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German Pages 228 Year 1989
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 554
Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers Zur Kontrolldichte verordnungsgeberischer Entscheidungen
Von
Thomas von Danwitz
Duncker & Humblot · Berlin
THOMAS VON DANWITZ
Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 554
Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers Zur Kontrolldichte verordnungsgeberischer Entscheidungen
Von Dr. Thomas von Danwitz
Duncker & Humblot - Berlin
CIP-Titelaufhahme der Deutschen Bibliothek Danwitz, Thomas von: Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers: zur Kontrolldichte verordnungsgeberischer Entscheidungen / von Thomas von Danwitz. — Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 554) Zugl.: Bonn, Univ., Diss.,1988 ISBN 3-428-06573-5 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-06573-5
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist durch die stetig steigende Bedeutung der Verordnungsgebung, vor allem in der gerichtlichen Praxis, veranlaßt worden. Sie stellt den Versuch dar, Art und Umfang der gestaltungspolitischen Freiräume der normsetzenden Exekutive in ihrer praktischen Handhabung zu erfassen, eine Fehlertypologie der Verordnungsgebung zu erstellen und die unterschiedlichen Intensitätsstufen der richterlichen Prüfung herauszuarbeiten. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität zu Bonn hat die vorliegende Arbeit im Sommersemester 1988 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Januar 1988 abgeschlossen. Rechtsprechung und Schrifttum konnten in Fußnoten noch bis Juni 1988 berücksichtigt werden. Herrn Prof. Dr. Fritz Ossenbühl danke ich nicht nur für die Anregung und umfassende Förderung dieser Studie. Seine Lehre hat mich erst dazu befähigt, die Fragestellungen der vorgelegten Untersuchung bearbeiten zu können. Für die Erstattung des Zweitgutachtens im Promotionsverfahren bin ich Herrn Prof. Dr. Jost Pietzcker zu Dank verpflichtet. Die Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. (Institut für Begabtenförderung) hat die Anfertigung der Arbeit durch die Gewährung eines Stipendiums ermöglicht. Auch dafür danke ich herzlich. Schließlich möchte ich Frl. Maack und Frl. Hambüchen für Ihre Mühen beim Korrekturlesen der Arbeit vielmals danken und diejenigen einbeziehen, die mir deren Erstellung durch manches aufmunternde Wort leicht gemacht haben. Thomas von Danwitz
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung
I. Problemzugang und Schwerpunkte
19
II. Terminologische Zuordnungen
22
1. Der Begriff der Rechtsverordnung a) Die Abgrenzung gegenüber anderen exekutiv erlassenen Normen
23 ..
23
b) Die Wahrnehmung delegierter Rechtssetzungsbefugnis als konstitutives Merkmal aa) Der formalisierte Verordnungsbegriff bb) Die materielle Betrachtung
25 26 27
c) Definition
27
2. Delegation und Art. 80 GG
28
a) Die Delegationsterminologie
28
b) Erweiterungen aa) Parällelzuständigkeit und Verantwortung bb) Unechte Delegation und Kompetenzkonkurrenz cc) Auswirkungen
29 29 30 31
c) Verfassungsunmittelbare Verordnungskompetenz?
32
3. Gestaltungsfreiheit oder Ermessen des Verordnungsgebers?
33
a) Terminologische Verwirrung
34
b) Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und Verwaltungsermessen aa) Die These einheitlicher Ermessensstruktur bb) Unterschiede beider Rechtsinstitute
35 35 36
c) Verordnungsgebung als Ausdruck von Gestaltungsfreiheit
38
III. Eingrenzung des Themas
39
1. Beschränkung auf das Spannungsfeld zwischen Verordnungsgebung und Rechtsprechung
40
2. Ausgrenzung des Problems gesetzesändernder Rechtsverordnungen
41
3. Nichtberücksichtigung bundesstaatlicher Aspekte
42
Inhaltsverzeichnis
10
IV. Der Gang der Untersuchung
43
Kapitel 2 Die Verordnungsgebimg im Gewaltenteilungssystem des Grundgesetzes
I. Gewaltenteilung als kooperatives Zuordnungssystem 1. Verfassungspolitischer Wandel und Gewaltenteilung 2. Umwertungen in der Gewaltenteilungslehre
45 45 46
a) Aussagekraft des Gewaltenkooperationsmodells
46
b) Funktionsgerechte und organadäquate Aufgabenzuordnung
47
3. Konsequenzen für die Kontrolle der Verordnungsgebung
48
a) Art. 80 GG als Ausdruck kooperativer Rechtssetzungszuständigkeit ..
48
b) Funktionsgerechtigkeit und Oiganadäquanz in der Verordnungsgebung .
49
aa) Die Zuordnung der Entscheidungsgegenstände
50
bb) Die maßgebliche Verfahrensstruktur
51
cc) Die Notwendigkeit verordnungsgeberischer Gestaltungsfreiheit ..
51
dd) Die Auswahl des Ermächtigungsadressaten
53
II. Die Verordnungsgebung in funktionaler Sichtweise 1. Die unterschiedlichen Funktionen der Verordnungsgebung
53 54
a) Die Rechtssetzungsfunktion
54
b) Die Rechtsanwendungsfunktion
54
c) Entbehrlichkeit der funktionellen Unterscheidung?
55
2. Die Aussagekraft unterschiedlicher Verordnungsfunktionen
56
a) Eingrenzung des Anwendungsbereichs
56
b) Normbestand und Verordnungsfunktion aa) Rechtskonkretisierung als Folge gesetzlicher Prädetermination .. (1) Bedeutung des Parlamentsvorbehalts (2) Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm (3) Die grundrechtlichen Vorgaben bb) Rechtssetzungselemente als Konsequenz gesetzgeberischer Regelungsabstinenz
57 57 57 58 59
3. Problembereiche
60 60
a) Die Bestimmtheit der Ermächtigungsdirektiven
61
b) Der Konkretisierungsgrad der Verordnung
61
c) Die Abgrenzung zur Gesetzgebung
62
Inhaltsverzeichnis
III. Die Verordnungsgebung aus kompetenzieller Sicht
62
1. Verantwortlichkeit des Verordnungsgebers
63
2. Exekutiwerantwortung und Zustimmungsverordnungen
64
a) Bilanz der Rechtsprechung
64
b) Folgerungen
65
3. Unterschiede exekutiver und legislativer Entscheidungsträgerschafi
66
a) Das Legitimationsdefizit
66
b) Die Anforderungen an das Rechtssetzungsverfahren
67
4. Ergebnis
68
IV. Konsequenzen für die gerichtliche Kontrollfunktion 1. Die Abhängigkeit gerichtlicher Kontrolldichte vom überprüften Entscheidungsträger
68 68
a) Die Frage nach der Verdichtungskompetenz
69
b) Der originäre Rechtsgestaltungsauftrag des Verordnungsgebers
69
2. Differenzierungskriterien für dierichterliche Prüfung
70
a) Standortbestimmung der Gestaltungsfreiheit
71
b) Notwendige Differenzierungen aa) Die Organstellung bb) Das Verordnungsverfahren
71 72 72
Kapitel 3 Fehlertypologie der Verordmmgsgebimg A. Fehlertypologie der Rechtsverordnungsermächtigungen
I. Die Zuständigkeit des Gesetzgebers
73
74
1. Allgemeine Grundsätze
75
2. Unvereinbarkeit bundesrechtlicher Verordnungsgebung mit Art. 75 GG?
75
II. Der Kreis der Delegatare
77
1. Die Einhaltung des Art. 80 I S. 1 GG
77
2. Das Auswahlermessen des Gesetzgebers im Rahmen des Art. 80 I S. 1 GG
78
III. Die Wahrung des Parlamentsvorbehalts 1. Die Umgrenzung des Parlamentsvorbehalts a) Die Rechtsprechung des BVerwG
79 80 80
12
Inhaltsverzeichnis
aa) Einschränkung des Wesentlichkeitsmerkmals bb) Kompensation durch Grundrechtsgewährleistungen cc) Grenzen gesetzlicher Normierbarkeit
81 82 83
b) Unterschiede zur Rechtsprechung des BVerfG aa) Konsequenzen aus der Intensitätsstufung bb) Rückkehr zum EingrifFsmerkmal
83 84 84
c) Bilanz
85
2. Das Verhältnis des Parlamentsvorbehalts zum Bestimmtheitsgebot des Art.80IS.2GG
86
a) Rechtsprechungsmaterial aa) Die Judikatur des BVerfG bb) Die Rechtsprechung des BVerwG
87 87 88
b) Ansätze im Schrifttum
89
c) Abwägung aa) Selbstentscheidung versus Leitentscheidung? bb) Inhalt, Zweck und Ausmaß als parlamentarische Leitentscheidung cc) Die Problematik der Kontrollintensität
90 91 92 93
d) Fazit
95
IV. Die Bestimmtheit der Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß gem. Art.80IS.2GG 1. Entwicklungslinien der Rechtsprechung
95 96
a) Das Auslegungsmodell
96
b) Die Beschränkung auf die Zweckbestimmtheit
97
c) Der Bestimmtheitsgrad
98
d) Abkehr von den Bestimmtheitsformeln
99
2. Folgerungen 3. Kritik
100 101
a) Stellungnahmen im Schrifttum
101
b) Eigener Ansatz
101
4. Aspekte einer Neuorientierung
103
V. Die gesetzliche Festlegung von Mitwirkungsrechten an der Verordnungsgebung 105 1. Die verschiedenen Beteiligungsverfahren
106
a) Die unterschiedlichen Mitwirkungsorgane
106
b) Die unterschiedlichen Mitwirkungsformen
107
2. Grundlagen der verfassungsrechtlichen Beurteilung
107
Inhaltsverzeichnis
a) Die Bedeutung des Art. 80 GG
107
b) Die Einhaltung der Verantwortungszurechenbarkeit
108
c) Die Abgrenzungsproblematik aa) Die Entscheidungsbefugnis als Kriterium bb) Das Initiativrecht als Kriterium?
109 109 110
d) Zusammenfassung
111
3. Die Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Parlamentsplenums a) Vorgefundene Argumentationsraster
112 112
b) Die parlamentarische Zustimmung als rechtliches Aliud zur Gesetzgebung 113 c) Die Einhaltung der Verantwortungszurechenbarkeit
114
d) Das Erfordernis „legitimen Interesses" des Gesetzgebers
115
4. Die Zustimmungsvorbehalte zugunsten von Parlamentsausschüssen a) Das Eingreifen des Delegationsverbots nach Art. 80 I S. 1 GG
116 116
b) Der parlamentsrechtliche Status der Ausschüsse 117 aa) Defizitäre Repräsentation des Volkes in den Parlamentsausschüssen 117 bb) Die NichtÖffentlichkeit der Ausschußberatungen 118 cc) Die organschaftliche Stellung der Ausschüsse 118 c) Eigene Lösung aa) Die zeitliche und fachliche Zustimmungseffizienz bb) Der Anwendungsbereich zulässiger Ausschußvorbehalte cc) Die Öffentlichkeit des Zustimmungsverfahrens
119 120 121 122
d) Ergebnis
122
5. Die Mitwirkungsvorbehalte zugunsten korporativ verfaßter Gremien
123
a) Der Fall des §29 I BSchVG
123
b) Die Regelung des § 14 PostVerwG
124
VI. Parlamentarische Verfahrensbeteiligung als Kompensationsform unzureichender gesetzlicher Determinierung 125 1. Der Diskussionsstand
126
a) Die Rechtsprechung
126
b) Das Schrifttum
127
2. Die Elemente des Kompensationsgedankens
128
a) Das Kompensationsbedürfnis
128
b) Mögliche Kompensationswirkungen aa) Verschiebung parlamentarischer Entscheidungstätigkeit bb) Kompensationswirkung und Ratio des Art. 80 I S.2 GG cc) Kompensation contra Entlastung
129 129 130 131
14
Inhaltsverzeichnis
c) Adäquanz der parlamentarischen Verfahren? 3. Ergebnis
132 133
B. Fehlertypologie für die Ausübung der Verordnungsbefiignis
I. Die formell-rechtlichen Vorgaben der Verordnungsgebung
134
134
1. Funktionslosigkeit als Erlöschensgrund der Verordnung
135
2. Die Zuständigkeit des Verordnungsgebers
136
3. Die Einhaltung des Zitiergebots des Art. 80 I S. 3 GG
136
4. Die ordnungsgemäße Verkündung der Rechtsverordnung
137
5. Die Begründungspflicht des Verordnungsgebers
138
a) Der Diskussionsstand
138
b) Die Ableitung des Begründungserfordernisses
139
c) Der Umfang der Begründungspflicht aa) Unterschiedliche Orientierungsansätze bb) Notwendige Bestandteile der Begründungspflicht
140 141 141
d) Wahrung der Begründungspflicht durch Art. 80 I S.2 GG?
142
6. Die Deckung verordnungsgeberischer Rechtssetzung durch die Ermächtigungsnorm 143 a) Die Vorgehensweise der Rechtsprechung
143
b) Der Ermächtigungsumfang als formelle Grenze der verordnungsgeberischen Gestaltungsfreiheit 144 c) Bindungswirkungen der verordnungsgeberischen Definition des Ermächtigungsrahmens für die gerichtliche Kontrolle? 145 II. Die materielle Rechtmäßigkeit der Verordnungsgebung 1. Der anzuwendende Prüfungsmaßstab
146 146
a) Die problematischen Konstellationen
147
b) Lösungsansätze
147
2. Die Bedeutung des einfachen Gesetzesrechts
149
3. Verfassungsrechtliche Wirksamkeitsanforderungen an die Verordnungsgebung
150
a) Die Wahrung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 I GG aa) Die Wahl der Differenzierungskriterien bb) Das Verhältnis von Art.3 I GG und Art.80 I S.2 GG
151 151 152
b) Die Einhaltung der Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG
153
Inhaltsverzeichnis
aa) Der Sonderfall: Ein „Überschuß" an Prüfungsanforderungen bb) Erforderlichkeitsprüfung und Gestaltungsfreiheit cc) Bilanz c) Weitere Aspekte materieller Verfassungsmäßigkeit ΙΠ. Die Rechtsfolgen fehlerhafter Verordnungsgebung
. . . 154 154 155 156 156
1. Die Nichtigkeitsrechtsfolge
157
2. Ausnahmen bei Verfahrensverstößen
158
a) Die Differenzierungskriterien des BVerwG
158
b) Annäherung an die Nichtigkeitsvoraussetzungen von Verwaltungsakten 159 c) Bedenken
160
Kapitel 4 Die Gestaltungsfreiheit des Verordnimgsgebers
I. Modelle zur Begründung der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers 1. Die Herleitung verordnungsgeberischer Gestaltungsfreiheit
. . . 161 161
a) Der Entscheidungstyp
162
b) Die Regelungsmaterie
163
c) Betroffene Rechtsgüter
164
d) Fazit
164
e) Kernbereich verordnungsgeberischer Gestaltungsfreiheit
166
2. Die Anlehnung an die Kategorie gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit
.. 167
a) Das Bild der Rechtsprechung
167
b) Der dogmatische Hintergrund
168
3. Die Anwendung der Lehre vom Verwaltungsermessen
169
a) Die Verordnungsgebung als Rechtsanwendung
169
b) Die Verordnungsgebung als Exekutiventscheidung
169
c) Die einzelnen Ermessensfehler aa) Ermessensüberschreitung bb) Ermessensunterschreitung cc) Ermessensmißbrauch
170 170 170 171
d) Kritik
171
4. Die Heranziehung der Grundsätze über das Planungsermessen
172
a) Die Position des BVerwG
173
b) Sonderfall: Planungsentscheidungen in Verordnungsgestalt
173
c) Bewertung
174
16
Inhaltsverzeichnis
5. Vergleichbarkeit mit der Bindung des Landesgesetzgebers an bundesrechtliche Rahmenvorschriften? 175 a) Gemeinsamkeiten
175
b) Unterschiede
176
6. Die verordnungsgeberische Gestaltungsfreiheit als eigenständige Kategorie 177 a) Begründung
177
b) Konsequenzen
178
II. Dimensionen verordnungsgeberischer Gestaltungsfreiheit
179
1. Die Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers
179
a) Der Grundsatz bestehender Entschließungsfreiheit
179
b) Die aa) bb) cc)
180 180 181 181
Verpflichtung der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen Die Verpflichtung aus der Ermächtigungsnorm Der Fall der Ermessensreduzierung auf Null Verordnungserlaß kraft Verfassungsverpflichtung
c) Überprüfungspflicht fortbestehender Verordnungsvoraussetzungen
.. 182
d) Die Verpflichtung zur Aufhebung von Verordnungsrecht aa) Die Ausdehnung verordnungsgeberischer Entscheidungsfreiräume bb) Kritik cc) Ergebnis 2. Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers
182 183 183 184 185
a) Verfassungsrechtliche Eingrenzungen
185
b) Die Reichweite einfach-gesetzlicher Bindungen
186
c) Die Bedeutung bestehenden Verordnungsrechts
186
d) Zusammenfassung
187
III. Art und Umfang der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers 1. Die Struktur der Verordnungsgebung
187 187
a) Die Bindung des Verordnungsgebers an kognitive Elemente der Ermächtigung 188 b) Die Gestaltungsfreiheit als Konsequenz volitiver Elemente der Ermächtigung 189 c) Anwendungsprobleme
190
d) Grenzen der normstrukturellen Betrachtung
190
2. Die unterschiedlichen Verordnungstypen
191
a) Der Ermächtigungsadressat als Differenzierungskriterium
192
b) Die Abstufung aufgrund des Konkretisierungsgrads
193
c) Die Unterscheidung anhand der Mitwirkungsorgane
194
Inhaltsverzeichnis
aa) Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Parlamentsplenums 195 bb) Zustimmungsvorbehalte zugunsten von Parlamentsausschüssen .. 196 d) Die Verschiedenartigkeit der Regelungsmaterie 3. Fazit
197 198
IV. Die gerichtliche Kontrolldichte als Funktion verordnungsgeberischer Gestaltungsfreiheit 198 1. Gegenstände gerichtlicher Überprüfung
199
a) Die Rechtsverordnung als Kontrollgegenstand
199
b) Die Verordnungsbegründung als zusätzlicher Prüfungsaspekt?
199
c) Die Sachverhaltsermittlung
200
d) Der Abwägungsvorgang als Prüfungsgesichtspunkt?
201
e) Ergebnis
202
2. Die Anwendung adäquater Kontrollmaßstäbe a) Die aa) bb) cc)
unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe Die Evidenzkontrolle Der Vertretbarkeitsmaßstab Die intensivierte Inhaltskontrolle
202 203 203 204 204
b) Defizitäre Anwendungspraxis aa) Die angewandten DifFerenzierungskriterien bb) Fehlende Gesichtspunkte cc) Die Nichtberücksichtigung kompetenzieller Aspekte
205 205 206 206
c) Aspekte einer stringenten Maßstabsbildung aa) Unterschiede zur Kontrolle gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit bb) Maßstabsbildung als Produkt unterschiedlicher Kriterien
207 208 209
d) Zusammenfassung
210
Kapitel 5
Gesamtergebnis
211
Literaturverzeichnis
217
Kapitel ί
Einleitung I . Problemzugang und Schwerpunkte
Die Untersuchung der Rechtsverordnungen und der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers wirft Fragen auf, die im Stellenwert der Verordnungsgebung zu anderen staatlichen Handlungsformen und ihrer Beziehung zur gerichtlichen Kontrolle gründen. Das Dilemma des Umfangs gerichtlicher Kontrolle kann wohl kaum treffender als mit den Worten Karl Zeidlers zum Ausdruck gebracht werden: „Die Väter unserer Verfassung sahen eben die Rechte des Bürgers bei den Gerichten besser aufgehoben, als bei den anderen Verfassungsorganen, und die Gerichte haben den ihnen zugeschobenen vollen Becher der Verantwortung bis zur Neige geleert. Manchmal haben sie sich auch unaufgefordert nachgeschenkt."1 Das Verhältnis der Rechtsprechung zur Verwaltung 2 einerseits und zur Gesetzgebung3 andererseits gehört dementsprechend zu den Standardthemen der rechtswissenschaftlichen Diskussion zum Gewaltenteilungssystem des grundgesetzlichen Rechtsstaats. Die Frage nach der Reichweite des richterlichen Kontrollzugriffs hat grundsätzliche Behandlung im Lichte des in Art. 20 I I S. 2 G G verankerten Gewaltenteilungsprinzips erfahren 4 und ist im Spannungsfeld zwischen Verwaltungsverantwortung und Rechtsschutzgarantie für den Bürger 5 auf dem Hintergrund unterschiedlicher Entscheidungsart, 6 -trägerschaft 7 und gesetzlicher Grundlage 8 problematisiert worden. 1
Karl Zeidler, Der Staat 1 (1962), S. 321 (326). Siehe Scholz/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 34 (1976), S. 145 ff., S. 221 ff.; Becker/Rumpf, Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung in: VVDStRL 14 (1956), S. 96ff., S. 136ff. 2
3 4
Vgl. Benda, DÖV 1979, S. 465 ff. Ossenbühl, DÖV 1980, S. 545 (551 f.).
5
So Schmidt-Aßmann, in: VVDStRL 34 (1976), S. 221 (222). Zu administrativen Prognoseentscheidungen Ossenbühl, in: FS C.F. Menger, 1985, S. 731 ff.; Nierhaus, DVB1. 1977, S. 19ff.; zu „zieldiktierten" Planungsentscheidungen: 6
Hoppe, in: FS BVerwG, S. 295 (302ff.). 7 BVerwG Ε 72,195,(206) — Börsenvorstand— ;BVerwGE 65,19 (22 f.); 62,330 (339 f.) — Sortenausschuß —; 59,213 (216 f.) — Eintragungsausschuß für Architekten —; 39,197 (203 f.) — Bundesprüfstelle nach GjS 8 Siehe Schmidt-Aßmann, in: MD, Art. 19 IV Rdnr. 217.
2*
20
Kap. 1: Einleitung
Die Rechtsprechung — vor allem 9 — des BVerfG hat die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unter Zurücknahme der eigenen Kontrolldichte als eine feststehende Kategorie etabliert 10 , die trotz mancher Bedenken an ihrer inneren Stimmigkeit 11 von der klaren Tendenz geprägt ist, Freiräume des Gesetzgebers sicherzustellen. 12 Demgegenüber werden Umfang und Intensität des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Exekutive primär aus der Perspektive der Zuordnung von Art. 20 I I I GG und Art. 19IV S. 1 G G betrachtet. Die Rechtsgebundenheit der Verwaltung wird durch die Garantie effektiven Rechtsschutzes in der Weise ergänzt, daß aufgrund der richterlichen Prüfungsbefugnis eine umfassende Würdigung des Rechtsschutzbegehrens erfolgen und darüber letztverbindlich entschieden werden kann. 1 3 Die vollständige Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bildet den Grundsatz verwaltungsgerichtlicher Kontrollkompetenz. 14 Die sog. normative Ermächtigungslehre 15 des BVerfG 16 und der herrschenden Lehre 17 hält Ausnahmen im Sinne verringerter Kontrolldichte nur insoweit für statthaft, als dies vom Gesetzgeber durch Einräumung von Ermessens-, Beurteilungs- oder Gestaltungsspielräumen angeordnet ist. Dieses Bild unterschiedlicher Funktionen der Rechtsprechung gegenüber Gesetzgebung einerseits und Verwaltungshandeln andererseits eröffnet die Problematik, die den Ausgangspunkt der Untersuchung der gerichtlichen Kontrolle der Verordnungsgebung markiert, nämlich die „Zwitterstellung" der Verordnungsgebung zwischen der Rechtssetzung bei funktioneller Betrachtungsweise18 und dem Verwaltungshandeln, als das sie sich aus kompetenzieller Sicht darstellt. I m Gegensatz zur gerichtlichen Kontrolle von Gesetzgebung und einzelfallentscheidendem Verwaltungshandeln liegt der gerichtlichen Überprüfung der 9
Auch BVerwG E 54, 124 (130f.). BVerfG E 74, 33 (80), 182 (200); 297 (339); 54, 237 (250f.); 53, 135 (145); 50, 290 (332 ff.); 50, 50 (51). 11 Siehe Badura, in: FS Fröhler, 1980, S. 321 (340ff.) und Seetzen, in: NJW1975, S. 429 (431 ff.). 12 BVerfG E 50, 50 (51). 13 BVerfGE61, 82 (111); 51, 304 (312); 35, 263 (274); 31,113 (117); 21,191 (194f.); 18, 204 (212); 15, 275 (282). 14 Stern, Bd. 1,1984, S. 851 f.; Schmidt-Aßmann, in: M D , Art. 19IV Rdnr. 183; Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdnr. 304, 306, 338; Redeker/v. Oertzen, § 114 Rdnr. 11; Badura, JA 1984, 83 (90). Die entgegenstehende Vertretbarkeitslehre von Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 1983, S. 8 ff.; ders. DVB1. 1973, S. 756 (758) hat sich nicht durchsetzen können. 15 Der Ausdruck stammt von Schmidt-Aßmann, in: M D , Art. 19 IV Rdnr. 185. 16 BVerfG E 61, 82 (111) m.w.N. 17 Aus dem neueren Schrifttum: Badura, FS Bachof, 1984, S. 169 (170f.); Stettner, DÖV 1984, S. 611 (616). 18 Vgl. Maunz, in M D , Art. 80 Rdnr. 1,2. 10
I. Problemzugang und Schwerpunkte
21
Verordnungsgebung kein systematisch geschlossenes19 oder einheitlich gehandhabtes 20 Prüfungsraster zugrunde. Während in der Rechtsprechung formelhafte Skizzen 21 und unzureichende Begründungen 22 das Bild prägen, finden sich im Schrifttum zwar unterschiedliche Modelle, 23 jedoch haben diese im Hinblick auf die Kriterien dogmatischer Ableitung, notwendiger Differenzierung, systematischer Ausformung und innerer Stimmigkeit deutliche Kritik hervorgerufen. 24 Diesem Befund steht nicht nur das dogmatische Bedürfnis nach Klärung der verwaltungsgerichtlichen Aufgabe bezüglich der Verordnungsgebung gegenüber, sondern vor allem die praktische Bedeutung der Rechtsverordnungen als der „häufigsten Fundstelle für geltende Rechtssätze".25 Auch in der Spruchpraxis der Gerichte findet die hohe Relevanz von Rechtsverordnungen ihren Niederschlag. 26 Gerichtliche Kontrolldichte und verordnungsgeberische Gestaltungsfreiheit beschreiben zwar das wachsende Problembewußtsein für den im Einzelfall anzuwendenden Maßstab gerichtlicher Kontrolle. Gleichzeitig wird aber deutlich, daß mit dem Maßstabsproblem nur ein Aspekt der Rechtsprechung zum Verordnungsrecht genannt ist. Die für Gerichtspraxis und Ministerialverwaltung primär relevante Frage, welche Beanstandungen bei Rechtsverordnungen festzustellen sind, d.h. welche Ansatzpunkte sich für die gerichtliche Überprüfung ergeben, ist damit einer Beantwortung noch nicht näher gebracht worden. Die Frage nach einer Fehlertypologie der Rechtsverordnungen leitet ihre Bedeutung aber nicht nur aus dem Streben nach vollständiger Erfassung des Prüfungsprogramms der Rechtsprechung ab. Rein praktisch ist diese in der Handhabung als „Check-Liste" 27 bei der Schaffung einer ordnungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage durch den Gesetzgeber bzw. einer rechtmäßigen Ausübung der Verordnungsbefugnis durch den Verordnungsgeber zu sehen.28 19
So Schmidt-Aßmann, in: M D , Art. 19 IV Rdnr. 217. Vgl. als Beispiele BVerwG DVB1. 1986, S. 622f. und BVerwGE 70, 318 (332) aus jüngster Zeit. 21 Vgl. die Zusammenstellung bei Wilke, AöR 98 (1973), S. 196 (233 f.) und BVerfGE 42,374 (387 f.); BVerwGE 60,25 (44ff.); 74,67 (71); ausführlicher BVerwG NVwZ 1986, S. 651 (653). 22 BVerwGE 68, 69 (75f.); DVB1. 1986, S. 51 (52); Buchholz 235 §47 Nr. 2; anders hingegen: BVerwGE 70, 318 (326ff.). 23 Etwa bei Zuleeg, DVB1.1970, S. 157 (159ff.); Kutscheidt, NVwZ 1984, S. 409 (410); Schmidt-Aßmann, in: M D , Art. 19 IV Rdnr. 217. 24 So Ossenbühl, FS H. Huber, 1981, S. 283 (286ff.). 20
25 So Kirchhof, in: FS BVerfG II, S. 50 (82), für dessen Feststellung auch noch heute uneingeschränkte Gültigkeit besteht; vgl. die statistischen Angaben bei Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80, Anhang. 26 Beispielhaft seien genannt: BVerwGE 64,77 (101); 70,318 (332,335,339); 71,1 (5f.); NVwZ 1986, S. 651 (653); HessStGH NVwZ 1984, S. 99 (100); NdsStGH NVwZ 1985, S. 561; BayVerfGHVGHE 34,65 (75); OVG Lüneburg OVGE 37,330 (341); BWVGH NVwZ 1983, S. 369 (370); BayVGH DVB1. 1983, S. 1157 (1160f.). 27 Siehe Benda, DÖV 1979, S. 465 (469).
22
Kap. 1: Einleitung
Darüber hinaus ergibt sich der Wert einer Fehlertypologie aus der damit erreichten Katalogisierung der Rechtmäßigkeitsanforderungen an die Verordnungsgebung. Eine solche Systematisierung bietet nicht nur die Chance möglichst exakter Standortbestimmung der verordnungsgeberischen Freiheit, sondern bildet weitergehend einen notwendigen Zwischenschritt zur Bestimmung des Verhältnisses von verordnungsgeberischer Freiheit und gesetzlicher Bindung. 29 Damit läßt sich die Untersuchung durch vier Hauptfragen kennzeichnen: 1. Inwieweit lassen sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung Maßstäbe für die gerichtliche Kontrolle der Verordnungsgebung entwickeln? 2. Welche Fehlertypologie der Rechtsverordnungen ist der Rechtsprechung des BVerwG zu entnehmen? 3. Aufgrund welcher Begründung und mit welcher Reichweite läßt sich die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers ermitteln? 4. Wie sind Gegenstand und Umfang der gerichtlichen Kontrolldichte verordnungsgeberischer Gestaltungsfreiheit zu beschreiben? I I . Terminologische Zuordnungen
Vor einer Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen sollte eine begriffliche Klärung der zentralen Kategorien im Bereich der Verordnungsgebung erfolgen. Dabei ist nicht nur von Bedeutung, daß eine Steigerung begrifflicher Klarheit die Voraussetzung für die argumentative Bewältigung der angeschnittenen Fragen darstellt, 30 sondern daß mit einer stringenten Begriffsbildung ein erster Schritt zur Auflösung weitgehend unklarer Kategorien auf dem Weg zu einer strukturierten Systematik getan ist. 3 1 Während die Klärung des Rechtsverordnungs- und des Delegationsbegriffs zur Grundlegung des einzuschlagenden Lösungswegs gehört, ist mit der begrifflichen Erfassung der „Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers" oder des „Verordnungsermessens" ein Gesichtspunkt der beklagten Konturenunschärfe angesprochen. 32
28 Die Trennung von Verantwortungsbereichen des Gesetzgebers und des Verordnungsgebers betont Lepa, AöR 105 (1980), S. 337 (341 f.). 29 Vgl. dazu Ossenbühl, NJW 1986, S. 2805 (2808). 30 Vgl. die Schilderung der praktischen Interessen an der juristischen Begriffsbildung bei Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 2. 31 Zur Aufgabe rechtswissenschaftlicher Begriffe bzw. von Dogmatikbegriffen siehe Wank, S. 6 f. 32 Vgl. Ossenbühl, FS Huber, S. 283 (286 ff.).
II. Terminologische Zuordnungen
23
1. Der Begriff der Rechtsverordnung
Die heute noch gängige Definition der Rechtsverordnung als von der Exekutive erlassener Rechtssatz 33 bzw. als materielles Gesetz 34 weist eine beachtliche staatsrechtliche Tradition auf. 3 5 Dennoch ist die Diskussion um das Wesen der Rechtsverordnung und seine adäquate Beschreibung nicht abgeschlossen.36 I m Dickicht von formellem, förmlich-materiellem und materiellem Verordnungsbegriff lassen sich verschiedene Problemzonen ausmachen: Die Definition anhand der Rechtswirkungen von Verordnungen geht auf die Staatsrechtslehre der konstitutionellen Monarchie des Kaiserreichs zurück. 3 7 I n Anlehnung an den dualistischen Gesetzesbegriff wurden alle Anordnungen als formelle Rechtsverordnungen verstanden, die im Verordnungsweg ergingen, d.h. auch solche, die materiell „Gesetze" waren, während sich die Rechtsverordnungen im materiellen Sinn dem Inhalt nach als „eine vom Gesetze verschiedene Gattung von Staatswillensakten repräsentiren" 38 Die materielle Verordnung enthielt nach diesem Verständnis einen Nichtrechtssatz, der in Ausübung freier Regierungstätigkeit erlassen werden konnte. 3 9 Die so gefundene Dichotomie exekutiv erlassener Rechtssätze in Rechtsverordnungen als im Verordnungsweg erlassene materielle Gesetze und in Verwaltungsvorschriften als Nichtrechtssätze kennzeichnet auch heute noch die entscheidende definitorische Aufgabe des Rechtsverordnungsbegriffs: Die Abgrenzung gegenüber anderen exekutiv erlassenen Normen. a) Die Abgrenzung gegenüber anderen exekutiv erlassenen Normen Die Scheidung der Rechtsverordnungen von den Satzungen wird in Rechtsprechung und Schrifttum einheitlich anhand der wahrgenommenen Kompetenz durchgeführt. 40 Satzungen sind Ausdruck originärer, wenn auch staatlich verliehener autonomer Rechtssetzungskompetenz.41 33
So etwa Wilke, in: v. Mangoldt-Klein, Art. 80IV 1, S. 1915f.; Stern, Bd. II, 1980, S.
633. 34
Wolff-Bachof, VerwR I, § 25 VII a), S. 128 f. Siehe für das konstitutionelle Zeitalter: Laband, Staatsrecht, Bd. II, 1911, S. 85 ff.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1919, S. 366 ff.; für die Zeit der Weimarer Republik: Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: Handbuch des deutschen Staatsrechts (HDStR) Bd. II, 1932, S. 237ff. 36 Siehe Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80 Rdnr. 6 ff. 35
37 38
G. Jellinek, S. 368; Laband, S. 86 f. G. Jellinek, S. 368.
39
Siehe Laband, S. 86. BVerfG E 33, 125 (156); 10, 20 (49); Ossenbühl, in: Allg. VerwR, S. 63 (105f.); Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage 1986, S. 409f.; Starck, AöR 92 (1967), S. 449 ff. 40
41
Stern, Bd. II, S. 653 f.; Achterberg, S. 410.
24
Kap. 1: Einleitung
Die Rechtsverordnung entspringt verlagerter Kompetenz, während der Satzung eine Kompetenzbegründung unterliegt. 42 Damit folgt die Abgrenzung von Satzung und Rechtsverordnung den unterschiedlichen Organisationsstrukturen staatlicher Rechtssetzung. Die autonomen, satzungsgebenden Körperschaften sind Ausdruck dezentraler Staatsorganisation, während die verordnungsgebende Exekutive dekonzentrierte parlamentarische Rechtssetzungsgewalt wahrnimmt. 4 3 Demgegenüber hat sich die Abgrenzung der Rechtsverordnungen von den Verwaltungsvorschriften anhand ihrer Rechtssatzeigenschaft, d.h. der rechtlichen Verbindlichkeit für jedermann 4 4 im Gegensatz zur Maßgeblichkeit der Verwaltungsvorschriften lediglich im exekutiven Innenbereich als zunehmend problematisch erwiesen. Für die gerade in der gerichtlichen Praxis 45 relevante Frage der Qualifikation einer exekutivischen Vorschrift als Rechtsverordnung oder als Verwaltungsvorschrift vermittelt die Anknüpfung an die Rechtswirkung keinen Erkenntniswert. Der Versuch, die Rechtsnatur einer Vorschrift durch ihre Rechtswirkungen zu bestimmen, offenbart einen Zirkelschluß. 46 Vielmehr ermöglicht erst die Bestimmung ihrer Rechtsnatur, die daraus folgenden Rechtswirkungen zu benennen. 47 Hinzu kommt, daß mit der schematisch-strikten Trennung der Bindungswirkungen der Rechtsverordnung gegenüber Verwaltung, Gerichten und Bürgern einerseits und der bloß behördeninternen Verbindlichkeit der Verwaltungsvorschriften andererseits die Funktionen der Verwaltungsvorschriften seit geraumer Zeit nicht mehr adäquat erfaßt werden können. 4 8 M i t der Verfassungsentwicklung von der konstitutionellen Monarchie zur Demokratie hat die strikte Scheidung von parlamentarischer Verantwortung und exekutivischer Leitungsgewalt 49 an Bedeutung verloren. 50 Die Möglichkeit der Exekutive, für den behördeninternen Geltungsbereich Rechtsverordnungen zu erlassen, 51 hat der klassischen Zuordnung erste Hilfskonstruktionen 42
Vgl. H. Schneider, FS Phillip Möhring, 1965, S. 521 (524). So Ossenbühl, in: Allg. VerwR, S. 63 (106f.). 44 Etwa OVG NWOVGE 5, 28 (35); Wilke, in: v. Mangoldt-Klein, Art. 80 Anm. IV 2, S. 1916f. 45 BVerwG DVB1. 1982, S. 195 (196); BVerwGE 58, 45 (49f.); 52, 193 (196f.). 46 Dies hat sich im Anschluß an Bachof, JZ 1956, S. 35 (36) durchgesetzt: Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 179 f.; Selmer VerwArch. 59 (1968), S. 114 (116); Hansen, Fachliche Weisung und materielles Gesetz, 1971, S. 144. 47 So Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80 Rdnr. 7. 48 Siehe Stern, Bd. II, S. 654ff. 49 Zur Begründung der Zweiteilung in Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnun43
gen vgl. Laband, S. 87. 50 Schon Richard Thoma, Grundbegriffe und Grundsätze, in: (HDStR), Band II, S. 108 (117) sprach von der „Entschiedenheit seines gewaltenvereinigenden parlamentarischen Monismus".
II. Terminologische Zuordnungen
25
abverlangt. 52 Indem der Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften als Amtspflichtverletzung i.S.v. § 839 BGB, Art. 34 GG anerkannt wurde, 53 war ein weiterer Schritt zur Außenwirkung der Verwaltungsvorschriften getan, der die Aufweichung des Außenwirkungsmaßstabs begünstigte. Als ausschlaggebend dürfte jedoch die Bedeutung der Verwaltungsvorschriften als Subventionsrichtlinien im Bereich der Leistungsverwaltung empfunden werden. Rechtsprechung 54 und herrschende Lehre 55 haben mit der Theorie der Selbstbindung der Verwaltung 56 zwar konstruktiv die Anerkennung der Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften durch die Anbindung an Art. 3 I GG vermieden, jedoch wird auch ohne die förmliche Zubilligung eines originären Außenrechts der Verwaltung deutlich, daß die Trennlinie zwischen Innen- und Außenrecht keine impermeable Wand darstellt. Ist aber die Unterscheidung von Innen- und Außenwirkung mit der exekutivischen Usurpation der Leistungsgewährung obsolet geworden, 57 so hat sie damit auch die Trennschärfe verloren, um die deflnitorische Aufgabe der Abgrenzung der Rechtsverordnungen von den Verwaltungsvorschriften bewältigen zu können. b) Die Wahrnehmung delegierter Rechtssetzungsbefugnis als konstitutives Merkmal Die Suche nach anderen Kriterien zur Bestimmung konstitutiver Merkmale der Rechtsverordnungen kann an der Abgrenzung gegenüber der Satzung anknüpfen. Die Unterscheidung anhand der durch die Normsetzung wahrgenommenen Kompetenz läßt sich auch für die Scheidung von den Verwaltungsvorschriften fruchtbar machen. 58 Während der Exekutive der Erlaß von Verwaltungsvorschriften als Ausdruck originärer Geschäftsleitungs- und Organisationsgewalt 59 zusteht, erfüllt die verordnungssetzende Exekutive eine auf sie delegierte Aufgabe der Gesetzgebung. Rechtsverordnungen beinhalten demnach Regelungen, die funktionell 51
Darauf wies schon Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Nachdruck 1969, S. 66, Fußnote 4, hin. 52 Vgl. etwa Wilke, in: v. Mangoldt-Klein, Art. 80 Anm. IV 2, S. 1917. 53 So die Rspr. und h.M., vgl. BGH WM 1963, 788 (789); RGZ 145, 204 (215); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1983, S. 30f.; a.A. MünchKomm-Papier, § 839 Rdnr. 166. 54 BVerwG DVB1. 1982, S. 301 (303); DVB1. 1981, S. 1062 (1063). 55 So Dürig, in: M D , Art. 31 Rdnr. 428ff.: ν . Mangoldt/Klein/Starck,, Art. 31 Rdnr. 181 ; Gubelt, in: v. Münch, GG-K, Art. 3 Rdnr. 33. 56 Siehe Wallerath, Die Selbstbindung der Verwaltung, 1968; Dicke, VerwArch. 59 (1968), S. 293 ff.; für die Anerkennung originären Außenrechts: Pietzcker, NJW 1981, 2087 (2090); Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Auflage 1981, S. 394. 57 Siehe Selmer, JuS 1968, S. 489 (492). 58 Vgl. Ossenbühl, S. 180. 59 Statt aller Achterberg, S. 300.
Kap. 1: Einleitung
26
der Gesetzgebung entstammen, d.h. sie beziehen sich auf Inhalte, deren Regelung grundsätzlich der Legislative vorbehalten ist, 6 0 die aber aus Gründen der Entlastung des Gesetzgebers durch Delegation auf die Exekutive übertragen worden ist. 6 1 Die Umschreibung der Wahrnehmung delegierter Rechtssetzungsbefugnis als konstitutives Element der Rechtsverordnung muß aber auch die Qualifizierung einer Norm als Rechtsverordnung und damit die Abgrenzung zur Verwaltungsvorschrift ermöglichen, um in der Gerichtspraxis bestehen zu können. aa) Der formalisierte Verordnungsbegriff Die aus der Rechtsprechung zur Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes62 hinreichend bekannte Frage nach der Bestimmung der Trennlinie zwischen legislativer und administrativer Regelungsgewalt 63 erweist sich als besonders problematisch, wenn die Regelung des staatlichen Innenbereichs betroffen ist. Das Nebeneinander von gesetzlichen Vorgaben, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften macht die Qualifizierung einer exekutivisch erlassenen Norm als Rechtsverordnung ebenso schwierig wie bedeutsam. 64 Das von den Vertretern des formalisierten Verordnungsbegriffs 65 vorgeschlagene Verfahren beschränkt sich auf die Feststellung, daß dem Normgeber insoweit Definitionsmacht zukomme. A u f dieser Grundlage genügt die erkennbare Berufung auf eine Ermächtigungsgrundlage zur Qualifikation als Rechtsverordnung. 66 Inwieweit die getroffene Regelung einer Ermächtigungsgrundlage bedarf bzw. von dieser gedeckt wird, soll eine Frage der Rechtmäßigkeit bleiben, an der Qualifikation als Rechtsverordnung jedoch nichts ändern. Andererseits wird auf den durch Indizien wie die Bezeichnung oder die Einhaltung maßgeblicher Formvorschriften 67 dokumentierten Willen der normsetzenden Stelle abgehoben. 68 Das formell-objektive Kriterium der erkennbaren Berufung auf eine Ermächtigungsgrundlage wird insoweit nur durch das formell-subjektive Kriterium des Willens des Normgebers ersetzt. 60
So schon Roethe, AöR 59 (1931), S. 231 (239 f.); vgl. dazu auch Zacher, VVDStRL 24 (1966), S. 234 (236) — Diskussionsbeitrag —. 61 So BVerfG E 24,184 (197); zur weitergehenden Bedeutung der Rechtsverordnungen heute siehe Lepa, AöR 105 (1980), S. 337 (340). 62 Siehe BVerfGE49, 89 (126f.); 58, 257 (268ff.); aber auch BVerfGE, 68,1 (86f.); 67, 100 (139) und BVerwGE 64, 308 (310ff.); 57, 360 (363f.); 56, 155 (157f.). Aus dem fast unübersehbaren Schrifttum vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 685 ff.; jüngst Staupe, Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitstheorie, 1986; verwaltungswissenschaftlich: Becker, BayVBl. 1985, S. 641 ff. 63
So Ossenbühl, S. 180.
64
Vgl. etwa BVerwGE 38, 139 (141); 51, 235 (238f., 241 f.). Achterberg, S. 397; Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80 Rdnr. 8. So HessVGH GewArch 1981, S. 143. Vor allem Art. 80 I S. 3 GG. So Wilke, in: v. Mangoldt-Klein, Art. 80 Anm. IV 2, 3, S. 1917.
65 66 67 68
. Terminologische Zuordnungen
27
bb) Die materielle Betrachtung Beide Abgrenzungen nehmen im Grunde keine eigene Qualifikation vor, sondern erklären die von der normsetzenden Exekutive vorgenommene Entscheidung über die Rechtsnatur einer Vorschrift für (letzt-)verbindlich. Weniger die etwaige Gefahr eines Formenmißbrauchs 69 als vielmehr die damit angenommene Kompetenz der Exekutive steht einem solchen Qualifikationsmerkmal entgegen. 70 M i t der in Rechtsprechung 71 und Schrifttum 72 anzutreffenden Feststellung, es sei nicht Sache der Exekutive, die Rechtsnatur einer Norm zu bestimmen, ist jedoch noch kein neuer Ansatz gefunden. Die Bedeutung der Entscheidung über die Rechtsnatur einer Regelung eröffnet sich aber erst bei inhaltlicher Betrachtung. 73 M i t dem Erlaß einer Rechtsverordnung ist die Aussage verbunden, delegierte Rechtssetzungsbefugnis auszuüben und damit eine dem Inhalt nach der Legislative zugewiesene Regelung vorgenommen zu haben. Die Entscheidung über Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift beinhaltet somit die Festlegung im Einzelfall, wo die Trennlinie zwischen legislativer und administrativer Regelungskompetenz für diesen Inhalt verläuft. 74 Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber jedoch durch die Schaffung einer entsprechenden Verordnungsermächtigung für die normsetzende Exekutive verbindlich getroffen. 75 Soweit eine gesetzliche Verordnungsermächtigung vorhanden ist, sind die diesen Gegenstand regelnden Normen materiell als Rechtsverordnungen zu qualifizieren. 76 c) Definition Konstitutives Merkmal einer Rechtsverordnung als von der Exekutive erlassene, grundsätzlich abstrakt-generelle 77 Regelung ist die Wahrnehmung delegierter Rechtsetzungskompetenz. Eine Norm ist somit dann als Rechtsver69
So aber Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80 Rdnr. 8. Woher eine solche Definitionsmacht der Exekutive abzuleiten sein soll, bleibt offen. 71 Siehe OVG NW OVGE 5, 28 (35). 72 Vgl. Bachof FS Laforet, S. 285 (310 m. Fn. 66); Jesch AöR 84 (1959), S. 74 (82). 73 Auch für eine inhaltliche Abgrenzung, Matmz, in: MD, Art. 80 Rdnr. 17, 18. 74 Vgl. Roethe, AöR 59 (1931), S. 239f.; Ossenbühl, S. 180. 75 Siehe BVerwG E 21, 258 (259f.). 76 So schon RGZ 162, 129 (135); die norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften bilden insoweit einen Sonderfall, als der Vollzug der fraglichen Gesetzesvorschrift bis zum Erlaß einer Rechtsverordnung ansonsten suspendiert wäre, worauf Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtssetzung, 1969, S. 199, hinweist. 77 In Anlehnung an den dualistischen Gesetzesbegriff kann man bei Maßnahme bzw. Einzelfallverordnungen von Rechtsverordnungen im formellen Sinn sprechen. Vgl. dazu ausführlich: BayVerfGH BayVBl. 1972, S. 43 (45); Lossos, FS BayVGH, S. 1 (5f.); Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 131 ff. 70
28
Kap. 1: Einleitung
Ordnung zu qualifizieren, wenn ihr Inhalt von einer sie erfassenden Ermächtigungsgrundlage gedeckt wird. 2. Delegation und Art. 80 GG
Art. 801 S. 1 GG beinhaltet die Möglichkeit des Gesetzgebers, zum Erlaß von Rechtsverordnungen zu ermächtigen. M i t dieser — an ihrer Bedeutung 78 gemessen — knappen Vorschrift enthält das Grundgesetz im Gegensatz zu anderen Verfassungen 79 überhaupt eine Regelung des Verordnungsrechts der Exekutive. 80 Die in Art. 80 I S. 1 GG statuierte Möglichkeit der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die genannten Exekutivorgane wird vom DelegationsbegrifT her rechtstechnisch erfaßt 81 und in ihren Wirkungen beschrieben. 82 M i t einer solchen rechtstechnisch determinierten Inhalts- und Begriffsbestimmung der in Art. 80 GG enthaltenen Ermächtigungsbefugnis folgen Rechtsprechung 83 und Lehre 84 der staatsrechtlichen Tradition. 85 a) Die Delegationsterminologie Im Anschluß an Heinrich Triepel 86 wird unter einer Delegation der „Rechtsakt, durch den der Inhaber einer staatlichen oder gemeindlichen Zuständigkeit... seine Kompetenz 87 ganz oder zum Teil auf ein anderes Subjekt überträgt" 88 verstanden. Die Delegation bewirkt im Gegensatz zum Mandat eine Kompetenzveränderung. 89 Aufgrund einer solchen Zuständigkeitsverschiebung kann der Delegatar in eigenem Namen kraft eigener Kompetenz 90 handeln, während der Mandatar eine fremde Zuständigkeit wahrnimmt. 91 78 Vgl. die Übersicht bei Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80 Anhang; Vogel, JZ 1979, S. 321 ff. 79 Die Verfassungen der USA und der Schweiz sehen eine solche Regelung nicht vor, siehe Fleiner, Die Delegation als Problem des Verfassungs- und Verwaltungsrechts, 1972, S. 111. 80 Dazu Lepa, AöR 105 (1980), S. 337 (341). 81 Dies betont Wilke, in: v. Mangoldt-Klein, Art. 80 Anm. I I 3 a), S. 1908. 82 Etwa Ossenbühl, in: Allg. VerwR, S. 63 (85); Wolff-Bachof, VerwR II, § 72 IV b, S. 24 f. 83 BVerfG E 58, 257 (277); 34, 52 (59f.); 24, 184 (199); 22, 330 (346). 84 Vgl. Wilke, in: v. Mangoldt-Klein, Art. 80 Anm. I I 3, S. 1908 f.: Scholz-Bismark, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, S. 77 (89); Ossenbühl, in: Allg. VerwR, S. 63 (85). 85 Vgl. Jacobi, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, S. 237 (240, 242). 86 Heinrich Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942. 87 Die Begriffe Kompetenz und Zuständigkeit werden synonym verwandt, vgl. Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 160 m. Fn. 2; differenzierend WolffBachof; VerwR II, § 71 I c, S. 15. 88 Triepel, S. 23. 89 So Peters-Ossenbühl, Die Übertragung von öffentlichrechtlichen Befugnissen auf die Sozialpartner unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsschutzes, 1967, S. 31.
II. Terminologische Zuordnungen
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Nach der Triepelschen Differenzierung werden echte, devolvierende und unechte, konkurrenzschaffende Delegationen unterschieden. 92 Während bei der echten Delegation dem Kompetenzgewinn auf Seiten des Delegatars der entsprechende Kompetenzverlust des Deleganten gegenübersteht, führt die unechte Delegation nur zum Verlust der Ausschließlichkeit der Kompetenz des Gesetzgebers.93 Die Zuständigkeit des Verordnungsgebers steht somit „unter stillschweigendem Vorbehalt künftiger und jederzeit möglicher eigener Ausübung seiner Zuständigkeit". 94 Die Ausübung der Delegationsbefugnis ermöglicht dem Gesetzgeber jedoch nicht, durch einfaches Gesetz seine Gesetzgebungszuständigkeit für einen Sachbereich auszuschließen. Das nicht verfassungsändernde, den Verordnungsgeber ermächtigende Gesetz legt dem Gesetzgeber somit keine Bindung an, die eine Sperre der gesetzgeberischen Handlungsfreiheit bewirken würde. 95 Dem Gesetzgeber verbleibt vielmehr die Möglichkeit, eine Verordnungsregelung aufzuheben, sie durch ein Gesetz zu ersetzen oder lediglich die Verordnungsbefugnis wieder an sich zu ziehen. 96 Die Ermächtigungsbefugnis in Art. 80 I S. 1 GG ist mithin eine unechte Delegation, die das Rechtssetzungsmonopol des Gesetzgebers zugunsten einer Parallelzuständigkeit von Gesetz- und Verordnungsgeber aufhebt. b) Erweiterungen Der Aussagewert der begrifflichen Trennung zwischen echter und unechter Delegation ist primär in der Klärung des Zuständigkeitsgeflechts von Gesetzgeber und verordnungssetzender Exekutive zu erblicken. Eine weitergehende, das Feld der Rechtstechnik verlassende Beschreibung der in Art. 80 I S. 1 GG enthaltenen Ermächtigungsbefugnis erfordert die Heranziehung anderer Kriterien. aa) Parallelzuständigkeit und Verantwortung Die mit der Ermächtigung vom Gesetzgeber verliehene Zuständigkeit der Exekutive zur Normsetzung korreliert mit der ausschließlichen Verantwortung für die von ihr erlassenen Rechtsverordnungen. 97 Die Verantwortlichkeit der 90
Triepel, S. 42. Triepel S. 42. 92 Siehe Triepel, S. 51; daran anknüpfend: BVerfGEll, 330 (346); 24,184 (199); Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80 Rdnr. 5; Wolff-Bachof.\ VerwR II, § 72 IV b 2, S. 25; Ossenbühl, in: Allg. VerwR, S. 63 (85); ohne Anklang ist die abweichende Begriffsbildung von Barbey , Rechtsübertragung und Delegation, 1962, vgl. v.a. S. 59 ff., u. 84ff. geblieben. 93 So Triepel, S. 54. 94 Ebenda,, S. 58. 95 Vgl. Wilke, in: v. Mangoldt-Klein Art. 80 Anm. I I 3., S. 1908 f. 96 Siehe Maunz, in: M D , Art. 80 Rdnr. 23. 97 So schon Triepel, S. 28; vgl. in anderem Zusammenhang Lerche, in: M D , Art. 83 Rdnr. 107. 91
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Kap. 1: Einleitung
Exekutive für die Folgen ihres Handels unterscheidet sich im Bereich der Verordnungsgebung jedoch von der für den Erlaß von Verwaltungsakten bestehenden Verwaltungsverantwortung 98 hinsichtlich der Dichte gesetzgeberischer Vorgaben. 99 Während das einzelfallentscheidende Verwaltungshandeln regelmäßig Ausdruck gesetzesdirigierter Verwaltung 100 ist, besteht im Rahmen einer Verordnungsermächtigung für die Exekutive eine Entfaltungsverantwortung, 1 0 1 die gerade gegenüber dem gesetzgeberischen Programm der Ermächtigungsnorm Freiräume schafft. Die parallele Zuständigkeit des Gesetzgebers beinhaltet zwar die Möglichkeit und ggf. auch die Verpflichtung zur Korrektur einer Entscheidung des Verordnungsgebers, jedoch ist damit weder eine Mit- noch eine Parallelverantwortung des Gesetzgebers kraft „Überwachungsgarantenschaft" anzunehmen. 1 0 2 Die Verantwortung des Gesetzgebers endet mit der Schaffung einer rechtmäßigen Verordnungsermächtigung, 103 wobei die Rechtsprechung vor allem die Einhaltung der „Bestimmtheitstrias" als Ausdruck gesetzgeberischer Verantwortung kontrolliert. 1 0 4 Die Handhabung der Verordnungsermächtigung, vor allem aber die inhaltliche Gestaltung unterfallt der Exekutiwerantwortung. 1 0 5 Aus der Parallelzuständigkeit des Gesetzgebers läßt sich mithin keine Mitverantwortung für die Verordnungsgebung herleiten. bb) Unechte Delegation und Kompetenzkonkurrenz Die für die unechte Delegation charakteristische Parallelzuständigkeit von Gesetz- und Verordnungsgeber trägt ihr auch die Bezeichnung als konkurrenzschaffende Delegation ein. 1 0 6 Diese terminologische Variante bedarf der Spezifizierung, um Unklarheiten zu vermeiden. Die Akzessorietät der Verordnungsgebung von einer gesetzlichen Ermächtigungsvorschrift steht der Annahme eines Konkurrenzverhältnisses zwischen Gesetz und Verordnung aufs Ganze gesehen entgegen. Die unterschiedlichen Aufgabenbereiche beider Rechtssetzungsinstrumente werden so eher verschleiert als geklärt. 98 Zum Begriff siehe Scholz, in: VVDStRL 34 (1976), S. 145 (149); zum Zusammenhang von Kompetenz und Verantwortung Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, 1979, S. 179 m. Fn. 147 und Schnapp, in: VVDStRL 43 (1985), S. 172 (191 f.). 99 Siehe Schmidt-AQmann, in: VVDStRL 34 (1976), S. 221 (231). 100 So Ossenbühl, DVB1. 1974, 309 (309). 101 Siehe ScAmwft-Aßmanns Typologie, in: VVDStRL 34 (1976), S. 221 (232f.). 102 Selbst beim Vorliegen eines sog. Kassationsvorbehalts (vgl. Art. 109IV S. 4 GG und § 20 V StabG) handelt das Parlament aus verfassungsrechtlich zugewiesener Mitwirkungsverantwortung. 103 Siehe Lepa, AöR 105 (1980), S. 337 (341 f.). 104 BVerfG E 68, 319 (333); 65, 248 (264); 58, 257 (277); 34, 52 (60); BVerwGE 68, 69 (72 ff.); 68, 185 (186); 68, 277 (280 f.). 105 Vgl. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337 (342). 106 So Triepel, S. 59; Wilke, in: v. Mangoldt-Klein, Art. 80 Anm. II 3, S. 1909.
II. Terminologische Zuordnungen
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Während das Gesetz—schon um dem Parlamentsvorbehalt zu genügen 107 — die wichtigen Entscheidungen treffen muß, ist es Aufgabe der Rechtsverordnung, Detailregelungen vorzunehmen, Behördenorganisation und Verwaltungsverfahren zu regeln und aufgrund des unkomplizierten Verordnungsverfahrens der raschen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen. 108 Die höhere Rangstufe des Gesetzes in der Normenhierarchie 109 gegenüber der Rechtsverordnung weist auf einen weiteren Aspekt mißverständlicher Deutung der Konkurrenz zwischen Gesetz und Rechtsverordnung hin. Die Umschreibung der unechten Delegation als konkurrenzschaffende erfaßt vielmehr nur die in der Verordnungsermächtigung enthaltene Thematik. Nur insoweit besteht eine konkurrierende Kompetenz von Gesetz- und Verordnungsgeber. Die insoweit berechtigte Verwendung des Konkurrenzbegriffs wird durch seine praktische Relevanz jedoch weiter entwertet. Das mit der Einfügung einer Verordnungsermächtigung verfolgte Ziel der Entlastung des Gesetzgebers 110 wird ebenso wie das unkompliziertere und schnellere Verordnungsverfahren 111 der Wahrnehmung der jeweiligen Zuständigkeit durch den Gesetzgeber entgegenstehen. Die Ersetzung einer bereits ergangenen Rechtsverordnung durch ein Gesetz mit oder ohne inhaltliche Abänderung dürfte daher den Hauptfall der Ausübung der gesetzgeberischen Parallelzuständigkeit darstellen. 112 cc) Auswirkungen Die mittels Verordnungsermächtigung vorgenommene Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen auf die Exekutive entfaltet ihre Auswirkungen nicht nur in bezug auf das Zuständigkeitsgefüge von Legislative und Exekutive, sondern erfaßt auch die sich mittelbar daraus ergebenden Unterschiede. So sind die für Gesetz- und Verordnungsgebung geltenden Verfahrensvorschriften 113 ebenso verschieden wie die formellen Wirkungen beider Rechtsetzungstypen.114 So selbstverständlich es auf den ersten Blick anmuten mag, daß Rechtsverordnungen nicht von der Legislative erlassen werden können 1 1 5 und diesen keine formellen Gesetzeswirkungen zukommen können, so bedeutsam ist diese 107
Vgl. BVerwGE72,195 (204f.); 69,162 (175f.); 68, 69 (72f.); 68,185 (186f.); 65, 323
(325 f.). 108
Vgl. Stern, Bd II, S. 662. Vgl. allgemein dazu H. Schneider, in: FS Kutscher, S. 385 (386). 110 Siehe Ossenbühl, Allg. VerwR, S. 63 (83). 111 Vgl. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337 (340). 112 Siehe Maunz, in: M D , Art. 80 Rdnr. 23. 113 Siehe BVerfGE 24, 184 (199) unter Verweis auf Art. 80 I I GG. Weiter wären ζ. B. Art. 80 I S. 3 und Art. 82 GG zu nennen. 114 So schon Triepel, S. 58. 115 Vgl. BVerfGE 22, 330 (346). 109
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Kap. 1: Einleitung
Feststellung in bezug auf die Kennzeichnung der Verordnungsgebung als Wahrnehmung delegierter Rechtsetzungszuständigkeit. Die Verordnungsgebung ist trotz ihres von der Legislative abgeleiteten Ursprungs nicht nur als eigenständige, vom Delegationsdenken abgelöste Kategorie der Rechtsetzung in kompetenzieller Hinsicht etabliert. Vielmehr ist mit der Zubilligung spezifischer „Verordnungswirkungen" 116 und eines gesonderten Verfahrens der Verordnungsgebung 117 eine weitere Form der Rechtssetzung anerkannt. Aus der Perspektive gerichtlicher Kontrolle wird damit der begrenzte Aussagewert des Delegationsbegriffs für die Frage der Rechtmäßigkeit 118 und den für Rechtsverordnungen anzuwendenden Prüfungsmaßstab deutlich. c) Verfassungsunmittelbare
Verordnungskompetenz?
M i t der These einer verfassungsunmittelbaren Verordnungskompetenz der Exekutive 119 ist die Überflüssigkeit des Delegationsbegriffes begründet worden. Diesem Verständnis liegt eine Begrenzung der Rechtssetzungskompetenz der Legislative auf wichtige Entscheidungen durch das Gewaltenteilungsprinzip zugrunde, während dies andererseits eine Normsetzungsbefugnis der Exekutive für den Bereich unwichtiger und unpolitischer Rechtssätze garantiere. 120 Der Ermächtigungsnorm kommt danach keine konstitutive, die Zuständigkeit des Verordnungsgebers begründende Bedeutung zu. Vielmehr aktualisiert der Gesetzgeber nach diesem Verständnis das Gewaltenteilungsprinzip und legt fest, welche Fragen er für unwichtig hält und welcher Regelungsbereich demnach für die Exekutive verbleibt. 121 Die Ermächtigungsvorschrift wird somit in eine Klärungsnorm verwandelt, die den Regelungsbereich des Verordnungsgebers determiniert. 122 Dieses Verständnis mag für Verfassungen ohne zentrale Vorschrift über die Ermächtigung der Exekutive zur Normsetzung zutreffend erscheinen. 123 Einer solchen Betrachtung steht für das Grundgesetz sowohl der Wortlaut des Art. 80 I S. 1 GG („können ermächtigt werden") als auch die von der Entstehungsgeschichte dokumentierte „bewußte A b k e h r " 1 2 4 von einem ungezügelten Verord116
Siehe Bryde, in: v. Münch, GG-K, Art. 80 Rdnr. 4. Zum Sonderfall der Zustimmungsverordnungen BVerfG E 8, 274 (323); BayVGH DVB1. 1983, S. 1157. 118 Dies markierte schon Triepel, S. 59. 117
119 So Müller, Inhalt und Formen der Rechtssetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979, S. 188; zustimmend Häberle, — Rezension —, DÖV 1981, S. 550 (551). 120 Müller, S. 189. 121 Müller, S. 188. 122 Müller, S. 195 f. 123 Dies ist bei den von Müller untersuchten Verfassungen des Schweizer Bundes und der Kantone mit Ausnahme von Obwalden der Fall. Vgl. Müller, S. 179 m. Fn. 224. 124 BVerfG E 1, 14 (59 f.).
II. Terminologische Zuordnungen
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nungsrecht der Exekutive entgegen.125 Zwar kennt das Grundgesetz 126 selbständige und verfassungsunmittelbare Verordnungsbefugnisse, 127 diese sind inzwischen jedoch gegenstandslos geworden 128 und ihr Ausnahmecharakter ergibt sich aus dem betroffenen Sachbereich, ihrer systematischen Stellung 129 und der Entstehungsgeschichte.130 Eine Beschränkung der parlamentarischen Normsetzungsgewalt auf wesentliche Fragen könnte allzuleicht dazu führen, daß die Legislative von ihrer Entscheidungsgewalt über die Wichtigkeit des jeweiligen Rechtssetzungsvorhabens enthoben wird, 1 3 1 wenn die originär regelungsbefugte und flexibler agierende Exekutive die betreffende Normierung schon an sich gezogen hat. Eine solche Veränderung der Gewaltenbalance zu Lasten des Gesetzgebers ist mit der nur für ihn zutreffenden unmittelbaren demokratischen Legitimation unvereinbar. 132 Diesem „Legitimationsvorsprung" der Legislative entspringt nicht nur deren Vorrecht, politische Leitentscheidungen durch Gesetzgebung zu treffen, 133 sondern auch die Möglichkeit, die ihr obliegenden Zuständigkeiten ohne Differenzierung nach der Bedeutung der Materie erfüllen zu können. Eine verfassungsunmittelbare, generelle und nur durch gesetzliche Klärung konkretisierte Verordnungskompetenz der Exekutive besteht für das Grundgesetz somit nicht. Der Delegationsbegriff ist daher erforderlich, um die Veränderung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung zu beschreiben, so wie sie in Art. 80 GG vorgenommen wird. 3. Gestaltungsfreiheit oder Ermessen des Verordnungsgebers?
Zwar gilt die Erkenntnis als gesichert, daß gerichtliche Kontrolle nur soweit möglich ist, wie der Prüfungsgegenstand einer Überprüfung anhand von Rechtsmaßstäben zugänglich ist. 1 3 4 Anerkannt ist weiter, daß Rechtsnormen 125
Siehe v. Doeming/Füßlein/Matz, JöR N.F. 1 (1951), Art. 80 GG, S. 588. In Art. 119 S. 1, 127 und 132 IV GG; unrichtig Staupe, S. 39. 127 Verfassungsunmittelbares Verordnungsrecht der Exekutive nach Landesverfassungsrecht beinhalten etwa: Art. 9 I I 2 LVBayern, Art. 601LVNordrhein-Westfalen, Art. 35 LV Niedersachsen. 128 Während Matthey, in: v. Münch, GG-K, Art. 132 Rdnr. 1 und Schoeger, in: v. Münch, GG-K, Art. 119 Rdnr. 5 lediglich Gegenstandslosigkeit annehmen, plädiert Maunz, in: M D , Art. 119 Rdnr. 2, für ein Erlöschen im rechtsförmlichen Sinne. Dies läßt sich auf BVerwGE 54, 5 (8f.) stützen. 129 Im IX. Abschnitt des GG als Übergangs- und Schlußbestimmungen. 130 Vgl. v. Doeming/Füßlein ! Matz, JöR N.F. 1, (1951), Art. 119, S. 833. 131 Vgl. Müller, S. 188 f. 132 So BVerfGE40,237 (248 f.); 49,89 (126,129); 58,257 (268 f., 271); auch BVerfGE68, 1 (86 f.). 133 Siehe BVerwGE 68, 69 (72). 134 Zusammenfassend Badura, in: FS Bachof S. 169 (170); vgl. auch Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Auflage, 1968, S. 226. 126
3 von Danwitz
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Kap. 1: Einleitung
das Handeln der Verwaltung mit durchaus unterschiedlichen Dichtegraden vorzeichnen 135 und damit der gerichtlichen Entscheidung verschiedene Maßstäbe offerieren. Der Prozeß der Maßstabsfindung ist für den Bereich der Verordnungsgebung noch in vollem Gange. 136 Die Reichweite der gesetzlichen Bindung des Verordnungsgebers einerseits und das Ausmaß seiner Handlungsfreiheit andererseits gilt es zu bestimmen. Die Herstellung begrifflicher Klarheit über die Freiräume der normsetzenden Exekutive bildet dazu eine vorrangige Notwendigkeit. a) Terminologische
Verwirrung
Die Existenz eines Freiraums des Verordnungsgebers, aufgrund gesetzlicher Ermächtigung eine Regelung durch Rechtsverordnung zu erlassen, ist zwar als rechtliche Kategorie anerkannt. 137 M i t dieser schlichten Feststellung ist der Boden gesicherter Rechtserkenntnis jedoch schon abgesteckt. Die Vielfalt begrifflicher Prägungen für die dem Verordnungsgeber zuerkannte Gestaltungsfreiheit mag als Demonstration terminologischen Einfallsreichtum von Gerichten und Rechtslehre zwar verblüffen, sie gestaltet aber die Suche nach rechtlichen Kriterien im Prozeß der Maßstabsfindung besonders schwierig. Desweiteren schafft die Frage nach wirklichen oder vermeintlichen Begriffsinhalten Verwirrung und Rechtsunsicherheit. Die Palette terminologischer Möglichkeiten allein in der Rechtsprechung reicht von der Feststellung eines „Ermessen" 138 über ein „Regelungsermessen" 1 3 9 bis zum „Ermessensspielraum". 140 Mal wird dem Verordnungsgeber ein „Gestaltungsspielraum" 141 oder ein „Beurteilungsfreiraum" 142 eingeräumt, während andererseits dem Verordnungsgeber eine „Einschätzungsprärogative" 1 4 3 oder ein „Gestaltungsermessen" 144 konzediert wird. Schließlich finden sich auch rechtlich wenig aussagekräftige Qualifizierungen der verordnungsgeberischen Freiheit als „Gestaltungsraum" 145 oder als „Spielraum". 146 135
Siehe Sc/wnV//-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 221 (230 f.); Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 72. 136 Vgl. BVerwG DVB1.1986, S. 622f. einerseits und BVerfGE69,150 (160); BVerwGE 72, 126 (132); 70, 318 (332, 335, 339) andererseits. 137 Vgl. zum Sonderfall der Festsetzung eines Lärmschutzbereichs nach § 4 FluglärmG, BVerwG, DÖV 1982, S. 198f.; dagegen BVerfG 56, 298 (318ff.) m. abweichenden Voten der Richter Wand, Niebeler, BVerfG 56,298 (324ff.) und Hirsch, BVerfGE 56,298 (347ff.). 138 BVerwGE 36, 95 (97); VG Aachen GewArch 1985, S. 57. 139 BVerwGE 70, 318 (LS); 57, 130 (141). 140 BVerwGE 60, 212 (LS 4; 223). 141 BVerwG DVB1. 1986, 51 (52); BVerwGE 64, 77 (87); 60, 25 (44). 142 BVerwGE 59, 195 (198); 38, 105 (111) „Beurteilungsspielraum". 143 BVerwGE 72, 126 (132). 144 145 146
BVerfG DVB1. 1982, S. 25 (26); OVG Lüneburg OVGE 37, 330, LS 3. BVerwGE 70, 318 (330). BVerwGE Al, 169 (174); 31, 359 (367).
II. Terminologische Zuordnungen
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Rein quantitativ scheint die neuere Rechtsprechung zwar eine begriffliche Vorliebe für die Anerkennung von Gestaltungsspielräumen des Verordnungsgebers zu entwickeln, jedoch ist diese Entwicklung weder durchgängig zu verzeichnen 147 noch wird deutlich, ob und inwieweit damit bestimmte Begriffsinhalte verbunden sind. Dementsprechend hat auch die Rechtslehre keine terminologische Klarheit herbeizuführen vermocht. 148 b) Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und Verwaltungsermessen Diese begriffliche Diskussion orientiert sich im wesentlichen an den fest etablierten Kategorien des Verwaltungsermessens und der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. 149 Von dem hier zu unternehmenden Versuch, begriffliche Klarheit herzustellen, ist die mit ebendiesen Begriffen geführte inhaltliche Auseinandersetzung um Art und Umfang des Gestaltungsfreiraums des Verordnungsgebers und den daraus zu entwickelnden Maßstäben für die gerichtliche Überprüfung zu trennen. 150 Zunächst muß festgestellt werden, für welche Inhalte die Begriffe des Ermessens einerseits und der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers andererseits stehen, um daraus Aussagen für die begriffliche Erfassung der verordnungsgeberischen Entscheidungsfreiheit zu gewinnen. Darauf aufbauend kann erst die Frage inhaltlicher Erfassung der verordnungsgeberischen Gestaltungsfreiheit angegangen werden. aa) Die These einheitlicher Ermessensstruktur M i t der Herausarbeitung struktureller Gemeinsamkeit jeglichen Ermessens 151 wird die These einer Rückführbarkeit von Verwaltungsermessen und gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit auf ein einheitliches Charakteristikum vertreten 152 und damit qualitative Unterschiede zwischen beiden geleugnet. 153 147 Siehe BVerwGE 70, 318 (LS) einerseits und BVerwGE 70, 318 (330); 72, 126 (132) „politische Gestaltungsräume" andererseits. 148 Vgl. z.B. Maunz, in: M D , Art. 80, Rdnr. 34: Dieser spricht unter der Überschrift „Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers" davon, daß „die Freiheit des Gesetzgebers formeller Gesetze, die man gesetzgeberisches Ermessen nennen kann, ... in mehrfacher Hinsicht größer als die entsprechende Freiheit (in diesem Sinn das Ermessen) des Verordnungsgebers" sei. 140
Exemplarisch insoweit Zuleeg, DVB1. 1970, S. 157 ff. Vgl. dazu Ossenbühl, FS Huber, S. 283 (286ff.) und siehe Kapitel 4, S. 151 Richter, Sind die Grundsätze über die Ermessensausübung beim Erlaß von Verwaltungsakten übertragbar auf den Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen?, 1972, S. 46. 152 Richter, S. 48. 153 Westbomke, Der Anspruch auf Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen, 1976, S. 48 m. Fn. 95. 150
3*
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Kap. 1: Einleitung
Die Verknüpfung von Handlungsfreiheit mit Gebundenheit durch vorgegebene rechtliche Maßstäbe wird als einendes Charakteristikum jeglichen Ermessens erkannt. 154 Die Unterschiede der einzelnen Ermessensformen werden folgerichtig in quantitativer Betrachtungsweise auf den Umfang rechtlicher Bindungen reduziert. 155 Diese auf den ersten Blick schlüssige Feststellung verstellt durch ihre rein strukturelle Betrachtungsweise die Sicht für eine wertende Perspektive von einzelfallentscheidendem Verwaltungsermessen und gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit. Die als strukturelle Gemeinsamkeit entdeckte Synthese von „Freiheit und Rechtsbindung" 156 ist von Ossenbühl 157 auf die Selbstverständlichkeit zurückgeführt worden, daß „ i m Recht Freiheit nicht ohne Bindung" vorkommt. Für die Aufgabe begrifflicher Klärung von Ermessen und Gestaltungsfreiheit lassen sich diesem Ansatz somit keine Kriterien entnehmen. bb) Unterschiede beider Rechtsinstitute Während die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers zunächst als „gesetzgeberisches Ermessen" in der Rechtsprechung firmierte, 158 ist in der weiteren Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unter dem Ausdruck der „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers" 159 eine eigenständige, vom Ermessensbegriff unabhängige Kategorie gebildet worden. Damit hat die Rechtsprechung des BVerfG einem spezifisch verfassungsrechtlichen Verständnis der Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers ebenso entsprochen, wie der Entwicklung der Ermessenslehre Rechnung getragen wird. Aus verfassungsrechtlicher Sicht hat der Gesetzgeber die Verfassung zwar zu beachten, sie wird aber durch die Gesetzgebung nicht vollzogen, wie das bei Gesetzen durch die Verwaltung geschieht. Vielmehr nimmt die Gesetzgebung die Aufgabe staatlicher Rechtsgestaltung wahr. 1 6 0 In kompetenzieller Hinsicht verfügt die gesetzesvollziehende Exekutive nur über eine mittelbare demokratische Legitimation, 161 während sich in der gesetzgeberischen Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der politische Wille des unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments manifestiert. Sie bringt mithin die Souveränität des Volkes zum Ausdruck. 162
154 155 156 157 158 159 160 161 162
Richter, S. 48. Siehe Westbomke, S. 48 m. Fn. 95. So Richter, S. 48. Siehe Ossenbühl, in: FS Huber, S. 283 (287). Siehe BVerfGE, 8, 186 (195); 9, 3 (10); 9, 137 (146); 27, 58 (67). Siehe BVerfGE 35, 79 (150); 39, 1 (72); 50, 290 (338); 58, 68 (79); 69, 150 (160). So Fuss, JZ 1959, S. 329 (331). Siehe dazu BVerfGE 68,1 (86 f.). Siehe Badura, in: FS Fröhler, S. 321.
II. Terminologische Zuordnungen
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Bei der Entwicklung der Ermessenslehre hat die Auseinandersetzung um Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe 163 zur Anerkennung des Verwaltungsermessens als „normativ begründete, eingegrenzte und dirigierte Rechtsfolgenbestimmung durch die Verwaltung" 164 geführt. Die Beschränkung des Ermessens auf die Rechtsfolgeseite der Norm liefert ebenso wie die gesetzliche (Vor-)Bestimmung des der Verwaltung möglichen Rechtsfolgeausspruchs ein Differenzierungskriterium für die Abgrenzung zur gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Das Ermessen räumt der Verwaltung zwar die Wahlfreiheit bei der Setzung von Rechtsfolgen im Einzelfall ein, 1 6 5 jedoch handelt es sich um die konkrete Realisierung fremdbestimmter, 166 nämlich gesetzlich vorgeschriebener Maßstäbe. Daß die normative Zielbestimmung durch den Gesetzgeber unterschiedliche Dichtegrade aufweisen kann, 1 6 7 steht einer Abgrenzung zum Gegenbegriff der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht entgegen. Dessen Entscheidungsfreiheit bestimmt sich nach selbstgesetzten Beurteilungsmaßstäben, 168 d.h. ohne „durch eine andere Staatsfunktion determiniert" 169 zu sein. Die Zuordnung des Ermessens zur Rechtsfolgeseite der Norm verdeutlicht nicht nur seine Gesetzesakzessorietät, die bei der Gesetzgebung fehlt. Durch diese findet kein Verfassungsvollzug, sondern Rechtsgestaltung innerhalb des grundgesetzlichen Rahmens statt. 1 7 0 Vielmehr werden auch die unterschiedlichen Zweckrichtungen von Ermessen und Gestaltungsfreiheit sichtbar. Das Ermessen dient als Schritt der Entscheidungsfindung zwischen Tatbestandserfassung und Rechtsfolgenausspruch der Berücksichtigung konkret-individueller Umstände 171 zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit. 172 Demgegenüber nimmt der parlamentarische Gesetzgeber im Prozeß der Gesetzgebung abstrakt-generelle Wertungen aufgrund autonomer — von der Verfassung eingegrenzter — Maßstabssetzung vor. Ungeachtet der sowohl für das Ermessen wie für die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bestehenden Bindungen bezeichnen beide Begriffe rechtlich derart unterschiedliche Kategorien, daß eine synonyme Verwendung des Ermessensbegriffs für den Bereich der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht in Frage kommt. 163
Vgl. etwa die Nachweise von Ossenbühl DÖV 1968, S. 618 (619, Fn. 11). Ossenbühl, DÖV 1976, S. 463 (465); ebenso ScÄm/