Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung [1 ed.] 9783428488445, 9783428088447

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Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung [1 ed.]
 9783428488445, 9783428088447

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ANDREAS SCHMIDT-RÖGNITZ

Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 145

Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Hellmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung

Von Andreas Schmidt-Rögnitz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmidt-Rögnitz, Andreas: Die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungsund Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung! von Andreas Schmidt-Rögnitz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 145) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08844-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-08844-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Jochem Schmitt in Berlin und wurde im Sommersemester 1995 von dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Sie berücksichtigt die Rechtsprechung und Literatur, die bis Ende Mai 1995 veröffentlicht wurde. Betreut wurde die Arbeit von Herrn Prof. Dr. Jochem Schmitt. Ihm möchte ich an dieser Stelle nochmals herzlich für seine vielfältige Unterstützung bei der Durchführung und dem Abschluß des Promotionsvorhabens danken. Mein ausdrücklicher Dank gilt gleichfalls Herrn Prof. Dr. Helmut Schirmer für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie Frau Barbara Rühle und meinen Eltern Ines und Manfred Schmidt-Rögnitz für das sorgfältige Korrekturlesen. Besonderes danken möchte ich darüber hinaus meiner Partnerin, Frau Dr. Manuela Zappe, die die Entstehung der Arbeit stets interessiert, verständnisvoll und mit wertvollen Anregungen begleitet und mich in meinem Vorhaben immer wieder bestärkt hat. Dem Verlag Duncker & Humblot schließlich danke ich für die Publikation meiner Dissertation. Berlin, im Mai 1996

Andreas Schmidt-Rögnitz

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

A.

Gegenstand und Ziel der Untersuchung ....................................................... 23

B.

Thematische Eingrenzung und Bestimmung grundlegender Begriffe .................... 35

C.

I.

Thematische Eingrenzung ................................................................ 35

11.

Bestimmung grundlegender Begriffe ................................................... 39 1.

Der Begriff der "Krankheit" ..................................................... 39

2.

Der Begriff der "ärztlichen" und "zahnärztlichen Behandlung" .......... .41

3.

Der Begriff der "Arzneimittel" .................................................. 42

4.

Der Begriff der "Heilmittel" ..................................................... 43

5.

Der Begriff der "Hilfsmittel" ........................................... ......... 44

6.

Die Begriffe "alternative Behandlungs- und Heilmethoden" und "Schulmedizin" ..................................................................... 44

7.

Der Begriff der "neuen Behandlungs- und Heilmethode" ................. .49

Gang der Untersuchung ........................................................................... 50

Erstes Kapitel Die geschichtliche Entwicklung des für die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normensystems

52

A.

Die Ausgangssituation ............................................................................ 52

B.

Die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des "Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" vom 15.06.1883 ................................................. 54

8 C.

D.

Inhaltsverzeichnis Die Rechtslage nach dem Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung vom 19.06.1911 .......... ................. ......... ... ... ...... . ....... ... ............... .... .. .. ........ 58 I.

Die Zeit bis zum Einsetzen der Notgesetzgebung zu Beginn der dreißiger Jahre .......... .. ................ .... .................. ....... ................................. 58

11.

Die Zeit vom Einsetzen der Notgesetzgebung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ... .... ........... ....... .... ................ ....... ..................... ........ . 63

111.

Die Zeit vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum 31.12.1988 ............... 68

Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen ........................ .... .... ......... ... 75

Zweites Kapitel Der gegenwärtige Stand der Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung A.

79

Der gegenwärtige Stand des für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normensystems ......... ..... .. ... ...... 79 I.

Der gegenwärtige Stand des für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen gesetzlichen Normensystems . ..... .... ........ .... .. ... ............ ...... .... ... ...... .... .... .. .. .. . ... .... .. ... .. 80 1.

2.

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen des SGB V ................. .... .................. ... .. ........................ .... ....... 80 a)

Leistungskonkretisierende Regelungen im ersten Kapitel des SGB V .. . ........... ..... .................. ....... ..... ..... ... .... ....... .. ..82

b)

Leistungskonkretisierende Regelungen im dritten Kapitel des SGB V .................. ......................................................83

c)

Leistungskonkretisierende Regelungen im vierten Kapitel des SGB V.. . .. . .. .... .... ... .. ... .... .... .... .. .. .... .... ... ...... ........... ....87

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in anderen Teilen des Sozialgesetzbuches. ...... ................. ... .. .......... 89 a)

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen im SGB 1. .... .... ...... ......... .............. .. ..... .......... . ..89

b)

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen im SGB IV ... ............................ ............. ...... ... .. 90

Inhaltsverzeichnis 11.

B.

C.

9

Der gegenwärtige Stand des für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen untergesetzlichen Normensystems ....................................................................................... 91 1.

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Bundesmantelverträgen ...................................................... 92

2.

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in Richtlinien ........................................................................... 93 a)

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ................ 94

b)

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien ............... 95

c)

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ................................. 96

d)

Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung ...... 97

Der gegenwärtige Meinungsstand zur Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung ............ 98 I.

Die herrschende Meinung ................................................................ 98

11.

Die Minderansicht von Biehl/Ortwein, Schlenker und anderen .................. 114

Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen .......................................... .120

Drittes Kapitel Kritische Auseinandersetzung mit den zur Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung vertretenen Meinungen A.

125

Kritische Auseinandersetzung mit der Ansicht von Biehl/Ortwein, Schlenker und anderen ........................................................................................ 126

10

Inhaltsverzeichnis I.

11.

III.

IV.

V.

B.

Der Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch das Gebot der Wahrung des "allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse" ........................................................... .128 1.

Kritische Stellungnahmen der Rechtsprechung und der Literatur....... 129

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 131

Der Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch den Begriff der "Zweckmäßigkeit" ............................................ 139 1.

Kritische Stellungnahmen der Rechtsprechung und der Literatur ....... 139

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 141

Der Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch die Regelungen des Leistungserbringungsrechtes .......................... 144 1.

Kritische Stellungnahmen der Rechtsprechung und der Literatur....... 145

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... .146

Die Bestätigung des Ausschlusses alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden durch den Vergleich mit weiteren Vorschriften aus dem SGB V sowie anderen Rechtsgebieten .......................................... 149 1.

Kritische Stellungnahmen der Rechtsprechung und der Literatur ....... .150

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 150

Der Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden infolge einer fehlenden Schutzbedürftigkeit der Versicherten .................... 152 1.

Kritische Stellungnahmen in der Rechtsprechung und der Literatur.... 153

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 153

Kritische Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung ........................... 154 I.

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch das Gebot der Wahrung des "allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse" ............................................ 156 1.

Kritische Stellungnahmen in der Rechtsprechung und der Literatur ........................................................................... 158

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 159

Inhaltsverzeichnis 11.

III.

IV.

V.

C.

11

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch den Begriff der "Zweckmäßigkeit" ......................... 162 1.

Kritische Stellungnahmen in der Rechtsprechung und der Literatur.... 163

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 164

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch die Regelungen des Leistungserbringungsrechtes ........ 168 1.

Kritische Stellungnahmen in der Rechtsprechung und der Literatur .... 169

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 172

Die Notwendigkeit des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden zur Wahrung der Regeln der ärztlichen Kunst .............. 175 1.

Kritische Stellungnahmen in der Rechtsprechung und der Literatur .... 176

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 176

Die Notwendigkeit des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden zur Wahrung des Sozialstaatsprinzips ......................... 180 1.

Kritische Stellungnahmen in der Rechtsprechung und der Literatur.... 180

2.

Eigene Stellungnahme ........................................................... 181

Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen .......................................... 182

Viertes Kapitel Entwicklung eines eigenen Lösungsvorscblages zur Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung A.

186

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch Normen außerhalb des Rechtes der gesetzlichen Krankenversicherung ............................................................................ 189 I.

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden durch Normen außerhalb des Rechtes der gesetzlichen Krankenversicherung ............................................................ 189 1.

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden durch zivilrechtliche Regelungen ...................... 190 a)

Zivilrechtliche Grenzen für den Einsatz alternativer Behandlungs- und Heilmethoden...................................... 192

b)

Zivilrechtliche Grenzen für den Einsatz neuer Behandlungsund Heilmethoden........................................................ 194

12

Inhaltsverzeichnis

2.

3.

4.

11.

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch strafrechtliche Regelungen ............ 195 a)

Strafrechtliche Grenzen für den Einsatz alternativer Behandlungs- und Heilmethoden ............................................... 196

b)

Strafrechtliche Grenzen für den Einsatz neuer Behandlungsund Heilmethoden ........................................................ 199

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden durch standesrechtliche Regelungen ................. 201 a)

Standesrechtliche Grenzen für den Einsatz alternativer Behandlungs- und Heilmethoden ...................................... 202

b)

Standesrechtliche Grenzen für den Einsatz neuer Behandlungs- und Heilmethoden ............................................... 206

Die Begrellzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch die Regelungen des AMG .............. 207 a)

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer Arzneimittel durch die Regelungen des AMG ...................................... 209

b)

Die Begrenzung des Einsatzes neuer Arzneimittel durch die Regelungen des AMG .............................................. 212

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und und Heilmethoden durch versicherungsrechtliche Normen außerhalb des Rechtes der gesetzlichen Krankenversicherung ................................ 213 1.

2.

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der privaten Krankenversicherung ........................................................................... 214 a)

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer Behandlungsund Heilmethoden im System der privaten Krankenversicherung .................................................................. 217

b)

Die Begrenzung des Einsatzes neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der privaten Krankenversicherung ................................................................... 218

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch die Beihilferegelungen des Bundes und der Länder....................................................................218

Inhaltsverzeichnis

3.

4.

5.

6.

13

a)

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer Behandlungsund Heilmethoden durch die Beihilferegelungen des Bundes und der Länder ........................................................... 220

b)

Die Begrenzung des Einsatzes neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch die Beihilferegelungen des Bundes und der Länder........................................................... 221

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der gesetzlichen Unfallverversicherung ....................................................................... 221 a)

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer Behandlungsund Heilmethoden im System der gesetzlichen Unfallverversicherung ............................................................... 223

b)

Die Begrenzung des Einsatzes neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der gesetzlichen Unfallversicherung ................................................................... 223

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der gesetzlichen Rentenversicherung ........................................................................... 224 a)

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer Behandlungsund Heilmethoden im System der gesetzlichen Rentenversicherung ................................................................... 225

b)

Die Begrenzung des Einsatzes neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der gesetzlichen Rentenversicherung ................................................................... 225

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch Regelungen des Versorgungsrechtes .............................................................................. 226 a)

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer Behandlungsund Heilmethoden durch Regelungen des Versorgungsrechtes ...................................................................... 227

b)

Die Begrenzung des Einsatzes neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch Regelungen des Versorgungsrechtes ....... 228

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der Sozialhilfe nach dem BSHG ............................................................................... 228

14

Inhaltsverzeichnis

III. B.

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer Behandlungsund Heilmethoden im System der Sozialhilfe nach dem BSHG ....................................................................... 229

b)

Die Begrenzung des Einsatzes neuer Behandlungs- und Heilmethoden im System der Sozialhilfe nach dem BSHG ....... 230

Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen .................................. 230

Die Begrenzung des Einsatzes alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung .............................. 236 I.

C.

a)

Die Beschränkung der Gewährung alternativer sowie neuer Leistungen durch gesetzliche Regelungen des SGB V ........................................... 236 1.

Die Beschränkung des Einsatzes alternativer sowie neuer Heilund Behandlungsmethoden durch das Erfordernis der Beachtung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ................................................................................. 238

2.

Die Beschränkung des Einsatzes alternativer sowie neuer Heilund Behandlungsmethoden durch das Erfordernis des "Ausreichens" der medizinischen Leistungen ..................................... 241

3.

Die Beschränkung des Einsatzes alternativer sowie neuer Heil- und Behandlungsmethoden durch das Erfordernis der "Zweckmäßigkeit" der medizinischen Leistungen .................................................. 244

4.

Die Beschränkung des Einsatzes alternativer sowie neuer Heil- und Behandlungsmethoden durch das Erfordernis der "Notwendigkeit" der medizinischen Leistungen.................................................. 247

5.

Die Beschränkung des Einsatzes alternativer sowie neuer Heil- und Behandlungsmethoden durch das Erfordernis der "Wirtschaftlichkeit" der medizinischen Leistungen ........................................... 249

6.

Die Beschränkung des Einsatzes alternativer sowie neuer Heilund Behandlungsmethoden durch das Kriterium der "ärztlichen Kunst" .............................................................................. 251

11.

Beschränkung der Gewährung alternativer sowie neuer Leistungen durch untergesetzliche Regelungen ............................................................ 253

III.

Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen .................................. 254

Auslegung und Harrnonisierung der leistungsbestimmenden Kriterien im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ........................................................257

Inhaltsverzeichnis I.

Notwendigkeit der Anpassung des Leistungsbereiches der gesetzlichen Krankenversicherung an die allgemeinen Vorgaben ............................... 258 1.

Die für die Bestimmung des Leistungsbereiches maßgeblichen Positionen .......................................................................... 259 a)

b)

c)

2. 11.

15

Die für die Bestimmung des Leistungsbereiches maßgeblichen Positionen der Leistungserbringer............................ 260 aa)

Die Bedeutung der Therapie- und Methodenfreiheit für das System der gesetzlichen Krankenversicherung .... 260

bb)

Die Bedeutung der Freiheit der Forschung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung ............. 262

Die für die Bestimmung des Leistungsbereiches maßgeblichen Positionen der Leistungsempfanger................................... 263 aa)

Die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips für das System der gesetzlichen Krankenversicherung ....................... 263

bb)

Die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten für das System der gesetzlichen Krankenversicherung ........................................................... 265

Die für die Bestimmung des Leistungsbereiches maßgeblichen Positionen der Leistungsträger ......................................... 267 aa)

Die Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebotes für das System der gesetzlichen Krankenversicherung ............. 267

bb)

Die Bedeutung der Qualitätssicherung für das System der gesetzlichen Krankenversicherung ....................... 268

Der Ausgleich zwischen den für die Bestimmung des Leistungsbereiches maßgeblichen Positionen ........................................... 269

Möglichkeiten der Anpassung des Leistungsbereiches der gesetzlichen Krankenversicherung .................................................................... 276 1.

Auslegung der leistungsbestimmenden Begriffe des SGB V ............. 277 a)

Auslegung des Begriffes der "allgemeinen medizinischen Erkenntnisse·............................................................. 277

b)

Auslegung der weiteren leistungsbestimmenden Begriffe des SGB V ................................................................. 281

16

Inhaltsverzeichnis

III.

2.

Auslegung der leistungseinschränkenden Regelungen der §§ 135, 138 SGB V ........................................................................ 282

3.

Auslegung der untergesetzlichen Bestimmungen ........................... 285

Ergebnis .................................................................................... 287

Literaturverzeichnis .................................................................................... 290 Entscheidungsregister . . . . ..... ..... ..... ... .. . . . . . . . . . . . .. .... .. ..... ........... .. . .. .. . . . . . . . . .. ... .. 304

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

anderer Ansicht

Abs.

Absatz

Abschn.

Abschnitt

a.F.

alte Fassung

AG

Amtsgericht

AGBG

Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen

AMG

Arzneimittelgesetz

Anh.

Anhang

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

ArztR

Arztrecht (Zeitschrift)

AusBer

Ausschußbericht

Az.

Aktenzeichen

Geschäftsbedingungen

BAnz.

Bundesanzeiger

BÄO

Bundesärzteordnung

BBesG

Bundesbesoldungsgesetz

BBG

Bundesbeamtengesetz

Bd.

Band

BG

Die Berufsgenossenschaft (Zeitschrift)

BGer.

Berufsgericht

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGB-RGRK

Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar herausgegeben von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BhV

2 Schmidt·Rögnitz

Beihilfevorschriften des Bundes

18

Abkürzungsverzeichnis

BKK

Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift)

BMV

Bundesmanteltarifvertrag

BMV-Ä

Bundesmanteltarifvertrag Ärzte

BMV-Z

Bundesmanteltarifvertrag Zahnärzte

BReg.

Bundesregierung

BR-Drucks.

Bundesrats-Drucksache

BSeuchG

Bundesseuchengesetz

BSG

Bundessozialgericht

BSGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BSHG

Bundessozialhilfegesetz

BT-Drucks.

Bundestags-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVG

Bundesversorgungsgesetz

bzw.

beziehungsweise

DÄBI.

Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift)

DAZ

Deutsche Apotheker Zeitung

ders.

derselbe

DMW

Deutsche Medizinische Wochenschrift (Zeitschrift)

DOK

Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift)

DRiZ

Deutsche Richterzeitung (Zeitschrift)

EuM

Entscheidungen und Mitteilungen des Reichsversicherungsamtes, zitiert nach Band und Seitenzahl

ErsK

Die Ersatzkasse (Zeitschrift)

e.V.

eingetragener Verein

f.

(nur die) folgende Seite oder der folgende Paragraph

ff.

folgende Seiten oder Paragraphen

FS

Festschrift

gern.

gemäß

GG

Grundgesetz

GK-SGB

Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch

GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

GMBI.

Gemeinsames Ministerialblatt der Bundesministerien

GRG

Gesundheitsreformgesetz

Abkürzungsverzeichnis

GSG

Gesundhejtsstrukturgesetz

HHG

Häftlingshilfegesetz

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

i.d.F.

in der Fassung

JBI.

Juristische Blätter (Zeitschrift)

Juris

Juristisches Inforrnationssystem (Datenbank)

JZ

Juristenzeitung (Zeitschrift)

KVG

Krankenversicherungsgesetz

LBGer.

Landesberufsgericht

LG

Landgericht

19

LM

Lindenmeier-Möhring (Entscheidungssammlung)

LPK-BSHG

Bundessozialhilfegesetz, Lehr- und Praxiskommentar

LSG

Landessozialgericht

LVAmt

Landesversicherungsamt

MB/KK 1976

Musterbedingungen 1976 des Verbandes der privaten Krankenversicherung. Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenund die Krankenhaustagegeldversicherungen

MedR

Medizinrecht (Zeitschrift)

Med. Klin.

Die medizinische Klinik (Zeitschrift)

MedSachV

Der medizinische Sachverständige (Zeitschrift)

Meso

Medizin im Sozialrecht (Entscheidungssammlung)

Mio.

Millionen

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift)

Mrd.

Milliarden

MuBO

Musterberufsordnung für die deutschen Ärzte

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NdsÄbl.

Niedersächsisches Ärzteblatt (Zeitschrift)

n.F.

neuer Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NJW-RR

Neue Juristische WochenschriftRechtsprechungsreport (Zeitschrift)

Nr.

Nummer

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift)

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht (Zeitschrift)

OEG

Opferentschädigungsgesetz

OLG

Oberlandesgericht

20

Abkürzungsverzeichnis

OVA

Oberverwaltungsamt

OVG

Oberverwaltungsgericht

PhannaR

Phannarecht (Zeitschrift)

RAHI.

Reichsarbeitsblatt

RAnz.

Reichsanzeiger

RdNr.

Randnumrner

RegE

Regierungsentwurf

RG

Reichsgericht

RGBI.

Reichsgesetzblatt

RiA

Das Recht im Amt (Zeitschrift)

RuS

Recht und Schaden (Zeitschrift)

RVO

Reichsversicherungsordnung

S.

Seite

SdL

Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft (Zeitschrift)

SG

Sozialgericht

SGb

Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift)

SGB

Sozialgesetzbuch

SGB I

Sozialgesetzbuch - Erstes Buch - AlJgemeiner Teil

SGBIV

Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung

SGBV

Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - Gesetzliche

SGB VI

Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch -

SGB-SozVers-GesKomrn

Sozialgesetzbuch/Sozialversicherungl

SozSich

Soziale Sicherheit (Zeitschrift)

Krankenversicherung Rentenversicherung Gesamtkomrnentar SozVers

Die Sozialversicherung (Zeitschrift)

SozR

Sozialrecht, bearbeitet von den Richtern des Bundessozialgerichts (Entscheidungssarnrnlung)

StGB

Strafgesetzbuch

SVG

Soldatenversorgungsgesetz

u.a.

und andere

VDR

Verband deutscher Rentenversicherungsträger

VerBAV

Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen

VersR

Versicherungsrecht (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

VG

Verwaltl)ngsgericht

vgl.

vergleiche

Vorbem.

Vorbemerkung

VSSR

Vierteljahresschrift für Sozialrecht

VuR

Verbraucher und Recht (Zeitschrift)

VVG

Versicherungsvertragsgesetz

WzS

Wege zur Sozialversicherung (Zeitschrift)

ZAP

Zeitschrift für die Anwaltspraxis (Zeitschrift)

z.B.

zum Beispiel

ZBR

Zeitschrift für Beamtenrecht (Zeitschrift)

ZFA

Zeitschrift für Allgemeinmedizin (Zeitschrift)

ZOG

Zivildienstgesetz

ZfS

Zeitschrift für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung (Zeitschrift)

Ziff.

Ziffer

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Zeitschrift)

ZSR

Zeitschrift für Sozialreform (Zeitschrift)

ZTR

Zeitschrift für Tarifrecht (Zeitschrift)

21

Einleitung A. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit behandelt die sozialversicherungsrechtliche Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet sind, den bei ihnen versicherten Personen Leistungen zu gewähren, die von der medizinischen Wissenschaft als alternative Behandlungs- und Heilmethoden 1 nicht sowie als neue Behandlungs- und Heilmethoden2 noch nicht allgemein anerkannt sind. Die Arbeit greift damit eine Problematik auf, die ihren Ursprung in der seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts zu beobachtenden stürmischen Entwicklung der Medizin hat. Entwickelte sich der Stand der medizinischen Wissenschaft in den vorangegangenen Zeiten nur langsam3 , kam es mit dem Einsetzen der technisch-industriellen Revolution sowie unter dem Einfluß der sich zeitgleich ausprägenden Naturwissenschaften ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem immer schnelleren Anwachsen der medizinischen Kenntnisse, aus denen sich in der praktischen Umsetzung eine Vielzahl neuer Heilverfahren ergaben. 4 Stellvertretend für viele neue Entwicklungen aus dieser Zeit soll hier nur an die von Rudolf Virchow (1821-1902) begründete Zellularpathologie5 , die Entwicklung der wissenschaftlichen Hygiene unter anderem durch Max v. Pettenkofer (18181901)6 sowie an die Entstehung der auf Louis Pasteur (1822-1885) und Vgl. zu dem Begriff der "alternativen Behandlungs- und Heilmethode" in der Einleiunten A. 11. 2. e). Vgl. zu dem Begriff der "neuen Behandlungs- und Heilmethoden" in der Einleitung unten A. 11. 2. f). 3 Vgl. zu der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft: Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 202 ff.; AckerknechtlMurken, Geschichte der Medizin, S. 103 ff. 4 Vgl. zu der Entwicklung der Medizin im Überblick: Seid/er, Geschichte der Pflege des kranken Menschen, S. 135 ff. 5 Vgl. Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 217 ff.; Jetter, Geschichte der Medizin, S. 302 ff.; AckerknechtlMurken, Geschichte der Medizin, S. 117. 6 Vgl. Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 224 ff.; Jetter, Geschichte der Medizin, S.317. tu~

24

Einleitung

Robert Koch (1843-1910) zurückzuführenden Bakteriologie7 erinnert werden, auf deren Erkenntnisse weite Teile der heutigen Medizin beruhen. Neben diesen und vielen anderen bahnbrechenden Entwicklungen kam es auch erst im Verlauf der vergangenen zwei Jahrhunderte zu der Herausbildung der heute bekannten Arzneimiueltherapie, für deren Entstehung besonders die Arbeiten von Friedrich Sertürner (1783-1841)8, Oswald Schmiedeberg (1838-1921) und Rudolf Buchheim (1820-1921)9, Paul Ehrlich (1854-1915)10 sowie Alexander Fleming (1881-1955)11 hervorzuheben sind. Parallel zu dieser fortschreitenden Entwicklung der medizinischen Wissenschaft setzte mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Differenzierung der Medizin in einen kartesisch-naturwissenschaftlichen Zweig, der als Erkenntnisquelle allein sinnlich erfahrbare und meßbare Beobachtungen zuläßt 12 und bis heute den Schwerpunkt der praktizierten Medizin darstellt, und eine Reihe hiervon abweichender Strömungen ein, die von einem ganzheitlichen Ansatz ausgehen und als alternative Medizin immer wieder in Konkurrenz zu den vertretenen akademischen Lehrmeinungen treten. 13 Im Vordergrund dieser medizinischen Richtungen, die 7 Vgl. Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 225 f.; AckerknechtlMurken, Geschichte der Medizin, S. 125 ff. 8 Friedrich Sertiirner gelang es 1806 erstmals, aus Opium das Morphium zu gewinnen, vgl. Jetter, Geschichte der Medizin, S. 312; AckerknechtlMurken, Geschichte der Medizin, S.119. 9 Oswald Schmiedeberg und Rudolf Buchheim schufen durch ihre Arbeiten die Grundlage für die wissenschaftliche Untersuchung der Wirksamkeit von Arzneimitteln auf den Kreislauf und damit auf den gesamten menschlichen Organismus, vgl. AckerknechtlMurken, Geschichte der Medizin, S. 164 f. 10 Ehrlich gilt als einer der Begriinder der antibakteriellen Therapie, vgl. Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 263 ff. 11 Fleming gilt als der Entdecker des Penizillins, vgl. Eckart, Die Geschichte der Medizin S. 266 ff.; AckerknechtlMurken, Geschichte der Medizin, S. 164. 12 Der naturwissenschaftliche Ansatz der Medizin läßt sich damit auf die Aussagen Francis Bacons (1561-1626), John Lockes (1623-1704) sowie August Comtes (1798-1875) zuriickführen, die die Beobachtung und das Experiment als das allein gültige Mittel für die induktive wissenschaftliche Erkenntnis bezeichnet haben und forderten, daß jede Wissenschaft von wahrnehmbaren Tatsachen auszugehen und sich auf deren Feststellung und Verknüpfung zu beschränken habe. Auf den Bereich der Medizin wurden diese Prinzipien von Rudolf Virchow (1821-1902) übertragen, indem er feststellte, daß die Medizin von einer mechanisch-physikalischen Funktion der Organismen ausgehen könne, von denen jede einzelne den gewöhnlichen physikalischen und chemischen Gesetzen folge, so daß "jeder Mensch, der die Tatsachen kennt und richtig zu denken vermag, befähigt ist, die Natur durch das Experiment zur Beantwortung einer frage zu zwingen" (zitiert nach Degkwitz, Med. Klin. 1982, S. 711 (712». Vgl. zu allem auch: Degkwitz, Med. Klin. 1982, S. 711. 13 Oepen, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseitermethoden in der Medizin, S. 99 f.

A. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

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heute in teilweise erheblich zunehmendem Maße praktiziert werden 14 , stehen dabei besonders die homöopathische 15 und die anthroposophische Medizin 16 sowie die Naturheilkunde 17 , aber auch bestimmte Heilverfahren, wie beispielsweise die Akupunktur 18 . 14 Vgl. zu der Vielzahl der bis heute als alternative Behandlungs- und Heilmethoden entwickelten Verfahren insbesondere Oepen, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseitermethoden in der Medizin, S. 99 ff.; Oepen, in: Oepen und andere (Hrsg.), An den Grenzen der Schulmedizin, S. 25 ff. Ein aktuelles Bild über die Verbreitung unkonventioneller Behandlungs- und Heilmethoden in der Ärzteschaft gibt eine Studie des Psychologischen Instituts der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, nach der mehr als die Hälfte der im Raum Freiburg niedergelassenen Allgemeinmediziner auch unkonventionelle Behandlungsund Heilmethoden anwenden; vgl. HaaglWalachlErbelSchrömbgens, ZFA 1993, S. 1184. Von den Patienten in Deutschland gaben bei einer vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach im Jahre 1989 durchgeführten Studie 70 Prozent der Befragten an, Erfahrungen mit Naturheilmitteln und anderen unkonventionellen Behandlungsmethoden gemacht zu haben. Vgl. hierzu auch Piel, in: Bühring und andere (Hrsg.), Naturheilverfahren und Unkonventionelle Medizinische Richtungen, S. 1 ff.; Wiesennauer, DAZ 125 (1985) S. 2463. Daß es sich hierbei nicht nur um eine auf Deutschland beschränkte Erscheinung handelt, zeigt eine Studie um ein Forscherteam des Beth Israel Hospital und der Harvard Medical School in Boston, wonach 34 Prozent aller Patienten neben schulmedizinischen Methoden auch unkonventionelle Behandlungs- und Heilmethoden in Anspruch nahmen (The New England Journal of Medicine, Jan. 28, 1993). Zu der Verbreitung alternativer Behandlungs- und Heilmethoden in Österreich vgl. Mazanek, VR. Mat. 1988, S. 38. 15 Bei der Homöopathie handelt es sich um ein von dem Ant Christian F. S. Hahnemann (1755-1843) entwickeltes Therapieverfahren, bei dem Erkrankungen nicht durch ihnen entgegengesetzt wirkende Heilmittel bekämpft werden, sondern durch den Einsatz von Stoffen, die ähnliche Symptome wie die Erkrankung auslösen, wodurch die Selbstheilungskräfte des Organismus angeregt werden sollen. Vgl. zum Gedanken und zur Entwicklung der Homöopathie weiterführend: Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 250 f.; Horvilleur, Enzyklopädie der homöopathischen Therapie, S. 15 ff. Vgl. zur Kritik an der Homöopathie aus der Sicht der Schulmedizin insbesondere Prokopp, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseitermethoden in der Medizin, S. 160 ff. 16 Die anthroposophische Medizin geht zurück auf eine von Rudolf Steiner (1861-1925) begründete Denkrichtung, die den Menschen in einer Ganzheit aus physischen, psychischen und seelischen Faktoren begreift und in einer besonderen Wesensverwandtschaft zur Natur stehend sieht. Im Falle einer Krankheit versucht die anthroposophische Medizin, durch den Einsatz verschiedener natürlicher Anneirnittel die im Normalfall bestehende Harmonie zwischen den einzelnen Faktoren, die den Menschen prägen, untereinander sowie gegenüber der Natur wiederhenustellen und damit die Krankheit zu heilen. Vgl. zu dem Gedanken und der Entwicklung der anthroposophischen Medizin insbesondere WoljJ, Anthroposophisch orientierte Medizin; Ulrich, DÄBI. 85 (1988) B 1268. 17 Bei der Naturheilkunde handelt es sich um eine unter anderem von Vinzenz Prießnitz (1799-1851) und Sebastian Kneipp (1821-1897) begründete Bewegung, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Forderung Rousseaus nach einer Rückwendung zur Natur aufgriff und besonders auf die heilende Wirkung von Wasser hinwies. Grundlage der Naturheilkunde ist die Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und damit die Verhinderung von Erkrankungen durch die Stärkung der natürlichen Abwehrkräfte des Körpers. Vgl. weiterführend: Rothschuh, S. 68 ff. 18 Bei der Akupunktur handelt es sich um eine ursprünglich in China entwickelte Diagnose- und Therapiemethode, die seit dem 17. Jahrhundert auch in Europa bekannt ist und

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Einleitung

Dieser Prozeß der Entwicklung neuer Behandlungs- und Heilmethoden, die ihre Anerkennung durch die Schulmedizin erst noch erreichen müssen, sowie die sich daraus ergebende zunehmende Konkurrenz zwischen wissenschaftlich abgesicherten Methoden einerseits und alternativen Behandlungs- und Heilmethoden andererseits ist heute keineswegs abgeschlossen. 19 Vielmehr wird sich die Ausweitung des Kenntnisstandes der medizinischen Wissenschaft bedingt durch den immer schneller verlaufenden Fortschritt der Technik sowie der Naturwissenschaften eher noch beschleunigen und zu einem immer rascheren Anwachsen der Zahl der denkbaren Untersuchungs-, Behandlungs- und Heilmethoden führen. 20 Unmittelbare Folge dieser stetigen Ausdehnung der medizinischen Kenntnisse ist es, daß die Vorstellungen über den Nutzen sowohl von ärztlichen Therapien als auch von Heil- und Hilfsmitteln in einem ständigen Wandel begriffen sind. Dies führt dazu, daß Behandlungsmethoden sowie Heil- und Hilfsmittel, die heute noch zu dem Bereich medizinischer Standardmaßnahmen gehören, morgen bereits veraltet sein können, während Praktiken, die zur Zeit noch zum Bereich der alternativen Medizin gehören, zukünftig zum allgemein anerkannten Bereich der ärztlichen Kunst zählen können. Gerade ein Blick in die Vergangenheit zeigt, daß eine Vielzahl der Methoden, die heute ganz selbstverständlich als Bestandteil der Schulmedizin angewendet werden, zunächst als alternative Methoden oder als kaum ernst genommene Erfindungen entwickelt worden sind und sich gegen den erbitterten Widerstand der Vertreter der Schulmedizin durchzusetzen hatten. Dies gilt beispielsweise für die heute bei HerzKreislauferkrankungen in erheblichem Umfang angewendete Bewegungstherapie, die ursprünglich von Dertel (1765-1850) als Terrainkur21 entwickelt wurde, oder für den Einsatz von Digitalisextrakten, die der englische Arzt Withering (1741-1799) von einer "Kräuterfrau" übernommen insbesondere zur Schmerztherapie eingesetzt wird. Bei der Akupunktur werden Stellen der Haut, die bestimmten Organen zugeordnet werden, mit feinen Nadeln punktiert, um auf diesem Wege Erkrankungen günstig zu beeinflussen. Vgl. weiterführend: Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 29 f.; Koch, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseitermethoden in der Medizin, S. 126 ff. 19 Vgl. zu der Dynamik der Medizin den Ausblick bei Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 292 f. 20 Zu denken ist beispielsweise an die Entwicklungen der Gentechnologie als Minel der Diagnostik und bei der Entwicklung neuer Arzneimittel, vgl. hierzu Eckart, Die Geschichte der Medizin, S. 291, sowie an den Einsatz von Computern bei der Entwicklung neuer Medikamente, vgl. hierzu Höltje, DAZ 126 (1986), S. 1899. 21 Vgl. hierzu Rothschuh, S. 66.

A. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

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haben soll.22 Auch die gesamte Chirurgie hatte über Jahrhunderte hinweg den Status einer nicht anerkannten alternativen Behandlungsmethode und durfte nur von "Badern" und "Scherern" ausgeübt werden. 23 Auf der anderen Seite darf aber auch nicht verkannt werden, daß auf dem lukrativen Markt der medizinischen Leistungen nicht wenige Mittel und Methoden angeboten werden, die dem Verdacht der Scharlatanerie ausgesetzt sind und in erster Linie den wirtschaftlichen Interessen der Anbieter und weniger dem Wohl des Patienten dienen dürften. 24 Auch ist gerade in jüngster Zeit unter den Patienten ein zunehmender Trend zur Anwendung von Methoden und Mitteln zu beobachten, die als "Natur-" oder "Erfahrungsmedizin" eine Abkehr von dem oft als unmenschlich empfundenen System der Apparatemedizin versprechen, wobei durchaus auch irrationale Erwägungen eine Rolle spielen dürften. 25 Wenn es sich bei der Entwicklung und dem Einsatz von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von neuen, schulmedizinisch noch nicht anerkannten Mitteln und Therapieformen auch zunächst um einen Vorgang innerhalb der medizinischen Wissenschaft handelt, so ergeben sich hieraus aufgrund der starken Durchdringung der Medizin durch das Recht eine Vielzahl juristischer Probleme, die nahezu alle Rechtsgebiete betreffen und sich wechselseitig beeinflussen. Aus zivilrechtlicher Sicht ist dabei beispielsweise an das Problem der notwendigen Aufklärung eines Patienten über die Existenz und Wirkungsweise bestimmter Therapien und gegebenenfalls bestehender Behandlungsalternativen26 , an eine mögliche 22 Vgl. hierzu weiterführend: KaltenbachlOswalt, SozVers 1990, S. 38 (39); MetteIWinter, Geschichte der Medizin, S. 327. 23 Vgl. zu der Geschichte der Chirurgie und deren Entwicklung von einer Außenseitermethode zu einem der bedeutendsten Zweige der Medizin: KaltenbachlOswalt, SozVers 1990, S. 38 (39) sowie Fischer-Hornberger, Geschichte der Medizin, S. 135 ff. Zu den sich daraus ergebenden finanziellen Aspekten der Entwicklung der Chirurgie vgl. VilTrUJr, MedR

1986, S. 283. 24 Als Beispiel hierfür berichten KaltenbachlOswalt, SozVers 1990, S. 38 (39), von der

Chelattherapie, die auf ein Verfahren zur Entfernung von Schwermetallen und Kalzium in der Textilfarbung zurückgeht und als alternatives Mittel zur Behandlung von Arteriosklerose angepriesen wird. Obwohl eine Kur mit dem als wirkungslos nachgewiesenen Mittel zwischen 6.000,00 und 8.000,00 DM kostet, sei diese Methode auf Wunsch von Patienten zwischenzeitlich vielfach angewendet worden. Vgl. zu alternativen Verfahren in der Krebstherapie auch: Der Spiegel Heft 14/1991, S. 146 ff. 25 Vgl. KaltenbachlOswalt, SozVers 1990, S. 38 (39); Franz, Naturheilmittel und Recht, S. 4 f. m.w.N.; Piechowiak, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseitermethoden in der Medizin, S. 3 ff. 26 Vgl. hierzu Häußler/Liebold/Narr, Die kassenärztliche Tätigkeit, S. 330 ff. m.w.N.; LaufslUhlenbruck - Laufs, Handbuch, § 65 m.w.N.

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Einleitung

vertragliche oder deliktische Haftung des Leistungserbringers im Falle einer mißlungenen Behandlung27 sowie an die Frage der Gewährung derartiger Leistungen durch die private Krankenversicherung zu denken28 . Ethische29 und strafrechtliche30 Fragen können sich unter den Gesichtspunkten der vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung gemäß §§ 223, 230 StGB oder fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB sowie unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB stellen, wenn entsprechende Leistungen fehlerhaft erbracht werden oder unkonventionelle Methoden trotz ihres Vorhandenseins als möglicherweise letzte Chance zur Therapie nicht zum Einsatz kommen. 31 Aus verwaltungsrechtlicher Sicht kommt es bei der Gewährung von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden und mehr noch bei dem Einsatz neuer, schulmedizinisch noch nicht anerkannter Leistungen sowohl bei der Zulassung als auch bei der Überwachung derartiger Mittel und Methoden zu rechtlichen Berührungspunkten. 32 Schließlich ist an die krankenversicherungsrechtliche Frage zu denken, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Leistungen zu Lasten der verschiedenen Versicherungs- und Versorgungssysteme erbracht und abgerechnet werden dürfen, die als alternative Behandlungsund Heilmethoden nicht oder als neue Methoden noch nicht wissenschaftlich allgemein anerkannt sind. Von diesen verschiedenen rechtlichen Teilaspekten, die sich aus der Existenz von alternativen sowie neuen Heil- oder Behandlungsmethoden ergeben können, kommt dem der Gewährung derartiger Mittel und Methoden durch die verschiedenen krankenversicherungsrechtlichen Sicherungs27 Laufs, Antrecht, S. 263 ff. m.w.N.; LaufslUhlenbruck - Laufs, Handbuch,

§§ 97 ff. m.w.N. Vgl. hienu auch die Darstellung im vierten Kapitel, A.l.l. 28 PrölsslMartin - Prölss, § 5 MB/KK Anm. 7 m.w.N. Vgl. zu allem auch die Darstel-

lunf im vierten Kapitel, A.II.l. Vgl. hienu Wimmer, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseitermethoden in der Medizin, S. 278 m.w.N. 30 Vgl. hienu LaufslUhlenbruck - Uhlenbruck, Handbuch, §§ 139 f. m.w.N. Eine umfangreiche Rechtsprechungsübersicht zu typischen Fallgruppen der strafrechtlichen Haftung von Änten verschiedener Fachbereiche emdet sich in LaufslUhlenbruck - Kern, Handbuch, §§ 167 ff. Zu der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von "Wunder"- und "Geistheilern" vgl. insbesondere OepenlScheidt, Wunderheiler heute, S. 62 ff. 31 SchönkelSchröder - eramer, § 323 c RdNr. 25 a m.w.N.; DreherlTröndle, § 323 c RdNr. 6 b m.w.N. Vgl. zu allem auch die Darstellung im vierten Kapitel, A.I.2. 32 Im Vordergrund stehen dabei Fragen der Zulassung von Anneimitteln nach den Bestimmungen der §§ 21 ff. AMG. Vgl. hienu auch die Darstellung im vierten Kapitel, A.1.4.

A. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

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systeme besondere Bedeutung zu, wobei es sich vor allem um die Bereiche der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung sowie die Beihilferegelungen des Bundes und der Länder handelt, aufgrund derer die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Leistungen im Krankheitsfall erhalten. 33 Daneben stellt sich die Frage der Einsatzfahigkeit alternativer sowie neuer Heil- oder Behandlungsmethoden aber auch im Rahmen der gesetzlichen Renten- 34 und Unfallversicherung 35 , der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz36 sowie den Bestimmungen des Versorgungsrechtes. 37 Wenngleich sich das Problem, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen alternative sowie neue Heil- und Behandlungsmethoden zum Einsatz gebracht werden dürfen, in jedem der genannten Versicherungs- beziehungsweise Versorgungsbereichen stellt, nimmt hierunter das System der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl aufgrund der Größe des in ihm versicherten Personenkreises38 als auch hinsichtlich des finanziellen Volumens der jährlich gewährten Leistungen39 eine herausragende Stellung ein, so daß sich gerade für diesen Zweig der Sozialversicherung die dringende Notwendigkeit ergibt, eine klare Grenze zwischen den Leistungen, die dem Versicherten im Versicherungsfall auf Kosten der Versichertengemeinschaft zu gewähren sind, und denjenigen Behandlungsmethoden, die der einzelne nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen kann, zu ziehen. Verstärkt wird die Notwendigkeit einer klaren Grenzziehung gerade in diesem Teilbereich der sozialen Sicherung noch dadurch, daß das System der gesetzlichen Krankenversicherung für weite Bereiche des Sozialrechtes zentrale Regelungen enthält und damit gleichsam eine Vorbildfunktion ausübt. 40 33 Vgl. hierzu im einzelnen die Darstellung im vierten Kapitel A.II.2. 34 Vgl. hierzu im einzelnen die Darstellung im vierten Kapitel A.II.4. 35 Vgl. hierzu im einzelnen die Darstellung im vierten Kapitel A.II.3. 36 Vgl. hierzu im einzelnen die Darstellung im vierten Kapitel A.II.5. 37 Vgl. hierzu im einzelnen die Darstellung im vierten Kapitel A.l1.6. 38 Im Jahr 1990 waren in den alten Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland ca. 54 Mio. Menschen und damit rund 90 % der gesamten Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Vgl. Datenreport des Statistischen Bundesamtes 1992, S. 229. 39 Im Jahr 1990 haben die Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Sachleistungen ein Volumen in Höhe von über 112 Mrd. DM erreicht, wovon 32,5 Mrd. DM auf ärztliche beziehungsweise zahnärztliche Behandlungen sowie 35,3 Mrd. DM auf die Gewährung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln entfielen. Vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1992, S. 481. 40 Dies gilt insbesondere für die Bereiche des Versorgungsrechtes und die Sozialhilfe, vgl. hierzu die eingehende Darstellung im vierten Kapitel A.II.

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Einleitung

Neben dieser allgemeinen Bedeutung, die die Frage der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden gerade für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hat, kommt der Grenzziehung zwischen den Leistungen, die der Betroffene noch zu Lasten der Solidargemeinschaft verlangen kann, und denjenigen Mitteln und Methoden, die bereits außerhalb dieses Bereiches liegen, auch für den einzelnen Versicherten oftmals eine existentielle Bedeutung: Gerade in Fällen schwerer oder bisher als hoffnungslos geltender Krankheiten wird der einzelne oftmals nicht in der Lage sein, die Kosten einer Behandlung sowie die Kosten von Heil- und Hilfsmitteln aus eigenen Mitteln zu finanzieren. 41 Hinzu kommt, daß gerade in solchen schweren oder aus schulmedizinischer Sicht gar hoffnungslosen Krankheitsfällen die subjektive Bereitschaft des Betroffenen zunehmen wird, jede Methode anzuwenden, die überhaupt noch eine Chance auf Linderung oder Heilung verspricht. 42 Auf der anderen Seite hat die Frage der Ausgrenzung bestimmter schulmedizinisch nicht anerkannter Verfahren aber auch für die Krankenkassen als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und damit indirekt auch für die Gemeinschaft der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Personen, die die Beiträge erwirtschaften müssen, aufgrund der Knappheit der zur Verteilung bereitstehenden Mittel einen hohen Stellenwert. 43 Selbst wenn unterstellt werden könnte, daß der Einsatz von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von neuen, noch nicht wissenschaftlich anerkannten Methoden für sich genommen nicht teurer wäre als der Einsatz schul medizinischer Methoden44 , müßte bei einer umfassenden Zulassung derartiger Leistungen doch mit einer erheblichen Steigerung der insgesamt zur Abrechnung gebrachten Leistungen gerechnet werden. So haben entsprechende Studien über das Verhalten von Patienten gezeigt, daß durch die Anwendung von alternativen oder neuen Behandlungs- und Heilmethoden allgemein anerkannte Mittel und Methoden 41 Darauf weisen besonders auch Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247 hin. 42 Daß dabei häufig irrationale Beweggründe eine Rolle spielen, zeigt die gerade in Fällen schwerster Erkrankungen zunehmende Bereitschaft, auch "Wunder"- oder "Geistheiler" in Anspruch zu nehmen. Vgl. Oepen/Scheidt, Wunderheiler heute, S. 8, 79 ff. 43 Auf diesen Gesichtspunkt weisen insbesondere BiehllOrtwein, SGb 1991, S. 529 (53j) hin. Daß der Einsatz von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden nicht in jedem Fall kostengünstiger ist als die Gewährung von schulmedizinisch anerkannten Verfahren, zeigt sich bereits am Beispiel der Chelattherapie, deren Kosten bis zu 8.000,00 DM betragen können. Vgl. hierzu auch Kaltenbach/Oswalt, SozVers 1990, S. 38 (39), sowie die Mitteilung in SGb 1994, S. 150.

A. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

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in der Regel nicht ersetzt, sondern ergänzt oder begleitet werden. 45 Die Krankenkassen, die an einer sparsamen Verwendung der durch Beiträge der Versicherten aufgebrachten Mittel interessiert sein müssen, haben daher gerade bei der Behandlung schwerer und aus schulmedizinischer Sicht hoffnungsloser Erkrankungen Ausgabensteigerungen zu befürchten. 46 Zudem könnte sich für die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung eine weitere Steigerung der Kostenbelastung dann ergeben, wenn sie neben der Gewährung alternativer Mittel und Methoden zusätzlich auch noch zur Erforschung oder Erprobung neuer, wissenschaftlich noch nicht anerkannter Behandlungs- und Heilmethoden herangezogen werden würden. 47 Der sich dadurch abzeichnende Interessenkonflikt zwischen den an einem möglichst umfassenden Leistungsspektrum interessierten Versicherten und den zur Sparsamkeit verpflichteten Trägem der gesetzlichen Krankenversicherung wird schließlich noch dadurch verschärft, daß durch die Eingrenzung der Leistungen, die durch die gesetzliche Krankenversicherung übernommenen werden, auch bei den Leistungsanbietern als der dritten maßgeblich an dem System der sozialen Krankenversicherung beteiligten Gruppe entscheidende Interessen berührt werden: Nicht nur, daß auf seiten der praktizierenden Ärzte als der wichtigsten Gruppe der Leistungsanbieter die rechtlichen Fragen der Therapiefreiheit und Freiheit der Methodenwahl und damit zentrale Punkte ihres Berufsverständnisses tangiert werden. Hinzu kommt, daß gerade in Zeiten zunehmend knapper Mittel bei gleichzeitig weiter steigender Zahl am Gesundheitsmarkt präsenter Leistungsanbieter48 ein immer größerer Kampf um den Patienten einsetzt, 45 Vgl. Piel, in: Bühring und andere (Hrsg.), Naturheilverfahren und Unkonventionelle Medizinische Richtungen, S. 1 ff.; Wiesennauer, DAZ 125 (1985) S. 2463. Zu dem Einsatz von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von neuen, noch nicht anerkannten Behandlungsmethoden bei multipler Sklerose vgl.: Der Spiegel, Heft 14/93, S. 268; sowie in der Krebstherapie: Der Spiegel, Heft 14/91, S. 146. 46 Baumberger, in: Krieger, Alternativen wozu?, S. 164; KaltenbachlOswalt, SozVers 1990, S. 38 (39). 47 Auf die Bedeutung der Freistellung der Krankenkassen von den Kosten zur Erforschung neuer Behandlungs- und Heilmethoden wird besonders durch die Regierungsbegründung zu § 2 SGB V hingewiesen, indem ausdrücklich klargestellt wird, das es nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen gehöre, die medizinische Forschung zu finanzieren. Vgl. BT-Drucks. 11/2237, S. 157. 48 Besonders deutlich wird dies bei der Zahl der tätigen Ärzte als der wichtigsten Gruppe der Leistungsanbieter im Gesundheitswesen, deren Zahl von 68.909 im Jahre 1953 über 83.025 im Jahre 1963, 1l0.980 im Jahre 1973 sowie 147.467 im Jahre 1983 auf 202.020 im Jahre 1991 angestiegen ist. Vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1955, S. 80; 1965, S. 90; 1975, S. 92; 1985, S. 395; 1992, S. 476.

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was auf seiten der Leistungsanbieter das Bestreben fördern muß, dem zunehmenden Konkurrenzdruck durch eine Ausweitung der Palette der abrechenbaren Leistungen zu begegnen, um dadurch Nischen für die eigene wirtschaftliche Existenz zu finden. 49 N eben diesen Interessenkonflikten zwischen den an der kassenärztlichen Versorgung beteiligten Parteien und den sich daraus ergebenden Problemen wirft eine mögliche Einbeziehung von alternativen beziehungsweise neuen Behandlungs- und Heilmethoden in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aber auch rechtliche Fragen auf, die die Grundstrukturen dieses Sozialversicherungszweiges berühren. Sollten nämlich derartige Methoden und Mittel zumindest in Einzelfällen und unter bestimmten Voraussetzungen zu den Leistungen gehören, die die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei Vorliegen der übrigen Leistungsvoraussetzungen zu gewähren haben, so kann sich daraus einerseits das Problem ergeben, daß die an der vertrags ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer das entsprechende Verfahren oder Mittel nicht anbieten. Hieraus kann sich für die Krankenkassen die Notwendigkeit ergeben, andere als die bisher anerkannten Leistungserbringer am System der gesetzlichen Krankenversicherung zu beteiligen. 50 Auf der anderen Seite kann die Zulassung alternativer sowie neuer noch nicht allgemein anerkannter Behandlungs- und Heilmethoden aber auch dazu führen, daß das Sachleistungsprinzip und damit einer der Grundpfeiler des gesetzlichen Krankenversicherungssystems in Deutschland unterlaufen wird. Bei einem Einsatz derartiger Methoden und Mittel muß nämlich damit gerechnet werden, daß über das Vorliegen der Leistungspflicht im Einzelfall oftmals langwierige Auseinandersetzungen zwischen den Versicherten und den Krankenkassen geführt werden. Da jedoch die Versicherten in der Regel gleichzeitig an einer möglichst schnellen Gewährung der in Rede stehenden Leistungen interessiert sein dürften, würden diese Leistungen oftmals zunächst zu Lasten der Versicherten erbracht werden, die dann versuchen müßten, im Wege der Kostenerstattung Rückgriff bei den Krankenkassen zu nehmen. 51 49 Auf die sich daraus ergebende Gefahr einer angebotsindizierten Nachfrage weist insbesondere Oberender, Das Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland, in: Schriften zur Gesundheitsökonomie, Band 1, S. 21 hin. Vgl. auch Zuck, NJW 1991, S. 2933. 50 Vgl. hierzu insbesondere Estelmann, SGb 1991, S. 515 (516). 51 Ein deutliches Beispiel hierfür bietet der dem Urteil des BSG vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 24 zugrundeliegende Sachverhalt, bei dem eine an Gebärmutterhalskrebs erkrankte

A. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

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Aufgrund der hohen Bedeutung, die die Frage der Grenzen der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für die drei an dem sozialen Krankenversicherungssystem maßgeblich beteiligten Gruppen52 und darüber hinaus für das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung hat, verwundert es nicht, daß die Möglichkeit der Gewährung von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von neuen, in der medizinischen Wissenschaft noch nicht anerkannten Methoden in der öffentlichen Diskussion einen zunehmend breiten Raum einnimmt. Dabei handelt es sich nicht nur um Veröffentlichungen in der Tagespresse, die den Wunsch der Patienten nach einem verstärkten Einsatz von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von neuen, noch nicht anerkannten Methoden widerspiegeln. 53 Auch in der täglichen medizinischen Praxis werden immer öfter Methoden eingesetzt, die von der Schulmedizin nicht beziehungsweise noch nicht anerkannt werden54 , wobei auch von seiten der Ärzte zunehmend die Forderung nach einer stärkeren Erforschung der alternativen Medizin sowie deren Einbeziehung in die medizinische Ausbildung erhoben wird. 55 Angesichts der offensichtlichen Bedeutung, die die Frage der Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung für die verschiedensten an diesem System beteiligten Kreise hat, verwundert es nicht, daß sich dieses Versicherte Kostenerstattung für ein bisher wissenschaftlich nicht allgemein anerkarmtes Heilmittel begehrte. Vgl. auch Estell'Mnn, SGb 1991, S. 515 (516). 52 Die Kassenärztlichen Vereinigungen als vierte an der kassenärztlichen Versorgung beteiligte Partei körmen hier vernachlässigt werden, da durch sie das von den Krankenkassen überwiesene Honoraraufkommen lediglich auf die an der kassenärztlichen Versorgung beteiligten Ärzte verteilt wird. 53 Vgl. aus jüngerer Zeit nur die Berichte zu dem Einsatz alternativer Methoden in der Krebstherapie in: Der Spiegel, Heft 14/1991, S. 146, zu dem Einsatz neuer Arzneimittel gegen multiple Sklerose in: Der Spiegel, Heft 14/1993 S. 268. Von einem allgemeinen Trend zur Inanspruchnahme alternativer Therapieformen berichten: Süddeutsche Zeitung vom 14.08.1993, S. 43, Berliner Morgenpost vom 10.08.1992, S. 5; Die Woche vom 21.07.1994, S. 1,26 f. mit einer Umfrage, nach der sich 60 % der Befragten für eine Anerkermung alternativer Heilmethoden und eine damit verbundene Kostenerstattung aussprechen. 54 Piel, in: Bühring und andere (Hrsg.), Naturheilverfahren und Unkonventionelle Medizinische Richtungen, S. 1 ff. Daß die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung alternativer Heilmethoden nicht nur von den betroffenen Leistungserbringern sowie den Patienten erhoben wird, sondern auch von der Bundesregierung unterstützt wird, zeigt die Förderinitiative "Naturmedizin erforschen und anwenden", Bericht der BReg., BT-Drucks. 1118115. 55 So wurden bereits an mehreren Universitäten Lehrstühle und Institute für Naturheilkunde errichtet, vgl. Franz, S. 1 f. m.w.N. 3 Schmidt·Rögnitz

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Problem auch aus rechtlicher Sicht zunehmender Aufmerksamkeit erfreut. So hatten sowohl das Bundessozialgericht56 als auch die instanzgerichtliche Rechtsprechung 57 des öfteren über die Gewährung von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von noch nicht anerkannten neuen Methoden zu entscheiden. Auch das Schrifttum hat zu dieser Frage in einer Reihe von Aufsätzen Stellung genommen. 58 Schließlich stand das Problem der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden sowie das Verhältnis derartiger Leistungen zur Schulmedizin auch im Zentrum eines Praktikerseminars , das am 11.12.1993 durch das Institut für Sozialrecht der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurde. 59 Trotz der Beachtung, die das Problem der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden mithin in der letzten Zeit gefunden hat, fehlt es jedoch bis heute an einer umfassenden wissenschaftlichen Darstellung und Durchdringung dieses Problemkreises. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, zur Auffüllung dieser Lücke beizutragen. Dabei verfolgt die Untersuchung in ihrem ersten Teil das Ziel, die gegenwärtige Rechtslage sowie den Stand der zu diesem rechtlichen Problem in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Meinungen systematisch zu erfassen, darzustellen und zu diskutieren. Im weiteren sollen im Rahmen der Arbeit Kriterien entwickelt werden, anhand derer eine auch in der Praxis tragfähige Grenzziehung zwischen den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen und den 56 Vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70; BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134; BSG, Urteil vom 23.08.1988, BSGE 63, S. 102; BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255; BSG, Urteil vom 27.04.1989, BSGE 65, S. 56; BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 24. 57 Vgl. insbesondere SG Karlsruhe, Urteil vom 13.11.1975, ErsK 1979, S. 162; SG Mannheim, Urteil vom 15.07.1976, ErsK 1979, S. 162; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.07.1976, BKK 1976, S. 326; LSG Niedersachsen, Urteil vom 04.08.1982, SozVers 1984, S. 54; LSG Niedersachsen, Urteil vom 20.06.1984, Meso 130/24; LSG NordrheinWestfalen, Urteil vom 16.10.1986, ArztR 1988, S. 60; LSG Niedersachsen, Urteil vom 17.12.1986, SozVers 1989, S. 194; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.06.1990, NJW 1991, S. 2992; BayLSG, Beschluß vom 17.10.1990, NJW 1991, S. 1566; LSG BadenWürttemberg, Urteil vom 03.07.1991, MedR 1993, S. 116;SG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.05.1992, unveröffentlicht. 58 Vgl. insbesondere BiehllOnwein, SGB 1991, S. 529; Estelrrumn/Eicher, SGb 1991, S. 247; Estelmann, SGb 1991, S. 515; Kienle, NJW 1976, S. 1126; Kirsten, SGb 1976, S. 1126; Kriele, ZRP 1975, S. 260; Marburger, ZfS 1989, S. 175; Markgraf, DOK 1990, S. 667; Schell, Krankengynmastik 1988, S. 515, 685; Schimanski, SGb 1983, S. 98; Schlenker, SGb 1992, S. 530; Schulin, SGb 1984, S. 45; Schulin/Enderlein, ZRS 1990, S. 502; Volbers, SdL 1989, S. 266. 59 Vgl. hierzu den Tagungsbericht in der SGb 1994, S. 149.

B. Thematische Eingrenzung

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gegebenenfalls außerhalb dieses Bereiches liegenden Behandlungs- und Heilmethoden vorgenommen werden kium. B. Thematische Eingrenzung und Bestimmung grundlegender Begriffe Angesichts der Vielzahl der sich aus dem Einsatz von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden oder von neuen, schulmedizinisch noch nicht anerkannten Leistungen ergebenden rechtlichen Probleme soll zunächst der Gegenstand der vorliegenden Arbeit genauer gefaßt und eingegrenzt werden. Zudem ist es für den weiteren Gang der Untersuchung erforderlich, den Inhalt der maßgeblichen Begriffe zu bestimmen.

I. Thematische Eingrenzung Aus der Vielzahl der denkbaren rechtlichen Probleme, zu denen die Existenz alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden führen können, greift die Arbeit die sozialversicherungsrechtliche Frage heraus, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet sind, den bei ihnen versicherten Personen derartige schulmedizinisch nicht anerkannte Leistungen zu gewähren. Mit dieser Festlegung des Untersuchungsgegenstandes auf den Bereich der Leistungserbringung durch die gesetzliche Krankenversicherung ist eine mehrfache Abgrenzung des Themas verbunden: Zum einen konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die Fragen, die durch eine mögliche Gewährung von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von neuen, schulmedizinisch noch nicht anerkannten Leistungen durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeworfen werden. Demgegenüber werden die anderen versicherungs- oder versorgungsrechtlichen Sicherungssysteme der privaten Krankenversicherung, der Beihilfesysteme des Bundes und der Länder, der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung, der Versorgungssysteme sowie der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz nur insoweit dargestellt, als sich aus ihnen denkbare Lösungsansätze für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben. Innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf die Untersuchung der Gewährung alter-

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Einleitung

nativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden durch Leistungsanbieter , die bereits heute am System der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligt sind. Keine Berücksichtigung fmden damit die rechtlichen Probleme, die sich aus der Ausgrenzung bestimmter Gruppen von Leistungsanbietern aus dem Bereich der Sozialversicherung ergeben. 6O Zum anderen ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit insoweit begrenzt, als aus dem Spektrum der gemäß § 11 Abs. 1 SGB V von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellenden Leistungen nur diejenigen untersucht werden, bei denen die Gewährung von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden sowie von neuen, schulmedizinisch noch nicht anerkannten Leistungen überhaupt in Betracht kommen können. Da dies im wesentlichen im Rahmen der Gewährung von Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V und innerhalb dieses Bereiches in erster Linie bei der Gewährung von ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung gemäß § 27 Nr. 1, 2 SGB V sowie bei der Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln gemäß § 27 Nr. 3 SGB V der Fall ist, konzentriert sich die Untersuchung auf diesen Ausschnitt aus dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung. Neben dieser inhaltlichen Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf den Bereich der Leistungsgewährung durch die gesetzliche Krankenversicherung beschränkt sich die Arbeit auf die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung einen Einsatz alternativer sowie neuer Heil- oder Behandlungsmethoden im Rahmen der Heilbehandlung ennöglichen müssen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß bei ihr ein konkreter therapeutischer Zweck zugunsten eines einzelnen Patienten verfolgt wird. 61 Nicht zum Gegenstand der folgenden Untersuchung zählt daher das Problem, unter welchen Voraussetzungen der Einsatz alternativer sowie neuer Mittel oder Methoden im Rahmen klinischer Experimente erfolgen kann, bei denen ein allgemeiner medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn und nicht die Behandlung eines einzelnen im Vordergund steht. 62

60 Zu diesen Gruppen der nicht an der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligten Leistungsanbietem gehören insbesondere Heilpraktiker und Psychotherapeuten. 61 Zur Kennzeichnung der "Heilbehandlung" vgl. auch LaufslUhlenbruck - Laufs, Handbuch, § 130 RdNr. 5; Sieben, MedR 1983, S. 217. 62 Vgl. zu der Abgrenzung des Begriffes des "klinischen Experiments" gegenüber dem "Heilversuch": Han, MedR 1994, S. 94 (99); LaufslUhlenbruck - Laufs, Handbuch, § 130 RdNr. 5.

B. Thematische Eingrenzung

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Im Ergebnis stehen damit im Zentrum der Untersuchung die Regelungen des sozialversicherungsrechtlichen Beziehungsvierecks63 zwischen Versicherten, Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen und Leistungsanbietern, durch die die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden und abzurechnenden Leistungen auf Methoden und Mittel festgeschrieben werden, die eine allgemeine wissenschaftliche Anerkennung gefunden haben. Maßgeblich für diese Beschränkung ist in erster Linie die das gesamte Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmende Regelung des § 2 SGB V, nach der die Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Neben dieser grundsätzlichen Begrenzung der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen kommen diese Beschränkungen auf anerkannte Behandlungsmethoden und Mittel auch in den Regelungen zum Ausdruck, die die versicherungsrechtliche Beziehung zwischen den in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten und den Trägem der Krankenversicherung, den Krankenkassen, normieren. Für diesen Teilbereich des krankenversicherungsrechtlichen Beziehungsgeflechts grundlegend ist die Regelung des § 12 SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Diese Beschränkung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber den Versicherten auf Leistungen, die bestimmten Anforderungen genügen müssen, wird flankiert durch die Regelungen der §§ 27 ff. SGB V, die die Erbringbarkeit einzelner Versicherungsleistungen entweder unter den Vorbehalt der Notwendigkeit (§ 27 SGB V), dem Entsprechen der ärztlichen oder zahnärztlichen Kunst (§ 28 Abs. 1, 2 SGB V) sowie den der Zweckmäßigkeit stellen (§ 28 Abs. 1, 2 SGB V) oder generell bestimmte Leistungen als Kassenleistung ausschließen (§ § 31 Abs. 1, 32 Abs. 1, 33 Abs. 1 SGB V). Erhebliche Einschränkungen der durch die gesetzliche Krankenversicherung als Kassenleistungen zu erbringenden Leistungen finden sich darüber hinaus im vierten Kapitel des SGB V, das die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringem und damit das Leistungsrecht regelt. Als maßgebliche Normen, die damit ebenfalls im Rahmen der vorliegen63 Zum Teil wird unter Hinzuzählung des Krankenkassenverbandes als fünfte an dem System der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligte Partei von einem Beziehungsfünfeck gesprochen, vgl. Jö~g, Kassenarztrecht RdNr. 20.

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Einleitung

den Untersuchung zu beleuchten sind, stellen sich aus diesem Bereich besonders die Vorschriften der §§ 70, 72 Abs. 2, 92, 135 ff. SGB V dar, durch welche die Art und der Umfang der zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbaren Leistungen sowie die Einführung neuer Leistungen geregelt werden, sowie die zu diesen Vorschriften ergangenen untergesetzlichen Bestimmungen, die das System der gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls maßgeblich prägen. Obwohl sich angesichts dieser Regelungen zunächst der Eindruck ergeben kann, daß alternative sowie neue Behandlungs- und Heilmethoden, die (noch) nicht wissenschaftlich allgemein anerkannt sind, grundsätzlich aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, kann in der Praxis dennoch ein erhebliches Bedürfnis bestehen, zumindest in Ausnahmefällen auch derartige Mittel oder Methoden zu berücksichtigen. Dabei kommt der Einsatz unkonventioneller Mittel und Methoden insbesondere in drei Fallgruppen in Betracht: Zum einen ist es möglich, daß einer seit langem für die Therapie einer bestimmten Erkrankung anerkannten schulmedizinischen Leistung eine Methode oder ein Mittel gegenübersteht, welches als alternative Behandlungs- und Heilmethode noch keine allgemeine Anerkennung gefunden hat. 64 Zu klären ist in dieser Situation die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Versicherte von dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verlangen kann, anstelle der schulmedizinischen Leistung eine bisher nicht allgemein anerkannte medizinische Maßnahme zu erhalten. Als zweite Fallgruppe kommt die Situation in Betracht, daß sich innerhalb des schulmedizinischen Bereiches neue Methoden entwickeln, die mit hergebrachten Behandlungsformen konkurrieren. 65 Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht stellt sich in dieser Situation die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Versicherte den 64 Als Beispiel hierfür kann etwa der Einsatz einer Akupunkturbehandlung zur Schmenlinderung genannt werden, vgl.: Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247 (248); LSG Mainz, Breithaupt 1977, S. 399; LSG Celle, ErsK 1979, S. 123; LSG Darmstadt, Breithaupt 1981, S. 705. 65 Zu diesem Bereich der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden kann beispielsweise der Einsatz der Reittherapie gezählt werden, die zunehmend mit anderen physiotherapeutisehen Methoden konkurriert. Vgl.: Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247 (248); BSG, Urteil vom 07.11.1979, SozR 3100 § 11 BVG Nr. 13 sowie BSG, Urteil vom 22.07.1981, SozR 2200 § 182 RVO Nr. 72; BSG, Urteil vom 22.09.1981, SozR 2200 § 182 RVO Nr. 76.

B. Thematische Eingrenzung

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Einsatz einer neuen Behandlungsmethode verlangen kann oder ob er in seinem Leistungsanspruch auf die hergebrachten Mittel und Methoden beschränkt ist. Die dritte Situation, in der ein Einsatz von alternativen sowie von neuen Behandlungs- und Heilmethoden hohe Bedeutung hat, ist dann gegeben, wenn für die Behandlung einer Erkrankung überhaupt noch keine schulmedizinisch abgesicherten Methoden oder Mittel zur Verfügung stehen, so daß mit dem Einleiten einer Behandlung in jedem Fall entweder medizinisches Neuland betreten oder eine alternative Behandlungs- und Heilmethode eingesetzt werden muß.66 In diesem Zusammenhang stellt sich die rechtliche Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Versicherter den Einsatz einer neuen Behandlungsmethode oder einer alternativen Behandlungs- und Heilmethode verlangen kann oder ob die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in dieser Situation die Gewährung derartiger Leistungen unter Berufung auf deren mangelnde wissenschaftliche Absicherung ihres Einsatzes ablehnen können.

11. Bestimmung grundlegender Begriffe Durch die Konzentration der Untersuchung auf die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden im Rahmen der ärztlichen beziehungsweise zahnärztlichen Behandlung sowie der Leistung von Arznei-, Heilund Hilfsmitteln verpflichtet sind, ist es erforderlich, verschiedene Begriffe zu erläutern. 1. Der Begriff der "Krankheit" Als zentraler Begriff für den gesamten Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, der zugleich einen der wichtigsten Versicherungsfälle dieses sozialen Sicherungs systemes beschreibt, ist zunächt der Begriff der "Krankheit" zu definieren. Da der Gesetzgeber trotz der Bedeutung dieses Begriffes auch im Rahmen der Neufassung des Rechtes der gesetzlichen 66 Als Beispiel für diese Situation kann der (wissenschaftlich nicht anerkannte) Einsatz von Thymusextrakten bei einer an multipler Sklerose erkrankten Frau genannt werden, über den das BSG zu entscheiden hatte, vgl. BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255.

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Krankenversicherung auf eine gesetzliche Regelung verzichtet hat67 , bleibt für die Bestimmung dieses Begriffes weiterhin68 die von der Rechtsprechung entwickelte Fonnel anwendbar, nach der hierdurch ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand bezeichnet wird, der der Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. 69 Während die in diesem Begriff enthaltenen Kriterien der "Regelwidrigkeit"70 und der" Arbeitsunfähigkeit"71 im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung keine Schwierigkeiten erwarten lassen, verdient das Kriterium der "Behandlungsbedürftigkeit" eine genauere Betrachtung, setzt es nach allgemeiner Ansicht doch voraus, daß der regelwidrige körperliche oder geistige Zustand einer ärztlichen Behandlung mit dem Ziel der Heilung oder der Besserung des Leidens zugänglich ist. 72 Obwohl das Kriterium der "Behandlungsbedürftigkeit" damit eine gewisse "Behandlungsfähigkeit" des körperlichen oder geistigen Zustandes voraussetzt73 , ist es zur Erfüllung des Kriteriums der "Behandlungsbedürftigkeit" nicht erforderlich, daß sich durch ärztliche Bemühungen tatsächlich eine Heilung des Leidens erreichen läßt.74 Da dies im Ergebnis bedeutet, daß der Versicherungsfall der "Krankheit" auch dann gegeben ist, wenn keine sicheren Mittel oder Methoden zur Behandlung einer Erkrankung vorliegen, sondern nur Heiloder Besserungsversuche gewagt werden können, liegt mithin auch dann ein Versicherungsfall der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Folge einer möglichen Leistungspflicht vor, wenn keine Therapiefonnen oder Mittel zur Verfügung stehen, die anerkanntermaßen eine erfolgreiche Behandlung des Leidens erwarten lassen. 75 67 Vgl. hierzu die Begründung des Gesetzgebers zu § 27 SGB V: BT-Drucks. 1112237, S. 170. 68 Zur historischen Entwicklung des Krankheitsbegriffes vgl. insbesondere: Peters Schmidt, Krankenversicherung (SGB V), Vor § 27 SGB V RdNr. 35 ff. 69 BSG, Urteil vom 20.10.1972, BSGE 35, S. 10 (12) m.w.N.; Eichenhojer, SGb 1994, S. 501. 70 Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn der Körper- oder Geisteszustand eines Versicherten vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht, vgl. Schulin, Sozialrecht, RdN r 241. 71 Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn ein Versicherter infolge seines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes nicht oder nur unter der gefahr der Verschlimmerung imstande ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen, vgl. Bley/Kreikebohm, Sozialrecht, RdNr. 486. 72 BleylKreikebohm, Sozialrecht, RdNr. 484; Gitter, Sozialrecht, S. 83. 73 Bley/Kreikebohm, Sozialrecht, RdNr. 484. 74 BSG, Urteil vom 20.10.1972, BSGE 35, S. 10 (12); BleylKreikebohm, Sozialrecht, RdNr. 484; Gitter, Sozialrecht, S. 83. 75 BSG, Urteil vom 20.10.1972, BSGE 35, S. 10 (12); BleylKreikebohm, Sozialrecht, RdNr.484.

B. Thematische Eingrenzung

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2. Der Begriff der "ärztlichen" und "zahnärztlichen Behandlung" Gemäß der in § 28 Abs. 1 SGB V enthaltenen Definition ist unter dem Begriff der ärztlichen Behandlung diejenige Tätigkeit des Arztes zu verstehen, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist.76 Dabei schließt der Begriff der ärztlichen Behandlung auch die Hilfeleistung von anderen Personen mit ein, sofern diese vom Arzt angeordnet und überwacht wird (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V).77 Diese gesetzliche Definition des Begriffes der "ärztlichen Behandlung" ist jedoch nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung78 und Literatur79 insofern weiter einzugrenzen, als hierunter nur diejenigen ärztlichen Maßnahmen verstanden werden können, die durch die Anwendung medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse maßgeblich geprägt werden. Nicht zu dem Bereich der ärztlichen Behandlung gehören damit handwerklich-technische Tätigkeiten, die keine besondere medizinische Sachkunde erfordern und nicht auf einer medizinisch-wissenschaftlichen Grundlage beruhen. 80 Als zahnärztliche Behandlung gemäß § 28 Abs. 2 SGB V gilt diejenige Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. 81 Auch in diesem Bereich gehört die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem

76 Vgl. zu dem Begriff der ärztlichen Behandlung: Peters, Krankenversicherung (SGB V), § 28 RdNr. 27 m.w.N.; Reinze in: Bley/Gitter u.a., SGB-SozVers-GesKomm, § 28 SGB V RdNr. 3 m.w.N. 77 Vgl. hierzu weiterführend: Kasseler Kommentar - Röf/er § 15 SGB V RdNr. 6 ff. m.w.N.; Petus, Krankenversicherung (SGB V), § 28 RdNr. 51 ff.; Reinze in: Bley/Gitter u.a. SGB-SozVers-GesKomm, § 28 SGB V RdNr. 3. 78 BSG, Urteil vom 14.07.1965, BSGE 23, S. 176 (179); BSG, Urteil vom 18.09.1973, BSGE 36, S. 146 (150); BSG, Urteil vom 09.08.1974, BSGE 38, S. 73 (76); BSG, Urteil vom 01.03.1979, BSGE 48, S. 47 (50); BSG, Urteil vom 10.07.1979, SozR 2200 § 182 RVO Nr. 47, S. 82; BSG, Urteil vom 25.07.1979, SozR 2200 § 182 RVO Nr. 48, S. 90. 79 Seewald, NJW 1981, S. 2493 (2498); Bieback, SGb 1982, S. 12 (16); Estelmann, SGb 1991, S. 515 (523). 80 Dies gilt beispielsweise für die Anfertigung eines Stiitzkorsetts, vgl. hierzu weiterführend: Peters, Krankenversicherung (SGB V), § 28 RdNr. 41; GK-SGB V - Y. Maydell, § 28 RdNr. 20; Kasseler Kommentar - Röf/er, § 28 SGB V RdNr. 11 jeweils m.w.N. 81 Heinze in: Bley/Gitter u.a., SGB-SozVers-GesKomm, § 28 SGB V RdNr. 4, GKSGB V - Y. Maydell § 28 RdNr. 60 ff.

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Zahnarzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist, zur zahnärztlichen Behandlung (§ 28 Abs. 2 Satz 2 SGB V i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Bei der ärztlichen beziehungsweise zahnärztlichen Behandlung handelt es sich um die wichtigste Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, da nahezu alle Leistungen entweder vom Arzt selbst durchgeführt oder verordnet und überwacht werden. 82 Besondere Bedeutung im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung kommt dabei der ärztlichen beziehungsweise zahnärztlichen Behandlung von Krankheiten zu, während die auf Verhütung oder Früherkennung von Krankheiten gerichtete Tätigkeit des Arztes beziehungsweise Zahnarztes einen zahlenmäßig und wirtschaftlich geringeren Stellenwert besitzt. 83 Da zudem der Einsatz von alternativen sowie von neuen Behandlungsmethoden und Mitteln in erster Linie bei der Behandlung von Krankheiten in Frage kommt, beschränkt sich die Arbeit auf die in diesem Zusammenhang erfolgende Behandlungstätigkeit des Arztes beziehungsweise Zahnarztes. 3. Der Begriff der "Arzneimittel" Der zweite Bereich aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, der im Rahmen der Krankenbehandlung gewährt wird und bei dem eine mögliche Gewährung von alternativen sowie neuen schulmedizinisch noch nicht anerkannten Methoden eine besondere Rolle spielt, ist der Bereich der Arzneimittel. Hierunter sind Substanzen zu verstehen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen oder zu bessern84 , wobei es für sie kennzeichnend ist, daß sie unabhängig von der Form ihrer

82 Die ärztliche Tätigkeit wird daher auch als Schlüssel zur Kostenbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung bezeichnet, vgl. Sauerbom, DOK 1953, S. 294. 83 Im Jahre 1989 wurden von den Gesamtausgaben für Gesundheit im früheren Bundesgebiet in Höhe von 276,8 Mrd. DM 164,0 Mrd. DM für Behandlungsleistungen einschließlich Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln aufgewendet, während für vorbeugende und betreuende Maßnahmen lediglich 17,9 Mrd. DM ausgegeben wurden. Vgl. Datenreport des Statistischen Bundesamtes 1992, S. 217. 84 BSG, Urteil vom 18.05.1978, BSGE 46, S. 179 (182); Kasseler Kommentar Höjler § 31 SGB V RdNr. 4; Peters, Krankenversicherung (SGB V), § 27 RdNr. 336.

B. Thematische Eingrenzung

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Abgabe auf den inneren Organismus einwirken85 . Als Arzneimittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung gelten darüber hinaus Mittel, die körperliche Zustände oder Funktionen erkennen lassen86 , sowie Mittel, die ohne Einwirkung auf den menschlichen Körper dazu dienen, Krankheitsträger abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen. 87 Über diese für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Bestimmung des Begriffes "Arzneimittel" geht die für das Arzneimittelrecht geltende Begriffsbestimmung insoweit hinaus, als durch die in § 2 Abs. 1 AMG festgeschriebene Legaldefinition dieses Begriffes auch diejenigen Mittel und Substanzen als Arzneimittel bezeichnet werden, die keinen Bezug zum Versicherungsfall "Krankheit" haben oder an Tieren eingesetzt werden. Im Rahmen dieser Untersuchung der Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungsmethoden kommt es jedoch gerade auf den Versicherungsfall der Krankheit und damit auf den Bezug zum Menschen an. Darüber hinaus kann sich insbesondere bei dem Einsatz neuer Mittel das Problem stellen, daß das fragliche Medikament noch nicht arzneimittelrechtlich zugelassen ist und damit gemäß § 2 Abs. 4 AMG nicht als Arzneimittelbegriff im Sinne des Arzneimittelgesetzes gilt. Da jedoch gerade der Fall der Anwendung neuer, eventuell noch nicht zugelassener Mittel einen zentralen Punkt der vorliegenden Untersuchung bildet, wird für den weiteren Gang der Arbeit von dem krankenversicherungsrechtlichen Arzneimittelbegriff ausgegangen. 4. Der Begriff der "Heilmittel" Einen weiteren wichtigen Bereich der von der gesetzlichen Krankenversicherung als Sachmittel zur Verfügung zu stellenden Leistungen stellen die Heilmittel im Sinne des § 32 Abs. 1 SGB V dar. Hierbei handelt es 85 H.M., vgl.: BSG, Urteil vom 16.07.1968, BSGE 28, S. 158; Kasseler Kommentar Höjler § 31 SGB V RdNr. 11; Peters, Krankenversicherung (SGB V) § 27 RdNr. 337; GK-SGB V-v. Maydell § 27 RdNr. 85. 86 BSG. Urteil vom 16.07.1968, BSGE 28, S 158 (162); Kasseler Kommentar - Höjler § 31 SGB V RdNr. 4. 87 BSG, Urteil vom 21.11.1991, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 11; Krauskopj/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 27 RdNr. 24.

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sich um Sachmittel oder Dienstleistungen, die dazu bestimmt sind, einen Krankheitszustand zu heilen, zu bessern, zu lindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten. 88 Im Unterschied zu den im Körper wirkenden Arzneimitteln wirken Heilmittel äußerlich auf den Organismus ein. Gemeinsam ist beiden Leistungsarten jedoch, daß durch sie eine heilende oder zumindest günstige Beeinflussung einer Krankheit bezweckt wird. 5. Der Begriff der "Hilfsmittel" Als Hilfsmittel im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung gelten gemäß § 33 Abs. 1 SGB V Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, sofern es sich bei ihnen nicht um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt. 89 Im Gegensatz zu Arznei- und Heilmitteln zielen Hilfsmittel nur mittelbar auf die positive Beeinflussung einer Erkrankung ab, da sie entweder den Ausgleich eines körperlichen Defektes bezwecken oder den Einsatz von Arznei- oder Heilmitteln begleiten. 6. Die Begriffe "alternative Behandlungs- und Heilmethoden" und "Schulmedizin" Um eine mögliche Verpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Gewährung von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden untersuchen zu können, ist zunächst eine grundlegende Bestimmung dieses Begriffes erforderlich. Dieses Vorhaben bereitet jedoch in mehrfacher Hinsicht Schwierigkeiten, die bereits damit beginnen, daß es für diesen Bereich der Behandlungs- und Heilmethoden in der Rechtsprechung und 88 Vgl. hierzu auch die Definition des Heilmittelbegriffes in Abschn. A 1.1 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen Versorgung (Heil- und Hilfsmittelrichtlinien) vom 17.06.1992; vgl. zu dem Begriff der Heilmittel GK-SGB V-v. Maydell, § 27 RdNr. 89. 89 Vgl. zu dem Begriff der Hilfsmittel auch die Definition in Abschn. A 1.1 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen Versorgung (Heil- und Hilfsmittelrichtlinien) vom 17.06.1992; vgl. zu dem Begriff der Hilfsmittel auch Kasseler Kommentar - Höjler § 33 SGB V RdNr. 4 ff. m.W.N.

B. Thematische Eingrenzung

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Literatur keinen feststehenden Begriff gibt. Zwar wird zur Bezeichnung derartiger Methoden und Mittel überwiegend der auch hier benutzte Begriff der "alternativen Behandlungs- und Heilmethode" gebraucht. 90 Verbreitet ist in der Rechtsprechung und Literatur aber auch die Bezeichnung entsprechender Behandlungsformen als "Außenseitermethode"91 oder "Außenseitermittel "92. Verwendet werden für diesen Bereich schließlich Termini wie "nicht anerkannte" 93 , "exotische"94 oder "unorthodoxe"95 Behandlungs- oder Heilmethode, "umstrittenes "96, "paramedizinisches "97 oder "unkonventionelles"98 Heilverfahren sowie Ausdrücke wie "Kurpfuschertum"99, "Quacksalberei" 100 oder "Scharlatanerie"101. Ergeben sich bereits aus dieser Vielzahl der für diesen Bereich verwendeten Umschreibungen Probleme bei der Bestimmung des Begriffes der alternativen Behandlungs- und Heilmethoden, so werden die Schwierigkeiten einer einheitlichen Begriffsfindung noch dadurch verstärkt, daß es überhaupt an einem einheitlichen Verständnis fehlt, was unter alternativen Behandlungs- und Heilmethoden zu verstehen ist. So wollen manche Autoren unter diesem Begriff diejenigen Methoden zusammenfassen, die zwar nicht nachweislich unwirksam oder gar schädlich sind, deren Wirksamkeit aber von der Wissenschaft in Zweifel gezogen wird. l02 Andere Stimmen in Rechtsprechung und Literatur sprechen von Außenseitermethoden, wenn sie von allen l03 oder der überwiegenden l04 Zahl der Vertreter der 90 So auch Franz, S. 19; Lauft, Arztrecht, RdNr. 40; Lauft, NJW 1987, S. 2304 f.; LG Landau VersR 1987, S. 1102; Henrichs, VersR 1990, S. 464; Markgraf, DOK 1990, S. 667; Oepen, in: Wissenschaftliche Medizin, S. 87 ff., Henrichs, VersR 1990, S. 464 ff. 91 EstelmannlEicher, SGb 1991, S. 247; Schulin, SGb 1984, S. 45; SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502; Rieger, DMW 1992, S. 1774; BSG SozR 2200 § 368 e RVO Nr. 11. 92 OVG Münster, Urteil vom 06.07.1982, unveröffentlicht, zitiert nach Schulin, SGb 1984, S. 45. 93 Marburger, ZfS 1989, S. 175 ff.; AG Neuß, Urteil vom 04.08.1977, VersR 1977, S. 1119; BGH, Urteil vom 23.06.1993, BGHZ 123, S. 83. 94 BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125. 95 Kirsten, SGb 1991, S. 257 ff. 96 Oepen, NdsÄBI. 58 (1985) S. 308. 97 Oepen, in: Oepen, Grenzen, S. 25. 98 Oepen, NdsÄBI. 58 (1985) S. 308. 99 Laufs, NJW 1984, S. 1383 f.; RG, Urteil vom 14.04.1916, RGSt 50, S. 37 (40). 100 Kienle, NJW 1976, S. 1126 ff. 101 Laufs, NJW 1984, S. 1383 (1385). 1020VG Münster, Urteil vom 06.07.1982, unveröffentlicht, zitiert nach Schulin, SGb 1984, S. 45. 103 Schimanski, SGb 1983, S. 98 ff. 104 RG, Urteil vom 01.12.1931, RGSt 67, S. 12 (24); BGH, Urteil vom 23.06.1993, BGHZ 123, S. 83.

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Einleitung

medizinischen Wissenschaft abgelehnt werden oder sich ein Arzt über gesicherte therapeutische und diagnostische Erkenntnisse hinwegsetzt und eine auf eigene Erfahrungen beruhende Behandlung durchführt. 105 Schließlich ist es in der Rechtsprechung und Literatur auch teilweise heftig umstritten, welche Methoden im einzelnen unter den Begriff der alternativen Behandlungs- und Heilmethode fallen, wobei es nicht immer um eine sachliche Abwägung der Zugehörigkeit einer Methode zu einem bestimmten Bereich geht. 106 Nicht unterschätzt werden darf nämlich das Interesse, durch die Zuordnung einer Behandlungsmethode zu einem bestimmten Bereich diese zu diskreditieren oder aufzuwerten. 107 Angesichts dieser Schwierigkeiten, die sich bei der Bestimmung des Begriffes der alternativen Behandlungs- und Heilmethoden ergeben, soll für die vorliegende Untersuchung dieser Begriff dadurch definiert werden, daß er in Gegensatz zu dem Begriff der Schulmedizin gesetzt wird. Dabei soll zur Bezeichnung dieses Bereiches der Terminus der alternativen Heilund Hilfsmittel verwendet werden, da dieser Begriff negative Wertungen vermeidet, wie sie mit dem Ausdruck "Außenseitermethode" und anderen Begriffen verbunden werden. 108 Gegen eine Verwendung des häufig anzutreffenden Begriffes "Außenseitermethode " spricht zudem, daß dieser Begriff unscharf ist, geht es doch bei diesem Teilaspekt der Untersuchung nicht um die Durchführung von Behandlungen durch medizinische Außenseiter wie Wunderheiler oder Scharlatane, sondern um den Einsatz nicht (allgemein) anerkannter Verfahren durch Ärzte und andere medizinisch anerkannte Personen. 109 Um jedoch den Begriff der alternativen Behandlungs- und Heilmethode durch die Gegensätzlichkeit zu dem Begriff der Schulmedizin 110 bestim-

105 Brenner, Arzt und Recht, Rz 11.2.2. 106 Vgl. zu der Gefahr einer vorweggenommenen Wertung durch die Auswahl der Bezeichnung insbesondere auch Franz, S. 19 f. 107 Vgl. hierzu insbe~ondere die kritischen Darstellungen von Oepen, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseiterrnethoden in der Medizin, S. 68 sowie von Wimmer, in: Oepen und andere (Hrsg.), Außenseiterrnethoden in der Medizin, S. 276 m.w.N. 108 So auch Franz, S. 19 f. 109 So auch Wimmer, in: Oepen u.a.(Hrsg.), Außenseiterrnethoden in der Medizin, S. 275. 110 Der Begriff der "Schulmedizin" läßt sich zurückführen auf den Homöopathen Franz Fischer, der ihn als Schlagwort im Kampf gegen die "wissenschaftliche" Medizin erstmalig 1876 öffentlich gebrauchte. Vgl. hierzu Rothschuh, S. 101.

B. Thematische Eingrenzung

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men ZU können, muß auch dieser Terminus zunächst mit Inhalt gefüllt werden. Zwar ist auch dieser Begriff nicht unumstritten, doch bezieht sich der Streit in der Regel nur auf die Frage, welchen Grad der Anerkennung eine bestimmte Methode in der medizinischen Wissenschaft gefunden haben muß, um als der Schulmedizin entsprechend gelten zu können. l11 Vom Begriffsverständnis her herrscht hingegen über diesen Terminus in Rechtsprechung 112 und Literatur 113 insoweit eine einheitliche Auffassung, als unter Schulmedizin die an Universitäten von führenden medizinischen Wissenschaftlern erforschte, gelehrte und praktizierte Medizin zu verstehen ist, deren Wert in der medizinischen Wissenschaft nicht beziehungsweise nicht ernsthaft bestritten wird. 1l4 Dabei versteht die Schulmedizin die medizinische Wissenschaft als Naturwissenschaft, die auf die Gewinnung wissenschaftlich nachvollziehbarer und beliebig reproduzierbarer Erkenntnisse gerichtet ist. 115 Definiert man den Begriff der alternativen Behandlungs- und Heilmethode nunmehr als Gegensatz zu dem Bereich der Schulmedizin, so ergibt sich daraus, daß es sich bei alternativen Behandlungs- und Heilmethoden um diejenigen Untersuchungs- oder Therapieformen handelt, die zwar bekannt sind, aber bisher entweder noch nicht mit wissenschaftlichen 111 Vgl. Wimmer, in: Oepen (Hrsg.), Außenseitennethoden in der Medizin, S. 275 (276) m.w.N. 112 BVerfG, Urteil vom 29.05.1973, JZ 1973, S. 458; RG, Urteil vom 08.06.1930, RGSt 64, S. 263 (270); RG, Urteil vom 01.12.1931, RGSt 67, S. 12 (22). 113 Obwohl der Begriff der "Schulmedizin" in der Diskussion über den Stand der medizinischen Wissenschaft und das Verhältnis der Medizin zu neuen oder alternativen Behandlungs- und Heilmethoden eine zentrale Stellung einnimmt, wird der Begriff zumeist als bekannt vorausgesetzt. Versuche, diesen Begriff näher zu definieren, finden sich in der Literatur vergleichsweise wenig, so etwa bei: Oepen, in: Oepen, Grenzen, S. 25 (28); Siebert, MedR 1983, S. 6; Wimmer, in: Oepen u.a. (Hrsg.), Außenseitennethoden in der Medizin, S. 275 (278). 114 So auch GK-SGB V - Henvig Schirmer, § 2 RdNr. 30; BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (539), Schlenker, SGb 1992, 530 (531); Wimmer, in: Oepen u.a. (Hrsg.) Außenseitermethoden in der Medizin, S. 275, Zuck, NJW 1991, S. 2933. Siebert, MedR 1983, S. 6 will das genannte Begriffsverständnis um das Erfordernis erweitern, daß eine medizinische Richtung, die als Schulmedizin gelten will, keinen grundsätzlichen sozialethischen Bedenken ausgesetzt sein darf. Da es sich hierbei jedoch um ein Kriterium handelt, das ebenso auf alternative Behandlungs- und Heilmethoden zuzutreffen hat und damit keine Grenzziehung zwischen diesen verschiedenen Richtungen der Medizin erlaubt, kann es für die vorliegende Untersuchung außer Betracht bleiben. 115 BVerfG, Urteil vom 29.05.1973, JZ 1973, S. 458; BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529.

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Einleitung

Methoden untersucht wurden oder bei denen eine solche Untersuchung bisher zu keinen wissenschaftlich objektivierbaren Ergebnissen geführt hat, so daß ihre Wirksamkeit im Einzelfall nicht mit der für anerkannte Mittel oder Methoden geltenden Sicherheit abgeschätzt werden kann. 116 Dabei ist es für die alternativen Behandlungs- und Heilmethoden kennzeichnend, daß sie aus diesen Gründen umstritten sind und von führenden Vertretern der medizinischen Wissenschaft nicht beziehungsweise nicht allgemein anerkannt werden 117 oder sich nach überwiegender wissenschaftlicher Auffassung nicht bewährt haben. 118 Dabei darf der Begriff der alternativen Behandlungs- und Heilmethoden nicht mit dem Terminus der "besonderen Therapieeinrichtungen " im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Satz 2,34 Abs. 2 Satz 3,92 Abs. 2 Satz 4 SGB V gleichgesetzt werden, der mit der durch das Inkrafttreten des SGB V verbundenen Reform des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung erstmalig Eingang in die Sozialversicherung gefunden hat. Bei diesen besonderen Therapieformen, zu denen gemäß § 34 Abs. 2 Satz 3 SGB V gegenwärtig die Homöopathie 119, die Phytotherapie 120 und die Anthroposophie 121 zu zählen sind, handelt es sich im Gegensatz zu dem Feld der auch als "echte Außenseitermethoden" bezeichneten alternativen Behandlungs- und Heilmethoden 122 um zwischenzeitlich von der vertragsärztlichen Versorgung umfaßte Bereiche, deren Einsatz im Einzelfall von den üblichen Voraussetzungen ihrer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abhängt. 123 Dies ergibt sich bereits aus der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V, nach 116 BiehllOrtwein, SGb 1991, S. 529. 117 BiehllOrtwein, SGb 1991, S. 529. Aufgrund der stetigen Weiterentwicklung der Medizin muß nicht betont werden, daß die Grenze zwischen dem schulmedizinisch anerkannten Bereich und dem Feld der alternativen Behandlungs- und Heilmethoden einem ständigen Wandel unterliegt, vgl. hierzu Wimmer, in: Oepen u.a. (Hrsg.) Außenseitermethoden in der Medizin, S. 276 m.w.N. 118 Vgl. insoweit auch die amtliche BeglÜndung des Entwurfs zu § 2 Abs. 1 SGB V (BTDrucks 11/2237, S. 157); ebenso Peters - Schmidt, Krankenversicherung (SGB V), § 27 RdNr.288. 119 Zu dem Begriff der Homöopathie vgl. oben in der Einleitung A. 120 Bei der Phytotherapie handelt es sich um einen Zweig der Naturheilkunde, bei dem zur Behandlung von Krankheiten Bestandteile von Pflanzen mit den darin enthaltenen Wirkstoffen eingesetzt werden. Vgl. zu dem Begriff der Phytotherapie auch: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, S. 1301. 121 Zu dem Begriff der Anthroposophie vgl. oben in der Einleitung A. 122 So insbesondere BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 13; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.01.1993, Juris. 123 Kasseler Kommentar - Peters, § 2 SGB V RdNr. 4; GK-SGB V - Herwig Schirmer, § 2 RdNr. 36; Peters, Krankenversicherung (SGB V), § 2 RdNr. 8.

B. Thematische Eingrenzung

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der die Behandlungsmethoden sowie die Arznei- und Hilfsmittel der besonderen Therapieeinrichtungen nicht ausgeschlossen sind, sowie aus den Regelungen der §§ 34 Abs. 2 Satz 3 beziehungsweise 92 Abs. 2 Satz 4 SGB V, nach denen bei der Beurteilung von Arzneimitteln beziehungsweise bei der Schaffung von Richtlinien zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung den Besonderheiten dieser Therapieformen Rechnung zu tragen ist. 124

7. Der Begriff der "neuen Behandlungs- und Heilmethode" Bei der zweiten Gruppe von Behandlungs- und Heilmethoden, deren Gewährung durch die gesetzliche Krankenversicherung untersucht werden soll, handelt es sich um den Komplex der "neuen Behandlungs- und Heilmethoden" . Unter diesem Bereich, für den auch Begriffe wie "Neulandbehandlungen "125, "Neulandverfahren "126 oder "neuartige Behandlungsmöglichkeiten "127 gebräuchlich sind, sollen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in Anlehnung an die Begriffsbestimmung im Rahmen der "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" (NUB-Richtlinien)128 diejenigen Behandlungs- und Heilmethoden verstanden werden, die sich hinsichtlich ihres therapeutischen oder diagnostischen Anwendungsbereiches von bereits eingeführten Methoden in einem für das ärztliche Handeln relevanten Maße unterscheiden und die gegenwärtig noch nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind. 129 Dabei ergibt sich schon aus der Frage nach der Berechtigung eines möglichen Ausschlusses der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aus dem Bereich der vertragsärztlichen Versorgung, daß hierunter nur solche Methoden oder Mittel verstanden werden können, die für

124 Zu dem Bereich der besonderen Therapieeinrichtungen und deren Standort im deutschen Gesundheitswesen vgl. weiterführend: Zuck, NJW 1991, S. 2933. 125 Brenner, Arzt und Recht, RdNr. 11.2.3. 126 Peters, Krankenversicherung (SGB V), § 27 RdNr. 289; Laufs, Arztrecht, RdNr. 298; Oepen, MedSachv 1987, S. 150. 127 BGH, Urteil vom 28.02.1984, NJW 1984, S. 1810. 128I.d.F. vom 04.12.1990 (BArbBI.2/1991 S. 33), zuletzt geändert durch die Bekanntmachung vom 11.05.1993 (BAnz. Nr. 156 S. 7896). Vgl. zu den NUB-Richtlinien im einzelnen unten im zweiten Kapitel A.II.2.c). 129 So auch Krauskopj!Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, "§ 135 RdNr. 3; GK-SGB V - Köster, § 135 RdNr. 6. 4 Schmidt·Rögnitz

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Einleitung

die medizinische Wissenschaft insgesamt neu sind und nicht nur für einen einzelnen Arzt oder ein Ärzteteam Neuland darstellen. 130 Dabei steht auch der Begriff der neuen Behandlungs- und Heilmethode wie der Terminus der alternativen Behandlungs- und Heilmethode im Gegensatz zu dem mit dem Begriff der Schulmedizin bezeichneten Feld der allgemein anerkannten Behandlungs- und Heilmethoden. Dennoch dürfen diese beiden Teilbereiche der alternativen Medizin nicht gleichgesetzt werden. l31 Im Unterschied zu dem Bereich der alternativen Behandlungsund Heilmethoden bezeichnet der Begriff der neuen Behandlungs- und Heilmethoden neu entdeckte oder zumindest weiterentwickelte Behandlungsformen und Mittel, zu deren Wirkungsweise und Erfolgschancen aufgrund ihrer Neuartigkeit noch keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse vorliegen und die sich aus diesem Grund noch nicht zuverlässig beurteilen lassen. l32 Bei diesen Methoden und Mitteln muß es sich somit erst noch entscheiden, ob sie sich nach dem Abschluß ihrer Erforschung allgemein durchsetzen können und damit die Anerkennung der Schulmedizin finden, ob sie in den Status einer alternativen Behandlungs- oder Heilmethode eintreten oder ob sie als Fehlentwicklung gänzlich aufgegeben werden. C. Gang der Untersuchung Da eine Untersuchung der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet sind, den bei ihnen versicherten Personen alternative sowie neue Behandlungsmethoden und Mittel zu gewähren, insbesondere aufgrund der Vielzahl der hierfür maßgeblichen gesetzlichen und untergesetzlichen Normen nicht losgelöst von der geschichtlichen Entwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung stattfinden kann, wird im folgenden ersten Kapitel zunächst die Entstehung dieses Zweiges der sozialen Versicherung nachgezeichnet. Entsprechend dem Gegenstand der Untersuchung steht dabei die Entwicklung desjenigen Normensystems sowie der hierzu in Rechtsprechung und Literatur ergangenen Stellungnahmen im Vorder130 Vgl. auch Brenner, Arzt und Recht, RdNr. 11.2.3. 131 Hierauf weist auch Peters - Schmidt, Handbuch (SGB V), § 27 RdNr. 289 hin. 132 So auch auch die amtliche Begründung des Entwurfs zu § 2 Abs. 1 SGB V (BTDrucks 1112237, S. 157). Vgl. hierzu auch Peters - Schmidt, Handbuch (SGB V), § 27 RdNr.289.

c. Gang der Untersuchung

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grund, aus denen sich eine zunehmende Eingrenzung der in der gesetzlichen Krankenversicherung gewährungsfähigen Leistungen ergeben. Demgegenüber wird die allgemeine historische Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung nur insoweit beleuchtet, als dies für das Verständnis der weiteren Untersuchung notwendig ist. In dem zweiten Kapitel wird sodann der gegenwärtige Stand der Leistungsgewährung und seiner Grenzen in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgestellt. Um die Darstellung der gegenwärtigen Rechtslage und des hierzu in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinungsstandes möglichst übersichtlich gestalten zu können, werden zunächst die für die Leistungseingrenzung maßgeblichen gesetzlichen und untergesetzlichen Normen beleuchtet. In dem zweiten Teil des zweiten Kapitels werden sodann die Meinungen dargestellt, die gegenwärtig in der Rechtsprechung und Literatur zu der Frage der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung vertreten werden. Daran anschließend erfolgt im dritten Kapitel der vorliegenden Untersuchung eine kritische Auseinandersetzung mit den zur Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden gegenwärtig vertretenen Meinungen. Dabei werden sowohl die jeweiligen Ergebnisse als auch die zu ihrer Begründung jeweils herangezogenen Argumente einer kritischen Betrachtung dahingehend unterworfen, ob sie im Einklang mit dem zur Zeit gültigen gesetzlichen sowie untergesetzlichen Normensystem stehen und in der Praxis zu tragbaren Konsequenzen führen. Im vierten Kapitel wird schließlich unter Zugrundelegung der bis dahin herausgearbeiteten Erkenntnisse ein eigener Lösungsansatz entwickelt, mit dem in erster Linie erreicht werden soll, unter einer möglichst umfassenden Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die bestmögliche Versorgung der Versicherten mit denjenigen Leistungen zu gewährleisten, die zur Linderung oder Heilung einer Erkrankung notwendig sind. Zugleich soll der Lösungsansatz aber auch die sich teilweise widersprechenden Interessenlagen der anderen am System der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligten Personen und Personengruppen berücksichtigen und dazu beitragen, zwischen den sich gegenüberstehenden Positionen einen Ausgleich zu erzielen.

Erstes Kapitel

Die geschichtliche Entwicklung des für die Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normensystems Seit dem Beginn seiner geschichtlichen Entwicklung, die sich grob in drei Abschnitte unterteilen läßt, unterlagen sowohl die zunächst anzutreffenden direkten Beziehungen zwischen dem Arzt und dem Patienten als auch das darauf aufbauende System der gesetzlichen Krankenversicherung einer Vielzahl gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Einflüsse, die diesen Zweig der Sozialversicherung bis heute entscheidend prägen. Dabei läßt sich im Verlauf der Entwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur ein stetiger Ausbau des Leistungsspektrums beobachten, sondern es fallen auch die zunehmenden Bestrebungen des Gesetzund Verordnungsgebers auf, den Bereich der gewährungsfahigen Leistungen gegenüber solchen Mitteln und Methoden abzugrenzen, die nicht dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen sollten. 1 A. Die Ausgangssituation Über Jahrhunderte hinweg haben Ärzte und andere in der Medizin tätige Personen ihre Leistungen frei auf dem Markt angeboten. 2 Wollte oder mußte ein Patient ihre Leistungen in Anspruch nehmen, kam es zwischen den Parteien zu einer unmittelbaren Vereinbarung über die Art und den Umfang der vorzunehmenden medizinischen Handlungen und deren Aus historischen Griinden und zur besseren Abgrenzung des alten gegenüber dem gegenwärtigen Rechtszustand wird in der Darstellung der Entwicklung des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin der Begriff der "kassenärztlichen " beziehungsweise "kassenzahnärztlichen Tätigkeit" verwendet. 2 Vgl. hierzu weiterführend: Seidler, Geschichte der Pflege des kranken Menschen, S. 92 ff., 114 ff.

A. Die Ausgangssituation

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Kosten. 3 Naturgemäß stellte sich in diesem Stadium, in dem sich Arzt und Patient als Partner eines Behandlungsvertrages4 direkt gegenüberstanden, in der Regel nicht das Problem, daß über die Gewährung von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden gestritten wurde. Vielmehr war es dem Patienten von vornherein bewußt, daß er für die ärztlichen Bemühungen aufzukommen hat, so daß er bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen naturgemäß vorsichtig war. Im Gegenzug konnte der Arzt als Vertragspartner des Patienten auf dessen besondere persönliche und wirtschaftliche Situation Rücksicht nehmen und bei der Vereinbarung und Durchsetzung seiner Honoraransprüche entsprechend disponieren. 5 Im Ergebnis war es damit möglich, daß der Arzt alternative Behandlungs- und Heilmethoden entweder im Rahmen einer umfassenden Behandlung zur Verfügung stellte, ohne hierfür ein gesondertes Honorar zu verlangen, oder daß von vornherein die Durchführung einer neuartigen Behandlungsmethode vereinbart wurde, für die der Patient aufzukommen versprach. Dieses bilaterale Verhältnis zwischen Arzt und Patient und das damit zusammenhängende System der Leistungsgewährung wurden auch durch den zunehmenden Aufbau von sozialen Sicherungssystemen nicht betroffen, die sich in Deutschland bis in das 12. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. 6 Dabei war es für diese ersten Systeme der sozialen Sicherung, die zumeist dem Bereich der Armenfürsorge zuzurechnen waren7 , kennzeichnend, daß in erster Linie der wirtschaftlichen Not begegnet werden sollte, in die ein Betroffener im Falle einer Erkrankung geraten konnte. Neben dieser Funktion der wirtschaftlichen Absicherung der Versicherten durch Gewährung einer "Lohnfortzahlung" im Krankheitsfall sahen die Regelungen der ersten Krankenversicherungssysteme die Übernahme von "Kur und Arznei" vor, wenn sich der Versicherte die Leistung

3 Sauerborn, DOK 1953, S. 293; Schneider, DOK 1981, S. 866. 4 Auch vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches dürfte es sich hierbei im Regelfall um einen Dienstvertrag gehandelt haben; vgl. zu dem Vertragstypus: LaufslUhlenbruck - Krauskopf, Handbuch, § 23. 5 Sauerborn, DOK 1953, S. 293; Schneider, DOK 1983, S. 866. 6 Vgl. hierzu Liebold, in: HäußlerlLieboldlNarr, Die kassenärztliche Tätigkeit, S. 1. Die Ursprünge kollektiver oder staatlicher Systeme zur Absicherung des Krankheitsrisikos lassen sich bis in die Zeiten der antiken griechischen und römischen Hochkulturen zurückverfolgen; vgl. GK-SGB V - Knieps, Einleitung, RdNr. 2 m.w.N. Zu den vor dem Entstehen der gesetzlichen Krankenversicherung vorhandenen Sicherungssystemen vgl. Weyrauch, DOK 1968, S. 689 m.w.N.; Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S.19ff. 7 Vgl. Siebeck, DOK 1981, S. 854 ff. m.w.N.

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

nicht auf eigene Rechnung beschaffen konnte. 8 Dabei beschränkte sich dasjenige, was ein Versicherter an Leistungen verlangen konnte, auf die im jeweiligen Einzelfall "notwendige" Pflege. 9 Dies schloß zwar den Einsatz von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden nicht aus, doch ergab sich aus der Nähe der ersten Sicherungssysteme zur staatlichen Armenpflege, daß der Leistungsrahmen minimal war und allein das zum Leben absolut Notwendige umfaßt haLlO

B. Die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des "Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" vom 15.06.1883 Zu einer grundlegenden Neufassung und Vereinheitlichung des Krankenversicherungsrechtes kam es mit dem Inkrafttreten des durch die "Kaiserliche Botschaft" vom 17.11.1881 11 initiierten "Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" (KVG) vom 15.06.1883 12 . Durch dieses Gesetz, das zugleich den Beginn der gesetzlichen Krankenversicherung und die "Geburt" des Kassenarztrechtes markiert 13 , wurden die Leistungsbeziehungen zwischen Arzt und Patient durch die Zwischenschaltung der Krankenversicherungsträger grundlegend geändert. 14 Richtete sich der Behandlungsanspruch des Patienten bis dahin direkt gegen den Arzt als Vertragspartner , hatte der Patient als Versicherter nunmehr einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen gegen seine Krankenversicherung, die zur Erfüllung dieser Verpflichtungen Ärzte heranzog, mit denen sie entsprechende zivilrechtliehe Verträge zugunsten der Versicher8 vgl. insbesondere die Regelungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts; vgl. hierzu Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 29 f., sowie der Preußischen Gewerbeordnung vom 17.01.1845, Preußische Gesetzessammlung 1845, S. 41 ff. 9 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 29 ff. 10 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 29 ff. 11 Aufgrund ihrer Bedeutung für die Entstehung des Sozialversicherungssystems in Deutschland ist die kaiserliche Botschaft auch als "Magna Charta" der deutschen Sozialversicherung bezeichnet worden; vgl. Peters, DOK 1971, S. 911; Siebeck, DOK 1981, S. 854. Im Wortlaut abgedruckt ist die kaiserliche Botschaft unter anderem bei Siebeck, DOK 1981, S. 855 ff. 12 RGBI. 1883, S. 73. 13 Schneider, Kassenarztrecht, S. 10 m.w.N.; zu der Entwicklung des Kassenarztrechtes auch Schneider, DOK 1981, S. 866; Liebold, in: HäußlerlLiebold/Narr, Die kassenärztliche Tätigkeit, S. 1; Sauerbom, DOK 1953, S. 293 jeweils m.w.N. 14 Tiemann, MedR 1983, S. 176.

B. Die Rechtslage während der Geltung des KVG vom 15.06.1883

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ten abschloß.l5 Die bis zum Inkrafttreten des KVG bestehende bilaterale Leistungsbeziehung zwischen dem Arzt und dem Patienten wurde somit in ein Dreiecksverhältnis aufgespalten. Gleichzeitig mit dieser grundlegenden Neuordnung des Leistungssystems wurde das Naturalleistungssystem eingeführt, das die gesetzliche Krankenversicherung bis heute prägt. Kennzeichnend für dieses System ist es, daß der Patient die Leistungen des Arztes fortan nicht mehr selbst zu bezahlen hatte, sondern im Versicherungsfall von der Krankenkasse die Gewährung bestimmter Leistungen verlangen konnte, die sich diese wiederum durch entsprechende Vereinbarungen mit den Leistungserbringern sichern mußte. 16 Parallel zu der Neuordnung der Leistungsbeziehungen zwischen Versicherten, Krankenkasse und Leistungserbringern und der Einführung des Naturalleistungssystems legte das KVG auch den Umfang der zu erbringenden Leistungen erstmals für das in der Entstehung begriffene System der gesetzlichen Krankenversicherung fest. So bestimmte § 6 Satz 1 Nr. 1 KVG, daß den Versicherten als Krankenunterstützung vom Beginn der Krankheit an freie ärztliche Behandlung, Arznei sowie Brillen, Bruchbänder und ähnliche Hilfsmittel zu gewähren waren. Begrenzt war dieser Leistungsanspruch nur insoweit, als die Krankenunterstützung spätestens mit dem Ablauf der dreizehnten Woche nach Beginn der Krankheit zu enden hatte (§ 6 Satz 2 KVG) und nur bestimmte Ärzte an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt waren, mit denen jeweils Einzelverträge geschlossen wurden. Eine darüber hinausgehende inhaltliche Begrenzung des Leistungsanspruches war hingegen weder im KVG noch in der Novellierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Krankenversicherungsänderungsgesetz vom 16.04.1892 17 vorgesehen. Auch aus den Verträgen, die die Krankenkassen zugunsten ihrer Versicherten zunächst mit einzelnen Leistungserbringern schlossen18, ergab sich 15 Jörg, Kassenarztrecht, S. 4; Schneider, DOK 1981, S. 866 (867). 16 Zugleich dürfte die Schaffung dieses Systems ursächlich für die bis heute andauernden Kostenprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung sein, da durch die Schaffung des Naturalleistungsprinzips das bis dahin greifende Regulativ der freien Vereinbarungen zwischen Arzt und Patient entfiel; vgl. Liebold, in: Häußler/Liebold/Narr, Die kassenärztliche Täti~keit, S. 5; Schneider, Kassenarztrecht, S. 8 m.w.N. 1 RGBI. S. 379. 18 Zu der Rechtsnatur der Verträge vgl. Schmitt, Leistungserbringung, S. 124 m.w.N. In der Beteiligung der Ärzte an der kassenärztlichen Versorgung aufgrund von EinzeIverträgen lag zugleich die Ursac1:te für die Unruhen in der Ärzteschaft, die zur Gründung des Leipziger Bundes, dem späteren Hartmannbund e.V., als Gegengewicht zu den Krankenkassen führten; vgl. Schmitt, Leistungserbringung, S. 126 m.w.N.

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

für den Versicherten unmittelbar keine inhaltliche Begrenzung seines Leistungsanspruches gegenüber der Krankenkasse. Mittelbar wurde der Versicherte von dem Abschluß und der inhaltlichen Ausgestaltung der Verträge allerdings insoweit betroffen, als er nur Leistungserbringer in Anspruch nehmen durfte, die aufgrund eines Einzelvertrages an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt waren. Darüber hinaus war den Krankenkassen bei der inhaltlichen Gestaltung der Verträge ein weiter Spielraum eröffnet, den sie insbesondere bei der Ausgestaltung der Honorierung der erbrachten Leistungen nutzten. 19 Angesichts dieses nach dem Gesetzeswortlaut und den Verträgen inhaltlich nicht beziehungsweise nicht eindeutig begrenzten Leistungsanspruches des Versicherten hatten sich die Rechtsprechung und Literatur schon bald nach dem Inkrafttreten des KVG mit der Frage der inhaltlichen Grenzen der Leistungsgewährung und damit spiegelbildlich mit dem Problem der Gewährung von alternativen und neuen Behandlungsmethoden und Mitteln zu beschäftigen. Im Vordergrund stand dabei das Plombieren von Zähnen, das zu damaliger Zeit als neue Behandlungsmethode in Konkurrenz zu der bis dahin von der Schulmedizin vertretenen Extraktion kariöser Zähne trat. Anhand dieser medizinischen Maßnahme, die einhellig dem Bereich der ärztlichen Behandlung zugeordnet wurde20 , entwickelten die Rechtsprechung21 sowie das Schriftum22 erstmals inhaltliche Beschränkungen der gemäß § 6 KVG zu gewährenden freien ärztlichen Behandlung. So war es allgemein anerkannt, daß eine bestimmte Leistung nur dann von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen war, wenn sie zur

19 In der Regel vereinbarten die Krankenkassen mit den beteiligten Ärzten Pauschalhonorare; vgl. HesslVenter, Kassenarztrecht, Vorbem. Abschn. I S. 19 f.; Wiegand, Kassenarztrecht, Einführung, RdNr. 2. 20 Vgl. grundlegend LG Berlin, Urteil vom 09.05.1895, Die Arbeiterversorgung 1895, s. 420; Hahn, Krankenversicherungsgesetz, § 6 KVG Anm. 2 c. 21 LG Berlin, Urteil vom 09.05.1895, Die Arbeiterversorgung 1895, s. 420; Magistrat zu Frankfurt a.M., Entscheidung vom 21.04.1896, Die Arbeiterversorgung 1896, S. 358; LG Aachen, Urteil vom 28.05.1897, Die Arbeiterversorgung 1898, S. 31; Rat zu Dresden, Entscheidung vom 30.06.1898, Die Arbeiterversorgung 1899, S. 452; Württembergischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.1905, Die Arbeiterversorgung 1906, S. 74; Badischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 12.03.1907, Die Arbeiterversorgung 1908, S. 32; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 12.10.1907, Die Arbeiterversorgung 1908, S. 76. 22 Hahn, Krankenversicherungsgesetz, § 6 Anm. 2 c; Hahn, Die Arbeiterversorgung 1897, S. 329.

B. Die Rechtslage während der Geltung des KVG vorn 15.06.1883

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Behandlung einer Erkrankung notwendig und geboten war. 23 Standen mehrere Methoden zur Auswahl, beschränkte sich die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die kostengünstigste Behandlungsmaßnahme, mit der sich der gewünschte Heilungserfolg voraussichtlich erzielen ließ.24 Über diese Begrenzung des Leistungsanspruches der Versicherten auf das im Einzelfall Notwendige und Preisgünstigste hinaus verlangte eine Minderansicht in der Rechtsprechung sogar einen generellen Ausschluß bestimmter Leistungen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung für den Fall, daß durch ihre Gewährung derart unerträgliche Lasten auf die Krankenkassen zukommen würden, die zum Ruin des Systems führen könnten. 25 Zur Begründung dieser Ansicht verwiesen ihre Vertreter insbesondere auf die Überlegung, daß es den Zielsetzungen des Gesetzgebers zuwiderlaufen müsse, mit der gesetzlichen Krankenversicherung eine Einrichtung geschaffen zu haben, "die den Keim der Zersetzung bereits in sich trage" .26 Mit diesem generellen Ausschluß bestimmter Behandlungsmethoden aus dem System der kassenärztlichen Versorgung setzte sich diese Ansicht jedoch in Widerspruch zu dem Wortlaut des § 6 KVG, der die Gewährung einer Behandlungs- oder Heilmethode ausschließlich von ihrer Notwendigkeit zur Krankenbehandlung im Einzelfall abhängig machte, ohne bestimmte Mittel oder Methoden von vornherein auszugrenzen. Eine breite Gefolgschaft blieb dieser Meinung von daher versagt.27

23 VgI: insbesondere: LG Aachen, Urteil vorn 28.05.1897, Die Arbeiterversorgung 1898, S. 31; Rat zu Dresden, Entscheidung vorn 30.06.1898, Die Arbeiterversorgung 1899, S. 452; Badischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vorn 12.03.1907, Die Arbeiterversorgung 1908, S. 32; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vorn 12.10.1907, Die Arbeiterverso~ung 1908, S. 76. 4 LG Aachen, Urteil vorn 28.05.1897, Die Arbeiterversorgung 1898, S. 31; Rat zu Dresden, Entscheidung vorn 30.06.1898, Die Arbeiterversorgung 1899, S. 452; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vorn 12.10.1907, Die Arbeiterversorgung 1908, S. 76; Hahn, Krankenversicherungsgesetz, § 6 Anrn. 2 c; Hahn, Die Arbeiterversorgung 1897, S. 329. 25 Vgl. die Entscheidung des Magistrats zu Frankfurt a.M. vorn 21.04.1896, Die Arbeiterversorgung 1896, S. 358 ff., durch die die Gewährung von Zahnplomben mit der Begrundung abgelehnt wurde, daß angesichts der zu erwartenden Anspruche der Versicherten im Falle einer Gewährung dieser Leistung ein Drittel der insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel aufgewendet werden müßten. 26 Entscheidung des Magistrats zu Frankfurt a.M. vorn 21.04.1896, Die Arbeitervers0'ffng 1896, S. 358 (359). Vgl. hierzu insbesondere die kritische Stellungnahme von Hahn, Die Arbeiterversorgung 1897, S. 329 (332).

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

C. Die Rechtslage nach dem Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung vom 19.06.1911 Zu einer grundlegenden Neukodifizierung und Weiterentwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung kam es mit dem Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19.06.1911 28 am 01.01.1914 29 , deren zweites Buch das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung für die nächsten fünfundsiebzig Jahre prägen sollte. 30

I. Die Zeit bis zum Einsetzen der Notgesetzgebung zu Beginn der dreißiger Jahre Während mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes der Kreis der in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherten Personen erheblich ausgedehnt wurde31 , brachte die R V0 bezüglich der Ausgestaltung und Begrenzung der LeistungsanspTÜche der Versicherten in der ersten Phase ihrer Geltung inhaltlich kaum Veränderungen mit sich. So regelte nunmehr § 182 Satz 1 Nr. 1 RVO als Nachfolgeregelung zu § 6 Satz 1 Nr. I KVG, daß die Versicherten im Falle ihrer Erkrankung einen Anspruch auf Krankenpflege hatten, der ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei sowie Brillen, Bruchbändern und anderen kleineren Hilfsmitteln umfaßte. Dagegen brachte die RVO für das zwischen den Versicherten, Krankenkassen und Ärzten bestehende Beziehungsdreieck insoweit eine Neuregelung mit sich, als nun erstmals mit der Vorschrift des § 368 RVO gesetzlich festgeschrieben wurde, daß die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Ärzten durch einen schriftlichen Vertrag geregelt werden. Aber auch diese Neuregelung führte zunächst zu keinen inhaltlichen Änderungen des damals bestehenden Rechtszustandes. Auch weiterhin wurden die Ärzte aufgrund von Einzelverträgen an der kassenärztlichen Versor-

28 RGBI. S. 509. 29 In Kraft gesetzt aufgrund der Verordnung vom 05.07.1912, RGBI. S. 439. 30 Abgelöst wurden die in der RVO enthaltenen Regelungen über das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung erst mit dem aufgrund des Gesundheitsreformgesetzes vom 20.12.1988 am 01.01.1989 in Kraft gesetzten Fünften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V).

31 Vgl. zu den mit der RVO eingeführten Verbesserungen im einzelnen Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 79 f.

c. Die Rechtslage während der Geltung der RVO vom 19.06.1911

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gung beteiligt32 , wobei auch die ber~its unter der Geltung des KVG verwendeten verschiedenen Vergütungsfonnen beibehalten wurden. Dieses System der Beteiligung der Ärzte auf der Grundlage von Einzelverträgen geriet jedoch zunehmend unter Druck. Aufgrund der schwachen Verhandlungsbasis des einzelnen Arztes gegenüber den übennächtigen Krankenkassen begannen die Ärzte bereits frühzeitig damit, sich zunächst zu kleineren Verbänden33 und sodann zu übergreifenden Organisationen34 zusammenzuschließen, um ein Gegengewicht zu den Krankenkassen zu bilden. Diese Entwicklung, die in dem Abschluß des Berliner Abkommens 35 am 23.12.1913 einen ersten Höhepunkt erreichte, führte schließlich dazu, daß sich die Auseinandersetzung über die Ausgestaltung der kassenärztlichen Versorgung auf die jeweiligen Verbände der beteiligten Parteien verlagerte. 36 Obwohl die Ärzte mit dem Aufbau einer Ärztevereinigung in erster Linie eigene wirtschaftliche Interessen verfolgten37 , wirkte sich diese Entwicklung auch auf die Ausgestaltung und damit mittelbar auch auf den Umfang und die Grenzen der Leistungsansprüche der Versicherten gegenüber ihren Versicherungsträgern aus. So erhob der Verband der Ärzte nicht nur schon frühzeitig die Forderung nach Behandlungs- und Verordnungsfreiheit38 und stellte sich damit an die Seite der an einer möglichst umfassenden kassenärztlichen Versorgung interessierten Versicherten, sondern die Ärzteschaft entwickelte sich darüber hin32 Die Bedeutung der Einzelverträge wurde zu dieser Zeit durch das von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Ärzte unter Mitwirkung des Reichsamtes des Inneren getroffene Berliner Abkommen vom 23.12.1913 (RAnz. 1913 Nr. 285) zuIiickgedrängt, durch das vor allem die Zulassung von Ärzten zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung neu geregelt wurde. Vgl. zur Entstehungsgeschichte und dem Inhalt des Berliner Abkommens: Schlottmann, S. 9 ff.; Stier-Somlo, S. 789 ff.; Schmitt, Leistungserbringung, S.127.

33 Als einer der ersten derartigen Verbände wurde 1894 ein Verein für freie Arztwahl vgl. Schneider, Kassenarztrecht, S. 12 m.w.N. 4 Als wichtigster dieser von den Ärzten zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen geschaffenen Verbände kann der am 13.09.1900 gegIiindete "Leipziger Verband" gelten, der später nach seinem GIiinder in "Hartmannbund" umbenannt wurde. Bereits im Jahre 1911 !!ehörten diesem Verband 23.789 Ärzte an, was einem Organisationsgrad von 72 % aller Arzte entsprach. Vgl. hierzu Schneider, Kassenarztrecht, S. 12; Sauerborn, DOK 1953, S. 293 (294); Hess/Venter, Kassenarztrecht, Vorbem. Abschn. I S. 20; zu den Zahlenangaben vgl. Plaut, S. 97. 35 RAnz. 1913 Nr. 285; vgl. zu den Regelungen und dem Inhalt des Berliner Abkommens: Schmitt, Leistungserbringung, S. 127 m.w.N. 36 Schneider, Kassenarztrecht, S. 14. 37 Sauerborn, DOK 1953, S. 293 (295). 38 Schneider, Kassenarztrecht, S. 14; Schneider, DOK 1981, S. 866 (868); Sauerborn, DOK 1953, S. 293 (295).

ge~Iiindet;

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

aus durch ihren Zusammenschluß zu einem starken Verhandlungspartner für die Krankenkassen, was dazu führte, daß durch die zwischen den Spitzenverbänden geschlossenen Vereinbarungen zunehmend Fragen der Leistungsgewährung geregelt wurden. Diese Entwicklung führte im Ergebnis zu dem bis heute bestehenden System, daß für die Art und den Umfang der zugunsten der Versicherten zu gewährenden Leistungen nicht nur das zwischen den Versicherten und den Krankenkassen bestehende Versicherungsverhältnis maßgebend ist, sondern daß entsprechende Regelungen auch in dem Bereich des zwischen den Krankenkassen und der Ärzteschaft bestehenden vertraglichen Beziehungsgeflechtes zu finden sind. Diese zunehmende Bedeutung des sich zwischen den Trägem der Krankenversicherung und den Leistungserbringern entwickelnden Beziehungsgeflechtes für das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung blieb für die Konkretisierung des Leistungsanspruches des einzelnen durch die Rechtsprechung und die Literatur zunächst ohne Bedeutung. Vielmehr führten auch nach dem Inkrafttreten der RVO sowohl die Rechtsprechung 39 als auch das Schrifttum40 die bereits unter der Geltung des KVG gefundene Linie fort und begrenzten den nach dem Wortlaut des Gesetzes inhaltlich nicht beschränkten Leistungsanspruch des Versicherten auf die im Einzelfall notwendigen und ausreichenden Behandlungsmaßnahmen, ohne dabei bestimmte Methoden und Mittel von vornherein von der kassenärztlichen Versorgung auszuschließen. 41 Nachdem unter dem Eindruck der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Ende des ersten Weltkrieges und den sich daraus ergebenden sozialen Verwerfungen erneut erhebliche Spannungen zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft auftraten, kam es erstmalig zu einer gesetzlichen Regelung des Kassenarztrechtes, die sich direkt auf die Art und den Umfang der zugunsten der Versicherten zu gewährenden Leistungen auswirkte. So verpflichtete § 1 der "Verordnung über Krankenhilfe bei den Krankenkassen" vom 30.10 .192342 die für eine Krankenkasse tätigen 39 Vgl.: LVAmt Bayern, Entscheidung vom 01.12.1915, EuM Bd. 8, S. 65; LVAmt Sachsen, Entscheidung vom 01.07.1916, Nr. 2 K, EuM Bd. 7, S. 61; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 20.02.1917, EuM Bd. 9, S. 50. 40 Hoffmann, Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, § 182 RdNr. 5; Reichsversicherungsordnung mit Anmerkungen, § 182 RdN r. 7. 41 Vgl. insbesondere die Entscheidung des LVAmt Bayern vom 01.12.1915, EuM Bd. 8, S. 65, zu der Notwendigkeit einer Behandlung mit Röntgenstrahlen. 42 RGBI. I S. 1054. Erlassen wurde diese Verordnung aufgrund der Ermächtigungsgesetze vom 13.10.1923 (RGBI. I S. 943) und vom 22.04.1922 (RGBI. I S. 463).

c. Die Rechtslage während der Geltung der RVO vom 19.06.1911

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Ärzte dahingehend, eine nicht erforderliche Behandlung abzulehnen sowie eine erforderliche Behandlung insbesondere hinsichtlich der Art und dem Umfang der ärztlichen Verrichtungen sowie der Verschreibung von Arznei-, Heil- und Stärkungsmitteln auf das notwendige Maß zu beschränken und bei der Erfüllung der Verbindlichkeiten alles zu vermeiden, was eine unnötige und übermäßige Inanspruchnahme der Krankenhilfe herbeiführen könnte. Gleichzeitig wurde den Ärzten gemäß § 1 Satz 2 der "Verordnung über Krankenhilfe bei den Krankenkassen" die Beachtung von Richtlinien auferlegt, die durch einen zu errichtenden Reichsausschuß oder durch den Vorstand der jeweiligen Krankenkasse zur näheren Ausgestaltung der kassenärztlichen Tätigkeit festgesetzt werden konnten. Wenn auch diese Verordnung in der folgenden Zeit heftig umstritten war und schließlich unter dem Eindruck eines sich an ihr entzündenden Ärztestreiks43 zunächst durch entsprechende Richtlinien des Reichsarbeitsministeriums abgemildert und schließlich durch das "1. Gesetz über Abänderung des zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung " vom 22.05.192644 ganz aufgehoben wurde45 , handelte es sich hierbei doch erstmalig um einen Versuch des Gesetzgebers, die Leistungen, die der Kassenarzt zugunsten der Versicherten erbringen durfte, einzugrenzen. Unterstützt wurden diese Bemühungen dabei durch die Regelung der ebenfalls am 30.10.1923 erlassenen "Verordnung über Ärzte und Krankenkassen"46, durch die die Bildung eines Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen zur Regelung der Beziehungen zwischen den Krankenkassen und den Ärzten festgesetzt wurde. 47 Gemäß § 5 dieser Verordnung sollten sich die von diesem Ausschuß zu erstellenden Richtlinien namentlich auch auf den allgemeinen Inhalt der Arztverträge und damit auf die Art und den Umfang der zu gewährenden Leistungen erstrecken. Mit der Neubekanntmachung der RVO am 15.12.192448 floß diese Regelung wörtlich in die Vorschrift des § 368 e RVO ein. Bereits kurz nach Inkrafttreten dieser Neuregelung machte der Reichsausschuß für Ärzte und Krankenkassen von dieser Regelungskompetenz Gebrauch und erließ eine Reihe von Richtlinien, die erstmals auf 43 Vgl. zu der damaligen Situation: Sauerbom, DOK 1953, S. 293 (296 ff.). 44 RGBI. I S. 243. 45 Schneider, DOK 1981, S. 866 (869). 46 RGBI. I S. 1051. Erlassen wurde diese Verordnung aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 13.10.1923 (RGBI. I S. 943). 47 Diese Verordnung wurde mit der Neubekanntmachung der RVO vom 15.12.1923 (RGBI. I S. 779) in das Regelungsgefüge der §§ 368 a ff. RVO eingefügt. 48 RGBI. I. S. 779.

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untergesetzlicher Ebene die Art und die Qualität der von den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten gewährten Leistungen einschränkten. Von besonderer Bedeutung waren dabei die "Richtlinien für wirtschaftliche Arzneiverordnung " vom 15.05.192549 . Durch diese Richtlinien wurde den Ärzten eine wirtschaftliche Arzneiverordnung als Teil der wirtschaftlichen Behandlungsweise aufgegeben, wobei gemäß Abschnitt A Ziff. 1 unter dem Begriff der wirtschaftlichen Behandlungsweise die Anwendung desjenigen Mittels zu verstehen war, das von allen verfügbaren und wissenschaftlich bewährten Methoden am besten geeignet war, die Krankheit und Arbeitsunfähigkeit des Betroffenen unter Berücksichtigung seiner physischen, psychischen, sozialen und beruflichen Eigenarten am gründlichsten, schnellsten und besten zu beseitigen. Gleichzeitig wurden die für eine Krankenkasse tätigen Ärzte gemäß Abschnitt A Ziff. 2 der "Richtlinien für wirtschaftliche Arzneiverordnung" verpflichtet, eine nicht erforderliche Behandlung abzulehnen, eine erforderliche Behandlung insbesondere hinsichtlich der Art und dem Umfang der ärztlichen Verrichtungen sowie der Verschreibung erforderlicher Mittel auf das notwendige Maß zu beschränken sowie alles zu vermeiden, was zu einer unnötigen Kostenbelastung der Krankenhilfe führen konnte. Bezüglich des Einsatzes neuer Arzneimittel bestimmten die "Richtlinien für wirtschaftliche Arzneiverordnung" unter Abschnitt A Ziff. 3 Nr. 3 darüber hinaus, daß der Kassenarzt derartige Mittel nur dann verwenden durfte, wenn ihr Wert zuvor durch systematische Untersuchungen in Kliniken oder größeren Krankenanstalten wahrscheinlich gemacht worden war. In einem als Anhang zu den "Richtlinien für wirtschaftliche Arzneiversorgung" veröffentlichten Merkblatt für die Kassenärzte wurden diese schließlich auf den Ausschluß von "Geheimmitteln" aus der kassenärztlichen Versorgung mit der Bemerkung hingewiesen, daß die Verordnung derartiger Mittel das Verlassen des wissenschaftlichen Bodens bedeute. Ungeachtet der zunehmenden Bedeutung des Leistungserbringungsrechtes hielten sowohl die Rechtsprechung 50 als auch das Schrifttum51 weiter an der bisher vertretenen Meinung fest, nach der die Krankenkassen 49 RAB\. 1925, S. 255. 50 Reichsversicherungsamt, Urteil vom 16.01.1925, EuM Bd. 17, S. 253; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 20.01.1927, EuM Bd. 26, S. 199; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 29.05.1929, EuM Bd. 25, S. 318; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 29.05.1929, EuM Bd. 25, S. 190; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 07.11.1929, EuM Bd. 27, S. 398; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 26.02.1930, EuM Bd. 27, S. 57. 51 Hahn/Kühne, Handbuch der Krankenversicherung, § 368 e RVO RdNr. 1.

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als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ihren Versicherten ärztliche Behandlung ohne Einschränkungen zu gewähren hatten, soweit diese im Rahmen der Krankenbehandlung notwendig war. Dabei wurde als notwendig eine Heilbehandlung immer dann angesehen, wenn durch sie ein Heilerfolg erzielbar schien und zugleich andere gleich wirksame Heilmethoden nicht zur Verfügung standen, wegen besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zur Anwendung kommen konnten oder von der Krankenkasse nicht angeboten wurden. 52 Bestand jedoch eine kostengünstigere Behandlungsmethode, so konnte der Versicherte lediglich diese und nicht die Gewährung der teureren Methode verlangen. 53 In diesem Zusammenhang wurde von der Rechtsprechung und der Literatur betont, daß für die Festlegung der den Versicherten zustehenden Leistungen allein die Vorschriften des Leistungsrechtes maßgeblich seien und dieser Anspruch durch die Vertragsrichtlinien des Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen nicht berührt werde. 54 Begründet wurde diese Ansicht insbesondere mit dem Hinweis auf Ziff. I der Vertragsrichtlinien des Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen, nach deren Inhalt diese Richtlinien lediglich allgemeine Grundsätze für die vertraglichen Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen zur Sicherung gleichmäßiger und angemessener Vereinbarungen und damit kein objektives Recht enthielten, das gegenüber den Versicherten verbindlich sein könne. 55

II. Die Zeit vom Einsetzen der Notgesetzgebung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Nachdem sich das System der gesetzlichen Krankenversicherung in der Folgezeit aufgrund der sich verbessernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Ende der zwanziger Jahre konsolidieren konnte und weitere Eingriffe in den Leistungsbereich nicht notwendig waren, sah sich der Ge52 Vgl. insbesondere: Reichsversicherungsamt, Urteil vom 07.11.1929, EuM Bd. 27, S. 398 zu der Gewährung einer Quarzlampenbestrahlung. 53 Reichsversicherungsamt, Urteil vom 29.05.1929, EuM Bd. 25, S. 190; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 07.11.1929, EuM Bd. 27, S. 398; Hahn/Kühne, Handbuch der Krankenversicherung, § 368 e RVO RdNr. 1. 54 Reichsversicherungsamt, Urteil vom 29.05.1929, EuM Bd. 25, S. 190; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 07.11.1929, EuM Bd. 27, S. 398; Hahn/Kühne, Handbuch der Krankenversicherung, § 368 e RVO RdNr. 1. 55 Reichsversicherungsamt, Urteil vom 29.05.1929, EuM Bd. 25, S. 190; Reichsversicherungsamt, Urteil vom 07.11.1929, EuM Bd. 27, S. 398.

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setzgeber unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und den damit einhergehenden sozialen Verwerfungen zu Beginn der dreißiger Jahre zu einer erneuten grundlegenden Reformierung dieses Sozialversicherungszweiges veranlaßt. 56 Dabei blieb es diesmal nicht bei einer Reform oder Neuordnung der Beziehungen zwischen den Leistungserbringern und Krankenkassen mit einer sich daraus ergebenden indirekten Beeinflussung des Leistungsanspruches der Versicherten, sondern es kam erstmalig auch zu einer leistungsrechtlichen Begrenzung der in der kassenärztlichen Versorgung zu gewährenden Mittel und Methoden. Grundlage hierfür war der Erlaß der "Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände" vom 26.07.193057 , die als erste von mehreren im Rahmen der Notgesetzgebung erlassenen Verordnungen in Kraft trat. Durch diese Verordnung wurde der bis dahin nach dem Wortlaut des § 182 RVO leistungsrechtlich nicht begrenzte Anspruch des Versicherten auf Gewährung von Krankenhilfe durch die Einfügung des Absatzes 2 inhaltlich insoweit eingeschränkt, als die Krankenpflege nunmehr ausreichend und zweckmäßig zu sein hatte, ohne dabei das Maß des Notwendigen überschreiten zu dürfen. Gleichzeitig bestimmte § 182 Abs. 2 RVO, daß Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgingen, abzulehnen waren. Mit der Aufnahme der Kriterien der "Zweckmäßigkeit", der "Notwendigkeit" und des "Ausreichens" der im Rahmen der Krankenhilfe eingesetzten Leistungen folgt der Gesetzgeber der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes, das die Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenversicherung zuvor in gleicher Weise eingegrenzt hatte. 58 Neben dieser direkt auf das Verhältnis zwischen Versicherten und Krankenversicherung abzielenden Regelung, die bis zum Außerkrafttreten der krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften der RVO am 01.01.1989 im wesentlichen unverändert blieb, kam es im Rahmen der zu dieser Zeit auf der Grundlage des Art. 48 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung erfolgten 56 Die Notwendigkeit der Neuordnung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ergab sich dabei nicht aus in diesem Versicherungszweig liegenden Gründen, sondern es mußte ein Ausgleich für die extrem gestiegenen Aufwendungen aus dem Bereich der Arbeitslosenversicherung gefunden werden. Vgl. hierzu insbesondere Schneider, Kassenarztrecht, S. 25 m.w.N. sowie Sauerbom, DOK 1953, S. 293 (298). 57 RGBI. I S. 311. 58 Aus diesem Grunde führte die neu eingeführte Regelung des § 182 Abs. 2 RVO auch zu keiner grundlegend neuen Leistungspraxis der Krankenkassen. Vgl. auch Reichsversicherungsordnung mit Anmerkungen, § 182 Anm. 17 m.w.N.

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Notgesetzgebung auch zu einer indirekten Einschränkung des Leistungsanspruches der Versicherten. Grundlage hierfür war die "4. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens" vom 08.12.1931 59 und deren Einfügung in die RVO aufgrund der "Verordnung über die kassenärztliche Versorgung" vom 14.01.193260 , mit der das Beziehungsgeflecht zwischen Ärzten und Krankenkassen völlig neu geregelt wurde. Bestand bis dahin zwischen den Versicherten, Krankenkassen und Ärzten ein Dreiecksverhältnis, so wurde dies nunmehr durch die Errichtung von kassenärztlichen Vereinigungen und deren Zwischenschaltung in die bis dahin bestehende direkte Vertragsbeziehung zwischen Ärzten und Krankenkassen in ein Vierecksverhältnis umgestaltet. 61 Gleichzeitig mit dieser Neuordnung der Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen wurde ein kollektives Vertragssystem zwischen Ärzten, kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen eingeführt, die die bis dahin vorherrschenden Einzelverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen verdrängten. Darüber hinaus wurde den Ärzten das Honorar nicht länger direkt von den Krankenkassen ausbezahlt, sondern fortan über die kassenärztlichen Vereinigungen zugeleitet, die ihrerseits das Gesamthonorar von den Krankenkassen zur Verteilung unter den Ärzten erhielten. Im Rahmen dieser Neuregelung des Rechtes der kassenärztlichen Versorgung und der damit verbundenen Neuordnung des Beziehungsgeflechtes zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Ärzten als der wichtigsten Gruppe der Leistungserbringer wurde für die Ärzte wie bereits zu Beginn der zwanziger Jahre die Verpflichtung normiert, bei der ärztlichen Tätigkeit das Maß des Notwendigen nicht zu überschreiten. Zu diesem Zweck wurde durch die "Verordnung über die kassenärztliche Versorgung" auch die Bestimmung des § 368 d RVO neu gefaßt. Im Rahmen dieser Neufassung wurde der Arzt nunmehr seiner Kasse gegenüber verpflichtet, den Kranken ausreichend und zweckmäßig zu behandeln, ohne dabei das Maß des Notwendigen zu überschreiten. Darüber hinaus verpflichtete § 368 d RVO i.d.F. der "Verordnung über die kassenärztliche Versorgung" vom 14.01.1932 den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt, eine Behandlung, die nicht oder nicht mehr notwendig ist, abzulehnen, die Heilmaßnahmen, insbesondere die Arznei- sowie die Heil- und Stärkungsmittel 59 RGBI. I S. 699. 60 RGBI. I S. 19. 61 Vgl. hierzu weiterführend: Schmitt, Leistungserbringung, S. 131 m.w.N. 5 Schmidt-Rögnitz

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nach Art und Umfang wirtschaftlich zu verordnen und auch sonst bei Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen die Kasse vor Ausgaben so weit zu bewahren, als es die Natur seiner Dienstleistungen zuläßt. Ergänzt wurde diese Regelung durch die aufgrund der "4. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens" vom 08.12.1931 erlassene neue Vertrags- und Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 30.12.1931 62 , die in ihrem § 12 ebenfalls die Verpflichtung des Kassenarztes zu einer ausreichenden und zweckmäßigen, jedoch auf das Notwendige beschränkten Behandlung der Versicherten vorsah. Neben diesen Änderungen im Bereich des gesetzlich normierten Leistungserbringungsrechtes kam es im Zuge der zu Beginn der dreißiger Jahre stattfindenden Reform des Kassenarztrechtes auch zu wesentlichen Änderungen im Bereich der untergesetzlichen Regelungen, wobei sich die Bedeutung dieser Modifikationen nicht allein auf den Inhalt der Normierungen beschränkte. Bestand bis dahin gemäß § 368 e RVO alter Fassung für den Reichsausschuß für Ärzte und Krankenkassen die Möglichkeit, Richtlinien zur Erzielung einer einheitlichen kassenärztlichen Versorgung zu schaffen, so sah der nunmehr an Stelle des § 368 e RVO getretene § 368 i RVO i.d.F. der Verordnung vom 14.01.1932 den Erlaß von Ausführungsvorschriften zu den §§ 368 bis 368 b, 368 d sowie § 368 e RVO durch den Reichsausschuß für Ärzte und Krankenkassen beziehungsweise im Falle dessen Scheitems durch den Reichsarbeitsminister vor. Diesen Ausführungsbestimmungen, durch die gemäß § 368 i Abs. 1 Nr. 1 RVO unter anderem auch eine ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Versorgung der Kranken gewährleistet werden sollte, kam dabei im Gegensatz zu den noch unter der Geltung der RVO alter Fassung erlassenen Richtlinien bindende Wirkung zu. 63 Von den Regelungen, die in der Folgezeit auf Grundlage des § 368 i RVO auf untergesetzlicher Ebene geschaffen wurden, waren für die Art und den Umfang der in der kassenärztlichen Versorgung zu gewährenden Leistungen die "Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über wirtschaftliche Arzneiversorgung in der Krankenversicherung" vom 24.08.1935 64 von besonderer Bedeutung. Mit diesen Bestimmungen, die 62 RGBI. 1(1932) S. 2. 63 Kühne, Krankenversicherung, § 368 i Anrn. 1. 64 RABI. I S. 269 und IV S. 331.

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der Reichsarbeitsminister gemäß § 368 i Abs. 1, 3 RVO an Stelle des Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen traf und die die bis dahin geltenden "Richtlinien des Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen für wirtschaftliche Arzneiverordnung " vom 16.12.193265 ablösten, wurden die Kassenärzte zu einer ausreichenden und zweckmäßigen Behandlung der Kranken verpflichtet, ohne dabei das Maß des Notwendigen überschreiten zu dürfen (Teil I Abschnitt A Nr. 2, 4 der Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über wirtschaftliche Arzneiversorgung in der Krankenversicherung). Gleichzeitig legten die Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über wirtschaftliche Arzneiversorgung in der Krankenversicherung in Teil I Abschnitt A Nr. 3 jedoch fest, daß die Krankenhilfe bei aller gebotenen Sparsamkeit nicht minderwertig sein durfte. Bezüglich des Einsatzes neuer Arzneimittel in der kassenärztlichen Versorgung ordnete die Regelung des Teils I Abschnitt A Nr. 18 der Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über wirtschaftliche Arzneiversorgung in der Krankenversicherung an, daß sich der Kassenarzt vor der Verordnung derartiger Mittel im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens zunächst davon zu überzeugen hatte, das die angepriesene Wirkung der jeweiligen Mittel durch gründliche wissenschaftliche und praktische Untersuchungen tatsächlich gewährleistet war. Darüber hinaus schlossen die Bestimmungen des Reichsarbeitsministers diejenigen Mittel von der kassenärztlichen Versorgung aus, die in einer zu erstellenden amtlichen Geheimmittelliste verzeichnet waren. 66 Diese Ausgestaltung, die das Leistungserbringungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung im Zuge der Notgesetzgebung zu Beginn der dreißiger Jahre erfahren hat, blieb auch in der Folgezeit trotz einer Vielzahl von Gesetzesänderungen erhalten, die vor allem zu einer Ausweitung des versicherten Personenkreises sowie zur weiteren Ausgestaltung einzelner Leistungsbereiche der gesetzlichen Krankenversicherung führten. 67 65 Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung S. IV 509. 66 Zählten zu dem Begriff der "Geheimmittel" ursprunglich alle Stärkungs-, Heil- oder Vorbeugungsmittel, die unter Geheimhaltung ihrer Zusammensetzung oder ihrer Zubereitung angeboten wurden, so sind unter "Geheimmitteln" im Sinne der "Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über wirtschaftliche Arzneiversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung" diejenigen Arzneimittel zu verstehen, deren Bestandteile und Gewichtsmengen nicht sachgerecht und in gemeinverständlicher Weise kenntlich gemacht wurden. Vgl. zu dem Begriff und dem Hintergrund der "Geheimmittel": Kuhns, Heilberuferecht, S. 1/444 m.w.N. 67 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Einführung der Krankenversicherung der Rentner durch das "Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Renten-

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

Auch weiterhin hatten die Versicherten damit einen Anspruch auf Gewährung zweckmäßiger und ausreichender Leistungen, ohne daß dabei das Maß des Notwendigen überschritten werden durfte. III. Die Zeit vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum 31.12.1988

Diese grundsätzliche Begrenzung der Leistungen blieb auch bestehen, als im Zuge der Nachkriegsgesetzgebung sowohl der Kreis der versicherten Personen als auch der Umfang der von der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßten Versicherungsfälle stetig ausgebaut wurden. 68 Zu ersten erheblichen Änderungen im Kassenarztrecht kam es bereits mit dem Inkrafttreten des "Gesetz über Kassenarztrecht" (GKAR) vom 17.08.195569 , durch das das kassenärztliche Normensystem der RVO teilweise neu gefaßt und neu geordnet wurde. So trat als Nachfolgeregelung zu dem bis dahin den Leistungsumfang bestimmenden § 368 d RVO nunmehr § 368 e RVO in Kraft, der auch zu einer inhaltlichen Änderung der bis dahin bestehenden Rechtslage führte: War zuvor der Umfang der zu gewährenden Leistungen dadurch bestimmt, daß sie ausreichend und zweckmäßig zu sein hatten, ohne daß dabei das Maß des Notwendigen überschritten werden durfte, so hatte der Versicherte nunmehr einen Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend war, wobei auch weiterhin nicht notwendige oder unwirtschaftliche. Leistungen aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen blieben. Zu einer vergleichbaren Eingrenzung der zu erbringenden Leistungen kam es darüber hinaus mit der Schaffung des § 368 g Abs. 1 RVO, der den kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen aufgab, durch den versicherung" vom 24.07.1941 (RGBI. I S. 443) sowie die Verbesserung des Leistungswesens der gesetzlichen Krankenversicherung durch den mit gesetzesgleicher Wirkung ergangenen "Erlaß des Reichsarbeitsministeriums" vom 21.05.1941 (AN 1941, S. 197) zu nennen. Vgl. dazu weiterführend: Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 113 ff. 68 Von besonderer Bedeutung waren dabei das "Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges" - Bundesversorgungsgesetz - vom 20.12.1950 (BGBI. I S. 791), durch dessen Regelungen den Kriegsopfem und ihren Hinterbliebenen ein Anspruch auf Gewährung von Heilbehandlung im Krankheitsfall gegen die Krankenkassen zustand, sowie das "Bundesvertriebenengesetz" vom 19.05.1953 (BGBI. I S. 1565), durch das die Vertriebenen und Flüchtlinge unter den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt wurden. Vgl. hierzu weiterführend: Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 156 ff. 69 BGBI. I S. 513.

c. Die Rechtslage während der Geltung der RVO vom 19.06.1911

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Abschluß von Verträgen und unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien der Bundesausschüsse eine gleichmäßige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken zu gewährleisten. Ersetzt wurde weiterhin die Regelung des § 368 i RVO, an dessen Stelle § 368 P RVO in Kraft trat. Ziel dieser Gesetzesänderung war es, nach den Jahren der zentralistischen Herrschaft das Prinzip der gemeinsamen Selbstverwaltung der kassenärztlichen Versorgung durch die Kassenärzte und Krankenkassen neu zu beleben. 70 Inhaltlich führten diese Änderungen dazu, daß an die Stelle der gemäß § 368 i RVO alter Fassung zu erlassenden verbindlichen Ausführungsbestimmungen des Reichsarbeitsministers zur Regelung der kassenärztlichen Versorgung nunmehr Richtlinien traten, die auf Grundlage des § 368 P Abs. 1 RVO von den gemäß § 3680 RVO zu errichtenden Bundesausschüssen der Ärzte beziehungsweise Zahnärzte und Krankenkassen zu beschließen waren. Dabei sollten diese Richtlinien insbesondere die Sicherstellung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Kranken sowie die Einführung neuer Untersuchungs- und Heilmethoden in das kassenärztliche Versorgungssystem gewährleisten. Allerdings waren diese Richtlinien, die der Bundesausschuß in Ausübung seiner Richtlinienkompetenz in der Folgezeit recht zögerlich erließ71, gegenüber den Kassenärzten nicht bindend, so daß sie die Art und den Umfang der den Versicherten zu gewährenden Leistungen nicht direkt berühren konnten.7 2 Eine über ihren bloßen Empfehlungscharakter hinausgehende Verbindlichkeit erlangten die Richtlinien jedoch indirekt durch ihre Einbeziehung in die gemäß § 368 g RVO zwischen den zuständigen Verbänden der Kassenärzte und Krankenkassen abzuschließenden Verträge, die ebenfalls zur Regelung der kassenärztlichen Versorgung beitrugen. Dies führte dazu, daß die Richtlinien gemäß § 17 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV70 Zu dem Gang und den Zielen des Gesetzgebungsverfahrens vgl. insbesondere Hess/Venter, Kassenarztrecht, § 368 P RVO Abschn. I. 71 Bis zum Jahre 1973 hat der Bundesausschuß für Ärzte und Krankenkassen lediglich die Arzneimittel-Richtlinien vom 12.12.1960 (BAnz. Nr. 251) sowie drei weitere Richtlinien erlassen, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung außer Betracht bleiben können. 72 Nach dem Entwurf der Koalitionsparteien zum § 368 0 RVO in der durch das GKAR vorgesehenen Fassung war zunächst beabsichtigt, den Bundesausschüssen für Ärzte beziehungsweise Zahnärzte und Krankenkassen die Kompetenz zur Schaffung von Bestimmungen einzuräumen, die für die einzelnen Kassen(zahn)ärzte bindend gewesen wären und die damit unmittelbar auf die Art und den Umfang der den Versicherten zu gewährenden Leistungen Einfluß genommen hätten. Vgl. hierzu BT-Drucks. 11 Nr. 528 sowie Hess/Venter, Kassenarztrecht, § 368 p RVO Abschn. I.

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

Ä) Ld.F. vom 01.10.195973 von den einzelnen Kassenärzten zu beachten waren.74 Neben dieser indirekten Begrenzung der den Versicherten zu gewährenden Leistungen durch die von den Bundesausschüssen zu beschließenden Richtlinien entstanden auf untergesetzlicher Ebene mit dem Abschluß des Bundesmanteltarifvertrag-Ärzte (BMV-Ä) vom 01.10.195975 sowie des Bundesmanteltarifvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vom 01.06. 196276 weitere untergesetzliche Regelungen, die entsprechend den gesetzlichen Normierungen die in der kassenärztlichen Versorgung zu erbringenden Leistungen auf im Einzelfall ausreichende, notwendige sowie dem Gebot der Wirtschaftlichkeit ensprechende Maßnahmen beschränkten. 77 Nachdem diese erste Phase der Neuordnung der kassenärztlichen Regelungen nach dem Kriege abgeschlossen war, kam es in der folgenden Zeit wiederholt zu weiteren Änderungen des kassenärztlichen Systems.78 Besondere Bedeutung für die Festlegung eines bestimmten Standards der in der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen hatte dabei das "Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts" (Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz - KVWG) vom 28.12.197679 .80 Durch dieses Gesetz wurde an die grundlegende leistungserbringungs73 I.d.P. vom 01.l0.1959, DOK 1959, S. 439. 74 Auf die damit erreichte indirekte Verbindlichkeit der Richtlinien weist auch ausdIÜcklich das BSG in seiner Entscheidung vom 03.07.1960, BSGE 38, S. 35 (38), hin. 75 DOK 1959, S. 439. 76 BKK 1962, S. 385. 77 Vg!. zum Inhalt des Bundesmanteltarifvertrages Ärzte sowie des Bundesmanteltarifvertrages Zahnärzte die ausführliche Darstellung im zweiten Kapitel A.II.l. 78 Dabei trat als Ziel der Gesetzesänderungen zunehmend das Bestreben des Gesetzgebers in den Vordergrund, der stetigen Zunahme der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung entgegenzuwirken und eine Konsolidierung dieses Sozialversicherungszweiges zu erreichen. 79 BGB!. I S. 3871. 80 Weitere Gesetze, die zu einer Kostendämpfung im gesetzlichen Gesundheitswesen beitragen sollten, waren insbesondere das "Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz" (KVKG) vom 27.06.1977, BGB!. I S. 1069, das Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz vom 22.12.1981, BGB!. I S. 1568, das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz (KVEG) vom 22.12.1981, BGB!. I S. 1578, das Krankenhaus-Neuordnungsgesetz (KHNG) vom 20.12.1984, BGB!. I S, 1716, sowie das Gesetz zur Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfsplanung vom 19.12.1986, BGB!. I S. 2593. Für den Gang der vorliegenden Untersuchung können diese Gesetze jedoch außer Betracht bleiben, da sie die in der kassenärztlichen Versorgung zu erbringenden Leistungen nicht von weiteren als den bisher geschilderten Kriterien abhängig machten, sondern entweder bestimmte "Bagatellbereiche" gänzlich aus dem Kreis der versicherten Risiken ausnahmen oder das kassenärztliche Beteiligungsverfahren mit dem Ziel der Kostendämpfung neu regelten.

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rechtliche Vorschrift des § 368 RVO ein dritter Absatz angefügt, durch den als Ziel der sicherzustellenden kassenärztlichen Versorgung festgeschrieben wurde, den Versicherten und ihren Familienangehörigen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung zur Verfügung zu stellen, die den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie die Möglichkeiten der Rationalisierung und Modemisierung berücksichtigt. Angesichts dieser in den gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen vorgenommenen Eingrenzung der in der kassenärztlichen Versorgung zu erbringenden Leistungen hielten sowohl das Schrifttum81 als auch die höchst_82 beziehungsweise instanzgerichtliche83 Rechtsprechung weiterhin an der bereits seit langem vertretenen Auffassung fest, daß die Versicherten einen Anspruch allein auf Gewährung derjenigen Leistungen hätten, die unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes zur Heilung, Besserung oder Linderung einer Erkrankung erforderlich und damit notwendig seien. 84 Diese für die Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung maßgeblichen Sachleistungsvoraussetzungen würden jedoch gerade von alternativen Behandlungs- und Heilmethoden nicht erfüllt, da diese speziellen Verfahren und Maßnahmen aufgrund ihrer wissenschaftlich nicht von vornherein abschätzbaren Erfolgsaussichten regelmäßig weder zweckmäßig noch notwendig im Sinne der §§ 182, 368 e RVO seien85 sowie darüber hinaus auch nicht den Regeln der ärztlichen Kunst im Sinne des § 368 e

81 Vgl. für die Zeit vor 1945: Reichsversicherungsordnung mit Anmerkungen, 3. Auflage, § 182 Anm. 17; Krohn u.a., Handkommentar zur Reichsversicherungsordnung, § 182 Anm. 6; Kühne, Krankenversicherung, § 182 Anm. 4 c. Für die Zeit nach 1945 vgl. die Darstellung in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, 1. Auflage, § 182 Anm. 2.1.; Peters, Handbuch, 15. Auflage, § 182 Anm. 4 c; Schutz, Arztrecht, S. 317 "Krankenhilfe". 82 BSG, Urteil vom 24.07.1972, BSGE 34, S. 172; BSG, Urteil vom 01.06.1977, BSGE 44, S. 41. 83 LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.12.1968, Breithaupt 1969, S. 471; LSG Hessen, Urteil vom 05.12.1973, Breithaupt 1974, S. 828; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.07.1976, Breithaupt 1977, S. 399; SG Karlsruhe, Urteil vom 13.11.1975, ErsK 1979, S. 162; SG Mannheim, Urteil vom 15.07.1976, ErsK 1979, S. 163. 84 Vgl. hierzu insbesondere Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, 1. Auflage, § 182 Anm. 2.1.; Peters, Handbuch, 15. Auflage, § 182 Anm. 4 c. 85 So insbesondere: BSG, Urteil vom 24.07.1972, BSGE 34, S. 172 sowie LSG BadenWürttemberg, Urteil vom 19.12.1968, Breithaupt 1969, S. 471 jeweils zu der Gewährung einer Frischzellenbehandlung bei einem mongoloiden Kind; BSG, Urteil vom 01.06.1977; BSGE 44, S. 41, zu der Gewährung emer Ganzheitsbehandlung sowie LSG RheinlandPfalz, Urteil vom 29.07.1976, Breithaupt 1977, S. 399 zu der Gewährung einer Akupunkturbehandlung .

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

RVO entsprächen,86 Aber auch der Einsatz eines neuen, bisher nicht in der kassenärztlichen Versorgung eingeführten Heilverfahrens oder Heilmittels käme in der kassenärztlichen Versorgung erst dann in Betracht, wenn es wissenschaftlich und klinisch ausreichend erprobt und damit allgemein anerkannt sei und in seinen Kosten den Durchschnittskosten anderer bewährter Heilmittel oder Heilverfahren entspräche. 87 Zu einer deutlichen Lockerung der bis dahin engen Eingrenzung der im Einzelfall gewährungsfähigen Leistungen kam es erst zum Ende der siebziger Jahre, als das BSG über den Einsatz neuer, von dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung bisher nicht umfaßte Behandlungs- und Heilmethoden zu entscheiden hatte. So stellte das Gericht erstmalig in seinem Urteil vom 07. 11.197988 zu der Gewährung einer Hippotherapie89 zugunsten eines infolge eines Impfschadens körperlich und geistig behinderten Kindes ausdrücklich fest, daß die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährende Krankenpflege nicht von vornherein auf Behandlungsmittel und Methoden begrenzt sei, die wissenschaftlich voll abgesichert sind. 90 Insbesondere neue Behandlungs- und Heilmethoden dürften daher dem Versicherten nicht allein unter Hinweis auf ihre (noch) fehlende schulmedizinische Anerkennung vorenthalten werden.9 1

86 So insbesondere SG Karlsruhe, Urteil vom 13.11.1975, ErsK 1979, S. 162 sowie SG Mannheim, Urteil vom 15.07.1976, ErsK 1979, S. 163, jeweils zur Heileurythmie; LSG Hessen, Urteil vom 27.09.1978, Die Leistungen 1979, S. 218, zur Gewährung einer Elektroneuraltherapie nach Dr. Croon; LSG Hessen, Urteil vom 13.05.1980, Breithaupt 1981, S. 705, zur Gewährung einer Akupunkturbehandlung. 87 Auf diesen Gesichtspunkt weisen besonders Hess/Venter, Kassenarztrecht, § 368 e RVO Abschn. 11, sowie das OVA Wiesbaden, Urteil vom 08.07.1952, Das Krankenhaus 1953, S. 23, hin. 88 BSG, Urteil vom 07.11.1979, SozR 3100 § 11 BVG Nr. 13. 89 Bei der Hippotherapie handelt es sich um Reiten als physiotherapeutische Behandlungsmethode zur Verbesserung der Haltung sowie des Bewegungsablaufes bei bewegungsgestörten Kindern und Erwachsenen. Vgl. hierzu weiterführend: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, S. 696. 90 In dem der genannten Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt begehrte der Kläger die fragliche Behandlungsmaßnahme als Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 3 BVG. Da sich die aufgrund des Versorgungsrechtes zu gewährenden Leistungen hinsichtlich ihrer Art und ihres Umfanges jedoch aus einer entsprechenden Anwendung des Leistungsrechtes der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben, sind die in dieser Entscheidung ergangenen Ausführungen des BSG in vollem Umfang auf das Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung übertragbar. 91 BSG, Urteil vom 07.11.1979, SozR 3100 § 11 BVG Nr. 13.

C. Die Rechtslage während der Gelnmg der RVO vom 19.06.1911

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Diese mit Urteil vom 07.11.1979 vorgenommene Erweiterung des Kataloges der in der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen bestätigte das BSG mit seinen Entscheidungen vom 22.07.1981 92 sowie 22.09.1981 93 , bei denen es ebenfalls um die Gewährung einer hippotherapeutischen Behandlung als neue Behandlungs- und Heilmethode ging. 94 Auch im Rahmen dieser Entscheidungen wies das BSG darauf hin, das sich weder aus dem zwischen dem Versicherten und den Krankenkassen geltenden Leistungsrecht noch aus dem zwischen den Leistungserbringern sowie den Leistungsträgern herrschenden Leistungserbringungsrecht ein Ausschluß von neuen Behandlungs- und Heilmethoden ergebe, die schulmedizinisch noch nicht anerkannt seien. 95 Vielmehr könnten in Ausnahmefällen durchaus auch derartige Mittel und Methoden zum Bereich der kassenärztlichen Versorgung gehören, wenn es sich dabei um notwendige, zur Behandlung oder Linderung des Krankheitsbildes ausreichende und wirtschaftliche Behandlungs- oder Heilmethoden handele. 96 Darüber hinaus entwickelte das BSG insbesondere in der erstgenannten Entscheidung den Gedanken, daß sich aus den Äußerungen des gemäß § 23 BMVÄ gebildeten "Ausschusses für Untersuchungs- und Heilmethoden" regelmäßig ein Erfahrungssatz herleiten lasse, weswegen diese Äußerungen als Regeln zur Verteilung der Beweislast heranzuziehen seien. Im einzelnen ergebe sich daraus, daß im Falle einer positiven Stellungnahme die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der sich hierdurch ergebenden Selbstbindung der Verwaltung auch gegenüber dem Versicherten zur Gewährung der entsprechenden Leistung verpflichtet seien, es sei denn, dem Leistungsträger gelingt ausnahmsweise der Nachweis, daß die Leistungsvoraussetzungen im Einzelfall nicht erfüllt sind. Habe der "Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden" hingegen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 368 e RVO hinsichtlich einer bestimmten Behandlungs- oder Heilmethode in einer negativen Stellungnahme 92 BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70. 93 BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134. 94 Den genannten Entscheidungen lag dabei jeweils das Begehren eines an cerebralen Bewegungsstörungen leidenden Kindes zugrunde, eine bis zu diesem Zeitpunkt schulmedizinisch nicht anerkannte hippotherapeutische Behandlung im Rahmen der Familienkrankenhilfe gemäß § 205 RVO beziehungsweise als Leistung im Rahmen der Krankenversicherung der Landwirte aufgrund des KVLG zu gewähren. 95 BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70; BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134. 96 BSG, Urteil vom 07.11.1979, SozR 3100 § 11 BVG Nr. 13; BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70; BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134.

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

verneint, so habe der Versicherte das ausnahmsweise Vorliegen der Sachleistungsvoraussetzungen zu beweisen. Gelingt ihm dies, so sei die fragliche Behandlungs- oder Heilmethode trotz des Vorliegens der negativen Stellungnahme zu gewähren. Habe der Ausschuß zu der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer bestimmten Behandlungs- oder Heilmethode schließlich noch keine Stellungnahme abgegeben oder aber sich dahingehend geäußert, daß das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen derzeit nicht abschließend beurteilt werden könne, fehle es an dem sich aus der Stellungnahme ergebenden Erfahrungssatz. Gleichwohl sei aber auch in diesen Fällen der Leistungsträger dem Versicherten gegenüber zur Gewährung der neuen Behandlungs- oder Heilmethode verpflichtet. Dies setze dann allerdings voraus, daß sich die Zweckmäßigkeit des fraglichen Mittels entweder anhand positiver Erfahrungen im konkreten Einzelfall nachweisen lasse oder aber festgestellt werden könne, daß die in Rede stehende neue Behandlungs- oder Heilmethode in einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes erforderlichen Anzahl von vergleichbaren Fällen wirksam war, was einen Rückschluß auf die Eignung des Mittels oder der Methode zulasse. Darüber hinaus müsse in derartigen Fällen zudem geprüft werden, ob die durch den Einsatz der neuen Behandlungsmethode beziehungsweise des neuen Mittels gewünschte Wirkung nicht auch durch die Gewährung einer weniger aufwendigen Maßnahme hätte erreicht werden können. 97 Nachdem das BSG mit dieser Rechtsprechung erstmalig den Rahmen der in der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen dahingehend ausgebaut hat, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch wissenschaftlich (noch) nicht anerkannte neue Behandlungs- und Heilmethoden zu gewähren sind, erweiterte das BSG mit einer zum Ende der achtziger Jahre einsetzenden Rechtsprechung nochmals das von den Krankenkassen zu gewährende Leistungsspektrum grundlegend, indem es den Leistungsanspruch des Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen auch auf alternative Behandlungs- und Heilmethoden erstreckte. 98 Diese 97 Zu allem: BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70 (74 f.); so auch LSG Bayern, Urteil vom 16.10.1985, in: Gerlach, Therapien und technische Hilfen, Stichwort "Akupunktur" . 98 Ihren Ursprung fand diese Rechtsprechung mit der Entscheidung des BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102; bestätigt durch BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255, sowie durch BSG, Urteil vom 27.04.1989, BSGE 65, S. 56. Zuvor hatten bereits einige Instanzgerichte im Sinne der späteren Rechtsprechung des BSG entschieden, so z.B.: SG Freiburg, Urteil vom 07.11.1980, Breithaupt 1983, S. 4; LSG Niedersachsen, Urteil vom 04.08.1982, SozVers 1984, S. 54; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom

D. Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen

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Rechtsprechung des BSG führte schließlich zu der Entstehung einer bis heute herrschenden Meinung, nach der trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung in bestimmten Ausnahmefällen sowohl neue als auch alternative Behandlungs- und Heilmethoden zum Bereich der in der kassenärztlichen Versorgung zu gewährenden Leistungen gehören. 99 D. Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich das System der gesetzlichen Krankenversicherung seit seiner Entstehung zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts in einem langen und von gegensätzlichen Einflüssen bestimmten geschichtlichen Prozeß zu einem komplexen Regelungsgefüge entwickelt hat. Nachdem in den Jahrhunderten zuvor nur wenige Personen kollektiven Sicherungssystemen angehörten, die im Falle einer Krankheit die Gewährung von Krankenhilfe und wirtschaftlicher Unterstützung vorsahen, leitete erst die "Kaiserliche Botschaft" vom 17.11.1881 den Aufbau eines Sozialversicherungssystems ein, das heute den größten Teil der Bevölkerung im Krankheitsfalle mit Leistungen versorgt und materiell absichert. Die erste Phase dieser Entwicklung, deren Beginn durch das Inkrafttreten des KVG vom 15.06.1883 markiert wird, war dabei in erster Linie durch den Aufbau des versicherten Personenkreises und die Finanzierung des Systems gekennzeichnet. Während das KVG hinsichtlich der Art und der Qualität der im Rahmen der Krankenhilfe zu gewährenden Leistungen keine speziellen Kriterien vorsah, kam es mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes insoweit zu einer grundSätzlichen Neuregelung, als durch dieses Gesetz das Natural- oder Sachleistungsprinzip in das System der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt wurde. Mit der Einführung dieses Verfahrens der Leistungsgewährung, das das System der gesetzlichen Krankenversicherung bis heute prägt, kam es zugleich zu einer Aufspaltung der bis dahin direkten Beziehung zwischen dem Patienten und dem Leistungserbringer in eine versicherungs- oder leistungsrechtliche Verbindung zwi07.09.1983, DOK 1984, S. 237; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.10.1986, ArztR 1988, S. 60. 99 Vgl. zu den zu erfüllenden Voraussetzungen sowie zu den in dieser Frage vertretenen abweichenden Ansichten die Darstellung im zweiten Kapitel, B.I.

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

sehen den Versicherten und dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die leistungserbringungsrechtliche Beziehung zwischen dem Träger der Krankenversicherung und den Leistungserbringern. Angesichts des Fehlens spezieller Leistungsvoraussetzungen, die die Qualität und den Umfang der im Einzelfall zu gewährenden Leistungen näher eingrenzten, arbeiteten die Rechtsprechung sowie das Schrifttum bereits frühzeitig den Grundsatz heraus, daß die jeweiligen Leistungen nur dann verlangt werden können, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung "notwendig" und "geboten" sind. Nachdem auch die RVO, deren Inkrafttreten am 01.01.1914 den Beginn der zweiten Phase der Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung einleitete, zunächst keine genaueren Beschränkungen der im Einzelfall zu gewährenden Behandlungs- und Heilmethoden vorsah, kam es in den frühen zwanziger Jahren durch den Erlaß mehrerer Verordnungen zur Aufnahme einer Regelung in das Leistungserbringungsrecht, die die für die Krankenkassen tätigen Ärzte verpflichtete, nicht erforderliche Behandlungen abzulehnen sowie erforderliche Behandlungen hinsichtlich ihrer Art und ihres Umfanges auf das notwendige Maß zu beschränken. Zugleich kam es mit der Schaffung des damaligen § 368 e RVO zu einer zunehmenden Verlagerung der Kompetenz zur Regelung des Leistungserbringungsrechtes auf neu zu bildende Ausschüsse der Ärzte und Krankenkassen, die in Ausübung ihrer Regelungsmacht Richtlinien erließen, die insbesondere die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung sichern sollten. 1OO Wenn auch im Rahmen dieser Richtlinien im wesentlichen die Kriterien der "Erforderlichkeit" und der "Notwendigkeit" zur Eingrenzung des Leistungsspektrums eingesetzt wurden, so findet sich doch in Abschnitt A Ziff. 1 der "Richtlinien für wirtschaftliche Arzneiverordnung" vom 15.05.1925 erstmalig die Bestimmung, daß der Arzt bei der Auswahl des geeigneten Mittels allein auf den Kreis der "wissenschaftlich bewährten Methoden" zurückgreifen durfte. Aus leistungsrechtlicher Sicht findet sich eine erste Beschränkung der im Einzelfall zu gewährenden Leistungen erst in der Vorschrift des § 182 Abs. 2 RVO, die im Zusammenhang mit der zu Beginn der dreißiger Jahre einsetzenden Notgesetzgebung in diese grundlegende leistungsrechtliche Norm eingefügt wurde und den Anspruch der Versicherten fortan auf die 100 Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere die "Richtlinien für wirtschaftliche Arzneiverordung" vom 15.05.1925, im einzelnen dargestellt oben in diesem Kapitel C.I.

D. Zusammenfassung und vorläufige Überlegungen

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Gewährung ausreichender und zweckmäßiger Leistungen begrenzte. Neben dieser leistungsrechtlichen Neuregelung wurde zeitgleich auch das Leistungserbringungsrecht erheblich modifiziert, indem sich das bis dahin zwischen den Versicherten, den Leistungserbringem und den Krankenkassen bestehende Dreiecksverhältnis durch die Einbeziehung neu errichteter kassenärztlicher Vereinigungen in ein Vierecksverhältnis umwandelte. Für die Art und den Umfang der zu erbringenden Leistungen hatte dies zur Folge, daß mit der Teilnahme der kassenärztlichen Vereinigungen am krankenversicherungsrechtlichen Beziehungsgeflecht weitere zumeist untergesetzliche Regelungen entstanden, die die zu gewährenden Leistungen auf das Ausreichende, Notwendige und Wirtschaftliche begrenzten. Läßt sich bis dahin feststellen, daß bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges sowohl auf gesetzlicher als auch auf untergesetzlicher Ebene eine Begrenzung der im Einzelfall zu gewährenden Leistungen in der Regel nur mit den Kriterien ihrer "Notwendigkeit", ihrer "Wirtschaftlichkeit" sowie ihres "Ausreichens " erreicht wurde, so änderte sich dieses Bild mit dem Beginn der Nachkriegsgesetzgebung grundlegend. Namentlich die durch das GKAR neugefaßte Bestimmung des § 368 e RVO sah nach ihrer Änderung vor, daß der Versicherte fortan nur einen Anspruch auf diejenige ärztliche Versorgung hatte, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend war, wobei auch weiterhin nicht notwendige oder unwirtschaftliche Leistungen aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen blieben. Darüber hinaus erhielt auch die grundlegende leistungserbringungsrechtliche Regelung des § 368 RVO in ihrem dritten Absatz einen Zusatz, der es als Ziel der Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung normierte, den Versicherten und ihren Familienangehörigen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung zur Verfügung zu stellen, die den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie die Möglichkeiten der Rationalisierung und Modemisierung berücksichtigt. Im Ergebnis enthielten damit im Zeitpunkt des Außerkrafttretens der RVO sowohl die gesetzlichen als auch die untergesetzlichen Regelungen eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die zu einer Begrenzung und Bündelung der im Einzelfall gewährungsfähigen Leistungen beitragen sollten.

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Erstes Kapitel: Geschichtliche Entwicklung der Leistungsgewährung

Im Gegensatz zu diesem Bestreben des Gesetzgebers sowie der zur Schaffung untergesetzlicher Normen berufenen Gremien läßt sich seit dem Beginn der siebziger Jahre in der Rechtsprechung und im Schrifttum die Tendenz erkennen, zumindest in Ausnahmefällen auch solche Behandlungsmethoden und Mittel als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zuzulassen, die den Kriterien der "wissenschaftlichen Anerkennung" nicht entsprechen. Begründet wurde dies in erster Linie mit der Erwägung, daß es sowohl den Erfordernissen des "Ausreichens" und der "Zweckmäßigkeit" der von den Krankenkassen zur Verfügung zu stellenden Maßnahmen als auch den zu beachtenden "Regeln der ärztlichen Kunst" zuwiderlaufe, in Fällen schwerer Erkrankungen noch mögliche Leistungen nur mit dem Argument nicht einzusetzen, daß diese nicht beziehungsweise noch nicht allgemein anerkannt seien. Damit ergibt sich bei einer zusammenfassenden Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung der Eindruck, daß sich bis zum Einsetzen der Nachkriegsgesetzgebung die jeweils gültige Rechtslage mit der jeweiligen zeitgenössischen Rechtsprechung und dem Schrifttum insoweit im Einklang befanden, als die im Einzelfall zu gewährenden Leistungen allgemein unter den Vorbehalt ihrer "Zweckmäßigkeit", ihres "Ausreichens" und ihrer "Wirtschaftlichkeit" gestellt wurden. Dagegen begannen die Rechtsprechung sowie das Schrifttum, sich von der auf gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen basierenden Rechtslage zu entfernen und nach Ausnahmemöglichkeiten zu suchen, als das Leistungsgewährungsrecht zusätzlich unter das Kriterium der "allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung" gestellt wurde. Bereits aus einer Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich damit die Frage, ob sich eine sachgerechte und die verschiedenen Interessen angemessen berücksichtigende Abgrenzung der im Einzelfall zu gewährenden Leistungen nicht schon aus den Kriterien des "Ausreichens", der "Zweckmäßigkeit" und der "Notwendigkeit" sowie der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes ergeben kann, so daß eine Bezugnahme auf eine allgemeine wissenschaftliche Anerkennung der jeweiligen Leistung oder den Stand der medizinischen Wissenschaft nicht nur als nicht notwendig erscheint, sondern darüber hinaus sogar als Fremdkörper im System der gesetzlichen Krankenversicherung wirkt.

Zweites Kapitel

Der gegenwärtige Stand der Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungsund Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung Mit dem Inkrafttreten des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) am 01.01.1989 hat das System der gesetzlichen Krankenversicherung eine grundlegende Neuregelung erfahren, die auch für die Frage der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erhebliche Änderungen mit sich brachte. Zugleich wird das System der gesetzlichen Krankenversicherung aber auch heute noch von einer Vielzahl untergesetzlicher Regelungen geprägt, die insbesondere Fragen der Leistungsgewährung betreffen. Um angesichts dieser Vielfalt der gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen die gegenwärtige Rechtslage sowie die hierzu in der Rechtsprechung und dem Schrifttum vertretenen Meinungen möglichst übersichtlich darstellen zu können, sollen zunächst die gegenwärtig gültigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen vorgestellt werden, die für die Art und den Umfang der zu gewährenden Leistungen maßgeblich sind. Im Anschluß daran werden die verschiedenen Meinungen beleuchtet, die gegenwärtig in der Rechtsprechung und der Literatur zu dem Problem der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung vertreten werden. A. Der gegenwärtige Stand des für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normensystems Aufgrund seiner historischen Entwicklung stellt sich das System der gesetzlichen Krankenversicherung heute als ein komplexes Regelungsgefüge dar, das auf einer Vielzahl verschiedener Rechtsquellen aufbaut. Seinen

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Schwerpunkt findet das System der gesetzlichen Krankenversicherung dabei weiterhin in den gesetzlichen Regelungen, die aufgrund ihrer besonderen Bedeutung zunächst dargestellt werden sollen. Daneben wird das System der gesetzlichen Krankenversicherung aber auch heute noch von einer Vielzahl untergesetzlicher Regelungen geprägt, die im Anschluß an die gesetzlichen beleuchtet werden sollen.

I. Der gegenwärtige Stand des für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen gesetzlichen Normensystems Auf gesetzlicher Ebene finden sich die Normen, die die Art und den Umfang der den Versicherten zu gewährenden Leistungen regeln, in erster Linie im SGB V. Daneben enthalten aber auch andere Teile des Sozialgesetzbuches Normen, die für die Bestimmung des Leistungsumfanges nicht ohne Bedeutung sind. 1. Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen des SGB V Mit dem Inkrafttreten des "Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen" (Gesundheitsreformgesetz) vom 20.12.1988 1 wurde das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung aus der RVO ausgegliedert und als neugeschaffenes fünftes Buch in das Sozialgesetzbuch (SGB V) eingefügt. Gleichzeitig wurde dieses Versicherungssystem grundlegend reformiert, um den gestiegenen Anforderungen und Belastungen, denen dieser Zweig der Sozialversicherung zunehmend ausgesetzt war, zu begegnen. 2 Eine erneute umfangreiche Reform des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgte bereits vier Jahre später durch das Inkrafttreten 1 BGBI. I S. 2477. 2 Allein in dem Zeitraum zwischen 1960 bis 1987 stiegen die jährlichen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von 9 Mrd. DM auf 119 Mrd. DM (Begr. des RegEGRG S. 282, Tabelle 3), so daß die beitragsgestützte Finanzierung der Krankenversicherung nicht mehr sichergestellt werden konnte. Zu der sich daraus ergebenden Notwendigkeit und den Zielvorgaben der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung vgl. die Begründung des Regierungsentwurfes des GRG, Begr. RegE-GRG S. 282 ff. sowie Jung, in: Schriften zur Gesundheitsäkonomie Bd. 2, S. 33.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Normierungen

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des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.19923 am 01.01.1993, um der auch nach dem Inkrafttreten des GRG besorgniserregenden Kostenentwicklung4 entgegenzuwirken. 5 In dieser Form besteht das SGB V zur Zeit. Im Zuge dieser Neukodifikation des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung wurden auch die für die Leistungsgewährung und Leistungserbringung wesentlichen Normen umstrukturiert und neu gefaßt. Dabei kam es gegenüber der bis dahin gegebenen Rechtslage auch hinsichtlich der hier interessierenden Frage nach dem Umfang und den Grenzen der den Versicherten zu gewährenden Leistungen zu teilweise wesentlichen Änderungen, die in erster Linie einer Kosteneinsparung und damit einer dauerhaften Sicherung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dienen sollten. 6 In seiner inneren Struktur knüpft das SGB V an die bereits das Regelungssystem der RVO prägende Unterscheidung zwischen einem das Rechtsverhältnis zwischen den Versicherten und den Krankenkassen regelnden Leistungsbereich7 sowie einen die Beziehungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringem normierenden Leistungserbringungsbereich an, zu dem insbesondere das Vertragsarztrecht zu zählen ist.8 Darüber hinaus, und insoweit ohne Vorbild in den bisherigen gesetzlichen Regelungssystemen, enthält das SGB V in seinem ersten Kapitel

3 BGB\. I S. 2266. 4 Allein in den Jahren 1991 und 1992 stiegen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung pro Mitglied mit ca. 10% doppelt so schnell wie die von den Versicherten geleisteten Beiträge, die jährlich um etwa 5 % zunahmen. Vg\. hierzu Schulte, NZS 1993, S. 41.

5 Vg\. zu der sich aus der Kostenentwicklung ergebenden Notwendigkeit neuer kostensenkender Maßnahmen im Gesundheitswesen die Begründung des Gesetzentwurfes, BTDrucks. 12/3608, S. 1 f., sowie weiterführend: Maaß, NJW 1992 S. 2932 m.w.N.; Jörg, Kassenantrecht, S. 10 ff.; Schulte, NZS 1993, S. 41. Zu den mit dem Gesundheitsstrukturgesetz vorgenommenen Änderungen am System der gesetzlichen Krankenversicherung vg\. Jakobs, NZS 1993, S. 194; Rüjner, NJW 1993, S. 753; Schulte, NZS 1993, S. 41; Zi.pterer, NZS 1993, S. 53 ff., 95 ff. jeweils m.w.N. Maaß, NJW 1992 S. 2932. 7 Das zwischen den Versicherten und den Trägem der gesetzlichen Krankenversicherung bestehende Rechtsverhältnis kann auch als Versicherungsverhältnis bezeichnet werden. Vg\. hierzu Leitherer in: Schulin HS-KV § 19 RdNr. 7. 8 Vg\. zu der geschichtlichen Entwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung oben im ersten Kapitel C. 6 Schmidl-Rögnitz

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

eine Reihe von allgemeinen Vorschriften, die einige für das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Grundsätze besonders herausstellen. 9 a) Leistungskonkretisierende Regelungen im ersten Kapitel des SGB V Bereits im ersten Kapitel des SGB V, in dem eine Reihe allgemeiner Vorschriften für das System der gesetzlichen Krankenversicherung normiert sind, findet sich mit der Vorschrift des § 2 SGB V eine erste Regelung, die für das Problem der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzliche Bedeutung hat. Mit dieser Norm, die in der RVO keine Entsprechung hat, wird für den gesamten Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung grundlegend bestimmt, daß bei der Erbringung der Leistungen durch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Darüber hinaus führt § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V erstmals für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung das Erfordernis ein, daß die Qualität und die Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen sowie den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. IO Zugleich bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V jedoch, daß die Behandlungsmethoden sowie die Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapieeinrichtungen nicht ausgeschlossen sind. 11 Schließlich werden sowohl die Krankenkassen als auch die Leistungserbringer und Versicherten durch die Vorschrift des § 2 Abs. 4 SGB V nochmals ausdrücklich aufgefordert, bei der Leistungsgewährung darauf zu achten, daß die jeweiligen Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. 9 Vgl. zu dem Grundsatzcharakter der Vorschriften dieses Kapitels des SGB V insbesondere die Begründung des Regierungsentwurfes zum GRG, RegE-GRG S. 157. 10 Eine derartige "Wissenschaftlichkeitsklausel " wurde bereits zuvor in das System der privaten Krankenversicherung eingeführt, dort aber nach dem Urteil des BGH vom 23.06.1993, BGHZ 123, S. 83 wieder aufgehoben. Vgl. hierzu auch unten im vierten Kafitel A.lI.I. I Die Einfügung des § 2 Abs. I Satz 2 SGB Verfolgte erst im Rahmen der Beratungen des Ausschusses zum Gesundheitsreformgesetz, nachdem der Regierungsentwurf zu § 2 Abs. I SGB V zunächst nur die Sätze I und 3 vorgesehen hatte. Vgl. hierzu RegE-GRG S. 157; AusBer-GRG S. 49.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Normierungen

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b) Leistungskonkretisierende Regelungen im dritten Kapitel des SGB V Neben dieser grundsätzlichen Beschreibung der Art und der Qualität der den Versicherten zur Verfügung zu stellenden Leistungen sehen auch die Vorschriften des Leistungsrechtes, die im dritten Kapitel des SGB V normiert sind, eine Reihe von Einschränkungen der im Einzelfall gewährungsfähigen Mittel und Methoden vor. Eine erste Vorschrift, die damit auch für die denkbare Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden Bedeutung hat, ist die Regelung des § 12 Abs. 1 SGB V, die inhaltlich an § 182 Abs. 2 RVO anknüpft. Mit dieser Vorschrift, die zu dem Kreis der gemeinsamen Vorschriften für das gesamte Leistungsrecht gehört und eine für diesen Bereich grundsätzliche Aussage enthält 12, wird das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung auch unter der Geltung des SGB V unter die Erfordernisse gestellt, daß die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben, ohne das Maß des Notwendigen überschreiten zu dürfen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Wie zuvor die leistungserbringungsrechtliche Regelung des § 368 e Satz 2 RVO weist auch § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V die an der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligten Personen und Körperschaften darauf hin, daß Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, von den Versicherten nicht beansprucht, von den Leistungserbringern nicht bewirkt und von den Krankenkassen nicht bewilligt werden dürfen. Eine weitere Vorschrift aus dem Bereich der allgemeinen leistungsrechtlichen Regelungen des SGB V, die neben dieser grundlegenden Festlegung des Leistungsrechtes der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Prinzipien des "Ausreichens", der "Zweckmäßigkeit", der "Notwendigkeit" und der "Wirtschaftlichkeit" durch § 12 Abs. 1 SGB V einen Rückschluß auf die Möglichkeit der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden bieten kann, findet sich in § 18 Abs. 1 SGB V. Gemäß dieser Vorschrift können die Krankenkassen die Kosten einer erforderlichen Behandlung auch dann ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist.

12 Kasseler Kommentar - Höfler § 12 RdNr. 2.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Neben diesen allgemeinen leistungsrechtlichen Regelungen sehen auch die speziellen Normierungen, die die einzelnen Teilbereiche des Leistungsrechtes der gesetzlichen Krankenversicherung näher ausgestalten, Kriterien vor, die von den zu gewährenden Behandlungsmethoden oder mitteln zu erfüllen sind. 13 Dabei fällt auf, daß es in den verschiedenen Normen weitgehend an einer einheitlichen begrifflichen Umschreibung der zu erfüllenden Anforderungen fehlt. 14 So sieht bereits die für den Anspruch der Versicherten auf Gewährung von Krankenbehandlung grundlegende Vorschrift des § 27 SGB V, die insoweit an die vorhergehende Regelung des § 182 Abs. 1 RVO anknüpft, vor, daß die Versicherten nur insoweit einen Anspruch auf Krankenbehandlung haben, als diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimlnerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfaßt die im Rahmen der Krankenbehandlung zu gewährende ärztliche beziehungsweise zahnärztliche Behandlung gemäß § 28 SGB V diejenigen Tätigkeiten des Arztes (§ 28 Abs. 1 SGB V) beziehungsweise Zahnarztes (§ 28 Abs. 2 SGB V), die nach den Regeln der ärztlichen beziehungsweise zahnärztlichen Kunst zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten ausreichend und zweckmäßig sind. Haben mit dieser Regelung die Gewährung ärztlicher oder zahnärztlicher Tätigkeiten als Maßnahmen der Krankenbehandlung eine überschaubare Regelung gefunden, so befindet sich die Gewährung von Arzneimitteln auch nach dem Inkrafttreten des SGB V im ständigen Umbruch. Zunächst sah die für die Versorgung der Versicherten mit Arznei- und Verbandsmitteln maßgebliche Vorschrift des § 31 SGB V in Verbindung mit § 34 Abs. 3 SGB V die Möglichkeit vor, bestimmte unwirtschaftliche Arzneimittel von der kassenärztlichen Versorgung auszuschließen, wobei als unwirtschaftlich insbesondere Arzneimittel anzusehen sind, deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist. Gleichzeitig verlangte § 34 Abs. 2 Satz 3 SGB V allerdings, bei der Beurteilung von homöopathischen, phy13 Von den verschiedenen Leistungsarten, die die gesetzliche Krankenversicherung umfaßt, soll im folgenden nur der Bereich der Krankenbehandlung gemäß §§ 27 ff. SGB V untersucht werden, da die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden gerade in diesem Bereich eine besondere Rolle spielt. 14 Allein zu dem Begriff der "Wirtschaftlichkeit" zählt Schewe, SGb 1989, S. 410, im Bereich des SGB V über 65 Nennungen in jeweils verschiedenen Kombinationen mit anderen Begriffen.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Nonnierungen

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totherapeutischen und anthroposophischen Arzneimitteln der besonderen Wirkungsweise dieser Medikamente Rechnung zu tragen. Diese durch das Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes geschaffene Gesetzeslage hat jedoch zwischenzeitlich durch das Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21.12.1992 15 und die damit verbundenen Änderungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung eine wesentliche Modifizierung erfahren. Zwar gilt auch nach dessen Inkrafttreten zunächst noch das bis dahin gültige System fort, daß die Versicherten gemäß § 31 Abs. 1 SGB V insoweit einen Anspruch auf Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln haben, als diese nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind, jedoch ist bereits jetzt eine grundlegende Änderung in dem System der Gewährung von Arzneimitteln vorgesehen, die mit der Errichtung des gemäß § 92 a SGB V einzurichtenden Instituts "Arzneimittel in der Krankenversicherung" im Zusammenhang steht. Dessen Aufgabe wird es gemäß § 92 a Abs. 5 SGB V sein, eine Vorschlagsliste von zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfahigen Fertigarzneimitteln zu erstellen, die gemäß § 92 a Abs. 7 SGB V laufend an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse anzupassen ist und neue Arzneimittel und Therapieprinzipien berücksichtigen soll. Gemäß des ebenfalls neu eingeführten § 34 a SGB Verläßt der Bundesminister für Gesundheit sodann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vorschlagsliste als Liste der in der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfahigen Fertigarzneimittel. Sobald diese Liste erstmalig veröffentlicht wird, tritt eine bereits jetzt vorgesehene Änderung des 34 Abs. 1 SGB V in Kraft, nach der die Versicherten nur dann einen Anspruch auf Gewährung eines bestimmten Arzneimittels haben, wenn dieses nach der gemäß § 34 a SGB Verlassenen Liste verordnungsfahig sowie in einer weiteren gemäß § 92 a Abs. 8 SGB V vom Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung" aufzustellenden Liste enthalten ist, in der die als verordnungsfahig bezeichneten Arzneimittel zum Zweck des Preisvergleichs nach Indikationsgebieten, Stoffgruppen und Stoffen sowie nach Therapieeinrichtungen zusammengestellt werden. Trotz dieses neugestalteten Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln zur vertragsärztlichen Versorgung kommt es hinsichtlich der Anforderungen, die die betreffenden Mittel erfüllen müssen, jedoch nur zu geringen Änderungen gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage. Obliegt es bisher dem 15 BGBI. I S. 2266.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Bundesminister für Gesundheit, gemäß § 34 Abs. 3 SGB V mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung 16 unwirtschaftliche Arzneimittel von der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen, so hat nach dem Inkrafttreten des neuen Verfahrens das Institut "Arzneimittel in der Krankenversicherung" gemäß § 92 a Abs. 5 SGB V die Aufgabe, bei der Erstellung der Vorschlagsliste der für die vertragsärztliche Versorgung geeigneten Arzneimittel deren Wirtschaftlichkeit zu beurteilen. Dabei sollen gemäß § 92 a Abs. 5 SGB V diejenigen Arzneimittel nicht in die Liste aufgenommen werden, für die nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft ein mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen hinsichtlich des Ausmaßes des zu erzielenden therapeutischen Effektes nicht nachgewiesen oder deren Zweckmäßigkeit zweifelhaft ist. Bei Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophie ist auch zukünftig der besonderen Wirkungsweise dieser Arzneimittel Rechnung zu tragen (§ 92 a Abs. 6 SGB V). Entsprechend dem Einsatz von Arzneimitteln im System der gesetzlichen Krankenversicherung besteht auch bei der Versorgung der Versicherten mit Heil- beziehungsweise Hilfsmitteln aufgrund § 32 SGB V beziehungsweise § 33 SGB V gemäß § 34 Abs. 4 SGB V die Möglichkeit, bestimmte Heil- und Hilfsmittel mit umstrittenem therapeutischen Nutzen aus dem Leistungsanspruch der Versicherten auszunehmen.17 Darüber hinaus sind Hilfsmittel gemäß § 33 Abs. 1 SGB V grundSätzlich nur dann zu gewähren, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen. Eine Regelung zur Erprobung neuer Leistungen stellt schließlich die Vorschrift des § 63 SGB V dar. Nach dieser Regelung, zu der sich in der RVO keine Entsprechung fand, haben die Krankenkassen die Möglichkeit, zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung neue Leistungen, Maßnahmen und Verfahren zu erproben.

16 Vg!. hierzu die "Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung" vom 21.02.1990 (BGB!. I S. 301). 17 Von dieser Verordnungserrnächtigung hat der Bundesminister für Gesundheit mit dem Erlaß der "Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung" vom 13.12.1989 (BGB!. I S. 2237) Gebrauch gemacht.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Normierungen

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c) Leistungskonkretisierende Regelungen im vierten Kapitel des SGB V Neben dem Bereich des Leistungsrechtes wurde im Zuge der Neukodifikation des Rechtes der gesetzlichen Krankenversicherung schließlich auch der Bereich des Leistungserbringungsrechtes gegenüber der bis dahin bestehenden Rechtslage modifiziert und teilweise neu geregelt. Besonders augenfaIlig ist dabei, daß im Rahmen der Neugestaltung dieses Rechtskreises der bis dahin für diesen Bereich kennzeichnende Begriff der "kassenärztlichen Versorgung" durch den der "vertragsärztlichen Versorgung" ersetzt wurde. 18 Wie bereits das vorhergehende Regelungssystem der RVO enthält auch das SGB V in seinem im vierten Kapitel geregelten Leistungserbringungsrecht eine Vielzahl von Bestimmungen, die die Art und den Umfang der den Versicherten zu gewährenden Leistungen begrenzen und damit zum Ausschluß von alternativen sowie neuen, noch nicht allgemein anerkannten Mitteln und Methoden beitragen können. Eine erste Vorschrift, die für die Grenzen der in der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen Bedeutung hat, findet sich bereits in der Regelung des § 70 Abs. 1 SGB V, durch die die allgemeinen Grundsätze der Beziehungen zwischen den Krankenkassen und den verschiedenen Leistungserbringern festgelegt werden. Gemäß dieser Regelung, die insoweit an die §§ 368 Abs. 3, 368 e RVO anknüpft, haben die Krankenkassen und die Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen hat. Gleichzeitig muß die Versorgung der Versicherten ausreichend und zweckmäßig sein sowie wirtschaftlich erbracht werden, ohne das Maß des Notwendigen überschreiten zu dürfen (§ 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Diese durch § 70 Abs. 1 SGB V aufgestellten allgemeinen Grundsätze der Beziehungen zwischen den Leistungserbringern und den Trägem der gesetzlichen Krankenversicherung werden durch § 72 Abs. 2 SGB V für den Bereich der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung wieder18 Da das Gesundheitsstrukturgesetz abgesehen von dieser terminologischen Umstellung sowie einer weitgehenden Neugestaltung des Beteiligungsverfahrens von Ärzten an der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. hierzu insbesondere Hülsmeier, SozSich 1992, S. 166) für die Frage der Gewährung von alternativen oder neuen Behandlun~s- und Heilmethoden im Rahmen des Leistungserbringungsrechtes keine wesentlichen Anderungen mit sich brachte, kann auf eine gesonderte Darstellung der Entwicklung der Frage des Beteiligungsverfahrens verzichtet werden.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

holt. Danach ist die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien der Bundesausschüsse durch schriftliche Verträge der kassenärztlichen Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln, daß eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden. Hinsichtlich der zur Sicherung der ärztlichen Versorgung zu beschließenden Richtlinien der Bundesausschüsse bestimmt § 92 Abs. 1 SGB V ergänzend, daß diese Richtlinien eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten haben. Von besonderer Bedeutung für die Einführung neuer Methoden und Mittel in die kassenärztliche Versorgung und insoweit ohne Vorbild in der RVO sind schließlich die in dem neunten Abschnitt des SGB Venthaltenen Vorschriften über die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung. Im Vordergrund steht dabei die Vorschrift des § 135 Abs. 1 SGB V, wonach neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur abgerechnet werden dürfen, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen auf Antrag einer kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben haben (§ 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Für neue Heilmittel bestimmt § 138 SGB V, daß diese von den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten nur verordnet werden dürfen, wenn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Für neue Hilfsmittel gilt schließlich, daß die Spitzenverbände der Krankenkassen hierfür gemäß § 139 SGB V gemeinsam und einheitlich für bestimmte Hilfsmittel Qualitätsstandards entwickeln sollen, um eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln zu sichern.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Normierungen

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2. Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in anderen Teilen des Sozialgesetzbuches Wenn es sich bei den soeben vorgestellten Regelungen des SGB V auch um die entscheidenden Grundlagen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung handelt, so finden sich doch in weiteren Teilen des Sozialgesetzbuches ergänzende Normierungen, die für die hier untersuchte Frage der Gewährung von nicht beziehungsweise noch nicht allgemein anerkannten Behandlungs- und Heilmethoden durch die gesetzliche Krankenversicherung durchaus von Bedeutung sind und die daher im folgenden dargestellt werden sollen. a) Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen im SGB I Eine erste Gruppe von Rechtsnormen, die zumindest mittelbar für die Art und den Umfang der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen Bedeutung haben, findet sich im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches (SGB I) vom 11.12.1975 19 . So wird zunächst durch § 4 Abs. 2 SGB I der Rahmen der sozialen Rechte dahingehend umrissen, daß ein in der gesetzlichen Sozialversicherung Versicherter ein Recht auf Gewährung derjenigen Maßnahmen hat, die zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit notwendig sind. Für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wird diese allgemeine Bestimmung der sozialen Rechte durch § 21 Abs. 1 SGB I konkretisiert. Danach können nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung im Falle einer Erkrankung Leistungen zur Krankenbehandlung in Anspruch genommen werden, die insbesondere die ärztliche und zahnärztliche Behandlung (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 a SGB I) sowie die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 b SGB I) umfassen. Zwar handelt es sich bei beiden Vorschriften lediglich um eine grundsätzliche Beschreibung des Bereiches, für den die gesetzliche Krankenver19 BGBI. I S. 3015.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

sicherung Leistungen anzubieten hat, so daß sich aus diesen Regelungen für den einzelnen Versicherten keine Ansprüche ergeben20 . Trotzdem kommt beiden Normen bei der Untersuchung der hier interessierenden Frage insoweit Bedeutung zu, als sie gemäß § 2 Abs. 2 SGB I bei der Auslegung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches sowie bei der Ausübung von Ermessensentscheidungen durch die Sozialversicherungsträger zu beachten sind. 21 Darüber hinaus sind gemäß § 2 Abs. 2 2. Halbsatz SGB I sowohl die Sozialverwaltung als auch die Sozialgerichtsbarkeit gehalten, eine möglichst weitgehende Verwirklichung der sozialen Rechte sicherzustellen. 22 Bedeutung für den Leistungsanspruch des Versicherten hat § 4 SGB I jedoch nicht nur insoweit, als durch Absatz 1 dieser Regelung jedem einzelnen das Recht auf Zugang zur Sozialversicherung und damit auf sozialversicherungsrechtlichen Schutz in dem zuvor genannten Umfang eingeräumt wird. Neben dieser für den Versicherten günstigen Regelung des § 4 SGB I trifft diese Vorschrift zugleich die für den gesamten Bereich der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung grundlegende Aussage, daß die sich aus den jeweiligen Spezialgesetzen zugunsten der Versicherten ergebenden Ansprüche nicht uferlos sind, sondern sich auf das im jeweiligen Einzelfall Notwendige beschränken. 23 Bereits im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches findet sich damit der auch das SGB V prägende Grundsatz, daß Leistungen nur im Rahmen des Notwendigen erbracht werden dürfen. b) Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen im SGB IV Neben dieser grundSätzlichen Beschränkung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung auf die im Einzelfall notwendigen Maßnahmen findet sich eine weitere Begrenzung der von den Trägem der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Maßnahmen in den gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) vom 20 GK-SGB I-v. Maydell, § 2 SGB I RdNr. 11 m.w.N. 21 GK-SGB I-v. Maydell, § 2 SGB I RdNr. 12. 22 Im Ergebnis wird damit die rechtliche Gestaltungsfreiheit von Verwaltung und Rechtsprechung eingeschränkt; vgl. Kasseler Kommentar - Seewald, § 2 SGB I RdNr. 4; GK-SGB I-v. Maydell, § 2 RdNr. 12 ff.; Hauek/Haines, SGB I, § 2 RdNr. 10 ff. 23 Vgl. hierzu auch Kasseler Kommentar - Seewald, § 4 SGB I RdNr. 34.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Normierungen

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23.12.197624 . So sind gemäß § 69 Abs. 2 SGB IV die Träger der Sozialversicherung verpflichtet, bei der Aufstellung und Ausführung ihres Haushaltsplanes die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. 25 Zwar ist die Anwendbarkeit dieser Grundsätze im Rahmen der Leistungserbringung zugunsten der Versicherten deutlich eingeschränkt, da gesetzliche oder aufgrund einer Satzung vorgeschriebene Leistungen an die Versicherten uneingeschränkt und in vollem Umfang zu erbringen sind und nicht unter Hinweis auf haushaltsrechtliche Grundsätze verwehrt werden dürfen26 , doch können diese Grundsätze dann eine Bedeutung erlangen, wenn zu einer bestimmten notwendigen Maßnahme eine Alternative besteht, die kostengünstiger und damit wirtschaftlicher ist. 27

II. Der gegenwärtige Stand des für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen untergesetzlichen Normensystems Neben den zunächst dargestellten gesetzlichen Regelungen wird das System der gesetzlichen Krankenversicherung durch eine Vielzahl untergesetzlicher Regelungen ergänzt, zu denen unter anderem die gemäß §§ 72 Abs. 2, 82 ff. SGB V zwischen den kassenärztlichen Landes- beziehungsweise Bundesvereinigungen und den Spitzenverbänden der Krankenkassen geschlossenen Bundesmantelverträge sowie die gemäß § 92 SGB Vergangenen Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen zu zählen sind. 28 Dabei finden sich sowohl in den Verträgen als auch in einer Reihe von Richtlinien Regelungen zu der hier untersuchten Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Träger der gesetzlichen 24 BGBI. I S. 3845. 25 Die Sozialversicherungsträger haben die genannten Grundsätze dabei auch insbesondere bei dem Vollzug ihrer Haushaltspläne zu beachten; vgl. hierzu Kasseler Kommentar Maier, § 69 SGB IV RdNr. 6. 26 Kasseler Kommentar - Maier, § 69 SGB IV RdNr. 6. 27 Hauek/Haines, SGB IV, § 69 RdNr.12. 28 Neben den genannten Bereichen des zwischen den Verbänden der Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen ereinbartenm Vertragsrechtes und den gemäß § 92 SGB V geschaffenen Richtlinien läßt sich das Feld der untergesetzlichen Normen, ausgehend von den unterschiedlichen Ebenen der Normsetzung, zudem in den Bereich des autonomen (Satzungs-)Rechtes der im System der gesetzlichen Krankenversicherung tätigen Körperschaften des öffentlichen Rechtes sowie in den Bereich der untergesetzlichen Normsetzung durch den Staat selbst unterteilen. Vgl. hierzu: Ebsen in: Sehulin HS-KV § 7 RdNr. 5 ff.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Krankenversicherung verpflichtet sind, ihren Versicherten Leistungen zu gewähren, die von der Schulmedizin nicht beziehungsweise noch nicht allgemein anerkannt werden.

1. Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Bundesmantelverträgen Seit der Schaffung des Vertragswesens zur selbstbestimmten Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Ärzten als der wichtigsten Gruppe der Leistungserbringer zu Beginn der dreißiger Jahre29 stehen die durch die Spitzenverbände der Krankenkasse einerseits und die Bundes- beziehungsweise Landesvereinigungen der kassenärztlichen Vereinigungen andererseits abgeschlossenen Bundesmantel- beziehungsweise Gesamtverträge im Zentrum des Kassenarztrechtes. Von besonderer Bedeutung für die hier untersuchte Frage sind dabei die Regelungen des gemäß §§ 72 Abs. 2, 82 Abs. 1, 87 SGB V zwischen der kassenärztIichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen geschlossenen Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) in der zur Zeit gültigen Fassung vom 28.10.1990 sowie des zwischen der kassenzahnärztlichenen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen geschlossenen BundesmantelvertragesZahnärzte (BMV-Z).30 Für den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung steht dabei § 15 BMV-Ä im Vordergrund, durch den jeder Vertragsarzt verpflichtet wird, die Regeln der ärztlichen Kunst und den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu berücksichtigen sowie das Gebot der Wirtschaftlichkeit im Sinne des § 12 SGB V zu beachten und hierauf seine Behandlungs- und Verordnungsweise einzurichten. Ferner weist § 15 Satz 2 BMV -Ä darauf hin, daß die vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 92 SGB V beschlossenen Richtlinien für den Vertragsarzt und die Krankenkassen verbindlich sind. Für die Anwendung neuer Unter29 Vgl. zu der geschichtlichen Entwicklung oben im ersten Kapitel C.I. 30 Neben den auf Bundesebene geschlossenen Bundesmantelverträgen eXistieren zwischen den Verbänden der Krankenkassen sowie den kassenäntlichen Bundes- beziehungsweise Landesvereinigungen eine Vielzahl weiterer Vereinbarungen, in denen jeweils einzelne Fragen des Kassenarztrechtes geregelt sind. Da sie für die hier vorliegende Untersuchung jedoch keine Bedeutung haben, sollen sie außer Betracht bleiben.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Normierungen

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suchungs- und Behandlungsmethoden schreibt § 11 BMV-Ä ergänzend vor, daß jeder an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt verpflichtet ist, neue Methoden im Sinne des § 135 SGB V erst dann anzuwenden, wenn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien deren Anerkennung empfohlen hat. Für den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung sieht § 4 Abs. 3 BMV-Z vor, daß der Vertragszahnarzt Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht bewirken oder verordnen darf. Darüber hinaus sind auch die an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Zahnärzte gemäß § 13 Abs. 3 BMV-Z zur Anwendung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode erst dann berechtigt, wenn diese durch einen bei der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zu bildenden "Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden " in einer Stellungnahme befürwortet ist. Schließlich haben auch die Vertragszahnärzte Heilmaßnahmen sowohl nach Art als auch nach Umfang nur bei sorgfältiger Prüfung der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit sowie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu verordnen (§ 14 Abs. 2 BMV-Z). 2. Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in Richtlinien Neben den Bestimmungen der Bundesmantel- beziehungsweise Gesamtverträge sind für die Art und den Umfang der vertrags ärztlichen Versorgung schließlich eine Vielzahl von Richtlinien maßgebend, die von den gemäß § 91 Abs. 1 SGB V gebildeten Bundesausschüssen aufgrund der Regelung des § 92 Abs. 1 SGB V beschlossen werden. Im Rahmen dieser Richtlinien finden sich Regelungen über die Art und den Umfang der in der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen in erster Linie in den "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung", den "Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung", den "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen und vertragsärztlichen Versorgung"

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

sowie den "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ", die im folgenden vorgestellt werden. a) Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung Von erheblicher Bedeutung für die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung sind die "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung" (Arzneimittel-Richtlinien) Ld.P. vom 19.06.197831 , zuletzt geändert durch die Bekanntmachung vom 07.08.199232 . Bereits die Präambel der Arzneimittel-Richtlinien weist dabei darauf hin, daß das Ziel dieser Richtlinien darin besteht, in Erfüllung der durch die §§ 12,28, 70 SGB V vorgegebenen gesetzlichen Regelungen eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Dabei haben sowohl der behandelnde Arzt als auch die Krankenkassen die Anspruchsberechtigten darüber aufzuklären, daß sie einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nur insoweit haben, als diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig, ausreichend und notwendig sind und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechen (Nr. 7 Arzneimittel-Richtlinien), wobei für die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels vor dessen Preis sein therapeutischer Nutzen entscheidend ist (Nr. 10 Arzneimittel-Richtlinien). Schließlich setzt die Wirtschaftlichkeit einer Verordnung gemäß Nr. 11 Arzneimittel-Richtlinien voraus, daß das verordnete Arzneimittel in seiner handelsüblichen Zubereitung hinsichtlich seines therapeutischen Nutzens durch den Hersteller ausreichend gesichert ist.

31 Beilage Nr. 30178 zum BAnz. 1978, Nr. 235. 32 BAnz. 1992 Nr. 205.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Normierungen

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b) Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien Die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung wird geregelt durch die "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen und vertragsärztlichen Versorgung" (Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien) i.d.F. vom 17.06.199233 . Zweck dieser Richtlinien ist die Sicherung der Versorgung der Versicherten mit Heil- und Hilfsmitteln, wobei diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich erfolgen soll (Präambel der Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien). Entsprechend dieser Zielsetzung werden die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte gemäß der in Abschnitt A III Nr. 11, Nr. 13 Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien niedergelegten allgemeinen Verordnungsgrundsätze verpflichtet, Heil- und Hilfsmittel nur in dem Maße zu verordnen, als es nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Beachtung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Kenntnisse für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten erforderlich ist. Hinsichtlich des Einsatzes neuer Heil- und Hilfsmittel wird dabei ausdrücklich festgestellt, daß die Entwicklung und Erprobung derartiger Mittel auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung unzulässig ist (Abschnitt A III Nr. 13 Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien).

33 BAnz. 1992 Nr. 183 b S. 13.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

c) Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Maßgeblich für die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die vertragsärztliche Versorgung sind die gemäß § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB V beschlossenen "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" (NUBRichtlinien) vom 04.12.199034 , zuletzt geändert durch die Bekanntmachung vom 11.05.199335 . Durch diese Richtlinien wird zunächst angeordnet, daß neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden dürfen, wenn zuvor der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nach einer Prüfung des neuen Verfahrens eine Empfehlung über den therapeutischen und/oder diagnostischen Nutzen der neuen Methode abgegeben hat (Nr. 1 NUB-Richtlinien). Als neue Behandlungs- und Heilmethoden gelten dabei alle Methoden, die bis zum Zeitpunkt der Prüfung nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung gewesen sind (Nr. 4 NUB-Richtlinien). Über dieses Erfordernis der Zulassung einer neuen Methode zur vertragsärztlichen Versorgung hinaus ist die Einführung neuer Methoden dadurch erschwert, daß die Prüfung einer neuen Methode gemäß Nr. 2 NUB-Richtlinien nur auf Antrag der kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen erfolgt. Dabei soll gemäß Nr. 3 NUB-Richtlinien ein Antrag nur dann gestellt werden, wenn nach Auffassung des Antragsberechtigten der diagnostische beziehungsweise therapeutische Wert der neuen Methode aufgrund der zu ihr vorliegenden Erfahrungen oder wissenschaftlichen Arbeiten beurteilbar ist. Darüber hinaus muß ein Antrag auch Angaben zu dem zu erwartenden Erfolg, den Risiken und der Wirtschaftlichkeit der neuen Methode enthalten, wobei gegebenenfalls auch ein Vergleich zu den bisher vorhandenen Methoden vorzunehmen ist (Nr. 7 NUB-Richtlinien). Ergibt die Prüfung, daß die neue 34 BArbBI. 2/1991 S. 33. 35 BAnz. 1993 Nr. 156 S. 7869.

A. Gegenwärtiger Stand der maßgeblichen Nonnierungen

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Untersuchungs- oder Behandlungsmethode für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich ist, wird die betreffende neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode schließlich in eine als Anlage zu den NUB-Richtlinien geführte Liste eingetragen und darf damit zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden (Anlage 1 zu den NUB-Richtlinien). Fällt die Prüfung hingegen negativ aus, bleibt die neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen (Anlage 2 zu den NUB-Richtlinien). d) Der gegenwärtige Stand der für die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden maßgeblichen Normen in den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung Für den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung der Versicherten sind schließlich die "Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung" (KassenzahnarztRL) vom 07.12.196236 , zuletzt geändert durch die Bekanntmachung 16.09.1981 37 , zu nennen. Auch diese Richtlinien wurden beschlossen, um eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung zu gewährleisten (Abschnitt A Nr. 1 KassenzahnarztRL). Dabei werden von der vertragszahnärztlichen Versorgung diejenigen Maßnahmen umfaßt, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst geeignet sind, Krankheiten der Zähne, des Mundes und der Kiefer zu heilen (Abschnitt A Nr. 2 KassenzahnarztRL). Wie auch im Rahmen der Arzneimittel-Richtlinien ist auch für die Wirtschaftlichkeit der Auswahl von Arzneimitteln in der vertragszahnärztlichen Versorgung vor dem Preis des Arzneimittels dessen therapeutischer Nutzen entscheidend (Abschnitt eIl Nr. 1 KassenzahnarztRL).

36 BAnz. 1963 Nr. 116. 37 BAnz. 1981 Nr. 192. 7 Schmidl-Rögnitz

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

B. Der gegenwärtige Meinungsstand zur Gewährung von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung Gegenwärtig werden zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen alternative sowie neue, schulmedizinisch noch nicht allgemein anerkannte Behandlungs- und Heilmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen eingesetzt werden dürfen, zwei Auffassungen vertreten, von denen eine aufgrund der Zahl ihrer Vertreter als herrschende Meinung bezeichnet werden kann.

I. Die herrschende Meinung Die heute herrschende Meinung geht auf drei Entscheidungen des dritten Senats38 sowie eine Entscheidung des neunten Senats39 des BSG zuTÜcIc4o, mit denen das Gericht einer Reihe instanzgerichtlicher Urteile41 folgte und seine zunächst zu der Gewährung neuer, schulmedizinisch noch nicht anerkannter Behandlungs- und Heilmethoden entwickelte Rechtsprechung42 auf das Problem der Gewährung alternativer Behandlungs- und Heilme38 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102, zur Gewährung von aus Mikroben und Krankheitserregern gewonnenen KUF-Reihen zur Behandlung einer Colitis Ulcerosa (einer entzündlichen Erkrankung des Dickdarms); BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255, zur Gewährung von Thymusextrakt-Präparaten gegen Multiple Sklerose; BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 24, zur Gewährung des schulmedizinisch nicht anerkannten Behandlungsmittels "Ney-Tumorin" im Rahmen einer Krebstherapie. 39 BSG, Urteil vom 27.04.1989, BSGE 65, S. 56, zur Gewährung einer bestimmten, nicht allgemein praktizierten Brustkrebsoperation. 40 Vgl. zu der historischen Entwicklung dieser Rechtsprechung auch oben im ersten Kapitel C.III. 41 SG Freiburg, Urteil vom 07.11.1980, Breithaupt 1983, S. 4, zur Gewährung einer Frischzellenbehandlung bei einem mongoloiden Kind; LSG Niedersachsen, Urteil vom 04.08.1982, Die Sozialversicherung 1984, S. 54, zur Gewährung einer bestimmten Therapieform gegen Multiple Sklerose; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.09.1983, DOK 1984, S. 237, zur Gewährung einer Keratomileusis-Operation (einer schulmedizinisch nicht anerkannten Methode zur Änderung der Brechkraft der Hornhaut); LSG Niedersachsen, Urteil vom 20.06.1984, Meso 1986, S. 155, zu der Gewährung einer Herdtherapie im Rahmen einer Zahnbehandlung; LSG Niedersachsen, Urteil vom 24.07.1985, Breithaupt 1986, S. 294, zur Gewährung einer hippotherapeutischen Behandlung; LSG NordrheinWestfalen, Urteil vom 16.10.1986, ArztR 1988, S. 60, zur Gewährung homöopathischer Arzneimittel; LSG Niedersachsen, Urteil vom 17.12.1986, SozVers1989, S. 194, zur Gewährung einer Ozon/Sauerstoff-Therapie. 42 BSG, Urteil vom 07.11.1979, SozR 3100 § 11 BVG Nr. 13; BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70; BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134.

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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thoden übertrug. 43 Gegenwärtig wird diese Ansicht sowohl vom BSG in ständiger Rechtsprechung44 als auch von wesentlichen Teilen sowohl der instanzgerichtlichen Rechtsprechung45 als auch des Schrifttums46 vertreten. 43 Zur Entwicklung dieser Rechtsprechung vgl. auch oben im ersten Kapitel C.II1. 44 Vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 24; BSG, Urteil vom 21.11.1991, SGb 1992, S. 322, zur Gewährung einer schulmedizinisch nicht allgemein anerkannten Herdsanierung avitaler Zähne; BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 13, zur Gewährung von Krallendorntee gegen Multiple Sklerose; BSG, Urteil vom 08.06.1993, BSGE 72, S. 252, zur Gewährung einer bestimmten, arzneimittelrechtlich nicht zugelassenen Aufbaucreme zur Behandlung eines an Neurodennitis leidenden Kindes; BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125, zum Einsatz eines Ersatzstoffes für Amalgam in der zahnärztlichen Praxis. 45 LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.02.1990, Meso 1992, B. 340/52, zum Einsatz eines Magenreduzierballons im Rahmen einer Eßsuchttherapie; LSG SchleswigHolstein, Urteil vom 26.06.1990, Juris, zur Gewährung von Thymus-Präparaten zur Behandlung einer Polyarthritis; SG Frankfurt a.M., Urteil vom 27.06.1990, Breithaupt 1991, S. 622, zur Gewährung eines schulmedizinisch nicht anerkannten Arzneimittels; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.06.1990, ZAP EN-Nr. 707/90, zur Gewährung einer Herdtherapie; LSG Niedersachsen, Urteil vom 18.07.1990, Breithaupt 1991, S. 617, zur Gewährung einer Ozon-Eigenbluttherapie; LSG Niedersachsen, Urteil vom 28.09.1990, Breithaupt 1991, S. 619, zur Gewährung des schulmedizinisch nicht anerkannten Medikamentes Protecten im Rahmen einer Krebstherapie; LSG Niedersachsen, Urteil vom 25.01.1991, Meso B 290/159, zur Gewährung einer "DOMAN"-Behandlung zur Therapie eines hirngeschädigten Kindes; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.02.1991, Meso B 260/24, zur Anwendung alternativer diagnostischer und therapeutischer Methoden; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.07.1991, Meso B 280/57, zur Gewährung einer autohomologen Immuntherapie; LSG Berlin, Urteil vom 25.09.1991, Breithaupt 1992, S. 538, zur Gewährung einer "Atlas-Therapie" zur Behandlung einer Multiplen Sklerose; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 02.06.1992, Juris, zur Gewährung einer Elektro-Akupunkturbehandlung nach VOLL; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.07.1992, Juris, zur Gewährung einer "DOMAN"-Behandlung zugunsten eines hirngeschädigten Kindes; SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147, zur Gewährung einer Akupunkturbehandlung; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.11.1992, Meso B 280/57, zur Gewährung einer autohomologen Immuntherapie im Rahmen einer Neurodermitisbehandlung; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.11.1992, NJW 1993, S. 3022, zur Gewährung der schulmedizinisch nicht anerkannten mikroskopischen Blutuntersuchung im Dunkelfeld nach von Brehmer; SG Marburg, Urteil vom 15.12.1992, Juris, zur Gewährung von Thymuspräparaten in der Krebstherapie; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.01.1993, Juris, zur Anwendung einer Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie; SG Hamburg, Urteil vom 21.05.1993, Juris, zur Gewährung einer "Low-Power-Laser/Ginkgo"-Kombinationstherapie bei Tinnitus; LSG Hessen, Urteil vom 29.07.1993, unveröffentlicht, im Anschluß an die Entscheidung des SG Marburg, a.a.O. 46 Enderlein, VSSR 1992, S. 123; Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247; GKV SGB V 7ipperer, § 2 RdNr. 7 f.; Hauck/Haines, Gesetzliche Krankenversicherung, § 2 RdNr. 4 a; Kasseler Kommentar - Höjler, § 12 RdNr. 8; Kirsten, SGb 1991, S. 257; KrauskopflSchroeder-Prinzen, Soziale Krankenversicherung, § 2 RdNr. 1; Laufs, NJW 1984, S. 1383; Laufs NJW 1988, S. 1499 (1502); LaufslUhlenbruck - Krauskopf, Handbuch, § 36 RdNr. 14; Marburger, ZfS 1989, S. 176; Markgraf, DOK 1990, S. 667; Peters, Krankenversicherung (SGB V), § 27 RdNr. 201, 207, 286 ff.; Schneider in: Schulin

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Nach dieser Ansicht, die sich zunächst noch an der im Rahmen der RVO geltenden Rechtslage zu orientierten hatte, ist die Krankenpflege in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von vornherein auf Leistungen begrenzt, die wissenschaftlich voll abgesichert und deren Wirksamkeit und Heilerfolge allgemein festgestellt sind. 47 Auch alternative sowie neue Behandlungs- und Heilmethoden dürften daher nicht allein deswegen von der zu gewährenden vertragsärztlichen Versorgung ausgenommen werden, weil sie von der Schulmedizin nicht beziehungsweise noch nicht anerkannt werden. 48 Vielmehr bestehe ein Anspruch des Versicherten auf Gewährung einer neuen oder alternativen Behandlungs- oder Heilmethode wenigstens im Rahmen eines Therapieversuches insbesondere dann, wenn eine schwere Erkrankung unbekannter Genese vorliegt, zu deren Behandlung gegenwärtig keine wissenschaftlich anerkannten Behandlungs- oder Heilmethoden zur Verfügung stehen. 49 Darüber hinaus komme der Einsatz einer neuen oder alternativen Behandlungs- oder Heilmethode aber auch in den Fällen in Betracht, in denen zwar eine anerkannte Methode oder ein anerkanntes Mittel zur Behandlung oder Linderung der fraglichen Erkrankung vorliege, dieses jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht eingesetzt werden könne. 50 Dabei sei es zwar in beiden Fällen für einen Anspruch eines Versicherten auf Gewährung einer wissenschaftlich nicht nachweisbar wirksamen neuen oder alternativen Behandlungs- oder Heilmethode nicht erforderlich, daß durch den Einsatz des fraglichen Mittels oder der fraglichen Methode mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Besserung des Zustandes des Patienten erreicht werden könne, erforderlich sei es aber, daß der Eintritt eines derartigen Erfolges durch die Gewährung der neuen oder alternativen Behandlungs- oder Heilmethode nach ärztlichem, an dem jeweiligen Stand der allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisse orientiertem Erkenntnisstand, wenigstens

HS-KV § 22 RdNr. 7; Schulin, SGb 1984, S. 45; SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502; Volbers, SdL 1889, S. 266; WeisslGagel - Berchtold, Handbuch, § 12 C RdNr. 238; Wie~and, Kassenarztrecht, § 72 RdNr. 17. 4 BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134 (137). 48 Vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 07.11.1979, SozR 3100 § 11 BVG Nr. 13. 49 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102; BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255; Schulin, SGb 1984, S. 45 (51). 50 In Betracht kommt beispielsweise die Wirkungslosigkeit eines Mittels oder einer Methode im Einzelfall sowie das Vorliegen einer Gegenindikation oder Unverträglichkeit beim Patienten, worauf besonders das SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147, hinweist.

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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mit einer nicht nur ganz geringen Erfolgsaussicht möglich erscheint. 51 Seien diese Voraussetzungen erfüllt, so scheitere ein Einsatz alternativer oder neuer Behandlungs- oder Heilmethoden auch nicht daran, daß sich der Versicherte diese speziellen Mittel oder Methoden abseits vom normalen Beschaffungsweg zunächst bei fachlich nicht zuständigen Vertragsärzten52 oder gar bei nicht an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Ärzten oder medizinischen Einrichtungen53 beschaffen müsse. In diesen Fällen komme abweichend vom Sachleistungsprinzip eine Erstattung der entstandenen Kosten in Betracht, soweit die nicht als Sachleistung gewährte Leistung notwendig war. Ihre Auffassung begründeten die Vertreter der herrschenden Meinung noch zur Zeit der Geltung der Bestimmungen der RVO mit dem Argument, daß für den Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung allein das in den §§ 182 ff. RVO festgeschriebene Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblich sei. 54 Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung gewähre den Versicherten jedoch einen umfassenden Anspruch auf Krankenpflege, der inhaltlich allein insoweit begrenzt sei, als diese ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein habe und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfe. 55 Dabei könnten unter bestimmten Voraussetzungen auch neue sowie alternative Behandlungs- und Heilmethoden das Kriterium der Zweckmäßigkeit erfüllen. Diese Sachleistungsvoraussetzung sei nämlich nicht nur dann gegeben, wenn eine bestimmte Methode oder ein bestimmtes Mittel nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung geeignet ist, auf eine Erkrankung heilend oder lindernd einzuwirken, sondern auch in den Fällen, in denen die Eignung der in Rede stehenden Maßnahme zwar noch nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt ist, sie aber nach dem gegenwärtigen medizinischwissenschaftlichen Kenntnisstand nicht gänzlich unwahrscheinlich ist. 56 51 So insbesondere BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255 (258); LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.10.1986, ArztR 1988, S. 60. 52 So ausdrucklich BSG, Urteil vom 21.11.1991 ("Ney-Tumorin"), BSGE 70, S. 24. 53 So ausdrucklich BSG, Urteil vom 21.11.1991 ("Herdtherapie"), SGb 1992, S. 322. 54 BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134 (137); BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (103). Aus dem Bereich der Literatur vgl. nur Schulin, SGb 1984, S. 45 (5~ m.w.N. 5 So insbesondere BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (103). 56 So erstmalig BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255, ausdrucklich bestätigt durch BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 25 (26); BSG, Urteil vom 21.11.1991, SGb 1992, S. 322. Vgl. auch BSG, Urteil vom 27.04.1989, BSGE 65, S. 56 mit einem besonderen Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Ferner: LSG Schleswig-

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Gerade bei Vorliegen einer Krankheit mit unbekannter Ursache57 hieße es, die Anforderungen an die Prüfung der Zweckmäßigkeit einer Behandlungs- oder Heilmethode zu überspannen, wenn in jedem Fall ein konkreter und wissenschaftlich nachvollziehbarer Nachweis der Wirksamkeit des Mittels oder der Methode verlangt werden würde, da ein solcher Nachweis gerade die Kenntnis über den Ursprung der Krankheit und ihre Heilungsmöglichkeiten voraussetze. 58 Darüber hinaus sei der behandelnde Arzt besonders in Fällen schwerer Erkrankungen aufgrund der Regeln der ärztlichen Kunst verpflichet, beim Fehlen allgemein anerkannter Behandlungsund Heilmethoden auch solche Maßnahmen in Betracht zu ziehen, denen die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung bisher versagt geblieben ist. 59 Gerade in solchen Fällen nehme die Tätigkeit des Arztes ohnehin einen stark experimentellen Charakter an, bei der er wegen der Ungewißheit über den therapeutischen Erfolg der einzelnen Behandlungs- oder Heilmethoden keine Maßnahme außer acht lassen dürfe, die unter Anlegung wissenschaftlicher Maßstäbe zumindest noch eine ernst zu nehmende Behandlungsalternative bieten könnte. 60 Dieser sich aus dem Verhältnis des Versicherten zur Krankenkasse ergebende Anspruch auf Gewährung bestimmter Methoden und Mittel werde auch nicht durch das zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern geltende Kassenarztrecht begrenzt. 61 Zwar würden auch die Vorschriften dieses Bereiches das Verhältnis zwischen den Versicherten und den Krankenkassen beeinflussen und die sich daraus ergebenden LeiHolstein, Urteil vom 26.06.1990, Juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.07.1991, Meso B 280/57, LSG Berlin, Urteil vom 25.09.1991, Breithaupt 1992, S. 538; eher einschränkend LSG Niedersachsen, Urteil vom 17.12.1986, SozVers 1989, S. 194, das an den Wirksarnkeitsnachweis hohe Anforderungen stellt. 57 Insbesondere das LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.02.1991, Meso B 260/24, weist ausdrücklich darauf hin, daß es sich nur dann um eine "Krankheit unbekannter Ursache" im Sinne dieser Rechtsprechung handelt, wenn die Gründe einer bestimmten Krankheit wissenschaftlich allgemein nicht geklärt sind, wohingegen eine "Krankheit unbekannter Ursache" nicht vorliegt, wenn nur die Erkrankung eines Versicherten in einem konkreten Einzelfall diagnostisch (noch) nicht geklärt werden konnte. 58 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63,S. 102; BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 256; SG Marburg, Urteil vom 15.12.1992, Juris. 59 BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 25 (28); LSG Niedersachsen, Urteil vom 20.06.1984, Meso 1986, S. 155. 60 BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 25 (26); BSG, Urteil vom 21.11.1991, SGb 1992, S. 322; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.07.1991, Meso B 280/57; Schulin, SGb 1984, S. 45 (51). So ausdrücklich auch SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147; sowie SG Marburg, Urteil vom 15.12.1992, Juris. 61 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (103).

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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stungsansprüche der Versicherten ergänzen und präzisieren, da beide Regelungsgebiete in einem untrennbaren inneren Zusammenhang stünden. 62 Gleichwohl ergäben sich aber weder aus den gesetzlichen noch aus den untergesetzlichen Regelungen des Kassenarztrechtes Anforderungen an die entsprechend dem Leistungsrecht zu erbringenden Behandlungs- und Heilmethoden, die zu einem Ausschluß von wissenschaftlich noch nicht anerkannten neuen Behandlungs- und Heilmethoden führen könnten. Für den Bereich der gesetzlichen Regelungen ergebe sich dies bereits aus der für das Kassenarztrecht maßgeblichen Vorschrift des § 368 e RVO, die dem Versicherten einen Anspruch auf Gewährung derjenigen ärztlichen Versorgung gebe, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend sei; ausgeschlossen seien nach dem Wortlaut des § 368 e Satz 2 RVO mithin lediglich Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich seien. Befindet sich das Leistungserbringungsrecht damit schon hinsichtlich der zur näheren Leistungsbeschreibung eingesetzten Kriterien im Einklang mit dem Leistungsrecht, so zeige darüber hinaus die im Kassenarztrecht enthaltene Bezugnahme auf die Regeln der ärztlichen Kunst das besondere Ziel der vertragsärztlichen Versorgung, dem Versicherten eine zweckmäßige und ausreichende Behandlung zu gewähren, die gemäß § 368 Abs. 3 RVO den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik zu berücksichtigen und damit zeitgemäß zu erfolgen habe. 63 Ergebe sich damit aus dem gesetzlichen Normensystem des Kassenarztrechtes kein Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden, so ändere sich dieses Ergebnis auch nicht unter Zugrundelegung des untergesetzlichen Normengefüges, dessen Aufgabe es allein sei, die Durchführung der vertrags ärztlichen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren und im einzelnen zu regeln. 64 Zwar fänden sich besonders in den Stellungnahmen des gemäß § 23 BMV-Ä65

62 BSG, Urteil vom 07.11.1979, SozR 3100 § II BVG Nr. 13; BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134 (137). 63 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (104); LSG Niedersachsen, Urteil vom 18.07.1990, Breithaupt 1991, S. 617; LSG Niedersachsen, Urteil vom 28.09.1990, Breithaupt 1991, S. 619; LSG Niedersachsen, Urteil vom 25.01.1991, Meso B 290/159. 64 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (104); BSG, Urteil vom 09.02.1989, BSGE 64, S. 255 (258). 65 Die hier geschilderte Rechtsprechung bezog sich noch auf die Fassung des BMV-Ä vom 01.07.1978. Seit der Neufassung des BMV-Ä vom 01.10.1990 obliegt die Entschei-

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

bei der kassenärztlichen Bundesvereinigung gebildeten Ausschusses für Untersuchungs- und Heilmethoden sowie in den von dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien Bestimmungen, die nach ihrem Wortlaut alternative sowie neue Untersuchungs- und Heilrnethoden beziehungsweise bestimmte Mittel aus dem Bereich der kassenärztlichen Versorgung ausschließen könnten. Dies folge zum einen daraus, daß sowohl die Arzneimittelrichtlinien als auch die auf Grundlage des § 368 g RVO zwischen der kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Verbänden der Krankenkassen abgeschlossenen Bundesmantelverträge ausschließlich der Sicherstellung einer den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln (Ziff. 1 der Präambel der Arzneimittelrichtlinien) beziehungsweise einer gleichmäßigen, ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten dienen. 66 Zum anderen handele es sich bei den genannten Bestimmungen lediglich um Konkretisierungen des Begriffes der Zweckmäßigkeit bestimmter Behandlungs- oder Heilmethoden sowie der zu wahrenden Wirtschaftlichkeit, ohne daß sich aus den jeweiligen Regelungen eine Verkürzung der Ansprüche der Versicherten ergeben dürfe. 67 Bezüglich der Stellungnahmen des gemäß § 23 BMV -Ä alter Fassung gebildeten Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden ergebe sich dies schon daraus, daß es sich bei diesen Äußerungen nicht um Bestimmungen handele, aus denen sich eine Schmälerung des Leistungsanspruches des Versicherten ergeben könne. 68 Vielmehr könne die Existenz oder das Fehlen einer Stellungnahme des Ausschusses zu einer bestimmten Untersuchungs- oder Heilmethode allein zur Bildung eines Erfahrungssatzes über die Zweckmäßigkeit der jeweiligen Maßnahme herangezogen werden, der jedoch immer einem Gegenbeweis zugänglich sei. 69

dung über die Zweckmäßigkeit neuer Untersuchungs- und Heilmethoden gemäß § 11 BMVÄdern Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen. 66 Hierauf weist insbesondere das BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (104) hin. 67 BSG, Urteil vom 05.05.1988, SozR 2200 § 368 P RVO Nr. 2. 68 BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134 (138). 69 BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70 (73); BSG, Urteil vom 22.09.1981, BSGE 52, S. 134 (138).

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Aber auch den Richtlinien, die vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen namentlich zur Regelung der Verordnung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung geschaffen worden sind, komme keine derartige anspruchsbegrenzende Wirkung zu. Zwar schreibe Ziff. 7 der Arzneimittelrichtlinien den Krankenkassen vor, die Versicherten darüber aufzuklären, daß sie nur diejenigen Arzneimittel verlangen könnten, deren Wirksamkeit hinreichend sicher sei, während Ziff. 11 der Arzneimittelrichtlinien für die Wirtschaftlichkeit einer Verordung voraussetze, daß der therapeutische Nutzen des fraglichen Medikaments ausreichend gesichert sei. Daneben werde gemäß § 28 BMV-Ä bestimmt, daß die nach § 368 P RV070 beschlossenen Richtlinien für die kassenärztliche Versorgung zu beachten seien.?1 Obwohl der Wortlaut der genannten Regelungen mithin für eine Verbindlichkeit dieser Bestimmungen für die Vertragsärzte spräche, was sich damit indirekt auch auf die Leistungsansprüche der Versicherten auswirken müßte, könnten durch diese Normierungen die Ansprüche der Versicherten hinsichtlich einer zweckmäßigen und ausreichenden Krankenhilfe nicht eingegrenzt werden, da die Bundesausschüsse mit ihrer Richtlinienkompetenz lediglich befugt seien, gesetzliche Begriffe wie die der Zweckmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit näher zu konkretisieren. 72 Dagegen ergebe sich aus der Richtlinienkompetenz der Bundesausschüsse keine Ermächtigung dahingehend, über den von dem Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen hinaus für Versicherte und Leistungserbringer verbindlich zu bestimmen, was als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung gelten könne und was nicht. 73 Damit sei festzustellen, daß auch diese Regelungen dem gesetzlich normierten Leistungs- sowie Leistungserbringungsrecht untergeordnet seien, so daß sich auch aus ihnen der den Versicherten zustehende Anspruch auf Gewährung von Maßnahmen und Mitteln zur Heilbehandlung nicht beschränkt. 74 Maßgeblich für den Anspruch des Versicherten bleibe damit allein der durch die gesetzlichen Normen vorgegebene Leistungsrahmen, den die 70 Heute leitet sich die Richtlinienkompetenz der Bundesausschüsse aus § 92 SGB V ab. 71 BSG, Urteil vom 03.07.1977, BSGE 38, S. 35 (38); BSG, Urteil vom 22.07.1981, BSGE 52, S. 70 (73). 72 BSG, Urteil vom 24.01.1990, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 1. 73 BSG, Urteil vom 24.01.1990, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 1; Eicher, SGb 1987, 221 (224); Krasney, BKK 1971, S. 166 (168); Müller, WzS 1971, S. 193, (197); Schulin, SGb 1984, S. 45; Töns, DOK 1971, S. 424 (432). 74 So insbesondere BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (105); BSG, Urteil vom 24.01.1990, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 1.

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untergesetzlichen Regelungen nicht dadurch eingrenzen könnten, indem sie ihn schlichtweg nicht ausfüllten. 75 Auch nach dem Inkrafttreten des SGB V und den damit verbundenen Änderungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung hat die herrschende Meinung an der bisherigen Abgrenzung der Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung im wesentlichen festgehalten76, wenn auch der erste Senat des BSG sowie einige weitere Stimmen der instanzgerichtlichen Judikatur an der Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung unter dem Normensystem des SGB V Zweifel äußern77 oder diese nicht in vollem Umfang fortgelten lassen wollen.1 8 Insbesondere der erste79 sowie der vierzehnte80 Senat des BSG haben in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß sich aus der seit dem 01.01.1989 geltenden Rechtslage zwar keine weitergehenden Ansprüche der Versicherten auf Gewährung alternativer oder neuer Behandlungs- oder Heilmethoden ergeben könnten, als dies noch unter dem Normensystem der RVO der Fall gewesen sei. 81 Auf der anderen Seite bestätigte der für das Recht der gesetzlichen Kranken75 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102 (105). 76 BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 24; BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 13; BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 15; Enderlein, VSSR 1992, S. 123; Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247; GKV SGB V Zipperer, § 2 RdNr. 7 f.; Hauck/Haines, Gesetzliche Krankenversicherung, § 2 RdNr. 4 a; Kasseler Kommentar - Höfler, § 12 RdNr. 8; Kirsten, SGb 1991, S. 257; Krauskopf! Schroeder-Prinzen, Soziale Krankenversicherung, § 2 RdNr. 1; Laufs/ Uhlenbruck - Krauskopf, Handbuch, § 36 RdNr. 14; Marburger, ZfS 1989, S. 176; Markgraf, DOK 1990, S. 667; Peters - Schmidt, Krankenversicherung (SGB V), § 27 RdNr. 201, 207, 286 ff.; Volbers, SdL 1889, S. 266; Weiss/Gagel - Berchtolt, Handbuch, § 12 C RdNr. 238; Wiegand, Kassenarztrecht, § 72 RdNr. 17. In die gleiche Richtung deutet auch die Entscheidung des BSG, Urteil ~om 08.06.1993, BSGE 72, S. 252, hin, bei der es jedoch in erster Linie um die Verordnungsfähigkeit einer arzneimittelrechtlich nicht zugelassenen Aufbaucreme ging. 77 So insbesondere BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 13; BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 15. Aus den Bereich der instanzgerichtlichen Judikatur vgl. insbesondere: LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 02.06.1992, Juris; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.07.1992, Juris; LSG RheinlandPfalz, Urteil vom 26.11.1992, NJW 1993, S. 3022, das die Fortgeltung der BSGRechtsprechung jedoch nur für den Bereich der Heil- und Behandlungsmethoden und nicht hinsichtlich der Untersuchungsmethoden erwägt; SG Marburg, Urteil vom 15.12.1992, Juris; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.01.1993, Juris. 78 Schneider in: Schulin HS-KV § 22 RdNr. 7; Schulin/Enderlein, ZSR 1990, S. 502. 79 So insbesondere BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 13; BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 15. 80 BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125. 81 So auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.11.1993, Juris.

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versicherung zuständige dritte Senat des BSG mit seiner Entscheidung vom 21.11.1991 82 ausdrücklich, daß der Begriff der Zweckmäßigkeit einer bestimmten Behandlungs- oder Heilmethode auch nach dem Inkrafttreten des SGB V in dem Sinne auszulegen sei, daß sowohl alternative als auch neue Behandlungs- und Heilmethoden diese Voraussetzung erfüllten, wenn in Fällen schwerer Erkrankungen unbekannter Genese keine anerkannten Untersuchungs- und Therapieformen zur Verfügung stünden und die alternativen oder neuen Behandlungs- und Heilmethoden zumindest die nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit einer Linderung oder Heilung des Leidens böten. 83 Dabei komme auch weiterhin abweichend vom Sachleistungsprinzip eine nachträgliche Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 1 SGB V in Betracht, wenn die entsprechenden nicht allgemein anerkannten Leistungen von Vertragsärzten nicht angeboten würden und somit zunächst auf der Grundlage privater Behandlungsverträge beschafft werden müßten. 84 11

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Dabei erkennen die Vertreter der herrschenden Meinung an, daß mit der Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V das Gebot der Wissenschaftlichkeit der in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen erstmalig Eingang in das Regelungsgefüge dieses Sozialversicherungszweiges gefunden habe. 85 Jedoch ergebe sich bereits aus dem Gang des

82 BSG, Urteil vom 21.11.1991, BSGE 70, S. 24. 83 Ebenso: Enderlein, VSSR 1992, S. 123; Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247; GKV SGB V - Zipperer, § 2 RdNr. 7 f.; Hauck/Haines, Gesetzliche Krankenversicherung, § 2 RdNr. 4 a; Kasseler Kommentar - Höfler, § 12 RdNr. 8; Kirsten, SGb 1991, S. 257; KrauskopflSchroeder-Prinzen, Soziale Krankenversicherung, § 2 RdNr. 1; Laujs/Uhlenbruck Krauskopf, Handbuch, § 36 RdNr. 14; Marburger, ZfS 1989, S. 176; Markgraf, DOK 1990, S. 667; Peters - Schmidt, Krankenversicherung (SGB V), § 27 RdNr. 201, 207, 286 ff.; Volbers, SdL 1889, S. 266; Weiss/Gagel - Berchtolt, Handbuch, § 12 C RdNr. 238; Wiegand, Kassenarztrecht, § 72 RdNr. 17. Schulin/Enderlein, ZSR 1990, S. 502, ziehen die Grenze der Leistungsgewährungspflicht etwas enger als die herrschende Meinung, indem sie im Falle der Existenz anerkannter Behandlungs- und Heilmethoden alternative sowie neue Mittel und Methoden auch dann für nicht gewährungsfähig halten, wenn sie im Einzelfall wirksam waren. 84 BSG, Urteil vom 21.11.1991 ("Ney-Tumorin"), BSGE 70, S. 24; BSG, Urteil vom 21.11.1991 ("Herdtherapie"), SGb 1992, S. 322. Anders das LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.06.1990, ZAP EN-Nr. 707/90, das alternative sowie neue Behandlungs- und Heilmethoden in Ausnahmefällen nur dann zum Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung zählt, wenn diese Mittel und Methoden von zugelassenen Leistungserbringern gewährt werden. 85 Eine derartige "Wissenschaftlichkeitsklausel " fand sich bis dahin nur in der für das System der privaten Krankenversicherung maßgeblichen Regelung des § 5 Abs. 1 Buchstabe f. MB/KK 1976, vgl. hierzu im einzelnen unten im vierten Kapitel A.I1.1.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Gesetzgebungsverfahrens, daß diese Klausel zu keinem gänzlichen Ausschluß neuer sowie alternativer Behandlungs- oder Heilmethoden aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung geführt habe, was auch nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sei.86 So habe der Referentenentwurf zu § 2 SGB V87 noch keinen Hinweis auf eine zu erfüllende Wissenschaftlichkeit der in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen aufgewiesen, sondern eine derartige Klausel habe erst der Regierungsentwurf vom 15.06.198888 zu der Regelung des § 2 des SGB V enthält. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch die Befürchtung bestanden habe, durch die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V sämtliche bisher nicht allgemein anerkannten Behandlungs- oder Heilmethoden aus dem Bereich der kassenärztlichen Versorgung auszuschließen, sei schließlich die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V in den Gesetzestext mit aufgenommen worden, um so der Vielfalt der verschiedenen Therapieansätze Rechnung zu tragen. 89 Darüber hinaus habe der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG zu der Frage der Gewährung neuer sowie alternativer Behandlungs- und Heilmethoden gekannt, so daß er die Möglichkeit gehabt habe, dieser Rechtsprechung durch eine insoweit eindeutige Formulierung des neu geschaffenen Gesetzestextes ein Ende zu bereiten. 90 Ergebe sich mithin schon aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens kein genereller Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, so könne eine derartige Begrenzung der gewährungsfähigen Leistungen auch nicht aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V hergeleitet werden. Dieser Satz des § 2 Abs. 1 SGB V enthalte mit seiner Aufforderung, einerseits den allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu wahren und andererseits den medizinischen Fort86 BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 13; BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125, SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147. 87 Vom 20.01.1988, abgedruckt im GK-SGB V unter 7.1.1. 88 BT-Drucks.l1/2493. 89 BSG, Urteil vom 10.02.1993, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 13; BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125. Das SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147, bezieht sich zur Unterstützung seiner Ansicht vor allem auf die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, dargestellt bei BiehllOrtwein, SGb, 1991, S. 529 (540), sowie auf die Begliindung der Bundesregierung zum Entwurf des § 2 Abs. 1 GRG, BT-Drucks. 11/3480, S. 49. 90 Marburger, ZfS 1989, S. 175 (180).

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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schritt ZU berücksichtigen, einen Wertungswiderspruch bei der Bestimmung des Merkmals der "allgemeinen Anerkennung", der in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten führen müsse. 91 Dieser Widerspruch könne dabei nur durch eine Interpretation des Begriffes der "Allgemeinen Anerkennung" vermieden werden, die auch solche Mittel und Methoden berücksichtige, die aus medizinischer Sicht zumindest vertretbar seien. 92 Andere Vertreter der herrschenden Meinung wollen hingegen an einer "engeren" Auslegung des Begriffes der "allgemeinen Anerkennung" festhalten. 93 Den sich dann jedoch ergebenden Abgrenzungsproblemen zwischen den allgemein anerkannten und damit gewährbaren Leistungen einerseits und den nicht anerkannten und damit von der Leistungspflicht ausgenommenen Mitteln und Methoden andererseits könne dadurch begegnet werden, daß derartige Behandlungs- und Heilmethoden auch ohne eine derartige Anerkennung unter den genannten Voraussetzungen zu gewähren seien, wenn ihr Einsatz aus medizinischer Sicht wenigstens vertretbar erscheine. 94 Auch die besondere Hervorhebung der besonderen Therapieeinrichtungen in § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V als Leistungsbestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung führe nicht zu einem Ausschluß der unter diesen Begriff nicht fallenden "echten Außenseitermethoden" . Vielmehr zeige die ausdrückliche Nennung der besonderen Therapieeinrichtungen als Bestandteil der von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellenden Leistungen nur, daß der Gesetzgeber diesen Behandlungsmitteln und Methoden einen besonderen Vertrauensvorschuß gewährt habe, der einen Einsatz derartiger Mittel oder Methoden ohne weitere Voraussetzungen bei Vorliegen der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen ermögliche. 95 Stünden hingegen zur Heilung oder Linderung einer Erkrankung weder vorrangig einzusetzende allgemein anerkannte Behandlungs- oder Heilmethoden noch solche der besonderen Therapieeinrichtungen zur Verfügung, so komme unter strengen Voraussetzungen wie bisher auch die Gewährung alternativer oder neuer Behandlungs- oder Heilmethoden in Betracht. 96 91 Schulin/Enderlein, ZSR 1990, S. 502 (514). 92 Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247 (253); Weiss/Gagel - Berchtolt, Handbuch, § 12 C RdNr. 238. 93 Schulin/Enderlein, ZSR 1990, S. 502 (514); Enderlein, VSSR 1992, S. 123 (142). 94 Enderlein, VSSR 1992, S. 123 (142). 95 Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247 (254). 96 Estelmann/Eicher, SGb 1991, S. 247 (255).

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Neben dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens und der Interpretation des Wortlautes des § 2 Abs. 1 Sätze 2, 3 SGB V beziehen sich die Vertreter der herrschenden Meinung für die Richtigkeit ihrer Argumentation auch auf die grundlegende leistungsrechtliche Vorschrift des § 12 Abs. 1 SGB V, die, wie die vorhergehende Regelung des § 182 RVO, die Leistungen von den Kriterien des Ausreichens, der Notwendigkeit und der Zweckmäßigkeit abhängig mache und nur das Merkmal der Wirtschaftlichkeit neu aufgenommen habe. Damit beeinhalte § 12 Abs. 1 SGB V keine Voraussetzung, die eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu der Frage der "Zweckmäßigkeit" alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden und ihrer ausnahmsweisen Gewährung notwendig mache. 97 Für eine "Zweckmäßigkeit" auch alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden spreche schließlich auch die Überlegung, daß auch bei anerkannten Behandlungs- und Heilmethoden die Wirksamkeit im Einzelfall selten gesichert, sondern oftmals nur möglich sei. 98 Darüber hinaus gebe das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung auch unter der Geltung des SGB V durch die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung derjenigen ärztlichen beziehungsweise zahnärztlichen Behandlung, die zur Behandlung einer Krankheit nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Daher sei auch in diesem Punkt der noch zum Regelungssystem der RVO entwickelten Rechtsprechung des BSG nicht der Boden entzogen, die sich entscheidend auf die Beachtung gerade dieser Grundsätze gestützt habe99 , zumal es die Regeln der ärztlichen Kunst sowie die Beachtung der den Ärzten gegebenen Therapiefreiheit weiterhin zwingend erforderlich machen, in den Fällen, in denen keine anerkannten Behandlungs- oder Heilmethoden zu Verfügung stehen oder diese bereits ausgeschöpft sind, auch solche Mittel und Methoden in Erwägung zu ziehen, die (noch) nicht allgemein anerkannt sind. 100 97 So insbesondere GKV SGB V - Zipperer, § 12 RdNr. 2a; Kasseler Kommentar Höfler, § 12 RdNr. 8; Schneider in: Schulin HS-KV § 22 RdNr. 7; SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (506). 98 Kasseler Kommentar - Höfler, § 12 RdNr. 8. So im Prinzip auch Peters - Schmidt, Krankenversicherung (5GB V), § 27 RdNr. 202. 99 So ausdrucklich: SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147. 100 BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125; Enderlein, VSSR 1992, S. 123 (140); Kasseler Kommentar - Höfler, § 28 RdNr. 8; Peters - Schmidt, Krankenversicherung (SGB V), § 27 RdNr. 202; Schneider in: Schulin H5-KV § 22 RdNr.

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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Schließlich werde auch im Nonnensystem des SGB V das im dritten Kapitel des SGB V geregelte Leistungsrecht weder durch die Bestimmungen des im vierten Kapitel dieses Gesetzes normierten Leistungserbringungsrechts, das allein die Sicherstellung der im dritten Kapitel festgelegten Ansprüche zum Gegenstand habe lOl und insofern mit dem Leistungsrecht in engem Zusammenhang stehe l02 , noch durch den Wortlaut der auf untergesetzlicher Ebene ergangenen Richtlinien eingeschränkt. 103 Zwar fanden sich auch in den grundlegenden leistungsrechtlichen Regelungen der §§ 70 Abs. 1 Satz 1, 72 Abs. 2 SGB V die Bestimmungen, daß die Krankenkassen und Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, den Stand der medizinischen Erkenntnisse berücksichtigende medizinische Versorgung zu gewährleisten haben (§ 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V) beziehungsweise die kassenärztliche Versorgung durch Gesamtverträge so zu regeln sei, daß eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist (§ 72 Abs. 2 SGB V), doch gingen die genannten Normierungen damit nicht über die Vorgaben der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 SGB V hinaus, so daß sich aus ihnen keine weiteren Leistungseinschränkungen ergäben. 104 Zu Einschränkungen im Leistungsbereich könnten damit lediglich die leistungserbringungsrechtlichen Vorschriften der §§ 135 Abs. 1 Nr. 1, 138 SGB V führen, die die Gewährung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie neuer Heilmittel als Leistungen der vertragsärztlichen Versorgung von der vorherigen Anerkennung ihres diagnostischen beziehungsweise therapeutischen Nutzens durch eine in einer Richtlinie gemäß § 92 Abs. 1 SGß V enthaltene Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen abhängig machten. Auch für diese Bestimmungen gelte jedoch, daß sie als kassenarztrechtliche Vorschriften allein dem Zweck dienen, den Leistungsanspruch der Versicherten auszufüllen und die Versorgung der Leistungsberechtigten sicherzu7; SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (510); WeisslGagel - Berchtolt, Handbuch, § 12 C RdNr.238. 101 SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147. 102 LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 02.06.1992, Juris; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.07.1992, Juris. 103 BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125; SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (513). 104 SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (512).

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

stellen, was vor allem in der Vorschrift des § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V zum Ausdruck komme. 105 Mithin seien auch diese Regelungen so auszulegen, daß sie dem leistungsrechtIich normierten Anspruch der Versicherten entsprechen und zu keiner Verkürzung des zu gewährenden Leistungsumfanges führen. 106 Dies führe im Ergebnis dazu, daß alternative sowie neue Untersuchungs- und Heilmethoden beziehungsweise neue Heilmittel in Ansehung der §§ 135 Abs. 1 Nr. 1, 138 SGB V auch ohne vorherige Anerkennung ihres diagnostischen oder therapeutischen Nutzens durch die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu gewähren seien, wenn keine entsprechenden anerkannten Mittel oder Methoden zur Verfügung stehen. 107 Dieses Gebot, die leistungserbringungsrechtlichen Bestimmungen so auszulegen, daß sich aus ihnen keine Eingrenzung des leistungsrechtIich abgesicherten Anspruches der Versicherten ergibt, gelte schließlich auch weiterhin in besonderem Maße für untergesetzliche Regelungen, soweit diese nach ihrem jeweiligen Wortlaut bestimmte Einschränkungen des Leistungsspektrums vorsähen. 108 Vor allem gelte dies für die nunmehr gemäß § 92 SGB V von den Bundesausschüssen zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten zu beschließenden Richtlinien, bei denen es sich weiterhin um untergesetzliche Normen handele, die allein zur Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben dienen. 109 Namentlich den Arzneimittelrichtlinien komme auch unter der Geltung des Normensystems des SGB V keine eigene normative Bedeutung zu, da es an einer Ermächtigung der Bundesausschüsse fehle, über den Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen hinaus festzulegen, welches Medikament als zweckmäßiges Behandlungsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen sei und welches nicht. 110 Diese Entscheidung bleibe auch nach dem Inkrafttreten des SGB V allein dem Ge-

105 So insbesondere SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (513). 106 Enderlein, VSSR 1992, S. 123 (144); SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (513); WeisslGagel - Berchtolt, Handbuch, § 12 C RdNr. 239. 107 Enderlein, VSSR 1992, S. 123 (144); SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (513). 108 BSG, Urteil vom 26.06.1990, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 1; BSG, Urteil vom 08.09.1993, NZS 1994, S. 125; SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (513). 109 So ausdrücklich: BSG, Urteil vom 26.06.1990, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 1; Enyelhard, DOK 1990, S. 180 (183); SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (513). 10 So insbesondere BSG, Urteil vom 08.06.1993, BSGE 72, S. 252 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidungen des BSG, Urteil vom 24.01.1990, BSGE 66, S. 163, sowie BSG, Urteil vom 10.05.1991, BSGE 67, S. 36 (37).

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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setzgeber vorbehalten. 111 Schließlich seien die untergesetzlichen Regelungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung auch unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten sowie der Therapiefreiheit des Arztes so zu interpretieren, daß sie nicht zu einer Verkürzung der gesetzlich normierten Leistungsansprüche der Versicherten führen. 112 Aus alledem folge somit, daß auch unter der Geltung der Vorschriften des SGB V alternative sowie neue Behandlungs- oder Heilmethoden ausnahmsweise zu gewähren seien, wenn diese in Fällen schwerer Erkrankungen unbekannter Genese zumindest die nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit einer Linderung oder Heilung des Leidens böten und andere, wissenschaftlich anerkannte Methoden oder Mittel nicht zur Verfügung stehen. Für diese Auffassung spräche zudem, daß mit dieser Festlegung der Grenzen der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen das Sozialstaatsprinzip gewahrt werde, das es gerade verbiete, Personen, die unter schweren Erkrankungen unbekannter Genese leiden, aus dem Schutz der Solidargemeinschaft auszuschließen und ihrem Schicksal zu überlassen. l13 Gleichwohl sei mit dieser Abgrenzung des von den Krankenkassen zu gewährenden Leistungsbereiches aber auch ein Eintritt von "Scharlatanen" und "Wunderheilern" in das Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu befürchten, da bei derartigen Behandlungs- oder Heilmethoden ein aus wissenschaftlicher Sicht wenigstens denkbarer Therapieerfolg regelmäßig ausgeschlossen werden könne 114 und der Versicherte in derartigen Fällen immer damit zu rechnen habe, daß im Falle eines Fehlschlagens der zunächst auf eigene Rechnung beschafften Leistung die Krankenkassen eine Kostenerstattung ablehnen. 115

111 BSG, Urteil vom 08.06.1993, BSGE 72, S. 252. 112 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102; Eicher, SGb 1987, S. 221 (224); SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (513). 113 SchulinlEnderlein, ZSR 1990, S. 502 (514). 114 Tatsächlich wäre bei einer Zulassung von "Wundermitteln" oder "Scharlatanerie" zu dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Notwendigkeit der Beteiligung entsprechender "Heiler" am gesetzlichen Krankenversicherungssystem nicht auszuschließen, da derartige Mittel und Methoden von den deneit zugelassenen Leistungserbringern nicht erbracht werden dürften. 115 Auf dieses Argument bezieht sich insbesondere das SG Hamburg, Urteil vom 06.11.1992, Die Leistungen 1993, S. 147. 8 Schmidt-Rögnitz

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

/I. Die Minderansicht von BiehliOrtwein,

Schlenker und anderen

Im Gegensatz zu der zuvor dargestellten Ansicht der herrschenden Meinung vertreten vor allem Biehi/Ortwein 116 und Schlenker 117 sowie einige weitere Stimmen aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung 118 und dem Schrifttum119 die Auffassung, daß der von dem BSG entwickelten Rechtsprechung seit dem Inkrafttreten des SGB V nicht mehr gefolgt werden könne, da die nunmehr geltenden neuen Regelungen nur noch die Gewährung derjenigen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zuließen, die entweder allgemein wissenschaftlich anerkannt seien oder zu dem Bereich der ausdrücklich genannten besonderen Therapieeinrichtungen gehören, wogegen der Einsatz von alternativen sowie neuen Behandlungs- und Heilmethoden, die nicht zu diesem Bereich gezählt werden könnten, fortan auch in Ausnahmefällen ausgeschlossen seien. Zur Begründung ihrer Ansicht stützen sich auch die Vertreter dieser Meinung in erster Linie auf die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, nach der die Qualität und Wirksamkeit der in der kassenärztlichen Versorgung angewandten Methoden und Mittel dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. 120 Im Gegensatz zu der herrschenden Meinung erachten die Vertreter der abweichenden Ansicht den Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V jedoch insoweit als eindeutig, als durch ihn Leistungen, die nicht allgemein anerkannt sind, ausnahmslos aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. 121

116 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529. 117 Schlenker, SGb 1992, S. 530. 118 SG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.05.1992, unveröffentlicht. zur Gewährung einer Immuno-Augmentativen Therapie. 119 GK-SGB V - Herwig Schirmer, § 2 RdNr. 27 ff.; GK-SGB V-v. Maydell, § 28 RdNr. 53; Heinze in: BleylGitter u.a., SGB-SozVers-GesKomm, § 2 SGB V RdNr. 4; Kraushaar, Anmerkung zum Urteil des BSG vom 23.03.1988, SGb 1989, S. 398; Krause, VSSR 1990, S. 107. Nicht ganz eindeutig, aber wohl der Mindermeinung zuneigend, nehmen zu dieser Frage Stellung: Kasseler Kommentar - Peters, § 2 RdNr. 4; Peters - Peters, Krankenversicherung (SGB V), § 2 RdNr. 10. 120 So insbesondere BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529. 121 So ausdrücklich SG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.05.1992, unveröffentlicht; Heinze in: BleylGitter u.a., SGB-SozVers-GesKomm, § 2 SGB V RdNr. 4; Schlenker, SGb 1992, S. 530 (531).

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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Zur Begründung dieser Meinung verweisen insbesondere Biehl/Ortwein darauf, daß der Gesetzgeber mit der Aufnahme des Gebotes der Wirksamkeit der begehrten Leistungen die vorhandenen Sachleistungsvoraussetzungen in einem Maße erweitert habe, der in seiner Bedeutung weit über die bisherige Regelung des § 368 Abs. 3 RVO hinausgehe. Zwar hätte auch diese Norm der RVO Bezug auf das medizinisch Machbare genommen, indem sie als Ziel der kassenärztlichen Versorgung eine gleichmäßige und bedarfsgerechte, den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik berücksichtigende ärztliche Versorgung nannte. Im Gegensatz zu der Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V sei die Bezugnahme auf den Stand der medizinischen Wissenschaft in § 368 Abs. 3 RVO jedoch allein darauf gerichtet gewesen, die kassenärztliche Versorgung an den sich ständig ausweitenden medizinischen Wissenstand anzuknüpfen und somit einer Überalterung des Leistungsangebotes vorzubeugen. Dieser Gedanke werde zwar auch in der Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V fortgeführt, indem im letzten Halbsatz dieser Regelung verlangt wird, daß die Qualität und Wirksamkeit der Leistungen den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Darüber hinaus, und insoweit ohne Vorbild in der RVO, verlange § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V aber auch von allen medizinischen Leistungen, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen. Im Ergebnis wirke die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V somit einerseits leistungserweiternd, indem sie die in der gesetzlichen Krankenversicherung zum Einsatz kommenden Mittel und Methoden an den gegenwärtigen Stand der medizinischen Forschungen knüpft, zugleich aber auch leistungsbeschränkend, indem sie die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung der in der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten Mittel und Methoden fordert. 122 Die Richtigkeit dieser zum Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden führenden Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V werde zudem durch die zeitliche Abfolge der Gesetzgebung und die Äußerungen der damit befaßten Gremien bestätigt. 123 So habe der Referentenentwurf zum GRG vom 20.01.1988 124 , der noch vor der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG vorgelegt wurde, zunächst vorgesehen, durch die Regelung des § 2 SGB V die Beachtung des medizinischen Fortschrittes 122 Vgl. zu allem: BiehllOrtwein, SGb 1991, S. 529 (536). 123 SG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.05.1992, unveröffentlicht; BiehllOrtwein, SGb 1991, S. 529 (537); Schlenker, SGb 1992, S. 530 (532). 124 Abgedruckt in GK-SGB V unter 7.1.1.

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

und des Standes der fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verlangen, ohne eine allgemeine wissenschaftliche Anerkennung der in der kassenärztlichen Versorgung eingesetzten Leistungen zu fordern.l 25 Demgegenüber hätten sowohl der nach dem Urteil des BSG vom 23.03.1988 126 vorgelegte Regierungsentwurf zum GRG vom 15.06.1988 127 als auch der am 03.05.1988 erstellte Fraktionsentwurf zum GRG128 hinsichtlich der Regelung des § 2 SGB V übereinstimmend vorgesehen, die Gewährungsfähigkeit von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung von deren allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung abhängig zu machen. Damit lasse sich aus der zeitlichen Abfolge der verschiedenen Gesetzesvorlagen und der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BSG ersehen, daß der Gesetzgeber noch während des Gesetzgebungsverfahrens einer Ausweitung des Leistungsspektrums durch die Einbeziehung neuer sowie alternativer Behandlungs- und Heilmethoden entgegensteuern wollte. 129 Bestätigt werde dies zudem auch durch den Wortlaut der zu § 2 SGB V ergangenen Gesetzesbegründung, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen werde, daß neue Verfahren, die noch nicht ausreichend erprobt seien, sowie Außenseitermethoden, die zwar bekannt seien, sich aber nicht bewährt hätten, nicht unter die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fielen. l3O Insgesamt lasse sich damit erkennen, daß der Gesetzgeber nicht wissenschaftlich anerkannte Behandlungs- und Heilmethoden aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausnehmen wollte, wobei dies auch für neue, noch nicht ausreichend erprobte Mittel und Methoden gelte. l3l Dabei könne die Bedeutung, die der Gesetzgeber diesem Problem beigemessen habe, auch aus der Vielzahl der Normen erkannt werden, in denen der Stand der medizinischen Wissenschaft zum Maßstab für den Leistungsumfang diene. Daß es sich dabei nicht nur um eine für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung maßgebliche Grenzziehung handele, zeige schließlich auch die neugeschaffene Regelung des § 13 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, nach der in der gesetzlichen Rentenversicherung der zuständige Rententräger nur für solche Maßnah125 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (537). 126 BSG, Urteil vom 23.03.1988, BSGE 63, S. 102. 127 BT-Drucks. 1112493. 128 BT-Drucks. 1112237. 129 So insbesondere BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (537); GK-SGB V - Henvig Schirmer, § 2 RdNr. 31; Kraushaar, Anmerkung zum Urteil des BSG vom 23.03.1988, SGb 1989, S. 398. 130 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (537); Schlenker, SGb 1992, S. 530 (532). 131 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (537 f.).

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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men der Rehabilitation aufzukommen habe, die dem allgmein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. 132 Sei mithin die Gewährung alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden schon mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 SGB V nicht zu vereinbaren, so werde dieses Ergebnis auch durch das in § 12 Abs. 1 SGB V normierte Zweckmäßigkeitsgebot bestätigt, das mit dem Inkrafttreten des SGB V eine neue Prägung erhalten habe: 133 Zwar habe auch die RVO die Gewährung von Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung von deren Zweckmäßigkeit abhängig gemacht. Dabei habe es jedoch in dem Normengefüge der RVO an einer näheren Bestimmung dieses Begriffes gefehlt, so daß sich für die herrschende Meinung die Möglichkeit ergeben habe, diesen Begriff in ihrem Sinne auszulegen und den Einsatz nicht anerkannter Behandlungs- und Heilmethoden in Ausnahmefällen zuzulassen. Nunmehr gebe jedoch § 2 Abs. 1 SGB V den Inhalt des in § 12 Abs. 1 SGB V normierten Zweckmäßigkeitsbegriffes vor, was dazu führe, daß nur noch diejenigen Leistungen als geeignet im Sinne des SGB V angesehen werden könnten, deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Neben dieser neuen Bestimmung des Begriffes der Zweckmäßigkeit einer bestimmten Leistung durch das SGB V habe die mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verbundene Neuregelung auch zu einer Verschiebung des für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunktes geführt. So habe das BSG bisher auch eine rückwirkende Feststellung der Eignung einer bestimmten Methode oder eines bestimmten Mittels mit der Folge der Gewährungspflicht zugelassen, wohingegen in Ansehung des § 2 Abs. 1 SGB V die Zweckmäßigkeit einer Leistung nur noch vor dem Einleiten der entsprechenden Behandlung durch die Vorhersehbarkeit des Heilerfolges beurteilt werden könne. Dabei komme es nunmehr auch nicht mehr auf die konkrete Wirksamkeit des Mittels oder der Methoden im Einzelfall an. Vielmehr könne die Wirksamkeit und damit die Zweckmäßigkeit einer Heilmaßnahme im Fall ihrer allgemeinen Anerkennung grundsätzlich unterstellt werden, was im Gegenzug den Einsatz alternativer sowie neuer Behandlungs- und Heilmethoden, die die allgemeine Anerkennung noch nicht erlangt haben, generell ausschließe .134 132 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (544). 133 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (538). 134 Vgl. zu dem Vorstehenden BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (538).

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Zweites Kapitel: Gegenwärtiger Stand der Leistungsgewährung

Daß der Anspruch der Versicherten auf Gewährung von Leistungen nicht allumfassend sei, zeige auch die Vorschrift des § 18 SGB V, die den Krankenkassen in den Fällen, daß eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich ist, lediglich eine Ermessensentscheidung eröffne, die Auslandsbehandlung zu gewähren oder nicht. 135 Seien damit alternative sowie neue Behandlungs- und Heilmethoden schon aufgrund der leistungsrechtlichen Vorschriften aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen, so werde dieses Ergebnis auch nicht durch die Bestimmungen des Leistungserbringungsrechtes des SGB V verändert. 136 Dabei wenden sich die Vertreter der Minderansicht zunächst gegen die Auffassung der herrschenden Meinung, daß das Leistungserbringungsrecht dem Leistungsrecht nachgeordnet sei. 137 Vielmehr seien das Leistungs- und das Leistungserbringungsrecht in einer solchen Weise untrennbar miteinander verknüpft, daß der Leistungsanspruch des Versicherten nur unter Maßgabe der Vorschriften des Leistungserbringungsrechtes bestehe, das damit die Regelungen des Leistungsrechtes ausgestalte und näher konkretisiere. 138 Als Nachweis für die Verknüpfung dieser beiden Rechtskreise verweisen die Vertreter dieser Ansicht in erster Linie auf die Regelung des § 2 Abs. 2 SGB V, nach der die Krankenkassen mit den Leistungserbringern Verträge nach den Vorschriften des vierten Kapitels über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen zu schließen haben. 139 Deutlich werde die Verbindung zwischen dem Leistungsrecht und dem Leistungserbringungsrecht zudem auch in der Regelung des § 12 SGB V, in der die Versicherten als Leistungsempfänger und die Leistungserbringer "in einem Atemzug" genannt seien. 140 Müsse daher von einem untrennbaren Zusammenhang des Leistungsund des Leistungserbringungsrechtes ausgegangen werden, so ergebe sich auch aus den in diesem Bereich maßgeblichen Bestimmungen der §§ 70, 72 Abs. 2 SGB V ein Ausschluß alternativer sowie neuer Behandlungsund Heilmethoden, da die genannten Normen jeweils auf den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse als anspruchsbegren135 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (542). 136 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (542). 137 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (542); Schlenker, SGb 1992, S. 530 (533). 138 BiehllOnwein, SGb 1991, S. 529 (542); Schlenker, SGb 1992, S. 530 (533). 139 Schlenker, SGb 1992, S. 530 (533). 140 So ausdrücklich Schlenker, SGb 1992, S. 530 (533).

B. Gegenwärtiger Meinungsstand

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zendes Merkmal hinwiesen. 141 Besonders deutlich werde dies aber auch bei der Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V, durch die die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die gesetzliche Krankenversicherung geregelt werde: Habe es bisher dem gemäß § 23 BMV-Ä alter Fassung gebildeten "Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden" oblegen, durch die Abgabe entsprechender Stellungnahmen unverbindliche Richtlinien über die Einführung von Untersuchungs- und Behandlungs methoden in das krankenversicherungsrechtliche Versorgungssystem aufzustellen, so dürften gemäß § 135 Abs. 1 SGB V neue Untersuchungs- und Heilmethoden erst dann zum Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung werden, wenn die neu zu bildenden Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen zuvor durch den Erlaß einer entsprechenden Richtlinie positiv über den therapeutischen und diagnostischen Nutzen der fraglichen Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden befunden hätten. 142 Schließlich werde die Beschränkung der zu gewährenden Leistungen auf den Bereich der kassenüblichen Leistungen auch durch die Regelung des § 76 SGB V deutlich, nach der die Versicherten nur unter den zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen oder ermächtigten Ärzten und ermächtigten ärztlichen Einrichtungen frei wählen können. 143 Schließlich führten auch die mit dem Inkrafttreten des SGB V in ihrer Bedeutung erheblich gestärkten untergesetzlichen Regelungen zu einem Ausschluß der in Rede stehenden Mittel und Methoden, indem sie in einer Vielzahl von nunmehr verbindlichen Regelungen die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung für die Erbringbarkeit einer Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung voraussetzten und damit den Leistungsanspruch des Versicherten ebenfalls eingrenzten. l44 Besonders deutlich werde dies vor allem bei den aufgrund der §§ 135 Abs. 1, 2 Satz 2, 138 SGB V zu erlassenden Richtlinien, denen eine anspruchskonkretisierende Funktion zukomme. 145 Seien alternative sowie neue Behandlungs- und Heilmethoden damit sowohl aufgrund der leistungsrechtlichen Bestimmungen als auch infolge der leistungserbringungsrechtlichen Regelungen des SGB V aus dem Kreis 141 Schlenker, SGB 1992, S. 530 (533 f.). 142 Für eine Verbindlichkeit der Richtlinien sprechen sich aus: Krause, VSSR 1990, S. 107 (120); BiehllOrtwein, SGb 1