Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz: Ein Rechtsgutachten zur berufs- und arbeitsrechtlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, zum Übermaßverbot und zu den Bindungswirkungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts [1 ed.] 9783428450664, 9783428050666

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Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz: Ein Rechtsgutachten zur berufs- und arbeitsrechtlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, zum Übermaßverbot und zu den Bindungswirkungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts [1 ed.]
 9783428450664, 9783428050666

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BODO P I E R O T H

Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz

S c h r i f t e n zum ö f f e n t l i c h e n Band 403

Recht

Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz Ein Rechtsgutachten zur berufs- und arbeitsrechtlichen Gestaltungefreiheit des Gesetzgebers, zum Ubermaßverbot und zu den BindungsWirkungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichte

Von Prof. Dr. Bodo Pieroth

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 05066 5

Vorwort „Arbeitnehmerüberlassung" ist der juristisch korrekte Ausdruck, von „Menschenhandel" sprechen die politischen Gegner. Das Vermieten menschlicher Arbeitskraft, bis 1967 als Arbeitsvermittlung i n das staatliche Monopol eingeschlossen, darf seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts i n der Bundesrepublik Deutschland von privaten Unternehmern gewerbsmäßig betrieben werden. M i t Blick auf die hierbei aufgetretenen sozialen Mißstände w i r d seit langem vor allem vom Deutschen Gewerkschaftsbund ein Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gefordert. Ein Regierungsentwurf vom September 1981 w i l l die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung wenigstens i n der Bauwirtschaft untersagen, wo die gröbsten Mißstände zu verzeichnen sind und wo die Einhaltung sozialer Schutzvorschriften am schwersten zu kontrollieren ist. Ist dieser Entwurf infolge der berufsund arbeitsrechtlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verfassungsmäßig, oder verletzt er die grundrechtliche Berufsfreiheit der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlasser, indem er das verfassungsrechtliche Prinzip des Übermaßverbots nicht wahrt? Ist ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung m i t den Bindungswirkungen der früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar? Diesen Fragen geht das vorliegende Rechtsgutachten nach, das i m Auftrag des Bundesvorstandes der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden entstand. Die Arbeit führt mitten hinein i n fundamentale Probleme der gegenwärtigen Grundrechtsdiskussion: Was schützen die Grundrechte wie gegen wen? Gilt noch das liberal-rechtsstaatliche Grundrechtsmodell m i t seinem Eingriffs- und Schrankendenken, und heißt grundrechtliche Freiheit nach wie vor das Belieben Einzelner i m gesellschaftlichen Bereich? Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die meisten Autoren verneinen diese Fragen. Doch sind ihre Antworten fragmentarisch, unsystematisch und teilweise inkonsistent m i t dem überkommenen dogmatischen Instrumentarium. I h r Sammelbegriff für die Tendenzen, i n denen über das liberal-rechtsstaatliche Grundrechtsmodell hinausgegangen wird, lautet „objektiv-rechtliche Bedeutung der Grundrechte". Die damit ausgedrückten normativen Wirkungen können nicht die gleiche juristische Stringenz haben, die ein i n jahrzehntelanger Entwicklung erprobtes Modell hervorgebracht hat. Gleichwohl erscheint es ausgeschlossen, auf einen Stand vor der modernen Erwei-

6

Vorwort

terung des Grundrechtsschutzes zurückzukehren. Solange andererseits ein neues Paradigma über Umfang und A r t grundrechtlicher Freiheit sich nicht durchgesetzt hat, bleibt für ein Rechtsgutachten nichts anderes übrig, als die tatsächliche gegenwärtige juristische Praxis zum Ausgangspunkt der Argumentation zu nehmen. Gratias ago amica: Mein herzlicher Dank für die Mitarbeit gilt Beate Lehnhard. Bochum, den 12. November 1981 Β. P.

Inhaltsverzeichnis

1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung 1.1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1967

9 v o m 4. A p r i l

9

1.2. Folgen u n d Reaktionen

13

1.3. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

16

1.4. Die seitherige E n t w i c k l u n g

17

1.5. Der Bericht der Bundesregierung von 1980

19

1.6. Die Regierungsentwürfe v o m September 1981

22

1.7. Fragestellung der Untersuchung

24

2. Zur geschichtlichen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung Deutschland

in 27

2.1. Die geschichtliche E n t w i c k l u n g der Arbeitnehmerüberlassung bis 1967

27

2.1.1. Die Zeit v o r 1922

27

2.1.2. Das Arbeitsnachweisgesetz von 1922

27

2.1.3. Gesetzesänderungen bis 1933

28

2.1.4. Die Zeit des Nationalsozialismus

29

2.1.5. Die Nachkriegsentwicklung

29

2.2. Z u r historischen Argumentation des Urteils des Bundesverfassungsgerichts v o m 4. A p r i l 1967

31

3. Die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit

34

3.1. Der Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 Satz 1 GG

34

3.1.1. Freie W a h l des Berufs, des Arbeitsplatzes u n d der A u s b i l dungsstätte

34

3.1.2. Das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit

36

3.1.3. Begrenzung auf „erlaubte" Tätigkeit? 3.1.4. Begrenzung durch „anerkannte" Verwaltungsmonopole?

38 ..

39

3.1.5. Begrenzung auf Berufe außerhalb des „öffentlichen Dienstes"?

45

8

Inhaltsverzeichnis 3.1.6. Juristische Personen als Träger der Berufsfreiheit 3.1.7. A r t . 12 Abs. 1 G G als Abwehrrecht u n d als Element objekt i v e r Ordnung 3.1.7.1. Allgemeines zu den subjektiv- u n d objektiv-rechtlichen Gehalten der Grundrechte 3.1.7.2. Unterschiedliche Schutzrichtungen des A r t . 12 Abs. 1 GG 3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

46 47 47 54 58

3.2.1. Z u r Tragweite des Begelungsvorbehalts

58

3.2.2. Verfassungsrechtliche Schranken f ü r gesetzliche Eingriffe nach der „Stufentheorie"

60

3.2.3. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bzw. verbot i n heutiger dogmatischer Sicht

65

das

Ubermaß-

3.2.4. Einzelne den Gesetzgeber beschränkende verfassungsrechtliche K r i t e r i e n 3.2.4.1. Zulässigkeit der gesetzgeberischen Zwecksetzung . . 3.2.4.2. Geeignetheit 3.2.4.3. Erforderlichkeit (Notwendigkeit, Minimaleingriff, I n terventionsminimum) 3.2.4.4. Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) 3.2.4.5. Z u m u t b a r k e i t (Mindestposition) 3.2.4.6. Zusammenfassende Beurteilung des Verbots der A r beitnehmerüberlassung i n Betriebe der B a u w i r t schaft 3.2.4.7. Einige Aspekte zu einem totalen Verbot der A r beitnehmerüberlassung

75 76 77 80 84 84 87 89

3.2.5. Zusätzliche Schranken der Berufsfreiheit aus A r t . 33 GG? . .

91

4. Die Bindung des Gesetzgebers durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

94

4.1. Rechtskraft

94

4.2. B i n d u n g s w i r k u n g

98

4.3. Gesetzeskraft

100

4.4. Speziell zur Verbindlichkeit i n der Zeit

101

5. Zusammenfassung

110

Literaturverzeichnis

118

1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlaeeung 1.1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1967 Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. A p r i l 19671 wurde die jahrzehntelang fast unveränderte Rechtslage i m Bereich der Arbeitnehmerüberlassung radikal geändert. I n dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreit ging es u m die Frage der Reichweite des Arbeitsvermittlungsmonopols der Bundesanstalt für A r beit (bzw. für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, wie sie damals hieß) — i m folgenden: Bundesanstalt — und des näheren u m die Zulässigkeit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung. Bis zu dem genannten Zeitpunkt w a r diese unzulässig; die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hob das Verbot auf. Ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung der Rechtslage i m Bereich der Arbeitnehmerüberlassung zeigt die Bedeutung dieser Entscheidung: Seit dem Arbeitsnachweisgesetz (ANG) vom 22. 7. 1922 (RGBl. I S. 657) w a r die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung, i n der damaligen Terminologie: die unechte Leiharbeit, durch eine gesetzliche F i k tion untersagt. Diese Rechtslage wurde durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. 7. 1927 (RGBl. I S. 187) aufrechterhalten. I n der nationalsozialistischen Zeit gab es zwar zum Teil einschlägige gesetzliche Änderungen, doch konnte sich eine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung weiterhin nicht entfalten. Dem entsprach auch die Rechtslage zur Zeit des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Sie war bestimmt durch das AVAVG i n der Fassung des Gesetzes vom 23. 12. 1956 (BGBl. I S. 1018)2. Gemäß dessen § 37 Abs. 1 w a r Arbeitsvermittlung i m Sinne dieses Gesetzes jede planmäßige Tätigkeit, die darauf gerichtet war, arbeitsuchende Arbeitnehmer m i t Arbeitgebern zur Begründung von Arbeitsverhältnissen zusammenzuführen. Nach § 37 Abs. 3 A V A V G galt als Arbeitsvermittlung ferner die Zuweisung von Arbeitnehmern, deren Arbeitskraft der Zuweisende regelmäßig dritten Personen für eine Beschäftigung zur 1 2

BVerfGE 21, 261. I n K r a f t getreten am 3. 4.1957, vgl. BGBl. I S. 322.

10

1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

Verfügung stellte, ohne selbst die Arbeit auf eigene Rechnung ausführen zu lassen. I m Zusammenhang m i t § 35 A V A V G , wonach Arbeitsvermittlung nur von der Bundesanstalt betrieben werden durfte, ergab sich, daß sowohl private (gewerbsmäßige) Arbeitsvermittlung als auch Arbeitnehmerüberlassung untersagt waren. Die Rechtslage war darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, daß diese Gleichbehandlung von Vermittlung und Überlassung nicht grundsätzlich i n Frage gestellt wurde; allenfalls Abgrenzungsdetails waren umstritten 3 . Uberhaupt wandten weder Rechtsprechung noch Literatur noch politische Institutionen diesem Themenkreis eine besondere Aufmerksamkeit zu; größere soziale oder rechtliche Probleme sah man hier nicht. I n dieser Situation setzte das Bundesverfassungsgericht neue und zum Teil überraschende Akzente. A m 4. A p r i l 1967 war das Gericht i n insgesamt drei Entscheidungen m i t Problemen der Arbeitsvermittlung befaßt. I n der ersten Entscheidung — dem sogenannten HantenUrteil 4 — wurde das Arbeitsvermittlungsmonopol des Staates bzw. der Bundesanstalt als m i t A r t . 12 Abs. 1 GG vereinbar erklärt. Durchaus i n der Linie der bisherigen Rechtsprechung sah das Gericht i m Arbeitsvermittlungsmonopol einen Eingriff i n die Berufsfreiheit auf der Stufe einer objektiven Zulassungsbeschränkung, der jedoch gerechtfertigt wurde, weil er den Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter bezwecke und zur Abwendung sonst höchstwahrscheinlich drohender Gefahren erforderlich sei. I n der zweiten Entscheidung — dem sogenannten Südkurier-Urteil 5 — ging es um die Frage, ob § 37 Abs. 2 Satz 3 A V A V G , wonach die Veröffentlichung von Stellenangeboten für eine Beschäftigung von Arbeitnehmern i m Ausland der vorherigen Zustimmung der Bundesanstalt bedurfte, verfassungsgemäß war. Das Bundesverfassungsgericht entschied, daß der hierin liegende Eingriff i n die Pressefreiheit nur gerechtfertigt werden könnte, wenn die Veröffentlichung des Stellenmarktes den Begriff der jedermann verbotenen A r beitsvermittlung erfüllen würde. Das aber sei bei dieser rein mechanischen, lediglich einen fremden Willen übermittelnden Tätigkeit, die nicht durch die Entwicklung eigener Initiative gekennzeichnet sei, nicht der Fall. Unmittelbar die Arbeitnehmerüberlassung betraf das dritte Urteil®, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Die Schweizer Firma A D I A interim, seit 1962 auch i n Deutschland niedergelassen, befaßte sich m i t 3 Vgl. z.B. Bethge, Diss. 1962, S. 252ff.; Theuersbacher, Diss. 1960, S. 19 ff. 4 BVerfGE 21, 245. 5 BVerfGE 21, 271. 8 BVerfGE 21, 261.

Fiedler,

Diss. 1963, S. 82ff.;

1.1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1967

11

der Ausführung kaufmännischer Sonderaufgaben und Schreibarbeiten. Sie führte diese Arbeiten aber nicht durch eigene Angestellte aus; ihre Tätigkeit bestand vielmehr darin, per Annoncen und Postwurfsendungen Arbeitskräfte anzuwerben, die eine Dauertätigkeit nicht ausüben wollten oder konnten. Diese wurden sodann den Kunden der A D I A als „freie Mitarbeiter" aushilfsweise zur Verfügung gestellt. Dies geschah sowohl i n Fällen von Beurlaubung oder Krankheit eines kurzfristig fehlenden Dauerangestellten als auch i n Fällen, i n denen entsprechende Bürokräfte zur endgültigen Anstellung gesucht wurden, so daß vakante Stellen zur Uberbrückung m i t solchen Arbeitskräften zeitweise besetzt wurden. Sobald die „freien Mitarbeiter" nicht mehr benötigt wurden, kehrten sie zur A D I A zurück. Eine endgültige A n stellung w a r dem jeweiligen Kunden untersagt. Für die Dauer der geleisteten Tätigkeit erhielt die A D I A von den Kunden ein „Honorar"; sie selbst zahlte an die Mitarbeiter einen geringeren als den vom Kunden erhaltenen Stundenlohn aus. Zeitweise wurde den Arbeitnehmern auch die Zahlung der Beiträge zur Sozialversicherung und der Lohnsteuer auferlegt. Die Bundesanstalt beurteilte diese Tätigkeit als Arbeitsvermittlung i m Sinne des § 37 A V A V G und forderte die A D I A auf, ihre Tätigkeit i m Hinblick auf das bestehende Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt einzustellen. I n dem darauf folgenden Hechtsstreit unterlag die A D I A zunächst vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht, das die Revision nicht zuließ. A u f die anschließend erhobene Verfassungsbeschwerde kam das Bundesverfassungsgericht zur Auffassung, § 37 Abs. 3 A V A V G sei ein verfassungswidriger Eingriff i n das durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit und daher nichtig. Ausgangspunkt für die Entscheidung w a r die Verfassungsmäßigkeit des Arbeitsvermittlungsmonopols der Bundesanstalt, durch das ein objektives Hindernis für die Wahl des Berufs des selbständigen A r beitsvermittlers aufgestellt wird. Die Ausdehnung des Monopols auf den (regelmäßigen) Abschluß von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen richtet i n gleicher Weise ein objektives Hindernis für die Wahl des Berufs des gewerblichen Verleihers auf. § 37 Abs. 3 A V A V G bedeutet also der Sache nach ein Berufsverbot für gewerbliche Verleihunternehmer. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berufsfreiheit ist eine derart restriktive Schranke für die Berufswahl nur dann zulässig, wenn sie zum Schutz eines überragenden Gemeinschaftsgutes notwendig und unumgänglich ist. Demgemäß ergab sich die Fragestellung, ob die einer privaten Arbeitsvermittlung eigentümlichen Gefahren auch bei der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung gegeben sind.

12

1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

Das Bundesverfassungsgericht sah die Voraussetzungen einer Grundrechtseinschränkung aus folgenden Gründen nicht als erfüllt an 7 : Arbeitnehmerüberlassung sei rechtlich und wirtschaftlich von der Arbeitsvermittlung zu unterscheiden. Zwar sei nicht zu verkennen, daß beide „gewisse wirtschaftliche Funktionen gemeinsam haben". Doch überwögen die Unterschiede: Während sich die Arbeitsvermittlung darin erschöpft, daß der Vermittler einen arbeitsuchenden Arbeitnehmer einem Arbeitgeber m i t dem Ziele der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zuführt, seien beim Arbeitnehmerüberlassungsvertrag die Rechtsbeziehungen zwischen dem Überlassenden und dem überlassenen Arbeitnehmer „ v o n anderer A r t ; sie sind nicht auf den einzelnen Fall beschränkt, sondern sind von Dauer und bleiben insbesondere während der Zeit, i n der der Arbeitnehmer i n dem fremden Betrieb tätig wird, weiter bestehen". Auch könne Arbeitnehmerüberlassung nur „sehr begrenzt" die wirtschaftliche Funktion der Arbeitsvermittlung ersetzen; sie sei überhaupt nur i n wenigen Fällen w i r t schaftlich sinnvoll: „Dafür, daß i n Betrieben längere Zeit hindurch fremde Arbeitnehmer tätig sind, die ihnen von anderen Unternehmern überlassen sind, weiterhin nur zu diesen Unternehmern i n Rechtsbeziehungen stehen und der Weisungsbefugnis des Unternehmers, i n dessen Betrieb sie tatsächlich arbeiten, nicht unterstehen, spricht kaum eine Lebenserfahrung." Neben diesem Hauptargument stützte sich das Bundesverfassungsgericht noch auf folgende Erwägungen, u m zu zeigen, daß die durch § 37 Abs. 3 A V A V G verfolgten Ziele „durch mildere Maßnahmen als durch den stärksten Eingriff i n das Recht der freien Berufswahl erreicht werden" könnten. Soweit arbeitsrechtliche Schutzbedürfnisse der verliehenen Arbeitnehmer i n Rede stünden — zu denken sei etwa an Benachteiligungen i n den Bereichen von Kündigungsschutz und tariflicher Vergütung sowie sonstiger arbeitsrechtlicher Ansprüche —, seien, wie auch i n sonstigen Streitfällen, ausschließlich die Gerichte zur Entscheidung berufen. Etwaigen Gefahren, wie eine Beeinträchtigung der arbeitnehmerischen Freiheit zur Verwertung der Arbeitskraft (ζ. B. durch die Vereinbarung besonders hoher Konventionalstrafen für die vertraglich untersagte Festanstellung von überlassenen Arbeitnehmern durch die Entleiher) oder eine Schwächung der sozialen Sicherung (ζ. B. durch die Nichtabführung von Versicherungsbeiträgen), könne durch Berufsausübungsregelungen unterhalb eines Berufsverbots Rechnung getragen werden. Auch könne die Frage, ob die Vergütung für überlassene Arbeitnehmer wirtschaftlich sinnvoll und tragbar sei, der Selbstverantwortung der die Arbeitskräfte i n Anspruch nehmenden Entleiher überlassen bleiben. Schließlich meinte das Bundesverfassungs7

Vgl. zum folgenden BVerfGE 21, 261 (268 ff.).

1.2. Folgen und Reaktionen

13

gericht, daß auch die geschichtliche Entwicklung die Ausdehnung des Vermittlungsmonopols auf die Arbeitnehmerüberlassung nicht als unabweisbar erscheinen lasse8. Insgesamt sah das Bundesverfassungsgericht keinen begründeten Anlaß, i n die grundrechtliche Berufsfreiheit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlasser einzugreifen. Die fiktive Gleichsetzung von Vermittlung und Überlassung wurde aufgehoben und ein neuer Freiraum w i r t schaftlicher Betätigung geschaffen. Damit bestand i n diesem Bereich auch kein Monopol der Bundesanstalt mehr. 1.2. Folgen und Reaktionen Das Bundesverfassungsgericht verwies den Rechtsstreit zur Überprüfung der Frage, ob es sich bei der Tätigkeit der A D I A u m Arbeitsvermittlung i m Sinne des § 37 Abs. 1 A V A V G handelte, an die Sozialgerichtsbarkeit zurück. Das Bundessozialgericht bejahte diese Frage i n seinem Urteil vom 20. J u l i 19709 und machte zugleich einige weiterführende dogmatische Aussagen. Die vom Bundesverfassungsgericht zwischen Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung vorgenommene Grenzziehung stellte auf die Einordnung ab: U m erlaubte gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung handele es sich dann, wenn der Zugewiesene i n den Betrieb des Entleihers nicht als dessen Arbeitnehmer eingeordnet werde, sondern i n arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Zuweisenden verbleibe; Arbeitsvermittlung liege demgegenüber vor, wenn der zugewiesene Arbeitnehmer i n den Betrieb des Entleihers derart eingeordnet werde, daß er nach der ganzen Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen — wenn auch nur auf kurze Dauer — dessen Arbeitnehmer werde 10 . U m den Begriff der Einordnung entstanden alsbald dogmatische Streitigkeiten 1 1 . Das Bundessozialgericht präzisierte die Abgrenzung zwischen A r beitsvermittlung und gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung dahin, daß es auf den Schwerpunkt der arbeitsrechtlichen Beziehungen des Arbeitnehmers ankomme 12 . Danach sind n u r solche Leiharbeitsverhältnisse zulässig, bei denen zwar arbeitsrechtliche Beziehungen zwischen dem einen Arbeitsplatz vergebenden Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer begründet werden, daneben aber ein diese Beziehungen über8

BVerfGE 21, 261 (270 f.); vgl. zur geschichtlichen E n t w i c k l u n g der A r b e i t nehmerüberlassung i n Deutschland noch näher unten 2. 9 BSGE 31, 235 = A P Nr. 9 zu § 37 A V A V G = D B 1970, S. 2129. 10 BVerfGE 21, 261 (266 f.). 11 Vgl. Becker, D B 1972, S. 729; Seiter, Juristische Analysen 1971, S. 70 ff.; vgl. auch noch unten 4.4. unter (a). 12 Vgl. BSGE 31, 235 (242 ff.).

14

1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

dauerndes und davon unabhängiges Arbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer besteht, sofern i n diesem Rechtsverhältnis der Schwerpunkt der arbeitsrechtlichen Beziehungen liegt. M i t dieser Bestimmung hat das Gericht einerseits den Bereich zulässiger Arbeitnehmerüberlassung erweitert; denn nach der Grenzziehung des Bundesverfassungsgerichts bestand die dogmatische Möglichkeit, praktisch jedes Leiharbeitsverhältnis für unzulässig zu erklären, da eine Arbeitnehmerüberlassung ohne Einordnung i n den Entleiherbetrieb einschließlich einer damit einhergehenden Weisungsbefugnis nicht realisierbar ist 13 . Andererseits berücksichtigte das Bundessozialgericht auch das soziale Schutzbedürfnis der überlassenen Arbeitnehmer durch die maßgebliche Inpflichtnahme der Verleiher. Da i m konkreten Fall die Firma A D I A keine Arbeitgeberfunktionen erfüllte, sondern i m Ergebnis lediglich als „Durchgangsstelle für die Lohnzahlung" 1 4 tätig wurde, lag Arbeitsvermittlung und damit ein Verstoß gegen das Monopol der Bundesanstalt vor. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts rief i m übrigen unterschiedliche Reaktionen hervor. Die Stellungnahmen unmittelbar nach dem Urteilstermin waren überwiegend positiv. Je mehr Abstand zum Urteil gewonnen und je mehr Erfahrung m i t der neuen Rechtslage gesammelt wurde, desto problembewußter wurden die Stellungnahmen. So enthielt die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. A p r i l 196715 einen vehement zustimmenden Kommentar: Die „starre", an „verstaubten Zöpfen" hängende Arbeitsverwaltung sei vom Bundesverfassungsgericht „eines Besseren belehrt worden"; das Bundesverfassungsgericht habe sich zu Recht nicht von angeblichen Gefahren schrecken lassen, die Arbeitgebern und Arbeitnehmern nach Darstellung der A r beitsverwaltung drohten, wenn sie die Dienste eines privaten Arbeitnehmerüberlassers i n Anspruch nähmen. Das Bundesverfassungsgericht habe zu Recht die „Grundrechte über das Vermittlungsmonopol gestellt". Eine ähnliche uneingeschränkte Befürwortung brachte DIE ZEIT vom 14. A p r i l 196716. Auch i m juristischen Schrifttum regte sich i n der ersten Zeit nach diesem Urteil keine K r i t i k ; das ist deshalb bemerkenswert, weil vor dem Urteil die Äußerungen i m Schrifttum zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 37 Abs. 3 A V A V G i m Ergebnis übereinstimmend bejahend waren 1 7 .

13

Vgl. Seiter, Juristische Analysen 1971, S. 71. BSGE 31, 235 (245). 15 Rudolph, F A Z v o m 6. 4.1967, S. 17. 18 Bull, D I E Z E I T v o m 14. 4. 1967, S. 15; vgl. auch die Ablehnung von BVerfGE 21, 245 durch Bull, J Z 1967, S. 564 ff. 17 Nachweise bei Kühne, Diss. 1971, S. 121 u n d 129. 14

1.2. Folgen und Reaktionen

15

I n der Folgezeit erfuhr das Leiharbeiterwesen eine geradezu sprunghafte Ausdehnung. Zwar gab es über die genaue Anzahl der Leiharbeiter weder i n der Bundesrepublik noch i n den westeuropäischen Nachbarstaaten anfänglich amtliche Statistiken 18 . Die Veröffentlichungen auf diesem Gebiet beruhten zumeist auf Schätzungen. Jedoch läßt sich auch hieraus die Tendenz eindeutig erkennen. I m Gefolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gab es nach Schätzungen der Bundesanstalt i n der Bundesrepublik i m Jahr 1968 bereits insgesamt 145, i m Jahr 1969 ca. 350, 1970 zwischen 350 und 450, 1971 ca. 850 und i m Jahr 1972 ungefähr 950 Verleihunternehmen 19 . Dementsprechend wuchs auch — zum Teil m i t einer noch höheren prozentualen Steigerung — die Anzahl der Leiharbeitnehmer. Waren es zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des A V A V G i m Jahr 1957 noch 3000 pro Jahr, so stieg deren Zahl auf insgesamt 250 000 i m Jahr 197220, so daß keineswegs mehr von einer arbeitsrechtlichen Randerscheinung gesprochen werden konnte. Wenn auch die für das Jahr 1980 vom langjährigen Präsidenten des Unternehmensverbandes für Zeitarbeit (UZA) Then 2 1 prognostizierten 5 °/o des (legalen) Arbeitsmarktes längst nicht erreicht sind — es waren am 30. 6. 1979 von rund 20,6 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern nur 0,18% Leiharbeitnehmer 2 2 —, so darf diese auf den ersten Blick unscheinbare Zahl doch nicht unterschätzt werden. Auch ist hierbei der Bereich illegaler Arbeitnehmerüberlassung nicht erfaßt. Insgesamt gibt es über das Ergebnis eines gewaltigen und i n dieser Weise nicht vorhergesehenen Aufschwungs dieser Branche keinen Zweifel. Aber es ist nicht nur eine sprunghafte nominelle Steigerung ersichtlich; es sind auch Schwerpunktverlagerungen anderer A r t zu konstatieren 2 3 : Anfänglich lag der Hauptanteil der verliehenen Arbeitnehmer bei den weiblichen Arbeitskräften i n Büro- und Verwaltungsberufen. A b 1967 trat eine verstärkte Orientierung zu technischen Berufen i m gewerblichen Bereich auf, insbesondere i n den Sparten Metall-, Chemie- und Bauwesen. Damit erhöhte sich auch der A n t e i l an männlichen Leiharbeitern. Heute ist die Dominanz des Gewerbebereichs offensicht18

Vgl. Becker / Kreikebaum, Zeitarbeit, 1974, S. 56; Sturn, B B 1969, S. 1436. A l l e Zahlen, außer f ü r 1970, nach Becker, A Ü G , 1973, Einl. Rdnr. 68; zu 1970 vgl. Then, Handelsblatt v o m 12. 5.1970, S. 12; Starosta, Handelsblatt v o m 15./16. 5.1970, S. 17. 20 Vgl. f ü r 1957: Theuersbacher, Diss. 1960, S. 10 Fn. 14; f ü r 1972: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 6. Wahlperiode, S. 11 379. 21 Handelsblatt v o m 12. 5.1970, S. 12. 22 Vierter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der A n w e n dung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes — A Ü G , BT-Drucksache 8/4479 v o m 12. 9.1980, S. 16. 23 Vgl. dazu Schaible, Diplomarbeit 1979, S. 98 f. 19

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1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

lieh. Parallel zu dieser Entwicklung wurden i n zunehmendem Maße Mißstände bekannt. Es handelte sich i m wesentlichen u m die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen, den Abbau von K ü n d i gungsschutzrechten, Steuerhinterziehung, die Durchbrechung des arbeitsrechtlichen Prinzips der Tarifeinheit, die Einschränkung der Einstellung von Stammarbeitnehmern sowie betriebsverfassungsrechtliche Auswirkungen negativer A r t . Darauf w i r d an späterer Stelle noch näher eingegangen werden. Hier genügt die Feststellung, daß die Ermöglichung gewerblicher Arbeitnehmerüberlassung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine breite Palette sozialer Nachteile, besonders eine Gefährdung grundlegender sozialer Sicherungen der Arbeitnehmer nach sich gezogen hat. 1.3· Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Erste einschneidende Konsequenzen hieraus zog der Gesetzgeber m i t dem Erlaß des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AUG) vom 7. 8. 1972 (BGBl. I S. 1393). Es verstand sich als soziales Schutzgesetz i n dem nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verbliebenen Spielraum. I n der Amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf des A U G hieß es ausdrücklich, daß Einschränkungen der Berufsfreiheit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlasser geboten seien, u m bei der Arbeitnehmerüberlassung Verhältnisse herzustellen, die den Anforderungen eines sozialen Rechtsstaats entsprechen, und eine Ausbeutung der betroffenen Arbeitnehmer auszuschließen24. U m dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen, wurden Regelungen getroffen, die den höchstrichterlich gezogenen Rahmen konkretisieren sollten 25 . Es wurde angestrebt, sowohl den besonderen Bedürfnissen kurzfristiger Arbeitnehmerüberlassung — wirtschaftliche Befriedigung eines vorübergehenden Personalmehrbedarfs, Mobilisierung von A r beitskräftereserven — Rechnung zu tragen, als auch die nachteiligen Auswirkungen — Störungen des Arbeitsmarktes und des Lohngefüges — auszuschalten. Gleichzeitig sollte ein verstärkter arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Schutz angestrebt und durch Sanktionen gesichert werden. 24 BT-Drucksache VI/2303, S. 9 f. K r i t i s c h dazu, inwiefern das dem Gesetzgeber gelungen ist, vgl. Duda, Soziale Sicherheit 1973, S. 69 ff.; Heußner, D B 1973, S. 1802 f.; Mayer, A u R 1974, S. 355 ff.; Möller -Lucking, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 11 (1973), S. 55 ff.; Ramm, D B 1973, S. 1170 ff.; a. A . aber etwa Marschall, D B 1975, S. 303 ff. 25 Schriftlicher Bericht des Ausschusses f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Bericht des Abgeordneten Jaschke, Zu BT-Drucksache VI/3505. — Demgegenüber ist der Regierungsentwurf des A Ü G von Küchenhoff i n einem f ü r den Bundesverband Zeitarbeit erstatteten unveröffentlichten Gutachten „ A r b e i t s vermittlung, Zeitarbeitunternehmen u n d Grundgesetz" f ü r verfassungswidrig erklärt worden; vgl. auch Küchenhoff, Die Sozialgerichtsbarkeit 1971, S. 453 ff.

1.4. Die seitherige Entwicklung

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Als wichtigste Neuerung bestimmt A r t . 1 § 1 AÜG, daß die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung einer Erlaubnis bedarf. Die Erteilung der Erlaubnis w i r d davon abhängig gemacht, daß der Verleiher die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt und den sozialen Schutz der Leiharbeitnehmer gewährleistet. Die Erlaubnis w i r d i n der Regel auf ein Jahr befristet erteilt (§ 2 Abs. 4 Satz 1 AÜG). Die Erlaubnis oder ihre Verlängerung sind zu versagen, wenn einer der i n § 3 Abs. 1 und 2 A Ü G näher spezifizierten Gründe vorliegt. Wichtig sind hier insbesondere die Nrn. 3 bis 6 des Abs. 1, die Abweichungen vom gesetzlich vorausgesetzten B i l d des Leiharbeitsverhältnisses sowie eventuelle Umgehungspraktiken sanktionieren sollen. Die §§ 4 Abs. 1 Satz 2, 5 Abs. 2 Satz 2 i n Verbindung m i t § 2 Abs. 2 Satz 4 A Ü G normieren spezielle Rücknahme- und Widerrufsvoraussetzungen i m Fall einer bereits erteilten Erlaubnis. Rücknahme und Widerruf haben allerdings nur Wirkung für die Zukunft (§§ 4 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 1 AÜG); außerdem dürfen die nach § 1 A Ü G erlaubt abgeschlossenen Verträge noch bis zu 6 Monaten danach abgewickelt werden. Der Überwachung des Verleihers durch die Bundesanstalt dient eine Reihe von Anzeige- und Auskunftspflichten i n § 7 AÜG. Den Schutz des Arbeitnehmers soll § 11 Abs. 1 A Ü G verbessern, wonach der Verleiher verpflichtet ist, den wesentlichen Inhalt des Arbeitsverhältnisses i n eine von i h m zu unterzeichnende Urkunde aufzunehmen. Auch ist der Arbeitnehmer bei Vertragsschluß über den wesentlichen Inhalt des Gesetzes aufzuklären. Für den Fall, daß der Verleiher nicht die erforderliche Erlaubnis besitzt oder für den Fall, daß der Verleiher m i t den i h m obliegenden finanziellen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag — aus welchen Gründen auch immer — ausfällt, haftet der Entleiher subsidiär (§ 10 AÜG). — Für die weiteren Einzelheiten kann auf die vorliegenden Kommentare zum A Ü G verwiesen werden 26 . 1.4. Die seitherige Entwicklung Gleichzeitig m i t der Verabschiedung des Gesetzes hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ersucht 27 , alle zwei Jahre über die Erfahrungen bei der Durchführung des A Ü G zu berichten, u m daraus etwaige gesetzgeberische Konsequenzen ziehen zu können. Bisher liegen aus den Jahren 1974 bis 1980 vier Erfahrungsberichte vor 2 8 . Zusammengestellt wurden sie jeweils aus verschiedenen Quellen. Einmal sind enthalten Stellungnahmen und Erfahrungsberichte von Interessengrup28

Becker, 1973; Franssen / Haesen, 1974; Sandmann / Vielhaber, 1972; Schubei / Engelbrecht, 1973; vgl. auch Becker / Kreikebaum, Zeitarbeit, 1974. 27 Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 6. Wahlperiode, S. 11379. 28 BT-Drucksache 7/2365; BT-Drucksache 7/5631; BT-Drucksache 8/2025; BT-Drucksache 8/4479. 2 Pieroth

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1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

pen, Verbänden und Organisationen, wie insbesondere Deutscher Industrie- und Handelstag, Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften u. a. Diese Aussagen von Interessenten werden überlagert und relativiert durch Untersuchungen unabhängiger Forschungsinstitute, von denen üblicherweise eines oder zwei beauftragt wurden. Die Stellungnahmen der Interessenten lassen sich grob einteilen i n Personen und Organisationen, die das A Ü G und die Arbeitnehmerüberlassung i n ihrer jetzigen Form grundsätzlich befürworten, und solche, die für eine Veränderung eintreten, sei es durch eine Reform des AÜG, sei es durch Abschaffung der Arbeitnehmerüberlassung insgesamt. Die Arbeitgeber und die Verbände der Wirtschaft betonen, das Institut der Arbeitnehmerüberlassung trage dazu bei, den Unternehmen die notwendige personelle Flexibilität zur Aufrechterhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten 29 . Arbeitnehmerüberlassung sei zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Arbeitsmarktes geworden. Sie habe lückenausfüllende Funktion bei dem unvorhersehbaren kurzfristigen Ausfall von Stammarbeitnehmern. Außerdem sei es w i r t schaftlich nicht vertretbar, einen eigenen Personalstamm zur Abdekkung aller eventuellen Arbeitsspitzen zu unterhalten. Der Bereich der legal betriebenen Arbeitnehmerüberlassung besitze i m A Ü G eine klare gesetzliche Grundlage; auch für die Bekämpfung der illegalen A r beitnehmerüberlassung biete das Gesetz ausreichende Mittel. Demgegenüber ist der Deutsche Gewerkschaftsbund der Auffassung, daß das i m Jahre 1967 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf mittlerweile widerlegten Grundannahmen beruhe 30 . Die zunehmend negative Entwicklung der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung berechtige keineswegs mehr zu der Hoffnung, daß durch eine Novellierung des A Ü G ein ausreichender sozialer Schutz der betroffenen Arbeitnehmer erreicht werden könnte. Kontrollen der zuständigen Behörden seien praktisch wirkungslos. Der illegale Verleih habe sich ungehindert ausdehnen können. Insgesamt w i r d von dieser Seite ein gesetzliches Verbot der Arbeitnehmerüberlassung gefordert. Überblickt man alle vier vorliegenden Berichte der Bundesregierung, muß festgestellt werden, daß sich an den Arten der hier beschriebenen Mißstände i m Verlauf der Jahre wenig geändert hat. Allerdings war die Häufigkeit einzelner Punkte unterschiedlich, und insgesamt hat das Kritikwürdige stetig zugenommen. Darüber hinaus ergibt sich, daß 29 Vgl. hierzu u n d zum folgenden den Vierten Bericht, BT-Drucksache 8/4479, S. 20—23. 30 Vgl. hierzu u n d z u m folgenden den Vierten Bericht, BT-Drucksache 8/4479, S. 19.

1.5. Der Bericht der Bundesregierung von 1980

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gewisse Mißstände immer resistenter gegenüber einer Behebung werden. Bestes Beispiel hierfür ist die mittlerweile stark verfeinerte Verschleierungspraxis, bei der Arbeitnehmerüberlassung als Durchführung eines Werkvertrages getarnt wird. Solche Werkverträge entziehen sich weitgehend der Kontrolle durch Gerichte. Kleinere Änderungen des A Ü G 8 1 haben an den beschriebenen Tendenzen nichts ändern können. 1.5. Der Bericht der Bundesregierung von 1980 Die wesentlichen Einzelergebnisse des neuesten, des Vierten Berichtes der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes 32 sind die folgenden: Es w i r d anhand von Statistiken belegt, nicht mehr nur geschätzt, wie rapide dieser Teilarbeitsmarkt angewachsen ist. Für den Bereich des legalen Verleihs ist sowohl eine steigende Zahl von Leiharbeitgebern wie von Leiharbeitnehmern zu verzeichnen. Nachdem — w o h l i m Gefolge des Erlasses des A Ü G — die Zahl der Verleiher vorübergehend zurückgegangen war, wurde zum Stichtag des 31. 12. 1979 der bisher höchste Stand von 1205 Verleihern erreicht, was eine Steigerung gegenüber dem vorherigen Berichtszeitraum von knapp 50 % bedeutet. Die Steigerungsrate der verliehenen Personen gegenüber dem vorhergehenden Berichtszeitraum liegt bei 71 °/o. Regionale Schwerpunkte der Verleihtätigkeit sind die industriellen Ballungsgebiete. Männliche Leiharbeitnehmer arbeiten vor allem i m Baubereich. Unter ihnen findet sich ein erheblicher Anteil ausländischer Leiharbeitnehmer. Wie i n den Jahren vorher ist man für den illegalen Bereich weiterh i n auf Schätzungen angewiesen. Der Gesamtumfang des illegalen Verleihs soll den des legalen Verleihs erheblich übersteigen 33 . Ein besonderer Schwerpunkt der Illegalität liegt i m Bau- und Metallbereich. Unter den illegal arbeitenden Arbeitnehmern sind Ausländer besonders stark vertreten. Selbst i m übrigen seriöse Firmen bedienen sich illegaler Leiharbeitnehmer, u m wettbewerbsfähig zu bleiben. Die sozial· und arbeitsrechtlichen Auswirkungen sind, je nachdem ob es sich u m den legalen oder illegalen Bereich handelt, unterschiedlich. I m Bereich der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung kommen Verstöße etwa gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften kaum vor. Beobachtet worden sind dagegen Verstöße gegen Vorschriften des AÜG, wie ζ. B.: 31 ζ. B. am 25. 6. 1975 (BGBl. I S. 1542) u n d a m 14. 12. 1976 (BGBl. I S. 3341); vgl. dazu auch Becker, Blätter f ü r Steuerrecht, Sozialversicherung u n d A r beitsrecht 1976, S. 225 ff. 32 BT-Drucksache 8/4479; die folgenden Angaben auf S. 6 ff. 33 Vgl. zum folgenden BT-Drucksache 8/4479, S. 11 ff.; ausführlich zur Umgehung sozialer Schutzvorschriften i n der Praxis der Arbeitnehmerüberlassung auch Hempel, Das Spannungsverhältnis . . . , 1975, S. 32 ff., 112 ff.

2*

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1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

Überschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen Höchstdauer der Überlassung von drei Monaten, Verstöße gegen das Befristungsverbot i n den Arbeitsverträgen und dergleichen. Bei den illegalen Verleihern gibt es zwei Gruppen, die vor allem i n der Bau- und Metallbranche angetroffen werden. Die einen — die Mehrzahl — wahren den Schein der Legalität, w e i l sie zwar die Erlaubnis nach dem A Ü G besitzen, sich i n ihrer konkreten Arbeit aber nicht oder nur teilweise nach dessen sonstigen Anforderungen richten. Ein geringerer Teil arbeitet konsequent illegal, d. h. also auch ohne Erlaubnis nach dem AÜG. A r t und Umfang der Verstöße sind bei den konsequent illegal arbeitenden Verleihern am schwerwiegendsten. Die Palette reicht hier vom Verstoß gegen die Erlaubnispflicht, von vielfältigen Übervorteilungen der Arbeitnehmer auf sozialversicherungsrechtlichem Gebiet und Verstößen gegen das Befristungsverbot über Kündigungen während einer Krankheit des Arbeitnehmers bis h i n zu Verstößen gegen Strafgesetze. Weitere Ergebnisse des Berichtes sind: Die legale Arbeitnehmerüberlassung hat nur i n geringem Ausmaß dem M a r k t zusätzliche Arbeitskräfte zugeführt 34 . Leiharbeitnehmer werden sowohl zur Deckung von Spitzenbedarf als auch zur Besetzung von Dauerarbeitsplätzen verwendet. Die Abwerbung von Stammarbeitnehmern durch Leiharbeitsfirmen hat sozial- und arbeitsmarktpolitisch nachteilige Auswirkungen. Leiharbeit erhöht das innerbetriebliche Konfliktpotential i m Entleiherbetrieb, und zwar wegen der unterschiedlichen Entlohnung von Leihund Stammarbeitnehmern an den gleichen Arbeitsplätzen, wegen der Gefährdung von Stammarbeitsplätzen und wegen der Schwächung der auf den besonderen Fall der Arbeitnehmerüberlassung nicht zugeschnittenen betrieblichen Interessenvertretung 35 . Die personelle, sachliche und kompetenzmäßige Ausstattung der Kontrollorgane der A r beitsverwaltung, die zur Bekämpfung dieser Mißstände erforderlich wäre, ist nicht gegeben. Die Kontrolle des legalen Verleihs hat sich als wenig effektiv herausgestellt; die Erfassung des illegalen Verleihs gestaltet sich infolge der nur schätzbaren Dunkelziffer und der vielfältigen Verschleierungsmethoden noch schwieriger 36 . Die Folgerungen, die aus diesen Daten gezogen werden, sind i n dem i m Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erstellten Entw u r f des Vierten Berichts und i n dem von der Bundesregierung verabschiedeten Bericht unterschiedlich. I m Entwurf w i r d ein für alle Bereiche geltendes Verbot der Arbeitnehmerüberlassung nicht für op34 35 36

BT-Drucksache 8/4479, S. 9. ISO I, S. 77 ff. Vgl. BT-Drucksache 8/4479, S. 23 ff.

1.5. Der Bericht der Bundesregierung von 1980

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portun gehalten, w e i l bisher noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien, durch eine Verschärfung der gesetzlichen Überwachungsmöglichkeiten den Mißständen entgegenzutreten 37 . Dagegen w i r d für den Bereich der Bauwirtschaft ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung für notwendig gehalten, da auf andere Weise Ordnung i n diesem Bereich' nicht mehr herzustellen sei. Der Zahl von ca. 6000 legal arbeitenden Leiharbeitnehmern i m Baubereich stünden ca. 200 000 Illegale gegenüber. Angesichts der Tatsache, daß es Unternehmen gibt, die gleichzeitig sowohl legale als auch illegale Arbeitnehmer beschäftigen, sei eine Kontrolle sehr erschwert. Neben diesem Verbot i n einem Teilbereich werden für die anderen Bereiche Änderungen des A Ü G für ausreichend, aber auch für geboten erachtet. Insbesondere sollen die bisher noch auf den Verleiherbetrieb beschränkten Kontroll- und Überwachungsrechte der Bundesanstalt auf die Betriebe der Entleiher ausgedehnt werden. Die Verletzung der Dreimonatsfrist (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG), des Befristungsverbots (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) und des Verbots der Deckungsgleichheit (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 5 AÜG), die bisher m i t dem Entzug der Erlaubnis geahndet werden können, sollen — da diese Maßnahme für manche Fälle unverhältnismäßig ist und dementsprechend selten praktiziert w i r d — zusätzlich als Ordnungswidrigkeitstatbestände ausgestaltet werden. Da die Bearbeitung der Erlaubnis- und Verlängerungsanträge ebenso wie die Überwachung der legalen Verleiher und die Bekämpfung des illegalen Verleihs hohe Kosten verursacht, sollen diese durch eine Konzessionsabgabe der Verleiher ausgeglichen werden. Speziell zur Bekämpfung des illegalen Sektors werden noch weitere Einzelmaßnahmen vorgeschlagen, beispielsweise die Schaffung einer gesetzlichen Vermutung für das Vorliegen gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung bei bestimmten Erscheinungsformen der Entsendung von Arbeitnehmern. Schließlich werden i n dem Entw u r f noch Änderungen des Lohnfortzahlungsgesetzes und der Gewerbeordnung vorgeschlagen 38 . Die zahlreichen Änderungsvorschläge samt ihrer Begründung sind i n den von der Bundesregierung verabschiedeten Vierten Bericht nicht übernommen worden. Es heißt dort lediglich 3 9 : „Über die nach diesem Bericht notwendigen Maßnahmen werden Bundesregierung und Gesetzgeber i n der nächsten Legislaturperiode zu entscheiden haben."

37 Hierzu u n d zum folgenden der (unveröffentlichte) E n t w u r f des Vierten Berichtes der Bundesregierung v o m 4. 6.1980, S. 79 ff. 38 E n t w u r f (wie Fn. 37), S. 85. 39 BT-Drucksache 8/4479, S. 27,

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1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung 1.6. Die Regierungsentwürfe vom September 1981

Die neueste Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, daß der Gesetzgeber ernsthaft beginnt, aus den geschilderten schwerwiegenden Mißständen Konsequenzen zu ziehen. So ist i m September 1981 der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz — A F K G ) 4 0 eingebracht worden, dessen A r t . 1 § 1 Nr. 2 folgende Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vorsieht: Nach § 12 w i r d folgender § 12 a eingefügt: „Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung in Betriebe der Bauwirtschaft ist unzulässigFerner bestimmt A r t . 1 § 2 Nr. 2 A F K G : „§ 12 a gilt für gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung aufgrund eines vor dem 1. Januar 1982 abgeschlossenen Vertrages zwischen Verleiher und Entleiher erst ab 1. A p r i l 1982, wenn die Überlassung an den Entleiher vor dem 1. Januar 1982 begonnen hat." Diese Maßnahme w i r d wie folgt begründet: „ I m Baugewerbe hat die Zulassung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung die Ordnung dieses Teilarbeitsmarktes und die soziale Sicherheit eines Teils der dort Tätigen gefährdet. 1980 waren i n der Bauwirtschaft ungefähr 6000 legale Leiharbeitnehmer tätig; die Zahl der illegalen Leiharbeitnehmer liegt erheblich höher. Die relativ hohe Zahl der legal und illegal tätigen Leiharbeitnehmer führt vornehmlich i m Baugewerbe zu besonders nachteiligen Auswirkungen. A u f Leiharbeitnehmer finden die Tarifverträge des Wirtschaftszweiges, i n dem sie eingesetzt werden, keine Anwendung. Daher bleibt ein bedeutender Teil der i m Baugewerbe tatsächlich tätigen Arbeitnehmer vom sozialen Schutz der auf ihre Tätigkeit zugeschnittenen tariflichen Regelungen ausgeschlossen. Diese Arbeitnehmer erhalten insbesondere keine Leistungen von den Sozialkassen der Bauwirtschaft, der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse und der Zusatzversorgungskasse (Einrichtung und Tätigkeit der Kassen beruhen auf Tarifverträgen, die für allgemeinverbindlich erklärt worden sind). Unternehmen, die Leiharbeitnehmer verleihen, haben einen erheblichen Wettbewerbsvorsprung gegenüber Bauunternehmen, die nur Stammarbeitnehmer beschäftigen, w e i l Verleiher für ihre i m Baugewerbe tätigen Arbeitnehmer insbesondere auch keine Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes entrichten (derzeitiger Beitragssatz: 22,5 v. H. der Bruttolohnsumme des Betriebs). Auch die Verleiher, die i n die Bauwirtschaft verleihen, haben Wettbewerbsvorteile gegenüber Bauunternehmen, die ähnliche Leistungen i m Rahmen von Werkverträgen erbringen. Der vergleichsweise hohe A n t e i l illegaler Leiharbeitnehmer i m Baubereich, insbesondere von Ausländern ohne A r beitserlaubnis, bringt die Gefahr m i t sich, daß auch Verleiher m i t einer 40

BT-Prucksaçhç 9/846.

1.6. Die Regierungsentwürfe vom September 1981

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Erlaubnis illegal dadurch handeln, daß sie Ausländer ohne Arbeitserlaubnis oder Leiharbeitnehmer länger als drei Monate verleihen, wobei sie nicht selten den Verleih als Durchführung von Werkverträgen tarnen. I m Baubereich gibt es Unternehmen, die sowohl legale als auch illegale Leiharbeitnehmer gleichzeitig beschäftigen. Daher kann sich hier i m Schatten des legalen Arbeitskräfteverleihs die illegale A r beitnehmerüberlassung betätigen. Dies w i r d durch die Überwachungsschwierigkeiten auf ständig wechselnden Baustellen noch erleichtert. Für den Bereich der Bauwirtschaft ist daher allein durch eine Ausweitung der Vorschriften über Kontrollrechte und Meldepflichten — die der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vorsieht — die Ordnung auf diesem Teilarbeitsmarkt nicht herzustellen. Es ist vielmehr ein Verbot jeder Form der Arbeitnehmerüberlassung notwendig." 4 1 Gleichzeitig wurde der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung (BillBG) 4 2 eingebracht. A r t . 1 dieses Entwurfs enthält folgende Änderungen des AÜG: a) Einführung eines Bußgeldes für Entleiher und Leiharbeitnehmer bei Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis b) Überwachungsmöglichkeiten der Bundesanstalt für Arbeit i m Entleiherbetrieb c) Erhöhung des Bußgeldrahmens für illegale Verleiher und Entleiher d) Beteiligungsrechte des Betriebs- und Personalrats des Entleiherbetriebes e) Abbau von Hemmnissen für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit der an der Bekämpfung illegaler Beschäftigung beteiligten Behörden. Aus der Maßnahme a) folgt b) nach der Begründung des Entwurfs deshalb, w e i l „Durchsuchungen des Geschäftsbetriebes des Entleihers als Tatverdächtigen nach § 102 StPO vorgenommen werden können, wenn Tatverdacht vorliegt. Da die Bundesanstalt für Arbeit i m Bußgeldverfahren wegen des Verdachts illegaler Leiharbeit dieselben Rechte wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten hat (§ 17 AÜG, § 46 Abs. 2 OWiG), kann sie nunmehr auch Entleiherbetriebe bei einfachem Tatverdacht betreten und durchsuchen." 43 — Der Bußgeldrahmen soll „angesichts der Zunahme illegaler Leiharbeit und der inzwischen erhöhten Gewinne, die auf unrechtmäßige A r t und 41 42 43

BT-Drucksache 9/846, S. 35 f. BT-Drucksache 9/847. BT-Drucksache 9/847, S. 9; ebenda das folgende Zitat.

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1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

Weise erzielt wurden", erhöht werden. — Daß die Leiharbeitnehmer i n gewissem Umfang betriebsverfassungsrechtlich auch dem Betrieb des Entleihers zugeordnet werden sollen, ist die Folge daraus, daß sie — obwohl nach wie vor Arbeitnehmer des Verleihers — doch ihre konkrete Arbeitsstätte i m Betrieb des Entleihers haben. — I n einem vorgeschlagenen § 17 a schließlich w i r d ein Gebot der Zusammenarbeit aller für die Verfolgung und Ahndung illegaler Beschäftigung zuständigen Behörden sowie eine erweiterte Pflicht zur gegenseitigen Unterrichtung aufgestellt. Die illegale Beschäftigung (einschließlich der illegalen Arbeitnehmerüberlassung) hat nach der Begründung dieses Regierungsentwurfs folgende „vielfältige negative Auswirkungen: — Durch zunehmende illegale Beschäftigung werden bestehende Regale' Arbeitsplätze gefährdet und die Schaffung neuer ,legaler' A r beitsplätze behindert. Dadurch werden die Beschäftigungssituation und die Beschäftigungschancen von Arbeitsuchenden verschlechtert. — Illegale Beschäftigung gefährdet die soziale Sicherung der Arbeitnehmer, w e i l die Vorschriften über Kranken-, Unfall- und Altersversicherung umgangen werden. — Illegale Beschäftigungspraktiken gehen oft einher m i t vergleichsweise schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen. — Illegale Beschäftigung führt zu Ausfällen von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern i n beachtlichem Ausmaß. — Unternehmen, die sich an die Gesetze halten, haben erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber illegal arbeitenden Konkurrenten." 4 4 1.7. Fragestellung der Untersuchung I n dieser Situation stellt sich die Frage, wie der Gesetzgeber die Mißstände bekämpfen kann. Das ist zunächst ein Problem der zur Verfügung stehenden Regelungsinstrumente und der erfolgversprechenden tatsächlichen Ansatzpunkte für ein gesetzgeberisches Einschreiten. Soweit die Regelungsinstrumente nicht ausreichend erscheinen und/oder keinen tatsächlichen Erfolg versprechen, kommt als schwerstes Geschütz ein partielles oder sogar totales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung i n Betracht. Spätestens dann w i r d das Problem der Bekämpfung der Mißstände auch zur Verfassungsfrage. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte ja i m Jahre 1967 das bis dahin bestehende Verbot privater Arbeitnehmerüberlassung als Verstoß gegen A r t . 12 Abs. 1 44

BT-Pruçkçache 9/847, S.

1.7. Fragestellung der Untersuchung

25

GG aufgehoben. Berücksichtigt man die seitdem vergangene Zeit, läßt sich die Verfassungsfrage i n zwei Teilfragen aufspalten: (1) die Vereinbarkeit eines Verbots m i t A r t . 12 Abs. 1 GG und (2) die Frage danach, ob und wieweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeber heute noch bindet, d. h. also unabhängig vom Ergebnis zu (1) ein gesetzgeberisches Verbot verfassungsrechtlich unzulässig macht. Die Vereinbarkeit eines partiellen oder totalen Verbots m i t A r t . 12 Abs. 1 GG müßte darum den einen Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion bilden. Prinzipiell ließe sich die Diskussion insoweit auf drei Ebenen führen: (a) War das Verbot i m Jahre 1967 unter Berücksichtigung der damaligen tatsächlichen und rechtlichen Lage verfassungsgemäß? (b) War das Verbot i m Jahre 1967 unter Berücksichtigung der damaligen tatsächlichen Lage, aber unter Anlegung heutiger verfassungsrechtlicher Erkenntnisse verfassungsgemäß? (c) Wäre das Verbot heute unter Anlegung heutiger verfassungsrechtlicher Erkenntnisse verfassungsgemäß? Die Fragestellung zu (a) läuft auf eine K r i t i k der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinaus, und zwar als eine immanente, auf den eigenen Prämissen des Gerichts aufbauende sowie als eine solche K r i t i k , die ein objektiver Beobachter damals hätte üben können. Da nicht zuletzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selbst sich fortentwickelt, kann diese Blickrichtung für die jetzt zu entscheidenden Fragen nicht primär sein. Jedoch können Schwächen damaliger Argumentation auch noch heute Bedeutung erlangen. Trägt man demgegenüber — w i e zu (b) — der Fortentwicklung der Rechtsprechung, nicht aber den veränderten tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung, dann schärft das zwar das Wahrnehmungsvermögen für die Grundlagen der damaligen Entscheidung — was für die Frage ihrer Bindungskraft relevant werden kann —, aber leitend sollte auch diese Blickrichtung nicht sein; denn das damalige Urteil hat selbst tatsächliche Veränderungen bewirkt, die bei heutiger Beurteilung nicht übergangen, vielmehr für diese Beurteilung konstitutiv werden können. A m sinnvollsten erscheint daher die Fragestellung zu (c): Wäre es hic et nunc verfassungsrechtlich zulässig, die private Arbeitnehmerüberlassung zu verbieten? Da der vorgeschlagene § 12 a A F G ein partielles Verbot der Arbeitnehmerüberlassung begründet, konzentriert sich die folgende Untersuchung auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Regierungsentwurfs. Entsprechend der oben genannten Aufspaltung bedingt das zum einen ein genaues Eingehen auf die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit (unten 3.) und auf die Bindungskraft bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen (unten 4.). Vor-

26

1. Die heutige Problematik der Arbeitnehmerüberlassung

ausgeschickt sei jedoch ein Abschnitt über die historische Entwicklung i m Bereich der Arbeitnehmerüberlassung (unten 2.), zum einen w e i l das Verständnis der hier behandelten Problematik ganz allgemein dadurch gefördert wird, zum andern w e i l dabei — i m Sinn der Fragestellung zu (a) — einer der schwächsten Punkte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. A p r i l 1967 aufgedeckt wird.

2. Zur geschichtlichen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland 2.1. Die geschichtliche Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung bis 1967 2.1.1. Die Zeit vor 1922

Leiharbeit oder Arbeitnehmerüberlassung als eigenständiges Phänomen hat sich erst i m 20. Jahrhundert herausgebildet. Davor hing Leiharbeit untrennbar m i t Fragen der Arbeitsvermittlung zusammen. Von dieser muß daher auch ein historischer Abriß seinen Ausgang nehmen. I n der frühen Neuzeit wurde Arbeitsvermittlung faktisch von den Zünften geleistet, die Arbeitsnachweise vor allem für reisende Handwerksgesellen vergaben. I n nicht zünftisch verfaßten Bereichen, namentlich für Gesinde, entwickelte sich eine private gewerbsmäßige Stellenvermittlung. M i t der Industrialisierung breitete diese sich kräftig aus. Dabei traten erhebliche Mißstände auf; vor allem wurden Arbeitgeber und Arbeitnehmer häufig zum Vertragsbruch verleitet, damit eine kostenpflichtige Neuvermittlung vorgenommen werden konnte. Als Reaktion hierauf wurde der sogenannte öffentliche Arbeitsnachweis geschaffen. Darunter wurde die Vermittlung angemeldeter freier Arbeitsplätze durch eine staatliche Stelle verstanden. Das Stellenvermittlergesetz vom 2. 6. 1910 (RGBl. I S. 860) brachte eine reichseinheitliche Regelung. Es beschränkte sich jedoch auf — wenn auch gegenüber vorangegangenen Novellen zur Gewerbeordnung verschärfte — staatliche Kontrollmaßnahmen. Ein zu dieser Zeit schon erwogenes Verbot der gewerbsmäßigen Stellenvermittlung scheiterte vor allem an dem damals noch unzulänglichen Ausbau der öffentlichen Arbeitsverwaltung 1 . 2.1.2. Das Arbeitsnachweisgesetz von 1922

Durch das Arbeitsnachweisgesetz (ANG) vom 22. 7. 1922 (RGBl. I S. 657) wurden die umfassenden organisatorischen und institutionellen Voraussetzungen für eine vom Staat betriebene Arbeitsvermittlung als öffentliche Aufgabe geschaffen 2. Damit wurde eine grundsätzlich neue 1 Z u m Vorstehenden vgl. näher Bethge, Diss. 1962, S. 5—37; Draeger / Buchwitz / Schönefelder, A V A V G , 1961, Bd. 2, S. 2 f., 8—10; Kühne, Diss. 1971, S. 51—60; Siebrecht, Handbuch der A r b e i t s v e r m i t t l u n g u n d Berufsberatung, 1959, S. 27—50. 2 Vgl. Becker, A Ü G , 1973, Einl. Rdnr. 36; Bethge, Diss. 1962, S. 38—41; Kühne, Diss. 1971, S. 60 f.; Siebrecht, Handbuch (wie Fn. 1), S. 50—52.

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2. Zur geschichtlichen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung

Entwicklungsrichtung eingeschlagen: Das A N G begründete das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol. Jede gewerbsmäßige Stellenverm i t t l u n g wurde ab dem 1. 1. 1931 verboten (vgl. § 48 Abs. 1 ANG). Dadurch sollte ein allmähliches Auslaufen privatwirtschaftlicher Tätigkeit auf diesem Gebiet bewirkt werden; die nicht-gewerbsmäßige Vermittlung wurde vom Verbot ausgenommen. Es ist nun interessant, daß die Arbeitnehmerüberlassung i n dieses Gesetz einbezogen wurde; das Verbot gewerbsmäßiger ArbeitnehmerÜberlassung ist also so alt wie die staatliche Monopolisierung der A r beitsvermittlung überhaupt. § 48 Abs. 5 A N G lautete nämlich: „Als gewerbsmäßige Stellenvermittlung gilt ferner die Zuweisung von A r beitnehmern, deren Arbeitskraft der Zuweisende gewerbsmäßig dritten Personen für vorübergehende Beschäftigung zur Verfügung stellt, ohne selbst die Ausrüstung m i t den erforderlichen Werkzeugen und die sozialen Versicherungslasten des Arbeitgebers für die vermittelten Personen zu übernehmen." Hiermit sollte das „Leiharbeitnehmerunwesen" jener Zeit beseitigt werden 3 . Allerdings konnte das Gesetz insoweit leicht umgangen werden, als die Arbeitsvermittler die Arbeitsausrüstung und die Versicherungsbeiträge übernahmen, u m so die fehlende Arbeitgebereigenschaft vorzutäuschen. 2.1.3. Gesetzesänderungen bis 1933

Die politisch seit längerem geforderte organisatorische Verbindung von Arbeitsnachweisen und Arbeitslosenversicherung wurde durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. 7. 1927 (RGBl. I S. 187) realisiert 4 . Für den Bereich der A r beitsvermittlung änderte sich durch dieses Gesetz nichts Wesentliches. § 54 Abs. 1 A V A V G brachte eine Legaldefinition der gewerbsmäßigen Stellenvermittlung. I m übrigen wurde aber § 48 Abs. 5 A N G wörtlich i n § 54 Abs. 3 A V A V G übernommen. Weiterhin wurde also gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung als verbotene Stellenvermittlung fingiert. Eine beachtliche Änderung der Rechtslage brachte sodann die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 6. 10. 1931 (RGBl. I S. 538)5. Danach kam es zwar weiterhin für die Frage, ob gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung und damit verbotene Stellenvermittlertätigkeit vorliegt, darauf an, ob der Verleiher Arbeitgeber des Verliehenen ist oder nicht: I m ersten Fall liegt erlaubte, i m zweiten Fall verbotene A r 8

So Bethge, Diss. 1962, S. 40 Fn. 4; Kühne, Diss. 1971, S. 75. Z u diesem Gesetz: Becker, A Ü G , 1973, Einl. Rdnr. 37; Bethge, Diss. 1962, S. 42a; Draeger / Buchwitz / Schönef elder, A V A V G , 1961, Bd. 2, S . l l f.; Kühne, Diss. 1971, S. 76; Siebrecht, Handbuch (wie Fn. 1), S. 53 f. 5 Vgl. zum folgenden vor allem Kühne, Diss. 1971, S. 77 f. 4

2.1. Die geschichtliche Entwicklung bis 1Ô67 beitnehmerüberlassung vor. Aber die Neuregelung äußerte sich nicht mehr i n der genannten eingeschränkten A r t über die Arbeitgebereigenschaft. Damit wurde bewirkt, daß nur dann keine verbotene Stellenvermittlung vorliegt, wenn der Verleiher w i r k l i c h Arbeitgeber des Verliehenen ist, und das heißt: alle typischen Arbeitgeberrisiken und -pflichten übernimmt. Die Umgehungsmöglichkeiten wurden abgebaut; der Nachweis des Verleihers, kein Vermittler zu sein, wurde erschwert. 2.1.4. Die Zeit des Nationalsozialismus

Die nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eingeleitete Zentralisierung erfaßte auch den vorliegenden Bereich. Die Elemente der Selbstverwaltung i n der Arbeitsverwaltung wurden beseitigt und durch das Führerprinzip ersetzt. Das Gesetz über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung vom 5. 11. 1935 (RGBl. I S. 1281) änderte selbst nichts an der bisherigen Rechtslage. Sein § 1 Abs. 1 begründete das Arbeitsvermittlungsmonopol der Reichsanstalt für Arbeit; gemäß § 1 Abs. 3 konnte allerdings der Reichs^ arbeitsminister i n Zusammenarbeit m i t dem Präsidenten der Reichsanstalt für einzelne Berufe eine Arbeitsvermittlung durch andere Organisationen zulassen®. Eine bedeutsame Änderung ergab sich jedoch durch die Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz vom 26. 11. 1935 (RGBl. I S. 1361), zu der § 3 des Gesetzes den Reichsarbeitsminister ermächtigte 7 . Sie hob § 54 A V A V G auf und ließ damit die Einbeziehung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung i n die Arbeitsvermittlung und das für diese begründete Monopol entfallen. Die praktische Bedeutung dieser neuen Rechtslage w a r jedoch gering: Weil der gesamte Arbeitsmarkt i n dieser Zeit durch Regelungen über Dienstverpflichtung, Arbeitsbuch und Arbeitseinsatz nicht mehr p r i v a t w i r t schaftlich funktionierte, w a r rein faktisch auch für gewerbsmäßige A r beitnehmerüberlassung kein Raum. 2.1.5. Die Nachkriegsentwicklung

Durch den Kontrollratsbefehl Nr. 3 vom 17. 1. 1946 (ABl. Nr. 6 S. 131) übertrugen die Besatzungsmächte den wiedererrichteten Arbeitsämtern die ausschließliche Verfügung über die Arbeitskräfte. Die private Stellensuche oder Arbeitskräftewerbung wurde untersagt. Es wurden also die Methoden des Arbeitskräfteeinsatzes übernommen 8 . Diese Zwangs6 Gebrauch gemacht w u r d e hiervon f ü r Künstler, vgl. Kühne, Diss. 1971, S. 78; Siebrecht, Handbuch (wie Fn. 1), S. 56. 7 Vgl. hierzu Bethge, Diss. 1962, S. 45 ff.; Kühne, Diss. 1971, S. 78 ff.; Siebrecht, Handbuch (wie Fn. 1), S. 55 f.; ungenau: Draeger / Buchwitz / Schönefelder, A V A V G , 1961, Bd. 2, S. 13. 8 Vgl. Kleiner, Diss. 1971, S. 25.

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2. Zur geschichtlichen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung

bewirtschaftung endete m i t dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. 5. 1949. Die Entwicklung unter dem Grundgesetz knüpfte an die Tradition der Weimarer Zeit an; insbesondere wurden die Grundsätze der selbstverwalteten, kooperativ verfaßten Arbeitsverwaltung wieder aufgegriffen. Erkennbar ist dies etwa daran, daß bei der Bildung des Bundesarbeitsministeriums i m Jahr 1949 die Arbeitsverwaltung nicht i n dieses Ministerium als Abteilung eingegliedert wurde 9 . Das Gesetz über die Errichtung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. 3. 1952 (BGBl. I S. 123) schuf ähnlich der Reichsanstalt vor 1933 eine von den Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und anderen Organisationen getragene Institution. A u f der gleichen Linie liegt das Gesetz über die Wiederaufnahme der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung durch Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege vom 9. 7. 1954 (BGBl. I S. 179); dadurch wurden Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, die bis zum 31. Januar 1933 erlaubterweise Arbeitsvermittlung betrieben hatten und ihre Tätigkeit aufgrund nationalsozialistischer Maßnahmen einstellen mußten, wieder zugelassen. Es ist behauptet worden 1 0 , daß die durch die genannte Durchführungsverordnung des Reichsarbeitsministers vom 26. 11. 1935 hergestellte Rechtslage bis zum Inkrafttreten des A V A V G i n der Neufassung vom 3. 4. 1957 bestehen geblieben sei. Das würde bedeuten, daß i n dieser Zeit die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zulässig gewesen ist. Dagegen spricht jedoch die eben geschilderte Entwicklung zwischen 1946 und 1957. Auch ging man bei der Schaffung des § 37 Abs. 3 A V A V G i n der Fassung von 1957, die die Einbeziehung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung i n das Arbeitsvermittlungsmonopol, wie schon i n der Weimarer Zeit, enthielt, davon aus, daß dies dem bisherigen Recht entspreche 11 . Dafür spricht auch die Problemlosigkeit, m i t der § 37 Abs. 3 A V A V G alle Stadien der Gesetzgebung durchlief 1 2 . I n diesem Zusammenhang ist schließlich noch bemerkenswert, daß keinerlei Probleme darin gesehen wurden, daß die Bundesrepublik Deutschland dem Übereinkommen Nr. 96 der Internationalen Arbeits9

Vgl. Bethge, Diss. 1962, S. 49. V o n Kühne, Diss. 1971, S. 78 f. 11 Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, S. 9396. 12 Einzelheiten bei Kühne, Diss. 1971, S. 81—86, der daraus das Fazit zieht: „ E r muß somit hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit u n d seiner rechtspolitischen Zielsetzung als Ausdruck des insoweit übereinstimmenden damaligen Willens von Bundesregierung, Bundesrat u n d Bundestag angesehen werden." 10

2.2. Zur historischen Argumentation des Bundesverfassungsgerichts

31

organisation (ILO) beitrat, was durch Ratifizierungsgesetz vom 15. 4. 1954 (BGBl. I I S. 456) geschehen ist 1 3 . A r t . 3 dieses Übereinkommens bestimmt nämlich, daß auf Gewinn gerichtete Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung innerhalb eines begrenzten Zeitraumes aufzuheben sind. Befreiungen von dieser Bestimmung sind gemäß A r t . 5 Abs. 1 nur „ i n bezug auf die von der Gesetzgebung genau bezeichneten Kategorien von Personen zu gewähren, für deren angemessene Verm i t t l u n g i m Rahmen der öffentlichen Arbeitsmarktverwaltung nicht vorgesorgt werden kann, jedoch nur unter der Bedingung, daß i n solchen Fällen die beteiligten Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer i n geeigneter Weise angehört werden". Das Internationale A r beitsamt hat die Auffassung vertreten, daß auch die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung als verbotene entgeltliche private Arbeitsvermittlung i m Sinne des ILO-Übereinkommens Nr. 96 anzusehen ist. 2.2. Zur historischen Argumentation des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1967 Die geschichtliche Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung spielt auch eine Rolle i n der eingangs referierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. A p r i l 1967; und zwar w i r d sie am Ende der Entscheidungsgründe als zusätzliches Argument für die Verfassungswidrigkeit des § 37 Abs. 3 A V A V G eingeführt 14 . Allerdings bringt das Gericht selbst die historischen Argumente i n einer sehr zurückhaltenden A r t und Weise ins Spiel; es stellt nämlich einleitend fest: „Auch die geschichtliche Entwicklung läßt die Ausdehnung des Vermittlungsmonopols auf die Arbeitnehmer-Uberlassungsverträge nicht als unabweisbar erscheinen." Die folgenden, der Begründung dienenden historischen Fakten lassen erkennen, warum däs Gericht an dieser Stelle nicht affirmativer ist. Die Entscheidung fährt fort: „Allerdings bezieht schon das Arbeitsnachweisgesetz vom 22. J u l i 1922 die Arbeitnehmer-Überlassungsverträge i n die gewerbsmäßige Stellenvermittlung ein; dem ist das u r sprüngliche Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. J u l i 1927 gefolgt. Die Einbeziehung ist dann i m Jahre 1935 weggefallen; allerdings machten die damals umfangreicheren Befugnisse der Reichsanstalt, insbesondere der ihr obliegende Arbeitseinsatz, Arbeitnehmer-Überlassungsverträge weitgehend gegenstandslos." Diese Aussagen sind völlig korrekt, nur: Sie belegen das Gegenteil von dem, was das Gericht belegen möchte. Für die „Nicht-Unab13 Z u m folgenden vgl. Becker, A Ü G , 1973, Einl. Rdnr. 42, 43, 48; Bethge, Diss. 1962, S. 267 ff. 14 BVerfGE 21, 261 (270 f.).

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2. Zur geschichtlichen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung

weisbarkeit" der Einbeziehung der Arbeitnehmerüberlassung i n das Vermittlungsmonopol spräche allenfalls der Wegfall dieser Einbeziehung i m Jahre 1935; doch w i r d dieses isolierte legislative Faktum vom Bundesverfassungsgericht selbst i n Konfrontation m i t der damaligen Rechtslage insgesamt zu Recht wieder relativiert. Abgeschlossen w i r d die historische Argumentation m i t folgendem Satz: „Die Notwendigkeit der Wiederherstellung der früheren Regelung durch die Novelle vom 23. Dezember 1956 für die Zeit ab 1. A p r i l 1957 w i r d weder i n der Regierungsvorlage vom 17. M a i 1955 noch i n dem Ausschußbericht näher begründet; wie die Bundesregierung und die Bundesanstalt eingeräumt haben, sind nach dem Aufhören der Besatzungsherrschaft bis zum 1. A p r i l 1957 Mißstände nicht zutage getreten." Hier geht das Gericht von der historischen Auslegung, die Vorläufer der zu konkretisierenden Norm betrifft, zur genetischen Auslegung, die die Gesetzgebungsmaterialien der zu konkretisierenden Norm selbst betrifft, über 1 5 . I n Anbetracht der Tatsache, daß sich genetische Argumente „näher" am geltenden Recht befinden und daher größeres Gewicht beanspruchen dürfen, wäre mehr Sorgfalt für die Daten der Entstehungsgeschichte angebracht gewesen. Die Begründung des Gerichts ist nämlich bei näherem Hinsehen unvollständig, ungenau und nicht beweiskräftig. Zwar ist es richtig, daß der spätere § 37 Abs. 3 A V A V G weder i n der Regierungsvorlage noch i n dem Ausschußbericht näher begründet worden ist. Das gleiche gilt übrigens für die Stellungnahme des Bundesrates sowie die erste und dritte Lesung i m Bundestag1®. Doch i n der wichtigen zweiten Lesung i m Bundestag am 14. 11. 1956 k a m es zu einer i m vorliegenden Zusammenhang bedeutsamen Auseinandersetzung. Der Abgeordnete Dr. Atzenroth begründete den Antrag der FDPFraktion, den § 50 Abs. 3 des Entwurfs (den späteren § 37 Abs. 3 A V A V G ) ersatzlos zu streichen, damit, daß ein sachliches Interesse daran bestünde, die Möglichkeit zum Abschluß von Leiharbeitsverhältnissen auch i n Zukunft ohne Einschaltung der Bundesanstalt zu erhalten; der „etwas scharfe V o r w u r f . . . , daß es sich u m eine A r t Menschenhandel handele" 17 , träfe nicht zu. Dem widersprach der Abgeordnete Säbel (CDU/CSU) m i t folgenden Worten: „Die Bestimmung, um die es geht, entspricht dem bisherigen Recht, und sie ist unseres Erachtens auch erforderlich, u m unklare arbeitsrechtliche Verhältnisse zu vermeiden." 18 Dem Schloß sich der Bundestag m i t großer Mehrheit an. 15 Z u dieser Unterscheidung vgl. F. Müller, Juristische Methodik, 2. A u f l . 1976, S. 268 f. 16 Vgl. Kühne, Diss. 1971, S. 82 f., 86. 17 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, S. 9395. 18 Wie Fn. 17, S. 9396.

2.2. Zur historischen Argumentation des Bundesverfassungsgerichts

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Zudem ist die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts nicht schlüssig. Der Gesetzgeber unterliegt nämlich nach geltendem Verfassungsrecht keiner Begründungspflicht. Die Tatsache, daß eine bestimmte gesetzgeberische Maßnahme nicht begründet worden ist, ist daher für die Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit irrelevant. Wenn überhaupt, dann ist n u r der gegenteilige Schluß möglich: Weil eine besondere Diskussion oder Begründung von den gesetzgeberischen Gremien nicht für erforderlich gehalten wurde, ist allgemein ihre verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit angenommen worden 1 9 . Dementsprechend hängt auch der Hinweis, daß bis A p r i l 1957 keine Mißstände zutage getreten seien, argumentativ i n der Luft. I m übrigen ist diese Aussage inhaltlich fragwürdig, wenn man bedenkt, daß i n der genannten zweiten Lesung der Abgeordnete Atzenroth sich gegen den Vorw u r f des „Menschenhandels" verwahren mußte und der Abgeordnete Säbel die i n Frage stehende gesetzgeberische Maßnahme gerade m i t unerwünschten Folgen der Arbeitnehmerüberlassung begründete. Überblickt man die vom Bundesverfassungsgericht gegebenen historischen Argumente und mehr noch die Gesamtheit der geschichtlichen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung bis 1967, dann ist ein gegenüber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegenteiliger Schluß zu ziehen: Historische und genetische Interpretation sprachen für die Verfassungsmäßigkeit des § 37 Abs. 3 A V A V G .

19

Diesen Schluß zieht Kühne, Diss. 1971, S. 86.

3 Pieroth

3. Die verfassungsrechtlich garantierte Beru£sfreiheit 3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG 3.1.1. Freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte

A r t . 12 Abs. 1 Satz 1 garantiert allen Deutschen „das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen". Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung zum Schutzgut „Beruf" jüngst wie folgt zusammengefaßt: „ A r t . 12 Abs. 1 GG schützt die Freiheit des Bürgers i n einem für die moderne arbeitsteilige Gesellschaft besonders wichtigen Bereich: Er gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Arbeit, für die er sich geeignet glaubt, als ,Beruf 4 zu ergreifen, d.h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. I n dieser Deutung reicht A r t . 12 Abs. 1 GG weiter als die — von i h m freilich umfaßte — Gewerbefreiheit. Darüber hinaus unterscheidet er sich jedoch von ihr durch seinen personalen Grundzug: Der ,Beruf 4 w i r d i n seiner Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen i m ganzen verstanden, die sich erst darin v o l l ausformt und vollendet, daß der Einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für i h n Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Das Grundrecht gewinnt so Bedeutung für alle sozialen Schichten; die Arbeit als ,Beruf 4 hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde." 1 Kurz gefaßt w i r d daher unter Beruf jede der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit verstanden 2 . I m Sinne dieser weiten Definition des Begriffs „Beruf" ist es unzweifelhaft, daß auch die von einem Privaten betriebene Arbeitnehmerüberlassung bzw. der „regelmäßige Abschluß von ArbeitnehmerUberlassungsverträgen" 3 von A r t . 12 Abs. 1 Satz 1 GG umfaßt wird. 1 BVerfGE 50, 290 (362); seither vgl. noch BVerfGE 54, 301 (313); i m w e sentlichen so auch schon die Leitentscheidung BVerfGE 7, 377 (397 ff.). 2 Vgl. Erichsen, Jura 1980, S. 551, der aber zusätzlich i n die Definition aufn i m m t , daß die Tätigkeit „auf Dauer berechnet" sein muß; meines Erachtens ist das i n dem W o r t „Lebensgrundlage" enthalten. Wenn Herzog, i n : Evangelisches Staatslexikon, 2. A u f l . 1975, Sp. 186 stattdessen v o n „auf Erzielung v o n Gewinn gerichteter T ä t i g k e i t " spricht, so ist das noch zu stark der Gewerbefreiheit des 19. Jahrhunderts verhaftet u n d weckt teilweise unzutreffende Assoziationen; auch ein Ordensmitglied, das i m Krankenhaus Pflegedienst leistet, ü b t einen Beruf aus, vgl. Scholtissek, i n : Festgabe Küchenhoff, 1967, S. 203. Gegen eine gewerberechtliche Verengung des A r t . 12 Abs. 1 GG vgl. auch schon f r ü h Scheuner, D Ö V 1956, S. 67 f. 3 BVerfGE 21, 261 (267).

3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

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Das Grundrecht der freien Wahl der Ausbildungsstätte ist i m vorliegenden Zusammenhang nicht einschlägig. Für das Verständnis des A r t . 12 Abs. 1 Satz 1 GG insgesamt ist es jedoch wichtig festzuhalten, daß das Bundesverfassungsgericht die freie Wahl der Ausbildungsstätte i n den Normbereich der Berufsfreiheit einbezieht, so wenn es betont, „daß zur rechtlichen Ordnung dieser beruflichen Betätigung auch Vorschriften über die vorherige Ausbildung für einen Beruf gehören" und daß „von der Wahl der Ausbildung zugleich die Wahl des späteren Berufes abhängt" 4 . Die sachliche Verschränkung m i t der Berufsfreiheit w i r d noch deutlicher bei dem Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes. Unter Arbeitsplatz w i r d allgemein die Stätte verstanden, an der eine berufliche Tätigkeit i m konkreten Fall ausgeübt wird 5 . Des weiteren besteht heute Einigkeit darüber, daß sich die freie Wahl des Arbeitsplatzes nicht nur auf unselbständige Berufe, sondern auch auf selbständige erstreckt® und daß der Arbeitsplatz nicht nur örtlich, sondern auch funktionell zu verstehen ist, d. h. den Arbeitgeber sowie den Tätigkeitsbereich umfaßt, den der Einzelne i m Arbeitsprozeß einnimmt 7 . Der Freiheitsgehalt ist schließlich noch dahin zu verdeutlichen, daß m i t dieser Garantie die Freiheit zur Aufnahme, Beibehaltung, Aufgabe und zum Wechseln des Arbeitsplatzes gewährleistet ist. Daraus folgt, daß dieses Grundrecht für Leiharbeitnehmer unmittelbar einschlägig ist. Diese wählen zwar noch frei den Arbeitgeber i n der Person des Arbeitnehmerüberlassers und i n gewisser Weise auch noch die Funktion, i n der sie tätig werden. Dagegen wählen sie nicht frei den Entleiher, der ebenfalls gewisse Arbeitgeberfunktionen ihnen gegenüber ausübt; vor allen Dingen aber wählen sie nicht frei den „beruflichen Umkreis der Betätigung" und den konkreten Ort der beruflichen Tätigkeit, d. h. den K e r n der Gewährleistung dieses Grundrechts. Diese Feststellungen müssen zwar noch i n bezug auf mögliche Schutzrichtungen der grundrechtlichen Gewährleistung ergänzt werden; insbesondere w i r d zu fragen sein, i n welcher Weise der Staat und damit der Gesetzgeber 4 BVerfGE 33, 303 (330, 338) unter Verweis auf BVerfGE 7, 377 (401, 406); kritisch zu der daraus folgenden Erstreckung des Regelungsvorbehalts des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Freiheit der W a h l der Ausbildungsstätte: Pieroth, Störung, Streik u n d Aussperrung an der Hochschule, 1976, S. 214 ff. 5 Vgl. Abraham, i n : Bonner Kommentar, 1952 ff., A r t . 12 A n m . I I 3 b ; Bachof, i n : Die Grundrechte I I I / l , 2. A u f l . 1972, S. 250; v. Mangoldt / Klein, GG, Bd. I, 2. Aufl. 1957, A r t . 12 A n m . I I I 3; Gubelt, i n : v. Münch, GG, Bd. 1, 1975, A r t . 12 Rdnr. 23. 6 a. Α. υ. Mangoldt / Klein. 7 Ausführlich zum Begriff des Arbeitsplatzes vgl. Langwieser, Diss. 1967, S. 40 ff.; vgl. auch den Hinweis auf den „beruflichen Umkreis der B e t ä t i gung" als Schutzobjekt bei Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, GG, Stand 1980, A r t . 12 Rdnr. 106.

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3.

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Berufsfreiheit

durch das Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes gebunden ist 8 . Das ändert aber nichts an der Einschlägigkeit dieses Grundrechts i m hier behandelten Zusammenhang. Das muß betont werden, w e i l das Bundesverfassungsgericht i m Bereich der Arbeitnehmerüberlassung überhaupt nur das Grundrecht des Uberlassers, i n keiner Weise dagegen dasjenige des Arbeitnehmers gesehen hat 9 . Der Zusammenhang dieses Grundrechts mit der Berufsfreiheit ist ein äußerer und ein innerer. Da die Berufsfreiheit wie alle Grundrechte nicht auf das forum internum beschränkt ist, d. h. nicht nur die Freiheit umfaßt, sich gedanklich für einen Beruf zu entscheiden, sondern ebenso, diese Entscheidung i n die gesellschaftliche Wirklichkeit umzusetzen, sind Fragen der freien Wahl des Arbeitsplatzes notwendig zugleich Fragen der Berufsfreiheit. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht einmal festgestellt: „Die freie Berufswahl umfaßt die Befugnis, den Beruf des selbständigen Mühlenunternehmers an jedem gewünschten Ort aufzunehmen." 10 Auch i n ihrem Telos sind sich Berufsfreiheit und freie Wahl des Arbeitsplatzes sehr nahe. Für die Berufsfreiheit war der „personale Grundzug", die „Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen i m ganzen" schon genannt worden. I n ähnlicher Weise hat man für das Recht, den Arbeitsplatz frei zu wählen, darauf hingewiesen, daß es i n einem gewissen Umfang an der Menschenwürde teilhat, d.h. sie i n einem begrenzten Lebensbereich verwirklicht und auf sie zurückführbar ist 1 1 . I n der Tat liegt die Bedeutung der Fragen, wo ich arbeite und für wen ich arbeite, für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und damit letztlich für seine Menschenwürde, die j a auf freie Persönlichkeitsentfaltung angelegt ist, klar zutage. M i t anderen Worten: „Das Recht, sich nach freier Willensentscheidung und i m Rahmen der eigenen Fähigkeiten produktiv, vor allem zwecks Sicherung der eigenen materiellen Lebensexistenz, zu betätigen, gehört zu den elementaren Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins und einer sich i n Freiheit sowie Sozialität entfaltenden Persönlichkeit." 12 3.1.2. Das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit

A r t . 12 Abs. 1 Satz 1 GG betrifft ausdrücklich nur die freie Wahl des Berufs; der Text des Grundgesetzes setzt dem i n A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 8

Vgl. dazu unten 3.1.7. Vgl. BVerfGE 21, 261. 10 BVerfGE 25, 1 (19). 11 Vgl. allgemein Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, GG, Stand 1980, A r t . 2 Abs. I Rdnr. 66; speziell Bachof, i n : Die Grundrechte I I I / l , 2. Aufl. 1972, S. 168 f.; Langwieser, Diss. 1967, S. 56 f. m.w.N. 12 Scholz, i n : Soziale Grundrechte, 1980, S. 75. 9

3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

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die Berufsausübung entgegen. Dennoch hat sich das Bundesverfassungsgericht m i t folgender Begründung für die Annahme eines einheitlichen Grundrechts der Berufsfreiheit entschieden: „Die Begriffe ,Wahr und ,Ausübung' des Berufes lassen sich nicht so trennen, daß jeder von ihnen nur eine bestimmte zeitliche Phase des Berufslebens bezeichnete, die sich m i t der anderen nicht überschnitte; namentlich stellt die Aufnahme der Berufstätigkeit sowohl den Anfang der Berufsausübung dar wie die gerade hierin — und häufig nur hierin — sich äußernde Betätigung der Berufswahl; ebenso sind der i n der laufenden Berufsausübung sich ausdrückende Wille zur Beibehaltung des Berufs und schließlich die freiwillige Beendigung der Berufsausübung i m Grunde zugleich A k t e der Berufswahl. Die beiden Begriffe erfassen den einheitlichen Komplex ,berufliche Betätigung' von verschiedenen Blickpunkten her." 1 3 Das ist i n der Sache eine zutreffende Argumentation m i t Strukturen der von diesem Grundrecht betroffenen Wirklichkeit, d. h. m i t dem Normbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG 1 4 . Sieht man m i t dem Bundesverfassungsgericht die Selbstverwirklichung der Persönlichkeit als die legitimierende K r a f t der Berufsfreiheit an, dann liegt die Freiheit des Berufs gerade i n der Selbstbestimmung der Arbeitsbedingungen. Der damit erfaßte und vorausgesetzte Bereich der Wirklichkeit läßt sich noch näher strukturieren. Hege hat unter Auswertung des einschlägigen soziologischen Materials folgende Typologie erarbeitet 15 : Selbstbestimmung der Arbeitsbedingungen heißt (1) die Möglichkeit, überhaupt arbeiten zu können; (2) die Freiheit von Arbeit; (3) die Einflußnahme auf die Voraussetzungen für die A u f nahme einer Arbeit; (4) die Bestimmung der Arbeitsleistung und der Arbeitsorganisation; (5) die Verfügung über die Arbeitsergebnisse; (6) die Entscheidungen über die berufliche Karriere. Die Bestimmung über die Arbeitsleistung w i r d dahin konkretisiert, daß dies auch die Dauer und die Einteilung der Arbeit, den Ort, an dem sie verrichtet wird, sowie die Gestaltung des Arbeitsplatzes umfaßt; Arbeitsorganisation w i r d erläutert als Struktur der Organisation, i n der gearbeitet wird, Stellung des Einzelnen i n dieser Organisation, Formen der Zusammenarbeit m i t anderen, Weisungs- und Abhängigkeitsverhältnisse. Auch dies belegt, daß für die Verfassungsfragen der Arbeitnehmerüberlassung die Berufsfreiheit sowohl auf Seiten des Arbeitnehmerüberlassers als auch i n der Person der überlassenen Arbeitnehmer i n Ansatz zu bringen ist. 13 BVerfGE 7, 377 (401) i m Anschluß an v. Mangoldt ί Klein, GG, Bd. I , 2. A u f l . 1957, A r t . 12 A n m . I V 2 auf der Vorarbeit von Uber, Freiheit des Berufs, 1952, S. 103 ff. 14 Vgl. zum methodischen Begriff des Normbereichs F. Müller, Juristische Methodik, 2. A u f l . 1976, S. 117 ff., 270 ff. 15 Vgl. Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit i m Sozialstaat, 1977, S. 69 f.

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Berufsfreiheit

3.1.3. Begrenzung auf „erlaubte" Tätigkeit?

Eine Begrenzung des Schutzbereichs könnte sich aber aus folgendem ergeben: I n ständiger Rechtsprechung definiert das Bundesverfassungsgericht die Berufsfreiheit dahingehend, daß sie nur „erlaubte" Tätigkeiten erfasse 16. Dies w i r d überwiegend so verstanden, daß damit der Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG sachlich begrenzt ist 1 7 . Das könnte allerdings deshalb zweifelhaft sein, weil das Gericht bisher zwar häufig die Berufsfreiheit i n dieser Weise einschränkend definiert, aber erst eine Entscheidung auf dieses K r i t e r i u m der Erlaubtheit gestützt hat. Insoweit ist aber bemerkenswert, daß die fragliche Regelung nicht damit verfassungsrechtlich legitimiert wurde, daß das von ihr erfaßte Verhalten nicht unter den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fiele, sondern als Berufsausübungsregelung nach A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig sei 18 . Sieht man schon den Schutzbereich der Berufsfreiheit als ausschließlich auf erlaubte Tätigkeiten begrenzt an, stellt sich i m vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob damit nicht alle illegalen Leiharbeitunternehmer, also diejenigen, die keine Erlaubnis nach dem A Ü G besitzen, von vornherein aus dem grundrechtlichen Schutz herausfallen; das würde bedeuten, daß insoweit auch nicht m i t A r t . 12 Abs. 1 GG gegen ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung argumentiert werden könnte. Dem ist jedoch folgendes entgegenzuhalten: Die Reichweite des Schutzbereichs des Grundrechts von der Legalität oder Illegalität abhängig zu machen, verkennt das Entscheidende der Höherrangigkeit der Verfassung und der Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und besonders an die Grundrechte (Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 GG). Es soll gerade am Maßstab der grundrechtlichen Garantie entschieden werden, welche Tätigkeiten gesetzlich verboten und für strafbar erklärt werden dürfen. Der Geltungsbereich der grundrechtlichen Berufsfreiheit darf daher nicht durch einfache, i m Range unter dem Grundgesetz stehende Gesetze bestimmt werden. Eine Erwerbstätigkeit kann die Eigenschaft eines Berufs i m Sinne des A r t . 12 Abs. 1 GG nicht dadurch verlieren, daß sie durch einfaches Gesetz verboten und/oder für strafbar erklärt w i r d 1 9 . Die sachliche Begrenzung des Schutzbereichs der Berufsfreiheit durch das K r i t e r i u m der „Erlaubtheit" w i r d demgemäß nur so verstanden, daß nur allgemein als gemeinschaftsschädlich betrachtete Betätigungen, wie die als Berufsver1β

BVerfGE 7, 377 (397); 13, 97 (106); 14, 19 (22); 32, 311 (316 f.); 48, 376 (388). Vgl. Erichsen, Jura 1980, S. 552. 18 BVerfGE 32, 311 (317). 19 So zu Recht B V e r w G E 22, 286 (288); Bachof, i n : Die Grundrechte I I I / l , 2. A u f l . 1972, S. 189 f.; Erichsen, Jura 1980, S. 552; Herzog, i n : Evangelisches Staatslexikon, 2. A u f l . 1975, Sp. 186 f. 17

3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

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brecher sowie die Ausübung der Gewerbsunzucht, von vornherein außerhalb der Freiheitsverbürgung bleiben. Bezogen auf die Arbeitnehmerüberlassung bedeutet das, daß sie, auch als illegale Arbeitnehmerüberlassung, nicht aus dem Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG herausfällt. Da jeder Arbeitnehmerüberlasser eine auf Dauer berechnete, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit ausübt und das bloße K r i t e r i u m des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins einer behördlichen Erlaubnis für die Einschlägigkeit der grundrechtlichen Garantie wie gezeigt nicht entscheidend sein kann, können sich auch sogenannte illegale Arbeitnehmerüberlasser auf die Berufsfreiheit stützen. I m übrigen ließe es sich auch schwer begründen, illegale Arbeitnehmerüberlasser als allgemein gemeinschaftsschädlich auf die Stufe von Berufsverbrechern zu stellen. 3.1.4. Begrenzung durch „anerkannte" Verwaltungsmonopole?

Eine weitere sachliche Begrenzung des Schutzbereichs der Berufsfreiheit folgt aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Verwaltungsmonopolen. I n einer Entscheidung aus dem Jahr 197620 sind die bestehenden landesrechtlichen Gebäudeversicherungsmonopole für verfassungsmäßig erklärt worden. Durch die entsprechenden Gesetze ist festgelegt, daß grundsätzlich alle Gebäude i m betreffenden Gebiet bei der öffentlich-rechtlichen Monopolanstalt gegen Feuer und ähnliche Gefahren zu versichern sind und anderweitig nicht versichert werden dürfen. Damit haben die vor allem süddeutschen Länder die Sicherung des Gebäudebestandes als öffentliche A u f gabe an sich gezogen, die sie als Verwaltungsmonopol durch eine Gebäudeversicherungsanstalt wahrnehmen lassen. Der Zusammenhang m i t der Berufsfreiheit ist unmittelbar einleuchtend: I m Geltungsbereich eines solchen Gesetzes kann ein Privater eine entsprechende versicherungskaufmännische Tätigkeit nicht mehr ausüben bzw. ergreifen. I n einer frühen Entscheidung aus dem Jahr 195921 w a r das Bundesverfassungsgericht noch ohne weiteres von der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Monopols ausgegangen, ohne sich m i t der Frage der Vereinbarkeit des Monopols m i t A r t . 12 Abs. 1 GG auseinanderzusetzen. Während aber i m Vorfeld der neuen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vielfach die Berufsfreiheit als einschlägiger Maßstab zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit derartiger Monopole herangezogen wurde 2 2 , entzieht das Bundesverfassungsgericht diesen 20

BVerfGE 41, 205; kritische Würdigung bei Fiedler, D Ö V 1977, S. 390 ff. BVerfGE 10, 141. 22 Vgl. den Vorlagebeschluß des Verwaltungsgerichts Freiburg, mitgeteilt i n BVerfGE 41, 205 (209 f.) sowie die weiteren Stellungnahmen i n diesem 21

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Bereich dem Maßstab des A r t . 12 Abs. 1 GG m i t folgender Begründung 2 3 : Ebenso wie aus den grundgesetzlichen Bestimmungen über die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit für Finanzmonopole (Art. 105 Abs. 1, 106 Abs. 1, 108 Abs. 1 GG) ihre grundsätzliche Anerkennung und die Billigung ihrer Struktur i m großen folge, sei der Regelung über die Gesetzgebungszuständigkeit i n A r t . 74 Nr. 11 GG zu entnehmen, daß jedenfalls die zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes bestehenden Versicherungsmonopole als solche anerkannt sind und daß diejenigen Beschränkungen der freien wirtschaftlichen Betätigung des Einzelnen i m Prinzip hingenommen und gebilligt sind, die sich aus der vom Grundgesetz angetroffenen Struktur der Monopole notwendig ergeben. A r t . 74 Nr. 11 GG weist dem Bund nämlich die konkurrierende Gesetzgebung nur für das „privatrechtliche Versicherungswesen" zu. Aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes sowie aus der darauf folgenden Staatspraxis läßt sich belegen, daß die Monopolanstalten praktisch den gewichtigsten Teil des den Ländern zur Regelung vorbehaltenen öffentlich-rechtlichen Versicherungswesen bilden, ja, daß es bei dem Ausschluß der Bundesgesetzgebungszuständigkeit für das öffentlich-rechtliche Versicherungswesen gerade um die Erhaltung des besonderen Charakters der Monopoleinrichtungen ging. Das Gericht resümiert die Gedankengänge wie folgt: „Wenn A r t . 74 Nr. 11 GG das Versicherungswesen nur insoweit zum Wirtschaftsrecht zählt, als es nicht die öffentlich-rechtlichen Versicherungen m i t ihrem Kernbestand der Monopolanstalten umfaßt, so ist daraus zu entnehmen, daß das Grundgesetz diesen Bereich des Versicherungswesens i n seiner überkommenen rechtlichen Ausgestaltung als Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe durch die Verwaltung nicht dem Prinzip der Gewerbe- und Unternehmerfreiheit und damit dem Maßstab des A r t . 12 Abs. 1 GG unterstellen wollte." 2 4 Das bedeutet, daß i m Geltungsbereich entsprechender landesrechtlicher Gesetze der Beruf des Gebäudeversicherungskaufmanns nicht von der Berufsfreiheit geschützt wird. Das Vorgehen, i m Wege systematischer Interpretation mit Kompetenzvorschriften Begrenzungen der Grundrechte zu begründen, ist i m übrigen nichts Neues. So w i r d i n der Literatur beispielsweise die Möglichkeit der Begrenzung von Grundrechten der Strafgefangenen damit legitimiert, daß das geschriebene Verfassungsrecht die besonderen Verhältnisse des Strafvollzugs i n der Vorschrift des A r t . 74 Nr. 1 GG, auch i n seinen andere Grundrechte als die Freiheit der Person beVerfahren, BVerfGE 41, 205 (210 ff.); Bettermann, W i R 1973, S. 257 ff.; Obermayer/Steiner, N J W 1969, S. 1457 ff.; Scholz, i n : Festschrift Sieg, 1976, S. 520. 23 Vgl. BVerfGE 41, 205 (218 ff.). 24 BVerfGE 41, 205 (227 f.).

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grenzenden Wirkungen, voraussetze 25 . Auch das Bundesverfassungsgericht selbst hatte i n seiner grundlegenden Entscheidung zur Berufsfreiheit, dem Apotheken-Urteil, die Erweiterung des sich dem Wortlaut nach nur auf die Berufsausübung erstreckenden Regelungsvorbehalts i n A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG auf die dem Wortlaut nach vorbehaltlos gewährleistete Berufswahl i n A r t . 12 Abs. 1 Satz 1 GG u. a. damit begründet, daß A r t . 74 Nr. 19 GG, der eine Bundeskompetenz für die „Zulassung" zu bestimmten Berufen begründet, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Einschränkungen der Berufswahl, als die sich Zulassungsregelungen durchweg auswirkten, beweise 26 . Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht i n seiner Entscheidung, i n der es das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für vereinbar m i t A r t . 12 Abs. 1 GG erklärt hat 2 7 , zwar darauf hingewiesen, daß die Zuständigkeitsvorschrift des A r t . 74 Nr. 12 GG die „Arbeitsvermittlung" erwähnt, aber daraus keine Anerkennung des Arbeitsvermittlungsmonopols abgeleitet; vielmehr überlasse diese Vorschrift „die nähere Ausgestaltung der Arbeitsvermittlung dem einfachen Gesetzgeber. Dieser kann aber, was keiner näheren Erörterung bedarf, das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht lediglich dadurch ausschalten, daß er eine Tätigkeit, die an sich wirtschaftlicher A r t ist, zur hoheitlichen Aufgabe erklärt". I n der neueren Entscheidung zu den bestehenden landesrechtlichen Gebäudeversicherungsmonopolen, die einer bloßen Kompetenzvorschrift des Grundgesetzes i m Gegensatz dazu eine weitgehende grundrechtsbegrenzende W i r k u n g beigelegt hat, w i r d die Diskrepanz wie folgt begründet: A r t . 74 Nr. 12 GG, der die Arbeitsvermittlung als Bestandteil des Arbeitsrechts nennt, „enthält keinen Hinweis und keine Aussage für die Zulässigkeit eines staatlichen Vermittlungsmonopols. Zudem bestand das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol bei Schaffung des Grundgesetzes kaum mehr als 20 Jahre; i m Gegensatz zum Versicherungswesen gab es keine landesrechtlichen Arbeitsvermittlungsmonopole. " 2 8 Diese Abgrenzung erscheint nicht überzeugungskräftig. A u f das grundsätzliche Problem, wie weit es überhaupt angängig ist, Grundrechtsbegrenzungen aus Kompetenznormen des Grundgesetzes herzuleiten, soll hier nicht eingegangen werden; es darf nicht verschwiegen 25 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. A u f l . 1980, S. 138; zum Zusammenhang von Kompetenznormen m i t der Bestimmung von staatlichen Aufgaben vgl. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 1977, S. 152 ff. 2e BVerfGE 7, 377 (401); zustimmend Erichsen, Jura 1980, S. 553; Rupp, AöR 92 (1967), S. 225. 27 BVerfGE 21, 245; vgl. oben 1.1. 28 BVerfGE 41, 205 (228).

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werden, daß insoweit grundsätzliche Bedenken schwerwiegender A r t geltend gemacht werden können 2 9 . Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls hält ein derartiges Verfahren für möglich und hat es i n dem geschilderten neueren Urteil zu den Gebäudeversicherungsmonopolen praktiziert. Wenn es aber aus A r t . 74 Nr. 11 GG eine Begrenzung des Schutzbereichs des A r t . 12 Abs. 1 GG ableitet, muß gefragt werden, ob nicht das gleiche oder doch etwas Ähnliches aus A r t . 74 Nr. 12 GG zu folgern ist. Die Vergleichbarkeit beider Fälle kann jedenfalls nicht m i t der eben zitierten Begründung verneint werden. Das ergibt sich aus folgendem: Das Bundesverfassungsgericht nennt drei Gründe, warum die Kompetenzvorschrift des A r t . 74 Nr. 12 GG ganz andere rechtliche Auswirkungen auf A r t . 12 Abs. 1 GG haben soll als die Kompetenz Vorschrift des A r t . 74 Nr. 11 GG. Davon werden zwei Gründe vom Gericht selbst schon durch die Anknüpfung „zudem" als sekundär gekennzeichnet. Sie haben bei näherer Betrachtung keinerlei Relevanz i m vorliegenden Zusammenhang; denn es geht darum, inwieweit den Kompetenz Vorschriften eine Anerkennung bestimmter bestehender Rechtsinstitute durch den Grundgesetzgeber entnommen werden kann. Für diese Frage ist es aber gänzlich unerheblich, ob ein Rechtsinstitut „über ein Jahrhundert" 3 0 oder „ k a u m mehr als 20 Jahre" alt ist. M i t der gleichen Beliebigkeit ließe sich behaupten, die „Anerkennung" des Grundgesetzgebers für ein historisch jüngeres, nämlich i n der Weimarer Zeit eingeführtes Rechtsinstitut sei wahrscheinlicher als für ein solches, das i n die Monarchie zurückreicht. Warum es i m übrigen für eine Anerkennung durch den Grundgesetzgeber von Belang sein soll, ob das betreffende Monopol landesrechtlichen (wie beim Versicherungswesen) oder reichsrechtlichen (wie bei der Arbeitsvermittlung) Charakter hatte, bleibt ganz unerfindlich. Der Hauptunterschied soll denn auch darin liegen, daß A r t . 74 Nr. 12 GG keinen Hinweis und keine Aussage für die Zulässigkeit eines staatlichen Vermittlungsmonopols enthalte. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich an dieser Stelle statt einer näheren Erläuterung auf Bettermann 3 1 . Dieser begründet aber den Unterschied i n folgender sehr vordergründiger Weise: I m Gegensatz zu A r t . 74 Nr. 11 GG, der die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf das „privatrechtliche Versicherungswesen" beschränke, begrenzt A r t . 74 Nr. 12 GG die Bundeskompetenz nicht auf die private oder die privatrechtliche Stellenvermitt29

Erste Hinweise bei Schnapp, JuS 1978, S. 734. So Bettermann, W i R 1973, S. 248 bezüglich der Gebäudeversicherungsmonopole, auf den sich das Bundesverfassungsgericht i n diesem Zusammenhang bezieht. 81 W i R 1973, S. 247 f. 80

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lung. Weil die Ausklammerung, die Nr. 11 zugunsten des öffentlichrechtlichen Versicherungswesens vorgenommen hat, bei Nr. 12 fehle, ergebe das Grundgesetz i m Hinblick auf die staatliche Betätigung und auf staatliche Monopole für die Arbeitsvermittlung einen anderen Befund als für das Versicherungswesen. Diese Begründung vernebelt den entscheidenden Gesichtspunkt. Entscheidend ist nicht, daß i n A r t . 74 Nr. 11 nur das „privatrechtliche" und nicht auch das „öffentlich-rechtliche" Versicherungswesen angesprochen ist; denn Rechtsfolge ist insofern nur, daß die i m Grundgesetz nicht genannte Materie nach A r t . 30, 70 GG i n der Gesetzgebungskompetenz der Länder steht. Entscheidend ist, daß i n den Beratungen des Parlamentarischen Rats die Auffassung erkennbar wurde, daß Versicherungsmonopole der Länder m i t dem Grundgesetz vereinbar sind. A u f dieses entstehungsgeschichtliche Argument w i r d man durch die Formulierung des A r t . 74 Nr. 11 GG hingeführt; nicht aber handelt es sich u m ein grammatisches Argument aus A r t . 74 Nr. 11 GG. Das w i r d auch an der Überlegung deutlich, daß aus dieser Vorschrift nichts gegen eine etwaige, von den Ländern vorgenommene Abschaffung solcher Monopole eingewandt werden könnte; ihre Rechts Wirkung ist gerade darauf beschränkt, die Entscheidung dieser Frage der Gesetzgebung der Länder zu überlassen. Wenn aber die Anerkennung eines Rechtsinstituts durch den Grundgesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht i n der Sache entstehungsgeschichtlich belegt wird, dann genügt es zur A b grenzung zwischen A r t . 74 Nr. 11 und 12 GG nicht, darauf hinzuweisen, daß i m zweiten Fall die Bundeskompetenz nicht wie i m ersten auf die private oder die privatrechtliche Ausübungsvariante beschränkt ist. Denn die fehlende Beschränkung könnte sich ja gerade daraus ergeben, daß die Arbeitsvermittlung nach der Vorstellung des Grundgesetzgebers umfassend öffentlich-rechtlich ausgeübt w i r d und ausgeübt werden darf. Die fehlende Beschränkung ist also — vom entscheidenden Blickpunkt der Entstehungsgeschichte her — möglicherweise ein besonders nachdrückliches Argument für eine Anerkennung einer bestimmten rechtlichen Gestaltung! Befragt man die Entstehungsgeschichte zu Art 74 Nr. 12 GG i n der gleichen Weise, wie dies i n BVerfGE 41, 205 zu dem Begriff „privatrechtliches Versicherungswesen" geschehen ist, dann ergibt sich folgendes®2: Der Herrenchiemseer Entwurf enthielt als Vorstufe zu A r t . 74 Nr. 12 GG die Kompetenzzuweisung für das „Arbeitsrecht einschließlich Arbeitsschutz und Arbeitslenkung", wobei nach der Begründung Arbeitsrecht i n weitem Sinne verstanden werden sollte und nur zum Ausschluß von Zweifeln überdies die Worte „einschließlich Arbeits32 Die folgende Darstellung zitiert, soweit nichts anderes ausdrücklich v e r m e r k t ist, nach v. Doemming / Füsslein / Matz, JöR 1 (1951), S. 519 ff.

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schütz und Arbeitslenkung" beigefügt worden waren 3 3 . Der Zuständigkeitsausschuß des Parlamentarischen Rats erörterte i n seiner 4. Sitzung vom 24.9.1948 die Begriffe Arbeitsrecht und Arbeitslenkung. Aufgrund der Ausführungen des Abgeordneten K u h n (SPD) wurde dabei die genannte Entwurfsfassung verändert in: „Arbeitsrecht einschließlich Arbeitsschutz und Arbeitsvermittlung". Dies wurde damit begründet, daß der Begriff „Arbeitsrecht" von den Betroffenen vielfach so verstanden würde, daß darunter nur die vom Arbeitsgericht verhandelten Sachen fielen; dem stünden die Begriffe „Arbeitsschutz" und „Arbeitsvermittlung" entgegen, i n denen es u m vorwiegend behördliche Vorgänge, ζ. B. die Gewerbeaufsicht, ginge: „Der Arbeiter sieht i n der Arbeitsvermittlung den Vorgang, der durch die Behörde, also durch das Arbeitsamt vorgenommen w i r d . " 3 4 A n diesem Teil der Fassung des späteren A r t . 74 Nr. 12 GG wurde bis zum Schluß der Beratungen des Parlamentarischen Rats nichts mehr geändert 35 . Damit steht einwandfrei fest, daß der Parlamentarische Rat m i t dem Begriff „Arbeitsvermittlung" in A r t . 74 Nr. 12 GG die behördliche Arbeitsvermittlung und damit das seit der Weimarer Zeit i n Deutschland bestehende Arbeitsvermittlungsmonopol der Arbeitsverwaltung gemeint hat. Ein Unterschied zwischen der Reichweite der Kompetenzzuweisung bezüglich des „privatrechtlichen Versicherungswesens" und der „Arbeitsvermittlung" läßt sich daher meines Erachtens nicht konstruieren. I m entscheidenden Punkt des Willens des Grundgesetzgebers liegt vielmehr i n beiden Fällen insoweit Ubereinstimmung vor, als eine Vereinbarkeit von Verwaltungsmonopolen i m jeweiligen Bereich m i t dem Grundgesetz angenommen wurde. Folgt man der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach dieser Gesichtspunkt Grundrechtsbegrenzungen legitimieren kann, dann hätte jedenfalls i m Jahr 1967 schon auf diesem Weg die Vereinbarkeit des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols m i t dem Grundgesetz begründet werden können. Da zu der i m Jahr 1949 vorgefundenen überkommenen Rechtslage i m Bereich des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols auch — und zwar von Anfang an 3 6 ! — die Einbeziehung der später so genannten Arbeitnehmerüberlassung gehörte, wäre also gut begründbar gewesen, daß die Erstreckung des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols auf den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung nicht gegen das Grundgesetz verstieß. 33

Darstellender Teil, München 1948, S. 33. Maschinenschriftliche stenografische Protokolle der Fachausschüsse des Parlamentarischen Rates, S. 47. 35 Vgl. die i n JöR 1 (1951), S. 519 ff. nicht mehr angeführten vier Lesungen des Hauptausschusses, i n : Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des H a u p t ausschusses, Bonn 1948/49, S. 89, 361, 647, 755. 36 Vgl. oben 2.1.2. 34

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Die eben gemachte zeitliche Relativierung („jedenfalls i m Jahr 1967") rührt daher, daß das Bundesverfassungsgericht damals anders entschieden und dadurch zu Entwicklungen beigetragen hat, an denen die heutige verfassungsrechtliche Beurteilung nicht vorbeigehen kann. Nachdem das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt auch für die Arbeitnehmerüberlassung seit nunmehr über 14 Jahren nicht mehr bestanden hat, kann die grundgesetzliche Anerkennung eines solchen Monopols i n A r t . 74 Nr. 12 GG jedenfalls nicht mehr undifferenziert ins Feld geführt werden: I n Bereichen, wo sich private Arbeitsvermittlung i n der Form der Arbeitnehmerüberlassung als Gebrauchmachen der Berufsfreiheit nicht sozialschädlich ausgewirkt hat, kann diese sozusagen etablierte Grundrechtsrealität jedenfalls nicht unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes beseitigt werden. Diese Feststellung knüpft an die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts i m Rahmen seiner Rechtsprechung zu Berufsbildern an 37 , wonach die rechtliche Erörterung an einem bereits ausgeprägten Berufsbild nicht ohne weiteres vorbeigehen kann: Wenn sich etwa ein bestimmter Beruf als selbständige Tätigkeit entwickelt hat, darf der Gesetzgeber diesen selbständigen Beruf nur beseitigen, wenn der Fortführung der frei entwickelten Tätigkeitsform wichtige Gründe des Gemeinwohls entgegenstehen 38 . Soweit dagegen die Arbeitnehmerüberlassung durch Private ohne Grundrechtsverstoß verboten werden kann, ist A r t . 74 Nr. 12 GG gemäß der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein zusätzliches Argument für die Grundgesetzkonformität eines entsprechenden gesetzgeberischen Handelns. 3.1.5. Begrenzung auf Berufe außerhalb des „öffentlichen Dienstes"?

Die Tatsache, daß die Arbeitnehmerüberlassung bis 1967 dem A r beitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt unterlag und damit die entsprechende berufliche Tätigkeit nur als Bediensteter dieser Behörde ausgeübt werden konnte, läßt noch die Frage aufkommen, ob nicht Personen, die i m öffentlichen Dienst stehen, von vornherein vom persönlichen Geltungsbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG ausgenommen sind. I n der Tat hatte das Bundesverwaltungsgericht i n seiner frühen Rechtsprechung angenommen, daß das Grundrecht i n diesen Fällen „seinem Wesen nach" nicht gelte 39 . Diese Auffassung darf aber seit dem Apotheken-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 40 als überwunden gelten. 37

Vgl. dazu noch näher unten 3.1.7.2. BVerfGE 54, 301 (326) unter Berufung auf BVerfGE 10, 185 (197). 39 B V e r w G E 2, 85 (86); 4, 250 (254). 40 BVerfGE 7, 377 (397 f.) u n d ständige Rechtsprechung; i h r hat sich daraufhin auch das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen, vgl. B V e r w G E 9, 334 (336). 38

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Auch die Berufe des öffentlichen Dienstes sind grundsätzlich von A r t . 12 Abs. 1 GG geschützt. Allerdings werden insofern weitgehende Beschränkungen m i t der Verfassungsnorm des A r t . 33 GG legitimiert 4 1 . 3.1.6. Juristische Personen als Träger der Berufsfreiheit

Gemäß A r t . 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Der schon wiederholt als maßgeblich herausgestellte Zusammenhang der Berufsfreiheit m i t der individuellen Persönlichkeitsentwicklung läßt es durchaus als fraglich erscheinen, ob A r t . 12 Abs. 1 GG seinem Wesen nach auf juristische Personen, also vor allem auf die Personal- und Kapitalgesellschaften des Privatrechts anwendbar ist 4 2 . Dem steht jedoch eine ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, die eine Berufung inländischer juristischer Personen des Privatrechts auf A r t . 12 Abs. 1 GG zuläßt und dam i t deren Grundrechtsfähigkeit bejaht, soweit diese eine Erwerbstätigkeit betreiben, die ihrem Wesen und ihrer A r t nach i n gleicher Weise von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann. Es ist interessant, daß diese ständige Rechtsprechung m i t der hier i n der Einführung dargestellten Entscheidung aus dem Jahr 1967 eingeleitet worden ist; eine Problematisierung oder auch nur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht nicht vorgenommen 43 . I n weiteren einschlägigen Entscheidungen ersetzte dann der Hinweis auf das vorangegangene Judikat die Begründung 4 4 . Erst i n der jüngsten diesbezüglichen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige undifferenzierte Anwendung des A r t . 12 Abs. 1 GG auf Unternehmen problematisiert. Dies ist für den vorliegenden Zusammenhang sehr bedeutsam, w i r d doch Arbeitnehmerüberlassung vielfach von großen Betrieben praktiziert 4 5 . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß der personale Grundzug des Grundrechts der Berufsfreiheit bei Großunternehmen „nahezu gänzlich verloren" geht. I m Fall von Großunternehmen ist Unternehmerfreiheit „nicht Element der Ausformung der Persönlichkeit des Menschen, sondern grundrechtliche Gewährleistung eines Verhaltens, dessen Wirkungen weit über das wirtschaftliche Schicksal des eigenen Unternehmens hinausreichen" 48 . Das Gericht hat dann allerdings nicht 41

Dazu noch näher unten 3.2.5. Vgl. Bachof, i n : Die Grundrechte I I I / l , 2. Aufl. 1972, S. 178 f.; Erichsen, Jura 1980, S. 552; Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit i m Sozialstaat, 1977, S. 61 f.; Püttner, D Ö V 1976, S. 434. 43 BVerfGE 21, 261 (266). 44 Vgl. BVerfGE 22, 380 (383); 30, 292 (312). 45 Vgl. Möller-Lücking, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 11 (1973), S. 56. 42

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daraus geschlossen, die Unternehmerfreiheit auf kleine und mittlere Unternehmen zu beschränken bzw. die Berufsfreiheit ihrem Wesen nach auf diese nicht für anwendbar zu erklären. Wohl aber ist diese Sachlage nach der zutreffenden Erkenntnis des Gerichts bedeutsam für den Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers; hierauf w i r d noch zurückzukommen sein 47 . 3.1.7. Art. 12 Abs. 1 G G als Abwehrrecht und als Element objektiver Ordnung

Bisher ist der Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG unter verschiedenen Aspekten beleuchtet worden; d. h. es ist gezeigt worden, was freie Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes, was darüber hinaus Berufsfreiheit bedeutet. Nunmehr ist noch näher darauf einzugehen, welche verschiedenen Schutzrichtungen der dargestellte Schutzbereich hat; d. h. wie Berufsfreiheit i n der Wirklichkeit unserer Rechtsordnung funktioniert. Die wesentlichste Unterscheidung hierfür ist die nach subjektiv- und objektiv-rechtlichen Gehalten der Grundrechte. 3.1.7.1. Allgemeines zu den subjektivund objektiv-rechtlichen Gehalten der Grundrechte Unbestrittenermaßen sind die Grundrechte zunächst Abwehrrechte gegen die staatlichen Gewalten. Das gilt übrigens nicht nur für die ausdrücklich als subjektive Rechte formulierten Menschen- und Bürgerrechte i m engeren Sinn, sondern auch für die Gewährleistungen eines Rechtsinstituts bzw. für die Freiheit eines Lebensbereichs, wie bei der Eigentumsgarantie und der Gewährleistung von Ehe und Familie. Als Abwehrrechte ermöglichen die Grundrechte es dem Einzelnen, sich gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen seines verfassungsrechtlichen Status durch die öffentliche Gewalt i m Weg des Rechts zu wehren. Insofern ist das i m 19. Jahrhundert entwickelte Eingriffsund Schrankendenken i n der Tat nach wie vor prägend für unser Grundrechtsverständnis. Andererseits w i r d es diesem Verständnis nicht gerecht, wenn man i h m vorwirft, es erfasse ausschließlich „punktuelle Interventionen" und verfehle schon deshalb die heutige Wirklichkeit 4 8 . Denn die Möglichkeit der Abwehr staatlicher Beeinträchtigungen ist nur der auf den Konfliktfall zugespitzte Aspekt des Bedeutungsgehalts der Grundrechte als Abwehrrechte. Hinter dem Konfliktfall, eben dem negatorischen Anspruch, steht die positive Seite, nämlich das — sozusagen unbeeinträchtigte — Ausüben, die Aktualisierung der i n den 4e

BVerfGE 50, 290 (363). Vgl. unten 3.2.4.7. 48 I n diesem Sinn Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit i m Sozialstaat, 1977, S. 34 ff., 99 f. 47

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Grundrechten garantierten Freiheiten. Beispielsweise ist es Inhalt der Kommunikationsgrundrechte, daß sie nicht nur von staatlichen Beeinträchtigungen verschont bleiben, sondern daß sie i m tatsächlichen politischen Prozeß ausgeübt werden und daß auf diese Weise die Bürger am geistigen, sozialen und politischen Leben und an der unmittelbaren politischen Willensbildung mitwirken. Der Einzelne kann sich also nicht nur dann auf A r t . 5 Abs. 1 GG berufen, wenn er sich gegen eine i h n konkret beschneidende staatliche Maßnahme wendet; sondern auch dann, wenn ein solcher konkreter Eingriff von Seiten der öffentlichen Gewalt nicht vorliegt. Das Grundrecht als Abwehrrecht richtet sich i n der eben beschriebenen Weise nur gegen die staatlichen Gewalten bzw. — was gleichbedeutend ist — gegen die öffentliche Gewalt, nicht also gegen andere Private. Eine unmittelbare Drittwirkung ist nach positivem Verfassungsrecht ausgeschlossen. Auch darüber besteht i n der heutigen Verfassungsrechtslehre weitgehend Übereinstimmung 4 9 ; lediglich das Bundesarbeitsgericht nimmt i n ständiger Rechtsprechung i n gewissem Umfang eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g an 50 . Die wesentlichen Argumente für den Ausschluß unmittelbarer D r i t t w i r k u n g sind: der unmißverständliche Wortlaut des A r t . 1 Abs. 3 GG; der Umkehrschluß aus A r t . 9 Abs. 3 Satz 2 GG, wo für einen Spezialfall eine Bindung von Privaten normiert ist; das historische Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat, das die Beratungen des Parlamentarischen Rats und das Gesamtsystem des Grundgesetzes geprägt hat. Daß Grundrechte zur positiven Aktualisierung aufgegeben sind, steht dem nicht entgegen; denn insoweit meint die Verfassung freie Aktualisierung. Eine Bindung auch derer an die Grundrechte, denen sie zur freien Entfaltungsmöglichkeit zustehen, würde aber zu einer Umdeutung von Rechten i n Pflichten führen. Was i m Verhältnis zur öffentlichen Gewalt freiheitsbegründend ist, würde sich i m Verhältnis zwischen Privaten freiheitsbeschränkend auswirken. Schließlich ergibt sich eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g auch nicht dadurch, daß ein Gericht als Träger öffentlicher Gewalt i m Verhältnis zwischen Privaten entscheidet. Zwar unterliegen hier die rechtlichen Beziehungen der 49 Vgl. zur ersten Orientierung: Erichsen, Staatsrecht u n d Verfassungsgerichtsbarkeit I, 2. A u f l . 1976, S. 12 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. A u f l . 1980, S. 147 ff. 60 Vgl. B A G E 1, 185 (193 f.); aus neuerer Zeit etwa B A G , N J W 1978, S. 18741; s.a. Conrad, Freiheitsrechte u n d Arbeitsverfassung, 1965, S. 53 f. Bemerkenswerterweise ist die Aussage von Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, 1971, S. 89, die Freiheit der W a h l des Arbeitsplatzes „ w i r k t auch auf die privatrechtlichen Beziehungen zwischen A r b e i t geber u n d Arbeitnehmer unmittelbar ein", i n dem ansonsten gleichen K o n t e x t später weggefallen; vgl. Badura, i n : Besonderes Verwaltungsrecht, 5. A u f l . 1979, S. 276.

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Parteien zum Gericht, also das Prozeßrecht, der Grundrechtsbindung; aber das materielle Rechtsverhältnis, i n dem sich die Parteien des Rechtsstreits zueinander befinden, ist nach dem Gesagten gerade hiervon befreit. Grundrechte als Abwehrrechte — das sei nochmals festgehalten — richten sich also nur gegen die öffentliche Gewalt. Auch wenn nach wie vor an der Schutzrichtung der Grundrechte als Abwehrrechte festgehalten wird, darf heute als gesicherte Erkenntnis gelten, daß sich der Geltungsgehalt der Grundrechte darin nicht erschöpft. Vielfältige faktische und normative Entwicklungen haben dazu geführt, den Grundrechten einen darüber hinausgehenden objektivrechtlichen Gehalt zuzusprechen. Eine frühe Form der Anerkennung objektiv-rechtlicher Gehalte war die i n der Weimarer Zeit von Carl Schmitt entwickelte Lehre von den Instituts- und institutionellen Garantien 51 . Eine Hauptstoßrichtung dieser Lehre war die, die Eigentumsgarantie der Verfassung auch gegenüber dem Gesetzgeber w i r k sam werden zu lassen. Die Einrichtungsgarantie erweiterte die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung i n der Weise, daß nicht nur die bereits entstandenen konkreten Rechte der Eigentümer gewährleistet waren, sondern weitergehend der Gesetzgeber gehalten war, das Rechtsinstitut Eigentum nicht zu beseitigen sowie einen bestimmten Normenbestand zur Verfügung zu stellen, der den Erwerb, die Nutzung, den Gebrauch und den Verkehr vermögenswerter Rechte ermöglichte 52 . Eine andere Entwicklungslinie geht von dem Ungenügen des den Grundrechten als Abwehrrechten zugrunde liegenden klassischen Freiheitsverständnisses aus, wonach Freiheit als Abwesenheit von staatlichem Zwang und Freiheitsrechte als Ausgrenzungen einer staatsfreien Sphäre gesehen werden 53 . Die tatsächliche Entwicklung zur modernen Industriegesellschaft zeigte i n vielfältiger Weise die Grenzen dieses Verständnisses auf. So können von dem Eingriffs- und Schrankendenken zum einen faktische Beeinträchtigungen und zum anderen Abhängigkeiten von staatlicher Leistungsgewährung nicht mehr bewältigt werden. Die moderne arbeitsteilige industrielle Massengesellschaft ist durch ein immer dichter werdendes Netz von sozialem Angewiesensein auf den Staat und aufeinander gekennzeichnet. Die gesellschaftliche Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert, geprägt durch die kapitalistische Produktionsweise und durch die Machterlangung zunächst des „dritten Standes", sodann der Arbeiterklasse, hat nicht aus 61

C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 2. A u f l . 1973, S. 140 ff. Vgl. hierzu näher Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Übergangsrecht, 1981, S. 293 ff. 53 Umfassend dazu Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 1976, passim; vgl. ferner Saladin, Grundrechte i m Wandel, 1970, S. 294 ff. 52

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sich heraus soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit produziert. Der Staat ist zum Leistungs-, Lenkungs- und Planungsstaat geworden. Dadurch ist reale Freiheit weithin von der Schaffung und Gewährleistung ihrer Voraussetzungen durch den Staat abhängig geworden. U m auch unter diesen Bedingungen ihre normative K r a f t beibehalten zu können, mußten die Grundrechte über ihre Abwehrfunktion hinauswachsen. Die objektiv-rechtliche Bedeutung der Grundrechte, die auch vom Bundesverfassungsgericht i n ständiger Rechtsprechung anerkannt w i r d 5 4 , umfaßt nach Hesse drei Aspekte: (a) Als negative Kompetenzbestimmungen schließen sie aus, daß u m der Regelung eines Grundrechts w i l l e n dasselbe abgeschafft oder eingeschränkt werden kann; (b) als Elemente der Gesamtrechtsordnung des Gemeinwesens stützen, umgrenzen und gestalten sie den Status des Einzelnen aus, was allerdings voraussetzt, daß die Grundrechte als subjektive Rechte m i t Leben erfüllt werden; (c) als Richtlinie und Maßstab steuern sie den Staat bei der Planung und Herstellung der tatsächlichen Voraussetzungen der Grundrechtsausübung 55 . Statt von „Richtlinie und Maßstab" w i r d häufiger davon gesprochen, daß den Grundrechten ein Verfassungs- bzw. Gesetzgebungsauftrag oder eine staatliche Verpflichtung zu entnehmen sei 56 . M i t wieder anderen Worten, aber inhaltlich das gleiche intendierend, w i r d gesagt, daß Grundrechte „Prinzipien der Sozialgestaltung festlegen, die Rechtsinstitute und soziale Ordnungselemente normieren" 5 7 . Was das i m einzelnen juristisch bedeutet, soll noch etwas näher dargestellt werden. Daß Grundrechte negative Kompetenzbestimmungen für die öffentliche Gewalt sind, bedeutet, daß die Kompetenzzuweisungen, sei es an den Bund oder sei es an die Länder, nicht die Befugnis geben, die grundrechtlichen Freiheiten, i n deren Bereich die Kompetenzzuweisungen angesiedelt sind, aufzuheben oder zu beeinträchtigen. Das ist nicht etwa das gleiche, was sich schon aus dem Verständnis der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte ergibt. Denn ein subjektives Recht setzt 54

Vgl. vor allem die beiden frühen Entscheidungen BVerfGE 6, 32 (Elfes); 7, 198 (Lüth) sowie aus jüngerer Zeit BVerfGE 50, 290 (337) (Mitbestimmungsgesetz); allerdings w i r d der Aspekt der Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung häufig m i t demjenigen einer grundrechtlichen W e r t ordnung verquickt; vgl. zur K r i t i k insoweit Goerlich, Wertordnung u n d Grundgesetz, 1973. 55 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 1980, S. 124 ff. 56 Vgl. Badura, Der Staat 14 (1975), S. 34; Friauf, DVB1. 1971, S. 677; Häberle, W D S t R L 30 (1972), S. 95, 103, 109 f. 57 Scheuner, D Ö V 1971, S. 506; vgl. auch noch Suhr, Entfaltung der M e n schen durch die Menschen, 1976, S. 129 ff.: „ V o m Schrankendenken zum Denken i n Verkehrsregeln u n d Verantwortlichkeiten".

3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

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einen individuellen Träger und einen konkreten Anspruchsinhalt voraus. Demgegenüber ist die Gesetzgebung abstrakt-generell und zukunftsorientiert. Bei Grundrechten, die Handlungen schützen, w i r d besonders deutlich, daß zukünftige Handlungen zukünftiger Grundrechtsträger nur dann umfassend gegen den Gesetzgeber geschützt werden können, wenn den Grundrechten des Grundgesetzes eine objektivrechtliche Dimension eignet, die losgelöst ist von individuellen Trägern und konkreten Anspruchsinhalten. Beispielsweise kann ein für die Zuk u n f t geltendes neues Versammlungsgesetz nur unter diesem Aspekt auf seine Verfassungsmäßigkeit untersucht werden, da gegenwärtig noch gar keine möglicherweise von A r t . 8 GG geschützten Handlungen vorliegen, die dieses Gesetz i n verfassungsrechtlich unzulässiger Weise beeinträchtigen könnte 5 8 . Die beiden weiteren genannten Aspekte, daß Grundrechte Elemente der Gesamtrechtsordnung sowie Richtlinien und Maßstäbe staatlichen Handelns darstellen, können konkret vor allem folgendes bedeuten: Grundrechte, die wie gesagt keine unmittelbare D r i t t w i r k u n g haben, beeinflussen als Elemente objektiver Ordnung dennoch mittelbar auch das Privatrecht. Dabei geht die Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte noch nicht über das klassiche Verständnis hinaus; weitergehend werden aber Grundrechte i m Verhältnis zwischen Privaten durch den Richter dann angewandt, wenn der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln verwendet hat und es insoweit an einer gesetzlichen Konkretisierung fehlt. Diese sog. mittelbare Drittwirkung ist i n der Literatur herrschend 59 und w i r d vom Bundesverfassungsgericht i n ständiger Rechtsprechung praktiziert 0 0 . M i t den Grundrechten als Elementen objektiver Ordnung w i r d auch argumentiert, soweit Leistungs- und Teilhaberechte begründet werden sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu folgendes festgestellt: „Der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz . . . erschöpft sich indessen nicht i n der den Freiheitsrechten herkömmlich beigemessenen Schutzfunktion gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach ausgesprochen, daß die Grundrechte zugleich als objektive Normen eine Wertordnung statuieren, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht, und daß daher die Grundrechte nicht nur A b 58 Darauf, daß m i t der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) u n d der B u n d - L ä n d e r - K l a g e (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) die o b j e k t i v rechtliche Dimension der Grundrechte v o m Grundgesetz anerkannt ist, hat namentlich Kupp, AöR 101 (1976), S. 166 hingewiesen. 69 Begründet w u r d e sie durch Dürig, i n : Festschrift Nawiasky, 1956, S. 157 ff.; vgl. auch denselben i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, GG, A r t . 1 Abs. I I I Rdnr. 127 ff. u n d A r t . 2 Abs. I Rdnr. 56 ff. 60 Vgl. n u r BVerfGE 7, 198 (Lüth) u n d BVerfGE 25, 256 (Blinkfüer).

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3.

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Berufsfreiheit

wehrrechte des Bürgers gegen den Staat s i n d . . . Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr t r i t t i m Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen." 6 1 A n erkannt ist ein verfassungsrechtliches Leistungsrecht insoweit allerdings nur bei A r t . 7 Abs. 4 GG 6 2 . Schließlich kann der objektiv-rechtliche Gehalt noch dahingehend expliziert werden: So wie oben bei der Funktion der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte der Konfliktfall unterschieden wurde von der tatsächlichen Aktualisierung, muß auch hier die grundrechtliche Ausgestaltung und Umgrenzung sowie — gelegentlich — der grundrechtliche Schutz des Status des Einzelnen immer i n der Perspektive der vom Grundgesetz gewollten Realisierung, Ausübung, Aktualisierung der Grundrechte gesehen werden. Hierin kommt zum Ausdruck, daß die Grundrechte als positiv-rechtliche Konkretisierungen des Verfassungsprinzips der Freiheit i n umfassender Weise dem Einzelnen die höchstmögliche Chance freier Entfaltung gewähren 83 . Wenn grundgesetzliche Freiheit nicht mehr zureichend i n der Ausgrenzung staatsfreier Sphären verstanden werden kann, sondern sich an dem Maß tatsächlicher individueller Entfaltungschancen ausrichtet, dann gehören auch Fragen der realen Vorbedingungen der Freiheit und des Schutzes vor freiheitsbedrohender gesellschaftlicher, d. h. nichtstaatlicher Herrschaft zur Grundrechtsgewährleistung. Grundrechte messen i n dieser Sichtweise Unterverfassungsrecht also nicht ausschließlich daran, inwieweit der Staat i n einzelne Rechtspositionen punktuell eingreift, sondern auch daran, i n welchem Umfang durch das Unterverfassungsrecht Freiheit, d.h. das Maß individueller Entfaltungschancen, tatsächlich gefördert wird. Ein solcher Maßstab steht wie alle anderen Normen des Grundgesetzes nicht isoliert da; er muß i n systematische Interpretationen einbezogen werden und kann Bedeutung erlangen für Fra61 BVerfGE 33, 303 (330 f.); als Beispiel f ü r die überwiegend kritische Aufnahme, die diese Entscheidung i n der Lehre gefunden hat, sei auf v. Mutius, VerwArch. 64 (1973), S. 183 ff. verwiesen. Vgl. ferner die Subjektivierung der objektiv-rechtlichen Förderungspflicht i n BVerfGE 35, 79 (114 f.). Die wichtigsten Gründe gegen eine Interpretation der Grundrechte als Leistungsrechte sind jüngst von Böckenförde, i n : Soziale Grundrechte, 1980, S. 7 ff. zusammengefaßt worden. 62 Vgl. aus der Rechtsprechung B V e r w G E 23, 347; 27, 360 sowie aus der L i t e r a t u r zuletzt Starck, JuS 1981, S. 241 f.; umfassend dazu demnächst Müller / Pieroth / Fohmann, Leistungsrechte i m Normbereich einer Freiheitsgarantie, 1982. 63 Vgl. dazu u n d zum folgenden näher Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 1976, S. 235 ff.

3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

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gen verfassungskonformer Interpretation und für den — allerdings umstrittenen 8 4 — Auslegungstopos der Einheit der Verfassung, Es kann sich natürlich das Problem stellen, wie zu entscheiden ist, wenn sich subjektiv-rechtliche und objektiv-rechtliche Gehalte eines Grundrechts oder mehrere Grundrechte gegenläufig verhalten bzw. kollidieren. Zu denken ist — ohne daß auf den vorliegenden Zusammenhang hier schon näher eingegangen werden soll — etwa an gesetzgeberische Maßnahmen, die für mehr Personen größere Entfaltungschancen garantieren sollen, dabei aber anderen Personen gegenüber gewisse Freiheitsbeschränkungen m i t sich bringen („mehrdimensionale Freiheitsprobleme" i m Sinne Schupperts). Während i n der Literatur teilweise ein genereller Vorrang der subjektiv-rechtlichen vor der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte behauptet w i r d 6 5 , hat das Bundesverfassungsgericht zu A r t . 33 Abs. 5 GG, der einerseits eine institutionelle Garantie, andererseits aber auch ein subjektives Grundrecht enthält, entschieden: „Die verschiedenen i n A r t . 33 Abs. 5 GG enthaltenen Rechtsgarantien stehen nebeneinander; insbesondere gibt es zwischen ihnen kein Rangverhältnis." 6 6 I n einer neueren Entscheidung hat es allerdings folgendes betont: „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind sie (sc: die Einzelgrundrechte) i n erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektiver Prinzipien besteht i n der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft, hat jedoch ihre Wurzel i n dieser primären Bedeutung. Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen K e r n lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, i n dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt." 6 7 Es ist allerdings zu bedenken, daß sich das Gericht hier gegen eine Argumentation gewandt hat, die m i t Hilfe der Bedeutung der Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung die Gestaltungsbefugnisse des Gesetzgebers weiter einzugrenzen trachtete, als sich dies aus den Einzelgrundrechten ergab. Die zitierte Stelle kann daher nicht dahin verstanden werden, daß die objektiv-rechtliche Seite der Grundrechte stets vor ihrer abwehrrechtlichen Funktion zurückzutreten hätte. Vielmehr ist eine eventuelle K o l lision auch i n diesem Bereich nach den allgemeinen Grundsätzen verfassungsrechtlicher Normenkonfliktlösung zu entscheiden. Nach diesen allgemeinen Grundsätzen gibt es insoweit bei gleichrangigen Verfassungsrechtssätzen kein generelles Vor- oder Zurücktreten. 64 65 66 87

Vgl. F. Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979. Vgl. Starck, JuS 1981, S. 239. BVerfGE 43, 154 (167 f.). BVerfGE 50, 290 (337).

3.

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erfassungsrechtlich

3.1.7.2. Unterschiedliche

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Schutzrichtungen

Berufsfreiheit des Art. 12 Abs.l

GG

Was allgemein zu den subjektiv- und objektiv-rechtlichen Gehalten der Grundrechte gesagt worden ist, gilt in vollem Umfang für Art. 12 Abs.l GG. Die Berufsfreiheit ist also nicht nur ein subjektives A b wehrrecht aller Grundrechtsträger, sondern zugleich ein Verfassungsrechtssatz, nach dem die Rechtsordnung insgesamt („objektiv") zu gestalten ist. Darauf nachdrücklich hinzuweisen sah schon i m Jahre 1956 Scheuner Anlaß 6 8 . Er beschrieb Tendenzen namentlich der Rechtsprechung, den A r t . 12 Abs. 1 GG auf eine Zulassungsfreiheit für selbständige Gewerbetreibende zu reduzieren. Demgegenüber unterstrich er, daß „das Zeitalter eines individualistischen Liberalismus, wie man ihn teilweise i n A r t . 2 und 12 GG hineindeuten möchte", m i t dem Grundgesetz abgelaufen sei. Insbesondere sei m i t den Grundrechten „zugleich ein Bestand an objektiven Verfügungen einer bestimmten rechtlichen Einrichtung oder Ordnung" gewährleistet, und man müsse auch A r t . 12 GG „ i n seiner ganzen Tragweite" erfassen, d. h. „neben einzelnen subjektiven Rechten den objektiven Gesamtgehalt des Artikels als Grundlegung eines freiheitlichen Berufsrechts". Damit gewinnt — wie Scheuner ausdrücklich hinzufügt — A r t . 12 Abs. 1 GG auch Bedeutung „ f ü r den arbeitsrechtlichen Bereich", der überwiegend privatrechtlich strukturiert ist und so den Grundrechten, verstanden als bloße Abwehrrechte gegen den Staat, kaum eine normative Wirkung erlaubt 6 9 . Betrachtet man die gesamte vorliegende Rechtsprechung namentlich des Bundesverfassungsgerichts zu A r t . 12 Abs. 1 GG 7 0 , dann muß man allerdings feststellen, daß die abwehrrechtliche Funktion des Grundrechts eindeutig dominiert. Bei den entschiedenen Konflikten ging es fast ausschließlich um die Tätigkeit i n freien Berufen und i m unternehmerischen Bereich, i n die aufgrund staatlicher Regelungen eingegriffen worden war. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, daß A r t . 12 Abs. 1 GG „ f ü r die Arbeitnehmer nur potentielle Bedeutung" habe 71 . I n der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts w i r d dem Recht der freien Wahl des Arbeitsplatzes unmittelbare D r i t t w i r kung zugesprochen, „d. h. bürgerlich-rechtliche Abmachungen müssen sich i n den durch A r t . 12 gesetzten Grenzen halten" 7 2 . Nach der ständi68

Vgl. Scheuner, D Ö V 1956, S.65ff.; ferner ders., DVB1. 1958, S. 845 ff. A r t . 12 Abs. 1 GG als „Grundsatznorm" f ü r das Arbeitsrecht haben näher zu entfalten versucht Conrad, Freiheitsrechte u n d Arbeitsverfassung, 1965; Hannig, Diss. 1970, S. 12 ff.; Langwieser, Diss. 1967, S. 62 ff. Rechtspolitische Vorschläge zur Stärkung der Freiheit am Arbeitsplatz macht Ekkehart Stein, i n : Festschrift Brenner, 1967, S. 278 ff. 70 Übersicht etwa bei Leibholz / Rinck, GG, Stand 1980, A r t . 12 Rdnr. 13 ff. 71 So aber Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit i m Sozialstaat, 1977, S. 14. 72 B A G E 13, 168 (177); vgl. auch B V e r w G E 30, 65 (69 ff.). 69

3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

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gen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt das Grundrecht der Berufsfreiheit für alle sozialen Schichten und alle Bereiche beruflicher Tätigkeit; das Grundgesetz ist auch bewußt und ausdrücklich über die Proklamierung der Gewerbefreiheit i n der Weimarer Reichsverfassung hinausgegangen 73 . Wenn das Bundesverfassungsgericht hauptsächlich m i t Verfassungsbeschwerden von Apothekern, Rechtsanwälten, Handwerkern, Notaren, Ärzten, Steuerberatern usw. befaßt worden ist, nicht aber m i t solchen von Arbeitnehmern, dann hat das seinen Grund i n der hauptsächlich- privatrechtlichen Struktur des Arbeitsrechts. Die Tatsache, daß i n den genannten Fällen unmittelbar nur die abwehrrechtliche Seite des Grundrechts zur Sprache kam, bedeutet aber keinesfalls, daß A r t . 12 Abs. 1 GG nicht auch als Element objektiver Ordnung w i r k t . Allerdings konnte dies i n der genannten Rechtsprechung immer nur mittelbar zum Ausdruck kommen. Eine Reihe von Elementen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berufsfreiheit ist i n diesem Sinn als Ausdruck des objektiv-rechtlichen Gehalts des Grundrechts interpretierbar. V o r allem die — i n der neueren Rechtsprechung wieder verstärkt erfolgende 74 — Respektierung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums im wirtschaftlichen Bereich durch das Bundesverfassungsgericht vermag einer Überbetonung des Abwehrrechts gegenzusteuern. I n der früheren Rechtsprechung w a r es die „Berufsbild"-Theorie, die einen ähnlichen Effekt hatte. Danach steht dem Gesetzgeber die Befugnis zu, Berufsbilder festzulegen und damit die freie Berufswahl i n diesem Bereich zu verengen; er darf dabei typisieren und braucht Spezialisierungstendenzen nur i n gewissem Umfang zu berücksichtigen 75 . Wo der Gesetzgeber von dieser Befugnis, Berufsbilder typischer Berufe gesetzlich zu fixieren, Gebrauch gemacht hat, w i r d die Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht auf eine A r t Willkürüberprüfung zurückgenommen 78 . Dahinter w i r d man als legitimierenden Gedanken erblicken dürfen, daß Gesamtregelungen eines Bereichs, i n dem typischerweise eine Vielzahl unterschiedlicher Freiheitsausübungen zu koordinieren ist, nicht ausschließlich am Maßstab des Abwehrrechts eines einzelnen der beteiligten Grundrechtsträger gemessen werden dürfen. Der objektiv-rechtliche Gehalt des Grundrechts ist hier also das Korrektiv, das den Einseitigkeiten des negativen, auf bloße Ausgrenzungen einer staatsfreien Sphäre abhebenden Freiheitsbegriffs und des damit ein73

Vgl. nochmals BVerfGE 7, 377 (397). Vgl. dazu näher unten 3.2.4.6. 76 BVerfGE 13, 97 (98, Leitsatz 3); wieder aufgenommen jetzt i n BVerfGE 54, 301 (322 ff.); kritisch dazu allerdings Bachof, i n : Die Grundrechte I I I / l , 2. A u f l . 1972, S. 187 ff.; Rupp, AöR 92 (1967), S. 221 f. 76 Vgl. BVerfGE 13, 97 (106); 54, 301 (322). 74

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Berufsfreiheit

hergehenden Eingriffs- und Schrankendenkens begegnen soll. Dem Gesetzgeber des Sozialstaats sind grundrechtsfördernde Maßnahmen nicht schon und immer dann ohne weiteres verwehrt, wenn diese Maßnahmen für einzelne Grundrechtsträger auch gewisse Freiheitsbeeinträchtigungen m i t sich bringen 7 7 . Das bedeutet hier: Für die Frage einer gesetzlichen Einschränkung privater Arbeitnehmerüberlassung ist verfassungrechtlich A r t . 12 Abs. 1 GG nicht nur als Abwehrrecht betroffener Einzelner, die das Gewerbe der Arbeitnehmerüberlassung betreiben, sondern auch A r t . 12 Abs. 1 GG als Element objektiver Ordnung einschlägig. Insoweit ist es dem Gesetzgeber aufgegeben, i m gesamten betroffenen Lebensbereich und für alle beteiligten Menschen eine möglichst freiheitliche, d. h. allen Beteiligten ein Höchstmaß individueller Entfaltungschancen verschafr fende Regelung zu treffen. Auch wenn A r t . 12 Abs. 1 GG i n der Person betroffener Arbeitnehmer nicht direkt gegen Arbeitgeber, sei es Verleiher, sei es Entleiher, w i r k t , ist er hier dennoch i n der besprochenen A r t und Weise normativ i n Ansatz zu bringen. Eine Regelung, die die Berufsfreiheit, also die Selbstbestimmung über Arbeitsbedingungen, fördert, ist insoweit verfassungsrechtlich gedeckt. Soweit durch diese Regelung zugleich die Berufsfreiheit anderer Beteiligter eingeschränkt wird, muß der Normenkonflikt nach den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen entschieden werden. Ein Einwand liegt auf der Hand: W i r d nicht durch ein solches Entgegensetzen subjektiv- und objektiv-rechtlicher Gehalte die historische Errungenschaft individueller Freiheitsrechte auf Spiel gesetzt? Zweierlei ist zu bedenken: Die Fortentwicklung des Grundrechtsverständnisses i m aufgezeigten Rahmen ist durch die veränderten gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse unbedingt geboten; ein Festhalten an den Grundrechten als bloßen Abwehrrechten ließe die Errungenschaft i n einem anderen Sinn historisch, nämlich anachronistisch werden. Andererseits stehen dem neuen Verständnis nicht die ausgefeilten dogmatischen Konzepte und Instrumente zur Verfügung, die das Eingriffs» und Schrankendenken i n jahrzehntelanger Entwicklung herausgebildet hat. Die Fortentwicklung hat daher sehr behutsam und, wann immer es geht, i n enger Anlehnung an bereits erarbeitete Dogmatiken zu erfolgen. Als Beispiel sei auf die Ausführungen von R. Scholz zu der — der hier behandelten Problematik gleichgelagerten — Frage der Zulässigkeit staatlicher Arbeitsförderungsmaßnahmen i m Verhältnis zur Be77 Zutreffend insoweit Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit i m Sozialstaat, 1977, S. 15, 18 u. ö.; die auf S. 151 ff. gezogenen Folgerungen f ü r „Organisation u n d Verfahren als M i t t e l der Grundrechtsverwirklichung" gehen allerdings w e i t über das geltende Recht hinaus.

3.1. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

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rufsfreiheit verwiesen 78 . Auch für Scholz stellt das Grundrecht der Berufsfreiheit prinzipiell ein liberales Freiheitsrecht i m status negativus dar: „ E i n leistungsstaatliches Teilhaberecht i m Sinne eines sozialgrundrechtlich verfaßten Rechts auf Arbeit ist A r t . 12 GG damit unbekannt." Andererseits sieht er i n diesem Grundrecht i n Verbindung m i t dem Sozialstaatsprinzip gleichzeitig eine „staatliche Pflicht zur Vollbeschäftigungspolitik" und zur „staatlichen Unterstützung freier Berufsund Arbeitsplatzwahl". Das Sozialstaatsprinzip fungiert hierbei — wie es der heute herrschenden Meinung entspricht — als zusätzliche normative Basis für den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte; demgegenüber w i r d es als zu vage angesehen, u m selbst ein subjektives Recht hervorbringen zu können 79 . Bei staatlichen Maßnahmen zur A r beitsverschaffung ist es nun aber denkbar, daß das Grundrecht der Be^ rufsfreiheit der Arbeitgeber kollidiert m i t der Erfüllung des objektivrechtlichen Gehalts des A r t . 12 Abs. 1 GG. Ausgangspunkt für die Konfliktlösung ist das Grundrecht als Abwehrrecht: „ A r t . 12 Abs. 1 GG gestattet folglich keine staatliche Bewirtschaftung des Arbeitsplatzangebots oder der Arbeitsplatznachfrage." Aber: „Andererseits unterstehen diese Freiheitsrechte des A r t . 12 GG i n ihrer Gesamtheit den Vorbehalten, des Sozialstaatsprinzips und seiner auch zugunsten des Rechts auf Arbeit wirksamen Leistungen sowie Pflichtigkeiten. Z w i schen beiden Gewährleistungskreisen bedarf es demgemäß des verfassungskonformen Ausgleichs. Dieser kann — freilich i n engen Grenzen und ohne Einsatz von Verteilungszwängen — auch staatlicherseits inspirierte Bedarfskontrollen rechtfertigen (verbunden vor allem m i t informativen, konsultativen sowie sonstig mittelbar beeinflussenden Lenkungsmechanismen)." Hier zeigt sich klar die Möglichkeit der Legitimierung einer Grundrechtseinschränkung m i t den objektiv-rechtlichen Gehalten eben dieses Grundrechts; selbstverständlich sind hierbei — auch das wurde an dieser parallelen Argumentation deutlich — die Anforderungen des Übermaßverbots strikt zu beachten 80 .

78 Vgl. Scholz, i n : Soziale Grundrechte, 1980, S. 75 ff.; zum folgenden besonders S. 83 f. 70 Vgl. Badura, Der Staat 14 (1975), S. 23; Friauf, DVB1. 1971, S. 677 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. A u f l . 1980, S. 87; Martens, W D S t R L 30 (1972), S. 31; Stern, i n : Evangelisches Staatslexikon, 2. A u f l . 1975, Sp. 2405 f. 80 Vgl. dazu noch näher unten 3.2.3.

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3.

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3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit 3.2.1. Zur Tragweite des Regelungsvorbehalts

Gemäß A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Hier ist schon i m Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts m i t Normbereichsargumenten begründet worden, daß A r t . 12 Abs. 1 GG das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit gewährleistet 1 . Daraus folgt, daß auch der Regelungsvorbehalt des Satzes 2 nicht auf die Berufsausübung beschränkt ist, sondern das Grundrecht insgesamt umfaßt. M i t den Worten des Apotheken-Urteils: „So ist A r t . 12 Abs. 1 ein einheitliches Grundrecht (der ,Berufsfreiheit') jedenfalls i n dem Sinn, daß der Regelungsvorbehalt des Satz 2 sich ,dem Grunde nach' sowohl auf die Berufsausübung wie auf die Berufswahl erstreckt." 2 Damit ist aber noch nicht entschieden, wozu i m einzelnen der Regelungsvorbehalt den Gesetzgeber i m Bereich der Berufsfreiheit ermächtigt. Grundsätzlich kennt das Grundgesetz vier Normierungsarten für das Verhältnis von Grundrechten und Gesetzgeber 3. Die erste ist die, daß ein Grundrecht ohne jeden Zusatz über Befugnisse des Gesetzgebers gewährleistet ist; man spricht insofern von vorbehaltlosen Grundrechten (Beispiel: A r t . 4 Abs. 1 und 2, A r t . 5 Abs. 3 GG). Die zweite Variante besteht darin, daß — wie i n A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG — dem Grundrecht ein Regelungsvorbehalt beigefügt ist. Davon ist, drittens, der Gesetzesvorbehalt zu unterscheiden, wonach das Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt bzw. i n es eingegriffen werden kann (Beispiele: A r t . 2 Abs. 2 Satz 3, Art. 8 Abs. 2 GG). Die vierte Normierungsart ist i n A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG verwirklicht: Schon der Inhalt des Grundrechts auf Eigentum w i r d durch die Gesetze bestimmt. Über die Tragweite von dreien dieser Normierungsarten besteht i n der Rechtslehre weitgehend Einigkeit. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte dürfen durch den Gesetzgeber, soweit dieser sich nicht auf sonstiges Verfassungsrecht stützen kann, nicht eingeschränkt werden; Gesetzesvorbehalte ermächtigen den Gesetzgeber zu eben solchen Einschränkungen bzw. Eingriffen i n den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts; bei A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG hat der Gesetzgeber darüber hinaus eine weitgehende Gestaltungsbefugnis, w e i l er den verfassungsrechtlichen Schutzbereich selbst mitkonstituieren darf. 1

Vgl. oben 3.1.2. BVerfGE 7, 377 (402). 8 Zusammenfassende Darstellung aus neuerer Zeit etwa bei Schnapp, JuS 1978, S. 729 ff. 2

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

59

Schwierigkeiten hat seit je die Normierungsart des Regelungsvorbehalts bereitet, die sich außer i n A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG noch bei A r t . 4 Abs. 3, A r t . 21 Abs. 3 und A r t . 38 Abs. 3 GG findet. Der Regelungsvorhalt des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 G G i s t i m Schrifttum schon m i t allen anderen drei Normierungsarten gleichgesetzt worden. Beispielsweise hat ihn Ipsen als m i t der Inhaltsbestimmung gemäß A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG identisch erklärt und damit dem Gesetzgeber i m Bereich der Berufsfreiheit einen weiten Gestaltungsspielraum eröffnet 4 . Ähnlich hat Scheuner den Regelungsvorbehalt als weitergehend als die normale Ermächtigung zur Schrankenziehung durch einen Gesetzesvorbehalt angesehen m i t dem Ergebnis eines „weiten Bereichs des Ermessens" 5 . Demgegenüber bedeutet der Regelungsvorbehalt für das Bundesverfassungsgericht, daß hier der Gesetzgeber einen engeren Gestaltungsspielraum hat als bei den Gesetzesvorbehalten. Danach „bedeutet der Ausdruck ,regeln', den der Grundgesetzgeber hier offenbar bewußt statt des i n den Grundrechtsbestimmungen sonst üblichen beschränken' oder ,einschränken' gebraucht, darauf hin, daß eher an eine nähere Bestimmung der Grenzen von innen her, d . h . der i m Wesen des Grundrechts selbst angelegten Grenzen, gedacht ist als an Beschränkungen, durch die der Gesetzgeber über den sachlichen Gehalt des; Grundrechts selbst verfügen, nämlich seinen natürlichen, sich aus rationaler Sinnerschließung ergebenden Geltungsbereich von außen her einengen würde" 6 . Vollständig den vorbehaltlosen Grundrechten gleichsetzen möchte das Gericht den A r t . 12 Abs. 1 GG aber auch nicht, denn es betont an der gleichen Stelle, daß „regeln" nicht bedeutet, „daß der Gesetzgeber das Grundrecht i n keiner Hinsicht einschränken dürfe". I m Ergebnis ähnlich argumentiert Hesse, für den i n den Fällen der Regelungsvorbehalte die Ubergänge zwischen bloßer Ausgestaltung und Einschränkung des Schutzbereichs „verfließen". Er sieht den Unterschied von „Regelung" und „Beschränkung" darin, „daß ,Regelung' sowohl Ausgestaltung als auch (sekundär) Begrenzung sein kann" 7 . Der Rechtsprechung und den i h r folgenden Auffassungen i n der Literatur ist insofern Recht zu geben, als der Regelungsvorbehalt eher i n die Nähe der vorbehaltlosen Grundrechte gerückt w i r d als i n die der Fälle des Bestehens eines Gesetzesvorbehalts bzw. als i n ihnen primär 4 Vgl. Ipsen, Apothekenerrichtung u n d A r t . 12 des Grundgesetzes, 1957, S. 42, 51. 5 Scheuner, D Ö V 1956, S. 68. β BVerfGE 7, 377 (404); so auch Scholtissek, i n : Festgabe Küchenhoff, 1967, S. 211. 7 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. A u f l . 1980, S. 131.

3.

erfassungsrechtlich

aner

Berufsfreiheit

eine bloße Ausgestaltungs- und Konkretisierungsbefugnis des Gesetzgebers gesehen w i r d anstelle einer Ermächtigung zu Eingriffen i n das Grundrecht. Allerdings geben diese Auffassungen keinen Maßstab für das „Mehr" oder „Weniger" bzw. das „Primär" oder „Sekundär" an. Dieser Maßstab kann nur die sachliche Weite des Normbereichs sein. Bei einem sachlich eng umgrenzten Normbereich wie i m F a l l des A r t . 4 Abs. 3 GG kann der Regelungsvorbehalt nicht zu Eingriffen i n das Grundrecht ermächtigen, ist das Grundrecht also einem vorbehaltlos gewährleisteten gleichzusetzen. Anders i m Fall eines so weitgespannten Normbereichs wie der Berufsfreiheit, unter der j a die Selbstbestimmung der Gesamtheit der Arbeitsbedingungen verstanden wird 8 . Eine Regelung, die hier nicht zugleich unter irgendeinem Gesichtspunkt eine Beschränkung der Freiheit darstellt, ist faktisch gar nicht möglich. Es ist daher nur konsequent, wenn die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Regelungsvorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG der Sache nach als (zu Einschränkungen bzw. Eingriffen ermächtigenden) Gesetzesvorbehalt behandelt 9 und i h n i n neueren EnU Scheidungen auch direkt so bezeichnet 10 . Auch i m folgenden w i r d daher der Regelungsvorbehalt i n diesem besonderen Falle einem Gesetzesvorbehalt gleichgeachtet. 3.2.2. Verfassungsrechtliche Schranken für gesetzliche Eingriffe nach der „Stufentheorie"

Auch dort, wo der Gesetzgeber durch einen Gesetzesvorbehalt zu Einschränkungen bzw. Eingriffen i n das Grundrecht ermächtigt ist, sind i h m von der Verfassung bestimmte Schranken gezogen. Allgemein ausgedrückt, muß ein den Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG einschränkendes Gesetz m i t den übrigen Normen der Verfassung i n Einklang stehen. Das bedeutet zum Beispiel, daß dieses Gesetz die Kompetenz« und Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes wahren muß 1 1 ; das ist aber hier nicht das Problem. Darüber hinaus darf der spezifische Freiheitsschutz, der m i t der grundrechtlichen Gewährleistung intendiert ist, nicht dadurch ausgehöhlt werden, daß man i n dem Gesetzesvorbehalt eine Befugnis des Gesetzgebers zu beliebigen Einschränkungen und Eingriffen i n das Grundrecht erblickt. Eine solche Auffassung verbietet sich schon deshalb, w e i l dadurch der i m vorigen Abschnitt herausgestellte Unterschied zwischen einem Gesetzesvorbehalt und einer gesetzlichen Inhaltsbestimmung der Grundrechtsgewährleistung verwischt würde. Die praktische Schwierigkeit liegt also — wie 8

Vgl. oben 3.1.2. Vgl. auch Erichsen, Jura 1980, S. 553. 10 Vgl. ζ. B. BVerfGE 54, 224 (234); 54, 237 (246). 11 Vgl. etwa Erichsen, Jura 1979, S. 448, 503. 9

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt hat — „darin, das grundsätzlich freie wirtschaftspolitische, sozialpolitische und berufspolitische Ermessen, das dem Gesetzgeber gewahrt bleiben muß, m i t dem Freiheitsschutz, auf den der einzelne Bürger gerade auch dem Gesetzgeber gegenüber einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat, zu vereinen" 1 2 . Zur Lösung dieses Problems hat das Bundesverfassungsgericht i n dem schon mehrfach erwähnten Apotheken-Urteil seine „Stufentheorie" entwickelt, die von Rechtsprechung und Lehre weitgehend übernommen worden ist 1 3 . Sie knüpft an den Wortlaut des A r t . 12 Abs. 1 GG insofern an, als zwischen Berufswahl und Berufsausübung differenziert und der Freiheit auf der einen Seite eine Regelungsbefugnis des Gesetzgebers auf der anderen Seite gegenübergestellt wird. Daraus folgert das Gericht, daß die Befugnisse des Gesetzgebers i n diesen „Phasen" nicht gleich intensiv sind, sondern daß der Gesetzgeber umso stärker beschränkt ist, je mehr er i n die Freiheit der Berufswahl eingreift. Die erste (unterste) Stufe bilden Regelungen der Berufsausübung. Diese sind schon zulässig, soweit „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen". Als derartige vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls nennt das Gericht beispielsweise „Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit" und den „Gedanken der Förderung eines Berufes und damit die Erzielung einer höheren sozialen Gesamtleistung seiner Angehörigen". Eine Verletzung des Grundrechts soll auf dieser Stufe nur bei „übermäßig belastenden und nicht zumutbaren gesetzlichen Auflagen" vorliegen. Insgesamt sei aber der Grundrechtsträger auf dieser Stufe nicht stark betroffen, „da er bereits i m Beruf steht und die Befugnis, i h n auszuüben, nicht berührt w i r d " . A u f der zweiten Stufe stehen Regelungen der subjektiven Voraussetzungen der Berufsaufnahme. Z u ihnen ist der Gesetzgeber nur legitimiert, „soweit der Schutz besonders wichtiger (,überragender') Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert, d.h.: soweit der Schutz von Gütern i n Frage steht, denen bei sorgfältiger Abwägung der Vorrang vor dem Freiheitsanspruch des Einzelnen eingeräumt werden muß und soweit dieser Schutz nicht auf andere Weise, nämlich m i t Mitteln, die die Berufswahl nicht oder weniger einschränken, gesichert werden kann". Unter subjektiven Voraussetzungen der Berufsaufnahme sind dabei solche zu verstehen, auf deren Erfüllung der Einzelne Einfluß nehmen kann; namentlich kommen also Vorschriften über die Vor- und Ausbildung i n Betracht. 12 13

BVerfGE 7, 377 (400). Vgl. BVerfGE 7, 377 (405 ff.); ebenda auch zum folgenden.

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Die dritte Stufe schließlich betrifft die Aufstellung objektiver Bedingungen für die Berufszulassung, deren Erfüllung dem Einzelnen schlechthin entzogen ist. Da hier der Grundrechtseingriff besonders intensiv ist, sind an den Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Freiheitsbeschränkung besonders strenge Anforderungen zu stellen: „ i m allgemeinen w i r d nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut diesen Eingriff i n die freie Berufswahl legitimieren können". Diese „Stufentheorie" des Bundesverfassungsgerichts w i r d abgerundet durch eine Regel über das Verhältnis dieser drei Stufen zueinander: „Der Gesetzgeber muß Regelungen nach A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG jeweils auf der ,Stufe' vornehmen, die den geringsten Eingriff i n die Freiheit der Berufswahl m i t sich bringt, und darf die nächste ,Stufe' erst dann betreten, wenn m i t hoher Wahrscheinlichkeit dargetan werden kann, daß die befürchteten Gefahren m i t (verfassungsmäßigen) M i t t e l n der vorausgehenden ,Stufe' nicht wirksam bekämpft werden können." 1 4 I n der Folge hat das Bundesverfassungsgericht diese „(Drei-)Stufentheorie" sogar noch zu verfeinern gesucht. Wie sich insbesondere aus der Entscheidung zur Kassenarztzulassung 15 und aus dem Werkfernverkehrs-Urteil 1 6 ergibt, soll auf der Stufe der Regelung der Berufsausübung wie folgt weiter differenziert werden: Zwischen die, sozusagen gewöhnliche, Regelung der Berufsausübung und die Regelung subjektiver Voraussetzungen für die Berufsaufnahme sind zwei Z w i schenstufen einzuschalten, nämlich Regelungen der Berufsausübung, die diese generell und empfindlich treffen, sowie Regelungen der Berufsausübung, die zugleich schon auf die Berufswahlfreiheit übergreifen. Die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers auf diesen Zwischenstufen wird, ganz i m Sinne des Apotheken-Urteils, wiederum an bestimmte Voraussetzungen gebunden, nämlich daß „vor der behinderten Freiheit vorrangige Gemeinschaftsgüter" bzw. „besonders wichtige Gemeinschaftsgüter" i n Frage stehen 17 . Die geschilderte Entwicklung der Rechtsprechung hat allerdings schon die Fragwürdigkeit der „Stufentheorie" deutlich gemacht. Die wesentlichen Einwände sind die folgenden 18 : Z u m einen ist die Unter14

BVerfGE 7, 377 (408). BVerfGE 11, 30. 18 BVerfGE 16, 147. 17 Ich folge hier der Analyse von Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 57 ff.; ausführliche Darstellung bei v. Ameln, Diss. 1973, u n d Langheineken, Diss. 1972. 18 Z u r K r i t i k vgl. vor allem Bachof, i n : Die Grundrechte I I I / l , 2. A u f l . 1972, S. 215 ff.; Rupp, AöR 92 (1967), S. 234 ff.; Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 59 ff.; Schwabe, D Ö V 1969, S. 738. 15

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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Scheidung der verschiedenen Regelungsstufen kaum stimmig durchzuhalten. Das hat sich schon bei der nachträglichen Kreation von Z w i schenstufen zwischen bloßen Berufsausübungsregelungen und Vorschriften über subjektive Zulassungsvoraussetzungen gezeigt. Große Schwierigkeiten hat dem Bundesverfassungsgericht i n diesem Zusammenhang auch die Beantwortung der Frage gemacht, ob und wann Erweiterungen oder Nebentätigkeiten als eigenständige Berufe anzusehen sind; je nachdem würde sich eine einschränkende gesetzliche Regelung als Berufsausübungs- oder Berufswahlbegrenzung darstellen. Beispielsweise sind als bloße Erweiterung der Berufstätigkeit (und damit dem Bereich der Berufsausübung zugehörig) angesehen worden: der Verkauf von Arzneifertigwaren durch einen Drogisten; die Möglichkeit eines Prozeßagenten, vor Gericht zu verhandeln; die Tätigkeit eines Arztes als Kassenarzt 19 . Demgegenüber soll der Verkauf von loser Milch i m Rahmen eines Lebensmittelgeschäfts eine Frage der Berufswahl sein 20 . Weitere Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich bei „mittelbaren" Berufsbeschränkungen, beispielsweise steuerrechtlichen Regelungen 21 . Auch die von der „Stufentheorie" gezogene Unterscheidungslinie zwischen subjektiven und objektiven Zulassungsbeschränkungen erscheint problematisch. So werden Anforderungen an die Vor- und Ausbildung, die vom Bundesverfassungsgericht den subjektiven Zulassungsvoraussetzungen zugerechnet werden, durchaus objektiv, ζ. B. i n Prüfungsordnungen, höher oder niedriger, festgelegt; ferner: „Auch die subjektiven Möglichkeiten, die einem Einzelnen i n die Wiege gelegt sind, hängen nicht nur von i h m und seinem guten Willen ab; sie sind somit ein objektiver Befund und verfälschen die vom Bundesverfassungsgericht gezogene Zäsur zwischen subjektiven und objektiven Zulassungsvoraussetzungen." 22 Der zweite wunde Punkt der „Stufentheorie" ist die Rangstufung von Gemeinschaftsgütern. Die von der „Stufentheorie" geforderten Unterscheidungen zwischen „nachweisbaren oder höchstwahrscheinlich schweren Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut", einem „besonders wichtigen, vorrangigen, wichtigen oder sonstigen Gemeinschaftsgut" sind rational einfach nicht zu treffen. Es ist daher auch ein „Erschlaffen der Formulierungen" sowie eine Inkonsistenz der tatsächlichen Entscheidungen i n bezug auf diese Formeln festgestellt worden 2 3 . 19

Vgl. BVerfGE 9, 73 (79 f.); 10, 185 (192 f.); 11, 30 (41); 12, 144 (147). Vgl. BVerfGE 9, 39 (48). 21 Hier löst sich die Unterscheidung von Berufswahl u n d Berufsausübung nach Rupp, AöR 92 (1967), S. 236 „ i n Nebel auf". 22 Rupp, AöR 92 (1967), S. 234. 23 Vgl. Herzog, i n : Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl. 1975, Sp. 188. 20

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Eine noch weitergehende K r i t i k an der „Stufentheorie" w i r f t ihr vor, auf einer unangemessenen Reduktion der Komplexität i n den Beziehungen zwischen dem Staat und der i n A r t . 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit zu beruhen 24 . I n der „Stufentheorie" würden nur i n ganz verkürzter Weise die staatlichen Interventionen i n einen sich gesellschaftlich bildenden individuellen Freiheitsbereich erfaßt; alle für eine Betrachtung ebenfalls bedeutsamen Bedingungen würden aus der Beurteilung ausgeklammert. Das w i r d am Beispiel des ApothekenUrteils wie folgt illustriert: Die Möglichkeit zum Apothekenbetrieb, als der dort maßgebliche, aus A r t . 12 Abs. 1 GG folgende Freiheitsanspruch, sei keine feste, dem Staat vorgegebene Größe; vielmehr werde sie zu beträchtlichen Teilen durch staatliche Leistungen erst geschaffen: „durch die vom Staat geleistete Ausbildung (für die nur ein Bruchteil der entstandenen Kosten erhoben wird), durch das Apothekenmonopol (das wesentlich die wirtschaftliche Ertragsfähigkeit sichert), durch die Sozialversicherungspolitik (die meisten Einnahmen der Apotheken stammen aus der Sozialversicherung und sind durch diese garantiert), i n vielen Fällen durch die Struktur- und Regionalpolitik". Diese K r i t i k richtet sich aber eingestandenermaßen i n gleicher Weise gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip bzw. Übermaßverbot und damit gegen geltende Verfassungsrechtssätze. Das der genannten K r i t i k zugrunde liegende teilweise berechtigte Anliegen ist daher nicht i n der Richtung einer Negierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bzw. Ubermaßverbots weiter zu verfolgen, sondern i n der Einpassung i n anerkannte normative und dogmatische Grundlagen unseres Verfassungsrechts. Ein Ansatzpunkt ist die schon vorgestellte objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte 25 ; weitere Ansatzpunkte werden sich bei der näheren Darstellung des Übermaßverbots noch ergeben 26 . Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bis heute nicht die „Stufentheorie" formell aufgegeben; es hat aber i n neueren Entscheidungen die starre Einteilung der Stufen aufgebrochen und das Ubermaßverbot auch unmittelbar, ohne Bezug auf die „Stufentheorie", angewandt 27 . Das darf dahin interpretiert werden, daß die „Stufentheorie" für das Bundesverfassungsgericht selbst nicht mehr die Qualität eines normativen, sondern nur noch die eines heuristischen Modells besitzt. Es erfaßt unterschiedliche Typen der Freiheitsbeschränkung und verweist besonders auf den Gesichtspunkt unterschiedlicher Intensität, m i t der der Gesetzgeber die grundrechtliche Freiheitsgewährleistung ein24 Vgl. Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit i m Sozialstaat, 1977, passim, besonders S. 17 f., 44, 138. 25 Vgl. oben 3.1.7. 28 Vgl. unten 3.2.3. u n d 3.2.4. 27 Vgl. die Nachweise bei Erichsen, Jura 1980, S. 557.

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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schränkt; gleichzeitig berücksichtigt das Modell die hiermit korrespondierende Unterschiedlichkeit des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Insoweit ist die „Stufentheorie" von bleibender Aktualität. 3.2.3. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bzw. das Ubermaßverbot in heutiger dogmatischer Sicht

Als der wichtigste verfassungsrechtliche Maßstab, der den Gesetzgeber auch dort bindet, wo dieser zu Einschränkungen der bzw. Eingriffen i n die Grundrechte ermächtigt ist, hat sich heute der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. das Übermaßverbot herauskristallisiert 28 . Das Bundesverfassungsgericht leitet den Grundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip ab 29 . Unter dem Oberbegriff „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" werden die Teilgrundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i m engeren Sinne zusammengefaßt 30 . U m Verwechselungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit m i t dem Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeit i m engeren Sinne zu vermeiden, w i r d vielfach gleichbedeutend m i t dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch der Begriff des Übermaß Verbots verwendet 3 1 ; auch das Bundesverfassungsgericht verwendet gelegentlich den Begriff des Übermaßverbots als Oberbezeichnung 32 , oder es spricht von den „Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaß Verbots" 33 . Auch für die genannten einzelnen Teilgrundsätze werden unterschiedliche Ausdrücke benutzt; gleichbedeutend m i t „Geeignetheit" w i r d etwa der Ausdruck „Tauglichkeit" oder „Zwecktauglichkeit" verwendet; für „Erforderlichkeit" heißt es gelegentlich „Notwendigkeit", „Minimaleingriff", „Interventionsminimum" und anderes mehr 3 4 . I m folgenden w i r d i m Sinne des heute w o h l überwiegenden Sprachgebrauchs „Ubermaßverbot" als Oberbegriff für „Geeignetheit", „Erforderlichkeit" und 28 Vgl. grundlegend Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, 1961; zusammenfassend zuletzt Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981; weitere wichtige L i t e r a t u r : v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1955; Gentz, N J W 1968, S. 1600 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff.; H. Schneider, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, Bd. I I , 1976, S. 390 ff.; Wendt, AöR 104 (1979), S. 214 ff. 29 Nachweise bei Grabitz, AöR 98 (1973), S. 584 Fn. 87 u n d H. Schneider, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, Bd. I I , 1976, S. 390 ff. 30 Vgl. BVerfGE 21, 150 (155); 27, 211 (219); 27, 344 (352); 28, 264 (280); 30, 292 (316); 33, 240 (244); 34, 205 (209); 36, 47 (59); 37, 1 (18 f.); 38, 281 (302); 40, 371 (382 f.); 41, 251 (264); 41, 378 (395); 49, 24 (58). 81 Den Lerche, Ubermaß u n d Verfassungsrecht, 1961, S. 21 lediglich als Oberbezeichnung der Grundsätze der Erforderlichkeit u n d Verhältnismäßigkeit i m engeren Sinne vorgeschlagen hatte. 32 Vgl. etwa BVerfGE 16, 194 (201 f.); 30, 292 (316). 33 Vgl. etwa BVerfGE 23, 127 (133 f.); 38, 348 (368). 34 Nachweise bei Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 20 f.

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„Verhältnismäßigkeit" verwendet; soweit von der herrschenden Meinung abweichende Prüfungsgesichtspunkte i n den Blick kommen, w i r d für diese auch ein abweichender Begriff verwendet. Das Ubermaßverbot w i r d ferner hier nur i n seiner klassischen Ausprägung als verfassungsrechtliche Schranke für Grundrechtseinschränkungen durch den Gesetzgeber behandelt; die — problematischen — neueren Versuche einer Verhältnismäßigkeitsprüfung über den Bereich belastender Eingriffe des Staats hinaus 35 bleiben unberücksichtigt. (a) „Geeignetheit" bedeutet i m Zweck/Mittel-Schema die vorgestellte Kausalität eines Mittels (einer Ursache) für einen Zweck (eine W i r kung) 3 8 . Das Bundesverfassungsgericht sieht ein M i t t e l dann als geeignet an, den erstrebten Zweck zu erreichen, „wenn m i t seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann" 3 7 . Schon an dieser Sprachfassung sind zwei Einschränkungen der Überprüfung der Geeignetheit einer Maßnahme erkennbar: Zum einen ist eine Maßnahme nicht schon dann ungeeignet, wenn sie den erstrebten Erfolg nicht v o l l zu erreichen vermag; vielmehr genügt die teilweise Verwirklichung des gesetzgeberischen Ziels; oder m i t anderen Worten: Die Geeignetheit ist schon durch eine Teileignung des Mittels gegeben. Diese Einschränkung läßt sich wie folgt begründen: Wer einen bestimmten Zweck verfolgen darf, ist i n der Regel auch berechtigt, i n diese Zweckverfolgung eingeschlossene, aber mindere, weniger weitgehende Erfolge anzustreben. Unter dieser Voraussetzung wäre es nicht folgerichtig, denjenigen, der sein zu hoch gestecktes Ziel nicht erreicht hat, nur deswegen gegenüber demjenigen schlechter zu stellen, der sein Ziel von vornherein bescheidener gesteckt hat 3 8 . Die andere Einschränkung der Prüfung der Geeignetheit betrifft die Richtigkeit der Prognose der Geeignetheit eines Mittels; denn durch die zitierte Formel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts w i r d nicht verlangt, daß das M i t t e l den Zweck i m Zeitpunkt der Entscheidung auch tatsächlich fördert: Wenn eine gesetzgeberische Maßnahme den von i h r angestrebten Zweck noch nicht erreicht hat, so folgt aus diesem Umstand allein noch nicht ihre Verfassungswidrig85 Nachweise bei Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 28 ff., 179 ff. 86 Näher dazu Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 43 ff. (50). 87 BVerfGE 30, 292 (316); 33, 171 (186 f.); 39, 210 (230); 40, 196 (222); negat i v e Formulierung („völlig (schlechthin) ungeeignet", „ o b j e k t i v untauglich", „untaugliches M i t t e l " ) dagegen i n BVerfGE 13, 97 (113); 16, 147 (181); 19, 119 (126 f.); 29, 402 (410 f.); 36, 66 (71 f.); 37, 104 (117). 88 Vgl. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 51.

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

67

keit. Entscheidend ist für das Bundesverfassungsgericht vielmehr die „Beurteilung der Verhältnisse, die dem Gesetzgeber bei der Vorbereitung des Gesetzes möglich w a r " 3 9 ; es legt zugrunde, „ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, daß m i t der ergriffenen Maßnahme seine Vorstellungen verwirklicht werden könnten" 4 0 ; es korrigiert den Gesetzgeber erst dann, „wenn die Maßnahme bei Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten i m Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes eindeutig als zweckuntauglich festgestellt werden könnte" 4 1 . Damit ist dem Gesetzgeber also auch ein Recht zum I r r t u m bzw. zur Fehlprognose eingeräumt. Stellt sich allerdings eindeutig heraus, daß das Gesetz endgültig den gewünschten Erfolg nicht mehr fördern wird, ist es ab diesem Zeitpunkt für verfassungswidrig oder nichtig zu erachten 42 . (b) Der Maßstab „Erforderlichkeit" w i r d vom Bundesverfassungsgericht wie folgt bestimmt: Ein M i t t e l ist dann erforderlich, wenn „ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht weniger fühlbar einschränkendes M i t t e l nicht gewählt werden könnte", bzw. wenn „das Ziel nicht auf eine andere, den Einzelnen weniger belastende Weise ebenso gut erreicht werden kann" 4 3 ; oder es formuliert: „Das Ubermaß verpflichtet aber den Gesetzgeber nur dort zur Wahl des milderen M i t tels, wo auch der weitergehende an sich zulässige Eingriff — gemessen am Regelungszweck — keinen besseren Erfolg verspricht." 4 4 I n der Literatur finden sich ganz ähnliche Umschreibungen des Grundsatzes der Erforderlichkeit 4 5 . Auch hier sind für die konkrete Handhabung einige Einschränkungen zu beachten, die i m Ergebnis die Erforderlichkeit nicht als das scharfe Schwert erweisen, als das es gelegentlich erscheint. Erstens kommt es i n diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine gesetzgeberische Maßnahme überhaupt erforderlich ist; ob und wann der Gesetzgeber einen bestimmten Zweck verfolgt, liegt i n seinem Gestaltungsspielraum, vorausgesetzt, die Zwecksetzung als solche verstößt nicht gegen die Verfassung. Letzteres ist aber ein anderer Gesichtspunkt als die 39 40 41

(338). 42

BVerfGE 25, 1 (12); vgl. auch BVerfGE 30, 250 (263). BVerfGE 39, 210 (230); vgl. auch BVerfGE 38, 61 (88). BVerfGE 39, 210 (230); vgl. auch schon BVerfGE 17, 307 (315 ff.); 19, 330

Z u m Vorstehenden insgesamt: Grabitz, AöR 98 (1973), S. 572 f.; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 51 ff. 43 Diese u n d ähnliche Formulierungen i n BVerfGE 25, 1 (18); 30, 292 (316); 33, 171 (187); 34, 71 (78); 37, 1 (21); 38, 281 (302); 39, 210 (230); 40, 196 (223); 40, 371 (383); 49, 24 (58). 44 BVerfGE 39, 157 (165). 45 Nachweise bei Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 57.

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Erforderlichkeit i m soeben definierten Sinne; die Zulässigkeit Zwecksetzung ist folgerichtig auch gesondert zu prüfen 4 6 .

der

Zweitens setzt die Prüfung der Erforderlichkeit, indem sie ein „gleich wirksames", „ebenso gutes" M i t t e l verlangt, eine umfassende Geeignetheitsprüfung aller i n Betracht kommenden M i t t e l voraus; nur so kann nämlich festgestellt werden, ob unter diesen anderen Mitteln eines ist, das zum einen gleich wirksam und zum anderen den Betroffenen weniger beeinträchtigend ist. Macht man sich also klar, daß die Prüfung der Erforderlichkeit eine — auf andere i n Betracht kommende M i t t e l bezogene — umfassende Geeignetheitsprüfung voraussetzt, dann ergeben sich insoweit die gleichen Einschränkungen, wie sie schon für den Grundsatz der Geeignetheit aufgezeigt worden sind. Denn wenn diese Einschränkungen schon der vollen Überprüfung der Eignung des eingesetzten Mittels entgegenstehen, dann haben sie erst recht für die nur hypothetisch i n Betracht kommenden M i t t e l i m Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit zu gelten 47 . Das bedeutet vor allem, daß der Prognosespielraum, der dem Gesetzgeber für die Beurteilung der Geeignetheit des eingesetzten Mittels einzuräumen ist, i h m i n mindestens demselben Umfang auch für die Beurteilung der Geeignetheit anderer M i t t e l zustehen muß. Das w i r k t sich i m Ergebnis als eine bedeutsame Einschränkung der Prüfung der Erforderlichkeit aus. Daß dies auch vom Bundesverfassungsgericht so gesehen wird, zeigt folgende einschlägige Passage aus der Entscheidung zur Mineralölbevorratung: „Dabei ist zu berücksichtigen, daß dem Gesetzgeber bei Wirtschaftsordnenden Maßnahmen, die den Freiheitsspielraum für die wirtschaftlich tätigen Individuen einengen, hinsichtlich der Auswahl und technischen Gestaltung dieser Maßnahmen ein weiter Bereich des Ermessens zusteht; nicht jeder einzelne Vorzug einer anderen Lösung gegenüber der vom Gesetzgeber gewählten muß schon zu deren Verfassungswidrigkeit führen. Die sachliche Gleichwertigkeit zur Zweckerreichung muß vielmehr bei dem als Alternative vorgeschlagenen geringeren Eingriff i n jeder Hinsicht eindeutig feststehen." 48 Schließlich ist auch die konkrete Entscheidung, wann ein M i t t e l gleich wirksam ist wie ein anderes, keineswegs immer unproblema46 Vgl. Gentz, N J W 1968, S. 1602 f.; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 573 f.; Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 192 („legitimer Zweck") sowie unten 3.2.4.1. 47 Das hat Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 59 ff. eindrucksvoll herausgearbeitet; i n der Sache so schon Grabitz, AöR 98 (1973), S. 574 f. 48 BVerfGE 30, 292 (319) unter Hinweis auf BVerfGE 25, 1 (19 f.); vgl. auch BVerfGE 37, 1 (21); 39, 210 (230); 40, 196 (223); umfassend zur K o n t r o l l e v o n Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht Ossenbühl, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 496 ff.

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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tisch. Diese Entscheidung verlangt einen Vergleich der Opfer, die die verschiedenen i n Betracht kommenden M i t t e l dem oder den Betroffenen auferlegen. Schwierigkeiten können einmal bei der Beurteilung des Opfers und zum anderen bei der Auswahl der Betroffenen auftreten. Berücksichtigt man, daß ein Opfer auf die verschiedenste A r t und Weise herbeigeführt werden kann, muß festgestellt werden, daß ein M i t t e l jedenfalls dann nicht gleich wirksam ist, wenn bei gleicher Intensität des grundrechtseinschränkenden Effekts ein M i t t e l noch andere nachteilige Wirkungen hat als das andere 49 . Das noch größere Problem stellt sich hinsichtlich der Auswahl der Betroffenen. Stellt man sich etwa vor, daß ein Gesetz einen bestimmten Zweck dadurch erreichen kann, daß es zwei Personen ein unterschiedlich großes Opfer auferlegt, dann könnte der stärker Belastete unter Berufung auf die Erforderlichkeit die Inanspruchnahme des anderen verlangen, weil das das für i h n mildere M i t t e l wäre. Ersichtlich kann der Grundsatz der Erforderlichkeit für diesen Fall keine Lösung bereitstellen; Maßstäbe lassen sich nur noch dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) entnehmen 50 . (c) Der dritte vom Übermaßverbot umfaßte Teilgrundsatz ist nach herrschender Meinung die Verhältnismäßigkeit; soweit das Übermaßverbot als Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bezeichnet wird, muß i n diesem Zusammenhang hinzugefügt werden: i m engeren Sinne; u m derartige Mißverständnisse zu vermeiden, w i r d i n diesem Zusammenhang auch von Proportionalität gesprochen (nach der Begriffserklärung zu Beginn dieses Abschnitts spreche ich i m folgenden von Verhältnismäßigkeit). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip w i r d i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so umschrieben, daß ein M i t t e l nicht (erkennbar, offensichtlich) außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen darf, bzw. daß es i n einem angemessenen (rechten, vernünftigen) Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen muß 5 1 . I m gleichen Zusammenhang verwendet das Bundesverfassungsgericht auch die Formeln, das M i t t e l müsse für die Betroffenen „zumutbar" sein, oder es müsse die „Grenze der Zumutbarkeit" bzw. „Unzumutbarkeit" gewahrt bleiben 52 . Inhaltlich bedeutet das Verhältnismäßigkeitsprinzip, 49

Vgl. Gentz, N J W 1968, S. 1604; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 574. Vgl. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 66 ff.; Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 210 ff. 51 Die negative Formulierung findet sich etwa i n BVerfGE 7, 377 (407); 13, 97 (118); 28, 364 (374); 39, 258 (270); positiv formuliert das Gericht etwa i n BVerfGE 10, 89 (117); 15, 226 (234); 35, 202 (232); 35, 382 (401); 38, 281 (302). 62 Vgl. BVerfGE 9, 338 (346); 11, 234 (239); 13, 230 (235); 14, 19 (22, 24); 17, 232 (244); 18, 121 (125, 132); 18, 353 (362); 21, 150 (155); 22, 1 (20f.); 26, 215 (228); 30, 292 (316); 31, 145 (180); 33, 171 (187 f.); 33, 240 (244, 246 f.); 36, 47 (59); 37, 1 (18 f., 22); 37, 167 (188); 38, 61 (92); 38, 281 (310); 39, 210 (234); 40, 50

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daß bei einem Vergleich zwischen M i t t e l und Zweck deren Bedeutung gegeneinander abzuwägen ist und daß bei einem Überwiegen der m i t dem Mittel verbundenen Nachteile die Maßnahme zu unterbleiben hat. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist also identisch m i t der Güter- und Interessenabwägung 5S. Sowohl beim Verhältnismäßigkeitsprinzip als auch bei der Güter- und Interessenabwägung geht es darum, zwei Variablen, nämlich Mittel und Zweck, einander i n der Weise zuzuordnen, daß je schwerer das Mittel den Bürger beeinträchtigt, es durch umso wichtigere Zwecke gedeckt sein muß. Da hiermit keine inhaltlichen Maßstäbe angegeben sind, handelt es sich beim Verhältnismäßigkeitsprinzip u m eine Generalklausel 54 . Damit ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip einer Reihe schwerwiegender Bedenken ausgesetzt. Vielfältige Untersuchungen haben ergeben, daß die Güter- und Interessenabwägung rational nicht voll erfaßbar ist und daß das Werten und Vergleichen sozialer Zwecke nicht methodisch befriedigend angeleitet bzw. normativ abgeleitet werden kann 5 5 . Es ist zwar richtig, daß (fast) jede Konkretisierung einer Rechtsnorm einen letzten Rest rational nicht mehr voll erfaßbarer Wertung enthält. Bei Generalklauseln sind die Schwierigkeiten der Konkretisierung nur i n charakteristischer Weise gesteigert. Da jedoch die Rechtsordnung ohne Generalklauseln nicht auskommt, müssen die methodischen und dogmatischen Instrumente der Rechtswissenschaft darauf ausgerichtet werden. Für die Bewältigung der Problematik der Generalklauseln i m Privatrecht gibt es auch hinlängliches A n schauungsmaterial 56 . I m vorliegenden Zusammenhang kommt aber ein weiteres Problem hinzu: Die Abgrenzung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem Gesetzgeber und damit Grundfragen der Verfassungsstruktur des Grundgesetzes stehen auf dem Spiel. Wenn durch normativ nicht ableitbare Wertungen Schranken für die Gesetzgebung gezogen werden, besteht die deutliche Gefahr, daß die politische Dezision des hierzu berufenen Gesetzgebers durch die politische Dezision des hierzu gerade nicht berufenen Bundesverfassungsgerichts ersetzt 196 (227); 41, 251 (264); 41, 378 (395); 43, 79 (92); 46, 246 (256 f.); 51, 166 (176); 51, 193 (208); 52, 277 (282). 58 Das ergibt sich deutlich beispielsweise aus BVerfGE 24, 119 (146); 30, 336 (347); 36, 47 (64); 38, 105 (118); 44, 353 (373 ff.); näher dazu noch Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 83 ff. 64 Umfassende Nachweise bei Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 76 ff. M Vgl. n u r Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 101 f.; F. Müller, Juristische Methodik, 2. A u f l . 1976, S. 52 ff.; Schlink, A b wägung i m Verfassungsrecht, 1976, passim, besonders S. 154 ff. 66 Nachweise bei Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Ubergangsrecht, 1981, S. 237 ff.

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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wird 5 7 . Aus diesem Grund ist vorgeschlagen worden, auf den verfassungsrechtlichen Maßstab der Verhältnismäßigkeit i m dargestellten Sinn ganz zu verzichten und als Abwägung unter dem Übermaßverbot nur die Maßstäbe der Zulässigkeit der Zwecksetzung, der Geeignetheit, Notwendigkeit und Zumutbarkeit i m Sinn der Wahrung einer Mindestposition anzuerkennen 58 . Dieser Vorschlag ist jedenfalls konsequenter als die verschiedentlich vertretene Auffassung, wonach die Güter- und Interessenabwägung zu verwerfen, das Verhältnismäßigkeitsprinzip als verfassungsrechtlicher Maßstab dagegen beizubehalten ist 5 9 . Soviel allerdings auch aus methodischen und funktionell-rechtlichen Gründen für den radikalen Vorschlag sprechen mag, die Verhältnismäßigkeitsprüfung ganz entfallen zu lassen — die verfassungsgerichtliche Praxis hält es anders. Das Bundesverfassungsgericht hat, gerade auch i n neuerer Zeit, i n ungezählten Entscheidungen den Maßstab der Verhältnismäßigkeit angelegt; i n der Literatur w i r d i h m dabei weitgehend gefolgt 80 . Es ist gesagt worden, m i t der Bezugnahme auf die „Zumutbarkeit" bzw. „Unzumutbarkeit" habe das Bundesverfassungsgericht selbst das Konzept der Güter- und Interessenabwägung verlassen: Unter dem Stichwort der Unzumutbarkeit werde „eine Position nicht wegen der mangelnden Erforderlichkeit des Eingriffs i n sie, sondern u m ihrer selbst w i l l e n " geschützt 61 . I n der Tat kann der Begriff Unzumutbarkeit i n der Weise interpretiert werden, daß er keine verhältnismäßige Größe darstellt, sondern allein und ausschließlich die Sphäre eines Betroffenen i n den Blick rückt 6 2 . Das ist aber nicht das, was das Bundesverfassungsgericht, wie die zitierten Entscheidungen ergeben, i n Wirklichkeit betreibt; auch dort, wo es von „Zumutbarkeit" oder „Unzumutbarkeit" redet, n i m m t es der Sache nach eine Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe der Zweck/Mittel-Relation vor. Die Verwendung bestimmter Begriffe durch das Bundesverfassungsgericht ist hier also genauso überinterpretiert worden wie dort, wo allein aus der gelegentlichen positiven oder negativen Formulierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips („angemessenes" statt „nicht 57 Näher dazu vgl. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 240 f.; Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Übergangsrecht, 1981, S. 265 ff.; Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980, jeweils m i t weiteren Nachweisen. 58 Vgl. Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 192 ff. 69 Vgl. etwa F. Müller, Juristische Methodik, 2. A u f l . 1976, S. 52 ff. gegenüber S. 37, 47 u n d öfter; weitere Nachweise bei Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 90. 60 Vgl. etwa Wendt, AöR 104 (1979), S. 452 ff. m.w.N. 61 So Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 77. 62 Vgl. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlichrechtlicher Pflichten des Bürgers, 1973, S. 55 ff.

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unangemessenes" Verhältnis) schon auf „eine erhebliche Restriktion der materiellen Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" geschlossen worden ist 83 . Es bleibt danach aufgegeben, die genannten Gefahren der Verwendung der verfassungsrechtlichen Generalklausel des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht durch seine Streichung aus dem verfassungsrechtlichen Arsenal, sondern durch — auch aus den anderen Rechtsgebieten bekannte — Bemühungen seiner methodischen und dogmatischen Disziplinierung zu bannen. Hierzu hat gerade die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon Erhebliches geleistet. Der Vorschlag, das Verhältnismäßigkeitsprinzip als verfassungsrechtlichen Maßstab ganz wegfallen zu lassen, gibt insoweit bereits gesichertes Terrain unnötigerweise preis. So hat etwa das hier bereits analysierte Apotheken-Urteil 8 4 Typen unterschiedlichen Grundrechtsschutzes und unterschiedlicher Eingriffsintensität i m Normbereich der Berufsfreiheit herausgearbeitet. Namentlich das Mitbestimmungsgesetz-Urteil 85 hat dies um die Unterscheidung „personaler" und „sozialer" Bezüge erweitert. Nicht zuletzt aus der Sicht konsequenter Abwägungsskepsis selbst erscheint es als „einleuchtender Gedanke, intensivere Eingriffe dürften nur unter engeren Voraussetzungen stattfinden" 8 8 . Da jedoch nach dieser Konzeption die Berücksichtigung dieses Gedankens i m Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht möglich ist, w i r d stattdessen vorgeschlagen, i h n durch Abstufungen der Prüfungsintensität auf den Ebenen der Erforderlichkeit und der Geeignetheit durchschlagen zu lassen; es ließen sich dort jeweils „die Weichen der Überprüfung i n Richtung größerer oder geringerer Abwägungssorgfalt stellen". Da keine näheren Kriterien für dieses Mehr oder Weniger angegeben werden, ist dagegen zu halten, daß auf diese Weise hinter einen bereits erreichten Stand an Rationalität zurückgefallen w i r d 8 7 . Das Verhältnismäßigkeitsprinzip w i r d daher auch hier i n dem umschriebenen Umfang als verfassungsrechtlicher Maßstab anerkannt. Es sei nochmals festgehalten, daß es als allgemeine Maxime folgendes besagt: „Je mehr der Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, umso sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätz83 So Grabitz, AöR 98 (1973), S. 576, u n d dagegen zu Recht Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 92 ff. 64 BVerfGE 7, 377; vgl. oben 3.2.2. 65 BVerfGE 50, 390; vgl. oben 3.1.6. 86 Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 79; zum folgenden vgl. vor allem ebenda, S. 213 f. 87 Ausführlich „zur maßstabsetzenden K r a f t der Grundrechte i n der Übermaßprüfung" der so unterbetitelte Aufsatz von Wendt, AöR 104 (1979), 5. 414 ff., besonders S. 438 ff.

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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liehen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden." 6 8 Die darin angesprochene Eingriffsintensität und die unterschiedliche „Stärke" der Grundrechtsgewährleistung sind hauptsächlich i n der „Stufentheorie" zur Berufsfreiheit auf den dogmatischen Begriff gebracht worden. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips und dem Umfang der gesetzgeberischen Gestaltungsbefugnisse i m Grundrechtsbereich. Denn i n dem Maß, i n dem der Gesetzgeber frei ist i n der Formulierung der gesetzgeberischen Zwecke, gewinnt er auch Einfluß auf die Zulässigkeit des Mittels. Wie „scharf" also der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verfassungsrechtlicher Maßstab „greift", hängt davon ab, i n welchem Umfang das Grundgesetz dem Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit i n der Zweckbestimmung seiner Maßnahmen einräumt. Der Grad dieser „legislatorischen Qualifikationskompetenz" entscheidet daher über die aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu ziehenden Folgen. N i m m t man hinzu, daß es auch bei den Grundsätzen der Geeignetheit und der Erforderlichkeit um das Verhältnis von Zwecken und Mitteln geht, dann erweist sich, daß die Wirksamkeit des Übermaßverbots insgesamt vom Umfang der „legislatorischen Qualifikationskompetenz" abhängt 69 . Den grundsätzlich drei Stufen des grundrechtlichen Schutzes der Berufsfreiheit i n der „Stufentheorie" des Bundesverfassungsgerichts entsprechen unterschiedlich große Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers: A m größten ist dieser auf der untersten Stufe der Berufsausübungsregelungen; er w i r d geringer für subjektive Berufszulassungsregelungen; die geringste „legislatorische Qualifikationskompetenz" besteht für objektive Berufszulassungsregelungen. Der unterschiedliche Umfang der gesetzgeberischen Gestaltungsspielräume hat auch Auswirkungen für die Frage der Beweis- und Argumentationslast im Verfassungsprozeß 70. Unter „Beweislast" versteht man die Frage, zu wessen Lasten die Unaufklärbarkeit entscheidungserheblicher Tatsachen geht; „Argumentationslast" bezeichnet demgegenüber die Frage, welcher Überzeugungsgrad i m Prozeß der Konkretisierung von Rechtsnormen zu verlangen ist. Die „Stufentheorie" des Bundesverfassungsgerichts kann auch i n diesem Bereich fruchtbar gemacht werden. Der auf diesen Stufen erfolgenden Zunahme des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers entspricht eine Verlagerung der 68

BVerfGE 17, 306 (313 f.). Vgl. zum Vorstehenden näher Grabitz, AöR 98 (1973), S. 600 ff.; ebenda, S. 602 ff. zum folgenden. 70 Insofern ist die konkrete Unterteilung der Stufen legislatorischer Qualifikationskompetenz bei Grabitz, AöR 98 (1973), S. 602 ff., teilweise überholt durch die A r b e i t von Web er-Gr eilet, Beweis- u n d Argumentationslast i m Verfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1979, vor allem S. 45 ff., 85 ff. 69

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Beweislast auf das Bundesverfassungsgericht und eine Abnahme der vom Gesetzgeber zu fordernden Qualität der Argumentation. Während also einerseits für die Begründung einer „Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" vom Gesetzgeber überzeugende Gründe gefordert werden müssen, kann andererseits für den Bereich der Berufsausübungsregelungen festgestellt werden, daß der „Gesetzgeber hinsichtlich der Argumentationslast geringen Anforderungen" unterliegt: „Die Zuordnung von Tatsachen zu Normen muß auf sachgerechte und vernünftige Erwägungen zurückzuführen sein. Noch weiter verringert w i r d die Argumentationsqualität i m Bereich wirtschaftspolitischer Maßnahmen; hier hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum, nicht offensichtlich fehlsame Erwägungen genügen." 71 Die an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anknüpfende Unterscheidung unterschiedlich großer Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers bzw. Abstufungen legislatorischer Qualifikationskompetenz sowie die differenzierte Behandlung der Beweis- und Argumentationslast dienen dazu — das sei nochmals festgehalten —, das Ubermaßverbot und speziell dessen Teilgrundsatz Verhältnismäßigkeitsprinzip i n die gewalten- und funktionenteilende Verfassungsstruktur des Grundgesetzes einzupassen. Einerseits sollen die Grundrechte — auch m i t Hilfe des Ubermaßverbots! — vom Bundesverfassungsgericht optimal (auch gegenüber dem Gesetzgeber) geschützt werden; andererseits sind nach dem Grundgesetz politische Dezisionen ausschließlich durch den Gesetzgeber und nicht durch das Bundesverfassungsgericht zu treffen. Abschließend ist nunmehr zu fragen, was aus alldem für die Anwendung des Ubermaßverbots i m Bereich der Berufsfreiheit folgt. Insgesamt ist der Einsatz des Ubermaß Verbots je nach Schutzzone der Berufsfreiheit und Intensität der die Berufsfreiheit einschränkenden gesetzlichen Maßnahme zu dosieren. Konkret ist hieraus für Berufsausübungsregelungen gefolgert worden, daß das Übermaßverbot überhaupt nur i n Gestalt des Grundsatzes der Proportionalität eine Rolle spielt, insbesondere also eine Prüfung der Erforderlichkeit durch das Bundesverfassungsgericht nicht i n Betracht kommt 7 2 . Dem ist entgegengehalten worden, daß wegen des grundsätzlichen Vorrangs des Freiheitsrechts jeder Eingriff i n den subjektiven Freiheitsbereich des B ü r gers einer hinreichenden Legitimation durch überwiegende Gründe des Gemeinwohls bedürfe, und zwar sowohl hinsichtlich seiner A r t als auch hinsichtlich seines Ausmaßes; deswegen dürfe i n keinem Grund71 Web er-Gr eilet, Beweis- u n d Argumentationslast i m Verfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1979, S. 90 u n d 94. 72 So Grabitz, AöR 98 (1973), S. 605.

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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rechtsbereich den Geboten der Geeignetheit und der Erforderlichkeit die uneingeschränkte Geltung versagt werden: „Der ,überschießende 4 Teil des Eingriffs würde schlechthin der Legitimation entbehren." 73 I n diesen Ausführungen steckt eine petitio principii: Ob „jeder Eingriff i n den subjektiven Freiheitsbereich des Bürgers einer hinreichenden Legitimation durch überwiegende Gründe des Gemeinwohls bedarf", ist doch erst das Ergebnis der Argumentation, zu dessen Begründung dieser Satz gegeben wird. Würde dagegen der — wohlgemerkt: ungeschriebene — Verfassungsrechtssatz des Übermaßverbots nicht i n vollem Umfang bei jedem Grundrecht zur Anwendung kommen, ergäbe sich die Eingriffslegitimation eben schon aus dem dem Grundrecht beigefügten Gesetzesvorbehalt und damit der entsprechenden legislatorischen Qualifikationskompetenz. Wie weit diese geht, ist aber gerade die Frage. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls stützt die These, daß der Gesetzgeber für Berufsausübungsregelungen einen sehr weiten Gestaltungsspielraum hat und daß demzufolge das Übermaßverbot nur i n sehr behutsamer Weise hiergegen ins Feld geführt werden darf. I m Sinne der bisherigen Ausführungen ändert sich das, je intensiver die gesetzlichen Eingriffe i n die Berufsfreiheit sind und je mehr „elementare Äußerungsformen" des Menschen 74 , d. h. die personalen i m Gegensatz zu den sozialen Bezügen des menschlichen Daseins, betroffen sind. Auch wenn es sich also sehr gut begründen läßt, das Ubermaßverbot je nach Grundrechtsbereich i n unterschiedlichem Umfang zur Anwendung zu bringen, w i r d es im folgenden i n all seinen normativen Ausprägungen und i n vollem Umfang untersucht werden. 3.2.4. Einzelne den Gesetzgeber beschränkende verfassungsrechtliche Kriterien

Die i m folgenden zu untersuchenden einzelnen normativen Bestandteile des Ubermaßverbots sollen also nach dem soeben Gesagten als verfassungsrechtliche Schranken jeder i n das Grundrecht der Berufsfreiheit eingreifenden Gesetzgebung betrachtet werden. Sie sind daher auch für jedes gesetzgeberische Einschreiten gegen Mißstände i m Bereich der Arbeitnehmerüberlassung einschlägig. Insbesondere wäre natürlich die schärfste Sanktion, ein gesetzgeberisches Verbot der A r beitnehmerüberlassung, an ihnen zu messen. Wie eingangs 75 aber schon hervorgehoben, konzentriert sich die folgende Untersuchung auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Regierungsentwurfs, wonach ein 73 74 75

Wendt, AöR 104 (1979), S. 450 f. BVerfGE 17, 306 (313 f.). Vgl. oben 1.7.

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partielles, nämlich auf Betriebe der Bauwirtschaft beschränktes Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung eingeführt werden soll. Lediglich am Schluß dieses Abschnitts soll auf einige Aspekte der weitergehenden Frage hingewiesen werden, ob auch noch ein totales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung m i t dem Übermaßverbot vereinbar ist7®. Diese Beschränkung ist bedeutsam, w e i l es sich bei dem vorgeschlagenen Gesetz nur u m eine Berufsausübungsregelung i m Sinne der „Stufentheorie" des Bundesverfassungsgerichts handelt: Der Beruf des Arbeitnehmerüberlassers bleibt jedem wie bisher zugänglich; es werden weder subjektive noch objektive Zulassungsbeschränkungen errichtet; lediglich ein Sektor der tatsächlichen Berufsausübung (und damit möglicherweise der Umfang i m Einzelfall) w i r d eingeschränkt. 3.2.4.1. Zulässigkeit

der gesetzgeberischen Zwecksetzung

Der m i t § 12 a A F G verfolgte Zweck muß zulässig (legitim) sein. Zulässig ist jeder Zweck, der nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Der m i t der vorgeschlagenen Gesetzesänderung angestrebte Zweck ist „die Erleichterung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung" 77 . Die Bekämpfung illegaler Beschäftigung ihrerseits soll die bereits beschriebenen „vielfältigen negativen Auswirkungen" 7 8 beseitigen, dient also der Verbesserung des Arbeitsmarktes, dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer sowie weiteren öffentlichen Interessen. Gegen die Zulässigkeit dieser gesetzgeberischen Zwecksetzung kann nichts eingewendet werden. I n diesem Zusammenhang muß aber noch ein weiterer Aspekt bedacht werden. Das Setzen eines legislatorischen Zwecks ist auf eine bestimmte Wirklichkeit bezogen, i h m gehen tatsächliche Annahmen voraus. So impliziert die Bekämpfung illegaler Beschäftigung, daß es überhaupt eine solche illegale Beschäftigung gibt, und die Beseitigung der m i t i h r einhergehenden negativen Auswirkungen setzt voraus, daß diese auch tatsächlich eingetreten sind. Damit ist die Beweislast angesprochen, die Frage also, zu wessen Lasten die Unaufklärbarkeit von entscheidungserheblichen Tatsachen geht 79 . Nach allen bereits geschilderten Daten, die sich auf eine Vielzahl von Stellungnahmen unterschiedlicher Interessenträger sowie auf mehrere gut dokumentierte 76

Vgl. unten 3.2.4.7. BT-Drucksache 9/846, S. 31. 78 Vgl. oben 1.6. 79 Vgl. Web er-Gr eilet, Beweis- u n d Argumentationslast i m Verfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1979, S. 21; ausführlich zur Kontrolle von Tatsachenfeststellungen durch das Bundesverfassungsgericht Ossenbühl, i n : Festgabe B u n desverfassungsgericht, 1976, Bd. I , S. 466 ff. 77

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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empirische Untersuchungen und Gutachten stützen, kann zwar davon ausgegangen werden, daß die dem Regierungsentwurf zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen richtig sind. Für den Fall jedoch, daß sie bestritten werden, soll der Frage der Beweislast noch kurz nachgegangen werden. Schon i m Apotheken-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht hierzu festgestellt, daß „die Erfahrungsgrundlagen, Erwägungen und Wertungen des Gesetzgebers für das Bundesverfassungsgericht stets von größter Bedeutung sein (werden); wo sie nicht entkräftet werden, dürfen sie die Vermutung der Richtigkeit für sich i n Anspruch nehmen" 8 0 . Auch i n einer neueren Entscheidung folgert das Bundesverfassungsgericht daraus, daß sich eine bestimmte Annahme der Gesetzgebungsorgane nicht entkräften ließ, daß diese Annahme für die verfassungsrechtliche Beurteilung zugrunde zu legen war 8 1 . Letztlich bedeutet das, daß das Bundesverfassungsgericht die Beweislast trägt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die zitierten Passagen Fälle betrafen, i n denen gesetzliche Regelungen obj ektiver Beruf szulassungs Voraussetzungen überprüft wurden. Wo dagegen, wie hier, Berufsausübungsregelungen i n Frage stehen, für die i m Sinne der „Stufentheorie" die legislatorische Qualifikationskompetenz noch größer ist, muß die Beweislast m i t umso größerem Recht beim Bundesverfassungsgericht liegen 82 . 3.2.4.2. Geeignetheit Unter diesem Aspekt ist zu prüfen, ob m i t Hilfe des § 12 a A F G der gewünschte Erfolg, nämlich die Bekämpfung illegaler Beschäftigung, gefördert werden kann. Es sei nochmals daran erinnert, daß eine teilweise Verwirklichung des gesetzgeberischen Ziels für die Annahme der Geeignetheit einer Maßnahme ausreicht. Die Geeignetheit könnte hier m i t zwei Argumenten bekämpft werden: Einmal könnte gesagt werden, daß sich m i t dem partiellen Verbot an dem gesamten Umfang illegaler Arbeitnehmerüberlassung nichts ändern würde; nur die bisher legal tätige Verleihpraxis würde als nunmehr ebenfalls illegale Arbeitnehmerüberlassung weiter betrieben. Zum andern könnte behauptet werden, daß sich an den tatsächlichen Zuständen i n diesem Bereich durch das partielle Verbot deshalb nichts ändern würde, weil unter dem Deckmantel von Werkverträgen alles beim alten bliebe. Beide möglichen Behauptungen sollen i m folgenden etwas näher untersucht werden. 80

BVerfGE 7, 377 (412). Vgl. BVerfGE 37, 104 (118). 82 Vgl. Web er-Gr eilet, Beweis- u n d Argumentationslast i m Verfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1979, S. 48. 81

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Die Auffassung, daß auch nach einem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung i m Bereich der Bauwirtschaft diese in gleichem Umfang weiter praktiziert werde, unterstellt, daß sich keiner der bisher jedenfalls teilweise gesetzestreuen Verleiher an das Verbot halten wird. Eine so pessimistische Sichtweise ist aber sicher unberechtigt. Gegen die A u f fassung, vom Bürger i m sozialen Rechtsstaat könne vorausgesetzt werden, daß er den sozialstaatlichen Schutz weder bewußt noch gewollt umgehen oder abschwächen wolle 8 3 , ist zwar m i t Recht eingewandt worden, daß für unseriöse Verleiher die Erzielung hoher Gewinne auf Kosten der überlassenen Arbeitnehmer sicher wichtiger ist als die Einhaltung des Sozialstaatsprinzips 84 . Andererseits darf aber auch nicht eine ganze Berufssparte i n dieser Weise als gesetzesuntreu denunziert werden. Wenn dementsprechend erwartet werden kann, daß konzessionierte Verleihunternehmen nach Inkrafttreten des § 12 a A F G Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr, also weder „legal" noch „illegal", i n Betriebe der Bauwirtschaft verleihen werden, w i r d schon aus diesem Grund das m i t der gesetzlichen Regelung angestrebte Ziel gefördert und damit dem Maßstab der Geeignetheit genügt. Damit ist der eingangs genannte Einwand jedoch noch nicht ausgeräumt. Die Gravamina des bisherigen Zustands liegen ja nicht so sehr bei der i m Rahmen und unter Einhaltung des A Ü G praktizierten Arbeitnehmerüberlassung, sondern bei der illegalen Verleihtätigkeit. Insofern könnte argumentiert werden, daß diese bisher schon illegale Tätigkeit durch ein Verbot der legalen Tätigkeit nicht reduziert werde. Bei dieser Argumentation w i r d jedoch ein entscheidender Gesichtspunkt übersehen. Die faktische Besonderheit der Bauwirtschaft besteht darin, daß auf einer Vielzahl von meist kurzfristigen und häufig wechselnden Baustellen gearbeitet wird 8 5 . Unter diesen Bedingungen ist eine Uberprüfung, ob für die jeweils eingesetzten Arbeitnehmer die Bedingungen des A U G eingehalten sind oder nicht, ob es sich also u m „legale" oder „illegale" Leiharbeitnehmer handelt, äußerst erschwert. Es darf daher aufgrund der vorliegenden Untersuchungen als gesichert gelten, daß konzessionierte Verleiher für viele der von ihnen überlassenen Arbeitnehmer die Bestimmungen des A Ü G nicht einhalten, sie also auch illegal verleihen: „ I m Schatten der legalen Arbeitnehmerüberlassung gedeiht die illegale." 8 6 Das Verbot auch der legalen Arbeitnehmerüberlassung i n die Bauwirtschaft beseitigt also diese unter den 83

Vgl. Ramm, Z f A 1973, S. 274 f. So Hempel, Das Spannungsverhältnis . . . , 1975, S. 170. 85 Vgl. auch ISO I, S. 23 f. 86 Vgl. ISO I, S. 28 f.; Schimmelpfeng, S. 61; ferner eine Fragebogenaktion „Arbeitnehmerüberlassung i m Baugewerbe" der Industriegewerkschaft B a u Steine-Erden, i m März 1980. 84

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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gegebenen Bedingungen besonders wirksame Tarnungsmöglichkeit und macht eine wirkungsvolle Bekämpfung der illegalen Beschäftigung überhaupt erst möglich. Das zweite Argument, m i t dem die Geeignetheit des Regierungsentwurfs bestritten werden könnte, ist, daß die sozialen Mißstände i m Bereich der Arbeitnehmerüberlassung i n der Bauwirtschaft unter der Tarnkappe von Werkverträgen fortbestehen würden. Es ist schon ausgeführt worden, daß auch gegenwärtig das Ausweichen auf Werkverträge ein gebräuchliches M i t t e l zur Umgehung des A Ü G darstellt; ferner ist darauf hingewiesen worden, daß die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassungsverträgen und Werkverträgen erhebliche Schwierigkeiten bereitet 87 . I m äußeren Erscheinungsbild kann die Ausführung eines Werkvertrags der Überlassung von Arbeitnehmern sehr nahe kommen, wenn nämlich der Werkunternehmer die Leistung i n der Betriebsstätte des Bestellers zu erbringen hat und dabei Erfüllungsgehilfen einsetzt. Hinzu kommt, daß die Vorschriften über den Werkvertrag i n §§ 631 ff. BGB wegen der Privatautonomie weitgehend abbedungen werden können. Dennoch sind dem Ausweichen i n Werkverträge bei einem Verbot der Leiharbeit Grenzen gesetzt. Arbeitnehmerüberlassungs- und Werkverträge müssen und können nämlich nach unserer Rechtsordnung unterschieden werden. Erste Kriterien hierfür lassen sich aus der Unterscheidung Werkvertrag und Dienstvertrag i m BGB selbst entwickeln 8 8 . Bei der Arbeitnehmerüberlassung besteht danach die Leistungspflicht i n der Tätigkeit als solcher, beim Werkvertrag besteht sie i n dem geschuldeten Erfolg. Während bei der Arbeitnehmerüberlassung der Entleiher das Unternehmerrisiko zu tragen hat, fällt dieses beim Werkvertrag i n die Sphäre des Werkunternehmers. Vor allem aber w i r d der i n eine fremde Betriebsstätte entsandte Arbeitnehmer beim Werkvertrag als Erfüllungsgehilfe des Werkunternehmers tätig, wobei er dessen Weisungen untersteht; dagegen ist der Arbeitnehmer bei seiner Überlassung Erfüllungsgehilfe des Entleihers und hat dessen Weisungen auszuführen. Geht man darüber hinaus von der spezifischen Schutzfunktion des A Ü G aus, dann lassen sich drei bedeutsame und auch handhabbare Abgrenzungskriterien zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag finden 8 9 : Erstens liegt kein Werkvertrag mehr vor, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr den Weisungen des angeblichen Werkunter87

Vgl. oben 1.4. am Ende. Vgl. Becker, A Ü G , 1973, § 12 Rdnr. 32; Franssen / Haesen, A Ü G , 1974, § 1 Rdnr. 59 ff.; Sandmann / Vielhaber, A Ü G , 1972, § 1 Rdnr. 10; Schubel ) Engelbrecht, A Ü G , 1973, § 1 Rdnr. 28. 89 Vgl. zum folgenden Hempel, Das Spannungsverhältnis . . . , 1975, S. 176 ff. 88

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nehmers unterworfen ist. Angesichts der Tatsache, daß i n § 645 Abs. 1 Satz 1, 2. A l t . BGB auch ein Anordnungsrecht des Bestellers vorgesehen ist, kommt es insgesamt darauf an, ob das Weisungsrecht des Werkunternehmers das Anordnungsrecht des Bestellers noch überwiegt. Zweitens liegt kein Werkvertrag mehr vor, wenn zugunsten des entsendenden Unternehmers weitgehende Haftungsbeschränkungen vereinbart worden sind. Drittens liegt kein Werkvertrag mehr vor, wenn die übernommene Verpflichtung sich inhaltlich m i t dem Betriebszweck des Bestellerbetriebes deckt; denn gegen derartige Werkverträge bestehen dieselben arbeitsmarktpolitischen und volkswirtschaftlichen Bedenken wie sie durch das A Ü G bekämpft werden sollen. Wegen dieser Unterschiede ist es also rechtlich unzulässig, einen inhaltlich als Arbeitnehmerüberlassung zu qualifizierenden Tatbestand als Durchführung eines Werkvertrags zu werten, oder anders ausgedrückt: den Schutz des A Ü G durch den Abschluß von Werkverträgen zu umgehen. Hinzu kommt, daß diese rechtliche Unterscheidung auch faktisch, also „vor Ort", getroffen werden kann. Es läßt sich nämlich hiergegen gerade nicht der unter einem anderen Aspekt der „Geeignetheit" schon behandelte Einwand erheben, daß diese Unterscheidung mangels Überprüfbarkeit nicht wirksam würde. A u f der einzelnen Baustelle ist vielmehr von allen Beteiligten sehr w o h l zu erkennen, ob zumindest zwei der genannten drei Kriterien i n der einen oder anderen Weise erfüllt sind: einmal ob die entsandten Arbeitnehmer — ganz konkret — den Weisungen des Poliers auf der Baustelle unterliegen oder nicht, und zum andern ob die entsandten Arbeitnehmer die gleiche Arbeit leisten wie die übrigen auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer. Danach taugen Werkverträge also nur begrenzt zur Umgehung des Tatbestands der Arbeitnehmerüberlassung. Solche „Scheinwerkverträge" sind — rechtlich und faktisch — gegenüber (echten) Werkverträgen abgrenzbar, gegen die nichts einzuwenden ist, w e i l sie m i t Schutzgedanken und Zielsetzung des A Ü G nicht kollidieren. Insgesamt ist also nicht zu besorgen, daß die sozialen Mißstände, die der vorgeschlagene § 12 a A F G bekämpfen w i l l , i n vollem Umfang unter dem Deckmantel von Werkverträgen fortbestehen. Auch aus diesem Grund kann der Regierungsentwurf nicht als ungeeignet bezeichnet werden. 3.2.4.3. Erforderlichkeit (Notwendigkeit, Minimaleingriff, Interventionsminimum) Unter diesem Gesichtspunkt ist zu prüfen, ob nicht andere, die Berufsfreiheit der Verleiher weniger einschränkende, aber dennoch gleich wirksame Maßnahmen i m Vergleich zu § 12 a A F G gegeben sind. Es sei nochmals an die einschränkenden Bedingungen dieser Prüfung er-

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innert, soweit man sie durchführt und nicht den Maßstab der Erforderlichkeit i m Bereich von Berufsausübungsregelungen m i t einer beachtlichen Auffassung i n der Literatur überhaupt für unanwendbar hält 9 0 . Die Erforderlichkeit der Maßnahme ist nicht erst dann zu bejahen, wenn der verfolgte Zweck ohne sie nicht erreicht werden kann; es ist hier also nicht nachzuweisen, daß die m i t dem Regierungsentwurf verfolgten Ziele ausschließlich und nur durch die vorgeschlagenen Regelungen erreicht werden können; vielmehr ist die Erforderlichkeit immer dann zu bejahen, wenn keine konkreten anderen dem Gesetzgeber möglichen und für den Bürger schonenderen Alternativen angegeben werden können 91 . Die alternativen, schonenderen M i t t e l müssen, wie gesagt, gleich wirksam (gleich tauglich) sein, und bei der Beurteilung der Tauglichkeit dieser M i t t e l steht dem Gesetzgeber ein Prognosespielraum zu 92 . Daher ist der Gesetzgeber auch nicht darauf beschränkt, unter mehreren Mitteln, die i h m gleich wirksam erscheinen, nur eines anzuwenden; vielmehr ist es zulässig, den Zweck m i t einem Bündel gleich wirksamer Maßnahmen zu verfolgen 93 . Das bedeutet konkret, daß der Regierungsentwurf, der auf die Einführung des § 12 a A F G gerichtet ist, nicht allein schon aus dem Grund nicht erforderlich wäre, w e i l die m i t i h m verfolgten Ziele einer Bekämpfung der illegalen Beschäftigung zugleich m i t einem Entwurf zu einem entsprechenden Gesetz (BillBG) realisiert werden sollen und hierin eine Reihe von Änderungen des A U G vorgeschlagen wird 9 4 . I m folgenden werden nunmehr mögliche, i n das Grundrecht der Berufsfreiheit der Verleiher weniger eingreifende Maßnahmen daraufhin untersucht, ob sie als gleich wirksam wie § 12 a A F G erscheinen. Dabei sind auch die i m Entwurf des B i l l B G vorgeschlagenen Maßnahmen durchzumustern; selbst wenn abstrakt gegen einen kumulativen Mitteleinsatz nichts einzuwenden ist, kann sich konkret ergeben, daß die Beschränkung auf eines von mehreren M i t t e l n die schonendere Alternative ist. (a) Die Einführung eines neuen § 14 A Ü G über „Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebs- und Personalrates" durch A r t . 1 Nr. 1 B i l l B G kann schon deshalb kein gleich wirksames M i t t e l sein, w e i l überhaupt nur i n 20 % der Betriebe der Bauwirtschaft ein Betriebsrat besteht 95 . 00

Vgl. oben 3.2.3. am Ende. Vgl. Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 209 f. 02 Vgl. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 62. 93 Vgl. Grabitz, AÖR98 (1973), S. 574. 04 Vgl. oben 1.6. 05 A u s k u n f t von H e r r n Kastleiner, M i t g l i e d des Bundesvorstandes der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden. 01

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(b) Straf- und Bußgeldvorschriften bzw. die Erhöhung der Straf- und Bußgeldrahmen allein erscheinen nicht als gleich wirksame Mittel. Bereits zwei frühere Gesetze haben insofern Verschärfungen gebracht 98 , ohne daß dadurch ein Zurückdrängen des illegalen Verleihs i m Baugewerbe bewirkt worden wäre. Zudem ist zu bedenken, daß die Strafdrohungen die Proportionen i m Vergleich m i t dem allgemeinen Strafrecht wahren müssen. Schon heute entspricht der Strafrahmen für die Beschäftigung nichtdeutscher Leiharbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis (§§ 15 Abs. 1, 15 a Abs. 1 AÜG) der Strafdrohung etwa bei Unterschlagung (§ 246 StGB), und i n besonders schweren Fällen (§§ 15 Abs. 2, 15 a Abs. 2 AÜG) ist nach geltendem Recht sogar der gleiche Strafrahmen vorgesehen wie bei einem minder schweren F a l l des Totschlags (§213 StGB). (c) Die m i t dem Entwurf des B i l l B G angestrebten verstärkten Überwachungsmöglichkeiten der Bundesanstalt für Arbeit i m Entleiherbetrieb erscheinen aus folgenden Gründen isoliert als nicht ausreichend: Das besondere Problem i n der Bauwirtschaft sind — w i e schon hervorgehoben worden ist — die vielen kurzzeitigen und ständig wechselnden Baustellen. Daher ist es i n diesem F a l l m i t einem Zutrittsrecht, sei es der Bundesanstalt für Arbeit, sei es anderer Behörden, w i e etwa der Gewerbeaufsichtsämter 07 , am Sitz eines Betriebes nicht getan. Aber auch dann, wenn ein solches Zutrittsrecht auf die einzelnen Baustellen erstreckt würde, bleibt die schon beschriebene Schwierigkeit bestehen, daß dort „legale" von „illegalen" Arbeitnehmern nicht unterschieden werden können. (d) Aus dem gleichen Grund erscheint es zweifelhaft, ob und inwieweit eine personelle Aufstockung des Uberwachungspersonals, etwa bei der Bundesanstalt für Arbeit, zwecktauglich ist. Es ist i n diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß zwischen 1973 und heute die Zahl der der Bundesanstalt für Arbeit zur Durchführung des A U G zur Verfügung stehenden Planstellen von 9 auf 119 erhöht worden ist. Selbst m i t dieser mehr als 1000 °/oigen Steigerung des Personalaufwandes ist eine wirkungsvolle Bekämpfung nicht möglich gewesen 98 . Darüber hinaus ist prinzipiell zu fragen, inwiefern i m Rahmen der Erforderlichkeit dem Gesetzgeber eine finanziell aufwendigere Maßnahme als die schonendere Alternative entgegengehalten werden darf. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist inso96 Vgl. A r t . 250 Nr. 3 u n d 4 des Gesetzes v o m 2. 3.1974 (BGBl. I S. 469) u n d A r t . 2 des Gesetzes v o m 25. 6.1975 (BGBl. I S. 1542). 97 Die sich allerdings derzeit nicht m i t der Arbeitnehmerüberlassung befassen, vgl. Schimmelpfeng, S. 138. 98 Die Zahlenangabe verdanke ich H e r r n Ministerialrat Sandmann, B u n desministerium f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung.

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weit eher restriktiv. Beispielsweise hat das Gericht i n der Regelung der generellen Beschränkung des Paketempfangs für Untersuchungsgefangene keine Verletzung des Übermaßverbots gesehen, obwohl, wie ausdrücklich festgestellt wurde, durch eine personelle Verstärkung des Vollzugspersonals eine Vermeidung bzw. Verringerung des Grundrechtseingriffs möglich gewesen wäre". Einerseits darf die Grundrechtsausübung nicht generell durch Gesichtspunkte der Praktikabilität eingeschränkt werden 1 0 0 ; andererseits folgt aus der — nur durch die Verfassung beschränkten — gesetzgeberischen Freiheit der Zwecksetzung die finanzielle Dispositionsfreiheit: „ F ü r welche Zwecke er (sc.: der Gesetzgeber) welche M i t t e l ausgeben w i l l , das muß i h m m i t der Wahl der Zwecke selbst freistehen." 1 0 1 Schranken können sich i n diesem Zusammenhang allerdings noch aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ergeben. Dafür jedoch, daß aus Gründen der Gleichbehandlung das Personal der Bundesanstalt für Arbeit i m Bereich der Durchführung des A Ü G (noch) weiter erhöht werden müßte, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. (e) Bedenken ähnlicher A r t begegnet der erst neuerdings, nach dem Bekanntwerden des Regierungsentwurfs zur Einführung des Verbots der Leiharbeit i n der Bauwirtschaft, vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie i n die Debatte geworfene Gedanke eines Leiharbeiterpasses102. Z u dessen Einführung wäre m i t Sicherheit ein enormer bürokratischer Aufwand erforderlich, ohne daß sich i m übrigen i m vorhinein sagen ließe, daß diese Maßnahme gleich wirksam wie die derzeit vorgeschlagene wäre. (f) Schon i m Ersten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist eine Bestimmung erwogen worden, wonach bei bestimmten Werkverträgen das Vorliegen einer gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vermutet werden soll 1 0 3 . Abgesehen davon, daß die dort vorgesehenen Kriterien für die Vermutung wenig befriedigend erscheinen 104 , würde von einer solchen Regelung naturgemäß nur der Teilbereich illegaler Arbeitnehmerüberlassung erfaßt, der sich m i t Hilfe von derartigen Werkverträgen tarnt. Illegale Arbeitnehmerüberlassung kommt aber noch i n anderen Erscheinungsarten vor. Diese oder andere Arten der Zurückdrängung von Schein Werkverträgen können daher nicht als „gleich 99

Vgl. BVerfGE 34, 369 (380 f.). Vgl. z. B. F. Müller, Juristische Methodik, 2. A u f l . 1976, S. 169. 101 Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 212; ebenda, S. 212 f. zum folgenden. 102 Vgl. den Bericht i n der Süddeutschen Zeitung v o m 2.10.1981. 103 γ g l BT-Drucksache 7/2365, S. 11. 100

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Vgl. dazu Hempel, Das SpannungsVerhältnis . . . , 1975, S. 182 f.

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wirksames M i t t e l " wie das vorgeschlagene partielle Verbot der Arbeitnehmerüberlassung angesehen werden. (g) Schließlich reicht eine verstärkte Zusammenarbeit der beteiligten Behörden, wie sie durch die i n A r t . 1 Nr. 3 B i l l B G vorgesehenen §§ 17 a und 17 b A Ü G erreicht werden soll, allein offensichtlich nicht aus. I m übrigen widersprechen sich teilweise die Angaben über die bisherige Kooperationsdichte der beteiligten Behörden: Während die sozialwissenschaftlichen Untersuchungen hierzu eher ein düsteres B i l d malen 1 0 5 , stellt der Vierte Bericht der Bundesregierung 106 die Zusammenarbeit überwiegend als positiv heraus. 32.4.4. Verhältnismäßigkeit

(im engeren Sinne)

Nach diesem normativen Maßstab dürfen Zweck und M i t t e l „nicht außer Verhältnis" zueinander stehen; das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel muß i n einem „angemessenen" Verhältnis zu der eingesetzten Maßnahme stehen. Eine bemerkenswerte These i m juristischen Schrifttum besagt, wie erinnerlich, daß die hierfür erforderliche Güter- und Interessenabwägung und Wertung sozialer Zwecksetzung und Zweckverfolgung i m politischen System der Bundesrepublik Deutschland einzig und allein dem Gesetzgeber zusteht und deshalb vom Bundesverfassungsgericht gar nicht überprüft werden darf. Dessen ungeachtet hält die herrschende Meinung das Bundesverfassungsgericht für befugt, diesen Maßstab an Gesetze anzulegen. Danach ist das Gewicht der durch den vorgeschlagenen § 12 a A F G verfolgten Gemeinwohlinteressen gegenüber dem Gewicht der durch i h n verletzten Individualinteressen abzuwägen. Nach den vielfältigen, i m bisherigen Verlauf der Untersuchung hierzu getroffenen Feststellungen kann ich mich an dieser Stelle kurz fassen: A u f der einen Seite kann der Gesetzgeber gute arbeitsmarkt-, sozial- und wirtschaftspolitische Gründe ins Feld führen, die zudem der Verwirklichung des objektiv-rechtlichen Gehalts des Grundrechts der Berufsfreiheit einer großen Anzahl von Arbeitnehmern dienen; auf der anderen Seite erfolgt der Eingriff i n das Berufsfreiheitsgrundrecht der Verleiher auf der niedrigsten Stufe der Berufsausübungsregelung. Bei dieser Konstellation erscheint eine Verletzung der VèrhâltnismâBigkeit als ausgeschlossen. 3.2.4.5. Zumutbarkeit

(Mindestposition)

Soweit der normative Maßstab der Verhältnismäßigkeit abgelehnt wird, t r i t t an seine Stelle der Schutz der „Mindestposition". Auch dann, wenn sich staatliche Eingriffe als geeignet und erforderlich nachweisen 105

Vgl. ISO I, S. 87 ff.; Schimmelpfeng, S. 67 ff.

ιοβ BT-Drucksache 8/4479, S. 26.

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lassen, können sie nach dieser Auffassung dennoch einen gewissen letzten Kernbestand der Grundrechtsgewährleistung, eben die Mindestposition, verletzen 107 . Was die Mindestposition jeweils konkret ausmacht, soll bei den verschiedenèn Grundrechten verschieden beantwortet werden. So soll für den Bereich von Eigentum und Vermögen als Mindestposition geschützt werden, was durch persönliche Arbeit und Leistung erworben ist; für den Bereich des Berufs sei Mindestposition die Sicherung der persönlichen und wirtschaftlichen Existenz; bezüglich· freier Meinungsäußerung und -Verbreitung soll Mindestposition die Wahrung der Möglichkeit der Teilnahme an Prozessen freier Kommunikation bedeuten. I n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden die gleichen Sachfragen dagegen unter dem Aspekt der „Zumutbarkeit" oder „Unzumutbarkeit" behandelt und unter den normativen Maßstab der Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) gezogen. Dennoch ist es gerechtfertigt, dem Aspekt der Mindestposition bzw. Zumutbarkeit einen neuen Abschnitt zu widmen, und zwar nicht — wie dem Bundesverfassungsgericht zuzugeben ist —, w e i l es sich insoweit u m einen zusätzlichen normativen Maßstab handelt, sondern w e i l hier von einem weiteren Sachproblem die Rede ist. U m dies zu erläutern, muß ein wenig weiter ausgeholt werden. Mindestposition und Zumutbarkeit beziehen sich vornehmlich auf eine besondere Linie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die i n der Entscheidung zum Steuerberatungsgesetz ihren „leading case" besitzt. Durch dieses Gesetz wurden die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten vereinheitlicht und grundlegend neu geregelt. Dabei wurde auch eine Inkompatibilität m i t gewerblicher Tätigkeit eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht hielt die Anwendung dieser Vorschrift auch auf die bereits beim Inkrafttreten des Gesetzes praktizierenden Steuerbevollmächtigten zwar grundsätzlich für zulässig, nahm aber i m konkreten Fall einen Verstoß gegen A r t . 12 Abs. 1 GG an, w e i l der 62jährige Beschwerdeführer, der ca. 6 0 % seines Reineinkommens aus der steuerberatenden und ca. 40 °/o aus der gewerblichen Tätigkeit schöpfte und den Doppelberuf seit Jahrzehnten ausübte, unzumutbar beeinträchtigt wurde: „Soweit aber der Zwang zur sofortigen Aufgabe einer gewerblichen Tätigkeit für die Betroffenen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unzumutbar wäre, muß der Gesetzgeber eine Übergangsregelung treffen." 1 0 8 Das war die erste i n einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die eine Verletzung des A r t . 12 Abs. 1 GG teils verneinten 1 0 9 , teils bejahten 1 1 0 . Die 107 Vgl. Schlink, A b w ä g u n g i m Verfassungsrecht, 1976, S. 77 f., 193 ff. 108 BVerfGE 21, 173 (183). io® BVerfGE 22, 275 (277); 25, 236 (254 f.); 43, 242 (288 f.). 110

BVerfGE 32, 1 (22 f.); 43, 291 (397 f.); 50, 265 (275 ff.).

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Pflicht des Gesetzgebers zum Erlaß einer angemessenen Übergangsregelung resultiert dabei aus einer Grundrechtsverletzung: die sofortige und undifferenzierte Anwendung einer belastenden Berufsregelung, „die nicht i m Interesse des Allgemeinwohls erforderlich ist und eine übermäßige unzumutbare Belastung darstellt" 1 1 1 . Das besondere Sachproblem, m i t dem sich diese Rechtsprechung auseinanderzusetzen hat, ist also die zeitliche Dimension einer Regelung. Es geht m i t anderen Worten nicht u m das „Ob", sondern u m das „Wann". Es sind daher auch weitgehende Parallelen dieser Rechtsprechung m i t der Rückwirkungsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts festzustellen 112 . Dabei ist allerdings eine enge Verbindung von Fragen des Inkrafttretens und von inhaltlichen Fragen nicht zu übersehen. Theoretisch lassen sich beide Fragenkreise sauber trennen: Der Zeitpunkt des Inkrafttretens bezeichnet den Beginn der Verbindlichkeit eines Gesetzes, ist also unabdingbare Voraussetzung für die Geltung der inhaltlichen Regelungen. Soweit aber die Rechtsfolgen eines Gesetzes für bestimmte Personengruppen unter bestimmten Voraussetzungen zu verschiedenen späteren Zeitpunkten für anwendbar erklärt werden, sind die hier möglichen Überschneidungen unmittelbar erkennbar. Trotzdem ist es sinnvoll, den zeitlichen Aspekt gesondert zu prüfen, w e i l die allgemeine Grundrechtsverträglichkeit einer Regelung nicht notwendig die besonderen Regelungen des Inkrafttretens umfaßt. Das vorgeschlagene A F K G soll nach A r t . 19 seines Entwurfs grundsätzlich am 1. Januar 1982 i n K r a f t treten. Würde dies auch für den vorgeschlagenen § 12 a A F G gelten, der ja rechtstechnisch als A r t . 1 § 1 Nr. 2 A F K G erscheint, dann wären erhebliche Bedenken unter dem Aspekt der Zumutbarkeit bzw. Mindestposition anzumelden. Nach der speziellen Regelung des A r t . 1 § 2 Nr. 2 A F K G soll jedoch § 12 a A F G für gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung aufgrund eines vor dem 1. Januar 1982 abgeschlossenen Vertrages zwischen Verleiher und Entleiher erst ab 1. April 1982 gelten, wenn die Überlassung an den Entleiher vor dem 1. Januar 1982 begonnen hat. Da die Höchstdauer der zulässigen Überlassung eines Leiharbeitnehmers an denselben Entleiher nach geltendem Recht drei aufeinanderfolgende Monate beträgt (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG), ermöglicht es diese Übergangsbestimmung den zugelassenen Verleihern, alle Verträge m i t den Entleihern über die Überlassung von Leiharbeitnehmern ordnungsgemäß abzuwickeln, wenn die Verträge vor dem 1. Januar 1982 abgeschlossen wurden und ihre Durchführung bereits begonnen hat 1 1 3 . Damit w i r d dem Ver111

BVerfGE 32, 1 (23). Vgl. Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Übergangsrecht, 1981, S. 73; ebenda, S. 75 zum folgenden. 113 Vgl. auch BT-Drucksache 9/846, S. 49. 112

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

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trauensschutz der Verleiher hinreichend Genüge getan; spätestens für die Zeit nach Inkrafttreten der Neuregelung können diese dagegen keinen Vertrauensschutz mehr für sich i n Anspruch nehmen 114 . 3.2.4.6. Zusammenfassende Beurteilung des Verbots der Arbeitnehmerüberlassung in Betriebe der Bauwirtschaft Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit des Regierungsentwurfs eines A F K G , der u. a. das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung i n Betriebe der Bauwirtschaft enthält, läßt sich i n eine Hauptaussage und zwei Eventualaussagen fassen. Die Hauptaussage lautet, daß der Entwurf A r t . 12 Abs. 1 GG i n Verbindung m i t dem Übermaßverbot nicht verletzt. Insbesondere verstößt der Entwurf nicht gegen die einzelnen, den Grundsatz des Übermaßverbots i n seiner Gesamtheit formenden normativen Maßstäbe der Zulässigkeit der Zwecksetzung, der Geeignetheit, der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit (Zumutbarkeit). Hierbei wurden diese Maßstäbe jeweils i n der der herrschenden Meinung entsprechenden und vom Bundesverfassungsgericht praktizierten Ausprägung zugrunde gelegt. Dieses Ergebnis würde demzufolge erst recht dann erzielt, wenn — wie es einzelnen beachtlichen, i n der Literatur vertretenen Auffassungen entspricht — die genannten verfassungsrechtlichen Maßstäbe gar nicht i n ihrer Gesamtheit auf den Regierungsentwurf anwendbar wären. Die erste Eventualaussage lautet wie folgt: Zweifel am Inhalt der Hauptaussage, etwa derart, daß nicht klar entschieden werden kann, ob vielleicht doch ein anderes M i t t e l als das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung i n Betriebe der Bauwirtschaft schonender erscheint, gehen nicht zu Lasten des Gesetzgebers. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht die Argumentationslast. Da Regelungen der Berufsfreiheit i m Zentrum der Sozialgestaltung durch den Gesetzgeber stehen, ist an ihnen die wichtige Einsicht moderner Verfassungsrechtslehre zu erproben, daß „die Freiheit wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltung durch den demokratischen Gesetzgeber nicht i n funktionell-rechtlich unzulässiger Weise eingeengt werden soll" 1 1 5 . Auch das Bundesver114 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wäre es sogar zulässig, als Anknüpfungspunkt f ü r das Auslaufen der Dreimonatsfrist schon den Tag des Gesetzesbeschlusses des Bundestages festzusetzen; vgl. die Nachweise bei Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Übergangsrecht, 1981, S. 56, sowie ebenda, S. 87 f. die K r i t i k hieran i m juristischen Schrifttum. 115 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. A u f l . 1980, S. 173; vgl. auch H. Schneider, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, Bd. I I , 1976, S. 395 ff.; Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980, S. 39 ff. („mehrdimensionales Freiheitsproblem" m i t der Folge geringerer Nachprüfbarkeit durch das B u n desverfassungsgericht) .

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fassungsgericht hat dies zuletzt wie folgt unterstrichen: „Dem entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen hat, daß das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral sei; der Gesetzgeber darf jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet. I h m kommt also eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu. Das darin zutage tretende Element relativer Offenheit der Verfassungsordnung ist notwendig, u m einerseits dem geschichtlichen Wandel Rechnung zu tragen, der i m besonderen Maße das wirtschaftliche Leben kennzeichnet, andererseits die normierende K r a f t der Verfassung nicht aufs Spiel zu setzen." 116 Die zweite Eventualaussage lautet: Selbst wenn durch den Regierungsentwurf i n irgendeiner Weise A r t . 12 Abs. 1 GG i n Verbindung m i t dem Übermaßverbot verletzt werden sollte, folgt daraus noch nicht automatisch die Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Regelung. Vielmehr ist zu fragen, ob dieser Verstoß nicht durch eine kollidierende andere Verfassungsnorm gerechtfertigt ist 1 1 7 . Als eine i n dieser Weise kollidierende Verfassungsnorm käme i m vorliegenden Fall das Grundrecht der Berufsfreiheit (einschließlich des Grundrechts der freien Wahl des Arbeitsplatzes) der Leiharbeitnehmer (Art. 12 Abs. 1 GG) i n seiner objektiv-rechtlichen Dimension i n Betracht. Soweit für die geplante gesetzliche Regelung nachgewiesen werden kann, daß durch sie das Maß der tatsächlichen individuellen Entfaltungschancen der Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung ihrer Arbeitsbedingungen erhöht wird, ist sie durch A r t . 12 Abs. 1 GG (in seiner objektiv-rechtlichen Dimension) gedeckt, und es hat eine Konfliktlösung zwischen den insofern konträren Verfassungsnorm(wirkung)en stattzufinden 118 . Allgemeiner Richtpunkt der Konfliktlösung ist es, „praktische Konkordanz" zwischen den beteiligten Verfassungsrechtsgütern herzustellen 119 . Das ist die verfassungsdogmatische Begründung für die unmittelbar einleuchtende Aussage, daß eine grundlegende Verbesserung der tatsächlichen Freiheit vieler Einzelner nicht an einem geringen Grundrechtseingriff gegenüber einigen wenigen scheitern darf. Da es aber i m vorliegenden Zusammenhang schon an einer derartigen Grundrechtsverletzung fehlt, braucht 118 BVerfGE 50, 290 (338); daß dabei die Grundrechte gewahrt werden müssen, w i e das Bundesverfassungsgericht i m Anschluß daran ausführt, v e r steht sich von selbst; n u r : w i e w e i t die Grundrechte reichen, ist eben häufig die Frage. 117 Vgl. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die entsprechend verfährt: Erichsen, J u r a 1979, S. 392 f. 118 Vgl. zum Vorangehenden ausführlich oben 3.1.7.1. u n d 3.1.7.2. jeweils am Ende. 119 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12, A u f l , 1980, S. 28 f., 138 f.

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das Verfahren der Konfliktlösung nicht i m einzelnen durchgeführt zu werden. 3.2.4.7. Einige Aspekte zu einem totalen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung Ein totales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung ist derzeit nicht aktuell und soll hier auch nicht i n vollem Umfang auf seine Verfassungsmäßigkeit untersucht werden. Es seien nur einige verfassungsrechtliche Aspekte erwähnt, die für die bisherige Untersuchung des bloß partiellen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung keine Rolle gespielt haben. Die bisherige Prüfung des partiellen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung am Maßstab des A r t . 12 Abs. 1 GG und des Übermaßverbots hat an verschiedenen Stellen m i t dem Faktum argumentiert, daß insofern lediglich eine Berufsausübungsregelung durch das Gesetz getroffen wird. Bei einem totalen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung würde es sich dagegen i m Sinne der „Stufentheorie" u m eine objektive Zulassungsbeschränkung zum Beruf des ArbeitnehmerVerleihers handeln. Man könnte daher versucht sein, schon aus diesem Grunde die gesamte Argumentation zur Rechtfertigung des partiellen Verbots unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots zu verwerfen. Ohne daß dies, wie gesagt, i m folgenden i n seiner ganzen Breite ausdiskutiert werden könnte, muß klargemacht werden, daß eine solche bloße Umkehrung der bisherigen Argumentation zu kurz griffe. Für ein totales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung ließe sich zum einen folgendes anführen: Das Bundesverfassungsgericht hat i n seinem eingangs referierten Urteil den Sachverhalt „Arbeitnehmerüberlassung" sehr eng umschrieben. Arbeitsvermittlung als Gegensatz von A r beitnehmerüberlassung lag danach immer schon dann vor, „wenn der zugewiesene Arbeitnehmer i n den Betrieb der ,dritten Person 4 — i n der Regel eines Unternehmers — derart eingeordnet wird, daß er nach der ganzen Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen — wenn auch nur auf kurze Dauer — deren Arbeitnehmer w i r d " 1 2 0 . Vergleicht man dies m i t der heute praktizierten Arbeitnehmerüberlassung, dann würde i n den allermeisten Fällen i m Sinne des Bundesverfassungsgerichts A r beitsvermittlung und nicht Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen sein 121 . Ein ganz handfester Beleg hierfür ist es, wenn i n Arbeitsämtern — wie das i m Bereich des Landesarbeitsamts von Baden-Württemberg beobachtet worden ist 1 2 2 — statt eigener Vermittlungsarbeit den ar120

BVerfGE 21, 261 (266). Vgl. etwa Guski, Der Arbeitgeber 1971, S. 497; Kühl, Arbeit, Beruf u n d Arbeitslosenhilfe 1971, S. 241; Schnorr, R d A 1972, S. 197; dazu noch näher unten 4.4. unter (a). 122 A u s k u n f t v o n H e r r n Kastleiner, M i t g l i e d des Bundesvorstandes der I n dustriegewerkschaft Bau-Steine-Erden. 121

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Berufsfreiheit

beitsuchenden Bauarbeitnehmern sogleich eine Liste der i m näheren Umkreis praktizierenden Verleihunternehmern überreicht wird. I m gleichen Sinne ist darauf hinzuweisen, daß eine faktische Konkurrenz zwischen Arbeitnehmerüberlassung und den Zeitpersonal-Vermittlungsstellen der Arbeitsämter („JOB" und „servis") 1 2 3 besteht. Erweist sich aber Arbeitnehmerüberlassung als funktional weitgehend identisch m i t Arbeitsvermittlung, dann gelten die Gründe, m i t denen das Bundesverfassungsgericht das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit gerechtfertigt hat 1 2 4 , i n gleicher Weise für ein Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung. Ferner ist zu beachten, daß m i t einem Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung eine solche Tätigkeit nicht überhaupt, sondern nur als eine von Privaten gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit verboten wird. A u f eine solche „Einbeziehung bestimmter Tätigkeiten i n den staatlichen Aufgabenbereich" die Grundsätze der „Stufentheorie" anzuwenden und damit den Staat überhaupt nur noch zur Abwehr von Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter tätig werden zu lassen, ist „ i m Sozialstaat des 20. Jahrhunderts nur als anachronistisch" bezeichnet worden 1 2 5 . Schließlich besteht bei einem Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung und der daraus folgenden Übernahme der funktional-äquivalenten Zeitarbeitsvermittlung durch die Arbeitsämter immer noch die Möglichkeit, daß private (Zeit-)Arbeitsvermittler i m Auftrage der Bundesanstalt für Arbeit i m Rahmen des § 23 A F G tätig werden 1 2 6 . E i n weiterer Aspekt dürfte bei einer verfassungsrechtlichen Beurteilung eines totalen Verbots der Leiharbeit nicht übergangen werden: Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat als zusätzlichen Parameter i m Rahmen der Ubermaßverbotsprüfung den eher personalen oder eher sozialen Bezug einer gesetzlichen Regelung angegeben. Das bedeutet für die Garantie des Eigentums, daß dieses einen 123 Vgl. dazu Siegers, Arbeitsförderung, 1978, S. 54 f.; Then, Zeitarbeit, 1974, S. 28 f. 124 BVerfGE 21, 245 (251 ff.); zustimmend etwa: Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand, 1969, S. 115 f.; Püttner, Die öffentlichen U n t e r nehmen, 1969, S. 163 f.; ablehnend Bull, J Z 1967, S. 564 ff.; Volkhardt, Diss. 1971, S. 93; aus der Zeit v o r der Entscheidung vgl. Bethge, N J W 1964, S. 90 ff.; Nipperdey, i n : Festschrift Carl Heymanns Verlag, 1965, S. 241 ff. (S. 247: „Es bedarf n u n keiner weiteren Begründung, daß der Schutz der Arbeitsuchenden vor Mißbrauch u n d Ausbeutung durch das Gewinnstreben von möglicherweise skrupellosen V e r m i t t l e r n i n der Tat zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes . . . dient.") 125 Herzog, i n : Evangelisches Staatslexikon, 2. A u f l . 1975, Sp. 190; kritisch hierzu aber Steiner, öffentliche V e r w a l t u n g durch Private, 1975, S. 95 f. 128 Vgl. dazu neben den Kommentaren zum A F G etwa John, Diss. 1967, S. 114 f., 124 ff.; Siegers, Arbeitsförderung, 1978, S. 54; allgemein zu den „monopoldurchbrechenden Berufen": Steiner, öffentliche V e r w a l t u n g durch Private, 1975, S. 97 ff.

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

91

besonders ausgeprägten Schutz gegenüber dem Gesetzgeber genießt, soweit es um die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht, und daß die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung umso weiter ist, je mehr das Eigentumsobjekt i n einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht 127 . Den gleichen Gedanken hat das Gericht für die Berufsfreiheit für anwendbar erklärt 1 2 8 . Ohne daß dies hier vertieft wird, kann doch gesagt werden, daß der „personale Grundzug", die „Nähe zur Persönlichkeitsentfaltung" bei der Tätigkeit von gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassern eher gering zu veranschlagen ist. Zum einen w i r d die Tätigkeit des Verleihens nicht dadurch i n spezifischer Weise geprägt, daß es sich beim Gegenstand dieser Tätigkeit u m Arbeitnehmer handelt; die Tätigkeit als solche würde sich also nicht entscheidend ändern, wenn statt Menschen Maschinen oder sonstige Gegenstände verliehen würden. Bedenkt man zum andern die funktionale Austauschbarkeit von Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung sowie die Tatsache, daß die Tätigkeit als Arbeitsvermittler ja auch bei einem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung i m Rahmen der staatlichen A r beitsvermittlung weiter betrieben werden könnte, dann erweist sich als Charakteristikum privater Arbeitnehmerüberlassung nicht die Tätigkeit als solche, sondern die m i t i h r verbundene Möglichkeit, als Unternehmer Gewinn zu erzielen; gerade das ist aber auch i n vielen anderen Bereichen möglich; niemand ist hierfür auf die Arbeitnehmerüberlassung angewiesen. A l l das spricht dafür, den „personalen Grundzug" der Berufsfreiheit, „der den eigentlichen K e r n der Gewährleistung dieses Grundrechts ausmacht" 129 , bei einem Verbot gewerbsmäßiger A r beitnehmerüberlassung als wenig tangiert anzusehen und m i t dem Bundesverfassungsgericht die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers insoweit als besonders weit aufzufassen. Andererseits darf aber auch nicht der Gesichtspunkt „etablierter Grundrechtsrealität" 1 3 0 außer acht bleiben. 3.2.5. Zusätzliche Schranken der Berufsfreiheit aus Art. 33 GG?

Der Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG umfaßt auch, das ist hier schon festgehalten worden 1 3 1 , die Berufsausübung i m öffentlichen Dienst bzw. die dem Staat oder einem sonstigen Verwaltungsträger vorbehaltenen Berufstätigkeiten. Allerdings w i r d dieser Aussage i m juristischen Schrifttum verschiedentlich die Einschränkung hinzuge127

Zusammenfassend u n d m i t weiteren Nachweisen: B V e r f G E 50, 290 (340). Vgl. oben 3.1.6. 129 BVerfGE 50, 290 (364 f.).

128

130 131

Vgl. oben 3.1.4. am Ende. Vgl. oben 3.1.5.

92

3.

erfassungsrechtlich

aner

Berufsfreiheit

fügt, daß die Eigenart der i n Anspruch genommenen öffentlichen A u f gaben weitergehende Eingriffe i n das Grundrecht der Berufsfreiheit zu legitimieren vermöchten; zur Begründung w i r d entweder auf A r t . 33 Abs. 4 GG 1 3 2 oder auf A r t . 33 Abs. 5 GG 1 3 3 oder lediglich auf A r t . 33 GG 1 3 4 verwiesen. Dies läßt sich auf eine ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen, die ebenfalls i m Apotheken-Urteil begründet wurde, wo es heißt: „Je näher ein Beruf durch öffentlichrechtliche Bindungen und Auflagen an den ,öffentlichen Dienst' herangeführt wird, umso stärker können Sonderregelungen i n Anlehnung an A r t . 33 GG die Wirkung des Grundrechts aus A r t . 12 Abs. 1 tatsächlich zurückdrängen." 135 Diese Formel ist vom Bundesverfassungsgericht i n späteren Entscheidungen mehrfach wiederholt worden und hat dazu gedient, Sonderregelungen „staatlich gebundener" Berufe, insbesondere des Notars oder auch der Hebamme, zu rechtfertigen 138 . Wenn sich i n dieser Weise eine zusätzliche Einschränkung des Art. 12 Abs. 1 GG begründen ließe, wäre das auch für die hier untersuchten Fragen von Belang. Ein partielles oder totales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung würde j a dazu führen, daß die entsprechende Tätigkeit ganz von den Arbeitsämtern, insbesondere ihren spezialisierten Zeitarbeit-Vermittlungsstellen, übernommen würde. Da die Beschäftigten i n den Arbeitsämtern aber unzweifelhaft zum öffentlichen Dienst zu rechnen sind, bedeutete das eine Verstaatlichung der bisher von den Arbeitnehmerüberlassern ausgeübten beruflichen Tätigkeit. Würde man die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die i h r folgende L i t e r a t u r 1 3 7 hier zugrunde legen, wäre der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum noch über die bisher aufgezeigten Grenzen hinaus erweitert. Das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Regierungsentwurfs eines Verbots der Arbeitnehmerüberlassung i n Betriebe der Bauwirtschaft ließe sich so nur stützen. Der Auffassung, daß A r t . 33 GG die Freiheit „staatlich gebundener" Berufe zusätzlich einschränken könne, ist aber nicht zu folgen. Die Begründung der Gerichte, daß je näher ein Beruf durch öffentlich-rechtliche Bindung an den öffentlichen Dienst herangeführt werde, umso stärker Sonderregelungen i n Anlehnung an A r t . 33 GG die Wirkung 132

Badura, i n : Besonderes Verwaltungsrecht, 5. A u f l . 1979, S. 276. Erichsen, Jura 1980, S. 557. 134 Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. A u f l . 1974, S. 228. iss BVerfGE 7, 377 (398). ΐ3β BVerfGE 9, 338 (350 f.); 16, 6 (22); 17, 371 (377); 47, 285 (319); 54, 237 (246); vgl. auch BVerfGE 39, 334 (369); aus der L i t e r a t u r vgl. Leisner, AöR 93 (1968), S. 188 ff. 133

137

Die v o n Erichsen, Jura 1980, S. 558 sogar — m. E. zu Unrecht — als „der größte T e i l der L i t e r a t u r " angegeben w i r d .

3.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Berufsfreiheit

93

des A r t . 12 Abs. 1 GG zurückdrängen könnten, ist nämlich ein offensichtlicher Zirkelschluß: Es ist gerade die Frage, ob eine solche „Heranführung an den öffentlichen Dienst" zulässig ist; für eine entsprechende gesetzliche Regelung stellt gerade A r t . 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Schranken auf 1 3 8 . A r t . 33 GG enthält Maßstäbe für den öffentlichen Dienst, gilt also für die Personen, die i n diesem spezifischen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Für die Frage, ob eine bestimmte berufliche Tätigkeit als öffentlicher Dienst ausgeübt werden darf, ebenso wie für die Fragen, ob weniger weitgehende Reglementierungen der beruflichen Tätigkeit durch den Staat (wie ζ. B. die Fixierung von Zuständigkeitsbereichen, die Einführung einer Altersgrenze, die Zwangskorporierung der Berufsangehörigen, die Garantie eines staatlichen Mindesteinkommens, die Verankerung von Berufspflichten, die staatliche Aufsicht usw.) zulässig sind, gilt aber ausschließlich A r t . 12 Abs. 1 GG 1 3 9 . I n seiner jüngsten einschlägigen Entscheidung scheint auch das Bundesverfassungsgericht dem zuzustimmen und von seiner früheren Rechtsprechung abzurücken: Aus dieser ergibt sich danach nämlich nicht, „daß an die nach A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG gebotene gesetzliche Regelung geringere Anforderungen zu stellen wären als bei anderen Berufen" 1 4 0 .

138 So zu Recht Brohm, S t r u k t u r e n der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 281 Fn. 40. 139 So auch Brohm, S t r u k t u r e n der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 280 ff.; Hoff mann, DVB1. 1964, S. 462; Steiner, öffentliche V e r w a l t u n g durch Private, 1975, S. 102 ff. 140 BVerfGE 54, 237 (246).

4. Die Bindung dee Gesetzgebers durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Unabhängig von dem Ergebnis, zu dem man kommt, wenn man eventuelle, die Arbeitnehmerüberlassung einschränkende gesetzgeberische Maßnahmen an den Normen des Grundgesetzes, namentlich an der Berufsfreiheit, mißt, könnten diese schon deshalb unzulässig sein, w e i l sie sich i n Widerspruch setzen zu der eingangs referierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. A p r i l 19671. I n der Tat ist den Reformvorschlägen der Gewerkschaften von Seiten der Arbeitgeberverbände entgegengehalten worden, „daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch heute i n ihrem Kernbereich unverändert Gültigkeit hat" 2 . Die zentrale Vorschrift über die Bindungswirkungen, die von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgehen können, ist § 31 BVerfGG. Nach dessen Abs. 1 binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG haben Normenkontrollentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Der Tragweite dieser Bestimmungen ist i m folgenden nachzugehen (unten 4.2. und 4.3.). Diesen Erörterungen w i r d ein Abschnitt über das allgemeine prozeßrechtliche Institut der Rechtskraft vorausgeschickt (unter 4.1.). Anschließend sollen die für die vorliegende Problematik besonders einschlägigen zeitlichen Aspekte der verschiedenen Bindungswirkungen untersucht werden (unten 4.4.). 4.1. Rechtskraft Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwachsen seine Entscheidungen „gleich denen anderer Gerichte" i n Rechtskraft 3 . Diese Rechtskraftwirkung beschränkt sich auf den Tenor, bindet aber auch das Bundesverfassungsgericht selbst. Da auch das Bundesverfassungsgericht ein Organ der Rechtsprechung ist 4 , ist die i n 1

BVerfGE 21, 261. Vgl. den Vierten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der A n w e n d u n g des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, BT-Drucksache 8/4479, S. 21. 3 BVerfGE 4, 31 (38); 5, 34 (37 f.); 20, 56 (86 f.); theoretische Rechtfertigung bei Wischermann, Rechtskraft u n d B i n d u n g s w i r k u n g verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, 1979, S. 27 ff. 4 Dazu jetzt überzeugend Schiaich, W D S t R L 39 (1981), S. 126 ff. 2

4.1. Rechtskraft

95

fast allen Verfahrensarten des geltenden Rechts angeordnete Rechtskraft Bestandteil des insoweit lückenhaften Verfassungsprozeßrechts 5. Allgemein w i r d nämlich die Rechtskraft damit gerechtfertigt, daß die i n den gerichtlichen Verfahren herbeigeführte Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses i m Interesse der Einzelnen, die diese Feststellung erlangen, und i m Interesse der Organe, die sie aussprechen, eine gewisse Beständigkeit haben muß 8 . Damit ist aber zunächst nur die grundsätzliche Anwendbarkeit des Instituts der Rechtskraft i m Verfassungsprozeß dargetan. Die verfahrensrechtlichen Detailfragen zu dem unter verschiedenen Aspekten auszudifferenzierenden Umfang der Rechtskraft wie auch der weiteren Bindungsformen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts müssen aber zugleich die besondere verfassungsrechtliche Stellung dieses Gerichts berücksichtigen. Daraus ergibt sich folgendes Spannungsverhältnis: Eine Festschreibung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen ist zum einen u m der Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts als Gericht willen, nämlich zur Erreichung verbindlicher Streitbeilegung, geboten; eine Festschreibung hat andererseits u m der Aufgabe der Verfassung willen, nämlich i n die Zeit hinein offen zu bleiben, zu unterbleiben. Von hier aus ergibt sich folgende „Marschroute" für die Interpretation der Rechtskraft und des § 31 BVerfGG: „Verbindlichkeit, soweit sie zur Streiterledigung erforderlich ist; Offenheit und Wandlungsfähigkeit, soweit sie der abschließenden Beilegung verfassungsrechtlicher S t r e i t i g k e i t e n . . . nicht i m Wege steht." 7 I n der Prozeßrechtslehre unterscheidet man folgende Urteilswirkungen 8 : Unwiderruflichkeit, formelle Rechtskraft, materielle Rechtskraft. Unwiderruflichkeit bedeutet, daß das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, diese nicht mehr aufheben oder ändern darf. Formelle Rechtskraft bedeutet, daß die gerichtliche Entscheidung durch ein Rechtsmittel zu einem übergeordneten Gericht nicht mehr angegriffen werden kann. Materielle Rechtskraft bedeutet, daß die Beteiligten an das formell rechtskräftige Urteil außerhalb des abgeschlossenen Prozesses, insbesondere i n einem späteren Prozeß, gebunden sind. Diese Bindung w i r k t sich so aus, daß eine neue Klage m i t dem gleichen Streit5

Z u r K o n s t r u k t i o n („Gesamtanalogie") vgl. Sachs, Die B i n d u n g des B u n desverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 21 ff. β Vgl. dazu näher Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Übergangsrecht, 1981, S. 207 ff. 7 Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 582; ähnlich Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 74. 8 Vgl. zum folgenden Maunz, i n : Maunz / Schmidt-Bleibtreu / K l e i n / Ulsamer, BVerfGG, Stand 1979, § 31 Rdnr. 6 ff.; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 7. A u f l . 1978, S. 252 ff.; Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 583 f.

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4. Bindung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

gegenständ unzulässig ist und daß i n einem neuen Verfahren m i t abweichendem Streitgegenstand das Gericht an das rechtskräftige Ergebnis des früheren Verfahrens inhaltlich gebunden ist. I n diesen Definitionen sind teilweise schon die Grenzen der materiellen Rechtskraft enthalten; diese sind inhaltlicher („objektive Grenzen"), personaler („subjektive Grenzen") und zeitlicher A r t 9 . Die objektiven Grenzen bestehen darin, daß sich die materielle Rechtskraft von Sachentscheidungen nur auf die Feststellung der Rechtslage i n bezug auf den sich aus dem Antrag ergebenden Streitgegenstand erstreckt. I n subjektiver Hinsicht erstreckt sich die materielle Rechtskraft auf die Verfahrensbeteiligten, also Antragsteller, Antragsgegner und Beigetretene, nicht auf unbeteiligte Dritte. Schließlich sind — auch i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 10 — zeitliche Grenzen der Rechtskraft anerkannt, die grob dahingehend umschrieben werden können, daß Tatsachen« oder Rechtsänderungen, die nach dem Entscheidungszeitpunkt eingetreten sind, der materiellen Rechtskraft ein Ende setzen können. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. A p r i l 1967 ist i n einem Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen ein Gerichtsurteil ergangen; sein Tenor umfaßte zum einen die Feststellung, daß dieses Gerichtsurteil aufgehoben wird, und zum andern die Nichtigkeit des § 37 Abs. 3 A V A V G 1 1 . Insofern handelte es sich u m eine Normenkontrollentscheidung, die nach Rechtsprechung und herrschender Lehre 1 2 ebenfalls i n materielle Rechtskraft erwächst. Daher stellt sich die Frage, inwieweit der Gesetzgeber dadurch gebunden und speziell an einem partiellen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung gehindert ist. Subjektiv ist die materielle Rechtskraftwirkung gegeben: I m Normenkontrollverfahren sowie bei einer Normenkontrollentscheidung i m Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens sind Beteiligte die äußerungsberechtigten Organe und die von ihnen vertretenen Körperschaften 13 ; § 37 Abs. 3 A V A V G war ebenso wie die gegenwärtig erwogenen Maßnahmen ein Bundesgesetz. Folglich sind Bundestag und Bundesregierung i n jedem F a l l durch das damalige Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Problematischer ist, ob eine Bindung durch die materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung nicht deshalb entfällt, w e i l es sich 9 Ausführlich hierzu u n d zum folgenden Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 36 ff. 10 Vgl. BVerfGE 33, 199 (203 f.); 39, 169 (181, 187 f.). 11 BVerfGE 21, 261 (262). 12 Vgl. BVerfGE 20, 56 (86) sowie die umfassenden Nachweise bei Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 292 ff. 18 Vgl. näher Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I , S. 592 f., 609, 617.

4.1. Hechtskraft

97

gar nicht u m denselben Streitgegenstand handelt. „Streitgegenstand" ist einer der zentralen, zugleich aber auch umstrittensten Begriffe der Prozeßrechtslehre. Der Streitgegenstand von Normenkontrollentscheidungen ist zunächst einmal die durch den spezifischen Gesetzgebungsakt geschaffene Norm. Entgegen früheren Annahmen 1 4 besteht aber heute die Tendenz, i n die objektive Rechtskraftwirkung darüber hinaus auch Wiederholungsakte einzubeziehen: Sachs bezieht sich insoweit auf die neueren Auffassungen i n der allgemeinen Prozeßrechtslehre, die i m Ergebnis, wenn auch nicht i n der Begründung, darin übereinstimmen, daß ein wiederholter, inhaltsgleicher A k t der Rechtskraft unterliegt. Die „Bedenken, daß durch eine solche Bindung spätere Gesetzgebungsvorhaben, die vielleicht anders zu beurteilen wären, unmöglich gemacht würden", räumt er m i t dem Hinweis darauf aus, daß dies ein Problem der richtigen Bestimmung der zeitlichen Rechtskraftgrenzen ist 1 5 . Auch nach Vogel erstreckt sich die Rechtskraft objektiv auch auf Wiederholungsakte; er erreicht dies durch eine Besinnung auf den Zweck der Bindung durch die materielle Rechtskraft; diese soll „diejenige dem Ausspruch i m Tenor zugrunde liegende Rechtsannahme" umfassen, „die gerade so allgemein formuliert ist, daß sich aus i h r außer der konkret getroffenen Entscheidung noch eine übereinstimmende Entscheidung i n gleichartigen Fällen ergibt" 1 6 . Legt man diese neueren Auffassungen zugrunde, dann ergibt sich i m Verhältnis der materiellen Rechtskraft des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967 zu eventuellen, die Arbeitnehmerüberlassung einschränkenden gesetzgeberischen Maßnahmen heute folgendes: Es kommt darauf an, ob die neue gesetzgeberische Maßnahme „inhaltsgleich" bzw. „gleichartig" ist; letzteres w i r d noch näher so erläutert, daß der spätere Sachverhalt keine Merkmale aufweisen darf, „die eine gegenüber dem früheren Sachverhalt abweichende Beurteilung rechtfertigen können" 1 7 . I n diesem Sinn ist der geplante § 12 a A F G weder inhaltsgleich noch gleichartig m i t dem aufgehobenen § 37 Abs. 3 A V A V G . Denn während dieser die gesamte Arbeitnehmerüberlassung dem Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt unterstellt hat, ergibt sich aus jenem diese Konsequenz nur für einen Teilbereich der Arbeitnehmerüberlassung; juristisch stellt sich § 12 a A F G als eine bloße Berufsausübungsregelung gegenüber einer Regelung der Berufswahl durch § 37 Abs. 3 A V A V G dar. Das sind hinreichende Merk14 Nachweise bei Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 311. 15 Vgl. Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine E n t scheidungen, 1977, S. 311 f. i.V.m. S. 63 f. 18 Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I , S. 589 f. 17 Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 590.

7 Pieroth

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4. Bindung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

male, die eine gegenüber dem früheren Sachverhalt abweichende Beurteilung rechtfertigen können. — Anders müßte insoweit ein totales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung beurteilt werden, das die gleichen Rechtsfolgen wie der frühere § 37 Abs. 3 A V A V G hätte. I n diesem Fall müßte die „Gleichartigkeit" und damit ein Wiederholungsakt bejaht werden. I n objektiver Hinsicht wäre ein solches Gesetz von der materiellen Rechtskraft des Urteils des Bundesverfassungsgerichts erfaßt; ob der Gesetzgeber tatsächlich gebunden wäre, hinge i n diesem Fall nur noch davon ab, ob nicht aus zeitlichen Gründen der Rechts^ kraftwirkung des Urteils Grenzen zu ziehen sind 18 . 4.2. Bindungswirkung Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll sich die BindungsWirkung gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG i n zweierlei Hinsicht von der Rechtskraft unterscheiden: Einmal soll sie sich auch auf die „tragenden Gründe" der Entscheidung beziehen; andererseits soll sie nicht das Gericht selbst betreffen 19 . Was dabei unter der Bindung durch die „tragenden Gründe" zu verstehen ist, hat das Bundesverfassungsgericht zunächst sehr eng m i t der Formel umschrieben: „derart, daß ein Bundesgesetz desselben Inhalts nicht noch einmal von den gesetzgebenden Körperschaften beraten, beschlossen und vom Bundespräsidenten verkündet werden kann" 2 0 . I n der Folge läßt sich eine ständige Ausweitung des Verständnisses dieser Formel beobachten, bis hin zur Feststellung i m Grundlagenvertrag-Urteil, daß alle Ausführungen der Urteilsbegründung, auch diejenigen, die sich nicht ausschließlich auf den Inhalt des Vertrags selbst beziehen, „nötig, also . . . T e i l der die Entscheidung tragenden Gründe" seien 21 . Das Schrifttum bietet i n dieser Frage ein sehr diffuses Bild. Das rührt vor allem daher, daß die Begriffe Rechtskraft und Bindungswirkung i n ganz verschiedener A r t und Weise verwendet werden und dadurch mannigfache Mißverständnisse und Verwechselungen hervorgerufen worden sind. Sachs, der i n jüngerer Zeit die Gesamtheit des einschlägigen Schrifttums akribisch aufgearbeitet hat, reduziert die MeinungsVielfalt auf zwei Grundauffassungen: Die eine Gruppe unterstützt die Rechtsprechung, wonach eine Bindung an die Rechtsauffassungen des Bundesverfassungsgerichts besteht, die über den Einzel18

Dazu noch näher unten 4.4. BVerfGE 1, 14 (37); 4, 31 (38); 5, 34 (37); 19, 377 (392); 20, 56 (87); 24, 289 (294); 33, 199 (203); 40, 88 (93). 20 BVerfGE 1, 14 (37). 21 BVerfGE 36, 1 (36); vgl. i m übrigen die Rechtsprechungsanalyse bei Seuffert, AöR 104 (1979), S. 192 ff. 19

4.2. Bindungswirkung

99

fall hinausgeht; die andere Gruppe möchte die Bindung auf den objektiven Rechtskraftumfang, d. h. auf den Gegenstand der konkreten Entscheidung beschränken 22 . I n der neueren verfassungsrechtlichen Diskussion w i r d die aus der Erstreckung der Bindungswirkung auf die „tragenden Gründe" folgende „Kanonisierung von Sätzen des Bundesverfassungsgerichts" 23 m i t guten Gründen abgelehnt. Gegen die geschilderte ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bindungswirkung seiner Entscheidungen sprechen zum einen eher technische Argumente: So ist es i m deutschen Rechtskreis ganz ungewöhnlich, daß ein Gerichtsurteil dritte Stellen binden soll, ohne zugleich auch das entscheidende Gericht selbst zu binden; etwas so Außergewöhnliches hätte zumindest ausdrücklich gesetzlich geregelt werden müssen. Außerdem ist bis heute keinerlei Klarheit entstanden, was eigentlich „tragender Grund" einer Entscheidung ist. Zum anderen sprechen verfassungsstrukturelle Gründe gegen eine so extensiv interpretierte Bindungswirkung: Die Kanonisierung der Entscheidungsgründe und deren verfassungsgleiche W i r kung haben das Gericht und i n der Folge das gesamte Verfassungsrecht vom Text des Grundgesetzes entfernt und auf diese Weise den Regelungsspielraum des Gesetzgebers i n bedenklicher Weise eingeengt. Zugleich werden damit die anderen Staatsorgane ebenso wie die Untergerichte daran gehindert, auf den Prozeß der Verfassungsauslegung und -entwicklung Einfluß zu nehmen. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Ausweitung der Bindungswirkung eindeutig zu stark auf Beharrung und zu Lasten erforderlicher Innovation geht 24 . Daraus folgt, daß der objektive Umfang der Bindung s Wirkung sich deckt mit dem der materiellen Rechtskraft. I n Übereinstimmung m i t der ursprünglichen Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts heißt das: Aus einer stattgebenden Entscheidung folgt nicht nur die Verfassungswidrigkeit des konkret verfassungswidrig erachteten hoheitlichen Aktes, sondern auch das Verbot der Wiederholung gleichartiger A k t e — aber auch nicht mehr. Aus einer abweisenden Entscheidung folgt analog über die Zulässigkeit des konkret geprüften Aktes hinaus die Zulässigkeit späterer gleichartiger Akte und wiederum nicht 22 Vgl. Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine E n t scheidungen, 1977, S. 3, 7 ff., 67 ff., 104 ff., besonders S. 71. 23 So Schiaich, W D S t R L 39 (1981), S. 138. 24 I n diesem Sinn Hoffmann-Riem, Der Staat 13 (1974), S. 335 ff.; Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Übergangsrecht, 1981, S. 262 f.; Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 110 f.; Schiaich, W D S t R L 39 (1981), S. 138 ff.; Wischermann, Rechtskraft u n d B i n d u n g s w i r k u n g verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, 1979, S. 64 ff. — a. A. Lange, JuS 1978, S. 4 f.

7*

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4. Bindung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

mehr: Würden Hechtskraft und Bindungswirkung „weiter erstreckt, so bestünde die Gefahr, daß Formulierungen bindend werden, die — vor allem hinsichtlich ihrer späteren Konsequenzen — doch nicht i n gleicher Weise umfassend wie die entschiedene Fallfrage bedacht worden sind" 2 5 . Daß der gegenständliche Umfang von materieller Rechtskraft und Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG als identisch bestimmt wird, bedeutet zugleich, daß auch die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft für die Bindungswirkung gelten 26 . Danach hat § 31 Abs. 1 BVerfGG eine über die materielle Rechtskraft hinausgehende Bedeutung nur i n subjektiver Hinsicht; diese braucht hier aber nicht weiter verfolgt zu werden 27 . I m übrigen kommt den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ebenso wie denen der obersten Gerichtshöfe des Bundes präjudizielle Wirkung zu, d. h. daß nur i n begründeten Fällen von ihnen abgewichen werden darf; diese präjudizielle Wirkung bedeutet aber nach ganz überwiegender Auffassung keine normative Bindung 2 8 . 4.3. Gesetzeskraft Über den Begriff der Gesetzeskraft hat sich das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht näher geäußert. I m Schrifttum ist seine Bedeutung umstritten. Es ist die Auffassung geäußert worden, daß der Vorschrift „keine irgend erhebliche Bedeutung beikommt" 2 9 . Nach anderer Meinung bedeutet sie eine „Steigerung der Bindung" 3 0 . Die Differenzen hängen m i t dem Umfang der Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG i n subjektiver Hinsicht zusammen und brauchen hier nicht weiter erörtert zu werden; denn Ubereinstimmung besteht jedenfalls insoweit, daß durch § 31 BVerfGG — sei es Abs. 1 oder Abs. 2 — den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine Wirkung für und gegen alle zugelegt wird. Der objektive und zeitliche Umfang der Ge25 Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 590; gleiches Ergebnis bei Seuffert, AöR 104 (1979), S. 198 f., w e n n er dafür plädiert, von der Vorstellung einer neben Rechtskraft u n d Gesetzeskraft existierenden besonderen B i n d u n g s w i r k u n g Abstand zu nehmen. 26 Vgl. Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine E n t scheidungen, 1977, S. 74 ff.; Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I , S. 610. 27 Z u den Einzelheiten vgl. Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 82 ff.; Vogel, i n : Festgabe B u n desverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 598 f., 602 ff. 28 Vgl. Pieroth, R ü c k w i r k u n g u n d Ubergangsrecht, 1981, S. 253 f., 264 f. m.w.N.; ferner Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 128 ff. 29 Friesenhahn, i n : Festschrift Ambrosini, 1970, S. 703. 30 Maunz, i n : Maunz / Schmidt-Bleibtreu / K l e i n / Ulsamer, BVerfGG, Stand 1979, § 31 Rdnr. 23 ff.; Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 611 ff.

4.4. Speziell zur Verbindlichkeit in der Zeit

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setzeskraft bestimmt sich demgegenüber in gleicher Weise wie der der Rechtskraft und der Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG 3 1 . N u r für die Bindung des Bundesverfassungsgerichts selbst ergibt sich bei der Bestimmung der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft eine Besonderheit 3 2 : Von einer Entscheidung, i n der es eine Norm für verfassungsmäßig erklärt hat, kann das Bundesverfassungsgericht wie alle anderen Adressaten der Gesetzeskraft i m Falle tatsächlicher und rechtlicher Veränderungen abweichen; wenn es dagegen ein Gesetz für nichtig oder m i t dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat, kann das Bundesverfassungsgericht nicht selbst ein solches Gesetz erneut i n K r a f t setzen. Für den vorliegenden Zusammenhang ist die Feststellung wichtig, daß demgegenüber der Gesetzgeber genau dies t u n kann. 4.4. Speziell zur Verbindlichkeit i n der Z e i t

Bei der Behandlung der materiellen Rechtskraft ist schon i n allgemeiner Form auf die zeitlichen Grenzen hingewiesen worden. Sie ergeben sich daraus, daß gerichtliche Entscheidungen für die Sach- und Rechtslage i n dem Zeitpunkt gelten, i n dem sie gefällt werden. Treten nach diesem Zeitpunkt tatsächliche oder rechtliche Veränderungen ein, so können sie i n einem neuen Verfahren geltend gemacht werden; eine Bindung unter dem Aspekt der materiellen Rechtskraft besteht dann nicht mehr. Dieser Grundsatz gilt auch i m Verfassungsprozeß 33 . Wie bereits ausgeführt wurde, gilt dasselbe für die Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG und für die Gesetzeskraft gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG» Betrachtet man diesen Grundsatz näher für den Bereich der Normenkontrollentscheidungen 34 , dann bedeutet die Formel von den „Veränderungen der Sach- oder Rechtslage" Veränderungen einmal bei dem Maßstab der Prüfung (Rechtsänderung) und zum andern beim Prüfungsobjekt (Tatsachenänderung); da aber das Prüfungsobjekt i n diesem Fall selbst eine Norm ist, paßt der Ausdruck „Tatsachenänderung" schlecht. Sodann ist zwischen Normenkontrollentscheidungen zu unterscheiden, die eine Norm für m i t höherrangigem Recht vereinbar erklären, und solchen, die Normen für m i t höherrangigem Recht unver81 Dazu eingehend Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 307 ff. 32 Z u m folgenden vgl. Lange, JuS 1978, S. 7 f.; Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 340. 33 Vgl. Lange, JuS 1978, S. 3; Maunz, i n : Maunz / Schmidt-Bleibtreu / K l e i n / Ulsamer, BVerfGG, Stand 1979, § 31 Rdnr. 10; Sachs, Die B i n d u n g des B u n desverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 49 ff.; Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I , S. 594 ff. 34 Z u m folgenden v o r allem Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S, 330 f t

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4. Bindung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

einbar erklären. I m vorliegenden Fall ist die zweite Alternative einschlägig. Hier können Veränderungen i m Bereich der Maßstabsnormen oder bei den i n der früheren Entscheidung zugrunde gelegten Verhältnissen dazu führen, daß ein Wiederholungsgesetz nunmehr als m i t den Maßstabsnormen vereinbar beurteilt werden kann. Umstritten ist, inwiefern ein „grundlegender Wandel der Lebens Verhältnisse oder der allgemeinen Rechtsauffassung" eine zeitliche Grenze der materiellen Rechtskraft darstellt. Das Bundesverfassungsgericht hatte zunächst offengelassen, ob eine erneute Überprüfung — außer bei Vorliegen neuer Tatsachen — auch bei einem Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung zulässig sei 35 ; später hat es diese Frage aber stillschweigend bejaht 3 6 . Unproblematisch ist dabei der Fall, daß die zur Zeit der früheren Entscheidung bestehende allgemeine Rechtsauffassung Element des Sachverhalts war, auf den das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung gestützt hat, und sich dieser Sachverhalt durch den Wandel der Rechtsauffassung i n einem entscheidungserheblichen Punkt geändert hat; denn dann liegt unzweifelhaft eine „neue Tatsache" i m Sinn der allgemeinen Rechtskraftlehren vor. Eine darüber hinausgehende Durchbrechung der materiellen Rechtskraft durch einen Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung w i r d teilweise abgelehnt, w e i l i m Interesse des Rechtsfriedens Entscheidungen auch hingenommen werden müßten, wenn sie auf inzwischen überwundenen Rechtsansichten beruhten 37 . Uberwiegend ist man demgegenüber der Auffasung, daß auch ein Wandel der allgemeinen Rechtsauf fassung die materielle Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überwinden kann: Verfassungsrecht ist i n besonderer Weise „ i n die Zeit hinein offen" und auf Konsensfähigkeit angewiesen. Daher sind auch die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft eng zu ziehen; wenn ein Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung insofern nicht berücksichtigt werden könnte, drohte eine gefährliche Erstarrung des Verfassungsrechts 38 . 5,5

BVerfGE 33, 199 (204). BVerfGE 39, 169 (181, 187 f.). 37 So Sachs, Die B i n d u n g des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 50 ff.; allerdings berücksichtigt dersS. 333, den Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung dann, w e n n die allgemeine Rechts auf fassung als Tatbestandsmerkmal zur Maßstabsnorm gehört oder diese, etwa i n „Wertbegriffen", an allgemeine Wertvorstellungen innerhalb der Gemeinschaft anknüpft. 38 I n diesem Sinn: Brox, i n : Festschrift Geiger, 1974, S. 822, 826; Lange, JuS 1978, S. 3; Zuck, N J W 1975, S. 910 f.; einschränkend w i l l Vogel, i n : Festgabe Bundesverfassungsgericht, 1976, Bd. I, S. 596, die materielle Rechtskraft unter dem Aspekt des Wandels der allgemeinen Rechtsauffassung n u r dann zurücktreten lassen, w e n n der konkrete politische Streit, zu dessen Beendigung die Verfassungsgerichtsentscheidung erging, nicht mehr f o r t w i r k t ; dies erscheint jedoch als ein wenig griffiges Unterscheidungskriterium» 86

4.4. Speziell zur Verbindlichkeit in der Zeit

103

A u f eine Entscheidung dieses Streits kommt es jedoch hier nicht an, weil sich die für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. A p r i l 1967 konstitutiven Tatsachen seither geändert haben. Das w i r d durch die gesamte seitherige Entwicklung, wie sie oben 1. geschildert worden ist, belegt; die wichtigsten Gesichtspunkte sind die folgenden: (a) Das Bundesverfassungsgericht hat den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung i n einer sehr restriktiven A r t und Weise von der A r beitsvermittlung abgegrenzt. Den Tatbestand der Arbeitsvermittlung hat es immer dann schon für gegeben erachtet, „wenn der zugewiesene Arbeitnehmer i n den Betrieb der ,dritten Person' — i n der Regel eines Unternehmers — derart eingeordnet wird, daß er nach der ganzen Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen — wenn auch nur auf kurze Dauer — deren Arbeitnehmer w i r d " 3 9 . Durch die spätere Rechtsentwicklung, zunächst durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, sodann durch den Erlaß des AÜG, sind aber die vom Bundesverfassungsgericht als Arbeitsvermittlung und damit unzulässige Arbeitnehmerüberlassung gekennzeichneten Tatbestände präzisiert und i n großem Umfang der zulässigen Arbeitnehmerüberlassung zugeordnet worden. Der Präzisierung dient eine besondere Prüfung, „wo der Schwerpunkt der arbeitsrechtlichen Beziehungen nach der tatsächlichen Gestaltung der Vertragsverhältnisse liegt" 4 0 , bei dem Verleiher oder dem Entleiher des Arbeitnehmers. Die Ausdehnung zulässiger Arbeitnehmerüberlassung zeigt sich ζ. B. daran, daß das Bundesverfassungsgericht die Weisungsbefugnis des Unternehmers, i n dessen Betrieb die betroffenen Arbeitnehmer tatsächlich arbeiteten, als Indiz dafür wertete, daß i n Wirklichkeit eine Arbeitsvermittlung vorgenommen worden war. Die heute praktizierte Arbeitnehmerüberlassung ist aber ohne eine solche Weisungsbefugnis des Entleihers gar nicht vorstellbar 41 . Zwar entsteht das Weisungsrecht zunächst nur i n der Person des Verleihers; er ist jedoch i n seiner Funktion als Arbeitgeber und aufgrund des allgemein gegebenen Einverständnisses des Leiharbeitnehmers, seine A r beitsleistung bei Dritten zu erbringen, befugt, dieses Weisungsrecht teilweise dem Entleiher zur Ausübung zu übertragen 42 . Der übertragene Bereich bezieht sich auf die konkrete Durchführung der dem Arbeitnehmer gegebenen Arbeit; beim Verleiher verbleiben Regelungen über die Einsatzdauer und die (generelle) A r t der Tätigkeit, so daß 39

BVerfGE 21, 261 (266). BSGE 31, 235 (243); kritisch Becker, A P Nr. 9 zu § 37 A V A V G ; zustimmend Vielhaber, A r b e i t u n d Sozialpolitik 1970, S. 275 ff. 41 Vgl. Seiter, Juristische Analysen 1971, S. 71; ferner Hempel, Das Spannungsverhältnis . . . , 1975, S. 161 ff.; Heußner, D B 1973, S. 1302 f.; Hessel, B B 1970, S. 308. 42 Becker, A Ü G , § 11 Rdnr. 57. 40

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die Arbeitgeberstellung zwischen Verleiher und Entleiher aufgespalten wird 4 3 . (b) Das Bundesverfassungsgericht hat zwischen der Arbeitsvermittlung und der Arbeitnehmerüberlassung so gewichtige — rechtliche und wirtschaftliche — Unterschiede konstatieren zu können vermeint, daß „Arbeitnehmer-Uberlassungsverträge kein geeignetes Mittel (seien), um die Arbeitsvermittlung i n nennenswertem Umfang zu umgehen" 44 . Es hat zugleich den Raum, innerhalb dessen die Arbeitnehmerüberlassung die wirtschaftliche Funktion der Arbeitsvermittlung ersetzen könnte, als sehr begrenzt angesehen: „Dafür, daß i n Betrieben längere Zeit hindurch fremde Arbeitnehmer tätig sind, die ihnen von anderen Unternehmern überlassen sind, weiterhin nur zu diesen Unternehmern i n Rechtsbeziehungen stehen und der Weisungsbefugnis des Unternehmers, i n dessen Betrieb sie tatsächlich arbeiten, nicht unterstehen, spricht kaum eine Lebenserfahrung." 45 Diese Annahmen sind durch die Entwicklung i m Anschluß an diese Entscheidung eindeutig widerlegt«. Aus anderer Perspektive ist gesagt worden 4 7 , daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hier einen schützenden Damm zerstört hat. Der geringe Umfang der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung habe auf der präventiven Wirkung des früheren Rechtszustandes beruht. Das Ausmaß der Übernahme i n den bisher von der Arbeitsverwaltung allein betreuten Zeitpersonal-Bereich w i r d etwa an der eindeutig steigenden 48 Zahl der Überlassungsfälle deutlich. I m Jahr 1978 entsprach die Zahl von 278 000 Überlassungsfällen i m legalen Verleihgewerbe etwa einem Drittel der von der Arbeitsverwaltung durchgeführten Zeit-Stellenvermittlungen. Bei einem Vergleich zwischen kaufmännischem und gewerblichem A n t e i l verliehener Arbeitnehmer innerhalb einer Branche dominiert der gewerbliche Bereich; bei einem Vergleich zwischen verschiedenen Branchen ergibt sich, daß der Anteil von Leiharbeitnehmern an der Gesamtbeschäftigtenzahl variiert: I n Betrieben der Metallbranche lag 43 Becker, N J W 1971, S. 692; Hueck ί Nipper dey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, S. 523; Mayer, A u R 1974, S. 356 ff.; Seiter, Juristische Analysen 1971, S. 76 f.; dagegen Hempel, Das Spannungsverhältnis . . . , 1975, S. 167. 44 BVerfGE 21, 261 (268) u n d oben 1.1. 45 BVerfGE 21, 261 (268 f.) u n d oben 1.1. 48 Vgl. oben 1.2. u n d 1.4.; ebenso: Kühl, Arbeit, Beruf u n d Arbeitslosenhilfe 1971, S. 241: „gänzliche Veränderung der seinerzeit v o m Bundesverfassungsgericht beurteilten Tatsachen"; Mayer, A u R 1974, S. 354 f.; MöllerLücking, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 11 (1973), S. 59. 47 V o n Ramm, Z f A 1973, S. 279. 48 Vgl. die Zahlenangaben i n : Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt f ü r Arbeit, Heft 7/79, S. 25—28 u n d ISO I I , S. 8.

4.4. Speziell zur Verbindlichkeit in der Zeit

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der Jahresdurchschnitt an Leiharbeitnehmern bei ca. 7 °/o, i n der Jahresspitze bei ca. 11 %>. Speziell für die Baubranche konnte festgestellt werden, daß es fast keine Betriebe mehr gibt, die ohne Leiharbeit auskommen; i n den entleihenden Betrieben lag der Anteil der Leiharbeitnehmer an der Zahl der Gesamtbeschäftigten zwischen 2 , 5 % und 44—50 °/o49. Typische Entleiher konnten nicht festgestellt werden; sow o h l Groß- als auch Kleinstbetriebe sind beteiligt. Beachtlich ist, daß speziell i m Baubereich der Entleih i m Rahmen des A Ü G gegenüber dem illegalen Verleih nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Es ist sogar die „Vermutung" geäußert worden, „daß der nicht-konzessionierte Verleih . . . i m Baugewerbe extreme Ausmaße angenommen hat. Es kann also heute kaum noch davon gesprochen werden, daß die Arbeitsverm i t t l u n g nicht i n nennenswertem Umfang umgangen werde." 5 0 Die weitere Aussage des Bundesverfassungsgerichts, kaum eine Lebenserfahrung spreche dafür, daß fremde Arbeitnehmer über längere Zeit i n einem Betrieb tätig sind, mag — 1967 — richtig gewesen sein. Zumindest ab Mitte der 70er Jahre kann dies nicht mehr gelten. Zum Zeitpunkt des Urteils entleihten interessierte Betriebe lediglich sporadisch und weitgehend ungeplant Arbeitskräfte, wenn ein nicht vorhergesehener personeller Engpaß — infolge Krankheit, Unfall u. ä. — auftrat 5 1 . Infolge Rezession, geringer Investitionstätigkeit und ganz allgemein verschärfter Arbeitsmarktbedingungen tendieren Unternehmen seither dazu, ihre Kosten auch durch Verringerung der Stammbelegschaft zu senken. Die Folge hiervon ist, daß sich neben einer unterbesetzten Stammbelegschaft ein — je nach Bedarf — größerer oder kleinerer Kreis von Leiharbeitnehmern bildet. Diese werden nicht mehr nur i n Ausnahmesituationen gebraucht; vielmehr werden durch ihren aufeinanderfolgenden Einsatz Dauerarbeitsplätze besetzt. Das erspart vor allem auch lange Kündigungsfristen und innerbetriebliche Gratifikationen und w i r d ganz allgemein als „Auslagerung von ArbeitgeberRisiken" bezeichnet. (c) Des weiteren sind einige tatsächliche Begründungselemente des Urteils aus dem Jahr 1967 von der seitherigen Entwicklung falsifiziert worden. Die Annahme, daß Arbeitnehmerüberlassung Arbeitskräftereserven erschlösse, hat sich als nur bedingt richtig herausgestellt. Vor allem aber sind die Gerichte nicht in der Lage gewesen, soziale Mißstände i m Bereich der Arbeitnehmerüberlassung abzustellen. Die These des Bundesverfassungsgerichts war, daß für Personen, die aus den verschiedensten Gründen nicht i n der Lage oder willens seien, 49 50 51

Z u m Vorstehenden vgl. ISO I , S. 60 ff. Vgl. ISO I, S. V, 110. ISO I I , S. 7.

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dauerhaft einen Arbeitsplatz zu besetzen, ein für sie bisher verschlossener Arbeitsmarkt geöffnet werden könnte. Demgemäß bestand auch der Hauptanteil der Personen m i t sogenanntem temporärem Arbeitsinteresse anfänglich aus Studenten, Schülern und Hausfrauen 52 . Diese wurden vorwiegend für Hilfstätigkeiten i m Büro- und Verwaltungssektor eingesetzt. Für diesen Personenkreis mag die These von der „Mobilisierung von Arbeitskraftreserven" zugetroffen haben. Heute ergeben sich dagegen mehrere Bedenken: Die soziale Struktur der Leiharbeitnehmerschaft hat sich aus verschiedenen Ursachen zwischenzeitlich verändert. I m Anschluß an das Bundesverfassungsgerichtsurteil waren neue Möglichkeiten eröffnet, das Verleihgewerbe über den Büro- und Verwaltungssektor hinaus auf den gewerblichen Bereich auszudehnen. Dieser Bereich verfügte jedoch gar nicht über Arbeitskräftereserven — jedenfalls nicht über inländische Reserven 53 . Der Marktanteil, den die Verleiher i n der Folgezeit auf gewerblichem Sektor aber dennoch erzielten — dieser übertrifft heute i n seiner Bedeutung bei weitem den Büro- und Verwaltungsbereich —, resultierte demnach aus einer Umverteilung des bereits Vorhandenen: Die seit Ende der 60er und i n den 70er Jahren i n allen Wirtschaftszweigen verstärkt einsetzende Rationalisierung führte auch zu einer Verringerung des Stammarbeitnehmerpotentials, namentlich durch Abbau der sog. betrieblichen Personalreserve. Diese — qualifizierten — Arbeitnehmer, die einen Dauerarbeitsplatz suchten, bildeten i m Lauf der Zeit den Hauptanteil der Leiharbeitnehmer 54 . Folglich konnten Entleiher nunmehr Stammarbeitsplätze sowohl langfristig als auch qualifiziert m i t Leiharbeitnehmern besetzen, so daß teilweise die vorher entlassenen Stammarbeitnehmer als Leiharbeitnehmer i n den alten Betrieb rückgeführt wurden 5 5 . Speziell für die — starken konjunkturellen und saisonalen Schwankungen unterliegende — Bauwirtschaft läßt sich folgendes feststellen: I n den Jahren 1975—1980 gingen etwa 400 000 Arbeitsplätze verloren. Seitdem hat sich bei den Unternehmen die Tendenz verstärkt, kurzfristigen Arbeitskräftebedarf durch Inanspruchnahme von Leiharbeitnehmern abzudecken 56 . Und wenn von Seiten der Verleihunternehmen i n der Leiharbeit eine „zusätzliche Rationalisierungsmöglichkeit der Zukunft" gesehen w i r d 5 7 , ist dies ein weiteres Indiz für einen derarti52

ISO I I , S. 7. Vgl. Duda, Soziale Sicherheit 1973, S. 71. 54 ISO I I , S. 8. 55 ISO I, S.V, 115; ISO I I , S. 21; zu dieser „disfunktionalen M o b i l i t ä t " vgl. auch Hempel, Das Spannungsverhältnis . . . , 1975, S. 67 ff. 56 ISO I, S. 26 f., 67. 57 Vgl. Then , Zeitarbeit, 1974, S. 151. 53

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gen Abbau von Stammarbeitsplätzen. Daraus folgt, daß die Existenz von Leiharbeitnehmern geeignet ist, eine geringe Stammarbeitnehmerzahl zu perpetuieren 58 . Hinzu kommen Abwerbungen von Verleiherseite, die bewirken, daß Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt herausgezogen und i h m dann als Leiharbeitnehmer wieder zugeführt werden, so daß ein die Arbeitskraft lediglich verteuernder Umverteilungsprozeß stattfindet 59 . Dabei bleibt allerdings mangels eindeutigen Zahlenmaterials letztlich ungeklärt, ob i m Ergebnis dem Arbeitsmarkt mehr A r beitskräfte durch Abwerbung entzogen werden, als i h m umgekehrt zugeführt werden 60 . Ein weiteres Indiz für die Vermutung, daß durch Arbeitnehmerüberlassung jedenfalls das inländische Arbeitskräftepotential nicht aktiviert wird, besteht i n der Tatsache, daß häufig auf ausländische Leiharbeiter zurückgegriffen wird 6 1 . I m Ergebnis halten auch die vier Berichte der Bundesregierung fest, daß aus dem Kreise der bisher nicht Beschäftigten nur i n geringem Umfang zusätzliche Arbeitskräfte gewonnen w u r den 62 . So waren laut dem Vierten Bericht der Bundesregierung nicht einmal 10 °/o der Männer vor der Tätigkeit als Leiharbeitnehmer noch gar nicht beschäftigt; etwas höher — bei 15 °/o — lag danach der A n t e i l bei den Frauen 63 . Es kann also nicht davon ausgegangen werden, daß unter den heutigen Arbeitsmarktbedingungen die Leiharbeit i n einem wirtschaftlich relevanten Umfang zusätzliche Arbeitskräfte mobilisieren würde 6 4 . Die Gerichte sind, anders als es das Bundesverfassungsgericht angenommen hat, nicht i n der Lage, soziale Mißstände i m Bereich der A r beitnehmerüberlassung zu unterbinden. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß bereits i n den wenigen vom Bundesverfassungsgericht aufgezeig58 ISO I, S. 116; Kittner, Arbeits- u n d Sozialordnung, 2. A u f l . 1976, S. 54 ff.; Leve, Soziale A r b e i t 1972, S. 389; a. A. lediglich Schimmelpfeng, S. 163—165: Die These, daß Dauerarbeitsplätze durch Leiharbeitnehmer verlorengehen, könne weder bestätigt noch widerlegt werden. 59 ISO I, S. 73, 115. 60 Eine negative Bilanz zieht Möller-Lücking, Das Arbeitsrecht der Gegenw a r t 11 (1973), S. 62 (Abwerbung ü b e r t r i f f t Zufuhr). Eine positive Bilanz zieht Schimmelpfeng, S. 153 ff. (Zufuhr ü b e r t r i f f t A b w e r b u n g ; besonders i n der Baubranche seien durch Verleiher neue Arbeitsplätze geschaffen w o r den). 61 ISO I, S. 115. 62 Vgl. z. B. BT-Drucksachen 8/2025, S. 6; 8/4479, S. 8; Schaible, D i p l o m arbeit 1979, S. 91, w i l l eine geringe mobilisierende F u n k t i o n anerkennen; vgl. noch Möller-Lücking, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 11 (1973), S. 62. 63 BT-Drucksache 8/4479, S. 8 f.; etwas anderes Zahlenmaterial i m M i t t e i lungsblatt der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung „ A r b e i t u n d Betrieb", 2 / A p r i l 1981, S. 46: 20 % der Männer bzw. 25 % der Frauen seien aus der Arbeitsmarktreserve; anderes Ergebnis demgegenüber bei Schimmelpfeng, S. 153 f. 64 Vgl. auch Kittner, Arbeits- u n d Sozialordnung, 2. A u f l . 1976, S. 55.

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ten Problemfällen keine befriedigende Klärung erzielt werden konnte 8 5 . Das Gericht hatte i n seiner Entscheidung beispielsweise auf Fälle hingewiesen, i n denen die Gerichte — insbesondere die Arbeitsgerichte — einzugreifen berufen sein könnten, nämlich i n den Bereichen K ü n d i gungsschutz, tarifliche Vergütung, Urlaub und sonstige arbeitsrechtliche Ansprüche sowie die Abgaben zu den Sozialversicherungen 66 . I m Bereich des Kündigungsschutzes sind folgende Mißstände registriert worden: Kündigungen vor Feiertagen, bei Krankheit des A r beitnehmers, bei ungünstiger Auftragslage (bei verbesserter Auftragslage wurden die betreffenden Personen dann wieder eingestellt) 67 . Die Verstöße gegen gesetzliche Schutzbestimmungen über Lohnfortzahlung und Kündigungsverbot i m Krankheitsfall und die Lohnzahlungspflicht des Verleihers bei vorgeschriebenen unbefristeten Arbeitsverträgen, gegen die Bestimmungen des A Ü G über Lohnzahlungspflicht auch ohne konkrete Verleihmöglichkeit u. a. mehr werden i n ihrer Mehrzahl vor den Gerichten jedoch nicht ausgetragen, w e i l sie die Kontrollinstanz „Gericht" gar nicht erreichen. Dies hat seine Ursache ζ. B. i n der Befürchtung von Arbeitnehmern, bei Anrufung des Gerichts zukünftig nicht mehr bei ihrem Verleiher arbeiten zu können, i n der Uninformiertheit der Arbeitnehmer und i n der Tatsache, daß i n Verleihbetrieben selten ein die Geschäftsvorgänge beobachtender Betriebsrat existiert. Des weiteren arbeiten viele Leiharbeitnehmer „schwarz", oder sie sind illegale Einwanderer, so daß aus diesem Grund der Weg zum Gericht gescheut w i r d 6 8 . Plastisch w i r d hier auch von einem „Interessenkartell" 69 gesprochen, da sich weder Verleiher noch Entleiher noch viele Arbeitnehmer an der Aufdeckung nichtkonzessionierten Verleihs oder an der nachhaltigen Beseitigung von Mißständen i m konzessionierten Bereich ernsthaft interessiert zeigen. Dieselben Ursachen haben Auswirkungen auf die Geltendmachung des einzelvertraglich oder tariflich vereinbarten Lohnes, von dem häufig Anteile aus vorgeschobenen Gründen zurückbehalten werden, und für die ähnlich gelagerten Problembereiche des Urlaubsanspruchs und anderer arbeitsrechtlicher Ansprüche. Es ist festzustellen, daß gesetzliche Schutzbestimmungen zwar existieren, aber i n beträchtlichem Umfang für Leiharbeitnehmer nicht zur Anwendung kommen.

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Vgl. ISO I, S. 52 ff. BVerfGE 21, 261 (270). 67 Vgl. ISO I , S. 17 f., 27 ff.; Vierter Bericht der Bundesregierung, Drucksache 8/4479, S. 15. 68 Vgl. ISO I, S. 44; Schimmelpfeng, S. 49. 69 ISO I, S. 103; Schimmelpfeng, S. 50. ββ

BT-

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Bei den Verstößen gegen die Abgabepflicht zu den Sozialversicherungen liegt die Ursache der geringen gerichtlichen Kontrolle i m System der Abgabenzahlungen bzw. i n der unzureichenden Kontrolle von Verleihern. I n der Regel haben deren Arbeitnehmer keine Kenntnis davon und keinen Einfluß darauf, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben an Krankenkassen, an die Sozialversicherung oder an die Sozialkassen des Baugewerbes gezahlt werden. Selbst wenn entsprechende Beträge i n den Lohnunterlagen ausgewiesen sind, erweisen sich diese bei Unfällen oder beim E i n t r i t t ins Rentenalter nicht selten als vorgetäuscht 70 . Ein weiterer Grund für die relativ — an der Anzahl der Verstöße gemessen — geringe Befassung der Gerichte sind die mangelnden A u f klärungsmöglichkeiten der die Arbeitnehmerüberlassung kontrollierenden Institutionen, auf die schon i n anderem Zusammenhang näher eingegangen worden ist 7 1 . Schließlich ist hier auch noch die Praxis der Verschleierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Scheinwerkverträge von Bedeutung. Diese sind mittlerweile auch juristisch so abgesichert, daß den Gerichten eine Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Schein-Werkvertrag kaum mehr möglich ist 7 2 . Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Bundesverfassungsgericht den Umfang der i n diesem Bereich möglichen sozialen Mißstände unterschätzt hat 7 3 , daß dieser illegale oder teillegale Arbeitsmarkt durch vielfältige Mechanismen sich einer wirksamen Kontrolle entzieht und daß die Gerichte — wenn sie überhaupt m i t Klagen aus dem Bereich der Arbeitnehmerüberlassung befaßt werden — selten eine Klärung erzielen können. Nach allem stehen materielle Rechtskraft, Bindungswirkung und Gesetzeskraft der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. A p r i l 1967 als solche einem erneuten gesetzgeberischen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung nicht entgegen.

70

Vgl. ISO I, S. 34 f., 48 f. Vgl. oben 3.2.4.3. 72 Schimmelpfeng, S. 54 f.; ISO I I , S. 94, 150 u n d 155; zur näheren Analyse vgl. Hempel, Das Spannungsverhältnis . . . , 1975, S. 173 ff. 73 Anders aber schon 1971: Bogs, B B 1971, S. 278 f. 71

5. Zusammenfassung Die heutige verfassungsrechtliche Problematik der Arbeitnehmerüberlassung kann nur voll erfaßt werden vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung i n diesem Bereich (2.1.). Das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol wurde i n Deutschland durch das Arbeitsnachweisgesetz von 1922 begründet. Die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung wurde darin der Arbeitsvermittlung gleichgestellt und unterfiel daher ebenfalls dem Monopol. Durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) von 1927 änderte sich an dieser Rechtslage nichts. Durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten von 1931 wurde präzisiert, daß eine arbeitnehmerüberlassende Tätigkeit nur dann nicht von dem staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopol erfaßt wird, wenn der Arbeitgeber alle typischen A r beitgeberrisiken und -pflichten trägt. I n der Zeit des Nationalsozialismus wurde zwar formal die Einbeziehung gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung i n das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol aufgehoben; doch hatte das keine praktische Bedeutung, w e i l gar kein privatwirtschaftlich funktionierender Arbeitsmarkt mehr gegeben war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Rechtslage der Weimarer Zeit wiederhergestellt. § 37 Abs. 3 A V A V G i n der Fassung von 1957 unterstellte wiederum die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung dem staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopol. Diese Rechtslage wurde durch mehrere Entscheidungen des BundesVerfassungsgerichts von 1967 geändert (1.1.). Während das Gericht das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol als solches für vereinbar m i t der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) hielt, wurde § 37 Abs. 3 A V A V G für nichtig erklärt: Hierdurch werde ein objektives Hindernis für die Wahl des Berufs des selbständigen Arbeitnehmerüberlassers errichtet. Ein derartiges Berufsverbot sei verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn es zum Schutz eines überragenden Gemeinschaftsgutes notwendig und unumgänglich ist. Eine solche Notwendigkeit sei nicht ersichtlich, weil die Gründe, die die Monopolisierung der Arbeitsvermittlung rechtfertigten, auf die Arbeitnehmerüberlassung nicht zuträfen; diese sei nämlich rechtlich und wirtschaftlich klar von der Arbeitsvermittlung zu unterscheiden. Der soziale Schutz überlassener Arbeitnehmer könne durch mildere Maßnahme als ein Berufsverbot gewährleistet werden. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung damit

5. Zusammenfassung

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begründet, daß sie durch die geschichtliche Entwicklung bestätigt werde. Diese Behauptung ist als unzutreffend nachgewiesen worden (2.2.).

I m Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1967 hat die Arbeitnehmerüberlassung eine sprunghafte qualitative und quantitative Ausdehnung erfahren (1.2.). Den dabei auftretenden Mißständen suchte das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) von 1972 entgegenzuwirken, das sich als soziales Schutzgesetz i n dem nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verbliebenen Spielraum verstand (1.3.). Die seitherige Entwicklung ist vor allem i n den Berichten der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Durchführung des A Ü G dokumentiert, aus denen hervorgeht, daß die Lage recht unterschiedlich beurteilt w i r d (1.4.): Während die Arbeitgeber und die Verbände der Wirtschaft das A Ü G als brauchbares Schutzund Steuerungsinstrument betrachten, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung, u m der negativen Entwicklung Einhalt zu bieten. Der neueste, Vierte Bericht der Bundesregierung von 1980 zeigt eine breite Palette von Mißständen insbesondere i m Bereich der Bauwirtschaft auf (1.5.). Daraus suchen zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung vom September 1981 i n der Weise Konsequenzen zu ziehen, daß durch einen § 12 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung i n Betriebe der Bauwirtschaft verboten w i r d und durch ein Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung (BillBG) verschiedene Änderungen des A U G vorgenommen werden (1.6.). Das vorliegende Rechtsgutachten untersucht die verfassungsrechtlichen Fragen, die ein gesetzgeberisches Einschreiten gegen die Mißstände bei der Arbeitnehmerüberlassung aufwirft (1.7.). Als schwerstes Geschütz kommt insofern ein partielles oder sogar totales Verbot i n Betracht. Aus der Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht i m Jahr 1967 das bis dahin bestehende Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung als Verstoß gegen A r t . 12 Abs. 1 GG aufgehoben hat, ergibt sich eine Aufspaltung der Verfassungsfrage i n (1) die Vereinbarkeit eines Verbots m i t dem Grundrecht der Berufsfreiheit und i n (2) die Frage danach, ob und inwieweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeber heute noch bindet I m Hinblick auf den vorliegenden Regierungsentwurf eines § 12 a A F G konzentriert sich die Untersuchung zu (1) vornehmlich auf die Verfassungsmäßigkeit dieses partiellen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung. Die Tragweite des A r t . 12 Abs. 1 GG hängt zunächst vom Umfang seines Schutzbereichs ab (3.1.). Das Bundesverfassungsgericht versteht unter „Beruf": jede der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrund-

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läge dienende Tätigkeit; darunter fällt unzweifelhaft auch die von einem Privaten betriebene Arbeitnehmerüberlassung. Insbesondere die Gewährleistung der freien Wahl des Arbeitsplatzes durch A r t . 12 Abs. 1 GG macht darüber hinaus deutlich, daß auch die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers durch dieses Grundrecht geschützt w i r d (3.1.1.). Kurz gefaßt kann die „Selbstbestimmung der Arbeitsbedingungen" als Inhalt des einheitlichen Grundrechts der Berufsfreiheit bezeichnet werden (3.1.2.). Die Formel des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Berufsfreiheit nur „erlaubte" Tätigkeiten erfasse, w i r k t i m vorliegenden Fall nicht gewährleistungsverkürzend (3.1.3.). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Tätigkeiten i m Rahmen eines vom Grundgesetz, namentlich i n Kompetenzvorschriften, „anerkannten" Verwaltungsmonopols dem Maßstab des A r t . 12 Abs. 1 GG entzogen. Danach hätte sich das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol früher schon damit verfassungsrechtlich legitimieren lassen, daß i n A r t . 74 Nr. 12 GG die seit der Weimarer Zeit bestehende behördliche Arbeitsvermittlung i n der Form eines Verwaltungsmonopols, einschließlich der später so genannten Arbeitnehmerüberlassung, „anerkannt" worden ist (3.1.4.). Auch die Berufe des öffentlichen Dienstes sind von A r t . 12 Abs. 1 GG geschützt (3.1.5.). Dieses Grundrecht ist nach der älteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts undifferenziert, nach der neueren aber nur noch i n abgestufter Weise auf inländische juristische Personen anwendbar: Je nach geringerer oder stärkerer Berührung des personalen Grundzugs des Grundrechts ist die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers größer oder kleiner (3.1.6.). Der Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG entfaltet unterschiedliche Schutzrichtungen (3.1.7.). Allgemein werden subjektiv- und objektivrechtliche Gehalte der Grundrechte unterschieden (3.1.7.1.). Grundrechte sind unbestrittenermaßen zunächst subjektive Abwehrrechte gegen die staatlichen Gewalten. Eine unmittelbare Drittwirkung, d. h. gegenüber anderen Privaten, ist nach positivem Verfassungsrecht ausgeschlossen. Darüber hinaus ist eine objektiv-rechtliche Bedeutung der Grundrechte heute allgemein anerkannt: Grundrechte sind negative Kompetenzbestimmungen; sie beeinflussen mittelbar das Privatrecht und sind Grundlage für bestimmte Leistungs- und Teilhaberechte. I n alledem kommt zum Ausdruck, daß grundgesetzliche Freiheit nicht mehr zureichend i n der Ausgrenzung staatsfreier Sphären verstanden werden kann; vielmehr gewähren die Grundrechte dem Einzelnen die höchstmögliche Chance freier Entfaltung. Widersprüche zwischen subjektiv- und objektiv-rechtlichen Gehalten eines Grundrechts oder mehrerer Grundrechte sind nach den allgemein entwickelten Verfahren verfassungsrechtlicher Normenkonfliktlösung zu entscheiden. A l l dies gilt auch für das Grundrecht der Berufsfreiheit (3.1.7.2.). Einer Uberbeto-

5. Zusammenfassung nung der abwehrrechtlichen Seite w i r k t hier vor allem die besondere Respektierung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums im wirtschaftlichen Bereich durch das Bundesverfassungsgericht entgegen. Demzufolge sind äußerstenfalls auch Beschränkungen des Abwehrrechts Einzelner dadurch gerechtfertigt, daß i n einem Lebensbereich eine Regelung getroffen wird, die der großen Mehrzahl der Beteiligten eine Verbesserung individualer Entfaltungschancen zu verschaffen vermag. Ob der Schutzbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG konkret verletzt ist, hängt davon ab, ob und inwieweit er durch Gesetz eingeschränkt werden darf (3.2.). Der Regelungsvorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber auch zu Eingriffen i n die Berufsfreiheit (3.2.1.). Nach der „Stufentheorie" des Bundesverfassungsgerichts zu A r t . 12 Abs. 1 GG ist die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers bei Berufsausübungsregelungen sehr weit; sie w i r d bei subjektiven und objektiven Berufszulassungsvoraussetzungen jeweils enger; die letzteren sind nur zulässig zur „Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut". Die Abgrenzung der einzelnen Stufen sowie die genaue Qualifikation von Gemeinschaftsgütern sind zwar recht problematisch; als heuristisches Modell für unterschiedliche Grade der Intensität eines Grundrechtseingriffs ebenso wie für die hiermit korrespondierende Unterschiedlichkeit des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers ist die „Stufentheorie" aber nach wie vor aktuell (3.2.2.). Der wichtigste verfassungsrechtliche Maßstab i m Rahmen der Ermächtigung des Gesetzgebers zu Grundrechtseingriffen ist das Übermaßverbot. I n heutiger dogmatischer Sicht, wie sie besonders i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausformuliert worden ist, bindet es den Gesetzgeber wie folgt (3.2.3.): Der Grundrechtseingriff muß zur Erreichung seines Zwecks geeignet sein; das ist er, „wenn m i t seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann". Dabei genügt eine Teileignung des Mittels. Außerdem ist entscheidend, „ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, daß m i t der ergriffenen Maßnahme seine Vorstellungen verwirklicht werden könnten". Die Zwecksetzung muß i m übrigen als solche m i t dem Grundgesetz vereinbar sein. Der Grundrechtseingriff muß erforderlich sein, d. h. daß kein „anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht weniger fühlbar einschränkendes M i t t e l " zur Verfügung stehen darf. Die hierfür zu leistende umfassende Geeignetheitsprüfung unterliegt den eben genannten Einschränkungen. Der Grundrechtseingriff muß schließlich verhältnismäßig und zumutbar sein; er darf nicht (erkennbar, offensichtlich) außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweçk stehen. Paç 8 Pieroth

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bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Abwägung zwischen Individual- und Gemeinwohlinteressen. Das begegnet schwerwiegenden methodischen und funktionell-rechtlichen Bedenken. Den Gefahren der Verwendung der verfassungsrechtlichen Generalklausel des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist durch verstärkte Bemühungen seiner methodischen und dogmatischen Disziplinierung entgegenzuwirken. Anknüpfend an unterschiedliche Schutzzonen der Grundrechtsgewährleistung gibt es auch verschiedene Grade legislatorischer Qualifikationskompetenz. Der unterschiedliche Umfang der gesetzgeberischen Gestaltungsspielräume hat zudem Auswirkungen für die Frage der Beweis- und Argumentationslast i m Verfassungsprozeß. Insgesamt ist also der Einsatz des Übermaß Verbots je nach Schutzzone der Berufsfreiheit und Intensität der die Berufsfreiheit einschränkenden gesetzlichen Maßnahme zu dosieren. Nach einer beachtlichen Auffassung i m Schrifttum sind gegenüber Berufsausübungsregelungen die Maßstäbe der Geeignetheit und der Erforderlichkeit gar nicht anwendbar. Mißt man den Regierungsentwurf des § 12 a A F G an sämtlichen, aus dem Ubermaß abgeleiteten normativen Maßstäben, dann ergibt sich folgendes (3.2.4.): I m Sinne der „Stufentheorie" handelt es sich u m eine Berufsausübungsregelung. Der m i t der vorgeschlagenen Regelung verfolgte Zweck ist verfassungsrechtlich zulässig. Für den Fall, daß die tatsächlichen Annahmen des Gesetzgebers bestritten würden, trägt das Bundesverfassungsgericht die Beweislast (3.2.4.1.). § 12 a A F G ist geeignet, zum einen, w e i l er die i m Baubereich besonders anzutreffende Tarnungsmöglichkeit „illegaler" Leiharbeit durch die gleichzeitige Beschäftigung „legaler" Leiharbeitnehmer beseitigt und damit eine w i r kungsvolle Bekämpfung „illegaler" Leiharbeit überhaupt erst möglich macht, und zum andern, w e i l es ausgeschlossen erscheint, daß die sozialen Mißstände bei der Arbeitnehmerüberlassung i n der Bauwirtschaft nach dem Verbot unter dem Deckmantel von Werkverträgen i m gleichen Umfang fortbestehen, da Scheinwerkverträge sowohl rechtlich als auch faktisch gegenüber echten Werkverträgen abgrenzbar sind (3.2.4.2.). Die vorgeschlagene Regelung verstößt nicht etwa schon deshalb gegen den Grundsatz der Erforderlichkeit, w e i l die m i t i h m verfolgten Ziele zugleich m i t dem Entwurf des B i l l B G realisiert werden sollen. Mehrere i n Betracht kommende Maßnahmen, die i n das Grundrecht der Berufsfreiheit der Verleiher weniger stark eingreifen w ü r den, können nicht als gleich wirksam wie § 12 a A F G festgestellt werden; das gilt für die Erweiterung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, die Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften, das erweiterte Zutrittsrecht der Bundesanstalt für Arbeit, eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens gewerbsmäßiger

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Arbeitnehmerüberlassung für bestimmte Formen des Werkvertrags sowie die Verstärkung der Zusammenarbeit der beteiligten Behörden. Andere Maßnahmen können zusätzlich dem Gesetzgeber deshalb nicht als schonendere Alternative entgegengehalten werden, w e i l sie einen erheblichen finanziellen und bürokratischen Aufwand erfordern (3.2.4.3.). Eine Verletzung der Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) scheidet aus, w e i l gute arbeitsmarkt-, sozial- und wirtschaftspolitische Gründe einer bloßen Berufsausübungsregelung gegenüberstehen (3.2Ì4.4.). I m übrigen ist die Zumutbarkeit auch insofern gewahrt, w e i l das Inkrafttreten des § 12 a A F G m i t einer angemessenen Ubergangsregelung verbunden ist (3.2.4.5.). Das Ergebnis der Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit des Verbots der Arbeitnehmerüberlassung i n Betriebe der Bauwirtschaft läßt sich i n einer Hauptaussage und zwei Eventualaussagen zusammenfassen (3.2.4.6.): Die Hauptaussage lautet, daß der Entwurf eines § 12 a A F G Art 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Übermaßverbot nicht verletzt Die erste Eventualaussage lautet, daß Zweifel bei der Konkretisierung des Ubermaßverbots nicht zu Lasten des Gesetzgebers gehen. Die zweite Eventualaussage lautet, daß nicht aus jeglichem Verstoß gegen A r t . 12 Abs. 1 GG i n Verbindung m i t dem Übermaßverbot schon die Verfassungswidrigkeit der Regelung folgt; der Verstoß könnte durch eine kollidierende Verfassungsnorm, ζ. B. durch das Grundrecht der Berufsfreiheit (einschließlich des Grundrechts der freien Wahl des Arbeitsplatzes) der Leiharbeitnehmer i n seiner objektiv-rechtlichen Dimension, gerechtfertigt sein. Auch wenn die Tatsache, daß ein partielles Verbot der Arbeitnehmerüberlassung eine bloße Berufsausübungsregelung darstellt, bei der Bejahung ihrer Verfassungsmäßigkeit eine Rolle spielt, kann daraus noch nicht geschlossen werden, daß dort, wo keine bloße Berufsausübungsregelung mehr vorliegt, also namentlich bei einem totalen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung, i n Umkehrung der bisherigen Argumentation Verfassungswidrigkeit angenommen werden müßte. Ohne dies auszudiskutieren, ist auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen (3.2.4.7.): Angesichts weitgehender funktionaler Austauschbarkeit von Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung gelten die Gründe, m i t denen das Bundesverfassungsgericht das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit gerechtfertigt hat, i n gleicher Weise für ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung. Auch wäre der „personale Grundzug" der Berufsfreiheit, „der den eigentlichen K e r n der Gewährleistung dieses Grundrechts ausmacht" (so das Bundesverfassungsgericht i n seiner neueren Rechtsprechung), bei einem Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung als wenig tangiert anzusehen. 8*

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Weitergehende Eingriffe i n die Berufsfreiheit, als sie bisher als zulässig zugrunde gelegt worden sind, ließen sich durch folgende Formel des Bundesverfassungsgerichts legitimieren: „Je näher ein Beruf durch öffentlich-rechtliche Bindungen und Auflagen an den ,öffentlichen Dienst' herangeführt wird, umso stärker können Sonderregelungen i n Anlehnung an A r t . 33 GG die Wirkung des Grundrechts aus A r t . 12 Abs. 1 tatsächlich zurückdrängen." Dieser Auffassung ist jedoch, weil sie einen Zirkelschluß enthält, nicht zu folgen (3.2.5.). Unabhängig von den bisherigen Ergebnissen könnten gesetzgeberische Maßnahmen zur Einschränkung der Arbeitnehmerüberlassung schon deshalb unzulässig sein, weil sie sich i n Widerspruch setzen zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967. Das w i r f t die Frage nach den Bindungswirkungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf (4.). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erwachsen „gleich denen anderer Gerichte" i n Rechtskraft Der Umfang der materiellen Rechtskraftwirkungen ist gegenständlich, personal und zeitlich begrenzt. § 12 a A F G ist schon gegenständlich von der materiellen Rechtskraft der früheren Entscheidung nicht erfaßt. Dagegen käme es für ein totales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung nur noch darauf an, ob nicht aus zeitlichen Gründen der Rechtskraftwirkung der früheren Entscheidung Grenzen zu ziehen sind (4.1.). Die Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG erstreckt sich entgegen der neueren Rechtsprechung, aber i n Übereinstimmung m i t der überwiegenden Meinung i m Schrifttum, nicht auf die „tragenden Gründe". I m übrigen deckt sich die Bindungswirkung i n gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht m i t der Rechtskraft (4.2.). Das gleiche gilt für die Gesetzeskraft gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG, die n u r eine personale Erweiterung (Wirkung für und gegen alle) enthält (4.3.). Die materielle Rechtskraft (ebenso wie Bindungswirkung und Gesetzeskraft gemäß § 31 BVerfGG) ist i n der Weise zeitlich begrenzt, daß sie bei Veränderungen der Sach- oder Rechtslage entfallen kann. Folgende, für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1967 konstitutive Tatsachen haben sich seither geändert (4.4.): Die Rechtsentwicklung nach 1967 hat dazu geführt, daß Sachverhalte, die vom Bundesverfassungsgericht als Arbeitsvermittlung gekennzeichnet worden waren, i n großem Umfang der Arbeitnehmerüberlassung zugeordnet worden sind. Die i n dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck gekommenen quantitativen und qualitativen ökonomischen Annahmen über die Arbeitnehmerüberlassung sind durch die seitherige Entwicklung eindeutig widerlegt. Das gleiche gilt für die Begründungselemente, daß die Arbeitnehmerüberlassung Arbeitskräftereserven er-

5. Zusammenfassung schlösse und daß die Gerichte i n der Lage sein würden, soziale Mißstände i n diesem Bereich abzustellen. Rechtskraft, Bindungswirkung und Gesetzeskraft der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1967 stehen daher als solche einem erneuten gesetzlichen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung nicht entgegen.

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