Maria von Nazareth und die Bedeutung familiärer Beziehungen im Markusevangelium 978-3-525-53086-3

Verschiedene Lösungsstrategien, die den biblischen Text mit dem Dogma in Übereinstimmung zu bringen versuchen, durchzieh

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Maria von Nazareth und die Bedeutung familiärer Beziehungen im Markusevangelium
 978-3-525-53086-3

Table of contents :
Teil 1: Einleitung
1. Vorbemerkungen............................................................................... 13
2. Forschungsgeschichtliche Einordnung ............................................. 15
3. Vorgehensweise ................................................................................ 25
Teil 2: Textanalysen
1. Familie in Konfliktsituationen .......................................................... 31
1.1 Berufung der ersten Jünger (1,16–20).................................... 31
1.1.1 Kontext und Struktur.............................................. 31
1.1.2 Redaktionskritik..................................................... 34
1.1.3 Ergebnis ................................................................. 36
1.2 Neubestimmung der Familie Jesu (3,20f.31–35)................... 38
1.2.1 Kontext und Struktur.............................................. 39
1.2.2 Redaktionskritik..................................................... 41
1.2.3 Jesus und seine Familie in Mk 3............................ 44
1.2.4 Ergebnis ................................................................. 49
1.2.5 Exkurs: Wann erfolgt die familiäre
Trennung Jesu? ...................................................... 50
1.3 Jesu Scheitern in Nazareth (6,1–6) ........................................ 57
1.3.1 Kontext und Struktur.............................................. 58
1.3.2 Redaktionskritik..................................................... 61
1.3.3 Jesus und seine Familie in Mk 6............................ 65
1.3.4 Zwischenbilanz: Jesus und seine Familie .............. 66
1.4 Lohn der Nachfolge (10,28–31)............................................. 68
1.4.1 Kontext und Struktur.............................................. 69
1.4.2 Redaktionskritik..................................................... 71
1.4.3 Familie und Nachfolge in Mk 10,29f..................... 72
1.4.4 Ergebnis ................................................................. 74
8 Inhalt
1.5 Endzeitliche familiäre Zerwürfnisse (13,12) ......................... 75
1.5.1 Kontext und Struktur.............................................. 75
1.5.2 Redaktionskritik..................................................... 76
1.5.3 Ergebnis ................................................................. 76
1.6 Frauen im markinischen Passionsbericht (15,40f.47; 16,1)... 77
1.6.1 Kontext und Struktur.............................................. 78
1.6.2 Redaktionskritik..................................................... 80
1.6.3 Ergebnis ................................................................. 86
2. Familie vor ethischen Fragen............................................................ 89
2.1 Viertes Gebot und Korban-Regel (7,9–13)............................ 89
2.1.1 Kontext und Struktur.............................................. 89
2.1.2 Redaktionskritik..................................................... 92
2.1.3 Familie in Mk 7...................................................... 93
2.2 Ehescheidungs- und Wiederheiratsverbot (10,2–12.19)........ 96
2.2.1 Kontext und Struktur.............................................. 97
2.2.2 Redaktionskritik..................................................... 98
2.2.3 Familie in Mk 10,1–12........................................... 104
2.3 Ergebnis: Familienkonflikte und Familienethik .................... 106
2.4 Exkurs: Mk 10,11f und das ägyptische Scheidungsrecht....... 108
3. Familie in eschatologischer Perspektive........................................... 112
3.1 Leviratsehe und Auferstehung (12,18–27)............................. 112
3.1.1 Kontext und Struktur.............................................. 113
3.1.2 Redaktionskritik..................................................... 115
3.1.3 Familie in Mk 12,25............................................... 115
3.1.4 Ergebnis ................................................................. 116
Teil 3: Themenschwerpunkte
1. Die leibliche Familie Jesu ................................................................. 119
1.1 Familienleben in Galiläa ........................................................ 119
1.1.1 Architektonische und soziale Gesichtspunkte ....... 121
1.1.2 Verwandtschaft, Ehe und Autoritätsstrukturen...... 124
1.1.3 Religiöse Gesichtspunkte....................................... 130
1.1.4 Konsequenzen für das Textverständnis ................. 131
1.2 Die Heimat Jesu ..................................................................... 134
1.3 Die Geschwister ..................................................................... 136
1.4 Die Eltern ............................................................................... 143
1.5 Der Beruf................................................................................ 146
1.6 Die Bezeichnung »Sohn Marias« (6,3) .................................. 147
2. Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion............. 150
2.1 Untersuchung der Gegenargumente....................................... 150
2.2 Maria von Nazareth bei Kreuz und Grab ............................... 159
2.2.1 Identifikation der Brüderpaare............................... 159
2.2.2 Die markinische Leerstelle –
Beobachtung zur Erzähltechnik ............................. 160
2.2.3 Maria, die Mutter des Jakobus, Joses und Jesu...... 162
2.3 Ergebnis.................................................................................. 165
3. Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen .......... 166
3.1 Familie in der paganen Welt – Konflikte für Christen .......... 166
3.2 Das Motiv der Subordination verwandtschaftlicher
Bindungen .............................................................................. 171
3.2.1 Alttestamentliche und zwischentestamentarische
Literatur.................................................................. 172
3.2.2 Philo von Alexandria ............................................. 176
3.2.3 Josephus ................................................................. 180
3.2.4 Essener ................................................................... 183
3.2.5 Kyniker .................................................................. 185
3.2.6 Stoiker .................................................................... 190
3.2.7 Zusammenfassung.................................................. 192
3.3 Zeitgeschichtliche Hintergründe ............................................ 193
3.4 Gotteskinder, Schwestern, Brüder –
Die familia-dei-Metaphorik ................................................... 197
3.5 Der markinische Gebrauch von

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch, Matthias Köckert, Christopher Tuckett und Steven McKenzie

Band 223

Vandenhoeck & Ruprecht

Torsten Reiprich

Maria von Nazareth und die Bedeutung familiärer Beziehungen im Markusevangelium

Vandenhoeck & Ruprecht

Meinen Eltern, Silvia und Werner

Mit einer Grafik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-53086-3

© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: b Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Vorwort

Denn sie hofften noch ein ganzes Spiel und vielleicht den kommenden Elia. Aber hinten ferne schrie Maria, und er selber brüllte und verfiel.

Was Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht »Kreuzigung« so selbstverständlich Mt 27,26–56 entnimmt – die Anwesenheit Maria von Nazareths beim Kreuz Jesu –, war dem Evangelisten vermutlich nicht bewusst, als er die mk Vorlage in sein Evangelium überführte. Und doch liegt der Dichter hier nicht falsch, wie sich in der vorliegenden Untersuchung zeigen wird. Diese Arbeit wurde im Oktober 2006 von der Theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung erfolgte eine leichte Überarbeitung. Zu Dank verpflichtet bin ich an erster Stelle meinem geschätzten »Doktorvater« Prof. Dr. Christfried Böttrich. Seine sorgfältige und inspirierende Betreuung, die auch thematische und methodische Freiräume zuließ, war grundlegend für die Entstehung dieser Arbeit. Zudem bot mir die Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl den finanziellen Rückhalt. Dem Zweitgutachter, Prof. Dr. Jens Herzer, danke ich herzlich für sein umsichtiges Gutachten und die partielle Begleitung des Entstehungsprozesses meiner Arbeit. Teile dieser Untersuchung konnten in der Greifswalder neutestamentlichen Societät sowie im gesamten Kollegium der Greifswalder Theologischen Fakultät diskutiert werden. Die kritischen Rückfragen waren sachlich weiterführend, hilfreich und stets ermutigend. Auch dafür herzlichen Dank! Für die Mühen des Korrekturlesens möchte ich mich herzlich bei Frau Sabine Prokopiev, Frau Beate Wieckowski, meiner Frau Eva Reiprich sowie Herrn Pfr. Thomas Slesazeck bedanken. Frau Andrea Kolbe danke ich für die wiederholte bibliothekarische Unterstützung und Frau Prof. Dr. E. Elizabeth Johnson für die Möglichkeit der Einsichtnahme in eine unveröffentlichte Arbeit. Herrn Christoph Spill vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht sei für die profunde Betreuung der Drucklegung gedankt. Nicht zuletzt gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Dietrich-Alex Koch und Herrn Prof. Dr. Christopher M. Tuckett für die Aufnahme dieser Arbeit in

6

Vorwort

die von ihnen von neutestamentlicher Seite herausgegebene Reihe »Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments«. Den größten Dank schließlich schulde ich meiner Familie, meinen Eltern und Schwiegereltern, die die Entstehung dieser Arbeit durch vielfältige Unterstützung, ihr Interesse und Vertrauen mitgetragen haben. Großpösna, im Oktober 2007

Torsten Reiprich

Inhalt

Teil 1: Einleitung 1. Vorbemerkungen...............................................................................

13

2. Forschungsgeschichtliche Einordnung .............................................

15

3. Vorgehensweise ................................................................................

25

Teil 2: Textanalysen 1. Familie in Konfliktsituationen ..........................................................

31

1.1

Berufung der ersten Jünger (1,16–20).................................... 1.1.1 Kontext und Struktur.............................................. 1.1.2 Redaktionskritik..................................................... 1.1.3 Ergebnis .................................................................

31 31 34 36

1.2

Neubestimmung der Familie Jesu (3,20f.31–35)................... 1.2.1 Kontext und Struktur.............................................. 1.2.2 Redaktionskritik..................................................... 1.2.3 Jesus und seine Familie in Mk 3 ............................ 1.2.4 Ergebnis ................................................................. 1.2.5 Exkurs: Wann erfolgt die familiäre Trennung Jesu? ......................................................

38 39 41 44 49

1.3

Jesu Scheitern in Nazareth (6,1–6) ........................................ 1.3.1 Kontext und Struktur.............................................. 1.3.2 Redaktionskritik..................................................... 1.3.3 Jesus und seine Familie in Mk 6 ............................ 1.3.4 Zwischenbilanz: Jesus und seine Familie ..............

57 58 61 65 66

1.4

Lohn der Nachfolge (10,28–31)............................................. 1.4.1 Kontext und Struktur.............................................. 1.4.2 Redaktionskritik..................................................... 1.4.3 Familie und Nachfolge in Mk 10,29f..................... 1.4.4 Ergebnis .................................................................

68 69 71 72 74

50

8

Inhalt

1.5

Endzeitliche familiäre Zerwürfnisse (13,12) ......................... 1.5.1 Kontext und Struktur.............................................. 1.5.2 Redaktionskritik..................................................... 1.5.3 Ergebnis .................................................................

75 75 76 76

1.6

Frauen im markinischen Passionsbericht (15,40f.47; 16,1)... 1.6.1 Kontext und Struktur.............................................. 1.6.2 Redaktionskritik..................................................... 1.6.3 Ergebnis .................................................................

77 78 80 86

2. Familie vor ethischen Fragen............................................................

89

2.1

Viertes Gebot und Korban-Regel (7,9–13) ............................ 2.1.1 Kontext und Struktur.............................................. 2.1.2 Redaktionskritik..................................................... 2.1.3 Familie in Mk 7......................................................

89 89 92 93

2.2

Ehescheidungs- und Wiederheiratsverbot (10,2–12.19) ........ 96 2.2.1 Kontext und Struktur.............................................. 97 2.2.2 Redaktionskritik..................................................... 98 2.2.3 Familie in Mk 10,1–12........................................... 104

2.3

Ergebnis: Familienkonflikte und Familienethik .................... 106

2.4

Exkurs: Mk 10,11f und das ägyptische Scheidungsrecht....... 108

3. Familie in eschatologischer Perspektive ........................................... 112 3.1

Leviratsehe und Auferstehung (12,18–27)............................. 3.1.1 Kontext und Struktur.............................................. 3.1.2 Redaktionskritik..................................................... 3.1.3 Familie in Mk 12,25............................................... 3.1.4 Ergebnis .................................................................

112 113 115 115 116

Teil 3: Themenschwerpunkte 1. Die leibliche Familie Jesu ................................................................. 119 1.1

Familienleben in Galiläa ........................................................ 1.1.1 Architektonische und soziale Gesichtspunkte ....... 1.1.2 Verwandtschaft, Ehe und Autoritätsstrukturen...... 1.1.3 Religiöse Gesichtspunkte....................................... 1.1.4 Konsequenzen für das Textverständnis .................

119 121 124 130 131

1.2

Die Heimat Jesu ..................................................................... 134

1.3

Die Geschwister ..................................................................... 136

Inhalt

9

1.4

Die Eltern ............................................................................... 143

1.5

Der Beruf................................................................................ 146

1.6

Die Bezeichnung »Sohn Marias« (6,3) .................................. 147

2. Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion............. 150 2.1

Untersuchung der Gegenargumente....................................... 150

2.2

Maria von Nazareth bei Kreuz und Grab ............................... 2.2.1 Identifikation der Brüderpaare............................... 2.2.2 Die markinische Leerstelle – Beobachtung zur Erzähltechnik ............................. 2.2.3 Maria, die Mutter des Jakobus, Joses und Jesu......

2.3

159 159 160 162

Ergebnis.................................................................................. 165

3. Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen .......... 166 3.1

Familie in der paganen Welt – Konflikte für Christen .......... 166

3.2

Das Motiv der Subordination verwandtschaftlicher Bindungen .............................................................................. 3.2.1 Alttestamentliche und zwischentestamentarische Literatur.................................................................. 3.2.2 Philo von Alexandria ............................................. 3.2.3 Josephus ................................................................. 3.2.4 Essener ................................................................... 3.2.5 Kyniker .................................................................. 3.2.6 Stoiker .................................................................... 3.2.7 Zusammenfassung..................................................

171 172 176 180 183 185 190 192

3.3

Zeitgeschichtliche Hintergründe ............................................ 193

3.4

Gotteskinder, Schwestern, Brüder – Die familia-dei-Metaphorik ................................................... 197

3.5

Der markinische Gebrauch von ƳʋƯƳƵ/ƳʅƯ˄Ʀ......................... 199

3.6

Familie in Nachfolge und Ekklesiologie................................ 3.6.1 Gruppierungen in der markinischen Nachfolge..... 3.6.2 Familie und Nachfolge........................................... 3.6.3 Ekklesiologische Aspekte ......................................

3.7

Familie und Ethik................................................................... 242

3.8

Familie und Eschatologie....................................................... 247

3.9

Das Motivfeld »Familie« in ritualtheoretischer Sicht............ 250 3.9.1 Der rituelle Prozess – Liminalität, Communitas, Antistruktur ............................................................ 252

206 207 227 229

10

Inhalt

3.9.2 3.9.3

Ein ritueller Prozess? – Das markinische Motiv des Familienwechsels................................................... 259 Die familia dei als liminale Gemeinschaft............. 263

3.10 Vergleich mit Schriften des NT und EvThom (Überblick) ... 270 4. Das Motivfeld »Familie« und Maria von Nazareth .......................... 285 5. Zusammenfassung............................................................................. 288

Teil 4: Ausblick – Impulse für ein protestantisches Mariabild 1. Historische Aspekte .......................................................................... 293 2. Mariologische und ökumenische Aspekte ........................................ 298 2.1

Situation und Problemanzeige ............................................... 298

2.2

Mariatypologien – Eine markinische Anregung .................... 304

2.3

Bewertung .............................................................................. 313

3. Zusammenfassung: Die markinische Maria von Nazareth ............... 314

Literatur................................................................................................... 315 Abkürzungen und Verweise.................................................................... 328 Bibelstellenregister.................................................................................. 329

1. Vorbemerkungen Einleitung Vorbemerkungen Als im Oktober 2002 in der Biblical Archaeology Review ein Artikel über ein neu entdecktes Ossuarium mit der aramäischen Inschrift »Jakobus, Sohn Josefs, Bruder Jesu« erschien, gewann die alte Frage nach den Geschwistern Jesu neue Aktualität.1 Die Brisanz dieser Frage ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen der biblischen Erwähnung von Geschwistern Jesu und dem Dogma der immerwährenden Jungfrauenschaft Marias.2 Verschiedene Lösungsstrategien, die den biblischen Text mit dem Dogma in Übereinstimmung zu bringen versuchen, durchziehen die Kirchengeschichte bis in die Gegenwart. Immer wieder werden diese aber gerade auch vom biblischen Text aus in Frage gestellt. Die Interpretation der »Herrengeschwister« ist eine der wenigen Fragen, bei der die Exegeten teilweise3 noch immer auf konfessionell getrennten Wegen gehen. Eine zentrale Stellung bei einem dieser Lösungsversuche nimmt die Parallelität der Namensliste in Mk 6,3 »[Jesus,] Marias Sohn und Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon« zur Benennung einer der Frauen beim Kreuz in Mk 15,40 als »Maria, Jakobus’ des Kleinen und Joses Mutter« ein. Mit der Vereinnahmung dieser Parallele durch die »Herrenbrüderdiskussion«4 gerät die ausgesprochen interessante und wichtige Fragestellung, ob 1 Vgl. etwa »Die Welt« vom 24.12.2002, Überschrift: »Hatte Jesus von Nazareth einen Bruder namens Jakobus?« Vgl. auch den Stern-Artikel vom 17.12.2002: »Jesus. Die Wahrheit hinter der Legende«, der freudig die Ossuarinschrift dem Dogma von der immerwährenden Jungfrauenschaft entgegen hält. Inzwischen hat sich die Ossuarinschrift allerdings als Fälschung erwiesen. 2 Dieses Dogma (əƪƮ™ƦƴƭˀƱƳƵ/semper virgo), welches 553 n.Chr. auf dem 5. Ökumenischen Konzil in Konstantinopel verkündet wurde, beinhaltet nicht nur die im MtEv und LkEv berichtete Jungfräulichkeit Marias bis zur Geburt (virginitas ante partum), sondern auch nach der Geburt Jesu (virginitas post partum). Die Diskussion über die virginitas post partum reicht bis ins 2. Jh. n.Chr. Sie begegnet etwa im Protev (hier ist sogar die virginitas in partum intendiert) und bei Origenes. Die biblische Rede von den Brüdern und Schwestern Jesu erscheint spätestens nach dem Dogma problematisch und schafft Erklärungsbedarf. Dieses Problem betrifft – das wird oft übersehen – auch die protestantische bzw. evangelisch-lutherische Seite, denn das Dogma wurde durch die Reformatoren nicht aufgehoben (vgl. Maria – Evangelische Fragen, 189; HEINTZE, Maria, 70). So finden sich in der Concordienformel (FC II. Solida Declaratio, VIII. De Persona Christi, 24) explizit die virginitas ante/in und post partum. Aufgrund des exegetischen Befunds werde ich in dieser Arbeit die »Herrengeschwister« aber als leibliche Geschwister Jesu interpretieren. Zur Begründung vgl. unten Teil 3, 1.3. 3 Inzwischen interpretieren allerdings auch manche römisch-katholischen Exegeten »Herrengeschwister« als leibliche Geschwister. 4 Ich werde später auf diesen Lösungsversuch eingehen. S.u. Teil 3, 1.3.

14

Einleitung

es sich bei der Maria beim Kreuz aufgrund besagter Parallele um Maria von Nazareth handelt, in der Regel aus dem Blick. Beiläufig und von dieser Diskussion unbelastet stieß ich bei der Lektüre des MkEv auf diese Parallelität. Dabei drängte sich mir eben jene Frage auf. Handelt es sich entgegen der üblichen Meinung in der exegetischen Literatur möglicherweise bei der Maria beim Kreuz um Maria von Nazareth? Und wenn ja: Warum wird sie so rätselhaft umschrieben und welche narrative Funktion kommt ihr im Kontext der anderen beiden Erwähnungen im MkEv zu? An verschiedenen Stellen thematisiert das MkEv familiäre Konflikte. Der Konflikt zwischen Jesus und seiner Mutter in Mk 3,20–35 scheint ein Teil eines grundsätzlichen Anliegens des MkEv zu sein. Steht die Maria beim Kreuz damit in Beziehung? Welche Beziehung besteht zwischen diesem mk »Mariageheimnis«5 und dem Motivfeld6 »Familie«? Das vorliegende Buch setzt sich das Ziel, die Rolle der Mutter Jesu sowie die Bedeutung familiärer Beziehungen im MkEv näher zu untersuchen. Meine These lautet: Bei der Maria beim Kreuz handelt es sich um Maria von Nazareth. Ihre rätselhafte Umschreibung gehört zum mk Konzept des Wechsels von der Herkunftsfamilie in die familia dei.7 Dieses Konzept hat v.a. ekklesiologische Bedeutung. Es beschreibt das in der Fachliteratur oft wenig beachtete mk Gemeindeverständnis. So kann diese Untersuchung auch zu einem besseren Verständnis der mk Gemeinde beitragen.

5 Gemeint ist die rätselhafte Umschreibung Marias in Mk 15,40. Ich werde unten Teil 3, 2. auf den Begriff eingehen. 6 Zum Begriff vgl. unten Teil 3, 3.1, Anm. 264. 7 Zum Begriff der familia dei im MkEv vgl. unten, Teil 2, 1.2.3, Anm. 118.

2. Forschungsgeschichtliche Einordnung Einleitung Forschungsgeschichtliche Einordnung Die mk Darstellung Marias gehört traditionell und leicht nachvollziehbar zu den Problemfeldern der Mariologie. So kann es kaum verwundern, dass in Untersuchungen, die sich mit dem Thema »Maria im Neuen Testament« beschäftigen und dabei um ein eher positives Bild Marias bemüht sind, das Kapitel über das MkEv relativ knapp abgehandelt wird8 oder die mk Aussagen entschärft und mit dem lk Mariabild harmonisiert werden.9 Bisweilen wird das MkEv nicht einmal eines Kapitels gewürdigt, so etwa in The Mother of Jesus in the New Testament von John McHugh (1975) oder in der protestantischen Darstellung Mary: Glimpses of the Mother of Jesus (1999) von Beverly Roberts Gaventa. Auch im 2005 erschienenen A Feminist Companion to Mariology, herausgegeben von Amy-Jill Levine, spielt die mk Maria so gut wie keine Rolle. Eine Ausnahme ist allerdings die 2002 von Beverly Roberts Gaventa und Cynthia L. Rigby herausgegebene Aufsatzsammlung Blessed one: Protestant perspectives on Mary (s.u.). Schon Heikki Räisänen widmete sich im Jahr 1969 in Die Mutter Jesu im Neuen Testament ausführlicher dem MkEv, beschränkte sich dabei aber auf Mk 3,20f.31–35 in Verbindung zur »Parabeltheorie« (Mk 4,10f). Auf der anderen Seite der Medaille wird das mk Mariabild als das am ehesten historische der römisch-katholischen und orthodoxen Mariologie entgegengehalten, um deren biblische Begründung zu hinterfragen – so etwa 2001 in Jürgen Beckers Darstellung Maria. Mutter Jesu und erwählte Jungfrau.10 In einem Punkt sind sich allerdings nahezu alle Untersuchungen einig: Sie identifizieren die Maria beim Kreuz (Mk 15,40) nicht mit Maria von Nazareth.11 Auch in der Kommentarliteratur wird bis auf wenige Aus-

8

Vgl. etwa F. MUSSNER, Maria. Die Mutter Jesu im Neuen Testament. Das MkEv wird in dem 150-seitigen Buch auf sechs Seiten abgehandelt. Die 300-seitige Untersuchung der ökumenischen Arbeitsgruppe (BROWN, u.a.) Maria im Neuen Testament beschäftigt sich im Wesentlichen auf elf Seiten mit Maria im MkEv. 9 Vgl. etwa L. SCHEFFCZYK, Maria, Mutter und Gefährtin Christi, 19–28 mit der programmatischen Überschrift »Maria im Leben Jesu. Die angebliche Distanz Jesu zu seiner Mutter«. Er weist etwa darauf hin, dass die Forderung von Mk 3,35 von Maria am vollkommensten erfüllt wurde und trägt somit die lk Charakterisierung Marias in das MkEv ein. 10 Vgl. auch das 2005 erschienene Buch Maria. Die Mutter Jesu des Journalisten J. DUQUESNE. 11 Es wird sich in dieser Arbeit zeigen, dass es der mk Intention entsprechend falsch wäre, bei der zweiten Maria in 15,40 von der Mutter Jesu zu sprechen. Auch wenn es sich faktisch um die Mutter Jesu handelt, kann sie nun nicht mehr als solche bezeichnet werden. Ich verwende deshalb

16

Einleitung

nahmen eine Identifikation abgelehnt oder nicht bedacht (s.u.). Es gibt nur wenige zeitgenössische Exegeten, die die Maria beim Kreuz mit Maria von Nazareth identifizieren: G.W. Trompf erklärt 1972 in seinem Aufsatz The First Resurrection Appearance and the Ending of Mark’s Gospel im Kontext einer nicht unproblematischen Rekonstruktion des als verloren geglaubten Markusschlusses mit einer Protophanie vor der Mutter Jesu, dass es sich aufgrund der Parallele zwischen 6,3 und 15,40 bei der zweiten Maria um die Mutter Jesu handle.12 Die rätselhafte Umschreibung erfolge mit dem Ziel, Jesus von seinem familiären Kontext zu separieren.13 Trompf sieht seine These durch die Anwesenheit Marias in Joh 19,25 und die mt Änderung der Namensform Joses in 13,55 und 27,56 sowie des Ausfalls des verwirrenden ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ in Mt 27,56 gestützt. John Dominic Crossan setzt in seinem Aufsatz Mark and the relatives of Jesus von 1973 die Identität Marias schlicht voraus, um eine andere These zu stützen: Markus stelle die Mutter Jesu als nachösterliche Vertreterin der von den Herrenverwandten dominierten Jerusalemer Gemeinde ans Kreuz, um sie in 16,8 versagen zu lassen und so die Jerusalemer Gemeinde kompromittieren zu können.14 1995 verzichtet Crossan in Who killed Jesus?15 auf die Identifikation, wenn er auf die Frauen am Kreuz zu sprechen kommt. John J. Gunthers Identifikation in seinem Aufsatz The family of Jesus von 1974 hat ihren Ausgangspunkt in dem Harmonisierungsversuch der mk mit der joh Kreuzigungsszene. Die Anwesenheit der Mutter Jesu in Joh 19,25 führt ihn dazu, auch bei den Synoptikern nach ihr zu suchen. Aufgrund der Parallelität zur Namensliste Mk 6,3 interpretiert er Maria in Mk 15,40 als Mutter Jesu. Die rätselhafte Umschreibung Marias als Mutter des kleinen Jakobus und Joses habe seiner Meinung nach ihren Grund in der Abwehr des möglichen gegnerischen Verdachtsmoments, demzufolge die Kenntnis der Mutter über den Begräbnisort Jesu den Leichendiebstal durch die Brüder ermöglicht habe16 oder aber in der Entfremdung zwischen Jesus und seiner Familie.17

an dieser Stelle »Maria von Nazareth«. Die bei den zitierten bzw. dargestellten Positionen anzutreffende Rede von der Mutter Jesu lasse ich unverändert. 12 TROMPF sucht sich ausgerechnet J. Schmid als Gewährsmann – einen Vertreter der Vetterntheorie, der trotz der erkannten Parallele zu den Söhnen in 6,3 nun gerade nicht die Mutter Jesu in 15,40 sieht. Vgl. TROMPF, First, 310, Anm. 3. 13 Vgl. TROMPF, First, 310. 14 CROSSAN, der auf eine redaktionelle Identifikation abzielt, weist darauf hin, dass seine Identifikationsthese »extremely tentative« ist. CROSSAN, Relatives, 105. 15 Ich stütze mich hier auf die dt. Ausgabe: Wer tötete Jesus? von 1999. 16 Vgl. GUNTHER, Family, 31. 17 Vgl. GUNTHER, Family, 33.

Forschungsgeschichtliche Einordnung

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Auch in dem vierseitigen Aufsatz The Mother of Jesus in Mark’s Gospel and its Revisions von John Fenton aus dem Jahr 1983 findet sich eine Identifikation der Maria beim Kreuz mit Maria von Nazareth, deren Begründung m.E. jedoch unbefriedigend bleibt.11 Allerdings gibt Fenton einen wichtigen textpragmatischen Hinweis: Die Variationen der Namenslisten in 15,40.47; 16,1 lenken das Interesse der Leserinnen und Leser auf die Mutter des kleinen Jakobus und Joses und geben ihnen so die Möglichkeit, das mk »Rätsel« zu lösen.12 In seinem 1995 erschienenen Buch Finding the way through Mark – einem eher populär gehaltenen Kommentar von geringem Umfang – verzichtet Fenton ganz auf eine Begründung der »possible explanation« der Identifikation.13 Er verweist allerdings auf Mk 3,31–35 und kommt, ohne sich näher zu erklären, zu dem Schluss: »His followers are his family.« Maria-Sybilla Heister stützt sich in ihrem 1987 erschienenen Buch Maria aus Nazareth auf Fentons These und sieht so Maria von Nazareth beim mk Kreuz.14 »Wenn man diese ungenaue Marienbenennung in der Folge von Mk. 6,27 [d.h. 6,3, TR] (Ist er nicht […] der Sohn der Maria und ein Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simons?) liest, löst sich das ›verwirrende Namensspiel‹.«15 Mit Hinweis auf die in Lk 2,41 beschriebene alljährliche Jerusalemwallfahrt von Jesu Eltern, sieht sie die Anwesenheit Marias gestützt. Auf den Grund der rätselhaften Umschreibung Marias in 15,40 geht sie nicht ein. Ched Myers sieht 1988 in Binding the strong man: a political reading of Mark’s Story of Jesus keinen Grund, die Identifikation der Maria in 15,40 mit Jesu Mutter auszuschließen. Er weist darauf hin, dass Maria – sollte es sich um die Mutter Jesu handeln – im Gegensatz zu 3,20–35; 6,3 in 15,40 nicht als Mutter, sondern als Jüngerin charakterisiert sei. Es müsse somit ein »unnarrated reversal of the position of Jesus’ mother«16 stattgefunden haben. Im Jahr 1989 erscheinen gleich drei Untersuchungen, in denen – wenn auch nur am Rand – eine Identifikation erwogen bzw. vorgeschlagen wird: In Gerd Theißens Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien (1989) findet sich immerhin eine Fußnote, die unter Vorbehalt die Möglichkeit erwägt, dass die vormk Tradition von 15,40 die Mutter Jesu meine, 11

Neben der Parallele zu 6,3 zieht FENTON etwa das MtEv heran. Da Matthäus sowohl den Joses von Mk 6,3 als auch 15,40 in Josef ändert, zeige er, dass er das mk Rätsel gelöst habe und übernehme. So bereits TROMPF (s.o.). Das ist aber m.E. falsch. Matthäus ändert vermutlich aus Stilbewusstsein die galiläische Namensform Joses in die gebräuchlichere Form Josef. 12 »The three different ways of referring to the second woman draw the reader’s attention to her; it is a Marcan puzzle, which he expects his reader to be able to solve.« FENTON, Mother, 435. 13 FENTON, Finding, 113. 14 Vgl. HEISTER, Maria, 72f.75. 15 HEISTER, Maria, 72 mit einem Zitat von FENTON. 16 MYERS, Binding, 396.

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Markus selbst aber die Identifikation nicht übernehme.24 Demnach wäre die in Mk 15,40 anzutreffende Näherbestimmung ohne redaktionellen Eingriff und stünde kaum in einer Beziehung zu 3,31–35 und 6,3.25 Christopher D. Marshall übernimmt in Faith as a theme in Mark’s narrative (1989) ganz selbstverständlich und unreflektiert die Identifikation von Fenton: »a member of Jesus’ family is present at the crucifixion«.26 Herman C. Waetjen schreibt im selben Jahr und mit ähnlicher, nun aber wesentlich besser begründeter Sicherheit in A reordering of power: a sociopolitical reading of Mark’s Gospel: »Mary, the mother of James the Little and Joses […] is none other than the mother of Jesus, who was introduced in 6:3, along with her other sons: James, Joses, Judah, and Simon, all brothers of Jesus.«27 Den Grund, warum Maria in 15,40 nicht als Mutter Jesu bezeichnet ist, erklärt Waetjen m.E. völlig richtig mit einem Hinweis auf Mk 3,31–35: »as her son’s career ends, she is no longer an outsider; she has become a member of his new family.« In dieser neuen Familie gelten keine Blutsverwandtschaften mehr. Die fehlende Charakterisierung als Mutter Jesu zeige, dass ihr kein »special status in this new family« zukomme. Diese auf wenigen Zeilen vorgetragene These hat einige Berührungspunkte mit meiner eigenen Interpretation. Eine durchaus nachdenkenswerte Begründung der Identifikation findet sich in Robert H. Gundrys Kommentar Mark. A Commentary on His Apology for the Cross von 1993.28 Diese ist rein christologisch: In Mk 6,1–6 werde Jesus von den Nazarenern als Sohn Marias christologisch missverstanden. In 15,39 erkenne hingegen der Centurio Jesus als Sohn Gottes. In der Konsequenz sei Maria in 15,40 nicht mehr als Mutter Jesu bezeichnet. Diese Erklärung erscheint nicht unplausibel, lässt aber unberücksichtigt, dass in 15,40 Maria – nicht Jesus – charakterisiert wird. Ohne einen solchen christologischen Nebenzug in dem mk Mariageheimnis zu bestreiten, greift m.E. dieser rein christologische Ansatz zu kurz. Hisako Kinukawa erwägt 1994 in ihrer Untersuchung Women and Jesus in Mark: a Japanese feminist perspective29 die Möglichkeit der Identifikation, ohne letztlich eine Entscheidung zu fällen. Merkwürdigerweise stellt sie zur möglichen Erklärung der Umschreibung der Mutter Jesu als Mutter des kleinen Jakobus und Joses einen Zusammenhang zu Mk 3,21 – nicht 24

THEISSEN, Lokalkolorit, 189f, Anm. 28. Ich werde in dieser Arbeit diesbezüglich zu anderen Ergebnissen gelangen. 26 MARSHALL, Faith, 178. Vgl. ebd. Anm. 1. 27 Dieses und folgende Zitate: WAETJEN, Recording, 239. Auf die Identifikation der Mutter des Jakobus und Joses mit der Mutter Jesu (Kontext von Mk 15,47; 16,1) geht er kurz ebd. 240f ein. 28 Vgl. GUNDRY, Mark, 977f. 29 Ich benutze die deutsche Übersetzung Frauen im Markusevangelium. Eine japanische Lektüre von 1995. 25

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jedoch zu Mk 3,31–35 – her. »Wenn Jesu Mutter und ihre Söhne und Töchter sich aber nach Jesu Tod und Auferstehung der Glaubensgemeinschaft angeschlossen haben, ist Markus vielleicht daran gelegen, mit dieser indirekten Ausdrucksweise ihre Ehre wiederherzustellen.«30 Auch Katrina M. Poetker beschäftigt sich in ihrer 2001 vorgelegten und bisher leider unveröffentlichten Dissertation »You are my Mother, my Brothers, and my Sisters.« An Anthropological-Literary Investigation of Family in Mark, Callirhoe & Tobit kurz mit dem »interesting puzzle«,31 ob hinter »this mysterious woman« in 15,40 die Mutter Jesu zu finden sei. Poetker hält dies durchaus für möglich, umgeht aber eine klare Positionierung. »It may be possible, […] that Mary is no longer identified as Jesus’ birth mother. In this case, she would have become one of his followers, a member of his family who ›does the will of God.‹« Während der Großteil der genannten Exegetinnen und Exegeten, die eine Identifikation erwägen, sich eher beiläufig und mitunter ausgesprochen knapp zu der angesprochenen Frage äußert, ist E. Elizabeth Johnsons Beschäftigung trotz aller Knappheit von eher grundsätzlicher Art.32 In ihrem Aufsatz »Who is my mother?«: family values in the Gospel of Mark, der sich in der bereits erwähnten Aufsatzsammlung Blessed one: Protestant perspectives on Mary von 2002 findet, zieht sie die theologische bzw. narrative Linie von Mk 3,20–35 (»The Rejected Mother«) über 6,1–6 (»The Rejected Son«); 10,29f; 13,12 zu 15,40f.47; 16,1–8 (»The Resurrected Mother«). E. Elizabeth Johnson übernimmt die These Fentons (s.o.), dass Markus mit der Variation der Söhne in 15,40.47; 16,1 die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf diese Frau und die Verbindung zu 6,3 zu lenken beabsichtige. Im Wesentlichen kommt ihre Untersuchung der Frage nach der Identität Marias in 15,40 meiner eigenen These sehr nah. Auf den Zusammenhang zwischen der Auflösung familiären Rollenverständnisses und der fehlenden Bezeichnung der Maria in 15,40 als Mutter Jesu, wie ich sie sehe, geht E. Elizabeth Johnson allerdings eher beiläufig33 ein. Gegen diese äußerst überschaubare Anzahl der Identifikationen der Maria beim Kreuz mit der Mutter Jesu bzw. Maria von Nazareth, findet sich in der übrigen exegetischen Literatur eine unzureichend begründete Ablehnung dieser These. Als eigenständige Untersuchung widmete sich 1996 der 30 KINUKAWA, Frauen, 125f. Hier ist einzuwenden, dass Markus bereits bei der Niederschrift von 3,21 von der Anwesenheit Marias in der nachösterlichen Glaubensgemeinschaft gewusst haben wird. 31 Alle Zitate innerhalb dieses Absatzes: POETKER, You are, 175 (Seitenangabe bezieht sich auf die mir durch E.E. Johnson freundlicherweise zur Verfügung gestellte Version dieser Dissertation). 32 Vgl. JOHNSON, Mother, 40–42. 33 Sie schließt recht allgemein: »The figure of Mary in Mark thus exemplifies the disorientation and reorientation of family life that the Christian message provokes among its hearers.« Ebd. 42.

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Aufsatz Marie, mère de Jacques et de José (Marc 15.40) von M. Barnouin der Frage nach der Identifikation Marias und kommt zu einem negativen Ergebnis. Obwohl Barnouin in Jakobus und Joses von 6,3 und 15,40 dieselben Personen sieht, hätte Markus der Untersuchung zufolge die Mutter Jesu auch als solche bezeichnet. Dieses Argument begegnet wiederholt in der Sekundär- bzw. Kommentarliteratur.34 Andere Gegenargumente sind die gegenüber 6,3 abweichende Bezeichnung des Jakobus als ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬;35 die Annahme, bei der Maria beim Kreuz handle es sich um zwei Frauen (Maria des kleinen Jakobus und die Mutter des Joses)36 oder die Namen seien in damaliger Zeit zu häufig und damit die Übereinstimmungen rein zufällig.37 Erich Klostermann lehnt die Identifikation in seinem Markuskommentar ab ohne einen Grund zu nennen.38 Gerhard Schneider identifiziert die Söhne in 15,40 ganz unreflektiert als »Herrenbrüder«, interpretiert sie aber vermutlich als Vettern (s.u.).39 Häufig wird die Möglichkeit einer Identifikation auch überhaupt nicht bedacht bzw. schlicht übergangen.40 Nach fast 40 Jahren scheint sich das Urteil des römisch-katholischen Exegeten Josef Blinzler immer noch zu bestätigen: »So muß es den objektiven Beurteiler überraschen zu sehen, daß fast alle nichtkatholischen41 Exegeten die Gleichsetzung ablehnen, ohne sie überhaupt ernsthaft in Betracht zu ziehen. Der frappante Parallelismus der zwei Namen Mk 6,3 Par und 15,40 Par wird entweder überhaupt nicht erörtert oder als Nebensächlichkeit behandelt oder verwischt«.42 In der Tat spielt der mögliche Zusammenhang der beiden Stellen im protestantischen Bereich kaum eine Rolle. Auf der römisch-katholischen Seite wurde der Zusammenhang der Textstellen mit der Frage nach der Existenz von leiblichen Geschwistern Jesu mitunter 34 So bereits HIERONYMUS, AdHelv 14. So auch BAUCKHAM, Jude, 13; BLINZLER, Brüder, 74; BROWN u.a., Maria, 65; MANN, Mk, 655; MILLER, Women, 154f; SCHWEIZER, Mk, 198; ZAHN, Brüder, 340f. 35 So GNILKA, Mk II, 326; LÜHRMANN, Mk, 264; OBERLINNER, Überlieferung, 115. 36 So PESCH, Mk II, 506. 37 Vgl. BECKER, Maria, 49; DUQUESNE, Maria, 114; PESCH, Mk I, 324. 38 Vgl. KLOSTERMANN, Mk, 168. Vgl. auch BECKER, Maria, 33f. 39 Vgl. SCHNEIDER, Passion, 135. 40 Vgl. etwa BULTMANN, Geschichte, 296; DEHN, Gottessohn, 303; GRUNDMANN, Mk, 437; HAENCHEN, Weg, 539f; HAUCK, Mk, 190; HOOKER, Mk, 379; JANZEN, Maria, 72–76; KERTELGE, Mk, 160; LOHMEYER, Mk, 348; MONTEFIORE, Synoptic I, 389; PERKINS, Mk, 724; RIENECKER, Mk, 272; SCHENKE, Mk (2005), 347; SCHLATTER, Evangelien, 147; SCHMITHALS, Mk II, 701; SCHNIEWIND, Mk, 202f; VAN IERSEL, Mk, 246; WEISS, Handbuch, 217. EVANS (Mk, 511) identifiziert die Maria unter Vorbehalt mit der joh Frau des Klopas (Joh 19,25). So auch BLEEK, Erklärung, Bd. II, 477; MANN, Mark, 655. 41 Diese konfessionelle Beschränkung ist inzwischen teilweise durchbrochen. 42 BLINZLER, Brüder, 77. Blinzler geht allerdings nicht von der Anwesenheit Marias am Kreuz aus, auch kann ich ihn bei dieser Frage kaum als »objektiven Betrachter« sehen. Zu stark steht bei seinen diesbezüglichen Untersuchungen das Herrenbrüderproblem (s.o. 1.) im Hintergrund.

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in begreiflicher Befangenheit verhandelt. Auch wenn mehrere römischkatholische Exegeten heute die Brüder und Schwestern Jesu als solche interpretieren, findet sich bei vielen Exegeten auch die Erklärungen, dass es sich bei den »Herrenbrüdern« nur um Vettern handle. Grundlegend ist hier Josef Blinzlers Untersuchung Die Brüder und Schwestern Jesu.43 Auch hier wird die Maria beim Kreuz – trotz der erkannten Beziehung zu Mk 6,3 – nicht als Maria von Nazareth gedeutet. Ich kann also sagen, dass meine These von der Anwesenheit der Maria von Nazareth in Mk 15,40 zwar bezüglich der Parallelität der Namenslisten auf einem im Zuge der Herrenbrüderproblematik oft umgepflügten und umkämpften Boden steht, selbst aber bisher noch nicht umfassend geprüft worden ist. Anders sieht es hingegen beim zweiten Themenschwerpunkt dieser Untersuchung, dem u.a. in der narrativen Ausgestaltung Marias sichtbar werdenden mk Motivfeld »Familie« aus. Einzelne Aspekte dieser Frage sind in den letzten Jahren gründlich untersucht worden. Stephen C. Barton veröffentlichte 1994 seine Dissertation Discipleship and Family Ties in Mark and Matthew. Sein Augenmerk liegt v.a. auf dem Einzelmotiv der Unterordnung familiärer Bindungen aufgrund der Jesusnachfolge. Besonders aufschlussreich und wertvoll ist seine Motivgeschichte, auf die ich später gesondert eingehen werde. Er kommt mit Blick auf das MkEv zu dem Ergebnis, dass das mk Motiv vom Verlassen der Familie die erste Hörerschaft durchaus nicht überrascht haben dürfte, sondern dass es die gängige – hier eschatologisch gefärbte – Möglichkeit war, Loyalitätsfragen zu klären. Markus kann somit nicht als antifamiliär bezeichnet werden. Allerdings spiegeln sich in den familienkritischen Texten auch reale Konfliktsituationen in und vermutlich aufgrund der Zeit des Jüdischen Kriegs wider, sodass Markus dennoch eine pessimistische Grundhaltung gegenüber familiären Bindungen einnimmt. Gegenüber diesen Konflikten steht die neue eschatologische Familie, geprägt von freiwilliger Solidarität und Integration der Geistesverwandten. Bei Barton sind viele wichtige und richtige Aspekte angesprochen. Der Aspekt des Wechsels in die neue Familie scheint aber – obwohl beachtet – hinter dem Aspekt der Auflösung familiärer Strukturen zurückzustehen. Gerade diesen Aspekt sehe ich aber im MkEv hervorgehoben, die Auflösung der Bindungen ist nur ein Teil dieses Aspektes. Auch scheint mir Barton nicht die volle Bedeutung und 43 Vgl. auch SCHMID, Mk, 85.304; SCHNACKENBURG, Mk II, 314. Dass diese Frage bis in jüngste Zeit diskutiert bzw. der These Blinzlers zugestimmt wird, zeigen etwa 1996 M. BARNOUINS Aufsatz Marie, Mère de Jacques et de José (Marc 15.40) oder 1999 K.-H. MENKE, Fleisch geworden aus Maria, 62f. Vgl. auch den TRE-Artikel Jakobus (Herrenbruder) von E. RUCKSTUHL (vgl. TRE 16, 485f).

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Funktion der Einsetzung der familia dei als neue Identifikationsgröße für einen erweiterten – vom Zwölferkreis unterschiedenen – Nachfolgekreis zu sehen (Teil 3, 3.6.1). Während Barton sich auf die Auflösung der familiären Bindungen konzentriert, nimmt Taeseong Rohs 2001 veröffentlichte Dissertation Die familia dei in den synoptischen Evangelien nun v.a. die neue Familie in den Blick, wobei er sich bei der Untersuchung des MkEv hauptsächlich auf Mk 3,31–35 und 10,28–31 beschränkt. Auch bezieht er – im Gegensatz zu Barton – die Einsetzung der familia dei richtig auf den erweiterten Nachfolgekreis, in dem die sesshafte mk Gemeinde ihre Identifikationsgröße finden kann. Ähnlich wie bereits Peter Kristens Untersuchung Familie, Kreuz und Leben von 1995, die Roh aber nicht zur Kenntnis nimmt, wird hier das Verhältnis der sesshaften mk Christen gegenüber den wanderradikalen Nachfolgern, wie sie v.a. in Q begegnen, herausgearbeitet und als ein mehr oder weniger konfliktreiches bestimmt. Kristen stellt dabei m.E. dieses Verhältnis zu gegensätzlich dar. Auch beachtet er – wie Barton – nicht die Bedeutung der familia-dei-Einsetzung für den erweiterten Nachfolgekreis. Wichtig an seiner Arbeit ist die Interpretation der mk Gemeinde als geschlechterübergreifende egalitäre Gemeinschaft in der Kreuzesnachfolge. Diese Gemeinschaft lebt – Kristen will das ganz real verstanden wissen – in geschwisterlicher, eschatologisch ausgerichteter Hausgemeinschaft. Im gleichen Jahr wie Rohs Arbeit erschien The quest for home: the household in Mark’s community von Michael F. Trainor. Trainor nutzt unter dem Eindruck aktueller sozialer Probleme (Obdachlosigkeit, zwischenmenschliche Entfremdung u.a.) soziale und kulturanthropologische Aspekte, um das gesamte (!) MkEv als die Suche nach einem Zuhause darzustellen. Den Familienwechsel bestimmt er weniger als Bruch mit der alten und Zugang zur neuen Familie, sondern vielmehr als Neustrukturierung bestehender Familien in der römischen Gemeinde. Die Gemeinde erhält ein neues apatriarchalisches Haushaltsmodell, welches sie im Alltag praktizieren kann. Trainor rekonstruiert mit erstaunlichem Optimismus soziale Aspekte der Gemeinde. Wichtig ist ihm v.a. die Umprägung der Werte, die so ermöglichte starke und heilende Gemeinschaft, das Finden von Heim(at). Die Deutung des gesamten MkEv – etwa die zunehmende Vereinsamung Jesu – als eine Suche nach »Heim« halte ich für überspitzt. Obwohl er mitunter den mk Haushalt als narratives Symbol für die Nachfolge bestimmt, erscheint mir mit Blick auf die gesamte Arbeit die eschatologische und ekklesiologische Relevanz zu wenig beachtet zu sein. Besonders interessant ist Trainors Einbeziehung philosophischer Haushaltsmodelle, die in keiner der zuvor dargestellten Untersuchungen eine besondere Rolle spielen. Auch ist die soziale Relevanz des Motivfeldes für die Gemeinde ein ausgesprochen wichtiger (wenn auch nicht neuer) Hinweis.

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Schließlich ist noch auf den 2003 erschienenen Aufsatz Household/Family in the Gospel of Mark as a Core Symbol of Community von John H. Elliott hinzuweisen. Elliott stellt die ekklesiologische Bedeutung der familia dei im MkEv heraus. Familie ist »a major ecclesial image for Mark’s believing community«.44 Die Jesusnachfolge erfordert »a reorganization of previous loyalties and obligations«45 und führt zum Verlassen alter familiärer Bindungen. Doch das Engagement für Jesus bedeutet kein afamiliäres Leben, denn es führt in eine Ersatzfamilie mit Gott als Vater. Elliott stellt diese – im Unterschied zu meiner Untersuchung – in Analogie zu »any honorable family«46 dar und wendet sich damit explizit gegen die Charakterisierung der Jesusbewegung als egalitäre Gruppe.47 Das Fehlen des Vaters in der neuen Familie zielt nicht auf eine egalitäre Struktur der Gemeinschaft, sondern zeigt, dass die mk Gemeinde nicht zur patria gehört, der der römische Kaiser als pater vorsteht.48 Diese Arbeiten haben gemeinsam, dass sie keine über Mk 3,20f.31–35 hinausgehende Verbindung des Motivfelds »Familie« zur narrativen Gestalt der Maria von Nazareth sehen. Mein Versuch, eine solche unter Einbeziehung von Mk 15,40f.47; 16,1 herzustellen, soll die Diskussion somit durch ein erweitertes Bezugsfeld weiterführen. Daneben konzentrieren sich die dargestellten Arbeiten oft nur auf einzelne Aspekte des Motivfelds. Meine Arbeit soll hingegen möglichst viele Aspekte von mk Familie beachten. Dabei wird es sich als hilfreich erweisen, innerhalb des Motivfelds verschiedene Einzelmotive zu unterscheiden und ihre Relevanz für die mk Theologie zu prüfen.

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ELLIOTT, Household, 61. ELLIOTT, Household, 61. 46 ELLIOTT, Household, 62. 47 Vgl. ELLIOTT, Household, 38.44.62 u.ö. Vgl. auch seinen Aufsatz The Jesus movement was not egalitarian but family-oriented, Biblical interpretation 11, 2003, 173–210. 48 Vgl. ELLIOTT, Household, 63. 45

3. Vorgehensweise Einleitung Vorgehensweise Wie bereits der Untertitel des Buches nahe legt, ist die Fragestellung mehrschichtig. Neben der Frage nach Bild und Funktion von Maria im MkEv ist als Verstehensgrundlage und Zielpunkt der mk Charakterisierung Marias die Konzeption »Familie« im MkEv zu klären. Wenn man von Familie im MkEv spricht, sind verschiedene Problemkreise angesprochen. Manche Texte berichten über die Familie Jesu, andere über die Familien seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger. Das Bewusstsein verschiedener Zeitebenen weitet das Thema zusätzlich auf: Es geht nicht allein um die Familien in der erzählten Zeit, d.h. in der Zeitebene des irdischen Jesus. Im mk Umgang mit den Traditionen spiegeln sich die Belange, das Selbstverständnis, die Probleme der Gemeinde, für die das Evangelium geschrieben wird. Diese zwei differenzierbaren Ebenen sind bei der Untersuchung zu berücksichtigen. Es ist deshalb ratsam, das Ziel der Arbeit nicht auf die mk Darstellung und Ausdeutung des Motivfelds »Familie« zu beschränken, sondern auch die Rückfrage nach den historischen Voraussetzungen im Blick zu behalten. Konkret geht es (1) um die mk Maria von Nazareth als Teil der Familie Jesu, (2) um das mk Interesse am Motivfeld der Relativierung und Umprägung von »Familie« – m.E. lassen sich darin vier Einzelmotive unterscheiden – und (3) um die redaktionelle Verbindung Marias mit dem Einzelmotiv des Wechsels von der leiblichen in die göttliche Familie (familia dei). Die Differenzierung verschiedener Ebenen beeinflusst die angewandten Methoden und den Aufbau des Buchs. Vor allem die redaktionskritische Methode ist in der Lage, die Intentionen des Evangelisten herauszuarbeiten und dabei die verschiedenen Ebenen, die der Evangelist in Beziehung setzt, zu bedenken. Aber auch der unredigiert übernommene Stoff spiegelt das Interesse des Evangelisten wider. Das MkEv besteht aus beiden: Redaktion und Tradition. Gerade die Zusammenschau beider Aspekte, d.h. die Ergänzung diachroner49 redaktionskritischer Erkenntnisse mit der synchronen Sicht auf das Evangelium als ein literarisches Ganzes, kann mk Theologie sinnvoll erfassen.50

49 Man kann die redaktionskritische Methode mit Blick auf die Kompositionskritik auch als eine synchrone bezeichnen. Ich nehme aber stärker diachrone Aspekte in den Blick. 50 Vgl. zu dieser Frage URBAN, Menschenbild, 168: »Grundsätzlich ist festzuhalten, daß Synchronie und Diachronie nicht als Alternativen nebeneinander zu stellen sind […] Denn verbindet

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Einleitung

Bei der Durchführung der Redaktionskritik ist zu beachten, dass Markus das Evangelium durchgängig bearbeitet hat. Neben der Beachtung von mk Spracheigenarten und Vokabelvorlieben ist es nötig, beim redaktionskritischen Vorgehen auch auf bekannte mk Lieblingsmotive in Verbindung mit Literar- und Kompositionskritik zu achten. Auch besondere Erzähltechniken, wie die mk Schachtel oder die mk Leerstelle,51 werden sich als aufschlussreich erweisen. Die Redaktionskritik wird in einem ersten exegetisch orientiertem Hauptteil zur Anwendung gebracht. Damit soll die textliche Grundlage für alle weiteren Überlegungen geklärt werden. Dabei sind erste Ergebnisse zu erwarten, die in einem zweiten stärker thematisch orientierten Hauptteil vertieft werden sollen. In diesem Teil werden neben realkundlichen Fragen zur Familie Jesu und der Frage nach der Identifikation der Maria beim Kreuz weitere Methoden helfen, das Motivfeld »Familie« zu erfassen. Möglich wäre die Anwendung von Metapherntheorien. Gerade in den letzten Jahren sind zum Thema »Familie im Neuen Testament« einige interessante Arbeiten mit einem metapherntheoretischen Ansatz erschienen.52 Dass ich in der vorliegenden Arbeit andere Ansätze wähle, hängt mit der Blickrichtung der Untersuchung zusammen: Eine Untersuchung über Maria hat zunächst wenig Berührungspunkte mit metaphorischer Rede, selbst wenn die narrative Funktion Marias weit über die der geschichtlichen Person hinausgeht. Wenn Markus das Motiv des Familienwechsels an der Gestalt der Maria verdeutlicht, so an der leiblichen – nicht der metaphorischen – Mutter Jesu.53 Markus hat auch konkrete Familienzerwürfnisse und das wörtlich zu nehmende Zusammenleben seiner Gemeinde im Blick. Die dabei begegnende Familienmetaphorik könnte natürlich mithilfe von Metapherntheorien untersucht werden,54 dennoch halte ich es speziell bei den mk Texten für lohnenswert, einen anderen Zugang zu suchen.

man die Stärken beider Ansätze miteinander, so wird man wohl ›der komplexen Wirklichkeit eines Textes am ehesten gerecht‹ werden.« (Urban zitiert im Zitat BECKER, Joh 1, 31). 51 M.E. arbeitet Markus bewusst mit Lücken und erwartet von der Leserschaft Interpretationsarbeit. Ich werde unten Teil 3, 2.2.2 näher darauf eingehen. 52 Erst kürzlich erschien die umfassende Untersuchung Paulus und seine ›Kinder‹ von C. GERBER. Vgl. auch: H. MOXNES (Hg.), Constructing early Christian families. Family as social reality and metaphor, 1997; D. RUSAM, Die Gemeinschaft der Kinder Gottes, 1993; T. ROH, Die familia dei in den synoptischen Evangelien, 2001. 53 Auch mit dem metaphorischen Gebrauch von »Bruder«/»Schwester« geht Markus sparsam um: Außer in 3,34f und 10,30 ist Bruder/Schwester immer wörtlich gemeint. Nun sind gerade diese beiden Stellen für meine Arbeit zentral, doch auch innerhalb dieser Perikopen begegnen leibliche Brüder und Schwestern (vgl. 3,20f.31–35; 10,29). 54 Im Sinne der wirklichkeitserschließenden Funktion metaphorischer Rede, Konzeptübertragung o.Ä.

Vorgehensweise

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Wichtig erscheint mir allerdings die Frage, wie die mk Leserin bzw. der Leser die verwendete Familienmetaphorik verstanden. Diese Frage zu klären, helfen Sozialgeschichte und v.a. Kulturanthropologie. Es ist im Bewusstsein der Exegeten, dass Familie im mediterranen Raum des 1. Jh. n.Chr. kaum etwas mit unserer modernen Vorstellung von Familie zu tun hat. Der kulturanthropologische Ansatz, der seit einigen Jahren das exegetische Methodeninstrumentarium bereichert, ist in der Lage, die Vorstellung von Familie im Kulturraum der frühen Christenheit zu erhellen. Gerade zum familiären Leben in der kulturellen Welt des NT sind in den letzten Jahren wichtige Arbeiten veröffentlicht worden, die hier weiterführen.55 Daneben halte ich auch diesbezügliche kulturanthropologische Untersuchungen vergleichbarer Kulturräume für aufschlussreich.56 Schließlich soll ein spezieller kulturanthropologischer Aspekt helfen, das Motiv des Wechsels von der Herkunftsfamilie in die familia dei und die Charakteristik der neuen Familie noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und so besser zu verstehen. Versuchsweise sollen von Arnold van Gennep und Victor Turner entwickelte ritualtheoretische Modelle an die mk Texte herangetragen werden. Weitere Zugänge, wie Begriffs- und Motivgeschichte, semantische Analyse und die zeitgeschichtliche Einordnung, werden das Methodeninstrumentarium ergänzen. Der synoptische Vergleich, ein Standardwerkzeug jeder Synoptikerexegese, soll – von vereinzelten Seitenblicken abgesehen – erst in einem späten Stadium der Arbeit zur Anwendung kommen.57 Dahinter liegt unter den Voraussetzungen der Zwei-Quellen-Theorie und der Markuspriorität eine bewusste Entscheidung. Wie Weeden bemerkt, ist es »schwierig, Markus zu lesen, ohne […] eine Kenntnis der anderen Evangelien […] miteinzubeziehen. Durch diese Kenntnis wird jede Lektüre oder Interpretation des Markus gefärbt, wenn nicht sogar bisweilen entstellt.«58

55 Genannt seien hier v.a.: MOXNES, Constructing (s.o. Anm. 52); C. OSIEK/D.L. BALCH, Families in the New Testament world: households and house churches, 1997; G.S. NATHAN, The Family in late Antiquity. The rise of Christianity and the endurance of tradition, 2000; D.L. BALCH/C. OSIEK (Hg.), Early Christian families in context: an interdisciplinary dialogue, 2003. 56 So: A. NIPPA, Haus und Familie in arabischen Ländern. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 1991; ferner F. BARTH, Role dilemmas and father-son dominance in Middle Eastern kinship systems, 1981. 57 Vgl. unten Teil 3, 3.10. 58 WEEDEN, Häresie, 241. Gerade mit Blick auf Maria empfiehlt sich dieser »synoptische Verzicht«. In der Geschichte der Forschung wurde die mk Maria oft zu sehr im Licht der beiden Großevangelien gesehen. So sprechen noch heute Exegeten mit der nötigen Vorsicht von impliziten Hinweisen auf eine Jungfrauengeburt im MkEv (vgl. GRUNDMANN, Mk, 157; SCHMIDT, Rahmen, 154f; GNILKA, Mk I, 232) oder bringen gar die Geburt in Bethlehem in die Diskussion ein (SCHMID, Mk, 115).

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Einleitung

Neben dem Motivfeld »Familie« und der Verbindung zu Maria ist es nicht nur für eine Arbeit mit protestantischem Hintergrund reizvoll, der mk Maria am Ende noch einmal besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.59 Die Grundthese der Arbeit, Jesu Mutter stehe am Kreuz, wirft ein neues Licht auf die mk und evtl. auch auf die historische Maria. Es erscheint mir deshalb lohnenswert, am Ende dieser Arbeit die mariologischen und ökumenischen Konsequenzen meiner These im Rahmen eines Ausblicks darzustellen.

59 Das MkEv steht – wie gesagt – bei der Frage nach Maria im NT nahezu immer am Rand oder wird zur Disqualifizierung ihrer Bedeutung genutzt.

1. Familie in Konfliktsituationen Familie in Konfliktsituationen Berufung der ersten Jünger

1.1 Berufung der ersten Jünger (1,16–20) 16

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18 19

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16

Und als er am galiläischen Meer entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder, die Wurfnetze im Meer auswarfen, denn sie waren Fischer. 17Und Jesus sprach zu ihnen: Auf! Mir nach. Und ich werde euch zu Menschenfischern machen. 18 Und sogleich verließen sie die Netze und folgten ihm nach. 19Und als er ein kurzes Stück weiterging, sah er Jakobus, den des Zebedäus, und Johannes, dessen Bruder, wie diese im Boot die Netze in Ordnung brachten. 20Und sogleich rief er sie. Und sie ließen ihren Vater Zebedäus im Boot mit den Tagelöhnern zurück und gingen weg, ihm nach.

1.1.1 Kontext und Struktur Im Aufriss des MkEv befindet sich Mk 1,16–20 am Beginn des eigentlichen Evangeliums (Mk 1,1–13: Prolog) bzw. am Beginn der galiläischen Wirksamkeit. Nach der im geografisch orientierten Aufbau des Evangeliums zentralen Notiz von der Ankunft Jesu in Galiläa (V. 14) und einer summarischen Einführung in seine Lehre und Predigt (V. 15) kommt es nun zur Berufung der ersten Jünger.1 Die für das gesamte Wirken Jesu programmatische Ankündigung der nah herbeigekommenen ƧƦƶƮưƪ˄Ʀ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ 1 »Jesus, der Bote des Ev, beruft Jünger, die das Ev zu allen Völkern bringen sollen (13,10).« ERNST, Mk, 56.

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(V. 15) wirft ihr Licht auch auf die Jüngerberufung:2 Die eschatologische Dringlichkeit lässt deren Radikalität und Absolutheit konsequent erscheinen. Die Jünger gehören zu den wichtigen Themen im Evangelium mit einer durchgehenden Erzähllinie,3 die mit der Perikope Mk 1,16–20 eröffnet wird. Im Anschluss der Perikope wird die Leserschaft4 mit den Taten Jesu – Exorzismen und Krankenheilung – vertraut gemacht. In 2,14 kommt es zu einer weiteren Jüngerberufung mit nahezu gleichem Aufbau und Motiv. Die Perikope ist durch die geografischen Angaben deutlich abgegrenzt.5 Sie gliedert sich in zwei inhaltlich parallele Berufungsszenen,6 wobei die zweite gekürzt erzählt wird: Jesus geht, sieht (ƪʋƩƳƵ) die fremden7 Männer bei ihrer alltäglichen Arbeit und ruft sie selbstbewusst, d.h. ohne »werbende Vorbereitung«8 und im Befehlston in die Nachfolge. Die Männer verlassen sogleich ihre Arbeit und – explizit in der zweiten Szene – ihre Familie.9 Sie folgen gehorsam und widerspruchslos nach.10 Der alte Beruf der Männer ɚưƮƪ̝Ƶ dient der Erläuterung ihres neuen Berufs ɚưƮƪ̝Ƶ əƱƭƴˊ™ƼƱ.11 Nachfolge und Mission sind in der Perikope untrennbar verbunden. 2

Vgl. KERTELGE, Jüngerschaft, 153f. Vgl. z.B. 1,16–20.29f.36–38; 2,14–28; 3,13–19; 4,13.34–40; 5,31.37; 6,7–13.37.45–52; 7,17– 23; 8,14–21.27–9,1; 9,2.5.11.14.18.31–50; 10,10.13f.28–45; 14,18–21.26–42.50–53.66–72; 15,7. 4 Es ist nicht nur von Leserinnen/Lesern, sondern auch von Vorleser/Vorleserin und Hörerinnen/Hörern in der mk Gemeinde auszugehen. Vgl. SCHENKE, Mk (1988), 151f. Aufgrund der gebräuchlicheren Verwendung benutze ich für die Adressaten des Evangeliums »Leser« bzw. den geschlechtsübergreifenden Begriff »Leserschaft« (auch bei der Variante »Vorleser–Hörer« wird der schriftliche Text primär gelesen). Vgl. auch die Entscheidung LÜHRMANNs (Mk, 9). 5 V. 16: ™ƦƴʾƨƼƱ ™Ʀƴʽ ƷˁƱ ƭʾưƦƶƶƦƱ Ʒ̏Ƶ ƊƦưƮưƦ˄ƦƵ; V. 21: ƪʅƶ™ƳƴƪˈƳƱƷƦƮ ƪʅƵ ƐƦƹƦƴƱƦƳˈµ. Die Möglichkeit zweier ursprünglich selbstständiger Erzählungen, von denen eine in der Nacht (Fischfang), eine am Tag (Reparatur der Netze) spielt, weist GNILKA (Mk I, 72) aufgrund der einheitlichen Erzählweise zurück. 6 Dass es sich dabei um Dubletten handelt, wie SCHMITHALS (Mk I, 105) meint, erscheint aufgrund der unterschiedlichen Personen fraglich. Eher kommt doch eine bewusst gehaltene gleiche Gestaltung (vgl. 2,14) in Betracht. Vgl. GNILKA, Mk I, 72. 7 LOHMEYER, Mk, 31: »gerade daß ein völlig Fremder sie anruft, ist die Spitze der folgenden Erzählung.« Vgl. auch GRUNDMANN, Mk, 53. Daraus sind keine historischen Schlüsse zu ziehen. Vgl. REPLOH, Lehrer, 28. 8 ERNST, Mk, 57. 9 GNILKA (Mk I, 74) spricht zu Recht von einer Radikalisierung der Nachfolge. Ob das »Verbleiben der Lohnknechte« diese wieder abmildert, erscheint mir fraglich. Die Erzählung richtet den Blick auf die Jünger, weniger auf den Vater. 10 »Das Gehen, Sehen, Sprechen, Hören, Kommen, die elementaren Funktionen menschlichen Handelns, bestimmen weitgehend die Sprache unseres Evangeliums.« GNILKA, Mk I, 73. Vgl. Mk 2,14 und den Blick Jesu in Mk 10,21. Die Unterteilung in Zurücklassen des Berufs und der Familie führt später (10,28) zu dem summarischen ™ʾƱƷƦ. So auch PESCH, Mk I, 111. Mit den Unterschieden bei der Berufsausübung soll wohl »in erzählerischer Abwandlung auf den Fischerberuf hingewiesen werden.« ERNST, Mk, 58. 11 Die Problematik des Begriffs, dessen positiver Gebrauch sonst unbekannt ist, braucht in dieser Arbeit nicht zu interessieren. Vgl. dazu GNILKA, Mk I, 73; SCHWEIZER, Mk, 21. Hingewiesen 3

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Die Erzählung wirkt, obwohl auf die Schilderung von Einzelheiten weitgehend verzichtet wird,12 anschaulich und plastisch, sodass man sogar vermutet hat, sie sei in ihrer ursprünglichen Gestalt aus der Perspektive der Fischer erzählt worden.13 Die Perikope Mk 1,16–20 steht in unmittelbarer Beziehung zu 10,28. Bereits das verwendete Vokabular14 legt dieses nahe. Mk 10,28 bezieht sich auch inhaltlich deutlich auf Mk 1,18 – Petrus verweist auf den dort vollzogenen Schritt. Die paarweise Berufung deutet wohl bereits auf die Jüngeraussendung hin, welche ebenfalls paarweise erfolgt (Mk 6,7).15 Der Ruf von V. 17 Ʃƪ̬Ʒƪ ʕ™˄ƶƼ µƳƸ ist in 2Kön 6,19LXX zu finden.16 In 1Kön 19,19–21LXX begegnet ʕ™˄ƶƼ ƍưƮƳƸ bzw. ʕ™˄ƶƼ ƶƳƸ im Kontext von Nachfolge. In V. 7 findet sich ʕ™˄ƶƼ µƳƸ im Munde des Täufers. Die Aufforderung wird in 8,33 gegenüber V. 17 gegenläufig an Petrus gerichtet (ʦ™Ʀƨƪ ʕ™˄ƶƼ µƳƸ), aber einen Vers später erneut an Volk und Jünger ergehen: ƪʉ ƷƮƵ ƭˀưƪƮ ʕ™˄ƶƼ µƳƸ əƯƳưƳƸƭƪ̝Ʊ. Das zentrale Thema der Nachfolge wird sei allerdings auf eine ebenfalls positive Konnotation des Motivs in JosAs 21,21. GUIJARRO (Reino y familia, 517) beurteilt das Menschenfischerwort aufgrund seiner sonst unüblichen positiven Konnotation als jesuanisch: In der späteren christlichen Mission hat es sich terminologisch nicht durchgesetzt. 12 BULTMANN (Geschichte, 27) spricht von einer idealen Szene. Dagegen HAUCK, Mk, 20f: »konkret erzählte Geschichte, jedenfalls Niederschlag persönlichster Erinnerung des Ptr« etc. Beide Außenpositionen dürften es nicht treffen. Auf der einen Seite wird 1Kön 19,19ff als Vorlage dienen (s.u.) und die Szene weist durchaus ideale Züge auf. Auf der anderen Seite können aber auch konkrete historische Erinnerungen im Hintergrund stehen. So auch GNILKA, Mk I, 75. Darauf weist evtl. auch die Schilderung unterschiedlicher Fischfangtechniken bzw. Netze. BÖHM (Nachfolge, 26f) betont allerdings die Unvorstellbarkeit und unrealistische Ferne für Christen, die nicht als Wandercharismatiker leben. 13 So SCHMIDT, Rahmen, 44 (in Anlehnung an J. WEISS): das ™ƦƴʾƨƼƱ ist »mehr vom Standpunkte der auf dem Wasser befindlichen Fischer, die Jesus am Ufer vorbeikommen sahen«, erzählt. »Das absolute əμijƮƧʾưưƳƱƷƦƵ ist ein terminus technikus, der sich im Munde des erzählenden Fischers besonders gut macht.« So kann auch DALMAN (Orte, 144f) – die realen Verhältnisse Palästinas vor Augen – berichten: »Petrus und Andreas schritten hoch aufgeschürzt oder im kurzen Hemde im seichten Uferwasser und warfen mit geschicktem Schwunge das 3–5 m weite kreisförmige Wurfnetz, daß es ausgebreitet auf die Wasserfläche niederfiel, und haben es dann mit der von der Mitte ausgehenden Schnur wieder eingezogen, als Jesus sie berief [...]. Im Boot sitzend brachten Jakobus und Johannes mit ihrem Vater Zebedäus ihre Hochseenetze für den nächsten Fischzug in Ordnung«. Anders REPLOH, Lehrer, 29. 14 Mk 1,18: əƹˀƱƷƪƵ Ʒʽ Ʃ˄ƯƷƸƦ ɵƯƳưƳˈƭƬƶƦƱ ƦʡƷƼ – Mk 10,28: əƹ˂ƯƦµƪƱ ™ʾƱƷƦ ƯƦ˃ ɵƯƳưƳƸƭ˂ƯƦµˀƱ ƶƳƮ. Mk 1,20: əƹˀƱƷƪƵ Ʒ˅Ʊ ™ƦƷˀƴƦ – Mk 10,29: əƹ̏ƯƪƱ ... ɷ ™ƦƷˀƴƦ. 15 So GNILKA, Mk I, 73. 16 Nach GNILKA (Mk I, 73) ist eine Zitierung nicht anzunehmen, da der Nachfolgegedanke fehlt. Anders PESCH, Mk I, 111. Immerhin handelt es sich um eine Elischa-Geschichte. Dessen Berufung in 1Kön 19,19ff aber steht als Vorbild für die gesamte Perikope (s.u.). Vgl. HENGEL, Nachfolge, 19. BARTON (Discipleship, 61) weist darauf hin, dass die Elia-Elischa-Geschichte auch an anderer Stelle auf die synoptische Tradition eingewirkt hat (Mt 8,21f; Lk 9,59–62).

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mit der Perikope eröffnet und steht – durch die beschriebenen wörtlichen Parallelen erkennbar – mit der Leidensnachfolge in Beziehung (8,34). Das Bild der Menschenfischer findet sich in negativer Konnotation bei Jer 16,16; Am 4,2; Hab 1,14f; 1QH 3,26; 5,7f.17 Beim V. 20 kann der Hinweis auf das Verlassen des Vaters mit dem im MkEv exklusiven Verständnis der Vatermetapher18 in Beziehung stehen.19 Als Vorbild für das Schema der Berufung darf 1Kön 19,19–21 gelten.20 Allerdings fehlt in Mk 1 das Motiv der Verzögerung durch den aufwendigen Abschied Elischas von seinen Eltern,21 wobei auch bei der ElischaBerufung Elia »nach dem ursprünglichen Sinn der Erzählung«22 den Abschied von den Eltern verbietet. Die Übereinstimmungen lassen Mk 1,16– 20 der Form nach als Berufungsgeschichte erkennen. Der Erzähler hat sich deutlich an der Berufung Elischas orientiert,23 den Abschied vom Vater aber wesentlich radikaler gestaltet. Diese bewusste Änderung spiegelt neben historischen Aspekten24 auch ein gewisses Interesse des Erzählers an der Trennung der Jünger von ihrer Familie wider. Mit Lk 5,1–11 wird eine andere Tradition der Berufungsszene sichtbar. Die Szene hat Lukas durch Bearbeitung und Umstellung des mk Materials (1,16–20; 2,14; 4,1f) und der Tradition vom wunderbaren Fischzug (vgl. auch Joh 21,1–11) geschaffen.25

1.1.2 Redaktionskritik Die geografische Einbindung der Berufungsgeschichte ™Ʀƴʽ ƷˁƱ ƭʾưƦƶƶƦƱ Ʒ̏Ƶ ƊƦưƮưƦ˄ƦƵ26 in V. 16 und ƪʡƭˇƵ27 in V. 18 und 20 stammen 17

Vgl. GNILKA, Mk I, 73. BILLERBECK, Mt, 188. Vgl. aber auch Ez 47,10. Vgl. Mk 11,25; vgl. auch Mk 13,32; 14,36. Vgl. GERBER, Familie, 49. 19 Es wird sich später zeigen, dass der Vater Jesu aufgrund der Gott-Vater-Metapher aus dem Evangelium konsequent herausgehalten zu sein scheint. 20 Vgl. z.B. GNILKA, Mk I, 74. GUIJARRO (Reino y familia, 517) betont die Unterschiede. 21 Vgl. dazu GRUNDMANN, Mk, 55. Vgl. auch SCHMAHL, Die Zwölf, 64: »Jesus Wort duldet keinen Aufschub«. Vgl. ebd. Anm. 123. 22 HENGEL, Nachfolge, 18. Allerdings dürfte Markus die abgeschwächte Version mit Abschied von den Eltern gekannt haben. 23 Vgl. GNILKA, Mk I, 75 (ideale Szene etc.). 24 Die Nennung der Namen und des Berufs zeigt einen historischen Kern in der Geschichte. 25 So BOVON, Lk I, 228f. 26 Vgl. GNILKA, Mk I, 72: ™Ʀƴʾ + Akk. und die Bezeichnung des Sees gehen auf Markus zurück. Nach PESCH, Mk I, 108.110 (vgl. auch LOHMEYER, Mk, 31) ist dagegen bei der Ortsbezeichnung nur Ʒ̏Ƶ ƊƦưƮưƦ˄ƦƵ markinisch und nach Ernst (Mk, 56) ist die Landschaftsbezeichnung traditionell. REPLOH (Lehrer, 29) weist auf die unsinnige Doppelung in ™ƦƴʾƨƼƱ ™ƦƴƦ ƷˁƱ ƭʾưƦƶƶƦ hin, die durch die redaktionelle geografische Verortung zustande gekommen ist. 27 41-mal im MkEv mit stets temporalem Charakter. Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 84ff. 18

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von Markus. Typisch für den Evangelisten ist auch der Partizipialgebrauch von əƹˀƱƷƪƵ.28 Somit kann ƪʡƭˇƵ əƹˀƱƷƪƵ Ʒʽ Ʃ˄ƯƷƸƦ in V. 18 insgesamt eine Einfügung des Evangelisten sein,29 zumal die Erwähnung der Netze nach V. 16 etwas überrascht, von V. 19 her aber erklärbar ist. Die Geschichte an sich benötigt diese Ergänzung nicht. Die Annahme einer mk Ergänzung des Andreas ist dagegen nicht zwingend.30 Damit ist aber auch der Teilsatz ƯƦ˃ əƹˀƱƷƪƵ Ʒ˅Ʊ ™ƦƷˀƴƦ ƦʡƷ̹Ʊ ƌƪƧƪƩƦ̝ƳƱ ɩƱ Ʒ̺ ™ưƳ˄̷ µƪƷʽ Ʒ̹Ʊ µƮƶƭƼƷ̹Ʊ in V. 20, der die Parallele zu der eben besprochenen Ergänzung ist, verdächtig. Bei əƹˀƱƷƪƵ und ™ưƳ̝ƳƱ (auch in V. 19)31 kann es sich um mk Vorzugsvokabular handeln. Der Vater Zebedäus taucht als Person im gesamten NT nur hier auf – eine redaktionskritische Beurteilung ist schwierig: Der konkrete Name und der Beruf deuten auf alte Erinnerung bzw. Tradition hin. Auch der Ursprung der Tagelöhner ist fraglich.32 Die Nennung des Vaters und seiner Arbeiter überrascht in der Tat nach V. 19, der allein die Brüder im Blick hat. Auch hier käme die Geschichte durchaus ohne den Hinweis auf das Verlassen aus. Inwieweit dem Redaktor eine Notiz von den Arbeitsverhältnissen der zebedäischen Familie vorlag, lässt sich nicht ermitteln. Mit einer Tradition muss aber gerechnet werden. Kann man aber in der ursprünglichen Überlieferung, welche sich an 1Kön 19 anzulehnen scheint, einen Abschied vom Vater erwarten?33 Eine redaktionelle Modifizierung ist trotz mancher Unsicherheiten in V. 20 anzunehmen.34 Beachtet man neben diesen Beobachtungen nun die hervorgehobene Stellung der Zebedaiden im gesamten Evangelium, erscheint die redaktionskritische Entscheidung Schmithals’, die zweite Berufung insgesamt dem Evangelisten zuzuschreiben, gar nicht mehr so abwegig.35 Mk 1,16–18 28

Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 108. Gegen GNILKA, Mk I, 72; PESCH, Mk I, 108; KERTELGE, Mk, 23 u.a. Die vorherrschende Meinung ist, dass Markus die Perikope nahezu unverändert übernommen hat. 30 So SCHMITHALS, Mk I, 107. Auch die redaktionelle Entwicklung der mk Berufungsszene aus Lk 5,1–11 mit dem Ziel, so (und nicht anders?) die Zebedaiden gleichgewichtig neben Petrus stellen zu können (ebd. 107ff), erscheint abwegig. Dagegen spricht schon die Wahrscheinlichkeit der Markuspriorität innerhalb der Zwei-Quellen-Theorie. Vgl. dagegen BOVON, Lk I, 228f. 31 Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 108.139. Ob ɩƱ Ʒ̺ ™ưƳ˄̷ in V. 19 der Redaktion zuzuschreiben ist, lässt sich kaum sicher entscheiden. Da es sich dabei um mk Formulierung handelt, ist aber eine redaktionelle Ergänzung durchaus möglich. Die gesamte Formulierung ɩƱ Ʒ̺ ™ưƳ˄Ƽ begegnet auch in Mk 4,36; 5,21; 6,32; 8,14. Vgl. auch ɩƯ ƷƳ̬ ™ưƳ˄ƳƸ Mk 5,2; 6,54; ƪʅƵ Ʒ˅ ™ưƳ̝ƳƱ Mk 4,37; 5,18; 6,45.51; 8,10. 32 HAUCK (Mk, 20) denkt an einen »ausmalenden Zug des Bearbeiters«. Vielleicht spiegelt sich hier nur allgemeiner Fischereialltag: Das Fischen mit Netz und Boot benötigte zehn bis sechzehn Personen. Vgl. GUIJARRO, Family, 59. 33 PESCH, Mk I, 109: Im Verlassen des Vaters wirkt das Verzögerungsmotiv (1Kön 19,20) nach. 34 Gegen GNILKA, Mk I, 72; PESCH, Mk I, 108; KERTELGE, Mk, 23 u.a. 35 Vgl. SCHMITHALS, Mk I, 106; DIBELIUS, Formgeschichte, 109. Gegen GNILKA, Mk I, 72; PESCH, Mk I, 108; KERTELGE, Mk, 23 u.a. REPLOH (Lehrer, 30) urteilt vorsichtiger: »Doch wird 29

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hätte den VV. 19f demzufolge als Vorlage gedient.36 Die Zusammenstellung der Zebedaiden mit Simon Petrus und teilweise seinem Bruder Andreas,37 die im Evangelium oft begegnet (Mk 1,29; 3,16f; 5,37; 9,2; 13,3; 14,33), würde mit der redaktionellen Ergänzung der VV. 19f bis zum Anfang der Jüngerschaft zurückgeführt. Dadurch würden mit der exemplarischen Berufungsszene die im Evangelium bedeutendsten Jünger gemeinsam eingeführt. Die Entscheidung, die VV. 19f in ihrer Gesamtheit der Redaktion zuzuschreiben, erscheint mir dennoch unwahrscheinlich, eine Zusammenstellung und Bearbeitungen verschiedener Traditionen hingegen möglich. Als Ausdruck eines kompositorischen Interesses muss die Anordnung der Perikope mit Blick auf Mk 10,28–31 gelten. Neben dem Interesse an der Einführung der im Evangelium wichtigsten Jünger38 rahmt der Gedanke des Verlassens – der Nachfolge als »plötzliches Herausrufen aus dem Beruf«39 und der Familie – so die gesamte galiläische Zeit.

1.1.3 Ergebnis Abgesehen von der narrativen Vorbereitung des für meine Untersuchung zentralen Logion Mk 10,28–31 bietet die Perikope selbst interessante Aspekte zum Motivfeld »Familie«. Die redaktionelle Einfügung bzw. Modifizierung des Motivs vom Verlassen des Berufs und der Familie zeigt das besondere mk Interesse an diesem Thema. Nachfolge bedeutet in dieser Perikope (und im Evangelium) kein normales Lehrer-Schüler-Verhältnis, in dem die Vermittlung der Lehre im Vordergrund steht, sondern das für die Jünger vor allem wörtlich zu nehmende Hinter-Jesus-Hergehen (V. 17: Ʃƪ̬Ʒƪ ʕ™˄ƶƼ µƳƸ) bzw. Mit-Jesus-Sein (3,14: ʊƱƦ ʳƶƮƱ µƪƷ̉ ƦʡƷƳ̬),40 den »persönlichen Anschluß an Jesus, teilhaben an seinem Leben«.41 Lohmeyer beschreibt dies plastisch: »es bedeutet nicht nur von Ihm lernen, Ihm dienen, Sein Leben teilen, sondern auch daß in dieser Gemeinsamkeit in Raum und Zeit eschatologische Gesich kaum eine Sicherheit darüber, ob Markus die zweite Berufungsgeschichte selbst geprägt hat, erreichen lassen«. 36 Dass Markus dabei eine Zebedaiden-Tradition benutzt hat, ist möglich. 37 Vgl. auch BÖTTRICH, Petrus, 38f: In Lk 5,1–10 werden die vier als Arbeitskollegen gedacht. 38 Vgl. etwa REPLOH, Lehrer, 31. 39 BULTMANN, Geschichte, 27. 40 Vgl. z.B. BIEDER, Berufung, 9f. Dieses wörtliche Hinterhergehen führt zwangsläufig auch ins Leid – einem zentralen Thema des gesamten Evangeliums (Mk 8,34 u.ö.). Zu diesem Hinterhergehen vgl. auch die Bedeutung des »Wegs« im Evangelium. Auch bei der Frage nach dem Markus-Schluss dürfte dieser Aspekt eine Rolle spielen (16,7). Das Thema »Nachfolge« wird später eingehender behandelt (s.u. Teil 3, 3.6). 41 GNILKA, Mk I, 74.

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meinschaft in Gottes Reich gegeben und geübt wird.«42 In diese neue irdische wie eschatologische Gemeinschaft werden die Jünger vollmächtig gerufen, dafür lassen sie sogleich (ƪʡƭˈƵ) alles liegen und kehren ihrem alten Leben den Rücken.43 Wenn die neue Jüngergemeinschaft auch nicht mit der ekklesiologisch bedeutsamen mk familia dei verwechselt werden darf,44 zeigt sich hier doch in Ansätzen ein neues Sozialmodell.45 Nachfolge bedeutet den Wechsel zu einem Neuen (Futur in V. 17), in dem das Alte keinen Platz hat, zumindest dem Neuen unterzuordnen ist. Interessant ist allerdings, dass die geschwisterliche Verwandtschaft der beiden Brüderpaare bestehen bleibt (vgl. dagegen 13,12!). Besonders die Zebedaiden werden im Evangelium oft in einem Atemzug genannt.46 Darin spiegelt sich die Bedeutung der Brüder im mk Jüngerkreis oder vermutlich ihre Bedeutung in den ersten Gemeinden bzw. in Jerusalem wider.47 Dennoch wird deutlich: Für Markus müssen familiäre Beziehungen nicht zwangsläufig in Konkurrenz zur Jesusnachfolge stehen.48 Ob – wie Bieder meint – mit der Berufung von je zwei Brüdern der Gemeinschaftsgedanke in der Nachfolge ausgedrückt werden soll, ist unsicher.49 Dieser Gedanke drückt sich eher in der Anzahl der Jünger als in ihrer verwandtschaftlichen Bindung aus (vgl. Mk 6,7). 42 LOHMEYER, Mk, 32. Diese Deutung erweist sich mit Blick auf den doppelten Lohn des Verlassens in Mk 10,29f als richtig. SCHMITHALS (Mk I, 105) spricht gar von einer »Äonenwende, die sich im Dasein dessen vollzieht, der inmitten der Welt des Todes das Leben ergreift«. 43 BÖHM (Nachfolge, 27f) wertet diese vorbildlich gehorsame Befolgung des Nachfolgerufs als Konsequenz der Imperative µƪƷƦƱƳƪ̝Ʒƪ ƯƦ˃ ™ƮƶƷƪˈƪƷƪ ɩƱ Ʒ̺ ƪʡƦƨƨƪư˄̷ in Mk 1,15. 44 Vgl. unten Teil 3, 3.6.1. 45 Vgl. BIEDER, Berufung, 8f: Er betont, »dass es sich beim Berufungsakt Jesu um eine Sache der Gemeinschaft handelt.« Vgl. auch REPLOH, Lehrer, 32. Er stellt die Frage, warum nicht zuerst eine Einzelberufung erfolgt. Die vier werden »zur gleichen Zeit, am gleichen Ort und unter gleichen Umständen [...] in die Gemeinschaft des Jünger-Jesu-Seins gerufen. In dieser Gemeinschaft aber leuchtet schon das Bild der späteren Gemeinde auf. [...] Die Berufung durch Jesus schafft die Gemeinschaft der Berufenen.« 46 Mk 1,29; 3,17; 5,37; 9,2; 10,35.41; 13,3; 14,33. Dagegen stehen Petrus und Andreas auch unverbunden: 3,16.18; 13,3 gegen 1,16.29. 47 So auch REPLOH, Lehrer, 33. Vgl. Act 1,13f; 12,2: Jakobus als Märtyrer; Gal 2,9: Petrus und Johannes als »Säulen«. SCHMITHALS (Mk I, 106) sieht – wie bereits gesagt – die Einführung der Zebedaiden als »redaktionell herausgehobene Darstellung des Evangelisten [...], der die Jerusalemer ›Säulen‹ (Gal 2,1–10) als Kreis der engsten Vertrauten Jesu um seiner Geheimnistheorie willen [welche SCHMITHALS ebd. 47 allerdings der »Grundschrift« – vgl. unten 1.2, Anm. 87 – zurechnet!, TR] in seine Darstellung einfügt«. 48 BIEDER (Berufung, 13) betont das Generationsproblem, die Loslösung vom Vater, welches sich aus der Berufung ergibt. Mit Mk 13,12 und Bieders Bemerkung: »Das Leben der Berufenen ist von ihrem eigenen Fleisch und Blut her bedroht« (ebd.) und seinem aktualisierenden Hinweis auf die Bedrohung des Missionars durch die »geliebte Ehegefährtin« (ebd. Anm. 12) erübrigt sich diese Verengung auf den Generationskonflikt. 49 So BIEDER, Berufung, 9. Den Gemeinschaftsgedanken drückt Markus anders aus (vgl. 3,31ff; 10,29f). Er wird in dieser Perikope sicher eher durch die gemeinsame Berufung der vier Jünger, als durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zueinander ausgedrückt.

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Familie in Konfliktsituationen

1.2 Neubestimmung der Familie Jesu (3,20f.31–35) Neubestimmung der Familie Jesu ƯƦ˃ ɭƴƺƪƷƦƮ ƪʅƵ ƳʋƯƳƱž ƯƦ˃ ƶƸƱˀƴƺƪƷƦƮ ™ʾưƮƱ [ʖ] ʙƺưƳƵ, ʲƶƷƪ µˁ ƩˈƱƦƶƭƦƮ ƦʡƷƳˇƵ µƬƩʿ ɝƴƷƳƱ ƹƦƨƪ̝Ʊ. ƯƦ˃ əƯƳˈƶƦƱƷƪƵ Ƴʆ ™Ʀƴ̉ ƦʡƷƳ̬ ɩƲ̏ưƭƳƱ ƯƴƦƷ̏ƶƦƮ ƦʡƷˆƱž ɭưƪƨƳƱ ƨʽƴ ʚƷƮ ɩƲˀƶƷƬ.

20 21

ƯƦ˃ ɭƴƺƪƷƦƮ ɶ µ˂ƷƬƴ ƦʡƷƳ̬ ƯƦ˃ Ƴʆ əƩƪưƹƳ˃ ƦʡƷƳ̬ ƯƦ˃ ɭƲƼ ƶƷ˂ƯƳƱƷƪƵ ə™ˀƶƷƪƮưƦƱ ™ƴ˅Ƶ ƦʡƷ˅Ʊ ƯƦưƳ̬ƱƷƪƵ ƦʡƷˆƱ. ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ʙƺưƳƵ, ƯƦ˃ ưˀƨƳƸƶƮƱ ƦʡƷ̺, ƯƦ˃ ɩƯʾƭƬƷƳ ʍƩƳˇ ɶ ß˂ƷƬƴ ƶƳƸ ƯƦ˃ Ƴʆ əƩƪưƹƳ˄ ƶƳƸ [ƯƦ˃ Ʀʆ əƩƪưƹƦ˄ ƶƳƸ] ɭƲƼ ƫƬƷƳ̬ƶ˄Ʊ ƶƪ. ƯƦ˃ ə™ƳƯƴƮƭƪ˃Ƶ ƦʡƷƳ̝Ƶ ưˀƨƪƮ, ƚ˄Ƶ ɩƶƷƮƱ ɶ ß˂ƷƬƴ ßƳƸ ƯƦ˃ Ƴʆ əƩƪưƹƳ˄ [ßƳƸ]ź ƯƦ˃ ™ƪƴƮƧưƪƻʾµƪƱƳƵ ƷƳˇƵ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ƯˈƯư̷ ƯƦƭƬµˀƱƳƸƵ ưˀƨƪƮ, ɶ ß˂ƷƬƴ ßƳƸ ƯƦ˃ Ƴʆ əƩƪưƹƳ˄ ßƳƸ. ʑƩƪ ʘƵ [ƨʽƴ] ɛƱ ™ƳƮ˂ƶ̍ Ʒ˅ ƭˀưƬµƦ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬, ƳʨƷƳ əƩƪưƹˆƵ ßƳƸ ƯƦ˃ əƩƪưƹˁ ƯƦ˃ ß˂ƷƬƴ ɩƶƷ˄Ʊ.

31 32

33 34 35 20

Und er ging in ein Haus. Und wiederum kam [die] Volksmenge zusammen, sodass es ihnen nicht möglich war, Brot zu essen.50 21Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf, um ihn zu ergreifen, denn sie sagten: Er ist verrückt geworden. 31

Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und blieben draußen stehen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32Und um ihn saß die Volksmenge und sie sagten zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder [und deine Schwestern] suchen dich draußen. 33Und er antwortete und sprach: Wer ist meine Mutter und [meine] Brüder? 34 Und er sah um sich herum auf die, welche um ihn im Kreis saßen und sagte: Siehe, meine Mutter und meine Brüder. 35[Denn] wer den Willen Gottes tut, dieser ist mein Bruder und Schwester und Mutter.

Die Textkritik zu dieser Perikope ist – als Auslegungsgeschichte gelesen – sehr interessant und verweist bereits auf eine später aufzugreifende Fragestellung. In V. 21 setzt der westliche Text (D W – in Mk 1,1–5,30 bietet W westliche Lesart – it) statt der Verwandten Jesu (Ƴʆ ™Ʀƴ̉ ƦʡƷƳ̬) die »um ihn befindlichen Schriftgelehrten und die Übrigen« ein. Hierbei handelt es sich unzweifelhaft um eine sekundäre Abschwächung des scheinbar als anstößig empfundenen Texts.51 50

Vgl. BILLERBECK, Mk, 6. Man beachte, dass die Herrenverwandten (Jakobus) eine hervorgehobene Stellung in der Jerusalemer Gemeinde innehatten. Zudem ist der Text kaum mit der lk Kindheitsgeschichte vereinbar. Weitere Abschwächungstendenzen führt GNILKA (Mk I, 144 mit Anm. 2 und 148 mit Anm. 22) an. 51

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1.2.1 Kontext und Struktur Der Textabschnitt steht im Kontext der Wirksamkeit Jesu in Galiläa (Mk 1– 9) und befindet sich damit im ersten Hauptteil des Evangeliums. Der V. 21 setzt die vorhergehende Wirksamkeit Jesu (Exorzismen, Heilungen, Streitgespräche), die »den Seinen«52 bekannt geworden ist, voraus. Möglicherweise verweist der Handlungsort, sollte es sich dabei um das Haus des Petrus handeln, auf die vorhergehenden Ereignisse (Mk 1,29; 2,1.15).53 Schmithals sieht in dieser Geschichte den Eintritt in die Krise, in die Scheidung von Gemeinde und Welt. Parallel führt er Joh 6 an, wo sich, statt Schriftgelehrte (Mk 3,22–30) und Familie, »Juden« und Jünger von Jesus abwenden. Diese Zusammenschau und Deutung hat vieles für sich, das MkEv wird aber wohl etwas stark von der joh Theologie aus gelesen.54 Mit der Verwendung des Verbs ƯƴƦƷˀƼ (ergreifen/festnehmen) wird unmissverständlich auf die Passion verwiesen.55 Es lässt sich eine die verwandtschaftlichen Verhältnisse betreffende Linie zu den Abschnitten Mk 6,1–6; 10,29f und m.E. auch 15,40f.47; 16,1 ziehen. Ein deutlicher und aufschlussreicher Bezug besteht zu Mk 4,10–12. 52 ƕʆ ™Ʀƴ̉ ƦʡƷƳƸ muss nicht zwangsläufig auf die Familie bezogen sein, aber es besteht weitgehend Konsens, dass dies hier der Fall ist (vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 165ff). Der Kontext (VV. 31–35) scheint keinen anderen Schluss zuzulassen. »Was auch immer der Inhalt von V. 21 ursprünglich gewesen sein mag, im Kontext des Markusevangeliums spricht er von der Mutter und von den Brüdern Jesu.« RÄISÄNEN, Mutter, 29. Dagegen sieht SCHROEDER (Eltern, 110ff.116) unter Nichtbeachtung des Zusammenhangs zu V. 22 in V. 20f eine Aktion der Jünger (Ƴʆ ™Ʀƴ̉ ƦʡƷƳƸ) gegen das verrückt gewordene Volk (ƦʡƷˆƱ), das Jesus nicht einmal essen lässt. Somit kann er auch VV. 31–35 unabhängig von 20f und als eigene, kaum redaktionell veränderte Traditionseinheit abhandeln. Meine Untersuchung wird zeigen, dass diese These nicht haltbar ist. Auch PAINTER widmet seine Untersuchung When is a house not home? NTS 45, 498–513 dem Nachweis, dass es sich nicht um Jesu Familie, sondern um die Jünger handelt. Er kann aber m.E. nicht überzeugen. So führt er z.B. als Argument an, dass Jesus für die Leserschaft des MkEv die gesamte Zeit, die seine Familie für den Weg von Nazareth braucht, in dem Haus (V. 20) geblieben sein müsste. Die Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten hätte im Haus stattfinden müssen und diese wären zwangsläufig in die familia dei eingeschlossen (vgl. ebd. 504). Zudem müsse es der Leserschaft fraglich sein, wie die Familie in Nazareth von dem Volksauflauf in Kafarnaum erfahren haben könne (ebd.). Diese Argumente erübrigen sich, versteht man das MkEv nicht als Protokoll. Es bliebe auch die Frage: Wenn in V. 20 Jünger und Jesus im Haus sind, wieso sollten die Jünger dann in V. 21 aus dem Haus gehen (ɩƲ̏ưƭƳƱ) um Jesus (draußen!) zu packen? PAINTER vergisst hier seine ansonsten überkritische Beachtung der Details: »They may have gone into the house with Jesus and come out after him. [...] It is implied that, because of the press of the crowd, Jesus left the house to speak with the crowd.« Ebd. 508. 53 Vgl. unten Teil 3, 3.5. 54 Vgl. SCHMITHALS, Mk I, 216.218. Eine joh Parallele zum Vorwurf der Familie und der Schriftgelehrten findet sich allerdings noch in Joh 10,20. 55 Vgl. Mk 6,17; 12,12; 14,1.44.46.49.51. Vgl. PESCH, Mk I, 212; DSCHULNIGG, Sprache, 140.

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In 4,10 finden sich wiederum die Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ, und zwar als eine von den ƩˊƩƪƯƦ unterschiedene Größe.56 In 4,11 können die, welche »draußen« (ɭƲƼ, vgl. 3,31f) sind, das Geheimnis der Gottesherrschaft57 nicht verstehen (vgl. die Vorwürfe in 3,21f.30). Die Perikope begegnet in EvThom 99 und (vermutlich von Mt 12,46ff abhängig) EvEb 4. Die Tradition hinter V. 35 wird evtl. auch in Lk 11,28 und 2Clem 9,11 erkennbar. Die Abweichungen zu Mk 3 lassen das mk Konzept hervortreten (vgl. unten Teil 3, 3.10). Möglicherweise gibt es auch Assoziationen zu atl. Stellen, so zu Ps 69,9; Sach 13,3 und Jer 12,6.58 Eine Beziehung von V. 20 auf Am 8,1159 ist dagegen schwer nachvollziehbar. Die Struktur des Textabschnitts ist ausgesprochen interessant. Es handelt sich hier um eine »markinische Schachtel«.60 »Markus liebt um der gesteigerten Dramatik willen diese Verschachtelungen«.61 So wird der Abschnitt 3,20f.31–35 durch die VV. 22–30 unterbrochen. Die Perikope 3,20f.31–35 ist von Markus als zusammenhängende Geschichte konzipiert. Gnilka weist auf die unterschiedliche Bezeichnung der Familienangehörigen hin, was gegen eine dem Markus vorgegebene Einheit zu sprechen scheint.62 Mit der Zuweisung von V. 20f zur mk Redaktion durch Gnilka u.a. erübrigt sich aber zunächst dieser Einwand. Pesch sieht in V. 20f einen ursprünglich selbstständigen Traditionssplitter, hat aber damit den Großteil der Exegeten gegen sich.63 Ernst und Schmithals sehen in den zwei Abschnitten eine vormk Einheit, die Markus durch die Einfügung der VV. 22–30 getrennt hat.64 In die VV. 3.20f.31–35 baut Markus das Streitgespräch mit den Jerusalemer Schriftgelehrten um die Herkunft der Macht Jesu über die Dämonen ein. Dieses Streitgespräch wiederum rahmt die erste Gleichnisrede Jesu,65 welche den Vorwurf der Schriftgelehrten thematisiert, er sei vom Satan besessen. Interessant ist dabei die Beziehung der inneren zur äußeren Geschichte, auf die an anderer Stelle66 eingegangen werden soll. 56

Diese Frage wird gründlich zu untersuchen sein. S.u. Teil 3, 3.6.1. Ich übersetze ƧƦƶƮưƪ˄Ʀ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ in dieser Arbeit vorwiegend mit dem Begriff »Gottesherrschaft«. Dieser Begriff wird dem dynamischen Geschehen (das sich zukünftig verwirklichende Gottesreich ist bereits angebrochen) eher gerecht als der eher statisch wirkende Begriff »Gottesreich«. Möglich wäre aber auch »Königtum Gottes«. 58 Unterordnung familiärer Beziehungen ist also ein bekanntes Motiv. Vgl. unten Teil 3, 3.2. 59 So SCHMITHALS, Mk I, 214. 60 MELZER-KELLER, Frauen, 69. Vgl. Mk 5,21–43; 6,7–30; 11,12–21; 14,1–11; 14,53–15,15. 61 GNILKA, Mk I, 144. 62 Vgl. GNILKA, Mk I, 144. 63 Vgl. PESCH, Mk I, 211. Damit werde ich mich bei der Redaktionskritik auseinandersetzen. 64 Vgl. ERNST, Mk, 116; SCHMITHALS, Mk I, 211. Allerdings hält Ernst auch Gnilkas Erklärung, der die VV. 20f Markus zuschreibt, für plausibel. »Da alle Erklärungsversuche gute Gründe für sich haben, empfiehlt es sich, das Urteil in der Schwebe zu halten.« (ERNST, Mk, 117). 65 Vgl. SCHWEIZER, Mk, 41. Auch hier findet sich somit eine Verbindung zu Mk 4,10ff. 66 Vgl. unten 1.2.3. 57

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Die Struktur innerhalb der VV. 31–35 ist durch die symmetrische Anordnung der wörtlichen Rede bestimmt. Der Hinweis der Volksmenge auf die wartende Familie (V. 32) und die Antwort Jesu (V. 34) rahmen die Frage Jesu nach Mutter und Brüdern (V. 33) ein. Alle drei Sätze sind sprachlich bewusst gleich gestaltet und laufen auf den ihnen gegenüber chiastisch gestalteten weisheitlichen Lehrsatz V. 35 hinaus. Der V. 31 hat die Funktion der Exposition, wie auch schon die VV. 20f. Bei den ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ in den VV. 32.34 (vgl. Mk 4,10)67 handelt es sich evtl. um eine sprachliche Gegenüberstellung und Kontrastierung zu den Ƴʆ ™Ʀƴ̉ ƦʡƷƳ̬ in V. 21.68 Die Folge wäre eine direkte sprachliche Beziehung zwischen beiden Textabschnitten und eine Erklärung für die unterschiedliche Bezeichnung der Familienangehörigen in V. 21 und den VV. 31–35. Der Form nach handelt es sich bei dem Abschnitt um ein Apophthegma, »eine deutliche ›ideale‹ Szene wird mit einem nicht weniger deutlichen Wort Jesu abgeschlossen.«69 Gnilka charakterisiert VV. 31–35 noch spezieller als »biografisches Apoftegma«.70

1.2.2 Redaktionskritik »Kaum tritt die Komposition des Markus so stark hervor wie hier.«71 Für eine deutlich redaktionelle Arbeit spricht wohl auf den ersten Blick die bereits besprochene mk Schachtel. Ein großer Teil der Exegeten hält die VV. 20f für redaktionell.72 Der ʙƺưƳƵ spiegelt oft mk Interesse wider73 und ist – wie sich später zeigen wird – Bestandteil seiner ekklesiologischen Konzeption.74 Die Wörter ™ʾưƮƱ, ʲƶƷƪ µˁ75 und ƩˈƱƦƶƭƦƮ76 in V. 20 gebraucht Markus gern. Das Haus (ƪʅƵ ƳʋƯƳƱ)77 ist der typische Versammlungsort für den mk Jesus und seine Jünger.78 Zudem sind das Motiv der bedrängenden Volksmenge und die Hinderung am Essen (vgl. Mk 6,31) Markus zuzuweisen.79 67

Vgl. auch Lk 22,49 (Bezeichnung der Jünger); Mt 8,18 (bedrängende Volksmenge). So, wenn auch vorsichtig, MELZER-KELLER, Frauen, 69; OBERLINNER, Überlieferung, 169f. 69 SCHMITHALS, Mk I, 211. 70 GNILKA, Mk I, 147. So auch ERNST, Mk, 121; DORMEYER, Familie, 110 u.a. 71 SCHWEIZER, Mk, 41. 72 Vgl. dazu MELZER-KELLER, Frauen, 69; DORMEYER, Familie, 125f mit Anm. 179; GNILKA, Mk I, 144f u.a. 73 Vgl. Mk 4,10f; 8,34. Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 183f; OBERLINNER, Überlieferung, 159f. 74 S.u. Teil 3, 3.6.1. 75 Vgl. Mk 2,2; 4,1. So auch DSCHULNIGG, Sprache, 151f; OBERLINNER, Überlieferung, 160ff. 76 Vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 161. 77 Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 100; OBERLINNER, Überlieferung, 155ff. 78 Vgl. unten Teil 3, 3.5. 79 Vgl. Mk 1,32f.37.45; 2,1f.4.13; 3,7.10; 4,1. So auch OBERLINNER, Überlieferung, 162ff. 68

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Bei əƯƳˈƶƦƱƷƪƵ in V. 21 handelt es sich um einen evangeliumsinternen Rückbezug.80 Zudem findet sich in der Anschuldigung der Familie das mk Motiv des Unverständnisses. Bei ƯƴƦƷ̏ƶƦƮ handelt es sich um ein mk Lieblingswort.81 Fraglich ist, ob die Feindseligkeit der Familie redaktionell ist, oder ob sie einen traditionellen Kern hat. Melzer-Keller und Gnilka halten sie im Wesentlichen für redaktionell.82 Ein traditioneller Kern sollte m.E. nicht ausgeschlossen werden. Es würde schon eine polemische, dazu auch angreifbare Unverschämtheit des Evangelisten gegen die Größen der Jerusalemer Gemeinde bedeuten83 – denn unter denen befinden sich ja nach Ostern Familienangehörige Jesu84 – wenn er eine so anstößige Geschichte ohne Rückhalt in der Tradition aufschriebe.85 Pesch deutet, wie bereits erwähnt, die erste Szene (V. 20f) aufgrund mangelnder »Konturierung« eher als einen separaten Traditionssplitter.86 Schmithals, der von einer vormk Grundschrift87 ausgeht, ordnet dieser die VV. 20f.31b–35 zu und erhält ein einheitliches Traditionsstück, in das Markus die VV. 22–30 und zur Überleitung den V. 31a eingebaut habe.88 Am überzeugendsten erscheint es aber, den Großteil von V. 20f der Redaktion zuzuschreiben. Die genannten sprachlichen Besonderheiten und die analysierten mk Motive sprechen für sich. Allerdings ist für das Verhältnis der Familie zu Jesus auch mit alten Erinnerungen zu rechnen, zumal wenn man die Situation einer eher konservativen jüdischen Bauhandwerkerfamilie89 in ihrem Verhältnis zu einem radikalen Aussteiger unbefangen 80

Vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 167f. Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 140. 82 Vgl. MELZER-KELLER, Frauen, 69; GNILKA, Mk I, 145. 83 Diese mag bereits auf Grund des Jüdischen Kriegs Jerusalem verlassen haben (vgl. EUSEB, h.e. III 5,3), aber ein symbolischer Status kann immer noch bestehen. 84 Vgl. Act 1,14; 15,13; 21,18; Gal 1,19; 2,9; 1Kor 9,5; 15,7; JOSEPHUS, Ant XX 199–203. 85 Vgl. LOHMEYER, Mk, 77: Aufgrund des schweren Anstoßes, den die Geschichte für die Jerusalemer bieten muss, ist sie schwerlich erfindbar. 86 Vgl. PESCH, Mk I, 211. Ebenso SCHMIDT, Rahmen, 122f. 87 Demnach habe Markus »einen größeren zusammenhängenden Sammelbericht bereits vorgefunden« (SCHMITHALS, Mk I, 35), eine Art Urevangelium, welches mit dem Auftreten des Täufers beginne und mit Passion und Ostern schließe, zudem um 70 n.Chr. (!) geschrieben sei. Die theologischen Motive »Gottessohnschaft«, theologia crucis und »Messiasgeheimnis« seien Bestandteile der Grundschrift (ebd. 44ff). Ohne sie sei die weitgehende Einheitlichkeit der Überlieferung nicht erklärbar. Es scheint, als ob Schmithals dem »Kind« nur einen anderen Namen gibt. Immerhin hält er es für möglich, dass Johannes Markus, dem die altkirchliche Tradition das MkEv zuschreibt, Verfasser der Grundschrift ist. Das alles erscheint mir unwahrscheinlich und nicht recht sinnvoll. Dass Markus größere Sammlungen vorlagen, soll damit nicht bestritten werden. 88 Vgl. SCHMITHALS, Mk I, 211. 89 Die sich an der biblischen Geschichte orientierende Namensgebung der Söhne wie auch der Eltern, die durch JOSEPHUS (Ant XX 200) bezeugte Thoratreue des Herrenbruders Jakobus sowie die mögliche davidische Herkunft (vgl. Röm 1,3f; EUSEB, h.e. III 20,1–6) der Familie lassen eine solche Charakteristik durchaus zu. Vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus, 182f; GRUNDMANN, Mk, 157; LOHMEYER, Mk, 110 u.a. 81

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durchdenkt. Zieht man kulturanthropologische Gesichtspunkte hinzu (s.u. Teil 3, 1.1), erscheint ein Konflikt zwischen Jesus und der Familie kaum vermeidbar. Gnilka allerdings bestreitet »konkrete historische Erinnerung« in dem harten Vorwurf der Familie gegen Jesus, er sei »theologisch zu bewerten.«90 Die theologische Bewertung steht ohne Zweifel an erster Stelle, aber einen historischen Reflex halte ich dennoch für wahrscheinlich. In dem Textabschnitt VV. 31–35 ist mit einer größeren Traditionsbasis zu rechnen. Der V. 31b bezieht sich aber auf die in VV. 20f beschriebene Situation und erweist sich, bis auf ƯƦưƳ̬ƱƷƪƵ ƦʡƷˆƱ, als redaktionell.91 In V. 32 findet sich ƫƬƷˀƼ mit der für Markus bei diesem Wort typisch negativen Konnotation,92 zumal die gesamte Wortgruppe ɭƲƼ ƫƬƷƳ̬ƶ˄Ʊ ƶƪ auch auf die mk VV. 20f und 31b zurückweist.93 Das ɭƲƼ (VV. 31f) zeigt deutlich das mk Anliegen, theologische bzw. geistige Ferne räumlich auszudrücken (4,11).94 Ebenfalls findet sich der bereits besprochene ʙƺưƳƵ auch in V. 32, wobei 32aƦ insgesamt auf das Konto von Markus gehen kann (ƯƦ˃ ɩƯʾƭƬƷƳ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ʙƺưƳƵ).95 Der V. 34a ist als markinisch anzusehen, darauf verweisen ™ƪƴƮƧưˀ™Ƽ, ™ƪƴ˄ ƦʡƷ˅Ʊ, ƯˈƯư̷ und ƯʾƭƬµƦƮ.96 Als Schwerpunkte der redaktionellen Arbeit können somit das Einbinden der Szene in die Situation der VV. 20f, die Aufdeckung des negativen Bestrebens der Familie mit dem Verb ƫƬƷƳ̬ƶ˄Ʊ, das Einbeziehen der Volksmenge als »positive Kontrastfolie«97 zum Bestreben der Familie und der dementsprechend stilisierte Gegensatz der außerhalb (ɭƲƼ) stehenden Familie zum inneren Kreis (ƯˈƯư̷) der Volksmenge (vgl. 4,10ff) gelten. Der Anteil redaktioneller Arbeit an diesem Textabschnitt ist ähnlich umstritten, wie in den VV. 20f. Pesch findet in der geschlossenen, runden »Überlieferung, die von sich aus weder auf 3,21 zurückweist noch eine Fortsetzung verlangt«,98 keinerlei redaktionelle Eingriffe des Evangelisten. Ebenso erkennt Josef Ernst die Handschrift von Markus nur in der Bemerkung über die Volksmenge, die an die Stelle der ursprünglichen Akteure, der Jünger, gesetzt ist.99 Schmithals, der, wie bereits gesagt, den Text 90

GNILKA, Mk I, 148. Dagegen findet PESCH (Mk I, 213) die Situation sehr wohl verständlich. Vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 179. 92 Vgl. Mk 1,37; 8,11f; 11,18; 12,12; 14,1.11.55. So auch DSCHULNIGG, Sprache, 94. Anders OBERLINNER, Überlieferung, 181. 93 Vgl. MELZER-KELLER, Frauen, 69f. 94 Dabei können allerdings die Positionen wechseln (1,45) oder das Wort neutral stehen (11,4). 95 Gegen OBERLINNER, Überlieferung, 180. Im synoptischen Vergleich zeigt sich das besondere mk Interesse am Volk. Vgl. auch unten Teil 3, 3.6.1. 96 Vgl. GNILKA, Mk I, 147; DSCHULNIGG, Sprache, 86.200f.129f.225. Anders OBERLINNER, Überlieferung, 183. 97 MELZER-KELLER, Frauen, 70. Anders OBERLINNER, Überlieferung, 189f. 98 PESCH, Mk I, 221. Ebenso SCHMIDT, Rahmen, 122f. 99 Vgl. ERNST, Markus, 121. Es ist in der Tat sehr gut möglich, m.E. wahrscheinlich, dass der Evangelist hier die Volksmenge an Stelle der Jünger gesetzt hat. Vgl. EvThom 99. Darauf weist 91

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einer vormk Grundschrift zuordnet, gesteht Markus nur V. 31a als durch die Verschachtelung notwendig gewordene redaktionelle Überleitung zu.100 Dabei dürfte meiner Ansicht nach gerade 31a zur Tradition zu zählen sein.101 Der Vorschlag von Gnilka und Melzer-Keller scheint auch in diesem Textabschnitt die Argumente auf seiner Seite zu haben. Als Traditionsstücke bleiben Apophthegma VV. 31a.32aƧ.32bƦ.33.34b und Lehrspruch V. 35.102 Als redaktionell erweisen sich VV. 20f.31b.32aƦ. 32bE.34a.

1.2.3 Jesus und seine Familie in Mk 3 »In Jesu Mutter begegnet uns also erstmals eine Frau, die Jesus nicht nur nicht versteht, sondern ihm noch nicht einmal wohlgesonnen ist.«103 Man kann es auch schärfer formulieren: Markus erklärt die Mutter und die Brüder Jesu geradewegs zu dessen Gegnern, indem er das in der Tradition sicher vorgefundene Element der Ablehnung erheblich steigert104 und die Familie in vorderster Front zusammen mit den Schriftgelehrten gegen Jesus stellt. Das lässt sich zum einen an dem – durch Verschachtelung mit dem Text direkt verbundenen – Streitgespräch der Schriftgelehrten über Jesu Vollmacht VV. 22–30, zum anderen an der Wortwahl festmachen. Der Vorwurf der vom jüdischen Zentrum Jerusalem kommenden Schriftgelehrten, Jesus sei vom Beelzebul besessen (V. 22 ɭưƪƨƳƱ ʚƷƮ ƉƪƪưƫƪƧƳˇư ɭƺƪƮ) bzw. habe einen unreinen Geist (V. 30 ʚƷƮ ɭưƪƨƳƱž ™Ʊƪ̬µƦ əƯʾƭƦƴƷƳƱ ɭƺƪƮ), ist eine direkte – wenn auch leicht gesteigerte – Entsprechung zum Vorwurf der Familie (ɭưƪƨƳƱ ƨʽƴ ʚƷƮ ɩƲˀƶƷƬ).105 Das Verb ɩƲˀƶƷƬ impliziert neben »er ist verrückt geworden« parallel zum Vorwurf der Schriftgelehrten auch das Besessensein, da in damaliger Zeit krankhafte Anormalität oft auf eine dämonische Verursachung zurückgeführt wurde.106 E. Elizabeth Johnson weist darauf hin, dass in »John 10:20, nicht zuletzt die typische Lehrer-Schüler-Konstellation, die hier aber nicht durch die Jünger (µƦƭƬƷ˂Ƶ = Schüler), sondern durch das Volk eingenommen wird. Vgl. unten Teil 3, 3.6.1. 100 Vgl. SCHMITHALS, Mk I, 211. 101 Vgl. auch OBERLINNER, Überlieferung, 179. 102 Vgl. Lk 11,28; 2Clem 9,11. EvThom 99 integriert Aussage des Spruchs im Apophthegma. 103 MELZER-KELLER, Frauen, 71. 104 So sieht auch BARTON (Discipleship, 69), »that the effect of Mark’s redaction and composition has been to sharpen the sense of the alienation between Jesus and his natural kin.« Ganz anders PAINTER, House, 510ff: »Mark does not describe the family as unbelievers or as antagonistic to Jesus«, ebd. 512. 105 Das Streitgespräch würde man eigentlich, wie bei Matthäus und Lukas, im Anschluss an einen Exorzismus erwarten (etwa 3,10f). Aber Markus kam es darauf an, die Vorwürfe der Familie und der Schriftgelehrten zu parallelisieren, weshalb er es an dieser Stelle eingebracht hat. 106 Vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus, 264; DORMEYER, Familie, 114; RÄISÄNEN, Mutter, 31.

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for example, ›(H)e has a demon‹ and ›(H)e is mad‹ [...] synonymous parallels«107 sind, d.h. der Vorwurf des Verrücktseins und der des Besessenseins in der Antike faktisch austauschbar waren. Beide Parteien beurteilen das Wirken Jesu, ohne die Gottesbeziehung Jesu zu erkennen und mit seinem Wirken in Verbindung zu bringen. So gelangen sie zu einem vergleichbaren Urteil. Die Leserinnen und Leser hingegen wissen bereits, dass Satan der Feind Jesu ist, dass er, nachdem er von Satan versucht wurde (1,13), gegen ihn ins Feld zieht (1,23–27.32–34.39; 3,10f.15 u.ö.). Die Empörung der Leserschaft dürfte, textpragmatisch gesehen, die Folge sein. Auch erschließt sich ihr der Sinn der Gleichnisrede in 3,23ff: Diese Rede endet achtergewichtig mit dem Hinweis auf den Stärkeren (der den »Starken« zu binden vermag) – welcher Jesus nach Mk 1,7 selbst ist – und unterstreicht noch einmal Jesu Kampf gegen den Satan. Somit wird deutlich, welch unhaltbarer Vorwurf (ƧưƦƶƹƬµ˂ƶ̍ ƪʅƵ Ʒ˅ ™Ʊƪ̬µƦ Ʒ˅ ɞƨƮƳƱ) von den Schriftgelehrten und damit parallel der Familie erhoben wird. Möglicherweise will das Gleichnis im Kontext auch doppeldeutig verstanden sein:108 Im Vorwurf und im Ziel der Familie (3,21) zeigt sich, dass die alte ƳʅƯ˄Ʀ Jesu uneins geworden ist und somit nicht bestehen kann (3,25).109 Auch sie versucht einen »Starken« zu fesseln (3,27; V. 21: ƯƴƦƷ̏ƶƦƮ ƦʡƷˆƱ). Es gelingt ihnen nicht und sie können nicht in seine neue ƳʅƯ˄Ʀ (vgl. 2,15)110 eindringen. Sie stehen »draußen« (3,31ff). Beide Parteien sind also in ihrer Ablehnung gegenüber dem Wirken Jesu unmittelbar verbunden. Markus lässt die Familie sogar »mit der blasphemischen Verkennung der Vollmacht Jesu den Jerusalemer Schriftautoritäten noch vorausgehen«111 und stellt sie somit ebenfalls unter die Drohung der Unvergebbarkeit dieser Sünde gegen den Geist in V. 29.112 »Die Zuweisung Jesu zum widergöttlichen Bereich ist eine gefährliche Möglichkeit, die bereits zu Anfang seines Wirkens von den engsten Bezugspersonen, von Mutter und Brüdern, realisiert wird.«113 Mk 4,10–12 kann diese Beobachtungen konkretisieren: Die Familie und die Schriftgelehrten gehören zu den Sehenden und Hörenden, die das Geheimnis der Gottesherrschaft nicht verstehen. Sie gehören zu den Verhärteten, die »draußen« (ɭƲƼ) stehen und denen nicht vergeben wird (vgl. Mk 3,28f mit 4,12!). 107

JOHNSON, Mother, 34. So etwa JANZEN, Maria, 74. 109 Hier läge ein zusätzliches Argument, dass in V. 21 Jesu leibliche Verwandte gemeint sind. 110 Vgl. dazu unten Teil 3, 3.5: Mk 2,15 spricht vom Haus Jesu. 111 DORMEYER, Familie, 113. 112 Anders LAMBRECHT, Relatives, 246. 113 DORMEYER, Familie, 115. 108

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In V. 21 wird das Ziel der Familie mit ƯƴƦƷˀƼ beschrieben. Dieses Verb benutzt Markus neben der Bedeutung »an der Hand fassen« (1,31; 4,41; 9,27) v.a. in der Bedeutung »ergreifen« bzw. »festnehmen« für Passion bzw. Passionsanspielungen (6,17; 12,12; 14,1.44.46.49.51). Damit eröffnet also die »Familie [...] die Reihe der Versuche, Jesus gewaltsam festzusetzen, die 14,46 mit der Verhaftung im Garten Gethsemane zum Erfolg führen.«114 Ähnlich verhält es sich mit dem Gebrauch von ƫƬƷˀƼ, welches von Markus gern in einem ebenfalls negativen, feindlichen Sinn gebraucht wird und in der Passion eine große Rolle spielt (Mk 1,37; 8,11f; 11,18; 12,12; 14,1.11.55). Auch im Kontext der Passion gibt es eine enge Verbindung von ƯƴƦƷˀƼ und ƫƬƷˀƼ (12,12: ƯƦ˃ ɩƫ˂ƷƳƸƱ ƦʡƷ˅Ʊ ƯƴƦƷ̏ƶƦƮ; vgl. auch 14,1). Die Interpretation einiger Exegeten, in dem von den VV. 20f unabhängig gedachten V. 31 komme die Familie nicht, um sich Jesu »zu bemächtigen, sondern um ihn zu besuchen«,115 erübrigt sich damit von selbst. Es wurde bereits auf den räumlichen Kontrast zwischen dem inneren Kreis der Volksmenge und der außerhalb stehenden Familie hingewiesen. Im »Haus, dem Raum der ›Insider‹, unterrichtet Jesus das Volk, das ihn im Sitzen, der typischen Schülerhaltung, umgibt [...]; seine Angehörigen aber stehen draußen, sie sind Außenseiter und Störenfriede.«116 Eine Begegnung zwischen Jesus und seiner Familie weiß Markus konsequent zu verhindern. Die Feindschaft der Familie konstruiert er nicht zuletzt auch aufgrund der vorgefundenen Loslösung Jesu aus seiner biografischen Familienbindung. Er sagt sich von seiner Familie los und konstituiert im selben Augenblick117 die neue familia dei.118 Die Familienzugehörigkeit wird neu 114

DORMEYER, Familie, 114. Mit OBERLINNER (Überlieferung, 171) ist zu bedenken, dass die »Absicht der religiösen Autoritäten, Jesus in ihre Gewalt zu bekommen, eindeutig auf seine gewaltsame Beseitigung und Vernichtung ausgerichtet« ist. 115 PESCH, Mk I, 222. So auch ERNST, Mk, 121 und GRUNDMANN, Mk, 115. 116 MELZER-KELLER, Frauen, 71. 117 Gegen OBERLINNER, Überlieferung, 194ff. Er argumentiert auf der historischen Ebene, dass Jesus auch bei einem positiven Verhältnis zur Familie die familia dei als favorisierte Familie eingesetzt hätte. Das mag auf der historischen Ebene zutreffen, ist aber nicht die Intention von Markus, wie unter anderem auch ein Vergleich zu 10,29f zeigen wird. 118 Anders als im Johannesevangelium (z.B. Joh 1,12) ist in dem Text nicht explizit von der Familie Gottes die Rede. Aber im Kontext der Gottessohnschaft Jesu (Mk 1,1.11; 3,11 u.ö.) und mit Blick auf Mk 11,25 ist es legitim, die neue Familie Jesu als familia dei zu bezeichnen (vgl. ROH, Familia, 107). Die Verwendung des Begriffs familia Jesu (so HAUFE, Motive, 60) mag treffender erscheinen, hat aber die Schwierigkeit, uneindeutig zu sein (er könnte auf die biografische Familie bezogen sein) und wird der mk Ekklesiologie nicht gerecht (Mk 11,25!). Die ökumenische Arbeitsgruppe (BROWN u.a., Maria, 54) benutzt »in Ermanglung eines besseren Ausdrucks« dafür »eschatologische Familie Jesu«. Nach ROH (Familia, 111) geht diese Vorstellung (allerdings als Familie Jesu) auf Jesus zurück. Vgl. auch THEISSEN/MERZ, Jesus, 203, die auf die Existenz der familia-dei-Vorstellung in verschiedenen Traditionsströmen verweisen. MOXNES (Putting, 70) lehnt sicher zurecht den jesuanischen Ursprung der konkreten mk familia dei (d.h. familia dei als »häusliches« Konzept) ab: »Consequently, I venture to say that the picture that

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definiert. Nicht die Geburt, sondern die Stellung zu Gott bzw. dessen Willen führt in eine familiäre Beziehung zu Jesus. Diese Absage an seine Familie »ist herb, die Aussage verheißungsvoll.«119 Melzer-Keller weist darauf hin, dass der Wille Gottes (V. 35) bei Markus die Nachfolge, speziell die Leidensnachfolge, bezeichne, so wie auch Jesus selbst den Willen Gottes mit seiner Passion befolge (Mk 14,36). Andererseits befolge Petrus nicht den Willen Gottes, wenn er sich gegen den Weg zum Leiden stelle (Mk 8,33).120 Hier ist aber Vorsicht geboten, da Markus an keiner der Stellen noch einmal die Wendung »Willen Gottes« (ƭˀưƬµƦ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬) benutzt. Zudem hätte Markus V. 35 wohl eher mit əƯƳưƳƸƭƪ̝Ʊ formuliert, um auf die (Leidens-) Nachfolge hinzuweisen (vgl. Mk 8,34; 10,21 u.a.).121 Jesus nimmt die um ihn sitzende Volksmenge in die neue Familie auf. Es ist zu erwarten, dass ursprünglich an dieser Stelle die Jünger gesessen haben.122 Durch die redaktionelle Änderung gibt Markus sein Interesse an einer zweiten Nachfolgegruppe zu erkennen. Zwischen Jüngerschaft, d.h. Nachfolge im mehr oder weniger festen Kreis um den vorösterlichen Jesus, und Zugehörigkeit zur familia dei ist zu differenzieren, denn die familia dei besteht aus Menschen mit einem positiven Verhältnis zu Jesus, in erster Linie aus Hörern des Wortes.123 Sicher kann man mit Schmithals in der nachösterlichen Sicht des Evangelisten sagen: »die christliche Gemeinde (ekkläsia) versammelt sich im Haus als selbständige Gemeinschaft [...]. Dreimal wirkt Jesus in Kafarnaum in dem ›Haus‹; beim drittenmal hat er ›seine‹ Gemeinde gesammelt.«124 Grundsätzlich existiert wohl mit V. 35 für Mutter und Geschwister Jesu die Möglichkeit, ihren familiären Anspruch aufzugeben und durch die Nachfolge Eingang in die neue Familie zu finden, aber deswegen besteht kein Anlass, die Trennung Jesu von seiner leiblichen Familie und die Ersetzung durch eine neue Familienzugehörigkeit abzuschwächen.125 Die Mark gives of Jesus located in a house that serves as the location of his new household is a Markan construction.« Sie ist »a conscious construction of a picture on the basis of a few sayings.« 119 GRUNDMANN, Mk, 116. 120 Vgl. MELZER-KELLER, Frauen, 70. 121 Vgl. auch BECKER, Maria, 39. 122 Vgl. die evtl. in EvThom 99 sichtbar werdende Tradition. Vgl. auch die Lehrer-SchülerStellung in der Perikope. So auch GNILKA, Mk I, 152. Dem widerspricht ROH (Familia, 112f). Ein offenerer familia-dei-Begriff, der m.E. mit Roh zu favorisieren ist, sagt etwas über das mk Interesse am Volk, nichts über die Historizität aus. Die Argumentation Rohs gegen Gnilka, Markus könne nicht den Inhalt der auf Jesus zurückgehenden Geschichte geändert haben (Ersetzung der »Jünger« durch die »Volksmenge«), erscheint hingegen nicht überzeugend. 123 Vgl. ROH, Familia, 111f u.ö. Markus benutzt für diese Gruppe allerdings auch Nachfolgeterminologie. Ich gehe später (Teil 3, 3.6) darauf ein. 124 SCHMITHALS, Mk I, 211. 125 So sieht DORMEYER (Familie, 122) darin keine Ersetzung, sondern eine »metaphorische Erweiterung« der Familie. Dies ist sicher nicht falsch, sollte aber nicht über den Bruch mit der

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drastische Schilderung der Feindschaft zeigt eindrücklich, wie ernst es Markus damit ist. Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um Polemik gegen den nachösterlichen Geltungsanspruch der Herrenverwandten bzw. gegen den Primatsanspruch der Jerusalemer Gemeinde handeln kann.126 Gestützt wird dieser Verdacht möglicherweise durch die der Jerusalemer Gemeinde sicher suspekte Tendenz des MkEv zur Einbeziehung der Nichtjuden (Jesus und Nichtjuden bzw. Jesus in nichtjüdischen Gebieten: Mk 3,8; 5,1–20; 7,24–31; 8,27) und zur Freiheit gegenüber den jüdischen Speisevorschriften (vgl. Mk 7,14–23).127 Allerdings wird man dann doch nicht so weit gehen dürfen, das ganze Evangelium als »not only a doctrinal warning against heresy but a jurisdictional manifesto against Jerusalem«128 zu lesen. Eine gewisse geistige Ferne zu Jerusalem und möglicherweise eine gewisse Polemik in den Nebentönen des Evangeliums sind anzunehmen, sie gehören aber nicht zu dessen Schwerpunkten. Verkennung und Unverständnis der Familie Jesu kann in das mk Motiv des Messiasgeheimnisses eingeordnet werden. Zusammen mit den Jüngern (Mk 4,41), Pharisäern und Schriftgelehrten (Mk 3,6.22.30) zeigt sich auch die Familie gegenüber Jesus zutiefst unverständig. Matthäus und Lukas werden das »shocking scenario«129 wieder entschärfen – Mk 3,20f wird von ihnen nicht übernommen!

Familie hinwegtäuschen. GRUNDMANN (Mk, 115) sieht dagegen richtig »die herbe Antwort, in der sich Jesus von der Bindung an seine Familie lossagt und die familia dei begründet.« 126 Vgl. PESCH, Mk I, 224; DUQUESNE, Maria, 115ff. Gegen ERNST, Mk, 121f; GNILKA, Mk I, 153 und OBERLINNER, Überlieferung, 240ff. Mit Crossan und dem Verweis auf Mt 13,52 kann zumindest darauf hingewiesen werden, dass die Schriftgelehrten aus Jerusalem kommen. Gibt es hier einen Zusammenhang zu den parallelisierten Herrenverwandten, welche möglicherweise die Jerusalemer Gemeinde präsentieren? Vgl. CROSSAN, Relatives, 113. Dem widerspricht GNILKA, Mk I, 148. Mit Crossans Deutung der Schriftgelehrten als Vertreter der Jerusalemer Gemeinde ist der Text doch überstrapaziert. 127 Man bedenke dazu das Verhalten von Mitgliedern der Gemeinde auf dem »Apostelkonzil« und beim »Antiochenischen Zwischenfall« (Gal 2,1–14). Die Tendenz zur Heidenmission wird Jerusalem suspekt gewesen sein. Anders sind die Streitigkeiten in den 50er Jahren kaum zu verstehen. Auch wenn das MkEv ca. 20 Jahre später geschrieben wurde, so sicher nicht im luftleeren Raum. Im Vorfeld des Jüdischen Krieges hat es in diesen Fragen für in Jerusalemer Tradition stehende Gemeinden sicherlich keine Entspannung gegeben. 128 CROSSAN, Relatives, 112. Dem widerspricht zu Recht ROH, Familia, 125f mit Anm. 70 und GNILKA, Mk I, 232. Vgl. auch LAMBRECHT, Relatives. Ausführlich kritisiert BARTON (Discipleship, 83ff) die These, »that Mark’s hostile portrait of the family of Jesus […] is a reflection of the tradition of hostility in Mark’s own day towards the leadership of the Jerusalem church«, welche er, neben Crossan, auch bei anderen Exegeten findet (Vgl. ebd. 83, Anm. 115). Jüngst favorisiert der Journalist und Autor Jacques DUQUESNE (Maria, 115f) die These, das MkEv richte sich gegen einen Führungsanspruch der Herrenverwandten. 129 JOHNSON, Mother, 34.

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1.2.4 Ergebnis Für die Beziehung Jesu zu Mutter und Geschwistern ist in Mk 3 Feindschaft und Trennung festzuhalten. Markus weist die Familie gleich bei ihrer ersten Erwähnung radikal der ungläubigen Gegnerschaft zu und stellt sie an den Anfang einer Entwicklung, die zur Hinrichtung Jesu führt. Jesus sagt sich von seiner Familie los und droht ihr die Unvergebbarkeit dieser schlimmsten Sünde gegen den Geist an. Deshalb gehen alle Versuche einer Entschärfung dieser zutiefst anstößigen Tatsache bzw. einer Entschuldigung der Familie, wie sie bei einer Reihe von Exegeten anzutreffen sind, an der mk Intention vorbei.130 Auch eine rein theologische Deutung in christologischer131 oder ekklesiologischer Hinsicht greift, ohne dass diese Dimensionen bestritten werden sollen, zu kurz. Während die anderen beiden synoptischen Evangelien hierbei eine Entschärfung vornehmen, bestätigen EvThom (99.101) und JohEv (7,3ff) die ablehnende und für Jesus z.T. lebensgefährdende Haltung der Familie. Im Vergleich zu Mk 1,16–20 begegnet in Mk 3,31–35 ein zweites Familienmotiv: Während Mk 1 vor allem das Verlassen alter Bindungen betont, bleibt Mk 3 dabei nicht stehen.132 Wie in 10,29f liegt hier der Schwerpunkt auf der Neudefinierung bzw. dem Gewinn von Familie als familia dei. Man wird hier weniger vom Verlassen als vom Wechsel der Familien sprechen müssen, auch wenn das Verlassen ein Bestandteil des Wechsels ist. Die Unterscheidung dieser Einzelmotive wird sich auch im weiteren Verlauf dieser Untersuchung als sinnvoll erweisen. 130 So denkt GRUNDMANN (Mk, 107), Josef sei gestorben und »Jesus als dem Erstgeborenen fällt in der Familie Recht und Pflicht des Hausvaters zu.« Da er sich dem entzogen habe, werde er nun von der Familie geholt. Dafür gibt es aber zunächst keinerlei Anhaltspunkte im Text. Nach BLINZLER (Brüder, 21) will die Familie Jesus »sprechen, anscheinend mit der Absicht, ihn seiner Überbeanspruchung durch das Volk zu entziehen.« HEISTER (Maria, 66) interpretiert die Motivation der Familie als Sorge, dass Jesus »Schlimmes von den Mächtigen der Synagoge widerfahren werde.« SCHEFFCZYK widmet dieser Frage ein ganzes Kapitel (Maria, Mutter und Gefährtin, 19–28) und weist mit Blick auf Mk 3,35 darauf hin, »daß die Forderung nach der Erfüllung des Willen Gottes von keinem Menschen so ernst genommen und so vollkommen verwirklicht wurde wie von Maria.« Ebd. 21. KERTELGE (Mk, 42) formuliert für die Familie in V. 21, dass sie »mit dem Ausdruck des Befremdens gegen Jesus auftritt«, und nach RUCKSTUHL (TRE 16, 486) macht sie »den Eindruck, nicht an seine Sendung zu glauben.« Vorsichtiger und harmloser kann man es schwer beschreiben. Vgl. auch die Beispiele bei BENKO, Protestanten, 88f. Zusammenfassend ist mit JOHNSON (Mother, 34) dazu zu sagen: »This is a shocking scenario, and commentators ancient and modern have devoted great quantities of imagination and ink to the family’s defense.« 131 Vgl. SCHMITHALS, Mk I, 212ff. 132 In Mk 1,16–20 ist eine neue Gemeinschaft mit Jesus impliziert, der Schwerpunkt liegt hier aber auf dem Aspekt des Verlassens, in Mk 3,31–35 hingegen auf der neuen Familie.

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1.2.5 Exkurs: Wann erfolgt die familiäre Trennung Jesu? Exkurs: Wann erfolgt die familiäre Trennung Jesu? Innerhalb dieser Arbeit handelt es sich bei diesem Exkurs um einen methodischen Vorgriff. Die genutzten ritualtheoretischen Ansätze werden unten Teil 3, 3.9 eine Rolle spielen und erst dann näher vorgestellt. Dieser Vorgriff ist aber hilfreich, um die bei der eben durchgeführten Exegese wichtige Frage nach Jesu Trennung von seiner Familie besser in den Blick nehmen zu können.

Stellt man die Frage, wann genau sich Jesus von seiner Familie innerhalb des MkEv trennt, wird man vermutlich Mk 3,20f.31–35 vorschlagen. Nun zeigt aber Mk 3,21, dass die Trennung von der Familie bereits vorausgesetzt ist: Die Familie macht sich von ihrem Heimatdorf auf, um Jesus in Kafarnaum zu »packen« und in den Familienverband zurückzuholen. Man muss m.E. an den Anfang des Evangeliums zurückgehen, um diese Trennung im Makrotext zu verorten. In Mk 1,9 wird berichtet, dass Jesus aus Nazareth zum Täufer kommt, sich taufen lässt und als Sohn Gottes bestätigt wird. Nach dem vierzigtägigen Aufenthalt in der Wüste geht er nun nicht wieder nach Nazareth zurück, sondern (VV. 14f) predigt ganz allgemein in Galiläa und verlegt das Zentrum seiner Wirksamkeit sehr schnell an das »Galiläische Meer« (VV. 16–33). Bei diesem Ortswechsel wird explizit nichts von einer Trennung Jesu von der Familie in Nazareth erzählt, der Text bietet keine Hinweise auf einen Konflikt oder eine Spannung, das Thema der Familientrennung scheint nicht im Blick zu sein. Dennoch denke ich, dass gerade hier der Punkt der Trennung, welche später in Mk 3,20f.31–35 konstatiert und begründet wird, zu suchen ist.133 Nutzt man die Kategorien und Erkenntnisse der kultur- und sozialanthropologischen bzw. ethnologischen134 Ritualforschung, wird neben der chri133 Eine solche Sichtweise lässt auch die Stringenz der mk Erzählung hervortreten (Wechsel Nazareth – Taufe/Wüste – Kafarnaum; Mk 3 und 6). 134 Zur Begrifflichkeit vgl. web.uni-marburg.de/voelkerkunde/undsoweiter/wasistethnologie.html: »Lassen Sie sich nicht verwirren: Das Fach wird an verschiedenen Universitäten und in verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen Namen benannt. In Deutschland heißt es bald ›Völkerkunde‹, bald ›Ethnologie‹. In den englischsprachigen Ländern spricht man von ›Anthropology‹, wobei man zur Unterscheidung von der physischen Anthropologie oft noch genauer definiert: ›Social Anthropology‹ in Großbritannien, ›Cultural Anthropology‹ in den USA. In Frankreich finden sich die Bezeichnungen ›ethnologie‹ und ›anthropologie‹ gleichbedeutend nebeneinander. Die nordamerikanische Cultural Anthropology und die französische Anthropologie entsprechen etwa der deutschen Ethnologie (Völkerkunde).« – Nun besteht das Problem, dass »Kulturanthropologie« in der ntl. Wissenschaft fest etabliert ist, sich aber bei Forschern, die im Bereich der Feldforschungen aktiv sind, »Ethnologie« aufdrängt. Der geprägten Begrifflichkeit des ntl. Methodenkanons wegen werde ich in dieser Arbeit »Kulturanthropologie« / »Anthropologie« verwenden.

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stologischen Dimension der Tauf- und Wüstenperikope, deren Darstellung ohne Frage das vorrangige Interesse des Evangelisten spiegelt, auch die Dimension des Trennenden in den Texten erkennbar. Mit den Begriffen und Modellen der Anthropologen Arnold van Gennep und (auf ihn aufbauend) Victor Turner lassen sich Jesu Taufe und der anschließende Wüstenaufenthalt sehr gut als Übergangsriten begreifen. Spricht man von Ritual, ist zunächst der Begriff zu klären. Eine Definition des Begriffs, welche über allgemein gehaltene, möglichst offene Umschreibungen hinausgeht,135 ist aber äußerst schwierig. Turner gibt einen wichtigen Hinweis mit seiner Unterscheidung des die Struktur verändernden Ritual und der die Struktur stabilisierenden Zeremonie.136 Wie Strecker darstellt,137 ist die grundsätzliche Möglichkeit und Leistung einer Definition des Ritualbegriffs aufgrund seiner Vielgestaltigkeit und Komplexität in den letzten Jahren immer mehr hinterfragt worden.138 Es erscheint ratsamer, auf eine konkrete Definition zu verzichten und rituelles Handeln anhand des Vorhandenseins bestimmter Handlungsqualitäten zu bestimmen.139 Nach Turner ist dieses v.a. transformativ-prozessuales und symbolisches Handeln. In der modernen Ritualforschung kann Ritual gar »als eine nahezu alle menschlichen Daseinsbereiche tangierende, globale Erfahrungsdimension betrachtet [werden, TR], die nicht allein auf bestimmte, klar abgrenzbare religiöse oder säkulare Ritualhandlungen zu beschränken ist.«140 Bei dem Begriff muss nicht zwangsläufig an ein offizielles Ritual gedacht werden. Die Taufe ist augenfällig ein ritueller Vorgang.141 Aber auch ein von Jesus oder vom Geist bewusst gewählter und vermutlich religiös motivierter vierzigtägiger Wüstenaufenthalt ist als Ritual anzusprechen. 135 Ritual etwa im Sinn wiederholbarer symbolträchtiger menschlicher Handlungen; »repetive und regelgeleitete, d.h. einer festgelegten ›Syntax‹ folgende Handlung« (VOLP, Prägung, 1). Nach MCVANN (Introduction, 8.10) ist die Schwierigkeit mit dem Versuch einer genauen Definition von Kunst vergleichbar. 136 Vgl. STRECKER, Liminale Theologie, 49.68. Zu einer Definition Turners vgl. TURNER, Religionsverständnis, 442 (Übersetzung aus TURNER, Forest, 19): »ein formales Verhalten, das sich auf den Glauben an mystische Wesen und Mächte bezieht und das solchen Situationen vorbehalten ist, die der technischen Routine des täglichen Lebens enthoben sind«. 137 Siehe STRECKER, Liminale Theologie, 69–71. 138 Ähnliches ist wohl auch bei einer formalen Definition von Religion im Bereich der Ethnologen und Soziologen zu sagen. Vgl. TURNER, Religionsverständnis, 442. 139 So listet etwa SCHØJDT (Initiation, 103f) sechs Merkmale eines Initiationsritus auf, zu dem nach seiner Klassifikation Jesu Taufe und Wüstenaufenthalt zu rechnen wären: »1. The object of the transition is one or more individuals, but not the whole society. 2. There is a qualitative difference between the level of the initial and the final phases, the latter being higher than the former. 3. The transformation of the objects that takes place is in principle irreversible. 4. The ›thing‹ gained through the transitional phase of initiation is always something that can be associated with knowledge or capabilities of a religious or magical kind […]. 5. The horizontal structure of the chain of events is organized in a tripartite sequence, including symbolic elements […] that separate from the initial phase, symbolic elements of transition, and symbolic elements […] that integrate the person to the final phase. 6. The relation between the two non-liminal phases and the liminal [s.u., TR] is symbolized by a number of analogous pairs of binary oppositions.« 140 STRECKER, Liminale Theologie, 74. Vgl. STRECKER, Notizen, 38. 141 Vgl. dazu DEMARIS, Taufe Jesu, 51 u.ö.

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Van Genneps universaltheoretischer Ansatz sei in der nötigen Kürze skizziert.142 Jede Gesellschaft besteht aus verschiedenen sozialen Gruppen und Lebensräumen, die sich strikt voneinander abgrenzen. Darunter fallen neben Lokal-, Religions-, Alters- und Berufsgruppen auch die Familien bzw. Sippen mit ihrer fest gefügten Struktur. Das Individuum stößt in seiner Dynamik allerdings während seines Lebens immer wieder gegen diese Strukturen. Es bewegt sich in Raum und Zeit und ist somit immer wieder gefordert, die statischen sozialen Grenzen (Aufenthaltsorte, Alters-, Berufsund Statusgruppen) innerhalb der Gesellschaft zu überschreiten: »In jeder Gesellschaft besteht das Leben eines Individuums darin, nacheinander von einer Altersstufe zur nächsten und von einer Tätigkeit zur anderen überzuwechseln.«143 Diese für die statische soziale Ordnung der Gesellschaft durchaus gefährlichen bzw. verunsichernden Grenzgänge werden durch Übergangsriten (rites de passage) begleitet, gelenkt bzw. kontrolliert und einerseits auch ermöglicht.144 D.h. aber auch, dass diese Überschreitungen der gesellschaftlichen Grenzen z.T. diffizile Übergangsprozesse erzwingen. Es ist darauf hinzuweisen, dass dies für die mediterrane Welt des 1. Jh. n.Chr. – also Region und Zeit, die in dieser Arbeit interessieren – besondere Relevanz besitzt. Die Grundlage der sozialen Interaktion bzw. grundlegenden Werte dieses Kulturkreises sind nach den Erkenntnissen kulturanthropologischer Untersuchungen »Ehre« und »Scham/Schande«.145 Diese Werte orientieren sich an sozialen Grenzen, die aufgrund von Macht, Geschlechterrolle und Religion gezogen werden und jedem Individuum einen klar definierten Status zuschreiben.146 Das Überqueren dieser Grenzen kann Schande nach sich ziehen, da das Individuum den ihm zustehenden Bereich verlassen hat und sich aufhält, wo es nicht zu sein hat. Die standhafte Verteidigung einer sozialen Grenze hingegen und das dem eigenen Status entsprechende Verhalten bringen bzw. bewahren Ehre.147 Übergangsrituale bzw. -prozesse sind darum in diesem Kulturraum von höchster Wichtigkeit, sie steuern die Grenzüberschreitungen und den Statuswechsel 142 VAN GENNEP veröffentlichte Les rites de passage 1909 (dt. 1986: Übergangsriten). Von TURNERS vielfältigen Veröffentlichungen ist neben The Forest of Symbols (1967) v.a. das 1969 erschiene Buch The Ritual Process (1989 dt.: Das Ritual) maßgeblich. Mehr dazu unten Teil 3, 3.9. 143 VAN GENNEP, Übergangsriten, 15. 144 »Jede Veränderung im Leben eines Individuums erfordert teils profane, teils sakrale Aktionen und Reaktionen [...,] damit die Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät, noch Schaden nimmt.« VAN GENNEP, Übergangsriten, 15. 145 Ich werde später näher darauf eingehen. S.u. Teil 3, 1.1.2. Zur Bedeutung von Ehre und Scham/Schande vgl. MALINA, Welt, 40ff. Zum Zusammenhang des Honour-Shame-Modells und der Ritualforschung vgl. MCVANN, Reading, 179f. 146 Vgl. dazu MALINA, Welt, 40f. 147 »For example, an invasion of women’s space by a man or men would be shameful, and repelling it honorable, whether by men or women, because defending and maintaining the status quo are the prime objectives in the defense of boundaries.« MCVANN, Reading, 180.

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in ehrbarer, d.h. gesellschaftlich legitimierter Weise. Das Individuum wird aus einem durch soziale Grenzen eindeutig definierbaren Status in einen anderen eindeutig definierbaren Status transferiert. Übergangsriten bewahren so die gesellschaftliche Ordnung. Die verschiedenen Übergangsriten (und -prozesse) lassen nun nach van Gennep zeit- und kulturübergreifend148 das gleiche dreiphasige Strukturschema erkennen:149 – Es gibt eine Trennungsphase (präliminale150 Phase), in der das Individuum aus einer klar definierbaren bestehenden Rolle bzw. einem Status herausgelöst wird. – Darauf folgt eine Schwellenphase (liminale Phase), in der das Individuum in einer Zwischenwelt verbleibt. Diese hat weder Eigenschaften des einstigen noch des zukünftigen Zustands.151 Dauer und Umfang dieser Phase können extrem unterschiedlich ausfallen.152 – Schließlich kommt es zur Angliederungsphase (postliminale Phase), d.h. zur Wiedereingliederung in die soziale Struktur, nun allerdings in einem veränderten klar definierbaren Status. Das Individuum nimmt einen anderen Platz ein, besitzt andere Rechte und Pflichten. Von besonderem Interesse ist hierbei die liminale Phase. Sie wird eingehend von Turner untersucht. Ihre Besonderheit ist ein Zustand zwischen den Stühlen, »eine Existenz zwischen fixierten Statuspositionen, [... ein] Zustand des ›Weder-noch‹, der Unstrukturiertheit, der Undefinierbarkeit und des Paradoxen«.153 Dieser schwer zu beschreibende Zustand ist besonders offen für eine reiche Symbolik. Das Unbekannte wird anhand bekannter Bilder beschreibbar: 148

»Zu jedem dieser Ereignisse gehören Zeremonien, deren Ziel identisch ist: Das Individuum aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte hinüberzuführen. Da das Ziel das gleiche ist, müssen auch die Mittel, es zu erreichen, zwangsläufig wenn nicht identisch, so doch zumindest analog sein.« VAN GENNEP, Übergangsriten, 15. Vgl. ebd. 175. Van Gennep bietet Beispiele aus verschiedenen Erdteilen (Australien, Indien, Afrika, Asien, Amerika) und Zeiten (Antike bis 19. Jh. n.Chr.) und kann strukturelle und inhaltliche Parallelen aufweisen. 149 Vgl. VAN GENNEP, Übergangsriten, 21 u.ö.; TURNER, Ritual, 94f. Zur Begrifflichkeit der drei Phasen vgl. ebd. 159. VAN GENNEP (Übergangsriten, 21) spricht übrigens statt von Phasen von Trennungsriten (rites de séparation), Schwellen- bzw. Umwandlungsriten (rites de marge) und Angliederungsriten (rites d’agrégation). Er untersucht die Phasen einzeln, klassifiziert sie aber als dreiphasige Übergangsriten. 150 »Liminal« leitet sich von lat. limen (Schwelle, Grenze) ab. 151 Vgl. TURNER, Ritual, 95. 152 Während wörtlich zu nehmende (Tür-)Schwellenriten, wie das Tragen der Braut über die Türschwelle etc., nur einen Augenblick dauern (vgl. VAN GENNEP, Übergangsriten, 28ff), weiß van Gennep von Schwellenriten bei Zwillingsgeburten bei den Soko (Kongo) zu berichten, in denen die Zwillinge mehr als 6 Jahre im Schwellenzustand – d.h. konkret in der Seklusion/Isolation – verbleiben. Vgl. ebd. 52f. 153 STRECKER, Liminale Theologie, 43. Mehr zur Charakteristik der Liminalität später.

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»So wird der Schwellenzustand häufig mit dem Tod, mit dem Dasein im Mutterschoß, mit Unsichtbarkeit, Dunkelheit, Bisexualität, mit der Wildnis und mit Sonnen- und Mondfinsternis gleichgesetzt.«154 Die Symbolik verweist also in eine durchaus asoziale, fremde Welt, die auch durch das »Auftreten dämonischer oder monströser Wesen«155 geprägt sein kann. Hinzuweisen ist auch auf den besonderen sakralen und religiösen Charakter dieser Schwellenphase – van Gennep kann in diesem Zusammenhang sogar von »Sakralsphäre« sprechen156 und Turner sieht in dem liminalen »Nein« (Auflösung oder Umkehrung der Sozialstruktur) die »religiöse Uraussage«. »[R]itualähnliche Erlebnisformen« sind für ihn prinzipiell »›Träger‹ religiöser Botschaft.«157 Der von der profanen Welt abgelöste Neophyt unterwirft sich in unerschütterlichem Gehorsam der religiösen Autorität (etwa in Gestalt des Ritualleiters) und erfährt eine totale Gemeinschaft mit seinen Mitneophyten.158 Es fällt nicht schwer, diese Struktur eines rituellen Übergangs bei der Interpretation der Perikope Mk 1,9–15 fruchtbar zu machen. Jesus kommt aus Galiläa und unterzieht sich einem Trennungsritus.159 Die potenzielle Todessymbolik des Taufritus ist zumindest bei Paulus bekannt (vgl. Röm 6,3– 11),160 der längere Aufenthalt an einem einsamen wilden Ort mit wilden Tieren, Satan und Engeln ist sehr gut als Seklusionsperiode im Zuge der liminalen Phase verstehbar.161 Wie eine Art Ritualleiter zwingt (1,12: ɩƯƧʾưưƪƮ) »der Geist« Jesus in die Wüste. Jesus wird so in die traditionelle altorientalische Sphäre der Einsamkeit und Gefahr, der unmittelbaren Gottesnähe (Sakralsphäre) und zu den Ursprüngen der israelitischen Religion getrieben.162 Das Fasten macht ihn buchstäblich leer. Der alte Status wird 154

TURNER, Ritual, 95. STRECKER, Liminale Theologie, 44. 156 Vgl. etwa VAN GENNEP, Übergangsriten, 84.93. 157 TURNER, Religionsverständnis, 446. 158 Mehr dazu später, s.u. Teil 3, 3.9.1. 159 Vgl. Mk 1,4f – Taufe symbolisiert Buße und Trennung vom bisherigen sündigen Leben. 160 Vgl. Kol 2,12. Im MkEv fehlen Belege. Paulus und Kol zeigen aber, dass eine solche Deutung im Urchristentum möglich war. Die Taufe erscheint hier als Übergangsritus (vgl. auch 2Kor 5,17), die vollständige Aggregation steht aber noch aus (Röm 6,5.8). 161 Vgl. etwa die Schwellenphase von ural-altaischen Schamanen bei VAN GENNEP, Übergangsriten, 107: Der von seiner Kindheit an psychisch auffällige künftige Schamane »zieht sich in die Einsamkeit zurück, geht z.B. in die Wälder, die Tundra usw., und leidet dort vielfältige Entbehrungen […] Immer häufiger erscheinen ihm anthropomorphe oder tierische, übel- oder wohlwollende, einzeln oder zahlreich auftretende Geister, die ihn in das Wesen seines Berufes einweihen. Oder […] seine Seele begibt sich in das Land der Geister, Götter oder Toten. Dort [… eignet er] sich das Wissen an, das notwendig ist, um böse Geister zu bezwingen und gute dienstbar zu machen. […] Der Schamane kehrt ins Leben zurück, wird wiedergeboren, geht dann nach Hause oder zieht von Dorf zu Dorf usw.« 162 MCVANN (Reading, 192) weist auf den besonderen Gehorsam Jesu gegenüber der israelitischen Tradition/Religion hin: Wie Mose 40 Tage auf dem Berg ist, das Volk 40 Jahre durch die 155

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mindestens symbolisch vernichtet. Danach kehrt Jesus als öffentlich wirksamer Gottessohn, Lehrer und Prophet in die Gesellschaft zurück, allerdings ohne die Charakteristik der liminalen Sphäre aufzugeben163 (nach dem bisher dargestellten Schema mag diese Aussage verwirren, aber es wird sich später zeigen, dass das vorgestellte Modell auch eine permanente Liminalität kennt, in die rituell gewechselt werden kann). Jesus kehrt dabei seinem einstigen Status und Platz in der sozialen Struktur – auch der Herkunftsfamilie – den Rücken.164 Die wesentlichen drei Faktoren ritueller Vollzüge stehen deutlich vor Augen: die zentrale Stellung des Körpers (Taufe, körperliche Entbehrungen), die soziale Bedeutung (Wechsel vom sozialen Ort der Kindheit und Jugend in die Täuferbewegung bzw. Einsamkeit und schließlich zur Predigttätigkeit mit Jüngerberufung und neuem sozialen Umfeld) und die sakrale Dimension (Gottesstimme, Wüstentradition, Satan/Engel).165 Jesus selbst ist, wie es sich für einen Neophyten ziemt, im Gegensatz zum MtEv und LkEv noch ganz passiv. Einzig bei seinem Gang zum Jordan und seiner Rückkehr aus der Wüste ist er aktiv. Die Ereignisse dazwischen geschehen an ihm: Johannes tauft, Gott spricht, der Geist »wirft« ihn in die Wüste, der Satan versucht ihn (Initiationsprüfung?), die Engel dienen. Dabei stört nicht, dass das Dreiphasenmodell durch Taufe – Gottesstimme – Wüstenaufenthalt stark untergliedert ist. Die beschriebenen Phasen werden im Konkreten weiter zu fassen sein.166 Wüste wandert und Elia 40 Tage zum Horeb läuft, so fastet Jesus 40 Tage in der Wüste. Für den Zusammenhang zwischen der Zahl 40 und liminaler Symbolik ist auch die menschliche 40wöchige Schwangerschaft anthropologisch bedenkenswert. Dies führt hier aber zu weit. 163 S.u. Teil 3, 3.9.3. 164 Die Trennung von der Familie (Welt der Mutter) kann ein wesentlicher Bestandteil von Übergangsprozessen – v.a. Pubertätsriten und Initiationen – sein. Vgl. dazu etwa ELIADE, Mysterium, 31ff.42 (»daß die Mütter die Novizen, die ins Hauptlager zurückkehren, als Fremde betrachten«) u.ö. VAN GENNEP (Übergangsriten, 85f) berichtet, dass bei der Initiation in einen Geheimbund in Tahiti vom Novizen verlangt wird, seine Kinder zu töten. Oder: Initiationen in ein Priesteramt werden als Begräbnis dargestellt, da der zukünftige Priester (der hogon bei den Habe im Nigerplateau) für die Herkunftsfamilie von nun an tot ist (VAN GENNEP, Übergangsriten, 111f). 165 Vgl. dazu STRECKER, Notizen, 42ff. 166 Vgl. auch VAN GENNEP, Übergangsriten, 21f: »Das dreigliedrige Schema der Übergangsriten teilt sich in bestimmten Fällen noch weiter auf«. Vgl. z.B. die beschriebenen Schwangerschaftsund Niederkunftsriten der Toda (Indien), ebd. 48f. Vgl. auch ebd. 84 (Zitat s.u. Teil 3, 3.9, Anm. 785). Ähnlich auch SCHØJDT, Initiation, 103: in der Praxis könne ein Übergangsritus verschiedene liminale Phasen aufweisen. Man könnte überlegen, ob mit der Gottesstimme nicht bereits die Phase der Wiedereingliederung erfolgt. Jesus verlässt sein Heimatdorf (die dörflichen und familiären sozialen Strukturen) und wird nach der Taufe (liminale Phase) in die Gottessohnschaft eingegliedert. Allerdings steht gegen dieses arianische Missverständnis Mk 1,1. Jesus ist von Anfang an Gottes Sohn, die Leserin bzw. der Leser ist damit bereits vertraut. Vgl. auch SCHENKE, Mk (1988), 113ff: Markus ist mit einer Präexistenzvorstellung vertraut. Die neue soziale Struktur bzw. mit Turners Begrifflichkeit »Antistruktur« (s.u.) wird im Jüngerkreis und der familia dei – der neuen Gemeinschaft um Jesus – zu suchen sein. Ich werde später darauf eingehen.

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Mark McVann, der auf Turner aufbauend die Taufe im MkEv untersucht, präzisiert den Sachverhalt. Die Taufe ist ein Ritual der Statustransformation. »Like all transformative rituals, it is centrally concerned with a radical restructuring of the participants’ identity, and consequently, with a redefinition of their status.«167 Diese Transformation geht mit dem Verzicht des Status in der alten Struktur einher, d.h., sie löst von dem »abtrünnigen und sündigen Geschlecht« (Mk 8,38). Dieses kann ganz konkret für die Taufe Jesu behauptet werden. Sie verändert seinen Status radikal und macht ihn zu einem Außenseiter, reißt ihn aus der alten Struktur heraus. »Thus, through baptism, a status is created whose existence constitutes a protest against the old and implies a new order, new values and attitudes, and new modalities of community living (9:35; 10:42–44).«168 Taufe und Wüstenaufenthalt dürfen als Elemente eines Übergangsprozesses im Sinne eines mehrschichtigen, unterschiedlich akzentuierten Transformationsgeschehens gesehen werden. Diese Fragen sollen unten Teil 3, 3.9 weiter verfolgt werden. Um Missverständnissen vorzubeugen, ist hier nur darauf hinzuweisen, dass Markus keine Entwicklung Jesu – etwa in Form verschiedener Statustransformationen – darstellen möchte. Ich nutze die ritualtheoretischen Modelle v.a. als heuristisches Instrument.169 Für die Frage nach dem Zeitpunkt der Trennung Jesu von seiner Familie im Erzählgefälle des MkEv ist allein wichtig, dass besagte Perikope als Übergangsprozess gelesen werden kann: Alte Strukturen – auch die familiären Bindungen – werden verlassen und ein neuer Status wird angenommen. Das bestätigt der weitere Verlauf der Geschichte Jesu im MkEv (3,31–35; 6,1–6). Der Konflikt in Mk 3,21 ist somit in 1,9ff vorbereitet. Die Grenzüberschreitungen, die Jesus von hier aus beginnend vollzieht, werden von seiner Familie (3,21) und von den Nachbarn als Entehrung (6,3f: ɝƷƮµƳƵ!) gewertet. Der Übergangsprozess erfolgt weder durch einen gesellschaftlich legitimierten Übergangsritus,170 noch führt er zu einem gesellschaftlich legitimierten neuen Status.171 167

MCVANN, Baptism, 151. MCVANN, Baptism, 152. Bei McVann ist an dieser Stelle die Leserschaft des MkEv gemeint, die von ihm insgesamt als Täuflinge gedacht werden (MkEv, speziell 8,27–9,1 als Taufpredigt; Jüngling von 14,51f und 16,5 als Täufling im Taufhemd etc. Diese m.E. streitbare These muss in dieser Arbeit nicht weiter interessieren; zur Kritik vgl. LAHURD, Exactly, 202ff). Wichtig ist: McVann kann an anderer Stelle auch die mk Taufe Jesu ebenso interpretieren (vgl. ebd. 151f). 169 Als solches sind sie auch gedacht. Vgl. SCHOMBURG-SCHERFF, Nachwort Gennep, 240. 170 Anders DEMARIS, Taufe, 49f mit einem grundlegend anderen ritualtheoretischen Ansatz: Die evtl. sekundär zu Jesu Visionen getretene Taufe charakterisiert Jesu Besessenheit als positiv, d.h. rituell kontrolliert. Sie hat somit eine apologetische Funktion. Dämonische Besessenheit wird hingegen unkontrolliert initiiert. 171 Das wäre aber bei der Taufe durch Johannes denkbar. Nach JOSEPHUS, Ant XVIII 116ff war Johannes immerhin ein »edler Mann« und seine Taufe war im Volk anerkannt. Hier legt sich 168

Jesu Scheitern in Nazareth

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1.3 Jesu Scheitern in Nazareth (6,1–6) Jesu Scheitern in Nazareth 1 2

3

4

5 6a

ƐƦ˃ ɩƲ̏ưƭƪƱ ɩƯƪ̝ƭƪƱ ƯƦ˃ ɭƴƺƪƷƦƮ ƪʅƵ ƷˁƱ ™ƦƷƴ˄ƩƦ ƦʡƷƳ̬, ƯƦ˃ əƯƳưƳƸƭƳ̬ƶƮƱ ƦʡƷ̺ Ƴʆ µƦƭƬƷƦ˃ ƦʡƷƳ̬. ƯƦ˃ ƨƪƱƳµˀƱƳƸ ƶƦƧƧʾƷƳƸ ɹƴƲƦƷƳ ƩƮƩʾƶƯƪƮƱ ɩƱ Ʒ̐ ƶƸƱƦƨƼƨ̐, ƯƦ˃ ™ƳưưƳ˃ əƯƳˈƳƱƷƪƵ ɩƲƪ™ư˂ƶƶƳƱƷƳ ưˀƨƳƱƷƪƵ, ™ˆƭƪƱ ƷƳˈƷ̷ ƷƦ̬ƷƦ, ƯƦ˃ Ʒ˄Ƶ ɶ ƶƳƹ˄Ʀ ɶ ƩƳƭƪ̝ƶƦ ƷƳˈƷ̷, ƯƦ˃ Ʀʆ ƩƸƱʾµƪƮƵ ƷƳƮƦ̬ƷƦƮ ƩƮʽ Ʒ̹Ʊ ƺƪƮƴ̹Ʊ ƦʡƷƳ̬ ƨƮƱˆµƪƱƦƮź Ƴʡƺ ƳʨƷˆƵ ɩƶƷƮƱ ʖ ƷˀƯƷƼƱ, ʖ Ƹʆ˅Ƶ Ʒ̏Ƶ ƒƦƴ˄ƦƵ ƯƦ˃ əƩƪưƹ˅Ƶ ʍƦƯˊƧƳƸ ƯƦ˃ ʍƼƶ̏ƷƳƵ ƯƦ˃ ʍƳˈƩƦ ƯƦ˃ ƙ˄µƼƱƳƵź ƯƦ˃ ƳʡƯ ƪʅƶ˃Ʊ Ʀʆ əƩƪưƹƦ˃ ƦʡƷƳ̬ ʴƩƪ ™ƴ˅Ƶ ɶµ̀Ƶź ƯƦ˃ ɩƶƯƦƱƩƦư˄ƫƳƱƷƳ ɩƱ ƦʡƷ̺. ƯƦ˃ ɭưƪƨƪƱ ƦʡƷƳ̝Ƶ ʖ ʍƬƶƳ̬Ƶ ʚƷƮ ƳʡƯ ɭƶƷƮƱ ™ƴƳƹ˂ƷƬƵ ɝƷƮµƳƵ ƪʅ µˁ ɩƱ Ʒ̐ ™ƦƷƴ˄ƩƮ ƦʡƷƳ̬ ƯƦ˃ ɩƱ ƷƳ̝Ƶ ƶƸƨƨƪƱƪ̬ƶƮƱ ƦʡƷƳ̬ ƯƦ˃ ɩƱ Ʒ̐ ƳʅƯ˄˾ ƦʡƷƳ̬. ƯƦ˃ ƳʡƯ ɩƩˈƱƦƷƳ ɩƯƪ̝ ™ƳƮ̏ƶƦƮ ƳʡƩƪµ˄ƦƱ ƩˈƱƦµƮƱ, ƪʅ µˁ ʕư˄ƨƳƮƵ əƴƴˊƶƷƳƮƵ ɩ™Ʈƭƪ˃Ƶ ƷʽƵ ƺƪ̝ƴƦƵ ɩƭƪƴʾ™ƪƸƶƪƱ. ƯƦ˃ ɩƭƦˈµƦƫƪƱ ƩƮʽ ƷˁƱ ə™ƮƶƷ˄ƦƱ ƦʡƷ̹Ʊ.

1

Und er brach von dort auf und kommt in seine Vaterstadt und seine Jünger folgten ihm nach. 2Und als es Sabbat geworden war, begann er in der Synagoge zu lehren. Und viele, die ihn hörten, waren erstaunt und sprachen: Woher hat der das? Und was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und was für Machttaten geschehen durch seine Hände? 3Ist dieser nicht der Bauhandwerker, der Sohn der Maria und Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simons? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. 4Und Jesus sprach zu ihnen: Ein Prophet ist nicht ohne Ehre, außer in seiner Vaterstadt und bei seinen Verwandten und in seinem Haus. 5Und er konnte dort nicht ein Wunder vollbringen, außer dass er wenigen Kranken die Hände auflegte und sie heilte. 6aUnd er wunderte sich über ihren Unglauben.

In V. 3 gibt es für die Interpretation aufschlussreiche textkritische Abweichungen. Statt der Bezeichnung Jesu als ƷˀƯƷƼƱ wird er bei î45 33 (beide ut videtur) f 13 und einigen Minuskeln zu dessen Sohn (ƷƳ̬ ƷˀƯƷƳƱƳƵ Ƹʆ˅Ƶ). Dabei wird es sich vielleicht um eine Angleichung an Mt 13,55 handeln. Sicherlich war aber auch die Zuweisung eines so bodenständigen Berufs an Jesus manchem Schreibern in christologischer Hinsicht fragwürdig.

wiederum nah, den Wüstenaufenthalt mit zum Übergangsprozess zu rechnen bzw. auf ihn den Schwerpunkt zu legen.

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»Lesart 1 [Jesus als ƷˀƯƷƼƱ, TR] hat als die ursprüngliche zu gelten, weil sie die anstößigste ist.«172 Weiterhin finden sich für die Fragestellung dieser Untersuchung interessante Varianten des Namens Joses. Bei a und wenigen lateinischen Schriften findet sich die hebräische Namensvariante Josef (̉ƏƼƶˁƹ, vgl. dazu Mt 13,55!); A C W Û u.a. haben die Schreibvariante ̉ƏƼƶˁ. A C W und Mehrheitstext weisen dabei auch in Mk 15,40 die abweichende Schreibweise von Joses auf. Die mögliche Schlussfolgerung, sie identifizieren die Träger der Namen miteinander, bleibt allerdings unsicher.

1.3.1 Kontext und Struktur Die Mehrheit der Exegeten ist sich einig, dass die Perikope mit V. 6a schließt. Bei V. 6b handelt es sich um eine mk Überleitung. Er findet hier keine weitere Beachtung.173 Der Textabschnitt Mk 6,1–6 steht, wie der zuvor behandelte, im Kontext der Wirksamkeit Jesu in Galiläa (Mk 1–9). Grundmann drittelt die galiläische Zeit und sieht in Mk 6,1–6a den Abschluss des Höhepunktes der galiläischen Wirksamkeit Jesu (3,7–6,6a).174 Durch diese Einteilung wird der Textabschnitt mit dem zuvor behandelten Abschnitt in Kapitel 3 verbunden. »Jesus macht gleichsam den Gegenbesuch zu Mk 3,31ff.«175 Die Nazareth-Perikope folgt auf Gleichnisrede (Mk 4,1–34) und Wunderzyklus (Mk 4,35–5,43) und fasst nun gewissermaßen die Lehre und die Wundertaten Jesu mit der Reaktion der Menschen in Nazareth176 zusam172 GNILKA, Mk I, 231. So auch LOHMEYER, Mk, 110; BLINZLER, Brüder, 28–30. Vgl. auch GRÄSSER, Nazareth, 23: »Denn dem Redaktor ist in der Abfolge von V. 2 zu 3 gerade an der schroffsten Paradoxie gelegen: der ›Gottesmann‹ von V. 2 ist doch zugleich der ›Zimmermann‹ von V. 3«. GRUNDMANN (Mk, 157) liest dagegen vorzugsweise »Sohn des Schreiners«, ohne die andere Lesart völlig auszuschließen. 173 Dem widerspricht CROSSAN (Relatives, 105): »One should probably consider vi 6b [...] as the final redactional step in this process and as the close of vi 1–6 rather than the start of the next pericope«. Er sieht einen konstruierten Gegensatz zwischen Erfolg und Misserfolg. Die Zuweisung des Halbverses als Übergang erscheint aber plausibler. Die Konstruktion des Erfolges in den Dörfern gegenüber dem Misserfolg in Nazareth hätte Markus deutlicher gestaltet. Von einem Erfolg ist nichts zu lesen! Aber auch SCHMIDT (Rahmen, 158ff) stimmt für V. 6b. 174 Vgl. GRUNDMANN, Mk, Inhaltsverzeichnis. Ähnlich teilt auch SCHWEIZER (Mk, Inhaltsverzeichnis) und gibt dem Abschnitt 3,7–6,6a die Überschrift »Jesu Wirken in Gleichnissen und Zeichen und die Blindheit der Welt«. 175 BECKER, Maria, 93. 176 Der Ortsname wird hier nicht genannt, der Leserschaft ist aber seit Mk 1,9 der Name des Ortes bekannt. Nazareth gilt in der heutigen Exegese als Vaterstadt und damit weitgehend, zumindest im Markus- und Johannesevangelium, als Geburtsort Jesu. Anders SCHMID, Mk, 113: »Obwohl Jesus in Bethlehem geboren wurde, kann Nazareth deshalb seine Vaterstadt heißen, weil er dort aufgewachsen war«.

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men.177 Die Reaktion der Nazarener steht wohl exemplarisch für den Unglauben und die Verhärtung Israels.178 Wie die Familie in Mk 3,31 stehen auch die Bewohner Nazareths draußen (vgl. dazu auch Mk 4,11). Im Anschluss an die Perikope kommt es zur Jüngeraussendung und damit zu einem neuen Stadium innerhalb der Wirksamkeit Jesu. Es gibt verschiedene Verweise auf andere Stellen des MkEv. So setzt die Nennung der Vaterstadt (V. 1) die Bekanntheit derselben aus Mk 1,9.24 voraus. Die explizite Anwesenheit der Jünger zielt bereits auf deren Aussendung (6,6b–13). Die Synagogenpredigt (V. 2) erinnert an Mk 1,21f.39; 3,1. Vom Aufbau her ähnelt der Anfang der Perikope Mk 2,23–28. Soll der Kontrast zwischen Nazareth und Kafarnaum gezeigt werden? Die Ablehnung des »Propheten« durch sein Haus in V. 4 setzt zwingend Mk 3,20f.31–35 voraus, denn innerhalb Mk 6,1–6 findet sich dafür kein Anhaltspunkt.179 Die Selbstbezeichnung als Prophet, auch in Verbindung mit dessen Ablehnung, verweist auf Mk 6,15 und damit auf das Schicksal des Täufers – eine Verbindung, die an dieser Stelle oft übersehen wird.180 Der Täufer selbst wird durch den Prophetenspruch in Mk 1,2f, durch eine Identifizierung mit dem Elia redivivus in Mk 9,12f und explizit durch die Volksmeinung in Mk 11,32 zum Propheten erklärt. Das Schicksal des Täufers ist mit dem des Gottessohns im MkEv parallelisiert. Der Täufer ist auch in Leiden und Tod der Vorläufer Jesu, ist fester Bestandteil der theologia crucis des Markus.181 Handelt es sich hier also auch um eine solche Parallelisierung und einen der vielen mk Hinweise auf die Passion? Ob die Namensliste in V. 3 in Zusammenhang mit der in Mk 15,40 etc. steht, wird noch an anderer Stelle zu untersuchen sein (s.u. Teil 3, 2.). Die Struktur des Abschnitts ist mit Exposition (VV. 1.2a), Reaktion der Vielen (VV. 2b.3) und der Stellungnahme Jesu (VV. 4–6a) zu umschreiben. Die Exposition verbindet durch V. 1a den Abschnitt mit der Perikope von der Auferweckung der Tochter des Jairus.182 Die Reaktion der Vielen nach der Predigt Jesu, über deren Inhalt nach mk Art nichts mitgeteilt wird, gliedert sich in fünf Fragen. Dabei zielen drei auf die Wirksamkeit Jesu und 177

Vgl. GNILKA, Mk I, 233; KERTELGE, Mk, 61. Vgl. GNILKA, Mk I, 233. GRUNDMANN (Mk, 158) übersetzt ™ƦƷƴ˄Ƶ in V. 4 mit Vaterland. Wenn das mit Verweis auf V. 1 auch zu hinterfragen ist, darf doch überlegt werden, ob diese Bedeutung bei Markus mitschwingt, wenn er Nazareth durch ™ƦƷƴ˄Ƶ ersetzt (vgl. GNILKA, Mk I, 228). 179 Der synoptische Vergleich, einschließlich EvThom 31, zeigt, dass es sich bei der Ablehnung des Propheten in der eigenen Familie um eine mk Spezifik handelt. 180 So zieht etwa Pesch Linien zu atl. Propheten, vermeidet aber diesen näher liegenden Bezug (vgl. PESCH, Mk I, 320f). 181 Vgl. ERNST, Täufer, 13 und 24f. Vgl. auch die Fragestellung bei GRÄSSER, Nazareth, 5f; PESCH, Mk I, 315. 182 Gegen SCHMIDT, Rahmen, 153. 178

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zwei auf seine Herkunft.183 Der dreifache Gebrauch des Demonstrativpronomens ƷƳˈƷ̷/ƷƳˈƷ̷/ƳʨƷˆƵ zeigt bereits ungläubige Skepsis.184 Es folgt eine Zusammenfassung der Reaktion mit ɩƶƯƦƱƩƦư˄ƫƳƱƷƳ. Dagegen wird die Stellungnahme Jesu, in deren Zentrum das sprichwortartige »Regelwort«185 über das Prophetenschicksal steht, mit ɩƭƦˈµƦƫƪƱ zusammengefasst. Beide »Verben korrespondieren miteinander.«186 Es gibt eine Reihe von Spannungen in der Perikope. »In der Reaktion der Hörer V. 2 spiegelt sich ein erfolgreicher und vollmächtiger Auftritt Jesu in Nazareth, in V. 3 unbeeindruckte Skepsis, ja Vernünftelei, der Jesu Auftritt nicht zum Verwundern gereicht, sondern zum Skandal.«187 Es mutet auch seltsam an, dass in V. 4 eine Regel konstituiert wird, Jesus sich aber in V. 6a – wider besseren Wissens – über die Bestätigung wundert.188 Innerhalb von V. 5 findet sich eine Spannung zwischen der Wunderunfähigkeit Jesu (ƳʡƩƪß˄ƦƱ ƩˈƱƦµƮƱ) und deren Relativierung. Schließlich ist auch V. 2 gegenüber V. 5 nicht stimmig, denn »dort erscheint Jesus im Echo der Zuhörer als Gottesmann von übernatürlicher Mächtigkeit; hier als der Zimmermann von stark limitierter Wirkungsmöglichkeit.«189 Nach Bultmann handelt es sich bei diesem Abschnitt der Form nach um ein Apophthegma, eine ideale Szene, die auf der Grundlage eines Berichtes über den erfolgreichen (!) Auftritt Jesu sowie des Wortes über das Prophetenschicksal geschaffen wurde.190 Dagegen setzt Gräßer auf die vom Evangelisten theologisch bearbeitete ursprüngliche Nachricht vom Versagen Jesu, »weil man sich nicht gut vorstellen kann, daß die Gemeinde aus 183 Die Frage nach dem Woher wissen die Leserinnen bzw. Leser bereits mit der Taufgeschichte Mk 1,9–15, die Frage nach der Familie mit Mk 3,35 beantwortet. 184 Vgl. PESCH, Mk I, 317. Dagegen LOHMEYER (Mk, 111): »kaum durchkonstruierte Fragen, als spräche eine Menge durcheinander«. Dem widerspricht zu Recht GRÄSSER, Nazareth, 21. 185 GNILKA, Mk I, 232. JACOBSON (Jesus against, 204) spricht anstatt von Sprichwort von Aphorismus. Der Unterschied liegt in der Funktion: Statt einer allgemein bekannten Aussage, attackiert der Aphorismus v.a. das Verhalten der Familie. So ebd. 206. 186 GNILKA, Mk I, 229. 187 GRÄSSER, Nazareth, 9f. 188 Diese Spannung ließe sich beheben, wenn man das Wundern als eine Art Zusammen fassung, eine Art abschließendes Kopfschütteln interpretiert und es nicht dem Regelwort zeitlich nachordnet. Allerdings ist fraglich, ob so mit dem Text und mit dem Verb ɩƭƦˈµƦƫƪƱ umgegangen werden darf. Das Verb ist damit evtl. zu schwach wiedergegeben. Allerdings plädiert auch Pesch dafür, diese Spannung nicht überzubewerten: »Jesu ›Verwunderung‹ ist betroffenes Staunen über den Unglauben [...], der als Regel erfahren werden mag, aber nie erwartet werden darf« (PESCH, Mk I, 321f). 189 GRÄSSER, Nazareth, 10. 190 Vgl. BULTMANN, Geschichte, 30f. Die positive Reaktion der Vielen in V. 2 im Gegensatz zur negativen in V. 4 ließe sich mit einem erfolgreichen Auftritt Jesu sicher erklären, aber man wird V. 2 auch gut dem christologischen Interesse des Markus zuschreiben können. LOHMEYER (Mk, 112) führt die Entstehung der Geschichte auf das ursprünglich jüdische Sprichwort und auf Nachrichten über die Verwerfung Jesu sowie Informationen über seine Familie zurück.

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einem Sprichwort ein Versagen Jesu herausholt«.191 Gnilka ordnet die Perikope nicht als Apophthegma ein: »Die Form der Erzählung ist nicht ohne weiteres mit den bekannten Erzählformen vergleichbar, sondern sui generis.«192 Pesch bezeichnet die »kurze Erzählung biographisch-apophthegmatischen, auch polemischen Charakters« als »Bericht«,193 da er als Ziel der Erzählung nicht die Reflexion, sondern die Information sieht. Das aber erscheint mir fraglich. Auch wenn dem »Bericht« historische Daten zugrunde liegen, stehen doch die theologischen Aussagen bei der Frage, wer dieser Jesus sei und wie man sich zu seinem Wirken verhält, im Vordergrund. Josef Ernst geht mit der Charakterisierung der Perikope als einfache Erzählung allen Schwierigkeiten aus dem Weg.194

1.3.2 Redaktionskritik Vers 1 ist gründlich redaktionell überarbeitet.195 Es findet sich die mk Überleitungsformel ƯƦ˃ ɩƲ̏ưƭƪƱ ɩƯƪ̝ƭƪƱ.196 Mit dem unerwarteten Wechsel zum Präsens (ɭƴƺƪƷƦƮ) ist wohl der Beginn der traditionellen Perikope gekennzeichnet. Die Ersetzung des vermutlich ursprünglichen Ortsnamens Nazareth durch ƷˁƱ ™ƦƷƴ˄ƩƦ kann nur vom Evangelisten im Hinblick auf V. 4b vorgenommen worden sein,197 da er die Kenntnis der Leserschaft von Mk 1,9.24 voraussetzen kann.198 Die Einführung der nachfolgenden Jünger bereitet bereits deren Aussendung in Mk 6,7–13 vor und liegt ganz im mk Interesse. So können die Jünger »schon jetzt im Hinblick auf ihre Aussendung Erfahrungen sammeln, daß sie nicht enttäuscht sind, wenn sie abgelehnt werden.«199 Matthäus und Lukas streichen die Jünger wieder. 191

GRÄSSER, Nazareth, 13. GNILKA, Mk I, 229. 193 PESCH, Mk I, 316. 194 Vgl. ERNST, Mk, 168. 195 Vgl. GNILKA, Mk I, 228; MELZER-KELLER, Frauen, 72; GRÄSSER, Nazareth, 14–16; PESCH, Mk I, 316; SCHWEIZER, Mk, 64. Dagegen sieht SCHMITHALS (Mk I, 299f) die Perikope als einheitliches Stück der »Grundschrift« ohne Eingriffe. Mit dem Argument, der Erzähler der Grundschrift sei an reinen Formen nie interessiert, lassen sich aber m.E. die Widersprüchlichkeiten nicht erklären. SCHMIDT (Rahmen, 155f) vermindert die redaktionellen Eingriffe, indem er zwei verwobene Berichte entdeckt (1. Sabbatpredigt, Erschrecken der Hörerschaft, Prophetenwort, VV. 2a.4; 2. Jesus und die Gerüchte über ihn in Nazareth, Wunderunfähigkeit, VV. 2b.3.5.6a). 196 Vgl. dazu DSCHULNIGG, Sprache, 192; GRÄSSER, Nazareth, 14 sowie OBERLINNER, Überlieferung, 259f. 197 Vgl. PESCH, Mk I, 316. 198 Gegen OBERLINNER, Überlieferung, 262. 199 GNILKA, Mk I, 228. Vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 263f. Dagegen sehen SCHMIDT (Rahmen, 153f) und ERNST (Mk, 168) in der Jüngernotiz ursprüngliche Überlieferung. 192

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Die Situation setzt voraus, dass Jesus außerhalb seiner Vaterstadt und getrennt von seiner Familie lebt.200 Dies ist dem Lesepublikum vertraut. Der Halbvers 2a ist ebenfalls redaktionell bearbeitet. Markus gebraucht für die Verkündigungstätigkeit Jesu vorzugsweise ƩƮƩʾƶƯƼ.201 Obwohl Gnilka u.a. den Handlungsort »Synagoge« in die Tradition einordnen,202 kommt dieser der mk Redaktion zumindest gelegen, wie ein Vergleich zu Mk 1,21f.39; 3,1 zeigt.203 Neben der Synagoge sind auch der damit verbundene Sabbat, das Schweigen über den Inhalt der Lehre (Mk 1,21f; 2,13; 6,34), die Bekanntheit Jesu und das Erstaunen der Vielen, v.a. da es in erheblicher Spannung zu V. 3 steht, gut markinisch. Jesus ist für Markus »kein Winkelprediger (1,28f), sondern der überwältigende Redner und Thaumaturg, dem alle Welt zuläuft (1,32f; 2,2.13; 3,9.20; 4,1; 5,21.24; 6,31.55f; 8,1).«204 Die Frage nach V. 2b und 3 wird nun aber weitaus kontroverser diskutiert. Nach Gnilka sind die VV. 2b.3 traditionell, denn »Markus […] hätte anders formuliert«.205 Melzer-Keller sieht nur die erste Frage der Nazarener (ƖˆƭƪƱ ƷƳˈƷ̷ ƷƦ̬ƷƦ), dann allerdings mit Gnilka den gesamten V. 3 als traditionell an. Die Fragen nach Weisheit und Wundertaten sind »markinische Spezifizierungen«, v.a., da bei dem Hinweis auf die Wundertaten auf das Evangelium zurückgegriffen werden muss: »in Nazareth kann Jesus laut V. 5 gar keine Wunder tun.«206 Gestützt wird diese Beobachtung durch den Hinweis Gräßers, dass in Mk 1,27 die gleiche schematische Fragefolge nach (1) der Person Jesu, (2) seiner Lehre und (3) seinen Wundern zu finden ist, dort allerdings passender nach erfolgter Lehre und Wunder. Im Unterschied zu Melzer-Keller sieht Gräßer nun auch die erste Frage in V. 2 als redaktionelle Bildung an – glaubhaft, wenn man die mk Parallelen in Mk 1,27; 2,7; 4,41 hinzuzieht.207 Das bereits genannte Argument Gnilkas, dass Markus anders formuliert hätte, scheint damit hinfällig. Somit lässt sich V. 2 der Redaktion

200

Vgl. BECKER, Maria, 42f. Vgl. Mk 1,21f; 2,13; 4,1f; 6,2.6.34; 8,31; 9,31; 10,1; 11,17; 12,14.35; 14,49. Vgl. auch DSCHULNIGG, Sprache, 187f; GRÄSSER, Nazareth, 17. OBERLINNER (Überlieferung, 264ff) sieht, trotz des mk Gebrauchs, für das Lehren einen traditionellen Anhalt. 202 Vgl. GNILKA, Mk I, 228; PESCH, Mk I, 316; MELZER-KELLER, Frauen, 72; OBERLINNER, Überlieferung, 265. Dagegen weist GRÄSSER (Nazareth, 17) die Synagoge der Redaktion zu. Die Argumentation Gnilkas, die folgende Reaktion der Nazarener setze eine Synagoge als Handlungsort voraus, erscheint nicht zwingend. 203 Ich werde später (Teil 3, 3.5) auf das Verhältnis von Synagoge und Haus eingehen. Ein mk Interesse ist vorhanden. 204 GRÄSSER, Nazareth, 19. 205 GNILKA, Mk I, 228. 206 MELZER-KELLER, Frauen, 72. 207 Vgl. GRÄSSER, Nazareth, 20. 201

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und V. 3 der Tradition zuweisen.208 Es sei auf den Widerspruch der Reaktionen von V. 2 zu V. 3 verwiesen. Zudem wird in der biografischen Namensliste, der Berufsbezeichnung sowie der Ablehnung bzw. im Misserfolg Jesu mit Traditionsgut zu rechnen sein, denn »Personalakten, zudem mit Berufsbezeichnung, erfindet man nicht so leicht.«209 Die sprichwortartige Stellungnahme Jesu (V. 4) ist in ihrem Grundbestand ebenfalls traditionell.210 Allerdings erweitert Markus neben ƯƦ˃ ɭưƪƨƪƱ ƦʡƷƳ̝Ƶ (ʖ ʍƬƶƳ̬Ƶ)211 das Logion um die Verwandten und das Haus, d.h. die Familie.212 Das wird deutlich, wenn man bedenkt, dass das Urteil Jesu über sein Haus, d.h. seine Mutter, Brüder und Schwestern – der Vater kommt im MkEv nicht vor – keinen Anhalt in dieser Perikope, wohl aber in Mk 3,20f.31–35 hat. Umstritten ist nun, in welchem Verhältnis das Sprichwort zur Nazarethtradition steht. War es bereits traditionell mit dem Misserfolg in der Heimatstadt verbunden? Wurde die ganze Szene erst aufgrund dieses Wortes entwickelt?213 Oder hat Markus das vorgefundene Wort erst redaktionell in die Nazarethtradition eingefügt?214 Dabei ist zunächst zu überlegen, ob die Bezeichnung als Prophet eventuell in Spannung zu dem redaktionellen V. 2 steht, wo er als berühmter Weisheitslehrer und Thaumaturg, nicht als Prophet auftritt.215 Allerdings macht Pesch glaubhaft, dass Weisheit und Machttat im engen Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Bild des eschatologischen Propheten, dessen Bild in der Beschreibung des Mose in Act 7,2.36 zu finden ist, stehen.216 208 GRÄSSER (Nazareth, 24) sieht aber, trotz einer traditionellen Verankerung, bei der terminologischen Gestaltung von ƯƦ˃ ɩƶƯƦƱƩƦư˄ƫƳƱƷƳ ɩƱ ƦʡƷ̺ Markus am Werk (vgl. 4,17; 14,27.29). Er charakterisiert die Wortwahl zur Begründung als »christlich-prägnant«, wobei sich die Frage stellt, ob er eine nichtchristliche Tradierung der Geschichte für möglich hält. Wie dem auch sei, es ist gut denkbar, dass Markus ƶƯƦƱƩƦư˄ƫƼ in den Vers eingebracht hat. Ob damit gleich ganz V. 3c redaktionell ist, erscheint fraglich. Gräßers Argument, V. 4 sei für die eschatologische Glaubensverweigerung, welche ƶƯƦƱƩƦư˄ƫƼ beinhaltet, zu schwach, ist nur haltbar, wenn man von einer traditionellen Einheit V. 3 und 4 ausgeht (ebd. 25). 209 GRÄSSER, Nazareth, 1, Anm. 3. 210 Die vom MkEv unabhängige Notiz Joh 4,44 bezeugt eine ältere Tradition, auf die beide Evangelien zurückgreifen. 211 Vgl. Mk 2,27; 3,23; 4,2.11.21.24; 6,10; 7,14; 8,21; 9,1.31; 11,17. Vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 300ff. 212 Vgl. GNILKA, Mk I, 229; GRÄSSER, Nazareth, 10.25. Gegen PESCH, Mk I, 320f. OBERLINNER (Überlieferung, 308.312) sieht die ƶƸƨƨƪƱƪ̬ƶƮƱ als ursprünglich, ™ƦƷƴ˄ƩƮ und ƳʅƯ˄˾ als markinisch an, seine Argumentation vermag mich aber nicht zu überzeugen. 213 So BULTMANN, Geschichte, 30f. 214 So GNILKA, Mk I, 228f; KERTELGE, Mk, 61. Gnilka geht a.a.O. dabei von Bultmanns Beobachtung aus, dass 6,4 ein ursprünglich isolierter Spruch ist. Er entscheidet sich allerdings für die von Bultmann aus gesehene umgekehrte Möglichkeit. 215 So GRÄSSER, Nazareth, 10. 216 Vgl. PESCH, Mk I, 321.

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Familie in Konfliktsituationen

Des Weiteren ist mit einer Parallelisierung zum »Propheten« Johannes dem Täufer (s.o. 1.3.1) für Markus ein theologisches Interesse an V. 4 festzustellen, welches, mit einem Hinweis auf die Passion, über die Ablehnung in Nazareth weit hinausgeht. Es ist m.E. am wahrscheinlichsten, dass Markus den traditionellen, möglicherweise jesuanischen Spruch zur Interpretation in die Erzählung eingebracht hat. Immerhin bezieht sich Joh 4,44 nicht auf Nazareth, sondern auf Galiläa,217 was die Annahme einer von der Nazarethtradition unabhängigen Überlieferung stützt.218 Eine weitere Frage ist die nach der ursprünglichen Gestalt des Logions. Bultmann sieht hier das in POxy 1,5 (vgl. EvThom 31)219 überlieferte Herrenwort als das gegenüber dem Evangelium Primäre an: »Kein Prophet ist angesehen in seiner Vaterstadt und kein Arzt wirkt Heilungen bei seinen Bekannten« (ƨƮƱˊƶƯƳƱƷƪƵ ƦʡƷˆƱ). Die mk Version habe sich aus diesem Satz entwickelt, »die zweite Hälfte des Doppelspruches ist in Erzählung umgesetzt und die ƨƮƱˊƶƯƳƱƷƪƵ ƦʡƷˆƱ sind zu den ƶƸƨƨƪƱƪ̝Ƶ Mk 6,4 geworden.«220 Diese These findet aber heute kaum noch Anhänger.221 Gnilka formuliert im Rückgriff auf Joh 4,44: »Kein Profet ist verachtet außer in seinem Heimatort«222 und sieht darin die ursprüngliche Form des Spruches. Mit V. 5 betritt man wieder sicheren Boden. So gehört V. 5a sicherlich zur traditionellen Nazarethgeschichte, auf alle Fälle aber handelt es sich dabei um Traditionsgut. V. 5b hat als Abschwächung der Ohnmacht Jesu zu gelten und ist mit ziemlicher Sicherheit der Redaktion zuzuschreiben223 – so 217

Vgl. BECKER, Maria, 43. Noch unbestimmter findet sich der Spruch in EvThom 31. Man bedenke hierbei auch, dass Varianten dieses Spruches innerhalb und außerhalb des Judentums gut bezeugt sind. So zitiert PESCH (Mk, 320) ähnliche Worte von Dio Chrysostomos, Apollonius von Tyana und Epiktet sowie ein arabisches Sprichwort. SCHMITHALS (Mk I, 302) fügt noch Plutarch hinzu. Somit ist gut denkbar, dass sowohl Jesus als auch Markus Zugang zu dieser allgemeinen Lebensweisheit gehabt haben. Eine ursprüngliche Ankoppelung an die Nazarethperikope ist nicht zwingend. 219 Papyrus Oxyrynchus 1 (Datierung um 200) enthält EvThom 28–33. 220 BULTMANN, Geschichte, 31. 221 Ernst HAENCHEN (Aufsätze, 160) weist nach, dass das EvThom die Tendenz zeigt, vorgefundene Sprüche zu Doppelsprüchen zu erweitern, so etwa in 47 und 27. Vgl. dazu auch die Überlegungen des Unterschiedes von Prophet und Arzt bei LOHMEYER, Mk, 111. 222 GNILKA, Mk I, 229 mit Anm. 11. Auch LOHMEYER (Mk, 112) sieht in Joh 4,44 das ursprüngliche Wort. 223 Vgl. SCHWEIZER, Mk, 64; PESCH, Mk I, 321; ERNST, Mk, 170. Dem widerspricht OBERLINNER, Überlieferung, 318. SCHMITHALS (Mk I, 305) schreibt: »Daß Jesus dennoch einigen Kranken die Hände auflegte und sie heilte, will an unserer Stelle vermutlich zum Ausdruck bringen, daß Gott sich von unserem Verhalten nichts vorschreiben läßt«. Dieser Interpretation, welche anscheinend die Einheitlichkeit des Verses oder die Wirkmacht Jesu retten will, ist schwer zu folgen. (Vgl. auch LOHMEYER, Mk, 112: »keine Ohnmacht Jesu, sondern ein Vorwurf gegen die Nazarener [...]. Darum schließen sich die beiden Sätzchen an: Einige heilte Er doch, und Er wunderte sich ob ihres Unglaubens.« Ähnlich SCHMID, Mk, 116.) Dass es in der Geschichte um 218

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ganz geheuer war Markus wohl die Unfähigkeit Jesu, Wunder zu tun, dann doch nicht. Gestützt wird diese Deutung dadurch, dass Lukas V. 5a weglässt und Matthäus den Vers zumindest abmildert.224 V. 6a lässt sich gut als Abschluss der traditionellen Perikope vorstellen. Zwar ist das pointierte Thema »Unglaube« ganz im mk Sinn, es lässt sich aber auch in der traditionellen Erzählung vermuten. Die Darstellung der verschiedenen Rekonstruktionsversuche zeigt, mit welchen Schwierigkeiten die Redaktionskritik dieser Perikope, etwa im Gegensatz zu Mk 3,20f.31–35, behaftet ist. Dennoch halte ich folgende Aussage für möglich: Zur mk Redaktion können die VV. 1.2.4b.5b, zur Tradition (neben Informationen über einen Nazarethbesuch in V. 1f) die VV. 3.4a.5a.6a gezählt werden. Dabei sind folgende Hauptanliegen der mk Redaktion zu verzeichnen: die Einpassung der Perikope in das Evangelium, die Charakterisierung Jesu als vollmächtigen und bekannten Lehrer und Wundertäter, die Ausweitung der exemplarischen Verwerfung Jesu durch die Nazarener auf Sippe und Familie und die Entschärfung der glaubensbedingten Wunderunfähigkeit Jesu. Der für diese Untersuchung interessanteste Zug – die Erweiterung des Spruches über das Prophetenschicksal auf die Familie – ist allerdings mit relativer Sicherheit und in Übereinstimmung mit dem Großteil der Exegeten der mk Redaktion zuzuweisen, gerade auch, weil er in direktem Zusammenhang zu Kap. 3 zu stehen scheint. Somit ist die Perikope neben den traditionellen Informationen über die Mutter und Geschwister Jesu für diese Arbeit äußerst relevant.

1.3.3 Jesus und seine Familie in Mk 6 Es mutet schon seltsam an. In einer Perikope, in der alles mit der familiären Bindung Jesu steht oder fällt und die sich explizit am Wohnort der Familie Jesu abspielt, ist jene selbst wie vom Erdboden verschwunden. Neben den wertneutralen Informationen über Jesu Mutter und die Geschwister, die man mit historischem Interesse dankbar aufnehmen wird, hat die Familie einzig in der negativen Bilanz Jesu über seine Vaterstadt einen Platz, und zwar im letzten Glied225 eines allgemein gültigen Sprichwortes. Andererseits kann man im Blick auf Kap. 3 Markus theologische Konsequenz nicht den Unglauben der Nazarener bzw. um den Zusammenhang von Wunder und Glaube, und nicht um die Ohnmacht Jesu geht, ist unbedingt festzuhalten und auch weitestgehend Konsens unter den Exegeten. Der Hinweis ERNSTs (Mk, 168), dass eine »nachträgliche Korrektur einer grundsätzlichen Feststellung [...] auf Erinnerung hindeuten« kann, überzeugt nicht. 224 Vgl. dazu HAENCHEN, Weg, 215f. 225 Diese Stellung betont die Familie in ihrer Ablehnung (Achtergewicht).

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absprechen. Melzer-Keller vermutet in der Perikope Mk 6,1–6 eine »Dokumentation des endgültigen Bruchs Jesu mit seiner Familie«.226 Zum endgültigen Bruch der Familienzugehörigkeit Jesu hat es Markus bereits in Kap. 3 kommen lassen. Mk 6 zieht daraus die Konsequenzen. Die Familie ist für Jesus im Prinzip nicht mehr existent. Einzig für die Nazarener, welche wohl kaum unter der Volksmenge in Kap. 3 zu vermuten sind, und die darum Jesus in die alte Familienbindung einordnen, wird gerade das familiäre Bezugsfeld zum Stein des Anstoßes und, im eschatologischen Licht gesehen, zum Verhängnis.227 Damit ist die Perikope in den mk Motivkomplex »Messiasgeheimnis« einzuordnen. Durch die Erweiterung von V. 4 bestätigt Markus den Bruch in Kap. 3 und stellt damit die in V. 3 genannten Mutter und Brüder mit unter »das harte Urteil des ›Unglaubens‹«.228

1.3.4 Zwischenbilanz: Jesus und seine Familie Die meisten Exegeten ziehen bei der Frage nach Mutter und Familie Jesu im MkEv nach der Betrachtung von Mk 3,20f.31–35 und 6,1–6 einen Schlussstrich, da Mk 15,40 nicht in ihrem Blickfeld ist. Auch wenn ich mich dem nicht anschließe, ist es ratsam, hier eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen. Bisher tauchten Mutter und Geschwister Jesu gerade zweimal im Evangelium auf. Das Interesse von Markus an der Familie Jesu scheint nur ein Ziel zu verfolgen – nämlich die Familienbindung Jesu zu zerschlagen und die Familie eindeutig auf der Seite der Gegner zu verorten, um auf die andere Seite die familia dei stellen zu können. Somit funktionalisiert Markus Maria als »Distanzfigur«229 und die Familie Jesu als Negativfolie zur christlichen Gemeinde, allerdings nicht ohne historischen Rückhalt, wie ich meine.230 Jesus wird nicht nur von Mutter und Brüdern nicht verstanden, sie ziehen sogar zusammen mit den Schriftgelehrten gegen ihn ins Feld. Die Konsequenz des Bruchs der Familie wird auch darin deutlich, dass Markus eine direkte Begegnung Jesu mit seiner Familie tunlichst vermeidet, selbst wenn diese sich in beiden Perikopen nahezu aufzudrängen scheint. 226

MELZER-KELLER, Frauen, 74. »Auf keinen Fall meint ƶƯƦƱƩƦư˄ƫƪƮƱ nur ›sich vor den Kopf gestoßen fühlen‹, sondern es meint eine Glaubensverweigerung [...] von eschatologischem Gewicht«. GRÄSSER, Nazareth, 24. 228 MELZER-KELLER, Frauen, 73. 229 BECKER, Maria, 89. 230 »Diese beiden Texte haben gemeinsam, dass sie einer deutlichen Distanz zwischen Jesus und seinem Familienclan das Wort reden. Sie passen zum Bild des afamiliär lebenden Jesus, der sich seinen Jüngern und [...] Anhängern zuordnet, jedoch ganz selbstverständlich in Trennung von seiner leiblichen Familie wirkt.« BECKER, Maria, 35. 227

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Dort, wo Jesus im Licht seiner Familienzugehörigkeit gesehen wird, ist das Wirken des »Sohns Gottes« und der Glaube an ihn nicht möglich (ə™ƮƶƷ˄Ʀ), ja sein Auftreten wird zum Skandal. Die Frage, wer dieser ist, kann in einer Alternativentscheidung nur mit »Sohn der Maria«231 oder aber mit »Sohn Gottes« beantwortet werden. So wird die Leserin bzw. der Leser des Evangeliums vor die Entscheidung gestellt. Insofern ist das Thema dieser Arbeit auch für die Christologie im MkEv relevant.232 Der Grund des Konfliktes ist zum einen der Anspruch der Familie an ihr verloren geglaubtes/gegangenes Mitglied, zum anderen das mediterrane familiäre Rollenverständnis (s.u. Teil 3, 1.1.2ff), in dem für den »Sohn Gottes« kein Platz ist. Dazu tritt die Konkurrenz zwischen der alten und der neuen Familie Jesu.233 Wird Jesus aus dem familiären Bezugsfeld heraus verstanden und beurteilt, erscheint sein Verhalten und Wirken als Skandal, für die Familie wie für die Nachbarn aus der Vaterstadt.234 Andererseits besteht theoretisch noch immer die Chance, dass Mutter und Brüder ihren familiären Anspruch fallen lassen und Eingang in die neue Familie finden.235 Somit wird man vorsichtig sein, die Rolle von Mutter und Brüdern Jesu im MkEv und ihre Stellung in der nachösterlichen Gemeinde als miteinander unvereinbare Traditionslinien darzustellen. Eines aber kann man doch sagen: Eine wie auch immer geartete Marienverehrung findet, auch wenn es Markus in erster Linie um die Konstituierung der familia dei und nicht um »Mariologie« geht, in diesem Evangelium bis jetzt keinen Anhaltspunkt.236 Welche mariologischen Aspekte aus der vermuteten Anwesenheit Marias beim Kreuz zu ziehen sind, werde ich im vierten Teil des Buches zeigen. 231

Zum viel diskutierte Problem der Benennung nach der Mutter s.u. Teil 3, 1.6. Gräßer beschreibt Mk 6,1–6 in seiner redaktionellen Ausformung zutreffend als eine Art Zwei-Naturen-Lehre. »Jesus tritt als ›wahrer Gott‹ und ›wahrer Mensch‹ zugleich auf.« (GRÄSSER, Nazareth, 28). Dem widerspricht SCHMITHALS, Mk I, 301 (vgl. aber ebd. 214!). Auf das theologische Motiv »Messiasgeheimnis« wurde bereits verwiesen. 233 »It is a crisis over competing conceptions of the identity of Jesus: that is, over competing views of who Jesus belongs to (and [...] of who belongs to Jesus).« BARTON, Discipleship, 95. 234 Vgl. DORMEYER, Familie, 114. 235 Die Beobachtung, dass sich die Texte nicht gegen die Familienmitglieder, sondern gegen ihren familiären Anspruch richten, wird sich im Verlauf der Arbeit bestätigen. Vgl. auch BROWN u.a., Maria, 54; SCHEFFCYK, RGG4 5, 798 mit Hinweis auf die Umkehr in Mk 1,15. 236 Mahoney versucht zu retten, wo nichts zu retten ist: »Paradoxerweise könnte man ihren [Marias, TR] (zunächst) unabhängigen und kritischen Stand gegenüber der starken Persönlichkeit Jesu als ein Zeichen persönlicher Charakterstärke ansehen« (MAHONEY, Mutter, 97). Diese Deutung ist zum Textbestand paradox. MUSSNER (Mutter, 23) interpretiert hingegen: »Mit Blick auf Mk kann man nicht von einer ›Marienverehrung‹ durch den ersten Evangelisten sprechen [...]. Man kann aber auch nicht von einem ›Antimarianismus‹ des Mk sprechen, eher wieder von einem Desinteresse an Maria, ähnlich wie bei Paulus.« Noch deutlicher wird Becker: »Das Markusevangelium legt [...] keinen kleinsten Trampelpfad hin zu einem positiven Marienbild, das Spätere ausbauen könnten.« (BECKER, Maria, 94; vgl. ebd. 89). Meine Arbeit wird mit Blick auf Mk 15,40 zu anderen Ergebnissen gelangen. Vgl. etwa unten Teil 4, 2. 232

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1.4 Lohn der Nachfolge (10,28–31) Lohn der Nachfolge Nach der Untersuchung des Verhältnisses Jesu zu seiner Familie und dessen theologischer Relevanz ist nun wieder das grundsätzliche Verhältnis zwischen Familie und Jesusnachfolge im MkEv (vgl. oben 1.1) und deren Sitz im Leben ins Auge zu fassen. Gibt es eine theologische Linie von der Familienbeziehung Jesu zur Familienbeziehung seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger? Wenn es möglich ist, den Sitz im Leben dieser Textstelle zu ermitteln, hinter der deutlicher als bei den bisher untersuchten die mk Gemeindesituation sichtbar zu werden scheint, dann lässt sich evtl. auch Genaueres über die Intentionen des Evangelisten bei der redaktionellen Gestaltung der Beziehung Jesu zu seiner Mutter und seinen Brüdern sagen. Den Schwerpunkt der folgenden Untersuchung bildet innerhalb der Perikope das Logion VV. 29f. 28 29

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ʁƴƲƦƷƳ ưˀƨƪƮƱ ʖ ƖˀƷƴƳƵ ƦʡƷ̺, ʅƩƳˇ ɶµƪ̝Ƶ əƹ˂ƯƦßƪƱ ™ʾƱƷƦ* ƯƦ˃ ɵƯƳưƳƸƭ˂ƯƦµˀƱ ƶƳƮ. ɭƹƬ ʖ ʍƬƶƳ̬Ƶ, əµˁƱ ưˀƨƼ ʢµ̝Ʊ, ƳʡƩƪ˄Ƶ ɩƶƷƮƱ ʘƵ əƹ̏ƯƪƱ ƳʅƯ˄ƦƱ ɷ əƩƪưƹƳˇƵ ɷ əƩƪưƹʽƵ ɷ µƬƷˀƴƦ ɷ ™ƦƷˀƴƦ ɷ ƷˀƯƱƦ ɷ əƨƴƳˇƵ ɮƱƪƯƪƱ ɩµƳ̬ ƯƦ˃ ɮƱƪƯƪƱ ƷƳ̬ ƪʡƦƨƨƪư˄ƳƸ, ɩʽƱ µˁ ưʾƧ̍ ɪƯƦƷƳƱƷƦ™ưƦƶ˄ƳƱƦ Ʊ̬Ʊ ɩƱ Ʒ̺ ƯƦƮƴ̺ ƷƳˈƷ̷ ƳʅƯ˄ƦƵ ƯƦ˃ əƩƪưƹƳˇƵ ƯƦ˃ əƩƪưƹʽƵ ƯƦ˃ µƬƷˀƴƦƵ ƯƦ˃ ƷˀƯƱƦ ƯƦ˃ əƨƴƳˇƵ µƪƷʽ ƩƮƼƨµ̹Ʊ, ƯƦ˃ ɩƱ Ʒ̺ Ʀʅ̹ƱƮ Ʒ̺ ɩƴƺƳµˀƱ̷ ƫƼˁƱ ƦʅˊƱƮƳƱ. ™ƳưưƳ˃ Ʃʿ ɭƶƳƱƷƦƮ ™ƴ̹ƷƳƮ ɭƶƺƦƷƳƮ ƯƦ˃ [Ƴʆ] ɭƶƺƦƷƳƮ ™ƴ̹ƷƳƮ. (Kursiv – sprachliche Bezüge zu Mk 1,16–20) * vgl. Mk 1,18 bei D it)

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Petrus begann zu ihm zu sprechen: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. 29Jesus sprach: Amen, ich sage euch, es gibt niemanden, welcher Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlassen hat meinetwegen und wegen des Evangeliums, 30der nicht hundertfach erhält, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker in Verfolgung, und im kommenden Zeitalter ewiges Leben. 31Aber viele Erste werden Letzte sein und die Letzten Erste.

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1.4.1 Kontext und Struktur Mk 10,28–31 befindet sich im Rahmen des Weges Jesu und seiner Jünger von Galiläa nach Jerusalem. Damit liegt der Text an einer Nahtstelle des Evangeliumsaufrisses: zwischen der Wirksamkeit Jesu in Galiläa und zwischen der Passionsgeschichte in Jerusalem. Letztere spielt bereits auf dem Weg durch die Leidensankündigungen (Mk 8,31; 9,31; 10,32–34) eine Rolle. Das Thema Nachfolge gewinnt im Licht der nahenden Ereignisse neue Brisanz (vgl. Mk 8,34ff), die Familienzerwürfnisse sind darin eingeschlossen.237 Die Perikope befindet sich im Abschnitt über Reichtum bzw. Besitz und ewiges Leben (10,17–31), wobei es sich bei 10,28–31 um eine selbstständige Einheit handelt.238 Dennoch stellt Markus dem exemplarischen Versagen des reichen Manns (Mk 10,17–27) die Jünger bzw. »ƳʡƩƪ˄Ƶ ...« positiv gegenüber239 und verknüpft so beide Texte inhaltlich. In diesem Kontext sind auch bereits mit »Besitz« und »ewigem Leben« inhaltliche Schwerpunkte des zentralen Logions VV. 29f genannt. Ein weiterer Schwerpunkt »Leben in Verfolgung« (µƪƷʽ ƩƮƼƨµ̹Ʊ) wird u.a. in Mk 13 eindringlich thematisiert. Es gibt also neben dem Familienbruch evtl. eine weitere Linie zu dem nachfolgend zu untersuchenden Logion Mk 13,12. Der hundertfache Empfang erinnert an Mk 4,8.20 und steht hier wie dort in einer eschatologischen Beziehung.240 In V. 28 weist Petrus als Sprecher des Jüngerkreises241 Jesus darauf hin, dass sie alles verlassen haben und bereitet damit das Logion VV. 29f vor.242 Hier gibt es neben dem beschriebenen Rückbezug auf Mk 1,16–20 wohl auch einen solchen innerhalb der Perikope auf V. 21. Durch die Anordnung von Mk 1,16–20 und 10,28–31 lässt Markus das Thema des Verlassens der Familie die gesamte Zeit in Galiläa überspannen. Logischer wäre dieser Hinweis des Petrus im Anschluss an Mk 1,16–20 gewesen. Besonders wichtig für die Redaktionskritik und für diese Untersuchung ist, dass die Liste des zu Erwartenden (V. 30) mit der Nennung von Brüdern, Schwestern und Mutter auf die familia dei in Mk 3,35 ver237

ɳƱƪƯƪƱ ɩµƳƸ ist in Mk 8,35 und 13,9.13 Kennzeichen für Leidenssprüche (vgl. SATAKE, Leiden, 4ff). 238 Vgl. GNILKA, Mk II, 91. Neues Thema; Neueinsatz ɹƴƲƦƷƳ in V. 28; geografische Notiz V. 32. 239 VIA (Ethics, 139f) relativiert die positive Jünger-Darstellung, wohl nicht zu Unrecht. S.u. Teil 3, 3.6.3 mit Anm. 613. 240 Vgl. unten Teil 3, 3.8. 241 Vgl. REPLOH, Lehrer, 202. 242 Zu beachten ist aber der Bruch zwischen V. 28 und V. 29: Zu erwarten wäre, dass Jesus auf den Hinweis des Petrus in der 2. Person Plural antwortet.

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weist:243 Der Vater fehlt hier wie dort, ein inhaltlicher Zusammenhang ist gegeben und die Aufzählung erfolgt in gleicher unüblicher Reihenfolge. Eine Parallele von V. 29 deutet sich in Q 14,26 an. Eine gemeinsam zugrunde liegenden Tradition kann nicht ausgeschlossen werden, allerdings sind die Texte hinsichtlich ihres Tons und ihrer Zielrichtung äußerst verschieden. Zwei andere und gegenüber Q 14,26 weitaus deutlichere Parallelen bietet Philo von Alexandria.244 Schließlich ist auch auf Gen 12,1f hinzuweisen: Abram soll nach Gottes Willen Land, Sippe und Haus des Vaters verlassen, um ein neues Land zu erhalten und zu einem (neuen) Volk zu wachsen. Bei V. 31 handelt es sich um ein ursprünglich selbstständiges »Wanderlogion«, welches in MtS 20,16 und in EvThom 4 begegnet und in Lk 13,30 in einer vom MkEv nicht abhängigen Weise begegnet.245 Strukturell ist die Perikope, abgesehen von der einleitenden Frage, durch eine konsequente Parallelität bestimmt. In Mk 10,29f wird der Liste des Verlassenen mit alternierendem »oder«246 die Liste des zu Erwartenden mit parataktischem »und« gegenüber gestellt. Allerdings fehlt in V. 30 der Vater aus theologischen247 und sicher auch kulturellen Gründen,248 ein Aspekt, der bei den Überlegungen um die Abwesenheit des Vaters Jesu im gesamten Evangelium zu beachten sein wird. Außerdem steht, als zweite Parallelisierung, das Leben unter Verfolgungen in der gegenwärtigen Weltzeit (ɩƱ Ʒ̺ ƯƦƮƴ̺ ƷƳˈƷ̷) neben dem Leben in der kommenden Weltzeit (ɩƱ Ʒ̺ Ʀʅ̹ƱƮ Ʒ̺ ɩƴƺƳµˀƱ̷). In Vers 31 sind den jetzigen »Ersten« die zukünftigen »Ersten« chiastisch gegenüber gestellt. 243

Vgl. ERNST, Mk, 300f; ROH, Familia, 126ff. PHILO, Sacr 129: »Denn wie jene [Flüchtlinge, TR] aus ihren Heimatländern vertrieben werden, haben auch diese [Leviten, TR] Kinder, Eltern und Geschwister, Nachbarschaft und Freundschaft hinter sich gelassen, um an Stelle des irdischen das ewige Erbe zu finden.« Eine noch deutlichere Parallele findet sich in SpecLeg I 52: Die Proselyten haben »Vaterland, Freunde, Verwandte um der Tugend und der Frömmigkeit willen verlassen; so sollen ihnen denn eine andere Heimat, andere Verwandte, andere Freunde nicht versagt bleiben«. Im Hintergrund stehen Lev 19,33f; 24,22 und Dtn 10,18f. Ich werde unten Teil 3, 3.2.2 weiter darauf eingehen. 245 Vgl. GNILKA, Mk II, 91. 246 REPLOH (Lehrer, 203) sieht hierin, »daß sehr direkt die verschiedenen persönlichen Konsequenzen, die der einzelne aus dem Ruf zur Nachfolge Jesu zu ziehen hatte, ins Auge gefasst sind.« 247 Vgl. Mk 11,25; 13,32. Vgl. BEST, Following, 114 (»Christian could not have many ›fathers‹ since he has one alone, God«); TRAINOR, Quest, 181 (»Clearly, the paterfamilias of Mark’s household was God.«). Vgl. auch KRISTEN, Familie, 160 mit Anm. 24: Gott ist der Vater Jesu und der Gemeinde. Allerdings kann auch der abwesende »Bräutigam« (2,19f), d.h. der Auferstandene, u.U. diese Rolle einnehmen. 248 S.u. kulturanthropologische Aspekte (Teil 3, 1.1.2). Wenig wahrscheinlich ist ein Interesse an der Siebenzahl: Mit dem Zusatz des ewigen Lebens in V. 30 wäre die vollständige Liste (V. 29) zu lang und eine Kürzung nötig. Selbst in diesem Fall dürfte aber die Kürzung des Vaters – der Repräsentationsfigur der antiken Familie (vgl. ARISTOTELES, pol. 1,3) – kaum zufällig erfolgt sein. 244

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1.4.2 Redaktionskritik handelt es sich um einen redaktionellen Neueinsatz.249 Bei Bultmann überlegt, ob der gesamte V. 28 eine »redaktionelle Übergangsbildung«250 sei. Mit Blick auf 1,16–20 und die Parallelen im verwendeten Vokabular ist das durchaus möglich. Die ursprüngliche Form des evtl. jesuanischen Logions Mk 10,29f ist sehr umstritten. Eine größtenteils plausible Lösung kommt von Gnilka. V. 29 könnte aus dem Hinweis auf das Verlassene, in welchem Umfang auch immer, und der Begründung: »um meinetwillen«,251 V. 30 wohl nur aus dem Lohn des Hundertfachen bestanden haben.252 Bereits vormk wurde es evtl. um den irdischen Lohn in V. 30 und die apokalyptische Unterteilung in zwei Weltzeiten erweitert.253 M.E. ist allerdings Markus für das »meinetwegen und wegen des Evangeliums«254 in V. 29 und das Leben »in Verfolgungen« (V. 30) verantwortlich.255 Bei dem in V. 29 handelt es sich um mk Sprachgebrauch.256 Die Frage nach den redaktionellen Einwirkungen auf die beiden Listen ist dagegen schwieriger zu beantworten. Gnilka denkt an eine ursprünglich kürzere Aufzählung (»vielleicht zwei«257), ist sich aber unsicher. Vermutlich wird der Wegfall des Vaters aus der zweiten Liste in direktem Zusammenhang mit dem Fehlen des Vaters Jesu im gesamten Evangelium stehen.258 249

Vgl. 4,1; 8,31; 10,32.41; 13,5; 14,69. Vgl. REPLOH, Lehrer, 201. BULTMANN, Geschichte, 21. Vgl. REPLOH, Lehrer, 202: »ad-hoc-Bildung«. 251 GNILKA, Mk II, 92. Vgl. SCHWEIZER, Mk, 113; GRUNDMANN, Mk, 286. 252 Vgl. GNILKA, Mk II, 91; ERNST, Mk, 300. Gegen ROH, Familia, 135. 253 Vgl. GNILKA, Mk II, 91; ERNST, Mk, 300. Dagegen weist GRUNDMANN (Mk, 286) die Weltzeiteinteilung Markus zu, PESCH (Mk II, 145) und ROH (Familia, 135) halten sie für ursprünglich. 254 Vgl. SATAKE, Leiden, 5f. Vgl. Mk 8,35; 13,9. 255 GNILKA (Mk II, 91) sieht neben dem Einbringen der »Verfolgungen« in V. 30 nur die Ergänzung des Evangeliums in V. 29 als markinisch an. PESCH (Mk II, 145) sieht auch die Verfolgungen als vormk an. Dagegen weist DSCHULNIGG (Sprache, 152f) μ insgesamt als mk Formulierung aus (vgl. Mk 8,35!). Auch GRUNDMANN (Mk, 286) schreibt beide Glieder Markus zu. SCHMITHALS (Mk, 458) schreibt die ganze Perikope 10,28–31 der mk schriftstellerischen Arbeit in Rückgriff auf die Tradition, die auch Q 14,26 benutzt, zu. 256 Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 165; GNILKA, Mk II, 92. 257 GNILKA, Mk II, 92. GUIJARRO (Reino y familia, 519) – am Vater-Sohn-Konflikt beim historischen Jesus interessiert – hält nur Vater und Mutter für ursprünglich. Seine minimalistische Rekonstruktion lautet: Es gibt niemand, der Vater oder Mutter meinetwegen zurücklässt, der nicht erhielte 100-mal mehr. (»No hay nadie que haya dejado padre o madre por mí, que no reciba cien veces más.«) Ich halte diese Rekonstruktion für schwierig – gerade auch im Blick auf das von ihm als ursprünglich angenommene μ . 258 Gegen LÜHRMANN, Mk, 176. Es geht hier, mit Blick auf den beschriebenen Kontext, keinesfalls nur um die Position eines Hausvaters, die derjenige einnimmt, der alles verlassen hat. Rein 250

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in V. 29 und μ μ in Fazit: Außer V. 30 ist die redaktionelle Arbeit äußerst umstritten, was zur Vorsicht mahnt. Dennoch kann Folgendes gesagt werden: Markus akzentuiert das Logion in Bezug auf die Christus-Nachfolge ( μ ) und die dementsprechenden Leiden in Verfolgung. Wie die Kontextanalyse gezeigt hat, sind mk Eingriffe in den Aufzählungen mit dem Ziel einer Verbindung zur familia dei (Mk 3,35) gut vorstellbar, m.E. sogar wahrscheinlich. Allerdings dürften die Aufzählungen, die Markus vorgefunden hat, ähnlichen Inhalts gewesen sein. Dies zeigt auch ein Vergleich mit Q 14,26. Die verlassenen Äcker lassen sich nicht aus Mk 3,35 erklären, obgleich sich hier das sesshafte Leben der mk Adressaten widerspiegeln kann. Eventuell bestand die redaktionelle Arbeit in der Umstellung von Mutter und Geschwistern und der Entfernung des Vaters, evtl. auch in der Zufügung der »Äcker«. Der traditionelle V. 31 wurde von Markus an die Perikope angefügt.259 Wenn er ihn selbst auch unverändert gelassen hat, bringt doch diese Zusammenstellung eine deutliche Bedeutungsverschiebung mit sich. Ursprünglich handelte es sich bei V. 31 um eine rein eschatologische Aussage260 – nun aber ist die mk Gegenwart mit eingeschlossen.261

1.4.3 Familie und Nachfolge in Mk 10,29f »Nachfolge war am Anfang konkret. Die Jünger verließen Wohnort und Familie, Besitz und Beruf.«262 Bei diesem Phänomen wird nach Theißen neben dem religiösen Aspekt auch die soziale Entwurzelung sichtbar. Neben dem Verlassen des Hauses kommt es zur Veränderung des Verhaltens, d.h. zu einem den normalen Regeln widersprechenden Leben. Theißen ordnet diesen Text den so genannten Wandercharismatikern263 zu, dem Teil der nachösterlichen Jesusbewegung, der das radikale »Ethos der Heimat-, Familien-, Besitz- und Schutzlosigkeit tradiert und geprägt«264 hat. praktisch und theologisch (s.u.) ist es überhaupt nicht vorstellbar, dass der Aufgenommene zum Hausvater avanciert. 259 So GNILKA, Mk II, 91. 260 Vgl. GNILKA, Mk II, 93. Vgl. auch die Parallelstellen. 261 Vgl. V. 30: etc. 262 THEISSEN, Wir haben alles verlassen, 161. 263 Das Phänomen des Wanderradikalismus wird in dieser Arbeit vorausgesetzt. Dieses Phänomen spielt aber für die Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit nur eine nebensächliche Rolle. Für diese Arbeit ist der Sitz der Texte im Leben der mk Gemeinde ausschlaggebend. Ich gehe deshalb nicht eigens auf den Wanderradikalismus ein. Vgl. dazu v.a. die Arbeiten THEISSENS, etwa seinen Aufsatz Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jesu im Urchristentum, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, 1979, 79–105. 264 THEISSEN, Wir haben alles verlassen, 165.

Lohn der Nachfolge

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Taeseong Roh sieht dagegen als vormk Tradenten des Logions Mk 10,29f eine selbstbewusste, sesshafte Gemeindegruppe, welche die Wandercharismatiker aufnimmt und sie hundertfach versorgt.265 Gerade der Verweis auf die zu empfangenden hundertfachen Äcker passt nicht recht zum Ethos der unsteten Wanderer. »Das Logion vv. 29f ist wahrscheinlich auf eine Gemeinschaft von ortsansässigen Sympathisanten zurückzuführen, die mit ihm ihre Erfahrungen mit Wandercharismatikern zum Ausdruck gebracht haben.«266 Den Sitz im Leben der mk Gemeinde sieht Roh dann allerdings in gewandelter Gestalt.267 Die Ergänzung des »Evangeliums« in V. 29 impliziert das öffentliche Bekenntnis, und dieses bedeutet Leidensnachfolge: die Bereitschaft, aufgrund des Bekenntnisses notfalls alles zu verlassen. Somit handelt es sich um eine Ermunterung der Gemeinde, das Evangelium zu bekennen, trotz der Gefahr der Verfolgung sowie des Familien- und Besitzverlustes. Anders als die Tradenten, welche fremde Wanderprediger aufgenommen haben, sind jetzt v.a. die eigenen bedrängten Gemeindeglieder Ziel des familiären Beistandes einer – allerdings selbst verfolgten – Gemeinde (µƪƷʽ ƩƮƼƨµ̹Ʊ). Neben dem Wandercharismatikertum ist jetzt auch für die eigentlich sesshafte familia dei Nachfolge im engeren mk Sinn, d.h. Leidensnachfolge zu verzeichnen.268 Dementsprechend sieht auch Schmithals hinter diesem Spruch nicht das Ethos der Wandercharismatiker, sondern die extreme Situation der Nachfolge in Verfolgung. »Martyrium, Verbannung oder Konfiskation des Vermögens sind die üblichen Strafen für bekennende Christen, das Verlassen der Angehörigen und die Preisgabe des Besitzes demzufolge mögliche Folgen des Bekennens.«269 Sein darin enthaltener Widerspruch zu Theißen findet in der Aufteilung Rohs in einen traditionellen und einen redaktionellen Sitz im Leben zumindest für das Thema dieses Buches eine tragbare Lösung. Neben der Stärkung zum Bekenntnis dürfte Markus sicher auch genügend Fälle vor Augen haben, bei denen jene Verfolgungssituation bereits zu einem Bruch mit der Familie geführt hat. Schaut man von hier aus auf Mk 3, stellt sich die Frage, ob Markus den von ihm zugespitzten Konflikt bzw. Bruch Jesu mit Mutter und Brüdern nicht auch seelsorgerlich zu nutzen sucht. Einer Deutung Jesu als »Vorbild im Verlassen« ist entgegenzuhalten, dass das Verlassen der Familie keine Bedingung für die 265

Vgl. ROH, Familia, 134.136. ROH, Familia, 136. 267 Vgl. ROH, Familia, 142f u.ö. 268 Vgl. auch KRISTEN, Familie, 159: »Das Phänomen ›Wanderradikalismus‹ ist für Mk Bestandteil der Vergangenheit. In seiner Gegenwart findet Nachfolge in einer seßhaften Gemeinde statt.« Ähnlich GNILKA, Mk II, 93. Liest man nun Mk 8,34ff, fällt auf, dass neben den Jüngern auch ʖ ʙƺưƳƵ zur Leidensnachfolge gerufen ist. Ich werde später darauf eingehen (s.u. Teil 3, 3.6.1). 269 SCHMITHALS, Mk II, 459. 266

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Familie in Konfliktsituationen

Aufnahme in die familia dei ist, eine solche Entscheidung wird weder in Mk 3,31–35 noch in Mk 10,29f gefordert. Es ist aber gut vorstellbar, dass Markus seinen Jesus als eine Art Vorläufer oder Begleiter beim Verlassen der Familie darstellt. So kann dieser Jesus den Gemeindegliedern, welche unter solch einem Bruch leiden, Beistand, Trost und Ermutigung sein.270 Als theologisches Motiv steht aber immer noch die Einsetzung der familia dei im Vordergrund.

1.4.4 Ergebnis Das Thema der Trennung von der Familie hat, wie sich gezeigt hat, für Markus und seine Gemeinde existenzielle und identitätsbildende Bedeutung. Das behandelte Logion Mk 10,29f macht deutlich, welche Bedeutung die Frage nach dem Verhältnis Jesu zu seiner Familie für die mk Gemeinde gehabt haben dürfte. Versteht sich die mk Gemeinde als der familia dei zugehörig,271 so ist ihre Gründung innerhalb des Evangeliums mit dem Familienbruch Jesu verbunden. Die Entscheidung zwischen leiblicher Familie und familia dei, welche Jesus in Kap. 3 fällt, steht auch jedem Gemeindemitglied als legitime Möglichkeit zur Verfügung und ist, wenn das Evangelium272 auf dem Spiel steht, zu riskieren.273 Somit begleitet Jesus selbst diesen schweren und schwerwiegenden Schritt der Trennung und sozialen Entwurzelung »um des Evangeliums willen« in seelsorgerlicher, ermutigender Hinsicht. Hier dürften also die Gründe zu suchen sein, warum Markus den Konflikt zwischen Jesus und seiner Familie derart geschürt hat. Das Verhältnis Jesu zu Maria und den Geschwistern wird im Licht der drohenden wie der sich vollziehenden Familienzerwürfnisse der mk Gemeindeglieder bewertet. Das heißt aber, dass die negative Sicht der Familie in Mk 3 und 6 nicht die Familienangehörigen persönlich, sondern ihre familiäre Bindung als solche betrifft. Eine Deutung der Perikopen Mk 3,20–35 und 6,1–6 als Polemik gegen die Hegemonie der Jerusalemer Gemeinde274 verliert damit deutlich an Kraft. 270

Ähnlich JANZEN, Maria, 80f unter Betonung der Verfolgungssituation in der mk Gemeinde. Diese Frage wird unten Teil 3, 3.6 eine Rolle spielen und positiv beantwortet werden. 272 D.h. das Bekenntnis zum grundsätzlichen Heilshandeln Gottes in und durch die Person Jesu. Das Evangelium begann mit und durch Jesus (Mk 1,1) und wirkt in die Gegenwart der Gemeinde bis zum Eschaton. Alle im MkEv erzählten Worte und Taten Jesu sind Bestandteil des Evangeliums, es selbst umfasst mehr. Vgl. den Überblick bei SCHENKE, Mk (1988), 148ff. 273 Natürlich impliziert die Möglichkeit des Verlassens auf der anderen Seite auch die Erfahrung, aufgrund des Evangeliums aus den familiären Bindungen verstoßen zu werden. Der Bruch ist immer von zwei Seiten zu sehen. Das Wort vom Verlassen V. 29 richtet sich sicher auch an Verstoßene. Vgl. unten Teil 3, 3.2.1. 274 Vgl. CROSSAN, Relatives, 112. 271

Endzeitliche familiäre Zerwürfnisse

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1.5 Endzeitliche familiäre Zerwürfnisse (13,12) Endzeitliche familiäre Zerwürfnisse ƯƦ˃ ™ƦƴƦƩˊƶƪƮ əƩƪưƹ˅Ƶ əƩƪưƹ˅Ʊ ƪʅƵ ƭʾƱƦƷƳƱ ƯƦ˃ ™ƦƷˁƴ ƷˀƯƱƳƱ, ƯƦ˃ ɩ™ƦƱƦƶƷ˂ƶƳƱƷƦƮ ƷˀƯƱƦ ɩ™˃ ƨƳƱƪ̝Ƶ ƯƦ˃ ƭƦƱƦƷˊƶƳƸƶƮƱ ƦʡƷƳˈƵž

12

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Und ein Bruder wird den Bruder dem Tod überliefern und der Vater das Kind und Kinder werden sich gegen die Eltern erheben und sie töten.

1.5.1 Kontext und Struktur Im geografischen Schema des Evangeliums ist Jesus nun in Jerusalem angekommen. Wie schon Mk 10,28–31 liegt auch dieser Vers an einer Nahtstelle der Evangeliumskomposition. In Jerusalem sind mit Tempelreinigung und Streitgesprächen entscheidende Schritte auf dem Weg zur Verurteilung gegangen. Die apokalyptische Rede Mk 13 steht gut platziert unmittelbar vor der Passionsgeschichte, es scheint sich um eine eschatologische Zurüstung der Leserschaft vor den katastrophalen Ereignissen in der Jesusgeschichte zu handeln. Das Wort von den endzeitlichen Familienzerwürfnissen Mk 13,12 ist Teil der eschatologischen Rede Jesu Mk 13,1–37. Der Vers gehört zu dem paränetisch gefärbten Abschnitt Mk 13,9–13, wobei eine Unterteilung der Rede ab V. 5 nicht unproblematisch erscheint. V. 12 besitzt eine Sonderstellung, die VV. 9.11.13 sprechen die Jünger direkt an (2. Person plur.), in den VV. 10.12 findet sich Erzählstil (3. Person sing./plur.). Dieser Wechsel findet sich in der gesamten apokalyptischen Rede. Es ist darum für diese Untersuchung ratsam und effektiv, den V. 12 isoliert als Logion zu betrachten,275 der Kontext muss selbstverständlich im Blick bleiben. Der Spruch steht ganz in prophetischer bzw. apokalyptischer Tradition, er spiegelt den Topos der chaotischen Verhältnisse in den »letzten Tagen« mit der Auflösung bestehender Ordnungen. Mi 7,(2.)6 liefert die Grundform und muss als Vorlage für Mk 13,12 gelten.276 Innerhalb des Verses gibt es im Hinblick auf Jes 19,2 eine Beziehung des Spruches zu V. 7f.277 In Q 12,51–53 existiert eine Doppelüberlieferung (vgl. auch EvThom 16).278 275

So geht auch GUIJARRO (Reino y familia, 509f) vor. Vgl. GNILKA, Mk II, 191. Vgl. auch die mögliche Parallelstelle Q 12,51–53, wo Mi 7,6 als Zitat begegnet. Ich werde später darauf zurückkommen. S.u. Teil 3, 3.8. 277 Vgl. GNILKA, Mk II, 189. 278 Vgl. dazu HEIL, Rezeption, 220f. 276

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Familie in Konfliktsituationen

Strukturell wird – wie Mk 10,29–31 – auch dieses Wort durch Parallelisierung bestimmt. Bruder steht gegen Bruder, Vater gegen Kind und dazu chiastisch Kinder gegen Eltern. Interessant ist auch die Gegenüberstellung von ƭʾƱƦƷƳƱ und ƭƦƱƦƷˊƶƳƸƶƮƱ. Eine semitische Vorlage ist aufgrund des parallelismus membrorum in diesem Vers leicht zu erkennen.279

1.5.2 Redaktionskritik Innerhalb von 13,12 lassen sich keine Eingriffe des Redaktors erkennen. Man könnte einzig bei dem in Passion und Leidensankündigungen wichtigen Verb ™ƦƴƦƩˊƶƪƮ über mk Sprachgebrauch nachdenken. Dann wäre das Logion sicherer in das Motiv der Leidensnachfolge einzuordnen.280 Ansonsten zeigen weder Markus noch – wie ein Blick in den textkritischen Apparat zeigt – die Textzeugen ein Interesse, diesen Vers zu bearbeiten.

1.5.3 Ergebnis Markus kann das traditionelle Logion aufgrund von Erfahrungen aufgenommen haben,281 oder aber (nur) die Möglichkeit einer solch drastischen Entwicklung im naherwarteten apokalyptischen Endkampf sehen. Allerdings kann man dieses Logion auch ausschließlich in die Vorstellungswelt der Apokalyptik (s.u.) einordnen und ihm so vorerst jeden konkreten geschichtlichen Bezug absprechen. Doch dies fasst sicher zu kurz: »there are enough indications in Mark that this to some extent reflects social reality as well (e.g. Mark 10:30).«282 In jedem Fall lässt sich mit der Ernsthaftigkeit von Mk 13,12 sagen, dass die Möglichkeit des Martyriums für die Bekenner des Evangeliums gegeben war.283 Auch ist deutlich, dass die leibliche Familie bei dieser Möglichkeit eine entscheidende Rolle spielen kann.284 Auf die zeitgeschichtliche Situation im Umfeld der mk Gemeinde soll an anderer Stelle eingegangen werden (s.u. Teil 3, 3.3). 279 Vgl. aber GRELOT, Michée, 364: »Quoi qu’il en soit, Mc 13,12 ne peut être que l’adaptation grecque d’un original sémitique, et non sa traduction littérale.« 280 So OSIEK/BALCH, Families, 127. Diese Entscheidung erscheint mir unsicher. 281 So SCHENKE, Mk (1988), 34.39ff; GUIJARRO, Reino y familia, 510 (»nachösterliche Situation«). WANDER (Trennung, 272) verweist auf JOSEPHUS, Bell VII 46–50, wo in Antiochia ein »Vorsteher der Juden« durch seinen Sohn denunziert wird, was zum Tod anderer Juden führt. 282 BARCLAY, Family, 74. 283 Vgl. 13,9. Vgl. auch JOSEPHUS, Ant XX 197ff; Act 4,3; 7,57f; 8,1; 12,1ff; 1Thess 2,14 etc. 284 BARTON (Discipleship, 107f) weist zu Recht darauf hin, dass diese Stelle (m.E. auch) die enge Verbindung von Nachfolge und Unterordnung familiärer Beziehungen unterstreicht: »It is to this material that we turn now as the final piece of evidence in the gospel bearing directly on the

Frauen im markinischen Passionsbericht

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1.6 Frauen im markinischen Passionsbericht (15,40f.47; 16,1) Frauen im markinischen Passionsbericht Es sollen hier die Verse näher untersucht werden, die jene Namensliste enthalten. Anzumerken ist, dass bei 16,1 die folgenden Verse (2–8) im Blick bleiben müssen, da dort die Frauen zu den handelnden Personen zählen und der Vers zur Perikope gehört. 15,40 ʃƶƦƱ Ʃʿ ƯƦ˃ ƨƸƱƦ̝ƯƪƵ ə™˅ µƦƯƴˆƭƪƱ ƭƪƼƴƳ̬ƶƦƮ, ɩƱ ƦʌƵ ƯƦ˃ ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ƒƦƨƩƦưƬƱˁ ƯƦ˃ ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ʍƦƯˊƧƳƸ ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ ƯƦ˃ ʍƼƶ̏ƷƳƵ µ˂ƷƬƴ ƯƦ˃ ƙƦưˊµƬ, 15,41 Ʀʈ ʚƷƪ ɻƱ ɩƱ Ʒ̐ ƊƦưƮưƦ˄˾ ɵƯƳưƳˈƭƳƸƱ ƦʡƷ̺ ƯƦ˃ ƩƮƬƯˆƱƳƸƱ ƦʡƷ̺, ƯƦ˃ ɝưưƦƮ ™ƳưưƦ˃ Ʀʆ ƶƸƱƦƱƦƧ̀ƶƦƮ ƦʡƷ̺ ƪʅƵ ʎƪƴƳƶˆưƸµƦ. 15,47

ɶ Ʃʿ

ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ƒƦƨƩƦưƬƱˁ ƯƦ˃ ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ʍƼƶ̏ƷƳƵ

ɩƭƪˊƴƳƸƱ

™Ƴ̬ ƷˀƭƪƮƷƦƮ. 16,1

ƐƦ˃ ƩƮƦƨƪƱƳµˀƱƳƸ ƷƳ̬ ƶƦƧƧʾƷƳƸ ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ƒƦƨƩƦưƬƱˁ ƯƦ˃ ƒƦƴ˄Ʀ ɶ [ƷƳ̬] ʍƦƯˊƧƳƸ ƯƦ˃ ƙƦưˊµƬ ɵƨˆƴƦƶƦƱ əƴˊµƦƷƦ ʊƱƦ ɩưƭƳ̬ƶƦƮ əưƪ˄ƻƼƶƮƱ ƦʡƷˆƱ.

15,40 Es waren aber auch Frauen, welche von fern zusahen, unter ihnen auch Maria von Magdala und Maria, Jakobus des Kleinen [Jungen/Jüngeren] und Joses Mutter, und Salome, 41welche ihm, als er in Galiläa war, nachgefolgt waren und ihm gedient hatten, und viele andere, welche mit ihm nach Jerusalem hinauf gezogen waren. 47 Aber Maria von Magdala und Maria, die des Joses, sahen, wohin er gelegt wurde. 16,1 Und als der Sabbat vorüber war, kauften Maria von Magdala und Maria, die des Jakobus, und Salome wohlriechende Salben, um hinzugehen und ihn zu salben.

Wie in Mk 6 zeigen auch hier die textkritischen Varianten ein Unbehagen beim Namen Joses: In Mk 15,40.47 haben a (V. 40) A C W ƞ Û u.a. ʍƼƶ̏. Bei V. 47 ersetzt der westliche Text Joses durch Jakobus. Dagegen haben Ǝ f 13 u.a. Jakobus und Joses stehen. Alexandrinus und Vulgata setzen für Joses die hebräische Namensform Josef ein. Der V. 16,1a inkl. Namensliste wird von D weggelassen. Die Doppelung der noch dazu variierenden Namensliste zu Mk 15,47 wird hier wohl als störend empfunden. »Die divergierenden Lesarten [der Frauenlisten, TR] geben Unsicherheit, wenn nicht Verwirrung zu erkennen.«285 Wichtig für diese Untersuchung ist auch, wie theme of discipleship and family ties, material which serves as an elucidation of the dark phrase, µƪƷʽ ƩƮƼƨµ̹Ʊ (10.30)«. 285 ERNST, Mk, 481.

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Familie in Konfliktsituationen

die Lesart von B und ƞ, die einen zusätzlichen Artikel vor Joses setzen und damit eine vierte Frau ans Kreuz stellen, einzuschätzen ist.286

1.6.1 Kontext und Struktur Alle drei Textstellen befinden sich in bzw. nach der mk Passion, und zwar auffälligerweise erst nach dem Tod Jesu. So »klappert« Mk 15,40f der Kreuzigungsszene merkwürdig hinterher, der theologische Höhepunkt – das Bekenntnis des Centurios in V. 39 – klingt gerade aus. Der Neueinsatz ʃƶƦƱ Ʃʿ bestätigt wohl ebenso, dass die VV. 40f ursprünglich nicht direkt mit dem Kreuzigungsbericht verbunden waren. Dennoch kann eine traditionelle Verbindung mit dem Kreuzigungsgeschehen als solches vorerst eingeräumt werden.287 Die aus der Frauengruppe am Kreuz namentlich hervorgehobenen Frauen kamen bisher im Evangelium nicht vor (m.E. mit Ausnahme Marias) und werden hier verspätet eingeführt.288 Von dieser Stelle an durchziehen sie nun aber wie ein roter Faden das restliche Evangelium.289 Neben den variierenden Namenslisten verbindet auch die Zeugenfunktion die Textstellen beim Kreuz, bei der Grablegung und am offenen Grab.290 Die Frauen werden aufgrund ihres »Schauens« als Zeuginnen charakterisiert: ƭƪƼƴˀƼ (15,40.47; 16,4); ƪʋƩƳƱ (16,5.6); ʕƴʾƼ (16,7).291 286 Die meisten Exegeten (BROER, Urgemeinde, 96; LOHMEYER, Mk, 348 u.a.) interpretieren diese Lesart als sekundär. Die geringe Zahl von (allerdings alexandrinischen) Textzeugen erleichtert diese Entscheidung. Dagegen möchten PESCH (Mk II, 504) und SCHOTTROFF (Magdalena, 139) zwar nicht die Ursprünglichkeit der Lesart von B und ƞ behaupten, sie sehen aber den Text in diesen Textzeugen richtig interpretiert. 287 MELZER-KELLER (Frauen, 49) sieht keine traditionelle Verbindung zum Kreuzigungsbericht. Andere (v.a. LÜHRMANN, Mk, 264; vorsichtig GRUNDMANN, Mk, 437) zählen 15,40f noch zum vormk Passionsbericht. 288 MUNRO, Women, 226 verweist auf die übliche androzentrische Sprache und sieht, sicher zu Recht, die Frauen in der Nachfolge in den allgemeinen Kennzeichnungen der Volksmenge (əƸƷƳ˄, ™ƳưưƳ˄ etc.). Die Einsetzung der familia dei in 3,34f impliziert deutlich Frauen, denn Jesus schließt Mütter und Schwestern in seine Familie ein (vgl. auch 10,30; so MUNRO, Women, 228). Dennoch fällt auf, dass Markus hier diese androzentrische Sprache verlässt und auf die »vielen anderen Frauen« in der Nachfolge hinweist. 289 Es ist weitestgehend Konsens unter den Exegeten, dass das MkEv mit 16,8 schließt (bzw. der Schluss verloren gegangen ist). 16,9–20 ist ein von den anderen Evangelien abhängiger sekundärer Schlussteil. Siehe dazu unten Teil 3, 2.2.2. 290 Vgl. SCHMITHALS, Mk II, 700f; ERNST, Mk, 474. LOHMEYER (Mk, 348) weist darauf hin, dass mit Tod, Begräbnis und Auferstehung zentrale Punkte des urchristlichen Kerygmas angesprochen sind, ein Aspekt, der die Zeugenfunktion bestärkt. In diesem Zusammenhang verweist MELZER-KELLER (Frauen, 63) auf 1Kor 15,3b–5 mit Tod, Begräbnis und Auferstehung. 291 Die Zeugenfunktion ist problematisch, da Frauen juristisch als nicht zum Zeugnis fähig galten. Vgl. dazu JOSEPHUS, Ant IV 219; MAYER-SCHÄRTEL, Frauenbild, 156f. Immerhin reicht die Anzahl der Frauen (ergänzt man in 15,47 Salome) nach Dtn 19,15 für ein Zeugnis aus. Vgl.

Frauen im markinischen Passionsbericht

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Mk 15,40 setzt den Kreuzigungsbericht (VV. 22–39) voraus, das ə™˅ µƦƯƴˆƭƪƱ erinnert an den »Sicherheitsabstand« des Petrus Mk 14,54.292 Hierbei handelt es sich um einen atl. Reflex aus Ps 37,12LXX Ƴʆ ɭƨƨƮƶƷʾ µƳƸ ə™˅ ßƦƯƴˆƭƪƱ ɭƶƷƬƶƦƱ.293 Die Frauen werden von manchen Exegetinnen und Exegeten als Ersatz und positive Gegenüberstellung für die geflohenen Jünger in 14,50 gesehen.294 Hier ist aber, gerade im Blick auf Mk 16,8, Vorsicht geboten. Crossan deutet das Versagen der drei Frauen als bewusst gestaltete Parallele zum Versagen der drei hervorgehobenen Jünger Petrus, Jakobus und Johannes.295 Über den möglichen Verweis der Namen Maria, Jakobus und Joses auf Mk 6,3 wird später zu reden sein. Mit Mk 15,41 blickt man wie vom »Hügel«296 Golgatha auf das gesamte Evangelium mit den Eckpunkten Galiläa – Jerusalem zurück. GNILKA, Mk II, 334 u.a. SCHWEIZER (Mk, 200) interpretiert m.E. richtig: »Die neue Stellung der Frau in der Gemeinde Jesu zeichnet sich darin ab.« SCHENKE (Auferstehungsverkündigung, 21f) sieht zudem geschichtlichen Anhalt: Nach der historischen, weil nicht erfindbaren Jüngerflucht ist die Urgemeinde auf wenige Zeugen angewiesen, denen so eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. 14,51f; 15,21.42–46). Gerade die Schwierigkeiten weiblicher Bezeugung spricht gegen Gemeindebildung. SCHOTTROFF (Magdalena, 146) lehnt eine Zeugenfunktion ab. FENTON (Mother, 434) benutzt den Begriff der, mit Blick auf die Jüngerflucht, benötigten Kontinuität: »But the evangelist feels the need of a group of characters to provide continuity up to the end of the book, and for this purpose he introduces female followers«. Überzeugend ist die intratextuale Sicht BAUCKHAMS, Gospel women, 257: Die Frauen »are the only witnesses to the empty tomb who had seen Jesus buried and therfore could vouch for the fact that the empty tomb really was the tomb in which Jesus’ body had been laid two days before.« 292 Vgl. MELZER-KELLER, Frauen, 55. 293 Hier ist das Motiv der passio iusti impliziert. Vgl. GNILKA, Mk II, 325; PESCH, Mk II, 504f. Gnilka vermutet a.a.O. dieses Motiv bereits in der Markusvorlage. LOHMEYER (Mk, 348) gibt dagegen zu bedenken, dass das Psalmwort nicht an Frauen denken lässt. Dieses Gegenargument leuchtet nicht recht ein. Es gibt aber auch pragmatische Gründe für den Abstand zum Kreuz, da eine Kreuzigung auch für trauernde Freunde und Verwandte lebensgefährlich war (vgl. im Einzelnen dazu SCHOTTROFF, Magdalena, 136f). Allerdings wird man in der mk Redaktion doch eher nach theologischen Motiven suchen. 294 So DORMEYER, Sinn, 82; SCHOTTROFF, Magdalena, 137f; KERTELGE, Mk, 160. Ansatzweise auch ERNST, Mk, 474; GRUNDMANN, Mk, 437. Dagegen macht MELZER-KELLER (Frauen, 55f) das »Stehen von fern« als Fehlen der letzten Konsequenz in der (Leidens-) Nachfolge und als mangelhafte Treue zu Jesus stark, »im letzten stehen die Frauen den männlichen Jüngern in ihrem Versagen nicht nach«. Diese Deutung wirkt wohl zu negativ, bestätigt sich aber indirekt in Mk 16,8. 295 Vgl. CROSSAN, Wer, 224ff. Ebd. 226: Drei Männer und drei Frauen aus der Menge der Nachfolgenden waren Markus »wichtig als Muster des Scheiterns, nicht des hoffnungslosen Scheiterns zwar, aber doch des Scheiterns.« Einen interessanten kulturanthropologischen Hinweis bringt LAHURD (Exactly, 202): Könnte es sein, dass sich die Frauen mit ihrem Schweigen im Kontext des Ehre-Scham-Modells (s.u. Teil 3, 1.1.2) ehrenhaft erweisen? – Ich denke, dass bei einer solchen Einordnung die Intentionen des Evangelisten nicht ausreichend beachtet würden. 296 Nach traditioneller Auffassung liegt die Kreuzigungsstätte auf einem Hügel, ob dies der Fall war, lässt sich aufgrund der unsicheren Verortung von Golgatha nicht sagen (vgl. DALMAN, Orte, 365ff).

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Familie in Konfliktsituationen

Mk 15,47 ist inhaltlich mit der Beerdigungsszene (VV. 42–46) verbunden, wirkt aber, wie V. 40f zur Kreuzigung, »angeklebt«. Zudem werden damit die folgenden Verse vorbereitet. Auch ohne eine genaue Analyse lässt sich dieser Vers als Bindeglied zwischen Grablegung und offenem Grab bestimmen. Inhaltlich enthält er, neben der bereits bekannten Zeugenfunktion der Frauen, keine Informationen. Mk 16,1 ist fest mit der Perikope 16,1–8 verbunden. Diese Perikope bezieht sich mit Felsengrab und Stein auf Mk 15,46, mit dem Gekreuzigten auf die Kreuzigung Mk 15,22–39, mit »Jesus von Nazareth« auf das gesamte Evangelium (Mk 1,24; 10,47; 14,67) sowie mit V. 7 auf die Wirksamkeit in Galiläa zurück. Allerdings steht die Perikope auch in erheblicher Spannung zum Grablegungsbericht Mk 15,42–47,297 was auf eine ursprüngliche Selbstständigkeit beider Traditionen schließen lässt.

1.6.2 Redaktionskritik Bei der Frage, ob 15,40 markinisch ist298 oder ob es sich dabei größtenteils um ein Traditionsstück handelt299 bzw. ob Mk 15,40f Bestandteil des vormk Passionsberichtes ist,300 stehen sich exegetische Fronten gegenüber. V. 41 wird dann aber von den meisten Exegeten Markus zugewiesen.301 Welche Indizien sprechen nun für eine redaktionelle Arbeit? Die Einstiegsphrase ʃƶƦƱ Ʃʿ (vgl. etwa Mk 2,6; 8,9; 10,32; 14,4) in V. 40 stammt von Markus. Unsicher ist, ob auch die Wendung »von ferne« (ə™˅ µƦƯƴˆƭƪƱ) als mk anzusprechen ist.302 Die redaktionelle Verwendung von ƭƪƼƴƳ̬ƶƦƮ ist gut denkbar,303 auch wenn die Zeugenfunktion der Frauen einen Anhalt in der Tradition haben mag (vgl. oben Anm. 291). Evtl. ist auch die Näherbestimmung der zweiten Maria mit der doppelten 297 Dazu gehört die Doppelung der Namenslisten (Mk 15,47; 16,1), die Intention eines ordentlichen Begräbnisses in 15,42–47 und die nachträgliche Salbung, mit welcher indirekt eine provisorische Bestattung unterstellt wird (Mk 16,1). Vgl. MELZER-KELLER, Frauen, 56; SCHENKE, Christus, 77 u.a. Dem widersprechen PESCH, Mk II, 520 und SCHOTTROFF, Magdala, 149. 298 So MELZER-KELLER, Frauen, 49; BROER, Urgemeinde, 106–113.116–131; HAENCHEN, Weg, 540; SCHENKE, Christus, 86f.101f; ders., Auferstehungsverkündigung, 25; SCHREIBER, Kreuzigungsbericht, 117 u.a. 299 So DORMEYER, Passion, 206f; FANDER, Stellung, 135; GNILKA, Mk II, 131f; PESCH, Mk II, 504; BULTMANN, Geschichte, 296; HENGEL, Magdalena, 296. 300 So LÜHRMANN, Mk, 264; PESCH, Mk II, 503f; SCHMITHALS, Mk II, 700f. 301 Gegen PESCH, Mk II, 504. 302 Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 108f. Dafür sprechen MELZER-KELLER, Frauen, 55; BROER, Urgemeinde, 111.118ff. Vgl. auch oben Anm. 293. Dagegen spricht DORMEYER, Passion, 206, auch der Blickwinkel einiger Joh-Kommentare (BULTMANN, Joh, 520; BECKER, Joh, 590 u.a.). 303 Vgl. Mk 3,11; 15,47; 16,4 u.ö. Vgl. auch BROER, Urgemeinde, 120; SCHREIBER, Kreuzigungsbericht, 116.

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μ μ markiGenitivkonstruktion 304 nisch. Eine Tradition mit einer Frauenliste ist allerdings wahrscheinlich, da eine mehrgliedrige Namensliste kaum erfunden sein wird.305 Fander denkt, dass Markus die genannten Frauen und Söhne nicht bekannt waren, da sie sonst nicht im Evangelium vorkommen.306 Die Form μ taucht aber im ist für Markus nicht unspezifisch,307 ganzen NT nur an diesen zwei Stellen auf.308 Eine Überarbeitung dieser Namensliste ist nicht auszuschließen. In ihrem Grundbestand wird die Liste aber traditionell sein. Die lassen sich nicht als redaktionell erweisen.309 In V. 41 werden die mk Eckpunkte Galiläa310 und Jerusalem311 angesprochen. »Nachfolge«312 und »Dienen«313 können gut Markus zugewiesen 304

DORMEYER, Passion, 207. Nach BROER (Urgemeinde, 133f) gibt es für μ zwei Möglichkeiten: (1) Markus wollte damit diesen Jakobus von einem anderen – er denkt an den »Herrenbruder« – unterscheiden, oder (2) Markus hat die Bezeichnung in der Tradition von Mk 16,1 vorgefunden, bei der Bildung von Mk 15,40 eingebracht und in Mk 16,1 wieder getilgt. HAENCHEN (Weg, 539) denkt an eine Unterscheidung vom Zebedaiden Jakobus. Eine Übersicht über die Vorschläge der Kirchenväter u.a. bietet ZAHN, Brüder, 345f. Der Unsicherheitsfaktor bei meiner Untersuchung ist das Vorwissen der ersten Leserschaft, das an dieser Stelle schwerlich zu erheben sein wird. Kennt der Tradentenkreis oder die mk Gemeinde einen Jakobus mit dem Beinamen »der Kleine/Junge/Jüngere« oder ist einer der zu unterscheidenden Jakobi im Evangelium bei der Leserschaft auch als »der Große« oder »der Ältere« bekannt? Ich werde darauf später zu sprechen kommen. S.u. Teil 3, 2.1. 305 SCHENKE (Auferstehungsverkündigung, 22) sieht die Frauen als geschichtliche Zeugen: »Von vornherein kann doch nicht ausgeschlossen werden, daß es in der späteren Urgemeinde jemanden gegeben hat, der Augenzeuge des Kreuzigungsgeschehens war.« Dagegen sieht BULTMANN (Geschichte, 296) keinen geschichtlichen Anhalt. Vgl. dazu unten Teil 4, 1. 306 Vgl. FANDER, Stellung, 136. Vgl. auch SCHOTTROFF, Magdalena, 140. SCHENKE (Auferstehungsverkündigung, 26f) denkt, dass Markus einen »Jakobus den Kleinen« gekannt und sekundär mit dem Jakobus der Liste identifiziert hat. Auch HENGEL (Magdalena, 247) hält die Bekanntheit der Personen für denkbar. Die Frage entscheidet sich mit der Zuweisung des Zusatzes zu Tradition oder Redaktion. Sollte Markus dafür verantwortlich sein, wird ihm »Jakobus der Kleine/Junge« bekannt gewesen sein. 307 Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 215. 308 Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 206. Salome wird vorzugsweise in der Tradition zu suchen sein. Vgl. unten Teil 3, 1.3. 309 Vgl. BROER, Urgemeinde, 117f. 310 Vgl. BROER, Urgemeinde, 121; SCHREIBER, Kreuzigungsbericht, 116. SCHWEIZER (Mk, 198) weist zu Recht darauf hin, dass eine galiläische Verortung der Jesusnachfolge den historischen Sachverhalt treffen wird. 311 Vgl. BROER, Urgemeinde, 125; SCHREIBER, Kreuzigungsbericht, 116. 312 Vgl. Mk 1,18; 2,14f; 3.7; 5,24; 6,1; 8,34; 9,38; 10,21.28.32.52; 11,9; 14.54. 313 Vgl. Mk 1,31; 9,35; 10,42–45. Gerade Mk 1,31 ist interessant, da hier der »Dienst« einer Frau in Galiläa beschrieben wird. Eine Reihe von Exegeten (z.B. GRUNDMANN, Mk, 437) beschreiben darum den »Dienst« der Frauen als Nahrungsversorgung. Ob hier die Frau von Markus oder von den Exegeten auf ihren »angestammten Platz« in der Küche verwiesen wird, lässt sich wohl aus 15,41 allein nicht klären. Wenn Mk 1,31 mit Lk 10,38ff gefüllt wird, kann man nichts gegen diese enge Deutung des »Dienens« vorbringen. SCHOTTROFF (Magdalena, 142f) sieht mit

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werden.314 Den Frauen wird damit Nachfolge bescheinigt. Mit əƯƳưƳƸƭˀƼ benutzt Markus deutlich Terminologie von Nachfolge und Jüngerschaft.315 Die zweite Frauengruppe ist mit ɝưưƦƮ ™ƳưưƦ˃ redaktionell formuliert.316 Der »Aufstieg« nach Jerusalem impliziert die Passion in mk Sicht,317 wobei es sich bei der Zusammensetzung ƶƸƱƦƱƦƧ̀ƶƦƮ sogar um eine Wortschöpfung des Evangelisten handeln kann.318 Nach Melzer-Keller zeigt sich in diesem Wort die Bereitschaft zur Leidensnachfolge dieser Frauengruppe.319 Mit Galiläa – Hinaufzug (Weg) – Jerusalem findet sich der gesamte geografische Aufriss des Evangeliums! »Vers 41 geht somit zweifellos auf den Evangelisten selbst zurück.«320 Auch V. 40 wurde wohl von Markus gründlich bearbeitet. An einer Tradition mit den Frauennamen in Verbindung mit Kreuzigung oder leerem Grab ist dabei m.E. festzuhalten. Ein Problem stellt in Mk 15,40 die Genitivkonstruktion ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ʍƦƯˊƧƳƸ ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ ƯƦ˃ ʍƼƶ̏ƷƳƵ µ˂ƷƬƴ mit der unüblichen Nachstellung von µ˂ƷƬƴ dar.321 Es sind verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten gegeben, die als Konsequenz eine oder zwei Frauen in dieser Zeile finden lassen. Handelt es sich hier um Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses oder um Maria, (Mutter/Frau/Tochter) des Jakobus und (eine weitere) Mutter des Joses? Der Großteil der Exegeten stimmt für die erste Möglich-

dem Hinweis auf Mk 9,35 und 10,42ff den Dienst als Ausdruck der Beziehung der Jünger untereinander. Gründlich hat sich SCHNABL (Umgang, 166f) mit dieser Frage beschäftigt und gezeigt, dass im MkEv das Dienen keinesfalls als Tischdienst zu verstehen ist: Da das LkEv mit dem mediterranen Rollenverständnis der Frau eher konform gehe, muss Lukas – deutlich sichtbar – die mk Vorlage ändern oder kürzen, denn für das MkEv sei Dienen eng an Nachfolge gebunden, in der Frauen wie Männer nebeneinander stehen. Vgl. auch MUNRO, (Women, 233f) die weitere Argumente gegen eine Beschränkung auf den häuslichen Dienst bringt – etwa weist sie darauf hin, dass sich die Frauen in der Perikope gerade nicht an dem ihnen von der mediterranen Kultur (s.u.) zugewiesenen Platz befinden. Den Tischdienst wiederum können im MkEv auch Männer verrichten (6,37 etc.). Vgl. weiter die ausführliche »Diskussionsgeschichte« inkl. des begriffsanalytischen Exkurses bei MILLER, Women, 22–25: Dienen bedeutet im MkEv Nachfolge. 314 Vgl. BROER, Urgemeinde, 121ff; SCHREIBER, Kreuzigungsbericht, 116. 315 Mk 1,18; 2,14; 6,1; 8,34; 9,38; 10,21.28.52. 316 Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 116; BROER, Urchristentum, 123f. SCHENKE (Auferstehungsverkündigung, 26) sieht hierin das Bestreben der Gemeinde, für eine größere Zahl Passionszeugen zu sorgen. Das kann natürlich sowohl bei Markus als auch in der Tradition geschehen sein. 317 Vgl. Mk 10,32. Vgl. auch MELZER-KELLER, Frauen, 47. 318 Außer an dieser Stelle erscheint dieses Wort nur in Act 13,31, wo es in ähnlichem Kontext erscheint. BROER (Urgemeinde, 124) hält das Wort für markinisch. 319 Vgl. MELZER-KELLER, Frauen, 48. Diese interessante Deutung soll nicht ausgeschlossen werden, aber m.E. ist dabei Vorsicht geboten. 320 MELZER-KELLER, Frauen, 48. 321 Dabei ist schon die unübliche Kennzeichnung einer Frau nach ihren Söhnen ein Problem. Das gleiche Phänomen begegnet auch in Mk 15,21. Dazu schreibt THEISSEN (Lokalkolorit, 187): »Dies geschieht im allgemeinen nur, wenn die Söhne für die Erzählgemeinschaft bekannter oder bedeutsamer sind als der Vater.«

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keit.322 Matthäus hat es immerhin ebenso verstanden (Mt 27,56; 28,1). Gnilka sieht hier »eine Art weibliches Pendant zu den drei bevorzugten Jüngern (5,37; 9,[2]; 14,33).«323 Sollte es sich um vier Frauen handeln, müsste geklärt werden, wieso drei von ihnen mit ihren Eigennamen und eine in ihrer Relation bezeichnet sind. Das Problem verschärft sich: Der Name der Mutter (ƒƦƴ˄Ʀ) ist Markus in 15,47 bekannt! Eine Vierzahl erscheint äußerst unwahrscheinlich. Denkbar wäre, dass Markus die vorgefundene ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ʍƼƶ̏ƷƳƵ in V. 47 und ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ʍƦƯˊƧƳƸ in V. 16,1 zu einer Frau in V. 15,40 verschmolzen habe.324 Crossan sieht in dieser Traditionskombination zwar eine »effective even if somewhat mechanical solution«, und fragt, warum Markus nach der angeblichen Kombination kein Interesse an einer Harmonisierung zeige. Er hält es für plausibler, statt einer Mischung von zwei Traditionen eine von Tradition und Redaktion anzunehmen.325 Die ZweiTraditionenhypothese müsste zudem klären, wie Mk 15,40 zu den zusätzlichen Informationen (ʍƦƯˊƧƳƸ ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ µ˂ƷƬƴ) kommt. Da es zu dieser Zeit unüblich war, die Mutter durch die Söhne näher zu charakterisieren, wäre es merkwürdig, wenn Markus die bei der »Zwei-Traditionenhypothese« der Tradition zugeschriebenen Genitive in 15,47f dahingehend gedeutet hätte.326 Man könnte nun sagen, Markus habe in 15,47 die µ˂ƷƬƴ und in 16,1 µƮƯƴˆƵ gefunden und in 15,40 übernommen, dann aber in den ursprünglichen Versen wieder gestrichen (vgl. oben Anm. 304). Das alles ist aber sehr spekulativ und eher unwahrscheinlich. Das Grundproblem, das zu solchen Überlegungen nötigt, ist die Variation der beiden Söhne in den drei Listen. Eine Erklärung dieses Phänomens ist nicht leicht zu finden. Würde man etwa der gerade beschriebenen Hypothese der Kombination der Frauen in Mk 16,1 und 15,47 zu Mk 15,40 folgen, wäre aus der Leserperspektive die Frage nach der Namensvariation 322 So macht etwa BROER (Urgemeinde, 96f) glaubhaft, dass sich der Artikel ɶ vor Jakobus auf µ˂ƷƬƴ bezieht, es sich also um eine Person handeln muss. Dagegen gehen PESCH (Mk II, 505ff) und SCHOTTROFF (Magdalena, 139) von zwei verschiedenen Frauen aus. Als Argumente werden hier v.a. die Nachstellung von µ˂ƷƬƴ und die Namenslisten 15,47 und 16,1 als Zeugen für verschiedene Frauen angeführt. Letztlich folgt auch MELZER-KELLER (Frauen, 51f) dieser Deutung. 323 GNILKA, Mk II, 326. So auch ERNST, Mk, 475; DORMEYER, Sinn, 82; MUNRO, Women, 230f. MELZER-KELLER (Frauen, 54) führt mit Andreas einen vierten hervorgehobenen Jünger auf. So wären vier Frauen möglich. Aber es gibt deutliche Unterschiede zwischen seiner Stellung und der von Petrus, Jakobus und Johannes (vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 104, 128f u.ö.). 324 Vgl. BROER, Urgemeinde, 97–99.132f; ERNST, Mk, 475; HAENCHEN, Weg, 540; SCHENKE, Auferstehungsverkündigung, 26f. 325 Vgl. CROSSAN, Relatives, 106. 326 ERNST (Mk, 475) und SCHWEIZER (Mk, 198) weisen Wellhausen folgend darauf hin, dass die »vereinte« Maria nicht zwei Väter bekommen könne. Nach Ernst wurde das µƮƯƴˆƵ eingefügt, um eine Verwechslung mit Herrenbruder oder Zebedaiden zu vermeiden. Die Erklärung ist einzeln betrachtet plausibel, in Verbindung mit den anderen Gegenargumenten aber nicht überzeugend.

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ja keineswegs geklärt! So resümiert etwa Crossan: »Ich habe es aufgegeben, mir den Kopf zu zerbrechen über die Gründe, die den Evangelisten bewogen haben mögen, die Frauen jedesmal bei anderen Namen zu nennen«.327 M.E. gibt es zwei mögliche Erklärungen. Entweder sagt man mit Gnilka: »Der Redaktor begnügt sich bei der Benennung der zweiten Maria mit der Erwähnung ihres in 15,40 an erster Stelle genannten Sohnes.«328 Markus hält demnach die Nennung je eines Sohns in 15,47; 16,1 für ausreichend, um die Frau mit der in 15,40 zu identifizieren. Oder man sieht mit E. Elizabeth Johnson und John Fenton hier eine bewusste textpragmatische Absicht des Redaktors. Demnach wäre es denkbar, dass Markus mit der Variation die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf die zweite Maria und dann auf die Verbindung zu Mk 6,3 lenken wollte.329 Folgendes ist hierbei zu bedenken: Die Variation der Namen wirkt bewusst gestaltet. Leserin und Leser kennt ab 15,40 die Maria als Mutter von Jakobus und Joses. Sieben Verse später begegnet ihnen Maria, Mutter des Joses, einen weiteren Vers später Maria, Mutter des Jakobus. Immer steht sie in ähnlicher Begleitung und ähnlicher Funktion. Der Leserschaft wird unweigerlich nahe gelegt, in der Maria immer dieselbe Person zu sehen. Dennoch erscheint es kaum möglich, dass ihr die Variation der Söhne nicht auffällt. Der Blick der Leserschaft wird so auf die Näherbestimmung der Maria durch ihre Söhne gelenkt. M.E. ist darum der Lösung von Johnson und Fenton der Vorzug zu geben. So bietet sich an, die Liste 15,40 für die ursprünglichere zu halten,330 unabhängig davon, wo sie Markus gefunden hat. Redaktionelle Eingriffe sind dabei nicht ausgeschlossen. An der Dreizahl der Frauen ist festzuhalten. Für die Redaktionskritik der drei Stellen ist nun entscheidend, in welcher Tradition bzw. an welchem Ort Markus diese Namensliste vorgefunden haben mag – beim Kreuz, bei der Grablegung und/oder beim offenen Grab. Bei Mk 15,47 ist aufgrund der Kontext- und Strukturanalyse bereits eine redaktionelle Bildung vermutet worden. Die erkennbare Funktion der Überleitung ohne nennenswerte neue Inhalte, zudem die lockere Verbindung zur Perikope Mk 15,42–46 weisen den gesamten Vers am ehesten der Redaktion zu. Bei ƭƪƼƴˀƼ wurde ja auch bereits in V. 40 mk Redaktion vermutet.331 Man wird hier also kaum nach dem ursprünglichen Ort der Liste 327

CROSSEN, Wer, 223. GNILKA, Mk II, 331 (zur Liste 16,1). 329 Vgl. JOHNSON, Standing, 41; FENTON, Mother, 435. Johnson überlegt (ebd. 42), ob Judas und Simon aufgrund ihrer Abwesenheit in 15,40 nicht zur Jesusbewegung gefunden haben. Diese Überlegung hat einiges für sich, lässt sich aber aufgrund der schmalen Textbasis kaum verifizieren. 330 So auch PESCH, Mk II, 507f. 331 Vgl. BROER, Urgemeinde, 113; MELZER-KELLER, Frauen, 59f; BULTMANN, Geschichte, 296; SCHREIBER, Kreuzigungsbericht, 36. Dagegen sehen GNILKA (Mk II, 331) und SCHENKE 328

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suchen wollen. Melzer-Keller plädiert für die Ostererzählung am leeren Grab, »denn insofern es sich dabei um eine ursprünglich selbständige und in sich geschlossene Erzähleinheit handelte, dürfte an ihrem Anfang durchaus eine Aufzählung der maßgeblichen Akteurinnen gestanden haben.«332 Mit der Verlagerung der Liste mache Markus die Frauen auch zu Zeuginnen des Todes und der Bestattung. So einleuchtend dieser Schluss ist, so problematisch erscheint die weitere Argumentation Melzer-Kellers. Demnach habe Markus die nun nach 15,40 verschobene Liste mit – ihrer Meinung nach – vier Frauen zerlegt und jeweils auf Mk 15,47 und 16,1 (dem ursprünglichen Fundort der gesamten Liste!) verteilt. Nur Maria aus Magdala durfte in allen Listen anwesend sein, was auf ihre hervorgehobene Stellung in der Urgemeinde schließen lasse.333 Nach meinem Dafürhalten reichen die angeführten Gründe für eine solche Interpretation nicht aus. Die Annahme, die Ostererzählung (Mk 16,1–8) sei der ursprüngliche Ort der Namensliste, ist bestechend, da die Frauen in dieser Perikope als Hauptakteurinnen erscheinen, welche über die redaktionelle Funktion des Schauens hinaus tätig werden. Es ist gut denkbar, dass sie in diesem Zusammenhang namentlich eingeführt worden sind. Markus zieht sie dann ans Kreuz und, als Überleitung, zum Begräbnis. Ähnlich plausibel ist aber auch, dass die originale Liste unverrückt an ihren jetzigen Ort, d.h. ans Kreuz gehört, da eine nachträgliche Kürzung der Liste in Mk 16,1 nicht ohne Schwierigkeiten erklärbar wäre.334 Gerade die Verortung der Liste im Zusammenhang der Kreuzigung im vormk Passionsbericht ist aufgrund der Parallelen zu Joh 19,25 zu erwägen.335 Vergleicht man beide Evangelien, fällt zudem auf, dass die Listen der Frauen am Kreuz in einem geringen Maß Übereinstimmungen aufweisen und dass beim leeren Grab zumindest Maria von Magdala hier wie dort anwesend ist, auch wenn beide Osterberichte deutlich voneinander abweichen. Bei der joh Grablegung fehlen die Frauen. Dieser Vergleich widerspricht also nicht dem redaktionellen Charakter von Mk 15,47. Zudem könnte überlegt werden, ob nicht die Frauen (wie viele auch immer) bereits in der Tradition mit Kreuz und leerem Grab verbunden (Christus, 82f) die Liste Mk 15,47 gegenüber 16,1 aufgrund ihrer Kürze als ursprünglich an. Nach Gnilka ist 16,1 eine Nachbildung der Liste 15,40. SCHENKE (Auferstehungsverkündigung, 27) sieht 15,47 und 16,1 als ursprüngliche und voneinander unabhängige Überlieferungen an. 332 MELZER-KELLER, Frauen, 51. 333 MELZER-KELLER, Frauen, 51f. Die hervorgehobene Bedeutung von Maria aus Magdala in den Listen ist richtig beobachtet (vgl. Joh 20,1.11ff). Ähnlich HENGEL, Magdalena, 251. Die Schlussstellung in Joh 19,25 ergibt sich aufgrund einer Anordnung nach Verwandtschaftsgrad. 334 Vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 107: »Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit ist dagegen jedoch auch vorauszusetzen, daß zumindest die Tatsache der Anwesenheit von Frauen bei Jesu Tod schon in der vormk Passionsgeschichte verankert war«. 335 So gehen die meisten JohEv-Kommentare von einem traditionellen Ort der Liste am Kreuz bei Markus aus. Vgl. BECKER, Joh, 590; BULTMANN, Joh, 515; SCHNACKENBURG Joh III, 321 u.a.

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waren.336 Allerdings wird damit wohl alles noch spekulativer. Die verschiedenen Lösungsversuche in der exegetischen Literatur und eigene Überlegungen zeigen, dass es scheinbar nicht möglich ist, eine sichere Entscheidung über den ursprünglichen Ort der Liste zu fällen. In der Kontext- und Strukturanalyse wurde festgestellt, dass die Tradition hinter Mk 16,1–8 ursprünglich unabhängig vom vorhergehenden Bericht und damit vom vormk Passionsbericht überliefert wurde.337 Durch welche redaktionellen Einfügungen ist die Perikope mit dem (vor-)mk Passionsbericht verbunden? Die Zeitangabe des vergangenen Sabbats in V. 1 ist als ein solcher Einschub zu werten.338 Gleiches gilt für die Salbungsabsicht, da der Salbenkauf vermutlich parallel zum Leinentuchkauf in 15,46 gebildet wurde. Auch steht der Salbenkauf in Spannung zur frühen Stunde: »am Morgen vor Sonnenaufgang geht man nicht einkaufen.«339 Zudem spielt die Salbungsabsicht im Verlauf der Perikope keine Rolle mehr – der Jüngling im Grab geht nicht darauf ein. »Allem Anschein nach ist das Motiv der Salbung somit erst nachträglich in die Erzählung eingefügt worden, um den Gang der Frauen zum Grab konkret zu begründen.«340 Damit ist Mk 16,1 ebenso der mk Redaktion zuzuweisen,341 wobei die Frage nach dem Ursprung der Liste letztlich nicht geklärt werden kann.

1.6.3 Ergebnis Folgende Aspekte der Redaktionskritik sind für mein Thema relevant: Markus findet eine Liste mit Frauennamen vor und integriert sie in seine Komposition, indem er den Frauen bereits die Nachfolge in Galiläa bescheinigt.342 Das ist für ihn notwendig, da Galiläa der Ort ist, an dem Jesus seine 336 So folgert CROSSAN (Relatives, 108), dass in Mk 15,40 und 16,1 ursprünglich die gleiche Liste mit Maria von Magdala, Maria, der des Jakobus, und Salome gestanden habe. Wenn man, dem Großteil der Exegeten folgend, beide Stellen verschiedenen Traditionen zuordnet, erscheint Crossans Lösung fraglich. Auch ist in Joh 20,11ff deutlich anderes Traditionsgut vorauszusetzen. 337 Hierzu sei auf die stimmige Argumentation MELZER-KELLERS (Frauen, 56f) verwiesen. Vgl. auch SCHWEIZER, Mk, 199. Dagegen sieht GNILKA (Mk II, 331f) Begräbnis und leeres Grab als zusammengehörigen Bestandteil eines alten Passionsberichtes an. So auch KERTELGE, Mk, 161. 338 Vgl. MELZER-KELLER, Frauen, 57; GNILKA, Mk II, 338; ERNST, Mk, 485. 339 GNILKA, Mk II, 338. Dagegen halten SCHWEIZER (Mk, 201) und SCHOTTROFF (Magdalena, 147) einen Einkauf am Abend des Sabbats für möglich. Auf Grund der anderen redaktionellen Tendenzen im Vers erübrigt sich wohl der Versuch, den Einkauf historisch zu verorten. Auch Schweizers Gedanken über den Zusammenhang von Jerusalemer Klima und Verwesung der Leiche erscheinen etwas fehl am Platz. 340 MELZER-KELLER, Frauen, 58. Vgl. GNILKA, Mk II, 338. 341 Gegen PESCH, Mk II, 520: »... Markus hat seine Vorlage nicht redaktionell bearbeitet.« 342 Die verwendete Begrifflichkeit in V. 41 (əƯƳưƳƸƭˀƼ und ƶƸƱƦƱƦƧ̀ƶƦƮ ƦʡƷ̺ ƪʅƵ ʎƪƴƳƶˆưƸµƦ vgl. 10,33.52!) spricht dagegen, dass es sich bei den Frauen nur um galiläische Festpilge-

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Nachfolgerschaft sammelt. Will Markus die Frauen als Nachfolgerinnen darstellen, muss er sie in Galiläa dazu machen. Mk Nachfolge führt auf der narrativen Ebene von Galiläa nach Jerusalem. Allerdings findet diese Gruppe an früheren Stellen keine Erwähnung. Die späte Einführung rührt vermutlich daher, dass Markus auf die vorgefundene Liste der Frauen als Zeuginnen und als bindendes Glied zwischen Kreuz, Grab und Auferstehung nicht verzichten will und kann. Indem Markus die Frauen mit nach Jerusalem ziehen lässt, deutet sich die Bereitschaft zur Leidensnachfolge an, die aber nicht bis zur letzten Konsequenz reicht. Die Nachfolgerinnen bleiben hinter dem heidnischen Centurio in 15,39 zurück. Sie sehen im »Unterschied zum Hauptmann [...] in Jesus nicht den Messias, sondern den Toten, dessen Begräbnis sie am Ostermorgen durch die Salbung seines Leichnams ordnungsgemäß zu Ende führen wollen.«343 Markus stellt die Frauen in sicheren Abstand zur Kreuzigung und charakterisiert sie als Zeuginnen. Diese Funktion der drei namentlich genannten Frauen verwirklicht sich beim Kreuz, bei der Bestattung und am leeren Grab. Im weiteren Verlauf der Osterperikope bestätigt sich das partielle Versagen der Frauen. Der Auftrag des Mannes im Grab wird aus Furcht nicht ausgeführt und die Zeugenfunktion findet – wie das MkEv (!) – keinen befriedigenden Abschluss.344 Diese negative Sicht lässt sich in kulturanthropologischer Sicht wieder erhellen. Die weibliche Rolle in der mediterranen Welt, die auf Schamhaftigkeit, Passivität und auf eine Existenz im Haus oder Dorf beschränkt ist (s.u. Teil 3, 1.1.2) wird im MkEv angesichts der Kreuzigung und des Grabes deutlich durchbrochen: »Die Frauen, die in Kontakt mit Jesus treten, werden nicht im inneren Bereich auf die traditionellen Rollen wie Ehefrau oder rinnen handelt, die zufällig der Kreuzigung beiwohnen. Zumindest für Markus erfüllen sie die Aufgabe der Nachfolge. Es wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen (s.u. Teil 3, 3.6.1), dass es im MkEv eine zweite, vom Jüngerkreis zu unterscheidende Nachfolgegruppierung gibt, zu der die Volksmenge um Jesus und einzelne aus ihr heraustretende Charaktere gehören. Auch die jubelnde Volksmenge Mk 11,8ff kann Markus so verstanden haben. Maria Magdalena ist zudem in anderen Traditionssträngen als Nachfolgerin bezeugt. Vgl. dazu auch unten Teil 3, 2.2.3, Anm. 257. 343 MELZER-KELLER, Frauen, 64. Dagegen zeigt der Vergangenheitstempus ɻƱ, dass auch der Centurio von einem Toten spricht. 344 Es ist die Frage, ob das Messiasgeheimnis nicht mit der Auferstehung, sondern mit der Erscheinung des Auferstandenen beendet werden soll. Die »Furcht« ist bei Markus auf Unverständnis und Unglauben rückführbar (Mk 4,40f; 5,15; 6,50ff; 9,32; 10,32). MELZER-KELLER (Frauen, 65) sieht in der Flucht aus der Grabkammer das Pendant zur Jüngerflucht. »Somit endet das Markusevangelium, was die Jünger und Jüngerinnen angeht, in einem vollkommenen Mißerfolg.« (ebd. 66). Vgl. auch SCHOTTROFF, Magdalena, 153: Es »ist wohl das tiefste Jüngerversagen, das das Markusevangelium erzählt – und noch dazu am Schluß des gesamten Textes.« CROSSAN (Relatives, 109), welcher ja im MkEv ein Manifest gegen Jerusalem und in den mk Jüngern eine Art Häretiker sieht, bietet eine spannende Lösung an, der aber schwerlich zuzustimmen ist. Durch das Versagen der Frauen in Mk 16,8 haben Petrus und die Jünger nie erfahren, dass sie aus Jerusalem nach Galiläa ziehen sollen, somit sitzt die Jerusalemer Gemeinde in der mk Zeit immer noch am falschen, d.h. nicht gottgewollten Platz. Vgl. dazu aber KRISTEN, Familie, 169.

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Mutter festgelegt, sondern erfahren sich zur Nachfolge berufen (Mk 3,35; 10,29). […] Frauen schließt er [Jesus, TR] ausdrücklich in diese neue familiäre Verbindlichkeit ein, sie werden bei Mk analog den männlichen Jüngern in die Nachfolge eingeschlossen.«345 Die Funktion als Zeuginnen weist ebenso darauf hin, »dass sich nach der Konzeption des Mk-Evangeliums neue, ungewöhnliche Frauenrollen aufzeigen lassen.« Beatrix Schnabl kann mit diesem ungewöhnliche Frauenbild sogar die mk Familienzerwürfnisse interpretieren, denn diese »können […] gegenüber der verbreiteten Rollenaufteilung und Unterordnung der Frau zu neuen Identifikationen führen.«

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Dieses und folgende Zitate: SCHNABL, Umgang, 48. Vgl. auch MALBON, Fallible, 40ff.

2. Familie vor ethischen Fragen Familie vor ethischen Fragen Viertes Gebot und Korban-Regel

2.1 Viertes Gebot und Korban-Regel (7,9–13) 9

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12 13

ƯƦ˃ ɭưƪƨƪƱ ƦʡƷƳ̝Ƶ, ƯƦư̹Ƶ əƭƪƷƪ̝Ʒƪ ƷˁƱ ɩƱƷƳưˁƱ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬, ʊƱƦ ƷˁƱ ™ƦƴʾƩƳƶƮƱ ʢµ̹Ʊ ƶƷ˂ƶƬƷƪ. ƒƼƾƶ̏Ƶ ƨʽƴ ƪʋ™ƪƱ, Ʒ˄ßƦ Ʒ˅Ʊ ™ƦƷˀƴƦ ƶƳƸ ƯƦ˃ ƷˁƱ ßƬƷˀƴƦ ƶƳƸ, ƯƦ˄, ʖ ƯƦƯƳưƳƨ̹Ʊ ™ƦƷˀƴƦ ɷ ßƬƷˀƴƦ ƭƦƱʾƷ̷ ƷƪưƪƸƷʾƷƼ. ʢµƪ̝Ƶ Ʃʿ ưˀƨƪƷƪ, ɩʽƱ ƪʉ™̍ ɝƱƭƴƼ™ƳƵ Ʒ̺ ™ƦƷƴ˃ ɷ Ʒ̐ µƬƷƴ˄, ƐƳƴƧ̀Ʊ, ʚ ɩƶƷƮƱ, Ʃ̹ƴƳƱ, ʘ ɩʽƱ ɩƲ ɩµƳ̬ ʭƹƪưƬƭ̐Ƶ, ƳʡƯˀƷƮ əƹ˄ƪƷƪ ƦʡƷ˅Ʊ ƳʡƩʿƱ ™ƳƮ̏ƶƦƮ Ʒ̺ ™ƦƷƴ˃ ɷ Ʒ̐ µƬƷƴ˄ əƯƸƴƳ̬ƱƷƪƵ Ʒ˅Ʊ ưˆƨƳƱ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ Ʒ̐ ™ƦƴƦƩˆƶƪƮ ʢµ̹Ʊ ˢ ™ƦƴƪƩˊƯƦƷƪž ƯƦ˃ ™ƦƴˆµƳƮƦ ƷƳƮƦ̬ƷƦ ™Ƴưưʽ ™ƳƮƪ̝Ʒƪ.

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Und er sprach zu ihnen [Pharisäer und Schriftgelehrte, vgl. V. 5]: Großartig setzt ihr das Gebot Gottes außer Kraft, damit ihr eure Überlieferung346 haltet. 10Denn Mose hat gesagt: »Ehre deinen Vater und deine Mutter« und: »Der, welcher Vater oder Mutter schmäht, soll des Todes sterben.«347 11Ihr aber sagt: Wenn ein Mensch zum Vater oder zur Mutter sagt »Korban« – das bedeutet: Opfergabe ist (nun alles), was dir von mir zu Nutzen ist, 12so gestattet ihr ihm nicht mehr irgendetwas für den Vater oder die Mutter zu tun. 13Ihr hebt das Wort Gottes auf mit euren Überlieferungen, die ihr überliefert habt und ähnliche solche Sachen macht ihr viel.

2.1.1 Kontext und Struktur Der zu untersuchende Text ist Bestandteil einer größeren Perikope (7,1–23). Diese wird bei der Untersuchung im Blick bleiben müssen. Die Isolierung der VV. 9–13 und die Konzentration darauf ist aber dennoch ratsam, da sie in der gesamten Perikope einen thematisch eigenständigen Block bilden, der – wie auch die VV. 6–8 – sekundär in das Streitgespräch eingefügt 346 Diese Übersetzung wähle ich aufgrund des unmittelbaren Kontexts – Mk 7,5: ƷˁƱ ™ƦƴʾƩƳƶƮƱ Ʒ̹Ʊ ™ƴƪƶƧƸƷˀƴƼƱ (Überlieferung der Ältesten/Alten). 347 Ex 21,17: tm'Wy tAm.

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Familie vor ethischen Fragen

wurde, ja mit der ursprünglichen Frage V. 5 gar nichts zu tun hat.348 Im anschließenden V. 14 findet zudem ein Szenenwechsel statt.349 Die Beziehung zur gesamten Perikope lässt sich als Konkretisierung beschreiben: Das große Thema – die von christlicher Seite empfundene Differenz bei der Auslegung der Thora,350 bzw. »die Frage nach der Verbindlichkeit der Überlieferung der Alten«351 – wird hier mittels einer Fallstudie verdeutlicht.352 Damit ist bereits der nähere Kontext beschrieben: Es handelt sich um ein weit ausgebautes Streitgespräch über das Thema der Reinheitsvorschriften bzw. Stellung der Überlieferung der Alten (Halacha)353 zur Thora. Im geografischen Aufbau des Evangeliums befindet sich der Text am Ende der galiläischen Zeit. Ab 8,27 begibt sich Jesus auf den Weg nach Jerusalem. Direkt nach dem Streitgespräch, also nach der »Aufhebung der Unterscheidung »rein – unrein« als der Barriere zwischen Juden und Heiden«,354 begibt sich Jesus folgerichtig auf nichtjüdisches Gebiet.355 Der Text besitzt, wie unschwer zu erkennen ist, eine interessante und mit Bedacht gewählte Struktur. Die VV. 9.13 rahmen ihn durch einen analogen, allgemein gehaltenen Vorwurf: Die These V. 9, welche in den folgenden Versen mit einem konkreten Beispiel belegt wird, bekommt mit V. 13 eine abschließende und von den VV. 10–12 aus gesehen erweiterte (V. 13b) und verschärfte (əƯƸƴƳ̬ƱƷƪƵ Ʒ˅Ʊ ưˆƨƳƱ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬)356 Bestätigung. In beiden Versen sind der Umgang der Pharisäer und Schriftgelehrten mit der Weisung Gottes357 und ihr Umgang mit »ihren« Überlieferungen chiastisch gegenübergestellt. In V. 10 wird in der Konsequenz von V. 9 eine konkrete Weisung Gottes in Form mosaischer Gebote (ƨʾƴ) und in V. 11 eine konkrete Überlieferung der »Pharisäer und Schriftgelehrten« (Ʃˀ) sowie ihr 348 Vgl. LÜHRMANN, Mk, 125; BERGER, Gesetzesauslegung, 463. Er sieht allerdings – schwer nachzuvollziehen – die VV. 6–13 als eingeschobene Einheit. (Ebd. 462f.487. Vgl. dazu die Kritik von HÜBNER, Gesetzesverständnis, 323ff). Ganz anders PESCH, Mk I, 376. 349 Manche Exegeten unterteilen die Perikope folgerichtig in zwei Teile: 1–13 und 14–23. Vgl. BERGER, Gesetzesauslegung, 483; PESCH, Mk I, 367ff.377ff. 350 Vgl. LÜHRMANN, Mk, 125f. Vgl. auch V. 3: ƯƦ˃ ™ʾƱƷƪƵ Ƴʆ ʍƳƸƩƦ̝ƳƮ. Berger weist mehrfach auf den antijüdischen Charakter hin, welcher durch die sekundäre Bearbeitung/Erweiterung in das Streitgespräch eingebracht wurde. Vgl. z.B. BERGER, Gesetzesauslegung, 477.483.490 u.ö. 351 (Für VV. 1–13) SCHMID, Mk, 133. So auch PESCH, Mk I, 368. 352 Konkret ist der Text (speziell 10–13) wohl als Entfaltung von V. 8 zu verstehen, wobei V. 9 eine Dublette von V. 8 ist. Gegen BERGER, Gesetzesauslegung, 487. Mitunter wird V. 8 aber auch direkt zu den VV. 9–13 gezogen, was m.E. problematisch ist. So vorsichtig GNILKA, Mk I, 277. 353 Vgl. GOPPELT, Theologie, 141. 354 PESCH, Mk I, 367. 355 »Der Evangelist denkt dem [...] Text offenbar die Rolle einer grundsätzlichen Proklamation zu, deren Anspruch dann von Jesus in seinem Tun vollzogen wird«. PESCH, Mk I, 367. Vgl. aber Mk 7,27 – ganz fallen die Barrieren wohl noch nicht. 356 Vgl. GNILKA, Mk I, 283: »Hier liegt ein juristischer Term vor [...], der das Schlimme und Verbindliche ihres Tuns unterstreicht.« 357 Präsentische Verbform drückt die Fortdauer dieses Vergehens aus; vgl. V. 13b: ™ƳƮƪ̝Ʒƪ.

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Umgang mit dieser Überlieferung (V. 12) antithetisch gegenübergestellt. Wichtig für die redaktionskritischen Fragen ist die Erklärung der jüdischen Korban-Regel in V. 11, ähnliches findet sich bereits in V. 2 und 3f. Innerhalb der gesamten Perikope gibt es wichtige textliche Bezüge, denn »Überlieferungen« spielen eine zentrale Rolle. Der Erzähler und die Gegner Jesu bezeichnen sie durchaus richtig als die Weisungen der Ältesten (VV. 3.5: ™ƦƴʾƩƳƶƮƱ Ʒ̹Ʊ ™ƴƪƶƧƸƷˀƴƼƱ). Jesus wertet ihre Bedeutung ab, indem er sie als Menschensatzung (V. 8: ™ƦƴʾƩƳƶƮƱ Ʒ̹Ʊ əƱƭƴˊ™ƼƱ)358 oder mit gleicher Intention als »eure Weisungen« (VV. 9.13: ™ƦƴʾƩƳƶƮƱ ʢµ̹Ʊ) bezeichnet.359 Das ironische ƯƦư̹Ƶ in V. 9 begegnet auch in V. 6, hier allerdings ganz und gar nicht ironisch.360 Das ƯƦ˃ ɝưưƦ ™Ƴưưʾ ɩƶƷƮƱ in V. 4 verweist evtl. schon auf V. 13b.361 Die Gegner »Pharisäer und Schriftgelehrte«362 – seit 3,6 Kontrahenten Jesu – sind bereits aus den Streitgesprächen 2,1–3,30 bekannt. Speziell in 2,23–3,6 geht es um ähnliche Fragen, um die richtige Auslegung der Thora. Wie in 3,22 sind sie extra aus Jerusalem gekommen (7,1). Auch im weiteren Verlauf wird es zu Streitgesprächen mit diesen Gegnern kommen (Mk 11,27–12,34; vgl. aber 12,28–34), z.T. auch über die Frage der richtigen Thoraauslegung (Mk 10,2–9, ebenso in antithetischer Gegenüberstellung).363 Die mosaischen Gebote in Vers 10 stammen aus Ex 20,12/Dtn 5,16 und Ex 21,17 (vgl. Lev 20,9). Während bei Dtn 5,16 die Verwendung der LXX erwogen werden könnte, ist dies bei Ex 21,17 ungewiss.364

358

Wörtliche Übereinstimmung mit Kol 2,8. Bereits das inhaltlich gleichbedeutende ɩƱƷʾưµƦƷƦ əƱƭƴˊ™ƼƱ in V. 7 begegnet in erweiterter Form in Kol 2,22. 359 Die verschiedenen Bezeichnungen mögen auf verschiedene Traditionsstufen zurückgehen. 360 BAUER (Wörterbuch, 815) überlegt deshalb, ob es sich in V. 9 nicht vielmehr um eine Frage handelt: »setzt ihr etwa mit Recht Gottes Gebot außer Geltung?« KLOSTERMANN (Mk, 68) ist aufgrund der doppelten Verwendung hiervon überzeugt. Die ironische Verwendung wird aber sicherlich dem Text eher gerecht. Vgl. SCHWEIZER, Mk, 77. Gegen LOHMEYER, Mk, 141. 361 Vgl. BERGER, Gesetzesauslegung, 463. 362 Die Gegner erscheinen in unterschiedlicher Form und Zusammensetzung, wobei Pharisäer und/oder Schriftgelehrte meist vertreten sind. Überblick bei SCHENKE, Mk (1988), 98–101. 363 BERGER (Gesetzesauslegung, 461) vermutet aufgrund des gemeinsamen Aufbaus einen ursprünglich einheitlichen Streitgesprächscorpus: Mk 2,16f.18ff.23–28; 3,1–4; 7,1–23; 10,2–12; 12,13–17. 364 GNILKA (Mk I, 277) weist zu Recht darauf hin, dass das erste Zitat sowohl aus der LXX als auch aus dem MT stammen kann. PESCH (Mk I, 374) weiß dagegen, dass hierbei die LXX verwendet wird. Im Hintergrund wird stehen, dass er die gesamte Perikope als traditionelle Einheit denkt und so die Herkunft von V. 10 mit der der VV. 6fLXX harmonisieren muss. Die Herkunft des zweiten Zitats übergeht er. Auch BERGER (Gesetzesauslegung, 488) schreibt das Zitat Dtn 5,16LXX zu. Das zweite Wort schreibt er über die LXX-Lesart des Codex Alexandrinus und zwei ausgefallene ƦʡƷƳ̬ ebenfalls der LXX (Ex 21,17) zu. Da auch der MT die beiden Possessivpronomen bietet, ist Bergers Entscheidung gut begründet, kann mich aber noch nicht vollauf überzeugen.

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Zum besseren (oder schlechteren: s.u.) Verständnis der Dedikationsformel »Korban« ist auf Mt 27,6 hinzuweisen: Dort bezeichnet »Korban« nicht die Opfergabe, sondern in nominaler Form (ƯƳƴƧƦƱ̀Ƶ) den Tempelschatz. Dabei beinhaltete die Korbanpraxis nicht die sofortige Übereignung des geweihten Gutes an den Tempelschatz. Diese konnte wohl auch erst post mortem erfolgen (s.u.).365 Das hebräische Wort Korban (!B;r>q)' findet sich v.a. in Lev und Num (Lev 1,2; 2,1.4.12.13; 6,14; 7,14; 9,7.15 etc.; Num 7,17–83 etc.). Zu V. 12 beachte man die Weisung aus Num 30,3 – ein Wort der Thora also.

2.1.2 Redaktionskritik Markus hat die VV. 9–13, wohl auch die VV. 6–8 in die Perikope eingebracht.366 Bei dem Textabschnitt handelt es sich also um eine vom jetzigen Kontext unabhängige Tradition.367 Die Einleitung ƯƦ˃ ɭưƪƨƪƱ ƦʡƷƳ̝Ƶ benötigt Markus zur Verknüpfung, sprachlich ist sie für den Evangelisten typisch.368 Die beschriebene Struktur und die vermutete Verwendung der hebräischen Thora in V. 10 (s.o.) weisen den größten Teil des restlichen Textabschnitts als traditionell aus.369 Diese Tradition mag in Palästina entstanden sein, zumindest an einem Ort, an dem die Korbanpraxis allgemein verständlich war.370 Die Erklärung des Korban-Gelübdes (V. 11b), die 365

Vgl. SCHWEIZER, Mk, 79; LÜHRMANN, Mk, 127. Vgl. GNILKA, Mk I, 277; LÜHRMANN, Mk, 125.127; SCHWEIZER, Mk, 77; GRUNDMANN, Mk, 189. Gegen SCHMITHALS, Mk II, 342. BULTMANN (Geschichte, 15) wertet die VV. 1–8 als »Grundbestand«, Markus habe VV. 9–13 angefügt. 367 So nahezu alle Exegeten. Nicht PESCH, Mk I, 368. Er sieht VV. 1–13 (ohne 2b.3f) als ursprüngliche Einheit. 368 Vgl. GNILKA, Mk I, 277; LÜHRMANN, Mk, 125.127; GRUNDMANN, Mk, 193; BULTMANN, Geschichte, 15. Gegen PESCH, Mk I, 374. 369 BERGER (Gesetzesauslegung, 488) hält das Zitat Ex 21,17, welches er der LXX zuschreibt (s.o. Anm. 364), für eine Ergänzung durch Markus. »Offenbar soll die Schwere des göttlichen Gebotes durch die Größe der Strafe zum Ausdruck gebracht werden.« Ebd. 370 Vgl. GNILKA, Mk I, 277. Bei »Korban« handelt es sich um einen palästinischen terminus technicus, zumindest tritt palästinische Ausdrucksweise hervor (vgl. RENGSTORF, ThWNT 3, 860.865). Ist der Kern des Gesprächs jesuanisch? SCHWEIZER (Mk, 77) spricht dagegen: Jesu Kampf »richtet sich nicht gegen seltsame Auswüchse, sondern gegen ein gesetzliches Verständnis der zentralen Gebote«. Vgl. auch BULTMANN, Geschichte, 15. Für jesuanisch stimmen: SCHMID, Mk, 137; PESCH, Mk I, 376; GOPPELT, Theologie, 140; SCHROEDER, Eltern, 159; HÜBNER, Gesetzesverständnis, 339 (vgl. seine gesamte kämpferische Untersuchung 319–337). Die beschriebene Struktur (s.o.) zeigt m.E. eine spätere, evtl. sogar schriftliche Bildung des vorliegenden Texts. Die Frage, ob der Kern der (gegenüber der polemischen Gegenüberstellung von Thora und Halacha) sachlichen Aussage, also die Verurteilung des Korban-Gelübdes auf Jesus selbst zurückgeht, lässt sich wohl kaum sicher bejahen oder verneinen. Auch BULTMANN (Geschichte, 51) hält diese Frage letztlich für »müßig«. 366

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selbstverständlich als sekundär anzusprechen ist, wird auf das Konto von Markus gehen: Die Übersetzung von !B;r>q' mit Ʃ̹ƴƳƱ ist typisch für die LXX, worauf der Evangelist mit Blick auf seine Adressaten Bezug nimmt.371 Auch der V. 13b, der aus der Gesamtstruktur herausfällt, ist vermutlich Markus zuzuschreiben.372 Auf den gesamten Text bezogen sind die Eingriffe durch Markus gering, allerdings zeigt er mit Übernahme, Einpassung und Erklärung für nichtjüdische Ohren ein deutliches Interesse an der Tradition. Mag sie auch in erster Linie der Illustration dienen, d.h. Mittel zum Zweck sein,373 so wird man doch annehmen dürfen, dass Markus sein Beispiel mit Bedacht gewählt hat, zumal die Wahl in Bezug auf den ursprünglichen Streitpunkt – die ungewaschenen Hände der Jünger – ganz und gar nicht selbstverständlich ist.

2.1.3 Familie in Mk 7 Die zentrale Frage, die dieser Text zum Thema beiträgt, stellt bereits Schroeder: »Wie kann Jesus den Pharisäern vorwerfen, daß sie die Gültigkeit des vierten Gebotes aufheben, wenn er selber durch seine Verzichtforderungen die Jünger aus ihren familiären Bindungen herausruft?«374 Um diese Frage auch nur annähernd beantworten zu können, müssen zunächst die Hintergründe der Korbanpraxis geklärt werden. Für meine Untersuchung ist weniger die Polemik gegen Pharisäer und Schriftgelehrte, als die Frage nach den sachlichen Hintergründen bedeutsam.375 Versucht man von der mk Erklärung Ʃ̹ƴƳƱ, ʘ ɩʽƱ ɩƲ ɩµƳ̬ ʭƹƪưƬƭ̐Ƶ aus die Korbanpraxis zu verstehen, kommt es leicht zu einem Missverständnis, gerade auch, wenn man – vom Nestle-Aland-Rand hingewiesen – das ƯƳƴƧƦƱ̀Ƶ von Mt 27,6 hinzuzieht. Mit dem Aussprechen des »Korban« gehen die den Eltern entzogenen Mittel und Zuwendungen nicht automatisch in den Besitz des Tempels über. Mit dem Gelöbnis waren diese Dinge für die Eltern wie eine Opfergabe, somit wie jede reale Opfergabe im Tempel ihrem Zugriff entzogen und für Gott beschlagnahmt.376 »Der Sohn behielt auf diese Weise das Seine, ohne irgend etwas an den Tempel abgeben zu müssen, u. die Eltern waren ihrer Ansprüche an den Sohn beraubt.«377 Der Verlust ist allumfassend: »Fortfall des Lebensunterhalts [...,] 371

So auch GNILKA, Mk I, 277 bei der Untersuchung von den VV. 3f. So auch GNILKA, Mk I, 277. 373 So BERGER, Gesetzesauslegung, 493. Dagegen HÜBNER, Gesetzesverständnis, 325. 374 SCHROEDER, Eltern, 157 (mit Blick auf die Verzichtforderungen in Mt 8,21f). 375 Diese Entscheidung teile ich mit SCHROEDER, Eltern, 159. 376 So die bestechende Formulierung von GNILKA, Mk I, 283, Anm. 39. 377 BILLERBECK, Mt, 711. 372

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Hilfe zur Erfüllung der religiösen Pflichten, Versorgung in Krankheit usw. Selbst geschäftlicher Verkehr ist in einem solchen Falle verboten«.378 Was sich hier zeigt, ist faktisch nichts anderes, als der Abbruch des Kontaktes zwischen Sohn und Eltern, wobei das Aussprechen des Entzugsgelübdes wohl oft auch durch ein bereits bestehendes gestörtes Verhältnis ausgelöst wurde.379 Gemeinhin sieht man in der exegetischen Literatur den Grund des Gelübdes darin, dass das Kind »mit seinen Eltern verfeindet oder ein habsüchtiger Egoist war«.380 Natürlich ist auch der Einwand Schweizers, »daß der Gehorsam gegen Gott noch wichtiger sein sollte als die Liebe selbst zu Vater und Mutter«,381 zum Sinn des Korbangelübdes zu beachten. Dennoch zeigen die vielen Belegstellen bei Billerbeck (Mt, 715f), dass es häufig Gelübde gegeben haben muss, welche für andere Menschen äußerst nachteilig ausfielen. Man darf gerade in der mitunter sehr sensiblen Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung einen gehäuften Missbrauch dieser Gelübde vermuten, ganz zu schweigen von dem Problem der pflegebedürftigen Greise, auf deren Schutz sich das 4. Gebot bezieht. In diesem Zusammenhang hat man auch vermutet, dass solche Gelübde »nicht selten ohne vorherige Überlegung im Affekt ausgesprochen wurden«.382 Rengstorf weist zu Recht darauf hin, dass die Szene Mk 7,10–12 voraussetzt (vgl. V. 12), dass der beschriebene Fall »vor ein schriftgelehrtes Forum kommt und daß dieses dahingehend entscheidet, daß es bei dem einmal getanen Ausspruch [...] bleiben muß [...]. Diese Lage [...] ist nur möglich, wenn den Sohn sein hartes Wort reut«, was zeigt, »daß es als ohne Überlegung, etwa im Zorn, gesprochen zu denken ist«.383 Denn in solchen Fällen gibt es innerjüdische Versuche, das Korbangelübde zu entschärfen oder mittels einer Audienz bei einem Gelehrten rückgängig zu machen.384 Die kontrovers diskutierte Frage ist hierbei, ab wann eine solche Entschärfungspraxis nachzuweisen ist. Rengstorf weist als älteste »in einem solchen Zusammenhang genannte Autorität« auf Rabbi Ñadoþ hin, »der schon um 70 n Chr in hohem Ansehen stand«.385 Das alles würde, wenn nicht den jesuanischen, so doch den mk Vorwurf in V. 12 in einem etwas anderem Licht erscheinen lassen: Zum einen steht diese ethisch motivierte kritische Haltung der Korbanpraxis nicht allein 378

RENGSTORF, ThWNT 3, 865. Einen konkreten und plastischen Einblick erhält man durch die Beispiele, welche BILLERBECK (Mt, 713f) aufführt. 379 Vgl. BILLERBECK, Mt, 715: »Dergleichen aus Haß u. in Feindschaft ausgesprochene Gelübde«. 380 SCHMID, Mk, 136. 381 SCHWEIZER, Mk, 77. 382 RENGSTORF, ThWNT 3, 863. 383 Alle Zitate im Satz bei RENGSTORF, ThWNT 3, 865. 384 Vgl. die Beispiele bei BILLERBECK, Mt, 715; RENGSTORF, ThWNT 3, 863. 385 RENGSTORF, ThWNT 3, 863f.

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gegenüber, zum anderen bestätigt sich, dass bei dem im untersuchten Text beschriebenen Fall an ein Gelübde im Affekt mit späterer Reue gedacht sein muss. Das heißt aber: Die religiöse Dimension ist hier überhaupt nicht im Blick, es geht vielmehr um einen Missbrauch, wie ihn Jesus in Mk 10,5 als »Herzenshärte« brandmarken wird. Die eingangs gestellte Frage erübrigt sich somit. Die mk Familienzerwürfnisse ɮƱƪƯƪƱ ʍƬƶƳ̬ ƯƦ˃ ɮƱƪƯƪƱ ƷƳ̬ ƪʡƦƨƨƪư˄ƳƸ (vgl. 10,29) und der Bruch mit den Eltern aufgrund eines religiösen Vorwandes in Form des Korbangelübdes haben nichts gemeinsam. Markus hält das 4. Gebot hoch, wie das Streitgespräch und Mk 10,19 zu erkennen geben. Es ist unumstößlich »Gottes Wort« (V. 13). Auf der anderen Seite dürften für ihn kaum die Familienzerwürfnisse, welche sich in seiner Gemeinde abspielen, in dem Streitgespräch mitschwingen – die neue familia dei, die eben jene Trennungserscheinungen bei ihrer Konstituierung ertragen muss, »tut« ja gerade »Gottes Willen« (3,35). Wie Markus allerdings mit dem Konflikt zwischen den in seinen Augen legitimen Familienzerwürfnissen in seiner Gemeinde und dem von ihm ebenfalls befürworteten 4. Gebot umgeht, will der untersuchte Text anscheinend nicht preisgeben. Auch in den zwei gesonderten Jüngerbelehrungen (VV. 17– 19.20–23) findet sich keine Antwort. Der Lasterkatalog VV. 21f mag zumindest nahe legen, dass die »legitimen« Zerwürfnisse eben nicht durch die Schwächen der menschlichen Herzen (™ưƪƳƱƪƲ˄ƦƮ, ™ƳƱƬƴ˄ƦƮ, ƩˆưƳƵ, ʢ™ƪƴƬƹƦƱ˄Ʀ, əƹƴƳƶˈƱƬ etc.) verursacht sein können und dürfen. Ich werde nach Behandlung des nächsten Texts versuchen, das Ergebnis der Untersuchung der ethischen Texte kurz zusammenzufassen.

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2.2 Ehescheidungs- und Wiederheiratsverbot (10,2–12.19) Ehescheidungs- und Wiederheiratsverbot 2

3 4 5

6 7

8 9 10 11

12 19

ƯƦ˃ ™ƴƳƶƪưƭˆƱƷƪƵ ƜƦƴƮƶƦ̝ƳƮ ɩ™ƬƴˊƷƼƱ ƦʡƷ˅Ʊ ƪʅ ɭƲƪƶƷƮƱ əƱƩƴ˃ ƨƸƱƦ̝ƯƦ ə™Ƴư̬ƶƦƮ, ™ƪƮƴʾƫƳƱƷƪƵ ƦʡƷˆƱ. ʖ Ʃʿ ə™ƳƯƴƮƭƪ˃Ƶ ƪʋ™ƪƱ ƦʡƷƳ̝Ƶ, Ʒ˄ ʢµ̝Ʊ ɩƱƪƷƪ˄ưƦƷƳ ƒƼƾƶ̏Ƶź Ƴʆ Ʃʿ ƪʋ™ƦƱ, ɩ™ˀƷƴƪƻƪƱ ƒƼƾƶ̏Ƶ ƧƮƧư˄ƳƱ ə™ƳƶƷƦƶ˄ƳƸ ƨƴʾƻƦƮ ƯƦ˃ ə™Ƴư̬ƶƦƮ. ʖ Ʃʿ ʍƬƶƳ̬Ƶ ƪʋ™ƪƱ ƦʡƷƳ̝Ƶ, ™ƴ˅Ƶ ƷˁƱ ƶƯưƬƴƳƯƦƴƩ˄ƦƱ ʢµ̹Ʊ ɭƨƴƦƻƪƱ ʢµ̝Ʊ ƷˁƱ ɩƱƷƳưˁƱ ƷƦˈƷƬƱ. ə™˅ Ʃʿ əƴƺ̏Ƶ ƯƷ˄ƶƪƼƵ ɝƴƶƪƱ ƯƦ˃ ƭ̏ưƸ ɩ™Ƴ˄ƬƶƪƱ ƦʡƷƳˈƵž ɮƱƪƯƪƱ ƷƳˈƷƳƸ ƯƦƷƦưƪ˄ƻƪƮ ɝƱƭƴƼ™ƳƵ Ʒ˅Ʊ ™ƦƷˀƴƦ ƦʡƷƳ̬ ƯƦ˃ ƷˁƱ µƬƷˀƴƦ [ƯƦ˃ ™ƴƳƶƯƳưưƬƭ˂ƶƪƷƦƮ ™ƴ˅Ƶ ƷˁƱ ƨƸƱƦ̝ƯƦ ƦʡƷƳ̬,]386 ƯƦ˃ ɭƶƳƱƷƦƮ Ƴʆ ƩˈƳ ƪʅƵ ƶʾƴƯƦ µ˄ƦƱž ʲƶƷƪ ƳʡƯˀƷƮ ƪʅƶ˃Ʊ ƩˈƳ əưưʽ µ˄Ʀ ƶʾƴƲ. ʘ ƳʧƱ ʖ ƭƪ˅Ƶ ƶƸƱˀƫƪƸƲƪƱ ɝƱƭƴƼ™ƳƵ µˁ ƺƼƴƮƫˀƷƼ. ƐƦ˃ ƪʅƵ ƷˁƱ ƳʅƯ˄ƦƱ ™ʾưƮƱ Ƴʆ µƦƭƬƷƦ˃ ™ƪƴ˃ ƷƳˈƷƳƸ ɩ™ƬƴˊƷƼƱ ƦʡƷˆƱ. ƯƦ˃ ưˀƨƪƮ ƦʡƷƳ̝Ƶž ʘƵ ɛƱ ə™Ƴưˈƶ̍ ƷˁƱ ƨƸƱƦ̝ƯƦ ƦʡƷƳ̬ ƯƦ˃ ƨƦµ˂ƶ̍ ɝưưƬƱ µƳƮƺ̀ƷƦƮ ɩ™̉ ƦʡƷ˂Ʊž ƯƦ˃ ɩʽƱ ƦʡƷˁ ə™ƳưˈƶƦƶƦ Ʒ˅Ʊ ɝƱƩƴƦ ƦʡƷ̏Ƶ ƨƦµ˂ƶ̍ ɝưưƳƱ µƳƮƺ̀ƷƦƮ. ƷʽƵ ɩƱƷƳưʽƵ ƳʋƩƦƵž µˁ ƹƳƱƪˈƶ̍Ƶ, µˁ µƳƮƺƪˈƶ̍Ƶ, µˁ Ưưˀƻ̍Ƶ, µˁ ƻƪƸƩƳµƦƴƷƸƴ˂ƶ̍Ƶ, µˁ ə™ƳƶƷƪƴ˂ƶ̍Ƶ, Ʒ˄µƦ Ʒ˅Ʊ ™ƦƷˀƴƦ ƶƳƸ ƯƦ˃ ƷˁƱ µƬƷˀƴƦ. (Kursiv – Verben/Partizipien der Trennung/Vereinigung)

2

Und es traten Pharisäer herzu und sie fragten ihn, um ihn zu versuchen, ob es einem Mann erlaubt sei, die Frau zu entlassen. 3Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? 4Sie aber sprachen: Mose hat gestattet, einen Scheidebrief zu schreiben und (die Frau) zu entlassen. 5Jesus aber sprach zu ihnen: Aufgrund eurer Hartherzigkeit schrieb er für euch dieses Gebot. 6Von Anfang der Schöpfung erschuf er sie als Mann und Frau. 7Deshalb wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter 386 V. 7b fehlt bei einer Reihe z.T. alexandrinischer Zeugen (a B ƞ 892 u.a. gegen D W Ǝ f 13 Û u.a.). Ein Vergleich zu Gen 2,24LXX zeigt, dass LXX dem mk Text als Vorlage gedient hat. Während im MT der vyai die Eltern verlässt, tut es in LXX/MkEv der ɝƱƭƴƼ™ƳƵ. Der Teilvers kann von D W Ǝ etc. aus Gen 2,24LXX ergänzt worden sein. In diesem Fall hatte Markus noch ein Interesse V. 7 auf beide Ehepartner zu beziehen (so LÜHRMANN, Mk, 170; vgl. die Verwendung von ɝƱƭƴƼ™ƳƵ; vgl. auch Mk 10,11f). Ich entscheide mich deshalb und aufgrund der Zeugen gegen den Satz.

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verlassen [...] 8und die zwei werden ein Fleisch sein, sodass sie nicht länger zwei, sondern ein Fleisch sind. 9Was nun Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen. 10Und als die Jünger im Haus waren, fragten sie ihn wieder danach. 11Und er sprach zu ihnen: Wer seine Frau entlässt und heiratet eine andere, bricht an ihr die Ehe. 12Und wenn sie, nachdem sie ihren Mann entlassen hat, einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch. 19

Die Gebote kennst du: Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis geben, du sollst nicht berauben, ehre deinen Vater und die Mutter.

Bei V. 12 deutet die Textkritik bereits einen Problemhorizont an. Es existieren mehrere inhaltlich relevante Varianten, hinter denen das Unbehagen gegenüber der aktive Rolle der Frau bei der Scheidung und Wiederheirat stehen wird. So beschreiben Alexandrinus und Mehrheitstext die Wiederheirat im Passiv – die Frau wird geheiratet – und beim Bezae Cantabrigiensis und in der Itala entlässt die Frau nicht ihren Mann, sondern sie läuft von ihm fort. Diese abweichenden Lesarten versuchen sekundär, den Handlungsspielraum der Frau einzuschränken bzw. an bestehende Verhältnisse anzugleichen.

2.2.1 Kontext und Struktur Im Aufriss des Evangeliums findet sich die Perikope auf dem Weg Jesu von Galiläa nach Jerusalem zwischen der zweiten und dritten Leidensankündigung. Die verwirrende geografische Angabe in 10,1 denkt wohl an einen Weg durch transjordanisches Gebiet.387 Im weiteren Kontext spielt das Thema Jüngerschaft und Unterweisung der Jünger eine wesentliche Rolle. In Verbindung mit Mk 10,13–16; 17–31; 35–45 befindet sich der zu untersuchende Text in einer größeren Passage katechetischer Unterweisung,388 das Thema der Nachfolge, das auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem verstärkt verhandelt wird, erhält hier seine Konkretisierung für den Alltag der Gemeinde. Vers 1 ist eine mk Überleitung und gehört nicht zur Perikope.389 In den VV. 2–9 findet sich ein Streitgespräch,390 in den VV. 11f eine, durch V. 10 auf das Streitgespräch bezogene Jüngerbelehrung, die auch als isolierter 387

Vgl. GNILKA, Mk II, 71. Vgl. z.B. LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 360. 389 Vgl. GNILKA, Mk II, 69. V. 2 beginnt mit einem Neueinsatz, dem Auftreten neuer Charaktere und einer veränderten Situation. Aus diesem Grund wird V. 1 hier nicht untersucht. 390 LOHMEYER (Mk, 198) spricht von einem Lehrgespräch, BULTMANN (Geschichte, 25) von einem Apophthegma. Der intratextuale Bezug der Streitgespräche wurde bereits kurz oben 2.1.1 dargestellt, das zu untersuchende Streitgespräch gehört in diese Reihe. 388

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Familie vor ethischen Fragen

Spruch in Lk 16,18 und Mt 5,32 (vgl. 1Kor 7,10f) begegnet. Der Abschnitt ist somit deutlich zweigeteilt und auch das scheinbar gleiche Thema wird doch recht unterschiedlich verhandelt (s.u.). V. 19 hat mit der Perikope nichts zu tun, sondern gehört in den Zusammenhang Mk 10,17–22(–27). Er zeigt aber, dass das Thema Ethik im Kontext der Perikope weiter verhandelt wird. Ich werde später darauf zurückkommen.391 Das Streitgespräch gliedert sich in Frage, Gegenfrage, Antwort und die abschließende dreigliedrige (5.6.7–9) Stellungnahme Jesu. Nach einer Überleitung (V. 10) folgen zwei einander nahezu parallel gestaltete Worte, welche der Form nach als konditionale Rechtssätze erkennbar sind (s.u.). Zur Struktur des Abschnitts ist die parallele Konstruktion der VV. 11 und 12 und wohl auch der hintergründige Gebrauch von ƨƴʾƹƼ in den VV. 4f interessant. Die Konzentration von Verbformen, welche »Trennung« und »Verbindung« beinhalten, unterstreicht Inhalt und Aussage des Abschnitts. Das Streitgespräch mit seiner Schriftargumentation hat erwartungsgemäß verschiedene Bezüge zum Pentateuch, es finden sich dabei z.T. wörtliche Übereinstimmungen mit der LXX. Die Antwort der Pharisäer in V. 4 bezieht sich auf Dtn 24,1.3, Jesus mit V. 6 auf Gen 1,27; 5,2 und mit V. 7f (wie auch 1Kor 6,16; Eph 5,31) auf Gen 2,24. Die Pharisäer sind bereits in Mk 7,1; 8,11 (vgl. auch Mk 12,13.15) als Diskussionspartner bzw. Versucher (wörtl. Übereinstimmung 8,11) anzutreffen, was auch Erinnerungen an Mk 1,13 (™ƪƮƴƦƫˆµƪƱƳƵ ʢ™˅ ƷƳ̬ ƶƦƷƦƱ̀) weckt. Der Rückzug ins Haus V. 10 begegnet inkl. Jüngerbelehrung bereits in Mk 7,17ff; 9,28. Die Entlassung des Mannes durch die Frau in Verbindung mit dem Thema der Wiederheirat wird von Paulus in 1Kor 7,10f als »Herrenwort« zur Sprache gebracht. Das Schema unseres Abschnitts: Streitgespräch – Dialog – anschließende Jüngerbelehrung, prägt auch Mk 10,17–27.35–45.

2.2.2 Redaktionskritik Bevor ich an die redaktionskritische Untersuchung der einzelnen Verse gehe, ist zu überlegen, ob Markus die beiden Unterabschnitte VV. 2–9 und 10–12 verbunden hat oder ob ihm die Verbindung beider Teile bereits vorlag. Sodann ist zu prüfen, in welchem Verhältnis beide Teile stehen. Das bereits erwähnte dreimalige Vorkommen des gleichen Schemas392 auf engstem Raum (Mk 10,2–12.17–27.35–45) lässt eine vormk Sammlung dieser Textabschnitte und damit eine bereits vorgegebene Verbindung von 391

S.u. Teil 3, 3.7. Eine »selbständige Erzählung [wird] durch eine Jüngerbelehrung weitergeführt und ausgelegt«. GNILKA, Mk II, 105. 392

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Mk 10,2–9 und 10–12 vermuten.393 Als weitere Argumente werden dafür angeführt, dass die Jüngerbelehrung »auf konkrete Gemeindeprobleme ausgerichtet ist«,394 Markus aber »konkrete Gemeindefragen nicht in dieser direkten Form« verhandelt, und dass »[h]ellenistisch-judenchristlicher Einfluß« darin spürbar sei.395 Ich frage stattdessen, wie die anderen Texte im MkEv bewertet werden sollen, in denen eine besondere Jüngerbelehrung erfolgt.396 Dazu kommt, dass das Haus ein wichtiger Ort in der Gesamtkonzeption des Evangeliums ist, sich also in vielen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit der mk Redaktion zuschreiben lässt (s.u.). Das trifft v.a. zu, wenn ein überraschend genanntes Haus und die gesonderte Jüngerbelehrung unmittelbar miteinander verbunden sind.397 Meiner Meinung nach scheint doch gerade bei V. 10 mk Eigenart sichtbar zu werden. Da der Evangelist Markus und seine Gemeinde im hellenistisch-christlichen, aber eben auch diasporajudenchristlichen Milieu398 zu verorten sein werden, dürfte wohl der hellenistisch-judenchristliche Einfluss nicht als Argument gegen eine redaktionelle Arbeit verwendet werden. Wie direkt Gemeindefragen von Markus verhandelt werden können, lässt sich wohl kaum mit genauem Maß bestimmen, ein Verweis auf Mk 7,1–23; 9,33–37.38ff; 10,28–31 mag reichen, um dieses Argument zumindest zu hinterfragen. Auch die Überlegungen Kuhns zur vormk Tradition können nicht letztgültig überzeugen, da er zu allen vormk Formulierungen auch mindestens ein Beispiel bringen muss, dass auf Markus zurückzuführen ist.399 Die Überlieferung des zweiten Teils begegnet bei den Synoptikern insgesamt viermal: Mt 5,32; 19,9; Mk 10,11f; Lk 16,18. Während Mt 19 von Mk 10 abhängig ist, begegnet mit Mt 5 und Lk 16 eine Doppelüberlieferung 393 So z.B. GNILKA, Mk II, 105; ERNST, Mk, 285f. SCHWEIZER (Mk, 109) schlägt als vormk Sammlung sehr vorsichtig die VV. 2–12.13–16.17–25 oder 2–12.17–25.35–45 vor. Grundlegend ist hierfür die Untersuchung von KUHN, Sammlungen, 146–191. Vgl. auch PESCH, Mk II, 128ff. Bei meiner Argumentation geht es nicht um die Frage der vormk Sammlung, sondern um die Frage der Verbindung in Mk 10,2–12. 394 Alle Zitate in diesem Satz: GNILKA, Mk II, 105. 395 Vgl. auch PESCH, Mk II, 129. 396 Vgl. auch LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 358: »Da die Technik, an die öffentliche Verkündigung Jesu eine private Jüngerbelehrung anzufügen, anerkanntermaßen ein Charakteristikum der markinischen Redaktion ist (vgl. 4,10; 4,34; 7,17; 9,28.33; 13,3), das mit seiner Konzeption des Messiasgeheimnisses auf das engste verknüpft ist, sollte man nicht zweifeln, daß Markus selbst auch die Zusammenfügung des Streitgespräches mit dem Einzellogion vorgenommen hat.« Vgl. auch HOFFMANN, Ehescheidung, 327. 397 Jesus ist hier auf dem Weg in fremdem Gebiet, aber plötzlich ƪʅƵ ƷˁƱ ƳʅƯ˄ƦƱ. Leserin und Leser muss sich fragen: In welchem? 398 Benutzung der LXX. Jüdische Fragen spielen – wenn auch kritisiert – noch eine Rolle (Mk 7,1–23 etc.). In Mk 13,9 wird deutlich, dass den Adressaten nicht nur von Gerichten und Königen Gefahr droht, sondern auch von der Synagoge. Ein Teil der Adressaten gehört scheinbar (noch) zur Synagoge. Vgl. unten Teil 3, 3.5 mit Anm. 463. Vgl. etwa SÖDING, Evangelist, 25f u.ö. 399 Vgl. KUHN, Sammlungen, 167.

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aus Q.400 Der Spruch ist also unabhängig vom Streitgespräch überliefert worden.401 Es gibt m.E. kaum stichhaltige Argumente, dass die Verbindung der beiden Abschnitte VV. 2–9 und 10–12 Markus bereits vorlagen. Die Existenz mk Eigenarten in V. 10 und die Überlieferung in Q 16,18 verweisen eher auf das Gegenteil. Die Frage, in welchem Verhältnis die VV. 2–9 und 10–12 stehen, ist u.a. von der traditionskritischen Beurteilung von V. 11 abhängig. Zumeist wird er – wie auch V. 9 – als jesuanisch angesehen,402 allerdings ist dieses Urteil unsicher. Schaller hat glaubhaft gemacht, dass die Aussage von Vers 11 nicht mit Mk 10,2–9 harmonisiert werden kann.403 Vers 11 weicht das apodiktische »Nein« zur Ehescheidung bzw. zu jeglicher Art der Trennung404 in V. 9 zu einem Wiederheiratsverbot auf. Somit ist in bestimmten Fällen (vgl. 1Kor 7,15) eine Scheidung bzw. Trennung der Partner faktisch möglich, die Ehe besteht aber trotzdem fort. Nur so kann eine Wiederheirat als Ehebruch bezeichnet werden.405 Der Einwand Gnilkas, dass »praktisch die Entlassung 400 Vgl. die einsichtige Argumentation von LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 343. Das LkEv hat die ursprünglichere Form, das MtEv formt das Wort über Ehebruch zu einem Wort über Ehescheidung um. Vgl. ebd. 345ff. PESCH (Mk II, 125) sieht ohne nähere Begründung (»Horizont jüdischen Rechts«) die mt Fassung ohne Unzuchtsklausel als ursprünglich an. Ebenso, allerdings besser begründet, GREEVEN, Ehe, 382f.384. 401 BULTMANN (Geschichte, 25): »Daß Mk durch seine Überleitung V. 10 ein ursprünglich isoliertes Wort V. 11f. [...] angehängt hat, ist klar.« Siehe auch die Redaktionskritik zu V. 10 (s.u.). Vgl. SCHMID, Mk, 187; LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 351. Gegen PESCH, Mk II, 129. 402 Vgl. GNILKA, Mk II, 76; PESCH, Mk II, 119.129 u.a. 403 Vgl. SCHALLER, Ehescheidung, 239ff.243. Die beiden Texte haben ganz verschiedene Stoßrichtungen: Während es in dem Streitgespräch um die Ehescheidung als solche geht, fragen die VV. 11f nach dem durch Wiederheirat begangenen Ehebruch. Die Scheidung ist dort Voraussetzung. Vgl. JACOBSON, Jesus against, 207 (»divorce is, in fact, presumed«); LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 345. Laufen möchte das Wort trotzdem für jesuanisch halten. Eine Differenzierung zwischen Scheidung und Wiederheirat bei der Auslegung anzunehmen, sei nur möglich, wenn man das Logion nicht für jesuanisch halte. Vgl. ebd. 349. Ursprünglich gäbe es aber die Differenzierung nicht, da Wiederheirat nach erfolgter Scheidung selbstverständlich sei (ebd. 350). Die zugrunde liegende Form des kasuistischen Rechtsatzes lassen ihn dann aber doch zweifeln: »Es ist ja auffällig, daß die anderen überlieferten Äußerungen über die Ehe (Mt 5,28; Mk 10,9 par) apodiktisch formuliert sind.« Die Bildung »durch die Gemeinde [ist] nicht grundsätzlich auszuschließen.« (Ebd.) Laufen überlegt nun, ob Jesus hier die Kasuistik der Pharisäer mit der Form des Rechtssatzes ad absurdum führen will, postuliert damit aber implizit die ursprünglichste Einheit des Wortes mit dem Streitgespräch! (Ebd. 351, wenige Zeilen weiter plädiert er dagegen für isolierte Tradierung und auf 357f für redaktionelle Verbindung). Meiner Meinung nach zeigen sich hier deutlich die enormen Schwierigkeiten, das Logion Jesus zuschreiben zu wollen. 404 Vgl. HOFFMANN, Ehescheidung, 327; 330. 405 Vgl. SCHALLER, Ehescheidung, 244; JACOBSON, Jesus against, 207. Vgl. auch LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 358 u.ö. PESCH (Mk II, 125) weist zu Recht darauf hin, dass mit dem Fehlen der Scheidebriefregel im hellenistischen Umfeld Trennung und Scheidung schwer zu unterscheiden sind und darum erst die Wiederheirat die Scheidung eindeutig und unwiderruflich vollzieht. Aber in den VV. 7–9 geht es eben um jegliche Art von Trennung des einen Fleisches

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in der Regel zum Zweck der Wiederverheiratung erfolgt sein«406 wird, erscheint dagegen vielleicht doch etwas oberflächig. Die Frage ist nun, welche Position man als jesuanisch bezeichnen möchte bzw. ob die Gemeinde mit ihren Alltagserfahrungen die jesuanische Position eher aufgeweicht oder eher verschärft hat (vgl. Mt 5,28!).407 Als Argument für den jesuanischen Ursprung von V. 11 könnte die Bezeichnung dieses Spruches als »Herrenwort« bei Paulus herangezogen werden (1Kor 7,10f).408 Allerdings gibt es keine sprachliche Übereinstimmung zu Mk 10: Die Frau wird wider Erwarten vorangestellt und das Wiederheiratsverbot in 1Kor 7,11 ausschließlich der Frau erteilt.409 Hier findet sich eine sekundäre Umbildung und Angleichung an korinthische Verhältnisse bzw. Vorfälle.410 Beim Wiederheiratsverbot handelt es sich in diesem Zusammenhang überhaupt um eine sekundäre Ergänzung durch Paulus.411 Somit besteht das Paulus bekannte Herrenwort nur in der Ablehnung von Scheidungen. Ein Argument für den jesuanischen Ursprung von Mk 10,11 ist hier nicht zu finden.412 Bei dem Logion wird es sich am ehesten um Gemeinde(µ˄Ʀ ƶʾƴƲ). ƙƸƫƪˈƨƱƸµƮ (V. 9) meint eigentlich: zusammen in ein Joch gespannt sein! Insofern ist auch mit dem Hinweis Peschs immer noch keine inhaltliche Harmonisierung möglich. SCHMITHALS (Mk II, 441) überlegt, ob mit der Betonung der Wiederheirat die Möglichkeit der Wiedervereinigung Getrennter offen gehalten wird, kommt dann aber zu dem Urteil, dass damit aufgrund einer eschatologisch motivierten Eheskepsis die Trennung von Tisch und Bett legitimiert wird. Sind in SCHMITHALS’ eschatologischer Eheskepsis die Familienzerwürfnisse aufgrund des christlichen Bekenntnisses mitgedacht, kann ich dieser Position zustimmen (s.u.). 406 GNILKA, Mk II, 74. Vgl. auch LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 350; ERNST, Mk, 290. Ganz schwierig und vom Text her nicht belegbar urteilt SCHWEIZER (Mk, 110), »daß bei Wiederverheiratung die Schuld noch größer wird als bei Scheidung.« Eine qualitative Einordnung von Schuld ist überhaupt nicht im Blick. Wieder wird deutlich, wie schwer der Versuch einer Harmonisierung der VV. 2–9 mit den VV. 11f fällt. 407 Vgl. HOFFMANN, Ehescheidung, 327: »Das Postulat von V. 9 scheint hier [VV. 10ff, TR] aufgrund konkreter Erfahrungen in der Gemeinde modifiziert worden zu sein.« und ebd. 331: »Modifikationen, die gegenüber dem radikalen Postulat anscheinend eine Abschwächung darstellen.« Vgl. auch SCHWEIZER, Mk, 109: »Auch V. 11 schwächt V. 9 ab«. Zumindest muss man mit SCHÜRMANN (Marginalien, 153) sagen: »Aber offensichtlich ist in allen vier Texten [Mk 10,11f; Mt 5,32; 19,9; Lk 16,18, TR] – anders als Mk 10,9! – die ›Entlassung‹ [...] bereits kasuistisch anders beurteilt, wenn ihr keine Wiederheirat folgt.« Auch TRILLING (Ehe, 401) unterteilt in jesuanische radikale Äußerung und deren Interpretamente, welche um Praktizierbarkeit bemüht sind. Nach BEILNER (Ehescheidung, 338) suchen »die einschlägigen neutestamentlichen Texte [...] nach möglichen Kompromissen in Härtefällen«. Vgl. zur Q-Variante auch JACOBSON, Jesus against, 196ff. 408 So implizit KLOSTERMANN, Mk, 99. So auch GRUNDMANN, Mk, 204f. 409 Vgl. SCHRAGE, 1Kor II, 99. 410 Vgl. SCHRAGE, 1Kor II, 100f. 411 So SCHRAGE, 1Kor II, 101. Vgl. auch ebd. Anm. 276. Nach Schrage ist das Vokabular paulinisch. Ebenso HOFFMANN, Ehescheidung, 329; TRILLING, Ehe, 394f. 412 Anders PESCH, Mk II, 130: Paulus habe bereits auf die vormk Sammlung Mk 10 (s.o. 2.2.2) zugreifen können, da er in 1Kor 7,10 Mk 10,1–12 (sic!) voraussetzt. Darum sei diese Sammlung in schriftlicher Form auf die späten 40er Jahre zu datieren.

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bildung bzw. -modifizierung handeln.413 Aufgrund seiner Existenz in Q und im MkEv wird diese Modifizierung bereits früh stattgefunden haben. Das Streitgespräch selbst (VV. 2–9) weist kaum Eingriffe des Redaktors auf.414 Es wirkt insgesamt allerdings sehr künstlich, »wir werden hier mit einer Debatte konfrontiert, die sich mit der schon bekannten Lösung Jesu auseinander setzt.«415 Der Ursprung dieser Debatte ist aufgrund der Schriftargumentation und der Verwendung der LXX im hellenistischen Judenchristentum zu suchen. Darauf verweist auch der Begriff der Hartherzigkeit (ƶƯưƬƴƳƯƦƴƩ˄Ʀ), der eine, v.a. in der deuteronomistischen Theologie anzutreffende, innerjüdische Debatte widerspiegelt, wobei es sich bei dem Begriff selbst um eine Bildung des hellenistischen Judentums (LXX) handeln wird.416 Mit Sicherheit kann man Markus nur den Zusatz ™ƪƮƴʾƫƳƱƷƪƵ ƦʡƷˆƱ in V. 2 zuschreiben.417 Im zweiten Teil spürt man nun deutlicher die Hand des Evangelisten. V. 10 weist mk Eigentümlichkeiten auf. Das Haus ist der typische Ort für Jesus und seine Jünger bzw. Nachfolgerinnen und Nachfolger (1,29; 2,15, 3,20; 5,38; 7,17.24; 9,28), mitunter auch, wie im Text, für deren private Unterredung (7,17; 9,28.33).418 Dabei belastet sich Markus auch nicht mit der Frage, welches Haus »im Gebiet von Judäa, jenseits des Jordans« (V. 1) den Wanderern seine Gastfreundschaft zukommen lässt. Es geht hier vielmehr um eine theologische bzw. ekklesiologische Größe.419 Das Haus wird im Aufbau des Evangeliums der Synagoge gegenüber gestellt, d.h., Jesus vollzieht den Wechsel (1,29) von seiner anfänglichen Wirkungsstätte, der Synagoge (1.21.23.29; 3,1; 6,2), hin zum Haus.420 Dort ist Raum für Lehre 413

Dass ihr ein »Herrenwort« (1Kor 7,10) – in welcher Form auch immer – zugrunde lag, ist möglich. Die Ablehnung der Ehescheidung schwingt in dem Logion mit. Das Einbringen der Wiederheirat dürfte auf hellenistischem Boden erfolgt sein. Vgl. PESCH, Mk II, 125. SCHWEIZER (Mk, 108) denkt, dass hinter 1Kor 7,10 ein Jesuswort steht, »das etwa Mk. 10,5–9 entsprochen haben mag.« Ich schließe mich gern seiner Meinung an. 414 Eine spezielle Auslegung und die jüdischen Hintergründe des Streitgesprächs sind für meine Untersuchung kaum von Belang, sie können in meiner Darstellung unbeachtet bleiben. Die Leserschaft kann sie in nahezu jedem MkEv-Kommentar (z.B. GNILKA, Mk II, 71ff.76ff) nachlesen, sollte zu diesen in ihrer Aussage z.T. sehr ähnlichen Darstellungen aber unbedingt GREEVEN, Ehe, 377–379 hinzuziehen. 415 GNILKA, Mk II, 70. Vgl. BULTMANN, Geschichte, 26; SCHWEIZER, Mk, 109: »Kein Pharisäer hätte so radikal gefragt«. 416 Es geht um den Ungehorsam des Volkes gegenüber Gott. Vgl. die umfangreiche traditionskritische Untersuchung von BERGER, Hartherzigkeit und Gottes Gesetz, ZNW 61, 1–47. Zur Begriffsbildung im hell. Judentum vgl. ebd. 2. 417 Vgl. Mk 1,13; 7,1; 8,11; 12,15. So auch LÜHRMANN, Mk, 169; GRUNDMANN, Mk, 203. Gegen PESCH, Mk II, 119. 418 Vgl. LOHMEYER, Mk, 201. Vgl. meine Redaktionskritik zu Mk 3,20. Vgl. dort DSCHULNIGG, Sprache, 100; OBERLINNER, Überlieferung, 155ff. LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 358f. 419 Vgl. unten Teil 3, 3.5. 420 Vgl. MALBON, ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 285ff. Mehr dazu unten Teil 3, 3.5.

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und Unterweisung. Das Haus erweist sich so als räumliches Zentrum für die mk Gemeinde.421 Auch die gesonderte Jüngerbelehrung ist eindeutig als mk Topos zu erkennen (4,10–34; 7,17–23; 8,27–9,1; 9,28f, 9,31; 9,33–37; 10,23ff.32– 34.42–45; 13,3–37). Typisch für Markus ist ™ʾưƮƱ.422 Der Vers hat zudem keinerlei inhaltliche Bezüge zum Streitgespräch oder dem Wort von der Wiederheirat. Markus fügt also den V. 10 ein, um die VV. 2–9 mit den VV. 11f zu verbinden.423 Vers 11 ist zum großen Teil traditionell. Der Form nach handelt es sich um einen kasuistischen Rechtssatz, der im Sinne einer apodiktischen Aussage gebraucht wird.424 Die Einleitung ƯƦ˃ ưˀƨƪƮ ƦʡƷƳ̝Ƶ wird von Markus stammen. Wie der V. 10 dient sie der Einbettung der Scheidungsklausel in den narrativen Kontext bzw. weist das Logion als gesonderte Jüngerbelehrung aus. Weitaus schwieriger ist die Frage nach dem Zusatz ɩ™̉ ƦʡƷ˂Ʊ zu beantworten. Der Zusatz bezieht sich wahrscheinlich auf die erste Frau.425 Man ist versucht, darin eine mk Verdeutlichung zu erkennen.426 Schaller glaubt aber, hier einen Aramaismus nachweisen zu können.427 Sollte das stimmen, wird man den Zusatz der vormk Tradition zuschreiben. V. 12 ist insgesamt dem Redaktor zuzuschreiben.428 Er hat ihn parallel zum V. 11 gestaltet und das traditionelle Wort den Rechtsverhältnissen im Umfeld der mk Gemeinde und der Stellung der Frau in seiner Gemeinde 421

»[T]he house replaces the synagogue as the architectural setting for teaching; the questioning disciples replace the accusing scribes as listeners (7. 17; 9. 28, 33; 10. 10); the new community has a new ›gathering place‹.« MALBON, ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 285. Vgl. SCHMITHALS, Mk I, 211. Vgl. auch den ans Haus gekoppelten Gegensatz von »innen« und »außen« in Mk 3,20.31f.34 (s.o. 1.2.3). Das Haus erweist sich als Bestandteil mk Ekklesiologie. Vgl. unten Teil 3, 3.5 und 3.6.3. 422 Der einzige redaktionelle Eingriff, welchen PESCH (Mk II, 119) Markus zugesteht. 423 Vgl. LOHMEYER, Mk, 201; SCHWEIZER, Mk, 109 und KERTELGE, Mk, 97. Gegen ERNST, Mk, 289; PESCH, Mk II, 119. 424 Vgl. LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 351. Vgl. ebd. 346f; HOFFMANN, Ehescheidung, 326. SCHÜRMANN (Marginalien, 154f) hebt ebenfalls den rechtlichen Charakter hervor. Dagegen sprechen GNILKA, Mk II, 70; DELLING, Mark. X 11, 271 und SCHALLER, Ehescheidung, 245f gegen die Form eines Rechtsatzes (Vgl. aber ebd., 245: »Die konditionale Formulierung der Texte legt es nahe, die einzelnen Sprüche als kasuistische Rechtsätze zu bezeichnen und in ihnen Äußerungen des sich allmählich entwickelnden christlichen Gemeinderechts zu sehen.«). Das Fehlen einer Strafandrohung spricht aber nicht – wie Schaller meint – gegen die dem Logion zugrunde liegende Form eines Rechtssatzes, sie zeigt nur, dass er zur Paränese modifiziert wurde. Vgl. auch HOFFMANN, Ehescheidung, 326. TRILLING (Ehe, 401f, Anm. 20), der ebenfalls für die gesetzliche Formulierung stimmt (ebd. 400f), bietet einen knappen forschungsgeschichtlichen Überblick über diese Diskussion. 425 So BERGER, Gesetzesauslegung, 559; DELLING, Mark. X 11, 270f u.a. Mitunter wird es auch auf die zweite Frau bezogen: GNILKA Mk II, 74f; LOHMEYER, Mk, 198 (Übersetzung!), 201f. 426 So LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 347. 427 SCHALLER, Ehescheidung, 240ff. Dagegen LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 580, Anm. 35. 428 Darüber ist sich der größte Teil der Exegeten einig. Vgl. etwa GNILKA, Mk II, 75f; BERGER, Gesetzesauslegung, 558. Vgl. auch andere einschlägige MkEv-Kommentare.

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angepasst.429 Die Möglichkeit, dass die Frau den Mann entlässt und einen anderen heiratet, findet sich in den Evangelien nur bei Mk 10,12 (vgl. aber 1Kor 7,10.13). Diese privilegierte Stellung der Frau ist »mit der palästinisch-jüdischen Rechtsauffassung von der Ehe nicht in Einklang zu bringen«, lässt sich hingegen »mit dem griechisch-römischen und jüdischägyptischen Scheidungsrecht vereinbaren«.430 Gerade zu dem ägyptischen Eherecht gibt es Parallelen, welche in der Regel (abgesehen von Berger und Gnilka) überhaupt nicht beachtet werden. Ich möchte dies im Anschluss der Untersuchung dieser Perikope in einem Exkurs verdeutlichen.

2.2.3 Familie in Mk 10,1–12 Mit Blick auf den Kontext des Evangeliums ergibt sich bei der aufgeworfenen Frage (s.o. 2.2.2), ob VV. 2–9 und 11–12 bereits ursprünglich verbunden waren, eine plausible Lösung. Die bereits behandelten Stellen Mk 3,20f.31–35; 10,28–31; 13,12 haben gezeigt, dass Familienzerwürfnisse in der mk Gemeinde so brisant sind, dass sich der Evangelist genötigt sieht, dieses Thema in seinem Evangelium zu bearbeiten. Zu diesen Familienzerwürfnissen kann auch die Entzweiung von Ehepartnern zählen, auch wenn Markus an den genannten Stellen davon explizit nichts verlauten lässt. Jacobson weist darauf hin, dass Ehegatten »implied by the reference to ›house‹ as well as by the presence of children on the list [10,29, TR]« 429 Indirekt ist der Satz an Frauen adressiert! An mehreren Stellen des MkEv findet sich androzentrische Entschränkung. Der Evangelist scheint bei einem egalitären Gemeindeverständnis (s.u.) Männer und Frauen als gleichwertige Gemeindeglieder wahrzunehmen und anzusprechen. 430 GNILKA, Mk II, 75. Vgl. auch Gnilkas Exkurs ab 76. So auch BERGER, Gesetzesauslegung I, 558. Die Auffassung, dass das aktive Scheidungsrecht der Frau in Palästina nicht denkbar ist, teilen nahezu alle Exegeten. Zur Diskussion, ob »in einigen Bereichen des alten Judentums« die Frauen doch ein solches Recht besaßen vgl. BROOTEN, Konnten Frauen im alten Judentum die Scheidung betreiben?, EvTh 42, 65–79 (Zitat: 65); dagegen SCHWEIZER, Scheidungsrecht der jüdischen Frau? Weibliche Jünger Jesu?, ebd. 294–300, speziell: 294–297 und WEDER: Perspektive der Frauen? EvTh 43, 175–178; dann wieder BROOTEN: Zur Debatte über das Scheidungsrecht der jüdischen Frau, EvTh 43, 466–478. Brooten nutzt übrigens Urkunden der äg. Juden für ihre These (Elephantine vgl. EvTh 42, 67f; Kairoer Geniza-Urkunden nach Friedman vgl. EvTh 43, 470), da sie annimmt, dass dieses (äg.) Scheidungsrecht vom Einfluss aramäischen (d.h. semitischen) Rechts geprägt ist. (Vgl: EvTh 43, 471; vgl. auch ebd. 469). Die Entdeckung des Babatha-Archivs in der »Cave of Letters« am Toten Meer belegt für den Anfang des 2. Jh. n.Chr., dass jüdische Frauen wohl auch nach griechischem Eherecht verheiratet sein konnten. Vgl. RIEMER, Babatha-Archiv, 101. Ob man von dieser relativ späten Zeit, zumal nach den Veränderungen des Jüdischen Krieges, Rückschlüsse auf die mk und vormk Zeit ziehen kann, ist zumindest fraglich. Dass für die Frauen der Oberschicht (Herodianer) anscheinend andere Freiheiten galten, muss hier nicht weiter interessieren. Vgl. dazu MAYER-SCHÄRTEL, Frauenbild, 242–248 (auch hier führt der Weg einer vorsichtigen Befürwortung des aktiven Scheidungsrechts über Elephantine).

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sind.431 Der Grund wird hier ebenso wie bei den anderen Zerwürfnissen in dem Bekenntnis eines Familienmitglieds zum Evangelium zu suchen sein (vgl. aber 1Kor 7,15) – einem Anliegen des Evangelisten also (Mk 10,29f). Wie aber ist dieses mit dem apodiktischen Nein Jesu zur Ehescheidung zu vereinbaren? Markus stellt den Versen 2–9 behutsam das umlaufende Wort von der Wiederheirat zur Seite und bringt damit für die mk Gemeinde (vgl. die gesonderte Belehrung im Haus!)432 eine praktikable Lösung des Problems. Die Ehe ist erst mit der Wiederheirat zerstört! Einer Entzweiung der Ehepartner wird so ein gewisser Raum gegeben. Aufgrund der gerade durch die Krise des Krieges verstärkten unmittelbaren Naherwartung433 mag dem Verbot der Wiederheirat keine Bedeutung oder Härte zugekommen sein. Mit der Kennzeichnung als private Jüngerbelehrung bekommt das Logion von der Wiederheirat gegenüber dem Streitgespräch noch ein besonderes (Achter-) Gewicht.434 Hier mag eine besondere pastorale Seite435 von Markus sichtbar werden und das Nein zur Ehescheidung bleibt in der deutlich veränderten zeitgeschichtlichen Situation im Umfeld des Jüdischen Kriegs praktizierbar. Es geht hierbei nicht um eine ethische Entschärfung der radikalen jesuanischen Position (vgl. Mt 5,28) – Markus hat ja die VV. 2–9 übernommen und verweist kurze Zeit später auf das 6. Gebot (V. 19). Eine Scheidung aufgrund

431 JACOBSON, Jesus against, 208. Vgl. Mk 10,28 (!). Auch wenn Paulus anderes über die Ehe des Petrus zu berichten weiß (1Kor 9,5; vgl. Mk 1,30) besteht kein Grund, die Ehe in Mk 10,28 auszusparen. Das der mk Jesus in den folgenden Versen – anders als Lk 14,26; 18,29 und A C ƞ Û beim MkEv – die Frau heraushält, befreit das Logion von androzentrischen Beschränkungen. Wie auch in Mk 10,11f will Markus beide Geschlechter erreichen. Diese Tendenz ist auch an anderen Stellen des MkEv zu spüren. Weitere Möglichkeiten werden schwieriger zu begründen sein. Wenn Markus das Verlassen der Frau wegen 10,2–12 heraushält, wieso verfährt er nicht mit Blick auf das 4. Gebot (7,9–13; 10,19) bei den Eltern ähnlich? Besagte Ehe des Petrus, von der Markus wissen mag, kann hier ebenso keine Rolle spielen: Das Logion 10,29f ist so allgemein formuliert, dass eine Fokussierung auf Petrus nicht möglich ist. 432 Wenn der Jüngerkreis auch nicht direkt die mk Gemeinde verkörpert, sondern eher ihr »Fundament«, gelangt die private Unterweisung doch in die Gemeinde. Die Leserschaft des Evangeliums nimmt an dem privaten Gespräch im Haus teil. 433 Markus kämpft gegen eine solche konkret terminierte Naherwartung an (13,7f.32), was zeigt, dass es eine solche in seiner Gemeinde gegeben hat. Grundsätzlich hält aber auch Markus selbst an der Naherwartung fest (9,1; 13,29f; 14,62 u.ö.). 434 So GNILKA, Mk II, 76. 435 BEILNER (Ehescheidung, 341f) spricht von pastoraler »Anpassung bei und nach gescheiterten Ehen«, zielt damit aber eher auf Scheidungen aufgrund zwischenmenschlicher Probleme, was mir speziell bei Mk 10 als falsch erscheint (s.u.). Es geht auf keinen Fall um eine Legitimation von Scheidungen, sondern um die Begleitung und Zurüstung geschiedener Gemeindeglieder, deren Ehekonflikt auf religiöse Differenzen zurückzuführen ist. Ähnliche Probleme und ähnliche seelsorgerliche Züge sind auch an anderen Stellen des Evangeliums auszumachen (Mk 3,20f.31–35; 10,29f).

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der »Hartherzigkeit«436 ist nicht statthaft und mit dem Verbot der Wiederheirat kann auch die Begierde kein Scheidungsgrund sein (vgl. V. 19). So erklärt sich auch die Unterteilung in öffentliche und gesonderte Belehrung. Für den öffentlichen Diskurs der christlichen Gemeinde mit den Gegnern – nach traditioneller Ansicht der Sitz im Leben eines Streitgesprächs – stellt sich vom mk Standpunkt aus das Problem der durch das Bekenntnis verursachten Familienzerwürfnisse ja gerade nicht. Hier gibt es auch keinerlei legitimen Grund für Trennung oder Scheidung. Bei Paulus lässt sich eine ähnliche Praxis beobachten: Das »Herrenwort« (1Kor 7,10) wird mit Ergänzungen (1Kor 7,11a) und persönlichen Ratschlägen (1Kor 7,12–40) in die spezielle Situation der Gemeinde hineingesprochen. Mit einer deutlichen Modifizierung wird so das Scheidungsverbot in Korinth praktizierbar und – wenn man so will – kontextbezogen angewandt. Auch wenn Markus 1Kor 7 nicht gekannt hat, zeigt sich, wie in den ersten Gemeinden mit dieser Frage umgegangen werden konnte.437 Das mk Ja zur Ehe könnte auch dafür verantwortlich sein, dass der Evangelist das Verlassen der Ehefrau nicht zur Bedingung bzw. Konsequenz von Nachfolge macht (10,29 gegen Lk 18,29; 14,26!), diesen Gedanken nicht einmal nahe legt. Dennoch denke ich, dass er durch die Einfügung des Wiederheiratsverbotes eine solche Möglichkeit bei religiös motivierten Konflikten einrichtet.

2.3 Ergebnis: Familienkonflikte und Familienethik Familienkonflikte und Familienethik Die wesentlich redaktionelle Arbeit des Evangelisten in Mk 10,2–12 besteht, neben dem Zusatz des V. 12, in der direkten Verbindung beider Teile (VV. 2–9 und 11f) durch V. 10 und deren Aufteilung an die Öffentlichkeit (VV. 2–9) und die innere Gemeinde (VV. 11–12). Mit diesem Ergebnis fügt sich Mk 2–12 gut in die Reihe der bisher behandelten Texte (Mk 3,20f.31– 35; 10,29f; 13,12) ein: Markus unterstützt die radikale Ablehnung der Ehescheidung, sieht sich aber durch reale Vorgänge im Umfeld seiner Gemeinde genötigt, diese zu modifizieren und so letztendlich das »Nein« zur Ehescheidung – wie auch seine Gemeindeglieder – aus schwierigen Situationen zu retten. Die Entzweiung von Ehepartnern aufgrund des Bekenntnisses zu Jesus und zum Evangelium (10,29) kann in der mk Gemeinde – in welchem Maß auch immer – legitim sein (10,28). Das Wiederheiratsverbot schafft hierfür einen gewissen Spielraum. 436 Altertümlich aber treffend formuliert HOLTZMANN (Theologie I, 142): »in der sinnlichen Menschennatur begründeten, Schwächen und Härten«. 437 Ähnlich auch SCHALLER, Ehescheidung, 245.

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Die ethische Dimension bleibt aber von dieser Modifikation unberührt (V. 19). Hier hält Markus an der Unlösbarkeit der Ehe radikal fest (V. 9) und erweist sich somit als grundsätzlicher Befürworter der in der Schöpfung ge- und begründeten Institution Ehe als Ordnung Gottes (VV. 6–9). Ähnliches lässt sich auch bei dem zuvor behandelten Text Mk 7,9–13 erkennen. Das 4. Gebot wird deutlich bekräftigt. In 10,19 kann es sogar – wie die Vermeidung des Ehebruches – als eine Bedingung für das »ewige Leben« verstanden werden (vgl. mit 10,17).438 Wenn die Bindungen der Kinder zu ihren Eltern aufgrund menschlicher Schwächen zerbrechen (Mk 7,21f), ist das in den Augen von Markus scharf zu verurteilen. Denn Gottes Wort wird dadurch vom Menschen außer Kraft gesetzt. Ähnliche Vorgänge in der mk Gemeinde hat Markus hier allerdings scheinbar nicht im Blick, sodass ich mich stärker auf Mk 10,2–12 stützen muss, um das Verhältnis Ethik und mk Familienkonflikte zu bestimmen. Für die gesamte Untersuchung wird schließlich deutlich: Die theologische Legitimation der Familienzerwürfnisse durch Markus (3,31–35; 10,29f) ist in einem sehr exklusiven Sinn auf die religiöse Ebene beschränkt. Auf dieser religiösen Ebene wiederum sind (vermutlich und naheliegend) einzig die christlichen Gemeinden im Blick, wie die Untersuchung der Korban-Kritik in Mk 7,9–13 zeigt.439 Es handelt sich also um die »christliche« Ebene: Familienzerwürfnisse aufgrund des Bekenntnisses zu Christus verbunden mit der Christusnachfolge. Darüber hinaus ist kein Grund für eine Trennung von der leiblichen Familie statthaft (Mk 10,9). Somit zeigt sich aber, dass Markus zwar mit Blick auf Ehe und 4. Gebot an der radikalen Familienethik Jesu festhält, diese aber mit einer großen Selbstverständlichkeit dem nachösterlichen christlichen Bekenntnis und der Nachfolge Jesu unterordnet. Es gibt folglich Situationen, welche die ethischen Forderungen ɮƱƪƯƪƱ ʍƬƶƳ̬ ƯƦ˃ ɮƱƪƯƪƱ ƷƳ̬ ƪʡƦƨƨƪư˄ƳƸ (vgl. 10,29) in der mk Gemeinde außer Kraft setzen bzw. modifizieren (10,11f).440 Bleibt die Frage, ob und wie Markus die Diskrepanz zwischen den ethischen Forderungen und der Legitimation der Familienzerwürfnisse empfunden hat. Auf den ersten Blick scheinen sich die Textkomplexe unverbunden und unvermittelt gegenüberzustehen. Einzig in 10,2–12 kann man eine Vermittlung ausmachen (s.o.). Vielleicht ist es deshalb möglich, zu sagen, dass Markus das Problem zumindest im Blick auf die Ehe erkannt und sich um eine Lösung bemüht hat. Diese besteht in der Modifikation 438

So VIA, Ethics, 150. Bei dieser Kritik geht es um ethische Defizite. Die religiöse Dimension (Tempelgabe) wird von Markus nicht verhandelt. Es wäre spekulativ, darüber zu urteilen, wie Markus dazu steht. Vgl. Mk 12,41ff. 440 Für andere Erklärungs- oder Harmonisierungsversuche – die m.E. aber allesamt nicht überzeugen – vgl. VIA, Ethics, 150f. 439

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(damit zugleich Bewahrung) der ethischen Forderung. Ich möchte diese Art Klippenwanderung als pastorale und theologische Leistung würdigen. Andererseits zeigen die Ergebnisse der Untersuchung, dass bereits die Existenz jener familienethischen Texte die Legitimation von Familientrennungen vor jeglicher Art von Beliebigkeit schützen. Die – auf den ersten Blick – einander unvermittelt gegenüber stehenden Positionen interpretieren sich also gegenseitig. Bei Abwesenheit familienethischer Texte im Evangelium könnte leicht der Missbrauch der Legitimation zur Trennung von den Blutsverwandten ™ƴ˅Ƶ ƷˁƱ ƶƯưƬƴƳƯƦƴƩ˄ƦƱ (Mk 10,5) provoziert werden. Mit Blick auf alle diese Ergebnisse fällt auf: Markus beschäftigt sich bei weitem intensiver mit Familienzerwürfnissen als mit familienethischen Fragen. Hier ist seine redaktionelle Hand in einem viel größerem Maße spürbar, als bei den ethischen Texten. Ungeachtet der einzelnen redaktionskritischen Entscheidungen ist diese Tendenz deutlich spürbar. Die Modifikationen in Mk 10,2–12 geschehen m.E. auch mit Blick auf jene Zerwürfnisse. Sein Interesse, das der Situation in der Gemeinde geschuldet sein wird, lässt sich somit deutlich erkennen. Die ethischen Aspekte sind ihm bereits vorgegeben. Er bejaht sie als selbstverständlich und übernimmt sie in sein Evangelium. Sein eigentliches Interesse, d.h. sein theologisches Wirken und Ringen, findet sich aber an anderer Stelle.

2.4 Exkurs: Mk 10,11f und das ägyptische Scheidungsrecht Exkurs: Mk 10,11f und das ägyptische Scheidungsrecht Im größten Teil der exegetischen Literatur wird Mk 10,12 als Angleichung an römisches, mitunter auch römisch-griechisches Recht gesehen. Die möglichen Parallelen zum ägyptischen Recht finden hingegen, außer bei Berger und Gnilka (s.o. Anm. 430), keinerlei Beachtung. Dabei können diese Parallelen den möglichen Hintergrund von Mk 10,11f illustrieren und damit das Verständnis erhellen. Ich werde dies im folgenden Exkurs darlegen.441 Bei dem aktiven Scheiderecht der Frau und dem bei Berger und Gnilka beschriebenen Sachverhalt findet man auf den ersten Blick kein Argument, das ausdrücklich auf Ägypten verweist, da ähnliche Aussagen auch in anderen Teilen des Römischen Reiches außerhalb Palästinas möglich gewesen sein können. Allerdings verweisen Berger und Gnilka auf deutliche Parallelen zu vier Papyri von der ägyptischen Insel Elephantine.442 Berger zieht noch weitere Parallelen heran: Im Hintergrund von Mk 10,11f steht »die 441

Dieser Exkurs findet sich leicht erweitert auch in: REIPRICH, Ägypten, 156–160. Vgl. BAMMEL, Markus 10 11f, 95–101: 96f. Vgl. dazu auch GNILKA, Mk II, 75, Anm 34; BERGER, Gesetzesauslegung, 558. 442

Exkurs: Mk 10,11f und das ägyptische Scheidungsrecht

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Ausdehnung der Treuepflicht auf den Mann, der Charakter der Ehescheidung als Vertragsübertretung und die weitere Auslegung des 6. Gebotes im Allgemeinen.«443 Dieser Hintergrund besteht auch bei Philo von Alexandria, PsSal und »im ältesten griech. Ehevertrag Pap Elephantine 1« und verweist darauf, dass Ehescheidung in »der gräko-ägyptischen hellenistischen Zeit« scheinbar in Verruf geriet. »Bei Philo wie im MkEv ist Ehebruch auch bei legaler Scheidung gegeben und besteht in der Verletzung der Treuepflicht gegenüber der Frau«. Somit steht Mk 10,11f hier in einer (Auslegungs-) Tradition, die, obwohl in anderen Gebieten denkbar, im ägyptischem Raum verstärkt sichtbar wird. Auch in alten demotischen Eheverträgen444 bzw. in der darin enthaltenen Scheidungsklausel gibt es deutliche Parallelen zu Mk 10,11f. Die Wiederheirat ist in den Urkunden nahezu immer im Blick, ja mit der Lösung der Ehe direkt verbunden. Der Unterschied zwischen den Urkunden und Mk 10,11f ist eher gering.445 So steht in vielen der von Lüddeckens untersuchten Verträge als Formel für eine Scheidung, d.h. für die damit verbundenen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen: »Entlasse ich dich als Ehefrau und hasse ich dich und mache mir eine andere Frau zur Ehefrau als dich, [dann ...]«446 oder in matrilokaler Form: »Entlasse ich dich als Ehemann und hasse ich dich und liebe ich einen anderen als dich«.447 Die Möglichkeit der Eheauflösung durch die Frau findet sich in nahezu allen Urkun443

Dieses und die folgenden Zitate: BERGER, Gesetzesauslegung, 560. Der Zeitraum der von Lüddeckens untersuchten Schriften umfasst mehrere Jahrhunderte, die Mehrheit stammen aus dem 3.–1. Jh. v.Chr. Vgl. LÜDDECKENS, Eheverträge, 367ff. Geografisch stammen die Urkunden aus verschiedenen Gebieten (Theben, Edfu, Elephantine, Gebelen u.a.). Es handelt sich nicht um rein lokale oder zeitlich eng begrenzte Rechtsbräuche. 445 Er besteht v.a. in der Einbeziehung des 6. Gebotes und dem formalen Unterschied zwischen einem rein juristischen und einem ethischen, der Form nach einem juristischen aber sehr nahe stehenden, Urteil. Vgl. Anm. 424. Während für die Ägypter die Wiederheirat juristisch gesehen zur Scheidung zu zählen scheint bzw. diese mit der Wiederheirat ihren Abschluss findet, begegnet in Mk 10,11f eine ethisch-religiöse Bewertung der Wiederheirat als »Ehebruch«. Bei beiden ist die Ehe mit der Kombination von Scheidung und Wiederheirat zerstört. Man darf also den ursprünglichen Sitz im Leben durchaus auch in einem ähnlichen Bereich vermuten. Vgl. LAUFEN, Doppelüberlieferungen, 346f. Vgl. auch HOFFMANN, Ehescheidung, 326: »Jesus benutzt [...] zwar die Gesetzessprache, ›verfremdet‹ sie aber, um die gesetzliche Ebene zu durchstoßen und die Wirklichkeit [...] aufzudecken«. Sowohl bei den äg. Urkunden als auch bei Markus wird der Sachverhalt in Konditionalsätzen ausgedrückt. Vgl. LÜDDECKENS, Eheverträge, 269. Das bei BILLERBECK (Mt, 311) abgedruckte palästinische Scheideformular weist dagegen formal große Unterschiede zu Mk 10 auf. 446 iw=j xAa=t n Hm.t mtw=j mst.v=t mtw=j ir n=j k.t s.Hm.t n Hm.t r.Hr=t Urkunde 8, LÜDDECKENS, Eheverträge, 20f; so oder ähnlich in Urkunde 1, 2, 10, 13, 14, 16, 18–20, 22–29, 32, 35, 36, 38. Mitunter ist die Wiederheirat auch umschrieben: »ziehe ich eine andere Frau als dich vor« (z.B. Urkunde 14) oder »ziehe ich eine andere Frau (zur) Ehefrau als dich vor« (z.B. Urkunde 16). Lüddeckens setzt »vorziehen« mit »heiraten« gleich. Vgl. ebd. 271. 447 iw=j xAa=k n hj mtw=j mst=k mtw=j mr k.t X.t r.r=k Urkunde 9 (LÜDDECKENS, Eheverträge, 22f); ähnlich Urkunde 7. 444

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den. Während der Vorgang des Scheidungsaktes durch den männlichen Partner mit xAa (entlassen) beschrieben wird,448 findet sich für die von der Frau initiierte Scheidung zumeist Sm (gehen). Dahinter steht das differenzierte Verhältnis von Mann und Frau zur gemeinsamen Wohnstätte.449 Da die Wohnung zumeist dem Mann gehört, »entlässt« er die Frau aus seinem Haus bzw. die Frau »geht« aus seinem Haus. In Urk. 7 und 9 wohnen die Eheleute wohl im Haus der Frau – daher »entlässt« hier die Ehefrau den Mann. Somit ist die Terminologie nicht grundsätzlich auf die Geschlechter festgelegt und es gibt eine direkte450 begriffliche Entsprechung zu ə™ƳưˈƼ (Mk 10,11f).451 Urk. 8 zeigt eine solche sogar für Mk 10,11 und 12 – sowohl der Mann als auch die Frau kann den Partner »entlassen«. Somit zeigen sich verschiedene Parallelen zwischen Mk 10,11f und dem ägyptischen Eherecht bzw. dem Alexandriner Philo: die Möglichkeit der Ehescheidung durch die Frau, die Ausdehnung der Treuepflicht auf den 448 Vgl. LÜDDECKENS, Eheverträge, 21. Weitere Übersetzungsmöglichkeiten für xAa: »lassen, verlassen, freilassen, aufgeben, werfen, legen«. Vgl. ERMANN/GRAPOW, Wörterbuch III, 227f. Vgl. auch ERICHSEN, Demotisches Glossar, 345. Erichsen übersetzt xAa n Hm.t mit »Ehefrau verstoßen«, im Blick auf die Grundbedeutung von xAa mit »lassen/verlassen/freilassen« ist aber Lüddeckens Übersetzung vorzuziehen. Mit Blick auf die gemeinsame Wohnstätte, welche in der Regel dem Mann gehörte (s.u.), passt »entlassen« besser als »verlassen«. (So allerdings ERMANN/GRAPOW, Wörterbuch III, 227). 449 So LÜDDECKENS, Eheverträge, 272. 450 ERMANN/GRAPOW (Wörterbuch III, 227) geben für xAa als koptisches Äquivalent kv (k½), mit Suffix: kaa_ (kaa) an. FÖRSTER (Wörterbuch, 85) gibt als Äquivalent für ə™ƳưˈƼ kaa_ ebol (kaa evol) an. Nach TILL (Grammatik, 323) bedeutet kv/kaa_ legen, setzen, lassen, mit dem Zusatz kaa_ ebol freilassen, hinterlegen, ablegen. 451 Man ist bei der Bildung des Logions Mk 10,11f vermutlich auf den Begriff ə™ƳưˈƼ festgelegt. Bereits in dem Streitgespräch über die Ehe Mk 10,2–9 wird die Begrifflichkeit für Scheidung von Dtn 24,1LXX verändert. In Dtn 24,1LXX »schickt« der Mann seine Frau »fort« (ɩƲƦ™ƳƶƷƪưƪ̝ ƦʡƷˁƱ ɩƯ Ʒ̏Ƶ ƳʅƯ˄ƦƵ ƦʡƷƳ̬). Mk 10,4 bezieht sich direkt auf Dtn 24,1LXX – allerdings »entlässt« (ə™Ƴư̬ƶƦƮ) bei Markus der Mann sein Frau. Überhaupt finden sich im hebräischen Sprachraum für den Sachverhalt verschiedene Begriffe. Dtn 24,1ff benutzt xlv, was LXX mit ɩƲƦ™ƳƶƷˀưưƼ wiedergibt. Deutero- und Tritojesaja kennen bz[ – »verlassen, entlassen« (vgl. Jes 54,6; 60,15; 62,4), LXX nutzt für die Übersetzung hier ƯƦƷƦưƪ˄™Ƽ – für Markus ein für die Ehe eher förderliches Verb (Mk 10,7). Weiterhin findet sich acy im Hiphil – »herausführen/wegschicken« (Esra 10,3.19; Jev 14,1a–c). LXX übersetzt acy in Esra 10,3 mit ɩƯƧʾưưƼ und in Esra 10,19 mit ɩƯƹˀƴƼ. Häufig wird auch vrg – »vertreiben, verstoßen« gebraucht (Lev 21,7.14; 22,13; Num 30,10; Ez 44,22; Jev 14,1c). Vgl. auch BILLERBECK, Mk, 23f: Hier wird vrg in Jev 14,1 mit »entlassen« übersetzt, was mit Blick auf die Grundbedeutung »vertreiben/schleppen/ziehen/verstoßen« etwas abgeschwächt wiedergegeben zu sein scheint. Man darf fragen, ob BILLERBECK sich hier nicht vom untersuchten griechischen Vokabular (Mk 10,11f) beeinflusst zeigen. Eine direkte begriffliche Übereinstimmung zu ə™ƳưˈƼ (Mk 10) ist im jüdischen Raum scheinbar ausgesprochen selten, sie findet sich nur in 1Esra 9,36. Im Neuen Testament nutzt Paulus bei der bereits erwähnten Parallele zum Scheidungsrecht der Frau in 1Kor 7,10.13 ƺƼƴ˄ƫƼ und əƹ˄ƬµƮ. Mt 19,7– 9 ist von Mk 10,4f abhängig und hier somit nicht relevant. Die Parallelen zu Mk 10,11 nutzen dann allerdings ə™ƳưˈƼ (s.u.), sodass dieses Verb prinzipiell bei den Synoptikern der terminus technicus für Scheidung zu sein scheint (vgl. Mt 1,19). Vgl. LÜHRMANN, Mk, 212f; FITZMYER, Divorce Texts, 211ff.

Exkurs: Mk 10,11f und das ägyptische Scheidungsrecht

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Mann und die Übertretung des 6. Gebotes bei legaler Scheidung, die enge Verbindung zwischen Ehescheidung und Wiederheirat und die gleiche Begrifflichkeit für die Scheidung durch den Mann, in einem Fall sogar durch beide Partner. Diese begriffliche Parallele findet sich vermutlich auch schon in vorsynoptischer Tradition, sie steht zumindest Q, JOSEPHUS (Ant IV 259) und einzelnen palästinischen Urkunden zu Beginn des 2. Jh. n.Chr.452 zur Verfügung. Es stellt sich nun die Frage, ob diese Parallelen bzw. die beschriebene Kombination auch in anderen Gebieten des römischen Reiches denkbar sind. Wie bereits erwähnt ist das bei der ersten Parallele, der Ehescheidung durch die Frau, durchaus der Fall. Palästina scheidet hierbei allerdings aus. Interessant ist der Hinweis Gnilkas, dass in »der griechischen Kolonie Thurii am Tarentischen Meerbusen [...] die Frau einmal das Recht [hatte, TR] ə™ƳưˈƪƮƱ Ʒ˅Ʊ ɝƱƩƴƦ und mit einem anderen zusammenzuwohnen«,453 das allerdings nur »anfangs« im 6.–5. Jh. v.Chr.454 Darüber hinaus kommt das attische Recht aufgrund der Begrifflichkeit kaum in Betracht: Hier schickt der Mann die Frau weg (ə™Ƴ™ˀµ™ƪƮƱ) oder die Frau verlässt ihn (ə™Ƴưƪ˄™ƪƮƱ).455 Greeven ist der Meinung, dass das ə™ƳưˈƼ in Mk 10,12 in einer allgemeineren Bedeutung (»aufgeben«/»sich trennen«) wiederzugeben ist, da »in der alten Welt nichts bekannt [ist, TR], was auf Seiten der Frau der einseitigen Scheidungsgewalt des jüdischen Mannes vergleichbar wäre.«456 Mit dem Verweis auf die beschriebenen demotischen Urkunden erübrigt sich dieser Einwand. In Rom fehlt bei der Scheidung die Verbindung mit einer Wiederheirat. Auch wenn »den Römern oder bestimmten Kreisen unter ihnen eine zweite Ehe [einer verwitweten, TR] Frau als unschicklich galt,«457 sollten geschiedene Frauen sich nach dem Willen des römischen Gesetzes »möglichst bald und unter Wahrung festgelegter Fristen wieder verheiraten.«458 Hier kommt die Wiederheirat also in einer zum MkEv und Ägypten gegenläufigen Richtung zum Zuge. Sie gehört auf keinen Fall direkt zur Scheidung.

452

Vgl. FITZMYER, Divorce Texts, 212f. GNILKA, Mk II, 77 (Kursiv: TR). 454 Vgl. GREEVEN, Ehe, 384, Anm. 1. Bei der zitierten Stelle von Diodorus Siculus »steht in unmittelbarem Zusammenhang in gleicher Bedeutung ƯƦƷƦưƪ˄™Ƽ«. Ebd. 455 Vgl. GNILKA, Mk II, 77. 456 GREEVEN, Ehe, 384. 457 GNILKA, Mk II, 78. 458 GNILKA, Mk II, 78. 453

3. Familie in eschatologischer Perspektive Familie in eschatologischer Perspektive Leviratsehe und Auferstehung

3.1 Leviratsehe und Auferstehung (12,18–27) Für meine Untersuchung kann in dieser Perikope die Erzählung der siebenfachen Witwe (VV. 20–23) und v.a. die darauf bezogene Antwort Jesu (VV. 24f) interessant sein. Der Schwerpunkt der Perikope – die Auferstehung – soll dabei nur in seiner Beziehung zur Erzählung beachtet werden.459 ƐƦ˃ ɭƴƺƳƱƷƦƮ ƙƦƩƩƳƸƯƦ̝ƳƮ ™ƴ˅Ƶ ƦʡƷˆƱ, ƳʊƷƮƱƪƵ ưˀƨƳƸƶƮƱ əƱʾƶƷƦƶƮƱ µˁ ƪʋƱƦƮ, ƯƦ˃ ɩ™ƬƴˊƷƼƱ ƦʡƷ˅Ʊ ưˀƨƳƱƷƪƵ, ƩƮƩʾƶƯƦưƪ, ƒƼƾƶ̏Ƶ ɭƨƴƦƻƪƱ ɶµ̝Ʊ ʚƷƮ ɩʾƱ ƷƮƱƳƵ əƩƪưƹ˅Ƶ ə™ƳƭʾƱ̍ ƯƦ˃ ƯƦƷƦư˄™̍ ƨƸƱƦ̝ƯƦ ƯƦ˃ µˁ əƹ̐ ƷˀƯƱƳƱ, ʊƱƦ ưʾƧ̍ ʖ əƩƪưƹ˅Ƶ ƦʡƷƳ̬ ƷˁƱ ƨƸƱƦ̝ƯƦ ƯƦ˃ ɩƲƦƱƦƶƷ˂ƶ̍ ƶ™ˀƴµƦ Ʒ̺ əƩƪưƹ̺ ƦʡƷƳ̬ ɪ™Ʒʽ əƩƪưƹƳ˃ ɻƶƦƱž ƯƦ˃ ʖ ™ƴ̹ƷƳƵ ɭưƦƧƪƱ ƨƸƱƦ̝ƯƦ ƯƦ˃ ə™ƳƭƱ̎ƶƯƼƱ ƳʡƯ əƹ̏ƯƪƱ ƶ™ˀƴµƦž ƯƦ˃ ʖ ƩƪˈƷƪƴƳƵ ɭưƦƧƪƱ ƦʡƷ˂Ʊ ƯƦ˃ ə™ˀƭƦƱƪƱ µˁ ƯƦƷƦưƮ™ˉƱ ƶ™ˀƴµƦž ƯƦ˃ ʖ Ʒƴ˄ƷƳƵ ʮƶƦˈƷƼƵž ƯƦ˃ Ƴʆ ɪ™Ʒʽ ƳʡƯ əƹ̏ƯƦƱ ƶ™ˀƴµƦ. ɭƶƺƦƷƳƱ ™ʾƱƷƼƱ ƯƦ˃ ɶ ƨƸƱˁ ə™ˀƭƦƱƪƱ. ɩƱ Ʒ̐ əƱƦƶƷʾƶƪƮ [ʚƷƦƱ əƱƦƶƷ̹ƶƮƱ] Ʒ˄ƱƳƵ ƦʡƷ̹Ʊ ɭƶƷƦƮ ƨƸƱ˂ź Ƴʆ ƨʽƴ ɪ™Ʒʽ ɭƶƺƳƱ ƦʡƷˁƱ ƨƸƱƦ̝ƯƦ. ɭƹƬ ƦʡƷƳ̝Ƶ ʖ ʍƬƶƳ̬Ƶ, Ƴʡ ƩƮʽ ƷƳ̬ƷƳ ™ưƦƱ̀ƶƭƪ µˁ ƪʅƩˆƷƪƵ ƷʽƵ ƨƴƦƹʽƵ µƬƩʿ ƷˁƱ ƩˈƱƦµƮƱ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ź ʚƷƦƱ ƨʽƴ ɩƯ ƱƪƯƴ̹Ʊ əƱƦƶƷ̹ƶƮƱ ƳʥƷƪ ƨƦµƳ̬ƶƮƱ ƳʥƷƪ ƨƦµ˄ƫƳƱƷƦƮ, əưử ƪʅƶ˃Ʊ ʮƵ ɝƨƨƪưƳƮ ɩƱ ƷƳ̝Ƶ ƳʡƴƦƱƳ̝Ƶ. ™ƪƴ˃ Ʃʿ Ʒ̹Ʊ ƱƪƯƴ̹Ʊ ʚƷƮ ɩƨƪ˄ƴƳƱƷƦƮ ƳʡƯ əƱˀƨƱƼƷƪ ɩƱ Ʒ̐ Ƨ˄Ƨư̷ ƒƼƾƶˀƼƵ ɩ™˃ ƷƳ̬ ƧʾƷƳƸ ™̹Ƶ ƪʋ™ƪƱ ƦʡƷ̺ ʖ ƭƪ˅Ƶ ưˀƨƼƱ, ƪƨˉ ʖ ƭƪ˅Ƶ ɡƧƴƦʽµ ƯƦ˃ [ʖ] ƭƪ˅Ƶ ʍƶƦʽƯ ƯƦ˃ [ʖ] ƭƪ˅Ƶ ʍƦƯˊƧź ƳʡƯ ɭƶƷƮƱ ƭƪ˅Ƶ ƱƪƯƴ̹Ʊ əưưʽ ƫˊƱƷƼƱž ™Ƴưˇ ™ưƦƱ̀ƶƭƪƫ.

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22 23 24

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27 459

Zur gesamten Perikope vgl. etwa O. SCHWANKL, Die Sadduzäerfrage.

Leviratsehe und Auferstehung

113

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Und es kamen Sadduzäer zu ihm, welche sagen, dass es keine Auferstehung gibt, und sie fragten ihn und sprachen: 19Lehrer, Moses hat uns geschrieben: Wenn jemandes Bruder verstirbt und hinterlässt eine Frau und er hinterlässt kein Kind, so soll der Bruder dessen Frau [zur Ehefrau] nehmen und ihm Nachkommenschaft erzeugen. 20 Es waren sieben Brüder und der Erste nahm sich eine Frau und als er starb hinterließ er keine Nachkommenschaft. 21Und der Zweite nahm sie und er starb, ohne Nachkommenschaft zu hinterlassen. Und der Dritte ebenso. 22und alle Sieben hinterließen keine Nachkommenschaft. Zuletzt nach allen starb auch die Frau. 23In der Auferstehung, [wenn sie auferstehen], wessen Frau wird sie von allen sein? Denn die Sieben hatten sie zur Frau. 24Jesus sprach zu ihnen: Irrt ihr nicht deswegen, weil ihr weder die Schrift noch die Kraft Gottes kennt? 25Denn wenn sie von den Toten auferstehen, heiraten sie weder, noch lassen sie sich heiraten, sondern sie sind wie die Engel im Himmel. 26Aber über die Toten, dass sie auferstehen – habt ihr nicht gelesen im Buch Moses beim Dornbusch, wo zu ihm Gott sprach und sagte: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? 27Und er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden. Ihr irrt sehr.

3.1.1 Kontext und Struktur Jesus befindet sich in Jerusalem. Dass gerade hier die Sadduzäer – Vertreter der Tempelaristokratie – auftreten, ist, wenn auch dem Thema Auferstehung geschuldet, sachlich korrekt. In Jerusalem zeigt sich die Gegnerschaft Jesu überhaupt in einem anderen und historisch wohl zutreffenderen Licht. Die typischen Gegner der galiläischen Zeit treten in den Hintergrund, werden teilweise sogar positiv dargestellt (12,28–34; 15,43). Dafür erweisen sich die Vertreter der Tempelaristokratie als die eigentlichen Kontrahenten Jesu. Mit der Zusammenstellung des Streitgesprächs und der vorhergehenden Perikope stehen hier die Pharisäer (und Herodianer) allerdings in einer Linie mit den Sadduzäern.460 Die Perikope ist in den größeren Komplex der »Jerusalemer Streitgespräche« eingebunden. Wie auch bei den besprochenen familienethischen Texten handelt es sich hier um ein Streitgespräch.461 Mit einer pfiffigen Argumentation und einer gewissen Ironie462 soll die Lehre Jesu von der Auferstehung der Toten ad absurdum geführt werden. Strukturell gliedert sich der Abschnitt in die durch Paraphrasierung des mosaischen Gebots und dessen Konkretisierung mittels eines konstruierten Falls gründlich vorbereitete Frage der Sadduzäer und eine deutlich (V. 26a) zweigeteilte Antwort Jesu. Zum einen antwortet er auf die konkrete Frage 460 Vgl. z.B. KLOSTERMANN, Mk, 125: »nach den Pharisäern versuchen sich auch die Sadduzäer«. Interessant ist die parallele Anrede mit »Lehrer« VV. 14.19. 461 So auch GNILKA, Mk II, 157. 462 PESCH (Mk II, 229) spricht von einer »Spottfrage«.

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Familie in eschatologischer Perspektive

der Sadduzäer,463 zum anderen auf ihre dahinter verborgene Intention.464 Beide Teile der Antwort sind formal sehr verschieden: In V. 25 steht eine schlichte Aussage, in den VV. 26f findet sich eine Schriftargumentation. Die gesamte Antwort wird durch den Vorwurf des Irrtums gerahmt. Innerhalb des konstruierten Falls finden sich gehäuft Verbformen des »Hinterlassens«/»Zurücklassens« etc. – diese beziehen sich zum einen auf die am Ende siebenfache Witwe, zum anderen auf die Nachkommenschaft. Im gesamten Abschnitt findet sich fünfmal ein Form von əƱʾƶƷƦƶƮƵ bzw. əƱ˄ƶƷƬµƮ,465 zusätzlich ɩƨƪ˄ƴƼ. Das verweist bereits auf das eigentliche Thema der Perikope – die Auferstehung. Der konstruierte Fall bezieht sich auf das Leviratsehegebot in Dtn 25,5ff (vgl. zu V. 19 auch Gen 38,8LXX: ƯƦ˃ əƱʾƶƷƬƶƳƱ ƶ™ˀƴµƦ Ʒ̺ əƩƪưƹ̺ ƶƳƸ). Die wortwörtliche Befolgung des mosaischen Gebotes ist für die Argumentation der Sadduzäer wesentlich. Auch ist das Beispiel als Argument gegen den Auferstehungsglauben plausibel, da der Wunsch nach Erhaltung des Geschlechts durch Nachkommenschaft »gerade aus einer diesseitig gestimmten Religion kam«.466 Dabei gibt es aber prägnante Unterschiede: Der Zweck der Leviratsehe wird ausgelassen, das Augenmerk richtet sich ganz auf die Frau (statt auf den ersten Mann), und statt von einem Sohn, wird ganz allgemein von den Nachkommen467 gesprochen. Der V. 26 bezieht sich selbstverständlich auf Ex 3,2ff. In 1Hen 15,6f findet sich die Vorstellung der Ehelosigkeit der Engel – die Argumentation Jesu steht damit der Apokalyptik nahe.468 Obwohl es keinen direkten Bezug dieser 463 Allerdings kann diese Antwort die Sadduzäer keineswegs befriedigen, da sie die Existenz von Engeln und die von Jesus ins Feld geführte Autorität der »Schriften« ablehnen. Auch besteht eine Diskrepanz zwischen Frage und Antwort: Im geschilderten Fall kann es nicht um eine erst eschatologische Heirat gehen, diese ist bei allen sieben Männern bereits irdisch vollzogen. 464 SCHWEIZER (Mk, 135) unterteilt in »die pharisäische Frage, wie die Auferstehung im einzelnen zu denken sei (V. 25), und die sadduzäische, ob es überhaupt eine Auferstehung gebe (V. 26f).« M.E. löst V. 25 aber zuerst einmal die konkrete sadduzäische Frage. Ob im Hintergrund pharisäische Diskussionsmuster stehen (vgl. ebd.) und die sadduzäische Argumentation (V. 23a) eine gewisse Selbstverständlichkeit der Auferstehung voraussetzt, ist ungewiss. (vgl. ebd.; anders GNILKA, Mk II, 158, der wohl zu Recht auf den skeptischen Unterton in 23a verweist. Anders auch PESCH, Mk II, 229.232.) Die Leserin bzw. der Leser ist bereits durch V. 18b auf das eigentliche Thema vorbereitet. Vgl. LÜHRMANN, Mk, 204. 465 In V. 19 trägt es eine andere Bedeutung. PESCH (Mk II, 231) überlegt, ob das »Stichwort ›erwecken‹ in Gen 38,8 [...] die Fragesteller bewogen haben [könnte], die Vorschrift zur Leviratsehe in einer Auferstehungsdiskussion heranzuziehen.« Das klingt weit hergeholt, nimmt aber den Umstand in Blick, dass die Leviratsehe auf den Fortbestand des Geschlechts zielt (vgl. ebd. Anm. 4). Somit ist sie von ihrer Funktion her für eine diesseitig ausgerichtete Religion der Auferstehungshoffnung nicht unähnlich. 466 HAUCK, Mk, 146. 467 Die Verallgemeinerung vom »Sohn« zur »Nachkommenschaft« nimmt bereits die LXX vor. 468 Vgl. auch 1Hen 51,4; 104,6; 3Bar 51,10. Weiteres bei BILLERBECK, Mt, 891. Die apokalyptische Vorstellung der Geschlechtslosigkeit der Engel steht im Widerspruch zu Gen 6,1–6.

Leviratsehe und Auferstehung

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Leugnung und Verteidigung der Auferstehung zur Auferstehung Jesu gibt, schwingt diese für die Leserschaft des MkEv vermutlich mit. Interessanterweise existiert das Motiv einer siebenfachen Witwe ohne Nachwuchs in Tob 3,8; 6,15, in einem Buch also, in dem in ähnlicher Weise die über-irdische bzw. in gewisser Weise entsinnlichte Existenz der Engel betont wird (12,19).

3.1.2 Redaktionskritik Markus hält sich in der Perikope mit redaktionellen Eingriffen zurück. Die Erklärung ƳʊƷƮƱƪƵ ưˀƨƳƸƶƮƱ əƱʾƶƷƦƶƮƱ µˁ ƪʋƱƦƮ in V. 18 dürfte er seiner Leserschaft gegeben haben.469 Auch das sperrig wirkende Anhängsel an V. 23 Ƴʆ ƨʽƴ ɪ™Ʒʽ ɭƶƺƳƱ ƦʡƷˁƱ ƨƸƱƦ̝ƯƦ stammt wohl von Markus.470 Die Frage, auf die alles hinausläuft und die mit der Bemerkung begründet werden soll, ist bereits gestellt – eine explizite Benennung der siebenmaligen Ehe war ursprünglich sicher unnötig. Die Wiederholung des Vorwurfs der Irrung in V. 27 könnte von Markus eingebracht worden sein. Der sekundäre Anhang der VV. 26f (inkl. dem davon abhängigen ƷʽƵ ƨƴƦƹʽƵ in V. 24) kann bereits Markus vorgelegen haben.471

3.1.3 Familie in Mk 12,25 Es ist deutlich erkennbar, dass das eigentliche Thema der Perikope – und damit das Interesse des Markus – die Frage nach der Auferstehung ist. Zum Themenfeld »Familie« wird sie somit nicht viel beitragen können. Vielleicht lässt sich dennoch einiges dazu sagen. Markus thematisiert die Frage nach der Familie im Jenseits nicht. Er geht mit der in V. 25 geschilderten Vorstellung ganz selbstverständlich um. Sie gehört also zu seinem und seiner Leserschaft Denkhorizont.

Vgl. LÜHRMANN, Mk, 204. Vgl. auch GNILKA, Mk II, 159; SCHWEIZER, Mk, 135. Schweizer (ebd.) denkt, dass es sich ursprünglich um ein Gespräch zwischen pharisäischen und apokalyptischen Juden – auf deren Seite sich die christliche Gemeinde stellt – handelt. 469 So auch GNILKA, Mk II, 156; LÜHRMANN, Mk, 203. Anders PESCH, Mk II, 229. Die Erklärung jüdischer Interna finden sich im gesamten Evangelium und gehen insgesamt wohl auf den Redaktor zurück. Die erläuterte Ablehnung des Auferstehungsglaubens ist wohl ein prägnantes Merkmal der Sadduzäer, vgl. JOSEPHUS, Ant XVIII 16f. Da die Sadduzäer nur den Pentateuch als Autorität anerkennen, ist für sie die Auferstehung nicht schriftgemäß. Vgl. GNILKA, Mk II, 157; LÜHRMANN, Mk, 203. Vgl. aber HAUCK, Mk, 145f. 470 Vgl. GNILKA, Mk II, 156; LÜHRMANN, Mk, 203. Anders PESCH, Mk II, 229. 471 So GNILKA, Mk II, 156.

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Familie in eschatologischer Perspektive

Markus übernimmt mit V. 25 ein Wort, welches durchaus auf Jesus selbst zurückgehen kann.472 Dieses Wort steht in apokalyptischer Tradition und lehnt die Vorstellung einer einfachen Weiterführung der irdischen Existenz nach der Auferstehung ab. Stattdessen betont es die Andersartigkeit der eschatologischen Existenz. Dazu gehört auch die Auflösung der familiären Strukturen.473 Diese Auflösung ist bedingt durch die Vorstellung einer grundsätzlichen Aufhebung der Unterschiede von Mann und Frau im Eschaton.474 Eine Vorstellung der Auflösung familiärer Strukturen aber kann auf das Verständnis der irdischen familiären Bindungen einwirken, besonders wenn das Eschaton als unmittelbar bevorstehend erwartet wird und die familiären Bindungen ein reales Konfliktpotenzial darstellen. Andererseits ist für Markus die Erlangung des ewigen Lebens (gleichbedeutend mit dem Eingang in die ƧƦƶƮưƪ˄Ʀ Gottes)475 an konkrete Bedingungen geknüpft,476 sodass es für die mk Leserinnen und Leser, die aufgrund ihres Bekenntnisses zum Evangelium aus ihren familiären Bindungen gefallen sind, möglicherweise gar keine Frage darstellt, ob sie die nichtchristlichen Mitglieder ihrer Familie im Jenseits wiedersehen.

3.1.4 Ergebnis Über »Familie« als mk Motivfeld verrät dieser Abschnitt nur wenig. Familie ist für Markus ausschließlich ein diesseitiges Thema, auch wenn die soteriologische und ekklesiologische Dimension natürlich darüber hinaus weist. Im Jenseits existiert dieses Thema nicht mehr. Die möglicherweise notwendige Entscheidung zwischen Familie und Evangelium im Diesseits wirkt sich aber bis ins Jenseits aus (Mk 10,29f). Vielleicht konnte die für Markus selbstverständliche jesuanische bzw. apokalyptische Vorstellung von der Auflösung der familiären Strukturen im Jenseits für eine Unterordnung familiärer Bindungen förderlich sein oder zumindest entkrampfend wirken, besonders im Licht der Naherwartung des Eschatons.

472 So LOHMEYER, Mk, 257; GNILKA, Mk II, 160f u.a. BULTMANN (Geschichte, 25) schreibt die gesamte Debatte allerdings der Gemeinde zu. 473 In V. 25 geht es nicht um Auflösung, sondern um das Nichtvorhandensein familiärer Strukturen. Unter Einbeziehung der Erzählung der siebenfachen Witwe kann aber von Auflösung gesprochen werden. 474 Vgl. PESCH, Mk II, 233. Er verweist auch auf Gal 3,27f; 5,6; 6,15, wo es nun allerdings nicht um die Frage geht, wie die eschatologische Existenz konkret aussieht. 475 Vgl. BACKHAUS, Lösepreis, 106: »›Ewiges Leben erben‹ (10,17), ›in die Gottesherrschaft eingehen‹ (10,23ff) und ›gerettet werden‹ (10,26) sind für Markus synonyme Wendungen.« Vgl. auch SÖDING, Leben, 168. 476 Vgl. z.B. Mk 1,15; 10,14f; 8,35.38; 9,43–47; 10,17.23–27.29f.38.

1. Die leibliche Familie Jesu Die leibliche Familie Jesu Zunächst soll auf die allgemeinen Kontexte, in denen sich familiäres Leben in Galiläa vollzog, eingegangen werden. Ziel ist, eine Vorstellung von dem möglichen Leben der Familie Jesu – zugleich dem der ersten Nachfolgerinnen und Nachfolger – zu erlangen.1 Aus diesem Grund konzentrieren sich folgende Unterabschnitte eher auf die soziale Mittel- bzw. Unterschicht. Ein Großteil dieser Darstellung trifft auf die gesamte mediterrane Welt des 1. Jh. n.Chr. zu.2 Der Abschnitt ist darum an vielen Stellen gleichsam für die Frage nach der mk Gemeinde relevant. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen diese Beobachtungen deshalb mit Blick auf den paganen mediterranen Raum ergänzt und konkretisiert werden (s.u. 3.1).

1.1 Familienleben in Galiläa Familienleben in Galiläa Die Existenz des kulturellen »Grabens« zwischen der Welt des Neuen Testaments und der der heutigen Leserinnen und Leser ist in der Exegese allgemein bewusst. Dieses Problem betrifft in besonderem Maße die Frage nach dem Verständnis von Familie, Haus, Stellung der einzelnen Familienglieder etc. Sozialgeschichtliche und v.a. kulturanthropologische Ansätze in der Exegese können den »Graben« sicher nicht schließen, aber sie können »Stege« bauen. Zudem schärfen sie das Problembewusstsein und verhindern eine Übertragung heutiger Werte und Anschauungen auf die Texte.3 1

Dies ist schwierig, da die Quellen spärlich bzw. sporadisch sind. Die antiken Schriften sehen Familienleben als gegeben an und sind kaum genötigt, es zu beschreiben (so BARCLAY, Family, 67). Ein besonderes methodisches Problem besteht darin, dass das patriarchalische Bild in den Beschreibungen ein Produkt des Patriarchats ist. Vgl. MOXNES, Family, 22. Über Kriterien zur Beschreibung und zum Vergleich verschiedener Familienmodelle informiert MOXNES a.a.O. 18. 2 Eine Unterteilung kulturanthropologischer Darstellungen in einen palästinischen und einen hellenistischen Bereich ist nicht unproblematisch, da die Kulturanthropologie mit z.T. recht abstrakten Modellen arbeitet, welche die konkrete Situation einzelner Landstriche vernachlässigen muss. Aufgrund der doppelten Blickrichtung dieser Arbeit möchte ich dennoch eine Unterteilung versuchen. Bei sozialen Aspekten ist dies besonders sinnvoll. 3 Mit Blick auf die kulturelle Abhängigkeit von sprachlichen Äußerungen warnt Gerber: »Weiß die historisch-kritische Exegese prinzipiell um die kulturelle Distanz, so unterlaufen doch gerade in der Auslegung von Familienmetaphern unbewusste Eintragungen, offenbar in der irrigen Annahme, dass Familienkonzepte anthropologische Konstanten seien.« GERBER, Paulus, 92.

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Die leibliche Familie Jesu

Für den modernen Begriff »Familie« gibt es im mediterranen Raum kein Äquivalent.4 Eine Entsprechung findet sich im orientalischen und griechischen Raum in der Rede vom Haus als ein v.a. soziales Symbol.5 Das semantische Feld von tyb (aramäisch atyb) umfasst synchron das Gebäude, den Ort, das Innere, den Personenverband mit Großeltern, Eltern, Kindern, Sklaven, den Hausstand und das Vermögen. Diachron umfasst es die Abstammungslinie. Ebenso meint der griechische ƳʋƯƳƵ bzw. das lat. Lehnwort ƩˆµƳƵ den häuslichen Personenverband und die Lineage.6 Von den Besitztümern spiegelt sich in dem Begriff nicht nur das Haus als zentraler Ort der sozialen Gruppe,7 sondern auch die Scheune und das familieneigene Land, das den Unterhalt des Familienverbandes sicher stellt. »Hier leben die Mitglieder des Hauses, hier arbeiten sie und haben ihre Pflichten, geprägt durch die Gestalt der Kerneinheit Haus und die Gestalt der Ordnung der Erde.«8 Ähnliches kann auch vom römischen domus gesagt werden.9 Brandt/Lukinovich weisen darauf hin, dass der indogermanische Ursprung des Nomens ƳʋƯƳƵ ursprünglich auf eine soziale Einheit mehrerer Familien zurückgeht: »Remontant au thème nominal indo-européen *weik-, *woiko- qui dénotait à l’origine l’unité sociale formée de plusieurs familles (cf. latin vicus, ›village‹), ƳʋƯƳƵ a très tôt substitué dans la langue grecque l’ancien ƩˆµƳƵ, dans le sens de maison construite, bâtiment.«10 Auch Alsup bringt zur Verdeutlichung linguistische Aspekte ein: Die heute gebrauchten ƳʋƯƳ-morphen Begriffe – Ökonomie, Ökologie, Ökosystem, Ökumene – weisen das Haus als »Ort für weitere kreative und rekreative Verpflichtungen« aus.11 In der arabischen Welt steht al-bait ganz ähnlich für Familie, Verwandtengruppe, patrilineare Abstammungslinie oder das Wohngebäude.12 4 Vgl. MOXNES, Family, 20f; OSIEK/BALCH, Families, 6. Den Unterschied zwischen der modernen (amerikanischen) Vorstellung von Familie und der antiken Wirklichkeit (v.a. im römischen Gebiet) stellt u.a. OSIEK (Family, 1–24; vgl. auch dies., NT und Familie, 287) heraus. 5 So bezeichnet es zu Recht TRAINOR, Quest, 182. Im römischen Raum begegnet allerdings familia, aber auch dieser Begriff ist nicht mit dem modernen westlichen Verständnis von »Familie« zu verwechseln. Es ist in erster Linie ein mit der Verfügungsgewalt des pater familias verbundener rechtlicher Begriff. Daneben benutzten die Römer auch domus um die Familiengemeinschaft bzw. die Lineage zu bezeichnen. Vgl. GNILKA, Hausgemeinde, 229.230f. 6 Vgl. FEUCHT, DNP 4, 408. Dass zum engeren Haushalt – und damit zur Familie – Sklaven oder Arbeiter gehören, zeigt z.B. Mk 1,19f, deutlicher noch Lk 15,17ff. Hierbei ist aber an die ökonomisch und sozial besser gestellten Familien zu denken. KLAUCK (Hausgemeinde, 18f) macht darauf aufmerksam, dass bei Ovid auch eine Gruppe aus Vater, Mutter und Tochter als domus bezeichnet werden konnte, so dass es verfehlt sei »den Oikosbegriff a priori limitieren zu wollen.« 7 OSIEK/BALCH, Families, 6 verweisen auf das Klima: Den größten Teil des Jahres spielt sich familiäres Leben v.a. außerhalb bzw. vor den Häusern oder im Innenhof ab. 8 ALSUP, Kirche, 117. 9 Vgl. GEHRKE, DNP 4, 412. 10 BRANDT/LUKINOVICH, ƕʋƯƳƵ, 527. 11 ALSUP, Kirche, 117. 12 Vgl. NIPPA, Haus, 9f.

Familienleben in Galiläa

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1.1.1 Architektonische und soziale Gesichtspunkte Der Wohnraum ist für den sozialen Status äußerst relevant.13 Santiago Guijarro unterteilt unter diesem Gesichtspunkt stark vereinfacht galiläische Familien in vier verschiedene Gruppen.14 Bei der »Large Family« wohnen Eltern, unverheiratete Kinder und die Familien der Söhne in einem Palast oder einer Villa im städtischen Umfeld. Sie steht sozial und ökonomisch an der Spitze der Gesellschaft (vgl. Mk 6,21) und ist durch ihr Bestreben immer mehr Land unter sich zu vereinigen für die schwierigen ökonomischen Bedingungen der Bauern verantwortlich.15 Diese Gruppe macht Guijarro zufolge ca. 1% der Familien aus. Die »Multiple Family« bewohnt das Hofhaus. Dieser »wichtigste Grundtyp nahöstlicher H.-bautradition«16 besteht aus mehreren Häusern bzw. Räumen innerhalb eines gemeinsam genutzten Hofs.17 In ihnen wohnen mehrere in Beziehung stehende und sich unterstützende Kernfamilien bzw. Generationen. Diese haben ökonomisch und sozial einen akzeptablen Status. Als Beispiele nennt Guijarro die Fischereifamilien und die Steuerpächter.18 Archäologische Funde in Kafarnaum und Bethsaida zeigen, dass solche Häuser auch von Fischereifamilien bewohnt wurden. In Mk 1,29–31 wird die mögliche Verwandtschaftsstruktur in einem solchen Haus deutlich: Im Fischerhaus leben die erwachsenen und verheirateten Brüder Simon und Andreas mit Familie sowie Simons Schwiegermutter. Der Anteil des Typs »Multiple Family« liegt nach Guijarro bei ca. 10%.19 13 Folgender Abschnitt wird sich auf diese Relevanz konzentrieren. Für einen allgemeinen Überblick über Besiedlung, Bautechnik, Aufteilung der Räume etc. vgl. etwa THIEL, Haus, 9–16. 14 Vgl. GUIJARRO, Family, 57–61. Er ist sich der Problematik einer solchen theoretischen Unterteilung bewusst. Vgl. ebd. 61f. 15 Vgl. OSIEK/BALCH, Families, 37. 16 THIEL, Haus, 11. 17 Vgl. die grafische Rekonstruktion bei GUIJARRO, Family, 51. Hofhäuser können aus der durch Familienzuwachs ausgelösten Anreihung von einfachen Häusern entstanden sein (TRAINOR, Quest, 25). Der Innenhof war »das wichtigste konstitutive Element des antiken H. auch in Palästina«, der »den Mittelpunkt des häuslichen und familiären Lebens darstellte«. THIEL, Haus, 13. 18 Nach BÖSEN, Galiläa, 181ff ist die Gleichordnung von Steuerpächtern und Fischern allerdings schwer denkbar. TRAINOR (Quest, 25), der ebenfalls die Fischer neben »the elite (called ›retainers‹), priests, military officers, landowners of modest means, and tax-collectors« in den Hofhäusern verortet, weist auf den ökonomischen Unterschied zu den Bauern hin. Während den Bauern höchstens das zum Leben Nötige bleibt, können die typischen Hofhausbewohner etwas Überschuss sammeln: »Unlike the peasant farmers who were subject to the marketing whims of the social elite, fishing families were supported by a more gainful resource.« Ebd. 19 Die prozentuale Einteilung Guijarros erscheint problematisch bzw. zu optimistisch. Ich zitiere die Zahlen, da sie eingedenk ihrer Relativität eine ungefähre Vorstellung vermitteln können.

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Die leibliche Familie Jesu

Die »Nucleated Family«20 mit Eltern, Söhnen und wenigen anderen Verwandten bewohnt ein ein- bis maximal vierräumiges21 (bzw. in vier Bereiche unterteiltes) Haus (vgl. Lk 11,5–7), »they were unhealthy and small.«22 Sie leben am Rand des Existenzminimums, besitzen als Bauern ein kleines Stück Land oder haben ein solches gerade durch Verschuldung verloren. Ihr Anteil beträgt nach Guijarro ca. 70–75%. Diese unerwartet hohe Zahl an vom Sippenverband isoliert lebenden Kernfamilien, die man dennoch nicht mit modernen individualistischen Kernfamilien verwechseln darf, führt Guijarro auf die katastrophale Verschlechterung der ökonomischen – und damit verbundenen sozialen – Situation der Bauern und Handwerker zurück, die während der hasmonäischen und v.a. herodianischen Periode zu beobachten ist. Die Eliten gewinnen immer mehr Land von den Bauernfamilien infolge Verschuldung, Zwang, Täuschung oder Drohung.23 Das Sprichwort aus Mk 4,25 mag sehr existenzielle Erfahrungen widerspiegeln. »The traditional family ceased to be the basic unit of production and became the instrument of the economy of redistribution under the control of the powerful landowners and the ruling class.«24 Dazu kommen Steuern (Bautätigkeit des Herodes!25) und natürliche Katastrophen.26 Trainor verweist zudem auf den grundsätzlichen Wechsel der Wirtschaftsform im späten 1. Jh. n.Chr. zu einer Marktwirtschaft hin, welcher »a dramatic economic crisis«27 verursachte. Waren bisher Handel und »reciprocal kinship exchange« die Grundlagen der bäuerlichen Wirtschaft, so sind es nun die Erfordernisse einer spezialisierten Marktwirtschaft. »A specialized market economy propelled by the urban elite forces rural peasants into a form of economic practice to which they are unable to adjust and away from reciprocal kinship exchange, their ancient practice and preference.«28 Die Aus20 Guijarro möchte sie mit dieser Bezeichnung aufgrund ihres kollektivistischen Charakters von der modernen Kernfamilie unterscheiden. Vgl. ebd. 60. Vgl. zu einer solchen Unterscheidung auch MOXNES, Family, 14: »In traditional societies the family and the larger kinship group or lineage form the model and basis for other social relations. This is not the case in modern societies in which the role of a citizen is based on the individual rather than on membership in a family«. Und ebd. 17: »In modern Western societies kinship does not play an important institutional or structural role. [...] In primitive and pre-modern societies kinship is one of the primary means to structure social life«. 21 Vgl. TRAINOR, Quest, 21f. 22 GUIJARRO, Family, 60. Die Größe eines solchen »simple house« gibt er mit 20–200 m² an, »but the most of them were very small.« Ebd. 50. 23 So GUIJARRO, Family, 44. Vgl. MOXNES, Family, 25. 24 GUIJARRO, Family, 45. 25 Vgl. SASSE, Geschichte, 260–279. 26 In herodianischer Periode: zwei Hungersnöte, sieben Erdbeben; vgl. GUIJARRO, Family, 45. 27 TRAINOR, Quest, 23. Der zeitliche Rahmen betrifft allerdings weniger die vorösterliche Jesusbewegung, als den Evangelisten, der sich nun aber wiederum außerhalb Palästinas befindet. Dennoch zeigt dieser Wechsel der Wirtschaftsform die Tendenz im 1. Jh. n.Chr. 28 TRAINOR, Quest, 23.

Familienleben in Galiläa

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wirkungen all dieser Faktoren auf die bäuerlichen Familien sind leicht nachzuvollziehen. Ihre Größe und ihre Möglichkeit gegenseitiger Unterstützung und sozialer Interaktion nimmt ab, d.h. die soziale Struktur »bröckelt«. Familie und Haus sind für viele Menschen bedrohte Güter. »The scarcity of land contributed to the reduction and the dispersion of many peasant families when their plots of land were no longer sufficient to feed all their members.«29 Für diese Menschen ist Jesu Botschaft vom Anbruch der Gottesherrschaft und seine Zusage einer neuen Familie vermutlich mehr als eine rein theologische Aussage.30 Diese sozialen Entwicklungen verweisen bereits auf die unterste Schicht, die »Scattered Family«: Sklaven, Bettler, Kranke, Witwen, Waisen – eine Gruppe von vielleicht 15–20%. Dieser eher düstere Blick auf das Leben kleiner Bauern- und Handwerkerfamilien ist allerdings in der Fachwelt nicht unumstritten. Die Archäologie ist imstande hier auch anders zu werten. So lässt sich aufgrund der Besiedlungsdichte mutmaßen, »dass die Landbevölkerung im späten 1. Jh. v. und frühen 1. Jh. n.Chr. stetig wuchs, was zur Gründung immer neuer Siedlungen zwang. All dies würde dann voraussetzen, dass die Menschen auf dem Lande trotz der hohen Steuerlast und zahlreicher Erschwernisse genügend Ressourcen besaßen, um sich und ihre steigende Nachkommenschaft zu ernähren. Auch setzt das voraus, dass die politischen Verhältnisse unter den Herodianern im Wesentlichen stabil und auf Sicherung des Bestehenden aus waren [...] Solche langfristigen Entwicklungen schließen momentane Katastrophen keinesfalls aus, sie relativieren jedoch ihre potenzielle Wirkung auf die langfristigen Lebensbedingungen der Menschen.«31 Wie ist hier die Familie Jesu bezüglich ihres sozialen Status einzuordnen? Nach Bösen32 – dessen Sozialpyramide sich von Guijarros Darstellung in einigen Punkten deutlich unterscheidet – steht das Handwerk (vgl. Mk 6,3) gesellschaftlich recht passabel da. Nach Guijarro33 hingegen gehören Handwerksfamilien zum unteren sozialen Status (Nucleated Family)34 und 29 TRAINOR, Quest, 46. Vgl. auch MOXNES, Family, 25: »This was a process of disintegration that gradually made it impossible for the extended family to fulfil its function, to secure the subsistence of its members. As a result the village and neighbours became more important as socioeconomic relationships.« 30 So TRAINOR, Quest, 24. 31 Zangenberg, Galiläa, 287. Eine sehr optimistische Sicht bei: Ostmeyer, Armenhaus, 153–170. 32 Vgl. BÖSEN, Galiläa, 178ff. Vgl. auch ebd. 182. Hier bietet Bösen allerdings nur eine Dreiteilung, in der Fischer und Handwerker auf gleicher Stufe stehen. 33 Vgl. GUIJARRO, Family, 58ff. 34 An anderer Stelle scheint Guijarro die Familie hingegen implizit etwas höher einzuordnen: Jesus wählt bewusst ein afamiliäres Leben, um bei den landlosen und sozial entwurzelten Bauern

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Die leibliche Familie Jesu

bewohnen vermutlich eines der beschriebenen kleinen Häuser. Jesus stehe – so Guijarro – seiner sozialen und ökonomischen Herkunft nach weit unter den Fischern aus Kafarnaum. Eingedenk des Abstraktionsgrads von Guijarros Modell wird Jesu Familie mit Bösen etwas höher auf der gesellschaftlichen Pyramide einzuordnen sein. Der bauhandwerkliche Familienbetrieb (s.u.) war sicher imstande, die mindestens neunköpfige Familie zu ernähren. Dennoch scheinen Mk 3 und 6 zu zeigen, dass hier nicht ein größeres Verwandtschaftssystem, sondern die Kernfamilie, die Nachbarn, die Leute vom Dorf agieren. Der beschriebene ökonomisch bedingte Zerfall des Clansystems und die Fokussierung auf den engeren lokalen Kontext sozialer Beziehungen kann für die Familie Jesu durchaus Realität sein.

1.1.2 Verwandtschaft, Ehe und Autoritätsstrukturen Die patriarchale Struktur ist das charakteristischste Element der mediterranen Familie,35 die väterliche Autorität gilt als naturgegeben.36 Auch bei der palästinischen bzw. galiläischen Familie ist der Mann Herr und Besitzer des Hauses. Die Frau gilt als sein Eigentum, was es ihm ermöglicht, die Ehe als aufgelöst zu erklären.37 Die Verantwortung für die Erziehung der Kinder und ihre Verehelichung (s.u.) liegt in seinen Händen.38 Er ist Autoritätsfigur, Träger und Bewahrer der überaus belangvollen Familienehre. Von entscheidender Bedeutung für die Familie und für ihre Ehre ist die patrilineare Genealogie (vgl. Lk 3,23–38/Mt 1,1–17/JOSEPHUS, Vita 1–7). Diese dient der sozialen, zeitlichen und räumlichen Orientierung. »Gibt sich ein Mann als Mitglied einer bestimmten Familie zu erkennen, weiß man, woher er kommt, zu wem er gehört […]. Daher ist in einer Gesellschaft, in der Verwandtschaft zu den elementaren Strukturen zählt, die Nennung des Haus-Namens für den kundigen Hörer äußerst informativ.«39 glaubwürdig zu erscheinen. Er begibt sich also von einer sozial und ökonomisch besser gestellten Stufe auf die Stufe einer Gesellschaftsschicht, welche der »Nucleated Family« zuzuordnen ist. Vgl.: El Jesús Histórico, Kap. 8.: Jesús, el discipulado y la familia, unter: www.jesus.teologia.upsa.es/secciones.asp?codseccion=48: »Jesús parece querer identificarse con quienes han perdido casa y familia a causa de la crisis económica del campesinado.« 35 »El elemento más característio de la familia mediterránea tradicional era su estructura patriarcal.« GUIJARRO, Reino y familia, 525. 36 GUIJARRO, Reino y familia, 525. Im hellenistischen Bereich ist hier v.a. Aristoteles (im Gefolge Platos) prägend, der diese androzentrischen Strukturen philosophisch legitimiert (vgl. etwa unten 3.10, Anm. 823). Vgl. dazu die Übersicht von TRAINOR, Quest, (40–)43–52. Vgl. auch OSIEK/BALCH, Families, 119ff. Eine kurze informative Übersicht über die partiellen Unterschiede zwischen jüdischen, griechischen und römischen Familien bietet URBAN, Rollen, 17ff. 37 S.o. Teil 2, 2.2. 38 Zu diesem Prozess der Verehelichung vgl. MALINA, Welt, 124. 39 NIPPA, Haus, 11.

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(1) Ehe. Während in unserer westlichen Kultur eine Eheverbindung außerhalb der Verwandtschaft bevorzugt wird (Exogamie), versucht man im Judentum des 1. Jh. n.Chr., die Ehen – unter Beachtung der Inzestverbote (Lev 18,6–18; 20,11–21) – innerhalb der eigenen Verwandtschaftsgruppe zu schließen (Endogamie).40 Eine ähnliche Ehepraxis ist bis in die Gegenwart hinein im arabischen Bereich zu beobachten.41 Diese »dient der Geschlossenheit der Gruppe, denn nichts, weder Erbgüter oder Heiratsgüter, noch eine Frau oder ihre Kinder, geht der Gruppe verloren. Es bleibt alles beisammen, und es bleibt alles beim Alten. Diese Form der Heirat ist wie eine selbstorganisierte Versicherung, in die alle Beiträge zum eigenen Schutz eingezahlt werden«.42 Mit dem Vorrang der Verwandtschaftsgruppe43 wird die Wahl des Ehepartners und schließlich die Ehe selbst entscheidend beeinflusst, denn dieser muss in die bestehende Verwandtschaftsgruppe »hineinpassen«. Die Ehe ist keine Angelegenheit zweier Individuen, sondern zweier Verwandtschaftsgruppen. Die Heirat hat »wichtige und komplexe Rückwirkungen auf viele andere Individuen«.44 Die »Bande sich durchdringender Loyalität«,45 welche sich in unserer Kultur auf Ehepartner und Kinder der sozial autonomen Kernfamilie konzentrieren, bestehen im 1. Jh. n.Chr. vor allem zwischen Brüdern und Schwestern bzw. Mutter und Sohn (s.u.) – auch nach deren Eheschließung. Die Ehefrauen treten oft als Fremde in die Verwandtschaftsgruppe ein und bleiben in gewisser Weise immer Fremde,46 d.h. sie pflegen nach Möglich40 Vgl. MALINA, Welt, 118. Ein Sonderfall ist die Leviratsehe: Die Ehe einer kinderlosen Witwe mit ihrem Schwager, mit dem Ziel, dem verstorbenen Bruder männliche Nachkommen zu zeugen und so den Fortbestand seines Geschlechts zu garantieren. Auf eine weitere Funktion der Leviratsehe bei Exogamie verweist VAN GENNEP (Übergangsriten, 118): Durch die Ehe ist eine fremde Frau in die Sippe gekommen, zwei Sippen wurden miteinander verbunden. Diese Verbindung soll nun aufrechterhalten werden. 41 Vgl. NIPPA, Haus, 12ff, hier v.a. die patrilineale Parallelcousinenheirat. Die Heirat der Cousine (binut aamm) gilt als die erstrebenswerteste Eheform. 42 NIPPA, Haus, 131. 43 Das enge soziale Beziehungsgeflecht innerhalb einer mediterranen Verwandtengruppe belegt indirekt aber anschaulich PHILO, SpecLeg IV 178, Vgl. das Zitat unten 3.1 zu Anm. 292. 44 MALINA, Welt, 121. Eine neue Ehe ist prinzipiell imstande, das sensible und komplexe Netz gegenseitiger Abhängigkeiten innerhalb der Verwandtschaftsgruppe zu stören. Vgl. auch VAN GENNEP, Übergangsriten, 136: Es »stellt jede Hochzeit eine Störung des sozialen Beziehungsgeflechts dar, weil an ihr nicht nur zwei Individuen, sondern mehrere Gruppen von verschiedener Größe beteiligt sind. Eine Eheschließung modifiziert eine Reihe von Elementen im Verhältnis der Gruppen zueinander, und diese Veränderungen haben nach und nach eine Störung des Gleichgewichts zur Folge.« Die Heirat wird darum üblicherweise vom Vater arrangiert. 45 MALINA, Welt, 119. 46 Die Ehefrauen wechseln üblicherweise bei der Eheschließung in das Haus des Ehemanns bzw. Schwiegervaters (zur patrilokalen Praxis vgl. NIPPA, Haus, 106–108). Selbst bei einer neolokalen Praxis, steht der neue Ort der Familie in enger Verbindung zum Haus des Mannes. Vgl. OSIEK/BALCH, Families, 42. MALINA (Welt, 124) illustriert: »Die Familie der Braut bemüht sich um einen Bräutigam, der sie gut versorgen kann, der ein guter Vater ist und ein respektierter

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keit ihrerseits den Kontakt zu ihren Geschwistern und ihrer Mutter. Für den arabischen Raum notiert Annegret Nippa: »Die Sorgepflicht einer Schwester gegenüber geht nur in materieller Hinsicht an ihren Ehemann über, in moralischer Hinsicht verbleibt sie im Kompetenzbereich ihrer Brüder.«47 Die moderne romantische Vorstellung von Ehe existiert im 1. Jh. n.Chr. nicht.48 Andere Beziehungen überragen die eheliche Beziehung an Bedeutung. Andererseits stellt die Ehe den Anfang der Bildung einer neuen Generation dar und sorgt so für die grundlegende Funktion der Familie: Hervorbringung von Nachwuchs und Sicherung des Fortbestandes der Familie.49 Die Eltern und die Familien der Söhne leben nah beieinander und stellen oft »eine effektive Wohn-, Konsum- und Produktionseinheit dar.«50 Die Ehre der Verwandtschaftsgruppe ist dabei ein Anliegen aller: »The individual is dependent upon the group for recognition of his or her honour, and Bürger. Die Braut erwartet von ihm keine Partnerschaft oder Annehmlichkeiten. Vielmehr [...] wird die jung verheiratete Frau nicht in die Familie ihres Ehemanns integriert, sondern sie wird für die meiste Zeit ihres Lebens an deren Peripherie verbleiben.« Vgl. dazu auch VAN GENNEP, Übergangsriten, 126f. Speziell die Geburt eines Sohns kann den Status der Ehefrau verbessern. »Der Sohn wächst heran als Verbündeter seiner Mutter und als Anwalt ihrer Interessen«. MALINA, Welt, 125. Auch die Existenz eines oder mehrerer Brüder hebt den Status der Frau. Die Beziehung zwischen Bruder und Schwester zählt zu den intensivsten »zwischen den Geschlechtern«. (Ebd.) Heiratet die Frau einen Cousin, ist ihr ebenfalls ein akzeptabler Status ermöglicht, denn dieser ist eine Art Ersatzbruder und die Verwandtschaftsgruppe wird nicht gewechselt. Hier begründet sich nun einmal mehr die bis heute anzutreffende endogame Heiratspraxis (s.o.). Zur Verdeutlichung der untergeordneten Rolle der Ehefrau in der Familie des Mannes vgl. die Studien des Anthropologen F. Barth über die Stammesgesellschaft der Paschtunen: BARTH, Role dilemmas, 88f. Der frisch vermählte Ehemann verbringt möglichst wenig Zeit bei seiner Frau, im Beisein anderer gibt es keine Interaktion zwischen beiden. Besonders im Beisein des Vaters versuchen die Eheleute sich aus dem Weg zu gehen. Auch NIPPA (Haus, 11) kann den bleibenden Vorrang der Herkunftsfamilien aus der arabischen Welt illustrieren: Die Ehefrau behält im Gegensatz zur westlichen Welt den Namen ihres Vaters. Grundlegend für die Zugehörigkeit ist eben nicht der Ehebund, sondern die genealogische Linie. Vgl. ebd. 106. 47 NIPPA, Haus, 130. 48 Nebenbei wird hier die Problematik sichtbar, wenn biblische Texte über Familie und Ehe allzu unreflektiert auf unsere moderne Zeit bzw. unsere Probleme übertragen werden. Darauf macht in Anlehnung an S. Purvis etwa ALSUP (Kirche, 114–116) aufmerksam: Die theologische Dimension in der biblischen Rede von Ehe und Familie darf nie außer Acht gelassen werden. Aber auch die kulturanthropologischen Unterschiede mahnen zur Vorsicht. Wenn die Grundlagen der modernen Ehe oft in Emotionen und Affektionen bestehen, ist diese beim Wegfall dieser Emotionen anders in Frage gestellt, als im 1. Jh. n.Chr., wo die Grundlagen viel pragmatischer waren. 49 Vgl. MOXNES, Family, 30; OSIEK/BALCH, Families, 40f. 50 MALINA, Welt, 119. Die oben dargestellte Beschreibung Guijarros mit über 70% Kernfamilien geht eben davon aus, dass diese Wohn-, Konsum- und Produktionseinheiten aufgrund der katastrophalen Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen zerbrechen. Das Band der gegenseitigen Unterstützung (MOXNES, Family, 24, spricht bei Familie von »a unit of production and support«) ist nicht mehr gegeben. Während Malina also prinzipielle Verhältnisse in abstrahierter Form beschreibt, hat Guijarro eher punktuelle historische Verhältnisse im Blick. Zum möglichen Alltag einer solchen Produktionseinheit, Arbeitsteilung etc. vgl. die »farbenfrohe« Darstellung bei NIPPA, Haus, 102–106.114–119.

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conversely, the honour of the group depends upon the behaviour of any member of the group.«51 Generationsübergreifende Sorge und Einmischung in die Belange der engeren Kernfamilie sind darum jederzeit möglich und scheinen für die ehrenvolle Weiterführung der familiären Linie erforderlich. Die Anwesenheit und Einflussnahme von Verwandten im eigenen Haus wird oft positiv aufgefasst. Väterliche Ansprüche sind stark genug, den erwachsenen Sohn zur Scheidung seiner Ehe zu bewegen. »This is ineradicable familial particularism.«52 (2) Mann und Frau/Ehre und Scham. Frauen stehen auch außerhalb der Ehe den Männern nach.53 Sie sind nicht erbberechtigt und gelten vor Gericht nicht als Zeugen,54 zu festlichen Gastmählern – einer prägnanten sozialen Einrichtung – haben sie keinen Zutritt.55 Nach Malina sind in der mediterranen Welt des 1. Jh. n.Chr. innerhalb einer Kernfamilie Ehre – der alles bestimmende Wert –56 und Scham – als positives Symbol –57 konsequent auf Mann und Frau verteilt. Die Rolle der Frau impliziert Ethik und Tugend, »sexuelle Ausschließlichkeit, Verschwiegenheit, Schüchternheit, Zurückhaltung und Furchtsamkeit.«58 Hingegen charakterisieren den Mann »Männlichkeit, Mut, Autorität innerhalb der 51

MOXNES, Family, 20. Vgl. ebd. 28: Familie ist die Hauptquelle der Ehre und gilt allen als besonders wichtig. GUTTENBERGER ORTWEIN (Status, 26) definiert die – in diesem Fall paganen – Familien als »Ehrgemeinschaften« mit einem internen deutlichen Ehrgefälle. Mk 3,21f.31–35 kann als Geschichte über den Versuch, die Familienehre zu schützen, gelesen werden. Über mögliche psychologische Folgen dieser Abhängigkeit des Individuums von der Verwandtengruppe (Blockierung eigener Entwicklung, Projektionen, Krankheit etc.) informiert MALINA, Mother, 61f. 52 MALINA, Mother, 60. 53 »In any society in which male consciousness is the norm, women are perceived as the other. There is no known culture in which this perception has not led to the devaluation and subordination of women to some degree.« OSIEK/BALCH, Families, 40. 54 Vgl. oben Teil 2, 1.6.1, Anm. 391. 55 Ausnahme: Sabbat- und Passahmahl. 56 Die Charakterisierung der mediterranen Gesellschaften als »honour and shame societies« ist in der Fachliteratur inzwischen gängig. Vgl. MOXNES, Family, 19. 57 Vgl. MALINA, Welt, 60f (zur Relativierung vgl. OSIEK/BALCH, Families, 40.) Gemeint ist die Sensibilität für die Beurteilung der eigenen Ehre und die Meinung anderer, das Respektieren der Regeln und sozialen Grenzen: »Schamgefühl ist ein eminent positiver Wert.« Ebd. 60. Vgl. den umgangssprachlichen Gebrauch von »schamloser Person« etc. Somit ist es die Ehre der Frau, sich schamhaft zu verhalten. Ein weiterer Unterschied zwischen der Ehre von Mann und Frau ist, dass sich die Ehre des Mannes vergrößern kann, die Ehre der Frau hingegen »kann höchstens bewahrt werden.« GUTTENBERGER ORTWEIN, Status, 28 für den paganen Bereich. Natürlich gibt es auch die negative Bedeutung von »Schande«. Vgl. etwa OSIEK/BALCH, Families, 39f. 58 MALINA, Welt, 59. Vgl. auch ebd. 61: »Schamgefühl oder Scham, Nacktheit zu zeigen, Scheu bzw. Schüchternheit, Erröten, Ängstlichkeit« etc. Ähnlich MOXNES, Family, 20.32f. In den Pastoralbriefen und im 1Petr kommt diese Schamerwartung deutlich zum Ausdruck. Vgl. 1Tim 2,9–12; Tit 2,4f; 1Petr 3,1–5. Auch das Ehre-Scham Verhältnis zwischen Mann und Frau findet sich im NT: 1Kor 11,3–16; Eph 5,23ff; Kol 3,18. Vgl. aber auch Sir 26.

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Familie, die Bereitschaft, seinen Ruf zu verteidigen und die Weigerung [...], sich zu unterwerfen.«59 Im Gegensatz zur Frau ist er nicht auf die sexuelle Ausschließlichkeit verpflichtet, seine Männlichkeit wird sogar »in Frage gestellt, wenn er die sexuelle Reinheit bewahrt, d.h. falls er die sozialen Grenzen anderer [Männer, TR] durch deren Frauen nicht herausfordert.« Die Bewahrung der sexuellen Reinheit der Frau wiederum ist v.a. Aufgabe des Mannes (Ehemann/Bruder/Vater):60 »es ist die Pflicht des für sie verantwortlichen Mannes, sie zu beschützen, zu verteidigen und für die Reinheit seiner Frau (Ehefrau, Schwester, Tochter) Sorge zu tragen, da ihre Entehrung direkt seine eigene impliziert.« Eine besondere Brisanz erhält diese Aufgabe, da im antiken Denken Frauen als nicht in der Lage gelten, ihren Sexualtrieb zu kontrollieren.61 Eine der effektivsten Möglichkeiten, einen anderen Mann bzw. eine andere Familie bloßzustellen und zu entehren besteht wohl in der Verführung oder Vergewaltigung eines weiblichen Mitglieds der Familie: »for this demonstrates that the males lack the power to protect their vulnerable members.«62 Die Frau wird als in ihre Familie bzw. in den baal-ha-bayit 63/pater familias oder ihren Ehemann eingebettet verstanden. So wird bei der Eheschließung die Frau aus ihrer Familie aus- und in den Ehemann eingebettet.64 Bei einer Scheidung wird sie mittels Scheidebrief fähig, in einen anderen Mann oder ihre Familie eingebettet zu werden.65 Die Heirat ist »wie eine metaphorische Tür, durch welche Frauen von einem Haus in ein anderes transferiert werden.«66 So ist die Ehre der Frau direkter Bestandteil der Ehre des Mannes bzw. der Familie.67 Beim Ehebruch mit der Frau eines Anderen ist dessen Ehre unmittelbar vom Rivalen angegriffen, er bemächtigt sich als Dieb an Gütern des Mannes.68 59 Diese und die folgenden Zitate: MALINA, Welt, 59. Zur Frage der Sexualität und ihre Beziehung zu »Ehre/Scham« vgl. die knappe Übersicht bei TIEDEMANN, Sexualität, 21ff. 60 Vgl. auch MALINA, Welt, 60. NIPPA (Haus, 130) zählt im arabischen Raum fünf Frauen(gruppen), für die jeder Mann in diesem Sinn Sorge zu tragen hat: »Für seine Mutter, für seine Schwestern, für seine Töchter, für seine Ehefrau und für seine binut aamm [Cousine und prädestinierte Ehefrau, s.o., TR]. Heiratet er seine binut aamm, vermindert er seinen Aufgabenbereich um eine Person.« 61 So OSIEK/BALCH, Families, 39. 62 OSIEK/BALCH, Families, 39. 63 So der Hausherr bei den Rabbinen, vgl. MEYER, Problems, 58. 64 Vgl. dazu VAN GENNEP, Übergangsriten, 117ff, speziell 118. Auf Seite 138 weist er darauf hin, dass bei vielen Völkern »Hochzeitszeremonien eine auffallende Ähnlichkeit mit Adoptionszeremonien haben, mit diesen oft sogar bis ins kleinste Detail übereinstimmen [… da] eine Hochzeit im Grunde die Integration eines Fremden in eine Gruppe bedeutet.« 65 MALINA, Welt, 139, vgl. auch 124 u.ö. Für den arabischen Raum vgl. NIPPA, Haus, 130. 66 NIPPA, Haus, 202 (für den arabischen Raum). 67 Vgl. Sir 42,9–11. 68 M.E. etwas überspitzt illustriert MALINA, Welt, 142: Lk 16,18 entspricht einer heutigen Aussage wie »Jeder Mann, der seinen Fernsehapparat verkauft und einen anderen kauft, ist ein Dieb«.

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Auch räumlich ist Männliches und das Weibliches unterteilt. Der Mann dominiert die Außenbereiche der Familie (»inheritance, land, jural relations [...], farm animals and implements, adult sons«69), die weiblichen Bereiche hingegen sind »wie durch einen unsichtbaren Magnet sozialen Drucks nach Innen gerichtet [...], auf den Raum ihres Hauses oder ihr Dorf. Alles, was von Innen nach Außen kommt, ist männlich. Alles, was Innen bleibt, weiblich«70 und damit der Bereich der Frau: »the kitchen, non-jural relations […], household animals such as milk goats, chickens, unmarried daughters, resident daughters-in-law, boys until old enough to be with the father.«71 Diese Ausrichtung verdeutlichen Texte wie Mk 1,31; Lk 10,40; 13,21.72 Flavius Josephus stützt diese Beobachtungen: In seinem Denken lassen sich ebenso die strikt auf Mann und Frau verteilten Gegensatzpaare »EhreScham«, »Kultur-Natur«, »aktiv-passiv«, »außen-innen«, »rational-emotional« und »rein-unrein« feststellen.73 (3) Eltern und Kinder. Die geschlechtsspezifische Aufteilung der mediterranen Welt bleibt nicht ohne Einfluss auf die Beziehung der Eltern zu den Kindern. Bevor die Söhne alt genug sind, um in die männliche Außenwelt zu ziehen, leben sie in der Sphäre der Mutter.74 Der nach außen gerichtete Vater ist oft abwesend.75 Die Vater-Kind-Beziehung ist in dieser Zeit eher formell, »he will stay psychologically remote from his children.«76 Die Mutter-Sohn-Beziehung gehört dabei vielleicht zu den intensivsten emotionalen Bindungen überhaupt und kommt der modernen Vorstellung von zwischenmenschlicher Liebe recht nah.77 Es ist vermutlich kein Zufall, dass wir in den Evangelien v.a. von den Müttern der Jesusnachfolger lesen 69

MALINA, Mother, 57. MALINA, Welt, 59. Vgl. auch NIPPA, Haus, 108: Um häusliche bzw. dörfliche Grenzen zu überschreiten, bedarf es im arabischen Raum zumeist zeremonieller Anlässe, wie z.B. Todesfälle. 71 MALINA, Mother, 57. 72 Die Heilungen an Frauen finden – im Gegensatz zu denen an Männern – vorwiegend im Hausinneren statt. Deutlich ist dieses v.a. bei der Tochter des Jairus, die betont im Innersten des Hauses liegt (5,39f). Die Syrophönizerin sucht Jesus in einem Haus auf, ihre Tochter liegt im Haus (7,24–30). Ihr Verhalten ist trotz des häusliches Umfelds ungehörig – sie sucht einen Mann in einem fremden Haus auf. Der Mut und das Vertrauen der blutflüssigen Frau, die für ihre Heilung auf die Straße geht und als unreine Frau einen Mann berührt, tritt unter diesem Aspekt deutlich hervor (5,24ff). Vgl. auch MUNRO, Women, 227. 73 Vgl. dazu MAYER-SCHÄRTEL, Frauenbild, 347–352. Vgl. auch PHILO, SpecLeg III 169. 74 Vgl. MALINA, Mother, 58. Er führt als Beleg Lk 2,48 an. 75 Zur Verdeutlichung vgl. BARTH (Role dilemmas, 88) über die Paschtunen: »Almost all men spend most of their free time in the men’s house, and the men who spends much time at home is ridiculed.« 76 MALINA, Mother, 58. 77 Vgl. MOXNES, Family, 35; MALINA, Mother, 60. Er (ebd. 59) wagt sich an psychologische Aussagen: Die Abwesenheit des Vaters und die einseitige innerhäusliche Rolle der Mutter richtet den sich entwickelnden Sexualtrieb der Söhne auf erwachsene Frauen – oft auf die Mutter. 70

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(Mk 15,40.47; 16,1; Mt 20,20ff; Joh 2,1ff; 19,25ff). Im Gegensatz dazu hören wir kaum etwas von den Vätern: Die Vater-Sohn-Beziehung ist geprägt von Gehorsam (Mt 21,28–32) verbunden mit der Frage der Erbschaft (Mt 21,38–40; Lk 15,11–32). Die Erbschaftsfrage ist besonders brisant, denn der Sohn erbt nicht nur die Güter, sondern auch die hervorgehobene Stellung des baal-ha-bayit/pater familias innerhalb der patrilinearen Familie und ist somit für das ehrenvolle Weiterkommen des Familienzweiges zuständig. In der Konsequenz bleibt er bis zum Tod seines Vaters immer Sohn und leistet den erwarteten Gehorsam. Zu den Pflichten des Vaters gehören die Namensgebung, die Erziehung (Sir 30,1–13!), Ernährung, Vermittlung der religiösen Tradition und die berufliche Ausbildung (Mk 1,19f); die Pflichten des Sohns sind Gehorsam, Ehrung (Ex 20,12), Altersfürsorge und Bestattung (vgl. Q 9,59f).78 Der Sohn hat dem Vater die ihm zukommende Ehre zuzueignen und erhält durch dieses Verhalten seinerseits Ehre. Dadurch gehört diese für den Erhalt der Familie und der Familienehre existenzielle Beziehung79 zu den kulturell wichtigsten; sie übersteigt die Beziehung des erwachsenen Sohns zu seiner Ehefrau bei Weitem – wie auch jede andere Beziehung an Bedeutung.80 So ist es auch undenkbar »for a father to join a movement led by a ›son‹.«81 In der Konsequenz dieser patrilinearen und patriarchalen Kultur ist es mehr als wahrscheinlich, dass Söhne und Töchter unterschiedlich behandelt werden: »Mediterranean social pressure would have mothers pamper their boys but treat the girls strictly.«82 Das Leben der Söhne ist wertvoller als das der Töchter, die Söhne sind für die Versorgung der greisen Eltern zuständig – die Mädchen hingegen befinden sich nach ihrer Verheiratung sowieso nicht mehr im Haus. Allerdings können sie dazu dienen, Beziehungen zu anderen Verwandtschaftsgruppen aufzubauen.

1.1.3 Religiöse Gesichtspunkte In religiöser Hinsicht83 kommt der Familie die entscheidende Bedeutung zu. Das wird schon beim Shema Israel (Dtn 6,4ff) deutlich: »[Du sollst 78

Vgl. GUIJARRO, Reino y familia, 528f. Vgl. GUIJARRO, Reino y familia, 530. 80 Vgl. GUIJARRO, Reino y familia, 524. 81 MOXNES, Family, 34. GUIJARRO (Reino y familia, 531–541) sieht in den familienkritischen Sprüchen Jesu einen Reflex der Vater-Sohn-Konstellation. Dies ist zu bedenken, darf allerdings nicht zu einer verengten Sicht auf das Motiv der mk Familienkonflikte führen. 82 MALINA, Mother, 58. Vgl. dazu auch OSIEK/BALCH, Families, 42f. 83 Folgenden Ausführungen liegt v.a. der Aufsatz The family as the bearer of religion in Judaism and early Christianity von J.M.G. BARCLAY zugrunde. Vgl. dazu auch WICK, Gottesdienste, 117–130. 79

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meine Worte] deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.« (Dtn 6,7; vgl. Dtn 6,20ff; 11,19). Dazu kommen die häuslich oder in Familie begangenen religiösen Feste84 und die ebenfalls im familiären Alltag praktizierte Befolgung der Nahrungs-85 und Sabbatgesetze. Beachtet man die ethnische Dimension der jüdischen Religion bzw. Tradition, zeigt sich, welche tiefgreifende Bedeutung der Familie zukommt. Sie vermittelt als kulturelle Einheit die jüdische Religion und übt sie ein; sie vermittelt die Traditionen der Väter86 und gibt damit jüdische Identität weiter. Die Kinder lernen im alltäglichen Leben von ihren Eltern, was es bedeutet, ein Jude zu sein. »The family constituted the key arena for the socialisation of each new generation, who would be equipped to raise the following generation, in turn, as Jews.«87 Somit ist es keinesfalls übertrieben, in der Familie das grundlegende Fundament des Judentums und der jüdischen Gesellschaft zu sehen. Nicht nur in der Diaspora, sondern auch in Galiläa mit seinen zahlreichen hellenistischen Einflüssen ist die Familie das entscheidende »Bollwerk« der jüdischen Tradition gegen soziale und kulturelle Assimilation.88

1.1.4 Konsequenzen für das Textverständnis Nach dieser Darstellung wird nun der Familienkonflikt Jesu, d.h. die Szene in Mk 3, verständlicher. Während der »moderne Mensch« beim unvoreingenommenen Lesen von Mk 3,21 nur wenig Verständnis für die Einmischung der Familie in den Lebensweg eines ca. 30-jährigen Sohns und Bruders aufzubringen vermag bzw. den Anstoß, den Jesus in den Augen seiner Blutsverwandten erregt, eher christologisch interpretiert (durchaus im Sinn des Evangelisten), wird eingedenk der kulturanthropologischen 84 Allen voran das Passah – ein Familienereignis von acht Tagen. Aber auch die Veränderung des familiären Alltags zum Sukkot (Umzug in die Laubhütte) und zum Jom Kippur (Fasten) sind hier zu nennen. Wallfahrten fanden natürlich in Familie statt – vgl. Lk 2,41–52. 85 »The production, purchase, preparation and consumption of food is, of course, one of the primary activities of the household and it was crucial for the socialisation of Jewish children that, from the very beginning of their consciousness, such matters were known to be governed by their ancestral customs.« BARCLAY, Family, 71. Die enge Verbindung von Nahrung und Religion verstärkt sich bei jedem häuslichen Essen durch das Dankgebet. Bei den Nahrungsvorschriften sind die Grenzen zu Nichtjuden greifbar, sodass hier ein zusätzliches Potenzial zur Ausbildung jüdischer Identität und innerjüdischer sozialer Strukturen liegt. Vgl. ebd. 86 Es spielen auch Tradition und Kontinuität der Familie eine Rolle, vgl. MALINA, Welt, 120f. 87 BARCLAY, Family, 69. 88 So BARCLAY, Family, 69: »the Jews’ minority status and their fear of intermarriage heightened their sense of ethnic identity and made the family a crucial bulwark against social and cultural assimilation.«

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Darstellungen die Alltäglichkeit dieses Vorgangs bewusst. Natürlich hat sich die Verwandtengruppe hier einzumischen. Jesus droht nicht nur die Familien zu entehren (vgl. Mk 6,3f), er ist auch aus dem komplexen Netz gegenseitiger Abhängigkeiten und Verpflichtungen herausgetreten. Die Existenzgrundlage der Familie und ihre Ehre sind durch das Benehmen des (vermutlich) ältesten Sohns zutiefst bedroht. Dies zeigt Mk 6,4: Es geht hier nicht nur um die Ehre, Identität und soziale Struktur der Kernfamilie (ƳʅƯ˄Ʀ), sondern auch um die Verbindung zur weiteren Verwandtengruppe (ƶƸƨƨƪƱ˂Ƶ) und zur »Vaterstadt«. Mit dem Hinweis auf die Ehre (ɝƷƮµƳƵ!) und die dreigeteilte Gesellschaftsstruktur steht Jesus in Mk 6,4 geradezu paradigmatisch »within a Mediterranean context of honour and shame.«89 Auch für Jesus spielt die Anerkennung der von ihm beanspruchten Ehre eine Rolle (Mk 6,5). Die Interaktion zwischen Jesus und den Nazarenern ist so durch das Ringen um Anerkennung charakterisiert.90 Jesu Ausstieg führt zwangsläufig zum Versuch, die Familienehre zu schützen (3,21.31). Jede »Entehrung innerhalb einer Gruppe [wird] als Sakrileg angesehen«, sie umfasst »einen ganzen Katalog von höchst ungewöhnlichen Grenzüberschreitungen«.91 Die Loyalität Jesu gegenüber seiner Familie und seiner Vaterstadt ist fragwürdig geworden. Mit dem Hinweis auf seinen Beruf (Mk 6,3) lässt sich vermuten, dass auch die familiäre Produktionseinheit durch seinen Fortgang gestört wurde. Es geht hier nicht um familiäre Befindlichkeiten,92 sondern um existenzielle Fragen. Das Verlassen des sozialen Netzes mit einer Menge nicht abzuschätzender Probleme und der neu eingeschlagene Lebensweg als Charismatiker, Lehrer, Prophet etc., war für die Verwandtschaftsgruppe so schwer nachvollziehbar, dass der Verdacht eines anormalen Geisteszustands und/oder dämonischer Besessenheit auf der Hand lag. Das alles sind freilich Vermutungen, sie 89 MOXNES, Family, 28. Dazu kommt Mk 6,3: Ehre wird über die Verwandtschaftsgruppe und die Herkunft zugeschrieben und sie wird erworben, etwa durch die berufliche Tätigkeit (ehrenvolles Handwerk, vgl. BÖSEN, Galiläa, 178). Somit ist die Frage der Nazarener eine Frage nach Jesu Ehre. Vgl. MOXNES, Family, 28. Vgl. auch BARTON, Discipleship, 95f: Jesus erwartet als »Prophet« Ehre, die ihm seine Nachbarn überhaupt nicht geben können. Für sie gehört er in das Haus von Nazareth. Aufgrund der Bindungen natürlicher Verwandtschaft ist dies sein Platz. Für die Menschen ist seine Ehre mit diesem Platz verbunden. 90 So beschreibt MOXNES (Family, 20) die Situation in der Antike: »Interaction between individuals and between groups was characterised by a competition for recognition.« 91 MALINA, Welt, 57. Dass Jesu Ausbruch aus dem Familienclan als solche »extreme Entehrung« gelten kann, soll hier nicht gesagt werden – Malina hat hier immerhin die Ermordung einer heiligen, unantastbaren Person im Blick – das Zitat verdeutlicht aber den Ernst und die mögliche Dimension der Situation. Ähnliches lässt sich in der arabischen Welt bis heute beobachten: »Wer versucht, an dieser Ordnung [Verwandtschaftssystem, TR] zu rütteln, rüttelt am Gerüst der Gesellschaft und bringt sie damit in Gefahr. Daher erhalten die Regeln der Verwandtschaft einen fast unantastbaren Charakter.« NIPPA, Haus, 12. 92 Ehre ist als grundlegender Wert der mediterranen Welt mehr als Befindlichkeit.

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können aber in guter Übereinstimmung mit den ntl. Texten erwogen werden.93 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine Person nicht als Individuum gesehen wird. Anthropologen sprechen von »dyadischer Persönlichkeit«, d.h., »Family and social traditions dictate what men and women are to be in each stage of the life cycle: child, initiand, young adult, husband or wife, father or mother, widow or widower, elder.«94 Die Person hat sich entsprechend der ihr vorgegebenen sozialen Rolle zu verhalten. Das Dorf und die Familie sieht in Jesus nicht »Jesus«, sondern eben den Bauhandwerker und »Sohn der Maria« (6,4). Da Jesus sich seiner Rollenzuweisung entzogen hat, ist das »ƶƯƦƱƩƦư˄ƫƪƮƱ« die logische Konsequenz. Somit wird die an anderer Stelle geäußerte Annahme, dass die Trennung Jesu von der Familie nicht aufgrund der Personen, sondern der Rollenzuweisung erfolgt (s.o. Teil 2, 1.3.4), kulturanthropologisch gestützt. Aus der Sicht Jesu wiederum ist die Notwendigkeit seiner Trennung und seines Fortgangs aus Nazareth und damit aus der Verwandtengruppe erkennbar. Gleiches dürfte für seine Anhänger gelten. Das vielfältige Geflecht sozialer Beziehungen, Rollenzuweisungen, Erwartungen und Verpflichtungen, das Recht der Blutsverwandten, in persönliche Fragen einzugreifen etc. bieten keinen Raum für ihren eingeschlagenen Weg.95 Weiterhin stellt die Reichgottesverkündigung Jesu eine radikale Umwandlung der gesellschaftlichen Werte in Aussicht.96 Dazu gehört die Relativierung97 von Reinheitsnormen und Ehre (7,1–19; 10,41ff u.ö.) – von Werten also, deren Vermittlung und Bewahrung im Bereich der Familie liegen. Geht man davon aus, dass Jesus mit den religiösen Fragen und Traditionen seiner Zeit souverän und provokativ umging, so richtete sich dieses auch gegen die Familie als Ort der grundlegenden Vermittlung von Religion und Tradition.98 Die familiär vermittelten Werte werden neu interpretiert, in Frage gestellt, umgestoßen. Ein Konflikt scheint in dieser Frage unausweichlich, auch wenn genügend Kontinuität zur familiär vermittelten Religion bleibt,99 sodass man nicht von einem Bruch sprechen kann. Es lässt sich aber erahnen, warum ein Prophet nichts im eigenen Ort und innerhalb der eigenen Verwandtschaftsgruppe gilt (Mk 6,4). Der Grund, warum der Vater Jesu im MkEv fehlt und die familia dei keinen irdischen Vater erhält, steht nun auch plastisch vor Augen. Die 93

Vgl. neben Mk 3,20f.31–35; 6,1–6a auch Joh 7,3ff. OSIEK/BALCH, Families, 41. 95 Vgl. JACOBSON, Jesus against, 201, der Ähnliches für die Trägergruppe von Q vermutet. 96 So GUIJARRO, Reino y familia, 540. 97 Nicht, wie GUIJARRO (Reino y familia, 540) sagt, deren Abschaffung! 98 Vgl. GUIJARRO, Reino y familia, 540. 99 Es ist zu betonen, dass es sich hier um innerjüdische Konflikte handelt.

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patriarchale Gesellschaftsstruktur wird aufgebrochen. Für den väterlichen Anspruch der Macht und Führung ist in der Königsherrschaft Gottes kein Platz. Hier zählt allein das Dienen (Mk 10,41ff, vgl. 15,41). Die mk Gemeinde – so wird sich an anderer Stelle zeigen100 – ist als egalitäre Gemeinschaft zu verstehen. Das Symbol hierarchischer Strukturen hat vielleicht auch deshalb im MkEv keinen Platz erhalten. Das Fehlen des Vaters hat eine vertikale und eine horizontale Ebene. Gott ist der Vater Jesu und der Gemeinde. Die Rolle des pater familias kann deshalb von keinem Mitglied der Gemeinde eingenommen werden. Der Gehorsam gegenüber dem pater familias gilt in dieser Gemeinschaft nur im Bezug auf Gott (Mk 3,35). Nach alledem lässt sich sagen: Der Bruch mit den Familien war wesentlich radikaler und folgenreicher, als es ein ähnlicher Vorgang in heutiger Zeit erahnen lässt. Und: Das so entstandene Vakuum sozialer Interaktion lässt den Jüngerkreis bzw. die familia dei in einem neuen Licht erscheinen und verleiht ihr existenzielle Bedeutung. Weitere Gesichtspunkte: Die beschriebenen patriarchalischen Verhältnisse lassen vermuten, dass, bei vorausgesetztem Witwenstand Marias, v.a. die Brüder für die Aktion in Kap. 3 verantwortlich waren. In Mk 3 stehen aber Mutter und Brüder geschlossen in einer Reihe gegen Jesus, Markus »tut nichts, um Maria in einem günstigeren Licht als die Brüder Jesu erscheinen zu lassen.«101 Sucht man im Evangelium nach Spuren der beschriebenen emotional starken Mutter-Sohn-Beziehung, zeigt sich diese weder in der mk Darstellung von Kap. 3 noch in Kap. 6. Sollte die Maria an Kreuz und Grab mit Jesu Mutter identisch sein, könnte diese Beziehung in Mk 15,40f.47; 16,1–8 eine Rolle spielen.

1.2 Die Heimat Jesu102 Die Heimat Jesu Die meiste Zeit seines Lebens hat Jesus bei Eltern und Geschwistern in Nazareth zugebracht. Über diesen Jahren liegt aber ein dichter Nebel. Neben dem Faktum der Herkunft aus Nazareth103 wird nur in Mk 6,3 »ein knapper Einblick in die private Geschichte Jesu vor dem öffentlichen Wirken gegeben!«104 Darüber hinaus schweigt das NT über den Wohnort der 100

S. etwa unten 3.9.3. RÄISÄNEN, Mutter, 34. 102 Ein ausführliches und anschauliches Bild vermittelt immer noch W. BÖSEN, Galiläa als Lebensraum und Wirkungsfeld Jesu, speziell: 97–110. 103 Aufgrund der vielfältigen Identifikation Jesu mit Nazareth im NT (etwa 30mal), gerade auch in Konkurrenz zur Bethlehemtradition, ist Nazareth als Heimatort der Familie Jesu eine gesicherte historische Aussage. Vgl. Mk 1,9.24; 10,47; 14,66f; 16,6; Joh 1,45f; 19,19 u.ö. 104 ERNST, Mk, 169. 101

Die Heimat Jesu

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Familie Jesu, von den historisch schwer verwertbaren Kindheitserzählungen abgesehen. »Im Unterschied zu Kafarnaum, mit dem die Tradition eine Reihe einprägsamer Erzählungen verbindet, bleibt Nazaret in den Evangelien blaß und farblos.«105 Da dieser Ort weder im AT noch bei Josephus oder im Talmud erwähnt wird, wurde im 19. Jh. n.Chr. sogar dessen Existenz bestritten. Aufgrund archäologischer Erkenntnisse ist aber heute eine Besiedlung um die Zeitenwende nachgewiesen.106 Nazareth, »ein unbedeutendes Dorf in den südgaliläischen Bergen«,107 liegt etwa 340 m über dem Meeresspiegel in einem kleinen Talkessel oberhalb der Jesreel-Ebene. Im Südosten »führt ein schluchtartiges Wadi in steilem Abstieg zu dem 550 m tiefer gelegenen See Gennesaret hinab«.108 Die Via Maris (Mesopotamien – Ägypten) verlief in etwa 10 km Entfernung durch die Ebene. Durch Nazareth selbst führte keine Straße, eine gute Verkehrsanbindung war nicht gegeben. Allerdings lag hinter einem Höhenzug ca. 4 km Luftlinie entfernt Sepphoris, die erste Residenzstadt des Herodes Antipas, die auch hellenistischen Einflüssen offen stand (Amphitheater!). Sepphoris war im Jahr 4 v.Chr. von Varus zerstört und in der Jugend Jesu wieder aufgebaut worden. Die naheliegende Überlegung, ob Josef und/oder Jesus unter den dringend benötigten Bauhandwerkern am Wiederaufbau der Stadt beteiligt waren, lässt sich nicht klären, es ist aber fast zu erwarten – ein ökonomisches Bewusstsein der Handwerkerfamilie vorausgesetzt.109 Zumindest darf man nicht den Fehler begehen, Nazareth als von der Welt entrückt darzustellen. Die zweite benachbarte Stadt Jafa erreichte man nach 2–3 km. Zu beiden Städten hatten die Nazarener schon aufgrund der Märkte regen Kontakt und so wohl auch einen Anschluss zur Welt. Die ärmliche Siedlung von geringen Ausmaßen war aufgrund der gefährlichen Wolkenbrüche im Winter auf drei Terrassen einer Bergzunge des Nebi SaÞin erbaut. Über die Einwohnerzahl lässt sich nur spekulieren. Mit dem archäologisch ungesicherten Hinweis von Mk 6,2 auf eine Synagoge im Ort110 und im Blick auf die möglichen räumlichen Ausdehnungen von Dorf und benötigtem Ackerland, ist die Zahl der Nazarener auf 50–400 zu schätzen, »wobei man intuitiv kleineren Zahlen den Vorzug geben möchte.«111 Eine Besonderheit Nazareths sind die Wohnstätten, die nicht nur aus 105

BÖSEN, Galiläa, 110. Die wichtigsten Funde listet BÖSEN (Galiläa, 101) auf. 107 BÖSEN, Galiläa, 97. Der Name wird in der Regel von rcn abgeleitet und kann mit »Wächterin« übersetzt werden. Die Deutung als Grenzbefestigung über der Jesreel-Ebene ist umstritten. 108 GNILKA, Jesus, 75. 109 Vgl. SCHLATTER, Mt, 455; GNILKA, Jesus, 77. 110 Ein spezielles Versammlungsgebäude ist nur sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar, wenn gottesdienstliche oder kommunale Versammlungen aufgrund der Einwohnerzahl nicht in Privathäusern stattfinden können. 111 BÖSEN, Galiläa, 105. 106

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Die leibliche Familie Jesu

den üblichen würfelförmigen Häusern, sondern v.a. aus z.T. geräumigen Wohngrotten im Kalksteinfelsen mit diversen Getreidesilos und Zisternen bestanden. Vor manche Höhlen wurde ein kleiner Vorbau gesetzt, sodass die Wohnstätten halb und halb aus Haus und Grotte bestanden. Zur Veranschaulichung der Unansehnlichkeit des Ortes am Beispiel der Straßenstruktur zitiert Bösen aus dem 1868 erschienenen Buch Nazareth in Palästina von Titus Tobler: »Die gassen sind schmal, uneben, unregelmäßig und liegen ziemlich steil über einander. Ungepflastert, wie sie sind, belästigen sie in der regenzeit durch schmutz und unrath und in der trockenen jahreszeit durch den staub.«112

1.3 Die Geschwister Die Geschwister Aus Mk 6,3 erfährt man von Brüdern und Schwestern Jesu. Nach dieser Textstelle muss Maria mindestens 7 Kinder gehabt haben.113 Für die Alte Kirche und bis in heutige Tage die orthodoxe und römisch-katholische Kirche stellen die Notizen über die Herrengeschwister aufgrund des Dogmas von der immerwährenden Jungfrauenschaft Marias von 553 n.Chr. bzw. den in diesem Dogma sichtbar werdenden mariologischen Tendenzen ein großes Problem dar. In der Alten Kirche gibt es drei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, die in Variationen bis heute begegnen. (1) Epiphanius von Salamis († 403) hält es mit der Lösung des Protev. Die »Brüder Jesu« sind Kinder des Josefs aus erster Ehe.114 Diese Interpretation ist für die orthodoxe Kirche prägend. (2) Helvidius schreibt ca. 380 n.Chr. eine Abhandlung gegen die Annahme von Marias Jungfräulichkeit nach der Geburt Jesu. Er geht vom Vollzug der Ehe und von leiblichen Geschwistern Jesu aus. (3) Hieronymus ist der Gegenspieler des Helvidius. Seine Lösung, die sich in der Schrift Adversus Helvidium de Mariae virginitate perpetua findet, ist für den Westen prägend. Hauptanliegen der Schrift ist der Beweis der Jungfrauenschaft Marias nach der Geburt Jesu. Dabei wird zum ersten Mal die Frage nach den verwandtschaftlichen Beziehungen Jesu exegetisch behandelt. Mit der Kenntnis dieser Schrift ist es möglich, verschiedene westliche Argumentationen in eine Traditionslinie einzuordnen. Deshalb, und weil der Zusammenhang zwischen Mk 6,3 und 15,40 darin eine entscheidende Rolle spielt, muss ich auf diese Schrift näher eingehen. 112

Zitiert nach BÖSEN, Galiläa, 109f. Vgl. auch Mk 3,31; Joh 2,12; 7,3.5.10; Act 1,14; 15,13; 21,18; Gal 1,19; 2,9; 1Kor 9,5; 15,7; JOSEPHUS, Ant XX 199ff. 114 EPIPHANIUS, Ancor LX; Pan LXXVIII, vgl. dazu etwa MCHUGH, Mother, 208–222. 113

Die Geschwister

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Die Vorgeschichte zu dieser Schrift beginnt in der zweiten Hälfte des 4. Jh. n.Chr., vermutlich in Rom. Ein gewisser Craterius behauptet gegen die Schrift (Mt 1,18) aber in Übereinstimmung mit dem Protev, Maria sei mit Josef nicht verlobt, sondern nur seinem Schutz unterstellt gewesen. Das ruft Helvidius auf den Plan, der aufgrund seines Schriftverständnisses vom Vollzug der Ehe Marias nach der Geburt Jesu und der Existenz von Geschwistern Jesu ausgeht. Viel weiß man leider über diesen Mann nicht, die Hauptquelle ist eine polemische Streitschrift gegen ihn! Möglicherweise ist er arianisch geprägt und zieht mit seiner Entgegnung gegen asketische Bewegungen ins Feld.115 Hieronymus zumindest sieht ihn als Häretiker. Die polemisch-apologetische Schrift, die zwischen 382 und 384 entstanden sein wird, argumentiert mit rhetorischem Schliff, scharfem Verstand und guter Bibelkenntnis, vermag m.E. aber nur denjenigen zu überzeugen, für den die immerwährende Jungfrauenschaft Marias bereits feststeht. Aus heutiger exegetischer Sicht stört v.a., dass sich Hieronymus in seiner Argumentation allein auf den lateinischen Bibeltext stützt, dafür aber hebräische Spracheigenheiten zur Beweisführung auf die ntl. Texte anwendet116 und die verschiedenen ntl. Schriften unkritisch harmonisiert. Folgende Aspekte sind für diese Arbeit interessant: Die in den Evangelien genannten Geschwister Jesu sind nach Hieronymus die Kinder der in Mk 15,40 genannten anderen Maria. »Bruder« bezeichnet ein entferntes Verwandtschaftsverhältnis. Dieses legt ihm der Vergleich mit atl. Stellen (Gen 14,14) nahe. Die Maria beim Kreuz wird zur Mutter des Apostels Jakobus, Sohn des Alphäus (Mk 3,18), erklärt und ohne Umstände mit der joh Maria Klopae, welche nun mit der Schwester Marias identifiziert wird (s. Joh 19,25), gleichgesetzt.117 So wird jene Maria zur Tante Jesu, wobei in Kauf genommen wird, dass Marias Eltern bei der Namensgebung sehr eintönig verfuhren. 115 So SCHADE (Hieronymus, AdHelv, 253f) in seiner Einleitung zu der hieronymusschen Streitschrift. Vgl. auch GRÜTZMACHER, RE3 7, 654f. Für asketische Bewegungen ist die sexuelle Enthaltsamkeit Marias Stütze und Vorbild. 116 OBERLINNER (Überlieferung, 49) plädiert dafür, zuerst den ntl. Gebrauch von əƩƪưƹƳ˄ zu prüfen: »Auf keinen Fall aber darf eine Untersuchung des atl und ntl-zeitgenössischen, außerbiblischen Sprachgebrauchs dazu verleiten, von da aus die əƩƪưƹƳ˄ Jesu bestimmen [...] zu wollen«. 117 Ob drei oder vier Frauen in Joh 19,25 zu finden sind und damit die Tante Jesu zugleich die Frau des Klopas ist, oder ob es sich um zwei verschiedene Frauen handelt, ist vom gr. Text aus

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Die leibliche Familie Jesu

Da die genannten Söhne der Maria beim Kreuz (Mk 15,40) mit denen in der Namensliste in Mk 6,3 identifiziert werden, hat Hieronymus den entfernten Verwandtschaftsgrad Jesu zu seinen Brüdern hergestellt und aus ihnen Vettern gemacht. Interessant ist, das Helvidius in diesem Streit eine Variante meiner These vertritt, indem er ebenso die Namensliste in Mk 6,3 und 15,40 in Verbindung bringt, von leiblichen Geschwistern Jesu ausgeht und somit die Mutter Jesu beim Kreuz stehen sieht. Zur Stütze benutzt er – wie Hieronymus – die joh Passionsgeschichte, in der, neben Maria Klopae, nun auch die Mutter Jesu unterm Kreuz steht. Er gibt zu bedenken: »Wie kläglich und gefühllos wäre es, von Maria anzunehmen, die Mutter Jesu sei, während andere Frauen für sein Begräbnis Sorge trugen, abwesend gewesen, oder zu erdichten, es habe noch irgendeine andere Maria gegeben.«118 Während die Argumentation des Hieronymus in der westlichen Kirche von Bedeutung war und ist,119 hielten sich die griechischen Kirchenväter und bis heute die griechisch-orthodoxe Kirche an Epiphanius: Die Herrennicht eindeutig zu beantworten. Es ist heute unter den Exegeten weitgehend Konsens, dass es sich um vier Frauen handelt. Ansonsten hätten zwei leibliche Schwestern den gleichen Namen erhalten! (Wobei allerdings das JohEv die Mutter Jesu nie mit Namen nennt. – Daraus zu schließen, Johannes kenne ihren Namen nicht, wird schwer zu begründen sein: »Mary’s role in the Gospel of John consists exclusively of her relationship to Jesus. She remains unnamed because what makes her important is solely the fact that she is Jesus’ mother. In this respect, she is like all the characters in John’s story: they exist in the narrative to reveal something about Jesus rather than something about themselves.« GAVENTA, Standing, 50. Anders MALINA, Mother, 55. Entsprechend seiner These, außer dem Faktum der Geburt seien keine historisch verwertbaren Informationen über Maria im NT zu finden, vermutet er, Johannes kenne den Namen nicht.) WILCKENS (Joh, 295) schreibt in Ablehnung der Vetterntheorie: »Diese Maria [Frau des Klopas, TR] mit einer der im synoptischen Bericht genannten Marien gleichzusetzen [...], ist reine Willkür; genauso die Annahme, die ›Schwester der Mutter Jesu‹ sei die Mutter der Zebedäussöhne«. Ähnlich BULTMANN, Joh, 521. SCHNACKENBURG (Joh, 322) erwägt die Vetterntheorie: »Aber unsere Stelle Joh 19,25 ist wegen der genannten Unsicherheit für die Herrenbrüderfrage untauglich.« 118 HIERONYMUS, AdHelv, 12. 119 Auch Calvin stützte sich noch darauf (vgl. das Zitat bei GNILKA, Mk I, 234). Weitere Argumente, die – neben der offenen Wortbedeutung von »Brüder« – mitunter vorgebracht werden, sagen: dass Josef früh gestorben sei; dass, bei vorausgesetzter Jungfrauengeburt, die Vettern, wie Josef von Außenstehenden fälschlicherweise als Vater bezeichnet wird (vgl. Joh 1,45), Brüder genannt werden können; dass Maria bei mehreren Kindern die Wallfahrt Lk 2,41–52 nicht hätte unternehmen können bzw. die anderen Kinder dabei gewesen sein müssten; dass, bei vorausgesetzter Erstgeburt Jesu, die jüngeren Brüder nicht so respektlos mit Jesus umgegangen sein könnten (Mk 3,20f; Joh 7,2ff); dass außer Jesus niemand sonst »Sohn Josefs« oder »Sohn Marias« genannt wird und die Einsetzung Marias als Mutter des Lieblingsjüngers in Joh 19,26f das Fehlen anderer Söhne voraussetzt. Beispiele dieser Argumentation finden sich bei SCHMID, Mk, 86f. Eine gründliche Untersuchung findet sich bei MCHUGH, Mother, 200–254. McHughs These ist eine modifizierte Vetterntheorie: Josef, die »andere Maria« (Mk 15,40) und Klopas sind Geschwister, die Schwestern in Joh 19,25 demzufolge Schwägerinnen. Sie können somit problemlos beide den selben Namen führen. Die »andere Maria« ist Mutter des Jakobus und Joses; Klopas – ebenfalls mit einer Maria verheiratet – ist Vater des Simeon (nach HEGESIPP, Euseb, h.e. IV 22,4).

Die Geschwister

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geschwister sind Kinder Josefs aus erster Ehe. Aufgrund der jungfräulichen Geburt sind die »Herrenbrüder« nicht einmal Halbbrüder Jesu. Der Ursprung dieser Deutung liegt wohl im Protevangelium des Jakobus (8,3; 9,2). Aber auch bei diesem Erklärungsmuster findet sich eine Identifikation der Namenslisten von Mk 6,3 und Mk 15,40. Die apokryphe Geschichte von Josef dem Zimmermann stellt um 400 n.Chr. (oder später)120 diese Verbindung her. Maria soll sich als Josefs Verlobte mit solch mütterlicher Fürsorge um den jüngsten Sohn Josefs aus erster Ehe – den verwaisten kleinen (!) Jakobus, – gekümmert haben, dass man sie umgangssprachlich »Maria, Mutter des Jakobus« nannte.121 Hier werden nun gleich »zwei Fliegen mit einer Klappe« geschlagen. Die virginitas post partum wird abgesichert und Maria steht bei ihrem Sohn am Kreuz. Zudem wird eine Erklärung für das rätselhafte ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ gegeben. Allerdings muss Jakobus dafür erst zum jüngsten Sohn erklärt werden, denn seine Erstnennung in der Brüderliste Mk 6,3 lässt anderes vermuten.122 Heute wird allerdings nicht nur in der protestantischen, sondern mitunter auch in der römisch-katholischen Exegese, bei den əƩƪưƹƳ˄ von leiblichen Brüdern Jesu ausgegangen. Eine deutliche Gegenposition vertritt hier u.a. Josef Blinzler, dessen 1967 erschienenes Buch Die Brüder und Schwestern Jesu der Argumentation von Hieronymus annähernd folgt123 und ebenso in Zustimmung und Ablehnung eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die moderne Exegese hat – es ist für die Vetterntheorie ein Standardwerk in neuerer Zeit.124 Als ein etwas gealtertes Standardwerk der Gegenseite ist wohl die 1900 erschienene Untersuchung Brüder und Vettern Jesus von Theodor Zahn zu bezeichnen. Wenn man auch in vielen Punkten den Ansichten Zahns heute nicht mehr folgen wird, scheint in dieser Arbeit doch die Vetterntheorie umfassend widerlegt worden zu sein.125 Wenn man sich die Diskussion dieser Frage im 20. Jh. n.Chr. vor Augen führt, drängt sich leicht der Eindruck zweier verhärteter Fronten auf.126 120

Vgl. zu den Schwierigkeiten der Datierung MORENZ, JG, 110ff. JG 2,3; 4,4; 11,1. Vgl. auch MORENZ, JG, 38.41. 122 Ganz anders das Protev (25): Jakobus ist zur Geburt Jesu bereits ein erwachsener Mann. 123 »Die Antwort lautet: Jesus war der einzige Sohn Marias; seine Brüder und Schwestern, die im Neuen Testament erwähnt werden, sind [...] Verwandte entfernten Grades, Vettern und Basen.« BLINZLER, Brüder, 126. 124 Auch in zahlreichen Aufsätzen, die in diesem Buch zusammenlaufen, hat sich Blinzler unermüdlich gezeigt, die immerwährende Jungfräulichkeit Marias abzusichern (vgl. OBERLINNER, Überlieferung, 1 mit Anm. 4). Als weitere wichtige Veröffentlichung mit einer Variante der Vetterntheorie ist J. MCHUGHs The Mother of Jesus in the New Testament von 1975 zu nennen. 125 Zur Übersicht vgl. die Zusammenfassung ZAHNs (362f) oder BLINZLER, Brüder, 12. OBERLINNER (Überlieferung, 1) charakterisiert diese Arbeit als »in ihrer Ausführlichkeit und Gründlichkeit beachtenswerte Studie«. 126 Eine gute Übersicht über diese Diskussion bietet BLINZLER, Brüder, 11–20. OBERLINNER (Überlieferung, 3) spricht auch davon, dass sich »Fronten – und von Fronten kann man in dieser 121

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Die leibliche Familie Jesu

Während Josef Blinzler, Josef Schmid u.a. mit bemerkenswerter Beharrlichkeit zu beweisen suchen, dass es sich bei den Brüdern Jesu um Vettern handelt, lehnt der größte Teil der Gegenseite von vornherein jegliche Möglichkeit einer Identifikation der Personen in Mk 6,3 und 15,40 ab. Mitunter scheint es, als ob die Beweggründe dafür weniger in exegetischen Beobachtungen, als vielmehr in einer klaren Absetzung gegenüber der Vetterntheorie liegen.127 Nachdem die von Hieronymus geprägte Tradition kurz zu Wort gekommen ist, soll jetzt eine Auswahl an Gegenargumenten folgen. Eduard Schweizer hält eine erweiterte Bedeutung von »Bruder«, wie in Gen 13,8, im griechischen Sprachgebrauch für fast ausgeschlossen, »vor allem hätten nicht Markus, Lukas, Paulus und Johannes unabhängig voneinander eine derart ausgefallene und mißverständliche Bezeichnung wählen können, wenn sie nur Vettern gemeint hätten.«128 Dieser Liste ist noch die Notiz JOSEPHUS, Ant XX 199ff hinzuzufügen, welche von Jakobus, dem »Bruder Jesu (Ʒ˅Ʊ əƩƪưƹ˅Ʊ ʍƬƶƳ̬), des sogenannten Christus« berichtet. Für »Vetter« ist bei Josephus129 und in der kirchlichen Tradition als Sprachmöglichkeit əƱˀƻƮƳƵ belegt.130 Allerdings ist für əƩƪưƹˆƵ auch die Bedeutung »Verwandter« und »Glaubensgenosse« möglich. Mit Gräßer ist darauf hinzuweisen, dass Markus in 6,1–6 gerade die profane Menschlichkeit Jesu zum Anstoß werden lässt. Eine außergewöhnliche, göttliche Geburt, welche auch nicht durch nachfolgende Geburten Marias ins allgemein Menschliche hinabgezogen werden kann, ist für Markus überhaupt nicht im Blick.131 Überhaupt ist jeder Versuch, im MkEv versteckte Hinweise auf eine Jungfrauengeburt entdecken zu wollen, äußerst fraglich. Letztlich ist es die überzeugendste, weil plausible, biblisch begründete, dogmatisch nicht überformte und logisch nachvollziehbare Entscheidung, von leiblichen Geschwistern Jesu auszugehen.132 Die Umdeutung der Geschwister zu Stiefgeschwistern oder Vettern und Basen Auseinandersetzung schon sprechen – so starr und steif wie eh und je gegenüber« stehen. Zudem weist er (ebd. 143ff) zu Recht auf die »polemisierende Argumentation« in dieser Frage, und zwar auf beiden Seiten. 127 So klagt BLINZLER (Brüder, 18): »Wenn in der Art und Weise, wie die protestantische und die katholische Exegese ihre Stellungnahme vorbringt, ein Unterschied besteht, dann ist es der, daß man katholischerseits meist noch bemüht ist, die Argumentation der Gegenseite zu berücksichtigen und zu entkräften, während die protestantischen Autoren ein entsprechendes Vorgehen in der Regel schon für überflüssig halten.« Als ein Versuch der Annäherung sei auf die ökumenische Untersuchung »Maria im Neuen Testament« von BROWN u.a. verwiesen. Weiteres unten Teil 4, 2. 128 SCHWEIZER, Mk, 65. 129 Vgl. JOSEPHUS, Ant I 290; XV 255; XVII 184.294; XVIII 130 u.ö. 130 Euseb, h.e. IV 22,4, vgl. ZAHN, Brüder, 235. Zur Deutung vgl. PESCH, Mk I, 324. 131 Vgl. GRÄSSER, Nazareth, 24. 132 In dieser Diskussion wird oft GOGUEL (Leben Jesu, 157) zitiert: »Die Brüder Jesu stellen für die Geschichte kein Problem dar; es gibt nur eines für die katholische Dogmatik.«

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»scheint sekundär im Gefolge eines biologischen Verständnisses der Christuslogumena von Zeugung aus heiligem Geist und Jungfrauengeburt entstanden zu sein.«133 Was lässt sich nun zu den einzelnen Geschwister Jesu sagen? (1) Jakobus. Wie Markus und Johannes zeigen, stand Jakobus dem Auftreten seines Bruders Jesus zu dessen Lebzeiten distanziert bzw. ablehnend gegenüber. Nach Ostern berichtet Paulus (1Kor 15,7) von einer Christophanie vor Jakobus. Dieses Ereignis wird häufig als eine Wende des Jakobus hin zur christlichen Gemeinde und als Grundlage seiner späteren Vorrangstellung in der Gemeinde interpretiert.134 Als Paulus in den 30er Jahren Petrus besucht, gehört Jakobus zum engeren Führungskreis, ist aber Petrus noch nachgeordnet. Beim »Apostelkonzil« Anfang der 40er Jahre zählt er bereits zum »Säulenkollegium« und damit neben Petrus und dem Zebedaiden Johannes zur Führungsspitze. Nach 44 leitet Jakobus die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem.135 In den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte wird die fundamentale Rolle, die Jakobus in der frühen Kirche spielt, deutlich sichtbar. Pratscher führt diese steile Karriere auf die Herrenbruderschaft, die Christophanie und eine strenge Thoraobservanz zurück.136 Die Thoragebundenheit ist evtl. der Grund, warum Jakobus in der Agrippaverfolgung unbehelligt blieb. Dennoch ist die Position des Herrenbruders nach Pratscher nicht als judaistisch einzustufen, Jakobus war nicht der Kopf der judaistischen Gegenmission in den Missionsgebieten des Paulus, »auch wenn sein Verständnis für eine ihm sehr fremde theologische Position von Paulus jeweils erst erkämpft werden mußte.«137 Nach dem Tod des Festus 62 n.Chr. wird Jakobus zusammen mit einigen anderen auf Bestreben des Hohepriesters Ananus gesteinigt.138 Der Jakobusbrief beansprucht, vom Herrenbruder Jakobus verfasst worden zu sein (1,1). Aufgrund verschiedener Merkmale des Briefes ist dies aber eher auszuschließen.139 (2) Joses. Über Joses ist außer der Herrenbruderschaft und der Distanz zum irdischen Jesus nichts bekannt. Bei dem Namen handelt es sich um die gräzisierte Form von »Josef«.140 Lohmeyer sieht in dem Namen eine gali133

PESCH, Mk I, 323. Vgl. PRATSCHER, Jakobus, 48. 135 Petrus hat aufgrund der Verfolgungen unter Agrippa I. Jerusalem verlassen, Johannes ist evtl. zusammen mit seinem Bruder (vgl. Mk 10,38f; Act 12,2) diesen Verfolgungen zum Opfer gefallen, zumindest ist er von der Bildfläche verschwunden. 136 Vgl. PRATSCHER, Jakobus, 101. 137 PRATSCHER, Jakobus, 101. 138 Vgl. JOSEPHUS, Ant XX 200. 139 Vgl. etwa CONZELMANN/LINDEMANN, Arbeitsbuch, 410. 140 Vgl. SCHNEIDER, EWNT 2, 526; SCHMIDT, Rahmen, 154. 134

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läische Abkürzung von Josef.141 Die matthäische Änderung (Mt 13,55) ist als Angleichung der in Galiläa gebräuchlichen Form »Joses« an die hebräisch korrekte Form Josef zu werten.142 (3) Simon. Über Simon lässt sich ebenso wie über Joses nichts Näheres sagen. Mitunter wird er mit dem Jerusalemer Bischof und Nachfolger des Jakobus ƙƸµƪˊƱ ʖ ƷƳ̬ ƐưƼ™̀, von welchem Hegesipp (in: Euseb, h.e. IV 22,4) berichtet, identifiziert.143 Dabei spielt stets das Interesse eine Rolle, den Herrenbruder Simon von Mk 6,3 als Vetter Jesu auszuweisen.144 (4) Judas. Auch von Judas gibt es außer Mk 6,3 fast keine Nachrichten. Der um 100 n.Chr. entstandene Judasbrief beansprucht indirekt die Verfasserschaft durch den Herrenbruder (Jud 1,1). Aber auch hier lässt sich, wie beim Jakobusbrief, nur Pseudepigraphie feststellen.145 Immerhin zeigt die Zuschreibung des Briefes, dass dem Verfasser die nachösterliche Zugehörigkeit des Herrenbruders Judas zur Gemeinde bekannt war. Hegesipp berichtet noch von Enkeln des Herrenbruders Judas, die von Kaiser Domitian als Davididen verhört wurden und, obwohl als bekennende Christen geschildert, von Domitian unter Verachtung ihrer Einfachheit wieder freigelassen wurden.146 (5) Die Schwestern. Am allerwenigsten ist über die Schwestern Jesu zu erfahren. Ihre einzige ntl. Erwähnung in Mk 6,3 und der Parallelstelle Mt 13,56 gibt gerade einmal über ihre Existenz und ihren Wohnort Nazareth (ʴƩƪ ™ƴ˅Ƶ ɶµ̀Ƶ) Auskunft. Aufgrund des Plurals əƩƪưƹƦ˃ muss es sich um mindestens zwei Schwestern handeln. Mit einer traditionskritischen Untersuchung verschiedener apokrypher Evangelien und altkirchlicher Schriften, allen voran dem Protev, zeigt die Untersuchung Salome, the Sister of Jesus, Salome, the Disciple of Jesus, and the Secret Gospel of Mark von Richard Bauckham, dass es (a) eine ausgeprägte Tradition einer Schwester Jesu mit Namen Salome gibt,147 die von der Tradition der Jüngerin Salome zu unterscheiden ist und dass es (b) nicht völlig unmöglich scheint, dass eine Schwester Jesu wirklich Salome hieß. Für Letzteres kann Bauckham allerdings nur Wortstatistiken148 ins 141

LOHMEYER, Mk, 110. Vgl. SCHNEIDER, EWNT 2, 529. 143 Vgl. BLINZLER, LThK2 9, 765. 144 Unter Annahme dreier Frauen in Joh 19,25 (s.o. Anm. 117) wäre Simon ein Vetter Jesu. 145 Vgl. CONZELMANN/LINDEMANN, Arbeitsbuch, 422. Eine Übersicht über die Diskussion findet sich bei BAUCKHAM, Jude, 171ff. (Bauckham selbst kommt allerdings mittels einer nicht unproblematischen Frühdatierung zu dem Ergebnis, der Brief stamme vom Herrenbruder). 146 Vgl. HEGESIPP, in: Euseb, h.e. III 20,1–6; Text auch bei THEISSEN/MERZ, Jesus, 164. 147 EPIPHANIUS nennt als Töchter Josephs aus erster Ehe Anna und Salome (Ancor LX), an anderer Stelle tragen die Töchter die Namen Maria und Salome (Pan LXXVIII 8). Die Lesart »ɥƱƱƦƱ may be a textual error of ƒƦƴ˄ƦƱ« (BAUCKHAM, Salome, 246, Anm. 5). 148 Bauckham zitiert eine Untersuchung von T. Ilan. Vgl. BAUCKHAM, Salome, 253, Anm. 35. 142

Die Eltern

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Feld führen – ein Verfahren, welches methodisch problematisch erscheint. Diese Statistiken zeigen, dass in Palästina wohl jede zweite Frau Maria oder Salome hieß,149 wogegen im Diasporajudentum der Name Salome unüblich war.150 Somit würde die Schwester-Salome-Tradition nicht von den Autoren der Apokryphen bzw. von Epiphanius erfunden, sondern ihre Entstehung in Palästina zu suchen sein. Möchte man diesem Befund Vertrauen schenken, könnte man die Herkunft dieser Tradition relativ früh ansetzen.151 Die Geschichte von Josef dem Zimmermann kennt dann noch andere Namen: Lysia und Lydia.152 Eine gründliche und umfangreiche Übersicht über die verschiedenen Namenstraditionen findet sich bei Josef Blinzler.153 Letztendlich wird man nichts Sicheres über die Schwestern Jesu sagen können.

1.4 Die Eltern Die Eltern (1) Der Vater. Der Vater Jesu kommt im MkEv auffälligerweise an keiner Stelle vor. Selbst in Mk 6,3, wo die Nennung des Vaters zu erwarten wäre, gibt es keinen Hinweis auf ihn. Eine gängige Lösung lautet, dass er zur Zeit des Wirkens Jesu bereits gestorben war.154 Allerdings kann diese Antwort 149 »A recent study of the recorded names of Jewish women in Palestine in the period 330 BCE–200 CE finds that, although the 247 women whose names are known bore 68 different names in all, 61 of these 247 women were called Salome (including its longer version Salomezion) and 58 were called Mary (Mariamme or Maria). In other words, these two names account for 47.7% of the women. Every second Palestinian Jewish woman must have been called either Salome or Mary.« BAUCKHAM, Salome, 253. 150 »[T]he list of 769 named Jewish women, from both Palestine and the diaspora, compiled by Mayer [G. MAYER: Die jüdische Frau in der hellenistisch-römischen Antike, Stuttgart 1987, TR], includes at least 21 women named Mary living in the diaspora, but only two women named Salome living in the diaspora (Rome and Beirut). Salome seems to have been a peculiarly Palestinian name.« BAUCKHAM, Salome, 254. 151 Vgl. BAUCKHAM, Salome, 254: »Thus it is unlikely that a Gentile Christian living outside Palestine in the second century, wishing to invent names for the sisters of Jesus, would have hit on the two most common Palestinian Jewish women’s names. He may well have called one sister Mary, but is unlikely to have called the other Salome. If the tradition is therefore to be traced back to Palestinian Jewish Christian circles, the chances of its being an accurate historical tradition are relatively high.« 152 Vgl. JG 2,3. MORENZ (JG, 36) weist darauf hin, dass hier »die Namen der Töchter [...] legendär« sind, da keine Vorlagen bekannt sind. 153 BLINZLER, Brüder, 35–38. 154 Vgl. GNILKA, Mk I, 152. ZAHN (Brüder, 330f) schließt »mit Sicherheit, daß Joseph in der Zwischenzeit zwischen dem 12. [aufgrund Lk 2,41, TR] und dem 30. Lebensjahr Jesu gestorben ist, was auch dadurch bestätigt wird, daß er Mr 6,3 gar nicht [...] genannt wird.« So z.B. auch GRUNDMANN, Mk, 107: »Das läßt nur den einen Schluß zu: Der Vater ist gestorben.« Einen anderen Weg schlägt HENGEL (Entstehungszeit, 13, Anm. 51) ein: »Die Mutter Maria und die Brüder Jesu sind der Gemeinde bekannt, nicht aber der Vater Joseph; s. Apg. 1,14.« Darum also

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kaum befriedigen, da Jesus üblicherweise in 6,3 auch über einen bereits verstorbenen Vater hätte charakterisiert werden müssen.155 Die hypothetische Berechnung Jürgen Beckers rückt den Tod Josefs allerdings durchaus in den Bereich des Möglichen.156 Nimmt man mit Becker das normale Heiratsalter, welches bei Frauen zwischen 12 und 14, bei Männern zwischen 13 und 15 Jahren lag,157 und addiert dazu das etwaige Alter Jesu von 30 Jahren bei dessen Auftreten, überbietet man die normale antike Lebenserwartung von 35 Jahren bei Frauen bzw. erreicht mit etwa 45 Jahren die Lebenserwartung von Männern.158 Vorausgesetzt ist die Erstgeburt Jesu, welche sich auf die historisch unzuverlässigen Geburtsgeschichten stützen muss (vgl. Lk 2,7). Verzichtet man auf diese Erstgeburt, wäre die so schon überdurchschnittlich alte Maria zur Zeit des Auftretens Jesu noch älter. Die Zeit, mindestens 7 Kinder großzuziehen, veranschlagt Becker mit wenigstens 15 Jahren. Somit muss Josef mindestens 30 Jahre alt geworden sein. Diese Berechnung ist spekulativ, kann sich aber für eine grobe Einordnung als nützlich erweisen. Der Vater mag gestorben sein – der Grund für seine Abwesenheit bei Markus ist ein theologischer, wie bereits ein Vergleich zu Mk 10,30 zeigt. Dort wird der Vater aus der Liste des zu Erwartenden entfernt, weil die familia dei nur einen Vater haben kann – Gott (11,25).159 Diese Deutung lässt sich auch mit Mk 3,35 stützen, wo ein Vater in der neuen Familie Jesu fehlt. Die Darstellung Jesu als Gottessohn ist für Markus ein zentrales Anliegen (Mk 1,1.11; 3,11; 5,7; 8,38; 9,7; 12,6; 14,36.61f; 15,39). Somit ist es am wahrscheinlichsten, das Schweigen über den leiblichen Vater Jesu nicht habe Markus kein Interesse ihn zu nennen. Mit einem Verweis auf den fehlenden Vater in der familia dei (Mk 10,30) ist aber Hengel zu widersprechen. 155 PESCH, Mk I, 224, Anm. 11 (zu Kap. 3): »Die Vermutung mancher Kommentatoren, Jesu Vater werde nicht erwähnt, weil er schon gestorben war, setzt voraus, daß die Szene einen konkreten Vorfall aus dem Leben Jesu berichtet«. Vgl. zur problematischen Gleichsetzung von »Nicht-erwähnt-werden« und »Nicht-mehr-am-Leben-sein« OBERLINNER, Überlieferung, 75ff. 156 Vgl. BECKER, Maria, 51. 157 STEGEMANN (Essener, 268) geht bei den Männern von 16–17, bei den Essenern (deren zölibatäres Leben er bestreitet) von 20 Jahren aus. 158 STEGEMANN (Essener, 270f) geht bei Frauen von einer Lebenserwartung von 25, bei Männern von 60 Jahren aus. (Diese enorme Diskrepanz ist ihm zumindest für seine Argumentation, die Essener wirkten aufgrund ihres langen Witwenstandes als ehelos, nicht hinderlich. Für die Qumran-Männer muss er dann allerdings die archäologisch nachgewiesene Lebenserwartung von 30 Jahren zugeben, was er auf das schlechte Klima und die harte Arbeit zurückführt. Ich halte das für überspitzt: die Arbeit war sicherlich in allen Familien im unteren Teil der Sozialpyramide – etwa den Kleinbauern – hart). Ps 90,10 beschreibt das Ideal, sicher nicht die Regel. 159 Vgl. ROH, Familia, 124f und THEISSEN, Evangelienschreibung, 410, Anm. 37. Mit dem Verweis auf Mk 10,29f ist auch DORMEYER (Familie, 129) zu widersprechen: »Da Josef die Verkündigung Jesu nicht mehr gehört hat, konnte er für die frühe ntl. Tradition nicht mehr in die Gottesherrschaft einbezogen werden.« Selbst wenn es so sein mag, ist das nicht der primäre Grund für die Abwesenheit Josefs.

Die Eltern

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als impliziten Hinweis auf die Jungfrauengeburt – diese findet sich nicht bei Markus (Mk 1,9)160 –, sondern als Hinweis auf die Gottessohnschaft Jesu zu deuten.161 Ein weiterer wichtiger Aspekt der väterlichen Abwesenheit wurde bereits an anderer Stelle genannt: Für die alles dominierende patriarchale Struktur der mediterranen Gesellschaft ist in der familia dei und in der Königsherrschaft Gottes kein Platz. Dahinter mögen ganz reale Erfahrungen stehen: Der Konflikt Jesu bzw. seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger mit ihren Abstammungsfamilien wird sich besonders gegenüber der Person des Vaters gezeigt haben.162 Auch das übrige NT geizt mit historisch verwertbaren Informationen über den irdischen Vater Jesu. Immerhin ist sein Name Josef durch drei voneinander unabhängige Traditionen (Mt 1,20 u.ö.; Lk 1,27 u.ö.; Joh 1,45; 6,42) ausreichend gut bezeugt. Aber bereits über Josefs Vater machen die beiden Kindheitsgeschichten – nur dort ist Josef als Person anzutreffen – widersprüchliche Angaben (Mt 1,16: Sohn Jakobs/Lk 3,23: Sohn Elis). Dormeyer sieht das Interesse der Kindheitsgeschichten an Josef im Zusammenhang mit den Genealogien, welche die davidische Abstammung Jesu sichern wollen. »Erst eine spät einsetzende Besinnung auf die heilsgeschichtliche Rolle des Vaters Jesu erweckt also das Interesse an der Tradierung des Eigennamens Josef.«163 Dass Josef in Nazareth lebte, ist äußerst wahrscheinlich, auch dass er der Ehemann Marias war und mit ihr zusammen weitere Kinder hatte (s.o.). Nach Mt 13,55 war Josef Bauhandwerker von Beruf. Auch wenn es sich bei dieser Stelle um eine Bearbeitung von Mk 6,3 (Jesus als ƷˀƯƷƼƱ) handelt, war es üblich, dass die Söhne den Beruf des Vaters übernahmen. Man wird darum Josef diesen Beruf gern zugestehen wollen.164 (2) Die Mutter. Befragt man die biblischen Berichte über die Mutter Jesu nach historischer Wahrscheinlichkeit, lässt sich relativ wenig über sie sagen. Die legendarischen Kindheitsgeschichten sind nur mit großer Vorsicht zu befragen, da beispielsweise die Geburt des Täufers (Lk 1,5ff) und die Jesu (Lk 1,26ff.57ff) so stark parallelisiert sind, dass etwa die Verwandtschaft Marias zu Elisabeth (Lk 1,36; 2,1ff) keinen historischen Anhalt 160

Gegen SCHMID, Mk, 116. Zur Jungfrauengeburt im MkEv vgl. RÄISÄNEN, Mutter, 46ff. Für SCHMITHALS (Mk I, 214) spiegelt sich in der Abwesenheit des Vaters in Kap. 3 eine Andeutung (keine Entfaltung! Ebd. 301) der Zwei-Naturen-Lehre (Sohn einer menschlichen Mutter und Gottes). Damit sieht er hier eine christologische Tendenz, welche auch durch die Vorstellung von der Jungfrauengeburt ausgesagt werden soll. (Vgl. Teil 2, 1.3.4, Anm. 232). Auch für ROBINSON (Geschichte, 131.139, Anm.18) nimmt Gott die Stelle des Vaters bei Jesus und der familia dei ein. Vgl. auch BIENERT, Verwandtschaft, 383. 162 Vgl. oben 1.1.4. Vgl. auch die Betonung des Vater-Sohn-Konflikts in Mk 13,12. 163 DORMEYER, Familie, 129. 164 Vgl. GRUNDMANN, Mk, 157; BLINZLER, Brüder, 31. 161

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beanspruchen kann. Auch das Problem der Jungfrauengeburt, welches hier nicht eigens expliziert werden kann, ist als primär theologische Aussage zu werten. Ebenso sind spätere Texte der Apokryphen als legendarisch überformt einzustufen. Zumindest lässt sich der Eigenname Maria, der (zumindest spätere) Wohnort Nazareth und die nachösterliche Zugehörigkeit zur Gemeinde festhalten. Eine geistige Distanz zum Auftreten Jesu ist nach der synoptischen Tradition wahrscheinlich. Auf eine fromme jüdische Tradition, in der die Familie stand, weist die Benennung der Söhne (Patriarchennamen). Auf den Ehestand mit Josef sowie eine größere Anzahl von Kindern und das überdurchschnittlich hohe Alter wurde gerade hingewiesen. Die Möglichkeit ihrer vorösterlichen Jesusnachfolge und ihrer Anwesenheit am Kreuz soll unten (Teil 4, 1) zur Sprache kommen.

1.5 Der Beruf Der Beruf Die textkritischen Probleme, dass Jesus oder sein Vater als ƷˀƯƷƼƱ bezeichnet werden, wurden bereits an anderer Stelle behandelt: ƷˀƯƷƼƱ ist in Mk 6,3 auf Jesus zu beziehen, ohne Josef den Beruf absprechen zu wollen. Wie bei dem oben dargestellten Modell des mediterranen Familienlebens deutlich wurde, handelt es sich bei einer Familie um eine Produktionseinheit. Die Väter waren für die berufliche Ausbildung ihrer Söhne zuständig. Man wird also die Berufsbezeichnung weder auf Jesus noch auf seinen Vater beschränken dürfen. Im exegetischen Teil zu Mk 6 wurde noch nicht auf die Probleme eingegangen, welche durch die nicht mehr sicher zu bestimmende Bedeutung von ƷˀƯƷƼƱ entstehen. Waren Jesus und sein Vater Zimmermann oder Schmied, bearbeiteten sie Stein oder Holz? »Die altkirchliche Überlieferung hat jedenfalls auch noch mancherlei über den Beruf Jesu zu erzählen gewußt.«165 So hat Jesus nach Justin Pflüge und Joche hergestellt, nach Hilarius als Schmied und nach Ambrosius als Baumeister gearbeitet. Zur Klärung des Arbeitsumfangs führt Lohmeyer ActThom 3 auf. Hier »ist auch Thomas ein ƷˀƯƷƼƱ; und hier wird sein Handwerk näher erläutert: ›In Holz Pflüge, Leitern, Boote, Ruder, Masten, Winden, in Stein Säulen, Tempel, königliche Paläste.‹«166 Lohmeyer weist auf die Holzknappheit in Palästina hin167 und sieht in Jesu Beruf den dörflichen Baumeister mit Lehm, Ziegel und Stein, der aber auch mit Zimmermannsarbeiten betraut war. In einem 165

SCHMIDT, Rahmen, 154. LOHMEYER, Mk, 110. 167 Anders JOHNSON, Mother, 37: »woodworking crafts«. JG geht mit der Berufsbezeichnung àamée (hamše) ausschließlich vom Holzhandwerk aus. So MORENZ (zu JG 0), JG, 1, Anm. 1; 27f. 166

Die Bezeichnung »Sohn Marias«

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kleinen galiläischen Dorf ist wohl dieser Deutung eines eher unspezialisierten Bauberufs recht zu geben. Über den Stellenwert des Berufs für Jesus gibt Theißen jedenfalls noch zu bedenken, dass eine »hohe Identifikation mit diesem Handwerk [...] kaum vorhanden gewesen sein [kann]. Es begegnet fast nie in den Gleichnissen als bildspendender Bereich [...].«168

1.6 Die Bezeichnung »Sohn Marias« (6,3) Die Bezeichnung »Sohn Marias« Die Näherbestimmung Jesu durch seine Mutter in Mk 6,3 ist im jüdischen Kontext des 1. Jh. n.Chr. unüblich. Selbst wenn der Vater verstorben sein mag, hätte Jesus als »Sohn Josefs« bezeichnet werden müssen (vgl. dazu Joh 1,45; 6,42). »A man was regulary identified by the name of his father.«169 Es gibt im AT die Möglichkeit, bei Polygamie die Kinder nach der jeweiligen Mutter zu benennen, wobei es sich um eine sekundäre Bezeichnung handelt.170 In diesem Fall wird der Name des Vaters als bekannt vorausgesetzt, die Kinder aber durch den Mutternamen familienstrukturell näher bestimmt. In einigen weiteren Ausnahmen werden, nach McArthur, vereinzelte Spuren eines früheren matriarchalischen Musters sichtbar.171 Auch bei einer jüdischen/proselytischen Mutter und einem nichtjüdischen Vater war eine Bezeichnung mit dem Matronym oder zumindest neutral mit dem Herkunftsort möglich.172 Dormeyer bezieht die matrilineare Benennung, welche für »Königshäuser und religionsgemischte Ehen reserviert« war, auf die christliche Gemeinde. Für sie wird die matrilineare Genealogie »in dem Fall selbstverständlich, daß die Mutter der einzige christliche Teil der Ehe (1 Kor 7) oder der herausragende Teil für das Gemeindeleben ist (Apg 16,1; 12,12; 23,16; Mk 15,41).«173 Es bleiben allerdings »Unexplained Usages«174 bestehen: Nicht alle Benennungen mit einem Matronym lassen sich einordnen oder erklären. Nach McArthurs Untersuchung sind für eine mütterliche Benennung die Möglichkeiten »Sohn einer Witwe« und »Sohn einer Prostituierten« im Judentum schwer festzumachen.175 Was lässt sich nun aber direkt zu Mk 6,3 sagen? Eine Lösung wäre gegeben, wenn man den Textzeugen folgt, die ƷƳ̬ ƷˀƯƷƳƱƳƵ ƸʆˆƵ lesen 168

THEISSEN, Wir haben alles verlassen, 166. Vgl. aber Mt 7,24ff/Lk 6,48f. MCARTHUR, Son, 38. 170 Vgl. Gen 21,3; 16,15 (dazu Gal 4,22ff); 35,23ff; 2Sam 2,3–5; 1Kön 1,5; 2,13; 11,26. 171 Vgl. MCARTHUR, Son, 41: »references indicating that a matriarchal pattern had existed earlier and in some places still continued«. Vgl. dazu Gen 2,24; 2Kön 12,21; 1Chr 2,16f. 172 Vgl. Lev 24,10f; 1Kön 7,13f. Weiteres bei MCARTHUR, Son, 42ff. 173 DORMEYER, Familie, 128. Interessant ist seine Verbindung von Mk 6,3 und 15,40. An beiden Stellen stehen Vater/Mann nicht für die Näherbestimmung zur Verfügung! 174 MCARTHUR, Son, 46. 175 Vgl. MCARTHUR, Son, 44ff. 169

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(î45vid) und somit Jesus als Sohn des Bauhandwerkers (Josef) deuten. Allerdings ist dieser textkritische Weg methodisch kaum verantwortbar.176 »The Widow Solution«177 führt, wie bereits gesagt, kaum weiter.178 Auch dafür, in Jesus ein illegitimes Kind – etwa einer Prostituierten – zu sehen, gibt es keinen Anhaltspunkt.179 Es sei hierbei noch einmal auf die außerordentlich gute Bezeugung des Vaternamens Josef hingewiesen. Auch ist zu fragen, was dann mit den Brüdern war. Waren sie alle illegitim oder nur Jesus? »Surely this leads to absurdity!«180 Die Möglichkeit, hierin einen impliziten Hinweis auf die Jungfrauengeburt zu sehen, wurde bereits an anderer Stelle abgewiesen.181 Letztendlich ist von entscheidender Bedeutung, auf welcher Traditions- bzw. Redaktionsstufe man die Phrase »Sohn Marias« verortet. Handelt es sich um eine historische Bezeichnung durch die Nazarener, ist mit McArthur zu sagen, dass man hier »not a formal genealogical identification but a simple descriptive statement« in der Art von: »Oh yes! That’s Mary’s boy from down the street«182 vor sich hat. Somit würde die Phrase als einfache Beschreibung des Nachbarjungens keinerlei Konnotation und damit ihre Verwendung keine tiefere Bedeutung haben.183 Im Kontext des Evangeliums drängt sich aber nun doch der Gedanke auf, dass zwischen der Abwesenheit des Vaters in Mk 3,20–35; 10,29f; (15,40?) und Mk 6,3 ein tieferer Zusammenhang besteht.184 »Denn die dem Judentum widersprechende Benennung des Sohns nach der Mutter ist nur möglich, wenn die relativierende Familienmetaphorik von 3,31–35 ernst genommen wird.«185 Dormeyer sieht die Phrase im Licht der neuen familia dei. Dass der Ausdruck im Mund der ungläubigen Nazarener erscheint, steht dem nicht entgegen, da Markus »das Unverständnis bei Jüngern, Gegnern und Volk gern auf Doppelsinnigkeiten aufbaut.«186 Die Nazarener »gehen scheinbar auf die Konstituierung der neuen Familie in der Gottesherrschaft ein und geben mit ihrer Frage zugleich zu erkennen, daß 176

Vgl. oben Teil 2, 1.3. MCARTHUR, Son, 52. BLINZLER (Brüder, 72) führt die Phrase aber auf den Witwenstand Marias zurück. Vgl. auch BROWN u.a., Maria, 60ff; RÄISÄNEN, Mutter, 47f. 178 »Das Patronym ist unabhängig von der Lebenszeit des Vaters.« DORMEYER, Familie, 129. Vgl. ebd. 132. 179 In der antichristlichen Polemik wird diese Möglichkeit allerdings gern aufgegriffen. So gibt schon Celsus als Vater Jesu den römischen Soldaten Panthera an. Vgl. MCARTHUR, Son, 53; BLINZLER, Brüder, 71. Vgl. aber auch Joh 8,41; 9,29. 180 MCARTHUR, Son, 53. 181 Vgl. DORMEYER, Familie, 131f; GRÄSSER, Nazareth, 24. 182 MCARTHUR, Son, 57. 183 BLINZLER (Brüder, 72) weist allerdings darauf hin, dass im Koran »Der Sohn Marias« eine häufige, unkonnotierte Bezeichnung für Jesus ist. 184 Möglicherweise kann auch das Verlassen von Zebedäus in Mk 1,20 eine Rolle spielen. 185 DORMEYER, Familie, 127. 186 DORMEYER, Familie, 131. 177

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Maria mit den Brüdern und Schwestern Jesu den Anspruch Jesu [, dass in seinem Wirken die Gottesherrschaft anbricht, TR] widerlegt.«187 Der weiteren Auslegung Dormeyers, im Matronym den Ausdruck des Äonenwechsels und die Zerstörung der Davididenhoffnung zu sehen, kann ich nicht folgen. Nach meinem Dafürhalten erklärt sich das Matronym v.a. mit der Gottessohnschaft Jesu.188 Auch die kulturanthropologischen Einsichten über die Vater-Sohn-Beziehung können hier von Bedeutung sein.189 Die Trennung eines Sohns von seiner Familie trifft v.a. die Ehre des Vaters. Hier besteht ein gesteigertes Konfliktpotenzial (s.o.). Auf evangelieninterner Ebene wird aber primär die Gottessohnschaft das Phänomen erklären. Da für die Angehörigen der Gottesfamilie die Position des Vaters durch Gott eingenommen ist (Mk 11,25), lassen sich von dem Matronym auch Linien zur familia dei ziehen. Wie der irdische Vater Jesu aufgrund der Gottessohnschaft und der patriarchalen Familienstruktur aus dem gesamten Evangelium konsequent herausgehalten wird, so haben auch die Christen in der familia dei (Mk 10,29f) keinen irdischen Vater zu erwarten.190 Es ist gut vorstellbar, dass die Phrase »Sohn Marias« in ihrer jetzigen Gestalt auf die mk Redaktion zurückgeht. Gerade da sie so unüblich war, mag sie der damaligen Leserschaft aufgefallen und im Kontext des Evangeliums die christologische Bezeichnung Jesu als »Sohn Gottes« textpragmatisch gesehen ins Gedächtnis gerufen haben. Allerdings ist »Sohn Marias« selbst kein christologischer Titel, sondern die Konsequenz aus der Aussage über die Gottessohnschaft Jesu.191 Im Hinblick auf die Perikope Mk 6,1–6 hat das Matronym für die Nazarener entweder keine andere Bedeutung als die Verortung Jesu in seiner Familie, oder aber man sieht mit Dormeyer darin eine gewisse ironische Doppeldeutigkeit. Markus unterstellt den Nazarenern indirekt das Wissen um die Gottessohnschaft (parallel zum Wissen über Jesu Lehre und Taten in Mk 6,2), belegt sie aber durch ihre Frage sogleich mit dem Motiv des Unverständnisses. Somit findet sich auch hier Unglauben wider besseres Wissen.

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DORMEYER, Familie, 132f. Vgl. oben 1.4, Anm. 161. 189 Vgl. oben 1.1.2., Pkt. 3. 190 Vgl. ROBINSON, Geschichte, 131; THEISSEN, Evangelienschreibung, 410, Anm. 37; OSIEK/BALCH, Families, 127. JACOBSON (Jesus against, 210) dreht den »Spieß« um und überlegt, ob die fiktiven Familien gar »an important locus for the development of religious symbolization, including the understanding of God as father and the members as brothers and sisters« waren. Er setzt diese – m.E. mk – Gemeinschaftsform aber bereits in der frühen Jesusbewegung voraus. 191 Abzulehnen ist die Hypothese OBERLINNERS (Überlieferung, 282f), der in der Phrase einen »in Kreisen der ersten Gemeinden« geläufigen Sprachgebrauch mit einsetzender Marienverehrung zu entdecken vermag. 188

2. Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion Mit dem Begriff »Mariageheimnis« möchte ich die rätselhafte Umschreibung Marias in Mk 15,40 kennzeichnen. Assoziationen zum »Messiasgeheimnis« sind beabsichtigt, wenngleich die erheblichen Unterschiede augenfällig sind: Beim Messiasgeheimnis wird ein Sachverhalt, der der Leserschaft bereits vom ersten Vers des Evangeliums an bekannt ist, auf der Erzählebene schrittweise enthüllt. Beim Mariageheimnis hingegen wird Rezipientin und Rezipient – ähnlich wie beim kurzen Markusschluss –192 am Ende des Evangeliums vor ein Problem gestellt, dass sie/er im Rückblick auf das Evangelium zu lösen im Stande ist. Ein Geheimhaltungsverbot findet sich aber ebenso wenig wie eine Terminierung (vgl. Mk 9,9). Dennoch ist der Begriff mit seiner Assoziation zum Messiasgeheimnis ausgesprochen nützlich, da er auf die von Markus erwartete Interpretationsarbeit der Leserschaft und auf die Vorliebe zu Geheimnismotiven verweist. So denkt etwa Josef Ernst193 im Zusammenhang mit Mk 9,9ff über ein »Eliageheimnis« im MkEv nach und auch das Messiasgeheimnis ist letztlich nur ein Oberbegriff für verschiedene Geheimnismotive. Statt »Mariengeheimnis« benutze ich »Mariageheimnis«, da dieser Begriff nicht marianisch, anthroposophisch oder esoterisch vereinnahmt ist und so falsche Assoziationen vermeiden soll.

Bei der Frage nach der Anwesenheit Marias von Nazareth in der mk Passionsgeschichte sollen zunächst alle möglichen Gegenargumente aufgeführt und auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft werden. Dabei lässt es sich nicht vermeiden, dass bereits hier Argumente für die Identifizierung der Maria beim Kreuz mit der Mutter Jesu vorgebracht werden. Nach der Betrachtung der Gegenargumente ist es möglich, die von meinem Standpunkt aus gesehen plausibelste Lösung dieser Frage zu ermitteln. Es soll also geprüft werden, ob für den Evangelisten Markus Maria von Nazareth am Kreuz steht.

2.1 Untersuchung der Gegenargumente Untersuchung der Gegenargumente (1) Es gibt im Wesentlichen ein Hauptargument, das gegen die Anwesenheit der Mutter Jesu vorgebracht wird. So zeigt sich etwa Eduard Schweizer über die Parallelität der Namen in 6,3 und 15,40 verwundert, »aber an die Mutter Jesu kann 15,40 ja nicht denken; sie wäre als Jesu Mutter eingeführt 192 193

Ich werde unten 2.2.2 näher darauf eingehen. ERNST, Johannes, 23.

Untersuchung der Gegenargumente

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worden.«194 Da Markus die »Maria, des kleinen Jakobus und des Joses Mutter« nicht als Mutter Jesu bezeichnet, ist heute für die meisten Exegeten klar, dass sie es darum auch nicht sein kann.195 Die gleiche Argumentation findet sich auch in der mit Hieronymus einsetzenden Auslegungstradition. Hier werden zwar Jakobus und Joses von 6,3 mit 15,40 gleichgesetzt, aber sie werden als Söhne einer anderen Maria bezeichnet, da sie in 15,40 nicht als Mutter Jesu bezeichnet wird.196 Nun wird an vielen Texten deutlich, dass Markus in der Ausgestaltung seiner Theologie sehr konsequent verfährt. So ist festzustellen, dass Markus eine direkte Begegnung der Familie mit Jesus durchgängig zu verhindern weiß, dass nach dem Bruch in Kap. 3 die Familie in ihrem Heimatort für Markus nur noch in der Erinnerung der Leute zu existieren scheint. Eine ähnliche Konsequenz zeigt sich im Fehlen des Vaters aufgrund der Gottessohnschaft Jesu. Andererseits war festzustellen, dass in dem familiären Rollenverständnis der Familie für den Gottessohn kein Platz ist und dass der familiäre Anspruch den Konfliktpunkt zwischen Jesus und seiner Familie und den Grund ihres Unglaubens darstellt. Sollte ein Familienmitglied doch den Weg zur Jesusnachfolge finden, dann nach mk Verständnis wohl nur durch einen deutlichen Wechsel von der leiblichen zur geistigen Familie Jesu (Mk 3,31–35). Sollte die Mutter Jesu beim Kreuz stehen und damit, wie sich gezeigt hat, von Markus zusammen mit den anderen Frauen als Nachfolgerin gekennzeichnet werden,197 kann Markus sie überhaupt nicht als Mutter Jesu bezeichnen. Somit ist die fehlende Bezeichnung der 194 SCHWEIZER, Mk, 198. Mit ähnlicher Sicherheit teilt bereits ZAHN (Brüder, 340f) mit, dass »die bei einigen Vätern vorkommende Meinung« die Mutter Jesu stehe beim Kreuz, »heute wohl keiner Widerlegung mehr« bedarf. Andere Exegeten bemühen sich gar nicht mehr um eine ordentliche Begründung ihrer Vorentscheidung. So schreibt LÜHRMANN (Mk, 264): »denn mit der zweiten Maria, der Mutter des kleinen Jakobus und des Joses, ist offenbar nicht die Mutter Jesu gemeint, die nach 6,3 Söhne mit diesem Namen hatte«. Vgl. auch PESCH, Mk II, 324. 195 BARNOUIN bringt in dem dieser Frage gewidmeten Aufsatz Marie, Mère de Jacques et de José gute Argumente für eine Identifikation mit der Mutter Jesu, entscheidet sich aber einzig mit diesem Argument dagegen: »Et alors il ne pouvait la nommer que par rapport à Jésus. Il aurait dît ›sa mère‹ ou ›la mère de Jésus‹ ou ›Marie, sa mère‹. Impossible qu’il l’ait identifiée par des noms bien moins importants.« Mitunter sind die Argumentationen nur als Abgrenzung von einer Identifikation der Söhne von Mk 6,3 und 15,40 in der »Vetterntheorie« verstehbar. So hält Becker Mk 15,40f für mariologisch bedeutsam (sic!), da die Verse doch erkennen lassen, »dass die Mutter Jesu nach diesem ältesten Zeugnis zur Passion Jesu nicht unter den Zeuginnen genannt ist.« (BECKER, Maria, 33f). Er richtet seinen Blick m.E. bewusst von der Namensliste weg und »kann sich nicht vorstellen, dass sie unter den ›vielen anderen (Frauen)‹ (V. 41) versteckt sein sollte«, da sie doch erwartungsgemäß »eingangs der Liste namentlich aufgezählt sein müsste.« (Ebd. 34). Diese Deutung überrascht, denn an anderer Stelle zeigt sich sein Wissen um die Diskussion der Parallelität der Liste von Mk 15,40 zu Mk 6,3 (vgl. ebd. 48f!). 196 HIERONYMUS, AdHelv 14: »Wenn sie die Mutter des Herrn wäre, dann würde der Evangelist, [...], sie in erster Linie auch als seine Mutter bezeichnet haben.« So auch BLINZLER, Brüder, 74. 197 Vgl. etwa oben Teil 2, 1.6.3 mit Anm. 342 u.ö.

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Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion

Maria als Mutter Jesu kein Gegenargument, sondern, sollte sich ihre Anwesenheit als wahrscheinlich erweisen, ein prägnanter Bestandteil mk Theologie! (2) Daran anknüpfend, kann eingewandt werden, dass Markus seine Theologie narrativ entfaltet, nicht aber durch – vorhandene oder fehlende – Bezeichnungen. Hierbei ist zu beachten: Maria gehört zu den Nachfolgerinnen, weil sie in der Nähe des Kreuzes steht und zu denen gehört, die mit nach Jerusalem gezogen sind (Mk 15,41). Da sie nun in der Jesusnachfolge steht, wird sie aber nicht mehr als Mutter Jesu bezeichnet. Ähnliches zeigt sich beim Fehlen des Vaters Jesu. Jesus ist nicht dadurch als Gottessohn gekennzeichnet, weil sein irdischer Vater im MkEv fehlt, sondern der Vater fehlt, weil Jesus Gottessohn ist. Die fehlenden Bezeichnungen sind also die Konsequenz narrativer Ausgestaltung. (3) Blinzler führt als weiteres Argument an, dass Markus die Mutter Jesu wohl kaum an zweiter – Maria von Magdala nachgeordneter – Stelle aufgeführt hätte.198 Hier wird nun deutlich von der späteren Stellung der Herrenmutter in der Kirche her argumentiert. Es gibt aber keinen Grund, von dieser späteren Stellung Marias auf die Situation der ersten Gemeinden zu schließen. (4) Die Frage, ob in Mk 15,40 drei oder – was als Gegenargument ins Feld geführt werden könnte – vier Frauen in der Nähe des Kreuzes stehen, wurde bereits an anderer Stelle (s.o. Teil 2, 1.6.2) geklärt. Gute Gründe sprechen dafür, hier von drei Frauen auszugehen. (5) Die Unvollständigkeit der Liste in Mk 15,40 gegenüber Mk 6,3 stellt m.E. kein unlösbares Problem dar, soll aber dennoch betrachtet werden. Robert H. Gundry denkt in seinem Markuskommentar an den möglichen kulturbedingten Ausfall jüngerer Söhne aufgrund ihres geringen Status.199 Er verweist auf 1Sam 16,11, wo der junge David nicht einmal vom Feld geholt wird, als Samuel Isai und seine Söhne zum Opfer lädt. Für Markus mag die Übereinstimmung dreier Namen in ihrer familiären Beziehung untereinander und in der Reihenfolge ihrer Aufzählung,200 dazu 198

Vgl. BLINZLER, Brüder, 73f. Vgl. GUNDRY, Mk, 977. 200 Welche Relevanz eine mk Reihenfolge bei Aufzählungen hat, zeigt sich bei einem Vergleich zu den Zebedaiden. Vgl. DSCHULNIGG, Sprache, 128f: Jakobus wird im MkEv öfter genannt und ist Johannes stets vorangestellt, tritt aber im lk Doppelwerk deutlich hinter dem Bruder zurück. Dem ist hinzuzufügen, dass Johannes als Bruder des Jakobus charakterisiert wird, nicht umgekehrt (Mk 1,20; 3,17; 5,37; vgl. dazu auch die Charakterisierung des Andreas als Bruder des 199

Untersuchung der Gegenargumente

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noch im gleichen Makrotext durchaus ausreichen, um dem Rezipienten die Identifikation der Personen von 6,3 und 15,40 anzubieten.201 Ähnliches lässt sich in der Bezeichnung der Maria in 15,40.47; 16,1 beobachten (s.o. Teil 2, 1.6.2). Während Markus die Maria in 15,40 durch zwei Söhne näher bestimmt, reicht ihm in 15,47 und 16,1 jeweils ein Sohn um den Rezipienten die Identifikation mit Maria beim Kreuz nahe zu legen. Mit Fenton und Elizabeth Johnson halte ich diese Variation sogar für ein textpragmatisches Mittel, die Rezipienten auf die Charakterisierung Marias durch ihre Söhne aufmerksam zu machen und auf 6,3 zu verweisen.202 Ebenso variieren die Aufzählungen der Gegner Jesu in der Passionsgeschichte (14,1: Hohepriester und Schriftgelehrte; 14,43: Schriftgelehrte und Älteste; 14,53: Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste; 14,55: Hohepriester und Hoher Rat; 15,1: Hohepriester, Älteste, Schriftgelehrte und Hoher Rat).203 Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Markus bei den einzelnen Textstellen jeweils konkret unterschiedene Gruppierungen im Blick hat, eher wird die Gesamtheit der Gegner Jesu in der Passionsgeschichte – pars pro toto – durch jeweils eine Auswahl der einzelnen Gruppierungen gekennzeichnet. Nach meinem Dafürhalten sind die Übereinstimmungen von Mk 6,3 und 15,40 ernst zu nehmen. Da sich beide Listen im selben Evangelium befinden, sollte man zuerst hier nach Identifikationspunkten suchen.204 Blinzler stellt wohl nicht ganz zu Unrecht fest: »Daraus wird jeder unbefangene Leser den Schluß ziehen, daß es sich in Mk 15,40 (Mt 27,56) um Simon in Mk 1,16 und seine Stellung gegenüber Petrus). Die Beobachtung, dass die Reihenfolge der Aufzählung bewusst nach Rang und Stellung erfolgt, bestätigt sich, wenn man zu den Zebedaiden noch Petrus (und Andreas) hinzunimmt (vgl. Mk 5,37; 9,2; 13,3; 14,33). 201 Ähnlich BARNOUIN, Marie, 474. 202 Vgl. oben Teil 1, 2. und v.a. oben Teil 2, 1.6.2. Vgl. auch unten 2.2.2. 203 SCHNEIDER (Passion, 138) wertet Mk 15,1 als Kombination der zwei Notizen von Mk 14,53 und 14,55 durch Markus und will damit zeigen, dass Markus die beiden ursprünglichen Listen in Mk 15,47 und 16,1 zu 15,40 kombiniert haben kann. Schneider sollte beim Vergleich allerdings doch die umgekehrte Reihenfolge im Erzählverlauf (14.53+14,55Æ15,1 || 15,40Å15,47+16,1) beachten. Zudem kann er damit nicht klären, warum Markus die Variationen nicht direkt, sondern durch eine zusätzliche Zusammenfassung ausgleicht. 204 Eine kuriose außermarkinische Identifikation des Joses in 15,40, der bis heute aber niemand folgen wollte, bietet ZAHN (Brüder, 348f): Epiphanius berichtet von einer zusätzlichen Maria, Mutter des Rufus, beim Kreuz (Kombination Röm 16,6 und 16,13!). Zahn bringt nun (warum?) Simon von Kyrene als Vater eines Rufus (Mk 15,21) ins Spiel, dazu einen Barsabas Justus mit einer abnormen Fußbildung (ʖ ™ưƦƷˈ™ƳƸƵ), den er in den Paulusakten findet und verweist auf den Barsabas Justus in Act 1,23, dessen Hauptname Josef oder »was auch überliefert ist, Jose« ist (ebd. 349). »Fassen wir alles zusammen, so ist es wahrscheinlich, daß dieser Joseph, Sohn des Saba, mit dem Beinamen Justus, der den römischen Christen, für die Mr schrieb, bekannte Joseph Mr 15, 40. 47, und daß die Maria Rm 16, 6 die Mr 15, 40. 47; 16, 1 genannte Maria ist. Es hat nichts Bedenkliches, daß deren Söhne beide durch eine auffällige Körperbeschaffenheit sich auszeichneten, Jk durch eine kleine Figur, Joseph durch eine Missbildung des Fußes.« (Ebd. 349f).

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Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion

dieselben Personen handelt wie in Mk 6,3 (Mt 13,55)«.205 In der Tat müsste jede leserorientierte Interpretation zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen. (6) Ein weiteres Gegenargument könnte mit der sogenannten »Parabel- oder Verstockungstheorie«206 angeführt werden. Auf die Parallele von Mk 3,31– 35 zu Mk 4,10–12 wurde bereits hingewiesen. Mutter und Brüder Jesu gehören zu denen, die draußen (ɭƲƼ) stehen und nach Mk 4,10–12 das Geheimnis der Gottesherrschaft nur in Gleichnissen hören, es so nicht verstehen sollen, damit sie sich nicht bekehren können und ihnen deshalb auch nicht vergeben wird. In der Tat passt dies schlecht zu der Vorstellung, Maria von Nazareth steht in einer Gruppe von Nachfolgerinnen am Kreuz. Nun hat aber Peter Lampe gezeigt207 – und andere folgen ihm hierin –,208 dass Mk 4,12 nicht final zu übersetzen ist. Die finale Übersetzung ist Jes 6,9f MT geschuldet. Es gibt aber Hinweise, dass der mk Version der Jesajatext eines Targums zugrunde liegt.209 Das Targum weicht die finale Formulierung des MT auf: !P, übersetzt es durch das aramäische amld (»vielleicht«; »es sei denn«). Das ʊƱƦ ist, so Lampe, nicht final zu übersetzen, es nennt »nicht nur den Zweck, sondern zugleich auch den Inhalt dessen, was befohlen, verboten, gebeten, gewollt [...] wird.«210 Das mk µ˂™ƳƷƪ ist nach dem unfinalen ʊƱƦ »schwerlich final zu fassen. [Es, TR] ist hier das dubitative µ˂ (durch ™ƳƷƪ verstärkt), das eine direkte Frage einleitet.«211 So kommt Lampe zu der Übersetzung: »Jenen draußen wird das alles in Bildworten zuteil, daß sie sehend sehen und nicht erkennen [etc. …], vielleicht! werden sie umkehren und Vergebung erlangen.«212 Diese grammatisch begründete Deutungsmöglichkeit passt nun inhaltlich wesentlich besser zum mk Kontext. Würde man an der Verstockungstheorie festhalten, hieße das, »daß die Gleichnisrede Jesu eine Unverständigkeit der Hörer herbeiführen soll, die in Wahrheit schon da ist [...]. Schon die Verse 2 und 33 im Kapitel selbst widersprechen dieser merkwürdigen Theorie.«213 Folgt man Lampes These, so ist die von mir angenommene Umkehr Marias, die in Mk 15,40 sichtbar wird, nicht nur möglich, sondern durchaus im Sinn von Mk 4,10–12.

205

BLINZLER, Brüder, 75 (Blinzler zieht daraus allerdings einen anderen Schluss als ich). LAMPE, Deutung, 140. 207 P. LAMPE: Die markinische Deutung vom Sämann Markus 4 10–12, 140–150. 208 Vgl. z.B. LÜHRMANN, Mk, 78.86ff. 209 Vgl. LÜHRMANN, Mk, 87. 210 LAMPE, Deutung, 143. 211 LAMPE, Deutung, 143. 212 Mk 4,11f, übers.: LAMPE, Deutung, 144. 213 LAMPE, Deutung, 140. 206

Untersuchung der Gegenargumente

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(7) Ein weitaus größeres und letztlich nur unbefriedigend lösbares Problem stellt der Zusatz ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ dar.214 Bereits die Verschiedenartigkeit der Lösungsvorschläge (s.o. Teil 2, 1.6.2, Anm. 304) verdeutlicht die enormen Schwierigkeiten, welche diese Bezeichnung darstellt. Die Wortbedeutung von µƮƯƴˆƵ bewegt sich zwischen Körpergröße/Statur (Lk 19,3), Alter (Act 8,10; 26,22 u.ö.) und Ansehen/Würde/Macht (Mt 10,42; 11,11). Es dient als Kontrastmittel (Mt 11,11; 13,31f; Lk 9,48; Mk 4,31f) und kann von Jesus zur Bezeichnung seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger benutzt werden (Mk 9,42; Mt 10,42; 18,10).215 Von diesen Möglichkeiten bietet sich bei Mk 15,40 zunächst die Bedeutung an, welche auf Statur oder Alter als Unterscheidungsmerkmal gegenüber einem anderen Jakobus gerichtet ist. Aber auch die den Status betreffende Bedeutung und die Kennzeichnung als Nachfolger ist bedenkenswert (s.u.). Die Frage, ob der Zusatz redaktionell oder traditionell ist, lässt sich, wie die kontroverse Diskussion zwischen den Exegeten zeigt, schwerlich klären. Es soll an dieser Stelle geprüft werden, ob es eine vertretbare Lösung gibt, welche mit der Mutter Jesu am Kreuz vereinbar ist. Diese Lösung bleibt allerdings hypothetisch, sodass keine letztgültige Antwort erwartet werden kann. Bei der ersten Möglichkeit – µƮƯƴˆƵ als Kennzeichnung von Statur oder Alter – ist davon auszugehen, dass der Jakobus, von dem der in Mk 15,40 Genannte unterschieden werden soll, innerhalb des Evangeliums begegnet, da sonst eine Unterscheidung auf der Ebene des Makrotexts wenig Sinn hat.216 Die »Lösung« Gundrys, dass Jakobus nicht von einem anderen Jakobus unterschieden, sondern als jüngerer Bruder vom älteren Jesus abgesetzt werden soll, erscheint mir fraglich.217 Bei der Unterscheidung von einem anderen Jakobus kommt entweder der Zebedaide (Mk 1,19.29; 3,17; 5,37; 9,2; 10,35.41; 13,3; 14,33), der Herrenbruder (Mk 6,3) oder aber der Sohn des Alphäus (Mk 3,18 gegen 2,14!) in Frage. Intuitiv wird man zuerst, aufgrund seiner ausgesprochen wichtigen Stellung und der häufigen Nennung bei Markus, beim Zebedaiden suchen. In 214 Vgl. GNILKA, Mk II, 326: Jakobus und Joses von 15,40 und 6,3 seien nicht identisch, die »Benennung des Jakobus als den Kleinen weicht ab.« Vgl. auch OBERLINNER, Überlieferung, 114. Wenig hilfreich ist BLINZLERs (Brüder, 75f, Anm. 6) Versuch das Gegenargument zu entkräften. 215 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1055; LÉGASSE, EWNT 2, 1051f; MICHEL, ThWNT 6, 653. 216 Hierbei ist das Vorwissen der mk Leserschaft ein Unsicherheitsfaktor. Möglich ist, dass sie einen Jakobus den Älteren/Großen außerhalb des Evangeliums kennen bzw. dass sich die Bezeichnung »der Kleine« in der Tradition findet und somit nicht mit dem Evangelium in Zusammenhang stehen muss. 217 Vgl. GUNDRY, Mark, 977. Diese Deutung wird sich am Text schwer begründen lassen. Vom »älteren« Jesus ist in Mk 15,40f nicht die Rede. Analogien lassen eine Unterscheidung gleicher Personennamen erwarten.

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Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion

späterer Zeit wird dieser als »Jakobus der Ältere« bezeichnet,218 was als Gegenpart zu ʍƦƯˊƧƳƸ ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ wunderbar passt. Allerdings lässt sich diese Bezeichnung schwerlich in die mk Zeit zurückprojizieren bzw. wird die spätere Bezeichnung erst in Abhängigkeit vom jüngeren Jakobus entstanden sein.219 Innerhalb des Evangeliums wird dem Zebedaiden Jakobus von Jesus unterstellt, dass er groß sein will (Mk 10,35–45: V. 43: µˀƨƦƵ), und zwar im Zusammenhang mit dem Hinweis auf sein Martyrium 41 n.Chr., aus dem ein gesteigertes Ansehen in der Gemeinde abzuleiten sein wird.220 Allerdings lässt sich die direkte Bezeichnung »Jakobus der Große« nicht festmachen. Es könnte immerhin überlegt werden, ob eine Unterscheidung in »Jakobus den Älteren« und »den Jungen/Jüngeren« ihren Ursprung nicht im Alter oder in einer früheren Berufung, sondern im zeitlich versetzten Martyrium des Zebedaiden 41 n.Chr. zu dem des Herrenbruders 63 n.Chr. hat. Bei den anderen beiden Trägern dieses Namens ist eine Unterscheidung mit ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ weniger naheliegend. Der Sohn des Alphäus wird in späterer Zeit als »Jakobus der Jüngere« bezeichnet und ist so von »Jakobus dem Älteren« unterschieden. Als Begründung wird hier zumeist die gegenüber dem Zebedaiden zeitlich spätere Berufung angegeben.221 Aufgrund der Vetterntheorie (s.o.) wird diese Bezeichnung aber genauso auf den Jakobus in Mk 15,40 angewandt.222 Nimmt man also für die ntl. Zeit das ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ als eine evtl. redaktionelle Bildung mit dem Ziel einer Unterscheidung vom Zebedaiden Jakobus an,223 so spricht nichts dagegen, aber auch nicht viel dafür, dass es sich bei »Jakobus dem Kleinen/Jungen« um den Herrenbruder handelt.224 Zieht man als Analogie die mk »Simons« heran, erweist sich eine Unterscheidung des kleinen Jakobus vom Zebedaiden immerhin als plausibel. Im MkEv finden sich fünf verschiedenen Personen mit dem Namen Simon. Gegenüber Simon Petrus (1,16.29.30.36; 3,16; 14,37) stehen Simon Kananäus (3,18); Simon, der Bruder des Bauhandwerkers Jesu (6,3); Simon der Aussätzige (14,3) und Simon von Kyrene (15,21). Während Simon Vgl. OBERLINNER, LThK3 5, 718. Vgl. WIKENHAUSER, LThK2, 833: Die Bezeichnung erfolgt aufgrund Mk 15,40! 220 Die Indizien hierfür wären in Mk 3,17; 10,35–45 und der sonstigen Stellung im MkEv zu suchen. 221 Vgl. BLINZLER, LThK2 5, 834. 222 Vgl. BLINZLER, LThK2 5, 834. Ich habe bereits auf eine weitere Interpretation hingewiesen (s.o. 1.3), die zu ähnlichen Ergebnissen kommt: JG 4,4; 11,1 bezeichnet den »Herrenbruder« – in diesem Fall den jüngsten Sohn Josefs aus erster Ehe – als den »kleinen Jakobus«, um den sich Maria fürsorglich kümmert, sodass sie fälschlicherweise als Mutter des kleinen Jakobus gilt. 223 So HAENCHEN, Weg, 539. 224 Vgl. THEISSEN, Lokalkolorit, 189f, Anm. 28; HAENCHEN, Weg, 539 sowie DORMEYER, Passion, 207. 218 219

Untersuchung der Gegenargumente

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(Petrus) nirgendwo näher bestimmt wird225 bzw. sogar zur Näherbestimmung des Andreas herangezogen werden kann, findet sich bei allen anderen Namensträgern eine Näherbestimmung. Die besondere Stellung bzw. das häufige Auftreten von Simon lässt die Nennung seines Namens als ausreichend erscheinen und erfordert eine Unterscheidung anderer Träger dieses Namens. Ähnliches wird man bei Jakobus, Sohn des Zebedäus, erwarten dürfen, obwohl bei ihm auch eine Näherbestimmung durch den Vater begegnen kann (1,19; 3,17; 10,35 gegen 1,29; 5,37; 9,2; 10,41; 13,3; 14,33) und die Zusammenstellung mit seinen Bruder bei der Identifikation hilft. Noch etwas lässt sich bei diesem Vergleich sagen: Der Herrenbruder Simon braucht in der Liste Mk 6,3 nicht näher bestimmt zu werden, da er bereits durch seine Herrenbruderschaft ausreichend bestimmt ist. Gleiches dürfte auch auf den Herrenbruder Jakobus in Mk 6,3 zutreffen. Sollte dieser auch in Mk 15,40 genannt sein, kann sich nun keine Charakterisierung über die Herrenbruderschaft finden, da Maria näher bestimmt werden soll und dieses nicht mehr über ihre verwandtschaftliche Beziehung zu Jesus erfolgen kann. Eine über Mk 6,3 hinausgehende Näherbestimmung kann also durchaus möglich – wenn auch nicht zwingend nötig – sein. Es erscheint mir somit möglich, dass der »kleine Jakobus« von Jakobus, Sohn des Zebedäus, unterschieden werden soll. Jakobus, Sohn des Alphäus, hätte in Mk 15,40 durch seinen Vaternamen unterschieden werden können. Handelt es sich bei dem zu unterscheidenden Jakobus um eine Person, die im Makrotext begegnet, kann es sich nur um den Herrenbruder handeln. Ansonsten wäre es eine uns und dem Text des MkEv unbekannte Person. Allerdings existiert darüber hinaus noch eine zweite Möglichkeit. Hisako Kinukawa überlegt, ob es sich bei dem ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ um »eine Herabsetzung des Bruders Jesu« handelt, »der während einer gewissen Zeit die Jerusalemer Kirche dominierte«.226 Dieser Gedanke erscheint bedenkenswert. Somit würde es sich bei dem Zusatz ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ primär nicht um eine Unterscheidung von einem anderen Jakobus, sondern um eine polemische Spitze gegen eine einsetzende Jakobustradition227 handeln, welche dem Evangelisten suspekt gewesen sein muss. Markus könnte gegen die Tendenz eines »nahezu jakobusgläubigen Judenchristentums«228 den Herrenbruder zu überhöhen, versucht haben, Jakobus in den Kreis der Nachfolger229 zurück 225 Die Näherbestimmung durch den Namen Petrus unterbleibt: In 3,16 findet sich die Einsetzung des Namens Petrus, keine Näherbestimmung des Simon; in 14,37 scheint der Apostel »Petrus« dem Schläfer »Simon« gegenüber gestellt zu werden. 226 KINUKAWA, Frauen, 126. 227 Vgl. dazu PRATSCHER, Jakobus, 120f. 228 PRATSCHER, Jakobus, 120f. 229 Es ist schwer vorstellbar, dass Markus von dem nachösterlichen Anschluss des Herrenbruders Jakobus an die christliche Gemeinde nichts gewusst hat.

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Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion

zu holen.230 Jakobus würde als einer »dieser Kleinen« (ɮƱƦ Ʒ̹Ʊ µƮƯƴ̹Ʊ ƷƳˈƷƼƱ), die an Jesus glauben (Mk 9,42) dargestellt. Sein besonderer Status als Kopf einer einflussreichen hierarchisch strukturierten Gemeinde231 wäre im Sinn von 9,33–35; 10,42–45 relativiert. Diese Deutung umgeht die Schwierigkeiten der Unterscheidung von einem anderen Jakobus und passt ausgesprochen gut zum mk Kontext.232 Auch kann sie eine weitere Textstelle (9,42) einbeziehen. Aufgrund der immer noch äußerst schmalen Textbasis ist aber auch diese Deutung hypothetisch. (8) Ein weiteres Problem ist dadurch gegeben, dass Maria die Jüngerschaft seit Galiläa bescheinigt wird. Nun gehört aber gerade im MkEv die Mutter Jesu in Galiläa zu Jesu Gegnern und es findet sich zwischen 6,1–6 und 15,40 kein Hinweis auf eine Änderung dieser Gegebenheit. Zudem steht fest, dass es sich bei den topografischen Notizen (Galiläa – Jerusalem) in Mk 15,41 um mk Redaktion handelt.233 Auf zwei z.T. bereits verhandelte Aspekte sei hingewiesen. Zum einen ist Galiläa der ideale mk Ort der Jüngerberufung und der Nachfolge. Wenn Menschen zur Nachfolge Jesu gehören, dann möglichst seit der galiläischen Zeit. Zum anderen ist zu bedenken, dass in der vorgefundenen Frauenliste traditionell sicherlich Nachfolgerinnen gemeint sind bzw. dass Markus selbst ein Interesse an einem erweiterten Nachfolgekreis hat (vgl. unten 3.6.1). Maria von Magdala lässt sich im Vergleich zu den anderen Evangelien (Lk 8,2; Joh 19,25; 20,1.18) in unterschiedlichen Traditionen als Nachfolgerin bezeichnen. Somit hat Markus die zweite Frau, unabhängig ihrer Identifikation mit der Mutter Jesu, in einer Gruppe von Nachfolgerinnen vorgefunden. Da Markus der Frauengruppe ihre Nachfolge schlecht absprechen konnte und ein Interesse daran hatte, dass es sich bei seinen Osterzeuginnen um Nachfolgerinnen, d.h. Mitgliedern seines erweiterten Nachfolgekreises (s.u. 3.6.1), handelt, hat er sie als solche auch beschrieben, und zwar seinem Aufriss getreu von Galiläa an. Hat er aber die Mutter Jesu unter den Frauen vorgefunden, hätte er sie oder die Näherbestimmung durch ihre Söhne entfernen oder aber die Spannung zu Mk 3 und 6 zur Ausgestaltung seiner Theologie nutzen können. Mehr dazu später. 230 Auch im ägyptischen Raum finden sich ähnliche Tendenzen im gnostischen Bereich. Vgl. EvThom 12; 1ApkJak. Vgl. dazu BÖHLING/LABIB, Apokalypsen, 27. 231 Vgl. etwa Gal 1 und 2. 232 Durch die Verschachtelung in 3,20–35 ist die Familie Jesu indirekt mit Jerusalem und dortigen Autoritätsstrukturen in Beziehung gesetzt. Die Familie und die Schriftgelehrten aus Jerusalem werden aber vom mk Jesus abgewiesen. 233 Für Blinzler ist übrigens die bezeugte Herkunft aus Galiläa ein weiteres Indiz, die Söhne in Mk 15,40 mit denen in Mk 6,3 zu identifizieren – ein schwieriges Argument! Vgl. BLINZLER, Brüder, 77, Anm. 9.

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2.2 Maria von Nazareth bei Kreuz und Grab Maria von Nazareth bei Kreuz und Grab 2.2.1 Identifikation der Brüderpaare Blinzler weist zu Recht darauf hin, dass die Charakterisierung einer Person durch andere Personen nur sinnvoll ist, wenn diese der Leserschaft bereits bekannt sind.234 Klammert man das uns unbekannte Vorwissen der ersten Leserschaft aus, wäre es erstaunlich, wenn Markus in 15,40 nicht auf 6,3 anspielt.235 Ein Verweis auf Mk 15,21 kann dieses Argument allerdings auch relativieren. Dennoch »stellt sich jeder unwillkürlich die Frage, ob ihm diese Namen im Laufe der Erzählung schon begegnet sind.«236 Als weiteres Argument nennt Blinzler die ungewöhnliche Namensform Joses. »[I]m ganzen übrigen NT, das insgesamt acht verschiedene Träger des Namens Josef erwähnt, kommt nämlich diese Namensform nicht mehr vor, und auch Markus bedient sich sonst (15,43.45, also unmittelbar neben 15,40.47!) der üblichen Form ›Joseph‹.«237 Die bei der Textkritik zu 6,3; 15,40.47 festgestellte Tendenz mehrerer Textzeugen zur Namensänderung verweist ebenso auf die Seltenheit des Namens. Die Außergewöhnlichkeit der Namensform bestätigt sich zudem bei Josephus. Bei ihm findet sich neben 21 Trägern des Namens Josef (ʍˊƶƬ™ƳƵ) einzig in einer varia lectio zu Bell IV 66 ʍƼƶ̏Ƶ.238 Auf den folgenden Seiten seiner Untersuchung setzt sich Blinzler mit den Argumenten gegen eine Identifikation von Jakobus und Joses in Mk 15,40 und 6,3 auseinander – d.h. er findet solche Argumente erst gar 234 BLINZLER, Brüder, 74f. Er sucht nach einer traditionellen/historischen Identifikation von 6,3 und 15,40. Das erweist sich aber im Blick auf die ursprüngliche Selbstständigkeit der Traditionsstücke als schwierig. Hebt man seine Argumentation auf die Redaktionsstufe, kann man ihr folgen. 235 Vgl. auch SCHNEIDER, Passion, 135. Gegen SCHOTTROFF (Magdalena, 140): »Jakobus der Kleine und Joses, tauchen sonst im Neuen Testament nicht mehr auf.« Da Markus einen über seine Gemeinde hinausgehenden Leserkreis im Blick hat (Schenke, Mk [1988], 32), relativiert sich die Bedeutung des »Vorwissens« seiner Gemeinde. 236 BLINZLER, Brüder, 75. Diese Beobachtung kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Sie ist der Auslöser für diese Untersuchung. 237 BLINZLER, Brüder, 76. Blinzler macht die Seltenheit der Namensform so stark, dass er, selbst wenn Jakobus aus textkritischen Gründen wegfallen würde, den Joses in Mk 15,40 mit dem Herrenbruder identifiziert (ebd. Anm. 8). 238 VGL. BLINZLER, Brüder, 76, Anm. 8. Vgl. auch ebd. das Fehlen der Namensform auf Inschriften und Papyri des Vorderen Orients. Manche Exegeten behaupten dennoch das häufige Vorkommen des Namens Joses in ntl. Zeit: »Da die beiden Namen Jakobus und Joses häufig anzutreffen sind, kann Namensgleichheit auch kein Anlass sein, Personengleichheit zu fordern.« (BECKER, Maria, 49). BILLERBECK (Mk, 52) führt als Beleg für »Joses« ausschließlich Beispiele ab dem Beginn des 2. Jh. n.Chr. an.

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Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion

nicht bei den von ihm zitierten Exegeten. Und in der Tat ist zu beobachten, dass außer dem ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ kaum plausible Argumente vorgebracht werden (können?). Bis dieses geschieht, ist es die wahrscheinlichste Lösung, die Söhne in Mk 6,3 und 15,40 miteinander zu identifizieren. Es ist noch darauf hinzuweisen, dass sowohl in Mk 6,3 als auch in Mk 15,40 die zu erwartende, aber fehlende Näherbestimmung der Personen nach dem Vater bzw. Ehemann exegetische Mühe bereitet. Handelt es sich aber in Mk 15,40 um die Mutter Jesu, erklärt sich deren Bezeichnung nach ihren Söhnen wie von selbst. Da in Mk 6,3 Jesus nach seiner Mutter benannt wird – denn der Vater fehlt aus theologischen Gründen (s.o. 1.6) – bietet sich auch in Mk 15,40 der Vater nicht als Charakterisierungspunkt an. Somit hat es Markus konsequent geschafft, die Existenz des Vaters Jesu im gesamten Evangelium nicht einmal zwischen den Zeilen zu erwähnen. Das Fehlen des Vaters könnte allerdings auch mit dem größeren Bekanntheitsgrad der Söhne erklärt werden. Beides muss sich natürlich nicht ausschließen.

2.2.2 Die markinische Leerstelle – Beobachtung zur Erzähltechnik Bei der Widerlegung des ersten Gegenarguments kam zur Sprache, dass es Markus bewusst vermeidet, Maria als Mutter Jesu zu bezeichnen. Aber ist so etwas (argumentum e silentio!) überhaupt denkbar? Die Vermeidung, Maria in ihrer Rolle als Mutter Jesu zu charakterisieren, erscheint mir – trotz aller sachlichen Unterschiede – als erzähltechnische Analogie zur Auslassung der Väter. Wie eben erwähnt, fehlt der irdische Vater Jesu im gesamten MkEv. In Mk 10,29f ist der Ausfall des Vaters bzw. der Vaterrolle in der familia dei mit Händen zu greifen. Markus charakterisiert hier die neue Familie m.E. als apatriarchale Gemeinschaft mittels eine Leerstelle!239 In diesem Zusammenhang muss auch auf das Problem des Markusschlusses eingegangen werden. Hält man aus gutem Grund240 das Ende des MkEv in 16,8 für ursprünglich, wird auch hier eine Methode des Markus 239 Ich verwende den Begriff »Leerstelle« in Anlehnung an die Rezeptionsästhetik W. Isers. Demnach kommen Unbestimmtheits- und Leerstellen – Iser unterscheidet beide Phänomene – eine wichtige textpragmatische Funktion zu: Leserin und Leser müssen die unbestimmten Stellen bzw. Lücken im Text durch eigene Vorstellungen und (Lese-)Erfahrungen auffüllen. Sie erhalten somit »Anteil am Mitvollzug und an der Sinnkonstruktion des Geschehens« (ISER, Appellstruktur, 236). Zur Relevanz dieser hermeneutischen Entwürfe für die Exegese vgl. J. FREY, Der implizierte Leser und die biblischen Texte, ThBeitr 23, 266–290. 240 Das legt schon die Textkritik nahe. Für weitere sachliche Gründe vgl. etwa BÖHM, Wo Markus, 76f.

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sichtbar, die als »mk Leerstelle« bezeichnet werden kann und deren Funktion textpragmatisch zu interpretieren sein wird. Martina Böhm weist darauf hin, dass der Schluss eines Buches »ein höchst sensibler Punkt« ist, der bereits in der Antike241 darauf abzielt, den Adressaten die »im Werk intendierten Anliegen« noch einmal verständlich zu machen bzw. nahe zu legen.242 Die hinter dem kurzen Markusschluss stehende mögliche Intention ist die Anleitung der Leserschaft zum Weiterdenken und Erinnern bzw. »Zurückblättern«.243 Mit einer solchen Intention korrespondiert die Offenheit des Endes mancher Texte, wie Mk 4,26– 29.30–32, die somit »auf eine eigene Verstehensleistung der Rezipientinnen und Rezipienten angewiesen« sind und als indirekte »Deuteaufforderungen«244 des Evangelisten interpretiert werden können. Neben diesen indirekten Aufforderungen weist Böhm auf die direkten »Leserappelle« im MkEv (4,9; 13,14) als Hinweis auf die beabsichtigte mk Leserlenkung hin.245 Somit kann man sagen, dass Markus »von seinen intendierten Leserinnen und Lesern erwarten konnte, daß sie für die Deutung« des offenen Markusschlusses die »notwendige Verstehensleistung […] auch aufbrachten.«246 Gegen diese Schlussfolgerung steht nicht, dass dieses mk Anliegen »mit zunehmender Zerdehnung der Kommunikationssituation«247 schon bald nicht mehr verstanden wurde, was die wiederholte sekundäre Ergänzung des »Kurzen Markusschlusses« nahe legt. Ähnliches gilt m.E. auch für die anderen bereits benannten mk Leerstellen. Die Funktion der einzelnen Auslassungen ist unterschiedlich, aber in allen Fällen ist die Leserschaft genötigt, diese mk Leerstellen auszufüllen. Markus scheint seinen Lesern und Leserinnen eine solche Interpretationsarbeit zuzutrauen bzw. sie zu erwarten.248 Eine solche auf Leserlenkung abzielende Erzähltechnik braucht bei einem Autor, der mit Geheimnismotiven, Schweigebefehlen und Missverständnissen umzugehen versteht, nicht zu überraschen.249 241

Beispiele bei BÖHM, Wo Markus, 76. BÖHM, Wo Markus, 74. 243 Vgl. auch VAN IERSEL, Mk, 251ff. Voraussetzung ist, dass Markus (auch) Leserinnen und Leser als Rezipienten im Blick hat. Vgl. dazu die kritischen Anfragen FREYs, Implizierte Leser, 275f. Da spätestens das MkEv die mündlichen Traditionen in ein schriftliches literarisches Gesamtwerk überführt, darf aber mit implizierten Lesern gerechnet werden. 244 BÖHM, Wo Markus, 77. 245 Vgl. BÖHM, Wo Markus, 77f. 246 BÖHM, Wo Markus, 78. 247 BÖHM, Wo Markus, 78. 248 FENTON (Mother, 435) sagt im Bezug auf die Kennzeichnung der Maria in 15,40 ganz ähnlich: »it is a Marcan puzzle, which he expects his reader to be able to solve.« 249 FREY verweist mit Blick auf die Rezeptionsästhetik auf das Problem, »auf antike Texte Analysemodelle anzuwenden, die selbst erst an Phänomenen moderner Literatur entwickelt wurden« (Implizierte Leser, 274; vgl. auch BÖHM, Wo Markus, 75f). Er weist aber darauf hin, dass 242

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Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion

Der bewusste bedeutungsschwangere Verzicht, Maria in Mk 15,40 als Jesu Mutter zu bezeichnen, wäre somit plausibel. Leserin und Leser werden durch die Variation der Söhne in Mk 15,40.47; 16,1 auf eben diese Söhne verwiesen.250 Sie können sich so durchaus an Mk 6,3 erinnern und die Söhne der Maria beim Kreuz mit denen der Mutter Jesu identifizieren. Die rätselhafte Umschreibung Marias in Mk 15,40 fordert sie auf, noch weiter »zurückzublättern«. Die Intentionen von Mk 3,31–35 (10,29f; 13,12) geraten so am Ende des Evangeliums noch einmal in den Blick und werden durch die eigene Interpretationsarbeit im Bewusstsein der Leserschaft verstärkt.251

2.2.3 Maria, die Mutter des Jakobus, Joses und Jesu Nachdem ich v.a. das erste Gegenargument (s.o. 2.1), welches für viele Exegeten der Grund ist, weitere Überlegungen zur Mutter Jesu beim Kreuz abzubrechen, entkräftet habe, möchte ich die These ihrer Anwesenheit am Kreuz aufstellen. Als Voraussetzung für die Untersuchung ist zu behaupten, dass es sich aufgrund der Ergebnisse der vorhergehenden Abschnitte bei Mutter und Söhnen in Mk 6,3 und 15,40 um dieselben Personen handelt und dass dieses Markus bewusst war. Sollte ihm die Analogie nicht bewusst gewesen sein, müsste die gesamte Formulierung Mk 15,40 der Tradition zugeschrieben werden oder Markus hätte ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ zur Unterscheidung des Herrenbruders eingefügt.252 In diesem Fall ließe sich schwerlich eine Verbindung zu Mk 6,3 ziehen und es wäre kaum möglich zu behaupten, dass die Mutter Jesu beim Kreuz stände. Die eindeutige Parallelität derselben Namen in Anordnung und familiärer Relation zueinander im selben Evangelium spricht aber dafür, dass Markus hier bewusst ein Signal setzt und dass in den mk Namenslisten an dieselben Personen gedacht ist. Weiter ist zu fragen, ob Markus die Mutter Jesu am Kreuz vorfindet oder ob er sie selbst, etwa durch die Kombination von Mk 15,47 und 16,1, erst sich neben »den bekannten, schulmäßig oder absichtsvoll eingesetzten Stilmitteln« – also der antiken Rhetorik – »auch narrative Merkmale analysieren« lassen, die »in allen narrativen Texten vorliegen, weil sie Konstitutiva jeder Erzählung sind« (ebd., 275). Dazu rechnet Frey die »Kategorie des ›implizierten Lesers‹ und die Frage nach der Kommunikation zwischen ›impliziertem‹ Autor und implizierten Lesern« (ebd). 250 So Fenton und Johnson, vgl. oben Teil 1, 2. und v.a. oben Teil 2, 1.6.2. 251 Dazu kann kommen: Kennt die Leserschaft die Verhältnisse in der ersten Jerusalemer Gemeinde, kann ihr die Zugehörigkeit Marias (Act 1,14) bekannt sein. In diesem Fall mögen die harten Töne gegen die Herrenverwandten Fragen geweckt haben, die nun ebenfalls unter Betonung der Intention von 3,31–35 eine Lösung finden. 252 Natürlich ist auch als Erklärung möglich, dass Markus eine Liste vorfindet, die 6,3 ähnelt und ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬ zur Unterscheidung einfügt, wobei er einen kleinen Jakobus gekannt haben muss. Es entstehen dann aber neue Fragen: Warum hat er z.B. nicht die Reihenfolge der Namen vertauscht oder die Maria (wie Salome!) unbestimmt gelassen, um eine Identifikation zu vermeiden?

Maria von Nazareth bei Kreuz und Grab

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ans Kreuz stellt. Versucht man hierzu die redaktionskritischen Untersuchungen zu Joh 19,25 zu Hilfe zu nehmen, um die dort anwesende Mutter Jesu evtl. in der vorjoh/vormk Tradition verorten zu können, wird man enttäuscht. Da sich die Mutter Jesu in der synoptischen Tradition nicht am Kreuz befindet (Mk 15,40!), wird sie von den meisten Exegeten auch in Joh 19,25 als sekundäre Einfügung des Evangelisten verstanden.253 Dabei ist eine Verortung Marias im vorjoh Passionsbericht nicht undenkbar,254 da auch die sonstigen Argumente der JohEv-Kommentare für eine sekundäre Einfügung der Mutter in Joh 19,25 nicht vollends überzeugen können, v.a. dann, wenn sie in Zusammenhang mit dem Hinweis auf das Fehlen der Mutter im MkEv stehen.255 Da die Liste Mk 15,40 in ihrer Vorform als traditionell ausgewiesen wurde und ein Interesse, die Mutter Jesu sekundär ans Kreuz zu bringen, im Kontext des Evangeliums schwer auszumachen sein wird, spricht alles für eine traditionelle Verortung der Mutter Jesu in der Liste.256 Somit findet also Markus – zumindest versteht er es so – die Mutter Jesu am Kreuz (und/oder am leeren Grab) unter den Nachfolgerinnen Jesu.257 Markus bearbeitet im Blick auf Mk 3,35 und 6,3 die Notiz über die Mutter Jesu, indem er sie statt über ihre Beziehung zu Jesus, über eine Auswahl ihrer anderen Söhne näher bestimmt und somit ihre Anwesenheit am Kreuz chiffriert. Hätte er damit ihre Anwesenheit vertuschen wollen, dann hätte er sie aus der Liste streichen oder – wie Salome – unbestimmt lassen können. Es empfiehlt sich, nach einem theologischen Motiv zu schauen. Ich habe bereits auf ein sol253 Vgl. BULTMANN, Joh, 520; BECKER, Joh, 590; ders., Maria, 220; SCHNELLE, Joh, 288. Immerhin hält SCHNACKENBURG (Joh, 328) die Mutter Jesu in Joh 19,25 für traditionell. 254 Vgl. unten Teil 4, 1. 255 WILCKENS (Joh, 296) sieht das redaktionelle Interesse darin, dass die »Stunde«, welche in Kana noch nicht gekommen war (Joh 2,4), jetzt da ist, und es darum zum Wiederauftritt der Mutter Jesu kommt. Anders BECKER, Joh, 590: »Die Mutter Jesu scheint erst mit dem Lieblingsjünger in den Text hineingekommen zu sein. [...] Also ist 19,26f. kein mariologischer Text, sondern er dient zur Entfaltung der Person des Lieblingsjüngers.« Dagegen spricht, dass der Lieblingsjünger nun gerade in der Liste 19,25 fehlt! 256 Nach CROSSAN (Relatives, 108ff) stellt Markus in 15,40 sekundär die Beziehung zur Mutter Jesu in polemischer Absicht her, um eine Verwandte Jesu und eine Repräsentantin der Jerusalemer Gemeinde in 16,8 versagen lassen zu können. In Wer tötete Jesus? (1999), in dem er ebenfalls die Passage mit den Frauen am Kreuz und Grab untersucht, ist von dieser These und von einer Identifikation mit der Mutter Jesu nichts mehr zu spüren. 257 Vgl. oben Teil 2, 1.6.3, Anm. 342. Es ist allgemein anerkannt, dass nach Ostern Herrenbrüder und Maria zur Gemeinde gehören (vgl. Act 1,14; 1Kor 9,5 u.ö.). Wann die Hinwendung zu Jesus erfolgte, lässt sich schwer feststellen (vgl. aber Beckers Darstellung unten Teil 4, 1). Es ist durchaus möglich, dass Joh 19,25 und Mk 15,40 auf historischen Erinnerungen beruhen. Ist es denkbar, dass von der nachösterlichen Stellung der Herrenverwandten her Traditionen entstanden sind, die die Nachfolge Marias zurückdatieren (vgl. Kindheitsgeschichten)? Eine solche Rückdatierung ist bei den Namenslisten unwahrscheinlich, eine besondere Betonung der Mutter Jesu lässt sich dort nicht ausmachen. Mehr dazu unten Teil 4, 1.

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Ein Mariageheimnis? – Maria in der markinischen Passion

ches hingewiesen. Soll Maria als Nachfolgerin charakterisiert werden, was in Mk 15,40f geschieht, so kann das nicht in ihrer Funktion als Mutter Jesu geschehen (vgl. Mk 3,31–35), immerhin ist sie als Nachfolgerin nun Mitglied der neuen Familie.258 Diese Interpretation stützt ein bereits an anderer Stelle besprochener christologischer Aspekt: Die Ablehnung in Nazareth wurde durch die Einordnung Jesu als »Sohn der Maria« ausgelöst. Diese Einordnung steht allem Anschein nach der Erkenntnis Jesu als »Sohn Gottes« entgegen.259 Auch hier erscheint es also konsequent, dem einen Vers zuvor öffentliche bekannten Gottessohn keine leibliche Mutter zur Seite zu stellen.260 Sollte Mk 6,1–6 auf eine Alternativentscheidung zwischen »Sohn Marias« und »Sohn Gottes« hinauslaufen, hätte Maria in der Gemeinschaft anderer Nachfolgerinnen sich für »Sohn Gottes« entschieden. Markus macht aus der Not, d.h. der Spannung der vorgefundenen Jüngerschaft Marias zu Kap. 3 und 6, eine Tugend, indem er den theologischen Gedanken von Mk 3,35 am Beispiel Marias illustriert und in die Tat umsetzt. Andererseits stützt das meine Beobachtung, dass sich die von Markus narrativ ausgestaltete Feindschaft der Familie zu Jesus und der daraus resultierende Bruch nicht gegen die Familienmitglieder als solche, sondern gegen ihr familiäres Rollenverständnis richtet, in das Jesus zurückgeholt werden soll und aus dem heraus ihr Unglaube resultiert (Mk 6,1–6). Ein Happy End für Maria von Nazareth? Man sollte es zumindest erwägen. Es ist mir bewusst, dass bei dieser Deutung Fragen offen bleiben. Das größte Problem ist, wie gesagt, die Bezeichnung des Jakobus als ƷƳ̬ µƮƯƴƳ̬, für die sich nur hypothetische Erklärungen finden lassen. Weiterhin stellt sich die Frage, ob Markus mit seinem Mariageheimnis nicht zu weit gegangen ist. Immerhin haben die Seitenreferenten die Mutter Jesu nicht erkannt261 und auch die Exegeten tun sich zumeist schwer damit.262 258

Auf den Unterschied von Jüngerschaft und familia dei wird noch an anderer Stelle eingegangen (s.u. 3.6.1), die Frauen am Kreuz gehören m.E. zum weiteren Nachfolgekreis. 259 In Mk 6,2 werden Fragen zur Person Jesu gestellt, die Leserin und Leser ohne zu zögern mit der Gottessohnschaft Jesu beantworten muss. In 6,3 aber kommen die Nazarener zu dem Schluss, dass Jesus als »Sohn der Maria« solche Taten, Worte, Kräfte nicht zustehen. Mit den Fragen der Nazarener wird textpragmatisch gesehen eine dualistische Entscheidungssituation aufgebaut. 260 So GUNDRY, Mark, 977f. Zu beachten ist allerdings, dass in Mk 15,40 Maria – nicht aber Christus – charakterisiert wird. Dieser christologische Aspekt ist ein unterstützender Nebenzug. 261 Gegen FENTON, Mother, 436: Die mt Änderung von Jose in Josef in Mt 13,55 sowie in 27,56 deutet kaum darauf hin, dass Matthäus »Mark’s puzzle« gelöst hat und die Maria beim Kreuz als Mutter Jesu identifiziert. Ähnliches versucht Fenton beim LkEv. Vgl. ebd. 436f. Es ist darauf hinzuweisen, dass Lukas auch an anderer Stelle das MkEv (bewusst oder unbewusst) falsch verstehen kann: Das Haus Jesu in Mk 2,15 (s.u. 3.5) wird zum Haus des Levi in Lk 5,29. 262 In der Alten Kirche halten Helvidius (vgl. HIERONYMUS, AdHelv 12) und CHRYSOSTOMUS (Homiliae in Matthäum LXXXVIII 2: »Wer war es? Seine Mutter – Matthäus nennt sie des Jakobus Mutter«) die Maria beim Kreuz für Maria von Nazareth. Exegeten, welche das »Marcan puzzle«

Ergebnis

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Dennoch erscheint mir die vorgestellte These gegenüber anderen Erklärungsmodellen als plausibel und instruktiv. Mit der dritten Erwähnung der Mutter Jesu (Mk 15,40) ist das theologische Motiv, das Markus in der Gegenüberstellung der leiblichen Familie Jesu und der familia dei entfaltet, in befriedigender Weise abgerundet. Ich werde im weiteren Verlauf dieser Untersuchung diese These als begründet voraussetzen und im Sinne einer Arbeitsgrundlage weiter entfalten.

2.3 Ergebnis Ergebnis Bei der Zwischenbilanz im exegetischen Teil der Arbeit (s.o. Teil 2, 1.3.4) wurden wesentliche Dinge zu Maria und ihren Söhnen in Mk 3 und 6 gesagt. Aufgrund von Mk 10,29f konnte festgestellt werden, dass die Feindschaft und der Bruch der Familie v.a. im Licht der Familienzerwürfnisse, unter denen verschiedene Glieder der mk Gemeinde litten, ausgebaut wurde. Damit bestätigte sich, dass die harten Töne nicht gegen die Mitglieder der biografischen Familie Jesu, sondern gegen ihre familiären Ansprüche, welche mit dem »Evangelium« (Mk 10,29) in Konflikt gerieten, gerichtet waren. In kulturanthropologischer Perspektive ließe sich dieses Urteil ergänzen: Das enge soziale, ökonomische und religiöse Beziehungsgeflecht innerhalb einer Verwandtengruppe in einer an Ehre orientierten Kultur bietet genügend Konfliktpotenzial bei dem »Ausstieg« eines Mitglieds. Die Untersuchung von Mk 15,40 hat wahrscheinlich gemacht, dass Markus Traditionen einer vorösterlichen Nachfolge Marias kannte. Da er sie in Kap. 3 und 6 nicht persönlich kritisiert hatte, konnte er ihre Nachfolge in 1540f.47 und 16,1–8 zulassen. Somit wird man der mk Redaktion keinen »Antimarianismus« vorwerfen können. Das negative mk Mariabild hellt sich letztendlich auf, wenn auch das Bild einer heiligen Familie, wie es in den mt und v.a. lk Kindheitsgeschichten gezeichnet wird, für Markus weiterhin undenkbar bleibt. Das Urteil über ein Desinteresse263 des Evangelisten an der Mutter Jesu ist insofern zu korrigieren, dass Markus mit der Person Marias seine Theologie paradigmatisch auf- und ausbaut. Diese Theologie, d.h. das Motivfeld »Familie«, soll nun als nächstes in den Blick genommen werden.

(FENTON, Mother, 435) mit mehr oder weniger ausreichenden Begründungen »gelöst« haben s.o. Teil 1, 2. 263 So z.B. MUSSNER, Mutter, 23; vgl. unten Teil 2, 1.3.4, Anm. 236.

3. Das Motivfeld264 »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

3.1 Familie in der paganen Welt – Konflikte für Christen Familie in der paganen Welt – Konflikte für Christen Da in diesem Buch sowohl die Frage nach der Familie Jesu als auch die Frage nach den Familien im Kontext der mk Gemeinde zur Sprache kommen, lassen sich Doppelungen schwer vermeiden. Die wesentlichen Verhältnisse zur Stellung der Familie im mediterranen Raum wurden so bereits unter 1.1 dargestellt. Ich möchte an dieser Stelle diese Darstellung im Bezug auf den nichtjüdischen Raum ergänzen bzw. präzisieren. Das ist notwendig, weil davon auszugehen ist, dass sich die mk Gemeinde außerhalb Palästinas befand, m.E. im Osten des Imperiums.265 Dazu kommt der Sachverhalt, dass es sich vermutlich um eine gemischte Gemeinde aus Heiden- und Diasporajudenchristen handelte (s.u. 3.6.3, Anm. 643). Das Ziel dieser knappen Darstellung besteht darin, die starke Bindung der Familienmitglieder an die Familie und damit das Konfliktpotenzial beim Übergang von Diasporajuden und Griechen zum Christentum vor Augen zu stellen. Zudem soll deutlich werden, was »alles« (Mk 10,28) die einzelnen Christen verlassen haben.

Die bereits erfolgte kulturanthropologische Darstellung über die Ehe, Strukturen innerhalb der Familie, Stellung der Geschlechter und zentrale Bedeutung der Ehre in Palästina wird man – abgesehen von Einzelheiten (Bräuche bei Eheschließung, Eherecht, Architektur und konkrete soziale Situation) – auch auf den griechisch-römischen Bereich ausweiten dürfen. Malinas266 Grundlage sind im Wesentlichen Modelle, die sich an der gesamten mediterranen Welt zu orientieren versuchen. Die griechische Familie (ƳʋƯƳƵ) ist wie die jüdische als soziale Einheit mit ihrem Besitz und klar verteilten Rechten und Pflichten zu verstehen. 264 Ich benutze den Begriff »Motivfeld« analog dem in der Sprachwissenschaft gebräuchlichen »Wortfeld«. Im MkEv lassen sich m.E. vier Motive unterscheiden, die familiäre Beziehungen zum Inhalt haben, sich aber auch überschneiden: Trennung von der Familie aufgrund der Jesusnachfolge; Wechsel von der alten in eine neue Familie; die familia dei (welche sich im MkEv mit der neuen Familie deckt) und die apokalyptische Vorstellung von familieninterner Feindschaft in der Endzeit. Ich fasse diese Motive als »Motivfeld« zusammen. Die familienethischen Konzepte (Ehescheidung, 4. Gebot) sind hier nicht impliziert, da sie sich deutlich unterscheiden. 265 Vgl. meinen Aufsatz Befand sich die mk Gemeinde in Ägypten? 266 MALINAs Buch Die Welt des Neuen Testaments steht hier aufgrund seiner Bedeutung für die kulturanthropologische Exegese für die meisten bereits zu Wort gekommenen kulturanthropologischen Arbeiten.

Familie in der paganen Welt – Konflikte für Christen

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Auch sie ist eine Ehrgemeinschaft mit intern deutlichem Ehrgefälle.267 Die Macht des Familienvaters (ƳʅƯƳƩƪƶ™ˆƷƬƵ) ist hier philosophisch gestützt.268 Die aristotelischen familiären Grundrelationen Herr-Sklave, Mann-Frau, Vater-Kinder laufen allesamt auf die Person des Vaters zu, »die Funktionen von Herr, Gatte und Vater vereinigen sich in einer Person.«269 An Haustypen im städtischen hellenistischen Umfeld müssen die Villa (domus) bzw. das Peristylhaus,270 die »houses with shops (tabernae) and apartment-style blocks of residences (insulae)«271 Erwähnung finden. Domus ist das luxuriöse Wohngebäude der Reichen, die römischen insulae die bescheidenen und ungesunden Wohnungen der Mittelschicht und der eher Armen.272 Trainor vermutet, dass Mitglieder der mk Gemeinde auch aus der gehobenen Gesellschaftsschicht kommen, d.h. aus Villen.273 Dafür würde sprechen, dass das Thema »Reiche« in Mk 10,17–27 breit entfaltet wird. Eine Frage ist aber, ob und wie viele »Kamele« (10,25) real in die mk Gemeinde gefunden haben können, eine andere, ob sie dann noch im Besitz ihrer Villa waren (10,21!), die sie der Gemeinde als Versammlungsraum zur Verfügung stellen konnten. Diese Funktion christlicher Villen und Ladenhäuser betont Trainor aufgrund der benötigten Raumgröße.274 Diese Frage führt zwangsläufig zu Spekulationen.275 Allerdings macht sie auf die Relevanz architektonischer Gegebenheiten aufmerksam. Wie viele Gemeindeglieder konnten sich überhaupt in einer Hauskirche versammeln?276 267

So GUTTENBERGER ORTWEIN, Status, 26. Vgl. oben 1.1.2, Anm. 36. Zur patria potestas gegenüber den Kindern im lateinischen und – anders akzentuiert – griechischen Raum vgl. etwa GIELEN, Tradition, 146–158. 269 GNILKA, Hausgemeinde, 230. 270 Vgl. dazu OSIEK/BALCH, Families, 9ff. 271 TRAINOR, Quest, 31. Er hat aufgrund der Markus-Rom-Tradition die römische Architektur im Blick. Da ich der These der Entstehung des MkEv in Rom nicht folge, spielt Trainors Konzentration auf Roms hier eine untergeordnete Rolle. Die Existenz des domus ist aber im gesamten griechisch-römischen Raum belegt, auch in Syrien, Palästina und Ägypten (vgl. ebd. 27). Zur mediterranen Architektur und den sozialen Aspekten vgl. auch OSIEK/BALCH, Families, 5–35. 272 TRAINOR (Quest, 31) macht darauf aufmerksam, dass die Bewohner der überfüllten, lauten, unhygienischen insulae und tabernae auf öffentliche »fountains, shops, and latrines« angewiesen sind. Wasserversorgung, eigene Küche etc. findet sich oft nur im domus. Auch wenn der soziale und ökonomische Statusunterschied zwischen domus- und insulae-Bewohnern immens gewesen sein wird (vgl. OSIEK/BALCH, Families, 18ff), dürfen diese 4- bis 5-stöckigen Mietshäuser nicht mit den Slums in modernen Großstätten verwechselt werden. Vgl. OSIEK/BALCH, Families, 23f. 273 TRAINOR, Quest, 29. 274 TRAINOR, Quest, 29f.179. OSIEK/BALCH (Families, 24.33f) verorten die pln Hauskirchen in Atrium- bzw. Peristylhäusern (vgl. aber ebd. 34!). Das ist gut vorstellbar, sucht man nach einem Zentrum der gesamten Gemeinde, wo man sich etwa zum gemeinsamen Mahl trifft (1Kor 11,17ff). Beim familiären Zusammenleben der mk Christen in vermutlich verschiedenen Häusern (s.u.) erscheint mir die Frage schwieriger zu beantworten. 275 Auch Trainor ist sich bewusst, dass jeder Versuch einer exakten Bestimmung der mk Verhältnisse spekulativ ist. Vgl. TRAINOR, Quest, 16. 276 Vgl. dazu unten 3.6.3, Anm. 608. 268

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Die Rolle der Frau im ƳʋƯƳƵ beschränkte sich – wie in jüdischen Familien – auf den inneren Raum.277 Töchter bleiben zeitlebens unter der Gewalt des Vaters oder des nächsten männlichen Verwandten bzw. des Ehemannes.278 Die Strukturen innerhalb der streng monogamen Ehe sind auch hier durch die »Einbettung« der Frau beschreibbar. Bei der Eheschließung wechselt die Frau aus ihrem ƳʋƯƳƵ in den ƳʋƯƳƵ ihres Mannes. Bei einer Scheidung kehrt sie in ihren ƳʋƯƳƵ zurück.279 Im hellenistischen Ägypten besitzt, wie bereits oben Teil 2, 2.4 dargestellt, die verheiratete Frau einen besseren rechtlichen Status. Frauen sind in Griechenland, abgesehen von lokalen Ausnahmen,280 nicht erbberechtigt. Eine lokal begrenzte Ausnahme zeigt dabei sehr deutlich die Unterordnung der Belange einzelner Mitglieder unter die Belange des ƳʋƯƳƵ. Sind keine männlichen Erben vorhanden, erbt die Tochter, muss aber den nächsten männlichen Verwandten heiraten. Ist sie bereits verheiratet, wird die bestehende Ehe aufgehoben. Der Sohn aus der neuen verwandtschaftsinternen Ehe gilt schließlich als der eigentliche Erbe. Die Kontinuität des Familienstrangs bleibt somit gewahrt.281 Eine Besonderheit in Griechenland ist die politische Dimension der Familie, sie ist »ein integraler Bestandteil der Polis«.282 Der Rechtsstatus der Politen ist abhängig von der Herkunft aus rechtsgültigen Ehen. Auch wenn der ƳʋƯƳƵ gegenüber der weiteren Verwandtschaftsgruppe relativ selbstständig ist,283 zeigt sich in seiner rechtlichen Eingebundenheit sein offizieller Charakter und die Existenz vielschichtiger sozialer Geflechte. Unterschiede ergeben sich zwischen den vorwiegend jüdischen und den vorwiegend paganen Gebieten (ausgenommen jüdischer Diasporagemeinden) v.a. in Bezug auf die religiöse Prägung und Erziehung im Elternhaus.284 In der griechisch-römischen Welt macht sich der Polytheismus auch im häuslichen Leben der Familie bemerkbar. Im Zentrum des griechischen Familienlebens und von großer religiöser Bedeutung ist der Herd,285 ver277 Es gibt Ausnahmen. Wohlhabende Frauen können in der öffentlichen griechischen und römischen Welt einen akzeptablen Status besitzen (vgl. Act 16,14f; OSIEK/BALCH, Families, 27f). 278 GUTTENBERGER ORTWEIN (Status, 26f) verweist auf die »Virtus-Vorstellung«: Frauen, Kinder und Sklaven »haben nur unvollständigen bzw. gar keinen Anteil an der praktischen Vernunft, so daß sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu beherrschen, und sich besser befinden, wenn sie beherrscht werden.« 279 Ähnlich sind die römischen Verhältnisse; vgl. DEISSMANN-MERTEN, DNP 4, 414. 280 Vgl. GEHRKE, DNP 4, 411. In Rom sind Söhne und Töchter aber gleichsam erbberechtigt. Vgl. DEISSMANN-MERTEN, DNP 4, 415f. Hier ist auch die Möglichkeit der Enterbung gegeben. 281 Vgl. GEHRKE, DNP 4, 410. Diese Praxis ist in »Gebieten Griechenlands« anzutreffen. Ebd. 282 GEHRKE, DNP 4, 409. 283 Vgl. dazu GEHRKE, DNP 4, 410f. 284 Folgende Skizze orientiert sich an BARCLAY, Family, 67f.72–76. 285 Vgl. z.B. GEHRKE, DNP 4, 409 (Hochzeitsbrauch): Die Braut bringt beim Wechsel in das Haus ihres Mannes eine Fackel mit dem Herdfeuer aus dem Haus ihrer Familie und umschreitet

Familie in der paganen Welt – Konflikte für Christen

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bunden mit seiner Göttin Hestia (oder Vesta in Rom).286 Zeus (in Rom Penates) wird oft mit der Sicherstellung der Nahrungsversorgung betraut. Gebete, Trank-, Speise- und Weihrauchopfer gehören wohl zu den gängigen häuslichen Praktiken. In Rom kommen als Hausgötter die Laren hinzu, die in Form kleiner Statuen oder Bilder der Familie ständig vor Augen stehen.287 Diese Hausgötter und der häusliche Kult verbinden sich oft mit dem Genius des Hausherrn (genius domus/genius familiae). So zeigen Bilder mitunter das Familienoberhaupt neben dem lares familiares, der ihm das Opfer darbietet. Auch in seiner Vaterschaft und Zeugungsfähigkeit gilt der Mann als göttlich.288 Zu den Pflichten der Kinder gehörte deshalb – neben unbedingtem Gehorsam, Altenfürsorge und Bestattung im römischen Bereich – auch die göttliche Verehrung des Verstorbenen.289 Daneben spielt die Religion bei zahlreichen Familienfesten eine Rolle: Geburt, Heirat oder Tod der Familienmitglieder haben eine große religiöse Dimension. Fazit: Trotz großer Unterschiede zwischen jüdischer und paganer häuslicher Religiosität ist also auch die pagane Familie der Ort der Vermittlung und Einübung von Religion, Tradition und Identität. Diese häusliche Religiosität verbindet sich eng mit der Person und Position des Familienoberhaupts.290 Ihre Ausübung ist eine Angelegenheit der Sitte. Mit der Bedeutung der Familie als integralem Bestandteil der Polis ist auch die Ausübung des häuslichen Kults mehr als nur Privatsache.291 Es ist einsichtig, dass die häusliche Religiosität eng mit der Ehre der Familie und der innerfamiliären Loyalität zusammenhängt. Trotz aller Unterschiede muss Jude wie Grieche, wenn er unabhängig von seiner Familie zum Christentum konvertiert, den durch Religion und Familienehre motivierten Widerspruch der Blutsverwandten auslösen. Die zusätzliche Verschärfung eines solchen Konflikts durch die enge Verbindung zur Familienehre und familiären Loyalität wird in dem noch an anderer Stelle zu besprechenden Wort Philos von Alexandria deutlich: »[Gott spricht Recht, TR] für den Proselyten, weil er seine Blutsverwandten, von denen allein er den Herd im Haus ihres Mannes. Auch ein neugeborenes Kind wird durch Tragen um den Herd offiziell in die Familie aufgenommen (oder durch Unterlassung ausgeschlossen – also ausgesetzt). 286 Vgl. DEISSMANN-MERTEN, DNP 4, 415. 287 Mit ihnen verbindet sich ein täglicher (!) Kult, der den gesamten Haushalt betrifft. Vgl. OSIEK/BALCH, Families, 10. 288 Vgl. GUTTENBERGER ORTWEIN, Status, 26. 289 Vgl. GUTTENBERGER ORTWEIN, Status, 27. 290 Relativiert wird dies durch 1Kor 7,12ff: Es besteht prinzipiell die Möglichkeit verschiedener religiöser Überzeugungen innerhalb einer Ehe. Allerdings zeigt das Thema der Textstelle (Scheidung) gerade die potenziellen Schwierigkeiten dieser Konstellation. 291 Die Verbindung Religion-Staat-Familie zeigt auch Tacitus: s.u. 3.2.2., zu Anm. 325.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Hilfe erwarten durfte, sich zu unversöhnlichen Feinden machte, als er übertrat zur Wahrheit und zur Verehrung des Einen, dem Ehre gebührt«.292 Dieses Zitat belegt neben der religiösen Dimension auch das bereits für das Judentum beschriebene293 enge soziale Beziehungsgeflecht der Familie. Das Familienmitglied darf von den Blutsverwandten – und nur von diesen – Hilfe erwarten. Andererseits besteht auch die Verpflichtung zur familieninternen Unterstützung. Dieses für die Verwandtengruppe existenziell bedeutsame Netz aus Rechten und Pflichten verlässt der Proselyt (wie auch der Christ) und macht sich damit zwangsläufig »unversöhnliche Feinde«. Es ist begreiflich, dass sich der Bruch des »Griechen« mit seiner Religion und den Ahnensitten wesentlich radikaler vollzog – Philo verweist explizit auf den Monotheismus als Grund der Feindschaft –, beim Judenchristen bleibt hingegen eine gewisse Kontinuität zur jüdischen Religion erhalten. Mitunter setzen Judenchristen die religiösen Traditionen einfach fort und verbinden diese zusätzlich mit ihrem Glauben an Jesus Christus.294 Somit mag es in den Anfangsjahren in der Diaspora auch konfliktärmere Fälle judenchristlicher Konversionen gegeben haben. Der Bruch der nichtjüdischen Christen hingegen muss von den Verwandten dagegen als »shameful act of disloyalty«295 verstanden worden sein. Die Konversion bedeutet zwangsläufig die Aufhebung der Loyalität gegenüber der Familie, Beleidigung der Ahnen und damit augenfällig ein Konfliktpotenzial. Mit der Ausweitung des Christentums in den griechisch-römischen Bereich und der allmählichen Entfernung vom Judentum wird das Konfliktpotenzial auch auf judenchristlicher Seite zugenommen haben. Für die Zeit des Markus ist das aufgrund der zelotischen Hegemonie in Palästina und der Ereignisse im Umfeld des Jüdischen Kriegs vorauszusetzen. Besonders brisant erscheinen gemischte Ehen im paganen Umfeld (1Kor 7,12ff; 1Petr 3,1), wenn man sich den oben skizzierten häuslichen Kult vor Augen führt. Wie verhalten sich die christlichen Frauen, wenn im häuslichen Kult nicht nur die alten Götter, sondern mit ihnen auch der Genius des Familienoberhaupts, des Ehemanns geehrt werden? Prinzipiell ist festzustellen, dass das christliche Gemeinschaftsverhalten anfangs weniger zur Festigung, als zur Unterhöhlung der Familienloyalitäten führt.296 Hierbei finden sich mehr oder weniger radikale Formen. 292 SpecLeg IV 178. Kursiv: TR. Dass hier Proselyten im Blick sind, ist zweitrangig. Für die pagane Familie wird der Übergang zum Christentum ähnlich empfunden worden sein. 293 Vgl. oben 1.1.2. 294 Vgl. BARCLAY, Family, 73. 295 BARCLAY, Family, 73. 296 So BARCLEY, Family, 74: »Thus the practical effect of the early Christian movement was not to solidify but to undermine family loyalties for a significant proportion of its adherents.« Die

Das Motiv der Subordination verwandtschaftlicher Bindungen

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Neben der Möglichkeit der Unterordnung der Familienloyalität gegenüber der Christusnachfolge und dem Bekenntnis (MkEv) werden auch die provokant überspitzten Forderungen ausgesprochen, die Toten ihre Toten begraben zu lassen (Q 9,59f) und die leibliche Familie zu hassen (Q 14,26). An dieser Stelle ist auch der eschatologisch motivierte Verzicht auf Ehe und Familie zu nennen (1Kor 7,29–31; 1Tim 4,3; Mt 19,10–12). Auf der anderen Seite stehen traditionelle Großfamilien, die »mit dem ganzen Haus« (Act 16,14f.30ff; 18,8 u.ö.) zum christlichen Glauben konvertieren.297 Solche Familien stellen der Gemeinde ihr Haus als Versammlungsraum zur Verfügung. Hier rückt Familie positiv ins Zentrum christlichen Gemeinschaftslebens, »the household became the locale of Christian fellowship«.298 Ansatzweise ist diese Bedeutung des Hauses für die Christen auch im MkEv spürbar: Neben der futurisch gehaltenen Zusage in 10,30, welche für die mk Gemeinde bereits die Realität widerspiegeln mag, findet Jesus bereits am Anfang des Evangeliums mit dem Haus des Simons und Andreas einen Ort, der für die Gemeinschaft mit seinen Anhängern offen steht. Ich werde unten 3.10 die mk Konzeption mit anderen ntl. Schriften vergleichen und diese Überlegungen entfalten und weiterführen.

3.2 Das Motiv der Subordination verwandtschaftlicher Bindungen Das Motiv der Subordination verwandtschaftlicher Bindungen Stephen C. Barton stellt seiner Studie Discipleship and Family Ties in Mark and Matthew aus einsichtigen Gründen eine repräsentative Auswahl299 von Personen und Gruppen in der jüdischen und hellenistischen Umwelt des 1. Jh. n.Chr. voran, bei denen das Motiv der Unterordnung familiärer Beziehungen begegnet. Ansatzweise findet sich ähnliches auch schon bei Martin Hengel, der das Phänomen der Nachfolge in der griechischen und jüdischen Umwelt des NT untersucht.300 Zweifellos ist ein Bewusstsein »of the various forms of ›hostility‹ to family in such sources«301 für das richtige Verfrühe Christenheit führte »to a fundamental reconsideration of the worth of family loyalties and of the family as such.« 297 BARCLAY (Family, 75f) weist darauf hin, dass nicht zwangsläufig alle Mitglieder des christlichen ƳʋƯƳƵ Christen waren. Onesimus wurde etwa erst von Paulus bekehrt (Phlm 10). 298 BARCLAY, Family, 75. Über die Entwicklung eines christlichen Familienethos’, dem sich v.a. Kol und Eph widmen, vgl. ebd. 75–78. 299 »To show this, it is not necessary to attempt an exhaustive survey. Rather, in what follows, I have chosen to focus on a selection of pertinent Jewish and GrecoRoman sources from the preChristian and early Christian period.« BARTON, Discipleship, 23. 300 HENGEL, Nachfolge, 18–40. Vgl. etwa ebd. 31f. Vgl. auch die Beispiele bei OSIEK/BALCH, Families, 124f. 301 BARTON, Discipleship, 23.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

ständnis und die richtige Beurteilung der von mir untersuchten ntl. Texte relevant. Zu beachten ist allerdings auch, dass sich das mk Motivfeld »Familie« keinesfalls auf die Subordination verwandtschaftlicher Bindungen beschränken lässt. Anders als Barton unterscheide ich das Motiv der Unterordnung familiärer Bindungen und das damit im Zusammenhang stehende Motiv des Familienwechsels bzw. der neuen Familie (familia dei). Ich werde darum über Bartons Ausführungen hinaus vor allem diese Motive im Auge behalten. Eingedenk dessen, soll im folgenden Überblick vor allem die eben genannte Motivanalyse Bartons302 zusammengefasst, bei Bedarf ergänzt oder auch relativiert werden.303 Anders als Barton möchte ich mit einen gesonderten Blick auf die atl. und zwischentestamentarischen Spuren dieses Motivfeldes beginnen.304

3.2.1 Alttestamentliche und zwischentestamentarische Literatur Betrachtet man das AT auf die Frage hin, ob es die Unterordnung familiärer Bindungen kennt, wird man schnell fündig. So beginnen die Vätergeschichten mit den Worten: »Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.« (Gen 12,1). Abraham erweist sich als frommer Mann, indem er seine Loyalität nicht auf seinen Verwandtschaftsclan sondern auf Gott ausrichtet. Während bei dem Verlassen der alten Heimat seine um den Neffen erweiterte Kernfamilie unberührt bleibt, muss er bald darauf auch hier entscheiden, auf wen er seine Loyalität richtet. So ist er auf Gottes Geheiß hin bereit, seinen eigenen und einzigen Sohn zu töten und Gott zu opfern (Gen 22,1–18). Bereits am Anfang des AT finden wir also Gottesgehorsam, der die Bereitschaft beinhaltet, die Herkunftssippe zu verlassen und sogar Mitgliedern der eigenen Kernfamilie Gewalt anzutun! 302 Vgl. BARTON, Discipleship, 23–56. In leicht gekürzter Fassung finden sich Bartons Ausführungen auch in: MOXNES, Constructing early Christian families, 81–100. 303 Mein Blickwinkel unterscheidet sich auch sonst von dem Bartons: Für ihn sind die »antifamily« Texte in den Evangelien »primarily a rhetorically powerful metaphorical way of calling for the displacement of every obstacle to true discipleship of Jesus« (BARTON, Relativisation, 81). Man wird sich über die Tragweite des »primarily« streiten können und Barton sieht hier ohne Frage Richtiges. Doch seine Einschätzung der Texte als v.a. rhetorisch etc. birgt die Gefahr, den Blick auf die realen Erfahrungen und die soziale Wirklichkeit, die – auch – hinter diesen Texten stehen, zu verstellen. 304 Barton weist am Schluss seines Abschnitts auf verschiedene Beispiele aus dem AT hin. Vgl. BARTON, Discipleship, 54f.

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Dieser Gehorsam charakterisiert v.a. die Leviten. Nach dem »Götzendienst« des Volkes Israel in Ex 32,1–24305 gibt Mose den Söhnen Levis im Namen Gottes einen furchtbaren Befehl: »Ein jeder gürte sein Schwert um die Lenden […] und erschlage seinen Bruder, Freund und Nächsten.« (V. 27). In V. 29 werden die Söhne Levis gesegnet und zum Dienst des Herrn berufen, weil sie sich bewährt haben: Ein jeder von ihnen ist »wider seinen Sohn und Bruder gewesen«.306 Auch hier muss die zu einem Extrem gesteigerte Disloyalität gegenüber der eigenen Familie als Zeichen der absoluten Loyalität gegenüber Gott verstanden werden.307 Im Mosesegen wird dann folgerichtig308 Levi als der charakterisiert, »der von seinem Vater und von seiner Mutter spricht: ›Ich sehe ihn nicht‹, und von seinem Bruder: ›Ich kenne ihn nicht‹, und von seinem Sohn: ›Ich weiß nichts von ihm‹.« Mose folgert im Anschluss: »Die hüten dein [d.h. Gottes, TR] Wort und bewahren deinen Bund« (Dtn 33,9). Gunneweg, der in diesem Vers in Kombination mit Ex 32,29 eine »Levitenregel« erkennt, geht davon aus, dass die Leviten in ihrem Ursprung nie ein eigener Stamm, Sippenverband oder Verband von Priestern etc., sondern Menschen waren, die sich von ihren Familien losgesagt hatten und nun verstreut über das Land als Fremdlinge lebten.309 In den kultischen Vorschriften des Deuteronomiums ist zu lesen (13,7ff): »Wenn dich dein Bruder, deiner Mutter Sohn, oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau in deinen Armen oder dein Freund [… ] überreden würde und sagen: Lass uns hingehen und andern Göttern dienen, […] so willige nicht ein und gehorche ihm nicht. Auch soll dein Auge ihn nicht schonen, […] sondern sollst ihn zum Tode bringen. Deine Hand soll die erste wider ihn sein, ihn zu töten«.

Auch hier wird unmissverständlich der Gehorsam gegenüber Gott über die Belange der Familie gestellt. Die Verführung gegen das 1. Gebot erfordert tödliche Feindschaft gegenüber den engsten Familienangehörigen. 305 Nach SCHMITT, Ursprung, 580ff ist Ex 32,25–29 ein Fragment aus einem anderen Kontext. Die Beziehung zum »Goldnen Kalb« ist sekundär. Evtl. stand der Text in Beziehung zu Num 25. 306 Vgl. zum Problem des Brudermords, der die Leviten neben Kain stellt, SCHMITT, Ursprung, 578ff. 307 »Also war der Sinn der Levitenregel [Dtn 33,9, TR], die Leviten dazu zu verpflichten, für die Sache Jahwes gegen jedermann, auch gegen ihre nächsten Verwandten, mit der Waffe einzutreten.« SCHMITT, Ursprung, 582f. Es geht um nichts Geringeres als die bedingungslose Loyalität gegenüber Gott (und/oder Mose, vgl. ebd. 584ff), die »heiligsten Bindungen, die der Mensch sonst anerkennt, gelten dagegen nichts – und andere erst recht nichts, das braucht nicht eigens gesagt zu werden.« Ebd. 583. 308 Die ursprüngliche zeitliche Abfolge mag anders ausgesehen haben. Evtl. ist Ex 32 von Dtn 33 abhängig bzw. sogar zitiert. Vgl. dazu SCHMITT, Ursprung, 582 u.ö. 309 Vgl. SCHMITT, Ursprung, 575f. Schmitt kritisiert diese These allerdings: »Eine ›Levitenregel‹, deren alleiniger oder hauptsächlicher Inhalt die Trennung von der Familie bildet, ist nicht vorstellbar.« Ebd. 576.

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In Num 6,7 verlangt das Gelübde von einem Nasiräer, dass er verstorbenen Familienangehörigen fern bleibt (vgl. Q 9,59f). Das religiöse Gelübde setzt familiäre Pflichten außer Kraft. Zu Ruth – als Urbild der Proselyten – sagt Boas in einem lobenden und bewundernden Ton: »Man hat mir alles angesagt, […] dass du verlassen hast deinen Vater und deine Mutter und dein Vaterland und zu einem Volk gezogen bist, das du vorher nicht kanntest. [… D]ein Lohn möge vollkommen sein bei dem HERRN, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, dass du unter seinen Flügeln Zuflucht hättest.« (Ruth 2,11f).

Neben dem Verlassen klingt hier etwas undeutlich der Wechsel in eine neue Familie an – v.a. wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte bedenkt. Es wird sich im nächsten Abschnitt zeigen, dass Philo von Alexandria die Konversion der Proselyten ganz ähnlich beschreibt: Der Wechsel zum Gott Israels findet im Verlassen der alten familiären und sozialen Bindungen seinen nach außen hin sichtbaren Ausdruck. Auf die Parallelen der Jüngerberufung in Mk 1,16–20 zur Berufung Elischas in 1Kön 19,19–21 wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen. Elischa lässt alles »stehen und liegen«, verabschiedet sich von seinen Eltern und verlässt sie, um Elia nachzufolgen. Hier ließen sich noch weitere Belege anfügen, in denen neben den Propheten auch die charismatischen Führer der frühen Zeit aus ihrer alltäglichen Arbeit gerufen werden, wobei der Aspekt der Trennung von der Familie in der Regel fehlt.310 Auch bei den Schriftpropheten wird die Familie zu einem Werkzeug im Dienst der Botschaft: Jeremia darf nicht heiraten noch Kinder zeugen, um das Unheil Judas aufzuzeigen (Jer 16,1f); Ezechiels Frau – die »Freude von Ezechiels Augen« – stirbt als Zeichen für das kommende Unheil. Ezechiel darf nicht öffentlich um sie trauern (Ez 24,16ff). Auch Hoseas zeichenhaft scheiternde Ehe ist in diesem Zusammenhang zu nennen (Hos 1 und 3). Im Ps 69 klagt der Psalmist über die Entfremdung zu seinen Brüdern, die anscheinend durch seinen Eifer für das »Haus Gottes« ausgelöst wurde (VV. 9f). Die Brüder gehören zu all den anderen, deren Schmähungen Gottes nun auf den Psalmisten fallen (V. 10). Religiöses Engagement spaltet hier die Familie. Auch in den Apokryphen und Pseudepigraphen ist das Motiv der Unterordnung familiärer Bindungen vertreten. Interessant und aufschlussreich erscheint mir v.a. »Joseph und Aseneth« – eine Schrift, welche mit einer 310 Vgl. dazu HENGEL, Nachfolge, 21, Anm. 12. Es ist natürlich zu beachten, dass in damaliger Zeit Arbeit und Familie in engem Zusammenhang standen. Vgl. aber Ri 11,29–40.

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möglichen Entstehungszeit im 1. Jh. v.Chr. bis Anfang 2. Jh. n.Chr. durchaus in zeitlicher Nähe zu den ntl. Schriften stehen kann. Aseneth, eine ägyptische Priestertochter, bekehrt sich zum Judentum und zieht so den Hass der Familie auf sich. Sie klagt: »Alle nämlich haben Haß gefaßt (auf) mich und (zusammen) mit diesen mein Vater und meine Mutter, denn auch ich (selbst) habe Haß gefaßt auf ihre Götter und verdarb sie« (11,4f). Deshalb sagen die Eltern »Nicht ist eine Tochter (von) uns Aseneth«. Diese Textstelle zeigt in selten anzutreffender Deutlichkeit die andere und vermutlich realitätsnähere Seite der Konflikte. Neben der bereits dargestellten aktiven Abkehr der »Glaubenshelden« von den alten Strukturen und der Ausrichtung ihrer ungeteilten Loyalität auf Gott wird Aseneth aufgrund ihrer Konversion aus der Familie ausgeschlossen. Der nähere Kontext zeigt: Aseneth leidet darunter, sie fühlt sich zutiefst einsam, verlassen, gehasst. Das kann nicht verwundern, denn ihr steht vorerst keinerlei Ersatzgemeinschaft zur Verfügung. Die Konsequenzen ihrer Konversion stellen eine existenzielle Bedrohung dar. Diese »Seite der Medaille« kommt in anderen Schriften so deutlich nicht wieder zum Tragen, mag aber bei vielen Texten mit im Hintergrund stehen. Weiterhin sei kurz erwähnt. In Jub 11,16f erkennt Abraham bereits in Kindertagen den Irrtum des Götzendienstes seines Vaters und verlässt ihn deshalb mit 14 Jahren. Dieses Thema begegnet ähnlich auch in ApkAbr 1–8: »Verlasse deinen Vater Thare, und verlasse (sein) Haus, damit nicht auch du in den Sünden deines Vaterhauses umkommst.« (8,3) Drastisch endet diese Geschichte. Kaum hat Abraham, der Gottesstimme gehorchend, das Haus verlassen, wird das Haus samt Vater und allem, was darin ist, durch eine Donnerstimme »bis zu einer Tiefe von vierzig Ellen« verbrannt (8,5). Die Männer um Judas Makkabäus wiederum bangten nicht so sehr um ihre »Frauen und Kinder, Brüder und Verwandte«, sondern sie sorgten sich in erster Linie um den Tempel (2Makk 15,18). Obwohl in alttestamentlich-jüdischer Tradition311 die Hochschätzung der Familie eine dominierende Rolle spielt, finden sich doch auch zahlreiche Texte, die der religiös begründeten Unterordnung familiärer Bindungen positiv gegenüberstehen. Die gleiche Ambivalenz begegnet auch im MkEv. Auch hier stehen Texte über den Bruch mit der Familie neben familienethischen Texten, welche die Achtung der Eltern und die Untrennbarkeit der Ehe verlangen.

311 Ex 20,12; 21,15.17; Lev 19,3; 20,9; 21,1–3; Dtn 5,16; 21,18ff; 27,16; Spr 19,25; 20,20; 23,22ff; vgl. auch Sir 3 (V. 18: »Wer seinen Vater verlässt, der ist wie einer, der Gott lästert.«) u.ö.

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3.2.2 Philo von Alexandria Im Zusammenhang der Exegese von Mk 10,29ff habe ich bereits auf zwei Parallelen in den Schriften Philos, die die Unterordnung der Loyalität gegenüber der Familie zum Inhalt haben, aufmerksam gemacht.312 So werden in Sacr 129 die familiären Bindungen dem »irdischen« Erbe, der gottesfürchtige Dienst der Leviten aber dem »ewige[n] Erbe«313 zugeordnet. Liest man weiter, zeigt sich die Parallele zu Mk 10 noch deutlicher. Die Leviten verlassen ihre familiären und sozialen Bindungen »um der Liebe zu den edelsten Dingen willen«, d.h. »Gott, dem sie geweiht sind«. In Mk 10,29 gilt die Zusage des irdischen und zukünftigen Lohns jenen, die ihre familiären Bindungen um Jesu (ʖ Ƹʆ˅Ƶ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬, Mk 3,11 etc.) und des Evangeliums willen verlassen haben! In SpecLeg I 51f werden die Proselyten als jene charakterisiert, »die sich einer neuen, auf der Liebe zu Gott begründeten Gemeinschaft angeschlossen haben« (51), ihre familiären und sozialen Bindungen »um der Tugend und der Frömmigkeit willen« (52)314 aufgegeben haben und nun eine neue Familie etc. erhalten (sollen). Die Gegenüberstellung und Entsprechung der Listen des Verlassenen und des zu Empfangenden315 findet sich inhaltlich ähnlich in Mk 10,29f. Hier wird ein zweites und für meine Untersuchung entscheidendes Motiv sichtbar: Es geht nicht nur um Unterordnung und Verlassen alter Bindungen, sondern um den Wechsel in eine neue Familie. Barton stellt ein Zitat aus SpecLeg I 316ff an den Anfang seines Kapitels über Philo (vgl. Dtn 13,7ff): »Und wenn dein Bruder oder dein Sohn oder deine Tochter oder dein Weib, [...] dich ermahnt an den Freuden der grossen Menge dich zu beteiligen und dich zu den gleichen Heiligtümern, Trank- und Brandopfern zu begeben wie sie, so musst du ihn als Feind des Volkes und der Gemeinschaft bestrafen, ohne auf die Freundschaft Rücksicht zu nehmen [...]. (317) Denn nur ein Kennzeichen der Verwandtschaft und Freundschaft soll es für uns geben, das Streben Gott zu gefallen und in Wort und Tat stets für die Frömmigkeit zu wirken; jene von den Vorfahren herstammenden Verwandtschaften – die sogenannten Blutsverwandtschaften – [...] müssen völlig abgeschüttelt werden, wenn sie nicht zu demselben Ziele hindrängen, – der Verehrung 312

Vgl. oben Teil 2, 1.4.1, Anm. 244 (Zitat). So nicht anders vermerkt, zitiere ich aus: Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, L. COHN u.a., Bd. I–VI, Berlin 21962. 314 Es ist hierbei zu beachten, dass »Tugend« bei Philo in einem eher religiösen Sinn gebraucht wird, d.h. mit »Frömmigkeit« nahezu gleichgesetzt werden kann. 315 Vgl. besonders PHILO, SpecLeg I 52: »Sie haben [...] Vaterland, Freunde, Verwandte um der Tugend und der Frömmigkeit willen verlassen; so sollen ihnen denn eine andere Heimat, andere Verwandte, andere Freunde nicht versagt bleiben«. 313

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Gottes, die das unlösbare Band jeder einigenden Freundschaft ist; denn solche Menschen werden eine erhabenere und heiligere Verwandtschaft zum Ersatz erhalten. (318) Es wird aber meine Ausführung bestätigt durch das Gesetzeswort, dass die Menschen, die ›das‹ der Natur316 ›Wohlgefällige‹ und ›das Schöne‹ tun, Kinder Gottes sind«.

Hier findet sich eine äußerst prägnante und für das Verständnis anderer Textstellen zentrale Aussage Philos und eine sachliche Parallele zu einer weiteren Textstelle des MkEv – zu Mk 3,31–35. Familiäre und soziale Bindungen werden durch die Ausrichtung auf Gott grundlegend317 relativiert. Das Bestreben der Familie, den Glaubensgenossen vom religiös richtigen Weg abzubringen, macht sie zu höchst offiziellen Feinden (vgl. Mk 3,21.31–35 mit 28f). Die »Verehrung Gottes« und »in Wort und Tat stets für die Frömmigkeit zu wirken« (317; vgl. dazu Mk 3,35: ™ƳƮ˂ƶ̍ Ʒ˅ ƭˀưƬµƦ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬) steht als einzig legitimes Kennzeichen für Verwandtschaft. Zudem begegnet wiederum das Motiv der geistigen Ersatzfamilie – diese wird als höhere Verwandtschaft bzw. gegenüber den »sogenannten Blutsverwandtschaften« (317) als einzig wahre Verwandtschaft318 dargestellt. Mit dem Hinweis auf Dtn 13,18f und 14,1 (318)319 ergibt sich zudem ein Verweis auf das Motiv der familia dei. Die Folge der neuen, geistigen Verwandtschaft besteht darin, Gott als Vater zu haben.320 Das wird noch deutlicher in Som II 273, wo sich »die Leviten, die Fremdlinge, die Waisen und Witwen, teils Bittflehende, teils Auswanderer und Flüchtlinge […] Gott als den Gatten der ihm dienstbaren Seele und als ihren echten Vater zugeschrieben haben.«

Es ist allerdings auch darauf hinzuweisen, das die »Blutsverwandtschaften« Bestandteil dieser geistigen Verwandtschaft sein können, »wenn sie [...] zu demselben Ziel hindrängen« (SpecLeg I 317). Auch an anderen Stellen beschreibt Philo den Übergang vom Heidenzum Judentum anhand des Wechsels der sozialen und verwandtschaftlichen Beziehungen. Dort findet sich gleichfalls eine besondere Betonung der Feindschaft: »[Gott spricht Recht, TR] für den Proselyten, weil er seine Blutsverwandten, von denen allein er Hilfe erwarten durfte, sich zu unversöhnlichen Feinden machte, als er übertrat zur Wahrheit und zur Verehrung des Einen, dem Ehre gebührt«.321 Ein sachlicher Unterschied bzw. eine Nuancierung zu Mk 3 besteht allerdings darin, dass bei Philo der Proselyt 316

»Natur« meint hier »Gott« (so COHN, Philo II, 99, Anm. 1) bzw. eher »Gottes Schöpfung«. Vgl. BARTON, Discipleship, 24: »natural and social ties are relativized profoundly«. 318 Vgl. COHN, Philo II, 98, Anm. 3. 319 Zur problematischen Zusammenstellung der Verse vgl. COHN, Philo II, 99, Anm. 2. 320 Vgl. BARTON, Discipleship, 25. 321 PHILO, SpecLeg IV, 178. Vgl. dazu Mk 3,21.31–35. Ähnlich auch PHILO, Virt 102f; 218. 317

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»den Mythengebilden und der Vielgötterei«322 den Rücken kehrt, d.h. die Verwandten wegen ihrer kultisch-religiösen Ansichten und v.a. ihren kultischen Praktiken verlässt. Bei Mk 3 hingegen steht eher das Missverständnis des Wirkens Jesu und der Unglaube (vgl. 3,22–30; 6,3) im Hintergrund. Dieser Unterschied ergibt sich v.a. aufgrund der Christologie und eines unterschiedlichen Gegenübers. Der Unterschied der Konversion eines Nichtjuden erfolgt zudem drastischer – es kommt nicht nur zum religiösen, sondern teilweise auch zum kulturellen Bruch. Behält man das im Blick, dann lässt sich eine sachliche Parallele zwischen beiden Positionen ziehen. Für meine Untersuchung ist wesentlich, dass Philo grundsätzlich den Übergang der Proselyten als den Wechsel von den alten sozialen und familiären Beziehungen zu einer neuen gottgefälligen Gemeinschaft, zu einer familia dei, beschreibt.323 Er geht dabei über das Motiv der bloßen Unterordnung familiärer Bindungen hinaus. Dieser Wechsel ist bei Philo und Markus religiös motiviert.324 Oft stellt Philo wie in Mk 10,29f den verlassenen Bindungen die neuen gegenüber. Nebenbei ist darauf hinzuweisen, dass Philos Sicht keinen Einzelfall darstellt, auch auf der paganen Seite wird die Konversion des Proselyten mit der Verletzung der Loyalität gegenüber der Familie in Zusammenhang gebracht. So schreibt Tacitus mit deutlich antijüdischem Ton: »man [die Juden, TR] trichtert ihnen [den Proselyten, TR] nichts früher ein, als die Götter zu verachten, das Vaterland zu verleugnen, Eltern, Kinder und Geschwister für gering zu achten.«325

Das Motiv des Familienwechsels fehlt hier allerdings, da Tacitus am neuen sozialen Kontext der Proselyten kein Interesse hat. Neben den Proselyten und diversen Einzelpersonen326 finden sich die Motive der Unterordnung familiärer Loyalität und der neuen geistigen 322

PHILO, SpecLeg IV 178; ähnlich Virt 102 und 219: »unnatürlichen Gebräuchen und frevelhaften Sitten«. Hier wird der Götzendienst an »unbeseelten Gegenständen« angesprochen. 323 Im Hintergrund mag hier auch die Abraham-Geschichte (Gen 12,1!) stehen: Philo sieht in Abraham eine Art Prototyp des Proselyten (»ein Muster an Adel« PHILO, Virt 219), der seine alten Bindungen und sein Land verlässt (Virt 214) um ein neues Land zu erhalten etc. Aber nicht nur das Land Kanaan ist hier im Blick, Gott selbst wird Abrahams Vaterland und Verwandtschaft (PHILO, Her 27). In Abr 67 beschreibt Philo die Ausmaße des Bruchs mit den alten Bindungen. Abraham trennt sich von allen Dingen, »die den Menschen anlocken und von denen er sich nicht leicht losreisst, da sie eine stark anziehende Kraft haben«. In diesem Bruch sieht Philo Abrahams Gehorsam und seine Weisheit. Vgl. dazu BARTON, Discipleship, 32. Dieser Gehorsam, der die Blutsverwandtschaft unterordnet, bestätigt sich schließlich auch in der Bereitschaft zur Opferung Isaaks. Vgl. BARTON, Discipleship, 32f. 324 »The change of believe involves a change of community as well.« BARTON, Discipleship, 26. 325 TACITUS, Historiae, 5,2. Zitiert nach BLOCH, Vorstellungen, 70. 326 Zu Abraham vgl. oben, Anm. 323, zu Mose und Pinhas vgl. BARTON, Discipleship, 33f.

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Verwandtschaft ebenso bei Philos Beschreibung der Therapeuten und der Essener. Die Therapeuten überlassen ihren materiellen Besitz ihren Erben, trennen sich von ihrer Familie und leben in Meditation, Schriftstudium und asketischer Einfachheit zusammen. In einer abgeschiedenen Niederlassung in der Nähe Alexandrias leben die Mitglieder als Einsiedler in kleinen Hütten, nur am Sabbat kommen alle zum Gottesdienst zusammen.327 In Philos Darstellung stehen die Familie und der Besitz für die grundlegende Gefahr sinnlicher und materieller Ablenkung bei der metaphysischen Suche der Therapeuten.328 Familie und Besitz zu verlassen ermöglicht ein Leben in Einkehr und Frömmigkeit. Die neue Gemeinschaft wird als Familie,329 sogar als ™ƦƷƴ˄Ƶ geschildert.330 Statt Eigentum (Haus) und Blut bildet das Streben nach Weisheit und Frömmigkeit »the pattern of relationships«.331 Den Unterschied zwischen Philos Darstellung der Therapeuten und den christlichen Texten sieht Barton darin, dass bei Philo philosophische Ideale (Plato)332 – hinter den christlichen Texten »a matter of eschatological mission to Jews and Gentiles for the sake of the gospel«333 stehen. Auch in Philos Beschreibung der Essener findet sich der Topos der neuen geistigen Familie, wobei hier das bei den Therapeuten als problemlos beschriebene asexuelle Zusammenleben beider Geschlechter334 wegfällt, denn nur erwachsene Männer können nach Philo Mitglieder der Gemeinschaft werden. Die Essener leben abseits von Familie, Ehe, persönlichem Besitz und Land. Dagegen wird die Gemeinschaft mit familiären Bildern beschrieben, als Verwandtschaft, Eltern und wahre Brüder.335 In der Praxis teilen sie Häuser, Besitz, Arbeit und nehmen gemeinsam ihre Mahlzeiten ein. Es zeigt sich somit an verschiedenen Beispielen, Personen und Personenkreisen, dass Philo das Thema verwandtschaftlicher Bindungen nutzt, um Grundsätzliches über religiöse und philosophische Loyalitäten zu sagen.336 Dem alten sozialen Beziehungsgeflecht steht oft eine neue geistige Verwandtschaft gegenüber. 327

Vgl. LOHSE, Umwelt, 62. Vgl. PHILO, VitCont 24. Vgl. BARTON, Discipleship, 28. 329 Vgl. PHILO, VitCont 72: »They give their services gladly and proudly like sons to their real fathers and mothers, judging them to be the parents of them all in common, in a closer affinity than that of blood«. 330 PHILO, VitCont 22. 331 BARTON, Discipleship, 29. 332 Vgl. BARTON, Discipleship, 27. Vgl. dazu auch VAN DER HORST, Zölibat, 12f. 333 BARTON, Discipleship, 29. 334 PHILO, VitCont 32.68. 335 Vgl. BARTON, Discipleship, 31. Vgl. PHILO, prob. 79. 336 Vgl. BARTON, Discipleship, 35. 328

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Stephen C. Barton zieht den Schluss, dass die christlichen Gruppierungen im 1. Jh. n.Chr. mit ihren an familiären Kategorien orientierten Entwicklungen alternativer Gemeinschaften nicht allein waren. Diese Kategorien standen in ihrer Umwelt als Ausdruck der persönlichen religiösen Verpflichtung zur Verfügung. Zudem dürften die Menschen des 1. Jh. n.Chr. bei einer Konversion »to one or other of the various ›sects‹ within formative Judaism (including early Christianity)«337 mit der Vorstellung, Besitz und Familie zu verlassen, vertraut gewesen sein. Ich habe diesen Abschnitt etwas ausführlicher gestaltet, da sich hier eine größere sachliche Nähe zu den mk Texten zeigt, als in den folgenden Beispielen. Bei Philo begegnen die zwei aus dem MkEv bekannten Motive des Verlassens der Familie und des Wechsels aus der alten in eine neue Familie. Dabei gibt es deutliche Anklänge zu einer familia dei.

3.2.3 Josephus Bei Flavius Josephus338 stellt sich die Wertung familiärer Bindungen weitaus ambivalenter dar als bei Philo von Alexandria. Er selber misst seiner familiären Abstammung große Bedeutung zu. Zu Beginn seiner Autobiografie (Vita 1–6) erweist er über seine eigens recherchierte Abstammung Identität und Ansehen und fühlt sich, da sich in der Antike der Charakter eines Menschen v.a. von der Abstammung ableiten lässt,339 gegenüber seinen Verleumdern gewappnet. Zu dieser im Licht des Honour-Shame-Modells verständlichen Argumentation zählt auch seine Ehre als Vater dreier Söhne (Vita 5). Seine Abstammungslinie verbindet er darüber hinaus mit den Amts- und Regierungszeiten diverser Hohepriester und politischer Machthaber. Dass er diese Verbindung sowohl zur jüdischen Geschichte als auch zu den römischen Herrschern herstellt, kann wiederum nicht verwundern, denn genau dies ist das Spannungsfeld, in dem Josephus spätestens ab 67 n.Chr. lebt. Für Josephus gehören also familiäre Beziehungen und die Abstammung zu den grundlegenden Mechanismen um soziale und politische Identität, Ehre und Ansehen zu erlangen. Er definiert sich als Mitglied einer Familie! Barton führt ins Feld, dass Josephus selbst sich erst spät dem eigenen familiären Leben gewidmet habe. Erst mit seiner Gefangensetzung unter Vespasian, also im reifen Alter von 30 Jahren, wäre es zur ersten kurzen Ehe gekommen und nach deren Ende zu einer erneuten Heirat in Alexandria 337

BARTON, Discipleship, 31. Vgl. BARTON, Discipleship, 36–44. 339 Vgl. JOSEPHUS, Vita. Kritische Ausgabe, 23, Anm. 2. 338

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(Vita 414f).340 Die Gründe hierfür sieht Barton in der selbst gewählten Ausbildung in den verschiedenen jüdischen Gruppierungen, von der Josephus in Vita 7–12 berichtet. Nachdem er die »Schulen« der Essener, Pharisäer und Sadduzäer mit, wie Josephus sagt, großer Mühe und Selbstzucht durchlaufen hatte, ging er – unbefriedigt von den bisherigen Erkenntnissen – 3 Jahre in die Einöde und wurde ein »eifernder«341 Schüler des Asketen Bannus. Für Josephus sei somit die angestrebte Erkenntnis und Ausbildung Grund genug, die Gründung einer eigenen Familie ausgesprochen lange hinauszuschieben bzw. familiäre Belange der »Bildung« (die in diesem Fall v.a. eine religiöse Suche war) deutlich unterzuordnen. Allerdings ist bei dieser Interpretation nicht beachtet, dass Josephus in Bell V 419 bereits während der Belagerung Jerusalems von einer Ehefrau spricht. Die Ehe in Vita 414 muss seine zweite sein342 und man wird kaum sagen können, ab welchem Alter Josephus verheiratet war. Da der zweiten Frau noch zwei weitere folgen (Vita 415.426), erscheint es schwierig, bei Josephus eine starke Unterordnung des eigenen Ehelebens zu beobachten. Damit soll allerdings nicht bestritten werden – und hier stimme ich Barton zu –, dass Josephus der Ehe geringere Bedeutung beimisst als seiner Ausbildung. Das kann prinzipiell auch mit seinem negativ besetzten Frauenbild343 zusammenhängen. Deutlich beherrscht das Thema »Unterordnung der Ehe« dann seine Darstellung der Essener in Bell II 119–161. Der Bericht beginnt mit einer Beschreibung der essenischen Stellung zur Ehe und endet mit einer zweiten diesbezüglichen Schilderung (Bell II 160f). Für Josephus ist die ablehnende Haltung der Essener zur Ehe der Erweis ihrer Tugendhaftigkeit. Sie verschmähen die Ehe oder versuchen sie auf eine rein reproduktive Funktion zu beschränken. Grund ist die Furcht vor der Sinnlichkeit, Untreue der Frauen und der Ehe als »Hort des Streites«. Josephus’ Sympathie gegenüber dieser »Tugendhaftigkeit« ist deutlich zu spüren, braucht aber nicht überbetont werden: In weiteren Berichten über die Essener (Ant XIII 171–173; XVIII 18–22) geht er kaum auf die Ehefrage ein. Dass Josephus familiäre Strukturen positiv als gesellschaftliche Grundstruktur werten kann, zeigt dagegen wieder seine Darstellung der verschiedenen jüdischen Parteien vor und während des Jüdischen Krieges. Das rigorose Vorgehen der Zeloten macht nicht vor den Verwandten halt.344 Das ist für Josephus ein deutliches Kennzeichen für ihre Verderbtheit bzw. eine rhetorische Möglichkeit, diese der Leserschaft vor Augen zu stellen. Bereits 340

Vgl. BARTON, Discipleship, 37. Er spricht ausdrücklich von »his first marriage«. ƫƬưƼƷˁƵ ɩƨƪƱˆµƬƱ ƦʡƷƳ̬, JOSEPHUS, Vita 11. 342 Vgl. JOSEPHUS, Vita. Kritische Ausgabe, 153, Anm. 332. 343 Vgl. MAYER-SCHÄRTEL, Frauenbild, 369–373. Sie spricht von »Frauenfeindlichkeit«. 344 Vgl. dazu HENGEL, Nachfolge, 26. 341

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im Vorfeld des Krieges berichtet er in Bell IV 131f von innerfamiliären Kämpfen (ɩƱ ƳʅƯ˄ƦƮƵ) aufgrund verschiedener politischer Lager, d.h. zwischen Kriegsgegnern und -befürwortern. Innerhalb der als eine Art makabrer Wettbewerb dargestellten Grausamkeiten und Bosheiten der Sikarier und Zeloten (Bell VII 254–74) berichtet er von deren Mordlust, die nicht vor Blutsbanden und Freunden halt machte. In ihrem grausamen Wüten gegen die nächsten Verwandten wollten sie ihre Kühnheit unter Beweis stellen (VII 266). Josephus reiht diese familiären Zerwürfnisse in den allgemeinen Niedergang der öffentlichen Ordnung, der bürgerlichen Moral und des religiösen Kultes ein. Diese verachtenswerte Stellung gegen die familiäre Loyalität kann Josephus auch durch das zelotische Verbot, Angehörige zu begraben, verdeutlichen. Bell IV 381–383 stellt in plastischen Bildern dar, wie trotz einer Masse offen liegender verwesender Leichen, Begräbnisse von Angehörigen mit dem Tod bestraft wurden. Es ist deutlich: Während Josephus die Unterordnung familiärer Bindungen bei den Essenern als Tugendhaftigkeit wertet, zeigt er eben daran die unmenschliche Verderbtheit und Bosheit der Zeloten.345 Barton weist zum Verständnis dieses Gegensatzes darauf hin, dass Essener und Zeloten verschieden Ziele anstreben. Während sich die Essener von Ehe und Familie absondern, um Heiligung zu erlangen und dabei einer strengen Ethik folgen, erscheint die familienverachtende Haltung der Zeloten als Symptom der religiösen Indifferenz, Niedergang des Kults346 und des allgemeinen Zerfalls. Das Vorgehen der Essener (Separation) und der Zeloten (Mord etc.) ist grundsätzlich verschieden und muss unter ethischen Gesichtspunkten einfach differenziert gewertet werden. Wie bei Philo erweisen auch bei Josephus einzelne »Glaubenshelden« der israelitischen Geschichte ihre Loyalität gegenüber Gott anhand der Unterordnung familiärer Bindungen. Das Paradebeispiel ist hierfür natürlich Abraham, der nicht nur seine Heimat und seine Sippe verlässt, sondern der – von Josephus breit ausgestaltet – mit großer Entschlossenheit bereit ist, seinen Sohn zu opfern (Ant I 222–236). Auffällig ist die unvermutete Bereitwilligkeit, mit der Vater und Sohn die Anweisung zum Opfer annehmen. Der Gehorsam gegenüber Gott spielt in der Darstellung eine entscheidende Rolle. Die angestrebte Opferung wirkt nahezu wie eine Auszeichnung Isaaks. 345

Vgl. BARTON, Discipleship, 41. Sie ermorden den Hohepriester (Bell II 441), brechen Eide gegenüber der römischen Besatzung (Bell II 456) und betreten mit »befleckten Füßen das Heiligtum« (Bell IV 150). Vgl. auch Bell IV 163.172.242. Vgl. dazu Mk 13,14. 346

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Ähnlich verhalten sich Saul und Jonathan in Ant VI 122–127. Als Saul aufgrund eines Eides verpflichtet ist, seinen Sohn zu töten, weist er eigens darauf hin, dass er die eigene Familie nicht schonen kann. Ganz gefasst sieht Jonathan dem Tod ins Auge, denn er möchte lieber sterben, als die Gottesfurcht seines Vaters aufs Spiel zu setzten. Mose wiederum weist in Ant III 88 die Israeliten an, die Gebote Gottes heiliger und teurer als Frauen und Kinder zu achten. In Ant III 211 gebietet Mose Aaron, seine beiden ältesten Söhne, welche bei einer illegitimen kultischen Handlung ums Leben gekommen sind, nicht zu betrauern. Er verlangt wörtlich, dass die familieninterne Trauer der Ehre Gottes untergeordnet werden muss. Diese Beispiele zeigen, dass auch Josephus, obwohl er selbst das familiäre Leben wählt und seine Identität von seiner Familie ableitet, die Unterordnung familiärer Belange unter die Loyalität zu Gott ausdrücklich befürwortet. »Overall, the evidence from Josephus’ writings gives further weight to the claim that the subordination of natural ties is a by no means uncommon idea in the Jewish milieu of early Christianity, and that it is an idea well suited to serve as an idiom for expressing claims to religious devotion and allegiances of a transcendent kind.«347 Allerdings fällt auf, dass bei diesem Thema Philo den mk Texten deutlich näher steht als Josephus. Das Motiv des Wechsels von der alten in die neue Familie kommt bei Josephus nicht annähernd so deutlich zur Sprache wie bei Philo und im MkEv.

3.2.4 Essener Die Stellung der Essener zur Familie kam bereits in der Darstellung von Philo und Josephus zur Sprache. Während ein Essener nach Philo niemals eine Frau ehelicht,348 und Plinius d.Ä. dies aus der Außenperspektive bestätigt,349 weiß Josephus immerhin von einem zweiten essenischen Zweig zu berichten, der aufgrund der Sorge des fehlenden Nachwuchses die Ehe befürwortet und vollzieht. Der Beischlaf dient darum ausschließlich der Kindszeugung (Bell II 160f).350 Hier zeigt sich also eine gewisse Diskrepanz, der nachgegangen werden muss. 347

BARTON, Discipleship, 44. Vgl. PHILO, Hypothetika XI 14: »no one of the Essenes ever marries a wife«. Vgl. BARTON, Discipleship, 30. 349 Vgl. PLINIUS D.Ä., Naturalis historia V 73. Vgl. VAN DER HORST, Zölibat, 7. 350 Vgl. dazu STEGEMANN, Essener, 273f: Er rechnet aufgrund der Reinheitsvorschriften und einer von ihm angenommenen minimalistischen Lebenserwartung der Frauen – verbunden mit der 348

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Fragt man nach der grundsätzlichen Stellung des Judentums zu zölibatärem Leben, gibt es eine klare Antwort. Die erste Anordnung Gottes an den Menschen lautet: »Seid fruchtbar und mehret euch« (Gen 1,28). Sie findet in der rabbinischen Literatur volle Zustimmung und wird als Pflicht eines jeden Mannes zur Ehe interpretiert.351 Ein eheloses Leben steht demnach gegen den göttlichen Willen. Bekannt ist aber, dass Rabbi SchimÞon ben Azzai im 2. Jh. n.Chr. aufgrund seiner Liebe zur Thora ehelos lebt. Das Studium der Thora nimmt ihn so ein, dass für eine Familie weder Zeit noch Raum bleibt.352 Zu der Ehepraxis der Essener finden sich nun die Berichte Philos, Josephus’ und Plinius’ d.Ä. Zudem stehen als primäre Quellen möglicherweise die Schriften vom Toten Meer zur Verfügung, vorausgesetzt, in Qumran befanden sich Essener. Da diese Frage in jüngster Zeit heftig diskutiert und mit guten Argumenten bestritten wird,353 können diese Schriften hier nur mit großer Vorsicht befragt werden. In der Zölibatsdebatte354 spiel(t)en sie allerdings eine Rolle. Für van der Horst ist die Tatsache, dass die Schriften über Frauen und Kinder schweigen, Grund genug, von einer reinen Männergemeinschaft auszugehen.355 Hartmut Stegemann weist allerdings daraufhin, dass bei unvoreingenommener Sicht auf die Texte, niemand auf die Idee käme, »die Essener könnten der Ehe zurückhaltend oder gar ablehnend gegenübergestanden haben.«356 Die Damaskusschrift geht sogar von der Anwesenheit der Frauen und Kinder in der essenischen (?) Gemeinde aus.357 Dazu kommen archäologische Funde von Frauengräbern in Qumran.358 Stegemann, der ein essenisches Zölibat bestreitet, kann m.E. nicht recht überzeugen,359 zeigt aber, dass Essener auch verheiratet sein konnten. Einzigehe, dass »ein Essener während seiner durchschnittlich höchstens zehnjährigen Ehephase bestenfalls etwa zwanzigmal Geschlechtsverkehr« hatte. Vgl. auch oben 1.4, Anm. 157f. 351 Vgl. VAN DER HORST, Zölibat, 4. 352 So VAN DER HORST, Zölibat, 4. Weitere Beispiele ebd. 5 und STREUDEL, Ehelosigkeit, 120f. 353 Vgl. etwa Y. HIRSCHFELD, Qumran – die ganze Wahrheit. 354 Vgl. dazu STREUDEL, Ehelosigkeit, 115 mit Anm. 1f. 355 Ebenso BARTON, Discipleship, 44: »Issues concerning marriage, divorce, ritual impurity associated with sex, and the education of children, could not have been left undetermined. Hence this is not an ordinary argumentum e silentio«. 356 STEGEMANN, Essener, 267f. 357 So Barton, Discipleship, 45f mit Bezug auf Vermès/Goodman, Essenes, 9; beide ohne konkrete Stellenangaben. Vgl. aber STREUDEL, Ehelosigkeit, 115ff, die u.a. D (CD) VII 6f par XIX 2f untersucht. Vgl. auch 4Q 266,9.11; 4Q 270 8f.11 u.ö. 358 Vgl. dazu STEGEMANN, Essener, 72ff.272. 359 Ich finde seine Argumentation (STEGEMANN, Essener, 268ff) über die minimale Lebenserwartung der Frauen – kombiniert mit der enorm hohen Lebenserwartung der Männer und der geforderten Einzigehe recht spekulativ und problematisch. Ein zehnjähriger Ehestand innerhalb eines angenommenen 40-jährigen mündigen Lebens eines Mannes (dieses beginnt bei den Essenern erst ab einem Alter von 20 Jahren) mit einer Hand voll Kinder, ist kaum so verschwindend kurz, dass der Mann in der Außenperspektive als ehelos gilt.

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Vermutlich bietet Josephus mit seinem Bericht zweier Strömungen innerhalb der Essener die richtige Lösung.360 In welchem Verhältnis beide standen, welche dominierte oder ob die nichtzölibatäre Strömung sich zeitlich versetzt aus der zölibatären entwickelte, lässt sich nicht sagen. Wichtig ist, dass es anscheinend eine Strömung der Essener, die das traditionelle familiäre Leben aus religiösen bzw. kultischen Gründen für sich strikt ablehnte, gab. Van der Horst führt als mögliche Beweggründe die permanente »Einhaltung der Regel für sexuelle Abstinenz in Kriegssituationen«361 (vgl. Dtn 23,10–15; 1Sam 21,5f; 2Sam 11,11–13) zur Bereitschaft für den eschatologischen Kampf sowie das Bestreben ununterbrochener ritueller Reinheit aufgrund des Bewusstseins als geistiger Tempel zu fungieren, an. Barton führt neben diesen eschatologischen und priesterlichen Gründen noch die Suche nach »esoteric knowledge and prophetic insight«362 an, welche die Mitglieder veranlasste, ihre natürlichen Triebe zu unterdrücken. Dahinter steht weniger griechisches Denken, sondern das Bestreben, für göttliche Offenbarungen durch sexuelle Enthaltsamkeit bereit zu sein (Ex 19,15).363 Trotz aller Unsicherheiten wird auch hier deutlich, dass die Unterordnung familiärer Belange im Umfeld der Jesusbewegung und der ersten christlichen Gemeinden bekannt sein konnte. Während aber bei dem zölibatär lebenden Zweig der Essener die Frage der Ehe bzw. die Vermeidung von Sexualität zugunsten der kultischen Reinheit im Vordergrund steht, findet sich diese Frage in den mk Texten kaum.364 Im MkEv lassen die Familienzerwürfnisse keinen sexualkritischen Hintergrund erkennen.365 Für diese Arbeit besitzt der Vergleich zu den Essenern darum nur eine untergeordnete Bedeutung.

3.2.5 Kyniker Nachdem nun die Subordination familiärer Bindungen im jüdischen Umfeld anhand mehrerer Beispiele dargestellt wurde, wende ich mich mit Barton dem griechisch-römischen Kulturraum zu. Hier interessieren nun v.a. ver360

Vgl. dazu STREUDEL, Ehelosigkeit, 115 mit Anm. 1f VAN DER HORST, Zölibat, 8. 362 BARTON, Discipleship, 45. 363 Vgl. zu diesem Motiv VAN DER HORST, Zölibat, 8f (Rabbinische Literatur/Philo). 364 Die Rede vom Verlassen des »Hauses« (Mk 10,29) wird das Verlassen der Kernfamilie mit Ehepartner implizieren. So direkt, wie bei den Essenern (Philo, Josephus), wird es aber im MkEv nicht angesprochen. Lk 18,29 wird viel deutlicher. In Mk 12,25 wird die Ehelosigkeit der Engel und der Auferstandenen betont. 365 VAN DER HORST (Zölibat, 11) weist auf Jesu »reservierte Haltung zu sexueller Begierde im Allgemeinen« hin. Das mag sein, spielt aber in den mk Texten eine untergeordnete Rolle. 361

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schiedene philosophische Schulen im 1. Jh. n.Chr. Welche familiären Konsequenzen kann die Aufnahme in eine Philosophenschule haben? Wie standen verschiedene philosophische Richtungen zur Familie? Allerdings muss auch hier eine Auswahl genügen.366 Es wird sich immerhin zeigen, dass die Unterordnung familiärer Bindungen in diesem Kulturkreis im Bereich des Möglichen lag. Besonders interessant sind hierbei die zumeist afamiliär lebenden Kyniker, eine seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert existierende populärphilosophische Richtung.367 Aufgrund verschiedener z.T. deutlicher Parallelen zur Jesusbewegung bzw. zum Trägerkreis der Logienquelle wird seit einigen Jahren diskutiert, ob Jesus in Analogie zu den Kynikern zu verstehen sei bzw. ob gar Jesus selbst ein Kyniker war.368 Diese von verschiedenen Seiten kritisierte These einer direkten Verbindung Jesu zu den Kynikern stützt sich v.a. auf die Logienquelle (Ausrüstungsregel Q 10,4ff, vgl. aber Mk 6,7–13)369 und braucht bei einem Buch über das MkEv nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Betz hat diese These m.E. überzeugend relativiert bzw. widerlegt:370 Die vorhandenen Analogien zwischen beiden Gruppen sind nicht mit einer direkten Verbindung zu erklären; die Unterschiede zwischen der Jesusbewegung und den Kynikern müssen hingegen ernst genommen werden. Die Argumentation der »Kyniker-These« ist zudem methodisch nicht unproblematisch. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich Victor Turners Modell liminaler Bewegungen darstellen und es wird sich zeigen, dass die Parallelen zwischen der Jesusbewegung und den Kynikern auch aufgrund allgemein anthropologischer Verhaltensmuster und nicht aufgrund direkter Beziehung bestehen können. Allerdings zeigt die »Kyniker-These« die mögliche Brisanz der Frage nach Analogien.

Barton beginnt seine Darstellung bei Epiktet (ca. 55–120 n.Chr.). Der Grund dafür ist eine recht ausführliche Darstellung der Kyniker in dessen Unterredungen (diatribai III 22). Zudem reicht er mit seiner Wirkungszeit nahe an die Jesusbewegung und den Evangelisten Markus heran. 366

Vgl. dazu HENGEL, Nachfolge 31f: Bereits bei Plato verlassen Menschen »Acker und die Weinberge«, um die »Seele« Plato anzuvertrauen. Ein Verlassen der Familie wird hier nicht berichtet, ist aber im Verlassen der alten Strukturen und Bindungen impliziert. Sokrates wiederum wird beschuldigt, seine Jünger veranlasst zu haben, ihm mehr zu gehorchen als ihren Vätern. 367 Die Wurzeln der Bewegung liegen bereits im Denken des Sokrates. Ihr Gründer Antisthenes lebte etwa von 455/445 bis 365/360 v.Chr. in Athen. Ihr berühmtester Vertreter Diogenes von Sinope lebte von etwa 410/400 bis 325 v.Chr. Der Kynismus bestand bis ins 6. Jh. n.Chr. Eine kurze Einführung bietet G. LUCK: Die Weisheit der Hunde, 1–34. 368 Vgl. BETZ, Jesus and the Cynics, 32ff; KLOPPENBORG, A Dog, 80, Anm. 17; BÖTTRICH, Besitzverzicht, 383–385. 369 Bereits THEISSEN (Wanderradikalismus, 89f, vgl. auch ebd. 93) verweist auf die Parallelität zu den christlichen Wandermissionaren, welche v.a. in Q greifbar werden. Er weist allerdings auch auf die Verschiedenheit der Begründung des heimat-, familien- und besitzlosen Lebens hin. 370 Vgl. BETZ, Jesus and the Cynics, 51–56.

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Ein methodisches Problem könnte jedoch darin bestehen, dass Epiktet als Stoiker schreibt, was seine Darstellung beeinflusst.371 Allerdings sind nahezu alle Quellen über die Kyniker in irgendeiner Weise von ihren Verfassern ge- oder verfärbt. Auch ist fraglich, ob es den typischen Kyniker überhaupt gegeben hat, sodass grundsätzlich Vorsicht geboten ist. Man wird mit etwas Vertrauen erwarten dürfen, dass Epiktet den Kynikern nahe stand. Dennoch möchte ich zunächst zeitlich weiter zurückgehen und bei dem berühmtesten Kyniker Diogenes von Sinope beginnen, wobei auch hier die Quellen nicht die historische Person widerspiegeln müssen. Ein Markenzeichen des Diogenes ist seine radikale Bedürfnislosigkeit und Enthaltsamkeit, die Ehe, (theoretisch!) Sexualität und Familie betraf. Die von Luck unter den Stichworten »Sexualität, Liebe, Verhältnis zu Frauen« aufgeführten Quellen sind darin deutlich.372 Allerdings vermochte es Diogenes nicht, sich ganz der Sexualität zu enthalten.373 Dass sein öffentlich bekanntes Sexualleben als Diskrepanz zu seinen Ansichten empfunden wurde,374 bestätigt die afamiliären und asexuellen Tendenzen seiner Philosophie. Zur afamiliären Lebensweise kommt eine ausgesprochen bissig wirkende Frauenfeindlichkeit, die den Zusammenhang von Kynismus und Zynismus deutlich vor Augen stellt.375 Die Beweggründe für diese Haltung liegen in der angestrebten absoluten Bedürfnislosigkeit und Leidenschaftslosigkeit,376 der Freiheit von Verpflichtungen,377 und – wie es scheint – einer gewissen Angst vor der Vereinnahmung und »Unruhe« durch eine Frau.378 Eine solche Angst überwindet Krates von Theben (368–285 v.Chr.) auf Grund des Drängens der Hipparchia von Maroneia. Dennoch muss wohl 371 Das ist Barton bewusst. Vgl. BARTON, Discipleship, 48: »In Discourses III.xxii, Epictetus gives a detailed and certainly Stoicizing account of the ideal Cynic«. Vgl. dazu auch BETZ, Jesus and the Cynics, 53f: Eine klare Einordnung Epiktets zwischen Kynismus und Stoa ist schwierig. 372 Vgl. LUCK, Weisheit, 151–153. Abs. 384–401. 373 Nach Galenus (LUCK, Weisheit, 151f, Abs. 385) nur, weil er »Beschwerden, die durch Zurückhaltung des Samens entstehen, vermeiden wollte«. Vgl. aber LUCK, Weisheit, 154f: Diogenes kommt aus einem Bordell (Abs. 403) oder vollzieht in aller Öffentlichkeit den Liebesakt mit seiner Hetäre Lais (Abs. 405f), gilt gar als Lüstling (Abs. 408.410) etc. 374 Vgl. LUCK, Weisheit, 154f, Abs. 410. Auf einer Inschrift ist zu lesen: »Weder seine moralische Stärke noch sein keuscher Lebenswandel halten den Philosophen zurück, kraftvoll seinen Mann zu stehen. Der Bedauernswerte tut gerade das, wofür er andere häufig tadelte.« 375 Diogenes Laertius: Diogenes »sah Frauen, die an einem Ölbaum hingen, und bemerkte: ›Wenn doch alle Bäume solche Früchte trügen!‹« LUCK, Weisheit, 152, Abs. 391. Vgl. auch ebd. 152f, Abs. 390–398. 376 Vgl. den Diogenes zugeschriebenen Brief (Epist. 47) bei LUCK, Weisheit, 192, Abs. 519. 377 Nach Gutas rechtfertigt Diogenes seine Abneigung gegenüber der Sexualität: »Es schien mir leichter, die Lust zu überlisten, als Mittel und Wege zu finden, für Abhängige zu sorgen.« LUCK, Weisheit, 152, Abs. 389. Vgl. auch Epist. 47 bei LUCK, Weisheit, 192, Abs. 519. 378 Nach Gutas hält er die Ehe für ein »bescheidenes Vergnügen, das viel Ärger mit sich bringt.« LUCK, Weisheit, 153, Abs. 401.

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diese »Hundeehe« als Sonderfall gelten, da viele Kyniker in der Tat die Ehe ablehnten.379 Wesentlich ist hierbei auch, dass die Ehe zwischen Hipparchia und Krates nicht zu Heim, Besitz und bürgerlichen Leben führte, sondern im Einklang mit den kynischen Idealen stand. Hipparchia folgte ihrem Mann und wurde selbst Kynikerin. Epiktet spricht bei Hipparchia von einem »zweiten Krates« und betont das Außergewöhnliche dieser Ehe.380 Epiktet zeichnet in den Unterredungen (diatribai III 22) sein Bild eines idealen Kynikers. Bereits in III 22,13ff kommt er auf die Voraussetzungen zu sprechen: »Das Begehren musst du völlig ausrotten […] Kein Mädchen, kein Rühmchen, kein Jüngelchen, kein Kuchenstückchen darf dir schön vorkommen.« An die Stelle der bürgerlichen Schutzmöglichkeiten, wie ein verschließbares Haus, steht dem Kyniker nur das Ehrgefühl zur Verfügung. Wichtig ist das Denken – nicht der Körper, dessen Unversehrtheit oder der Tod. Die Verbannung achtet der Kyniker für gering, sie wirft ihn ja nicht aus dem Universum. Hier wird deutlich, dass die gängigen gesellschaftlichen Strukturen, zu denen auch die Verwandtschaftsstrukturen und der ƳʋƯƳƵ gehören, für den Kyniker keine Rolle spielen dürfen. In III 22,23f kommt Epiktet zur Aufgabe des Kynikers. Er ist als Bote des Zeus381 zu den Menschen gesandt »um ihnen zu zeigen, dass sie, was Gut und Böse betrifft, auf dem falschen Weg sind«. Der Kyniker soll »ein Kundschafter dessen [sein], was dem Menschen Freund und was ihm Feind ist.« So kann er vor sie hintreten und sagen: »Seht mich an: Ich bin ohne Haus, ohne Vaterstadt, ohne Besitz, ohne Sklaven. Ich schlafe auf dem Boden, habe kein kleines Landgut, sondern nur die Erde, den Himmel über mir und eine schäbige Kutte. Und was fehlt mir? Bin ich nicht sorglos, bin ich nicht furchtlos, bin ich nicht frei?« (III 22,47f).

Ab III 22,67 kommt Epiktet grundsätzlich auf die Frage der Ehe zu sprechen. In einer Stadt von lauter Weisen wäre eine Ehe durchaus möglich, denn die Frau und die angeheiratete Verwandtschaft wären im kynischen Sinn »weise« und die Kinder würden in diesem Sinn erzogen werden. Doch in der Realität ist der weise Kyniker die Ausnahme, er muss darum »ohne Ablenkung sein, sich ganz dem Dienste des Gottes widmen, imstande sein, unter den Menschen herumzugehen, nicht durch seine privaten Verpflichtungen behindert, nicht gebunden durch persönliche Beziehungen, die er nicht missachten könnte, ohne den Charakter eines feinen, guten Menschen zu verlieren, deren Beach379 Vgl. LUCK, Weisheit, 218. Der Begriff »Hundeehe« ist wohl die Selbstbezeichnung durch Krates (So Suda bei LUCK, Weisheit, 197f, Abs. 530) – Der Begriff Kyniker kommt von »Hund« (ƯˈƼƱ). Vgl. ebd, 1. 380 Vgl. LUCK, Weisheit, 355, Abs. 76. 381 Zur möglichen Berührung zum ntl. Apostel vgl. unten 3.6.1, Anm. 492 bzw. RENGSTORF, ThWNT 1, 408ff.

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tung sich aber mit seiner Rolle als Bote, Kundschafter und Herold der Götter nicht vertragen würde« (III 22,69).

Das familiäre Leben wird somit nicht prinzipiell abgelehnt, sondern die Aufgabe »Kundschafter« der Götter zu sein, die den Kyniker in seiner Gesamtheit in Anspruch nimmt, lässt ihm keine Wahl. Dieser Aufgabe ist alles unterzuordnen, allem voran das Privatleben mit seinen Beziehungen und Verpflichtungen, Eigentum und einer gesellschaftlichen Existenz.382 Er hat größere Aufgaben als die quantitative Vergrößerung der Gesellschaft: »Wer erweist der Menschheit eine größere Wohltat? Diejenigen, die zwei, drei rotznäsige Sprösslinge an ihrer Stelle in die Welt setzen, oder jene, die […] alle Menschen beaufsichtigen, wie sie leben, worum sie sich kümmern, was sie pflichtwidrig vernachlässigen?« (III 22,77).

Er »hat doch die ganze Menschheit zu seinen Kindern gemacht« (III 22,81). Statt der persönlichen Familie steht für ihn die Universalfamilie: »the Cynic calling involves the renunciation of a particular family and an identifiable citizenship in order to benefit the common good and to foster the ideal of the unity of mankind. Significantly, the renunciation of a particular family makes possible participation in a universal family.«383 Neben der Unterordnung familiärer Bindungen im jüdischen Umfeld lassen sich solche Tendenzen also auch im griechischen-römischen Kulturkreis – der vor Galiläa nicht halt macht384 – feststellen. Die familienrelativierenden Texte im NT stehen auch hier keinesfalls allein. Neben den Analogien zwischen Kynikern und der Jesusbewegung (Heimatlosigkeit, Verlassen familiärer Bindungen) macht Barton auch auf Unterschiede aufmerksam: »where the Cynics adopt a deliberate asceticism as an integral part of the wise man’s revolt against culture and return to nature, the gospels speak more of involuntary deprivation and hardship in consequence of faithful missionary discipleship; and where the Cynics seek to reform the individual by a highly provocative onslaught on civilized conventions and popular opinion, there is in the gospels a positive summons to Israel and the nations to personal and social reform in preparation for the advent of God.«385 Deutlich ist der Unterschied zwischen der individualistisch orientierten Kynikerbewegung und der auf Gemeinschaft setzenden Jesusbewegung mit einer eschatologischen Ausrichtung. Während im MkEv dem Verlassen familiärer Bindungen eine neue eschatologisch ausgerichtete Familie mit 382

Vgl. BARTON, Discipleship, 49. BARTON, Discipleship, 49. 384 Vgl. dazu BETZ, Jesus and the Cynics, 52f: In Tyrus und Gadara gab es Kyniker. 385 BARTON, Discipleship, 52. 383

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bedingter Mitgliedschaft (Mk 3,35) gegenübersteht, ist der Kyniker bemüht, keinerlei verpflichtende Beziehungen einzugehen bzw. die ganze Menschheit gilt ihm un-bedingt als Familie.

3.2.6 Stoiker Die zeitgenössischen Stoiker, denen die Kyniker als »a kind of ›left-wing Stoicism‹«386 nahe standen, urteilten bei der Frage nach der Familie durchaus anders. Die Stoiker standen den gesellschaftlichen Strukturen – verglichen mit den Kynikern – eher konservativ gegenüber. Zu ihrer Bereitschaft, die bürgerlichen Pflichten zu erfüllen, zählte auch, zu heiraten und Söhne groß zu ziehen. Barton betrachtet diese Frage anhand von zwei zeitgenössischen Stoikern: Musonius Rufus (ca. 30–108 n.Chr.) und seinem Schüler Epiktet, der bereits im vorhergehenden Abschnitt zu Wort gekommen ist. Für Musonius Rufus gehören Ehe, sexuelle Begierde – welche nur innerhalb der Ehe legitim ist – und das Hervorbringen von Nachwuchs zu den gottgewollten Selbstverständlichkeiten. »Wenn etwas naturgemäß ist, dann ist es die Ehe.«387 Sie dient dem Wohl und Gedeih der Polis. Wer die Ehe als Grundlage der Familie und damit des Staates »unter den Menschen ausrotten will, der rottet die Familie, der rottet den Staat, ja das ganze Menschengeschlecht aus.«388 Bei der Frage, ob familiäre Bindungen das Philosophieren stören, nimmt er deutlich eine antikynische Position ein. So überliefert Stobaius die Ansichten Musonius’ im Diatribenstil: »Einer sagte: ›Mir scheint die Ehe […] ein Hindernis, wenn man philosophieren will.‹ Musonius bemerkte: ›Für Pythagoras war es kein Hindernis, auch nicht für Sokrates, auch nicht für Krates. Sie alle lebten mit einer Frau. Und man könnte wohl kaum behaupten, andere hätten besser philosophiert als sie.‹«389

Auf Krates geht er im selben Absatz noch einmal gesondert ein, vermutlich da er als Kyniker eigentlich die Gegenposition repräsentieren müsste: »Eben, weil er keinen Unterschlupf hatte, verbrachte er seine Tage und Nächte – mit seiner Frau! – in den öffentlichen Säulenhallen von Athen.« Und so schließt die XIV. Diatribe: »Es ist also klar, daß es sich für den Philosophen gehört, zu heiraten und Kinder zu zeugen.«390 386

BARTON, Discipleship, 52. MUSONIUS, Lehrgespräche XIV (Capelle/Nickel, 264). 388 MUSONIUS, Lehrgespräche XIV (Capelle/Nickel, 265). 389 LUCK, Weisheit, 198, Abs. 532. Text auch in: MUSONIUS, Lehrgespräche XIV. 390 MUSONIUS, Lehrgespräche XIV (Capelle/Nickel, 267). 387

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Doch an anderer Stelle findet sich auch bei Musonius die Notwendigkeit, familiäre Belange der philosophischen Suche nach dem Tugendhaften unterzuordnen. Für diese Arbeit ist interessant, dass hier die Loyalität gegenüber den Eltern ins Blickfeld gerückt wird. »Muß man wirklich, Musonius, seinen Eltern in allen Dingen gehorchen, oder gibt es Fälle, wo man ihnen ungehorsam sein muß?«391 Diese Frage stellt ein Jüngling, dem sein Vater das Studium der Philosophie, für das er sich berufen fühlt, verbietet. Nach einem Diskurs über richtigen und falschen Gehorsam sagt Musonius: »Dein Vater will dich hindern, der Philosophie zu dienen, aber Zeus, der gemeinsame Vater aller Menschen und Götter, befiehlt es dir und treibt dich dazu an. Denn […] das Gesetz des Zeus gebietet den Menschen, tugendhaft zu sein. Tugendhaft sein und Philosoph sein ist ein und dasselbe. Wenn du durch Gehorsam gegen deinen leiblichen Vater einem Menschen gehorsam bist, dagegen, wenn du Philosoph bist, dem Zeus, dann ist es klar, daß du es vorziehen mußt, der Philosophie zu dienen.«392

Hier findet sich eine interessante Analogie zu den mk Texten. Die Vaterschaft wird relativiert. Zeus ist der maßgebliche Vater, der Gehorsam ihm gegenüber kann den Ungehorsam gegenüber dem leiblichen Vater einfordern. Im MkEv ist der leibliche gegenüber dem himmlischen Vater Jesu so stark relativiert, dass er nicht vorkommt. Epiktet ist natürlich von den in diesen Fragen konservativen Ansichten seines Lehrers Musonius beeinflusst, auch wenn er gegenüber den Kynikern eine deutlich aufgeschlossenere Position einnimmt. So suchen die Philosophen der Gesellschaft gegenüber »ihrer natürlichen oder übernommenen Stellung gemäß zu leben: als Sohn, Vater, Bruder, Bürger, als Mann, Frau, als Nachbar, Freund, als Herrscher oder Beherrschter.«393 Neben einer grundsätzlichen Befürwortung der Ehe zum Wohl der Polis finden sich aber auch andere Töne: »Deshalb wird das Gute jeder Verwandtschaft vorgezogen: sogar der Vater geht mich nichts an, sondern nur das Gute. So hart bist du? Ja, so bin ich von Natur aus, diese Münze hat mir Gott gegeben. Denn, wenn gut etwas anderes ist als anständig und recht, dann fällt auch Vater, Bruder, Vaterland, überhaupt alles fort.«394

Ähnlich wie bei Musonius findet sich unter bestimmten Bedingungen die göttliche (!) Legitimation der Unterordnung familiärer Bindungen, nämlich bei der philosophischen bzw. ethischen Suche nach dem Guten. Somit ist auch hier zu sagen, dass diese Möglichkeit bzw. Notwendigkeit im 1. Jh. n.Chr. im griechisch-römischen Denken verfügbar war. 391

MUSONIUS, Lehrgespräche XVI (Capelle/Nickel, 270). MUSONIUS, Lehrgespräche XVI (Capelle/Nickel, 274). Kursiv: TR. 393 EPIKTET, Unterredungen II 14, Zitat: Schmidt/Metzler, 72. 394 EPIKTET, Unterredungen III 3, Zitat: Schmidt/Metzler, 79. 392

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3.2.7 Zusammenfassung Obwohl die familiären Strukturen in der jüdischen und der griechischrömischen Welt des 1. Jh. n.Chr. zu den Grundfesten der Gesellschaft gehören, sodass man von einer »Oikos-Gesellschaft« sprechen kann, ist die religiös motivierte Unterordnung familiärer Beziehungen bei verschiedensten Personen und Gruppen anzutreffen. Die mk Texte stehen keineswegs isoliert da. Dennoch gibt es erhebliche Unterschiede, die nun wieder die Eigenart des mk Familienkonzepts deutlicher hervortreten lassen. Für Josephus ist evtl. seine religiöse Ausbildung ein Grund, das Eheleben zeitlich hinauszuschieben. Auch scheint es, dass er grundsätzlich für das weibliche Geschlecht wenig Achtung übrig hat, was sich ebenfalls auf seine Wertung der Ehe auswirken kann. Von einer Frauenverachtung wird man auch bei Diogenes sprechen können. Bei ihm bzw. bei den meisten Kynikern ist eine ablehnende Haltung gegenüber der Ehe zu finden, da die Freiheit von Verpflichtungen, Bindungen, Leidenschaften und Bedürfnissen oberstes Ziel ist. Das Eheleben scheint nicht genügend Zeit und Ruhe für das Philosophieren zu lassen.395 Das erinnert wiederum an Rabbi SchimÞon ben Azzai, der aufgrund seiner Liebe zur Thora ein eheloses Leben wählte. Auch bei den Essenern spielt die Frage der Ehe und Sexualität eine Rolle. Die Motive sind hier priesterlicher und eschatologischer Natur. Das Leben mit einer Frau gefährdet durch Sexualität und Menstruation die kultische Reinheit. Die atl. Vorschriften sexueller Enthaltsamkeit in Kriegssituationen und für die Bereitschaft göttlicher Offenbarungen sind weitere Gründe. Diese Beispiele zielen vorwiegend auf die Ehe als sexuelle Gemeinschaft und auf die Kernfamilie, Ehepflichten und das Großziehen der Kinder – Punkte, die explizit im MkEv keine Rolle spielen.396 Ein weiterer Unterschied hängt damit zusammen: Von der im MkEv spürbaren positiven Stellung von Frauen findet sich bei Josephus, den Essenern und Kynikern nichts. Ganz anders und den mk Texten deutlich näher liegt Philo von Alexandria. Hier finden sich die zwei vom MkEv bekannten Motive »Verlassen« und »Neudefinition« der Familie. Auch kommt bei ihm die Familie als größere Einheit in den Blick. Betrachtet werden nicht konkrete Erscheinungen des familiären Lebens, sondern das »Universum« der verschiedenen Beziehungsgeflechte aus Loyalität, Rechten und Pflichten. Philo nutzt die Rede vom Verlassen der Familie auch in metaphorischer Weise, um die religiöse Konversion zu beschreiben. Das Verlassen der alten Familien 395 396

LUCK, Weisheit, 198, Abs. 532. Vgl. Mk 10,2–12. Bei der Liste des Verlassens Mk 10,29 fehlt auffälligerweise die Frau.

Zeitgeschichtliche Hintergründe

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zeigt die Loyalität der Konvertierten zur neuen Religion. Aufgrund dieser Loyalität sollen sie nun auch wie in eine neue Familie aufgenommen werden. Bei Philo findet sich somit ein gegenüber Markus recht ähnliches Konzept des Wechsels der Familien, wobei es falsch wäre, das mk Konzept auf den Begriff »Konversionsterminologie« festzulegen. Von heuristischer Bedeutung ist auch das AT, obwohl hier das Motiv des Familienwechsels kaum eine Rolle spielt. Immerhin existiert zum Motiv des Verlassens eine direkte Beziehung (1Kön 19,19–21 und Mk 1,16–20). Wichtig erscheint mir aber v.a.: Die unausgeglichene Spannung zwischen Texten, die die Achtung vor der Familie festschreiben und Texten, die wohlwollend vom Verlassen der Familie sprechen, finden sich – ähnlich dem MkEv – auch im AT, v.a. im Pentateuch. Einen wichtigen Beitrag zur besseren Interpretation lieferte auch Joseph und Aseneth. Der Wechsel der Religion führt zur Feindschaft der alten Familie und zum Familienausschluss. Das Individuum leidet unter dieser Situation. Die Aufnahme in eine neue soziale Gemeinschaft ist keinesfalls nur Konversionsterminologie, sie kann reale Hintergründe und existenzielle Bedeutung haben. Die Möglichkeit solcher Konflikte in der mk Gemeinde soll nun im nächsten Abschnitt untersucht werden.

3.3 Zeitgeschichtliche Hintergründe Zeitgeschichtliche Hintergründe Die Entstehung des MkEv fällt in die Zeit des Jüdischen Krieges. Dessen Vorgeschichte und Verlauf muss an dieser Stelle nicht eigens dargestellt werden.397 Wichtig sind für diese Arbeit v.a. seine Auswirkungen auf die hellenistisch geprägten Städte des Römischen Imperiums. Da sich der Evangelist und seine Gemeinde vermutlich außerhalb Palästinas befanden, werden sie den Krieg nicht unmittelbar miterlebt haben.398 Die Auswirkungen des Krieges waren aber für die jüdische Bevölkerung in der Diaspora existenziell spürbar. Die von Josephus geschilderten Unruhen im Kontext des Jüdischen Krieges reichen von Syrien über Ägypten bis in die Cyrenaika. Sie betrafen vermutlich auch die mk Gemeinde.399 Diese bestand auch aus jüdischstämmigen Christen.400 Sie kann deshalb von der Außenperspektive her durchaus auch als jüdische Sekte gewertet worden sein. Die Spannung zwischen Nichtjuden und Juden im Vorfeld des Krieges beschreibt eindrücklich Josephus in Bell II 266–270.284–292 am Beispiel 397

Einen Überblick bietet SASSE, Geschichte, 307–318. Vgl. auch LOHSE, Umwelt, 31–34. Vgl. Mk 13,7: Die Jünger werden nur əƯƳʽƵ ™ƳưˀµƼƱ hören. 399 Vgl. Mk 13,7: Die Jünger werden immerhin ™ƳưˀµƳƸƵ ƯƦ˃ əƯƳʽƵ ™ƳưˀµƼƱ hören. 400 Vgl. unten 3.6.3, Anm. 643. 398

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Caesarea. Kleinere Streitigkeiten und alte Ressentiments führen immer wieder zu Provokationen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen hellenistischer und jüdischer Einwohnerschaft. Die Obrigkeit (bis zum Kaiser) und das Militär werden in die Streitigkeiten und Auseinandersetzungen hineingezogen und versagen auf politischer Ebene. Dass in Caesarea, wo nach Josephus die 20000 Juden der Stadt innerhalb einer Stunde getötet werden (Bell II 457ff), kein Einzelfall vorliegt, zeigen die in verschiedenen Städten ausbrechenden Pogrome. In Damaskus werden laut Josephus 10500 (Bell II 559ff), in Skytopolis 13000 (Bell II 468) Juden getötet.401 Für Syrien dehnt Josephus die Pogrome auf nahezu alle Städte aus (Bell II 461.477ff). Werfen wir einen Blick auf Alexandria mit dem traurigen Rekord von – so Josephus – 50000 getöteten Juden. Die Ereignisse im Vorfeld des Krieges berichtet Josephus in Bell II 487–498. In Alexandria bestand ein jahrhundertealter Konflikt zwischen Juden und Nichtjuden, da die Juden von Alexander über die Diadochen bis zu den Römern gewisse Vorrechte besaßen bzw. den Griechen gleichgestellt waren. Dies zog den Neid und Zorn der übrigen Bevölkerung nach sich. Die alltäglichen Zusammenstöße zwischen beiden Gruppen nahmen im Kontext der Auseinandersetzungen in den anderen Gebieten (Syrien, Palästina) an Schärfe zu. Als die Alexandriner sich aufgrund einer Gesandtschaft an Nero im Amphitheater versammelten, kamen auch Juden. Diese wurden als Spione angegriffen. Die Judenschaft wollte nun das Theater samt Insassen niederbrennen, wurde aber von staatlicher Gewalt gehindert. Zwei römische Legionen und 2000 Soldaten rückten gegen sie vor, plünderten, mordeten und brannten ihre Häuser nieder. Am Ende war – so Josephus – der ganze jüdische Bezirk mit Blut überströmt und »50000 Leichen häuften sich auf« (Bell II 497). Neben den Pogromen der Bevölkerung gegen die Juden gingen auch die Juden mit ähnlicher Brutalität gegen die nichtjüdischen Einwohner vor. Jede syrische Stadt – so Bell II 462 – bestand aus zwei feindlichen Lagern, die ihre einzige Überlebenschance darin sahen, dem anderen Lager mit einem blutigen Massaker zuvorzukommen. Für die Frage nach den christlichen Gemeinden ist Bell II 463 sehr interessant: »Denn wenn man auch glaubte, die Juden beseitigt zu haben, so behielt man doch in jeder Stadt den Verdacht gegen die Judenfreunde; man mochte zwar die nach beiden Seiten hin zweifelhafte Gruppe nicht ohne weiteres umbringen, fürchtete sich aber doch auf Grund ihrer Verbindung mit den Juden, als seien sie wirkliche Feinde«.402 401 Josephus neigt bei Zahlenangaben zu Übertreibungen. Dennoch müssen hinter seinen Angaben hohe Zahlen vermutet werden. 402 Kursiv: TR.

Zeitgeschichtliche Hintergründe

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Hier können in erster Linie die »Gottesfürchtigen« gemeint sein. Es besteht aber kein Grund, die christlichen Gemeinden auszuschließen. Diese Notiz macht deutlich, dass eine aus Juden- und Heidenchristen bestehende christliche Gemeinde, die zudem einen von den Römern als »König der Juden« (Mk 15,2.26 u.ö.) Gekreuzigten als Messias verkündigte,403 leicht zwischen die »Mühlsteine« geraten konnte. Für die verfeindeten Lager waren die christlichen Gemeinden kaum sicher einzuordnen, suspekt und potenziell gefährlich. Für die Juden waren es Sektierer und »Spalter«. Wie aus Jerusalem bekannt ist, gehörten sie zu den bekämpften Kriegsgegnern.404 Für die Nichtjuden wurden sie vermutlich zu den »Judenfreunden« gerechnet und erschienen ihnen als eine Art jüdischer Sekte.405 Die Josephusnotiz erlaubt immerhin anzunehmen, dass die »Judenfreunde« nicht direkt von den blutigen Pogromen betroffen waren (vgl. aber Mk 8,35). Konflikte, Spannungen und Befürchtungen waren aber sicher an der Tagesordnung. Die Stimmung des MkEv würde sich gut in diese Situation einfügen. Dass in der Zeit des Krieges die Zerwürfnisse zwischen den Kulturen auch vor familiären Bindungen nicht halt machten, zeigt JOSEPHUS, Bell VII 46ff. In Antiochia trat ein Mitglied der jüdischen Gemeinde vor den im Theater versammelten Bürgern auf und beschuldigte seinen Vater – den Vorsteher der Juden – und die jüdische Gemeinde, die Stadt in Brand stecken zu wollen. Der Sohn des Vorstehers forderte die nichtjüdische Bevölkerung auf, von den Juden ein Opfer griechischen Kults zu verlangen und so ihre Loyalität zu prüfen. Da sich nur wenige Juden dazu hergaben, wurde der größte Teil hingerichtet. Ähnliches ereignete sich schon in Skytopolis (Bell II 466ff), wo die Juden der Stadt zusammen mit den Griechen Skytopolis gegen ihre angreifenden Volksgenossen verteidigten, da – so Josephus – ihnen die Sicherheit wichtiger war als ihre Verwandtschaft (ƶƸƨƨˀƱƪƮƦ) zu den Juden. In Bell IV 131ff beschreibt Josephus ganz allgemein, dass der innerjüdische Kampf zwischen Kriegsbefürwortern und Friedliebenden – zu denen die Christen wohl zu rechnen sind – zuerst in den Familien entbrannte. Interessanterweise charakterisiert Josephus diesen Kampf als einen zwischen Alten und Jungen, was an Mk 13,12 erinnert. Ein Szenario, wie es in Mk 13,12 überspitzt beschrieben scheint, lässt sich in dieser Zeit durchaus vorstellen. Das Problem der familiären Zerwürfnisse für die mk Gemeinde kann deshalb nicht bagatellisiert werden. Eine rein theologische Interpretation greift zu kurz. Man wird sagen können, dass das Thema familiärer Zerwürfnisse für die mk Gemeinde das Ausmaß 403

Vgl. WANDER, Trennung, 271. Vgl. SCHENKE, Mk (1988), 23. 405 Vgl. WANDER, Trennung, 271; SCHENKE, Mk (1988), 23.27; SÖDING, Evangelist, 32. 404

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

blutigen Ernstes annehmen konnte und einer neuen »Familie« existenzielle Bedeutung zukam. Ich fasse das reale Konfliktpozenzial zusammen: (1) Befand sich die mk Gemeinde in oder bei einer hellenistischen Stadt im syrisch-palästinischen oder ägyptischen Raum, fällt die Abfassung des Evangeliums um 70 n.Chr. mit Ereignissen zusammen, die mit kaum vorstellbarer Brutalität und mit unglaublichem Hass zwischen Juden und Nichtjuden einhergehen. Die Zugehörigkeit zu einer ethnisch gemischten christlichen Gruppe ist in solchen Zeiten der Polarisierung hochbrisant. Jeder und jede Angehörige der einzelnen Volksgruppen ist gezwungen »Position« zu beziehen. Mit Sicherheit konnte es auch in den Herkunftsfamilien der Gemeindeglieder zu ernsthaften Konflikten kommen – vorausgesetzt, die Familie fand nicht insgesamt den Weg in die christliche Gemeinde. Vielleicht belegt dies auch die Erwähnung der »Judenfreunde«, einer »nach beiden Seiten hin zweifelhafte[n] Gruppe«, in Bell II 463.406 (2) Neben den zeitgeschichtlichen Argumenten begründen auch die kulturanthropologischen Beobachtungen die potenziellen Konfliktsituationen (vgl.oben 1.1; 3.1). Die Gemeindemitglieder haben sich wie Jesus von der vom pater familias vermittelten Religion/Kult abgewandt.407 Sie hinterfragen die unhinterfragbare Autorität des Vaters und setzen die Familienehre aufs Spiel. Die Loyalität gegenüber der Sippe, aber auch dem Dorf, der Polis, dem Staat ist in Frage gestellt. Die Herkunftsfamilie kann und darf dies nicht dulden. Sie muss wie die Familie Jesu (Mk 3,21) ihr verloren gegangenes Mitglied »zur Vernunft bringen«. Sandnes referiert zur Frage eine Untersuchung Seppo Syrjänens, der zum Christentum konvertierte Muslime in Pakistan interviewt hat. Sie berichten durchweg von familiären Krisen, Entfremdungen von Freunden, dramatischen Auseinandersetzungen mit der Sippe und sozialer Ächtung. Grund sei die verletzte Familienehre aufgrund des »Abfalls« von der alten Religion. Es handelt sich hierbei um keinen privaten Konflikt. Die Familienehre ist nur durch die Trennung von den »Abgefallenen« zu retten.408 Als Ergebnis ist festzuhalten: Neben aller theologischen Relevanz, die in den nächsten Abschnitten in den Blick genommen werden soll, spiegeln die mk Familienkonflikte reale Situationen im Umfeld der Gemeinde mit einer existenziellen Bedeutung für alle Betroffenen. Die Interpretation der von Markus gesteigerten Familienkonflikte Jesu als Legitimation mit pastoralem Beistand für die mk Gemeinde (s.o. Teil 2, 1.4.3) erweist sich als richtig. 406 Im MkEv ist diese Spannung nach zwei Seiten an mancher Stelle offenkundig. Vgl. 13,9–13. Vgl. SÖDING, Evangelist, 31ff. Zur Verortung der Gemeinde vgl. REIPRICH, Ägypten, 147–163. 407 Vgl. SANDNES, Equality, 153ff: Konversion einzelner Mitglieder führte zur »family crisis«. 408 SANDNES, Equality, 154f.

Gotteskinder, Schwestern, Brüder – Die familia-dei-Metaphorik

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3.4 Gotteskinder, Schwestern, Brüder – Die familia-dei-Metaphorik Gotteskinder, Schwestern, Brüder – Die familia-dei-Metaphorik Es wurde darauf hingewiesen, dass es im orientalischen und griechischen Raum des 1. Jh. n.Chr. den Begriff »Familie« nicht gibt. Im MkEv kann der Begriff nicht vorkommen. Aber auch der halbwegs adäquate Ausdruck ƳʋƯƳƵ/ƳʅƯ˄Ʀ erscheint in den für diese Untersuchung zentralen Texten eher am Rand. Dagegen betont das MkEv die einzelnen Glieder einer Familie: Brüder, Schwestern, Mutter, Vater und Kinder. Da es sich dabei um Beschreibungen familiärer Beziehungen handelt, bietet sich dennoch »Familie« bzw. »familia dei« als Oberbegriff an. Es soll mit Blick auf die einzelnen Beziehungsebenen ein kurzer motivgeschichtlicher Überblick über die Anwendung von Familienmetaphorik auf die MenschenGott-Beziehung (vertikale Ebene) und deren zwischenmenschliche Bedeutung (horizontale Ebene) gegeben werden. Ich möchte in Anlehnung an Rohs Darstellung409 den zeitgeschichtlichen Vorstellungshorizont der Einzelmetaphern skizzieren:

In der paganen Welt bezieht sich die Vorstellung von der familia dei vor allem auf die Götterfamilien im Himmel. Menschen sind hierin oft nicht eingeschlossen.410 In Israel gehören hingegen auch die Israeliten als Kinder Gottes zur »Familie«. Die Ausprägung des Monotheismus verbietet andererseits die Vorstellung einer himmlischen Götterfamilie. (1) Gott als »Vater«.411 Die Bedeutung dieser Metapher ist bereits angesichts der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur erkennbar. Sie beschreibt »die hierarchische und exklusive Gottesbeziehung eines Menschen.«412 Im AT begegnet sie trotz ihrer Bedeutung nicht übermäßig oft413 und es begegnet auch mütterliche Metaphorik.414 Statt des Verständnisses einer biologischen oder mythologischen Erzeugung der Kinder durch den Vatergott begegnet das Konzept der Erwählung oder Erlösung. Indem Gott sein Volk erwählt, erweist er sich als »Vater« Israels.415 Eine individuelle Beziehung einzelner »Kinder« zu ihrem »Vater« ist weniger im Blick. Diese Vorstellung hält sich auch in der zwischentestamentarischen Literatur, wobei hier allerdings auch die Vorstellung der individuellen Beziehung zum Einzelnen begegnet.416 Die Konnotationen der Vaterschaft Gottes in frühjüdischen 409

Vgl. ROH, Familia, 1–22. Ausnahme: Stoa, s.u. 411 Zu frühjüdischen Schriften vgl. die ausführliche Untersuchung von A. STROTMANN »Mein Vater bist du!« (Sir 51,10). 412 GERBER, Familie, 49. 413 Vgl. aber Ps 68,6; 89,27; 103,13; Jes 63,16 u.ö. 414 Vgl. etwa Jes 66,13. Vgl. auch GERBER, Familie, 49, Anm. 3. 415 Vgl. ROH, Familia, 3f. 416 Vgl. ROH, Familia, 7f. 410

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Schriften sind »Erziehung, Erbarmen, Vergebung, Treue, Verläßlichkeit, Fürsorge, Verantwortung, Liebe, Güte, Freude, Zuwendung, Nähe, Schutz, Hilfe, Rettung, machtvolles Eingreifen zugunsten der Menschen, absolute Schöpfermacht, Anteilgabe an Gottes Macht, Herrlichkeit und Erkenntnis.«417 Bei Philo begegnen neue und dem paganen Verständnis nahestehende Züge. Gott ist als Schöpfer aller Menschen auch deren Vater. Allerdings ist nur der ein Gotteskind, der ihn als Vater anerkennt.418 (2) Kinder Gottes. Mit der Gott-Vater-Metapher steht die Gotteskind-Metapher im direkten Zusammenhang.419 Im AT wird ganz Israel durch Erwählung zum »Sohn Gottes«. Auf diesem Verhältnis fußen Aussagen über die fürsorgliche Liebe Gottes und Forderungen des Gehorsams der »Kinder« gegenüber ihrem »Vater«. In den zwischentestamentarischen Schriften wird der Gotteskindstatus als solcher und im Gegenüber zu den »Nichtkindern«420 besonders betont. Dieser Dualismus ist der familia-dei-Vorstellung immer schon immanent. Wie sich in den kulturanthropologischen Abschnitten gezeigt hat, definieren sich antike Familien nicht zuletzt über ihre Grenzen. Allerdings kennt die zwischentestamentarische Literatur auch die Möglichkeit, dass Nichtjuden (Proselyten) zu Gotteskindern werden.421 (3) Geschwister. Neben dieser vertikalen Beziehung existiert in der familia dei auch eine horizontale. Das AT verwendet die Metapher »Bruder« für den Mitisraeliten. Aber diese Vorstellung geht auf die gemeinsamen Erzväter zurück. »Eine ›Geschwister‹-Metapher, deren Voraussetzung das Bild Gottes als Vater […] ist, findet sich im AT nicht.«422 Nach Roh ist dennoch die »Geschwisterschaft« in der ntl. familia-dei-Vorstellung als konsequente Weiterentwicklung der atl. Gotteskindschaft zu sehen.423 Zusammenfassend charakterisiert Roh die Weiterentwicklung der atl. familia-dei-Vorstellung im NT als »Intensivierung« (Häufigkeit), »Ausweitung« (Juden- und Heidenchristen) und als »Integration« (Geschwistermetaphorik). Dabei können Berührungen mit der paganen familia-deiVorstellung nicht ausgeschlossen werden. Gerade in der Stoa gelten alle Menschen als Kinder des Zeus und deshalb als Geschwister.424 Betrachtet man das MkEv, fällt auf, dass die vertikale Dimension der familia dei – also die Vater-/Kindmetapher nur sehr spärlich begegnet. Sie 417

STROTMANN, Mein Vater, 360. Vgl. ROH, Familia, 6f. 419 So auch GERBER, Familie, 50. 420 ROH, Familia, 16. 421 V.a. in JosAs. Vgl. ROH, Familia, 18. 422 ROH, Familia, 19. 423 Vgl. ROH, Familia, 20f. 424 Vgl. ROH, Familia, 22. 418

Der markinische Gebrauch von ƳʋƯƳƵ/ƳʅƯ˄Ʀ

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scheint v.a. auf die Gottessohnschaft Jesu konzentriert zu sein (1,11; 3,11; 5,7; 9,7; 12,1–12; 13,32; 14,61f; 15,39). Die Gott-Vater-Metapher im Mund Jesu spielt im MkEv keine große Rolle (nur 8,38; 13,32; 14,36). Für die Vorstellung der Gottessohnschaft der Anhänger Jesu bleibt immerhin ein Beleg in 11,25.425 Allerdings verweist m.E. die Auslassung der Väter auf diese Vorstellung. Anders als Rusam, demzufolge Markus aufgrund der Gottessohnschaft Jesu die Charakterisierung der Anhänger als Gotteskinder vermeidet, glaube ich, dass die vertikale Ebene der familia-dei-Vorstellung für den Evangelisten und seine Gemeinde selbstverständlich ist, sodass er sie nicht explizit entfalten muss.426 Er konzentriert sich auf die horizontale Ebene (wenn man die Mutter in diese einordnen darf). Auch ist Rusam zu widersprechen, wenn er bemerkt, dass »der Gedanke der Bruderschaft der Glaubenden«427 im MkEv fast völlig fehlt. Hier wird das MkEv zu sehr mit Blick auf andere Schriften bewertet428 und übersehen, dass Markus die horizontale familia-dei-Ebene weniger begrifflich, als narrativ entfaltet. Dieses geschieht natürlich nicht – hier hat Rusam Recht – in androzentrischer Darstellung einer »Bruderschaft«, sondern als »Geschwisterschaft« bzw. »Familienschaft«. Die Einwände Rusams zeigen immerhin, dass die reine Begrifflichkeit der familia-dei-Vorstellung für das mk Motivfeld »Familie« zu wenig austrägt. Es ist somit nach anderen Zugängen zu suchen.429

3.5 Der markinische Gebrauch von ƳʋƯƳƵ/ƳʅƯ˄Ʀ430 Der markinische Gebrauch von ƳʋƯƳƵ/ƳʅƯ˄Ʀ Die Frage nach den familiären Strukturen, die mit dem Begriff ƳʋƯƳƵ verbunden sind, wurde für Palästina und die hellenistische Welt bereits behandelt.431 Nun ist es an der Zeit, den speziellen mk Gebrauch des vielschichtigen Begriffs ƳʋƯƳƵ bzw. ƳʅƯ˄Ʀ zu betrachten. Was meint der Evangelist, wenn er vom Haus spricht? Ist eher an ein Gebäude zu denken, in dem sich 425 Die von Sparks vermutete Interpolation dieser Stelle bespricht und entkräftet RUSAM, Gemeinschaft, 92f. Zur Verteilung der Vatermetapher im NT vgl. STROTMANN, Vaterschaft, 3f. Auch im NT bildet das MkEv bei der Häufigkeit der Vatermetapher das »Schlusslicht«. 426 Vgl. RUSAM, Gemeinschaft, 93. Die Auslassung des Vaters in 10,30 und der nicht zwingend nötige Gebrauch der Gott-Vater-Metapher in 11,25 sprechen gegen Rusams Deutung. 427 RUSAM, Gemeinschaft, 93. 428 Rusam schreibt über die Johannesbriefe. 429 In dieser Arbeit sind diese unter anderem die Beachtung der paradigmatischen Funktion des »Wegs der Maria« und die Anwendung kulturanthropologischer und ritualtheoretischer Modelle. 430 Die Einordnung dieses Abschnitts in die Gliederung dieser Arbeit wäre an verschiedenen Stellen möglich. Bereits bei der Exegese des zweiten Textabschnitts wären grundsätzliche Gedanken zum mk ƳʋƯƳƵ von Vorteil. Der Kontext der Vorüberlegungen zur thematischen Entfaltung des mk Konzeptes »Familie« scheint mir aber der geeignetere Ort zu sein. Dabei müssen einige Gedanken bei der Frage nach einer mk Ekklesiologie unten 3.6.3 wieder aufgegriffen werden. 431 S.o. 1.1; 3.1.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Jesus aufhält (1,29; 2,1; 3,20; 7,17 u.ö.) und welches z.B. die Funktion hat, die Bedrängnis der Menge plastisch darzustellen (3,20 u.ö.) oder dessen Dach dazu da ist, aufgegraben zu werden (2,4)? Oder ist auch im MkEv immer das soziale Beziehungsgeflecht, der häusliche Personenverband samt Eigentum, Feld, Vieh und Sklaven angesprochen? Oder aber handelt es sich um einen theologischen Topos – etwa mit Blick auf eine Ekklesiologie? Bereits bei einem flüchtigen Blick auf die verschiedenen Textstellen – Markus spricht 31-mal real oder metaphorisch vom Haus432 – wird deutlich, dass Markus ƳʋƯƳƵ/ƳʅƯ˄Ʀ sehr facettenreich gebrauchen kann, sodass diese Fragestellung keine eindeutige Antwort erwarten darf. In 10,29f beispielsweise ist bei der ƳʅƯ˄Ʀ in erster Linie an das Gebäude gedacht. »Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker« werden gesondert genannt und vom »Haus« unterschieden.433 Dennoch ist keinesfalls nur an ein Bauwerk gedacht: in Verbindung mit den »Äckern« meint es das lokale Zentrum einer Gruppe von Menschen. Moxnes spricht hier vom »Household«: »a group of people bound together by close kinship, who live together and make a living together.«434 In Mk 6,4 hingegen sind deutlicher die Bewohner als solche im Blick. Die »Verwandten« werden zwar gesondert genannt, aber kaum wird ein Gebäude einen »Propheten« ablehnen. Hier ist eher an die Mitglieder der Kernfamilie und ihre verwandtschaftliche Beziehung gedacht (vgl. auch Mk 3,25). Moxnes führt hier als zweite Kategorie »Kinship« ein.435 Allerdings ist auch hier der lokale Ort – die ™ƦƷƴ˄Ƶ im Blick, sodass es nicht ratsam ist, starre Abgrenzungen vorzunehmen. Den Eindruck einer Divergenz mag auch der Gebrauch der unterschiedlichen Begriffe ƳʋƯƳƵ und ƳʅƯ˄Ʀ hervorrufen.436 Brandt/Lukinovich haben in 432 Zweimal allerdings ist metaphorisch in Anlehnung atl. Texte und in positiver Konnotation vom Tempel die Rede (vgl. dazu MALBON, Space, 110.112). Diese dennoch hohe Zahl hält (bzw. übertrifft prozentual leicht) das LkEv mit 57-mal »Haus«. Das gegenüber dem MkEv ebenfalls wesentlich längere MtEv zählt nur 35-mal »Haus«, JohEv hat 10 »Häuser«. Eine Übersicht über die Anzahl der mk architektonischen Orte findet sich bei MALBON, Space, 107: 12 Kategorien architektonischer Orte (inkl. Grab) werden 65-mal genannt. Das Haus dominiert hier eindeutig: Als architektonischer Ort begegnet es – laut Malbon – 19-mal auf der Erzählebene des MkEv. 433 Vgl. dazu KRISTEN, Familie, 157f. Möglich ist auch, dass das Haus den Oberbegriff im Sinn von »der das (ganze) Haus oder (auch nur) Brüder, oder … verlassen hat« bildet. Sicherheit ist hier nicht zu gewinnen, allerdings stehen »Haus« und die häuslichen Beziehungen im Text recht gleichwertig nebeneinander. 434 MOXNES, Family, 23. 435 Vgl. MOXNES, Family, 27. Der Unterschied liegt in der lokalen Verortung einer Lebensund Produktionseinheit (household) und den verwandtschaftlichen Beziehungen ohne zwangsläufige lokale Verortung. Das beide Bereiche ineinander übergehen, versteht sich von selbst. Beim Haushalt kommen neben den Verwandten im Haus auch die Nachbarn, Freunde, die Leute des Dorfes und bei »Kinship« die Lineage in den Blick. 436 Über die verschiedenen Möglichkeiten der Unterscheidung vgl. auch MALBON, Space, 107f. Einen begriffsgeschichtlichen Überblick und die Möglichkeit bzw. Schwierigkeit der Unterscheidung beider Begriffe bietet KLAUCK, Hausgemeinden, 15–17.

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ihrem Aufsatz ƕʋƯƳƵ et ƳʅƯ˄Ʀ chez Marc comparé à Matthieu et Luc versucht, die Bedeutung des unterschiedlichen Gebrauchs zu bestimmen. Demnach hätten beide Begriffe eine feste, voneinander zu unterscheidende Konnotation. ƕʅƯ˄Ʀ wäre im Sinn von Hausgemeinschaft, Besitz und Gebäude, ƳʋƯƳƵ hingegen bei einer Zugehörigkeit oder Bewegung zum Haus437 benutzt worden. Diese These wäre hilfreich, beim Überprüfen an einzelnen Textstellen erscheint sie aber fraglich. Wohl scheint sich die Deutung der ƳʅƯ˄Ʀ als private Sphäre und soziale Hausgemeinschaft zu bestätigen. So bezeichnet ƳʅƯ˄Ʀ den Haushalt von Petrus und Andreas, den Stützpunkt der Gemeinschaft um Jesus in Kafarnaum (1,29; 2,15 s.u.; 9,33) oder andernorts (10,10; 14,3), den Ort des Rückzugs und der privaten Jüngerbelehrung (7,24; 9,33; 10,10); sie ist der Ort der Gastmähler, Gastfreundschaft und Gemeinschaft (2,15; 6,10; 14,3); in ihr wird Jesus gesalbt (14,3ff); sie ist der Ort allgemeiner sozialer Loyalität (3,25). Zerbricht diese, steht das persönliche Gut auf dem Spiel (3,27; 12,40;438 13,15f439). Die ƳʅƯ˄Ʀ ist es, die die Nachfolgerinnen und Nachfolger verlassen haben (10,29) und die sie deshalb neu erhalten (10,30). Sie ist aber auch der Ort der alten Familie Jesu, an dem dieser nichts gilt (6,4). An anderer Stelle ist Gott bzw. der auferstandene Christus (vgl. 1,2f) ʖ ƯˈƴƮƳƵ Ʒ̏Ƶ ƳʅƯ˄ƦƵ (13,35).440 Vieles würde darauf hindeuten, dass der narrative »Ort« der mk Gemeinde im Evangelium die ƳʅƯ˄Ʀ ist,441 wenn nicht auch der ƳʋƯƳƵ als Ort der jesuanischen Gemeinschaft (2,1; 3,20) und der Jüngerbelehrung (7,17; 9,28) fungieren würde. Die Einsetzung der familia dei findet im ƳʋƯƳƵ statt (3,20). Bei Mk 2,1 könnte man fragen, ob beim ƳʋƯƳƵ nicht v.a. an das Gebäude gedacht sein kann. Auch in Mk 3,20; 5,38; 7,17 ist dies ja der Fall. Die Mauern lassen den Volksauflauf noch drängender erscheinen bzw. schützen vor der Menge. Auch wird die Verwendung ƳʋƯƳƵ beim »Haus Gottes« (2,26) bzw. Tempel (11,17) nicht auf familiäre Strukturen, sondern eher auf das Bauwerk bzw. den kultischen Ort – aber natürlich auch dessen Strukturen und religiöse Beziehungen – abzielen. Dennoch lässt sich der Begriff nicht darauf beschränken: Auch die Geheilten werden ja in ihren ƳʋƯƳƵ, d.h. in ihre soziale Gemeinschaft, zu der sie durch die Heilung wieder befähigt sind,442 geschickt (Mk 2,11; 5,19; 8,26; ferner: 7,30). »Homes are places for 437

»In (s)einem Haus«; »bei ihm«. Signifikant sei hier die Genitivkonstruktion (»Toutes ces occurrences sont suivies du génitif d’appartenance«). BRANDT/LUKINOVICH, ƕʋƯƳƵ, 525. 438 Die Witwe steht allein und ohne das soziale Netz der Unterstützung da – ist somit machtlos. 439 In der apokalyptischen Vorstellung von den letzten Tagen zerbrechen die häuslichen Bindungen. (s.o. Teil 2, 1.5.1 und unten 3.8). 440 Für MALBON (ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 288f) eine zentrale Stelle: Die mk Gemeinde erwartet als Hausgemeinde den Herrn des Hauses. Vgl. auch unten 3.6.3, Pkt. 2. 441 Bestechend: Der Tempel bzw. »Haus Gottes« wird mit ƳʋƯƳƵ beschrieben (2,26; 11,17). 442 So auch BRANDT/LUKINOVICH, ƕʋƯƳƵ, 525. Vgl. das oben beschriebene komplexe Netz aus Pflichten und Rechten, zu denen die Kranken bereits rein physisch gar nicht in der Lage waren. Im

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health and renewed strength.«443 Zudem wurde bereits festgestellt, dass auch die ƳʅƯ˄Ʀ das Gebäude im engeren Sinn meinen kann. Nach Brandt/Lukinovich soll durch die Verwendung des ƳʋƯƳƵ + Genitiv nun eine reflexive Beziehung zu eben jener sozialen Hausgemeinschaft ausgedrückt werden.444 Ein grammatischer Vergleich zeigt aber die parallele Verwendung von Formen wie ɩƱ Ʒ̐ ƳʅƯ˄˾ ƦʡƷƳƸ (Mk 2,15; 6,4), ƪʅƵ ƷˁƱ ƳʅƯ˄ƦƱ ƙ˄µƼƱƳƵ (Mk 1,29), ɩƯ Ʒ̏Ƶ ƳʅƯ˄ƦƵ ƦʡƷƳ̬ (Mk 13,15) und ƪʅƵ ƳʋƯƳƱ ƦʡƷƳƸ (Mk 8,26), ƪʅƵ Ʒ˅Ʊ ƳʋƯˆƱ ƶƳƸ (Mk 2,11; 5,19). Es lässt sich kein eindeutiges Kriterium erkennen, um den unterschiedlichen Gebrauch der Begriffe zu deuten.445 Es scheint, als ob Markus ƳʅƯ˄Ʀ bevorzugt,446 um die sozialen Strukturen, die private Sphäre und den Wechsel in die neue Familie zu beschreiben – dass dahinter ein bewusstes Konzept steht, ist eher unwahrscheinlich. Man muss vielleicht die Variationen einer mk »Unbekümmertheit« zuschreiben. Bei den Ausführungen ist deutlich geworden: Es geht an den meisten mk Stellen keinesfalls nur um ein Gebäude, auch hier ist das Leben im Haus, das Heim mit all seinen Facetten inbegriffen. Zudem wurde bei diesem Überblick bereits bei einem Großteil der beschriebenen Stellen eine ekklesiologische Relevanz447 des mk Hauses sichtbar. Auf diesen Aspekt werde ich gegen Ende dieses Abschnitts noch einmal eingehen. Von besonderem Interesse ist bei den im Teil 2 behandelten Textstellen das Haus in Kafarnaum (Mk 3,20). Es wird oft mit dem Haus des SimonPetrus und seines Bruders Andreas (Mk 1,29) identifiziert. In Mk 2,15 wird dieses vermutlich als das Haus Jesu (ɩƱ Ʒ̐ ƳʅƯ˄˾ ƦʡƷƳ̬) beschrieben. Gelegentlich denkt man aber hier an das Haus des frisch berufenen Zöllners Levi, d.h. ƦʡƷƳƸ wird auf Levi bezogen.448 An dieser Interpretation sind die Bearbeitung in Lk 5,29449 und unterbewusst vielleicht auch die Zachäushellenistischen Bereich verdeutlicht das die Einrichtung der Kindesaussetzung, die v.a. kranke (behinderte) und schwächliche Kinder betraf und die rechtlich darin bestand, dass das Kind nicht in das Haus der Eltern aufgenommen wurde. Vgl. WEISS, PRE 11,1, 466ff. 443 MALBON, Space, 113. 444 Vgl. BRANDT/LUKINOVICH, ƕʋƯƳƵ, 525. 445 So auch MALBON, Space, 108. 446 Markus benutzt 18-mal ƳʅƯ˄Ʀ, 13-mal ƳʋƯƳƵ. 447 Markus kann allerdings in 3,23ff das »Haus« für das Reich Satans verwenden. Die Häuser, in die die Geheilten geschickt werden und das »Haus Gottes« (d.h. der Tempel) hat kaum ekklesiologische Relevanz. An anderen Stellen zeigt sich hingegen eine solche sehr deutlich (s.u.). 448 Unsicher sind GNILKA, Mk, 103; GRUNDMANN, Mk, 61. Sie entscheiden sich aber letztlich für das Haus Levis. HAUCK (Mk, 36) denkt an das Haus Jesu bzw. Simons. LÜHRMANN (Mk, 59) hält bei dem Traditionsstoff Jesu Haus für möglich, im mk Kontext sieht er aber Levis Haus. GUIJARRO (Reino y familia, 539) nutzt ganz selbstverständlich die fragliche Deutung »Levis Haus« um zu zeigen, dass unter anderem auch Levi seine Familie nicht verlassen hat. 449 MALBON (ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 283f) denkt, dass Lukas sehr wohl die mk Vorlage als Haus Jesu verstand und die Stelle bewusst änderte. Sie weist auf andere lk (und mt) Abschwä-

Der markinische Gebrauch von ƳʋƯƳƵ/ƳʅƯ˄Ʀ

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Geschichte in Lk 19,1–10 nicht unbeteiligt (Mt 9,10 wirkt aufgrund der Mk-Vorlage etwas irritiert und hält sich neutral). Elizabeth Struthers Malbon hat in ihrem Aufsatz ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ – Mark 2,15 in Context450 gezeigt, dass sich das ƦʡƷƳ̬ vermutlich auch auf mk Ebene auf Jesus bezieht. Bereits Klostermann weist auf V. 17 hin,451 bleibt aber aufgrund des mk Kontexts bei der Deutung »Levis Haus«. Gerade der mk Kontext zeigt dabei: Levi soll Jesus nachfolgen, er steht auf und folgt ihm (V. 14). Wollte Markus etwa verstanden wissen, »that Levi followed Jesus to Levi’s house«?452 Aufgrund Malbons Untersuchung gehe ich davon aus, dass Markus das »Haus Jesu« meint. Was bedeutet dies nun für meine Untersuchung? Betrachtet man die soziale Dimension der ƳʅƯ˄Ʀ, so geht es nicht darum, ob Jesus Eigentümer eines Hauses war, sondern, ob Jesus Zugang zu familiären Strukturen in Kafarnaum gefunden hat. Er besaß kein Haus, sondern ein Heim. In Mk 1 beruft Jesus Simon und Andreas (VV. 16–18), unmittelbar danach (V. 21) gehen »sie« nach Kafarnaum. Dort hält sich Jesus zunächst in der Synagoge auf, verlässt diese »ƪʡƭˇƵ« nach Lehre und Exorzismus (V. 29) und kommt in das Haus des Simons und Andreas’. Dort heilt er die Schwiegermutter des Petrus »und sie diente ihnen« (V. 31). Im Haus befinden sich somit die zwei erwachsenen Söhne in der Jesusnachfolge und die evtl. verwitwete453 Schwiegermutter. Sie »dient« ihm und seinen Jüngern, was an anderer Stelle ebenfalls auf Nachfolge verweist (Mk 9,35).454 Es darf also vermutet werden, dass das Postulat einer neuen Familie in Mk 3,35 und 10,30 auf der Erzählebene für Jesus bereits im Kapitel 1 Realität ist. Im Haus Simons und Andreas’ findet er geistig Verwandte. Diese werden samt ihren Gütern (Dienst der Schwiegermutter) zu seiner ƳʅƯ˄Ʀ (Mk 2,15). Das Haus trägt die Botschaft Jesu mit. Es bietet Raum für Gastmähler mit »Zöllnern und Sündern«, für Jesus und seine Jünger, »denn sie waren viele« (Mk 2,15)455 und ist vermutlich für Markus der Schauplatz der chungen der Anstößigkeit des mk Mahls mit Zöllnern und Sündern, »die ihm nachfolgten« (2,15), im Haus Jesu. 450 NTS 31, 282–284. Vgl. auch die wenig überzeugende Entgegnung PAINTERs, House, 499f. 451 »[ƈ]ʡƷ˅Ʊ kann nicht die Nebenperson Levi meinen, sondern Jesus selbst, der ursprünglich wohl schon v. 15, sicher aber 17b zu sich einlädt«. KLOSTERMANN, Mk, 25. 452 MALBON, ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 283. 453 Zu dieser Annahme muss die mk Leserschaft aufgrund der palästinischen Familienverhältnisse gelangen: Die Ehefrau wechselt aus ihrem Haus in das Haus des Mannes. Petrus wird also kaum im Haus seiner Schwiegereltern leben. Dagegen spricht schon die Anwesenheit seines Bruders. Befindet sich nun die Schwiegermutter im Haus des Petrus, lässt das auf eine Notsituation im Haus der Schwiegereltern (Witwenschaft) schließen. 454 Zu bedenken ist auch die enge mk Beziehung von Glauben und Heilung! Es ist davon auszugehen, dass die Schwiegermutter zumindest in einem sehr positiven Verhältnis zu Jesus steht. 455 Ähnliches passiert auch in anderen Häusern: Mk 14,3ff.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Krankenheilung, Streitgespräche (Mk 2,1–11) und der Einsetzung der familia dei (Mk 3,20.31–35). Dieser Hypothese steht Mk 10,28 entgegen, wo Petrus behauptet, »alles« verlassen zu haben. Hier ist aber der Kontext zu beachten. Petrus spricht als Sprecher des gesamten Jüngerkreises und sein Spruch ist vermutlich bewusst in Opposition zum »Reichen Mann« (Mk 10,21f) formuliert. Dass bei dem »Haus Jesu« nicht nur mk Theologie am Werk sein muss, zeigen zwei vom MkEv unabhängige Traditionen. In Mt 4,13 wird explizit der Wechsel des Wohnorts beschrieben. In Joh 2,12 ist dieser Schritt allerdings in Begleitung seiner Blutsverwandten angedeutet.456 Auf die ekklesiologische Dimension des mk Hauses soll schon hier eingegangen werden, obwohl das Thema »Familie und Ekklesiologie« noch einmal gesondert zur Sprache kommt.457 Ich folge wiederum einem Ansatz Malbons aus dem bereits genannten Aufsatz,458 der über weite Strecken einleuchtend ist. Malbon unterstreicht den Gegensatz von Haus und Synagoge/Tempel im MkEv.459 In der ersten Hälfte der mk Erzählung ist die Synagoge der typische Ort für Jesu Lehre und Heilung. Neben der summarischen Notiz in Mk 1,39 werden drei Episoden beschrieben. In Mk 1,21–28 erntet Jesus Erstaunen und Zustimmung (V. 28). Man quittiert ihm die Vollmacht seiner Lehre. Allerdings ist auch von einem Streit über die Person Jesu die Rede. Die zweite Episode Mk 3,1–6 endet mit dem Todesbeschluss und dem Rückzug Jesu (V. 7). In der dritten Episode Mk 6,1–6 steht aufgrund des Unglaubens und der ablehnenden Haltung der Anwesenden (ɩƶƯƦƱƩƦư˄ƫƳƱƷƳ ɩƱ ƦʡƷ̺ V. 3) das Unvermögen Jesu »Taten« zu tun (6,5). Jesus betritt ab dieser Stelle keine weitere Synagoge. Direkt vor dieser dritten Episode, die die Abkehr Jesu von der Synagoge zur Folge hat, wird eine breit ausgeführte und dramatisch beschriebene Heilung im Haus eines Synagogenvorstehers (!)460 geschildert (Mk 5,22–24.35–43). Eine Opposition »Haus« – »Synagoge« wird hier scheinbar in einer gewissen Ironie greifbar. Nach der ersten Episode (1,29) verlässt Jesus die Synagoge, geht ins Haus und tut, was er in der Synagoge getan hat. Er heilt. Das Haus wird zunehmend der Platz für Lehre und Heilung (Mk 2,1–11), Tischgemein456

GRUNDMANN (Mk, 61) denkt in dem Zusammenhang gar über einen Hausbesitz Jesu nach. Auf die mk Ekklesiologie werde ich unten 3.6.3 eingehen. Die ekklesiologische Bedeutung des Hauses näher zu betrachten, ist allerdings bereits in diesem Zusammenhang sinnvoll. 458 Vgl. auch MALBON, Space, 117ff.131ff. 459 Ansatzweise begegnet dies bereits bei SCHMITHALS, Mk I, 211f. Zu beachten ist aber hier der strikte Unterschied zwischen Tempel und Synagoge im 1. Jh. n.Chr. Vgl. dazu WICK, Gottesdienste, 112ff u.ö. 460 Markus weist in der Perikope viermal darauf hin: vgl. 5,22.35.36.38. 457

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schaft (Mk 2,15) und Streitgespräche (Mk 2,6ff.16ff etc.).461 Es bietet gegenüber der Synagoge eine Alternative. Die Menge kommt und sucht Jesus in Häusern (Mk 2,1; 7,24). Die Geheilten werden in ihre Häuser geschickt (Mk 2,11; 5,19 etc.), die Jünger sollen in Häuser gehen, lehren und heilen (Mk 6,10), was sie erfolgreich tun (6,30). »Wherever Jesus goes now, the house replaces the synagogue as the architectural setting for teaching; the questioning disciples replace the accusing scribes as listeners (7. 17; 9. 28, 33; 10. 10); the new community has a new ›gathering place‹.«462 Im letzten Teil des Evangeliums fehlen Synagoge und Haus als direkte Wirkungsorte, dafür rückt der Tempel in den Mittelpunkt und Jesus redet nun über die Synagoge: Sie ist der Ort der Schriftgelehrten, vor denen man sich hüten soll (Mk 12,38f) und sie ist der Ort, an dem die Jesusnachfolger zukünftig gegeißelt werden (Mk 13,9).463 »Jesus’ actions in synagogues provoked controversy; those who follow Jesus will also reap the fruits of that controversy in synagogues.«464 Zweimal ist Jesus innerhalb der Passionsgeschichte in einem Haus. In Mk 14,3 wird ʍƬƶƳ̬Ƶ ƝƴƮƶƷˆƵ (Mk 1,1) im Haus eines geheilten Leprakranken zum Begräbnis (V. 8) gesalbt, in 14,13ff ist es (hier ƯƦƷʾưƸµƦ/əƱʾƨƦƮƳƱ)465 der Ort, an dem Jesus das »Blut des Bundes« mit den Jüngern teilt. Die Episode im Haus des einst leprakranken Simons wird gerahmt vom Wunsch der Tempelaristokratie, Jesus zu töten. Der Grund dafür ist in Mk 11,18 zu finden: die Tempelaktion. In Mk 14,1 suchen »Hohepriester und Schriftgelehrte« nach einer List. In V. 10 bietet ihnen Judas Iskariot die Möglichkeit für ihr Vorgehen gegen Jesus. Das Haus steht in einer ganz besonderen Opposition zu den Interessen des Tempels, es erscheint gegenüber der tödlichen Feindschaft der Tempelaristokratie als beinah idyllischer Ort der Freundschaft, Gemeinschaft und des Schutzes.466 461 »From then [6,1–6, TR] on the house is the chief architectural center for teaching, replacing the synagogue as it were.« MALBON, Space, 133. 462 MALBON, ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 285. Malbon verweist auf die Verwendung von ƶƸƱʾƨƼ in Mk 2,2, ɩ™ƮƶƸƱʾƨƼ in 1,33, ƶƸƱˀƴƺƳµƦƮ in 3,20 und als eschatologischer Ausblick ɩ™ƮƶƸƱʾƨƼ in 13,27. Vgl. auch MALBON, Space, 117ff; ähnlich OSIEK/BALCH, Families, 127. 463 Es ist aber zu beachten, dass die Möglichkeit der Synagogenstrafe in 13,9 eine gewisse Zugehörigkeit von Teilen der Gemeinde zur Synagoge voraussetzt. Diese ist aber von Konflikten und Trennungserscheinungen geprägt (SÖDING, Evangelist, 31, Anm. 84). Vgl. auch WANDER, Trennung, 272. Neben der Synagoge sind diese aber auch von hellenistischen Instanzen zu erwarten (13,9). 464 MALBON, ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 286. 465 Das semantische Feld ist ähnlich: Der Gastraum bzw. obere Raum ist ein Teil eines Hauses. So auch MALBON, Space, 120. Die Wahl des oberen Raumes mag an dieser Stelle der Elia/ElischaGeschichte geschuldet sein (1Kön 17,19.23; 2Kön 4,10f – vgl. ebd.) oder nur den typischen Ort für Gastmähler und Versammlungen bezeichnen (vgl. THIEL, Haus, 12f). 466 Diese zeigt sich vielleicht auch im beständigen Wechsel zwischen Betanien und Tempel ab Kap 11.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Wie immer man diesen Befund im Einzelnen auch interpretieren möchte:467 Das Haus ist für die mk Gemeinde offensichtlich eine ekklesiologische Größe. Es steht der Synagoge in mehr oder weniger starker Opposition gegenüber. Der Wechsel von der alten zur neuen Familie scheint eine Entsprechung im Wechsel von der Synagoge zum Haus als religiösem Versammlungsort (ƶƸƱʾƨƼ Mk 2,2, ɩ™ƮƶƸƱʾƨƼ Mk 1,33) zu besitzen, auch wenn ein direkter ə™ƳƶƸƱʾƨƼƨƳƵ nicht nachweisbar ist. Vermutlich findet sich im mk Haus eher eine Alternative zur als eine Ersetzung der Synagoge.468 Die Loslösung der Christen von der Synagoge muss als Prozess mit fließenden Übergängen gedacht werden.469 Wie beim Familienwechsel dürften auch hier reale Hintergründe gegeben sein (Mk 13,9). Die Illustration der Gemeinde als familia dei anhand des Familienwechsels (Mk 10,29f) wird durch die Opposition zwischen Synagoge und Haus präzisiert, die theologische Bedeutung der mk Häuser herausgestellt. Wer den Willen Gottes tut (Mk 3,35), ist im Haus (Mk 3,34 gegen 3,31f). Wer sein Haus und Heim um Jesu und um des Evangeliums willen verlässt, wird ein neues Haus und Heim erhalten (Mk 10,29f). Wer im Haus ist, gerät nicht nur in Konflikt und Feindschaft mit den alten sozialen Beziehungen (Mk 10,29; 13,12), sondern auch mit der Synagoge (Mk 13,9), er vollzieht immerhin den Wechsel Jesu von der Synagoge zum Haus mit.470 Diese ekklesiologischen Ansätze lassen sich nicht auf den Zwölferkreis beschränken, sondern das Haus bietet der von den Zwölfen unterschiedenen471 familia dei (Mk 3,35) einen Platz. Zwar ist das erste Haus, zu dem Jesus Anschluss findet, das des Simon Petrus und Andreas, aber im Verlauf des Evangeliums wird es zum Haus Jesu (Mk 2,15) und steht neben den Jüngern auch der Volksmenge zur Verfügung. In Mk 6,10 sind es die Jünger, die ihrerseits in die Häuser gehen, lehren und heilen. Die ekklesiologischen Aspekte und die Differenzierung von Jüngerkreis und familia dei sollen in den folgenden Abschnitten untersucht werden.

3.6 Familie in Nachfolge und Ekklesiologie Familie in Nachfolge und Ekklesiologie Es ist Konsens, dass das Thema »Nachfolge« zu den Schwerpunkten des MkEv gehört. Völlig anders sieht es hingegen bei einer »Ekklesiologie des MkEv« aus. 467

Die Interpretation MALBONS (ƚƍ ƕƏƐƏƈ ƈƛƚƕƛ, 288f) kann nicht recht überzeugen. So aber TRAINOR, Quest, 73. Das Argument gegen eine Ersetzung ist v.a. die Möglichkeit der Synagogenstrafe (13,9), die eine Zugehörigkeit der Bestraften erfordert. 469 So SÖDING, Evangelist, 31, Anm. 84. 470 Vgl. aber oben Anm. 463. 471 Auf diese Unterscheidung werde ich gleich eingehen. 468

Familie in Nachfolge und Ekklesiologie

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Ich möchte zunächst die Relevanz der Familienkonflikte für die Jesusnachfolge untersuchen. Dabei ist zu klären, wer als Nachfolger/Nachfolgerin im MkEv bezeichnet werden kann.472 Es ist dann zu fragen, in welcher Gruppierung innerhalb des MkEv die mk Gemeinde bzw. die Leserschaft des MkEv ihre Identifikationsgröße finden kann bzw. ob eine Gruppierung explizit die mk Gemeinde widerspiegelt. Mit dieser Frage befinde ich mich dann bereits in der mk Ekklesiologie. Ziel soll sein, die ekklesiologische Relevanz der familia dei zu untersuchen. Den Begriff »Nachfolge« werde ich für den vorösterlichen Jüngerkreis wie für die nachösterliche Gemeinde verwenden. Dieses liegt nah, da Markus m.E. die Identifikationsgröße für die Gemeinde auf der narrativen Ebene, d.h. in der dargestellten vorösterlichen Zeit, verortet. Auch wenn es nach Ostern deutliche Akzentverschiebungen gibt, stellt Markus diese Identifikationsgröße als in der »Nachfolge« stehend dar (vgl. 2,15; 8,34; 15,41 u.ö.).473 Markus scheint die Nachfolge seiner Gemeinde als Kontinuum zur vorösterlichen Nachfolge zu verstehen. Eine Grundentscheidung, die in dieser Arbeit an verschiedenen Stellen eine Rolle spielt, ist auch im nächsten Abschnitt wesentlich: Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass dem Evangelisten eine Gemeinde oder maximal wenige konkrete Gemeinden vor Augen stehen, dass er in dieser Gemeinde zwar nicht seine alleinigen, aber seine vorrangigen Adressaten erkennt und dass sich diese Gemeinde im MkEv spiegelt.474

3.6.1 Gruppierungen in der markinischen Nachfolge Das Evangelium scheint auf der Erzählebene unter den Nachfolgern den Zwölferkreis (Ƴʆ ƩˊƩƪƯƦ; in 6,30 Ƴʆ ə™ˆƶƷƳưƳƮ) bzw. die Jünger (Ƴʆ µƦƭƬƷƦ˄) in die »erste Reihe« zu stellen.475 Es kann darum auch kaum verwundern, dass der Fokus der exegetischen Untersuchungen zumeist auf 472 Diese Frage ist auch deshalb relevant, da mit ihr die Frage nach der Charakterisierung Marias am Kreuz zusammenfällt. 473 Vgl. auch ROH, Familia, 123: »Offenbar ist der Nachfolgegedanke für den Evangelisten Markus nicht mehr ein Proprium von Wandercharismatikern, sondern eine allgemeine Lebensform, die für jeden Christen nachvollziehbar ist.« 474 Dieser Ansatz wird bei einer redaktionskritisch und soziologisch-kulturanthropologisch orientierten Arbeit kaum überraschen. Vgl. dazu etwa BARTON, Discipleship, 57: »On this view, the gospels are not only windows onto the historical Jesus: they are also mirrors – to some extent, at least – of the communities of believers in Jesus, communities which passed on and shaped the tradition, in part, according to their own particular circumstances, needs and interests.« Vgl. auch ebd. 57ff. 475 Zur Unterscheidung von Nachfolgern/Nachfolgerinnen und Jüngern vgl. auch oben Teil 2, 1.2.3; 1.4.3.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

diese Gruppe(n) konzentriert bzw. beschränkt ist.476 Diese Fokussierung kommt einer modernen Weltsicht entgegen, da im Zwölferkreis bisweilen das Individuum in seiner Beziehung zu Jesus betont wird.477 Dass diese Zentrierung auf die Zwölf – als eine in der frühen Christenheit festgefügte und allgemein anerkannte Größe – durch das MkEv an mehreren Stellen aufgebrochen wird, ist allerdings ein deutliches Signal, welches nicht vernachlässigt werden darf. In Mk 8,34ff wird explizit die Volksmenge (ʖ ʙƺưƳƵ) neben die Jünger (Ƴʆ µƦƭƬƷƦ˄) gestellt und in die Leidensnachfolge gerufen.478 Noch deutlicher erscheinen in Mk 4,10 die Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ – der aus 3,34f bekannte und von Jesus als familia dei eingesetzte ʙƺưƳƵ – als eine von dem Zwölferkreis gesonderte Größe in der Gemeinschaft mit Jesus.479 Daneben treten immer wieder einzelne Frauen oder Männer aus der Anonymität und erweisen sich als z.T. vorbildliche Nachfolgerinnen und Nachfolger.480 Schließlich fällt auf: Die Einsetzungen des Zwölferkreises und der familia dei erfolgen in unmittelbarerer Nähe (3,13–19.31–35). Beide Einsetzungen können so als Analogien verstanden werden (s.u.). Es wird deutlich, dass der Kreis der Nachfolgenden im MkEv keinesfalls auf die µƦƭƬƷƦ˄ bzw. ƩˊƩƪƯƦ begrenzt werden kann. Auch bei der Bestimmung bzw. beim Verhalten beider Gruppierungen lassen sich Analogien entdecken. Das Hinter-Jesus-Hergehen (Ʃƪ̬Ʒƪ ʕ™˄ƶƼ 476

Als Beispiel sei auf die Untersuchungen von G. Schmahl und E. Best verwiesen. Zur Kritik an Best vgl. MALBON, Fallible, 29f. 477 Vgl. TRAINOR, Quest, 9f: »One of the difficulties for post-modern readers attuned to the value of individualism and concerned about the importance of the reader as ›subject‹ is an unwitting disregard for the social dimensions of a first-century C.E. text. It is possible that the important discipleship theme could be read through subjective, individualistic eyes. In such an interpretation of the gospel, the single disciple’s relationship to Jesus becomes important. The wider community of believers is played down and a privatized religiosity fostered.« 478 Gegen KRISTEN, Familie, 171, für den der ʙƺưƳƵ nur für eine allgemeine Öffnung der Nachfolgeforderung steht, »auch wenn sich die Leser am ehesten mit den Jüngern identifizieren.« Das ist m.E. falsch. Auch trifft Lukas nicht die mk Intention, wenn er an dieser Stelle für Jünger und Volk »alle« einsetzt (Lk 9,23). So aber ebd. Anm. 9. Hier wird die auch an anderen Stellen des MkEv zu beobachtende Differenzierung zwischen Jüngerkreis und Volksmenge nicht genügend beachtet. Auf 173 kommt er aber dann doch zu dem Schluss, dass sich die Leserschaft mehr und mehr mit den die Jünger kontrastierenden Figuren (Bartimäus, Simon v. Kyrene) identifiziert. 479 Gegen KERTELGE, Jüngerschaft, 160. So aber richtig BARTON, Discipleship, 72: »The evangelist clearly wishes his readers to assume that Jesus is addressing the same group as the one whom he had identified just previously as his true family.« Allerdings verortet auch Barton – im Gegensatz zum Evangelisten – die Jünger »presumably« neben der Volksmenge im Haus und damit in der familia dei. Vgl. ebd. 81. Auf 95 hat er scheinbar nur noch die Jünger im Blick: »and these µƦƭƬƷƦ˃, who include a smaller group called ›the twelve‹ (Ƴʆ ƩˊƩƪƯƦ), are presented as Jesus’ true family, in the episode we discussed earlier (3.31–5).« 480 Die Vertrauen fassende blutflüssige Frau; die sich selbst verleugnende Syrophönizierin; der nach Jerusalem ziehende Bartimäus; der bekennende Centurio; der Jesus ehrende Josef von Arimathäa etc. Vgl. dazu MALBON, Fallible, 31.

Familie in Nachfolge und Ekklesiologie

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µƳƸ 1,17) bzw. Mit-Jesus-Sein (ʊƱƦ ʳƶƮƱ µƪƷ̉ ƦʡƷƳ̬ 3,14f), also das Eingehen und Bleiben in der Gemeinschaft mit Jesus, ist eine der zwei Bestimmungen des Zwölferkreises (s.u.). Diese Aufgabe erfüllt neben den Jüngern – in kaum abgestufter Intensität – auch ʖ ʙƺưƳƵ bzw. Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ, welche in Mk 3,31–35 im inneren Kreis um Jesus sitzen, in 4,10f in analoger Innen-Außen-Konstellation Mitadressaten der privaten Jüngerbelehrung werden und in 8,34ff aufgefordert sind, Jesu Schicksal bis zu Kreuz und Selbstverleugnung zu teilen. Ähnlich erscheint auch an anderen Stellen ʖ ʙƺưƳƵ in z.T. bedrängender Gemeinschaft mit Jesus. Die Frauen am Kreuz und die ɝưưƦƮ ™ƳưưƦ˃ sind Jesus nachgegangen (Ʀʈ ɵƯƳưƳˈƭƳƸƱ ƦʡƷƼ 15,40f) – und zwar bis nach Golgatha, wo sie immerhin in Sichtweite des Gekreuzigten stehen.481 Mit der Verwendung von əƯƳưƳƸƭˀƼ in 15,41 charakterisiert Markus die Frauen deutlich als Nachfolgerinnen.482 Sowohl für die Nachfolge der µƦƭƬƷƦ˄ als auch der »non-mathetai«483 verwendet Markus əƯƳưƳƸƭˀƼ. Dieses Verb »conveyed a definitely Christian meaning without being limited to the Twelve.«484 Innerhalb des MkEv werden also verschiedene Gruppierungen sichtbar, die als in der Nachfolge stehend zu charakterisieren sind. Ich werde versuchen, diese kurz näher zu bestimmen und in ihrem Verhältnis zueinander und zur mk Gemeinde bzw. der Leserschaft einzuordnen. (1) ƕʆ ßƦƭƬƷƦ˄ – Ƴʆ ƩˊƩƪƯƦ – Ƴʆ ə™ˆƶƷƳưƳƮ. Der Begriff Ƴʆ µƦƭƬƷƦ˄ scheint im MkEv personell im Wesentlichen auf den Zwölferkreis beschränkt zu sein.485 Es lassen sich kaum Anzeichen entdecken, dass Markus 481 Neben dieser ersten Aufgabe der Jüngerschaft (3,14; s.u.), welche sie erfüllen, wird ihnen in 16,7 im Prinzip auch die zweite Aufgabe der Verkündigung aufgetragen. Auch wenn sie dieser nicht nachkommen, wird es – eingedenk des Jüngerversagens – legitim sein, die Bestimmung der Frauen analog zu der der Jünger zu sehen. Allerdings können sie im MkEv nicht – wie etwa Act 9,36 – als Jüngerinnen (µƦƭ˂ƷƴƮƦ), sondern treffender als Nachfolgerinnen bezeichnet werden. 482 Wie in Mk 1,17 Ʃƪ̬Ʒƪ ʕ™˄ƶƼ µƳƸ Simon und Andreas in die Nachfolge ruft, so əƯƳưƳˈƭƪƮ Levi in 2,14 und (erfolglos) den reichen Mann in 10,21. Vgl. 1,18; 8,34 (ʕ™˄ƶƼ µƳƸ əƯƳưƳƸƭƪ̝Ʊ); 10,28 u.ö., vgl. auch 2,15; 3,7; 5,24. 483 MINEAR, Audience, 81. 484 MINEAR, Audience, 81. 485 Ich beschränke mich bei den Begriffen dieses Abschnitts hauptsächlich auf den mk Gebrauch. Ein kurzer begriffsgeschichtlicher Überblick: ƒƦƭƬƷ˂Ƶ hat im griechischen Kontext im Wesentlichen zwei verschiedene Bedeutungen. Er begegnet als »Lehrling«, d.h., er drückt »die unmittelbare Abhängigkeit des zu bildenden Menschen von einer ihm an Sachkenntnis überlegenen Instanz« (RENGSTORF, ThWNT 4, 418) aus. Dabei kann es sich um die Aneignung handwerklicher oder geistiger Kenntnisse handeln. Daneben begegnet der Begriff als Kennzeichnung »ideelle[r] Zusammengehörigkeit zweier Personen, die in einem erheblichen zeitlichen Abstand voneinander stehen.« (Ebd. 419) Während beim »Lehrling« ein ganz direktes, aber eben nur sachlich begründetes und damit äußerliches Abhängigkeitsverhältnis besteht, ist dieses bei der zweiten Bedeutung ein inneres, welches seinen Ausdruck in der Nachahmung findet. Diese zweite Bedeutung ist mit »Jünger«/»Anhänger« zu übersetzen. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 985. Dieses

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bei diesem Begriff eine weit über den Zwölferkreis hinaus gehende Gruppe von Nachfolgern im Blick hat. Mitunter begegnet die These, dass Markus einige Charaktere hinzurechne, die aufgrund der Namensnennung aus dem eher anonymen ʙƺưƳƵ herausträten. Aber das wäre ein ausgesprochen überschaubarer Zuwachs, zudem findet diese Interpretation wenig Anhalt am Text.486 Natürlich ist µƦƭƬƷ˂Ƶ als terminus technicus eines Schülerverhältnisses wesentlich offener 487 als die abgeschlossene, symbolträchtige Bezeichnung Ƴʆ ƩˊƩƪƯƦ.488 So wird der Jüngerbegriff auch für die Jünger des Jüngerverhältnis, bei dem die Übermittlung von v.a. geistigen Kenntnissen eine Rolle spielt, kann im Bereich der philosophischen und/oder der religiösen Anschauungen bestehen. Ein wichtiger Gesichtspunkt für die Jünger im NT ist das »Traditionsprinzip« (RENGSTORF, ThWNT 4, 425ff): Nach dem Tod des Meisters wird die von ihm »vertretene und dargestellte Sache« (ebd. 425) speziell in Form seiner Worte und Aneignung seiner Lebensweise von den Jüngern tradiert und verbreitet. Solche »Jüngergemeinden« (ebd.) begegnen etwa bei den Pythagoreern und Epikureern. Im Judentum (AT/LXX) fehlt der Begriff dymil.T/; µƦƭƬƷ˂Ƶ fast völlig. Vergebens sucht man nach einem expliziten Meister-Jünger-Verhältnis mit einem Traditionsprinzip, auch die Propheten haben keinen dymil.T/; µƦƭƬƷ˂Ƶ. Dahinter mag stehen, dass der einzelne Lernende hinter das erwählte lernende Volk zurücktritt (vgl. ebd. 429). Eine explizite Ausrichtung auf den Meister verbietet der Offenbarungscharakter der israelitischen Religion: Die potenziellen Meister sind nur Mittler des Gotteswillens und seiner Selbstoffenbarung. Die rabbinische Literatur benutzt dymil.T; für den, »der sich (als Lernender) mit der Schrift und der religiösen Überlieferung des Judentums beschäftigt.« Ebd. 434, dort kursiv. Der Begriff ist dabei auf Männer beschränkt (!) und steht immer in Beziehung zu der Autorität eines Lehrers. Der dymil.T; hört den Lehrer und eignet sich das Gehörte an. Damit kommt es zu Schulbildungen, als Gemeinschaft sind sie »innerlich und äußerlich durch sein [des Rabbis, TR] Wort und sein Verhalten bestimmt« (ebd. 438). Mose erweist sich dabei als Ausgangspunkt der Tradition. Bei dieser vom AT kaum ableitbaren Entwicklung im Frühjudentum ist mit Einflüssen aus dem Hellenismus zu rechnen, »anders als der Rabbi ist der dymil.T; griechischer Herkunft.« Ebd. 443. In diese Linie wird auch der ntl. Gebrauch der Jünger Jesu einzuordnen sein (vgl. ebd. 445), wobei die radikale Bindung an die Person des Meisters – nicht nur die vermittelte Sache – eine Besonderheit gegenüber den zuvor dargestellten Formen der Jüngerschaft zeigt. 486 Wie wären hier die Kriterien zu setzen? Wenn man Levi, Sohn des Alphäus von Jakobus, Sohn des Alphäus unterscheidet (so BEST, Following, 204; KRISTEN, Familie, 204; MALBON, Disciples, 106f), wäre Levi aufgrund der Parallelität zu 1,16–20 vielleicht ein »Jünger« außerhalb des Zwölferkreises. Aber gegen eine solche Unterscheidung spricht – vorausgesetzt es existieren nicht zwei mk Väter mit dem Namen Alphäus (vgl. BLINZLER, LThK2 5, 834f) – m.E. das Erzählgefälle, denn es ist zu erwarten, dass der berufene Sohn des Alphäus auch der ist, der in den Zwölferkreis aufgenommen wird. Was ist mit Bartimäus? Jesus beruft ihn nicht in die Nachfolge, er folgt aus eigenem Antrieb (vgl. RENGSTORF, ThWNT 4, 447: Die Initiative bei einer Jüngerberufung geht sonst ausschließlich von Jesus aus). Josef von Arimathäa – der sich im Vergleich von 15,42ff zu 6,29 wie ein Jünger verhält – lässt sich ebenfalls kaum dem Jüngerkreis zuordnen. Auch an anderen Stellen im MkEv begegnen Nachfolgerinnen und Nachfolger, die nicht zum Jüngerkreis gehören. 487 Einen immer noch interessanten Einblick bietet RENGSTORF in ThWNT 4, 444ff: »µƦƭƬƷ˂Ƶ stellt stets das Vorhandensein einer persönlichen Bindung fest, die das gesamte Leben des als µƦƭƬƷ˂Ƶ Bezeichneten formt und in ihrer Besonderheit jeden Zweifel darüber ausschließt, wer hier die formende Kraft entfaltet.« 488 Vgl. dazu etwa KERTELGE, Jüngerschaft, 157ff. Zum Begriff (Ƴʆ) ƩˊƩƪƯƦ: Zunächst handelt es sich um ein einfaches Zahlwort, das aber bei vielen Völkern eine symbolische Bedeutung erhalten hat. Die Hintergründe für die Entstehung und Entwicklung der Vorstellung von den Zwölf

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Täufers und die der Pharisäer gebraucht (2,18) und begegnet bereits vor der Einsetzung der Zwölf. Auch werden die ƩˊƩƪƯƦ aus der Gruppe der µƦƭƬƷƦ˄ berufen, sodass faktisch ein Mitglied der ƩˊƩƪƯƦ zugleich auch µƦƭƬƷ˂Ƶ ist, nicht jeder µƦƭƬƷ˂Ƶ aber zu den ƩˊƩƪƯƦ gehören muss. Dennoch scheint Markus Ƴʆ µƦƭƬƷƦ˄ und Ƴʆ ƩˊƩƪƯƦ oft synonym zu gebrauchen –489 zumindest aber hat er dabei sich überlagernde Personenkreise vor Augen.490 Ähnliches lässt sich auch zu ihrer Funktion sagen: »Mk […] kennt keinen wesentlichen funktionalen Unterschied zwischen ihnen [Ƴʆ ƩˊƩƪƯƦ, TR] und den µƦƭƬƷƦ˄«.491 Ein funktionaler, aber kein personeller Unterschied besteht zwischen Ƴʆ ƩˊƩƪƯƦ und Ƴʆ ə™ˆƶƷƳưƳƮ492 (6,30). ƕʆ µƦƭƬƷƦ˄ werden explizit vom Stämmen Israels müssen hier nicht weiter erörtert werden. Wichtig ist, dass diese Vorstellung die Grundlage des israelitischen und jüdischen Gemeinschaftsbewusstseins darstellt (so RENGSTORF, ThWNT 2, 322). Als solche gewinnt der Begriff auch theologische bzw. heilsgeschichtliche Bedeutung. Wenn Jesus im NT den Zwölferkreis einsetzt, stehen die Vorstellung der Gesamtheit des Volkes Israels und die heilsgeschichtliche Dimension dieser Vorstellung im Hintergrund. Für die folgenden Ausführungen ist v.a. wichtig, dass der Zwölferkreis auf Jesu »Ringen um sein eigenes Volk« (ebd. 327) verweist. Es könnte somit sein, dass die Bedeutung dieses Kreises für eine heidenchristlich ausgerichtete Gemeinde (MkEv) geringer ist, als gemeinhin erwartet. (Vgl. das Zurücktreten der Bedeutung des Zwölferkreises bei Paulus). 489 Etwa handelt es sich bei den Jüngern in 6,1 um die, welche als »Zwölf« in 6,7 ausgesandt werden. Vgl. auch 9,31 mit 9,35. Vgl. auch Lukas (9,12), der die Jünger in Mk 6,35 – mit Blick auf Mk 6,7 – zu Recht als Zwölferkreis interpretiert. Vgl. Schenke, Mk (1988), 132. Anders KERTELGE, Jüngerschaft 159: »Den ›Zwölfen‹ kommt nach Markus eine vom gesamten Jüngerkreis abgehobene Bedeutung zu.« Hierbei ist zu beachten, dass Kertelge eine Seite zuvor zugeben muss, dass Zwölferkreis und Jüngerkreis an manchen Stellen austauschbar sind. Er verortet die »Zwölf« auf historischer Ebene, die »Jünger« in der mk Gegenwart. Den ʙƺưƳƵ hat er nicht im Blick, auf die familia dei bzw. Mk 3,31–35 geht er nicht ein. So interpretiert er etwa auch 4,11 als »an die Zwölf und andere Jünger, die bei ihm waren, gerichtet«. Das aber ist m.E. falsch. Hier liegt ein fundamentaler Unterschied zwischen Kertelges und meiner Interpretation. 490 Gegen BEST, Following, 204 und KRISTEN, Familie, 204. Sie verweisen wie gesagt darauf, dass Levi ein Jünger, aber kein Mitglied des Zwölferkreises ist. Dieses Argument ist aber fraglich (s.o.). In Mk 4,10 sieht Kristen die »Zwölf« als Teil der Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ. Er möchte das ƶˇƱ mit BEST (Following, 140) »inklusiv« verstehen (ebd. 206) und kommt dann über Mk 4,10 dazu, die Zwölf als Bestandteil der familia dei in 3,31–35 zu sehen, obwohl diese Perikope eindeutig ohne Zwölferkreis erzählt wird (Numerus in 3,20!). Verwirrenderweise sagt er dann auf derselben Seite: »Die Zwölf plus die ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ergeben die Jünger.« M.E. spricht der Kontext (Mk 3,13–19 und 3,20f.31–35; vgl. 8,34) gegen ein inklusives Verständnis von Mk 4,10. 491 HOLTZ, EWNT 1, 879. 492 Zum Begriff: In Griechenland meint der Begriff ursprünglich die Flottenexpedition, mitunter auch den Lieferschein, den Reisepass etc. Nur sehr vereinzelt meint es den Abgesandten (vgl. BAUER, Wörterbuch, 200; RENGSTORF, ThWNT 1, 406f). Die inhaltlichen und sachlichen Berührungen zwischen dem griechischen und dem ntl. Gebrauch sind äußerst gering (vgl. RENGSTORF, ThWNT 1, 408). Eine Berührung wäre allerdings beim kynisch-stoischen Sendungsbewusstsein denkbar (ebd. 408ff; vgl. dazu oben 3.2.5). Auch im Diasporajudentum begegnet der Begriff ə™ˆƷƳưƳƵ kaum. Er findet sich in der LXX nur in 1Kön 14,6 nach Codex Alexandrinus, meint aber hier immerhin den Gottesboten. Vgl. RENGSTORF, ThWNT 1, 413. JOSEPHUS (Ant XVII 300) benutzt den Begriff nur an einer Stelle für die jüdische Gesandtschaft nach Rom. Im Frühjudentum begegnet x;yliv' dann aber als feste Größe und in gewisser Analogie zum ntl.

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vorösterlichen Jesus berufen und als ƩˊƩƪƯƦ mit besonderen Aufgaben und Belehrungen ausgestattet (s.u.). Nachdem sie die Bestimmung der Aussendung unter Preisgabe ihrer ersten Bestimmung erfüllt haben (ʊƱƦ ə™ƳƶƷˀưư̍ ƦʡƷƳˇƵ ƯƬƴˈƶƶƪƮƱ), werden sie als Ƴʆ ə™ˆƶƷƳưƳƮ bezeichnet.493 Der Evangelist kennt die historische Größe der ə™ˆƶƷƳưƳƮ, aber sie scheint im Vergleich zu anderen Schriften in seinem Konzept eine unbedeutendere Rolle zu spielen, wie die vielleicht singuläre494 Erwähnung 6,30, für die 3,14 das Stichwort geliefert haben mag, nahe legt.495 Der Begriff ist für ihn v.a. an die synoptische Aussendungstradition gebunden. Auch hier scheint in personeller Hinsicht synonymer Gebrauch vorzuliegen. Es wird mit Blick auf die Fragestellungen dieser Arbeit, welche sich v.a. der familia dei und der mk Gemeinde widmet, ratsam sein, alle drei Begriffe zu einer »geschichtlichen« Nachfolgegruppe zusammenzufassen.496 Die Namen der Mitglieder des Zwölfer- bzw. Jüngerkreises sind Markus weitestgehend bekannt, es handelt sich um konkrete geschichtliche PersoGebrauch. Die alte x;yliv-' Institution ist um die Zeitenwende fest ausgeprägt. So RENGSTORF, ThWNT 1, 414. Dabei wird eine Person mit ganz bestimmten Aufgaben beauftragt, »die sie in größerer oder geringerer Entfernung vom Auftraggeber durchzuführen« (ebd.) hat. Es geht also allein um die Form bzw. die Autorisation der Sendung, nicht um ihren Inhalt. Somit kann der Inhalt religiöser oder profaner Natur sein. x;yliv' ist also ein rechtlicher Ausdruck. Der Beauftragte repräsentiert den Auftraggeber und »vertritt in seiner Person dessen Person und Recht.« Ebd. 415. Daraus folgt eine unbedingte Unterordnung des Willens des Gesandten unter den Willen des Auftraggebers. »In der rabbinischen Institution des x;yliv' handelt es sich also […] nicht um mechanischen Vollzug eines Befehls, sondern um bewußte Tatenentscheidung für Plan und Auftrag eines anderen.« Ebd. Neben dem rein juristischen Gebrauch kennt die frühjüdische Literatur auch den von Gott beauftragten x;yliv' (vgl. dazu ebd. 419ff). Über den ntl. Gebrauch informiert RENGSTORF, ThWNT 1, 421–424. Dabei wird schon deutlich, dass das MkEv im Gegensatz zu anderen Schriften des NT (v.a. LkEv, Act und den pln Schriften) an diesem Begriff kaum theologisches Interesse zeigt. 493 Es mag hier auf die Zeit der Apostel – also die Zeit ohne direkte Gemeinschaft mit Jesus angespielt sein. Der Evangelist zeigt aber im Vergleich zu anderen Schriften kein Interesse, darauf weiter einzugehen. Sicherlich liegt der Grund in der Bezeichnung als Apostel auch in der temporären Preisgabe des direkten µƦƭƬƷ˂Ƶ-Verhältnisses und dem in der vorhergehenden Anmerkung (Anm. 492) dargestellten Hintergrund der x;yliv-' Institution (Der Auftrag wird in räumlicher Entfernung vom Auftraggeber mit dessen Vollmacht ausgeführt). 494 Bei der anderen Erwähnung Mk 3,14 findet sich ein textkritisches Problem. Nestle-Aland27 entscheidet sich – ohne letzte Sicherheit – für die Nennung der Apostel in 3,14 und hat immerhin Codex Sinaiticus, Vaticanus u.a. auf seiner Seite. Die innere Textkritik (Beeinflussung durch Lk 6,13) spricht zusammen mit A C2 (D) L f 1 33, einer sahidischen Handschrift u.a. dagegen. Aber auch wenn diese Erwähnung dem originalen Text entspricht, wird in ihr keine besondere Betonung der Apostel im MkEv sichtbar. Allerdings besteht die Möglichkeit einer Deutung als apostolische Kirche – vgl. unten Anm. 578. 495 Man könnte allerdings überlegen, ob mit den Aposteln – wie in Did 11 – die zeitgenössischen Wandermissionare angesprochen sind, mit denen sich die mk Gemeinde auseinander zu setzen hat. Die Textbasis ist allerdings für ein sicheres Urteil zu schmal. 496 So auch SCHENKE, Mk (1988), 132: »Auf die ›Zwölf‹ blicken Markus und die Leser als auf eine geschichtliche Größe zurück.«

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nen. Allerdings gehören nicht alle namentlich bekannten Personen in der Nachfolge zu dieser Gruppe.497 Eine besondere Charakteristik ist ihre Berufung in die unmittelbare Gemeinschaft mit dem vorösterlichen Jesus und ihre Teilhabe an seiner unsteten Lebensweise. Sowohl die ƩˊƩƪƯƦ/ə™ˆƶƷƳưƳƮ als auch die µƦƭƬƷƦ˄ waren Augenzeugen der Tage Jesu.498 Die Aufgaben der ƩˊƩƪƯƦ/µƦƭƬƷƦ˄ finden sich in Mk 3,14f. Sie sollen bei Jesus sein, sich aussenden lassen, um zu predigen und Dämonen auszutreiben. Betrachtet man den engen Zusammenhang von Wort und Tat Jesu, so kann man die letzten beiden Aufgaben als Verkündigung des Evangeliums bzw. Gottes Zur-Herrschaft-Kommen zusammenfassen.499 Diese Einschätzung lässt sich mit Günther Schmahl auch linguistisch stützen: »Zwei von der Hauptaussage abhängige ʊƱƦ-Sätze umschreiben die doppelte Finalität des Tuns Jesu: ʊƱƦ ʳƶƮƱ µƪƷ̉ ƦʡƷƳ̬ und ʊƱƦ ə™ƳƶƷˀưư̍ ƦʡƷƳˇƵ, wobei die zweite durch untergeordnete Infinitivkonstruktionen weiter entfaltet wird.«500 Die erste Bestimmung begegnet nahezu durchgehend in den narrativen Texten des Evangeliums bis zur Jüngerflucht (14,50). »Das Bild ist so konsequent ausgestaltet, daß die Zeit ihres Wegseins (nach ihrer Sendung 6,7–13) durch den Einschub des inhaltlich anders gearteten Täufer-Endes 6,14–29 geschickt überbrückt wird.«501 Auffallend ist gerade, dass die Jünger nach der Aussendung wiederum in die unmittelbare Gemeinschaft (Bindung) mit Jesus zurückkehren.502 Die µƪƷ̉-ƦʡƷƳ̬-Bestimmung zeigt sich in der absoluten inneren Ausrichtung auf die Person503 des Meisters und die äußeren Konsequenzen dieser Ausrichtung.504 »Hier wird Jesus gehorcht, weil ihm geglaubt wird, daß er der Messias ist.«505 497 Deutlich wird dieses bei den Frauen am Kreuz. Dass sie nicht zu dieser Gruppe gehören, legt schon ihre Position in einer größeren Gruppe »vieler anderer Frauen« nah (15,40f). Auch in 16,7 sind sie deutlich von den Jüngern unterschieden: Sie werden zu ihnen gesandt. Zum Verhältnis der namentlich genannten Personen zu den Nachfolgegruppierungen s.u. 498 RENGSTORF (ThWNT 4, 458) fragt, ob Act 9,26, die einzige Stelle, in der Paulus als µƦƭƬƷ˂Ƶ bezeichnet wird, die Funktion hat, sein Apostolat zu legitimieren. Da Paulus kein Augenzeuge des vorösterlichen Jesus ist, wird er sonst auch nicht als µƦƭƬƷ˂Ƶ bezeichnet. 499 In den Heilungen und v.a. den Exorzismen wird der Anbruch der Gottesherrschaft erfahrbar. Vgl. etwa KRISTEN, Familie, 198; SCHOLTISSEK, Sohn Gottes, 73f. 500 SCHMAHL, Bestimmung, 133. 501 SCHMAHL, Bestimmung, 134. 502 So KERTELGE, Jüngerschaft, 158. Er weist darauf hin, dass dieses bei-Jesus-Sein auch als »Schule« zu verstehen ist. 503 Nicht nur auf seine Lehre o.Ä. Von daher ist es auch folgerichtig, dass die Jünger nach Ostern nicht nur die Lehre Jesu weitergeben, sondern seine Person selbst verkündigen. So RENGSTORF, ThWNT 4, 450. 504 Vgl. RENGSTORF, ThWNT 4, 450f. 505 RENGSTORF, ThWNT 4, 452.

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Zur Konsequenz der personellen Bindung gehört dann auch die Herauslösung aus allen anderen Bindungen, v.a. aus den beruflichen Verpflichtungen und dem familiären Bezugsfeld (10,28). Deutlich tritt dieser Zug in den Berufungsgeschichten 1,16–20; 2,14 hervor. Nur durch diese Herauslösung ist es möglich, »daß es im Leben der Jünger nichts gibt, was sich abseits von Jesus und seinem Leben vollzieht, daß sie vielmehr mit ihrem ganzen Leben in seine Gemeinschaft hineingezogen werden,«506 selbst bis ins Leiden (10,38f). Denn »Jünger Jesu ist der, der am Schicksal seines Herrn partizipiert, der dessen Schicksal ganz zu dem seinen macht.«507 Diese unbedingte Bindung an Jesus wird auch durch den Bezug der µƦƭƬƷƦ˄ zur Stellung der Sklaven (ƩƳ̬ưƳƮ, vgl. Mk 10,44) veranschaulicht.508 Dass Jesus hier nicht nur bildlich spricht, sondern dass der konkrete Status des ƩƳ̬ưƳƵ das Selbstverständnis der µƦƭƬƷƦ˄ bestimmt, zeigen möglicherweise Mk 11,1ff und 14,12ff. Oft begegnen die µƦƭƬƷƦ˄ buchstäblich als Schüler (µƦƭƬƷ˂Ƶ von µƦƱƭʾƱƼ), sie sind explizit die Adressaten gesonderter Belehrungen und Unterweisungen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem mk Weg nach Jerusalem Mk 8,27–10,52, »the main discipleship section«.509 Damit verbunden ist auch die zweite Bestimmung des Jüngerkreises, sich zur Predigt und zum Exorzismus aussenden (ə™ƳƶƷˀưưƼ) zu lassen.510 Zur Gemeinschaft mit Jesus gehört auch der Anteil an seiner Verkündigung. So wie sich Jesus »nicht in sein Inneres versenkt, sondern sich zum Dienst rüstet, so wendet er das Gesicht und die Kraft seiner Jünger seiner Aufgabe zu, die durch ihre Verbundenheit mit ihm auch ihre Aufgabe wird.«511 So werden in 1,16–18 Simon und Andreas zur Mitarbeit berufen. Die zweite Bestimmung der Zwölf wird in Mk 6,7–13 explizit entfaltet. Der Zwölferkreis zieht erfolgreich aus, predigt die Buße, treibt Dämonen aus, salbt und heilt. Auch nach Ostern wird diese Aufgabe christologisch konkretisiert realisiert worden sein, aber für Markus scheint die Erfüllung dieser Aufgabe des Zwölferkreises in die Vergangenheit zu gehören, sie ist zeitlich befristet und bereits in der dargestellten Zeit des MkEv abgeschlossen.512 Eine räumliche oder ethnische Begrenzung der Jüngerpredigt auf Judäa scheint die Perikope vom geheilten Gerasener Mk 5,1–20 nahezulegen. Es 506

RENGSTORF, ThWNT 4, 453. SCHMAHL, Bestimmung, 135. 508 Stärker tritt diese Parallelisierung allerdings bei den anderen Evangelien hervor. Vgl. RENGSTORF, ThWNT 4, 451. 509 BEST, Following, 162. 510 KRISTEN (Familie, 198) weist mit LÜHRMANN (Mk, 112) aber darauf hin, dass das MkEv einen deutlichen Unterschied zwischen der Verkündigung Jesu und der Jünger kennt: Die Zwölf sind nur an der Umkehrpredigt beteiligt. 511 RENGSTORF, ThWNT 4, 456. 512 So richtig KRISTEN, Familie, 202. 507

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ist von den meisten Exegeten erkannt worden, dass die redaktionellen Änderungen bzw. Hinzufügungen513 in der Gerasenerperikope auf die Mission im heidnischen Gebiet abzielen.514 Besonders auffällig und von vielen Exegeten zu Recht als ernsthaftes Problem empfunden ist die Zurückweisung der Bitte des Geheilten (ʊƱƦ µƪƷ̉ ƦʡƷƳ̬ ˡ).515 Diese Bitte entspricht auffällig der Bestimmung des Zwölferkreises (ʊƱƦ ʳƶƮƱ µƪƷ̉ ƦʡƷƳ̬). Beide Teilsätze sind – vom Numerus abgesehen – gleich formuliert und vielleicht chiastisch zueinander in Beziehung gesetzt. Für Markus bittet der Geheilte so um Aufnahme in den Jünger- bzw. Zwölferkreis.516 Die Ablehnung Jesu, welche – wie auch die Bitte – redaktionell eingefügt sein wird und für die das gattungsübliche In-Das-Haus-Schicken eines Geheilten den Anknüpfungspunkt geliefert haben mag, ermöglicht erst die Verkündigung in der Dekapolis. Diese »Heidenmission« wird explizit nicht von einem Mitglied des Jüngerkreises ausgeführt. Vermutlich ist hierin der Sinn von Mk 5,18–20 zu suchen. Die üblichen exegetischen Probleme mit der Abweisung Jesu kommen m.E. durch eine einseitige Blickrichtung: Der Zwölferkreis wird als zentrale Größe für den Evangelisten vorausgesetzt. So erscheint die Ablehnung des Geraseners als Zurückweisung und Ausschluss von der eigentlichen Jesusnachfolge. Dass es sich beim Zwölferkreis aber nicht um die zentrale Größe für die mk Gegenwart handeln muss, wird in den folgenden Abschnitten deutlich werden. Der erweiterte Nachfolgekreis – inkl. Gerasener – ist für die mk Gemeinde die eigentliche Identifikationsgröße. Ist diese Beobachtung richtig, ist nicht der Gerasener von der Nachfolge ausgeschlossen, sondern der Zwölferkreis von der Heidenmission. Der Zwölferkreis steht als Größe der Vergangenheit für die Mission µƪƷ̉ ʍƬƶƳ̬ im jüdischen Gebiet. Dieses kommt bereits in der symbolischen Konnotation von ƩˊƩƪƯƦ zum Ausdruck517 und scheint in Mk 6,7–13.30 intendiert zu sein. Die Bestimmung der Heidenmission ergeht an andere. 513

Bei der nicht unumstrittenen Frage der mk Redaktion verweise ich auf die ausführliche traditionsgeschichtliche Untersuchung von ANNEN (Heil, 39–72, Übersicht: ebd. 70). Dass die VV. 18–20 sekundär erweitert wurden, dürfte bereits mit formgeschichtlichem Blick deutlich sein. Bereits das »Boot« und die Verbindung zu 3,14 (s.u.) weisen im V. 18 auf die Hand des Evangelisten. Annen weist VV. 17–19a.20 der mk Redaktion zu. 514 So spricht z.B. ERNST (Mk, 158) explizit vom »Heidenmissionar«. 515 So finden sich wiederholt unbefriedigende Erklärungsversuche: PESCH, Mk I, 293: der Abstand zwischen urchristlicher Mission und der »vita Jesu« werde gewahrt; LOHMEYER, Mk, 98: der Geheilte werde »zunächst« in sein Haus geschickt; GRUNDMANN, Mk, 146: »Um der vollen Genesung willen« müsse »der Geheilte von Jesus losgelöst und auf seine eigenen Füße gestellt« werden. Andere weisen lieber direkt auf die Unverständlichkeit: »But Jesus would not allow him, though it is not clear why.« HOOKER, Mk, 144. Hookers Lösungsversuch (ebd, 145), Jesus richte seine Botschaft hauptsächlich an Juden (7,27) und kann deshalb keinen Nichtjuden in diese Aufgabe einschließen, befriedigt nicht, gibt aber einen wichtigen Hinweis. 516 Vgl. HOOKER, Mk, 144; MARCUS, Mark, 353. 517 Vgl. oben Anm. 488.

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Setzt man, wie Malbon, die Grabstätten, in denen der Besessene lebte, mit dem Grab Jesu in Beziehung,518 würde die Heilung des Geraseners, die ihn aus den Grabstätten führt, zudem in die Zeit des leeren Grabs weisen.519 Die nachösterliche Zeit ist für Markus anscheinend nicht mehr die unmittelbare Zeit des Zwölferkreises. Dieser entschwindet bei oder kurz nach der Festnahme Jesu und begegnet nur noch als Adressat der Osterbotschaft. Der geheilte Gerasener ist zum erweiterten Nachfolgekreis zu zählen. Auch die mk Menge (™Ƴưˇ ™ư̏ƭƳƵ) kann wie er aus heidnischen Gebieten kommen (3,7f). Die Verkündigung in diesen Gebieten scheint die Sache dieser Nachfolgegruppierung zu sein. Allerdings zeigt 9,38ff, dass scheinbar auch im jüdischen Gebiet eine vom Zwölferkreis zu unterscheidende Art Mission »in Jesu Namen« unterwegs ist, wobei der fremde Exorzist schwer einzuordnen ist bzw. sein Wirken weniger auf Glauben als auf der magischen Verwendung des Namens Jesu beruhen könnte.520 (2) ʜ ʙƺưƳƵ – Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ. Weitaus schwieriger als der Jüngerkreis ist die Gruppe der Volksmenge zu beurteilen. Traditionell gilt ʖ ʙƺưƳƵ521 als der »namenlose Hintergrund für Jesu Wirken«.522 Die Volksmenge erhält die Funktion von Statisten. Diese der formgeschichtlichen Schule geschuldete Interpretation, welche durchaus mit dem MtEv und LkEv gestützt werden kann, scheint in der exegetischen Diskussion auch beim MkEv oft im Hintergrund zu stehen. Das exegetische Interesse an dieser Gruppierung ist wohl darum auch recht überschaubar.523 Der überaus häufige Gebrauch des Wortes ʙƺưƳƵ deutet dabei bereits auf eine mögliche Relevanz dieser Gruppe.524 Volker Küster unterscheidet v.a. 518

Vgl. MALBON, Space, 115.117.128. Zur Unterscheidung der dargestellten und der gegenwärtigen Zeit s.u. Pkt. 3. Eine Analogie wäre bei der Speisungsgeschichte in Mk 8 möglich, wo die Volksmenge drei Tage ausgeharrt hat. 520 So die vorherrschende Meinung in den Kommentaren. Mk 9,37 zeigt allerdings eine positive Wertung von Taten, die im Namen Jesu geschehen. MALBON (Disciples, 109) verweist zu Recht auf V. 39: Der fremde Exorzist ist »für« Jesus. Mk 13,6 zeigt hingegen die Möglichkeit des Namensmissbrauchs. 521 Zum Begriff: In der LXX ist der ʙƺưƳƵ selten. Er begegnet als Gedränge, Volksauflauf, Heer oder Mannschaft. In der griechischen Literatur findet sich der Begriff in den Bedeutungen der Volksmenge, Bevölkerung, Belästigung, Heer und als Maßbegriff. Die rabbinische Literatur übernimmt den griechischen Begriff als Lehnwort (!yswlkwa, vgl. MEYER, ThWNT 5, 585) und scheinbar auch seine Bedeutungsvielfalt. Er kann auch hier als (jüdische oder heidnische) Volksmenge, Gedränge, Heer, Gefolge (!) oder Maßbegriff begegnen. Ein besonderes Charakteristikum des Begriffs scheint also seine semantische Offenheit zu sein. 522 MEYER, ThWNT 5, 586. Vgl. auch BEST, Following, 210 (u.ö.): »normally in his Gospel the crowd signifies the unevangelised mass«. 523 Einen forschungsgeschichtlichen Überblick bietet KÜSTER, Volk, 19–35. 524 Zur Wortstatistik von ʙƺưƳƵ im NT und dem jüdisch-hellenistischen Umfeld vgl. KÜSTER, Volk, 41(ff): Im MkEv ist der Gebrauch des Begriffs im Verhältnis zur Länge des Evangeliums 519

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acht verschiedene miteinander verflochtene Motive des ʙƺưƳƵ im MkEv:525 M1) Das Volk versammelt sich um Jesus; M2) Jesus ruft das Volk herbei;526 M3) Jesus lehrt das Volk; M4) Jesus entlässt das Volk; M5) Das Volk drängt Jesus; M6) Das Volk entsetzt sich vor Jesus; M7) Jesus hat Mitleid mit dem Volk; M8) Die Herrscher fürchten das Volk. Die Todesforderung Mk 15,6–15 muss – so Küster – gesondert betrachtet werden (s.u.). Die Motive 1–4 konzentrieren sich auf die Perikopenrahmen, die übrigen sind stärker in die Perikopen integriert. Auffällig ist bei M1–7 (M8 indirekt ebenso) die Bezogenheit des Volkes auf Jesus. »Einerseits fungiert das ›Volk‹ als Adressat des Handelns Jesu (M2/M3/M4), andererseits ist es selbst Subjekt von Verhalten (M1/M5/M6). In beiden Fällen wird eine Interaktion zwischen Volk und Jesus beschrieben.«527 Küster weist zu Recht darauf hin, dass die traditionelle formgeschichtliche Sicht zur Fehlinterpretation des mk ʙƺưƳƵ führen kann. Die Funktion der Volksmenge im MkEv darf nicht auf die staunenden Statisten bzw. auf bloße Gestaltungselemente reduziert werden.528 Auffällig ist die nahezu ausnahmslos positive Konnotation der Volksmenge durch ihre Ausrichtung auf – und z.T. unmittelbare Gemeinschaft mit – Jesus. Diese positive Sicht ist im NT singulär.529 Minear macht darauf aufmerksam, dass auch die Verbindung von ʙƺưƳƵ und ™ʾưƮƱ ein durchgängiges Interesse des Evangelisten an dieser Gruppierung erkennen lässt.530 Analog zur Bestimmung der auffällig hoch (MtEv: 50, MkEv: 38, LkEv: 41, JohEv: 20, Act: 22, Apk: 4). Küster untersucht dabei das gesamte lexikalische Wortfeld (ʙƺưƳƵ, ™ư̏ƭƳƵ, ưƦˆƵ, ɭƭƱƳƵ, Ʃ̏µƳƵ) und kommt zu dem Ergebnis, dass ʖ ʙƺưƳƵ innerhalb dieses Wortfelds im MkEv absolut dominiert (vgl. ebd. 51; ähnlich PARK, ʟƝƑƕƙ, 241). Im NT, speziell bei den Evangelien, ist diese Dominanz singulär. Bei Paulus, den späteren Briefen und den Kirchenvätern spielt der Begriff überhaupt keine Rolle (vgl. KÜSTER, Volk, 61). Das MkEv ist also die älteste Schrift im NT, die den Begriff gebraucht. 525 Vgl. KÜSTER, Volk, 54–59. Nicht beachtet werden 7,17 (Rückzug vom Volk), 7,33 (Absonderung des Taubstummen vom Volk), 12,41 (das Volk legt Geld in den Gotteskasten). MEYER, ThWNT 5, 586 stellt mit Blick auf alle Evangelien vier wesentliche Motive zusammen: Jesus ruft die Volksmenge zur Belehrung; er hat Mitleid mit ihr; sie sucht bei ihm wunderhafte Heilung; sie bedrängt und belästigt ihn. 526 Ein Motiv, bei welchem das Volk neben den Jüngern steht! Vgl. MALBON, Disciples, 105ff. 527 KÜSTER, Volk, 57f. 528 Vgl. dazu KÜSTER, Volk, 20–22.61f »Die an Dibelius anknüpfende Qualifizierung des ʙƺưƳƵ als ›Schlußchor‹ […] dürfte in Anbetracht der Ergebnisse der Wortfeld- und Motivanalyse zumindest im Hinblick auf Markus als hinfällig gelten.« Ebd. 61f. 529 Vgl. KÜSTER, Volk, 61. Bei seiner Betonung der positiven Konnotation ist der Grundtenor seiner Arbeit zu beachten: Er setzt sich mit der südkoreanischen Minjung-Theologie auseinander bzw. ist von ihr beeinflusst. Der mk Begriff des ʙƺưƳƵ erhält eine politische, d.h. herrschaftskritische Dimension, hat Bedeutung für eine Theologie der ökonomisch und politisch unterdrückten und leidenden Volksmassen. In der Minjung-Theologie (v.a. Byung-Mu Ahns) erhält das Volk im MkEv eine besondere Aufmerksamkeit und wird positiv hervorgehoben. Zur exegetischen Kritik vgl. PARK, ʟƝƑƕƙ, 224ff. 530 Vgl. MINEAR, Audience, 82. Vgl. Mk 3,20; 7,14; 8,1; 10,1.

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Zwölf, bei Jesus zu sein, sucht die Volksmenge immer wieder die Gemeinschaft mit Jesus, drängt sich auf, hört seine Lehre und versucht, Anteil an seinem heilsamen Handeln zu erhaschen. Bei Motiv 8 (Mk 11,18.32; 12,12) kommt der Volksmenge zudem eine Art Schutzfunktion für Jesus zu. Markus gebraucht ʖ ʙƺưƳƵ verschieden,531 häufig allerdings für den wesentlichen Teil532 eines gegenüber der Zwölfergruppe erweiterten und anders akzentuierten Kreises der Nachfolgenden. Aus einem weiten Einzugsgebiet (3,7f) kommt die Volksmenge zu Jesus, bleibt mehre Tage bei ihm (8,2)533 und erfährt die unmittelbare und Heil bringende Zuwendung Jesu. Die Volksmenge erscheint als Gemeinschaft, die für eine gewisse Zeit ihrem Alltag den Rücken kehrt, bei Jesus in der Wüste bleibt und sich – vom Hungertod bedroht – allein seiner Hilfe ausliefert (8,1ff). Dieses Motiv der vertrauensvollen Nachfolge, die sich ohne materielle Sicherheit dem charismatischen Führer ausliefert, ist auch aus anderen Zusammenhängen bekannt, etwa aus der frührabbinischen Exodusexegese und aus Mt 6,25ff.534 Die enge Verbindung dieser Gruppe mit Jesus zeigt sich v.a. in Mk 3,20f.31–35. Die um Jesus sitzende Volksmenge (V. 32: ƯƦ˃ ɩƯʾƭƬƷƳ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ʙƺưƳƵ) ist ihm Mutter und Brüder.535 Die Begründung dafür ist eindeutig: Sie tut den Willen Gottes.536 Die Volksmenge sitzt innen um Jesus. Dabei ist das Um-Den-Meister-Sitzen die übliche Schülerhaltung, sodass auf diesem Platz eigentlich die Jünger zu erwarten wären.537 Dass dies nicht so ist, zeigt: Die als familia dei eingesetzte Volksmenge nimmt in dieser Perikope den traditionellen Platz der Jünger ein. Mit Roh lässt sich schlussfolgern: »Die neue Familie Jesu ist also für den Evangelisten genau531

Hier hilft eine Unterscheidung von Tradition und Redaktion, wie Park zeigt (s.u.). Die Untersuchung wird zeigen, dass es falsch wäre, in ʖ ʙƺưƳƵ einen terminus technicus für diesen Nachfolgekreis zu sehen. Markus definiert diesen Kreis nicht begrifflich. Neben der Volksmenge gehören auch einzelne Personen zu diesem Kreis bzw. einzelne Personen treten namentlich aus der Volksmenge heraus. 533 Die Zahlen werden hier v.a. symbolische Bedeutung haben (gegen GNILKA, Mk I, 304; PARK, ʟƝƑƕƙ, 21; s.u. 3.6.3, Pkt. 3), dennoch lässt sich der Geschichte auch entnehmen, dass für Markus die Volksmenge über längere Zeit und von weit her zu Jesus kommen kann. 534 Vgl. dazu HENGEL, Nachfolge, 24. 535 Gegen ROLOFF, Kirche, 40. Er erklärt den Jüngerkreis zur neuen Familie in 3,34f. Ebenso postuliert BEST (Following, 227) neben der Volksmenge v.a. die Jünger als Anwesende, was bei seiner Untersuchung, welche der Volksmenge – »the unconverted« (ebd.) – kaum Beachtung schenkt, kaum verwundern kann. 536 Vgl. MINEAR, Audience, 82: »Jesus explicitly identified ƷƳˇƵ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ƯˈƯư̷ ƯƦƭƬµˀƱƳƸƵ as his mother and brothers, a family which had replaced his kinfolk by birth. And this group was explicitly labelled the ochlos by Mark (v. 32). What here constituted this ochlos? Obedience to God’s will. Why have so many exegetes overlooked so clear a pointer to Mark’s high appraisal of this crowd?« 537 In der Redaktionskritik wurde darauf hingewiesen, dass Markus hier vermutlich die »Jünger« in der Tradition durch das »Volk« ersetzt hat. So etwa ERNST, Mk, 121. Vgl. oben Teil 2, 1.2.2, Anm. 99. 532

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so wichtig wie der Zwölfer-Kreis.«538 Durch diese Gleichstellung kommt es aber in Wirklichkeit zur Hervorhebung der familia dei, denn der Zwölferkreis war im Gegensatz zu ihr in der Urchristenheit als Größe anerkannt.539 Eine weitere Hervorhebung erfolgt durch das Versagen der Jünger. Ihr Verhalten erscheint oft wie eine Warnung an die Leserschaft, wobei die Todesforderung der Volksmenge auch deren Fehlbarkeit offenbart (s.u.). In 4,10f ist der Volksmenge »um Jesus« (familia dei) gleichberechtigt neben den Zwölfen (Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ƶˇƱ ƷƳ̝Ƶ ƩˊƩƪƯƦ) sogar Ʒ˅ µƸƶƷ˂ƴƮƳƱ Ʒ̏Ƶ ƧƦƶƮưƪ˄ƦƵ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ gegeben. Sie steht im klaren Kontrast zu Ƴʆ ɭƲƼ. In Mk 4,10f finden sich somit drei für das MkEv typische Gruppierungen: »first the mathetai, twelve in number (4:10), then Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ, a larger, unlimited number, and finally Ƴʆ ɭƲƼ, the outsiders«.540 Die darauf folgende allegorische Auslegung des Sämanngleichnisses zeigt, dass die Volksmenge offenbar keine einheitliche Gruppe bildet. ƕʆ ɭƲƼ kann möglicherweise auch Teile des ʙƺưƳƵ bezeichnen bzw. Teile dieser Gruppe stehen in Gefahr, aus der Jesusfamilie herauszufallen. Diese Gefahr wird in Mk 15 sichtbar. Die Todesforderung des durch die Tempelaristokratie aufgehetzten Volkes (15,6–15) ist vermutlich als Pendant zu den verratenden, verleugnenden und fliehenden Jüngern zu sehen.541 Wie Petrus nicht sich (8,34), sondern Jesus dreimal verleugnet (14,31.72: ə™ƦƴƱˀƳµƦƮ), so fordert die Volksmenge dreimal Jesu Tod (15,9–14). Am Ende ist Jesus auch vom ʙƺưƳƵ verlassen,542 obwohl die »vielen Frauen« am Kreuz dann zum erweiterten Nachfolgekreis gerechnet werden können.543 538 ROH, Familia, 121. SCHENKE (Mk [1988], 97 ist zu widersprechen, wenn er sagt: »Das Volk ist vom Evangelisten zwischen den Jüngern Jesu und seinen Gegnern angesiedelt.« 539 Vgl. ROH, Familia, 122. Vgl. auch HOLTZ, EWNT 1, 877f. Auf eine Bevorzugung kann auch die syntaktische Vorordnung der Volksmenge vor die Jünger in 8,34 und der Auftrag an die Frauen am leeren Grab, die Osterbotschaft den Jüngern zu verkündigen, hinweisen. 540 MINEAR, Audience, 83 – m.E. sind aber mit Blick auf 4,10 Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ »first«. 541 Vgl. SCHENKE, Mk (1988), 97; KÜSTER, Volk, 63–70. Küster erwägt auch (mit Theißen) die Möglichkeit, dass es sich bei diesem Volk um Jerusalemer Bürger, die von der Tempelkritik Jesu wirtschaftlichen Schaden erwarten etc. handelt. MINEAR (Audience, 87) geht in ähnliche Richtung, machte es sich aber zu einfach: »The last four uses of ochlos in Mark (14:43; 15:8,11,15) almost certainly refer to a separate group. Unlike Jesus’ crowd, this one was composed of puppets of the scribes and rulers, ready to support the charges against Jesus and applauding the arrest and trial. This group never became an ›audience‹ of Jesus.« M.E. ist das theologische Argument des Nachfolgeversagens und der Einsamkeit Jesu auf der mk Ebene vorzuziehen. Natürlich können die realen Hintergründe (Jerusalemer Bürger) in den Text bzw. die vormk Tradition eingewirkt haben, der Evangelist wird sich aber wohl damit theologisch auseinander gesetzt haben. Der von ihm stilisierte Kontrast zwischen Galiläa und Jerusalem trägt hier auch nicht viel bei, da der ʙƺưƳƵ auch in Jerusalem eine positive Stellung zu Jesus einnehmen kann (12,37!). Zur Bedeutung des Nachfolgeversagens vgl. auch MALBON, Fallible, 29ff. 542 Vgl. MEISER, Reaktion, 206: Jesus hat ab jetzt nur noch Gegner, auch das Volk. 543 Vgl. KÜSTER, Volk, 70. MUNRO, Women, 226. Vermutlich liegt hier der bzw. ein Grund für die späte Einführung der Frauen nach der eigentlichen Passion (Leiden/Sterben): Die Passion ist

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Möglicherweise zeigt sich bei der Todesforderung aber eine zweite, von der dargestellten Zeit abgehobene Ebene.544 Die Volksmenge bejaht durch die Todesforderung unbewusst das göttliche Ʃƪ̝ des Leidenswegs Jesu (8,31) – im Gegensatz zum »Satan« Petrus (8,32f). Die Menge tut eben – so Mk 3,35 – den Willen Gottes. Petrus hingegen stellt sich gegen den göttlichen Willen, indem er Jesus in Verkennung der Art seiner Messianität von seinem Leidensweg abhalten möchte. Diese Interpretation bleibt spekulativ, allerdings drängt sich die Frage auf, warum Markus die in der Tradition vorfindliche Todesforderung des ʙƺưƳƵ so unkommentiert neben den ansonsten positiven Konnotationen der Volksmenge stehen lässt. Das Pendant zum Jüngerversagen ist die wahrscheinliche Lösung, die Todesforderung als Bejahung des göttlichen Ʃƪ̝ immerhin als zweite Ebene denkbar. Ein besonderes Charakteristikum ist die Unbestimmtheit des erweiterten Nachfolgekreises. So ist der ʙƺưƳƵ »im Markusevangelium keine Gruppe individuell identifizierbarer Personen. Es ist nicht ersichtlich, ob es immer dieselben Menschen waren, die zusammenliefen. 2,15 läßt darauf schließen, daß Zöllner und Sünder […] ebenso dazu gehörten wie Frauen […] und Kinder […].«545 Diese prinzipielle Offenheit wird auch dann nicht geschmälert, wenn vereinzelt namentlich genannte Charaktere aus der Anonymität der Volksmenge heraustreten.546 Fazit: Der ʙƺưƳƵ »um Jesus« steht in der Nachfolge. In 3,20f.31–35 erklärt Jesus den ʙƺưƳƵ (ƷƳˇƵ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ƯˈƯư̷ ƯƦƭƬµˀƱƳƸƵ) zu seiner neuen Familie, zur familia dei. Vermutlich gehören auch die Frauen am Kreuz zum erweiterten Nachfolgekreis.547 Auch sie dürfen aufgrund ihrer Charakterisierung als Nachfolgerinnen zur familia dei gerechnet werden. Der unterschiedliche Gebrauch des ʙƺưƳƵ mahnt allerdings zur Vorsicht. Nicht jeder mk ʙƺưƳƵ darf mechanisch mit der familia dei bzw. dem weitenicht der Ort für das positive Verhalten von Nachfolgerinnen und Nachfolgern. In 14,27 sagt Jesus, dass ™ʾƱƷƪƵ Anstoß nehmen werden. Die Jünger wehren sich vehement dagegen, aber Jesus wird recht behalten. Vgl. aber 15,21. 544 Auf diese macht SCHENKE (Mk [1988], 129) aufmerksam, allerdings deutet er sie anders: »So klingt denn auch der Ruf des durch die Hohepriester verblendeten Volkes: ›Kreuzige ihn!‹ auf der die erzählte Situation transzendierenden Ebene wie ein Ruf um Erlösung (15,22ff).« 545 KÜSTER, Volk, 63. 546 Diese Erwähnungen sind der aufgenommenen Tradition geschuldet. Deutlich wird die Zugehörigkeit einzelner Charaktere zur familia dei etwa bei der narrativen Analyse von Mk 5,21–43 durch KAHL (Jairus, 67–76): Die blutflüssige Frau ohne soziale Bindung »wird zur ersten ›Tochter‹ der familia dei, in der nicht mehr die alten Familien- und sonstigen Bindungen zählen, sondern allein die lebensschaffende Macht der Auferstehung wirkt, gerade durch und an Frauen.« Ebd. 76. Gleiches lässt sich von der Jairustochter sagen, die, nachdem sie aus den sozialen Bezügen herausgelöst ist (klagende Verwandtschaft), »erweckt« wird. 547 Sie begegnen in Mk 15,40f als Bestandteil einer großen Frauengruppe. Handelt es sich um ein Pendant zum inneren Kreis des Jüngerkreises (Petrus, Jakobus, Johannes), so stehen die drei Frauen im Zentrum dieser Frauengruppe. Vgl. MUNRO, Women, 230f.

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ren Kreis der Nachfolgenden identifiziert werden. Gerade in der von Markus übernommenen Tradition gibt es durchaus »den ›farblosen‹ Gebrauch von ʙƺưƳƵ«.548 Markus nutzt die bedrängende Menge auch, um Jesu Popularität vor Augen zu stellen und »den Lesern die Objektivität seiner Wirkung«549 zu erweisen. Andererseits ist der weitere Nachfolgekreis nicht auf die ʙƺưƳƵ-Gruppe beschränkt. Dieser erweiterte Kreis kann auch als ™ƳưưƳ˃ (2,15) oder ™Ƴưˇ ™ư̏ƭƳƵ (3,7) beschrieben werden. Daneben stehen immer wieder Personen, die aus der Anonymität heraustreten. Ebenso weist das für Jesu Lehre charakteristische ʘƵ ɛƱ550 darauf hin, dass das MkEv die Gruppe der Nachfolgenden möglichst offen halten will. Die Charakterisierung als Nachfolgerinnen/Nachfolger hängt also keinesfalls am Begriff, sondern der Verbindung des ʙƺưƳƵ bzw. einzelner seiner Glieder zu Jesus.551 Minear urteilt aufgrund des divergierenden Gebrauchs: »ochlos had not become for Mark a technical Christian word.«552 Da Nachfolge nicht statisch, sondern relational ist, erscheint die Kennzeichnung der Nachfolgegruppe durch relationale und narrative Bezüge auch wesentlich passender, als die Verwendung statischer Begriffe. Die enge Verbindung mit Jesus legt der Ausdruck Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ nah. Während er in den Evangelien nur in Mk 3,34 und 4,10 begegnet und Lukas den Ausdruck für den Jüngerkreis reserviert (22,49, vgl. aber Act 13,13), begegnet er öfter in der LXX553 und ausgesprochen häufig bei Flavius Josephus554 und meint v.a. den Kreis der Gefolgsleute und (untergebenen) Kampfgefährten einer Person.555 Der Ausdruck beschreibt also ein enges Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis bzw. sogar eine Art Nachfolgesituation.556 ƕʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ sind diejenigen, die auf der Seite der betreffenden Person stehen, für diese eintreten und für sie bzw. zusammen mit ihr 548

PARK, ʟƝƑƕƙ, 62. PARK, ʟƝƑƕƙ, 242. 550 Vgl. Mk 6,11; 9,37.42; 10,11.15.43f; 11,23. Vgl. ferner die Verwendung von ƳʡƩƪ˄Ƶ in 2,21f; 9,39; 10,29. 551 Vgl. etwa Mk 12,41 (vermutlich Tradition) – die Volksmenge beachtet Jesus überhaupt nicht und steht so im Gegensatz zur galiläischen Volksmenge, die Jesus bedrängt. Vgl. auch den neutralen Gebrauch in 14,43 (Volksmenge als Schar von Menschen: Knechte des Synedrions oder Tempelpolizei). Hierbei ist zu bedenken, dass Markus seine Theologie grundsätzlich »nicht begrifflich und argumentativ entwickelt«. SÖDING, Evangelist, 12. 552 MINEAR, Audience, 87. 553 2Sam 15,18; Ez 38,6; 2Makk 8,16; 12,5; 13,15; 14,30; 3Makk 1,27; 6,1. Vgl. auch 2Makk 8,32; 9,3; 3Makk 1,1. Vgl auch RISENFELD, ThWNT 6, 56. 554 Vgl. JOSEPHUS, Ant VII 307; VIII 308; IX 97; X 13; XIII 304; XIV 72.324; XV 162.168.284; XVI 238.345; XVII 271.282; XVIII 49.260; Bell I 73.152.276.358.515; II 56; IV 106; V 59.266.324.331; VI 146.183.262; VII 72; Vita 95.101.117. 555 (Bewaffnete) Anhänger, Freunde, Günstlinge, Begleiter, Vertraute, Ratgeber, Hofstaat, Kampfgefährten, Soldaten, Heer etc.; nur in Bell VII 72 die bedrängende Menschenmenge. 556 Vgl. das deutsche Wort »Gefolgsleute«. Der Begriff drückt vermutlich ein ähnliches, wenn auch anders motiviertes bzw. begründetes Verhältnis, wie das von Meister und Jünger, aus. 549

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kämpfen. Man wird den ʙƺưƳƵ nur dort als in der Nachfolge stehend charakterisieren können, wo er die Bedingung des Um-Jesus-Seins erfüllt.557 Bei der Einsetzung der familia dei befindet sich der ʙƺưƳƵ in seiner idealen Ausrichtung auf Jesus, er ist ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ und steht damit in einer solch engen Beziehung zu Jesus, dass sie als »familiär« beschrieben werden kann. Die Seitenreferenten nehmen den Einfluss der Volksmenge wieder deutlich zugunsten der Jünger zurück.558 Während Jesus in Mk 3,31–35 das um ihn sitzende Volk als seine Familie bezeichnet, setzt Matthäus die Jünger an dessen Stelle (Mt 12,49f). Lukas reserviert das Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ für den engen Jüngerkreis (vgl. Lk 22,39 mit V. 49). Obgleich in Mk 4,10f das Geheimnis der Gottesherrschaft auch der Volksmenge um Jesus gegeben ist, beschränken es Mt 13,10f und Lk 8,9f auf die Jünger. Aus der Leidensnachfolge wird das Volk im MtEv und LkEv ebenfalls ausgegrenzt.559 Während im MkEv der ʙƺưƳƵ zum inneren Kreis um Jesus gehört, verortet ihn das MtEv im äußeren Kreis.560 Das redaktionelle Interesse des Matthäus, den ʙƺưƳƵ aus der Nachfolge herauszuhalten, ist beim synoptischen Vergleich deutlich spürbar. Im LkEv findet sich kein Konzept hinter dem oft gebrauchten Begriff. Die Volksmenge »tritt zur Kulisse zurück.«561 (3) Das Verhältnis der Gruppen. Für eine Einordnung der Nachfolgegruppierungen hinsichtlich ihres Verhältnisses zur mk Gemeinde ist die Unterscheidung verschiedener Zeitebenen hilfreich.562 Eingedenk des narrativen Charakters des MkEv ist zwischen einer dargestellten und einer gegenwärtigen Zeit zu unterscheiden. Die dargestellte Zeit spiegelt dabei natürlich die gegenwärtige Zeit,563 aber eine Unterscheidung ist dennoch geboten. Peter Kristen verortet zu Recht den fest umrissenen Zwölferkreis in der Vergangenheit,564 die familia dei in der mk Gegenwart. 557

So auch ROH, Familia, 123, Anm. 60. Vgl. PARK, ʟƝƑƕƙ, 236ff: An die Stelle des mk ʙƺưƳƵ stellt Matthäus die Jünger. Der historisierte ʙƺưƳƵ ist bei ihm eine volkstümliche jüdische Menge. Im LkEv erscheint ưƦˆƵ als zentraler Begriff für Kirche, ʙƺưƳƵ als farblose Kulisse des Wirkens Jesu. Auch das JohEv sieht im ʙƺưƳƵ die einfache farblose Volksmenge, oft in Form zufällig anwesender Festpilger in Jerusalem. 559 Vgl. Mt 16,24 und Lk 9,18ff zu Mk 8,34. 560 Vgl. PARK, ʟƝƑƕƙ, 232. 561 PARK, ʟƝƑƕƙ, 234. 562 Auf die Frage der verschiedenen mk Zeitebenen braucht hier nicht eigens eingegangen werden. Das Thema wurde in der exegetischen Literatur breit verhandelt. Einen guten Überblick über die verschiedenen mk »Zeiten« bietet etwa KRISTEN, Familie, 161ff oder (mit anderen Schwerpunkten) SCHENKE, Mk (1988), 81–87. 563 »Durch den erzählten Weg Jesu hindurch wird für die Leser ihr eigener, vom Evangelium angeleiteter Weg der Nachfolge transparent. Die Evangeliumserzählung wird für sie unmittelbar lebensrelevant. Wie der Weg der (ersten) Jünger in die Gemeinschaft mit Jesus führte (1,16–20; 2,14), führt der Weg der Leser in die Gemeinde des Mk.« KRISTEN, Nachfolge, 101. 564 Vgl. auch HOLTZ, EWNT 1, 878f. 558

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Der Zwölferkreis ist für die Nachfolge der mk Gemeinde sicherlich bedeutsam und stellt das geschichtliche Fundament565 der christlichen Gemeinde dar. Jesu Worte an die Zwölf werden von Markus mit Blick auf die Leserschaft des Evangeliums übermittelt (vgl. 13,37).566 Das wiederholt auftauchende Jüngerversagen bzw. -unverständnis stellt der Gemeinde »gewissermaßen ›ex negativo‹«567 die gebotene Nachfolge vor Augen. Trotz der wiederholten und z.T. privaten Jüngerbelehrungen versagen die Jünger.568 Die Leserschaft ist in diesem Kontrast herausgefordert, es »besser« zu machen.569 Ungeachtet der oft recht negativen Charakterisierung der Jünger versagt das MkEv niemandem, sich mit den Jüngern zu identifizieren.570 Es geht nicht darum, den Jüngerkreis zu ersetzen, sondern eine Alternative anzubieten. Die passendere Identifikationsgröße kann die Leserschaft in dem begrifflich,571 historisch und personell nicht abgegrenzten Kreis der familia dei (ʙƺưƳƵ/Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ) finden.572 D.h., der ʙƺưƳƵ um Jesus ist »sinn565 Vgl. 1Kor 15,5ff; vgl. auch die Bedeutung der Augenzeugen in den Urgemeinden (Act 1,21f; Schwierigkeiten um das Apostolat des Paulus 1Kor 9,1f etc.). Vgl. auch SCHENKE, Mk (1988), 132. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch auf das oben in Anm. 485 angesprochene Traditionsprinzip der Jüngergemeinden zu verweisen. 566 Allerdings weist BÖHM (Nachfolge, 26f) darauf hin, »daß die markinische Erzählung von der Berufung der ersten vier Jünger […] für nicht im Lebensstil der Wandercharismatiker lebende RezipientInnen gewisse Unvorstellbarkeiten bzw. die unrealistische Ferne einer ›idealen Szene‹ aufweist«. So gesehen böte die Einführung der familia dei ein ähnliches Resultat für die betreffende Gemeinde wie die Entschärfung bzw. die Erhöhung der Transparenz (so Böhms These) der Nachfolge bei Lukas. Vgl. auch KERTELGE (Jüngerschaft, 156): »Dem Evangelist Markus ist nicht nur an den Jüngern der irdischen Lebensgeschichte Jesu gelegen; an ihnen findet er, aufs Ganze gesehen, wenig Vorbildliches. […] Die Forderungen Jesu an die in seine Nachfolge gerufenen Jünger werden zu Mahnrufen für die Kirche der nachösterlichen Zeit.« 567 KRISTEN, Familie, 174 – hier mit Blick auf die Selbstverleugnung. 568 Vgl. die extreme Betonung dieses Versagens bei WEEDEN, Häresie, 238ff. Seine These, die Jünger werden von Markus als Häretiker (Anhänger einer ƭƪ̝ƳƵ-əƱ˂ƴ-Christologie) charakterisiert, konnte sich zu Recht nicht durchsetzen (vgl. das positive Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern). Allein die Möglichkeit einer solchen These wirft ein eigenes Licht auf die mk Jünger. 569 Bzw. die Leserschaft wird bei einer Identifikation mit den Charakteren zur Selbstkritik und Reue geführt und merkt, dass Nachfolge keinesfalls leicht ist. So MALBON, Fallible, 30ff. 570 Vgl. etwa MALBON, Disciples, 104. Sie sieht aber (mit vielen anderen Exegeten) im Unterschied zu mir im Jüngerkreis die Hauptidentifikationsgröße für die Leserschaft. Die Funktion der Volksmenge sieht sie eher in einer Ausweitung dieser Identifikationsmöglichkeit bzw. Entgrenzung von Nachfolge (ebd. 124). 571 Es hat sich gezeigt, dass der Begriff »Jünger« zumindest in der rabbinischen Literatur auf Männer beschränkt ist. Vgl. oben Anm. 485 und unten Anm. 574. Der symbolische Gehalt der ƩˊƩƪƯƦ verweist auf Israel und wird auf Jesu Wirken am jüdischen Volk gerichtet sein. Vgl. oben Anm. 488. 572 Gegen KRISTEN, Familie, 205 u.a. ROH hingegen (Familia, 143) bestimmt den Sitz im Leben von 10,28–31 in der Ablösung ortsansässiger Sympathisantengruppen »vom autoritativen Einfluss der Wandercharismatiker«. Vgl. auch ebd. 144: Der mk Gemeinde »steht die familia dei näher als der Zwölfer-Kreis, der als Urmodell der Wandercharismatiker zu verstehen ist.« Im Exkurs: Die Ablösung der Ortsgemeinde von den Wandercharismatikern (145–163) kann Roh

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gemäß mit der christlichen Gemeinde identisch.«573 Da der Jüngerbegriff zumindest im Frühjudentum auf das männliche Geschlecht beschränkt ist,574 könnte die Einführung dieser zweiten Nachfolgegruppe auch auf das mk Interesse verweisen, die Rolle von Frauen in der Gemeinde aufzuwerten.575 Auffällig ist, wie bereits beschrieben, die Parallelität der Einsetzungen beider Gruppierungen. In 3,13–19 erfolgt die Einsetzung des Zwölferkreises und in 3,31–35 die der familia dei.576 Konsequenterweise begegnen dann in 4,10 Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ ƶˇƱ ƷƳ̝Ƶ ƩˊƩƪƯƦ im inneren Kreis um Jesus. Eine solche unmittelbare Zusammenstellung begegnet evtl. chiastisch in Mk 6.577 In den VV. 1–6a zeigt sich (wenn auch nur implizit), wer nicht zur familia dei gehört bzw. die Einsetzung dieser Gruppe »um Jesus« nicht wahr- und angenommen hat. Die Notwendigkeit für den Gottessohn, seine Familie neu zu definieren, wird plastisch vor Augen gestellt. Im Anschluss (VV. 7–13) kommt es zur Aussendung des Zwölferkreises und damit zur Erfüllung seiner zweiten Bestimmung. Natürlich wirkt diese zweite Parallele verhältnismäßig »locker«, da die Erfüllung eines Auftrags auf der einen Seite und das Nicht-Zur-Kenntnis-Nehmen auf der anderen recht verschieden erscheinen. Auch ist in 6,7ff die Nachfolgegruppierung anwesend und Objekt der Handlung. In 6,1–6 hingegen geht es um Menschen, die gerade nicht zur Nachfolgegruppierung gehören. Dennoch halte ich es für möglich, dass der Evangelist diese für beide Gruppen wichtigen Perikopen nicht zufällig diese Beobachtung und die Opposition zwischen den Jüngern (Wandercharismatiker) und der Ortsgemeinde ausreichend stützen. Die Kinder werden von den Jüngern ausgegrenzt, was für eine sesshaften Gemeinde nun ein Problem darstellt (vgl. Mk 10,13–16). Die Aufnahme von Kindern (Mk 9,36f; Kontext!) ist bei Wandercharismatikern nicht denkbar. In Mk 9,36f kommt eine Ablösung der einstigen Unterstützung der Wandercharismatiker zugunsten anderer Bedürftiger zum Ausdruck. Dazu kommen die ethischen Texte 7,9–13 und 10,2–12, die dem Ethos der Wandercharismatiker entgegen stehen. Vgl. auch unten 3.7. 573 PARK, ʟƝƑƕƙ, 230 (allerdings ohne die Einschränkung »um Jesus«). Vgl. ebd. 60–63.71. Besonders die ʙƺưƳƵ-Texte, die die Lehrtätigkeit betreffen, setzen ausnahmslos die Gemeindesituation voraus. Auf 243 charakterisiert Park die Volksmenge gar als den zentralen ekklesiologischen Terminus im MkEv. Dabei entfaltet Markus seine Ekklesiologie aber nicht begrifflich, auch findet sich diese eher in der Charakterisierung des ʙƺưƳƵ als familia dei. Vgl. auch MEISER, Reaktion, 149, der als Kriterium für die Zugehörigkeit zur familia dei nicht die Zugehörigkeit zum Volk, sondern dessen Hören auf Jesus betont. 574 Das methodische Problem des Rückschlusses von der rabbinischen Literatur ist mir bewusst. Auf der Ebene des MkEv fällt immerhin auf, dass die Frauen nicht als Jüngerinnen bezeichnet werden, der Zwölferkreis ist rein männlich besetzt. Eine männliche Konnotation des Begriffs in Analogie zur frühjüdischen Literatur kann für das mk Umfeld angenommen werden. 575 Vgl. unten 3.6.3, Pkt. 4. 576 Es ist zu vermuten, dass in der Tradition, wie in EvThom 99, die Jünger als Jesu neue Familie bezeichnet wurden. Somit wäre hier ein direktes redaktionelles Interesse an einer alternativen Nachfolgegruppierung festzustellen. Auf die Parallelität macht auch ROH (Familia, 121) aufmerksam. Vgl. aber oben Teil 2, 1.2.3, Anm. 122. 577 Interessanterweise findet sich bei der jeweils zweiten Perikope immer eine mk Schachtel: 3,20–35 wird durch die VV. 22–30; 6,7–30 durch die VV. 14–29 unterbrochen.

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zusammengestellt hat. Der Zwölferkreis bildet so eine narrative »Klammer« um die Einsetzung der familia dei.578 Während der Zwölferkreis alle Bereiche des radikalen und unsteten Lebens Jesu unmittelbar teilt(e), findet die Nachfolge der familia dei nun in einer sesshaften Gemeinschaft statt.579 Schon die Einsetzung der familia dei im Haus, im Gegensatz zu der der Zwölf auf dem Berg, mag diesen grundsätzlichen Unterschied verdeutlichen.580 Durch die Einsetzung der familia dei in unmittelbarer Nachbarschaft der Einsetzung der Zwölf und ihre faktische Gleichstellung mit dem Jüngerkreis erhält Markus also eine neue Identifikationsgröße für ortsansässige Christen bei einem modifizierten bzw. erweiterten nachösterlichen Nachfolgeverständnis.581 Tae-Sik Park sieht diese Identifikationsmöglichkeit v.a. beim redaktionellen Umgang des Evangelisten mit ʙƺưƳƵ. Während Jesus in der Tradition seine Wunderkraft abseits des ʙƺưƳƵ entfaltet (4,36; 6,45; 7,33) oder der »ʙƺưƳƵ als Nebenrolle in der Situationsbeschreibung«582 erscheint und in der Passionsgeschichte gar Jesu Tod fordert, wird er in der mk Redaktion zur wahren Familie Jesu (3,31–35). Er steht in der Kreuzesnachfolge (8,34ff; 10,46) und als sich Jesu Messianität in den Jerusalemer Tagen partiell offenbart,583 deutlich auf der Seite Jesu (11,18.32;12,12.37).584 Die Unterscheidung von Tradition und Redaktion hilft, die divergierende Konnotation des mk ʙƺưƳƵ besser zu erklären.585 578

Auf diese Klammer verweist auch BARTON, Discipleship, 80. Der Grund für diese Klammer lässt sich kaum sicher bestimmen bzw. führt zu Spekulationen. Möglich wäre, dass sich die mk Gemeinde im Rahmen der durch die Jünger (Apostel) repräsentierten Gesamtheit des christlichen Glaubens einordnet. Hier wäre die textkritisch unsichere zweimalige Nennung der Apostel in 3,14 und 6,30 zu begründen und ihr eine größere Funktion einzuräumen (vgl. oben Anm. 494). Evtl. erfolgt eine solche Einordnung auch in die »Apostolische Tradition«: Die mk Gemeinde verdankt ihre Existenz der Einsetzung der Zwölf und ihrer Aussendung in die Häuser. Ich entdecke im Text für eine solche Interpretation allerdings zu wenig Hinweise und möchte diese Frage offen lassen. 579 Vgl. auch SÖDING, Evangelist, 43f: Die wanderradikal geprägten Traditionen stellen für den Evangelisten, der für eine sesshafte Gemeinde schreibt, eine besondere Herausforderung dar. 580 Vgl. auch Mk 10,30 (Äcker!); 13,15f. So auch KRISTEN, Nachfolge, 102 u.ö. 581 So ROH, Familia, 122f.144 u.ö. »Das Fazit: In Mk 3,31–35 ist eine Identifikationsgröße für die mk Gemeinde zu finden, die die neue Familie Jesu ist, aber die wir vom mk Kontext her familia dei nennen können.« Ebd. 124. Vgl. auch THEISSEN/MERZ, Jesus, 202. 582 PARK, ʟƝƑƕƙ, 70. 583 PARK (ʟƝƑƕƙ, 51ff) verweist auf die Tempelaktion als messianische Aktion. In 11,17 ergeht die damit in Zusammenhang stehende Lehre an das Volk (11,18). Das Volk ist so Zeuge der messianischen Aktion. In 11,32 wird es Zeuge des Streitgesprächs über Jesu ɩƲƳƸƶ˄˾. Gleiches gilt für das Weinberggleichnis, in dem sich Jesus als Gottessohn zu erkennen gibt und für 12,37, wo sich Jesus in einem Streitgespräch vor dem vergnügten Volk über David stellt. In all diesen Texten steht das Volk als Art »Schutzwall« um den sich teilweise zu erkennen gebenden Messias. 584 Vgl. PARK, ʟƝƑƕƙ, 61.70. Vgl. zur Redaktionskritik auch MEISER, Reaktion, 209. 585 So hat die Verbindung Boot – Volksmenge in der Tradition v.a. den Zweck des Rückzugs Jesu von der Volksmenge. In der mk Redaktion nutzt Jesus hingegen das Boot, um das Volk besser lehren zu können. Vgl. PARK, ʟƝƑƕƙ, 63.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Auf redaktioneller Ebene schafft der Evangelist mit dem ʙƺưƳƵ um Jesus diese neue und vom Zwölferkreis zu unterscheidende Identifikationsgröße für seine Gemeinde in der dargestellten Zeit.586 Dass diese Gruppe oft nur am Rand der dargestellten Zeit agiert, erscheint konsequent. Ihre eigentliche Zeit ist die mk Gegenwart. In der dargestellten Zeit erhält sie v.a. ihre Zurüstung. Sie wird als familia dei eingesetzt, wird mit Jesu Predigt und seinen heilvollem Handeln bekannt gemacht und lernt am Verhalten der Jünger, was »richtige« und was »ungenügende« bzw. »falsche« Nachfolge bedeutet. In der Allegorese des Sämanngleichnisses (4,14–20) und dem Kreuzigungsruf der Volksmenge werden ihr allerdings auch die eigenen »dunklen« Möglichkeiten warnend vor Augen gestellt. Ihre Nachfolge muss sich nun in der mk Gegenwart bewähren. Dieses Ergebnis lässt sich auch mit Blick auf die Bestimmung der Nachfolge stützen. Vermutlich ist es kein Zufall, dass die Erfüllung der ersten Bestimmung des Zwölferkreises auch implizit587 von der familia dei, d.h. der Volksmenge um Jesus, ausgesagt wird und auch die Leidensnachfolge Jesu die Volksmenge betrifft (8,34). Von einer Aussendung bzw. einem Predigtauftrag ist aber nur am Rand etwas zu spüren.588 Während für Wandermissionare das Modell des Zwölferkreises auf der Ebene des MkEv ein großes Identifikationspotenzial bietet,589 wird eine sesshafte Gemeinde hierin hingegen nicht ihren Schwerpunkt setzen.590 586

Auch die Verbindung des ʙƺưƳƵ mit ƶƸƱʾƨƼ (2,2; 4,1; 5,21) zeigt möglicherweise die ekklesiologische Relevanz, wobei 7,1 dieses Argument wieder relativiert. Über die verschiedene Terminologie der Versammlung um Jesus unterrichtet PARK, ʟƝƑƕƙ, 65f: Es gibt »nicht nur ein Verb, um die Versammlung des ʙƺưƳƵ auszudrücken. Das bedeutet, daß Markus die Versammlung des ʙƺưƳƵ sehr frei gestaltet hat. Dabei hat er sich die Versammlung des ʙƺưƳƵ als den fundamentalen Situationskontext der Wirksamkeit Jesu gedacht.« Ebd. 66. 587 Eine wörtliche Übertragung ist aufgrund der Gerasenerperikope nicht möglich (s.o.). Allerdings begegnet µƪƷ’ ƦʡƷƳ̬ öfters und scheint mit Ausnahme besagter Stelle kaum auf eine bestimmte Beziehung zu Jesus festgelegt zu sein: vgl. Mk 1,36; 2,25; 5,24.40 (Jairus und Frau sind µƪƷ’ ʍƬƶƳ̬) und 14,43. Diese Stellen zeigen, dass das MkEv die Bestimmung bei-Jesus-zu-sein nicht allein durch die formelhafte Verwendung von µƪƷ’ ƦʡƷƳ̬, sondern v.a. narrativ entfaltet. Anders als etwa Ƴʆ ™ƪƴ˃ ƦʡƷ˅Ʊ erscheint µƪƷʾ + Gen. für einen formelhaften Ausdruck auch wenig geeignet. 588 Möglich wäre hier der Auftrag an die Frauen am leeren Grab, die Auferstehung zu verkündigen. Auch der geheilte Gerasener könnte hier wichtig sein. Ob der fremde Exorzist (9,38ff) hier Bedeutung besitzt, ist ungewiss. 589 Das Identifikationspotenzial ist in Q natürlich größer. Die Bedeutung der synoptischen Jüngeraussendung für die Wandermissionare ist seit Theißens Untersuchungen zum Phänomen des Wanderradikalismus hinreichend bekannt. Hierauf näher einzugehen, übersteigt die Fragestellung dieser Arbeit. 590 Damit soll keinesfalls gesagt werden, dass die mk Gemeinde keine missionarische Aufgabe hätte – dagegen spricht die durchaus als missionarisch und universal zu bezeichnende Ausrichtung des Evangeliums (Mk 13,10! u.ö.). Die Verkündigung in den Häusern der Verwandtschaft (5,19) im heidnischen Gebiet obliegt – wie vermutet – nicht dem Zwölferkreis, sondern dem weiteren Nachfolgekreis (Mk 5,18–20).

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Die Aussendung des Zwölferkreises ist, wie gesagt, eine in der dargestellten Zeit befristete und bereits abgeschlossene Aufgabe. In 6,30 kehren die »Apostel« wieder zurück, um ihre erste Bestimmung, bei Jesus zu sein, zu erfüllen. Diese Bestimmung des »Mit-Jesus-Seins« ist dagegen zeitlich unbegrenzt und findet keinen Abschluss.591 Sie gilt auch für die mk Gemeinde, obwohl ihr die unmittelbare Jesusgemeinschaft verwehrt ist.592 Ich fasse zusammen: Der erweiterte Kreis der Nachfolgerinnen und Nachfolger, wie er v.a. in der familia dei erkennbar ist, erweist sich gegenüber dem Jüngerkreis als eigentliche Identifikationsgröße für die mk Gemeinde. Die Nachfolge dieses Kreises besitzt gegenüber der des Zwölferkreises ihre eigenen Spezifika. In anderen Schriften begegnen ähnliche Tendenzen. Verschiedene Gemeinden schaffen sich vom Jüngerkreis unterschiedene und diesen z.T. überragende Identifikationsgrößen: so der »Lieblingsjünger« im JohEv, Didymos Judas Thomas im EvThom und Maria Magdalena im EvMar. Der Unterschied ist, dass im MkEv nur sehr zurückhaltend Konkurrenz auf- bzw. ausgebaut wird (vgl. 10,13–16, evtl. auch 10,46–52) und dass es weniger um die »richtig(er)e« Überlieferung bzw. Lehre, sondern um die Einsetzung einer zweiten Gruppe von Nachfolgerinnen und Nachfolgern durch den vorösterlichen Jesus (3,31–35) geht.593 Vielleicht sollte man deshalb eher von einer Vorstufe für die später sichtbar werdende Suche nach individuellen Identifikationsfiguren sprechen.594

3.6.2 Familie und Nachfolge Während die afamiliäre Lebensweise von Wanderpredigern, die sich durch die radikale Auslegung der Worte Jesu am Rand der Sozialstruktur beweg591

Man kann die Jüngerflucht vielleicht als Ende der Erfüllung dieser Aufgabe bezeichnen – keinesfalls aber als Erfüllung selbst oder gar als deren Abschluss. Durch diese Flucht entsteht im Gegenteil gerade eine »Leerstelle«, die darauf drängt, von der Leserschaft ausgefüllt zu werden. 592 Man muss fragen: Wie kann die Gemeinde nach Ostern »mit Jesus sein«? Ich sehe neben Abendmahl und Gemeinschaft auch im MkEv selbst diese Möglichkeit gegeben. In ihm begegnet, lehrt etc. Jesus die Leserschaft. Erwägt man dazu die oben dargestellte These des auf das MkEv zurückweisenden kurzen Markusschlusses, festigt sich dieser Eindruck. 593 Man könnte hierbei das beständige Jüngerversagen anführen, müsste dann aber den Kreuzigungsruf der Volksmenge außer Acht lassen. Erinnert sei auch an die These, dass Markus die Jünger als seine Opponenten bzw. gar als Häretiker darstellt, wie sie v.a. bei WEEDEN (vgl. Häresie, 238ff) u.a. begegnete (vgl. dazu VAN IERSEL, Failed, 246f). Ich halte dies für einen wichtigen Hinweis, aber das Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern erscheint im MkEv für eine so radikale Position dann doch zu positiv. 594 Eine gute Übersicht dazu bietet E. RAU: Das geheime Markusevangelium, 57–73.

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ten,595 gut nachvollziehbar ist und auch die absolute Bindung des vorösterlichen Jüngerkreises an die Person des »Meisters« zwangsläufig alle anderen Bindungen relativiert, muss eine solche Tendenz, d.h. die Trennung von der Herkunftsfamilie, bei einer sesshaften Gruppe zunächst verwundern. Wenn im MkEv auch weniger drastische afamiliäre Töne wie in Q (vgl. 9,59f und v.a. 14,26) anklingen, ist dieses Thema dennoch präsent und betrifft neben den Jüngern auch den erweiterten Nachfolgekreis. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass im Wanderradikalismus, wie er in Q erkennbar ist, die Familien verlassen werden – im MkEv hingegen die Familie(n) v.a. neu definiert wird.596 Es finden sich somit verschiedene, wenn auch einander korrespondierende Motive. Das MkEv nutzt das Motiv der familia dei bzw. des Familienwechsels, um Nachfolge als den Wechsel in die christliche Gemeinde zu beschreiben und die egalitäre597 Gemeinschaft in der mk Gemeinde darzustellen. Anstelle der alten Familie mit ihrer patriarchalen Hierarchie steht eine Nachfolgegemeinschaft, welche sich in einer neuen Weise als Familie verstehen kann, indem sie die Rolle des pater familias unbesetzt lässt. Das besondere Charakteristikum des patriarchalisch-hierarchischen ƳʋƯƳƵ wird so aufgebrochen. Eingedenk der Bedeutung des innerfamiliären sozialen Beziehungsgeflechts im mediterranen Kulturraum drückt das Motiv der familia dei die absolute Anbindung an die christliche Gemeinde (3,31–35) in einprägsamer Weise aus. Der Grund der Motivwahl liegt vermutlich in der überkommenen Tradition des Motivs der zu verlassenden Familien (jesuanische Logien, Wanderradikalismus) bzw. der grundsätzlichen Möglichkeit, religiöse Loyalität anhand der Subordination verwandtschaftlicher Beziehungen zu erweisen (s.o. 3.2), dem bei Philo sichtbar werdenden und evtl. ebenfalls schon etablierten Motiv des Familienwechsels (Konversionsterminologie, s.o. 3.2.2) und – das darf nicht vernachlässigt werden – in der realen Situation der mk Gemeinde. Auch die Nachfolge dieser sesshaften Gemeinschaft ist alles andere als beschaulich, wie sich an anderer Stelle gezeigt hat. Sie ist geprägt von Verfolgung (4,17; 10,30) und Feindschaft (13,9–13), gefährdet durch die Sorgen des Alltags (4,19) und den »Satan« (4,15). In der mk Gemeinde besteht somit die Herausforderung realer Leidensnachfolge,598 weshalb sie auch dazu ermutigt wird (8,34ff).599 Darin eingeschlossen ist der 595 Vgl. THEISSEN, Wanderradikalismus, 86(ff). Ich benutze den Begriff »Struktur« im Sinn des von Victor Turner eingeführten Oppositionspaares Struktur/Antistruktur. S.u. 3.9.1. 596 Vgl. THEISSEN, Wanderradikalismus, 84. 597 Diese Charakterisierung führt KRISTEN (vgl. etwa Nachfolge, 102) ein. Auch Roh benutzt unabhängig von Kristen »egalitär«. Vgl. ROH, Familia, 139 u.ö. 598 Vgl. THEISSEN, Wanderradikalismus, 84. 599 VAN IERSEL, Failed, 252ff bezieht verschiedene mk Textstellen auf konkrete Verfolgungssituationen inkl. Folter und daraus resultierendem Abfall und Verrat. »Both the offence and the

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Verlust alter sozialer Bindungen. Als sesshafte Gruppe steht sie – ähnlich den Wandercharismatikern – wiederum am Rand der Sozialstruktur. Diese möglichen Konsequenzen der Nachfolge aufzugreifen, zu legitimieren und positiv für die Identität und Bestimmung der mk Gemeinde nutzbar zu machen, ist eines der Ziele des MkEv. Wie in den Tagen Jesu – ja wie Jesus selbst – kann Leserin und Leser in dem durch die Jesusnachfolge ausgelösten Konfliktfall die Familie verlassen und in bzw. innerhalb der mk Gemeinde eine neue und neuartige Familie finden. Das MkEv macht wiederholt deutlich, dass Nachfolge Konsequenzen nach sich zieht.600 Dazu kann auch die Preisgabe alter sozialen Bindungen gehören. Diese Konsequenzen sind im MkEv nicht auf den Jüngerkreis beschränkt, sondern schließen die mk Gegenwart ein.601 Dass familiäre Beziehungen allerdings nicht zwangsweise aufgelöst werden müssen, zeigen die Brüderpaare im Jüngerkreis und die dienende Schwiegermutter des Petrus.

3.6.3 Ekklesiologische Aspekte Der Begriff der ɩƯƯưƬƶ˄Ʀ kommt im gesamten MkEv nicht vor. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum das MkEv bei dem Thema »Ekklesiologie des NT« selten Beachtung findet bzw. das Interesse mitunter nicht über die Bedeutung des vorösterlichen Jüngerkreises hinausgeht.602 In der Tat wird die noch vorhandene Naherwartung des Eschatons (1,15; 9,1; 13,30.33 u.a.)603 eine ausgeprägte Ekklesiologie nicht zulassen. Beschäftigt man sich aber mit der familia dei, dem mk ƳʋƯƳƵ bzw. dem ʙƺưƳƵ, werden punishment of 9:42 are, in my opinion, nowhere more relevant than in a situation of persecution.« Ebd. 253. Ich halte seine von Radcliffe übernommenen Überlegungen, ob es sich um die Verfolgung unter Nero im Rom handle und ob das Szenario 13,12 bis in die Gemeinde – die geistige Familie – reiche, für spannend aber nicht überzeugend. Er selbst weist darauf hin, dass die Argumente unsicher sind: »Radcliffe’s claim that the situation in Rome after A.D. 70 occasioned the writing of Mark seems to me to be highly questionable«. Ebd. 262. 600 Die Berufungsszene Mk 1,16–20 mag hier Modellcharakter besitzen: Die Antwort der Männer auf den radikal wirkenden Berufungsruf Jesu »besteht in einem Verhalten, das von Zustimmung und Bereitschaft zur Konsequenz bestimmt ist« (KERTELGE, Jüngerschaft, 155). Diese Konsequenz vorösterlicher bzw. nachösterlicher wanderradikaler Nachfolge wirkt sicher auch auf das Motiv der familia dei ein. 601 Der Unterschied mag darin bestehen, dass die vorösterlichen Jünger (und daran anschließend die Wandercharismatiker) ganz und gar aus ihren alten Beziehungen in die absolute Anbindung an Jesus gerufen wurden (Mk 1,16–20; Q 9,59f; 14,26). Von der mk Gemeinde wird ein solcher Schritt nicht gefordert, sondern steht im Konfliktfall als Möglichkeit zur Verfügung. 602 Beispielsweise verzichtet ROLOFF (Die Kirche im Neuen Testament) auf ein Kapitel über das MkEv. 603 »Markus löst die Naherwartung des Eschatons nicht auf, er schärft sie ein.« SCHENKE, Mk (1988), 139.

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durchaus ekklesiologische Aspekte – um nicht vorschnell zu sagen: Konzepte – sichtbar. Kertelge weist zu Recht darauf hin, dass das Thema »Kirche« im MkEv »nicht einfach ein separierbares Teilthema [ist, TR], sondern eine durchgehende ›Dimension‹ und Intention, die sich an zahlreichen Details und v.a. an der Linienführung des Evangelisten festmachen läßt.«604 Kertelges Reden von »Kirche« bzw. sogar »Zeit der Kirche«605 im MkEv erscheint mir jedoch für Missverständnisse offen zu stehen. Ich nutze deshalb den offeneren Begriff »Gemeinde«, in dessen Perspektive dann der Begriff der »Ekklesiologie« steht. (1) Die Hauskirche. Auf die ekklesiologische Bedeutung des mk Hauses, welches sich scheinbar in Opposition zur Synagoge befindet, wurde bereits hingewiesen.606 Es handelt sich hierbei nicht um die alten Häuser der biografischen und sozialen Herkunft, sondern um die Häuser, welche die Nachfolgerinnen und Nachfolger neu erhalten und/oder in denen sie einander als neue Familie begegnen. Während das Haus auch als Ort der Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern erscheint, ist es neben dem Meer ein wichtiger Ort für die Begegnung Jesu mit der Volksmenge (2,1; 3,20; aber 7,17). Die oben dargestellte Bedeutung des mk Hauses legt nah, bei der mk Gemeinde eine Art Hauskirche, wie sie etwa aus den pln Briefen bekannt ist, zu vermuten.607 Im urgemeindlichen Kontext kann dies kaum verwundern. Allerdings steht »Haus« nicht allein für den architektonischen Ort der gottesdienstlichen Veranstaltung, sondern schließt auch die soziale Dimension des mediterranen ƳʋƯƳƵ in modifizierter Gestalt ein. Der ƳʋƯƳƵ bzw. die ƳʅƯ˄Ʀ als Ort sozialer, ökonomischer und kultischer Gemeinschaft, die sich als Familie versteht (s.u.), weist vermutlich auf das Zentrum der mk Gemeinde hin. Die Gemeinschaft vollzog sich aus praktischen Gründen in den verschiedenen Häusern von Gemeindegliedern.608 Wie das Haus des Petrus in Ka604 KERTELGE, Jüngerschaft, 152. Kertelge warnt vor einer Engführung der Ekklesiologie auf den Jüngerkreis: »Jesus hat das Evangelium dem ganzen ›Volk‹ verkündigt, nicht den Jüngern allein.« Ebd. 605 KERTELGE, Jüngerschaft, 154. 606 S.o. 3.5. 607 Zu beachten ist neben der Familienterminologie auch die Einsetzung der familia dei im Haus. Vgl. auch SCHMITHALS, Mk I, 212, der den Gegensatz zwischen Hausgemeinde und Synagoge hervorhebt. Vgl. auch OSIEK/BALCH, Families, 32f. 608 Vgl. den Plural der »Häuser« in 10,30. Man wird nicht klären können, wie dies konkret aussah: Gab es ein bestimmtes Gottesdiensthaus oder fanden die kultischen Versammlungen reihum oder nebeneinander in einzelnen Häusern statt? KRISTEN (vgl. etwa seinen »Epilog«, Familie, 1ff) denkt sicher nicht zu Unrecht an eine Wohn-, Lebens- und Glaubensgemeinschaft der verschiedenen Christen in den verschiedenen Häusern. Der Schwerpunkt des Gemeindelebens könnte durchaus in der jeweiligen »Familie« gelegen haben. Als Analogie wäre hier auf die Existenz mehrerer Hausgemeinden innerhalb einer Ortsgemeinde in den Paulusbriefen zu verweisen. Vgl. dazu

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farnaum wird es Häuser gegeben haben, die mit dem Übertritt in die Jesusnachfolge nicht verlassen wurden und so den alles-verlassen-habenden Glaubensgeschwistern offen stehen konnten.609 Es ist immer wieder zu bedenken, dass in der mk Gemeinde das Verlassen der Herkunftshäuser keine Voraussetzung für Nachfolge, sicher aber eine oft begegnende Realität war. Daneben gab es sicher auch Mitglieder der Gemeinde, die mit ihrem ganzen »Haus« (inkl. Gebäude) in die Jesusnachfolge eintraten.610 (2) Die familiäre Gemeinschaft. Die Aufnahme in die Hausgemeinde(n) beschreibt das MkEv mit dem Wechsel von der alten in die neue und neu definierte bzw. strukturierte Familie. Der Begriff der Familie kann als Umschreibung der Gemeinde dabei missverständlich sein: Die patriarchalische Autoritätsstruktur, welche den griechischen ƳʋƯƳƵ charakterisiert,611 ist in der mk Gemeinde durchbrochen. Die familiären Beziehungen werden neu bestimmt. Unter diesem Gesichtspunkt ist auffällig, wie Markus die neue Familie in 3,34f und 10,30 beschreibt: Der festgeprägte Begriff des ƳʋƯƳƵ erscheint nur am Rand und zielt in 10,29f v.a. auf die immobilen familiären Bereiche.612 Die Familie wird dafür über ihre einzelnen sozialen Beziehungen beschrieben – mit Ausnahme des Vaters. Die zentrale Stelle für den Wechsel in die neue und neuartige »Familie« in Mk 10,29f scheint nun auf den ersten Blick nur die Jünger zu betreffen, denn in V. 28 fungiert Petrus als Sprecher des Zwölferkreises, der mit dem GNILKA, Hausgemeinde, 232f. In 1Thess 5,27 wird die Gefahr greifbar, dass ein an die Gesamtgemeinde adressierter Brief nicht alle Gemeindeglieder (Hausgemeinden) erreicht. Schwierig erscheinen mir die Überlegungen TRAINORS (Quest, 29f.179), der die mk Gemeinde in Rom verortet und damit die konkrete architektonische Struktur (am Beispiel Herculaneum und Pompeji, ebd. 31ff u.ö.) einbeziehen kann: Er rechnete mit der Existenz eines »christlichen« domus, d.h. eines eher noblen Hauses der sozialen Elite, um der »whole Markan community« die Möglichkeit eines Treffens zu ermöglichen. Er zieht den Schluss, dass die mk Gemeinde aus ca. 3- bis 4-mal 50 Personen bzw. 3 bis 4 Hauskirchen bestanden haben mag (ebd. 30). Diese Aussagen erscheinen äußerst fraglich, wobei natürlich das größte Haus für die Gemeindeversammlungen prädestiniert war. Immerhin macht Trainor auf das leicht übersehbare Problem der räumlichen Begrenztheit von Hauskirchen aufmerksam. Vgl. dazu auch KLAUCK, Hausgemeinden, 17f. Vielleicht spiegelt ja auch die versammelte Volksmenge am See (Mk 2,13; 3,7f; 4,1; 5,21) reale Vorgänge und bietet eine Lösung des Problems. Wie dem auch sei, jeder Versuch einer Konkretisierung dieser Frage scheint in die Spekulation zu führen. 609 Das ist v.a. dann zu erwarten, wenn der pater familias zur Gemeinde gefunden hat (vgl. Act 16,30ff etc.). 610 Vgl. etwa die Brüderpaare im Zwölferkreis und das Haus des Petrus samt Schwiegermutter. 611 Zur philosophischen Reflexion und Idealisierung dieser Autoritätsstruktur bei Plato und Aristoteles vgl. TRAINOR, Quest, 40ff, speziell 46ff. Allerdings weist Trainor auch darauf hin, dass für Aristoteles innerhalb der Familie Partnerschaft und Gemeinschaft möglich und sogar wünschenswert sind. Vgl. ebd. 49f. Der ƳʋƯƳƵ konnte als Ort der Harmonie gelten (vgl. ebd. 67). 612 Die soziale und ökonomische Dimension wird ausgegliedert und extra genannt. Mk 6,4 zeigt hingegen, dass er die alte Familie durchaus als ƳʋƯƳƵ beschreiben kann. Vgl. aber oben 3.5, Anm. 433.

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Eintritt in die Nachfolge »alles« verlassen hat. Doch auch bei dieser Frage nimmt diese Stelle eine Schlüsselposition ein: Jesus antwortet Petrus und den Zwölfen gerade nicht – wie zu erwarten – in der 2. Person Plural. Er geht auch nicht auf das ™ʾƱƷƦ ein, wie das alternierende ɷ in V. 29 zeigt. Die Zusage der neuen Familie erfolgt über die Köpfe der Jünger hinweg und hat grundsätzlichen und allgemeinen Charakter (ƳʡƩƪ˄Ƶ ɩƶƷƮƱ).613 Der Hinweis auf die Äcker weist ebenfalls über den Horizont der Jüngernachfolge hinaus und zeigt, dass dieses Logion an eine sesshafte Nachfolgegruppe adressiert ist. Man wird sicher sagen können, dass der Evangelist hier ganz bewusst den erweiterten Kreis der Nachfolgerinnen und Nachfolger in den Blick nimmt. Auf die Erzähllinie zwischen 3,31–35 und 10,29f wurde an anderer Stelle bereits hingewiesen:614 Markus bezieht 10,28–31 neben der Perikope 1,16–20 auch auf die familia dei in 3,31–35. Die Kennzeichnung der Gemeinde als Familie, in der man einander und gegenüber Jesus »Bruder, Schwester und Mutter« ist, verweist auf das (intendierte?) Beziehungsgefüge als besonderes Charakteristikum dieser Gruppe.615 Hier geht es um reales, familienartiges Zusammenleben bzw. – wie Jacobson es ausdrückt – um die »formation of fictive families«.616 So werden die Konturen der mk Gemeinde sichtbar: Mk 10,30 legt nahe, dass es sich um eine Gemeinschaft mit kollektivem Eigentum handelt.617 »Die neue Hausgemeinschaft konstituiert sich aus solchen, die Güter oder Familie verlassen haben, nun aber mehr als das, nämlich die Summe [also eine komplette Familie, TR] des möglicherweise zu Verlassenden, als ihren neuen Lebensraum vorfinden.«618 Die mk Gemeinde versteht sich als Familie in der Art einer um »Mütter und Kinder« (10,30) erweiterten Geschwisterschaft »in der man zu teilen bereit ist«.619 Dahinter mag auch die Erfahrung stehen, dass das Vakuum sozialer Interaktion, welches durch 613 Die Aussage des Petrus ist zudem nicht unproblematisch. Nach VIA (Ethics, 139f) ist die Aussage von Petrus unberechtigt: »And Jesus’ statement [10,29f, TR] also reveals a defect in Peter’s claim to have given up everything. Had he really abandoned it all, he would have had a sense of fullness rather than of relinquishment. Thus Jesus here suggests that Peter’s claim is false, and his later behavior demonstrates it (14:32–42, 50, 66–72).« Ebd. 140. Auch die Notiz von der Schwiegermutter des Petrus relativiert seine Überzeugung, alles verlassen zu haben – Haus wie Frau (vgl. 1,29–2,1; 3,20f.31–35; 3,9; 4,1; vgl. auch 1Kor 9,5). So auch REPLOH, Lehrer 28. JACOBSON (Jesus against, 202) verweist auf die Aktivitäten der mt (sic!) Zebedaidenmutter und schließt gegen Mk 1,20, dass 10,28 auch nicht auf die Zebedaiden zutrifft. 614 S.o. Teil 2, 1.4.1 u.ö. 615 Vgl. PARK, ʟƝƑƕƙ, 244. 616 JACOBSON, Jesus against, 208. 617 Vgl. Mk 10,17–27. Vgl. KRISTEN, Familie, 158; KRISTEN, Nachfolge, 102. Ich werde auf diesen Aspekt unten 3.7 näher eingehen. 618 KRISTEN, Familie, 158. 619 GNILKA, Mk II, 93. Er verweist auf die Analogie zu Act 2,44; 4,32–37, wobei der Hinweis auf die Verfolgungen die Unvollkommenheit des irdischen Zustands zeigt.

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das Verlassen der alten Bindungen, speziell der mediterranen Familie des 1. Jh. n.Chr., entstanden ist,620 durch die neu konstituierte Familie ausgeglichen wird. Die Nachfolge dieser Gemeinschaft findet jedenfalls im selbstlosen Zusammenleben sesshafter Christen (10,30; 13,15f) um den auferstandenen Christus ihren Ausdruck. Man weiß Jesus in der Mitte – er ist Bestandteil der neuen ƳʅƯ˄Ʀ. Er ist Lehrer der Gemeinde und gehört gleichzeitig zu ihr (3,31–35). Er selbst kann die Volksmenge um sich Mutter, Bruder und Schwester nennen (3,34f), an anderer Stelle dagegen vermutlich als Herr der Gemeinde (ʖ ƯˈƴƮƳƵ Ʒ̏Ƶ ƳʅƯ˄ƦƵ) erscheinen (13,35). Aufgabe der Gemeinde ist es v.a., in ahierarchischer und durch Selbstlosigkeit geprägter familiärer Gemeinschaft um Jesus zu sein bzw. ihn mit aller Kraft zu suchen (6,32f etc.) und die vom physisch abwesenden Hausherrn übertragenen Aufgaben für den Erhalt seiner Familie zu erfüllen (13,34–37). Zum egalitären, ahierarchischen Charakter dieser Gemeinschaft passt die Abwesenheit bzw. die Übertragung der Rolle des pater familias (11,25),621 auf die wiederholt hingewiesen wurde. »Möglicherweise ist in einem Haus, in dem alle versuchen, einander Diener zu sein (10:43f), die Rolle des pater familias tatsächlich entbehrlich«622 bzw. nötig: »If there is no father in the Christian community, then patriarchal, autocratic authority has been removed.«623 So bleibt auch Platz für das Einander-Dienen und die »Selbstverleugnung« – Züge des gemeinschaftlichen Lebens, die in den üblichen mediterranen Strukturen nicht denkbar wären, da sie die Honour-ShameVorstellungen umkehren (8,34; 9,33–37; 10,42–45; vgl. Mt 23,8ff).624 Hier ist auch der Vers Mk 10,31 von großer Bedeutung, den Markus dem Logion von der neuen Familie 10,30 unmittelbar zur Seite stellt. Laut Roh handelt es sich dabei um eine Warnung vor dem innergemeindlichen Rangstreit – ausgelöst durch ein Verdienstdenken aufgrund des öffentlichen Bekenntnisses, der daraus erfolgten Leiden oder der familiären Aufnahme anderer Gemeindeglieder.625 Diese Anfügung relativiert nun das Bild von den Verhältnissen in der Gemeinde. Sollte Roh recht haben, verweist eine solche Warnung, die ja im Kontext des Jüngerkreises auch andernorts begegnet (9,33–35; 10,35–44), auf Rangstreitigkeiten innerhalb der Gemeinde,626 620

Der Mensch wurde als soziales Wesen wahrgenommen. Vgl. etwa TRAINOR, Quest, 50 u.ö. Vgl. auch die unübliche Reihenfolge der Familienmitglieder in Mk 3,35 gegen 3,32–34. 622 KRISTEN, Familie, 160. Gegen BEST, Following, 227: Nach ihm finden die Christen in der Kirche als neue Familie auch neue Väter. 623 VIA, Ethics, 146. 624 TRAINOR (Quest, 183) verbindet diese enge familiäre Gemeinschaft mit der in den mk Häusern oft begegnenden Möglichkeit tiefgreifender Heilung: »This is the kind of environment in which people are healed at the deepest levels of their being.« Es erscheint mir fraglich, ob dieses durchaus interessante Erklärungsmuster den Heilungswundern gerecht wird. 625 Vgl. ROH, Familia, 141. 626 So ROH, Familia, 142. 621

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gegen die Markus mit seinem Konzept der egalitären Gemeinschaft vorgeht. Die egalitäre familienartige Gemeinschaft wäre somit nur eine vom Evangelisten intendierte. Von Bedeutung ist, wie bereits angedeutet, Mk 13,34–37, wo vermutlich der auferstandene und physisch abwesende Christus als ƯˈƴƮƳƵ Ʒ̏Ƶ ƳʅƯ˄ƦƵ erscheint. Die ƩƳ̬ưƳƮ des Hauses sind während der Abwesenheit ihres Herrn mit der Vollmacht (ɩƲƳƸƶ˄Ʀ) zu vielfältigen Aufgaben »für die Aufrechterhaltung der Stabilität und Gesundheit des Haushaltes«627 ausgestattet. In diesem Bild wird eine Übertragung der Verantwortung (Gemeindeverwaltung) auf die mk Gemeindeglieder sichtbar. Dabei sind Jeder und Jedem spezielle Aufgaben zugeteilt. Alsup weist darauf hin, dass das konventionelle Denken bei der Abwesenheit des Hausherrn die Frage nach der »Hackordnung«628 stellen würde. Doch der Text gibt bezeichnenderweise die »oben-unten-Strukturen« auf: »Es scheint, daß niemand das Kommando hat.« Christus ist Herr des Hauses, es ist sein Haus. »Niemand [von den Sklaven, TR] stellt seine Macht in Frage oder versucht, sie an sich zu reißen.« Nach Alsup findet sich hierin eine bewusste Infragestellung des mediterranen status quo: »Die drohende Gefahr für das Haus in der Abwesenheit des Hausherrn ist De-Zentralisation, eine Art Entthronung des[s]en, was üblicherweise gilt.« Diese Beobachtung korrespondiert mit der Abwesenheit des Vaters. (3) Die Mahlgemeinschaft. Einen besonderen Schwerpunkt im gemeinschaftlichen Leben – untereinander und mit Christus – bildet neben dem Gebet (11,25)629 v.a. die Mahlgemeinschaft (8,1–9; vgl. 6,34–44; 14,22ff). Besonders interessant für die Identifikation des ʙƺưƳƵ mit der mk Gemeinde sind die beiden Speisungsgeschichten (6,34–44; 8,1–9), in denen der ʙƺưƳƵ – nicht die Jünger – als von Jesus veranlasste Mahlgemeinschaft erscheint.630 Möglicherweise sind Assoziationen zur Eucharistie von Markus intendiert.631 Termini wie ƪʡƺƦƴƮƶƷ˂ƶƦƵ ɭƯưƦƶƪƱ (8,6; vgl. 14,23) und ƪʡưƳƨˀƼ (6,41; 8,7; vgl. 14,22) stehen für solche Assoziationen offen. 627

ALSUP, Kirche, 123. Folgende Zitate: ALSUP, Kirche, 124. 629 Hier wird der Gemeinschaftsaspekt des Gebets mit der durch die Zugehörigkeit zur familia dei begründeten gegenseitigen Vergebung betont. Vgl. dazu SÖDING, Leben, 185f. 630 Nach PARKs Analyse (ʟƝƑƕƙ, 71 u.ö.) ist die Volksmenge in den Speisungswundern vormk und stellt evtl. neben dem familia-dei-Motiv für Markus die Veranlassung dar, den ʙƺưƳƵ mit der Gemeinde zu identifizieren, denn sie begegnet ihm in der benutzten Tradition als Eucharistiegemeinde und Gottesvolk (die »Herde ohne Hirte« spiegelt atl. Aussagen zu Israel als Volk Gottes, vgl. Num 27,17; Jes 13,14; vgl. auch ebd. 19f. Gegen BEST, Following, 210, der allerdings die mögliche Identifizierung mit Israel an dieser Stelle als Opposition zur Kirche zu sehen scheint. Das ist aber hier nicht notwendig – es geht vermutlich eher um einen jüdischen ʙƺưƳƵ). 631 Anders GNILKA, Mk I, 301f. 628

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Ersterer begegnet wörtlich in 1Kor 11,24.632 Schenke hat in seiner Darstellung der Symmetrie des MkEv gezeigt, dass die Speisungswunder und das Abendmahl vom Aufbau des Evangeliums her in Beziehung gesetzt sind.633 M.E. ist dabei die zweite Speisungsgeschichte als nachösterliches Abendmahl im nichtjüdischen Kontext gestaltet: Neben der beziehungsreichen Terminologie in 8,6 fällt auf, dass die eucharistischen Anklänge in der zweiten Geschichte auf die Brote beschränkt sind.634 Die Fische werden – im Gegensatz zur ersten Geschichte – erst nachträglich gereicht (vgl. Mk 8,6 zu V. 7!). Nach Schweizer635 sind die Fische ein fester Bestandteil der Tradition und redaktionell vom Brotbrechen abgesetzt, um die Parallele zum Abendmahl nicht zu stören. Ein weiterer Unterschied ist, dass in der ersten Geschichte die Initiative von den Jüngern (6,35) – in der zweiten Geschichte von Jesus selbst ausgeht. Das dreitägige Ausharren (ɶµˀƴƦƮ Ʒƴƪ̝Ƶ 8,2) der zweiten Volksmenge, die z.T. von Ferne gekommen ist (8,3), verweist vermutlich auf die nachösterliche Zeit (vgl. 8,31; 9,31; 10,34).636 Diese zweite Speisung ist zudem auf den nichtjüdischen ʙƺưƳƵ ausgerichtet.637 Dass legt den Schluss nahe, dass sich in der zweiten Speisung die nachösterliche Abendmahlsfeier der mk Gemeinde spiegelt. Zu Beginn der Speisungsgeschichten ist Jesus aufgrund der Volksmenge emotional ergriffen. Die Volksmenge ist ohne »Hirten«638 und leidet Not. Mit Lehre und Nahrung wendet er sich ihr fürsorglich zu. »Their devotion was expressed by their recognition of him, by their running to anticipate his arrival in the ɭƴƬßƳƵ, by their indifference to physical hunger and by their satisfaction with the food he provided. Christian readers were bound to hear in this story echoes of the wilderness meals of Israel during the Exodus, the Eucharist meals of the churches and anticipation of the banquet in the Kingdom of God.«639 Minear zieht daraus allerdings den fraglichen Schluss, dass hier das Verhältnis der Jünger zu der Volksmenge, also der christlichen Gemeinde bestimmt werde. Die Jünger seien in die Verantwortung genommen für die, die wie Schafe ohne Hirten sind. Sie sollen sie versorgen. 632

Vgl. PARK, ʟƝƑƕƙ, 62. SCHENKE, Mk (1988), 73. Man darf Jesu letztes Mahl vermutlich eher der dargestellten und abgeschlossenen Zeit zuordnen (Grundlage der eucharistischen Praxis). Die Speisungsgeschichten weisen v.a. in die mk Gegenwart. GNILKA (Mk I, 301f) lehnt allerdings einen eucharistischen Bezug und eine symbolische Bedeutung der Zahlen (ebd. 304) in den Speisungsgeschichten ab. 634 Zu den folgenden Hinweisen vgl. HOFRICHTER, Speisung, 147f. 635 SCHWEIZER, Mk, 84. 636 Dass es sich hierbei nicht um eine Überinterpretation handelt, zeigt der Kontext, d.h. die reiche Zahlensymbolik in den Speisungsgeschichten. Mehr dazu gleich Pkt. 4. 637 Vgl. gleich Pkt. 4. 638 S.o. Anm. 630. 639 MINEAR, Audience, 84. 633

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Sind die Jünger also Identifikationsgrößen für die Gemeindeleiter, die Volksmenge bzw. die familia dei hingegen für die Gemeinde? Muss man sich die mk Gemeinde als Zwei-Klassen-Gemeinschaft mit einer die µƦƭƬƷƦ˃-Sukzession beinhaltenden Art »Klerikerkollegium« und der Gruppe der »Laien« denken?640 Das ekklesiologische Konzept der familia dei mit (nur) einem himmlischen Vater wäre durch diese Hierarchisierung durchbrochen. Der Kontext legt hier auch eine andere Interpretation nah: Das »Brot« wird nicht nur im aktuellen Vollzug der Speisungsgeschichten der Gemeinde von den Jüngern übergeben, sondern die Übermittlung einer möglicherweise dahinter stehenden eucharistischen Praxis kam über die Tradition. – d.h. auf der narrativen Ebene auch durch die Jünger (6,7–13). Gegen eine ZweiKlassen-Gemeinde spricht neben der zurückgenommenen Jüngeraktivität in der zweiten Speisungsgeschichte (8,1 gegenüber 6,35f) auch 14,27: Jesus ist der »Hirte«, der Zwölferkreis – wie die jüdische Volksmenge der ersten Speisungsgeschichte – die »Schafe«. (4) Die Universale Gemeinschaft. Für den Evangelisten spiegelt sich im ʙƺưƳƵ »um Jesus« die Gemeinde. Sie ist der Ort, wo die Menschen sich versammeln (sollen), Juden und Nichtjuden. So beschreibt Markus in 3,7f die Ausstrahlung Jesu mit dem Bild des aus allen Himmelsrichtungen herbeiströmenden ʙƺưƳƵ.641 Auch wenn »die unmittelbare Adresse ›Israel‹ […] für Jesus erhalten bleibt«,642 fällt auf, dass sich der ʙƺưƳƵ sowohl aus Juden als auch aus Nichtjuden zusammensetzt. Neben dem vorrangigen Interesse des Evangelisten an dem weitläufigen Wirkungskreis Jesu stützt dieses Urteil auch andere Beobachtungen, die vermuten lassen, dass es sich bei der mk Gemeinde um eine gemischte Gruppe handelt.643 Auch die Verteilung 640 So allerdings MINEAR, Audience, 88: »In Mark’s language, the distinction between mathetai and ochlos followed rather closely the distinction between fishermen and fish, shepherds and flock, stewards and vineyard, healers and healed, those who distributed the bread and those who were fed, the preachers who travelled and the listeners who welcomed them.« Und ebd. 89: »When we try to place ourselves among his first readers, it becomes clear that church leaders would most naturally identify themselves with the mathetai, since they had inherited their special responsibilities and temptations; laymen would naturally identify themselves with the ochlos, depending on their leaders to be healed, fed and taught. The Gospel would help both leaders and laymen to perceive their separate roles, their interdependence, and their common obligations to the shepherd who alone was able to feed his flock in the wilderness.« 641 Vgl. dazu die Analyse von PARK, ʟƝƑƕƙ, 45ff. Er kommt zu dem Schluss, dass die Grenze zwischen jüdischem und heidnischem ʙƺưƳƵ in diesem Text verschwunden ist (ebd. 47). 642 KERTELGE, Jüngerschaft, 154. 643 Auf eine gemischte Gemeinde weist die Erklärung jüdischer Bräuche (Mk 2,19; 7,3f; 14,12, 15,42), die Übersetzung hebräischer und aramäischer Wörter (Mk 3,17; 5,41; 7,11.34; 9,43; 10,46; 15,22.34), die Näherbestimmung der Ortsangabe (13,3), die Benutzung der LXX. Das Thema Rein-Unrein in Mk 7 wäre bei einer rein heidenchristlichen (und evtl. auch rein judenchristlichen) Gemeinde überflüssig. Gerade dieses Problem stellt sich aber bei gemischten Gemeinden. Vgl. auch SCHENKE, Mk (1988), 33f.159ff: Im MkEv zeigen sich Distanz und Nähe zum Judentum, die

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der zwei Speisungswunder in heidnisches und in jüdisches Gebiet legt dies nah.644 Hinzu kommen hier die bedeutungsträchtigen Zahlen: zwölf bzw. sieben Körbe, fünf bzw. sieben Brote und 5000 bzw. 4000 Menschen. Hier von einer symbolischen Deutung abzusehen,645 erscheint mir gerade beim Gegenüber von Zwölf/Fünf und Sieben und eingedenk der expliziten Zusammenschau und Betonung der Zahlen in 8,19ff (!) als falsch. Mk 8,21 fordert die Leserschaft noch einmal mit einer expliziten Leseanweisung auf, den symbolischen Gehalt und die daraus entstehenden Konsequenzen zu bedenken. Hingewiesen sei bei den Zahlen nur auf das Zwölfer- und das Siebener-Kollegium in Jerusalem (Act 6,1ff etc.); den Zwölferkreis; die sieben noachitischen Gebote, welche für die Völker gelten;646 die Vorstellungen von der »hebdomandischen Struktur der Welt«647 im Diasporajudentum bzw. der Sieben als »Geburtstag der Welt« bzw. »Vollzahl«648 etc. Die Fünf lässt an die Thora und die Vier an die Himmelsrichtungen (vgl. Mk 13,27.) denken.649 Hofrichter weist ergänzend darauf hin, dass der Segen in Mk 6 auf jüdische, das Dankgebet in Kap. 8 auf hellenistische Praxis hinweist.650 Im mk Kontext, der geografischen Verteilung der beiden Speisungswunder und mit Blick auf 8,16–21, wird man dem Evangelisten sicher einen bewussten Einsatz der Zahlen unterstellen dürfen. Sie symbolisieren mit hoher Wahrscheinlichkeit Israel und die Völkerwelt. Die auf Juden und Nichtjuden ausgerichtete Universalität in den Speisungsgeschichten bestätigt nicht nur die Zusammenstellung in 8,16–21. Auch das dort auftauchende und mit deutlicher Schärfe angeprangerte Jüngerunverständnis betont diesen Aspekt.651 In 8,17 wird dem Jüngerkreis ein verhärtetes Herz vorgeworfen. Mit dem anschließenden Zitat (V. 18) aus Ez 12,2 verbindet Markus das Unverständnis der Jünger mit der »Halsstarrigkeit« Israels! Ezechiel soll im Kontext dieser Stelle (Ez 12,3) sein Haus verlassen und symbolisch in die Verbannung ziehen: Von deinem Ort sollst du ziehen an einen andern Ort vor ihren Augen. Vielleicht merken sie es. Bereits in 4,12 findet sich das Zitat von Ez 12,2 und bezeichnet dort Ƴʆ ɭƲƼ, »Frage nach Verhältnis und Beziehung Jesu und der Jüngerschaft zum Judentum ist ständig im MkEv präsent.« Ebd. 159. 644 So auch PARK, ʟƝƑƕƙ, 244; HOFRICHTER, Speisung, 146. Vgl. die Übersicht der Seereisen Jesu bei MALBON, Jesus, 369. 645 Vgl. GNILKA, Mk I, 303f. Vgl. auch oben Anm. 533. 646 Vgl. HOFRICHTER, Speisung, 147. 647 HOLTZ, TRE 36, 460. 648 HOLTZ, TRE 36, 460f. 649 Vgl. HOFRICHTER, Speisung, 146. 650 Vgl. HOFRICHTER, Speisung, 147. Weitere Indizien wären die Aufteilung der ersten Gruppe in 50 und 100, welche an die Aufteilung des Volkes Israel erinnert (Ex 18,25; vgl. 0Q CD XIII 1). Die drei Tage, die die zweite Gruppe ausgeharrt hat, verweist m.E. auch auf die nachösterliche Zeit (vgl. Mk 8,2 mit 8,31 [Chiasmus?]; vgl. auch 9,31; 10,34). 651 Vgl. im Folgenden HOFRICHTER, Speisung, 148ff.

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denen alles in Gleichnissen übermittelt wird. Markus setzt – so Hofrichter – in der Perikope dieses Unverständnis nun mit dem »Sauerteig der Pharisäer und des Herodes« (8,15) in Beziehung. So könnte diese Perikope »auf die jüdisch-nationalistische Agitation gegen die christliche Heidenmission bezogen worden sein.«652 Deutlich geht es jedenfalls um eine Ausweitung und Universalisierung der christlichen Gemeinden. Der auf den jüdischen Bereich konzentrierte Jüngerkreis in dieser Perikope bringt dieser Entwicklung exemplarisches Unverständnis entgegen und wird dafür gescholten. Diese Interpretation korrespondiert mit meiner Deutung der Gerasenerperikope (s.o. 3.6.1). Was hat nun diese Universalisierung mit dem Thema dieser Arbeit zu tun? Die mk Gemeinde als ethnisch gemischte Gruppe wird natürlich das Konfliktpotenzial gegenüber der alten Familie v.a. bei jüdischen Herkunftsfamilien zusätzlich verschärfen.653 Auffällig ist die starke Erweiterung des Nachfolgekreises mit der Betonung der Volksmenge und verschiedener aus ihr heraustretender Charaktere. Sie korrespondiert mit der dargestellten Hinwendung Jesu zu einer breiten Gruppe sozial deklassierter Menschen. Daraus ist zu schließen, dass sich die mk Gemeinde nicht als »geschlossene Gesellschaft« versteht bzw. verstehen soll. Vermutlich ist die Gemeinde »offener« als andere zeitgenössische Gruppierungen.654 Sie konnte so wesentlich leichter die Aufnahme in die neue familiäre Gemeinschaft bieten.655 Die Offenheit bezieht sich dabei allerdings auf Anhänger des Evangeliums (10,29f) bzw. ist durch die Stellung zum Gotteswillen bedingt (3,35). Der Innen-Außen-Dualismus des MkEv (3,31–35; 4,11f) zeigt, dass diese Offenheit auch Grenzen hat. Die Offenheit erstreckt sich auf beide Geschlechter. Bereits der Wechsel von der Synagoge ins Haus und die Charakterisierung der Gemeinde als ahierarchische Familie ohne die Rolle des pater familias macht dies deutlich: Während die synagogale Glaubensversammlung v.a. »Männersache« ist bzw. die Synagoge zum öffentlichen Raum – dem männlichen Bereich im mediterranen Kontext – zählt,656 ist das Haus v.a. der Ort der Frauen und 652

HOFRICHTER, Speisung, 149. Vgl. das Thema »Rein-Unrein« in Mk 7. Vgl. auch oben 3.3. 654 Vgl. VIA, Ethics, 73, der den Ansatz H.C. Kees referiert. Vgl. auch TRAINOR, Quest, 183f. 655 ROH (Familia, 113f.117) macht darauf aufmerksam, dass Mk 3,31–34 durch die Zufügung von V. 35 (die allerdings bereits vormk erfolgt sein kann) die familia dei nun für jedermann, der den Willen Gottes tut, offen hält. In gleiche Richtung verweist die überraschende Nennung der Schwester (in 3,21.31–34 kommt eine solche nicht vor) und der Wechsel in den Singular (Bruder). 656 Vgl. dazu WICK, Gottesdienste, 117. Synagoge konnten zwar auch zum Übergangsbereich (Öffentlichkeit – Privat) gehören und Frauen hatten zur Synagoge Zutritt. Innerhalb der Glaubensversammlung wird ihnen aber eine untergeordnete Rolle zugekommen sein. Vgl. ebd. 102ff. Vgl. auch CLAUSSEN, Versammlung, 309. In der äg. Diaspora – so PHILO (Hypothetika VII 11–14) – geht der Mann nach der Unterweisung in der Synagoge nach Hause und gibt die Lehre seiner Frau, 653

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Kinder.657 Viele Textstellen (5,34.40ff; 7,25ff; 9,36f; 10,12.13–16.30; 12,40; 14,3ff; 15,40f.47; 16,1–8) zeigen, dass für Markus auch Frauen und Kinder Adressatinnen und Adressaten der Botschaft und des Handelns Jesu sind. Frauen treten in die Nachfolge ein und gehören in einer im mediterranen Kontext erstaunlichen Selbstverständlichkeit zur mk Gemeinde. Auch ihre Rolle in der Gemeinde wird sich erstaunlich aktiv dargestellt haben.658 Im MkEv sind es immerhin »the only faithful followers at the cross and the tomb,«659 die den Platz der geflohenen Jünger einnehmen. Daneben fällt auf, mit welcher Selbstverständlichkeit Frauen im MkEv agieren. Einzig gegen den kulturellen Kontext scheint Markus die Rolle der Frau betonen zu müssen – innergemeindliche Debatten sind kaum spürbar. Offensichtlich spiegelt sich hierin ein Stück der mk Gemeindewirklichkeit wieder.660 (5) Die Missionarische Gemeinschaft. Neben der sesshaften Form der Nachfolge in der mk Gemeinde (s.o.) spielt auch die Mission eine gewisse Rolle. Charismatische Wandermissionare werden jedoch kaum erkennbar.661 Die Gemeinde mag vielleicht ihre Existenz wandernden Missionaren verdanken und wird/soll ihnen ihre Häuser immer noch offen halten (6,10).662 seinen Kindern und seinen Sklaven weiter. Philo scheint nicht mit der Anwesenheit von Frauen in der Synagoge zu rechnen. Vgl. dazu LEONHARDT-BALZER, Jewish worship, 86. 657 Vgl. oben 1.1.2; 3.1. Vgl. PHILO, SpecLeg III 169! Vgl. auch OSIEK, NT und Familie, 288. GNILKA (Hausgemeinde, 236) macht auf den Zusammenhang zwischen der Stellung der Frau in den Hausgemeinden und ihrem traditionellen Ort im Haus aufmerksam. Dass die Verhältnisse in Rom anders waren (privates Haus als auch öffentlicher Ort, vgl. OSIEK/BALCH, Families, 24ff), spielt eine untergeordnete Rolle. M.E. ist das MkEv im Osten des römischen Reiches zu verorten. 658 Schwierig erscheint mir ROHs Versuch (Familia, 117), aufgrund dieser aktiven Rolle die Zufügung von V. 35 zu 3,31–34 datieren zu wollen. Bei diesem Versuch wird vorausgesetzt, dass diese Rolle der Frau zur Zeit des Markus in seiner Gemeinde bereits zur Vergangenheit gehörte. 659 OSIEK/BALCH, Families, 128. Die Schlussfolgerung, die mk Gemeinde »had woman leaders« (ebd.), erscheint mir hingegen missverständlich. Mehr dazu unten Teil 4, 2.2, Anm. 88. 660 Die Rolle der Frauen ist v.a. durch den von mir angenommenen liminalen Charakter (s.u. 3.3.3) der mk Gemeinde (Statuslosigkeit; Gleichheit) ermöglicht. Vgl. auch TRAINOR, Quest, 182: »The household of disciples envisaged in the gospel is one in which women and men collaborate in ministry, authority, and leadership.« Vgl. zu dieser Frage auch SÖDING, Evangelist, 27ff. 661 Ob man mit BEST (Following, 204) in dem Zwölferkreis eine begrenzte Gruppe von der mk Gemeinde ausgesandter Missionare sehen kann, ist mir bei Beachtung der verschiedenen Zeitebenen (s.o.) fraglich. 662 Ich verweise noch einmal auf die zeitliche Begrenzung und Abgeschlossenheit der Jüngeraussendung. Ob die Gemeinde immer noch mit Wandermissionaren im Kontakt steht, ist nicht sicher zu entscheiden. Immerhin zeigt die Didache, dass diese Erscheinungsform noch mindestens bis ins 2. Jh. n.Chr. hinein anzutreffen war (vgl. Did 11). Der Evangelist scheint auf die Tage, in denen die Wandercharismatiker eine große Rolle spielten, bereits zurückzublicken. Mk 6,10 scheint aber auf eine aktuelle Relevanz dieser Erscheinungsform hinzudeuten. Kristen stellt das Verhältnis zwischen der sesshaften und der wanderradikalen Nachfolge als ein sehr spannungsreiches dar. Vgl. KRISTEN, Nachfolge, 106; ders., Familie 218ff u.ö.; vgl. auch seinen Versuch einer narrativen Darstellung ebd. 1ff. Ihm zufolge »schotten« sich beide Existenzformen voneinander ab. Die positive Aufnahme der Jüngeraussendung im MkEv mahnt aber zur Vorsicht.

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Vermutlich hat sich die Gemeinde jedoch nicht darauf spezialisiert, »allen Völkern« das Evangelium zu verkündigen (13,10 – Passiv!), sondern fühlt sich wohl eher dazu berufen, diese Mission durch die Unterstützung von Wandermissionaren zu fördern (6,10; 9,41). Wesentlich erscheint mir, dass der Auftrag, den Jüngern die zentrale Auferstehungsbotschaft zu verkündigen, an die Frauen am leerem Grab ergeht. Sie sind an dieser Stelle deutlich von den Jüngern unterschieden und gehören – wie angenommen – zum weiteren Kreis der Nachfolgerinnen und Nachfolger.663 Weil die Frauen diesen Auftrag auf der Erzählebene des MkEv nicht erfüllt haben, ergeht er nun textpragmatisch gesehen direkt an die Leserschaft, also primär an die mk Gemeinde.664 Da die konkret benannten Adressaten der Botschaft eine Größe der Vergangenheit sind, kann dieser Auftrag an die Frauen eine eher allgemeine missionarische Grundhaltung in der Gemeinde implizieren. Auch sie ist bei der Verkündigung des Evangeliums in die Verantwortung genommen. So urteilt auch Martina Böhm über die Funktion des kurzen Markusschlusses: »Mit diesem Schluß ist ein ausdrücklicher Missionsbefehl, wie ihn uns Matthäus und der längere Markusschluß bieten, dann auch gar nicht nötig.«665 Von besonderem Interesse ist hier auch die Gerasener-Perikope, auf die ich bereits oben 3.6.1 eingegangen bin: Möglicherweise wird hier eine von der Apostelmission unabhängige missionarische Aktivität sichtbar, die weniger auf Wandermissionare als auf sesshafte Christen in heidnischen

Vielleicht ist das Verhältnis eher wie in Did 11,4ff zu beschreiben: Jeder »Apostel« (!) soll gastfreundlich aufgenommen werden, aber keinesfalls länger als 2 Tage etc., da die Gefahr besteht, dass es sich um »Pseudopropheten« handelt (vgl. Mk 13,5f!). 663 Man könnte zur Abwertung der Frauengruppe einwenden, dass die Botschaft an den Zwölferkreis ergeht und dass dieser – nicht die Frauen – nach Galiläa gehen soll. Dieser Interpretation ist entgegen zu halten, dass das »ʚƷƮ ™ƴƳʾƨƪƮ ʢß̀Ƶ ƪʅƵ ƷˁƱ ƊƦưƮưƦ˄ƦƱ« (Mk 16,7) die Frauengruppe mit einschließt. 664 Hier zeigt sich eine durchaus interessante Linie: Die Jünger Jesu versagen in der Kreuzesnachfolge (Mk 14,50 etc.). Obwohl das MkEv auf die Aufgabe von »Jüngern«, ihren Meister zu begraben, hinweist (6,29), kommen sie auch dieser Aufgabe nicht nach. Die Aufgabe der Kreuzesnachfolge und der Bestattung ergeht an andere: Simon von Kyrene, Josef von Arimathäa und an die Frauen an Kreuz und Grab. Diese sind vermutlich dem erweiterten Nachfolgekreis zuzurechnen – der Identifikationsgröße für die mk Gemeinde auf der narrativen Ebene des MkEv. Durch das Versagen der Frauen wird nun wiederum die Aufgabe, die Osterbotschaft zu verkündigen, an Leserin und Leser »weitergereicht«. Ähnlich auch Malbon, Fallible, 45: »In addition, at the close of the Markan gospel the narrator’s story and that of his characters comes to an end – it reaches the point of silence, but the hearer/reader’s story is at a new beginning – it is the hearer/reader’s turn to speak now.« Vgl. auch BÖHM, Wo Markus, 83: Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist »grundsätzlich an eine Bewegung von Menschen (sich ›Auf-den-Wegmachen‹) und an menschliche Übermittlung (Auftrag weitergeben) gebunden«. Der Adressatenkreis steht mit den Frauen am Ende des Evangeliums in einer ähnlichen Situation und wird mit in die Verantwortung genommen. 665 BÖHM, Wo Markus, 84.

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Gebieten abzielt (Mk 5,19). Dass sich die mk Gemeinde auch mit dem geheilten Gerasener identifizieren kann, ist möglich. Sollte in dieser Perikope etwas von den missionarischen Aktivitäten der Gemeinde sichtbar werden, wäre dies für das Thema dieser Untersuchung aufschlussreich: Während sich der Konflikt der Wandermissionare mit ihren Herkunftsfamilien eher in einem kurzen radikalen Bruch zeigt (vgl. Mk 1,16–20), ist der geheilte Gerasener in 5,19 aufgefordert, die Wohltaten des ƯˈƴƮƳƵ im eigenen Haus den Seinen (ƪʅƵ Ʒ˅Ʊ ƳʋƯˆƱ ƶƳƸ ™ƴ˅Ƶ ƷƳˇƵ ƶƳˇƵ) zu verkündigen (ə™ƦƨƨˀưưƼ).666 Auch wenn er sich daran nicht hält:667 Ein Verkündigungsauftrag in der Herkunftsfamilie kann – etwa eingedenk der Reaktionen auf die Verkündigung (ə™ƦƨƨˀưưƼ) der Schweinehirten (5,14– 17, vgl. ferner 6,1–6) – einen langwierigeren innerfamiliären Konflikt nach sich ziehen und den Bruch mit der Familie wesentlich schmerzhafter gestalten.668 (6) Bewertung. Die Konturen der mk Gemeinde als egalitäre, akephale, familienartige Gemeinschaft entwirft ein Modell, das sicher ideale Züge trägt – zumal es auch an die Darstellungen der »Urgemeinde« in Act 2,44; 4,32–37 erinnert.669 Dennoch bleibt ein solches Modell immer auch auf konkrete Verhältnisse bezogen. Als andere Möglichkeit könnte in Betracht gezogen werden, dass dieses Gemeindemodell nur den »mk Traum« widerspiegelt. Eine sichere Entscheidung ist hier schwierig. Allerdings überwiegt in Mk 3,34 und 10,29f Zusage und Ermutigung. Forderungen, wie 3,35, treten dahinter zurück. Ich werde unter 3.9 versuchen, dieses Bild der Gemeinde mit Hilfe kulturanthropologischer und ritualtheoretischer Ansätze zu untermauern. Dabei wird sich zeigen, dass dieses angenommene Gemeinschaftsmodell recht kurzlebig gewesen sein wird und vielleicht zur Zeit des Evangelisten bereits am Verblassen ist.670 666

In Act 15,27; 26,20 begegnet dieses Wort als urchristliche Missionssprache. Anders GNILKA, Mk I, 206, der hier nur neutralen Gebrauch erkennt. In Mk 6,30 begegnet das Wort eher neutral, steht aber auch hier im Kontext missionarischer Aktivitäten. 667 Vgl. aber ANNEN, Heil, 67: Der Gegensatz zwischen dem Auftrag Jesu und dem Vollzug muss nicht zwangsläufig als ein solcher interpretiert werden. 668 Bei den Wandermissionaren ist treffender von »Trennung« als von »Konflikt« zu sprechen (vgl. Mk 1,16–20). Bei einem Verkündigungsauftag im eigenen Haus geht es gerade nicht um »Trennung«. In der mediterranen patriarchalen Familie scheint aber ein Konflikt nahezu vorprogrammiert, wenn es sich bei dem Verkündigenden nicht gerade um den pater familias handelt (vgl. oben 1.1.2, vgl. ferner oben 3.1). 669 Vgl. unten 3.7: Auch in der Ethik (Besitzverzicht zugunsten der Gemeinde) kommt die Gemeinde dem lk Bild erstaunlich nah. 670 Eine solche egalitäre Gemeinschaft muss über kurz oder lang Strukturen, Hierarchien etc. ausbilden, um überlebensfähig zu sein. Vgl. unten 3.9.1.

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3.7 Familie und Ethik Familie und Ethik Spricht man von Ethik, öffnet sich ein weites Feld.671 Bereits dargestellte Aspekte des Themas Nachfolge672 und die Einsetzung der familia dei (3,35: ʘƵ ™ƳƮ˂ƶ̍ Ʒ˅ ƭˀưƬµƦ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬) könnten hier ebenso abgehandelt werden wie manche Aspekte des nachfolgenden Abschnitts »Familie und Eschatologie«.673 Eine Einschränkung ist deshalb geboten. Mit Blick auf die Fragestellung der Arbeit und die untersuchten mk Texte sollen in diesem Abschnitt die Spannungen zwischen den familienethischen Forderungen und der Legitimation familiärer Zerwürfnisse noch einmal aufgegriffen werden. Sodann soll die in der Konzeption der familia dei implizierte Ethik in den Blick genommen werden.674 Ermöglichung und Erfordernis der Ethik innerhalb der familia dei werden dann unter 3.8 »Familie und Eschatologie« eine Rolle spielen. Dabei wird sich zeigen, dass die beiden Bereiche Ethik und Eschatologie nur schwer voneinander abzugrenzen sind. Zum ersten Punkt wurde bereits im Teil 2 dieser Untersuchung Wesentliches gesagt:675 Der wichtigste Punkt, den die beiden untersuchten Texte Mk 7,9–13 und 10,2–12 zur Fragestellung dieser Arbeit beitragen können, ist, dass Markus keinesfalls afamiliär oder gar antifamiliär eingestellt ist. Aussagen wie Q 14,26 sind ihm sicher fremd. Das mag schon in den Texten über den Familienwechsel deutlich werden. Weder Mk 3,31–35 noch 10,29f ist als Forderung oder Bedingung für eine Aufnahme in die Gemeinde formuliert.676 In beiden Perikopen kann das MkEv familiäre Strukturen sogar positiv aufnehmen und metaphorisch auf eine neue Gemeinschaft umprägen. Eine Beurteilung von Mk 1,16–20 ist hingegen schwierig: Jesus verlangt nicht ausdrücklich, dass die berufenen Jünger ihre Familie verlassen sollen. Faktisch ruft er sie aber mit überraschender Radikalität aus ihren Vgl. etwa HERMS, RGG4 II, 1598ff. Vgl. SCHRAGE, Ethik, 114: »Nachfolge sowie Konformität zum Weg Jesu sind die entscheidenden Züge der markinischen Ethik«. Vgl. SÖDING, Leben, 174ff mit dem Dreischritt »Umkehr – Glaube – Nachfolge«. 673 Vgl. etwa SCHRAGE, Ethik, 26ff. Den Zusammenhang von Ethik und Eschatologie verdeutlicht die Botschaft Jesu nach Mk 1,15: Die Gottesherrschaft ist angebrochen – tut Buße. 674 Der Bruch mit der alten Familie zugunsten einer Anbindung an Jesus kann natürlich als (Nachfolge-)Ethik gelten. Dieser Aspekt wurde bereits an anderer Stelle (3.6.2 u.ö.) behandelt. Der wanderradikale Ethos braucht hier mit Blick auf die mk Gemeinde keine Rolle zu spielen. 675 Vgl. oben Teil 2, 2.3. 676 So vermeidet etwa Mk 3,31–35, Jesu Herkunftsfamilie von der neuen Familie explizit auszuschließen, obwohl die Perikope mit 3,21 und dem eingeschachtelten VV. 22–30 eigentlich darauf hinauslaufen könnte. 671 672

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bestehenden sozialen und ökonomischen Verhältnissen heraus. Immerhin beruft er die Jünger als Brüderpaare und deutet damit an, dass natürliche familiäre Beziehungen grundsätzlich in der Nachfolgegruppe bestehen bleiben können. Bei der Exegese von Mk 7,9–13 und 10,2–12 ist deutlich geworden, dass die Legitimation familiärer Zerwürfnisse exklusiv für die christliche Gemeinde und ausschließlich (10,29) erfolgt.675 Darüber hinaus bleiben die familienethischen Forderungen der Thora unberührt.676 Die Eltern sind zu ehren (7,10; 10,19) und die Ehe ist von Gott selbst als untrennbar eingesetzt (10,9.19). Beides wird in 10,19 sogar mit der soteriologischen Frage nach dem ewigen Leben verbunden. Eine Trennung von der Familie aufgrund menschlicher Schwächen ( 10,5) ist für das MkEv undenkbar. Die familienethischen Texte verhindern somit, dass die Legitimation familiärer Trennungen zur Beliebigkeit führen kann und so missbraucht wird. Um die darüber hinaus verbleibende »Restspannung« scheint sich Markus so wenig zu kümmern wie die Thora.677 Die ethischen Aspekte der neuen Familie kommen bereits in 3,35 deutlich zum Ausdruck. Zur familia dei gehört, wer den Willen Gottes tut. Hier wird die neue Familie durch eine ethische Grundhaltung bedingt. Markus lässt den Ausdruck μ offen. Vielleicht ist hier schon die Leidensnachfolge im Blick (vgl. 8,33), v.a. aber sind es wohl die ethischen Weisungen der Thora. Das legen nicht nur die dargestellten Texte (7,10; 10.9.19)678 nahe. An mehreren Stellen begegnet Jesus als Lehrer der Thora.679 In 12,29ff tritt als höchstes Gebot die Nächstenliebe (Lev 19,18) neben die Gottesliebe. Das Doppelgebot der Liebe steht im Zentrum der Thora675 Es geht letztlich um die Priorität der Jesusnachfolge. So, wenn auch nicht bis ins Letzte überzeugend, ROH, Familia, 142. 676 Das Thema »Markus und das Gesetz« ist aufgrund des divergierenden Textbefundes in der exegetischen Literatur recht unterschiedlich bewertet worden. Vgl. dazu etwa DAUTZENBERG, Studien, 114ff; KAMPLING, Gesetz, 119ff. Auch wenn Markus sicher kein Nomist war, so doch keinesfalls ein Antinomist. Eine Gesetzes– bzw. besser Einzelgebotskritik begegnet nur partiell. Vgl. DAUTZENBERG, Studien, 116. Bezeichnenderweise kommt μ im MkEv nicht vor. KAMPLING (Gesetz, 122–125) wird wohl richtig liegen, wenn er hier eine bewusste Entscheidung des Evangelisten vermutet, die zeigt, dass eine grundsätzliche Auseinandersetzung bzw. Infragestellung des gottgegebenen Gesetzes für Markus nicht im Blick ist. »Das Schweigen des Markus zu gleichsam theoretischen Problemen des Gesetzes ist als Ausdruck seines Interesses an einer Auslegung der Gebote im Hinblick auf das Tun zu werten«. Ebd, 125. 677 Vgl. oben 3.2.1. 678 Vgl. auch Mk 7,13: Die kultischen Vorschriften heben auf. Der »Wille Gottes« und das »Wort Gottes« bzw. das Gebot Gottes (7,8) werden v.a. auf die Weisungen der Thora zu beziehen sein. 679 Vgl. etwa SÖDING, Leben, 170ff: Der mk Jesus lebt und lehrt in Übereinstimmung mit der Thora, speziell mit »sittlichen Grundoptionen des hellenistischen Judentums«. Ebd., 171. Jesus attackiert v.a. die frühjüdische Thoraauslegung.

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auslegung.682 In 7,10 und 10,9.19 wird deutlich, dass dabei v.a. die »2. Tafel« des Dekalogs im Blick ist.683 Der Gotteswille, den es zu erfüllen gilt, ist für die Gemeinde also v.a. im atl. Nächstenliebegebot sowie in den ethischen Weisungen des Dekalogs zu suchen. Ihre Beachtung erscheint als Bedingung für das ewige Leben684 und die Zugehörigkeit zur familia dei. Es ist für die Hochschätzung der Ethik bezeichnend, dass die ethischen Weisungen die auf Gesetzesauslegung fußenden kultischen Weisungen übersteigen (3,4; 12,33) bzw. die kultischen durch Jesus zugunsten der ethischen relativiert werden können.685 Jesus selbst ist seiner neuen Familie Vorbild in der tätigen Liebe. Er wendet sich den hungernden, armen, kranken und ausgegrenzten »Nächsten« zu. Der Grund dafür ist kein buchstabengetreuer Nomismus,686 sondern Empathie.687 An vielen Stellen des MkEv ist zu spüren, »daß es Markus sehr um die Mitmenschlichkeit zu tun ist.«688 Das Konzept des familiären, ahierarchischen Zusammenlebens mit der Forderung des gegenseitigen Dienens und der gegenseitigen Vergebung (11,25)689 ist auch hier einzuordnen. Diese atl. ethischen Weisungen bleiben für Markus mit großer Selbstverständlichkeit690 bestehen, sodass die Spannung zur Legitimation der Familienzerwürfnisse unangenehm deutlich hervortritt. Vielleicht ist auch darin der Grund für seine gegenüber Q eher behutsame Ausgestaltung des Themas der Familienentzweiung zu suchen. Die ethische Bedeutung von Mk 10,28–31 legt bereits der Kontext nah. Das auf Jüngerbelehrung abzielende zehnte Kapitel zeigt – mit einem gewissen Vorlauf in Mk 9 – eine Konzentration auf ethische Fragen.691 682 Man wird die Konflikte mit dem jüdischen Kult (Mk 2,23–3,6; 7,1–13) nicht als Gesetzeskritik im Sinne einer Infragestellung der Thora verstehen dürfen (vgl. oben Anm. 678). Die Streitgespräche haben ursprünglich die richtige Auslegung der Thora zum Thema, auch wenn sich auf der mk Stufe eine gewisse Entfremdung vom jüdischen Kult bemerkbar macht und die Christologie eine entscheidende Rolle spielt. Vgl. etwa DAUTZENBERG, Studien, 118f. Er macht darauf aufmerksam, dass die Anbindung der partiellen Relativierung einzelner Gebote an die Vollmacht Jesus erforderlich war, um die Relevanz der anderen Gebote für die Gemeinde nicht zu gefährden. 683 So auch DAUTZENBERG, Studien, 347; KAMPLING, Gesetz, 149. 684 Vgl. auch SCHENKE, Mk (1988), 161. Allerdings zeigt Mk 10,30, dass das »ewige Leben« nicht (nur ?) an die ethischen Forderungen des Dekalogs geknüpft ist: Wer alles um Jesu und des Evangeliums Willen verlassen hat, wird ewiges Leben erhalten. Sicherlich muss die Forderung an den reichen Mann, seinen Besitz aufzugeben, auch in diese Richtung interpretiert werden. 685 Vgl. KAMPLING, Gesetz, 150. 686 Vgl. SCHRAGE, Ethik, 51. 687 ƙ™ưƦƨƺƱ˄ƫƳµƦƮ: 1,41; 6,34; 8,2; vgl. 9,22ff; əƨƦ™ʾƼ: 10,21; 10,16. Vgl. 3,5; 9,36; 10,16. 688 SCHRAGE, Ethik, 117. 689 Die Vergebung wird hier mit der Zugehörigkeit zur familia dei begründet! 690 Vgl. SCHRAGE, Ethik, 117: Ohne »Reserve wird auch der Dekalog als verbindlich zitiert.« 691 VIA stellt dieses Kapitel nicht nur ins Zentrum seines Buches The ethics of Mark’s Gospel: in the middle of time, sondern scheinbar auch des MkEv, was der Untertitel zum Ausdruck zu bringen scheint. Vgl. auch VIA, Ethics, 76ff; SCHRAGE, Ethik, 116.

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Wiederholt tritt in diesem Abschnitt die Nächstenliebe im Aspekt des einander Dienens hervor (9,35; 10,43f).692 Die ethische Dimension zeigen die Themen: Ehescheidung (VV. 2–12), Stellung zu Kindern (VV. 13–16) und Stellung zum Reichtum inkl. Armenfürsorge (VV. 17–27). Doch anders als beim »Reichtum«, wo der für die Nachfolge geforderte Verzicht direkt mit der ethischen Forderung, ihn den Armen zu geben, verbunden ist (10,21),693 stehen die Texte, die das Verlassen der Herkunftsfamilie legitimieren, nicht explizit mit solchen Forderungen in Zusammenhang. Dennoch implizieren diese Texte im Blick auf die neue und neu strukturierte Familie eine ethische Forderung, zumindest aber eine ethische Grundhaltung: Neben dem Zuspruch des Lohns erhebt 10,29f auch einen Anspruch: Die Gemeinde kann denjenigen, die alles verlassen haben, ihren »Lohn« nicht vorenthalten. Sie muss sie in ihre Häuser wie das eigene Kind, die Schwester, den Bruder oder die Eltern unter Verzicht der häuslichen Autoritätsstrukturen aufnehmen. Das MkEv fordert wiederholt die gegenseitige Unterordnung. Den Aufzunehmenden ist nicht nur Asyl zu gewähren, sie stoßen vielmehr als gleichrangige Mitglieder zur neuen Familie hinzu. Gegen einen Gaststatus sprechen auch die zu erhaltenden Äcker. Dem neuen »Familienmitglied« wird der Zugang zur ökonomischen Funktion des Hauses ermöglicht. Das Thema des »Aufnehmens« (ƩˀƺƳµƦƮ) wird an anderer Stelle (6,11; 9,37!) eigens als Konkretisierung des ethischen Handelns694 thematisiert, sodass von einer Bedeutung dieses Themas für die Gemeinde auszugehen ist. Deutlich wird dabei die Aufnahme von Kindern betont. Neben der ekklesiologischen Bedeutung695 zeigt sich auch eine ethische. »Auf dem Hintergrund antiker Praxis der Kindesaussetzung und der besonderen Not von Kindern in Krisen- und Kriegszeiten erhält diese Mahnung besonderes Gewicht.«696 Womöglich zeigt sich hier ein konkreter Aufgabenbereich der Gemeinde. Neben der an anderer Stelle beschriebenen realen Krisen- und Kriegssituation, die eine größere Anzahl Waisenkinder hervorgebracht haben kann, kommt im hellenistischen Bereich die weit verbreitete Einrichtung der Kindesaussetzung hinzu.697 Bei einer möglichen Aufnahme ausge692

Vgl. dazu SCHRAGE, Ethik, 115; SÖDING, Leben, 183f. Vgl. VIA, Ethics, 137. Vgl. auch Mk 14,7. 694 Vgl. SCHRAGE, Ethik, 116. 695 Die Segnung der Kinder (10,13–16) gegen den Widerstand der Jünger zeigt ihre volle Zugehörigkeit zur Gemeinde. So SÖDING, Leben, 189. Ähnlich BÖTTRICH, Werden, 65–68.71–74. Identifiziert man die Jünger mit der wanderradikalen Nachfolge, zeigt sich in der Perikope ein grundsätzlicher Aspekt: Erst eine sesshafte Gemeinde kann Kinder aufnehmen (Mk 9,36f). Vgl. auch oben Anm. 572. 696 SCHENKE, Mk (1988), 135. Bei den aufzunehmenden Kindern lässt sich kaum erwarten, dass sie alles aufgrund Jesu und des Evangeliums verlassen haben. Hier tritt somit statt der ekklesiologischen die ethische Dimension der neuen Familie hervor. 697 Juden war diese Praxis verboten. Vgl. OSIEK, Family, 13 mit Anm. 34. 693

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

setzter Kinder ging es wohl weniger darum, sie vor dem Hungertod zu bewahren, sondern v.a. vor Versklavung und mitunter Prostitution.698 Aufschlussreich erscheint mir die Rechtsform der Aussetzung: »Nach der Anschauung der antiken Völker handelt es sich bei der Aussetzung darum, daß [… das Kind, TR] nicht in die Hausgemeinschaft aufgenommen wird.«699 Wie dem auch sei, die Aufnahme Anderer in die neue Familie darf keinesfalls nur bildlich verstanden werden. Die mediterranen Strukturen lassen diejenigen, die alles verlassen haben, in einem existenziell bedrohlichen sozialen und ökonomischen Vakuum zurück. Dieses zu kompensieren, ist nun Aufgabe der Gemeinde,700 die daraus resultierende intensive Gemeinschaft ist ihr Ziel. Hier lässt sich nun doch eine Linie zu 10,21 ziehen: »There is to be a community of disciples, and those who are members must give whatever is necessary to sustain the community materially.«701 Die Gemeinde tut das, was der reiche Mann hätte tun sollen, was zu einer neuen, durch gegenseitige Unterstützung gefestigten Gemeinschaft führt.702 Die »Armen« von 10,21 sind vermutlich (auch) Mitglieder dieser neuen Gemeinschaft, da sie ihre alte soziale und ökonomische »Habe« mindestens zu einem Teil verlassen haben (10,29) und die Gemeinde aus Armen und Reichen besteht.703 Wer immer nun in diese Gemeinschaft tritt, ist wie der reiche Mann aufgefordert, seiner neuen Familie mit all seinen verbliebenen Gütern zu dienen.704 Die neue Familie erscheint somit auch als ökonomische Einheit. Vermutlich kommt Lukas in Act 2,44 und v.a. 4,32–37 der mk Gemeinde bzw. dem mk Ideal erstaunlich nah.705

698

Vgl. dazu WEISS, PRE 11,1, 467ff. WEISS, PRE 11,1, 466. 700 Ähnliches fand sich bei PHILO, SpecLeg I 52 (s.o. Teil 2, 1.4.1, Anm. 244). 701 VIA, Ethics, 137. (Vias starke Fokussierung auf die Jünger – auch er sieht in ihnen die familia dei von 3,31–35 – ist allerdings zu erweitern.) 702 So VIA, Ethics, 143. 703 Vgl. etwa SÖDING, Evangelist, 28. 704 Vgl. auch die Opposition von »Wegschicken« und »Für-Sich-Kaufen« gegenüber dem gemeinschaftsstiftenden »Von-Der-Eigenen-Habe-Zu-Essen-Geben« in 6,36–38: Die Jünger wollen die Volksmenge fortschicken, damit sie für sich Essen kaufen. Jesus trägt ihnen auf, nachzusehen, was sie haben (6,38) und dieses an die Menge auszuteilen. Diese Opposition wird deutlich durch das (leicht nachvollziehbare) Jüngerunverständnis in V. 37 verschärft und betont. Vgl. auch SÖDING, Leben, 191 zu Mk 10,17–27: »Hier liegt die ›pragmatische‹ Pointe des Textes: Die Jesusnachfolge vollzieht sich nachösterlich nicht ohne die Bereitschaft, den eigenen Besitz für die Glaubensschwestern und -brüder zur Verfügung zu stellen. (Das lukanische Bild der Jerusalemer Urgemeinde liegt gar nicht so fern.)« 705 Die mk Gemeinde wird vermutlich mit dieser Haltung nicht alleine gestanden haben. Auch ist zu erwarten, dass Lukas, wenn er das MkEv kannte, Informationen über dessen Trägerkreis besaß. 699

Familie und Eschatologie

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3.8 Familie und Eschatologie706 Familie und Eschatologie Wie beim vorangegangenen Punkt muss auch hier geklärt werden, welche Themen aus dem weitläufigen Gebiet der Eschatologie näher betrachtet werden sollen. Das Kriterium ist die Beziehung zum Motivfeld »Familie«. Dass dieses in einem großen eschatologischen Rahmen entfaltet wird, in dessen Zentrum Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft steht (1,15),707 ist zu bedenken. Einzelne Topoi, wie das Problem der Naherwartung der Parusie, die eschatologische Dimension der Exorzismen, das Problem des Menschensohns oder »das Gericht«, können an dieser Stelle vernachlässigt werden. Unter Teil 2, 3.1.4 hat sich gezeigt, dass auch das Thema »Familie im Jenseits« (12,25) nur bedingt Relevanz besitzt. Die eschatologische Erwartung einer Auferstehung der Toten, v.a. aber die apokalyptische Vorstellung von der Auferstehungswirklichkeit, für die Geschlechtsunterschiede und familiäre Strukturen irrelevant sind, ist für Markus so selbstverständlich, dass er sich damit nicht näher auseinander setzt.708 Beachtung verdient hingegen die in 13,12 sichtbar werdende Vorstellung von den endzeitlichen familiären Zerwürfnissen. Ich verhandle dieses apokalyptische Motiv innerhalb der Eschatologie, wobei die unterschiedliche Akzentuierung der Begriffe zu beachten ist.709 Schließlich ist zu prüfen, wie die eschatologische Grundhaltung des Evangelisten und seiner Gemeinde – d.h. ihre Ausrichtung auf die bereits anbrechende Heilswirklichkeit der Königsherrschaft Gottes, deren Vollendung noch aussteht710 – auf das Motiv des Familien706 Ich verwende den Begriff Eschatologie im Sinne der Vorstellung von einer baldigen Umwandlung oder dem Ende der gegenwärtigen Welt und der Umprägung in eine neue oder der Einsetzung einer neuen Welt als Art Neuschöpfung durch Gott. Im MkEv erscheint diese Vorstellung und Hoffnung hauptsächlich als Anbruch der künftigen Gottesherrschaft, aber auch als Parusie des Auferstandenen (vgl. etwa 13,26). Daneben werden redaktionell abgemilderte apokalyptische Vorstellungen eines Dualismus der alten und der neuen Welt greifbar. Wir finden so präsentische wie futurische Aspekte. Der Gerichtsgedanken wird hingegen kaum entfaltet (vgl. 12,40). 707 Vgl. etwa SCHOLTISSEK, Sohn Gottes, 67. 708 In der Perikope 12,18–27 geht es eben um die grundsätzliche Möglichkeit der Auferstehung in der Auseinandersetzung mit einer der jüdischen Gruppen. Der Verweis auf Familie im Jenseits erfolgt nur als Argument, und zwar deshalb, weil die Ansicht darüber bei den Tradenten dieses Streitgesprächs allgemein anerkannt ist. 709 Eine maßgebliche Sicht innerhalb der jüdischen Apokalyptik auf das Gottesreich als rein jenseitige Größe wird in der mk Basileiaeschatologie durchbrochen. Mk 13 weicht von apokalyptischen Denkmustern ab. Im Mittelpunkt steht nicht das Wissen um den zeitlichen Ablauf des apokalyptischen Dramas, sondern die Ermahnung zur Wachsamkeit. Vgl. HERMS, RGG4 II, 1558. 710 Eine starre Unterscheidung zwischen futurischer und präsentischer Eschatologie würde dem MkEv nicht gerecht. Die ƧƦƶƮưƪ˄Ʀ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ als ein prozessuales Geschehen (Gottes ZurHerrschaft-Kommen) vereint in sich beide Aspekte.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

wechsels Einfluss nimmt. Die Bedeutung dieser Frage wird ersichtlich, wenn man bedenkt, dass in der Literatur mitunter in 3,31–35 anstatt von der familia dei von der »eschatologischen Familie« gesprochen wird.711 Im MkEv finden sich zwei unterschiedliche Konzeptionen.712 Auf der einen Seite steht die futurische Erwartung der endzeitlichen Zerwürfnisse und der Auflösung familiärer Strukturen bzw. der innerfamiliären Loyalität. Diese Vorstellung einer notwendigen Erscheinung der Endzeit wird in verschiedenen Schriften des AT, in der zwischentestamentarischen Literatur und in der Logienquelle sichtbar. Eine zentrale Rolle spielt dabei Mi 7,6.713 Aber auch Jes 19,2 und Sach 13,3 sind hier zu nennen. Neben dieser prophetischen Tradition begegnet in Hiob 19,13–22 auch allgemein die »Klage über universales Mißtrauen, das bis in die Familie reicht«.714 Dennoch tritt gerade Mi 7,6 als prägender Text hervor.715 In der zwischentestamentarischen Literatur wird dieses oder ein vergleichbares Motiv in 1Hen 56,7; 99,5;716 100,1f; Jub 23,(16.)19;717 4Esr 5,9; 6,24;718 3Bar 70,3.6 – also v.a. im apokalyptischen Denkhorizont – sichtbar.719 Während bei Mi 7,6 eher die Konflikte und Zersetzungen der gegenwärtigen Gesellschaft im Blick sind, ist dieses Motiv nun auf die Ereignisse der Endzeit bezogen. Dieser endzeitliche Konflikt begegnet auch in Mk 13,12. Das muss nichts über die Frage einer präsentischen oder futurischen mk Interpretation aussagen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Markus auch mit Aufnahme dieses Wortes die eigene Gegenwart als »Endzeit« interpretiert.720 Dennoch wird bei dieser apokalyptischen Tradition v.a. der futurische Aspekt der Eschatologie (Weltende – Neuschöpfung) im Hintergrund stehen. 711

So etwa BROWN u.a., Maria, 54 u.ö. Der Grund ist die Verknüpfung verschiedener Traditionen. So SÖDING, Evangelist, 42f. 713 Vgl. HEIL, Rezeption, 212ff; GRELOT, Michée, 363ff. Für den evtl. Einfluss auf Mk 13,12 vgl. ebd. 363f.366f: Übereinstimmungen gibt es nur bei einem Lexem (+ Präp.): ɩ™ƦƱƦƶƷ˂ƶƳƱƷƦƮ (ɩ™˃). Die »Eltern« (ƨƳƱƪ̝Ƶ) in der mk Version sind eher griechischer Sprachgebrauch, sodass hier die semitische Vorlage (»Vater und Mutter« o.Ä.) angepasst wurde. Die Tradition von Mi 7,6 steht dennoch im Hintergrund. Vgl. auch die deutliche Zitation von Mi 7 in Q 12,53. Zur Rekonstruktion des Q-Texts und der Frage der Micha-Rezeption vgl. HEIL, Rezeption, 214ff. 714 HEIL, Rezeption, 211. 715 Vgl. GRELOT, Michée, 370: »Bref, il n’est pas impossible que Mi 7,6 ait fourni à la tradition juive ancienne la matière d’un ›lieu commun‹ utilisable pour évoquer la division des familles.« 716 Variation: Mütter gegen Säuglinge. 717 Variation: Jünglinge gegen Greise, Arme gegen Reiche, Niedrige gegen Große. 718 Variation: Freunde gegen Freunde. 719 Weitere Beispiele bei HEIL, Rezeption, 213f und GRELOT, Michée, 370ff. 720 Die mk eschatologische Rede spielt ja ebenso auf den Jüdischen Krieg und die drohende Tempelzerstörung – Ereignisse der mk Gegenwart – an. Bei der im MkEv spürbaren Naherwartung des Kommens der Gottesherrschaft (9,1 u.ö.) kann 13,12 durchaus auch auf gegenwärtige Ereignisse gedeutet worden sein. Immerhin ist der Prozess des Zur-Herrschaft-Kommen Gottes bereits im Gang (1,15). 712

Familie und Eschatologie

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Auf der anderen Seite steht das präsentische Konzept einer neuen und neuartigen Familie als Teil des sich im Eschaton vervollständigenden Lohns für die Aufgabe alter Strukturen und Beziehungen zugunsten Jesu und des Evangeliums. In 10,30 ist die neue Familie direkt auf die eschatologisch gefüllten Begriffe ƯƦƮƴˆƵ und ƦʅˊƱ (ʖ ɩƴƺˆµƪƱƳƵ) bezogen. Dabei verwirklicht sich dieser Lohn in Form der familia dei bereits in dieser Zeit (ƯƦƮƴˆƵ) durch »innerweltliche und kreatürliche Gaben und Mitmenschen«.721 Auf die eschatologische Dimension verweist bereits das »Hundertfache«. Es impliziert eine neue Zukunft und weist so auf Gottes Tat und ihren entscheidenden Erfolg hin.722 Das verdeutlicht die Diskontinuität der Zahlenreihe in Mk 4,8: 30-60-100. »[T]here is a certain dissonance and asymmetry in thirty-sixty-hundred which suggests that the eschatological fulfillment is a new future which stands in some discontinuity with the historical process.«723 Wird diese aus 4,8 gezogene Deutung auf 10,30 übertragen, ergibt sich »eine paradoxe Überschneidung dieser Weltzeit mit der kommenden in der christlichen Gemeinde«.724 In der durch Verfolgung gekennzeichneten Gegenwart antizipiert die Gemeinde bereits die kommende Weltzeit. Das »Geheimnis« des gegenwärtigen Anbruchs der kommenden Gottesherrschaft (1,15)725 ist neben den Jüngern explizit der familia dei (4,10f mit 3,34) gegeben (ƩˀƩƳƷƦƮ – Perfekt).726 Die familia dei besteht aus Menschen, die den »Willen Gottes« tun (3,35), also aus Menschen, bei denen sich die Herrschaft Gottes bereits verwirklicht. Dieser Prozess der eschatologischen Erneuerung der Welt erfordert eine grundlegende Änderung in den Bedingungen menschlicher Existenz.727 Als eine solche kann der Übergang in die neudefinierte und neustrukturierte Familie verstanden werden. »The disciple will receive brothers and sisters, houses and lands, now a hundredfold; and hundredfoldness is the mark of eschatological fulfilment,«728 wobei gerade der Zusatz µƪƷʽ ƩƮƼƨµ̹Ʊ in 10,30 auf die Realität der erst zu erwartenden Vollendung verweist. In diesem eschatologischen Prozess haben wohl auch die radikal anmutende Ethik von 10,21 (vgl. 6,8f),729 die Forderung der Übernahme des Sklaven721

SCHRAGE, Ethik, 117. Vgl. KRISTEN, Familie, 157; VIA, Ethics, 145. 723 VIA, Ethics, 145. 724 KRISTEN, Familie, 157. 725 Vgl. etwa VIA, Ethics, 144f. 726 Vgl. SCHENKE, Mk (1988), 138. 727 So VIA, Ethics, 144 in Anlehnung an Carl E. Braaten. Die ethischen Konsequenzen sind bei den divergierenden eschatologischen Konzepten beachtlich. Im apokalyptischen Denken kann die derzeitige Weltzeit nur vernichtet werden, im Anbruch der Gottesherrschaft wird sie verändert. 728 VIA, Ethics, 145. Der Jünger ist m.E. durch Nachfolgerin und Nachfolger zu ergänzen. 729 Durch die Zusage in 10,30 ist die Radikalität aufgefangen und die Erfüllung der Forderung ermöglicht, wie eine mögliche Analogie zum Bettelmönchtum zeigt. Vgl. auch VIA, Ethics, 145f. 722

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

dienstes für Andere (10,44) und »[a] new kind of love«730 ihren Platz. Somit erscheint die mk Gemeinde als eschatologische Gemeinschaft, in der sich bereits in diesem ƯƦƮƴˆƵ und unter Verfolgungen die neue Wirklichkeit der Gottesherrschaft abzeichnet und verwirklicht. Die eschatologische Ausrichtung und Hoffnung fungiert als »Motor« für die oben beschriebene egalitäre Gemeinschaft der neuen Familie. Via weist darauf hin, dass in der Spannung des Anbruchs der sich erst noch vollenden müssenden Gottesherrschaft das Konfliktpotenzial für die Gemeinde liegt. »In Mark it is dangerous to follow Jesus, because it is a matter of responding totally to the kingdom of God in a time and place in which the kingdom of God is not totally present.«731 Die andere Seite dieser eschatologischen Ausrichtung – die gegenüber familienethischen Fragen spannungsreiche familiäre Trennung – lässt sich vielleicht so erklären: »extraordinary times demand extraordinary action«.732 Die radikale Jüngerberufung mit der Preisgabe des Berufs, des Besitzes und der Familie verdeutlicht dies. »ȃȠrmal work and everyday relations are for normal time. Their abandonment both reflects and is reinforced by a conviction that times have changed and a special time has come.«733 Hieraus erklärt sich zusätzlich die partielle Außerkraftsetzung ethischer Normen der Thora (s.o.). Ihre Geltung wird prinzipiell nicht in Frage gestellt, aber die vom nahen Eschaton gedrängte Zeit erfordert außergewöhnliches Verhalten, das über die Ethik des Alltags hinausgehen kann. Insofern ist 13,12 auch für die mk Familienethik relevant: Mit diesem apokalyptisch gefärbten Logion gibt Markus seiner Gemeinde die Möglichkeit, die mit familienethischen Anforderungen in Konflikt stehenden Zerwürfnisse als heilsgeschichtlich notwendige temporäre Erscheinungen zu interpretieren.

3.9 Das Motivfeld »Familie« in ritualtheoretischer Sicht Das Motivfeld »Familie« in ritualtheoretischer Sicht Im folgenden Abschnitt soll das Motiv des Familienwechsels noch einmal mit einem anderen methodischen Ansatz ergänzend untersucht werden. Es wird sich dabei zeigen, dass sich die bereits erzielten Ergebnisse stützen und präzisieren lassen.

Die Modelle der anthropologischen Ritualforschung, speziell das bereits unter Teil 2, Kapitel 1.2.5 skizzierte Dreiphasenmodell ritueller Übergänge van Genneps, die darauf fußende Untersuchung der liminalen Phase durch Turner und sein daraus entwickeltes Communitas-Modell können für ein 730

VIA, Ethics, 146. VIA, Ethics, 146. 732 BARTON, Discipleship, 64. Ähnlich OSIEK/BALCH, Families, 126. 733 BARTON, Discipleship, 65. Vgl. auch SCHOLTISSEK, Sohn Gottes, 71: »Die nahe Gottesherrschaft beansprucht das Leben der Glaubenden umfassend und radikal.« 731

Das Motivfeld »Familie« in ritualtheoretischer Sicht

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besseres Verständnis der mk Konzeption »Familie« fruchtbar gemacht werden. Die Interpretation der Gemeinde als egalitäre Gemeinschaft kann so über einen weiteren methodischen Weg gestützt werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob es methodisch zu rechtfertigen ist, universaltheoretische Modelle aus dem Bereich der Anthropologie/Ethnologie auf ntl. bzw. literarische Texte zu übertragen. Hierbei ist auf die enge Verknüpfung rituellen Handelns und verschiedener Literaturgattungen hinzuweisen, wie sie etwa bei Strecker (Liminale Theologie, 75–80) beschrieben ist. Gerade in der Literatur scheinen die Dramatik und Dynamik ritueller Vollzüge, welche durch das Dreiphasenmodell beschrieben werden, ihre Spuren hinterlassen zu haben. Das ist verständlich, da Rituale eine Struktur aufweisen, die als narrativ bezeichnet werden kann.734 Somit stellen Textanalyse und Ritualtheorie keinen Widerspruch dar, vorausgesetzt, diese Dramatik lässt sich aus dem konkreten Text heraus erheben. Seit der Veröffentlichung von Turners Modellen sind inzwischen fast 40 Jahre vergangen. Es existiert inzwischen eine breite fachinterne Auseinandersetzung mit Turners Ansätzen, die auch anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen leicht zugänglich ist. Trotz einzelner Kritikpunkte – etwa dem, dass die Modelle teilweise zu einfach, zu schematisch oder zu idealisierend sind – haben sich Turners Ansätze unterdessen zu einem anthropologischen Klassiker etabliert. Sie sind längst über die Grenzen der Anthropologie hinaus bekannt und haben im gesamten geisteswissenschaftlichen Bereich Einfluss erlangt.735 Auch im Bereich der ntl. Wissenschaft gibt es Untersuchungen, die Turners Ansätze anwenden.736 Dieses Interesse resultiert aus der religiösen Dimension von Turners Ansatz. »Das Ritual fungiert hier nicht länger als Eckpfeiler des Konservatismus [etwa im Sinn eines Formalismus, TR],737 sondern kommt zumal als verändernde Kraft zu stehen, aus der Religion wie auch die Kultur generell ihre wesentlichen Energien zieht.«738 Die von 734 So SCHØJDT, Initiation, 94 mit Blick auf van Gennep bzw. Betonung des horizontalen Aspekts von Übergängen: »We could therefore possibly speak of the narrative structure of rituals.« 735 »Sozialwissenschaftler, Historiker, Religionswissenschaftler und Theologen haben offensichtlich das beträchtliche heuristische Potenzial seiner ritual- und gesellschaftstheoretischen Überlegungen erkannt und fruchtbar zu machen gewußt«. STRECKER, Liminale Theologie, 65. 736 Z.B. widmet sich Semeia 67 (1994) explizit dem Thema, wie der Titel Transformations, Passages, and Processes: Ritual Approaches to Biblical Texts zeigt. Die Beiträge sind maßgeblich von Turner beeinflusst (Vgl. MCVANN, Introduction, 10). 737 Eine Darstellung der Marginalisierung des Rituals im traditionellen Protestantismus, der historisch-kritischen Methode ntl. Exegese, ja der gesamten Moderne – und deren allmählicher Überwindung würde an dieser Stelle zu weit führen. Vgl. dazu etwa DOUGLAS, Ritual, 11ff (»›Ritual‹ ist ein anstößiges Wort geworden, ein Ausdruck für leeren Konformismus«. Ebd. 11) oder – mit besonderem Blick auf Protestantismus und Exegese – STRECKER, Liminale Theologie, 72–75; STRECKER, Notizen, 38f. 738 STRECKER, Notizen, 39.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Turner beschriebenen Aspekte »Liminalität« und »Communitas« sind in der Lage, das Verständnis ntl. Texte zu erhellen.739

3.9.1 Der rituelle Prozess – Liminalität, Communitas, Antistruktur Bevor ich van Genneps und Turners Ansätze zur Anwendung bringe, muss ich diese kurz darstellen.740 Van Genneps klassisches Dreiphasenmodell ritueller Übergänge wurde bereits unter Teil 2, 1.2.5 skizziert. Ich werde 739

Für eine weiterführende Auseinandersetzung mit methodischen Fragen vgl. C. STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, 13–39.64–71.75–80. Strecker stellt die grundsätzliche Notwendigkeit der Einbeziehung anthropologischer und ethnologischer Erkenntnisse für das Verständnis ntl. Texte dar: Aufgrund des geschichtlichen, räumlichen und kulturellen »Grabens«, der uns von den Texten trennt, besteht bei der zeitgenössischen Exegese die Gefahr des Anachronismus (moderne Vorstellungen werden unbewusst auf die alten Texte übertragen) und des Ethnozentrismus (die Texte werden unkritisch auf der Grundlage moderner westlicher Maßstäbe und Grundhaltungen interpretiert). Vgl. STRECKER, Liminale Theologie, 13f. Die inzwischen fest etablierte sozialgeschichtliche Exegese hat bereits Großes bei der Erkundung der »Welt«, die hinter den Texten steht, geleistet. Sie ist aber nur imstande, die äußeren Bedingungen des mediterranen Alltags zu beschreiben. Die innere Einstellung antiker Menschen kann nun die Kulturanthropologie erhellen (vgl. ebd. 14ff, forschungsgeschichtlicher Überblick: 19–23). Allerdings steckt diese Methode im Gegensatz zum AT bei der ntl. Exegese noch in den »Kinderschuhen« (vgl. ebd. 16). Methodisch gibt es zwei Ansätze: Ethnografische Daten aus demselben oder einem ähnlichen Kulturraum werden zur Erhellung der den biblischen Texten inhärenten kulturellen Einstellungen herangezogen (vgl. den methodischen Ansatz des Abschnitts 1.1.2) oder es werden globale anthropologische/ethnologische Theorien und Modelle an die biblischen Texte herangetragen (vgl. ebd. 24f). Diese Theorien und Modelle entstammen dem Versuch, den »Menschen an sich« – nicht nur voneinander isolierte Gruppen – in den Blick zu nehmen. Gesellschaften und Traditionen werden über Zeit und Raum betrachtet, Übereinstimmungen und Unterschiede werden ermittelt und schließlich allgemeine Aussagen und die Entwicklung von Modellen gewagt (vgl. ebd. 25; zu van Genneps Methoden vgl. SCHOMBURG-SCHERFF, Nachwort van Gennep, 240ff). Die Anwendung von Modellen wurde oft kritisiert, etwa als unsachgemäßer Positivismus (vgl. Strecker, Liminale Theologie, 26). Strecker hält dagegen, dass wissenschaftliches Arbeiten nicht ohne Modelle auskommt. Sie stellen »aus erkenntnistheoretischen Erwägungen heraus eine unabdingbare Notwendigkeit« dar (ebd. 27). Jede Abstraktion und Verallgemeinerung der riesigen Datenmengen führt zu Modellen. Darum besteht überhaupt keine Wahl, »ob man mit abstrahierenden Modellen arbeitet oder nicht. Eine Alternative besteht allenfalls darin, ob man bewusst oder unbewusst Modelle nutzt.« Ebd. 28. Eine Kritik an der Verwendung von Modellen ist also unangebracht, eine Kritik an der Art der Verwendung hingegen schon: Der hohe Abstraktionsgrad der Modelle kann dazu verleiten, »die kulturspezifischen Eigenarten des Forschungsgegenstandes zu verwischen« (ebd. 29), statt der Erhellung des Forschungsgegenstandes kann so bloß die Relevanz des Modells bestätigt werden. Weiterhin besteht die Gefahr des unqualifizierten Gebrauchs sozialwissenschaftlicher Konzepte »als Steinbruch bzw. als Füllsel« bei unzureichenden Daten. Ebd. 29f. Diese Gefahren schließen aber nun die Verwendung globaler Modelle keinesfalls aus, sondern mahnen zur Vorsicht. Auch bleibt zu beachten, dass diese Modelle v.a. als heuristische Instrumente benutzt werden wollen (vgl. ebd. 27.30). Weiteres a.a.O. 740 Ich stütze mich dabei v.a. auf die gute und leicht zugängliche Darstellung von STRECKER, Liminale Theologie, 40–63. Ein Vorteil dieser Darstellung ist, dass sie sich auf die Bedürfnisse der ntl. Wissenschaft konzentriert.

Das Motivfeld »Familie« in ritualtheoretischer Sicht

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mich nun v.a. auf Victor Turner konzentrieren. Während sich van Gennep mit der horizontalen Ebene ritueller Übergänge befasst (Übergänge, Status und Positionsunterschiede von der vorliminalen zur nachliminalen Phase) kommt mit Turners Ansätzen nun auch die vertikale Ebene (Kontrast zwischen nonliminalen Phasen und liminaler Phase; »Struktur-Antistruktur«) zum Tragen.741 Der schottische Ethnologe/Anthropologe742 Victor Turner (1920–1983) untersucht eingehend die mittlere, die so genannte »liminale Phase« des Dreiphasenmodells van Genneps, die Phase also, in der sich der eigentliche Übergang bzw. die Umwandlung vollzieht. In seinem 1969 erschienenen Buch The Ritual Process743 geht er dabei über den üblichen Forschungsgegenstand eines Ethnologen hinaus und dehnt die bei seinen Feldforschungen744 durchgeführten Analysen bis auf die postindustriellen Gesellschaften aus. Er wendet das Konzept der Liminalität »auf politisch-historische Umbruchzeiten, auf soziale Außenseiter, literarische Grenzfiguren und auf Kunstformen wie das Theater an«.745 »Aus der prozessualen Ritualtheorie erwuchs so eine allgemeine anthropologische Gesellschaftstheorie, nach der rituelle Strukturen als Quelle menschlicher Innovation bzw. als Transformationsriemen zur Umgestaltung gesellschaftlicher Strukturen zu verstehen sind.«746 Zum Modell: Die Charakteristik der liminalen Phase wurde bereits unter Teil 2, 1.2.5 kurz skizziert: Es ist ein Zustand »zwischen den Stühlen«, unstrukturiert, undefinierbar und paradox. Er ist »notwendigerweise unbestimmt, da dieser Zustand und diese [ihn durchlaufenden, TR] Personen durch das Netz der Klassifikationen, die normalerweise Zustände und Positionen im kulturellen Raum fixieren, hindurchschlüpfen.«747 Aus dieser Unbestimmtheit folgt die Notwendigkeit einer reichen Symbolik (Tod, Grab, Unsichtbarkeit, Bisexualität bzw. Asexualität oder Androgynität etc.),748 um den Zustand überhaupt beschreiben zu können.749 741

Vgl. SCHØJDT, Initiation, 96ff. Zur Begrifflichkeit »Ethnologie«/»Anthropologie« vgl. oben Teil 2, 1.2.5, Anm. 134. 743 Dt.: Das Ritual, 1989. 744 Von 1950–1954 führte er diese bei den Ndembu im heutigen Sambia durch. 745 SCHOMBURG-SCHERFF, Nachwort Turner, 198. 746 STRECKER, Liminale Theologie, 41. 747 TURNER, Ritual, 95. 748 Zur Todessymbolik und deren dramatischer Ausgestaltung vgl. ELIADE, Mysterium, 40ff.66–76. Vgl. auch die eindrückliche Schilderung verschiedener Initiationsrituale bei VAN GENNEP, Übergangsrituale, 84f. Vgl. auch ebd. 93: (Eleusinische Mysterien) »Die Novizen, die für die profane Welt tot sind, ziehen durch den Hades und werden wiedergeboren – aber in die sakrale Welt.« In Anm. 271 auf 212 zitiert er Plutarch: »Initiiertwerden bedeute Sterben.« 749 Die Symboltheorie Turners muss für die Belange dieser Arbeit nicht eigens dargestellt werden. Ich verweise auch an dieser Stelle auf STRECKER, Liminale Theologie, 50ff. 742

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Mitunter kehrt die Symbolik der Liminalität die »normale« soziale Stellung sogar um. Der zukünftige Herrscher kann als Sklave dargestellt und v.a. auch so behandelt werden.750 Die Untergebenen üben willkürliche Macht und Gewalt über ihn aus. Der einstige soziale Status wird bei regulären Passageriten z.T. radikal mittels Demütigungen und körperlicher Torturen751 zerstört. »Der Neophyt im Schwellenzustand muß einer tabula rasa [...] gleichen, auf die man das seinen neuen Status betreffende Wissen und die Weisheit der Gruppe schreibt.«752 Noch ein weiterer Aspekt ist von Bedeutung. Das abseits der gesellschaftlichen Struktur stehende Schwellenwesen besitzt regelrecht »Narrenfreiheit«. Mit dem Verlust des gesellschaftlichen Status sind nun die gesellschaftlichen Normen und Werte für das Schwellenwesen nicht mehr bindend. Die einstige Person gilt eben oft als tot. In ihrer Liminalität steht sie damit abseits jeglicher Gesetze und Normen. Mitunter kann diese »Narrenfreiheit« auch kriminelle Züge annehmen.753 Wesentlich ist, dass Schwellenwesen nicht allein von Eigenschaften und Status entkleidet sind, für materiellen Besitz gilt Ähnliches. Da Besitz und soziale Stellung im Zusammenhang stehen, kann dies nicht verwundern. »Schwellenwesen [...] können symbolisch als Wesen dargestellt werden, die nichts besitzen. Sie mögen [...] nur ein Minimum an Kleidung tragen oder auch nackt gehen und so demonstrieren, daß sie als Schwellenwesen keinen Status, kein Eigentum, keine Insignien, keine weltliche Kleidung, also keinerlei Dinge besitzen, die auf einen Rang, eine Rolle oder eine Position im Verwandtschaftssystem verweisen – kurz, daß sie nichts aufweisen, was sie von ihren Mitneophyten oder -initianden unterscheiden könnte. Ihr Verhalten ist normalerweise passiv und demütig; sie haben ihren Lehrern strikt zu gehorchen und willkürliche Bestrafung klaglos hinzunehmen. Es ist, als ob sie auf einen einheitlichen Zustand reduziert würden, damit sie neu geformt und mit zusätzlichen Kräften ausgestattet werden können, die sie in die Lage versetzen, mit ihrer neuen Station im Leben fertig zu werden. Untereinander neigen die Neophyten dazu, intensive Kameradschaft und Egalitarismus zu entwickeln. Weltliche Status- oder Rangunterschiede verschwinden.«754

Mit diesem Zitat kommt nun das Modell der turnerschen »Communitas« in den Blick. Turner beobachtet die außergewöhnliche Gleichheit und Gemeinschaft von Schwellenwesen, etwa bei Ritualen, welche ganze Gruppen betreffen 750

Vgl. die Amtseinführung des Ndembu-Häuptlings bei TURNER, Ritual, 97ff. ELIADE (Mysterium, 68) spricht in diesem Zusammenhang von »Initiationsmarter«. 752 TURNER, Ritual, 102f. 753 Vgl. VAN GENNEP, Übergangsriten, 112f: Die Gesellschaft ist »gegenüber den Handlungen der Novizen schutzlos.« Sie können »stehlen und plündern, soviel sie nur wollen, und sich auf Kosten der Gemeinschaft ernähren und schmücken.« 754 TURNER, Ritual, 95. 751

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(Initiationen, Pubertätsriten etc.). Diese Gemeinschaft wird begünstigt, da die liminale Phase oft mit einer Seklusion verbunden ist. Die Neophyten werden oft außerhalb der Gemeinschaft in eigens errichteten Seklusionshütten o.Ä. untergebracht und von der Gesellschaft isoliert, denn aufgrund ihrer Strukturlosigkeit gelten sie für die Gesellschaft als gefährlich.755 Diese Isolation und – wenn man so will – gesellschaftliche Marginalisierung stärkt den Zusammenhalt. Das Fehlen jeglicher Rangunterschiede bereitet den Raum für »unmittelbare zwischenmenschliche Begegnungen, bei der geschlechtliche, kulturelle und soziale Unterschiede zur Bedeutungslosigkeit degradiert sind.«756 In der Liminalität fallen die sozialen Grenzen, an denen sich Ehre und Scham festmachen.757 Im liminalen Wesen begegnet der Mensch an sich. »Ohne Status, ohne Besitz, ohne Verwandtschaftsbeziehungen, ohne geschlechtliche Differenzierungen unterscheiden sie sich kaum mehr voneinander und erleben eine beispiellose Verbundenheit.«758 Bei der Charakterisierung der »Communitas« wird Turner scheinbar759 zum Idealisten: »Diese Individuen sind nicht in Rollen oder Statuspositionen aufgeteilt, sondern stehen sich eher in der Art des Martin Buberschen ›Ich und Du‹ gegenüber. Mit dieser direkten, unmittelbaren und totalen Konfrontation menschlicher Identitäten geht ein Modell von Gesellschaft als homogener, unstrukturierter Communitas einher, deren Grenzen sich idealerweise mit denen der Menschheit decken.«760

Dieser Vorstellung einer konkreten und universell ausgerichteten Sozialbeziehung steht paradoxerweise die Existenz einer unhinterfragbaren Autorität gegenüber: der Ritualleiter, dem der unbedingte Gehorsam der Neophyten gilt, der willkürlich und unhinterfragbar anordnet, demütigt oder bestraft – körperliche Torturen eingeschlossen. »Dieses paradoxe Neben- und Ineinander einer Communitas [...] auf der einen und der bedingungslosen Unterwerfung [...] auf der anderen Seite offenbart einmal mehr die Ambiguität ritueller Liminalität. Diese umschließt eben beides: die Destruktion alltäglicher Normativität bis hin zur Communitas und antinomistischer Freiheit als auch die allmähliche Hinführung zu einem neuen Status, der zumal die Initiationsprüfungen, die Instruktionen und Erniedrigungen seitens der Ritualleiter dienen.«761 755

Vgl. STRECKER, Liminale Theologie, 44f. STRECKER, Liminale Theologie, 45. 757 Vgl. dazu MALINA, Welt, 40ff. 758 STRECKER, Liminale Theologie, 45. 759 Neben diesen idealisierenden Tönen steht die reale Einschätzung, dass Communitas als Gesellschaftsmodell zeitlich begrenzt existieren kann und nach kurzer Zeit ihrerseits soziale Gegenstrukturen aufbauen muss (s.u.). Turner ist also weit entfernt von einer utopischen Ideologie. 760 TURNER, Ritual, 128f. 761 STRECKER, Liminale Theologie, 46. 756

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Aus der Entdeckung und Beschreibung der Communitas liminaler Wesen bei konkreten Riten entwickelt Turner nun eine ganze Gesellschaftstheorie. Er gewinnt die Überzeugung, dass sich die transformative Kraft des Rituals nicht auf Individuen beschränkt. »Das Ritual mit seiner in der Liminalität konzentrierten Aufhebung alltäglicher Normativität […] und der Erfahrung egalitärer Sozialbeziehungen verhilft danach zur Entwicklung alternativer Lebensstile, speist Communitaswerte in die Gesellschaft ein und kann so zum Motor der Transformation existierender sozialer Strukturen werden.«762 Turners Blick geht dabei über die Grenzen ritueller Forschung hinaus. Neben der von Altersstufen abhängigen zeitweiligen Liminalität (Pubertät etc.) entdeckt er Liminalität und Communitas auch »in millenarischen Bewegungen, monastischen Gemeinschaften, in der modernen Untergrundkultur sowie im Wesen und der Ideologie bestimmter sozial-marginaler Individuen wie Clowns, Trickser, Schamanen, Propheten oder Künstler. Diese Gruppen und Personen verkörpern gleichsam Liminalität und Communitas auf Dauer.«763 Die Konzepte Liminalität und Communitas werden also »nun zur Umschreibung einer elementaren Sozialform menschlichen Daseins«764 gebraucht. Turner unterteilt die Möglichkeit menschlicher Sozialbeziehung in die zwei Modelle Struktur und Communitas. »Alle menschlichen Gesellschaften beziehen sich implizit oder explizit auf zwei kontrastierende Gesellschaftsmodelle. Das eine ist […] das Modell von Gesellschaft als einer Struktur rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Positionen, Ämter, Status und Rollen, in denen sich das Individuum nur sehr verschwommen hinter dem sozialen Typus abzeichnet. Das andere ist das Modell von Gesellschaft als einer aus konkreten idiosynkratischen Individuen bestehenden Communitas – Individuen, die, obwohl sie sich in ihren körperlichen und geistigen Talenten unterscheiden, dennoch im Hinblick auf ihr gemeinsames Menschsein als gleich betrachtet werden.«765 Da das Communitasmodell dem Strukturmodell konträr gegenübersteht und faktisch dessen Auflösung bedeutet, führt Turner auch das Begriffspaar »Struktur und Antistruktur« für die beiden Modelle ein.766

762

STRECKER, Liminale Theologie, 48. Turner schreibt dem Ritual mit Blick auf die Sozialstruktur grundsätzlich verändernde – nicht stabilisierende – Kraft zu. Deshalb unterscheidet er, wie bereits gesagt, strikt zwischen Ritual und Zeremonie (als stabilisierender Faktor). Das Ritual stützt demnach nie den gesellschaftlichen Konservatismus. Vgl. ebd. 48f. 763 STRECKER, Liminale Theologie, 56. Auf die für diese Arbeit bedeutsamen millenarischen Bewegungen werde ich unten 3.9.3 eingehen. Turner untersucht in seinem Buch unter anderem die Franziskaner, speziell in ihrem Ursprung, und die Hippiebewegung näher. 764 STRECKER, Liminale Theologie, 56. 765 TURNER, Ritual, 169. 766 So der Untertitel seines Buches Das Ritual.

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Die Charakteristika der Modelle verdeutlicht eine Gegenüberstellung:767 Struktur

Liminalität/Antistruktur

Ungleichheit Bezeichnungssysteme Besitz Status Kleidungsunterschiede Sexualität Maximierung der Geschlechtsunterschiede Rangunterschiede Gerechter Stolz auf Position Achten auf persönliche Erscheinung Vermögensunterschiede Selbstsucht Gehorsam nur gegenüber höherem Rang Säkularität Sprechen Verwandtschaftliche Rechte/Pflichten Klugheit Komplexität Vermeidung von Schmerz und Leid Grade der Selbstständigkeit

Gleichheit Anonymität Besitzlosigkeit Statuslosigkeit Nacktheit/Uniforme Kleidung Sexuelle Enthaltsamkeit/Beliebigkeit768 Minimierung der Geschlechtsunterschiede Ranglosigkeit Demut Desinteresse an Erscheinung Keine Vermögensunterschiede Selbstlosigkeit Totaler Gehorsam Sakralität Schweigen Aufhebung dieser Rechte/Pflichten Dummheit Simplizität Hinnahme von Schmerz und Leid Unselbstständigkeit

Turner bringt diese Oppositionspaare mit der Rede von der »Inklusivität« (Antistruktur) und »Exklusivität« (Struktur) auf einen Nenner. Während die Antistruktur auf das Überwinden von Barrieren zielt, betont Struktur gerade jene Barrieren und findet Gefallen an Unterscheidung.769 Diesen Dualismus von Struktur und Antistruktur lässt Turner allerdings nicht stehen. Das Gegenüber beider Modelle kann nur dialektisch verstanden werden. Soziale Gesellschaft ist immer prozessuales Geschehen. Menschliche Geschichte vollzieht sich als ständige gegenseitige Durchdringung von Struktur und Antistruktur. »Gesellschaft (societas) scheint eher ein Prozeß als eine Sache zu sein – ein dialektischer Prozeß mit aufeinander folgenden Struktur- und Communitasphasen. Die Teilnahme an beiden Modalitäten scheint ein menschliches ›Bedürfnis‹ zu sein«.770 767 Eine Auswahl der Liste TURNERS (Ritual, 105). Bereits die Auflistung dieser Oppositionspaare verdeutlicht die mögliche Brisanz für das Verständnis der mk Gemeinde. Dazu komme ich unten 3.9.3. 768 Im Sinn der Aufhebung legitimierter fester familiärer Strukturen. Vgl. TURNER, Ritual, 110. 769 Vgl. STRECKER, Liminale Theologie, 58. 770 TURNER, Ritual, 193, vgl. auch ebd. 97.126.

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Struktur ist wichtige Voraussetzung für das geordnete, sichere Zusammenleben, Antistruktur bewahrt diese vor Erstarrung und ermöglicht die Weiterentwicklung der Gesellschaft.771 »Relativ stabile Gesellschaften werden darum immer wieder von enthusiastischen, millenarischen oder apokalyptischen Bewegungen attackiert, Bewegungen, die den Geist der Liminalität und Communitas im oben explizierten Sinn atmen.«772 Zeigen solche Bewegungen zu Beginn die Charakteristik der oben beschriebenen Liminalität (Egalität, Freiheit, Gleichheit, etc.) und erscheinen als Protestbewegung (Antistruktur), sind sie für ihr Überleben sehr bald gezwungen, ihrerseits Strukturen und Hierarchien aufzubauen.773 So entsteht aus und in der Communitas zwangsläufig eine neue Struktur – eine Gegenstruktur mit neuen Lebensentwürfen. Andernfalls würde die Communitas im Chaos untergehen.774 Diese Gegenstruktur beeinflusst und verändert nun die bestehende Struktur bzw. bildet sich zu einer neuen Struktur heraus. Mit diesem Modell lässt sich ein großer Teil der menschlichen Geschichte durchaus als Abfolge der Sequenzen: StrukturĺAntistrukturĺGegenstrukturĺStruktur verstehen. »Eine zum Höchstmaß gesteigerte Communitas provoziert eine zum Höchstmaß gesteigerte Struktur, die wiederum revolutionäre Bestrebungen nach erneuter Communitas entstehen läßt. Die Geschichte aller großen Gesellschaften liefert den Beweis für diese, auf der politischen Ebene auftretenden Oszillation.«775 Liminale Bewegungen sind deshalb immer Übergangsphänomene.776 Sie dienen der gesellschaftlichen Innovation und Evolution. 771 »Eine Überbetonung der Struktur kann zu pathologischen Erscheinungsformen von Communitas führen, die außerhalb des Rahmens »des Gesetzes« stehen und gegen es gerichtet sind. Eine Überbetonung der Communitas, wie sie in bestimmten, Unterschiede nivellierenden religiösen und politischen Bewegungen vorkommt, kann sehr schnell in Despotie, übermäßige Bürokratisierung oder andere Formen struktureller Erstarrung münden.« TURNER, Ritual, 126. 772 STRECKER, Liminale Theologie, 59. 773 Turner differenziert darum zwischen der spontanen bzw. existenziellen Communitas (welche die oben beschriebenen Charakteristika in ursprünglichster Form aufweist), der normativen Communitas (welche versucht, die spontane Communitas durch Institutionalisierung und Aufbau einer rudimentären Struktur zu bewahren) und der ideologischen Communitas (einem auf den Werten und Erfahrungen der spontanen Communitas aufbauenden utopischen Gesellschaftsmodell). STRECKER, Liminale Theologie, 61f. 774 Vgl. STRECKER, Liminale Theologie, 60f. DOUGLAS (Ritual, 36) beschreibt Ähnliches bei antiritualistischen Protestbewegungen. »Man verwirft […] das Ritual als solches, sieht den höchsten Wert in der Innerlichkeit des Erlebens und lehnt dessen normierte Ausdrucksformen ab [… etc.] Wenn sich gegen Ende dieses Proteststadiums das Bedürfnis nach Organisation durchsetzt, […] beginnt die Wiedereinsetzung des Ritualismus innerhalb des neuen Kontexts von sozialen Beziehungen. Fundamentalisten-Sekten, deren Einstellung gegenüber dem Abendmahlssakrament dezidiert antimagisch ist, übernehmen eine magische Einstellung zum Wortlaut der Bibel.« 775 TURNER, Ritual, 61. 776 TURNER, Ritual, 110.

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3.9.2 Ein ritueller Prozess? – Das markinische Motiv des Familienwechsels Die dargestellten Modelle sollen nun versuchsweise auf die mk familia dei, also auf die Identifikationsgröße der mk Gemeinde auf der Erzählebene des Evangeliums, angewandt werden. Diese Modelle dienen v.a. als heuristische Instrumente. Ziel ist, die familia dei bzw. die mk Gemeinde mithilfe dieser Modelle besser zu erfassen. Beim Versuch, die mk Gemeinde als liminale Gemeinschaft zu beschreiben, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob van Genneps Klassifizierung auf die Texte übertragen werden kann und in welcher Phase des Dreiphasenmodells die mk Gemeinde zu verorten ist. Hier kommt Mk 10,28–31 wiederum eine Schlüsselposition zu. Diese Verse sind ausgesprochen gut mit dem Dreiphasenmodell beschreibbar. Das kann auch kaum verwundern, geht es doch um einen Haus- und Familienwechsel. Ein solcher lässt, gerade in der mediterranen Welt des 1. Jh. n.Chr., grundsätzlich rituelle Übergänge erwarten.777 Mk 10,28–31 setzt hierbei allerdings eigene Akzente. Die Trennungsphase ist augenfällig. In V. 28 verweist Petrus rückblickend auf eine umfassende »Separation«. Während man bei einer isolierten Betrachtung von V. 28 noch überlegen muss, ob V. 28b eher als Liminalität oder Wiedereingliederung zu werten ist, schaffen die VV. 29f Klarheit. Die Separation ist auch hier breit und eindrücklich in V. 29 beschrieben, V. 30 nun ist aufgegliedert in den jetzigen ƯƦƮƴˆƵ und den eschatologischen ƦʅˊƱ. Die Vorläufigkeit und Charakteristik der »Antistruktur« des ƯƦƮƴˆƵ zeigt – neben einer in dieser Frage ausgesprochen deutlichen Begrifflichkeit778 – v.a. der Zusatz µƪƷʽ ƩƮƼƨµ̹Ʊ. Hier findet sich ein Pendant zu der aus rituellen Übergängen bekannten gesellschaftlichen Marginalisierung und Ausgrenzung.779 Der eigentliche Lohn der Separation von V. 29 – also das Ziel des Übergangs – vervollständigt sich hingegen erst im kommenden ƦʅˊƱ. Darum ist es durchaus richtig, die diesseitige neue Seinsweise derer, die »alles verlassen haben«, der liminalen Phase zuzuordnen. Die Aggregation in die Gottesherrschaft kann im Eschaton erwartet werden – eben im neuen 777 Zu denken ist hier v.a. an die diffizilen Hochzeitsriten, die ja nicht zuletzt dazu dienen, die Frau aus ihrer Herkunftsfamilie und aus ihrem Haus herauszulösen, um sie dann in das Haus und die Familie des Mannes »einzubetten« zu können. Vgl. NIPPA, Haus, 202. Vgl. auch die verschiedenen Schwellenriten und räumlichen Übergänge bei VAN GENNEP, Übergangsriten, Kap. 2 (25ff). 778 Kairos meint eher den Zeitpunkt, Äon ein Zeitalter bzw. die Ewigkeit (Mk 10,30: ƫƼˁƱ ƦʅˊƱƮƳƱ). 779 Vgl. auch MCVANN, Baptism, 153.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

ƦʅˊƱ, mag der Prozess des Zur-Herrschaft-Kommen Gottes auch in der Gegenwart der Gemeinde bereits begonnen haben.780 Man darf dabei nicht den Fehler begehen, diese zwei Seinsweisen allzu strikt voneinander zu trennen. Die Gottesherrschaft verwirklicht sich in einem dynamischen Prozess. Schon »jetzt« gibt es hundertfachen Lohn, schon »jetzt« ist die Gottesherrschaft antizipatorisch präsent, dennoch findet sich in Mk 10,30 eine deutliche Unterteilung, die die Unterscheidung von Liminalität und Aggregation rechtfertigt. Möglich ist eine ähnliche Interpretation auch in Mk 1,16–20. Die Separation der Fischer ist deutlich. Das Hinter-Jesus-Hergehen ist hingegen nicht eindeutig – es kann aber unter Einbeziehung von Mk 10,28–31 der Liminalität zugeordnet werden. Die Transformation der Fischer zu »Menschenfischern« kann als Statuswechsel gelesen werden. In diesem Fall wäre die Aggregation ein diesseitiges Geschehen. Eventuell gehört dieser Teil aber auch in die Schwellenphase. Die von Simon und Andreas »geangelten« Menschen würden dann im Diesseits für die sich (postliminal) verwirklichende Gottesherrschaft gesammelt. Diese Frage ist nicht eindeutig zu klären. Nimmt man Mk 3,33–35 hinzu, ist auch hier die Separation zu spüren – wenn auch nicht so deutlich formuliert. Die Einordnung der neu eingesetzten familia dei in das Dreiphasenmodell ist isoliert betrachtet schwierig. M.E. ist mit Blick auf den Makrotext – also v.a. Mk 10,29f – die diesseitige Gemeinschaft derer, die Gottes Willen tun, ebenfalls der liminalen Phase zuzuordnen. Zwar ist die Gottesherrschaft nah herbeigekommen (Mk 1,15) und macht sich im Wirken des Gottessohns bereits bemerkbar, aber es handelt sich eben doch um eine Größe, deren endgültige Verwirklichung noch aussteht (deutlich Mk 9,1; 13,1–37; 14,25 u.ö.).781 Deshalb ist analog zu Mk 10,30 die Aggregation eher an Stellen wie etwa Mk 13,27 festzumachen.782 Ich versuche eine tabellarische Zuordnung, bei der allerdings – wie gerade erwähnt – zu beachten ist, dass die Grenze zwischen Liminalität und Aggregation nicht zu fest gezogen werden darf.

780 Vgl. MCVANN, Baptism, 153. Christian Strecker stellt diese unvollständige Transformation für die paulinische Tauftheologie dar: »Die eigentliche Aggregation, nämlich die Auferstehung, steht ja letztlich noch aus! Das Leben der initiierten Christusgläubigen erscheint von daher gewissermaßen als gedehnter Initiationsprozeß, als fortwährende Transformation in die Auferstehung, mit der sich erst am Ende, in der Parusie, die in der Taufe bereits erlangte Verbindung mit Christus als endgültige Gleichgestaltung mit dessen Herrlichkeitsleib (Phil 3,21) vollenden wird. Die Existenz der Initiierten wird so zu einer permanent liminalen Existenz.« STRECKER, Notizen, 46f. 781 Vgl. SCHENKE, Mk (1988), 138. 782 Vgl. auch Mk 8,38; 13,13.

Das Motivfeld »Familie« in ritualtheoretischer Sicht Separation 10,28 10,29f

1,17–20

(Petrus:) Siehe, wir haben alles verlassen (Jesus:) Es gibt niemanden, welcher Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlassen hat meinetwegen und wegen des Evangeliums, (Jesus:) Auf! mir nach. Und sogleich ließen sie die Netze

3,33–35

(Zebedaiden) ließen ihren Vater Zebedäus im Boot mit den Tagelöhnern zurück (Jesus:) Wer ist meine Mutter und meine Brüder?

Liminalität

261

Aggregation

und sind dir nachgefolgt. der nicht hundertfach erhält: jetzt in dieser Zeit (ƯƦƮƴˆƵ) Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker in Verfolgungen – Und ich werde machen,

und im kommenden Zeitalter (ƦʅˊƱ) ewiges Leben.

dass ihr Menschenfischer werdet.

und folgten ihm nach.

und gingen weg, ihm nach. Siehe, meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, dieser ist mein Bruder …

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Opposition von Profanem (Struktur) und Sakralem (Liminalität), auf die van Gennep und Turner wiederholt hinweisen.783 Während einige Übergangsriten (Pubertät, Initiation etc.) das Schema Profan-Sakral-Profan (Struktur-Liminalität-Struktur) aufweisen, weiß van Gennep auch von dem Schema Profan-Sakral-Sakral zu berichten, etwa bei der Initiation in religiöse Ämter oder Bruderschaften.784 Gerade in Mk 3,20f.31–35, aber auch in Mk 10,29 zeichnet sich letztere Konstellation des Dreiphasenmodells mit diesseitig bleibender Liminalität ab. 783 Vgl. etwa VAN GENNEP, Übergangsriten, 84.93. Auf 84 spricht er explizit von der »Sakralphase«. 784 Vgl. VAN GENNEP, Übergangsriten, 104ff. Den Versuch einer genauen Klassifizierung der verschiedenen Möglichkeiten unternimmt SCHØJDT, Initiation, 99ff.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Es ist festzuhalten, dass van Genneps Dreiphasenmodell ritueller Übergänge durchaus auf Mk 10,28–31, teilweise auch auf Mk 1,16–20 und 3,31–35 angewandt werden kann. Die Unsicherheit bei den beiden letzten Texten ergibt sich vermutlich aus einer zu statischen bzw. einseitigen Anwendung des Dreiphasenmodells. Wenn Turner Gruppen beschreibt, die im liminalen Status verbleiben, finden sich auch zur Erlangung dieses Zustands Übergangsriten, etwa in Form von Initiationen.785 Die drei Texte können also durchaus verschiedene Ebenen widerspiegeln, d.h., das Menschenfischerlogion muss nicht ins Eschaton verweisen, sondern auf die Aggregation in die irdische Jesusbewegung – wobei diese starke Züge einer eschatologisch ausgerichteten liminalen Bewegung trägt. Diese partiellen Unsicherheiten mindern nicht die heuristische Bedeutung des Dreiphasenmodells. Mit ihm kann besonders die Brisanz der Trennung in Mk 10,29f schärfer in den Blick genommen werden: Es geht vermutlich nicht nur um die Trennung von den alten Strukturen und das Hinzugewinnen neuer Strukturen, sondern um einen Transformationsprozess, der die Individuen verändert und der erst im Eschaton seinen Abschluss findet. Der Evangelist kann die diesseitige Existenz der mk Gemeinde nur als eine Art zeitliches Provisorium verstanden haben. Die unmittelbare Naherwartung des Kommens der Gottesherrschaft (9,1; 13,30) ließ der Gemeinde für das »Hütten bauen« (9,5),786 d.h. ein längerfristiges Sich-In-Der-Welt-Einrichten, keinen Raum. Man könnte nun schlussfolgern, dass die mk famila dei als diesseitige ekklesiologische Größe nicht überbetont werden dürfe. Immerhin zeigt 3,31–35, dass dem Problem der Separation und der Aufnahme in die diesseitige familia dei eine besondere Bedeutung zukommt. Inwieweit der Wechsel in die mk Gemeinde an konkrete rituelle Handlungen gebunden war, lässt sich nicht sagen.787 Bei der Bestimmung des Begriffs »Ritual« hat sich aber oben Teil 2, 1.2.5 gezeigt, dass sich die hier angesprochenen rituellen Prozesse auch unabhängig von klar bestimmbaren Ritualhandlungen vollziehen können. Die Gültigkeit des beschriebenen Modells ist somit nicht von der Beantwortung dieser Frage abhängig.

785 Vgl. VAN GENNEP, Übergangsriten, 84: »Riten, die von der gewohnten Umgebung lösen, und Riten, die an die Sakralsphäre angliedern; Umwandlungsphase; Riten, die von der örtlich begrenzten Sakralsphäre lösen; und Riten, die wieder in die gewohnte Umgebung reintegrieren.« 786 ƙƯƬƱ˂ meint »Zelt« – was prinzipiell zur Naherwartung passen würde. Im Kontext scheint sich aber Petrus auf längere Zeit auf dem Berg einrichten zu wollen, sodass Luthers »Hütte« sachlich passend erscheint. 787 Auf der narrativen Ebene wäre hier evtl. an den Nachfolgeruf und die Taufe Jesu (vgl. DEMARIS, Taufe Jesu, 51f) zu denken. Vielleicht spielt auch das Verlassen (10,21.29) oder die Bedingung in 3,35 eine Rolle. Das aber ist rein spekulativ.

Das Motivfeld »Familie« in ritualtheoretischer Sicht

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3.9.3 Die familia dei als liminale Gemeinschaft Aufgrund der Anwendung des Dreiphasenmodells auf Mk 10,29f ist anzunehmen, dass sich die familia dei bzw. die mk Gemeinde in ihrer diesseitigen Gestalt in einer Art der von Turner beschriebenen Liminalität befindet. Diese Liminalität hält bis zum Anbruch des künftigen ƦʅˊƱ an, d.h., im jetzigen ƯƦƮƴˆƵ verbleibt die Gemeinde dauerhaft in der Liminalität und darf darum auch als liminale Gemeinschaft angesprochen werden. Bevor ich den von Turner dargestellten Communitas-Charakteristika im Text des Evangeliums nachspüre, möchte ich noch einmal einen kurzen und gegenüber den bisherigen Ausführungen präzisierten Blick auf solche liminalen Bewegungen – speziell »millenarische«788 religiöse Bewegungen – werfen. Nach Turner handelt es sich dabei um eine besonders auffallende Communitas-Erscheinung. Der geschichtliche Ort solcher Erscheinungen ist die Existenz entwurzelter und hoffnungsloser Massen, die am Rand der Gesellschaft (»Struktur«) stehen.789 Ursache der Entstehung ist also ein sozialer Überdruck der Elenden, wie er beispielsweise im Kontext der Jesusbewegung angenommen werden darf.790 Zur Charakteristik solcher Gruppen schreibt er: »Homogenität, Gleichheit, Anonymität, Besitzlosigkeit (viele dieser Bewegungen fordern […] von ihren Mitgliedern die Zerstörung all dessen, was sie besitzen […]), Herabsetzung aller auf das gleiche Statusniveau, das Tragen gleicher Kleidung […], sexuelle Enthaltsamkeit (oder, den Gegensatz, sexuelle Gemeinschaft, denn beide heben die den strukturellen Status legitimierenden Ehe- wie Familienbeziehungen auf), Minimierung der Geschlechtsunterschiede (alle sind ›im Angesicht Gottes‹ oder der Ahnen gleich), Abschaffung von Rangunterschieden, Demut, Gleichgültigkeit gegenüber der äußeren Erscheinung, Selbstlosigkeit, totaler Gehorsam gegenüber dem Propheten oder Führer, sakrale Einweisung, extreme Betonung religiöser im Gegensatz zu weltlichen Einstellungen und Verhaltensweisen, Aufhebung verwandtschaftlicher Rechte und Pflichten (alle sind Geschwister oder Kameraden, ungeachtet 788

Beim Millenarismus-Begriff besteht die Gefahr von Verengungen und Missverständnissen, etwa ein Vergleich zu chiliastischen Bewegungen in der Kirchengeschichte. Hier meint dieser Begriff aber allgemein eschatologisch ausgerichtet, d.h., es geht um Bewegungen, »die einen grundsätzlichen Wandel der Dinge erwarten.« THEISSEN/MERZ, Jesus, 28, Anm. 26. 789 Vgl. TURNER, Ritual, 109. Allerdings warnt DOUGLAS (Ritual, 17f) davor, dass »sozialer Streß« allzu leichtfertig, d.h. ohne Nachprüfung, als allgemeines Erklärungsmodell für Rebellionen verwandt wird. Diese Vorstellung ist, so Douglas, spätestens seit Rousseau tief in der Tradition europäischen Denkens verankert, sodass hier leicht Vorurteile, Oberflächlichkeiten oder Zirkelschlüsse im Spiel sein können. 790 Ich meine die sozial schwierige Situation im Palästina des 1. Jh., aus der heraus mehrfach das Aufflackern religiös-revolutionärer bzw. apokalyptischer Bewegungen bekannt ist. Vgl. auch THEISSEN, Wir haben alles verlassen, 106.

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

der früheren, säkularen Beziehungen), Einfachheit der Rede und des Auftretens, heilige Torheit, Akzeptieren von Schmerz und Leiden (bis hin zum Märtyrertum) usw. Bemerkenswerterweise machen viele dieser Bewegungen zu Beginn ihres Auftretens nicht vor Stammes- oder nationalen Grenzen halt.«791

Ich habe an dieser Stelle Turner so ausführlich zitiert, da die Bedeutung dieser Charakteristik für das Thema dieser Arbeit augenfällig ist. Im MkEv treffen eine ganze Reihe dieser Charakteristika auf die Jesusnachfolge mit Jüngerkreis und familia dei zu. Ich möchte dies kurz anhand von Textbeispielen unter Bezug auf die tabellarisch dargestellte Gegenüberstellung der Oppositionspaare Struktur und Antistruktur verdeutlichen.792 Ich werde dabei den Makrotext einbeziehen und neben der familia dei und Jesus auch auf den Jünger- bzw. Zwölferkreis schauen, denn die Jüngerunterweisungen sind auch an die Leserschaft bzw. Glieder der mk Gemeinde gerichtet. (1) Ungleichheit – Gleichheit/Rang – Rangunterschiede. In 9,33–35 weist Jesus die Jünger, die untereinander verhandelt haben, wer der Größte sei (»Struktur«), zurecht. Er kehrt die gesellschaftlich gebräuchlichen Statusunterschiede bzw. deren Begründung um und bestimmt die mediterranen Kategorien von Ehre und Scham793 für den Jüngerkreis neu. Der Größte ist der Diener.794 Beatrix Schnabl spricht in diesem Zusammenhang vom »Dienst der umgewerteten Werte«, den sie an fünf Stellen im Evangelium ausmacht.795 Das »Positionswechselaxiom«796 begegnet auch in 10,35–45, speziell 43f, und in 10,31.797 Jesus selbst schließt sich ein798 bzw. begründet die geforderte Statusumkehrung mit dem Weg des Menschensohns in den 791

TURNER, Ritual, 110. Zur Illustration vgl. die Analyse der Franziskaner ab 136, v.a. 140ff. Vgl. oben 3.9.1. 793 In Mk 8,38 wird eindeutig die Kategorie »Scham« verwandt. 794 Das Verb ƩƮƦƯƳƱˀƼ meint v.a. den Tischdienst, welcher von Sklaven/Sklavinnen oder jungen Männern ausgeführt wurde. Vgl. MAYER-SCHÄRTEL, Frauenbild, 380. In Mk 10,44 wird aber auch ƩƳ̬ưƳƵ benutzt. Eingedenk der eindeutig festgelegten und philosophisch reflektierten Herr-Sklave-Beziehung (vgl. dazu TRAINOR, Quest, 46f) kommt hier die Umkehrung der gesellschaftlichen Strukturen ausgesprochen deutlich zum Ausdruck. 795 SCHNABL, Umgang, 166ff.259. Petri Schwiegermutter dient aus innerer Einstellung, weniger aus mediterranen Rollenverhalten (Mk 1,31); in Mk 9,35 kommt es zu einer deutlichen Umwertung gängiger Werte bzw. der Rollen »Diener-Bedienter«; ähnlich radikal Mk 10,43.45. In Mk 15,41 ist das Dienen wohl ähnlich zu verstehen, es steht zumindest in engem Zusammenhang zur Nachfolge, keinesfalls jedoch mit dem im mediterranen Umfeld üblichen Verständnis des Dienstes von Frauen. 796 So KÜSTER, Volk, 96. 797 Mk 10,42 bezieht sich dabei explizit auf übliche hierarchische Gesellschaftsmodelle! 798 Bereits am Anfang lässt er sich von Johannes dem Täufer, der sich nicht wert fühlt, vor dem »Kommenden« in die Knie zu gehen und die Sandalen zu lösen (Ehre/Scham), taufen und stellt sich so unter ihn. Vgl. MCVANN, Reading, 190; DEMARIS, Taufe Jesu, 51f. 792

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Tod (10,45). In 13,34–37 wird in der Zeit der physischen Abwesenheit des Auferstandenen die Position des Hausherrn nicht besetzt, die zu erwartende hierarchische Struktur ist aufgegeben.799 (2) Besitz – Besitzlosigkeit. Dieses Thema wird ausführlich in 10,17–27(ff) verhandelt. Der reiche Mann soll, bevor er in die Jesusnachfolge tritt, seinen gesamten Besitz verkaufen und den Armen geben. Ein Reicher kommt schwerer in die ƧƦƶƮưƪ˄Ʀ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ als ein »Kamel« durchs »Nadelöhr«. Besitzlosigkeit erscheint hier als Bedingung für die Jesusnachfolge und den Eingang in das Himmelreich. Ähnliches lässt auch die Aussendungsrede in 6,7–13 erkennen:800 Die Jünger dürfen keine materiellen Sicherheiten bei sich haben, sie sind ganz auf die Gastfreundschaft anderer angewiesen. In 4,18f erstickt der betrügerische Reichtum das »Wort«. Die arme Witwe (12,41ff) wird den Jüngern positiv vor Augen gestellt, da sie ihren ganzen Besitz (™ʾƱƷƦ ʚƶƦ ƪʋƺƪƱ) in den ƨƦƫƳƹƸưʾƯƮƳƱ gelegt hat.801 Ein Gegenbeispiel ist Petrus, der »ganz verstört« auf dem »Berg der Verklärung« Zelte bauen will (9,5f). Die mk Charakterisierung Jesu als ruhelosen Wanderprediger geht in ähnliche Richtung (wobei Markus auch die enge Verbindung Jesu zu Kafarnaum stehen lassen kann und ihm ganz selbstverständlich ein Boot zur Verfügung stellt). Wichtig ist aber der Hinweis auf 10,29. Ein Merkmal der Zugehörigkeit zur Gemeinde ist, die sozialen und ökonomischen Beziehungen zumindest teilweise verlassen zu haben und die restliche Habe der Gemeinde zur Verfügung zu stellen.802 (3) Status – Statuslosigkeit. Hier ist Ähnliches zu sagen wie bei Punkt 1. Die von Jesus geforderte Selbstverleugnung (8,34)803 verlangt die Aufgabe jeglichen gesellschaftlichen Anspruchs, Rangs und Status und illustriert deutlich die Erfordernisse der Nachfolge: die Preisgabe aller Attribute der gesellschaftlichen Struktur und den Wechsel von der »Struktur« in die »Anti799

So ALSUP, Kirche, 124. Vgl. oben 3.6.3, Pkt. 2. Möglicherweise ist aber die Aussendungsregel für die mk Gemeinde nicht anzuführen, da sie sich eher an Wandermissionare als an die in der mk Gemeinde praktizierte sesshafte Art der Nachfolge richtet. Vermutlich hat Markus auch die Aussendungsregel-Tradition mit der Genehmigung von »Stab« und »Sandalen« (Mk 6,8f) abgeschwächt, was ein Vergleich zu Q 10,4 (vgl. auch die Änderung der mk Vorlage Lk 9,3) nahe legt. So KRISTEN, Familie, 199. 801 Vgl. auch das teure Salbölgeschenk der anonymen Frau in Mk 14,3ff. MALBON (Fallible, 39) sieht in beiden Gaben auch Selbstverleugnung. 802 Vgl. die Beziehungen von Mk 10,29f zu 10,17–27 oben 3.7. Ein weiterer Hinweis auf das Teilen des eigenen Besitzes findet sich in 6,36–38, wo für die Jünger zur Versorgung der Volksmenge einzig das »Kaufen« (Nahrung von »Extern«) im Blick ist, Jesus aber auf das hinweist, was sie haben. Vgl. oben 3.7, Anm. 704. 803 Wahrscheinlich handelt es sich dabei um mk Redaktion. So KRISTEN, Familie, 173. Anders GNILKA, Mk II, 22. M.E. könnte Mk 14,30 das Stichwort geliefert haben. 800

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struktur« bzw. Liminalität.804 Auf der anderen Seite führt die Selbstverleugnung zum totalen Gehorsam gegenüber der religiösen Autorität (s. Punkt 7), der zur Kreuzesnachfolge befähigt und selbst vor dem Tod nicht halt macht (s. Punkt 10). Auch die Aufgabe familiärer Strukturen (3,31–35; 10,29f) führt – zumindest bei den männlichen Nachfolgern – zu einem Statusverlust. Die Syrophönizierin wiederum verleugnet sich um ihrer Tochter willen selbst, indem sie die beleidigenden Worte Jesu aufnimmt und auf sich (und ihre Tochter) bezieht (7,25ff). Sicherlich kann man in diesem Zusammenhang auch auf die Hochschätzung der Kinder – eingedenk deren sozialer Stellung im mediterranen Raum des 1. Jh. n.Chr. – verweisen: »Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen« (10,15). Turner und van Gennep weisen wiederholt darauf hin, dass der Neophyt in der Liminalität oft auch den Zustand eines Neugeborenen einzunehmen hat.805 Wenn Jesus von den Nachfolgenden verlangt, wie ein Kind zu werden und dabei gar den kindlichen Zustand mit dem Eingehen in die Gottesherrschaft verknüpft, so kann hier sinngemäß – ähnlich wie vielleicht Joh 3,1ff – liminale Charakteristik im Hintergrund stehen.806 Natürlich besteht ein deutlicher sachlicher Unterschied zwischen einer Neugeburt und dem Wie-Ein-Kind-Werden, aber die Funktion bei rituellen Übergängen (Statusverlust, Hilflosigkeit, für den neuen Status leer/neu/offen sein etc.) ist doch ähnlich. Das Wie-Ein-Kind-Werden muss vermutlich schärfer interpretiert werden, als es mitunter geschieht. (4) Kleidungsunterschiede – Nacktheit bzw. uniforme Kleidung/Desinteresse an persönlicher Erscheinung/Wegfall der Vermögensunterschiede. Hier muss noch einmal auf die minimalistische textile und finanzielle Ausstattung bei der Jüngeraussendung hingewiesen werden.807 Hat Turner Recht und handelt es sich bei diesen Merkmalen um eine Art archetypische Charakteristik liminaler Bewegungen, ließe sich hier übrigens auch die Analogie zwischen Jesusbewegung und Kynikern (s.o.) erklären. Möglich804

Interessant dazu ist TURNER, Religionsverständnis, 446: Der in der »Struktur« üblichen »Aufspaltung der Wirklichkeit, der Einheit der Menschheit und schließlich des Menschen selbst kann man nur entgegentreten, indem man [immer wieder, TR] zurückfindet zum Herzen der Liminalität, dorthin, wo die Rituale ihre Lebendigkeit schöpfen und das Nein der Selbstverleugnung oft der Weg zur Erlösung ist.« 805 Vgl. etwa VAN GENNEP, Übergangsriten, 92ff.96 (Taufe) u.ö.; TURNER, Ritual, 95. In ähnliche Richtung verweist ja bereits der Begriff »Neophyt« (ƱƪˆƹƸƷƳƵ – Neuling; neu gepflanzt). Die Funktion ist, denke ich, klar: Ein Neugeborenes ist noch ungeprägt, ohne sozialen Rang, ohne Bildung, völlig offen für den Status nach dem Übergangsritual. Das bisherige Leben (Rang, Status) ist ausnahmslos »weggewischt«, der Neophyt wird erst geboren. Nichts bleibt von dem, was er einst war. 806 BÖTTRICH (Werden, 62–65) interpretiert diese Stelle im Kontext von Rangstreitigkeiten und Positionswechselaxiom ähnlich: Es geht um Statusverzicht 807 Zum nackt fliehenden Jüngling Mk 14,51f erschließt sich mir keine Beziehung.

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erweise trifft dieser Punkt aber weniger auf die mk Gemeinde als auf die wandercharismatischen Formen der Jesusbewegung zu. (5) Stolz auf Position – Demut. Vielleicht ist 10,18 so zu interpretieren. Die unter (1) und (3) geschilderten Statusumkehrungen sind auch hier relevant. (6) Selbstsucht – Selbstlosigkeit. Dieser Aspekt kommt deutlich in 8,34ff zum Tragen. (7) Gehorsam gegenüber höherem Rang – Totaler Gehorsam. In Mk 3,35 sind diejenigen die Mitglieder der familia dei, die Gottes Willen tun. Petrus wird mit dem »Satan« gleichgesetzt, als er nicht das Göttliche will (8,33). Jesus selbst stellt sich in totalem Gehorsam unter den Willen Gottes (vgl. die Passion, v.a. 14,36 u.ö.).808 Auf die Selbstverleugnung (8,34) wurde bereits hingewiesen. In 13,34–37 erscheint Christus als Herr, die Gemeinde als seine – wenn auch mit Vollmacht ausgestatteten – »Sklaven«. Das Oppositionspaar könnte relativiert werden, wenn »Gehorsam gegenüber höherem Rang« den Gehorsam gegenüber Gott bzw. dem Auferstandenen beschreiben würde, doch »Rang« ist hier der gesellschaftlichen Struktur zugeordnet. (8) Säkularität – Sakralität. Dieser Gegensatz kommt allein schon in der Gegenüberstellung der alten familiären Strukturen, welche um Jesu und des Evangeliums willen verlassen werden (10,29) bzw. zwischen diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht (8,38) und der neuen Familie, die Gottes Willen tut, zum Ausdruck. Die Christologie ist dabei vorausgesetzt. Auch die öfter begegnende Innen-Aussen-Konstellation oder Textstellen wie 8,38 sind hier zu nennen. (9) Verwandtschaftliche Rechte und Pflichten – Aufhebung verwandtschaftlicher Rechte und Pflichten. Dieser Aspekt ist ausführlich in dem vorliegenden Buch behandelt worden und muss an dieser Stelle nicht eigens entfaltet werden. Die Auflösung des familiären Rollenverständnisses ist ein wesentliches Ziel der mk Familienkonflikte. (10) Vermeidung von Schmerz und Leid – Hinnahme von Schmerz und Leid. Diesem Stichpunkt können große Themenkomplexe des Evangeliums zuge808 Zur liminalen Charakteristik der Passion vgl. MCVANN, Reading, 193f. Er sieht im Beginn (Taufe/Wüste) und am Ende (Passion/Auferstehung) des Evangeliums Riten der Statustransformation bzw. -erhöhung. LAHURD (Exactly, 202ff) kritisiert hier zu Recht, dass Markus keine Statusentwicklung Jesu nachzeichnen möchte. Es geht doch eher um die Enthüllung der Messianität etc. Gegen den liminalen Charakter der Passion spricht dieser Einwand sicherlich nicht.

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ordnet werden: Ruf in die Leidensnachfolge, Bereitschaft zum Martyrium (Mk 8,35.38ff, vgl. 10,38f; 13,9), Leidensvorhersagen und Passion Jesu, auch die Leidensankündigungen in der »Eschatologischen Rede« (13,9–13). Mk 8,35 thematisiert explizit dieses Oppositionspaar. Es zeigt sich: Turners Charakteristik der Communitas809 findet sich in den Texten des Evangeliums, v.a. in Texten, die als Jüngerunterweisung begegnen und für die mk Gemeinde paränetische Funktion besitzen. Dieses Ergebnis, welches die Gemeinde der »Antistruktur« zuordnet, korrespondiert auch auffallend gut mit Theißens Modell des Wanderradikalismus, obwohl er hierbei natürlich nicht die mk Gemeinde im Blick hat. Die Jesusbewegung steht am Rand der Gesellschaft. Sie »muß am Rande des normalen Lebens eine von außen gesehen durchaus fragwürdige Existenz führen.«810 Diese Charakteristik der frühen Tage reicht offenbar trotz einer veränderten Nachfolgesituation bis in die Zeit der mk Gemeinde.811 Jesus, dem als historische und mk Gestalt selbst die Charakteristik eines turnerschen Schwellenwesens anhaftet,812 scheint in den mk Texten seine Nachfolgerinnen und Nachfolger bewusst zu einem Leben an den Rändern der Sozialstruktur drängen zu wollen. Er schafft damit eine permanente Liminalität und die Voraussetzungen für eine »existenzielle«813 Communitas.814 Für Jesus und Markus scheint der liminale Zustand das Ideal für Nachfolge zu sein, der mit dem Eingehen in die sich zukünftig verwirklichende Gottesherrschaft verbunden ist. Dem Text wird sicher keine Gewalt angetan, wenn man die familia dei (3,35; 10,30) als liminale Gemeinschaft im Sinn der oben beschriebenen millenarischen religiösen Bewegungen bzw. als »Communitas« bezeichnet. 809 Es ist legitim, den auf zwischenmenschliche Beziehung zielenden Communitas-Begriff um die vertikale Dimension zu erweitern. Vgl. STRECKER, Liminale Theologie, 66f. Somit ist er auch auf die mk Gemeinde im Bild der Familie – zu der auch Gott als »Vater« gehört – anwendbar. 810 THEISSEN, Wanderradikalismus, 86. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die südkoreanische Minjung-Theologie: »Das Markusevangelium schildert die Jesusbewegung als eine Gegengesellschaft, die durch innere Solidarität, bestimmt durch das Positionswechselaxiom (10,43f), und Konfliktbereitschaft gegenüber ihrer Umwelt gekennzeichnet ist.« KÜSTER, Volk, 96. 811 Anders MOXNES, Putting, 70f: Er stellt die Liminalität der frühen unsteten Jesusnachfolge und das mk Konzept der neuen Familie (»resocialization« bzw. »reincorporated into society«) einander gegenüber und interpretiert das mk Konzept als dritte Phase des Übergangsprozesses. Dem widerspricht Mk 10,29f. 812 Vgl. auch SCHNABL, Umgang, 79: »Die Jesusbewegung ist als Bewegung mit liminalem Status zu verstehen, d.h., daß in einer Übergangszeit besondere Gesetze gelten können und eine allgemeine Um- oder Neudefinition aller Traditionen und Werte stattfindet.« Vgl. auch ebd. 259: »Für die vorösterliche Jesusbewegung wird die These aufgestellt, [...] dass sie eine Communitas darstellt.« 813 S.o. Anm. 773. 814 So TURNER, Ritual, 140 mit Blick auf Franziskus, der sich sehr deutlich an Texten der Evangelien, wie der Jüngeraussendung etc., orientiert.

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Wie die Communitas in der liminalen Phase eines Rituals zwischen den marginalisierten, ausgeschlossenen Neophyten entsteht, so auch in der mk Gemeinde, die unter Verfolgung, d.h. gesellschaftlicher Marginalisierung, leidet. Diese Marginalisierung führt zu einer starken innergemeindlichen Beziehung, gegenseitigen Unterstützung und Ermutigung.815 Welche Schlüsse sind nun hinsichtlich der mk Gemeindewirklichkeit bzw. des ekklesiologischen Ideals des Evangelisten zu ziehen? Die mk Gemeinde erscheint als ein Ort konkreter sozialer Beziehungen, als ein Ort der Verbundenheit von Menschen, die alle trennenden Barrieren, Rechte und Pflichten hinter sich gelassen haben. Sie stehen abseits und ausgeschlossen von der Gesellschaft und von Verwandtschaftssystemen und sind vielleicht gerade dabei, eine eigene rudimentäre Sozialstruktur aufzubauen, in der sie einander Mutter, Bruder und Schwester sind. Die Entwicklung fester hierarchischer Strukturen steht allerdings noch aus. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass das mk Thema der Rangstreitigkeiten im Jüngerkreis auf einsetzende Probleme in der Gemeinde reagiert, sodass hier eher von einer »normativen« anstatt einer »existenziellen« Communitas ausgegangen werden muss.816 Das Ganze mag mit einem mehr oder weniger radikalen Dualismus »Struktur – Antistruktur« (Gemeinde – Welt, Christen – andere o.Ä.) einhergehen. Darauf verweist nicht zuletzt die Innen-AußenKonstellation in Mk 3,31–35 und 4,10f. Diesem Dualismus gegenüber steht eine durch die Liminalität ermöglichte Offenheit innerhalb der Gemeinde. Grenzen der Geschlechter und der Nationalitäten spielen hier keine Rolle. Neben dieser innergemeindlichen sozialen Freiheit und Gleichheit, Spontanität und Unmittelbarkeit des sozialen Gegenübers steht der absolute Gehorsam gegenüber der Autorität Gottes, der die Mitglieder auch vor Leiden und Tod nicht zurückschrecken lässt/lassen soll. Das in diesem Buch untersuchte Motiv der Familienkonflikte, speziell des Wechsels der Familien hat hierbei paradigmatische Bedeutung. Dieser Wechsel symbolisiert die Phase der Trennung und Ablösung von den alten Strukturen und den Zugang zur neuen Familie, zur mk Communitas. In dieser werden die Individuen auf die eschatologische Aggregation beim Anbruch der Gottesherrschaft vorbereitet. Andererseits zeigt sich auch hier, dass der real vollzogene Bruch mit den alten familiären Beziehungen mindestens für einen Teil der Gemeinde anzunehmen ist. Es handelt sich bei diesem Motiv nicht nur um Theologie. Wie die Neophyten während eines Rituals oft real von den alten Strukturen 815

So MCVANN, Baptism, 153. Zur Unterscheidung »existenziell«/»normativ« vgl. oben Anm. 773. Zur Bedeutung der Rangstreitigkeiten vgl. oben 3.6.3, Pkt. 2. 816

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getrennt bzw. als gefährliche Wesen von der Gesellschaft isoliert werden, so zieht auch der Zugang zur mk Gemeinde gesellschaftliche Marginalisierung, Trennung und Ausschluss nach sich. Immerhin ist dieser Übergangsprozess im Gegensatz zu anderen Riten gesellschaftlich nicht legitimiert und führt zu Verfolgungen (10,30). Dass diese von mir postulierte mk Communitas nicht lange Bestand gehabt haben wird, lässt sich mit Turners zwangsläufigen Sequenzabfolgen »StrukturĺAntistrukturĺ(Gegen-)Struktur« vermuten. Beatrix Schnabl, die das MkEv und das LkEv dahingehend untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass das MkEv rückblickend die liminale Charakteristik der vor- und frühen nachösterlichen Jesusbewegung widerspiegelt, das LkEv hingegen vorausblickend auf die irdische Aggregation der Gemeinde, d.h. auf den Aufbau einer neuen Struktur in der Gesellschaft, zielt.817 Sicherlich ging mit dem zunehmenden Bewusstwerden der Parusieverzögerung und der zunehmenden Verbreitung des Christentums bzw. der Vergrößerung der Gemeinden der Aufbau hierarchischer Strukturen einher. Vielleicht bestehen solche auch schon in der mk Zeit und der Evangelist versucht in Erinnerung an die frühe Jesusbewegung die Communitaswerte zu reaktivieren bzw. neu zu installieren. Auf diese Weise lässt sich auch die geistige Ferne zur bekanntermaßen hierarchisch gut strukturierten Jerusalemer Gemeinde erklären, die an anderer Stelle zur Sprache kam.818 Trotz mancher Unsicherheit ist den Texten der Communitas-Charakter deutlich abzuspüren. Auch entspricht diese Charakterisierung den oben dargestellten ekklesiologischen Aspekten. Hier ist eine Art Grundstimmung der mk Gemeinde und/oder des Evangelisten zu erkennen.

3.10 Vergleich mit Schriften des NT und EvThom (Überblick) Vergleich mit Schriften des NT und EvThom Diese Arbeit widmet sich dezidiert dem MkEv. Das Ziel dieses Abschnitts ist deshalb eine Einordnung und Präzisierung der mk Position. Es soll an dieser Stelle ein kurzer und auf das mk Konzept bezogener Überblick zum Thema »Familie im NT« gegeben werden.

Befragt man die Texte des NT nach ihrem Verhältnis zur Familie, werden schnell zwei miteinander schwer vereinbare Tendenzen greifbar.819 Auf der einen Seite steht – das wurde u.a. bei der vorliegenden Arbeit deutlich – die Relativierung familiärer Bindungen und Strukturen oder deren Umprägung 817

Vgl. SCHNABL, Umgang, 259–263.269f. Vgl. oben Teil 2, 1.2.3 mit Anm. 127. 819 Vgl. OSIEK, Family, 2. 818

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zu einer neuen Familie. Auf der anderen Seite findet sich hingegen das Bestreben, das Ethos einer christlichen Familie zu installieren, welches sich oft an den kulturellen Kontext der mediterranen Welt des 1. Jh. n.Chr. anlehnt und eine »peaceful domestic existence«820 zum Ziel hat. Dieses zweite Konzept begegnet v.a. in den Deuteropaulinen und dem Ersten Petrusbrief.821 Besonders deutlich tritt es in den sog. »Haustafeln« (Kol 3,18–4,1; Eph 5,21–6,9; 1Petr 2,13–3,7), aber auch in Texten der Pastoralbriefe (Tit 2,1–10; 1Tim 2,8–15; 6,1f)822 hervor, welche das konservative familiäre Konzept der Haustafeln auf das Gemeindemodell übertragen. Die drei aristotelischen Grundrelationen des ƳʋƯƳƵ Mann-Frau, VaterKinder und Herr-Sklave823 werden in diesen Texten auf das innergemeindliche Leben bezogen und so bekräftigt.824 Diese Orientierung am kulturellen Kontext steht wohl auch in Beziehung zum allmählichen Auf- und Ausbau kirchlicher Amtsstrukturen, unter denen sich etwa der ɩ™˄ƶƯƳ™ƳƵ dadurch auszeichnet, dass er der Gemeinde, wie auch der eigenen Familie ein guter Hausvorsteher ist (1Tim 3,2ff). Die Rolle der Frau in der Gemeinde wird christologisch begründet (Eph 5,25–33)825 zurückgestuft,826 ihre traditionelle Rolle als Gebärerin betont und sogar noch soteriologisch interpretiert (1Tim 2,15; vgl. dagegen etwa Lk 11,27f). »The deuteroPauline author puts into Paul’s mouth the words of the emperor Augustus and of the medical doctor Soranus; thus he removes all boundaries between the world and the church, and his theology of salvation for women becomes heretical«.827 Diese Rückbesinnung auf den traditionellen ƳʋƯƳƵ geschieht auch in der 820

OSIEK, Family, 2. Das Problem, ob es sich bei 1Kor 14,34f um eine Interpolation handelt, kann bei diesem Überblick auf sich beruhen. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre auch bei Paulus eine Tendenz zur Reintegration des christlichen Zusammenlebens in die mediterrane Sozialstruktur spürbar. Dagegen spricht immerhin Gal 3,27f; Phlm 16f u.a. Vgl. zur Frage (Interpolation) die Problemdiskussion bei KLAUCK, Gemeinde, 64ff. Wenig überzeugend erscheint mir WICKs Lösung (Gottesdienste, 217f): Das Redeverbot beziehe sich einzig auf Lehre bzw. Lehrdiskussion und diene in Verbindung zur Forderung der Unterordnung unter den Mann der Vermeidung erotischer Gefahren in der sympotischen Gottesdienstsituation. 822 Mitunter werden diese zu den Haustafeln gerechnet, sie unterscheiden sich aber formal zu stark, um dies zu rechtfertigen. Vgl. GIELEN, Tradition, 5. 823 Vgl. ARISTOTELES, Politik 1,3: »die ersten und kleinsten Teile eines Hauses sind Herr und Sklave, Gatte und Gattin, Vater und Kinder«. Vgl. auch TRAINOR, Quest, 46f; OSIEK/BALCH, Families, 118f. 824 So auch URBAN, Rolle, 19f. 825 Vgl. dazu OSIEK/BALCH, Families, 121. 826 Aufschlussreich ist ein Vergleich zwischen Gal 3,27f und Kol 3,11: Die Stellung der Frau in der Gemeinde ist selbst beim Taufverständnis in den deuteropaulinischen Briefen deutlich beschnitten. (Sie wird nicht erwähnt!) Auch die deuteropaulinische Abänderung der pln Metapher vom Leib in Christus (1Kor 12,12ff; Röm 12,4ff; vgl. dazu Eph 4,15 mit 5,23ff) verstärkt die Stellung des pater familias und behindert egalitäre Tendenzen. So OSIEK/BALCH, Families, 120f. 827 OSIEK/BALCH, Families, 122. 821

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Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Brückenschlag (1Tim 3,7). Die Rolle des pater familias gewinnt neue Attraktivität. Er erhält in den Hausgemeinden oft eine leitende Funktion bzw. prägenden Einfluss.828 Allerdings legt die christliche Haustafeltradition nun den Akzent auf die innerfamiliäre Liebe (Kol 3,19; Eph 5,25–33; Tit 2,4) und die gegenseitige Achtung. Betont wird »nicht die uneingeschränkte Verfügungsgewalt des Vaters über die Kinder, sondern vielmehr seine Pflicht ihnen gegenüber«.829 Auch fällt bei den der stoisch-kynischen Moralphilosophie verwandten Haustafeln auf, dass sie sich entgegen den philosophischen Vorlagen nicht nur an die Person des Hausvaters, sondern auch die Frauen, Kinder und Sklaven wenden. Diese Umgestaltung nimmt die sittliche Verantwortung jedes Standes ernst.830 Hier werden durchaus besondere Aspekte der christlichen Familien sichtbar, wobei allerdings auch im paganen griechischen Denken das Ideal der durch Freundschaft, Partnerschaft und Achtung geprägten Familie bekannt ist.831 Trotz dieser die patriarchalen Strukturen abschwächenden Akzentuierungen stehen diese Texte dem mk Konzept so stark entgegen,832 dass ein in die Einzelheiten gehender Vergleich eingedenk der Zielsetzung dieses Buchs wenig lohnenswert ist. Die familienrelativierenden Texte hingegen haften v.a. an der Person Jesu. Zum einen begegnet wiederholt die Spannung Jesu zu seiner Familie (Mk 3,20f.31–35; 6,1–6; Joh 2,4; 7,5; vgl. EvThom 99.101) bzw. die Unterordnung verwandtschaftlicher Bindungen unter die Beziehung zu Gott (Lk 2,48–50; 11,27f). Zum anderen finden sich diesbezüglich radikal anmutende Worte in Jesu Mund (Q 14,26par; Mk 13,12parr; vgl. Mt 10,21; Lk 21,16; vgl. EvThom 55.101). Nutzt man die unter 3.9 dargestellten ritualtheoretischen Begriffe und Modelle und vereinfacht die verschiedenen Konzepte,833 lässt sich folgende Grundtendenz feststellen: Jesus scheint im NT oft die Charakteristik einer liminalen Gestalt zu tragen. Die damit verbundene Abkehr von der gesell828

Vgl. dazu GNILKA, Hausgemeinde, 235f. URBAN, Rolle, 20. 830 Vgl. GNILKA, Hausgemeinde, 237. In der Tat ist es auch möglich, die Haustafeln »als kritischen Dialog mit ihrer Umgebung« zu lesen. Vgl. ALSUP, Kirche, 114. Die Exegeten interpretieren hier sehr verschieden. 831 So v.a. bei Aristoteles. Vgl. TRAINOR, Quest, 49f. 832 Mit der Frage, ob sich egalitäre Gemeinschaftsstrukturen und patriarchale Hausstrukturen im NT als »Kontrastmodelle« gegenüberstehen oder eher zusammenfließen, beschäftigt sich mit Blick auf die pln Briefe SANDNES, Equality, 150–165. Vgl. auch URBAN, Rolle, 20: Trotz aller Modifikation durch eine christologische Relation, »bleibt die konservative Grundhaltung familiärer antiker Konventionen erhalten.« 833 Diese Vereinfachung erweist sich in Anbetracht der Zielsetzung des Abschnitts als sinnvoll, auch wenn sie den einzelnen Texten nicht immer gerecht werden kann. Ich erhalte so ein Grundraster um das MkEv einzuordnen. 829

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schaftlichen »Struktur« schließt auch die Relativierung familiärer Bindungen ein. Die frühe nachösterliche Jesusbewegung rezipiert die liminale Existenz im radikalen Ethos der Wandercharismatiker. Auch Paulus und Markus sind m.E. noch der »Antistruktur« zuzurechnen, auch wenn hier bereits deutliche Akzentverschiebungen zu konstatieren sind: Aus der »Antistruktur« wird im MkEv eine rudimentäre »Gegenstruktur« in Form der neuen und neuartigen Familie. Das Thema der Rangstreitigkeiten unter den Jüngern könnte die Situation in der Gemeinde und damit das Ringen um den Aufbau von »Struktur« reflektieren.834 Die »Aggregation« wird aber als eine in die Gottesherrschaft führende erwartet (s.o.). Mit der Verzögerung der Naherwartung und ihrer zunehmenden räumlichen und zeitlichen Ausdehnung ist die Gemeinde bald835 für ihre bleibende Existenz gezwungen, die rudimentäre »Gegenstruktur« zu einer festen »Struktur« auszubauen. Turners Modell zeigt, dass es sich hierbei nicht um eine Verflachung der ursprünglichen Werte handelt, sondern dass dieser Aufbau den Erfordernissen einer veränderten Situation gerecht wird und somit zu würdigen ist. Bei diesem Aufbau der Struktur orientieren sich die Gemeinden nun – entgegen Turners Modell836 – an ihrem kulturellen Kontext. Nach diesem Grundraster möchte ich nun kurz die mk Konzeption mit ausgewählten Schriften der familienrelativierenden Tendenz vergleichen. Dabei kommt beim LkEv und MtEv v.a. der synoptische Vergleich zur Anwendung, der in der Arbeit bisher eine untergeordnete Rolle gespielt hat. (1) MkEv und Q. Auf die Familienkonzeptionen beider Schriften wurde schon an anderer Stelle eingegangen:837 Es finden sich zwei verschiedene Konzepte. Q fordert mit provozierender Radikalität die Auflösung familiärer Strukturen zugunsten einer v.a. wanderradikalen Jesusnachfolge (Q 9,59–62; 14,26).838 Zwar kennt auch das MkEv eine ähnliche, wesentlich weniger radikal formulierte Position (1,16–20), der Schwerpunkt liegt aber 834

Als Analogie könnten die in den pln Briefen sichtbaren »Status«-Konflikte im Urchristentum hergezogen werden. 835 Es geht hier nicht um eine konkrete zeitliche Abfolge! In der Zeit als Markus – rückblickend – diese Liminalität zu bewahren sucht, begegnet bereits an anderen Orten – vorausblickend – diese Besinnung auf die »Struktur«. 836 Zu erwarten wäre die Entwicklung einer »Gegenstruktur«. 837 Vgl. oben die Abschnitte 3.6 und 3.7. 838 JACOBSON (Jesus against, 190f) listet alle relevanten Texte auf: Q 9,57f: Obdachlosigkeit des Menschensohns; 9,59f: Aufhebung der Bestattungspflicht; (Lk 9,61f: Verweigerung des Abschiednehmens); 10,4ff: Übernahme des bettelnden Lebensstils; 12,22–31: vom Sorgen; 12,51–53: von Jesus verursachte Familienzerwürfnisse; 14,26: Hassen der Familie; 16,13: Gott oder Mammon; 16,18: Wiederheiratsverbot (laut Jacobson weniger ein Verbot der Scheidung als der Wiederheirat, ebd. 196. Anders OSIEK/BALCH, Families, 126: Q ist aufgrund 16,18 nicht antifamiliär. Allerdings kommen sie 137f mit Blick auf das LkEv zum gleichen Ergebnis wie Jacobson).

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auf einem anderen Aspekt. Es fordert nicht, sondern es ermöglicht einen solchen Schritt der Trennung und bietet über Q hinausgehend eine alternative Gemeinschaft. Das Verlassen der Familien führt bei Q zu einer afamiliären unsteten Lebensweise, im MkEv zu einer sesshaften neuen »familiären« Gemeinschaft. Das schlägt sich auch im jeweiligen familiadei-Konzept nieder. Dieses ist bei Q recht unvollständig in der Gott-VaterMetaphorik angelegt (11,2–4.11–13; 12,22–31).839 Es begegnet die vertikale Verbindung zwischen dem fürsorgenden Gott und den einzelnen afamiliär lebenden – und dieser Fürsorge existenziell bedürfenden840 – Wandermissionaren. Für Markus scheint die vertikale Achse selbstverständlich zu sein (11,25), er gestaltet nun die horizontale Ebene narrativ aus. Daneben kennen das MkEv und Q die Auflösung familiärer Strukturen in den endzeitlichen Wirren. Während diese aber in Mk 13,12 v.a. apokalyptisch-futurische Aspekte betont und als unvermeidbarer Nebeneffekt der bereits anbrechenden »Endzeit« erscheint, ist sie in Q 12,51–53 vom Gekommensein Jesu verursacht, also präsentisch. Auch macht sie den Eindruck, beabsichtigt zu sein.841 Die Intention und Radikalität ist auch hier recht verschieden. (2) MkEv und MtEv. Matthäus übernimmt die radikalen Positionen von Q (Mt 8,19–22; 10,37), die apokalyptische Vorstellung vom Zerfall der Familie (10,34–36 aus Q; 10,21 vom MkEv) und ansatzweise das Konzept der familia dei aus Q und dem MkEv. Die vertikale Achse der familia dei aus Q wird durch die Androhung negativer Sanktionen bei Fehlverhalten gegenüber dem »Vater« verschärft.842 Die mk horizontale Ebene der »Geschwister« wird ebenfalls übernommen, verändert (s.u.) und als ekklesiologisches Konzept ausgebaut, wobei nun v.a. in vermutlich androzentrischer Sicht die »Brüder« betont sind (5,22ff; 7,3f; 18,15.21.35).843 Das MtEv nutzt somit familiäre Beziehungen metaphorisch für die Darstellung des zwischenchristlichen Verhältnisses. Der mt Jesus ruft wie der mk seine Jünger aus ihren sozialen und ökonomischen Bindungen heraus (4,18ff; 9,9). Diese Übernahme des mk Stoffs korrespondiert den Q-Traditionen und dürfte für Matthäus keine größere Schwierigkeit dargestellt haben.844 839

Vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus, 203. Zum Sitz im Leben dieser Vorstellung vgl. ROH, Familia, 74ff. 841 Vgl. JACOBSON, Jesus against, 193. 842 So ROH, Familia, 191f.223: Verhalten sich die mt Christen nicht angemessen als Kinder Gottes, erhalten sie vom »Vater« keinen Lohn. Vgl. Mt 6,1.14f. 843 Aufschlussreich ist hier der Vergleich zwischen Mk 1,16–20 und Mt 4,18ff: Die Bruderbeziehung der Jünger wird im MtEv noch einmal explizit betont. Vgl. OSIEK/BALCH, Families, 130. 844 Nach ROH, Familia, 169 zeigt das MtEv aufgrund wandercharismatischer Einflüsse kein Interesse, die mk »souveräne Selbsteinschätzung von sesshaften Christen« zu übernehmen. 840

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Die Übernahme des mk Stoffs zum Verhältnis Jesu zu seiner Sippe ist hingegen im MtEv – wie auch LkEv – problematisch, denn durch die Kindheitsgeschichten kommt es zu erheblichen Spannungen. Bereits die vorangestellte Genealogie (1,1–17) betont nachdrücklich die familiäre Einbindung Jesu. Aufgrund der Konflikte und Erfahrungen bei der wundersamen Geburt Jesu (1,18.20–23; 2,11 etc.) wäre bei den Eltern ein größeres Verständnis gegenüber ihrem öffentlich wirkenden Sohn zu erwarten. So kann es nicht verwundern, dass Matthäus sich diesbezüglich um eine Abmilderung des mk Stoffs bemüht. Mk 3,21 wird von ihm komplett gestrichen. Die feindliche Gesinnung der Familie und ihre Verbindung mit den Schriftgelehrten einschließlich der Sünde gegen den Geist845 fehlen somit. Folgerichtig kann das Ansinnen der Familie in Mt 12,46f als harmlos wirkender Wunsch zur Kommunikation gelesen werden (vgl. Mt 12,46f gegen Mk 3,31f). Auch das Wort vom ungeehrten Propheten (Mk 6,4) erfährt eine Abschwächung. Mt 13,57 hält die Verwandten heraus, lässt allerdings die ƳʅƯ˄Ʀ stehen.846 Die Einsetzung der familia dei ist nicht mehr so deutlich an den Bruch Jesu mit seiner Familie gebunden. Der prägnanteste Unterschied bei der Einsetzung der familia dei sind deren Mitglieder. Markus bezeichnet die um Jesus sitzende Volksmenge als neue Familie, Matthäus den Jüngerkreis (12,49). Der mt Jesus fügt sich dabei auf der horizontalen Ebene in die Jüngerfamilie als Bruder ein (12,49ff; vgl. dazu 28,10). Dieser Jüngerzentrismus findet sich auch beim Wort vom Lohn der Nachfolge. In Mk 10,29f wird die Zusage des Lohns möglichst allgemein und offen formuliert. In Mt 19,27–29 erfolgt dieser Zuspruch explizit an den Jüngerkreis. Zugleich wird die Funktion des Zwölferkreises in kaum überbietbarer Weise auf das Eschaton ausgedehnt (V. 28). Diese Zusage ist dem mk Lohn vorgeordnet: »Da sich die eingeschobene Verheißung auf Jenseitiges bezieht und die ihr folgende mk Belohnung einleitet, wird auch das, was im mk Text diesseitige Belohnung war, als jenseitige dargestellt.«847 Daher kommt es zur zweiten wesentlichen Änderung – zum Wegfall der Liste des zu Empfangenden. Somit fehlt die diesseitige neue Familie und deren Neustrukturierung, das mk Fehlen des pater familias ist nicht mehr erkennbar. Allerdings kennt auch Matthäus die theologisch begründete Relativierung der Vaterposition. In 23,8ff sollen sich die Jesusanhänger nicht »Rabbi« nennen lassen, da sie alle »Brüder« sind, und sie sollen niemanden unter sich »Vater« nennen, da sie nur einen himmlischen Vater haben. Insofern finden sich auch im MtEv egalitäre Tendenzen. 845

Diese Perikope rückt Mt deutlich von Jesu Familie ab, vgl. Mt 12,24–30 mit 12,46–50. Der Grund kann die von Mt empfundene Doppelung von Verwandtschaft und Haus sein. 847 ROH, Familia, 169. 846

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Im mt Sondergut ist noch der Eunuchenspruch interessant (19,10–12), der auf ein afamiliäres und asexuelles Leben Jesu bzw. der Tradenten dieses Wortes schließen lässt.848 Zusammenfassend ist zu sagen, dass Matthäus das für die Wandercharismatiker charakteristische Motiv der Aufhebung familiärer Bindungen bereitwillig übernimmt.849 Durch die Q-Traditionen tritt dieses Motiv gegenüber dem MkEv viel deutlicher und radikaler hervor, dennoch kann auch das MtEv nicht als antifamiliär bezeichnet werden.850 Das Motiv des konkreten Familienwechsels hingegen fehlt im MtEv. Es geht bei der mt familia dei nicht um die Einsetzung einer zweiten Nachfolgegruppierung. Somit hat dieses Motiv seine mk Funktion verloren.851 Das ekklesiologisch wichtige Motiv der familia dei ist letztlich von dem des Familienwechsels abgehoben. (3) MkEv und LkEv/Act. Wie im MtEv stärkt und radikalisiert der Einfluss von Q auch im LkEv das Motiv der durch die Jesusnachfolge erforderlichen Auflösung familiärer Bindungen.852 Die Spannungen zwischen Jesus und seiner Familie (v.a. Maria) muss Lukas aufgrund der Kindheitsgeschichte als problematisch empfinden, was sich bei der redaktionellen Arbeit zeigt. Auch er streicht Mk 3,21 und löst die mk Verschachtelung mit den Schriftgelehrten (vgl. Lk 11,14ff zu 8,19ff). Die Spannungen bei der Einsetzung der familia dei sind noch stärker abgeschwächt als im MtEv. Über die Motivation der Familie, Jesus zu treffen, verliert Lukas kein Wort. Die provokante Rückfrage Jesu (Mk 3,33) fehlt, ebenso die Kennzeichnung einer konkreten, d.h. von der alten Familie unterschiedenen, Nachfolgegruppierung als neue Familie. Die familia dei (Lk 8,21) steht nun kaum noch in Opposition zur Sippe Jesu.853 Beim Wort vom ungeehrten Propheten in Lk 4,24 ist konsequenterweise neben der Verwandtschaft auch das Haus ausgefallen. Mk 6,3 und damit die Verbindung des Misserfolgs in Nazareth zu Jesu Herkunftsfamilie fehlt. Die Ablehnung Jesu durch seine Sippe in den mk Traditionen ist bei Lukas nahezu vollständig getilgt. So fehlt aber 848

Vgl. dazu etwa MOXNES, Putting, 72ff. Barton, der sich auf das Motiv der Unterordnung familiärer Bindungen konzentriert, kann deshalb auch schlussfolgern: »The Gospel of Matthew shows no diminution of interest, by comparison with Mark, in the implications for household and family ties of discipleship of Jesus.« BARTON, Discipleship, 216. 850 Vgl. BARTON, Discipleship, 217f. 851 Vgl. dazu ROH, Familia, 167f. 852 Allerdings ist die Berufung der ersten Jünger weniger radikal gestaltet und für die Leserschaft weitaus leichter nachzuvollziehen. Vgl. BÖHM, Nachfolge, 26ff. 853 Nach ROH (Familia, 228f) ist der Grund dafür, dass sich Lukas nicht für die Vergangenheit (konkrete geschichtliche Gruppe), sondern für die Gegenwart (prinzipielle Zugehörigkeit zur Familie Jesu) interessiert. 849

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auch die mk Beziehung zwischen der Mutter Jesu und der familia dei. Weder ist die familia-dei-Einsetzung direkt an den Bruch mit der Herkunftssippe geknüpft, noch wird Jesu Ablehnung in Nazareth durch das mediterrane Rollenverständnis ausgelöst.854 Da Lukas und Matthäus das mk »Mariageheimnis« nicht zur Kenntnis nehmen und die Mutter Jesu nicht ans Kreuz stellen, kann sie auch nicht den Weg in die familia dei illustrieren. Allerdings gibt es im lk Sondergut855 eine eigene Tradition, die Jesu familiäre Bindungen relativiert. In 11,27f (vgl. EvThom 79) macht nicht die leibliche Verwandtschaft zu Jesus »selig«, sondern – analog zu 8,21 – die positive Aufnahme des Gotteswillens. Zu beachten ist dabei, dass der lk Jesus der Seligpreisung seiner Mutter nicht widerspricht, sondern das verwandtschaftliche Kriterium dem Wort Gottes unterordnet (µƪƱƳ̬Ʊ). Die Bedingung, »wer das Wort Gottes hört und bewahrt« (11,28), wird ja durchaus von der lk Maria erfüllt (1,38; 2,19; Act 1,14).856 Eine ähnliche Relativierung findet sich auch in der Perikope vom 12-jährigen Jesus im Tempel: In 2,48–50 wird geklärt, wer Jesu wahrer Vater ist.857 Dessen ungeachtet folgt der Jesusknabe daraufhin seinen Eltern nach Nazareth und »ist ihnen untertan« (2,51). Der Leserin bzw. dem Leser wird prinzipiell mitgeteilt, dass Jesu Verwandtschaft eine untergeordnete Bedeutung zukommt, die Konsequenzen sind gegenüber Mk 3 allerdings eher gering. Bei dem Logion des Lohns der Nachfolge (18,28–30) übernimmt nun Lukas – im Gegensatz zu Matthäus – den diesseitigen Lohn einer neuen familiären Gemeinschaft. Allerdings fehlt auch im LkEv die zweite Liste und damit die explizite Betonung dieser neuen Familie und deren vaterlose Neustrukturierung. Auch die Liste des Verlassenen erhält markante Änderungen. Statt der mk Schwestern steht bei Lukas die Frau; statt Vater und Mutter die Eltern; die Äcker werden gestrichen. Die Einfügung der Frau ist auffällig, sie passt aber zu Lk 14,26.858 Die Streichung der Äcker verhindert 854 Der Zorn der Nazarener bezieht sich v.a. auf den Inhalt der Predigt Jesu, nicht mehr – wie bei Markus – auf die Diskrepanz zwischen Jesu Wirken und seiner einstigen Rolle im Dorf. 855 Mitunter wird auch Q als Quelle vorgeschlagen. So etwa LAMBRECHT, Relatives, 249. Lambrecht denkt übrigens, Mk 3,35 ist »presumably a Markan version of a Q saying that Luke writes as follows ›µƦƯʾƴƮƳƮ Ƴʆ əƯƳˈƳƱƷƪƵ Ʒ˅Ʊ ưˆƨƳƱ ƷƳ̬ ƭƪƳ̬ ƯƦ˃ ƹƸưʾƶƶƳƱƷƪƵ‹ (xi 28).« Ebd. Die Aussage mag ähnlich sein, ich halte aber eine solche Abhängigkeit für unwahrscheinlich. 856 Elisabeth kann – vom Heiligen Geist erfüllt (!) – ganz ähnlich von Maria sprechen: vgl. Lk 1,41–45. Hier zeigt sich, dass Lk 11 nicht der namenlosen Frau widerspricht, denn Elisabeth preist beide Aspekte: die Mutterschaft Marias und ihren Glauben. Vgl. GREEN, Blessed, 12f. 857 Die Vatermetaphorik ist dem LkEv selbstverständlich (vgl. etwa Lk 11,11–13; 15,11–32). 858 Auch wenn das Fehlen der Frau im MkEv dem mk Interesse einer androzentrischen Entschränkung entgegenkommt, ist es schwierig, im LkEv eine androzentrische Korrektur zu vermuten, da den Frauen im lk Doppelwerk ansonsten hervorgehobene und aktive Rollen zukommen (vgl. dazu etwa KEE, Christentum, 93; OSIEK/BALCH, Families, 140ff), wobei Lukas allerdings Frauen von einer leitenden Funktion zu entbinden scheint (Act 1,21f; 6,3) und den »Dienst« der

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die mk Betonung einer sesshaften Gruppe, vermutlich hat auch Lukas hier den Jüngerkreis im Blick. Das mk Schweigen über die Väter wird nicht übernommen.859 Der Vater Jesu kommt – durch die Jungfrauengeburt relativiert – in der lk Kindheitsgeschichte ins Spiel, auch wenn seine Bedeutung und seine Aktivität gegenüber dem MtEv geringer ist. Aus dem »Sohn der Maria« (Mk 6,3) macht Lukas den »Sohn Josefs« (4,22) und zeigt so auch außerhalb der Kindheitsgeschichte an dem mk Konzept wenig Interesse. Die Existenz eines himmlischen Vaters schließt für Lukas die eines irdischen nicht aus.860 In der Apostelgeschichte kommt nun der Familie eine direkte ekklesiologische Bedeutung zu. Konkrete Häuser mit anscheinend unzertrennten Familien werden von der Gemeinde als Versammlungsraum genutzt.861 Sie begegnen als Ort des gemeinsamen Gebets, des eucharistischen Mahls, der Verkündigung und Katechese (2,1f.46; 12,12ff; 20,8ff.20 etc.). Sie bieten den Missionaren Obhut862 und erscheinen so als eine Art Missionsstützpunkte (10,6; 17,5ff; 18,1ff.7; 21,8 etc.).863 Paulus weicht nach dem Misserfolg in der Synagoge864 mitunter in ein Haus aus (Act 18,7). Daneben begegnet die sog. »Oikosformel«. Es wird von der Missionierung ganzer Häuser berichtet, wobei die Rolle des pater familias als religiösen Hausvorstands, dessen persönliche Konversion und Taufe die des »Hauses« nach sich zieht, deutlich hervorgehoben ist (11,14; 16,30ff; 18,8). Innerfamiliäre Konflikte spielen keine Rolle. Der mediterrane patriarchalische ƳʋƯƳƵ tritt positiv als Hort des neuen Glaubens hervor, wobei wie im MkEv die Hausnachfolgenden Frauen stärker ihrem traditionellen Dienst zuordnet (vgl. OSIEK/BALCH, Families, 140f). OSIEK/BALCH (ebd. 137) geben einen Hinweis zur Interpretation von Lk 18,29: Es geht weniger um die Stellung der Frau, sondern – in androzentrischer Blickrichtung – um die Frage der Ehe. In der Tat verweisen die von Osiek/Balch genannten Stellen auf eine ehekritische lk Grundtendenz: vgl. Lk 5,11; 14,20 (die Hochzeit verhindert den Eingang in die Gottesherrschaft – in der Parabel achtergewichtig!); 14,26; 18,29. Auch lässt Lukas Mk 10,2–9 weg: Statt der schöpfungstheologischen Begründung der Ehe ist nun nur das Wiederheiratsverbot betont (eine vorangehende Scheidung möglich). Vgl. auch die Bedeutung der Witwen in den Acta. 859 Laut RUSAM (Gemeinschaft, 94ff) spielt die Gottessohnschaft vom Menschen im LkEv eine untergeordnete Rolle und ergeht erst im Eschaton an die Jesusanhänger. Damit hängt auch zusammen, dass der Gottessohn Jesus nicht als Bruder der Menschen erscheint. Vgl. aber Lk 8,21. 860 Die Aussage der Jungfrauengeburt hat diese Frage im LkEv sicherlich ausreichend geklärt. Evtl. ist das der Grund, warum die Existenz Josefs nicht als problematisch erscheint. Die mk Erzähltechnik »Leerstelle« (s.o. 2.2.2) wird weder von Matthäus noch von Lukas übernommen. Somit ist nun auch das mk Fehlen des Vaters funktionslos. Statt Interpretationsarbeit der Leserschaft steht nun Erklärung der Evangelisten. 861 Zum Thema »Hauskirche« in den Act vgl. KLAUCK, Hausgemeinde, 47–51. 862 Zur Bedeutung der Gastfreundschaft vgl. SANDNES, Equality, 152f. 863 Vgl. GNILKA, Hausgemeinde, 231: Das Haus begegnet im NT als »Anknüpfungspunkt für die christliche Mission«. Auch in der synoptischen Aussendungstradition begegnet dieser Aspekt. 864 Der regelmäßige Beginn der Missionstätigkeit in den Synagogen wird von Act aus theologischen Gründen forciert. So GNILKA, Hausgemeinde, 232.

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gemeinschaft über die Verwandtschaftsbeziehungen hinausgehen kann. So ist die Mutter Jesu Teil einer neuen häuslichen Gemeinschaft (1,14) und – unter Einbeziehung des Kontexts (1,15f) – der familia dei. Die horizontale Ebene der familia dei ist für die Acta selbstverständlich und kommt in der Brudermetapher zum Ausdruck (2,29 etc.).865 Während im LkEv das Motiv der Auflösung familiärer Bindungen betont dargestellt wird, spielt eine Relativierung familiärer Bindungen in den Acta keine besondere Rolle. Die mk Konzepte haben, bis auf die Existenz von Hausgemeinden, der selbstlosen Gemeinschaft der Christen (Act 2,44; 4,34f 866) und der Zugehörigkeit Marias zur familia dei, in den Acta keine Bedeutung. (4) MkEv und das joh Schrifttum.867 Erstaunlicherweise findet sich bei der Stellung Jesu zu seiner Familie868 und v.a. beim Motivfeld »Familie« im JohEv und in den Johannesbriefen eine größere Nähe zum MkEv als beim MtEv und LkEv. Im joh Schrifttum findet sich ausgesprochen häufig Familienmetaphorik in der Selbstbezeichnung der Gemeinde. Das Phänomen der familia dei ist hier weitaus deutlicher angesprochen als im MkEv.869 Deren vertikale und horizontale Ebene – also die Gotteskindschaft der Gemeinde und die durch einen starken Dualismus angetriebene gegenseitige brüderliche Liebe – begegnet gerade in den Briefen auf Schritt und Tritt. Die Gottessohnschaft des »Gesandten« spielt im vierten Evangelium eine außerordentlich wichtige und christologisch zugespitzte Rolle (5,17ff; 8,16ff etc.; 10,30.38!) und steht wie im MkEv im Spannungsfeld zum irdischen Vater Jesu (6,42).870 865

Vgl. ROH, Familia, 260ff. Diese Metapher kann auch für Volksgenossen stehen (3,17 u.a.). Allerdings erhalten hier die Christen nicht Häuser und Äcker etc., sondern den Erlös aus dem Verkauf. Dieses Konzept ist aber bereits in Act 12,12 (vgl. 1,13f etc.) durchbrochen, da die Mutter des Johannes Markus ihr Haus offenbar nicht verkauft hat. 867 Unter joh Schrifttum verstehe ich das JohEv und die drei Johannesbriefe. Die Apokalypse nimmt eine Sonderstellung (vgl. etwa CONZELMANN/LINDEMANN, Arbeitsbuch, 392) ein und wird hier nicht weiter bedacht, da in ihr, abgesehen von der Bruder- und Gott-Vater-Metapher, »Familie« keine besondere Rolle spielt. Eine Statistik familienmetaphorischer Ausdrücke im joh Schrifttum findet sich bei SCHOLTISSEK, Kinder, 203ff. 868 Dieses stellt sich ebenso ambivalent dar wie – unter Einbeziehung meiner These von Maria beim Kreuz – im MkEv. In 7,3ff glauben Jesu Brüder nicht an ihn und scheinen ihm sogar einen lebensgefährlichen Rat geben zu wollen. Die Beziehung zwischen Maria und Jesus bei der Hochzeit von Kana ist schwierig zu beurteilen. Neben der (positiven) Anwesenheit Marias herrscht ein schroffer Ton vor. Am Kreuz steht Maria dann im positiven Licht. Darüber hinaus ist sogar eine weitere Verwandte Jesu anwesend (19,25). 869 Außer Mk 11,25 und den fehlenden Vätern ist eine direkte familiäre Beziehung zwischen Gemeinde und Gott im MkEv absent. Vgl. aber das Motiv der Gottessohnschaft Jesu. Im JohEv und den joh Briefen ist die Gotteskindschaft der Gemeinde (und Jesu) viel ausgeprägter. 870 Die Ausgestaltung dieser Spannung ist allerdings sehr verschieden. Markus »entfernt« Jesu Vater (6,3), Johannes stellt dem himmlischen den irdischen Vater direkt gegenüber und knüpft daran die soteriologisch relevante Entscheidung (6,42ff). 866

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Nach Rusam findet sich eine solche Spannung auch bei den Gotteskindern (Joh 3,4ff).871 Die Relativierung alter Verwandtschaftsbindungen entspricht 1Joh 3,14, »wo die neu zur Gemeinde Gekommenen keine vorhergehende Existenz besitzen bzw. tot waren«.872 Allerdings finden sich auch im joh Schrifttum leibliche Geschwister vereint in der Nachfolge (Joh 1,40f; 11,1ff; 12,1ff; 21,2). Die joh Immanenzformeln (10,38 u.ö.) verweisen auf das Verhältnis der Gotteskinder zu ihrem Vater (1Joh 2,24; 3,24 u.a.).873 Der Auferstandene selbst kann die Jünger als seine Brüder bezeichnen, da er den selben Vater hat wie sie (Joh 20,17). Scholtissek, der die joh Familienmetaphorik untersucht, kommt zu dem Ergebnis: »Das Johannesevangelium deutet das Christwerden als im Glauben empfangene, frei geschenkte Aufnahme in die neue durch Jesu Heilssendung konstituierte Familie Gottes (vgl. bes. 1,12; 3,1–21; 11,52; 19,25–27.30.34; 20,19–23). Diese stellt sich dar als die Gemeinschaft der Kinder Gottes und Freunde Jesu.«874 Dabei stehen wie im MkEv auch hier reale Erfahrungen und Erfordernisse im Hintergrund. Nach Rusam sieht der 1Joh die Gemeinde als Ersatzfamilie: »Das Familienmodell dient also der Integration der sozial entwurzelten Christen. Sie werden in die neue Gemeinschaft inkorporiert, in eine neue Familie.«875 Allerdings sind familiäre Konflikte im Vergleich zum MkEv kaum Gegenstand joh Darstellung, sie konzentrieren sich auf Jesu Herkunftsfamilie,876 erscheinen aber auch hier gegenüber dem MkEv geringer. In 4,53 begegnet eine Oikosformel. Besonders interessant erscheint mir, dass Joh 19,25–27 die Mutter Jesu in die neue Familie integriert.877 Meiner in dieser Arbeit dargestellten These zufolge gestaltet auch Markus das Motiv der familia dei paradigmatisch an Maria von Nazareth aus – u.a. am Kreuz. Nach Rusam scheinen die VV. 26f Mk 3,31–35 zu reflektieren.878 Hier ist allerdings Vorsicht geboten! Schon die Rolle der Maria ist in beiden Texten konträr. 871

Vgl. RUSAM, Gemeinschaft, 161. Nach Rusam vermeidet es das JohEv »noch konsequenter als die drei älteren Evangelien […], Sympathisanten Jesu durch Angabe des Vaters zu identifizieren.« Ebd. 872 RUSAM, Gemeinschaft, 161. 873 So RUSAM, Gemeinschaft, 149. Vgl. SCHOLTISSEK, Kinder, 202. 874 SCHOLTISSEK, Kinder, 208. Das Thema der antiken Freundschaftsethik spielt in einer Arbeit über das MkEv (im Gegensatz zum joh Schrifttum) keine Rolle. Vgl. zu dieser Ethik etwa KLAUCK, Gemeinde, 97–101. 875 RUSAM, Gemeinschaft, 162. Vgl. SCHOLTISSEK, Kinder, 202. 876 Vgl. Joh 7,3ff; vgl. auch das eigentümlich schroff wirkende Verhältnis Jesu zu seiner Mutter in Joh 2,1ff. 877 Der genaue Bedeutungsgehalt muss hier nicht interessieren. Vermutlich handelt es sich um eine Zusammenführung des Juden- und des Heidenchristentums (vgl. etwa BULTMANN, Joh, 521), sicherlich nicht um eine Ablösung der Synagoge (Maria) durch die Kirche. So aber BENKO, vgl. unten Teil 4, 2.2, Anm. 101. 878 Vgl. RUSAM, Gemeinschaft, 161.

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Als Unterschied wird deutlich, dass in den joh Schriften die vertikale Ebene der familia-dei-Vorstellung wesentlich stärker entfaltet wird als im MkEv. Dafür ist hier das Motiv des Familienwechsels lediglich impliziert.879 Auch wenn die einzelnen Aspekte verschieden betont werden, sind sich die Konzepte beider Schriften(gruppen) inhaltlich nicht unähnlich. (5) MkEv und Paulus. Die Frage nach dem Verhältnis Jesu zu seiner Familie interessiert Paulus kaum (2Kor 5,16; vgl. aber Gal 4,4). Dafür begegnet bei ihm die durch Glauben und Taufe begründete Gotteskindschaft, d.h. die familia dei (Gal 3,26ff)880 mit einer besonderen Betonung der horizontalen Ebene (vgl. 1Kor 12,13).881 Diese trägt, wie im MkEv, teilweise liminale Züge882 und ist geschlechterübergreifend (Gal 3,28). Wie im MkEv die Rolle der Frau als eines gleichberechtigten Gemeindemitgliedes dargestellt ist,883 so auch bei Paulus. Frauen sind aktive Mitstreiterinnen bei Mission und Gemeindeleitung (Röm 16,1–4.6.12.15; 1Kor 1,11; 16,19; Phil 4,2f; Phlm 2). Sie können vermutlich884 sogar als Apostelinnen bezeichnet werden (Röm 16,7). So begegnet bei Paulus neben dem häufig genannten »Glaubensbruder« auch viermal der metaphorische Gebrauch von »Schwester« (Röm 16,1; 1Kor 7,15; 9,5; Phlm 2). Die mk Vorstellung, dass der Christ bzw. die Christin in der neuen Gemeinschaft eine Mutter erhält, ist für Paulus Realität (Röm 16,13).885 In 1Thess 2,7 und Gal 4,19 benutzt er die Muttermetaphorik für seine eigene Missionsarbeit.886 Allerdings kann er – für das MkEv undenkbar – auch die Vatermetapher für seine Beziehung zur 879

In Joh 19,25–27 kommt eine Ablösung von der alten Familie nicht zur Sprache! Die Gott-Vatermetapher scheint Paulus ganz selbstverständlich zu gebrauchen (Röm 1,7; 1Kor 1,3; 8,6 etc.). Er kann »Vater« aber auch für Abraham (oder Isaak, Röm 9,10) anwenden (Röm 4,11ff). Bei der Gott-Vater-Metapher ist besonders die Verbindung zu den (kindlichen) Kindern betont (Röm 8,15; Gal 4,6). Den Zugang zur Gotteskindschaft beschreibt Paulus mit Hilfe der Metapher der Adoption. So RUSAM, Gemeinschaft, 166. 881 Vgl. etwa Röm 12,10; 1Thess 4,9. Nach RUSAM (Gemeinschaft, 77) kennt Paulus die Vorstellung von menschlicher Gotteskindschaft, die Belege dafür sind aber eher spärlich. 882 Mit der Liminalität bei Paulus beschäftigt sich eingehend C. STRECKER: Die liminale Theologie des Paulus. Allerdings lässt Paulus die mediterrane Struktur stehen. Deutlich wird dies am Philemonbrief: Die häusliche Autoritätsstruktur wird nicht in Frage gestellt, aber Paulus versucht sie im Fall des Onesimus auf eine von Egalität bestimmte Ebene zu heben, »the master-slave relationship […] was changed into a brotherhood relationship in all respects.« SANDNES, Equality, 156.161ff. 883 Auf den Aspekt der androzentrischen Entschränkung an verschiedenen Stellen des MkEv und der Nachfolge von Frauen wurde an anderen Stellen dieser Arbeit eingegangen. 884 Auf die Diskussion bezüglich Junia muss an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Eine gute Übersicht darüber bietet L. BELLEVILLE: ʍƳƸƱƮ̀Ʊ … ɩ™˄ƶƬßƳƮ ɩƱ ƷƳ̝Ƶ ə™ƳƶƷˆưƳƮƵ: A Reexamination of Romans 16.7 in Light of Primary Source Materials, NTS 51,2, 231–249. 885 Das wäre gegen ROH (Familia, 115f) ins Feld zu führen, der in Mk 3,35 die Mutter zurückgestellt sieht, da diese Metapher für die innergemeindlichen Beziehungen wenig austragen könne. 886 Vgl. auch 1Kor 3,2. Vgl. dazu GERBER, Paulus, 274ff. 880

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Gemeinde gebrauchen (1Kor 4,15; Phil 2,22; 1Thess 2,11, Phlm 10). Jesus ist nicht, wie in Mk 3,31–35, auf der horizontalen Ebene der famila dei direkt verortet.887 Wenn auch die Christen wie der Gottessohn Jesus als »Kinder Gottes« bezeichnet werden, so vervollkommnet sich die darin enthaltene Gleichgestaltung mit dem Sohn doch erst mit der Auferstehung (Röm 8,29).888 Anders als Mk 3,34f parr (vgl. Mt 28,10; Joh 20,17) »setzt Paulus Jesus terminologisch von den Glaubenden ab«.889 Das Ethos der afamiliären Lebensweise ist Paulus bekannt (vgl. 1Kor 7,1.27–40), eine Forderung leitet er daraus nicht ab (vgl. 1Kor 9,5). Prinzipiell ist er bemüht, innerfamiliäre Konflikte zu vermeiden, selbst wenn ein Teil der Familie ɝ™ƮƶƷƳƵ ist (1Kor 7,12ff). Bei Paulus spielt auch die mediterrane Hausstruktur und die traditionelle Bedeutung von Ehre und Scham eine gewisse Rolle (1Kor 11,3–16).890 Das im MkEv implizierte und in den Act dargestellte Thema der Hausgemeinden findet sich auch bei Paulus (Röm 16,5.10f; 1Kor 16,9; Phlm 2). Zum Teil gründen diese direkt in der Missionstätigkeit des Paulus (1Kor 16,15). Paulus kennt aus eigener Erfahrung den Übertritt ganzer Häuser aufgrund der Konversion des Familienoberhauptes (1Kor 1,16). Die Konversionen von Häusern waren vermutlich »key figures«891 in der pln Mission. Verglichen mit dem MkEv spielt das Motiv der Trennung von der Herkunftsfamilie und das Motiv des Familienwechsels bei Paulus keine Rolle. Die Konzeption einer Gemeinschaft der Gotteskinder, welche durch brüderliche Liebe und ein gleichberechtigtes Nebeneinander geprägt ist, ähnelt dem mk Konzept. (6) MkEv und Hebräerbrief. In Heb 3,6 begegnet die familia dei. Die Gemeinde ist der ƳʋƯƳƵ Christi bzw. Gottes (10,21). Gott erscheint wie ein pater familias, der für die Erziehung seiner Kinder zuständig ist (12,7ff). Allerdings ist er nur ein »Vater der Geister« (12,9), »das Verhältnis Gottes 887 Das könnte schon das Gleichnis von den Gliedern im Leib Christi nahe legen (vgl. Röm 12; 1Kor 12). 888 So RUSAM, Gemeinschaft, 84: »Gottessohnschaft ist stets (auch für Jesus) eine eschatologische Gabe«. Für GERBER (Familie, 50) sind in Röm 8,29 »die Glaubenden ›kleine Geschwister‹ des Erstgeborenen Jesus«. 889 RUSAM, Gemeinschaft, 84. 890 Allerdings ist in 1Kor 11 die aktive Teilnahme der Frauen an den Gemeindeversammlungen ausgesprochen! Nach WICK (Gottesdienste, 205f) dienen die Betonung der Unterordnung der Frauen unter ihre Männer und die konservative Sitte der Verschleierung innerhalb einer sympotischen Versammlung der Abwehr des Eindrucks sexueller Verfügbarkeit. 891 SANDNES, Equality, 152. Vgl. ebd.: Die Konversion eines Hauses an einem neuen Wirkungsort bot einen notwendigen Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Gemeinde. Sandnes bezieht hier Act ein.

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zu den Christen [wird, TR] mit dem eines Vaters zu seinen Kindern verglichen«.892 Dennoch sind die Glaubensgenossen einander Brüder (3,1.12; 12,22ff u.ö.). Jesus ist der Hohepriester über das »Haus Gottes« – also die familia dei (10,21). Jesus selbst ist als Sohn Gottes ohne Vater und Mutter und Stammbaum (7,3; vgl. 1,5; 5,5). Verglichen mit dem MkEv fällt auf, dass Jesus aus der horizontalen Ebene der familia dei herausgetreten ist. Es gibt einen unüberwindbaren Unterschied zwischen seiner Gottessohnschaft und dem Verhältnis der Christen zu Gott. Interessant ist, dass die Sohnschaft Jesu irdische Eltern ausschließt. Dieser Zug begegnet weniger absolut auch im MkEv: Der Vater fehlt und Jesus sagt sich von seiner Rolle als Sohn der Maria los. Darüber hinaus entdecke ich keine wichtigen konzeptionellen Parallelen zwischen beiden Schriften. (7) MkEv und EvThom. Es ist ratsam, auch einen Blick893 auf diese apokryphe Schrift werfen, da in ihr ähnliche Motivfelder begegnen.894 So findet sich im Logion 99 eine direkte Parallele zur Einsetzung der familia dei in Mk 3,31–35. Im Unterschied dazu werden hier die Jünger angesprochen und die Zugehörigkeit zur neuen Familie wird mit dem Eingang in die Gottesherrschaft verbunden. Es fehlt auch die rhetorische Rückfrage Jesu, dennoch ist die Opposition zwischen der Sippe und der neuen Familie deutlich spürbar – v.a. durch die von Markus bekannte Innen-Außen-Konstellation. Die Auflösung familiärer Bindungen begegnet mehrfach: so als Reflex von Mi 7 im Logion 16 (vgl. Q 12,51–53); als Voraussetzung zur Nachfolge in 55 (vgl. Q 14,26) und eine davon zum Paradoxon erweiterte Variante in 101. Im Vergleich zu Q fällt auf, dass Jesus selbst seine Familie »hasst«. Neben dem JohEv und dem MkEv findet Jesu Spannung zur Herkunftsfamilie hier ihren radikalsten Ausdruck. Die Paradoxie des Logions 101 wirft hierbei allerdings Fragen auf, die angesichts des zerstörten Texts schwer zu klären sein werden.895 892

RUSAM, Gemeinschaft, 97, Kursiv: TR. Ihm zufolge (ebd. 96) spielt die direkte Gott-VaterMetapher für die Christen im Hebräerbrief keine Rolle. In 12,9 wird Gott gerade von den leiblichen Vätern abgesetzt. 893 Für weitere das gesamte Motivfeld betreffende Textstellen und eine ausführlichere Untersuchung vgl. JACOBSON, Jesus against, 210–217. 894 Die Frage nach der Abhängigkeit von den Synoptikern ist nicht geklärt, sie gehört zum »gegenwärtig wohl am heftigsten umstrittenene[n] Bereich der Forschung an dieser Schrift.« (SCHRÖTER/BETHGE, Evangelium nach Thomas, 158). Sollte sie negativ zu beantworten sein, zeigt die Existenz gleicher oder ähnlicher Motive die breite Streuung und einen möglichen jesuanischen Gebrauch dieser bzw. einiger Motivfelder. Vgl. zur Diskussion SCHRÖTER/BETHGE, Evangelium nach Thomas, (154f)158ff. 895 Der Sinn des Spruches wäre bei einem »leiblichen« Verständnis der Mutter ausgesprochen rätselhaft. Der Text ist teilweise zerstört, der Wortlaut unsicher. SCHRÖTER/BETHGE (Evangelium nach Thomas, 179, Anm. 193) schlagen als Ergänzung »Denn meine Mutter, die [mich geboren]

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Das Motivfeld »Familie« – Hintergründe und Konzeptionen

Die relativierte Seligpreisung der Mutter Jesu (Lk 11,27f) begegnet in Logion 79 mit einer vermutlich asketisch-asexuellen Erweiterung,896 die ebenfalls – von der Seligpreisung isoliert – aus Lk 23,29 bekannt ist. Vaterund Brudermetaphern begegnen in den Logien 3(.4).15.25.27.50 u.ö.897 Es zeigt sich, dass sich im Thomasevangelium erstaunlich viele Traditionen aus der mk Tradition, Q und dem lk Sondergut finden. Das betrifft die einzelnen Motive: Auflösung der familiären Bindungen aufgrund der Nachfolge, familiäre Entzweiung in der Tradition von Mi 7898 und Einsetzung der familia dei. Die Tradition vom Lohn der Nachfolge (Mk 10,29f) fehlt, könnte aber in der Erweiterung des familia-dei-Logions impliziert sein. Dennoch fehlt die mk Konzeption der Charakterisierung eines erweiterten Nachfolgekreises als familiäre ahierarchische Gemeinschaft,899 was bei der Verschiedenheit der Stoffe und der Gattung einer relativ lose wirkenden Spruchsammlung900 nicht verwundern darf. Auch die narrative Ausgestaltung dieses Motivs – etwa an der Gestalt Marias – ist dem Thomasevangelium bereits aufgrund seiner gattungstypischen Eigenart verwehrt. (8) Ergebnis. Die Relativierung von Familie findet sich in verschiedenen ntl. Schriften. Das Einzelmotiv des Familienwechsels begegnet dabei allerdings kaum, schon gar nicht in seiner Verbindung zu Maria von Nazareth und seiner speziellen mk Funktion: der Einsetzung einer zweiten, vom Jüngerkreis abgehobenen, sesshaften Nachfolgegruppierung.901 Interessant ist, dass das MtEv die familia dei sogar von diesem Familienwechselmotiv abheben kann. Bei dem Familienwechselmotiv und seiner ekklesiologischen Relevanz handelt es sich folglich um ein spezifisch mk Konzept.

hat, [hat mich zerstört.]« bzw. »Denn meine Mutter hat [mich getäuscht]« vor. Diese Ergänzung würde die leibliche Mutter negativ von der »wahren« lebensgebenden Mutter absetzten. Aber wer ist die »wahre Mutter‹«? JACOBSON (Jesus against, 213f) denkt an die Gemeinde des EvThom und stellt indirekt eine Parallele zu Mk 3,31–35 her. 896 Weniger wahrscheinlich ist eine bloße Stichwortverbindung. Vgl. dazu JACOBSON, Jesus against, 215. 897 Vgl. dazu ROH, Familia, 270ff. 898 Dieser Reflex begegnet in EvThom 16 (wie Q 12,51–53) weniger im apokalyptischfuturischen Gewand, sondern ist auf das Gekommensein Jesu bezogen. EvThom 48 kennt allerdings auch innerhäuslichen Frieden. Das Logion scheint darin aber ein eher selten anzutreffendes Phänomen zu sehen. 899 Das EvThom lässt überhaupt kein besonderes Interesse an einer Art Gemeindetheologie erkennen. Es hat eher die einzelnen Individuen in ihrer Jesusbeziehung im Blick. Vgl. etwa Logion 23. Vgl. ROH, Familia, 283: Es ist keine geschwisterliche Gemeinschaft erkennbar. Etwas anders JACOBSON, Jesus against, 216f. 900 Vgl. zur Frage der Textsorte SCHRÖTER/BETHGE, Evangelium nach Thomas, 157f. 901 Am ehesten wäre hier an Joh 19 zu denken. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Schwerpunkte.

4. Das Motivfeld »Familie« und Maria von Nazareth Das Motivfeld »Familie« und Maria von Nazareth Nachdem das Motivfeld »Familie« und die Akzentuierung des Einzelmotivs des Familienwechsels dargestellt wurde, möchte ich auf die Verbindung dieses Einzelmotivs mit Maria eingehen. In einem Ausblick sollen sodann die Konsequenzen für die Frage nach der »historischen Maria« und die Bedeutung meiner These von Maria beim Kreuz für die protestantische Sicht auf Maria im ökumenischen Horizont dargestellt werden.

Am Anfang hat Markus ganz den durch das Unverständnis der Familie heraufgeführten Konflikt im Blick (3,20f). Dieser führt dazu, dass sich der Sohn von seiner Familie lossagt und seine neue, religiös definierte Familie gründet (3,31–35). Beide Typen der familiären Beziehungen stehen zueinander in Opposition. Dieser Konflikt ist für die mk Gemeinde bedeutsam, da sie sich als Bestandteil einer neuen Familie versteht. Somit kann sie ihre Identität auf die Einsetzung der familia dei gründen. Auch sie ist teilweise schweren familiären Konflikten ausgesetzt (13,12 u.a.) und erhält von Markus die von Jesus legitimierte Möglichkeit, ihre alten Bindungen aufzugeben und in der Gemeinde als neuer Familie zu leben (10,28–31). Doch es bleibt nicht bei der konsequent arrangierten und polaren Gegenüberstellung der Familien. Mit der impliziten Darstellung des »Wegs« der Maria von Nazareth illustriert Markus den Gedanken des Wechsels der Familie. Am Anfang wird Maria als Vertreterin der feindlich gesinnten leiblichen Familiengruppe dargestellt, die dem Willen Gottes entgegensteht, Jesu Worte und Taten264 falsch versteht (3,21) und ihren Sohn mit Gewalt von seinem Weg abbringen will ( ). In Nazareth (6,1–6) verhindert die verwandtschaftliche Zuordnung Jesu zu Maria die Erkenntnis seiner Gottessohnschaft und sein heilsames Wirken. Hier verdeutlicht die Bezeichnung »Sohn Marias« die christologische und soteriologische Relevanz des Familienwechsels. Als Mitglied der familia dei in 15,40 ist Jesus für Maria nun der »Sohn Gottes«, nicht mehr der »Sohn Marias« (6,3). Am Ende erfährt Leserin und Leser rückblickend, dass Maria den Weg in die Nachfolge und die neue Familie gefunden hat. Konsequenterweise wird Maria in der neuen Familie nicht mehr über ihre Rolle als Mutter definiert. Die alten Familienbeziehungen und Rollenzuweisungen werden beiseite 264 Das bedeutet »Evangelium«. Vgl. z.B. SCHENKE, Mk (1988), 149: »Das bedeutet für den [...] Begriff ›Evangelium‹, daß er die gesamte Verkündigung Jesu in Wort und Tat umschreibt.«

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Das Motivfeld »Familie« und Maria von Nazareth

gelegt. Sie sind im Communitasmodell der familia dei überflüssig und störend.265 Man mag einwenden, dass aufgrund von Mk 3,35 Maria in der familia dei ebenso, allerdings auf einer völlig anderen Ebene, als »Mutter Jesu« bezeichnet werden könnte, doch ist es fraglich, wie Markus diese Ebene ohne Umstände und – innerhalb seines Konzeptes – unmissverständlich hätte deutlich machen können.266 So zeigt Markus an Marias Weg einerseits den Gegensatz der Familien, andererseits überbrückt er ihn aber auch. Er eröffnet, wenn auch implizit, einen Lösungsweg für die zurückgelassene Familie bzw. deren einzelne Mitglieder. An anderer Stelle wurde darauf hingewiesen, dass Markus die Gemeinde für möglichst viele Menschen offen halten will.267 Eine prinzipielle Ausgrenzung der Mitglieder der Herkunftsfamilien würde dieser Tendenz entgegenstehen. Der Weg der Maria impliziert nun, dass die familia dei vor den jüdischen oder paganen Blutsverwandten nicht verschlossen bleiben muss. Markus hat in erster Linie eben nicht die konkreten Personen im Visier, sondern deren Rollenverständnis. Damit erscheint die konstruierte Opposition der Familien wesentlich offener und praktikabler. Auffällig ist allerdings, dass die Nachfolge Marias erst nach dem Tod Jesu und dem Bekenntnis des Centurios (15,39) erwähnt wird, dann aber in den letzten Versen des Evangeliums beständig auftaucht. Immerhin wird ihr innerhalb der Frauengruppe quittiert, bereits zuvor Jesu gedient zu haben und ihm nachgefolgt zu sein. Der Tod Jesu ist ohne Frage eine entscheidende Stelle im Evangelium. Mit der enthüllenden Funktion des Bildes vom zerreißenden Vorhang268 und der Erkenntnis bzw. dem öffentlichen Bekenntnis269 der Gottessohnschaft 265 Dabei müssen familiäre Beziehungen nicht zwangsläufig aufgelöst werden, wie die beiden Brüderpaare unter den Jüngern zeigen. Die Auflösung erfolgt mit Blick auf den konkreten Konfliktfall und in Beziehung zu Jesus. 266 FENTON (Mother, 435) führt in diesem Sinn die fehlende Bezeichnung als Jesu Mutter auf das Versagen der Frauen in 16,8 zurück: Die Frauen tun nicht den Willen Gottes (3,35) – werden demzufolge auch nicht als μ μ (3,35) bezeichnet. Diese interessante Deutung muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob Markus wohl seiner Leserschaft das Verständnis von 15,40 aufgrund des späteren Verses 16,8 abverlangen kann. 267 Vgl. etwa oben 3.6.3 Pkt. 4 bzw. den ganzen Abschnitt 3.6, in dem dargelegt wird, dass Markus eine zweite gegenüber dem Jüngerkreis wesentlich offenere Nachfolgegruppierung in seinem Evangelium »installiert«. 268 »Eröffnung des Zugangs bzw. Offenbarung Gottes geschehen im Tod Jesu.« GNILKA, Mk II, 324. Vgl. auch Hebr 10,19f. Es gibt allerdings auch eine andere Deutung, die den Blick eher auf die Tempelzerstörung/Gerichts- und Strafzeichen richtet. Vgl. dazu PESCH, Mk II, 498f. Beide Deutungen können bei dem Bild mitschwingen. 269 Vgl. GNILKA, Mk II, 324f. Er interpretiert den Ausspruch als christliches Bekenntnis auf der mk Ebene. Anders allerdings PESCH, Mk II, 499f.

Das Motivfeld »Familie« und Maria von Nazareth

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durch den heidnischen Centurio öffnet sich die Erkenntnis der Gottessohnschaft Jesu einer wesentlich größeren Menge. Ob die Einführung der Frauen nun von Markus bewusst nach dieser Universalisierung angeordnet wurde, wird sich nicht sicher sagen lassen. Ermöglicht erst der Tod des Sohns den Zugang und das Verständnis der Mutter? Oder steht hier die traditionelle Rolle der Frauen bei Trauer und Begräbnis im Hintergrund?270 Es gibt auch andere, wesentlich pragmatischere Gründe für die späte Einführung der Frauen, über die an anderer Stelle bereits gesprochen wurde.271 Es ist darüber hinaus denkbar bzw. sogar wahrscheinlich, dass die eigentliche Passion (Leiden und Sterben) keinen Platz für ein positives Verhalten von Nachfolgerinnen und Nachfolgern bietet.272 Zudem müssen die Überlegungen zu dieser Frage immer alle drei Frauen im Blick haben.273 Man wird diese späte Einführung nicht überbetonen und gegen eine späte vorösterliche Nachfolge Marias ins Feld führen können.

270

Vgl. GNILKA, Mk II, 335. Vgl. oben Teil 2, 1.6.1. Vgl. auch oben Teil 2, 1.6.2, Anm. 305. 272 Die Jünger sind geflohen, haben Jesus verraten oder dreimal verleugnet. Der erweiterte Nachfolgekreis, der auch im begegnet (s.o. 3.6.1 Pkt. 2), fordert dreimal Jesu Tod. So erfüllt sich Jesu Wort von 14,27. Vgl. auch die Parallele von 14,54; 15,40 zu Ps 38,12 (37,12LXX). Die Passion scheint keinen Raum für Nachfolgeverhalten zu bieten. Vgl. oben 3.6.1, Anm. 543. 273 Durch die beschriebene Änderung der Näherbestimmung Marias tritt diese Frau aber mit Blick auf das theologische Interesse von Markus deutlich hervor. 271

5. Zusammenfassung Zusammenfassung Zum Motivfeld »Familie« ist zusammenfassend zu sagen: Im MkEv lassen sich drei familienrelativierende Einzelmotive unterscheiden, die in gegenseitiger Beziehung stehen. So finden sich das apokalyptische Motiv der Auflösung familiärer Strukturen in den Wirren der Endzeit (13,12), das Motiv der Auflösung familiärer Beziehungen in der Jesusnachfolge (1,16– 20; 10,28) und das Motiv des Wechsels von der Herkunftsfamilie in die familia dei (3,20f.31–35; 6,1–6; 10,29f; 15,40f). Das familia-dei-Motiv als solches wird auch in 11,25 sichtbar. Neben diesen Aspekten, die familiäre Konflikte bzw. die Umprägung familiärer Beziehungen thematisieren, finden sich profamiliäre ethische Aussagen, die in gewisser Spannung zu ihnen stehen. Sie zeigen, dass Markus keinesfalls antifamiliär eingestellt ist. Die Familienzerwürfnisse in 3,31–35; 10,29f sind auf die religiöse Ebene, also auf die durch das Bekenntnis zum Evangelium ausgelösten Konflikte, beschränkt. Das Interesse an den familienrelativierenden Motiven ist unterschiedlich: (1) Die apokalyptische Vorstellung endzeitlicher familiärer Zerwürfnisse nimmt Markus v.a. aufgrund des vorgefundenen Traditionsstoffs auf. Vorhandene familiäre Konflikte im Umfeld seiner Gemeinde werden dennoch dem Logion 13,12 das Interesse des Evangelisten gesichert haben. In seiner Zuspitzung spiegelt es sowohl die Grundspannung, in der die Gemeindemitglieder leben, als auch die Möglichkeit der Leidensnachfolge wider. Ähnlich drastische Vorkommnisse gab es im Umfeld des Jüdischen Krieges, sodass hier ein Reflex realer Ereignisse nicht auszuschließen ist. Verfolgungssituationen werden auch an anderen Stellen des MkEv sichtbar. (2) Das Motiv der Auflösung familiärer Bindungen aufgrund der Jesusnachfolge (1,16–20; 10,28) ist von Markus dem Jüngerkreis und der vormk oder nebenmk wandercharismatischen Nachfolge zugeordnet. Die redaktionelle Arbeit zeigt ein Interesse, den Bruch der Jünger mit ihren sozialen und ökonomischen Bindungen zu betonen. In der Radikalität der Jüngerberufung stellt Markus seiner Gemeinde den Ernst vorbildlicher Nachfolge vor Augen. Eine Unterordnung familiärer Bindungen, wie sie bereits im AT und in anderen jüdischen und griechischen Schriften begegnet, erweist die Loyalität der Nachfolgerinnen und Nachfolger gegenüber Jesus bzw. dem Gotteswillen. Auch wenn die wandercharismatische Nachfolge die mk Gemeinde

Zusammenfassung

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kaum noch direkt betrifft, ist doch das Verlassen der Familie bereits der erste Teil des für Markus besonders wichtigen Motivs des Familienwechsels. In der durch Jesus initiierten Jüngerberufung erfolgt einmal mehr eine Legitimation eines solchen Schrittes für die mk Gemeinde. (3) Das vorrangige Interesse des Evangelisten wird allerdings beim Motiv des Familienwechsels sichtbar. Dieses Motiv führt das zuvor beschriebene weiter, wobei die Gründe variieren: Werden in Mk 1,16–20 und 10,28 die Familien analog zur Q-Tradition aufgrund der Jesusnachfolge verlassen, so ist in Mk 3,31–35 das Kriterium für die Umprägung familiärer Bindungen der Gotteswille.274 Aufgrund der mk Christologie ist diesem Unterschied aber keine große Bedeutung beizumessen. Das MkEv bleibt nicht beim Verlassen alter Bindungen stehen.275 Die zu erhaltende neue Familie, welche als familia dei zu beschreiben ist, bekommt im MkEv eine besondere Betonung. Deutlich wird dies bereits an der Verteilung der Texte. Während sich die beiden zuvor besprochenen Einzelmotive nur an einem bzw. zwei Texten festmachen lassen, wird das Motiv des Familienwechsels anhand von vier Textkomplexen entfaltet. Von besonderer Bedeutung ist hier 10,29f und der narrativ gestaltete Weg der Maria. Sie veranschaulicht als Vertreterin alten familiären Rollendenkens, warum es u.U. nötig ist, die alte Familie zu verlassen (Mk 3,20f; 6,1–6) und sie veranschaulicht durch ihre (von Markus redigierte) Preisgabe des familiären Rollenverständnisses (15,40) die Konsequenzen bzw. Möglichkeiten mk Nachfolge und mk Gemeindelebens. Das besondere Interesse an diesem Motiv lässt die reale Situation der Gemeinde erahnen: soziale Entwurzelung einzelner Gemeindemitglieder aufgrund familiärer Zerwürfnisse bei einer sesshaften Form der Nachfolge, die auf Häuser, Hausgenossen und Äcker angewiesen bleibt. In der Charakterisierung der Gemeinde als Familie sind durchaus konkrete familientypische Aspekte angesprochen. Die Funktion des Motivs ist v.a. ekklesiologisch: Die mk Gemeinde findet in der vom Jüngerkreis zu unterscheidenden familia dei ihre Identifikationsgröße auf der narrativen Ebene der Jesusgeschichte. Jesus selbst gibt sich als Teil dieser familienartigen Gemeinschaft zu erkennen. Ihre als liminal zu bezeichnende Charakteristik verweist auf die vom Evangelisten angestrebte zwischenchristliche Verbundenheit, die von Gütergemeinschaft, gegenseitiger Aufnahme, vorbehaltloser Integration in Haus und Familie und dem Fehlen von Rangunterschieden und patriarchalen Autoritätsstrukturen bestimmt ist. 274

Vgl. JACOBSON, Jesus against, 203f. Sicherlich führt auch das Verlassen der Familie etc. bei den Wandercharismatikern in eine neue Sozialform (z.B. Mk 6,7.10). Im Vergleich zum mk familia-dei-Konzept und den frühchristlichen Hausgemeinden ist der Gemeinschaftsgedanke hier aber doch nur sehr schwach ausgeprägt. 275

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Zusammenfassung

Es gehört zu den unbestreitbaren Innovationen des Markusevangelisten, dass er Theologie nicht nur argumentativ, sondern in diesem Umfang als erster bekannter christlicher Autor narrativ ausgestaltet hat. Im Mittelpunkt steht dabei natürlich die dramatische Jesusgeschichte. Nebenher und ausnahmslos auf sie bezogen finden sich aber auch Schlaglichter auf die »Lebensgeschichten« seiner Anhänger, die der Evangelist freilich nicht um ihrer selbst willen, sondern zur narrativen Ausgestaltung seiner Theologie erzählt. Neben Petrus und den Zebedaiden ist auch Maria von Nazareth eine solche Gestalt, auf die das MkEv an verschiedenen Stellen blickt. Markus verwendet die Gestalt der Maria von Nazareth zur paradigmatischen Ausgestaltung des Motivs des Familienwechsels. Neben der theologischen Bedeutung kommt diesem Motiv auch soziale, ethische und pastorale Bedeutung zu. Das große mk Interesse an dem Motiv dürfte die Bedeutung Marias im MkEv stützen. Die Rede von einem mk »Desinteresse an Maria«276 lässt sich nicht halten. In der mariologischen und marianischen Literatur wird das MkEv bei der Frage nach Maria im NT nicht selten als Problemfall an den Rand gedrängt bzw. ausgeklammert, in der protestantischen Exegese hingegen mitunter als Grundlage antimarianischer Argumentation benutzt – beides wird ihm nicht gerecht. Der ambivalente Umgang des MkEv mit der Gestalt Marias und ihre Relevanz für die mk Ekklesiologie bietet ein Potenzial, das nicht nur im ökumenischen Gespräch fruchtbar werden kann. Gerade die protestantische Seite könnte sich beim Ausbau einer eigenen zeitgemäßen Mariologie neben dem LkEv auch auf das MkEv stützen. Ich werde nun am Ende dieser Arbeit dieses Potenzial in einem Ausblick skizzieren.

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MUSSNER, Mutter, 23. Ähnlich auch andere.

1. Historische Aspekte Impulse für ein protestantisches Mariabild Historische Aspekte Es hat sich unter Teil 3, 1.4 gezeigt, dass man zur historischen Maria kaum etwas sagen kann. In der Konsequenz meiner These von Maria beim Kreuz lassen sich aber evtl. die historischen Auskünfte über die Mutter Jesu um einen wichtigen Aspekt, der für das heutige Mariabild Relevanz besitzt, vermehren. Deshalb möchte ich mich zuerst dieser Frage widmen. Es ist zu beachten, dass ich mit folgenden Überlegungen die mk Ebene verlasse und mich verstärkt der Tradition zuwende, methodisch also die Blickrichtung wechsle. Auch wenn Tradition keinesfalls mit Historie verwechselt werden darf – denn die Tradierung historischer Sachverhalte ist immer auch theologisch motiviert – rückt bei einer Untersuchung der von Markus benutzten Traditionen die historische Fragestellung stärker in den Blick, gerade wenn eine Namensliste Objekt der Betrachtung ist.

In der exegetischen Diskussion werden üblicherweise neben den Informationen in Mk 6,3 nur die Notizen vom angespannten Verhältnis zwischen Maria und ihrem Sohn (Mk 3,20f; 3,31–35 parr) sowie ihres Zugangs zur nachösterlichen Jerusalemer Gemeinde (Act 1,14) als historische Sachverhalte angesehen.1 Die daraus resultierende Spannung zieht die Frage nach sich, wann Maria den Weg zur Gemeinde gefunden hat. 1 Act 1,14 ist allerdings deutlich lk bearbeitet bzw. gestaltet. Vgl. BECKER, Maria, 55. Zur grundsätzlichen Frage nach der Historizität von Act 1,14 vgl. ebd. 53ff. Radikal lehnt MALINA (Mary, 55f) die Möglichkeit ab, aus dem NT überhaupt etwas über die historische Maria zu erfahren. Traditionell blicke man zu diesem Zweck auf die Kindheitsgeschichten, allerdings blicken eben jene Kindheitsgeschichten nicht auf Maria, sondern – in der Tradition griechischer und lateinischer Biografien – auf den späteren Helden. »[T]he infancy stories [...] are inferred from the fact that Jesus was crucified and raised from the dead. […] Hence whatever is said about Jesus’s mother in these stories is fundamentally stated in function of underscoring the qualities of Jesus as person«. Schaut man mit Malinas kulturanthropologischem (oft psychologischem) Blick auf die Verkündigung an Maria, zeigt sich die im mediterranen Raum des 1. Jh. n.Chr. übliche geschlechtsspezifische Konzentration auf Marias Reproduktionsfunktion. Die bereitwillige Einwilligung Marias ist ganz in den Kontext mediterraner Sexualität zu rücken: »In a society in which everybody believes that a man and a woman will inevitably have sexual relations unless prevented by circumstance [zur Erläuterung vgl. ebd. 59, TR], both of them will behave accordingly. So should a male but manage to corner any female alone, she might put up a wild show of resistance at first, but once he as much as touched her, she would give in and readily become his. […] While obviously no lust is involved in Mary’s case, the scenario still points to traditional Mediterranean urgency to keep women duly encompassed. And Marys answer in this difficult situation is: ›let it be to me according to your word‹ (Luke 1:38). What this means in typical Mediterranean fashion is: ›As you like!‹« Marias joh Platz unterm Kreuz als historischen Reflex lehnt Malina ab, da »Matthew, Mark and Luke know nothing about Mary at the foot of the cross.« Ebenfalls im mediterranen Kontext ist der geringschätzige Umgang des männlichen Sohns mit seiner Mutter zu

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Impulse für ein protestantisches Mariabild

Jürgen Becker bietet hierfür eine Lösung. So wäre es möglich, den durch eine Christophanie initiierten Anschluss des Herrenbruders Jakobus an die Gemeinde mit dem der Maria zu verbinden.2 Jakobus wäre nach dem Ausscheiden Jesu als zweitältester Sohn der Ernährer der Familie und die gealterte3 Witwe4 Maria hätte bei ihm gelebt. Das einschneidende Erlebnis der Christophanie und seine Entscheidung für die Gemeinde hätte sie somit hautnah erlebt bzw. geteilt oder – was nach dieser Deutung möglich und nach kulturanthropologischen Gesichtspunkten wahrscheinlich ist – sie wäre aus rein pragmatischen bzw. existenziellen Gründen ihrem zweitältesten Sohn gefolgt. Das ganze müsste – so Becker – zwischen Ostern und der Christophanie des Paulus (1Kor 15,7f) um 32 n.Chr. geschehen sein. Diese Erklärung klingt weitgehend logisch und ist gut nachvollziehbar.5 Aufgrund der Ergebnisse meiner Arbeit wird aber nun ein Indiz für einen vorösterlichen Anschluss Marias an die Jesusbewegung sichtbar (15,40f). Bei meinen bisherigen Überlegungen hatte ich v.a. die mk Ebene im Blick. Allerdings habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Liste der Frauennamen, vermutlich als Zeuginnen der Kreuzigung und/oder der Geschehnisse um das Grab, Markus bereits in der Tradition vorgegeben war. Stimmt meine Annahme einer traditionellen Liste, die die Anwesenheit Marias bei Kreuzigung und/oder Grab bezeugt, ergibt sich die Frage, ob ihr historisches Vertrauen geschenkt werden darf. Folgende Beobachtungen könnten dafür sprechen: (1) Diese Liste hat nicht isoliert Maria im Blick, sondern alle drei Frauen stehen nahezu6 gleichwertig beieinander. Es ist unwahrscheinlich, hier den Versuch einer sekundären Rückdatierung der Nachfolge Marias aufgrund ihrer Stellung in der Jerusalemer Gemeinde zu sehen.7 (2) Die Erwähnung Marias von Magdalena ist v.a. aufgrund ihrer Position interessant. Die Liste könnte zu einer Tradition gehören, welche von der Protophanie des Auferstandenen vor dieser Frau ausgeht, auch wenn das bewerten (z.B. Joh 2,4). Weitere Zweifel folgen aus den Widersprüchen zwischen den einzelnen Evangelien (Jesu Geburtsort, Stammbaum). Etc. Was bleibt ist – so Malina – die Tatsache, dass Jesus eine Mutter hatte (Gal 4,4). Daraus entwickelte die patriarchalische mediterrane Welt ihr Bild (Vgl. ebd. 55f): Maria ist – in Malinas Sicht – ein Konstrukt! Ich habe Malinas These dargestellt, um zu zeigen, wie wesentlich meine These von der Anwesenheit Marias am mk Kreuz unter Umständen für die Begründung mariologischer Aussagen sein kann. 2 Vgl. BECKER, Maria, 58ff. 3 Vgl. BECKER, Maria, 51.61f.65f. 4 Vgl. BECKER, Maria, 51. 5 Nicht nachvollziehbar erscheint mir MALINAs Deutung (Welt, 120). Er gibt als Erklärung für die Anwesenheit der Herrenverwandten in Act 1,14 an: »Sie sind zweifellos gekommen, um sich um den Leichnam Jesu zu kümmern, wie dies die Aufgabe von Familienmitgliedern ist.« 6 MƦƴ˄Ʀ ɶ ƒƦƨƩƦưƬƱˁ wirkt durch ihre Stellung hervorgehoben. 7 Vgl. oben Teil 3, 2.2.3 mit Anm. 257.

Historische Aspekte

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MkEv davon schweigt.8 Ist dies der Fall, handelt es sich um eine sehr alte Tradition. Die Protophanie vor Maria von Magdala wurde vermutlich bereits sehr früh von der Tradition der Protophanie vor Petrus verdrängt.9 (3) Eine Liste mit Namen, von denen einer – ƙƦưˊµƬ – in der gesamten ntl. Tradition keine Rolle spielt, kann historisch vertrauenswürdig sein, da ein Interesse, ihn zu erfinden, schwer auszumachen ist.10 Eine sekundär zusammengestellte Liste hätte wohl einen prominenteren Namen gewählt.11 (4) Auf das Problem weiblicher Bezeugung wurde bereits hingewiesen:12 Eine sekundäre Liste hätte männliche Zeugen gewählt, um ihrer Funktion, der Auferstehung Glaubwürdigkeit zu verleihen, gerecht zu werden.13 M.E. zeigen alle diese Aspekte, dass es schwerlich ein urchristliches Interesse gegeben haben kann, diese Liste in ihrer Verbindung zu Tod und/oder Grab Jesu zu erfinden oder sekundär mit diesen Ereignissen zu verbinden. Die Liste kann darum durchaus historisch verwertbare Informationen beinhalten. Da Markus anscheinend bei der Abfassung der Passionsgeschichte auf diese Liste gestoßen ist, wie deren unvermittelte Einführung nahe legt, kann diese Liste auch ursprünglich mit der Passionsgeschichte verbunden gewesen sein.14 Diese Vermutung wird auch bei der Annahme einer vom MkEv und JohEv gemeinsam genutzten Passionsüberlieferung gestützt.15 Wie bereits bemerkt, schreiben die meisten Exegeten die Anwesenheit der Mut8

Im MkEv wird keine Protophanie berichtet. Dafür erfahren aber die Frauen als erste von der Auferstehung. Andererseits sollen die Frauen explizit Petrus von der bevorstehenden Erscheinung berichten. Zielt diese Notiz auf die mk Kenntnis einer Protophanie vor Petrus? 9 Vgl. BÖTTRICH, Petrus, 134ff und THEISSEN/MERZ, Jesus, 433ff. 10 Vgl. SCHENKE, Auferstehungsverkündigung, 94: »Vor allem aus der genauen namentlichen Nennung der drei bekannten Frauen in 16,1 […] darf mit einiger Sicherheit gefolgert werden, daß hinter der Tradition eine Erinnerung an ein bestimmtes wie auch immer geartetes Geschehen liegt.« Vgl. ebd. 22: »Diese Nennung der Frauen muß eine historische Grundlage haben.« Anders BULTMANN, Geschichte, 296: Die Frauen sind nicht »geschichtlich«. 11 Ich habe oben Teil 3, 1.3 die Untersuchung Bauckhams vorgestellt. Demnach handle es sich bei »Salome« um einen typisch palästinischen Namen, der in der Diaspora schwer vorstellbar ist. Stimmt Bauckhams Ergebnis, ist dies ein Hinweis, dass die Namensliste der Frauen palästinischen Ursprungs ist. Das würde die These eines hohen Alters stützen. 12 Vgl. oben Teil 2, 1.6.1, Anm. 391. 13 Vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus, 438. Sie präzisieren noch das Problem. Der männliche und damit zeugnisfähige Joseph von Arimathäa hätte zur Verfügung gestanden. Er hätte durch mindestens zwei Männer ergänzt werden müssen. Vgl. auch CROSSAN, Wer, 222. MUNRO, Woman, 236 schließt daraus auf eine alte Tradition weiblicher Jünger, die Markus solange wie möglich in seinem Evangelium unterdrückt habe, nun aber benötige. 14 So auch LÜHRMANN, Mk, 230.264. 15 Für deren Existenz stimmen z.B. THEISSEN, Lokalkolorit, 209f; CONZELMANN/LINDEMANN, Arbeitsbuch, 43.367; Vgl. auch LÜHRMANN, Mk, 227ff. Aufgrund der Analyse Theißens gehe ich von der Existenz einer solchen Passionstradition aus. Sie erscheint mir immer noch plausibler als die Annahme, Johannes kenne und benutze das MkEv (so aber z.B. HENGEL, Miracle, 92; CARSON, Jn, 51; WILCKENS, Joh, 2ff; TROCMÉ. Synoptiques, 1940).

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Impulse für ein protestantisches Mariabild

ter Jesu in Joh 19,25 allein dem Evangelisten zu.16 Das oft begegnende Hauptargument, die synoptische Tradition wisse nichts über die Anwesenheit Marias beim Kreuz, ist für meine Untersuchung nach den bisher gewonnenen Ergebnissen kaum relevant. Stimmt meine These, dass sich in Mk 15,40f die Tradition einer Liste mit Maria von Nazareth findet, so erklärt sich auch deren Anwesenheit in Joh 19.17 Mit ƒƦƴ˄Ʀ ɶ ƒƦƨƩƦưƬƱ˂ ergäbe sich die Übereinstimmung zweier Namen, wobei Markus die Notiz von der Mutter Jesu aufgrund der bereits beschriebenen Erwägungen abgeändert haben dürfte. Im JohEv fände sich dann ein ähnliches Phänomen wie in MtEv/LkEv. Der traditionelle, aber den drei bzw. vier Evangelisten unbekannte Name Salome wird durch einen »passenden«, d.h. der jeweiligen Gemeinde bekannten, ersetzt oder als ein solcher umgedeutet.18 Neben allen Unterschieden zwischen der mk und der joh Frauengruppe19 fällt auf, dass hier wie dort Maria als schweigende Statistin dargestellt wird. Die Charakterisierung Marias in der joh Szene durch Gaventa lässt sich ohne Schwierigkeiten auf das MkEv übertragen: »She speaks not a single word, and the narrator devotes not a single word to her description. Her sole action is to stand near the cross«.20 Nebenbei ist interessant, dass auch in Joh 19,25–27 Maria im Zusammenhang mit der familia dei steht. Die traditionellen familiären Beziehungen werden neu verteilt. Für die Frage nach der gemeinsamen Tradition ist dieser Aspekt allerdings irrelevant. Es legt sich die Vermutung nahe, dass in der vorsynoptischen Passionsüberlieferung eine Liste mit den drei Frauennamen, wie sie sich in Mk 15,40 finden – wohl mit der direkten Bezeichnung Marias als Mutter Jesu – existierte. Johannes und Markus griffen auf diese Liste oder eine Version dieser Liste zurück, modifizierten und integrierten sie. 16

Vgl. oben Teil 3, 2.2.3 mit Anm. 253.255. Ein Zirkelschluss (vgl. oben Teil 3, 2.2.3) liegt bei meiner Argumentation nicht vor: Bei der Begründung meiner These habe ich nicht auf Joh 19,25 zurückgegriffen. Da ich die These von der Mutter Jesu am Kreuz unabhängig vom JohEv begründet habe, kann ich nun in einem zweiten Schritt Joh 19,25 hinzuziehen. 18 Lukas ersetzt Salome durch Johanna (vgl. dazu Lk 8,3), Matthäus deutet Salome scheinbar als Mutter der Zebedaiden (vgl. dazu Mt 4,21; 10,2; 20,20; 26,37) und Johannes vielleicht als Marias Schwester. Die Erwähnung der anderen Frauen in Mk 15,40 ermöglicht – wenn sie mit der traditionellen Liste ursprünglich im Zusammenhang standen – zumindest theoretisch eine Erweiterung der Anzahl der Namen auf die joh vier Frauen (vgl. oben Teil 3, 1.3, Anm. 117). Vgl. auch LÜHRMANN, Mk, 228: »Bei Joh ist freilich mit einer stärkeren und wohl auch mehrstufigen Überarbeitung der Tradition zu rechen, während Mk sich mehr als Joh mit der ihm vorliegenden Tradition und deren theologischen Motiven identifiziert.« 19 Ein prägnanter Unterschied ist etwa, dass das JohEv Maria nie bei ihrem Namen nennt, sondern nur als Mutter Jesu bezeichnet. Auch wird Maria im JohEv von Jesus kurz angesprochen. Der Abstand zum Kreuz scheint ein anderer zu sein. 20 GAVENTA, Standing, 48. Vgl. auch ebd. 50 (Jesus zeigt im JohEv keine Emotionen gegenüber seiner Mutter). Gaventa (ebd. 48) sieht allerdings keine Parallele zwischen dem JohEv und MkEv: »The other Gospels contain no parallel to either [d.h. joh, TR] story.« 17

Historische Aspekte

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Der Form und Funktion nach wird man einer Namensliste, etwa mit Zeuginnen eines für eine religiöse Gemeinschaft zentralen und existenziellen Ereignisses, ein hohes Alter und aus oben dargestellten Gründen auch ein gewisses Maß an historischer Glaubwürdigkeit zugestehen dürfen.21 Es darf vermutet werden, dass Maria von Nazareth bereits vor Ostern zum Kreis der Jesusanhänger bzw. -sympathisanten gehört hat.22 Dass dies denkbar ist, zeigt Act 1,14. Wodurch ihr Anschluss ausgelöst wurde, lässt sich allerdings nicht sagen. Markus scheint sich um diese Frage nicht zu kümmern. Er ist, wie an anderen Stellen auch,23 v.a. an den großen theologischen Linien24 interessiert und vernachlässigt dabei Einzelfragen. Es ließe sich einwenden, dass die Mutter von der Nachfolgegruppe unabhängig und in geistiger Ferne zu ihr als Passahpilgerin in Jerusalem anwesend sei. Dann könnte sie von der Hinrichtung ihres Sohns gehört haben, dem Szenario beigewohnt und gemäß der Begräbnisbräuche für die Bestattung ihres Verwandten Sorge getragen haben. Das ist eingedenk der mediterranen Mutter-Sohn-Beziehung vorstellbar, widerspricht aber dem Textbefund. Maria aus Magdala ist durch verschiedene Überlieferungsstränge25 als Jesusnachfolgerin bezeugt. Die undifferenzierte Zusammenstellung der Frauen ist zu beachten. Markus selbst deutet die gesamte Frauengruppe ganz ungezwungen als Nachfolgerinnen (15,41). Mit diesem Ergebnis, welches die Richtigkeit meiner These von der Anwesenheit Marias beim Kreuz voraussetzt, ergibt sich ein veränderter Blick auf Maria von Nazareth. Auf die mariologischen Aspekte und die ökumenische Relevanz, die sich auch unabhängig von der schwer zu beurteilenden historischen Fragestellung ergibt, möchte ich im Folgenden eingehen.

21 Vgl. die Frage der Tradition bei anderen bedeutsamen Namenslisten, etwa 1Kor 15,5ff (vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus, 426ff, v.a. 428; SCHRAGE, 1Kor IV, 21–25: sehr hohes Alter); Mk 3,16ff (dazu GNILKA, Mk I, 141ff). 22 Man mag einwenden, dass eine solche Tradition sich breiter in den Überlieferungen niedergeschlagen hätte. Aber eine solche Vermutung setzt den späteren Bedeutungszuwachs der Mutter Jesu voraus. Beim Vergleich mit der Breite der Überlieferung anderer namentlich genannter Jünger bzw. Nachfolgerinnen und Nachfolger, relativiert sich dieser Einwand von allein. 23 Vgl. z.B. das mangelnde mk Interesse an topografischer Objektivität (WREDE, Messiasgeheimnis, 136: »Der Berg oder ein Berg ist für Markus jederzeit ebenso zur Hand, wo er ihn braucht, wie ein ɭƴƬµƳƵ Ʒˆ™ƳƵ, wie das Haus oder ein Haus«). 24 Hier: Auflösung der familiären Bindung aufgrund der Anhängerschaft Marias und Zeugenfunktion der Frauen. 25 LkS 8,2; Joh 19,25; 20,1.18; Mk 15,40.47; 16,1 (parr). Eventuell gehen aber das MkEv (parr) und JohEv hier auf einen Traditionsstrang zurück, sodass Maria von Magdala nur in zwei Traditionssträngen vorkommt (LkS; vorsynoptischer Passionsbericht [vgl. oben Anm. 15]).

2. Mariologische und ökumenische Aspekte26 Mariologische und ökumenische Aspekte

2.1 Situation und Problemanzeige »Maria ist zu Unrecht vergessen worden«, heißt es zu Beginn einer Stellungnahme der VELKD, eines ersten Entwurfs »zu einem evangelischen Verständnis Marias« im Jahr 1982.27 Dieser Anfang eines offiziellen Papiers der lutherischen Kirchen lässt aufhorchen und provoziert eine Erwartungshaltung. Doch auch im Jahr 2000 sieht sich Ulrich Kühn genötigt, einen Vortrag mit den Worten »Die Rede vom ›mariologischen Minimalismus‹ der evangelischen Theologie und der evangelischen Frömmigkeit ist zweifellos nicht aus der Luft gegriffen«28 zu beginnen. Zwei Jahre später wird – wenn auch auf einem anderen Kontinent – in der Aufsatzsammlung Blessed one: Protestant perspectives on Mary 29 wiederholt darauf hingewiesen, dass Maria im Protestantismus zu einer Krippenfigur30 verkommen 26

Es würde den Rahmen eines Ausblicks sprengen, hier mehr als nur Aspekte aufzuzeigen und mögliche Impulse meiner These für ein evangelisches Mariabild darzustellen. Grundsätzlich geschieht dies aus der Sicht der ntl. Wissenschaft. Diese Aspekte konzentrieren sich zudem auf das MkEv (unter Beachtung möglicher Parallelen zum JohEv). Auch erscheint es innerhalb dieses Ausblicks ratsam, bei der Frage der ökumenischen Relevanz v.a. die Diskussion zwischen der protestantischen und der römisch-katholischen Seite in den Blick zu nehmen. Auf der einen Seite steht der »marianische Minimalismus« der Protestanten (vgl. Maria – Evangelische Fragen, 196; PETRI, Maria in der Sicht, 382), auf der anderen Seite ist »die römisch-katholische Mariologie die am weitesten ausgestaltete« (BECKER, Maria, 28). Eine Kritik an der katholischen Mariologie trägt nichts zu meinem Thema bei. Sie verbaut oft nur den unvoreingenommenen Blick auf diese Frage. 27 Maria – Evangelische Fragen, 184. Auf 196 fordert das Dokument: »Größere Unbefangenheit ist nötig«. Dennoch scheint das Papier diesem Anliegen über weite Strecken nicht gerecht zu werden. Als »Einladung zum [ökumenischen, TR] Gespräch« – so der Untertitel – scheint es wenig geeignet, wie auch die z.T. barsche Entgegnung von VOSS, Katholische Bemerkungen, 143–157 zu zeigen scheint. Weitaus konstruktiver als die Kritik von Voss, lesens- und nachdenkenswert, erscheint mir die Kritik von H. SCHÜTTE, Maria und die Einheit der Christen – Thesen zu einer ökumenischen Verständigung. Entsprechen seine Thesen der offiziellen römisch-katholischen Mariologie, stellen sie (bis auf wenige Ausnahmen, v.a. die Thesen zu den neuzeitlichen Dogmen) eine gute Grundlage für einen ökumenischen Disput dar. 28 KÜHN, Evangelische Überlegungen, 342. 29 Hg. v. B.R. GAVENTA/C.L. RIGBY, London 2002. Im gleichem Atemzug ist auch das bereits 1999 erschienene Buch Mary. Glimpses of the Mother of Jesus von GAVENTA zu nennen. Es stellt sicher einen »Meilenstein« protestantischer Bemühungen um Maria dar. Allerdings wird das MkEv nahezu völlig ausgeblendet, so dass diese Untersuchung nicht viel zu meiner Arbeit beitragen kann. 30 »For most Protestants, Mary is little more than a character in the Christmas story.« GAVENTA, Standing, 47. Vgl. auch NORRIS, Foreword, xi: »We dragged Mary out at Christmas, along with the angels, and placed her at center stage. Then we packed her safely in the crèche box

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ist, die spätestens zu Epiphanias mit Weihnachtsbaum und Engelchen aus dem Herzen der meisten Protestanten verschwunden sei. Verantwortlich für diese saisonale Beschränkung auf das Krippenidyll ist Marias – als selbstverständlich empfundene – fundamentale Verortung in den Kindheitsgeschichten des MtEv und v.a. LkEv.31 Anderseits besitzt diese Verortung auch positive Aspekte. Die Stellung Marias zur Weihnachtszeit ist kaum zu überschätzen. Zentral steht hier die breite Tradition der Krippenspiele in den oft überfüllten evangelischen Kirchen am 24. Dezember: »Überhaupt gehört die Rolle der Maria zu den begehrtesten im Krippenspiel. Ihr Kennzeichen ist Armut und Heimatlosigkeit, Maria gibt sich teils verzagt, teils verwegen zuversichtlich, teils glücklich und stolz. Die Figur lädt in vielfacher Weise zur Identifikation ein.«32 Gaventa, eine der Herausgeberinnen von Blessed one, fasst an anderer Stelle den protestantischen Umgang mit Maria spitz zusammen: »if there is one thing Protestants agree on – across the theological spectrum, women and men, whether in local churches or in seminary classrooms – it is that we do not talk about Mary.«33 Gaventas Urteil stützt sich auf eigene jahrelange Erfahrungen. Versuchte sie irgendwo einen Workshop über das Thema »Mary in scripture« anzubieten, bekam sie oft zu hören: »Oh. I don’t think that would attract a very large audience. We’re mostly Protestants here.«34 Am 21. März 2005 attestiert allerdings die Titelstory der TIME »Hail, Mary« ein zunehmendes protestantisches Interesse an Maria. Als Argumente werden, neben den exegetischen Arbeiten von Gaventa und den Autorinnen von Blessed one aber nur recht vereinzelte Interessensbekundungen genannt, so dass zu fragen bleibt, ob man wirklich von »a pro-Marian tipping for the rest of the year«. Vgl auch GAVENTA/RIGBY, Introduction, 1; DUFF, Servant, 59f. Eine Steigerung stellt mit feministischer Absicht MILLER-MCLEMORE (Pondering, 97) dar: Selbst in einer Krippenszene kann Maria noch von den Männern (Königen, Hirten, Josef) verdeckt sein. »For many Protestants [...] Mary is almost completely invisible.« 31 Vgl. GAVENTA, Standing, 47. 32 WACKERBARTH, Maria, 90. Zu weiteren (vor dem suchenden Auge immer wieder auftauchenden) »Spuren« Marias in der evangelischen Liturgie vgl. ebd. 83–103. Wackenbarth kann aufgrund seiner Ergebnisse sagen: »Maria ist in der lutherischen Theologie und Kirche wohl auf dem Plan, nicht nur beiläufig oder notgedrungen, sondern selbstverständlich und intensiv.« Ebd. 72. Der Großteil der dargestellten »Spuren« steht allerdings eher am Rand der Liturgie oder stellt den kläglichen Rest einer Reduzierung des marianischen Liedgutes dar. Am interessantesten wird hier der Hinweis auf das Credo sein. 33 GAVENTA, All Generations, 251. 34 GAVENTA, All Generations, 251. Eigene Erfahrungen bestätigen dies: Als ich 2005/06 an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald eine Übung zu Maria von Nazareth im NT anbot, war die Beteiligung dürftig. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch im modernen Katholizismus das Interesse an Maria nicht mehr allerorts selbstverständlich ist: »Wenn ich jungen – oder auch fortgeschrittenen älteren – Katholiken die Test-Frage nach ihrer Beziehung zu Maria stelle, dann antworten sie ganz erstaunt: Maria? ... die interessiert uns nicht!« DIRKS, Königin, 181. Auch dies bestätigen eigene punktuelle Gespräche mit katholischen Christen.

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point« sprechen kann, »on whose other side may lie changes not just in sermon topic but in liturgy, personal piety and a re-evaluation of the actual messages of the Reformation.«35 Auch wenn das zu hoch gegriffen erscheint, zeigt dieser Artikel ein punktuell wachsendes Interesse, das – zumindest in Amerika –36 im Sinne der folgenden Ausführungen hoffen lässt. Trotz allem ist das ökumenische Gespräch über Maria bis heute äußerst zäh. Becker konstatiert, »dass das Thema ›Maria‹ zu den ganz harten Nüssen in ökumenischen Gesprächen gehört. Das Trennende unter den Kirchen wird nur noch bei wenigen anderen Themen so offenkundig wie hier.«37 Beinert erklärt warum: Im Zuge der Gegenreformation wurden Marienlehre und Marienverehrung »zur Unterscheidungslehre [der Konfessionen, TR] erster Ordnung [...] Beide Gebiete werden zu Schlachtfeldern, auf denen sich beide Seiten in der Heerschau gegenüber stehen. Maria ist nicht evangelisch und daher namens des Evangeliums möglichst zur Unperson zu machen; Maria wird katholisch und daher zum Lieblingsthema der katholischen Seele.«38 Immerhin bewirkte die Bemühung um das ökumenische Gespräch, dass aufseiten der evangelischen Kirche inzwischen eine Klärung der Frage eines eigenen Mariabilds notwendig wurde bzw. immer noch notwendig ist. Somit rückt die Mutter Jesu wieder39 etwas stärker in das 35

TIME vom 21.03.2005, Hail, Mary, 45. In der Tat ist nach GAVENTAs Mary: Glimpses of the Mother of Jesus von 1999 und GAVENTAs und RIGBYs (Hg.) Blessed one: Protestant perspectives on Mary von 2002 in einem relativ kurzem Zeitraum 2004 das dritte – nun vorwiegend systematisch-theologisch orientierte – protestantische Buch Mary, Mother of God (hg. v. C.E. BRAATEN/R.W. JENSON) in Amerika erschienen. 37 BECKER, Maria, 28 (2001!). Vgl. auch U. BERGER, Nachwort, 93: »Seit Jahrhunderten ist Maria bzw. die Marienverehrung einer der Punkte, an denen die Grenze zwischen Protestanten und Katholiken mit am deutlichsten markiert ist.« 38 BEINERT, Himmelskönigin, 77. Über den dennoch existierenden ökumenischen Dialog und Lösungsversuche unterrichtet KÜHN, Evangelische Überlegungen, 342–344. Vgl. auch PETRI, Maria in der Sicht, 398–419. Hervorzuheben ist neben der ökumenischen Untersuchung Mary in the New Testament von 1978 (hg. v. R.E. BROWN u.a., dt.: 1981), Maria – eine ökumenische Herausforderung (hg. v. W. BEINERT u.a.) von 1984. Kaum beachtet ist die Kleinschrift Marienfeste, Wegweiser zum Leben. Ein evangelisch-katholischer Dialog von A. GRÜN/P. REITZ von 1987, die sich das Ziel setzt »von Maria so zu reden, daß es auch für evangelische Christen annehmbar wird« (ebd. 7). Dabei handelt es sich um keine theologische Debatte, sondern die heilende Spiritualität der Marienfeste wird in den Blick genommen. Über das Interesse an Maria in ev. Kommunitäten berichtet mit deutlich römisch-katholischem Blickwinkel 1997 J. SCHUMACHER, Maria in neueren evangelischen Kommunitäten, Sedes Sapientiae 1, 116–129. Hinzuweisen ist, neben dem Evangelischen Erwachsenenkatechismus (213: »Maria gehört [...] in das Evangelium und ist keineswegs nur ›katholisch‹«), weiterhin auf das ökumenisch erarbeitete – von der EKD allerdings nicht zur Rezeption empfohlene – VELKD-Papier Communio Sanctorum (Abs. 253ff) von 2000. Auf ein punktuelles evangelisches Interesse außerhalb des ökumenischen Kontexts verweist der Umstand, dass in der Reihe Biblische Gestalten der Evangelischen Verlagsanstalt für Maria bereits der zweite ntl. Band reserviert wurde (wobei allerdings dessen Ausführung eine mögliche Bedeutung Marias im Protestantismus nicht im Blick zu haben scheint). 39 Über die Bedeutung Marias in den Phasen des Protestantismus vgl. PETRI, Maria in der Sicht, 384–394. Eine spannende Übersicht über protestantische mariologische Versuche und 36

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Blickfeld evangelischer Theologie. Es ist zu hoffen, dass sich diese Entwicklung fruchtbringend fortsetzt und vermehrt die Ebene der evangelischen Gemeinden erreicht. Gerade bei manchen evangelischen Christinnen spielt Maria eine wichtige Rolle – oft aber nur hinter vorgehaltener Hand. »Gerade manche Frauen finden in der Frau Maria eher ein Musterbeispiel gelebten Gottvertrauens als in etlichen biblischen Männergestalten.«40 Demgegenüber steht häufig ein intellektueller Hochmut gegen die als Aberglauben empfundene römisch-katholische Marienfrömmigkeit.41 Diese Situation mag vielerorts ein gewisses Misstrauen gegenüber den Ansätzen marianischer Frömmigkeit in den eigenen Reihen hervorrufen. Es ist zu vermuten, dass sich diese Ansätze bei evangelischen Christinnen auch wirklich eher an der römisch-katholischen Marienfrömmigkeit orientieren (müssen), da eine evangelische Beschäftigung mit Maria – abgesehen von Weihnachten – oft nicht geboten wird.42 Neben den Erfordernissen des ökumenischen Gesprächs, scheint es also auch aus praktisch-theologischer Sicht geboten, sich um ein protestantisches Mariabild zu bemühen.43 Bereits der alte Grundsatz sola scriptura brandmarkt das Schweigen über die in den Evangelien stellenweise wichtige Figur der Maria als Versäumnis. Der Maßstab eines solchen Mariabildes ist nach protestantischer Maxime die biblische Botschaft.44 Ein solches Bild sollte – so das Dokument der VELKD – »immer der Wahrheit verpflichtet«45 sein. Entwürfe ebd. 399–415. Einen kurzen Überblick zur protestantischen Forschungsgeschichte zum Thema im zweiten Drittel des 20. Jh. n.Chr. bietet auch BENKO, Protestanten, 81f. 40 Maria – Evangelische Fragen, 185. Vgl. auch ebd.: »Auf der anderen Seite gibt es evangelische Christen, für die Maria ein Leitbild ist.« Vgl. auch oben zu Anm. 32 (das Identifikationspotenzial Marias im Krippenspiel). 41 Vgl. U. BERGER, Nachwort, 93. Vgl. auch NORRIS, Foreword, xi: »The church in which I was raised had a curious attitude towards Mary, an odd mixture of hubris and bashfulness.« 42 Vgl. dazu die kritischen Töne von PETRI, Maria in der Sicht, 387: »Wenn man befürchtet, Lob und Verehrung, die einem Geschöpf zuteil werden, täten notwendigerweise der Ehre des Schöpfers Abbruch, dann wird man auch dessen nicht froh, was im Rahmen des eigenen Glaubensverständnisses immer noch möglich wäre. [...] Sieht man sich immer wieder mit einer Praxis konfrontiert, in der sich der eigenen Meinung nach fundamentale Irrtümer spiegeln [...] und die man folglich nur als Entartung wahrer Frömmigkeit ansehen kann, dann wird man selbst das kritisch betrachten, was an sich noch als tolerabel erscheinen könnte.« Einen begrenzten Einblick in das Glaubensleben einer protestantischen Christin in Beziehung zu Maria bietet NORRIS, Foreword, ix–xii. Hier sind die Orientierung an der römisch-katholischen Frömmigkeit und das Gefühl, von der eigenen Kirche im Stich gelassen zu werden, gut erkennbar. 43 Vgl. zu Impulsen für die gemeindepädagogische Arbeit: REIPRICH, Maria, 44. 44 Vgl. Maria – Evangelische Fragen, 185. 45 Maria – Evangelische Fragen, 185. An anderer Stelle (ebd. 196) wirft das VELKDDokument »manchen Spielarten römisch-katholischer Mariologie und Marienverehrung« vor, »es mit der historischen Wahrhaftigkeit nicht so ernst« zu nehmen – eine sehr unglückliche Formulierung, impliziert sie doch völlig zu Unrecht, das in dem Papier vorgestellte protestantische Mariabild sei historisch abgesichert (Kindheitsgeschichten!?). VOSS (Katholische Bemerkungen, 147)

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Der Kern der protestantischen Mariologie – wenn man diesen Begriff für den protestantischen Bereich überhaupt benutzen darf 46 – ist die Auslegung von Lk 1,38. »Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast«.47 Verbunden mit dem Magnifikat Lk 1,46ff wird hier ihr Glaube und ihre Demut gegenüber der Gnade Gottes, durch welche sie zur Mutterschaft erwählt wurde, in besonderer Weise sichtbar.48 Der Glaube, der in Marias Antwort – ihrem Ja zum Willen Gottes – erkennbar ist, hat für die Christen Vorbildcharakter.49 Mit ihrer Offenheit und Empfänglichkeit für den Willen und das Wirken Gottes kann sie auch als Bild der Kirche gelten: Sie ist das »Urbild der von Gott angesprochenen Menschheit und vor allem [... das, TR] Urbild der auf diesen Anruf antwortenden Gemeinschaft der Glaubenden«.50 Auf dem Glauben Marias liegt schon der Schwerpunkt des »Marienlob[es] der Reformatoren«.51 Als Theotokos – das Dogma von 431 bleibt von der Reformation in seiner Geltung unberührt – hat sie einen gewissen Anteil an der Heilsgeschichte,52 wenn ihr auch keine selbstständige Heilsbedeutung zukommt.53 Die Grundlagen für eine evangelische Mariologie liegen also in der lukanischen Kindheitsgeschichte. Nun besteht aber mit den Erkenntnissen kritisiert dies zu Recht, obwohl ich ansonsten der exegetischen Begründung seiner Gegenposition (ebd. 143–157) über weite Strecken nicht zu folgen vermag. 46 Vgl. KÜHN, Evangelische Überlegungen, 342: »eine theologische Mariologie hat sich im evangelischen Raum nicht entwickelt.« Vorsichtiger PETRI, Maria in der Sicht, 382: »daß es im Bereich der gegenwärtigen evangelischen Kirchen [...] kaum eine explizite Mariologie gibt.« Vgl. ebd. 386f.394. Mit der engen Verbindung zu Jesus gehört Maria in den Bereich der Christologie (vgl. ebd.). In einer expliziten Mariologie sehen viele protestantische Theologen die Gefahr, dass Maria vom Christusgeschehen losgelöst, mit Christus parallelisiert, vergöttlicht wird. Vgl. ebd. 402 und KÜHN, Evangelische Überlegungen, 347. Ich möchte in meiner Arbeit dennoch den Begriff »Mariologie« benutzen und diesen Begriff eher in einem neutralen Sinn (»Aussagen über Maria«) verstanden wissen. 47 Vgl. dazu aber die Einschätzung Malinas oben 1., Anm. 1. 48 Vgl. Maria – Evangelische Fragen, 186. V.a. das reformatorische Prinzip sola fide begründet eine positive Stellung Marias. Vgl. PELIKAN, Maria, 164. 49 Lukas charakterisiert im christologischen Kontext der Szene Maria als die erste Christin. So BROWN u.a., Maria, 104f. 50 PETRI, Maria in der Sicht, 416. Die Typologie als Urbild bzw. Mutter der Kirche steht – neben ihrer Nachfolge/Glauben – seit den 60er Jahren des vorigen Jh. im Zentrum der modernen römisch-katholischen Mariologie. Vgl. BEINERT, Himmelskönigin, 95–99. 51 So der Titel der Textsammlung von W. TAPPOLET, Das Marienlob der Reformatoren. Zur Stellung der Reformatoren zu Maria vgl.: Maria – Evangelische Fragen, 187; PETRI, Maria in der Sicht, 385ff; PELIKAN, Maria, 163–166; HEINTZE, Maria im Urteil Luthers, 57–68. Eine sehr empfehlenswerte überblicksartige Darstellung der Entwicklung der Mariologie von Luther bis zur Orthodoxie findet sich bei WACKERBARTH, Maria, 73–88. 52 »Für evangelisches Denken ist auch die Rede von der ›Mitwirkung‹ Marias am Heil der Welt (durch ihr ›fiat mihi‹) mitvollziehbar, wenn solche Mitwirkung als ›gnadengewirkte Antwort‹ des Glaubens verstanden wird.« KÜHN, Evangelische Überlegungen, 347. Über weitere theologische Aspekte der »Theotokos« vgl. ebd. 349. 53 Vgl. Maria – Evangelische Fragen, 198.

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der historisch-kritischen Exegese das Problem oder besser die Chance, die Kindheitsgeschichten symbolisch auslegen zu müssen.54 Es handelt sich keinesfalls um historische, sondern theologische Aussagen. Diese haben ihre Berechtigung, sie sind legitimer, notwendiger Ausdruck des Glaubens und der Erfahrung von Menschen mit dem irdischen Jesus und dem erhöhten Christus.55 Die Kindheitsgeschichten wollen in erster Linie nicht sagen, wo genau bzw. wie genau die Geburt Jesu stattfand, sondern sie wollen sagen, wer dieser ist!56 Statt um zeitliche Gegebenheiten geht es um zeitlose »Wahrheiten«. Es ist darum konsequent, dass die Kindheitsgeschichten im Zentrum einer protestantischen Mariologie stehen. Nur kann diese Berechtigung nicht darüber hinweg täuschen, dass eine gewisse Diskrepanz zwischen der Maria in den Kindheitsgeschichten und ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Wirken ihres Sohns, wie es in Mk 3 sichtbar wird, besteht.57 Dieses spüren auch Lukas und Matthäus, die die mk Vorlage des Familienkonfliktes erheblich abmildern. Ein möglicher Ausweg ist hier der Verweis auf Act 1,14. So rechtfertigt Marias Zugehörigkeit zur nachösterlichen Gemeinde die Aussagen der Kindheitsgeschichten – freilich mit Verspätung und nicht bis ins Letzte befriedigend. Meine These von der Anwesenheit Marias in Mk 15,40 kann allerdings einiges zur Klärung dieser Diskrepanz und zu einem evangelischen Mariabild beitragen. Dieses erscheint dabei zeitgemäßer und bietet mit seinen 54 »Die wichtigsten neutestamentlichen Aussagen über Maria tragen indessen deutlich symbolisch-deutende Züge. Das gilt insbesondere von den sog. Kindheitsgeschichten im Mt und Lk, es gilt von der joh Perikope der Übergabe seiner Mutter an den Lieblingsjünger Johannes durch Jesus (Joh 19), es gilt aber auch von der Erzählung vom Weinwunder in Kana (Joh 2).« KÜHN, Evangelische Überlegungen, 348. PETRI (Maria in der Sicht, 392) schreibt v.a. der historisch-kritischen Forschung den Grund für den Bedeutungsverlust Marias im Protestantismus zu. 55 So wehren die Geburtsgeschichten (Jungfrauengeburt) sowohl einer doketischen als auch einer adoptianistischen Fehlinterpretation Jesu. DUFF (Servant, 61f) weist darauf hin, dass bei einer biologischen Interpretation der Jungfrauengeburt, wie sie in fundamentalistischen und evangelikalen Kreisen anzutreffen ist, diese christologische Funktion (»Jesus was this Word made flesh.« Ebd, 62, vgl. Joh 1,14) verloren geht. Gerade die paradoxen Aussagen der Zwei-NaturenLehre können in der paradoxen Aussage der jungfräulichen Mutter ihren Ausdruck finden. (Vgl. WICKERT, Gegrüßet seist du, 31–55). So kann der Sachverhalt »Wahrer Mensch – Wahrer Gott« narrativ vor Augen gestellt werden (vgl. Communio Sanctorum, 120, Abs. 254: »Schon in der Alten Kirche hat es sich als theologisch notwendig erwiesen, Maria als Gottesgebärerin und Jungfrau zu bekennen, um den Glauben an Jesus Christus als wahren Gott und wahren Menschen exakt auszusprechen.«). 56 In diesem Sinn ist auch »Theotokos« kein mariologischer Titel. »Wenn aber die Kirchenväter dieses Wort gebrauchten, dann dachten sie nicht an Maria, sondern an Christus.« BENKO, Protestanten, 118. 57 Sucht man nach einem biblisch abgesicherten positiven Mariabild, wird diese Diskrepanz mitunter nicht beachtet. Vgl. etwa Communio Sanctorum, 253: »Zeit ihres Lebens bleibt sie [Maria, TR] Hörerin des Wortes Gottes und bewegt in ihrem Herzen die Geschehnisse im Leben ihres Sohnes bis hin zum Kreuz.«

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»Ecken und Kanten« ein größeres Identifikationspotenzial als etwa die jungfräuliche Mutter.58 Während auf der Grundlage der anderen kanonischen Evangelien in den letzten Jahren wenigstens eine geringe Anzahl interessanter und bedenkenswerter protestantischer Arbeiten entstanden sind, wurde (und wird) das MkEv bei der Suche nach einem protestantischen Mariabild wenig bzw. überhaupt nicht beachtet.59 Dieser mk Verzicht ist auch auf katholischer Seite zu beobachten. Das MkEv scheint kein Material für eine Hochschätzung Marias zu bieten, sodass das Evangelium in der Mariologie von geringem Nutzen bzw. gar als Störenfried erscheint. M.E. ist dem aber nicht so. Ich möchte nun ausblickartig einige vom MkEv herleitbare Gesichtspunkte nennen, deren breitere Entfaltung allerdings in dieser Arbeit nicht geboten werden kann. Dabei erlaube ich mir, sowohl auf mk als auch auf traditioneller Ebene nach möglichen Typisierungen Marias zu suchen.

2.2 Mariatypologien – Eine markinische Anregung (1) Urbild der Umkehr. Die beschriebene Diskrepanz zwischen der Maria der lk Kindheitsgeschichte und ihrer ablehnenden Haltung gegenüber ihrem Sohn erscheint in der beschriebenen mk Darstellung abgemildert, wenn auch nicht aufgehoben.60 Maria ist – und das möchte man ihr hoch anrechen – nach inneren (Mk 3) und äußeren (Mk 6)61 Konflikten und Auseinandersetzungen mit dem Weg ihres Sohns bereits vor Ostern in die Jesusnachfolge getreten.62 Man kann hier eine bewusste und sicher auch schwer erkämpfte Entscheidung vermuten, die gerade im Erfahrungshorizont familiärer Beziehungen Respekt verlangt. Maria stand nicht von Anfang an hinter dem Wirken ihres Sohns, aber sie stand in der entscheidenden Stunde63 in seiner Nähe (Mk 15,40). Dass Maria nicht immer an der Seite ihres Sohns stand und damit aus christlicher Sicht keine zeitlich unbegrenzte Vollkommenheit beanspruchen 58

Das Ja der lk Maria zum Willen Gottes wird sich in den folgenden Ausführungen auch von der mk Maria aussagen lassen. Es soll im folgenden Abschnitt aber keinesfalls eine Opposition zu den Aussagen der Kindheitsgeschichten aufgebaut werden. Dennoch lohnt sich zunächst ein isolierter Blick auf das MkEv. 59 Darauf wurde oben Teil 1, 2. hingewiesen. 60 Auf der mk Ebene gibt es diese Diskrepanz allerdings überhaupt nicht, da keine Kindheitsgeschichte erzählt wird. 61 Vgl. dazu die kulturanthropologische Darstellung der Ehre-und-Scham-Gesellschaft (s.o. Teil 3, 1.1.2). 62 Zur Frage, ob die Frauen am Kreuz als Jüngerinnen bezeichnet werden dürfen vgl. oben Teil 3, 3.6.1 mit Anm. 481. 63 So explizit bei der joh Version.

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kann, ist alles andere als ein Problem. Ihr Zugang zur Jesusnachfolge kann auch hier im Licht der Umkehr und der Gnade Gottes gesehen werden.64 Wenn Maria als Bild für Kirche und vorbildliche Nachfolge stehen kann und soll,65 ist dieser Verweis auf die Gnade Gottes für ein protestantisches66 Mariabild fundamental.67 Auch in ihrer Unvollkommenheit, d.h. ihrer einstigen ablehnenden Haltung und späteren Umkehr, kann Maria für Christen zum Vorbild oder zur Identifikationsfigur werden. »God does not encounter Mary or any of us as ideals, nor does God transform us into ideals. We are like Mary, real human […], in need of the power of God as we seek to give glory to the One who saves and sustains us in grace. Mary, like all of us, was called not into perfection but into discipleship.«68 Gerade das ambivalente Mariabild im MkEv kann ihre Menschlichkeit und den Ruf in die Nachfolge, den Maria – so weit ich sehe – schließlich befolgt hat, veranschaulichen. Eingedenk dessen kann man vielleicht auch als Protestant den Begriff Mariologie benutzen, ohne in Verdacht zu geraten, Maria vom Christusgeschehen abzulösen.69 »Maria – Urbild der Umkehr« ist ein ungewohntes Bild für die Mutter Jesu und reibt sich an mancher traditionellen Vorstellung.70 Vermutlich liegt in ihm aber ein großes paränetisches und pastorales Potenzial. Dass auch eine durch-und-durch »römisch-katholische Seele« ein ähnliches menschliches 64

Vgl. dazu DUFF, Servant, 59–68. Besonderer Schwerpunkt ist bei Duff allerdings Lk 1,28 mit seiner besonderen Betonung der Gnade. 65 Vgl. oben Anm. 50 und die nachfolgenden Gedanken. 66 Auch die moderne römisch-katholische Mariologie ordnet entsprechend dem Glauben der alten Kirche Maria der göttlichen Gnade unter. So SCHÜTTE, Maria und die Einheit, 119ff. 67 Dies kommt schon in Lk 1,30 zum Ausdruck und wird im Kontext dieser Stelle – angefangen bei Luther – von protestantischer und in neuerer Zeit auch römisch-katholischer Seite betont. 68 DUFF, Servant, 65 (kursiv: TR). Vgl. auch ebd. 66: »When Mary is understood as the perfect model, we who are not perfect are doomed to endless striving toward that which we cannot achieve.« Über die Gefahren der »vollkommenen« Maria im Bezug auf die Kirche vgl. ebd.: »First, one forgets that the church is as sinful an institution as any other (an error that courts arrogance and self-deception). Second, one calls the church to live up to a perfection impossible in this world (an error that courts futility and perpetual guilt). […] Instead of arrogance or hopeless futility the church is defined by hope in the grace and promises of God.« 69 Ob eine solche Ablösung – wie von vielen Protestanten befürchtet – in der modernen römisch-katholischen Mariologie (ab Mitte des 20. Jh) vollzogen wird/ist, muss hier nicht erörtert werden. Es lohnt sich aber vielleicht, diesen Verdacht auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Vgl. dazu z.B. die (römisch-katholische) Darstellung von SCHÜTTE, Maria und die Einheit der Christen, 120–124. Zum grundsätzlichen Verständnis der Entwicklung altkirchlicher und katholischer Mariologie vgl. die knappen und leicht zugänglichen Darstellungen von WICKERT, Gegrüßet seist du, 39–46 (alte Kirche) und BEINERT, Himmelskönigin, 75–116 (Neuzeit). Die Lektüre des letztgenannten Aufsatzes möchte ich der Leserin und dem Leser besonders an Herz legen. 70 Gerade das Immaculata-Dogma von 1854 bzw. die theologische Vorstellung der Erbsündenfreiheit Marias, die dahinter steht, ist mit meinen Gedanken schwer vereinbar. Sie sind aber in exegetischer Verantwortung formuliert.

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Impulse für ein protestantisches Mariabild

Mariabild mit »Ecken und Kanten« erstrebenswert findet, zeigt die hl. Therese von Lisieux: »Man dürfte von ihr keine unwahrscheinlichen Dinge sagen, die man nicht bestimmt weiß [...]. Damit eine Predigt über die Gottesmutter Frucht bringen soll, muß ihr wirkliches Leben vor Augen gestellt werden, so, wie das Evangelium es tut [...] Man errät leicht, daß ihr Leben in Nazareth und auch später, ganz einfach verlief [...]. Die Gottesmutter wird uns (sozusagen) als unnahbar vorgestellt. Es wäre besser, sie uns als nachahmbar vor Augen zu führen [...]. Wenn man eine Predigt über die allerseligste Jungfrau hört, dann ist man von Anfang bis zum Ende gezwungen, innerlich auszurufen: Oh, Oh ..., [...] alles das trägt keineswegs dazu bei, zur Liebe und Nachahmung anzueifern.«71

(2) Garantin von Passion und Osterbotschaft. Mit einem isolierten Blick auf das MkEv (und JohEv) lässt sich die soeben geschilderte Beobachtung noch präzisieren. Während im MtEv und LkEv Maria ihren Platz bei der Geburt Jesu hat, nimmt sie diesen im MkEv und z.T. JohEv als Zeugin von Tod und Auferstehung (leeres Grab) ein!72 Unter Beachtung des Erzählgefälles des MkEv mit seiner besonderen Gewichtung der Passion könnte man sogar von einem heilsgeschichtlichen Bedeutungszuwachs sprechen. Mit Gaventa73 ist darauf hinzuweisen, dass dieser Wechsel des Blickwinkels zu einer weitaus weniger sentimentalen bzw. sich auf die Weihnachtszeit beschränkenden Beschäftigung mit Maria führen kann. Dabei ist allerdings zu beachten, das die Beteiligung einer »Theotokos« und einer Zeugin am heilsgeschichtlichen Drama doch recht verschieden ausfällt. Allerdings sind die Frauen um Maria für Markus die einzigen Garantinnen für die Kontinuität über den Bruch des Karfreitags hinaus. Die Nachricht von der Auferstehung ergeht zunächst nur an die drei Frauen, nur sie werden mit der Verbreitung der Osterbotschaft betraut. Dieses ist vielleicht als eine Art Pendant zur Theotokos zu sehen. Als diese ist – in traditioneller antidoketischer Sicht – Maria Garantin für die Inkarnation Gottes, am Ende des MkEv wird sie innerhalb einer Gruppe dreier Frauen zur Garantin für die Auferstehung.74 Da eine Himmelfahrt im MkEv offenbar nicht im Blick ist, wird man hier den Weg zur »Rechten der Kraft« (Mk 14,62) an die vom Jüngling verkündigte Auferstehung koppeln dürfen.75 71

MARTIN, Worte, 100–102. GAVENTA (Standing, 50–56) versucht allerdings zu zeigen, dass auch im MtEv und LkEv das Kreuz in den marianischen Szenen sichtbar wird. 73 GAVENTA, Standing, 47 (im Blick ist nur das JohEv). 74 Die Garantie, dass das leere Grab auch das Grab des Begräbnisses ist, hat bei der fehlenden Ostererscheinung noch einmal eine besondere Bedeutung. 75 Ich stütze mich bei der Frage einer Präexistenzchristologie, Inkarnation, Auferstehung im MkEv auf die immer noch bedenkenswerte Darstellung von SCHENKE, Mk (1988), 85f.113ff. 72

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(3) Vorbild in der Nachfolge. Maria gehörte zu den Anhängerinnen des irdischen Jesus.76 Sie teilt damit die Bedeutung und das Ansehen aller Jünger. Nicht nur für die feministische Theologie dürfte dieser Punkt wichtig sein.77 Wie bereits gesagt, spielt Maria mitunter auch darüber hinaus bei evangelischen Christinnen eine wichtige Rolle. Für diese ist die Nachfolge Marias sicher bedeutsam. Neben den von den meisten Exegeten als sekundäre Züge interpretierten Aussagen in Joh 2,1ff.12 und Joh 19,25–27 zeigt auch Mk 15,40 Maria als Nachfolgerin des vorösterlichen Jesus. M.E. ist diese Charakterisierung sehr alt, evtl. reflektiert sie historische Erinnerungen. Auf der mk Ebene erhält die Frauengruppe um Maria dann eine besondere Bedeutung, die am Ende des Evangeliums die der männlichen Jünger übersteigt. Mk Nachfolge bedeutet v.a. Hinter-Jesus-Hergehen – und zwar mit dem Zielpunkt Golgatha.78 Das allerdings beherzigen einzig die Nachfolgerinnen um Maria.79 Mit Blick auf Mk 10,43 qualifiziert auch die Erwähnung des Dienens in Mk 15,41 die Frauen zu den »Großen« in der Nachfolge. Relativiert wird diese weiterreichende Nachfolge allerdings durch die Bemerkung, dass sie »von ferne« der Kreuzigung beiwohnen (15,40)80 und durch das Versagen der Frauen am offenen Grab in 16,8. Trotz ihres Schweigens ist aber die ausschließlich an die Frauen ergangene Osterbotschaft bis zu der mk Leserschaft vorgedrungen. »Für den Kreis der markinischen Rezipientinnen und Rezipienten war schon durch die Existenz des Evangeliums deutlich, daß die Frauen ihre Erfahrungen am Grab und ihren 76

Vorausgesetzt, man bezeichnet Maria von Magdala als Nachfolgerin. Vgl. aber auch oben Teil 2, 1.6.2: Mit der gewählten Begrifflichkeit in Mk 15,41 (əƯƳưƳƸƭˀƼ, ƩƮƦƯƳƱˀƼ) versteht zumindest Markus die Frauen als Nachfolgerinnen. Vgl. auch JOHNSON, Standing, 42: »When Mary, James, and Joses return to Jesus’ family circle at the end of Mark [Mk 15,40 etc, TR], they come as disciples«. Ob man mit Johnson die Jüngerschaft von Jakobus und Joses aus dem mk Text herauslesen darf, ist unsicher, auch wenn dies mindestens bei Jakobus nachösterlich zutrifft. Die Namen dienen aber v.a. der Näherbestimmung der Mutter. 77 Erstaunlicherweise ist für die feministische Theologie eine positive Beschäftigung mit Maria alles andere als selbstverständlich. MILLER-MCLEMORE (Pondering, 102) urteilt sogar: »The feminist movement is also partly responsible for the growing neglect of Mary.« Die »Jungfrau Maria« wird nicht selten von Feministinnen als Mythos patriarchalischer Strukturen, Sexualfeindlichkeit etc. gewertet. Für einen Überblick vgl. ebd. 102–104 oder MULACK, Maria, 151–155. 78 Vgl. etwa Mk 8,34 im Kontext. Vgl. auch oben Teil 2, 1.1.3, Anm. 40. 79 Mk 14,50–53.66–72 gegen 15,40f, v.a. V. 41b. Ähnlich – hier im Gegensatz zu Petrus – kann auch die Anwesenheit Marias im JohEv verstanden werden: »she may nevertheless instruct readers about the place of believers at the cross. By contrast with Peter’s denial of Jesus, his mother and her companions serve as the first witnesses to the fulfillment of Jesus’ prophecy that he would be ›lifted up‹ (John 3:14; 8:28; 12:32).« GAVENTA, Standing, 50. 80 Also keine Nachfolge direkt bis zum Kreuz. Vgl. aber dazu oben Teil 2, 1.6.1 mit Anm. 293: Für diesen Reflex aus der LXX (Ps 37,12) kann das Motiv der passio iusti, weniger eine Charakterisierung der Frauen, ausschlaggebend sein.

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dort erhaltenen Auftrag nicht auf Dauer verschwiegen haben konnten.«81 Nach Crossan ist ihr Versagen durch Markus parallel zum Versagen der Jünger gestaltet.82 Den abwesenden männlichen Anhängern stehen die Frauen jedenfalls dadurch nicht nach und in Anbetracht des mediterranen Frauenbilds (honour/shame) tritt die Nachfolge der Frauen wesentlich stärker hervor als die der Männer.83 Hat Maria also auch bei der Frage der Stellung der Frau in der Gemeinde etwas zu sagen? (4) Aktive Frau in der Gemeinde. Die abschließende Frage des vorhergehenden Absatz ist positiv zu beantworten. Mit Hilfe kulturanthropologischer Überlegungen und eines Vergleiches zu den mt und lk Kindheitsgeschichten wird dies deutlich. Verbindet man die sexuelle Ausschließlichkeit bzw. die Jungfräulichkeit als Symbol der Weiblichkeit in der mediterranen Welt mit der Wertschätzung der Frau als Mutter eines männlichen Nachkommens, zeigt sich, dass die paradoxe mt/lk Aussage der jungfräulichen Mutterschaft Marias aus heutiger westlicher Sicht von kaum nachvollziehbarer Qualität war. Sie erwies Maria als ganz besonders ehren- bzw. schamhaft, als ideale Frau, die sich gemäß dem ihr zugeschriebenen Platz und der ihr zugeschriebenen Funktion verhält.84 Schon hier stellt sich die Frage, ob die traditionelle Sicht Marias als »reine Mutter« für unsre westliche Kultur noch besondere Bedeutung haben kann oder ob v.a. andere Aspekte Marias herausgestellt werden müssen. Hinzu tritt ihre in den Kindheitsgeschichten dargestellte Passivität und Unterwürfigkeit. Diesen Punkt betont Bruce Malina in seinem Aufsatz Mother and Son. Demnach könnte Lk 1,38 als Analogie zur mediterranen sexuellen Unterwürfigkeit der Frau gelesen werden.85 Kritisch anzumerken ist hierbei allerdings, dass theologische Aussageabsichten, wie etwa die christologische Dimension des Paradoxons der Jungfrauengeburt bei Malinas Darstellung keinerlei Beachtung finden. Gerade das ist gefährlich, da hier die Intention der ntl. Rede von der Jungfrauengeburt zu suchen ist.86 Führt man aber dennoch den Gedanken Malinas weiter, bestätigt sich, dass die Maria der Kindheitsgeschichten auf ihre traditionelle mediterrane Rolle 81 BÖHM, Wo Markus, 82. Vgl. auch JOHNSON, Mother, 41. Zur grundsätzlichen Frage nach dem Motiv des Nachfolgeversagens im MkEv vgl. MALBON, Fallible, 29–32(ff). Ihre Grundthese ist, dass die verschiedenen Nachfolgegruppierungen – darunter die Frauen – und das partielle Versagen dieser Gruppierungen der Leserschaft zeigt, dass Nachfolge weder abgeschlossen noch leicht ist: »anyone can be a follower, no one finds it easy.« Ebd. 29. 82 CROSSAN, Wer, 225. 83 Vgl. oben Teil 2, 1.6.3. 84 Dass diese Rollenzuweisung im LkEv aber nicht im lk Interesse liegen dürfte, zeigt Lk 11,27f. 85 MALINA, Mother, 56. 86 Diese Gefahr besteht auch bei einer biologischen Interpretation der Jungfrauengeburt.

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festgelegt zu sein scheint. Besonders deutlich erscheint dies in der mt Version, wo allein dem Mann bzw. dem Heiligen Geist eine aktive Rolle zufällt. Maria hat zu empfangen und zu gebären, wird vom Mann (beinahe) verlassen, von ihm aufgenommen, beschützt, von Ort zu Ort geführt.87 Ganz anders erscheint hingegen die mk Maria. Ihre Funktion als Mutter hindert zunächst ihren Zugang zur Jesusnachfolge, erfährt also eine negative Bewertung. Mk 3 und 6 versuchen nicht, Maria auf ihre angestammte Rolle festzulegen, sondern die Texte kritisieren ihr eigenes Festgelegtsein bzw. das Rollendenken der Nazarener, welches den Blick auf die Gottessohnschaft Jesu verbaut. In 15,40 wird sie zwar als Mutter von Jakobus und Joses charakterisiert, ihre Funktion hat sich aber deutlich verändert. Ihren traditionellen Platz im galiläischen Haus bzw. Dorf hat sie mit vielen anderen Frauen (15,41) bereits verlassen. Im Bezug auf Jesus hat Markus ihre Mutterrolle gegen eine Nachfolgerolle getauscht. Die ihr und ihren Begleiterinnen zugedachte Zeugenfunktion ist im mediterranen Kontext eine Männerdomäne – Markus überlässt sie den Frauen. Am Schluss erhalten sie sogar eine Art Verkündigungsauftrag, dessen implizierter Inhalt zentrale christliche Botschaft und Zielpunkt des MkEv ist. Die Frauen werden zu dem ausschließlich männlich besetzten Jüngerkreis gesandt, um die Auferstehung zu verkündigen und weitere Verhaltensweisungen zu übermitteln (16,7). Trotz ihres Versagens wird deutlich, dass die mk Maria und ihre Begleiterinnen auf eine aktive Rolle von Frauen in der Gemeinde, einschließlich Verkündigung, vielleicht sogar leitender Funktionen,88 verweisen können. (5) Modell der Opferbereitschaft. In der mk Interpretation musste Maria ihre Mutterschaft89 aufgeben, um zur neuen Familie Jesu gehören zu können. Sie 87 S.o. Teil 3, 3.10: Auch in den Deuteropaulinen, speziell den Pastoralbriefen zeigt sich eine analoge Begrenzung der Rolle von Frauen. Ihre Funktion ist zu gebären und diese Funktion wird als heilsrelevant dargestellt (ƶƼƭ˂ƶƪƷƦƮ Ʃʿ ƩƮʽ Ʒ̏Ƶ ƷƪƯƱƳƨƳƱ˄ƦƵ – 1Tim 2,15!). Eine aktive Rolle in der Gemeinde ist hingegen ausgeschlossen (1Tim 2,11ff). 88 Vgl. dazu MAYER-SCHÄRTEL, Frauenbild, 380, die darauf hinweist, dass in der feministischtheologischen Forschung überlegt wird, ob das ƩƮƦƯƳƱˀƼ von 15,41 auch im Sinn einer leitenden Funktion in der urchristlichen Gemeinde interpretiert werden kann. Vgl. dazu Mk 9,35; 10,43. OSIEK/BALCH, Families, 128 gehen davon aus, dass die mk Gemeinde »women leaders« hatte. Da ich die mk Gemeinde als liminale Gemeinschaft mit einer höchstens rudimentären Struktur bestimmt habe, erscheint mir die Frage nach der Besetzung von Leitungsgremien etc. eher nebensächlich. Die klare Aussage weiblicher Gemeindeleiterinnen scheint der Text nicht zuzulassen. Leitende Funktionen von Frauen sind aber denkbar. 89 Man könnte ergänzen, dass bereits die Mutterschaft als solche mit Opferbereitschaft verbunden sein kann. Mit diesem Thema beschäftigt sich z.B. B.J. MILLER-MCLEMORE: »Pondering all these things«: Mary and motherhood (97–114) im Sinn einer »feminist maternal theology«. Andererseits zeigen die kulturanthropologischen Einsichten den Nutzen männlichen Nachwuchses für die Mutter.

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entlässt ihren Sohn aus den familiären Bindungen und kann ihn so – und nur so – als Sohn Gottes wahr- und annehmen. Damit hat sie die allgemeine Erfahrung, die in dem Sprichwort Mk 6,4 zum Ausdruck kommt, überwunden. Die Opferbereitschaft, die ihr in der traditionellen Marienfrömmigkeit zugestanden wird, hat hier eine textliche Grundlage. Maria opfert ihre Stellung als Mutter, d.h. sie opfert ihren Sohn – natürlich auf der Ebene der familiären Beziehungen. Ist es legitim, möglicherweise auch hier Linien zum »Vater des Glaubens« (Röm 4,1ff; Gal 3,6ff: vgl. Jak 2,21ff) zu ziehen, der – allerdings auf einer deutlich anderen Ebene – bereit ist, seinen Sohn Gott zu opfern (Gen 22,1–18)?90 Dieses Opfer Marias wäre in diesem Fall wesentlich aktiver vollzogen als die Hingabe ihres Sohns ans Kreuz, für die sie nun wirklich nicht zuständig ist.91 Ich werde im übernächsten Punkt diesen Gedanken wieder aufnehmen. (6) Mater Dolorosa. Damit zusammenhängend kann auch die traditionelle Sicht Marias als Mater Dolorosa92 mit meinen Ergebnissen historischkritisch gestützt und mit einer erweiterten Textgrundlage untermauert werden. Traditionell werden Lk 2,35 und Joh 19,25–27 für dieses Motiv herangezogen. Zu Recht kritisiert Becker, dass beide Textstellen diese Typisierung eigentlich nicht rechtfertigen.93 Somit fehlt der Typisierung eine biblische Grundlage. Die einzige Möglichkeit wäre die Analogie üblicher Empfindungen von Müttern beim Tod ihrer Kinder. Eine solche Analogie lässt sich aber nur aufstellen, wenn die Anwesenheit Marias am Kreuz eine historische Basis oder zumindest historische Wahrscheinlichkeit hat. Eine solche ist aufgrund meiner Untersuchung am MkEv denkbar. Somit ermöglicht das MkEv – und von ihm gestützt auch das JohEv – eine solche Interpretation (vgl. Marias implizierte Anteilnahme in 15,40.47 und 16,1–3). Die mögliche seelsorgerliche Bedeutung dieser Typisierung muss hier nicht eigens entfaltet werden. Beim Tod eines Kindes oder eines geliebten 90 PELIKAN (Maria, 166) beschreibt Luthers Parallelisierung zwischen Abraham und Maria: »Aber der Glaube Abrahams, der ihn veranlaßte, Ur in Chaldäa zu verlassen und im Gehorsam gegenüber dem Wort und Versprechen Gottes ins Unbekannte hinein aufzubrechen, ihm sodann die Bereitschaft gab, seinen einzigen Sohn zu opfern – dieser Glaube wurde vom Glauben der Jungfrau Maria übertroffen, die ebenfalls ihren Sohn Gott zum Opfer brachte.« Anders DÜFEL, Luthers Stellung, 210: Abraham stand gegenüber Maria in einer größeren Anfechtung. 91 Vgl. folgende Anmerkung. 92 Zu diesem Motiv vgl. PELIKAN, Maria, 131ff: Durch ihre Seele dringt bei der Kreuzigung ein Schwert (Lk 2,35 und Joh 19,25–27). Sie beweint den Tod Christi, da er ihr Sohn ist und sie begrüßt ihn, da er ihr und der Welt Erlöser ist (Opferbereitschaft! s.o.). Das Bild der »Schmerzensmutter« kommt v.a. auch in dem Gedicht Stabat Mater zum Ausdruck (vgl. PELIKAN, Maria, 133). 93 BECKER, Maria, 191ff.212: Joh 19 schweigt über Gefühlsregungen; Lk 2,35 denkt nicht an das Kreuz.

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Menschen kann die Schicksalsgemeinschaft mit Maria von tröstender Qualität sein.94 Ganz plastisch wird dies etwa in der Dresdener Katholischen Hofkirche. In der dortigen Gedächtniskapelle, die an die Opfer des Zweiten Weltkriegs – speziell an die Opfer der Bombardierung Dresdens vom 13.–15.2.1945 erinnert, findet sich eine moderne kreuzförmige PietaSkulptur aus Meißner Porzellan. Der Leichnam liegt – so scheint es – auf Marias Knien bzw. Füßen, in den Händen hält sie stattdessen die Trümmer des Kriegs. Ihre Trauer gilt nun den Schrecken und den Leiden des Krieges. Aufgrund des besonderen Ortes verbindet sich das Leid der Mutter Jesu mit dem Leid der Menschen dieser Stadt, die bei den Bombardierungen ihre Angehörigen verloren haben.95 Mit Blick auf das JohEv96 legt Gaventa auf das Leidensmotiv besonderen Wert. Es geht hier keineswegs nur um eine emotionale Charakterisierung der Mutter Jesu. Nach Gaventa ist Maria nur vom Kreuz her richtig zu verstehen. Der Tod Jesu ist in den ntl. Schriften immanent mit seiner Identität als Messias verbunden. »As bearer […] of this Messiah, Mary also can only be understood in light of his cross.«97 Marias Kummer verweist auf den Skandal »at the heart of the gospel«: Gottes gute Taten stoßen immer wieder auf Missverständnis und Ablehnung. Mit Marias Position am Kreuz können sich die Christen neben der leidenden Welt und ihrem verwundbaren Gott finden.98 Und: Maria ist »in ihrer gesamten Existenz bis hin unter das Kreuz Vorbild der leidenden Kirche, all der Christen, die in Not und Verfolgung in der Nachfolge Christi glauben.«99 (7) Mutter im Glauben. Maria erscheint im MkEv m.E. symbolisch als Mitglied einer familiären Gemeinde. Mit Blick auf Mk 3,35 gehört sie 94 Vgl. dazu die Erfahrungen von Mary Burks-Price in der TIME Titelstory »Hail, Mary«, 48; ferner die Verbindung zu den im Irak gefallenen Söhnen ebd. 49. 95 Vgl. die Abbildung unter www.bistum-dresden-meissen.de/Detailed/1190.html (aufgerufen: 24.4.2007). In diesem Zusammenhang kann auch auf das bekannte Bild von Wilhelm Lachnit »Der Tod von Dresden« (Galerie Neue Meister, Dresden, vgl. www.dresden-und-sachsen.de/dresden/ks_galerie_neuemeister_bsp.htm; aufgerufen: 24.4.2007) hingewiesen werden. Explizit ist hier nicht Maria dargestellt, aber bei der Darstellung des Leides und der Verzweiflung lehnt er sich stark an das Pieta-Motiv an. Diesen Zusammenhang stellt der Ausstellungskatalog Maria im Abseits? Mariendarstellungen nach 1945, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier 2003, 18 her. 96 Vom JohEv aus sieht Gaventa auch im MtEv und LkEv die Verbindung Marias mit dem Kreuz. Es sind also letztlich alle drei Evangelien im Blick. Das MkEv lässt sie allerdings – wie auch in ihrem Buch Mary: Glimpses of the Mother of Jesus, dessen wesentliche Gedanken der hier zitierte Aufsatz Standing Near the Cross beinhaltet – außen vor. 97 GAVENTA, Standing, 56. 98 Vgl. GAVENTA, Standing, 56. 99 SCHÜTTE, Maria und die Einheit, 133. Er stützt seine Deutung aufs LkEv.

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später zu denen, die Gottes Willen tun. Die Aussage ihres vorbildlichen Glaubens, d.h. ihres Fügens in den Willen Gottes, welche traditionell auf Lk 1,38 beruht,100 hat also implizit auch im MkEv einen Anhaltspunkt. Allerdings befindet sie sich hier innerhalb der familia dei. Die besondere Betonung ihrer Person von Lk 1,28ff fehlt. Positiv kann dieser Gesichtspunkt gerade auch in seiner Betonung des Gemeinschaftsgedankens etwas zu der traditionellen Sicht Marias als Bild der Kirche sagen.101 Mit dem Übertritt in die familia dei illustriert Maria mk Ekklesiologie. Mit der von Markus auferlegten Unterordnung ihres Anspruchs als leibliche Mutter zeigt und respektiert sie, was Gemeinde idealerweise ist: Die geistige Verwandtschaft durch die gemeinsame Ausrichtung auf den Willen Gottes (3,35), die familiäre – nicht nur brüderliche – Gemeinschaft untereinander102 und, da Gott in der mk Gemeinde den Platz des pater familias einzunehmen scheint (10,29f s.o.; 11,25), die Gehorsam fordernde aber Geborgenheit schaffende Gemeinschaft mit ihm. Hier ist nun der Platz für die traditionelle Bezeichnung Marias als »Schwester im Glauben«.103 Diese Bezeichnung kann vielleicht aus mk Perspektive zur »Mutter im Glauben« modifiziert werden.104 So lässt sich Mk 3,31–35 und 10,29f (vgl. Lk 11,27f) konkret auf Maria anwenden: Sie opfert den Anspruch der leiblichen Mutter und wird im Glauben wahre Mutter. Die vorangegangenen Typisierungen als Urbild der Umkehr, Vorbild in der Nachfolgte, Modell der Opferbereitschaft und Mater Dolorosa fließen in dem Bild »Mutter im Glauben« zusammen.

100 Vgl. z.B. Maria – Evangelische Fragen, 186: »Maria wird gezeichnet als die, die zu Gottes Willen Ja sagt«. Maria ist für Lukas im christologischen Kontext der Verkündigung die erste Christin (so BROWN u.a., Maria, 105). Vgl. dazu aber, wie MALINA (s.o. 1., Anm. 1) dieses »Ja« in den Bereich der mediterranen Alltäglichkeiten rücken kann. 101 Dieses Bild, welches sich v.a. auch auf Joh 19,26f stützt, wird allerdings von BENKO (vgl. sein Kap. 6: »Maria als die Figur der Kirche« in: Protestanten, 81–125) aus exegetischer Sicht (zu) heftig kritisiert. »Da aber der ›Lieblingsjünger‹ ganz gewiß die Kirche bedeutet, so kann Maria [im Blick auf den joh Dualismus, TR] nichts anderes als die Synagoge vertreten. [...] Alle diese Texte [Mk 3,20f.31–35 parr, TR] schildern sie [Maria, TR] als jemanden, der außerhalb der messianischen Gemeinde steht, ein Kontrast zu denen, die das Wort Gottes hören und seinen Willen tun.« Ebd. 92f. »Aus Apostelgeschichte 1,14 kann man nichts Positives herausholen.« Ebd. 92, Anm. 37. Ich stelle Benkos überzogen wirkendes Urteil dar, um zu zeigen, dass die mk Impulse zur Mariologie durchaus nicht überflüssig sind. 102 Diesen Aspekt drückt auch Joh 19,26f aus. Vgl. auch KÜHN, Evangelische Überlegungen, 350; Maria – Evangelische Fragen, 186f. Vgl. auch Act 1,14. 103 Vgl. z.B. Communio Sanctorum, 120, Abs. 253; DIRKS, Königin, 181ff. 104 Die Frage ist, wie man Mk 10,29f interpretiert: Erhalten die Nachfolgerinnen und Nachfolger eine Mutter in der familia dei oder werden sie selbst für andere zur Mutter? Erstes ist eine Zusage für Christen, die ihre Familie verlassen. Zweites mag als paränetische Aufforderung an die Mitglieder der bereits bestehenden familia dei gelten.

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2.3 Bewertung Es bleibt die Frage, ob diese Aspekte das ökumenische Gespräch positiv beeinflussen können. Als entscheidender Differenzpunkt zwischen römischkatholischem Verständnis und den Ergebnissen meiner Arbeit bleibt die Interpretation der Geschwister Jesu bestehen. Wie bereits gesagt,105 ist es bei der römisch-katholischen »Vetterntheorie« von zentraler Bedeutung, dass es sich bei Maria in Mk 15,40 um eine von der Mutter Jesu zu unterscheidende Frau handelt. Darüber hinaus befassen sich meine Überlegungen nicht direkt mit den im ökumenischen Gespräch strittigen Punkten. Allerdings können die Ergebnisse dieser Arbeit für das evangelische Mariabild wichtig sein und die Bedeutung Marias innerhalb der evangelischen Theologie und Kirche erhöhen. Vielleicht wäre es verstärkt möglich, sich bei der Entwicklung der eigenen Mariologie weniger auf die im Spannungsfeld Reformation-Gegenreformation gewachsene Abgrenzung von der römisch-katholischen Mariologie und Frömmigkeitspraxis zu konzentrieren,106 dafür aber auf den exegetischen Befund. Die von römischkatholischer Seite kritisierte und von evangelischer Seite zugestandene minimalistische Mariologie könnte ausgebaut werden. Obwohl bisher bei dieser Frage kaum beachtet, kann auch (und bei historisch-kritischen Vorbehalten: vor allem) das MkEv wichtige Aspekte einbringen bzw. bereits bekannte stützen und konkretisieren. Wie bereits gesagt: Der protestantische Grundsatz sola scriptura lässt sich wohl kaum damit vereinbaren, dass über eine von vier bzw. fünf ntl. Schriften107 behandelte und theologisch ausgedeutete Person geschwiegen wird. Somit wäre ein positiver Einfluss auf das ökumenische Gespräch dennoch denkbar und möglich: Ein Streit kann fruchtbringender sein, wenn zwei verschiedene positiv formulierte Standpunkte zur Debatte stehen, als nur eine Position und deren Negierung. Schließlich wäre die protestantische Seite in der Lage, neue Aspekte und neue Begründungen zur Bedeutung Marias anzubieten und einzubringen.

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Vgl. oben Teil 3, 1.3. »Daß die katholische Lehre und Praxis den Hintergrund für viele evangelische Äußerungen darstellt, ließe sich durch viele Zeugnisse belegen.« Petri, Maria in der Sicht, 394. 107 Mt 1f; Lk 1f; 11,27f; Mk 3,20f.31–35; 6,1–6a; 15,40.47; 16,1–8; Joh 2,1–11; 19,25–27; Act 1,14; evtl. Gal 4,4; nicht aber Apk 12. 106

3. Zusammenfassung: Die markinische Maria von Nazareth Zusammenfassung: Die markinische Maria von Nazareth Prinzipiell kamen in meiner Untersuchung der mk Maria zwei verschiedenen Gesichtspunkte bzw. Ansätze zur Sprache. Auf der einen Seite wurde die Motivation des Evangelisten in Augenschein genommen, Maria in Mk 15,40.47; 16,1 nicht als Mutter Jesu zu charakterisieren. Auf der anderen Seite richteten sich meine Überlegungen auf die Konsequenzen der vormk Anwesenheit Marias am Kreuz und/oder Grab. Auf der redaktionellen Ebene spielt Maria im MkEv eher die Rolle einer Statistin. In Mk 3 bietet sie im Kreis ihrer Söhne den Anlass für die Absage Jesu an seine Familie – die Trennung erfolgte bereits mit und nach der Taufe – und für die Einsetzung der familia dei. Mit der Entkleidung ihrer Mutterschaft am Kreuz kann er ihre in der Passionstradition verankerte Nachfolge stehen lassen und sie in die von ihm gezeichnete theologische Linie einfügen und so seine Intention veranschaulichen. Im weiteren Verlauf nimmt sie immerhin die Position einer Osterzeugin ein und tritt auch aktiv in Erscheinung.108 Auf der traditionellen und möglicherweise auch historischen Ebene zeigt sich Maria als eine aktive Frau, die ihre ursprüngliche Ablehnung des als skandalös (Mk 6,3) empfundenen Weges ihres Kindes und seine Abkehr von der leiblichen Familie überwindet und bereits vor Ostern in die Jesusnachfolge tritt. Zu Karfreitag steht sie inmitten einer Gruppe von Nachfolgerinnen. Ob dabei eine Zustimmung zu seiner Botschaft und seinen Taten oder die Mutterliebe ausschlaggebend war, lässt sich schwerlich entscheiden. Wahrscheinlich sind aber beides überhaupt keine Alternativen. Somit erscheint Maria in und zwischen den Zeilen des Evangeliums als »große« Frau, die – nach anfänglicher Ablehnung – ihren Lebensweg mit dem ihres Sohns verbindet. Dem alles entscheidenden Ruf des MkEv in die Nachfolge – dem »Hinter-Jesus-Nach-Golgata-Gehen« – hat sie schließlich Folge geleistet.

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»Schauen« kann durchaus eine aktive Tätigkeit sein.

Literatur

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Abkürzungen und Verweise

ZAHN, THEODOR, Brüder und Vettern Jesu, in: ders., Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons und der altkirchlichen Literatur 6, Leipzig 1900, 225–363. ZANGENBERG, JÜRGEN, Das Galiläa des Josephus und das Galiläa der Archäologie.Tendenzen und Probleme der neueren Forschung, in: Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 25.–28. Mai 2006, Greifswald, hg. v. Christfried Böttrich/Jens Herzer unter Mitarbeit v. Torsten Reiprich, WUNT 209, Tübingen 2007, 265–294.

5. Sonstiges Maria im Abseits? Mariendarstellungen nach 1945 (Ausstellungskatalog), Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier 2003. OCHMANN, FRANK, Jesus. Die Wahrheit hinter der Legende, Der Stern, 17.12.02, unter: www.stern.de/wissenschaft/natur/501604.html?=sml, aufgerufen: 7.2.2006. SILBERMANN, NICOLE, Hatte Jesus von Nazareth einen Bruder namens Jakobus? Die Welt, 24.12.02, unter: www.welt.de/data/2002/12/24/27680.html, aufgerufen: 7.2.2006. VAN BIEMA, DAVID, Hail, Mary, TIME, 21.03.2005 (Bd. 165, Nr. 12), 42–49.

Abkürzungen und Verweise Verweissystem: Verweise beziehen sich auf die Kapitelnummerierungen des jeweiligen Teils des Buches. Erfolgt der Verweis auf einen anderen Teil, ist dies zusätzlich vermerkt. Steht nur eine Anmerkungsnummer, bezieht sich der Verweis auf eine Fußnote innerhalb des (übergeordneten) Kapitels. Abkürzungen: Bibliografische Angaben sowie die Schriften von Flavius Josephus und Philo von Alexandria werden nach dem TRE-Abkürzungsverzeichnis, (2. Aufl.) abgekürzt. Biblische, sonstige frühjüdische und antike Schriften werden nach dem inzwischen separat vorliegenden Abkürzungsverzeichnis der RGG4 abgekürzt oder – sind sie dort nicht aufgeführt – ausgeschrieben. Die von RGG4 vorgeschlagenen Abkürzungen der Autorennamen unterbleibt jedoch. Davon abweichend kürze ich die ntl. Evangelien aufgrund der flüssigen Lesbarkeit mit MtEv, MkEv, LkEv und JohEv ab.

Weitere Abkürzungen: Epiphanius, Ancor Epiphanius, Pan Hieronymus, AdHelv JG vorjoh vormk

Ancoratus Panarion Adversus Helvidium de Mariae virginitate perpetua Die Geschichte von Josef dem Zimmermann vorjohanneisch vormarkinisch

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Abkürzungen und Verweise

ZAHN, THEODOR, Brüder und Vettern Jesu, in: ders., Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons und der altkirchlichen Literatur 6, Leipzig 1900, 225–363. ZANGENBERG, JÜRGEN, Das Galiläa des Josephus und das Galiläa der Archäologie.Tendenzen und Probleme der neueren Forschung, in: Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 25.–28. Mai 2006, Greifswald, hg. v. Christfried Böttrich/Jens Herzer unter Mitarbeit v. Torsten Reiprich, WUNT 209, Tübingen 2007, 265–294.

5. Sonstiges Maria im Abseits? Mariendarstellungen nach 1945 (Ausstellungskatalog), Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier 2003. OCHMANN, FRANK, Jesus. Die Wahrheit hinter der Legende, Der Stern, 17.12.02, unter: www.stern.de/wissenschaft/natur/501604.html?=sml, aufgerufen: 7.2.2006. SILBERMANN, NICOLE, Hatte Jesus von Nazareth einen Bruder namens Jakobus? Die Welt, 24.12.02, unter: www.welt.de/data/2002/12/24/27680.html, aufgerufen: 7.2.2006. VAN BIEMA, DAVID, Hail, Mary, TIME, 21.03.2005 (Bd. 165, Nr. 12), 42–49.

Abkürzungen und Verweise Verweissystem: Verweise beziehen sich auf die Kapitelnummerierungen des jeweiligen Teils des Buches. Erfolgt der Verweis auf einen anderen Teil, ist dies zusätzlich vermerkt. Steht nur eine Anmerkungsnummer, bezieht sich der Verweis auf eine Fußnote innerhalb des (übergeordneten) Kapitels. Abkürzungen: Bibliografische Angaben sowie die Schriften von Flavius Josephus und Philo von Alexandria werden nach dem TRE-Abkürzungsverzeichnis, (2. Aufl.) abgekürzt. Biblische, sonstige frühjüdische und antike Schriften werden nach dem inzwischen separat vorliegenden Abkürzungsverzeichnis der RGG4 abgekürzt oder – sind sie dort nicht aufgeführt – ausgeschrieben. Die von RGG4 vorgeschlagenen Abkürzungen der Autorennamen unterbleibt jedoch. Davon abweichend kürze ich die ntl. Evangelien aufgrund der flüssigen Lesbarkeit mit MtEv, MkEv, LkEv und JohEv ab.

Weitere Abkürzungen: Epiphanius, Ancor Epiphanius, Pan Hieronymus, AdHelv JG vorjoh vormk

Ancoratus Panarion Adversus Helvidium de Mariae virginitate perpetua Die Geschichte von Josef dem Zimmermann vorjohanneisch vormarkinisch

Bibelstellenregister

Altes Testament und Apokryphen (Reihenfolge: LXX) Genesis 1,27 1,28 2,24 5,2 6,1–6 12,1f 12,1 13,8 14,14 16,15 21,3 22,1–18 35,23ff 38,8 Exodus 3,2ff 18,25 19,15 20,12 21,15 21,17 32,1–24 32,25–29 32,27 32,29 Levitikus 1,2 2,1–13 6,14 7,14 9,7 9,15 18,6–18 19,3 19,18 19,33f 20,9 20,11–21 21,1–3

98 184 96, 98, 147 98 114 70 172, 178 140 137 147 147 172, 310 147 114

114 237 185 91, 130, 175 175 89, 91f, 175 173 173 173 173

92 92 92 92 92 92 125 175 243 70 91, 175 125 175

21,7 21,14 22,13 24,10f 24,22 Numeri 6,7 7,17–83 27,17 30,3 30,10

110 110 110 147 70

174 91 234 92 110

Deuteronomium 5,16 91, 175 6,4ff 130 6,7 131 6,20ff 131 10,18f 70 11,19 131 13,7ff 173, 176 13,18f 177 14,1 177 19,15 78 21,18ff 175 23,10–15 185 24,1ff 110 24,1 98, 110 24,3 98 25,5ff 114 27,16 175 33,9 173 Richter 11,29–40

174

Ruth 2,11f

174

1. Samuel 16,11 21,5f

152 185

2. Samuel 2,3–5 11,11–13 15,18

147 185 221

1. Könige 1,5 2,13 7,13f 11,26 14,6 17,19 17,23 19,19–21

147 147 147 147 211 205 205 33ff, 174, 193

2. Könige 4,10f 6,19 12,21

205 33 147

1. Chronik 2,16f

147

1. Esra 9,36

110

Esra 10,3 10,19

110 110

Tobit 3,8 6,15

115 115

2. Makkabäer 8,16 8,32 9,3 12,5 13,15 14,30 15,18

221 221 221 221 221 221 175

330

Bibelstellenregister

3. Makkabäer 1,1 221 1,27 221 6,1 221 Psalmen 37(38MT),12 68,6 69,9f 89,27 90,10 103,13

79, 287, 307 197 40, 174 197 144 197

Sprüche / Proverbien 19,25 175 20,20 175 23,22ff 175 Hiob 19,13–22 Sirach 3,18

248

26 30,1–13 42,9–11

127 130 128

Hosea 1 3

174 174

Amos 4,2 8,11

34 40

Micha 7,2 7,6

70 70, 75, 248

Habakuk 1,14f

34

Sacharja 13,3

40, 248

Jesaja 6,9f 13,14 19,2 54,6 60,15 62,4 63,16

154 234 75, 248 110 110 110 197

Jeremia 12,6 16,1f 16,16

40 174 34

Ezechiel 12,2 12,3 24,16ff 38,6 44,22 47,10

237 237 174 221 110 34

175

Neues Testament Matthäusevangelium 1f 313 1,1–17 124, 275 1,16 145 1,18 137, 275 1,19 110 1,20–23 145, 275 2,11 275 4,13 204 4,18ff 274 4,21 296 5,22ff 274 5,28 100f, 105 5,32 98f, 101 6,1 274 6,14f 274 7,3f 274 7,24ff 147 8,18 41 8,19–22 174 8,21f 33, 93 9,9 274 9,10 203 10,2 296 10,21 272, 274

10,34–36 274 10,37 274 10,42 155 11,11 155 12,24–30 275 12,29 275 12,46–50 275 12,46f 275 12,49ff 222, 275 13,10f 222 13,31f 155 13,52 48 13,55 16, 57f, 142, 145, 154, 164 13,56 142 13,57 275 16,24 222 18,10 155 18,15 274 18,21 274 18,35 274 19,7–9 110 19,9 99, 101 19,10–12 171, 176 19,27–29 275

20,16 20,20ff 20,20 21,28–32 21,38–40 23,8ff 26,37 27,6 27,26–56 27,56 164 28,1 28,10

70 130 296 130 130 233, 275 296 92f 5 16, 82, 153, 82 275, 282

Markusevangelium 1–9 39, 58 1,1–13 31 1,1 46, 55, 74, 144, 205 1,2f 59, 201 1,4f 54 1,7 45 1,9–15 54, 56, 60 1,9 50, 58f, 61, 134, 145

Bibelstellenregister 1,11 46, 144, 199 1,12 54 1,13 45, 62, 98, 102 1,14f 50 1,14 31 1,15 31f, 37, 67, 116, 229, 242, 247ff, 260 1,16–33 50 1,16–20 31–37, 48f, 69, 71, 174, 193, 210, 214, 222, 229, 232, 241f, 260, 262, 273f, 288f 1,16–18 35, 203, 214 1,16 153, 156 1,17–20 261 1,17 209 1,18 81f, 209 1,19f 36, 120, 130 1,19 155, 157 1,20 148, 152, 231 1,21–28 204 1,21f 59, 62 1,21 102, 203 1,23–27 45 1,23 102 1,24 59, 61, 80, 134 1,27 62 1,28f 62 1,28 204 1,29–2,1 232 1,29–31 121 1,29 32, 36f, 39, 102, 155ff, 200–204 1,30 105, 155 1,31 46, 81, 129, 203, 264 1,32–34 41, 45 1,32f 62 1,33 205f 1,36–38 32 1,36 156, 226 1,37 41, 43, 46 1,39 45, 59, 62, 204 1,41 244 1,45 41, 43 2,1–3,30 91 2,1–11 204f 2,1 39, 41, 200f, 205, 230 2,2 41, 62, 205f, 226 2,4 41, 200 2,6ff 205

2,6 80 2,7 62 2,11 201f, 205 2,13 41, 62, 231 2,14–28 32 2,14f 81 2,14 32, 34, 82, 155, 203, 209, 214, 222 2,15 39, 45, 102, 164, 201ff, 205ff, 209, 220f 2,16ff 205 2,16f 91 2,17 203 2,18ff 91 2,18 211 2,19f 70 2,19 236 2,23–3,6 91, 244 2,23–28 59, 91 2,25 226 2,26 201 2,27 63 3,1 59, 62, 102 3,1–6 204 3,1–4 91 3,4 244 3,6 48, 91 3,7–6,6a 58 3,7f 216, 218, 231, 236 3,7 41, 81, 204, 209, 221 3,8 48 3,9 62, 232 3,10f 44f 3,10 41 3,11 46, 80, 144, 176, 199 3,13–19 32, 208, 211, 224 3,14f 209, 213 3,14 36, 209, 212, 215, 225 3,15 45 3,16ff 297 3,16f 36 3,16 37, 156f 3,17 37, 152, 155ff, 236 3,18 37, 137, 155f 3,20–35 14, 17, 19, 74, 148, 158, 224

331 3,20f 15, 23, 26, 38– 49, 50, 59, 63, 65f, 73f, 104ff, 124, 127, 133f, 138, 151, 158, 164f, 211, 218, 220, 261, 272, 285, 288f, 293, 312f 3,20 62, 102f, 200ff, 204f, 211, 217, 230, 232 3,21f 40, 56, 221 3,21 18f, 50, 131f, 177, 196, 238, 242, 275f 3,22 41, 48, 91 3,22–30 39f, 42, 44, 178, 224 3,22 44 3,23ff 45, 202 3,23 63 3,25 45, 200f 3,27 45, 201 3,28f 45, 177 3,29 45 3,30 40, 44, 48 3,31–35 15, 17ff, 22f, 26, 37, 38–49, 50, 56, 58f, 63, 65f, 73f, 104–107, 124, 127, 133f, 148, 151, 154, 158, 162–165, 177f, 204, 208f, 211, 218, 220, 222, 224f, 227f, 232f, 238f, 242, 246, 248, 261f, 266, 269, 272, 277, 280, 282f, 284f, 288f, 293, 312f 3,31f 40, 103, 206, 275 3,31 59, 132, 136 3,33–35 260f 3,33 276 3,34f 26, 78, 208, 218, 231, 233 3,34 103, 206, 221, 241, 249 3,35 15, 60, 72, 87, 95, 134, 144, 163f, 177, 190, 203, 206, 220, 238, 241f, 243, 249, 262, 267f, 277, 286, 311f 4,1–34 58 4,1f 34, 62 4,1 41, 62, 71, 226, 231f 4,2 63, 154 4,8 96, 249 4,9 161

332 4,10–34 103 4,10–12 39, 40, 43, 45, 154 4,10f 15, 41, 209, 219, 222, 249, 269 4,10 40f, 99, 208, 211, 219, 221, 224 4,11f 154, 238 4,11 40, 43, 59, 63, 211 4,12 45, 154, 237 4,13 32 4,14–20 226 4,15 228 4,17 63, 228 4,18f 265 4,19 228 4,20 96 4,21 63 4,24 63 4,25 122 4,26–29 161 4,30–32 161 4,31f 155 4,33 154 4,34–40 32 4,34 99 4,36–5,43 58 4,36 35, 225 4,37 35 4,40f 87 4,41 46, 48, 62 5,1–20 48, 214 5,2 32 5,7 144, 199 5,14–17 241 5,15 87 5,18–20 215, 226 5,18 35 5,19 201f, 205, 226, 241 5,21–43 40, 220 5,21 35, 62, 226, 231 5,22–24 204 5,24f 129 5,24 62, 81, 209, 226 5,31 32 5,34 239 5,35–43 204 5,37 32, 36f, 83, 152f, 155, 157

Bibelstellenregister 5,38 101, 201 5,39f 129 5,40ff 239 5,40 226 5,41 236 6,1–6 18f, 39, 56, 57–66, 74, 124, 133f, 140, 149, 158, 164f, 204f, 224, 241, 272, 285, 288f, 313 6,1 81f, 211 6,2 62, 102, 135, 149, 164 6,3f 56, 132 6,3 13, 16–21, 79, 84, 126, 132, 134, 136, 138ff, 142–146, 147ff, 150–160, 162ff, 178, 204, 276, 278f, 285, 293, 314 6,4 132f, 200ff, 231, 275, 310 6,5 132, 204 6,6 62 6,7–30 40, 224 6,7–13 32, 59, 61, 186, 213ff, 224, 236, 265 6,7 33, 37, 211, 289 6,8f 249, 265 6,10 63, 201, 205f, 239f, 289 6,11 221, 245 6,14–29 213, 224 6,15 59 6,17 39, 46 6,21 121 6,25ff 218 6,29 210, 240 6,30 205, 207, 211f, 215, 225, 227, 241 6,31 41, 62 6,32f 233 6,32 35 6,34–44 234, 237 6,34 62, 244 6,35f 236 6,35 211, 235 6,36–38 246, 265 6,37 32, 82 6,41 234 6,45–52 32 6,45 35, 225 6,50ff 87 6,51 35

6,54 35 6,55f 62 7,1–23 89, 91, 99 7,1–19 133 7,1–13 92, 244 7,1 91, 98, 102, 226 7,2–4 91 7,3f 91, 236 7,4 91 7,5 89ff 7,6–8 89, 92 7,6 91 7,8 91, 243 7,9–13 89–95, 105, 107, 224, 242f 7,10 243f 7,11 236 7,13 243 7,14–23 48 7,14 63, 90, 217 7,17–23 32, 103 7,17–19 95, 98 7,17 99, 102, 200f, 205, 217, 230 7,20–23 95 7,21f 95 7,24–31 48 7,24–30 129 7,24 101, 201, 205 7,25ff 239, 266 7,27 90, 215 7,30 201 7,33 217, 225 7,34 236 8,1–9 218, 234, 237 8,1 62, 217, 236 8,2 218, 235, 237, 244 8,3 235 8,6 234f 8,7 234f 8,9 80 8,10 35 8,11f 43, 46 8,11 98, 102 8,14–21 32 8,14 35 8,15 238 8,16–21 237 8,17 237 8,18 237 8,19ff 237

Bibelstellenregister 8,21 63, 237 8,26 201f 8,27–10,52 214 8,27–9,1 32, 56, 103 8,27 48, 90 8,31 62, 69, 71, 220, 235, 237 8,32f 220 8,33 33, 46, 243, 267 8,34ff 69, 73, 208f, 225, 228, 267 8,34 34, 36, 41, 46, 81f, 207, 209, 211, 219, 222, 226, 233, 265, 267, 307 8,35 69, 71, 116, 195, 268 8,38ff 268 8,38 56, 116, 144, 199, 260, 264, 267 9,1 63, 105, 229, 248, 260, 262 9,2 32, 36f, 83, 153, 155, 157 9,5f 265 9,5 32, 262 9,7 144, 199 9,9ff 150 9,9 150 9,11 32 9,12f 59 9,13 63 9,14 32 9,18 32 9,27 46 9,28f 103 9,28 98f, 102, 201, 205 9,31 62, 69, 103, 211, 235, 237 9,32–50 32 9,32 87 9,33–37 99, 103, 233 9,33–35 158, 233, 264 9,33 99, 102, 201, 205 9,35 56, 81, 203, 211, 245, 264, 309 9,36f 224, 239, 245 9,37 216, 221, 245 9,38ff 99, 216, 226 9,38 81f

9,39 221 9,41 240 9,42 155, 158, 221 9,43–47 116 9,43 236 10,1 62, 97, 217 10,2–12 91, 96–108, 192, 224, 242f, 245 10,2–9 91, 110, 278 10,4f 110 10,5 95, 243 10,7 110 10,9 243f 10,10 32, 201, 205 10,11f 108–111 10,11 221 10,12 239 10,13–16 97, 224, 227, 239, 245 10,13f 32 10,14f 106 10,15 221, 266 10,16 244 10,17–31 69, 97 10,17–27 69, 98, 167, 232, 245f, 265 10,17 107, 116 10,18 267 10,19 95–98, 105ff, 243f 10,21f 107, 204 10,21 32, 46, 81f, 167, 209, 244ff, 249, 262 10,23ff 103, 116 10,25 167 10,26 116 10,28–45 32 10,28–31 22, 36, 68–74, 75f, 99, 104, 223, 232, 244, 259f, 262, 285 10,28 32f, 81f, 105f, 166, 204, 209, 214, 231f, 259, 261, 288 10,29f 19, 37, 39, 46, 49, 105ff, 116, 144, 148f, 160, 162, 165, 176, 178, 200, 206, 231f, 238, 241f, 245, 259–263, 265f, 268, 275, 284, 288f, 312 10,29 26, 33, 87, 95, 104, 106f, 165, 185, 192, 201, 206, 221, 243, 246, 259, 262, 265, 267

333 10,30 26, 76, 78, 144, 171, 199, 201, 203, 225, 228, 230–233, 239, 244, 249, 259f, 268, 270 10,31 233, 264 10,32–34 69, 103 10,32 71, 80ff, 87 10,33 86 10,34 235, 237 10,35–45 97f, 156, 233, 264 10,35 37, 155, 157 10,38f 140, 214, 268 10,41ff 133f 10,41 37, 71, 155, 157 10,42–45 56, 81, 103, 158, 233 10,42 264 10,43f 221, 233, 245, 268 10,43 156, 264, 307, 309 10,44 250, 264 10,45 265, 264 10,46–52 227 10,46 225, 236 10,47 80, 134 10,52 81f, 86 11,1ff 214 11,4 43 11,8ff 87 11,9 81 11,12–21 40 11,17 62f, 201, 225 11,18 43, 46, 205, 218, 225 11,23 221 11,25 34, 46, 70, 144, 149, 199, 233f, 244, 274, 279, 288, 312 11,27–12,34 91 11,32 59, 218, 225 12,1–12 199 12,6 144 12,12 37, 39, 43, 46, 218, 225 12,13–17 91 12,13 98 12,14 62 12,15 98, 102 12,18–27 112–116, 247 12,25 185, 247

334 12,28–34 91, 113 12,29ff 243 12,33 244 12,35 62 12,37 219, 225 12,38f 205 12,40 201, 239, 247 107, 217, 265 12,41ff 13,1–37 69, 75, 260 13,3–37 103 13,3 36f, 99, 153, 155, 157, 236 13,5 71, 75, 240 13,6 216 13,7f 75, 105 13,7 193 13,9–13 75, 196, 228, 268 13,9 69, 71, 76, 99, 205f, 268 13,10 31, 226, 240 13,12 19, 37, 69, 75f, 104, 106, 145, 162, 195, 206, 247f, 250, 272, 274, 285, 288 13,13 69, 260 13,14 161, 182 13,15f 201f, 225, 233 13,26 247 13,27 205, 237, 260 13,29f 105 13,30 229, 262 13,32 34, 70, 105, 199, 225 13,33 229 13,34–37 233f, 265, 267 13,35 201, 233 13,37 223 14,1–11 40 14,1 39, 43, 46, 153, 205 14,3ff 203, 239, 265 14,3 156, 201, 205 14,4 80 14,7 245 14,8 205 14,10 205 14,11 43, 46 14,12ff 214 14,12 236 14,13ff 205 14,18–21 32 14,22ff 234

Bibelstellenregister 14,22 234 14,23 234 14,25 260 14,26–42 32 14,27 63, 220, 236, 287 14,29 63 14,30 265 14,31 219 14,32–42 232 14,33 36f, 83, 153, 155, 157 14,36 34, 47, 144, 199, 267 14,37 156f 14,43 153, 219, 221, 226 14,44 39, 46 14,46 39 14,49 39, 46, 62 14,50–53 32, 307 14,50 79, 213, 232 14,51f 56, 79, 266 14,51 39, 46 14,53–15,15 40 14,53 43, 153 14,54 79, 81, 287 14,55 46, 153 14,61f 144, 199 14,62 105, 306 14,66–72 32, 232, 307 14,66f 134 14,67 80 14,69 71 14,72 219 15,1 153 15,2 195 15,6–15 217, 219 15,7 32 15,9–14 219 15,21 79, 82, 153, 156, 159, 220 15,22–39 79f 15,22ff 220 15,22 236 15,26 195 15,34 236 15,39 18, 78, 87, 144, 199, 286 15,40f 19, 23, 39, 77– 88, 134, 151, 155, 164f, 209, 213, 220, 239, 288, 294, 296, 307

15,40 13–21, 58f, 66f, 130, 136–140, 147f, 150–160, 162f, 165, 240, 285ff, 289, 296f, 303f, 306f, 309f, 313f 15,41 134, 147, 152, 158, 207, 209, 264, 297, 307, 309 15,42–47 79f, 84 210 15,42 236 15,43 113, 159 15,45 159 15,46 80 15,47 17ff, 23, 39, 77–88, 130, 134, 153, 159, 162, 165, 239, 297, 310, 313f 16,1–8 19, 77–88, 134, 165, 239, 313 16,1–3 310 16,1 17ff, 23, 39, 77–88, 130, 153, 162, 295, 297, 314 16,4 80 16,5 56 16,6 16, 134 16,7 36, 209, 213, 240, 309 16,8 78f, 87, 160, 163, 286, 307 16,9–20 78 Lukasevangelium (inkl. Q) 1f 313 1,5ff 145 1,26ff 145 1,27 145 1,28ff 312 1,28 305 1,30 305 1,36 145 1,38 277, 302, 308, 312 1,41–45 277 1,46ff 302 1,57ff 145 2,1ff 145 2,7 144 2,19 277 2,35 310 2,41–52 131, 138 2,41 17, 143 2,48–50 272, 277

335

Bibelstellenregister 2,48 129 2,51 277 3,23–38 124 3,23 145 4,22 278 4,24 276 5,1–11 34f, 36 5,11 278 5,29 164, 202 6,13 212 6,48f 147 8,2 158, 297 8,3 296 8,9f 222 8,19ff 276 8,21 276ff 9,3 265 9,12 211 9,18ff 222 9,23 208 9,48 155 9,57f 273 9,59–62 33, 273 9,59f 130, 171, 174, 228f 10,4ff 186, 273 10,4 265 10,38ff 81 10,40 129 11,2–4 274 11,5–7 122 11,11–13 274, 277 11,14ff 276 11,27f 271f, 277, 284, 308, 312f 11,28 40, 44, 277 12,22–31 273f 12,51–53 75, 273f, 283f 12,53 248 13,21 129 13,30 70 14,20 278 14,26 70ff, 105f, 171, 228f, 242, 272f, 277f, 283 15,11–32 130, 277 15,17ff 120 16,13 273 16,18 98–101, 128, 273 18,28–30 277 18,29 105f, 185, 278 19,1–10 203

19,3 21,16 22,39 22,49 23,29

155 272 222 41, 221f 284

Johannesevangelium 1,12 46, 280 1,14 303 1,40f 280 1,45f 134 1,45 138, 145, 147 2,1–11 313 2,1ff 130, 280, 307 2,4 163, 272, 294 2,12 136, 204, 307 3,1–21 280 3,1ff 266 3,4ff 280 4,44 63f 4,53 280 5,17ff 279 6 39 6,42ff 279 6,42 145, 147, 279 7,2ff 138 7,3ff 49, 133, 279f 7,3 136 7,5 136, 272 7,10 136 8,16ff 279 8,41 148 9,29 148 10,20 39, 44 10,30 279 10,38 279f 11,1ff 280 11,52 280 12,1ff 280 19,19 134 19,25–27 130, 280f, 296, 307, 310, 313 19,25 16, 20, 85, 137f, 142, 158, 163, 279, 296f 19,26f 138, 163, 280, 312 19,30 280 19,34 280 20,1 85, 158, 297 20,11ff 85f 20,17 280, 282 20,18 158, 297

20,19–23 21,1–11 21,2

280 34 280

Acta Apostolorum 1,13f 37, 279 1,14 42, 136, 143, 162f, 277, 279, 293f, 297, 303, 312f 1,15f 279 1,21f 123, 277 1,23 153 2,1f 278 2,29 279 2,44 232, 241, 246, 278 2,46 278 3,17 279 4,3 76 4,32–37 232, 241 4,34f 278 6,1ff 237 6,3 277 7,2 63 7,36 63 7,57f 76 8,1 76 8,10 155 9,26 213 9,36 209 10,6 278 11,14 278 12,1ff 76 12,2 37, 140 12,12ff 278 12,12 147, 279 13,13 221 13,31 82 15,13 42, 136 15,27 241 16,1 147 16,14f 168, 171 16,30ff 171, 231, 278 17,5ff 278 18,1ff 278 18,7 278 18,8 171, 278 20,8ff 278 20,20 278 21,8 278 21,18 42, 136 23,16 147 26,20 241

336

Bibelstellenregister

26,22

155

Römerbrief 1,3f 1,7 4,1ff 4,11ff 6,3–11 6,5 6,8 8,15 8,29 9,7 12,4ff 12,10 16,1–4 16,1 16,5 16,6 16,7 16,10f 16,12 16,13 16,15

42 281 310 281 54 54 54 281 282 281 271 281 281 281 282 153, 281 281 282 281 153, 281 281

1. Korintherbrief 1,3 281 1,11 281 1,16 282 3,2 281 4,15 282 6,16 98 7 147 7,1 282 7,10–40 106 7,10f 98, 101 7,10 101f, 104, 110 7,12ff 168f, 182 7,13 104, 110 7,15 100, 105, 281 7,29–31 171 7,27–40 282 8,6 281 9,1f 123 9,5 42, 105, 136, 163, 232, 281f 11,3–16 127, 282 11,17ff 167 11,24 235 12,12ff 271 12,13 281 14,34f 271 15,3b–5 78

15,5ff 15,7f 15,7 16,9 16,15 16,19

223, 297 294 42, 136, 141 282 282 281

2. Korintherbrief 5,16 281 5,17 54 Galaterbrief 1,19 2,1–14 2,1–10 2,9 3,6ff 3,26ff 3,27f 3,28 4,4 4,6 4,19 4,22ff 5,6 6,15

42, 136 48 37 37, 42, 136 310 281 116, 271 281 281, 294, 313 281 281 147 116 116

Epheserbrief 4,15 5,21–6,9 5,23ff 5,25–33 5,31

271 271 127, 271 271f 98

Philipperbrief 2,22 282 3,21 260 4,2f 281 Kolosserbrief 2,8 2,12 2,22 3,11 3,18–4,1 3,18 3,19

91 54 91 271 271 127 272

1. Thessalonicherbrief 2,7 281 2,11 282 2,14 76 4,9 281

5,27

231

1. Timotheusbrief 2,8–15 271 2,9–12 127 2,11ff 309 2,15 271, 309 3,2ff 271 3,7 272 4,3 171 6,1f 271 Titusbrief 2,1–10 2,4f 2,4

271 127 272

Philemonbrief 2 281 10 282 16f 271 1. Petrusbrief 2,13–3,7 271 3,1–5 127 3,1 170 1. Johannesbrief 2,24 280 3,14 280 3,24 280 Hebräerbrief 1,5 3,1 3,6 3,12 5,5 7,3 10,21 12,7ff 12,9 12,22ff

283 283 282 283 283 283 282f 282 282f 283

Jakobusbrief 1,1 14 2,21ff 310 Judasbrief 1,1

142

Johannesapokalypse 12 313