreuzt. Die glatter strukturierten Partien der Statue werden somit in einheitlich helles Licht gesetzt, 248 249 250 251

GSA 64/89, 11. Lage, fol. 13r. Boudon-Machuel 2005, Kat.-Nr. 34, S. 237 f. Louvre, Cabinet des Estampes, INV 23943, recto. Boudon-Machuel 2005, S. 240, Abb. zu Kat.-Nr. 34.12.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

während der konzentrierte Teil um die rechte Hand mit ihren bewegten Gewandfalten durch die verstärkte Schattenbildung besonders akzentuiert wird. Wie bei der Poly­ hymnia des Musenreliefs wirkt damit die Schattenseite ausgleichend der Hauptbewegung entgegen. Ginge es nach Meyer, soll sich also die Beleuchtung kontrapunktisch zu den (am Körper eng anliegenden) Parallelfalten der Hauptpartien verhalten, während ein geringerer Teil der Statue mit stärkeren und belebteren Faltenbildungen verschattet erscheinen muss. Dieses Prinzip bestätigt sich an der Figur A der Athene auf ­Tafel 12 im Abbildungsteil von Meyers Geschichte der bildenden Künste bei den ­Griechen (Abb. 50).252 b)  Der „schöne Stil“ der griechischen Spätklassik Den kunsthistorischen Kulminationspunkt des skulpturalen Helldunkels bilden für Meyer die Bildwerke der griechischen Spätklassik, namentlich die des von Praxiteles eingeleiteten „schönen Styls“. Bereits in seinem Propyläen-Aufsatz Ueber Lehranstal­ ten zu Gunsten der bildenden Künste wird die von Winckelmann etablierte Epochenbezeichnung in Zusammenhang mit der Idealbeleuchtung von Plastik genannt. Dort rät Meyer den Zweiflern an seiner Helldunkel-Theorie, „nur einen einzigen aufmerksamen Blick auf die antiken Werke vom schönen Styl zu werfen, um zu sehen mit welcher Sorgfalt und mit welcher Kunst man damals auf die Massen von Licht und Schatten geachtet und die schöne Wirkung derselben gesucht hat.“253 25 Jahre später bemüht sich Meyer in der Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen, das Helldunkel als das zentrale Charakteristikum des „schönen Styls“ und damit der Hauptperiode der griechischen Kunst überhaupt zu beschreiben. Um dem Problem polychromer Plastik zu begegnen, hätten Praxiteles und seine Zeitgenossen vermehrt die ursprünglich malerischen Gesetze der Massenverteilung beachtet. Eine Stelle bei Plinius, nach welcher Praxiteles die farbigen Fassungen des Nikias besonders geschätzt habe, gilt ihm als Beleg für die direkte Einflussnahme von Malern auf die skulpturale Produktion. An anderer Stelle spricht Plinius davon, dass Nikias in seinen Gemälden auf plastische Wirkung sowie Licht und Schatten besonders geachtet habe.254 Für Meyer liegt daher die Folgerung auf der Hand, 252 Im Kommentar zum Abbildungsband der Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen lokalisiert Meyer die abgebildete Athena-Statue in Paris. Vermutlich ist das nicht zu eruierende Werk seitenverkehrt abgebildet, da ungewöhnlicherweise der linke Arm erhoben ist. 253 [Meyer,] Ueber Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste, in: Propyläen 2/2 (1799), S. 177, Reprint 1965, S. 705. 254 Plinius, Naturalis Historiae, 35. Buch, Kap. 131: „Nikias aus Athen, der besonders sorgfältig Frauen malte. Er achtete auf Licht und Schatten und sorgte vornehmlich dafür, dass die Bilder plastisch wirkten.“ Ebd., Kap. 133: „jener Nikias, von dem Praxiteles, gefragt, welche seiner Werke aus Marmor ihm am besten gefielen, sagte: diejenigen, an die Nikias seine Hand gelegt habe. So viel gab er auf dessen Behandlung des Farbtons.“ Ebd., Übersetzung nach Plinius 2007, S. 95 und 97 (Übs. von Roderich ­König).

III.3.4  Wiedererstandene Klassik

dass Nikias bei der Konzeption des skulpturalen Helldunkels besonderen Einfluss auf Praxiteles genommen habe. Durch die enge Interaktion von Malern und Bildhauern ist aus Meyers Sicht der vollendete Stil bei den Griechen eng mit Gesetzen des Gattungstransfers verbunden, indem genuin malerische Qualitäten auf die Plastik übertragen wurden. Die Beschreibung der Werke des schönen Stils als Ausdruck einer künstlerisch reflektierten Verteilung der Massen ist ein originärer Beitrag Meyers und keineswegs als epigonale Fortführung des Winckelmann’schen Gedankenguts zu betrachten. Im Vergleich zu Winckelmann, der den „schönen Styl“ allein über den „edlen Kontur“ definiert und dessen Schönheit in der „vollkommenen Uebereinstimmung der Theile“ gesehen hatte,255 führt Meyer mit seiner These eine völlig neue Kategorie in den archäologischen Diskurs ein. Sie ist wegweisend für kunstwissenschaftliche Diskussionen im ausgehenden 19. Jahrhundert256 und findet sich auch in modernen archäologischen Charakterisierungen der Kunst des Praxiteles wieder, wie die Konsultation einer einschlägigen Überblicksdarstellung zeigt.257 Mit der Massenverteilung treten in der Wahrnehmung griechischer Plastik formale Qualitäten wie die Binnenmodellierung in den Vordergrund, die in den Schriften des auf Kontur und Proportion geschulten Winckelmann höchstens ansatzweise beschrieben oder reflektiert worden waren. Damit wird von Meyer die höchste Stufe des Verlaufsmodells der griechischen Kunst um eine zentrale Kategorie erweitert, der er auch für die Gegenwart eine Vorbildfunktion beimisst.

3.4 Wiedererstandene Klassik. Überlegungen zu Friedrich Tiecks Statuen im Gentz’schen Treppenhaus Angesichts von Meyers auffallender Theoretisierung des skulpturalen Helldunkels, aber auch angesichts seiner wiederholten Versuche, direkten Einfluss auf künstlerische Entwicklungen zu nehmen, soll hier die Frage nach einer zeitgenössischen und konzeptualisierten Umsetzung jener Vorstellung gestellt werden. Als paradigmatischer Fall betrachtet werden die von Christian Friedrich Tieck modellierten Statuen in dem um 1801 ­ eimarer unter der Leitung von Heinrich Gentz vollendeten Haupttreppenhaus im W

255 Winckelmann SN 4,2, S. 452 und 453 (Geschichte der Kunst des Alterthums, Auflagen von 1764 und 1776). 256 Die Wirkung der Plastik durch Helldunkeleffekte wird gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Diskussion über das „Malerische“ und über „Stimmung“ in der Kunst zur zentralen Kategorie. So beruft sich Heinrich Wölfflin in Renaissance und Barock auf die Archäologen Reinhard Kekulé und Heinrich von Brunn, die an den Statuen des Lysipp bzw. am Pergamonaltar die malerische Wirkung von Licht und Schatten hervorheben. Wölfflin 1888, S. 22. 257 Vgl. etwa Charbonneux/Martin/Villard 1971, S. 211.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

53 und 54__Christian Friedrich Tieck: Statuen der Minerva und des Bacchus, 1803, Gips, Weimar, ­Residenzschloss, Nordwand im Haupttreppenhaus

­Residenzschloss (Abb. 53–58).258 Die vier Standbilder der Minerva, des Bacchus, des Merkur und der Diana befinden sich in den Nischen der Nord- und Südwand (Abb. 57 und 58). Die Beleuchtungssituation ist stabil, da das Tageslicht aus drei Fenstern von der Ostseite der zur Ilm gewandten Außenwand einfällt, indirektes Oberlicht kommt aus drei ebenfalls an der Ostseite positionierten Fenstern unter der Kuppel und wird nach dem Prinzip der Laterne über den Okulus der geöffneten Decke geleitet.259 Anders als die in den oberen Wandzonen positionierten Reliefs wurden die in Gips ausgeführten Statuen erst 1803 nach weitgehender Vollendung des Treppenhauses zusammen 258 Zum Gentz’schen Treppenhaus vgl. Hyss 1996, S. 126–138; Bothe 2000a, S. 65–80; Bothe 2000b; ­Paulus 2007; Knebel 2015. 259 Zu der Beleuchtungskonstellation, zum Prinzip der Laterne und zu den architektonischen Vorläufern siehe Hyss 1996, S. 129, S. 135–137.

III.3.4  Wiedererstandene Klassik

55 und 56__Christian Friedrich Tieck: Statuen der Merkur und der Diana, 1803, Gips, Weimar, ­Residenzschloss, Südwand im Haupttreppenhaus

mit den Nischenfiguren des Festsaals bei Tieck bestellt. Wie in Johann Rudolf F ­ üßlis Allgemeinem Künstlerlexikon von 1816 nachzulesen ist, entfalten Tiecks Statuen im Treppenhaus „ihre Wirkung, da solche für den Platz, und also für eine bestimmte Beleuchtung erfunden waren.“260 Diese auffallende Beleuchtung der Statuen bei Seitenlicht ergibt eine Parallele mit den von Meyer in den Propyläen dargelegten Prinzipien. Eine direkte Einflussnahme von Goethes Kunstberater ist dabei anzunehmen, heißt es doch in dessen Empfehlungen zur Künstlerausbildung: Wenn junge Maler „rücksichtlich auf Zeichnung und Formen“ „mit Gewinn“ für ihre Kunst nach Statuen kopierten, dann „sollte nun umgekehrt nicht auch der Bildhauer von Gemälden Nutzen ziehen, wenn er

260 Abgedruckt bei Maaz 1995, S. 208–213, hier S. 212. Nach Maaz beruht der Artikel auf schriftlichen oder mündlichen Informationen durch den Künstler oder sein direktes Umfeld (S. 208).

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

57__Blick auf die Nordwand im Haupttreppenhaus im Abendlicht, Weimar, Residenzschloss.

sie, in Rücksicht auf Beleuchtung und Massen von Licht und Schatten ­studirte“.261 Und weiter: Wir sind davon überzeugt, und merken an, daß die ganze Lehre von der Wirkung durch Licht und Schatten in plastischen Werken, nicht nur wenig geübt werde, sondern gleichsam in Vergessenheit gerathen zu seyn scheine. Wären aber die Regeln hierüber den Bildhauern bekannter, und würden sie von ihnen besser in acht genommen, so müßte die gute und gefällige Wirkung ihrer Arbeiten sehr dabey gewinnen; auch wahrscheinlich die Liebhaberey und Nachfrage nach denselben sich vermehren.262

Die Interpretation der auf Praxiteles und Nikias bezogenen Plinius-Stelle (siehe den vorherigen Abschnitt 3.3.) nimmt der ausgebildete Maler Meyer ganz offensichtlich als Legitimation für seine konkrete ästhetische Beratertätigkeit in der Plastik. So obsessiv,

261 [Meyer,] Ueber Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste, in: Propyläen 2/2 (1799), S. 177, Reprint 1965, S. 705. 262 Ebd.

III.3.4  Wiedererstandene Klassik

58__Blick auf die Südwand im Haupttreppenhaus im Abendlicht, Weimar, Residenzschloss.

wie Meyer seine Thesen vertreten hat, wäre es mehr als verwunderlich, wenn er nicht die theoretisch erhobene Forderung in die konkrete Praxis eingebracht hätte. Der hier zu konstruierende Zusammenhang lässt sich nicht aus direkten Quellen belegen, er kann aber in Hinblick auf Meyers starke Involvierung beim Neubau des Weimarer Stadtschlosses als wahrscheinlich gelten. Von Januar 1799 bis Anfang Mai 1801 war er interimistischer Leiter der Innenausstattung263 und übernahm vorwiegend, wie Rolf Bothe in klarer Abwertung der Leistungen festgestellt hat, die weniger bedeutenden Räume wie etwa die Ausstattung des Louisenzimmers mit dem Zyklus des mensch­ lichen Lebens. Nach dem Ausfall des Stuttgarter Architekten Nikolaus Friedrich Th ­ ouret wollten „[o]ffensichtlich […] Carl August und Goethe einerseits keinen zeitlichen Verlust hinnehmen, andererseits aber Meyer bei aller Wertschätzung auch keine repräsen263 Die Bezeichnungen und Daten der Einsetzung variieren. Die ältere Literatur spricht von „einer Art architektonischem Leitungs-Interregnum von Mitte Februar 1800 bis Anfang Mai 1801“ durch Goethe und Meyer, vgl. Jericke/Dolgner 1975, S. 128.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

tativen Räume zur Ausstattung überlassen.“264 In jedem Fall ist in den Jahren um 1800 Meyers direkte oder auch über Goethe erfolgte indirekte Einflussnahme auf die Entscheidungen anzunehmen: „Auch würde Meyer […] bei den Entwürfen und Zeichnungen etwas mitzureden haben, welches […] vorteilhaft sein möchte. Seine verträgliche Klugheit würde die Sache fördern“.265 Meyers „Einfluß auf das Kunstmäßige“266 ging mit dem Engagement von Heinrich Gentz als neuem Hauptverantwortlichen im Frühjahr 1801 nicht zurück; eine Zusammenarbeit mit dem Berliner Architekten ist insbesondere für das Marmorzimmer, die Spiegelgalerie und das Appartement der Fremden belegt (dort Entwürfe für die Decke).267 Für die drei von Friedrich Wilhelm Doell ausgeführten Supraportenreliefs im Entréezimmer zeichnete Meyer sogar die Vorlagen.268 Ver­ mutet wurde, dass Gentz in Hinblick auf Goethe und das herzogliche Dekret von Anfang 1799 bei seinen Entscheidungen bewusst auf Meyer Rücksicht nahm.269 Für eine darüber hinausgehende Einflussnahme spricht zudem ein von Meyer verfasster Bericht über den Schlossbau, der über die Anteile der Architekten und Künstler referiert und bei gänzlicher Zurücknahme der eigenen Person kein Anzeichen für ein Ausscheiden aus den Aktivitäten erkennen lässt.270 Das Weimarer Engagement von Gentz bedeutete also keinen vollständigen Bruch in Meyers beratender Tätigkeit. Im Vergleich zu Gentz oder Doell scheint Meyers Beziehung zu Christian Friedrich Tieck hinsichtlich der Schlossbauarbeiten nicht ganz eindeutig. Tieck, der bereits 1799 von Wilhelm von Humboldt als Autor für die Propyläen gewonnen werden sollte, wurde nach seinem Paris-Aufenthalt von Humboldt nach Weimar vermittelt. Dort hielt er sich mit einigen Unterbrechungen von September 1801 bis zum Antritt einer Italien-Reise 1805 auf, wobei er, in Konkurrenz zu Meyers Freund Doell, die meisten der plastischen Arbeiten für das Schloss übernahm. Über die Beiträge in den Propy­ läen hat sich Tieck zwiespältig geäußert: „So lange Göthe schreibt, ist es ganz überflüssig etwas über Kunst zu schreiben […]. Glauben Sie aber nicht, daß ich das ganze Geschwätz der Propyälen so unbedingt annehme und bewundere, es ist vieles darin,

264 265 266 267 268

Bothe 2000a, S. 63. Goethe an Voigt, 26. 12. 1798, in: Bw. Goethe/Voigt, Bd. 2, S. 120. Ebd., S. 119. Bothe 2000a, S. 89. Rau 2003, S. 154, sowie Kat.-Nr. 323–325. Mit Doell ist sich Meyer hinsichtlich der Idealbeleuchtung bei Basreliefs einig, wie ein Brief Doells an Meyer vom 24. 8. 1802 belegt, in dem Meyer gebeten wird, das für die Weimarer Preisaufgaben übersandte Relief Perseus und Andromeda bei der Kunstausstellung bei linkem Seitenlicht aufzustellen (zitiert bei Rau 2003, S. 69). 269 Siehe Jericke/Dolgner 1975, S. 128. ­ eyers 270 Meyer, Mitteilungen zum Schloßbau in Weimar (korrekter Titel: „Schloßbau“), GSA 64/34. Zu M Bericht siehe Bothe 2000a, S. 52–59 u.ö. Teilabdruck bei Hyss 1996, S. 128 f. Eine weitere Beteiligung Meyers belegt Bothe 2000a, S. 69, mit einem Vorschlag vom September 1801 für die Schlossausstattung.

III.3.4  Wiedererstandene Klassik

was ich gern weg­wünschte.“271 Auch Meyer scheint kein besonders enges Verhältnis zu Tieck gehabt zu haben.272 Im Januar 1804 rezensierte er sechs Porträtbüsten in der Besprechung der Weimarer Kunstausstellung weitgehend positiv;273 gelegentliche Zusammentreffen haben stattgefunden.274 Zudem lieferte Meyer 1803 und 1804 Entwürfe für zwei Medaillen, die Tieck in überarbeiteter Form modellierte.275 1820 äußert sich ­Meyer nach seinem Berlin-Aufent­halt eher beiläufig positiv über Tieck’sche Arbeiten, etwaige vorausgegangene Spannungen spielen dabei keine Rolle: „Rauch und Tieck, Schadow Vater und Sohn, hatten alle Lobwürdiges zu Schau ausgestellt. Rauch ist würklich ­einer der wackersten Künstler seines Fachs, Tieck wetteifert mit ihm, gleichwohl sind sie Freunde und Hausgenoßen.“276 In jedem Fall war Tieck in Weimar bemüht, der Goethe’schen und damit auch der M ­ eyer’schen Erwartung einer antikischen plastischen Auffassung zu entsprechen. Dies belegt das Begleitschreiben an Goethe zur Übersendung eines büsten­förmigen Abgusses nach der Minerva-Statue für das Treppenhaus, um „Ihre mir so theure Meinung zu hören, ob ich in meinem Bestreben glücklich sein hoffen darf mich dem Geist und Charakter der Antike anzunähern, und ihn mir vielleicht ganz anzu­eignen.“277 Rolf Bothe hat die Genese des Gentz’schen Treppenhauses und die offenbar auf ­Goethe zurückgehenden Planänderungen rekonstruiert.278 Gleich nach seiner Ankunft in Weimar 1801 ließ Gentz den auf Johann August Arens zurückgehenden und vom ­ersten in das zweite Obergeschoss führenden zweiflügeligen Treppenaufgang abtragen.279 Als Ersatz vorgesehen wurde eine Mitteltreppe, auf welche vom Erdgeschoss aus zwei Seitenläufe zuführen. Oben wird der Besucher von einer Loggia mit dorischer Säulen­

271 Friedrich Tieck an August Wilhelm Schlegel, 20. 7. 1800, zitiert in: Hildebrandt 1906, S. 20. Ob Tieck zu diesem Zeitpunkt die Propyläen-Beiträge Goethes von denen Meyers unterscheiden konnte, sei dahingestellt. 272 Zu den anfänglichen Spannungen zwischen Tieck und Meyer siehe Maaz 1997, S. 63–67. 273 Vgl. Meyer, Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1803 und Preisaufgabe für das Jahr 1804, in: Jena­ische Allgemeine Literatur-Zeitung 1 (1804), Beilage, S. I-VIII, hier S. VIII. Vgl. hierzu Meyer an Goethe, Weimar, 2. 12. 1803, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 2, S. 155. 274 Das Tagebuch Johann Gottfried Schadows erwähnt beispielsweise zwei Abendgesellschaften am 21. und 29. 9. 1802 in Weimar, an denen auch Meyer und Tieck teilnahmen. Schadow 1890, S. 68. 275 Frede 1959, Nr. 9, S. 49 und Nr. 45, S. 75. 276 Meyer an Horner, Weimar, 25. 2. 1821, ZB-Zürich, Ms M 8.36, Nr. 102. 277 Tieck an Goethe, 4. 1. 1804, in: Maaz 1997, S. 14 f. Ähnlich bei der Übersendung der Büste Caroline Jagemanns am 16. 1. 1803, in: Ebd., S. 14: „Mein Bestreben ist besonders dahin gerichtet gewesen jene Bestimmtheit der Formen, wodurch die Werke des Alterthums so unschätzbar sind einiger maßen nahe zu kommen, und ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn Sie dies Bestreben nicht ganz mislungen erklärten.“ 278 Bothe 2000b. 279 Bothe 2000a, S. 67; Bothe 2000b, S. 172.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

59__Johann Wolfgang von Goethe (?): Entwurf für das Haupttreppenhaus im Weimarer Residenzschloss, 1801, 33 × 42,2 cm, Bleistift und Feder mit Tinte auf grauem ­Papier, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-­Archiv, 35/N28, fol 1r.

60__Christian Friedrich Tieck: Juno, ­unausgeführter Entwurf zu einer Statue für das Haupttreppenhaus im Weimarer Residenzschloss, 1802/1803, Feder, Blei, Sepia, laviert, 25,1 × 14,6 cm, unten ­beschriftet „Zur Haupt Treppe“, Klassik Stiftung Weimar, ­Museen, Schuchart I, S. 290, Nr. 683/2.

ordnung empfangen.280 Für die Nord- und Südwand wie auch an der Eingangswand zum Entréezimmer sah Gentz schon in den ersten Entwürfen Reliefs vor. Am 6. August 1801 ­legte Tieck „einige Entwürfe zu den großen Basreliefs an der Haupttreppe“ vor, die „mit Beyfall aufgenommen“ wurden.281 Die vier Standfiguren in den N ­ ischen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Planung: Eine Entwurfszeichnung von Gentz282 zeigt die Mit280 Vgl. ebd. 281 Goethe an Christian Friedrich Tieck, Konzept, 20. 12. 1801, in: Maaz 1997, S. 11 (WA IV, 15, S. 299). 282 Heinrich Gentz, Entwurf zum Haupttreppenhaus im Weimarer Residenzschloss, Längs- und Querschnitt (Nord- und Westseite), 1801, Feder, aquarelliert, 39 × 64,3 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen. Abbildung 95 bei Bothe 2000b.

III.3.4  Wiedererstandene Klassik

telzone der Nordwand mit Metopen-Triglyphenfries und den Reliefs mit jeweils zwei Nischen darunter, in die große Dreifüßer gestellt werden sollten. Eine entscheidende, etwas später vorgenommene Abänderung des Gentz’schen Entwurfs betraf ­also den bauplastischen Schmuck in den Nischen. In eine Skizze in der Sammlung des ­Goethe National Museums (Abb. 59), sind erstmals in den Nischen der Nordseite Statuen eingezeichnet. Goethes Urheberschaft an der Skizze ist nicht eindeutig zu klären. Doch stammt sie aus seinem Besitz, was auf seine unmittelbare Beteiligung an der Ausstattungskonzeption hinweist.283 Da bereits früh Entwürfe zu den Reliefs vorgelegen haben, ist anzunehmen, dass das bauplastische Konzept in seiner modifizierten Form im Herbst 1801 festgelegt ­wurde.284 Dass dies in enger Absprache zwischen Gentz, Tieck und Goethe erfolgt ist, kann als Konsens der Forschung gelten, insbesondere die Beteiligung Goethes an der Konzep­ tion mit Statuen wird durch die Skizze aus seinem Besitz gestützt. Während jedoch Rolf Bothe keine Beteiligung Meyers annimmt, wird dessen Involvierung von Bernhard Maaz erwogen.285 Am 3. April 1803 notierte Goethe die Auftragserteilung an Tieck für die vier Statuen im Treppenhaus sowie für die vier weiteren Statuen im Festsaal: Der gegenwärtig sich hier aufhaltende Bildhauer, Herr Tiek, übernimmt, für das fürstl. Schloß, acht Statuen in Gips auszuführen und zwar    vier auf die Treppe, das Stück zu 150rThlr.    vier in den Saal zu 200 rThlr. Er wird hierzu vorerst einige Skizzen einreichen und, wenn diese gebilligt werden, nackte Modelle ohne­ gefähr 3 Fuß hoch ausarbeiten, welche zugleich als Gliedermänner um die Drapperie zu legen dienen. Hiernach werden die Statuen, in einer, zu den Nischen proportionierten Größe, ausgeführt. Bei einigen Statuen im Saal wird er, nach Verlangen, Portraitköpfe anbringen.286

Bezeichnend ist, dass die Aktennotiz einen besonderen Wert auf das Procedere des Entwurfs legt, welches an sich keiner besonderen Erläuterung bedürfte: Auf die vorzulegenden Skizzen folgen die Bozzetti, die zunächst nackt modelliert und dann mit Draperien versehen werden sollen. Ein im plastischen Entwurf nicht ungewöhnlicher Schritt287 wird somit eng mit der Mitbestimmung von der von Goethe vertretenen Seite des Auftraggebers verschränkt. Dies zu betonen ist für Goethe offenbar besonders wichtig, um auch im Bereich der formalen Gestaltung nicht die Kontrolle über die Konzeption der Statuen zu verlieren. Wie bereits oben ausgeführt, ist für Meyer das Verhältnis ­zwischen 283 Siehe Femmel 1970, VIa, Nr. 163. Der Grundriss auf der linken Blatthälfte ist nach Femmel mit Sicherheit nicht von Goethe. 284 Bothe 2000b, S. 174. 285 Maaz 1995, S. 49; Bothe 2000b, S. 174. 286 Acta Commissionis den Schloßbau zu Weimar betreffend, Staatsarchiv, Vol. B9047. Zitiert nach: Hilde­brandt 1906, S. 49. 287 Beschrieben bei Schadow, Die Werkstätte des Bildhauers (1802), in: Schadow 1890, S. 58. Zu den Beschreibungen der Vorgehensweise bei Cellini und Vasari siehe Myssok 1999, S. 60–63 und 68.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

der Binnenmodellierung des nackten Körpers und der Draperie ein entscheidender Faktor in der plastischen Helldunkelkoordination. In Hinblick auf die zunächst überflüssig wirkende Anweisung kann aus der Quelle geschlossen werden, dass die vorzulegenden Entwürfe Tiecks von vorneherein nicht nur auf ihre Ikonographie, sondern auch im Sinne einer Harmonisierung von formaler Ausführung und Lichteinfall geprüft werden sollten. Für die Nischenstatuen im Treppenhaus legte Tieck unter anderem die Zeichnung für eine Juno vor, die nicht zur Ausführung kam (Abb. 60). Die massiv wirkende Gestalt erhält ihre Beleuchtung von rechts, der Kopf wendet sich in Fortsetzung der leichten Körpertorsion dem Lichteinfall entgegen und damit einer anderen, ihr offenbar rechts zugeordneten Statue zu. Aus Beleuchtung und Torsion der Figur ist somit zu folgern, dass sie für die linke Nische der Nordwand vorgesehen war, in der später die Diana-­Statue aufgestellt wurde. Bernhard Maaz macht für das Ausscheiden des Entwurfs aus dem plastischen Programm zwingende ikonographische Gründe geltend,288 doch ist ebenso zu erwägen, ob die Ausführung als Statue auch nach Meyers Vorstellung der idealen Beleuchtung durchgefallen wäre. Gerade der Vergleich macht die beson­dere Form der Angleichung der ausgeführten Statue an die Lichtregie deutlich (Abb. 53 bis 56): Während die dynamischer wirkenden Standbilder des Bacchus und der Diana in der stärker verschatteten Seite stehen und kaum direktes Tageslicht erhalten, befinden sich ihre durchgängig drapierten und in der Bewegung beruhigteren Pendants Miner­ va und Merkur in der Nähe zur Lichtquelle. Die beruhigte Draperie und Bewegung der ­Juno hätte damit in der zu erwägenden Position an der Nordwand in diametralem Gegensatz zu den Meyer’­schen Prinzipien des plastischen Helldunkel gestanden. Im Gentz’schen Treppenhaus werden die Möglichkeiten der Lichtführung im Verhältnis zum bauplastischen Schmuck besonders stark ausgeschöpft. In die glatte Wandfläche sind die vier Nischen ohne Profilierung scharf eingeschnitten. Bei sanftem, über die Laterne geleitetem Oberlicht fällt das natürliche Licht durch die drei großen Fenster der Ostwand. In dieser Seitenlichtsituation werden die zur Lichtquelle gerichteten Nischenkanten stark betont. Zudem erhalten die beiden vorderen Statuen eine klare Helldunkeleinteilung. Dies zeigt sich besonders auffallend an der Minerva-Statue an der Südwand: Die vom Knie des Spielbeins bis zur linken Schulterschließe durchlaufende Schwungfalte korrespondiert mit ihrem deutlich abgesetzten Scheitel nicht nur mit der ­ eyers Nischenkante, sie teilt auch die gesamte Figur in zwei, um in der Begrifflichkeit M zu bleiben, „Massen“ von Licht und Schatten. Ihr zugeordnet ist ein gerade herabfallendes Bündel von stark vertieften Parallelfalten auf der beschatteten Körperseite, deren Bahnen nur noch leicht vom Licht erhellt werden. Im Vergleich dazu sind die Falten an der Lichtseite lockerer geführt: Unter dem volumenbetonten Harnisch durchziehen drei Schwungfalten die Mittelzone, sie bilden entsprechend Meyers Vorstellung den gleiten288 Maaz 1997, S. 76.

III.3.4  Wiedererstandene Klassik

den Übergang von der Licht- zur Schattenseite. Das zur Lichtseite zugewandte Spielbein ist hingegen völlig geglättet und zwar genau so, wie es in der Farbenlehre als Charakteristikum der griechischen Klassik beschrieben wird: „Die antiken Statuen aus der schönen Zeit findet man zu solchen Wirkungen höchst zweckmäßig gearbeitet. Die Lichtpartieen sind einfach behandelt, die Schattenseiten desto mehr unterbrochen, damit sie für mannigfaltige Reflexe empfänglich würden[.]“289 Wie im vorherigen Abschnitt am Beispiel der Rubrikenbeschreibung zu du Q ­ uesnoys Heiliger Susanna ausgeführt wurde, beurteilt Meyer die plastischen Idealbeleuchtung dann positiv, wenn das Seitenlicht gegen die Führung der diagonal fallenden Haupt­ körper­falten gerichtet ist, so dass durch die Kreuzung von Lichtstrahlen und Falten­ graten die Reliefwirkung verstärkt wird. Genau dies ist bei Tiecks Minerva-Statue der Fall, deren Torsion sich mit dem Lichteinfall zum Rauminneren zuwendet. Bei Seitenlicht von links und sanftem Oberlicht ergibt sich eine dynamische Beleuchtung der Figur, in der die beruhigten und volumenbetonten Partien mit dem Licht, die vertieften Falten­bündel mit der Schattenseite korrespondieren. Ähnliches lässt sich von der Merkur-­Statue an der Nordwand sagen, die von einem diagonal herabfallenden Faltenscheitel in eine Licht- und Schattenseite geradezu durchschnitten wird. In beiden Fällen erscheint die Draperie im Vergleich zu den griechischen Vorbildern stark vereinfacht und auf formale Grundprinzipien abstrahiert. Die Statuen des Bacchus und der Diana dienen als Pendants, deren Falten wesentlich enger an den Körpern anliegen. Sie befinden sich weitgehend im Halbschatten und Schatten, nur wenige Partien sind von den Lichtstrahlen direkt beleuchtet, wodurch der Helldunkelkontrast weniger auffällt. Zugleich sind beide Statuen stärker bewegt. Wie von der Forschung hervorgehoben wurde, orientieren sich Tiecks Statuen im Gentz’schen Treppenhaus an den Prinzipien des „schönen Styls“ der griechischen Spätklassik.290 Die für Praxiteles typischen „Standmotive mit gekurvten Körperachsen“291 waren um 1800 allgemein bekannt, Meyer bildete im Tafelteil der von ihm herausgegebenen Winckelmann-Werkausgabe die römischen Kopien des Apoll Sauroktonos und des sogenannten Marmorfauns ab.292 Tieck adaptiert jenes formale Prinzip in seinem Bacchus: In seiner Schrägstellung korrespondiert das überkreuz geschlagene linke Bein mit dem diagonalen Faltengrat der Athene, lässt aber diese Korrespondenz durch die gerundete Formung in einem milderen Streiflicht erscheinen. Die rhythmischen Beziehungen zwischen den Stellungen der Nischenfiguren, die S-förmige Schwingung der Bacchus-Statue und die starke Helldunkelkonzeption bezeugen Tiecks programma­ 289 290 291 292

Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, § 849, in: MA 10, S. 250. Bothe 2000b, S. 173. Richard Neudecker, Art. Praxiteles, in: Der Neuer Pauly, Bd. 10, 2001, Sp. 280–283, hier Sp. 282. Winckelmann 1808–1820, Bd. 6, Tf. V, Figuren A und B; Wiederabdruck im Band der Kupfer-Tafeln, Tf. 28.

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III.3.  Die Wertungskategorie des Helldunkel

tische, wenn auch nicht sklavische Orientierung an den antiken Vorbildern. Die Inszenierung bei einer weitgehend stabilen Tageslichtsituation folgt dem von Meyer erstmals am „schönen Styl“ verifizierten Kriterium der Helldunkelverteilung, ein Prinzip, das er bereits in den Propyläen erläutert hatte und in der Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen zum Hauptmerkmal jener Kunstperiode erheben sollte: „Wahrscheinlich hat Praxiteles als Bildhauer vor allen andern sorgfältig auf Licht und Schatten geachtet, die Massen am reinsten gehalten und den schicklichsten Gebrauch von denselben gemacht; denn eben dadurch erhielten seine Werke noch außerdem, daß ihre Form so schön war, den sie auszeichnenden stillen Reiz und sanfte Würde, welche selbst in den Nachbildungen des Eidechsentödters und des jungen Fauns nicht zu verkennen sind, und solche für uns so anziehend wie lehrreich machen.“293 Die von Praxiteles erlangte „letzte Vollendung“ der Kunst bezog sich laut Meyer vor allem auf das Ideal der Aphrodite, aber auch auf jugendliche Gottheiten wie ­Apollo und Dionysos.294 Vielleicht als Hommage an Tiecks Statuen betont Meyer in der Ge­schichte der bildenden Künste bei den Griechen, die künstlerische Vollendung durch Praxiteles habe mit Sicherheit auch die ideale Darstellung des Bacchus und der Diana betroffen.295 Nicht nur im krönenden Abschluss der dorischen Säulenordnung, sondern auch im Spiel von Licht und Schatten entfaltet sich im Gentz’schen Treppenhaus programmatisch die an der griechischen Klassik orientierte Kunstauffassung der Weimarischen Kunstfreunde.

293 Meyer, Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen, 1824, S. 120. 294 Ebd., S. 111. 295 Ebd., S. 116.

4. Meyer und die Sammlung Boisserée. Von der ­Kennerschaft zum lithographischen Diskurs

Goethes Auseinandersetzung mit der Sammlung der Brüder Sulpiz und ­Melchior ­Boisserée und ihres Freundes Johann Baptist Bertram beschäftigt Kunsthistoriker wie Philologen in gleicher und anhaltender Weise. Dies nicht ohne Grund: Handelte es sich doch um die bedeutendste deutsche Privatsammlung nordalpiner Tafelmalerei des Spätmittelalters im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, die bald nach den ersten Ankäufen 1804 einem breiteren Publikum zugänglich war.296 Mit ihr verknüpfen sich zentrale Fragestellungen des allgemeinen Geschmackswandels wie auch die der frühen wissenschaftlichen Kunstgeschichte, die sich zunehmend von den ästhetischen Konventionen des Klassizismus löst. Die Tagebücher von Sulpiz Boisserée sind bedeutende Dokumente der frühen kunsthistorischen Wissenschaftsgeschichte und der allgemeinen Sammlungs- und Kulturgeschichte – die detailliert festgehaltenen Diskussionen mit Besuchern aus dem europäischen Hochadel, Philosophen wie Hegel und Schelling sowie bildenden Künstlern wie Antonio Canova unterstreichen die Bedeutung der Sammlung als Zentrum des zeitgenössischen intellektuellen Diskurses. Denn ohne Frage war die Sammlung Boisserée das Produkt und zunehmend auch der Katalysator einer Umbruchsituation: Ihre Genese steht in direkter kausaler Beziehung mit der napoleonischen Epoche, da sie ihre Existenz der 1802 und 1803 vollzogenen Säkularisierung der Kölner Klöster verdankt. Ihr nach 1810 einsetzender Publikumserfolg ist der Startschuss einer breitenwirksamen, vom patriotischen Bewusstsein der Befreiungskriege getragenen Wiederentdeckung der nordalpinen Malerei des Spätmittelalters und der beginnenden Neuzeit. Noch heute bildet die Sammlung, die zunächst in Heidelberg, dann in Stuttgart gezeigt und schließlich 1827 vom bayerischen König Ludwig I. angekauft wurde, ein Kernstück der Alten Pinakothek in München. Goethes Freundschaft mit Sulpiz, dem älteren der beiden Brüder und intellektuellen Kopf des Sammlertrios, verweist auf zentrale Elemente seines Spätschaffens: Die Besichtigung der Sammlung im September 1814 und im Herbst 1815 markiert die vorsich296 Zur Geschichte der Sammlung sowie zu ihrer Rezeption durch Goethe siehe: Firmenich-Richartz 1916; Poensgen 1960; Gombrich 1987; Osterkamp 1991, S. 229–312; Gethmann-Siefert/Pöggeler 1995; Osterkamp 1999, Bd. 1, S. 449–458; Heckmann 2003. Die Abschnitte 4.1. und 4.2. sind erweiterte Teile des Aufsatzes Rößler 2015a.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

tige Öffnung und Erweiterung seines klassizistischen Geschmackshorizonts, o ­ hne dass er dabei mit seiner prinzipiellen Ablehnung der romantischen Bewegung ge­brochen hätte. Als individuelle Eroberung und Aneignung ist dies umso erstaunlicher, da ­Goethe durchaus bekannt war, wie sehr die drei Sammler von den Grundsätzen der Romantik, namentlich von ihrem persönlichen Mentor und Freund Friedrich Schlegel, geprägt worden waren. Die parallel zum Aufbau der Gemäldesammlung von S­ ulpiz ­B oisserée initiierte Erforschung des Kölner Domes und die Promotion von dessen Fertig­stellung mussten bei Goethe angesichts seines eigenen in patriotischer Aufwallung geschriebenen Hymnus auf das Straßburger Münster von 1773 ebenso gemischte Gefühle hervorrufen. Zahlreiche Studien haben hervorgehoben, welche Strategien Goethe und ­Sulpiz ­B oisserée jeweils nutzten, um im persönlichen Umgang die Spannung des klassizistischromantischen Konflikts abzuwenden und die Begegnung als produktives und wechselseitiges Verhältnis zu gestalten. Während Goethe in dem Aufsatz Über Kunst und Alter­ thum an Rhein- und Maingegenden vor allem den technischen und stilgeschichtlichen Aspekt der Sammlung betonte und mit dieser Bestandsaufnahme dem schwärmerischen Ton der „hymnischen“ Beschreibungen aus dem romantischen Umfeld ein Signal der Distanzierung und Versachlichung entgegensetzte, war der tief religiöse und von patriotischen Idealen durchdrungene Sulpiz Boisserée dazu bereit, gegenüber Goethe intellektuelle Konzessionen zu machen und den eigenen Standpunkt zu relativieren. Mit romantischen wie klassizistischen Grundsätzen in gleichen Maßen vertraut, nutzte der diplomatisch begabte Sammler Goethes Vorlieben und Idiosynkrasien geschickt aus, um in dem Dichter einen wirkungsmächtigen publizistischen Fürsprecher der Sammlung und seines gleichzeitig entstehenden Werks zum Kölner Dom zu gewinnen. Bei Goethe mag dabei auch eine grundsätzliche Sympathie für den Kölner Kaufmannssohn bestanden haben, wie ein Tagebucheintrag vom 14. August 1815 belegt, in dem Sulpiz von einem gemeinsamen Besuch der Sammlung Schlosser berichtet: Bei Schlosser: schrecklich altdeutsch-neudeutsch Gepinsel von dem Bruder des Olivier, einem jungen Maler in Wien. G. rief mich zur Seite und hielt mir die Bildchen […] vor – „Da freut Euch Eurer ­Früchte“ – Ich: Gott bewahre uns vor solchen Freunden, dann mit unseren Feinden werden wir schon fertig ­werden. – Diese Neckerei setzte uns in lustige Laune.297

Meyers klassizistischer Ernst hätte ein solches Gespräch sicherlich nicht zugelassen. Dass seine Person bei den Boisserées nicht ganz so willkommen war wie Goethe und mehrfach Gegenstand des Spotts, lässt sich den Boisserée’schen Aufzeichnungen entnehmen.298 In Überdenkung von Meyers Rolle als selbständiger Akteur der klassizistischen 297 Boisserée 1978–1995, Bd. 1, S. 247. Eintrag vom 14. 8. 1815. 298 So etwa in der ironischen Schilderung Meyers beim ersten Besuch in Weimar (Sulpiz Boisserée an Melchior Boisserée, Weimar, 6. 5. 1811, in: Boisserée 1862/1970, Bd. 1, S. 113), in einem späten Tage­

III.4.1  Eingrenzung und Würdigung: Goethes Sicht auf Stefan Lochner

Bewegung soll nachfolgend untersucht werden, in wie weit die Sammlung Boisserée/­ Bertram von den Weimarischen Kunst-Freunden als dezidiertes ästhetisches Konzept wahrgenommen wurde, mit dem man dem „klosterbrudrisierende[n] sternbaldisierende[n] Unwesen“299 eine deutliche Absage erteilen konnte. Denn in Auseinandersetzung mit den Hauptwerken der Sammlung ging es Goethe und Meyer nicht allein um die Etablierung einer nüchterneren, historisch sensibilisierten und distanziert-analytischen Bildbetrachtung, sondern auch um eine didaktische Instrumentalisierung ästhetischer Eigenqualitäten jener Gemälde, die eine kunstpolitische Dimension haben sollte. Die nachfolgenden drei Abschnitte gehen der Frage nach, welche Basis für ein prinzipielles Einverständnis zwischen den romantischen Sammlern und den Weimarer Klassizisten Goethe und Meyer gefunden werden konnte. Goethes 1816 erschienener Sammlungsbericht hat das Verständnis der altkölnischen und altniederländischen Malerei bis heute mitgeprägt. Weniger prominent und weitgehend unbeachtet geblieben sind dagegen die Beschreibungen von Meyer, der die Sammlung Anfang Oktober 1817 aufsuchte. Der dort erkennbare Unterschied zu Goethes Historisierungsansatz markiert eine weitere, in der Sicht auf die kölnische Malerei entscheidende Wendemarke. Im Prozess der „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“300 wird das ursprünglich von Friedrich Schlegel entworfene kunsthistorische Erklärungsmodell von den Weimarischen Kunst-Freunden evolutionär unterlaufen und verändert. Entscheidend sind nicht allein die unterschiedlichen Ausprägungen des jeweiligen kunsttheoretisch präformierten Blicks auf die Objekte, sondern der Einsatz oder auch das Fehlen des dazu benötigten Bildmaterials. Oder, wie man in Bezug auf Meyer formulieren könnte: Die Unkenntnis eines für die Diskussion zentralen Bildes ist nicht automatisch ein Nachteil; sie kann vielmehr dagegen immunisieren, einen wissenschaftlichen Irrtum weiter fortzuschreiben.

4.1 Eingrenzung und Würdigung: Goethes Sicht auf Stefan Lochner Mit den Pariser Gemäldeberichten in der Zeitschrift Europa hatte Friedrich Schlegel den romantischen Kanon geschätzter Werke des Spätmittelalters entschieden erweitert. Es ist nun nicht mehr allein die von Wackenroder und Tieck propagierte altdeutsche Malerei um 1500 mit ihrem Leitstern Dürer, sondern auch die altniederländische Malerei seit Jan van Eyck, die die Aufmerksamkeit des romantischen Interesses findet. Es bucheintrag über Meyers „Gekrächz“ in Ueber Kunst und Alterthum (Boisserée 1978–1995, Bd. 3, S. 738, Eintrag vom 25. 5. 1841) oder bezüglich der Steindruck-Rezensionen: „Der Alte mutet mir zu Meyers Artikel über unsere Lithographien in ‚Kunst und Alterthum‘ fortzusetzen. Zorn und Verdacht gegen diese Zumutung erregt“ (ebd., Bd. 2, S. 65 f, Eintrag vom 23. 5. 1826). 299 Goethe, Über Polygnots Gemälde, in: MA 6.2, S. 537. , 300 Fleck 1980.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

verwundert daher nicht, dass Schlegel im Frühjahr 1804 die Boisserées auf ihrer Rückreise nach Köln begleitete und dabei die Reiseroute über Flandern nahm. Die als Fortsetzungen der Pariser Gemäldeberichte erschienenen Nachträge zu alten Gemälden berichteten aus Brüssel, Düsseldorf und Köln, wobei der Abschnitt zur kölnischen Malerei als ambitionierter kunsthistorischer Entwurf bezeichnet werden kann, der zugleich das intellektuelle Fundament für die spätere Sammlung Boisserée bildet. In der Synthese seiner in Paris, Flandern und am Niederrhein angestellten Kunstbetrachtungen machte Schlegel vier entscheidende Beobachtungen: Erstens erkannte er anhand eines heute nicht mehr identifizierbaren italienischen Bildes im Louvre eine hohe formale Übereinstimmung mit der altkölnischen Malerei wie etwa dem damals unter dem Namen „Meister Wilhelm“ firmierenden Altar der Stadtpatrone von Stefan Lochner (Tf. XXVIII).301 Auf dieser Grundlage ging er von ­einer frühen gesamteuropäischen Malerei aus, die sowohl im Norden wie im Süden verbreitet war. Dieses Phänomen zeigte ihm die Existenz einer Malerei-Tradition an, die sich aufgrund des Goldgrundes und der symmetrischen Komposition direkt aus der byzantinischen Kunst ableiten ließ. Schlegel schloss an das von Vasari im 16. Jahrhundert ent­ wickelte kunsthistorische Modell einer byzantinisch geprägten maniera greca an, die vor dem Auftreten von Cimabue und Giotto die Malerei dominiert habe, und übertrug somit ein italienisches Erklärungsmuster auf die nordalpine Malerei im Mittelalter. Zweitens nahm Schlegel an, dass sich diese byzantinische Tradition im kölnischen Raum bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lasse und im gesamteuropäischen Vergleich besonders qualitätvoll sei. Diesen Schluss hatte Schlegel aus einer lobenden Erwähnung der Kölner Malerei in Wolfram von Eschenbachs Parzival gezogen. Drittens stand die frühe Kölner Malerei in engem Kontakt mit der Malerei der Nieder­lande, ja beide Regionen bezeichneten einen einheitlichen Kulturraum mit gemeinsamer Kunstentwicklung – eine wegweisende Erkenntnis, die noch heute für die Forschung zur spätmittelalterlichen Malerei am Niederrhein verbindlich ist.302 Viertens war für Schlegel an der byzantinisch-kölnischen Malerei ein Entwicklungsvorsprung innerhalb Europas zu beobachten, der für ihn an dem damals noch nicht als Werk Stefan Lochners identifizierten Altar der Kölner Stadtpatrone auffällig war. Der hohe Grad der Individualisierung und Detailgenauigkeit bei Beibehaltung des Goldgrundes und der symmetrischen Anordnung verwiesen für ihn auf ein Übergangsbild, das bereits stilistische Elemente der altniederländischen Malerei antizipiere.

301 Schlegel 1995, S. 93. Vgl. auch Sulpiz Boisserée, Fragmente einer Selbstbiographie (1783–1808), in: Boisserée 1978–1995, Bd. 1, S. 1–39, S. 32. 1816 erschien ein Aufsatz von Franz Ferdinand Wallraf, der das Retabel ikonographisch deutete und einer formanalytischen Beschreibung bis hin zum Faltenwurf und der Inkarnatdifferenzierung unterzog (S. 358). Wallraf 1816. 302 Vgl. Schlegel 1995, S. 113.

III.4.1  Eingrenzung und Würdigung: Goethes Sicht auf Stefan Lochner

In diesem letzten Punkt irrten Schlegel wie auch in seiner Nachfolge die Brüder ­B oisserée und Goethe entscheidend: Sie alle hatten die Werke des sogenannten „Meister Wilhelm“ um rund 40 Jahre zu früh datiert, womit der Künstler nicht in direkter Zeitgenossenschaft mit den van Eyck stand, sondern als dessen Vorläufer galt. Der hohe Entwicklungsstand der kölnischen Malerei gegenüber den übrigen lokalen byzantinischen Stilen in Europa begründete damit für Schlegel die unmittelbare Vorgängerschaft zu den Brüdern Hubert und Jan van Eyck, die schon damals als die Begründer der nord­ alpi­nen neuzeitlichen Malerei galten (und noch heute gelten).303 Schlegels Beobachtungen und Thesen erschienen im Herbst 1804, zum selben Zeitpunkt, als die Brüder Boisserée in dessen Beisein ein Altarbild aus dem Trödel zogen, was den Beginn ihrer Sammeltätigkeit markieren sollte.304 Die daraufhin schnell anwachsende Sammlung, an der die drei Inhaber mit unterschiedlichen organisatorischen und inhaltlichen Aufgabenverteilungen mitwirkten, konzentrierte sich nur anfänglich auf das Säkularisationsgut im Kölner Raum. Mit der wachsenden Sammler-Konkurrenz und Preissteigerung auf dem lokalen Kunstmarkt weitete man schnell die Akquirierung auf Regionen wie Flandern oder den süddeutschen Raum aus. Im Unterschied zu zeitgenössischen Kölner Sammlern wie Franz Ferdinand Wallraf wurde dabei von Anfang an ein klares Konzept verfolgt, das sich dezidiert auf drei Schwerpunkte, nämlich die altkölnische, altniederländische und altdeutsche Malerei um 1500, konzentrierte.305 Weitgehend in Anschluss an Schlegels Thesen verfolgte man den Anspruch, die historische Entwicklung von 300 Jahren ab dem frühen 14. Jahrhundert zu dokumentieren. Mit der Sammlertätigkeit waren auch die historische Erforschung, die Datierung der Gemälde, die Händescheidung der Meister und die damit verbundenen Zuschreibungen verbunden, was das vornehmliche Aufgabengebiet von Sulpiz Boisserée war. Wie ein Palimpsest scheint in vielen Zuordnungen die historische Konzeptionalisierung Friedrich Schlegels in allen ihren Vorzügen und Irrtümern durch: Als ältestes erhaltenes Zeugnis der ersten Entwicklungsphase der von Schlegel angenommenen byzantinisch-kölnischen Malerschule erkannte er die kühn um hundert Jahre zu früh datierte Veronika-Tafel (Tf. XXIX), die ihm mit einer Datierung auf das Jahr 1306 als Prototyp der Schule galt. Ein entscheidender Irrtum unterlief in der Sicht auf den sogenannten „Meister Wilhelm“, der später als Stefan Lochner identifiziert wurde: Wie Schlegel datierte Sulpiz die ihm zugeschriebenen Werke um etwa 40 Jahre zu früh, also auf die Zeit um 1410, was wiederum den Beleg dafür liefern konnte, dass „Meister ­Wilhelm“ direkt auf die Kunst der Brüder Hubert und Jan van Eyck eingewirkt habe. Dies ließ sich ­gerade an dem bedeutendsten Werk der Sammlung, dem 1808 in Köln erworbenen Columba-­Altar von Rogier van der Weyden (1462), besonders gut nachweisen 303 Vgl. Schlegel 1995, S. 113. 304 Firmenich-Richartz 1916, S. 56. 305 Ebd., S. 43.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

(Tf. XXX). Den ­Boisserées galt er unzweifelhaft als ein Werk aus der angeblichen späten Schaffensperiode von Jan van Eyck, womit eine Abhängigkeit zum „Meister Wilhelm“ bewiesen schien. Wie sich noch zu Lebzeiten der Brüder Boisserée herausstellen sollte, verhält sich die stilistische Abhängigkeit jedoch genau umgekehrt: Lochner war in den Niederlanden ausgebildet worden und mit der Werkstatt von Robert Campin, dem Lehrer Rogier van der Weydens, in eine enge Berührung gekommen. Freilich beruhten die Boisserée’schen Grundannahmen auf wenigen paradigmatischen Bildern und einigen Indizienschlüssen wie etwa dem stets als älter angesehenen Goldgrund, und mit Sicherheit war das Primat der Kölner Malerschule auch lokalpatriotisch motiviert. Von 1810 bis 1819 wurde die auf über 250 Tafeln angewachsene Sammlung in Heidel­berg gezeigt, wo sie auch Goethe und Meyer sahen. Anders als bei der späteren Präsentation in Stuttgart, die mit zahlreichen Räumen als großzügige Privatgalerie mit optimalen Lichtverhältnissen angelegt war, erschöpften sich die Präsentationsmöglichkeiten im Palais Sickingen auf drei Räume und einen galerieartigen Korridor.306 Wenige Werke waren an einem festen Platz gehängt; die meisten Tafeln waren dagegen „gestapelt an den Wänden und mußten zur Betrachtung auf eine Staffelei gehoben werden“.307 Diese eingeschränkte Präsentationsmöglichkeit war optimal dafür geeignet, den Be­ sucher je nach seinen Interessen auf die Sammlung einzustimmen, ihn von der Qualität der Bilder zu überzeugen und die behaupteten historischen Zusammenhänge möglichst durch entsprechende Anordnungen und Gegenüberstellungen zu belegen – die Tagebucheinträge von Sulpiz geben über solche Strategien der Aufmerksamkeitslenkung ein aufschlussreiches Zeugnis.308 Muss man diese Praxis einerseits als manipulativ bezeichnen, kam sie andererseits Goethes eigenem Vorgehen bestens entgegen, da er das „vergleichende Sehen“ anhand der eigenen Sammlung vielfach erprobt hatte. Das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit den Boisserée’schen Bildern hat ­Goethe in dem Aufsatz Ueber Kunst und Alterthum in den Rhein- und Mayn-Gegen­ den niedergelegt, der 1816 die fast gleichnamige neugegründete Zeitschrift programmatisch eröffnete.309 Die Besprechung setzt einen akzentuierten Gegenentwurf zu den zuvor erschienenen und ebenfalls meist von den Boisserées bestellten romantischen „­Hymnen“ auf die Sammlung,310 behält aber bezeichnenderweise das von Schlegel etablierte Historisierungsmodell bei, das Goethe allerdings zu einer weit konsequenteren stilgeschichtlichen Argumentation ausbaut. Seine Methode begründet er gegenüber ­Sulpiz ­B oisserée: „Da ich von Ihrer als herrlich anerkannten Sammlung im Comparativ gesprochen, bleibt Freunden und Kennern der Superlativ anheimgestellt. Das mö306 307 308 309

Strack 1995, S. 64. Poensgen 1960, S. 89. Strack 1995, S. 65. Goethe, Über Kunst und Alterthum an Rhein- und Mayngegenden (1816), in: FA I/20, S. 17–98. Die Sammlungsbeschreibung findet sich im Abschnitt Heidelberg (S. 71–92). , 310 FA I/20, S. 84. Hierzu siehe Osterkamp 1991, S. 229–312.

III.4.1  Eingrenzung und Würdigung: Goethes Sicht auf Stefan Lochner

gen die Menschen gar zu gern. Auch ziehe ich, durch diese Mäßigkeit die Gleichgültigen, ja die Widerstrebenden auf unsere Seite. Die Frömmler und Dichterlinge mußten befehdet werden, denn ihre doppelt und dreifachen Pfuschereien hindern, ja zerstören alles Gute.“311 Komparativ statt hymnisch: Goethe nutzt ganz offensichtlich die Strategie des relativierenden Vergleichs, der in den Jahren nach 1816 zum durchgängigen kunstkritischen Prinzip in der Zeitschrift Ueber Kunst und Alterthum wird.312 Ein wesentliches Mittel der kritischen Distanzbildung liefert bereits der makrohistorische Rahmen, in den die stilgeschichtliche Vergleichskette der Einzelwerke eingebunden wird. Besonders betont wird die Übermacht des sogenannten byzantinischen Stils seit dem Niedergang der Kunst in der Spätantike. Goethe erwähnt und nutzt hier das zwischen 1810 und 1823 erschienene Tafelwerk Histoire de l’Art par les monuments von Jean Baptiste Louis Georges Séroux d’Agincourt, das die kunsthistorische Entwicklung von der nachantiken Kunst bis zum Zeitalter Raffaels in zuvor nicht dagewesenem Umfang dokumentiert. Auch d’Agincourt, den Goethe 1787 in Rom kennengelernt hatte, fühlte sich klassizistischen Grundsätzen verpflichtet, indem er den behandelten Zeitraum dezidiert als Dekadenzperiode auswies.313 Die Drastik, mit der Goethe von einem vertrockneten, mumienhaften, gerippeartigen und in Symmetrien erstarrten byzantinischen Stil spricht, beruht auf dem Studium jenes Werks. So erwähnt er etwa die „abscheulich ver­zier­t[en]“ byzantinischen Bronzetüren von San Paolo fuori le Mura in Rom, die bei d’Agincourt auf drei Tafeln reproduziert wurden.314 Haftet der als „byzantinisch“ ausgewiesenen Kunst des Mittelalters durchweg das Stigma der Unlebendigkeit und Erstarrung an, charakterisiert Goethe die nachfolgende Bildreihe der altkölnischen Malerei mit allen Epitheta der Lebendigkeit. Die stilgeschichtliche Bilderkette nimmt mit der Beschreibung der Veronikatafel (Tf. XXIX) ­ihren Anfang, führt über die Tafeln des Heisterbacher Altars (Abb. 61 und 62) und kulminiert in Stefan Lochners Altar der Stadtpatrone (Tf. XXVIII), der allerdings zu ­keinem Zeitpunkt in Privatbesitz war und somit aus der Sammlungsbeschreibung signifikant herausfällt. Die Antithese zwischen der unter Dekadenzverdikt stehenden Kunst des Frühund Hochmittelalters einerseits und der lebendigen lokalen Kölner Tradi­tion andererseits wird schon deshalb wirksam, weil sich Goethe bei letzterer nicht mehr auf das aus Umrissstichen bestehende Referenzwerk von d’Agincourt bezieht, ­sondern auf die ­Werke in der Sammlung Boisserée, deren Farbenpracht und maltechnische Brillanz ihm noch in bester Erinnerung sind. Erniedrigung und Erhöhung der beiden kunsthisto­ 311 312 313 314

Goethe an Sulpiz Boisserée, Tennstedt, 7. 8. 1816, in: Bw. Boisserée/Goethe, S. 127. Vgl. hierzu Rößler 2013b. Vgl. Mondini 2005. FA I/20, S. 77, vgl. hierzu den Kommentar ebd., S. 780. Goethe bezieht sich auf die Tafeln XIII bis XX in Band 4 von d’Agincourts Werk.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

61 und 62__Meister des Heisterbacher Altars: Heisterbacher Altar, linker Innenflügel im g­ eöffneten ­Zustand, 200,4 × 148,5 cm, Bamberg, Staatsgalerie in der Neuen Residenz, Inv.-Nr.: WAF 587; s­ owie: Rechter Innenflügel im geöffneten Zustand, 200,4 × 148,5 cm, Bamberg, Staatsgalerie in der Neuen ­Residenz, Inv.-Nr.: WAF 588.

rischen Zeiträume resultieren somit auch aus dem unterschiedlichen media­len Status des referierten Bildmaterials: Wird die Wahrnehmung der Primitivität der mittelalterlichen Kunst durch die notgedrungene Vereinfachung der künstlerisch spröden Umrissstiche bei d’Agincourt unterstützt, kontrastiert mit ihr die reale Kunsterfahrung der Originale in Heidelberg. Dies ist umso bemerkenswerter, als sowohl das Tafelwerk d’Agincourts als auch die Sammlung Boisserée in ihrer vergleichenden Zusammenführung des Bildmaterials zentrale Denkräume der Historisierung der Kunst nach 1800 darstellen, ihre mediale Differenz aber in Goethes Anwendung zur deutlichen Abwertung der mittelalterlichen Kunst führt. Wer Goethes Bericht als Anleitung zum kunsthistorischen Studium nutzte, war also auf zwei Dinge angewiesen: das Konsultieren des französischen Tafelwerks und den Besuch der Sammlung in Heidelberg. Neben dieser geschichtlichen Ableitung schafft Goethe ein weiteres Moment der Distanzierung, indem er die sich aufdrängende Frage nach einem christlichen Gehalt der altkölnischen Werke durch eine kühne kulturhistorische Konstruktion neutralisiert. Dies geschieht durch die Überblendung der Bildreihe mittels zweier Sprach­tableaus,

III.4.1  Eingrenzung und Würdigung: Goethes Sicht auf Stefan Lochner

die nicht nur das Historisierungsmodell koordinieren und stabilisieren, sondern auch selbst auf reellen Bildern beruhen könnten und damit zentrale Motive der alt­kölni­ schen Malerei behandeln.315 In der engeren entwicklungsgeschichtlichen Argumentation lässt Goethe die religiös-ikonographische Dimension weitgehend außer Acht, sie wird in dem Aufsatz vielmehr durch zwei bildhafte Wegmarken, eine allgemeine und eine sehr konkrete, angedeutet. Die erste und allgemeine Wegmarke setzt Goethe noch vor Beginn seiner stilgeschichtlichen Analyse: Als hätte er den ikonographischen Typus des Allerheiligenbildes vor Augen, beschreibt er ein Tableau des christlichen Personals, das von der Trinität ausgeht, sich über die Muttergottes, die Apostel und Evangelisten zu den Märtyrern und Bekennern fortsetzt und bei den Patriarchen des Alten Testaments endet. Mit zahlreichen kritischen und ironischen Invektiven entlarvt Goethe jenes christliche Personaltableau als mythologisches Konstrukt – die Distanz zur romantischen religiösen Lesart ist mit diesem erstarrten und undynamischen Bild eindeutig gesetzt, wodurch sich Goethe im Folgenden ganz der formgeschichtlichen Entwicklung der mittelalterlichen Kunst widmen kann. Die zweite Wegmarke, die den ikonographischen Faden wieder aufnimmt, findet sich im Abschnitt zur kölnischen Malerei als Exkurs zwischen der Beschreibung der Altar­tafeln aus Heisterbach und Stefan Lochners Dombild (alias Altar der Stadt­patrone, Tf. XXVIII): Die für Köln typische allmähliche Emanzipierung vom reinen ‚byzantinischen‘ Stil setzt Goethe in Beziehung zur lokalen Tradition der Heiligenverehrung. Das Martyrium, das die heilige Ursula und ihre jungfräulichen Begleiterinnen in Köln er­litten haben sollen, widersetzt sich in seiner Interpretation dem Schematismus herkömmlicher Heiligenviten. Etwas unvermittelt deutet Goethe jenes Ereignis als vitalen realpolitischen Machtkampf zweier lokaler politischer Parteien. Der Tod der heiligen Ursula hat demnach nichts mit den „widerlichen Zufälligkeiten“ der anderen bekannten christlichen Martyrien gemein.316 Das „Blutbad“ gleiche vielmehr neuzeitlichen Pogromen wie der Bartolomäusnacht. Mit dieser Interpretation der Ursula-Legende kontrastiert Goethe die lokale Bildtradition Kölns mit dem allgemeinen, ins Mythische und Irrationale überhöhten christlichen Kultus der vorangegangenen Jahrhunderte. Damit ist ein kulturhistorisches Erklärungsmuster geschaffen, das den frühen Realismus der ­Kölner Malerei aus einer weltzugewandten Religiosität erklärt, die auf einer realpolitischen Grundlage beruht. Dadurch, dass Goethe die Brutalität des Kölner Massen­

315 Gemeint sind der Typus des Allerheiligenbildes und die Darstellung des Martyriums der Heiligen ­Ursula und ihrer Begleiterinnen. Als Beispiel für letzteres siehe Das Martyrium der Heiligen U ­ rsula und ihrer Begleiter in Köln, Kleiner Ursula-Zyklus, kölnisch, um 1450/60, Köln, Wallraf-Richartz-­ Museum. 316 FA I/20, S. 83.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

martyriums mit drastischen Worten ausmalt, steht der Bericht in eigenwilligem Kontrast zu der verniedlichenden Charakterisierung der Kölner Malerei.317 Diesem immanenten religiösen Realismus entsprechend, macht Goethe an dem Kölner Dombild Stefan Lochners Beobachtungen zur Maltechnik: Der Maler behält zwar den Goldgrund bei, verzichtet aber auf die schematische Anwendung von Stempeln, da ihm „gewahr [wird], daß er Brocat und Damast und was sonst farbenwechselnd, glänzend und scheinend ist, durch seinen Pinsel hervorbringen könne und mechanische Hülfsmittel nicht weiter bedürfe.“318 Die Wiedergabe materieller Oberflächen mit ihren changierenden Farbeffekten und die Lockerung der ‚byzantinischen‘ Symmetrie durch eine leichte Bewegtheit der Figuren erzeugen eine „Mannigfaltigkeit bedeutender Contraste an Gestalt und Bewegung.“ Für Goethe wird das Kölner Werk zur „Achse“, „worauf sich die ältere niederländische Kunst in die neue dreht“, während „die Eyckischen Werke als zur Epoche der völligen Umwälzung jener Kunst“ ge­hören.319 Gerade hierin zeigt sich die produktive Aneignung des Schlegel’schen Entwurfs: Als „Achsen­bild“ bleibt das Retabel zwar ein zentrales Werk der nordalpinen Kunst im 15. Jahrhundert, es wird aber bei Goethe in Gegensatz zu Schlegel das Werk eines Übergangs, auf dem etwas höheres wie die Kunst der Brüder van Eyck aufbauen kann. In ­einem letzten Schritt beschreibt er daher folgerichtig den von den Boisserées 1808 erworbenen Columba-­Altar Rogier van der Weydens (Tf. XXX), der von den Sammlern Jan van Eyck zugeschrieben worden war. Erst hier erfüllt sich der Realismus in seiner maltechnischen Vollkommenheit, indem der Goldgrund verschwunden ist und die letzten Reste byzantinischer Symmetrie in eine neue Form der erzählerischen Komposi­tion überführt worden sind. Trotz der eingebauten Distanzierungsmomente war Goethe der von Schlegel und den Boisserées gemeinsam erarbeiteten historischen Herleitung gefolgt. Zentral und koordinierend für den Gesamtentwurf blieb das Altarretabel der Kölner Stadtpatrone, das selbst nicht Teil der Sammlung Boisserée war – bezeichnenderweise gerade jenes Werk, das Friedrich Schlegel publizistisch entdeckt und noch über Dürer und van Eyck gestellt hatte.320 Ein solcher Konsens zwischen den Gegnern konnte nur dadurch entstehen, dass Goethe den religiösen Gehalt der Bilder neutralisierte und sich ganz auf die Maltechnik und formale Gestaltung konzentrierte. Und tatsächlich folgt gerade die technische Bewertung der altniederländischen Werke in auffallender Weise den Grundsätzen der 1810 erschienenen Farbenlehre: Der Vorzug von Ölfarben, deren Anwendung von Jan van Eyck um 1430 perfektioniert wurde, besteht neben ihrer Leucht317 FA I/20, S. 80: „Apfelrunde Knaben- und Mädchengesichter, eyförmiges Männer- und Frauenantlitz, wohlhäbige Greise“ usw. 318 FA I/20, S. 84. 319 FA I/20, S. 85. 320 Vgl. Schlegel 1995, S. 110 f.

III.4.2  Meyers Besuch 1817 und seine stilkritische Revision

kraft ­gerade in der Möglichkeit, mit vielfach übereinander lasierten transparenten Farbschichten ­eine Tiefenwirkung und Plastizität zu erzeugen, die mit den herkömmlichen deckenden Farben wie etwa Eitempera nicht möglich war. Das Verfahren der optischen Mischung wird im praktischen Teil der Farbenlehre unter Berufung auf altmeisterliche Techniken offensiv vertreten. Aufgrund ihrer damaligen Unkenntnis der Altniederländer blieben jedoch die dortigen Ausführungen Goethes und Meyers auf Künstler seit der Hochrenaissance beschränkt. Auf einem Schlag wurde Goethe in den Werken der Sammlung Boisserée eines fundamentalen Prinzips gewahr, das den ästhetischen Leitlinien in der Farbenlehre entsprach. Schon das im praktischen Teil besprochene Lasurverfahren auf weißer Grundierung321 erfüllt sich für Goethe im transparenten Auftrag von „Farbe durch Farbe“: „Weil nun die ganze Kraft der Farbe, welche an sich ein Dunkles ist, nicht dadurch erregt wird, daß Licht davon zurück scheint, sondern daß es durch sie durchscheint, so ward durch diese Entdeckung und Behandlung zugleich die höchste physische und artistische Forderung befriedigt.“322 Gerade in der Feststellung einer maltechnischen, koloristischen und plastischen Überlegenheit gegenüber den gleichzeitigen Künstlern Italiens zeigt sich die besondere Wertschätzung von Werken der altniederländischen Malerei. Im souveränen technischen Umgang mit der „Macht der Farbe“ realisiert sich für Goethe das Ideal einer „vollkommensten Sehbarkeit“, die den „Schein der Tafel weit über alle Erscheinung der Wirklichkeit“ erhebt.323

4.2  Meyers Besuch 1817 und seine stilkritische Revision Für Sulpiz Boisserée, dem Goethe bezeichnenderweise im Dezember 1815, nach seinem zweiten Besuch in Heidelberg, ein Exemplar der Farbenlehre übersandt hatte,324 waren diese formalästhetischen Beobachtungen Wasser auf die Mühlen: Spätestens mit den Erwerbungen der sogenannten Perle von Brabant von Dieric Bouts (damals ­Memling zugeschrieben) und der Sieben Freuden der Maria von Hans Memling in Brabant 1813 vertrat er offensiv die sogenannte Prävalenzthese, die eine prinzipielle Überlegenheit der nordalpinen Schulen gegenüber den Italienern im 15. Jahrhundert behauptete, da letztere weder den Realismus noch das maltechnische und koloristische Niveau der Altniederländer erreicht hätten.325 Nicht jeder Besucher der Sammlung war mit diesen Thesen einverstanden. Insbesondere innerhalb des klassizistischen Lagers zeigte sich eine 321 Goethe, Farbenlehre, Didaktischer Teil, „Gründe“, §§ 902–910, in: MA 10, S. 259–261. 322 FA I/20, S. 86. 323 FA I/20, S. 86. 324 Goethe an Sulpiz Boisserée, Weimar, Dezember 1815, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 93. Sowie Boisserées Antwort, Heidelberg, 9. 1. 1816, ebd. S. 94. 325 Vgl. Sulpiz Boisserée an Goethe, Mitte Januar 1814, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 29. Zu der Diskus­sion siehe ausführlich Heckmann 2003, S. 307–314.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

Fraktionsbildung: Aloys Hirt und Friedrich Bury, die seit den 1790er Jahren italienische Künstler des 15. Jahrhunderts wie Fra Angelico, Mantegna, Giovanni Bellini oder Raffaels Lehrer Perugino aufgewertet hatten, zeigten sich nicht davon überzeugt.326 Während diese am Italien-Primat festhielten, registrierte Sulpiz mit Genugtuung die begeisterten Fürsprecher seiner Thesen wie den bayerischen Hofmaler Georg von ­Dillis oder die Bildhauer Antonio Canova und Bertel Thorvaldsen327 – sie alle erkannten in den Werken eine eminent plastische Auffassung, die gerade mit dem klassizistischen Verständnis, wonach Malerei neben der Farbe auch plastische Werte wie etwa die Relief­wirkung zu vermitteln habe, besonders vereinbar war. In Hinblick auf diese Konstellation erscheint es nur folgerichtig, dass Goethe sich im Briefwechsel mit Sulpiz Boisserée immer wieder darum bemüht, Meyer als versierten Fachmann der italienischen Kunstgeschichte in die Diskussion einzubinden. So schreibt er etwa am 2. Januar 1815: Eine nähere und freiere Communikation von Gedanken und Erfahrungen steht uns bevor, wenn Hofrath Meyer den Abriß der ganzen Kunstgeschichte, welcher gegenwärtig ins Reine geschrieben und schließlich bearbeitet wird, nächstens herausgibt. […] Liegt alsdann ein solches Buch da, über das man differiren, diskutiren, sich vereinigen und entzweien kann, so kommen die bedeutenden und problematischen Punkte entschiedener zur Sprache. Die Hauptdreiecke in der Gegend sind gezogen und orientiert, was darinnen liegt, läßt sich schwerer detailliren.328

Im April 1817 muss Goethe „laut beklagen“, dass eine gemeinsame Besichtigung mit Meyer nicht zustande kommt, denn: „In Gesellschaft mit Meyern sollten wir das weite Feld überschauen und durchsprechen, uns über so manches verständigen und vereinigen, damit auch in der Ferne ein gemeinsames Bearbeiten möglich würde. Das unterblieb nun, und ich komme erst jetzt als Einsiedler dazu, mich darüber zu beschweren.“329 Im Manuskript der Geschichte der Kunst wie im koloritgeschichtlichen Abriss der Farbenlehre hatte Meyer empirisch profunde Historisierungen dargelegt, dabei jedoch kritisch auf die formalen Defizite der Künstler des Trecento und Quattrocento verwiesen. Nicht zuletzt markiert der 1800 in den Propyläen erschienene Aufsatz zu

326 Vgl. die Berichte Sulpiz Boisserées an Goethe, Heidelberg, 9. 10. 1816 (Besuch Burys), Heidelberg, 1. 8. 1817 (Besuch Hirts), in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 140 und 183. 327 Bericht über den Besuch von Dillis, siehe Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 11. 11. 1815, in Bw. Goethe/Boisserée, S. 82–85; zu Canova siehe Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 9. 1. 1816, S. 98, zu Thorvaldsen siehe Sulpiz Boisserée an Goethe, Stuttgart, 2. 10. 1819, in: ebd., S. 251, Sulpiz ­Boisserée an Melchior Boisserée, Wiesbaden, 1. 9. 1819, in: Boisserée 1862/1970, Bd. 1, S. 371; Tagebucheintrag vom 30. 8. 1819, in: Boisserée 1978–1995, Bd. 1, S. 569. Zu den Besuchen siehe Heckmann 2003, S. 225–256. 328 Goethe an Sulpiz Boisserée, Weimar, 2. 1. 1815, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 51 329 Goethe an Sulpiz Boisserée, Jena, 17. 4. 1817, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 167.

III.4.2  Meyers Besuch 1817 und seine stilkritische Revision

­Masaccio einen Meilenstein in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Künstler und arbeitet zahlreiche von ihm ausgehende formale Neuerungen heraus.330 Aus Sicht der Sammler war also der Besuch des Weimarer Hofrats durchaus erwünscht, doch hatte das im Frühjahr 1817 in Ueber Kunst und Alterthum erschienene antiromantische Pamphlet über die Neu-deutsche religios-patriotische Kunst zu ­einer Verstimmung geführt, die den sonst so vorsichtigen Sulpiz in einem Brief an Goethe zu einigen deutlichen Worten veranlasst hatte. Wie Tagebucheinträge verraten, hatte man in Heidelberg sogleich in Meyer den Verfasser identifiziert,331 doch meidet Sulpiz gegenüber Goethe dessen namentliche Erwähnung und äußert sich nur enttäuscht darüber, dass Goethe den Beitrag nicht selbst verfasst habe. Goethe wiederum umgeht in seiner Antwort ebenso den Verfassernamen, indem er gemäß des unterzeichneten Kürzels von dem „W. K. F.“ spricht – die ungewöhnliche Singularisierung der „Weimarischen KunstFreunde“ zum „Weimarischen Kunst-Freund“ ist bezeichnend, da das seit 1804 verwendete Kürzel stets für gemeinsame bzw. ausdrücklich von Goethe ge­billigte Verlautbarungen gedacht war.332 Boisserée wiederum lässt sich auf Goethes Chiffrierung ein, wenn er antwortet: „Der ruhige historische Weg, den Sie bei der Beschreibung unserer Sammlung eingeschlagen, bleibt hier der einzige, wahrhaft fördernde. Alle Polemik und zumal solche, wie der W. K. F. geübt, erbittert nur und vermehrt die Parteilichkeit. Wir sind im Stand, davon zu urtheilen, und wundern uns darum auch nicht, daß wir von der einen Seite Reclamationen, so von der andern Approbationen bei Ihnen einlaufen.“333 Meyers einziger Besuch der Sammlung Boisserée Anfang Oktober 1817 war somit von einer gespannten Erwartungshaltung der Sammler geprägt. Doch zu deren freudiger Überraschung zeigt sich Meyer gegenüber der These vom Primat der Altniederländer aufgeschlossen. An Goethe schreibt Sulpiz, dass Meyer angesichts der vortreff­ lichen Qualität der Werke einräumen musste, dass sein in der Farbenlehre erschienener Abschnitt über die Geschichte des Kolorits Makulatur sei. In einem Hans Memling zugeschriebenen Christuskopf habe er sogar die „Vorzüge des Leonardo und Tizian“ vereinigt gesehen.334 Für Meyer selbst hatte der Heidelberger Besuch vor allem eine Konsequenz: Mit dem neu gewonnenen Wissen stand die bereits abgeschlossene und unter redaktioneller Mitwirkung Goethes entstandene Geschichte der Kunst völlig neu zur Disposition – sie erschien bezeichnenderweise nicht mehr zu Meyers Lebzeiten und ­wurde erst 1974 herausgegeben.335 Der normierende Anspruch der italienischen M ­ alerei 330 Meyer/Holtzhauer 1974; Meyer, Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst, in: MA 10, S. 709–711 (siehe hierzu ausführlich Teil II der Arbeit); Meyer, Masaccio, in: Propyläen 2/1 (1800), S. 3–52; Reprint 1965, S. 715–764. 331 Boisserée 1978–1995, Bd. 1, S. 407–409, Einträge vom 10., 11. und 15. Juni 1817. 332 Zum Kürzel W.K.F. siehe die Einleitung dieses Buchs, S. 16. 333 Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 10. 7. 1817, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 180 f. 334 Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 19. 10. 1817, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 196. 335 Meyer/Holtzhauer 1974.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

für eine gesamteuropäische Kunstgeschichte hatte sich ganz augenscheinlich überholt und hätte einer grundlegenden Korrektur bedurft, die Meyer in den letzten 15 Jahren seines Lebens nicht mehr durchführte. Aus Meyers Hand sind mehrere, inhaltlich weitgehend übereinstimmende Beschreibungen der Sammlung erhalten. Als Arbeitsgrundlage diente offenbar ein erstes Manuskript, das in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Besichtigung entstanden sein muss und die wichtigsten Bilder in Reihenfolge ihrer Präsentation beschreibt.336 Ein zweites, die Bildbeschreibungen stilgeschichtlich ordnendes Manuskript337 diente als Grundlage für zwei annähernd gleichlautende Berichte: Die in Form von Relazionen in Stäfa verfassten Briefe an Maria Pawlowna vom 13. und 26. November 1817 wurden 1941 von Max Hecker ediert.338 Der Forschung bisher entgangen ist ein weitgehend inhaltsgleicher, aber in den Formulierungen teilweise zugespitzter Bericht, den Meyer 1828 im ersten Band des Berliner Kunst-Blatts publizierte.339 In einigen Präzisierungen spiegelt er die Nutzung der seit 1821 erschienenen Lithographien nach der Werken der Sammlung wider, von denen weiter unten noch die Rede sein wird. Schließlich flossen die 1817 vor Ort gemachten Beobachtungen in zehn Rezensionen in die Lieferungen des lithographischen Mappenwerks der Sammlung in der Zeitschrift Ueber Kunst und Alterthum ein – in der Bewertung der reproduktionsgraphischen Wiedergabe fungieren hier die Aufzeichnungen quasi als Ersatz für die abwesenden Originale. Diese Mehrfachverwertung ist ein gutes Beispiel für Meyers pragmatischen Umgang mit eigenen Texten. Der syste­matische Vergleich der verschiedenen Fassungen ist von geringem Erkenntniswert, weshalb nachfolgende Ausführung den Quellenkorpus einheitlich behandelt. In Goethes Beschreibung von Lochners Altar der Stadtpatrone als „Achsenbild“ hat man die Antizipation von Problemen gesehen, die bis heute in der stilkritischen Diskussion virulent sind.340 In wie weit der Maler eine lokale niederrheinische Maltradi­tion fortführte bzw. neue realistische Elemente entwickelte, ist eine Grundfrage der Lochner-Forschung, die sich von Goethes Sichtweise nur in der Gewichtung der dargestellten Materialität unterscheidet: Die detaillierte Gegenständlichkeit und ihr Oberflächenrealismus werden nach heutigem Stand als ein von außen kommender Anteil gewertet, der seinen Ursprung eindeutig in Flandern hat. Meyer jedoch hatte das Kölner Retabel

336 GSA 64/33,1, Konzept: „Samml der Hn Boiserée in Heidelb“, ein zweifach gefaltetes Blatt, beidseitig beschrieben. 337 GSA 64/33,1, Ausarbeitung „Die Gemäldesammlung der Herrn Boisserée in Heidelberg“, 8 Blatt, mit gebrochenem Siegel. 338 Meyer/Hecker 1941. Es handelt sich um Briefe Meyers an Maria Pawlowna vom 13. 11. 1817 und 26. 11. 1817, GSA 64/82,1. 339 Meyer, Aus Briefen eines Kunstfreundes, 1828. 340 Die besondere Relevanz von Goethes Äußerungen hebt hervor: Brinkmann 1993, S. 81.

III.4.2  Meyers Besuch 1817 und seine stilkritische Revision

nicht vor Augen und kannte es nur von einem groben Umrissstich her,341 womit ihm bei der Besichtigung der Sammlung in Heidelberg ein zentrales Original der zeitgenössischen Forschungsdiskussion fehlte. Besonders auffallend ist, dass Meyer in seinen Beschreibungen zu einem anderen Ergebnis als Goethe kommt und sich damit von dem stilkritisch kohärenten und die Malschulen übergreifenden Historisierungskonzept der Boisserées und Goethes wesentlich unterscheidet. An die für Goethe so repräsentative Stelle des Achsenbildes treten für ­Meyer die Innenflügel des Heisterbacher Altars (Abb. 61 und 62), die sich seit 1806 im ­Boisserée’schen Besitz befanden.342 Auch sie wurden dem Künstler des Dombildes, also „Meister W ­ ilhelm“ bzw. korrekt Stefan Lochner, zugeschrieben. Die Boisserées sahen in den Tafeln ein Frühwerk jenes Künstlers, da in ihnen die älteren technischen Verfahren wie Pressbrokat und Punzierungen im Goldgrund stärker angewandt wurden. Neben der erneut diskutierten These von einem Frühwerk Lochners343 gelten die Tafeln des Heisterbacher ­Altars heute überwiegend als das Werk eines eigenständigen anonymen Meisters, der aller­dings in enger Beziehung zu Stefan Lochner stand – ob bereits als vor ihm etablierter Konkurrent, Werkstattgenosse oder unmittelbarer Nachfolger ist nicht restlos geklärt.344 Goethe hatte die Tafeln zeitlich und stilistisch zwischen der Veronikatafel (Tf. XXIX) und dem Dombild (Tf. XXVIII) angesiedelt, ohne hierbei die Boisserée’sche Zuschreibung an „Meister Wilhelm“ näher zu thematisieren. Für ihn bildeten sie bereits einen wesentlichen, auf Lochner führenden stilistischen Fortschritt, da die in einer gezeichneten gotischen Rahmenarchitektur stehenden Apostelfiguren von geschnitzten Vorlagen angeregt schienen und damit zu einem entscheidenden Innovationsschub in der Kölner Malerei geführt hätten.345 Tatsächlich fallen gegenüber den Werken Lochners die großzügigen plastischen Volumina der Figuren und der sparsame Einsatz der realistischen Details auf, während etwa Lochners Dombild in seiner Fülle von glänzenden Metallgegenständen geradezu überbordend wirkt. Sich in der Lokalfarbigkeit der Gewänder vom Goldgrund konturiert abhebend, wirken die gestreckten Figuren gegenüber 341 Ein als Flügelaltärchen gerahmter und um 1820 entstandener Reproduktionsstich nach Lochners ­Altar der Stadtpatrone befindet sich im Urbinozimmer von Goethes Wohnhaus. Siehe Holler/Knebel 2001, S. 101. 342 In den ansonsten sehr exakten Beschreibungen erwähnt Meyer irrtümlich halbfigurige Engel, die „mit leichtem Pinsel nur Skizzenartig, aber sehr Geistreich gleichsam nur auf die Tafel geworfen“ sind (Meyer/Hecker 1941, S. 188). Vermutlich handelt es sich um eine Einfügung aus dem Gedächtnis, wobei Meyer Elemente eines anderen in der Sammlung Boisserée befindlichen Triptychon einfließen lässt, das demselben Meister zugeschrieben wird (Ausst.-Kat. Köln/München 2013, S. 308). 343 Liess 1993; Wolfson 1993. 344 Chapuis 2004, S. 239–258; Martin Schawe, Kat.-Nr. 27, in: Ausst.-Kat. Köln/München 2013, S. 314– 323; Walcher/Fischer 2012. 345 FA I/20, S. 82. Die Beobachtung einer Nachahmung plastischer Bildwerke ist plausibel, da es sich um Altarflügel handelt, die einen skulptierten Schrein flankierten.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

den Zusammenstellungen bei Lochner beruhigt und in ihrer Einzelfigurigkeit betont: Weder sind sie untereinander rhythmisch gruppiert, noch kommunizieren sie untereinander in der Blickführung und Kopfstellung, vielmehr wirken sie gegenüber der Lochner’schen Auffassung isoliert, den Blick nach innen gekehrt und sinnierend. Mit anderen Worten: Gegenüber den Relikten des weichen Stils bei Lochner, der archaischen Gedrungenheit seiner Figuren und der realistischen Detailfülle scheinen die Apostel­ figuren des Heisterbacher Altars klassischer, beruhigter, im sparsameren Einsatz der realistischen Mittel sogar kalkulierter und reflektierter. In dieser Hinsicht ist man versucht, Meyer als Zeugen für eine heutige Forschungskontroverse aufzurufen: Unbeeindruckt von Goethes Historisierung folgt sein Blick strengen klassizistischen Kriterien, die es ihm unmöglich machen, in „Meister ­Wilhelm“ den Vorläufer der altniederländischen Malerei zu sehen. Diese eingeschränkte, von klassizistischen Dogmen geprägte Einschätzung erweist sich von Vorteil. Meyers Skepsis macht sich schon bemerkbar, wenn er auf die von den Sammlern vorgenommene Datierung vor 1410 hinweist: Die Besitzer würden versichern, „man dürfe nicht zweifeln“, dass die Tafeln von dem Meister des Dombildes herrührten.346 Pro forma folgt ­Meyer der Zuschreibung an „Meister Wilhelm“ und der damit verbundenen Datierung vor 1410, schränkt diese aber schon 1817 vorsichtig ein: „Gesteht man den so eben erzählten Angaben volle Gültigkeit zu, so geräth die Kunstgeschichte über diese Bilder einigermaßen in Verwirrung, denn es würde eine Niederrheinische oder gar nur bloß Cöllnische Malerschule angenommen werden müßen, welche von verschiedenen wichtigen Dingen, als z. B. von der Beleuchtung, den Verkürzungen, der idealen Wohlgestalt der Gesichtsformen u.s.w., frühere Kentniß erworben als die Italiäner […]. Ich meines Orts vermag diese Räthsel nicht zu lösen und möchte fast behaupten, sie seyen nicht zu begreiffen“.347 Noch deutlicher wird Meyer bei seiner Rezension der Lithographien nach den Heisterbacher Altartafeln im Jahr 1824,348 kurz nachdem im Schorn’schen Kunst­ blatt quellenfundierte Zweifel an der Zuschreibung und Datierung des Dombildes aufgekommen waren.349 An den Sammlungsbeschreibungen wird erkennbar, dass Meyer an dem Heister­ bacher Altar weder einen Zusammenhang mit der sogenannten „byzantinischen“ Tradition noch mit dem Realismus der Eyck-Schule zu erkennen vermag. Die Tafeln bilden für ihn „keine Verbindung, kein[en] Übergang“ von der niederrheinischen zur altniederländischen Malerei, beide regionalen Schulen bilden vielmehr „eine bis auf die Elemente verschiedene Kunst.“350 In dieser betonten Abgrenzung weist der Heister­ 346 Meyer/Hecker 1941, S. 189. 347 Ebd. 348 Vgl. [Meyer,] Boisseréesche Kunstleistungen (1824), in: FA I/22, S. 94–100, S. 94. 349 Böhmer 1823. 350 Meyer/Hecker 1941, S. 190: „es ist aber keine Verbindung zwischen ihnen wahrzunehmen, kein Übergang, sondern eine bis auf die Elemente verschiedene Kunst.“

III.4.2  Meyers Besuch 1817 und seine stilkritische Revision

bacher Altar Charakteristika eines idealen Stils auf, der sich von den Altniederländern gravierend unterscheidet. So sind die „Gliederformen […] nach tüchtigen Regeln behandelt“, die Köpfe „edel“ und „mehr Idealschöpfungen des Künstlers als von demselben mit genauer Sorgfalt der Natur nachgeahmt zu seyn“, die klassizistische Forderung ­einer „kräftige[n] Beleuchtung“ wird erfüllt durch „breite Schattenpartien“.351 Dass diese Formauffassung auf einer bereits erfolgten Entwicklung aufbaut, erschließt sich für Meyer daraus, dass der Meister über eine hohe maltechnische Perfektion, ja über eine von keinem besonderen Innovationswillen gekennzeichnete Routine verfüge: „In seinen Werken zeigt sich nirgends Unsicherheit oder Stellen, welche auf halbgedungene Ver­suche schließen ließen, vielmehr tritt er überall als Meister auf, im Besitz aller Hand­ griffe zarter Verschmelzung und sanfter Übergänge; den Schatten weißt er durch Lasirung alle mögliche Kraft und Klarheit zu ertheilen.“352 Meyers Bewertung der Heister­ bacher Flügel weist damit hohe Merkmale einer klassizistischen Regelkonformität auf: Nicht Innovation, sondern Erfahrung und Anwendung allgemeiner künstlerischer Grundsätze bilden hierfür die entscheidenden Kriterien. Dies führt zu einer deutlichen Abgrenzung des Kölner Meisters von der Schule Jan van Eycks. Die Tafeln seien in Wohlgestalt und richtigem Verhältniß der Theile […] denen vom van Eyck und Hemmling noch vorzuziehen; die Beleuchtung ist kräftig und worüber man sich am meisten wundern muß, dieser alte Meister zeigt einen deutlichen Begriff von den Massen, denn er hat solche in seinen zierlich gelegten, in gutem Geschmack gezeichneten, keineswegs hartgebrochenen Gewändern sorgfältig in Acht genommen und übertrifft auch hierin den van Eyck, so wie den Hemmling.353

Dennoch stellt Meyer den Meister des Heisterbacher Altars nicht über die Leistungen der Niederländer, sondern insistiert vielmehr auf einer Scheidung der angewandten Formprinzipien: „Der Meister, welcher die Gemälde auf Goldgrund verfertigt hat, arbeitete nach einem guten, würdigen, allgemeinen Begriff von der Natur, doch an ­genauer Nachahmung und gewissenhaft pünktlicher Nachbildung der Gegenstände war ihm wenig gelegen, mit anderen Worten gesagt: Er machte keine Wirklichkeits-Forderungen an sich und befriedigte auch keine.“354 Mit der These von einem Realismus „an sich“ formuliert Meyer vermutlich erstmalig eine bis heute geltende Forschungskonvention, nach welcher die altniederländische Malerei unter den vorausgehenden und zeitgleichen „Realismen“ der nordalpinen Malerei eine Sonderstellung mit nahezu absoluter Realitätsnachahmung beansprucht.355 In Gegensatz dazu sind für Meyer die in Köln entstandenen Tafeln des H ­ eisterbacher 351 352 353 354 355

Ebd., S. 188. Ebd., S. 190. [Meyer,] Boisseréesche Kunstleistungen (1824), in: FA I/22, S. 94–100, S. 95. Meyer, Aus Briefen eines Kunstfreundes, 1828, S. 223. Definitorisch siehe Schmidt 1995.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

­ ltars das Ergebnis eines elaborierten, auf Kunstregeln beruhenden „Stils“, der sich A von der reinen Naturnachahmung und dem Detailrealismus der Altniederländer grun­ dlegend abhebt. Goethes 1789 getroffene Unterscheidung zwischen „einfacher Nachahmung der Natur“, „Manier“ und „Styl“ ist in dieser Bewertung gut erkennbar: Die „einfache Nachahmung der Natur“ konzentriert sich demnach auf die detaillierte bild­ liche Aneignung der natürlichen Vorlage wie etwa im holländischen Stillleben, wobei der Künstler vor allem seine technischen Fähigkeiten schärft und vervollkommnet. Vor allem in der Bewertung des hochgelobten Columba-Altars (Tf. XXX) nutzt Meyer das Wortfeld jener fundamentalen Goethe’schen Kategorie: Die Malerei des (vermeint­ lichen) Jan van Eyck zeichne sich aus durch die Detailerfassung „auf das pünktlichste“ und durch Fleiß; mit der Kategorie der „einfachen Nachahmung“ übereinstimmend ist auch die an den frühen Niederländern beobachtete Ausdrucks- und Handlungsarmut. Im Unterschied hierzu ist der „Styl“ eindeutig als höhere Kunstform idealisierend und nach einem höheren Prinzip strebend. Seine technische Ausführung beruht weniger auf Fleiß und Nachahmung der äußeren Realität als auf der routinierten Anwendung der erlernten und beherrschten praktischen Kunstgriffe sowie der genauen Kenntnis allgemeiner Kunstregeln. In der konsequenten Übertragung des bereits in die Jahre gekommenen Goethe’schen Kategoriensystems muss Meyer die Frage nach dem „missing link“ zwischen nieder­rheinischer und altniederländischer Schule neu thematisieren und überhaupt in Frage stellen. Denn wären die Tafeln des Heisterbacher Altars tatsächlich aus der Zeit vor 1410, müssten sie gemäß der „Styl“-Definition die primitivere Stufe der einfachen Naturnachahmung voraussetzen, somit eine entwicklungsgeschichtlich wie produk­ tions­ästhetisch notwendige Vorform, welche an der früheren kölnischen Malerei nicht erkennbar ist.356 Gerade hierin erweist sich für Meyer der neuralgische Punkt, der die von den Boisserées und Goethe etablierte Historisierungslinie angreifbar macht: Der äußerst elaborierte „Styl“ der Heisterbacher Tafeln wäre nur durch die Annahme einer creatio ex nihilo erklärbar. Konsequent und hellsichtig spricht daher Meyer bezüglich der Heisterbacher Flügel von einer kunsthistorischen „Verwirrung“. Sie hat für ihn zur Folge, dass „ein dunkler, nicht aufzuklärender Punct in der Kunstgeschichte bleibt, und man über das allmählige Fortschreiten der Malerey sich in unangenehme Zweifel ver­ wickelt sieht.“357 Meyer, der sich vorsichtig äußert und eine Verbesserung der Quellen­ lage anmahnt, fehlen nur wenige argumentative Bausteine, um das von Schlegel, den Boisserées und Goethe erarbeitete historische Gebäude zu revidieren.

356 Ich folge hier den Ausführungen Norbert Christian Wolfs, wonach „die ‚einfache Nachahmung der Natur‘ als kritische Kategorie prinzipiell auf sämtliche Bereiche der Kunst übertragbar ist.“ Wolf 2001, S. 351. 357 [Meyer,] Boisseréesche Kunstleistungen (1824), in: FA I/22, S. 94–100, S. 95.

III.4.3  Der Steindruck als kunstpolitische Waffe

Anders als von Sulpiz Boisserée behauptet, hat Meyer keineswegs das Postulat vom Vorrang der altniederländischen Malerei gegenüber den Italienern im 15. Jahrhundert bedingungslos anerkannt. Die Wertschätzung der Altniederländer begrenzte sich auf den maltechnischen Aspekt und die chromatischen Qualitäten, des Weiteren auf den Oberflächenrealismus der dargestellten Gegenstände, die Porträtgenauigkeit und die landschaftlichen Hintergründe, während der Verfasser des Masaccio-Aufsatzes deutlich auf dem Vorrang der Italiener hinsichtlich der konsequenten Anwendung der Linear­ perspektive, der anatomisch korrekten Proportion, dem Ausdruck und der Historie beharrte. Ein generelles ästhetisches Primat der Italiener zeigt sich insbesondere an der Auseinandersetzung mit den um 1480 entstandenen Sieben Freuden der Maria von Hans Memling (heute München, Alte Pinakothek): In der pathetischen Gebärde des Apostels Petrus in der Pfingstwunderszene will Meyer den Einfluss des 1483 geborenen Raffael erkennen, weshalb er vorschlägt, die Werke Memlings gut 25 Jahre später zu datieren.

4.3  Der Steindruck als kunstpolitische Waffe Die Öffnung und gleichzeitige Begrenzung der ästhetischen Wirkungsmöglichkeiten altkölnischer und altniederländischer Werke konnte in gewisser Weise direkt an die in Neu-deutsche religios-patriotische Kunst formulierte Ablehnung der romantischen Bewegung anschließen. Dort nämlich hatte Meyer das Aufkommen der Nazarener eng mit der Entdeckung der Künstler des Quattrocento in Verbindung gebracht, die Anfang der 1790er Jahre von Tischbein, Bury und nicht zuletzt von Meyer und Goethe selbst ihren Ausgang genommen hatte.358 Die These, dass die Kunst Masaccios, Bellinis und vor allem Peruginos keine Vorbildfunktion für die Gegenwart übernehmen ­könne, traf sich erstaunlicherweise mit derjenigen der Boisserées, die aus Unzufriedenheit mit der italianisierenden Kunstauffassung der Nazarener eine Neuorientierung an der Maltechnik der Altniederländer ins Auge fassten. Ihre Ende des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts einsetzenden Aktivitäten, im Rahmen der Restaurierung des Sammlungsbestandes auch die Erforschung der älteren maltechnischen Prinzi­pien einzubeziehen,359 sind nicht nur von einem konservatorischen Ethos getragen, sondern haben auch den klaren patriotischen Bildungsauftrag, die Kunst der Gegenwart zu verbessern. So drückt Sulpiz angesichts der von seinem Bruder Melchior geleiteten farbtechnologischen Unter­suchungen die Hoffnung aus, dass „einmal talentvolle Maler diese Bilder von Eyck, Hemmling, Schoreel u. s. w. in Hinsicht der Farbenbehandlung und über358 W.K.F. [Meyer], Neu-deutsche religios-patriotische Kunst, in: FA I/20, S. 109–111. Zur gleichzeitigen Rezeption des Trecento und Quattrocento im Umfeld John Flaxmans siehe auch Brigstocke/­ Marchand/Wright 2010. 359 Allgemein zu diesen Kontexten siehe Wechssler 1995; Pietsch 2014, ibs. S. 221–231; Stehr 2011.

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haupt des T ­ echnischen studiren.“360 Die Beschäftigung mit den Werken könne, heißt es an anderer Stelle, für Künstler der Gegenwart vor allem zwei Vorteile haben: Erstens führe sie zur „unmittelbaren, gründlichern, geistigern Naturnachahmung, zum Porträt im höhern Sinn und so zu der uns ganz abhanden gekommenen Charakteristik“, zweitens „zu einer fleißigern, sorgfältigern Behandlung der Farben und so zu einer allmäligen Regeneration des Colorits“.361 Schließlich formuliert Boisserée den Wunsch, dass die in Parteikämpfe zerstrittenen Künstler in Rom nach Deutschland übersiedeln sollten, um dort in einem Akt der Re-Nationalisierung zu einer neuen und beständigeren Formauffassung zu gelangen.362 Die Aussagen verdeutlichen, dass zwar hinsichtlich der Fragen von Maltechnik und Farbharmonie ein Konsens mit Goethe bestand, doch trotz der großen Schnittmenge Unterschiede in der Bewertung der inhaltlichen Essenz bestehen blieben. Während die Boisserées gemäß ihrer Schlegel’schen Prägung in der Formauffassung der nordalpinen Malerei das Charakteristische und damit die natio­nale Identität sehen, halten Goethe und Meyer an ihrem Klassizitätsideal fest, das sich mit der plastisch wirkenden Auffassung der altniederländischen Lasurtechniken identifizieren lässt. Ihre Auseinandersetzung mit den Werken der Sammlung dokumentiert daher keinen fundamentalen Wechsel der ästhetischen Paradigmen, sondern die Bestätigung der eigenen kunsttheoretischen Prinzipien. Wie wenig die nazarenische Kunstauffassung letztendlich mit derjenigen der Boisserées vereinbar war, zeigt eine Tagebuchnotiz von Anfang November 1812, die Sulpiz anhand einer an Quentin Massys zugeschriebenen, leonardesken Madonnen­tafel entwickelt: Dabei wurde mir recht klar wie man in der Malerei durchaus immer die Bildung der Gestalten durch Linien und durch bloße Rundung und Wölbung in Schatten und Licht als Nachahmung der würklichen Körper selber unterscheiden muß. Bei der ersteren Art zeigen sich Umrisse, die Gestalten sind umrissen; bei der zweiten zeigen sich nur Grenzen, die Kreise und Eiformen/Ellipsen, aus welchen der menschliche Körper besteht, sind gleichsam alle aus der Mitte heraus bis zu der gebührenden verhältnismäßigen Ausdehnung gebildet; hier liegt nicht sowohl die Zeichnung unmittelbar, sondern mehr eine Erinnerung daran zu Grunde, es schwebt dem Maler hier immer der lebendige Körper vor, [der] ja im eigentlichen Sinn nirgend einen bestimmten Umriß, sondern nur eine Grenze hat, weil er eben durchaus rund und nicht flach ist, – und das tolle Wort welches Schlegel v. Correggio gesagt: daß er gar nicht gezeichnet, sondern bloß gemalt habe, muß nur in diesem Sinne verstanden werden; Malerei ohne alle Zeichnung ist, wenn von würklichen Kunstwerken die Rede, fast ganz umöglich – aber ein Unterschied ist ob die Zeichnung, bloß als Mittel der Ausführung, als erste Anlage gebraucht, in der Vollendung ganz verschwindet oder ob sie, in das ganze Gebilde verflochten, auch bei der letzten Vollendung immer sichtbar und absichtlich mitwürkend bleibt – bei dieser letzten Art – die mir im Gegensatz gegen jene Maria in der Weise des Leonardo am auffallendsten durch die Vergleichung von Dürer erschienen – wird der runde lebendige Körper durch eine künstliche Verflechtung von Linien in eine Fläche übersetzt – 360 Sulpiz Boisserée an Goethe, Stuttgart, 2. 10. 1819, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 252. 361 Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 30. 12. 1816, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 156. 362 Sulpiz Boisserée an Melchior Boisserée, Wiesbaden, 1. 9. 1819, in: Boisserée 1862/1970, Bd. 1, S. 371.

III.4.3  Der Steindruck als kunstpolitische Waffe gleichsam in das Gerüste, besser in das tote Gerippe des schönen Baues – und streng an allem Grund und Rechenschaft liebend, mag sie auch bei der Ausführung in Schatten Licht und Farbe dies Gerippe, dies künstliche Liniengewebe immer gerne sehen lassen, ja sie kann es nicht anders/ (nicht) einmal verdecken, denn sie hat es bis in die kleinsten Gliedmaßen/Gliederungen und Gestaltungen des Leibes, der Gewänder, ja der Bäume und Landschaften ausgebildet und für jedes ein entsprechendes Linien hergestellt/erfunden – so daß man hier die ersten Anlagen zum Kupferstich-Wesen und zur KünstlerAnatomie erblickt, wie dann auch die beiden Meister welche man als die größten Helden dieser Zeit, jeden in verschiedener Hinsicht, anführen muß, Dürer und Michel Angelo, das Kupferstich-Wesen und die Anatomie in der Kunst entschieden veranlaßt und gegründet, dadurch zugleich neben so vielem Vortrefflichen und Herrlichen gar mächtig zur Entartung und Verzweigung der Kunst ins Einzelne eingetragen haben. – Bei den höchsten Künstlern, bei den Antiken der besten Zeit, bei Raphael und van Eyck, finden sich beide Neigungen, zur Gliederung und zur Rundung, zur künstlerischen Gründlichkeit der Gestaltung und zur anmutigen Fülle der Farbe, wie sich in ihrem mannigfaltigen Spiel vom Lichten und Dunkelen, das Erhabene und Tiefe abspiegelt. In den schönsten Werken der Alten ist die Anatomie nur so viel sichtbar als sie sich jedem Auge unter der vollen Rundung des jugendlichen oder rüstigen männlichen Leibes zeigt – bloß als Ausdeutung der Gliedmaßen, kaum mit Andeutung des Zusammenhangs und Fortgangs im einzelnen –; aber gar nicht mit dieser unnatürlichen Heraustreibung aller Muskeln und Gelenke wie bei M. Angelo.363

Der Eintrag signalisiert eine klare Distanznahme zu der um 1800 mit der FlaxmanManier assoziierten Konturlinienästhetik. Unter Berufung auf Schlegels Correggio-Beschreibungen364 setzt Boisserée malerische Werte wie die Farbe und das Helldunkel in Opposition zu den Ausdrucksmitteln der Zeichnung. Zwar bildet diese im Bildaufbau das Gerüst, doch gilt es, ihre Sichtbarkeit in einem inversiven Verfahren zu überwinden: Körper sollen „aus der Mitte heraus bis zu der gebührenden verhältnismäßigen Ausdehnung gebildet“ sein, d. h. in einem von der Körpermitte ausgehenden konzentrischen Verfahren mit Hilfe des Helldunkel und tonaler Abstufungen der Farbe konvex und konkav ausgebildete Volumina erzeugen und ohne die Ziehung von Konturlinien durch aneinanderstoßende Malflächen eine „Grenze“ bilden. Die Folge ist eine erhöhte Plastizität und Lebendigkeit. Mit der Michelangelo zugeordneten konturlinearistischen Auffassung nimmt Boisserée freilich den Topos von Michelangelo als Kunstverderber auf: In diesem Sinne werden das akademische Kopieren nach Kupferstichvorlagen und das betont Anatomische abgelehnt. Die Opposition der beiden ästhetischen Auffassungen bringt Boisserée mit den Begriffen (malerischer) „Rundung“ und „Grenze“ einerseits und (zeichnerischem) „Umriss“ und „Linie“ andererseits auf den Punkt. Das präferierte Prinzip der Rundung spiegelt die Auseinandersetzung mit den Werken altkölnischer und altniederländischer Malerei wider. Es ist überdies unvereinbar mit dem nazarenischen Konzept eines flächengebundenen Einsatzes der Lokalfarbe innerhalb eines zeichnerischen Konturs.

363 Tagebucheintrag am oder nach dem 2. 11. 1812, in: Boisserée 1978–1995, Bd. 1, S. 88 f. 364 Schlegel 1995, S. 13–21.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

Die Ablehnung der nazarenischen Formauffassung und der höchstmögliche Konsens in der Frage des Technischen sollte in den Folgejahren die Zusammenarbeit mit den inzwischen nach Stuttgart übergesiedelten Sammlern und den Weimarischen Kunst-Freunden bestimmen. Eine zentrale Rolle spielte dabei das lithographische Mappenwerk mit insgesamt 114 großformatigen Blättern nach den Werken der Sammlung, das zwischen 1821 und 1834 in 38 Lieferungen erschien.365 Die Entscheidung, die Gemälde im noch jungen Medium des Steindrucks reproduzieren zu lassen, ist eng mit den oben skizzierten ästhetischen Grundsätzen Boisserées und der vorausgegangenen Diskussion mit Goethe verflochten. Sie erklärt sich vor allem aus der Unzufriedenheit mit den konventionellen Reproduktionsmedien, die den malerischen Aspekt mit der körperbildenden Helldunkelverteilung nur unzureichend wiedergeben können. So schreibt Boisserée an Goethe bei der Übersendung einer Durchzeichnung nach der Veronika­ tafel (Tf. XXIX): Sie wissen, alle Züge dieses mehr einem Schatten ähnlichen Gesichts verlieren sich ins Unbestimmte, alle einzelnen Formen verfließen in die Bildung des Ganzen. Wie läßt sich davon ein Umriß machen? Gerade die wesentliche Schönheit des Bildes, die mit der schmerzlichsten Spannung von fast todtenhafter Erstarrung wundersam verbundene jugendliche Weichheit und Lindigkeit geht da ganz verloren.366

Trotz dieses angesprochenen Defizits ließ Goethe für Ueber Kunst und Alterthum einen Umrissstich nach der Zeichnung anfertigen.367 Der Wunsch nach einer Abbildungsbeilage war hier stärker als die nach der exakten Reproduktion der relevanten formalen Werte. Die im Sammlungsbericht wiederholt zu findende Äußerung, die Beschreibung könne die Anschauung der Originale nicht ersetzen,368 kulminiert in der Formulierung des Desiderats von Abbildungen: „Höchst wünschenswerth wäre es deßhalb, daß uns die Herrn Besitzer vorerst von den erwähnten Bildern, in mäßiger Größe genaue Umrisse mittheilten, wodurch auch ein jeder der das Glück nicht hat die Gemälde selbst zu sehen, dasjenige was wir bisher gesagt, würde prüfen und beurtheilen können.“369 Kupfertafeln in stark verkleinerndem Maßstab waren jedoch nicht im Sinne der Boisserées. Bereits am 22. Oktober 1815 hatte Sulpiz gegenüber Goethe dargelegt, wie „Kupferstiche nach unseren Gemälden“ sein müssten: nämlich „von bedeutender ­Größe“, „nicht bloß Umriße“, „aber auch nicht von kostbarer Ausführung, sondern in 365 Die Sammlung Alt-Nieder- und Ober-Deutscher Gemälde der Brüder Boisseree und Johann Bertram, lithographirt von Johann Nepomuk Strixner. mit Nachrichten über die Alt-deutschen Maler von den Besitzern. Stuttgart 1821[–1834]. Winkler 1975, S. 371–373, Nr. 971. Hierzu siehe: Ausst.-Kat. Neuss/ Heidelberg 1980/1981; Oechslin 2002. 366 Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 11. 2. 1815, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 54. 367 Kupferstich von Carl August Schwerdgeburth: Veronikatafel, Bildbeilage für das 1. Heft von Ueber Kunst und Alterthum, 1816. 368 FA I/20, S. 71 und 73. 369 FA I/20, S. 89.

III.4.3  Der Steindruck als kunstpolitische Waffe

der Art, wie die Blätter, welche Ruscheweyh in Rom zum Faust von Cornelius sticht. Es könnte gar nicht schaden, wenn Sie an dieser Stelle ein für allemal ein Verdammungsurtheil über alle Kalenderküpferchen nach Kunstwerken u. s. w. aussprächen.“370 In den Folgejahren wird immer mehr die Mediendifferenz zwischen Kupferstich und Malerei betont, so etwa, wenn Goethe darauf hingewiesen wird, der „W. K. F.“ (also Meyer) ­habe sein negatives Urteil über altdeutsche Malerei „bloß auf die Kenntniß der Kupfer­ stiche und Holzschnitte von Martin Schön, Alb. Dürer und Altorfer [sic!] und einiger eintöniger Malereien“ gestützt.371 Immer mehr wird für Boisserée die Kupferstichästhetik zum Synonym einer konturlinearistischen Auffassung, die mit der Gemäldereproduktion unvereinbar ist und allenfalls für die Architekturansichten des Domwerks genutzt werden kann. Vor diesem Hintergrund erwies sich das auflagenstarke und verhältnismäßig kosten­ günstige Verfahren der Lithographie als dasjenige Reproduktionsmittel, das den formalen Qualitäten der altdeutschen und altniederländischen Kunst auf geeignete Weise entgegenkam. Verpflichtet wurde einer der Pioniere des neuen Verfahrens, der Münchner Reproduktionslithograph Johann Nepomuk Strixner.372 Sein erstes Werk, der unter der Aufsicht Senefelders entstandene Faksimiledruck von Dürers Randzeichnungen im Gebetbuch Kaiser Maximilians I., hatten Goethe und Meyer in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 1808 positiv besprochen.373 Durch den brieflichen Kontakt mit ­Johann Christian von Mannlich, der als Direktor der Kunstsammlungen in Schleißheim und München weitere Projekte im Steindruck initiierte und seit 1809 die von Alois Senefelder begründete Lithographische Anstalt in München leitete, waren Goethe und mit ihm Meyer stets über die neuesten Entwicklungen informiert:374 In den ab 1810 erschienenen Oeuvres Lithographiques wurden Zeichnungen aus dem Besitz der Wittelsbacher in Faksimilequalität reproduziert, bei denen Strixner mittels Aussparungen in den Tonplatten Weißhöhungen imitierte.375 Der seit 1807 nachweisbare Tondruck sollte mit dem seit 1816 erscheinenden Galeriewerk Kgl. Baierischer Gemälde-­Saal weiter perfektioniert werden, das erstmals in umfänglicher Weise dem Kupferstich in der Gemälde­ reproduktion Konkurrenz machte.376 Im Herbst 1820 übernahm ­Strixner die „Direk­ 370 Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 27. 10. 1815, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 71. 371 Sulpiz Boisserée an Goethe, Heidelberg, 10. 7. 1817, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 180. 372 Zu Strixner siehe Weber 1961, S. 31–34. 373 W.K.F. [Meyer], Albrecht Dürers christlich-mythologische Handzeichnungen, von N. Strixner, in: ­Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 5/1 (1808), Sp. 529–534, vom 19. 3. 1808, Nr. 67. 374 Weber 1961/1964, Bd. 1, S. 37–42. 375 Ferchl 1862, S. 25–27; Wegner 1965, S. 140–148. Zu den Oeuvres Lithographiques (1810–1816) vgl. Winkler 1975, Nr. 964, S. 343. 376 Winkler 1975, Nr. 954, S. 334. Zum Tondruck und der davon abzugrenzenden Chromolithographie siehe Wilhelm Weber: Aloys Senefelder: Erfinder der Lithographie, in: Ausst.-Kat. München 1988, S. 11–20, S. 19.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

tion“ des mit 15 Mitarbeitern ausgestatteten Privatunternehmens für die S­ ammlung ­B oisserée und siedelte von München nach Stuttgart über.377 Erste lithographische Andrucke, darunter einer nach der Kölner Veronikatafel (vgl. Tf. XXIX), wurden Goethe zum Ende des Jahres übersandt.378 Das in Stuttgart weiterentwickelte Verfahren, in der Gemäldereproduktion durch kreideartig aufgetragene Schattenwerte eine starke Körperlichkeit zu erzeugen, glich sich kongenial an die plastische Wirkung der Vorlagen an. Werte wie Räumlichkeit, Modellierung und Helldunkel wurden gegenüber den Originalen sogar verstärkt.379 Die Verwendung von mehreren übereinander gedruckten dezent farbigen Tonplatten erzeugte zusätzliche plastische Effekte und räumliche Tiefen. Neben einer Strichplatte verwendete Strixner bis zu drei Tonplatten in Goldgelb, hellem Oliv und dunklem Oliv, die manchmal von einer letzten Platte mit verstärkenden Partien der Körperschatten überdruckt wurden.380 Jenes Tonplattenverfahren imitierte auf ansprechende Weise das in der Farbenlehre propagierte maltechnische Prinzip der optischen Mischung und der dadurch erzeugten plastischen Effekte, in denen Goethe und Meyer gerade die Hauptqualitäten der nordalpinen Kunst des 15. Jahrhunderts erkannt hatten. Strixners Ausschöpfung und Weiterentwicklung der im Steindruck verfügbaren Ausdrucksmittel ist – nicht zuletzt aufgrund einer Rezension Meyers – als Kombination von Federumrisszeichung und Kreidemanier in unterschiedlicher Körnung bekannt geworden.381 Dieses Verfahren war bereits während der Arbeit an dem Münchner Galeriewerk Baierischer Gemälde-Saal perfektioniert worden. In den Boisserée’schen Blättern lässt sich dagegen der Einsatz der Federzeichnung nur in geringem Maße nachweisen. Beispiele hierfür liefern die Imitation dezidiert graphischer Mittel wie die Zeichnung der gotischen Rahmenarchitektur auf dem Goldgrund der Tafeln des Heister­ bacher ­Altars oder die Haarkräusungen einiger Heiliger auf dem Bartholomäus-­Altar. In der Regel vermeidet Strixner jedoch die sogenannte „Federmanier“ mit ihrer intensiv schwarzen Linie und lässt die dargestellten Figuren und Objekte sanft mit dem Hinter­grund zusammenstoßen, so dass sich aus dem Nebeneinander unterschiedlich strukturierter Bildflächen die Körpergrenze ergibt. An akzentuierten Stellen finden sich Abschattierungen, die in einen Lichtrand übergehen und damit den Körper vom Hintergrund absetzen, ohne diesen hart zu konturieren. Körperlichkeit und Plastizität entstehen in ­Strixners Lithographien vor allem durch den breitflächigen Einsatz von Graustufen, die in der Körnung der aufgetragenen Kreide ein Äquivalent zum malerischen Auftrag schaffen und an wenigen Stellen ins Schwarze übergehen. Ihr differen377 378 379 380 381

Oechslin 2002, S. 96. Sulpiz Boisserée an Goethe, Stuttgart, 30. 12. 1820, in: Bw. Goethe/Boisserée, S. 301. Hierzu Engels 1980. Siehe auch Rößler 2017a. [Meyer,] Ueber Lithographie und lithographische Blätter (1821), in: FA I/21, S. 160–178, hier S. 175.

III.4.3  Der Steindruck als kunstpolitische Waffe

zierter Einsatz entspricht der Boisserée’schen Forderung nach „Rundung“ aus der Mitte des dargestellten Objekts heraus: Die Reflexlichter unterstützen diesen Effekt zusätzlich, indem sie die vorspringenden Gesichtspartien wie Stirn, Nase und Kinn betonen und so an die Beleuchtung geglätteter Gipsoberflächen nach antiken Skulpturen erinnern. Der Einsatz farbiger, oft goldgelber Tonplatten lässt sich schon in den ersten Lieferungen differenzieren: In der breitflächigen Anwendung dienen sie bei Werken der altkölnischen Malerei der Imitation des Goldgrundes; in überdruckender Kombination mit der schwarzen Strichplatte verstärken sie den Materialeffekt in der Darstellung von Pressbrokathintergründen oder von Metallgegenständen; schließlich geben sie einzelnen Blättern durch eine rhythmische Verteilung und durch Hervorhebung von Raumebenen eine kolorierende Wirkung. So wird auf dem Blatt nach dem rechten Flügel des Columba-­Altars (Tf. XXXI) einerseits mit einer hellgelben Fläche die gotische Innenraumarchitektur im Hintergrund gefüllt hervorgehoben, während im Vordergrund durch ein zweites, intensiveres Gelb die Lokalfarbe zweier Hauben und eines Kleidung­ saums ins Auge fällt. Der Einsatz der beiden Platten in zwei abgestuften Gelbtönen dient somit der Steigerung der Räumlichkeit und der Vermittlung eines chromatischen Eindrucks. Dieser Kolorismus pars pro toto simuliert in Kombination mit den in Graustufen übersetzten übrigen Gewandfarben den chromatischen Eindruck der Tafel. Haben für Meyer bereits die unter Strixners Leitung entstandenen Münchner Steindrucke „Rundung, Kraft und malerischen Effect“,382 so scheint sich für die Weimarischen Kunst-Freunde mit den ersten Lieferungen nach den Werken der Sammlung ­B oisserée die neue Technik vollends zum Leitmedium der Reproduktionsgraphik entwickelt zu haben. Zwischen 1821 und 1828 erscheinen in Ueber Kunst und Alterthum zehn Rezensionen, in denen die Blätter ausnahmslos lobend besprochen werden. Schnell wird erklärt, „wir wagen nichts wenn wir behaupten, weder in der Lithographie noch im Kupfer­stich sey eine bessere, höher zu schätzende Nachbildung eines dem ältern Styl in der Mahlerey angehörigen Werks verfertigt worden.“383 Die Entwicklung der technischen Möglichkeiten vollzieht sich in „immer fortschreitende[r] Vervollkommnung“384 und in „ununterbrochene[r] Steigerung“, bei der Korn und Kreide feiner, die Zeichnung zarter werden, „die Töne mehr an Klarheit“ und die „Schattenmassen“ mehr „an Kraft und Durchsichtigkeit“ gewinnen.385 Gegen Ende der Rezensionsfolge scheint das Vokabular für Detailbeschreibungen und Überbietungstopoi derartig erschöpft, dass Meyer gegenüber Goethe einräumen muss, über keine „Phrasen“ mehr zu verfügen.386

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FA I/21, S. 166. FA I/21, 171 f. [Meyer,] Bildende Kunst. Nachtrag (1825), in: FA I/22, S. 191–195, S. 192. [Meyer und Goethe,] Steindruck (1826), in: FA I/22, S. 266–271, S. 270. Vgl. Meyer an Goethe, 13. 6. 1828, in: Bw. Goethe/Meyer, Bd. 3, S. 159: „alle meine Phrasen sind verbraucht“.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

Im Vergleich zu den Parallelunternehmen in München und Berlin fällt auf, dass das Stuttgarter Projekt in Ueber Kunst und Alterthum eindeutig bevorzugt wird: Dies betrifft nicht allein die Bewertung der technischen Qualität und Treue zum Original,387 sondern auch das gesamte von Strixner entwickelte Stilidiom: Hatte Aloys Senefelder in den ­ersten Jahren die Lithographie als universelles Medium propagiert, das alle Drucktechniken täuschend echt imitieren könne, hat nun das Medium eine ihm adäquate Form gefunden. Der mit Tonplatten kombinierte Druck in Kreidemanier hat sich nicht allein vom anfänglichen Grundsatz der Faksimilierung aller graphischen Techniken emanzipiert und eine eigenständige Ausdruckssprache entwickelt, sondern er passt sich auch den Werken nordalpiner Malerei hervorragend an – jedenfalls so, wie sie von den Zeitgenossen interpretiert wurden. Dies führt zurück auf Meyers Lieblingsfrage nach der Auswahl reproduktionswürdiger Vorbilder: „Ist in dem nachzubildenden Werk die Erfindung schwach, ohne poetischen Gehalt, so mag man billig zweifeln, ob es verdiene durch Steindruck (und dasselbe gilt auch von Kupferstichen) weiter bekannt zu werden.“388 Unternehmer sollten reiflich überlegen, was sich im Steindruck ausführen ­lasse.389 Es ist daher kein Zufall, dass die Werke der Sammlung Boisserée mit ihrem homogenen Profil bei Meyer eine deutliche Vorrangstellung gegenüber anderen, vorwiegend auf Repräsentation bedachten Galeriewerken erhalten, die in ihrer Diversität die gesamte Sammlungsspannweite berücksichtigen. Die Koinzidenz von technischer Perfektion und mustergültiger Vorlage ist entscheidend, denn die Stuttgarter Blätter „zeichnen sich durch Vorzüglichkeit der Musterbilder, nach denen sie gezeichnet sind, wie nicht weniger durch ihre eigenthümlichen Verdienste aus.“390 Nur so ist für Meyer die ständige Potenzierung der lithographischen Gestaltungsmöglichkeiten zu verstehen und als Rezensionsprinzip zur rechtfertigen. Sie spiegelt die im Nachahmungsgrundsatz verbürgte künstlerische Leistungsfähigkeit wider, die ansonsten in der Kunst der Gegenwart so schmerzlich vermisst wurde. Die in Ueber Kunst und Alterthum publizierten Rezensionen zu den Einzellieferungen des Mappenwerks dokumentieren einerseits die technische Fortschrittsgeschichte des Steindrucks.391 Andererseits spiegelt die damit intendierte technische Verbesserungsgeschichte zunehmend jene in dem neuen Reproduktionsmedium verbürgten Ausdrucksqualitäten wider, welche der Formensprache der von den Weimarischen Kunst-Freunden so heftig bekämpften Nazarener genau entgegengesetzt war. Dies wird gerade im Vergleich mit anderen lithographischen Unternehmungen deutlich. So kri387 388 389 390 391

[Meyer,] Bildende Kunst (1827), in: FA I/22, S. 365 f, S. 365. FA I/21, S. 175. Vgl. ebd. W.K.F. [Meyer], Fortschritte des Steindrucks (1823), in: FA I/21, S. 459–472, S. 460 f. Dieser Aspekt des Wettbewerbs mit anderen lithographischen Unternehmen und mit Nationen wie Frankreich wird von Meyer in den Rezensionen zu lithographischen Werken durchgängig berücksichtigt.

III.4.3  Der Steindruck als kunstpolitische Waffe

63__Kreidelithographie nach ­B ernardino Fasolo: Heilige Familie (vor 1518, Gemäldegalerie Berlin, Nr. 209; damals Bernardino Luini zugeschr.). Aus: Königlich Preußische Gemälde-Gallerie in Steindruck. Hrsg. von G. Ed. Müller. Mitarb. P. Gross, Erstes Heft, Tafel 2.

tisiert Meyer äußerst scharf die Versuche nach italienischen Gemälden der königlich preußischen Sammlung in Berlin und Potsdam. Im Vergleich mit der Strixner-Boisserée’schen Unternehmung findet die Reproduktion nach einem damals Bernardino ­Luini zugeschriebenen Werk keine Gnade (Abb. 63). Dies betrifft nicht allein die seitenverkehrte Wiedergabe und geringe Qualität der grob gekörnten Kreidezeichnung mit ihren fließenden Übergängen, sondern auch die Auswahl eines Gemäldes, das in seiner weichen, unplastischen Auffassung und dem rührseligen Sujet der romantischen Verehrung umbrischer Malerei zu nahe kommt. Jene Heilige Familie sei „kein für lithographische Arbeit geeignetes, und sonach dem Zweck des Werks angemessenes Bild. Zum günstigsten beurtheilt, drückt das Ganze ein stilles ruhiges Zusammenseyn aus, auch mag der Kopf des heil. Joseph Verdienst haben, allein die Erfindung des Werks ist gehaltlos, die Anordnung mangelhaft, die Zeichnung schwach und die Beleuchtung unrichtig.“392 In dieser drastisch formulierten Ablehnung findet sich Meyers Kritik an der nazarenischen Orientierung an Vorbildern der umbrischen Malerei des Quattrocento wieder, die er bereits in dem Aufsatz Neu-deutsche religios-patriotische Kunst als besonders schädliche, weil im künstlerischen Prozess regressiv einwirkende Form der Nachahmung älterer Vorbilder kritisiert hatte. Dagegen fallen die Rezensionen zu den ­Boisserée’schen Blättern enthusiastisch aus: Strixners Lithographie nach der berühmten 392 [Meyer,] Berliner Steindruck (1824), in: FA I/21, S. 538–541, S. 539.

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III.4.  Meyer und die Sammlung Boisserée

Tafel des Heiligen Christophorus von Dieric Bouts (sog. Perle von Brabant), damals Hans Memling zugeschrieben, schöpft die Schwärzen für Licht-Schatten-Effekte aus und ermöglicht eine nahezu perfekte druckgraphische Übersetzung der Landschaft und der Spiegeleffekte des Wassers (Tf. XXXII). Dies alles sind Qualitäten, die der nach 1810 etablierten nazarenischen Formensprache mit einer flächengebundenen und vom Helldunkel kaum durchbrochenen Lokalfarbigkeit abgingen. In diesem Dualismus – der neu geschätzten Qualität nordalpiner Malerei und der Dynamik der drucktechnischen Veränderung – lesen sich die Rezensionen zu den „Boisseréeschen Kunstleistungen“ wie ein systematisches Gegenprogramm zu der als formal insuffizient wahrgenommenen Malerei der eigenen Gegenwart.

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Die vorliegende Studie setzte sich zum Ziel, auf Grundlage des schriftlichen und künstlerischen Nachlasses von Johann Heinrich Meyer einen Beitrag zu den epochen­ signifikanten Vorgehensweisen eines ‚epistemischen‘ Klassizismus zu leisten. Die Argumentation ging von der Grundprämisse aus, dass die Genese von ästhetischem und kunsthistorischem Wissen in enger Beziehung mit Verfahren des Zeichnens, des Kopierens, des Notierens von künstlerischen Objekten vor Ort wie auch der experimentellen Erprobung ästhetischer Grundsätze durch eigene künstlerische Beiträge steht. Die ­ersten beiden Teile der Arbeit widmeten sich diesen Praktiken umfassend: Die Statuenbetrachtung bei Fackelschein bildet das Grundmuster eines kinästhetischen Kunstwahrnehmung aus, welche die Detailbeobachtung in einen gleitenden Prozess überführt, der zugleich eine Ganzheitserfahrung herstellt. Sie positioniert sich damit gegen die Vermittlungsmodelle der Aufklärungsästhetik, welche die Einheit in der Mannigfaltigkeit systemisch zu lösen versuchen, und ersetzt sie durch einen organisch-gleitenden Begriff von Werkganzheit im autonomieästhetischen Sinne. Meyers Zeichnungen nach antiken Skulpturen dokumentieren die Resultate dieses nach 1780 von Rom ausgehenden Wahrnehmungsumbruchs. Sie zeugen von Versuchen, die Morphologie antiker Skulpturen stereometrisch zu erfassen und/oder durch ungewöhnliche Positionen begreifbar zu machen. Demgegenüber vollziehen um 1795/1796 die im Kapitolinischen Museum angefertigten Zeichnungen nach antiken Werken den Übergang zu einer analytischen Zeichenpraxis, welche die zu starr erachteten Epochengliederungen Winckelmanns zu differenzieren und revidieren sucht. Über die Nachzeichnungen von antiken Skulpturen lassen sich somit zentrale Theorierevisionen und die Erweiterung des kunsthistorischen Fokus nachverfolgen. Autonomieästhetik und Historisierung der Kunst stehen bei Meyers Antikenaneignungen in einem Spannungsverhältnis, das sich nur dadurch lösen lässt, dass auf der Grundlage verbindlich-normativer Muster kategoriale Leitbegriffe der Historisierung abgeleitet und dadurch stilistische Differenzwahrnehmungen ermöglicht werden. Neben ihrem Wert als Quelle der Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte erfüllen die Notizen des zweiten Italienaufenthalts 1795-1797 zentrale Aufgaben der kunsthistorischen und ästhetischen Erkenntnisgenerierung, indem sie Meyer nach kohärenten Sammlungsbeschreibungen einerseits und nach tabellarischen Rubrikenbe-

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schreibungen zu Einzelwerken andererseits organisiert. Besonders die tabellarischen Beschreibungen nach Rubriken dienen als Relais zwischen Anschauung vor Ort und der daraus resultierenden kunsthistorischen wie ästhetischen Erkenntnis. Indem sie Einzelwerke exemplarisch ausweisen, ermöglichen sie im Gegensatz zu den kohärent geführten Galerienotizen die Durchbrechung räumlich vorgegebener Wahrnehmungsdispositive und führen so zu einem flexiblen Umgang mit den Objekten. Ihre gitterförmige Anordnung durch definierte Felder strukturiert den Wahrnehmungsakt vor und zwingt den schreibenden Betrachter durch die getrennte Aufteilung nach Kategorien zur Abstra­hierung. Auf diese Weise wird Meyers diagrammatisches Verfahren zum ästhetischen wie kunsthistorischen Reflexionsmedium. Im verlangsamten Prozess der Anschauung und Notation führt dies zur Revision oder Neuformulierung theoretischer Prinzipien – zeigen ließ sich dies unter anderem im Teil III anhand der Tabellen zu Skulpturen, in denen Meyer entgegen akademischer Konventionen die Kategorie des Helldunkel berücksichtigt und damit zu einer originären Auffassung über die Beleuchtung von Bildwerken kommt. Schließlich dienen die Tabellen dem stilkritischen Vergleich, wie die Zusammenstellung von räumlich voneinander getrennten Kunst­ werken belegt (Beispiel: Michelangelos Tondo Doni und Andrea del Sartos Madonna del ­Sacco; auch die Umkehrung der räumlichen Abfolge bei Bellini und Tizian in der V ­ illa ­Aldobrandini). Die stupende Sammlungsbeschreibung von Objekt zu Objekt dient dagegen der Konservierung des wahrgenommenen römisch-florentinischen Kunstkosmos. Dass das barocke Pendantsystem bisweilen zur Ausbildung autonomieästhetischer Theoreme beiträgt, konnte am Beispiel von Meyers Notizen im Palazzo Colonna belegt werden. In allen Notizen bleibt ein hoher Normierungsanspruch bestehen, der zugleich zur Historisierung der Kunst beiträgt. Der letztendlich systematisch nicht lösbare Gegensatz von eklektischen, aus dem Akademismus stammenden Bewertungsmustern der Parzellierung und autonomieästhetischem Geschlossenheitsanspruch bleibt das Grundproblem der Notizen. So wenig dieser Gegensatz zu einem ästhetischen Systementwurf beitragen kann, gewährleisten doch Meyers bildkritische Verfahren eine methodische Flexibilität und Diversität. Wird die Grundprämisse von der werkorganischen Geschlossenheit durch die permanente detailkritische Zergliederung unterlaufen, führt dies letztendlich zum Bewusstsein einer nahezu unendlichen Kritikoffenheit des Kunstwerks und ermöglicht erst die differenzierte Historisierung der Kunst nach morphologischen Reihenbildungen. Mit diesen Ansätzen schuf Meyer in der Nachfolge Winckelmanns einen bedeutenden Beitrag zur Formgeschichte der Kunst. Wenn auch terminologisch noch nicht ausgereift und im klassizistischen Vokabular verhaftet, ging er konsequent vom beobachteten Befund aus und rekonstruierte die sich langsam vollziehenden Entwicklungen der künstlerischen Formen. Dies zeigt sich besonders in Teil II der Arbeit anhand von Meyers koloritgeschichtlichem Abriss in Goethes Farbenlehre. Der Versuch einer

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in sich geschlossenen Darstellung der Farbentwicklung von Giotto bis zur Gegenwart ist das Resultat der in Italien konsequent angewandten Aufzeichnungen und ihrer Zergliederungstrategien nach Rubriken. Er weist zudem eigenständige Schwerpunktsetzungen gegenüber den früheren Theoretikern der Farbe wie Ludovico Dolce, Roger de Piles oder Anton Raphael Mengs auf, indem Pietro da Cortonas Deckenbild im Palazzo ­Barberini zum Höhepunkt der neuzeitlichen Farbharmonie erhoben wird. Parallel zu Meyers kunsthistorischer Koloritforschung bildet sich seit ca. 1792 ein praktisch-experimenteller Strang aus, der auf Goethes physikalische und wahrnehmungsphysiologische Überlegungen zur Farbe reagiert und die daraus entstehenden Harmonielehren konsequent anwendet. Wie eine Bildfolge aus dem Zeitraum 1793– 1795 belegte, setzt Meyer die Goethe’schen Hypothesen fast naiv in eigenen Bildfindungen mit spezifischen Harmoniesystemen um. In Rom leistet dann Meyer 1796 mit der Kopie der Aldobrandinischen Hochzeit und dem dazu parallel verlaufenden Notieren der Ergebnisse einen entscheidenden Beitrag zur kunsttheoretischen Fundierung von Goethes Farbenlehre: Das Fresko wird so zum paradigmatischen Werk einer antiken Lehre von der Farbenharmonie. In der empirischen Farbanalyse und der damit verbundenen Rückprojektion der Weimarer farbästhetischen Grundsätze auf das Fresko beantwortet Meyer den seit der Querelle des Anciens et des Modernes schwelenden Rangstreit von antiker und neuzeitlicher Malerei zugunsten der Antike. Dass die römische Malerei aus augusteischer Zeit impressionistisch-modern anmutende Charakteristika wie farbige Schatten und eine gelockerte Pinselführung aufweist, zeugt zugleich von dem Innovationspotential von Meyers Auseinandersetzung. Gegenüber den plastisch-rundenden Korrekturversuchen durch eine Wiederholung der Aquarellkopie in Öl setzt sich mit den 1820 nach Weimar gelangenden Kopien der pompejanischen Tänzerinnen durch Carl Joseph Raabe bei Meyer eine Auffassung durch, die in polemischer Wendung gegen die Kunst der Nazarener eingesetzt wird. Der dritte Teil der Arbeit deutete die im Spannungsverhältnis von historischer Empirie und ästhetischer Normativität angelegten Argumentationsmuster als gegenwartskritische Positionierungen. Die von jeher als Kern der Meyer’schen Forderungen erachtete Gegenstandslehre wurde anhand eines unpublizierten Teils des Aufsatzes Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst als innerklassizistische Theorierevision gedeutet. Die Lehre von den geeigneten Gegenständen (Sujets) ist eng mit theoretischen Überlegungen zu Malerei, Vollplastik und Relief verwoben, was im ursprünglichen Plan zu einer Zuordnung bestimmter Sujets an bestimmte Gattungen führen sollte. Neben diesen gehaltsästhetischen Fragestellungen ist jedoch in Meyers Kunsttheorie das formalästhetische Verständnis überraschend stark ausgeprägt. Die Forderungen nach Verbesserung der Zeichnung, aber vor allem des Kolorits und des Helldunkel nehmen nach 1810 umso mehr zu, als die Kunst der Gegenwart als eine rezessive Entwicklung des Niedergangs begriffen wird. Zentrales operatives Merkmal ist die Kategorie des Helldunkel. Es gilt Meyer als gattungsübergreifendes Strukturmerkmal der Malerei, Druck-

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graphik und Plastik, zugleich ist ihm dessen vermeintliche Abnahme bei zeitgenössischen Künstlern ein untrügerisches Indiz für den Niedergang der Kunst. Während die koordinierte Verteilung von Licht und Schatten die Hauptforderung von Meyers Theorie der Reproduktionsgraphik und zum Kriterium für die Auswahl reproduktionswürdiger Vorlagen wird, fordert er auch vom Bildhauer die Auseinandersetzung mit dem Wirkungspotential des Helldunkels. Anders als in der traditionellen Kunstliteratur wird die Beleuchtung von plastischen Werken nicht mehr als das Phänomen kontingenter und sich ändernder Lichtverhältnisse gewertet, sondern als objektiv herstellbarer, bereits im Werkprozess zu reflektierender Hauptbestandteil des Bildwerks. Diese eigenständige, die Werke der griechischen Spätklassik bevorzugende ästhetische Theorie des skulpturalen Helldunkel realisiert sich in den Statuen Christian Friedrich Tiecks in dem von Heinrich Gentz entworfenen Haupttreppenhaus des Weimarer Residenzschlosses. Schließlich wird anhand von Meyers Auseinandersetzung mit den Werken der Sammlung Boisserée der Zusammenhang von Historisierung und Gegenwartskritik konkretisiert: Die realistisch-plastische Gestaltung altniederländischer Malerei wird in Meyers Besprechungen von Johann Nepomuk Strixners lithographischen Reproduk­ tionen in eine Frontstellung zur italienischen Malerei des Quattrocento und damit auch gegen die nazarenische Auffassung gebracht. Ähnlich wie im englischen Holzstich erkennt Meyer in der Lithographie ein neues, breitenwirksames Medium zur Veränderung des allgemeinen Geschmacks. Zudem gelingt Meyer in der Auseinandersetzung mit Tafeln des Heisterbacher Altars eine stilkritisch wegweisende Erkenntnis, indem die von den Boisserées und Goethe als Frühwerk Stefan Lochners (damals „Meister ­Wilhelm“) angesehenen Altarflügel als Werk eines routinierten Nachfolgers mit fast klassizistischem Stilverständnis gedeutet werden. 1831 schrieb Meyer resigniert in seinem letzten Brief an den Zürcher Freund ­Johann Jakob Horner: „Man sieht von Kunstwerken nichts als unerfreuliche Landschaften[,] ganz gemeines Porträtzeug von historischen Darstellungen, was mich langweilt ­Fäuste, Gretchen, Mephistopheleße. und vornehme Tobiaße.“1 Meyers Versuche der inhalt­lichen Einflussnahme auf die neueren Kunstentwicklungen mussten zu diesem Zeitpunkt als gescheitert gelten. Doch belegen die herausragenden Beispiele von Gottlieb Schick und Christian Friedrich Tieck, dass sich seine Forderungen in den innovativen Bahnen des Klassizismus um 1800 bewegten und originäre Theoreme formulierten, die zur Beschreibung einer Epochensignatur beitragen können. Neben der erstaunlich flexiblen Anwendbarkeit von Meyers dogmatischem Kunstverständnis bleibt auffallend, dass in allen Überlegungen das klassizistische Primat von Zeichnung und Kontur dadurch depotenziert wurde, dass es nur noch gleichranging mit anderen Forderungen Bestand hatte. Der internationale Konturlinienstil, der sich in den späten 1790er 1

Meyer an Johann Jakob Horner, Weimar, 6.5.1831, in: ZB Zürich, Handschriftenabteilung, FA Escher v. G. 188.106. Horner starb am 13.6.1831.

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Jahren durch John Flaxman etablierte und sowohl im Klassizismus wie in der romantischen Arabeskenauffassung eine für mehrere Jahrzehnte gültige Grundkonstante ent­ wickelte,2 stellte für Meyer keine Alternative zu der Misere dar. Er war vielmehr Symptom einer umfassenden Krise, der mit den Theorien der farbharmonischen Streuung und einem gattungsübergreifenden, das ästhetische Objekt durchgängig strukturierenden Helldunkel zu begegnen war. Gerade hinter diesen Kriterien verbergen sich wegweisende Konzepte: In der wahrnehmungsphysiologisch begründeten Brechung der Schattenfarben und in der Forderung nach einer bildkohärenten Farbenharmonie, die sich für Meyer in der Aldobrandinischen Hochzeit realisierte, lassen sich mutatis mu­ tandis die Ansätze des Impressionismus, des Divisionismus oder auch die Harmonielehren der klassischen Moderne wiedererkennen. Meyers Überlegungen zum idealen Helldunkel von Bildwerken erinnern nicht nur an die kunstwissenschaftlichen Über­ legungen Heinrich Wölfflins und August Schmarsows zum „Malerischen“ in der Skulptur gegen Ende des 19. Jahrhunderts,3 sondern auch an die Inszenierungen der frühen fotografischen Ateliers und ihre Lehrstandards, welche die Modellierung durch künstliches Licht zur artifiziellen Hauptaufgabe des Fotografen machten.4 Sollten Meyers inhaltliche Forderungen an die Kunst trotz höchster Publizität bei den zeitgenössischen Künstlern kaum Gehör finden, bildeten seine Überlegungen zur künstlerischen Form im ästhetischen Denken um 1800 teilweise Alleinstellungsmerkmale aus, die einerseits die Historisierung der Kunst vorantrieben, andererseits neoklassizistische Konzepte bis in das 20. Jahrhundert hinein trugen.

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Rosenblum 1976; Busch 1985. Wölfflin 1888, S. 22; Schmarsow 1899. Sternberger 1974, S. 182 f.

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Anhang

Inhaltsübersicht

Dokumente Dok. 1 Beschreibung des Palazzo Colonna, Rom 1795/1796 Dok. 2 Beschreibung der Villa Aldobrandini, Rom 1790 Dok. 3 Beschreibung der Villa Aldobrandini, Rom 1796 Dok. 4 Tabellarische Beschreibung von Tizians Bacchus und Ariadne und G. Bellinis Götterfest, Villa Aldobrandini, Rom 1795/1796 Dok. 5 Tabellarische Beschreibung von Mantegnas Totem Christus, Villa Aldobrandini, u.a., Rom 1795/1796 Dok. 6 Tabellarische Beschreibung von Andrea del Sarto, Madonna del Sacco, und Michelangelo Buonarroti, Tondo Doni, Florenz 1796 Dok. 7 Textfragment zur Malpraxis, ca. 1788/1789 Dok. 8 „Über die Farbenlehre“, Konzept, ca. 1794/1795 Dok. 9 „Raabe’s Copien Heculanischer Gemälde“, 1821 Dok. 10 „Über die Beurtheilung von Kunstwerken“ (1795?) Verzeichnisse Verzeichnis der Archive und bestandshaltenden Institutionen Abkürzungen und Siglen Bibliographie Johann Heinrich Meyer, Schriften in Auswahl Andere Quellen Gedruckte Briefwechsel Forschungsliteratur Tafelteil Abbildungen Abbildungsverzeichnis

Dokumente Dokument 1 Beschreibung des Palazzo Colonna, Rom Entstanden im ersten Halbjahr 1796 GSA 64/94, fol. 140r–153v. Transkription: [140r] Pallast Colonna Im Vorsaal1 ist ein Collossal Kopf welchen man sonst Alexander genannt hat auf Moderner Büste.2 Die Arbeit an dem Kopf verdient gelobt zu werden, es ist aber schlecht aufgesetzt und die Nase nebst dem Mund ist Neu daran. Die Decke hat ein langes Plafond mit Tritonen Neriden etc welche in einer angenehmen Manier gemacht sind und sich dem Styl des Albano nähern. Gaspard Castelli3 in Genueser wird für den Meister davon ausgegeben. – – Im 1 Zimmer4 ist das Mittlere Deckenstück fast nur zu kräftig. Von B: Lutti5 gemahlt die übrigen Gemählde an der Decke welche solches umgeben sind v. Battoni.6 in hellerer leichterer Manier Die Figur der Wahrheit7 in dem Stück welches den Fenstern gleich darüber ist hat ­einen recht schönen Kopf. Wo auch eine andere Alleg: Weibl. Fig. mit einer Lampe im W ­ inckel über der Thüre. Doch behält die Wahrheit den Vorzug.

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Sala dei Palafrenieri im Piano Nobile. Abb. bei Safarik 1999, S. 109. Kolossalbüste des sog. Alexander des Großen. Abb. bei Safarik 1999, S. 109. Bernardo Castello: Sirenen und Tritonen, Deckenfresko, Sala dei Palafrenieri. Abb. bei Safarik 1999, S. 110. Stanza dei Quadri (Sala dell’Apoteosi di Martino V.). Abb. bei Safarik 1999, S. 152–154. Zentrales Deckenbild von Benedetto Luti, um 1700 entstanden (Strunck 2007, S. 119). Pompeo Batoni: 5 Bilder in den Kassetten der Decke der Sala dei Quadri. Vgl. Clark 1985, Nr. 24–28. Pompeo Batoni: Die Zeit entdeckt die Wahrheit. Vgl. Safarik 1999, S. 154.

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Zwischen den Fenstern hängt ein Bild in 2 Stücken v. Raphaels erster Manier8 od vielmehr aus seinen jüngeren Jahren. Das obere Theil stellt Gott Vatter in Halber Fig. Vor & 2 Engel neben ihm. Gott Vatter hat keinen Großen oder Majestätischen Charakter sondern ist [140v] bloß als ein Alter Mann wenig über die Gemeine Natur erhaben gebildet die bey­ den Engel neben ihm sind schon Jugendlich zart. Das Untere Stück stellt die Maria mit dem Kind dem Jungen Johannes. 2 Heiligen Weibern wovon die eine die Hlge Katharina ist die andere aber einen BlumenKranz um’s Haupt & ein Buch in der Hand hat. Vor ihnen zuvorderst im Bild stehen St Peter & Paul. Die Madonna das Kind & die Hlge mit den Blumenkranz sind ausnehmend schön Mild sanft & Natürlich # [Rand: # gar lieblich gewendete] voll des zartesten gemüthes & Geists. Beyde Apostel haben viel Ernst & Würde aber St Paul zeichnet sich vor dem anderen als vortrefflich aus. Die Farbe ist warm & kräftig, aber in der schönen Zeichnung der Theile war Raphael damals noch kein so großer Mstr. als er nachher geworden ist. Die Füße z. B: an beyden Fig des Apostels haben wenig zierliches, aber im Ganzen sind alle Fig gut beysammen. Die Falten machen zwar große Partien aus sind aber noch nicht schön Gewählt ein wenig geschwollen & zeigen die Glieder nicht zierlich genug. Über der Thüre ist ein vortreffl Bild. in Tizians Manier9 welches die Maria mit dem Kind & einige andere Heilige vorstellt. es scheint sehr fleißig gemahlt zu seyn & das Colorit ist so warm, klar wahrhaft & liebl. daß es nicht genug zu loben ist. an der Thüre ist ein herrl. Bildniß Eines Geistl. von Tizian10 | 1/2 Fig | welches unter die besten Arbeiten dieses Mstrs gezählt zu werden verdient Das Kolorit im ziemlich wohl erhaltenen Gesicht ist wirkl bewundernswerth es hat ihm auch nicht weniger Leben & Geist als [141r] gute Farbe mitgetheilt. Das Gewand & der Grund haben nachgedunkelt Das Gegenbild welches in der Ecke des Zimmers hängt11 wird ebenfalls für Tizians Arbeit & beyde zusammen für Luther & Calvin ausgegeben. Allein dieses scheint von  8 Raffael: Pala Colonna (Sacra Conversazione), um 1501/02, Tempera und Öl auf Holz, Lünette: 64,8 × 171,5 cm, Haupttafel 169,5 × 168,9 cm, New York, Metropolitan Museum of Art. Mitteltafel der Predella mit Kreuztragung, 24,1 × 85,1 cm, London, National Gallery. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31:0130.   9 Bonifacio de‘ Pitati (Bonifacio Veronese): Heilige Familie mit Engel, Hieronymus und Lucia, Öl auf Lw., 103,5 × 141,5 cm, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1981, Nr. 25. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31:0133. 10 Tintoretto: Porträt des Onofrio Panvinio, Öl auf Lw., 112 × 89, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1981, Nr. 190. Alte Bezeichnung: Tizian, Porträt eines Augustinermönchs, angeblich Luther, Safarik 1996, Katalog von 1783, 31:0136. 11 Jan Stephan van Calcar (?): Porträt des Lorenzo Colonna, 114,5 × 89,5 cm, Rom, Palazzo ­Colonna. Safarik 1981, Nr. 36. Alte Bezeichnung: Holbein, Johann Calvin, Safarik 1996, Katalog von 1783, 31 : 0137.

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e­ inem anderen Meister zu seyn. es wird an zärtlichkeit und Blüthe der Farbe von dem Ersten übertroffen An Geist & Ausdruck ist es demselben völlig gleich der Pinsel ist Kühn & entschlossen die Schatten kräftig. An der Wand den Fenstern vorüber hängt in der Ecke oben Venus & Adonis12 ein berühmtes Gemählde von Tizian und in Rücksicht der vortreffl. Farbe Verdient es auch seinen Ruhm ganz. Die Charaktere der Fig. sind nicht die Edelsten. Aber die Gruppirung ist artig. wie wohl die Venus nur vom Rücken gesehen wird so sind doch die anstößigen Theile mit Drapperie bedeckt worden wodurch die Harmonie des Bildes wenig gewonnen hat. Der Raub der Europa von Albano13 hell & zart gefärbt. weil aber die Fig in Lebens­größe ist so fehlt ihr die Kraft & Energie auch selbst im Ausdruck & in der Zeichnung. Die Gruppe der Mädchen im Mittelgrund ist gar artig & der Grund überhaupt schön. Ganimed v. Tizian14 vermuthlich hat das Bild gelitten & ist retouchirt denn die Farbe ist nicht die Natürliche Blühende welche man sonst in Tizians Bildern findet. Ganimed [141v] ist aber so unglücklich mit Drapp: bedeckt worden wie die Venus. Unter der Europa v. Albano hängt eine halb Fig: der Madonna mit dem Kind auf dem Schooß & einem Buch in der L. Hand welches für ein Werck v. Raphaels erster Manier gehalten wird.15 es hat viel gutes in der Zeichnung bes. in den Formen des Kindes viel Lieblichkeit & Anmuth in Stellung & wendung & ist fast nur gar zu helle gemahlt. es besteht indessen der Hauptverdienst deßelben in einer Zartheit des Gedankens worin Ihm wenige gleichkommen Es greift nemlich das Christkind der Muter in den Busen & die jungfräuliche Madonna | welche auch in der That als sehr jung vorgestellt ist | weicht ihm aus, & sieht mit einem Blick voll Liebe aber zugleich mit einiger Schüchternheit auf den Knaben nieder der von vollen Gliedmaßen ist & sich auf ihrem Schooß richtig bewegt. Über der Thüre welche in das folgende Zimmer führt ist ein Ecce Homo in heller Fig v Albano16 es ist eine warme kräftige Farbe & viel Ausdruck weßwegen man dieses Bild für eine vorzügl. Arbeit des Meisters halten muß. 12 Tizian (Werkstatt): Venus und Adonis, ca. 1554, Öl auf Lw., 177,9 × 188,9 cm, National Gallery ­London, Inv.-Nr. 34. Vgl. Safarik 1999, S. 155. Safarik 1996, Katalog von 1783,, 31:0116. 13 Francesco Albani: Der Raub der Europa, Öl auf Lw., 173,5 × 223 cm, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31 : 0119. 14 Damiano Mazza: Raub des Ganymed, ca. 1575, Öl auf Lw., 177,2 × 188,7 cm (ursprünglich oktogo­nale Form, um 1770 zum Rechteck erweitert), London, National Gallery, NG 32. Vor 1732 in Sammlung Salviati. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31 : 0120 (dort als Tizian). 15 Raffael: Madonna Colonna, 1508, Öl auf Holz, 77,5 × 56,5 cm, bis 1827 im Palazzo Colonna, heute in der Gemäldegalerie Berlin. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31 : 0123. 16 Francesco Albani: Ecce Homo, Öl auf Lw., 144 × 193 cm, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31 : 0129 („sopra la Porta“) – möglicher Weise eine andere Version des Ecce Homo von Albani, die Inventare sprechen von drei Engeln.

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[142r] 2tes Zimmer17 Beym Eintritt auf der rechten Hand hängt ein großes Bild v. Peter de Laar od. Mich Ang. Corgnoli18 mit sehr vielen geistreichen Figuren & Landschaften welche an manchen Stellen gelitten. Darneben Mars & Venus mit vielen Liebesgöttern in einer Landschaft ein Bild von beträchtl. Größe & berühmt v. Albano19 indeßen ist die Compos. ziemlich zerstreut & die Zeichnung nicht überall weder richtig noch zierl aber es sind verschiedene Stellen darin sehr zart & lieblich kolorirt. Der Grund ist dunkel geworden. Die herrl. Landschaft von Poußin20 wo Abraham mit Isaak das Holz trägt an einen Waldlichten Weg hinaufsteigt man sieht im Vorgrund die Schlucht oder Thal herab welches in die Ebne führt diese ist weit, mit vielen hintereinander liegenden Gründen & endigt endl mit Meer. Diese Ebene od Mittelgrund ist unvergleichlich schön Der Vorgrund ist nicht weniger gut angegeben Schatten und Licht ist schön ausgetheilt und das ganze mit vollkommner Meisterschaft vielleicht nur zu frey & kühn ausgeführt. [143r] als Gegenbild zum Poußin hängt auf der Seite eine der allerschönsten Landschaften v Claude Lorrain Sie stellt den Morgen vor und die Fig. sind Diana mit ihren Nymphen Anlage & Ausführung sind in hohem Grade vortrefflich. und der Meister hat durch den darauf verwandten Fleiß dem Werk das Siegel der Vollkommeneit aufgedrückt Über die diesen beyden hängt wieder eine fürtreffl Landschaft v. Poußin wo Gott Vatter im Gewitter daherfährt und die Bäume sich im Sturme beugen. Die Erfindung sowohl als die Ausführung sind gut & groß. Ein Längliches Bild mit Felsen & einem Teich aus welchem das Wasser gegen den Vorgrund zu einem kleinen Fall macht gleichfalls v. Poußin.21 Der Gedanke ist schön & Romantisch die Ausführung deßelben werth.

17 Sala dei Paesaggi (westlicher Anraum der Galerie), Piano Nobile, Galleria. Vgl. Safarik 1999, S. 144– 146. Vgl. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0138–01159. 18 Michelangelo Cerquozzi: Predigt Johannes des Täufers, Öl auf Lw., 154,5 × 222 cm, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1999, S. 229. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0147. 19 Vgl. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0146. 20 Gaspard Dughet: Abraham und Isaak, ca. 1665, Öl auf Lw., 152,2 × 195,2 cm, National Gallery London, Inv.-Nr. 31. Zusammen mit Mazzas Ganymed und Tizians Venus und Adonis durch Alexander Day 1824 an die National Gallery gekommen. 21 Gaspard Dughet: Landschaft mit Wasserfall, Öl auf Lw., 88 × 152 cm, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1981, Nr. 58.

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[143v] an der Wand zur Linken der Thüre 2 Treffliche Bilder v. Claudio22 das eine stellt Carthago vor mit der aussicht aufs Meer. Die Fig. sind Eneas & Dido die schöne Architektur & die Fröhlichen lebhaften Farben machen es Vorzüglich & reizend. Das andere23 stellt den Eneas Jagend vor es hat einen gar sanften frischen Ton & die Stille Gegend ist wunderschön & liebl erfunden – die Fig. in diesem Bild sind außerordentl. schlecht gezeichnet. Ein anderes Bild v. Klaudio welches den Parnaß24 vorstellt wird für eines seiner Mster­ stücke gerechnet denn es hat in demselben eine Menge Schönheiten Der Kunst versammelt. Das ganze Bild ist Meister & Musterhaft. Die liebl erfindung der Fleiß & Kunst der Ausführung ist in allen Theilen bewundernswerth Die Luft bewegt Bäume des Vorgrundes & in der Ferne sieht man Schiffe im Hafen liegen um welche die Wellen spielen der Mittelgrund ist weich & duftig mit großer Kunst gemalt. Galathea auf dem Meer & Poliphem. V. Albano25 die große Gruppe der Galathea mit ihren Nymphen & Amorinen ist sehr schön angeordnet Das Ganze ist zart Colorirt & fleißig ausgeführt. [144r] Ein Prächtiger Schrank v. Ebenholz steht unter diesem Gemählde es ist mit kostbaren Edelsteinen Geziert & es sind andemselben beträchtl Säulen v. Ametist der Liebhaber der Kunst wird aber hauptsächl einige antike tiefgeschnittene Steine bemerken die dazwischen eingesetzt sind. Die schönsten sind eine Scilla | bekanntes Stück | R ­ ubicinell & ein Faun welcher neben einer Ziege hergeht in Ametist geschnitten [144v] In der eigentlichen Gallerie26 hängen vorzügl. Stücke. an der Wand zur Linken das Bekante Bild von Guido Rheni27 die Herodias welche das Haupt Johanis in ein Becken legt das von einem Jungen grün gekleideten Menschen der auf das eine Knie vor ihr niedergefallen ist vorgehalten wird. Die beyden Begleiterinnen der Herodias sind überaus reizende Gesichter warm & kräftig doch mit sehr klaren Schatten gemahlt &

22 Claude Lorrain: Aeneas und Dido in Karthago, 1675/1676, Öl auf Lw., 120 × 149,2 cm, ­Hamburger Kunsthalle, Inv.-Nr. HK–783. Safarik 1999, S. 146. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0153 (Due ­Quadri, „Terza Facciata verso la Stanza dei Quadri“). 23 Claude Lorrain: Ascanius erlegt den Hirsch der Silvia, 1682, Öl auf Lw., 120 × 150 cm, Oxford, Ashmolean Museum. Safarik 1999, S. 146. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0153 (Due Quadri, „Terza Facciata verso la Stanza dei Quadri“). 24 Claude Lorrain: Apollo und die Musen, 1680, Öl auf Lw., 99,7 × 136,5 cm, Boston, Museum of Fine Arts. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0152. 25 Vgl. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0154. 26 Mittelsaal der Galerie, Safarik 1996, Katalog von 1783, Nr. 31.0160–0186. 27 Guido Reni: Salome mit dem Haupt des Johannes, 1639/1640, Öl auf Lw., 245,5 × 174 cm, Chicago, Art Institute. Vgl. Paoluzzi 2014, Abb. 37. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0174.

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die Herodias hat einen nicht minder fürtrefflichen Kopf ist aber nicht so artig gepuzt[?], in Rücksicht dieser 3 Köpfe ist das Bild unter den besten Arbeiten v. Guido zu zählen. unter demselben ist der verlohrene Sohn | halbe Fig. | ein Meisterstück von Guercin.28 Der Ausdruck in diesem Bilde ist Natürlich sehr Gemüthlich & dabey edel besonders im Vatter es ist nicht zu dunkel im Schatten gehalten & thut eine angenehme Wirkung die Farbe ist gut & fällt in der Röthlicht braunen Manier des Meisters. [145r] Venus & Amor v. Paul Veronese29 – ist eins der besten Gemählde dieses Mstrs in Rom v. blühenden Colorit & klahren Schatten, die Gewänder sind zwar nicht Musterhaft gelegt aber fürtreffl gemahlt bey allen diesen Schönheiten bemerkt man doch etwas Steiffes bes. in den Beinen der Venus welche Fehler sonst dem Paul Veron: nicht gewöhnlich war. es ist schade daß die entblößte Brust aus frommen Eyfer mit Drapperie bedeckt worden ist. Das Verlöbniß der Hlgn Catharina Fig. in Lebensgröße v. Parmegianino30 die Fig. dieses Meisters haben zwar meistentheils eine falsche Grazie, aber sie sind dem ohngeachtet fast immer zierlich gewendet. so wie auch hier diesem Bild der Fall ist welches übrigens zu den besten Werken des Meisters zu gehören scheint | es hängt sehr hoch | sein warmes starkes Kolorit & die großen kräftigen Schatten Partien die vielleicht etwas nachgedunkelt haben mögen fallen indeß auch von fern vortrefflich in die Augen. Das Gericht Gottes über Adam & Eva31 wenig Bilder sind so treffl & zusammenhängend gedacht wie dieses Gottvatter spricht zu Adam dieser weist auf die Eva welche auf die Schlange zeigt die Bedeutung & Handl. hängen gleichsam wie eine Kette in allen Gliedern des Bildes zusammen. Die Ausführung ist nicht [145v] weniger gut. Die Gruppe v. Gottvater der von Engeln getragen wird ist fürtreffl: die Fig. v. Gott Vatter Majestätisch & v einem großen Charakter die Kinder schön & Natürl. Adam könnte vielleicht Edler seyn aber er hat hingegen einen sehr richtigen Ausdruck v. schuldbewuster Scham. Eva hat zierl Formen & sitzt auf den Fersen um ihre Blöße zu verbergen die Farbe ist zwahr in verschiedenen Stellen schön an andern aber fällt sie in den Schatten & Mitteltinten etwas ins Grünlichte wie das bey den Öhlgemählden des Dominichino der Fall ist. 28 Guercino: Die Rückkehr des verlorenen Sohns, 1654/1655, 155,6 × 146,1 cm, San Diego/USA, T ­ imken Art Gallery, Putnam Foundation. Paoluzzi 2014, Abb. 65. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0178. 29 Paolo Veronese: Venus entwaffnet Amor, 1580, Rom, Sammlung Crediop. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0173. 30 Parmigianino: Verlobung der Heiligen Katharina, 1529/1530, Öl auf Holz, 204 × 149 cm, Bologna, ­Pinacoteca Nazionale. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0179. 31 Domenichino: Gericht Gottes über Adam und Eva, 1626, Öl auf Lw., 122 × 172 cm, seit 2000 National Gallery of Art, Washington. Vgl. Spear 1982, Bd. 1, S. 264–265, Nr. 95, Tf. 313: bis 1987 Privatsammlung, Rio de Janeiro). Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0182.

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Davids Triumph wegen erlegung Goliaths & Weiber die seinen Sieg besingen. v. ­Guercin32 1/2 Fig dieses Bild ist zwahr keins v. den allervorzügl. des Mstrs aber einige v den Weibern Köpfen sind sehr reizend. M. Magd. die Christi Füße wäscht ein gutes Bild von Baßano.33 Maria Magdalena ist schön kolorirt & eine Katze ist dem Mstr vortrefflich gelungen [146r] Maria die den todten Christus beweint berühmtes Bild v. Guercino34 Die Fig. der Maria ist in Rücksicht auf Kraft Harmonie & Ausdruck vortreffl. & ein Meisterstück Der todte Christus ist sehr rund & kräftig beleuchtet. in der Maria sind die Farben sehr mit dem Ausdruck der Fig. Zusammenstimmend & thun eine schöne Wirkung. Ihr Schleyer ist bräunlicht gelb das Gewand dunkler Purpur | v. Engl. Roth | der Mantel vom schönsten Ultramarin & herrl gemahlt. [Einfügung am linken breiten Rand zwischen den beiden Absätzen:] Ein herrl. Bildniß Stück v. Halb.Fig. von Tintoret35 es stellt einen jungen & einen Alten Mann vor. mit aussicht v. . . . . Geist Leben Ausführung & Colorit dem in der Gallerie zu München gleichzuschätzen [Einfügung Ende] Die Flucht nach Egipt. halbe Fig v. Guido36 in einer zieml. starken dunkeln Manier die Schatten etwas röthlicht es hat gelitten, zwar in deßen erkennt man doch noch seine ehemaligen Verdienste Größtentheils der kleine Engel der eine Rose reicht ist fast noch am besten erhalten & wirkl schön. Ein herrl Bildnißstück v. halber Fig. in der Manier v. Tizian od. Giorgione37 es stellt einen jungen Mann & Frau vor die sich die Hände reichen eine beleibte Frau & ein Junger Mensch stehen stehen beßer zurück Vielleicht ist es ein Verlöbniß & der Mahler scheint in seiner Venetianischen Manier ein altes Basrelief haben nachahmen wollen da dann die Frau welche zwischen dem Paar steht die Pronuba vorstellen sollte [146v] Das Ganze ist äußerst wahr warm Stark Colorirt der Ausdruck & die Stellungen ungemein Natürlich 32 Guercino: Triumph Davids, Stamford, Lincolnshire, Burghley House. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0183. 33 Francesco Bassano: Gastmahl im Haus des Simons, Öl auf Lw., 113 × 196 cm, Palazzo Colonna. ­Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0185. 34 Guercino: Pietà, zuletzt 1929 im Kunsthandel, London. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.161. 35 Tintoretto: Bildnis eines alten und eines jungen Mannes, 120 × 166, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0164. 36 Guido Reni, Flucht nach Ägypten, Rom, Palazzo Colonna. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0170. 37 Nicht identifizierbar. Abgebildet im Aquarell von Salvatore Colonnelli Sciarra, E/6 (Paoluzzi 2014). Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0169.

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Das Ende der Gallerie ligt um einige Stufen erhöht & macht einen eigenen Saal38 aus von welchen man über eine Brücke in den Garten gehen kann In diesem Saal sind folgende Bilder vorzügl zu bemercken Die Grablegung Halbe Fig. ausgenommen der Leichnahm des Heilands eins der schönsten Werke des Guercins.39 es ist mit vieler Überlegung Einfach & Gut Zusammengesetzt hat schöne große Maßen v. Licht und Schatten & viel Ausdruck besonders sind die Fig. des Hl: Johannes & Jos: v. Arimathia dießfalls sehr schätzenswerth die Zeichnung ist ziemlich richtig die Formen Überhaupt Edel das Kolorit kräftig & hier nicht übertrieben. Die Wirkung ist sanft & angenehm die Farben an sich selbst sind angemeßen & Harmonie genug Joh. ist in Roth Joseph Gelb gekleidet Die Madonna hat violett . . & blau Maria Magdalena blau & violett. [147v] Regulus von Salvator Rosa40 ist nicht übel angelegt & mit einer sehr fertigen Hand geistreich & keck gemahlt. Eine halbe Fig. der Hlgn Margarethe Guido41 ist nur wie übermahlt oder auf einmahl ausgeführt. Indeßen hat Sie einen recht schönen Kopf & die Behandlung ist äußerst frey & Meisterhaft es fehlt dem Bilde ein wenig an kräftigkeit. weil es so leicht hingemahlt & v des Mstrs heller Manier ist. Die Pest bey den Philistern v. Poussin42 ein berühmtes Gemählde welches besser überhaupt angegeben als in seinen Theilen geordnet ist. Der Fall der Draperien sind nicht gar glücklich weder gelegt noch gezeichnet hingegen ist Licht & Schatten in großen Partien ausgetheilt das Colorit ist in dem Licht löblicher & besser als im Schatten welcher zu sehr ins rothbraune fällt die Architektur des Grundes ist groß & zierlich indeßen ist ein Corinthischer Tempel nicht eben wohl & schicklich angebracht worden.

38 Sala della Colonna Bellica. Östlicher Anraum der Galerie. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0187 bis 31.0208. 39 Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0205. 40 Salvatore Rosa: Der Tod des Attilius Regulus, Richmond (Virginia), Museum of Fine Arts. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0206. 41 Guido Reni: Halbfigur der Margarethe, Mailand, Sg. Koelliker. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0207. 42 Angelo Caroselli: Kopie nach Nicolas Poussin, Die Pest bei den Philistern, Öl auf Lw., 129 × 204 cm, London, National Gallery, Inv.-Nr. NG 165. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0191.

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[147v] Das Ecce Homo von Correggio halbe Fig43 scheint zwar ein Werck aus seinen früheren Zeiten zu sein. die Mahlerey daran hat einige Ähnlichkeit mit der Manier der er sich in dem sogenan Medicus zu Dresden bedient hat fleißig ausführlich und Rund die Zeichnung ist fein & Elegant Der Charakter des Christus ist Edel & er hat einen schönen angemessenen Ausdruck von Duldung und Schmerz. die Farbe ist weniger Zart und Blühend als im Hlgn Sebastian zu Dresden. Der Styl aber schon viel gebildeter als im Bild v. St. Franzesk: daselbst. Der Effekt den dieses Bild macht ist gefällig & das Auge findet in den sanften Übergängen & großen Schatten Partien Befriedigung & Ruhe. Eine Heilige Familie v. And: del Sarto.44 Der Kopf des Hl Jos: ist vorzügl Edel & würdig. & man erkennt den Mstr in demselben das Gesicht der Maria ist hingegen nicht rein & Zart genug sondern etws derb & v. keiner erhabenen Natur. Die Falten gut gelegt aber scharf gebrochen. Styl & Zeichnung des Werks sind übrigens zu loben. Der erste als gut & rein die andere aber richtig. Die Ausführung ist fleißig & sorgfältig. [148r] Ein Ecce Homo od. vielmehr Christ: mit der Dornen Krone & 8 Engel neben ihm. Halbe Fig. v. Albano45 dieses Bild hat viel Ähnliches mit dem im ersten Zimmer angezeigten. jenes mag indeßen manchen Vorzug haben. allein auch in diesem sind die schönen Köpfe der Engel bemerkenswerth. & das Kolorit wie wohl nicht so warm & kräftig als in jenem ist hier sehr hell & gefällig. – [148v] In der Gallerie steht gleich am Eingang zur Rechten46 eine schöne Fig der Venus Anadyomene47 Sie ist reizend in ihrem ganzen Wesen & Stellung vorzügl hat der Kopf viel Anmuth. Die Arbeit ist Weich & gut & deutet auf schöne Zeiten. der Kunst Der L. Arm scheint neu zu seyn das recte Bein ebenfalls & das Linke ist übel angesetzt. Die Nasenspitze ist auch ergänzt. Eine Sitzende od. halb liegende Fig: eines Jungen Mädchens. ähnlich der Würfelspielerin was daran alt ist ist sehr schön gearbeitet Die Extremitäten scheinen alle Neu Gewiß sind es der größte Theil des linken Arms das linke Knie die Fußspitzen. rechter Arm & Kopf sind sehr verdächtig.

43 Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0188. ­ ’Arte 44 Andrea del Sarto: Heilige Familie, ca. 1528, Öl auf Holz, 140 × 104 cm, Rom, Galleria Nazionale d Antica, Palazzo Barberini. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0198. 45 Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0190 46 Erneuter Durchgang nach antiken Statuen. 47 Venus Anadyomene. Carinci u.a. 1990, Nr. 111, S. 205–208.

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Eine Büste v. Mark.Aurelius ein Junger Männlicher Kopf mit wenig Brust. Am andern Ende der Gallerie der Venus Anadyom: gegenüber ist eine hübsche Große Fig. mit anliegendem Gewand. | wie Naß | die Falten haben zwahr etwas Papierhaftes doch sind Sie artig gelegt. Die linke Hand mit dem Kranz & der Kopf sind Neu. [149r] zur linken Hand an den Stuffen in den an der Gallerie liegenden Saal führen steht eine Diana mit langem Gewand und einem der schönsten Köpfe die wir v. dieser Göttin haben zart schön Erhaben ohne theilnam grade vor sich hin über alle nähere Gegenstände weg wie in die Ferne hinaus, schauend & strebend, die Gleichgültigkeit ihres Charakters ist mit einem Zug von Göttlichem Stolz & Sprödigkeit gemischt & erhoben das Gewand hat zierliche Falten die Arbeit ist überhaupt gut & die Fig wohl erhalten daß sogar die Hände Größtenth: alt sind. Die Nase ist restaurirt. Eine Vestalin mit hübsch geworfenem Gewand Eine Venus von Bronze welche sich wie es scheint die Füße trocknet sie ist artig gestellt. Aber von etwas schweren Formen Ein Satyr ist verdienstl & gut doch ist sein Alterthum zweifelhaft Eine schöne kleinere Figur eines Jungen Helden od. Theseus von Bronze. treffl. v. Form, & Idee er steht an einer Keule. ohne Löwenhaut. [149v   leer] [150r] Im anderen Apartement & der sogenanten Oberen Gallerie sind vorzügl zu bemerken. am Ersten Zimmer Vier schöne Bilder in Guazzo v. Caspar Poußin . . . . am zweiten Zimmer – od Saal 2 Landschaften v. Claude Lorrain welche beyde zwahr sehr schön Angegeben. Aber in der Ausführung stehen Sie vielen von seinem anderen Bildern sehr nach, so sehr daß man gar an der Originalität zweifeln möchte. Gleiche wohl aber sind Sie nicht ohne viele Verdienste. Über den Thüren sind wieder ein Pr Schöne Bilder v. Caspar Poußin mit Waßerfarben An der Wand hängen 2 See Stürme aus der niederländischen Schule Sie wurden für Werke des Backhuysen ausgegeben & haben in der That viel gutes.

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3tes Zimmer. abermahls 2 sehr schöne Bilder v. Caspar Poußin in Waßerfarben od. Guazzo das eine mit einem Teich. das andere mit einem Waßerfall [150v] die Collumna cortelida ist etwa 5 bis 6 Fuß hoch v. Rothem Marmor & mit kleinen Fig: v. Kriegern in Basrelief geziert Die Arbeit an diesen Fig ust zwahr niht ganz schlecht, sie können aber auch ebenso­ wenig für vortrefflich gehalten werden. Vielleicht it sie gar moderner Art Am Ende einer langen Gallerie ist das berühmte Basrelief v der Vergötterung des ­Homer48 in der Wand eingesetzt. es ist nicht außerordentlich schön Gearbeitet aber in einigen Theilen fleißig; überhaupt ist der Styl an demselben gut & deutet auf ein Altes Werk von welchem dieses die Nachahmung seyn mag. Vor demselben ist eine Gruppe v: Schlafenden Amorinen welche denen im Pallast ­ arbarini Justiniani & Villa Borghese Ähnlich ist. Ihr Verdienst besteht in der fürtreffl B Anordnung die Arbeit hingegen ist nicht sehr vorzügl & nicht viel beßer als an den Andern. Etwas Steifes grobes & Nachlässiges welches in diesem Wercke herrscht scheint dasselbe als eine Copie eines beßeren Originals zu verrathen. Es steht auf einer fürtrefflichen Runden Base auf welcher wol Herkuleskeulen mit Bändern darüber, geziert ist die Keulen [151r] stehen in einem Krater & dazwischen sieht man Ghirlanden[?] & Vögel. Diese Zierraten sind ebenso geschmackvoll ausgeführt als erfunden & geordnet. Ein ziemlich großes Bild v. Bergheim49 welches die Verkündigung der Hirten vorstellt mit vielen vortrefflich gemahlten Fig: Ein kleines Bild welches man für Arbeit des Guido50 giebt. stellt den Hlgn Franziskus vor. und einen Engel es ist schön Gemahlt hat gute Maßen & in der That etwas von ­Guidos Manier. [151v] In dem Ersten der Obern Zimmer bemerkt man ein Gutes Bild aus Tizians ­Schule, welches die Maria mit dem Kind St Peter vorstellt. Das Kolorit ist etwas schwach aber die Behandl gut

48 Apotheose Homers, Relief, London, British Museum. Safarik 1999, S. 189. 49 Claes Pietersz. Berchem: Verkündigung an die Hirten, verschollen. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.0580. 50 Guido Reni: Franziskus betet mit zwei Engeln, Öl auf Lw., 196 × 117 cm, Rom Palazzo Colonna. Safarik 1996, Katalog von 1783, 31.166.

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Über die Thüre hängt ein fürtreffl Bild v. Tintoretto die Halbe Fig: scheint ein Pr Advokaten zu seyn welche einen Bauer & Bauernweib bescheid ertheilen alle 4 Bildniße voll Natur & Geist leicht & Meisterhaft ausgeführt, 2 schöne große Landschaften in Waßerfarben v. Gaspar Poußin im Schlußkabinett Das schönste Bild dieser Sammlung ist die Berühmte Maria Magdalena Brustbild v. Guido. es ist außerordentlich leicht rund und Meisterhaft gemahlt & für die Behandlung ein vollkommenes Brustbild. Der Mund & das Linke Aug scheinen indeßen nicht gar zu gut gezeichnet zu seyn. Die Haare sind überaus vortrefflich weich & blinken wie Goldene Faden. Die Hände sind sehr Weich, & sind gar fein gezeichnet. Doch ist das Kolorit an den Fingern etwas zu roth & in Miß [152r] verhältniß gegen die Gräulichten Tinten des übrigen Die Form, der Ausdruck sind schön, Edel; Ganz Herz & Geist. Die Skizze zu Lanfrancos Bild v der unbefleckten Empfängniß bey den Kapuzinern – 2 sehr niedlich gemahlte kleine Köpfe Ein Bild welches man für die Skizze zu Tizians St Peter Martyr in St Giov & Paolo zu ­Venedig ausgiebt. sie ist außerordentlich keck & Geistreich gemahlt aber die Manier daran ist nicht eigentlich die des Tizian & das Colorit nicht außerordentlich gut. Die Maria mit dem Kind die Hlgn Elisabeth & Johannes ein kleines Gemählde in der Manier v. del Sarto sein großes Verdienst ist die fürtreffliche Gruppirung sonst ist es in anderer Rücksicht eben nicht Musterhaft und dürfte vielleicht sogar nicht Original sondern für eine gute Copie gehalten werden eine ander kleine Hlg Fam. ist eins der angenehmsten werke des Conca [152v] ein Alcove. hängt über dem Bett eine schöne Maria mit dem Kind . . . . v. Battoni51 dieses Bild macht seinem Meister Ehre es ist angenehm geordnet die Fig sind schön & Edel doch ist es dabey etwas Ohnkräftig. ziemlich hell ja fast Bunt & das Kolorit des Fleisches ist Grünlicht & Kalt. neben dem Blatt ist noch eine Mad: v. Saßoferrata52 welche bemerkt zu werden verdient den Sie ist von dieses Mstrs gute Arbeit.

51 Safarik 1996, Katalog von 1783, 31 : 1074. 52 Safarik 1996, Katalog von 1783, 31 : 1077.

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in einem andern kleinen Kabinett mehr an dem Schlafzimmer hängt über dem Canappee noch ein sehr schönes Bild in die Breite, v. Caspar Poußin. in Waßerfarben gemalt ohnweit der Thüre ein vortreffl. kolorirter Kopf einer alten Frau welches dem Fr: Mola zugeschrieben wird [153r] [ca. eine drittel Seite leer] Im Garten stehen an der Wohnung des Aufsehers verschiedene Alte Hermen unter welchen auch ein Homer befindet ist in dem man den Berg herauf steigt zeigen sich vortreffl Prospekte die Treppe Mauern & hohe zipreßen & lorbeerwände zeigen sich so Romantisch daß es wie ein aufenth:[?] der Ferne aussieht. Oben liegen am Fuß einer mächtigen Pigne die bekannten ungeheuren Bruchstücke. Das Eck. od äußerste Ende eines Giebels. ein Stück v. meinem Fries & Architrav. & die untersten Blätter v. Corinthischen Pilastern Capitälen53   die Arbeit der Zierrathen ist schön. um deutlich ins [153v] Auge zufallen & Effeckt in oder aus der Ferne zu machen hat der Alte Kstler das Laubwerk etc außerordentlich tief gearbeitet gearbeitet unterhöhlt & sogar durch­ brochen damit die Schatten viel Energie bekommen & Dunkel werden sollten.

53 Fragmente des Serapionstempels. Safarik 1999, S. 60 f.

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Dokument 2 Beschreibung der Villa Aldobrandini, , Rom 1790 Entstanden Anfang 1790 GSA 64/89, 2. Lage, fol. 7v–8r Transkription: [7v] Zu Rom Villa Aldovrand. die große Zeichnung od. Cart. des Mantegna54 ist getuscht & mit dem Pinsel schrafirt wie Fresco mahlerey die Köpfe Voll Geist & Ausdruck. Die scharfe aber richtige Contour – der Christ in Verkürzung55 mit Waßerf. auf Tuch gemahlt. V. dems. NB das Harte aber Richtige besonders der Füße – die Zwey Weibsköpfe der Christus Kopf v. da Vinci in gleicher Manier nicht groß aber schön & verschmolzen NB die Haare v. einzelnen ­Strichen wie im Kopf. Grablegung Die Göttermahlzeit v. Joh. Bellini56 NB den Grund v. Bäumen weit durch die man das Mehr Sieht & die Mahse v. Farbe fast ohne Lichter. die schwachen Schatten & doch Wirkung, das von der Sonne beleuchtete Schloß auf dem Berg. – Tizians Bachhanal.57 Die schön gezeichnete Fig. des Fauns mit den Schlangen. Der kleine Satyr das Weib das Zimbl schlägt mit den guten Falten das Dunkelblaue Unterkleid. 54 Giovanni Bellini: Beweinung Christi, um 1495, 74 × 118 cm, Öl auf Holz, Florenz, Uffizien. 1798 von Alvise Moncenigo an Ferdinand III. von Toskana verkauft, zuvor in der Sammlung Aldobrandini. In den Inventaren als Bellini geführt. Vgl. Heinemann 1962, Nr. 170; Benocci 1992, Nr. 68. – Siehe auch Dok. 3. 55 Andrea Mantegna: Toter Christus, 68 × 81 cm, Tempera auf Leinwand, seit 1824 Mailand, Pinacoteca di Brera. – Siehe Dok. 3 und Dok. 5. 56 Giovanni Bellini: Götterfest, 1514, mit Überarbeitungen Tizians 1529, Öl auf Lw., 170,2 × 188 cm, 1797 verkauft, seit 1943 National Gallery of Art, Washington, Widener Collection. – Siehe auch Dok. 3. 57 Tizian: Bacchus und Ariadne, 1522–23, Öl auf Lw., 175 × 190 cm, 1797 verkauft, London, National Gallery, Inv.-Nr. 35. – Siehe auch Dok. 3.

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Das kurze Mantelchen od. tonaca. von roth mit Lichtern die etwas ins gelbe spielen. Das Lackroth gewand des Bachus wie leicht & fliegend. Der herrl Hintergrund wo das Meer am Felsen spühlt. Die Tiger am Wagen des Bacchus – die Bekehrung des Pauls von Primaticcio58 Haniballs Susanna mit den beiden Alten59 Bilder v. gandenzzio Ferrarese. Parmigians Bild so nicht fertig NB ist noch sehr hart. Die entsetzl Kühnheit des Pinsels die Madonna mit dem Kind & hl Joh v. Per. del Vaga60 die Hlge Fam v del Sarto.61 NB die Pigmente Lichter auf den Köpfen. Der S Sebastian v. dems.62 Bildniß v. Tit. & Tintoret. [8r] [Bleistift:] Dominich. Relig. gelb schleyer unterkl. v. Engl. Roth ins viol. fallend Mantel blau Minerv an Forum Nervas der Lange Mantel auf der rechten Schulter geknüpft kein Brustblat aber Breiter Gürtel das Kleid hat kurze Ermel hat einen Helm [Bleistift Ende]

58 Nicht ermittelt. Siehe auch Dok. 3. 59 Nicht ermittelt. Siehe auch Dok. 3. 60 Perino del Vaga: Heilige Familie, 110 × 90 cm, heute Chantilly, Musée Condé. Vgl. Della Pergola 1960, Inventar von 1626, Nr. 43. – Siehe auch Dok. 3. 61 Andrea del Sarto: Version der Tallard Madonna (St. Petersburg, Eremitage), Holz, 106 × 81 cm, ­heute London, National Gallery. Inventar von 1626 (Della Pergola 1960, S. 432, Nr. 112). Shearman 1965, Bd. 2, S. 214f, Kat.-Nr. 30ii. – Siehe auch Dok. 3. 62 Kopie nach Andrea del Sarto: Heiliger Sebastian, 1529–1530, ca. 85 × 64 cm, verschollen. Vgl. Inventar von 1626, Della Pergola 1960, S. 429, Nr. 29. Vgl. Shearman 1965, Bd. 2, S. 285 f, Kat.-Nr. 100xviii. – Siehe auch Dok. 3.

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Dokument 3 Beschreibung der Villa Aldobrandini, Rom 1796 Entstanden im ersten Halbjahr 1796 GSA 64/93, Abschnitt „Villa Aldovrandi“, pag. 1–26. Anmerkung zum Kommentar: Werke, die keine eindeutigen Parallelen in den Aldobrandini-Inventaren aufweisen, sowie Werke, deren Verbleib gänzlich unbekannt ist, werden nicht eigens ausgewiesen. Transkription: [1] Villa Aldrovandi Oberes Apartement od. Gallerie. 1stes Zimmer Das Bacchanal od. vielmehr GötterMahlzeit v. Joh. Bellini63 auf einem Pappier welches neben der schlafenden weib. Fig. /welche vermuthl Venus ist/ an einer Bulle angeheftet ist lieset man Johannes Bellinus venetus p.   MD.XIII. Ein Concert v. 6 halb. Fig. die sämtl Singen. Einer davon geigt Baß. treffl. Bild v. M. Angelo Caravag64 die Schatten sind weicher & heller als er sie sonst zu machen pflegte darum thut auch das Bild einen vorzügl. sanften & angenehmen Effekt – Die Farbe ist warm Wahr und schön abgewechselt. Die weiche Behandl hat dem Geist & Ausdruck nicht geschadet. Die Beleuchtung ist künstl & die Schatten sehr große Partien das Licht zieml. sparsam. Die Haltung Gut die Behandlung ebenfalls

63 Giovanni Bellini: Götterfest, 1514, mit Überarbeitungen Tizians 1529, Öl auf Lw., 170,2 × 188 cm, 1797 verkauft, seit 1943 National Gallery of Art, Washington, Widener Collection. – Siehe auch Dok. 2 und 4. 64 Vgl. Visconti in Benocci 1992, 203: „altro grande del Caravaggio rappresentante una scuola di m ­ usica“

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ein kleines Bildchen v. Hlgn Hieronymus mit einem schwebenden Engel wird für Arbeit des Dominichino65 Ausgegeben & hat wirckl etwas der Manier dieses Mstrs. Ähnliches die Fig des Hlgn. ist in Gutem großen Styl gezeichnet der Grund den man durch die Öffnung der Höhle sieht ist Angenehm. Einsam & Still fließt ein Fluß zwischen Hügeln dahin, Bäume & Büsche stehen an seinem Ufer. [2] Die Behandlung des Bilds bes. der Fig ist aber nicht angenehm & die Farbe mehr kräftig als zart, die Köpfe sowohl des Hlgn als des Engels sind dem Mstr. nicht ganz gelungen, hingegen ist die L. Hand & Arm in Verkürzung sehr gut es fehlt dem Stück an Harmonie. Das Bachanal od. Bach. & Ariadne v. Titian66 auf einer am Boden liegenden Vase steht Tizianus F. der Beseßene v. Genesareth v. Garofalo67 die Fig & Ausdruck v. Christus ist huldreich Edel, Johannes bey ihm, schön Jugendl., der andere Apostel würdig die Gruppe dieser 3 Fig ist mit Kunst & Zierlichk. angeordnet im Mittelgr. ist die Gruppe derer welcher herbey kommen | Christ zu bitten daß er ihre Gegend verlaße | ebenf artig & gefällig voll Handl. besonders ist der Pharisäer gut. Die Farbe des Grundes ist etwas bunt & hart, es fehlt dem Bild überhaupt an Haltung, die Zeichn. ist gut & das Kolorit zwar eintönig aber sonst nicht schlecht, die Falten sind ebenfalls zu loben. Unter diesem Bild hängt ein vortrefflich kleines Gemählde v Baßano68 die Verkündigung der Hirten vorstellend. Es giebt wenig so fleißig ausgeführte & noch weniger so wohl erhaltene Bilder dieses Mstrs. Der Engel mit Glanz umgeben ist nicht nur fürtreffl. Gemahlt sondern hat einen Edlen Charakter wie wohl er als Kind vorgestellt ist & ist gut genug gezeichnet ein Pr Schäffchen sind vorzügl wohl gerathen. NB es ist […] daß Baßan das Licht gar nicht v dem Erscheinenden Engel hergenommen sondern daßelbe ganz v der L. Seite herein fallen läßt & daß der Engel der doch Strahlen von sich wirft & Nahe ist gar keine Einwirkung zugestanden ist. [3]69 über der Thür ist ein Bild in der Manier oder aus der Schule v. Tizian# [Rand: #vielleicht auch gar von ihm selbst]70 Maria mit dem Kind St Hieronymus St Maurizius & ein 65 Domenichino: Hieronymus mit schwebendem Engel, ca. 1598–1600/1603, Lw., 51,1 × 39,8 cm, seit 1831 London, National Gallery, Inv.-Nr. 85. Spear 1982, Bd. 1, S. 126, Kat.-Nr. 2, Bd. 2, Tf. 3. 66 Tizian: Bacchus und Ariadne, 1522–23, Öl auf Lw., 175 × 190 cm, 1797 verkauft, London, National Gallery, Inv.-Nr. 35. – Siehe auch Dok. 2 und 4. 67 Garofalo: Heilung des Besessenen, Öl auf Lw., 47,5 × 61 cm (?), Alnwick Castle, Duke of Northumberland. Laut GPI in Aldobrandini-Inventaren 1603, 1626, 1638, 1665 erwähnt. Fioravanti Baraldi 1993, S. 226, Nr. 158., dort Abbildung. 68 Vgl. Della Pergola 1960, S. 434, Inventar von 1626, Nr. 164. Buchanan 1824, Bd. 2, S. 6, nennt das Bild im Besitz von Alexander Day. 69 Im Band falsche Einheftung, die Blätter 5–6 sind vorgezogen. 70 Nicht ermittelte Kopie nach einem bis 1665 in der Sammlung Aldobrandini befindlichen Werk von ­Tizian: Maria mit Kind, Stefan, Hieronymus und Maurizius, um 1520, Lw., 108 × 132 cm, Paris, ­Louvre. Vgl. Wethey 1969–1975, Bd. 1, S. 113, Kat.-Nr. 72, dort mehrere Kopien bzw. Varianten. Buchanan

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anderer Hlger /St. Laur. vermuthl/ vortreffl. Colorirt & gute Natürliche Köpfe von Wahrem Ausdruck. Verschiedene Stellen sind dunkel & die Luft hart & grün geworden.71 Maria mit dem Kind Elisabeth & der kleine Johannes v. del Sarto72 ist allemahl ein Bild sehr vieler Verdienste. wenn es auch bes. im Charakter & Ausdruck des Christkindes ein wenig nahe an Karikatur gränzen sollte & die Maria keine hohe Schönheit ist. vielmehr hat sie wenige Ähnlichkeit mit den Patriarchen Köpfen des del Sarto Eine Maria mit dem Kind welche dem Jul. Rom: zugeschrieben wird hat ebendieselben Gebrechen aber Sie ist auf ’s fürtreffl. gruppiert; Muter & Kind sind so gedrungen nahe beysammen daß sie gleichsam nur eine Maße nur einen Klumpen ausmacht. & die ­Theile sind künstlich geordnet & nicht gezwungen. Geburth Christi v Baßano scheint kein gutes Origin: zu sein. Hlge Famillie v. Perin del Vaga.73 Muter & Kind machen die Zierlichste Künstlichste Gruppe aus, Licht & Schatten ist gut vertheilt und bildet große Maßen die wohl in Acht genommen sind daher thut das Bild gute Wirkung ist deutlich. Das Gewand ist mit Geschmack gelegt doch sind die Falten nicht zum Allerbeßten gezeichne[t] Die Zeichnung hat im Allgemeinen einen Guten Styl aber wenig feines & geistreiches in den Theilen. [4] Man könnte überhaupt dem Bild in seinen Theilen manchen Verstoß gegen die Richtige Zeichnung vorwerffen die Züge des Mäd: sind Edel Ihre Hände zu schwer & Grob der Kopf des Christkindes ist genau angesehen eine Carikatur; überhaupt scheint das Bild viel beßer als es bey genauer Prüfung erfunden wird es ist der Charakter der Kunst aus den Zeiten nach Raphael, daß die Bilder beßer scheinen als Sie sind, die Frühern sind wirkl beßer als Sie scheinen. Bey allem dem ist das Bild recht fleißig gemahlt & obschon das Colorit ziegelfarbig ist so thut das Ganze da die übrigen Farben etc ziemlich Harmonisch gemahlt sind dem Auge genug. Der Hlge Joseph steht ganz im Halbschatten & stört die schöne Form & Effeckt der Piramidalgruppe der Maria & des Kindes nicht die Mad. hält in der Rechten ein Buch in der Linken einen Globus. Christus Tod in Verkürzung v. den Hl. Weibern beweint v Mantegna.74

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1824, Bd. 2, S. 6, erwähnt eine Madonna mit Heiligen von Tizian im Besitz von Alexander Day, dann verkauft an G. Hibbert, Esq. Der durchgezogene Strich markiert die Grenze zum zweiten Zimmer. Andrea del Sarto: Version der Tallard Madonna (St. Petersburg, Eremitage), Holz, 106 × 81 cm, ­heute London, National Gallery. Inventar von 1626 (Della Pergola 1960, S. 432, Nr. 112). Shearman 1965, Bd. 2, S. 214 f, Kat.-Nr. 30ii. – Siehe auch Dok. 2. Perino del Vaga: Heilige Familie, 110 × 90 cm, heute Chantilly, Musée Condé. Vgl. Della Pergola 1960, Inventar von 1626, Nr. 43. – Siehe auch Dok. 2. Andrea Mantegna: Toter Christus, 68 × 81 cm, Tempera auf Leinwand, seit 1824 Mailand, Pinacoteca di Brera. Zeitgleiche Beschreibung im Rubrikenschema, GSA 64/89, 11. Lage, fol. 26r bis 29r (Dok. 5). Zur Klärung der bislang strittigen Provenienz aufgrund der Inventarangabe „tavola“ statt

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Der todte Christus im Schooße seiner Muter nebst noch 6 andern Fig. Grau in Grau v Ebendems. Mstr.75 dieses Stück ist auf einem weißen Gipsgrund mit schwarz schrafirt die Arbeit daran ist ausnehmend fleißig die Striche sind fast so zärtlich wie an einem Radirten Kupferblatt. Die Zeichnung ist ziemlich Mager nach Weise der Alten Meister aber sehr bestimmt. die Köpfe haben überhaupt vortreffl Charakter Ausdruck & Geist besonders die alten Männer unter denen sich der zuerst zur Rechten mit langem Bart & der zur Linken welches mit einer Art Turban bedeckt ist vorzügl auszeichnen. Der Kpf Christi ist in Verkürzung hat nicht unedle Züge & scheint ruhig still entschlafen. [5]76 ist aber nicht ganz gut gezeichnet Maria ist im Ausdruck & Stellung mißrathen & ohne Zweifel die wenigste lobenswerthe Fig im Bild. die Falten sind ein wenig scharf gebrochen fast auf dürerische Manier aber gut ausgeführt & werffen sich Natürlich. Licht & Schatten des Bildes ist zwar nicht auf sehr großen Effeckt eingerichtet # [Rand links: # nicht mit Rücksicht auf die Wirkung des ganzen vertheilt] aber doch bey jeder einzelnen Fig in hübschen Arbeiten Maßen gehalten welche die Fig deutlich machen & gut genug in die Augen fallend. Die ganze Zeichnung dieses Bildes ist bey allem guten & löbl. so sie hat doch bey weitem nicht so zart genau fein bestimmt & geistreich wie in den Gemelden Christi: v ­Mantegna die Formen an jenen sind ungleich breiter Eleganter besser Verstanden richtiger & deutlicher dieser scheint in der Vergleichung mit jenen leer charakterlos verblasen & unbestimmt, auch haben die Falten einen etwas andern Charakter & sind dort noch weit beßer & natürlicher gemacht. wenn man ja glauben will daß beyde Stücke arbeiten deßelben Meisters seyen | die gänzl Verschiedenheit in der Behandl. und Verschiedenheit der Gesichter & Ihres Ausdrucks läßt wenig wahrscheinlichkeit übrig | so müßten sie doch der Zeit nach recht weit auseinander seyn. Halbe Fi: David.77  | eine Geige im Arm  | unten ein Männl Bildniss eines Mannes im ­Profil mit erhobenen zusammengefaltenen Händen treffl. gemahlt von Kräftiger & da-

korrekter Weise „tela“ (Lightbown 1986, S. 422; Bandera 2013) siehe auch Meyers Beschreibung von 1790 (Dok. 2 im Anhang) und die Ausführungen in Teil I, Abschnitt 3.4. c) der vorliegenden Arbeit. Vgl. Della Pergola 1960, S. 433, Inventar von 1626, Nr. 132. 75 Giovanni Bellini: Beweinung Christi, um 1495, 74 × 118 cm, Öl auf Holz, Florenz, Uffizien. 1798 von Alvise Moncenigo an Ferdinand III. von Toskana verkauft. In den Aldobrandini-Inventaren korrekt als Giovanni Bellini geführt. Vgl. Heinemann 1962, Nr. 170; Benocci 1992, Nr. 68. – Siehe auch Dok. 2. 76 Falsch geheftet, Seiten 5–6 vor Seiten 3–4. 77 Heute Moretto da Brescia zugeschrieben: David als Harfenist an Sauls Hof, heute in Kinnaird Castle, Schottland. Im Inventar von 1626, Nr. 102, als Giorgione ausgewiesen. Della Pergola 1960, S. 432; Benocci 1992, S. 214, Nr. 94; GPI, I–1008, Item 235.

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bey doch sanften Colorit Schatten & Licht ist in schönen breiten Partien vertheilt; wohl der Charakter als Ausdruck der Fig. sind zu loben. [6] Apollo tanzt mit den Musen:78 herrl Zeichnung mit der Feder, getuscht & weiß gehöht von Julius Romanus leicht & Geistreich, v. Edlen Formen, diese vielleicht etwas zu starck angedeutet aber wohl verstanden; sehr zierl. & mit geschmack geworfene Gewänder & schöne Maßen, das Ganze ist wie ein Basrelief jede Fig. als für sich, beleuchtet ohne Rücksicht auf Wirkung des Ganzen. Diese Mstr scheinen Licht & Schatten bloß als das Mittel Ihre Fig. zu runden betrachtet zu haben und es scheint als ob sie nicht gewußt hätten daß durch eine künstliche Beleuchtung des Ganzen als Ganzes für das gefällige Aussehen eine Bildes etwas genommen werden kann, oder vielleicht haben Sie es nicht der Mühe werth geachtet hierauf aufmerksam zu seyn. [Rand rechts: NB. die Anordnung wiewohl noch nicht gefeilt hat die Anlage sehr künstlich zu werden] Ecce Homo mit verschiednen Fig79 sehr stark & nur zu kräftig es hat schöne Charakteristische Köpfe# [Rand: # vorzügl die beyden welche neben Pilatus stehn] & die Zeichn ist in verschiedenen Stellen lobenswerth […] als die Compos. welche dem Mstr nicht vorzügl gelungen NB die Schrift darauf schreibt es dem jacobo ligozzi zu. Die Hlge Fam. neben ihr kniet St Franz. Oben ist Gott Vatter & der Hlge Geist noch höher ein Chor Musizierender Engel v Masolino80 St Franz ist v. Zeichn Ausdruck & Farbe ein Meisterstück Joseph ist eben so schön & sein Kopf ist würckl. Raphaelisch Gott Vatter ist sehr Ernst & von Strengem Charakter aber würdig das Christkind ist gut nur etwas zu starck gezeichnet & hat kein schönes Gesicht Maria unedle Züge die Engel sind auch nicht alle Wohl gerathen

78 Wohl eine Zeichnung nach Baldassare Peruzzis Tafelbild Apolls Tanz mit den Musen (Uffizien, Florenz), damals Giulio Romano zugeschrieben. Meyer fertigte 1796/1797 in Florenz ein Aquarell nach Peruzzis Bild an (Klassik Stiftung Weimar, Museen, Gr–2011/400), das wiederum als Anregung für Meyers Entwurf des in Grisaille ausgeführten Fresko am Römischen Haus diente. Vgl. Rosenbaum 2016, S. 118 f. 79 Giacomo Ligozzi (ca. 1547–1626). Erwähnung in den Aldobrandini-Inventaren 1603, 1638, 1665 (GPI). 80 Durch die präzise Beschreibung hinsichtlich der Ikonographie und Maltechnik ist die Identifizierung mit einem Werk in London wahrscheinlich. Meyer würde demnach lediglich den Hl. ­Nikolaus von ­Tolentino mit dem Hl. Franziskus verwechseln. Ludovico Mazzolino: Heilige Familie mit Hl. ­Nikolaus von Tolentino, Trinität und Engeln, Holz, 81,1 × 62,2 cm, London, National Gallery. Seit 1806 in ­England und 1839 für die National Gallery angekauft, nach eine Angabe von 1847 zuvor in Genua, ­Palazzo Lercari. Vgl. Zamboni 1968, Nr. 31, S. 43, Abb. 20; Mancini/Penny 2016, NG 169, S. 256 f. Vgl. Della Pergola 1960, S. 430, Inventar von 1626, Nr. 57: „una disputa del Sg.re tra Dottori in tavola ­piccolo di mano del Mazzolino”.

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[7] die Falten sind etwas steiff & Mager viel mit Gold gehöht Licht & Schatten ist nicht gar wohl verstanden noch in großen Maßen gehalten Alles aber sehr fleißig mit Sorgfalt & Liebe gemahlt die Architectur des Hintergrundes ist gut genug verstanden & mit Basreliefen geziert ___ Ein anderes Bildchen ebendeßelben Mstrs81 Christus wird v Pilatus dem Volk gezeigt die Juden scherzen etc. hat eine Menge vortrefflicher Köpfe das Kolorit ist gut aber etwas braun & entlang die Falten sind hier schön Gelegt aber etwas steif & scharf gebrochen oft Mager; in der Composition & der eigentl. Anordnung scheint Mazolino kein großer Künstler gewesen zu seyn aber das Natürliche wahre der Stellung seiner Fig. ersetzt was an Kunst abgeht – noch ein anderer Christus im Tempel lehrend82 dieselben Vorzüge & Fehler ist indessen überhaupt v. Geringerem Werth als die beyden vorherangemerkten. Ein Gemälde v. Parmigianino83 Die Vorstellung ist ein wenig wunderlich eine weibl. Fig. mit offenem Busen & einem Gewand welches mit Pelz verbrämt ist streicht ein Basset [?] & scheint solches zu stimmen hinter ihr ein kleiner Knabe – eine andere weibliche mit einem Helm auf dem Kopf liest in einem Buche eine Dritte zeigt in das Buch & hat einen Pfau bey sich von der 4t sieht man bloß die Rundung ohne eine sichtbar anderes Atribut. Die Köpfe der 3 ersten Fig. sind in der That schön & v Starker warmer Farbe vorzügl ist die mit dem Helm schön & v vieler Grazie [8] die Schatten sind Schmuzig, & schwarz geworden der Pinsel ist außerordentlich kühn alles sehr bestimmt gezeichnet aber nicht durchaus richtig der Styl hat eine Lobenswürdige Größe & Adel. Aber die Anordnung des Ganzen ist nicht zu billigen wie wohl die Köpfe der 2ten 3ten & 4ten Fig zierlich beysammen stehen. Die letzte Figur ist nicht fertig sondern bloß angelegt.

81 Ludovico Mazzolino: Ecce homo, Holz, 66 × 43,5 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie. Della Pergola 1960, S. 429, Inventar von 1626, Nr. 47. Siehe Zamboni 1968, S. 43, S. 40, Nr. 16, Abb. 45. 82 Ludovico Mazzolino: Christus im Tempel lehrend, 43,5 × 31 cm, 1802 von William Young Ottley aus der Sammlung in der Villa Aldobrandini gekauft, seit 1856 im Besitz des Lord Northbrook London. In Aldobrandini-Inventaren werden zwei Disputationen im Tempel von Mazzolino erwähnt. Zamboni 1968, S. 45, Nr. 36, keine Abb. Vgl. auch Version, 44 × 34 cm, Galleria Doria Pamphilj, ursprünglich aus d’Este-Besitz. Ebd., S. 54, Nr. 62, Abb. 23. 83 Parmigianino: Juno, Minerva, Venus und eine Muse (Musenfest), im Januar 1805 von James Irvine aus dem Besitz des Vincenzo Camucci angekauft, laut Benocci 1992, S. 88, heute wieder in der Villa. Lit: Benocci 1992, S. 213, Nr. 80, Inventar von 1626, Nr. 186: „un quadro grande in tavola con muse o dee, di mano del Parmigianino, del. n. 186”. Erwähnungen bei Heinse 2003, Bd. 1, S. 1058; Vasi 1794, S. 217: „un bel quadro del Parmigianino fra le fenestre nella seconda stanza del baccio destro della Villa, rappresentante una Musica”; Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 181.

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Die Anbettung der Hirten von Mantegna84 vermuthlich aus seiner frühen Zeit Die Köpfe sind geistreich aber hart die Zeichnung hat überh. noch nicht die zierliche Sicherheit & Verdienst wie an dem todten Christ. Das Colorit ist hingegen gar nicht schlecht der Kopf des Hlgn Josephs welcher schläft & die hübschgelegte blaue mit Gold aufgehöhte Mantel der Maria sind das wohlgerathenste im Bild, der Fleiß im ganzen Stück an dem Orangen Baume mit Früchten Die purpurnen und goldenden Engelchen die um das Christkind schweben dem landschaftl. Hintergr: der weiten Ferne dem Fluß# [Rand: # sogar Sand ist im Vordergrund gemahlt.] etc ist ungemein die l Hirten haben zwar Ausdruck aber Carikatur gesichter die Anordnung ist nicht übel nur sind die Fig nicht miteinander verbunden Schatten & Licht ist ziemlich gut in Maßen gehalten aber sie sind nicht Energisch genug & die Sorgfalt & Fließ in genauer Nachahmung & Ausführung der Theile hat die Lichtpartien nicht von kleinen Falten etc Frey gelaßen & unterbrochen. 2 Fig. welche in Mittellage über eine Brücke herkommen sind gar zu Natürl & artig ein junger David mit dem Haupt Goliaths85 Gesicht & ausdruck sind recht schön die Farbe ein wenig ziegelroth.“ [Passus ist mit Rötel angestrichen] [9] M. Magdalena in der Manier v. da Vinci86 In ihrem kopf ist viel gutes die Haare mit äußerstem Fleiß & Zierlichkeit gemahlt Sie ist aber da Hand & Hals Gar sehr verzeichnet sind nicht als ein Originalwerk zu betrachten. Maria halbe Fig v Barocci87 ein schönes Bild voll Geist & Ausdruck. Sie ist nicht eben erhaben schön & Edel aber es schwebt eine Himmlische Freude auf ihrem Gesicht wie 84 Andrea Mantegna: Anbetung der Hirten, Tempera, übertragen von Holz auf Lw., 40 × 55,5 cm, ­heute New York, Metropolitan Museum of Art. Vgl. Lightbown 1986, Nr. 5, S. 403 f. Dort wird noch eine andere in Quellen erwähnte und Mantegna zugeschriebene Anbetung der Hirten in die Provenienz einbezogen. Meyers Beschreibung stimmt hinsichtlich Ikonographie und Technik absolut mit dem New Yorker Bild überein. Nur die Inventare von 1603 und 1626 nennen eine Natività von Mantegna (D’Onofrio 1964, S. 18, Nr. 24, linke Spalte); Della Pergola 1960, S. 428, Nr. 23, dort im Kommentar nicht nachgewiesen). Vgl. Benocci 1992, S. 211, Nr. 15; Buchanan 1824, Bd. 2, S. 6, nennt das Bild im Besitz von Alexander Day. – Zur Wahrscheinlichkeit der Herkunft des New Yorker Bildes aus der V ­ illa Aldobrandini siehe auch Teil I, Abschnitt 3.4. c) der vorliegenden Arbeit. 85 Giuseppe Cesari, gen. Cavalier d’Arpino: David mit dem Haupt des Goliath, 1598, Öl auf Lw., 100 × 76,5 cm, Privatsammlung Gian Enzo Sperone, Schweiz. Abbildung und Provenienz­geschichte bei Michele Nicolaci, Kat.-Nr. 17 in Ausst.-Kat. Neapel 2014/2015, S. 146–148. Vgl. Aldobrandini-­ Inventare von 1603, Nr. 255, 1638, Nr. 892, 1665, Nr. 255. Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 182. 86 Nicht ermittelt. Vermutlich ein Werk aus dem Umkreis von Leonardo da Vinci. Vgl. Benocci 1992, S. 212, Nr. 43 (Inv. v. 1626): „Un quadro con una Madalena, di mano di Leonardo da Vinci, del n. 77“. Vgl. Visconti in Benocci 1992, S. 203: „una Madalena di Lionardo da Vinci“. 87 Nicht bei Olsen 1962. Vgl. Visconti (ca. 1794) in Benocci 1992, S. 203: „Nell’appartamento superiore si ammira un quadro di Federico Barocci rapresentante Maria Vergine col figlio e veduta di campagna, altro grande del Caravaggio rappresentante una scuola di musica, un quadro colla Madonna c­ reduta del Tintoretto ed altri del cavalier d’Arpino.“ Buchanan 1824, Bd. 2, S. 6, nennt eine Madonna mit Kind von Barocci im Besitz von Alexander Day.

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wenn Sie den Himmel offen & die Glorie der Selligen anzuschauen begriffen wäre. Die Mahlerey ist weich, die Carnation mit ziemlich viel Blau gemischt die Falten haben schöne Maßen v Licht & Schatten allein das Roth & Blau des Untergewandes & ­Schleyers od Mantels theilen sich nicht im geringsten mit. Noch 1 Bild v. Mazolino „Pilatus wäscht die Hände,88 das geringste v. den 4 die in diesem Zimmer hängen. Über der Thüre welche in das andere Zimmer führt eine halbe Fig. des Hlgn Franz. der vor einem Kruzifix bettet v. vielem Ausdruck & guter Farbe etc. Vanitas od. Weib die In einen Spiegel sieht89 & St Seb. dieses nicht sehr verdienstlich jenes Cop nach Tizian [10] 3. Zimmer Ein Bildniß Stück ein knieender Mann ganze Fig90 & ein anderer der wie aus einem Fenster sieht Brustbild v. Aug. Carracci der letztere Kopf ist der beßere indeß ist das ganze Werck ein großes Meisterstück; der landschaftl. Grund ist artig & lobenswerth NB Ohr ist sehr verzeichnet & sitzt zu tief r Aug zu hoch. Ein Bild mit todtem Wild & Hunden v. Ros v Tivoli91 Anderes, Landsch waßerfall Hart & Steif von ebendenselben beyde v seinen guten Arbeiten sehr Lockerer Pinsel viel Natur & Verstand & gute Zeichnung in dem Vieh, das landschaftl. aber grau & kalt zuwenig abwechslung v Farben überhaupt zu flüchtig traktirt. Der Junge Joh. in der Wüste v. Bronzino92 der Ausdruck des Kpfs ist gut allein er ist Weibl die übrigen Glieder Harmonien nicht die Beine sind ebenf. Weibl. die Arme & Körper sehr Muskuliert? Ein Knabe der einen oliven Kranz über einen todten Kopf hält in einer Manier die der des Schidone nicht unähnl ist nicht gut gezeichnet aber weich & löbl. große Schatten Partien die etwas ins röthliche fallen. [11] 4tes Zimmer Kleines Bildchen v alter Manier schwache roth Schatten guter Ton übrigens. 88 Eventuell Ludovico Mazzolino: Christus vor Pilatus, Holz, 50 × 42,9 cm, Cambridge, Fitzwilliam Museum. Aus der Sammlung Borghese in Frascati. Dieses Bild ist möglicher Weise mit einem Werk im Aldobrandini-Inventar zu identifizieren. Vgl. Della Pergola 1960, S. 346; Zamboni 1968, S. 39, Nr. 14, Abb. 55a. 89 Womöglich eine Kopie nach Tizian: Vanitas, 1618, Öl auf Lw., 97 × 81,2 cm, München, Alte Pinakothek. In den Aldobrandini-Inventaren nicht ermittelt. 90 Nicht ermittelt. 91 Philipp Peter Roos (1655–1706). Vgl. Ramdohr 1787, Bd. 2, 181: „Eine Landschaft mit Vieh von Rosa di Tivoli”. Mehrere Landschaften des Künstlers in den Aldobrandini-Inventaren erwähnt (GPI). 92 Nicht ermittelt. Siehe als Vergleichsstück: Bronzino: Der junge Johannes der Täufer in der Wüste, Öl auf Holz, 120 × 92 cm, Rom, Galleria Borghese, Inv.-Nr. 444, dort seit 1693 kontinuierlich dokumentiert. Della Pergola 1955/1959, Bd. 2, S. 20, Kat.-Nr. 18; Baccheschi 1973, S. 99, Nr. 85. – Vgl. Ramdohr 1787, Bd. 2, 181: „Johannes der Täufer und ein Heiliger Sebastian, beide von Bronzino”.

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es stellt eine Weibsperson vor welche schreibt ein todten Kopf & eine Vase stehen vor ihr auf dem Tisch sie ist niedl Aufgesetzt von äußerst gemüthl Ausdruck im Gesicht Eine Anbettung der Hirten v. Mazolino93 St Jos. & die Hirten haben sehr viel Charakter Maria & das Kind hingegen sind nicht so gut gerathen Junger Christus Brustbild mit lockigen auf die Schultern herabfallenden Haaren mit Leimfarbe auf Leinwand Gemahlt.94 es ist nicht unwahrscheinlich daß dieses Bildchen wirkl. eine Arbeit des da Vinci sey der Charakter ist Edel doch kein Erhabenes Ideal, aber überaus freundlich, rein, voll Liebe. es ist mit großem Fleiß gemacht weich & doch bestimmt sehr richtig beleuchtet die Haare & die Falten sind in ihrer Art fürtreffl jene v zierlichen Locken lichtbraun & Glänzend schon nach art der damahligen Zeit als einzelne Faden gemahlt. Diese sind fleißig & treu nach der Natur gemacht & wohl gewählt dieses Werk hat an verschiedenen Stellen gelitten an der r. Wange am Kinn etc & vorzügl. am Hals – & ist schlecht ausgebeßert [12] Eine Halbe Fig. des Hl Franz: etwas Hart aber er hat Ausdruck ist gut gestellt & der Grund ist artig – es soll von Correggio sein die Angabe ist aber ohne allen Grund Eine Halbe weibl. Fig. mit langen gelben Haaren Offenem Busen sie macht sich mit allerley Schmuck zu schaffen; Lebensgröße v. Garofalo95 Sie ist schön gezeichnet & rund fleißig gemahlt die Halbschatten sind etwas grau im Ausdruck ist viel zartes & Gemüthliches; das Nackende & die Falten sind beßer als Ihre Haare gerathen. Sie ist übrigens reizend in Stellung & Anzug. Ein kleines nur untermahltes Bildniß welches dem Tizian zugeschrieben wird & der vortreffl Farbe & Meisterschaftl. Behandl wegen wohl für ein Werck dieses Mstrs gehalten werden kann.

93 Nicht bei Zamboni 1968. 94 Die Aldobrandini-Inventare von 1603, 1626, 1638 und 1665 nennen alle einen jungen Christus, angeblich von Leonardo, das Inventar von 1665 präzisiert „un quadro con un Christo giovane con zaz[z]era, e veste rossa“, GPI I–296, Nr. 34 (Seite 19, Nr. 34). Möglicherweise handelt es sich um eine der zahlreichen Versionen des Salvator Mundi, die auf Leonardo zurückgehen. Vgl. Frank Zöllner, Kat.-Nr. 34 in: Zöllner/Nathan 2011, Bd. 1, S. 250, sowie ergänzend Luke Syson, Kat.-Nr. 91 in: Ausst.-Kat. London 2011, S. 300–303. Das kleine Format („Bildchen“) und die maltechnische Angabe „Leimfarbe auf Leinwand“ könnten Indizien für eine weitere Eingrenzung geben. 95 Nicht bei Fioravanti Baraldi 1993. – Vgl. Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 182: „Ein schöner Weiberkopf, von Benvenuto Garofalo”. Benocci 1992, S. 214, Nr. 116. Die Angabe im GPI, es handle sich um ein Werk in der Galleria Borghese, Inv.-Nr. 264, kann nicht stimmen (vgl. Della Pergola 1955/1959, Bd. 2, S. 169 f, Kat.-Nr. 247).

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Ein Bildchen v. sehr vielen Fig v. Christum vorstellend der die Wechsler aus dem Tempel treibt einiges in denselben ist v. Charakter & Kolorit vortreffl. Die Klarheit & der Fleiß i diesem Wercke sind zu loben. verschiedene Stellen haben gelitten viel ist mit Gold gemahlt v. Mazolino.96 [13] Die Bekehrung Pauli97 ein Stück von außerordentl Fleiß & wo manche einzelne Dinge sehr gut gemacht sind es hat viel zierl. in den mit Gold gemachten Waffen & der Styl der Zeichnung & der Falten ist nicht übel & scheint die Schule des Jul. Romanos zu verrathen aber es ist eine große Verwirrung & wenig Kunst in der Anordnung der Ausdruck hat zu viel Einförmiges & die Austheilung v: Schatten & Licht ist gar nicht zu loben das Colorit scheint ebenfalls eintönig zu seyn – Eine andere Bekehrung Pauli wird für ein Werk des Primatizio98 ausgegeben & zeigt einen Mahler v viel mehr Genie Geist & Verständniß der Kunst als das Muster des vorigen Bildes der Apostel liegt zwahr sehr verkürzt & hat keine zierl. od. Edle Stellung den er ist mit seinem Pferd in einem bündel über den Haufen gefallen aber in der Andern Fig. ist viel Bewegung sie weichen gut hintereinander weg & das Licht ist vernünftig ausgetheilt der Styl ist im ganzen gut & Edel wenn auch gleich die einzelnen Theile nicht immer richtig & fleißig gezeichnet sind. Die Glorie & Wolken sind hübsch & Mahlerisch & viel meisterhafter gemacht als ein voriges Bild jenes ist indeß in rücksicht auf Fleiß & ausführung diesem weit vorzuziehen da Primatizio hier nicht viel mehr als eine Skizze geliefert hat. aber eine Skizze in welcher sehr viel Mahlerisches verst: & Geist in d Behandl ist dreist frey Meisterhaft [linker Rand:] das Colorit nicht eben sehr zu loben in den Schatten ziemlich Schmuzig [14] Ein Bildnißkopf eines Magisters od eines Geistl wie es scheint mit Inschrift Ε ΝΙAYTOΨ•∆∆. & auf der Rückseite del Greco99 ungemein geistreich & Natürlich & wohl koloriert fast etwas zu bestimmt an härte grenzend gezeichnet, rücksichtlich auf Geist & Lebendigkeit ist’s ein gar schätzbares Werk

96 Womöglich Ludovico Mazzolino: Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel, Holz, 33 × 56 cm, ­Alnwick Castle (Northumberland). Zamboni 1968, S. 35, Nr. 1, Abb. 56. – Oder: Ludovico ­Mazzolino zugeschr., Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel, 47 × 60 cm, Rom, Galleria Doria Pamphilj. Im Inventar der Lucrezia d’Este erwähnt, dann in den Aldobrandini-Inventaren (1611, 1626, 1682). ­Zamboni 1968, S. 55, Nr. 63, Abb. 64b. 97 Womöglich Ludovico Mazzolino: Konversion des Hl. Paulus, 58 × 69,8 cm, heute London National Gallery. Siehe Della Pergola 1959, S. 343, Nr. 7. Vgl. Zamboni 1968, S. 47, Nr. 40, Abb. 64a. 98 Nicht ermittelt. Belegt in den Inventaren der von 1603, 1638 und 1665. Vgl. GPI, I-268, Nr. 277; I-1008, Nr. 209; I-296, Nr. 170. 99 Nicht ermittelt. Nach den Inventaren von 1603 und 1638 befand sich in der Sammlung neben einer Beschneidung Christi (s.u.) ein „ritratto in quadro piccolo, di mano del Greco“. Zitiert nach GPI, I-268, Nr. 275.

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Christ in der Maria Schooß St Jos St Augustin St. Hieron. St Franz. Maria Magdal. 2 Bildniße Fleißig ausdrucksvoll nicht gut & steif gezeichnet v. alter Manier. del Hortolano100 einiges von den Falten ist treulich nach der Nat. gemacht z b. der Schleyer & Mantel der Madonna der rothe Mantel des Jos. die Kutte des St Franz die Maßen v Licht & Schatten sind an jeder Fig einzeln nicht übel in acht genommen. Die Predigt des Johannes mit einer Menge kleiner Fig. Hinten darauf steht del Civetta101 ein höchst schätzbares Bild in Absicht auf Ausdruck Geist & wohlabgestochenen lebhaften Charakter jeder einzelnen Fig auch ist das Colorit schön die Behandl äußerst reich & fleißig & einige Stellen Helldunkel oder klare Schatten ganz vortreffl Die Falten sind überhaupt gut geworffen einige zunächst an den Weibern scharf gebrochen & klein. aber die 5 Männer zuhinterst in der großen Gruppe des Volks sind fürtreffl gelungen der mit dem gelb Mantel & einen Spieß in der Hand hat gar hübsche Falten der andere der die rechte in den Busen gesteckt hat mit der Linken das Gewand hält ist Edel Natürl v schönen Maßen ein Figurchen recht in Raphaelische Geschmack, der 3te ein Pharisäer mit einem Ruten[?]stock der einem andern mit leidenschaft sprechenden gelaßen [15] antwortet kan gar nicht Natürlich seyn einer mit gelber Mütze hört zu was dieser sagt so genau & deutl ist die Handl vieler Fig dieses Bildes ausgedrückt. In rücksicht auf Compos. hat der Meister wenigstens alles zusammengehalten & zu verbinden gewußt das ohngeachtet der Menge Fig doch keine Verwirrung entsteht. Der Grund ist weich fleißig nach der alten Art mit Gegenständen überhäuft doch ist er nicht ganz ohne Haltung.im Mittelgrund sieht man die Versuchung & die Taufe Christi vorgestellt. – Oben herum hängen. Eine Mad. mit Christk. & Joh. im Geschmack des del Sarto recht zierl gedacht & geordnet – eine andere Mad: mit dem kind & 3Engeln von dems einer der Maria ein Buch vorhält das Christk. hat einen gemüthl entzückten Ausdruck Maria ist nicht erhaben schön aber ebenfalls gemüthl die Engel sind reine schuldlose gemüthige Wesen. Das Kolorit & Beleuchtung sind beyde zwar gut aber schwach.

100 Ortolano, eigentl. Giov. Battista Benvenuti (vor 1488–1525?). Vgl. Inventar von 1626, Benocci Nr. 58, S. 212. Eine Identifizierung mit der in der Gallerie Borghese befindlichen Beweinung Christi lässt sich ausschließen (so bei Della Pergola 1960, S. 430, Nr. 66, Kommentar S. 441), da es sich im obigen Fall um eine Sacra Conversazione handelt. 101 Herri (met de) Bles, genannt Civetta, tätig im 2. Drittel des 16. Jahrhunderts, mehrere Versionen des Themas sind erhalten, darunter eine Landschaft mit der Predigt Johannes des Täufers im Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund.

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eine andere große Mad. die über dem Christkind welches auf ihrem Schooße liegt die Hände aufhebt & bettet v. einer kräftigen & großen Manier die Anlage & gruppe ist zwahr etwas gesucht aber der Ausdruck gut. [16] Bildniß 1/2 Fg. eines Mannes v. Edl Zügen mit dünnem Bart der ein beschriebenes Blatt mit Versen in der Hand hält, es soll v Giorgione seyn102 & ist wenn auch nicht Orig: doch wenigstens gut geistreich & hübsch ineinaderfließenden Farben sehr gelben Tons. es hat sehr gelitten & ist seinem Untergang ziemlich nahe Ein Bild mit vielen Fig. | die Vordersten ungef fußhoch | v. sehr räthselhafter Vorstellung v Jacopo da Pontormo103 dem ersten Anscheinen Nach kommt die Manier zieml der Manier des del Sarto nahe, aber sie ist bey näherer Betrachtung ungleich geringer an Korrektheit & im übrigen ganzem Gehalt. Die Fig sind nicht übel beysammen & haben ein gut Aussehen wiewohl sie unrichtig gezeichnet sind zumahl in den äußeren Theilen Sie haben sämtlich viel Charakter & Ausdruck & die Falten sind gut geworffen oft musterhaft Simpel & groß doch sind sie meist zu steiff & scharf gebrochen alle haben vortreffl große Maßen welche auch wenig Hauptverdienst dieses Bildes ausmacht der Meister hat einen Begriff der Anordnung & befolgt die Regeln aber schöne Gedanken haben weniger schöne Vollendung noch viel Zierlichkeit an sich selbst das Kolorit neigt sich ebenfalls zu der Manier des del Sarto doch hat es nicht die Blühenden Tinte welche diesem oft gelungen sondern ist etwas gräulicht & Schmuzig die Farben die Farben sind […] bestimmt so sieht & Erkennt man doch einen Meister der mit Genie & Geist gearbeitet hat. [17] der Zug Jakobs nach Kanaan scheint bloß gute Copie nach Baßano zu seyn die Beschneidung über der Thüre,#104 [Rand: # Bild v 1/2 Fig im Venetianischen Geschm:] hat viel gutes v Ausdruck & Colorit aber auch viel fehlerhaftes in der Zeichnung Ob die Susanna mit den Beyden Alten Fig in Lebensgr wirkl v. Hanib. Carracci105 sey od. Kopie aus seiner Schule bleibt Zweifelh. da das Bild im Dunkel hängt. aber wenn es auch kein Original ist so verdient es doch allemahl noch als Bild v. Verdienst betrachtet

102 Vgl. Inventar von 1626: „un ritratto di uno vestito tutto di nero all’antica che tiene in mano una ­carta scritta con un sonetto di man del Giorgione del. n. 222.“ (Della Pergola 1960, S. 432, Nr. 104). Nach Liste von Giorgiones verlorenen Werken: „Schwarzgekleideter Mann mit Mähne, mit einer Schrift“, Pignatti 1978, S. 168 (dort Berufung auf della Pergola). 103 Jacopo Pontormo: Joseph in Ägypten, Öl auf Holz, 96 × 109 cm, London, National Gallery, Inv.Nr. 1131. Costamagna 1994, S. 128 f, Nr. 22. 104 Eventuell ein damals an El Greco zugeschriebenes Werk. Vgl. Inventare von 1626, 1646, 1662, ­Benocci 1992, S. 211, Nr. 12: „Un quadro con la circoncisione di N. S., di mano del Grecho, del. n. 10.“ 105 Vermutlich eine alte Kopie nach dem verschollenen Werk von Annibale Carracci. Auffallend ist ­Meyers Hinweis auf lebensgroße Figuren, der mit keiner der bekannten Kopien übereinstimmt. Vgl. Posner 1971, Bd. 2, S. 26, Nr. 57 und S. 58, Nr. 131. Ein derart beschriebenes Bild wurde 1798/99 von William Young Ottley erworben und am 16.3.1801 bei Christie’s versteigert. Vgl. Benocci 1992, S. 87.

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zu werden. die Anordn der Theile & Glieder ist Meisterhaft Licht & Schatten gut ausgetheilt auch ist zeichn. & Behandlung nicht schlecht 5s Zimmer Ein Ecce Homo v ungemein vielem Verdienst des Ausdrucks & gar fleißiger Mahlerey auch richtig & gut gezeichnet doch ist der Styl nicht gar Edel er scheint […] der Florentinischen Schule anzugehören Kleines Bildnis eines jungen Menschen auf Holz v guter Farbe viel Ausdruck & Natur & lockrer freyer Behandlung [18] eine Kreuztragung v vielen fußhohen Fig auf Kupfer in sehr Maniertem Geschmack aber Poehet.[sic!] Verdienst um Behandlung um Kolorit um Haltung & sogar herrscht in einigen Köpfen ein lobenswerther Ausdruck auch ist die Anordnung des Bildes im Allgemeinen gar nicht übel. Studium & Ein Kopf einer alten Frau sehr von der Seite her etwas aus dem Profil gedreht, auf grau Papier mit Pastell äußerst leicht & äußerst geistreich gemacht vermuthl ist’s Eine Arbeit v Fr: Barocci & in der That vortreffl. Ein gar liebl Bildchen vom ältern Styl106 Ein Dichter gekrönt sitzt auf einem Tron unter einem Baldachin im Garten zu seinen Füßen sind Bücher; ein Knabe im Festtagshabit die Müze in den Händen steht vor ihnen auf der Stuffe, ein Jüngling sitzt auf derselben & spielt die Zither. ein anderer komt & reicht kniend eine schüßel mit Früchten dar. ein Pfau & ein Tiger im Vorgrund Rehe weiter zurück der Grund ist Felsen & Buschwerk & eine weite Aussicht in die Ferne die Mahlerey ist gar fleißig die Felsen hübsch gelegt & Natürl der Ausdruck voll Gemüthlichkeit die Anordnung anspruchslos aber bey ihrer Einfalt zierl & Gefällig die Zeichnung nicht gelehrt aber Natürl, Licht & Schatten v hübschen Partien & die Farben wahr & warm der landschaftl Grund ist ungemein fleißig & gut NB es wird für Raphaels Arbeit ausgegeben [19] Ein Marien Bild mit Christk vortreffl gruppirt eher in Geschmack des Julius Romanus beschädigt & retouchirt107 Ein gutes Bildnis vermuthl eines Prinzen aus dem Hause Aldrov. Ganze Statue klar & schön v Farbe. & liebl behandelt doch schwach gezeichnet 106 Imitator des Giorgione: Dichterhuldigung, 59 × 48 cm, London, National Gallery, Inv. 1173. In den Aldobrandini-Inventaren 1603, 1626, 1638 als Werk Raffaels bezeichnet (GPI). 107 Das Inventar von 1626 nennt eine „Madonna con il putto in braccio che tiene la croce in mano con doi Angeli di mano di Giulio Romano“ (Della Pergola 1960, S. 429, Nr. 24). Dort im Kommentar nicht nachgewiesen.

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Christ der die Pforten der Hölle sprengt & die Verdammten erlöst108 Maniert fast auf evt vorgemeldter Kreuztragung doch nicht so verdienstl. Bildniss eines Geistl mit Kruzifix in der Hand. Manier v. Tintoret. ein kleines Kruzifix fast nur als Skizze zu betrachten wird dem Tizian zugeschrieben ist gut kolorirt & sehr meisterhaft gemacht Maria welche das Kind hält; 2 Engel halten diese die Paßions Instrum. vor. er umarmt das Kreuz. in einer hübschen Landsch. das Werk hat etwas vom Geschmack der Carraccischen Schule ist gut genug gruppirt & geordnet der Styl der Zeichnung ist nicht übel, das Kolorit hinlängl gut der Pinsel Meisterhaft, die Falten gar zu flatternd, & die Maßen nicht rein genug gehalten. [20] der Ausdruck ist gemüthl & nicht zu tadeln & die Wirkung angenehm Alpheus & Arthusa od vielleicht Salmahis & Hermaphroditus109 eine vortrffl & sehr schäzbare Skizze v. Parmegianino voll Gemüth & Innigkeit & Liebe artig gruppirt & mit äußerster Meisterschaft gemahlt Kleine Landschaft mit dem Opfer Abrahams soll v. Dominichino seyn110 sie ist schön & simpel gedacht allein weder die Farbe noch die Behandl ist eines so großen Mstrs vollkommen werth doch thut das Werk eine artige Wirkung & ist seiner Simplizität wegen gefällig Kleines Bildnis eines Geistl ganze Fig komt wohl auch v. einem Zögling der Carraccischen Schule her ist sehr simpel natürlich leicht & wohlgemahlt

108 Das Thema von Christus in der Vorhölle ist zweimal in den Inventaren belegt. Einmal von einem unbekannten Meister, einmal von Lelio Orsi (1508/11–1587). Vgl. Inventar von 1638, fol. 909v, Nr. 404, bzw. Inventar von 1603, S. 18, Nr. 7, 1626, S. 428, Nr. 13 (GPI). 109 Laut GPI Erwähnung in den Inventaren von 1603, 1638, 1665. Vgl. Ramdohr 1787, Bd. 2, S. 181: „Arethusa und Alpheus, Sbozzo von demselben” (Parmigianino). Vgl. Heinse 2003, S. 1058: „kleines Bildchen in Wasserfarbe Arethuse u ihr Geliebter voll Schönheit, leicht u meisterhaft.“ 110 In den Inventaren von 1602 und 1638 wird eine Landschaft mit der Opferung Isaaks von Domenichino erwähnt, die sich laut Spear schon 1727 im Besitz des Duc d’Orleans in Paris befunden haben soll und heute mit einem Frühwerk Domenichinos zu identifizieren ist: Landschaft mit der Opferung Isaaks, ca. 1602, 31,8 × 44,5 cm, Öl auf Kupfer, seit 1982 im Kimball Art Museum, Forth Worth. S­ pear 1982, Bd. 1, S. 126 f, Nr. 3, Bd. 2, Abb. 4. Im Aldobrandini-Inventar von 1657 wird ein Leinwandbild mit den gleichen Maßen erwähnt. Die Angabe des Trägers ist dort jedoch nicht verlässlich, wie der Fall von Mantegnas Totem Christus belegt, allerdings spricht viel dafür, dass Meyer „Öl auf Kupfer“ aufgefallen wäre. Es wäre möglich, dass wie im Fall von Tizians Maria mit Kind, Stefan, Hieronymus und Maurizius vor dem Verkauf eine Kopie angefertigt wurde, was auch Meyers zweifelnde Anmerkung an der mäßigen Ausführung bestätigen würde. Inventar von 1603, p. 210, Nr. 331, 1638, fol 895v, Nr. 289.

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Ein geharnischer Mann umarmt einen jungen Menschen Manier v. Giorgione111 aber die Originalität ist zweifelhaft gute Farbe & Gemüthlichkeit des Ausdrucks hat dieses Werck jedoch nicht genug Geist & lebhafttigk. ein Ecce homo welches man nicht ohne Grund für Tizians Arbeit halten möchte es ist voll[?] schmuzig hat aber sonst nicht wenig gelitten Bildniß einer Fr mit einer Schaale in der Hand auf welcher geschrieben steht ΝHΝENΘEΣ venezianische Schule [21] St Sebast 1/2fig ist es kein Original des del Sarto112 so ist er doch eine vortreffl wohlverstandene Copie auf demselben die Zeichnung ist gelehrt hat aber wenig Eleganz & die Senen Muskeln Knochen sind zu stark angegeben. Maria mit Christus & Joh. liebl. gruppirt doch ist die Farbe zu grau & kalt scheint aus Raph Schule St Peter, Kopf, Caraccische Schule. Ein Herrl Bildniß eines Bärtigen Mannes voll Adel & Ausdruck aus Raphaels Zeit & Schule her treffl gestellt fleißig gemahlt gut gezeichnet aber sehr restaurirt bene Vivere et letari steht auf dem Papier in seiner Hand. NB. Seyn Cäsar Borgia. & ein berühmtes Werk.113 der schöne aber beschädigte Kopf eines Hlgn mag wohl vom Hanibal Caracci herrühren Ausdr & Zeichn sind gut, das Kolorit v mäßiger Stärke & die Behandl Meisterl. [22] Eine gar artige Hlge Fam: in einem Reizenden aber maniert Styl der etwa v. ­Barocci114 hat aber die Farbe ist etwas grau & schmuzig auch ist die Gruppirung & Anordn. ebenf. zierl doch auch maniert. St. Hieronim. auf den Thüren115 St. Peter & St Paul. wird Irrig dem Alb. Dürer116 zugeschrieben […] Mager Steif v. unrichtigen Proporz. doch fleiß & scharf gezeichnet v gutem & Lebendig: Ausdruck viel Fleiß die Farbe Natürl. die Gesichts Züge mehr wahr als

111 Vgl. Aldobrandini-Inventar von 1662: „Un quadro d’un soldato armato mezza figura con un‘altra ­mezza figura, cornice dorata, alto p. 3 in circa, di mano del Giorgione“. Benocci 1992, S. 220, Nr. 280. 112 Kopie nach Andrea del Sarto: Heiliger Sebastian, 1529–1530, ca. 85 × 64 cm, verschollen. Vgl. Inventar von 1626, Della Pergola 1960, S. 429, Nr. 29. Vgl. Shearman 1965, Bd. 2, S. 285 f, Kat.-Nr. 100xviii. 113 Die Nebenbemerkung („NB.“) bezieht sich vermutlich nicht auf das vorhergehende Bild. In den Aldobrandini-Inventaren findet sich kein Hinweis auf ein Bildnis von Cesare Borgia. Das bekannteste, wiewohl nicht authentische Porträt: Altobello Melone zugeschr. (ca. 1490/91–1543): Porträt eines Mannes (angeblich Cesare Borgia), ca. 1513, Öl auf Holz, 48,2 × 58,1 cm, seit 1866 Bergamo, Accademia Carrara. Der Besitz jenes im 19. Jahrhundert u.a. Giorgione zugeschriebenen Werks lässt sich nur bis 1859 nachverfolgen. 114 Nach Benocci 1992, S. 216, Nr. 186 Inventare von 1626, 1638, 1646, 1662. Vgl. Della Pergola 1960, S. 435, Inventar von 1626, Nr. 194. 115 „Thüren“ meint hier: Bewegliche Flügel eines Retabels. 116 Vgl. Inventar von 1626, in Della Pergola 1960, S. 431, Nr. 91 und S. 434, Nr. 176. Nicht Benocci 1992, S. 216, Nr. 168 (dort ein Eustachius).

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Edel. St Paul ist der Beste bes: sind die Hintergründe fast so schön als ob sie Paul Brills Arbeit wären Eine Kleine Mad. mit dem Kind aus der Schule des Raphael vermuthl. v. Fatore117 die Kompos. & Ordn. ist Künstl schön voll anmuth & Liebe die Mahlerey fleißig der Ausdruck gemüthl. der Kopf des Kindes ist nicht ganz v. Kindischer Natur seine Glieder sind beßer doch ein wenig Stark Muskulirt nach Raphaels Geschm. vermuthl. ist nach seiner Zeichn gemacht noch ein Hl. Hieronim. Kniend in einer wilden Landsch: soll angebl. v. Civatta118 seyn scheint aber v. deutscher Hand & ist nicht ganz so hübsch & verdienst wie der vorige [23] Ein ganz vortreffl kleines Bildniß eines Mannes voll Geist & Leben leicht & keck gemahlt soll von Tintoret seyn die Farbe ist kräftig & gut119 # artige Gruppe einer Frau mit 2 Kindern aus der Caraccischen Schule u hübscher Landsch. Über der Thüre eine sehr schöne Mad mit dem Kind welches ein Pr Kirschen hält zur Seite stehen St. Joh. Bapt. & eine Hlge es hat sehr viel v. dem Geschmack des Bellini schöne Abwechsl. der Töne die Köpfe sind Wahr & sehr gemüthl & Geistr. Schön & Edel sind die Fig aber nicht doch auch nicht unwürdig od. Niedrig sondern simple treue Nachahmung der Nat. Licht & Schatten ist nicht künstl oder nach studirten Grundsätzen & Regeln ausgetheilt die Zeichn. Fleißig an einigen Orten Mager die Falten klein & Steif aber wohl gelegt & mit besonderem Fleiß nach der Natur ausgemahlt. Die Gruppirung ist nicht Künstl aber einfach & unschuldig. & vielleicht darum nicht mißfall das Werk hat gelitten. Aber die Beschädigungen sind nicht beträchtlich. Brustbild des Hlgn Bernhardius wird für Arbeit das Mazolino120 ausgegeben überaus Natürl mit Raphaelischer Wahrheit Geist & Seele. Doch hat die Zeichn. wenige Unrichtigkeiten [24] Maria Christk. & der Kl. Johannes hat viel reiz & Natürliche Handl. & ist ein angenehmes Bild wiewohl in Zeichn. & sonst nicht ohne Fehler v. Sogliano.121 Schönes Bildnis wie es scheint einer schönen Griechin mit hoher Müze von dieser alten Art & Kunst äußerst zart & fein v. Zügen. auch in einer liebl. zarten Manier gemahlt H. Hiernonim. v. einem der Baßano gut gemahlt & kräftig 117 Giovan Francesco Penni, gen. Il Fattore. Mitarbeiter der Raffael-Werkstatt. Werk nicht ermittelt. 118 Herri (met de) Bles, gen. Civetta: Landschaft mit Hl. Hieronymus in der Wüste. Genannt in den Inventaren 1603 und 1638. GPI I–268, Nr. 31. 119 Vgl. eventuell Della Pergola 1960, S. 433, Inventar von 1626, Nr. 145. 120 Ludovico Mazzolino: Brustbild des hl. Bernhard, erwähnt im Aldobrandini-Inventar von 1603. Siehe Zamboni 1968, S. 60. 121 Giovanantonio di Francesco Sogliani. Im Inventar von 1626 „Fogliano“. Della Pergola 1960, S. 431, Nr. 98; Benocci 1992, S. 213, Nr. 90; GPI I–334, Nr. 96.

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Ein überaus unschuldiges Fleißiges Bildchen122 Weite Gegend von einem Fluße durchströmt zur Lincken eine Schaafschur rechts die Hlge Familie Maria giebt dem Kind die Brust Jos. reicht in der Müze Früchte vor die Landschaft die Art & den Fleiß der Ausführung & der etwas niedrige Charakter der Fig laßen vermuthen daß es Werck eines Deutschen oder Niederl seye. Herl. aber verdorbenes Bildchen v. Mazol123 Maria mit dem Kind Jos. Joh. Elisabeth & eine andere Alte. die Charaktere bes. der beyden alten Frauen sind vortreffl. Maria ziemlich Edel. Jos. ist wie in den Bildern im 2.ten Zimmer. Die Drapp. sind zwar auch hier etwas steif. aber wohlgelegt, selbst die Anlage & Gruppirung dieses Gemähldes ist zierl. & gefällig & beßer als in dem übergew gerathen Christk. ist ganz verdorben [25] schöne doch etwas schadhafte & verblichene Zeichn v Albr. Dürer124 auf grünl. Papier mit Feder umzogen getuscht & weiß gehöht stellt die Abnehmung vom Kreuz vor die Charaktere sind wahre Nat & es ist ein gewisser Sinn v. Grupp. & Zusammenstellung darin der gut läßt & löbl ist. eine Kniende Weibl. Fig mit gefalteten Händen hat viel Grazie & eine andere vom Rücken anzusehen mit Ausgebreiteten Armen ist in ihrer Art vortrefflich der Alte welcher dem Leichn. Christi empfängt hat viel Würde dieser ist ruhig & scheint nur wie zu schlafen die Zeichn ist so gut sie sich v. Dürer erwarten läßt an einigen Extremit. vortrefflich | vorzügl Hände | die Falten zwar scharf & Eckig gebrochen aber in ihrer Art gut überhaupt verdient das Werk großes Lob. ein Man der wie eine Allonge Perücke aufhat zu äußerst links scheint v. geschickter Hand dazu gezeichnet zu seyn. ein Kinderköpfchen angebl v Moro125 ist gut & geistr & der Betracht: werth

122 Vgl. Aldobrandini-Inventare von 1626 und 1638, in: Benocci 1992, S. 213, Nr. 76: „Un quadro con la Madonna e S. Gioseppe in un paese con pastori che tosano le pecore, in tavola, di maniera tedesca, del n. 171“. 123 Vermutlich Ludovico Mazzolino: Heilige Familie mit Johannesknaben, Elisabeth und Anna, 40 × 42 cm, Gemäldegalerie Berlin, aus Sammlung Solly erworben. Meyers Beschreibung passt gut mit dem Berliner Bild überein. Siehe Zamboni 1968, S. 38, Nr. 8, Abb. 11. 124 Meyers Beschreibung der Helldunkelzeichnung auf grünem Grund lässt an Dürers Kreuzabnahme aus der Grünen Passion von 1504 in der Wiener Albertina denken (alter Bestand), doch stimmt die Komposition nicht mit dieser überein. Vgl. Aldobrandini-Inventare von 1603, 1638, 1665. Vgl. GPI I–268, Nr. 176: „Una deposizione del Signore dalla croce, in carta di chiaro scuro, in quadretto piccolo, con cornice tocca d’oro, di Alberto Durer“. 125 Battista Angolo, gen. Battista del Moro (ca. 1514-ca. 1573), Maler und Kupferstecher in Verona und Venedig. Die Inventare von 1603, 1638 und 1665 nennen einen Puttenkopf en face von Moro. Vgl. Inv. von 1603, S. 18, Nr. 14. GPI I–268, Nr. 14.

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Leda mit dem Schwan Ihre Kinder spielen mit Eyerschalen wenig farbig fast blaß grau scheint k. Florentiner Kunst aus Mich Angelo’s Schule zu seyn126 ist ein Gutes Stück in seiner Art über der Thüre hängen ohne Rahmen 2 längl Bilder die 2 Hlge vorstellen. & v. Raph. erster Manier zu seyn scheinen die eine ist sehr verdorben. Die andere | H Catharina | ist wohl erhalten & voll unschuld Einfalt & Gemüthlichkeit [26] treffl. mit Gold gehöhte Zeichn v der Bathseba. HTL 1597 treffl. geordnet Meisterh. gezeichnet gut drappirt die Alte die ihr das Gewand reicht & hält ist besonders vortrefflich. Batseba ist am wenigsten gerathen

126 Eine der Versionen von Leda mit ihren Kindern nach einem verschollenen Bild von Leonardo da ­Vinci. Vgl. Frank Zöllner, Kat.-Nr. 28, in: Zöllner/Nathan 2011, Bd. 1, S. 246 f. In allen Inventaren von 1626 bis 1662 wird ein Werk von Marcello Venusti erwähnt (vgl. Benocci 1992, S. 216, Nr. 180). Meyer scheint mit der Zuschreibung an den Michelangelo-Nachfolger nicht einverstanden, wie die Abkürzung „k.“ („kein“) belegt.

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Dokument 4 Tabellarische Beschreibung von Tizians Bacchus und Ariadne und Giovanni Bellinis Götterfest, Rom, Villa Aldobrandini, 1795/1796 GSA 64/89, 11. Lage, fol. 35v–38r. 35 v Gemählde Ort. Gattung des Kunstwerks Mstr deßelben

Gegenstand

Villa Aldrovandini Öhlgemäld auf Leinwand Fig. etwas mehr als 2 Fuß hoch v. Tizian. auf einer im Vorgrunde liegenden Vase steht der Nahme

Bachanal od. vielmehr Bachus & Ariadne

Öhlgem. auf Leinwand Fig etwa 1 1/2 Fuß v. Joh. Bellini

Eine Versammlung der Götter oder ein Schmaus derselben im Geschmack ­einer Bambocchiade traktirt Jupiter trinkt steht u sitzt neben der Pomona & betastet Sie zieml verwegen Apollo trinkt auch & Zeres scheint ihm den Becher gereicht zu haben eine Weibl. Fig die unter einem Baume schläft ist ohne Zw. Venus ein Mann mit einem Kranz von ­blauen Blümchen entdeckt ihr Knie. Merkur schaut dem Gelag im Vordergrunde ­sitzend ruhig zu Knabe mit Weinlaub gekrönt vermuthl Amor od. Genius zapft Wein aus einer Tonne Silen sthet & lehnt sich an seinen Esel Satyre & Nymphen mit Krügen & Schaalen machen den Rest der Gesellschaft aus einer spielt die Flöte. # [weiter in linker Spalte]

# der Grund ist fürtreffl. Die Scene ist unter hohen Bäumen durch deren Stämme man den Horizont & das Meer sieht ein Fasan sitzt ruhig auf einem Ast. | zuvorderst im Bild | an dem ein ­kleiner Vogel mit großem Schnabel wie ein Stahr od. Eisvogel | hinter den Bäumen steigt ein hoher schroffer Felß empor auf ­dessen Spitze ein Schloß von der ­Sonne bestrahlt des Berges Abhang ist mit ­Bäumen & Buchwerk besetzt ­zwischen welchen zwey Satyrn …. aus einer Schlucht ergießt sich ein Bach über die Felsen in einen fernen Absätze fallend

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36 r Erfindung

Anordnung

die Erfindung ist Poetisch & wenn sie auch in einem Theil fehlerhaft ist doch überhaupt gut. Ariadne zur Linken im Bild scheint scheint in Begriff an den Strand zu laufen um das mit vollen ­Segeln davon eilende Schiff des ­Theseus zurückzurufen, mit der Linken hält sie ihr aufgelößtes Gewand, in daß ist ­Bachus auf seinem mit Tygern bespannten Wagen bis zu ihr herangekommen, begleitet von Faunen, Satyrn Bacchantinnen etc er springt voll Begierde vom Wagen um die Ariadne zu trösten diese scheint über ihn zu erstauenen & fast zu erschrecken & davon zu eilen. Dem ­Wagen das Bacchus folgt ein verwirrter Zug tobender Bachanten, Silen auf dem Esel etc. Die Scene ist unter fröh­lichen Bäumen: die Aussicht auf eine ­lange ­Strecke Ufer wo das meer am ­Felsen spielt

die Anordnung ist im Ganzen recht gut in den Theilen aber ist nicht die Genauig­ keit & der Fleiß auf die Vertheilung & gegeneinanderstellung derselben verwendet wie man es von einem vorzüglichen Kunstwerk zu fordern hat. man sieht ­verschiedene Glieder welche nicht gut aufeinander stoßen. Oder nahe am ­Contour abgeschnitten sind etc. ­Indeßen sind sie meistens genug kontrastirt. dem ganzen Gemähld oder den fig ­deßelben ist Zusammen eine Pyramida­ lische Form gegeben die gut läßt & Elegnat genug ist & viel Lob verdient.

die Erfindung ist wie aus der Beschreibung erscheint zwar Poetisch aber ­niedrig eigentl eine Farze so ist auch in den Fig der Götter weder Hoheit noch Adel gesucht. Apollo ein gemeiner ­Fiedler Silen hat ein Fäßchen am Gürtel hängen Jup: & Neptunus sind gemeine Zecher die Göttinn Mezen hingegen ist die hinterste der ­Nymphen im Gelben Gewand würdiger hat ein schönes Regelnmäßiges Gesicht ihre ­Stellung ist Edel ihr Anzug sehr ­reizend & Geschmackvoll Der Grund ist in ­einem großen Geschmack gedacht & überaus schön gemacht vorzügl ist der Baumschlag löbl.

die Anordnung ist gar nicht Musterhaft das gantze Bild hängt unvertheilt zusammen & macht eine einzige große Gruppe aus die sehr ausgedehnt & in die Länge gezogen ist oder eigentl gar keine bestimmte od deutl Form hat auf die Anordnung der einzelnen Theile scheint der Mstr wenig acht gegeben zu haben die Glieder sind übrigens schon also ­Contrastirt daß wenigstens kein unan­ genehmer Effeckt entsteht. –

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36 v Zeichnung

Ausdruck

­ enigsten die Zeichnung ist ungleich, am w gut z. B. der kleine Satyr ­welcher einen Rehkopf an einem Strick schleppt ist fürtreffl. der mit Schlangen um­wickelte Faun hat überhaupt keinen ­guten Styl ist gut genug beysammen & die ­Formen sind nicht schlecht wie wohl die Kontouren nicht streng die Muskeln & ­Knochen nocht eben sehr gelehrt angedeutet sind. auch sind am Bachus einige Stellen gut genug. Hingegen sind die Formen der ­Ariadne unedel die Beine der übrigens sehr wohl gerathenenen Fig der Bachantin ­welche das Becken schlägt sehr flüßig ­ge­zeichnet.

überhaupt geistreich & wahrhaft aber Niedrig im Verhältniß zu den Fig: ­Bachus thut einen großen Sprung vom Wagen herunter & schreyt der ­Ariadne zu. Diese eilt schreyend weg & hat ­weder Edle züge noch Formen der ­kleine ­Satyr hat einen schönen Ausdruck ­kindischer Freude eben so gelungen ist die Schwärmende Fröhlichkeit in den beyden ­Bachantinnen die welche die Schellen­ trommel schlägthat noch ein hübsches Gesicht als ide wenigen vortreffl ­gerathene welche Becken schlägt. Sylen ist betrunken & taumeld die Faune & ­Satyrn wild Lärmend.

die Zeichnung ist nicht sehr zu tadeln einige Stellen sind gut genug verstanden indeßen neigt sie sich einigermaßen zur Magerkeit das schönste & eleganteste Stück ist die vorhin angezeiogte Nymphe Merkur ist zu lang, die Venus ein klein wenig steiff. Der Junge welcher Wein Zapft ist reizend v. gelben Locken.

der Ausdruck ist überhaupt dem Gegen­ stand angemeßen & Natürl. zwar da das Stück nur Parodie ist & eine ­Bambocciade Styl abgehandlet so möchte man Wünschen daß der Ausdruck lebhafter oder eigentl etwas übertrieben & barok wäre

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37r Nachahmung Styl Manier

Licht Schatten Haltung

die Manir ist leicht groß Frey anspruchslos mit einem Wort vortreffl. so wie alle Werke aus der guten Zeit des Titian

Von der Haltung kann man da das Bild sehr gelitten hat nicht mehr Urtheilen Schatten & Licht ist in großen Maßen & Partien durch das Ganze Bild mit lobens­ werther Kunst ausgetheilt & ehedem muß die Wirkung sehr gut gewesen seyn.

der Styl ist wie gemerkt worden nicht groß sondern Nachahmung der Ge­ meinen altäglichen Natur die Manier & Behandl.hat gar nicht von dem ­trockenen & schneidnenden an sich wie sonst die früheren Bilder des Bellini sondern sie ist alles Weich & vertrieben / Sfumato / fleißig ist die Arbeit aber dennoch & der Pinsel zwahr nicht ängstlich verzagt aber eben so wenig kühn zu nennen.

Licht & Schatten ist eben nicht von g­ roßen & starke energischer Maßen er scheint da an einigen Stellen offenbar zu wenig schatten ist dieser so wie die grünen Niedergehaltenen Farben der ­Carnation an der Venus der Nymphe welche einen Krug trägt etc. zu beweisen & die Vermuthung zu bestätigen daß das Bild nicht fertig geworden ist

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37v Colorit Farben

Ton Faltenwurf

das Colorit ist durchgehend & des ­ izians werth. unvergleichlich im Licht T insofern sichs erhalten hat. Die Schatten sind an einigen Stellen z. B. L. Arm des Bachus fast so schön & wahr als in den Wercken des Correggio die Bachantin mit dem Becken ist an ihrem beschatteten oberen Theil ein herrl. Stück Helldunkel.

Vom Ton kann man nach dem gegenwärtigen Zust. des Bildes nicht Urtheilen es scheint nicht als wenn es je einen andern als den Ton der Natur od. beßer gar ­keinen gehabt habe. Die Falten sind meistens gut das fliegende lackrothe Gewand des Bachus ist trefflich & leicht gefaltet & so recht an der Stelle das feuerfarbe Peplon der Bachantin mit dem Becken ist hübsch ebenfals leicht & in Bewegung kontrastirt zwar sehr mit dem blauen untergewand v. Ultramarin doch ist der Effekt weder Grell noch unangenehm NB Gegen das Fleisch ist ein Rand v. ­weißem Hemd gesetzt – am blauen Gewand der Ariadne haben die Falten zwar einen guten schwung sind aber zu wenig in Maßen gehalten Der Zinoberrothe Schleyer der über das Blaue weggeht ist etwas zu grell das Fleisch ist ebenfalls mit weißem Eingefaßt.

das Kolorit ist überhaupt gut zu ­nennen es ist alles bereitet um trefflich & wahr zu werden eine Nymphe welche eine ­große weiße & blaue Majolika­schüssel trägt & auch in ein weißes Hemd & darüber ein hell klares Gewand ge­kleidet ist hat hervo. Lichttinten /sie hat ­gelitten / die schöne Nymphe mit dem gelben Gewand ist ebenfalls schön Merkur etc. da aber das Bild dünne gemahlt ist, & wie bemerkt aus an einigen stellen ver­ muthen läßt daß es ein wenig fertig ­gewesen so kan man nur überhaupt die Intention des Kolorits loben weil es eben an ­manchen Orten ungewiß wird ob die Farbe ­schwächer geworden oder nur angelegt sind. überhaupt wäre mehr energie zu wünschen.

die Falten sind meistens artig gelegt & scheinen nach der Natur gemahlt ­worden zu seyn Es ist als wenn der ­Mahler ­Puppen mit Papier bekleidet vor sich gehabt hätte die Falten sind darum ein wenig scharf & Eckicht fast auf dürrem Weiß gebrochen übrigens sehr fleißig & zeigen die Glieder gut genug

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38r Maßen Allgemeine Wirkung

Allegorie

Schöne Maßen der Glieder die überhaupt nicht übel gezeigt sind wenn es ihre schwere Eleganz des Contours & der Formen fehlt gute breite Flecken v Licht & Schatten v halbschatten. unterbrochen & sehr schöne Maßen von Farben nach seiner Art weislich & i Gleichgewicht vertheilt. den eigentl. ist nur dem Bachus der Ariadne & der Bachantin mit dem Becken stark farbiges Gewand gegeben weil Die als die Hauptfiguren des Bildes die Allein den Blick zeigen sollen betrachtet worden sind die übrigen zeigen entweder bloß Fleisch oder doch unbedeutende wenig anziehende Farben. Also konte Einheit der Wirkung dem Mster nicht fehlen.

die Maßen sind zwahr überhaupt nicht groß das Schatten & Licht wenig künstl. vertheilt ist. aber Alles ist sorgfältig nach der Natur gemahlt & die Lichter so wie sie auffallen sorgfältig geschont & nicht untebrochen so daß die Flecken alle rein & deutl ins Auge fallen & so wioe Sie sind einem Richtigen Effekt machen & die Fig gut runden

der Grund & vorzügl die Bäume sind vortreffl ausgeführt die Partien der ­Blätter sind meisterhaft tokkirt & hierin wird also wohl Tizian Hand angelegt & die Tradition daher entstanden seyn daß er das Bild geendigt habe. Die Luft & die Wolken sind ebenfalls sehr leicht weich & schön gemacht.

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Tabellarische Beschreibung von Andrea Mantegna, Toter Christus, Villa Aldobrandini, Giuseppe Cesari (Cavaliere d’Arpino) Fresken im Quirinalspalast, Annibale Carracci, Altarbild in der Seitenkapelle von S. Gregorio Magno, Rom, zwischen Herbst 1795 und Juni 1796.

GSA 64/89, 11. Lage, 26r–29r

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[26r] Gemählde Orth Gattung des Kunstwerks Mstr ­deßelben

Gegenstand

Villa Aldovrandini Leichnahm Christi v. den Weibern Beweint. gruppe ohngef. 3 Fuß breit etwas ­weniger hoch v. Andreas Mantegna

Capitol Pall: der Conservatoren Battaille… v. Joseph d’Arpino. großes Fresko gemahld.

Kirche St Gregorio Magno Altarbild der SeitenCapelle St. Gregorius Magnus b ­ ittet zwischen 2 Engeln eine Glorie v. Engeln schwebt oben im Bild über dem Hlgn v. Hannibal Caracci Öhlgemähld auf Holz

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[26v] Erfindung

Anordnung

Christ liegt gleichs auf einem Paradebett zur Schau das Kissen auf dem sein Haupt liegt scheint v rothem Damast oder wo wie das übrige rother Mohr zu seyn die klagenden Fig sind in den Winkel des Bildes zur L. gesetzt. Christus ist gar ­keine unedle Fig. vielmehr haben seine Formen sowohl Gesicht als am Körper viel Adel & sogar Eleganz. Die Weiber sind hingegen Alt & sehr garstig aber Sie sind nicht niedrig sondern haben den Ausdruck von ehrlicher gutmüthiger Empfindsamkeit

da Mantegna hier seine Kunst in Ver­ kürzungen hat zeigen wollen so muß man erst dieses Sonderbare vieleicht nur gar zu künstl. abrechnen & dan ist die Anordnung ganz geschickt ­Hände & Füße des Christ. sind gelegt & im Bild vertheilt so wie auch die Köpfe der ­klagenden Fig & die Hände derselben ­artig & gedrungen zusammen gestellt sind

voll Leben. gute Motive

in einzelnen Theilen gut genug

die Erfindung ist wie es scheint gegeben gewesen Sie ist jedoch insofern Poetisch & lobenswerth als die Mahler die Handlung der Fig Nüanzirt hat ein Engel zwigt auf die den Hlgn ein anderer bettet andächtig & ist gleichsam von dem Hlgn zur Andacht erweckt der v oben sieht freudig & theilnehmend auf ihn her­ nieder

die Anordnung ist Meisterhaft künstl. vorsichtig. Die linke Hand des Heiligen macht mit den Händen & dem Arm des neben ihm stehenden Blau & grün zu kleidenden Engels ein treffliches Stück v künstlicher Anordnung aus

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[27r] Zeichn:

Ausdruck

für die Zeit da Mantegna lebte ist ­dieses Stück ein Wunder von guter Form. richtig­keit & Verstand die Hände sind in der That Meisterhaft & die Füße nicht weniger dabey von solcher Bestimtheit & genauer Ausführung die sie der großen Bewunderung werth macht. es ist in den Formen des Christus gar nichts Mageres sondern alles völlig breit von gutem Styl zum Theil sogar zierl NB: auch sogar die Gedanken der Hände & Finger sind trefflich wohl verstanden

Im Christus ist Ruhe doch sind die z­ usammengezogenen Augenbrauen & ­Muskeln der Wangen als wenn gleichs von Kämpfen ermüdet ruhete welches vortrefflich gedacht ist die Züge des Gesichts sind zwar nicht göttlich groß aber doch immer Edel ­genug der Ausdruck in den ­weinenden Weibern ist ganz Leben Herz & Geist. Vielleicht ist ihr schmerz nicht Edel ­genug aber ihre thränen fließen aus ­wahrem Leid & ungehäuchelt.

Steiff. nach des Meisters Art doch sind die Fig gut Proportionirt & wohl zusammen­gesetzt

in einigen Köpfen recht gut

die Zeichn. ist fürtreffl richtig v. Edlem Styl zum Theil findet man auch schöne & zarte Formen wo das Erforderniß dazu war.

der horchende Ausdruck des Hlgn der Engel mit dem Bl. & grünen Gewand welches auf ihn deutet & der ­welcher oben schwebt zart & liebl. mit­ krausem Haar Blauem Gewand & ­edelem ­Ffliegendem Mantel der gelbe welcher die Hände gefaltet neben dem Hlgn ­bettet. etc alle sind mehr oder weniger vortreffl.

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[27v] Faltenwurff

Maßen Wirkung

die Falten sind gut gelegt & gut gezeichnet & ungemein genau nach der Natur gekleidet doch ist der Mstr. eben durch seine Sorgfalt & Genauigkeit dem Stoffen nicht ganz entgangen auch sind wohl zuviel kleine Brüche besonders auf den ­hohen Stellen der Glieder z. B. Schienbeine hierin scheint er mehr von Geschmack als Prinzip geleitet worden zu seyn.

da die Maßen gut die Zeichnung ­richtig der Styl nicht Maniert sondern treue Nachahmung der Natur ist so folgt v. selbst daß die Wirkung des Bildes gut sey & wie wohl es in Rücksicht auf Haltung nach Mangelhaft ist so wird dieser Fehler durch die andern Verdienste zum Theil ersetzt & ist nicht sehr auffallend.

die Falten sind vornehmlich am Heiligen & am gelbgekleideten Engel gut gerathen. an dem andern sind sie schon vielleicht etwas zu locker neigen sich zu Cortonas & Maratti Manier

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28 r Allegorie

Anmerkungen Es scheint in der Höhe etwas verlohren zu haben den von dem hintersten Kpf ist nur das Untertheil auf dem Bilde welches der Mahler schwerlich v Anfang also gemacht haben wird. an verschiedenene Stellen des Gewandes hat das Bild zwar gelitten & ist v. Farbe entblößt auch auf der Brust des Christ: doch ist es noch immer genießbar & deutl. Haare & Bart sind mit äußerstem Fleiß zwar zu einzeln & dratig aber doch schön lockig & vortrefflich gemacht

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Dokument 6 Tabellarische Beschreibung von Andrea del Sarto, Madonna del Sacco, und ­Michelangelo Buonarroti, Tondo Doni GSA 64/89, 4. Lage, fol. 3r–5v

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3r Gemählde Orth. Gegenst. Mstr.

Erfindung.

Im Kreuzgang des Klosters della Nunziata. über der Thüre welche in die Kirche führt ­Lünette. im Fenster unter dem Rahmen der Madonna del Sacco bekannt v. A. del Sarto. Jos. Maria & das Christkind

es scheint der Künstler habe eigentl eine Ruhende Hlge Fammillie vor­stellen ­wollen Maria hat ge­bettet ein kleines Buch liegt neben ihr auf der Stufe auf welcher sie sitzt, das Kind auf ihrem Schooß. strebt vorwärts über der Muter Knie hin & sein Verlangen ist nicht recht deutlich. St. ­Joseph sitzt an seinem Sack gelehnt & gestützt hinter der Madonna & liest in einem großen ­Buche es scheint daß er laut, der Madonna eine Stelle vorliest /mit dem Ausgestreckten Zeig­finger der r: Hand deutet er darauf hin/ & dies horcht auf. – . der grund ist äußerst Simple Architektur od. vielmehr nur eine Mauer auf deren ­grauer Mitteltinte sich die fröhlichen Farben der Fig. schön ausnehmen.

Tribuna Gallerie zu Florenz rundes ­Ohlgemäld die Maria sitzt auf der Erde & ist bereit das ChristHlge Fam vorstellend Fig ­etwas unter Lebengr. auf kind zu empfangen welches ihr der Hlge Joseph Holz v. ­Michelangelo Buonarroti der hinter ihr sitzt über die Schulter zu reicht ­Maria welche dem Joseph fast wie im Schooße zu liegen scheint wendet sich um es zu faßen das Kind von Joseph gehalten schreitet zu ihr hat den r. Fuß schon auf der muter Arm gesetzt stützt sich mit den Handsch auf ihr Haupt – im Grund etwas zurück sieht man auf der Linken & auf der ­rechten e Nackende Fig. & etwas näher her ein Junger Faun jenen ganz diesen bis auf die Brust – eine Ferne –

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3v Anordnung

Zeichnung

die Mad: mit dem Kind macht eine zierl. wohlgeformte Gruppe aus. selbst die Theile derselben können für wohlgeordnet gelten obschon sie nicht ganz von der allerglücklichsten Stüken des Mstr sind & sich die Hände & die Arme zu sehr auf einen Fleck häufen. Joseph ist schön gestellt. er füllt auf seiner Seite den Raum wohl & kühl überhaupt als der zweite Gegenstand des Bildes ­seine gehörige ­Wirkung, ist geschickt passend & gut gedacht & zugeordnet.

die Zeichnung ist v. großem Styl die ­Formen sind zierlich genug & richtig in hinlänglichem Maaße obschon sie nicht die allerschönsten ­Forderungen der Kunst erfüllen; Im Christkind & in der ­Madonna sind Muskeln & Knochen an einigen Theilen. vielleicht etwas zu heftig & stark ­angegeben. / NB. r. Arm & Hand der Mad Gelenk der l. Hand am Christkind /.

die Anordn. ist überaus künst. die Kunst fällt zwar auf aber sie ist so groß & doch dabey wieder so mit der Natur durchwebt so raisonirt daß man sie bewundern muß. Die Gruppe hat an sich im ganzen eine gute Form, es ist aber das Intereße hauptsächlich oben gesammelt wo das Christkind mit dem Kopf streng & Hände des Jos. & der Maria wieder eine ­eigne ­Gruppe bildet die voll Kontrast ist & in allweg ein Kunststück v An­ordnung ­heißen kan die 3 ­Köpfe stehen in einem Triangel & werden von den Armen des Christkindes wider zu­sammen ver­bunden Von dem r. Arm der Maria & v den beyden Köpfen der Eltern wird ­dieses ­wiederum umfaßt & umschließen die beyden Arme der ­Maria & der Arm od Ermel des Hlgn Jos der beleuchtet ist einen Kreiß um den Kopf der ­Madonna welcher das Hauptstück des Bildes ist die Köpfe der Hlgn Joseph & des Kindes ­schließen den Kreis & der leere raum der zwischen den ­Armen der Maria entsteht füllt das Bein des christkindes künstl aus.

Vielleicht giebt es gar kein anderes Bild welches in ansicht der Genauig Richtigkeit der ­gelehrten ­Verstandenen nicht diesem Verglichen ­werden könnte der Kopf der Madonna habe einen Wunder­bar reinen Contour Mund & Augen sind gewiß Einzig in ihrer Art. ebenso ­vortreffl ist der linke Arm

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4r Ausdruck.

Styl Manier

In der Madonna ist der Ausdruck ist edel mehr würdiger groß als zärtl. dieses geht durch ihre ganze Gestalt & gebärde. Der Hlge Jos: hat einen Patriarchalischen Charakter ist gesetzt ruhig ein würdiger Alter. Die Stellung des Christkinds ist lebhaft aber der Kopf deßelben ist nicht zum ­besten gerathen & Edel genug. Da aber der Mund & das rechte Aug fast ganz verdorben & undeutlich geworden sind so läßt sich nicht mit sicherheit darüber urtheilen.

Man kan ohne viel zu wagen behaupten daß das Werk von Edlem ja in Gewißen Sinn Erhabenen Styl gedacht & gemacht sey es ist nichts Gemeines nichts unwürdiges darinnen & der Erste Anblick ist wirkl herv & groß, wegen der herrl Maße der Madonna auf dem grauen Grund v. Mitteltint. Die Behandl ist fleißig zierli. & genau ausschrafirt & geendigt – NB in das Gewand der Madonna ist viel mit ­Strichen gearbeitet Ihr kopf ist eins der glück­lichst gerathenen Stücke leicht meisterhaft auf weise der Öhlfarb oder der besten Freske des Raphaels in ­einander verrieben & hat nur ­einige ­wenige ­Striche oder schrafuren das Kind ist mit vile ­großer Mühe gemahlt das Colorit desselben ist nicht so ­blühend & frisch als an dem Kopf der Muter St Jos ist ebens vortr. ­behandelt sein Rothesgew: mit breiten ­Strichen auf die Meister­hafteste vortreffl. Weise ausgeführt der Gelbe Mantel der Sack sind zwar viel schrafirt aber gleichwohl sehr gut auf dem blauen ­Mantel der Mad. muß das ultramarin Blau ­trocken & als ­Retouche aufgetragen worden seyn die ­Schrafirungen welche damit gemacht sind fallen ab

Es ist eine große Stille & ruhe des Gemüths mit Ernst & Würde verbunden der Ausdruck der durch das Ganze durchgeht die Madonna in dem sie nach dem Kind umsieht ist gleichsam getheilt zwischen Müterlicher Zärtlichk & Ehrfurchtsvoller Andacht Jos. sieht mit ­Ernstem überlegenden Blick das Kind an dieses Still & rühig auf die Muter nieder

Der Styl ist allerdings Edel doch noch nicht Groß wie in den späten ­Wercken des M. Angelo die ­Formen sind zwar nicht Mager doch haben Sie auch nichts v dem Großen Breiten was wir im ­Jünsten Gericht etc bewundern aber Sie sind ­reiner richtiger die Knochen ­besonders sind fast zu sichtbar bedeutet.

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4v Schatten Licht Haltung

Colorit Farben.

die Fig Josephs ist in einer großen Manier beleuchtet, die Madonna ist es ebenfalls das sind ihre Schattenpartien bes: um den Schooß an dem rothen Gewand weder kräftig noch rührig genug, welches vieleicht aber Ursprüngl beßer gewesen seyn mag

das Kolorit ist ursprünglich lebhaft es fallen die Schatten ein klein wenig ins grünliche welches sich weniger am Christkind als an der ­Madonna entschuldigen läßt weil dieses eine grünen ­Schleyer über dem Hauptt liegen hat dieses aber in der Nachbarschaft des Rothen Gewandes ist. – Jos: ist des Kolor: wegen nicht zu tadeln, dieser hat ein Gewand von Gedämpfter rother Farbe, ein gelbes Tuch od Mantel ligt über dem weißen Sack an den er sich lehnt. Die Maria hat einen Grünen Schleyer über das Haupt desssen Schatten ins Dunckelrothe od. Viol: Spielen. er kömt unter dem linken Arm hervor um den Leib | wo sie ihn mit der recht. anfaßt | & fließt auf das hellrothe Gewand herab. über der Schulter & Brust ist eine Art von Brustlatz od. Jacke die weiß im Licht & in den Schatt violett ist der Ermel darunter ­welcher den Arm bis an die Hand bekleidet ist gelb mit ­violetten Schatten. Das Kind hat eine Violette Binde um den Leib & der Mantel auf welchen die Maria sitzt blau, er ist über das l. Knie Geschlagen & auf der rechten Seite faßt er das rothe Gewand der selben ein & unterscheidet solches von dem Rothen Gewand Josephs. Der Grund ist ziemlich hell grau mit gelbem Ton. & thut zu den unten Farben schöne Wirkung

Obschon die Maßen v. licht & Schatten besonders auf dem Nackenden der Fig. gut beobachtet sind so ist doch das ganze der Figuren in besonders ­guter Manier beleuchtet noch weniger das Ganze des Bildes oder der Gruppe der Mstr war zu sehr besorgt daß etwas v der Deutlichkeit der Formen entgehn möchte als daß er das ungewiße & gemäßigte welches Schatten & Halbschatten hervorbringen nicht eben ­dieser Deutlichkeit aufopfern sollen der Efeckt ist daher nicht groß obschon die Schatten starck genug sind keinen unterordn: der Lichter keine ­einzig ­Triumph: Maße auch ist die Haltung & ab­ weichung in der Figur der Hauptgruppe nicht beobachtet. die Fig. des Grundes sind schwächer & weich daher zurück

Das Licht ist nicht hell & blühend die Schatten zu röthlicht auch ist die Abwechslung der Töne nicht in acht genommen sondern das Kind die Mad. & der Hlge Jos fast v der gleichen Farbe. die Farben sind nicht Harmonisch v Widerschein ist ­keine Spur. Mad. hat ein helles Lackroth untergew. & blauen Mantel grün […] v Jos. viol untergew ­gelben Mantel

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5r Faltenwurf.

Maßen Wirkung.

Die Falten sind zwar nicht Musterhaft aber doch ­immer zierlich genug Gelegt & der Geschmack hat keine ­Ursache damit unzufrieden zu seyn. Hingegen sind sie zu scharf etwas auf Dürerische Manier gebrochen. | am Ermel des Josephs sind Ihrer am Vorderam wohl gar zu viel. wiewohl sie die Form immer noch sehen ­laßen. am r. Arm der Maria ist hingegen gar keine Falte man sieht Muskeln & Knochen des Elnbogens & alles ist bis an das Handgelenck wie angeleimt, ist Manniert. 1 ­Betrachtung NB das rothe Gewand der Madonna kan für schön angelegt gelten. Das rothe Gewand der Sack & vorzügl sein gelber Mantel sind für gut zu achten. Dieses letzte hat etwas weniger scharfe Brüche als das Gewand der ­Madonna. Bey allemdem sind die obern Bemerckungen doch richtig 2. Betrachtung

es gibt schöne Licht Maßen auf der Schulter der ­ adonna Ihrem Schooß etc & die Wirkung ist der M bunten Farbe wegen fröhlich der großen Maße der Fig. & das große rothe Gewandes der M. ebenso groß & schön. & zu loben. –

Die Falten sind gut gelegt, nicht groß & auch nicht vom gewähltesten Geschmack aber sie zeigen die Formen zieml wohl an doch sind ihre Brüche ein wenig zu scharf & hart. & an manchen ­Stellen unter­brechen Sie die Maßen & liegen auf der Höhe der Glieder

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5v allg. Bemerkung.

Zustand.

Die Geschichte des del Sarto den Sack um des Sack Korns wegen den er zu Bezahlung des Bildes bekommen hinein gemahlt habe mag vielleicht wahr seyn sie klingt etwas Mährchenhaft – es sey aber wie ihm will wenn wir das Bild aus dem Gesichtspunkt einer Ruhe in Egipten betrachten was hat dan der Sack umschickliches? & gehörte er in demselben Falle nicht als ein bedeutendes Nebenwerck od. Atribut hinzu?

Das Bild ist nicht mehr in seinem Ursprünglichen Glanzesfrische sondern an mehreren Stellen beschädigt die Männerbekleidung | Intonaco | ist viel zerspalten bes.im Kopf der madonna | welches zwar dabey keinen Hauptschaden genommen hat | & im Kopf des Kindes welches letztere in schlechten Umständen ist St. Jos. hat am Mund durch unachtsamkeit gelitten. & dieselbe Stelle scheint Retouchirt fängt überdem an am deutlichsten zu werden.

Vortreffl Erhalten

Dokument 7 Textfragment zur Malpraxis, ca. 1788/1789 GSA 64/106,6, Blatt 11 Eigenhändiges Manuskript, Blatt einfach gefaltet und beidseitig beschrieben Transkription: [1] die Palette aufzusetzen ist die rechte Art wie wirs immer gemacht haben. – Von Farben hätten wir Terra di Siena & grüne Erde nicht brauchen sollen, auch kein Berliner Blau127 oder Schmalte128 den die wird grün wie man sieht z. Ex. alle Lüfte v. Baßano & andern Venetianer wo sie nicht Ultramarin brauchten. Zwahr es gibt eine Art Indigo den sie Oft auch brauchten & der hält sich in Öhl wie Ultramarin, aber mann hat ihn nicht mehr. darum wer zu Geizig ist Ultramarin zu kaufen der soll blaue Gewänder so viel möglich meiden, & das wenige was er in’s Fleisch braucht & zum Laßiren um Luft zwischen die Figuren zu bringen das wird ihn nicht Ruiniren. und im Nothfall mag man zu gewändern wohl gutes berliner Blau brauchen. Beym Mahlen muß man sich kurz und gut vorstellen man Zeichne.129 Die duncklen Stellen, wo die warmen widerscheine hinkommen, wie z. Ex. in den Augen unter der Nase oder wenn ein helles Theil wider einen dunklen Grund steht; werden mit Rothem Ocker & etwas Lack ausgezogen Nachher hat man dahin zu sehen daß man ziemlich Grau untermahle, und nachher die hellen Farben ganz dünne darauf setze auf daß das Graue an gehörigen Stellen immer durch scheine, & die zarten Übergänge vom Licht in Schatten bilden helfe, oder was man die Mitteltinten heißt. Biß man so weit gekommen ist so hat man nur mit den Maßen zu thun, man legt breite Flecke auf und vertreibt sie so sanft ineinander als man nur kan. – wenn’s nun hübsch trocken ist so muß man sich

127 Berlinerblau, 1704 erfunden, galt um 1800 als unsicheres Pigment. Wagner 1988, S. 17. 128 Schmalte oder Smalte, Ölblau. Oft im Himmel niederländischer Landschaften des 17. Jh. In Öl kann die Farbe verschießen oder nachdunkeln (nach Brachert 2001, S. 234). 129 Von Meyer mehrfach zitierter Lehrsatz von Mengs: Man solle beim Malen ans Zeichnen, beim Zeichnen ans Malen denken. Vgl. MA 6.2, S. 276 und MA 9, S. 556.

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der Laßur farben bedienen, das ist Schüttgelb130 Asphalt Ultramarin & Lack. Vermischt oder alleine wie man sie nothwendig hat mit diesen werden die Schatten Partien überzogen damit sie hübsch durchsichtig werden und nach[1 v] her sowohl im Licht als im Schatten die schönen spielenden Farben hinein schrafirt mit Guten Ziegenpinseln – die hiezu am beßten sind. mit einem Wort es wird eben so mit Öhlfarben ausgezeichnet als wen man mit verschiedenen Arten Kreide zeichnete und diese Operation mit dem Laßiren wird so oft widerhohlt bis es recht ist. man muß nur sehr helle anfangen und nach und nach Stärke geben. – kurz um man muß in Öhl mahlen wie die Köpfe der Disputation, & der Schule von Athen In Fresko gemahlt sind nur daß man die Striche nicht so stark machen muß, sonder sehr weiche & sanft abweiche damit die Mahlerey am Auge kan gesehen werden auch kan man die schrafuren wan man will nur an den Nöthigsten stellen brauchen. Nothwendig sind sie allemahl, damit man schön bey der Zeichnung bleibe, auch hat man keine Sorge zu haben daß es schlecht aussehe, wan man’s nicht zu stark macht so verfließen sie in kurzer Zeit daß man wennig mehr davon sieht, & die letzte Laßur mit welcher man das Bild in völlige Harmonie setzt gibt ihnen auch schon Vereinigung. So haben fast alle Großen alten Meister gemahlt. und so sehe ich Tischbein Mahlen der läßt sich zu einem Bildniß 5. 6. & mehrmahl sitzen wenn er fleißig mahlen will. Wan ihr meinen woltet daß aufs trockne (:wie auf Obbeschriebne Art die leichten Partien bleiben, indem man nur die Schatten mit Laßurfarben überzieht:) nicht gut mahlen sey: so sag ich euch daß es wohl angeht. Aber man kan auch entweder mit einem großen Borstenpinsel an dem man nur ein wenig & zwahr ziemmlich dicke Farbe nimmt die lichten Theile überschummern, oder auch von dem Firniß von Mastix & Terpentin Öhl (:wozu ich euch letzthin das Rezept gab:) etwas darauf streichen. so ist diese schwierigkeit gehoben. [2 r] dunkel schidgelb muß ganz mit gekochtem Öhl gerieben werden & wann manns brauchen will, nach etwas Terpentin Firniß darunter gemischt so wie auch unterm ­Asphalt, – welches alles ihr zwahr glaub ich schon wißt. Man muß ja nie auf ein Tuch mahlen daß mit einer dunklen Farbe gegründet ist, wie etwa z. Ex. mit Kugelroth,131 es wird alles in weniger Zeit schwarz – schönes Bleyweiß mit Neaplischgelb132 ein klein wenig gefärbt gibt den besten Grund, Holz wan es alt & ausgedörrt ist daß sich’s nicht zieht, ist deucht mich immer der Leinwand vorzu­ ziehen.133 – . Ob der Grund den ich euch beschrieben wie er zu machen sey, auch zu Gewändern dienen könne – . da antwort ich euch Nein! es würde deucht mich sehr häßlich aussehn 130 Auch: Schittgelb (s. u.). Trotz der geringen Lichtechtheit häufig benutzt. Typisch für die niederländische Malerei im 17. Jh. Nach Brachert 2001, S. 224 f. 131 Roter Farblack, im Handel in Form von Kugeln erhältlich. Brachert 2001, S. 145. 132 Neapelgelb. 133 Auch Mengs bevorzugte Holz wegen seiner homogeneren Oberfläche und weil es dem Druck des ­Pinsels nicht nachgibt. Roettgen 1999/2003, Bd. 2, S. 404.

Dokument 7

so eine Unfarbe an einer einzelnen Figur. Aber in einem weitläufigen Bild könt man sie vielleicht des Contrastes wegen nöthig haben. Guercin hat am schönsten Gewänder gemahlt und verfuhr an der Sibilla134 & an der St. Margareth135 wie ich sehe also er mahlte diese beyden Mäntel mit Englischroth.136 – in den Schatten mit Beinschwarz Auf den Lichtern mit zinober vermischt. Nachher ists ganz mit Asphalt laßirt. und die schimmernden Lichter helle aufgesetzt. und so verfuhr er mit jeder Art von Farbe in der er Gewänder haben wollte. – . Gemahlt. Laßirt & endlich die blizenden Stellen drauf gesetzt. So machtens auch Titian & Baßan & andere. Beynschwarz muß nie in’s Fleisch gebraucht werden. es macht abscheulich kothig. – Ich sehe aus den Bildern zu Portici daß die klugen Alten nur immer erstaunend matte & sanft gebrochne Farben zu Gewändern Wählten man sieht nie ein feuriges Roth oder gelb oder blau [2v] und ich vermuthe daß es geschah auf daß Fleisch kräftiger scheinen möge.137 – . Es deucht mich nach genauer Überlegung nicht gut daß man Neue Zeichnungen mit Öhl anstreicht weil es immer ungewiß ist wie gelb sie werden. Nachahmungen alter Bilder, das geht schon an, aber Sachen die nach der Natur gezeichnet sind wo die Haltung akurat seyn muß da ist’s gefährlich. man kan ja auf verschiedene weise Thon geben mit Gummi Gutti, mit Bister mit Tobac, mit Terra di Sienna. etc. die Sepia muß man mit dem Allerstärksten weineßig abreiben. Dan behalten die Zeichnungen ihre stärcke. Der Tischbein sagt er glaube ja, Terpentinöhl & Schicköhl sey eins, doch weiß er es nicht ganz gewiß, Geßner138 aber sagt daß er immer das Aqua di Rase unterm Nahmen Terpentin-Öhl in Zürich gekauft habe. – .

134 Guercino: Sibylla Persica, Öl auf Lw., 117 × 96 cm, Pinacoteca Capitolina. 135 Guercino: Heilige Margarethe, 1644, Öl auf Lw, 115 × 95 cm, Rom, San Pietro in Vincoli. Vgl. Ausst.Kat. Frankfurt 1992, Nr. 52, S. 270: Lange verunreinigt, kaum rezipiert. 136 Englischrot, auch: Rouge d’Angelterre, Colcothar, Eisenoxidrot (Brachert 2001, S. 79). 137 Vgl. Meyer an Goethe, 5. 4. 1789, Bw. Goethe/Meyer, Bd. 1, S. 32 f. Die Parallele gibt Rückschlüsse für die Datierung des Manuskripts. 138 Konrad Geßner begleitete Meyer 1788 auf Reise nach Portici.

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Dokument 8 „Über die Farbenlehre“, Konzept, ca. 1794/1795 GSA 64/107, Blatt 1 recto und verso. Eigenhändiges Manuskript, beidseitig beschrieben. Transkription: Über die Farbenlehre Unter dem Nahmen Colorit wird in der Mahlerey die Nachahmung aller Farbenerscheinungen in der Natur verstanden Von der Wichtigkeit dieses Theils der Kunst & zu unterscheidende Theile desselben als (a) Bloße Nachahmung sichtbarer Gegen­stände (b) die Harmonie oder Übereinstimmung aller Farben Maßen eines Gemähldes – die Venetianische & Niederl: Schule haben sich darinnen besonders hervorgethan. worin sich beyde von einander Unterscheiden Von den Regeln der Harmonie deren sich die großen Meister der Venetianischen Schule bedient haben. denselben scheint auch Raphael gefolgt zu seyn139 Correggios Verdienst & eigenthümlichkeit in diesem Stü[ck] 139 Passus ab „Von der Wichtigkeit dieses Theils“ bis hier mit einfachem Diagonalstrich von rechts oben durchgestrichen.

Dokument 8

[Vertikalschrift, Rand rechts:] Bronzino Sasso Ferrata Liv. Agrehti Zuch. Vasari

die Lombardische & besonders die ­Carraccische Schule haben obgleich sonst Nachahmer & bewunderer des Correggio & Paul Veronese wenig geleistet. noch weniger die Florentinische ­Schule – mit Ausnahme des Fra Barth. & in ­Neuern Zeiten Peters von Cortona ­welcher letztere die Harmonie zu seinem Hauptstudium gemacht hatte.   Beweise hierfür Von den Mahlereyen der Alten, in ­dieser Rücksicht betrachtet & nach was für Grundsätzen Sie in diesem Fall verfahren seyn mögen – – – Von kluger Wahl & austheilung der Farben hängt größtentheil die Anmuth, & die Sinnliche Wirkung eines Gemähldes ab – diese kan und soll mit dem geistigen theil deßelben welches v. Compos: Zeichnung Ausdruck. abhängt in übereinstimmung Gebracht werden Oben angezeigte Mittel & Regeln deren sich die Mahler bedient haben sind nicht ganz zu diesem Zweck zureichend. [verso] Darum wurden um Harmonie zu erzwecken, der Ton und Schatten zu Hilfsmitteln gebraucht Beyspiele – Beweis wie unrecht beyde waren & was für Schaden dadurch in der Kunst angerichtet worden. Neue Versuche und Forschungen über die Harmonie der Farben. Das Bunte was man in der Mahlerey so sehr scheuet ist nicht der zu große Glanz und Helle der Farben sondern der ungeschickte widrige Gegensatz derselben, Mangel an Widerschein und Mittheilung –

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Im Regenbogen & Prisma ist der größte Glanz & Höhe der Farben mit der größten Übereinstimmung & der lieblichsten Wirkung verbunden.  Geschichte vom Erecht:140 Hiervon kan die Erste und ­Simpelste ­Regel genommen werden & in No.I. ­welches bloß darauf eingerichtet ist wird die Wirkung davon anschaulich ­gemacht.  Raub der Töchter des Leucippus141 Von Stärke, Schwäche, Verhältniß der Farben zu und untereinander mehr & minderer Activität derselben. Die Figur v. der Vorstellung No. II. sind so geordnet daß die Glieder & Theile ders. einander fast auf gleiche weise entgegenstehen die sich kreuzenden Farben hatten unter sich ebenfalls ein Gleichgewicht.   Glaube Liebe. Hoffn.142 Anzeige von Beyspielen des Gegentheils die Farben & Ihre Austheilung sind obschon so wichtig doch nicht der Erste Zweck der Kunst, darum ist No. III eine ganz freye Compos. deren Sie untergeordnet und zwahr nach obigen Regeln aber in künstlicher Absicht angepaßt sind. Melpom: & die Poesie. N  o. IV. ist ein Beyspiel wie durch annähe­ rung und sanfte Übergänge eine angenehme Wirkung hervorgebracht werden kann Die Parzen143  In No. V. ist durch die Mittel v. Licht und Schatten wie auch fast unmerk­licher 140 Johann Heinrich Meyer: Die Entdeckung des Erichthonios, um 1793/1794, Öl auf Lw., 55 × 72 cm, stark beschädigt, Klassik Stiftung Weimar, Museen, G 786. Vorstudien und Entwürfe ebd., KK 2787, KK 9466, Gr-2005/830.78, Tf. XII. 141 Johann Heinrich Meyer, Der Raub der Töchter des Leukippos, 1791/92, Öl auf Leinwand, 50,5 × 63  cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, G 1956, Tf. XIII. 142 Klassik Stiftung Weimar, Museen, Vorzeichnung KK 2816; Ausführung in Aquarell: KK 1954, vgl. Tf. XIV. 143 Vgl. die Aquarelle in der Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 1953, KK 2452, GHz Sch.I.277.0459. Vgl. Tf. XV. Auf September 1794 von Meyer datiertes Blatt mit den Parzen in Düsseldorf, ­Sammlung

Dokument 8

­ issonanzen die geringere Activität der D einen Seite des Bildes verstärkt & dem Hellen & anziehenden der Anderen /: welche Verschiedenheit durch den gegebenen Character der Fig. erfordert ­wurde :/ gleich gemacht.

Kippenberg (KK 4837), vgl hierzu in größerem Format, Klassik Stiftung Weimar, Museen, Reg2012/3087: Diese in Grau mit teilweise grau lavierter Licht-Schatten-Verteilung.

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Dokument 9 „Raabe’s Copien Heculanischer Gemälde“ (1821) GSA 64/52,2 7 Blatt und ein Umschlag Schrift: Friedrich John mit Korrekturen Goethes. Kommentar: Die hier besprochenen Kopien von Carl Joseph Raabe (1780–1849) nach pompejanischen (nicht herculanischen!) Wandmalereien im Museum von Portici (heute: Neapel, Museo Archeologico) kamen am 10. Mai 1821 in Weimar an. Meyer verfasste den Aufsatz am 17. und 18. Mai 1821 nach intensiver Diskussion mit Goethe und nach gemeinsamer vergleichender Betrachtung der Kopien mit den Tafeln in Band 1 und 3 der Pitture antiche d’Ercolano von 1757 und 1762. Es ist anzunehmen, dass die zusätzliche Einleitung auf dem Vorblatt von Goethe stammt. Möglicherweise war der Text zur Publikation in Ueber Kunst und Alterthum bestimmt (vgl. fol. 3r: „Indeßen wird sich aus der Anzeige selbst ergeben […]“). Am 14. Juni 1821 fuhr Goethes Schreiber Friedrich John mit der „zweiten Abschrift“ des Aufsatzes fort. Aufgrund Goethes stilistischer Korrekturen und dem Einleitungszusatz handelt es sich bei dem vorliegenden Text vermutlich um die erste Abschrift Johns. Nachdem bereits am 20. Mai die Kopien Raabes nach Berlin weitergeleitet worden waren, kündigte Goethe am 14. Juni 1821 gegenüber Schultz die Übersendung des Aufsatzes an: „Eine genaue Recension Meyer’s von den Raabe’schen Bildern wird sie Ihnen noch genießbarer machen, wenn schon jetzt die Vergleichung mit den schwarzen Kupfern hinreichende Anleitung gibt.“ (Bw. Goethe/ Schultz, S. 234). – Zu den Hintergründen siehe Teil II, Abschnitt 4.2. der vorliegenden Arbeit. Transkription: [Umschlag:] Raabe’s Copien Heculanischer Gemälde. [1r] In einem Schreiben, Rom den 28. April 1821 meldet Herr Hauptmann Raabe: „­Diese Copien haben wegen ihrer Genauigkeit nicht nur in Neapel, sondern auch hier

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unter den Künstlern Beyfall gefunden, ob schon die Hiesigen diese Gegenstände meiner Studien nicht wohl leiden mögen und diese Arbeiten als verlorne Mühe ansehen.“ Eine solche Äußerung hat uns nicht im mindesten überrascht, denn es ist nichts natürlicher als daß ein jeder dasjenige abzulehnen und zu beseitigen sucht was ihn vernichten würde. Und so ist denn wohl keine Frage daß wenn diesen antiken herrlich heiteren Dämonen beliebt hätte im Pallast Caffarelli zu erscheinen der moderne Trist-frömmelnde Spuk noch schmäliger als geschehen augenblicklich würde verschwunden seyn. [2r] Der Großherzogl Darmstädtische Hofmaler, Herr Hauptmann Raabe, gekannt von vielen unserer Freunde, weil er in mehreren Städten Deutschlands durch Bildniße in Miniatur, in Oelfarben und in Aquarell, wohl gleichend und niedlich ausgeführt sich Beyfall erworben, reißte schon vor zwey Jahren nach Italien, wohin ihn neben andern in verschiedenen Fächern der Kunst einschlagenden Aufträgen von seiner Behörde auch der gegeben ist: zweckmäßige Studien für die Lehre von der Harmonie der Farben nach Vorbildern der alten sowohl als der neueren Mahlerey zu verfertigen. Diesen Theil der erhaltenen Aufträge genüge leistend, hat Herr Raabe bereits im Sommer des vorangegangenen Jahres, zwey kleine colorirte Zeichnungen nach Freskogemälden des Pietro da Cortona im Pallast Pitti zu Florenz und von dem zu Rom befindlichen antiken Gemälde der sogenannten Aldobrandinischen Hochzeit, eine mit Aquarell- und Deckfarben in der Größe des Originals verfertigte Copie nach Deutschland gesendet. Diese letztere ist nicht allein für Künstler wegen Vertheilung und Anordnung der Farben wie auch schöner Massen von Licht und Schatten unterrichtend, sondern auch für Alterthumsforscher schätzbar indem sie das erwähnte antike Gemälde nach seinem gegenwärtigen Zustande darstellt, d. h. nachdem mehrere unrichtige Uebermalungen von neuern Händen sorgfältig abgewaschen worden und das Ursprüngliche zum Vorschein gekommen. [2v] Seitdem hat Hr. Raabe seinen Fleiß endlich fortsetzend, auch zu Neapel, behufs der eben angegebenen Zwecke, aus dem Herkulanischen Museum die bekannten Tänzerinnen nebst den vier Centauren-Gruppen copirt, und weil diese Gemälde zu den achtbarsten Resten der alten Malerkunst gehören so wollen wir über die Bemühungen unseres Freundes in Nachbildung derselben hiermit näheren Bericht geben. Ueber die Verdienste der antiken Vorbilder, die zarten Gestalten, ihr leichtes zierliches Schweben, die gefällige Grazie und schön geworfenen Gewänder ist keineswegs nöthig sich weiter zu verbreiten, denn schon sind die erwehnten Figuren und Gruppen aus dem großen Werk vom Herkulanischen Museum144 im allgemeinen den Kunstliebhabern hinlänglich bekannt; indessen mag die Deutlichkeit fördern helfen wenn bey der Anzeige von Hrn Raabes Copien auf die Nummern der Kupfertafeln hingewiesen wird welche in gedachtem Werk ebendieselben Figuren darstellen. 144 Le Pitture antiche d‘Ercolano e contorni incise con qualche spiegazione. 4 Bde., Neapel 1757–1765 (Bd. 1–4 von: Le antichità di Ercolano esposte, 8 Bde. Neapel 1757–1792).

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Zu noch einer andern vorläufigen Bemerkung sehen wir uns aus Gründen veranlaßt; nämlich, daß Hr. Raabe bey seinen Copien nach Herkulanischen Gemälden räthlich erachtet sich der Oelfarben zu bedienen, und, daß es zu Erreichung seines Haupt­zweckes, [=Durchstreichung und Einfügung Goethe:] und seiner Instruction gemäß desgleichen nach habender Instruction hinlänglich war, nur leichte Entwürfe zu machen, nicht [Ein­ fügung Goethe: aber] mit äußerstem Fleiß und Beharr [3r]lichkeit ausgeführte Nachbildungen. Indeßen wird sich aus der Anzeige selbst ergeben daß mehrere derselben mit dankbar anzuerkennender Sorgfalt behandelt sind. 1. Zwey weibliche bekleidete Figuren, wie alle andern auf schwarzem Grund gemalt und als schwebend dargestellt. (Pitt. ant. d’Ercolano tom. I tav. XVII.)145 Sie r­ eichen wie im lebhaften Tanz begriffen einander die Hände. Die vom Rücken gesehene ist hellgelb, die hingegen welche das Gesicht und die Vorderseite des Körpers zeigt in grün ge­kleidet. Beyde erscheinen im Kupferstich zum Herkulanischen Museum zwar etwas ausführlicher als in unserer gemalten Copie, in dieser aber noch leichter, zierlicher und anmuthiger; auch deutet sie die Beschädigungen an, welche im antiken Original die gelbgekleidete Figur am untern Theil ihres Gewandes erlitten hat. Einige braune, etwas hart aussehende Striche hat Herr Raabe in seinen Nachbildungen weggelassen Bedenken getragen und vielleicht Wohl daran gethan, denn sie bethätigen die von ihm angewendete gewissenhafte Sorgfalt; indessen sind wir geneigt diese Striche, solche zumal welche die Ruhe der Massen stören, für moderne Retouschen zu halten. 2. Halbnackte Figur (Pitt. d’Erc. tom. I tav. XVIII) mit der Linken faßt sie hoch über der Schulter, mit der Rechten an der Hüfte das hochgelbe, breit [3v] hellblau besetzte Gewand, welches ihr Schenkel und Beine bis unter die Waden deckt. So leicht, man könnte fast sagen flüchtig auch Herr Raabe diese seine Copie behandelte, hat er ihr doch mehr Edles und Zartes zu geben gewußt als dem Kupferstecher gelang; das Gewand ist leichter bewegt, die Falten flatternder. 3. Halbnackte Figur welche gleichsam herabzuschweben scheint. (Pitt. d’Erc. tom. I. tav. XIX) In der Linken hält sie einen silbernen Teller, mit der Rechten aber, hoch über dem Haupt das goldgelbweite, am Rand ins Rothe fallende Gewand. Die Formen ihres Körpers sind sehr zierlich, jugendlich und zart; hingegen wird man in der Haltung der Schenkel und Beine etwas Steifes gewahr, vielleicht im Original von Beschädigungen und Ausbeßerungen an dieser Seite veranlaßt, welche der Künstler auch in der Copie anzudeuten nicht unterlaßen hat. 4.) Halbnackte Tänzerin auf dem Tambourino spielend. (Pitt. d’Erc. tom. I. tav. XX.) Ihr Gewand ist blaßgelb, im Schatten sich gegen das Grünliche neigend, (nicht weiß, wie

145 Neapel, Museo Archeologico, inv. 9297.

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der Text des Herkulanischen Museums angiebt) das übergeschlagene Theil oder die innere Seite desselben mattes Roth. 5.) Mit Epheu bekränzte Figur, (Pitt. d’Erc. tom. I. tav. XXI.) wie im abgemessenen Gange dahin schwebend, Cimbalen und Becken schlagend. Ihr Gewand welches nur die rechte Schulter und Brust blos läßt und bis unter die Waden reicht [4r] hat eine blaßrothe gegen Violett geneigte Farbe, blaßgrüne da wo es sich überschlägt, und zwischen diesem grünen Ueberschlag von der linken Schulter unter der rechten Brust darauf ist ein Pantherfell angedeutet. Unter allen vom Hn. Raabe nach Gemälden aus dem Herkulanischen Museum verfertigten Copien hat diese den meisten Effect; wir wollen damit sagen: ihre hellen und dunklen Massen contrastiren am kräftigsten und sind überhaupt kräftiger als an keiner der andern. Vielleicht ist das Original mehr beschädigt als es gewesen ist da der Kupferstich verfertigt wurde; denn es bemerken die Herausgeber vom Herkulanischen Museum von dieser Figur: sie habe gelbe mit Bändern gebundene, Pantoffeln ähnliche Fußbekleidung; selbst der Kupferstich scheint dergleichen anzudeuten, in der neuen gemalten Nachbildung aber wird man nichts davon gewahr. 6.) Das lange mehr nicht als die rechte Schulter und Arm bloslassende Gewand dieser schönen Figur (Pitt. d’Erc. tom. I. tav. XXII.) ist keineswegs, wie man im Text zum herkulanischen Museum liest, violett, sondern schön Hellgrün und hat nur unten, da wo es die Füsse der Figur umflattert, einen breiten ins bloß violette fallenden Saum oder Besatz. Oben, von der linken Schulter herab die rechte Brust deckend und um den Arm geschlagen, zieht sich ein hochgelbes schmales Tuch, Umschlag oder Schawl; das Haupt ziert ein grüner Kranz [4v] die linke Hand trägt einen Teller worauf drey Feigen liegen, die Rechte ein gehenkeltes Gieskännchen; Kännchen und Teller haben Goldfarbe. Herr Raabe hielt seine Figur etwas zarter, als der Kupferstich sie darstellt, auch ist sie zierlicher gewendet und schwebt leichter; die Massen von Hell und Dunkel sind muster­ haft. 7.) In Gestalt, Gebärde, und Faltenschlag ist die Figur welche unser Künstler nachzubilden hier unternommen von der vorigen wenig unterschieden nur scheint sie zu gehen, dahingegen jene zu laufen oder zu schweben scheint. Die Farbe des Gewandes ist mattes gedämpftes Weiß in dem Halbschatten nach grau grünlich geneigt, im Schatten färbt es sich gelb und in den tiefsten Falten und Brüchen rothbraun. An den Hals der Figur liegt ein mattgrüner, roth schillernder Schleyer, dessen Ende hinter der Schulter leicht in der Luft schwebt. In der Rechten trägt sie ein Gefäß, wie ein Eymer gestaltet, aber kleiner; auf der Linken einen Teller, doch liegen hier keine Feigen darauf; ­grüne lange Blätter von Weitzen oder Gerste umkränzen das Haupt.

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Auch diese Gestalt finden wir in der gemalten Nachbildung edler als der Kupferstich (Pitt. d’Erc. tom. I. tav. XXIII) sie darstellt, das Gewand hat mehr und leichtere Bewegung. 8.) (Pitt. d’Erc. tom I. tav. XXIV.) Figur welche in ihrer Linken einen großen goldnen Zepter trägt, mit der andern ausgestreckten Hand einen Zweig mit Früchten herreicht. Es ist als ob sie her[5r]abschwebte [Einfügung Goethe: oder] in eilendem Gange seitwärts vorüber[Ein­ fügung Goethe: zöge]schwebte. Ihr Untergewand hat eine blaßgelbe (die Herkul. Akademiker sagen weiße) Farbe, das weite um den Leib geschlagene Schenkel und Beine ­deckende Uebergewand ist blaugrünglich[sic!] mit breiter blaßrother Einfaßung. Halten wir auch hier den Kupferstich gegen die gemalte Copie so erscheint in letzterer die Gestalt lieblicher zarter und hat mehr Leichtigkeit im [Einfügung Goethe: Ganzen] Gewand; auch sind die Falten des Gewandes besser gerathen. 9.) (Pitt. d’Erc. tom III. tav. XXVIII.) Ist ganz in ein sehr weites faltenreiches Gewand von goldgelber Farbe mit breiter ins blaßrothe flatternder Besetzung gekleidet, das Gesicht nur und die weißbeschuheten Füße erscheinen frey. Entschweben oder eilfertiges Weggehen und furchtsames Zurückschauen auszudrücken gelang dem Hn. Raabe in dieser Figur vortrefflich obgleich er sie übrigens nur flüchtig und etwas skizzenhaft behandelt hat, welches vielleicht auch der Fall mit dem Original seyn mag. 10.) Vom Hals bis zu den Füßen und an das Gelenk der Hände in ein meergrünes weites Gewand gekleidete Figur. Ihre Gebärde ist die, einer vom Taumel ergriffenen Bacchantin; in wildem Tanze schwebt sie wirklich, beyde Füße verschränkt den Linken hinter dem Rechten durch; der Kopf ist gewaltsam über und zurückgebogen; das hellbraune fliegende Haar umwindet ein Blätterkranz; mit der ausgestreckten Linken weitet sie die reiche Fülle des Gewandes [5v] die Rechte aber faßt, hebt und hält dasselbe vor dem Schoos. Leichteres und Zierlicheres hat die Kunst schwerlich je geschaffen als diese Figur, diesen Faltenwurf; zur Vermehrung des gefälligen Effects sind auch Schatten und Licht in herrlichen grossen Massen ausgetheilt. Diese Arbeit unseres Freundes wird Kunstverstän­ dige vorzüglich befriedigen; denn so anziehend auch die in Kupfer gestochene Abbildung des alten Denkmals (Pitt. d’Erc. tom. III. tav. XXIX) erscheint, so ist die Copie des Herrn Raabe doch in allen Stücken besser und geistreicher. 11.) Ist eben so weit und lang gekleidet als die vorangezeigte. Das Gewand spielt in verschiedenen Farben, erscheint im Ganzen gedämpft Weiß, fällt in’s Wasserblaue, ins grünliche, ins Röthliche zum Violetten geneigt, und ist überhaupt so zart, so durchsichtig, daß Farbe und Gestalt des nackten Körpers durchscheinen; ein schmaler gold­gelber Saum zeigt den flatternden Falten Verschlingung und Kante an. In der linken Hand trägt diese Figur ein flaches viereckiges Kästchen von Goldfarbe; die emporgehaltene Rechte hebt und faßt das Gewand; purpurrothe Schuhe bekleiden die Füsse. Gebärde und Bewegung haben mehr Ruhe als an der vorigen Tänzerin, gleichwohl ist diese hier

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nicht weniger belebt, das Gewand hat auch eben so vortreffliche Falten. Noch m ­ üßen wir bemerken daß [6r] Herrn Raabe’s Copie den Kupferstich (Pitt. d’Erc. tom. III. tav. XXX) gar sehr übertrifft; neben einander gehalten erscheint die gemalte Figur ein ganz anderes Werk als die gestochene. 12.) Das letzte unter den Gemälden nach Herkulanischen Tänzerinnen (Pitt. d. Erc. tom. III. tav. XXXI) stellt eine dar welche auf dem Haupt ein flaches rundes mit zwey Streifen umgebenes Gefäß von gelber Farbe trägt, über welchem ein weißes Tuch liegt und ein grüner Zweig. Sie hält das Gefäß mit der Rechten und in der Linken Thyrsusstab. Epheu kränzt ihr braunes Haar; ein leichtes blaßgelbes Untergewand deckt die rechte Brust und den Arm bis in die Biegung des Ellebogens; das Uebergewand welches außerdem die ganze Figur bis auf die Füsse bekleidet, ist gedämpft Purpurroth mit ins blauliche fallendem Saum oder Besetzung; die Schuhe hellgelb. Diese Figur hat der nachbildende Künstler mit vorzüglicher Sorgfalt ausgeführt, daher man vermuthen darf sie sey auch im Original eine der besterhaltenen. Die vier Centauren-Gruppen. 13.) Einen Centauren (S. d, Kupferst. Pitt. d’Erc. tom I. tavo XXV.) dem die Hände auf den Rücken gebunden sind, ist eine beynahe nackte, von röthlichem Gewand nur leicht umfloßene Bacchantin146 auf den Rücken gesprungen; ihr linkes Knie ruht auf dem Kreuz des Pferdes und mit dem rechten Fuß versetzt sie dem Gebundenen einen Tritt, faßt ihn mit der linken Hand bey den Haaren und will überdem noch mit dem Stab des Thyrsus, den sie in der Rechten [6v] hält ihn stoßen. Allgemein wird dieser Gruppe ein hoher Kunstwerth eingeräumt, das rege Leben in den Stellungen, der scherzhafte Grimm und Dulden im Ausdruck in der Handlung; desgleichen die vollendete Kunst womit beyde Figuren zum gefälligsten Ganzen geordnet sind, können allerdings für ausnehmend gelungen ja für unüber­troffen gelten. Ist gleich Hn. Raabe’s Nachbildung nur leicht behandelt so hat sie doch wesentliche Vorzüge vor dem fleißig ausgeführten Kupferstich; die Köpfe sind geist­reicher, haben mehr Charakter und Ausdruck, die Gliederformen bringen den Geschmack des antiken Originals beßer in Erinnerung alles ist lebhafter bewegt. ­ entaure 14.) Gegenstück zum vorigen (Pitt. d’Erc. tom I. tav. XXVI.) ein weiblicher C dessen Körper nach dem Beschauer zugewendet ist, hält mit seiner Rechten ein ihm aufgeseßenes junges Mädchen in Unter= und Uebergewand von unentschiedener gelber Farbe gekleidet, das Mädchen wird vom Rücken gesehen und hält einen Thyrsusstab in der Hand. Von des Centauren hoch über das Haupt gebogener Linken hängt ein Blumengewinde hernieder und ein schmaler Streifen lebhaft grüner Drapperie liegt ihm

146 Kentaur mit Mänade, Neapel, Nationalmuseum, aus der Villa des Cicero, um 50–60 n. Chr., HBr tab. 88–107. Angabe nach Schefold 1952, Komm. zu Abb. 27.

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theils in der Schulterbigung des aufgehobenen Armes, theils zieht sich derselbe hinter dem Rücken durch und fällt wieder hervor an der Seite des Pferdes. Mag vielleicht das antike Gemälde in Farben blaß geworden oder sonst beschädigt seyn, die Copie unseres Freundes hat das Ansehen eines bloßen Entwurfs, ist aber darum doch schätzbar, vornemlich auch deswegen, weil sie in [7r] verschiedenem von dem vorhin erwehnten im Werk über das Herkulanische ­Museum befindlichen Kupferstich abweicht. 15.) (Pitt. d’Erc. tom. I. tav. XXVII) Ein männlicher junger noch bartloser C ­ entaure in ruhiger Stellung hält einen Knaben wie im Arm vor sich;147 der Knabe scheint auf ­einer Leyer zu spielen und der Centaur ihn zu unterrichten. Jenen umfließt ein blaß­ grüner Gewandstreifen, diesem flattert ein dergleichen mehr ins Violett fallender Streifen von der Schulter und liegt über den Pferderrücken, noch trägt er einen langen ­Thyrsus Stab an welchem eben eine Schellentrommel gebunden ist. Auch diese Copie hat der Künstler nur leicht behandelt. 16.) (Pitt. d’Erc. tom. I. tav. XXVIII.) Ein weiblicher Centaur hält ungefähr auf ähn­ liche Weise wie der vorige einen Knaben vor sich, greift mit der Linken in die Seiten ­einer Leyer und hält in der Rechten, hinter des Knaben Haupt wegreichend, ein kleines goldnes Klangbecken (Cymbalum) damit auf ein anderes welches der Knabe in seiner Rechten entgegen hält zu schlagen. Lieblicher kann unmöglich eine Gruppe erfunden werden und wenn alle vier angezeigten Centauren-Gruppen bewundernswerth sind; so ist doch diese nach der ersten, wo die Bacchantin den Gebundenen mißhandelt, die vortrefflichste. Sodann ist dieses Werck so im Original wie in der Copie des Herrn R ­ aabe am besten ausgeführt, die Carnation an der Frau von gutem zarten Ton, die Beleuchtung [7v] des Ganzen großartig, der Styl der Formen edel, von großer Reinheit und Zartheit. Das Haar der Centaurin ist mit weißer Binde durchflochten um den linken Arm schlingt sich ihr eine Drapperie von wechselnden Farben; grünlich, violett und ins blaßrothe fallend; ein Theil derselben liegt über den Pferderücken und ein Ende flattert in der Luft. Den Knaben deckt eben ein solches violett und grüner Gewandstreifen die rechte Schulter wie nach einem Theil des Arms und erscheint auf der Seite des Centauren ins hellröthliche verändert. Alle vier Pferde haben Isabellfarbe. Die Pferde der ersten und vierten Gruppe heller und gelber, die der zweyten und dritten grauer.

147 Achill und Chiron, Neapel, Nationalmuseum, aus der Villa des Cicero, um 50–60 n. Chr., Höhe 17 cm, HBr tab. 88–107. Angabe nach Schefold 1952, Komm. zu Abb. 26.

Dokument 10 „Über die Beurtheilung von Kunstwerken“ (1795?) GSA 64/16 5 Blatt, Blatt 2–4 beidseitig beschrieben. Eigenhändiges Manuskript Kommentar: Offensichtlich hatte Meyer bei der Niederschrift Formulierungsschwierigkeiten, wie zahlreiche Durchstreichungen längerer Abschnitte und ihre im Inhaltlichen kaum abweichende Neuformulierungen zeigen. Wiedergegeben wird daher nur die letzte Textstufe. Datierung: Vermutlich Sommer oder Frühherbst 1795. Transkription: [1r] Über die Beurtheilung von Kunstwerken Nicht jedermann hat von Natur einen empfänglichen Sinn für Geschmack und Kunst erhalten, noch weit seltener ist diese köstliche Gabe in einem cultivirten Zustande zu finden. indessen urtheilt doch alles lobt und tadelt nach Bedünken, selbst die S­ chwächsten sind in diesem Falle noch kühn und tragen gewöhnlich nicht Sorge ihre Schwäche vor dem Verständigern klug zu verbergen. Ohne Zweifel148 betrachtet man selten ernst genug mit welchen Kenntnissen und Fähigkeiten derjenige ausgerüstet seyn muß der über Kunstwerke urtheilen will. [2r] nicht ein jeder hat von Natur den empfänglichen sinn für Geschmack und Kunst erhalten, noch weit seltener wird diese köstliche Gabe in einem cultivirten Zustand gefunden.149 indeßen glauben die meisten doch über die Kunstwerke urtheilen zu können loben & tadeln nach bedünkung selbst die Schwächsten sind in diesem Falle noch kühn und wenig besorgt ihre Schwäche klug zu verbergen. Ohne Zweifel betrachtet man selten ernst genug mit welchen Schwierigkeiten das Ur­ theil über Kunstwerke von was Art dieselben auch sein mögen verknüpft ist, denn noch 148 Es folgt ein längerer, durchgestrichener Passus. 149 Längere Durchstreichung.

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über das erwähnte Haupterforderniß cultivirter Naturgabe gehört auch eine günstige Gemüthsstimme des Moments einer heiteren freyen von Leidenschaften und Vorur­ theilen entbundenen Seele. Der berufene Kunstrichter muß die Kunst ferner gründlich in allen ihren Theilen verstehen hinlänglich Wißenschaftliche Kenntniß von den Gegenständen besitzen welche die Künstler bearbeitet haben150 oder um ihren Gedanken oder Zweck richtig zu fassen und zu prüfen er muß beständig rücksicht auf die Geschichte der Kunst nehmen oder vielmehr sein Urtheil von dieser geleitet geschärft oder gemildert werden weil er um nicht unbillig zu seyn bey jedem Bild ab und zu zurechnet was zeit und Schule gegeben oder entwandt hat. [2v] und dieses ist eine unerläßliche Haupteigenschaft, soll er williger seyn überall das Gute und Verdienstliche aufzusuchen als Fehler zu entdecken. Denn indem [Rand:] | er weniger Erfahrene auf die versteckten Schönheiten aufmerksam macht unterrichtet er, befördert erregt das Interesse für Kunst und Kunstwerke. | faßlicher & anschaulicher macht unterrichtet er allgemein, erregt befördert das Intereße an der Kunst & am Kunstwerk überhaupt wenn er aber diese bemerklich macht wird er auf Kosten des Genußes höchstens das Urtheil berichtigt haben. Keine von diesen Foderungen die wir an den Kunstrichter machen, ist erläßlich. Eine unbestimmte erinnerung an das Beste und schönste haben dieselben zum allgemeinen Maaßstab machen und überall anschlagen[?] und sich daher ermächtigen überall zu tadeln selbst im einzelnen die Werke welche jenes unbestimmte Bild von Vollkommenheit abgeborgt ist. Das erfordert freylich weder großes Talent noch Studium aber es ist auch wenig nütze dj die Kunst gewinnt gewöhnlich nicht und der Gegenstand nichts dabey? Aber wenn wir uns auf ein solches Urtheil ganz rein denken & unterstützt von Kennt­nißen des practischen Künstlers so wird es ganz streng doch immer noch einseitig seyn es wird immer bloß annehmen oder verwerfen nicht gehörig mildern oder Bedingen und daher auch nur selten billig sein können. Setzt man den Fall ein nieder­ ländisch oder venezianisch Gemählde werde nach den allerstrengsten Regeln des Styls der Zeichnung beurtheilt wahrlich es wird sich wenig gutes davon sagen lassen [mit Bleistift überschrieben: wie viel (wird sich) nicht daran tadeln laßen] oder im gegentheil finde Julius Romanus einen Kunstrichter dessen Geschmack nach Rubens oder ­Rembrand gebildet hat wie wird er ihn diesen nicht wegen Härte Steifigkeit mangel an Haltung übereinstimmung Wirkung & Colorit anklagen. Dieses einzige Beyspiel mag zeigen, wie nothwendig zum Urtheil über Kunstwerke eine beständige Hinsicht auf die Geschichte der Kunst gehört und daß solcher der ­einzige mögliche Weg ist dem Kunstwerk und dem Künstler gehörig Recht widerfahren zu ­laßen das Urtheil wird seine trockene Einseitigkeit verlieren [3r] bestimmter und ungleich unterrichtender werden man wird das Steigen und Fallen der Kunst & des Geschmacks im allgemeinen das Heißt die Zeit von den eigenthüm150 Längere Durchstreichung.

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lichen Talenten der Künstler zu trennen suchen und so darvon genüge haben selbst in dem Dunkel der barbarischen Jahrhunderte noch schöne Geister zu entdecken Jene beschränkte Rigoristen werden z. B. selbst die Werke des Giotto nicht groß achten dahingegen der billige Kunstrichter sie als Erstlinge der wieder neu auflebenden Kunst mit nachsicht betrachtet und dem außerordentlichen Talent des Meisters gerechte Bewunderung wiederfahren läßt. Unter diese Zwey Hauptgattungen laßen sich wie uns dünkt alle Urtheile über Kunstwerke faßen aber leider ist jene erste Weise den Kunstrichtern & besonders denn Künstlern zum allgemeinen Nachtheil bey weitem die geläufigste, selten ist indeßen das Urtheil auch selbst in dieser Art noch ganz eine schiefe Ansicht & Vorurtheilen nicht ausgebildeter Geschmack und bey den Werken der Zeitgenoßen nicht selten auf Leidenschaft Liebe oder Haß lähmt und verfalscht dasselbe. Das Publikum sagt man richtet gerecht seine Stimme ist der unbestechlichste Richter über Kunstwerke? das Publikum antworten wir irrt nicht auf so manigfache Weise wie die Jndividuen irrt aber darum nicht weniger es hat von jeher auch seine Lieblinge gehabt und dieselben unmäßig über Verdienst erhoben andere sind vielleicht nicht genug geachtet worden für die ersten kam in der Folge gewöhnlich eine Zeit derer sie ihr überflüßiges Glück abbüßen müßten. Dieses Schicksal hat fast immer diejenigen Künstler betroffen die eigentliche Maniristen waren Durch Menge & wenn man so sagen darf durch das Geräusch ihrer Werber & durch die Sturheit ihrer Manir große Sensation erregten. Bernini wurde [3v] von seinem Zeitalter vergöttert und behielt auch seinen Ruhm bis über die Hälfte des gegenwärtigen Jahrhundert man verglich seine Werke mit der Antike etc und fand sie gewöhnlich noch vortrefflicher als diese wer aber Geschmack haben will schmält heutzutage nicht auf die Bernini? Dem Peter von Cortona dem Lukas Giordano dem Carl Maratti & dem Solimena geht es nicht besser und doch war auch ihr Ruhm ehemahls sehr groß. Die Gunst der Menge fällt übrigens meistens den Naturalisten und denen welche die Wirkung v. Licht & Schatten suchen zu. Die Besten haben sich auch bleibend dabey erhalten. Der haufen der Bewunderer & Nachahmer v. Rembrand & Guercin hat noch nicht abgenommen da indess der Beyfall für die Werke der Caracci & des Poussin zu siechen anfängt Gemeine Wahrheit mag auch wohl allerdings leichter & allgemeiner gefaßt werden als Poetische Kunst und Styl. Das Publicum kann daher wie über ein Kunstwerk von rechtwegen entscheiden es ur­ theilt auch nicht mit Erwägung der Gründe & Gegengründe sondern sein Beyfall so wie die Mißbilligung hängt vom Momentanen Eindruck und von der Stimmung ab welche der Geist der Zeit veranlasst denn es ist zu vermuthen daß Dinge welche alle Welt erfreut haben ein andermahl wenigzuneigung gefunden haben dürften Da inzwischen die Maße in ihren Äußerungen eine Leidenschaftliche ist so wird ein Werk welches ihren Beyfall erhält sicherlich ohne Verdienst seyn so wie eines das keine Gunst fin-

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det ohnmöglich von bedenkenden Fehlern ganz frey seyn kann und in dieser Betrachtung ist die Stimme des Publikums wirklich noch respektabler & zuverlässiger aber die Urtheile schwacher Dillettanten & unfähiger Schwäzer weil diese nicht nur unschuldig ihrem Gefühl folgen sondern durch Leidenschaft, schiefe Ansichten verderbten Geschmack & ungebührliche Anforderungen an das Kunstwerk meistens zum totalen Irr­ thum verleitet werden. [4r] Den noch einmahl will[?] ich[?] es wiederholen wer nicht die Kunst selbst über ­alles unbedingt liebt sie nicht in ihrem Element gründlich versteht nicht ihre Geschichte studirt hat deßen Beruf über Kunstwerke zu Urtheilen, ist uns wir gestehen es frey sehr zweydeutig. Wer die Kenntniß die Fähigkeiten die zum Kunstrichter gehören nicht besitzt muß nicht urtheilen am wenigsten tadeln. [leere Fläche] Dadurch daß man immernoch Moralische Zwecke von ihnen fordert Noch immer nicht einsehen will daß ein Produkt der Kunst so wie ein Naturprodukt Zweck s­ einer selbst ist & seyn muß. Und daß die mächtigste Sittliche Wirkung der Bildenden Künste insbesondere nur daher kommen kann daß Sie den Geist den Geschmack bilden die Liebe zum Schönen erwecken hoffe man einen sonst von ihnen keinen oder zum ­wenigsten nur einen geringen unmittelbaren Einfluß wahrlich wenn alle großen Thaten alle edeln Handlungen in dieser Welt gemahlt aus Marmor gehauen oder in Erz gegossen da ­stünde, wenn es den finsteren Zeloten gelingen könnte den Menschen ganz zu ver­hüllen jede Spur seiner ursprünglichen Gestalt dem Auge zu entziehen schwerlich würden die bürger­lichen & Regententugenden die Wohlthätigkeit zucht & Keuschheit viel dabey gewinnen, schädliche Bilder sind unseres erachtens nur die schlechten die Abgeschmackten ja der [4v] größte Held die edelste That kann unedel dargestellt lächerlich werden wie sollen schwache Köpfe unfähige Künstler das große das Edle faßen und zur Anschauung bringen. Hector Brutus & Scipio erregen darum nicht selten mehr mitleid als Bewunderung & selbst der keusche Joseph giebt bloß zu Scherzen anlaß. Die Neigung zum unbestimmten verblasenen […] vor allem derben entschiedenen, ist ein schädlicher Fehler dessen man beinahe ohne Ausnahme alle diejenigen die ohne Berufe über Kunstwerke Urtheilen beschuldigen kann. Sie klagen beständig über das Bunte die Härte & Schwerfälligkeit beynahe möchte man behaupten daß ihnen Form und Farbe zuwider ist. Das Ganze sollte auch bey der genausten Betrachtung der Theile nie aus den Augen verlohren werden gewöhnlich aber lenken unbefugte Kritiker immer von der Betrachtung des Ganzen ab & wenden ihre Aufmerksamkeit eigentlich ihren Tadel auf die umgebenden Theile denken sich glücklich & weise hier & da einz Flecken anzustarren wir erinnern uns bey dieser Gelegenheit eines Ehrsamen Buchbinders der mit unendlichem Behagen zu erzählen pflegte wie er einst einem Mahler der in einem Bilde verschiedene Bücher angebracht & am Rücken eines derselben nur 4 Ribben[?] oder erhöhungen angebracht getadelt & gezeigt daß 5 od. 7 seyn müßten.

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Den Begriff v. Natur & Wahrheit zu berichtigen wäre ein sehr wesentliches Erforderniß zur allgemeinen Verbeßerung der Urtheile über Kunstwerke. [Bleistift:] Und nun noch ein Wort wie sich der Künstler in Hinsicht der Urtheile über seine eigenen Werke zu benehmen habe. Man kann von einem jeden guten Künstler mit recht verlangen daß er klar über das was er gemacht hat & was er hat machen wollen, selbst sein strengster Richter sey & daß er so viel ware Liebe für die Kunst besitze daß ihm die gründliche Kritik welche nicht zu tadeln zu beleidigen, sondern zu belehren hoch willkommen sey. Das Publicum hat wie wir schon oben bemerkt eigentlich kein Urtheil sondern es äußert bloß seine Empfindung durch Beyfall oder durch Widerwillen weder das eine noch das andere ist entscheidend es zeigt bloß ein wesentliches Verdienst oder Gebrechen um den Künstler der, wenn deutlich […] über seine Arbeit hat und das Publikum kennt wird jene Äußerungen leicht in die Sprache der Kritik übersetzen und sich solcher am rechten Ort [Bleistift Ende] [5r] zu nutze machen. Das Urtheil der einzelnen Dilettanten bedarf das noch weniger zuverlässig ist und oft in totalen Irrthum ausartet der entschlossenen Sichtung er darf jedoch nicht verschmähen auch aus dieser Streu die guten Körner zu sondern. Einem frischen Auge fallen oft Dinge auf die der Künstler selbst der mit seinem Werk vertraut & zubekannt ist übersieht oder es sieht solche aus einem besonderen Gesichtspunkt an der etwas anderes erfordert an das man ohne dieß nicht gedacht haben würde Ein Kunstwerk ist als etwas unendliches niemals vollkommen kann niemals für geendigt gelten & daher oft alles was darüber gesagt wird wenigstens der Prüfung werth jeder Anstoß der zu seiner Verbeßerung helfen kann soll dem Künstler Willkommen seyn. Die gar zu große Empfindlichkeit über Tadel oder Einwendungen welche gegen Kunstwerke gemacht werden ist ist [sic] leider ein Fehler dessen sich bey weitem die meisten Künstler sich schuldig machen es thut uns leid zu sagen daß es eine bedauerliche Beschränkung ihres Geistes anzeigt deren sie aus allen Kräften zu entgehen suchen sollten aber aus der Erwägung daß auch das beste bekannte Kunstwerk noch schwache Stellen hat sollten sie auch die Fehler des Ihrigen vermuthen können und ist der Tadel gerecht so sollten sie danken und den Fehler verbeßern oder künftig abzulegen ­suchen ist er unbillig dann trösten sie nicht wesentlich der setzt Geringen Werth auf sich selbst und auf seine Kunst der von der Laune der unverständigen abzuhängen glaubt ist e­ twa das Werk seiner Kunst wie Schauspiel oder Music die indem Augenblick verhallen um Augenblicklichen Beyfall sich mühe geben? Denn der bildende Künstler arbeitet für Jahrhunderte für alle trefflichen Verständigen empfänglichen Menschen die in einem langen Zeitraum sein Werk sehen werden und arbeitet eigentlich nur für diese allein um ihren Beyfall und um keinen anderen muß es ihm denn auch hauptsächlich zu thun ­seyn und erwirbt er denselben so ist der schönste Zweck seines Strebens seiner Kunst erreicht.

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Abkürzungen und Siglen

Abkürzungen bestandshaltender Institutionen: GSA HAAB SKD SLUB Dresden Thür. HStA ZA-SMB ZB-Zürich

Goethe Schiller Archiv, Klassik Stiftung Weimar Herzogin Anna Amalia Biblothek, Klassik Stiftung Weimar Staatliche Kunstsammlungen Dresden Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Zentralarchiv der Staatlichen Museen Berlin Zentralbibliothek Zürich,

Siglen für Literatur AH Johann Heinrich Meyer: Die Aldobrandinische Hochzeit von Seiten der Kunst betrachtet. In: Carl August Böttiger: Die Aldobrandinische Hochzeit. Eine archäologische Ausdeutung. Nebst einer Abhandlung über das Gemälde von Seiten der Kunst betrachtet, von H. Meyer. Dresden 1810, S. 171–206. Bw. Briefwechsel FA Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche [Frankfurter Ausgabe]. 40 in 45 Bänden in 2 Abteilungen – 1. Abteilung: Sämtliche Werke. Hg. von Friedmar Apel, Hendrik Birus, Anne Bohnenkamp u.a., Frankfurt a. M. 1985– 1999; darin: Ästhetische Schriften, FA I/17–21. MA Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hg. v. Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder u. Edith Zehm, 21 Bde., München 1985–1998.

Sonstige Abkürzungen GPI The Getty Provenance Index Database URL: piprod.getty.edu/starweb/pi/servlet.starweb NL Nachlass Weimarische Kunst-Freunde W.K.F.

Ungedruckte Quellen/Archivalien

Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt, diverse Briefe Johann Heinrich Meyers. Goethe-Museum Düsseldorf – Sammlung Kippenberg, Briefe von J. H. Meyer Goethe Schiller Archiv (GSA), Klassik Stiftung Weimar Nachlass Johann Heinrich Meyer (GSA 64); Nachlass Johann Wolfgang von Goethe (GSA 28) u.a. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK), I. HA Rep. 76 alt, III, Nr. 29, fol. 17r–17v. Kunsthaus Zürich, NL Heinrich Keller; NL Alexander Trippel; Malerbücher der Künstlergesellschaft; Zeichnungen von Johannes Kölla. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB Dresden); NL Carl August Böttiger, u.a. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (Thür. HStA), Akten der Zeichenschule Zentralarchiv der Staatlichen Museen Berlin (ZA-SMB); diverse Briefe J. H. Meyers Zentralbibliothek Zürich (ZB-Zürich), Handschriftenabteilung; NL Johann Jakob Horner, NL Hans Caspar Escher. Schweizerisches Bundesarchiv Bern, Akten der Helvetischen Republik, Band 1476, Literatur und Künste (Allgemeines 1798–1803).

Bibliographie

I.  Johann Heinrich Meyer, Schriften in Auswahl 1794 Meyer/Böttiger 1794 zus. m. Carl August Böttiger: Über den Raub der Cassandra auf einem Alten Gefässe von gebrannter Erde, Weimar 1794. 1795 Meyer, Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst, 1795 Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst. In: Die Horen 1/9 (1795), S. 11–29; Reprint 2000, Bd. 2, S. 973–991.

Meyer, Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst, 1795



Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst. In: Die Horen 1/2 (1795), S. 29–50; Reprint 2000, Bd. 1, S. 145–166.

1796 Neueste Zimmerverzierung in Rom. In: Die Horen 2/9 (1796), S. 79–84; Reprint 2000, Bd. 4, S. 965– 970. 1798 Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst. In: Propyläen 1/1 (1798), S. 20–54, 1/2 (1799), S. 45–81; Reprint 1965, S. 72–106, 231–267.

Über Etrurische Monumente. In: Propyläen 1/1 (1798), S. 66–100, Reprint 1965, S. 118–152.



Rafaels Werke besonders im Vatikan. In: Propyläen 1/1 (1798), S. 101–127; 1/2 (1799), S. 82–163; 3/2 (1800), S. 75–96; Reprint 1965, S. 153–179, 268–349, 973–994.

1799 Ueber den Hochschnitt. In: Propyläen 1/2 (1799), S. 164–174. Reprint 1965, S. 350–360.

Einige Bemerkungen über die Gruppe des Laokoons und seiner Söhne. In: Propyläen 1/2 (1799), S. 175–176; Reprint 1965, S. 361–362.



Niobe mit ihren Kindern. In: Propyläen 2/1 (1799), S. 48–91; Reprint 1965, S. 410–453.



Ueber Restauration von Kunstwerken. In: Propyläen 2/1 (1799), S. 92–123; Reprint 1965, S. 454–485.



Chalkographische Gesellschaft zu Dessau. In: Propyläen 2/1 (1799), S. 124–161; Reprint 1965, S. 486– 523 (mit Zusätzen Goethes).



Ueber Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste. In: Propyläen 2/2 (1799), S. 4–25, 2/2 (1799), S. 141–171, 3/1 (1800), S. 53–65, 3/2 (1800), S. 67–74; Reprint 1965, S. 542–563, 679–709, 765–777, 965–972.



Die Familie der Niobe. Nachtrag. In: Propyläen 2/2 (1799), S. 123–140, Reprint 1965, S. 661–678.

1800 Masaccio. In: Propyläen 2/1 (1800), S. 3–52; Reprint 1965, S. 715–764.

Oeser. In: Propyläen 3/1 (1800), S. 125–129; Reprint 1965, S. 837–841.

I.  Johann Heinrich Meyer, Schriften in Auswahl

Zwey Italiänische Landschaften von Gmelin. In: Propyläen 3/1 (1800), S. 150–152, Reprint 1965, S. 862–864.



(zus. mit Goethe) Etwas über Staffage landschaftlicher Darstellungen. In: Propyläen 3/1 (1800), S. 153– 156; Reprint 1965, S. 865–868.



Die capitolinische Venus. In: Propyläen 3/1 (1800), S. 157–166; Reprint 1965, S. 869–878.



Mantua im Jahre 1795. In: Propyläen 3/2 (1800), S. 3–66; Reprint 1965, S. 901–964.

1802 Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der ehemaligen Villa des Plinius. In: Allgemeine Literatur-­ Zeitung 2 (1802), S. 1–4. [Zuschreibung aufgrund GSA 64/54] 1804 Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1803 und Preisaufgabe für das Jahr 1804. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1 (1804), Beilage, S. I–VIII.

W.K.F.: Rez. Johann Heinrich Füßli, Lectures on Painting, 1801; Heinrich Füessli: Vorlesungen über die Mahlerey, Braunschweig 1803. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 1/1 (1804), Sp. 249–269, Nr. 32–34, 7.2.1804, 8. 2. 1804, 9.2.1804.

1805 Entwurf zu einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts. In: Winckelmann und sein Jahrhundert. Herausgegeben von Goethe. In: MA 6.2, S. 201–348.

Skizzen zu einer Schilderung Winckelmanns, Teil II. In: Winckelmann und sein Jahrhundert. Herausgegeben von Goethe. In: MA 6.2, S. 441–452.



M.: Umrisse nach Ossians Gedichten. Erfunden und radirt von J. C. Ruhl, Bildhauer in Kassel. 1804. In: Journal des Luxus und der Moden 20/1 (1805), S. 210–211.

1806 Goethe im Namen der vereinigten Kunstfreunde: Siebente Weimarische Kunstausstellung vom ­Jahre 1805. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 3/1 (1806), S. I–XII. [Hauptverfasserschaft Meyers gilt als gesichert]

W. K. F.: Rez. zu: Homer in Zeichnungen nach Antiken von Tischbein, mit Erklärungen von Hn. Hofr. Heyne, 5. Heft. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 3/1 (1806), Sp. 193–197, vom 29.1.1806, Nr. 25.



W. K. F.: C. L. Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, Leipzig 1806. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 3/2 (1806), Sp. 567 f, vom 23.6.1806, Nr. 147.



W. K. F.: Rez. zu Wilhelm Gottlieb Becker (Hg.), Augusteum, Dresdens antike Denkmale enthaltend, 2. u. 3. Heft, Leipzig o. J. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 3/4 (1806), Sp. 65–70, vom 10. 10. 1806, Nr. 240.

1807 W.K.F.: Unterhaltungen über die Gegenstände der bildenden Kunst als Folge der Nachrichten von den Weimarischen Kunstausstellungen. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 4 (1807), Beilage, S. I– XII. 1808 Meyer, Über Handzeichnungen, 1808 Über Handzeichnungen. Als Einleitung einer kritischen Angabe der vorzüglichsten Stücke berühmter Künstler, in der königl. Zeichnungs-Sammlung zu Florenz. In: Prometheus Heft 1 (1808), S. 12–18, Heft 2 (1808), S. 37–49, Heft 5/6 (1808), S. 113–144.

Anmerkungen und Zusätze zu Winckelmann’s Versuch einer Allegorie besonders für die Kunst. In: Winckelmann’s Werke, hg. v. C. L. Fernow, Bd. 2, Dresden 1808, S. 673–762.



W. K. F.: Neue Unterhaltungen über verschiedene Gegenstände der Kunst als Folge der Nachrichten von den Weimarischen Kunstausstellungen. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 5 (1808), Programm, Abschnitte I, III, IV, V; S. I–VIII.

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Bibliographie

W. K. F.: Albrecht Dürers christlich-mythologische Handzeichnungen, von N. Strixner. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 5/1 (1808), Sp. 529–534, vom 19.3.1808, Nr. 67. [Großteil von Goethe, lt. Weizsäcker wohl Beteiligung Meyers]

1809 Anmerkungen zum ersten Bande der Geschichte der Kunst des Alterthums. In: Winckelmann’s Werke. Hg. v. Heinrich Meyer und Johann Schulze. Bd. 3, Dresden 1809, S. 265–464.

M.: Nachricht von Gemälden und Zeichnungen des Landschaftsmalers, Herrn Kaatz aus Dresden, ­welche in Weimar ausgestellt waren. In: Journal des Luxus und der Moden 24 (1809), S. 488–491.



W. K. F.: I. Altes Gemälde/II. Landschaften in Sepia gezeichnet von Hn. Friedrich/III. Rafaels Ge­mälde in Spanien. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 6 (1809), Programm, S. I–VIII. [III. beruht auf den Berichten Caroline von Humboldts]



W. K. F.: Rez. zu Albrecht Dürers christlich-mythologische Handzeichnungen, von N. Strixner, München. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 6/2 (1809), Sp. 113–118, vom 18.4.1809, Nr. 91.



W. K. F.: Rez. zu A. Senefelder, Musterbuch der lithographischen Druckerey, München. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 6/2 (1809), Sp. 118–120, vom 18.4.1809, Nr. 91.



W. K. F.: Rez. zu Handzeichnungen berühmter Meister aus dem königl. bayerischen Kunst-Cabinette in lithographischer Manier nachgeahmt. 1. Heft, München o.J. (Senefelder). In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 6/4 (1809), Sp. 529–530, vom 19.12.1809, Nr. 294.

1810 Die Aldobrandinische Hochzeit von Seiten der Kunst betrachtet. In: Böttiger, Carl August: Die Aldobrandinische Hochzeit. Eine archäologische Ausdeutung. Nebst einer Abhandlung über das Gemälde von Seiten der Kunst betrachtet, von H. Meyer. Dresden 1810, S. 171–206.

Hypothetische Geschichte des Kolorits besonders griechischer Maler vorzüglich nach dem Berichte des Plinius. In: Goethe: Farbenlehre. In: MA 10, S. 527–552.



Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst. In: Goethe: Farbenlehre. In: MA 10, S. 706– 724.



W. K. F.: „Beyträge zur Geschichte der Schaumüntzen aus neuerer Zeit. (Wozu vornehmlich das in diesem Fach sehr beträchtliche Cabinet des Herrn Geheimen Raths v. Goethe benutzt worden). In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 7 (1810), [Programm], S. I–VIII.

1811 Hackerts Kunstcharakter und Würdigung seiner Werke, von Herrn Hofrat Meyer. In: Johann Wolfgang von Goethe: Philipp Hackert. Biographische Skizze, meist nach dessen eigenen Aufsätzen entworfen. In: MA 9, S. 842–847.

Hg. zus. mit Johannes Schulze: Winckelmann’s Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2, Dresden 1811 (Winckelmann’s Werke, hg. v. Heinrich Meyer und Johannes Schulze, Bd. 4); Kommentar, S. 243– 432.



W. K. F.: Rez. zu Wilh. Gottlieb Becker, Augusteum. Dresdens antike Denkmale enthaltend, Bd. 2 oder 4–8 Heft, Dresden 1808. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 7/2 (1811), Sp. 353–357, vom 23. 4. 1811, Nr. 117.

1812 Anmerkungen zum dritten Bande der Geschichte der Kunst des Alterthums. In: Winckelmann’s ­Werke. Hg. v. Heinrich Meyer und Johann Schulze. Bd. 5, Dresden 1812, S. 311–612. 1813 Ueber die Altar-Gemälde von Lucas Cranach in der Stadt-Kirche zu Weimar. Weimar 1813. 1814 M.: Bemerkungen auf einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im 1813 und 1814. Erster Brief. In: Journal für Litteratur, Kunst, Luxus und Mode 29 (1814), S. 596–604, S. 654–659. 1817 Über das Betrachten der Statue bey der Fackel. In: Goethe: Italienische Reise, MA 15, S. 523–525.

I.  Johann Heinrich Meyer, Schriften in Auswahl 1817–1832: Beiträge in Ueber Kunst und Alterthum (Auswahl)

W.K.F.: Neu-deutsche religios-patriotische Kunst [1817]. In: FA I/20, S. 105–129.



Anmerkungen und Belege zum Aufsatz: Neu-deusche religios-patriotische Kunst [1817]. In: FA I/20, S. 159–169.



Mannigfaltige Kunstanzeigen und Urtheile [1820]. In: FA I/20, S. 376–414 (Rezensionen, großteils von Meyer).



Bildende Kunst [1820]. In: FA I/20, S. 511–536 und 540–549 (Rezensionen, großteils von Meyer).



Bildende Kunst [1821]: I. Abgüsse des Frieses vom Tempel zu Phigalia/II. Reliefs von der Celle des Parthenon/III. Hochreliefs vom Parthenon/IV. Statuen vom Giebel/V. Die aeginetischen Statuen. In: FA I/21, S. 67–72.



W.K.F.: Vorschläge zu Einrichtung von Kunstakademien rücksichtlich besonders auf Berlin 1821. In: FA I/21, S. 72–101.



Ueber Lithographie und lithographische Blätter [1821]. In: FA I/21, S. 160–178.



Die Vermählung der Heiligen Jungfrau mit St. Joseph [1821]. In: FA I/21, S. 179–185.



VI. Beschreibung eines Gemäldes von Herrn J. van Bree zu Antwerpen [1821]. In: FA I/21, S. 186–188.



Königliches Museum zu Berlin [1821]. In: FA I/21, S. 197–202 und 236–250.



Neuere Bildende Kunst [1823]. In: FA I/21, S. 319–335.



W. K. F.: Fortschritte des Steindrucks [1823]. In: FA I/21, S. 459–472.



Berliner Steindruck [1824]. In: FA I/21, S. 538–541.



Bildende Kunst [1824–1831]. In: FA I/22, S. 17–29, 61–69, 137–162, 191–196, 436–449



Boisserésche Kunstleistungen [1824]. In: FA I/22, S. 94–100 (mit Anteilen Goethes).



Steindruck. In: FA I/22, S. 266–271, 307–316 (mit Anteilen Goethes).



Bildende Kunst. Sendungen aus Berlin. In: FA I/22, S. 375–382 (mit Anteilen Goethes).

1819 W. K. F., o. T., Rezension zu anonym (August Kestner): Ueber die Nachahmung in der Malerei. Geschrieben zu Rom im October 1817. Frankfurt a. M. 1818. In: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 16/4, 1819, Sp. 164–174. 1820 Lex.-Art.: Anordnung, in der Malerei und Bildhauerei. In: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet. Hg. v. J. S. Ersch/­ J. G. Gruber, Sect. 1, Bd. 4, 1820, S. 197–199. 1824 Meyer, Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen, 1824

Heinrich Meyer’s Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen von ihrem Ursprunge bis zum höchsten Flor. 3 Abteilungen, Dresden 1824.

1825 Abbildungen zu Heinrich Meyer’s Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen von ihrem Ursprunge bis zum höchsten Flor. Dresden 1825. 1826 Uebersicht der Geschichte der Kunst bei den Griechen deren bekanntesten Werke und Meister so wie die noch vorhandenen und darauf Bezug habenden Denkmale. Nebst den gleichzeitigen Weltbegebenheiten und den wichtigsten Erscheinungen im Gebiete der Wissenschaften, Literatur und Poesie. Dresden 1826. 1828 Meyer, Aus Briefen eines Kunstfreundes 1828 Aus Briefen eines Kunstfreundes, geschrieben im Jahr 1818 auf einer Reise nach der Schweiz. In: Berliner Kunst-Blatt 1 (1828), S. 221–230.

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Bibliographie 1829 Vom Charakter der Kunst des Polydoro da Caravaggio. In: Berliner Kunst-Blatt 2 (1829), S. 349–350. 1830 Kritische Anzeige neuer und neuester Kupferstiche mit historischer Einleitung. In: Jahrbücher der Literatur 52 (1830), Anzeige-Blatt, S. 1–23 (unterz.: Weimar/Heinrich Meyer, Direktor). 1831 [Rez., unterzeichnet mit „Weimar“]: „Kunstbemerkungen auf einer Reise über Wittenberg und ­Meißen, nach Dresden und Prag, von A. Hirt. Berlin 1830. Verlag von Dunker und Humblot.197 S. in 8. In: Jahrbücher der Literatur 55 (1831), S. 197–223.

[Rez. zu:] Annali dell’ instituto di corrispondenza Archeologica per l’Anno 1829 [....]; Bullettino degli Annali dell’ Instituto di corrispondenza Archeologica oer L’Anno 1829. In: Jahrbücher der Literatur 56 (1831), S. 162–167.



[Rez. zu:] La Calcografia propriamente detta, ossia l’Arte d’incidere in Rame coll’Aqua forte [...] da ­Giuseppe Longhi, Vol I, [...] Milano,1830. In: Jahrbücher der Literatur 56 (1831), S. 284–291.

1832 [Rez. zu:] Vita di Benvenuto Cellini, Oresfice e Scultore fiorentino, scritta da lui medesimo, [...] dal Dottor Francesco Tassi. In: Jahrbücher der Literatur 59 (1832), S. 186–192. 1836 Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und Römern. Zeit ihres Abnehmens. Hg. m. einer Vorrede von F. W. Riemer, Dresden 1836 (= Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und Römern, 3. Tl.). 1886 Meyer/Weizsäcker 1886 Kleine Schriften zur Kunst. Hg. von Paul Weizsäcker. Stuttgart 1886. 1941 Meyer/Hecker 1941 Hecker, Max: Ein „Weimarischer Kunstfreund“ in der Gemäldesammlung der Brüder Boisserée. Zwei Briefe Heinrich Meyers an die Er[b]großherzogin Maria Paulowna. Mitgeteilt aus Handschriften der weimarischen Landesbibliothek. In: Blumenthal, Hermann (Hg.): Aus der Geschichte der Landes­ biblio­thek zu Weimar und ihrer Sammlungen. Jena 1941, S. 185–210, 1974 Meyer/Holtzhauer 1974 Geschichte der Kunst. Hg. v. Helmut Holtzhauer und Reiner Schlichting, Weimar 1974. 1977 Einem 1977 Einem, Herbert von: Ein ungedrucktes Manuskript Johann Heinrich Meyers über Michelangelo. In: Goethe-Jahrbuch 94 (1977), S. 256–285 2013 Rößler 2013 Über einige neuere Kunstwerke (1810). In: Rößler, Johannes: Annäherung in der Entfremdung. Caspar David Friedrich und die Weimarischen Kunstfreunde in neuen Quellen. In: Jahrbuch des Freien ­Deutschen Hochstifts 2013, S. 250–307, hier: S. 287–300.

II.  Andere Quellen Alberti 2000 Alberti, Leon Battista: Das Standbild, Die Malkunst, Grundlagen der Malerei. Hg. und übs. von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin unter Mitarbeit von Kristine Patz. Darmstadt 2000. Alberti 2002 Alberti, Leon Battista: Della Pittura/Über die Malkunst. Hg. v. Oskar Bätschmann und Sandra ­Gianfreda. Darmstadt 2002.

II.  Andere Quellen Algarotti 1769 Algarotti[, Francesco]: Versuche über die Architectur, Mahlerey und musicalische Opera. Übs. v. Rudolf Erich Raspe, Kassel 1769. Anonym 1795 Anonym: Nachrichten von Tyrolischen Künstlern. In: Neue Miscellaneen artistischen Inhalts für Künstler und Kunstliebhaber 1 (1795), S. 67–93. Baldinucci 1681 Baldinucci, Filippo: Vocabolario Toscano dell’ Arte del Disegno nel quale si esplicano i propri termini e voci, non solo della Pittura, Scultura, & Architettura; ma ancora di altre Arti a quelle subordinare, e che abbiano per fondamente il Disegno […]. Florenz 1681. Baumgarten 2007 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik. Lateinisch – deutsch. Hg. und übs. v. Dagmar Mirbach. 2 Bde., Hamburg 2007. Bellori 1976 Bellori, Giovan Pietro: Le vite de’ pittori, scultori e architetti moderni. Hg. von Evelina Borea. Turin 1976. Bellori 2005 Bellori, Giovan Pietro: The Lives oft he Modern Painters, Sculptors and Architects. Übs. ins Englische von Alice Sedgwick Wohl, Cambridge, New York u. a. 2005. Bellori/Bartoli 1693 [Bellori, Giovan Pietro/Bartoli, Pier Santi:] Admiranda romanorum antiquitatum ac veteris sculpturae vestigia anaglyphtico opere elaborata ex marmoreis exemplaribus quae romae adhuc extant in Capitolio aedibus hortisque virorum principum ad antiquam elegnatiam a Petro Sancti Bartolo dilineata incisa in quibus plurima ac praeclarissima ad romanam historiam ac veteres mores dignoscendos ob oculos ponuntur notis Io. Petri Bellorii illustrata. Haec omnium […] ac typis edita à Ioanne Iacobo de Rubeis […]. Rom 1693. Böhmer 1823 Böhmer, Johann Friedrich: Meister Stephan, Maler zu Cöln. In: Kunst-Blatt 4 (1823), S. 31–32. Böttiger 1796 B[öttiger, Karl August]: Ueber die Kunstplünderungen in Italien und Rom. In: Der Neue Teutscher ­Merkur 21 (1796/3), S. 249–279 [mit Textanteilen Carl Ludwig Fernows und Johann Heinrich Meyers]. Böttiger/Bertuch 1798 Böttiger, Karl August/Bertuch, Friedrich Justin: Vervollkommnung der Holzschneidekunst in England. In: Journal des Luxus und der Moden 13 (1798), S. 513–522. Böttiger 1808 Böttiger, Karl August: Die Dresdner Antiken-Gallerie mit Fackelbeleuchtung gesehen, den 25. ­August 1798. In: Prometheus 1808, 2. Heft, Anzeiger für Litteratur, Kunst und Theater, S. 3–9. Böttiger 1839/1972 Böttiger, Karl August: Literarische Zustände und Zeitgenossen. 2 Bde. Reprint der Ausgabe von (1839), Frankfurt a. Main 1972. Böttiger 1998 Böttiger, Karl August: Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar. Hg. von Klaus Gerlach und René Sternke, Berlin 1998. Boisserée 1862/1970 Boisserée, Sulpiz: Briefwechsel/Tagebücher. 2 Bde., Bd. 1: Boisserée, Mathilde: Sulpiz Boisserée: Lebensbeschreibung; Bd. 2: Boisserée, Sulpiz: Briefwechsel mit Goethe. Stuttgart 1862, Reprint Göttingen 1970.

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II.  Andere Quellen Fernow 1806 Fernow, Karl Ludwig: Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens. Leipzig 1806. Fernow 1806/1808 Fernow, Carl Ludwig: Römische Studien. 3 Bde., Zürich 1806/1808. Fernow 2013 Fernow, Carl Ludwig: „Rom ist eine Welt für sich“. Briefe 1789–1808. Hg. v. Margrit Glaser und Harald Tausch. 2 Bde., Göttingen 2013. Füßli 1769–1779 Füssli, Johann Caspar: Geschichte der besten Künstler in der Schweitz. 4 Bde. und ein Supplementband, Zürich 1769, 1769, 1770, 1774, Suppl. 1779. Füßli 1771 Füeßlin [Füssli], Johann Caspar: Raisonirendes Verzeichniß der vornehmsten Kupferstecher und ihrer Werke. Zum Gebrauche der Sammler und Liebhaber. Zürich 1771. Füßli 1803 Füssli, Heinrich: Vorlesungen über die Malerei. Aus dem Englischen von Johann Joachim Eschenburg, Braunschweig 1803. Gilpin/Volkmann 1768 [Gilpin, William:] Abhandlung von Kupferstichen worinn die allgemeinen Grundsätze von den Regeln der Malerey, in so weit sie die Kupferstiche betreffen, abgehandelt, die verschiednen Arten von Kupferstichen angezeigt, und die Charaktere der berühmtesten Meister gegeben werden. Nebst Anmerkungen über verschiedne einzelne Kupferstiche und Regeln, solche zu sammlen [sic]. Aus dem Englischen übersetzt [von Johann Jakob Volkmann]. Frankfurt, Leipzig 1768. Goethe, FA Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche [Frankfurter Aus­ gabe]. 40 in 45 Bänden in 2 Abteilungen – 1. Abteilung: Sämtliche Werke. Hg. von Friedmar Apel, H ­ endrik Birus, Anne Bohnenkamp u. a., Frankfurt a. M. 1985–1999; darin: Ästhetische Schriften, FA I/17–21. Goethe, MA Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hg. v. Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder u. Edith Zehm, 21 Bde., München 1985–1998. Goethe, Tagebücher 2007 Goethe, Johann Wolfgang von: Tagebücher. Bd. 5.1. Hg. von Wolfgang Albrecht. Stuttgart, Weimar 2007. Goethe, WA IV Goethe, Johann Wolfgang von: Werke [Weimarer Ausgabe]. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar. 4. Abteilung: Briefe. Bd. 1–50. Weimar 1887–1912. Guattani 1784 [Guattani, Giuseppe Antonio:] Monumenti antichi inediti ovvero notizie sulle antichità e belle arti di Roma. Bd. 1, Rom 1784. Hackert 1785 [Hackert, Philipp:] Schreiben an einen Freund über ein in Rom verfertigets Gemählde des Hrn. Wilhelm Tischbein, Mahler S. D. des Herzogs von Gotha. In: Der Teutsche Merkur (1785), 1. Quartal, S. 229–251. Hackert 1800 Hackert, Philipp: Ueber den Gebrauch des Firnis in der Mahlerey. Ein Sendschreiben des berühmten Landschaftmahlers Philipp Hackert an den Ritter Hamilton, ehemaligen Grossbirtannischen Gesandten in Neapel. Aus dem Italiänischen frey übersetzt von F. L. R. Nebst fünf Anhängen. Dresden 1800. Hagedorn 1762 Hagedorn, Christian Ludwig v.: Betrachtungen über die Mahlerey. 2 Bde., Leipzig 1762.

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Bibliographie Hagedorn 1785/1786 Hagedorn, Christian Ludwig v.: Betrachtungen über die Mahlerey. 2 Bde., 2. Aufl., Leipzig 1785/1786. Hederich 1770/1967 Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770, Reprint: Darmstadt 1967. Heinse 2003 Heinse, Wilhelm: Aufzeichnungen 1768–1783. Texte. Hg. Markus Bernauer in Zusammenarbeit mit ­Antje Wittstock, Hans Bungarten, Dürten Hartmann u. a., München 2003 (Wilhelm Heinse: Die Aufzeichnungen Frankfurter Nachlass. Hg. v. Markus Bernauer, Adolf Heinrich Borbein, Thomas W. ­Gaehtgens, ­Volker Hunecke, Werner Keil, Norbert Müller, Bd. 1). Heinse 2005 Heinse, Wilhelm: Aufzeichnungen 1768–1783. Kommentar zu Band 1. Hg. Markus Bernauer in Zusammenarbeit mit Gisela Bungarten, Hans Bungarten, Martin Dönike u. a., München 2005 (Wilhelm ­Heinse: Die Aufzeichnungen Frankfurter Nachlass. Hg. v. Markus Bernauer, Adolf Heinrich Borbein, Thomas W. Gaehtgens, Volker Hunecke, Werner Keil, Norbert Müller, Bd. 3). Herder 1889 Herder, Johann Gottfried: Sämtliche Werke. Bd. 29: Poetische Werke, Hg. von Bernhard Suphan. Berlin 1889. Herder 1990 Herder, Johann Gottfried: Werke in zehn Bänden. Bd. 3: Volkslieder Übertragungen Dichtungen. Hg. von Ulrich Gaier. Frankfurt 1990. Heyne 1778/1779 Heyne, Chr. G.: Sammlung antiquarischer Aufsätze. 2 Tle., Leipzig 1778/1779. Hirt 1789 Hirt, Aloys: Über einige Freskogemälde, in einer Kapelle des vatikanischen Palastes, nebst einer vorläufigen Betrachtung über Giorgio Vasari, in: Italien und Deutschland in Rücksicht auf Sitten, Gebräuche, Literatur und Kunst 1. Stk (1789), S. 89–96, 2. Stk. (1789), S. 3–13. Hirt 1803 Hirt, Aloys: Ueber die Mahlerey bey den Alten. In: Sammlung der deutschen Abhandlungen, welche in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorgelesen worden in den Jahren 1798–1800. Berlin 1803, S. 209–230. Horner 1823 Horner, Johann Jakob (Hg.): Bilder des griechischen Alterthums oder Darstellung der berühmtesten Gegenden und der wichtigsten Kunstwerke des alten Griechenlandes. Zürich 1823. Huber/Rost 1796–1808 Huber, Michael/Rost, Carl Christian Heinrich: Handbuch für Kunstliebhaber und Sammler über die vornehmsten Kupferstecher und ihre Werke. 9 Bde. Zürich 1796–1808. Junker 1796 Junker, C. L.: Kunst-Nachrichten. In: Neue Miscellaneen artistischen Inhalts für Künstler und Kunstliebhaber 2 (1796), S. 175–207. Kant 1983 ­ eischedel, Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. In: Ders.: Werke in zehn Bänden. Hg. von Wilhelm W Bd. 8, Darmstadt 1983. Keller 1809 [Keller, Heinrich:] Kunst-Nachricht aus Rom. In: Jenaische Allgemeine Litteratur-Zeitung, Intelligenzblatt, 1809, Nr. 9 und Nr. 10, Sp. 65–76.

II.  Andere Quellen Kraus 1791/1931 Kraus, Marianne: Tagebuch einer Italienreise aus dem Jahre 1791. Herausgegeben und eingeleitet von Fritz Muthmann, in: Neue Heidelberger Jahrbücher 1931, S. 95–176. Kraus 1800 Kraus, Georg Melchior: Uebungen für Zeichenschüler als Fortsetzung des ABC des Zeichners. Weimar [1800]. Kraus 1803 Kraus, G. M.: A B C des Zeichners. 4. verm. Aufl., Weimar 1803. Lalande 1786 de la Lande, [Joseph Jérôme Lefrançais]: Voyage en Italie. 2. Aufl., 9 Bde., Paris 1786. Lavater 1775–1778 Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. 4 Bde., Leipzig, Winterthur 1775–1778, Reprint Leipzig 1968/1969. Leonardo/Ludwig 1882 Lionardo da Vinci: Das Buch von der Malerei. Nach dem Codex Vaticanus (Urbinas) 1270 hg., übs. und erläutert von Heinrich Ludwig. 3 Bde., Wien 1882. Lessing 1974 Lessing, Gotthold Ephraim: Werke. Hg. v. Herbert G. Göpfert. Bd. 6: Kunsttheoretische und kunsthistorische Schriften. München 1974. Lomazzo 1585 Lomazzo, Giovanni Paolo: Trattato Dell’Arte Della Pittura, Scoltura, Et Architettura. Mailand 1585. Magnan 1779 Magnan, Dominique: La città di Roma, ovvero Breve decrizione di questa superba città. 4 Bde., Rom 1779. van Mander 1916 Mander, Karel van: Das Lehrgedicht des Karel van Mander. Text, Übersetzung und Kommentar von ­Rudolf Hoecker. Haag 1916. Malvasia 1678 Malvasia, Carlo Cesare: Felsina Pittrice, vite de’ pittori bolognesi. 2 Bde., Bologna 1678. Malvasia/Summerscale 2000 [Malvasia, Carlo Cesare]/Summerscale, Anne: Malvasia’s Life of the Carracci. Commentary and Translation. Pennsylvania 2000. Mengs 1843/1844 Mengs, Anton Raphael: Sämmtliche hinterlassene Schriften. Hg. u. übs. v. G. Schilling, 2 Bde., Bonn 1843/1844. F. J. L. Meyer 1792 Friedrich Johann Lorenz Meyer: Darstellungen aus Italien. Berlin 1792 Misson 1743 Misson, Maximilien: Voyage d’Italie. 4 Bde., Amsterdam, Paris 1743. Montfaucon 1719 Montfaucon, Bernard de: L’Antiquité Expliquée et Representée en Figures. Tome Premier. Les Dieux des Grecs & des Romains. Paris 1719. Monti 1775 Monti, Giuseppe: Nuova descrizione di Roma antica e moderna e di tutti li piu’ nobili monumenti sagri e profani che sono in essa e nelle sue vicinanze. Rom 1775. Moritz 1993 Moritz, Karl Philipp: Werke. Hg. v. Horst Günter, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1993.

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II.  Andere Quellen Reynolds 1885 Reynolds, Joshua: The Literary Works of Sir Joshua Reynolds. 2 Bde., London 1885. Rodin/Gsell 1911 Rodin, Auguste: L’art. Entretiens réunis par Paul Gsell. Paris 1911. Schadow 1890 Schadow, Johann Gottfried: Aufsätze und Briefe. Stuttgart 1890. Schlegel 1995 Schlegel, Friedrich: Gemälde alter Meister. Hg. v. Hans Eichner u. Norma Lelless. Darmstadt 1995. Schorn 1828 Schorn, Ludwig: Der Aegineten-Saal in der Glyptothek in München. In: Kunstblatt 9 (1828), S. 309–311 (Nr. 78 v. 29.9.1828). Senefelder 1808 Senefelder, Aloys (Hg.): Musterbuch über alle lithographische Kunst Manieren welche die König­liche allein­privilegirte Steindruckerey von Aloys Seneflder Franz Gleihsner & Comp in München in ­solchen Arbeiten so die Kupferstecher- Formschneide- und Buchdrucker-Kunst nachahmen, zu liefern im ­Stande ist. München 1808. Strixner 1808 [Strixner, Johann Nepomuk (hg. Lithograph):] Albrecht Dürers Christlich-mythologische Handzeichnungen, München 1808. Sulzer 1792 Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der schönen Künste. 2. erweiterte Aufl., 3 Tle., Leipzig 1792. Thiersch 1829 Thiersch, Friedrich: Ueber die Epochen der bildenden Kunst unter den Griechen. 2., verb. Aufl., ­München 1829. Tischbein 1922 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Hg. v. Lothar Brieger. Berlin 1922. Titi 1763 Titi, Filippo: Descrizione delle pitture, sculture e architetture esposte al pubblico in Roma. 2. Aufl., Rom 1763. Unger 1779 Unger, Johann Georg [d. Ä.]: Fünf in Holz geschnittene Figuren, nach der Zeichnung J. W. Meil, wobey zugleich eine Untersuchung der Frage: Ob Albrecht Dürer jemals in Holz geschnitten? Berlin 1779. Unger 1798 Unger, Johann Friedrich [d. J.]: Ueber Holzschneidekunst. In: Jahrbücher der preußischen Monarchie, Oktober 1798, S. 171–177. Vasari 1962 Vasari, Giorgio: La Vita di Michelangelo nelle redazioni del 1550 e del 1568. 2 Bde., Hg. v. Paola ­Barocchi, Mailand, Neapel 1962. Vasari 2005a Vasari, Giorgio: Das Leben des Tizian. Hg. v. Christina Irlenbusch, Berlin 2005. Vasari 2005b Vasari, Giorgio: Das Leben des Andrea del Sarto. Hg. v. Sabine Feser, übs. v. Victoria Lorini, Berlin 2005 Vasari 2006 Vasari, Giorgio: Einführung in die Künste der Architektur, Bildhauerei und Malerei. Hg. v. Matteo ­Burioni, übs. v. Victoria Lorini, Berlin 2006.

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III. Briefwechsel SN 5.1: Ville e Palazzi di Roma. Antiken in den römischen Sammlungen. Text und Kommentar. Hg. v. Adolf H. Borbein, Thomas W. Gaehtgens, Johannes Irmscher und Max Kunze. Bearb. v. ­Sascha Kansteiner, Brigitte Kuhn-Forte und Max Kunze. Mainz 2002. SN 6.1: Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati, hg. v. Adolf H. Borbein/Max Kunze, Mainz 2013. SN 6.2: Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati. Kommentar. Hg. v. Adolf H. Borbein, Mainz 2015. Zuccaro 1607/1961 Federico Zuccaro: L’Idea de’pittori, scultori e architetti (Turin 1607). In: Ders.: Scritti d’Arte. Hg. v. ­Detlef Heikamp. Florenz 1961.

III.  Briefwechsel (Bw.) Bw. Böttiger/Meyer = Geiger 1902 Geiger, Ludwig: Briefwechsel zwischen Heinrich Meyer und K. A. Böttiger. Zur Würdigung Heinrich Meyers. In: Goethe-Jahrbuch 23 (1902), S. 72–96. Bw. Geßner/Geßner Salomon Geßners Briefwechsel mit seinem Sohne. Während dem Aufenthalte des Letztern in Dresden und Rom, in den Jahren 1784–85 und 1787–88. Bern, Zürich 1801 Bw. Goethe/Boisserée Boisserée, Sulpiz: Briefwechsel/Tagebücher. Bd. 2.: Briefwechsel mit Goethe. Stuttgart 1862, Reprint Göttingen 1970. Bw. Goethe/Cotta Goethe, Johann Wolfgang von/Cotta, Johann Friedrich: Briefwechsel 1797–1832. Textkritische und kommentierte Ausgabe in drei Bänden. Hg. v. Dorothea Kuhn, Bd. 1: Briefe 1797–1815, Stuttgart 1979. Bw. Goethe/Eichstädt Goethe, Johann Wolfgang von: „Die Actenstücke jener Tage sind in der größten Ordnung verwahrt …“ Goethe und die Gründung der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im Spiegel des Briefwechsels mit Heinrich Carl Abraham Eichstädt. Hg. v. Ulrike Bayer, Göttingen 2009 (Schriften der Goethe-Gesellschaft 70). Bw. Goethe/Meyer Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer. Hg. v. Max Hecker, 3 Bde. und ein Registerband, Weimar 1917, 1919, 1922, 1932 (= Schriften der Goethe-Gesellschaft 32, 34, 35/1, 35/2). Bw. Goethe/Rauch „Mit vieler Kunst und Anmuth.“ Goethes Briefwechsel mit dem Bildhauer Christian Daniel Rauch. Hg. v. Rolf H. Johannsen, Göttingen 2011 Bw. Goethe/Schultz Briefwechsel zwischen Goethe und Staatsrath Schultz. Hg. v. Heinrich Düntzer, Leipzig 1852. Bw. Goethe/Tieck = Maaz 1997 Maaz, Bernhard: Friedrich Tieck. Briefwechsel mit Goethe. Berlin 1997. Bw. Goethe/Voigt Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob Voigt. Hg. v. Hans Tümmler, 4 Bde., Weimar 1949, 1951, 1955, 1962 (Schriften der Goethe-Gesellschaft 53–56).

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IV. Forschungsliteratur Lutterotti 1985 Lutterotti, Otto R. von: Joseph Anton Koch 1768–1839. Leben und Werk mit einem vollständigen Werkverzeichnis. Wien, München 1985. Maaz 1995 Maaz, Bernhard: Christian Friedrich Tieck 1776–1851. Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung seines Bildnisschaffens, mit einem Werkverzeichnis. Berlin 1995. Maaz 1997 Maaz, Bernhard: Friedrich Tieck. Briefwechsel mit Goethe. Berlin 1997. Maaz 2010 Maaz, Bernhard: Skulptur in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg. 2 Bde., München 2010. Maaz 2013 Maaz, Bernhard: „Von einem rohen, unangenehmen Colorit“: Annibale Carraccis Genius des ­Ruhmes. Zu Ikonographie, Farbdiskurs, Kopie und Paraphrase im Kreise von Goethe und Johann Heinrich ­Meyer. In: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 65 (2011). S. 233–248. Macco/Delfini 1980 Macco, Michela di/Delfini, Gabriella (Bearb.): Inventari di Casa Albani (1790–1852). In: Il Cardinal Alessandro Albani e sua villa. Documenti (Quaderni sul Neoclassico 5). Rom 1980, S. 23–70. Maisak 2004 Maisak, Petra: Die Parzen: Mythos und ästhetische Form. Zur Rezeption in Weimar um 1800. In: Schmoll gen. Eisenwerth, J.A./Schmoll gen. Eisenwerth, Helga/Hillert, Regina Maria (Hg.): Mythen – Symbole – Metamorphosen in der Kunst seit 1800. Fs. f. Christa Lichtenstern, Berlin 2004, S. 69–88. Mancini/Penny 2016 Mancini, Giorgia/Penny, Nicholas: National Gallery Catalogues. The Sixteenth Century Italian Paintings. Bd. 3: Bologna and Ferrara. London 2016. Marchi 2016 Marchi, Andrea G. de: Collezione Doria Pamphilj. Catalogo generale die dipinti. Rom 2016. Marin 2003 Marin, Louis: Die Malerei zerstören. Aus dem Französischen von Bernhard Nessler, Berlin, Zürich 2003. Matthaei 1968 Matthaei, Rupprecht: Goethes Farbenkreis. Erlangen 1968. Maurer 1987 Maurer, Emil: Drei Köpfe – drei schweizerische Kunstgeschichten. Bemerkungen zu Johann Caspar Füssli, Jacob Burckhardt und Johann Rudolf Rahn. In: Unsere Kunstdenkmäler 38 (1987), S. 367–381. Meder 1923 Meder, Joseph: Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung. 2. Aufl., Wien 1923. Merz 1991 Merz, Jörg Martin: Pietro da Cortona. Der Aufstieg zum führenden Maler im barocken Rom. Tübingen 1991. Meyer-Ochsner 1852 [Meyer-Ochsner, J. H.:] Heinrich Meyer von Zürich, Herzogl. Weimarischer Hofrath und Direktor der Weimarischen Zeichenakadmie. In: Neujahrsblatt der Künstler-Gesellschaft in Zürich, NF 12 (1852). Meyer zur Capellen 2001 Meyer zur Capellen, Jürg: Raphael. A Critical Catalogue of His Paintings. Volume 1. The Beginnings in Umbria and Florence ca. 1500–1508. Landshut 2001. Mielsch 2001 Mielsch, Harald: Römische Wandmalerei. Darmstadt 2001.

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IV. Forschungsliteratur Nicolson 1958 Nicolson, Benedict: Hendrick Terbrugghen. Den Haag 1958. Oechslin 2002 Oechslin, Werner: Kunst, Patriotismus und „Frömmeley“: Johann Nepomuk Strixners lithographisches Werk, Sulpiz Boisserée und der ‚kühlere Kunstrichter‘ Goethe. In: Scholion 2 (2002), 93–121 Olsen 1962 Olsen, Harald: Federico Barocci. Koppenhagen 1962. Ost 1970 Ost, Hans: Ein Skizzenbuch Antonio Canovas 1796–1799. Tübingen 1970. Osterkamp 1991 Osterkamp, Ernst: Im Buchstabenbilde. Studien zum Verfahren Goethescher Bildbeschreibungen. Stuttgart 1991. Osterkamp 1994 Osterkamp, Ernst: „Aus dem Gesichtspunkt reiner Menschlichkeit“. Goethes Preisaufgaben für bildende Künstler 1799–1805. In: Ausst.-Kat. Frankfurt 1994, S. 310–322. Osterkamp 1995 Osterkamp, Ernst: Die Geburt der Romantik aus dem Geiste des Klassizismus. Goethe als Mentor der Maler seiner Zeit. In: Goethe-Jahrbuch 112 (1995), S. 135–148. Osterkamp 1998 Osterkamp, Ernst: Johann Joachim Winckelmanns Beschreibungen der Statuen im Belvedere in der ­Geschichte der Kunst des Altertums. Text und Kontext. In: Winner, Matthias/Andreae, Bernard/­ Pietrangeli, Carlo (Hg.): Il Cortile delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Akten des internationalen Kongresses zu Ehren von Richard Krautheimer. Mainz 1998, S. 443–458. Osterkamp 1999 Osterkamp, Ernst: „das erhebende Gefühl des Siegs einer großen schönen Sache über die Vorurteile“. In: Ausst.-Kat. Weimar 1999, Bd. 1, S. 449–458. Osterkamp 2003a Osterkamp, Ernst: Laokoon in Präromantik und Romantik. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 2003, S. 1–28. Osterkamp 2003b Osterkamp, Ernst: Manieristische Kunst in Goethes Sammlung. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 66 (2003), S. 502–523. Osterkamp 2007 Osterkamp, Ernst: Gewalt und Gestalt. Die Antike im Spätwerk Goethes (Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 19). Basel 2007. Oy-Marra/Bernstorff/Keazor 2014 Oy-Marra, Elisabeth/Bernstorff, Marieke von/Keazor, Henry (Hg.): Begrifflichkeit, Konzepte, Definitionen. Schreiben über Kunst und ihre Medien in Giovan Pietro Belloris Viten und der Kunstliteratur der Frühen Neuzeit. Wiesbaden 2014. Panofsky 1960 Panofsky, Erwin: Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie. Berlin 1960. Paoluzzo 2014 Paoluzzo, Maria Cristina: La collezione Colonna nell’allestimento settecentesco. La Galleria negli acquerelli di Salvatore Colonnelli Sciarra. Rom 2014. Patz 1986 Patz, Kristine: Zum Begriff der „Historia“ in L. B. Albertis De Pittura. In: Zeitschrift für Kunst­ geschichte 49 (1986), S. 269–287.

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IV. Forschungsliteratur Prosperi Valenti Rodinò 1993 Prosperi Valenti Rodinò, Simonetta: I disegni di casa Albani. In: Debenedetti, Elisa (Hg.): Alessandro ­Albani patrono delle arti. Architettura, pittura e collezionismo nella Roma del ’700. Rom 1993, S. 15–69. Puttfarken 1985 Puttfarken, Thomas: Roger de Piles’ Theory of Art. New Haven, London 1985. Rau 2003 Rau, Petra: Friedrich Wilhelm Doell (1750–1816). Leben und Werk. Cluj-Napoca 2003. Rees 2007 Rees, Joachim: Die Kultur des Amateurs. Studien zu Leben und Werk von Anne Claude Philippe de ­Thubières, Comte de Caylus (1692–1765). Weimar 2007. Rehfus-Dechêne 1982 Rehfus-Dechêne, Birgit: Farbengebung und Farbenlehre in der deutschen Malerei um 1800. München 1982. Rehm 2009 Rehm, Robin: Bild und Erfahrung. Goethes chromatisches Farbenspiel der Beiträge zur Optik von 1791. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 72 (2009), S. 497–518. Reid 1993 Reid, Jane Davidson: The Oxford Guide to Classical Mythology in the Arts, 1300–1990s. 2 Bde., New York, Oxford 1993. Rheinberger 1992 Rheinberger, Hans-Jörg: Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Marburg 1992. Richter 2004 Richter, Karl: „… fand ich den glücklichen Rückweg zur Kunst durch die physiologischen Farben …“ Naturwissenschaft und Kunst in Goethes Farbenlehre. In: Schmoll gen. Eisenwerth, J.A./Schmoll gen. Eisenwerth, Helga/Hillert, Regina Maria (Hg.): Mythen – Symbole – Metamorphosen in der Kunst seit 1800. Fs. f. Christa Lichtenstern, Berlin 2004, S. 119–132. Robert/Vollhardt 2013 Robert, Jörg/Vollhardt, Friedrich (Hg.): Unordentliche Collectanea: Gotthold Ephraim Lessings ­Laokoon zwischen antiquarischer Gelehrsamkeit und ästhetischer Theoriebildung. Berlin, Boston 2013. Rößler 2011a Rößler, Johannes: Art. Über die Gegenstände der bildenden Kunst, in: Beyer/Osterkamp 2011, S. 343– 351. Rößler 2011b Rößler, Johannes: Art. Winckelmann und sein Jahrhundert (1805), in: Beyer/Osterkamp 2011, S. 385– 394. Rößler 2012 Rößler, Johannes: Konkurrenz der Stile. Alexander Trippel als Gegner Antonio Canovas und Johann Gottfried Schadows. In: Das achtzehnte Jahrhundert 36 (2012), S. 224–237. Rößler 2013a Rößler, Johannes: Annäherung in der Entfremdung. Caspar David Friedrich und die Weimarischen Kunstfreunde in neuen Quellen. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 2013, S. 250–307. Rößler 2013b Rößler, Johannes: Gebändigte Gegenwart. Johann Heinrich Meyer als Beiträger für Ueber Kunst und Alter­thum. In: Rosenbaum/Rößler/Tausch 2013, S. 275–299.

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IV. Forschungsliteratur Rombach/Seiler 2012 Rombach, Ursual/Seiler, Peter (Hg.): Imitatio als Transformation. Theorie und Praxis der Antikennachahmung in der frühen Neuzeit. Petersberg 2012. Rosenbaum 2013 Rosenbaum, Alexander: „Geendigte Nachahmung“. Meyer als Zeichenlehrer und Pädagoge. In: Rosenbaum/Rößler/Tausch 2013, S. 227–253 Rosenbaum 2014 Rosenbaum, Alexander: Johann Heinrich Meyers Gemälde Der Genius des Ruhms. Klassizistische Norm und zeithistorischer Apell. In: Valk, Thorsten (Hg.): Heikle Balancen. Die Weimarer Klassik im Prozess der Moderne. Göttingen 2014, S. 47–68. Rosenbaum 2015 Rosenbaum, Alexander: Widerstrebende Gegenstände. Johann Heinrich Meyers Entwurf zu Oedipus löst das Rätsel der Sphinx. In: Maier, Albert/Valk, Thorsten (Hg.): Konstellationen der Künste um 1800. Reflexionen Transformationen Kombinationen. Göttingen 2015, S. 147–175. Rosenbaum 2016 Rosenbaum, Alexander: Tanz ohne Apoll – Der Musenfries im Festsaal des Schießhauses. In: Beyer, Jürgen/­ Reinisch, Ulrich /Wegner, Reinhard (Hg.): Das Schießhaus zu Weimar. Ein unbeachtetes Meisterwerk von Heinrich Gentz. Weimar 2016, S. 109–124. Rosenbaum/Rößler/Tausch 2013 Rosenbaum, Alexander/Rößler, Johannes/Tausch, Harald (Hg.): Johann Heinrich Meyer – Kunst und Wissen im klassischen Weimar. Göttingen 2013. Rosenberg 1995 Rosenberg, Raphael: Von der Ekphrasis zur wissenschaftlichen Bildbeschreibung. Vasari, Agucchi, ­Félibien, Burckhardt. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 58 (1995), S. 297–318. Rosenberg/Prat 2002 Rosenberg, Pierre/Prat, Louis-Antoine (Hg.): Jacques-Louis David 1748–1825. Catalogue raisonné des dessins. 2 Bde., Mailand 2002. Rosenblum 1967 Rosenblum, Robert: Transformations in Late Eighteenth Century Art. Princeton, New Jersey 1967. Rosenblum 1976 Rosenblum, Robert: The International Style of 1800. A Study in Linear Abstraction. New York, ­London 1976. Rotili 2010 Rotili, Valeria: La fortuna delle copie in gesso nella bottega di Alexander Trippel e il ruolo dei formatori. In: Mazzarelli, Carla (Hg.): La copia. Dipartimento di studi storico-artistici, archeologici e sulla conservazione. San Casciano 2010, S. 313–335. Rümelin 2001 Rümelin, Christian: Stichtheorie und Graphikverständnis im 18. Jahrhundert. In: artibus et historiae 44 (2001), S. 187–200. Ruppert 1958 Ruppert, Hans: Goethes Bibliothek. Katalog. Weimar 1958. Safarik 1981 Safarik, Eduard A. (Hg.): Catalogo sommario della Galleria Colonna in Roma. Dipinti. Rom, Busto ­Arsizio 1981. Safarik 1996 Safarik, Eduard A.: Collezione dei dipinti Colonna. Inventari 1611–1795. München u. a. 1996.

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IV. Forschungsliteratur Schmidt 1995 Schmidt, Gerhard: Pre-Eyckian-realism. Versuch einer Abgrenzung. In: Smeyers, Maurits/Cardon, Bert (Hg.): Flanders in a European perspective. Leuven 1995, S. 747–769. Schnackenburg 2003 Schnackenburg, Sophie: „Studium“ und „inspiratio“. Godfried Schalckens Gemälde Kunstbetrachtung bei Lampenlicht (um 1680/85) im Spannungsfeld ikonographischer Tradition und zeitgenössischer Kunsttheorie. In: Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst 54 (2003), S. 183–217. Schneemann 1994 Schneemann, Peter Johannes: Geschichte als Vorbild. Die Modelle der französischen Historienmalerei 1747–1789. Berlin 1994. Schneider 1998 Schneider, Sabine M.: Die schwierige Sprache des Schönen. Moritz’ und Schillers Semiotik der Sinnlichkeit. Würzburg 1998. Schneider 2011 Schneider, Sabine: „ein strenger Umriß“ – Prägnanz als Leitidee von Goethes Formdenken im Kontext der Weimarer Kunsttheorie. In: Goethe-Jahrbuch 128 (2011), S. 98–106. Schneider 2016 Schneider, Sabine: Reiz, Schminke, Leben. Farbdebatten im Weimarer Klassizismus. In: Dönike/MüllerTamm/Steinle 2016, S. 43–71. Schneider/Keller 2013 Schneider, Sabine/Keller, Claudia: Die Kunst in der Kultur. Die Auseinandersetzung der Weimarischen Kunstfreunde mit einem problematischen Verhältnis. In: Rosenbaum/Rößler/Tausch 2013, S. 141–156. Schoch/Mende/Scherbaum 2001–2004 Schoch, Rainer/Matthias Mende/Scherbaum, Anna (Hg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. 3 Bde., München, London u. a. 2001–2004 Schönwälder 1995 Schönwälder, Jürgen: Ideal und Charakter. Untersuchungen zu Kunsttheorie und Kunstwissenschaft um 1800. München 1995. Scholl 2013 Scholl, Christian: Wahre Erben? Autonomieästhetik und Kunstpublizistik nach Johann Heinrich Meyer. In: Rosenbaum/Rößler/Tausch 2013, S. 325–346. Schrader 2006 Schrader, Monika: Laokoon – „eine vollkommene Regel der Kunst“. Ästhetische Theorien der Heuristik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hildesheim 2005 Schreiter 2014 Schreiter, Charlotte: Antike um jeden Preis. Gipsabgüsse und Kopien antiker Plastik am Ende des 18. Jahrhunderts. Berlin, Boston 2014. Schuchardt 1848/1849 Schuchardt, Christian: Goethe’s Kunstsammlungen. 3 Bde., Jena 1848/1849. Schudt 1959 Schudt, Ludwig: Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert. Wien, München 1959. Schwahn 1987 Schwahn, Wolfgang: Braune Tinten – Lavierungstechniken. Vergleichende Untersuchungen an Bister und Sepia. In: Maltechnik. Restauro 93 (1987), Heft 3, S. 24–31. Schwarz 1999 Schwarz, Andreas: Die Lehren von der Farbenharmonie. Göttingen, Zürich 1999.

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IV. Forschungsliteratur Strauss 1972 Strauss, Ernst: Koloritgeschichtliche Untersuchungen zur Malerei seit Giotto. München 1972. Striehl 1998 Striehl, Georg: Der Zeichner Christoph Heinrich Kniep (1755–1825). Landschaftsauffassung und Antikenrezeption. Hildesheim, Zürich, New York 1998. Strittmatter 1998 Strittmatter, Anette: Das „Gemäldekopieren“ in der deutschen Malerei zwischen 1780 und 1860. ­Münster 1998. Strunck 2007 Strunck, Christina: Berninis unbekanntes Meisterwerk. Die Galleria Colonna in Rom und die Kunst­ patronage des römischen Uradels. München 2007. Strunck 2010 Strunck, Christina: A Statistical Approach to Changes in the Design and Function of Galleries (with a summary catalogue of 173 galleries in Rome and its environs, 1500–1800). In: Strunck/Kieven 2010, S. 221–260. Strunck/Kieven 2010 Strunck, Christina/Kieven, Elisabeth (Hg.): Europäische Galeriebauten. Galleries in a Comparative ­European Perspective (1400–1899). Akten des Internationalen Symposions der Bibliotheca Hertziana. München 2010. Suhr 1991 Norbert Suhr: Philipp Veit (1793–1877). Leben und Werk eines Nazareners. Monographie und Werkverzeichnis. Weinheim 1991. Tattersfield 2011 Tattersfield, Nigel: Thomas Bewick. The Complete Illustrative Work. 3 Bde., London, New Castle 2011. Tausch 2000 Tausch, Harald: Entfernung der Antike. Carl Ludwig Fernow im Kontext der Kunsttheorie um 1800. ­Tübingen 2000 Tausch 2017 Tausch, Harald: „Der Vorzug der antiken Welt.“ Die Weimarer Ausgabe der Werke Winckelmanns. In: Bomski/Seemann/Valk 2017, S. 93–115. Thimann 2010a Thimann, Michael: Charakter und Talent. Schicks Leben als idealistische Musterbiographie. Ein Nachwort. In: Platner, Ernst Zacharias: Über Schicks Laufbahn und Charakter als Künstler. Hg. v. Michael Thimann. Heidelberg 2010, S. 101–144. Thimann 2010b ­ hristian Thimann, Michael: Nachahmung der Natur um 1800. Zur Krise einer europäischen Idee bei C Gottlieb Schick. In: Jansen, Isabelle/Kitschen, Friederike (Hg.): Dialog und Differenzen 1789–1870 Deutsch-französische Kunstbeziehungen. Les relations artistiques franco-allemandes. München 2010, S. 259–281. Thimann 2013 Thimann, Michael: Eine antiklassizistische Programmschrift aus Rom: Johann David Passavants Ansichten über die bildenden Künste und Darstellung des Ganges derselben in Toscana (1820). In: Rosenbaum/ Rößler/Tausch 2013, S. 301–324. Thürlemann 2012 Thürlemann, Felix: Vom Einzelbild zum hyperimage. In: Blum u. a. 2012, S. 23–44.

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Register

Agresti, Livio  188, 395 Albani, Alessandro, Kardinal  83, 116, 118 Albani, Francesco  122–125, 198, 339, 341–343, 347 Albani, Giovanni Francesco, Kardinal  94, 117 Alberti, Leon Battista  234, 257 f. Aldobrandini, Pietro, Kardinal  128 Alexander der Große  339 Alfonso I. d’Este, Herzog von Ferrara  128 Algarotti, Francesco  236 Allston, Washington  215 Altdorfer, Albrecht  325 Altenstein, Karl Freiherr vom Stein zum  219, 256, 273 Anderson, John  270 Andreani, Andrea  273 Angelico, Fra (Fra Giovanni da Fiesole)  136, 314 Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar-­ Eisenach  11, 14 f.¸18, Abb. 4 Arens, Johann August  297 Ariosto, Ludovico  28, 217 d’Arpino, Cavaliere siehe Giuseppe Cesari Baglione, Giovanni  102 Bandinelli, Baccio  45, Abb. 8 Barberini, Antonio, Francesco und Taddeo  181 Bardua, Caroline  11 Barocci, Federico  117, 147, 262, 360, 366, 368 Bartolommeo, Fra  186, 395 Bassano, Jacopo (da Ponte)  131 f., 134, 159 f., 345, 355 f., 365, 369, 391, 393 Batoni, Pompeo  122, 214, 270 Baumgarten, Alexander Gottlieb  54 Baxandall, Michael  257 Beccafumi, Domenico  273 Bellini, Giovanni  128 f., 131, 133–135, 138 f., 150, 198, 314, 321, 332, 352, 354, 357, 369, 372–377, Tfn. VII/1, VIII/2

Bellori, Giovan Pietro  100, 102, 231 Benjamin, Walter  233 Berchem, Claes Pietersz.  349 Bernini, Gianlorenzo  122, 230, 285–289, 407, vgl. Abb. 51 Berthier, Louis-Alexandre  94 Bertram, Johann Baptist  36, 233, 303 Bertuch, Friedrich Justin  274 Bewick, Thomas  270, 274–279, Abb. 46 Bicci, Lorenzo di  142 Bles, Herri met de, gen. Civetta  132, 364, 369 Boccaccio, Giovanni  217 Böttiger, Karl August  12, 18, 22, 26, 29, 50, 95, 167, 191, 193, 202, 206, 274 Bodmer, Johann Jakob  19, 249 Boisserée, Melchior  36, 211, 233, 303–330, 334 Boisserée, Sulpiz  36, 211, 233, 303–330, 334 Borghese, Giovanni Battista, Fürst  133 Borgia, Cesare  368 Both, Jan  272 Bouchardon, Edmé  289, Abb. 52 Bouts, Dieric  313, 330, Tf. XXXII Braschi-Onesti, Romoaldo, Kardinal  94 Breitinger, Johann Jakob  19 Brescia, Moretto da  357 Bronzino, Agnolo  132, 188, 361, 395 Brun, Friederike  28 Buffalmacco, Buonamico  27 Burke, Thomas  245 Bury, Friedrich  21, 54, 63, 69, 71, 74, 136 f., 248, 314, 321, Abb. 18 Calcar, Jan Stephan van  340 Campin, Robert (Meister von Flémalle)  308 Camuccini, Pietro  133 Canova, Antonio  17, 49, 64, 247, 303, 314

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Register Caravaggio, Michelangelo Merisi da  102 f., 118, 131 f., 134, 230, 260, 354, 360 Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-­WeimarEisenach 11 Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach  295 Caroselli, Angelo  346 Carpi, Ugo da  256, 273 Carracci, Agostino  101, 132, 261 Carracci, Annibale  14, 102, 122, 124, 133, 164, 353, 365, 378–383, Tf. XI Carracci, Ludovico  258 Carracci, Malerfamilie  101 f., 118, 231, 261, 270, 367, 395 Carstens, Asmus Jakob  17, 27, 57, 176, 244–247, 251 Casanova, Giacomo Girolamo  169 Casanova, Giovanni Battista  169 f. (Abb. 39) Castello, Bernardo  339 Caucig, Franz  73, Abb. 19 Cellini, Benvenuto  217 Cennini, Cennino  257 Cerquozzi, Michelangelo  342 Cesari, Giuseppe, gen. Cavaliere d’Arpino  118, 360, 379–383 Chodowiecki, Nikolaus Daniel  244 Christen, Joseph Maria  27, 43 Cimabue  149, 306 Clemens XI., Papst (Giovanni Francesco Albani)  116 Cornelius, Peter (von)  28, 325 Correggio (Antonio Allegri)  147, 150 f., 167, 184, 258, 261, 270, 322 f., 347, 362, 394 f., 376 Cortona, Pietro da (Pietro Berrettini)  151, 155, 167, 179 f., 183, 186–188, 192, 194, 198, 217, 219, 231, 260 f., 333, 382, 395, 399, 407, Tfn. XVI, XVII Cotta, Johann Friedrich  243 Cranach, Lukas, d. Ä.  18 f., 149 Creuzer, Friedrich  16 Dannecker, Johann Heinrich  64, 243, 246 Dante Alighieri  28, 217 David, Jacques-Louis  161, 197, 215, 251 Day, Alexander  342, 355 f., 360 Dillis , Georg von  314 Doell, Friedrich Wilhelm  296

Dolce, Ludovico  150, 333 Domenichino (Domenico Zampieri)  101 f., 116– 121,134, 270, 273, 353, 355, 367, Abb. 32–34 Donatello 286 Dorigny, Nicolas  101, 121, Abb. 34 Dossi, Dosso  134 Dou, Gerrit  45, 183 Dughet, Gaspar (auch: Gaspard Poussin)  272, 342, 348–351 du Quesnoy, François  285, 288 f., 301, vgl. Abb. 52 Dürer, Albrecht  108, 110, 149, 276 f., 305, 312, 323, 325, 357, 368, 370, 389, Abb. 46 Dyck, Antonis van  191, 259 Eichstädt, Heinrich Carl Abraham  12 Empoli, Jacopo da  183 Erdmannsdorff, Friedrich Wilhelm von  270 Ernst II., Herzog von Sachsen-Gotha  247 Ersch, Johann Samuel  229 Eschenbach, Wolfram von  306 Escher, Hans Kaspar  25 d’Este, Lucrezia  128 Eyck, Hubert van  307, 312 Eyck, Jan van  149, 305, 307 f., 312, 318–321 Facius, Angelica  11 Fasolo, Bernardino  63 Félibien, André  134 Fernow, Carl Ludwig  57, 64, 95, 244, 251, 267 Flaxman, John  28, 279, 323, 335 Freidhoff, Johann Joseph  271 Freudweiler, Heinrich  25, Abb. 7 Friedrich, Caspar David  199, 255 Führich, Joseph  28 Füßli, Heinrich (Mitglied der Künstlergesellschaft Zürich) 25 Füßli, Johann Caspar  19 f., 157, 268, Abb. 6 Füßli, Johann Heinrich (Fusely)  19, 25, 27, 243 Füßli, Johann Rudolf  293 Gaddi, Taddeo  144 Garofalo, Il (Benvenuto Tisi)  134, 260, 355, 362 Gentz, Heinrich  233, 291 f., 296–302, 334, Abb. 57–­58 George III., König von England  117 Gesner, Conrad  277 Geßner, Konrad  25, 58, 63, 158

Register Geßner, Salomon  19 Ghiberti, Lorenzo  28 Gilly, Friedrich  191 Gilpin, William  268 Giordano, Luca  230, 407 Giorgione  134, 345, 357, 365 f., 368 Giotto di Bondone  35, 141, 148 f., 187, 230, 306, 333, 407, Abb. 37 Gmelin, Wilhelm Friedrich  270 Goethe, Johann Wolfgang (von)  passim – Schriften: Ältere Gemälde  160 Beiträge zur Optik  153, 171, 176, 188 Campagne in Frankreich 1792  166 Der Sammler und die Seinigen  209 Einige allgemeine chromatische Sätze  153, 166 Farbenlehre (Zur Farbenlehre)  15, 18, 22, 32, 35, 92 f., 111, 147–209, 219, 232, 264, 267, 301, 312 f., 326, 333 Italienische Reise  15, 43, 47, 58, 63, 65, 94, 247 Neu-deutsche religios-patriotische Kunst siehe unter Meyer, Schriften Philipp Hackert  15 Philostrats Gemälde  211 Über die Flaxmannischen Werke  279 Über Kunst und Alterthum an Rhein- und Mayngegenden  304, 308 Über Laokoon  30, 104 Über Polygnots Gemälde  305 Von den farbigen Schatten  166 Winckelmann und sein Jahrhundert  15, 232 (siehe auch unter Meyer, Entwurf einer Kunstgeschichte) Zur Farbenlehre siehe Farbenlehre Gombrich, Ernst  24 Greco, El (Domenikos Theotokópulos)  132, 365 Guarini, Giovanni Battista  217 Guercino (Giovanni Francesco Barbieri)  31, 99– 102, 107, 124, 159, 163, 230, 260 f., 344–346, 407 Hackert, Jakob Philipp  15, 158–160, 270 Hadrian, römischer Kaiser  87 Hagedorn, Christian Ludwig von  147, 150, 238, 257 Hamilton, Emma, Lady  14 f. Hamilton, Gavin  123

Hartmann, Ferdinand  231 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  185, 219, 303 Heinitz, Friedrich Anton Freiherr von  67 Heinse, Wilhelm  97, 118 Herder, Johann Gottfried (von)  22, 26, 168, 172, 175 Hess, Ludwig  25 Hetsch, Philipp Friedrich  215, 243, 246 f., 250–255, Tf. XXVII Hirt, Aloys  136, 190, 314 Holbein, Hans, d. J.  123, 149, 340 Homer  70, 248, 250, 349, 351 Horaz (Quintus Horatius Flaccus)  242 Horner, Johann Jakob  12 f., 17, 24–29, 63, 73, 95 f., 98, 104, 212, 297, 334 Horner, Kaspar  26 Horny, Conrad  168 Horny, Franz Theobald  11 Hufeland, Christoph Wilhelm  168, 174, 176 Humboldt, Caroline von  28, 215 Humboldt, Wilhelm von  28, 215, 217, 296 Iwanowitsch, Feodor gen. Kalmück  28 Jacobi, Friedrich Heinrich  167 f Jagemann, Ferdinand  11, 126 John, Johann August  221 Kalkar, Jan Stephan von  340 Kalmück (Feodor Iwanowitsch)  28 Kant, Immanuel  17, 109, 242 Kauffmann, Angelika  21, 158, 245–248 Keller, Heinrich  25, 27–29, 74, 95 f., 98, 133, 177, 212 f., 217 Keller von Mohrenkopf, Hans Kaspar  27 Kleist, Ewald von  19 Klopstock, Friedrich Gottlieb  19 Kniep, Christoph Heinrich  21, 54, 63, 158 Koch, Joseph Anton  17, 28, 215, 245, 256 Kölla, Heinrich  58, 63, 158, 192 Kölla, Johann(es)  19 f., 25, Abb. 5 Kohlrausch, Heinrich  256 Koppenfels, Johann Friedrich (Kobe) von  12 Kranewitter, Joseph  241 Kraus, Georg Melchior  76 Kraus, Marianne  63

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Register Lalande, Joseph Jérôme Lefrançais de  96 f. Landolt, Salomon  25 Lanfranco, Giovanni  261, 350 Lavater, Johann Caspar  19, 249 Le Brun, Charles  200 f. Leonardo da Vinci  131, 133, 147, 258, 277, 284, 315, 322, 352, 360, 362, 371 Leopold Friedrich Franz, Fürst von Anhalt-Dessau  270 Lessing, Gotthold Ephraim  41, 70, 106, 237 f. Leybold, J. F.  246 Liebermann, Max  207 Ligozzi, Jacopo  132, 358 Lips, Johann Heinrich  13 f., 18, 21, 25, 54, 63, 136, Abb. 2 Lochner, Stefan  306–312, 316 f., 334, Tf. XXVIII Lorrain, Claude  272, 342 f., 348 Ludwig I., König von Bayern  48, 65, 303 Luini, Bernardino  329, vgl. Abb. 63 Luti, Benedetto  122 f., 125, 339 Maestri, Michelangelo  220 Mannlich, Johann Christian von  325 Mantegna, Andrea  97, 108–111, 128–139, 260, 314, 352, 356 f., 360, 367, 378–383, Tfn. VIII/1, X Maratta, Carlo  96, 102, 116, 230, 382, 407 Maria Pawlowna, Großherzogin von SachsenWeimar-­Eisenach  11, 316 Masaccio  29, 135, 314 f., 321 Massys, Quentin  322 Maximilian I., Kaiser (HRR)  325 Mazza, Damiano  122, 341 f Mazzolino, Ludovico  131 f., 358 f., 361–363, 369 f. Meister der heiligen Veronika  307, Tf. XXIX Meister des Bartholomäus-Altars  326 Meister des Heisterbacher Altars  309–311, 317– 320, 326, 334, Abb. 61/62 Meister von Flémalle (Robert Campin)  308 Melone, Altobello  368 Memling, Hans  313, 315, 321, 330 Mengs, Anton Raphael  9 f., 19, 42, 58, 99, 147 f., 150–152, 158, 161–163, 180, 214, 219, 257 f., 261, 263, 267, 333, 391 f. Meusel, Johann Georg  241 Meyer, Amalie, geb. von Koppenfels  12 Meyer, Friedrich Johann Lorenz  63

Meyer, Johann Heinrich (1755–1829), Zeichner und Kupferstecher in Zürich  25 Meyer, Johann Heinrich (1760–1832)  passim – Schriften und Dokumente im Anhang: Aus Briefen eines Kunstfreundes  316, 319 [Beschreibung des Palazzo Colonna]  96, 122, 339–351 (Dok. 1) [Beschreibung der Villa Aldobrandini, 1790]  98, 128 f., 138 f., 352 f. (Dok. 2,) [Beschreibung der Villa Aldobrandini, 1796]  129 f., 137, 354–371 (Dok. 3,) Beyträge zur Geschichte der neuern bildenden Kunst  93, 129, 134, 136 Chalkographische Gesellschaft zu Dessau  270 f. Die Aldobrandinische Hochzeit von Seiten der Kunst betrachtet  18, 29, 193, 263 Die capitolinische Venus  30, 51 f. Einige Bemerkungen über die Gruppe Laokoons  104 Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts  15, 17, 161, 211, 232 Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und Römern  16, 18, 92, 283, 290, 302 Geschichte der Kunst  16, 92, 101, 148, 261, 314 f. Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst  15, 32, 35, 92, 111 f., 149–151, 184, 186–189, 212, 218, 232, 261, 314 f., 332 Hackerts Kunstcharakter und Würdigung seiner Werke  16 Hypothetische Geschichte des Kolorits  15, 149, 166, 190, 193, 203, 205, 209 Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst  26, 87, 89 Mantua im Jahre 1795  93 Masaccio  29, 314 Nachricht an Künstler und Preisaufgabe  249 Neu-deutsche religios-patriotische Kunst  18, 23, 28, 136, 222, 232, 315, 321, 329 Neue Unterhaltungen über Gegenstände  251 f. Neue Unterhaltungen über verschiedene Gegenstände der Kunst  90, 235 Neujahrsprogramm Jenaische Allgemeine Literatur Zeitung  161, 235, 251 f., 266 Niobe mit ihren Kindern  30

Register Propyläen siehe Einzelbeiträge Raabe’s Copien Heculanischer Gemälde  221– 224, 226, 398–404 (Dok. 9) Rafaels Werke besonders im Vatikan  29 f., 188, 264, 269 [Rezensionen zu lithographischen Werken]  321–330 [Tabellarische Beschreibungen, 1795/6]  112, 129, 133, 135, 372–377 (Dok. 4), 378–383 (Dok. 5), 384–390 (Dok. 6) [Textfragment zur Malpraxis]  158–164, 177, 391–393 (Dok. 7) Über das Betrachten der Statue bey der Fackel  16, 47–54 Über den Hochschnitt  270, 273–279 Über den Raub der Cassandra  18, 29 Über die Altar-Gemälde von Lucas Cranach in der Stadt-Kirche zu Weimar  18 Über die Beurtheilung von Kunstwerken  229, 231, 405–409 (Dok. 10) Über die Farbenlehre (Schema)  167–169, 185, 188, 394–397 (Dok. 8) Über die Gegenstände der bildenden Kunst  17, 35, 90, 104 f., 107, 122, 126 f., 200, 234–254, 265, 333 Über Etrurische Monumente  93 Über Handzeichnungen  57 Über Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste  24, 56, 280, 290, 294 Weimarische Kunstausstellung vom Jahre 1803  297 Winckelmann-Ausgabe, Kommentar  86 Winckelmann und sein Jahrhundert siehe ­Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts Zwey Italiänische Landschaften von ­Gmelin  270 – künstlerische Werke, Kopien, Nachzeichnungen: Aldobrandinische Hochzeit (Aquarellkopie)  14, 18, 35, 135, 147, 155, 178, 185, 191–194, 206–209, 213, 231, 333, Tf. XIX Aldobrandinische Hochzeit (Ölkopie)  18, 155, 158, 194, 206–209, Tf. XX, XI/1 Anna Amalia (Porträt)  14 f., Abb. 4 Aphrodite von Arles (Nachzeichnung)  76 f., Abb. 22

Apollo von Belvedere (Nachzeichnung)  77–80, Abb. 23 Bernini, Statue der hl. Bibiana (Nachzeichnung)  288, Abb. 51 diverse Antiken (Nachzeichnung)  82, Abb. 25 Entdeckung des Erichthonios  167–172, 177, 396, Tf. XII Genius des Ruhms (Kopie nach Annibale Carracci) 14 Glaube, Liebe, Hoffnung  167 f., 172, 177, 396, Tf. XIV Goethe, Johann Wolfgang von (Porträt)  14, Tf. II/2 Hamilton, Emma (Porträt)  14 f., Abb. 3 Herkules im Trauerhause Admets  210, 231, Tf. XXII Iris  13, 169 Juno Ludovisi (Nachzeichnung)  62, Abb. 14 Medusa Rondanini (Nachzeichnung)  64, 70–72, Tf. V Melpomene und die Poesie  167, 174, 396 Musensarkophag (Nachzeichnung)  281–284, Abb. 48 Niobide (Nachzeichnung)  80, Abb. 24 Odysseus verbirgt die Ehrengeschenke der Phäaken  27, 157, Tf. III/1 Odysseus vor Nausikaa  13, Abb. 1 Ödipus löst das Rätsel der Sphinx  13, 25, 246, Tf. III/2 Omphalos Apollo (Nachzeichnung)  83 f., Abb. 26 Parzen  167 f., 174–177, 396, Tf. XV Raffael, Gottvater befiehlt Noah den Bau der Arche (Nachzeichnung)  264, Abb. 45 Raub der Töchter des Leukippos  167 f., 172 f., 177, 396, Tf. XIII Relief auf Cippus, achaistisch (Nachzeichnung)  86, Abb. 27 Selbstporträts  14, 157, Tfn. I/1, I/2, II/1 Sokrates, Typus B (Nachzeichnung)  64, Abb. 16 Sterbender Gallier (Nachzeichnung)  54, Abb. 11 Tischbein, Paris-Kopf (Nachzeichnung)  248 Zeichnungen nach Antiken  56–91 Zeus von Otricoli (Nachzeichnung)  62, Abb. 13 Zyklus des menschlichen Lebens  13, 295

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Register Meyer, Nikolaus  157 Michelangelo Buonarroti  35, 109, 112–114, 138, 188, 217, 220, 285 f., 323, 332, 384–390, Abb. 30 Misson, Maximilien  97, 192 Montfaucon, Bernard de  192 Morghen, Filippo  224 f., Abb. 43 Morghen, Raphael  113 Moritz, Karl Philipp  17, 42–45, 53 f., 68–72, 104, 122, 181 f. Moro, Battista del  370 Müller, Friedrich (Maler Müller)  17, 244 Müller, Karl Otfried  16 Murillo, Bartolomé Estéban  151 Napoleon Bonaparte  94, 117, 280 Newton, Isaac  169 f., 172 Nikias  290, 294 Oesterreich, Matthias  56 Orsi, Lelio  376 Ortolano (Giovanni Battista Benvenuti)  364 Ostade, Adriaen van  165 f. Ottley, William Young  117, 136 Overbeck, Friedrich  28 Parmigianino (Girolamo Francesco Maria Mazzola)  124, 131 f., 264, 272, 274, 344, 353, 359, 367 Penni, Giovanni Francesco (Il Fattore)  369 Penter, William  49, Abb. 10 Perrault, Charles  199 Perugino, Pietro  117, 321 Peruzzi, Baldassare  132, 148, 358 Pesne, Antoine  59, Tf. IV/1 Petrarca, Francesco  217 Phidias  66, 86, 90, 253 Piles, Roger de  111, 148, 150, 178, 201, 280, 284 f., 333 Platner, Ernst  212 Plinius d. Ä.  190, 290, 294 Pontormo, Jacopo  365 Pordenone, Giovanni Antonio da  22 Poussin, Gaspard siehe Dughet Poussin, Nicolas  108, 192–197, 207, 270 f., 346, 407 Pozzi, Rocco  224 f., Abb. 42 Pozzo, Cassiano dal  56, 116, 281 Praxiteles  74, 77, 290 f., 294, 301 f. Preller, Friedrich, d. Ä.  11

Primaticcio 353 Raabe, Carl Joseph  35, 193, 219–226, 333, 398–404 Racknitz, Joseph Friedrich Freiherr von  241 Raffael von Urbino (Raffaelo Santi)  29 f., 97 f., 103, 117, 122, 124–126, 137, 149, 163, 173, 187 f., 217, 220, 222, 253 f., 261, 264, 309, 314, 321, 340 f., 366, 369, vgl. Abb. 45 Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius Freiherr von  50, 97, 135, 182, 192, 199–201, 209, 239–241 Rauch, Christian Daniel  220, 297 Régnier, Nicolas  102 Reiffenstein, Johann Friedrich  21 Reinhart, Johann Christian  17, 245, 256 Rembrandt Harmesz. van Rijn  150, 230, 258, 406 f. Reni, Guido  101, 123, 147, 198, 260 f., 343–346, 349 f. Reynolds, Joshua  242 Richardson, Jonathan  192 Rodin, Auguste  53 Romano, Giulio  118, 120 f., 132, 356, 358, 363, 366 Roos, Philipp Peter, gen. Rosa da Tivoli  132, 361 Rosa, Salvatore  106 f., 346 Rubens, Peter Paul  150 f., 169, 191, 260, 406 Ruisdael, Jacob van  272 Ruscheweyh, Ferdinand  325 Sansovino, Andrea  285 f. Sarto, Andrea del  111, 113 f., 132, 184, 186, 332, 347, 350, 353, 356, 364 f., 368, 384–390, Abb. 31 Sassoferrato (Giovanni Battista Salvi)  350, 395 Schadow, Johann Gottfried  64, 74, 176, 281, 283, Abb. 20/47 Schalcken, Gottfried  45 Schedoni, Bartolomeo  132, 258, 361 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph  185, 303 Schick, Gottlieb  28, 35, 212–217, 334, Tf. XXIII Schiller, Friedrich (von)  14, 22, 105, 223 Schinkel, Karl Friedrich  219 f. Schlegel, August Wilhelm  185 Schlegel, Friedrich  181, 218, 222, 304, 306 f., 312, 320 Schlosser, Johann Friedrich Heinrich  304 Schlüter, Andreas  67 Schmarsow, August  335 Schnorr von Carolsfeld, Julius  28

Register Schongauer, Martin (Martin Schön)  325 Schopenhauer, Johanna  22 Schorn, Ludwig  48, 318 Schultz, Christoph Ludwig Friedrich (Staatsrat)  62, 193, 219 f., 223, 256, 398 Schulze, Johannes  29 Sciarra, Salvatore Colonnelli  122 Scorel, Jan van  321 Seidler, Louise  222 Senefelder, Aloys  325, 328 Séroux d‘Agincourt, Jean Baptiste Louis Georges  136, 309 Seydelmann, Creszentius Josephus Johannes  58–64, 75 f., Abb. 12–14, 21, Tf. IV/2 Slevogt, Max  207 Sogliani, Giovanantonio di Francesco  369 Solger, Karl Wilhelm  185 Solimena, Francisco  230, 407 Stapfer, Philipp Albert  24 Strauss, Ernst  147 Strixner, Johann Nepomuk  36, 324–329, 334, Tfn. XXXI, XXXII Sulzer, Johann Georg  238 Swanevelt, Herman  272 Sweerts, Michael  45, Abb. 9 Tasso, Torquato  28, 217 Terborch, Jan  45 Ternite, Friedrich Wilhelm  205 Thiersch, Friedrich  16 Thorvaldsen, Bertel  28, 49, 215, 314 Thouret, Nikolaus Friedrich  295 Tieck, Christian Friedrich  24, 36, 220, 233, 291, 296–302, 334, Abb. 53–58, 60 Tieck, Ludwig  305 Tintoretto, Jacopo  123 f., 126, 160, 186, 340, 345, 350, 353, 360 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm  14, 20, 54, 63, 158 f., 162, 164, 244, 247 f., 250, 255, 321, 392 f, Tf. XXVI Titi, Filippo  97, 192 Tizian (Tiziano Vecellio)  108–111, 122–125, 128–135, 139, 143, 147, 150 f., 163 f., 184, 186, 198, 217, 219, 261, 315, 332, 340–342, 345, 349 f., 352 f., 354–356, 361 f., 367 f., 372–377, 393, Tf. VII/2 Trevisani, Francesco  106

Trippel, Alexander  20, 27, 43, 58, 63 f., 67 f., 71 f., 246 f., 285 Unger, Johann Friedrich  274, 276 f. Unger, Johann Georg  276 Unterberger, Cristoforo  219 Urban VIII., Papst (Maffeo Barberini)  181 f. Usteri, Martin  25 Vaga, Perino del  132, 137 f., 353, 356, Tf. XIX Vasari, Giorgio  27, 56, 112 f., 133–134, 136, 142, 149, 188, 256, 299, 306, 395 Vasi, Mariano  130 Veit, Philipp  28, 222, Tf. XXIV Velázquez, Diego Rodríguez de Silva  151 Veneziano, Agostino  45, Abb. 8 Veronese, Bonifazio  340 Veronese, Paolo  160, 186, 258, 261, 263, 344, 395 Vien, Joseph  169¸248 Visconti, Ennio Quirino  130, 132 Visconti, Giambattista  281 Vogel, Ludwig  28 Volkmann, Johann Jakob  93, 97–99, 123, 182, 192, 268 Wackenroder, Wilhelm Heinrich  10, 305 Wagner, Johann Martin  28 Wallis, George Augustus  215 Werff, Adriaan van der  117 Werner, Joseph  27 Weyden, Rogier van der  307, 312, 327, Tfn. XXX, XXXI Wieland, Christoph Martin  22, 168 Winckelmann, Johann Joachim  9 f., 15–17, 19, 21, 29, 41–44, 51, 53 f., 56, 58, 64, 72, 82–89, 92, 96 f., 105, 116 f., 140 f., 169 f., 193, 196, 213, 223, 229, 231 f., 237 f., 284 f., 290 f., 301, 331 f. Wölfflin, Heinrich  148, 291, 335 Wolgemut, Michael  149 Wright of Derby, Joseph  47, Abb. 10 Wüst, Heinrich  25, 27 Zanetti, Antonio Maria  273, Abb. 44 Ziegler, Caspar  25 Zix, Benjamin  280 Zuccaro, Federico  57, 188, 191, 395 Zuccaro, Taddeo  188, 395

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Bildnachweis

Abb. 1, 3, 4, 11, 16, 18, 22–27, 45, 48, 60, Tf. I/2, V, XIV, XV, XXII: © Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen. – Abb. 2, 5, 7, 12: © Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung. – Abb. 6, Tfn. III/1, III/2: © Kunsthaus Zürich, Gemäldesammlung. – Abb. 8, 34, 44: © British Museum, London. – Abb. 9: Galleria Nazionale d’Arte Antica, Rom. – Abb. 10: © Rijksmuseum, Amsterdam. – Abb. 13, 14, 47, 53–56 (R. Dreßler), Tfn. II/1, II/2, XII, XIII, XX, XXI/1, XXVI: ©  Klassik Stiftung Weimar, Museen. – Abb. 15: Konservatorenpalast, Rom (Bildzitat: Cornelis Bol (Hg.): Die Geschichte der Antiken Bildhauerkunst. Bd. 2: Klassische Plastik. Mainz 2004, Abb. 395). – Abb. 17: © Glyptothek München. – Abb. 19: Akademie der bildenden Künste Wien (Bildzitat aus: Ksenija Rozman, Ulrike Müller-Kaspar: Franz Caucig. Ein Wiener Künstler der Goethe-Zeit in Italien. Ausst.-Kat Wien und Stendal. Ruhpolding 2004, S. 75). – Abb. 20, 49: © Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung. – Abb. 21, Tf. IV/2: © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Dirk Gedlich. – Abb. 28, 35, 39, 42, 43: Archäologisches Zentrum Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Fotos: Verfasser). – Abb. 29, 36, 38, 40, 41, 51, 59, Tf. XXI/3: © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv. – Abb. 30, Tf. VIII/2: © Uffizien, Florenz (bpk/­Scala). – Abb.  31: ©  Santissima Annunziata, Florenz (bpk/Alinari). – Abb. 32: Windsor Castle, ©  ­Royal Collection. – Abb. 33: Windsor Castle, Royal Collection (Bildzitat: Richard E. Spear: Domenichino. Bd.  2, New Haven, London 1982, Abb. 321). – Abb. 37: Santa Croce, Florenz. – Abb. 46, 63: Staatsbibliothek zu Berlin. – Abb.  50: ©  Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek. – Abb. 52: ©  Musée du ­Louvre, Cabinet des dessins, Paris. – Abb. 57, 58: Klassik Stiftung Weimar, Museen (Fotos: Verfasser). – Abb. 61, 62, Tf. XXIX, Tf. XXX: © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München. – Tf. IV/1: © Gemäldegalerie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden. – Tf. VI: © Verfasser, Stephan Kemperdick. – Tf. VIII/1: © ­Pinacoteca di ­Brera, Mailand. – Tf. I/1: Zentralbibliothek Zürich, © Graphische Sammlung. – Tf. VII/1: ­Courtesy National Gallery of Art, Washington. – Tf. VII/2, XI: © National Gallery, London. – Tf. IX: © Musée ­Condé, Chantilly. – Tf. X: © Metropolitan Museum of Art, New York. – Tf. XVI: © Pinacoteca Capitolina, Rom. – Tf. XVII: © Palazzo Barberini, Rom. – Tf. XVIII: © Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom. – Tf. XXI/2: Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom (Foto: Verfasser). – Tf. XXIII: © Staatsgalerie Stuttgart. – Tf. XXIV: © Alte Nationalgalerie, Berlin. – Tf. XXV: © Museo Archeologico Nazionale, Neapel. – Tf. XXVII: © Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. – Tf. XXVIII: © Dom, Köln. – Tf. XXXI, XXXII: Kunstbibliothek Berlin (Foto: Verfasser)

Farbtafeln

Tafel I/1__Johann Heinrich ­Meyer: ­Selbstporträt, ca. 1782–1784, Pinsel in Grau, Feder in Schwarz und Bleistift, 14,2 × 11,5 cm, Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung, Inv.-Nr.: Meyer, Heinrich b) I,3,Pp A4.

Tafel I/2__Johann Heinrich Meyer: ­Selbstporträt (?), ­Fragment, ca. 1782–1784, Öl auf Lw., 23,6 × 20 cm, Klassik Stiftung ­Weimar, Museen, KK 2358.

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Tafel II/1__Johann Heinrich Meyer: ­Selbstporträt, um 1810, schwarze und ­ weiße Kreide, grau laviert und gewischt, 52,5 × 40,2 cm, Klassik Stiftung Weimar, ­Museen, KHz/02098.

Tafel II/2__Johann Heinrich Meyer: ­Johann Wolfgang von Goethe, 1794, Aquarell über Bleistift, 114,5 × 80 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KHz/02152.

Farbtafeln

Tafel III/1__Johann Heinrich Meyer: Odysseus verbirgt auf Geheiß der ­Athene die ­Ehrengeschenke der Phäaken, Öl auf Holz, 90  ×  70  cm, bez. links unten: „Stäfa. im Aug. 1791.“, Kunsthaus Zürich, Kellersche Sammlung, 1854, Inv-Nr. 204.

Tafel III/2__Johann Heinrich Meyer: Ödipus löst das Rätsel der Sphinx, 1790, Aquarell und Deckfarben über Bleistift, 93 × 75 cm, Kunsthaus Zürich, Inv.-Nr. 37.

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Tafel IV/1__Antoine Pesne: Das Mädchen mit den Tauben, 1728, Lw., 76 × 61 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Dresden, Gal.-Nr. 773.

Tafel IV/2__Creszentius Josephus ­Johannes ­Seydelmann: Das Mädchen mit den Tauben (nach Antoine Pesne), Sepiazeichnung, 41,8 × 32,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-­Kabinett Dresden, C 7104. Foto: Dirk Gedlich.

Farbtafeln

Tafel V__Johann Heinrich Meyer: ­Nachzeichnung der Medusa Rondanini, damals im Palazzo ­Rondanini, Rom, Feder in Braun laviert mit weißer Kreide, 26,1 × 19,1 cm, eigh. Bez. rechts unten: „Die Meduse im Pall. Rondinini 1786.“, Klassik Stiftung Weimar, Museen, ­Inv.-Nr.: Gr–2005/830. 69. 

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Tafel VI__Schematische Rekonstruktion des Verfassers: Ostwand in der Sala dell’Apoteosi di San Martino V. (­Stanza dei Quadri) im Palazzo Colonna, Rom. Nach Sammlungskatalog von 1783 und Meyers Beschreibung 1796 (Quellenanhang, Dok. 1). Kat. 17831 Nr. 116

Nr. 117 Nr. 118 Nr. 119 Nr. 120 Nr. 121 Nr. 122 Nr. 123 Nr. 124 Nr. 125

Werk

Meyer (1796), Dok. 1, fol. 1412 Tizian (Werkstatt): Nr. 1; „An der Wand den Fenstern vorüber Venus und Adonis. […] in der Ecke oben“; „die ­anstößigen Theile mit Drapperie bedeckt“ zwei kleine Porträts, „Orbens Svizzero“, k.A. d.i. Hans Holbein d. J. Zwei Ovale von Guido Reni, k.A. mit Hl. Magdalena und Hieronymus Francesco Albani, Raub der ­Europa Nr. 2. Damiano Mazza: Raub des Nr. 3: Ganymed „so ­unglücklich mit ­Ganymed (damals Tizian ­zugeschr.) Drapp: bedeckt ­worden wie die Venus“ Guercino: Schutzengel mit k.A. ­menschlicher Seele Tintoretto, Porträt eines Mannes k.A. am Spinett Raffael, Madonna Colonna Nr. 4: „Unter der ­Europa v. Albano“ Annibale Carracci, Bohnenesser Parmigianino zugeschr.: ­Auferweckung des Lazarus (­eigentl. Francesco Salviati)

k.A. k.A.

      1 Safarik 1996, S. 629–684.      2  Nr. in der Beschreibungsabfolge der Wand und charakteristische Angaben.

Heutiger Standort National Gallery London Unbekannt Unbekannt Palazzo Colonna National Gallery ­London Palazzo Colonna Palazzo Colonna Gemäldegalerie Berlin Palazzo Colonna Palazzo Colonna

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Tafel VII/1__Giovanni Bellini: Götterfest, 1514, Überarbeitungen Tizians 1529, Öl auf Lw., 170,2  ×  188  cm, National Gallery of Art, ­Washington, ­Widener Collection.

Tafel VII/2__Tizian: Bacchus und Ariadne, 1522–23, Öl auf Lw., 175 × 190 cm, London, National Gallery.

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Tafel VIII/1__Andrea Mantegna: Toter Christus, 68 × 81 cm, Tempera auf Lw., Mailand, Pinacoteca di Brera.

Tafel VIII/2__Giovanni Bellini: Beweinung Christi, um 1495, 74 × 118 cm, Öl auf Holz, Florenz, Uffizien.

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Tafel IX__Perino del Vaga: Heilige Familie, um 1530–1540, Öl auf Lw., 110 × 90 cm, Chantilly, Musée Condé.

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Tafel X__Andrea Mantegna: Die Anbetung der Hirten, Tempera auf Lw., 37,8 × 53,3 cm, New York, ­Metropolitan Museum of Art.

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Tafel XI__Annibale Carracci (vor 1560–1609): Bacchus und Silen, um 1599, Tempera auf Holz, 35,4 × 84,2 cm, ­London, National Gallery.

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Tafel XII__Johann Heinrich Meyer: Die Entdeckung des Erichthonios, um 1793/1794, Öl auf Lw., 55 × 72 cm, stark beschädigt, Klassik Stiftung Weimar, Museen, G 786.

Farbtafeln

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Tafel XIII__Johann Heinrich Meyer: Der Raub der Töchter des Leukippos, 1791/92, Öl auf Lw., 50,5 × 63 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, G 1956.

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Farbtafeln

Tafel XIV__Johann Heinrich Meyer: Glaube, Liebe, Hoffnung, ca. 1794, Feder, aquarelliert, 45,6 × 64 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 1954.

Farbtafeln

Tafel XV__Johann Heinrich Meyer: Die Parzen, ca. 1794, Graphit, Feder in Braun, aquarelliert, 66,7 × 57,3 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, GHz Sch.I.277. 0459. 

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Farbtafeln

Tafel XVI__Pietro da Cortona: Raub der Sabinerinnen, ca. 1626–1631, Öl auf Lw., 280,5 × 426 cm, Rom, Pinacoteca Capitolina.

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Tafel XVII__Pietro da Cortona: Der Triumph der göttlichen Vorsehung (Allegorie auf das Pontifikat ­Urbans VIII.), 1633–1639, Deckenfresko, Rom, Palazzo Barberini, Salone Barberini.

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Tafel XVIII__Aldobrandinische Hochzeit, zwischen 30 vor und 30 nach Chr., Fresko, 92 × 242 cm, Rom, Vatikanische Museen (Bibliothek).

Tafel XIX__Johann Heinrich Meyer: Kopie nach der Aldobrandinischen Hochzeit, 1796, Aquarell und Kreiden auf Büttenpapier, 102,5 × 235 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen (Goethe-Wohnhaus), GHz/Sch.I.334,0054.

Tafel XX__Johann Heinrich Meyer: Kopie der Aldobrandinischen Hochzeit, 1808/1809, Öl auf Lw., 115 × 251 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, G 760.

Farbtafeln

Tafel XXI/1__Johann Heinrich Meyer: Detail aus der Kopie in Öl der Aldobrandinischen Hochzeit, vgl. vorhergehende Abbildung.

Tafel XXI/3__Johann Heinrich Meyer: Muster nach dem Streifen unter der Aldobrandinischen Hochzeit, 1796, Aquarell, 6,8 × 2 cm, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 28/1045, fol. 113 r.

Tafel XXI/2__Aldobrandinische Hochzeit (­Detail), zwischen 30 vor und 30 nach Chr., Rom, ­Vatikanische Museen (Bibliothek).

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Tafel XXII__Johann Heinrich Meyer: Herkules im Trauerhaus Admets, 1829, Aquarell, Feder in Grau, ­Graphitspuren. Mit gezeichneter Umrandung mit Feder in Grau, Bütten, 18,8 × 52,3 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, KK 2426.

Farbtafeln

Tafel XXIII__Gottlieb Schick: Apoll unter den Hirten, 1806–1808, Öl auf Lw., 178,5 × 232 cm, Stuttgart, ­Staatsgalerie.

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Tafel XXIV__Philipp Veit: Die Religion, 1818/1819, Öl auf Lw., 194,5 × 127 cm, Berlin, Alte Nationalgalerie.

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Tafel XXV__Tänzerinnen aus der sog. Villa des Cicero in Pompeji, 1. Jh. n. Chr., Höhe: ca. 18 cm, Neapel, ­Museo Archeologico Nazionale, Inv.-Nr.: 9295.

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Tafel XXVI__Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Hektor wirft Paris seine Weichlichkeit vor und mahnt ihn, in den Kampf zu ziehen, 1786, Öl auf Lw., 294,7 × 363,2 cm, Klassik Stiftung Weimar, Museen.

Farbtafeln

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Tafel XXVII__Philipp Friedrich Hetsch: Der Tod des Konsuls Papirius, verkleinerte Replik nach einem verschollenen, um 1786/87 in Rom entstandenen Gemälde, um 1795, Öl auf Lw., 105 × 162 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg.

Tafel XXVIII__Stefan Lochner: Altar der Stadtpatrone, sogenanntes Dombild, um 1445, Tempera auf Holz, 260 × 285 cm (Mitteltafel), ca. 260 × 142 cm (­linker und rechter Flügel), Köln, Dom.

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Tafel XXIX__Meister der Heiligen Veronika: Veronika mit dem Schweißtuch, um 1425, Tempera auf Holz, 78 × 48 cm, München, Alte Pinakothek.

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Tafel XXX__Rogier van der Weyden: Dreikönigsaltar aus St. Columba, um 1455/60, Öl auf Holz, 139,5 × 152,9 cm (Mitteltafel), 139,4 × 72,9 cm (linker Flügel), 139,2 × 72,5 cm (rechter Flügel), München, Alte Pinakothek.

494 Farbtafeln

Farbtafeln

Tafel XXXI__Johann Nepomuk Strixner nach Rogier van der Weyden: Die Darbringung im Tempel (rechter ­Flügel des Columba-Altars), 1822, Kreide­lithographie mit Tondruck, 55,9 × 29,4 cm. Aus: Die Sammlung Alt-Nieder- und Ober-Deutscher Gemälde der Brüder Boisseree und ­Johann Bertram, lithographirt von Johann Nepomuk ­Strixner. mit Nachrichten über die Alt-deutschen Maler von den Besitzern. Stuttgart 1821[–1834], 5. Lieferung.

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Tafel XXXII__Johann Nepomuk Strixner nach ­Dieric Bouts (damals Hans Memling/„­Hemling“ zugeschr.): Heiliger ­Christophorus (Perle von ­Brabant), 1821, Kreide­lithographie mit Tondruck. Aus: Die Sammlung Alt-Nieder- und Ober-­ Deutscher Gemälde der Brüder ­B oisseree und ­Johann ­Bertram, lithographirt von Johann ­Nepomuk Strixner. mit Nachrichten über die ­Alt-deutschen Maler von den Besitzern. Stuttgart 1821[–1834], 3. Lieferung.