Die gesellschaftliche Entwicklung im alten Indien, Teil 5: Die Entwicklung der Dichtung im Alten Indien [Reprint 2021 ed.]
 9783112544808, 9783112544792

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WALTER

RUBEN

Die E n t w i c k l u n g d e r D i c h t u n g i m a l t e n I n d i e n

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Veröffentlichungen des Instituts für Orientforschung 67

WALTER

RÜBEN

Die gesellschaftliche Entwicklung im alten Indien

V

WALTER RUBEN

DIE ENTWICKLUNG DER DICHTUNG IM ALTEN INDIEN

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1973

Erschienen im Akademie-Verlag G m b H , 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1973 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/121/73 Gesamtherstellung: IV/2/14 V E B Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz« 445 Gräfenhainichen/DDB, • 3944 Bestellnummer: 2013/67-V E D V : 751 784 0 52,-

ES: 7 L

Vorbemerkung

Dieser Band über die Entwicklung der Dichtung im alten Indien folgt auf die vier Bände über die Entwicklung der Produktionsverhältnisse, von Staat und Recht, der Religion und der Philosophie. Er setzt sie voraus und ist mit derselben Methode nach derselben Periodisierung mit derselben Absicht geschrieben wie sie, d. h. nicht als Hand- oder Lehrbuch, sondern als Versuch, die historische Entwicklung der drei Genres der Lyrik, Epik und Dramatik im alten Indien zu analysieren, und zwar im Rahmen der gesamten Gesellschaftsgeschichte Altindiens. Der Versuch unterscheidet sich damit von allen bisherigen Darstellungen der altindischen Literatur, ohne deren Verdienste schmälern zu wollen. Es ist zu bedauern, daß bisher weder der Band der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, über die altindische Geschichte noch der Band über altindische Literatur in der sowjetischen Weltliteraturgeschichte erschienen sind. Einstweilen ist anzumerken, daß die Sanskritistik noch nicht entfernt so weit ist wie etwa die Erforschung der modernen europäischen und amerikanischen Literaturen. Der historische Materialismus ist auf die altindische Dichtung meines Wissens bisher noch nicht angewendet und daher noch nicht mit deren Material diskutiert worden, übrigens auch der New Criticism 1 nicht. Von einem Verständnis der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten und der Besonderheiten der Entwicklung der altindischen Dichtung und von ihrer Einordnung in die Weltliteraturgeschichte sind wir noch weit entfernt. Ich möchte hier einen Schritt in dieser Richtung wagen, obgleich ich mir immer mehr bewußt werde, daß ein einzelner Autor dieser Aufgabe nicht mehr gerecht werden kann; sowohl zur Sammlung und Durchdenkung der umfangreichen Primär- und Sekundärliteratur wie auch zur Bewältigung des komplizierten bereits vorliegenden theoretischen Materials über das Wesen von Literatur und Literaturgeschichte wie schließlich auch zur Überwindung des Individualismus, um nicht zu sagen der Subjektivität, des Herangehens an die einschlägigen Probleme braucht der Sanskritist wie jeder Wissenschaftler heutzutage ein gut eingearbeitetes Kollektiv, wie es aber weder mir noch meines Wissens einem anderen Indologen zur Verfügung steht. Möge der vorliegende Versuch dazu beitragen, daß in absehbarer Zeit bei uns in der Deutschen Demokratischen Republik indische Dichter, wie z. B. die klassischen Dramatiker Kälidäsa, Südraka und Visäkhadatta, ebenso gewürdigt werden wie Aischylos, Sophokles und Euripides. Berlin, August 1969

Walter Rüben

Nachtrag zur Vorbemerkung

I n den dreieinhalb Jahren seit Abschluß des Manuskripts bin ich dahin gelangt, nicht mehr an einen indischen Feudalismus zu glauben. Ich periodisiere jetzt: Erste indische Variante der altorientalischen Klassengesellschaft: Indusgesellschaft, 3. Jahrtausend v . u . Z . Zweite indische Variante: Gangesgesellschaft; deren erste Hauptperiode 1000 bis 325 v . u . Z . , zweite Hauptperiode 325 v . u . Z . bis 500 u . Z . , dritte Hauptperiode 500 bis 1885; diese zeigt auffallende Ähnlichkeiten mit dem europäischen Feudalismus, wie die erste und die zweite Hauptperiode mit der Antike und die Indusgesellschaft mit Sumer. Die Periodeneinteilung dieses Bandes wird davon kaum berührt. Darüber vgl.: Bemerkungen zu einer Periodisierung der Geschichte Indiens im Rahmen der Universalgeschichte, in: Asien, Afrika, Lateinamerika, Band I, Berlin 1973, Nr. 1, S. 1 1 7 - 1 2 7 . Berlin, im Frühjahr 1973

Walter Ruben

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1. Einige Bemerkungen über Literatur und Literaturgeschichte im allgemeinen und in bezug auf das alte Indien a) Literatur b) Literaturgeschichte

I.

2. Geschichte der altindischen Dichtung

24

3. Dichtung der vor arischen Gentilgesellschaft a) Lyrik Lied, Musik, Tanz und F e s t Inhalt der Lieder b) Epik c) Dramatik (Kultdramen)

31 32 32 38 41 46

4. Dichtung der Indusgesellschaft

48

Periode: Dichtung der rgvedischen Ärya (1200—900 v. u. Z.) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

II.

11 11 13

55

Indoeuropäische und indo-iranische Dichtung Der allgemeine Charakter der rgvedischen Lyrik Naturlyrik Lyrik gesellschaftlicher Themen Dialoggedichte (samväda) Epik (epische Lieder) Dramatik (Kultdramen) Die Rolle des Rgveda in der altindischen Literaturgeschichte . . . . Rgveda und Homer

Periode: Dichtung in der Zeit der Staatwerdung (900—550 v. u. Z.)

. .

1. Vorbemerkung

55 58 62 66 70 76 79 81 82 88 88

2. Lyrik a) Lyrik des Atharvaveda b) Lyrik (Tanzlied, Rätsel, Merkvers), besonders in Brahma nas . . . c) Lyrik in Upanisads

89 89 95 101

3. Epik a) E p i k b) E p i k c) E p i k d) Epik

105 105 106 111 116

im Atharvaveda in Versen (gäthä) in der Prosa der Brähmanas in der Prosa der Upanisads

8

Inhaltsverzeichnis 4. D r a m a t i k ( K u l t d r a m e n )

120

5. I n d e r u n d Griechen

123

I I I . Periode: Dichtung in den J a h r h u n d e r t e n des sich herausbildenden Großreichs (550-325 v. u. Z.)

127

1. Lyrik a) Allgemeine Vorbemerkungen b) N a t u r l y r i k c) Liebeslyrik einschließlich Liebesballaden d) Weisheitslyrik der Buddhisten e) B r a h m a n i s c h e Gedankenlyrik

127 127 129 133 137 141

2. E p i k (epische Lieder; Erzählungen) a) Buddhistische E p i k in Versen b) B r a h m a n i s h e Versepik c) Buddhistische E p i k in Prosa d) B r a h m a n i s c h e E p i k in Prosa

143 143 149 157 161

3. D r a m a t i k (Tänzer, P a n t o m i m e n , K u l t d r a m a ) 4. I n d e r u n d Griechen

162 164

IV. Periode: D i c h t u n g der Mauryazeit (325-236 v. u. Z.)

168

V.

1. Lyrik

168

2. E p i k a) Die „Beispiele" im Staatslehrbuch als literarische F o r m b) Inhaltliche B e d e u t u n g der „Beispiele" Die E n t s t e h u n g des D a n d a k a w a l d e s Die anderen „Beispiele" c) K u r z e p e n : V e s s a n t a r a j ä t a k a , R ä m ä y a n a , M a h ä b h ä r a t a Harivamsa

171 171 174 174 180 und 193

3. Vorstufen des D r a m a s (kusilava) 4. I n d e r u n d Griechen

196 199

Periode: Herausbildung des kävya (der „ K u n s t d i c h t u n g " ) (236 v. u. Z. bis 300 u. Z.)

202

1. Die Quellen

202

2. Wesen u n d Werden des kävya 3. Lyrik a) Lyrik in E p e n b) H ä l a s Gedichte 4. E p i k a) Välmikis U r t e x t des R ä m ä y a n a b) Vyäsas B h ä r a t a c) „Vyäsas" U r t e x t des H a r i v a m s a d) Aävaghosas E p e n

203 212 212 218 222 222 226 230 236

5. D r a m a t i k (die ersten D r a m e n ; Asvaghosa) 6. I n d e r u n d Griechen a) Lyrik, Bukolik

239 243 244

Inhaltsverzeichnis

9

b) E p i k c) D r a m a t i k

247 250

VI. Periode: Klassik im goldenen Zeitalter der G u p t a s (300-500 u. Z.) . . . 1. Vorbemerkung a) Charakter der Klassik, vor allem Kälidäsas b) Chronologie der Dichtwerke, insbesondere K ä l i d ä s a s 2. Lyrik

252 252 252 258 261

a) N a t u r - , Liebes- u n d Weisheitslyrik b) Kälidäsas M e g h a d ü t a (Natur- u n d Liebeslyrik) c) B h a r t r h a r i s Weisheitslyrik

261 265 266

3. E p i k a) Die Archetypen der drei visnuitischen E p e n Rämäyana Mahäbhärata Harivamia b) Kälidäsas E p e n Die Geburt des Kriegsgottes Raghus Nachkommen c) P a n c a t a n t r a 4. D r a m a t i k

267 267 267 270 271 272 272 274 276 278

a) Kälidäsas D r a m e n Mälavikä u n d Agnimitra Die K r a f t u n d Urvasi D a s Wiedererkennen u n d S a k u n t a l ä b) Andere D r a m e n Das Tonwägelchen des Öüdraka „Das Siegel u n d R ä k s h a s a " des V i s ä k h a d a t t a

278 278 279 281 283 283 286

5. I n d e r u n d Griechen, insbesondere das klassische D r a m a

288

Ausblick 1. Entwicklung der D i c h t u n g im Feudalismus a) D i c h t u n g im F r ü h f e u d a l i s m u s (500-1000 u. Z.) b) D i c h t u n g im späten Feudalismus (1000-1800 u. Z.)

.

2. E n t w i c k l u n g im K a p i t a l i s m u s

294 294 298 301

Literaturverzeichnis

309

Abkürzungen

315

Anmerkungen Vorbemerkung 317 - Einleitung 3 1 7 - 1 . Periode 325 - I I . Periode 332 I I I . Periode 339 - IV. Periode 3 4 5 - V. Periode 3 5 0 - V I . Periode 357 Ausblick 364

317

Einleitung

1. Einige Bemerkungen über Literatur und Literaturgeschichte allgemeinen und in bezug auf das alte Indien

im

a) L i t e r a t u r Eine marxistisch-leninistische Darstellung der Geschichte der altindischen Dichtung hat von folgenden allgemeinen Überlegungen auszugehen. Der Dichter spiegelt die gesellschaftliche Wirklichkeit von einem Klassenstandpunkt wider, d. h. kritisch oder apologetisch oder „unpolitisch" (was ebenfalls eine politische Stellungnahme bedeutet) oder in sehr komplizierter Mischung solcher Tendenzen. Der Begriff Literatur ist „erst eine nachträgliche Zusammenfassung" der Gattungen der Dichtung. 1 Diese dient dem Dichter und seinem Leser bzw. Hörer zum Selbstverständnis in bezug auf seine Stellung in N a t u r und Gesellschaft, und zwar in anderer Weise, als Wissenschaft, Philosophie oder Religion es anstreben. Sie t u t es kraft ihrer künstlerischen Darstellung der Wirklichkeit, die eine Sinndeutung des Lebens genannt worden ist, 2 eine Widerspiegelung, die nicht Abklatsch der Wirklichkeit ist, sondern sich auf das Mögliche und auf das Seinsollen der Dinge oder Menschen erstreckt, so daß es die Dichtung mit Typen, normativen Gesinnungen oder Idealen zu t u n hat. 3 Gerade dadurch kann sie zum Handeln anregen. Die Widerspiegelung der Wirklichkeit ist übrigens in der schönen Literatur des alten Indiens oftmals so getreu, daß wir diese zur Rekonstruktion der alten Geschichte weitgehend heranziehen können. Die Widerspiegelung ist aber zugleich als Nachgestaltung so begeisternd, weil darin das Wahre zugleich das Gute und das Schöne ist. Insbesondere geschieht die literarische Darstellung in den spezifischen Sprachweisen der einzelnen literarischen Gattungen. 4 Die Sprache dient dem Bewußtwerden des Dichters und seines Lesers, denn sie „ist das praktische, auch f ü r andere Menschen existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewußtsein, und die Sprache entsteht, wie das Bewußtsein, erst aus dem Bedürfnis der Notdurft des Verkehrs mit anderen Menschen". 5 Aus solcher gesellschaftlichen Notdurft des Mitteilens entspringt auch die Dichtung der verschiedenen Gattungen. „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide." 6 Die Tiefe des Gefühls zwingt den lyrischen Dichter zum Sagen, und der für das Sagen empfindungsfähige Hörer wird beglückt durch das Genießen des Mitempfindens, das zum Leben und Handeln begeistert. Der Begriff Lyrik gilt (analog dem der Literatur, s. o.) als eine späte Zusammenfassung der verschiedenen Arten dieser Gattung, 7 wie etwa der Liebes-, Natur- oder Weisheitslyrik. Lyrik war schon in ihrem Ursprung oder in ihrer gentilen Vor-

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Einleitung, l a

form als Magie, als sie mit Lied und Tanz, mit kultischem Spiel oder Arbeit verbunden war,8 vielgestaltig und blieb es mit ihren vielen Arten angesichts der Vielgestaltigkeit des gesellschaftlichen Lebens. Anders war von Anfang an die Gattung der erzählenden Literatur, die Epik, sei sie in Versen, wie das Epos, oder in Prosa wie die Erzählung, die Sage, der Mythos, die Legende, die Anekdote, das Märchen oder der erst verhältnismäßig späte Roman, die Novelle oder Kurzgeschichte gehalten. Die Epik dürfte kaum, wie man gemeint hat, bedeutend jünger als die Lyrik sein,9 und das gilt wohl auch von der dramatischen Literatur. Zumindest in der Gentilgesellschaft dienten alle drei, oder genauer ihre Vorformen, der Sinndeutung des Lebens gemäß der magisch-mythologischen Weltanschauung, der noch nicht aufgespaltenen, einheitlichen Vorläuferin von Religion, Wissenschaft und Philosophie der in Klassen gespaltenen Gesellschaft. Je nach der gesellschaftlichen Absicht wurden Leben und Mythologie bereits in der Gentilgesellschaft lyrisch, erzählerisch oder kultisch-handelnd dargestellt. Ein Schriftsteller unserer Tage hat einmal bekannt: „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte seiner Erfahrung" ;10 gemeint ist, er sucht eine Geschichte zur Darstellung seiner Erfahrung. Das gilt nicht nur für den Roman, in dessen Einleitung der Satz steht, sondern schon für die gentile Erzählung eines Mythos, etwa einer Ätiologie. Die verschiedenen Arten dieser drei Gattungen der Literatur freilich haben zeitlich sehr verschiedene Anfänge, wie das epische Lied erst in das letzte Stadium der Urgeschichte zurückreicht, der Roman in den Hellenismus, wie die Ode erst von Pindar, das griechische Drama von Aischylos oder das Sonett von Petrarca geschaffen wurden.11 Man hüte sich aber, die Grenzen von Gattungen und Arten starr aufzufassen. Ohne weit ausholende geschichtliche Betrachtung läßt sich das Wesen der Dichtung jedenfalls nicht verstehen. Die alten Inder haben zwar langsamer als die alten Griechen, aber doch noch innerhalb ihrer der antiken entsprechenden altorientalischen Gesellschaftsformation, ebenfalls diese drei Gattungen entwickelt. Diese Tatsache ist genau so erstaunlich wie die der analogen Entwicklung auf anderen Gebieten des Überbaus bei Indern und Griechen und ist aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung zu erklären. Im frühen Feudalismus haben Inder dann in ihrer Poetik zunächst das Dichterische in der künstlerischen, „geschmückten" Sprache gesehen und die dichterischen Schmuckmittel ausführlich behandelt.12 Bhämaha begnügte sich im 7. Jahrhundert damit, Dichtung als „Wort und Sinn, verbunden" 13 zu definieren, vielleicht im Anschluß an den großen Dichter Kälidäsa, der im 5. Jahrhundert sein Epos „Die Geburt des Kriegsgottes" mit dem Gebet begonnen hatte: „Ich verehre Pärvati und Siva, die Eltern der Welt, die wie das Wort und sein Sinn fest verbunden 14 sind, damit mir Wort und Sinn (meines Gedichts) gelinge". Dandin hat unmittelbar nach Bhämaha eine „Wortkette, die durch erwünschten Sinn ausgezeichnet ist", als den „Leib" der Dichtung 15 hingestellt, der der Träger der poetischen Schmuckmittel ist.16 Im 11. Jahrhundert hat Mammata dann darüber etwas

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hinausgehend Dichtung definiert als „Wort und Sinn, die ohne Fehler und voll Vorzüge, hier und da ohne Schmuckmittel sind". 1 7 Schließlich hat Jagannätha im 17. Jahrhundert Dichtung definiert als „Wort, das einen erfreuenden Sinn hervorruft," 1 8 und dies dahin erläutert, daß es sich nicht um praktische erfreuliche Mitteilung handelt, wie z. B. „Du hast einen Sohn bekommen" oder „Ich werde Dir Geld schenken", sondern um eine Mitteilung von etwas „überweltlichem" Erfreulichen. Man hat dies mit K a n t s nur wenig jüngerer Vorstellung: „Schön ist dasjenige, dessen Vorstellung ein Wohlgefallen ohne Interesse erzeugt" verglichen. 19 Schon Bhämaha hat die Dichtung in verschiedener Weise unterteilt: 1. sie ist zweifach: Prosa und Vers, 2. sie ist der Sprache nach dreifach: in Sanskrit, Präkrit und Apabhramsa, 3. sie ist dem Inhalt nach vierfach: Wahre Erzählung des Lebens von Göttern und anderen Wesen, Fiktion, (didaktische) Darstellung der Künste und der Wissenschaften, 4. sie ist der Form (dem Genre?) nach fünffach: Epos, Drama, Erzählung durch den Helden oder durch jemand anderen und Sammlung nicht zusammenhängender Verse (diese Fünfergruppe ist sachlich noch nicht genügend geklärt). 20 Dandin hat die Dichtung bewußt anders unterteilt: Vers, Prosa und gemischt; Vers ist das Epos, Prosa ist die Erzählung, gemischt ist das D r a m a ; 2 1 er fügt hinzu, daß man auch von verschiedenen Versgruppen spricht, 22 und meint damit wohl Lyrik, wie Bhämaha lyrische Sammlungen als 5. Art der Dichtung angeführt hatte. Solche theoretischen Erkenntnisse der Poetiker des Feudalismus fußen auf den Dichtungen, deren Eigenarten im Laufe der sechs Perioden der altindischen Gesellschaft langsam herausgebildet worden waren.

b) Literaturgeschichte Was nun die Literaturgeschichte angeht, so hat sie die Entwicklung der Dichtung, d. h. die Geschichte ihrer Gattungen und von deren Arten zu behandeln, die ihrer Motive, Themen und Probleme, ihrer Sprachweisen und der seit Aristoteles von Theoretikern den Literaturwerken abgelesenen und zugleich ihnen vorgeschriebenen Strukturen. 2 3 Die Entwicklung der Literatur entspricht nicht zuletzt den Widersprüchen und Spannungen, die sich zwischen vorgefundenen Strukturformen und Sprachweisen der Gattungen und Arten und den in der Entwicklung der Gesellschaft neu auftretenden Inhalten (wie etwa Themen, Motiven, Problemen) ergeben. 24 Literaturgeschichte wird im allgemeinen als Geschichte von Nationalliteraturen geschrieben. 25 Aber was entspricht im alten Indien, längst ehe es dort Nationen gab, 20 dem Begriff Nationalliteratur? In der europäischen Antike ist es möglich und üblich, von einer griechischen Literatur zu sprechen und dabei u. a. die dorische, ionische oder athenische Literatur zu unterscheiden. Der Sanskritist pflegt bisher die Geschichte der Sanskritliteratur zu behandeln,

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wobei er Päli und die üblichen Präkrits (literarisch verwendete Dialekte) ohne nationale Unterscheidung mit einbezieht. Sanskrit war von der I I . Periode an die Sprache der Brahmanen, insbesondere ihre Literatursprache, die gesamtindische Nachfolgerin der rgvedischen Literatursprache aus der I. Periode, der Zeit der zerfallenden arischen Gentilgesellschaft, die auf den Pandschab beschränkt gewesen war. Sanskrit war dann in der I I I . Periode zunächst die Literatursprache von Aryavarta — grob gesagt Nordindien zwischen Himalaja und Vindhya — geworden. Mit dem Brahmanenstand breitete es sich danach etwa in der IV. Periode mit dem von Kautalya bezeugten gesamtindischen Handel und dem Großreich Asokas über den ganzen Subkontinent aus und beanspruchte von damals bis heute oder gestern den Rang der höchsten Literatursprache aller Hindus, wobei Hinduismus als das einigende Band aller Inder, als die religiöse Grundlage ihrer Kultur galt und gilt. Dabei werden im Übereifer des Hinduchauvinismus heute die Sprachen und Literaturen der gentilen Dschungelstämme meist ebenso übersehen wie die der einzelnen hinduistischen Völker und später die des Islam. Auch die Literaturen der portugiesischen, französischen und englischen Kolonialherren müssen ihres Einflusses wegen berücksichtigt werden, ebenso wie die indische, portugiesisch-, französisch- bzw. englischsprachige Literatur. Aber Sanskrit war in der VI. und letzten Periode des alten Indiens in der Tat als Sprache der Epen, des Pancatantra und der Werke des Kälidäsa — wenn wir hier von den Puranen und den Schriften der Philosophen und Wissenschaftler absehen — die herrschende gesamtindische Literatursprache. Neben ihr dichteten Tamilen in ihrer nichtarischen Sprache die klassische Samgamliteratur, Häla im Vindhya seine Lyrik in dem dortigen Präkrit, dichteten andere in Saurasenl, MahärästrI, PaisäcT und anderen sogenannten Volkssprachen, Buddhisten in Päli und Jainas in Ardhamägadhi und Gudscharati. Aber von den Literaturen damaliger altindischer Völker ist uns nicht genügend erhalten, um Geschichten der alten, 'vorfeudalen „Nationalliteraturen" dieser Völker abfassen zu können. Zwar kann man versuchen, das Rämäyana als Sage der Kosalas um Ayodhyä, das Mahäbhärata als Sage der Vatsas von Kausämbi, das Krsnaleben als Sage der Öürasenas um Mathurä, die Sagen des Königs Udayana als die der Mälavas um Ujjayini, die Werke Asvaghosas als Literatur des Pandschab, das Pancatantra als angebliches Dokument der südindischen Gegend um Mihiläropya oder das, was Kautalya für die Mauryazeit bezeugt, als Literatur des alten Magadha aufzufassen, aber das reicht nicht, die Geschichte der Sanskritliteratur des gesamten alten Indiens durch die der einzelnen „Nationalliteraturen" zu ergänzen. Die ursprünglich zu den Ksatriyas von Kosala, Kausämbi und Mathurä und ihren Genealogen-Barden gehörenden Sagen von Räma, Yudhisthira und Krsna wurden in den Zeiten von der vierten bis zur sechsten Periode von hinduistischen Brahmanen in die Form der drei großen Sanskritepen gebracht; sie wurden damit zu brahmanischer, sanskritischer, gesamtindischer Literatur. Aber mit dem Höhepunkt des Feudalismus um 1000 u. Z. begannen Dichter der

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sich v o n damals a n langsam herausbildenden N a t i o n a l i t ä t e n 2 7 sie in die sich entwickelnden modernen Nationalsprachen zu ü b e r t r a g e n , so d a ß der gesamtindische Charakter des Sanskrit als lebendige, privilegierte L i t e r a t u r s p r a c h e auf dem Gebiet der E p e n n u r etwa v o n der V. (Pänini) oder IV. Periode bis u m das J a h r 1000 u. Z. gedauert h a t , wenn auch Sanskrit v o n einigen Konservativen noch heute als Literatursprache angewendet wird. 2 8 D a m i t ist eine P r o blematik der A n w e n d u n g des Begriffs der Nationalliteratur auf das alte Indien k n a p p angedeutet. I n bezug auf das moderne Indien mit seinen N a t i o n e n u n d Nationalitäten pflegt m a n aber v o n indischen nationalen L i t e r a t u r e n u n d deren Geschichten zu sprechen, daneben indessen a u c h von gesamtindischer Literatur. 2 9 Neuerdings k a n n m a n beginnen, die indischen L i t e r a t u r e n bzw. die altindische Dichtung in den R a h m e n der Weltliteratur u n d ihrer Geschichte einzuordnen. Dabei ist Weltliteratur nicht — wie sonst m a n c h m a l — in d e m Sinne zu verstehen, daß die größten WTerke aller Zeiten u n d Völker Anspruch auf diese ehrende Zuordnung erhalten, 3 0 auch nicht in dem Sinne einer bloßen Summierung der Nationalliteraturen oder in dem Sinne, d a ß der K a p i t a l i s m u s mit seinem Weltverkehr u. a. auch die Bildung einer Weltliteratur in der Weise ermöglicht h a t , d a ß die vielen Nationalliteraturen aller K o n t i n e n t e sich gegenseitig in vielfacher Weise beeinflussen, 3 1 so d a ß etwa v o n der A u f k l ä r u n g u n d R o m a n t i k a n auch die indischen modernen L i t e r a t u r e n v o n europäischen Literaturen, insbesondere von englischer L i t e r a t u r abhängig wurden. Vielmehr gab es eine A r t Weltliteratur als sehr a b s t r a k t e Einheit aller „nationalen" Literaturen v o n A n f a n g an, 3 2 insofern sich in der Gentilzeit bereits die drei G a t t u n g e n der L i t e r a t u r oder deren Vorformen in m e h r oder weniger allen S t ä m m e n aller K o n t i n e n t e bildeten u n d m a n eine allgemein-menschliche Periodisierung der Weltliteratur als L i t e r a t u r erst der Gentilgesellschaft, d a n n der Klassengesellschaft u n d schließlich des Sozialismus festlegen k a n n . Soweit eine allgemeinmenschliche Periodisierung der gesellschaftlichen F o r m a t i o n e n möglich ist, gibt es auch eine analoge Periodisierung der L i t e r a t u r e n von der Gentilgesellschaft bis z u m Sozialismus, gab es analoge „nationale" literarische Selbstverständigung auf jeder Stufe der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g in allen Gesellschaften. Möchte m a n die altindische L i t e r a t u r in den R a h m e n einer so v e r s t a n d e n e n Weltliteratur spannen, 3 3 so sind insbesondere die Übergänge von der Gentilzur ersten F o r m der Klassengesellschaft u n d v o n dieser zum Feudalismus herauszuarbeiten u n d bietet sich der systematische Vergleich mit der einigermaßen gleichzeitigen u n d von Indien unabhängigen griechischen Dichtung an. Dabei zeigt sieh denn die an sich nicht etwa selbstverständliche, sondern einer historischen E r k l ä r u n g bedürfende Tatsache, daß es die G a t t u n g e n der griechischen L i t e r a t u r auch in Indien gegeben h a t , genau so, wie es auch Analoga zum griechischen S t a a t u n d R e c h t , zu Wissenschaft, Religion u n d Philosophie im alten Indien gegeben h a t . Wie auf jenen Gebieten der Ideologie soll auch auf dem der Dichtung der Begriff „analog" ausdrücken, d a ß m a n auf die Gemein-

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samkeiten ebenso zu achten h a t wie auf die Besonderheiten, daß es z. B. in beiden alten K u l t u r e n wohl D r a m e n gab, aber in Indien weder Tragödien noch Satyrspiele noch Analoga zu den Komödien des Aristophanes, wohl Lyrik, aber u. a. keine pindarschen Oden, wohl Epen, aber solche ganz anderen Charakters als die homerischen. Gerade der Vergleich mit den griechischen Analoga (zu dem auch ein Vergleich mit der altchinesischen L i t e r a t u r von K e n n e r n hinzugefügt werden sollte) hilft, die Individualität sowohl wie den allgemein menschlichen Charakter der altindischen u n d altgriechischen L i t e r a t u r e n f a ß b a r zu machen u n d d a m i t beide Literaturen historisch in die Weltliteratur einzuordnen. I m Unterschied zu Griechenland k a n n m a n in Indien noch die L i t e r a t u r der zerfallenden arischen u n d vorarischen gentilen Gesellschaften erkennen, damit einen f r ü h e n Ausgangspunkt gewinnen u n d den wichtigen Übergang zur Klassengesellschaft in gewissem Ausmaß rekonstruieren. D a m a l s wurde die relativ einheitliche gentile magisch-mythologische Denkweise des Urintellektuellen, des Schamanen, zu den sich immer mehr differenzierenden Denkweisen der Theologie, Astronomie, Mathematik, Medizin, des Rechts, der Philosophie, der Erlösungsreligion u n d der K u n s t , u. a. der D i c h t u n g ; sie machten sich alle allmählich mehr oder weniger von der gentilen magisch-mythologischen Weltanschauung frei. E n t s p r e c h e n d den Klassenkämpfen begannen K ä m p f e der Ideologien. Die Existenz antagonistischer Klassen v o n Ausbeutern u n d Ausgebeuteten f a n d auch ihren Niederschlag in der Entwicklung der L i t e r a t u r , die ideologisch die Interessen der Volksmassen, der Ausgebeuteten, oder aber die der herrschenden Schichten, der Ausbeuter, vertrat. 3 4 E r s t ganz allmählich löste sich das I n d i v i d u u m aus seinen erst Stammes-, d a n n Sippen- u n d Standesbindungen, u n d individuelle Dichterpersönlichkeiten werden uns mit ihren Werken erst in der V. Periode greifbar. Wie auf den Gebieten der philosophischen, religiösen u n d wissenschaftlichen L i t e r a t u r war es auch auf dem der schönen Literatur. E r s t als m a n die Dichtung der Schrift a n v e r t r a u t e , k o n n t e n Dichtergenies mit ihren N a m e n der Nachwelt erhalten bleiben; das erste war wohl Asvaghosa in der V. Periode, im 2. J a h r h u n d e r t u. Z. im Reich der K u s h ä n . Dies geschah mehrere J a h r h u n d e r t e n a c h dem analogen Schritt der Griechen, die die Schrift lange vor den I n d e r n von den Phöniziern ü b e r n a h m e n . W a s uns a n älterer indischer L i t e r a t u r erhalten ist, war von starken Institutionen f ü r würdig erachtet worden, mündlich überliefert zu werden, sei es von vedischen B r a h m a n e n , von Mönchen des buddhistischen u n d jinistischen Ordens oder von Genealogen der Ksatriyas. E s galt als so wichtig, daß es J a h r h u n d e r t e lang m ü h s a m auswendig gelernt wurde. Dabei aber war die Versuchung, es im Sinne der sich entwickelnden Gesellschaft mehr oder weniger umzugestalten, groß; mündliche Tradition ist bei aller Treue unzuverlässig. Die R e k o n s t r u k t i o n z. B. der langsamen Entwicklung der altindischen E p e n ist daher ungemein problematisch, ist damit aber gerade eines der H a u p t t h e m e n der Literaturgeschichte des alten Indiens. Auch schriftliche Überlieferung ist natürlich nicht ganz zuverlässig, u n d auch sie hat nicht alle alte L i t e r a t u r erhalten, sondern eine Auswahl getroffen, vermutlich nicht unbedingt

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eine der nach unserem Urteil bedeutendsten Literaturwerke, sondern sie hat vom Standpunkt derjenigen aus geurteilt, die literarische Werke abschreiben ließen. Das waren im alten Indien keine Verleger, sondern wohlhabende und einflußreiche Männer der drei obersten Stände, die mit der Dichtung mehr oder weniger bewußt ihren gesellschaftlichen Standpunkt propagiert sehen wollten. Solche ideologischen Standpunkte herauszuarbeiten, ist wieder eine Aufgabe der Literaturgeschichte. I n der Gentilgesellschaft tritt die Dichterpersönlichkeit ebensowenig hervor wie in der späteren Volksliteratur. Da es zunächst noch keine Klassen gab, gab es keine Klassenstandpunkte. Aber in der Klassengesellschaft wurde dies anders, und der Literaturproduzent war im altindischen Despotismus u. a. der Genealoge oder Barde, eine Art Hofdichter, der berufsmäßig Preislieder oder Lobverse auf seinen Herrn für verschiedene Gelegenheiten zu verfassen hatte. Eine andere Art Hofdichter war der größte Dichter des alten Indiens, Kälidäsa, ein Brahmane von Stand und Sivait; in gesellschaftskritischem Sinne nannte sich Bhartrhari einen Fürstendiener. Daneben gab es u. a. buddhistische Dichter wie Asvaghosa oder z. B. die Verfasser der Thera- und Therlgäthäs, gab es auch Vertreter bürgerlicher, antidespotischer Schichten unter den Dichtern wie Visnusarman, den Verfasser des Pancatantra, und Südraka, den Dichter des Mrcchakatika. Lebten die verschiedenen Arten der Hofdichter von Geschenken ihrer Herren, so der buddhistische Dichter von milden Gaben der Gläubigen und der bürgerliche Dichter von denen reicher, gebildeter „Städter". Ob sie am Vortrag ihrer lyrischen und epischen oder an der Aufführung ihrer dramatischen Werke verdienten, etwa in Form von Geschenken, ist noch nicht geklärt. Auf keinen Fall konnten altindische Dichter als Literaturproduzenten vom Verkauf ihrer Arbeit an den Verleger leben. Sie alle waren am Abschreiben ihrer Werke finanziell sicher nicht beteiligt. Abgeschrieben wurde von berufsmäßigen Schreibern im Auftrage eines Reichen. Ein Copyright gab es nicht. Erst im Kapitalismus wurden ganz allgemein und so auch in Indien künstlerische Arbeiten in Handelsartikel verwandelt, 33 der Poet in einen bezahlten Lohnarbeiter, 36 in einen produktiven Arbeiter, der den Verleger bereichert, 37 in dessen Auftrag er arbeitet. 38 Dementsprechend zählt Kautalya I I I , 13,30 unter den Dienste Verrichtenden (karmaharas) keinen Dichter (nur Rezitatoren, Komödianten) auf. Der altindische Dichter lebte von Geschenken seines Mäzens, Auftraggebers oder Hörers, wie es schon die Liederdichter des Rgveda taten und wie Brahmanen als Priester, Theologen oder Philosophen allgemein von „Geschenken" lebten. Solange in der indischen Variante der „asiatischen" Produktionsweise die menschliche Arbeit wenig Überschuß über das Lebensnotwendige lieferte, hatten nur wenige Bevorrechtete die Muße, Kunst und Wissenschaft zu treiben, während der wirklich arbeitenden Bevölkerung die Volksliteratur zur Verfügung stand. Die Sozialgeschichte der Literaturproduzenten, -reproduzenten und -konsumenten gehört demgemäß mit in die Literaturgeschichte. Dementsprechend ist Dichtung ideologisch gebunden. Schon in der klassenlosen Gesellschaft widerspiegelt insbesondere die erzählende Literatur die gesell2

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schaftlichen Zustände mit einer gewissen pädagogischen Absicht; sie bringt dem Hörer die magisch-mythologische Weltanschauung entsprechend den gentilen Z u s t ä n d e n nahe, gewöhnt ihn an die F o r d e r u n g e n u n d Ideale der gentilen Gesellschaft, erzieht ihn zu Treue zur Stammestradition oder zu Mut, Aushalten oder Schlauheit in den mannigfachen K ä m p f e n , die mit der N a t u r , aber auch mit menschlichen Feinden zu bestehen sind. E r s t mit dem Zerfall der Gentilgesellschaft beginnt d a n n eine gewisse Gesellschaftskritik. Die L i t e r a t u r der Klassengesellschaft aber ist engagiert, wie J . P . Sartre es nannte, 3 9 ist z u r Stellungnahme in den Klassenkämpfen verpflichtet, so daß sie mehr oder weniger zur Tendenzliteratur wird, ob dies dem einzelnen, sei er Dichter, Leser oder Kritiker, bewußt wird oder nicht. Die Klassengesellschaft stellt der Liter a t u r neue Aufgaben u n d v e r ä n d e r t ihren Charakter. Auch der individualistische Autor, diese E r r u n g e n s c h a f t der Klassengesellschaft (s. o.), bleibt im alten Indien noch Mitglied seines Standes u n d ist damit zunächst nicht viel freier als das Mitglied eines Stammes. 4 0 E r b r a u c h t vor allem seine Klassengenossen u n d V e r b ü n d e t e ; f ü r sie schreibt er bewußt oder u n b e w u ß t . Auch die altindische dichterische Persönlichkeit ist an Traditionen der ständischen Gesellschaft gebunden, folgt den ererbten literarischen Gattungsgesetzen, löst sich nicht von ihnen, sondern zeigt sich als groß in deren Verwirklichung/' 1 Dementsprechend bleibt die altindische L i t e r a t u r weitestgehend religiös gebunden. K a r l Marx schrieb: „Bekannt, daß die griechische Mythologie nicht n u r das Arsenal der griechischen K u n s t , sondern ihr Boden"/* 2 Analoges k a n n m a n von der altindischen L i t e r a t u r sagen, ja im altindischen Despotismus war die Religion sogar eine noch weit stärkere Macht als im alten Griechenland, insbesondere im demokratischen Athen. Wieweit u n d wie altindische Dichter sich von den Fesseln der Religion lösen konnten, das herauszuarbeiten ist eine weitere Aufgabe der Literaturgeschichte. Dabei ist es manchmal problematisch, zwischen dem W e r k eines dichtenden Priesters oder Theologen (bzw. Wissenschaftlers oder Philosophen) u n d dem W e r k eines f r o m m e n Dichters (mehr oder weniger gläubig waren alle uns erhaltenen altindischen Dichter!) zu unterscheiden. Die Abgrenzung v o n schöner u n d religiöser L i t e r a t u r ist daher oft noch subjektiv. So ist es umstritten, ob es in der arischen u n d vorarischen Gentilgesellschaft ü b e r h a u p t rein weltliche Dichtung der drei Genres gegeben h a t . Die Gedichte des Rg- und A t h a r v a v e d a gehören a n sich ebenso wie spätere G ö t t e r h y m n e n 4 3 des Hinduismus vor allem in die Geschichte der Religion, ebenso wie Lieder der buddhistischen Mönche, die Prosa u n d Verse in B r ä h m a n a s u n d Upanishaden u n d die P u r a n e n . Aber auch diese religiöse L i t e r a t u r ist heranzuziehen, u. a. u m die uns nicht erhaltene gleichzeitige weltliche L i t e r a t u r zu rekonstruieren, besonders in der I . - I I I . Periode. Sie enthält weiter so manches, was zur Weisheitslyrik zu rechnen ist. Auch D r a m e n u n d E p e n des alten Indiens sind wichtige D o k u m e n t e der Religionsgeschichte; sie sind als Dichtungen an Feste und d a m i t a n K u l t e gebunden gewesen. Dabei sind die E p e n u n d Dramen eines Buddhisten wie Asvaghosa weit stärker als religiöse P r o p a g a n d a gemeint als die des Sivaiten

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Kälidäsa. Dessen E p o s der Geburt des Kriegsgottes ist im wesentlichen nicht religiöse, sondern Liebesdichtung in mythologischem Gewand, ebenso wie Hälas Lyrik ü b e r Siva u n d K r s n a . Die Lebensgeschichte K r s n a s im B r a h m a p u r ä n a ist religiös gemeint, ist aber im K e r n gleich der des H a r i v a m s a , dieser E r g ä n z u n g des M a h ä b h ä r a t a , das doch eine n u r brahmanisch ü b e r a r b e i t e t e Dichtung von Barden, eine A r t Volksepos ist. Die Geschichte der altindischen L i t e r a t u r ist also von der der Religion nicht zu trennen, m u ß aber besonders behandelt werden. Abgesehen von solchen religiösen Tendenzdichtungen ist auch sonst gelegentlich die Absicht des Verfassers u n d Verwenders altindischer D i c h t u n g erkennbar, z. B. wenn K a u t a l y a die Erzählungen von Helden als Beispiel bei der Erziehung der Prinzen empfiehlt, 4 4 wenn Visnusarman diesen Gedanken wiederholt, wenn im M a h ä b h ä r a t a in dialektischen Kapiteln solche Beispiele der Vergänglichkeit menschlicher Größe, Beispiele der Macht v o n B r a h m a n e n oder des religiösen W e r t e s des Gebens eingefügt werden. 4 5 I n ähnlicher Weise verwenden noch heute indische B a u e r n alte Geschichten/' 6 Mit anderer Tendenz empfiehlt das K ä m a s ü t r a das Erzählen aufregender Liebesgeschichten. 4 7 I n wieder anderer Weise will Asvaghosa sein K u n s t e p o s v e r s t a n d e n wissen, nämlich als Abschreckung von der Liebe, 4 8 u n d so war die Tendenz eines großen Teils buddhistischer Lyrik, E p i k u n d D r a m a t i k . Die N a t u r - u n d Liebeslyrik eines H ä l a will den H ö r e r in seiner Lebensbejahung bestärken u n d steht d a m i t in einem gewissen Gegensatz zur Erlösungsreligion. Ähnlich war die Tendenz der meisten hinduistischen D r a m e n u n d E p e n , das G u t e siegen zu lassen. Insbesondere unterschieden sich die drei großen Volksepen voneinander durch ihre Einstellung zu Zentralisation u n d Dezentralisation des Staates, h a t t e n aber alle eine gewisse antidespotische Tendenz. 4 9 I n dieser Weise lassen sich schon einige weltanschauliche Tendenzen der altindischen Dichter a n f ü h r e n . E s war aber ein Unterschied, ob einer als Hofdichter oder Asket, als vedischer oder hinduistischer, buddhistischer oder jinistischer Priester dichtete, als Kritiker oder Apologet der F ü r s t e n oder Standesbrahmanen, d. h. von diesem oder j e n e m K l a s s e n s t a n d p u n k t aus. Ob u n d wieweit die altindischen Dichter d a m i t erfolgreich waren u n d auf die Entwicklung der Gesellschaft eingewirkt h a b e n , ist aber noch nicht greifbar zu machen. M a n k a n n n u r a n n e h m e n , d a ß Dichter bei der Propagierung u. a. dieser u n d jener Religion m e h r oder weniger Erfolg h a t t e n , sonst h ä t t e m a n solches Dichten nicht zwei bis drei J a h r tausende fortgesetzt. D a ß u n d wie ein Kälidäsa z. B. auf die Sivareligion u n d -theologie in feudalistischen P u r a n e n eingewirkt h a t , wird sich deutlich machen lassen. Die H a u p t a u f g a b e einer Darstellung der Geschichte der altindischen Dichtung besteht darin, die Entwicklung der drei Genres der D i c h t u n g 5 0 v o n der arischen u n d vorarischen Gentilgesellschaft (und E l e m e n t e n der altorientalischen Dichtung) bis zur Klassik der V I . Periode zu schildern. Auf dem Gebiet der Lyrik k a n n m a n z. B. schon heute versuchen, gewisse T h e m e n u n d Strophenformen von jenen Gentilgesellschaften bis auf H ä l a u n d Kälidäsa zu verfolgen. 5 1 2*

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Ähnlich lassen sich Erzählungen bis zum Pancatantra hin verfolgen, während der Roman erst nach der VI. Periode auftritt. Beim Heldenepos ist schon eine lange Entwicklung von Sagen jener Gentilgesellschaften in Prosa und (teilweise in sie eingebetteten) Heldenliedern über Kurzepen und Urtexte bis zu den drei Archetypen der Handschriften der drei brahmanischen Versepen einigermaßen zu rekonstruieren, wobei auch buddhistisches Material heranzuziehen ist. An jene Urtexte, die als erste Höhepunkte der Epen in der V. Periode anzusetzen sind, sind die Kunstepen Asvaghosas der V. und Kälidäsas der VI. Periode anzuschließen. Aus vorarisch-gentilen und vielleicht auch aus vedischen Kultdramen und mimusartigen Schwänken, die mit den Mythen der Epik und unreligiösem Erzählgut verbunden wurden, aber auch mit Lyrik, sind die klassischen Dramen herzuleiten, die mythologischen wie die historischen bzw. bürgerlichen, die ernsten und die heiteren. So hat jedes der drei Genres seine eigene Geschichte, und doch haben sie etwas Wichtiges gemeinsam, daß ihre letztlich gentilen Keimformen sich zur Kunstdichtung im Kävya-Stil der V. und VI. Periode entwickelten, und zwar zugleich mit der Herausbildung der grammatischen, metrischen und poetischen bzw. dramatischen Lehren. Die Basis für diese Entwicklung war die sozial-ökonomische Entwicklung des Stammesmitgliedes zum gebildeten Stadtbürger. Eine andere Problematik der Literaturgeschichte ist die Periodisierung. I n diesem Band ist grundsätzlich die Periodisierung der vorangegangenen Bände beibehalten. Dabei ist „Periode" als ein Ordnungsbegrifif aufgefaßt, nicht so sehr als ein Wesensbegriff. 52 Gewiß kann man im Begriff der sogenannten rgvedischen Literatur nicht nur das Ordnungsprinzip der ersten Periode angewendet sehen, sondern auch ein Charakteristikum der damaligen uns erhaltenen Literatur. Aber neben ihr muß es andere damalige nichtpriesterliche Literatur gegeben haben, deren Charakter wir noch nicht genügend kennen. Gewiß kann man in der Literatur der Guptazeit der sechsten Periode die altindische Klassik verwirklicht sehen und diese Periode damit charakterisieren. Aber in den übrigen Perioden gelingt eine solche für die Epoche gültige einheitliche Wesensbeschreibung noch nicht. Dies hängt weitgehend mit dem Problem der Unsicherheit der Chronologie der altindischen Literatur zusammen, die wiederum von der Mündlichkeit der Überlieferung herzuleiten ist. Dies gilt unter anderem für das Staatslehrbuch des Kautalya, dessen zeitliche Zuordnung zum Mauryareich umstritten, aber für alle Gebiete der altindischen Geschichte, auch für die des Dichtens von größter Bedeutung ist. 53 Die Klassik der Guptaliteratur wirft ein weiteres schwieriges Problem auf: Ist diese altindische Klassik das echte Analogon zur weit älteren altgriechischen Klassik? Die Entwicklung der altindischen Philosophie zeigt, daß die Philosophie der VI. Periode in der Tat das späte Analogon zu Piaton und Aristoteles (die am Ende der I I I . und in der IV. Periode gewirkt haben) ist, daß die Philosophie sich in Indien also wesentlich langsamer entwickelt hat als in Griechenland. Für die übrigen Teilsysteme der indischen Gesellschaft , die der Produktion und der Produktionsweisen, des Staats und Rechts, der Wissenschaft und

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Religion kann man dieselbe Ansicht zugrunde legen, muß es aber nicht, da es nicht selbstverständlich ist, daß die Höhepunkte aller Formen der Basis und des Überbaus zeitlich zusammenfallen müssen. 54 Man kann den Hinduismus und das Mahäyäna der Guptazeit als den Höhepunkt altindischer Religionsgeschichte, Närada als höchstentwickelten J u risten, die Produktion und den Welthandel zur Zeit der Guptas als Klimax der altindischen ökonomischen Entwicklung und die Anerkennung der Südras als Bauern als den Höhepunkt ihres gesellschaftlichen Aufstiegs in der VI. Periode auffassen. Auf dem Gebiet des Staates wäre dann der Despotismus des Guptagroßreiches als zeitlich spätes Analogon zur perikleischen Demokratie aufzufassen. I m zweiten Band dieser Darstellung des alten Indiens ist dagegen das Guptareich dem römischen Kaiserreich als gleichzeitiges Analogon an die Seite gestellt worden. Es ist aber auch darauf hingewiesen worden, daß das eigentliche Analogon zur griechischen Demokratie im Grunde der indische Despotismus ist, insofern je eine dieser beiden Staatsformen f ü r je eine dieser alten Gesellschaften charakteristisch ist. 55 Von diesem Gesichtspunkt aus ist die altindische Geschichte 1. in gewisser Hinsicht auf dem Gebiet der Entwicklung der Staatsform und 2. — besonders deutlich — auf denen der Philosophie und Dichtung so viel langsamer als die altgriechische abgelaufen, daß die Inder den Höhepunkt erst mehrere Jahrhunderte, beinahe ein Jahrtausend später als die Griechen erreicht haben. Vielleicht sollte man auf dem Gebiet des Staats und Rechts von zwei Gipfeln der indischen Klassik sprechen: Der erste im Mauryareich war nur wenig später als die griechische Klassik, der zweite im Guptareich war fast ein Jahrtausend später. Ähnliches gilt von der Plastik und solchen großen epischen Gestalten wie Räma und Sita im Urtext des Rämäyana und bei Kälidäsa. 56 Obgleich die Geschichte in Indien und Griechenland einigermaßen gleichzeitig und unter analogen Voraussetzungen anlief, haben doch die antike Produktionsweise, der Seehandel und der Gebrauch der Schrift und des Eisens den Griechen schon sehr früh einen Vorsprung verschafft. Legt man beim Vergleichen aber mehr Gewicht auf annähernde Gleichzeitigkeit des Verglichenen und auf die Form des Guptastaates und des römischen Kaiserreiches, so ist zu berücksichtigen, daß die römische Entwicklung von der gentilen zur kaiserlichen Gesellschaftsform einen riesigen Umweg über den griechisch-römischen republikanischen demokratischen Stadtstaat gemacht hat. Sie legte also in derselben Zeit, in der die indische Gesellschaft direkt zum Großreichdespotismus gelangte, einen weit längeren Weg zurück, was man ebenfalls als schnelleres Entwicklungstempo interpretieren kann. Die ihrem Wesen nach relativ stagnierende „asiatische" Produktionsweise hemmte offenbar die altindische Entwicklung. Dementsprechend lagen die indischen Analoga zu unserer Renaissance, Reformation und Aufklärung erst im Anfang des 19. Jahrhunderts. 5 7 Dies sind sehr problematische Überlegungen über komplizierte historische Vorgänge. Wie dem auch sei, die indische Entwicklung ging ohne Bruch von unentwickelter Sklavenhalterformation — wenn man diesen Begriff auf das alte Indien anwenden will — zum Feudalismus über, weil die „asiatische" Produktionsweise weiterlief, und

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zwar stagnierend, d. h. sich sehr langsam und ohne Sprünge entwickelnd. Dies gilt für Basis und Überbau und damit auch für die Dichtung des alten Indiens. Auf jeden Fall ist die Geschichte der altindischen Dichtung auf diesen Höhepunkt der Klassik hinzielend zu schreiben und mit ihr im Gegensatz zur griechisch-römischen Geschichte, die über die athenische Klassik noch fast ein Jahrtausend hinausging, abzuschließen. Die Frage der Klassik hängt mit dem Problem der Bewertung literarischer Werke zusammen. Ganz allgemein kann man wohl sagen, daß uns Werke der Trivialliteratur aus dem alten Indien leider nicht erhalten sind. Gegeben mag es sie haben. So fehlt uns dies wesentliche Vergleichsmaterial für die Bewertung der erhaltenen Literatur. Wie weit aber sind wir bisher in der objektiven Bewertung des Erhaltenen gekommen? Daß Kälidäsas Sakuntalä-Drama das schönste Werk altindischer Literatur ist, ist einhellige Meinung Indiens. In Europa aber hat selbst ein Gelehrter vom Rang eines M. Winternitz an diesem Drama manches auszusetzen gefunden, obgleich er sich bewußt war, wie hoch Goethe von ihm gedacht hatte. 5 8 Wie bei den europäischen Großen der Literatur wird man aber auch bei den indischen den optimistischen Gedanken anwenden können, daß sich im Verlauf der Zeit oder der Diskussion eine richtigere, dem Gegenstand angemessenere Auffassung durchsetzt 5 9 und kein Grund zu der Befürchtung besteht, daß man über Relativismus und Subjektivität bei der Bewertung nicht hinausgelangen könne. Um in dieser Hinsicht Zeit zu sparen, ist einer der wichtigsten Wege zur Objektivität die sozialistische Gemeinschaftsarbeit, die solche Diskussion einschließt. Ein objektiv, wenn auch manchmal nicht leicht faßbares Merkmal der Dichtung, das ihre Bewertung ermöglicht, ist ihre Fortschrittlichkeit, die sich aus der gesellschaftlichen Lage in der Zeit und Gegend der Entstehung eines literarischen Werkes ablesen läßt. Besonders wichtig dafür ist, festzustellen, ob Gesellschaftskritik (s. u. bei Anm. 149) der jeweiligen Dichtung zugrunde liegt und welcher Art sie ist, ob sie die Gesellschaft irgendwie verbessern, die bestehenden Zustände erhalten oder vergangene idealisieren möchte. Trifft die Kritik Wesentliches, ist man versucht, schon bei alter Literatur von Realismus zu sprechen, wobei man im Auge haben muß, daß die Begriffe des kritischen und sozialistischen Realismus erst auf grundlegende Richtungen in Kapitalismus und Sozialismus anzuwenden sind. In der fortschrittlichen Gesellschaftskritik alter Literatur kann man deren Vorläufer sehen, die so herauszuarbeiten und zu bewerten sind wie die materialistischen und wissenschaftlichen Gedanken in der Philosophiegeschichte und die reformerischen Richtungen in der Religionsgeschichte. Die Bewertung literarischer Werke hängt damit letztlich vom Klassenstandpunkt des Literaturhistorikers ab. Dies gilt auch für die Bewertung der altindischen Literatur als solcher im Rahmen der Weltliteratur, d. h. für uns insbesondere für den Vergleich mit den Werken der alten Griechen. Unsere heutige Literatur f u ß t an sich historisch, aber ganz bewußt seit den Zeiten der Renaissance, auf der antiken Literatur; diese steht uns traditionsgemäß wesentlich

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näher als die indische. Aber ist sie deswegen größer? Karl Marx hat gesagt, daß griechische Kunst und Epik auch uns Heutigen noch Kunstgenuß gewähren und in gewisser Beziehung als Norm und unerreichbare Muster gelten; er fragte mit Bezug auf sie: „Und warum sollte die geschichtliche Kindheit der Menschheit, wo sie am schönsten entfaltet, als eine nie wiederkehrende Stufe nicht ewigen Reiz ausüben?" Er fuhr fort: „Es gibt ungezogene Kinder und altkluge Kinder. Viele der alten Völker gehören in diese Kategorie. Normale Kinder waren die Griechen." 60 Diese Worte können m. E. bedeuten: Die Griechen legten mit ihrer antiken Produktionsweise letztlich die Grundlagen für den europäischen Feudalismus, damit für den weltweiten Kapitalismus und den Sozialismus und Kommunismus. Insofern, als nur sie dies taten, waren sie „normal". Die weitaus größere Zahl menschlicher Gesellschaften aber fußte nicht auf antiker Produktionsweise, sondern auf Varianten der „asiatischen" Produktionsweise, kam von sich aus nicht zu Kapitalismus, geschweige Sozialismus und erfüllte somit nicht die „Norm" der Entwicklung. Marx hat sich nicht geäußert, welche der alten Völker er etwa mit den ungezogenen oder altklugen Kindern gemeint hat. Auf keinen Fall war jedoch sein Begriff des normalen Kindes kolonialistisch, europazentrisch, antiinternationalistisch gemeint. Solche Erwägungen muß man berücksichtigen, wenn man indische und griechische literarische Gattungen miteinander vergleichen will. Die Epen nahmen in der Hand der typisch indischen Brahmanen einen wesentlich anderen Charakter an als die homerischen, sie wurden in einer despotischen Gesellschaft geformt. Aber gerade deswegen haben sie so starke Elemente des Antidespotismus, so daß sie schon darum — ganz zu schweigen etwa von der Bhagavadgitä — zu den größten Werken der Weltliteratur an die Seite der homerischen Epen zu stellen sind, die doch immerhin in der Verurteilung des Thersites ein kräftiges Stück eines aristokratischen Antidemokratismus enthalten. Ein vergleichendes Werturteil ist also nur bei großer Vor- und Umsicht möglich, nur bei möglichst allseitiger Berücksichtigung der gesellschaftlichen Problematik zur Zeit des Entstehens des betreffenden Werkes der Dichtung. Die hier vorgelegte Geschichte der altindischen Literatur verwendet ebenso, wie das in den vorangegangenen Bänden geschehen ist, die Methode des Vergleichens, und zwar mit der altgriechischen Literatur. Dabei ist vorausgesetzt, daß beide Literaturen sich im wesentlichen unabhängig voneinander entwickelt haben. Dies ist freilich zum Teil bestritten worden, aber ohne stichhaltige Argumente. 61 Die durch Alexanders Kriegszug eingeleitete und dann durch Handel fortgeführte Beziehung Indiens zum hellenistischen Griechenland hat auf dem Gebiet der bildenden Kunst, der Astronomie bzw. Astrologie, der Religion und Philosophie zu gewissen gegenseitigen Beeinflussungen geführt, aber solche lassen sich bisher für die Dichtung nicht nachweisen. I m allgemeinen lag zwischen der indischen und griechischen Gesellschaft der gewaltige Raum des Vorderen Orients, damals lange Zeit des Persischen Großreiches, und in diesem R a u m verlief die literarische Entwicklung durchaus nicht analog der

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indischen und griechischen. Auch die Literatur des alten Israel läßt sich nicht als Analogie heranziehen, auch wenn dies in bezug auf die der frühesten sozialökonomischen Verhältnisse möglich ist. W a r u m dies bei der Dichtung anders war, bedarf noch besonderer Untersuchungen. Vergleichende Literaturgeschichte 6 2 wird bisher meist in dem Sinne getrieben, daß die genetischen Zusammenhänge, die gegenseitigen literarischen Beziehungen der Völker, die K o n t a k t e ihrer Dichter untersucht werden. 6 3 I n dem anderen Sinne, der hier gemeint ist, daß sie gemäß der Methode des historischen Materialismus von der typologischen oder phaseologischen Analogie unabhängig voneinander verlaufender gesetzmäßiger gesellschaftlicher Entwicklungen ausgeht, ist sie von V. M. Schirmunski in Leningrad 1935/36 gefordert u n d theoretisch begründet und danach von ihm a n volksepischen Werken durchgeführt worden. 64 Auf Kunstdichtung ist sie bisher m. W . n u r wenig angewendet worden, vor allem f ü r den deutsch-slawischen Raum, 6 5 auf das moderne Indien aber in einigen Versuchen W . Rubens. 6 6 Theoretisch anerkannt und behandelt worden ist die Methode allerdings in den letzten J a h r e n mehrfach. 6 7 W e n n hier eine phaseologische, im wesentlichen synchronistische Vergleichung der alten Inder und Griechen, u. a. auch ihrer Dramen, geübt wird, so h a t R. W e i m a n n 1968 mit diachronischem Vergleich 68 das Entstehen des Shakespeareschen Dramas dem des altgriechischen Dramas als eine Art Analogon an die Seite gestellt, eine Arbeit, die der Sanskritist f ü r das Verständnis des Entstehens des altindischen Dramas dankbar benutzen wird, da solche Betrachtungsweise die Möglichkeit, historische Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, verstärkt.

2. Geschichte der altindischen

Dichtung69

Die Geschichte der alten indischen Literatur wird üblicherweise in zwei Formen abgehandelt, entweder innerhalb eines allgemeinen Überblicks über das alte Indien oder als Sonderthema. Der vorliegende Band hat als Literaturgeschichte und zugleich als letzter der fünf Bände der allgemeinen Geschichte des alten Indiens beide Formen zu vereinigen. Die wichtige Geschichte der Herausgabe, Übersetzung und Kommentierung der zahllosen altindischen Werke der Dichtung ist im folgenden nicht mitbehandelt, nur eine Auswahl umfassender Literaturgeschichten. W . Jones, der Begründer der Sanskritphilologie (1746—84) und Entdecker der Sakuntalä, kommentierte im 1. B a n d der Asiatick Researches 7 0 die erste knappe, unhistorische Zusammenstellung: „On the Literature of the Hindus, by Goverdhan Caul", die die vier Veden und Upaveden, die sechs Vedängas und die vier Upängas (Puräna, N y ä y a , Mimämsä, Dharmasästra) a u f f ü h r t e ; er h a t also nicht die schöne Literatur behandelt. 7 1 Die erste kurze, aber großartige Geschichte der altindischen Literatur s t a m m t von F r . Schlegel (1772-1829) in „Über die Sprache und Weisheit der Indier" Heidelberg 1808. 72 E r unterscheidet vier Epochen: 1. die Vedas „und was sich

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indischen und griechischen. Auch die Literatur des alten Israel läßt sich nicht als Analogie heranziehen, auch wenn dies in bezug auf die der frühesten sozialökonomischen Verhältnisse möglich ist. W a r u m dies bei der Dichtung anders war, bedarf noch besonderer Untersuchungen. Vergleichende Literaturgeschichte 6 2 wird bisher meist in dem Sinne getrieben, daß die genetischen Zusammenhänge, die gegenseitigen literarischen Beziehungen der Völker, die K o n t a k t e ihrer Dichter untersucht werden. 6 3 I n dem anderen Sinne, der hier gemeint ist, daß sie gemäß der Methode des historischen Materialismus von der typologischen oder phaseologischen Analogie unabhängig voneinander verlaufender gesetzmäßiger gesellschaftlicher Entwicklungen ausgeht, ist sie von V. M. Schirmunski in Leningrad 1935/36 gefordert u n d theoretisch begründet und danach von ihm a n volksepischen Werken durchgeführt worden. 64 Auf Kunstdichtung ist sie bisher m. W . n u r wenig angewendet worden, vor allem f ü r den deutsch-slawischen Raum, 6 5 auf das moderne Indien aber in einigen Versuchen W . Rubens. 6 6 Theoretisch anerkannt und behandelt worden ist die Methode allerdings in den letzten J a h r e n mehrfach. 6 7 W e n n hier eine phaseologische, im wesentlichen synchronistische Vergleichung der alten Inder und Griechen, u. a. auch ihrer Dramen, geübt wird, so h a t R. W e i m a n n 1968 mit diachronischem Vergleich 68 das Entstehen des Shakespeareschen Dramas dem des altgriechischen Dramas als eine Art Analogon an die Seite gestellt, eine Arbeit, die der Sanskritist f ü r das Verständnis des Entstehens des altindischen Dramas dankbar benutzen wird, da solche Betrachtungsweise die Möglichkeit, historische Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, verstärkt.

2. Geschichte der altindischen

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Die Geschichte der alten indischen Literatur wird üblicherweise in zwei Formen abgehandelt, entweder innerhalb eines allgemeinen Überblicks über das alte Indien oder als Sonderthema. Der vorliegende Band hat als Literaturgeschichte und zugleich als letzter der fünf Bände der allgemeinen Geschichte des alten Indiens beide Formen zu vereinigen. Die wichtige Geschichte der Herausgabe, Übersetzung und Kommentierung der zahllosen altindischen Werke der Dichtung ist im folgenden nicht mitbehandelt, nur eine Auswahl umfassender Literaturgeschichten. W . Jones, der Begründer der Sanskritphilologie (1746—84) und Entdecker der Sakuntalä, kommentierte im 1. B a n d der Asiatick Researches 7 0 die erste knappe, unhistorische Zusammenstellung: „On the Literature of the Hindus, by Goverdhan Caul", die die vier Veden und Upaveden, die sechs Vedängas und die vier Upängas (Puräna, N y ä y a , Mimämsä, Dharmasästra) a u f f ü h r t e ; er h a t also nicht die schöne Literatur behandelt. 7 1 Die erste kurze, aber großartige Geschichte der altindischen Literatur s t a m m t von F r . Schlegel (1772-1829) in „Über die Sprache und Weisheit der Indier" Heidelberg 1808. 72 E r unterscheidet vier Epochen: 1. die Vedas „und was sich

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zunächst an diese anschließt, wie Manus Gesetzbuch", 2. fast alle philosophischen Systeme wie Sämkhya, die älter sind als der Vedänta, und das Rämâyaça (das älter ist als Vyäsa: 236), 3. Vyäsa, d. h. die 18 Puranen, Mahäbhärata und Vedänta, und 4. Kälidäsa und andere Dichter (149ff.). Die Abfolge Veda, Epos und Kälidäsa ist richtig und wurde von da an beibehalten. Schlegel sah die schöne Literatur im Zusammenhang mit der Mythologie und Philosophie, hielt Kälidäsa für „ungefähr gleichzeitig mit Kaiser Augustus" (152) und verglich immer wieder Inder und Griechen, wobei er gelegentlich im Sinne unseres Herausstellens analoger Entwicklungen sagte, daß „die gleichen Umstände in Europa wie in Asien dieselben Folgen hervorrufen mußten" (214). E r hielt allerdings Indien im allgemeinen im Sinne einer Wanderungstheorie für die Heimat nicht nur der (indoeuropäischen) Sprachen, sondern auch der Mythologie 73 wie der Seelenwanderungslehre. Als Romantiker (212) lag ihm an der Aufhellung der Anfänge menschlicher Kultur. Schlegel meinte, gerade mit Hilfe Indiens unter Vergleich mit den Griechen den Ursprung u. a. der Poesie aus der ältesten Mythologie (der Seelenwanderung) verständlich machen zu können (157ff.), da das Indische noch älter sei als das Griechische (219), ja, dessen Heimat sei. Er ahnte das relative Stagnieren 7/* Indiens: „So wie die Sitten und die Verfassung der Indier überhaupt weniger oder viel langsamer verändert wurden als die der anderen Völker", so gelte es auch für die Sprache (67); er sagte in diesem Zusammenhang freilich nichts über die Literatur. Er forderte schließlich etwa im Sinne Herders eine Geschichte der Weltliteratur als ein großes Ganzes, „wo denn vieles im Zusammenhang erst verständlich, alles aber in diesem Lichte neu, erscheinen würde" (216).75 1830 (2. Aufl. 1834) erschien Fr. Adelungs „Literatur der Sanskrit-Sprache" (St. Petersburg), die erste Bibliographie dieses Gebietes; er vermerkt S. 105: „Versuch einer Ostindischen Literatur-Geschichte, von Henning, Hamburg 1786,8." und „Sur les différentes époques de la Littérature Indienne" in Mélanges de Littérature Sanscrite par A. Langlois, Paris 1827.76 Adelung unterteilte die Sanskritliteratur in A) Heilige Schriften (Veden, Puranen, Werke der Jainas, Sastras, Gesetzbücher) und B) Profane Schriften, wissenschaftliche und schöne Literatur: Epen, Lehrgedichte, „satyrische" Gedichte, lyrische Gedichte, Fabeln, Erzählungen (und Märchen) und dramatische Dichtkunst. Ihn zitierte im selben J a h r P. v. Bohlen in „Das alte Indien" (Königsberg 1830) 77 bei einer ähnlichen Einteilung (II, 186ff.) in seinem Kapitel „Literatur und Kunst". In diesem behandelte er erst in unhistorischer Weise die Epen (dazu schon vorher Veden und Rechtsbücher) und stellte diesen als dem „ersten Kreis" die profane Literatur gegenüber (II, 374). Das zweite großartige, hier zu erwähnende Werk ist von A. Weber : „Akademische Vorlesungen über indische Literaturgeschichte", Berlin 1852.78 I n der ersten Hälfte untersucht er mit damals neuer Exaktheit die Chronologie der vedischen Literatur, in der zweiten die „zweite Periode", die Sanskrit-Literatur, d. h. Epen, Puranen, Kunstepen, Dramen, Lyrik, ethisch-didaktische Poesie (Sprüche, Fabeln, Märchen, Roman), wissenschaftliche und bud-

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dhistische Literatur. Weber faßt also mit seiner 2. Periode die 2.-4. Schlegels zusammen, bemüht sich auch hier um die Chronologie, aber schreibt keine zusammenhängende Geschichte der altindischen Literatur, allenfalls eine der Gattungen (Epos, Drama, Lyrik, Erzählung) oder von deren Arten (Fabel, Märchen, Roman). Wichtig wurde seine Unterscheidung der zunächst mündlichen Überlieferung von dem späteren Abschreiben der Literatur (171 f.), die er zusammen mit den sprachlichen (Vedisch- Sanskrit) und stofflichen Unterschieden seiner beiden Perioden erwähnt (165ff.). Ungefähr gleichzeitig hat Chr. Lassen in den vier Bänden seiner „Indischen Altertumskunde" (Leipzig-London 1847—1873) die altindische Literatur teils als Quelle seiner Gesamtdarstellung Indiens, andererseits an sich in einzelnen, Kapiteln seiner Bände zur Charakterisierung der Kultur zu behandeln gehabt, Veda und Epos im I. Band, während er im I I . Band (1852) die Zeit von Buddha bis auf die jüngere Guptadynastie (genauer 319 u. Z.) behandelte 7 9 (die folgenden Bände behandeln, was wir Feudalismus nennen). Er setzte Kälidäsa und Südraka in diese für sie zu frühe Zeit. Ungefähr gleichzeitig hat auch M. Müller seine „History of Ancient Sanskrit Literature" 8 0 geschrieben (London 1851 — 1859), die aber nur die vedische behandelt. Sie ist berühmt wegen der zeitlichen Einschätzung: 1200—1000 für die vedischen Lieder, 800-600 für die Brähmanas und 600—200 für die Sütras. Übergehen wir die Arbeiten L. v. Schoeders (1887), R. W. Frazers (1898), R. Pischels (1902), A. Baumgartens (1902) und A. Macdonells (1903),81 so ist als das grundlegende Werk dieses Forschungsgebiets das von H . Oldenberg: „Die Literatur des alten Indien" (1903) hervorzuheben. Wie Schlegel sieht Oldenberg die Entwicklung der Literatur im engsten Zusammenhang mit der der Religion und unterteilt sie in ähnliche vier Perioden: 1. Rgveda, 2. alte Upanishaden samt Buddhismus, 3. Epen samt Manu und 4. „Kunstdichtung": Kälidäsa bis Bhavabhüti. Aber er hat eine neue, an sich richtige Konzeption der indischen Geschichte überhaupt als des langen Prozesses der Mischung der Ärya und Vorärya, nur versteht er ihn einseitig und daher falsch als Dekadenz der Äryarasse vom rgvedischen, geradezu idealisiert germanisch vorgestellten Recken zum weichlichen Hindu. Zur Rassenmischung stellt Oldenberg die erschlaffende Wirkung des tropischen Klimas (14) und wenigstens eine Andeutung der Gesellschaftsgeschichte: Ärya werden Herren von Sklaven, satte Besitzer unbegrenzt scheinender Äcker; der König, der Adlige wird der „Esser" 82 des gemeinen Mannes, es fehlt an großen Kämpfen zur Begründung großer Staaten, an Spannungen von Willen gegen Willen, „wie sie den Gemeinwesen der antiken Welt ihre unvergleichlich lebensvolle Form gegeben h a t " (15). Diese anregende Konstrastierung von Indern und Griechen tritt öfters hervor. 83 Seine Dekadenztheorie aber läßt Oldenberg das reife Mannesalter indischer Literatur und Kultur schon in den alten Upanishaden und vor allem im alten Buddhismus von 800—300 v. u. Z. sehen; auch diese Periode bringt er mit Rassenmischung (65f.), aber zugleich mit der Entwicklung von Stadt (68) und

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Despotismus (70) in Zusammenhang, vor allem mit dem neuen Ideal des religiösen Menschen, des sramana, statt des Brahmanen, des älteren Magiers (84ff.). Als brahmanische, hinduistische Reaktion gegen Buddhismus (134f.) f a ß t Oldenberg die 3. Periode der Epen und Manus auf, ohne deren Zeiten genauer festzulegen; es muß sich wohl um 300 v. u. Z. bis 400 u. Z. handeln. E r schildert u. a. die hinduistische Umarbeitung der älteren Bardentradition aus der vedischen Zeit (132, 134, 157) in der neuen Literatursprache des Sanskrit s t a t t des Vedischen (136), und er erklärt damit die Tatsache, daß die indischen Epen weit später sind als die griechischen (146). Die vierte Periode u m f a ß t die Kunstdichtung von Kälidäsa bis B h a v a b h ü t i , d. h. die Zeit von 400-700 u. Z. (193); sie heißt einmal gar „das Mittelalter" (6). Oldenberg schreibt, daß mit der Schrift (seit dem 1. J a h r h u n d e r t v . u . Z . : 194) 84 , dem Luxusleben des „Städters" (198), das er nach dem K ä m a s ü t r a 8 5 schildert, mit der Fremdherrschaft der K u s h ä n und mit dem Aufstieg „zweifelhaftester Elemente" (wie der Kinder von Hetären, 195) die Dekadenz beschleunigt wurde. Zur Herausbildung der Kunstdichtung trug aber auch die Poetik bei (203). Als Kunstdichtung behandelt er die Lyrik (Kälidäsas Meghadöta, Bhartrhari, Amaru), die Erzählung (Pancatantra, Kathäsaritsägara, Kädambarl) und das D r a m a (Kälidäsa, Südraka, B h a v a b h ü t i , Visäkhadatta, Prabodhancandrodaya, Gltagovinda). Kälidäsas beide E p e n läßt er fort. Bei allem Lobe der Größe Kälidäsas kritisiert er das indische D r a m a wegen der Mängel seiner Handlung, der Fülle der Zufälle, des schwachen Charakters der Helden; s t a t t einer straffen Handlung ist da n u r „Begebenheit oder ein unsicher abgegrenzter Kreis von verwickelten, aufregenden, Stimmung erzeugenden Begebenheiten" (257) entsprechend „der müden, schwächlichen . . . Welt Indiens, die von Despoten und Priestern, von der Tyrannei der K a s t e beherrscht wurde" (255). Das D r a m a wird vom vedischen Tanz und Mysterien hergeleitet, auch wird auf Siva, den H e r r n der Tänzer verwiesen (237ff.). Auf die Probleme der dichterischen F o r m wird an vielen Stellen 8 6 mit viel Verständnis eingegangen. Aber die pathetischen Schlußsätze über die Literatur lauten: „Eine K u n s t , über deren reichen Schätzen im Kleinen Überspannung der Form, im Großen Formlosigkeit, nirgends das Maß waltet. Die K u n s t eines aus der natürlichen B a h n seines Lebens herausgeratenen Volkes, des Verwandten von Griechen und von asiatischen Wilden, erliegend unter der Aufgabe, welche die Grausamkeit der Weltgeschichte ihm gestellt hat, Unvereinbares zu vereinen". Da klingt Kiplings Kolonialistenstolz der Unvereinbarkeit von Ost u n d West an, der Goethes Kosmopolitismus, „Orient u n d Occident sind nicht mehr zu trennen", entgegengesetzt ist. Oldenberg ist mit seinem Äryastolz auf M. Müller zurückzuführen, der im J a h r e 1882 innerhalb der Sanskritliteratur n u r die vedische und die altbuddhistische f ü r wertvoll hielt, f ü r alt u n d natürlich, die spätere, die auf die Kushän-Invasion folgte, aber f ü r modern u n d künstlich, da sie niemals eine lebende und nationale Literatur gewesen sei (69f.). I n Veda (Upanisads) und Buddhismus fände man den Indogermanen mit seiner indischen, „passiven und meditativen" Seite des Charakters im Gegensatz zu Griechen,

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Germanen usw. (76). Diese Literatur sei deswegen von höchster Bedeutung. Man könne aber „nicht daran denken, der (späteren: W. R.) Sanskritliteratur eine Stelle unter den Weltliteraturen, 87 eine Stelle zur Seite der griechischen und lateinischen . . . und deutschen Literatur einzuräumen" (75). M. Müllers Einschätzung der klassischen indischen Literatur geht ihrerseits auf James Mill zurück, der 1820 Kälidäsa und die indische Literatur überhaupt als wertlos hingestellt hatte. E r hatte sich damit gegen W. Jones gewandt, der als Entdecker der áakuntala Kälidäsa mit Shakespeare verglichen hatte. 8 8 M. Müller trat in entsprechender Weise W. Jones, Herder und Goethe entgegen (73). Es gab also zwei Linien: Die eine ging von Jones und dem Mainzer Jakobiner Forster über Herder und Goethe bis zu u. a. A. L. Basham, den heutigen Indern, wie R. Thapar, K . Chaitanya, 8 9 und zu unserer Auffassung der Guptaliteratur als des echten Analogons zur griechischen Klassik, die andere 9 0 von Mill über M. Müller und H. Oldenberg zu M. Winternitz. Bei aller Bewunderung für Oldenbergs Leistung ist diese rassistische Grundkonzeption der indischen Entwicklung abzulehnen. Vielmehr ist das Vergleichen mit den Griechen sowohl wie das Herausstellen des komplizierten Verhältnisses von Basis und Überbau systematisch durchzuführen und sind nicht alle Gattungen der indischen Literatur auf Anfänge oder Vorformen im Veda zurückzuführen, sondern die Vorärya sind dafür mit heranzuziehen. Das konnte Oldenberg damals noch nicht wissen, denn die hohe Kultur des Industals der Bronzezeit war noch nicht entdeckt; und um ethnographische Literatur kümmerten sich Indologen im allgemeinen nicht. Die ältesten Fragmente von Dramenhandschriften aus der Kushänzeit hat H. Lüders erst 1911 bekannt gemacht. Ein J a h r nach Oldenberg, 1904, erschien der 1. Teil des I. Bandes der „Geschichte der indischen Literatur" von M. Winternitz, deren I I I . Band 1923; es war das Werk dreiundzwanzigjähriger Arbeit, ein Handbuch mit unerhört reichen bibliographischen Angaben, und doch auch für Laien geschrieben, auf A. Weber und L. v. Schroeder fußend, aber H. Oldenberg wegen seiner „ästhetischen Betrachtung" ablehnend (I, S. IX). Von Weber stammt im Grunde die Anlage des Ganzen: Der Veda, die Epen und Puranen, die buddhistische und (ganz kurz) die jinistische Literatur und schließlich die „Kunstliteratur", dazu die wissenschaftliche Literatur und ein Anhang über die „neuindische" Literatur. Dabei sind die knappen Abhandlungen über jinistische (57 Seiten) und über die „neuindische" Literatur (26 Seiten) von der Tamilliteratur des 2. Jahrhunderts u. Z. und der Hindiliteratur der Radschputen bis auf Tagore etwas Neues gewesen. H a t t e Weber 285 Seiten veröffentlicht, Oldenberg 300, so umfaßte Winternitz' Werk 1600 Seiten. Dabei war er sich am Ende bewußt, daß er keine „eigentliche Geschichte" der Literatur geschrieben hatte (III S. III), da die Chronologie der Werke zu unklar sei. Wie Weber hat Winternitz eher einzelne, untereinander nicht verknüpfte Geschichten der Gattungen bzw. von deren Arten verfaßt, vor allem der „Kunstdichtung": Kunstepos, lyrische, dramatische Dichtung, Erzählungsliteratur (Pañcatantra, Kathäsaritsägara,

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Kunstromane) und Campu (eine eigenartige Mischung von Vers und Prosa), aber auch der buddhistischen Päli-Literatur: Reden und Dialoge, Erzählungen, Lieder und Sprüche, und Abhidhamma-Scholastik. Dabei hat er zwischen schöner, religiöser und philosophischer Literatur der Buddhisten bzw. der vedischen und epischen brahmanischen Literatur nicht unterschieden. E r hat aber über das Alter der gesamten vedischen Literatur, der beiden Epen (wobei er den Harivamsa besonders behandelt hat) und der übrigen Literaturarten jeweils gesondert gehandelt. Was fehlt, ist eine historische und wertende Gesamtkonzeption. Dabei geht Winternitz ähnlich wie M. Müller davon aus, daß unser Interesse an der Sanskritliteratur auf Grund der indogermanischen „Geistesverwandtschaft" und „Kulturgemeinschaft" groß sei, er lehnt allerdings den Begriff einer indogermanischen Rasse ausdrücklich ab (I, 4f.) und distanziert sich von M. Müllers „idyllischer" Ausmalung der Höhe der rgvedischen Kultur (I, 60). Andererseits sieht Winternitz die „Kunstdichtung", 9 1 ohne es zu sagen, als eine Art Verfall an, wenn er betont, daß in ihr auf elegante Form und auf Gelehrsamkeit mehr Gewicht gelegt wurde als auf Erfindungsgabe und dichterisches Talent (III, 2); er charakterisiert sie als höfische Kunstdichtung (III, 38ff.), und nur gelegentlich nennt er Kälidäsa den berühmtesten Dichter der klassischen Sanskritliteratur (III, 40, 213ff.). Das Säkuntala ist ihm kein Drama in unserem Sinne, sondern ein Märchendrama, voll blinden Zufalls, an das man den Maßstab der griechischen Tragödie nicht anlegen dürfe 9 2 (III, 216 f.). E r folgt hier weitgehend H. Oldenberg. Er hat aber nicht wie dieser die Bedeutung der Schrift für die Literaturgeschichte erkannt (I, 29—37; II, 202; I I I , 180f.). Den Vergleich mit der griechischen Literatur hat er nicht systematisch durchgeführt (vgl. I I I , 371 ff.; 177), ebensowenig die soziologische Denkweise: auf vorarische Literatur ist er nicht eingegangen. Sein Werk wurde 1933—59 in Kalkutta in englischer Übersetzung in gewisser Neubearbeitung herausgebracht. H. v. Glasenapp hat mit seinem Buch „Die Literaturen Indiens von ihren Anfängen bis zur Gegenwart" (1929) das Verdienst errungen, die Literaturen in den heutigen Nationalsprachen vom Feudalismus bis zur Gegenwart mit in die Betrachtung der indischen Literatur einbezogen zu haben. E r hat aber keine durchgehenden Linien herausgearbeitet, sondern die „alt- und mittelindische Literatur" nach alter Art in a) heilige Schriften der Brahmanen (I: Veda, I I : Epen, Puranen, Ägamas, Sästras), der Jainas und Buddhisten und b) klassische Dichtung in Sanskrit und Präkrit (I: Epik und Lyrik, I I : Erzählungsliteratur und I I I : Drama) unterteilt, die „Literatur der neueren indoarischen Sprachen" in Hindi-, Urdu-, Sindhi usw., die „dravidischen Literaturen" in Tamil, TeluguLiteratur usw., und hat jeden Abschnitt, so gut es geht, historisch abgehandelt. Diese Darstellung hat er 1961 im wesentlichen nicht geändert. S. K. De hat 1947 die Geschichte der vedischen Literatur M. Müllers sozusagen ergänzt durch die der Sanskrit-Kunstdichtung. L. Renou und J . Filliozat haben 1947—49 und 1953 in ,,L' Inde Classique" die vedische und epische Literatur vor der „Sanskrit-Literatur" (d. h. Kunstdichtung: „Lyrik epischen Typs" [Kunstepos], eigentliche Lyrik, Erzählung, Roman, Theater) und der

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tamilischen, buddhistischen und jinistischen behandelt, und zwar in jeweils historischen Abschnitten, also im wesentlichen nach alter Art, aber im einzelnen mit sehr interessanten Charakterisierungen. Ihrer Gesamtanlage gemäß haben indische Historiker in der H C I P I — I I I (1951 und 1954) bei der Darstellung der verschiedenen Perioden der altindischen Geschichte — für uns sind fünf wichtig — jeweils Abschnitte über deren Literatur eingefügt: 1. Rgveda (I, 333ff.), 2. die anderen Samhitäs und die Brähmanas (I, 403ff.), 3. die Upanisads und Sütras (I, 467ff.), 4. die beiden Epen, Dharmasästras, Dramen (Asvaghosa, Bhäsa, Südraka), weltliche Sanskritdichtung (kävya) Asvaghosas, Avadäna, Metrik und Dramaturgie (II, 243—273), Palikanon (II, 396ff.), Jainakanon (II, 421 ff.) und Bhagavadgitä (437£f.) und 5. die Puranen, Kälidäsa, Drama und Kunstepos seiner Nachfolger, Fabel und Roman, Poetik und Metrik (III, 291—318). Die Abschnitte stammen von verschiedenen Autoren, und nur der Generalherausgeber K . M. Munshi hat in den Einleitungen der Bände eine Art Gesamtschau der Geschichte gegeben. 1954 hat V. Pisani in „Storia delle Letterature antiche dell' India" (Milano) eine bei aller Kürze umfassende und einheitliche Geschichte der Literatur in populärer Form veröffentlicht, die folgende Perioden unterscheidet: 1. die „vedische" mit einem kurzen Anhang über Buddhisten und Jainas, 2. die „protoklassische" von 326 v. u. Z. (Alexander) bis 200 u. Z. (Andhra) mit den Kanons der Buddhisten und Jainas, Häla, Välmlki, Asvaghosa, Gunädhya, Bhäsa, Mahäbhärata, Harivamsa, Puranen, Manu, Kautalya und Kämasütra, 3. die „klassische" Periode von den Gupta bis Harsha (Bharata, Dandin, Kälidäsa, Visäkhadatta, Südraka, Amaru, Pancatantra, Bhartrhari, Harsha, Lankävatärasütra), 4. die „nachklassische" Periode (Bhavabhüti bis zum 15. Jahrhundert) und 5. „Verfall und Erneuerung" (Mogul bis Tagore). Dies ist im einzelnen abweichend von der Periodisierung der HCIP. Leider hat er aber die Vorärya (19f.: Indusgesellschaft; 21: Matriarchat der Drawidas) nur kurz erwähnt, nicht nach ihrer Literatur gefragt (19f.), und hat in seiner 2. Periode griechische Einflüsse auf Lyrik (kävya), Epos, Roman und Drama angenommen, so daß er in europazentrischem Sinne dem indischen Geist nicht gerecht wird. 93 I m selben J a h r 1954 hat A. L. Basham in „The Wonder that was India" die Literatur in einem besonderen Kapitel in vedische, epische und klassische Sanskritliteratur, Päli-, Präkrit-, Tamil- und Volksliteratur unterteilt (399—478). 1965 hat D. D. Kosambi in seiner Kulturgeschichte außer dem Rgveda, den Epen den Upanishaden, und dem Buddhismus auch die „Sanskrit Literature and Drama" (von Häla bis Jayadeva; 198—208) kurz charakterisiert. — Auch in der indischen Geschichte von R. Thapar (1966) finden sich hier und da entsprechende Bemerkungen. K. Chaitanya schließlich hat 1962 in seinem Werk „A new History of Sanskrit Literature" wie Schlegel die Geschichte der Dichtung mit der von Religion, Philosophie und Wissenschaften verbunden und sie damit in eine Kulturgeschichte eingegliedert. Er hat wie Schlegel die vedische, epische und die Kunstdichtung unterschieden und die letzte nach Gattungen (Kunstepos, Drama,

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Erzählung — s a m t Campu — u n d Lyrik, u n d zwar religiöse, Liebes-, N a t u r und Lebensweisheitslyrik) unterteilt, die er jeweils historisch behandelt. E r h a t die buddhistische u n d jinistische L i t e r a t u r n u r gestreift u n d die späte L i t e r a t u r der Nationalsprachen nicht mitbehandelt. N u r im 1. Kapitel ü b e r den „kulturellen H i n t e r g r u n d " zeichnet er kurz die gesellschaftliche E n t w i c k l u n g v o n der I n d u s kultur (nicht der vorarischen Gentilgesellschaft) u n d den Ärya bis z u m reifen „ S t ä d t e r " (ohne die Schrift zu würdigen). E r k e n n t F r . Schlegel, A. Weber, H . Oldenberg nicht, liest von europäischen Sprachen n u r Englisch. Vergleiche mit den Griechen finden sich hier u n d da.

3. Dichtung

der vorarischen

Gentilgesellschaft9/1

Wie auf dem Gebiet der Philosophie ist es auch auf dem der D i c h t u n g einstweilen mangels Vorarbeiten nicht möglich, von verschiedenen S t u f e n ihrer Entwicklung bei den vorarischen S t ä m m e n zu sprechen. Besonders altertümlich sind einige Sitten der Birhor. 9 5 W a s E t h n o g r a p h e n in den letzten h u n d e r t J a h r e n gesammelt haben, ist einerseits ganz allgemein sehr u r t ü m l i c h u n d repräsentiert im wesentlichen noch das D e n k e n einer Gentilgesellschaft, steht aber zweifellos nicht a m Anfang der D i c h t u n g ü b e r h a u p t , sondern gehört der bereits zerfallenden klassenlosen Gesellschaft an. Andererseits ist es noch ein Teil fester, von keinem Stammesmitglied bezweifelter Traditionen 9 0 ; vieles ist alt überkommenes Literaturgut, 9 7 mündlich überliefert, mehr oder weniger jedem Mitglied einer Dorfgemeinde, einer Dörfergruppe oder eines S t a m m e s bek a n n t (außer gewissen W o r t e n der Magier), u n d zwar nicht als W e r k einzelner Dichterpersönlichkeiten b e k a n n t , sondern als ihr gemeinsames geistiges Gut. Lieder, die in diesem Sinne Allgemeingut sind, h a b e n wie alle Volkslieder keine bekannten Verfasser u n d liegen hier u n d da in m e h r oder weniger abweichenden Varianten 9 8 v o r ; andere a n o n y m e Lieder sind eine Zeitlang in einem kleinen Gebiet beliebt (wie Schlager) u n d werden schnell vergessen. 9 9 Diese D i c h t u n g h a t sich noch nicht von wissenschaftlicher, religiöser, kultischer, rechtlicher oder philosophischer L i t e r a t u r getrennt, wenn auch die drei G a t t u n g e n der Lyrik, Epik u n d D r a m a t i k schon in sehr frühen F o r m e n v o r h a n d e n sind. Sie ist das geistige E r b e der betreffenden Gruppe, in d e m die magisch-mythologische oder animistische Weltanschauung ihre dichterische F o r m findet. Sie dient u. a. der Erziehung der Gruppen- oder Stammesgenossen in den Traditionen, gibt ihnen das stolze Bewußtsein der Gemeinschaftszugehörigkeit in einer ihnen ausreichend verständlich erscheinenden natürlichen u n d gesellschaftlichen U m w e l t u n d befähigt sie z u m H a n d e l n im Sinne der gentilen Ideale. Andererseits gehört unser Material einer bereits zerfallenen Gentilgesellschaft der Stufe der militärischen Demokratie an. 100 Das zeigen u. a. die kriegerischen Stammeserinnerungen u n d das dichterische Gestalten des schlechten gesellschaftlichen Gewissens d e m Armen, dem gerichtlich Belangten u n d d e m K n e c h t gegenüber. 1 0 1 Die vorarische Stammesgesellschaft ist im L a u f e der letzten drei

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Erzählung — s a m t Campu — u n d Lyrik, u n d zwar religiöse, Liebes-, N a t u r und Lebensweisheitslyrik) unterteilt, die er jeweils historisch behandelt. E r h a t die buddhistische u n d jinistische L i t e r a t u r n u r gestreift u n d die späte L i t e r a t u r der Nationalsprachen nicht mitbehandelt. N u r im 1. Kapitel ü b e r den „kulturellen H i n t e r g r u n d " zeichnet er kurz die gesellschaftliche E n t w i c k l u n g v o n der I n d u s kultur (nicht der vorarischen Gentilgesellschaft) u n d den Ärya bis z u m reifen „ S t ä d t e r " (ohne die Schrift zu würdigen). E r k e n n t F r . Schlegel, A. Weber, H . Oldenberg nicht, liest von europäischen Sprachen n u r Englisch. Vergleiche mit den Griechen finden sich hier u n d da.

3. Dichtung

der vorarischen

Gentilgesellschaft9/1

Wie auf dem Gebiet der Philosophie ist es auch auf dem der D i c h t u n g einstweilen mangels Vorarbeiten nicht möglich, von verschiedenen S t u f e n ihrer Entwicklung bei den vorarischen S t ä m m e n zu sprechen. Besonders altertümlich sind einige Sitten der Birhor. 9 5 W a s E t h n o g r a p h e n in den letzten h u n d e r t J a h r e n gesammelt haben, ist einerseits ganz allgemein sehr u r t ü m l i c h u n d repräsentiert im wesentlichen noch das D e n k e n einer Gentilgesellschaft, steht aber zweifellos nicht a m Anfang der D i c h t u n g ü b e r h a u p t , sondern gehört der bereits zerfallenden klassenlosen Gesellschaft an. Andererseits ist es noch ein Teil fester, von keinem Stammesmitglied bezweifelter Traditionen 9 0 ; vieles ist alt überkommenes Literaturgut, 9 7 mündlich überliefert, mehr oder weniger jedem Mitglied einer Dorfgemeinde, einer Dörfergruppe oder eines S t a m m e s bek a n n t (außer gewissen W o r t e n der Magier), u n d zwar nicht als W e r k einzelner Dichterpersönlichkeiten b e k a n n t , sondern als ihr gemeinsames geistiges Gut. Lieder, die in diesem Sinne Allgemeingut sind, h a b e n wie alle Volkslieder keine bekannten Verfasser u n d liegen hier u n d da in m e h r oder weniger abweichenden Varianten 9 8 v o r ; andere a n o n y m e Lieder sind eine Zeitlang in einem kleinen Gebiet beliebt (wie Schlager) u n d werden schnell vergessen. 9 9 Diese D i c h t u n g h a t sich noch nicht von wissenschaftlicher, religiöser, kultischer, rechtlicher oder philosophischer L i t e r a t u r getrennt, wenn auch die drei G a t t u n g e n der Lyrik, Epik u n d D r a m a t i k schon in sehr frühen F o r m e n v o r h a n d e n sind. Sie ist das geistige E r b e der betreffenden Gruppe, in d e m die magisch-mythologische oder animistische Weltanschauung ihre dichterische F o r m findet. Sie dient u. a. der Erziehung der Gruppen- oder Stammesgenossen in den Traditionen, gibt ihnen das stolze Bewußtsein der Gemeinschaftszugehörigkeit in einer ihnen ausreichend verständlich erscheinenden natürlichen u n d gesellschaftlichen U m w e l t u n d befähigt sie z u m H a n d e l n im Sinne der gentilen Ideale. Andererseits gehört unser Material einer bereits zerfallenen Gentilgesellschaft der Stufe der militärischen Demokratie an. 100 Das zeigen u. a. die kriegerischen Stammeserinnerungen u n d das dichterische Gestalten des schlechten gesellschaftlichen Gewissens d e m Armen, dem gerichtlich Belangten u n d d e m K n e c h t gegenüber. 1 0 1 Die vorarische Stammesgesellschaft ist im L a u f e der letzten drei

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Einleitung, 3a

bis vier Jahrtausende langsam aus eigener Entwicklung heraus zerfallen, aber auch durch das Einbrechen hinduistischer, islamischer und christlicher Elemente insbesondere auf dem Gebiet der Dichtung, wie es u. a. gelegentliches, mehr oder weniger stark in ihr ausgeprägtes pessimistisches und fatalistisches Denken 1 0 2 neben eingedrungenen Motiven und Typen fremder Volksdichtung 103 zeigt. Dieses fremde Ideengut läßt sich verhältnismäßig leicht aussondern, und dann bleibt eine Dichtung übrig, die sich in diesen 3 bis 4 Jahrtausenden so wenig geändert zu haben scheint wie die Stammesgesellschaft mit ihrem Totemismus und Animismus. Diese gentile Gesellschaft stagnierte mit ihrer Dichtung noch mehr als die gesamtindische vor dem 19. Jahrhundert u. Z. Mögen auch zahllose Einzelheiten verändert worden sein, für eine Änderung der Typen dieser gentilen Dichtung lag kein Grund vor. Wieweit die Vielfältigkeit unseres Materials 104 Zeichen der Reife der gesellschaftlichen Entwicklung ist, ist noch ungeklärt; erstaunlich ist sie. Fraglich ist auch einstweilen, ob es ein Zeichen des Zerfalls ist, wenn einiges dieser Literatur keine erkennbare Bindung an Magie und Mythologie mehr zu haben scheint. 105

a) L y r i k Lied, Musik, Tanz und Fest Die Lyrik wird im allgemeinen in Chorgesängen der Dorfgemeinde verwendet, teils mit, teils ohne Tanz, 106 d . h . Vers, Musik und Tanz 1 0 7 sind durch den Rhythmus als Element des festlich-freudigen Erlebens der Dorfgemeinde verbunden. Priester und Magier singen dagegen als einzelne ihre mehr oder weniger geheimen magischen Lieder, und auch einige Hirtenlieder werden von einzelnen gesungen. 108 Die Tänze sind an Feste der Jahreszeiten gebunden, damit auch die Lieder; 1 0 9 insofern gehören sie ganz allgemein zur vielseitigen Magie der Fruchtbarkeit. Bei den Tänzen ist teilweise noch deutlich, daß sie Bewegungen beim gemeinsamen Säen, Umpflanzen, Ernten und Dreschen des Reises nachahmen; 1 1 0 man singt ja auch im Chor bei allen diesen ermüdenden Arbeiten der verschiedenen Jahreszeiten, 111 ahmt also beim Fest freudig die Arbeit ohne zu arbeiten nach. Fraglich ist nur, ob und wieweit der Tanz noch als Analogiezauber aufgefaßt wird. Zum Tanz gehört seine feststehende Melodie, die für viele Texte variabel genug ist. Die Texte sind meist nur eine einzelne Strophe von vier Zeilen, beliebig oft wiederholt. 112 Man tanzt stets im Kreis, manchmal dabei vor- und zurückschreitend; dann gehören zwei Zeilen zum Vorwärts-, zwei zum Rückwärtsschreiten, und die Strophe erhält ein Element der Wiederholung 113 oder die Form eines Dialogs, etwa Frage und Antwort eines werbenden Jünglings und eines sich ihm verweigernden Mädchens. 114 Chorlieder ohne Tanz werden bei verschiedenen Anlässen gesungen, z. B. der Arbeit, soweit sie gemeinsam getan wird, vor allem beim Umpflanzen Reises, wenn bis zu zwanzig Frauen sich die schwere, langwierige Arbeit Singen erleichtern. 115 Das Pflügen, Säen und Ernten dagegen verrichten

bei des mit die

Einleitung, 3 a

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Familien meist unter sich. Von Fruchtbarkeitsmagie ist nicht ausdrücklich die Rede; allenfalls mag es auf früherem Regenzauber beruhen, wenn bei dieser Gelegenheit mehrfach vom reichlich fallenden Regen gesungen wird. I n einem etwas längeren Lied wird scherzhaft gesungen, wie Tiere arbeiten: Der Krebs pflügt, die Fliege sät, der Frosch singt usw. 116 I m Chor quakende Frösche werden in dem berühmten rgvedischen Lied VII, 103 mit Brahmanen verglichen ; sie wecken den Regengott, nachdem sie ein J a h r lang geschlafen haben. Beide Lieder könnten als Regenzauber gemeint sein, unabhängig voneinander; aus dem Wortlaut beider geht dies nicht hervor. Beide Lieder sind aber auch wohl ein wenig humorvoll — das arische als Verspottung einer somatrunkenen Brahmanengruppe, das vorarische mit dem Motiv, daß Tiere den Menschen nachahmen. Es könnte sich hier um die merkwürdige Tatsache handeln, daß in der zerfallenden Gentilgesellschaft der Mythos nicht mehr immer voll erlebt, sondern zum Teil parodiert wird, worin man eine geradezu gesetzmäßige Erscheinung gesehen hat. 117 Eine gewisse Gruppe von Liedern wird ohne Tanz von Männern gesungen, zum Teil als Einzelgesang von Hirten. 1 1 8 Eine andere Gelegenheit für Chorlieder ohne Tanz bietet das gemeinsame Austreiben des Viehs der Dorfgemeinde, eine Art Wintersonnenwendfest: Männer singen zum Preise des Gottes Thakur, der die Erde, das Vieh, die Welt und den ersten Hirten geschaffen hat. Nachts singen die jungen Männer vor jedem Haus drei Strophen über das tägliche Ausziehen und Heimkehren des Viehs. Gemeint ist wohl: so möge es immer glücklich sein. Mädchen singen analog vor jedem Rinderpferch und laden die Götter ein, das Vieh zu segnen. Auf der Dorfstraße singen sie eine andere Weise über das Austreiben des Viehs a m kommenden Morgen. So geht es mehrere Tage. Aber sie singen auch zum Tanz und tanzen ohne zu singen, 119 machen Späße, führen eine kleine mimusartige Szene auf, verspotten sich gegenseitig in einer „etwas indezenten" Weise, meint der Santal-Gewährsmann, der diesen Bericht für einen Missionar aufsetzte, 120 und es wäre wiederum nützlich, solch ein vorarisches Fest mit vedischem und hinduistischem Kuhzauber im einzelnen zu vergleichen. 121 Chorlieder ohne Tanz sind weiter die „Waldlieder" der Santal, die bei der Jagd 1 2 2 von Jungen und Mädchen gesungen werden (auch beim Viehaustreibungsfest), angeblich wiederum indezente Lieder, die von Frauen, meist von geschiedenen, „geschaffen" und an die Mädchen weitergegeben werden, 123 während Männer die Hochzeitslieder „geschaffen" haben sollen. 124 Diese „indezenten" Lieder hat man leider nicht gesammelt. 125 Das Obszöne gehört irgendwie zum Fruchtbarkeitszauber als ein Element des „Dionysischen"; 126 aber der Zweck dieses Singens ist bei diesen Stämmen nicht vermerkt worden. Es dürfte sich kaum um Arbeitslieder handeln. — Solche sind dagegen u. a. die für die Birhor erwähnten Chorlieder der Treiber bei der Treibjagd zum Preise der Affen, die sie gegen ausgespannte Netze treiben; gleichzeitig steht angeblich ein Mädchen vor dem Netz und lädt mit einer mehrfach wiederholten Strophe die Affen ein, zu kommen und sich töten zu lassen. 127 Die Birhor haben hier einen Rest jener urtümlichen Jägermagie erhalten, die aus Angst vor der 3

Rüben, Dichtung

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R a c h e der Tiere leugnet, daß die J ä g e r ihre Beute töteten. 1 2 8 Diese Angst klingt einmal noch im P a n c a t a n t r a an, 1 2 9 war aber auch bei den rgvedischen Ärya üblich, 1 3 0 wenn diese b e h a u p t e t e n , das von ihnen gerade geopferte R i n d oder P f e r d nicht getötet (sondern mit seinem lebenden Leibe in den H i m m e l befördert) zu haben. Die Magie der jägerischen Birhor ist aber weit altertümlicher als die der arischen Pferdehirten mit ihrer bereits zerfallenen Gentilgesellschaft. Sie ist auch waldursprünglicher als das Singen u n d Tanzen der Santal u n d der anderen vorarischen S t ä m m e ; sie — oder einige Gruppen v o n ihnen — sind ja die primitivsten der heutigen Munda. Weitere tanzlose Chorlieder werden bei der Hochzeit gesungen. 1 3 1 Auch hier haben die Birhor etwas sehr Urtümliches erhalten: W ä h r e n d die B r a u t ins Dschungel flieht u n d der B r ä u t i g a m sie verfolgt, singen die Verwandten der B r a u t eine Strophe ü b e r deren Fliehen, ihnen a n t w o r t e n die des Bräutigams mit einer ü b e r dessen Verfolgen, bis sein Triumphschrei aus dem Walde ertönt. 1 3 2 Das Singen soll vielleicht beiden P a r t n e r n in magischer Weise K r a f t bei ihrem Wettlauf verleihen. David Tappen, der 1667 als Abenteurer von H a m b u r g ausfuhr, berichtet von den B u n u w a auf B a n k a 1 3 3 bei S u m a t r a , daß sie, äußerst primitive Menschen, mit Blasrohr auf Affenjagd gehen; bei der Hochzeit veranstalten sie einen Wettlauf der P a r t n e r , u n d der Mann m u ß die F r a u vor dem verabredeten Ziel „erhaschen", wobei diese beim Ablaufen vor ihm s t e h t ; sonst b r a u c h t sie ihn nicht zu nehmen. „Hierbey stehen beyderseits F r e u n d e " ; ob sie singen, wird nicht erwähnt. 1 3 4 D a n n erst beginnt die hochzeitliche Festlichkeit wie bei den ebenfalls ungemein primitiven, affenjagenden Birhor. W e t t k ä m p f e des B r a u t p a a r e s sind von vielen alten Völkern b e k a n n t geworden 1 3 5 , nicht aber von den übrigen Munda, die im allgemeinen keine Affen jagen. Aber die Asur singen nach Vollzug der Hochzeitriten des Abends im Chor u. a. ein Lied, in dem J ä g e r u n d Affen abwechselnd singen; die J ä g e r warnen die Affen, sie sollen fliehen,136 vielleicht ist gemeint, vor affenjagenden Birhor. Die Eheschließung 1 3 7 ist ein langer Vorgang, beginnend mit Aussenden des Brautwerbers in ein anderes Dorf, u n d schon bei der Verlobung der Santal singen beide Familien gemeinsam oder imWechselgesang feststehende S t r o p h e n : eine Strophe über ihre F r e u n d e singen auch die beiden Schwiegerväter. 1 3 8 Drei Tage vor der eigentlichen Hochzeit singen Mädchen, wenn sie den Bräutigam salben, dazu ein Lied, 1 3 9 ähnlich a m Tage der Hochzeit, 1 / , ü wenn er von seinem Dorf a u f b r i c h t ; d a n n singen sie auch mehrere Spottstrophen über seine Häßlichkeit, sein hohes Alter u n d die A r m u t seiner Eltern (46f.). I m Dorf der Braut heißt ihn deren Familie mit einem vierstrophigen Chor willkommen (51), d a n n fordern sie ihn ebenso auf, den Brautpreis zu zahlen (52), u n d bestätigen ebenso Geld, Kleider u n d andere erhaltene Geschenke im N a m e n der B r a u t , die sich d a f ü r lebenslang an ihn gebunden f ü h l t (53). Mit einer Strophe fordert die Seite der B r a u t einen Mann der Gegenseite auf, mit einem Schwert eine Ziege zu schlachten (54). D a n n f r a g t sie in einer Strophe die Gegenseite nach T o t e m klan u n d S t a m m des Bräutigams, in zwei weiteren erklärt sie sich bereit, beim B r a u t k a u f die W a a g e des Dorfschulzen als gültig anzuerkennen (57) (vielleicht

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ein Rest aus naturalwirtschaftlicher Zeit). Gegen Abend nach der Hochzeitszeremonie und dem gemeinsamen Essen singen die Männer beider Seiten ein langes Lied über das Glück des gemeinsamen Lebens im gut gebauten Hause; die letzte Zeile mahnt, daß bald der Herr des Totenreiches sie zu sich rufen wird. Die ganze Nacht wird getanzt zu Chorliedern. 141 Am nächsten Morgen singt die Seite des Mannes am Dorfende bei einer Abschiedszeremonie ein Chorlied, die Braut möge zu ihrem Haus (dem ihres Mannes) gehen, ihr väterliches Dorf werde verlassen sein (64f.). Im Dorf des Bräutigams angekommen, singen Frauen und Mädchen seiner Seite Spottlieder auf die Braut, ein wörtliches Gegenstück zu denen auf den Bräutigam im Dorf der Braut (67). Vor dem Haus des Bräutigams wird die Hochzeitszeremonie wiederholt. Singende Mädchen verwehren der Braut den Eintritt ins Haus des Mannes und fordern sie auf, die „steinerne Tür" irgendwie zu öffnen; sie erkauft sich den Eintritt. Im Innern salben die Mädchen das Paar und singen, daß der „Prinz" die „Königin" gebracht, nachdem er die ganze Erde durchwandert hat (69). Am nächsten Tage schlachtet einer von der Seite der Braut eine Ziege mit einer Kampfaxt (71; statt mit dem Schwert wie oben). Die Hochzeitszeremonie wird noch einmal wiederholt, man feiert, ermahnt das Brautpaar und verabschiedet die Verwandten der Braut. Bei Eheschließungen anderer Mundastämme ist der Ablauf im großen ganzen ähnlich. 142 Unter den Chorliedern, die ohne Tanz am Hochzeitsabend von den Asur gesungen werden, haben einige — man kann sie kritische nennen 143 — die Klage der Mutter über den Verlust der Tochter durch die Heirat, des Bruders über den Verlust der Schwester zum Inhalt, Themen die auch in Kharia- und Uraon-Liedern vorkommen1'1'1 und in der klassischen Sanskritliteratur in Sakuntaläs lyrischem Abschied von ihrem väterlichen Heim ihren rührendsten Ausdruck fanden 1 ' 15 . Auch Klagen der Jungverheirateten Asurfrau, die wieder heim möchte, haben bei Kharias ihre Analoga. 140 Dabei gilt ihr das Überschreiten eines Flusses als besondere Schwierigkeit. In einem anderen Kharialied weist der Brautwerber darauf hin, daß er unterwegs aus zwölf Strömen und dreizehn Flüssen hat trinken müssen. 147 Flüsse sind wohl Grenzen zwischen den Dorfgemeinden, schwer zu überwinden wie für die rgvedischen Ärya. 148 In Uraon-Liedern wird mehr über den Schacher der Kaufehe geklagt. 1 ' 19 UraonHochzeitslieder sollen angeblich niemals Liebeslieder sein. 150 In Kharia-Liedern wird aber mehrfach die Liebe Unverheirateter besungen. 151 Wenn da einmal der Jüngling Hirten nach seiner verlorenen Geliebten fragt, so erinnert das an Rämas und Purüravas' Suchen und Fragen verschiedener Wesen im klassischen Sanskrit. 152 Aber ob dies Beispiele ausgesprochener Hochzeitslieder sind, 153 die auch bei Kharia nicht getanzt werden, 154 oder ob sie auch sonst gesungen und dann gar getanzt werden, ist von den Sammlern nicht gesagt worden. Fraglich ist auch noch die Bedeutung der Angabe, daß Hochzeitslieder der Santal von Männern „verfaßt" werden. 155 Bei den Vorärya gab es Initiationsriten. 156 Vor der Hochzeit muß ein Santal feierlich in den Stamm bzw. die Dorfgemeinde aufgenommen werden. Dabei 3»

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singen die Dorfgenossen tanzend ein Lied, das offenbar noch aus ihrer jägerischen Vergangenheit s t a m m t ; d a n n erzählen sie die Kosmogonie und Stammesgeschichte, essen und trinken und schließen das Fest mit Tanz und Gesang eines Liedes ab, das ihre Freude über das initiierte Kind ausdrückt. 1 5 7 Die zweimalige Verbindung von Gesang u n d Tanz stellt diese Feier zu den Jahreszeitfesten, unterscheidet sie aber von den Feiern des Lebenslaufs, wie Hochzeit u n d Bestattung. Am Totenbett singen Frauen ohne Tanz traditionelle Klagestrophen, verschieden f ü r eine Mutter, einen Vater, einen Gatten und ein Kind. Dazu „erwähnen" sie persönlich Erlebtes (vielleicht in freien Rhythmen 1 5 8 ). Nach der Verbrennung sammeln die Männer (die F r a u e n bleiben zu Hause) einige Knochen des Toten und singen ohne Tanz dabei zwei Strophen, einen Geier anrufend, er möge Knochen des Vaters auslesen. 159 Vielleicht ist das ein Rest der Zeit, als man Leichen aussetzte und Geiern überließ. 160 Ohne Tanz singen die Santal, wenn sie an Sommerabenden zusammensitzen, schließlich die sogenannten folk-tale songs.mi E s mag sich u m Chorlieder handeln, die sie zwischen Erzählungen von allerlei Geschichten singen, vielleicht um epische Lieder, die Erzählungen zum Inhalt haben, oder um die in vielen Prosaerzählungen aller Zeiten und Gegenden üblichen Strophen. Die Santal erzählen ihre Kosmogonie und Stammesgeschichte 1 6 2 bei der Initiation (s. o.) in Prosa, aber da, wo die ersten beiden Menschen aus zwei Eiern der beiden Urvögel geboren wurden, heißt es, sangen die Vögel zwei Strophen, 1 6 3 bzw. in einer Variante die Menschlein noch im Ei, über dieses wunderbare Ereignis. Dieses Santal-Urahnenpaar bekam sieben J u n g e n und sieben Mädchen; die Mädchen sammelten mit der Mutter, die K n a b e n jagten mit dem Vater im W a l d ; d a n n tanzten und sangen die Mädchen eine Strophe, eine Naturschilderung, die K n a b e n aber sangen eine Jagdstrophe. Danach heirateten diese sieben Geschwisterpaare u n d begründeten sieben Totemklans. 1 0 4 I n einer Variante singt der Gott, als er jene beiden Vögel geschaffen h a t , eine Strophe. 1 6 5 I n dieser Kosmogonie stehen diesen Strophen andere Strophen eines zweiten Typs gegenüber, die nicht von den Gestalten des Mythos gesungen werden, sondern die damit eingeleitet werden, daß die Santal über diesen oder jenen P u n k t der Erzählung diese und jene Strophen zu singen pflegen. 166 Da gibt es u. a. ein Dialoglied von zwei Strophen, gesungen von dem U r a h n e n p a a r während des Sintbrandes. 1 6 7 E s gibt weiter zwei Strophen eines dritten Typs, die wie Gedächtnisstützen a n m u t e n und vor allem die in der Stammesgeschichte vorkommenden Ortsnamen in der Reihenfolge der Stammeswanderung enthalten; ohne die vorhergehende und folgende Prosa 1 6 8 sind sie unverständlich. I n einer ist bei vier Orten jeweils von „wir wurden geboren" und dergleichen die Rede; dieses „Wir" bezeichnet in der ersten und dritten Zeile der Strophe das Urahnenpaar, in der zweiten und vierten die sieben (bzw. zwölf) Klans der Santal. Beide Lieder enthalten die bis zu diesem P u n k t in der Prosa vorkommenden Ortsnamen. Diese sind mythologisch. Die folgenden aber sind wahrseichnlich historische 1 6 9 Ortsnamen und sind durch keine Strophen mehr

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gestützt. Wenn da die Gangä genannt wird, werden fünf Strophen angeführt aus zwei Liedern, von denen das zweite ein Fischerlied ist i 7 ° und zu den Chortanzliedern gehören dürfte; beide belegen sozusagen aus der Folklore der Santal ihre Bekanntschaft mit der Gangä und damit ihren Aufenthalt an deren beiden Ufern. Dort besaßen sie u. a. eine Campa-Festung, wurden aber aus ihr durch Deko (Hindus) vertrieben. Bald waren sie, bald die Deko Herren der Festung. Dafür wird ein episches Lied der Santal, Vertreter eines vierten Typs, angeführt von zwei Dekobrüdern, die die Festung verloren haben und wiedergewinnen wollen. Die Santal hatten aber auch Kämpfe untereinander, das belegt ein Lied von vier Strophen. 171 Die nachfolgenden Zeiten, als die Santal in ihrer jetzigen Heimat lebten, werden ohne Lieder nur in Prosa erzählt. Ob einer von diesen vier Liedtypen als folk-tale song (s. o.) aufzufassen ist, ist noch unklar. Strophen des 2 . - 4 . Typs innerhalb dieser epischen Prosa kann man sich als Vorläufer der episch-puranischen Dichtung der Hindus, als altertümlichste Formen indischer epischer Lieder denken. 172 Die letzten beiden Kampflieder des 4. Typs kann man insbesondere mit rgvedischen Liedern vergleichen. 173 Das epische Lied begann offenbar in der militärischen Demokratie mit ihren ständigen Kriegen. Die Verse des 1. Typs sind in der Volksliteratur aller Kontinente und Zeiten vielfach belegt. 174 Unter anderem ist an Strophen zu denken, die in Varianten des Grimmschen Märchens vom singenden Knochen vorkommen; bei den Birhor singt (!) klagend in einer solchen der Bambus, in den ein ermordetes Mädchen eingegangen ist. I n einem anderen Birhor-Märchen singt ein erstauntes Mädchen eine Strophe, in einem dritten singen zwei in Pflanzen verwandelte Kinder ein Dialoglied. Auch bei Santal hat man ein solches Dialoglied in einem Märchen gefunden. 175 I n einem Santal-Märchen (vom Typ des Gaudeif) klagen Kinder in gesungenen Strophen; 1 7 6 in einem zweiten klagt eine unglückliche Prinzessin, und es heißt: „Nun haben sie diese Klage zu einem Lied gemacht", und dessen drei Strophen werden angeführt bzw. gesungen. 177 I n einem dritten ruft ein Junge weinend Wundervögel in einer Strophe, ohne daß dies singen genannt würde; 1 7 8 in diesem Märchen fragt der Junge, der seine von einem Zauberer (yogi) entführte Mutter sucht, Strophen singend, verschiedene Hirten, einen Baum und ein Eichhörnchen nach dem Weg des Entführers, 1 7 9 was wiederum an Räma und Purüravas erinnert. I n einem anderen Märchen singen klagende Eltern eine offenbar allgemein bekannte Strophe, 180 und auch in zwei Tierfabeln singt bei Gelegenheit ein Schakal passende Tanzliedstrophen, 181 aber nicht aus Kummer, sondern aus Schadenfreude. Diese Vorärya haben damit bis heute den altertümlichen Zustand erhalten, daß solche Strophen in Märchen gesungen, nicht wie in den Märchen des P a n c a t a n t r a oder der Gebrüder Grimm gesprochen werden. 182 Solche Strophen verschiedenen Typs heben stimmungsvoll gewisse Höhepunkte der Erzählung hervor; sie sind verhältnismäßig selten, und wie es kam, daß sie in die Prosa eingefügt worden sind, ist noch ungeklärt. Auf jeden Fall halten sie noch an der anscheinend ursprünglichen Verbindung von Lyrik und

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Gesang fest, aber Tanz ist hier nicht angedeutet. Es gab auch Tänze ohne Chorgesang, wie den Schwerttanz; es gab Chorgesang ohne Tänze bei Hochzeit und Bestattung, aber es gab keine Chorrezitation von Gedichten. Es gab keinen Einzelgesang mit Tanz, wohl aber ohne Tanz, in solchen Märchen und beim Priester und Magier (s. u.), und vielleicht sang hier und da ein einzelner Wanderer, sicher ein Hirt oder ein sonstiger allein Arbeitender. Es gab auch keine Einzelrezitation von Lyrik, wohl Flöteblasen des Hirten in seiner Einsamkeit. 183 Zusammenfassend kann man sagen, daß bei den gentilen Vorärya grundsätzlich die Loslösung der Lyrik von Musik und Tanz noch nicht erfolgt war, so sehr auch ihre Gentilgesellschaft schon zerfiel. Man kann bei den Vorärya schließlich von einer Vorform der späteren hinduistischen religiösen Lyrik sprechen. Sie besteht in Anrufungen der Götter und Geister mit magischer Absicht innerhalb magischer Riten, vollzogen vom Dorfpriester, vom Magier oder vom Hausvater. Es handelt sich offenbar bei allen Dreien um eine Art Singsang, ohne ausgesprochene Metrik oder Melodie, begleitet von Handbewegungen, wie Reiben von etwas Reis auf einer Worfel.18'1 Die Götter und Geister werden zu einem Ritus eingeladen oder um Wohlergehen gebeten, je nach dem Zweck des betreffenden Ritus. Den genauen Wortlaut dieser magischen „Lyrik" Sammlern mitzuteilen, erlaubt man den Priestern nicht. 185 Alles in allem läßt sich heute die vielseitige und bedeutende Rolle der Lyrik in dieser Gentilgesellschaft schon ausführlicher zeigen als auf den höheren Stufen der altindischen Gesellschaft, obgleich sie auf diesen wohl kaum geringer war. Damit, daß diese Vorärya von der I I . Periode ab zu Südras, d. h. den Volksmassen, wurden, ist ihre Lyrik sicher irgendwie in die hinduistische eingegangen. Inhalt der Lieder Man kann bei den Munda Lieder der Natur, der Liebe und anderer Themen unterscheiden. Im folgenden ist nur einiges von dem zusammengestellt, was einem Vergleich dieser vorarischen mit der arischen gentilen Lyrik des Rgveda einerseits, der späteren indischen Lyrik andererseits dienen kann. In der Naturlyrik dieser Waldbewohner spielt der Wald eine beträchtliche Rolle. Eine Strophe drückt die Freude der Menschen aus, die die Waldbäume in Blüte sehen, während Vögel von Ast zu Ast fliegen;180 eine andere redet einen solchen Vogel an (18); 1 8 7 eine dritte schildert einen Papagei, der in Kadambabäumen auf einer goldenen, einer silbernen Schaukel schaukelt (20; cf. 37); es handelt sich um allgemeine, alltägliche Beobachtungen mit schlichter Liebe zur Natur, noch frei von späterer Waldromantik, wie Städter sie fühlen. Andere Strophen behandeln den Tagesablauf; eine bedauert den Untergang der Sonne und den Einbruch der Dunkelheit (1); andere aber drücken Freude über den aufkommenden Mond aus und vergleichen ihn mit einem Schirm (aus geflochtenem hellen Stroh) und mit einem Mann, der mit Würfeln, den Sternen, spielt (2; 3). 188 Vom Rgveda an pflegten Inder das Verlöschen der Lichter und die freudige Wiederkehr der Morgenröte sowohl wie die Ruhe des Abends und

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die W o h l t a t der N a c h t in immer neuen Formen, häufig mythologisiert oder religiös ausgekostet, zu besingen. 1 8 9 Neben den Tageszeiten regten die Jahreszeiten die mundaischen Dichter zu mannigfachen Liedern an, vor allem die Regenzeit, die f ü r die F r u c h t b a r k e i t der Felder u n d Weiden ausschlaggebend ist u n d mit ihrem strömenden, reichlichen Regen nach der Hitze des Sommers dem Menschen auch körperlich wohltut. Vier Monate Regen stehen nach einer Strophe zwischen ebensovielen der H i t z e u n d der Kälte. F ü r die rgvedischen Priesterdichter war aber auch der Regen ein Gott, den m a n verherrlichte, u m ihn zu beschwören, 1 9 0 u n d ebenso das Feuer, der mythologisierte W a l d b r a n d der Sommerzeit, den Vorarier in T a n z liedern ohne Mythologie mit F r e u d e besangen. 1 9 1 I n der Mundalyrik liegt hier die Vorstufe der hinduistischen Lyrik der Schilderung der Jahreszeiten vor. 1 9 2 Die Strophen der Liebeslyrik schildern meist in A n d e u t u n g e n die Situation eines Verliebten leider oft so k n a p p , daß wir sie k a u m v e r s t e h e n : Ein J ü n g l i n g folgt seiner Geliebten in den Wald, in dem sie sich versteckt h a t , aber ihr glitzernder K o p f s c h m u c k verrät sie (67). 193 Ein anderer Jüngling folgt heimlich seiner Geliebten, wenn sie weithin am F l u ß entlang geht (68). Die Macht der Flöte ist groß, Liebe im Mädchen zu wecken, sie weinen u n d ihre E l t e r n u m ihre Verheiratung b i t t e n zu lassen (70f.). 194 U m g e k e h r t vergleicht eine Strophe die Liebe eines Mannes zu seiner F r a u mit der zu seiner Trommel. E s klingt f ü r uns wie das tiefe persönliche Bekenntnis eines Musikers, wenn eine Strophe l a u t e t : „Kauf Dir eine Trommel, Bruder, u n d du wirst empfinden, als habest d u eine F r a u (gekauft); wenn die Trommel zerbricht, Bruder, wirst du empfinden, wie wenn deine F r a u dich verlassen hat". 1 9 5 Aber eine Variante mit der Anrede an die Mutter, die d e m Jüngling eine F r a u g e k a u f t hat, 1 9 6 zeigt, daß dies Motiv im heutigen Mundagebiet weit verbreitet ist. E s erinnert den Sanskritisten an eine Strophe des Rgveda, 1 9 7 aber auch a n eine Kälidäsas ü b e r König A j a , dessen heißgeliebte Gattin in O h n m a c h t gefallen ist: „Er, der Liebende, n a h m die F r a u u n d legte sie auf seinen Schoß, a n den sie gewöhnt war, sie, die wegen ihrer O h n m a c h t denselben Z u s t a n d h a t t e wie eine L a u t e , deren Saiten nicht gespannt sind." (Rghv V I I I , 41) F r a u u n d L a u t e pflegte er auf dem Schoß zu halten; beide liebte er. Der Vergleich der L a u t e auf dem Schöße des Liebhabers, die er mit seinen Fingernägeln zur Erregung bringt, mit einem Mädchen, das er durch seine Zuneigung in Liebe, durch Eifersucht in Zorn versetzt, k o m m t in d e m D r a m a Südrakas 1 9 8 vor. E s ist noch nicht zu entscheiden, ob solch ein Motiv aus klassischer Sanskritdichtung in die der S t ä m m e gewandert ist oder umgekehrt. Die frühere Theorie von Volkskunst als ganz allgemein abgesunkenem K u l t u r g u t ist f ü r uns heute nicht mehr als gültig anzuerkennen, weil sie die K r a f t des Volkes verkennt. Aber das gentilzeitliche Alter solcher S t r o p h e n ist a u c h nicht mit Sicherheit zu beweisen. Man k ö n n t e Analoga vielleicht bei S t ä m m e n finden, die keine solchen Einflüsse v o n Klassengesellschaften wie die indischen S t ä m m e erfahren h a b e n können, wie es z. B. bei der mundaischen Vorstellung der Wiedergeburt 1 9 9 möglich ist. Grundsätzlich m u ß der Indologe jedenfalls auch auf dem Gebiet der schönen L i t e r a t u r von der der W a l d s t ä m m e

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ausgehen. 200 Dies Lied ist daher zunächst nur ein Beispiel, das zeigt, daß sowohl in dieser gentilen wie später in der klassischen altindischen Dichtung Lyrik großen- oder größtenteils aus Einzelstrophen bestand und in Bildern sprach, in Vergleichen, 201 wie hier Musikinstrument und Geliebte verglichen werden. Dieser Charakter der altindischen Dichtung ist bisher jedenfalls weder aus indoeuropäischer noch altorientalischer Literatur abgeleitet worden, könnte also letzten Endes aus den Festtänzen und Chorliedern vorarischer Stämme herzuleiten sein, die eine solche uns heute noch erfreuende Strophe vielfach wiederholend singen und tanzen. Keiner kann einstweilen ihr Alter schätzen. Als neu lassen sich für uns nur die Strophen erkennen, die aktuelle Ereignisse behandeln, wie z. B. den ersten Weltkrieg. 202 Ein Mann fragt Hirten nach dem Weg, den seine Geliebte in den wilden Wald gegangen ist; weinend ist sie fortgelaufen (72) 203 (vielleicht trauernd über einen Zwist mit dem Jüngling?). Ein anderes Mädchen wartet im Wald auf den Geliebten, seit um Mitternacht die Goldamsel singt, aber er kommt erst am Morgen (73). Der Ruf der Goldamsel war vielleicht ein verabredetes Zeichen. Jemand fragt ein Mädchen, wieso ihr Ohrring in den Eluß gefallen ist; offenbar hat sie ihn dort bei einem Stelldichein verloren (75f.). Wir können noch nicht herauslesen, ob dies lustig, warnend oder anklagend gemeint ist. Wie dem auch sei, diese vorarisch-gentile Liebeslyrik sticht mit ihrer Zurückhaltung von der rgvedischen, stark erotischen Liebeslyrik 204 ebenso ab wie von der späteren indischen. 205 In der Dorfgemeinde war Brautkauf zwar üblich, das Mädchen also ein Gegenstand des Verkaufs, aber zwischen beiden Geschlechtern war vor der Hochzeit in den Jünglings- und Mädchenhäusern ein ziemlich freier Verkehr erlaubt, so daß an sich kein Anreiz zu der Art der Erotik der Klassengesellschaft bestand. Andere Strophen kritisieren in gewisser Weise das gesellschaftliche Leben. 206 So fragt eine Strophe, wessen Ochse einen Zweig gefressen hat, und antwortet: Es war der Ochse des Priesters (28). Das ist Spott gegen den Priester, der in der Dorfgemeinde dafür zu sorgen hat, daß kein Unrecht geschieht, es aber selbst verschuldet hat. 207 — Eine Strophe fordert die Jünglinge auf, statt Glückspiele das nur von Geschicklichkeit abhängige Murmelspiel zu spielen (121), ein Thema, das bei der Leidenschaft mancher rgvedischen und hinduistischen Kreise f ü r das Würfelspiel seine Bedeutung in der späteren Literatur nicht verloren hat. 2 0 8 Man kritisiert auch den Schacher beim Brautkauf. 2 0 9 Aber das Thema des Gegensatzes von arm und reich spielt in dieser Lyrik anscheinend noch keine Rolle, wie doch vom Rgveda an immer wieder in der altindischen Dichtung. 210 Alle diese Themen passen so gut in ihre gentile Gesellschaft, daß sie, obgleich sie erst vor kurzer Zeit gesammelt worden sind, bronzezeitlich sein können. Was ihre Form angeht, so ist wichtig: 1. Es handelt sich um Einzelstrophen, die es auch in der späteren indischen Lyrik gibt. 211 2. Die Strophen enthalten oft Vergleiche. So wird eine Gruppe von Reihern am Ufer eines Teiches mit Richtern verglichen (22f.), eine Braut mit der Goldamsel oder der Taube (82f.), der Schwiegersohn mit einer Gazelle oder einem Hirsch (81).212 3. Die Dichter

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arbeiten gerne mit Wiederholungen 213 von Versteilen, so daß zwei Zeilen sich nur gering unterscheiden: Der schwankende bzw. der grüne oder kleine Bambus ist auf dem Berg gewachsen (16f.). — Welcher Vogel schreit auf dem Tuntiberg? Den Kuckuck jagt er. Wieweit ist es noch bis zum Tuntiberg? Den Kuckuck jagt er (43). — Dieses Stilmittel ergibt sich zum Teil aus der Wiederholung von Tanzbewegungen 214 und aus der Notwendigkeit, die kurzen Strophen f ü r die langwährenden Tänze öfter zu wiederholen. I n der späteren Lyrik ist es häufig verwendet. 215 4. Jede Strophe ist getragen von einer bestimmten Stimmung, die der Dichter bzw. Sänger mitteilen möchte und die der Sänger bzw. Hörer ästhetisch genießt. Wer sie nicht heraushört, versteht das Lied nicht, ganz wie in der späteren Lyrik Indiens. 5. Die Strophen sind in der Mehrzahl mit einer Anrede an jemand gewendet, 216 sei es ein Bruder, eine Tochter, ein Freund oder die Sonne und der Mond. Die Schilderungen werden damit eindringlich, wirken persönlich oder als Teil eines Dialoges. 217 6. Es gibt gewisse Ansätze zu Reimen, Alliterationen, lautmalenden Wörtern. 218 I m Grunde gibt es demnach in den Liedern der vorarischen Gentilgesellschaft bereits die Vorformen der Elemente der späteren indischen Kunstdichtung. 2 1 9 Und doch sind diese zum Tanz gesungenen Lieder von den Gedichtstrophen eines Häla am Ende der V. Periode in ihrem Charakter verschieden, es fehlt ihnen noch der Geist des Städters mit seiner hohen Bildung. Die Entwicklung der Lyrik ist durch die dazwischen liegenden Perioden hindurch Schritt für Schritt zu verfolgen.

b) Epik Die Erzählkunst der Voräryastämme ist frei von Musik und Tanz, 220 ist nicht an eine gemeinsam arbeitende oder tanzende Gruppe gebunden und hat einen anderen Ursprung und Sinn als die Lyrik. Ein einzelner spricht belehrend zu einer Menge, und zwar entweder innerhalb einer kultischen oder einer profanen Veranstaltung. 2 2 1 I m ersten Falle handelt es sich um Mythen und Stammessagen, im zweiten um Gegenwartserzählungen, Märchen, Fabeln oder Witze, 222 in beiden Fällen um Angelegenheiten der Dorfgemeinde. Daß die Erzählung oder das Erzählen magische Wirkung habe, ist nicht belegt bzw. wird gar geleugnet. 223 Andererseits mag auch hier und da ein einzelner Alter in kleinerem, sozusagen privatem Rahmen erzählen. 224 Ein Santal trägt die Kosmogonie und Stammesgeschichte bei der Initiation vor, ein Baiga beim Zauber der E r d m u t t e r und des Dorfgottes, 225 und bei Birhors gehört Rezitation des Asur-Mythos zum Reispflanzungsfest. 226 Kharia erzählen ihre Epik wohl zusammen mit den Folktalesongs an Sommerabenden (s. o.), und die Uraon veranstalten „Erzählversammlungen" (kahani).227 Die Mythen sind nicht etwa bloß ästhetisch erfreuende Erzählungen, sondern sind noch Richtschnur alles Handelns, Kraftquell in Nöten und Rechtfertigung alles überkommenen Tuns und Denkens innerhalb der Gemeinschaft von Dorf und Stamm, Erhalter des Alten. 228 Damit sich jedes Mitglied des Stammes

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seiner R e c h t e u n d Pflichten, seines P l a t z e s in der W e l t u n d Gesellschaft b e w u ß t werde, erzählt m a n i h m v o m W e r d e n der Welt, d e r G ö t t e r , der Gesellschaft des S t a m m e s m i t seinen T o t e m k l a n s , seinen Sitten u n d B r ä u c h e n , d e n n alles B e s t e h e n d e ist g e m ä ß der u r t ü m l i c h - d i a l e k t i s c h e n gentilen W e l t a n s c h a u u n g geschaffen w o r d e n . U n d es ist ein Zeichen des Zerfalls dieser Gesellschaft, w e n n K h a r i a (rgvedischen Ä r y a vergleichbar) versichern, m a n wisse nicht, wie G o t t die W e l t geschaffen hat.229 Diese m y t h i s c h e Weltgeschichte ist m i t m e h r oder weniger V a r i a n t e n u n d F r e m d e i n f l ü s s e n bald in einzelnen T e i l m y t h e n , die sich e i n i g e r m a ß e n s y s t e m a t i s c h a n o r d n e n lassen, b a l d als wohlgeordnetes Ganzes b e k a n n t geworden. E i n e R e k o n s t r u k t i o n der E n t w i c k l u n g des M u n d a m y t h o s gibt es n o c h n i c h t . Bei d e n S a n t a l b e s t e h t dieser M y t h o s 2 3 " a u s drei Teilen: 1. S c h a f f u n g der E r d e a u s d e m U r w a s s e r (Taucherkosmogonie), 2 3 1 2. S c h a f f u n g d e r beiden U r m e n s c h e n als Zwillinge 2 3 2 aus zwei E i e r n d e r beiden Urvögel u n d ihrer sieben Söhne u n d T ö c h t e r , d e r A h n e n der sieben S a n t a l k l a n s , s a m t S i n t b r a n d , 2 3 3 3. Sage, n i c h t M y t h o s , der W a n d e r u n g e n des S t a m m e s bis zur gegenwärtigen H e i m a t . 2 3 4 Ganz ähnlich ist im G r u n d e der M y t h o s der K h a r i a , der Baiga u n d a n d e r e r M u n d a s t ä m m e , 2 3 5 a b e r es gibt bei i h n e n a u c h zahlreiche m e h r oder weniger ü b e r e i n s t i m m e n d e E p i s o d e n einzelner ätiologischer M y t h e n , wie z. B. d a r ü b e r , w a r u m die F r ü c h t e des S a l - B a u m e s b i t t e r sind, 2 3 6 ü b e r den U r s p r u n g des Grases, 2 3 7 d a s H e b e n des Himmels, 2 3 8 die E r f i n d u n g des Alkohols, d a s erste Festlegen der S p e i s e t a b u s d e r verschiedenen S t ä m m e , der U n t e r s c h i e d e d e r K l a n s 2 3 9 u n d viele a n d e r e M y t h e n . D a b e i werden verschiedene K u l t u r h e r o e n b e h a n d e l t , wie der erste H i r t bei der Kharia. 2 ™ E s w e r d e n M y t h e n v o n M ä r t y r e r n erzählt, die zu G ö t t e r n w u r d e n , wie B a r n d a , ein Geist (oder Gott), d e r einst die menschliche Gestalt eines K n e c h t s a n n a h m , sich bei einem B a u e r n v e r d i n g t e , u m einen bösen Geist in dessen Dorf zu s t r a f e n ; er w u r d e aber v o n d e m B a u e r n betrogen, w u r d e eine A r t M ä r t y r e r , einer der meist v e r e h r t e n Götter. 2 / ' 1 Oder es gibt M y t h e n v o n der H e r a b k u n f t G o t t e s auf E r d e n als k r ä t z e b e h a f t e t e r K n e c h t , der die W e l t v o n d e n bösen Asur, den Eisenschmelzern, befreite. 2 4 2 Die A s u r selber erzählen diesen M y t h o s n a t ü r l i c h e t w a s anders, 2 4 3 als eine A r t Sintb r a n d m y t h o s , d e r in a n d e r e r F o r m in der K o s m o g o n i e aller M u n d a v o r k o m m t (s. o.). E i n e n gewissen R a u m n e h m e n a u c h die Sagen (nicht M y t h e n ) v o n W a n d e r helden ein, die d a n n in d e r f r ü h e n Klassengesellschaft in den G e s t a l t e n eines Gilgamesch, Theseus, J a s o n , H e r a k l e s , R ä m a oder K r s n a eine b e d e u t e n d e Rolle spielen werden. 2 4 4 I n der zerfallenden Gentilgesellschaft der V o r ä r y a spielt die J a g d n o c h eine b e t r ä c h t l i c h e Rolle, weniger in der W i r t s c h a f t als i m K u l t 2 4 3 (bei den S a n t a l i m R e c h t 246) u n d in der E r i n n e r u n g , d. h. in E r z ä h l u n g e n verg a n g e n e r Zeiten v o n großen J ä g e r n , die der derzeitigen J u g e n d als M u s t e r der T a t k r a f t o d e r List hingestellt werden. F ü r die D o r f g e m e i n d e ist d e r W a l d n i c h t m e h r die H e i m a t wie f ü r die J ä g e r - S a m m l e r , sondern das gefährliche, a b e r zugleich noch v e r t r a u t e D r a u ß e n , o h n e die W a l d r o m a n t i k , die s p ä t e r die S t ä d t e r e m p f i n d e n werden.

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J e nach der H ö h e der erreichten gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g sind die T y p e n der heldischen J ä g e r bei den verschiedenen vorarischen S t ä m m e n verschieden. Der H y ä n e n t ö t e r in einer Erzählung der Asur ist z. B. weit roher als der Tigertöter in einer der Santal. 2 4 7 Die Asur erzählen weiter in mehreren Varianten von Asurbir (Asur-Held, anscheinend ein sagenhafter A h n des Stammes), der ein gewaltiges Geierpaar mit seinem riesigen Pfeil erschoß, das mit den K i n d e r n der Umgegend seine J u n g e n in ihrem aus Pflügen auf einem großen B a u m gebauten Nest f ü t t e r t e ; er fällte d a n n den B a u m , der zu einem bekannten, sehr langen Felsrücken wurde. 2 ' 18 E s handelt sich also u m eine Lokalsage zur E r k l ä r u n g der eigenartigen F o r m jenes Felsrückens. Die Santal erzählen in mehreren Varianten in ähnlicher Weise von einem B r u d e r p a a r , das ein kinderraubendes F a l k e n p a a r in einem ähnlichen Nest erschoß; im Sterben gruben beide ein Loch f ü r eine b e k a n n t e Quelle.-' 19 Auch hier handelt es sich sowohl um eine Lokalsage, wie auch zugleich u m eine Klansage (nicht S t a m m e s sage wie bei Asur), denn die B r ü d e r gehören z u m „ F a l k e n t ö t e r " heißenden U n t e r k l a n des H a n s d a k - K l a n s . I n einer Variante wird diese Geschichte mit einer anderen fortgeführt, die auch allein erzählt wird: 2 5 0 Die wandernden u n d einst in einer Höhle im W a l d übernachtenden B r ü d e r t ö t e t e n nach h a r t e r J a g d einen Tiger, u n d schließlich b e r a u b t e n sie eine königliche Hochzeitsgesellschaft u n d schlugen sie, obgleich diese mit Gewehren schoß, mit einem Schwärm wilder Bienen in die Flucht. 2 5 1 Auch die Asur erzählen in einer Lokalsage davon, wie Birasur einst einen angreifenden König mit Bienen in die F l u c h t schlug; 2 5 2 auch sie verbinden m a n c h m a l verschiedene Sagen ihres Ahnenhelden, so d a ß die T a t e n eine K e t t e bilden u n d der zu F u ß von Sieg zu Sieg im L a n d e u m h e r ziehende Held die Gestalt des Wanderhelden a n n i m m t . I m T y p des t i e r t ö t e n d e n Wanderhelden k a n n m a n eine noch gentile K o m p o n e n t e des K r s n a , im T y p des geiertötenden eine des R ä m a sehen.25-3 Neben M y t h e n u n d Sagen erzählen sich die Vorärya allerhand Geschichten, die in der Gegenwart u n t e r gewöhnlichen Menschen spielen k ö n n t e n . D a r u n t e r sind besonders problematisch diejenigen, die sich mit sozialen F r a g e n der Dorfgemeinde befassen, 2 5 4 die damals schon Arbeitsteilung zwischen Bauer, H i r t u n d H a n d w e r k e r (neben Priester u n d Magier) u n d starke Reichtumsdifferenzierung aufwies. I n m a n c h e n ausgesprochen gesellschaftskritischen 2 5 5 Märchen spiegelt sich das schlechte Gewissen der Reichen gegenüber den A r m e n wider, ein R e s t gentiler Demokratie. Die Santal erzählen z. B. von d e m armen, aber wunderbar begabten Zimmermannsgesellen, der d a n k seiner K u n s t schließlich König wird; 2 5 6 von dem Sohn einer armen Witwe, d e m ein menschlich redendes, schlaues Schakalpaar gegen die von einem Gauner bestochenen angesehenen Männer des Dorfes (vielleicht ist der D o r f r a t gemeint) hilft. 2 5 7 Sie appellieren bekanntlich gern von dem ungerechten D o r f r a t a n das überdörfliche J a g d gericht. 2 5 8 Santal erzählen von einem anderen Sohn einer a r m e n Witwe, der d u r c h Schlauheit schließlich zu einem prächtigen P f e r d u n d einer schönen B r a u t gelangt, 2 5 9 oder von einem a r m e n Barbier, der reicher als ein reicher, aber gehässiger B a u e r wird. 2 6 0 K h a r i a erzählen Mythen von B a r n d a , dem betrogenen K n e c h t , u n d

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die Birhor von dem Knecht, der einst die bösen Asur vernichtete. 261 Zu solchen sozialen Geschichten der zerfallenden vorarischen Gentilgesellschaft sind vielleicht auch diejenigen zu stellen, in denen eine Frau im Gegensatz zur patriarchalischen Auffassung noch eine anerkannte Rolle als tüchtige Hausfrau spielt oder als treue, ihren Gatten mit List aus der Gefahr errettende Gattin auftritt. 2 6 2 I m Unterschied zu Mythen und Sagen erfordern diese sozialen Geschichten keinen unbedingten Glauben, gelten den Stammesmitgliedern aber sicher auch nicht als Dichtung, Fiktion oder als bloß „märchenhaft", sondern als traditionellehrwürdige, zu glaubende und liebenswerte Wahrheit. 2 6 3 Dies ist besonders zu überlegen beim Auftreten redender Tiere wie jenem Schakalpaar. Wenn Kharia und Santal erzählen, wie ein Mann mehrfach einen gefräßigen Schakal überlistet, 264 so könnte man im Grunde das Reden des Tieres fortlassen und nur den erfolgreichen Kampf des Menschen gegen das schädliche Tier dargestellt finden. Wenn Tiere sich gegenseitig überlisten, wie Affe bzw. Fuchs und Krokodil, oder bekämpfen, 2 6 5 ohne daß Menschen hineingezogen werden, so können diese Geschichten einerseits als Vorformen entsprechender späterer, von Hindus überlieferter Märchen in Form von Tierfabeln angesehen werden, aus Zeiten stammend, als die animistische, insbesondere totemistische Weltanschauung zwischen denkenden Menschen und Tieren noch nicht grundsätzlich unterschied. Wenn aber ein helfender Schakal in einer Santal-Variante der oben erwähnten Schakalgeschichten einem armen Menschen eine Wunderkuh schenkt, aus deren Mund er alles erhalten wird, was er wünscht, 266 so ist das Motiv dieser Wunschkuh sicher aus der Hindumythologie entnommen; diese erst geschenkte, dann gestohlene und wiedergewonnene K u h steht hier an der Stelle des berühmten Tischleindeckdich, 267 wirkt auf uns also märchenhaft; dem Santalerzähler war sie aber noch glaubhaft. H a t doch ein Kenner der Märchen die These aufgestellt: „Indien, das Märchenland, kennt das Märchen nicht." 2 6 8 Gilt dies für den nicht modern gebildeten Hindu bis in die jüngste Vergangenheit, so um so mehr für den gentilen Vorärya. Folkloristen pflegen ihr Material in Tiergeschichten (mit oder ohne Menschen), Märchen (mit übernatürlichen Elementen) und Witze einzuteilen. 269 Witzige Geschichten über unvorstellbar dumme Menschen verschiedenster Arten erzählen sich heute auch Kharia und Santal. 270 Warum soll man nicht schon in der Gentilgesellschaft, zumal in der zerfallenden, über Karikaturen der Mitmenschen gelacht haben ? Diese vorarischen Stämme kennen auch eine Fülle von Rätseln, mit denen spaßeshalber die Klugheit geprüft werden soll. Auch diese mag man zur Prosa, wenn auch nicht gerade zur Epik rechnen; viele Rätsel nehmen aber einen gewissen Rhythmus an, besonders, wenn sie aus zwei antithetischen Zeilen bestehen, wie „Flach die Mutter, rund der Sohn" (Mahlplatte und Roller). 271 Rätsel werden heute im allgemeinen zur Unterhaltung aufgegeben, 272 aber bei gewissen Gelegenheiten, wie z. B. bei Hochzeiten, kommt es in der Gentilgesellschaft zu einer Art rituellem Rätselwettkampf zwischen den beiden Parteien, 273 ohne daß wir dabei einen magischen Sinn erkennen könnten.

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Es handelt sich ja nicht darum, die mehrwissende Partei herauszufinden wie bei rituellen Fragewettkämpfen der Brahmanen der zweiten Periode. 274 Und doch mag einstmals auch bei Vorärya etwas mehr dahinter gesteckt haben. Zur Einleitung einer Werbung gehört es ja, daß die Seite des Bräutigams zum Hause der Braut geht und vorgibt, etwas zu suchen, ein verloren gegangenes Rind, eine angeschossene und geflüchtete Gazelle, oder Gemüse, das sie kaufen möchte. 275 Damit wird das Aushandeln des Brautpreises eingeleitet; er soll die Aufzuchtkosten der Gazelle, den Unterhalt des Rindes oder den Preis des Gemüses ausmachen. Mag dieses Sprechen durch die Blume nun das Feilschen verdecken oder nur Spaß machen, 276 zugleich soll es wohl die Transaktion vor den bösen Geistern verschleiern und ist daneben für die Beteiligten voll Feierlichkeit und poetischen Gefühls, wie ja die Lyrik dieser Stämme wesentlich in Gleichnissen spricht und ihre Magie im Grunde Analogiezauber ist. Das Denken in Analogien oder Vergleichen ist auf dieser Stufe der gentilen Gesellschaft offenbar eine Methode des Verstehens der Welt. Man kann bei solchen Gesichtspunkten die Rätsel auch zur Lyrik rechnen. Auch bei Sprichwörtern 2 7 7 ist die Zuordnung fraglich; sie sind meist in Prosa, aber sie sind eine Art Vorform der späteren metrischen Spruchweisheit der Hindus, die man der Lyrik zurechnet. Nicht in vorarische Zeiten hinaufrücken darf man wohl die Epik der dravidisch sprechenden Gond, der südlichen Nachbarn der Munda. Sie haben neben Priestern und Magiern eine Art Stand oder Kaste von Barden. Eigentlich sind es zwei, die Toti und die Pardhan. Die Toti sind anscheinend Gond, die P a r d h a n aber nach Aussehen und Sprache (Marathi) Fremde. Sie sind in die Stammesgesellschaft so eingeordnet, daß je eine Bardenfamilie zu jedem Gond-Klan gehört, nicht zur Dorfgemeinde; die Klanfamilien sind ihre erbliche Klientel. Diese Epik tragen aber auch die Pardhan in Gondhi-Sprache vor. Diese Barden sind Musiker, vor allem Fiedler (aber auch Trompeter), bei den Festen, bei den Riten (247, 261 f.) und Tänzen (282,285); die Fiedel begütigt den zürnenden Gott, sagt man (253). Sie singen aber auch Lieder bei den Riten (266f.), und sie singen ihre Epen an den Festabenden (277). Sie leiten den Gesang mit der Fiedel ein, begrüßen singend die Zuhörer, singen ein paar epische Strophen und wiederholen den Inhalt in Prosa, 278 durch die er erst verstanden wird. I n dieser Weise mit Fiedeleinleitung, Gesang und Prosarezitation tragen sie das Versepos vor (277f.), das zu dem betreffenden Fest gehört (99). Leider hat der Sammler die einzelnen Teile zu einem Ganzen komponiert (100). Insgesamt kommt etwas heraus, was inhaltlich, nicht in der Versform, der Kosmogonie und Stammessage der Munda (s.o.) analog, aber in allen Einzelheiten abweichend ist. Dabei ist eine Fülle von Hindu-Einflüssen nicht zu übersehen. Aber wichtiger ist die noch nicht beantwortete Frage, ob ein solches Bardentum mit seiner speziellen großen Versepik schon für die vorarische Gentilgesellschaft anzunehmen ist. Wenn ja, so ist es mit diesem Material nur für die Gond (Dravida), nicht für die Munda nachweisbar. Es dürfte eine etwas höhere Stufe gesellschaftlicher Entwicklung voraussetzen, als man für die vorarischen Munda annehmen kann.

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c) Dramatik (Kultdramen) Tänze mit Instrumentalmusik und Chorliedern der Dorfgemeinde bzw. der männlichen und weiblichen Jugend bei Festen stellen manchmal Säen, Umpflanzen, Ernten und Dreschen dar und haben vielleicht einen Rest des Analogiezaubers erhalten, sind aber weder Dramen noch deren Vorformen. Sie stehen mimetischer Magie z. B . des Regenzaubers nahe, der ein Teil des Frühlingsfestes (Phägu) ist und darin besteht, daß der Priester jeder Hausfrau vor ihrem Haus Wasser gibt, mit dem sie ihr Haus besprengt, 279 es gleichsam beregnet. Ähnlich ist auch die Szene bei der Verlobung, wenn je zwei Männer der Seite der Braut und des Bräutigams sich fest bei den Händen fassen, sich hin und her zerren und dabei sagen, daß ihr Band fester ist als ein eisernes. 280 Sie machen wohl damit das Eheband unzerreißbar. Ebenso ist das Veranstalten eines Scheinkampfes bei der Hochzeit wohl ein Zauber zum glücklichen Vollziehen der Eheschließung. 281 Wenn das Brautpaar auf dem Wege vom Dorf der Braut zu dem des Mannes eine Jagd mimt, er einen Pfeil über seine Frau hinweg schießt und sie ihm den Pfeil wieder in die Hand gibt (wie im Hindumythos Renukä die im Spiel verschossenen Pfeile Jamadagnis 2 8 2 ), so ist das wohl nicht nur eine Pantomime, die die Pflichten des Ehepaares symbolisiert, 283 sondern Magie aus uralter Jägerzeit, die die Munda-Ehe glücklich machen soll. Das Paar zeigt zugleich, daß es für eine Familiengründung reif ist. 284 Etwas anderes ist es, wenn Mitglieder des Stammes bzw. der Dorfgemeinde gewisse Rollen spielen, wie z. B . der Dorfpriester und seine Frau beim SarhulFest der Uraon im April die Hochzeit des Sonnengottes und der Erdmutter mimen, und zwar nach dem Muster der Menschenheirat vollziehen. 285 Bei ihrem höchsten Fest, dem der Viehweihe (s. o.), mimen Jünglinge der Santal eine Auferstehung: Einer von ihnen „stirbt", man trägt ihn in ein Haus, treibt Geister aus ihm aus, sammelt ein Ei und Reis, und der „Tote" lebt wieder auf; dies wiederholen sie in jedem Haus. 286 Bei diesem Fest singen die jungen Männer am Tage vorher ein Lied zu ihrem Tanz, daß der alte Mann gestorben ist, daß man die bösen Geister aus ihm treiben soll. 287 Da dies Fest Anfang Januar veranstaltet wird, könnten Lied und Handlung das Sterben des alten Jahres bzw. Winters und Auferstehen bedeuten. Bei ihrem anderen großen Fest, dem der Blumen, etwa Anfang März, mimen die Santal das erste Sammeln gewisser Blumen (Sal). Nach zeremonieller Jagd (es handelt sich um Reste aus der Zeit der Sammler-Jäger) gehen angeblich am Abend vor dem Hause des Dorfpriesters zwei Götter und eine Göttin (!), die Göttin des Hains, 288 in drei Santalmänner ein, erhalten vom Priester charakteristische Geräte (die „Göttin" u. a. einen Besen und einen Korb, die „Götter" Pfeil und Bogen und eine Streitaxt), laufen damit zum Götterhain außerhalb des Dorfes, und die „Göttin" fegt den dortigen Opferplatz. Die „Götter" und die jungen Männer sehen zu; alle kehren heim. Der Priester erhält die Geräte zurück, die „Göttin" wäschst ihm und u. a. dem Dorfschulzen die Füße, und der Priester

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e n t l ä ß t sie, d. h . sie k o m m e n wieder zu sich. Die N a c h t ü b e r wird g e t a n z t u n d gesungen. A m n ä c h s t e n T a g e wiederholen sich die Besessenheit u n d d a s L a u f e n in d e n G ö t t e r h a i n ; d e r eine „ G o t t " schießt auf S a l b l u m e n einen Pfeil, d e r a n d e r e k l e t t e r t auf den B a u m u n d w i r f t die B l u m e n h e r a b , die „ G ö t t i n " f ä n g t sie in i h r e m K o r b auf, der P r i e s t e r v e r e h r t sie auf d e m t a g s z u v o r gereinigten O p f e r p l a t z , läßt sie B l u t g e o p f e r t e r H ü h n e r t r i n k e n , w ä s c h t i h n e n die F ü ß e u n d l ä ß t sie wieder zu sich k o m m e n . M a n singt u n d t a n z t . 2 8 9 Die S a n t a l feiern a m f ü n f t e n T a g e n a c h einer B e s t a t t u n g die R e i n i g u n g d e r Ü b e r l e b e n d e n m i t einem B a d . I m H a u s e des T o t e n r u f e n sie d a n n seine Seele herbei. W i e d e r w e r d e n drei M ä n n e r besessen, u n d z w a r v o m e r s t e n Menschen, v o n einem G o t t u n d v o n der Seele des Verschiedenen. M a n (nicht d e r P r i e s t e r ! ) f r a g t sie, wer sie sind, zwei a n t w o r t e n sofort, der T o t e a b e r erst, w e n n m a n ihn m i t W a s s e r begossen h a t . M a n f r a g t ihn n a c h der U r s a c h e seines Todes, u n d er gibt an, ob er v o n sich aus oder d u r c h V e r h e x u n g d u r c h einen a n d e r e n u m g e k o m m e n ist. M a n b e w i r t e t ihn u n d läßt die drei wieder zu sich k o m m e n . 2 9 0 Bei drei Feiern spielen also bei d e n S a n t a l ein J ü n g l i n g u n d drei bessene M ä n n e r Rollen v o n G ö t t e r n u n d Geistern o h n e V e r k l e i d u n g oder M a s k e n ( n u r einmal e r h a l t e n sie gewisse Geräte), ohne B ü h n e oder begleitenden Chor, o h n e epische H a n d l u n g , o h n e T a n z u n d Musik, o h n e Dialoge u n t e r e i n a n d e r , a b e r a u f F r a g e n des P r i e s t e r s oder der ü b r i g e n S a n t a l a n t w o r t e n d . So lange m a n sie besessen sein l ä ß t , v e r k ö r p e r n sie (angeblich) die b e t r e f f e n d e n Geister u n d G ö t t e r . B e i m B l ü t e n s a m m e l f e s t ist die magische Freigabe des S a m m e i n s f ü r d e n S t a m m deutlich, beim Reinigungsfest h a n d e l t es sich n u r u m die B e a n t w o r t u n g einer d r i n g e n d e n F r a g e a u s d e m J e n s e i t s heraus. Die A u f e r s t e h u n g s s z e n e ist vielleicht n u r noch ein e t w a s lustiger R e s t einstiger Magie. Sie ist a b e r n i c h t in d e m Sinne ein m i m u s a r t i g e r S c h w a n k , wie die S a n t a l j u g e n d , w e n n sie d a f ü r b e g a b t ist — d e n n lernen k a n n m a n dies nicht —, gelegentlich ihre M i t m e n s c h e n k a r i k i e r t , z. B . ein schmollendes E h e p a a r , dessen B e s u c h bei d e n Schwiegereltern, K l a g e n einer W i t w e , kurz alle möglichen sozialen V e r h a l t e n s a r t e n . 2 9 1 D a b e i verkleiden sich M ä n n e r als F r a u e n u n d a h m e n F r a u e n s t i m m e n n a c h , spielen also die Rollen v o n F r a u e n mit Dialogen. Solche Mimusszenen sind sozusagen d r a m a t i s i e r t e W i t z e , wie W i t z e a u c h als E r z ä h l u n g e n 2 9 2 bei d e n Santal und anderen Munda vorkommen, Vorformen von Komödien.293 I n den e t h n o g r a p h i s c h e n B e r i c h t e n k o m m t aber das orgiastisch-dionystisch-tänzerische E l e m e n t , wie es bei analogen griechischen U r k o m ö d i e n a n g e n o m m e n wird, 29/1 n i c h t genügend z u r Geltung. Bei den hier wie oben bei der E p i k n u r nebenbei zu e r w ä h n e n d e n G o n d h a t m a n Szenen a u f g e f ü h r t gesehen, in d e n e n z. B . ein M ä d c h e n u n d dessen „ G r o ß m u t t e r " fischen gehen, d a r ü b e r ein Lied singen, v o n zwei M ä n n e r n ü b e r r a s c h t w e r d e n , die das M ä d c h e n e n t f ü h r e n wollen, dabei k o m m t es zu einem P r o s a dialog; die F r a u e n v e r j a g e n die M ä n n e r u n d k e h r e n singend z u m F i s c h e n zurück. 2 9 5 Gond f ü h r e n p a n t o m i m i s c h e K a r i k a t u r e n auf oder eine lustige Szene mit d e m gesungenen Dialog eines J ü n g l i n g s , der vergeblich ein M ä d c h e n gegen ihren Willen zu gewinnen sucht 2 9 0 , oder eine Szene zu v i e r e n : D a s

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Einleitung, 3 c

Mädchen verweigert der Mutter u n d dem Jüngling die Einwilligung in die Ehe, verliebt sich aber sofort in einen anderen, der den ersten besiegt. 297 . Die Gond haben auch kleine Gruppen grotesk maskierter komischer Tänzer, die alle Freiheit genießen, bei Festen ihren Unsinn zu treiben, die festlichen Chöre u n d Tänze zu unterbrechen. 2 9 8 Dies sind wohl Reste eines gentilen dionysischen komos.2" F ü r die alten Griechen sind Reste solcher vorgeschichtlichen Literatur bisher nicht gefunden worden.

4. Dichtung der

Indusgesellschaft

I n der frühen altorientalischen Klassengesellschaft des Indusgebietes muß es Literatur gegeben haben, die weiter entwickelt war als die der vorarischen gentilen Gesellschaft. Da man aber Schrift dort nicht f ü r ihre Aufzeichnung verwendete, k a n n m a n sie nur aus archäologischen Materialien und Literaturvergleichung ein wenig rekonstruieren. E s muß Lyrik gegeben haben, und vielleicht ist auf einem Siegel eine Reihe von Sängern dargestellt. 300 Die Lieder an die Götter werden kunstvoller gewesen sein als die der Munda, vergleichbar analoger altorientalischer religiöser Lyrik. Das gilt auch f ü r die Epik. Daß es eine Fülle von Mythen gegeben h a t , bezeugen Abbildungen von Göttern u n d Helden auf Siegeln. 301 Darunter ist die einer Baum- oder Waldgöttin, die einen dämonischen Tiger abwehrt. Eine dazu passende Geschichte erzählten später Buddhisten im J ä t a k a 272. 302 Danach war die Göttin töricht, daß sie den Tiger verjagte, denn als er fort war, kamen Menschen und rodeten den Wald. Ob man im 3. J a h r t a u s e n d bereits diese Tendenz hatte, Wald möglichst zu erhalten, ist ungewiß; aber schon die gentilen Vorärya ließen vom gerodeten Wald einen H a i n als Sitz gewisser Gottheiten und Opferplatz bei ihren Dorfgemeinden bestehen, offenbar aus magischer Angst vor Waldgöttern, 3 0 3 die durch Rodung beleidigt werden. Zur damaligen Kosmogonie gehörten vermutlich ein Sintflutmythos mit dem rettenden Fisch 304 s t a t t des Sintbrands der Munda und die Vorstellung des mannweiblichen Urgottes. 3 0 5 An Heldensagen gab es vermutlich eine Variante des Gilgameschepos 3 0 6 mit seinem Grübeln über das Jenseits und mit der Gestalt der Versucherin, 3 0 7 einer über vorarisch-gentile Mythologie weit hinausgehenden Thematik, die mit den verschiedenen Asketen- bzw. Yogi-Typen auf damaligen Darstellungen 3 0 8 zusammenhängen wird. Diese Asketen sind wohl Fortbildungen der Schamanen der vorarischen Gentilgesellschaft, wie Gilgamesch eine späte F o r m der gentilen Wanderhelden ist. Man hat gemeint, eine Siegelabbildung des Gilgamesch 309 am I n d u s gefunden zu h a b e n ; es handelt sich aber eher u m einen Tiger- bzw. Löwenkämpfer vom T y p des hinduistischen Bhlmasena, der in ähnlicher Weise in Sumer, Ägypten u n d — f ü r uns besonders wichtig — in K r e t a dargestellt worden, 310 aber nicht Gilgamesch ist. Bhimasenas Sage, die in das Mahäbhärata eingegangen ist, hat

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Mädchen verweigert der Mutter u n d dem Jüngling die Einwilligung in die Ehe, verliebt sich aber sofort in einen anderen, der den ersten besiegt. 297 . Die Gond haben auch kleine Gruppen grotesk maskierter komischer Tänzer, die alle Freiheit genießen, bei Festen ihren Unsinn zu treiben, die festlichen Chöre u n d Tänze zu unterbrechen. 2 9 8 Dies sind wohl Reste eines gentilen dionysischen komos.2" F ü r die alten Griechen sind Reste solcher vorgeschichtlichen Literatur bisher nicht gefunden worden.

4. Dichtung der

Indusgesellschaft

I n der frühen altorientalischen Klassengesellschaft des Indusgebietes muß es Literatur gegeben haben, die weiter entwickelt war als die der vorarischen gentilen Gesellschaft. Da man aber Schrift dort nicht f ü r ihre Aufzeichnung verwendete, k a n n m a n sie nur aus archäologischen Materialien und Literaturvergleichung ein wenig rekonstruieren. E s muß Lyrik gegeben haben, und vielleicht ist auf einem Siegel eine Reihe von Sängern dargestellt. 300 Die Lieder an die Götter werden kunstvoller gewesen sein als die der Munda, vergleichbar analoger altorientalischer religiöser Lyrik. Das gilt auch f ü r die Epik. Daß es eine Fülle von Mythen gegeben h a t , bezeugen Abbildungen von Göttern u n d Helden auf Siegeln. 301 Darunter ist die einer Baum- oder Waldgöttin, die einen dämonischen Tiger abwehrt. Eine dazu passende Geschichte erzählten später Buddhisten im J ä t a k a 272. 302 Danach war die Göttin töricht, daß sie den Tiger verjagte, denn als er fort war, kamen Menschen und rodeten den Wald. Ob man im 3. J a h r t a u s e n d bereits diese Tendenz hatte, Wald möglichst zu erhalten, ist ungewiß; aber schon die gentilen Vorärya ließen vom gerodeten Wald einen H a i n als Sitz gewisser Gottheiten und Opferplatz bei ihren Dorfgemeinden bestehen, offenbar aus magischer Angst vor Waldgöttern, 3 0 3 die durch Rodung beleidigt werden. Zur damaligen Kosmogonie gehörten vermutlich ein Sintflutmythos mit dem rettenden Fisch 304 s t a t t des Sintbrands der Munda und die Vorstellung des mannweiblichen Urgottes. 3 0 5 An Heldensagen gab es vermutlich eine Variante des Gilgameschepos 3 0 6 mit seinem Grübeln über das Jenseits und mit der Gestalt der Versucherin, 3 0 7 einer über vorarisch-gentile Mythologie weit hinausgehenden Thematik, die mit den verschiedenen Asketen- bzw. Yogi-Typen auf damaligen Darstellungen 3 0 8 zusammenhängen wird. Diese Asketen sind wohl Fortbildungen der Schamanen der vorarischen Gentilgesellschaft, wie Gilgamesch eine späte F o r m der gentilen Wanderhelden ist. Man hat gemeint, eine Siegelabbildung des Gilgamesch 309 am I n d u s gefunden zu h a b e n ; es handelt sich aber eher u m einen Tiger- bzw. Löwenkämpfer vom T y p des hinduistischen Bhlmasena, der in ähnlicher Weise in Sumer, Ägypten u n d — f ü r uns besonders wichtig — in K r e t a dargestellt worden, 310 aber nicht Gilgamesch ist. Bhimasenas Sage, die in das Mahäbhärata eingegangen ist, hat

Einleitung, 4

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mehrere Motive mit der Sage des Theseus gemeinsam, der seinerseits Beziehungen zu K r e t a hat, n u r p a ß t zu Theseus nicht dieser L ö w e n k a m p f . Beide Helden sind also Analoga, insofern sie Varianten eines sonst noch nicht erk a n n t e n H e l d e n t y p s sind. 1. Bhimasena wurde v o m W i n d g o t t V ä y u mit der menschlichen Königin K u n t I gezeugt, weil deren Gemahl, König P ä n d u , einem Gelübde gemäß keine K i n d e r zeugen wollte. 311 — Theseus galt als Sohn des Gottes Poseidon, war aber dessen Urenkel: Poseidons Sohn Pitheus h a t t e zur Tochter Aithra, die mit Bellerophon verlobt war, aber, von dem besinnungslos b e t r u n k e n e n Aigeus geschwängert, Theseus gebar. 3 1 2 Beide Helden s t a m m t e n also v o n G ö t t e r n in irgendwie außerehelicher Zeugung. E s ist typisch f ü r einen Helden der Sage, d a ß seine Geburt merkwürdig ist. 313 2. Beide zeigten ihren H e l d e n c h a r a k t e r schon in f r ü h e r J u g e n d . Bhimasena zeichnete sich bei allen W e t t k ä m p f e n seiner Brüder, der fünf P ä n d a v a s , u n d Vettern, der h u n d e r t K a u r a v a s , aus u n d behandelte diese bei Spielen aus K i n d lichkeit äußerst roh. 3 1 4 Insbesondere k ä m p f t e er mit Keulen gegen D u r y o d h a n a , den ältesten K a u r a v a , so fürchterlich, daß der Weise B h ä r a d v ä j a sie t r e n n e n ließ. 315 — Als Herakles einst P i t h e u s besuchte u n d sein Löwenfell ü b e r einen Stuhl legte, flohen alle K i n d e r davor, nur Theseus griff sich eine A x t , u m den vermeintlichen Löwen zu erschlagen. 3 1 6 3. D u r y o d h a n a , sein H a u p t f e i n d , wollte Bhimasena beseitigen, e r t r ä n k e n u n d dazu noch vergiften u n d warf den Schlafenden gefesselt ins Wasser, ohne ihm etwas a n h a b e n 3 1 7 zu können. Oder n a c h einer ausführlichen Version des E p o s sank dieser, gefesselt u n d vergiftet, bewußtlos bis in die Unterwelt, ins Schlangenreich, wo die Schlangen ihn mit ihren Bissen v o n jenem Gift befreiten u n d der Schlangenkönig ihn mit Wein so reichlich bewirtete, d a ß er acht Tage schlief, d a n n erwachte u n d zu seiner Mutter, die schon ü b e r seinen T o d klagte, heimkehrte. 3 1 8 Als Theseus sich bei seiner ersten Begegnung mit Minos r ü h m t e , Poseidons Sohn zu sein, warf dieser, u m ihn zu prüfen, seinen Ring ins Meer, u n d Theseus stürzte ihm nach. Delphine brachten ihn z u m Palast der Nereiden, die i h m den Ring gaben; mit ihm k e h r t e er zurück. 3 1 9 4. Die fünf P ä n d a v a r b r ü d e r flüchteten vor D u r y o d h a n a s H e i m t ü c k e in den Wald. Der riesige kannibalische D ä m o n H i d i m b a roch den Menschengeruch 3 2 0 u n d schickte seine Schwester H i d i m b ä als Spionin aus. Sie verliebte sich aber in Bhimasena. 3 2 1 E r wies sie ab. I h r Bruder k a m dazu, u n d Bhimasena brach ihn mit seinen bloßen H ä n d e n in der Mitte entzwei. 3 2 2 E r wollte auch die Riesin d e m Bruder in den Tod nachschicken, aber seine B r ü d e r redeten ihm zu, sich a n keiner F r a u zu vergreifen. 3 2 3 Auf die Bitte der Verliebten hin erlaubte ihr Yudhisthira, Bhimasena tagsüber zu lieben, wo immer sie möchte, abends ihn aber zurückzubringen. Das P a a r v e r b r a c h t e seine Liebeszeitin den Bergen des H i m a l a j a, 324 u n d die Dämonin gebar Bhimasena einen Sohn, G h a t o t k a c a ; mit diesem entschwand sie nach dem Norden in die Berge. 325 Solch E n d e ist f ü r Martenehen, E h e n eines sterblichen Mannes mit einer übermenschlichen F r a u , typisch. 3 2 0 4

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I n Theseus verliebte sich Ariadne, die Schwester des Minotauros, und rettete ihn aus dem Labyrinth durch ihre Gabe eines Seils, nachdem Theseus ihr auf ihre Bitte hin versprochen hatte, sie nach Athen mitzunehmen und zu heiraten. E r verließ die Schlafende dann auf Naxos, ohne daß man dafür einen guten Grund anführen könnte. Dort nahm Dionysos sie zum Weibe und hatte Söhne von ihr; zwei von ihnen gelten manchen als Söhne des Theseus. Nach anderer Tradition wurde die schwangere Ariadne von Theseus auf Zypern verlassen. 327 5. Die fünf Pändavas flohen vor Duryodhana weiter als Bettler. I n der Stadt Ekacakrä sollte gerade ein Brahmane als das übliche tägliche Opfer an den kannibalischen Herren der Stadt, den Dämon Baka, ausgeliefert werden. Statt seiner boten sich erst die Mitglieder seiner Familie an, aber dann t a t dies Bhimasena auf den Vorschlag seiner Mutter hin, um keinen Brahmanen, kein Mitglied des höchsten Standes, umkommen zu lassen, zumal die Pändavas als Bettler Gäste des Brahmanen waren, um aber auch die Stadt von dem Despoten zu befreien. 328 Das H a u p t der Pändavas, Yudhisthira, riet davon ab, da eine Mutter keinen Sohn aufgeben dürfe und Bhimasena mit seiner K r a f t die Stütze und Hoffnung der Pändavas sei. Aber Bhimasena ging zu Baka in dessen Hain vor der Stadt und zerriß ihn nach fürchterlichem Kampf in zwei Teile. 329 Theseus bot sich freiwillig als eines der Opfer für den kannibalischen Minotauros, Sohn des Minos, des Herren von Kreta, an, die Athen ihm jedes neunte J a h r senden mußte. Sein Vater Aigeus riet dringend ab, konnte aber Theseus' tiefes Mitleid mit den Opfern nicht überwinden. Die Opfer segelten nach Kreta, Theseus ging in das Labyrinth und erschlug den Minotauros. 330 6. Die fünf Pändavas heirateten in polyandriseher Ehe Draupadi, eine vielumworbene Prinzessin; daraufhin gab ihnen Duryodhana einen Teil seines Reiches. Yudhisthira wurde dort König. Der größte König war damals J a r ä sandha von Magadha, der viele besiegte Könige in einer Höhle gefangen hielt, um sie Öiva zu opfern. 331 Bhimasena ging mit Krsna und Arjuna zu ihm in seinen Palast und forderte die Freilassung der Könige. Nach 14tägigem Faustkampf 3 3 2 zerbrach Bhimasena dem Despoten die Knochen und befreite die Gefangenen. 333 Nach kretischer Tradition waren die athenischen Opfer nicht für den kannibalischen Minotauros bestimmt, sondern wurden als Menschenopfer für die Bestattung des Androgeus, eines Sohnes des Minos, im Labyrinth, einem Gefängnis, aufgehoben und verwendet. Minos' Feldherr Tauros hatte jedes J a h r solche Opfer durch seine Siege gesammelt. Minos erlaubte Theseus, Tauros im Faustkampf zu töten, und erließ den Athenern die Tribute. 334 7. Danach sandte Yudhisthira seine vier Brüder aus, die vier Weltgegenden zu besiegen. Bhimasena besiegte den Osten. 335 Auf diese Weise wollte Yudhisthira „Weltherrscher" werden, das Ideal jedes altindischen Königs. Als Theseus in Athen auf den Thron gelangt war, vereinigte er die zwölf Gebiete Attikas zu einem Reich. 330 Diese Einigung war eine historische Tatsache, wenn auch keine Leistung des mythischen Helden Theseus. Das Weltreich des Yudhisthira war nur eine Fiktion.

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8. Die Kauravas, insbesondere Duryodhana, besiegten Yudhisthira im Spiel, nahmen ihm sein Reich und beleidigten Draupadi; Bhimasena schwor blutige Rache; er vollzog sie später mit der Tötung Duryodhanas. 337 Minos wollte Periboe, eine Schicksalsgenossin des Theseus, vergewaltigen, aber Theseus schützte sie.338 9. Bhimasena wanderte, mit seinen Brüdern und Draupadi aus ihrem Reich vertrieben, zu Fuß (als Wanderheld) durch die Wälder des Himalaja. Er erschlug u. a. einen Löwen mit einem anderen (dies ist offenbar auf jenen Siegeln der Indusgesellschaft abgebildet). Ein riesiger Affe wollte ihn zurückschicken, aber er ließ sich nicht aufhalten. Um schöne Lotosblüten für Draupadi aus einem See zu holen, besiegte er feindliche Geister. Später tötete er im Faustkampf den Dämon Jatäsura, der seine Brüder entführen wollte. Weiter erschlug er den Geist Manimän. Er wurde von einer Schlange gefesselt, aber durch Yudhisthiras Weisheit befreit. Er besiegte den feindlichen König und Räuber der Draupadi, Jayadratha. 339 Diese lange Waldwanderung endete mit der großen Schlacht (s. u. 10), die Yudhisthira als Sieger die endgültige Herrschaft brachte. Bevor Theseus seine Herrschaft in Athen antrat, wanderte er von Troizen, wo er aufgewachsen war, ganz alleine zu Fuß nach Athen und hatte unterwegs — nicht im Wald — eine Reihe von Abenteuern mit der Wildsau von Kromyon und grausamen Menschen wie Pityokamptes, Skiron, Kerkyon und Prokrustes, die die Wanderer zu mißhandeln und zu töten pflegten. 340 10. Nach der Waldwanderung kämpfte Bhimasena mit seinen vier Brüdern und zahllosen Bundesgenossen in einer 18tägigen Schlacht gegen die hundert Kauravas, die von Duryodhana geführt wurden, und deren Bundesgenossen. Diesen erschlug er, wie er geschworen hatte (s. o. 8), im Keulenkampf. 341 Theseus hatte als König gegen seinen Vatersbruder Pallas und dessen fünfzig Söhne zu kämpfen, 342 die leugneten, daß Aigeus, Theseus' Vater, ihr legitimer Bruder bzw. Onkel sei.343 Dies geschah, bevor Theseus Attika einigte, ja, ehe er nach Kreta zog (s. o. Nr. 7 u. 5). 11. Bhimasena und seine Brüder wanderten als alte Leute in den Himalaja. Sie stürzten der Reihe nach zu Boden, als letzter Bhimasena. 344 Theseus floh aus dem durch Kämpfe gespaltenen Athen heimlich zu Schiff nach der Insel Skyros, um sich dort niederzulassen, aber dessen König Lykomedes führte ihn auf eine steile Klippe und stürzte ihn hinab, so daß er scheinbar durch einen Zufall starb. 345 In dieser Weise lassen sich einige Abenteuer (bei weitem nicht alle!) beider Helden miteinander vergleichen; sie folgten in beiden Biographien nicht immer in derselben Reihenfolge aufeinander. Ob sie im 3. Jahrtausend v. u. Z. bereits zu jeweils einer Sage zusammengefügt worden waren oder gar zu einem Epos, ist einstweilen nicht zu erkennen, ist sogar für 6. und 7. nicht anzunehmen (s. u.). — Beide Helden sind in weit zurückreichende mythische Stammbäume eingegliedert, sind aber in der späteren Literatur keine Helden eines nur ihren Taten gewidmeten Epos geworden. Diese Stücke der Biographie Bhlmasenas 4*

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sind in das M a h ä b h ä r a t a aufgenommen worden, 3/16 aber er war ursprünglich vermutlich nicht als n u r einer der fünf P ä n d a v a s , sondern als selbständige Mythengestalt 3 4 7 lebendig, wie gerade der Vergleich mit Theseus zeigt, der vielleicht eine uralte, von Indien bis K r e t a verbreitete Sage zu rekonstruieren erlaubt. I m M a h ä b h ä r a t a ist Bhimasena vor allem Gegenstück zu Yudhisthira. Ist dieser zur Idealgestalt des gerechten Königs ausgebaut, so Bhimasena im K o n t r a s t zu ihm als unbändiger, berserkerartiger Kämpfer. 3 '' 8 Theseus dagegen vereinigt beide Elemente, die des sagenhaften Helden u n d des weisen Königs in sich; erst P l u t a r c h schrieb seine Biographie. I m Gegensatz zu Theseus ist Bhimasena noch heute im stagnierenden Indien eine beliebte Gestalt. 3/19 Beide Helden der altorientalischen Gesellschaft unterscheiden sich von den Wanderhelden der gentilen Epik beträchtlich. Sie sind Mitglieder bedeutender Dynastien f r ü h e r Klassengesellschaften u n d schlagen große Schlachten (s. o. 10). Fragen der Erbfolge auf dem väterlichen Thron sind ein wichtiges T h e m a (s. o. 10.), das im M a h ä b h ä r a t a geradezu f ü r die Gesamthandlung des Epos, f ü r den Gegensatz P ä n d a v a - K a u r a v a , B h l m a s e n a - D u r y o d h a n a entscheidend ist. Höhep u n k t e sind die Gründungen großer Reiche (s. o. 7.) u n d der K a m p f gegen feindliche Könige (s. o. 6.). Das eigentliche W a n d e r h e l d e n t u m ist n u r mit besonderer Begründung als Episode eingebaut (s. o. 9.). I n beiden Biographien ist ein historischer K e r n , die große Schlacht (s. o. 10.) 350 u n d die Vereinigung Attikas (s. o. 7.). Diese historischen Elemente beider Sagen sind verhältnismäßig jung u n d so typisch f ü r f r ü h e Staatengesellschaften, daß man, s t a t t an U r v e r w a n d t s c h a f t beider Sagen zu denken, auch die Möglichkeit überlegen sollte, beide, oder Teile von ihnen, unabhängig voneinander als typologische Analoga aus den Bedürfnissen dieser Gesellschaft zu erklären, als eine literarische Rechtfertigung der Gewaltpolitik altorientalischer Despoten, ihrer d y n a stischen K ä m p f e u n d ihrer kämpferischen Ideale. Eine Entscheidung f ü r eine der beiden Möglichkeiten ist noch nicht möglich. I m m e r h i n sei darauf hingewiesen, daß die Archäologie schon längst f ü r eine besonders n a h e Verwandtschaft der alten K r e t a - u n d I n d u s k u l t u r eingetreten ist. 351 Vielleicht wird es gelingen, im Vorderen Orient der damaligen Zeiten die Verbindungsglieder zu finden, wie oben auf die ägyptische Darstellung des Löwenkämpfers hingewiesen worden ist. Das sumerische E p o s des W a n d e r helden u n d Königs Gilgamesch von U r u k weicht sehr a b ; aber daneben gab es sicher andere Sagen. W e r diese Theorie f ü r allzu unwahrscheinlich hält, k a n n die Möglichkeit ins Auge fassen, daß uns in diesen elf P u n k t e n oder in einigen von ihnen Reste von Sagen aus indoeuropäischem E r b e erhalten sind; auf diese Möglichkeit ist zurückzukommen. 3 3 2 I n diesem Fall m ü ß t e m a n sich f ü r die U r f o r m dieser Sage s t a t t des Milieus des Alten Orients eines der zerfallenden Gentilgesellschaft vorstellen, in der es ja schon erbliche Dynastien von Heerführer-Königen gegeben h a t . Die beiden historischen Ereignisse in 7. u n d 10. gehören aber auf jeden Fall erst in die Zeiten, als Inder u n d Griechen in ihren späteren Gebieten saßen. So wurden große Helden in analoger Weise mit großen politischen

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Ereignissen verbunden. Was für eine politische Leistung (s. o. 7.) beide Helden in der hypothetischen Ursage, sei es eine indoeuropäische oder eine altorientalische, vollbracht hatten, ist einstweilen nicht festzulegen, vielleicht nur die Gründung eines Stammesbundes 3 5 3 gegen irgendeinen Feind. Diese Tat wurde, wenn man eine solche Theorie durchführen will, später durch die Einigung Athens und das „Weltherrschertum" Yudhisthiras ersetzt. Was den Feind angeht, so stehen in Indien dem einen Minotauros nicht nur Jaräsandha, der Sivaverehrer, der vermutlich ein vor den Ärya nach Osten ausgewichener Abkömmling der Indusgesellschaft und ihres Stiergottes gewesen ist und damit Minos, seinem Analogon im Westen ähnelt, gegenüber, sondern auch die beiden dämonischen Menschenfresser Baka und Hidimba und der böse Vetter Duryodhana; Bhimasena erschlägt sie alle vier ( 4, 5., 6., 10.) und dazu die Gegner auf seiner Waldwanderung, die denen des Theseus vergleichbar sind (9.). Insbesondere die Kämpfe gegen den Minotauros und Jaräsandha (6.) gehören aber doch wohl in Sagen von Kämpfen der Athener bzw. Ärya gegen die altorientalische Gesellschaft in Kreta bzw. Nordindien; sie können daher beide im Grunde nicht (nur) aus einer altorientalischen Theseus-BhimasenaSage stammen, ebensowenig wie die historischen Ereignisse in 7. und 10. (s. o.). Sie sind aber auch einer indoeuropäischen Sage nicht zuzutrauen, es sei denn, man nähme an, ihr Prototyp stamme aus einer Zeit und Gegend, als die Vorfahren der Ärya und Griechen, einander benachbart, 3 5 4 gegen einen Feind altorientalischen Typs zu kämpfen hatten. Bei der weitgehenden Ähnlichkeit altindischer und griechischer Gesellschaft ist das nicht ganz undenkbar. Als sich in Indien der Typ des altorientalischen Despoten in der I I I . Periode wieder durchsetzte, geschah dies zuerst, soweit wir sehen, in Magadha, der Heimat Jaräsandhas. Ermordung derartiger Despoten war ein recht weit verbreitetes Thema altindischer Literatur. 3 5 5 Ob aber ein solches Thema bereits in der gentilen Gesellschaft der dem Vorderen Orient benachbarten Indoeuropäer, zumindest der Vorfahren der Griechen und Indoarier, vorkommen konnte, ist einstweilen weder abzulehnen noch zu beweisen. Die Annahme, in beiden Sagen sei das Auftreten dieses Themas vielmehr als typologische Analogie aufzufassen, steht der Indoeuropäertheorie einstweilen jedenfalls gleichberechtigt an der Seite. Um zusammenzufassen: Es kann eine altorientalische (oder indoeuropäische) Sage eines Wanderhelden mit voller Biographie gegeben haben, in der einige Motive in historischer Zeit durch analoge Motive von Kämpfen gegen einen einen Stiergott verehrenden und ihm Menschen opfernden oder solche gar selbst fressenden Despoten oder (wie in Indien) gegen mehrere Feinde solcher Art ersetzt wurden. Vermutlich gehen also einige Bestandteile des Mahäbhärata auf das 3. Jahrtausend zurück, vielleicht auch einige spätere Lyrik. Von einer Dramatik der Indusgesellschaft ist bisher nichts bekannt geworden. 356 Die Plastik des „Herren der Tänzer", des ¡§iva natesvara, bezeugt nur Tänzer für die Indusgesellschaft, 357 aber keine Schauspieler. Ein Pantomime dürfte die Rolle Sivas getanzt haben und insofern, obgleich er dabei nicht

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Einleitung, 4

gesprochen haben wird, in einer Art pantomimischen Kultdramas ein Vorläufer des Schauspielers der V. Periode gewesen sein. 358 Wie dem auch sei, es ist schon heute deutlich, daß die um 1200 v. u. Z. ins Pandschab eindringenden Ärya eine beträchtliche Literatur vorfanden, die sie aber im allgemeinen nicht fortzuführen trachteten. Und dennoch lebte einiges weiter.

I. Periode: Dichtung der rgvedischen Ärya (1200—900 v. u. Z.)

1. Indoeuropäische

und indo -iranische

Dichtung

Für eine im einzelnen letzten Endes bisher nicht erweisbare indoeuropäische Urzeit läßt sich demgemäß auch nichts an schöner Literatur rekonstruieren. Es gibt keine allen oder den meisten indoeuropäischen Sprachen gemeinsamen Wörter für singen, tanzen, Lied, Drama, Dichter oder dergleichen, allenfalls gemeinsame Metren 1 werden vermutet. Auch aus alten Nachrichten gewinnt man kein Material für urindoeuropäische Dichtung. Es ist aber die Frage, ob man aus Gemeinsamkeiten der indischen Ärya mit diesen oder jenen anderen Indoeuropäern — etwa den Griechen oder Germanen2 — etwas für die Zeiten vor der indoiranischen Gemeinsamkeit gewinnen kann. Daß es damals, etwa am Beginn der Bronzezeit, bei den betreffenden Indoeuropäern um 2000 v. u. Z. eine so reiche Literatur aller drei Gattungen wie bei den bronzezeitlichen vorarischen Gentilen im Gangesgebiet um 1000 v. u. Z. gegeben hat, ist nicht zu bezweifeln. Vermutlich gab es kultische Lieder, die an den Himmelsvater, die Erdmutter, die Morgenröte und den Feuergott gerichtet waren, voll von Mythen über sie, 3 sowie die Kosmogonie aus dem Urriesen,4 nur kann man noch nicht sagen, wieweit sie sich von den rgvedischen Liedern unterschieden; man weiß ja noch nicht, was für Priestertypen damals solche Lieder in was für Kultformen verwendet haben. Man vermutet ferner Barden, Hofdichter oder -sänger, die man bei Homer für die alten Griechen, bei den Römern (alte Tischlieder zum Preise der Ahnen, angeblich bei Numa) und Galliern (Barden, Waten als Leute, die am Tisch anderer leben) in ähnlicher Weise findet und mit den rgvedischen rebhas zusammenstellen möchte.5 Diese waren Barden einer höheren Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung als die noch gentilen Barden der Gonds.6 Bei den Munda gibt es heute keine Barden. Gab es sie früher? Dies zu wissen wäre für die Geschichte der Heldenepik7 wichtig. Manche Historiker nehmen an, daß schon Indoeuropäer vom „Ruhme der Helden" gesungen und eine besondere Dichtersprache entwickelt haben.8 In der Tat mögen die gemeinsamen Ahnen der Griechen und Ärya in ihrer militärischen Demokratie mythische und historische Helden in epischen Liedern besungen haben, im Grunde ähnlich den gentilen Vorärya. 9 Es gab weiter Zauberlieder von Magiern10 und irgendwie kultisch gemeinte Rätsel wettkämpfe,11 aber auch kultische Tänze, z. B . Waffentänze. 12 All dies war wie bei den Munda kollektives Erbgut der Stämme. Dichterpersönlichkeiten traten noch nicht hervor, nichts wurde aufgeschrieben, aber einige Spuren blieben erhalten.

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I. Periode, 1

E s gab Epik, z. B. Mythen, wie den über ein Wesen (im R g v e d a Matarisvan), das das Feuer den Menschen aus dem H i m m e l geholt hat, 1 3 ü b e r Drachenkampf (im R g v e d a von I n d r a berichtet), über das Auffinden eines Gottes, der sich versteckt h a t (Loki bzw. Indra). 1 4 E s gab einen Mythos (in Prosa oder als episches Lied), der die E r d e sich bei einem Gott beklagen ließ, sie sei von den Wesen überlastet, drohe im Ozean zu versinken, u n d der Gott habe zur E n t lastung der E r d e einen Krieg entfesselt. So begannen die K y p r i e n im alten Griechenland, u n d ähnlich das M a h ä b h ä r a t a sowohl wie der H a r i v a m s a 1 5 in Indien, u n d auch im altpersischen Vendidad gab es einen Rest eines solchen Mythos. 1 6 Die indischen Stellen lassen sich nicht datieren, aber bereits in der I I . Periode ist zweimal v o m drohenden Versinken der E r d e im Ozean 1 7 die Rede, so daß dieses Motiv f ü r Indien belegt ist, ehe man von griechischem Einfluß reden k a n n . D a ß die Kyprien nicht von Indien abhängen, bedarf keiner Diskussion. F ü r analoges E n t s t e h e n desselben Motivs in beiden Gesellschaften ist es zu speziell. Also bleibt nur gemeinsames E r b e aus vor-indo-iranischer Zeit. I n Indien wuchs dies Motiv d a n n mit dem der Taucherkosmogonie 1 8 z u s a m m e n , das aus Munda-Mythologie s t a m m t . Dieser Versuch, den blutigen Krieg in der Sage mythologisch zu rechtfertigen, p a ß t zur „militärischen Demokratie" der damaligen indoeuropäischen Stämme. Z u m homerischen Kyklos gehört weiter Achilleus, dessen merkwürdige G e b u r t 1 9 der des Bhisma im M a h ä b h ä r a t a ä h n e l t : menschlicher Vater, Wassergöttin als Mutter, sechs bzw. sieben Kinder von der Mutter ausgesetzt, erst das letzte durch den Vater gerettet. 2 0 — Achill wird durch seine M u t t e r gefeit, n u r seine Ferse n i c h t ; ähnlich feit im M a h ä b h ä r a t a Durväsas den K r s n a , n u r seine Fußsohlen nicht. — Achill stirbt demgemäß durch einen Pfeilschuß in die Ferse, entsprechend K r s n a . — N i m m t m a n noch indische Parallelen z u m Motiv des Parisurteils u n d des hölzernen Pferdes hinzu, so zeigt sich, daß es die mythische Biographie eines solchen tragischen Helden bereits als Sage in der eben erw ä h n t e n „militärischen Demokratie" derjenigen Indoeuropäer, aus denen irgendwie indische Ärya u n d Griechen hervorgingen, 2 1 gegeben haben wird. Dieser H e l d e n t y p ist ein anderer als der des Theseus-Bhlmasena, 2 2 n u r entspringen beide einer Art Martenehe u n d endet Theseus, nicht Bhlmasena, durch E r m o r d u n g wie K r s n a , während Achill u n d Bhisma in der Schlacht fallen u n d Bhlmasena als alter Mann mit seinen Brüdern friedlich stirbt. Achill ist so wenig ein Wanderheld wie Bhisma (wohl Krsna). Beide k ä m p f e n v o m indoeuropäischen Streitwagen herab u n d reinigen die Welt nicht von dämonischen Tieren u n d Menschen. F ü r die Frage des arischen oder nichtarischen Ursprungs der Theseus-Bhlmasena-Gestalt ergibt dieser Vergleich zweier H e l d e n t y p e n nichts; sie k ö n n t e n beide indoeuropäischer H e r k u n f t sein. Man m u ß dieses ganze Problem im Zusammenhang damit sehen, daß auch die Vergleichung der Philosophie, in geringerem Maße die der Religion, des R e c h t s u n d des Staates zeigt, daß Griechen u n d I n d e r sich im A l t e r t u m in m a n c h e r Hinsicht ähnlicher waren als anderen Völkern mit indoeuropäischen oder nichtindoeuropäischen Sprachen (z. B. Slawen, Ägypter, Chinesen); in anderer Weise

I . Periode, 1

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ähnelten die Inder bis auf Buddha den Persern bis auf Zarathustra einerseits, die Griechen den Römern andererseits. Inder, Griechen, Römer und Perser errichteten ihre Kulturen in denselben Zeiten in verschiedenen Räumen altorientalischer Kulturen, 23 brachten aber indoeuropäisches Erbe mit und zeigen vier Arten von Kulturmischung, letzten Endes fußend auf verschiedenen Formen der Auseinandersetzung ihrer zerfallenden gentilen Gesellschaft mit den Vorbewohnern und deren Varianten der „asiatischen" Produktionsweise. Die andere Frage, ob sich indoeuropäische Märchentypen nachweisen lassen, ist noch nicht befriedigend gelöst; 2 4 dahin gehört die schwierige Frage der Tierfabeln, die Griechen und Indern gemeinsam waren, aber zwischen ihnen oder von einem anderen Zentrum zu ihnen gewandert sein können. Indoeuropäische Sitte waren vielleicht Rätselwettkämpfe. 23 Von indoeuropäischer Dramatik kann man noch nicht mit Sicherheit sprechen. Dazu sind u. a. die gentilen Vorformen indischer und griechischer Dramatik, sei es das Kultdrama, sei es der Mimus, noch nicht genügend geklärt. Der Anteil der Vorärya am indischen Drama scheint aber zu überwiegen. 26 Auch die Dichtung der indo-iranischen Zeit ist bisher nur in wenigen Resten zu rekonstruieren. Die Ähnlichkeit des Feuer- und Somakults und der magischmythologischen Vorstellung der kosmischen „Wahrheit" bei den benachbarten Indern und Iraniern 2 7 läßt annehmen, daß ihre religiöse, genauer: magischmythologische, Lyrik damals ähnlich war, wenn auch die einen die devas für Götter, die anderen für Teufel erklärten. Man meint sogar angeben zu können, daß „gätha' damals die diesen beiden Kulturen gemeinsame Bezeichnung für diese Art Lyrik war. 28 gäthä-'Form hatte wohl auch die indo-iranische magische Strafandrohung für den Vertragsbruch. 29 Die damalige Form solcher magischmythologischen Lyrik müßte man durch den Vergleich der rgvedischen und awestischen rekonstruieren können, obgleich beide sich mehr oder weniger auseinander entwickelt haben können. 30 Bisher ist aber das Verhältnis beider Gesellschaften von damals an in bezug auf analoge Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung nicht genau genug untersucht worden. Einerseits verlief die staatliche Entwicklung im Iran anders, schneller als in Indien. 31 Andererseits kann man an manchen Zügen der religiös-epischen Literatur, insbesondere beim Vergleich indischer Puranen mit dem iranischen Bundahisn, zwar feststellen, daß beide sich näher standen als sie beide dem Alten Testament, 3 2 daß aber trotzdem bei allen Unterschieden diese drei mythologischen Weltgeschichten zusammengehören, während man bei Griechen oder Römern vergeblich eine Entsprechung sucht. 33 Als ungefähr gleichzeitig und analog mag der Beginn der Erlösungsreligion mit Yäjnavalkya-Buddha, mit Zarathustra 3 ' 1 und mit den Orphikern anzusehen sein. Der iranische Held Isfendiyar kann nach dem Schahname nur durch einen Pfeil aus einem bestimmten Holz mit zwei eisernen Spitzen getötet werden, wenn diese seine beiden Augen durchbohren. Sonst ist er gegen Tötung gefeit. Gemäß Firdousi hat Isfendyar nach Zarathustra gelebt, und seine Tötung durch Rustem, dem der Vogel Simurg jenes Geheimnis des Isfendiyar mitgeteilt

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I. Periode, 2

hat, wird moralisch gerechtfertigt mit Isfendiyars Überheblichkeit. Trotzdem k a n n diese Feiung seines Leibes bis auf die eine verwundbare Stelle mit der des Achill-Krsna einerseits, 35 mit der Tötbarkeit des Baidur durch einen Mistelzweig andererseits, auf „indoeuropäisches" E r b e zurückgehen. 3 6 Isfendiyar wird ja von Firdousi bei einem anderen K a m p f als Wanderheld hingestellt, der ganz allein (für die K ä m p f e sein Heer zurücklassend) erst ein Rudel Wölfe, d a n n ein Löwenpaar, einen giftschnaubenden Drachen und eine verführerische Zauberin erschlägt, den mythischen Vogel Simurg bezwingt und Schneegebirge sowohl wie Wüste überwindet. Aber im Unterschied zu Theseus, K r s n a und anderen Wanderhelden der Gentilzeit fährt er bei diesen Abenteuern auf einem mit Schwertern bewehrten Wagen oder reitet. Die Zusammendrängung dieser sieben Abenteuer auf sieben aufeinander folgende Tage beim Heereszug gegen T u r a n und die betonte Frömmigkeit des Helden bei dieser Gelegenheit gehören zur epischen Ausschmückung durch den großen iranischen Dichter des Feudalismus. E s könnte sein, daß die merkwürdige F o r m des Schahname mit seiner Reihe ineinandergeschachtelter Biographien der Könige irgendwie von Kälidäsas R a g h u v a m s a abhängt. Daß Firdousi aber dieses Motiv des Isfendiyar aus Indien entlehnt h a t , ist unwahrscheinlich. 3 7 Man k a n n es wohl als uraltes Sagengut Irans f ü r die indo-iranische Zeit in Anspruch nehmen. Andere Motive des Schahname wie einige der Biographie des Kyros können erst v o n der I I I . Periode a b aus I r a n nach Indien gelangt sein. 38 Bei den Motiven jener mythologischen Weltgeschichte schließlich ist es fraglich, wann und in welcher Richtung sie gewandert sind oder ob einige von ihnen aus indo-iranischer Urzeit stammen, wie z. B. der Anfang mit der Kosmogonie und dem paradiesischen Urzustand mit König Y a m a , vielleicht gar mit einer Sintflut, selbst wenn diese Stoffe im Rgveda nicht bezeugt sind; 3 9 dieser ist ja keine Enzyklopädie der arischen Mythologie; vielmehr muß m a n die sogenannte puranische Tradition neben die vedische stellen/* 0 Was es damals daneben an sonstiger schöner Literatur gegeben h a t , ist einstweilen u n b e k a n n t ; im allgemeinen dürfte es nicht weniger gewesen sein als in der indoeuropäischen bzw. mundaischen zerfallenden Gentilgesellschaft. Schwierig ist u. a. die Frage der D r a m a t i k ; da es in I r a n zu keinem D r a m a kam, in Indien aber vorarische Vorformen des historischen Dramas vorhanden waren, braucht m a n keine arischen Vorformen f ü r die indo-iranische Urzeit anzunehmen, selbst wenn es auf noch früherer, indoeuropäischer Stufe solche gegeben haben sollte, was aber auch noch nicht nachgewiesen ist; 4 1 f ü r die Stufe des Rgveda lassen sie sich bisher nicht nachweisen.

2. Der dllgemeine

Charakter der rgvedischen

Lyrik

Aus der I . Periode der altindischen Geschichte sind uns vor allem die über tausend Gedichte des Rgveda erhalten, also magische, religiöse Lyrik; daneben wohl n u r einige Zaubergedichte des Atharvaveda. Der R g v e d a war das geistige

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hat, wird moralisch gerechtfertigt mit Isfendiyars Überheblichkeit. Trotzdem k a n n diese Feiung seines Leibes bis auf die eine verwundbare Stelle mit der des Achill-Krsna einerseits, 35 mit der Tötbarkeit des Baidur durch einen Mistelzweig andererseits, auf „indoeuropäisches" E r b e zurückgehen. 3 6 Isfendiyar wird ja von Firdousi bei einem anderen K a m p f als Wanderheld hingestellt, der ganz allein (für die K ä m p f e sein Heer zurücklassend) erst ein Rudel Wölfe, d a n n ein Löwenpaar, einen giftschnaubenden Drachen und eine verführerische Zauberin erschlägt, den mythischen Vogel Simurg bezwingt und Schneegebirge sowohl wie Wüste überwindet. Aber im Unterschied zu Theseus, K r s n a und anderen Wanderhelden der Gentilzeit fährt er bei diesen Abenteuern auf einem mit Schwertern bewehrten Wagen oder reitet. Die Zusammendrängung dieser sieben Abenteuer auf sieben aufeinander folgende Tage beim Heereszug gegen T u r a n und die betonte Frömmigkeit des Helden bei dieser Gelegenheit gehören zur epischen Ausschmückung durch den großen iranischen Dichter des Feudalismus. E s könnte sein, daß die merkwürdige F o r m des Schahname mit seiner Reihe ineinandergeschachtelter Biographien der Könige irgendwie von Kälidäsas R a g h u v a m s a abhängt. Daß Firdousi aber dieses Motiv des Isfendiyar aus Indien entlehnt h a t , ist unwahrscheinlich. 3 7 Man k a n n es wohl als uraltes Sagengut Irans f ü r die indo-iranische Zeit in Anspruch nehmen. Andere Motive des Schahname wie einige der Biographie des Kyros können erst v o n der I I I . Periode a b aus I r a n nach Indien gelangt sein. 38 Bei den Motiven jener mythologischen Weltgeschichte schließlich ist es fraglich, wann und in welcher Richtung sie gewandert sind oder ob einige von ihnen aus indo-iranischer Urzeit stammen, wie z. B. der Anfang mit der Kosmogonie und dem paradiesischen Urzustand mit König Y a m a , vielleicht gar mit einer Sintflut, selbst wenn diese Stoffe im Rgveda nicht bezeugt sind; 3 9 dieser ist ja keine Enzyklopädie der arischen Mythologie; vielmehr muß m a n die sogenannte puranische Tradition neben die vedische stellen/* 0 Was es damals daneben an sonstiger schöner Literatur gegeben h a t , ist einstweilen u n b e k a n n t ; im allgemeinen dürfte es nicht weniger gewesen sein als in der indoeuropäischen bzw. mundaischen zerfallenden Gentilgesellschaft. Schwierig ist u. a. die Frage der D r a m a t i k ; da es in I r a n zu keinem D r a m a kam, in Indien aber vorarische Vorformen des historischen Dramas vorhanden waren, braucht m a n keine arischen Vorformen f ü r die indo-iranische Urzeit anzunehmen, selbst wenn es auf noch früherer, indoeuropäischer Stufe solche gegeben haben sollte, was aber auch noch nicht nachgewiesen ist; 4 1 f ü r die Stufe des Rgveda lassen sie sich bisher nicht nachweisen.

2. Der dllgemeine

Charakter der rgvedischen

Lyrik

Aus der I . Periode der altindischen Geschichte sind uns vor allem die über tausend Gedichte des Rgveda erhalten, also magische, religiöse Lyrik; daneben wohl n u r einige Zaubergedichte des Atharvaveda. Der R g v e d a war das geistige

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Eigentum der kotr-Priester/*2 Diese rezitierten passende Stücke aus ihm beim Soma-Opfer 4 3 in seinen verschiedenen Formen. 4 4 Neben ihnen fungierten Sänger-Priester und die die Riten vollziehenden Priester. 4 5 Das Rezitieren der Gedichte darf m a n sich wohl als eine Art Singsang mit Kadenzen ohne Musik oder Tanz, ähnlich dem des Priesters der vorarischen Gentilgesellschaft 4 6 , vorstellen. Die Gedichte bestanden aus einer Anzahl in sich abgeschlossener Strophen. Auch der I n h a l t dieser „Gebete" der beiden Gesellschaften war weitgehend analog, nämlich Einladung 4 7 an den betreffenden Gott, z u m Opfer zu kommen, u m an diesem als einem Festmahl teilzunehmen. 4 8 Dabei wurde der Gott je nach seiner Art gepriesen und u m Hilfe gebeten. Bei Ärya u n d Vorärya waren diese Gebete E r b g u t gewisser Priesterfamilien, die sich von der Masse der Stammesgenossen abhoben und dabei waren, sich zu einer Art geistlichem Adel zu entwickeln. Den Verkehr mit den Göttern im Interesse der Gemeinde v e r t r a u t e m a n eben nicht jedem Stammesmitglied an, diese W ü r d e m u ß t e ererbt sein. I n diesen Familien lernte der Sohn vom Vater die Gebete; es gab n u r mündliche Tradition. Diese Gemeinsamkeiten von Ärya und Vorärya ergaben sich aus der analogen Höhe der gesellschaftlichen Entwicklung: bei beiden zerfiel die gentile Gesellschaft in einer Bronzezeit zu militärischer Demokratie; beide h a t t e n die Bronze als N a c h b a r n des Alten Orients übernommen. Beide h a t t e n noch Varianten der allgemeinen animistischen, magischmythologischen Weltanschauung mit ihrer ungebrochenen Diesseitsfreudigkeit. Aber auch ihre Unterschiede waren bedeutend. 4 9 Die rgvedische Lyrik s t a m m t von den Ärya, die damals ihre militärische Demokratie als jahrhundertelangen Siegeszug erlebten. Die mundaische dagegen gehört heutigen S t ä m m e n in ihren Rückzugsgebieten, die sich ihrer Krieger- oder Heldenzeit u n t e r eigenen Königen n u r noch dunkel erinnern; sie wissen noch, daß sie einst (d. h. vor 3000 Jahren) im Gangesgebiet saßen und glücklicher waren als heute, wo sie in die mittelindischen Berge abgedrängt sind, keine Könige mehr haben, aber dennoch gegen die Engländer verzweifelte K ä m p f e geführt haben. 5 0 Der rgvedische hotr rezitierte zum Soma-Opfer, diesem E r b e aus indoiranischer Vorzeit; sein iranisches Gegenstück war der zaotr. Diese A r t Opfer gab es bei den Vorärya nicht. E s war f ü r die Reichen, 5 1 den sich herausbildenden Kriegeradel, die Besitzer großer Herden, die „Könige", die „Opferherren" bestimmt. Einen analogen Kriegeradel gab es bei den gentilen Vorärya vielleicht noch nicht. E r war entstanden, als die Ärya als Pferdehirten u n d Wagenkämpfer, als Vieh-, Menschen- u n d Landräuber ins P a n d s c h a b eindrangen. Die Vorärya h a t t e n ihre Dorfpriester, die Ärya dagegen h a t t e n hotrs, die eine Art Hofpriester u n d -dichter waren und insofern schon bei einigen Indoeuropäern ihre Gegenstücke h a t t e n . Sie wirkten f ü r ihre reichen Auftraggeber u n d damit zugleich f ü r ihren gräma, ihren Heerestrupp, dessen Verhältnis z u m S t a m m und Dorf noch nicht genauer beschrieben werden k a n n . Diese Opfer waren damit zugleich sozusagen öffentliche Angelegenheiten, sogenannte srauta-Riten; sie standen im Gegensatz zu den „häuslichen" Riten jedes einzelnen Familienvaters. Neben ihnen gab es aber auch eine Gruppe anderer ¿rauta-'BAtea., bei

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denen das rituell angelegte u n d unterhaltene Feuer, Neu- u n d Vollmondopfer u n d anderes eine Rolle spielten, aber kein Sorna verwendet wurde. 5 2 Bei ihnen war der Priester der adhvaryu, nicht der hotr.™ Wie dem auch sei, diese srauta-Opfer f ü r reiche, aristokratische Opferherren, unter U m s t ä n d e n „Könige" oder Heerführer, und d a m i t auch die Somaopfer der hotrs, unterschieden sich von den Opfern der gentilen Vorärya u n t e r ihrem Dorfpriester, die ebenfalls als Angelegenheiten der Dorfgemeinde eine Art öffentlicher Angelegenheit waren u n d neben Hausriten, die v o m F a m i l i e n v a t e r vollzogen wurden, standen. Die hotrs waren verhältnismäßig frei. Sie k o n n t e n sich von ihrem S t a m m trennen u n d sich von irgendeinem „König" als sein Opferpriester wählen lassen, dabei ihn zugleich als Auftraggeber wählen, u n d sie lebten d a n n von dessen Geschenken. 5/1 W e n n m a n von dem kriegsgefangenen „Sklaven" absieht, war dieser Priester der erste als I n d i v i d u u m innerhalb und außerhalb seiner Sippe in der zerfallenden Gentilgesellschaft Lebende, u n d d a er Dichter war, wirkte sich das in der rgvedischen Lyrik im Gegensatz zu d e r der gentilen Vorärya aus (s. u.). Ob es daneben arische Dorfpriester der I . Periode (wohl keine Dorf-hotrs) gegeben hat, 5 5 ist nicht sicher. Die Gebetslyrik der hotrs wurde als R g v e d a s a m h i t ä gesammelt, aber wir wissen noch nicht genau genug, wann, wo, von wem u n d mit welcher Absicht dies geschah. 5 6 Mit der Herausbildung der Ständeordnung, d. h. des Staates u n d der Ausbeutung während der S e ß h a f t w e r d u n g im Gangesgebiet, h ö r t e offenbar das Dichten neuer Gebete dieses K u l t s auf, u n d Mitglieder des B r a h m a n e n s t a n d e s sammelten das geistige E r b e ihrer Familien, ihrer hotr-Ahnen, als K a n o n , der nicht mehr geändert werden durfte. So weit k a m e n aber die gentilen Vorärya nicht. Die B r a h m a n e n ordneten sie 57 in zehn Bücher, d a v o n das II.—VIII. nach den Familien der sieben mythischen Urpriester; 5 8 das I X . e n t h ä l t Gedichte, die zur Somapressung gehören, das I . u n d X . Lyrik vieler Autoren in Gruppen von Gedichten, wie z. B. X , 10—19 Yama-Gedichte 5 9 umf a ß t , die von späteren Theologen Y a m a u n d seinen N a c h k o m m e n zugeschrieben werden. Von ihnen sollen X , 10 u n d 14 Y a m a als Dichter haben, aber in 10 t r i t t der Urmensch u n d Totengott Y a m a als redend auf, in 14 wird er angeredet u n d gepriesen, 14—18 sind Gebete bei der T o t e n b e s t a t t u n g ; 11 u n d 12 s t a m m e n vielleicht von demselben Dichter wie 10; in 12 u n d 13 ist mehr oder weniger von Y a m a die Rede, aber 13 gehört z u m Soma-Opfer, u n d 19 ist eine A n r u f u n g verschiedener Götter, u m verirrte K ü h e heimzuführen, u n d zwar als lebende K ü h e (nicht als t o t e ; darin lag vielleicht der G r u n d f ü r die Anreihung dieses Gebets an die G r u p p e des Totengottes Y a m a ) . Die Bestattungsfeier gehört nicht z u m Somakult, sondern zu den H a u s r i t e n . W a r u m diese Gruppe in dieser Z u s a m m e n stellung in den R g v e d a a u f g e n o m m e n wurde, 6 0 ist noch nicht geklärt. Dasselbe gilt von den rgvedischen Hochzeitsliedern u n d vereinzelten anderen magischen Götteranrufungen.61 Mancher n i m m t sogar an, d a ß ein Teil der Gedichte ü b e r h a u p t nicht f ü r den K u l t gedichtet war, selbst wenn spätere Theologie ihnen einen Platz in irgendeinem R i t u s zugewiesen hat. 6 2 Ein eindeutiges K r i t e r i u m f ü r solche nicht-

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rituellen Dichtungen hat man aber noch nicht angeführt, und es ist etwas fraglich, ob man wirklich den Zweck der R g v e d a - S a m m l u n g als nicht nur religiös (besser magisch), sondern auch „rein literarisch" 6 3 angeben darf, ob es sich im R g v e d a hier und d a mehr u m reine Naturlyrik als u m rituelle L y r i k handelt. 6 '» Diese Problematik taucht auch bei gentilen Vorärya auf. 6 5 Immerhin ist folgendes zu überlegen. I m allgemeinen sind die rgvedischen Gedichte noch G u t von Priesterfamilien, und solche Familien, Sippen oder K l a n s wie die des V i s v ä m i t r a oder Vasistha werden in den H y m n e n selber gelegentlich als Verfasser genannt. 6 6 E s handelt sich um anonymes Traditionsgut, und wenn spätere Theologie jedem Vers oder Gedicht einen Autor zuschrieb, ist d a s größtenteils Fiktion gewesen, wie z. B . im Falle des Totengottes Y a m a (s. o.). Aber die Dichterwaren z. T . von ihrem S t a m m gelöst (s. o.) und waren damit auf d e m Wege, Einzelpersönlichkeiten und unter U m s t ä n d e n dichtende Individuen zu werden. D a z u paßt, daß es neben den traditionellen auch neue Gedichte gab, j a an mehreren Stellen rühmen die Dichter in ihrem Gedicht dieses als n e u ! 6 7 Vielleicht haben manche im A u f t r a g ihrer Herren solche neuen Gedichte verfaßt und wurden u. a. auch dafür von diesen beschenkt. Dergleichen gibt es bei den Munda heute nicht. Der R g v e d a und insbesondere seine S a m m l u n g gehört eben in die Zeit des letzten Zerfalls der Gentilgesellschaft. Die Dichter spekulierten schon über d a s Dichten, die Vision des Dichters und sein Schauen der „ R e d e " . 6 8 Dichteten die meisten nach Schablonen, womöglich des Erwerbs wegen, 6 9 so doch andere als echte, selbstbewußte Dichterpersönlichkeiten wie z. B . der anonyme Verf a s s e r 7 0 von R V I X , 112, d e m Spottgedicht über d a s allgemeine Streben nach Gut. 7 1 E r schreibt sogar dem Arzt (und er gibt an, daß sein Vater Arzt war) den Wunsch zu, j e m a n d möge sein Bein brechen, damit er einen A u f t r a g g e b e r findet, und er nimmt sich selber, den Dichter, davon nicht aus, ebensowenig den brahman-Priester. E r hat aber jeder Strophe einen Refrain angehängt, S o m a s a f t möge dem Indra zufließen. Damit ist es ein echtes Somakelterungslied und steht demgemäß im I X . Buch. 7 2 Man konnte also im K u l t derartige kühne Dichtungen, Neuerungen persönlichster Art, verwenden. E s handelt sich hier um eine im Grunde weltliche Dichtung in magischem Gewände. Denn, mögen auch einige andere Gedichte nicht im Somaopferkult verwendet worden sein, irgendeine magische Absicht werden sie wohl alle gehabt haben, 7 3 ob wir sie nun schon erkennen können oder nicht. Sie fußen alle auf magischer Weltanschauung und bestärken sie, selbst wenn diese schon im Verfallen war. Von d a bis zu rein weltlicher Dichtung ohne solche kultische oder magische Verbrämung ist es formal kein weiter Schritt, wohl aber weltanschaulich; er m a g schon in der I . Periode in der arischen (ebenso wie in der vorarischen) Gentilgesellschaft begonnen haben. 7 ' 1 I n der vorarischen Gentilgesellschaft ist uns k a u m etwas diesem Neuen Entsprechendes bezeugt. 7 5 N u r selten werden dort T e x t e von Tanzliedern zu traditioneller Musik und Tanz neu gedichtet, 7 6 aber wenn, dann nicht mit so individuellem Charakter. E s gibt j a keine reichen Auftraggeber für neue Ge-

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dichte und keine Geschenke dafür, und es handelt sich bei unserem Mundamaterial um verhältnismäßig weltliche Tanzlieder, nicht um Opferlyrik. Der Charakter des Zerfalls war ja bei der arischen Gentilgesellschaft anders als bei der vorarischen. 77 Die vorarische wurde unterworfen und zum Teil langsam in das südliche Bergland abgedrängt. Dort war an eine Fortentwicklung nicht zu denken, eher an Rückentwicklung; im allgemeinen t r a t eine uns unvorstellbare Stagnation der Dorfgemeinden und der totemistischen Gesellschaft ein. Dem verdanken wir die Erhaltung der altertümlichen Literatur bis heute wenigstens als Typ. Die arische Gesellschaft aber war bei der damaligen Auseinandersetzung die siegreiche, die sich zum Staat, zunächst altorientalischen, dann feudalistischen und heute kapitalistischen Charakters, fortentwickelte, im Verhältnis zur griechisch-römisch-europäischen Entwicklung zwar stagnierte, aber gegenüber den Vorärya bedeutend fortschritt. Diese Fortschrittsenergie prägte letzten Endes den Unterschied auch der beiden priesterlichen Lyriken. Die rgvedische wäre vielleicht verschwunden und f ü r uns verlorengegangen, wenn nicht der Brahmanenstand der jungen Klassengesellschaft bei seiner Konstituierung diese Lyrik gesammelt und kanonisiert hätte. E r leistete damit unbewußt für die Forschung in gewissem Sinne mehr, als bisher bei den Munda von Ethnologen in Chota Nagpur geleistet wurde. 78 Wüßten wir aber mehr von Mundapriesterdichtung, wäre der Unterschied zwischen ihr und dem Rgveda vielleicht nicht so groß. I m allgemeinen ist die rgvedische Lyrik priesterlich-magisch. Letztlich um ihr Familien- und dann Standesprivileg des Aoirtums zu behalten, gaben die Dichter ihrer Lyrik einen geheimnisvollen, ja geheimen Charakter. Sie deuteten die Mythen der besungenen Gottheiten nur an. Sie brauchten nur dem Magier und dem Gotte verständlich zu sein. Das metrische Aussprechen der Taten der Gottheit sollte sie ja beschwören. Ob die Zuhörer die Verse verstanden, war unwichtig. Auf diese Weise sammelte man im Rgveda das „Wissen" (veda) der Strophen (rc), neben das das „Wissen" der Lieder (säman) und der Sprüche (yajus) trat, so daß die „Dreiheit" des Wissens (trayl) oder Theologie entstand. Trotzdem gab es unter den hotrs Dichterbegabungen, und die Literaturgeschichte hat sie zu würdigen. Einstweilen stehen allerdings noch sehr verschiedene Beurteilungen gegeneinander. 79

3.

Naturlyrik

Ein beträchtlicher Teil des Rgveda besteht aus Naturlyrik, freilich in magischem Gewand. Es handelt sich um Magie und Mythologie derjenigen Gottheiten, bei denen der Charakter der Naturmacht, deren Vergöttlichung sie sind, noch deutlich, lebhaft, eben dichterisch empfunden wird. Ein Gedicht z.B. preist den Regengott Parjanya (V, 83); es beginnt mit der üblichen Einladung an ihn, zu kommen, bittet ihn um reichlichen Regen und um dessen rechtzeitiges Aufhören und schildert seine Größe als von allen gefürchtete Gottheit.

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dichte und keine Geschenke dafür, und es handelt sich bei unserem Mundamaterial um verhältnismäßig weltliche Tanzlieder, nicht um Opferlyrik. Der Charakter des Zerfalls war ja bei der arischen Gentilgesellschaft anders als bei der vorarischen. 77 Die vorarische wurde unterworfen und zum Teil langsam in das südliche Bergland abgedrängt. Dort war an eine Fortentwicklung nicht zu denken, eher an Rückentwicklung; im allgemeinen t r a t eine uns unvorstellbare Stagnation der Dorfgemeinden und der totemistischen Gesellschaft ein. Dem verdanken wir die Erhaltung der altertümlichen Literatur bis heute wenigstens als Typ. Die arische Gesellschaft aber war bei der damaligen Auseinandersetzung die siegreiche, die sich zum Staat, zunächst altorientalischen, dann feudalistischen und heute kapitalistischen Charakters, fortentwickelte, im Verhältnis zur griechisch-römisch-europäischen Entwicklung zwar stagnierte, aber gegenüber den Vorärya bedeutend fortschritt. Diese Fortschrittsenergie prägte letzten Endes den Unterschied auch der beiden priesterlichen Lyriken. Die rgvedische wäre vielleicht verschwunden und f ü r uns verlorengegangen, wenn nicht der Brahmanenstand der jungen Klassengesellschaft bei seiner Konstituierung diese Lyrik gesammelt und kanonisiert hätte. E r leistete damit unbewußt für die Forschung in gewissem Sinne mehr, als bisher bei den Munda von Ethnologen in Chota Nagpur geleistet wurde. 78 Wüßten wir aber mehr von Mundapriesterdichtung, wäre der Unterschied zwischen ihr und dem Rgveda vielleicht nicht so groß. I m allgemeinen ist die rgvedische Lyrik priesterlich-magisch. Letztlich um ihr Familien- und dann Standesprivileg des Aoirtums zu behalten, gaben die Dichter ihrer Lyrik einen geheimnisvollen, ja geheimen Charakter. Sie deuteten die Mythen der besungenen Gottheiten nur an. Sie brauchten nur dem Magier und dem Gotte verständlich zu sein. Das metrische Aussprechen der Taten der Gottheit sollte sie ja beschwören. Ob die Zuhörer die Verse verstanden, war unwichtig. Auf diese Weise sammelte man im Rgveda das „Wissen" (veda) der Strophen (rc), neben das das „Wissen" der Lieder (säman) und der Sprüche (yajus) trat, so daß die „Dreiheit" des Wissens (trayl) oder Theologie entstand. Trotzdem gab es unter den hotrs Dichterbegabungen, und die Literaturgeschichte hat sie zu würdigen. Einstweilen stehen allerdings noch sehr verschiedene Beurteilungen gegeneinander. 79

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Naturlyrik

Ein beträchtlicher Teil des Rgveda besteht aus Naturlyrik, freilich in magischem Gewand. Es handelt sich um Magie und Mythologie derjenigen Gottheiten, bei denen der Charakter der Naturmacht, deren Vergöttlichung sie sind, noch deutlich, lebhaft, eben dichterisch empfunden wird. Ein Gedicht z.B. preist den Regengott Parjanya (V, 83); es beginnt mit der üblichen Einladung an ihn, zu kommen, bittet ihn um reichlichen Regen und um dessen rechtzeitiges Aufhören und schildert seine Größe als von allen gefürchtete Gottheit.

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Dazwischen stehen zwei Strophen; die eine ist eine Schilderung des wohltuenden Regens: Winde wehen, Blitze fallen, die Pflanzen richten sich auf, alle Wesen sind erquickt (V, 83, 4). 80 Die andere Strophe ist ein Vergleich: Das Nahen der Wolken ist wie das Kommen eines Wagenfahrers, der auf seine Rosse einschlägt, wobei der Donner wie ein Löwe brüllt (V, 83, 3). I m Grunde ganz ähnliche Schilderungen des fallenden Regens kann man in Tanzliedern z. B. der Kharia und Uraon 8 1 finden. Nur haben diese Tanzlieder keinen ausgesprochenen magischen Zweck wie die vedischen Opferlieder und schildern ohne Mythologie neben dem Fallen des Regens das Naß werden des verliebten Jünglings 8 2 und das Flüchten des Mädchens unter einen Felsvorsprung 8 3 oder fordern den jungen Mann auf, mit der Hacke zu verhüten, daß die Dämme der überfluteten Reisfelder brechen. 84 Ob Ärya oder Vorärya, der Regen wurde als Wohltat empfunden, und Dichter gestalteten die allgemeine Freude über den Regen in zum Teil ähnlichen Strophen. Dabei ist zu betonen, daß der Strophencharakter der Lyrik bei beiden ähnlich war. Eine Strophe 8 5 ist wie ein Gemälde eines Naturausschnitts. Aber beide Lyriken haben auch in ähnlicher Weise mit dem dichterischen Mittel des Vergleichs 86 gearbeitet, wie die angeführte 3. Strophe von RV V, 83 zeigt und wie es schon längst beobachtet ist, daß Vergleiche der Mythen mit Beobachtungen der Natur und des Lebens den Rgveda durchziehen. 87 Bei den Uraon vergleicht u. a. ein Mädchen sich selber mit einem kleinen Fisch, 88 ein Mann vergleicht das Mädchen einem Kuckuck, ein anderer die Braut der Taube im Unterschied zur Wildgans. 89 Dabei ist der Vergleich in den Tanzliedern der Vorärya naturgemäß anderer Art als der im Rgveda, idyllisch und nicht heroisch-mythologisch-priesterlich. Aber man kann sich vorstellen, wie die uns nicht erhaltene unpriesterliche Naturlyrik der Ärya, die nicht an Somakult gebunden, sondern für festliche Gelegenheiten verschiedener Art gemeint war, ausgesehen haben wird. Ein Gedicht des Rgveda verherrlicht die Flüsse, insbesondere den Indus und seine Nebenflüsse. Zwischen einem einleitenden und einem abschließenden Strophenpaar steht eine Schilderung des brausenden Dahinfließens der Flüsse, die wie Regen aus der Wolke donnern; die Nebenflüsse eilen brüllend dem Indus zu wie die Kälber der K u h ; der Indus ist ihr Kriegsführer; er schießt schimmernd, weiß dahin, reich an Wasserwolken, unbeirrt, prächtig wie eine Stute; das ist in magisch-mythologisches Gewand gekleidete Naturlyrik. 9 0 — Flüsse spielen auch in der Tanzpoesie der gentilen Vorärya eine gewisse Rolle, u. a. mit Anspielung auf ihre gefährliche Fluttiefe. 9 1 I n R V VI, 2 wird Agni, der Gott des Feuers, gepriesen; als Gast, als Opferfeuer weilt er bei den Frommen, aber er ist auch die Sonne, und die Sturmgeister entflammen ihn als Blitz. Er frißt die Bäume wie das Vieh die Grashalme, seine Flammen fällen die Bäume (VI, 2, 9). Mit dieser Strophe ist die Schilderung eines Waldbrandes in das Loblied auf Agni eingeschoben; 92 sie soll seine K r a f t zeigen. Vergleichbar ist die dichterische Strophe über den Steppenbrand: E r mäht die Steppe wie ein Mäher das bebaute Land, wie ein Tier das Gras, mit goldenem Bart, mit blanken Zähnen, ein Meister von ungeschwächter Kraft. 9 3 —

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Die Uraon singen z u m Tanz eine Strophe: Der Bambushügel brennt nieder, der Donner rollt; die Männer jagen und die Wolken donnern. 9/1 Die Asur singen: Das Gras b r e n n t , das Gras macht k n a c k ; gut b r e n n t das Gras in leuchtender Schönheit. 9 5 Oder: Der Berg brennt. Wie schön! Der R a u c h steigt z u m H i m mel. 96 — W a l d b r a n d war f ü r beide Gentilgesellschaften offenbar nicht n u r etwas Schrecklich-Großes, sondern auch Hilfreiches. Die rgvedische Poesie besteht nicht nur, wie doch die der Vorärya, aus Einzelstrophen. 9 7 E s ist aber lehrreich, einzelne Tanzliedstrophen von Vorärya mit ganzen Gedichten des R g v e d a zusammenzustellen, wie z. B. in einer UraonStrophe ein Jüngling ein Mädchen auf den Mond hinweist, der wie ein aus Stroh geflochtener Schirm gegen Morgen aufgeht. 9 8 Ein rgvedischer priesterlicher Dichter dagegen pries die N a c h t , die herrliche Himmelstochter, die aus tausend Augen (den Sternen) 9 9 blickt und mit (diesem) ihrem Licht die Dunkelheit vertreibt, in acht Strophen. I h r e Schwester, die Morgenröte, löst sie ab. Bei ihrem K o m m e n gehen die Vögel u n d wir, die Dörfler, zur R u h e . Sie wehre den Wolf u n d den Dieb ab. 1 0 0 Das Magische u n d das Mythologische nehmen in diesem Gedicht n u r einen gewissen R a u m ein. Ähnlich ist es in dem b e r ü h m t e n Gedicht an die Waldgöttin, „ F r a u W a l d " , mit seinen sechs Strophen, der F o r m nach vielleicht eine Art Abendsegen oder -gebet eines Mannes, der im Wald ü b e r n a c h t e n will, an sich wohl nicht mit dem Somaopfer verbunden, 1 0 1 aber auf jeden Fall eine warmherzige N a t u r l y r i k in d e m magisch-mythologischen Gewand der Bitte u m Schutz, gerichtet an diese wohlduftende Göttin, die Mutter der wilden Tiere, deren F r ü c h t e die Menschen essen, ohne zu ackern, die keinem ein Leid t u t (RV X , 146, 5—6). I n der ersten Strophe wird die Göttin angerufen, aber schon so, als entschwände sie gerade im W a l d e s d ä m m e r n den Augen des Dichters, der erwartet, daß sie als einsame F r a u im Walde ihn nach dem Weg zum Dorf fragen sollte. I n der Mitte, in Strophe 2—4, wird das Alleinsein des Wanderers, des Dichters, im abendlichen W a l d prachtvoll dargestellt, wie er meint, die Göttin u n t e r Begleitung der Musik von Zikaden dahinfahren, weidende Kühe, ein H a u s zu sehen, das K n a r r e n eines Lastwagens, eine K u h brüllen, Holz schlagen u n d j e m a n d e n rufen zu hören. I n Indien mit seinen weiten Dschungeln m u ß t e der Wald wie im Leben, so im Denken u n d Fühlen eine bedeutende, mannigfache Rolle spielen u n d m u ß t e n verschiedenartige Waldgottheiten zu Mythen, aber auch zu Dichtung anregen. 1 0 - Der Dichter der arischen Gentilgesellschaft empfindet wohl gewisse F u r c h t im nächtlichen Wald, aber sieht ihn zugleich als gut f ü r das Sammeln von F r ü c h t e n und f ü r das Weiden der H e r d e n an. 1 0 3 Ein eigenartiges Stück Naturlyrik ist die rgvedische Schilderung q u a k e n d e r Frösche in den zehn Strophen des R V V I I I , 103. W e n n nach der großen Hitze der Regen einsetzt, weckt P a r j a n y a die Frösche, und sie erheben ihre Stimme, wie die K u h nach ihrem K a l b r u f t . Einer r u f t dem anderen zu, alle vereinigen ihre Stimmen, alle sehen verschieden aus u n d quaken verschieden, der eine wie eine K u h , der andere wie ein Bock. Sie werden d a n n mit einer gemeinsam singenden B r a h m a n e n v e r s a m m l u n g verglichen. 10 ' 1 Das Gedicht e n t h ä l t keine

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Anrufung der Frösche oder einer anderen Gottheit, und die Frösche sind nicht mythologisiert. Ob man es nun als einen Regenzauber 105 ansieht, als reine Naturbeschreibung 106 oder als eine Satire auf Brahmanen, 107 es ist eine lebensfrohe, naturnahe Dichtung. Auch die vorarische Gentilgesellschaft sang zum Tanz, ohne aber dabei eine magische Absicht auszusprechen, von Tieren, die sich wie Menschen benehmen, z. B . vom Krebs, der pflügt, während die Frösche dazu singen. 108 Der Falke heiratet den Maina, der Papagei den Panther. 109 Dabei sei von der ganz anderen Form des Vergleichs abgesehen: Die Maina-Vögel streiten (gemeint sind die um den Brautpreis feilschenden Parteien), die Bienen summen (Gib Geld für meine Tochter!). 110 Eine humorvolle, mehr oder weniger magielose Dichtung solcher Art ist also auf der Stufe der zerfallenden Gentilgesellschaft denkbar. Mehrere rgvedische Dichter priesen die Morgenröte, Usas-Eos-Aurora, eine indoeuropäische Göttin, in ihrer Mädchenschönheit. Da der arische Feuerkult es erforderte, sahen die Priester samt ihren Opferherren und die frommen Hausväter täglich dem Aufgang der Sonne erwartungsvoll entgegen und priesen die Morgenröte, den auflodernden Himmel vor dem Erscheinen des Sonnengottes, in ihrem täglichen Kult, auch bei den Somaopfern der hotrs. Abgesehen von Bitten um ihren Segen gibt es in diesen Gebeten Andeutungen von Naturschilderung, die mit moralischer Spekulation verquickt sind: Sie vertreibt das Dunkel, die Nacht, ihre Schwester, die andere Himmelstochter (RV I, 113, 2); sie macht alles sichtbar und weckt alle Wesen, damit sie ihrem Geschäft nachgehen, sei es dem Gewinn von Ehre oder Erwerb (6), zunächst dem morgendlichen Sonnenritus (9). — Die rgvedischen Stämme fahren im Dunkel mit ihren Rossen dahin, während Usas' Wagen herrlich strahlt; sie macht sich selbst im Dunkel mit ihrem weißlichen Strahl bemerkbar, erweckt aufleuchtend die Stämme und leitet das Opfer ein, das Dunkel der Nacht vertreibend (VI, 65, 1—2). Rötlich strahlend bringt sie die Sonne gemäß der Weltordnung; buntfarbig wächst sie im Osten zu doppelter Größe (V, 80, 1; 4). Sie blinkt wie Wasserwellen (VI, 64, 1); sie hat Wege auch übers Gebirge und kommt übers Wasser auch bei Windstille; 111 die Vögel fliegen aus dem Nest auf, die Männer erheben sich (aus dem Bett) zum Essen (6 = I, 124, 12). Wie eine Fliege weckt sie die Schlafenden (I, 124, 4). Die freigebigen Opferherren mögen erwachen, die knauserigen mögen weiter schlafen (10). Ihre Strahlen haben sich wiederum gezeigt, ihre Farben breiten sich aufsteigend aus (VII, 78, 1). Die Finsternis hat sich nach Westen verzogen (3). Das frisch geschürte Feuer wacht ihr entgegen (2), das gleiche tun die sie preisenden Priesterdichter und deren Auftraggeber (5). Sie macht die Menschen sehen und die Sonne erblicken (VII, 81, 4). Das Naturereignis wird gleichzeitig mythologisiert. Ein Dichter sieht (visionär) die Göttin; mit Strahlen geschmückt, lenkt sie das weiße Roß her, 112 das Roß der Sonne. Sie fährt auf einem Wagen, den Rosse (VII, 78, 4) oder, in anderen Gebeten, Kühe (VI, 64, 3), Stiere (VI, 64, 5) oder Rinder (V, 80, 3) ziehen. Sie tut die Tore (des Himmels) auf (I, 113, 4). Sie erscheint als junge Frau, hell gekleidet (7). Ihrer Schönheit bewußt, steht sie wie eine Badende (nackt) auf5

Kuben, Dichtung

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I. Periode, 3

gerichtet da zum Beschauen. 1 1 3 Stolz auf ihren Leib, zieht sie sich vor groß oder klein nicht z u r ü c k ; wie ein bruderloses Mädchen (das sich n u r mit Dreistigkeit einen Mann suchen kann) 1 1 / 1 geht sie den Männern entgegen u n d stellt sich auf einen erhöhten Platz, 1 1 5 d a m i t m a n sie sehe; sie entblößt ihre Brust wie das Weib dem Gatten, die Buhlerin dem Buhlen. 1 1 6 Lächelnd (d. h. verführend) enthüllt sie die Brust dem sie begehrenden Buhlen (dem Sonnengott); stolz geht sie ihm entgegen; schön wie eine von der Mutter herausgeputzte junge F r a u enthüllt sie ihren Leib z u m Beschauen. 1 1 7 — Die M u t t e r p u t z t ihre Tochter f ü r den Buhlen. D e m stelle m a n gegenüber, daß die U r a o n in Tanzliedern ohne Mythologie d a v o n singen, daß die Mutter die Tochter wie einen K u c k u c k f ü r den B r ä u t i g a m aufzieht. 1 1 8 Andere V o r ä r y a s t ä m m e singen von der Liebe Unverheirateter, 1 1 9 aber nicht so offen wie die rgvedischen Ärya. Deren Liebeslyrik, wenn m a n diese Lieder an die Morgenröte als deren Vertreter auffassen will, sind aber nicht etwa unmoralisch, obszön oder frivol gemeint, sondern spiegeln ganz natürlich die damalige Erotik wider, die von unseren Vorstellungen von Liebe allerdings etwas e n t f e r n t ist. Das heiße Verlangen einer damaligen F r a u nach einem Manne zeigt sich uns in d e m leidenschaftlichen Liebeszauber des A t h a r v a v e d a , der sich auf einen Mann oder gegen Rivalinnen richtet. 1 2 0 Selbst in dem Lied an Süryä, die Tochter des Sonnengottes, die nach dem Mythos den Mond heiratete u n d d a m i t als P r o t o t y p der B r a u t galt, ist nicht von Liebe die Rede, sondern von Kindersegen u n d dementsprechend von der H i n g a b e der jungen F r a u in einer hemmungslosen erotischen Ausdrucksweise. 1 2 1 Dies wird bei den Dialoggedichten deutlicher werden (s. u.). W e n n m a n andererseits in einem dieser Gedichte auf die Usas „ein anmutiges, mit zarten F a r b e n geschmücktes Gedicht" finden kann, 1 2 2 so p a ß t das nicht auf dessen erotische Stellen. D e n Ge'dichten auf das Morgenrot läßt sich eines auf den Abend gegenüberstellen, der F o r m u n d der magischen Absicht nach eine A n r u f u n g des Sonnengottes Savitr, der alles in Bewegung setzt; 1 2 3 ihm sind die ersten zwei u n d die letzten drei Verse gewidmet. Dazwischen schildert der Dichter den A b e n d : Der W a g e n f a h r e r s p a n n t die Rosse aus, der W a n d e r e r geht zur R u h e ; die Weberin sowohl wie der kunstreiche H a n d w e r k e r legen ihre Arbeit nieder; jeder geht in sein H a u s z u m hellen, wärmenden Feuer u n d z u m Essen; der z u m Gewinn Fortgezogene kehrt heim; Arbeiten bleiben unfertig liegen: Vögel u n d Tiere gehen an ihre, ihnen von den Göttern b e s t i m m t e n Rastorte. 1 2 4 Dieses Gedicht erinnert in manchen P u n k t e n an das auf die N a c h t .

4. Lyrik

gesellschaftlicher

Themen

Die Gedichte auf die Morgenröte (s. o.) k a n n m a n mit gewissem R e c h t zur Liebeslyrik rechnen. Daneben ist eine Art epische Heldenpoesie u n d K a m p f lyrik 125 zu stellen, vor allem mit magischer Absicht in die Indra-Mythologie eingekleidet u n d dementsprechend n u r selten im eigentlichen Sinne dichterisch

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gerichtet da zum Beschauen. 1 1 3 Stolz auf ihren Leib, zieht sie sich vor groß oder klein nicht z u r ü c k ; wie ein bruderloses Mädchen (das sich n u r mit Dreistigkeit einen Mann suchen kann) 1 1 / 1 geht sie den Männern entgegen u n d stellt sich auf einen erhöhten Platz, 1 1 5 d a m i t m a n sie sehe; sie entblößt ihre Brust wie das Weib dem Gatten, die Buhlerin dem Buhlen. 1 1 6 Lächelnd (d. h. verführend) enthüllt sie die Brust dem sie begehrenden Buhlen (dem Sonnengott); stolz geht sie ihm entgegen; schön wie eine von der Mutter herausgeputzte junge F r a u enthüllt sie ihren Leib z u m Beschauen. 1 1 7 — Die M u t t e r p u t z t ihre Tochter f ü r den Buhlen. D e m stelle m a n gegenüber, daß die U r a o n in Tanzliedern ohne Mythologie d a v o n singen, daß die Mutter die Tochter wie einen K u c k u c k f ü r den B r ä u t i g a m aufzieht. 1 1 8 Andere V o r ä r y a s t ä m m e singen von der Liebe Unverheirateter, 1 1 9 aber nicht so offen wie die rgvedischen Ärya. Deren Liebeslyrik, wenn m a n diese Lieder an die Morgenröte als deren Vertreter auffassen will, sind aber nicht etwa unmoralisch, obszön oder frivol gemeint, sondern spiegeln ganz natürlich die damalige Erotik wider, die von unseren Vorstellungen von Liebe allerdings etwas e n t f e r n t ist. Das heiße Verlangen einer damaligen F r a u nach einem Manne zeigt sich uns in d e m leidenschaftlichen Liebeszauber des A t h a r v a v e d a , der sich auf einen Mann oder gegen Rivalinnen richtet. 1 2 0 Selbst in dem Lied an Süryä, die Tochter des Sonnengottes, die nach dem Mythos den Mond heiratete u n d d a m i t als P r o t o t y p der B r a u t galt, ist nicht von Liebe die Rede, sondern von Kindersegen u n d dementsprechend von der H i n g a b e der jungen F r a u in einer hemmungslosen erotischen Ausdrucksweise. 1 2 1 Dies wird bei den Dialoggedichten deutlicher werden (s. u.). W e n n m a n andererseits in einem dieser Gedichte auf die Usas „ein anmutiges, mit zarten F a r b e n geschmücktes Gedicht" finden kann, 1 2 2 so p a ß t das nicht auf dessen erotische Stellen. D e n Ge'dichten auf das Morgenrot läßt sich eines auf den Abend gegenüberstellen, der F o r m u n d der magischen Absicht nach eine A n r u f u n g des Sonnengottes Savitr, der alles in Bewegung setzt; 1 2 3 ihm sind die ersten zwei u n d die letzten drei Verse gewidmet. Dazwischen schildert der Dichter den A b e n d : Der W a g e n f a h r e r s p a n n t die Rosse aus, der W a n d e r e r geht zur R u h e ; die Weberin sowohl wie der kunstreiche H a n d w e r k e r legen ihre Arbeit nieder; jeder geht in sein H a u s z u m hellen, wärmenden Feuer u n d z u m Essen; der z u m Gewinn Fortgezogene kehrt heim; Arbeiten bleiben unfertig liegen: Vögel u n d Tiere gehen an ihre, ihnen von den Göttern b e s t i m m t e n Rastorte. 1 2 4 Dieses Gedicht erinnert in manchen P u n k t e n an das auf die N a c h t .

4. Lyrik

gesellschaftlicher

Themen

Die Gedichte auf die Morgenröte (s. o.) k a n n m a n mit gewissem R e c h t zur Liebeslyrik rechnen. Daneben ist eine Art epische Heldenpoesie u n d K a m p f lyrik 125 zu stellen, vor allem mit magischer Absicht in die Indra-Mythologie eingekleidet u n d dementsprechend n u r selten im eigentlichen Sinne dichterisch

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oder heroisch. Grausig ist eine Vision wie die des von Indra erschlagenen Vrtra, der wie ein geknicktes Rohr dalag, während die von Indra aus Vrtras Höhle befreiten Wasser ansteigend (sich stauend?) über ihn dahinflössen; auf ihn fiel die Leiche seiner von Indra erschlagenen Mutter, und die Wasser umgaben (jetzt) seinen Leib und flössen durch sein Inneres hindurch. 126 Eine gewisse Größe hat auch die Darstellung von Indras Geburt, 127 als Himmel und Erde zitterten; was kümmert ihn Mutter oder Vater! Sein Ungestüm treibt er mit Schlachtrufen an wie der Wind durch donnernde Wolken, er macht Behauste unbehaust, wirbelt Staub auf, zerschmettert wie der Himmel mit dem Donnerkeil. Aber einer dieser Dichter war sich auch in seiner Weisheit bewußt, daß beide Seiten in der Schlacht denselben Indra anrufen. 128 Eine andere Form der Kampflyrik oder beginnenden Heldenepik 129 ist die Verherrlichung historischer Schlachten. Die große Schlacht des Königs Sudäs gegen zehn feindliche Könige 130 ist Thema dreier Gedichte, doch diese sind Werke der hotrs, in diesem Falle aus der Sippe der Vasisthiden und zu deren Ruhm verfaßt. 131 Nach dem einen dieser Gedichte soll ihr Urahn (oder einer ihrer Sippe) mit seiner Magie Indra zur Hilfe herbeigerufen und damit die Entscheidung in der Schlacht herbeigeführt haben, 132 nicht so sehr die Ärya mit dem Schwert der Krieger. Die Feinde hatten die Parusnl zur Überschwemmung gebracht, aber kamen selber in ihr um, keiner entkam. Indra gab sie dem Sudäs in die Hand, der selber 21 Feinde erschlug, er streckte sie nieder wie Opferstreu auf dem Opferplatz. Indra machte ein Wettrennen unter ihnen, zersprengte ihre sieben Burgen. 66060 Feinde sind dank Indras Heldentaten entschlafen; all ihr Besitz fiel an Sudäs. Durch den Schwachen (Sudäs in seiner Not) hat Indra diese Tat vollbracht, durch den Schafbock die Löwen besiegt (VII, 18, 5—20). Diese Strophen des zweiten dieser Gedichte sind ebenfalls priesterliche Indramythologie, nicht epische Lieder des Kriegeradels. In den drei ersten Strophen des dritten Gedichts wird in der Form einer Anrufung Indras und Varunas durch die später siegreichen Könige um Sudäs etwas vom Grauen der Schlacht spürbar: Seid unsere Verteidiger in der Schlacht, in der nichts Liebes geschieht, in der alle Geschöpfe Furcht bekommen; die Enden der Erde scheinen verfinstert, das Geschrei ist zum Himmel gestiegen. Auch dieser unheldische, priesterliche Dichter weiß, daß beide Parteien Indra anriefen, aber die Feinde opferten nicht (d. h. nicht richtig). Die Götter erschienen demgemäß bei den Anrufungen des Sudäs. Dies alles ist Priester-, nicht Kriegerdichtung. Ähnlich steht es um die drei Gedichte, die den Sieg Abhyävartins über Turvaäa an der Hariyüpiyä besingen, ohne Heldentum zu feiern. 133 Priesterlich ist auch der Waffensegen, den der Hofpriester des „Königs", des Kriegsführers, vor dem Kampf über dessen Streitwagen und Waffen spricht, vor allem über Pfeil, Köcher und Bogen, dessen Sehne wie eine Frau, die etwas sagen will, immer wieder ans Ohr des Kriegers kommt, ihm zugirrt (VI, 75, 3). 134 Kraft des magischen Wortes des Priesters soll der Pfeil den Feind treffen; der Priester umkleidet den König mit dem Panzer. Der Priester läßt den Kämpfer siegen, behauptet er in dieser dritten Art Kampfpoesie. Aber das Bild der 5»

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Bogensehne als der den Krieger liebenden F r a u erinnert an das der Tanztrommel, der F r a u des vorarischen gentilen Tänzers. 1 3 5 Die Trommel, und zwar die Kriegstrommel, war andererseits f ü r den rgvedischen Priesterdichter — und sicher auch f ü r den Krieger — animistisch belebt, eine Macht in der Schlacht, die „Faust Indras", die Himmel und Erde erdröhnen läßt, die im Verein mit Indra die Feinde in die Ferne treibt, die aber mit ihrem Brüllen und Donnern den Ärya K r a f t gibt und ihnen die Gefahren b a n n t . So dichtete ein hotr in einem anderen Waffensegen 1 3 6 , und wir wissen nicht, wie ein Dichter des Kriegeradels sich damals ausgedrückt h a t . Beim Somaopfer vor dem K a m p f r u f t ein hotr f ü r seinen Opferherren den Zorn an, er möge dem Krieger K r a f t verleihen, beide gemeinsam mögen die Feinde schlagen, er bleibe zur Rechten des Streiters, mit ihm auf seinem Wagen; er sei der Heerführer; er gehöre allen Völkern, werde von vielen angerufen (wie Indra, s. o.), aber er komme zu uns und gebe uns K r a f t ; er erhalte seinen Anteil am Sorna; beide, der Zorn und der Kämpfer, tränken den Rauschtrank. 1 3 7 Damit verleiht angeblich der Magier dem Berserker seine K a m p f e s w u t . I m Atharvaveda VI, 40 beschwört ein Magier — leider ohne dichterische K r a f t — den Zorn der Könige, anderswohin zu gehen; f ü r „dieses Dorf" möge die Sonne Heil, I n d r a feindlose Furchtlosigkeit, Feindlosigkeit von unten und oben, von hinten und vorn gewähren. I m Rg- und Atharvaveda beschwört ein Magier im Sinne einer Art Gesellschaftskritik 1 3 8 in drei kurzen Strophen die Menschen zur E i n t r a c h t in R a t und Versammlung, in Sinn und Denken k r a f t seinem einigenden Opfer. 139 I n der zerfallenden Gentilgesellschaft war ja Verherrlichung, Empfehlung, magische Sicherung der Einigkeit eine Notwendigkeit geworden, 140 ging sie doch im Leben mehr und mehr verloren. Der Gegensatz von a r m und reich zersetzte die einheitlich gewesene Gesellschaft und warf neue soziale und moralische Probleme auf. Kein Wunder, daß einer der Dichter der Wohltätigkeit ein besonderes Gedicht widmete u n d das, ohne die magische Form der Beschwörung oder Anrufung zu wahren oder einen magischen Sinn des Gedichts anzudeuten. Nach der Tradition soll er ein Bettelmönch (bhiJcsu) aus der Sippe der Angiras gewesen sein; das las die Theologie aus dem Gedicht heraus. E r m a h n t e die Reichen, nicht zu behaupten, die Götter h ä t t e n nun einmal den Hunger als Todesursache f ü r die Menschen festgesetzt, denn auch der Satte müsse sterben. Wer Speise h a t , aber sich dessen, der sie begehrt, nicht erbarmt, finde selber kein Erbarmen. Wer gibt, erwerbe sich Freunde. Der Reiche bedenke, daß die Reichtümer wie Wagenräder rollen, von einem zum anderen kommen. Dem Unverständigen (Erbarmungslosen) sei Speise Tod; nur der habe den Schaden, der alleine (ohne abzugeben) ißt. 1 4 1 Die Bhagavadgltä I I I , 12f. drückte dies später so aus, daß man nur das essen solle, was vom Opfer übrig geblieben sei, und ähnliches Lob der selbstlosen Freigebigkeit läßt sich in der späteren moralisierenden Literatur wie im P a n c a t a n t r a belegen. 142 I m allgemeinen waren die rgvedischen Dichter an Geschenken der reichen Opferherren interessiert und fügten ihren Gedichten manchmal ein paar Strophen mit dem Preis besonders freigebiger Herren an. 143 An dergleichen

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mag man bei der Aufnahme dieses Gedichts in die Sammlung des Rgveda gedacht haben; vielleicht knüpfte der Dichter selber beim Dichten schon an diese Traditionen an. Aber hier geht es ihm um Hunger der Armen, der Bettler nicht nur um den der Priester. Die zerfallende Gentilgesellschaft fand hier einen Dichter, der dem Humanismus in der entstehenden Klassengesellschaft Ausdruck zu geben vermochte. Gewisse gesellschaftskritische Züge fanden sich ja auch schon in der Dichtung der zerfallenden vorarischen Gentilgesellschaft. 144 Diesem Gedicht, einem kritischen Zeitdokument, läßt sich würdig das obenerwähnte Spottgedicht darüber an die Seite stellen, daß alle Menschen sich etwas wünschen, 145 der Schmied und der Zimmermann sowohl wie der Arzt und der Priester einen reichen Auftraggeber, ja, auch der Verfasser, der Dichter selber und seine Mutter, die das Korn auf dem Mahlstein mahlt (vielleicht statt dafür eine Frau zu beschäftigen), auch die Tiere haben Wünsche: Das Pferd wünscht sich einen leichten Wagen, der Frosch Wasser, und das männliche Glied wünscht sich das weibliche. So wünscht Indra sich Somarauschtrank, so suchen wir alle H a b und Gut, wie z. B. Kühe. Neben das Loblied des Wohltuns läßt sich aber auch das Gedicht auf die Nahrung (I, 187) 146 stellen, die als Helferin, als Freund, den der Mensch sich erwählt hat, angesprochen wird. Bitte um Essen war in rgvedischen Gebeten an verschiedene Gottheiten häufig. 147 Hier handelt es sich nur um Pflanzennahrung, in erster Linie wohl um Sorna, der mehrfach angeredet wird. Beim Morgengrauen möge die Nahrung kommen, d. h. zur morgendlichen Somaspende und der morgendlichen Mahlzeit. Sie möge in uns zu Speck werden, d. h. gut anschlagen. Sie sei auch für den göttlichen Drachenkämpfer (Indra) notwendig, sie gebe ihm Stärke. Die Götter selbst verlangten nach ihr. Ihre Säfte seien durch alle Räume verbreitet, reichten wie die Winde bis zum Himmel. Das soll wohl heißen, daß alles von Speise lebt, die das All durchdringt. Ähnlich dachte ein Grübler der Upanishaden. 148 Das Gedicht ist nicht gerade eine dichterische Leistung; es wurde wohl bei der Morgenspende verwendet. Wie die Nahrung wurde auch der Sorna u. a. in einem merkwürdigen Monolog eines Trunkenen 1 4 9 (angeblich des Indra) gefeiert, nicht etwa als Anklage gegen die Trunksucht, sondern wohl als Bestandteil des Somaopfers, als Verherrlichung des Rausches, sei es des (mythologischen) Helden, sei es des visionären Dichters. Der Berauschte sagt, er drehe das Gebet (des Somaopfers) im Herzen herum wie der Zimmermann die Wagenbank, d. h., er prüfe das Gebet genau, ehe er helfe. Er fühle, wie der Rauschtrank ihn emporhebt; er fühle sich größer als Erde und Himmel und stark genug, die Erde zu versetzen. Der Dichter hat sich gegebenenfalls in den trunkenen Gott eingefühlt und den Rausch mit seiner uns heute unverständlichen kosmischen Erhabenheit suggestiv gepriesen oder, angepriesen. Da zweimal Flügel des Trunkenen genannt werden, die Himmel und Erde berühren, kann dies ein Erlebnis des Berauschten, kann dies aber auch ein Monolog des mythischen Adlers sein, der für Indra den Sorna aus dem fernen Himmel holte 150 und sich dabei vielleicht an ihm berauschte. Von Indra gibt

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es im R g v e d a neben diesem noch mehrere Monologe, in denen er seine T a t e n aufzählt, 1 5 1 sogenannte Selbstlobe, die offenbar nicht v e r p ö n t waren. Ein anderer dichterisch großartiger Monolog, der im K u l t Platz finden konnte, 1 5 2 ist der des Spielers. 153 E r ist dessen Reuebekenntnis. N a c h t s ist er, h a t m a n den Z u s a m m e n h a n g gedeutet, 1 5 ' 1 Geld suchend (vergeblich) in f r e m d e H ä u s e r gegangen (X, 34, 10) u n d h a t Pein e m p f u n d e n , als er dort das Eheglück anderer gesehen h a t ; morgens schon h a t er seine Rosse angespannt (und weiter gespielt), abends ist er als Bettler a m häuslichen Herdfeuer niedergefallen (11). E r ist sich a m A n f a n g des Gedichts bewußt, daß er der Versuchung der Würfel nicht widerstehen k a n n , daß er mit seinem Spielen seine gute F r a u u n d die Schwiegermutter von sich gestoßen h a t . E r sinniert ü b e r das Elend des Spielers, der verschuldet in Schuldknechtschaft f o r t g e f ü h r t wird, der (wie er selber) den Verlockungen der Würfel immer wieder unterliegt; sie treiben den Spieler (wie z. B. ihn selber?), in f r e m d e n H ä u s e r n Geld zu suchen (wohl eher als Darlehen denn als Diebesbeute; Strophe 10). Als er aber (dabei) das Eheglück der anderen sieht u n d a m folgenden Tag wieder verliert (11), beschwört er die Würfel— darin liegt die magische Absicht dieser Dichtung —, ihn freizulassen u n d lieber einen anderen an sich zu binden. Der Sonnengott r a t e ihm, glaubt er, v o m Spiel zu lassen, sein Feld zu bestellen, sich an seinen Besitz, seine Rinder u n d seine F r a u zu halten. Trinken und Würfelspiel waren (neben der Erotik, s. o.) die Leidenschaften der Ärya. E i n echter Dichter pries in dem o b e n e r w ä h n t e n mythischen Monolog den auch ihn begeisternden Rausch, ein anderer klagte in diesem wirklichkeitsgetreuen Monolog das Spielen an. Aus der vorarischen Gentilgesellschaft ist uns bisher nichts a n dichterischer Leistung Analoges b e k a n n t geworden. 1 5 5 Allenfalls k a n n m a n an gewisse gesellschaftskritische Züge in gelegentlichem A b r a t e n von Glücksspiel u n d in einigen Hochzeitsliedern finden, die die K a u f e h e anprangern. 1 5 6

5. Dialoggedichte

(samväda)

Seit über acht J a h r z e h n t e n ist der T y p der Dialoggedichte des R g v e d a umstritten. 1 5 7 Manche sehen in ihnen Versdialoge, wie sie auch in gentiler Prosaepik u n d in späteren Märchen vorkommen, z. B. auch in den J ä t a k a s , u n d zwar an gewissen H ö h e p u n k t e n der Erzählung. 1 5 8 Wie die J ä t a k a v e r s e , so wurden auch die der Rgveda-Dialoge wörtlich genau in mündlicher Tradition festgehalten, während die Fassung der Prosa d e m Erzähler freigestellt war. Belegen läßt sich das bei dem rgvedischen Dialog des P u r ü r a v a s u n d der Urvasi, zu dem die Prosa im B r ä h m a n a 1 5 9 erhalten ist. Auf solche Prosa mit Versgruppen läßt sich vermutlich das spätere Versepos zurückführen. 1 6 0 Andere Indologen haben solche Prosa unberücksichtigt gelassen u n d bei diesen Dialoggedichten von Balladen ( = epischen Liedern) gesprochen, wieder andere von Mimen oder Dramen. 1 6 1 Von dramatischen A u f f ü h r u n g e n dieser Dialoge, von Schauspielern ist aber keine Spur nachweisbar. F ü r Balladen, d. h.

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es im R g v e d a neben diesem noch mehrere Monologe, in denen er seine T a t e n aufzählt, 1 5 1 sogenannte Selbstlobe, die offenbar nicht v e r p ö n t waren. Ein anderer dichterisch großartiger Monolog, der im K u l t Platz finden konnte, 1 5 2 ist der des Spielers. 153 E r ist dessen Reuebekenntnis. N a c h t s ist er, h a t m a n den Z u s a m m e n h a n g gedeutet, 1 5 ' 1 Geld suchend (vergeblich) in f r e m d e H ä u s e r gegangen (X, 34, 10) u n d h a t Pein e m p f u n d e n , als er dort das Eheglück anderer gesehen h a t ; morgens schon h a t er seine Rosse angespannt (und weiter gespielt), abends ist er als Bettler a m häuslichen Herdfeuer niedergefallen (11). E r ist sich a m A n f a n g des Gedichts bewußt, daß er der Versuchung der Würfel nicht widerstehen k a n n , daß er mit seinem Spielen seine gute F r a u u n d die Schwiegermutter von sich gestoßen h a t . E r sinniert ü b e r das Elend des Spielers, der verschuldet in Schuldknechtschaft f o r t g e f ü h r t wird, der (wie er selber) den Verlockungen der Würfel immer wieder unterliegt; sie treiben den Spieler (wie z. B. ihn selber?), in f r e m d e n H ä u s e r n Geld zu suchen (wohl eher als Darlehen denn als Diebesbeute; Strophe 10). Als er aber (dabei) das Eheglück der anderen sieht u n d a m folgenden Tag wieder verliert (11), beschwört er die Würfel— darin liegt die magische Absicht dieser Dichtung —, ihn freizulassen u n d lieber einen anderen an sich zu binden. Der Sonnengott r a t e ihm, glaubt er, v o m Spiel zu lassen, sein Feld zu bestellen, sich an seinen Besitz, seine Rinder u n d seine F r a u zu halten. Trinken und Würfelspiel waren (neben der Erotik, s. o.) die Leidenschaften der Ärya. E i n echter Dichter pries in dem o b e n e r w ä h n t e n mythischen Monolog den auch ihn begeisternden Rausch, ein anderer klagte in diesem wirklichkeitsgetreuen Monolog das Spielen an. Aus der vorarischen Gentilgesellschaft ist uns bisher nichts a n dichterischer Leistung Analoges b e k a n n t geworden. 1 5 5 Allenfalls k a n n m a n an gewisse gesellschaftskritische Züge in gelegentlichem A b r a t e n von Glücksspiel u n d in einigen Hochzeitsliedern finden, die die K a u f e h e anprangern. 1 5 6

5. Dialoggedichte

(samväda)

Seit über acht J a h r z e h n t e n ist der T y p der Dialoggedichte des R g v e d a umstritten. 1 5 7 Manche sehen in ihnen Versdialoge, wie sie auch in gentiler Prosaepik u n d in späteren Märchen vorkommen, z. B. auch in den J ä t a k a s , u n d zwar an gewissen H ö h e p u n k t e n der Erzählung. 1 5 8 Wie die J ä t a k a v e r s e , so wurden auch die der Rgveda-Dialoge wörtlich genau in mündlicher Tradition festgehalten, während die Fassung der Prosa d e m Erzähler freigestellt war. Belegen läßt sich das bei dem rgvedischen Dialog des P u r ü r a v a s u n d der Urvasi, zu dem die Prosa im B r ä h m a n a 1 5 9 erhalten ist. Auf solche Prosa mit Versgruppen läßt sich vermutlich das spätere Versepos zurückführen. 1 6 0 Andere Indologen haben solche Prosa unberücksichtigt gelassen u n d bei diesen Dialoggedichten von Balladen ( = epischen Liedern) gesprochen, wieder andere von Mimen oder Dramen. 1 6 1 Von dramatischen A u f f ü h r u n g e n dieser Dialoge, von Schauspielern ist aber keine Spur nachweisbar. F ü r Balladen, d. h.

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epische oder erzählende Poesie, 162 könnte m a n weiter a n f ü h r e n , daß m a n z. B. bei Uraons in Tanz- u n d Hochzeitsliedern öfter Dialoge gefunden h a t ; diese haben aber als Tanzlieder einen anderen Charakter, sind weder magisch (abgesehen vom K u l t c h a r a k t e r des Festtanzes) noch mythologisch oder episch bzw. historisch, sondern F r a g e n u n d Antworten zeichnen eine kleine Genreszene aus d e m täglichen L e b e n : W o ballen sich die Wolken mit ihrem Regen? Im Osten ballen sich die Wolken mit ihrem Regen. W e m gehört der rote, d u r c h n ä ß t e T u r b a n ? D e m flirtenden Jüngling gehört der rote d u r c h n ä ß t e T u r b a n . W o soll ich den roten T u r b a n trocknen? Ich werde ihn auf t o t e n Büschen trocknen. Binde den roten Turban. 1 6 3 Solche Strophen sind jedem verständlich, während die Dialoggedichte des R g v e d a n u r von dem v e r s t a n d e n werden, der ihren P l a t z in einem Mythos k e n n t . Diesen w u ß t e n anscheinend schon die altindischen K o m m e n t a t o r e n des R g v e d a nicht mehr immer, wie z. B. auch bei jenem Monolog des Berauschten. 1 6 4 Die rgvedischen Dichter h a t t e n ja, wie e r w ä h n t , kein Interesse, ihre W o r t e jedem Höhrer verständlich zu machen. E s ist doch wohl k a u m a n z u n e h m e n , daß der hotr beim Somaopfer sein Gedicht m i t einer Prosaerzählung begleitet h a t . Der Wissende b e d u r f t e ihrer n i c h t ; der R g v e d a , d a s „Wissen" der rc, aber war n u r f ü r Wissende 1 6 5 b e s t i m m t . Insofern ist im R g v e d a zwischen der Ballade u n d dem Versdialog innerhalb einer Prosaerzählung kein wesentlicher Unterschied. W a s f ü r die Dialoge gilt, gilt auch f ü r die Monologe im R g v e d a . Neben den obenerwähnten des Berauschten und des Spielers 1 0 6 ist hier der der Apälä in R V V I I , 91 167 anzuführen. Diese junge F r a u wurde, so scheint es — gesagt wird es nicht 1 6 8 —wegen einer H a u t k r a n k h e i t von ihrem Mann verlassen, p r e ß t e u n d opferte Sorna f ü r I n d r a , u n d dieser gewährte ihr Heilung u n t e r der Bedingung, d a ß sie sich ihm hingäbe. I h r Monolog d e u t e t ihr Somapressen an, vor allem aber die Überlegung, d a ß sie in seine Bedingung einwilligen könnte. I m einleitenden Vers wird n u r erzählt, daß sie Sorna f a n d , im Schlußvers, d a ß I n d r a sie heilte. B e t r a c h t e t m a n den Schlußvers als W a h r s p r u c h , mit d e m I n d r a beschworen werden k a n n , auch in einem gegenwärtigen Fall zu helfen, so ist der magische Sinn des Gedichtes deutlich 1 6 9 . I n die Literaturgeschichte gehört dieser Monolog, weil er mit dichterischer F r e u d e u n d mit K ö n n e n v e r f a ß t wurde u n d den „Wissenden" (Verstehenden) froh, wenn nicht gar lustig s t i m m t e . E s war doch unerhört, daß eine F r a u Sorna preßte, u n d zwar mit ihren Zähnen (wie Indiofrauen Chichakauen), s t a t t daß dies ein Priester mit Steinen t u t ; u n d ihre Überlegung, daß sie I n d r a s offenbar n u r angedeutetes Begehren nicht verstehe u n d doch nicht mißverstehe, u n d ob sie als v o n ihrem G a t t e n gehaßte F r a u sich mit I n d r a vereinen dürfe, ob er sie heilen u n d glücklicher machen k ö n n e u n d werde (so d a ß sie d a n n auch wieder die Liebe ihres Mannes gewönne), u n d ihre Bitte, I n d r a möge auf dem Feld, auf ihrem Schoß u n d auf d e m H a u p t ihres V a t e r s wieder H a a r e wachsen lassen, hat einen prickelnden erotischen Reiz. Apälä ähnelt in mancher Weise der Sukanyä 1 7 0 der I I . Periode, auf die schon in R V X , 39,4 von Ghosä (s. u.) angespielt wird. Offenbar f r e u t e es Dichter, wie Hörer, mit I n d r a s außerehelichen Liebesabenteuern u n t e r h a l t e n zu werden. 1 ')

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und sei es beim Somaopfer in der Form des Wahrspruchs (s. o.), wie auch der Dichter des Gedichtes der Ghosä, als sie die Asvins um Hilfe bat (wie Apälä Indra), ihnen versprach, ihre Hilfeleistung solle bei den Somaopfern bekannt gemacht werden. E r fügte in dieses Gedicht eine Strophe (X, 39,6), in das folgende Gedicht acht Strophen (X, 40,5—12) eines Monologs der Ghosä ein: Sie bittet die Asvins um einen Gatten, sie, die es nicht erfahren hat, daß doch die Frauen für die Männer zur Freude, zur Umarmung da sind. Da spricht eine alternde Jungfrau 1 7 2 in ihrer Weise so offen wie die vom Gatten vernachlässigte Apälä. Ghosä galt der Tradition als die Tochter des liebesfrohen hotrs Kaksivän; dieser pries in einem besonderen Gedicht die Freigebigkeit seines „Königs", der ihn für vollzogene Somaopfer u. a. mit Frauen (Sklavinnen) beschenkt hatte; das Gedicht endet mit einer Art Dialog: Kaksivän spricht seine Freude über den Genuß einer dieser Frauen aus; Ghosä aber antwortet mit aufreizenden Worten und rühmt sich, sie sei schön behaart wie ein Schaf. — Gerade dies hatte der erkrankten Apälä gefehlt. Neben Apälä und Ghosä steht Indrasenä, die junge, vernachlässigte Gattin des alten Mudgala. 173 Dieser will bei einem Wettfahren tausend Kühe gewinnen, hat aber nur einen einzigen Stier zum Einspannen und spannt deswegen eine Holzkeule dazu. Seine Frau lenkt unerhörterweise das Gespann als schreiender langhaariger Wagenlenker und gewinnt, während der alte Mann nur mitfährt und Indra um Hilfe bittet. Der Wind hebt ihr Kleid empor, und der H a r n des Stieres trifft Indrasenä; die als Preis ausgesetzten tausend Kühe haben den Stier beim Wettrennen gereizt. Das Urinieren des Stieres oder des Rosses ist ein in rgvedischer Mythologie weit verbreitetes Thema, es ist gleich dem Regnen der Wolke, eine Vision der Fruchtbarkeit, 1 7 4 hier magisch auf die junge Frau des alten Mannes bezogen, die die Zügel des Stieres in der H a n d hat, vielleicht mit erotisch-sarkastischem Unterton aufgenommen. Worte Mudgalas, der Zuschauer und des Erzählers wechseln sich ab. Als vierte unglückliche Frau ist hier Lopämudrä zu erwähnen, die Frau des berühmten Asketen Agastya, die diesen in einem gesellschaftskritischen Dialoggedicht zu seiner ehelischen Pflicht zurückführt, man möchte sagen verführt. 1 7 5 Ihre Worte sind dabei so mit Erotik geladen wie die der anderen unglücklichen Frauen. Manche meinen, daß der Schluß des Gedichtes wiederum als magischer Wahrspruch aufzufassen ist. 176 Auf jeden Fall beruft sich Agastya für sein Nachgeben darauf, daß er Sorna getrunken hat, und bittet (vermutlich Varuna), ihm seine Sünde zu verzeihen; Sterbliche hätten nun einmal viele Begierden. Der Rauschtrank, üblich für Seher und Helden, begeistert hier sogar den Asketen zur Liebe. Es wird aber nicht gesagt, daß seine Frau ihm den Trank gepreßt hat (wie doch Apälä dem Indra). Die rgvedische Lebensfreude an dem alten Asketenpaar eindringlich zu gestalten, war eine große dichterische Leistung. Eine andere Verführerin ist Yami, die Zwillingsschwester Yamas, des Urmenschen, die diesen in einem Dialog vergeblich zu verführen trachtet und mit gewisser Leidenschaft nach Yamas Bett verlangt, 177 ohne so drastisch zu

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sprechen wie die anderen erwähnten unglücklichen Frauen. Dem Dichter handelte es sich mehr um das moralische Problem des Inzests, der bei dem arischen Urmenschenpaar 1 7 8 ebensowenig zu umgehen war wie bei dem der gentilen Yorärya 1 7 9 in deren Kosmogonie. Yama, der erste Mensch, war schon in indo-iranischer Urzeit auch der erste Tote, der die Erde von der Last der sich vermehrenden, aber zugleich anfänglich unsterblichen Menschen befreite, indem er sie ins Jenseits führte; dort war er Herrscher der Toten. 180 Yama hat damals den Göttern zuliebe auf die Unsterblichkeit der Menschen verzichtet und den Tod, damit aber auch Nachkommenschaft, der Unsterblichkeit vorgezogen, wie es in R V X, 13,4 heißt, einem Gedicht, das wie unser Dialog zur Gruppe der Yamagedichte 1 8 1 gehört. Damit war der rgvedische, wenn nicht schon der indo-iranische Yama der Herr des Todes sowohl wie der Liebe, eine Vorform des buddhistischen Mära, und diese gefühlsgeladene Gestalt wählte unser grübelnder, zweifelnder Dichter als Gegner des Inzests, der in der Mythologie nun einmal feststand, damit aber nicht etwa als Feind der Liebe. Zu diesen Dialoggedichten mit dem Thema der Verführung ist weiter das zu stellen, in dem Indras Frau sich bei ihrem Gatten über den „Stieraffen" beklagt, der sie besudelt (wohl beleidigt) hat, als sei sie ohne Mann, sie, Indras Frau. Sie rühmt sich ihrer erotischen Reize und Fähigkeiten in sehr deutlicher Sprache, meint wohl, dies nötig zu haben, da Indra sie nicht gegen den Affen verteidigt, diesen gar als seinen Freund in Schutz nimmt und es erreicht, daß seine Frau sich mit dem Affen aussöhnt. 182 Das noch recht unverständliche und umstrittene Gedicht wird kompliziert dadurch, daß Indras Frau mit der Klage beginnt, Indra bekäme keine Somaopfer mehr, diese bereiteten die Menschen dem „Stieraffen"; vielleicht nimmt Indra hier mit dem Gerstentrank des „Stieraffen" statt mit Sorna vorlieb. Gerade damit gehört das Gedicht zum Somaopfer, aber die Verknüpfung des Liebes- und des Trinkmotivs, die vielleicht wie oben bei Agastya und Lopämudrä gemeint ist, bereitet uns noch Schwierigkeiten. In dieser Gruppe von teils heiteren, teils sehr ernsten Gedichten wird der Frau eine aktive Rolle zugeschrieben, die Initiative in der Liebe und auch sonst beim Handeln, etwa des Wagenrennens. Das ist in der patriarchalischen Gesellschaft sehr auffallend. Eine ähnliche Tendenz läßt sich hier und da in der späteren Sanskritliteratur belegen 183 und findet höchsten Ausdruck in der Gestalt der Pärvati Källdäsas, die um Sivas Liebe ringt, oder der Devi, die auf Sivas Leiche tanzt, einer nichtarischen, eher matriarchalischen Vorstellung. 18/1 Sie hat indische Dichter des Feudalismus in Büchern wie der Sukasaptati oder in buddhistischen Texten die Frau als Versucherin hinstellen lassen. Eine Sita oder Draupadi, Sävitr! oder Damayantl würden nicht solche verwegene Rolle spielen. Aber immerhin möchte Dusyanta, als er Sakuntalä mit ihren Freundinnen belauscht, aus ihrem eigenen Munde hören, daß und wie sehr sie ihn liebt. 185 Er möchte vielleicht sicher sein, daß sie ihm nicht etwa seiner hohen Stellung wegen Liebe vortäuscht. Kann man in dieser Richtung denkend annehmen, daß diese patriarchalisch-rgvedischen Dichter mehr oder weniger

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bewußt andeuteten, daß heißblütige Frauen kühler überlegenden Männern wie Agastya unterlegen waren, selbst wenn sie sie erotisch gewinnen konnten? Es gibt ja auch sonst Stellen im R V , daß insbesondere Frauen sich für die Liebe rüsten. Genügt es, dies damit zu erklären, daß schon im R V wie in späterer Literatur bzw. gemäß Hinduvorstellung die „sex nature" der Frauen der der Männer „superior" gewesen sei ? 186 Handelt es sich nicht mehr um ein ideologisches als u m ein biologisches Problem? U n t e r den rgvedischen Dialogliedern über das Thema der Liebe weicht das berühmteste von dieser Gruppe ab, das des P u r ü r a v a s und der Urvasi. 1 8 7 Gemäß der im S a t a p a t h a b r ä h m a n a mitgeteilten, im K e r n wohl schon aus Innerasien mitgebrachten Sage 188 des Purüravas, des Ahnen des Mondgeschlechts, h a t dieser die Schwanjungfrau 1 8 9 Urvasi zur Martenehe gewonnen, bis sie ihm nach dem Empfangen eines Kindes, wie bei diesem Typ Ehen üblich, entschwand. P u r ü r a v a s fand sie in alter Weise mit ihren Freundinnen badend wieder, und es entspann sich der Dialog des R V . E r fleht sie an, zu ihm zurückzukehren, wenigstens mit ihm zu sprechen. Sie lehnt ab, ihre Trennung sei unwiderruflich. Offenbar hat sie ihn nie geliebt, war n u r in sein Bett gezwungen worden, während er sich in Liebe zu ihr verzehrt. Auch ihr Kind bedeutet f ü r sie keine Bindung an ihn. Sie erklärt ihm, er habe als Held Größeres zu tun, als sie zu lieben; er müsse sein Volk gegen Feinde (dasyu) schützen; mit Frauen gebe es keine Freundschaft, Frauen seien wie Hyänen. — Hier ist die F r a u der uralten Sage gemäß kalt, lieblos und sagt (für unser Empfinden schamlos) offen, daß ihr auch die einstige Erotik nicht lag. Der Mann dagegen ist trostlos in seiner Leidenschaft. Damit ist dieses P a a r anders als die früher behandelten. Zaubersprüche des Atharvaveda zeigen, daß mancher Mann sich mühte, die Liebe einer spröden F r a u zu gewinnen, 190 wie es auch umgekehrt vorkam. 1 9 1 Aber in der patriarchalischen priesterlichen Lyrik des R V , einer Art Hofdichtung, ist dies ein Sonderfall, bringt man den Mann nicht gern in solche verzweifelte Lage, ebensowenig in der klassischen Dichtung der VI. Periode, 192 wohl aber in buddhistischer Lyrik der I I I . Periode, wenn Nonnen einem Versucher widerstehen, wie ja auch Sita dem R ä v a n a trotzte. Auch f ü r dieses rgvedisehe Gedicht wie f ü r die anderen Dialoge dieser Gruppe aber gilt, was schon bei den Gedichten auf die Morgenröte hervorgehoben war, daß wir im Rgveda nur von Erotik, 1 9 3 noch nicht von Liebe sprechen können. So schwer es auch ist, beide gegeneinander abzugrenzen und zugleich ihr Zusammengehören zu begreifen, 194 f ü r die Literatur und Literaturgeschichte ist es notwendig, eine Unterscheidung zu versuchen. E s geht wohl nicht an, zu behaupten, daß die Gentilgesellschaft an sich oder in ihrer Dichtung ganz allgemein nur Erotik gekannt hat. Die gentilen Vorärya schlagen in ihrer Liebeslyrik, soweit wir sie kennen (s. u.), sehr zurückhaltende Töne an, 1 9 5 so daß bei ihnen eine Unterscheidung von Liebe u n d Erotik einstweilen unmöglich ist. Jedenfalls scheint dem Sanskritisten Liebe erst in den alten Upanishaden, d. h. in der jungen Klassengesellschaft, literarischen Ausdruck zu finden. 1 9 6 Andererseits ist nicht zu verkennen, daß nur das Gedicht über Apälä aus dieser Gruppe

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von sechs Gedichten im VIII. Buch, d. h. nicht in den späten Büchern I und X steht. Die stark erotische Verherrlichung der Usas kommt im I. und V. Buch vor. Daß das Vorherrschen der Erotik erst an das Ende der Zerfallperiode der arischen Gentilgesellschaft gehört, ist damit also nicht zu beweisen. Leider fehlt entsprechendes Material der vorarischen Gentilgesellschaft, da es meist von missionaren oder für sie gesammelt worden ist. Demgemäß sind uns z. B. die Texte der „unanständigen" Waldlieder der Santal nicht bekannt gemacht worden. 197 Es gibt aber auch Dialoge im RV, die andere Inhalte haben. Visvämitra bittet z. B. die Flüsse Sutudrl und Vipäs an der Stelle ihres Zusammenschlusses, seinen König Sudäs mit seinem Trupp hindurchzulassen. 198 Es handelt sich wohl um ein historisches Ereignis, 199 dessen Aussprechen in analogen Notlagen magisch wirksam gemeint war. 200 Dichterisch ist die kurze Schilderung der reißend aus dem Gebirge hervorquellenden Ströme. Sie, die Bringer der Fruchtbarkeit, werden, wie auch in einer anderen Schilderung der Flüsse des Pandschab 201 , mit milchreichen Mutterkühen verglichen; sie lecken sich beide wie Milchkühe ihr Kalb, und die Flüsse vergleichen sich in ihrer Antwort mit einer milchgeschwellten Frau, die sich ihrem Kinde zuneigt (d. h. dem Visvämitra), und einem Mädchen (kanyä), das sich einem jungen Helden hingibt. Auch in diese Mythologie und Naturlyrik ist damit ein Element der Erotik eingegangen. — In einem Dialog fordert Saramä als Botin 2 0 2 Indras von den Panis deren Rinderherde. I n dieser mythologisierten politischen Unterredung wagen die Panis der Saramä nicht von Liebe sprechen, sie wollen sie nur zu ihrer Schwester machen, ihr Kühe abgeben, um sie nicht zu Indra zurückgehen zu lassen. 203 — In den Dialog zwischen der Mutter Indras und diesem selber bei seiner merkwürdigen Geburt 204 ist keine Spur von Erotik in den Mythos eingedrungen. Dies Gedicht enthält besonders viele Erzählverse neben dem Dialog. Ähnlich ist es bei dem Monolog Indras und bei dem Dialog zwischen dem Adler und Sorna in den beiden zusammenhängenden Gedichten über den Adler, der für Indra den Sorna aus dem Himmel holte. 205 Für die Geschichte der Dichtung sind solche unpoetischen Gedichte unergiebig. Kurz erwähnt seien hier noch die Rätsel, die damals teilweise die Form von Dialogstrophen hatten, wie es einmal im Rgveda und ähnlich in der Väjasaneyisamhitä belegt ist. Eine Strophe enthielt vier Fragen, die zweite die vier Antworten 206 , z. B.: Wer wandelt einsam seine Straße? . . . Die Sonne wandert einsam ihre Straße . . . In der rgvedischen Lyrik sind uns dagegen überwiegend Fragen ohne Antworten erhalten, z. B.: Zwölf Speichen, ein Rad, drei Nabenstücke, wer versteht das? Die Antwort würde lauten: Das eine J a h r mit drei Paaren von Jahreszeiten und zwölf Monaten. 207 Meistens aber handelt es sich gar nicht um Rätselfragen, sondern um rätselhafte Aussprüche, die die Geheimnisse der Natur in schwer verständlichen Bildern aus dem Menschenleben wie in einem Gleichnis schildern, z. B. ist mit dem vom Dichter gesehenen Hirten, der rastlos auf den Wegen hin und her geht, gekleidet in gleich und entgegengesetzt sich bewegende (Gewänder), nach dem Kommentar die Sonne gemeint,

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die in ihre Strahlen gehüllt ist. 208 Solche rätselhafte Ausdrucksweise p a ß t zu der rgvedischen Tendenz, das „Wissen" der Priester geheimzuhalten und als außergewöhnlich, und eben damit magisch wirksam, hinzustellen, es p a ß t zu dem Wetträtselraten, 2 0 9 p a ß t aber auch zu vorarisch-gentiler verkleideter Ausdrucksweise. 210

6. Epik

(epische

Lieder)

E s ist beinahe selbstverständlich, daß die Ärya damals nicht nur diese Arten priesterlicher Dichtung hatten, sondern auch weltliche, 211 daß sie z. B. nicht priesterliche Natur- und Liebeslyrik besaßen, u. a. vielleicht von Hofdichtern verfaßt, als Werke einzelner Dichterpersönlichkeiten, ohne daß man sich dessen freilich bewußt war. 212 Die Ärya werden Arbeits- und Tanzlieder verschiedenster Inhalte gesungen haben, wiesie uns u. a. bei den gentilen Vorärya erhalten sind. I m rgvedischen Gedicht auf die B r a u t Süryä- 1 3 werden verschiedene ihrer Kleidungsstücke, Teile des Wagens, ihre Amme und Freundin mit verschiedenen Dichtungen gleichgesetzt, als wenn es sich um sieben literarische Gattungen oder deren Arten handelte. Diese Gleichungen stehen unter vielen anderen, und sie stehen nicht in einer Gruppe zusammen, sondern drei, zwei und zwei stehen jeweils zusammen, von einander durch andere getrennt, so daß uns einstweilen der Zusammenhang aller sieben Begriffe und die Gleichsetzungen ebenso unverständlich bleiben wie diese Siebenergruppe an sich. Es ist damit nicht sicher, daß es sich u m sieben „verschiedene Formen der Dichtkunst" 2 1 4 handelt. Deutlich sind n u r die beiden letzten: rc und s&man, die im Rg- und Sämaveda gesammelt vorliegen. Daneben werden im R g v e d a mehrfach yajus u n d chandas aufgeführt, wobei yajus die Sprüche des Y a j u r v e d a und chandas vermutlich die Zauberdichtung des Atharvaveda bedeutet, chandas geht an unserer Stelle den beiden letzten voran. Vor diesem steht stoma, das im R V allgemein gleich stotra, Lobgedicht, ist und von den meisten res nicht zu unterscheiden ist. Die ersten drei Begriffe aber geben uns Rätsel auf. Der dritte ist gäthä, das indoiranische Wort f ü r die gesungene Strophe, 2 1 5 von rc zu unterscheiden. Der zweite Begriff, näräsamsi = „männerlobende Strophe" 2 1 6 steht vielleicht neben dem der götterlobenden gäthä und rc. Der erste, raibhi, von rebha = Sänger abgeleitet, steht öfter mit dem 2. und 3. zusammen und wird als etwas ähnliches, als Dichtung gewisser Barden aufgefaßt. 2 1 7 Daß der rebha im R V etwas anderes ist als der hotr, könnte man aus R V I, 127,10 herauszulesen versuchen: Der hotr (in diesem Falle Agni, der Feuergott), läßt (morgens) den Weckruf ertönen 2 1 8 wie (!) ein rebha. Daß Agni wie (!) ein rebha jeden Morgen laut mit seiner Flamme r u f t , ist auch in VI, 3,6 gesagt, aber hier ist nicht der hotr neben den rebha gestellt. I n I X , 71,7 wird in ähnlicher Weise Sorna mit einem rebha verglichen, der viele Morgenröten lenkt, tausend Wege kennend. I n I, 113,17 treibt der preisende rebha mit seiner Rede als Zügel Morgenröten an. Nach VII, 63,3 geht die Sonne auf, bejubelt von rebhas.

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die in ihre Strahlen gehüllt ist. 208 Solche rätselhafte Ausdrucksweise p a ß t zu der rgvedischen Tendenz, das „Wissen" der Priester geheimzuhalten und als außergewöhnlich, und eben damit magisch wirksam, hinzustellen, es p a ß t zu dem Wetträtselraten, 2 0 9 p a ß t aber auch zu vorarisch-gentiler verkleideter Ausdrucksweise. 210

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E s ist beinahe selbstverständlich, daß die Ärya damals nicht nur diese Arten priesterlicher Dichtung hatten, sondern auch weltliche, 211 daß sie z. B. nicht priesterliche Natur- und Liebeslyrik besaßen, u. a. vielleicht von Hofdichtern verfaßt, als Werke einzelner Dichterpersönlichkeiten, ohne daß man sich dessen freilich bewußt war. 212 Die Ärya werden Arbeits- und Tanzlieder verschiedenster Inhalte gesungen haben, wiesie uns u. a. bei den gentilen Vorärya erhalten sind. I m rgvedischen Gedicht auf die B r a u t Süryä- 1 3 werden verschiedene ihrer Kleidungsstücke, Teile des Wagens, ihre Amme und Freundin mit verschiedenen Dichtungen gleichgesetzt, als wenn es sich um sieben literarische Gattungen oder deren Arten handelte. Diese Gleichungen stehen unter vielen anderen, und sie stehen nicht in einer Gruppe zusammen, sondern drei, zwei und zwei stehen jeweils zusammen, von einander durch andere getrennt, so daß uns einstweilen der Zusammenhang aller sieben Begriffe und die Gleichsetzungen ebenso unverständlich bleiben wie diese Siebenergruppe an sich. Es ist damit nicht sicher, daß es sich u m sieben „verschiedene Formen der Dichtkunst" 2 1 4 handelt. Deutlich sind n u r die beiden letzten: rc und s&man, die im Rg- und Sämaveda gesammelt vorliegen. Daneben werden im R g v e d a mehrfach yajus u n d chandas aufgeführt, wobei yajus die Sprüche des Y a j u r v e d a und chandas vermutlich die Zauberdichtung des Atharvaveda bedeutet, chandas geht an unserer Stelle den beiden letzten voran. Vor diesem steht stoma, das im R V allgemein gleich stotra, Lobgedicht, ist und von den meisten res nicht zu unterscheiden ist. Die ersten drei Begriffe aber geben uns Rätsel auf. Der dritte ist gäthä, das indoiranische Wort f ü r die gesungene Strophe, 2 1 5 von rc zu unterscheiden. Der zweite Begriff, näräsamsi = „männerlobende Strophe" 2 1 6 steht vielleicht neben dem der götterlobenden gäthä und rc. Der erste, raibhi, von rebha = Sänger abgeleitet, steht öfter mit dem 2. und 3. zusammen und wird als etwas ähnliches, als Dichtung gewisser Barden aufgefaßt. 2 1 7 Daß der rebha im R V etwas anderes ist als der hotr, könnte man aus R V I, 127,10 herauszulesen versuchen: Der hotr (in diesem Falle Agni, der Feuergott), läßt (morgens) den Weckruf ertönen 2 1 8 wie (!) ein rebha. Daß Agni wie (!) ein rebha jeden Morgen laut mit seiner Flamme r u f t , ist auch in VI, 3,6 gesagt, aber hier ist nicht der hotr neben den rebha gestellt. I n I X , 71,7 wird in ähnlicher Weise Sorna mit einem rebha verglichen, der viele Morgenröten lenkt, tausend Wege kennend. I n I, 113,17 treibt der preisende rebha mit seiner Rede als Zügel Morgenröten an. Nach VII, 63,3 geht die Sonne auf, bejubelt von rebhas.

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An diesen fünf Stellen h a t der rebha offenbar die F u n k t i o n des vaitälika, des Barden, der in späterer Literatur mit Versen an Fürstenhöfen die Stunden des Tages ausruft. 2 1 9 I m D r a m a Mudräräksasa sind es zwei, die jeweils zwei Strophen singen. 220 I n R V I, 163,12 wandeln weise rebhas beim Roßopfer hinter dem Bock, dem Opfer f ü r Agni, her. I n R V X, 71,3 jubeln sieben rebhas gemeinsam der Göttin der Rede zu. rebha mit hotr oder einem priesterlichen Sänger (gäthin; gäyatrin; udgätr)--! gleichzusetzen, zwingt keine rgvedische Stelle; es gab also offenbar neben dem aus vermutlich indo-iranischer Zeit stammenden priesterlichen Hofdichter (hotr) einen weltlichen Barden a m Fürstenhof, Nachfahren vielleicht indoeuropäischer Barden. 2 2 2 Der Barde gehörte vermutlich zu den „Abhängigen" des „Königs", die dieser an seinem Hofe zu unterhalten hat, 2 2 3 er lebte von seinem literarischen und sängerischen Können, wurde aber f ü r seine Dichtwerke nicht etwa bezahlt, sondern beschenkt bzw. unterhalten. Ob seine Stellung und Dicht u n g erblich waren, ist noch unbekannt. Seine ständige Aufgabe war, dem Herren, dem König-Heerführer, seine verschiedenen Pflichten im Tageslauf, zumindest a m Morgen, singend in Erinnerung zu bringen. 22,5 Dabei, aber auch bei anderen Gelegenheiten, h a t t e er seinen F ü r s t e n vermutlich zu preisen, u n d demgemäß wird der Vortrag der obenerwähnten „männerlobenden" Gesänge sein Dienst gewesen sein. Teilweise mögen diese, wie m a n v e r m u t e t h a t , den priesterlichen Lobgedichten auf die Freigebigkeit der F ü r s t e n im R g v e d a ähnlich gewesen sein. 225 Die Barden werden aber auch bei festlichen Gelegenheiten Kriegs- und sonstige Taten des Herren und seiner Ahnen in epischen Liedern besungen haben, d. h. eine weltliche, höfische Heldendichtung in Versen verfaßt und vorgetragen haben. Diese könnte mehr oder weniger improvisiert, d a n n aber vererbt, gesammelt, d. h. mündlich überliefert worden sein. So lassen sich in diesen epischen Liedern Quellen der späteren großen Heldenversepik vermuten. 2 2 6 Erhalten sind uns einige rgvedische, also priesterliche epische Gedichte über die Zehnkönigsschlacht; 227 in ihnen ist der Held der Priester Vasistha. E s ist aber doch sicher anzunehmen, daß auch die Barden des Siegers, des Königs Sudäs, dessen Anteil am Sieg, dessen H e l d e n t a t e n in epischen Liedern besungen haben, 2 2 8 und zwar in „männerlobenden" Gesängen, der L i t e r a t u r a r t der rebhas. N u n spricht so manches f ü r die Annahme, daß diese berühmte, sicher historische Schlacht letzten Endes der Schlacht des Mahäbhärata auf dem Kurufeld zugrunde liegt. 229 Verwendet man die an sieh erst von der nächsten Periode an gerechtfertigten Begriffe der beiden oberen Stände, so beginnt bereits in der ersten Periode der Unterschied einer Brahmanen- und einer Ksatriyadichtung sich im Keim herauszubilden. Manche Indologen haben die Vorstellung, daß u m die Wende von der ersten zur zweiten Periode, d. h. um etwa 1000 v. u. Z. herum, das „epische" oder heroische Zeitalter der Ärya anzusetzen ist. 230 Das p a ß t zu jener Auffassung der Zehnkönigsschlacht, paßt aber auch zu der Theorie, daß ganz allgemein das Heldenepos in einer frühen Form epischer Lieder die „aristokratische" Dichtung

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der Zeit des Zerfalls der patriarchalischen Gentilordnung ist, d. h. der „militärischen Demokratie". 231 Bei den Germanen kommt dafür die Zeit der Völkerwanderung in Frage, 232 die sich phaseologisch mit der rgvedischen Wanderungszeit vergleichen läßt. Insofern ist es berechtigt, sich die anzunehmenden weltlichen Heldenlieder dieser ersten Periode analog den Liedern der Edda vorzustellen. Die uns erhaltenen späteren altindischen Epen kann man aber nicht als direkte Widerspiegelung der I. Periode der altindischen Geschichte verwenden, da sie von hinduistischen Brahmanen stark umgearbeitet wurden. 233 Neben dieser damals mit neuen historischen Stoffen beginnenden Epik muß es eine andere gegeben haben, die die älteren Mythen und Sagen 234 von Purüravas und Urvasi und die des achillartigen Helden aus indoeuropäischer Zeit zum Stoff hatte. Vielleicht gab es auch im Pandschab epische Lieder ähnlicher Form (nicht nur Sagen) über den Theseus-Bhlmasena-Heldentyp aus dem alten Vorderen Orient, falls nämlich damalige nichtarische Barden diesen Stoff schon oder noch an vorarischen Fürstenhöfen besangen. Drittens ist anzunehmen, daß die arischen Barden, nicht nur hotrs, auch kosmogonische Themen in epischen Liedern besungen haben, so wie etwa die Santalkosmogonie einerseits in ausführlicher Prosafassung erzählt, andererseits in Liedform beim Sohrae-Fest gesungen wurde. 235 Man muß ja damit rechnen, daß die puranische Tradition, und zu der gehören die Kosmogonie, Anthropogonie und Urgeschichte der Menschen und die Genealogie der Helden, im Grunde ebenso alt ist wie die rgvedische, 230 daß ihre Träger aber nicht rgvedische Priester gewesen sind, wenigstens gehören später Epos (itihäsa) und Puräna zusammen, 237 d. h. Sagen- und Mythenstoffe wurden erst von Barden des Kriegeradels, dann von Brahmanen des Hinduismus geformt. Die frühesten Barden waren anscheinend u. a. die rebhas des Rgveda. Ihre Epik wird in der ersten Periode aber noch die Form von verhältnismäßig kurzen epischen Liedern gehabt haben. Den Unterschied zwischen Mythos und historischer Sage gab es, aber beides galt als glaubwürdige, überlieferungswürdigeTradition, analog der vorarisch-gentilen Epik. Wie diese wurde sie vielleicht wie schon bei gentilen Vorärya in einer umfassenden Komposition 238 in gesprochener Prosa mit eingestreuten gesungenen Versen, die u. a. Dialoge wiedergaben, bei feierlichen Anlässen, wie etwa der Hochzeit, vorgetragen, sie begann mit der Kosmogonie und Genealogie und endete mit der Geschichte der jüngsten Vergangenheit, wie etwa der Zehnkönigsschlacht. 239 J e weiter diese Ereignisse zurücklagen und unbekannt wurden, 2 ' 10 um so ausführlicher und damit naturgemäß phantastischer mußte die epische Darstellung werden, sei es in Prosa, sei es in Versgruppen. Die mannigfachen priesterlichen rgvedischen kosmogonischen Gedichte 241 spiegeln vermutlich mehr oder weniger getreu die nicht erhaltene weltliche oder bardische kosmogonische Dichtung dieser Zeit wider. Einmal heißt es in RV I I I , 54,9: Von ferne erkenne ich das „Uralte"; das ist unsere Blutsverwandtschaft 2 4 2 mit dem großen Vater. Der hotr gelangt also aus der Gegenwart fernhin mit seiner Vision (adhyemi), hin zu dem ,von jeher' Alten (sanä puränam, n.),

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d e m U r s p r u n g der Menschen v o m U r m e n s c h e n , sei es n u n M a n u oder Y a m a oder der purusa (Ymir). 2 4 3 H i e r ist „puränam" bereits in d e m k o s m o g o n i s c h e n Sinne gemeint, wie es d e m s p ä t e r e n Begriff des P u r ä n a z u g r u n d e liegt, d e n n dieses b e h a n d e l t die K o s m o g o n i e als E i n l e i t u n g z u m S t a m m b a u m der epischen IIelden.-' : / ; I n R V X , 135, 1 - 2 w e r d e n die A h n e n in Y a m a s T o t e n r e i c h als die A l t e n (puränäh, masc.) bezeichnet. D a r ü b e r , welche Stoffe der s p ä t e r e n E p e n u n d P u r ä n a s sich schon f ü r die rgvedische P e r i o d e nachweisen lassen, ist seit J a h r z e h n t e n g e a r b e i t e t worden. 2 , 5 5 Schließlich m ü s s e n die Ä r y a der ersten P e r i o d e sich a u c h T i e r f a b e l n u n d M ä r c h e n erzählt haben, 2 4 6 w i e d e r u m mit der E i n s c h r ä n k u n g , d a ß sie sie n o c h als wirklichkeitsgetreue E r z ä h l u n g e n a u f g e f a ß t h a b e n w e r d e n . W e n n die rgvedische L y r i k v o n P r i e s t e r n v e r f a ß t w u r d e , die sich zu B r a h m a n e n hin e n t wickelten, u n d die E p i k v o n B a r d e n der F ü r s t e n , die sich zu K s a t r i y a s hin e n t wickelten, so w e r d e n a u c h d i e z u V a i s y a s w e r d e n d e n viss ihre L i t e r a t u r g e h a b t h a b e n , u n d zwar T a n z - u n d Festlieder, M y t h e n u n d Sagen, a b e r a u c h M ä r c h e n u n d F a b e l n . D a es indessen noch keine a n t a g o n i s t i s c h e n K l a s s e n w i d e r s p r ü c h e gab, g a b es a u c h n i c h t d e n ausgebildeten U n t e r s c h i e d v o n Volks- u n d H e r r e n l i t e r a t u r , u n d doch b e g a n n m i t d e m U n t e r s c h i e d v o n a r m u n d reich der P r o z e ß d e r a r t i g e r U n t e r s c h e i d u n g , o h n e d a ß m a n i h n einstweilen im einzelnen belegen könnte.

7. Dramatik

(Kultdramen)

N o c h weit p r o b l e m a t i s c h e r ist die F r a g e n a c h rgvedischer D r a m a t i k . Die o b e n b e h a n d e l t e n Dialoggedichte sind n i c h t a u f g e f ü h r t w o r d e n ; n i c h t s s p r i c h t d a f ü r , 2 4 7 obgleich m a n c h e d a s f r ü h e r a n g e n o m m e n h a b e n . E s gibt d e m g e m ä ß a u c h keinen G r u n d , zu b e h a u p t e n , d a ß diese Dialoglieder die „ H a u p t w u r z e l n " f ü r die s p ä t e r e n „ v o l k s t ü m l i c h e n D r a m e n " , die sich, wie gleichzeitig b e h a u p t e t wird, aus T a n z l i e d e r n entwickelt h a b e n sollen, gewesen seien. 2 4 8 E r s t f ü r die I I . Periode lassen sich m i t m e h r R e c h t gewisse „ A n s ä t z e " zur D r a m a t i k in F o r m kultischer A u f f ü h r u n g e n nachweisen. 2 4 9 D a s p a ß t d a z u , d a ß m a n m e h r f a c h m i t besserem oder schlechterem Material auf „ a u t o c h t h o n e " U r s p r ü n g e des indischen D r a m a s , d. h . auf V o r f o r m e n des D r a m a s in d e r v o r a r i s c h e n Gentilgesellschaft hingewiesen hat. 2 5 0 A b e r a u c h f ü r I n d o e u r o p ä e r u n d I n d o - I r a n i e r lassen sich bisher keine V o r f o r m e n d r a m a t i s c h e r A u f f ü h r u n g e n n a c h w e i s e n , u n d es ist einstweilen keine Gesetzmäßigkeit b e k a n n t , w o n a c h es V o r f o r m e n des D r a m a s u n b e d i n g t auf der S t u f e der zerfallenden Gentilgesellschaft wie d e r des R g v e d a gegeben h a b e n m u ß . Dagegen ist es belegt, d a ß es in der Periode des R g v e d a T ä n z e gegeben h a t . 2 5 1 D a b e i ist zu u n t e r s c h e i d e n zwischen m e h r e r e n z u s a m m e n T a n z e n d e n u n d e i n e m einzelnen T ä n z e r . Die S t u r m g e i s t e r , die M a r u t s , sah einer der priesterlichen D i c h t e r in seiner Vision z u m B r u n n e n (der S o m a k u f e ) t a n z e n , u n d z w a r als

I. Periode, 7

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d e m U r s p r u n g der Menschen v o m U r m e n s c h e n , sei es n u n M a n u oder Y a m a oder der purusa (Ymir). 2 4 3 H i e r ist „puränam" bereits in d e m k o s m o g o n i s c h e n Sinne gemeint, wie es d e m s p ä t e r e n Begriff des P u r ä n a z u g r u n d e liegt, d e n n dieses b e h a n d e l t die K o s m o g o n i e als E i n l e i t u n g z u m S t a m m b a u m der epischen IIelden.-' : / ; I n R V X , 135, 1 - 2 w e r d e n die A h n e n in Y a m a s T o t e n r e i c h als die A l t e n (puränäh, masc.) bezeichnet. D a r ü b e r , welche Stoffe der s p ä t e r e n E p e n u n d P u r ä n a s sich schon f ü r die rgvedische P e r i o d e nachweisen lassen, ist seit J a h r z e h n t e n g e a r b e i t e t worden. 2 , 5 5 Schließlich m ü s s e n die Ä r y a der ersten P e r i o d e sich a u c h T i e r f a b e l n u n d M ä r c h e n erzählt haben, 2 4 6 w i e d e r u m mit der E i n s c h r ä n k u n g , d a ß sie sie n o c h als wirklichkeitsgetreue E r z ä h l u n g e n a u f g e f a ß t h a b e n w e r d e n . W e n n die rgvedische L y r i k v o n P r i e s t e r n v e r f a ß t w u r d e , die sich zu B r a h m a n e n hin e n t wickelten, u n d die E p i k v o n B a r d e n der F ü r s t e n , die sich zu K s a t r i y a s hin e n t wickelten, so w e r d e n a u c h d i e z u V a i s y a s w e r d e n d e n viss ihre L i t e r a t u r g e h a b t h a b e n , u n d zwar T a n z - u n d Festlieder, M y t h e n u n d Sagen, a b e r a u c h M ä r c h e n u n d F a b e l n . D a es indessen noch keine a n t a g o n i s t i s c h e n K l a s s e n w i d e r s p r ü c h e gab, g a b es a u c h n i c h t d e n ausgebildeten U n t e r s c h i e d v o n Volks- u n d H e r r e n l i t e r a t u r , u n d doch b e g a n n m i t d e m U n t e r s c h i e d v o n a r m u n d reich der P r o z e ß d e r a r t i g e r U n t e r s c h e i d u n g , o h n e d a ß m a n i h n einstweilen im einzelnen belegen könnte.

7. Dramatik

(Kultdramen)

N o c h weit p r o b l e m a t i s c h e r ist die F r a g e n a c h rgvedischer D r a m a t i k . Die o b e n b e h a n d e l t e n Dialoggedichte sind n i c h t a u f g e f ü h r t w o r d e n ; n i c h t s s p r i c h t d a f ü r , 2 4 7 obgleich m a n c h e d a s f r ü h e r a n g e n o m m e n h a b e n . E s gibt d e m g e m ä ß a u c h keinen G r u n d , zu b e h a u p t e n , d a ß diese Dialoglieder die „ H a u p t w u r z e l n " f ü r die s p ä t e r e n „ v o l k s t ü m l i c h e n D r a m e n " , die sich, wie gleichzeitig b e h a u p t e t wird, aus T a n z l i e d e r n entwickelt h a b e n sollen, gewesen seien. 2 4 8 E r s t f ü r die I I . Periode lassen sich m i t m e h r R e c h t gewisse „ A n s ä t z e " zur D r a m a t i k in F o r m kultischer A u f f ü h r u n g e n nachweisen. 2 4 9 D a s p a ß t d a z u , d a ß m a n m e h r f a c h m i t besserem oder schlechterem Material auf „ a u t o c h t h o n e " U r s p r ü n g e des indischen D r a m a s , d. h . auf V o r f o r m e n des D r a m a s in d e r v o r a r i s c h e n Gentilgesellschaft hingewiesen hat. 2 5 0 A b e r a u c h f ü r I n d o e u r o p ä e r u n d I n d o - I r a n i e r lassen sich bisher keine V o r f o r m e n d r a m a t i s c h e r A u f f ü h r u n g e n n a c h w e i s e n , u n d es ist einstweilen keine Gesetzmäßigkeit b e k a n n t , w o n a c h es V o r f o r m e n des D r a m a s u n b e d i n g t auf der S t u f e der zerfallenden Gentilgesellschaft wie d e r des R g v e d a gegeben h a b e n m u ß . Dagegen ist es belegt, d a ß es in der Periode des R g v e d a T ä n z e gegeben h a t . 2 5 1 D a b e i ist zu u n t e r s c h e i d e n zwischen m e h r e r e n z u s a m m e n T a n z e n d e n u n d e i n e m einzelnen T ä n z e r . Die S t u r m g e i s t e r , die M a r u t s , sah einer der priesterlichen D i c h t e r in seiner Vision z u m B r u n n e n (der S o m a k u f e ) t a n z e n , u n d z w a r als

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Lieder singende Sänger. 252 Diese Strophe spiegelt deutlich Tanz mit Liedern der Menschen wider. — Die beiden Asvin taten sich als Tänzer, als Männer, mit ihren Zauberkünsten unter den Göttern hervor. 233 Ob sie gemeinsam mit den Göttern tanzten oder nur sie beide, ist nicht klar. — Die Somapreßsteine, mit ihren Schwestern (den Fingern der pressenden Priester) untergefaßt, tanzen (beim Pressen), wobei die Erde dröhnt; vielleicht gehört dazu das Vorhergehende, daß sie, von Sorna berauscht, laut reden, zu Indra schreien; sie sind rüstig (RV X, 94,4f.). Ob man aus dieser das Pressen mit den Preßsteinen verherrlichenden Strophe herauslesen kann, daß Priester damals wie diese Preßsteine beim Tanzen Indra priesen, dieser Chorgesang also kultisch war, ist nicht eindeutig und würde diesen Tanz von dem bloß festlichen Tanz der vorarischen Gentilgesellschaft unterscheiden. — Daß Tanzende Staub aufwirbeln, wird einmal erwähnt (X, 72,6). Als Einzeltänzer erscheint Indra, rüstig (s. o.), in ein duftendes (parfümiertes) Gewand gehüllt (VI, 29,3). Mehrfach wird Indra mit dem Vokativ Tänzer-5'* angerufen. I h n ruft einer der Priesterdichter zum Somatrunk, den Tänzer, der über die Völker herrscht (VIII, 68,7); es könnte gemeint sein: der als Tänzer herrscht. Und noch merkwürdiger ist, daß er durch Opfer gestärkt werden soll, „wenn er, der Unsterbliche, seine Mannestaten tanzt" (V, 33,6). Das könnte bedeuten, daß Indra seine Heldentaten dem Dichter in einer Vision pantomimisch „aufführt"; 2 5 5 aber auch, daß ein Priester in der Rolle des Indra ein Kultdrama tanzt, oder daß Indra als Gott selber seine Taten tanzt, daß sie nichts als Tanz, als Spiel ohne Ziel oder Anstrengung dieses Gottes sind, der ja öfter als Tänzer angeredet wird. An anderen Stellen allerdings „tut" er seine Mannestaten. 250 Soll man sich vorstellen, daß Indra an dieser Stelle als berauscht tanzender Berserker, Kriegsführer und „König" gedacht ist? Hängt sein Tanz mit dem des Siva zusammen, dessen kosmisches Tun im Hinduismus manchmal als Tanz aufgefaßt wurde, und ähnlich vielleicht schon in der Indusgesellschaft mit ihrer Plastik des Tänzergottes Natesvara? 2 5 7 H a t hier der arische Priesterdichter diese vorarische Vorstellung übernommen? Läßt sich diese Stelle als auf Indra übertragene Tanzkunst eines menschlichen Pantomimen deuten? Genügt etwa dieser eine vieldeutige Beleg für den Nachweis eines rgvedischen Kultdramas? Mit einer Einzeltänzerin wird Usas verglichen, die Morgenröte. Wie (!) eine Tänzerin legt sie bunte Farben auf und enthüllt ihre Brust. Sie gleicht einer, die die Schaubühne (?) betritt, um Schätze zu gewinnen, wie eine Lächelnde (d. h. wie eine Buhlerin) entblößt sie ihre Brust. 258 Nimmt man diese beiden Stellen zusammen, so belegen sie das Vorhandensein von Buhlerinnen, die auf irgendeinem erhöhten Platz tanzten. Sie brauchen aber deswegen nicht etwa Pantomimen oder gar Schauspielerinnen gewesen zu sein; später spielten Männer die Frauenrollen im altindischen Drama. Weder von Indra noch von Usas wird angedeutet, daß sie Gegenspieler für einen Dialog gehabt oder Monologe gehalten hätten. Man kann diese spärlichen Angaben also nicht mit den Dialogliedern des Rgveda zusammenbringen, und sicher auch nicht mit den Monolog-

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I. Periode, 8

gedichten, selbst wenn das über den Rausch 2 5 9 von einigen Interpreten auf den trunkenen I n d r a gedeutet worden ist. Ist dies etwa ein Indra, der seine T a t e n im Rausch tanzt?

8. Die Rolle des Egveda in der altindischen

Literaturgeschichte

Die priesterliche Dichtung des Rgveda h a t am E n d e der I . Periode aufgehört und hat an sich auf die Dichtung der folgenden Perioden nur wenig eingewirkt, war sie doch geheimgehaltenes und sprachlich schnell unverständlich gewordenes Eigentum gewisser Priesterkreise, die beim Übergang zum Hinduismus an sozialer Bedeutung ständig verloren. Die dem Rgveda und dem Epos gemeinsamen Sagenstoffe brauchen nicht aus dem Rgveda selbfer in das Epos übernommen worden zu sein, da neben der vedischen die epische Tradition einherging. 260 Neben der Lyrik der Priester des Rgveda gab es die des Kriegeradels und seiner Barden (rebha) und auch die des „Volkes", der viss, der späteren Vaisyas, insbesondere aber auch die der Frauen. Diese haben sicher u. a. bei Hochzeiten, Totenfesten und zahlreichen anderen Gelegenheiten ihre eigenen traditionellen Lieder gesungen, und zwar in Fortsetzung der Frauen und Männer der arischen u n d vorarischen Gentilgesellschaft; von der I I . Periode an bis heute sind solche Lieder bezeugt. 2 6 1 Schon in der I I . Periode werden auch die als Südras in die indischen Völker, die sich damals bildeten, eingeordneten gentilen Vorärya ihre Lyrik in die damalige Gesellschaft eingebracht haben. Dabei sind arisches und vorarisches E r b g u t verschmolzen, so daß Vergleiche rgvedischer u n d mundaischer Naturlyrik 2 6 2 uns helfen können, uns die Volkslyrik der beginnenden Klassengesellschaft in etwa vorzustellen. Daneben gab es weiter Dichtung der noch freien vorarischen Stämme in ihren Rückzugsgebieten u n d wohl hier und da noch Reste der Literatur der Indusgesellschaft. Die altindische Dichtung aller drei Genres entwickelte sich allmählich zur, Kävyadichtung, der typisch altindischen Kunstdichtung. Diese — man denke, was die Lyrik angeht, an Häla, Bhartrhari und Amaru — ist aber nicht von der rgvedischen Priesterlyrik herzuleiten, 2 6 3 sondern von der weltlichen Lyrik der gentilen Ärya (die uns nicht erhalten ist) u n d Vorärya über die noch zu rekonstruierende Volkslyrik der Vaisyas und Südras, die von der I I . Periode an zum N ä h r s t a n d zusammenschmolzen. Von da s t a m m t das Element der „Stimmung"' (rasa) und der unmythologische Bildcharakter der Kävyastrophe. Den Strophencharakter des lyrischen Gedichts und das Stilmittel des Vergleichs gab es wohl in beiden Gentilgesellschaften. 26 '' 1 Andererseits sieht es so aus, als ob einzelne Erscheinungen sowohl hinsichtlich der Form des Monologs und des Dialogs in den moralisch-didaktischen buddhistischen Liedern (gäthä) aus der I I I . Periode vom Rgveda selber oder gleichzeitigen weltlichen Gegenstücken über wer weiß was f ü r Zwischenglieder stammen. Diese buddhistischen Monologe sind persönliche moralische dichte6

B u b e n , Dichtung

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gedichten, selbst wenn das über den Rausch 2 5 9 von einigen Interpreten auf den trunkenen I n d r a gedeutet worden ist. Ist dies etwa ein Indra, der seine T a t e n im Rausch tanzt?

8. Die Rolle des Egveda in der altindischen

Literaturgeschichte

Die priesterliche Dichtung des Rgveda h a t am E n d e der I . Periode aufgehört und hat an sich auf die Dichtung der folgenden Perioden nur wenig eingewirkt, war sie doch geheimgehaltenes und sprachlich schnell unverständlich gewordenes Eigentum gewisser Priesterkreise, die beim Übergang zum Hinduismus an sozialer Bedeutung ständig verloren. Die dem Rgveda und dem Epos gemeinsamen Sagenstoffe brauchen nicht aus dem Rgveda selbfer in das Epos übernommen worden zu sein, da neben der vedischen die epische Tradition einherging. 260 Neben der Lyrik der Priester des Rgveda gab es die des Kriegeradels und seiner Barden (rebha) und auch die des „Volkes", der viss, der späteren Vaisyas, insbesondere aber auch die der Frauen. Diese haben sicher u. a. bei Hochzeiten, Totenfesten und zahlreichen anderen Gelegenheiten ihre eigenen traditionellen Lieder gesungen, und zwar in Fortsetzung der Frauen und Männer der arischen u n d vorarischen Gentilgesellschaft; von der I I . Periode an bis heute sind solche Lieder bezeugt. 2 6 1 Schon in der I I . Periode werden auch die als Südras in die indischen Völker, die sich damals bildeten, eingeordneten gentilen Vorärya ihre Lyrik in die damalige Gesellschaft eingebracht haben. Dabei sind arisches und vorarisches E r b g u t verschmolzen, so daß Vergleiche rgvedischer u n d mundaischer Naturlyrik 2 6 2 uns helfen können, uns die Volkslyrik der beginnenden Klassengesellschaft in etwa vorzustellen. Daneben gab es weiter Dichtung der noch freien vorarischen Stämme in ihren Rückzugsgebieten u n d wohl hier und da noch Reste der Literatur der Indusgesellschaft. Die altindische Dichtung aller drei Genres entwickelte sich allmählich zur, Kävyadichtung, der typisch altindischen Kunstdichtung. Diese — man denke, was die Lyrik angeht, an Häla, Bhartrhari und Amaru — ist aber nicht von der rgvedischen Priesterlyrik herzuleiten, 2 6 3 sondern von der weltlichen Lyrik der gentilen Ärya (die uns nicht erhalten ist) u n d Vorärya über die noch zu rekonstruierende Volkslyrik der Vaisyas und Südras, die von der I I . Periode an zum N ä h r s t a n d zusammenschmolzen. Von da s t a m m t das Element der „Stimmung"' (rasa) und der unmythologische Bildcharakter der Kävyastrophe. Den Strophencharakter des lyrischen Gedichts und das Stilmittel des Vergleichs gab es wohl in beiden Gentilgesellschaften. 26 '' 1 Andererseits sieht es so aus, als ob einzelne Erscheinungen sowohl hinsichtlich der Form des Monologs und des Dialogs in den moralisch-didaktischen buddhistischen Liedern (gäthä) aus der I I I . Periode vom Rgveda selber oder gleichzeitigen weltlichen Gegenstücken über wer weiß was f ü r Zwischenglieder stammen. Diese buddhistischen Monologe sind persönliche moralische dichte6

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rische Bekenntnisse wie die wenigen erhaltenen des Rgveda; aber die buddhistischen sind solche von Asketen, also denen des Spielers oder des Berauschten 2 6 5 im Rgveda in der Tendenz entgegengesetzt. Dies gilt auch für einige Dialoge. I n einem von diesen weist Urvasi den Purüravas ab, die F r a u den Mann, ein äußerst seltener Fall, 266 der den Hindu geradezu schockierte. Dies ist ein brahmanisches mythologisches Gegenstück zum Abweisen eines Bewerbers durch eine buddhistische Nonne, oder dessen Vorläufer. 267 Sogar noch der „Wolkenbote" Kälidäsas mit dem Monolog des Yaksa kann mit seiner Form indirekt an Monologe des Rgveda (freilich auch an die gentiler Vorärya) 2 6 8 angeschlossen werden, allerdings nicht direkt, denn in der VI. Periode war der Rgveda weltlichen Dichtern nicht mehr geläufig, wie vielleicht noch einigen buddhistischen Priestern der I I I . Periode. Auch die hinduistischen stotras, Götterhymnen, 2 6 9 mögen indirekt mit den die Götter kraft Wahrsprechens beschwörenden Gedichten des Rgveda zusammenhängen. Die spätere Form des großen Versepos ist ebensowenig direkt von den priesterlichen epischen Liedern des Rgveda herzuleiten, sondern von den vorauszusetzenden weltlichen epischen Liedern der I. Periode, von denen der rebhas. Der Stoff der hinduistischen Heldenepik stammt aber zum Teil von der vorarisch-gentilen Epik von Wanderhelden, zum Teil indessen von anzunehmenden epischen Liedern der Bardendes „heroischen" Zeitalters ungefähr der I. Periode, zum Teil endlich aus im Kern noch weit älterer vedischer sowohl wie puranischer Tradition. Ob und wie Vorformen späterer epischer Prosa (Märchen, Erzählungen aller Art) bereits in der Zeit des Rgveda lebten, ist noch nicht ausgemacht. Vorformen des hinduistischen Dramas sind im Rgveda nicht nachgewiesen. Es ist also sehr einseitig, d. h. äryachauvinistisch, die Geschichte der indischen Dichtung mit dem Rgveda beginnen zu lassen, wie es bisher meist üblich ist. 270 Wir wissen indessen noch nicht, welchen Charakter und welche Bedeutung die nichtrgvedische arisch-gentile Dichtung für die Entwicklung der altindischen Literatur aller Genres gehabt hat.

9. Rgveda und

Homer

Der Vergleich der Inder und Griechen auf dem Gebiet der Literaturgeschichte kann von den ältesten Dokumenten beider Kulturen, Rgveda und Homer, ausgehen. Beide spiegeln annähernd die gleiche Höhe der gesellschaftlichen Entwicklung wider. 271 Aber warum beginnt man üblicherweise 272 die indische Literaturgeschichte mit priesterlichen Gedichten oder „Hymnen" des Rvgeda, die griechische aber mit zwei Epen des weltlichen Barden Homer? Auch im rgvedischen Indien hat es Barden (rebha) gegeben, und sie werden epische Lieder gesungen haben, die, wenn man an Lieder über die Zehnkönigsschlacht 273 denkt, denen nicht sehr unähnlich gewesen zu sein brauchen, die Phemios am Hofe des Odysseus von der historischen Heimkehr der grie-

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rische Bekenntnisse wie die wenigen erhaltenen des Rgveda; aber die buddhistischen sind solche von Asketen, also denen des Spielers oder des Berauschten 2 6 5 im Rgveda in der Tendenz entgegengesetzt. Dies gilt auch für einige Dialoge. I n einem von diesen weist Urvasi den Purüravas ab, die F r a u den Mann, ein äußerst seltener Fall, 266 der den Hindu geradezu schockierte. Dies ist ein brahmanisches mythologisches Gegenstück zum Abweisen eines Bewerbers durch eine buddhistische Nonne, oder dessen Vorläufer. 267 Sogar noch der „Wolkenbote" Kälidäsas mit dem Monolog des Yaksa kann mit seiner Form indirekt an Monologe des Rgveda (freilich auch an die gentiler Vorärya) 2 6 8 angeschlossen werden, allerdings nicht direkt, denn in der VI. Periode war der Rgveda weltlichen Dichtern nicht mehr geläufig, wie vielleicht noch einigen buddhistischen Priestern der I I I . Periode. Auch die hinduistischen stotras, Götterhymnen, 2 6 9 mögen indirekt mit den die Götter kraft Wahrsprechens beschwörenden Gedichten des Rgveda zusammenhängen. Die spätere Form des großen Versepos ist ebensowenig direkt von den priesterlichen epischen Liedern des Rgveda herzuleiten, sondern von den vorauszusetzenden weltlichen epischen Liedern der I. Periode, von denen der rebhas. Der Stoff der hinduistischen Heldenepik stammt aber zum Teil von der vorarisch-gentilen Epik von Wanderhelden, zum Teil indessen von anzunehmenden epischen Liedern der Bardendes „heroischen" Zeitalters ungefähr der I. Periode, zum Teil endlich aus im Kern noch weit älterer vedischer sowohl wie puranischer Tradition. Ob und wie Vorformen späterer epischer Prosa (Märchen, Erzählungen aller Art) bereits in der Zeit des Rgveda lebten, ist noch nicht ausgemacht. Vorformen des hinduistischen Dramas sind im Rgveda nicht nachgewiesen. Es ist also sehr einseitig, d. h. äryachauvinistisch, die Geschichte der indischen Dichtung mit dem Rgveda beginnen zu lassen, wie es bisher meist üblich ist. 270 Wir wissen indessen noch nicht, welchen Charakter und welche Bedeutung die nichtrgvedische arisch-gentile Dichtung für die Entwicklung der altindischen Literatur aller Genres gehabt hat.

9. Rgveda und

Homer

Der Vergleich der Inder und Griechen auf dem Gebiet der Literaturgeschichte kann von den ältesten Dokumenten beider Kulturen, Rgveda und Homer, ausgehen. Beide spiegeln annähernd die gleiche Höhe der gesellschaftlichen Entwicklung wider. 271 Aber warum beginnt man üblicherweise 272 die indische Literaturgeschichte mit priesterlichen Gedichten oder „Hymnen" des Rvgeda, die griechische aber mit zwei Epen des weltlichen Barden Homer? Auch im rgvedischen Indien hat es Barden (rebha) gegeben, und sie werden epische Lieder gesungen haben, die, wenn man an Lieder über die Zehnkönigsschlacht 273 denkt, denen nicht sehr unähnlich gewesen zu sein brauchen, die Phemios am Hofe des Odysseus von der historischen Heimkehr der grie-

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chischen Helden von Troja sang. Telemachos bemerkt dazu, daß die Hörer am meisten Lieder über Taten der letzten Zeiten lieben. 274 Ähnlich sang Demodokos beim Gastmahl am Hol des Phäakenkönigs Alkinoos von den Taten des Odysseus (Od. VIII, 65ff.). E r sang aber auch, als die phäakischen Jünglinge auf dem Platz der sportlichen Wettkämpfe im Reigen tanzten, sein mythologisches Lied von Ares' Buhlschaft mit Aphrodite, der Gemahlin des Hephästos. Helios verriet sie dem Schmiedekünstler; dieser fing das Paar auf seinem Bett in einem Netz, die Götter kamen und lachten, aber das Lied klingt moralischernst aus: Böses gedeiht nicht; der Langsame (hinkende Schmied) fing den Schnellen (Kriegsgott) (Od. VIII, 250ff.). Dieses Lied kann man dem rgvedischen Gedicht über Indra, seine Frau und Vrsäkapi 2 7 5 an die Seite stellen, zumal es neben diesem Gedicht in Indien sicher ebenfalls nichtpriesterliehe, bardische mythologische Lieder ironischer Art gegeben haben wird. Nach dem vermutlich glaubhaften Zeugnis der Ilias I X , 189 hat der Fürst 2 7 6 Achill, nur mit Patroklos als Zuhörer, zur Leier vom R u h m e der Helden gesungen. Nach brahmanischer Tradition (Sarvänukramani) haben Könige einige rgvedische, also priesterliche Gedichte verfaßt; 277 diese Überlieferung ist zwar nicht nur in diesem Punkt, sondern ganz allgemein fraglich, geht aber im Falle des Näbhänedistha bis auf das Aitareyabrähmana der frühen I I . Periode zurück, 278 und es muß den damaligen Brahmanen immerhin als möglich erschienen sein, daß Ksatriyas dichteten. Von den Helden in den hinduistischen Epen ist dies allerdings nicht bezeugt; wenn Krsna die Flöte bläst, so t u t er dies als Hirt in seiner Jugend, nicht als Mann und Krieger bzw. Politiker. Diese Fürsten der I. Periode sollen aber im Unterschied zu Achill wie Priester gedichtet haben, nicht wie Barden epische Lieder; zumindest ist das hier nirgends auch nur angedeutet. Erst Buddhisten der I I I . Periode berichteten von einem königlichen Dichter, Visäkhadatta von Naturlyrik Candragupta Mauryas, und Häla sowohl wie Südraka und Harsa sollen dichtende Könige gewesen sein. 279 Tatsache ist nun einmal, daß die von damals an immer mächtiger gewordenen Brahmanen, unterstützt von den indischen Despoten, nur den Rgveda ihrer Ahnen durch die Jahrtausende überliefert haben. Sie haben dagegen mit ihrem Bildungsmonopol die Dichtung der Barden der I. Periode spurlos untergehen lassen. Andererseits hat der griechische Kriegeradel sich zu wohlhabenden Städtern mit ihrer Demokratie entwickelt, und einer der Wegbereiter der Demokratie Athens, der Tyrann Peisistratos, hat um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. u. Z. schließlich die homerischen Epen redigieren und aufzeichnen lassen — aber nicht durch Priester (!), während die indischen Heldenepen, von Brahmanen stark umgearbeitet, erst tausend J a h r e später der Schrift anvertraut wurden. 280 Die beiden homerischen Epen waren Teile des Kyklos, der die Sagen von Theben und Troja umfaßte. Letztere begannen mit den Kyprien, und diese mit der Klage der Erde, diesem indoeuropäischen Mythos, der ebenso wie die Taten einer Art Achilleus-Heldengestalt 281 nicht nur von Homer, sondern sicher auch von weltlichen Barden der Zeit des Rgveda gesungen wurde, und zwar ver6*

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mutlich in Liedern wie denen des Phemios u n d Demodokos. W e n n uns also auch weder aus Indien noch aus Griechenland epische Lieder der Barden aus den J a h r h u n d e r t e n dieser I. Periode des alten Indiens erhalten sind, so k a n n m a n sie doch zu einem ganz kleinen Teil erschließen. I n R V IV, 18, einem der Dialoglieder, 282 sind dunkle epische Anspielungen auf einen Mythos, daß der Vater des I n d r a , vermutlich Tvastr, seinen ungeborenen Sohn umbringen wollte, daß dessen Mutter ihn im Leibe zurückhielt, d a ß das K i n d d a n n auf ungewöhnlichem Wege (wie auch Buddha) aus ihrer Seite heraustrat, daß sie ihn versteckte, I n d r a aber auszog u n d seinen Vater erschlug. Dieser Mythos ist d e m des Hesiod ähnlich: Uranos h a ß t seine Kinder, läßt sie aus dem Leib der Gaia nicht heraus; diese stiftet ihren Sohn Kronos an, U r a n o s zu e n t m a n n e n ; ähnlich geht es Kronos mit seinem Sohn Zeus. 283 Hesiods Mythos f ü h r t m a n ü b e r die Phönizier auf die H e t h i t e r u n d von denen auf die Churriter z u r ü c k ; m a n meint, die Göttergenerationenmythologie von altorientalischem Glauben herleiten zu können. 2 8 4 Wie er von Kleinasien, wo bekanntlich vor den H e t h i t e r n die Mitanni im 2. J a h r t a u s e n d zeitweilig ü b e r die Churriter herrschten, oder sonst v o m Vorderen Orient nach Indien, u n d zwar schon in den R g v e d a gelangt ist, ist einstweilen noch nicht geklärt. Der Weg wird anders gewesen sein als der des Helden v o m T y p Theseus-Bhimasena, aber auch als der des Helden v o m T y p des Achill, die beide nicht in den R g v e d a , in die Mythologie des I n d r a eindrangen. Ob es auch anders d e n k b a r ist, daß nämlich die Mitanni diesen Mythos aus indoeuropäischem E r b e den Churritern (Sprechern einer kaukasischen Sprache) gebracht h a b e n u n d die Griechen u n d Indoarier ihn ebenfalls aus Urzeiten k a n n t e n , müssen Spezialisten in Zusammenarbeit entscheiden. Dagegen spricht, daß dieser Mythos des göttlichen Vatermords nicht bei H o m e r , sondern erst bei Hesiod belegt 2 8 5 u n d in dieser Hinsicht dem Mythos der vier (oder bei Hesoid f ü n f ) Weltalter ähnlich ist, der aus Kleinasien zu Hesiod u n d ins P u r ä n a gelangt zu sein scheint. Der rgvedische H y m n u s , der I n d r a s Geburt u n d V a t e r m o r d besang, f u h r mit seiner b e r ü h m t e s t e n T a t , der Erschlagung des V r t r a fort. Einer der ber ü h m t e s t e n H y m n e n auf I n d r a , R V I I , 12, e r w ä h n t n u r in der ersten Strophe seine Geburt u n d daß er sofort zu handeln begann, u n d f ü g t einen langen K a t a log aller seiner T a t e n an. D e m stelle m a n den homerischen H y m n u s auf Apollon gegenüber; dieser schildert mit epischer Breite — er ist über zehnmal so lang wie einer dieser I n d r a h y m n e n — die Geburt des Gottes: Wie seine M u t t e r Leto, hochschwanger, einen Platz f ü r die N i e d e r k u n f t suchte, aber alle Orte f ü r c h t e t e n sich von der drohenden Last des erwarteten gewaltigen Gottes, bis Leto der u n f r u c h t b a r e n Insel Delos versprach, Apollon werde sich auf ihr, wenn sie sein Geburtsort würde, seinen herrlichen Tempel erbauen, zu d e m die Menschen mit H e k a t o m b e n strömen würden. Nach schwerer Geburt Apollons schreitet dieser sofort zur T a t , ergreift die Leier u n d gründet Heiligtum u n d Orakel von Delphi. 2 8 6 Der Homeride beginnt mit dem Lob des fernhin treffenden Apollon, der zwar kein Berserker, Somatrinker u n d Vatermörder wie I n d r a war; aber dennoch t ö t e t e er bereits an seinem f ü n f t e n Tage P y t h o n , die Schlange v o m

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P a r n a ß , die er bis Delphi verfolgte, u n d g r ü n d e t e d o r t die P y t h i a g e n a n n t e n W e t t s p i e l e u n d d a s p y t h i s c h e Orakel. 2 8 7 Stellt m a n V r t r a n e b e n P y t h o n , so k a n n m a n I n d r a n e b e n Apollon stellen, die b e i d e n u n m i t t e l b a r n a c h ihrer G e b u r t k ä m p f e n d e n H e l d e n . A b e r m a n ü b e r s e h e n i c h t d e n U n t e r s c h i e d des r g v e d i s c h e n Gedichts, d a s die M y t h e n als b e k a n n t v o r a u s s e t z t u n d n u r m i t magischer A b sicht der B e s c h w ö r u n g k n a p p a n d e u t e t , u n d des h o m e r i s c h e n H y m n u s , d e r in epischem Stil m i t menschlicher W ä r m e e r z ä h l t . E i n G o e t h e sogar f ü h l t e sich angeregt, die G e b u r t s n ö t e d e r L e t o in Ü b e r s e t z u n g wiederzugeben. W e n n rgvedische P r i e s t e r Usas, die M o r g e n r ö t e als herrliche J u n g f r a u u n d Buhlerin, wie eine z u m B a d e n Nackte, 2 8 8 besangen, so b e s a n g ein H o m e r i d e in einem ebenso k u r z e n H y m n u s A p h r o d i t e , die (eben a u s d e m Meere geboren) v o m W i n d h a u c h n a c h Z y p e r n g e t r a g e n wurde, wo die H ö r e n sie in K l e i d e r h ü l l t e n u n d herrlich s c h m ü c k t e n . Sie f ü h r t e n sie d a n n zu d e n G ö t t e r n , die sie alle z u m W e i b e b e g e h r t e n . Die B u h l e r i n U s a s s t e h t n e b e n d e r J u n g f r a u A p h r o d i t e wie I n d r a n e b e n Apollon, wie die Buhlerin eines n o c h n i c h t s e ß h a f t g e w o r d e n e n S t a m m e s im P a n d s c h a b n e b e n d e r D a m e einer ionischen S t a d t . D e r k u r z e homerische H y m n u s a n die M u t t e r aller, die E r d e , ist m i t d e m n o c h weit k ü r z e r e n rgvedischen Gedicht V, 84 a n die M u t t e r E r d e 2 8 9 z u s a m m e n zustellen. B e i d e n D i c h t e r n ist sie die F e s t g e g r ü n d e t e , die F r u c h t b a r e , a b e r w ä h r e n d der Ä r y a n u r a b s t r a k t d e n R e i c h t u m a n R e g e n u n d F l ü s s e n e r w ä h n t , schildert der Grieche anschaulich das glückliche L e b e n in Dorf u n d S t a d t m i t g u t e n Gesetzen u n d t a n z e n d e n J ü n g l i n g e n u n d J u n g f r a u e n . Mit d e m rgvedischen Gedicht a n die W a l d f r a u 2 9 0 m i t seiner lyrischen Schild e r u n g des heimlich-unheimlichen n ä c h t l i c h e n W a l d e s ist d e r ebenso k u r z e homerische H y m n u s a n P a n zu vergleichen: E r schweift j a g e n d d u r c h die Berge, u n d des A b e n d s spielt er auf b l ü h e n d e r Wiese die S c h a l m e i ; N y m p h e n t a n z e n u n d singen d a z u , d a s E c h o e r t ö n t . E s folgt d a n n auf diese N a t u r l y r i k d e r Bericht seiner G e b u r t , d e n die t a n z e n d e n N y m p h e n singen. D e m i n d i s c h e n Dschungel u n d d e m Ä r y a , d e m der W a l d z w a r das D r a u ß e n g e g e n ü b e r d e m Dorf, aber n o c h e t w a s als W e i d e G e w o h n t e s ist, s t e h t die R o m a n t i k d e r griechischen B e r g h ö h e n gegenüber, u n d der W a l d f r a u , der M u t t e r d e r wilden Tiere, die Schar der t a n z e n d e n N y m p h e n . D e r U n t e r s c h i e d der rgvedischen u n d h o m e r i s c h e n H y m n e n ist so groß, die griechischen sind so viel h ö h e r entwickelt, d a ß m a n die Gedichte des R g v e d a n i c h t wie d o c h die des „ H o m e r " H y m n e n n e n n e n sollte; es ist d e r U n t e r s c h i e d der beiden N a t u r e n u n d Gesellschaften, d e r a r i s c h e n P r i e s t e r d i c h t e r w a n d e r n d e r S t ä m m e u n d K r i e g s f ü h r e r u n d der R h a p s o d e n ionischer S t ä d t e ; es ist ein U n t e r s c h i e d a u c h d e r Zeiten. D e r R g v e d a ist m e h r e r e J a h r h u n d e r t e ä l t e r ; die homerischen H y m n e n gehören erst ins 7. - 5. J a h r h u n d e r t v . u . Z. 2 9 1 Sie sind f e r n e r n i c h t wie die Gedichte des R g v e d a u n d die a n z u n e h m e n d e n L i e d e r d e r d a m a l i g e n B a r d e n ä l t e r als die große H e l d e n e p i k , s o n d e r n s e t z e n die h o m e r i s c h e n E p e n v o r a u s , a h m e n d e r e n Stil n a c h . Sie sind deswegen n i c h t als M u s t e r d e r ä l t e s t e n griechischen epischen Lieder a n z u s e h e n ; diese w a r e n v e r m u t l i c h b a l l a d e n a r t i g ; ähnlich wie die u n s einzig e r h a l t e n e n epischen L i e d e r d e r rgve-

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dischen Priesterdichter. Wurden solche epischen Lieder in beiden Gesellschaften gesungen, so wurden die rgvedischen Gedichte sowohl wie die Epen und Hymnen Homers in Singsang gesprochen. Der Sänger mit seiner Leier (Barde, Aoidos) vor Homer war kein Rhapsode wie dieser. So trat auch an die Stelle des rgvedischen, gäthäs singenden Barden, des rebha, der spätere, sloken, Verse des Volksepos sprechende 292 hinduistische Barde. Griechische Dichtung aus der Zeit der I. indischen Periode, d. h. vor Homer, ist uns nicht erhalten. Wie indische wird es damals griechische Barden-Sänger und vielleicht auch priesterliche Dichter gegeben haben, sicher Tanzchorlieder, Natur- und Gesellschaftslyrik, Märchen und Fabeln, Mythen und Sagen. Aber fraglich sind in beiden Kulturen damalige Ansätze zur Dramatik in Form von Kultdramen; auch für die Griechen dieser frühen Zeit fehlen alle Hinweise auf solche. Doch sicher gilt für die griechische ebenso wie für die indische Literatur, für die der Priester und Barden, Tanzlieder und Märchen, daß ihr Boden die Mythologie war. Noch war die Beherrschung der Natur, waren Technik und Wissenschaft so wenig entwickelt, daß die Gesellschaft von ihrem Dichter keine von der Mythologie unabhängige Phantasie verlangen konnte. Die griechische sowohl wie die indische Mythologie hatten Natur und Gesellschaft in ihrer Weise durch die Volksphantasie verarbeitet, und zwar in ihrer unbewußt künstlerischen Weise, und diese Sehweise war die Voraussetzung der dichterischen Phantasie. Trotz ihrer Gebundenheit an die damalige Gesellschaftsform gewähren die homerischen Epen und Hymnen uns heute noch Kunstgenuß. 2 9 3 Historische Untersuchungen, Übersetzungen und Nachdichtungen haben von der Renaissance und Klassik an den gebildeten Europäer sich als Erben der Griechen empfinden lassen. Für den modernen Hindu aber ist der Rgveda erst seit dem Eindringen europäischer Forschung verständlich geworden, weckt indessen heute in einigen Gebildeten den Eindruck, es handle sich um die starke frische Kunst des Morgens der Menschheit, 294 während andere in ihm zwar bukolische, heroische und lyrische Elemente anerkennen, aber untergetaucht in der Masse trockener Hymnologie, Privileg weniger Priesterfamilien, kein Werk der Volksdichtung. 295 I m Gegensatz zu den Homeriden haben die rgvedischen Priesterdichter kein größeres Publikum mit ihrer Kunst gepackt. I h r Ritual war keine Angelegenheit einer Gemeinde (wie etwa einer christlichen) und keiner Versammlung wie der am Hofe eines griechischen Königs. Der Rgveda hat nur auf wenige „Wissende" direkt gewirkt und, wie er u. a. mit seinem Zweifeln 296 das Produkt des Zerfalls der Gentilgesellschaft war, auf diesen Zerfall zurückgewirkt, z. B. dadurch, daß er sein „Wissen" so geheimnisvoll ausdrückte, daß es nur im Kreis der hotrs verständlich war; auf diese Weise hat er mitgeholfen, die privilegierten hotrs und andere Priester zum Brahmanenstand werden zu lassen. Auf die anderen Stammesmitglieder wirkte er insbesondere dadurch, daß er nur bei Opfern der Reichen verwendet werden konnte, im wesentlichen ebenfalls in der Richtung auf die kommende Ständedifferenzierung; er verstärkte die Scheu vor dem Priester und dem reichen adligen Krieger. Daneben werden die damaligen

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epischen Dichter, die Barden, die Mythen- und Märchenerzähler, überwiegend erzieherisch gewirkt haben, indem sie heldische Ideale vertraten, und zwar wiederum die Ideale der Reichen und auch ihrer Priester. Auf den Gebieten der Produktionsverhältnisse, des Staats und Rechts lassen sich die Israeliten mit den Ärya der I. Periode vergleichen. Die Bibel hat als religiöse Weltgeschichte manche Ähnlichkeit mit dem Puräna. Rgvedischen Gedichten wie dem der Zehnkönigsschlacht 297 stehen die beiden Loblieder auf die Größe Gottes gegenüber, die Moses und die Seinen nach dem Durchschreiten des Schilfmeeres und dem Untergang des ägyptischen Heeres im Wasser 2 9 8 und Debora nach ihrem Sieg über die Kanaaniter unter dem Feldhauptmann Sisera sangen, 299 und zwar vor dem Heer und den Massen der Stämme. Kurze Schilderungen oder Andeutungen der kriegerischen Ereignisse sind in diese religiösen Lieder eingefügt, denn nicht die K r a f t der Waffen, sondern Gott hat den Israeliten angeblich den Sieg beschert. E r hat ihnen das Schilfmeer geöffnet und die Verfolger in ihm ertränkt; er hat für Debora den Bach Kison anschwellen lassen und die Feinde dahingewälzt. Also ist auch das Thema des Ertränkens der Feinde den drei Gedichten der beiden Gesellschaften gemeinsam, vielleicht zufällig, allenfalls insofern gesetzmäßig, als das Helfen des Gottes auf dieser frühen Stufe gesellschaftlicher Entwicklung so am besten darzustellen war. Weltliche und geistliche Dichtung gestalteten das widerspruchsvolle damalige Weltgefühl, einerseits die Diesseitsfreudigkeit mit den Idealen eines indrahaften Reckentums und der strahlenden Morgenröte, andererseits die Lebensangst, die aus den Gedichten an den Richter Varuna spricht oder aus dem Zweifel an der Tradition der Kosmogonie und Mythologie.

II. Periode: Dichtung in der Zeit der Staatwerdung (900-550 v.u. Z.)

1.

Vorbemerkung

Die einzigen uns erhaltenen literarischen Dokumente aus dieser II. sind ebenso wie die der I. Periode priesterliche Schöpfungen: Die drei Sammlungen des Säma-, Yajur- und Atharvaveda, die Brähmanas, Äranyakas und die fünf alten Upanisads. Eine chronologische Unterteilung dieser Periode ist für die Literaturgeschichte noch nicht durchgehend möglich, obgleich manche Gedichte des AV weit älter sein mögen als die anderen Werke. Wie die Sammlung des Rgveda sind diese Sammlungen von den verschiedenen Priesterschulen des jetzt konsolidierten Brahmanenstandes veranstaltet worden, und zwar für kultische und theologische Zwecke, ohne daß die Chronologie im einzelnen bekannt wäre. Ebenso wie beim RV ist demgemäß die Frage zu stellen, was für Dichtung es außer dieser priesterlichen damals gegeben haben muß. 1 Gab es schon in der I. Periode u. a. die Dichtung der weltlichen Barden (rebha), aber sicher auch Lieder und Erzählungen der Stammesmitglieder, der Männer und Frauen der vis, so ist dies für die II. Periode ebenso anzunehmen, und hinzu kamen jetzt die der Sündras. Da inzwischen aber aus der Gentilgesellschaft eine Klassengesellschaft mit beginnendem Despotismus und Ständeordnung entstanden war, ist anzunehmen, daß durch den beginnenden Klassenkampf die Unterschiede zwischen der priesterliehen, jetzt brahmanischen, als orthodox geltenden Dichtung und der der anderen Stände bzw. Klassen stärker waren als der entsprechende Unterschied in der I. Periode. Der sich herausbildende Despotismus brachte in der II. Periode die neue Erlösungsreligion, aber es begann dagegen auch wissenschaftliches und schließlich philosophisches Denken. Zu diesem komplizierten Überbau gehörte auch Dichtung, die aufbaute auf der über kommenen Dichtung der I. Periode, der der Priester, der Barden und der vis, der früheren Stammesmitglieder, jetzt der Untertanen, aber auch Dichtung der Südra-Heloten, die auf die der gentilen Vorärya zurückging. 2 Es wäre dagegen falsch, nur vom Rgveda auszugehen. 3

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2. Lyrik a) Lyrik des Atharvaveda Der Zauberer des Atharvaveda steht neben dem hotr des Rgveda (dazu den Priestern des Säma- und Yajurveda) wie der Zauberer neben dem Dorfpriester der vorarischen Gentilgesellschaft. Deren Dorfpriester fungiert als eine Art Dorfbeamter für die ganze Gemeinde und wird von ihr gemeinsam unterhalten. Der Zauberer aber wirkt im Auftrag des einzelnen Mitgliedes der Dorfgemeinde bei besonderen Anlässen; er wird für seinen Sonderdienst entlohnt/1 Innerhalb der Zauberer aber gibt es weiße und schwarze, helfende und schädigende, gute und böse bei Ärya 5 und bei Vorärya; besonders bei den Bhil ist deren Zauber und Gegenzauber eine der Grundlagen ihres ganzen magischen Weltbildes.6 Auch die „Indoeuropäer" zauberten schon, und mancher Zauber des Atharvaveda ist im Kern uralt,7 wenn auch der AV als Ganzes in seiner überlieferten Form einen etwas jüngeren Eindruck macht als der RV, d. h. etwas später gesammelt und als vierter Veda anerkannt wurde, erst im Gebiet der Gangä.8 Trotz des grundsätzlichen Unterschieds zwischen Priester und Zauberer ist etwa ein Siebentel des AV mit dem RV identisch.9 Auch der Zauberer des AV gehörte eben zum Brahmanenstand; Priester und Zauberer waren beide Magier; ihre Dichtung war in mancher Hinsicht vereinheitlicht. Auch bei gentilen Vorärya wirken Zauberer und Dorfpriester bei Festen zusammen. Der Zauberer des AV behielt aber seine Besonderheiten, uns besonders greifbar beim Hofpriester des späteren Despoten, der für seinen Herren mit dem Atharvaveda zu zaubern hatte. 10 Dementsprechend kann man im AV wie im RV von Naturlyrik im Zaubergewand sprechen. Dabei ist die pathetische Sprache des Magiers der des Dichters als die ausdrucksvolle Form einer Vision, die der Hörer dem Magier nachempfinden soll, verwandt. Daher gehört so manches Dokument der Magie und der Religion in die Geschichte der Dichtung. Dem kurzen rgvedischen (und homerischen) Gedicht auf die Erde 11 steht das sehr lange des AV X I I , 1 1 2 gegenüber. Die Erde wird um ihren Segen gebeten, sie mit ihren schneebedeckten Bergen, Tälern, Ebenen und Wäldern, mit dem Meer, den Strömen und Wassern, mit dem Getreide und den Pflügen (bzw. Menschen), mit ihrer braunen, roten, schwarzen Erde, mit ihren Düften der Pflanzen, dem Wasser, Lotos, den Menschen, Tieren und Nymphen, die Allnährerin, die Stätte des Feuers, sie (die Kuh), deren Stier Indra ist, sie möge uns Gut geben. Sie wird gepriesen als der Platz der Ahnen und des Kampfes der Götter und Widergötter. Sie wird getragen von Wahrheit und Recht, Weihe, Askese, brahman und Opfer. Sie trägt ihrerseits den Ozean, die Flüsse und Wasser.13 Es handelt sich trotz des Erwähnens der Schneeberge, der Farben und Gerüche weniger um Landschafts-

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Schilderung als u m Gedankenlyrik, u m den Ausdruck des Wohlseins auf dieser Erde. Dem rgvedischen Gedicht auf den Regengott steht in AV VI, 22 ein kurzes Gedicht auf den Regen 1 4 gegenüber: Die falben Rosse (Wolken) steigen zum Himmel, dem schwarzen Pfad, auf, gekleidet in Wasser. Sie sind vom Sitz der Wahrheit (im Himmel) zurückgekehrt und haben die Erde mit Butterschmalz genetzt. 1 5 Ihr, Maruts, machtet das Wasser, die Pflanzen saftreich, besprengtet die Männer mit Honig, fördertet K r a f t (wörtlich Saft) und Wohlwollen (oder Gebet). Die wenigen Zeilen drücken in damals verhältnismäßig verständlicher Andeutung das altertümliche Weltbild aus, daß die Wasser im Kreislauf zum Himmel auf- und wieder von ihm absteigen; das Wasser ist zugleich allbelebend, insofern es Erde und Pflanzen saftreich macht. Das wird auch im R g v e d a X , 17, 14 nebenbei e r w ä h n t ; dort werden auch Himmel u n d Erde, Morgenröte und N a c h t und schließlich die Ackerfurche saftreich genannt, 1 6 und dieser Saft gilt im Rgveda, wie es scheint, als Samen des Weltstiers, vielleicht als feuerhaltig. 1 7 Auch diese Gedankenlyrik ist wie die der Erde mit Mythologie durchtränkt. Wie im R V 1 8 die Nacht besungen wird, so im AV X I X , 47, n u r ist hier die dort in einer einzigen Strophe vorgetragene Bitte u m Abwehr von Wolf und Dieb sehr viel breiter. Ebenso werden die Sterne als hilfreiche Lichtspender hier magisch ausführlicher in drei Strophen als 99 plus 88, 77, 66, 55, 44, 33, 22 und 11 Wächter der N a c h t gefeiert. Schließlich ist dem rgvedischen Preis der Morgenröte als göttlicher J u n g f r a u 1 9 ein kurzer Morgensegen in AV VI, 53 gegenüberzustellen: Möge der Atem, das Selbst, das Auge, das Leben, das den Leib schützende Feuer wieder zwischen uns und das Unglück treten, mögen wir mit Glanz, Saft (s. o.), Leib und heilsamem Denken vereint sein. Daraus spricht zugleich die Freude über das E n d e der Nacht wie die Sorge, der neue Tag möge uns unversehrt zum Leben gelangen lassen. Auch die Gedankenlyrik über gesellschaftliche Themen ist im AV nicht wesentlich von der im R V verschieden. Ein Teil des AV befaßt sich mit Angelegenheiten des Königs, wie z . B . mit einem barbarischen Segen f ü r i h n : I n d r a wird angerufen, den Ksatriya groß werden zu lassen, zum einzigen Stier der viss, ihm Dorf, Rosse und Rinder zuzuteilen; er sei H e r r der Güter, H e r r der viss, höchster der Könige der Menschen; er sei oben, seine K o n k u r r e n t e n u n t e n ; mit dem Antlitz des Löwen fresse er alle viss, mit dem des Tigers stoße er die Feinde fort (AV 4, 22). Der Tiger k o m m t im R V nie vor, und erst in der I I . Periode 2 0 , noch nicht im RV, ist davon die Rede, daß der König die Massen der Vaisyas (viSs) frißt, d. h. ausbeutet. Erst in der I I . Periode k a n n ein Dichter den Despoten als dessen Ideologe so brutal über den inneren und den äußeren Feind als Sieger stellen. I n einem Gebet bei der Königsweihe wird der König, an den das Königtum gelangt ist, aufgefordert, als einziger König den viss voranzuschreiten; alle Himmelsrichtungen sollen ihm zujubeln. 2 1 Das ist schon das Leitbild des Weltherrschers.

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In AV V, 20 2 2 wird die Kriegstrommel verherrlicht: Sie brüllt wie ein zum Sieg schreitender Löwe, wie ein Stier, der nach Kühen verlangt; sie ist ein Stier, ihre Nebenbuhler sind Ochsen (kastriert). 23 Die Feinde mögen unsere (oder ihre) Dörfer aufgeben, ihre Frauen voll Schrecken mit ihren Kindern flüchten. Mit ihrem Tönen (sloka) aber helfe die Trommel dem Vordringen der Freunde, sie, die Bundesgenossin Indras, die Siegerin im Kampf, vom Zauber (brahman) geschärft. Ein anderes Gedicht auf die Trommel ist einem im R V gleich.2'* Ein rgvedisches Gedicht auf den Zorn ist mit einem des AV identisch; 2 5 die Kriege der militärischen Demokratie gingen ja in der Klassengesellschaft mit neuer Qualität fort. Aber auch ein Gedicht über die Einigkeit kommt in beiden Sammlungen vor; 2 6 sie war im zerfallenden Stamm so wichtig wie in der beginnenden Klassengesellschaft. Daneben rät ein Gedicht in AV I I I , 30 2 7 zu Einigkeit in der patriarchalischen Familie, oder vielmehr, es beschwört die Einigkeit magisch herauf: Der Sohn gehorche dem Vater und sei eines Sinnes mit der Mutter; die Gattin rede süß zum Gatten; Geschwister mögen sich nicht hassen. Einverständnis sei unter den Menschen im Hause, sie mögen dasselbe zustandebringen, an derselben Deichsel gehen. Mit einem anderen Zaubergedicht in AV V I , 40 soll dem Dorf Furchtlosigkeit zuteil werden; darum werden Himmel und Erde, Sonne und Mond, der Luftraum, Indra und das Opfer angerufen: Furchtlosigkeit in den vier Himmelsrichtungen, unten und oben, vorn und hinten. Furchtlosigkeit, schon im R V öfter belegt und in den folgenden Perioden ein Ideal bleibend, soll offenbar nicht nur vor menschlichen Feinden herrschen, sondern auch vor Gefahren, Geistern aus allen Richtungen. Da spricht die magische Furcht des Animisten, nicht nur die rationale Angst des Friedfertigen vor Krieg und noch nicht die spätere religiöse Angst vor dem Leben, die Sehnsucht nach Erlösung. Auf jeden Fall klingt hier Gesellschaftskritik an. Die zur magisch-mythologischen Weltanschauung gehörende Angst wird besonders deutlich in einem sehr langen Gedicht, das R V V I I , 104 und AV V I I I , 4 gemeinsam ist und von der Tradition dem Priester Vasistha als Verteidigung gegen einen Verleumder zugeschrieben wird: Dieser, vielleicht ViSvämitra, hat ihm vorgeworfen, er sei ein Zauberer. Vasisthas Verteidigung ist nur in den mittleren neun Strophen 2 8 enthalten; vorher stehen sieben, und nachher stehen neun Strophen, von denen die letzten Indra anrufen, allerhand böse Geister zu vertreiben, die ersten Indra und Sorna im selben Sinne beschwören. Der Verleumdete gesteht die Unreife seines Denkens 2 9 und Dichtens ein; er weiß, daß nur der Mann, der „erkannt" hat, gutes Wissen hat; wahres und unwahres Wort haben miteinander im Streit gelegen (als er über ein magisches Mittel zu entscheiden hatte). Selbst wenn er falsche (in dem betreffenden Falle nicht zuständige) Götter gehabt habe, wenn er fälschlich (vergeblich) Götter anerkannt (und angerufen) habe, sei das kein Grund, daß Agni ihm grolle. — Diese Worte sind im einzelnen noch schwer verständlich, aber es ist doch deutlich, daß der Magier, der Priester, an der Reife seines magischen Wissens zweifelt. E r hat offenbar einen Mißerfolg gehabt, aber er ist kein schwarzer Zauberer

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gewesen, der, s t a t t seinem. A u f t r a g g e b e r u n d H e r r e n zu n u t z e n , i h m h ä t t e s c h a d e n wollen. E r h a t zwischen d e n in diesem Falle a n z u w e n d e n d e n W o r t e n u n d a n z u r u f e n d e n G ö t t e r n a u s Unwissenheit n i c h t u n t e r s c h e i d e n k ö n n e n . A b e r irren ist menschlich, wie wir sagen. Die Vorstellung der U n r e i f e des D e n k e n s g e h ö r t zu d e r im Zerfall der Gentilgesellschaft u m sich greifenden U n s i c h e r h e i t d e r P r i e s t e r u n d Magier, z u m Zweifel, in diesem Falle a n sich selber u n d seinem Wissen. I m R V zweifelten j a m a n c h e Magier schon an I n d r a oder a n der K o s m o gonie. I n diesem Gedicht k o m m t a b e r die Unsicherheit hinzu, die a u s d e m K a m p f der weißen u n d schwarzen Magier e n t s p r a n g . Die M a c h t beider w a r allgemein a n e r k a n n t . So w u r d e n F e i n d s c h a f t e n m i t Hilfe der Magier a u s g e k ä m p f t , v o r allem wohl i n n e r h a l b des S t a m m e s , u n d in diesem Falle h a n d e l t e es sich u m eine wichtige soziale F r a g e : W e r sollte H o f p r i e s t e r des großen K ö n i g s S u d ä s sein, sollte V a s i s t h a es bleiben, oder m u ß t e er V i s v ä m i t r a weichen? Dieser b e n u t z t e d a f ü r o f f e n b a r einen Mißerfolg des Vasistha, k l a g t e ihn der s c h w a r z e n Magie a n , u n d V a s i s t h a v e r s u c h t e , a n s c h e i n e n d vergeblich, dies als V e r l e u m d u n g d a r zustellen. Auf die V e r t e i d i g u n g Vasisthas folgen S t r o p h e n , in d e n e n u. a. nächtliche, eulen- u n d andersgestaltige U n h o l d e , die sich in T r u g g e s t a l t e n m a n n i g f a c h e r Tiere v e r b e r g e n , a b g e w e h r t w e r d e n ; sie erscheinen als H u n d , Adler, Geier, K ä u z c h e n (nicht gern gesehene Tiere); sie sind a u s g e s a n d t v o n Z a u b e r e r n (yätu); in Wirklichkeit sind sie D ä m o n e n (raksas). Die M a r u t s sollen sie z e r q u e t s c h e n , I n d r a sie mit d e m Donnerkeil t r e f f e n , sie wie T ö p f e zerbrechen, wie B ä u m e mit der A x t fällen. Die E r d e möge u n s v o r solcher irdischen, der L u f t r a u m v o r solcher himmlischen B e d r ä n g n i s s c h ü t z e n ; die M o r g e n r ö t e möge sie hinwegleuchten. I m AV folgt als ü b e r n ä c h s t e s Gedicht ein Z a u b e r z u r A b w e h r böser Geister, die die F r a u e n b e d r o h e n , die F e h l g e b u r t v e r u r s a c h e n , die sich im Schlaf zu M ä d c h e n legen, als wären sie ihr V a t e r oder B r u d e r , die n a c h t s im W a l d e wie K a s t r i e r t e u m h e r t a n z e n u n d L ä r m m a c h e n , die a b e n d s u m die H ä u s e r h e r u m t a n z e n u n d wie Esel schreien, die a b e r die Sonne n i c h t e r t r a g e n , die v o r der S o n n e d a v o n schleichen wie die Schwiegertochter v o r d e m Schwiegervater, die rohes Menschenfleisch essen, langhaarige mit d e m H a a r v o n A s k e t e n (munikesa). I n AV V, 14 :i0 beschwört ein Magier gewisse P f l a n z e n , sie m ö g e n d e n v o n einem bösen Z a u b e r e r g e s a n d t e n Z a u b e r auf den Z a u b e r e r z u r ü c k w e n d e n , d a m i t er ihn selber t r e f f e ; sei er M a n n oder F r a u (also a u c h F r a u e n z a u b e r t e n ! ) , er f ü h r e i h m sein Geschöpf (lertyä) zu wie ein R o ß a m H a l f t e r . A u c h die P f l a n z e möge das Geschöpf seinem Schöpfer z u f ü h r e n , es an der H a n d fassend, es v o r ihn stellen, d a m i t es i h n t ö t e . J e n e tiergestaltigen Z a u b e r gelten eben als „Geschöpfe" des Z a u b e r e r s . Von zwei F e i n d e n v e r w e n d e t e der eine die Dienste des s c h w a r z e n Zauberers, der a n d e r e die des Gegenzauberers oder weißen Magiers. Beide l e b t e n d a v o n . Sie h a b e n wohl im allgemeinen überlieferte Z a u b e r , die fie v o n L e h r e r n l e r n t e n , a n g e w e n d e t , a b e r teilweise, w e n n sie zugleich D i c h t e r waren, solche G e d i c h t e v e r f a ß t wie die e r w ä h n t e n . Diese h a b e n eine s t a r k e suggestive, dichterische

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K r a f t und gestalten in ihrer Weise, eben in zauberischem Gewand, die Weltanschauung der damaligen Gesellschaft. Einerseits bestärkten sie die allgemeine, nicht bezweifelte Angst vor Zauber und Geistern, ohne dieses aber im Interesse einer herrschenden Klasse zu tun, allenfalls im Sinne der sich zum ersten Stand hin entwickelnden Brahmanen, deren Macht auf Glauben u n d Aberglauben beruhte, vielleicht auch im Interesse der „Könige". Andererseits beruhigten sie die Angst in einem bestimmten Falle mit ihrem Gegenzauber. Sie spiegelten beide Seiten der Angst wider; sie stärkten sie und nahmen von beiden Parteien Geschenke. Sie machten dem Hörer seine fragliche Stellung in dieser komplizierten Welt in ihrer Weise bewußt, und das ist ein Element der Dichtung. Dichtung ist eben im R V und AV nicht etwa nur reine N a t u r - u n d sonstige Lyrik oder Epik. Dieser Hintergrund allgemeiner Geisterangst macht uns erst ein Gedicht wie das an die Waldfrau im RV verständlich, das die Angst vor unheimlichen Tönen im nächtlichen Wald hinwegredet, oder das wie die an die Morgenröte gerichteten Gedichte der Freude über das Licht Ausdruck gibt, das das Dunkel vertreibt. 3 1 I n diesem Zusammenhang gehört die Sehnsucht nach Schlaf, den der Dichter von AV VI, 46 r u f t : Du bist nicht lebend, nicht tot, du bist der Keim der U n sterblichkeit der Götter, du bist der Beendiger, der Tod, der Sohn Y a m a s ; dein Name ist Arur; so kennen wir dich und beschwören dich, schütze uns vor schlechtem Schlaf, diesen führen wir unseren Feinden zu. U n d der Dichter v o n AV X I X , 56 r u f t den Schlaf, der aus Yamas Welt zu den Göttern aufstieg, u m groß zu werden; aber Ahnen und Götter kennen keinen Schlaf; die Götter gaben ihm Herrschaft (über die Mensehen): Wohltäter gaben demjenigen durch Schlaf ein schönes Leben, dem Übeltäter Grausames zuteilten. Geboren bist du, Schlaf, aus dem Sinnen des Gequälten; wir kennen dich, Schlaf, und zwingen dich damit in unseren Dienst. Hier ist weiter ein Gedicht, AV I X , 3, anzuschließen, das ein Segen f ü r ein neues oder umgebautes H a u s ist. Die „Göttin H a u s " (devisälä) wird gepriesen, die der ständige Sitz der Götter ist (und es mit diesem Segen werden und bleiben soll), die Stätte des Opferns, die H ü t t e des Feuers, der ständige Sitz der Gattinnen. Erbauer und Empfänger des Hauses mögen achtzig J a h r e erreichen. Der Erbauer, der Zusammenbringer des Holzes, der oberste Schöpfer (Prajäpati) hat dich, Haus, zur Fortpflanzung gebaut. Mit Gras bedeckt, ein Haus, das wie die Nacht die Ruhestätte der Welt (oder: alles Lebenden) ist,'12 stehst Du (fest) da, auf der Erde errichtet, wie eine Elefantin mit ihren (vier) F ü ß e n . I n d r a u n d Agni mögen das Haus, das mit dem magischen Wort (brahman) gebaut, von den Sehern (kavis) gebaut ist, die Stätte des Soma(-opfers), beschützen. Verehrung der östlichen, südlichen, westlichen und nördlichen, der oberen und unteren (festen) Himmelsrichtung des Hauses! — Der Verfasser dieses Gedichts war Zauberer, aber auch Dichter, der die Geborgenheit des Ärya in seinem Heim, die Lebensfreudigkeit dieser Gentilgesellschaft, mag sie auch im Zerfall gewesen sein, aussprach, die sich auf die K r a f t ihrer Magie verlassen zu können meinte. Ähnlichen Geist atmet die AV-Naturlyrik in den Gedichten auf Erde, und Regen(s. o.).

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Die Furcht aber spricht wiederum u. a. aus dem berühmten Gedicht auf Varuna in AV IV, 16,33 auf den Lenker in der Höhe, der alles weiß, was die Menschen tun, selbst wenn der Dieb unbemerkt zu entkommen meint. Wenn zwei zusammen sitzen und sich insgeheim beraten, Varuna ist als dritter dabei und erfährt alles. I h m gehören Erde, Himmel und beide Ozeane, und zugleich ist er in diesem kleinen Wasser hier. J a , noch über den Himmel hinaus ergreift er jeden. — Man kann dieses Gedicht ebenso wie manche rgvedischen Anrufungen Varunas mit den Psalmen vergleichen 34 und wird auch die Psalmen als religiöse Dichtung, als dichterische Gestaltung des damaligen religiösen Weltgefühls gelten lassen. Das gleiche gilt auch von den Gedichten auf die Zeit als Gott im AV, die bereits auf den späteren Fatalismus hinweisen. 35 Andererseits machte sich der Dichter von AV IV, 20 varunaähnlich: Mit Hilfe einer Pflanze behauptete er alles in den drei Himmeln, den drei Erden und den sechs Himmelsrichtungen (s. o.) sehen zu können; der tausendäugige Gott 3 6 habe sie ihm in die H a n d gegeben, so daß er Ärya und Südras (diese beiden Gesellschaftsschichten von der II. Periode an) sehen könne, die Gestalten (der vom Zauberer Geschaffenen) und den ätman (den Geist, die böse Absicht ?) in ihnen, die Zauberer und Zauberinnen und die Geister, die im Luftraum fliegen, die über den Himmel hinaus kriechen, und die, die meinen, die Erde (in der sie sich verkriechen) sei ihr Schützer. Da spricht die Hybris des Magiers, des Brahmanen. Sie klingt auch in einer Reihe von AV-Gedichten an, mit denen Sühne von Schuld gewonnen werden soll. Darunter sind einige, in denen von Schulden, d. h. von geschuldeten Dingen, die Rede ist, von solchen, die beim Spiel oder nicht beim Spiel übernommen worden sind, 37 und die man trotz Zusage nicht zurückgegeben hat oder nicht zurückzugeben gedenkt, von geborgtem Getreide, das man ißt, von Essen, das man mit Unrecht ißt, das man zurückgeben will oder nicht, nachdem man dies zugesagt h a t ; alle diese Schuld möge Agni tilgen. Teilweise scheint es sich hier um Geschenke zu handeln, die ein Opferpriester von seinen Auftraggebern erhalten hat (AV VI, 71). Wie dem auch sei, sich mit Riten von solcher Schuld frei zu machen, mutet uns heute zumindest etwas zynisch an und steht in der Nähe des rgvedischen Zynismus in dem Gedicht, das das allgemeine Streben nach Gütern preist. 38 Auch dies ist eine Seite des damaligen Empfindens; mehr oder weniger dichterisch gestaltet. Der Zauber bewegt sich im AV aber auch auf dem Gebiet der Liebe. 39 Ob nun ein Mann eine Frau oder umgekehrt die Frau den Mann oder eine Frau ihre Nebenbuhlerin verzaubern will, es handelt sich manchmal um heiße Liebeslyrik in diesem Gewände des Aberglaubens. Es sind dichterische Dokumente der damaligen Erotik 4 0 , wie z. B.: Ich treffe dich mit dem schrecklichen Pfeil des Liebesgottes ins Herz. Halte dich nicht in deinem Bett! Durchbohrt von heißer Glut, trockenen Mundes krieche zu mir, milde, zornlos, einzig (die meine), süß redend, mir ergeben! Ich treibe dich mit dem Treibstachel von Vater und Mutter fort in meine Gewalt, meinem Willen folgend, ohne eigene Gedanken. 41 — Beim medizinischen Zauber des AV aber sind die Gedichte eher Zeugnisse wissenschaftlichen Denkens als dichterischen Schaffens.

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b) Lyrik (Tanzlied, Rätsel, Merkvers), besonders in B r ä h m a n a s Neben der Lyrik des AV muß es eine Fülle anderer Lyrik gegeben haben; von ihr erst ist nur weniges erhalten. Es gab u. a. Lieder, im Chor mit Musik zu singen, wie z. B. am Sonnenwendfest Mädchen mit Wasserkrügen um ein Feuer tanzen, das Wasser ins Feuer gießen, damit es Regen gibt und singen: Schön duften die Kühe, sie bringen uns Butter, sie mögen sich mehren, wir wollen sie baden. 42 Es handelt sich um mimetische Magie, aber es wird auch Arbeitslieder und Chorlieder zum Tanz bei an Jahreszeiten gebundenen Festen, ohne ausdrückliche Magie gegeben haben. Es gab Lieder beim Hochzeitsfest. 4 3 Beim Totenritual gab es Gesang von „Yama-Strophen", die teilweise aus R V und AV entnommen waren/'' 1 Mit dem Beginn von Klassengesellschaft und Staat begann auch der mannigfache Unterschied der Dichtung des Volkes und der Herren, und zwar einerseits der Brahmanen für ihren Ritus und der Ksatriyas mit ihren Barden, andererseits der Vaisyas und Südras, d. h. der arischen und vorarischen Massen der Produzenten, die langsam zusammenzuwachsen begannen, 45 und insbesondere entwickelte sich die Volksdichtung der Frauen u. a. mit ihren Liedern, die die häuslichen Kulte der Männer bzw. Priester z. B. bei Hochzeiten begleiteten, von der I I I . Periode an ausdrücklich von Brahmanen anerkannt wurden und sich im Grunde als Typ, nicht im Wortlaut bis heute als Bestandteil der Kulte bzw. Feste erhalten haben. 46 Dabei glichen sich vermutlich arische und vorarische Dichtung der Vaisyas bzw. Südras, jetzt als vedische Volksdichtung, einander an. Was in dieser Art heute in den Nationalsprachen von Frauen, aber auch von Männern gesungen wird, ist hinduistisch, steht unter dem Einfluß der Bhaktibewegungen; 4 7 die langsame, stagnierende Entwicklung dieser noch weitgehend kultischen Volksdichtung zu rekonstruieren, ist eine langwierige Aufgabe. Anzunehmen ist aber, daß sie durch alle Jahrhunderte der Klassengesellschaft hindurch einen Nährboden der Kunstdichtung abgegeben hat, und zwar aller drei Genres. Weiter gab es Rätsel in Strophen, von denen die erste vier Fragen, die zweite vier Antworten enthielt, wie z. B. nach dem einsam Wandernden (der Sonne), dem stets neu Geborenen (dem Mond), dem Heiltrank gegen Kälte (dem Feuer) und dem allumfassenden Behälter (der Erde) gefragt wurde. 48 Innerhalb eines Ritus 4 9 war es üblich, in dieser Weise Rätsel aufzugeben und zu lösen, und zwar waren in diesem Fall diese vier Fragen kosmographischen Inhalts und betrafen die drei Lichter auf und über der Erde. Mit solchen Fragen und Antworten, sogenannten brahmodyas, d. h. wahren Aussagen über das brahman, wies der Priester die Fülle seines theologischen Wissens 50 in metrischer und dichterisch eindrucksvoller Sprache nach. In Brähmanas und auch noch in Upanisads ist uns eine Reihe solcher Rätselfragen und Antworten erhalten. Dem Inhalt dieser ritualistischen Werke entsprechend behandeln sie ritualistische Fragen, wie z . B . : Vier Gebundene

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fliegen, zu drei P a a r e n geworden, zum H i m m e l ; in was haben sie dort ihre Stütze? A n t w o r t : Von den vier Metren (Gäyatri, Tristubh, J a g a t i u n d Mahat) sind die ersten drei die himmlischen S t ä t t e n (im Sinne von Stützen, S t a n d o r t , F u n d a m e n t ) von je einem P a a r (also drei Paaren) von Lobliedern (d. h. Gebundenen). Sie h a b e n alle vier im vierten M e t r u m ihre himmlische Stütze. 5 1 — E s wird nach Strömungen (oder Ergießungen) von der E r d e nach oben, quer im L u f t r a u m u n d v o m H i m m e l nach u n t e n gefragt — ein T h e m a der Kosmographie — u n d wieder mit Bewegungen der Metren geantwortet. 5 2 — E s wird nach der Zahl der Atemzüge des Menschen gefragt, ein T h e m a der damaligen Medizin. 53 — E i n weiteres kosmographisches R ä t s e l : Der H i m m e l f u ß t mit Hilfe der Sonne (als Pfosten) auf der Erde, diese r u h t auf dem Wasser, worauf aber r u h t dieses? Auf der Wahrheit. 5 4 — I n einem B r ä h m a n a f r a g t der b e r ü h m t e König J a n a k a in der E r ö r t e r u n g des Agnihotra den noch b e r ü h m t e r e n B r a h m a n e n Y ä j n a v a l k y a , 5 5 u n d zwar eine Strophe singend, danach, mit welchem Wissen einer, der sein H a u s verlassen h a t (man wanderte ja viel!), mit seinem H a u s bzw. Opferfeuer in Verbindung bleibt; Y ä j n a v a l k y a a n t w o r t e t e mit einer Strophe, d a ß sein Denken (manas), das Schnellste in allen Welten, ihn mit seinen F e u e r n verbindet. 5 6 — I n einer Upanisad, aber auch in einem B r ä h m a n a , f r a g t ein Wissender einen anderen, welcher Gott vier Groß mächtige verschlinge? Als A n t w o r t ist zu e r w a r t e n : Der W i n d bzw. A t e m verschlingt die vier anderen E l e m e n t e bzw. Lebenskräfte (so lehrten die Atem-Wind-Magier der I I . Periode). Aber überraschend wird g e a n t w o r t e t : Das Selbst der Götter, der H e r r des Atems (nach d e m K o m m e n t a r die viräj) frißt den Wind-Atem (ist also das Größte in der Welt). 5 7 I n solcher Denkweise bewegte sich das d e m Volk gänzlich fremde, es in Staunen setzende Rätselraten der „wissenden" Priester. Von den Rätseln der damaligen Laien ist uns nichts erhalten. Die Priester (wohl wesentlich weniger die Laien) f r a g t e n in Strophen, weil die F r a g e n u n d A n t w o r t e n im K u l t auf diese Weise feierlicher klangen, weil sie innerhalb des R i t u s feststanden u n d sich in metrischer F o r m leichter u n d sicherer überliefern ließen. I n entsprechender Weise wurde auch anderes „Wissen" der Priester in Verse gekleidet. Schrift wurde ja f ü r literarische Zwecke nicht verwendet. So begann damals (wenn nicht schon früher) 5 8 die in Indien bis heute (trotz der Schrift) weitgehend lebendig gebliebene Tradition der Merkverse. Von denen ist eine ganze Reihe in den B r ä h m a n a s (und Upanisads) erhalten geblieben, angeführt als Zitate, u m einer in Prosa vorgetragenen Lehre Geltung oder N a c h d r u c k zu verschaffen. Verse in Prosa einzufügen war ja alte gentile Sitte gewesen. Sie werden manchmal (nicht immer) in einer einleitenden Bemerkung (analoge B e m e r k u n g e n machen Santal) 5 9 als gäthäs, d. h. als Singstrophen, 6 0 oder slolcas (ursprünglich im selben Sinne) bezeichnet, m a n c h m a l ohne Einleitung a n g e f ü h r t . Ob u n d wie solche Merkverse mit den Liedstrophen der vorarischen Gentilgesellschaft 6 1 zusammenhängen, beide Arten von Strophen sind ja in sich geschlossene dichterische Einheiten, ist noch nicht geklärt. Auf keinen Fall waren die gäthäs Fortsetzungen der rgvedischen res, die zu Gedichten zusammengesetzt wurden. Auch von slokas heißt es mehrmals, daß

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sie gesungen wurden. Allmählich aber verdrängte das Wort sloka das Wort gäthä, und es wurden nur noch solche Merkverse gesprochen. 62 sloka hieß später der epische Vers, und in slokas wurden nicht nur die Epen, sondern auch eine Fülle anderer Literatur abgefaßt, auch religiöse und im Grunde die aller Arten von Wissenschaft, Recht, Medizin, Theologie und Philosophie, vor allem als mnemotechnisches Hilfsmittel. In der II. Periode aber gibt es keinen Anlaß anzunehmen, daß die einzelnen zitierten Verse aus geschlossenen Texten herausgenommen wären. Sie waren auch so den „Wissenden" offenbar bekannt und galten ihnen als autoritativ genug, um sie zu zitieren. Sie gehörten irgendwie zum orthodoxen „Wissen", ohne einem der vier Veden anzugehören. Worauf letzten Endes ihre traditionelle Autorität beruhte, ist noch ungeklärt. Manchmal handelt es sich um kleine Gruppen solcher Merkverse, aber nicht um abgeschlossene Lieder oder Gedichte. Die Merkverse sind sozusagen die Antwortverse, zu denen man sich den entsprechenden Fragevers leicht hinzudenken kann. Sie brauchen aber nicht aus Rätseln entstanden zu sein. Sie mögen als Typ sehr alt sein. 63 Aber sie sind keine volkstümlichen Sprichwörter, sondern priesterliches Erbgut — wenigstens die uns in den Brähmanas erhaltenen Merkverse. Der Inhalt dieser didaktischen Poesie entspricht der Theologie oder Ritualistik der zitierenden Brähmanas. Einige dieser Merkverse werden dementsprechend ausdrücklich als Opferstrophen bezeichnet und behandeln schwierige Fragen, wie die, daß das Feueropfer ein unendlicher Vorgang ist, daß Riten und Weltlauf durch die Metren zusammengehörige Prozesse sind und daß man das morgendliche Feueropfer auch nach und nicht nur vor dem Sonnenaufgang darbringen soll (dabei enthält der Vers eine der seltenen Polemiken!); t u t man es nur vor Sonnenaufgang, so ist es, als fahre man, nachdem man nur einen einzigen Ochsen angespannt hat (Mudgala hatte im RV zum Ochsen deswegen eine Keule eingespannt!). Alles, das Vergangene und Künftige, ist ja mit zwei Metren, Brhad und Rathantara, bespannt, und mit denen (mit vedischen Gedichten) opfere man, mit einem nachts, mit den anderen tags 6 4 (d. h. vor und nach Sonnenaufgang). I n solche lebendige, bildhafte Sprache kleideten manche der Verfasser dieser Strophen ihre auf uns nüchtern wirkenden ritualistischen Gedanken; sie waren eben Dichter ihres ritualistischen Weltbildes, und manche Verse gelangen ihnen und eigneten sich damit besonders als Merkverse, die sich gut zitieren ließen und damit auf die Massen wirkten. Das Metrum Brhati hat 36 Silben, man nennt es das aus 720 (Tagen und Nächten) bestehende (Jahr); für ein J a h r ergeben sich acht Neunzigergruppen an Tagen und Nächten (8 mal 90 = 720) und 1083 Somapressungen; im J a h r gibt es 10830 Feuerstellen für die Somaopfer, gibt es 90396 stotriyas (eine Art Anrut des hotr) und gibt es 304750 Worte. 65 Ähnliche Berechnungen stellte man für die täglichen Atemzüge des Menschen an 6 6 ; Ritualistik und Medizin dachten in derselben Weise. Solche Zahlen in Versen auszudrücken, war nicht leicht. Hinter solchen Jahresberechnungen aber steht der damalige Glaube an die Zeit und an die die Zeit einteilende Sonne mit den frühen Formen der Astronomie: 7

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Tag und Nacht wie eine Spinne ordnend, geht die weise, ewige Sonne sechs Monate südlich, sechs Monate nördlich, 67 dichtete einer, und man sieht förmlich die Sonne wie eine Spinne ihr Netz spinnen, das sozusagen aus zwölf Radien besteht, über die sie im Kreise geht, über sechs obere und sechs untere, ihr Netz vollendend. Die Sonne wurde mit dem Jahr, aber auch mit dem Männlein, das man im Auge sieht, gleichgesetzt, und einer dieser Dichter legte diesem Männlein, dem J a h r , die Strophe in den Mund: Aus mir geht die Sonne auf, in mich geht sie wieder ein, alle Götter beruhen auf mir, nichts geht über mich hinaus. 68 Vom J a h r , der Zeit als Urgrund der Welt und ihres Geschehens, ist dies noch verständlich, vom Männlein im Auge, das doch zugleich eine Art Seele ist, ausgesagt, ist dies schon der Upanisadmystik nahe, wenn auch sicher im Brähmana noch nicht so gemeint; immerhin ist es eine merkwürdige egozentrisch-kosmische Vision des Dichters. Ein anderer schilderte in einer Strophe den wohlgewordenen (Menschen, die Krone der Schöpfung, wie wir sagen) als Stätte der sieben Seher (der sieben Atemkräfte); diese sehen auf die zwei (Ein- und Ausatmen) im (Menschen), die beiden schlaflosen, am Opfer teilnehmenden Götter. 69 Im AV X, 8, 9 war schon von sieben Sehern im Kopfe die Rede (zwei Augen, Ohren, NasenöfEnungen und Mund). 70 In unserer Strophe aber ist ein Gegensatz angedeutet zwischen diesen Sehern und dem Atem, dem Gott, der unermüdlich ist und auch beim Schlafen dieser sieben nicht schläft. Der Dichter stand damit den Atem-Wind-Magiern nahe und hat mit seiner Vision in den Upanisads seinen Fortsetzer 7 1 gefunden, ähnlich dem Dichter der vorhergegangenen Strophe. Wieder ein anderer Dichter schaute die Sonne als Vivasvän und in diesem den Tod (als den Mann in der Sonne, das kosmische Gegenstück zum Männlein im Auge); in diesem, dem Tod, sah er aber das Unsterbliche als in den Tod gesetzt, wie der Tod in Vivasvän gekleidet ist. 72 Das ist eine kühne kosmographische Vision, vermutlich sehr originell, wenn auch Gleichsetzungen von Tod u n d Sonne (die den Boden ausdörrt) sich in der Prosa der Brähmanas ebenfalls belegen lassen. — Eine Kosmogonie handelte von dem Obergo.tt der Götter, der in dem festen, gewaltigen, tausendsäuligen (Haus) jenseits dieser (Welt) hier und jenseits der zweiten, dritten und vierten (Welt) dort thront, und dabei hat der Dichter angeblich die fünf (Welten) als fünf Teile des Jahres, als Jahreszeiten, Monate, Halbmonate, Tage und Nächte und Morgenröten aufgefaßt; 7 3 wenigstens deutet so die im Brähmana folgende Prosa, die die Sonne als jenen Obergott im siebenten, nicht im fünften Himmel interpretiert, uns also in ihrer Interpretation nicht unfehlbar zu sein scheint. Der Obergott in jenem tausendsäuligen Haus dürfte eher Varuna sein. — Ein dritter Kosmograph legte einem Brahmanpriester, der schweigend das Opfer im Geiste kontrolliert, die Strophe in den Mund: I n mir, meine ich, ist dieses All, die Schöpfung usw. (!), in mir sind die Welten und die Himmelsrichtungen, in mir ist, meine ich, was blinzelt und sich regt, in mir sind die Wasser und alle Kräuter. 7 ' 1 E r meint dies, ist sich also bewußt, daß nicht in Wirklichkeit das All in ihm ist. Es handelt

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sich u m eine dichterische kosmische Vision, die w i e d e r u m d e r U p a n i s a d m y s t i k n a h e k o m m t . — E i n K o s m o g r a p h d i c h t e t e drei S t r o p h e n ü b e r drei P f a d e , Götterwege, auf d e n e n Wissende, Seher, Weise den B r a h m a n e n d o r t h i n f ü h r e n , wo d e r T o d seine Speise wird (d. h . er den T o d f r i ß t , ü b e r w i n d e t ) , z u m H i m m e l , in d e n (einst) die G ö t t e r v o n i h r e m G ö t t e r o p f e r g e l a n g t e n (und d a d u r c h u n sterblich wurden), die Seher a b e r erst k r a f t i h r e r E i n s i c h t n a c h l a n g e m , m i t E n t h a l t s a m k e i t v e r b u n d e n e m O p f e r k o m m e n ; die Weisen, die E r k e n n e n d e n schließlich v e r b r e n n e n ihren K u m m e r u n d gelangen, w e n n sie flügellos fliegen (wie schön gesagt!), d a h i n , wo es U n s t e r b l i c h k e i t , n i c h t T o d gibt. 7 5 D e r W e g , den die G ö t t e r allgemein gingen, ist u n t e r Menschen n u r d e n wenigen „ W i s s e n d e n " g a n g b a r . A u c h a n solche W e g v o r s t e l l u n g e n k n ü p f e n in d e n U p a n i s a d s E r lösungssüchtige a n . Von dieser A r t priesterlich-didaktischer D i c h t u n g ist u n s n u r wenig e r h a l t e n , u n d v o n d e m ist bisher n u r ein Teil b e a r b e i t e t . 7 6 A b e r es ist d o c h deutlich, d a ß es n e b e n t r o c k e n e m , ritualistischem u n d teilweise z u wissenschaftlichem D e n k e n h i n n e i g e n d e m D i c h t e n a u c h ein visionäre. 0 , z u r Erlösungsreligion d e r U p a n i s a d s u n d zu d e r e n M y s t i k h i n f ü h r e n d e s D i c h t e n g a b . Dieses b e g r ü n d e t e eine lange T r a d i t i o n , g r e i f b a r u . a. in d e n sogenannten m i t t l e r e n , d e n m e t r i s c h e n U p a n i s a d s d e r III.—IV. Periode. D a n e b e n gibt es S t r o p h e n ganz a n d e r e n I n h a l t s : moralisierende, S p r ü c h e der Lebensweisheit. 7 7 Bei d e r F r a g e , ob das A g n i h o t r a v o r oder n a c h S o n n e n a u f g a n g zu vollziehen ist, zitiert ein B r ä h m a n a eine schwer v e r s t ä n d l i c h e gäthä: Dieser Dieb h a t L o t o s w u r z e l n gestohlen; (diese S ü n d e ist so, als wenn) dieser einen Schuldlosen beschuldigt oder eines Schuldigen Schuld w e g n i m m t (leugnet); (er ist so schuldig wie einer), der einen e i n s a m e n Gast a b e n d s abweist. 7 8 D e r s p ä t e , feudalistische K o m m e n t a r z u m B r ä h m a n a b e h a u p t e t , diese S t r o p h e sei die Selbstverfluchung eines Mannes, der einst, des D i e b s t a h l s v o n L o t o s wurzeln beschuldigt, die S t r a f e f ü r die drei Schuldfälle, die V e r l e u m d u n g , die falsche F r e i s p r e c h u n g u n d die Abweisung des a b e n d l i c h e n Gastes, m i t dieser S t r o p h e auf sich h e r a b g e r u f e n h a b e . D e r Gast sei in diesem F a l l e die Sonne, die j e d e r F r o m m e a b e n d s durch das A g n i h o t r a als G a s t ( v e r m u t l i c h in G e s t a l t des Feuers) bei sich a u f z u n e h m e n h a b e . Die S o n n e wird j a d u r c h R i t e n im F e u e r die N a c h t ü b e r zur R u h e g e b e t t e t u n d morgens wieder g e w e c k t . W i e d e m a u c h sei, es scheint, d a ß diese S t r o p h e zitiert w u r d e , u m die P f l i c h t des F r o m m e n , d a s abendliche u n d morgendliche F e u e r o p f e r zu vollziehen, eindringlich z u m a c h e n . W a r es wirklich eine Selbstverfluchung, so ist a n V a s i s t h a in R V u n d AV zu d e n k e n , der sich gegen die V e r l e u m d u n g , er sei ein Z a u b e r e r , u . a. d u r c h Selbstverfluchung z u r e c h t f e r t i g e n suchte. 7 9 A n d e r e r s e i t s g a b es a u c h sonst sehr a l t e Memorialverse rechtlich-moralischen I n h a l t s , wie z. B . d e n ü b e r d e n V e r t r a g s b r u c h , der in indo-iranische Zeiten z u r ü c k g e h e n mag. 8 0 D a s G a s t r e c h t schließlich w u r d e m i t d e m übrigen R e c h t in d e r I I I . P e r i o d e v o n B r a h m a n e n festgelegt. 8 1 Einstweilen ist der Sinn der Z u s a m m e n s t e l l u n g dieser vier A r t e n v o n Schuld in unserer S t r o p h e i m einzelnen n o c h fraglich, d a sie o f f e n b a r in einen g r ö ß e r e n Z u s a m m e n h a n g gehört, wie d a s zweimalige „dieser" a n d e u t e t , 7*

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das nicht recht zu der vom Kommentar wiedergegebenen Erzählung paßt. Die Strophe zeigt eine gewisse Künstlichkeit durch eine Antithese 82 der Gegenüberstellung des schuldlosen Verleumdeten und des freigesprochenen Schuldigen. Eine andere, leider uns ebenfalls ohne ihren Zusammenhang letztlich unverständliche Strophe versetzt das glänzende brahman (oder den Brahmanenpriester) in die Mitte, das ksatram, d. h. wohl die Königsmacht, das Reich, satyam und rtam (zwei für uns noch schwer unterscheidbare Begriffe für das Wahre oder die Wahrheit) nach unten und vier für uns ebenso unklare Begriffe, etwa ekstatische Erhitzung, Glanz (oder Glut, Askese), Ordnung (Regel, Bestimmung) und Unsterbliches, nach oben. 83 Es handelt sich um ein moralischrechtlich-hieratisches Weltbild um das brahman in der Mitte herum. Man möchte in diesem das Gegenstück zum ksatram, also das Abstraktum, das Charisma des Brahmanenstandes sehen, nur sollte es dann diesem gegenüber, d. h. oben, nicht in der Mitte sein. Faßt man brahman hier aber als die kosmische Macht oder Realität, so fehlt ein Gegenstück zum ksatram. Die Prosa des Brähmana setzt zu brahman hinzu, es leuchte, als wäre die Sonne gemeint. Sie erklärt ksatram als Indra, Varuna, Sorna oder König; das Reich als die Scharen (viss) der Götter, die Maruts; rta als Nacht und satya als Tag, Erhitzung als Blitz (vidyut), Glanz als Donnerkeil (asani), Ordnung als Regen und Unsterbliches als Speise. Ursprünglich sind aber doch wohl vier Begriffen des Königs und Richters vier Begriffe des Priesters gegenübergestellt gewesen, und zwar als des Höheren, als des sich durch Enthaltsamkeiten in Glut versetzenden Magiers, der die Ordnung der Welt beherrscht und Unsterblichkeit erlangt. Daneben mag man den Doppelvers stellen, daß derjenige (König) das (feindliche) ksatra mit (seinem) ksatra besiegt und mit Gewalt Gewalt erlangt, der einen wissenden, das Reich (rästra wie oben) schützenden Brahmanen als Hofpriester hat; daß demjenigen die viss zustimmen (gehorchen), eines Mundes und eines Sinnes, der einen wissenden, das Reich schützenden Brahmanen als Hofpriester hat. 8 4 Mit diesen Versen wird ein Abschnitt über die Unentbehrlichkeit des Hofpriesters für den König abgeschlossen. 85 Die Wiederholung 86 der zweiten Satzhälfte (sie geht sogar beiden Versen auch noch voraus!) macht die Strophen besonders feierlich. In diesen Zusammenhang gehört folgender Vers: Es sitzt das Glück des Sitzenden, aufrecht steht das des Stehenden, es liegt das des Liegenden, es wandert das Glück des Wandernden. 87 Dieser Vers steht innerhalb einer Gruppe von Versen, die das Wandern preisen. 88 Daß nur der wandernd Ausschreitende zum Ziele kommt, hatte schon ein rgvedischer Dichter 8 9 gelehrt. Erst in dieser I I . Periode wurden aber die wandernden Ärya langsam seßhaft. In dieser gäthä des Brähmana nun wird neben das Gehen das Liegen, Sitzen und Stehen gestellt, und das erinnert an eine in Prosa in einem Brähmana einem König von einem Brahmanen vorgetragenen Lehre, daß man sich nicht früher als sein Feind setzen soll; stehen soll, wenn man meint, daß er steht; sich setzen, wenn man meint, daß er sitzt; nicht früher einschlafen als er; wenn man meint, daß er wacht, soll man selber wachen. 90 — Dieser Prosasatz gehört sicher der damals

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keimhaft beginnenden Lehre der Politik 9 1 an, und dahin gehört auch diese gäthä. Sie wurde wohl noch nicht in einem umfassenden Lehrstück, dem Vorläufer eines Buches von der Art des späteren Staatslehrbuches, vorgetragen, sondern lebte vermutlich nur in derartigen Merkversen, die wie dieser in ihrer Form mehr oder weniger kunstvoll waren. Sie liefen als Lebensweisheit um, ohne deutlich von den obenerwähnten moralisch-rechtlichen Strophen unterschieden zu sein, die die analogen Vorläufer der späteren, oft in Versen abgefaßten Rechtslehrbücher waren. Später nannte man die in Handschriften zusammengefaßten Verse rechtlicher und politischer Lehren niti. Man wird also annehmen dürfen, daß schon in der II. Periode Dichter Merkverse verfaßten, die schließlich in der mii-Literatur des Feudalismus 9 2 ihre Fortsetzung fanden; dazwischen wäre die riesige einschlägige Versmasse, die im Mahäbhärata und sonstiger Literatur vorkommt, 9 3 anzusetzen. — Eine ganze Gruppe von Versen über Fragen der Notwendigkeit, einen Sohn zu haben, ist im Zusammenhang der damaligen Epik9/» zu behandeln. — I n einer Strophe meint man eine Spur früher Liebeslyrik sehr erotischen Charakters 9 5 finden zu können.

c) Lyrik in Upanisads I n den alten Upanisads werden noch Strophen zitiert, die denen in den Brähmanas ähneln, insofern sie sich u. a. mit ritualistischen Zahlenspekulationen befassen. 96 Eine Strophe vergleicht das Agnihotra, das angeblich alle Wesen sättigt, mit einer Mutter, um die alle ihre hungrigen Kinder ehrfurchtsvoll herumsitzen 9 7 (und warten, daß sie ihnen das Essen austeilt). Die Strophe drückt mit lyrischer Wärme das stolze Gefühl des Opferkenners aus, alle Wesen magisch zu ernähren, zu stärken, so daß sie wiederum ihm helfen können. Der Upanisadgrübler, König Asvapati, aber, der die Strophe zitiert, hat es kosmischmystisch gemeint; das Opfer mit seinen Feuern ist ebenso der ganze Kosmos, wie das Selbst es ist. Das Agnihotra nun sättigt die fünf K r ä f t e des Menschen und damit die des Kosmos: den Atem, damit das Sehen, die Sonne und den Himmel und entsprechend die vier anderen Kräfte. Dies ist ein Weltbild, das schon nahe an das Yäjnavalkyas heranreicht. 98 Aber dieser König opferte noch, im Unterschied etwa zu König J a n a k a , " und zitierte diese Strophe, vermutlich mit Freude an ihrer Naivität und seiner höheren Weisheit. Eine Strophe über den Kopf mit seinen sieben Sehern, d. h. Öffnungen, geht auf medizinische Spekulationen des AV zurück, ja vielleicht auf ein Rätsel der vorarischen Gentilgesellschaft. 100 Der betreffende Upanisaddenker, ein Verehrer des Atems, hat vermutlich den Kopf als Sitz des Atems aufgefaßt — wenn man die vorhergehende Prosa berücksichtigt —, hat aber den Wortlaut der Strophe gegenüber dem AV nicht etwa in dieser Hinsicht verändert; er hat nur die Rede als achte (Kraft) den sieben Sehern hinzugefügt, sofern sie mit dem brahman übereinstimmt; an sich gilt Rede ihm als siebenter Seher, Atri, wie die nachfolgende Prosa lehrt. E r hat also zwischen der gewöhnlichen und der

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das brahman l e h r e n d e n R e d e einen wesentlichen U n t e r s c h i e d g e m a c h t , e b e n i m Sinne d e r U p a n i s a d s . D e r Verfasser der F ü n f f e u e r l e h r e zitiert eine S t r o p h e ü b e r f ü n f S ü n d e r , d e n Golddieb, T r i n k e r , L i e b h a b e r der F r a u seines Lehrers, B r a h m a n e n m ö r d e r u n d den, der m i t i h n e n u m g e h t . 1 0 1 D a m i t illustriert er, d a ß L e u t e mit s t i n k e n d e m L e b e n s w a n d e l als Candäla wiedergeboren werden. Aber er f ü g t in P r o s a h i n z u : W e r die F ü n f f e u e r l e h r e „weiß", wird v o n diesen S ü n d e n , selbst w e n n er m i t diesen S ü n d e r n u m g e h t , nicht befleckt; 1 0 2 dieses „Wissen" hält ihn rein. E r e r h e b t sich als „Wisser" der n e u e n Erlösungsreligion ü b e r die S t r o p h e des a l t e n L e h r e r s der Moral, die t r o t z d e m s p ä t e r in Kreisen der R e c h t s l e h r e ganz ähnlich fortlebte. 1 0 3 Schon in den B r ä h m a n a s wird uns j a d e r a r t i g e moralisierende Spruchweisheit g r e i f b a r . E i n R i t u a l i s t lehrte einen gewissen R i t u s , u m zu „ G r ö ß e " zu gelangen; n a c h Abschluß des R i t u s solle m a n sich schweigend u n d u n v e r w i r r t a m O p f e r p l a t z z u r R u h e niederlegen: sieht m a n d a n n i m T r a u m eine F r a u , wisse m a n , d a ß der W u n s c h in E r f ü l l u n g gehen werde. D a f ü r zitierte der R i t u a l i s t einen Vers, d a ß solch Sehen einer F r a u im T r a u m bei W u n s c h o p f e r n E r f ü l l u n g bedeutete. 1 0 ' 1 E s gab also eine T r a u m d e u t u n g s l e h r e , die v e r m u t l i c h z u r W a h r s a g e r e i gehörte, die d a m a l s m i t a n d e r e n L e h r e n z u s a m m e n als daiva, d. h. Schicksalslehre a u f g e f ü h r t zu w e r d e n pflegte. 1 0 5 D a n e b e n g a b es d a m a l s eine schamanistische u n d d a r a u s e n t w i c k e l t e m y stische Schlaf- u n d T r a u m l e h r e . H a t t e schon in den B r ä h m a n a s ein A t e m - W i n d Magier in einem Z i t a t den nie schlafenden A t e m den eingeschlafenen Sinnen gegenübergestellt, 1 0 6 so zitierte Y ä j n a v a l k y a 3 1 / - ) S t r o p h e n d a r ü b e r , d a ß die Seele, schlaflos, d e n s c h l a f e n d e n Leib v e r l ä ß t , das L i c h t m i t sich n i m m t u n d sich a n seiner eigentlichen S t ä t t e ( a u ß e r h a l b des Leibes, irgendwo?) seine T r a u m u m welt s c h a f f t . Dies wird in d e n S t r o p h e n u n t e r d e m Bild eines sein N e s t verlassenden Vogels so schön geschildert, d a ß m a n sie f ü r d a s Gedicht eines schamanistisch-begeisterten D i c h t e r s h a l t e n möchte. 1 0 7 D e r „goldene M a n n " , der einsame Vogel, der G o t t , d. h. die Seele schafft sich m i t j e n e m L i c h t F r a u e n , N a h r u n g oder a u c h G e f a h r e n . Diese schamanistische T r a u m v o r s t e l l u n g ist mit ihrer S c h a u der F r a u a n d e r s als die obige des T r a u m o r a k e l s , ist a b e r a u c h e t w a s a n d e r s als Y ä j n a v a l k y a s eigene L e h r e v o n d e m T r a u m als d r i t t e m P l a t z , v o n d e m aus der T r ä u m e n d e d a s Diesseits sowohl wie d a s J e n s e i t s sieht. Allerdings lehrte a u c h er, d a ß der ätman sich d o r t m i t seinem eigenen L i c h t W a g e n , Seen, W o n n e n schafft, 1 0 8 a b e r nicht e t w a F r a u e n ; d a z u w a r er zu asketisch. H i e r v e r w e n d e t er u n m i t t e l b a r v o r h e r in der P r o s a d e n Begriff des Schöpfers (kariä) beim ätman, der d a n n in einem a n d e r e n Vers bei i h m ganz allgemein b e d e u t e t , d a ß der Geist (im Sinne des o b j e k t i v e n Idealismus) die W e l t schafft. 1 0 9 Y ä j n a v a l k y a belehrte hier weiter K ö n i g J a n a k a ü b e r Tiefschlaf u n d T o d , o h n e dabei S t r o p h e n zu zitieren. Die B r ä h m a n a s s t r o p h e n ü b e r die Wege des T o t e n z u m H i m m e l u n d z u r U n s t e r b l i c h k e i t 1 1 0 k o n n t e er o f f e n b a r n i c h t v e r w e n d e n , d e n n inzwischen w a r die Erlösungs- u n d W i e d e r g e b u r t s l e h r e entwickelt w o r d e n . F ü r seine L e h r e ü b e r die W i e d e r g e b u r t , die auf die ü b e r d e n T o d folgt, h a t Y ä j na-

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valkya eine Strophe 1 1 1 zitiert und ebenso bei der anschließenden Lehre über die Erlösung schon in diesem Leben dessen, der frei von Begierde ist. 112 Gerade diese Erlösungsmöglichkeit schon auf Erden betont er in einer Strophe, 113 die zu einer Gruppe von 14 Strophen gehört, die er an seine Lehre über die Erlösung anhängt; 1 1 4 auf diese folgen dann schließlich Prosasätze über dasselbe Thema, in die noch einmal eine Strophe eingegliedert ist, die aber rätselhafterweise als eine rc bezeichnet ist, 115 obgleich sie im Rgveda nicht vorkommt. Man hat bei diesen beiden Abschnitten, dem in 14 Strophen und dem in Prosa, schon längst angenommen, daß sie später angefügt worden sind, daß die Strophen insbesondere eine Sammlung von Upanisadspruchweisheit sind, wie sie für die späteren, metrischen Upanisads bezeichnend sind. 116 Man hat formale und inhaltliche Argumente angeführt. In der Tat kann man Yajñavalkyas Belehrung König Janakas unmittelbar vor der Strophengruppe damit abschließen lassen, daß der König dem Weisen tausend Rinder schenkt, 117 aber, d a Janaka sein Geschenk nach jenen beiden Abschnitten noch weit überbietet und sich selbst samt seinem Volk dem Weisen schenkt, 118 kann der Verfasser selber beide Abschnitte angehängt haben. Was den Inhalt angeht, ist der Weg zur Erlösung, den man für nicht hierher passend gehalten hat, in den beiden ersten Strophen ähnlich geschildert wie von Yajñavalkya vorher als Weg zum Tiefschlaf, 119 und dies stimmt mit Ch Up VIII, 6,1 120 überein, einer Stelle, die man für eine spätere Nachwirkung Yajñavalkyas halten möchte. 121 Für Yajñavalkya waren ja Tiefschlaf und Erlösung wesensverwandt, konnten die Wege zu beiden also teilweise gemeinsam sein. Einstweilen dürfte es unwahrscheinlich sein, daß Yajñavalkya bereits so grundlegende Lehren, wie sie in diesen Versen vorgetragen werden, in der damals allgemein anerkannten Tradition der Merkverse vorgefunden hat. Zumindest J a n a k a und alle späteren Hindus halten ihn für ein religiöses und idealistisches Genie. E r dürfte aber im Schamanismus gewisse Vorläufer gehabt haben, so daß jene oben erwähnten 3 i / 2 Strophen über den Traum in der Tat älter sind als er, d. h. urgesellschaftlich-schamanistisch. Das mag man auch noch bei den beiden einzelnen Versen über Wiedergeburt und Erlösung annehmen, nicht aber bei dieser Gruppe von 14 Strophen. E r kann sehr wohl diese Versgruppe selber gedichtet und als Schluß seiner Belehrung angehängt haben. Dies ist noch weit sicherer bei der Gruppe von sieben Strophen am Ende der großen Disputation Yajñavalkyas gegen neun Gegner, 122 denn in ihnen, die eine Frage enthalten, redet er seine Gegner einmal an, und in den letzten Strophen 1 2 3 gibt er selber die Antwort auf die Frage, so daß das Ganze eine Art Rätselfrage und -antwort ist (brahmodya), aber die Antwort ist nur dem Kenner des objektiven Idealismus Yajñavalkyas verständlich und kann nicht gut älter als dieser sein. In jener Strophengruppe am Ende der Belehrung J a n a k a s spricht der Verfasser einmal von sich als ,ich', einmal als ,wir'. 124 Das kann gut auf Yajñavalkya als Verfasser bezogen werden. I n ähnlicher Weise kann man zwei andere ein ,ich' enthaltende Strophen in den Upanisads als Werke der sie aussprechenden Lehrer, des Königs Asvapati und des Brahmanen Aruna,

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(nicht als Zitate!) auffassen, 125 während in drei Strophen, die in Brähmanas zitiert sind, die Erdgöttin, der Mann in der Sonne und der Brahmanpriester als Redende fingiert sind. 126 In jenen Frage- und Antwortstrophen wird im Anfang der gestorbene Leib des Menschen einem gefällten Baum verglichen: Wie der Baumstumpf wieder ausschlägt, so wird der Mensch wiedergeboren, aber aus was? 1 2 7 Mit diesem Vergleich hat der Philosoph einen dichterischen Einfall gehabt, vermutlich Yäjnavalkya selber. Daß man ihm dies zutrauen kann, zeigt seine Prosa. 128 Man kann annehmen, daß nach Yäjnavalkya dessen ätman-brahman-Mystik schnell so allgemein anerkannt wurde, daß sie Gegenstand der Spruchdichtung wurde. Dies scheinen Zitate von Strophen zu belegen, die etwa einem Sanatkumära in den Mund gelegt werden 129 und den Seher als solchen verherrlichen, und die des obenerwähnten Nachfolgers Yäjnavalkyas mit der Schilderung der Adern als Weg der Seele zur Unsterblichkeit, 130 d. h. mit einer Art mystischer Kosmographie. Hierher gehören die zusammengehörenden Versgruppen und Einzelverse, die die Speise, den Atem, die Wonne, das Erkennen und das Seiende mit dem brahman gleichsetzen. 131 Von diesen setzt das Lob der Speise inhaltlich in gewisser Weise ein Gedicht des R V und eines in einem Brähmana fort, 132 aber formal gehört es zu den gäthäs, nicht den res. Speise wird hier als Urmaterie aufgefaßt, aus der die Wesen werden und in die sie wieder eingehen, also philosophisch; der Materialist Uddälaka hatte das Wort Speise in ähnlichem Sinne für sein drittes Urelement, das Feste oder Erde verwendet. Das Lob des Atems als des Lebens der Götter, der Menschen und Tiere (Pflanzen werden hier nicht genannt) schließt an die Denkweise der Atem-Wind-Magier an. 133 Die letzten drei Begriffe: Sein, Erkennen und Wonne aber sind von dieser Stelle an die drei Aussagen des Vedänta, die über das über alle Begriffe erhabene brahman möglich sind. Auch die im Aitareyäranyaka zitierten Strophen 1 3 i dürften jünger als Yäjnavalkya sein; sie behandeln das Unvergängliche, d. h. das brahman. Das mit dem Staat beginnende Neue in der indischen Religion und Philosophie zeigt sich also in einigen, nicht in allen Strophen der Upanisads, und von diesen machen nur die wenigen über Traum, Wiedergeburt und Erlösung 1 3 5 den Eindruck von Zitaten, die älter als die Prosa der Upanisad, als die Lehre Yäjnavalkyas sein könnten. Wenn es nun auch so sein wird, daß die Wiedergeburts-, Tatvergeltungs- und Erlösungslehren mit der aus Schamanismus hervorgegangenen Mystik im Interesse des Despotismus aus gentil-vorarischem Glauben entwickelt wurden, 136 so sind doch offenbar die Upanisadprosatexte ebenso wie die zitierten und neu gedichteten Verse von theologischen und philosophischen Brahmanen verfaßt, die damals zu Ideologen des Despotismus wurden. Die ritualistischen Strophen der Brähmanas und der Upanisads waren von ritualistischen Brahmanen verfaßt worden. Ksatriyas oder ihre Barden braucht man bei beiden Strophengruppen nicht — auch nicht bei denen der Staatslehre — anzunehmen, 137 von Vaisyas oder Südras ganz zu schweigen.

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3. Epik a) Epik im A t h a r v a v e d a Die Zaubergedichte des AV enthalten sehr wenig Epik, selbst die an Indra gerichteten. Auch die kosmogonischen Elemente sind meist nur kurze Andeutungen. Indessen ist dem stark an Medizin, am Aufbau des Leibes interessierten Gedicht AV X I , 8 1 3 8 eine recht breite kosmogonische Einleitung gegeben, die in die Andeutung der Werbung des „Eifers" um die „Absicht" als seine Frau einmündet. Es wird aber nicht dargelegt, daß diese Ehe mit der Kosmogonie oder der Schaffung des menschlichen Leibes, dem H a u p t t h e m a des Gedichts, zusammenhinge; diese wird als Leistung der Göttin Zusammenfügung und anderer ausgegeben. Gewiß verstehen wir viele Einzelheiten des Gedichts noch nicht, 139 weder in der Kosmo- noch Anthropogonie, aber deutlich ist, daß der Verfasser in Vers 7 erklärt, wer die Erde, die vor dieser (Welt) da war, kenne, der dürfe sich für einen Puränakenner halten, 140 und in Vers 3, wer die Geburt der zehn Götter (der biologischen und psychologischen K r ä f t e im Menschen: Atem usw.) deutlich vor Augen „wisse" (intuitiv, visionär erschaue), der könne das große Wort reden, 141 d. h. wohl das Wort des Puräna, der Weltund Menschenschöpfung. Puräna ist hier im selben Sinne wie etwa schon im RV 1 4 2 verwendet. Aber es handelt sich nicht um die aus den späteren Puranen bekannte Kosmogonie samt der Genealogie der Ksatriyageschlechter, die es in Ansätzen damals aber schon gegeben haben muß, ist doch die puranische Tradition im wesentlichen nicht jünger als die rgvedische und lief neben dieser her. 143 Der Dichter des AV trug hier eine durchaus eigenwillige, unseres Wissens einzigartige und u. a. medizinisch gelehrte Kosmogonie und Anthropogonie vor, und wenn er für sich in ihr den Ehrentitel des Puranenkenners, der zu großer Dichtung berechtigt sei, beansprucht, so zeigt das, daß die puranische Tradition damals einen hohen Rang beanspruchen konnte, aber noch nicht so gefestigt war, daß diese individuelle epische Dichtung als Puräna ausgegeben werden konnte. Es gab offenbar noch keinen puranischen Urtext, nicht einmal eine festgelegte Ursage des Puräna. Ihren hohen Rang deutet der Verfasser des diesem Gedicht vorangehenden Gedichts AV X I , 7,24 144 an, indem er Puräna zwischen rc, säman und chandas einerseits, yajus andererseits einordnet, d. h. mitten unter die vier Veden stellt, als wäre es hier schon wie später manchmal als ein fünfter Veda 1 4 5 anerkannt. Alle diese fünf sind nach ihm aus dem Opferrest, dieser merkwürdigen, nur hier als solche verherrlichten Urmaterie am Anfang der Welt, entstanden. I n AV XV, 6,3f. sind dagegen zwei Reihen von je vier Begriffen nebeneinander gestellt: 1. rc, säman, yajus und brahman und 2. itihäsa, puräna, gäthä und näräsamsi. 146 So unklar hier die Bedeutung von brahman (doch wohl kaum gleich AV) ist, so schwierig ist die Unterscheidung von gäthä und näräsamsi, denn zusammen mit itihäsa und puräna (epischem und kosmogonischem Lied) möchte

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m a n die gäthä näräsamsi (Helden lobende Strophe), die manche f ü r indoeuropäisch halten, stellen; 1 4 7 was f ü r eine gäthä, die nicht näräsamsi ist, hier gemeint sein k ö n n t e (Weisheits-, Indra-, Yama-, yajnagäthäl), ist noch fraglich. Die beiden Viererreihen dieser letzten Stelle deuten an, daß Priester die Verfasser u n d Verwender der Dichtungen der ersten Reihe waren. W e r waren aber die der zweiten Reihe ? W a r e n es die B a r d e n des RV, die rebhas ? I m Nacht r a g z u m AV, dessen Zeit noch nicht feststeht, k o m m e n drei raibhis, d. h. Strophen des rebha vor, aber anscheinend nicht von ihm verfaßte, sondern ihn behandelnde. 1 4 8 I h r W o r t l a u t ist noch ziemlich unverständlich. Anscheinend verschafften die rebhas durch ihre Gedichte oder Gebete ihrem Auftraggeber Rinder. Diese Strophen k a m e n im K u l t z u s a m m e n mit anderen vor, mit „männerlobenden" (näräsamsi, einer Art dänastutis, nach den drei a n g e f ü h r t e n Beispielen zu urteilen), indragäthäs (Strophen an oder ü b e r Indra), Handlungsstrophen (über H e l d e n t a t e n ? Opfer?) 1 4 9 u n d Strophen ü b e r den b e r ü h m t e n König Pariksit, 1 5 0 die alle noch als Werke von B a r d e n angesehen werden können. An dieser späten Stelle des AV aber war der rebha anscheinend nicht mehr als ihr Verfasser b e k a n n t . I m Feudalismus gilt raibhi einmal als eine Art rc, u n d zwar eine auf Agni, der als rebha im Sinne von der Knisternde 1 5 1 a u f g e f a ß t wird. Die Stellen des AV deuten an, daß der rebha nicht mehr als Barde fungierte, d a ß es aber Vorformen des späteren puräna u n d itihäsa, der epischen L i t e r a t u r , der Götter- u n d Heldenversepen, gab.

b) E p i k in Versen gäthä I n den B r ä h m a n a s wird eine Reihe von Strophen (gäthäs, s. o.) zitiert, in denen Könige f ü r den Vollzug großer Opfer, insbesondere ihrer Roßopfer gepriesen werden. Man h a t ihr Vorbild in den dänastutis des R V sehen wollen; 1 5 2 indessen sind diese von rgvedischen Priestern (hotrs) als Lobgedichte f ü r ihre eigenen freigebigen Opferherren, in der F o r m der rc f ü r rgvedische „Könige" gedichtet worden, während die Strophen in den B r ä h m a n a s in der F o r m der gäthä allem Anschein nach zitiert werden von ritualistischen Lehrern, ohne daß m a n wüßte, wer sie v e r f a ß t h a t ; sie preisen Könige der Vergangenheit wegen der Freigebigkeit bei ihren Opfern, s t a m m e n also wohl k a u m von Dichtern, die den Königen gleichzeitig waren. Vielleicht r ü h r t e n sie v o n priesterlichen 1 5 3 Dichtern her, a b e r das ist nicht ganz sicher aus dem ritualistischen Z u s a m m e n h a n g herauszulesen, selbst nicht, wenn eine v o n ihnen als eine „Opferstrophe" 1 5 4 zitiert wird, d e n n dies mag in diesem Falle n u r besagen, daß die Strophe v o m Opfer handelt, entweder mit ritualistischem Interesse von einem Priester oder mit historisch-propagandistischem Interesse von einem B a r d e n v e r f a ß t . D a s R o ß opfer vollzog ja n u r ein König, der den Anspruch erhob, „Weltherrscher" zu sein; es war also nicht n u r eine ritualistische Leistung, sondern setzte eine politische bzw. heldisch-kämpferische voraus.

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Die in solchen Strophen genannten Könige sind offenbar vor- und nachrgvedisch, vermutlich zum Teil historisch, und zwar noch dem sogenannten heroischen Zeitalter 1 5 5 angehörig. E s handelt sich in erster Linie um J a n a m e jaya, Sohn des Pariksit, und u m Bharata, Sohn des Dusyanta, 1 5 6 beide (oder alle drei) aus dem M a h ä b h ä r a t a b e r ü h m t : Arjunas und Krsnas Enkel Abhimanyu war der Vater Pariksits; dieser starb am Biß des Schlangenkönigs T a k s a k a ; sein Sohn J a n a m e j a y a veranstaltete zur Rache a n den Schlangen ein Schlangenopfer, und bei diesem trug Vaisampäyana das Mbh vor. 157 Von Pariksits glückseliger Regierung handeln vier Strophen, die zu den näräsamsl- und raibhiStrophen gestellt wurden, 1 5 8 seine Nachkommen wurden als große Opferherren gepriesen, 159 ebenso er selber. 160 Das Roßopfer seines Sohnes J a n a m e j a y a schließlich ist der Gegenstand jener „Opferstrophe", 1 6 1 das ständige Opferleben an seinem Hofe aber der einer anderen Strophe. 1 6 2 I m I. Buch des Mbh wird der S t a m m b a u m der Kurus, als J a n a m e j a y a nach ihm fragt, mit Dusyanta, seiner F r a u Sakuntalä und seinem Sohn B h a r a t a begonnen. 163 Bharata, der U r a h n der Bhäratas, ist also sozusagen der mythologische Weltherrscher am Anfang, und J a n a m e j a y a ist der historische König der K u r u s am (vorläufigen) E n d e der Könige, die im Mbh besungen werden. Setzt m a n die große Schlacht des Mbh u m rund 1000 v. u. Z. an, 164 so würde J a n a m e j a y a als Vertreter der vierten nachfolgenden Generation 1 6 5 etwa u m 900 zu datieren sein, d. h. an den Anfang der I I . Periode gehören, so daß er, Pariksit und erst recht B h a r a t a f ü r die Verfasser der Strophen einer schon mehr oder weniger sagenhaft gewordenen Vorzeit angehören; sie waren „Könige" noch gentiler Gesellschaft. Zwischen Bharata und J a n a m e j a y a sind vermutlich die sonstigen in jenen Strophen gefeierten Könige anzusetzen, sie haben aber nicht wie B h a r a t a und J a n a m e j a y a derselben Dynastie oder demselben Königreich angehört; über sie ist sonst historisch wenig bekannt. 1 6 6 I n der hinduistischen Mythologie spielt unter diesen der in diesem Zusammenhang wegen seines Opfers gerühmte Marutta, Sohn des Aviksit, 167 eine beträchtliche Rolle. E r ist in die Genealogie einiger P u r a n e n (Brahmända- u n d Väyupuräna) eingegangen, und zwar stammen von Manu neun Söhne, deren einer war Nabhägodista. 1 6 8 Von diesem stammen der Reihe nach Bhalandana, Prämsu, Prajäni, Khanitra, Kshupa, Vimsa, Vivimsa, Khaninetra, K a r a n d h a m a (mit diesem begann dasTretä-Weltalter), Aviksit und als letzter Marutta. 1 6 9 Dieser lebte also lange vor dem Kampf des Mahäbhärata, der das Ende dieses Weltalters bedeutet. Von Marutta wird anschließend berichtet, daß S a m v a r t a 1 7 0 f ü r ihn opferte, während Brhaspati ihm zürnte. Die Dynastie wird d a n n weitergeführt bis Visäla. Diese Genealogie ist uns zuerst bezeugt im Mbh X I V , 4 : Manu, P r a j ä t i , Kshupa, Iksväku, Vimsa, Vivimsa, Khaninetra, K a r a n d h a m a (am Beginn des Tretä-Weltalters), Aviksit und M a r u t t a ; 1 7 1 Der Anfang mit Manu und seinen Söhnen steht ähnlich in Mbh I, 70,13f. I m sehr späten B h ä g a v a t a p u r ä n a I X , 1,12 werden die Söhne Manus und die Könige der Dynastie etwas abweichend a u f g e f ü h r t : Von Dista stammen Bhalandana, Vatsapriti, P r a m a t i , P r ä m s u ,

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Khanitra, Caksusha, Vivimsati, Rambha, Khaninetra, Karandhama, Aviksit und Marutta, für den Samvarta opferte; die Linie geht bis Viääla. 172 Die Tradition lebte also sehr lange. J a , die Marutta-Strophe im Brähmana steht ganz ähnlich noch in diesem Zusammenhang in Bh. I X , 2, 28 cd, 29 ab. 173 Der im Puräna erwähnte Streit zwischen den Priestern Samvarta und Brhaspati, diesen beiden Brüdern, wird im Mbh XIV,5ff. nach Maruttas Genealogie sehr ausführlich erzählt, und es folgt die Schilderung des Opfers und des vielen Goldes, das Marutta den Brahmanen dabei schenkte. Die Brahmanen ließen dieses Gold am Meru liegen, und Yyäsa riet später Yudhisthira, es zu holen, um damit selber ein Roßopfer zu finanzieren. 174 So ist der Mythos von Maruttas Opfer mit der Haupthandlung des Mbh verbunden. Es wird auch sonst im Mbh erwähnt, z. B. I I I , 129,16: Es fand an der Yamunä statt, wo u. a. auch Bharata opferte; oder im Norden auf dem Usirabija-Berg (Mbh V, 109,20). Als Yudhisthira in der großen Schlacht einmal über den Tod Abhimanyus klagte, tröstete ihn Vyäsa damit, daß einstmals Närada einen trauernden König damit getröstet habe, daß auch Marutta sterben mußte, der doch so großartig geopfert hatte, daß die Götter am Opfer in seiner Halle teilnahmen. Dies wird in einer Strophe mitgeteilt, die der im Brähmana zitierten fast wörtlich gleicht. 175 Weiter erzählte Närada, abgesehen von anderen Königen, von Bharatas Tod, der doch allerhand Heldentaten und hundert Roßopfer entlang dem Ufer der Yamunä vollbracht hat, dreihundert an der SarasvatI und vierhundert an der Gangä, was wiederum an Strophen erinnert, die im Brähmana zitiert werden. 176 I n anderer Fassung trägt Krsna nach der großen Schlacht dem verzweifelten Yudhisthira noch einmal die Trostreden Näradas vor, beginnt wiederum mit Marutta und dessen Opfer und bietet eine etwas stärker abweichende Variante jener Brähmanastrophe, 1 7 7 und ebenso bei Bharatas vielen Opfern eine Variante, die 334 Roßopfer an den drei Flüssen aufzählt, 178 statt der 133 in den Strophen des Brähmana und der 800 an jener ersten Mbh-Stelle. Nach diesen Zahlen kann man die Brähmanastrophe — wie man es erwartet — für die älteste, bescheidenste halten. Bis in das Mbh 179 blieb es also üblich, Reihen von beispielhaften Königen zusammenzustellen, in denen ihre Taten, zumeist Opfer, aber auch Heldentaten, gepriesen wurden, und schon für die Strophen, die im Brähmana zitiert werden, läßt sich eine ähnlich originale Zusammenstellung als Vorbild der Prosakapitel der betreffenden Aitareya- und Satapathabrähmanakapitel denken, wenn auch nicht nachweisen, denn es kann sich auch bei diesen Strophen um einzeln umlaufende Merkverse gehandelt haben. Dem Marutta wird schließlich in Mbh V, 178,23f. eine Strophe (sloka) in den Mund gelegt, daß man dem Lehrer, auch wenn er Gut und Böse nicht unterscheiden kann, gehorchen muß, und zwar soll sie aus einem Puräna stammen. Darauf berief sich Bhlsma seinem Lehrer Räma Jämadagnya gegenüber, als er diesem zu widersprechen wagte. In der ersten oben herangezogenen Trostrede Näradas wird nach Bharata als letzter Held Räma, Sohn Jamadagnis, d. h. Parasuräma erwähnt, der die ganze

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E r d e dem K a s y a p a als Geschenk nach dessen Opfer gab u n d d a r a u f h i n f ü r sich selber neues L a n d gewinnen m u ß t e , den Berg Mahendra in Südindien, auf d e m er lange lebt, aber dennoch wird sterben müssen. 1 8 0 I n einer Variante dieser Sage in Mbh X I I I , 61,32 ist eine Strophe (gäthä) der E r d g ö t t i n überliefert, mit der sie das Schenken von L a n d als höchst verdienstlich preist. Diese Strophe ist ein Gegenstück zu der im hier behandelten Kapitel des B r ä h m a n a zitierten Strophe der E r d g ö t t i n , in der sie dem König V i s v a k a r m a n B h a u v a n a verbietet, sie a n seinen Opferpriester K a s y a p a zu verschenken. 1 8 1 Diese Stellen der E r d göttin zeigen in ihrer Weise den unzweifelhaften Z u s a m m e n h a n g zwischen den Strophen in der Prosa der B r ä h m a n a s u n d in d e m späteren Versepos. 1 8 2 Dabei ist zu bedenken, daß dieser Visvakarman kein König gewesen zu sein scheint, sondern der Schöpfergott, der ursprünglich die E r d e in einer Variante der mundaischen Taucherkosmogonie aus dem Urwasser hervorholte. I n dieser Strophe aber klingt das indoeuropäische Motiv der u n t e r Überlastung im Meer versinkenden E r d e 1 8 3 a n : Sie droht, im Meer unterzugehen, wenn V i s v a k a r m a n sie dem K a s y a p a schenken will. 184 Ähnlich wird im Mbh X I I I , 139 erzählt, d a ß ein König Anga die E r d e als Opfergeschenk seinen B r a h m a n e n geben wollte, 1 8 5 die E r d e aber d a r a u f h i n beschloß, ihr Erdesein aufzugeben u n d zu B r a h m a zu flüchten. Als K a s y a p a dies sah, ging er durch Yoga in die E r d e ein, so d a ß sie d r e i h u n d e r t t a u s e n d J a h r e lang in paradiesischem Glück gedieh. D a n n neigte sich die E r d e vor ihm u n d b e k a n n t e sich als seine Tochter. Von daher heißt die E r d e mehrfach KäsyapI, 1 8 0 Tochter K a s y a p a s . Diesem N a m e n m a g die vorarisch-gentile Vorstellung zugrunde liegen, daß in der Taucherkosmogonie die Schildkröte (kacchapa) es war, die f ü r den Schöpfer das erste bißchen E r d e aus d e m Meer hervorholte. 1 8 7 Die im B r ä h m a n a zitierte Strophe unterscheidet sich von den anderen hier behandelten dadurch, daß die E r d e selber sie singt u n d sie in der I c h - F o r m 1 8 8 abgefaßt ist: Ich werde versinken . . . Hier h a t die E r z ä h l u n g ü b e r Visvakarmans Freigebigkeit damit besonders deutlich die F o r m des äkhyäna, der Prosaerzählung mit a m H ö h e p u n k t eingefügten Versen. D a n e b e n ist zu stellen, d a ß in einer hierher zu rechnenden Strophe im B r ä h m a n a der betreffende K ö n i g mit D u angeredet wird: Bei deinem Opfer . . ., 189 als wäre sie einem Versdialog e n t n o m m e n . Diese Strophen sehen also nicht n a c h Einzelstrophen aus, andererseits sehen wir auch keinen ursprünglichen Z u s a m m e n h a n g u n t e r ihnen. 1 9 0 E s ist ja, selbst wenn m a n c h m a l fünf Strophen ü b e r die Freigebigkeit ein u n d desselben Opferherren zitiert werden, wie im Falle des B h a r a t a , 1 9 1 noch nicht geklärt, ob sie ursprünglich eine zusammenhängende Gruppe gebildet h a b e n . Sie k o m m e n mit gewissen Varianten und einer zusätzlichen Zeile alle fünf a u c h noch im B h ä g a v a t a p u r ä n a I X , 20,23 vor, aber in anderer Reihenfolge u n d — das gilt auch f ü r die F ü n f e r g r u p p e der Strophen über König Anga 1 9 2 — ohne sprachliche oder inhaltliche Zusammenhänge von Strophe zu Strophe. Wie dem auch sei, m a n m u ß annehmen, d a ß es in der I I . Periode (sei es im Z u s a m m e n h a n g mit priesterlicher gröiÄötradition oder nicht) eine F o r t s e t z u n g der weltlichen bardischen Tradition der I. Periode ü b e r die Zehnkönigsschlacht

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des Sudäs gegeben hat. Man kann vermuten, daß sie inhaltlich so ähnlich gelautet hat wie die im Mbh I, 89,30 ff. berichtete Sage von Samvarana, dem Bhärata-König, der von den zehn Heeren der Päncälyas besiegt wurde; d. h., daß schon damals mit dem Eindringen ins Gangesgebiet die Sage etwas mehr nach dem Osten verlegt wurde. 193 Etwas Analoges vermutet man für die Brähmanafassungen der rgvedischen Sagen von Visvämitras Überschreiten von Flüssen und von Öunahsepa. 194 Solche Sagen des heroischen Zeitalters wurden wohl damals schon in Prosa mit eingestreuten Yersgruppen epischer Lieder erzählt. 195 Dies gilt auch für die Sagenstoffe, die aus älteren Zeiten als den arischen und indo-ranischen Zeit enstammten 1 9 6 und später ins hinduistische Epos eingingen. Man bedenke aber, daß die in den Brähmanas zitierten Könige einstweilen nur im Mahäbhärata, nicht im Rämäyana 1 9 7 nachgewiesen sind, daß andererseits Namen wie Yudhisthira, Duryodhana, Bhimasena oder Krsna in den Brähmanas noch nicht auftauchen, 1 9 8 auch nicht die Namen der Nachfolger Janamejayas; dazu paßt, daß auch im Puräna (wie im Mahäbhärata) die Genealogie im allgemeinen nur bis Janamejaya geht, 199 während seine Nachfolger als Könige des Kalizeitalters nur in einigen Puranen überliefert sind. Es heißt einmal im Brähmana, daß beim Roßopfer ein brahmanischer Lautenspieler das ganze J a h r hindurch bei Tage die großen Opfergeschenke des Königs zu verherrlichen hatte, des Nachts ein räjanya seine Heldentaten; andere Lautenspieler besangen täglich den Opferherren zusammen mit früheren frommen Königen. 200 Dieses Zeugnis bestätigt, daß es neben den Brahmanen, die nach Art der in den Brähmanas zitierten Strophen die Opfer und Opfergeschenke des Königs besangen, andere, weltliche, aus dem Kriegeradel stammende Vertreter (Nachfolger der tebhas der I. Periode) einer Art bardischen Literatur gegeben hat. 2 0 1 Dieser räjanya mag ein swia-Wagenlenker-Barde-Herold gewesen sein. 202 Zumindest wird ein solcher in den Brähmanas als Mann am Hofe des Königs genannt, wenn auch nicht sicher als Barde. 203 Das Nebeneinander dieser beiden Literaturarten, der priesterlichen und weltlichen, mag hier und da zu einem Gegeneinander geführt haben, wie damals auch die Lehre des Rechts der des Staates gegenüberzutreten begann. 204 Dies scheint sich darin auszudrücken, daß gewisse Kreise der Brahmanen mit einer Art Gesellschaftskritik gegen die männerlobenden Strophen auftraten, sie für Trug (anrtam) erklärten. 205 Das mag zum Teil darin begründet sein, daß die zitierten Strophen in der Tat maßlose Übertreibungen enthalten, darin, daß manche Zweifler sich schon im Rgveda gegen die Indramythen wandten, 206 vor allem aber im hier und da zu beobachtenden sozialen Gegensatz der beiden höchsten Stände und ihrer Ideologen im sich entwickelnden Staat. 2 0 7 Diese wurden vielleicht u. a. von Konkurrenzneid getrieben, wenn Brahmanen erklärten, man dürfe Sängern der Strophen nichts geben und von ihnen nichts annehmen. 208 Einige warfen Singen, Trinken und Tanzen zusammen und entrüsteten sich über solche Weltlichkeit, 209 wie es später fromme, asketische Buddhisten taten. 2 1 0 Es sprach aber auch wohl der sicher sehr alte Unterschied rgvedischer und puranischer Tradition mit.

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Schließlich gab es ja auch die Unterscheidung von puräna und itihäsa. Schon im AV treten diese beiden Begriffe nebeneinander (und neben gäthä und näräsamsi) auf, aber manchmal werden sie zu einem Kompositum zusammengezogen, als wären sie eine Einheit. 2 1 1 Geht man vom Begriff puräna im R V 2 1 2 aus, so möchte man diejenigen Strophenzitate in den Brähmanas, die kosmogonischen Inhalt haben, als Ansätze zum späteren Puräna, die männerlobenden Strophen als die zum Heldenepos auffassen. Die Einzelheiten der kosmogonischen Strophen sind aber noch kaum verständlich. 213 Zur priesterlichen Epik gehören auch die Strophen, die Budha (den Planeten Merkur, Sohn des Mondes) als eine Art Kulturheros, als den besingen, der die Butter, das Fett in die Rinder gelegt hat. 2 1 4 Die Unterscheidung dieser beiden Formen der Epik ist aber für diese I I . Periode besonders schwierig, da die hinduistischen Epen einerseits erst niedergeschrieben wurden, als sie von puranischen Brahmanen überarbeitet worden waren, 215 andererseits Themen wie die Genealogie der Könige in den späteren Epen und Puranen vorkommen und auch im Epos Mahäbhärata mit Kosmogonie gekoppelt sind. Die Verhältnisse in der Literatur waren damals offenbar ebenso kompliziert wie in der Gesellschaft.

c) Epik in der Prosa der Brähmanas Die Erzählliteratur in Prosa muß damals sehr umfang- und artenreich gewesen sein, aber die Verfasser der Brähmanas haben nur verwendet, was sich in ihre ritualistischen Texte einpassen ließ, durchweg mit ätiologischer Absicht, 2 1 6 um nämlich Einzelheiten des Ritus und andere Erscheinungen damit zu sanktionieren, daß sie sie quasi-historisch ableiteten, ihren Beginn letztlich in Kosmogonien einordneten. In die Prosa sind manchmal Strophen an Höhepunkten eingegliedert, so daß Erzählungen des Typs, der äkhyäna217 genannt wird, entstehen. Der Begriff „Kenner des äkhyäna" taucht zuerst in A B I I I , 25,1 auf, 2 1 8 und zwar für den, der das äkhyäna kennt, wie Suparna den Sorna vom Himmel holte; 2 1 9 hier ist aber von Mischung von Prosa und Versen nicht die Rede, äkhyäna also wohl nur im Sinne von Erzählung gebraucht, ohne daß wir bislang diesen Begriff von itihäsa und puräna genügend unterscheiden könnten. Die Kosmogonien der Brähmanas haben einen stereotypen Anfang, nämlich daß der Schöpfer sich (wie ein Ritualist) kasteite, sich entschloß und zu schaffen begann, aber ihr Inhalt ist sehr uneinheitlich. 220 Unter anderem wird erzählt von dem Urwasser und dem Ei, aus dem dann die Welt entstand, 221 wie noch in der hinduistischen Kosmogonie. Hier sei noch erwähnt, daß in Kosmogonien Anspielungen auf den Eber, der die Erde zu Anfang aus dem Urwasser heraufholte, 222 und auf die Schildkröte als kosmogonischen Faktor 2 2 3 vorkommen, Motive, die aus vorarisch-gentiler Mythologie (Taucherkosmogonie) stammen dürften. Man hat ja auch Anspielungen auf hinduistische, auf ebensolche Ursprünge zurückzuführende Motive der späteren Epen und Puranen in dieser Prosa finden zu können gemeint.22/1 Etwas Neues, die Wirklichkeit der jungen Klassengesell-

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schaft gesellschaftskritisch-dichterisch Widerspiegelndes war die Kosmogonie, die den Hunger zum Weltschöpfer machte. 225 An die Versuchung des Urmenschen Yama durch seine Schwester im RV ist die in Brähmanas mehrfach belegte Kosmogonie anzuschließen, die behauptete, der Schöpfer Prajäpati habe mit seiner Tochter Inzest begangen. 226 Das sich liebende Paar Yama und YamT227 wurde für den Mythos herangezogen, der den Ursprung der Nacht — an Vorstellungen des AV anknüpfend — daraus ableitete, daß die Götter sie schufen, damit Yami dank der Nacht (und des Schlafs) den Tod Yamas vergessen möge. 228 Dieser Mythos ist das Werk eines warmherzigen Dichters, der die Scheidung von Licht und Finsternis 229 nicht dem Schöpfer zuwies (wie im Alten Testament), sondern dem Mitleid der Götter mit der leidenden Witwe des ersten Menschen oder Toten. — Ein anderer ätiologischer Mythos erklärte, warum die Berge feststehen und die Erde festhalten; ursprünglich flogen sie umher, aber Indra schnitt ihnen die Flügel ab. Die Flügel wurden zu Wolken; daher regnet es besonders an den Bergen, vor allem, wenn man gewisse Riten vollzieht. 230 — Der Feigenbaum hat reife Früchte zu allen Zeiten, wenn irgendwelche anderen Baumfrüchte reifen: das gaben ihm die Götter, weil er im Kampf gegen die Widergötter zu ihnen hielt. 231 Solche ätiologischen, mehr oder weniger poetischen Mythen ließen den Menschen der gentilen Gesellschaftsstufe sich in der Welt heimlich fühlen und für das Gute, für die Götter Partei ergreifen. Jetzt, am Beginn der Klassengesellschaft, wurden sie außerdem vom ritualistischen Lehrer seinem Schüler zum „Wissen" der Hintergründe der Riten beigebracht. Jetzt dichteten Brahmanen mit hintergründiger humorvoller Kritik am Despoten eine Geschichte von der Entstehung der „Königskrankheit", der Schwindsucht. 232 Vor allem aber erzählten die Brahmanen über die Ursprünge ihrer Riten, wie z. B. über das Opfer des Sorna, den ihnen ein Vogel (Suparna) aus dem Himmel holte. 233 Sie schmückten diesen Mythos aber auch aus: Der Sorna wurde bei seiner Herabkunft vom Himmel von einem Gandharven gestohlen; um ihn diesem wieder wegzunehmen, sandten die Götter die Rede, eine Frau, aus, denn die Gandharven lieben Frauen; um aber die Rede zurückzugewinnen, erfanden die Götter die Laute und spielten sie, sangen und tanzten vor ihr. Daher sind die Frauen solchen Nichtigkeiten ergeben und lieben den Tänzer und Sänger. 23,1 Da spricht die Abneigung des Priesters gegenüber dem weltlichen Treiben, in dem der nichtpriesterliche Dichter zu Hause ist, ein Element von lebensfeindlicher Gesellschaftskritik. 235 Es handelt sich hier um eine Variante des altüberkommenen Mythos des Feuerholers und um seine dichterische Ausschmückung. 230 Im Brähmana tritt die älteste indische Variante der altorientalischen Sintflutsage237 auf, und zwar als Einleitung der inzestuösen Zeugung der Menschen durch Manu mit der IIa, die seine Tochter war, geschaffen durch sein Opfer. Der Erzähler könnte im ersten Teil, der eigentlichen Flutsage, wohl auch als ein nichtpriesterlicher Dichter angesehen werden; nebenbei spielt er auf die später in der Staatslehre vorkommende Maxime an, daß ein großer Fisch die kleinen

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f r i ß t (wie es a u c h Menschen t u n w ü r d e n , h ä t t e n sie k e i n e n königlichen H ü t e r d e r O r d n u n g ) . I m zweiten Teil erzählt er s c h m u n z e l n d u n d f ü r u n s e r E m p f i n d e n gar n i c h t sehr f r o m m , wie IIa v o n zwei G ö t t e r n , M i t r a u n d V a r u n a , in Vers u c h u n g g e f ü h r t w u r d e ; was d a n n geschah, wisse m a n n i c h t . S u k a n y ä 2 3 8 b e s t a n d diese P r o b e besser. A n G ö t t e r m y t h e n sei e r w ä h n t , wie der schlaue I n d r a d e n N a m u c i m i t S c h a u m in der D ä m m e r u n g erschlug, d e n n diesen W i d e r g o t t d u r f t e er v e r t r a g s g e m ä ß weder m i t T r o c k e n e m noch F e u c h t e m , weder bei T a g n o c h bei N a c h t t ö t e n . 2 3 9 I m M b h I X , 42, 28ff. erzählt V a i s a r n p ä y a n a dieses ,,upäkhyäna" d e m J a n a m e j a y a ; der M y t h o s war schon in R V V I I I , 14, 13 b e k a n n t , 2 4 0 u n d z w a r wird diese T a t I n d r a s d o r t gepriesen, im B r ä h m a n a a b e r als V e r t r a g s b r u c h , als B e f l e c k u n g angesehen, v o n der I n d r a sich magisch mit einer b e s t i m m t e n P f l a n z e reinigt, i m M b h als B r a h m a n e n m o r d ausgegeben, f ü r d e n er o p f e r n u n d a n heiliger S t ä t t e b a d e n m u ß . M a n c h e G r ü b l e r der B r ä h m a n a s k r i t i s i e r t e n j a d e n a l t e n K r i e g e r g o t t Indra.241 I m K a m p f der G ö t t e r u n d W i d e r g ö t t e r ging U s a n a s K ä v y a , der P r i e s t e r d e r W i d e r g ö t t e r , d u r c h I n d r a in V e r s u c h u n g g e f ü h r t , zu d e n G ö t t e r n ü b e r , so d a ß diese siegten. Diese Geschichte, die d e n ö f t e r belegten K a m p f der B r a h m a n e n u n d K s a t r i y a s im j u n g e n K l a s s e n s t a a t illustriert, wird v o n d e m e r z ä h l f r e u d i g e n Verfasser d a m i t a u s g e s c h m ü c k t , wie I n d r a listigerweise h e r a u s f a n d , d a ß die G e w i n n u n g des U s a n a s i h m d e n Sieg b r i n g e n w ü r d e : E r b e l a u s c h t e einen G a n d h a r v e n , m i t dessen F r a u er U m g a n g h a t t e ( I n d r a h a t t e j a m a n c h e Liebesa b e n t e u e r ) ; er v e r a n l a ß t e diese F r a u , ihren M a n n heimlich n a c h d e m M i t t e l z u m Sieg zu f r a g e n . Dieser wollte d a v o n z u e r s t n i c h t l a u t r e d e n , d a m i t es n i e m a n d höre, u n d I n d r a v e r w a n d e l t e sich d a n n in ein Tier u n d lauschte. 2 4 2 Solche G e f a h r des Belauschens königlicher B e r a t u n g e n w a r s p ä t e r d e n S t a a t s lehrern ein P r o b l e m . 2 4 3 E i n weltlicher E r z ä h l e r h ä t t e die Geschichte n i c h t besser a u s m a l e n k ö n n e n . Dagegen stelle m a n die priesterliche n ü c h t e r n e , n i c h t motivierende, a b e r wortreiche D a r s t e l l u n g in d e m M y t h o s , wie die G ö t t e r einst d a s U n w a h r e , die W i d e r g ö t t e r a b e r d a s W a h r e a u f g a b e n . 2 4 4 Z u r H e l d e n s a g e mit m y t h i s c h e n E l e m e n t e n gehören E r z ä h l u n g e n wie die sehr a l t e v o n P u r ü r a v a s u n d seiner M a r t e n e h e m i t U r v a s i ; im B r ä h m a n a ist die P r o s a zu d e m im R g v e d a schon ü b e r l i e f e r t e n Versdialog erhalten. 2 4 5 Sie ist d a n n ziemlich a u s f ü h r l i c h in die Genealogie des h i n d u i s t i s c h e n P u r ä n a eingegangen. 2 4 6 Als eine M a r t e n e h e m u ß wohl a u c h die E h e des B r a h m a n e n K a n v a mit einer A s u r a t o c h t e r gelten; sie gebar i h m z w a r Söhne, verließ ihn, a b e r er g e w a n n sie d a n k der listigen Hilfe der Asvin v o n d e n A s u r a s wieder. 2 4 7 I m B r ä h m a n a s t e h t die älteste F a s s u n g der Geschichte des N a c i k e t a s . Sein V a t e r o p f e r t e all seine H a b e ; der Sohn f o r d e r t e , d a ß d e r V a t e r a u c h ihn (als Teil seiner H a b e ) o p f e r t e , f o r t g e b e u n d f r a g t e ihn, w e m er ihn gebe. D e r V a t e r schwieg z u n ä c h s t , v e r s p r a c h ihn d a n n d e m Tode, Y a m a . N a c h A b s c h l u ß des Allopferritus f o r d e r t e eine S t i m m e den Sohn. D e r V a t e r schickte ihn zu Y a m a , lehrte ihn a b e r zugleich, m i t welchen drei priesterlichen F r a g e n u n d A n t w o r t e n er v o n Y a m a wieder freigegeben werden k ö n n e , u m z u m V a t e r h e i m z u k e h r e n , 8

Huben, Dichtung

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Unvergänglichkeit seiner Opfertaten und Freiheit vom Wiedersterben zu erreichen. So geschah es. 248 Seine Wanderung ins Totenreich mag irgendwie mit der des Gilgamesch und Odysseus zusammenhängen. 2 , 5 9 Die Geschichte wurde später in der metrischen Kathopanisad ausgebaut. 2 5 0 Mit ähnlicher Problematik beginnt die viel behandelte Erzählung (äkhyäna) von Sunahsepa, 2 5 1 im Grunde eine sehr alte indische Variante der Legende Robert des Teufels: 2 5 2 König Hariscandra verspricht, u m einen Sohn zu bekommen, diesen dem Varuna zu opfern, zögert die Gabe dann hinaus, läßt ihn, Rohita, entfliehen Lind jahrelang wandern; Rohita k a u f t schließlich den Brahmanensohn Sunahsepa als Opfer f ü r Varuna an seiner S t a t t ; dieser aber befreit sich auf magische Weise durch Dichten (Schau) rgvedischer Götterbeschwörungen (rc). Diese Geschichte ist berühmt vor allem wegen der in ihr zitierten drei Versgruppen (gäthä) : 2 5 3 1. N ä r a d a belehrt den kinderlosen Hariscandra über die Notwendigkeit und den Nutzen, einen Sohn zu haben, 2 5 4 d. h. im Sohn wiedergeboren zu werden, u m in den Himmel zu gelangen (geht die Seele n u n in den Himmel oder in den Sohn?). 2. I n d r a belehrt Rohita über das Heil des Wanderns, 2 5 5 statt zum Vater heimzukehren. W e r wandert, findet Honig und Feigen; die Äryas begannen ja erst seßhaft zu werden. Dies sind Verse der damals beginnenden Staatslehre. 2 5 6 3. Moralischer Versdialog zwischen dem Weisen Visvämitra, der ihn adoptiert, Sunahsepa und dessen Vater, der bereit gewesen war, den verkauften Sohn beim Opfer zu schlachten. 257 Aus diesser 3. Gruppe klingt noch ein Rest im Bhägavatapuräna 2 5 8 an. I m Mbh X I I I , 3,6ff. ist die Geschichte kurz wiedergegeben, etwas anders in der puranischen Genealogie angedeutet. 2 5 9 I m Mbh und P u r ä n a handelt es sich bei Hariscandra darum, daß er alle Könige der Welt besiegte, ein Räjasüyaopfer vollzog, dabei die Brahmanen, deren N a m e n nicht genannt werden, reich beschenkte (Thema der näräsamsiStrophen, s. o.) und daraufhin nach dem Tode in I n d r a s Himmel gelangte; 2 6 0 dort sah ihn der mythologische Weise Närada als einzigen König unter vielen Brahmanen. 2 6 1 N ä r a d a erzählte dies dem Yudhisthira, u m ihn zu bewegen, ebenfalls ein räjasüya darzubringen. So ist Hariscandra später mit der H a n d l u n g des Epos verbunden worden, er s t a m m t e aber im Unterschied zu den Helden des Mahäbhärata aus der Sonnendynastie, von Iksväku, 2 6 2 und sein Vater Trisanku gelangte durch einen Ritus Visvämitras ebenfalls in den Himmel, und zwar mit seinem Leibe 2 6 3 (eine rgvedische Vorstellung). Aus dieser Dynastie s t a m m t e n ferner Marutta 2 0 4 und Purüravas, die beide in dieser Brähmanaepik eine Rolle spielen, 265 aus ihr s t a m m t e n Trasadasyu und seine Familie, die bereits im R V vorkommt, 2 6 6 wie auch die Gestalt des Sunahsepa, 2 6 7 s t a m m t e aber vor allem R ä m a , der Held des R ä m ä y a n a , während Pariksit, J a n a m e j a y a , Y u dhisthira und Krsna aus der Monddynastie stammen. E s begann damals also bereits das Zusammenwachsen der beiden Stammbäume, das der puranischen Genealogie zugrunde liegt. Wegen dieses berühmten Opfers Hariscandras wurde dessen Geschichte wohl bei der Königsweihe dem Geweihten erzählt, 2 6 8 obgleich das Menschenopfer mit diesem Ritus nichts zu t u n hat. 2 6 9 Sie wurde

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ohne einen Ritus auch als magisches Mittel zur Erlangung eines Sohnes erzählt.270 Priester haben sie wohl aus dem Schatz bardisch-genealogischer Tradition der Sonnendynastie übernommen, sehr trocken nacherzählt,27! aber in sie die drei stark emotionellen Versgruppen eingefügt und mit der anscheinend später hinzugefügten 272 dritten von ihnen die Erzählung endgültig zum äkhyäna gemacht, zum ältesten uns erhaltenen.273 Religionsgeschichtlich und gesellschaftskritisch wichtig ist sie als Dokument eines Falles der Abschaffung des Menschenopfers, eines in späterer indischer Literatur vielfach abgewandelten Themas.274 Sogar unter Santal ist eine Geschichte bekannt geworden, die der des Brähmana erstaunlich ähnlich ist.275 I m Rämäyana aber wird nur die Opferung und Rettung Sunahsepas, nicht die Geschichte Hariscandras und Rohitas erzählt,276 statt derer vielmehr eine des Königs Ambarisa,277 der sich Sunahsepa für ein Opfer kaufte. — Wie die komplizierte Geschichte des Hariscandra, Rohita, Sunahsepa und Visvämitra entstanden ist, ist im einzelnen in dieser Hinsicht der Mythologie bzw. Geschichte noch nicht geklärt; als moralische Dichtung ist sie großartig. An Sunahsepas Geschichte kann man die von Kavasa Ailüsa reihen. Die Brahmanen seiner Gegend sahen in ihm den Sohn einer Sklavin und vertrieben ihn deswegen in die Wüste, damit er verdurste. Dort aber „schaute" er eine rgvedische Beschwörung, mit deren Hilfe die SarasvatI ihn umfloß. Daraufhin erkannten ihn die Brahmanen als ihresgleichen an.278 Eine andere Wundergeschichte eines Brahmanensohnes ist die des Bhrgu.279 Mit dem Wunder der Verjüngung endet die berühmte Geschichte des greisen Waldasketen Cyavana, der ein Nachkomme Bhrgus gewesen sein soll, von den Jungen in der Wandergruppe des Saryäta beleidigt, von diesem selber versöhnt und mit seiner Tochter Sukanyä beschenkt wurde, und den dann die Asvin, die der Sukanyä nachstellten, dank der List dieser gattentreuen jungen Frau, magisch verjüngten. 280 Auch diese schöne märchenhafte und lustige Geschichte ist in ausführlicher Fassung ins Mbh eingegangen,281 ganz kurz aber in die Genealogie des Puräna, und zwar gehört auch sie zur Sonnendynastie, ist Saryäti (!) doch ein Sohn Manus und Bruder Iksväkus, also einer der ältesten mythischen Patriarchen.282 An Sagen über historische Könige ist die über die Landnahme des Mäthava Videgha anzuführen, des Ahnen der Videhas,283 die gesellschaftskritische Anekdote des Atyaräti Jänamtapi, der seinen Brahmanen betrog, die des Tryaruna aus Iksväkus Dynastie, der einen Brahmanenknaben überfuhr, und die des Kutsa, der seinen Hofbrahmanen tötete. 284 Diese kurzen Geschichten kommen weder im Epos noch in der puranischen Genealogie vor.285 Es waren, abgesehen von Tryaruna, sozusagen zeitgenössische Könige, 286 nach Janamejaya regierende, deren Geschichten offenbar schnell vergessen wurden. Die Brähmanas, die von ihnen im Interesse des Brahmanenstandes erzählten, waren im allgemeinen keine literarischen Quellen der hinduistischen Epen oder Puranen (allenfalls einiger didaktischer Partien). Ob solche Geschichten (manchmal abgesehen von Puränas) noch anderweitig tradiert wurden, wissen wir nicht. Anders war es bei den Helden der Vorzeit; deren Taten gehörten der 8*

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Tradition an, der priesterlichen sowohl wie der bardischen, u n d d a d u r c h gelangten sie in die B r ä h m a n a s einerseits, in die spätere E p i k andererseits. Hierher sind auch die Berichte über die großen Dialoge zu stellen etwa des Königs J a n a k a mit dem B r a h m a n e n Y ä j n a v a l k y a , 2 8 7 des Königs Asvapati mit Aruna u n d anderen B r a h m a n e n 2 8 8 u n d des U d d ä l a k a mit Svaidäyana, von denen der eine von den südlichen, der andere von den nördlichen B r a h m a n e n als ihr Vorkämpfer f ü r die Diskussion gewählt worden war. 2 8 9 Man k ö n n t e solche Dialoge aus den älteren brahmodyas, den Rätselfrage- u n d - a n t w o r t s t r o p h e n herleiten, und eine Vierergruppe von je zwei solchen Strophen ritualistischen Inhalts, die J a n a k a u n d Y ä j n a v a l k y a in den Mund gelegt wurden, 2 9 0 scheint das zu bekräftigen. Diese Art Versdialog wird d a n n im hinduistischen Epos fortgesetzt u n d dort öfter als itihäsa purätana bezeichnet. 2 9 1 Aber im allgemeinen h a b e n die Diskussionen priesterlichen I n h a l t s in den B r ä h m a n a s keine Strophen, sondern sie sind Widerspiegelungen der damals üblichen R e d e w e t t kämpfe, eine selbständige, damals neu entstandene literarische F o r m der Prosaepik. Die Könige J a n a k a u n d Asvapati spielen in der Biographie R ä m a s im R ä m ä y a n a als Väter der Sita u n d Kaikeyi eine gewisse Rolle; sie waren eben mehr oder weniger wirkliche Gestalten des heroischen Zeitalters. 2 9 2 Schließlich sei noch kurz auf die literarische F o r m der Parabel hingewiesen, z. B. auf die Geschichte v o m W e t t s t r e i t von R e d e n u n d Denken, welches v o n beiden „besser" sei. 293 Alle diese erzählenden Kapitel in den B r ä h m a n a s werden von individuellen B r a h m a n e n auf G r u n d längerer Tradition in ihre überlieferten F o r m e n gebracht Worden sein, die als schriftstellerische Leistungen so eindrucksvoll waren, daß sie als dogmatisches E r b g u t priesterlicher Schulen durch viele J a h r h u n d e r t e hindurch auswendig gelernt wurden u n d mithalfen, die magische brahmanische Weltanschauung u n d d a m i t auch die stagnierende archaische Gesellschaftsordnung nach K r ä f t e n zu erhalten. Daneben m u ß es auch in dieser Periode eine Fülle von volkstümlichen Märchen, Tierfabeln u n d Sagen ü b e r die älteren Helden der T y p e n des Achill-Krsna-Theseus-Bhlmasena gegeben haben, nicht-priesterliches Erzählgut der Völker. Neben brahmanischer u n d nichtpriesterlicher Epik d ü r f t e es damals aber auch solche von Vorläufern der sozialreligiös-reformerischen Buddhisten u n d Jinisten u n d von den immer noch rätselh a f t e n Vrätyas 2 9 ' 1 gegeben haben. E s scheinen ja seit der Indusgesellschaft Kreise derartiger W a n d e r b e t t l e r (sramanas) gewirkt zu h a b e n .

d) E p i k in d e r P r o s a d e r U p a n i s a d s Die Leiden der Klassengesellschaft veranlaßten ein neues E m p f i n d e n , ließen nicht n u r Erlösungsreligion u n d Philosophie beginnen, sondern gaben auch der L i t e r a t u r eine neue Qualität, der Lyrik wie der Epik, aber wohl k a u m der D r a m a t i k . So setzten die Upanisadverfasser das mythologische T h e m a der Kosmogonie fort, z. B. mit der Hungerkosmogonie des Brähmana,'-' 95 aber bei

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den Philosophen — wie dem Materialisten U d d ä l a k a u n d den Idealisten A j ä t a satru u n d P r a t a r d a n a — wurde kosmogonisches Denken zu naturphilosophischem Grübeln ü b e r den Ursprung der Welt umgedacht u n d dieses a b s t r a k t e D e n k e n mit mehr oder weniger dichterisch ausgemalten Beispielen verständlich gemacht. 2 9 6 Dies wird es sein, was schließlich dahin geführt h a t , daß in der späteren puranischen Genealogie die Kosmogonie zunächst mit Sämkhyaphilosophie dargelegt wird, also philosophisch, dann erst mythologisch mit dem Urwasser u n d dem Ei, aus dem die Welt geschaffen wurde. 2 9 7 Ob die königlichen B a r d e n schon in der I I . Periode so ähnlich gelehrt haben, ist nicht sicher. I h r e damaligen Genealogien d ü r f t e n sich in den vamsas ( S t a m m b ä u m e n ) der brahmanischen Lehrer in gewisser Weise widerspiegeln, die in einer U p a n i s a d in drei Fassungen a n g e f ü h r t werden, allerdings n u r als Namenslisten, die den Anschein erwecken wollen, als h ä t t e die betreffende Lehre jeweils n u r ein einziger Lehrer einem einzigen Schüler mitgeteilt u n d als sei B r a h m a der Urlehrer gewesen. Dabei wird aber auch einmal die Sonne als Lehrer g e n a n n t . E s handelt sich also nicht u m eigentliche Genealogie, sondern u m eine LehrerSchüler-Tradition. 2 9 8 I n analoger Weise b e h a u p t e t K r s n a später in der Bhagavadgitä IV, l f f . , seine Lehre ursprünglich als Visnu der Sonne mitgeteilt zu haben, dieser h a b e sie an Manu, der an I k s v ä k u weitergegeben, so sei sie an königliche Weise gelangt, aber d a n n verlorengegangen. Auch diese Sanktionierung einer religiösen Lehre geht von der Genealogie der Sonnendynastie aus. I n den Upanisads t r e t e n schon einige b e r ü h m t e mythologische Gestalten des späteren hinduistischen E p o s u n d P u r ä n a auf, wie K r s n a , der Sohn der Devak!, 2 9 9 als Schüler des Ghora, 3 0 0 N ä r a d a als Schüler des S a n a t k u m ä r a 3 0 1 u n d B a k a Dälbhya, der Sänger-Priester (udgätr) der L e u t e v o m Naimisawald, 3 0 2 als Lehrer, aber auch der b e r ü h m t e mythologische König der Widergötter, Virocana, als Schüler P r a j ä p a t i s u n d K o n k u r r e n t Indras. 3 0 3 Auch dies sind Bausteine f ü r die R e k o n s t r u k t i o n der Geschichte des hinduistischen Epos. H i n z u k o m m t , d a ß N ä r a d a nach den vier Veden das itihäsa-puräna als f ü n f t e n Veda a n f ü h r t 3 0 4 und d a m i t bezeugt, welch hohe Schätzung die puranische neben der vedischen Tradition damals schon in gewissen Kreisen erfuhr. Diese Stellen besagen aber nicht, daß es damals ein Werk, ein großes Versepos gegeben h a b e ; auch ein Veda war ja kein W e r k in diesem Sinne. E s gab wohl erst epische Lieder. An mehr oder weniger historischen Königen sind neben Asvapati, d e m K ö n i g der Kekayas, u n d J a n a k a , die schon im B r ä h m a n a vorgekommen waren, P r a v ä h a n a , Citra, A j ä t a s a t r u u n d P r a t a r d a n a v o n Käsi zu n e n n e n ; diese h a b e n im M a h ä b h ä r a t a später keine Rolle gespielt. Wohl aber wird im E p o s von einem namenlosen K e k a y a k ö n i g ein itihäsa purätana erzählt, ihn h ä t t e einst ein Räksasa gepackt; da h a b e der König geschildert, wie gerecht es in seinem Reich zugehe, u n d d a r a u f h i n h a b e der D ä m o n ihn losgelassen. I n dieser Schilderung steht eine Strophe, 3 0 5 die fast mit einer Strophe identisch ist, die Asvapati, König der K e k a y a s , in der Upanisad spricht. 3 0 0 U n d im R ä m ä y a n a ist dieser Asvapati mütterlicher Großvater B h a r a t a s , des Bruders R ä m a s . — Von P r a -

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t a r d a n a von Käsi wird im Mbh nur angedeutet, daß er gegen J a n a k a eine Schlacht geschlagen habe und daß er einmal seine Augen, einmal seinen Sohn an Brahmanen geschenkt habe. Dies paßt nicht zum P r a t a r d a n a der Upanisad, der sich seiner Gewaltpolitik rühmte, aber gegen den König seines Vorgängers oder Lehrers Y ä j n a v a l k y a k a u m Krieg geführt haben wird. E s gab wohl mehrere Pratardanas, 3 0 7 wie es mehrere J a n a k a s gab. I n Citras Lehrstück ist besonders poetisch die Schilderung des Weges der Totenseele. 308 Über brahmanische Lehrer werden in den Upanisads mehrere mehr oder weniger märchenhafte, geistreiche und zugleich gesellschaftskritische Anekdoten erzählt, besonders über die Atem-Wind-Magier, die zumeist erst in ihrer Armut verkannt, dann aber anerkannt wurden. So ging es dem armen Raikva, den der Fürst J ä n a s r u t i ausfindig machte, weil er Vogelstimmen verstehen konnte, die ihn an den Weisen verwiesen; er schenkte ihm u. a. ein Dorf und (wie Saryäta dem Cyavana) seine Tochter. 3 0 9 — Usasti zog bettelnd in einer Hungersnot umher, aß Unreines, aber zeigte die Überlegenheit seines Wissens über die Priester eines Fürsten, so daß dieser ihn als seinen Opferpriester einstellte. 310 — Baka Dälbhya wanderte ganz allein, repetierte den Veda und sah eine Schar von H u n d e n u m sich, die ihn baten, ihnen N a h r u n g zu ersingen, und er t a t dies. 311 Er, der Sängerpriester der Leute vom Naimisawald (s. o.), ersang auch diesen ihre Wünsche, denn er „wußte", daß das Hymnensingen der Atem ist. 312 Diese wie Priester singende (und dabei anscheinend von Baka angeleitete) H u n d e gesellschaft ist nicht magisch gemeint wie die Froschsängergruppe im R g v e d a ; 3 1 3 die Geschichte soll die magische Macht des armen Baka zeigen, der es nicht verschmähte, den armen, vom Hindu verachteten H u n d e n mit seiner Magie Speise zu verschaffen. — Satyakäma, erst verkannt wie Kavasa, 3 1 4 wurde von seinem Lehrer, ehe er ihn belehrte, f ü r eine Reihe von J a h r e n als H i r t seiner Rinder in den Wald geschickt, d. h. als K n e c h t ausgebeutet, und dort in seiner Einsamkeit beim abendlichen Feuer von vier Tieren über die vier Viertel des brahman belehrt. Hier beginnt schon fast keimhaft die altindische Waldromantik. 3 1 5 Strahlend kehrte er heim, nachdem er sein Wort wahr gemacht und die Herde auf tausend Rinder vermehrt hat. Die Erzählung ist äußerst k n a p p gehalten, aber m a n kann sich die Andeutungen zu Waldpoesie ausmalen. Satyakäma, d. h. der die Wahrheit liebende, sein Wort wahr machende Brahmane, ist ein Gegenstück zu dem Ksatriya R ä m a , dem Worthaltenden, der vierzehn J a h r e im Walde wanderte; als Hirte ist S a t y a k ä m a zugleich ein Nachfolger Rohitas und Saryätas kurz nach der Seßhaftwerdung der Ärya, aber auch der vorarisch-gentilen Wanderhelden, die im Wald wilde Tiere töteten, während S a t y a k ä m a von ihnen das neue brahman-,,Wissen" lernte. 316 Wieweit die Rämagestalt (neben der Krsnas, s. o.) damals in bardischen Kreisen der Iksväku-Sonnendynastie bereits ausgestaltet worden war, ist noch unbekannt. E s wird über ihn Prosasagen und epische Lieder gegeben haben. — S a t y a k ä m a zögerte seinerseits die Belehrung seines Schülers Upakosala lange J a h r e hinaus, so daß selbst seine F r a u mit dem Jüngling Mitleid hatte, der sehr asketisch lebte, bis die Feuer des Lehrers ihn belehrten. 3 1 7 Hier klingen gesellschafts-

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kritische Töne an wie in gentil-vorarischen Geschichten über schlecht behandelte Knechte oder wie im rgvedischen Gedicht über das Wohltun. 3 1 8 Der Unterschied zwischen arm und reich war eben schon weit älter, aber in brahmanischer Literatur war derartiges an Gesellschaftskritik vorher nicht so wichtig gewesen, hatte z. B. Kavasas Anerkennung als Brahmane angeklungen, 319 und ist selbst in den Upanisads mehr stimmungsmäßig angedeutet als ausgesprochen. Die Atem-Wind-Magier erzählen in mehreren Versionen eine eindrucksvolle Parabel vom Rangstreit der Lebenskräfte, unter denen sich der Atem als der erste, wichtigste erweist, weil nach seinem Auszug aus dem Leibe dieser mit allen anderen Lebenskräften sterben muß, nicht aber, wenn etwa das Sehen auszieht und man nur erblindete 2 0 Diese Parabel setzt sozusagen die Parabeln der Brähmanas 3 2 1 fort, gehört aber andererseits zu der sehr viel älteren ägyptischen gesellschaftlich-konservativen Parabel vom Rangstreit und der Partnerschaft des Kopfes (König), des Magens, Mundes und anderes Gliedes des Leibes (Untertanen). 3 2 2 Etwas wesentlich Neues in der Literatur der Upanisads war die Kunst des Gestaltens großer religiös-philosophischer Dialoge, die weit über das in den Brähmanas Gekonnte hinausgeht. 323 Da fragt den Yäjnavalkya z. B. sein gelehriger Schüler, König Janaka, nach dem Licht des Menschen, und der Weise preist ihm die Sonne, nach deren Untergang den Mond, nach dessen Untergang das Feuer, ist dieses erloschen, die Rede, und wenn diese zur Ruhe gekommen ist, den Geist, das Selbst als das Licht des Menschen, bei dem er wie bei allen anderen sitzt, geht, sein Werk t u t und heimkehrt. 324 Diese knappen Sätze sind sozusagen geladen mit lyrischer Stimmung des abendlichen Übergangs von Tag zu Nacht, vom Handeln zur Ruhe, vom Reden zum Träumen (man denkt an Satyakämas Abende und Visionen im Wald). Es folgt die Gruppe schamanistischer Strophen über die Herrlichkeit des Traumes, 325 und dann weiter die diesseitsflüchtige, die Klassengesellschaft restlos ablehnende Verherrlichung des traumlosen Schlafes, des Todes, der Wiedergeburt und endlich der religiösen Erlösung des von allen Leidenschaften Befreiten. Kein Zweifel, der Mystiker und Idealist war auch ein Dichter, der sich im Kosmos mit seinen Lichtern und im brahman geborgen „wußte". Um seine Worte über den Abend nachempfinden zu können, muß man sich aber unter anderem der damaligen magischen Tradition bewußt sein, die einerseits das Weltbild vertrat, daß die Sonne abends rituell im Feuer zur Ruhe gebettet, am Morgen aus ihm wieder erweckt wird, 326 die aber auch die traditionelle Reihe der drei Lichter Sonne, Mond und Feuer als etwas Selbstverständliches hinnahm, 327 allenfalls noch den Blitz als viertes Licht hinzugesellte. 328 Diese Art Naturlyrik innerhalb der Prosaepik ist aber auch an die Naturlyrik in den Tanzliedern der vorarischen Gentilgesellschaft anzuschließen, die den Untergang der Sonne bedauert und das Aufgehen des Mondes begrüßt. 329 Auch die Seelenwanderungslehre der Upanisads f u ß t ja auf Schamanismus der gentilen Vorärya. Als Yäjnavalkya als alter Mann aus der Gesellschaft in die Heimatlosigkeit zog, sprach er zuletzt mit Maitreyl, einer seiner beiden Frauen, die über das

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brahman reden konnte (d. h. Philosophin war) und nicht sein materielles Erbe antreten wollte, sondern ihn nach der Unsterblichkeit fragte. Dadurch wurde sie dem Gatten noch lieber als vorher, denn, sagte er, nicht als Gattin (als Frau) ist die Gattin dem Gatten lieb, sondern als das Selbst, 330 das Unsterbliche, Eine, Reale, das aber auch Wonne ist (änanda), ein an sich erotisch gemeinter Begriff, den Yäjnavalkya aber in jener Belehrung Janakas mystisch als seliges Einssein mit dem Geist deutete: I m Tiefschlaf ist der Mensch vom Geist umarmt wie von einem lieben Weibe und weiß nichts Äußeres oder Inneres mehr. 331 Dieses ist die höchste aller Wonnen, und von einem Teilchen von ihr leben alle Wesen. 332 Ursprünglich waren Mann und Weib eine Einheit, das Selbst. 333 Und im Tiefschlafbzw. der Erlösung werden sie es wieder. Mag diese Wonnemystik stammen, woher sie mag, vielleicht aus gentilen Fruchtbarkeitsriten, die im Säktismus weiterlebten, 334 hier, bei Yäjnavalkya, ist die primitive Erotik, die u. a. die Lyrik des Rgveda beherrscht hatte, 335 überwunden, und aus seiner Belehrung Maitreyis spricht warme Liebe, die man platonisch zu nennen geneigt ist, die aus den geradezu dichterischen Worten dieses Greises klingt, aber doch allgemein etwas Neues andeutet, als wenn hier wahre Liebe über gentile Erotik hinausginge so, wie damals Erlösungsreligion und Philosophie über gentile magisch-mythologische Weltanschauung hinausgingen. Der Mystiker dieser beiden Dialoge mit dem König und mit der Frau war ein Dichter, dem man auch die Strophen am Ende der großen Diskussion gegen neun Gegner zutrauen kann. 336 Mag der Name Yäjnavalkya ursprünglich einem Ritualisten der Brähmanas gehört haben und diesem Mystiker und Dichter der Upanisad nur fälschlich beigelegt worden sein, 337 wie im Mbh X I I , 298—306 wiederum ein Yäjnavalkya den König Janaka über weit spätere Philosophie, die des epischen Sämkhya-Yoga, belehrt, mag es eine Reihe von Yäjnavalkyas wie eine solche von Janakas vonVideha gegeben haben — der Redaktor der Brhadäranyakopanisad fand Bruchstücke dieser großen religiös-idealistisch-dichterischen Persönlichkeit vor und erhielt sie bis auf unsere Tage. Sein Gegner, der Materialist Uddälaka, war dagegen ein wissenschaftlich eingestellter Denker.

4. Dramatik

(Kultdramen)

An das Ende dieser II. Periode kann man die ältesten, uns durch Zufall erhaltenen Zeugnisse für die vielleicht an sich viel älteren vedischen Kultdramen setzen, die als eine Art Vorläufer der späteren Dramen gedeutet worden sind. I m verhältnismäßig späten J B II, 405 wird kurz geschildert, daß bei der Mahävratuzeremonie, 338 einer Art Sonnenwendfest, ein Ärya und ein Südra um ein Stierfell streiten, wobei der Ärya siegt; der Ärya steht innerhalb, der Südra außerhalb der Vedi (Stätte der Opferfeuer). Dieses weiße, runde Fell galt als Symbol der Sonne. Dazu wird auf den Mythos hingewiesen, daß einst die Götter und die Widergötter um die Sonne stritten. Es wird aber nicht berichtet, daß

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brahman reden konnte (d. h. Philosophin war) und nicht sein materielles Erbe antreten wollte, sondern ihn nach der Unsterblichkeit fragte. Dadurch wurde sie dem Gatten noch lieber als vorher, denn, sagte er, nicht als Gattin (als Frau) ist die Gattin dem Gatten lieb, sondern als das Selbst, 330 das Unsterbliche, Eine, Reale, das aber auch Wonne ist (änanda), ein an sich erotisch gemeinter Begriff, den Yäjnavalkya aber in jener Belehrung Janakas mystisch als seliges Einssein mit dem Geist deutete: I m Tiefschlaf ist der Mensch vom Geist umarmt wie von einem lieben Weibe und weiß nichts Äußeres oder Inneres mehr. 331 Dieses ist die höchste aller Wonnen, und von einem Teilchen von ihr leben alle Wesen. 332 Ursprünglich waren Mann und Weib eine Einheit, das Selbst. 333 Und im Tiefschlafbzw. der Erlösung werden sie es wieder. Mag diese Wonnemystik stammen, woher sie mag, vielleicht aus gentilen Fruchtbarkeitsriten, die im Säktismus weiterlebten, 334 hier, bei Yäjnavalkya, ist die primitive Erotik, die u. a. die Lyrik des Rgveda beherrscht hatte, 335 überwunden, und aus seiner Belehrung Maitreyis spricht warme Liebe, die man platonisch zu nennen geneigt ist, die aus den geradezu dichterischen Worten dieses Greises klingt, aber doch allgemein etwas Neues andeutet, als wenn hier wahre Liebe über gentile Erotik hinausginge so, wie damals Erlösungsreligion und Philosophie über gentile magisch-mythologische Weltanschauung hinausgingen. Der Mystiker dieser beiden Dialoge mit dem König und mit der Frau war ein Dichter, dem man auch die Strophen am Ende der großen Diskussion gegen neun Gegner zutrauen kann. 336 Mag der Name Yäjnavalkya ursprünglich einem Ritualisten der Brähmanas gehört haben und diesem Mystiker und Dichter der Upanisad nur fälschlich beigelegt worden sein, 337 wie im Mbh X I I , 298—306 wiederum ein Yäjnavalkya den König Janaka über weit spätere Philosophie, die des epischen Sämkhya-Yoga, belehrt, mag es eine Reihe von Yäjnavalkyas wie eine solche von Janakas vonVideha gegeben haben — der Redaktor der Brhadäranyakopanisad fand Bruchstücke dieser großen religiös-idealistisch-dichterischen Persönlichkeit vor und erhielt sie bis auf unsere Tage. Sein Gegner, der Materialist Uddälaka, war dagegen ein wissenschaftlich eingestellter Denker.

4. Dramatik

(Kultdramen)

An das Ende dieser II. Periode kann man die ältesten, uns durch Zufall erhaltenen Zeugnisse für die vielleicht an sich viel älteren vedischen Kultdramen setzen, die als eine Art Vorläufer der späteren Dramen gedeutet worden sind. I m verhältnismäßig späten J B II, 405 wird kurz geschildert, daß bei der Mahävratuzeremonie, 338 einer Art Sonnenwendfest, ein Ärya und ein Südra um ein Stierfell streiten, wobei der Ärya siegt; der Ärya steht innerhalb, der Südra außerhalb der Vedi (Stätte der Opferfeuer). Dieses weiße, runde Fell galt als Symbol der Sonne. Dazu wird auf den Mythos hingewiesen, daß einst die Götter und die Widergötter um die Sonne stritten. Es wird aber nicht berichtet, daß

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bei diesem Sonnenwendfest der Ärya die Rolle eines der Götter spielte, der Südra die eines Widergottes im Streit um die Sonne, diese den Weltlauf regelnde Gottheit. Ob die beiden Männer dazu sprachen, ist nicht überliefert. E s handelt sich also nicht sicher u m die A u f f ü h r u n g eines eigentlichen K u l t d r a m a s d u r c h Schauspieler, vielleicht u m P a n t o m i m e n oder, weil nichts anderes gesagt ist, u m irgendeinen B r a h m a n e n u n d einen Südra, die ihre S t ä n d e v e r t r a t e n . Die Ärya u n d Südras beanspruchten die Sonne f ü r sich. Wieweit m a n dieses ausdeuten, soll u n d darf, ist schwer zu sagen. Die Sonne, Vivasvän, galt den Ärya als der Vater des Manu u n d d a m i t als der U r a h n der Menschen, zumindest derer der Sonnendynastie. Aber auch die Südras, die unterworfenen Munda, verehrten ihren Sonnengott als den höchsten Gott, 3 3 9 u n d R ä m a , der hinduistische H a u p t h e l d der Sonnendynastie, ist vermutlich mundaischen U r sprungs. 3 ' 10 Wie dem auch sei, der K a m p f des Ärya u n d des Südras u m die Sonne beim Sonnenwendfest p a ß t in diese Periode der U n t e r w e r f u n g der vorarischen Gentilgesellschaft entlang der Gangä, setzt die Klassengesellschaft v o r a u s u n d billigt sie. Ob ihm ein entsprechender Ritus in der I . Periode vorangegangen war, wissen wir nicht. Wie dieser K a m p f a u s g e k ä m p f t wurde, ist nicht überliefert; vermutlich zerrten beide Männer a m Fell, bis der Ärya es in die Yedl hineinzog; es mag eine ziemlich wüste, mimusartige Prügelszene auf d e m H i n t e r g r u n d eines mythischmagischen K u l t d r a m a s gewesen sein, analog der anderen Prügelszene im etwas jüngeren, oder zumindest etwas später belegten unmythologischen Mimus 3 ' 1 1 des Somakaufs a m Anfang der Somapressung. Da feilscht der adhvaryu-Priester mit einem Somahändler u m den Preis des Sorna, zahlt ihm Gold, n i m m t ihm dieses aber a m E n d e z u s a m m e n mit dem Sorna wieder ab, u n d zwar mit Gewalt, während der H ä n d l e r j a m m e r t oder sich s t r ä u b t , geprügelt u n d vertrieben wird 342 . — Die Somapflanze m u ß t e aus den afghanischen Bergen bis ins östliche Gangägebiet geschafft werden; die H ä n d l e r waren vielleicht Panis oder andere, den Ärya Verhaßte, Südras. Man h a t verm u t e t , daß der Somahandel hier die mythische Gewinnung des Sorna v o n den Gandharven wiedergibt, der Händler, ein Südra, dabei die Rolle sozusagen des d u m m e n Teufels der christlichen Mysterienspiele gespielt hat. 3/13 Vielleicht spielte ein Südra wirklich die Rolle des H ä n d l e r s u n d ein B r a h m a n e , kein Schauspieler, die des Priesters, so daß auch hier der Charakter der A u f f ü h r u n g unsicher ist. Man k a n n hier vielleicht von besonderen vedischen Varianten des mythologischen K u l t d r a m a s u n d der lustigen Mimesis des Lebens, beide mit d e m Mimuselement der Prügelei, sprechen. Bei jenem Sonnenwendfest f a n d im Z u s a m m e n h a n g d a m i t auch die rituelle P a a r u n g eines Mägadha mit einer Dirne statt. 3 4 4 Später waren die Mägadhas eine Art Barden, wurden aber damals vielleicht als Eingeborene zu den Südras gerechnet. I n späterer Darstellung dieses R i t u s ist a n dessen Stelle zunächst ein Brahmanenschüler getreten, der an sich keusch zu leben h a t t e u n d d a m i t das Erregende dieser Szene v e r s t ä r k t e : E r stritt sich schimpfend mit der Dirne vor dem rituellen K o i t u s des Mägadha mit ihr. 3 4 3 Ob auch diese zwei oder drei

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Menschen Rollen mythologischer Größen spielten, ist nicht angedeutet. I n allen drei Fällen aber liegen also gewisse Kultdramen mit starken Elementen des Mimus vor, aber nicht sicher Ansätze des klassischen Dramas. Beim Sonnenwendfest gab es schließlich allerhand Musik, u. a. Chorgesang von Frauen mit Lautenbegleitung, und Mädchen sangen einen Regenzauber. 346 Dabei ist es absolut nicht nötig, anzunehmen, daß diese Kultdramen etwa gleichzeitige weltliche Dramen widergespiegelt hätten. Aber neben diesen arischen Kultdramen hat es sicher solche der vorarischen Gentilgesellschaft gegeben, 347 die mit den arischen keinerlei Zusammenhang gehabt haben werden. In ihnen spielten in der Tat Menschen die Rollen von Göttern. Etwas Ähnliches könnte an sich auch in anderen, uns nicht bezeugten Kultdramen innerhalb des Brähmanarituals der Fall gewesen sein. Nun wird beim Menschenopfer 348 unter vielen Berufen, wie z. B. dem des süta, auch ein sailüsa aufgeführt; unter ihm versteht man einen Tänzer oder Schauspieler. 349 Die Etymologie dieses Wortes ist noch ungeklärt, aber wenn sie mit silä = Fels zusammenhängen sollte, könnte man in diesem Tänzer eine Variante des nata sehen, des vorarisch-gentilen Tänzers auf dem zwischen zwei Felsen ausgespannten Seil, der die Rolle Sivas spielte, des (oder eines) Vorläufers des hinduistischen natas, d. h. des Schauspielers. 350 Ist der nata und sein Gott, Siva, der natesvara, auch vorarisch, 351 sein Name ist irgendwie auch mit dem rgvedischen nrtu zusammenzubringen, dem Tänzer Indra und der Tänzerin Ushas. 352 Alle diese frühen Gesellschaften tanzten. Daß aber die Sailüsas ein Kultdrama aufgeführt hätten, ist nicht gesagt. Bei beiden brahmanischen Kultdramen ist noch anzumerken, daß der verprügelte Südra oder sein nichtpriesterliches Gegenstück irgendwie ein mimusartiger Vorläufer des späteren vidüshaka, der komischen Person des Dramas gewesen sein kann. Gewiß war der Sieg des Ärya über ihn kultisch-ernst gemeint, 353 aber die Prügelei wirkte zugleich roh-komisch-verächtlich. Schon innerhalb eines solchen magischen Kultdramas mit seiner mythischen Symbolik beginnt, wie auch sonst, so auch in Indien das Parodistische, eine gewisse kritische Widerspiegelung der Wirklichkeit, die Mimesis, und zwar im Sinne der Brahmanen, der Ärya, der herrschenden Klasse, also nicht unbedingt fortschrittlich. Die rituelle Paarung beim Sonnenwendfest ist sozusagen ein dionysisches Element, aber sie ist kein Mysterienspiel, und es ist nicht sicher, daß sie mit Saktismus 3 5 4 zusammenhängt, der in der Klassengesellschaft ein wohl im Keim vorarischer Geheimkult war, vielleicht ein Kult der Mägadhas. Beim späteren altindischen Drama deutet j a auch nichts auf die Herkunft aus einem Mysterienspiel hin. Auch der Chor der Sängerinnen gehört nicht mit Sicherheit zu den Voraussetzungen des späteren Dramas, das keinen Chor kannte. E r mag letztlich indoeuropäische Wurzeln haben, mag aus uralten magischen Schichten stammen, die man volkstümlich 355 zu nennen pflegt, weil sie im Rgveda nicht, und in den Brähmanas nur selten vorkommen; er mag zu einem Jahreszeitenfest 3 5 6 der indoeuropäischen Gentilzeit gehören, das mit dem vedischen Sonnenwendfest einerseits, dem vielleicht erst hinduistischen Indrabannerfest mit

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seiner indischen Variante des Maibaums andererseits zusammenhängen mag, an dem der späteren indischen Tradition entsprechend das erste Drama und dann das Drama überhaupt aufgeführt wurde. 357

5. Inder und Griechen Der Vergleich der indischen und griechischen Literatur dieser Periode ist kompliziert. Aus Griechenland ist uns im Unterschied zu Indien auf dem Gebiet der Lyrik eine Reihe von Fragmenten großer Dichterpersönlichkeiten erhalten, die aus aristokratischen Kreisen stammten und in gewissem Sinne Nachfahren alter Helden, wie des zur Leier singenden Achill, 358 waren, während es, abgesehen von fraglichen orphischen Fragmenten, keine Reste damaliger priesterlicher Dichtung gibt. Es gab ja kein griechisches Analogon zu den Brahmanen. Aber die Schrift konnte damals im Gegensatz zu Indien schon Lyrik einzelner Dichter festhalten. Diese aristokratischen Dichter nahmen an den sozialen Kämpfen ihrer Zeit meist lebhaften Anteil und trugen in ihrer Weise mit ihrem Dichten zum Ausbau der Demokratie und zur Bildung entsprechender Persönlichkeiten bei. Demgemäß treten uns im Griechenland des 7. Jahrhunderts schon individuelle Dichter entgegen, wie z. B. Archilochos, der in einem Fragment die Sonnenfinsternis von 648 v. u. Z. als Wunder pries, in einem anderen auf eine Tierfabel 359 anspielte, auf seine nicht zustandegekommene Hochzeit mit Lykambe, auf sein begeistertes Kriegertum, auf Seefahrt und Trinkgelage; jedes Wort ist von persönlichem Leben erfüllt. E r sang aber auch, vom Weine begeistert, zur Flöte einen Dithyrambos auf Dionysos, wohl als Führer eines Chors, der seine Strophen mit einem Refrain beschloß; dabei hatte er, wie man annimmt, eine Art priesterlicher Funktion und verkörperte den Gott. 360 E r war ein ungefährer Zeitgenosse des Leierspielers Arion, der den dionysischen Dithyrambus erfunden haben soll, 361 aber auch des Semonides, dessen Gedicht fatalistischen Pessimismus zum Ausdruck bringt. Dieser ist analog der Unsterblichkeitssehnsucht, die in einigen Brähmanas anklingt; wie diese in den Upanisads zur Erlösungsreligion führte, 3 6 2 so hängt Semonides' Pessimismus vielleicht mit Orphik zusammen. I n das 7. Jahrhundert v. u. Z. gehört schließlich Tyrtaios, der analog indischer Kriegslyrik 363 die jungen Spartiaten für den Messenischen Krieg begeisterte, aber auch für die Wohlgesetzlichkeit (eunomia) im Frieden; er war damit ein Analogon zur Verherrlichung des beginnenden dharma26i in Upanisads. An den Anfang des 6. Jahrhunderts gehört dann Solon, der als Dichter Rechenschaft ablegte über seine Tätigkeit als Reformer des Schuldrechts im Kampf der Parteien, als Begründer der athenischen Demokratie. Um 600 dichtete Alkaios, begeistert über den Mord am Tyrannen Myrsilos; er verfaßte ein Buch Bürgerkampfgedichte, ein Buch Götterhymnen, aber auch Naturlyrik und Trinklieder. E r soll Sappho verehrt haben, die Dichterin der Liebe, der der Indologe allenfalls Philosophinnen wie Gärgl, der Gegnerin Yajñavalkyas, und Maitreyi, dessen Gattin, als indische Analoga gegenüber-

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seiner indischen Variante des Maibaums andererseits zusammenhängen mag, an dem der späteren indischen Tradition entsprechend das erste Drama und dann das Drama überhaupt aufgeführt wurde. 357

5. Inder und Griechen Der Vergleich der indischen und griechischen Literatur dieser Periode ist kompliziert. Aus Griechenland ist uns im Unterschied zu Indien auf dem Gebiet der Lyrik eine Reihe von Fragmenten großer Dichterpersönlichkeiten erhalten, die aus aristokratischen Kreisen stammten und in gewissem Sinne Nachfahren alter Helden, wie des zur Leier singenden Achill, 358 waren, während es, abgesehen von fraglichen orphischen Fragmenten, keine Reste damaliger priesterlicher Dichtung gibt. Es gab ja kein griechisches Analogon zu den Brahmanen. Aber die Schrift konnte damals im Gegensatz zu Indien schon Lyrik einzelner Dichter festhalten. Diese aristokratischen Dichter nahmen an den sozialen Kämpfen ihrer Zeit meist lebhaften Anteil und trugen in ihrer Weise mit ihrem Dichten zum Ausbau der Demokratie und zur Bildung entsprechender Persönlichkeiten bei. Demgemäß treten uns im Griechenland des 7. Jahrhunderts schon individuelle Dichter entgegen, wie z. B. Archilochos, der in einem Fragment die Sonnenfinsternis von 648 v. u. Z. als Wunder pries, in einem anderen auf eine Tierfabel 359 anspielte, auf seine nicht zustandegekommene Hochzeit mit Lykambe, auf sein begeistertes Kriegertum, auf Seefahrt und Trinkgelage; jedes Wort ist von persönlichem Leben erfüllt. E r sang aber auch, vom Weine begeistert, zur Flöte einen Dithyrambos auf Dionysos, wohl als Führer eines Chors, der seine Strophen mit einem Refrain beschloß; dabei hatte er, wie man annimmt, eine Art priesterlicher Funktion und verkörperte den Gott. 360 E r war ein ungefährer Zeitgenosse des Leierspielers Arion, der den dionysischen Dithyrambus erfunden haben soll, 361 aber auch des Semonides, dessen Gedicht fatalistischen Pessimismus zum Ausdruck bringt. Dieser ist analog der Unsterblichkeitssehnsucht, die in einigen Brähmanas anklingt; wie diese in den Upanisads zur Erlösungsreligion führte, 3 6 2 so hängt Semonides' Pessimismus vielleicht mit Orphik zusammen. I n das 7. Jahrhundert v. u. Z. gehört schließlich Tyrtaios, der analog indischer Kriegslyrik 363 die jungen Spartiaten für den Messenischen Krieg begeisterte, aber auch für die Wohlgesetzlichkeit (eunomia) im Frieden; er war damit ein Analogon zur Verherrlichung des beginnenden dharma26i in Upanisads. An den Anfang des 6. Jahrhunderts gehört dann Solon, der als Dichter Rechenschaft ablegte über seine Tätigkeit als Reformer des Schuldrechts im Kampf der Parteien, als Begründer der athenischen Demokratie. Um 600 dichtete Alkaios, begeistert über den Mord am Tyrannen Myrsilos; er verfaßte ein Buch Bürgerkampfgedichte, ein Buch Götterhymnen, aber auch Naturlyrik und Trinklieder. E r soll Sappho verehrt haben, die Dichterin der Liebe, der der Indologe allenfalls Philosophinnen wie Gärgl, der Gegnerin Yajñavalkyas, und Maitreyi, dessen Gattin, als indische Analoga gegenüber-

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stellen k a n n , denn b e r ü h m t e Dichterinnen sind uns aus dem damaligen Indien so wenig bezeugt wie solche vielseitige, persönliche, leidenschaftliche Lyrik ü b e r h a u p t . J a , es scheint sehr zweifelhaft, daß es sie in Indien gegeben h a t . Der beginnende Despotismus u n d die Vorherrschaft des B r a h m a n e n s t a n d e s ließen neben Priesterdichtern zwar B a r d e n als Dichter zu, aber vermutlich keine solchen Persönlichkeiten, wie die griechische Polis sie auf d e m Wege zur Demokratie hervorbrachte. Natürlich k ö n n t e in Indien das Fehlen des Gebrauchs der Schrift f ü r literarische Zwecke Vorhandenes haben untergehen lassen. Welche Organisation h ä t t e aber solche persönlichen Dichtungen durch Auswendiglernen der Nachwelt zu erhalten genügendes Interesse gehabt? Selbst die homerischen H y m n e n , die in diese Zeit gehören, sind ja deutlich von ihren etwas älteren indischen Analoga, den „ H y m n e n " des R g v e d a , zu unterscheiden. 3 6 5 E s gibt auch kein indisches Analogon zu Hesiods Epik, selbst wenn er Einzelheiten mit indischer Mythologie gemeinsam hat. 3 0 0 Die Entwicklung der E p e n H o m e r s k a m in dieser Periode z u m Abschluß. Peisistratos, der 528 starb, ließ sie a m A n f a n g der nächsten Periode, sagt die Tradition, aufzeichnen, so d a ß sie von da an im wesentlichen ihre F o r m behielten. Die hinduistischen E p e n aber haben damals anscheinend noch nicht zu existieren begonnen; es gab vermutlich n u r kurze epische Gedichte ü b e r Könige des „heroischen" Zeitalters bis auf J a n a m e j a y a . Diese, auf alte Helden, sie idealisierend, zurückblickende, nicht mehr gegenwärtige H e l d e n t a t e n preisende Epik gehört einer Stufe an, die m a n f ü r die vielleicht gleichzeitige griechische Epik v o m Anfang der Periode annimmt, 3 6 7 n u r freilich nicht mit T e x t e n belegen k a n n . Diese indische E p i k handelte aber nicht von R ä m a , Bhimasena oder Yudhisthira, vielleicht von K r s n a . K e i n indischer Barde h a t solche Lieder aufgeschrieben, kein griechischer Barde h a t ü b e r h a u p t epische Lieder geschrieben. Noch h a t t e n die B a r d e n Indiens offenbar d a r a n ein Interesse, ihre Liedepik, improvisiert wie sie wohl war, als ihr geistiges E i g e n t u m mündlich weiter zu pflegen, s t a t t es, in Schrift niedergelegt, erstarren zu lassen, noch lebten in Indien Sonnen- u n d Monddynastie f o r t u n d erhielten auch ihre Epik lebendig. Wie das E n d e der E p e n , so ist der Anfang des D r a m a s in Griechenland mit d e m N a m e n Peisistratos verbunden. I m J a h r e 534, d. h. kurz nach d e m E n d e unserer I I . Periode, soll auf dem Festplatz des Dionysos in A t h e n Thespis mit seinem K a r r e n das erste D r a m a a u f g e f ü h r t h a b e n ; er war nach Aristoteles der erste Schauspieler, der sich aus d e m Vorsänger des D i t h y r a m b o s entwickelt h a t . Der Vorsänger in der Maske des Dionysos mimte in einem Dialog mit dem Chor der Böcke (tragoi) die Leidensgeschichte des Dionysos. Dies war ein kultisches D r a m a , hervorgegangen aus einem Dionysosmysterium, ein Passionsspiel, K e i m der Tragödie sowohl wie der Komödie, a u f g e f ü h r t dank Peisistratos beim Frühlingsanfang E n d e März in einem fünftägigen Fest nach einer feierlichen Prozession z u m Altar des Gottes in der Mitte der Orchestra des Theaters. 3 6 8 Dieses Frühlingsfest als Zeit des ersten noch sehr kultisch b e s t i m m t e n D r a m a s in A t h e n ist das Analogon zum I n d r a b a n n e r f e s t Indiens, das uns leider

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n i c h t alt b e z e u g t ist, 3 0 9 d a s a b e r s p ä t e r im F r ü h j a h r gefeiert w u r d e , u. a. d a m i t , d a ß m a n a u s d e m W a l d einen B a u m holte u n d aufstellte, eine Sitte, die als M a i b a u m noch h e u t e ü b e r weite Teile E u r o p a s v e r b r e i t e t u n d im K e r n wohl indoeuropäisch ist. 3 7 0 D a s E r r i c h t e n eines solchen B a u m e s g e h ö r t e s p ä t e r n o c h z u m rituellen Vorspiel des klassischen indischen D r a m a s , a b e r nicht z u m K u l t u n d D r a m a des Dionysos. Zugleich w u r d e in I n d i e n erzählt, d a ß d a s erste D r a m a (wir wissen n i c h t , w a n n ) a n einem solchen F e s t a u f g e f ü h r t w o r d e n sei. 371 Dieses w ü r d e also der E n t w i c k l u n g s s t u f e des Thespis analog sein. F ü r d a s griechische D r a m a ist d a s Frühlingsfest einleuchtend, d e n n es p a ß t zu Dionysos, m a g dieser G o t t a u c h nicht indoeuropäisch sein; dessen u r s p r ü n g l i c h b ä u e r lichen K u l t h a t Peisistratos zweifellos aus politischen G r ü n d e n in die z u r D e m o k r a t i e hin sich e n t w i c k e l n d e S t a d t A t h e n v e r p f l a n z t . Zwischen d e m o b e n e r w ä h n t e n altindischen ä l t e s t e n überlieferten b r a h m a n i s c h e n K u l t d r a m a a m S o n n e n w e n d f e s t der I I . P e r i o d e 3 7 2 u n d d e m voll e n t w i c k e l t e n klassischen D r a m a a m F r ü h l i n g s f e s t mit d e m M a i b a u m der V. P e r i o d e ist a b e r ein Z u s a m m e n h a n g n o c h n i c h t einsichtig. E h e r k o m m e n vorarisch-gentile K u l t d r a m e n als K e i m e des altindischen D r a m a s in F r a g e . D a s V e r p r ü g e l n des S ü d r a , d. h . des u n t e r w o r f e n e n M u n d a b a u e r n , in diesem m i m o s a r t i g e n b r a h m a n i s c h e n K u l t d r a m a war ein S y m b o l des d a m a l i g e n Sieges ü b e r die v o r a r i s c h e n B a u e r n m a s s e n , w ä h r e n d d a s kultische E n t g e g e n k o m m e n des P e i s i s t r a t o s d e n B a u e r n gegenüber mit d e m dionysischen P a s s i o n s s p i e l c h a r a k t e r d e r T r a g ö d i e eher d a m i t in Analogie gesehen werden k a n n , d a ß K ö n i g e es wareru, die d a m a l s a u s politischen G r ü n d e n in I n d i e n W i e d e r g e b u r t s l e h r e u n d S c h a m a n i s m u s v o n den M u n d a ü b e r n a h m e n . W i e d e m a u c h sei, es scheint, d a ß die dionysischen bzw. gentil-vorarischen K u l t d r a m e n in beiden Gesellschaften n i c h t a u s derselben indoeuropäischen W u r z e l abzuleiten sind, selbst w e n n beide D r a m e n bei Frühlingsfesten aufgeführt wurden. B e i m b r a h m a n i s c h e n S o n n e n w e n d f e s t t r a t e n singende M ä d c h e n a u f , u n d ihr R i t u s , W a s s e r ins F e u e r zu gießen, k ö n n t e , d a er a u c h in europäischer F o l k l o r e weit v e r b r e i t e t ist, im G r u n d e indoeuropäisch sein. 3 7 3 Dieser M ä d c h e n c h o r h a t a b e r historisch n i c h t s m i t d e m dionysischen F r a u e n - T h i a s o s 3 7 4 zu t u n , d e r als V o r l ä u f e r des D i t h y r a m b u s a n z u n e h m e n ist, u n d a u c h n i c h t s m i t d e m indischen D r a m a . E b e n s o w e n i g h a b e n die komischen, m a s k i e r t e n T ä n z e r 3 7 5 d e r G o n d historisch e t w a s m i t d e m dionysischen Jcömos oder d e m indischen D r a m a zu t u n . E s h a n d e l t sich hier n u r u m sehr alte typologisch analoge E r s c h e i n u n g e n ; a b e r d a s indische D r a m a h a t keinen Chor u n d keine Maske, u n d es ist a u s ganz a n d e r e n K u l t d r a m e n , wie z. B. d e n e n im v o r a r i s c h e n K u l t des Siva, des H e r r e n der T ä n z e r , aus d e m gentil-vorarischen K u l t d r a m a , u n d wer weiß a u s w e l c h e m sonst noch, z u m Teil vielleicht a u s j e n e m b r a h m a n i s c h e n K u l t d r a m a e n t s t a n d e n . D a s indische D r a m a s t a m m t a b e r nicht v o n Mysterienspielen a b , es ist k e i n e Tragödie, u n d es ist erst wesentlich s p ä t e r als d a s griechische D r a m a , d a s in unsere I I I . Periode gehört, e n t s t a n d e n , n ä m l i c h erst in d e r V. Periode, k u r z v o r der indischen Klassik. Die Vorstufe, das K u l t d r a m a , a b e r wird f ü r beide Gesells c h a f t e n u n g e f ä h r f ü r die gleiche Zeit, f ü r unsere I I . Periode, b e z e u g t . Wie b e i m

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Epos war auch beim Drama die Entwicklung in Indien dann wesentlich langwieriger als in Griechenland, und das gilt im großen ganzen auch für die Lyrik, denn Lyrikerpersönlichkeiten wie Amaru und Häla sind erst ebenso spät bezeugt wie die Epen und Dramen in Indien. Man hat die Dialoge in der Prosaepik der Upanisads als indisches Gegenstück zu den platonischen Dialogen bezeichnet, „in ähnlicher Distanz wie die Bharhutskulpturen von denen des Parthenon", als sehr einfache Schilderungen, knappe unbeholfene Zeichnungen. 376 Dieser Vergleich ist aber nicht gerecht. 377 Man könnte Upanisad-Dialoge allenfalls mit gleichzeitigen der ionischen Naturphilosophen vor Heraklit vergleichen, wenn es solche gäbe. Eher kann man die Einleitung in die Philosophie des Parmenides, die kurze epische Dichtung, wie die Töchter des Sonnengottes ihn auf einer F a h r t zur Göttin geleiten, die ihm sein Weltbild offenbaren wird, 378 mit einer Strophengruppe vergleichen, die im Satapathabrähmana X I , 5, 512 zitiert wird: Die Weisen haben mit vier angeschirrten Rossen das Dunkel hinter sich gelassen; 379 nur handelt es sich hier noch um ritualistischen, nicht philosophischen Inhalt der Lehre; das Brähmana ist ja wiederum älter als Parmenides, wenn man auch noch nicht sagen kann, wieviel älter. Die Dialogform an sich ist für die junge Philosophie so passend, daß man sie nicht aus älteren, indoeuropäischen Literaturformen wie etwa dem Rätselwettkampf herzuleiten braucht, sondern in Indien und Griechenland als typologisches Analogon einschätzen wird, vermutlich unabhängig von den damaligen Kultdramen. Und auch die epischen Einkleidung weltanschaulicher Gedanken ist wohl analoger Entwicklung entsprungen, wenn man auch die Gründe hierfür noch nicht angeben kann.

III. Periode: Dichtung in den Jahrhunderten des sich herausbildenden Großreichs (550-325 v.u. Z.)

1. Lyrik a) Allgemeine Vorbemerkungen Wie aus der I. und I I . Periode sind auch aus der I I I . nur religiöse Gedichte und Lieder, insbesondere buddhistische durch gläubig-schulmäßiges Auswendiglernen der Nachwelt mehr oder weniger treu überliefert worden, 1 es muß aber damals daneben auch weltliche Poesie gegeben haben. Und außer der uns allein erhaltenen Lyrik in Päli, oder genauer: Ardhamägadh! (s. gleich), muß es auch Lyrik in Sanskrit gegeben haben, in der literarisch verwendeten Sprache der gebildeten Hindus, die von den höheren Schichten von damals an nur schulmäßig gelernt werden konnte. Schließlich gab es Volks- und gentile Dichtung in Sanskrit und in den Sprachen der vorarischen Gentilgesellschaften, die als Südras und Mischkasten teilweise in die Klassengesellschaft eingingen. 2 Päli aber war nicht die Sprache der Volksmassen, sondern die buddhistischen Texte waren damals in volkstümlicher Ardhamägadh! verfaßt und wurden erst später in Päli übersetzt. Sie waren in gewissem Maße volkstümlich, d. h. sozial-religiös-reformerisch, zugleich aber waren sie das Werk gelehrter Mönche, die im Gegensatz zu den Brahmanen und deren Bildung standen. Der Unterschied der vorarisch-gentilen Sprachen, der arischen Volkssprachen, der literarisch ausgebildeten Volkssprachen und dem Sanskrit der Gebildeten bzw. Gelehrten und der darin abgefaßten Literaturen (nicht nur der Lyrik) blieb von damals an bis zum Kapitalismus bestehen, bzw. bis der Islam das Persisch nach Indien brachte. Der alte Fauchausdruck gäthä3 — nicht etwa rc — wurde damals von den Buddhisten beibehalten, z. B. in der kanonischen Sammlung der „gäthäs (Lieder) der Mönche und Nonnen", mit welchem Recht, ist ein Problem. Diese Sammlung ist innerhalb des Pälikanons ein Teil des Khuddakanikäya, der „Sammlung der kleinen Stücke", im Unterschied zu den vier Sammlungen der größeren Lehrstücke, die alle fünf zusammen das Suttapitaka ausmachen. Zur „Sammlung der kleinen Stücke" gehören ferner die Jätakas, der Dhammapada, das Udäna, Teile des Suttanipäta und andere Sammlungen, 4 alle voll von Dokumenten damaliger schöner Literatur. Später hieß es, daß Buddha selber mittels gäthäs, J ä t a k a s und anderer Literaturgattungen gelehrt habe 5 , und insbesondere die Verse galten als kanonisch, waren sie doch gegen Verderbnis durch bloß mündliche Überlieferung besser geschützt als die Prosa. Dieses Verhältnis ist ähnlich dem der Verse (gäthä) in der Prosa der Brähmanas und Upanisads, 6 insbesondere das der moralisierenden Verse am Ende der J ä t a k a s .

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Das E i n f ü g e n v o n Versen in Prosa war sogar gentil. 7 Die buddhistischen gäthäs sind noch nicht gesammelt worden, aber wenn in der Chändogyopanisad V I I , 1 ff. S a n a t k u m ä r a den N ä r a d a belehrt h a t t e , wenn I n d r a Rohita mit gäthäs belehrt hatte, 8 so t r e t e n diese drei (nicht Rohita) auch in buddhistischen T e x t e n als Verkünder von gäthäs auf, von Strophen moralisierenden Inhalts, die m a n a n Strophen der I I . Periode 9 anschließen kann. Als der D ä m o n R ä h u einmal den Mond verschlingen wollte (d. h. eine Mondfinsternis begann), flehte der Mond mit einer Strophe B u d d h a u m Hilfe an, dieser wendete sich mit einer entsprechenden Befehlsstrophe a n R ä h u , der sofort zu seinem Vater flüchtete u n d zitternd erklärte, das H a u p t wäre ihm zersprungen, wenn er, von der Strophe B u d d h a s angewiesen, den Mond nicht freigelassen hätte. 1 0 B u d d h a s gäthä h a t gemäß diesem P r o s a m y t h u s magische K r a f t . I m übrigen sind B u d d h a s gäthäs wohl ähnlich gemeint wie seine udänas, begeisterte moralische Aussprüche bei erregenden Gelegenheiten, 1 1 gesammelt in einem T e x t des obenerwähnten K h u d d a k a n i k ä y a , meist in F o r m von Strophen, aber wohl nicht gesungen. 1 2 B u d d h a als Bodhisattva, einst als B r a h m a n e wiedergeboren, der in den W a l d ziehen wollte, sprach einem König drei moralisierende Strophen gegen das Bitten 1 3 vor. Der König a n t w o r t e t e mit einer Strophe, in der er ihm als Geschenk f ü r die weisen Strophen tausend K ü h e samt einem Stier versprach. Gemäß der folgenden Prosa lehnte der B o d h i s a t t v a dieses Geschenk ab. 1/1 Dies ist eine kurze äkhyäna-Erzählung in Prosa mit einem Versdialog, eine traditionelle F o r m , die den Ärya u n d Vorärya gemeinsam war. 1 5 Das Geschenk des Königs erinnert an das des Königs J a n a k a in der Upanis^d, das er Y ä j n a v a l k y a f ü r dessen religiös-philosophische Belehrung versprach, 1 6 ohne daß etwas ü b e r die A n n a h m e gesagt würde. I n ähnlicher Weise sprach der B o d h i s a t t v a als junger B r a h m a n e einst neun moralisierende Strophen vor einem König u n d lehnte dessen Geldgeschenk ab. 1 7 Ein dritter B r a h m a n e (keine Wiedergeburt Buddhas) lehrte einen König vier Strophen u n d lehnte ebenfalls Geld d a f ü r ab. 1 8 Mehrere ähnliche Fälle werden von B u d d h a selber erzählt: U n t e r anderen wurden drei B r a h m a n e n der B h a r a d v ä j a - F a m i l i e bei ähnlichen Gelegenheiten von B u d d h a mit Strophen belehrt und boten ihm d a f ü r ihr Essen als Gabe an, aber B u d d h a erklärte, er dürfe nicht genießen, was er durch eine Strophe ersungen habe. 1 9 Diese Ablehnung des Geschenkes bedeutet aber keine „ E n t wertung der gäthäs",20 sondern nur, daß B u d d h a im Gegensatz zu B r a h m a n e n keine materiellen Belohnungen f ü r solche Belehrungen a n n e h m e n wollte, d a ß er keinen D a n k f ü r die Belehrung beanspruchte. Buddhisten machten indessen — vermutlich von Anfang an, mögen die Zeugnisse auch später sein — einen Unterschied zwischen moralisch guten u n d schlechten Strophen bzw. Liedern. I n einem kurzen äkhyäna wird ein Feenpärchen gefangen u n d dem König gebracht, damit es vor ihm tanze u n d singe; es t u t dies aber nicht. E r s t als der König beide wie Tiere zu b r a t e n befiehlt, sagen sie ihm Strophen über den Unterschied guter u n d böser Lieder, ü b e r die Schwierigkeit, gut zu reden. Der d a n k b a r e König läßt sie d a r a u f h i n frei. 21

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E s gehörte eben zu den Freuden des Lebens, daß man — vom Bauern bis zum König — sich vorsingen und vortanzen ließ. Der Bodhisattva erzählte einem König einmal ein kurzes äkhyäna von einem Tänzer, der zur Laute sang, aus seinem Dorf nach der Stadt Benares wanderte, um bei einem Fest Geld zu verdienen, aber in einem Fluß zu ertrinken drohte. I n seiner Not, bat ihn seine Frau mit einer Strophe, sie ein Lied zu lehren, damit sie sich ihren Unterhalt verdienen könne. 22 — Ein König sandte seinen Musiker aus, die ihm entführte Königin zu suchen, und er fand sie. 23 — Eine Kurtisane schickte Tänzer aus, ihren fortgegangenen Geliebten zu suchen; sie lehrte sie eine Strophe über ihre Liebe. In einem Grenzdorf fand schließlich einer der Tänzer den gesuchten Mann, der die Strophe zu beantworten wußte. 24 — Solche Geschichten spiegeln das Leben wandernder Sänger-Musiker-Tänzer wieder.25 Aber auch ein Armer, der nur von seiner Hände Arbeit lebt, singt, während er in der Sonnenhitze dahingeht. 26 Es singt ein König 2 7 zwei moralisierende (nicht epische) Strophen, und sein Hof und die ganze Stadt singen diese Strophen nach. Am Hofe singen und spielen die Haremsfrauen verführerisch für den jungen Prinzen, 28 aber Tanz, Gesang und Musik gehören auch zu den Freuden des bürgerlichen Reichen. 2 9 In dieser Periode entwickelten sich ja verhältnismäßig schnell die Geldwirtschaft, der Handel, die Stadt mit ihrem Luxusleben, aber auch Materialismus, der u. a. im Gegensatz zur Askese und Erlösungsmoral Lebensfreude lehrte, sie rechtfertigte, aber auch förderte, wie diese ihrerseits den Materialismus. Gegen solche Vergnügungen, die es in der vorarischen Gentilgesellschaft noch nicht gegeben hatte, wandten sich die frommen Buddhisten, 30 wie es asketische Kreise schon in der I I . Periode getan hatten. 3 1 Solche Lieder verstanden sie als „schlechte", 32 nicht galt ihnen Lyrik an sich als schlecht. Bei der im folgenden behandelten buddhistischen Literatur dürfte es sich durchweg um Literatur der Städter, nicht der Bauern handeln. Dabei sind mit Städtern die wohlhabenden Händler ebenso wie die Kreise des königlichen Hofes, Mitglieder der drei hohen Stände, aber später auch reiche Süd ras gemeint. Auf damalige Bauernliteratur, die anders gewesen sein muß, d. h. auf die der Südras, die im wesentlichen aus der vorarischen Gentilgesellschaft stammten, kann man hin und wieder schließen. 33 Mit der Klassengesellschaft begann j a der Unterschied der Volks- und Kunstliteratur. Mit dieser Periode begannen aber auch Grammatik, Etymologie, Lexikographie und Metrik als vedische Hilfswissenschaften auf die Dichtung in Richtung einer Verfeinerung der Kunstdichtung zu wirken, die man von der V. Periode an als kävya3i zu bezeichnen pflegt.

b) Naturlyrik 3 5 Als Buddha einst in einem Hain saß, sprach eine Gottheit die Strophe: Wenn es (im Sommer) Mittagszeit ist, die Vögel (still) sitzen, raunt die Wildnis, und es überkommt mich Furcht. Buddha entgegnete mit denselben Worten, nur mit dem entgegengesetzten Schluß: Dann überkommt mich Wonne. 36 Die Verse 9

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werden mit und ohne einleitende Prosa überliefert, d. h. als äkhyäna oder Gedicht; ihre Gegenüberstellung der Furcht des gewöhnlichen Wesens in der brütenden Hitze und der Freude des Asketen, der irdische Empfindungen überwunden hat und sich in seinem Glauben der Erlösung von der Welt sicher ist, diese antithetische Kurzform eines Versdialogs, ist f ü r buddhistische Poesie, f ü r viele Strophen von Mönchen und Nonnen bezeichnend. E t w a s Ähnliches an noch älterer Asketennaturpoesie ist uns nicht erhalten, obgleich es Vorläufer der buddhistischen Yogis seit dem 3. J a h r t a u s e n d gegeben hat. — J e n e den Menschen überkommende Furcht in der Sommerhitze mögen damals Bauern, die ja überwiegend gentile Vorärya waren, 37 in Tanzliedern ausgedrückt haben, die dem der heutigen Uraon ähnlich waren: I m Sommer brennt der Dschungel, alle Vögel verlassen ihn, schrecklich ist der Anblick; mit der Regenzeit wachsen die Zweige wieder, die Vögel kommen, schön ist der Dschungel. 38 Die buddhistische Naturlyrik hängt sicher eher mit der gentilen vorarischen Lyrik der Tages- und Jahreszeiten 3 9 zusammen als mit rgvedischer Lyrik; man könnte allenfalls an das rgvedische Gedicht an die Waldfrau denken, in dem der Dichter seine Furchtlosigkeit im nächtlichen Wald ausdrückt. Neu war vermutlich der asketische Gehalt dieser Lyrik, die romantische Flucht in die N a t u r ; neu war, daß Mönche als einzelne Persönlichkeiten dichteten und daß ihre Gedichte im Orden gesammelt und mündlich überliefert wurden. So wenig aber die obigen Strophen von Buddha selber gedichtet sein werden, so wenig wird dies f ü r viele der den einzelnen Mönchen und Nonnen zugeschriebenen, unter deren N a m e n sie gesammelt wurden, gelten. Die Sammlung ist Material f ü r die Bekehrung von Nichtbuddhisten, insbesondere Städtern, gewesen. Deswegen wählte m a n auch eine künstlerisch hochstehende Form der Lyrik, die als eine Vorstufe der späteren städtischen ¿-öwj/a-Literaturform angesehen werden k a n n 4 0 und damit zwischen gentiler und klassischer altindischer Lyrik steht. Ein Mönch sitzt in seiner H ü t t e (in der Regenzeit durfte er der Ordenszucht gemäß ohne zu wandern in oder bei einem Dorf verweilen) und freut sich des rieselnden Regens, vor dem Wind geborgen, er f ü h l t sich losgelöst (von der Welt mit ihrem Treiben) mit einem (von Schmerz und Freude) geheilten Herzen, frei von Gier, ohne H a ß und ohne W a h n . I n fünf Strophen, in denen die Schilderung der Lage dieselbe ist, nur seine Empfindungen in obiger Reihenfolge angeführt werden, bittet er die Wolke, weiter zu regnen (325—29).41 Diese Strophen werden auch einzeln überliefert, waren also Gedankengut der Asketen, nicht eines einzelnen Dichters (1; 51—54). Welch ein Unterschied gegenüber dem Loblied auf den Regengott im Rgveda, in dem dieser als fruchtbarer Monsun gepriesen wird, 42 oder gegen über dem spekulativen Gedicht im Atharvaveda über das vom Himmel kommende Wasser! 4 3 Anders in Form und Inhalt sind aber trotz grundlegender Gemeinsamkeiten auch Tanzlieder der Uraon und Kharia, die die Freude dieser gentilen Bauern über den sommerlichen Regen ausdrücken. 4 4 Ähnlich mögen Bauern unserer I I I . Periode den Regen besungen haben, anders wieder die Städter. Auf jeden Fall gehörte dieses wichtige Thema der Naturlyrik damals in eine sehr alte Tradition, war

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aber als Asketenpoesie zugleich etwas Neues. Ähnliches gilt f ü r die gesamte Lyrik dieser Periode. E i n H a u p t t h e m a der buddhistischen N a t u r l y r i k ist der W a l d , in dem die Einsiedler außer in der Regenzeit hausten. D a singt einer eine Strophe, daß er gern dort weile, zufrieden, froh, siegreich ü b e r alle Ängste (vor dem Treiben der Welt), selbstbeherrscht (6). — Ein anderer b e t o n t in seiner Strophe die Verfolgung durch Mücken u n d Wespen, aber zugleich seine Gelassenheit, wie ein E l e f a n t in der Schlacht (so können ihm die Mücken nicht seine R u h e stören; 31 ). 45 Ein dritter schildert die mit Gras bedeckte Erde, mit den wasserschwangeren Wolken darüber u n d das R u f e n der Fasanen, die die K r ö p f e blähen. I n einer zweiten Strophe schickt er sich zu Yogaschau der Ewigkeit an (211f.). E r s i t z t wohl a m D o r f r a n d in einer H ü t t e u n d sieht die N a t u r wie ein Gemälde, wie eine Miniatur (wie sie aus der Mogulzeit bekannt sind). Vielleicht aber sitzt er auch in einer Höhle im Bergwald, wie das ein vierter Asket t u t , der dort den Regen freudig erlebt u n d in seiner Einsamkeit frei von aller F u r c h t (vor den Anfeindungen der Gesellschaft) ist (189ff). — Ein f ü n f t e r erlebt in ähnlicher Weise den Donner, aber f r e u t sich auch, a m U f e r sitzend, des Baches mit seinen Blumen, u n d genießt die W o n n e des A s k e t e n t u m s sogar in der N a c h t , wenn die ' R a u b t i e r e brüllen (522—24). — Ein sechster freut sich im Frühling der a u f b l ü h e n d e n N a t u r u n d des Beginns der Wanderzeit (527—29). — E i n siebenter preist das einsame W a n d e r n im Wald, wie der E l e f a n t wandert, in der K ü h l e , f r o h des Bades im kalten Quell, wie ein Krieger sich wappnend f ü r den K a m p f u m die Schau der Erlösung, sich n u r auf sich selber verlassend, entschlossen, den W a l d nicht vor Erreichen des Zieles zu verlassen, sicher, daß er es bald erreichen wird, im Schatten rastend, f r o h der erreichten Erlösung (537—46). — I n vier Strophen malt sozusagen ein achter Mönch das Gemälde eines Baches bei Felsen mit lieblichen Blumen in der Regenzeit, wenn ein grauer K r a n i c h ängstlich vor der dunklen Wolke dahinfliegt u n d in seinem Nest Schutz sucht, die Frösche aber sich leise zurufen, im Wasser vor den sie bedrohenden Vögeln geborgen zu bleiben (307—10). E s fehlt die Moral: Der Einsiedler k e n n t keine solche U n r u h e des Herzens. — I n einer langen Versgruppe wird geschildert, wie ein Mönch v o n seinem Bergsitz m i t t a g s z u m Betteln in die S t a d t hinabsteigt, d a n n aber wieder seine Felsen erklimmt u n d dort selig die R u h e der Versenkung genießt; er hört ferne Elefanten, sieht von dort oben Wasserfälle, einen stillen See, Berg u n d Tal, Blumen u n d Vögel, H e r d e n von Wild, aber keine Menschen (1051 ff.). — E i n anderer Einsiedler auf einer Bergeshöhe lechzt noch danach, d a ß er endlich in seiner Einsamkeit so weit gelangen wird, daß ihn die Stechmücken nicht m e h r stören, daß er als Held den Tod zertreten wird, d a ß er die Lebenslust mit d e m Schwert zerschneiden wird, daß er mit Gleichgesinnten weiterwandern wird (1091 ff.). — Ein Mönchsschüler m u ß im Dorfe bleiben, während sein Lehrer fortzieht ; aber der Schüler ist nicht zu fesseln; auch wenn er weilt, er wandert doch im Geiste (14). Zur Waldeinsiedlerlyrik gehört auch wohl das kurze Gedicht, das B u d d h a in den Mund gelegt wird: Kein H a a r s t r ä u b t sich dem Weisen, der; in einer R u i n e h a u s t ; wilde Tiere, Stechfliegen u n d Schlangen stören seinenFriedennicht. 4 6 6«

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Aus all diesen dichterischen Strophen spricht eindringlich im Grunde ein und dieselbe Weltanschauung des damals aufblühenden Buddhismus, dieser sozialen Reformbewegung in religiösem Gewände, dieser religiösen Absage an den sich verstärkenden Despotismus, dieser romantischen Flucht aus der Stadt mit ihrem Handel und ihrer Geldwirtschaft, aber, wie wir sehen werden, auch so manches Bauern aus der Dorfgemeinschaft. Diese Romantik des Städters 4 7 war etwas Neues. Yorarisch-gentile Tanzlieder reflektieren dagegen ohne Romantik die Freude der Dorfbewohner über das Reifen der wilden Feigen oder ihre Furcht vor dem nächtlichen Brüllen der wilden Tiere rings um das Dorf, und dies, während ein Kalb vermißt wird, das sich vielleicht im Dschungel verirrt hat. 4 8 Dennoch war diese Mönchslyrik eine Art Fortführung der vorarischen (vielleicht auch der weltlich-arischen) gentilen Naturlyrik. Das zeigt sich u. a. auch in den Wiederholungen gewisser refrainartiger Strophenzeilen oder dreier gleicher Strophen über das Glück der Ruhe im Regen, in denen jeweils nur ein Wort anders ist, denn der Mönch hat drei Fehler, die Gier, den Haß und den Wahn, überwunden und ist damit zur Ruhe gelangt. Vergleichbare Wiederholungen waren bezeichnend schon für die Lyrik der gentilen Voräryas, aber auch der Brahmanen. 4 9 Wenn der rgvedische Dichter sein Empfinden im abendlichen Wald, fern vom Dorf, schilderte, oder wenn der Upanisadschriftsteller den Hirten Satyakäma in langer Wald Wanderung seine Belehrung durch Tiere erleben ließ, 50 so war auch dies noch ohne eigentliche Romantik, ohne Enttäuschung über die Stadt. Es war das Erlebnis des noch wandernden oder im Dorf wohnenden Ärya, dem der Wald noch etwas Vertrautes war, nichts Idealisiertes, vom Wanderasketen Verklärtes. Ähnlich ist der Unterschied zwischen der buddhistischen Schilderung der drückenden Mittagshitze und der rgvedischen Lobpreisung der Morgenröte oder des Abends: Der rgvedische Mensch fühlte sich noch als Teil des ewig lebenden Alls und kannte keine Beklemmung, von der man sich nur durch religiöse Erlösungssuche zu befreien trachten konnte, wie sie allen diesen buddhistischen Dichtern gemeinsam war. Mögen dabei einige dieser Strophen auch mehrfach verwendetes Allgemeingut gewesen sein, andere Gedichte sprechen die Sprache einzelner Dichterpersönlichkeiten, wie es schon im Rgveda zu spüren ist. Neu war, daß der buddhistische Lyriker sich als Propagandist seines Glaubens, der reformerischen Religion, als Erzieher seiner Mitmenschen in diesem neuen Sinne empfand und die Dichtung als Erziehungsmittel verwendete, und zwar nicht wie der gentile Mensch mit dem Ziel, die Stammesmitglieder in alter Sitte zu bestärken, sondern mit der gesellschaftskritischen Absicht, die Mitmenschen aus der verhaßten Gesellschaft des Despotismus heraus zu einem religiös verstandenen Menschentum im buddhistischen Orden zu führen. Wir können überzeugt sein, daß diese Lyrik in dieser Richtung auf viele Menschen gewirkt hat. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß es daneben weltliche Naturlyrik gegeben hat, gesungen von den obenerwähnten weltlichen Sänger-MusikerTänzern, von den epischen Barden, von denen uns einiges erhalten ist, von den

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gentilen Vorarya in ihren Wäldern, aber auch von den Sudras, die in ihrer Weise die vorarisch-gentile Tradition fortsetzten.

c) Liebeslyrik einschließlich Liebesballaden So erstaunlich es ist, in buddhistischer Literatur ist uns einiges erhalten, aus dem wir auf die damalige weltliche, diesseitsfrohe Liebeslyrik schließen können. Da wird in Prosa erzählt, daß zur Zeit der Erleuchtung Buddhas ein Geist mit Namen Pancaäikha der Baumnymphe Bhaddä, die einen anderen Geist liebte, 51 ein Lied zur Laute sang, um sich ihr nähern zu können. In seinem Lied spielte er auf Buddhas Erwachen an und erreichte damit, daß das fromme Mädchen ihm ein Zusammentreffen gewährte. In dem Lied sprach er ihr von seinem Schmachten nach ihr, sie sei Speise für den Hunger, Arznei für die Krankheit, ihr Leib und Busen locke ihn wie ein Lotosteich den von Hitze gequälten Elefanten, sie habe ihm seinen Verstand geraubt, sein Herz hänge an ihr wie ein Fisch an der Angel, sie möge sich an ihn schmiegen, seine guten Taten möchten sie ihm zuführen; wie Buddha einzig an Erlösung, so denke er allein an sie; wie ein Mönch aus erreichter Wahrheit selig strahlt, so möchte auch er, bei ihr sich auflösend, selig strahlen; er würde nicht mit Indra tauschen, wenn er ihre Liebe gewänne. 52 Das ist bis auf die Anspielungen auf Buddha ein weltliches Liebesgedicht, eine menschliche Werbung. Solche Töne hatten weder die Dichter der vorarischen gentilen Gesellschaft angeschlagen noch die des Rgveda. Dieses Neue hat sich offenbar in der Stadt der Klassengesellschaft entwickelt, als das Mädchen als kostbares Verkaufsobjekt 5 3 von den Männern ferngehalten wurde und das Hetärenwesen zur Blüte kam. Andere Werbungsgedichte sind in einigen Balladen, die zum Teil in Prosa eingebettet sind, erhalten, so das des Asketenjünglings Isisinga, dem die Nymphe Alambusä im Walde als Versucherin erscheint; der Jüngling hat noch nie eine Frau gesehen und preist ihre Schönheit, die er für die eines Jünglings hält, in zwölf Strophen (natürlich als Asket ohne Laute und Melodie): E r staunt über die Schönheit zunächst ihres Schmuckes, dann aber auch ihrer H ü f t e n und Augen, ihres Duftes, ihres Ganges, der ihm die Besinnung raubt, er bewundert ihre Schenkel, ihren Nabel, ihre Brüste, Hals, Lippen, Zähne und Zunge, Augen und Haare, 5 4 ist also seinem Asketentum auf den ersten Blick völlig entfremdet. I n einer Variante dieser Verführungsgeschichte lockt das Mädchen den Asketenjüngling in ihre H ü t t e auf ihr Lager, und er staunt sehr derb-unaufgeklärt über ihren Leib; er fragt in seiner Strophe, was sie da zwischen den Beinen habe, und sie nennt in der ihren die Scham eine Wunde, die er ihr heilen solle; er ist dazu bereit und bewundert in einer Strophe den D u f t dieser Wunde; die Verführung gelingt. 55 Hier, in der religiös-kritischen Darstellung des sündigen Asketen klingt noch die derbe Erotik an, die im Rgveda herrschend gewesen war; sie ist hier aber anders, geradezu humorvoll, den tumben brahmanischen Asketen verspottend, aber zugleich auch asketisch gemeint.

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I m Gegensatz dazu steht ein Gedicht der gealterten Hetäre Ambapäll, deren Einladung zum Gastmal Buddha einst der der Licchavifürsten vorgezogen hatte. Sie stellt fest, daß ihr einst so schöner Leib verfällt, die Haare werden weiß und verlieren ihren Duft und ihre Fülle, die Augen verlieren ihren Glanz, die Nase ist gedunsen, die Ohren haben Runzeln, die schöne Stimme, die einst herrlich sang, ist dahin, Hals und Nacken schimmern nicht mehr, Arme und Finger schrumpfen ein, die Brüste hängen schlaff, Falten hat der Bauch, die Schenkel sind dürr wie Bambusrohr, die Füße sind welk geworden, der Leib ist wie ein zerfallendes Haus — aber die Lehre Buddhas dauert unverderbt. 5 6 Man kann sich vorstellen, daß ein Liebhaber in einem weltlichen Gedicht damals mit analogen Strophen die jugendliche Schönheit seiner Geliebten besungen hat, vom Haar bis zu den Füßen, von oben bis unten, wie umgekehrt Isisinga die der Alambusa von ihrem Gang bis zu ihrem Haar (s. o.), 5 7 ohne die asketische Vorstellung der Vergänglichkeit aller Schönheit des Leibes, der Ambapäl! die Dauer des Buddhawortes gegenüberstellt, nicht aber die eigene Frömmigkeit. In dieser alten Liebesdichtung ist j a zunächst nur von leiblicher Schönheit die Rede. In diesem Gedicht der (oder über die) Ambapäll handelt es sich um die Vergänglichkeit der Liebe, es ist ein asketisch-didaktisches Gedicht gegen die Liebe. Deren gibt es mehrere im Kanon der das Leben verachtenden Buddhisten, z. B . die zwei Strophen des Mönchs K a l o : 1. Da liegt ein üppiges Mädchen auf dem Lager, mit den Schenkeln schaukelnd, die Arme brünstig ausgebreitet, die Zähne zeigend, mit vollen Brüsten, auf Liebe wartend. 2. Wer unklug an etwas haftet, leidet Elend; ich will nie haften, das Haupt nicht verlieren, es hoch erheben (151 f.). Hier entspricht wiederum die brutale, kritisch gemeinte Schilderung der Versucherin der oben berührten Direktheit der Erotik. — Zarter drückt Nägasamälo sich in seiner Konfessio von vier Strophen aus: E r sah ein Mädchen mit seidenen Schleiern und goldenem Schmuck, bekränzt und geschminkt, zur Laute tanzen, und er traf dasselbe Mädchen, als er auf seinem Bettelgang durchs Dorf zog; schlau legt der Tod (Mära, zugleich der Versucher) seine Schlingen (267f.), aber er, der Mönch, wurde im Glauben an das Buddhawort nur bestärkt (269f.) — Der Mönch Candano erinnert sich in vier Strophen in ähnlicher Weise an seine einst geliebte, goldgeschmückte Frau mit ihrem Kind auf der Hüfte; Strophe 3—4 sind dieselben wie bei Nägasamälo (229—302). — Mehrfach singen Mönche davon, wie sie auf dem Leichenacker eine verwesende Frauenleiche sahen. Einer gesteht, daß dieser Anblick in ihm zunächst wilde Sehnsucht weckte, aber dann folgen wiederum die beiden letzten Strophen des Nägasamälo (315—19). Ein anderer sieht auf diesen Anblick hin in einen Spiegel und erkennt, daß auch sein eigener Leib wie jener vergänglich ist; er ist selig im „Wissen" dieser „Wahrheit" (393—98), d. h. im Glauben der Erlösungsreligion. I n wilden Strophen entlarvt der Mönch Ratthapälo den Leib der Frau als Beingerüst, mit Haut umgeben und mit Schmuck herausgeputzt, aber doch nur voller Wunden, krank und vergänglich. Mancher läßt sich davon verblenden, von den schönen Zöpfen und geschwärzten Wimpern; ein Wilderer hat diese

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Schlinge gelegt, aber der Mönch läßt sich nicht fangen. I n einem anderen Text wird von einem Mönch erzählt, sein Vater habe ihn zu Gast geladen, um ihn wieder für das Leben zu gewinnen, und habe nach der Bewirtung seine einstigen Frauen kommen lassen, worauf der Mönch diese Strophen gesprochen habe. 58 Dieses buddhistische Thema der Überwindung der Versuchung durch das Weib ist in mehreren Balladen behandelt. Von dem berühmten, gelehrten Mönch Mogalläno wird, als er bereits als Eremit mit seiner Frau im Walde lebte, gesungen, daß er sie oder die Frau an sich geradezu ekelhaft als Beingerippe mit Fleischbehang, als Kotsack, als Hexe mit Hängebrust und mit neun träufelnden Körperöffnungen, stinkend und dreckig beschimpfte; von dergleichen halte sich der Mönch fern. Seine Frau stimmte ihm zu, gab aber zu bedenken, daß mancher Mann (in der Liebe) einsinke wie der Stier im Sumpf (1146—54). — Der Mönch Sundarasamuddo erinnert sich, wie ein schöngeputztes Mädchen vor ihm niederkniete, ihn pries und bedauerte, daß er so jung der Welt entsagt habe; sie forderte seine Liebe, um dann später im Alter mit ihm gemeinsam in die Heimatlosigkeit zu wandern; er aber schließt wiederum mit jenen beiden asketischen Strophen des Nägasamälo (459—65). Die Buddhisten erkannten aber auch Frauen das Recht zu, Nonnen zu werden (eine Form der Gleichberechtigung, die damals eine soziale Leistung war), und dementsprechend erzählt eine Ballade von der Nonne Subhä, die einst in einem Mangohain von einem Manne in Versuchung geführt wird, der sie in zehn Strophen an ihre Jugend, ihre Schönheit erinnert, sie um ihre Liebe bittet 270 ff.)59; sie möge ihre rauhen Gewänder mit Seide vertauschen, den grausigen Wald mit seinem Garten; er werde ihr dienen, sie möge ihn erhören; aber sie weist ihn mit einer Strophe ab, der Leib werde zur Leiche werden; er beteuert, er werde ihr Angesicht, ihre Augen nie vergessen können; sie betont, sie sei frei von aller Begierde. Sie reißt schließlich ihr schönes Auge aus und gibt es ihm, so daß er sie verzweifelt um Verzeihung bittet (366—99), wie in den letzten Strophen erzählt wird. In ähnlicher Weise widerstand die Nonne Khemä in einer Ballade einem Versucher aus Ekel vor dem Leibe und weil sie Lust als Unlust erkannt habe (139—44). Wiederum in ähnlicher Weise durchschauten die beiden Nonnen Vijayä und Uppalavannä den Versucher, Mära, der ihre Jugend und Schönheit pries, denn sie hatten den „Durst" überwunden. 6 0 Diese buddhistischen Asketinnen vertreten einen weit asketischeren Typ als den, den in der Upanisad der I I . Periode Yäjnavalkyas Gattin Maitreyi 6 1 den Frauen vorgelebt hatte. Andererseits weisen sie den werbenden Mann als Verführer ab wie Sita Rävana oder wie Vasantasenä den Königsschwager. Wenn aber Urvaäi sich im Rgveda dem Purüravas verweigert, so wird sie damit als untreu, als unfähig zum Familienleben charakterisiert, nicht so bei Kälidäsa. Es gab eben verschiedene Einstellungen zu dem Problem, ob eine unverheiratete Frau das Recht habe, einen liebenden Mann abzuweisen. Von dem obenerwähnten Mönch Kalo oder einem anderen gleichen Namens erzählt eine Ballade den Dialog mit seiner Frau, die ihm einen Sohn gebar und ihn im Hause halten möchte, er aber will fortziehen, will sich nicht von ihr

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ködern lassen, will wie ein Vogel dem Netz des Vogelstellers entgehen; er läßt sich auch nicht schrecken, als die Frau droht, den Sohn auf der Schwelle des Hauses zu erschlageD. Da läßt sie ihn gehen, segnet ihn und bittet ihn, Buddha ihre Lobpreisung zu überbringen. Er bewundert sie und preist sie vor Buddha (291-311). In einer anderen Ballade ist die Fiktion, daß eine Frau, bereits ergraut, ihrem Manne einreden will, er sei ergraut, um ihm nicht älter als er selber zu erscheinen. Als er sie daraufhin zur Askese auffordert, da sie beide gealtert seien, beschwört sie ihn, er sei noch jung und keineswegs ergraut. Er aber beteuert, er sähe sie als das einstige junge Mädchen sowohl wie als die künftige ganz alte Frau und verzichte auf die vergänglichen Freuden des Lebens. 62 Bei diesen Dialogen denkt man an den rgvedischen Versdialog des Asketen Agastya, der sich von seiner Frau wieder zur Liebe gewinnen ließ, 63 wie es der damals herrschenden noch gentilen Lebensfreudigkeit entsprach, als der Vorläufer buddhistischer Asketen, der Schamane, offenbar noch wenig Einfluß auf die Gesellschaft ausübte. Man denkt aber auch an den rgvedischen Dialog des Yama und der Yami, in der der Bruder sich nicht zum Inzest verführen läßt. 64 Was damals im Sonderfalle des Inzests einem Grübler als Recht erschien, gilt jetzt für den Mönch der jungen Erlösungsreligion allgemein und wird von der buddhistischen Reformsekte unter Laien, insbesondere Städtern als heilsam propagiert. In der vorarischen Gentilgesellschaft waren Liebes- und Eheleben und Liebeslyrik noch naturwüchsig gewesen. Mit offenen oder verblümten Redewendungen wirbt in Tanzliedern der Uraon der Jüngling um die Liebe des Mädchens, und sie weigert sich oder gibt nach; man bedauert einen ertrunkenen Junggesellen, um den niemand weint. 65 Aber die Hochzeit zerreißt auch die Familie, und eine ganze Reihe von Liedern schildert das Weinen und Klagen des Mädchens, das das sorglose Leben im Elternhaus aufgeben muß, 66 ja auch das Weinen des Jünglings, der durch seine Eltern in eine Ehe gegeben wird, aber ohne Entsagungstendenz . 67 Daneben gab es selbstverständlich Fürsprecher der Liebe unter den weltlichen Dichtern, und selbst Buddhisten mußten dem allgemeinen Bedürfnis nach Liebesdichtung Rechnung tragen. Sie taten es in eigenartiger Weise. Sie dichteten z. B. eine Ballade von einem Feenpärchen, das froh im Walde lebte, bis ein König das Männchen mit einem Pfeil schoß. Verwundet, klagte es in drei Strophen, daß es sterben müsse, das Weibchen aber klagte den König in fünf Strophen an. 68 Der König bot ihr in einer Strophe an, seine Königin zu werden. Sie aber zog den Tod vor. Der König wollte sie frei in die Berge des Himalaja ziehen lassen. Sie aber klagte verzweifelt bei dem sterbenden Gatten inmitten der schönen Natur des Gandhamädanaberges. I n einer Strophe dankte sie einem Brahmanen (der Prosa nach Indra), der den Feenmann wiederbelebt hatte, und in der Schlußstrophe forderte sie den Gatten auf, er solle wieder mit ihr in ihre Wälder gehen, wo sie einander Liebes sagen würden. 69 Nach der einleitenden Prosa spielte der Mann auf der Flöte und sang, die Frau aber tanzte und sang. — In einer Art Variante gestand ein Feenweibchen einem

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König im Walde, sie und ihr Gatte klagten, weinten und lachten gemeinsam in warmer Umarmung, weil sie eine Nacht getrennt gewesen seien; der über die Ufer tretende Fluß habe sie abends getrennt, u n d erst morgens h ä t t e n sie zueinander gefunden. Das kleine Leid aber mache ihr Glück n u r größer; 7 0 die Liebeslust bleibe ihnen bis ans Lebensende. 7 1 Dieser letzte Satz bleibt unwidersprochen. Der buddhistische Dichter durfte bei romantisch idealisierten Feen offenbar unvergängliche Liebesfreuden preisen, 72 nicht bei Menschen. Von der tiefen Liebe eines Gazellenpärchens berichtet eine andere Ballade: Das Männchen k a n n sich nicht aus der Schlinge, die ein J ä g e r gelegt h a t , lösen. Das Weibchen bietet sich dann dem nahenden J ä g e r als Ziel f ü r sein Schwert. Dieser aber bewundert die Liebe des Gazellenweibchens und läßt das Männchen frei. I n der Schlußstrophe wünscht das Weibchen ihm das Glück, das sie über die Befreiung des Gatten erlebe. 73 — Ähnlich ist die Ballade eines Näga(Schlangendämon)Weibchens, dessen Gatte von einem Schlangenbändiger gefangen ist; sie gewinnt mit ihren Strophen den König des Landes d a f ü r , daß er dem Schlangenfänger ein reiches Geschenk gibt, ein Dorf, Gold und h u n d e r t Kühe, damit er den gefangenen Näga freiläßt; der Jäger aber verzichtet in der Schlußstrophe auf das Geschenk und läßt die Schlange frei. 7/i Über Menschen hat anscheinend kein buddhistischer Lyriker Entsprechendes gedichtet. 7 5 Dies ist eine merkwürdige Seite der buddhistischen R o m a n t i k , die gerne Tiere idealisierte. 76 Auf dem Gebiet der menschlichen Liebe aber propagierte der buddhistische Dichter im allgemeinen den Gesichtspunkt der Versuchung, Verf ü h r u n g oder Entsagung. Die Dichtung war ihm ein wesentliches Mittel, die Mitmenschen aus der Verstrickung in die Leidenschaften, ihre Freuden und Schmerzen herauszulösen. Das war damals dem vedischen Denken gegenüber etwas Neues, selbst wenn es in der Indusgesellschaft schon gewisse asketische Denkweisen gegeben zu haben scheint, gewisse E n t h a l t u n g e n gar schon bei gentilen Magiern. d) Weisheitslyrik d e r B u d d h i s t e n Die didaktische, weitgehend gesellschaftskritische religiös-moralische Gedanken und damit ihre Weltanschauung reflektierende Lyrik der alten B u d dhisten schließt—ob bewußt oder nicht — an brahmanische gäthäs und an ältere, uns insbesondere im R g v e d a greifbare Lyrik an, u. a. auch in der F o r m der Monologe und Dialoge; 7 7 von gentilen Vorärya ist noch k a u m etwas dieser Art bekannt geworden. Diese buddhistische Lyrik aber verherrlicht die damals neuen buddhistischen Ideale, insbesondere das lebensfeindliche des Asketen, der als der Weise schlechthin gilt. I n eindrucksvollen, wenn auch utopischen Versen wird u. a. seine Freiheit von Zorn 7 8 gepriesen, und zwar angeblich von B u d d h a selber: Wer einem Erzürnten nicht zürnt, siegt über ihn und wirkt zum Heile beider, selbst wenn die gewöhnlichen Menschen ihn f ü r einen Toren halten. 7 9 I n einem Versdialog vert r i t t in dieser Frage ausgerechnet Indra, der vedische Kriegsführergott, jetzt

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aber Verehrer Buddhas, die Seite des Buddhisten gegen seinen Wagenlenker Mätali und gerade er, der Starke, betont, daß ein Starker einem Schwachen, der ihn schilt, nicht zürnt, sondern dessen Schmähungen h i n n i m m t ; dies sei die höchste Geduld, nicht die Geduld des Schwachen, die m a n alltäglich beobachten k a n n . U n d die angebliche Stärke eines Toren (d. h. eines sich in unbuddhistischer Weise Wehrenden) sei in Wirklichkeit n u r Schwäche. I n d r a wiederholt d a n n einige Strophen Buddhas. 8 0 — I n einem anderen Versdialog f r a g t einer einen brahmanischen Einsiedler, der mit seiner F r a u im Walde lebt, was er t u n würde, wenn einer ihm die F r a u r a u b t e . Der Einsiedler entgegnet, er würde das E n t stehende nicht freilassen; das E n t s t e h e n d e aber ist, wie er auf eine F r a g e antwortet, der Zorn, ü b e r den sich die Feinde freuen, der einen den eigenen N u t z e n nicht erkennen läßt, der einen wie Feuer verzehrt. 8 1 Diese buddhistische H a l t u n g ist der hinduistischen H a l t u n g R ä m a s , aber auch der rgvedischen entgegengesetzt, die den Zorn des Kriegers verherrlicht hatte, 8 2 wie es sich bei den Eroberern des Indus- u n d Gangesgebietes versteht. D e m g e m ä ß h a t B u d d h a sich als Antidespot u n d Aristokrat in einer Strophe .gegen Krieg u n d f ü r Frieden ausgesprochen. 8 3 Aber dennoch sind in buddhistischer L i t e r a t u r einige F r a g m e n t e damaliger Kriegslyrik oder deren Nacha h m u n g e n erhalten geblieben, 8 4 so im 229. J ä t a k a zwei Verse mit der Aufforderung z u m K a m p f mit Elefanten, Rossen, Schwert- u n d B o g e n k ä m p f e r n gegen die S t a d t T a k s a s i l ä , im 182. J ä t a k a zwei Verse mit der Aufforderung an einen Elefanten, das Tor einer Feste zu zerstören, aber nicht zu fliehen, im 546. J ä t a k a dreizehn Verse eines Königs mit der Aufforderung an sein Heer z u m K a m p f , im 265. J ä t a k a drei Verse: eine Frage, w a r u m ein K ä m p f e r keine F u r c h t gezeigt habe, u n d dessen zwei A n t w o r t s t r o p h e n — als er die Feinde sah, h a b e er Zuversicht e m p f u n d e n , denn er habe schon vorher sein Leben geopfert (d. h. sei vorher schon zum Sterben bereit gewesen), u n d im 227. J ä t a k a zwei S t r o p h e n : H e l d e n t u m markierende Herausforderung eines Mistkäfers a n einen Elefanten z u m K a m p f u n d dessen verächtliche A n t w o r t , mit meinem K o t werde ich dich töten. Die großen Kriegsführer oder „Könige" ließen sich im R g v e d a von ihren Priestern f ü r ihre Freigebigkeit ihnen gegenüber preisen, u n d B a r d e n werden in der I . u n d I I . Periode Lobgedichte auf ihre F ü r s t e n zu dichten gehabt haben. Diese Sitte bestand weiter. I m Buddhismus wurde diese Art L i t e r a t u r z u m Lobgedicht auf den wissenden, erlösten u n d erlösenden B u d d h a abgewandelt, 8 5 den Allüberwinder, den Starken, den größten aller Sieger, den großen Wissenshelden, dem selbst in den Himmelswelten keiner gleicht. 8 6 Buddhistische antibrahmanische, gesellschaftskritische Verse sind gegen die vedischen Tieropfer gewendet; ihnen wird in der üblichen Sprechweise das tägliche Geben als heilsam gegenübergestellt. 8 7 Eine Versgruppe stellt dem schlechten F r e u n d den guten gegenüber, verherrlicht aber als Höchstes die Einsamkeit, die allein dem Asketen die W o n n e n der „ W a h r h e i t " gewährt. 8 8 Das Alleinsein k o n n t e kein Ideal der rgvedischen Äryas sein, die vielmehr in ihrer Weisheitslyrik die Notwendigkeit der Einheit des Stammes b e t o n t e n ; 8 9

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aber auch vorarische Gentile konnten dafür kein Verständnis haben, vielmehr bedeutete bei ihnen Bruch oder Zerreißen von Freundschaft durch Verheiratung in ein anderes Dorf tiefen Kummer. 9 0 Wenn Buddhisten in ihrer Lyrik u. a. das Maßhalten preisen, insbesondere das nur einmal a m Tage vorzunehmende sehr mäßige Essen von Erbetteltem, was es auch sein mochte 9 1 , so steht dem etwa der rgvedische Monolog des glücklichen Berauschten 9 2 als Gegensatz gegenüber. Andererseits läßt sich das buddhistische Lob der Speise, eben des Erbettelten, von F r o m m e n Gegebenen, das Gegenmittel gegen Geiz, das verdienstliche Werk, das dem Spender im Dies- und Jenseits heilsam ist, die Speise, an der sich Menschen, Götter und Dämonen erfreuen, 9 3 den rgvedischen Lobgedichten auf die Speise und das Wohltun gegenüberstellen. 94 Neu ist dabei im Grunde bei dem buddhistischen Dichter nur die Tatvergeltungslehre; die Erlösung spielt bei diesem Lob des Speisens der Bettelmönche keine Rolle, und ob die Empfänger der Speise schlechthin Arme oder insbesondere rgvedische Priester oder buddhistische Asketen waren, wird nicht gesagt; in beiden Empfehlungen der Wohltätigkeit scheute man sich in dieser Hinsicht, ins einzelne zu gehen. I n der vorarischen Gentilgesellschaft gab es dieses Problem anscheinend noch nicht. Anzureihen sind buddhistische Mahngedichte gegen den Geiz, der das Geben verhindert, während doch die Mönche auf Gaben angewiesen waren; d a f ü r wurde eine besondere Einrichtung, die der Laienanhänger geschaffen, denen das Geben als höchste Tugend, als verdienstvolles Werk, das zum Himmel f ü h r t , angepriesen wurde. 9 5 Geben mache den Geber nicht ärmer, sondern Geiz treffe den Toren im Dies- und Jenseits, soll der Buddhist glauben. 9 6 Auch diese Fragen h a t t e n im Rgveda schon eine beträchtliche Rolle gespielt, 97 nicht aber bei den gentilen Vorarya. — I n einer buddhistischen Ballade, einem Zwiegespräch zwischen einem Brahmanen, der als Asket einen S t a n d p u n k t v e r t r i t t , der dem Dichter als buddhistisch erschien, und einem König (nach der J ä t a k a Prosa), fragt dieser in der ersten Strophe staunend, warum der B r a h m a n e ihn um nichts bitte, und dieser antwortet sehr weise: deshalb, weil der Bittende u n d der Nichtgewährende beide unlieb seien; er wolle keine Feindschaft; Der König entgegnet: Nur, wer zur Unzeit bitte, raube dem, der nicht geben könne, das Heil, nicht der rechtzeitig Bittende; Kluge zürnten einem Bittenden nicht. Der Asket lehnt trotzdem das Bitten a b ; Kluge kennten schon den Wunsch eines bloß stumm Dastehenden. 9 8 Der König schenkt ihm tausend K ü h e und einen Stier aus Freude über seine beiden schönen Strophen über das N i c h t b i t t e n . " Nach der Prosa lehnte der Brahmane diese Geschenke, die an die des Upanisadkönigs J a n a k a erinnern, ab. Was sollte auch ein asketischer B r a h m a n e mit einer Riesenherde! I m Rgveda sind viele Dankstrophen f ü r erhaltene Opfergeschenke überliefert, aber meines Wissens keine Bitten an Könige; nebenbei sprachen die Brahmanen von Geschenken, die sie entgegennahmen, nicht von Lohn f ü r ihre Opferdienste. Gewisse Vorstufen der Erlösungsreligion lassen sich schon im R g v e d a finden, etwa in den Liedern an Varuna, in denen der Dichter sich als sündig empfindet und Angst vor Strafe fühlt. 1 0 0 Dieses T h e m a ist in buddhistischer religiöser

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Lyrik weitergebildet, und die menschliche Angst vor dem Jenseits, gegen die nur frommes, mitleidiges Handeln helfen soll, wird in einem aus Frage- und Antwortstrophe bestehenden Gedicht besungen. 1 0 1 Die Angst wird aber jetzt zur Lebensangst schlechthin, zur Angst vor vergangenen und künftigen (mehr natürlichen als gesellschaftlichen) Ereignissen, und gegen diese wird Askese, Selbstbeherrschung, Erleuchtung im Sinne der Erlösungsreligion empfohlen. 1 0 2 Diese damals schon traditionell gewordene Angst vor dem Leben, dem Werden, wird von einem dieser gläubigen Dichter bildlich als Angst vor gewaltigen, von allen vier Himmelsrichtungen heranrollenden, alles zermalmenden Bergen dargestellt und damit dank seiner Dichterkraft propagiert; wie diese wälzen sich Alter und Tod über die Menschen aller vier Stände und der Unberührbaren, der Candälas und Paulkasas. 1 0 3 — Einem anderen Dichter gelang eine eindrucksvolle Darstellung der allgemeinen ständigen Vergänglichkeit: I m m e r wieder sät man, regnet es, bettelt der eine u n d spendet der andere (nicht aber heißt es: arbeitet der eine und beutet ihn der andere aus), geben K ü h e Milch und k o m m t das K a l b zur Mutter, wird der eine alt und zittrig, der andere aber wird geboren und stirbt, n u r der Erlöste ist frei. 104 — U n d dennoch lehrte der Buddhismus auch weltliche Tugend, wie z. B. Verehrung f ü r die Eltern. D a f ü r dichtete einer den gesellschaftskritischen Monolog eines Altgewordenen darüber, daß die eigenen Söhne ihn fortjagen, dazu von ihren Frauen angetrieben. Wie ein nicht mehr gefüttertes Pferd fort muß, wie H u n d e ein Schwein verjagen, so muß er, der Greis, Almosen bei Fremden suchen. Sein W a n d e r s t a b ist bessere Hilfe als seine Söhne, denn er hilft gegen böse Ochsen und Hunde, mit dem Stock geht er im Dunkeln, hält er sich aufrecht, wenn er strauchelt. 1 0 5 Da klagt ein altbuddhistischer King Lear.-Ein buddhistischer Verseschmied stellte vor die Empfehlung der Verehrung der Eltern fünf Gründe, warum der gewöhnliche Mann sich einen Sohn wünscht, u m nämlich im Alter einen Pfleger, eine Arbeitskraft, einen Stammhalter, einen E r b e n und einen Vollbringer der Totenopfer zu haben. 1 0 6 Das klingt wie eine Variante der Lehre, die N ä r a d a in Versen dem kinderlosen Hariscandra in der I I . Periode gab; 1 0 7 sie ist sehr praktisch gedacht. Diese beiden Buddhisten kritisierten unausgesprochen das von damals an in brahmanischen Rechtsbüchern propagierte Ideal der vier Lebensstadien, daß u. a. der Großvater zunächst als Einsiedler in der Nähe des Dorfes, d a n n als Wanderbettler leben sollte. Ein Jüngling der vorarischen Gentilgesellschaft sang in einem Monolog: Mutter, beim W a n d e r n sah ich über viele Meilen hin die Bäume blühen und n a h m den D u f t der Blüten wahr. 1 0 8 Gemeint ist, soweit wanderte ich glücklich dahin, u m eine B r a u t in fremden Dörfern zu finden. Dem Prinzen Rohita empfahl I n d r a jahrelanges Wandern als heilsam. 109 Die buddhistischen Mönche wanderten (außer der Regenzeit), und dennoch riet einer ihrer Dichter vom Wandern a b : Damit könne man das Ende der Welt und das Ende des Leidens nicht erreichen; n u r der Weise komme durch R u h e zum E n d e der Welt und begehre weder Diesseits noch Jenseits, 1 1 0 ein geistreicher Tadel der bloß äußerlich Askese treibenden Wanderbettler.

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Neu gegenüber dem Rgveda ist in dieser Lyrik die vielfach geäußerte Schmähung der F r a u als Verführerin. I n Varianten der Rsysrnga-Legende 1 1 1 verlangt der verführte Asketenjüngling, aus der Einsamkeit des Waldes ins Dorf zu gehen. Dabei warnt ihn sein Vater in einem Versdialog vor den Gefahren in der Menschengesellschaft, vor Alkohol und Frauen, aber auch vor Königen. 1 1 2 Dem k a n n man einerseits die lebensfrohe W a r n u n g in einem lustigen Tanzlied der vorarischen Gentilgesellschaft gegenüberstellen, ein Jüngling möge zwar in (dies oder das) Dorf gehen, aber nicht dahin, wo die kichernden Mädchen sind. 113 Andererseits verführte Lopämudrä den Agastya im R V zur Liebe, während es Yami bei Y a m a nicht gelang, Urvasi aber sich dem werbenden P u r ü r a v a s verweigerte. 114 — E s gab indessen auch buddhistische Dichtung voll Achtung f ü r gute Frauen, wie den Versdialog der Königin der Videhas, die ihrem Gatten in Worten, Werken und Gedanken stets treu war, ihren Schwiegereltern gehorsam, gegen die Haremsfrauen nicht eifersüchtig, 115 gegen Diener und Sklaven freundlich, gegen Asketen freigebig war und die, als sie diese Wahrheit aussprach, u m einen Sohn zu bekommen, von I n d r a einen Sohn verheißen erhielt samt Wohlergehen im Diesseits und Jenseits. 1 1 6 Ein eigentlich buddhistisches weltentsagendes Element fehlt in dieser buddhistischen Dichtung wie in mancher anderen. Diese Weisheitslyrik mündete später in die hinduistische Niti-Literatur. 1 1 7 I n diese ging aber auch die brahmanische Staatslehre mit gewissen Elementen ein, die in der I I . und dieser I I I . Periode begann. E s ist u. a. ein buddhistischer Versdialog eines weisen Schwanes und eines Königs erhalten, in dem der Schwan in je einer Strophe nach dem König, seinem Reich, seinen Ministern und Feinden, nach der Königin und den Kindern und dann insbesondere nach den Prinzen fragt und der König auf jede Strophe mit einer Strophe antwortet, daß seine Gesundheit gut, sein Reich gut verwaltet, die Minister fehlerfrei und die Feinde fern, die Gattin ebenbürtig, die Kinder gut und schön, die vielen Söhne aktiv, wissend und zufrieden seien. Der Schwan schließt den Dialog mit moralischen Mahnworten ab. 118 Die Abfolge der hier behandelten P u n k t e stimmt ziemlich mit der der damaligen Staatslehre überein; 1 1 9 in ihr wurde u. a. auch die Frage nach dem Nutzen des Zorns behandelt, die auch f ü r die buddhistische Weisheitslyrik ein Problem war. 120 Dieser Versdialog ist aber zugleich eine Art Vorstufe des berühmten Kapitels im R ä m ä y a n a , in dem R ä m a B h a r a t a fragt, ob er die Herrschaft richtig f ü h r e ; er beginnt mit Fragen nach dem König, seinem Hofbrahmanen, den Königinnen usw. 121 Man m u ß eben die Werke der altbuddhistischen Lyrik zwischen ihren Vorläufern, Zeitgenossen und Nachfolgern sehen.

e) B r a h m a n i s c h e G e d a n k e n l y r i k An brahmanischer Lyrik ist im Gegensatz zur buddhistischen nur weniges, und zwar an Gedankenlyrik, nichts an anderer Lyrik, die es aber gegeben haben muß, mit einiger Sicherheit dieser Periode zuzuweisen, insbesondere in der Gruppe der sogenannten mittleren Upanisads, 1 2 2 die fast ganz in Versen ab-

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gefaßt sind und einiges an Versspruch Weisheit enthalten. I n ihnen ist SämkhyaYoga, aber auch einiges an Vedänta versifiziert, weil dies als mnemotechnische Methode damals beliebt war, weil aber auch diese Art religiös-philosophischen, weitgehend mystischen Denkens damals, wie einige meinten, besser mit dichterischer Freude als mit wissenschaftlicher Nüchternheit gelehrt wurde. Es gab natürlich mehr der Art, wie die kurze Versupanisad innerhalb des Rechtslehrbuches des Äpastamba 1 2 3 zeigt; aber vermutlich ist uns auch manches Derartige im Epos erhalten, nur ist dessen Chronologie noch unsicher. Es ist verständlich, daß die Mystik des ätman-brahman und der Agnostizismus 124 gläubige Dichter oder dichterisch begabte Fromme reizten und daß damalige gebildete Städter gerne solchen Versen lauschten und lauschen sollten. Die Lage war für Brahmanen auf dem Gebiet religiös-moralischer Spekulation nicht anders als für Buddhisten. Auch der moralische Inhalt war für beide Religionen im Grunde manchmal gar nicht so sehr verschieden. Da wird z. B. in einer Versgruppe zunächst das vedische Opfer als heilsam verherrlicht, als Wahrheit ausgegeben, als das, was zum Himmel f ü h r t ; die aufleuchtenden Opferspenden (von Butter im Feuer) rufen den Opfernden: Komm! Komm! und tragen ihn mit den Strahlen der Sonne zum Himmel. Dann aber folgt, nur mit einem „ja" angeschlossen (wir erwarten eher ein „dagegen"), eine Versgruppe, die die vedischen Opfer verurteilt (wie es auch der Buddhismus tat), nur Toren vollzögen sie, in Unwissenheit umherirrende; sie endeten in der Hölle, nicht im Himmel. 125 Der Dichter arbeitete mit dem auch bei Buddhisten beliebten Mittel der Antithese, 126 wie etwa auch der Verfasser eines vedäntischen Strophenpaares: Wie Wasser auf Berge niederregnet und in vielen Rinnsalen (nutzlos) davonläuft, so läuft derjenige (in vielen Irrwegen) den irdischen Dingen nach, der sie als gesondert (als viele) sieht; wie reines Wasser, in reines Wasser gegossen, mit ihm eins wird, so wird der ätman des Erkennenden eins (mit dem brahman).127 Ein Dichter pries das brahman mit der seit Sändilya beliebten coincidentia oppositorum: es bewegt sich und bewegt sich nicht; es ist fern und nah; es ist in allem und außer allem. 128 Wie für den Buddhisten ist die Welt für den Vedäntin etwas Fürchterliches: Wie ein erhobener Donnerkeil ist das brahman; aus Furcht vor ihm brennt das Feuer, brennt die Sonne, tun Indra, der Wind und der Tod ihr Werk. 129 — Nicht der alle dahinraffende Tod, der ewig bewegte Wind, der kriegerische Götterkönig Indra, nicht Sonne oder Feuer mit ihrem Segen sind für diesen Dichter an sich das Gefährliche, sondern das brahman, die unheimliche Kraft, die diese Kräfte der gefährlichen Welt in Bewegung hält. Die Welt der Erscheinungen ist für ihn nicht wichtig. — Ein anderer aber lehrte, als Yogi solle der Wissende die Sinne kraft des Denkens im Herzen festhalten und mit dem brahman als Boot die furchtbringenden Ströme alle überschreiten. 130 — Dann erreicht er die Erlösung im brahman: Dort leuchten nicht Sonne, nicht Mond oder Sterne, nicht Blitze, geschweige ein Feuer; dem leuchtenden brahman nach leuchtet alles, kraft seines Leuchtens leuchtet dieses alles. 131 Solche dichterische Vision wäre in einem philosophischen Lehrbuch

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nicht am Platze gewesen. Ein Buddhist legte damals Buddha eine Strophe in den Mund: Es gebe nur vier Leuchten in der Welt: am Tage die Sonne, des Nachts den Mond, bei Tag und Nacht leuchte das Feuer, aber der beste unter den Leuchtenden sei der Buddha. 1 3 2 Schon in der II. Periode hatte Yäjnavalkya das Licht des ätman, des Geistes, denen von Sonne, Mond, Feuer und Rede gegenübergestellt, 133 und seine Fünfzahl der Lichter der Natur und des Geistes geht vermutlich irgendwie auf noch älteres Denken und Dichten zurück. I n einem Lied der vorarischen Gentilgesellschaft wird die Braut, die schon schläft, gemahnt, ein Licht anzuzünden, wie Sonne und Mond (leuchtend), denn der Vater des Bräutigams sei gekommen, wie Sonne und Mond (leuchtend). 134 Da fehlt nur das Feuer des Herdes als viertes Licht. Warum hier der künftige Schwiegervater als leuchtend vorgestellt ist, ist noch nicht geklärt. E r steht als Respektperson vielleicht ein bißchen so da wie später der leuchtende Buddha und der Geist des brahman. Übrigens findet sich die traditionelle Reihe der drei Lichter Sonne, Mond und Feuer bereits im späten Rgveda. 1 3 5 Es war ein Dichter, wenn auch ein etwas unpoetischer, der den Sämkhyadualismus in einer einzigen kurzen, bis heute berühmten Strophe damit versinnbildlichte, daß ein und dieselbe Ziege, die viele Junge wirft (die Natur, die Urmaterie mit ihren vielen Produkten), von dem einen Bock (dem Weltmenschen) mit Genuß besprungen wird, während der andere (der Sämkhyawisser oder Yogi) sie, die Genossene, aufgibt. 136 — Ein anderer — ein reichlich trockener — Dichter hat das Verhältnis von Geist (Seele) und Leib in dem an sich eindrucksvollen, bis heute viel zitierten Bilde des Wagenfahrers und seines Wagens dargestellt; nur ist die Durchführung des Vergleichs im einzelnen sehr nüchtern, um nicht zu sagen, gelehrt. 137 — Es waren Dichter, die die moralischen Merkverse formten, die Yama dem Naciketas mitteilt, und die die Gegensätze wie den des Heilsamen und Lieben (Angenehmen), des Wissens und des Nichtwissens, des Weisen und des Toren behandeln. 138

2. Epik

(epische Lieder;

Erzählungen)

a) Buddhistische E p i k in Versen In den Liedern (gäthäs) der Mönche und Nonnen sind uns deren Bekenntnisse erhalten; ob sie nun als solche echt oder unecht, bloße Dichtung sind, es sind zum großen Teil epische Texte, die die Bekehrung des Betreffenden zum Mönchtum und Buddhaglauben darstellen, und zwar in der Ichform der Erzählung, d. h. als Monologe. Die kürzesten bestehen aus nur einer einzigen Strophe, der längste aus deren vierzig. Bekehrungen zum Buddhismus kann es in der arischen oder vorarischen Gentilgesellschaft nicht gegeben haben; dort hat allenfalls ein vorarischer Jüngling in einer monologischen Strophe seiner Mutter ein ganz anderes, wichtiges Erlebnis gestanden, daß er nämlich, als er auf dem Wege Ausschau hielt, ein Mädchen, seine Braut, gesehen hat; 1 3 9 ein anderer bekennt

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nicht am Platze gewesen. Ein Buddhist legte damals Buddha eine Strophe in den Mund: Es gebe nur vier Leuchten in der Welt: am Tage die Sonne, des Nachts den Mond, bei Tag und Nacht leuchte das Feuer, aber der beste unter den Leuchtenden sei der Buddha. 1 3 2 Schon in der II. Periode hatte Yäjnavalkya das Licht des ätman, des Geistes, denen von Sonne, Mond, Feuer und Rede gegenübergestellt, 133 und seine Fünfzahl der Lichter der Natur und des Geistes geht vermutlich irgendwie auf noch älteres Denken und Dichten zurück. I n einem Lied der vorarischen Gentilgesellschaft wird die Braut, die schon schläft, gemahnt, ein Licht anzuzünden, wie Sonne und Mond (leuchtend), denn der Vater des Bräutigams sei gekommen, wie Sonne und Mond (leuchtend). 134 Da fehlt nur das Feuer des Herdes als viertes Licht. Warum hier der künftige Schwiegervater als leuchtend vorgestellt ist, ist noch nicht geklärt. E r steht als Respektperson vielleicht ein bißchen so da wie später der leuchtende Buddha und der Geist des brahman. Übrigens findet sich die traditionelle Reihe der drei Lichter Sonne, Mond und Feuer bereits im späten Rgveda. 1 3 5 Es war ein Dichter, wenn auch ein etwas unpoetischer, der den Sämkhyadualismus in einer einzigen kurzen, bis heute berühmten Strophe damit versinnbildlichte, daß ein und dieselbe Ziege, die viele Junge wirft (die Natur, die Urmaterie mit ihren vielen Produkten), von dem einen Bock (dem Weltmenschen) mit Genuß besprungen wird, während der andere (der Sämkhyawisser oder Yogi) sie, die Genossene, aufgibt. 136 — Ein anderer — ein reichlich trockener — Dichter hat das Verhältnis von Geist (Seele) und Leib in dem an sich eindrucksvollen, bis heute viel zitierten Bilde des Wagenfahrers und seines Wagens dargestellt; nur ist die Durchführung des Vergleichs im einzelnen sehr nüchtern, um nicht zu sagen, gelehrt. 137 — Es waren Dichter, die die moralischen Merkverse formten, die Yama dem Naciketas mitteilt, und die die Gegensätze wie den des Heilsamen und Lieben (Angenehmen), des Wissens und des Nichtwissens, des Weisen und des Toren behandeln. 138

2. Epik

(epische Lieder;

Erzählungen)

a) Buddhistische E p i k in Versen In den Liedern (gäthäs) der Mönche und Nonnen sind uns deren Bekenntnisse erhalten; ob sie nun als solche echt oder unecht, bloße Dichtung sind, es sind zum großen Teil epische Texte, die die Bekehrung des Betreffenden zum Mönchtum und Buddhaglauben darstellen, und zwar in der Ichform der Erzählung, d. h. als Monologe. Die kürzesten bestehen aus nur einer einzigen Strophe, der längste aus deren vierzig. Bekehrungen zum Buddhismus kann es in der arischen oder vorarischen Gentilgesellschaft nicht gegeben haben; dort hat allenfalls ein vorarischer Jüngling in einer monologischen Strophe seiner Mutter ein ganz anderes, wichtiges Erlebnis gestanden, daß er nämlich, als er auf dem Wege Ausschau hielt, ein Mädchen, seine Braut, gesehen hat; 1 3 9 ein anderer bekennt

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III. Periode, 2 a

seinem Vater, daß er Blätter im Walde gesammelt, Fische in einem tiefen Teich gefangen hat, daß er bleiben wird, wie er ist, Junggeselle. 1 ' 10 Aus dem Rgveda ist das reuige Geständnis des verschuldeten Spielers heranzuziehen. 141 Bekennerische Verserzählung in Ichform ist also sehr alt, der gesellschaftskritische Inhalt der Bekehrung aber neu. Man kann indessen auch an gäthäs in den Brähmanas als Vorläufer dieser buddhistischen Bekehrungsepik denken, in denen ein Ekstatiker in Ichform aussagt, er sei mit dem All identisch. 142 Neu ist, daß die Dichtung eines echten oder fingierten Bekenntnisses als Anklage gewisser Leiden der Klassengesellschaft gehandhabt wird. In einer Strophe bekennt Meghiyo, daß er die Rede Buddhas gehört, die Lehre angenommen habe, daß ihm das „Wissen" aufgegangen sei (66; 69). 143 Ein anderer betont statt dessen die emotionelle Seite, daß der „Durst" in ihm verdorrt sei, so daß er nicht mehr wiedergeboren werden würde (67; vgl. 78f.). Ein dritter Mönch ist froh darüber, daß er alle vergangenen Taten ausgetilgt habe und nicht wieder geboren werden würde (80). Mänavo behauptet, er habe einen Greis, einen Kranken und einen Toten gesehen und sei daraufhin Mönch geworden (73). Er sieht sich wohl in der Nachfolge Buddhas, der als Prinz durch den Anblick solcher drei und eines Asketen bekehrt und zur Weltflucht bewogen worden sein soll. Ein Thera denkt daran, wie er sich einst von seinem wilden Herzen treiben ließ, es jetzt aber tapfer zurückhalten wird (77). Ätumo gesteht, daß ihn bisher der Anblick seiner Frau gehindert habe, jetzt aber gleiche er einer aufgegangenen Knospe (72). Dies alles enthält dogmatisch nichts Neues oder Originelles, aber in der Erlebnisweise sprechen doch die verschiedensten Dichterpersönlichkeiten. Der Mönch trennte sich von seiner sozialen Schicht, trat heraus aus Stadt oder Dorf, fühlte sich frei — freilich auch einsam. Und er führte dieses ihm neue Erleben zurück auf ein einmaliges Ereignis, die Bekehrung, die eines Tages zu seinem Erwachen als Buddha führen würde. Wie dies in den einstrophigen Bekenntnissen geschieht, so auch in den mehrstrophigen. Eine gesellschaftliche und individuelle Entwicklung, ein kompliziertes Werden des Bekehrten wird nicht reflektiert. So schildert Paccayo in drei Strophen, wie er, als er gerade fünf Tage Asket war und einsam (sicher im Walde) dasaß, den Entschluß faßte, nicht aufzustehen, ehe er nicht das Ziel erreicht habe; und es sei ihm gelungen (22—24). I n zwanzig Strophen schildert Sunito, er sei ein armer, unterdrückter Gärtner gewesen, habe von Buddha gehört, sei zu ihm geeilt, von ihm in den Orden aufgenommen worden und habe dann eine Nacht meditiert, so daß er am Morgen allen Wahn überwunden gehabt habe (620—31): der Buddha aber habe sich gefreut. — Panthako war, von seinem bösen Bruder aus dem Elternhaus verjagt, zu Buddha gekommen (557—62); er hat, wie ein anderer anschließend erzählt, magische K r a f t gewonnen und ist einst, als Buddha ihn wünschte, zu ihm geflogen (563—66). — Sabbadäso bekennt, daß er 25 Jahre als Asket wanderte, ohne Ruhe zu finden, daß er zum Schwert griff, um sich die Adern aufzuschneiden, obgleich er wußte, daß dies einem Ordensmitglied nicht erlaubt war; da kam die Bekehrung über ihn (405—10). Nach diesem individuellen Erlebnis ist der Schluß der Bekehrung

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in zwei formelhaften, oft verwendeten Strophen ausgesprochen. 144 — Jento gesteht, daß er als adelsstolzer Mensch in Reichtum gelebt, alle anderen verachtet, selbst die Eltern nicht geachtet habe, bis er Buddha traf (423—28). — Bhaddo erzählt, daß er als Kind von seinen Eltern verwöhnt, mit acht Jahren von ihnen aus Mitleid Buddha übergeben wurde, der ihn allein ließ; am Abend war er schon erlöst (473—79). Diese Icherzählungen sind bei aller Begeisterung so sachlich in Verse gebracht, daß sie heute noch gerade wegen ihrer kritischen Einstellung dem Historiker die Wirklichkeit widerspiegeln. Wie müssen sie erst damals auf Fromme gewirkt haben! Das gleiche gilt von den Bekenntnissen einiger Nonnen. I n zwei Versen berichtet eine, daß sie früher eine Hetäre war, von einem reichen K a u f m a n n umworben, dann aber von Ekel vor ihrer Schönheit erfaßt wurde und sich danach sehnte, nie wieder geboren zu werden (Therlgäthä 25f.). Wie die Bekehrung über sie kam, sagt sie nicht. — Eine andere frühere Hetäre gedenkt in ihrem Monolog ihres einstigen Übermutes und stellt dem ihre jetzige selige Ruhe im Wald gegenüber (72—6). — Eine Nonne konnte sieben Jahre lang ihr leidenschaftliches Gemüt nicht beruhigen, griff zum Strick, um sich im Wald zu erhängen, da war ihr Herz auf einmal geheilt (77—81). — Eine kinderlose Witwe zog sieben J a h r e als Wanderbettlerin umher, ehe sie durch eine Nonne in den Orden aufgenommen wurde (122—126). — Eine Mutter, die ihr Kind verlor, irrte drei J a h r e im Elend umher, ehe sie Buddha traf und die Wahrheit erkannte (133—38). — Eine reiche, verwöhnte Frau kam, von einem Fest in einem Garten heimkehrend, an einem Kloster vorbei, trat ein, traf Buddha und begriff sofort seine Lehre (145—50). Garten und Kloster lagen wohl außerhalb der Stadtmauer. — Ein reiches adliges, viel umworbenes Mädchen sollte als Gattin an einen Reichen verkauft werden, da sah sie Buddha, fiel ihm zu Füßen, wurde Nonne und wurde nach sieben Nächten von Wünschen frei (151—156). — Kisägotami klagt über das Leid der Frauen, von denen manche zum Selbstmord bereit sei; sie berichtet, daß, als ihre Wehen einsetzten, sie Mann, Sohn und Tochter tot sah, auch Mutter, Vater und Bruder (eine kaum glaubhafte Häufung von Toten); alle verbrannten auf demselben Scheiterhaufen; als einsame Witwe fand sie den Weg zur Erlösung. 145 — Die längste dieser epischen Dichtungen, dieser buddhistischen Varianten epischer Lieder, mit ihren 48 Strophen schildert, wie die reiche Isidäsi von ihrem Vater verheiratet wurde, ihrem Gatten treu diente, er sie aber nicht mochte und ins Vaterhaus zurückschickte, obgleich sie von ihm schwanger war. Trotz alldem verheiratete sie der Vater ein zweites Mal, aber ihr zweiter Gatte wurde Asket, so sehr ihr Vater ihn auch bat, daheim zu bleiben. Da entschloß sie sich, Nonne zu werden, erhielt die Genehmigung ihres Vaters und erreichte am 8. Tag das Wissen, u. a. von sechs Vorleben als Goldschmied, der Frauen anderer verführte 1 4 6 und dafür als Affe, als Schaf, dann als Kalb, als zweifelhafte Tochter einer Magd und als arme, bettelnde Kärrnerstochter wiedergeboren wurde, die von einem reichen K a u f m a n n gekauft und von dessen verheiratetem Sohn vergewaltigt wurde, bis ihr jetziges elendes Frauendasein anfing. Sechsmal ist sie nicht wieder als Mann (der es im 10

Kuben, Dichtung

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Patriarchalismus besser hat als die Frau) geboren worden. Dieser Icherzählung ist eine Einleitung von fünf Strophen vorangestellt, in der eine andere Nonne die Isidäsi nach ihrem Schicksal fragt und der Ort des Dialogs angegeben wird. — Diese Icherzählung wurde noch übertreffen von der der klugen Königstochter Rucä im 544. J ä t a k a , die ihren zum Hedonismus und Unglauben verführten Vater durch Bericht über ihre sieben Vorgeburten bekehren möchte, ohne indessen buddhistische Nonne oder Asketin zu sein, so daß die Quelle ihres „Wissens" unklar bleibt: Als Sohn eines Schmieds verführte sie einst dank einem schlechten Freund Frauen anderer; trotzdem wurde sie dann dank guter Taten als Sohn eines reichen Kaufmannes geboren, der dank einem guten Freund Gutes tat. Infolge der einstigen bösen Taten aber kam sie in die Hölle und wurde danach als Bock wiedergeboren, dann als Affe, Rind und Zwitter und endlich als Folge guter Taten als Kaufmannssohn und als Nymphe im Himmel Indras. Dort wußte sie bereits ihre sieben künftigen Wiedergeburten (von denen die jetzige die erste ist), erst in der siebenten solle sie ein Mann werden. Diesem vielfach belegten Typ der versifizierten Bekehrungserzählung als Monolog in Ichform steht ein anderer Typ gegenüber, in dem ein Dialog den Kern bildet, der zur Bekehrung führt. 1 4 7 Am einfachsten ist dessen Form da, wo auf eine Fragestrophe: Wer hat seine Sinne wie Rosse gezügelt ?, eine Antwortstrophe folgt: Ich habe meine Sinne gezügelt (Thera 205f.). — Der Dialog kann ausgesponnen, und es kann eine Erzählung in Ichform oder in anderer Form am Anfang oder (und) am Ende bzw. in der Mitte hinzugefügt und damit das Dialoggedicht zum eigentlich epischen Gedicht bzw. Lied werden. 148 So beginnt der Dialog des Räuberhauptmannes und des Mönchs mit der Frage, warum der gefangene Mönch keine Furcht empfinde, woraufhin der Mönch in 13 Strophen über die allgemeine Vergänglichkeit predigt; seinen Leib gebe er ohne Furcht, H a ß oder Liebe dahin. Es folgt in der Mitte des Dialogs ein erzählender Vers über die Erschütterung der Räuber durch diese Predigt und die zweite Frage: Wer sein Meister sei. I n zwei Strophen preist der Mönch den Buddha, und zwei Strophen erzählen am Ende von der Bekehrung der Räuber, die Mönche werden (705—25). — Die Unterredung des brahmanischen Lehrers Selo mit Buddha endet nach 16 Strophen damit, daß Selo seine Schüler auffordert, mit ihm zusammen dem Buddha nachzuwandeln. Die Schüler geben mit einer Strophe ihre begeisterte Zustimmung. In einer halben Strophe erzählt der Dichter, daß die Brahmanen auf Buddha blickten; in einer halben steht in direkter Rede ihre Bitte an Buddha, sie anzunehmen, und Buddha antwortet mit der Schlußstrophe. 149 Die Erzählung, jener halbe Satz, könnte im Grunde fehlen, denn die anderen Wechselreden werden in diesen Versdialogen (Balladen) nicht mit entsprechenden Sätzen eingeleitet. — Die Unterhaltung der Mönche Phusso und Pandaraso wird mit zwei Strophen eingeleitet; in der ersten wird erzählt, daß Phusso manchen Mönch bei Pandaraso sah und diesen fragte, in der zweiten steht seine Frage nach dem Charakter der künftigen, zu erwartenden Mönche. Die Antwort, sie würden zuchtlos sein, besteht aus 30 Strophen; sie umfaßt in vier Strophen (967—70) eine sehr knappe Versdarstellung

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des 221. J ä t a k a , sozusagen eine Frühform der später beliebten Schaltgeschichten. I n diesen drei Dialogen stehen die wenigen Erzählungsstrophen also am Ende, in der Mitte und am Anfang. Ähnlich ist es bei den Liedern der Nonnen. Der Dialog zwischen der Nonne Subhä und dem Versucher wird mit einer Erzählstrophe eingeleitet und mit einer abgeschlossen (Theri 366—99). — Der in Ichform vom bekehrten Sohn schon geschilderten Bekehrung durch seine Mutter sind drei Erzählverse angehängt (204—12). — Umgekehrt leitet die Dienerin Punnikä ihre Zwiesprache mit einem Brahmanen, der sich nach vedischer Sitte rituell mit einem Bade reinigt, und den sie, die Magd, zum Buddhismus bekehrt, mit einer Erzählstrophe in Ichform und einer Frage an den Brahmanen ein (236—51). — Der Waldeinsiedler Kalo leitet seinen Dialog mit seiner Frau Cäpä, in dem er von ihr Abschied nimmt, um buddhistischer Asket zu werden, wie Punnikä mit einer Erzählstrophe in Ichform ein; dann folgt der Dialog; den Abschluß bilden dann drei Strophen darüber, daß er zu Buddha geht und den Weg der Erlösung betritt (291—311), nicht in Ichform. — Die Bekehrung der Sundari wird in vier Dialogen, sozusagen vier Szenen (nur sind diese nicht als solche gekennzeichnet), dargestellt: I. Ihr Vater fragt seine Frau, warum sie nicht weine, wo sie doch gerade ihr siebentes Kind begraben habe. Sie verweist auf Buddha. Der Vater will zu ihm gehen. In drei Strophen wird sein Weg zu ihm geschildert. I I . E r sendet seinen Wagenlenker zu seiner Tochter heim mit der Botschaft, in drei Nächten habe er das „Wissen" erlangt. Eine halbe Strophe erzählt die Ankunft des Wagenlenkers bei der Tochter. Er berichtet, die Mutter will ihn reich beschenken; er aber erklärt, auch Mönch werden zu wollen. Die Mutter begrüßt die Tochter als reiche Erbin; diese indessen will Nonne werden. I I I . Sie bittet eine Nonne um Aufnahme und berichtet ihr (vielleicht etwas später) von der Erlangung des Wissens; sie möchte zu Buddha gehen. IV. Buddha nimmt sie in den Orden auf. Ohne verbindende Prosa sind diese Versdialoge so wenig verständlich wie die Balladen des Rgveda; sie gehören also vielleicht in eine uns nicht erhaltene Prosaerzählung, wie solche in den J ä t a k a s den Versgruppen angefügt sind, als die Verse nicht mehr verständlich, ihre Anlässe nicht mehr bekannt waren. 150 I m J ä t a k a 505 z. B. ist ein Versdialog eines Königs mit einem falschen Asketen in Prosa eingebettet, aber es gibt dazwischen auch Erzählverse, die keine Ichform haben. Im 541. J ä t a k a steht in der Prosa ein Versdialog eines Königs mit Indras Wagenlenker Mätali, der ihm die Höllen zeigt; in ihn sind Erzählverse eingebaut. I m 524. J ä t a k a wird innerhalb des Versdialogs die in der Prosa berichtete Handlung in Versen ausführlicher wiederholt, 151 wobei Dialog- und Erzählverse, ja, ein Prosasatz abwechseln. Ähnlich ist es im 533., 545. und 547.152 J ä t a k a . I m 413. J ä t a k a erzählt ein Asket einem König zu dessen Belehrung eine kurze Versgeschichte von sechs Strophen über einen törichten Brahmanen, einen Einsiedler, der seine Ziegenherden für eine Herde wilder Gazellen aufgab; diese Erzählung enthält keinen Dialog und sie ist auch kein Monolog. 10*

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I m Suttanipäta 284—315 steht nach einer kurzen Prosaeinleitung ebenfalls eine Erzählung, und zwar in 32 Versen über den moralischen Verfall des Brahmanenstandes durch das Aufkommen des höfischen Luxus und der Tieropfer, so recht im Sinne der buddhistischen Gesellschaftskritik und Religionsreform. 153 Sie erinnert aber zugleich an hinduistische Puranendarstellungen des allgemeinen Sittenverfalls im Verlauf der vier Weltalter. I m Suttanipäta 405 ff. wird ein Kapitel aus dem Leben Buddhas in 19 Strophen ohne Prosa erzählt, wie er nach Räjagrha kam, König Bimbisära ihn bemerkte, ihm auf den Berg außerhalb der Stadt, wo Buddha ruhte, folgte und ihm Reichtümer anbot, auf die Buddha aber verzichtete. Der Versdialog besteht nur aus den letzten vier Versen, alles andere ist Erzählung mit eingestreuten Reden. Es folgt in demselben Text eine Verserzählung über Buddhas Versuchung durch Mära, als Buddha sich dem Platz seines Erwachens näherte (425—49). Dies ist im wesentlichen ein Dialog mit einer einleitenden Erzählung von anderthalb Versen und einem erzählenden Halbvers mitten drin. Eine Verserzählung mit nur einem kurzen Dialog am Anfang berichtet ebenda 679—98 von dem Seher Asita, der die Größe des Kindes Buddha voraussagte. Eine Verserzählung mit vielen, langen Versdialogen ist dort 976ff. die über Bävari, der samt seinen Schülern durch einen Asketen Buddha zugeführt wurde, wobei jeder von ihnen Buddha fragen durfte. 154 An diesen Stellen handelt es sich sozusagen um damalige epische Lieder, die, ob mit oder ohne Prosa, als Vorläufer oder Bausteine eines künftigen Buddhaversepos, zunächst eines Kurzepos ohne Prosa angesehen werden können. 155 Auch viele jener Bekehrungsverserzählungen gehören, soweit Buddha selber der Bekehrende ist, als Bausteine in gewissem Sinne in Buddhas Biographie. Ob es sich bei diesen um Monologe oder Dialoge handelt, das Didaktische ist wichtiger als die Handlung, ist die Bekehrung doch nur ein Moment, ein geistiges Erlebnis dieses buddhistischen Wanderhelden. Insofern wurde die Form dem Inhalt gerecht und bewirkte, daß das spätere Buddhaepos die Form einer mit didaktischen Dialogen und Monologen (Predigten) durchsetzten Verserzählung 130 erhielt. Diese Versepik wurde ebenso wie die damalige Lyrik der Buddhisten langsam im heranwachsenden Kanon gesammelt, um als Mittel zur Bekehrung und Belehrung nicht nur der Ordensmitglieder, sondern möglichst auch der Nichtbuddhisten, vor allem der Städter zu dienen, mag auch die einzelne Dichtung als persönliches Bekenntnis eines Dichters aufzufassen sein. Ihr literaturgeschichtlicher Wert besteht darin, daß sie uns eine Fülle von epischen Liedern, Vorformen der Versepen zeigen. Diese Epik über den historischen Buddha des 6. Jahrhunderts lief offenbar als Konkurrentin neben der gleichzeitigen hinduistischen Epik der Helden der heroischen Periode um das J a h r 1000 her und erlaubt uns Rückschlüsse auf diese Heldenepik. Die J ä t a k a s im allgemeinen werden im Kapitel der buddhistischen Epik in Prosa behandelt werden, das letzte Jätaka 1 5 7 erst in der IV. Periode.

I I I . Periode, 2b

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b) B r a h m a n i s c h e Versepik Die damalige brahmanische Versepik im Sanskrit der Gebildeten kann (nicht muß) man sich in der Form ähnlich wie die buddhistische in Päli vorstellen. Es scheint, daß uns Stücke von ihr noch in den späteren hinduistischen Epen oder sonst erhalten sind. 158 Der Grammatiker Pänini, der den Glauben an Krsna und Arjuna für das 5. J a h r h u n d e r t bezeugt, 1 5 9 erwähnt VI, 2, 38 das W o r t „Mahäbhärata", das etwa gleichzeitige Asvaläyanagrhyasütra aber „ B h ä r a t a " und „Mahäbhärata". 1 6 0 Es gab demnach eine große und eine kleine Fassung der Sage (wohl kaum schon des Kurzepos) der Bhäratas, d. h. der auf den mythischen Urahn zurückgeführten Dynastie oder Ksatriyasippe der Bhäratas, zu der die Helden des hinduistischen Epos Mahäbhärata gehörten. I m Rgveda war Bharata noch der Ahne des Stammes der Bhäratas gewesen. 161 I n der I I . Periode ist er als Sohn der Sakuntalä und des Duhsanta in zitierten gäthäs erwähnt. 1 6 2 I n der I I I . Periode gab es offenbar schon epische Dichtung über diese Dynastie, die nach dem späteren Epos über das Volk oder den werdenden Staat der K u r u s um das spätere Delhi herum herrschte, eine Glorifizierung des epischen Zeitalters, das damals bereits mehr als ein halbes J a h r t a u s e n d zurücklag. Nach puranischer Tradition herrschten die Nachfahren dieser Dynastie damals als Vatsa-Könige in Kausämbi. Unter Nicaksu, dem f ü n f t e n König nach Pariksit, soll eine Flut der Gangä die epische H a u p t s t a d t Hastinäpura (bei Delhi) davongeschwemmt haben, so daß er die Residenz nach Kausämbi verlegte. 163 Pariksit und J a n a m e j a y a spielen in der Einleitung des Mahäbhärata eine große Rolle; sie gehören noch an das letzte Ende des heroischen Zeitalters. 1 6 4 Fünf Generationen später befand sich Indien vielleicht a m Anfang der I I . Periode. Pänini IV, 3, 87; 116 spricht von krta grantha,165 d. h. verfaßter Literatur. Zu solcher kann er auch das B h ä r a t a (und Mahäbhärata) gerechnet haben, denn in der der IV. Periode angehörenden Einleitung noch des späteren Epos wird gelegentlich vom Bhärata (ohne Mahä) gesprochen, von grantha und &r.166 Unmittelbar nach der „verfaßten Literatur" spricht Pänini von vier Titeln, 167 und zwar handelt er an all diesen Stellen über Wortbildung, nicht über Literaturgeschichte. 1. „Kinder schreien." Dieser Titel paßt auf die Episode 1 6 8 im Mbh I, 107, 1142*: K a u m war Duryodhana geboren, schrie er wie ein Esel, und Esel, Schakale und Geier antworteten ihm. Dieser Vers ist zwar nur in den H a n d schriften des Nordens überliefert, kann aber trotzdem sehr alt sein. E s folgen weitere schlimme Vorzeichen, so daß Vidura und andere Brahmanen empfehlen, das Kind auszusetzen. 2. „Yamas Halle." 1 6 9 I m Mbh I I , 8 schildert N ä r a d a dem Yudhisthira die Halle Yamas, in der viele berühmte Könige nach ihrem Tode weilen, unter ihnen Mandhätä. Die Nonne Sumedhä erwähnt in einer Strophe in Therlgäthä 486 innerhalb ihrer Predigt des Lebensüberdrusses, daß sogar der Weltherrscher Mandhätä bei all seinem Glück ungesättigt sterben mußte. 1 7 0 I n ähnlichem Sinne wird Mandhätä neben Marutta, B h a r a t a (s. o.) und anderen

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berühmten Königen, die bei all ihrer Größe sterben mußten, von Krsna dem Yudhisthira als Trost über das Fallen so vieler Helden in der großen Schlacht angeführt. 1 7 1 Man kann sich also eine Schilderung der Halle des Yama mit solchen Versen über berühmte Könige der Vorzeit als Vorlage Päninis denken, die im hinduistischen Mbh eine Art Variante hat. 3. „Dvandva" (Paar), nach dem Kommentar eine Geschichte vom Adler und der Taube, d. h. vermutlich ein episches Lied über König Sibi, der zwischen Adler und Taube Schiedsrichter war und dem Adler von seinem eigenen Fleisch statt von dem der Taube gab; Mbh I I I , 130f. 172 4. „Indras Geburt." Diese ist im Mbh meines Wissens nicht erzählt, wohl aber imRgveda 1 7 3 und danachin Saunakas Brhaddevatä IV, 130ff., also in dieser I I I . Periode. Pänini sagt nicht, daß diese Texte Teile des Mbh gewesen seien. Das gilt auch für Krsna und Arjuna, die er gelegentlich erwähnt. Das das Mbh damals schon ein viele Episoden umfassendes umfangreiches Versepos oder ein Kurzepos gewesen ist, ist nicht zu beweisen 174 und ist nicht wahrscheinlich, wenn man auf die damalige buddhistische Epik blickt. Unter den Jätakas, d. h. den epischen Werken der damaligen Buddhisten, gibt es einige, von denen, was die Verse, nicht die Prosa anbelangt, eine kürzere und eine längere Fassung vorliegt, diese mit dem vorgesetzten Wort Mahä ( = Groß) gekennzeichnet wie z. B. das J ä t a k a vom Schwan und das Große J ä t a k a vom Schwan, Nr. 502 und 534 (dazu Cullahamsajätaka Nr. 533); das eine hat 26, das andere 62 Verse von denen die ersten Verse z. T. gleich sind. Ähnlich ist der Unterschied der Zahl der Verse beim (großen) J ä t a k a vom Pfau, Nr. 159 und 491, bei denen die vier bzw. sechzehn Verse inhaltlich ganz verschieden sind. Vom Mittavindajätaka gibt es sogar vier Fassungen: J ä t 82 mit nur einem Vers, ebenso J ä t 104 mit einem anderen Vers. Diese beiden Verse stehen im J ä t a k a 369 als erster und dritter seiner fünf Verse. Der 3. und 4. dieser fünf Verse kommen schließlich unter den neun Versen des J ä t a k a 439 vor, das den Titel „Jätaka der vier Tore" trägt, aber auch das Große Mittavindajätaka genannt wird. 175 Manchmal bezeichnet das vorgesetzte Mahä aber den Unterschied zweier Jätakas, die von ganz verschiedenen Wesen handeln, die nur denselben Namen tragen, wie z. B. die des Kanha, der in J ä t 29 ein schwarzer Stier, in J ä t 469 ein Hund, in J ä t 440 ein schwarzer Prinz ist. Das mit den meisten Versen, J ä t 469, wird als Mahäkanhajätaka bezeichnet. Solche Unterscheidung war damals also üblich, und demgemäß braucht Mahäbhärata nur ein etwas größeres episches Lied als Bhärata zu bezeichnen, ohne daß der längere Text länger als ein durchschnittliches J ä t a k a zu sein braucht. I n den Versen der Jätakas werden ganz kurz einige Themen behandelt, die im späteren Mahäbhärata vorkommen, also vielleicht schon in damaliger brahmanischer Epik enthalten waren. I m 536. J ä t a k a z. B. steht eine Strophe des Inhalts, daß fünf Gatten, deren Namen die der fünf Pändavas des späteren Epos sind, gemeinsam eine einzige Frau hatten, von dieser aber mit einem Krüppel betrogen wurden. Dieses ist eine gehässige Behandlung der Polyandrie 1 7 6 der Pändavas; diese war den Hindus, die sie nicht — wie wir — ethnologisch von den

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gentilen Bergstämmen des Nordens herleiten konnten, eine überkommene Tatsache, die sie im Mbh I, 157 mit einer Verheißung Sivas a n Draupadl in ihrem Vorleben und außerdem in I, 182 mit einem versehentlichen Befehl ihrer Mutter, der K u n t i , erklären zu müssen glaubten. Daß D r a u p a d l aber ihren fünf Gatten untreu gewesen sei, ist buddhistische Polemik gegen die brahmanische Tradition, Draupadl als in ihrer Art m u s t e r h a f t e Gattin hinzustellen, die ihre Reinheit bei den Angriffen Jatäsuras, J a y a d r a t h a s und Kicakas bewährte. I n Jätakaversen spielt öfter der Weise Vidhura eine Rolle, der dem Vidura a n Dhrtarästras Hof im Epos entspricht. 1 7 7 I m J ä t a k a 495 belehrt er den Koravya-König (nach der Prosa Yudhitthila) über zehn Arten von Brahmanen (Ärzte, Boten, Asketen, Händler, Bauern, Opferpriester, Soldaten usw.). I n J ä t a k a 515 fragt ihn Yudhitthila nach dem, was nützlich und gerecht 1 7 8 sei, er aber verweist ihn a n seinen Sohn, dieser wiederum an seinen Sohn, der ihn d a n n belehrt. Vor allem ist er der Held des sehr langen 545. J ä t a k a : Die Schlangenkönigin Vimalä verlangt das Herz des Vidhura zu essen. Der König verspricht dem Dämon P u n n a k a seine Tochter, wenn er Vidhura herbeischaffe. Der Dämon fordert Vidhuras König, D h a n a n j a y a , in der Kuru-Halle in Indap a t t a zum Würfelspiel heraus, gewinnt und fordert Vidhura als Preis. Vidhura behauptet, als Sklave des Königs sei es recht, daß er P u n n a k a folge. Dieser weilt dann drei Tage in dem Hause des Weisen, damit dieser von seiner Familie Abschied nehmen könne; nach diesen Tagen aber empfindet er sich als sein Freund und will ihn freilassen, nicht mehr opfern. Vidhura aber läßt sieh zu den Schlangen führen und predigt ihnen buddhistische Moral so schön, daß P u n n a k a den Auftrag erhält, Vidhura wieder zu den K u r u s zu bringen. Diese Erzählung, aus Prosa und vielen Versen gemischt, d ü r f t e nichts anderes als eine buddhistische Variante der berühmten Spielszene im Mbh sein: 1 7 9 An Dhrtarästras Hof forderte Duryodhana Yudhisthira zum Spiel heraus, siegte und verlangte schließlich Draupadl als Preis. K a r n a erklärte D r a u p a d l f ü r eine Sklavin, F r a u des Sklaven Yudhisthira, der sich selber vorher verspielt hatte. A r j u n a aber widerlegte dies: Yudhisthira sei gerade deswegen nicht mehr ihr Herr. Als d a n n schlimme Vorzeichen erschienen, wandte sich Vidura, der von Anfang an gegen das Spiel gewesen war, a n Dhrtarästra, der D r a u p a d l freiließ und ihr drei Wünsche freistellte; sie wählte die Freiheit ihrer Gatten. E s scheint also, daß es eine alte Tradition über ein Spiel bei den K u r u s (oder Kauravas) gab, bei dem ein freier Mensch verspielt, aber wieder freigelassen wird, und zwar mit einer Begründung, die im J ä t a k a an die Freilassung des Naciketas 1 8 0 durch Yama, in dessen H a u s er drei Tage geweilt h a t , erinnert; dieser darf Y a m a drei Fragen stellen, und dies ist wiederum den drei Wünschen der Draupadl im Epos ähnlich. Wie aber die älteste Fassung dieses epischen Liedes ausgesehen h a t , ob sie D r a u p a d l oder Vidura betraf, ist einstweilen nicht entschieden. I m 444. J ä t a k a steht ein Dialog, in dem die Asketen K a n h a D i p ä y a n a , Mandavya u n d dessen Sohn Y a j n a d a t t a genannt werden. I m Mbh entsprechen

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ihnen Krsna Dvaipäyana, d. h. Vyäsa, der die Veden und das Mbh redigiert haben soll,181 und Mändavya. Im Mbh fehlt eine entsprechende Szene. Krsna Dvaipäyana und die Andhakavrsnis werden weiter in zwei Versen des 512. und 530. Jätakas in einem Zusammenhang genannt, der von der Version der Sage im Mahäbhärata etwas abweicht.182 In der einzigen Strophe des 80. Jätaka wird ein Bhimasena verspottet, daß er erst als Kämpfer geprahlt, sich dann aber aus Verzweiflung arg besudelt habe. Das könnte eine buddhistische Karikatur des Mahäbhäratahelden Bhimasena sein. Dieser könnte auch mit dem Liebhaber der menschlichen Frau eines Dämons gemeint sein, der im 3. Vers des 436. Jätaka als Sohn des Windes bezeichnet wird,183 denn diese Abstammung trifft auf Bhimasena zu. Ob dieser Held nun mit Theseus184 zusammenhängt oder nicht — daß er in dieser Periode genannt wird, nimmt nicht wunder. Wenn Bhimasena und Theseus einen Menschenfresser erschlagen und sich als Opfer für ihn anbieten, so ist diese Motivkette das Gerüst des 398. Jätaka; nur ist hier der Schluß in buddhistischer Liebe zu allen Wesen so gewendet, daß der Menschenfresser bekehrt wird. Auch dies läßt sieh als eine buddhistische „Verbesserung" der brahmanischen Sage auffassen. Im ersten Vers des 454. Jätaka wird der Held mit Kanha und auch mit Kesava angeredet, es handelt sich also um den von Pänini erwähnten hinduistischen Krsna,185 Kesava. Im übrigen ist der Sinn der Strophen an sich unverständlich; der Prosa nach ist ein Sohn Krsnas gestorben; er ist darüber trostlos, sein Bruder Ghata, der dem Hinduepos unbekannt ist, will ihn trösten und stellt sich irrsinnig. Entsprechendes ist aus brahmanischer Literatur nicht bekannt.186 — In einem Vers des 546. Jätaka berichtet ein Papagei einem Starenweibchen, das er zur Liebe gewinnen möchte, obgleich sie keine Papageiin, nicht seiner Art ist, daß noch die erste Gattin Väsudevas, Jämbavati, die Mutter König Sibbis, lebe. In der vorangegangenen Strophe hatte er behauptet, selbst wenn einer eine Candälafrau liebe, sei dies Liebe; Liebe sei bei allen gleich. Er knüpfte mit dieser kühnen, humanistischen Strophe geradezu an eine gäthä der I I . Periode an, in der von einer Südrafrau ziemlich das gleiche gesagt worden war; 187 mit der Ständegesellschaft war dies eben ein soziales Problem geworden. Jämbavati aber war die Tochter des dämonischen Bären Jambavän, die von Krsna zusammen mit dem Juwel Syamantaka aus dessen Höhle geholt wurde.188 Jämbavatls Sohn war Sämba.189 Diesen bekam Krsna anscheinend — die Sage ist nicht mehr klar überliefert — durch asketische Verehrung Sivas; ,!)0 damit hängt der Name Sibbi im Jätaka vielleicht zusammen, wenn er überhaupt richtig überliefert ist.191 Daß Jämbavati Krsnas erste Frau war, ist in hinduistischer Mythologie nicht gesagt; dort ist es Rukminl. Stoffe des Harivamöa waren anscheinend noch nicht Gegenstand eines Versepos.192 Einiges läßt sich auch für das Rämäyana anführen. Gemäß den Versen des 461. Jätaka läßt Räma Lakkhana und Sltä für den Vater Dasaratha, dessen Tod Bharata ihm mitgeteilt hat, einen Totenritus vollziehen. Auf eine Frage Bharatas, warum Räma über den Tod des Vaters nicht klage, spricht dieser eine

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Variante vielfach vorkommender Verspredigten gegen die Totenklage. 1 9 3 I m R ä m ä y a n a I I , 95 klagt dagegen R ä m a beim ersten Hören der Nachricht sehr und fordert d a n n Laksmana und Sita auf, zum Totenritus in die MandäkinI hinabzusteigen, er werde folgen. Danach j a m m e r t B h a r a t a , u n d R ä m a tröstet ihn n u n erst im Sinne des J ä t a k a ; dabei ist sogar ein Vers beiden Texten gemeinsam; 1 9 4 diese Trostrede R ä m a s ist also sehr alt, im R ä m ä y a n a aber offenbar später u m R ä m a s Klage erweitert worden, weil m a n diese wohl f ü r schicklich hielt. Krsnas Klage um seinen gestorbenen Sohn im J ä t a k a soll jenen dagegen in den Augen des Buddhisten herabsetzen (s. o.). I m Gegensatz zu Krsna s t a m m t R ä m a wie B u d d h a von Iksväku ab und wird vielleicht deswegen nicht wie Krsna kritisiert. — I n der 17. Strophe des 513. J ä t a k a wird erwähnt, daß R ä m a s Mutter ihm, als er in den Dandakawald ging, einen wirksamen Segen mit auf den Weg gab: das p a ß t zu R ä m . I I , 22. 195 Die vielen dialogischen Verse des 540. J ä t a k a spiegeln unter Kritik a m Despotismus eine Situation wider, in der König Piliyakkha von Kääi unwissentlich s t a t t einer Gazelle Säma, den Sohn eines Jägerpaares, im Wald auf der J a g d mit seinem Pfeil erschossen hat, reumütig den beiden blinden, hilflosen Alten seine Sünde gesteht, sich ihnen als ihr Diener anbietet u n d die Verzeihung sowohl des sterbenden Sohnes als auch der beiden Eltern empfängt, die sich einig sind, daß Totschlag kein Grund f ü r Zorn 1 9 6 sei. E r f ü h r t sie zum erschlagenen Sohn. Der Erschossene wird — wohl als Belohnung f ü r soviel Güte — wiederbelebt, er war, wie er sagt, n u r scheinbar tot, u n d beendet die Ballade mit einer Predigt über gerechtes Herrschen. - Dies ist ähnlich der Sünde D a s a r a t h a s im R ä m ä y a n a , daß er nämlich einst irrtümlich auf der J a g d im Walde den Sohn eines blinden Asketenehepaares erschoß; dieser riet ihm zu den Eltern zu eilen, damit sie ihn nicht verfluchen, und er tröstete ihn, sein Vater sei Vaisya, die Mutter Südrä, und starb. Dasaratha t a t so, gestand den E l t e r n alles, f ü h r t e sie zur Leiche, der Geist des Sohnes tröstete die Eltern u n d flog zum H i m m e l ; der Vater aber verfluchte Dasaratha, er solle einst an K u m m e r über seinen Sohn sterben, wie er selber j e t z t sterben werde, u n d er starb. 1 9 7 E r sieht so aus, als habe der Hinduepiker eine dem J ä t a k a ähnliche Geschichte gekannt u n d u n t e r Änderung des Schlusses (Zorn, Fluch) verwendet, u m D a s a r a t h a s Schuld u n d Sühne darzustellen, denn Dasaratha erzählt dies Jugenderlebnis seiner F r a u Kausalyä nach R ä m a s Verbannung als deren moralisch-magische Ursache in der Nacht kurz vor seinem Tode. Solche epischen Lieder, die die Jagdleidenschaft von Königen anprangerten, liefen in der I I I . Periode offenbar bei B r a h m a n e n und Buddhisten u m . Die Verse des J ä t a k a 386 sind ein Dialog zwischen einem Ziegenbock u n d einem Esel, der den Wagen des Königs Senaka zieht. Die Tiere werfen sich gegenseitig Torheit vor, vor allem aber dem König, der seiner Gattin wegen sich selber aufopfere. 1 9 8 Die dazu in der Prosa erzählte Geschichte ist im Grunde ähnlich der, die S u m a n t r a im R ä m ä y a n a der Kaikeyl über ihre E l t e r n erzählt: I h r Vater habe die Stimme der Tiere verstanden u n d so etwas erfahren, was er bei Strafe des Todes seiner F r a u nicht sagen dürfe. I m J ä t a k a wollte der König

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seiner fragenden F r a u nachgeben, wurde aber durch jene Tiere rechtzeitig gew a r n t ; im E p o s verjagte er seine Frau. 1 9 9 I n J ä t a k a 526 geben die Verse die Unterredung zwischen dem keuschen, t u m b e n Asketenjüngling Isisinga, der nicht weiß, was eine F r a u ist, u n d der ihn verführenden Königstochter Nalinikä wieder (s. o.); 2 0 0 es gelingt ihr aber nicht, ihn aus dem Walde fortzulocken. I m R ä m ä y a n a I, 8 f. dagegen erzählt S u m a n t r a , was er von den Opferbrahmanen gehört habe: S a n a t k u m ä r a habe einst prophezeit, Rsyasrnga, der Asketensohn, werde durch Santa, die Tochter des Königs von Anga, v e r f ü h r t und aus dem Wald in ihre Residenz gelockt werden, u m mit seiner Magie eine Dürre zu beheben; er würde Daäaratha durch ein Opfer zu einem Sohn (eben R ä m a ) verhelfen. Die Stoffe dieser drei J ä t a k a s Nr. 540, 386 und 526 werden aber in dieser I I I . Periode noch nicht in das f ü r diese Zeit noch nicht nachweisbare Rämaversepos, dessen Sage allein durch das 461. J ä t a k a bezeugt wird, aufgenommen worden sein, sondern erst in den Archetypus der VI. Periode oder noch später. I m späteren R ä m ä y a n a waren sie ausgesprochene Episoden; sie mögen in verschiedenen Formen umgelaufen sein, wie es besonders die Isisingageschichte nahelegt; 2 0 1 die Strophen des betreffenden J ä t a k a s (Nr. 526) sind die ältesten Reste einer literarischen Fassung dieser Sage. 202 I h r verwandt ist die Geschichte der N y m p h e Alambusä, die von I n d r a gezwungen wurde, einen Asketen^ Sohn des Kassapa, zu verführen, da er einen frommeren Lebenswandel f ü h r t e als er, I n d r a . Der Asket verzieh ihr u n d I n d r a in den letzten Versen des 523. J ä t a k a . I m Mbh I X , 50, 2fif. wird ganz kurz fast dasselbe von Dadhica erzählt, der ein Sohn Bhrgus war 2 0 3 u n d an der SarasvatI büßte. Als Alambusä sich ihm zeigte, fiel sein Same in den Fluß, u n d die Flußgöttin trug ihn aus, bis ein Sohn des Asketen geboren wurde, Särasvata, der, wie sein Vater prophezeite, in einer zwölfjährigen Dürre die B r a h m a n e n den Veda lehren würde. Die Geschichte des menschenfressenden Königs K a l m ä s a p ä d a wird im 537. J ä t a k a mit vielen Versen und im Mbh I, 166 f. mit beträchtlichen Abweichungen erzählt, und doch muß beiden eine Sage zugrunde liegen, die bereits in dieser I I I . Periode, wie das J ä t a k a zeigt, zu einem in Prosa eingebetteten epischen Lied in Dialogform, zu einem äkhyäna, um nicht zu sagen, zum Kurzepos der fast 120 Verse des J ä t a k a geformt wurde. 20 ' 1 — Der einen Strophe des 74. J ä t a k a , die lehrt, daß ein einzelner B a u m durch S t u r m gefährdet ist, ein Wald aber ein Schutz ist, steht der breit ausgemalten Geschichte im Mbh X I I , 154 ff. vulg. gegenüber. Bei einer Reihe von kosmogonischen und damit epischen Textstücken innerhalb des Mahäbhärata k a n n m a n annehmen, daß sie oder ihr K e r n ungefähr in diese Zeiten gehören. 205 Andere Geschichten, die damals bekannt gewesen sein müssen u n d zum Teil damals schon in epische Liedform gebracht worden sein können, lassen sich dadurch bestimmen, daß sie schon in noch älterer Literatur belegbar sind und im späteren hinduistischen Epos noch vorkommen. Dazu gehören die auf die indoeuropäischen, altorientalischen, gentil-vorärischen, rgvedischen und späteren vedischen Helden zurückführbaren Sagen vom T y p der Achill und Bhimasena

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u n d der alten Wanderhelden R ä m a und Krsna, 2 0 6 aber auch Göttersagen wie z. B. I n d r a s K a m p f mit Namuci in Mbh I X , 42, 28ff., der schon im R g v e d a 2 0 7 a n mehreren Stellen vorkommt, sein K a m p f gegen Vrtra und Trisiras, 208 weiter die vom Rgveda bis ins Mbh zu verfolgende Geschichte von Agastya u n d Lopämudrä, 2 0 9 die des iSunahsepa, 210 v o n P u r ü r a v a s und Urvasi, 2 1 1 von Dusyanta, Sakuntalä u n d ihrem Sohne Bharata, 2 1 2 oder die von Deväpi, die f ü r diese I I I . Periode außerdem durch die Brhaddevatä belegt ist. 213 Dies trifft auch f ü r die Sage von Dadhyanc zu.21'1 E s muß auch in dieser Periode eine Variante der Zehnkönigsschlacht gegeben haben, die vom R g v e d a zum Mahäbhärata, vom Pandschab zum K u r u k s h e t r a überleitet und vermutlich damals ähnlich der des Samvarana war, die im Anfang des Mbh im S t a m m b a u m der Helden angedeutet ist. 215 E s m u ß Verbindungsglieder zwischen den Lobstrophen auf die großen Opfer alter Könige wie Marutta, Ätreya und B h a r a t a im A i t a r e y a b h ä h m a n a u n d ihren Varianten im Mbh gegeben haben. 2 1 6 B r h a d d e v a t ä bezeugt aber auch das Vorkommen von S t a m m b ä u m e n in Versen, wie sie in der späteren epischpuranischen Tradition wieder auftreten. 2 1 7 Sie gingen vermutlich zumindest bis zur Generation des Königs Nicaksu, der die Residenz von H a s t i n ä p u r a nach K a u s ä m b ! verlegte. 218 E s wird sich noch sehr viel Material dieser Art zusammenstellen lassen, 219 und selbst darin wird man n u r einen Bruchteil der damaligen brahmanischen Versepik greifbar gemacht haben. E s gab demnach zweifellos eine Fülle epischer brahmanischer Literatur, 2 2 0 aber sie war vermutlich im allgemeinen noch nicht in Kurzepen 2 2 1 , den F r ü h formen der drei hinduistischen Versepen, des Mahäbhärata, des H a r i v a m s a u n d des R ä m ä y a n a , oder der späteren Puranen, zusammengefaßt. E s gab vielmehr n u r erst die Vorstufe der Epen, nämlich epische Lieder, 222 von denen sich eine Reihe von Formen — Monologe, Dialoge, Erzählungen, n u r Verse oder Verse bzw. Versgruppen in Prosa — und von Inhalten bereits mit einiger Sicherheit bestimmen läßt. Sie alle zusammen wurden u n t e r den Gattungsbegriffen itihäsa und puräna (manchmal als äkhyäna)22:1 zusammengefaßt und manchmal — auch von Buddhisten — wie schon in der I I . Periode als f ü n f t e r Veda den älteren drei zugeordnet. 22/1 Offenbar b e m ü h t e n sich die Barden u n d ihre Auftraggeber aus dem Kriegeradel, ihre höfische, weltliche L i t e r a t u r möglichst gleichberechtigt neben die priesterliche zu stellen, wie von anderen ja auch die Staatslehre damals neben die Rechtslehre gestellt wurde. Sie wollten offenbar die antivedischen Ideale des sich herausbildenden Hinduismus, die keineswegs einheitlich waren, vom S t a n d p u n k t des Kriegeradels neben die noch vedische Ideologie des Brahmanenstandes stellen; ob damals schon hinduistische B r a h m a n e n die Ksatriyaepik so, wie es in den uns erhaltenen großen E p e n der Fall ist, 225 im priesterlichen Sinne bearbeitet haben, ist noch nicht erwiesen. Diese hinduistische E p i k aber h a t sicher dazu dienen sollen, möglichst große Kreise des Volkes im hinduistischen Denken u n d T u n zu beeinflussen, 226 analog, aber in durchaus anderem weltanschaulichem Sinne, als J ä t a k a s der Buddhisten es t a t e n .

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c) B u d d h i s t i s c h e E p i k in P r o s a Die buddhistische E p i k in Prosa oder überwiegend in Prosa, denn sie e n t h ä l t viele Verse (äkhyäna), ist ihrem I n h a l t n a c h ein Teil der buddhistischen Heilslehre, f ü r die Literaturgeschichte deshalb im wesentlichen n u r ihrer F o r m wegen wichtig. I h r e F o r m e n k a n n m a n auf Monologe u n d Dialoge u n d auf Erzählungen z u r ü c k f ü h r e n ; diese drei F o r m e n sind ganz ähnlich denen der buddhistischen Versepik u n d a u c h denen der Upanisadprosa der I I . Periode, auch diese war ja didaktisch gemeint. I m Unterschied zu den Upanisads sind die buddhistischen T e x t e aber von einer sehr großen u n d gut organisierten Institution, dem Orden, mündlich überliefert worden u n d f ü r Massenpropaganda gemeint. D e m g e m ä ß sind sie a n Menge weit größer. Sie sind dem damaligen Stil der P r o p a g a n d a entsprechend durch Wiederholungen aufgeschwemmt, 2 2 7 u n d mit ihren vielen a n g e f ü h r t e n Beispielen 2 2 8 sollten sie überzeugen, wie es alte Art der Philosophen u n d Religionslehrer war. 2 2 9 Die einfachste F o r m ist e t w a : B u d d h a weilte da u n d da u n d w a n d t e sich a n die Mönche mit dieser u n d jener Lehre, 2 3 0 d. h. Angabe des Ortes (niemals d e r genauen Zeit) als ganz kurze Einleitung u n d Wiedergabe eines predigtartigen Monologs. Dies entspricht etwa den Lehrstücken des K a u s h l t a k i oder A r u n a in der alten Upanisad. 2 3 1 Die Predigt k a n n a u ß e r d e m durch eine Frage a n B u d d h a eingeleitet werden. 2 3 2 Die Predigt k a n n weiter in einen Vers auslaufen, 2 3 3 u n d die Frage k a n n zu einem Dialog ausgedehnt werden, dem die Predigt eines Lehrstücks (Monolog) u n d eine Reihe von Versen (Erzählung) folgen. 234 Die Vorstellung der U n t e r r e d n e r u n d ihre Fragen an bzw. ihre U n t e r r e d u n g mit B u d d h a sowohl wie die Predigt, die als Monolog B u d d h a s der H a u p t t e i l bleibt, sind m a n c h m a l sehr breit dargelegt, so daß sie zu den „langen L e h r t e x t e n " gehören. 2 3 5 I n anderen Texten ist der Dialog die Hauptsache. 2 3 0 P r e d i g t u n d Dialog boten sich als literarische F o r m e n bzw. als Mittel der Überzeugung an, h a n d e l t e es sich doch d a r u m , neue Anhänger f ü r den Buddhismus zu gewinnen u n d die alten Anhänger in ihrem Glauben zu festigen. Sieht m a n von den altertümlichsten Dialogformen in arischer u n d vorarischer gentiler L i t e r a t u r ab, so ist leicht an die Upanisads anzuknüpfen. König A j ä t a s a t r u von Magadha, der Vatermörder, von seinem Gewissen beunruhigt, f r a g t viele Weise, schließlich a m R a n d e seiner H a u p t s t a d t B u d d h a selber nach dem praktischen Erfolg des Asketenlebens; B u d d h a läßt ihn erst über das, was er von anderen gehört hat, berichten, ehe er mit dem König über seine eigene Auffassung diskutiert u n d eine Predigt anschließt, auf die als Schluß in einem kurzen Dialog der D a n k des Königs u n d sein Bekenntnis zur Anhängerschaft der Buddhalehre folgen. 237 Ähnlich, wenn auch bedeutend kürzer, h a t t e Y ä j n a v a l k y a König J a n a k a , als er zu diesem König k a m u n d dieser ihn u m Belehrung b a t , nach dem gefragt, was der K ö n i g bereits von anderen gehört hatte, ehe Y ä j n a v a l k y a ihn belehrte, worauf der König ihm d a n k t e u n d sich u n d sein Volk ihm schenkte. 2 3 8 Gewiß ist in vielen Dialogen B u d d h a in undichterischer, uns heutzutage nicht überzeugender

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Weise als überlegen gekennzeichnet, 2 3 9 aber dieser Dialog des selbstbeherrschten B u d d h a mit dem reuigen König ist doch ein D o k u m e n t damaliger guter Schriftstellerkunst. Sehr lebhaft ist auch die U n t e r r e d u n g B u d d h a s mit d e m adelsstolzen B r a h m a n e n A m b a t t h o , in der sehr scharf diskutiert wird; A m b a t t h o kritisiert z. B. die S ä k y a s heftig, handelt es sich doch u m die wichtige soziale Frage des Vorranges der K s a t r i y a s oder Brahmanen. 2 ' 1 " Der Materialist auf d e m Thron, Päyäsi, k o m m t in seiner Diskussion mit dem f r o m m e n Idealisten u n d B u d d h a a n h ä n g e r K u m ä r a k a s s a p o zunächst sehr ausführlich u n d — f ü r uns — überzeugend zu W o r t , ehe er a m Schluß — f ü r uns e n t t ä u s c h e n d — eingesteht, im Grunde schon fast von Anfang a n vom B u d d h i s m u s überzeugt worden zu sein. 241 Diese didaktischen Schriftsteller h a t t e n ganz allgemein f ü r dichterische Ausmalung ihrer Texte wenig übrig; insofern ist ihr Unterschied gegenüber m a n c h e m Versepiker groß. W a s den d r i t t e n Typ, den der Erzählung, angeht, so ist eine von ihnen in der Lehre B u d d h a s innerhalb eines solchen Dialogs enthalten, u n d zwar n i m m t sie etwa zwei Drittel des Textes ein: die Ätiologie des K ö n i g t u m s u n d der Ständespaltung, eine Art Urgeschichte, 2 4 2 inhaltlich von größter B e d e u t u n g , in I n h a l t u n d F o r m etwa an die sehr viel kürzere Sage vom E n t s t e h e n des K ö n i g t u m s im B r ä h m a n a 2 4 3 anzuschließen ; m a n k a n n auch a n die Ätiologie des R e c h t s in der Kosmogonie der Upanisad denken. 2 4 4 Andererseits ist in der buddhistischen Versepik ein etwa gleichzeitiges Gegenstück die — m a n möchte sagen puranische — Sage vom moralischen Verfall der Brahmanen. 2 4 5 — E i n anderes bedeutendes D o k u m e n t damaliger Prosaerzählkunst ist das S ü t r a von B u d d h a s Sterben, 2 4 0 ein langer, ausführlicher Berieht über die letzten Wochen des greisen B u d d h a , durchsetzt mit Predigten u n d Unterredungen. Der größte Schatz der damaligen, uns erhaltenen P r o s a e r z ä h l k u n s t liegt in der Sammlung der 547 J ä t a k a s vor. Soweit ihr I n h a l t d u r c h Verse, die sie f a s t alle enthalten, gesichert ist, k a n n m a n sie unbedenklich f ü r diese Periode heranziehen. Aber auch sonst wird die Prosa weitgehend in d e n großen Zügen verhältnismäßig alt sein, 247 wenn a u c h im einzelnen erst im 5. J a h r h u n d e r t u. Z. in der heutigen F o r m niedergeschrieben. Von einigen J ä t a k a s sind die Verse oben schon als Lyrik oder Versepik behandelt worden. I m Gegensatz zur dogmatischen Prosaepik ist der I n h a l t der J ä t a k a s in der Literaturgeschichte zu untersuchen, denn er gehört n u r teilweise in die Religionsgeschichte, insofern er nämlich die buddhistische religiöse Morallehre oder Mythologie reflektiert. Die Moral der J ä t a k a s ist aber weitgehend allgemein hinduistisch, 2 4 8 d. h sie f u ß t auf der Tatvergeltungslehre, u n d die J ä t a k a s sind größtenteils nichtbuddhistischen Ursprungs, wie m a n schon längst festgestellt h a t . Dennoch ist ihre moralische W e l t a n s c h a u u n g zugleich buddhistisch. Die B u d d h i s t e n v e r t r a t e n als Sozialreformer in religiösem G e w a n d eine humanistische, gegen die Klassengesellschaft kritische 2 ' 1 9 Einstellung, lehrten die Bürger der heranwachsenden S t ä d t e Vorsicht im Despotismus, Lebensklugheit der Schwachen: 2 5 0 sie k o n n t e n , da hinter ihnen keine revolutionäre Klasse stand, keine grundsätzliche, revolutionäre K r i t i k a m Despotismus u n d

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seiner brahmanischen Ständeideologie üben, aber sie konnten mit einem Realismus, den man religiös nennen kann, 2 5 1 Exzesse des Despotismus und der brahmanischen Ritualisten kritisieren, ja, lehren, daß unter Umständen das Volk seinen Despoten und dessen Hofpriester erschlagen bzw. verjagen dürfe, 252 wie es den König verjagte, der auf R a t seines Priesters seinen eigenen Sohn opfern wollte, den Priester aber erschlug 253 (in der Prosa!); dies ging über die brahmanische Gesellschaftskritik in der Sunahsepalegende 254 der II. Periode weit hinaus. Ein menschenfressender König wird nach Versen des 537. J ä t a k a verbannt, offenbar vom Volk. Gewiß kam es schon in der II. Periode vor, daß Könige verbannt wurden, 255 aber solche Rebellionen gegen böse Despoten moralisch-literarisch zu rechtfertigen, war in der I I I . Periode etwas Neues, Großes, Humanistisches, ebenso das Erschlagen von bösen Brahmanen, das nur in buddhistischer Literatur verherrlicht werden konnte, war der erste Stand für brahmanische Schriftsteller doch sakrosankt. 256 Ob derartige Fälle in der Wirklichkeit vorkamen, ist noch nicht geklärt. Aber die in den J ä t a k a s häufige Kritik an besonders schlechten Despoten und Brahmanen, an deren Grausamkeit, Ungerechtigkeit, erotischer und sonstiger Leidenschaft und Torheit, 257 war sicher eine im Kern berechtigte Kritik damaliger Zustände, im Wesen volkstümlich, erst in der Stadt möglich geworden, in der Sprache des Volkes abgefaßt und in der Form der breiten Prosaerzählung mit Versen an den Höhepunkten von eindrucksvoller Wirkung. Damit, d. h. mit der Entwicklung der Klassengesellschaft ist die soziale Kritik zu einer neuen Qualität gegenüber der älteren Kritik in der Literatur der zerfallenden arischen und vorarischen Gentilgesellschaft und auch der früheren Klassengesellschaft der II. Periode gelangt. 258 Dabei ist die scharfe Kritik an Brahmanen typisch buddhistisch, die an Despoten aber nur dann, wenn von ihnen buddhistische Moral gefordert wird oder wenn das Volk sie stürzt, nicht etwa ein anderer Despot oder ein Minister, denn dies kommt auch in brahmanischer Literatur vor. 259 Neu ist in den J ä t a k a s ferner die vielseitige, ähnlich kritische Behandlung von Kaufleuten: sind sie Laienanhänger Buddhas (und spenden den Mönchen), werden sie gelobt, andernfalls ebenso getadelt wie die Despoten oder Asketen und alle anderen Mitglieder der Gesellschaft, Handwerker, Bauern, ja Sklaven. I m Rgveda ging solcher Kritik allenfalls die Kritik am Geizigen voraus. 260 Was man sich neben dem Rgveda in der zerfallenden Gentilgesellschaft der Äryas über dieses Thema erzählte, können wir noch nicht rekonstruieren; aber Despotismus und Geldwirtschaft gab es jedenfalls noch nicht. Die buddhistische Kritik an „bösen" Despoten, Brahmanen und Kaufleuten macht einen recht glaubwürdigen Eindruck, nicht so die allzu idealisierende Darstellung „guter" Menschen dieser Kategorien. Da soll ein König von seinem Drang nach Eroberung fremder Länder durch einen Brahmanen (nach der Prosa Indra in dessen Gestalt) geheilt worden sein (228. Jätaka), 2 6 1 ein anderer durch Indra dazu bekehrt worden sein, gute Werke zu tun (391. Jätaka). Ein Videhakönig kam in den Himmel, ließ sich aber durch Indra nicht zu dortigem Genuß 2 6 2 verleiten, sondern strebte nach Wiedergeburt als Mensch, um Gutes

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zu tun (494. Jätaka). König Sambhüta würde vom Asketen Citta bewogen, n u r gerechte Steuern einzuziehen, keine Sünder in seinem Reich zu dulden und Asketen und Brahmanen zu unterstützen (498. Jätaka). 2 6 3 Ein König gab seine Frau einem in sie zeitweilig verliebten Asketen (66. J ä t a k a ) , ein Gegenstück zu Vessantara, 264 ein anderer gab einem blinden Brahmanen seine Augen, als dieser ihn darum bat (499. Jätaka), eine buddhistische Variante des auch bei Brahmanen berühmten Königs Sibi, 265 zugleich eine Art Vorläufer der MahäyänaHeiligen. Als edler K a u f m a n n wäre der des 3. J ä t a k a anzuführen, der (wenigstens in der Prosa) einer armen Witwe einen goldenen Topf, den sie für wertlos hielt, zum gerechten Preis abkaufte, oder der „weise" K a u f m a n n des 98. J ä t a k a , der den mit einem „überweisen" K a u f m a n n gemeinsam erzielten Gewinn zu gleichen Teilen teilen wollte, während der überweise als solcher zwei Drittel beanspruchte. Es gab sicher auch gute, d. h. fromme, selbstlose Kaufleute, besonders in Zeiten überwiegend gesellschaftlichen Fortschritts, wie z. B. unter den jungen Kalvinisten oder Quäkern, und dies trifft möglicherweise auch für indische K a u f leute der jungen Städte der I I I . Periode, wie Anäthapindaka, zu. Aber eine realistische Gesellschaftskritik muß betonen, daß der typische K a u f m a n n nicht gut, fromm und selbstlos, wie mancher wohl sein möchte, sein kann, weil der Konkurrenzkampf das nicht erlaubt; ebensowenig der König als Angehöriger der Ausbeuterklasse. Die Buddhisten durften es mit keiner Klasse verderben und mußten deswegen in allen Klassen und Schichten auch „gute" Menschen herausstellen. Sie wollten ja keine Revolution, sondern Reform durch moralische Einwirkung auf möglichst alle. Sie konnten in ihrer gesellschaftskritischen Literatur die Bösewichte in ihren wesentlichen Zügen einigermaßen richtig widerspiegeln, in ihrer Propagierung guter Menschen diese aber eben nur idealisieren (was nicht überzeugend wirkt), nicht der Wirklichkeit gerecht werden, so rührend solche Gestalten auch wirken mögen. In entsprechender Weise werden in einer Fülle von Geschichten dieser Buddhisten Frauen teils als gut bzw. fromm im Sinne buddhistischer Weltanschauung hingestellt, teils als böse. Einerseits galt die Frau als Versucherin des Frommen, 2 0 6 als dem Gatten untreu, als dumm oder schlecht, aber einzelne Frauen werden in J ä t a k a s als treu, klug u n d gut hingestellt, 267 insbesondere wenn sie zu buddhistischer Erleuchtung gelangten. 268 Die patriarchalische Einstellung der vorarischen Gentilgesellschaft und des Rgveda bedingte schon früher eine gewisse Mißachtung der Frau. 2 6 9 — Das 519. J ä t a k a erzählt in seinen Versen, daß die gute Gemahlin eines kranken Prinzen f ü r seinen Lebensunterhalt im Wald Früchte sammelt und sich von einem Dämon weder in Versuchung führen noch einschüchtern läßt, bis ein Gott ihr zu Hilfe kommt. Das ist eine Art Variante der berühmten Sävitriepisode 270 und zeigt, daß es sich in dieser Literatur manchmal um echte Liebe, nicht nur um Erotik handelt. 27 * Neu ist in den J ä t a k a s der Charakter der Tierfabel. Es ist möglich, daß die Ahnen der heutigen Santals schon damals Fabeln vom Schakal erzählt haben, der durch kluge Küken überlistet wurde; 272 List des Schwachen gegen den Starken mag schon in der vorarischen und arischen Gentilgesellschaft am

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Beispiel von Tieren gelehrt worden sein. Aber daß der Löwe mit seinem Freund, dem Stier, dank der Verleumdung dieses Stieres durch den Schakal entzweit wurde, so daß beide sich bekämpften und der Schakal ihre Kadaver fressen konnte, und daß dieses einem König von seinem Wagenlenker dargelegt wurde, 273 ist wohl im gesellschaftskritischen Sinne des späteren Pancatantra so zu verstehen, daß der törichte König der Tiere und sein treuer Minister, der Stier, durch den bösen Fürstendiener, den Schakal, ins Unglück gebracht wurden, d. h., die Kritik am Despoten ist aus Vorsicht ins Tiergewand gehüllt. — Eine neue Qualität zeigt auch die Tierfabel von Gazelle, Specht und Schildkröte, die gemeinsam durch ihre List einen Jäger daran hindern, die Gazelle mit einer Schlinge zu fangen. 274 Hier überlisten die Schwachen vereint einen Starken, aber nicht wie oben Küken, d. h. Haustiere einen Schakal, sondern Tiere des Waldes einen Menschen, womit der romantische Gegensatz von Wald und Menschenwelt beginnt, der für die damalige asketische Naturlyrik 2 7 5 bezeichnend ist, erst f ü r damalige Städter wichtig wurde und in der späteren Fassung dieser Tierfabel im Pancatantra 2 7 6 noch viel stärker herausgearbeitet worden ist. Eine solche Romantik spricht auch aus der Verherrlichung des getreuen Schwanenpaares, das den Jäger und seinen König aufs tiefste beeindruckt, und aus vielen anderen Jätakas, die von guten wilden Tieren handeln. 277 Zu solcher Romantik gehört die scharfe Kritik an der Menschengesellschaft, die einem zeitweilig in Gefangenschaft unter Menschen gewesenen, scharf beobachtenden Affen zugeschrieben wird. 278 — Erst in dieser buddhistischen Gedankenwelt wurde das J ä t a k a von dem großen Affen möglich, der als König seiner Horde einst in der Not seinen eigenen Leib zu einer Brücke über einen Fluß machte, damit seine Untertanen einer Gefahr entfliehen könnten. 279 Hier verkörpert das Tier der Wildnis geradezu schon das Ideal des edlen Despoten, wie es später im Mahäyäna öfters gestaltet wurde. 280 — Zum alten Bestand der J ä t a k a s dürfte die Fabel von dem Papagei gehören, der seinen angestammten Baum, selbst als dieser vertrocknete, nicht verließ; Indra forschte seine Tugend (der Heimatliebe, Treue) aus, gewährte ihm einen Wunsch und ließ demgemäß den Baum wieder grünen. 281 Dies wird durch die Verse als alt bezeugt, aber auch dadurch, daß im Mbh X I I I , 5 ganz ähnlich erzählt wird; deswegen ist diese Geschichte aber auch nicht nur buddhistisch. Sowohl die Buddhisten wie Brahmanen schöpften aus Volkserzählgut. — Aus der Gesellschaft des Industals stammt letztlich das 272. J ä t a k a über die Baumgöttin, die einen Tiger verjagt. 282 — Als eine buddhistische oder zumindest asketische Variante der Satyakämageschichte 2 8 3 aus der II. Periode kann man das 490. J ä t a k a auffassen, in dem ein Asket von vier Tieren darüber belehrt wird, warum sie ihrerseits asketisch leben. 284 In dieser und anderer Weise sind die J ä t a k a s als Dichtung auf ihre Moral, ihre Herkunft, 2 8 5 ihre Zeit und ihre Nachwirkung, auf ihren Darstellungsstil und ihre Arten (man hat Fabeln, Märchen, Tiermärchen, Anekdoten, Novellen, moralische Erzählungen und fromme Legenden unterschieden) 286 hin zu untersuchen, und man wird nicht so bald zum Ende kommen.

III. Periode, 2d

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d) Brahmanische E p i k in P r o s a Einen der sehr wenigen erhaltenen Belege für damalige brahmanische Prosaepik ist der berühmte Mythos in der Kenopanisad I I I , 3 —4 : 287 Die Götter brüsten sich mit ihrem Sieg über die Asuras; in Wirklichkeit aber hatte das brahman diesen Sieg errungen; um sie zu belehren, erschien es vor ihnen als ein Gespenst. Die Götter baten Agni, Väyu und Indra der Reihe nach, es zu erkennen, diese drei rgvedischen Götter, die nach damaliger Theologie als Feuergötter der drei Weltschichten auf Erden, im L u f t r a u m und im Himmel aufgefaßt wurden. 288 Agni, der im Mbh I, 214£f. in fünfzehn Tagen den gewaltigen Khändava-Wald samt allen seinen Tieren verbrennt, um sich zu sättigen, rühmt sich in der Upanisad vor dem brahman, alles auf Erden verbrennen zu können, kann aber noch nicht einmal einen Grashalm 2 8 9 verbrennen, den das brahman vor ihm niederlegt; Väyu kann diesen dann nicht packen; I n d r a endlich sieht nicht den Grashalm oder das brahman, sondern eine schöne Frau, Umä, die Tochter des Himalaja, die ihn über das brahman aufklärt. Dies wird in der Upanisad, die sonst wie die mittleren Upanisads überhaupt aus Versen besteht, in schlichter Prosa erzählt, teils wohl, weil es Tradition dieses Mythos war, teils, weil damit eine Kontrastwirkung erzielt wurde. Nicht einmal die Belehrung über das brahman ist in Versen gehalten, was man doch analog den J ä t a k a s erwarten könnte. I n Versen wurde eine Variante dieses Mythos im Mahäbhärata erzählt: Um Arjuna die Größe Sivas darzulegen, preist Vyäsa den Gott und erzählt unter anderem, nach Sivas Sieg über die Tripuradämonen sei Umä gekommen, den Sieger zu sehen, habe ihn zu einem Kind auf ihrem Schoß gemacht und, als Indra aus Eifersucht gegen dieses seinen Donnerkeil schleudern wollte, habe Siva Indras Arm steif gemacht; Indra sei mit den Göttern zu Brahma gegangen, und dieser habe ihn aufgeklärt, daß Siva Pärvatis wegen sich zum Kind gemacht habe. 290 — Ein Vergleich beider Versionen läßt uns ahnen, wie brahmanTheologen den ursprünglich sivaitischen Mythos umgestalteten. Die Fassung im Epos ist sehr mysteriös: Die jungfräuliche und unfruchtbare Berg- und Muttergöttin trägt ihren siegreichen Gatten als Kind auf dem Schoß, so daß der rgvedische Götterkönig aus Eifersucht auf den hinduistischen Gott aggressiv wird, aber seine Ohnmacht einsehen muß. Der vedäntische Verfasser der Upanisad indessen hat Siva durch das brahman ersetzt, es aber nicht in Form des Kindes auf den Schoß der Muttergöttin gesetzt, sondern er hat es als unerkennbares, unheimliches Gespenst erscheinen und verschwinden lassen. Warum aber statt der rätselhaften Erscheinung Umä dem Indra erscheint und ihm statt Brahmä die Lehre des brahman mitteilt, ist im Grunde unverständlich. So schön vom Versagen des Feuer- und Windgottes erzählt wird, so unbegründet tritt Umä vor Indra auf. Sie war wohl in dem anzunehmenden Urmythos die zentrale Gestalt gewesen, aber bei der Tilgung Sivas hätte auch sie verschwinden müssen. 291 11

Rüben, Dichtung

III. Periode, 3

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Die ebenso berühmte Legende des Naciketas aus der Kathopanisad übernimmt die ersten beiden und den vierten Satz mit dem Bericht, wie Naciketas von seinem Vater zu Yama geschickt wurde, aus der Prosafassung der II. Periode, 292 schließt daran aber den Hauptteil, den Dialog des Naciketas mit Yama und dessen religiös-philosophische Belehrung, als Versdichtung. Im Grunde ähnelt diese Erzählung damit manchen Jätakas, die ja durchgehend in äkhyänaMischform erzählt sind. 293 Dem Upanisadverfasser lag in erster Linie an den Versen der Spruchweisheit der Erlösungslehre, die in der Fassung der II. Periode noch keine Rolle gespielt hatte. Die Einleitung, die die Lage angibt, in der diese Belehrung erteilt wurde, wird ganz kurz und in der Prosa der älteren Variante gegeben. Vermutlich war die Prosa der meisten J ä t a k a s damals ebenfalls kurz, kürzer als ihre heutige Fassung. Ganz in Versen ist die Variante dieser Legende in Mbh X I I I , 70: Der Vater 2 ! K flucht seinem Sohn, der ihm ungehorsam zu sein scheint, er solle zu Yama gehen. Der Sohn fällt um, findet sich in Yamas Halle, 295 wird von diesem begrüßt, geehrt und auf seine Bitte in die Welt der Seligen geführt, und zwar derer, die viel gespendet haben. Yama läßt ihn dann, da er nicht gestorben sei, sondern nur dem Vater gehorcht habe, zu dem inzwischen reumütig klagenden Vater heimkehren. Wie die Mystik der Erlösungslehre durch das Leben der Seligen bei Yama ersetzt ist, so das Sterben durch den Scheintod. Die unhumanistische Tendenz, das Geben an Brahmanen (nicht etwa an Arme) zu propagieren, hat den pompösen Stil dieser epischen Variante mit der breiten Himmelsschilderung des Yamapalastes nach sich gezogen. Die Naciketaslegende hat auch sonst literarische Wirkung gehabt, z. B. in der epischen Legende der Sävitri, die Yama, dem Tod, durch ihre weisen Sprüche das Leben ihres Gatten wieder abringt, 296 oder in der Prosa des 6. J ä t a k a , in der ein Dämon einem Weisen 297 seine beiden Brüder wiedergibt, die er in sein Reich geschleppt hat, um sie zu fressen. 3. Dramatik

(Tänzer,

Pantomimen,

Kultdrama)

Auf dem Gebiet der Dramatik scheint sich in dieser Periode nichts wesentlich Neues entwickelt zu haben. Die ritualistische Literatur der Sutren zeigt, daß die Mimen und ernsten Kultdramen der Brahmanen der I I . Periode 2 9 8 weitergepflegt wurden; wie die Praxis war, können wir den Lehrbüchern freilich nicht entnehmen. Ebenso lebten die beiden vorarisch-gentilen Vorformen der Dramen in gentiler Form und wohl auch als Volksliteratur der Südras weiter. Umstritten ist eine Stelle des Pänini, in der er in bezug auf wortbildende Suffixe, also ohne Bezug auf den Inhalt der Worte, von dem Bhiksusütra des Parääara und dem Natasütra des Silälin spricht; 2 9 9 im nächsten Sütra erwähnt er K a r m a n d a und KrSäsva 300 als Verfasser, wie es scheint, anderer Bhiksu- und Natasütren. Demgemäß sprach man von silälinschen und krsäsvinsehen natas, Tänzern. Silälins waren Angehörige einer vedischen Schule, auch Sailälas oder

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Die ebenso berühmte Legende des Naciketas aus der Kathopanisad übernimmt die ersten beiden und den vierten Satz mit dem Bericht, wie Naciketas von seinem Vater zu Yama geschickt wurde, aus der Prosafassung der II. Periode, 292 schließt daran aber den Hauptteil, den Dialog des Naciketas mit Yama und dessen religiös-philosophische Belehrung, als Versdichtung. Im Grunde ähnelt diese Erzählung damit manchen Jätakas, die ja durchgehend in äkhyänaMischform erzählt sind. 293 Dem Upanisadverfasser lag in erster Linie an den Versen der Spruchweisheit der Erlösungslehre, die in der Fassung der II. Periode noch keine Rolle gespielt hatte. Die Einleitung, die die Lage angibt, in der diese Belehrung erteilt wurde, wird ganz kurz und in der Prosa der älteren Variante gegeben. Vermutlich war die Prosa der meisten J ä t a k a s damals ebenfalls kurz, kürzer als ihre heutige Fassung. Ganz in Versen ist die Variante dieser Legende in Mbh X I I I , 70: Der Vater 2 ! K flucht seinem Sohn, der ihm ungehorsam zu sein scheint, er solle zu Yama gehen. Der Sohn fällt um, findet sich in Yamas Halle, 295 wird von diesem begrüßt, geehrt und auf seine Bitte in die Welt der Seligen geführt, und zwar derer, die viel gespendet haben. Yama läßt ihn dann, da er nicht gestorben sei, sondern nur dem Vater gehorcht habe, zu dem inzwischen reumütig klagenden Vater heimkehren. Wie die Mystik der Erlösungslehre durch das Leben der Seligen bei Yama ersetzt ist, so das Sterben durch den Scheintod. Die unhumanistische Tendenz, das Geben an Brahmanen (nicht etwa an Arme) zu propagieren, hat den pompösen Stil dieser epischen Variante mit der breiten Himmelsschilderung des Yamapalastes nach sich gezogen. Die Naciketaslegende hat auch sonst literarische Wirkung gehabt, z. B. in der epischen Legende der Sävitri, die Yama, dem Tod, durch ihre weisen Sprüche das Leben ihres Gatten wieder abringt, 296 oder in der Prosa des 6. J ä t a k a , in der ein Dämon einem Weisen 297 seine beiden Brüder wiedergibt, die er in sein Reich geschleppt hat, um sie zu fressen. 3. Dramatik

(Tänzer,

Pantomimen,

Kultdrama)

Auf dem Gebiet der Dramatik scheint sich in dieser Periode nichts wesentlich Neues entwickelt zu haben. Die ritualistische Literatur der Sutren zeigt, daß die Mimen und ernsten Kultdramen der Brahmanen der I I . Periode 2 9 8 weitergepflegt wurden; wie die Praxis war, können wir den Lehrbüchern freilich nicht entnehmen. Ebenso lebten die beiden vorarisch-gentilen Vorformen der Dramen in gentiler Form und wohl auch als Volksliteratur der Südras weiter. Umstritten ist eine Stelle des Pänini, in der er in bezug auf wortbildende Suffixe, also ohne Bezug auf den Inhalt der Worte, von dem Bhiksusütra des Parääara und dem Natasütra des Silälin spricht; 2 9 9 im nächsten Sütra erwähnt er K a r m a n d a und KrSäsva 300 als Verfasser, wie es scheint, anderer Bhiksu- und Natasütren. Demgemäß sprach man von silälinschen und krsäsvinsehen natas, Tänzern. Silälins waren Angehörige einer vedischen Schule, auch Sailälas oder

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Sailälikas genannt, es gab z. B. ihr (verlorenes) Öailälibrähmana. 3 0 1 I m selben Kapitel lehrt Pänini, daß m a n aus nata nätya bildet, wenn m a n das Werk der natas, also den Tanz bezeichnen will. 302 Hier braucht kein D r a m a gemeint zu sein. I n der Klassik des altorientalischen Indiens lehrte der Lexikograph Amara, daß es drei Arten natas gebe, die Sailälins oder Öailüsas, die Krsäsvins und die Bharatas. 3 0 3 Man hat daraus geschlossen, daß das uns verlorene N a t a s ü t r a des Silälin der Vorläufer des uns erhaltenen Nätyasästra des B h a r a t a war, 304 das in die V. Periode gehört; demnach soll das N a t a s ü t r a ein L e h r b u c h der D r a m a t i k gewesen sein. Wäre dem so, m ü ß t e es Dramen schon im 5. J a h r h u n d e r t v. u. Z. gegeben haben. 3 0 5 Dabei aber besteht u. a. die Schwierigkeit, d a ß m a n nicht erklären kann, warum sich vedisch-brahmanische Lehrer wie Silälin innerhalb ihrer orthodoxen, ritualistischen Schule mit dem weltlichen D r a m a b e f a ß t haben sollten. 306 Andererseits wäre es verständlich, daß dem sästra das sütra eines Vedänga voranging; analog war es beim Recht. Amaras Zusammenstellung des B h a r a t a mit Silälin ist sicher irgendwie begründet. Dies beweist aber nicht, daß der I n h a l t des N a t a s ü t r a dem des N ä t y a s ä s t r a wesensgleich war. 307 Natas waren ursprünglich Tänzer (Pantomimen) und wurden erst in der V. Periode Schauspieler. 308 Die Einrichtung des nata als eines kultischen Tänzers, d. h. P a n t o m i m e n eines Kultdramas, läßt sich vermutlich bis au gentile vorarische Gesellschaft und auf die Industalgesellschaft zurückführen, ohne das man deshalb neben Tanz so frühe literarische D r a m a t i k anzunehmen braucht. 3 0 9 Der nata war vielleicht ursprünglich als der Gott Siva, als sein Substitut, angesehen; er spielte insofern dessen Rolle, aber nicht als Schauspieler, sondern als mit ihm identischer Tänzer, der u n t e r U m s t ä n d e n geopfert wurde. Von Tänzen von natas im vedischen K u l t ist nichts bekannt, wohl aber gab es wrfi/w-Tänzer 310 ; wenn es also in der I I I . Periode ein vedisches N a t a s ü t r a gab, wird es sich um das Eindringen vorarisch-Sivaitischer u n d damit hinduistischer Tänze in den vedischen K u l t handeln, die so wichtig waren, daß sie in einem besonderen Sütra zumindest zweier Schulen vielleicht als Teil des Vedänga kalpa gelehrt wurden. Man hat d a f ü r darauf verwiesen, daß Pänini einmal den „Macher" der Nändi neben dem der Lipi, des Citra und anderer Dinge erwähnt, d. h. den Sprecher und/oder Dichter der Nändistrophe vor der A u f f ü h r u n g des D r a m a s neben dem Schreiber und Maler. 311 Die Nändi, ein Gebet, ein Preislied, braucht aber nicht n u r der A u f f ü h r u n g eines Dramas voranzugehen; d a f ü r genügte auch ein kultischer Tanz. Das W o r t an sich k a n n f ü r Päninis Zeit noch nicht die Existenz des Dramas beweisen. Es ist weiter noch nicht geklärt, ob und wie der nata mit dem sailüsa, der nach Amara dem sailälin gleich war, zusammenhängt. Wenn der ursprüngliche nata ein Seiltänzer war, dessen Seil zwischen Felsen (silä) ausgespannt war, so liegt es nahe, in sailüsa und sailälin dieses W o r t wiederzufinden. Damit k ö n n t e es zusammenhängen, daß beide bereits in der I I . Periode neben vielen anderen als Menschenopfer e r w ä h n t werden, und zwar im Zusammenhang mit Tanz n«

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I I I . Periode, 4

(nrtta)312 und Gesang, beides womöglich damals noch im wesentlichen kultisch. Wenn im J ä t a k a 318 und 327 Tänzer von einer Frau mit einer Gesangstrophe ausgesandt werden, einen Mann zu suchen, nach der Prosa den Geliebten einer Hetäre, mit der Begründung, daß sie überall hinkommen, 313 so spricht das nicht dagegen, daß ihr Tanz und ihr Gesang kultisch, bei Festen vorgeführt, waren. Neben dem vorarisch-gentilen Possenspieler und dem mimosartig verprügelten Südra im vedischen Kultspiel 3 1 4 gab es also vermutlich einen kultischen Tänzer-Sänger. Beide, dieser sicher, jener vielleicht, könnten Vorläufer der verschiedenen Arten von Schauspielern des indischen Dramas gewesen sein. Daneben wird in der buddhistischen Literatur vielleicht schon dieser Periode einmal der sobhiya erwähnt, der saubhika, den manche als eine Art Puppenspieler auffassen, andere als Schattenspieler, 315 alle als eine Art Gaukler. E r wird mit dem Zauberer und weiter mit dem Tänzer, Sänger und anderen zusammen als an einem königlichen Hofe lebend aufgeführt, 3 1 6 ohne daß dabei die besondere Art seiner Gaukelei klargestellt würde. 317 Daß diese aber dramatisch gewesen sei, ist für die I I I . Periode noch nicht gesichert. Deutlich wird uns seine Funktion als Rezitator mit einem Pantomimen episch-mythologischer Stoffe zusammen erst in der V. Periode. 318 Das Hinzutreten des Rezitators zum Pantomimen, die Verbindung epischer Dichtung mit Tanz war neu, aber nicht mit Sicherheit unmittelbar für die Geburt des Dramas wichtig. Auch dieses Paar mag seine Vorführungen in gewissem Sinne als kultische Handlungen vollzogen haben. Ähnlich steht es mit den einmal in einem buddhistischen Text erwähnten pekkhas, Vorführungen, 3 1 9 die aus Tänzen bestanden haben werden, ohne daß es sich in dieser Periode bereits bei ihnen um dramatische Darstellung literarischer Stoffe zu handeln braucht. Da sie an dieser Stelle von Buddhisten abgelehnt werden, dürfte es sich um brahmanische oder dem Buddhisten unziemlich erscheinende weltliche Vorführungen gehandelt haben.

4. Inder und Griechen Die altgriechische Gesellschaft erlebte in dieser Periode bereits den Gipfel ihrer Kultur in der Form der athenischen Klassik; sie hatte sich schneller entwickelt als die indische. 320 Dazu paßt auf dem Gebiet der Literaturgeschichte, daß in Athen in dieser Periode Tragödie und Satyrspiel mit den drei Tragikern und die alte Komödie mit Aristophanes den Höhepunkt der antiken Dramatik, daß in Indien aber auf diesem Gebiet abgesehen von dem saubhika im Grunde nichts Neues der vorangegangenen Periode gegenüber festzustellen ist. Das altindische Drama wurde erst in der V. Periode herausgebildet, und zwar annähernd in der Art der Stücke des Menander; es erlebte seinen Höhepunkt gar erst in der VI. Periode. Daß neben dem saubhika bei den Gastmählern der Reichen Tänzer, Sänger und allerlei Gaukler auftraten, zeigt uns u. a. Xenophon in seinem „Gastmahl"; sie sind Gegenstücke der indischen Unterhaltungskünstler derselben Zeit.

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(nrtta)312 und Gesang, beides womöglich damals noch im wesentlichen kultisch. Wenn im J ä t a k a 318 und 327 Tänzer von einer Frau mit einer Gesangstrophe ausgesandt werden, einen Mann zu suchen, nach der Prosa den Geliebten einer Hetäre, mit der Begründung, daß sie überall hinkommen, 313 so spricht das nicht dagegen, daß ihr Tanz und ihr Gesang kultisch, bei Festen vorgeführt, waren. Neben dem vorarisch-gentilen Possenspieler und dem mimosartig verprügelten Südra im vedischen Kultspiel 3 1 4 gab es also vermutlich einen kultischen Tänzer-Sänger. Beide, dieser sicher, jener vielleicht, könnten Vorläufer der verschiedenen Arten von Schauspielern des indischen Dramas gewesen sein. Daneben wird in der buddhistischen Literatur vielleicht schon dieser Periode einmal der sobhiya erwähnt, der saubhika, den manche als eine Art Puppenspieler auffassen, andere als Schattenspieler, 315 alle als eine Art Gaukler. E r wird mit dem Zauberer und weiter mit dem Tänzer, Sänger und anderen zusammen als an einem königlichen Hofe lebend aufgeführt, 3 1 6 ohne daß dabei die besondere Art seiner Gaukelei klargestellt würde. 317 Daß diese aber dramatisch gewesen sei, ist für die I I I . Periode noch nicht gesichert. Deutlich wird uns seine Funktion als Rezitator mit einem Pantomimen episch-mythologischer Stoffe zusammen erst in der V. Periode. 318 Das Hinzutreten des Rezitators zum Pantomimen, die Verbindung epischer Dichtung mit Tanz war neu, aber nicht mit Sicherheit unmittelbar für die Geburt des Dramas wichtig. Auch dieses Paar mag seine Vorführungen in gewissem Sinne als kultische Handlungen vollzogen haben. Ähnlich steht es mit den einmal in einem buddhistischen Text erwähnten pekkhas, Vorführungen, 3 1 9 die aus Tänzen bestanden haben werden, ohne daß es sich in dieser Periode bereits bei ihnen um dramatische Darstellung literarischer Stoffe zu handeln braucht. Da sie an dieser Stelle von Buddhisten abgelehnt werden, dürfte es sich um brahmanische oder dem Buddhisten unziemlich erscheinende weltliche Vorführungen gehandelt haben.

4. Inder und Griechen Die altgriechische Gesellschaft erlebte in dieser Periode bereits den Gipfel ihrer Kultur in der Form der athenischen Klassik; sie hatte sich schneller entwickelt als die indische. 320 Dazu paßt auf dem Gebiet der Literaturgeschichte, daß in Athen in dieser Periode Tragödie und Satyrspiel mit den drei Tragikern und die alte Komödie mit Aristophanes den Höhepunkt der antiken Dramatik, daß in Indien aber auf diesem Gebiet abgesehen von dem saubhika im Grunde nichts Neues der vorangegangenen Periode gegenüber festzustellen ist. Das altindische Drama wurde erst in der V. Periode herausgebildet, und zwar annähernd in der Art der Stücke des Menander; es erlebte seinen Höhepunkt gar erst in der VI. Periode. Daß neben dem saubhika bei den Gastmählern der Reichen Tänzer, Sänger und allerlei Gaukler auftraten, zeigt uns u. a. Xenophon in seinem „Gastmahl"; sie sind Gegenstücke der indischen Unterhaltungskünstler derselben Zeit.

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Analog steht es um die große Heldenepik. Während Homers Text im großen ganzen seit Peisistratos, d. h. um die Wende von der I I . zur I I I . Periode feststeht, ist es in Indien bis zum Ende der I I I . Periode noch zu keiner großen brahmanischen Versepik gekommen. Auch die Buddhisten waren noch weit entfernt von einem Buddhaepos. Es gab erst kurze epische Lieder über einzelne Episoden aus Buddhas Leben in Versen, und es gab einzelne Prosatexte wie das große Sütra über das Sterben Buddhas. 321 Bei den J ä t a k a s ist noch nicht angedeutet, wie es erst in den Einleitungen der J ä t a k a s aus etwa dem 5. Jahrhundert u. Z. geschieht, daß der positive Held jeder ihrer Geschichten Buddha in einer seiner zahllosen Wiedergeburten gewesen ist. Dabei sind weitaus die meisten epischen Texte dieser Religionsgemeinde als Bruchstücke einer Biographie Buddhas gemeint, auch z. B. die Dialoge in Prosa und Vers, ebenso wie die Monologe und Erzählungen. Die Mönche legten Wert darauf, alle ihre Lehrtexte auf den Meister selber zurückzuführen, alle Lehren in seinem Leben zu verankern. Daher stammt die stereotype Form dieser Texte, daß sie mit der Angabe des Ortes und der Mitunterredner beginnen. Später erst hat man Buddhas Leben mit seinen Vorgeburten bzw. mit seinen Vorläufern beginnen lassen und von seiner Herabkunft vom Himmel bis zu seinem Sterben und Eingehen ins Nirwana zu einem Gesamttext zusammengefaßt. Aus diesem Interesse heraus ist es verständlich, daß das spätere Buddhaepos die Form einer Biographie erhielt, sowohl das in Versen des Asvaghosa aus der V. Periode 3 2 2 wie das in Prosa, die Nidänakathä, aus der VI. Periode. 323 Wie diese biographische Buddhaepik mit den Heldenepen des Räma, Krsna und Yudhisthira zusammenhängt, ist noch nicht ganz klar. 32 ' 1 Worin der Inhalt des damaligen Bhärata und Maliäbhärata 3 2 3 bestand, ist noch unklar; es war sicher keine Biographie Yudhisthiras und seiner Brüder, der Pändavas; vielleicht eine wichtige Episode wie die große Schlacht, die Spielszene oder ein Motiv ihrer polyandrischen Ehe, vielleicht aber auch ein Lied über Bharata, den Sohn der Sakuntalä. Die Entwicklung der indischen Epik war eben kompliziert, aber sicher war es in der I I I . Periode noch zu keinem der erwähnten vier großen altindischen Versepen gekommen, also entwickelte sich die Epik Indiens ebenso wie seine Dramatik weit langsamer als in Griechenland, wenn auch das heroische oder epische Zeitalter ungefähr gleichzeitig gelegen hat, denn die Eroberung Trojas um 1200 v. u. Z. war ungefähr gleichzeitig mit der Eroberung des Pandschab durch die Ärya und der Zehnkönigsschlacht im Pandschab in der I. Periode. Der Wert der indischen Versepik dieser I I I . Periode besteht f ü r uns darin, daß insbesondere die Buddhisten in ihrem Kanon eine Fülle epischer Texte verschiedener Formen erhalten haben, die zwischen das epische Lied der I. und II. Periode und das Heldenepos, zunächst in der Kurzform der IV. Periode, einzuordnen sind. Analoges ist für die alten Griechen nicht erhalten. I n diesen Zusammenhang gehört, daß Herodot bereits in dieser I I I . Periode mit seinem Werk die Geschichtswissenschaft von der Epik trennte, ein Schritt, der im alten Indien im Grunde nie getan wurde. 320 Die Stammbäume der Könige des Kaliweltalters, das mit oder nach dem Heroenzeitalter begann, blieben

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Bestandteil der P u r a n e n , dieser religiös-epischen Texte. Überliefert wurden die N a m e n (und T a t e n ) der Vatsa-Könige von P a r i k s i t - J a n a m e j a y a bis Nicaksu, 3 2 7 dieser historischen N a c h k o m m e n der heroischen P ä n d a v a s , zweifellos irgendwie auch durch die I I I . Periode h i n d u r c h . H e r o d o t h a t uns in seinem Geschichtswerk eine ganze Reihe k u r z e r E r zählungen ü b e r Gyges, Krösus, Polykrates, den Meisterdieb u n d a n d e r e überliefert, die mit entsprechenden J ä t a k a s zu vergleichen sind, n u r ist die überlieferte Prosa der J ä t a k a s jünger als die Herodots. Diese Tatsache erschwert a u c h einen Vergleich der indischen u n d griechischen Märchen u n d Tierfabeln mit denen des J ä t a k a b u c h e s . 3 2 8 D a ß es in beiden Gesellschaften ein analoges E r z ä h l g u t mit mehreren gemeinsamen Motiven u n d Motivketten gegeben h a t , die vermutlich von den K a r a w a n e n h ä n d l e r n durch das Perserreich hindurch hin u n d her getragen wurden, ist längst b e k a n n t . Auch f ü r dieses Gebiet wird a b e r gelten, daß ein Bürger des klassischen Athens oder Ioniens sich in etwas anderer Weise erzählen ließ als ein U n t e r t a n des indischen Despotismus mit seinen erst wachsenden S t ä d t e n . I n dieser Weise ist a u c h ein Vergleich der Dialoge P i a t o n s u n d B u d d h a s anzustellen. 3 2 9 Der größte Idealist des klassischen A t h e n s schrieb m i t eigener H a n d Dialoge des Sokrates, seines verehrten, durch reaktionäre J u s t i z erm o r d e t e n Lehrers, des Ethikers, der die Diskussionskunst der Sophistik beherrschte, mit geradezu dichterischer Sprachgewalt nieder. Der buddhistische Mönch dagegen lernte von seinem Lehrer auswendig, was B u d d h a als Religionsgründer vor J a h r h u n d e r t e n bei dieser u n d jener Gelegenheit in der U n t e r redung mit seinen Gegnern als vorsichtiger R e f o r m e r i m Despotismus gelehrt h a b e n soll. E s ist bei diesen grundlegenden Unterschieden erstaunlich, d a ß t r o t z d e m einige buddhistische Dialoge a n Lebendigkeit den platonischen ein wenig n a h e k o m m e n ; 3 3 0 beide geben uns ein gewisses Bild des Lehrers, 3 3 1 n u r ist das des P i a t o n (wie X e n o p h o n s Darstellung des Sokrates zeigt) sehr subjektiv, das der B u d d h i s t e n vermutlich weniger, d a f ü r aber sehr dogmatisch, schulgemäß. U n d die A r t der Beweisführung, die Maieutik des Sokrates, 3 3 2 ist in A t h e n mit seiner an den Naturwissenschaften u n d M a t h e m a t i k geschulten Logik viel entwickelter gewesen als in Indien mit d e m Streit seiner Philosophen, u n t e r denen noch kein Materialist so weit war wie Demokrit. Wie d e m a u c h sei, die erstaunliche Analogie in I n h a l t u n d F o r m der Dialoge ist eine genaue U n t e r suchung a u c h vom literaturgeschichtlichen S t a n d p u n k t wert. Auf dem Gebiet der Lyrik ist manches in der pessimistischen Weisheitslyrik des Theognis, eines Zeitgenossen B u d d h a s , mit der buddhistischen Spruchweisheit zu vergleichen, n u r d e n k t u n d dichtet dieser Grieche politischer, u n d zwar im Sinne des an Macht verlierenden alten Kriegeradels, in seiner Weise subjektiver u n d ohne Verherrlichung des seelischen Friedens, den buddhistische Waldeinsiedler f ü r sich gewannen. — W e n n P i n d a r in der 1. H ä l f t e des 5. J a h r h u n d e r t s in Oden, kultischen Chorliedern, mit d e m R ü s t z e u g der antiken M y t h e n u n d Spruchweisheit Sieger in gesamtgriechischen Agonen seiner Zeit in einer n u r Gebildeten verständlichen Sprache pries, so indische B r a h m a n e n die gewaltigen

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Opfer ihrer Könige, damals meist wohl längst vergangener Herrscher wie B h a r a t a und J a n a m e j a y a , in Merkversen, die manchmal in Gruppen ganze Reihen berühmter Könige zusammenfaßten, u m die Gläubigen z u m Opfern anzuregen.

IV. Periode: Dichtung der Mauryazeit (325-236 v. u. Z.)

1. Lyrik

In diesen knapp einhundert Jahren kann man nicht viel Neues auf dem Gebiet der Lyrik erwarten, zumal die Grenze zwischen der I I I . und IY. Periode hier schwer zu ziehen ist, sind doch die Strophen der Jätakas z. B. erst gegen Ende der IV. Periode kanonisiert worden, meist aber wohl schon in der I I I . entstanden. Wenn man nachweisen könnte, welches die spätesten waren, wären diese wohl der IV. Periode zuzuweisen, wie man es u. a. bei denen des letzten Jätaka, des Vessantarajätaka, vermuten kann. 1 In diesem Kurzepos sind uns einige schöne Naturschilderungen erhalten, die an die der I I I . Periode anzuschließen sind. Ihr Thema ist immer wieder der Wald, in den Prinz Vessantara verbannt wird. Er will seine Gattin Maddi daheim lassen, doch sie will ihn mit ihren Kindern begleiten und schildert ihm zum Trost den Wald als schön nicht von Natur, sondern weil er von seinen beiden kleinen Kindern belebt sein wird, die dort sitzen, ruhen, Kränze flechten und tanzen werden, in der schönen, in der lieblichen Einsiedelei. Acht Strophen variieren dasselbe Thema mit solchen Unterschieden der Ortsbezeichnungen und der Tätigkeiten der Kinder; es handelt sich um Wiederholungen, wie sie keimhaft schon in der Lyrik der gentilen Vorärya eine große Rolle gespielt hatten, 2 sich dort aus der Art des Tanzens, hier aus dem Bedürfnis, die weltentsagend-romantische Stimmung eindringlich zu machen, die religiöse Weltanschauung zu propagieren, ergaben. Dies werde ihn über den Verlust seines Reiches trösten, wird als Refrain wiederholt. Da spricht die liebende Gattin und Mutter (75ff.). Weiter schildert sie mit entsprechenden Wiederholungen hoffnungsvoll den Wald an sich als schön mit seinen Tieren, den Elefanten mit seiner Herde, den Pfau mit seinen Hennen, die tanzenden und singenden Feenmännchen (84ff.). An Feenpärchen im Wald besangen buddhistische Dichter ja auch in der I I I . Periode schon gern die Liebe. 3 Nicht von sich selber und ihrer liebenden Umsorgung des Gatten spricht M a d d i . — Ihr entgegnet nicht der Prinz, sondern etwas später der König; er warnt sie vor den Plagen und Schrecken des Waldlebens, den Mücken und Schlangen, den Bären, Büffeln, Affen und heulenden Schakalen (173ff.). 5 Diese nüchterne, gegen die Romantik der Prinzessin gerichtete Waldlyrik ist ein Gegenstück zu der asketischen Lyrik der buddhistischen Mönche und Nonnen, die in der Einsamkeit des Waldes ihre Ruhe gefunden haben und der Mücken nicht achten, sich der wilden Tiere freuen. Vessantara ist ja kein buddhistischer Mönch, sondern ein verbannter

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Prinz, der wie ein brahmanischer Waldeinsiedler (samt seiner Familie) u n t e r F o r t f ü h r u n g des häuslichen Feuerkults im Walde zu leben hat. Der König aber spricht sehr abstrakt, ganz allgemein; ihm fehlt ja die N a t u r e r f a h r u n g der Mönche und deren liebevolles Sicheinleben in eine bestimmte L a n d s c h a f t . Diese Waldlyrik hebt sich aber mit ihrer epischen Breite, d. h. mit der Schilderung der verschiedenen Tiere in je einer Strophe, auch von der Naturlyrik der gentilen Ärya u n d Vorärya, soweit sie uns bisher b e k a n n t geworden ist, a b ; die Breite gehört wohl zum Charakter dieses buddhistischen Kurzepos. Der Illusion der Maddi über das künftige idyllische Waldleben k a n n m a n die Illusion der Sita gegenüberstellen, die R ä m a in die Verbannung begleiten will: Sie freut sich schon auf die schönen Flüsse, Felsen und Wälder mit den Wasservögeln auf den Lotosteichen, mit den Gazellen u n d Affenherden (Räm I I , 24, 13ff.). Sie k a n n noch nicht wie Madd! von ihren Kindern als Trost im Waldleben sprechen. Aber die Waldlyrik ist bei ihr eingebettet in moralische Erwägungen über die Treue der Gattin, die ihrem Gatten überallhin zu folgen h a t . R ä m a entgegnet ihr mit dem Hinweis auf die Schrecken u n d Plagen des Waldlebens — das Brüllen der Löwen, die Ameisen u n d Mücken, die Schlangen u n d die dornigen B ä u m e (Räm I I , 25, 4ff.). G Sita erwidert, sie wisse davon (II, 26, 10), bestehe aber auf der Erfüllung ihrer Gattenpflicht (26, 19). Sie droht mit Selbstmord durch Wasser oder Gift, wie auch Maddi bereit war, ins Feuer zu gehen. 7 Beide epischen Helden geben schließlich nach. I m Vessantaraepos folgt später noch so manche lyrische Schilderung des schönen Waldes mit seinen B ä u m e n ; diese werden mit ihren mannigfachen N a m e n aufgezählt, oder es werden ihre wildreifenden F r ü c h t e wie Feigen, Datteln und Mangos zusammengestellt (333 ff.; 373 ff.; 509); ein See wird geschildert (381 ff.) und die liebliche Vogelwelt, aber auch die Fische, Schildkröten u n d Krebse (346, die der Ksatriya als Einsiedler ja essen kann). — Ähnliche Waldlyrik findet sich selten auch im M a h ä b h ä r a t a , häufig aber im R ä m a y ä n a , 8 wo ebenfalls B a u m a r t e n aufgezählt und Feenpärchen geschildert werden. 9 Diese Art Poesie gehörte damals also zum lyrischen Repertoire der Epiker der Buddhisten und Brahmanen. Die im Kurzepos des Vessantara vermutlich aus dieser Periode überlieferte Lyrik dieser Art lebte noch im etwa acht J a h r h u n d e r t e späteren u n d weit längeren E p o s des R ä m a 1 0 weiter, und zwar ist dort z. B. die U n t e r r e d u n g R ä m a s u n d Sitäs noch bedeutend ausgedehnter als die Vessantaras und Maddls, u n d dementsprechend schildert R ä m a seiner Sita die Schönheit des Citrakütaberges u n d des Mandäkiniflusses in je einem ganzen Gesang sehr ausführlich, aber im Grunde nach dem gleichen Schema. 1 1 I n zwischen war aber der künstliche Stil der K u n s t d i c h t u n g (kävya)1'2 ausgebildet worden, u n d so finden sich da stimmungsvolle Verse, die im Vessantara j ä t a k a noch nicht ihresgleichen haben können, wie e t w a : Auf dem Berg leuchten n a c h t s die Pflanzen tausendfach mit dem Licht ihres eigenen Glanzes, als wären es F l a m m e n von Opferfeuern (von Einsiedlern; I I , 88, 21). Diese romantische Waldlyrik propagiert Weltschmerz und Seelenruhe u n t e r gebildeten und ungebildeten Hörern.

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Daneben blühte die Spruchweisheit weiter, wie es das Staatslehrbuch des Kautalya mit seinen eingestreuten Versen bezeugt. Von diesen dürften einige von ihm selber verfaßt sein, wie z. B. der über die Philosophie als Leuchte aller Wissenschaften. 13 Andere hat er mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit aus der damaligen Spruchweisheit übernommen. Dies ist recht sicher bei dem gesellschaftskritischen Vers, der die Astrologie verurteilt: Wer die Sternbilder fragt, diesem Toren läuft sein Ziel davon; das Ziel ist selber das Sternbild des Ziels; was werden die Sterne tun? 1 4 Eine Pälivariante dieses Verses ist die einzige Strophe des 49. Jätaka. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß beide in dieser oder jener Richtung voneinander abhängen, sie können im Grunde nur aus dem allgemeinen Schatz an Sprüchen stammen. Kautalya (9, 4, 27) läßt diesem Vers einen zweiten folgen: Wer kein Geld hat, erlangt auch mit hundert Mühen keines; Geld wird mit Geld gefesselt wie (wilde) Elefanten mit abgerichteten. Diese allgemeine, sehr richtige, kritische Beobachtung hat mit dem vorangehenden Kapitel, das über allerhand Fragen der Einkommenspolitik des Königs handelt, im Grunde gar nichts zu tun. Eine Warnung vor Astrologie war im letzten Prosasatz des Kapitels immerhin vorgekommen, so daß das Anhängen des ersten Verses gerechtfertigt erscheint. Der zweite Vers kann daher ebenfalls nur aus allgemeiner Spruchweisheit angehängt worden sein. Ein anderer Spruch lautet: Andere (d. h. Feinde) sollen sein Geheimnis nicht wissen, er aber soll die Blöße des anderen (des Feindes) kennen; wie die Schildkröte ihre Glieder einzieht, so soll er seine Öffnungen (Blößen) behüten. 13 Dieser Vers kommt mit kleineren oder größeren Abweichungen nicht nur im Mahäbhärata und bei Manu vor, sondern auch in einer ganzen Reihe späterer Sammlungen von Strophen praktischer Moral (niti), die durchweg dem Cänakya, d. h. traditionsgemäß (wenn auch nicht mit historischem Recht) Kautalya zugeschrieben werden.16 Auch dieser Vers dürfte nicht von Kautalya gedichtet, sondern vorgefunden worden sein. Mitten im Kapitel über die Beratung des Despoten steht der Vers, daß der Weise niemanden verachten, die Meinung eines jeden anhören, auch von einem Kinde ein zweckentsprechendes Wort nutzen soll (K 1, 15, 22). Ähnliche Sprüche mit vielen Varianten finden sich in den erwähnten aus dem "Feudalismus" stammenden Sammlungen: Auch von einem Kinde soll man einen guten Spruch annehmen, auch von einem Niedrigen (oder Feind) kommt höchste Weisheit, von einer schlechten Sippe ein Juwel von einer Frau, aus dem Sumpf ein Lotos. 17 — Für andere Verse im Staatslehrbuch lassen sich sicher weitere Parallelen in solchen Spruchsammlungen finden. 18 Besonders durch Anführen eindrucksvoller Vergleiche für allgemeine gesellschaftskritische Einsichten zeichnen sich Verse aus, die weit verbreitet gewesen sein dürften, z. B.: Wie man bei Fischen im Wasser nicht wissen kann, wann sie Wasser trinken, so kann man bei Beamten nicht wissen, wann sie Geld nehmen, wenn sie für Geldeintreibung eingesetzt sind.19 Vermutlich gehört in diese IV. Periode auch eine Reihe von weisen Sprüchen, die in der Bhagavadgitä 20 stehen und bis heute zahllosen Hindus geläufig sind,

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-wie z. B. der Vers, daß jeder das ihm (standesgemäß) Zustehende tun soll {II, 35), daß man ohne Rücksicht auf den Erfolg bloß seine Pflicht tun soll (II, 47), daß man selbstlos alle Lüste fliehen soll, um zur Ruhe zu gelangen (II, 71), daß man die Sinne von ihren Gegenständen zurückziehen soll, wie die Schildkröte ihre Glieder einzieht (II, 58), daß die Seele ihre vergreisten Leiber ablegt und neue nimmt, wie man zerschlissene Kleider ablegt und neue nimmt (II, 22), daß der Beste vorangeht und die übrigen Menschen ihm folgen (III, 21), und viele andere Spruchverse mehr. Ihre dem Hindu geläufigen Inhalte sind in schlichter Sprache ausgedrückt, so daß sie sich dem Gedächtnis leicht einprägen und bei zahllosen Gelegenheiten mahnend zitiert werden können.

2. Epik a) Die „Beispiele" im Staatslehrbuch als literarische F o r m Für die Frage, wieweit damals die hinduistischen Heldenepen entwickelt waren und wie sie propagandistisch benutzt wurden, ist die gesellschaftskritische Stelle in Kautalyas Staatslehrbuch wichtig, an der er zwölf mythologische Fürsten als Beispiele für sechs Laster anführt, die ein Herrscher, und sei er Weltherrscher, bei Strafe des Untergangs vermeiden m u ß ; er muß sich beherrschen lernen, d. h. seine fünf Sinne in der Gewalt haben. Kautalya f ü h r t als abschreckende Beispiele an 1. für Liebesleidenschaft Dändakya und Karäla, 2. für Zorn Janamejaya und Tälajangha, 3. f ü r Gier Aila und Ajabindu, 4. f ü r Anmaßung Rävana und Duryodhana, 5. f ü r Übermut Dambodbhava und Arjuna Haihaya und 6. f ü r respektlose Verulkung Vätäpi und den Klan der Vrsnis. Als Gegenbeispiele idealer Selbstbeherrschung f ü g t der Schlußvers des Kapitels Jämadagnya und Ambarisa hinzu. 21 Warum Kautalya gerade diese sechs Laster zusammengestellt hat, ist noch nicht geklärt. 22 Wichtiger im Rahmen der Geschichte der indischen Dichtung ist, daß diese Kapitel des Staatslehrbuches eine damals seit langer Zeit übliche Form der schönen Literatur widerspiegelt, insbesondere der Epik. Aus den Lobversen rgvedischer Dichter auf ihre eigenen, lebenden, freigebigen Opferherren hatten sich, wie man annimmt, in der I I . Periode die oben behandelten „Opferstrophen" entwickelt, in denen berühmte Könige der Vergangenheit ihrer Opfer und Freigebigkeit wegen gepriesen wurden, wie Bharata, J a n a m e j a y a und andere. 23 Ob damals schon mehrere solcher Herrscher in umfassenden epischen Gedichten zusammengestellt wurden, ist den Strophen bisher nicht anzusehen. In der I I I . Periode wurden die Strophen weiter im Kult verwendet. I m hinduistischen Epos aber, in einzelnen Textstücken, die vielleicht noch der IV. Periode zuzuschreiben sind, lebten einige der alten Verse, und zwar über Marutta und Bharata weiter, 24 nämlich in einem Gesang, der eine Gruppe von sechzehn Königen verherrlicht: Marutta, Suhotra, Anga, Sibi, Bharata, Räma Däsarathi, Bhaglratha, Dilipa, Mandhätr, Yayäti, Ambarisa, Öasabindu, Gaya, Rantideva,

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-wie z. B. der Vers, daß jeder das ihm (standesgemäß) Zustehende tun soll {II, 35), daß man ohne Rücksicht auf den Erfolg bloß seine Pflicht tun soll (II, 47), daß man selbstlos alle Lüste fliehen soll, um zur Ruhe zu gelangen (II, 71), daß man die Sinne von ihren Gegenständen zurückziehen soll, wie die Schildkröte ihre Glieder einzieht (II, 58), daß die Seele ihre vergreisten Leiber ablegt und neue nimmt, wie man zerschlissene Kleider ablegt und neue nimmt (II, 22), daß der Beste vorangeht und die übrigen Menschen ihm folgen (III, 21), und viele andere Spruchverse mehr. Ihre dem Hindu geläufigen Inhalte sind in schlichter Sprache ausgedrückt, so daß sie sich dem Gedächtnis leicht einprägen und bei zahllosen Gelegenheiten mahnend zitiert werden können.

2. Epik a) Die „Beispiele" im Staatslehrbuch als literarische F o r m Für die Frage, wieweit damals die hinduistischen Heldenepen entwickelt waren und wie sie propagandistisch benutzt wurden, ist die gesellschaftskritische Stelle in Kautalyas Staatslehrbuch wichtig, an der er zwölf mythologische Fürsten als Beispiele für sechs Laster anführt, die ein Herrscher, und sei er Weltherrscher, bei Strafe des Untergangs vermeiden m u ß ; er muß sich beherrschen lernen, d. h. seine fünf Sinne in der Gewalt haben. Kautalya f ü h r t als abschreckende Beispiele an 1. für Liebesleidenschaft Dändakya und Karäla, 2. für Zorn Janamejaya und Tälajangha, 3. f ü r Gier Aila und Ajabindu, 4. f ü r Anmaßung Rävana und Duryodhana, 5. f ü r Übermut Dambodbhava und Arjuna Haihaya und 6. f ü r respektlose Verulkung Vätäpi und den Klan der Vrsnis. Als Gegenbeispiele idealer Selbstbeherrschung f ü g t der Schlußvers des Kapitels Jämadagnya und Ambarisa hinzu. 21 Warum Kautalya gerade diese sechs Laster zusammengestellt hat, ist noch nicht geklärt. 22 Wichtiger im Rahmen der Geschichte der indischen Dichtung ist, daß diese Kapitel des Staatslehrbuches eine damals seit langer Zeit übliche Form der schönen Literatur widerspiegelt, insbesondere der Epik. Aus den Lobversen rgvedischer Dichter auf ihre eigenen, lebenden, freigebigen Opferherren hatten sich, wie man annimmt, in der I I . Periode die oben behandelten „Opferstrophen" entwickelt, in denen berühmte Könige der Vergangenheit ihrer Opfer und Freigebigkeit wegen gepriesen wurden, wie Bharata, J a n a m e j a y a und andere. 23 Ob damals schon mehrere solcher Herrscher in umfassenden epischen Gedichten zusammengestellt wurden, ist den Strophen bisher nicht anzusehen. In der I I I . Periode wurden die Strophen weiter im Kult verwendet. I m hinduistischen Epos aber, in einzelnen Textstücken, die vielleicht noch der IV. Periode zuzuschreiben sind, lebten einige der alten Verse, und zwar über Marutta und Bharata weiter, 24 nämlich in einem Gesang, der eine Gruppe von sechzehn Königen verherrlicht: Marutta, Suhotra, Anga, Sibi, Bharata, Räma Däsarathi, Bhaglratha, Dilipa, Mandhätr, Yayäti, Ambarisa, Öasabindu, Gaya, Rantideva,

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Sagara und P r t h u Vainya. Diese Könige soll einst nach einem „itihäsa purätana" (alten Epos) der himmlische Weise N ä r a d a dem Srnjaya angeführt haben, b e h a u p t e t Krsna, der diesen Gesang dem König Yudhisthira nach der großen Schlacht vorträgt, als dieser ob des Todes vieler Helden in der Schlacht des Trostes bedarf. Gerade damit, daß so große Herrscher sterben mußten, tröstet K r s n a Yudhisthira nach der Schlacht, er, der vor der Schlacht A r j u n a mit der Bhagavadgitä zum K a m p f ermutigt hatte. Beide Textstücke Krsnas gehören also irgendwie zusammen und vielleicht beide im K e r n schon der IV. Periode. I n 120 Versen besingt K r s n a diese sechzehn Herrscher. F a s t das gleiche geschieht in Mbh V I I , 52 ff. bzw. 55 ff. in sechzehn Gesängen, also sehr viel ausführlicher. Dort gibt Vyäsa jene Erzählung Näradas wieder, um Yudhisthira innerhalb der großen Schlacht über das Fallen Abhimanyus zu trösten. Diese Fassung d ü r f t e ein späterer Einschub sein. 25 Sehr viel kürzer ist die Liste solcher Könige, die einleitend als räjarsis, als königliche Weise, am Schluß als freigebige Vollbringer von Pferdeopfern, bezeichnet werden, in Näradas Schilderung der Halle des Totenkönigs Y a m a im M a h ä b h ä r a t a I I , 8,7ff.: Sie enthält n u r die N a m e n in einer langen Liste. U n t e r ihnen trifft m a n wieder Marutta, B h a r a t a , Anga, Sibi, R ä m a Däsarathi, Yayäti, Dillpa, Mandhätr, Sagara, Gaya, Vainya, Ambarisa und Bhaglratha, so daß n u r drei der sechzehn Könige, die K r s n a nach N ä r a d a angeführt h a t , fehlen. Dies ist nicht verwunderlich, denn N ä r a d a war oder galt als der mythische Urheber beider Textstücke, diese mythische Gestalt, die schon in der I I . Periode mit epischer Tradition in Beziehung stand. 2 6 Eine epische Dichtung über Y a m a s Halle bezeugt schon Pänini f ü r die frühe I I I . Periode. 2 7 U n t e r den Königen in Y a m a s Halle erscheinen aber auch J a n a m e j a y a , Aila, K ä r t t a v i r y a ( = A r j u n a Haihaya), J ä m a d a g n y a und Ambarisa aus K a u t a l y a s Liste der vierzehn Könige; von diesem wurden ihre ersten drei verurteilt, von „ N ä r a d a " aber ebenso gepriesen wie die beiden letzten von K a u t a l y a . Das Epos und die Staatslehre folgten hier also etwas verschiedenen Traditionen, 2 8 denn ihr moralischer S t a n d p u n k t war an sich der gleiche. Daß K a u t a l y a s Liste der zwölf lasterhaften, als abschreckende Beispiele angeführten Könige plus der beiden positiven Beispiele aber in die literarische, genauer epische, Tradition des frühen Hinduismus hineingehört, ist deutlich. Daneben ist die buddhistische Tradition zu stellen, die als abschreckende Beispiele böse Könige anzuführen pflegte, die zur Strafe f ü r ihre Sünden in die Hölle mußten (wie nebenbei nach dem M a h ä b h ä r a t a alle Könige in die Hölle mußten, wenn auch einige n u r f ü r kurze Zeit). 29 Einmal werden in J ä t a k a v e r s e n vier a n g e f ü h r t : Dandaki, Nälikira, Ajjuna und K a l ä b ü ; einmal f ü n f : der tausendarmige Ajjuna, Dandaki, Mätanga, Andhakavenhus Söhne und Cecca. 30 I n beiden kommen Dandaki und A j j u n a vor, n u r in der zweiten Andhakavenhus Söhne. 31 Diese drei entsprechen dem D ä n d a k y a , A r j u n a H a i h a y a u n d der Vrsnisippe in K a u t a l y a s Liste. Diese hat also gewisse Gemeinsamkeiten einerseits mit dieser buddhistischen, andererseits mit jener episch-brahmanischen Tradition. N u r ist sie im Unterschied zu beiden — bis auf den Schlußvers —

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nicht in epischen Versen sondern in Prosa verfaßt, wie es dem S t a a t s l e h r b u c h a n s t e h t . K a u t a l y a h a t sie eben nicht als episches T e x t s t ü c k zitiert, sondern die Zusammenstellung der sechs L a s t e r mit je einem P a a r von Königen selber f ü r seinen Zweck in Prosa v e r f a ß t . Sein erstes Beispiel, K ö n i g D ä n d a k y a k o m m t außer in dieser buddhistischen Tradition a u c h im M a h ä b h ä r a t a I I I , 197, 25f. in der b e r ü h m t e n Episode des t u g e n d h a f t e n J ä g e r s vor; dessen F r a u e r w ä h n t ihn u n d danach V ä t ä p i (s. o. u n t e r Nr. 6 bei K a u t a l y a ) , u m die gefährliche M a c h t der B r a h m a n e n zu zeigen. K a u t a l y a s D ä n d a k y a u n d T ä l a j a n g h a aber e r w ä h n t im M a h ä b h ä r a t a X I I I , 138, 11 der W i n d g o t t in einer Belehrung A r j u n a s als schlechte Beispiele; sie seien durch B r a h m a n e n vernichtet worden. Diese Gestalten waren allesamt damals so b e k a n n t , d a ß K a u t a l y a s kurze A n d e u tungen gebildeten H ö r e r n genügten. E r forderte 1, 5, 13f., daß sie als Beispiele bei der Erziehung der P r i n z e n zu Selbstbeherrschung verwendet würden, sozusagen jeden N a c h m i t t a g . D a n n sollten nämlich die Prinzen dem „itihäsa" zuhören; dieser b e s t ä n d e in puräna, itivrtta, äkhyäyikä, Beispiel (udäharana), Rechts- u n d Staatslehre. Diese sechs Bestandteile waren damals also unterscheidbar. Dieser itihäsa ist nach K a u t a l y a 1,3,2, der f ü n f t e Veda, wie es a n sich schon N ä r a d a in der I I . Periode beh a u p t e t hatte. 3 2 N ä r a d a n a n n t e aber nicht K a u t a l y a s höchst eigenwillige Aufzählung der sechs Teile des itihäsaveda. Es ist dabei wichtig, daß K a u t a l y a das puräna als Teil des itihäsa a u f f a ß t , nicht als neben ihm stehend, wie es sonst im früheren u n d späteren Indien üblich i s t : 3 3 I m B u d d h i s m u s schloß itihäsa a b e r m a n c h m a l ebenfalls puräna ein.3'* Dies war im G r u n d e n u r möglich, solange die hinduistischen E p e n u n d P u r a n e n noch nicht ihre feste, uns erhaltene F o r m erhalten h a t t e n , u n d das war in der IV. Periode sicher noch nicht der Fall. 3 5 W a s itivrtta („es geschah einmal . . .") neben itihäsa („es war einmal . . .") b e d e u t e n soll, ist noch nicht bekannt. 3 6 äkhyäyikä, später Erzählung, ist wohl etwas ähnliches wie äkhyäna, die F o r m u. a. der Sunahsepalegende, 3 7 oder wie im weiteren Sinne kathä. Das M a h ä b h ä r a t a bezeichnet sich in der Einleitung abwechselnd als itihäsa, puräna u n d äkhyäna,38 Auch dies spricht d a f ü r , d a ß zu K a u t l a y a s Zeit die Komposition des M a h ä b h ä r a t a noch nicht erfolgt war, w ä h r e n d doch Manu a m Anfang derV. Periode vorschreibt, der Veranstalter eines A h n e n opfers 3 9 solle die Gäste Vorträge aus dem Veda, der Rechtslehre, aus äkhyäna, itihäsa (Epos, d a r u n t e r M a h ä b h ä r a t a ) , puräna u n d khila (Nachträge wie H a r i vamsa) / i 0 hören lassen. 4 1 U n t e r den zum itihäsa gehörenden udäharanas verstand K a u t a l y a sicher im besonderen Sinne die oben a n g e f ü h r t e n Listen beispielhafter Helden der Vergangenheit, wie sie uns noch in unserer F a s s u n g des E p o s erhalten sind. Aber Sagen von Helden k o n n t e n an sich auch sonst als Beispiele verwendet werden, u n d werden es bis heute. Gerade dazu dienten die E p e n immer wieder; dies zeigt ihren zutiefst didaktischen, d. h. eine W e l t a n s c h a u u n g propagierenden Charakter, ihren gesellschaftlichen A u f t r a g . Rechts- u n d Staatslehre mit K a u t a l y a u n t e r itihäsa einzuordnen ist eigentlich nicht möglich, denn sie sind ihrem Wesen nach wissenschaftliche Lehrtexte, keine W e r k e der epischen

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Dichtung. Aber f ü r damalige Inder war Epik eben Darstellung nicht von E r dichtetem, sondern von historischer Wirklichkeit, 4 2 von Rechts- und Staatslehre in Beispielen. Einen besonderen Begriff f ü r Dichtung (d. h. Kunstdichtung, kävya von der V. Periode ab) gab es noch ebensowenig wie das Bewußtsein von einem besonderen Beruf des Dichters. E s gab „Seher" der vermeintlichen Wirklichkeit und „Erzähler" traditioneller, d. h. volkstümlicher Stoffe, die bei all ihrer K u n s t der Einbildung, der Sprache u n d des Vortrages doch nur als fahrendes Volk neben Sängern, Tänzern und anderen aufgefaßt wurden. 4 3 E s gab Barden der Überlieferungen des Kriegeradels und dichtende Priester (s. gleich); auch einzelne Personen wie Könige oder Hetären, 4 4 Mönche und Nonnen dichteten gelegentlich Strophen; es gab schließlich „Sänger", ebenfalls Teile des fahrenden Volkes, die ihre Texte zum Teil selber gedichtet haben mögen. Aber Schrift wurde noch nicht zum Aufzeichnen der L i t e r a t u r verwendet ; kein Dichter konnte sein Werk d a u e r h a f t machen. Was die Barden a n g e h t : K a u t a l y a 1 0 , 3 , 4 3 erwähnt, daß vor einer Schlacht sütasi5 und mägadhas „schildern" sollten, wie Helden in den Himmel kommen, Feiglinge aber nicht (das entspricht Krsnas E r m a h n u n g an A r j u n a als dessen Wagenlenker vor der Schlacht in der Bhagavadgltä 4 6 ); sie sollten weiter das Lob des Standes, der Vereinigung (d. h. ihre H e r k u n f t aus diesem oder jenem Lande), der Sippe, der T a t e n -und des Lebens 4 7 der K ä m p f e r „schildern". Dies k a n n bedeuten, daß diese Barden dem König oder Feldherrn die H a u p t k ä m p f e r beider Seiten zeigten und nach ihrem Stand — Ksatriya, B r a h m a n e usw. — b e k a n n t machten 4 8 (wie es Duryodhana am Anfang der Bhagavadgltä dem Drona gegenüber tat). Sie mögen dabei Beispiele nach der Art u n d Weise K a u t a l y a s verwendet haben; aber sie werden nicht als die genannt, die den Prinzen die abschreckenden Beispiele vortrugen; dies waren wohl Erzähler, Spezialisten der damaligen epischen Lieder und Kurzepen. Vielleicht aber h a t K a u t a l y a in diesem Sinne die sütas und mägadhas dem Begriff des „Erzählers" untergeordnet. Jedenfalls passen die hier von ihnen beiden verlangten genealogischen Kenntnisse zum Bild der Barden, soweit es bisher bekannt ist. Ob sie Texte der Heldenepik vortrugen, ist nicht zu ersehen. I m M a h ä b h ä r a t a werden diesen beiden mit ziemlicher Regelmäßigkeit noch die vandins zugeordnet. 4 9 b) I n h a l t l i c h e B e d e u t u n g der „Beispiele" Die Entstehung des Dandakawaldes Der von K a u t a l y a als erstes Beispiel genannte D ä n d a k y a hängt mit der E n t stehung des Dandakawaldes zusammen. 5 0 Der Dandakawald spielt im R ä m ä y a n a eine große Rolle. Als R ä m a durch die Intrigen der Königin Kaikeyl verbannt wurde, befahl diese ihm im N a m e n des Königs Dasaratha, f ü r vierzehn J a h r e in den Wald zu gehen, und zwar in den Dandakawald. 5 1 Von da an wird dieser Wald bei R ä m a s Waldwanderung immer wieder erwähnt, bis zur E n t f ü h r u n g der Sita durch Rävana, 5 2 die noch in ihm erfolgte. Der Dandakawald wird im R ä m ä y a n a mit dem Lande J a n a s t h ä n a

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gleichgesetzt, 5 3 u n d dieses verlassen R ä m a u n d L a k s m a n a erst auf der Suche nach der e n t f ü h r t e n Sita auf den R a t des J a t ä y u s ; sie gelangen von d a in den K r a u n c a wald 5 ' 1 u n d treffen in diesem zuerst auf K a b a n d h a . E s handelt sich d e m g e m ä ß bei beiden N a m e n u m die im E p o s durchweg als ein herrlicher W a l d geschilderte Gegend von südlich des Citrakütaberges, der im Süden der Gangä lag, bis zur Godävari. 5 5 E s ist verständlich, daß die Verfasser des V I I . Buches des E p o s u n t e r anderen N a c h t r ä g e n 5 0 (wie z. B. der Rävaneis) auch eine Episode ü b e r den D a n d a k a wald a n f ü g t e n , über diese merkwürdige Gegend, die im Gegensatz zur nordindischen E b e n e den B a r d e n von Ayodhyä als menschenleer galt, bewohnt n u r von wenigen brahmanischen Waldeinsiedlern, ohne S t ä d t e oder Dörfer. E s war f ü r sie das Niemandsland zwischen den Menschen von A y o d h y ä bzw. der Gangesebene, den Affen von Kiskindhä u n d den menschenfresserischen Dämonen von L a n k a , die hin u n d wieder in J a n a s t h ä n a einfielen. I n Wirklichkeit wohnten damals aber in diesem großen Gebiet S t ä m m e vorarischer Bevölkerung. I m V I I . Buch k a m R ä m a noch einmal nach Süden zum Saivalaberg, u m den Südra-Waldeinsiedler S a m b ü k a zu köpfen. E r flog auf seinem P u s p a k a w a g e n dorthin u n d d a n n weiter zur Einsiedelei des Agastya. 5 7 Dieser war der besondere Weise des Südens, der einst den Vindhya bewogen h a t t e , nicht höher zu wachsen, sondern f ü r ihn gangbar zu bleiben, bis er aus dem Süden zurückkehre; er kehrte aber nicht nach dem Norden zurück, sondern blieb im Süden. 5 8 Agastya n u n erzählte damals R ä m a , er sei im T r e t ä y u g a 5 9 in einen W a l d (oder in den Wald, in dem jetzt seine Einsiedelei ist) gekommen, der leer an Tieren u n d Menschen war. 0 0 Agastya erzählte weiter: Dieser W a l d sei infolge der Sünde des Königs D a n d a ohne Tiere oder Menschen. I m K r t a y u g a sei Manu König gewesen, d a n n sein Sohn I k s v ä k u , dieser h a b e h u n d e r t 0 1 Söhne gezeugt. Der jüngste sei D a n d a gewesen, töricht, unbelehrbar u n d den Älteren ungehorsam. I h n h a b e I k s v ä k u zum König des Gebietes zwischen V i n d h y a u n d Saivala 0 2 (auf dem S a m b ü k a getötet wurde, s. o.) gemacht. D o r t h a b e er eine S t a d t , M a d h u m a n t a , e r b a u t . Sein Hofpriester sei U s a n a s gewesen. Dessen älteste Tochter, -Arajä, h a b e einst der K ö n i g D a n d a in dessen Einsiedelei (äsrama) erblickt u n d ihr seine Liebe gestanden; sei h a b e ihn vor Vergewaltigung gewarnt, u n t e r anderem mit den Worten, daß f ü r sie ihr V a t e r der guru (die höchste Autorität) sei, f ü r ihn aber ebenfalls, d e n n er sei sein Schüler. 6 3 Sie habe ihm geraten, ihren V a t e r u m sie zu bitten, aber D a n d a h a b e sie auf der Stelle vergewaltigt, ohne ihr die E h e zu versprechen oder auf den Standesunterschied zwischen K s a t r i y a u n d B r a h m a n e n zu achten. U s a n a s h a b e D a n d a verflucht, in sieben Tagen solle er samt seinen Söhnen u n d seinem H e e r sterben u n d sein Reich solle h u n d e r t Meilen weit durch einen Staubregen verbrennen, so daß dort alle Lebewesen u m k ä m e n . Die Einsiedler u m U s a n a s h e r u m seien geflüchtet. A r a j ä sollte bei einem See weilen u n d d o r t s a m t ihrer Begleitung verschont bleiben. U s a n a s sei fortgegangen. D a s Reich D a n d a s zwischen V i n d h y a u n d Saivala sei zu Asche geworden. Von da a n heißt es D a n d a k a w a l d oder J a n a s t h ä n a , bewohnt von Asketen. 0/1

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D a n d a wird im I . B u c h des R ä m ä y a n a in der Genealogie R ä m a s n i c h t als S o h n I k s v ä k u s g e n a n n t , s o n d e r n n u r Vikuksi, o f f e n b a r als I k s v ä k u s N a c h f o l g e r in A y o d h y ä . 6 5 V o n h u n d e r t S ö h n e n ist d o r t n i c h t die R e d e , wohl a b e r in d e r g r o ß e n p u r a n i s c h e n Genealogie. 0 6 D o r t ist Vikuksi als ä l t e s t e r S o h n u n d als K ö n i g v o n A y o d h y ä der einzige, der m i t N a m e n g e n a n n t wird, u n d z w a r in d e r Version des B r a h m a p u r ä n a u n d H a r i v a m s a , w ä h r e n d im V ä y u - u n d B r a h m ä n d a p u r ä n a n e b e n Vikuksi a u c h N i m i 6 7 u n d D a n d a g e n a n n t werden. N u r V i k u k s i n e n n t f e r n e r d a s L i n g a p u r ä n a , die drei S ö h n e a b e r d a s P a d m a p u r ä n a . 6 8 M a n k a n n d a r a u s schließen, d a ß D a n d a n i c h t u r s p r ü n g l i c h in diese Genealogie des Sonnengeschlechtes g e h ö r t e ; er w u r d e v o n d e n e n e i n g e f ü h r t , die o f f e n b a r d a r a n interessiert w a r e n , gewisse politische B e z i e h u n g e n der K ö n i g e von A y o d h y ä zu diesem südlichen B e r g l a n d zu u n t e r s t ü t z e n . D o r t w o h n t e n ja K o ä a l a ; wenigstens h a t S a h a d e v a im M a h ä b h ä r a t a auf seinem Siegeszug n a c h d e m S ü d e n I n d i e n s südlich der N a r m a d ä einen K o s a l a k ö n i g besiegt. 6 9 Dies soll lange n a c h R ä m a s Zeit geschehen sein. V e r m u t l i c h h a t t e m a n d o r t im Dschungel die R u i n e einer S t a d t g e f u n d e n u n d sie f ü r ein sehr f r ü h e s Mitglied dieses I k s v ä k u g e s c h l e c h t s in A n s p r u c h g e n o m m e n . D e r Blick d e r B a r d e n des R ä m ä y a n a ist j a d u r c h w e g a u f d e n S ü d e n g e r i c h t e t ; sie ließen R ä m a schließlich siegreich bis L a n k a v o r d r i n g e n . D a s M a h ä b h ä r a t a dagegen k ü m m e r t sich v e r h ä l t n i s m ä ß i g wenig u m Südindien, s t a t t dessen viel u m d e n N o r d e n . D a s D a n d a k a - L a n d spielt f ü r die H a n d l u n g dieses E p o s n u r e i n m a l eine R o l l e : Als S a h a d e v a im R a h m e n d e r Besiegung der vier H i m m e l s r i c h t u n g e n d e n S ü d e n besiegte, m a c h t e er u. a. a u c h d a s Volk d e r D a n d a k a d e m K ö n i g Y u d h i s t h i r a b o t m ä ß i g . 7 0 D e n B a r d e n des M a h ä b h a r a t a galt dieses L a n d d a m a l s also als b e w o h n t . Sie e r w ä h n t e n weiter m e h r f a c h d e n D a n d a k a w a l d da, w o v o n R ä m a die R e d e i s t : D o r t weilte R ä m a m i t L a k s m a n a u n d Sita in der V e r b a n n u n g , u n d v o n J a n a s t h ä n a (das j a j e n e r W a l d ist, s. o.) w u r d e Sltä e n t f ü h r t . 7 1 I m D a n d a k a w a l d h a t t e R ä m a seine Begegn u n g m i t S a r a b h a n g a in dessen Einsiedelei. 7 2 Diese Einsiedelei wird a u c h von N ä r a d a in I I I , 83, 38f. als heilsamer W a l l f a h r t s o r t im D a n d a k a w a l d g e n a n n t . V o n R ä m a h e i ß t es in I I I , 263, 23 ff. weiter, d a ß er m i t L a k s m a n a auf der S u c h e n a c h Sltä im D a n d a k a w a l d auf das U n g e h e u e r K a b a n d h a t r a f . Dieses, h a u s t e a b e r n a c h d e m R ä m ä y a n a bereits jenseits des D a n d a k a w a l d e s im K r a u n c a w a l d ; T i d a s M b h ist hier o f f e n b a r n i c h t sehr g e n a u . E s e r z ä h l t in I X , 38, 9 ff. ü b e r R ä m a weiter, er h a b e , im D a n d a k a w a l d w a n d e r n d , in J a n a s t h ä n a einem R ä k s a s a d e n K o p f abges c h n i t t e n , dieser sei zufällig auf den Schenkel des M a h o d a r a gefallen, u n d d e r B r a h m a n e sei erst a n der S a r a s v a t I a n der W a l l f a h r t s t ä t t e des U s a n a s von i h m b e f r e i t w o r d e n . R ä m a w a r also m i t d e n D a n d a k a w a l d a u c h in Sagen v e r b u n d e n , die n i c h t ins R ä m ä y a n a eingegangen sind. Schließlich sei a n g e f ü h r t , d a ß g e m ä ß d e r p u r a n i s c h e n Genealogie, wenigstens n a c h d e m V ä y u - u n d B r a h m ä n d a p u r ä n a , R ä m a im D a n d a k a - ( w a l d ) den Märica erschoß, den S o h n der Tädakä; 7 / * g e m ä ß d e m R ä m ä y a n a h a t t e dieser j a die G e s t a l t einer Goldgazelle a n g e n o m m e n , u m R ä m a von Sltä fortzulocken, d a m i t R ä v a n a sie e n t f ü h r e n k ö n n t e . D a s F e u e r in D a n d a k a , d u r c h Z o r n von B r a h m a n e n (munis) hervorgerufen, wird im M a h ä b h ä r a t a zweimal mit d e m gleichen W o r t l a u t e r w ä h n t , u n d z w a r

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als noch brennend; 7 5 beide Male an Stellen, die die Macht der Brahmanen verherrlichen sollen. 76 An einer dritten Stelle heißt es mit derselben Absicht, daß u. a. das große Königreich der Dandaka durch einen Brahmanen vernichtet worden ist. 77 Merkwürdig ist in der obenerwähnten Dandakasage des Rämäyana, daß Usanas und seine Tochter Ajarä in ihr eine entscheidende Rolle spielen, obgleich Usanas in dieses südindische Königtum nicht recht hineinpaßt. Im Mbh I , 72, 6 wird von seiner Tochter Devayänl erzählt, daß sie sich, als er Hofpriester der Widergötter war, dem Kaca als Weib angeboten habe. Dieser, ein Sohn Brhaspatis, des Hofpriesters der Götter, war von seinem Vater als Spion zu Usanas gesandt und von diesem als Schüler angenommen worden. E r lehnte das Ansinnen der Devayänl damit ab, daß ihr Vater (Usanas) von ihm, seinem Schüler, so zu ehren sei wie von ihr, seiner Tochter. Das ist ein Gegenstück zu den Worten, mit denen die andere Tochter des Usanas im Rämäyana, Ajarä, den stürmischen König Danda warnte (s. o.). Man kann wohl annehmen, daß die Verfasser des V I I . Buches des Rämäyana, als sie Einzelheiten der Dandakasage brauchten, bei dieser Usanassage gewisse Anleihen gemacht haben. Diese gehört an sich erst in das von Bhrguiden bearbeitete Mahäbhärata 7 8 hinein, denn Usanas war der Sohn des Bhrgu. Im Mahäbhärata steht sie an hervorragender Stelle im Stammbaum der Helden, denn Devayänl wurde später die Gattin Yayätis, die ihm Yadu als ältesten Sohn gebar; aber nicht dieser wurde der Thronerbe, sondern Püru, der Sohn der Sarmisthä. Dabei bot Devayänl sich dem Yayäti wiederum von sich aus als Frau an, doch der König war vorsichtig und wartete, bis Usanas ihm seine Tochter zur Ehe gab, als sie diesen darum bat (1,76,16 £f.). In das Rämäyana wurde diese Sage ebenfalls übernommen, und zwar in das späte V I I . Buch, als eine Erzählung Rämas in seiner Unterhaltung mit Laksmana; sie könnte fehlen, ohne daß dies den Fortgang der Handlung stören würde. In dieser Fassung wird Devayänl nur als die weniger geliebte Gattin Yayätis ohne jene Einzelheiten eingeführt. 79 Es sieht so aus, als habe man sie und ihr Liebesbegehren schon für die Geschichte der Ajarä vorgesehen gehabt, die einige Gesänge später folgt. So läßt sich die Behandlung der Devayänisage sowohl wie die der Dandakasage in den beiden Epen der Mond- und Sonnendynastie, im Mahäbhärata und Rämäyana, einander gegenüberstellen. Daß man ausgerechnet Usanas' Töchter für solche gewagten Liebesabenteuer aussuchte, mag damit zusammenhängen, daß er als Hofpriester der Asuras den Brahmanen ein wenig anrüchig war; er galt ja auch als Vertreter des Materialismus. Wie es kam, daß das Gebiet des Danclakawaldes für die Verfasser des Mahäbhärata noch brannte, für die des Rämäyana aber ein romantisch verherrlichter Wald war, ist noch unklar. Das älteste Zeugnis für diese Sage ist die kurze Anführung des Königs (bhojaJ80 Dändakya, der aus Liebesleidenschaft die Tochter eines Brahmanen begehrte und mit seiner Sippe und seinem Reich umkam (K 1, 6, 5). Ebenso alt aber sind vermutlich die Verse der Jätakas 522 und 530, die sehr kurz andeuten, daß Dandaki, nachdem er den Kisa Vaccha (mit Staub: 530) 12

Rüben, Dichtung

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beworfen h a t t e , (mit seinem Volk u n d Reich: 522) a n der Wurzel abgeschnitten, zugrunde ging (und in der Kukkula-Hölle b r e n n t : 522). 81 Dieser Vers des 522. J ä t a k a s t e h t in einem langen Versdialog zwischen dem Weisen S a r a b h a n g a u n d I n d r a , dem drei Könige zuhören. Der Götterkönig f r a g t jenen, in der L u f t schwebend, u n d S a r a b h a n g a lehrt ihn Geduld. I n d r a f r a g t weiter n a c h dem Schicksal von vier bösen K ö n i g e n : DandakI, Näliklra, A j j u n a u n d K a l ä b ü , die Weise getötet haben. Darauf a n t w o r t e t S a r a b h a n g a mit jener Strophe über D a n d a k I u n d Kisa Vaccha u n d mit vielen anderen Strophen. — S a r a b h a n g a hieß im R ä m ä y a n a I I I , 4 der Waldeinsiedler im D a n d a k a w a l d , vor dessen Einsiedelei R ä m a , als er ihr n a h e k a m , I n d r a im L u f t r a u m schwebend sah. Dieser aber entschwand zum Himmel, weil er R ä m a erst n a c h dessen baldigem Sieg über R ä v a n a sprechen wollte. R ä m a k a m zu Sarabhanga, f r a g t e nach I n d r a s Erscheinung, u n d S a r a b h a n g a erwiderte, I n d r a habe ihn zum H i m m e l holen wollen, er aber habe erst R ä m a sehen wollen. E r wies R ä m a den Weg zu Sutlksna, bestieg selber den Scheiterhaufen, ward zum Jüngling u n d stieg zum H i m m e l auf. — Die Szene ist in beiden Erzählungen sehr ähnlich: der Waldasket Sarabhanga, die Erscheinung Indras, der Besuch R ä m a s bzw. von drei Königen. I n der Prosa wird hinzugefügt, daß Kisa Vaccha gerade in S a r a b h a n g a s Einsiedelei gestorben u n d seine Leiche v e r b r a n n t worden w a r ; d o r t wird die Einsiedelei an die Godävarl, also nach Südindien verlegt, wohin ja Kisa Vaccha u n d DandakI gehörten. I m R ä m ä y a n a besteht kein Zusammenhang zwischen S a r a b h a n g a u n d D a n d a k I ; da ist dessen U n t e r g a n g weit vor R ä m a s W a n d e r u n g im D a n d a k a w a l d angesetzt. Trotzdem d ü r f t e der Sarab h a n g a des R ä m ä y a n a u n d des J ä t a k a mit der Erscheinung I n d r a s derselben südindischen Lokalsage e n t s t a m m e n . Die Sünde D a n d a k a s ist in dieser buddhistischen Tradition aber eine andere als in der b r a h m a n i s c h e n : Der König h a t nicht die Tochter eines B r a h m a n e n in dessen Einsiedelei vergewaltigt, sondern einen f r o m m e n Asketen beleidigt. I n der Prosa wird ausführlich geschildert, wie er nach dem Vorbild einer seiner H a r e m s f r a u e n u n d seines Hofpriesters (zwei von Buddhisten sehr gehaßte Typen) den Asketen Kisa Vaccha, der im Garten des Königs weilte, als eine Art Sündenbock b e n u t z t e u n d zur magischen Abwendung drohenden Unheils mit seinen Zahnputzhölzern u n d seinem Speichel beschmutzte. Vom Werfen von S t a u b auf ihn ist hier nicht die Rede, weder in der Prosa noch in der Strophe des 522. J ä t a k a , n u r in der Strophe des 530. J ä t a k a , dessen Prosa aber nicht von unserer Sage handelt. Die Beleidigung eines Asketen oder gar seine T ö t u n g u n d die B e s t r a f u n g des bösen Königs ist ein f ü r den Buddhismus u n d Hinduismus wichtiges T h e m a moralischer P r o p a g a n d a gewesen, belegt u. a. im 313. J ä t a k a a m König K a l ä b ü , der in den Strophen des 522. J ä t a k a neben DandakI 8 2 g e n a n n t ist, oder in A r j u n a K ä r t t a v i r y a , der sich a n J a m a d a g n i verging® und von dessen Sohn P a r a s u r ä m a erschlagen wurde. Die Versündigung D a n d a k a s a n Ajarä, die darin bestand, daß der K s a t r i y a sich a n der Tochter eines B r a h m a n e n verging, wie sie im R ä m ä y a n a erzählt wird, steht im Gegensatz zu D u s y a n t a s Liebe zu S a k u n t a l ä im M a h ä b h ä r a t a .

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Dieser K ö n i g t r i f f t die A s k e t e n t o c h t e r in der Waldeinsiedelei, verliebt sich in sie, u n d sie verweist ihn (wie A j a r ä ) a n ihren V a t e r K a n v a . D o c h 1. stellt sich heraus, d a ß sie n u r die P f l e g e t o c h t e r des B r a h m a n e n , hingegen die n a t ü r l i c h e T o c h t e r des V i s v ä m i t r a ist, der ein K s a t r i y a war, 2. ü b e r z e u g t D u s y a n t a sie, d a ß n a c h M a n u S v a y a m b h u v o n den a c h t F o r m e n d e r E h e s c h l i e ß u n g die Selbstwahl o h n e Wissen der E l t e r n f ü r K s a t r i y a s e r l a u b t ist. N a c h t r ä g l i c h billigt K a n v a D u s y a n t a s u n d S a k u n t a l ä s E h e v o l l z u g . U n d d e n n o c h scheint in der U r f o r m dieser Sage ein Vergehen den L i e b e n d e n , insbesondere der A s k e t e n t o c h t e r , v o r g e w o r f e n w o r d e n zu sein, d e n n n i c h t u m s o n s t wird b e r i c h t e t , d a ß d e r K ö n i g seiner j u n g e n F r a u beim Abschied v e r s p r i c h t , sie d u r c h eine H e e r e s t r u p p e zu sich holen zu lassen, 8 ' 1 sein W o r t a b e r n i c h t h ä l t u n d , als S a k u n t a l ä m i t ihrem sechsjährigen K n a b e n , B h a r a t a , schließlich v o n K a n v a zu ihm geschickt wird, so t u t , als w e n n er S a k u n t a l ä u n d sein Versprechen, ihren S o h n z u m T h r o n folger zu m a c h e n , vergessen habe. 8 5 D e n K r e i s e n der h i n d u i s t i s c h e n E p i k e r w a r e n also solche T h e m e n u n d Ü b e r l e g u n g e n geläufig, u n d z w a r in der Zeit K a u t a l y a s oder g a r n o c h f r ü h e r , h a n d e l t e n d o c h b e r e i t s in d e r I I . P e r i o d e S t r o p h e n von D u s y a n t a , S a k u n t a l ä u n d B h a r a t a . 8 6 B h a r a t a als d e r erste W e l t herrscher u n d D u s y a n t a als sein V a t e r s t a n d e n jedenfalls ebenso wie S a k u n t a l ä , die T o c h t e r einer N y m p h e , a n h e r v o r r a g e n d e r Stelle im S t a m m b a u m des Mondgeschlechtes, g a n z im Gegensatz z u m wenig b e r ü h m t e n D a n d a k a . Die b u d d h i s t i s c h e V a r i a n t e der D a n d a k a s a g e ist von den chinesisch-buddhistischen Pilgern S u n g - Y ü n u n d H i u e n T s a n g im 6. u n d 7. J a h r h u n d e r t u . Z. in Sin K i a n g aufgezeichnet w o r d e n ; sie w a r auf d o r t i g e S t a d t r u i n e n , die m i t W ü s t e n s a n d b e d e c k t w a r e n , ü b e r t r a g e n w o r d e n . I h r ä h n e l t sehr die jinistische, erst im F e u d a l i s m u s belegte V a r i a n t e . I m 5. J a h r h u n d e r t u. Z. w a r eine a n d e r e b u d d h i s t i s c h e V a r i a n t e schon in China b e k a n n t . 8 7 Ob die b u d d h i s t i s c h e oder die b r a h m a n i s c h e V a r i a n t e d e r D a n d a k a s a g e ä l t e r ist oder ob beide von einer südindischen L o k a l s a g e herzuleiten sind u n d wie diese ausgesehen h a b e n mag, ist n o c h n i c h t a u s g e m a c h t . J e d e n f a l l s w a r in d e r Zeit K a u t a l y a s der H a n d e l zwischen N o r d - u n d S ü d i n d i e n schon b e t r ä c h t l i c h , so d a ß das I n t e r e s s e damaliger nordindischer D e n k e r a m S ü d e n v e r s t ä n d l i c h ist. 8 8 Aber der S ü d e n s t a n d d a m a l s dem N o r d e n a n H ö h e der K u l t u r n i c h t wesentlich n a c h , so d a ß die Schilderung des riesigen m e n s c h e n l e e r e n W a l d gebietes zu R ä m a s Zeit im R ä m ä y a n a als r o m a n t i s c h a u f z u f a s s e n ist. N a c h A n g a b e A g a s t y a s ist die V e r ö d u n g des D a n d a k a g e b i e t e s lange vor R ä m a in d e r zweiten G e n e r a t i o n der Menschen geschehen, d. h. lange vor d e m K a l i z e i t a l t e r , d a s erst n a c h d e m M a h ä b h ä r a t a k r i e g m i t der arischen W a n d e r u n g ins G e b i e t d e r G a n g ä b e g a n n ; das D a n d a k a r e i c h k ö n n t e also m y t h o l o g i s c h einen d e r u r bzw. f r ü h g e s c h i c h t l i c h e n A u s l ä u f e r der I n d u s g e s e l l s c h a f t in dieses s ü d i n d i s c h e Gebiet hinein widerspiegeln, die archäologisch belegt sind. 8 9 E r w a r wohl z u g r u n d e gegangen, ehe die e r s t e n eisenzeitlichen N o r d i n d e r in dieses G e b i e t vorstießen, u n d zwar in d e r I I I . Periode, seien dies n u n K a u f l e u t e , B a u e r n , H i r t e n oder Einsiedler gewesen, die d o r t R u i n e n a n t r a f e n . 1 2»

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Die anderen „Beispiele" 90

Dem Videhakönig Karäla soll es nach Kautalya 1 , 6 , 5 wie Dändakya ergangen sein. Viele Videhakönige hießen J a n a k a ; ein Karälajanaka und seine Unterredung mit Vasistha ist in Mbh X I I , 219—6 wiedergegeben, aber ohne Anspielung auf dessen Sage. Janamejaya verging sich aus Zorn gegen Brahmanen 9 1 (und ging daran zugrunde; K 1,6,6). Für und gegen Zorn waren schon Dichter des Rg- und Atharvaveda und der Buddhisten aufgetreten, und für die Staatslehre war es ein Grundsatz, daß ein König nicht dem Zorn 92 nachgeben dürfe. Im Mahäbhärata X I I , 146 93 fragt Yudhisthira Bhisma, wie man von einer Sünde frei werden könne, die man unbewußt 9 4 begangen habe. Dieser berichtet daraufhin die „alte Geschichte" (puräna), den Dialog des Königs Janamejaya Pariksit und des Indrota Saunaka. Janamejaya hatte unbewußt (aber im Zorn) einen Brahmanenmord begangen; daraufhin verließen ihn alle Brahmanen und sein Volk, er ging in den Wald, nahm, vor Zorn brennend, unendliche Askese auf sich, irrte auf der ganzen Erde umher und kam schließlich zu jenem Brahmanen Indrota Saunaka, fiel ihm zu Füßen und mußte von ihm schweren Tadel anhören. Am Ende aber entsühnte der Weise ihn mit einem Roßopfer. Im Kern geht diese „alte Geschichte" auf eine Zeit zurück, die der Lebenszeit des Janamejaya nicht allzufern gelegen haben mag, denn schon in der II. Periode ist sie überliefert; sie enthält schon dort Entsühnung von dem Brahmanenmord durch Indrota Daiväpa Saunaka und dazu die oben behandelte Strophe über Janamejayas Pferdeopfer. 95 I n der großen puranischen Genealogie heißt es ganz ähnlich, daß Janamejaya, Sohn des Pariksit, den kleinen Sohn des Gärgya verletzte (nach dem Harivamsa nur mit grausamer Rede) und dadurch zum Brahmanenmörder wurde. E r wurde krank oder von seiner Sippe verstoßen, 96 irrte, vom Volk verlassen, umher, fand aber schließlich Schutz bei dem Brahmanen Indrota Saunaka, der zu seiner Reinigung ein Pferdeopfer vollzog. 97 Janamejaya verlor nach dieser puranischen Tradition wegen Gärgyas Fluch außerdem den wunderbaren Wagen, den Indra einst dem Yayäti gegeben hatte und der von da an allen Püru-Nachkommen bis auf Janamejaya gehörte. 98 Vasu, König von Cedi, erhielt den Wagen dann (oder nach anderer Leseart: ebenso, wiederum) von Indra und vererbte ihn an Brhadratha und Jaräsandha; als schließlich Bhxmasena diesen erschlagen hatte, gab er den Wagen Krsna. 9 9 (Dadurch gelangte er wieder in den Besitz der Pürunachkommen.) Diese Geschichte von Vasu an entspricht Mbh 11,22,11 ff., bes. 27. Diese Episode ist im Puräna in den Stammbaum Yayätis, d. h. Purüravas-Äyu-Nahusa-Yayäti-Yadu-Krsnas, eingeschoben. Daß J a n a mejaya durch Gärgyas Fluch den Wagen verlor, den Yayäti von Indra erhalten hatte, ist hier aber vermutlich nur eine Variante der auch im Mbh überlieferten Geschichte des Vasu, der den Wagen von Indra erhielt, bis Jaräsandha ihn an Krsna verlor. Dabei wird dann nur sozusagen nebenbei von Janamejaya und dessen Brahmanenmord an Gärgyas Sohn erzählt. Da Vasu von Cedi,

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Brhadratha, Jaräsandha, Krsna, Arjuna und dessen Enkel Pariksit nach der üblichen Tradition vor Jamamejaya gelebt haben, ist die Chronologie in dieser puranischen Kompilation gestört. 100 Wir haben eben nur Trümmer der Überlieferung der Sünde, Buße und Entsühnung des Janamejaya, dieses ansonsten strahlenden Königs, bei dessen Schlangenopfer das Mahäbhärata zum ersten Mal vorgetragen worden sein soll. Nach einem Kommentar zum Staatslehrbuch soll Janamejaya bei einem Pferdeopfer die Brahmanen verdächtigt haben, sich an der Königin vergangen zu haben, während tatsächlich Indra der Schuldige war. E r beleidigte die Brahmanen; diese verfluchten ihn. 101 Das paßt einigermaßen zum Harivamsa I I I , 5: Nach dem Schlangenopfer vollzog J a n a m e j a y a ein Roßopfer. Dabei drang Indra in das geopferte Pferd ein und beschlief die Königin, die dem Ritus entsprechend bei dem Roß schlafen mußte. J a n a m e j a y a merkte, daß das Pferd noch lebte und befahl dem Adhvaryu, es (endgültig) zu töten. Dieser aber klärte ihn über Indras Verhalten auf. Janamejaya verfluchte daraufhin Indra und verjagte die Priester aus seinem Reich. Diese gehorchten voll Zorn. Janamejaya wollte dann die Königin, eine Prinzessin von Käsl mit Namen Vapustamä, verstoßen, aber der Gandharve Visvävasu erklärte ihm, die Königin sei Rambhä, eine der Nymphen und Hetären Indras, dem man seine List nicht übelnehmen dürfe, er habe nämlich Furcht vor der Opferkraft Janamejayas und habe das Opfer stören wollen. J a n a m e j a y a solle Vapustamä nicht verstoßen. Der König gab nach. — Auch hier sind Trümmer der Tradition zu finden, die Kautalya vorlag. Aber die erzürnten Brahmanen fluchen dem König nicht, und das Pferdeopfer Indrotas ist nicht notwendig. Von Gärgya und seinem Sohn ist hier nicht die Rede. Der Gandharve hat ein happy end herbeigeführt und den König vor dem Elend bewahrt. Der Harivamsa I, 30 hat also in der puranischen Genealogie Janamejayas Verfluchung durch Gärgya und seine Entsühnung durch das Pferdeopfer Indrotas traditionsgemäß, aber leider für uns allzu kurz wiedergegeben, in I I I , 5 aber von demselben Pferdeopfer ohne den Zorn des Königs und ohne Gärgya, dementsprechend aber auch ohne Indrotas Pferdeopfer berichtet. Blickt man von hier auf Mbh X I I , 146 (s. o.) zurück, so ist dort vielleicht gemeint, daß J a n a m e j a y a „unbewußt", d. h. ohne die wirklichen Vorgänge (Indras Eingehen in das Opferroß) zu kennen, gesündigt, d. h. die Brahmanen, insbesondere Gärgya und dessen Sohn, beleidigt hat. Tälajangha erging es bei den Bhrgus ebenso wie J a n a m e j a y a (K I, 6, 6). Statt von seinem Zorn spricht das Mahäbhärata I I I , 278, 17102 davon, daß er die zu Ehrenden nicht ehrte und dafür von Brahmanen niedergeschlagen wurde, ebenso wie Vätäpi (s. u.). Beide werden von König Kuntibhoja einmal seiner Tochter als Beispiele dafür angeführt, daß man Brahmanen stets gehorchen müsse. Wie gelegentlich von Dandaka und den Dandakas, so ist von Tälajangha und den Tälajanghas«« die Rede, z. B. in Mbh X I I I , 34, 16: Die Bhrgus besiegten die Tälajanghas. Oder: Das Tälajangha-fcsairam, d. h. die Ksatriyasippe der Tälajanghas, wurde durch das eine Aurva (s. gleich) vernichtet; im selben Vers wird die Vernichtung des Dandakareiches durch einen einzigen Brahmanen

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daneben g e s t e l l t . m Dieses mythologisch personifizierte Aurvafeuer, ein Sproß der Bhrgus, vernichtete die Haihayas, wie in Mbh I, 169 ff. ausführlich erzählt wird. 1 0 5 Die B h r g u - B r a h m a n e n waren ja deren Feinde, wie vor allem der b e r ü h m t e K a m p f A r j u n a Kärtaviryas 1 0 , 5 gegen J a m a d a g n i u n d dessen Sohn P a r a s u r ä m a zeigt. Der Ahn der Haihayas, H e h a y a , aber war nach M b h X I I I , 31, 7 ein B r u d e r T ä l a j a n g h a s ; beide waren N a c h k o m m e n Saryätis 1 0 7 im L a n d e oder Geschlecht der Vatsas. 1 0 8 Eine Variante dieser A b s t a m m u n g steht in der großen puranischen Genealogie: Von K r t a v l r y a s t a m m t e J a y a d h v a j a , von diesem T ä l a j a n g h a , von diesem s t a m m t e n die h u n d e r t Tälajanghas. 1 0 9 N a c h dieser puranischen Tradition aber h a t Sagara in Aurvas Einsiedelei von diesem B h ä r g a v a die Feuerwaffe erhalten u n d mit ihr die T ä l a j a n g h a s s a m t d e n H a i h a y a s erschlagen. 1 1 0 Auch von dieser Sage besitzen wir einstweilen n u r Splitter aus verschiedenen Überlieferungen. Aila verlangte aus Gier von den vier Ständen übermäßig Steuern (und ging d a r a n zugrunde). I m S t a m m b a u m der B h ä r a t a s oder der Sonnendynastie im I. Buch des M a h ä b h ä r a t a wird Aila, d. h. P u r ü r a v a s , der Sohn der Ilä, als G a t t e der Urvas! u n d V a t e r seiner sechs Söhne kurz a n g e f ü h r t . E i n g e f ü g t sind hier vier Verse darüber, daß er dreizehn Inseln 1 1 1 des Ozeans eroberte, umgeben von übermenschlichen Wesen. Berauscht von seiner Macht, begann er Streit m i t den B r a h m a n e n u n d n a h m ihnen trotz ihrem P r o t e s t ihre Kostbarkeiten. 1 1 2 Vom H i m m e l k a m S a n a t k u m ä r a , u m ihn zu belehren; er aber n a h m dies nicht an. D a r a u f h i n wurde er von den B r a h m a n e n verflucht u n d ging alsbald zugrunde. E r h a t t e nämlich seinen Verstand verloren durch die von Gier begleitete Trunkenheit. 1 1 3 B r a h m a n e n d u r f t e n nicht besteuert werden. Die K o s t b a r k e i t e n sind im Mbh vielleicht als Steuer gemeint . I n der großen puranischen Genealogie wird in der Rezension des Matsya- u n d P a d m a p u r ä n a in acht Versen berichtet, daß P u r ü r a v a s die E r d e mit ihren sieben Inseln mit Recht (dharma) behütete, und zwar h ü t e t e er Erfolg u n d L u s t gleichermaßen (samam) wie das R e c h t (oder nach anderer L e s a r t : erfüllt von R e c h t ; s. u.). Aus Neugier (um zu sehen, wie er sich gegen sie gleichermaßen, samam, verhalten würde) besuchten ihn R e c h t , Erfolg u n d Lust, u n d er ehrte sie alle drei als Gäste, aber das R e c h t etwas mehr. D a d u r c h erzürnt, fluchte der Erfolg: D u sollst a n Gier zugrunde gehen; die L u s t fluchte: D u r c h T r e n n u n g von UrvasI sollst d u verrückt werden. D a s R e c h t aber sagte: D u sollst lange u n d gerecht leben, u n d dein Geschlecht wird auf E r d e n nicht untergehen. D a n n verschwanden die drei, u n d er regierte sein Reich. 11 ' 1 Wie der Fluch des Erfolgs (durch Gier: K ) u n d der der L u s t Wirklichkeit wurde, wird in diesem Kapitel nicht erzählt. Worin die Sünde des P u r ü r a v a s besteht, wird nicht ganz deutlich. N a c h K a u t a l y a 1, 7, 3—5 soll der König die genannten drei Ziele gleichmäßig verfolgen, da sie untereinander v e r b u n d e n sind, nicht n u r eines von ihnen, u n d nicht L u s t im Gegensatz zu R e c h t u n d Erfolg. 1 1 5 P u r ü r a v a s aber h a t R e c h t ein wenig bevorzugt u n d sich d a d u r c h die Flüche der beiden anderen Ziele zugezogen. Sein Vergehen gegen die B r a h m a n e n , das doch wohl dem F l u c h des Erfolgs zuzuschreiben ist, wird mit dieser Episode, mit seiner übermäßigen

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Rechtlichkeit, geradezu entschuldigt. Etwas Analoges vermißt man bei J a n a mejaya. Aber es ist zu bedenken, daß auch Ailas Enkel Nahusa im Stammbaum des Mbh I, 70, 25 ff. zwar die vier Stände gerecht regierte, aber ebenfalls von den Brahmanen Steuern eintrieb, ja sie als Reittier benutzte (ohne daß hier seine Strafe erwähnt würde). Und Nahusas Sohn Yayäti wurde von Sukra (weil er dessen Tochter Devayäni mit Sarmisthä betrog) verflucht, vorzeitig zu altern. 116 Ailas Sohn, Äyu, und Yayätis Nachkommen werden in diesem Stammbaum nur sehr kurz angeführt; diese drei Patriarchen aber werden bei aller Betonung ihrer Rechtlichkeit kritisiert. Vielleicht liegt dem letztlich zugrunde, daß man aus diesem Stamm beide, die rechtlichen Pändavas wie die ungerechten Kauravas, herleiten wollte. Ajabindu Sauvlra erging es ebenso wie Aila (K 1,6, 7). Über ihn ist bisher wenig bekannt. 1 1 7 In einer Liste von achtzehn Königen, die ihre Verwandten und Freunde vernichteten und die niedrigsten ihres Geschlechtes waren, wird Ajabindu in Mbh V, 72, 14 als der Vernichter der Suvlras angeführt. Bhlmasena f ü h r t diese Liste abschreckender Beispiele zur Warnung Duryodhanas an. Rävana gab aus Anmaßung die Frau eines anderen nicht zurück (und ging daran zugrunde; K 1, 6, 8). Es kann sich nur um Sita handeln, die Frau Rämas, die Rävana entführt hatte, nicht zurückgab, wofür er mit seinem und seiner Anhänger Leben zu zahlen hatte. I h m wird von Kautalya aber nicht Liebesleidenschaft vorgeworfen, sondern Anmaßung. Das bezieht sich darauf, daß Rävana nach dem Rämäyana einst durch grausame Askese von Brahma den Wunsch gewährt bekam, daß er niemals von Göttern und Geistern getötet werden könnte; Menschen mißachtete er in seinem Hochmut so, daß er vor ihnen keine Sicherheit verlangte. 118 Davon unterrichtete Brahma später die Götter (R I, 14, 14),119 als sie unter Rävanas Despotismus litten, und deswegen ließ Visnu sich als der Mensch R ä m a geboren werden, um den Räksasa R ä v a n a zu töten. Dementsprechend warnte Märica Rävana davor, Sita zu entführen und pries die Stärke und Tugendhaftigkeit Rämas; Rävana aber mißachtete Räma, weil er nur ein Mensch sei, schlecht und töricht, da er sich nämlich habe verbannen lassen und Rävanas jüngeren Bruder Khara getötet habe. 120 Aus derselben Anmaßung heraus suchte Rävana Sita damit zu gewinnen, daß er sie dem kurzlebigen, verbannten, im Walde hausenden Räma, dem Menschen, abspenstig machen wollte; sie sollte ihr Leben unter Menschen aufgeben (III, 46, 14ff.; 47, 12f.). Als er Sita dann nach Lankä entführt hatte, warb er weiter um sie, wobei er wiederum prahlend anführte, seine Insel könne auch von den Göttern nicht erobert werden; er sehe unter Göttern und Geistern oder Weisen (risi) nicht seinesgleichen; was wolle sie mit Räma, dem schwachen Menschen, dem verbannten, leidenden Waldeinsiedler! (III, 53, 19-21). Als sein Bruder Vibhisana warnend riet, Sltä an R ä m a zurückzugeben, klagte Rävana ihn als einen typisch schlechten Verwandten an (VI, 9-10), ohne auf die Rückgabe der entführten Frau einzugehen. Wenn Kautalya also R ä v a n a an seiner Anmaßung zugrunde gehen ließ, so hat er die Sage auch in d e n Zügen gekannt, die erst im I. und VII. Buch des Epos ausführlich dargelegt sind,

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weshalb nämlich Rävana Räma mißachtete. Diese beiden Bücher gelten aber allgemein als spätere Teile des Epos. 121 Kautalyas Zeugnis besagt indessen noch nichts für das hinduistische Epos, die verhältnismäßig späte Form der Rämasage. Kautalya hat mit Recht Rävana nicht wegen seiner Liebesleidenschaft zugrunde gehen lassen. Als Sürpanakhä ihm zuerst von Sita berichtet, sagt sie, er würde vom Pfeil des Liebesgottes getroffen werden, wenn er sie sehen würde (III, 32, 19). Sie stachelt ihn aber in erster Linie an, Räma aus Rache für den erschlagenen Khara zu töten. Dementsprechend bittet Rävana daraufhin Märlca um Hilfe gegen Räma, den Schandfleck der Ksatriyas, den armseligen Verbannten; er will Sitä entführen (III, 34, 10; nicht aus Liebe), um den darüber Verzagten dann zu erschlagen (III, 34, 20). Diese merkwürdige Taktik erläutert er nicht weiter. Das Grundmotiv der hinduistischen Rämasage war jedenfalls, daß der Dämon Rävana von Räma, dem menschgewordenen Visnu. zum Heil der Welt erschlagen werden mußte, denn Rävana tyrannisierte als grausamer Despot die ganze Welt. Anmaßung, Mißachtung seiner Feinde war für den Epiker wie für den Staatslehrer eine oder die Hauptschuld des Despoten. Duryodhana erging es ebenso, denn er gab aus Anmaßung den Teil des Reiches nicht zurück (K 1, 6, 8). E r gab Yudhisthira Indraprastha samt fünf Dörfern nicht zurück, als dieser sie im Spiel verloren, Dhrtarästra sie ihm als sein Reich wiedergegeben hatte, 1 2 2 Yudhisthira aber in einem zweiten Spiel, von Sakuni betrogen, noch einmal verlor und samt Brüdern und F r a u in den Wald verbannt wurde (Mbh II, 67, 21; 68, l f f . ) . i 2 3 Nach Ablauf der Verbannung hätte Yudhisthira seine Herrschaft in Indraprastha wieder antreten dürfen, aber inzwischen waren die Bedingungen für den offenen Kampf herangereift. Duryodhana hat, damit Dhrtarästra nicht noch einmal (auf R a t Viduras) Yudhisthira die Herrschaft über Indraprastha wiedergibt, kaum, daß die Pändavas im Walde waren, mit Sakuni, Karna und DuhSäsana beschlossen, die Pändavas zu töten (III, 8, 15—18); er wurde durch Vyäsa und Maitreya nicht zum Verzicht auf diesen Vorsatz gebracht (III, 11, 29), fand aber keine Gelegenheit zum Kampf. Noch gegen Ende der Verbannung, als Dhrtarästra der Rückkehr der Verbannten mit Sorge entgegensieht, versucht Duryodhana, Kampf zu vermeiden; er möchte es so einrichten, daß die Pändavas noch einmal in die Verbannung gehen müssen, damit die Herrschaft der Kauravas ungeteilt weiter bestehen bleibt (IV, 25, lff., bes. 7). Als die Pändavas dann aber bei den Kirätas entdeckt sind, rät Duryodhana im V. Buch des Epos zum K a m p f ; er glaubt an seinen Sieg. In furchtbarer Anmaßung hält er sich und seine Freunde, seine Bundesgenossen und Brüder, den Pändavas für überlegen, die Feinde aber für schwach. Auch Indra oder Brahma würde gegen ihn im Kampf unterliegen. E r könne selbst den Himälaya mit seiner Keule zertrümmern. Alle Vorzüge seien bei den Kauravas, alle Mängel bei den Pändavas (V, 54). Nicht der Raum einer Nadelspitze solle den Pändavas abgetreten werden (V, 57, 18). Für ihn sei die ganze Erde geschaffen, um die Pändavas zu schlagen. Er könne mit seiner Magie die Erde spalten, Steinregen und Sturm zur Ruhe

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bringen, sein Heer über festgewordene Flüsse ziehen lassen; er allein bewirke die Lage der Götter und Widergötter (Sieg oder Niederlage) (V, 60). An diesen Stellen ist die ungeheuerliche Anmaßung Duryodhanas von den epischen Barden bewußt herausgestellt worden. Dabei versichert Duryodhana Dhrtarästra, daß er nur, um ihn zu beruhigen, vor ihm seinen weltbekannten R u h m verkünde, nicht aus Prahlerei; er sei früher nie ruhmredig gewesen (V, 60, 23f.). Das ist insofern richtig, als er, um jene Wiederholung des Spiels zu erreichen, Dhrtarästra vor den Pändavas damit gewarnt hatte, sie würden alle Kauravas restlos umbringen, Arjuna sei ein fürchterlicher Bogen-, Bhlmasena ein ebensolcher Keulenkämpfer (II, 66, llfF.). Auch kurz bevor die Pändavas bei den Kirätas entdeckt wurden, hatte er vor dem Unglück gewarnt, daß die Kauravas von ihren Vettern erwarte (IV, 25, 2ff.). I m allgemeinen charakterisieren die Epiker Duryodhana eben mehr mit seiner Feindschaft gegen die Pändavas von Kindheit an, mit seiner Schadenfreude, wie sie in den Wald verbannt sind (III, 227, 8ff.; IV, 37, 14), mit seinem Neid auf Yudhisthiras Erfolge in seiner Herrschaft, 12 ' 1 als mit Anmaßung. Die Worte Kautalyas passen also im Grunde nur zu diesen Gesängen des V. Buches. Bedeutet das, daß er nur ein entsprechendes Kurzepos mit dem Thema von Mbh V oder ein Lied kannte, kein Epos, das dem uns überlieferten entspricht? Wie im Rämäyana handelt es sich im Mahäbhärata um K ä m p f e der Götter, nicht der Menschen. Die Kauravas waren menschgewordene Dämonen, Duryodhana z. B. Kali; die fünf Pändavas aber waren Kinder der K u n t i von Dharma (dem Gott des Rechts), Väyu, Indra und den ASvins. I n beiden Epen greift Visnu mit seinen Verkörperungen als Mensch ein, als Räraa und Krsna. Anmaßung ist also bei Duryodhana an sich ebenso angebracht wie bei Rävana. Sie ist ein Fehler von Despoten, den Kautalya anprangern wollte. Aber sie braucht der Gestalt des Duryodhana nicht von Anfang an oder in allen Episoden eigentümlich gewesen zu sein. Man könnte sich vorstellen, daß einer der Verfasser des Epos sie erst im V. Buch hervorgehoben habe, um eine Steigerung der Schlechtigkeit Duryodhanas zu erreichen. Wie dem auch sei, Kautalya hat beide Gegenspieler Visnus bzw. Rämas und Krsna-Yudhisthiras in Übereinstimmung mit den uns erhaltenen Texten der Epen an Anmaßung zugrunde gehen lassen. Es war eine Leistung des Staatslehrers, beide Epen oder Sagen in einem Satz zusammenzustellen. Diese Zusammenstellung kann bedeuten, daß zu seiner Zeit beide epischen Dichtungen sich vor den übrigen f ü r damals anzunehmenden Kurzepen dadurch auszeichneten, daß in beiden ein dämonischer Despot von einem Helden erschlagen wurde. 125 Damit ist aber noch nichts über die Form bzw. den Umfang beider damaligen Epen ausgesagt, ja, es braucht sich im Grunde nur um zwei Sagen zu handeln. Dies gilt auch f ü r den Duryodhana in den Anspielungen Päninis. 126 Auf die Wahrscheinlichkeit damaliger Kurzepen 1 2 7 ist noch zurückzukommen. Hier sei aber schon darauf hingewiesen, daß der dritte anmaßende Despot, Kamsa 1 2 8 im Harivamsa, von Kautalya nicht als abschreckendes Beispiel erwähnt worden ist.

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D a m b o d b h a v a h a t aus Ü b e r m u t die W e s e n v e r a c h t e t (und ging d a r a n z u g r u n d e ; K 1, 6, 9). Dieses L a s t e r ist sachlich von d e m v o r h e r g e h e n d e n , A n m a ß u n g , k a u m verschieden. 1 2 9 I n d e r E p i s o d e des M b h V, 94, 130 die D u r y o d h a n a s A n m a ß u n g geißelt, erzählt J ä m a d a g n y a (s. u.) den K a u r a v a s die u n vergleichliche Geschichte des ü b e r m ü t i g e n D a m b o d b h a v a , die als a b s c h r e c k e n d e s Beispiel gegen D u r y o d h a n a s A n m a ß u n g in d e n Z u s a m m e n h a n g p a ß t , w e n n sie a u c h im G r u n d e n i c h t a n die ihr v o r a n g e g a n g e n e R e d e K r s n a s ü b e r F r i e d e n u n d R e c h t , ü b e r V e r s ö h n u n g der s t r e i t e n d e n K a u r a v a s u n d P ä n d a v a s a n k n ü p f t . D a m b o d b h a v a , ein einstiger W e l t h e r r s c h e r , s u c h t e seinesgleichen oder einen S t ä r k e r e n , u n d sei er ein S ü d r a , t r u n k e n von g r o ß e m Stolz (V, 94, 8). Ü b e r m u t , mada, ist j a wörtlich T r u n k e n h e i t , u n d diese ist n a c h M b h X I I I , 141 von C y a v a n a 1 3 1 geschaffen worden, ist geradezu ein N a c h k o m m e des S o m a r a u s c h e s der rgvedischen B e r s e r k e r . I n diesem Sinne t r u n k e n oder ü b e r m ü t i g , s u c h t e D a m b o d b h a v a einen seiner w ü r d i g e n Gegner, er, der „Stolzgeborene", der S o h n des Stolzes ( D a m b a ) , welcher seinerseits n a c h p u r a n i s c h e r T r a d i t i o n 1 3 2 ein S o h n des N a h u s a war, des Frevlers, der I n d r a s T h r o n e r o b e r t e u n d B r a h m a n e n mit Füßen trat. Brahmanen nannten dem D a m b o d b h a v a Nara und N ä r ä y a n a als Gegner, zwei a b g e m a g e r t e A s k e t e n im H i m a l a j a . D e r K ö n i g w u r d e auf der J a g d ihr G a s t , f o r d e r t e sie als G a s t g e s c h e n k zum K a m p f h e r a u s , N a r a n a h m als W a f f e eine H a n d v o l l Gras, u n d als D a m b o d b h a v a ihn m i t unzähligen P f e i l e n ü b e r s c h ü t t e t e , warf N a r a n u r einen Grashalm 1 3 3 , gegen den er m a c h t l o s war, so d a ß er sich u n t e r w a r f , seinen Stolz a b l e g t e u n d gerecht regierte. So solle D u r y o d h a n a seinen Stolz13'» a u f g e b e n , schloß J ä m a d a g n y a . A m Schluß v e r r ä t J ä m a d a g n y a , d a ß N a r a u n d N ä r ä y a n a die beiden H e l d e n A r j u n a u n d K r s n a w a r e n (V, 94, 42). D a m b o d b h a v a , d e r dieses n i c h t w u ß t e u n d in seinem Ü b e r m u t sich n i c h t scheute, als K s a t r i y a einen B r a h m a n e n z u m K a m p f h e r a u s z u f o r d e r n , u n t e r l a g also A r j u n a , w ä h r e n d d e r n o c h weit m ä c h t i g e r e N ä r ä y a n a K r s n a - V i s n u n u r z u s c h a u t e . Ob K a u t a l y a u n t e r d e m U n t e r g a n g D a m b o d b h a v a s e t w a s a n d e r e s v e r s t a n d als diese seine Niederlage, ist n o c h n i c h t g e k l ä r t . A r j u n a H a i h a y a erging es ebenso. Dieser A r j u n a , S o h n des K r t a v i r y a a u s d e m Geschlecht der H a i h a y a s , 1 3 5 w a r n a c h M b h I I I , 116, 19ff. 136 einst G a s t des Waldeinsiedlers J a m a d a g n i (wie D a m b o d b h a v a G a s t des N a r a u n d N ä r ä y a n a ) . E r w a r u n z u f r i e d e n m i t dessen Gastlichkeit, d e n n er w a r t r u n k e n v o r K a m p f ü b e r m u t . 1 3 7 E r n a h m d e m J a m a d a g n i das K a l b seiner O p f e r k u h (ohne d a s diese keine Milch f ü r die täglichen O p f e r gibt) 1 3 8 u n d z e r s t ö r t e die B ä u m e der Einsiedelei. D a r a u f h i n schoß R ä m a J ä m a d a g n y a i h m voll Z o r n m i t seinen Pfeilen seine t a u s e n d A r m e a b (und t ö t e t e ihn). A r j u n a s S ö h n e erschlugen d a r a u f h i n d e n n i c h t k ä m p f e n d e n J a m a d a g n i , R ä m a a b e r erschlug die H a i h a y a s u n d alle K s a t r i y a s der E r d e . — Diese b e r ü h m t e T a t des R ä m a J ä m a d a g n y a wird im M b h v i e r m a l erzählt, 1 3 9 dreimal a b e r ihre Vorgeschichte, wie A r j u n a d u r c h die G u n s t des rsi D a t t ä t r e y a seine t a u s e n d A r m e erhielt, 1 4 0 die ihm die M a c h t g a b e n , die W e s e n zu unterdrücken. 1 '« 1 D a s p a ß t ein wenig zu K a u t a l y a s Vorstellung, d a ß A r j u n a alle W e s e n v e r a c h t e t h a b e . I n der p u r a n i s c h e n Genealogie h e i ß t es im Gegenteil, d a ß er die E r d e gerecht regieren wollte, dies a u c h t a t , u n d

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als Opferer ein für die anderen Menschen unerreichbares Vorbild wurde; er unterdrückte in verschiedenen Abenteuern nur Schlangen, Höllendämonen, die Götter und Dämonen, die den Unsterblichkeitstrank erquirlten, und Rävana. Einst aber gab er dem hungernden Feuergott die sieben Kontinente als Speise und wurde daraufhin von Vasistha, dessen Einsiedelei mitverbrannte, verflucht, Räma Jämadagnya würde ihn töten. ,42 Hat er etwa bei diesem freigiebigen Verschenken an den Feuergott aus Übermut „alle Wesen mißachtet"? Als Arjuna und Krsna in ähnlicher Lage dem Feuergott den Khändavawald zum Fraß gaben, ihm halfen, daß kein Tier aus dem Walde ausbrach, und dabei sogar gegen Indra kämpften,1/13 wurde ihnen dies nicht als Sünde angerechnet. — In den beiden oben herangezogenen Jätakas wird dieser Arjuna in je einem Vers als einer der Fürsten angeführt, die in die Hölle kamen. 144 Die von Kautalya gemeinte Version der Sage können wir also bisher nur ahnen. Vätäpi machte sich aus Ulk an Agastya heran (und ging daran zugrunde; K 1, 6, 10). Der Asura Ilvala pflegte seinen jüngeren Bruder Vätäpi in einen Bock zu verwandeln und Brahmanen, seinen Gästen, zum Essen vorzusetzen. Nach dem Essen rief er dann Vätäpi, und dieser kam aus den Brahmanen, sie zersprengend und tötend, wieder hervor. Agastya aber verdaute den Dämon so schnell, daß sein Bruder ihn nicht wieder beleben konnte. Dies wird im Rämäyana und Mahäbhärata 145 erzählt, als Räma bzw. Yudhisthira auf ihren Waldwanderungen zu Agastyas Einsiedelei (oder im Räm zu der von Agastyas Bruder) kamen. Im Rämäyana haben die Brüder auf diese Weise Tausende von Brahmanen getötet; die Götter bitten Agastya um Hilfe gegen sie (wie Visnu gegen Rävana), und Agastya lacht, als Vätäpi von ihm verdaut ist. Ilvala greift ihn daraufhin voll Zorn an, wird aber durch das Feuer aus Agastyas Auge verbrannt (wie Ananga durch Sivas Augenstrahl). Beide Dämonen sind tot. Wenn hier Agastya lacht, so kann man dies mit Kautalyas Auffassung, Vätäpi habe sich mit Verulkung an Agastya herangemacht, zusammenstellen und die Sage als eine Groteske zur Verherrlichung der Macht der Brahmanen ansehen. Daß Vätäpi sich an den Brahmanen „heranmachte" 146 (d. h. in ihn einging) und von ihm verdaut wurde, steht auch in Mbh III, 197, 26 unmittelbar nach dem Hinweis auf Dandaka (s. o.), der ebenfalls durch einen Brahmanen mit dem Tode bestraft wurde. Andererseits wird in Mbh III, 278, 17 Vätäpi mit Tälajangha (s. o.) zusammengestellt, 147 weil beide die zu Ehrenden nicht ehrten und dafür durch Strafgewalt der Brahmanen getötet wurden. Vätäpi war also ein übliches Beispiel bestrafter Brahmanenverachtung bzw. -verulkung. Im Mahäbhärata wird Ilvala zunächst damit entschuldigt, daß er (der Feind der Götter und Indras) einst einen Brahmanen um einen indragleichen Sohn gebeten habe; als er ihn nicht erhielt, habe er diesen Brahmanen aus Zorn mittels Vätäpis Verzehrung getötet; dieser sei lachend aus dem Brahmanen wieder hervorgekommen. So habe Ilvala wieder und wieder Brahmanen getötet. Zu ihm kam Agastya einst zusammen mit drei Königen, weil er Schätze brauchte (die seine Frau Lopämudrä verlangte). 148 Die drei Könige waren so niedergeschmettert durch die ihnen vorgesetzte Speise, daß Agastya, lachend, ihn

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ganz allein zu verzehren versprach. Ilvala war dann seinerseits niedergeschmettert und gab, gebeten, die Schätze, und von seiner Vernichtung ist nicht die Rede. Da Vätäpi verdaut ist, kann Ilvala seine boshafte Verulkung von Brahmanen ja nicht mehr fortsetzen. In die Erzählung im Rämäyana ist in einigen Handschriften eingeschoben, daß Agastya sich vermaß, ganz allein, gleichsam lachend, 149 den Bock zu verzehren, als Ilvala „gleichsam lachend" dies ihm nicht zutraute. I m Rämäyana hat Ilvala nämlich immer jeweils eine Gruppe von Brahmanen zu einer angeblichen Totenfeier eingeladen und ihnen den Bock vorgesetzt. Gewiß vermochten manche armen Brahmanen bei solchen Abfütterungen vorsorglicherweise sehr viel zu essen, aber Agastyas Leistung wirkte auf indische Hörer sicher nicht nur in dieser Interpolation komisch. Kautalyas Auffassung, die Dämonenbrüder hätten sich an Agastya aus Verulkung vergangen, hat also eine gewisse Berechtigung, obgleich f ü r unser Empfinden eher Agastya sie, die beiden Grausamen, die Zauberer und Widergötter, verulkt hat. Kannte Kautalya also eine abweichende Version der Sage? Oder soll man im Unterschied zu den anderen elf Beispielen übersetzen: Vätäpi, der sich an Agastya vergriff, ging durch dessen Ulk zugrunde? Übrigens hat das Rämäyana einen der Interpretation bedürfenden Zug der Sage erhalten, wenn es hier von Totenfeiern spricht, denn bei diesen war es nach brahmanischen Rechtsbüchern von der I I I . Periode an bis in den „Feudalismus" hinein üblich, Fleisch vorzuschreiben, und zwar galt Ziegenfleisch als besonders heilsam für die Manen, in deren Namen Brahmanen bewirtet wurden. 150 An Brahmanen sollten mindestens drei, am besten so viel wie möglich eingeladen werden, nicht nur einer. 151 Daher wirkte Agastya als einziger, gewaltig essender Gast komisch. Im Mahäbhärata handelt es sich dagegen um Bewirtung von Gästen, einem Brahmanen und drei Königen, und der Erzähler kann die Madhuparkazeremonie gemeint haben, bei der ebenfalls Fleisch vorgesetzt werden sollte, möglichst das einer Kuh, aber auch eine Ziege war von manchen Rechtslehrern erlaubt. 152 Der Aristokratie der Vrsnis ging es ebenso mit Dvaipäyana (K 1, 6, 10), d. h., sie machten sich aus Ulk an ihn heran und gingen daran zugrunde. Die Vrsnis, Krsnas Geschlecht, verkleideten in Dvärakä Sämba, Krsnas Sohn von JämbavatT, 153 als junge schwangere Frau und fragten nach brahmanischer Tradition dieser Sage die Brahmanen Viävämitra, Kanva und Närada (nach buddhistischer Tradition Krsna Dvaipäyana), was Sämba gebären würde. Diese verfluchten Sämba, er solle eine eiserne Keule zum Untergang der Vrsnis und Andhakas außer Krsna und Balaräma gebären. Sämba gebar die Keule, Ugrasena ließ sie, um dem Fluch zu entgehen, zu Staub mahlen und ins Meer werfen. So gelangte sie indessen in Erakagras, und mit diesem erschlugen sich die Vrsnis bei einem Fest am Meeresstrand in Trunkenheit. 1 5 4 Nach dem Mahäbhärata handeln die Vrsnis „bedrückt vom strafenden Stocke des Schicksals", nach dem Brahma- und Visnu-puräna „trunken von Jugend, getrieben von ihrem künftigen Tun", also schicksalsgemäß, geradezu tragisch. Daß sie Spaß (harsa) von ihrem Ulk erwarten, wird nicht gesagt. Nach der buddhistischen Version

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wollten sie Kanhadlpävanas Sehergabe auf die Probe stellen. Da hier nicht von Fatalismus gesprochen wird, paßt dies etwas besser zu Kautalyas Auffassung, zumal nur Krsna Dvaipäyana verulkt wird. Um einen Ulk von Ksatriyas handelt es sich in beiden Versionen; er ist gegen Brahmanen gerichtet und wird bestraft. Die Prosa dieses J ä t a k a macht damit den Eindruck, inhaltlich ungefähr so alt zu sein wie Kautalya. 1 5 5 Daß auf die buddhistische Sage in je einem Vers von J ä t a k a 512 und 530 angespielt wird, bestätigt dieses Alter. Der eine dieser Verse steht in einer langen Verspredigt Indras gegen das Trinken als einziges abschreckendes Beispiel. Der andere Vers f ü h r t dieses Beispiel neben vier anderen Versen an, die dem tausendarmigen Arjuna, dem König Dandaki und zwei anderen Sündern gewidmet sind: Alle fünf kamen in die Hölle. 156 Auch in dieser Hinsicht steht Kautalya hier der buddhistischen Tradition nahe. Damit ist aber nicht darüber entschieden, welche Variante die ursprüngliche war, ob Kautalya aus einer buddhistischen Quelle geschöpft hat, oder ob diese Sage damals schon in das Mahäbhärata hineingearbeitet worden war, in einem epischen Lied oder einer Sage 157 behandelt wurde. Jämadagnya, frei von sechs Feinden (Lastern), selbstbeherrscht, regierte nach Kautalya 1, 6, 12 lange Zeit die Erde. Räma Jämadagnya hat aber nach uns bisher bekannter brahmanischer Tradition niemals die Erde beherrscht; er, der Sohn des brahmanischen Waldeinsiedlers Jamadagni, ist nie König geworden. 158 Um seinen Vater an seinen Mördern, den Haihayas zu rächen, vernichtete er 21 mal alle Ksatriyas der Erde, so daß sie politisch herrenlos war. Dann ließ er Kasyapa ein Roßopfer darbringen (wohl als Sühne für die vielen Tötungen, nicht als Dokumentation seines Weltherrschertums) und schenkte als Opfergabe diesem Brahmanen die Erde. 159 Sie gehörte Räma offenbar, aber er t r a t ihren Besitz nicht als König an, im Gegenteil, Kasyapa verwies ihn aus seinem Reich, der Erde, und Räma gewann dem Ozean in Südindien neues Land als seinen Wohnsitz ab. Kasyapa sorgte dann für neue Ksatriyas und übergab ihnen die Erde. 1 6 0 Kautalyas andere Angabe, Räma sei selbstbeherrscht gewesen, stimmt ebensowenig mit der uns bisher bekannten Überlieferung überein: Die Rache f ü r seinen Vater geschah aus Zorn. 161 Die Sage begründet sein kriegerisches Handeln ausdrücklich damit, daß er durch die Magie seines Großvaters Rclka und einen I r r t u m seiner Großmutter Ksatriyacharakter bekommen habe, nicht die Ruhe des Einsiedlers. 162 Nur einmal heißt es, daß Räma nach Tötung aller Ksatriyas aus größtem Mitleid in den Wald ging (als Einsiedler, nicht König); als einige tausend Jahre vergangen waren, sei er verwirrt geworden (oder nach anderen Lesarten getadelt [Nilakantha], ruhig oder zornig), sei er doch von N a t u r zornig gewesen. 163 Das Schwanken der Lesarten zeigt, daß diese ruhigen Einsiedlerjahre des zornigen Kämpfers den Erzählern ungewohnt waren. Auf jeden Fall genoß er nicht selbstbeherrscht die Erde als König, wie Kautalya lehrte. Nach einer anderen Stelle des Epos erfreute er mit dem Blut der erschlagenen Ksatriyas als einer Art Totenopfer seine Ahnen und bat diese, sie möchten ihm gewähren, daß er an Askese Befriedigung fände und von der durch seinen Zorn begangenen Sünde befreit würde. Die Ahnengeister sagten dies zu.lß/> Es wird

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aber nicht fortgefahren und berichtet, daß Räma (wie oben) selbstbeherrschter Waldeinsiedler wurde. Eine Variante dieser Episode lautet, daß seine Ahnen, Rcika usw., Räma ermahnten, vom Erschlagen der Ksatriyas abzulassen; ihm als Brahmanen stehe dies nicht 1 6 5 zu. Sie hielten ihm einen König Alarka als Beispiel vor, der seine Sinne besiegt hätte; daraufhin trieb Räma fürchterliche Askese und gelangte zu schwer zu erreichender Vollendung. 166 Auch diese Stelle lehrt nicht, daß R ä m a selbstbeherrscht die Erde regiert habe. Nach einer dritten Variante hat Räma allerdings seinen Zorn aufgegeben, sich vorgenommen, keine Ksatriyas mehr umzubringen, 167 und Indra versprochen, seine Waffen niederzulegen. 168 Man kann sich also eine Version der Sage ausmalen, die in Übereinstimmung mit Kautalya den selbstbeherrschten Räma für einige Zeit als idealen Herrscher der ganzen Erde hinstellte, bis er Kasyapa die Erde schenkte. Warum sollen nicht einige Hindus oder Buddhisten derartiges erzählt haben? Es fällt doch schwer, anzunehmen, daß Kautalya sich in diesem Punkte, der ihn als Ideologen eines „aufgeklärten" Despotismus selbstbeherrschter Großkönige dringend anging und den berühmten Parasuräma betrifft, geirrt oder die Sage eigenwillig interpretiert haben sollte. Auch wenn man annimmt, der Vers Kautalyas sei nicht echt, sei später angehängt, so würde dieses Bedenken für den Interpolator gelten. Alle indischen Abschreiber und Interpreten des Staatslehrbuches haben diesen Vers hingenommen, bis Europäer die ersten Zweifel anmeldeten. 169 Ambarlsa, dem Sohn des Näbhäga, erging es ebenso (K 1, 6, 12). Dieser Ambarlsa, Sohn des Näbhäga und damit Enkel des Manu, war einer der frühesten Könige, der Patriarchen der Sonnendynastie. 170 Er wird im Mahäbhärata mindestens siebzehnmal in Listen berühmter Könige aufgeführt, 1 7 1 war also sehr berühmt, aber sein Leben wird nicht ausführlich geschildert. Nach der oben schon für Marutta, Bharata und andere herangezogenen Liste von sechzehn großen Herrschern, die sterben mußten, haben seine Untertanen ihn sich als Hirten 1 7 2 gewählt und hat er eine Million Könige beim Opfer den Brahmanen als Opfergabe geschenkt. Weder vor noch nach ihm haben Menschen dies geleistet. 173 In der jüngeren Fassung dieser Sage hat er eine Million Könige besiegt; so ersiegte er sich die Erde, opferte hundert Opfer; alle Menschen hatten reichlich zu essen; insbesondere beschenkte er Brahmanen mit Speisen und Getränken, so daß sie, berauscht, zu seinem Lob gäthäs sangen; er gab ihnen f ü r ihre Opfer viele Tausend Könige; weder vor noch nach ihm haben Menschen dies geleistet.17''1 Von alten gäthäs auf ihn ist auch an der Stelle des Epos die Rede, an der seine Selbstbeherrschung gepriesen wird. Dort wird auch eine gäthä von ihm zitiert, daß er alle Fehler bis auf einen, die Gier, abgelegt habe; auch diese sei zu besiegen, das sei der wahre Sieg. 175 Dies paßt zu Kautalya. Unabhängig von diesen vierzehn Königen hat Kautalya im Strafrecht bei der Warnung vor unberechtigter Anwendung der Tortur 1 7 6 auf Mändavya verwiesen. Im Mbh I, 101 wird von diesem Waldeinsiedler berichtet: Er betrieb Askese und legte das Gelübde des Schweigens ab. Da versteckten sich wilde Waldbewohner mit ihrer Beute bei ihm. Dann kam Polizei, fragte nach den Räubern,

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doch der Asket schwieg. 177 Man f a n d R ä u b e r u n d B e u t e bei ihm, f ü h r t e sie u n d den Asketen vor den König, der ließ sie alle pfählen, aber der Asket s t a r b nicht, sondern trieb seine Askese auf dem P f a h l weiter. Der König sah seinen I r r t u m ein, ließ den Asketen frei, aber ein Stück des P f a h l s blieb in ihm stecken. Von diesem b e r ü h m t e n Asketen b e h a u p t e t e K a u t a l y a , er h ä t t e sich als Dieb b e k a n n t , obgleich er keiner gewesen sei, denn er habe F u r c h t vor T o r t u r gehabt. 1 7 8 Diese geringe Abweichung K a u t a l y a s vom E p o s mag als eine b e w u ß t e U m d e u t u n g der Sage aufzufassen sein, als Steigerung über das bloße Schweigen des Angeklagten hinaus. Alte Tradition k o n n t e indessen k a u m den selbst auf dem P f a h l seine Askese fortsetzenden M ä n d a v y a Angst vor T o r t u r haben lassen. S p ä t e r h a t ein K a u f m a n n wie C ä r u d a t t a aus solcher F u r c h t sich selber u n t e r Zwang des Mordes bezichtigt. 1 7 9 Bei der W a r n u n g vor dem Laster des Würfelspiels 1 8 0 zitierte K a u t a l y a die Ansicht des Pisuna, dieses sei gar nicht so schlimm, denn der W ü r f e l k e n n e r siege, wie J a y a t s e n a oder D u r y o d h a n a . K a u t a l y a aber entgegnete, einer der Spieler werde doch besiegt wie Nala u n d Yudhisthira, u n d es folge d a r a u s Feindschaft. — J e d e r H i n d u e m p f a n d mit Nala u n d Yudhisthira, die durch Verlieren des Spiels schwer zu leiden h a t t e n . K a u t a l y a ist hier in Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t dem M a h ä b h ä r a t a , n u r heißt Nalas Bruder im E p o s P u s k a r a s t a t t J a y a t s e n a . Nicht D u r y o d h a n a spielt gegen Yudhisthira, sondern Sakuni, denn dieser erklärt D u r y o d h a n a u n d D h r t a r ä s t r a , daß er ein K e n n e r des Würfeins sei wie keiner in der Welt, daß Yudhisthira aber nichts d a v o n verstehe. 1 8 1 Y u d h i s t h i r a betont dagegen wie K a u t a l y a , daß aus Spiel F e i n d s c h a f t hervorgehe (Mbh I I , 52, 10), u n d Vidura ist derselben Ansicht (52, 11; 56, 1). Y u d h i s t h i r a f ü r c h t e t weiter Tricks 1 8 2 Sakunis u n d erklärt das Spielen ü b e r h a u p t f ü r Betrug. 1 8 3 S a k u n i aber b e h a r r t auf Pisunas S t a n d p u n k t , daß der K e n n e r den N i c h t k e n n e r überwinde u n d dies kein B e t r u g sei (53, 11), u n d er, der K e n n e r gewinnt in der T a t , wie der Epiker a n g i b t ; dieser stellt Sakuni nicht als Betrüger dar. 18/1 Nala ist zunächst in ähnlicher Lage wie Yudhisthira, er ist kein K e n n e r des Spiels, aber a u ß e r d e m will Kali seinen U n t e r g a n g , weil dieser D a m a y a n t I a n Nala verloren h a t (Mbh I I I , 55, 12). Kali f ä h r t deswegen in Nala hinein u n d reizt Nalas B r u d e r P u s k a r a zum Spiel mit N a l a ; er werde ihm helfen (56, 5). Hier ist nicht von K e n n e r s c h a f t die Rede. N a l a verliert sein Reich a n seinen B r u d e r wie Yudhisthira. Am E n d e lernt N a l a das Würfeiwissen von König R t u p a r n a ; er gibt ihm d a f ü r sein Wissen u m die P f e r d e (63, 19f.); er ist nämlich ein hervorragender Wagenlenker. W ä h r e n d er den König in rasender F a h r t d a h i n f ä h r t , zählt dieser in einem Moment die B l ä t t e r u n d F r ü c h t e eines Baumes. Nala hält an, fällt den B a u m , zählt n a c h u n d bestätigt die (im M o m e n t geschätzten) Zahlen des Königs (III, 70, 6ff.). I m schnellen Schätzen der Zahlen der geworfenen Würfel bestand das K e n n e n des Spiels. D a nicht jeder alles wissen könne, tauschen Nala u n d der K ö n i g ihr Wissen aus (8). 185 N a l a fordert von P u s k a r a Wiederholung des Spiels, eine A r t R e v a n c h e (77, 18), u n d siegt im Unterschied zu Yudhisthira d a n k seinem neu erworbenen Spielkennertum.

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D a s Würfelspiel w a r seit rgvedischer Zeit ein L a s t e r d e r Ä r y a u n d in K a u t a l y a s Zeit ein L a s t e r d e r D e s p o t e n u n t e r a n d e r e n . E r u n d die a n g e f ü h r t e n E p i k e r bezeugen, d a ß W ü r f e l n d a m a l s n i c h t — wie von u n s h e u t e — als u n v e r a n t w o r t liches Spielen m i t d e m Glück a u f g e f a ß t w u r d e , sooft sonst v o n F a t a l i s m u s die R e d e w a r . Verworfen w u r d e es v o n K a u t a l y a u n d d e n D i c h t e r n , weil sich einige d u r c h L e i d e n s c h a f t zu i h m h i n r e i ß e n ließen, o h n e spielen zu k ö n n e n . Wieweit d a s damalige W ü r f e l n t a t s ä c h l i c h ein Glücksspiel war, ist n o c h n i c h t klar. E i n e d a m a l s p r o p a g i e r t e A n s i c h t war, d a ß m a n e n t w e d e r d u r c h Wissen bzw. K ö n n e n siege, d u r c h B e t r u g (s. o.), d u r c h Gewalt (wenn e t w a ein K ö n i g m i t einem Y a k s a spielte) oder d u r c h Magie (wie d e n n j e n e r K ö n i g d a n k seiner S c h u t z g o t t h e i t , einer G ö t t i n , zu spielen pflegte, der Y a k s a dies a b e r d u r c h s c h a u t e u n d die G ö t t i n verjagte). 1 8 6 T r o t z d e m ist die hier g e ü b t e Gesellschaftskritik a n spielenden K ö n i g e n h o c h einzuschätzen. Schließlich h a t K a u t a l y a da, wo er die K ö n i g e vor tödlichen H a r e m s i n t r i g e n w a r n t , sieben Beispiele v o n n u r teilweise m i t N a m e n g e n a n n t e n K ö n i g e n ang e f ü h r t , die im H a r e m e r m o r d e t w u r d e n . Diese Fälle gehören n i c h t in die episch-puranische T r a d i t i o n , sondern sind n u r in einigen s p ä t e r e n T e x t e n , in K ä m a n d a k i s S t a a t s l e h r b u c h , dessen K o m m e n t a r , in B ä n a s H a r s a c a r i t a u n d in der Astrologie der B r h a t s a m h i t ä e r w ä h n t . 1 8 7 K a u t a l y a m a c h t e also einen d e u t lichen U n t e r s c h i e d zwischen diesen K ö n i g e n , H e l d e n von A n e k d o t e n d e r S t a a t s lehre, u n d d e n episch-mythologischen Helden. 1 8 8 Beide g a l t e n ihm sicher als W i r k lichkeit, a b e r die einen g e h ö r t e n f ü r ihn wohl in heroische V e r g a n g e n h e i t , w ä h r e n d die a n d e r e n in erst v e r h ä l t n i s m ä ß i g k u r z v e r g a n g e n e Zeiten gesetzt w u r d e n . M a n d e n k t e t w a a n die K ö n i g e des Kalizeitalters, die der p u r a n i s c h e n Genealogie als P r o p h e z e i u n g post festum, a n g e h ä n g t w o r d e n sind, wir wissen n o c h n i c h t , w a n n . F o r t g e f ü h r t w u r d e n sie im V i s n u p u r ä n a bis a n d e n A n f a n g der G u p t a z e i t . K a u t a l y a s t e h t m i t seinen Beispielen in der moralischen, literarischen, vor allem epischen T r a d i t i o n des a l t e n I n d i e n s (s. o.). I n s b e s o n d e r e f ü h r t er K s a t r i y a s a n , die sich gegen B r a h m a n e n vergingen wie D ä n d a k y a , K a r ä l a , J a n a m e j a y a , T ä l a j a n g h a , Aila, A j a b i n d u , D a m b o d h a v a , A r j u n a , die Vrsnis u n d d e n u n g e n a n n t e n R i c h t e r Mänrlavyas. N u r in vier Fällen s c h ä d i g t ein K ö n i g einen K ö n i g : R ä v a n a , D u r y o d h a n a , J a y a t s e n a ( P u s k a r a ) u n d S a k u n i . D i e beiden angeblich idealen K ö n i g e , P a r a s u r ä m a u n d A m b a r l s a , sind besonders freigiebig gegen B r a h m a n e n . Nie h a n d e l t es sich u m g r a u s a m e n D e s p o t i s m u s g e g e n ü b e r d e m Volk, den Vaisyas u n d S ü d r a s . D a s gelegentliche Vergehen eines F ü r s t e n einem B r a h m a n e n gegenüber spielte schon in der zerfallenden Gentilgesellschaft des R g v e d a eine Rolle, w e n n K ö n i g Sorna d e m G ö t t e r p r i e s t e r B r h a s p a t i dessen F r a u r a u b t e , a b e r z u r ü c k g e b e n m u ß t e . 1 8 9 Mit Beginn des D e s p o t i s m u s in d e r II. P e r i o d e spielte der W i d e r s p r u c h zwischen K ö n i g u n d H o f p r i e s t e r eine bet r ä c h t l i c h e Rolle, u. a. bei J ä n a m t a p i , d e r d a r a n z u g r u n d e ging, 1 9 " w ä h r e n d P r a t a r d a n a n i c h t s geschah, obgleich er A s k e t e n den W ö l f e n ausgeliefert h a t t e . 1 9 1 E s g a b d a m a l s also z u m i n d e s t zwei S t a n d p u n k t e . Einige B r a h m a n e n b r ü s t e t e n sich d a m a l s sogar d a m i t , mit ihrer Magie K ö n i g e d u r c h ihre Vaisyas in die V e r b a n n u n g schicken zu können. 1 9 2 I n der I I I . P e r i o d e w a r e n es in erster

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Linie Buddhisten, die K a m p f gegen besonders schlimme Despoten verherrlichten, u. a. auch Tyrannenmord durch das Volk. 193 Sie stellten den bösen die guten, d. h. f r o m m buddhistische Könige gegenüber. K a u t a l y a hat dann, als der Großstaat und die Staatslehre herangereift waren, versucht, eine gewisse Systematik in die gesellschaftskritische Lehre der Bestrafung böser Despoten zu bringen, insbesondere soweit sie Feinde der B r a h m a n e n waren; er legte ihr seine Sechszahl der Laster zugrunde, wobei der Unterschied zwischen A n m a ß u n g und Ü b e r m u t eigentlich k a u m zu fassen ist. Dabei ging er nicht von der bereits älteren Lehre der aus Liebe und Zorn entspringenden vyasanas aus. 19 ' 1 E r unterschied sich von den Buddhisten darin, daß diese als Gegner der B r a h m a n e n den Gegensatz Despot — Brahmane nicht besonders hervorhoben, auch dem Volk das Recht auf Tyrannenmord zugestanden, damit volkstümlich waren, und den bösen gut buddhistische Könige gegenüberstellen, während K a u t a l y a dem bösen Despoten den „aufgeklärten", rational regierenden gegenüberstellte. 1 9 5 F ü r einen solchen h ä t t e er als zwei Beispiele in der Tradition leicht R ä m a und Yudhisthira finden können, er nahm aber P a r a s u r ä m a und Ambarisa als Ideale. Vielleicht wollte er R ä m a und Yudhisthira nicht neben R ä v a n a und Duryod h a n a a n f ü h r e n ; vielleicht lag auch der Wahl P a r a s u r ä m a s die Überlegung zugrunde, daß dieser K a u t a l y a in gewisser Weise ähnelte. Beide waren durch Könige (Arjuna bzw. Nanda) gekränkt worden und h a t t e n sich durch Erledigung dieser beiden gerächt, danach eine Zeit lang regiert (wenigstens sagt K a u t a l y a das von Räma) und sich schließlich ins Waldeinsiedlerleben zurückgezogen. Vielleicht hat K a u t a l y a also R ä m a s Sage geändert, um ihn als eine Art Schlüsselfigur seines eigenen Schicksals verwenden zu können, das er f ü r heilsam, notwendig hielt. Eine solche Analyse zeigt, wie vielgestaltig die damalige Sagenwelt war und wie sich die Dichtung zu ihr verhielt; sie zeigt aber auch die moralische Anwendung dieser Literatur.

c) K u x z e p e n : V e s s a n t a r a j ä t a k a , R ä m ä y a n a , M a h ä b h ä r a t a u n d H a r i v a m s a Zum damals abgeschlossenen buddhistischen K a n o n gehörte wohl auch das letzte J ä t a k a , das Kurzepos des Vessantarajätaka mit seinen 786 Versen, die durch wenig Prosa verbunden werden. E s ist an das K a l m ä s a p ä d a - K u r z e p o s mit seinen 120 Versen anzuschließen. 190 Sein I n h a l t ähnelt weitgehend dem des Rämäyana. 1 9 7 Vessantara und R ä m a sind überaus t u g e n d h a f t e Prinzen, Thronfolger, die trotzdem von ihren Vätern mit einer politischen Begründung in den Wald verbannt werden. R ä m a s Vater ist dazu durch seine böse F r a u Kaikeyi verleitet worden, Vessantaras Vater durch das Volk; beide bereuen ihr Gebot, R ä m a s Vater von Anfang an, Vessantaras Vater ein paar Monate später, bekehrt durch seine Enkel. Beide Mütter treten vergeblich bei den Königen f ü r ihre Söhne ein. I n die Verbannung folgen den Prinzen ihre treuen Frauen, Maddi bzw. Sita, obgleich sie vor den Schrecken des Waldlebens 1 9 8 13

Rüben Dichtung

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gewarnt werden. Den Vessantara begleiten außerdem seine beiden Kinder, während R ä m a s beide Söhne damals noch nicht lebten, erst während der Verstoßung Sitäs durch E ä m a im W a l d e geboren werden. K u r z nach Beginn ihrer W a l d w a n d e r u n g t r e t e n Versucher an sie heran, um sie zur H e i m k e h r zu bewegen (der Cetakönig den Vessantara, den R ä m a aber sein B r u d e r B h a r a t a ) . Sita wird dem R ä m a durch R ä v a n a e n t f ü h r t ; I n d r a aber b i t t e t Vessantara u m Maddl, u n d er gibt sie ihm. R ä m a u n d Vessantara geraten in diese N o t durch böse F r a u e n , R ä m a durch S ü r p a n a k h ä , die R ä v a n a aufstachelt, Sita zu entführen, Vessantara aber durch A m i t t a t ä p a n ä , die F r a u des J ü j a k a , die von diesem verlangt, er solle ihr Vessantaras Kinder als Sklaven verschaffen, woraufhin d a n n I n d r a Maddi erbittet. R ä m a f r a g t B h a r a t a , der ihn heimholen will, ob die Regierung des Landes gut verlaufe, ähnlich f r a g t Vessantara seinen Vater, als dieser ihn heimholt. 1 9 9 R ä m a erobert Sltä z u r ü c k ; I n d r a aber gibt Maddl sofort zurück. Beide E h e p a a r e kehren heim, u n d die beiden Prinzen treten die H e r r s c h a f t an. Sitäs E n t f ü h r u n g wird durch K a u t a l y a 2 0 0 f ü r diese Periode als damals allgemein b e k a n n t bezeugt, u n d J ä t a k a s wie das 461. 201 weisen auf andere damals b e k a n n t gewesene Elemente mit gewissen Varianten dieses hinduistisehen E p o s oder zumindest der R ä m a s a g e hin. J a , ein Vers, der im P a l i k o m m e n t a r dem 461. J ä t a k a als Ausspruch B u d d h a s angehängt ist u n d R ä m a s 10060 J a h r e währende glückliche H e r r s c h a f t schildert, steht fast genau so im R ä m ä y a n a , war wohl ein Merkvers der Barden, der in mehreren Varianten in die verschiedenen Versionen des R ä m ä y a n a eingegangen ist. 202 E r d ü r f t e schon dem R ä m a - K u r z e p o s dieser Periode angehört haben. Dieses mag dementsprechend in Prosa mit eingestreuten Versgruppen 2 1 0 erzählt worden sein. Aber die F o r m des späteren R ä m ä y a n a weist darauf hin, daß es in der IV. Periode auch schon rein metrisch gewesen sein könnte, wie es manches Lied der B u d d h a b i o g r a p h i e schon in der I I I . Periode gewesen ist. 20 ' 1 Weiter steht die 5. Strophe des 461. J ä t a k a , eine Sentenz über die allgemeine Sterblichkeit, ebenfalls im R ä m ä y a n a da, wo R ä m a seinen B r u d e r B h a r a t a über den Tod ihres Vaters tröstet, 2 0 3 also genau wie im J ä t a k a . Das spricht doch d a f ü r , daß beide Verse der R ä m a v e r s epik dieser IV. Periode e n t s t a m m e n oder zumindest zu ihr gehören; an sich mögen sie noch älter sein. W e n n es s t i m m t , daß die R ä m a s a g e u. a. auf vorarisch-gentile Mythologie eines Wanderhelden zurückgeht u n d d a m i t im K e r n sehr alt ist, ist die Vessantarasage ihr nachgebildet, bzw. dieses Kurzepos des Vessantara einem nicht erhaltenen des Räma. 2 0 0 Maddl vergleicht sich demgemäß in Vers 541 mit Sltä, der treuen F r a u R ä m a s . Offenbar wünschten die B u d d h i s t e n als letzte Wiederg e b u r t B u d d h a s vor seinem historischen menschlichen Leben u n d seinem Eint r i t t ins N i r v ä n a eine A r t Gegenstück zu dem t u g e n d h a f t e n Prinzen R ä m a . Beide K u r z e p e n können von Waldeinsiedlern zur Verherrlichung der Idealgestalten ihrer beiden Religionen gedichtet worden sein. 207 Zur buddhistischen Ausmalung eines t u g e n d h a f t e n Prinzen gehört dabei dessen übermenschliches Schenken; 2 0 8 Vessantara verschenkt den Staatselefanten, der ein Regen-

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fetisch seines Volkes ist, ebenso seine Frau und seine beiden Kinder an jeden Brahmanen, der ihn bittet. Die Brahmanen hatten ihrem Helden R ä m a dagegen vor allem die Tugend beigelegt, unter allen Umständen in übermenschlicher Weise sein Wort zu halten, und sie ließen ihn, als er auf diese Weise ein Waldeinsiedler geworden war, einen sieghaften Wanderhelden bleiben, wie er es wohl von Anfang an gewesen war. Folglich kann man schließen, daß das buddhistische Kurzepos einem brahmanischen, visnuitischen nachgebildet sein wird, daß es damals also ein kurzes Rämäyana gegeben haben wird. 209 Rämas Wanderung nach dem Süden Indiens paßt zu der damaligen Ausdehnung des Handels. 2 1 0 Das I. Buch des Rämäyana ist aus einem einzigen Gesang heraus entwickelt worden. 211 Stellt man sich Entsprechendes für die anderen Bücher des Rämaepos vor, so ergibt sich ein sehr kurzes hypothetisches damaliges Rämakurzepos. Vielleicht hatte es ebenfalls noch Prosasätze zwischen Verspartien. Eine damalige Mahäbhäratasagre mit Yudhisthiras verlorenem Würfelspiel, Draupadis Polyandrie, Vidura, Duryodhanas Weigerung, seinem Bruder Hastinäpura wiederzugeben und dem Ulk der Vrsnis wird durch Kautalya und J ä t a k a s bezeugt. 2 1 2 Der Siegeszug Jaräsandhas von Magadha nach Westen im Epos läßt sich als mythologische Widerspiegelung des Siegeszuges der Nandas vom Ende der I I I . Periode auffassen. Durch diesen werden unter anderen Dynastien auch die Vatsas von Kausämbi ihre Macht verloren haben, diese historischen Nachkommen der heroischen Pändavas von Hastinäpura, 2 1 3 die in Jaräsandha die gehaßten Nandas mythologisierten, und das vermutlich in (oder erst nach) Kautalyas Zeit. Man kann sich also vorstellen, daß auch das Mahäbhärata in der I V . Periode die Form eines Kurzepos hatte. Mit Jaräsandha dürfte auch Bhimasena, 2 1 4 sein Überwinder, der uralte Wanderheld vom Theseustyp, in dieses Kurzepos eingegliedert worden sein, mit diesem aber vielleicht auch schon Krsna 2 1 5 und dessen Sippe, die Vrsnis. Deren Untergang ist in Übereinstimmung mit Mbh X V I durch Kautalya und J ä t a k a s zumindest als Sage für die I V . Periode bezeugt; 2 1 6 aber in das Epos ist der Tod Krsnas wohl erst in der V I . Periode eingefügt worden. 217 Eine Kurzform der Bhagavadgltä kann man aus philosophiegeschichtlichen Gründen für diese Periode, für dieses Kurzepos oder als ein Kurzepos neben ihm in Anspruch nehmen. 2 1 8 Für eine damalige Kurzform des dritten visnuitischen Epos, des Harivamsa, ist noch nichts anzuführen. Krsnas Gestalt ist seit der I I . Periode bezeugt; sie war in der I V . Periode wohl in das Mahäbhärata eingefügt worden, aber noch nicht die Sage von seinem Tod und dem Untergang der Vrsnis. Wenn in einem Jätakavers J ä m b a v a t i , Krsnas Frau, vorkommt, 2 1 9 so wird von dieser ausführlich im Harivamsa erzählt, aber auch im Mahäbhärata 2 2 0 kommt sie vor. Solche Überlegungen werden helfen, die damalige Entwicklungsstufe der visnuitischen Epik genauer zu beschreiben. Ein anderes vielleicht schon damaliges Kurzepos war das des Nala und der Damayantl. Aber die Stoffe von Rämas Abenteuern vor seiner Brautwerbung 13*

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u n d von seiner idealen H e r r s c h a f t nach seiner W a l d w a n d e r u n g werden damals wohl erst in epischen Liedern mit oder ohne Prosa behandelt worden sein, denn der U r t e x t der V. Periode k n ü p f t e n u r an die W a l d a b e n t e u e r an, u n d erst der Archetypus n a h m diese anderen beiden T h e m e n in das R ä m a e p o s auf. 2 2 1 Den epischen Helden Vessantara, R ä m a , K r s n a , Y u d h i s t h i r a u n d B u d d h a ist eine gewisse M o n u m e n t a l i t ä t , eine übermenschliche Idealisierung wohl von damals an gemeinsam. Man möchte diese mit dem Ideal des Königs als eines selbstbeherrschten Großen zusammenstellen, das K a u t a l y a damals propagierte, dieses wiederum mit dem Ideal der A k t i v i t ä t der B h a g a v a d g l t ä , u n d Yudhisthiras Tugendhaftigkeit mit der Asokas. So k a n n m a n sagen, d a ß religiöse Morallehre, Staatslehre u n d Epik des ersten altindischen Großreichs in dieser wichtigen Hinsicht übereinstimmten. Diejenigen, die diese K u r z e p e n vortrugen, n a n n t e K a u t a l y a anscheinend „die, die von ihrer Stimme leben" 2 2 2 (über sie, die Erzähler, mehr im folgenden Kapitel). Die E p e n (oder Sagen, Mythen) wurden auch von den von K a u t a l y a mit den Erzählern u n d anderem fahrenden Volk zusammen e r w ä h n t e n Saubhikas 2 2 3 öffentlich vorgetragen, u n d zwar f ü r die Massen des Volkes bei Festen. Damals, wenn nicht schon früher, waren episch-mythologische Dichtungen also nicht mehr Privileg königlicher Barden, b e s t i m m t f ü r Vortrag am Hofe, sondern I n s t r u m e n t e der Propagierung der Ideologien verschiedener herrschender Kreise. 2 2 4 E s gab diejenigen, die das Erzählen, d. h. die P r o p a g a n d a berufsmäßig betrieben, u n d diejenigen, die die Erzähler d a f ü r bezahlten bzw. u n t e r hielten.

3. Vorstufen

des Dramas

(kusilava)

K a u t a l y a bezeugt nicht die Existenz damaliger D r a m e n . E r f ü h r t n u r a n einigen Stellen allerhand T y p e n fahrenden Volks 225 auf. U n t e r ihnen sind: der Tänzer, der Sänger, der Instrumentspieler, der Erzähler, der Seiltänzer, der kusilava, der saubhika u n d andere, zum Teil noch nicht mit Sicherheit zu definierende Gestalten. 2 2 6 Die Tänzer sind anscheinend von zwei Arten. Der E r zähler ist wohl der die E p e n u n d anderes Vortragende. W a s der saubhika2'11 t a t , ist im T e x t nicht gesagt. Am meisten sagt K a u t a l y a u n t e r diesen über die kusilavas . 228 Sie d ü r f e n die Zuschauer nach eigenem Belieben 2 2 9 durch Karikieren von Gegenden, S t ä n d e n , Sippen, vedischen Schulen u n d Liebesabenteuern erheitern, 2 3 0 ohne d a m i t straffällig zu werden. Sie sollen sich aber davor h ü t e n , einen einzelnen übermäßig zu preisen u n d ein übermäßiges Geschenk a n z u n e h m e n ; sonst müssen sie das Zwölffache (ihrer E i n n a h m e n ) als Strafe zahlen. 2 3 1 An einer anderen Stelle heißt es, sie sollen erheitern, ohne Waffen, Feuer oder Gift bei ihren Spielen (krldä) zu verwenden 2 3 2 (weil sie d a m i t Unheil anrichten könnten). Worin bestanden ihre Spiele? E s handelt sich wohl sicher nicht u m eine literarische Komödie, sondern um indische Mimusarten. Man möchte a m

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u n d von seiner idealen H e r r s c h a f t nach seiner W a l d w a n d e r u n g werden damals wohl erst in epischen Liedern mit oder ohne Prosa behandelt worden sein, denn der U r t e x t der V. Periode k n ü p f t e n u r an die W a l d a b e n t e u e r an, u n d erst der Archetypus n a h m diese anderen beiden T h e m e n in das R ä m a e p o s auf. 2 2 1 Den epischen Helden Vessantara, R ä m a , K r s n a , Y u d h i s t h i r a u n d B u d d h a ist eine gewisse M o n u m e n t a l i t ä t , eine übermenschliche Idealisierung wohl von damals an gemeinsam. Man möchte diese mit dem Ideal des Königs als eines selbstbeherrschten Großen zusammenstellen, das K a u t a l y a damals propagierte, dieses wiederum mit dem Ideal der A k t i v i t ä t der B h a g a v a d g l t ä , u n d Yudhisthiras Tugendhaftigkeit mit der Asokas. So k a n n m a n sagen, d a ß religiöse Morallehre, Staatslehre u n d Epik des ersten altindischen Großreichs in dieser wichtigen Hinsicht übereinstimmten. Diejenigen, die diese K u r z e p e n vortrugen, n a n n t e K a u t a l y a anscheinend „die, die von ihrer Stimme leben" 2 2 2 (über sie, die Erzähler, mehr im folgenden Kapitel). Die E p e n (oder Sagen, Mythen) wurden auch von den von K a u t a l y a mit den Erzählern u n d anderem fahrenden Volk zusammen e r w ä h n t e n Saubhikas 2 2 3 öffentlich vorgetragen, u n d zwar f ü r die Massen des Volkes bei Festen. Damals, wenn nicht schon früher, waren episch-mythologische Dichtungen also nicht mehr Privileg königlicher Barden, b e s t i m m t f ü r Vortrag am Hofe, sondern I n s t r u m e n t e der Propagierung der Ideologien verschiedener herrschender Kreise. 2 2 4 E s gab diejenigen, die das Erzählen, d. h. die P r o p a g a n d a berufsmäßig betrieben, u n d diejenigen, die die Erzähler d a f ü r bezahlten bzw. u n t e r hielten.

3. Vorstufen

des Dramas

(kusilava)

K a u t a l y a bezeugt nicht die Existenz damaliger D r a m e n . E r f ü h r t n u r a n einigen Stellen allerhand T y p e n fahrenden Volks 225 auf. U n t e r ihnen sind: der Tänzer, der Sänger, der Instrumentspieler, der Erzähler, der Seiltänzer, der kusilava, der saubhika u n d andere, zum Teil noch nicht mit Sicherheit zu definierende Gestalten. 2 2 6 Die Tänzer sind anscheinend von zwei Arten. Der E r zähler ist wohl der die E p e n u n d anderes Vortragende. W a s der saubhika2'11 t a t , ist im T e x t nicht gesagt. Am meisten sagt K a u t a l y a u n t e r diesen über die kusilavas . 228 Sie d ü r f e n die Zuschauer nach eigenem Belieben 2 2 9 durch Karikieren von Gegenden, S t ä n d e n , Sippen, vedischen Schulen u n d Liebesabenteuern erheitern, 2 3 0 ohne d a m i t straffällig zu werden. Sie sollen sich aber davor h ü t e n , einen einzelnen übermäßig zu preisen u n d ein übermäßiges Geschenk a n z u n e h m e n ; sonst müssen sie das Zwölffache (ihrer E i n n a h m e n ) als Strafe zahlen. 2 3 1 An einer anderen Stelle heißt es, sie sollen erheitern, ohne Waffen, Feuer oder Gift bei ihren Spielen (krldä) zu verwenden 2 3 2 (weil sie d a m i t Unheil anrichten könnten). Worin bestanden ihre Spiele? E s handelt sich wohl sicher nicht u m eine literarische Komödie, sondern um indische Mimusarten. Man möchte a m

IV. Periode, 3

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ehesten an die vorarische Gentilgesellschaft mit ihren gelegentlichen karikierenden Veranstaltungen 2 3 3 (aber m a n vergesse auch vedische nicht) 23 ' 1 denken, die als Vorformen der Komödien aufgefaßt werden können, n u r handelt es sich dort um Auftreten der lustigen Stammesjugend, bei K a u t a l y a um Berufsspötter. Staat und Stadt h a t t e n sich ja inzwischen entwickelt. Ob und was die Mimen dabei sprachen, sangen, musizierten oder tanzten, wird nicht gesagt. Sie sollten aber nicht etwa einen allzu freigebigen Veranstalter allzu sehr mit Lobsprüchen hervorheben, denn man f ü r c h t e t e wohl, er könnte d a n n f ü r die staatliche Ordnung gefährlich werden. Sie setzten sozusagen auf ihrer Ebene die Lob- und Spottgedichte der rgvedischen Priester auf ihre freigebigen bzw. geizigen Auftraggeber fort. K a u t a l y a äußert sich nicht darüber, ob er bei ihnen an kultische Veranstaltungen denkt, aber um festliche Gelegenheiten wird es sich in der Regel gehandelt haben, und die waren wohl alle kultische Veranstaltungen. 2 3 5 Trifft das zu, ist zu überlegen, ob diese Vorführungen der kusilavas etwa auch mit den vedischen, zugleich rituell-magisch wie auch vermutlich komisch gemeinten, mimusartigen Vorführungen, wie der des Somahandels mit der Verprügelung des Südras, 2 3 6 in Zusammenhang zu bringen ist. N u r scheint es, daß dort ein echter B r a h m a n e als solcher einen echten Südra als solchen verprügelte, während hier kusilavas, und diese waren Südras (s. u.), nicht als Südras, sondern als karikierende Darsteller anderer, nicht genannter Gestalten aller vier Stände aufgetreten sind. F ü r das Karikieren war eine gewisse Gesellschaftskritik Voraussetzung, die im Despotismus den Regierenden gerade noch erträglich und zugleich als Ventil des Volkszorns nützlich erschien, und eine Art Lebensfreude, die innerhalb der Feste der jenseitssüchtigen Religionen aus ähnlichen Erwägungen heraus geduldet und gefördert wurde. Aus solchen sozialen Bedürfnissen heraus h a t man anscheinend Südras, Nachkommen der gentilen Vorärya, deren weit harmlosere, schwache Seiten von Dorfmitgliedern verspottende Karikaturen, wie sie damals in Dorfgemeinden der Südras wohl noch üblich waren, f ü r die S t a d t und den Hof, aber auch das Dorf zu einer neuen Qualität entwickeln lassen, die sogar Mitglieder des Priester- und Kriegeradels in erträglichem R a h m e n kritisierte. Solche Entwicklung p a ß t zum damaligen gesellschaftlichen Aufstieg der Südras, der sich u. a. auch im Heranwachsen des Hinduismus zeigte. 237 Nach K a u t a l y a 2,27,7 sollten einige von ihnen vor dem König agieren; sehr jung, mit acht J a h r e n sollten sie beginnen. Sie betrifft es wohl, daß sie weder Waffen, Feuer noch Gift verwenden sollten (1,21,16), denn diese Bemerkung steht im Kapitel über den Schutz des Königs in seinem Palast. Ihre Musikinstrumente, Pferde, Wagen, Elefanten und ihr Schmuck sollten im Palastinneren a u f b e w a h r t werden (17), 238 vermutlich, damit sie unter dauernder Kontrolle der Palastpolizei ständen. Der Satz k a n n als Andeutung d a f ü r aufgefaßt werden, daß auch ihre Elefanten usw. ebenso wie ihre Musikinstrumente f ü r ihre Darbietungen benötigt wurden. Sie wanderten sicher nicht mit Pferdewagen und Reitelefanten im Lande umher, das t a t e n n u r Vornehme, aber sie

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IV. Periode, 3

spielten v e r m u t l i c h — wenigstens gelegentlich — Rollen V o r n e h m e r , d e n n z. B . sollte ein P r i n z in der L e h r e des G e b r a u c h s von E l e f a n t e n , P f e r d e n , W a g e n u n d W a f f e n unterwiesen werden (1,5,12,). W a f f e n d e r kusilavas w a r e n a n a n d e r e r Stelle e r w ä h n t (s. o.). Diese vier D i n g e w a r e n also f ü r A r i s t o k r a t e n bezeichnend, deren Rollen diese K a r i k a t u r i s t e n niederen S t a n d e s spielten. A n d e r e kusilavas zogen u m h e r u n d d u r f t e n n u r w ä h r e n d d e r R e g e n z e i t a n einem O r t verweilen (K 4,1,58), d a r i n den W a n d e r m ö n c h e n gleich. Ob d a s W o r t Ort hier Dorf oder S t a d t m e i n t , ist n i c h t ersichtlich. W a s s t a a t l i c h e D o r f n e u siedlungen 2 3 9 a n g e h t , so v e r b o t K a u t a l y a in ihnen das Anlegen von H a i n e n oder das B a u e n von Hallen, in d e n e n T ä n z e r , Sänger, Musiker, E r z ä h l e r oder&Ms'ilavas2i0 a u f t r e t e n k ö n n t e n ; sie w ü r d e n ja die A r b e i t der B a u e r n b e e i n t r ä c h tigen. 2 / i l I n S t ä d t e n oder a l t e n Dorfgemeinden 2 4 2 h a t t e der K ö n i g wohl keine M a c h t f ü r solche V e r b o t e . Auf diese D ö r f e r bezieht sich wohl K a u t a l y a s Vorschrift, d a ß d e r j e n i g e D o r f b e w o h n e r , der sich a n d e n K o s t e n einer V o r f ü h r u n g (preksä, s. u.) 2 4 3 n i c h t beteiligt, s a m t seiner F a m i l i e n i c h t zusehen d a r f ; t u t er es heimlich, zahlt er seinen Anteil zweimal: diese A u f f ü h r u n g e n w a r e n wohl u . a. solche v o n kusilavas (K 3,10,37f.). kusilavas u n d a n d e r e s f a h r e n d e s Volk 2 4 4 d i e n t e n n a c h K a u t a l y a d e m K ö n i g als Spione in den H ä u s e r n seiner B e a m t e n ; 2 ' ' 5 kusilavas, Clowns (kuhaka), Astrologen, Ä r z t e u n d a n d e r e L e u t e sollten von d e m S t e u e r e i n n e h m e r auf d e m L a n d e (nicht in der S t a d t ) 2 4 6 als A g e n t e n z u m „Ausreißen d e r D o r n e n " 2 4 7 v e r w e n d e t werden. Alle A r t e n des f a h r e n d e n Volkes sollten heimlich bei d e r E n t f ü h r u n g eines P r i n z e n helfen, den m a n als Geisel einem gegnerischen K ö n i g h a t t e überlassen m ü s s e n (7,17,34); ein in U n g n a d e gefallener P r i n z solle sich mit Begleitern als solch f a h r e n d e s Volk verkleiden, in den P a l a s t einschleichen u n d die M a c h t ergreifen (1,18,12). D e n kusilava-Heruf ü b t e n Südras 2 4 8 aus. kusilavas u n d E r z ä h l e r g a l t e n ebenso wie H a n d w e r k e r u n d Ä r z t e als e n t l o h n t e V e r r i c h t e r gewisser Dienste, die a u f H o f f n u n g hin arbeiteten, 2 '' 9 d. h. d e r e n H ö h e der B e z a h l u n g n i c h t v o r h e r festgesetzt war. Wie die H a n d w e r k e r w a r e n die kusilavas einem S t a a t s m a n n wie K a u t a l y a v e r d ä c h t i g , Diebe, die sich n u r n i c h t Diebe n e n n e n , weil sie ihre Gegend „ b e d r ü c k e n " , 2 5 0 was wohl soviel wie B e g a u n e r n des Gebietes, in d e m sie w a n d e r n , heißen soll. Als S ü d r a s d r o h t e i h n e n s t a t t G e l d s t r a f e P r ü g e l (4,1,63). Andererseits galt ihr Beruf als verächtlich, so d a ß kusilava als S c h i m p f wort zu g e b r a u c h e n , v o m S t a a t v e r b o t e n werden m u ß t e (3,18,8). Die kusilavas des K ö n i g s w a r e n K i n d e r v o n H e t ä r e n (2,27,7), die als S ü d r ä s eine A r t Sklav i n n e n des Königs 2 3 1 waren. Die F r a u e n der kusilavas u n d des übrigen f a h r e n d e n Volkes f u n g i e r t e n d e m e n t s p r e c h e n d als D i r n e n u n d u n t e r s t a n d e n wie die königlichen H e t ä r e n d e m H e t ä r e n a u f s e h e r (2,27,25), was ihre A b g a b e n a n d e n S t a a t u n d ihren juristischen S c h u t z a n b e l a n g t , a b e r a u c h die K o n t r o l l e d a r ü b e r , d a ß ihre K i n d e r als kusilavas d e n Beruf u n d d e n sozialen S t a t u s ihrer M u t t e r fortführten. Ü b e r den saubhika,252 d e n kuhaka u n d den nata, in d e n e n einige I n d o l o g e n einen Gaukler, einen Clown, P u p p e n - oder Schattenspieler u n d einen P a n t o -

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mimen vermuten, macht K a u t a l y a keine hinreichenden Angaben. Von einem damaligen Schauspieler und D r a m a kann damit einstweilen keine Rede sein. 253 K a u t a l y a h a t t e an all diesem fahrenden Volk vor allem Interesse als an geheimen Agenten. Damit k n ü p f t er an die primitiv-märchenhaft wirkende, in buddhistischen Texten der I I I . Periode erwähnte Vorstellung an, Tänzer und Sänger im Auftrage eines Königs oder einer Hetäre bei ihrem W a n d e r n mit einer Strophe eine verlorene, geliebte Person wiederfinden zu lassen. 25/1 Gegen E n d e der IV. Periode bezeugt Asoka kultische Aufführungen 2 5 5 zur Propagierung des Buddhismus. Bei solchen wurden beim Klang von Trommeln unter anderem Elefanten und Feuersäulen 2 5 ü (in denen Götter erschienen) gezeigt. E s k a n n sich da um buddhistische Gegenstücke zu den saubhikas oder kusilavas handeln, zu deren Ausrüstung nach K a u t a l y a unter anderem ebenfalls Musikinstrumente, Elefanten und Feuer 2 5 7 gehörten. Diese buddhistischen Aufführungen aber waren wohl sicher keine erheiternden K a r i k a t u r e n ; von solchen lebensfrohen nicht-buddhistischen Vorführungen sollte ein Anhänger B u d d h a s sich vielmehr fernhalten. 2 5 8 Bei Asoka wird es sich eher um erbauliche Themen gehandelt haben, letztlich vielleicht um buddhistische K u l t d r a m e n , die W u n d e r t a t e n von Heiligen behandelten, herzuleiten von K u l t d r a m e n vorarischer (womöglich auch arischer) Gentilgesellschaft. Zugleich waren dies Vorläufer der buddhistischen Dramen Aävaghosas 259 der V. Periode. Wenn diese Auffassung richtig ist, sollte m a n auch entsprechende hinduistische K u l t d r a m e n f ü r den Ausgang der IV. Periode annehmen, aufgeführt von ¿aubhilcas,260 die von K a u t a l y a leider nicht ausführlich behandelt worden sind.

4. Inder und Griechen Der Mauryastaat der IV. Periode ist in vieler Hinsicht das indische gleichzeitige Analogon zu den Diadochenstaaten, aber auf dem Gebiet der Wissenschaften und der Philosophie war das ganz allgemein relativ stagnierende Indien damals hinter Griechenland weit zurückgeblieben. 2 6 ! Dies gilt auch f ü r die Dichtung aller Genres. I m Hellenismus, der am E n d e des 4. J a h r h u n d e r t s , also am Anfang unserer IV. Periode begann, war nicht so sehr das demokratische Athen der Ausstrahlungspunkt der Kultur, als Alexandrien, die H a u p t s t a d t der Ptolemäer, bzw. ihres mit starken orientalischen Elementen durchsetzten Großreichs despotischer Tradition, das zugleich als E r b e des Hellenentums a u f t r a t . Der Hellenismus folgt auf die athenische Klassik, während die indische K u l t u r damals besonders auf dem Gebiet der Religion, Wissenschaften, Philosophie u n d Dichtung ihre Klassik noch nicht erreicht h a t t e . Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Literaturen sind also sowohl aus den chronologischen wie aus den sozialen Gegebenheiten verständlich zu machen. Auf dem Gebiet der Dramatik läßt sich das leicht zeigen. I n Alexandrien blühte die hellenistische Tragödie (von der uns wenig erhalten ist) als Nachfolgerin der klassischen athenischen. Auf die alte Komödie des Aristophanes

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mimen vermuten, macht K a u t a l y a keine hinreichenden Angaben. Von einem damaligen Schauspieler und D r a m a kann damit einstweilen keine Rede sein. 253 K a u t a l y a h a t t e an all diesem fahrenden Volk vor allem Interesse als an geheimen Agenten. Damit k n ü p f t er an die primitiv-märchenhaft wirkende, in buddhistischen Texten der I I I . Periode erwähnte Vorstellung an, Tänzer und Sänger im Auftrage eines Königs oder einer Hetäre bei ihrem W a n d e r n mit einer Strophe eine verlorene, geliebte Person wiederfinden zu lassen. 25/1 Gegen E n d e der IV. Periode bezeugt Asoka kultische Aufführungen 2 5 5 zur Propagierung des Buddhismus. Bei solchen wurden beim Klang von Trommeln unter anderem Elefanten und Feuersäulen 2 5 ü (in denen Götter erschienen) gezeigt. E s k a n n sich da um buddhistische Gegenstücke zu den saubhikas oder kusilavas handeln, zu deren Ausrüstung nach K a u t a l y a unter anderem ebenfalls Musikinstrumente, Elefanten und Feuer 2 5 7 gehörten. Diese buddhistischen Aufführungen aber waren wohl sicher keine erheiternden K a r i k a t u r e n ; von solchen lebensfrohen nicht-buddhistischen Vorführungen sollte ein Anhänger B u d d h a s sich vielmehr fernhalten. 2 5 8 Bei Asoka wird es sich eher um erbauliche Themen gehandelt haben, letztlich vielleicht um buddhistische K u l t d r a m e n , die W u n d e r t a t e n von Heiligen behandelten, herzuleiten von K u l t d r a m e n vorarischer (womöglich auch arischer) Gentilgesellschaft. Zugleich waren dies Vorläufer der buddhistischen Dramen Aävaghosas 259 der V. Periode. Wenn diese Auffassung richtig ist, sollte m a n auch entsprechende hinduistische K u l t d r a m e n f ü r den Ausgang der IV. Periode annehmen, aufgeführt von ¿aubhilcas,260 die von K a u t a l y a leider nicht ausführlich behandelt worden sind.

4. Inder und Griechen Der Mauryastaat der IV. Periode ist in vieler Hinsicht das indische gleichzeitige Analogon zu den Diadochenstaaten, aber auf dem Gebiet der Wissenschaften und der Philosophie war das ganz allgemein relativ stagnierende Indien damals hinter Griechenland weit zurückgeblieben. 2 6 ! Dies gilt auch f ü r die Dichtung aller Genres. I m Hellenismus, der am E n d e des 4. J a h r h u n d e r t s , also am Anfang unserer IV. Periode begann, war nicht so sehr das demokratische Athen der Ausstrahlungspunkt der Kultur, als Alexandrien, die H a u p t s t a d t der Ptolemäer, bzw. ihres mit starken orientalischen Elementen durchsetzten Großreichs despotischer Tradition, das zugleich als E r b e des Hellenentums a u f t r a t . Der Hellenismus folgt auf die athenische Klassik, während die indische K u l t u r damals besonders auf dem Gebiet der Religion, Wissenschaften, Philosophie u n d Dichtung ihre Klassik noch nicht erreicht h a t t e . Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Literaturen sind also sowohl aus den chronologischen wie aus den sozialen Gegebenheiten verständlich zu machen. Auf dem Gebiet der Dramatik läßt sich das leicht zeigen. I n Alexandrien blühte die hellenistische Tragödie (von der uns wenig erhalten ist) als Nachfolgerin der klassischen athenischen. Auf die alte Komödie des Aristophanes

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folgte in A t h e n die neue K o m ö d i e des M e n a n d e r , u n d n e b e n ihr s t a n d der n e u e M i m u s des H e r o n d a s . Diese n e u e K o m ö d i e w a r sozusagen ein bürgerliches R ü h r s t ü c k , der M i m u s a b e r eine t r e f f e n d e K a r i k a t u r des K l e i n b ü r g e r t u m s im despotisch regierten Großreich. S t a t t der g r o ß e n Mythologie der klassischen D r a m e n h a n d e l t es sich j e t z t , n a c h dem Z u s a m m e n b r u c h der D e m o k r a t i e A t h e n s , u m d e n Alltag m i t e r s t a u n l i c h e m Verismus in gesellschaftskritischen Einzelheiten. Diese beiden S p ä t f o r m e n 1. der K o m ö d i e u n d 2. des M i m u s sind gleichzeitige Gegenstücke zu 1. den K u l t d r a m e n des B u d d h i s m u s p r o p a g a n disten Asoka u n d 2. zu den V o r f ü h r u n g e n der kusilavas m i t ihrer K a r i k a t u r d e r Gesellschaft. Gegenstücke zur eigentlichen a l t e n griechischen T r a g ö d i e a b e r g a b es in I n d i e n d a m a l s wie im G r u n d e a u c h später 2 6 2 n i c h t . D e n d a m a l i g e n V o r f o r m e n der K o m ö d i e 2 6 3 u n d d e m f r ü h e n M i m u s I n d i e n s s t e h e n d e r e n S p ä t f o r m e n Griechenlands zur Seite. Ähnlich ist es auf d e m Gebiet der E p i k . Die homerischen E p e n w a r e n schon längst in A t h e n zur endgültigen F o r m g e l a n g t ; j e t z t a n a l y s i e r t e n a l e x a n d r i n i s c h e Gelehrte sie t e x t k r i t i s c h u n d inhaltlich. Andererseits w u r d e n die homerischen E p e n d u r c h W e r k e wie die A r g o n a u t i k a des Apollonius R h o d i u s f o r t g e f ü h r t ; sie behielten das a l t e mythologische P a t h o s , a b e r zeigten in d e r D a r s t e l l u n g m a n c h e r E i n z e l h e i t e n den n e u e n dichterischen Stil der Periode. Sie w a r e n k o n s e r v a t i v , a b e r zugleich in d e r psychologischen A u s m a l u n g so, wie es d e m Geist des hellenistischen Gebildeten e n t s p r a c h . N e b e n dieser großen E p i k g a b es die kleine in v o r allem zwei F o r m e n . E s gab lustige E p e n , wie den F r o s c h m ä u s e krieg. E s g a b a b e r a u c h K u r z e p e n m y t h o l o g i s c h e n I n h a l t s , wie z. B . T h e o k r i t s „Der kleine H e r a k l e s " m i t seinen 140 Versen. N e b e n b e i ist sein I n h a l t , wie d e r kleine K n a b e in seinem B e t t c h e n des N a c h t s m i t bloßen H ä n d e n zwei von d e r eifersüchtigen H e r a gegen ihn losgelassene Schlangen erwürgt, 2 6 / 1 ein m y t h o logisches Gegenstück zu K r s n a , der der vogelgestaltigen W a l d h e x e P ü t a n ä des N a c h t s d a s L e b e n a u s s a u g t , als sie ihm ihre giftige B r u s t reicht. 2 6 5 Schließlich g a b m a n gewissen wissenschaftlichen W e r k e n die m e t r i s c h e F o r m der Versepen, wie z. B . P h a i n o m e n a (Himmelserscheinungen) des A r a t . I n I n d i e n a b e r w a r e n die drei E p e n noch n i c h t ausgereift, geschweige k o m m e n t i e r t , n a c h g e a h m t oder p a r o d i e r t . Die indischen K u r z e p e n dieser P e r i o d e sind V o r s t u f e n , die gleichzeitigen griechischen sind N a c h k o m m e n der klassischen E p e n . D e m griechischen L e h r g e d i c h t schließlich l ä ß t sich d a s philosophische L e h r g e d i c h t der B h a g a v a d g i t ä a n die Seite stellen, n u r w a r f ü r den indischen P h i l o s o p h e n das M e t r u m v o r allem ein m n e m o t e c h n i s c h e s H i l f s m i t t e l , f ü r den Griechen eine Folge des T r a c h t e n s n a c h dichterischer F o r m g e b u n g . — W e n n es in G r i e c h e n l a n d n e b e n den in den homerischen E p e n e r z ä h l t e n Sagen viele a n d e r e u n d v o n allen Sagen viele F a s s u n g e n gab, so zeigen die „Beispiele" des K a u t a l y a einen a n a logen S a c h v e r h a l t f ü r d a s a l t e I n d i e n . W a s die L y r i k a n g e h t , so ist der Z e i t u n t e r s c h i e d n i c h t so g r e i f b a r ; es l ä ß t sich e t w a die N a t u r l y r i k eines T h e o k r i t der u n g e f ä h r gleichzeitigen d e r b u d d h i stischen Mönche u n d N o n n e n a u s der I I I . — I V . P e r i o d e gegenüberstellen. B e i d e N a t u r l y r i k e n b e d e u t e n r o m a n t i s c h e F l u c h t aus der S t a d t des (Despotismus) in

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die N a t u r , a b e r T h e o k r i t l ä ß t u . a. H i r t e n sprechen, letztlich V o r l ä u f e r d e r s p ä t f e u d a l e n Schäferpoesie, die die Schönheiten d e r N a t u r ganz a n d e r s genießen als der indische Mönch. Dieser s u c h t als A s k e t die E i n s a m k e i t u n d Stille des W a l d e s , u m d e n W e g zur E r l ö s u n g von aller W i e d e r g e b u r t zu finden. 2 0 6 J e n e s u c h e n die liebliche N a t u r , u m sich m i t feurigem W e i n in R a u s c h zu f l ü c h t e n . Beide lassen den H ö r e r bzw. Leser d e m e n t s p r e c h e n d a n d e r e Seiten der N a t u r erleben. Vergleichbare H i r t e n p o e s i e ist in I n d i e n J a h r h u n d e r t e jünger. 2 6 7 — W e n n Griechen E p i g r a m m e , G r a b i n s c h r i f t e n , d i c h t e t e n u n d b a l d d a n a c h in S a m m l u n g e n zu veröffentlichen b e g a n n e n , so sind dies e n t f e r n t vergleichbare G e g e n s t ü c k e zu den indischen u n g e f ä h r gleichzeitigen S a m m l u n g e n von N a m e n u n d Schicksalen großer M ä n n e r der V e r g a n g e n h e i t , die s t e r b e n m u ß t e n . 2 6 8 A b e r diese indischen T e x t e sollten d e n H ö r e r ganz allgemein ü b e r die V e r g ä n g l i c h k e i t alles L e b e n s t r ö s t e n , die griechischen wollten d e n Leser die Schönheit d e r r ü h r e n d e n S t i m m u n g des Abschieds vom T o t e n u n d ihres k ü n s t l e r i s c h e n A u s d r u c k s genießen lassen. — Vergleicht m a n H y m n e n auf die G ö t t e r , so sind einige d e r hellenistischen, seien sie n u n wirklich oder f i k t i v bei G a s t m ä h l e r n vorgetragen, d e m g e m ä ß witzig u n d doch gelehrt, wie es sich f ü r A l e x a n d r i n e r gehört, 2 6 9 a n d e r e im Geiste der Stoa tiefsinnig. Die a n n ä h e r n d gleichzeitigen hinduistischen H y m n e n sind ebenfalls in gewissem Sinne theologisch g e l e h r t u n d beschwören d e n G o t t (ähnlich d e n G e d i c h t e n des R g v e d a ) g r ö ß t e n t e i l s n u r m i t seinen vielen N a m e n , die seine T a t e n u n d seine M a c h t a u s d r ü c k e n , o h n e d a v o n a u s f ü h r l i c h zu b e r i c h t e n , u n d n u r f ü r K e n n e r b e r e c h n e t sind. 2 7 0 B e r ü h m t sind die, die im M a h ä b h ä r a t a von g r o ß e n m y t h i s c h e n G e s t a l t e n bei g r o ß e n Ereignissen v o r g e t r a g e n sein sollen, wie K r s n a u n d A r j u n a S i v a priesen, u m von ihm W u n d e r w a f f e n zu erhalten, 2 7 1 oder wie N ä r ä y a n a ( = K r s n a , s. o.) es t a t u n d von Siva d a f ü r U n b e s i e g b a r k e i t d u r c h irgendwelche W e s e n erhielt. 2 7 2 A n d e r e r s e i t s e r k l ä r t e V y ä s a d e m A r j u n a , der eine Vision S i v a s erlebt h a t t e , dessen „ H u n d e r t N a m e n - G e b e t " , 2 7 3 u n d der Gipfel dieses T y p s ist d a s T a u s e n d - N a m e n - L o b gedicht auf S i v a , das auf D a k s a z u r ü c k g e f ü h r t wird, a b e r erst s p ä t in d a s E p o s interpoliert wurde. 2 7 4 V e r h ä l t n i s m ä ß i g s p ä t d ü r f t e a u c h d a s v o n B h i s m a vorg e t r a g e n e Loblied der t a u s e n d N a m e n des Visnu 2 7 5 sein. Die religiöse E n t wicklung w a r in I n d i e n n i c h t wesentlich l a n g s a m e r als in Griechenland, die Gelehrsamkeit der H y m n e n b e g a n n u n g e f ä h r gleichzeitig, wie es v o r l ä u f i g s c h e i n t ; eine g e n a u e D a t i e r u n g solcher epischer Stellen u n d des T y p s dieser A r t religiöser L i t e r a t u r ist n o c h n i c h t möglich. — T h e o k r i t b e g a n n m i t d e n s o g e n a n n t e n T e c h n o p a i g n i e n , dem K u n s t s t ü c k , die Zeilen eines G e d i c h t s in die F o r m e t w a einer Leier zu b r i n g e n . I n d i s c h e A n a l o g a d a z u gehören erst in d e n reifen Feudalismus. 2 7 6 Sie w a r e n erst bei A n w e n d u n g d e r S c h r i f t f ü r D i c h t u n g möglich.

V. Periode: Herausbildung des kavya (der „Kunstdichtung") (236 v. u. Z. bis 300 u. Z.)

1. Die Quellen1

Es ist üblich, die Entwicklung des kavya (der „Kunstdichtung") mit dem Grammatiker Patanjali am Anfang der langen V. Periode zu beginnen, insbesondere mit seinen Zitaten lyrischer Strophen; 2 zumindest muß das kavya weit älter sein als das 1. — 2. Jahrhundert u. Z., alsdieZeit Asvaghosas, des ersten uns in Handschriften greifbaren Dichters 3 von Jcävyas. Ältere Texte dieser Art sind verloren, weil sie nicht niedergeschrieben wurden, genauso wie alle weltliche Dichtung der älteren Zeiten, die, da sie nicht in Institutionen wie vedischen Schulen, buddhistischen Gemeinschaften oder von Barden auswendig gelernt wurde, verschwunden ist. Vor Asvaghosa muß eine Form des Rämäyana angesetzt werden, da er, aus Säketa (Ayodhyä) gebürtig, dieses dort beheimatete Volksepos als Vorbild benutzt h a t ; das Rämäyana gilt den Hindus als erstes kävya, was in gewissem Sinne berechtigt ist (s. u.). Als erster kavi („Kunstdichter") gilt ihnen demgemäß Välmlki, und das dieser V. Periode angehörende Rämäyana muß dessen Werk gewesen sein; man möchte es den Urtext des Epos nennen, d. h. eine Form, die zwischen dem anzunehmenden Kurzepos der IV. Periode und dem zu rekonstruierenden Archetypus der uns erhaltenen Handschriften des Epos anzusetzen ist, der in die VI. Periode gehört. Von diesem Urtext ist uns vielleicht ein kleiner Rest wörtlich erhalten; das übrige ist aus dem Archetypus mit höherer Textkritik zu rekonstruieren. An der Geschichtlichkeit Välmlkis als des ersten „Kunstdichters" und zugleich Verfassers des großen Volksepos (dieser Unterschied ist unten zu erläutern) zweifelt man heute nicht mehr. F ü r das Mahäbhärata und den Harivamsa muß man für diese Periode ebenfalls eine Form annehmen, die älter als der Archetypus der Handschriften und umfassender als das Kurzepos der IV. Periode gewesen sein muß, indessen gilt Vyäsa traditionsgemäß nicht als Kunstdichter und ist uns als Dichter noch weniger faßbar als Välmlki. Der älteste Dichter, dessen Werk uns zu einem großen Teil erhalten ist, ist dann Asvaghosa, der in die Zeit und Gegend des Kusänkönigs Kaniska gehört, ein buddhistischer Epiker und Dramatiker. Reste von Handschriften seiner Werke sind inTurkestan gefunden worden, wie auch die der Buddhahymnen Mätrcetas, der Jätakamälä, des Äryasüra, des Udänavarga und anderer in Indien verlorengegangener buddhistischer „Kunstdichtung" 4 der zweiten Hälfte der V. Periode. In Indien wurden sie später offenbar nicht mehr ab-

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geschrieben, eben weil sie buddhistisch waren; f ü r brahmanische schöne Liter a t u r wurde Schrift aber wohl erst später verwendet, zunächst, wie es scheint, f ü r die Lyrik Hälas, den man an das Ende der Periode, noch vor die Guptazeit mit Kälidäsa, setzen möchte, wenigstens was den alten, noch nicht rekonstruierten K e r n seiner überlieferten 700 Strophen angeht. E r schrieb in Präkrit. F ü r die Geschichte des kävya ist auch die der altindischen Grammatik, Metrik, Poetik, Dramatik und Lexikographie wichtig. E t w a in die Zeit des Grammatikers P a t a n j a l i 5 setzt man den Metriker Pingala, und etwas jünger d ü r f t e die einstweilen anonyme Metrik, die Chandoviciti, sein. K u r z vor Kälidäsa aber ist anscheinend Bharatas Lehrbuch der D r a m a t i k (zumindest sein alter Kern) anzusetzen, das in besonderen Kapiteln auch Metrik und Poetik behandelt. K u r z vor Kälidäsa wurde aber auch wohl das Lehrbuch des Genusses, das K ä m a s ü t r a des Vätsyäyana (wiederum zumindest sein Kern), verfaßt, das uns eine Seite des literarischen Lebens in der damaligen Gesellschaft schildert, und zwar in der des wohlhabenden, höchst gebildeten, wenn auch einseitig auf Lebensgenuß eingestellten städtischen Bürgertums, neben dem es aber auch ganz andere, literarisch interessierte Schichten gegeben h a t . Die eigentliche, d. h. als Wissensgebiet spezialisierte indische Poetik begann erst im frühen „Feudalismus" mit B h ä m a h a und Dandin/ 1 aber vorher gab es schon Schulen der Poetik, wie auch der Dramatik, Metrik, Grammatik und Lexikographie, und es wäre eine Aufgabe, zu versuchen, sie alle in ständiger Entwicklung und Wechselwirkung mit der Dichtung zu sehen und immer mehr Zwischenstufen der Entwicklung auf allen diesen Gebieten zu rekonstruieren. Vielleicht gehört an das E n d e der V. Periode das Tolkäppiyan, das „alte kävya" oder die dieses behandelnde Grammatik und Poetik in Tamil, das eine entwickelte Tamildichtung voraussetzt und mit B h a r a t a s Poetik verglichen werden muß. 7 Die Einheitlichkeit der gesamtindischen Gesellschaft war damals offenbar weit fortgeschritten. Der kävya-Charakter der Dichtung des 2. J a h r h u n d e r t s u. Z., ja sogar des 2. — 1. J a h r h u n d e r t s v. u. Z. 8 wird durch Inschriften bestätigt, die in kävya-Stil abgefaßt sind. 9 Auch die damaligen Hofdichter pflegten ihn also.

2. Wesen und Werden des

kävya

Das Merkmal, das den altindischen Theoretikern zuerst a n dieser kävyaDichtung aufgefallen ist, ist das Metrum. Ihre vielen Metra sind nicht die rgvedischen, obgleich auch diese damals in Varianten fortlebten, sondern sie sind letzten Endes von anderer Dichtung herzuleiten, entweder von weltlicher Dichtung der Ärya der I. Periode, die uns nicht erhalten ist, oder von der der Vorärya, deren heutige F o r m wir wenigstens etwas kennen. I n dieser k a n n m a n noch nicht von eigentlicher Metrik sprechen; eine Strophe besteht aus vier Vierteln, von denen das zweite und vierte die gleiche Silbenzahl zu h a b e n

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geschrieben, eben weil sie buddhistisch waren; f ü r brahmanische schöne Liter a t u r wurde Schrift aber wohl erst später verwendet, zunächst, wie es scheint, f ü r die Lyrik Hälas, den man an das Ende der Periode, noch vor die Guptazeit mit Kälidäsa, setzen möchte, wenigstens was den alten, noch nicht rekonstruierten K e r n seiner überlieferten 700 Strophen angeht. E r schrieb in Präkrit. F ü r die Geschichte des kävya ist auch die der altindischen Grammatik, Metrik, Poetik, Dramatik und Lexikographie wichtig. E t w a in die Zeit des Grammatikers P a t a n j a l i 5 setzt man den Metriker Pingala, und etwas jünger d ü r f t e die einstweilen anonyme Metrik, die Chandoviciti, sein. K u r z vor Kälidäsa aber ist anscheinend Bharatas Lehrbuch der D r a m a t i k (zumindest sein alter Kern) anzusetzen, das in besonderen Kapiteln auch Metrik und Poetik behandelt. K u r z vor Kälidäsa wurde aber auch wohl das Lehrbuch des Genusses, das K ä m a s ü t r a des Vätsyäyana (wiederum zumindest sein Kern), verfaßt, das uns eine Seite des literarischen Lebens in der damaligen Gesellschaft schildert, und zwar in der des wohlhabenden, höchst gebildeten, wenn auch einseitig auf Lebensgenuß eingestellten städtischen Bürgertums, neben dem es aber auch ganz andere, literarisch interessierte Schichten gegeben h a t . Die eigentliche, d. h. als Wissensgebiet spezialisierte indische Poetik begann erst im frühen „Feudalismus" mit B h ä m a h a und Dandin/ 1 aber vorher gab es schon Schulen der Poetik, wie auch der Dramatik, Metrik, Grammatik und Lexikographie, und es wäre eine Aufgabe, zu versuchen, sie alle in ständiger Entwicklung und Wechselwirkung mit der Dichtung zu sehen und immer mehr Zwischenstufen der Entwicklung auf allen diesen Gebieten zu rekonstruieren. Vielleicht gehört an das E n d e der V. Periode das Tolkäppiyan, das „alte kävya" oder die dieses behandelnde Grammatik und Poetik in Tamil, das eine entwickelte Tamildichtung voraussetzt und mit B h a r a t a s Poetik verglichen werden muß. 7 Die Einheitlichkeit der gesamtindischen Gesellschaft war damals offenbar weit fortgeschritten. Der kävya-Charakter der Dichtung des 2. J a h r h u n d e r t s u. Z., ja sogar des 2. — 1. J a h r h u n d e r t s v. u. Z. 8 wird durch Inschriften bestätigt, die in kävya-Stil abgefaßt sind. 9 Auch die damaligen Hofdichter pflegten ihn also.

2. Wesen und Werden des

kävya

Das Merkmal, das den altindischen Theoretikern zuerst a n dieser kävyaDichtung aufgefallen ist, ist das Metrum. Ihre vielen Metra sind nicht die rgvedischen, obgleich auch diese damals in Varianten fortlebten, sondern sie sind letzten Endes von anderer Dichtung herzuleiten, entweder von weltlicher Dichtung der Ärya der I. Periode, die uns nicht erhalten ist, oder von der der Vorärya, deren heutige F o r m wir wenigstens etwas kennen. I n dieser k a n n m a n noch nicht von eigentlicher Metrik sprechen; eine Strophe besteht aus vier Vierteln, von denen das zweite und vierte die gleiche Silbenzahl zu h a b e n

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pflegen; m a n c h m a l a b e r gleicht d a s erste d e m zweiten, d a s d r i t t e d e m vierten Viertel, oder wir k ö n n e n noch keine R e g e l m ä ß i g k e i t e r k e n n e n . V o n Q u a n t i t ä t der Silben oder von B e d e u t u n g des W o r t a k z e n t s f ü r die Metrik s p ü r t m a n einstweilen a u c h nichts. 1 0 Wesentlich scheint bei d e r a r t i g e r L y r i k d e r r h y t h mische Schlag der T r o m m e l zu sein, 1 1 d. h., die M e t r i k w a r von d e r Musik a b h ä n g i g u n d hing m i t den T a n z s c h r i t t e n z u s a m m e n . V o n diesem S t r o p h e n t y p scheinen diejenigen M e t r a des kävya herzuleiten zu sein, die einen b e s t i m m t e n , traditionell festgelegten R h y t h m u s h a b e n u n d f ü r eine L ä n g e a u c h zwei K ü r z e n setzen k ö n n e n (ganachandas), wie z. B . die Ä r y ä . Diese A r t S t r o p h e n gilt m a n c h e n I n d o l o g e n als v e r h ä l t n i s m ä ß i g volkst ü m l i c h , w ä h r e n d viele kävya-Dichter sich solche F r e i h e i t der Silben im allgemeinen n i c h t e r l a u b t e n , sondern S t r o p h e n einer zweiten A r t v e r w e n d e t e n , in d e n e n alle vier Viertel dieselbe Zahl q u a n t i t a t i v f e s t s t e h e n d e r Silben h a b e n m u ß t e n (samavrtta). Mit vorarischen S t r o p h e n h a b e n a b e r a u c h die V a i t ä l l y a u n d A u p a c h a n d a s i k a - M e t r e n , die d r i t t e A r t V e r s m a ß e des kävya, e t w a s gem e i n s a m , d a ß n ä m l i c h d a s erste dem d r i t t e n , das zweite d e m v i e r t e n Viertel gleicht; a u c h sie gelten als v e r h ä l t n i s m ä ß i g v o l k s t ü m l i c h , weil sie zuerst in P ä l i u n d P r ä k r i t v o r g e k o m m e n zu sein scheinen. P i n g a l a b e h a n d e l t e alle drei A r t e n , a b e r a u c h die vedischen M e t r e n ; er lehrte j a die Metrik n o c h als eine der sechs vedischen Hilfslehren u n d v e r f a ß t e seine Metrik in S ü t r a f o r m . Sein H a u p t i n t e r e s s e gilt a b e r der zweiten A r t , von der er ü b e r h u n d e r t M e t r e n a u f f ü h r t e u n d beschrieb. J e d e s M e t r u m h a t t e einen N a m e n , u n d diese N a m e n zeigen, d a ß es d a m a l s eine ausgebildete N a t u r - u n d Liebeslyrik gegeben h a t , d e n n einige l a u t e n : Bienenspiel, E l e f a n t e n g a n g , die lieblich L ä c h e l n d e , die Mondgesichtige, die m i t d e m z i t t e r n d e n Blick oder die P l a g e f ü r d e n Liebenden. 1 2 E i n e R e i h e solcher M e t r e n k o m m t a u c h bei P a t a n j a l i in dessen Z i t a t e n vor. 1 : ! P i n g a l a u n d P a t a n j a l i spiegeln u n s d a m i t eine sicher schon in v o r a n g e g a n g e n e n J a h r h u n d e r t e n l a n g s a m entwickelte sanskritische u n d d a m i t b r a h m a n i s c h e u n d weltliche D i c h t u n g wider, u n d zu dieser g e h ö r t e die damalige Metrik, d e r e n letztes E r g e b n i s u n s bei P i n g a l a vorliegt. Die a n o n y m e M e t r i k C h a n d o v i c i t i h a t im wesentlichen dieselben Metren, u n d diese sogar in derselben R e i h e n f o l g e wie P i n g a l a b e a r b e i t e t , K d o c h ist sie n i c h t in S u t r e n a b g e f a ß t , sondern in Versen, u n d zwar wird f ü r jedes M e t r u m ein lyrischer Vers als Beispiel a n g e f ü h r t , in dem einerseits ein M ä d c h e n geschildert wird, andererseits der N a m e des Versm a ß e s v o r k o m m t , wo es a u s metrischen G r ü n d e n n u r irgend möglich war, o h n e als solcher a u f z u f a l l e n , gleichsam als Teil der Schilderung des M ä d c h e n s . 1 5 U n g e f ä h r derselben Zeit d ü r f t e ein m i t d e r Chandoviciti g e m e i n s a m ü b e r liefertes, ebenfalls a n o n y m e s T e x t f r a g m e n t a n g e h ö r e n , d a s die M e t r e n in einer a n d e r e n Reihenfolge b e h a n d e l t ; diese p a ß t a b e r w e i t g e h e n d zu der, die d e m M e t r i k - K a p i t e l der D r a m a t i k des B h a r a t a z u g r u n d e liegt. 1 0 I n dieser Weise l ä ß t sich die d e s k r i p t i v e u n d n o r m a t i v e L e h r e der Metrik der V. P e r i o d e a n d e u t e n ; v o n einer wesentlichen E n t w i c k l u n g k a n n bei ihr keine R e d e s e i n ; diese m u ß v o r P i n g a l a gesucht werden.

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Der Lyriker h a t t e die Metrik ebenso zu lernen wie — seit P ä n i n i — die Sprache, sei diese n u n Sanskrit, Päli oder ein anderes P r ä k r i t . E r d u r f t e auch den sloka, verwenden, aber dieser war im allgemeinen das M e t r u m der epischen Dichter wie des Välmiki, der seinerseits n u r wenig (wenn im U r t e x t ü b e r h a u p t ) 1 7 von den k&vya-Metren Gebrauch machte. D a m i t h a t t e ein deutlicher Unterschied zwischen Volksepos (itihäsa) u n d K u n s t d i c h t u n g (kävya) begonnen: Die Künstlichkeit der Metren entspricht der des kävya u n d s t e h t einer relativen Volkstümlichkeit der E p e n gegenüber; diese sind indessen durch das Sanskrit von den Massen des Volkes u n d dessen Sprache getrennt, so daß m a n f ü r diese V. Periode neben die Dichtung in den vorarischen Sprachen der W a l d s t ä m m e (1) u n d in den Sprachen der Südra-Bauern u n d - H a n d w e r k e r der verschiedenen Regionen Indiens (2) die in den Präkrits, d. h. f ü r gewisse Gebildete literaturfähig gemachten „Volkssprachen" (3), und im Sanskrit der Gebildeten stellen m u ß . und diese wiederum als itihäsa (4) u n d kävya unterschieden, das kävya aber als das der reichen S t ä d t e r (5) u n d der Königshöfe (6). 18 Neben der Metrik entwickelte sich die Poetik, welche andere Merkmale des kävya behandelte. Vermutlich am E n d e der V. Periode liegt sie uns im X V I . K a pitel der D r a m a t i k 1 9 des B h a r a t a über die „Merkmale"', die Schmuckmittel, die Vorzüge u n d die Fehler eines kävya vor. Als „Merkmale" werden sechsunddreißig (s. u.!) P u n k t e a u f g e f ü h r t , definiert u n d mit Beispielen illustriert, die in einem kävya v o r k o m m e n können, wie Schmuck (das sind die u n t e n zu erwähnenden Schmuckmittel u n d Vorzüge), Preisen der Vorzüge (eines Helden), Wunsch, Frage, Beispiel (etwas B e k a n n t e s wird f ü r etwas U n b e k a n n t e s a n g e f ü h r t ) oder Zweifel. 20 Diese Merkmale sind in B h a r a t a s T e x t in zwei Versionen überliefert, die n u r zwanzig gemeinsam haben, u n d von denen werden n u r zehn in beiden Versionen in gleicher Weise definiert. 2 1 N u r in diesen besteht also der einstweilen nachweisbare alte K e r n dieses K a pitels, u n d wir spüren in den Abweichungen etwas von E n t w i c k l u n g dieser Seite der Poetik. Die Methode der Zusammenstellung solcher Begriffe ents t a m m t aber der Theologie der I I I . Periode (wie die Metrik mit dem Theologen Pingala begann). I n der B r h a d d e v a t ä werden nämlich sechsunddreißig (s. o.!) Gegenstände der vedischen Sätze aufgezählt, definiert u n d mit vedischen Stellen belegt. D a r u n t e r sind Lob, Tadel, Zweifel, Frage, Verbot u n d andere. 2 2 Die theologische I n t e r p r e t a t i o n der vedischen T e x t e u n t e r solch einem Gesichtspunkt, den m a n rhetorisch oder stilistisch nennen könnte, s t i m m t also mit dieser Seite der bedeutend jüngeren Poetik weitgehend überein. Inzwischen aber h a t t e n in der IV. Periode K a u t a l y a u n d — vermutlich andere, etwas ältere — Vertreter der Staatslehre diese Methode auf die königlichen Schriftstücke angewendet u n d den Schreiber u n t e r anderem belehrt, d a ß es dreizehn P u n k t e gibt, „in denen sich die aus den Schriftstücken ergebenden Absichten betätigen", wie u. a. Tadel, Lob, Frage, Verbot oder Anweisung. Diese P u n k t e werden in zwei Versen a u f g e f ü h r t u n d d a n n in je einem Prosasatz definiert. 2 3 Der Z u s a m m e n h a n g dieses Kapitels der Staatslehre mit der Theologie ist deutlich.'-> Man h a t wohl mit R e c h t in dieser Stelle einen von K a u t a l y a in

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seine Lehre aufgenommenen älteren „stilistischen Traktat" 2 5 vermutet, der seinerseits auf die Brhaddevatä, wenn nicht gar auf Yäska, den noch älteren Theologen und Etymologen, zurückgeht. 26 Kautalya hat diese rhetorisch-stilistische Methode auch auf seinen eigenen Text angewendet und ihn am Ende mit zweiunddreißig Begriffen interpretiert, den sogenannten Darstellungs weisen (tantrayukti), hat diese aufgezählt, definiert und mit je einer Stelle aus seinem Text belegt. Unter diesen befinden sich Zweifel, Begründung, Beispiel, Vergleich, Entscheidung oder Rat. Dieses Kautalyakapitel hat man bei den späteren, aber noch der V. Periode angehörenden Medizinern Susruta und Caraka mit gewissen Erweiterungen wiedergefunden. 27 Schließlich kann man vielleicht ungefähr in Kautalyas Zeit einen Text des Mahäbhärata setzen, der eine Rede oder Diskussion, insbesondere eine philosophische, nach dieser Methode analysiert und u. a. fünf Arten von Erfordernissen (arthaj&ta) aufzählt und definiert, und zwar handelt es sich um Betätigung des Geistes bei „Feinheit" (Schwerdurchschaubarkeit, Zweifelhaftigkeit des Gegenstandes), Abwägen der Vorzüge und Fehler (in den Sätzen des Gegners und des Redners), richtige Abfolge (der vorgetragenen Punkte), Entscheidung über die Behauptung betreffs der vier Ziele und Absicht oder Zweck (der Diskussion). 28 Diese stilistisch-rhetorische Methode der Analyse von Texten der Theologie, Staatslehre, Medizin, Philosophie und Dichtung (kävya) zeigt eine beachtliche Höhe der Abstraktion und ist zugleich als Diskussionslehre eine der Grundlagen der altindischen Logik, die ebenfalls in der V. Periode begann. In Bharatas Abriß der Poetik folgen auf diese „Merkmale" die vier „Schmuckmittel" (s.o.; alamkära): Vergleich (upamä), Leuchte (dipaka, ein Wort, das den ganzen Vers erhellt), Gleichsetzung (rüpaka) und Wortwiederholung (yamaka). Der Vergleich wird in fünf Arten unterteilt: 2 9 Die beiden ersten dienen dem Lob, dem Tadel, d. h., sie dienen den ersten beiden „Gegenständen" der Theologie, wie die Brhaddevatä sie aufzählte (s. o.). Vergleich und Gleichsetzung sind inhaltliche, die anderen beiden sind sprachliche Schmuckmittel. Auch die anderen vier Schmuckmittel werden in ihre Arten unterteilt. Der Vergleich steht mit Recht am Anfang dieses Kapitels der Poetik. Er ist schon in der Lyrik der gentilen Ärya und Vorärya zu belegen und hat in der späteren Poetik Indiens eine bedeutende Rolle gespielt, ist in bezug auf seine Möglichkeiten immer genauer untersucht, immer raffinierter angewendet worden. 30 Schon Pänini und Yäska haben ihn beobachtet. Nach diesem Begriff „Schmuckmittel" nannte sich die spätere Poetik Lehre der Schmuckmittel. Auf diesen Abschnitt folgt bei Bharata der über die zehn Fehler des kävya, der leider nur sehr kurze Definitionen und keine Beispiele enthält. Kautalya 2,10,57fF. hatte bereits fünf Fehler eines königlichen Schriftstücks zusammengestellt und in der Einleitung des I I I . Buches (3,1,19), das das Recht behandelt, neun Fälle angeführt, in denen die vor Gericht fehlerhaft argumentierende Partei verliert. Wenn Bharata u. a. den Gebrauch geheimnisvoller Worte

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tadelt, so fordert Kautalya Deutlichkeit, d. h. Gebrauch verstandener Worte für ein Dokument. 31 Bharatas Fehler, daß ein Dichter von seinem Gegenstand auf einen anderen abschweift (ohne dies zu bemerken), paßt zu Kautalyas Vorschrift, daß ein Kläger nicht, von einem Anklagepunkt abirrend, zu einem anderen, nicht zur Diskussion stehenden, übergehen darf. 32 Nach Bharata darf der Dichter nichts (Wichtiges) fortlassen, nach Kautalya muß ein Schriftstück vollständig sein, d. h., es darf kein Gegenstand, Wort oder Buchstabe fehlen oder überflüssig sein.33 Bharata tadelt den Dichter, der unlogisch, ohne Erkenntnismittel (nach dem Kommentar: sachlich falsch) schildert; Kautalya weist den Kläger ab, bei dem das zuerst Gesagte mit dem später Gesagten nicht übereinstimmt. 34 An der oben erwähnten Stelle im Mahäbhärata X I I , 308,7ab werden gemäß einem Ankündigungsvers die achtzehn Fehler einer philosophischen Diskussion behandelt, und zwar, wenn wir den Vers richtig deuten, je neun Fehler der Rede und des Bewußtseins; danach sollen achtzehn Vorzüge einer guten Rede folgen. Gemäß dieser Ankündigung werden dann zwar neun Seiten des Bewußtseins aufgeführt, von denen ein guter Redner frei sein soll, nämlich Liebe, Haß, Furcht, Gier, Kleinmut, Unedelheit, Scham, Mitleid und Stolz. Aber statt der neun Fehler der Rede werden achtzehn Vorzüge aufgeführt, die zum Teil negativ ausgedrückt sind und in diesen Fällen Fehler verbieten: Die Rede muß sinnvoll, nicht mehrdeutig, logisch, nicht weitschweifig, glatt, nicht zweifelhaft, vorzüglich, nicht schwerfällig, nicht mißgünstig (?), nicht unwahr, nicht den drei Zielen (Recht, Erfolg, Lust) widersprechend, nicht ungeschmückt, nicht unvollständig, nicht häßliche Worte enthaltend, nicht hochfahrend, nicht ergänzungs- oder erklärungsbedürftig, nicht ohne Ziel und ohne Begründung sein. 35 Diese Beispiele zeigen den Zusammenhang zwischen dem Lehrbuch der Staatslehre und der Diskussionslehre des Philosophen der I V . Periode und dem Lehrbuch der Dramatik vom Ende der V. Periode. Für uns heute handelt es sich um Selbstverständlichkeiten, aber sie damals herauszustellen, war eine Leistung ganzer Schulen von Lehrern. Nach den zehn Fehlern eines kävya behandelt Bharata dessen zehn Vorzüge, und zwar leitet er diesen Abschnitt mit der Bemerkung ein, daß die Vorzüge die Gegenteile der Fehler sind und durch Süße und Erhabenheit (der Sprache) charakterisiert werden. Diese beiden Vorzüge stellt er auch am Ende des Abschnitts heraus3(i und behandelt sie als 5. und 9. in seiner Zehnerreihe. Kautalya 2,10,6ff. hatte diese beiden unter den sechs „Vorzügen" behandelt, die ein Schriftstück gut machen; er hatte nämlich drei inhaltliche (rechte Abfolge der Gedanken, ihre Konsequenz und Vollständigkeit) und drei sprachliche (Süße, Erhabenheit, Deutlichkeit des Ausdrucks) unterschieden. Dabei entspricht der 1. Punkt — rechte Abfolge — dem dritten Erfordernis einer guten Diskussionsrede in jener Stelle des Mahäbhärata. 37 Die zehn Vorzüge der Dichtung, die Bharata aufzählt, wie Doppelsinnigkeit, Klarheit, Gleichmäßigkeit, Kraftfülle, Anmut und Deutlichkeit, sind dann in die spätere Poetik übernommen worden, und der feudalistische Kommentator des Epos, Nllakantha, hat eine Liste von vierund-

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zwanzig Vorzügen benutzt, um die im M a h ä b h ä r a t a a u f g e f ü h r t e n achtzehn Vorzüge einer Diskussionsrede mit diesen in Übereinstimmung zu bringen. Ein kävya k o n n t e in Sanskrit, Päli oder P r ä k r i t , wohl k a u m damals schon in Tamil a b g e f a ß t sein, jedenfalls n u r in einer Literatursprache, nicht in einer Volkssprache. Seit dem A n f a n g der I I I . Periode war Sanskrit die Sprache der gebildeten Inder, war aber wohl noch in der V. Periode gewissen Kreisen des Volkes weitgehend verständlich, sonst h ä t t e m a n k a u m im D r a m a der V. Periode Sanskrit neben verschiedenen P r ä k r i t s verwendet. 3 8 Seit Pänini war die Gramm a t i k als eine der sechs vedischen, theologischen Hilfslehren lebendig, K ä t y ä y a n a u n d P a t a n j a l i setzten seine Arbeit bis in die V. Periode hinein fort, u n d Dichter (kavis), d. h. Verfasser von kävyas, h a t t e n die Literatursprachen a n H a n d von G r a m m a t i k e n zu lernen. I m 2. J a h r h u n d e r t u. Z. schrieb K u m ä r a l ä t a eine Sanskritgrammatik f ü r Buddhisten, 3 9 wie es ja a u c h buddhistische Metriken gab. Manche kavis p r u n k t e n mit d e m Gebrauch seltener grammatischer Wortformen/ 1 0 Daneben entwickelte sich aus oder neben der theologischen Hilfslehre der Etymologie etwas, was wir altindische Lexikographie zu nennen pflegen, die dem Dichter eine Fülle von H o m o n y m e n u n d Synonymen zur Verfügung stellte, vor allem seltener Worte, nicht in lexikalischer, sondern in enzyklopädischer F o r m . I h r e älteren E x e m p l a r e sind uns so gut wie restlos verloren, das b e r ü h m t e Lexikon des Amara 4 1 der VI. Periode h a t sie v e r d r ä n g t . I m K ä m a s ü t r a wird das Lexikon samt der Metrik u n t e r den 64 Künsten' 1 2 erwähnt, die der u n d die Gebildete kennen müssen. Wieweit die Lexikographie im einzelnen während der V. Periode entwickelt war, ist noch nicht ausgemacht. B h a r a t a h a t seinen X V I . Abschnitt ü b e r die Merkmale, Schmuckmittel, Fehler des schlechten u n d Vorzüge des guten kävya d a m i t eingeleitet, daß sie je nach der Stimmung, die das kävya im Leser oder H ö r e r auslösen soll, richtig anzuwenden seien; u n d am E n d e m e r k t e er an, daß das kävya von D r a m a t i k e r n (er ist ja D r a m a t i k e r , nicht allgemeiner Poetiker!) als Ort der heldischen, fürchterlichen u n d wunderbaren S t i m m u n g abzufassen sei. 43 Vorher h a t t e er bereits im V I . u n d V I I . Abschnitt ü b e r die a c h t hauptsächlichen S t i m m u n g e n dessen, der ein kävya genießt, gehandelt: Liebe, Heiterkeit, Mitleid, Schreck, Heroismus, F u r c h t , Ekel u n d Sichwundern. Sie werden durch entsprechende Gefühle, wie sie im kävya nach der Absicht des Dichters vorherrschen, ausgelöst. Daneben beobachteten die alten D r a m a t i k e r eine Fülle mitwirkender psychischer Erlebnisse. 4 ' 1 Mancher Indologe rechnet dieses T h e m a zur altindischen Ästhetik; 4 5 es e n t h ä l t eine an psychologischen B e o b a c h t u n g e n reiche Theorie, d a ß dem psychischen Erlebnis des Dichters etwas in seinem Werk entspreche, was im Hörer oder Leser ein entsprechendes Erlebnis auslöse. J e d e r Dichtung liegt seit der Gentilgesellschaft eine S t i m m u n g zugrunde, aber wann diese T a t s a c h e beobachtet, d u r c h d a c h t u n d Gegenstand der Poetik geworden ist, entzieht sich noch unserer K e n n t n i s . Die D r a m a t i k B h a r a t a s k a n n natürlich erst n a c h den ältesten indischen, u n d zwar brahmanischen D r a m e n e n t s t a n d e n sein, also vermutlich erst nach Asvaghosa. E s ist aber nicht

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sicher, ob die Lehre von den Stimmungen erst in der Dramatik entstanden ist. — Diese Lehre bleibt bei den indischen Poetikern abstrakt. Sie fragen nicht, durch die Widerspiegelung welcher sozialen Verhältnisse bzw. Erlebnisse die Stimmungen ausgelöst werden, und kommen auf diese Weise nicht zu unseren heutigen Fragestellungen in bezug auf die weltanschauliche Tendenz der Dichter bzw. ihre Wirkungen auf den Leser bei der richtigen Widerspiegelung der Wirklichkeit. 46 In dieser Weise läßt sich die Entwicklung der Poetik aus sehr verschiedenen Bausteinen 47 von der I I I . Periode an bis zum Ende der V. und dann weiter in den „Feudalismus" hinein verfolgen. Sie war eine große Leistung bestimmter gebildeter Kreise. Man muß sich vorstellen, wie ihr eine dauernde Wechselwirkung von abstrahierenden und normierenden Theoretikern und schöpferischen Dichtern zugrunde lag. Wie, wo und wann die einzelnen Schritte erfolgten, wird künftige Forschung ergeben. Auf diese Weise bildete sich mit der Poetik das kävya als Dichtung neuer Qualität letztlich gegenüber der der arischen und vorarischen Gentilgesellschaften heraus, 48 und dies offenbar in einem sehr langwierigen Prozeß in der Entwicklung der Klassengesellschaft. Man möchte sagen, daß sich in diesem Prozeß die dichterische Literatur von der übrigen, der wissenschaftlichen, religösen und philosophischen Literatur inhaltlich und formal immer deutlicher unterschied (vom Abfassen von Texten der Verwaltung und des praktischen Lebens ganz zu schweigen). Dies war um so schwieriger, als.auch diese Arten der Literatur teilweise in metrischer Form und manchmal von dichterisch begabten Männern verfaßt wurden. Man kann die fcäui/a-Literatur aber nicht als weltliche Dichtung 49 nur der religiösen gegenüberstellen, denn diese wurde großenteils im Stil des kävya gedichtet. Diese Unterscheidung der schönen Literatur wurde den indischen Theoretikern immer deutlicher bewußt, und insofern bedeutet der Begriff kävya soviel wie Kunstdichtung 5 0 im Unterschied zur Volksdichtung, zur wissenschaftlichen, religiösen und philosophischen Literatur, und sei diese auch in dichterischer Form gehalten. Es ist üblich, kävya mit Kunstdichtung zu übersetzen (im Sinne von künstlich verfeinerter, nicht unbedingt gekünstelter Literatur) und als solche den Epen und Puranen gegenüberzustellen, die aber, weil sie in Sanskrit verfaßt sind, 51 nicht unbedingt zur eigentlichen Volksdichtung gehören. Eine genauere Übersetzung des Wortes mit einem einzigen deutschen Wort gibt es also bisher nicht. Mit kävya ist eine mehr oder weniger gesamtindische künstlerische Dichtung in Sanskrit und einigen literarisch verfeinerten Volkssprachen (Sauraseni usw., s. o., aber wohl kaum schon Tamil) gemeint, die von volkstümlicher Sanskritdichtung wie Epen (aber das Rämäyana gilt als kävya), Puranen und Erzählungen, von Volksdichtung in den damaligen lebendigen arischen Volkssprachen und von gentiler Dichtung der damaligen Munda und Dravida zu unterscheiden ist und alle drei Gattungen der Dichtung umfaßt, die Kunstepik eines Asvaghosa und Kälidäsa sowohl wie die Kunstlyrik eines Häla und Bhartrhari und das Kunstdrama (im Unterschied zum Kultdrama), aber nicht 14

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alle ihre U n t e r a r t e n , wie z. B. kein altindisches Chortanzlied, keine Ode u n d kein Trinklied in kävya-Stil überliefert ist. Diese Herausbildung der K u n s t d i c h t u n g h ä n g t mit der eigenartigen E n t wicklung der indischen Gesellschaft zusammen. Träger des kävya waren die reichen Städter, 5 2 K a u f l e u t e u n d Höflinge des damaligen Indiens, das sich ökonomisch auf G r u n d steigender P r o d u k t i o n in den Welthandel eingliederte u n d einen bedeutenden Aufschwung der S t ä d t e , des Handels u n d des Reicht u m s erlebte. 5 3 D a s Luxusleben dieser reichen K a u f l e u t e u n d hohen B e a m t e n (Königsdiener) in den S t ä d t e n schildert von seiner Sicht her V ä t s y ä y a n a s K ä m a s ü t r a . D a n a c h (bzw. nach der D e u t u n g des K o m m e n t a r s ) vergingen die drei ersten Achtel des Tages f ü r diese S t ä d t e r mit dem Aufstehen, der Toilette u n d ihrer Arbeit, während im vierten Achtel die erste Mahlzeit eingenommen wurde. Die zweite H ä l f t e des Tages u n d die a c h t Achtel der N a c h t waren d e m Vergnügen, der zweiten Mahlzeit u n d der R u h e bzw. Erholung gewidmet. 5 4 Also n u r etwa 3 / 1 6 des Tages, ungefähr 4 1 / 2 S t u n d e n , widmete der H e r r dem Gewinnen der Mittel, mit denen er die drei Ziele (Recht, Erfolg, Lust) erreichen wollte, 55 m a n möchte sagen, dem Geldverdienen. Das K ä m a s ü t r a ist aber n u r an dem vergnüglichen Leben dieser Schicht interessiert, vor allem a n ihrem Liebesleben, u n d zwar wesentlich a m außerehelichen. N a c h der ersten Mahlzeit u n d der Siesta u n t e r h ä l t m a n sich mit schwatzenden Papageien, m i t H a h n e n u n d anderen Tierkämpfen, verschiedenen Kaläspielen (s. u.) in Gesellschaft von allerhand Schmarotzern u n d lustigen Personen. D a n n folgen Gesellschaften (gosthl), am Abend Konzerte, u n d d a n a c h erwartet m a n zusammen mit seinen F r e u n d e n seine Geliebte, ihre Botinnen, oder m a n geht selber zu ihr. 5 0 Die Dichtung spielt in diesem Luxusleben eine große Rolle. J e n e Gesellschaften finden a m N a c h m i t t a g z. B. in dem H a u s e einer H e t ä r e , in einer (öffentlichen) Halle 5 7 oder im H a u s e eines Reichen s t a t t . E s versammeln sich Männer, die gleich sind in Wissen, Intelligenz, Tugend, Vermögen u n d Alter, mit H e t ä r e n . Dabei werden literarische W e t t s t r e i t e veranstaltet. E s wird u. a. ein Versviertel gesprochen, u n d m a n h a t die drei fehlenden Viertel zu ergänzen; nach dem K o m m e n t a r war das vorgegebene Versviertel sogar doppeldeutig, so d a ß die Lösung der Aufgabe erschwert war. 5 8 Bei solchen literarischen Spielen soll m a n weder n u r in Sanskrit noch n u r in Volkssprachen dichten, wenn m a n geachtet werden will. 59 D a es sich hier u m kävya handelt, sind mit den Volkssprachen die literarisch verwendeten P r ä k r i t s gemeint. — Bei diesen Gesellschaften f a n d e n weiter W e t t k ä m p f e in den verschiedenen kaläs s t a t t , den 64 „ K ü n s t e n " , deren Aufzählung mit Gesang, Musik, T a n z und Malen beginnt u n d zu der Zaubern, 6 0 Rätselraten u n d einiges Literarische gehört, wie pratimälä: J e d e r Teilnehmer rezitiert einen Vers, dessen erster L a u t dem letzten L a u t des vorher rezitierten Verses gleich sein soll. Man rezitiert Verse, die sich phonetisch n u r mit Mühe aussprechen und, d a sie d a f ü r ausgeklügelt sind, inhaltlich sich k a u m verstehen lassen. Man liest aus Büchern vor. Bücher gab es also schon; der Gebildete h a t t e eines in seinem Schlafzimmer liegen. 61 Man „sah" D r a m e n u n d Erzählungen, deren H a n d l u n g bei der Rezitation also offenbar durch

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irgendwelche Mittel sichtbar gemacht wurde. 62 Man improvisierte kävya, man kannte das Lexikon und die Metrik. Zu den kälas, den Künsten, die die Gebildeten, Männer und Hetären, beherrschen mußten, gehörte auch das Sprechenlassen von Papageien, Kenntnis der Volkssprachen, der Vorzeichen, der Geomantik und viele Spiele. 63 Der Gebildete, der reiche Städter, mußte also u. a. ein Dichter (Icavi), voll Wissen, 64 ein guter Redner, ein geschickter Erzähler sein, er mußte es verstehen, an Festen (s. u.), Gesellschaften (s. o.), Aufführungen (als Zuschauer, wohl nicht als Laienspieler) und solchen Wettkämpfen teilzunehmen. 65 E r mußte fähig sein, die begehrte Frau mit Erzählen verliebt zu machen, und zwar mit passenden, hinreißenden Erzählungen, wenn sie bei entstehender Verliebtheit auf Erzählungen erpicht ist. 66 Der Kommentar empfiehlt dafür Erzählungen über Sakuntalä. Das Kämasütra erwähnt an anderer Stelle Erzählungen über Sakuntalä „usw.", Frauen, die sich ihren Gatten aus eigenem Entschluß gewählt haben, als Beispiele, von denen die Amme des Mädchens diesem im Auftrag des Verliebten erzählen soll. 67 Die episch-mythischen Stoffe dienten eben nicht nur einem Kautalya 6 8 als Beispiele. In ähnlicher Weise sollte die Botin des Verliebten die ersehnte Frau eines anderen Mannes mit Bildern, die Erzählungen wiedergeben, 69 mit Ereignissen aus dem Leben, mit Werken von kavis (Dichtern), mit Erzählungen von Ehebrechern (oder Gesprächen über diese, nach dem Kommentar: über Indra und den Mond, die die Frauen Gotamas und Brhaspatis verführten) verliebt machen. 70 Vätsyäyana führt für diese Botin insbesondere drei Erzählungen an: 1. über Ahalyä, Gotamas von Indra verführte Frau, 2. über Avimäraka, diese Gestalt eines Dramas des Bhäsa, dem sich die Prinzessin Kurangl hingab, obgleich sie von ihren Eltern bereits einem Prinzen versprochen und damit die Frau eines anderen Mannes war, 3. über Sakuntalä, obgleich diese doch in Wirklichkeit nicht die Frau eines anderen war, als Dusyanta sie gewann, und obgleich er sie später nur irrtümlicherweise illegitimer Schwängerung verdächtigte. 71 Von Aufführungen ist im K S auch sonst die Rede. Bei religiösen Festen z. B . sollen wandernde kusilavas dem Gott des Festes eine Aufführung veranstalten. 7 Es dürfte sich um die Nachfolger der kusilavas, dieser Art fahrenden Volkes und ihrer mimusartigen Aufführungen der I V . Periode 73 , handeln. Das Kämasütra erwähnt Aufführungen aber auch bei den ganztägigen Ausflügen einer Gesellschaft in die vor der Stadtmauer gelegenen Haine. 74 Herren ritten schon am Vormittag (ohne also zu arbeiten) in Begleitung von Hetären und Dienerschaft zu Pferde hinaus und brachten die Zeit mit Hahnenkämpfen, Aufführungen und angebrachten Spielen hin. 75 Der Kommentar spricht hier von Tanz- und anderen Vorführungen; warum sollen aber hier nicht auch jene kusilava-Possen gemeint sein? Natürlich gab es auch Tanz Vorführungen, erwähnt das K S doch gelegentlich die „von der Bühne Lebende" und die „Aufführende", 76 aber es gab keine eigentlichen Dramen. In dieser Weise spiegelt das K S ein sich damals langsam herausbildendes neues Ideal des vornehmen Menschen wider (käna), das neben die alten Ideale 14*

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des kriegerischen bzw. regierenden Ksatriya (artha), des priesterlichen und gelehrten Brahmanen (dharma) und des asketischen Mönchs (moksa) trat, ohne sie zu verdrängen. Das neue Ideal war das des reichen Städters, der allen vier Ständen angehören konnte, auch dem des Südra. Er mußte nur reich sein, um genügend Muße zu haben, und in der angedeuteten Weise gebildet sein, ein Kenner der „64 Künste" und des kävya, selber ein fcavi, d. h. ein in den Lehren der Metrik, Poetik, Grammatik, Lexikographie und Liebeslehre ausgebildeter „Wissender", der Begabung für das Schöne, Geist, Witz, Freigebigkeit und andere Tugenden haben mußte; er mußte zu denen gehören, die „ein Herz haben". 7 ' Die Begabung bedurfte des Reichtums und vielseitiger, wenn auch nicht allseitiger „wissenschaftlicher" Ausbildung in dieser späten Periode der alten Gesellschaft und ihrer sehr differenzierten Kultur, in der u. a. auch Erkenntnistheorie und Logik von der allgemeinen Philosophie als Spezialgebiete unterschieden wurden. Deren Analyse des richtigen Empfindens, Denkens und Redens ging von da an neben der des dichterischen Fühlens und seines Ausdrucks einher, ohne daß wir ihre Wechselwirkung schon im einzelnen beschreiben könnten, z. B. im Falle des Vergleichs, an dem beide interessiert waren. Kenntnis der Naturwissenschaften wurden von dem damaligen Gebildeten nach dem K S nicht verlangt, auch nicht der Theologie, Ökonomie oder Erlösungslehre, wohl indessen der religiösen Lehren der Moral, des Rechts und des Erfolgs neben denen der Liebe samt den 64 kaläs.'8 Dieser Gebildete war in recht weltlicher Weise fromm. E r brach mit manchen brahmanischen Tabus, u. a. ließ er offenbar Schrift für schöne Literatur verwenden. 79 Dies taten nach der ceylonesischen Tradition die Buddhisten für den Pälikanon bereits im 1. Jahrhundert v. u. Z. 80 Lesen von Büchern wird im K S erwähnt, und von Asvaghosa haben wir die ältesten in Turkistan erhaltenen Fragmente an Kunstdichtung, so daß er für uns die erste sicher bezeugte Dichterpersönlichkeit des alten Indiens ist, ein fromm buddhistischer Vertreter des kävya, ein Vorläufer der Klassik des Kälidäsa.

3. Lyrik a) Lyrik in E p e n Eine Darstellung der Geschichte der Lyrik dieser Periode kann von den spärlichen Fragmenten, die die Grammatik Patañjalis uns erhalten hat, ausgehen ; diese geben aber nicht viel her. 81 Weiter ist heranziehen, was sich im hypothetischen Urtext des Harivamsa finden läßt. 82 In diesem ist z. B. das nächtliche Liebesspiel Krsnas mit den Hirtinnen im Walde ganz knapp angedeutet. Es ist von Herbst, klarem Mond und Krsnas Sicheinstellen auf Liebe die Rede, davon daß die Hirtinnen sein Antlitz mit den Augen trinken, sein Leben besingen und ihm verliebt folgen, obgleich Eltern und Brüder sie zurückhalten wollen. 83 Später ist im Archetypus des Epos 8 ' 1 dieses Thema gewaltig aus-

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des kriegerischen bzw. regierenden Ksatriya (artha), des priesterlichen und gelehrten Brahmanen (dharma) und des asketischen Mönchs (moksa) trat, ohne sie zu verdrängen. Das neue Ideal war das des reichen Städters, der allen vier Ständen angehören konnte, auch dem des Südra. Er mußte nur reich sein, um genügend Muße zu haben, und in der angedeuteten Weise gebildet sein, ein Kenner der „64 Künste" und des kävya, selber ein fcavi, d. h. ein in den Lehren der Metrik, Poetik, Grammatik, Lexikographie und Liebeslehre ausgebildeter „Wissender", der Begabung für das Schöne, Geist, Witz, Freigebigkeit und andere Tugenden haben mußte; er mußte zu denen gehören, die „ein Herz haben". 7 ' Die Begabung bedurfte des Reichtums und vielseitiger, wenn auch nicht allseitiger „wissenschaftlicher" Ausbildung in dieser späten Periode der alten Gesellschaft und ihrer sehr differenzierten Kultur, in der u. a. auch Erkenntnistheorie und Logik von der allgemeinen Philosophie als Spezialgebiete unterschieden wurden. Deren Analyse des richtigen Empfindens, Denkens und Redens ging von da an neben der des dichterischen Fühlens und seines Ausdrucks einher, ohne daß wir ihre Wechselwirkung schon im einzelnen beschreiben könnten, z. B. im Falle des Vergleichs, an dem beide interessiert waren. Kenntnis der Naturwissenschaften wurden von dem damaligen Gebildeten nach dem K S nicht verlangt, auch nicht der Theologie, Ökonomie oder Erlösungslehre, wohl indessen der religiösen Lehren der Moral, des Rechts und des Erfolgs neben denen der Liebe samt den 64 kaläs.'8 Dieser Gebildete war in recht weltlicher Weise fromm. E r brach mit manchen brahmanischen Tabus, u. a. ließ er offenbar Schrift für schöne Literatur verwenden. 79 Dies taten nach der ceylonesischen Tradition die Buddhisten für den Pälikanon bereits im 1. Jahrhundert v. u. Z. 80 Lesen von Büchern wird im K S erwähnt, und von Asvaghosa haben wir die ältesten in Turkistan erhaltenen Fragmente an Kunstdichtung, so daß er für uns die erste sicher bezeugte Dichterpersönlichkeit des alten Indiens ist, ein fromm buddhistischer Vertreter des kävya, ein Vorläufer der Klassik des Kälidäsa.

3. Lyrik a) Lyrik in E p e n Eine Darstellung der Geschichte der Lyrik dieser Periode kann von den spärlichen Fragmenten, die die Grammatik Patañjalis uns erhalten hat, ausgehen ; diese geben aber nicht viel her. 81 Weiter ist heranziehen, was sich im hypothetischen Urtext des Harivamsa finden läßt. 82 In diesem ist z. B. das nächtliche Liebesspiel Krsnas mit den Hirtinnen im Walde ganz knapp angedeutet. Es ist von Herbst, klarem Mond und Krsnas Sicheinstellen auf Liebe die Rede, davon daß die Hirtinnen sein Antlitz mit den Augen trinken, sein Leben besingen und ihm verliebt folgen, obgleich Eltern und Brüder sie zurückhalten wollen. 83 Später ist im Archetypus des Epos 8 ' 1 dieses Thema gewaltig aus-

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gesponnen worden; aber im Urtext ist von Naturlyrik noch kaum etwas zu spüren, und das zeigt sich auch an anderen Stellen, z. B. da, wo die Hirten in den Vrndawald wandern, den Krsna im Sommer grünen läßt, als wäre es die Regenzeit; 8 5 wo der Übergang von Regenzeit zu Herbst angedeutet wird, 86 oder da, wo Akrüra in die Hirtenstation im Walde kommt. 8 7 Solche Stellen machen es glaubwürdig, daß nur die Verse oder Worte zum Urtext zu rechnen sind, die sich im Harivamsa und Brahmapuräna gemeinsam finden. Offenbar war diesen puranischen Epikern die Handlung des Krsnalebens mit ihren vielen Abenteuern, die zum Mahäbhärata nachgetragen werden sollten, so wichtig, daß sie auf bukolische 88 Natur- und Liebeslyrik, die wohl damals schon mit der Krsnagestalt verbunden war, verzichteten, in gewissem Gegensatz zum Vessantarakurzepos der IV. Periode mit seinen breiten romantischen (aber nicht bukolischen) Schilderungen des Waldes und seiner sehr kurzen und einfachen Handlung. I m Vessantara-Epos wird — abgesehen von diesen bereits erwähnten etwas sentimentalen Waldschilderungen 89 — der Gandhamädana-Wald, in dem Vessantara als Waldeinsiedler lebt, dreimal, nämlich von den Ceta-Ksatriyas, von einem Waldhüter und von einem Asketen, geschildert, und zwar ziemlich übereinstimmend als schön mit Bäumen, Schatten, einem Fluß samt Fischen, einem Feigenbaum, einem Berg mit Feen, einem See und Quell. 90 Alle drei Schilderungen sind bei weitgehender Übereinstimmung verschieden ausführlich; sie klingen nüchtern, obgleich sie idealisieren, und abstrakt; sie sind nämlich nur den Weg zum Berg weisende Berichte, die den zum Gandhamädana Wandernden gegeben werden, ohne daß diese den Berg mit seinem Wald vor Augen hätten. Ähnlich ist es im Rämäyana, dessen von Välmiki verfaßten U r t e x t 9 1 wir freilich noch nicht im einzelnen rekonstruieren können; Bhäradväja empfiehlt Räma zunächst ganz kurz den Citraküta-Berg, der, wie er einleitend sagt, dem Gandhamädana ähnelt. 92 Er weist ihm dann den Weg dorthin, der über den Fluß Amsumati, an einem alten Feigenbaum vorbei zum Walde führt, 9 3 wie der Weg Vessantaras zum Gandhamädana über den Fluß KetumatI, an einem Feigenbaum vorbei, zum Wald. 9 ' 1 Dann erst wird geschildert, wie Räma diesen Weg geht. Nachdem er dort lange gelebt hat, schildert er der Sita, um sie zu erfreuen und sich zu ergötzen", die Schönheit des Citrakütaberges in einem Gesang von 27 Versen und versichert einleitend, daß diese Schönheit ihn über den Verlust des Reiches tröste, 95 während Maddi umgekehrt ihrerseits Vessantara mit seinen Kindern über seine Verbannung und das schwere Waldleben tröstete. 96 Räma erklärt Sitä weiter, er werde hier viele Jahre glücklich verbringen, weil sie und Laksmana bei ihm seien. 97 Die Schilderung des Berges mit seinen verschiedenen Gipfeln, Tieren, Bäumen, Feen, Gewässern und Düften zeigt schon einiges an kävya-Stil, wenn z. B. in jedem der vier Viertel einer Strophe die Verbalwurzel bhä = leuchten vorkommt 9 8 und R ä m a mit einem Vergleich fortfährt, der Citraküta leuchte, als wenn er sich aus der Erde, sie spaltend, aufgerichtet hätte. Im Unterschied zum Vessantaraepos schildert

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R ä m a den Berg vor beider Augen u n d beginnt m i t : „Sieh diesen Berg . . .". E r schließt d a n n einen zweiten Gesang mit der Schilderung der Schönheit des Flusses MandäkinI an, der so schön ist mit seinen Sandbänken, Vögeln, F r u c h t b ä u m e n u n d vor allem Einsiedeleien sowie rituellen Badestellen vieler Asketen; mit ihr hier zu leben, sei besser als Stadtleben; sie möge mit ihm baden, ins Wasser t a u c h e n ; sie möge den Berg f ü r Ayodhyä, den F l u ß f ü r die Sarayü nehmen, d. h. die F r e m d e als H e i m a t b e t r a c h t e n . " R ä m a lebt im W a l d als Held, genauer als Wanderheld, nicht als Waldeinsiedler wie Vessantara. E r wird u m die ihm e n t f ü h r t e Sita k ä m p f e n , sie nicht mit buddhistischer Freigebigkeit fortgeben wie Vessantara Maddl. I n R ä m a s E p o s spielt die Liebe demgemäß eine ganz andere Rolle als in dem des Vessantara. Sie f ä r b t denn auch seine Waldlyrik. Aber diese ist auch später, reifer als die des Vessantaraepos; sie ist schon kävyaaxtig, wenn auch n u r in Ansätzen. Das bestätigt, daß f ü r indische Theoretiker das R ä m ä y a n a das älteste kävya, Välmlki der erste Jcavi war. Die W a l d r o m a n t i k des S t ä d t e r s h a t t e im Verhältnis zu der der buddhistischen Mönche u n d Nonnen u n d Vessantaras eine neue Qualität bekommen. Z u m G a n d h a m ä d a n a b e r g k a m e n auch die P ä n d a v a s im M a h ä b h ä r a t a . E r wird dort zunächst nach alter A r t mit seinen Feen, Tieren, B ä u m e n , Vögeln u n d Seen geschildert. 1 0 0 Danach folgt ein kävyaartiger Teil, in dem u. a. in einer Gruppe von Versen je eine blühende B a u m a r t mit den Wurfspießen des Liebesgottes verglichen werden, mit vorzüglichen Ohrgehängen, mit den Pfeilauss c h ü t t u n g e n des Liebesgottes, welche die Sehnsucht der der Liebe Hörigen hervorrufen, oder mit Stirnzeichen (tilalca), u n d zwar werden mit einem W o r t spiel T i l a k a b ä u m e mit ihnen verglichen, S a h a k ä r a b ä u m e werden mit ähnlichem Wortspiel „liebesgottpfeilförmig" (ananga-sarälcäräh) g e n a n n t : andere B a u m a r t e n sind gleichsam wie K r ä n z e u m die Felsspitzen gehängt. 1 0 1 — Schließlich preist Yudhisthira dem Bhimasena noch einmal die Schönheit der Berggegend. Andererseits empfiehlt Vyäsa dem Y u d h i s t h i r a den D v a i t a w a l d als langjährigen A u f e n t h a l t s o r t während der V e r b a n n u n g mit einem einzigen Vers, 102 d. h. so kurz wie im H a r i v a m s a - K u r z e p o s , u n d wie die P ä n d a v a s den W a l d betreten, werden seine Bäume, Vögel, Tiere u n d Asketen mit je einer /eöw/a-Strophe im U p e n d r a v a j r a m e t r u m besungen. 1 0 3 Dies mag genügen, u m zu zeigen, daß die uns erhaltenen epischen T e x t e erlauben, eine Geschichte der Naturlyrik in Angriff zu nehmen, 10 '» u n d zwar findet sich die neue W a l d r o m a n t i k des gebildeten S t ä d t e r s mit ihren eingewebten Liebesmotiven u n d ihrem kävya-Stil in beiden E p e n , wenn auch im R ä m ä y a n a mehr als im Mahäbhärata. 1 0 5 Zu dieser N a t u r l y r i k im U r t e x t (wenn nicht erst im Archetypus) 1 ( 1 6 der E p e n gehört aber auch die Schilderung von Jahreszeiten, wie z. B. R ä m a in seiner Höhle bei Kiskindhä die Regenzeit a b w a r t e n m u ß , ehe er die e n t f ü h r t e Sita z u r ü c k e r k ä m p f e n k a n n . E r klagt in seiner Einsamkeit u n d besingt die Regenzeit, in der der H i m m e l mit seinen Wolken bleich ist wie ein Liebegequälter, mit seinen leisen W i n d e n seufzt u n d mit der D ä m m e r u n g s p a s t e gesalbt ist. 107 Die E r d e klagt mit dem Regen wie die von K u m m e r gequälte Sita mit ihren

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T r ä n e n . 1 0 8 Die W o l k e n d o n n e r n wie in L i e b e s b r u n s t k ä m p f e n d e E l e f a n t e n . 1 0 9 E s ist die J a h r e s z e i t , in d e r der F l u ß z u m O z e a n eilt wie die L i e b e n d e z u m Geliebten. 1 1 0 Als d a n n der R e g e n v o r ü b e r ist u n d d e r h e r b s t l i c h e H i m m e l wieder w o l k e n l o s klar, b e t r a c h t e t R ä m a die N a t u r u n d k l a g t wieder sein L e i d : W i e m u ß Sita leiden, w e n n sie die sich liebenden C a k r a v ä k a - E n t e n b e i s a m m e n s i e h t . 1 1 1 Die T r e u e dieser Wasservögel, die sich n u r n a c h t s t r e n n e n , w a r ein ü b l i c h e s M o t i v der L y r i k e r , eine „ Ü b e r e i n k u n f t " , 1 1 2 die schön, w e n n a u c h d e r N a t u r n i c h t e n t s p r e c h e n d war, d. h. eine F i k t i o n , wie m a n w u ß t e . H i e r s p r i c h t d e r E p i k e r im kävya-Stil — w e n n diese u n d ä h n l i c h e V e r s g r u p p e n schon dieser V. u n d n i c h t erst d e m A r c h e t y p u s der V I . P e r i o d e a n g e h ö r e n . Diese Liebesklage in der R e g e n z e i t h e b t sich a n d e r e r s e i t s d e u t l i c h v o n d e r L y r i k d e r S e e l e n r u h e des b u d d h i s t i s c h e n Mönchs im W a l d e w ä h r e n d d e r R e g e n z e i t ab, 1 1 3 wie sie u n s in der I I I . P e r i o d e belegt ist. Sie k a n n also v e r h ä l t n i s m ä ß i g alt sein, z u m i n d e s t als T y p . Die R e g e n z e i t w u r d e im R g v e d a u n d v o n gentilen V o r ä r y a besungen, 1 1 4 a b e r n i c h t im Z u s a m m e n h a n g m i t der Liebe, n i c h t i m kävya-Stil u n d n i c h t im Z u s a m m e n h a n g m i t den ü b r i g e n J a h r e s z e i t e n wie hier im R ä m ä y a n a u n d v o n d a an. 1 1 5 A n V ä l m i k i ist A s v a g h o s a anzuschließen. 1 1 6 D a z u p a ß t , d a ß er einerseits N a t u r l y r i k , insbesondere W a l d l y r i k (d. h . die des wilden W a l d e s , d e r W a l d einsiedelei u n d des H a i n s bzw. P a r k s ) sehr k u r z a b m a c h t , a n d e r e r s e i t s ein f r ü h e r V e r t r e t e r des kävya ist. So schildert er in d e r B u d d h a b i o g r a p h i e d e n L u m b i n l h a i n , in d e m M ä y ä den k ü n f t i g e n B u d d h a gebiert, 1 1 7 m i t k e i n e m Vers. I n einem einzigen Vers gibt der D i c h t e r wieder, wie d e r P r i n z S i d d h ä r t h a eines W i n t e r s h ö r t , d a ß die lieblich g r ü n e n d e n W ä l d e r (gemeint sind die H a i n e ) v o m R u f e n der K u c k u c k s m ä n n c h e n widerhallen (111,1), in einem a n d e r e n , wie er auf einem Ausflug z u m H a i n gelangt u n d sieht, d a ß er m i t seinen e r b l ü h t e n j u n g e n B ä u m e n voll l i e b e s t r u n k e n e r K u c k u c k e ist, d e m N a n d a n a w a l d e ( I n d r a s ) gleichend (111,64). D e n G a n d h a m ä d a n a verglich d a s M a h ä b h ä r a t a 111,155,36 m i t diesem G ö t t e r w a l d ; a b e r I n d r a s W a l d w a r d o c h wohl eher ein H a i n , ein P a r k bei seinem P a l a s t , wie ihn Asvaghosa m e i n t . Dieser Vergleich w a r wohl ein übliches M o t i v des kävya. Bei einem a n d e r e n Ausflug in d e n wilden W a l d n a h e bei einem Dorf sieht d e r P r i n z P f l ü g e r die E r d e ritzen u n d ist d a r ü b e r b e k ü m m e r t (V, 2—5). Die N a t u r wird a u c h hier n i c h t geschildert; n u r m i t einem Vers d a , wo d e r P r i n z in die Einsiedelei 1 1 8 des B h ä r g a v a g e l a n g t : d o r t schlafen v e r t r a u e n s v o l l Gazellen u n d f i n d e n Vögel R u h e u n d Z u f r i e d e n h e i t in sich selber (VI,1 f.). Als er sich d a n n z u m Y o g a niedersetzt, f r e u e n sich die P f a u e n , als s ä h e n sie eine a u f k o m m e n d e R e g e n w o l k e , u n d die Gazellen h ö r e n auf z u äsen u n d s t e h e n m i t i h r e n sich h i n u n d h e r b e w e g e n d e n A u g e n i h m z u g e w a n d t d a (VII,5). Die K ü h e a b e r lassen ihre Milch fließen, f r o h t r o t z des Melkens, weil sie d e n P r i n z e n , die L e u c h t e seines Geschlechts, wie die s t r a h l e n d e S o n n e a u f g e h e n sehen (VII,6). Bei aller K ü r z e v e r s t e h t es A s v a g h o s a , d e n F r i e d e n d e r Einsiedelei m i t d e r E r w ä h n u n g d e r W a l d - u n d H a u s t i e r e a n z u d e u t e n . Bei der A n k u n f t von Minister u n d H o f p r i e s t e r in der Einsiedelei wird die N a t u r n i c h t geschildert ( I X , l f f . ) . Mit e i n e m

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Vers wird der Wald (oder Hain), in dem Siddhärtha später bei Räjagrha weilt, als voll von Tönen der Pfauen besungen (X,15). Selbst da, wo Siddhärtha sich zum Erlangen der Erleuchtung unter den Baum der Erleuchtung setzt, ist der Wald nicht geschildert, nur ein Schlangengeist preist den künftigen Buddha und deutet auf die lieblich wehenden Winde hin (XII, 114f.). Als dann Mära, der Versucher, besiegt ist, wird die Gegend klar, der Mond geht auf, ein Blumenregen fällt vom Himmel und die Nacht leuchtet wie eine reine Frau (XIII, 73). Ein Wunder verschönt dem Dichter die Natur (s. u.). Das Interesse des Dichters gilt weniger dem Wald als dem Hain, dem Park, und er schildert traditionsgemäß den Ausflug des Prinzen dorthin in Gesellschaft schöner Frauen; er beschreibt dabei deren verliebtes Benehmen (III, 65). wie sie, rings um ihn herum, ihn mit Blicken trinken, ihn für den liebgewordenen Liebesgott, für den auf die Erde herabgestiegenen Mond halten, ihn an sich ziehen möchten, leise seufzen, aber ihn nur anzusehen, nichts zu sagen, nicht zu lächeln wagen, durch seine Macht gebändigt (IV, 1—7). Danach aber werden die Frauen, von einem Höfling aufgestachelt, sehr aggressiv, ohne indessen den Prinzen im mindesten zu erregen (IV, 29—52), und eine Frau schildert dem Prinzen die Schönheit des Hains mit Andeutungen der Liebe, wie z. B. auf dem Teich ein Cakraväka seinem Weibchen wie ein Diener folgt, und so die Macht der Frauen zeigt (50). Diese Harmensfrau ist ein im Sinne des Buddhismus geradezu sündiges Gegenstück zu Rämas romantischer Schilderung des Citraküta für Sita. Der buddhistische Dichter schildert damit den Ausflug des künftigen Buddha, des ernsthaften Prinzen, in den Hain auch anders als Vätsyäyana den des Städters im Lehrbuch der Liebe derselben Periode. 119 Wieder anders schildert das Mahäbhärata den Ausflug Krsnas und Arjunas im Sommer an die „Vergnügungsstätte" im „Wald" an der Yamunä bei Indraprastha mit den Gebäuden, Speisen, Getränken, Kränzen und vielen Frauen, die musizieren, tanzen, ihre Geheimnisse beraten, unter ihnen Draupadi und Subhadrä; aber die beiden Männer sprechen über vieles zusammen, ohne von den Frauen gereizt zu werden. 120 Von dem monogamen Räma wird berichtet, daß er als König mit Sita zusammen täglich im „Wäldchen Sorglos" mit seinen vielen Bäumen weilt; er umfängt sie mit seinen Armen, läßt sie Wein trinken, Fleisch essen und den Tanz und Gesang vieler geschickter Frauen genießen.121 Er bleibt eben auch hier Sita treu. Auch in seinem Harem vermögen die Frauen mit ihrer Musik, ihrem Singen und Lächeln den Prinzen Siddhärtha nicht zu Liebe zu reizen (II, 29—37). Besonders ausführlich aber wird der Lyriker Asvaghosa da, wo er den Prinzen des Nachts die um ihn herum beim Spiel eingeschlafenen Frauen beobachten und Ekel empfinden läßt, denn sie liegen willenlos und schamlos da, ihre Kleider sind verrutscht, Wasser träufelt aus ihrem Munde, und sie entblößen ihre Scham. Die eine hat noch ihre Trommel wie einen Geliebten umfangen;' 2 2 eine hat die andere im Arm. Sie liegen da wie die Blumen eines vom Winde verheerten Lotosteichs (V, 50—62). Diese Szene ist später, nimmt man an, im Archetypus des Rämäyana V, 8, 34—42 nachgeahmt worden: 12:! Hanumän sucht Sltä und

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beobachtet R ä v a n a schlafend mit seinen vielen Frauen, die ihre Musikinstrumente oder sich gegenseitig umarmen, weil sie noch schlafend in ihren Gebieter verliebt sind; sie sind aber nicht ekelerregend geschildert; H a n u m ä n bleibt nur deswegen ohne erotische Erregung, weil er Sita sucht und als Ehrenmann die F r a u e n des anderen unbeteiligt ansieht (V, 9, 38). Asvaghosa und Välmiki besingen weiter in ähnlicher Weise am Anfang ihrer Epen die Schönheit der Stadt, 1 2 4 ein vermutlich erst spätes Thema der Lyrik. R ä m a hört, wie er einmal auf seinem Wagen über die H a u p t s t r a ß e f ä h r t , die Gebete seiner Freunde f ü r sein Heil und ihre Lobreden auf ihn (II, 15, 1—11). Asvaghosa schildert bei solcher Gelegenheit sehr viel breiter, wie die Frauen in den Harems eilen und sich drängen, den vorbeiziehenden schönen Prinzen zu sehen. 125 Das Mahäbhärata V, 87, 2 ff. schildert K r s n a in ähnlicher Lage. 126 Ähnlich, wenn auch im einzelnen anders, sind die lyrischen Teile in Aävaghosas zweitem Epos, dem des N a n d a und seiner F r a u Sundari, so die Schilderung von Kapilavastu (I, 42 — 56), und die der Einsiedelei des Kapila (I, 6—17); Wald-, Schilderungen fehlen. I m H i m a l a j a sieht N a n d a ausführlich geschilderte P f a u e n Löwen, Tiger, Yaks, Kirätas (Jäger), Feen, Affen und eine Äffin. B u d d h a will ihn nämlich überzeugen, daß N a n d a s F r a u schöner als die Äffin sei (X, 8—17). Noch ausführlicher erlebt N a n d a anschließend den H a i n l n d r a s (s. o.) mit seinen märchenhaften Bäumen, Blüten, Teichen, Vögeln und Apsarasen (X, 18—33), denn er soll lernen, daß auch die herrlichen Götterfrauen sterben müssen. Damalige Liebeslyrik spiegelt eine kleine Episode wider, in der N a n d a seiner geliebten F r a u den Spiegel halten muß, damit sie sich schmücken kann. 1 - 7 Prinz N a n d a dient hier als Zofe oder Sklave seiner F r a u dem Buddhisten als Beispiel der unwürdigen Hörigkeit des Mannes. Am E n d e versichert Asvaghosa glaubwürdig, er habe sein kävya nicht f ü r die (Erweckung der Stimmung der) Liebe, sondern f ü r die Erlösung gedichtet, um seine Hörer zu bekehren. 1 2 8 Dementsprechend ist ihm Naturlyrik im Grunde ebenso unwichtig wie Liebeslyrik. Was ihn am meisten interessiert, ist die Weisheitslyrik der langen predigtartigen Teile seiner beiden Epen. Dabei ist er ein sprachlich, metrisch u n d poetisch begabter und ausgebildeter kavi, n u r fehlt ihm als Propagandisten des Buddhismus die Liebe zu N a t u r und Gesellschaft, insbesondere zur F r a u . E s fehlt ihm selbst die Waldromantik der altbuddhistischen Einsiedlerdichter. 1 2 9 Seine gesellschaftliche Kritik an dem verliebten Prinzen N a n d a und seiner verwöhnten F r a u ist ausgezeichnet, aber so warme Töne wie Välmikis R ä m a seiner Sita gegenüber 13(1 findet er nicht, auch nicht wie die der Maddi dem Prinzen Vessantara gegenüber. 131 Eine Untersuchung seines Verhältnisses zur damaligen Lehre der Poetik ist nicht einfach. Auffallend häufig kommen bei ihm Verse vor, in denen ein W o r t bis zu sechsmal wiederkehrt, wie z. B. Lotos (padma) in Saundarananda VI, 26, 132 aber in so ungeordneter Weise, daß sich dieser T y p weder bei B h a r a t a noch bei B h ä m a h a oder Dandin unter den yamakas wiederfinden läßt. Man k a n n allenfalls Vers V, 6 mit B h a r a t a X V I , 66f., dem K ä n c i y a m a k a vergleichen: I n jedem Versviertel k o m m t eine Silbengruppe zweimal vor, n u r stehen diese

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V. Periode, 3b

W i e d e r h o l u n g e n bei B h a r a t a jeweils a m A n f a n g des Viertels, bei A s v a g h o s a beliebig. A s v a g h o s a m a c h t d a m i t einen einfachen, a n f ä n g e r h a f t e n E i n d r u c k , 1 3 3 wie m a n es j a a u c h e r w a r t e t . b) H ä l a s Gedichte A n d a s E n d e dieser V. P e r i o d e ist vielleicht 1 3 4 H ä l a s S a m m l u n g v o n 700 S t r o p h e n zu setzen, das ä l t e s t e große W e r k eines indischen Lyrikers, in der S p r a c h e von M a h ä r ä s t r a v e r f a ß t , vielleicht v o m D i c h t e r niedergeschrieben, a b e r in m e h r e r e n Versionen überliefert, also im einzelnen n o c h schwer zu b e n u t z e n . Zwischen d e n u n s b e k a n n t e n Chorliedern der vorarischen u n d d e n u n s n i c h t e r h a l t e n e n d e r arischen Gentilgesellschaft einerseits u n d d e n S t r o p h e n H ä l a s andererseits ist eine lange Entwicklungslinie u n t e r H e r a n z i e h u n g der in den E p e n überlieferten L y r i k , der Lieder der b u d d h i s t i s c h e n Mönche u n d N o n n e n u n d der wenigen F r a g m e n t e bei P a t a n j a l i zu zeichnen; die von B h a r a t a a n g e f ü h r t e n Beispielstrophen sind wohl im allgemeinen j ü n g e r . I n s b e s o n d e r e ist H ä l a v e r m u t l i c h a n eine L y r i k in a l t e n P r ä k r i t s anzuschließen, f ü r die m a n wenige F r a g m e n t e a u s den vier J a h r h u n d e r t e n zwischen d e m 2. J a h r h u n d e r t v. u . Z. u n d d e m 2. J a h r h u n d e r t u. Z. g e f u n d e n hat. 1 3 5 Die P r ä k r i t s in A s v a ghosas D r a m e n gehören noch diesen a l t e n P r ä k r i t s an, die M a h ä r ä s t r I H ä l a s ist dagegen bereits voll ausgebildet. K h a r i a singen ein Lied, eine S t r o p h e : I m W a l d e setzen sich die Vögel auf Zweig u n d Zweig, B l a t t u n d B l a t t / D e r B a u m des W a l d e s h a t B l ü t e n a u f Zweig u n d Z w e i g / D i e L e u t e sehen hin u n d f r e u e n sich sehr. 1 3 6 Gelegentlich wird in ä h n l i c h e n L i e d e r n 1 3 7 die B a u m a r t g e n a n n t oder insbesondere der P a p a g e i . V o n vielen B a u m a r t e n u n d Vögeln ist in der epischen L y r i k d e r I I I . u n d I V . P e r i o d e o f t m a l s die R e d e . H ä l a h a t d a s T h e m a schließlich in S t r o p h e n g e s t a l t e t , die z u m Teil ebenfalls nichts als N a t u r s c h i l d e r u n g bieten wie: „Sieh! A u s R u b i n u n d S m a r a g d g e f ü g t steigt v o m H i m m e l h e r a b , gleichsam v o m H i m m e l s h a l s losgebrochen, eine H a l s k e t t e , eine R e i h e v o n P a p a g e i e n " (I, 75) 1 3 8 . D a s einleitende „ S i e h ! " k o m m t schon in K h a r i a l i e d e r n 1 3 9 v o r u n d ist von R ä m a Sita gegenüber v e r w e n d e t worden, als er die Schilderung des C i t r a k ü t a begann, 1 '' 0 ist also v e r m u t l i c h als ein S t i l m i t t e l der L y r i k all diese Zeiten h i n d u r c h beliebt gewesen, es m a c h t die Schilderung z u m Teil eines Dialogs, wie d e n n A n r e d e n in L i e d e r n der M u n d a h ä u f i g sind. 1 4 1 N e u ist bei H ä l a den V o r ä r y a g e g e n ü b e r der bis in die E i n z e l h e i t e n k u n s t v o l l a u s g e f ü h r t e Vergleich der g r ü n e n P a p a g e i e n m i t ihren r o t e n S c h n ä b e l n (s. gleich) u n d der H a l s k e t t e a u s R u b i n e n u n d S m a r a g d e n . N e u sind d a s M e t r u m sowie die sprachliche F o r m , d a ß n ä m l i c h die S t r o p h e erst d u r c h d a s a m E n d e s t e h e n d e W o r t P a p a g e i v e r s t ä n d l i c h wird. D e r Leser m u ß alle W o r t e in sich speichern, bis er a m Schluß die L ö s u n g dieses, m a n m ö c h t e b e i n a h e sagen, Rätsels, das V e r s t ä n d n i s des Vergleichs f i n d e t . D a s ist t y p i s c h f ü r H ä l a s S t r o p h e n . I n s o f e r n ist d a s geistreiche kävya v o m n a t ü r lichen Lied d e r Gentilgesellschaft v e r s c h i e d e n , es ist f ü r Gebildete g e d i c h t e t , a b e r n o c h frei von d e r ü b e r s p i t z t e n K ü n s t l i c h k e i t feudalistischer L y r i k e r , in seiner A r t klassisch schön.

V. P e r i o d e , 3 b

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„Gelacht wurde unter Händeklatschen von den unter einen vertrockneten Feigenbaum gelangten Wanderern, als die Blättern und Früchten gleichende Papageienschar aufflog" (III, 63). Am Ende versteht der Leser (bzw. Hörer): Ein vertrockneter Baum erschien Wanderern dank der auf ihm sitzenden grünroten Papageien als grün belaubt und mit roten Früchten behangen; sie flüchteten in seinen Schatten, aber die Vögel flogen ihretwegen fort, und die Wanderer lachten, weil sie hereingefallen waren. Hier ist das Thema „Baum und Vögel" zu einem Witz umgestaltet, gutmütig, insofern die Wanderer über sich selber lachen. „Seht die aus der Baumhöhle herausgekommene Papageienreihe; der im Herbst gleichsam erkrankte Baum würgt gleichsam Galle samt Blut heraus" (VI, 62). Die grün-roten Papageien werden diesmal mit Galle und Blut verglichen. Das ist für unseren Geschmack ekelhaft. Nach Bhämaha I, 48 gehört „herauswürgen" dementsprechend zu den unanständigen, fehlerhaften Worten. Dandin I, 95 f. hat aber hervorgehoben, daß dieses und andere Worte in Vergleichen „außerordentlich schön" wirken, und f ü h r t als Beispiel eine Strophe darüber an, daß Lotosblumen die von der Sonne ausgespienen Funken einschlürfen und gleichsam aus ihren Mündern wieder herauswürgen. Als geistreich wurde es wohl empfunden, wenn eine Wolke donnert, gleichsam stöhnt, weil sie die Erde, die an den Fäden des unablässig strömenden Regens hängt, trotz aller Mühe nicht heben kann (V, 36). Es ist wohl befürchtet, sie könnte im Wasser versinken. Oder: Wenn die Regenzeit, bzw. die Jugend, mit den strotzenden Wolken, bzw. Brüsten, vergangen ist, sieht man (im Herbst) (weißes) Käsa-Gras gleichsam als erstes weißes H a a r der Erde. 142 Als doppeldeutig gilt: „Sieh! Bewegungslos leuchtet der (weiße) Kranich auf dem Lotosblatt, wie auf der fleckenlosen Smaragdschale Perlmutter." Mit diesen Worten soll nach dem späten, feudalistischen Kommentar ein Mädchen ihrem Geliebten andeuten, daß hier ein Ort für ein ungestörtes Stelldichein ist, sonst wäre der Kranich nicht so ruhig. Analoge Deutungen versucht der Kommentar auch bei den anderen Strophen, die an sich nur Naturlyrik enthalten. „Im Wald, der voll ist vom Summen der Bienen, die vom Frühlingswind dazu angetrieben sind, singt so, daß von den die Trennung vom Geliebten andeutenden Worten die Wanderer verwirrt werden, eine Hirtin" (II, 28). Das Liebeslied der einsamen Hirtin weckt in den Wanderern Sehnsucht nach ihren daheim gebliebenen Geliebten. 143 I n solchen kurzen Strophen ist Natur- und Liebeslyrik, sind Frühling, Wind, Bienen, Summen, Sehnsucht der Hirtin und der Wanderer verquickt, wie es bei Vorärya noch nicht vorkam. Neben eine solche etwas sentimentale ist eine humorvolle Strophe zu stellen: „Den von der Biene gestochenen Mund des Geliebten mit der geschwollenen Lippe sehend, geht die Pulindafrau aus Eifersucht in den Schatten eines anderen Baumes" (VI, 34). Diese Frau des Waldstammes der Pulinda meint in ihrer Naivität, seine Lippe sei von einer anderen gebissen worden. Oder: „Die Taille, der Geliebte, das Haus, die männliche Dorfjugend und die Rivalinnen; in dem Maße, wie die Brüste (der Dorfschönen) wachsen, werden diese fünf dünner" (VI, 97;

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Y. Periode, 3 b

vgl. I I I , 12). „Durch die Liebe zu einer neuen F r a u d ü n n geworden, aber zugleich seine erste F r a u zu ernähren wünschend, f ü h r t den d ü n n gemachten u n d t r o t z d e m noch f ü r ihn schwer zu spannenden Bogen in den W a l d der J ä g e r " (II, 22). Weil die neue Liebe ihn schwach gemacht h a t , h a t er das Holz seines Bogens abgeschabt, u n d dennoch h a t er mit ihm seine Mühe, m u ß aber seiner ersten, eigentlichen F r a u wegen auf die J a g d . Bei Asvaghosa ist es Sundarl, deren schöner Leib durch Liebessorge abgemagert ist. 1,54 Der B u d d h i s t v e r h ö h n t d a m i t ein wenig die Städterin, die, wie er meint, mit R e c h t von N a n d a verlassen ist, als er B u d d h a nachfolgte. H ä l a aber f r e u t sich der starken Liebe der K i n d e r der N a t u r , der Pulinda, der Jäger, die wohl ebenfalls W a l d s t ä m m e n angehören, u n d der Bauern, die er den S t ä d t e r n (seinen städtischen Lesern) mit R o m a n t i k schildert, freilich zugleich mit gewissem Schmunzeln des Städters. H ä l a liebt die liebenden Menschen mit ziemlicher Rührseligkeit oder S e n t i m e n t a l i t ä t 1 4 5 u n d zugleich mit deutlichem Humor. 1 4 6 Seine N a t u r - u n d Liebeslyrik ist eben kompliziert, wie es bei einem damaligen Gebildeten verständlich ist. E r war ein würdiger Vorläufer Bhartrharis, 1 4 7 a n den (s. u.) nebenbei eine Strophe H ä l a s erinnert: „Sie ist dein Liebling, du bist mein; sie mag dich nicht, ich bin dein; K n a b e , sagen wir es deutlich: Die Liebe h a t viele F o r m e n " (II, 26). 148 Neben die oben herangezogene Strophe der im W a l d e voll Liebessehnsucht singenden H i r t i n k a n n m a n einige Strophen Hälas stellen, die K r s n a u n d die ihn liebenden H i r t i n n e n besingen. Eine von ihnen beklagt sich bei ihm, d a ß er den Stolz der H i r t i n n e n f o r t n i m m t , wenn er mit seinem K u ß den S t a u b von R ä d h ä s W a n g e n i m m t 1 4 9 (dabei klingen in Mahärästri die hier gewählten W o r t e f ü r S t a u b u n d Stolz gleich). — W e n n seine Mutter Yasodä versichert, er sei noch ein K i n d , lächeln die Hirtinnen, deren Blicke auf sein Antlitz gerichtet sind (sie kennen ja im Gegensatz zur M u t t e r seine Liebeskraft!). — H ä u f i g ist das T h e m a , daß alle H i r t i n n e n als Rivalinnen den Jüngling lieben, 150 aber es k o m m t weder zu einer H e i r a t , noch zu W o r t e n Krsnas, noch spielt bei H ä l a die Ausmalung der Situation, die Wald- oder H i r t e n r o m a n t i k des S t ä d t e r s eine Rolle, u n d doch ist dies eine eigenartige F o r m der indischen Bukolik. 1 5 1 H ä l a war wie B h a r t r h a r i auch ein Gesellschaftskritiker. „ I m H a u s e des A r m e n möchte die F r a u das Leid des Mannes schonen, u n d , n a c h ihrem Schwangerschaftsgelüst gefragt, sagt sie immer n u r : ,Wasser'." 1 5 2 — „ 0 du, weise A r m u t ! Die T u g e n d h a f t e n , die Freigebigen, die Gebildeten, diese liebst du u n d weilst bei ihnen wie z. B. bei mir." 1 5 3 — „Mag im W a l d e ein k r u m m e r , ast- u n d blattloser B a u m wachsen, nicht aber wächst in der Menschenwelt ein Gernegebender, Gebildeter u n d A r m e r " ( I I I , 30). Aus solchen Strophen spricht offenbar bittere eigene E r f a h r u n g des Dichters, der von seiner D i c h t u n g leben wollte oder m u ß t e , ähnlich wie der junge Kälidäsa 1 5 4 oder B h a r t r h a r i in der V I . Periode, u n d zwar vermutlich von Geschenken gebildeter S t ä d t e r , von Mäzenen, was H ä l a u n d seinesgleichen wiederum von a n o n y m e n Dichtern d e r vorarischen Gentilgesellschaft unterscheidet u n d eher zu den priesterlichen Dichtern des R g v e d a stellt, bzw. zu den seit der I. Periode belegten B a r d e n 1 5 5 oder H o f d i c h t e r n . Seiner städtischen Wald- u n d D o r f r o m a n t i k entsprechend,

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die zur Verwendung der Mahärästri s t a t t des Sanskrits p a ß t u n d vermutlieh aus seiner Biographie herzuleiten ist, preist er, verfolgt er aber zugleich a n seltenen Stellen mit seinem Spott die damaligen Vorläufer der Feudalherren, die kriegerischen „Dorfherren", 1 5 0 die Geliebten der Bäuerinnen, u n d besonders kritisch ist die S t r o p h e : „Die D a m e , die aus Liebe ohnmächtig geworden ist, h a t der Pflüger in der Meinung, sie sei tot, aufgegeben u n d ist geflohen; da lacht gleichsam die Baumwolle, die sich k r ü m m t u n t e r ihren a u f b r e c h e n d e n K n o s p e n " (IV, 60). Der Spott über den Tölpel ist gemischt mit nicht ausgesprochener Verachtung der Dame, der Tochter des D o r f h e r r e n (nach dem K o m m e n t a r ) , die sich den B a u e r n im Baumwollfeld zum Liebhaber g e n o m m e n u n d d a m i t die E h r e des Adligen schwer verletzt hat. 1 5 7 So scheint hinter den 700 Strophen des H ä l a eine Dichterpersönlichkeit zu stehen, die mit ihrer moralischen H a l t u n g , ihrer zwiespältigen, romantischsentimentalen u n d witzigen Darstellung der Liebe, mit ihrem geistreichen, gefeilten Stil u n d mit ihrer Volkssprache dem Geschmack der gebildeten S t ä d t e r entsprach u n d sie zugleich in ihrer städtebürgerlichen, f ü r indische Verhältnisse freiheitlichen H a l t u n g bestärkte. H ä l a war n a c h der einleitenden Strophe Sivait. Asvaghosa w a n d t e sich a n buddhistische Gebildete, Välmiki, der Visnuit, mit seinem „Volksepos" a n weit breitere hinduistische Schichten als Häla. Dessen Sivaismus aber ist von einer gewissen k ü h n e n Menschlichkeit bestimmt. Die 700. Strophe l a u t e t : „Den, auf dessen f ü r den D ä m m e r u n g s r i t u s geschöpfte H a n d v o l l Wasser der Gesichtsm o n d der Gauri als Abbild gefallen ist, den ausgesprochen lügnerisch die Lippen bewegenden, das Gebet vergessen habenden Siva verehret!" Siva erblickt beim R i t u s das Spiegelbild seiner F r a u auf dem Wasser in seinen H ä n d e n , wird von Liebe gepackt, vergißt das Gebet, aber, um seine Liebe zu verbergen, bewegt er seine Lippen u n d simuliert das Beten. — I n der Einleitungsstrophe fingiert Häla, daß in derselben Lage Gauris Gesicht rot vor Eifersucht auf die a n d e r e F r a u , die Göttin der D ä m m e r u n g , ist; in V, 48, daß Siva ihr dabei das Wasser zum Friedenstrunk reicht. Das menschlich-allzumenschliche geheuchelte B e t e n des höchsten Gottes in der Schlußstrophe ist f ü r orthodoxes E m p f i n d e n einem gläubigen Dichter im G r u n d e doch wohl als Sünde anzurechnen. 1 5 8 E s ist etwas gelinder, wenn P ä r v a t i , der Shiva beim Liebesspiel ihr Gewand n i m m t , mit ihren beiden H ä n d e n sein Augenpaar verschließt, sein drittes Auge auf der Stirn aber k ü ß t (damit er sie nicht nackt sieht). 1 5 9 Das ist einerseits heiter u n d andererseits etwas lüstern widergespiegelte menschliche Liebe beim göttlichen P a a r der Welteltern, u n d das entsprach sicher dem Geschmack der'damaligen Städter, deren im Grunde u n f r o m m e H a l t u n g auch dem Anfang des K ä m a s ü t r a z u g r u n d e liegt. 161 ' W e n n die Tradition indessen behauptet, ein König H ä l a h a b e diese S t r o p h e n unter seinen Soldaten, dem Volk, gesammelt, so ist das wohl fingiert u n d als T a r n u n g der gelegentlichen dichterischen K ü h n h e i t gemeint, wie auch die Einleitung des gesellschaftskritischen P a n c a t a n t r a aufzufassen ist. 1G1 Auch die hinduistischen E p e n wollen zuerst an Königshöfen u n d d o r t mit Beifall aufgenommen worden sein. Das war wohl ein übliches Motiv.

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4. Ejpik a) Välmikis U r t e x t des R ä m ä y a n a 1. Innerhalb seiner langen Geschichte hat das Kurzepos des Rämäyana in den Jahrhunderten der V. Periode vor Asvaghosa durch Välmiki die Form erhalten, die man Urtext nennen kann. 162 Dieser kann bereits niedergeschrieben worden sein, obgleich das nicht überliefert ist; ein kleiner Rest ist nämlich erhalten, der etwa die Hälfte des heutigen I. Buches in einem einzigen Gesang in sehr knapper Form enthält. 1 6 3 Das I. und VII. Buch in der heutigen Form des Epos wurden erst im Archetypus unserer Handschriften in der VI. Periode hinzugefügt. 164 Der Urtext enthielt also nur Buch II—VI, und diese in sehr viel kürzerer Form als der Archetypus. 165 Über seinen Umfang kann man nur vermuten, daß er länger als das Rämakurzepos der IV. Periode mit seinen etwa 800 Versen und vergleichbar eher den beiden Epen Asvaghosas mit je unter 2000 Versen als dem Mahäbhärata des Vyäsa mit seinen angeblich 24000 Versen 166 gewesen sein könnte. Der 1. Gesang mit der knappen Schilderung der Stadt Ayodhyä, der Eltern Rämas, dessen Geburt und Jugend entspricht einigermaßen der des Prinzen Siddhärtha bei Asvaghosa. 2. Välmiki gab dem Rämäyana die Form des „Unkävya" unter sparsamer Verwendung der Stilmittel des kävya.1G1 Damit begann etwas Neues in der Entwicklung des Epos und der Dichtung Altindiens überhaupt. Im Archetypus hat man dann hinzugedichtet, wie Välmiki dies geleistet und das neue Epos seine Schüler, Kusa und Lava, die Söhne Rämas, gelehrt hat. 168 Daß Räma von königlichen Barden, etwa von einem Wagenlenker, der Kenner der Puranen war, wie Yudhisthira 169 besungen worden sei, ist nirgends überliefert. Der Wagenlenker Sumantra des Königs Dasaratha spielt jedoch im I I . Buch des Rämäyana eine große Rolle, u. a. als eine Art Ratgeber und Lehrer des Königs 1 7 0 ; er erzählt einmal der Kaikeyi eine märchenhafte Geschichte über ihre Eltern, aber dies nur in der südlichen Version, 171 und es handelt sich um keinen genealogischen oder heroisch-epischen Stoff, den er erzählt. Da Buch I und V I I noch fehlten, braucht Räma im Urtext noch nicht als Menschwerdung Visnus besungen worden zu sein, obgleich die Vorstellung des avatäras auf gentile Vorärya 172 zurückzugehen scheint. 3. Wie Asvaghosas Buddhaepos behandelte der Urtext des R ä m ä y a n a demnach noch nicht die ganze Lebensgeschichte Rämas mit gleicher Ausführlichkeit, sondern vor allem seine Verbannung in den Wald; er schließt nach seiner Heimkehr mit einem kurzen Ausblick auf seine glückliche Herrschaft unter Verwendung eines älteren Verses. 173 Der Stoff des Urtextes dürfte damit im großen ganzen dem des Kurzepos entsprochen haben, wenn dieses in der T a t dem Vessantarakurzepos ähnlich gewesen ist.17/1 Es handelte sich auf diesen Stufen der Entwicklung der Epen also noch um Problemepen, 175 nicht um

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biographische E p e n wie später in den Archetypen des R ä m ä y a n a u n d Mahäb h ä r a t a , u n d zwar bei R ä m a vor allem um das Problem, daß er das W o r t seines Vaters u n t e r allen U m s t ä n d e n wahr macht, n a c h vierzehnjähriger abenteuerlicher W a l d w a n d e r u n g seine e n t f ü h r t e F r a u zurückerobert u n d siegreich heimkehrt. 1 7 6 4. Das Ideal des W o r t h a l t e n s oder „Wahrsprechens" war schon in der I I . Periode bei dem brahmanischen Asketen S a t y a k ä m a 1 7 7 f ü r b r a h m a n i s c h e Moralisten wichtig gewesen; K a u t a l y a h a t t e in der I V . Periode gezeigt, d a ß es f ü r einen Staatsleiter problematisch ist, da dieser nicht immer die W a h r h e i t sagen darf. 1 7 8 I m R ä m ä y a n a , sicher schon im U r t e x t , wurde R ä m a s H a l t u n g , das W a h r m a c h e n des Verbannungsbefehls seines Vaters, von fast allen, die seine V e r b a n n u n g miterlebten, von seinen V e r w a n d t e n u n d R a t g e b e r n bis hinab zum Volk, f ü r falsch erklärt, u n d sie war in der T a t politisch falsch, d e n n R ä m a hätte, s t a t t in den W a l d zu gehen, den T h r o n besteigen müssen; K ö n i g D a s a r a t h a h a t t e ihn n u r widerwillig u n d gegen besseres Wissen v e r b a n n t , gezwungen d u r c h seine jüngste F r a u Kaikeyi, die ihn ihrerseits zwang, ein ihr f r ü h e r einmal leichtfertig gegebenes W o r t gegen seinen Willen u n d alle V e r n u n f t w a h r zu machen. Välmiki h a t dieses T h e m a im I I . B u c h i m m e r wieder neu diskutiert, u. a. in R ä m a s Diskussion mit dem materialistisch argumentierenden Minister Jäbäli, 1 7 9 um R ä m a s rigoros idealistische u n d d a m i t einseitige, den Notwendigkeiten der Politik nicht gerecht werdende H a l t u n g als ein Ideal herauszustellen. R ä m a n i m m t in diesem P u n k t eine übermenschlich idealisierte H a l t u n g ein. 180 Gerade im Indien des entwickelten Despotismus war es f ü r das Volk ein Ideal, der Herrscher möge sein einmal gegebenes W o r t w a h r m a c h e n ; schon von der zerfallenden Gentilgesells c h a f t an war dies ein juristisch-moralisches Problem gewesen. 1 8 ! J e t z t a b e r t r a t K r s n a mit seiner Rechtfertigung der Notlüge dem Feind gegenüber 1 8 2 im M a h ä b h ä r a t a als Anwalt der entgegengesetzten H a l t u n g auf. Dieses d a m a l s aktuelle T h e m a bewog Välmiki u n t e r anderem, den U r t e x t dem K u r z e p o s gegenüber breit auszugestalten. Bei aller Utopie der Idealisierung R ä m a s war dies eine volkstümlich-moralische Leistung. 5. Das zweite große T h e m a Välmikis ist das der Liebe. E r h a t die Tragödie der Liebe D a s a r a t h a s u n d K a u s a l y ä s in Ayodhyä, der Liebe Välins u n d T ä r ä s im Affenreich von Kiskindhä, der vergeblichen W e r b u n g R ä v a n a s u m Sita in L a n k ä u n d schließlich die der T r e n n u n g R ä m a s von Sitä, ihre Wiedervereinigung u n d R ä m a s Mißtrauen ihr gegenüber in A y o d h y ä zu einem H a u p t t h e m a seines E p o s gemacht 1 8 3 u n d sich schon mit dessen tief h u m a n e r B e h a n d lung den Ehrentitel „Urdichter" verdient. Die Liebe des monogamen R ä m a ist im Unterschied zu der Polygamie K r s n a s u n d A r j u n a s frei von E r o t i k , ist heroisch idealisiert, h a t mit der Leichtfertigkeit des K ä m a s ü t r a nichts gemein, wird nicht als Leidenschaft verurteilt wie bei Asvaghosa u n d ist a u c h weder sentimental noch lustig wie die Liebe bei H ä l a . Sie bricht insbesondere in den Klagen des getrennten E h e p a a r e s mit aller K r a f t hervor. 6. Als drittes ist ein gewisser antidespotischer, demokratischer Grundzug des E p o s zu nennen. Am E n d e erschlägt R ä m a den D ä m o n R ä v a n a . Dies T h e m a

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V. P e r i o d e , 4 a

war schon in der IV. Periode behandelt worden, aber jetzt wird R ä v a n a deutlich als Despot des fernen L a n k a (und im Archetypus als Weltherrscher) gekennzeichnet, der seinen Trieben folgt u n d von seinen R a t g e b e r n keinen guten R a t annimmt. 1 8 ' 1 Am A n f a n g des Epos aber handelt auch D a s a r a t h a , der H e r r Ayodhyäs, despotisch: Nachdem die Volksversammlung nach uralter Sitte R ä m a als neuen König „gewählt" ,8r> hat, v e r b a n n t D a s a r a t h a ihn wegen einer L a u n e seiner jüngsten Frau. 1 8 0 I m mittleren Teil wird Sugriva als schwächlicher Despot der Affen (des Südens, des Auslandes) gekennzeichnet. 1 8 7 Diesen dreien wird a m E n d e R ä m a s ideale, gerechte Regierung gegenübergestellt, u n d zwar regiert er das L a n d u m Ayodhyä, einen Kleinstaat u n t e r anderen Kleinstaaten. Dabei gehört der U r t e x t in die Zeit nach dem Großreich der Maurvas. Offenbar h a t Välmlki f ü r Volk u n d Herrscher von Ayodhyä, nachdem sie nicht mehr u n t e r dem Druck der Nanda-Mauryas litten, dieses Bild der alten Gesellschaft nicht n u r vom antidespotischen, sondern auch vom dezentralistischen Standp u n k t aus rückblickend-idealisierend gezeichnet, 1 8 8 wie es bei einem Epiker, einem romantischen Dichter der „großen" Vergangenheit, nahelag. Dazu gehört die Darstellung der B r ü d e r R ä m a s als ihm u n d dem Vater loyal ergeben, wie es doch im damaligen Despotismus nach dem Zeugnis K a u t a l y a s u n d des Mahäb h ä r a t a durchaus nicht selbstverständlich war. 1 8 9 7. Viertens ist das R ä m a e p o s sicher schon damals m ä r c h e n h a f t gewesen, vor allem mit Sltäs E n t f ü h r u n g u n d der Schilderung der Affen von Kiskindhä als Helfern des Helden u n d mit der der Menschenfresser von L a n k ä als seinen Gegnern. Die J a h r e der Verbannung verbringt R ä m a als urtümlich-märchenh a f t e r Wanderheld, aber mit der Besonderheit, daß er im W a l d die hier u n d da einsam lebenden brahmanischen Waldeinsiedler gegen Menschenfresser schützt. 1 9 0 Deren Reich, L a n k ä , wurde von den H i n d u s stets als Ceylon aufgefaßt, aber a n sich ist es eine m ä r c h e n h a f t e Insel fern im Süden, jenseits der unendlichen Wälder u n d jenseits des Ozeans, mit einer herrlichen Residenz. Diese Vorstellung Südindiens-Ceylons e n t h ä l t das E l e m e n t der Adamsbridge, die die Affen f ü r R ä m a gebaut haben sollen, eine sicher sehr alte Lokalsage, 1 9 1 aber die Schilderung der südindischen Wälder mit den Asketen, Affen u n d D ä m o n e n entsprach damals nicht mehr der Wirklichkeit. 1 9 2 Välmlki dichtete eben nicht nach dem S t a n d e des damaligen Wissens, sondern märchenhaft, 1 9 3 was u m so bemerkenswerter ist, als die Zeitgenossen K a u t a l y a s u n d Asokas bereits lange vor Välmlki ökonomisches u n d politisches Interesse an Südindien gehabt hatten. l ü '' R ä m a h a t nach dem E p o s die politische Lage in Südindien in ihrem Wesen nicht verändert, 1 9 5 auch hier wollte Välmlki das Alte erhalten wissen. E r h a t nicht etwa die Brahmanisierung Südindiens als historischen Vorgang geschildert. Diese vier P u n k t e (§ 4—7) spiegeln die Tendenzen des Dichters wider, die er u n t e r dem Volk der B a u e r n u n d den H e r r e n in Indien, zumindest Nordindien, verbreiten wollte, u n d zwar als brahmanischer Ideologe gewisser herrschender Kreise, die sich mit diesem E p o s den Kreisen K a u t a l y a s , des K ä m a s ü t r a , Asvaghosas, des M a h ä b h ä r a t a (s. u.) u n d sicher noch anderer entgegenstellten, f ü r uns aber —

V. Periode, 4 a

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abgesehen von ihrem Kleinstaatdezentralismus — soziologisch noch nicht greifbar sind. Heute sind die Verfechter des Rämräjya konservativ. Damals war VälmTki zwar in gewissem Sinne konservativ, aber vor allem ein großer Humanist. Es ist die Frage, welche Kreise dafür sorgten und in der Lage waren, dafür zu sorgen, daß das hinduistische Epos mit seinem beträchtlichen Umfang im ganzen Indien auswendig gelernt oder abgeschrieben und immer wieder an zahllosen Orten vorgetragen wurde, um seine Ideen, die andere waren als die des Mahäbhärata, im Volk zu verbreiten. Dies können nicht nur die kleinen Kreise um die von den Nandas besiegten Könige von Ayodhyä gewesen sein, wenn sie auch den Anstoß f ü r diese Dichtung gegeben haben mögen (s. o.). Der Dezentralismus war wohl von damals an sehr weit verbreitet. 8. Der märchenhafte Charakter des Rämaepos ist durch Vergleich einiger seiner Themen, die zu denen des vorarisch-gentilen Wanderhelden und des sein Wort haltenden Prinzen von Ayodhyä aus dem Sonnengeschlecht der heroischen Zeit hinzukamen, mit Themen des europäisch-asiatischen Odysseus-AlpamyschKomplexes in neues Licht zu rücken. Dieser hat in fast 3000 Jahren in einem Riesengebiet in verschiedenen literarischen Genres die verschiedensten Formen erhalten, u. a. Verse als Epos, vielfach auch als Heldenmärchen. 196 Inhaltlich gehört dazu das Motiv der Erlangung der Braut durch Wettkampf, insbesondere Bogenschießen, in Verbindung mit allerhand heldischen Abenteuern (268, 274, 281 ff.), 197 wie auch Räma Sita gewann, nachdem er als junger Held gegen Dämonen gekämpft hatte. Dies gehört allerdings erst zum späteren I. Buch des Archetypus, kann aber als Sage bzw. Heldenmärchen auch in Indien älter sein. 198 Dieses Thema gehört in jenem Odysseus-Alpamysch-Riesenkomplex anscheinend zum alten Bestand, ist aber auch in verwandte Dichtungen später eingefügt worden (283). — Eine zweite Gruppe von Abenteuern hat der eurasische Held zu bestehen, als er, nachdem er seine junge Frau auf der Suche nach Abenteuern verlassen hat und sieben Jahre in der Fremde festgehalten worden ist, in höchster Eile heimkehrt, um sie vor erzwungener Heirat mit einem anderen zu bewahren und vor Ablauf der der jungen Frau gesetzten Frist den neuen Freier zu erschlagen. 199 Aber die Trennung zwischen R ä m a und Sita wird mit dem uralten Motiv der Entführung der Frau begründet, und der Entführer, Rävana, wird nach vielen Abenteuern des Helden erschlagen, bevor die Frist f ü r die Einwilligung Sltäs in die Ehe mit ihm abgelaufen ist. Märchenhaft fliegt der siegreiche eurasische Held auf einem Wunderpferd in Eile heim, wie Räma auf dem Puspaka (281 f.). 200 Alpamysch reitet in seinem Heldenleben über asiatische Steppen, Odysseus fährt zu Schiff übers Meer, Räma wandert wie der Held der vorarischen Gentilgesellschaft durch Wälder. Auch das Leben des Alpamysch-Odysseus wird wie das Rämas nicht von der Geburt bis zum Tode erzählt, sondern nur eine langjährige Periode. In jener weit verbreiteten Volksliteratur wird die nur noch in der Erinnerung lebende sehr frühe patriarchalische Gesellschaft idealisiert (280»), zugleich aber wird die aktuelle Lage der verschiedenen Bearbeiter deutlich bei der Motivierung der langen Trennung der Gatten, z. B. durch die Erfahrungen der Kreuzzüge (277). Der Erschlagung des 15

Rüben, Dichtung

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V. Periode, 4 b

R ä v a n a s t e h t u. a. die des den T ü r k e n v e r f e i n d e t e n K a l m ü c k e n h e r r s c h e r s g e g e n ü b e r (275). G e h ö r t das ä l t e s t e H e l d e n m ä r c h e n des A l p a m y s c h ins 6 . - 8 . J a h r h u n d e r t u. Z., so sein Versepos ins 16. J a h r h u n d e r t u n d zwar f u ß t e dieses a u f einer K u r z f a s s u n g in m e t r i s c h e r F o r m oder in P r o s a m i t e i n g e s t r e u t e n V e r s e n . E s w u c h s bis auf 14000 Verse 2 0 1 a n . Ähnlich w a r die E n t w i c k l u n g des R ä m a epos. Einige Motive (Gans als Liebesbote, V e r z a u b e r u n g der Gestalt des von der F r a u g e t r e n n t e n H e l d e n ) h a t dies E p o s a u c h m i t N a l a s Kurzepos,- 0 2 d a s eine A r t V a r i a n t e des R ä m a k u r z e p o s ist, g e m e i n s a m . N i m m t m a n an, d a ß diese heldische V o l k s l i t e r a t u r d a n k d e m Zeugnis der Odyssee auf z u m i n d e s t die Zeit vor d e m 7. J a h r h u n d e r t v. u. Z. in Kleinasien zu d a t i e r e n ist (284) u n d eine so weite V e r b r e i t u n g g e f u n d e n h a t , so scheint es nicht ausgeschlossen, a u c h das R ä m a e p o s d a r a n in sehr freier Weise anzuschließen. I n der I . u n d I I . P e r i o d e des arisierten I n d i e n s f i n d e t sich keine S p u r des R ä m a ; indoeuropäisches E r b e liegt hier jedenfalls n i c h t vor. E s k a n n a b e r a u c h sein, d a ß ohne E i n f l u ß der A l p a m y s c h e p i k m i t d e m H i n d u i s m u s seit d e r I I I . P e r i o d e l a n g s a m eine rein indische R ä m a d i c h t u n g a u s m u n d a i s c h e m E r b e erwuchs. Die Ä h n l i c h k e i t e n m i t A l p a m y s c h - O d y s s e u s sind d a n n a u s sozialen Ä h n l i c h k e i t e n als analoge mythologische bzw. epische E n t w i c k l u n g e n zu e r k l ä r e n ; in m a n c h e n j u n g e n Klassengesellschaften b r a u c h t e m a n k u r z n a c h deren heroischem Z e i t a l t e r u. a. offenbar solche m ä r c h e n h a f t e H e l d e n d i c h t u n g . Diese in beiden Gebieten analoge soziale L a g e ist übrigens a u c h h e r a n z u z i e h e n , w e n n m a n die Ü b e r n a h m e des Stoffes aus Klein- bzw. I n n e r a s i e n n a c h I n d i e n erklären wollte. Die G u d r u n s a g e 2 0 3 ist m i t Sicherheit als ein nordisches t y p o logisches Analogon zur R ä m a s a g e , o h n e historische W a n d e r u n g des Stoffes, a n z u f ü h r e n , die Paris-Helenasage 2 0 / 1 als ein altgriechisches, eine E r z ä h l u n g d e r M a n d e 2 0 5 als ein afrikanisches, die N a l a s a g e (s. o.) als ein indisches.

b) V y ä s a s B h ä r a t a A n a l y s i e r t m a n d a s M a h ä b h ä r a t a n a c h d e n gleichen a c h t P u n k t e n , so zeigt sich der weltanschauliche u n d f o r m a l e U n t e r s c h i e d beider E p e n . 1. I n n e r h a l b d e r langen H e r a u s b i l d u n g des M a h ä b h ä r a t a soll V y ä s a ein E p o s von 2 4 0 0 0 Versen v e r f a ß t h a b e n , das n o c h B h ä r a t a hieß. 2 0 0 Dieses wird m i t B e r i c h t e n ü b e r V y ä s a , der wie Välmiki ein B r a h m a n e , Waldeinsiedler u n d Zeitgenosse der heroischen Ereignisse war, im I . B u c h , also im A r c h e t y p u s erzählt. 2 0 7 I m X V I I I . B u c h a b e r wird a m E n d e b e t o n t , d a ß d a s E p o s 100000 Verse u m f a ß t e . D a m i t d ü r f t e der A r c h e t y p u s g e m e i n t sein. E s ist a n z u n e h m e n , d a ß in V y ä s a s E p o s K r s n a bereits seine b e d e u t e n d e Rolle gespielt hat, 2 0 8 d e n n sonst ist n i c h t verständlich, w a r u m der H a r i v a m s a 2 0 9 als E r g ä n z u n g des M b h hinzug e f ü g t w u r d e . K r s n a ist j a in der I I . u n d I I I . P e r i o d e 2 1 0 schon bezeugt, u n d d e r I V . m a g vielleicht seine B h a g a v a d g i t ä 2 , 1 zugewiesen werden. K r s n a g e h t u. a . m i t einem Teil seiner Motive auf einen indoeuropäischen H e l d e n t y p 2 1 2 z u r ü c k , m i t einem a n d e r e n a u f einen vorarisch-gentilen W a n d e r h e l d e n , 2 1 3 f e r n e r a u f

V. Periode, 4 b

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einen historischen bzw. heroischen P r i n z e n von M a t h u r ä u n d D v ä r a k ä . A u c h B h l m a s e n a g e h ö r t e d e m E p o s V y ä s a s an, d e r d o c h wie K r s n a u n d A r j u n a ursprünglich n i c h t zu den P ä n d a v a s gehörte. 2 i / l 2. V y ä s a s E p o s h a t n u r selten ¿Sw/a-Charakter. 2 1 5 V y ä s a spielt im E p o s als R a t g e b e r der H e l d e n im Gegensatz zu Välmiki eine große Rolle. 3. A u c h bei V y ä s a s E p o s h a t es sich wie bei d e m V ä l m l k i s v e r m u t l i c h u m ein P r o b l e m e p o s g e h a n d e l t , das erst im A r c h e t y p u s d u r c h H i n z u f ü g u n g e n a m A n f a n g u n d E n d e zu einer Biographie der P ä n d a v a s ausgebildet w u r d e . I s t d a s richtig, d a n n h a t V y ä s a — n a c h k u r z e r E i n l e i t u n g — e t w a bei d e r a l t b e z e u g t e n Spielszene 2 1 0 in I I , 43ff. b e g o n n e n u n d m i t d e m P f e r d e o p f e r z u r S ü h n u n g des Gemetzels der großen Schlacht im X I V . B u c h 2 1 7 geschlossen. D a n n wäre v o n P ä n i n i m i t d e m Titel „ K i n d e r schreien" auf ein selbständiges episches Lied oder eine P r o s a e r z ä h l u n g v o n D u r y o d h a n a s G e b u r t 2 1 8 hingewiesen w o r d e n . Die J u g e n d der P ä n d a v a s m u ß j a irgendwo a u s f ü h r l i c h geschildert bzw. allgemein b e k a n n t gewesen sein, u m d e n Streit d e r P ä n d a v a s u n d K a u r a v a s m i t seinem schwierigen E r b s c h a f t s p r o b l e m zu v e r s t e h e n . Als P r o b l e m b e h a n delte d a s E p o s die d r e i z e h n j ä h r i g e V e r b a n n u n g der P ä n d a v a s wegen des verlorenen Spiels, ihre z w ö l f j ä h r i g e W a l d w a n d e r u n g u n d im 13. J a h r ihren Sieg ü b e r die feindlichen V e t t e r n , den diese v o n den V e r w a n d t e n n i c h t erwarteten. 4. D a s juristische u n d zugleich moralische P r o b l e m der E r b f o l g e der P ä n d a v a s ist f ü r V y ä s a so wichtig wie f ü r Välmiki d a s der W a h r h e i t . Y u d h i s t h i r a ist z u m i n d e s t n a c h d e m I . B u c h , d . h. d e m A r c h e t y p u s , der R e c h t s k ö n i g , die I n k a r n a t i o n des R e c h t s g o t t e s . Sein Bild ist v e r m u t l i c h v o n d e m des A s o k a beeinflußt. Y u d h i s t h i r a sowohl wie Asoka, a b e r letztlich a u c h K a u t a l y a m ö c h t e n jeder von seiner A n s c h a u u n g her Kriege v e r m e i d e n , o h n e einseitige P a z i f i s t e n zu sein. D e r Y u d h i s t h i r a V y ä s a s m ö c h t e F r i e d e n , ist a b e r z u m K r i e g gegen die K a u r a v a s gezwungen, weil dieser rechtlich n o t w e n d i g ist. 2 1 9 Bei diesem d a m a l s o f f e n b a r wichtigen P r o b l e m des F r i e d e n s a r g u m e n t i e r t e V y ä s a aus seiner, u n s im einzelnen noch u n b e k a n n t e n Klassenlage h e r a u s a n d e r s als A s o k a o d e r K a u t a l y a , w ä h r e n d es f ü r d e n R ä m a V ä l m l k i s d e m R ä v a n a g e g e n ü b e r kein P r o b l e m war. Y u d h i s t h i r a s c h w a n k t e a u c h n i c h t , die K r i e g e zu u n t e r n e h m e n , die f ü r ihn als W e l t h e r r s c h e r (cakravartin) b e i m R ä j a s ü y a (II, 12ff.) 2 2 0 u n d A s v e m e d h a - O p f e r n o t w e n d i g w a r e n . — E r , d e r ideale V e r t r e t e r des dharma, sieht sich in der g r o ß e n Schlacht einmal auf K r s n a s R a t hin zu einer L ü g e gezwungen, u m zu helfen, den sonst u n ü b e r w i n d l i c h e n D r o n a zu erschlagen (VII, 164, 103ff.). E r verwirklicht d a m i t , was K r s n a A r j u n a z u m K a m p f gegen D r o n a s N a c h f o l g e r K a r n a r ä t : die A n w e n d u n g der N o t l ü g e einem Bösen gegenü b e r , w e n n z. B. ein Waldeinsiedler W i l d e n g e g e n ü b e r die A n w e s e n h e i t eines G u t e n leugnet. 2 2 1 B h i s m a s t e h t auf demselben S t a n d p u n k t . A b e r im s p ä t e r e n , von B h r g u i d e n b e a r b e i t e t e n A r c h e t y p u s 2 2 2 h e r r s c h t eine eher d e m R ä m a ähnliche A n s c h a u u n g : Y u d h i s t h i r a s Seele wird n a c h d e m T o d e dieser seiner L ü g e wegen in die Hölle g e s a n d t ( X V I I I , 3) ( d a n n erst g e l a n g t sie in d e n H i m m e l ) , u n d es wird erzählt, a l s B h r g u in seiner Einsiedelei einst einen K s a t r i y a v e r b a r g 15»

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Y. Periode, 4 b

und log, es seien nur Brahmanen bei ihm, sei dieser Ksatriva zum Brahmanen geworden, weil Bhrgus Wort nicht unwahr sein konnte (XIII, 31). Und als Bhrgu einst aus an sich verständlicher W u t Agni verflucht hatte, der als Zeuge gegen ihn die Wahrheit sagte, konnte Brahma Agni mit Lob und Versprechungen versöhnen, Bhrgus Unrecht aber nicht in Recht umdeuten (I, 511 ff.). — I m Mahäbhärata ist im allgemeinen Yudhisthira der Vertreter des Rechts (dharma). Wo die Politik List, Lüge und Gemeinheit notwendig macht, tritt Krsna mit seinem Ratschlag für solch Unrecht ein und verteidigt am Ende seine skrupellose Politik eben mit der Unumgänglichkeit gelegentlichen Unrechts. 223 Die Verteilung der Rollen dieser beiden epischen Helden entspricht ungefähr der des Candragupta und Cänakya (Kautalya) im Mudräräksasa 224 der VI. Periode; in Kautalyas Staatslehre ist sie noch nicht belegt. Wohl aber durchzieht die schon in der I I . Periode 2 2 5 und bei Kautalya belegte Diskussion über den oft schwierigen Widerspruch zwischen den Lehren der Politik, des Rechts und der Lust, ganz zu schweigen von der der Erlösung, das Mahäbhärata 2 2 6 und zeigt uns eine einstweilen unübersehbare Fülle von Standpunkten. Die meisten dieser Diskussionen im X I I . u n d X I I I . Buch werden mit dazu beigetragen haben, den Urtext zum Archetypus anschwellen zu lassen. 5. Die Liebe 227 ist für Vyäsa kein wichtiges Thema gewesen. Bei der Werbung der Pändavas um Draupadl und bei ihrer polyandrischen Ehe 2 2 8 mit ihr ist von Liebe nicht die Rede; als Duryodhana ihnen Draupadl als im Spiel verspielt und daher als Sklavin nehmen möchte, wird die Rechtsfrage diskutiert, ob Yudhisthira, als er die Frau verspielte, nicht schon seine Freiheit verloren hatte, sie also nicht mehr verspielen konnte; von Liebe ist auch hier nicht die Rede (II, 58, 31 ff.). — Dem dharma widersprechende Liebesleidenschaft wird bei Kicaka hervorgehoben (aber nicht etwa ausführlich geschildert), 229 und er muß sie mit dem Tode büßen. — Nur bei Arjunas Waldwanderung werden seine märchenhaften Liebesabenteuer mit der Schlangenprinzessin Ulüpi, mit der Prinzessin Citrängadä, mit fünf WasserJungfrauen und schließlich seine Entführung und Heirat der Subhadrä, Krsnas Schwester, ausführlich geschildert, aber dieser Teil des Epos gehört vermutlich erst dem Archetypus (I, 205ff.) an, sicher der ursprünglich selbständig gewesenen Arjunaepik. 6. Die Erschlagung Duryodhanas 2 3 0 steht bei Vyäsa der des Rävana bei Välmiki gegenüber: beide sind schon von Kautalya 2 3 1 zusammengestellt worden, obgleich Rävana als ausländischer Despot eher dem Jaräsandha entspricht (falls dieser nicht erst dem Archetypus angehört), Duryodhana als einheimischer Despot aber dem Dasaratha. Dem Mahäbhärata liegt dementsprechend eine demokratische antidespotische Tendenz zugrunde, wie dem Rämäyana. Rävana ist deutlich als Despot gekennzeichnet, Duryodhana nur als unmoralischer, egoistischer und ungerechter Prinz, dem der König Dhrtarästra allzusehr willfährt. Im Mahäbhärata spielt das Volk nicht die Rolle wie im Rämäyana und wird Yudhisthiras gerechte Herrschaft 2 3 2 am Ende nicht so idealisiert wie die Rämas. Auch Yudhisthiras Reich ist wie das Rämas nur klein, aber zweimal fordert er im Gegensatz zu Räma aus zentralistischer,

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gesamtindischer Tendenz von allen Königen Indiens Unterwerfung. Dagegen verurteilt (vielleicht erst) der Archetypus in II, 13ff. denselben Anspruch des Jaräsandha von Magadha (wie der Archetypus des R ä m ä y a n a den des Rävana), weil dieser viele Könige gefangen hat, um sie Siva zu opfern (statt nur ihre nominelle Unterwerfung zu fordern), viele verjagt hat, und als Bundesgenossen die Feinde der Pändavas und Krsnas (z. B. Väsudeva, den König der Pundras) hat. Dieser sivaitische Despot wird von Krsna, dem visnuitischen Heros, und Bimasena, dem indischen Theseus, erschlagen, aber nicht wie Rävana von Räma aus demokratischer oder dezentralistischer Gesinnung, sondern als religiös-moralisch feindlicher, konkurrierender Welteroberer, vermutlich ein mythologisierter Nanda, den die von diesen unterworfenen Vatsas von Kausämbl, 233 die Nachkommen Janamejayas, wohl ebenso (wenn auch nicht aus dezentralistischer Gesinnung) haßten wie die Rämanachkommen von Ayodhyä. 7. Vyäsas Epos war nicht so märchenhaft wie das Rämäyana. Während der Waldwanderung der Pändavas haben diese zwar einige märchenhafte Abenteuer zu bestehen, wie Bhimasena 2 3 4 das mit den Lotos Kuberas oder dem Menschenfresser. Aber die Haupthandlung geht auf einen historischen Kern zurück, auf die Zehnkönigsschlacht an der Parusnl der I. Periode, des heroischen Zeitalters, die vielleicht schon in der II. oder I I I . Periode et\yas weiter östlich an den Indus verlegt worden war, 235 von jetzt an noch weiter östlich auf das Kuruksetra. — I m Gegensatz zu dem geographischen Bild Indiens im R ä m ä y a n a mit dem Süden als märchenhaftem Niemandsland sind im Mahäbhärata auch im Süden Städte erwähnt, 236 d. h., die Schilderung ist richtiger. Ganz Indien ist nach Yyäsa von Staaten auf ungefähr demselben kulturellen Niveau bedeckt, wie es der damaligen Lage entsprach; aber daß alle an der Entscheidungsschlacht des Epos auf einer der beiden feindlichen Seiten teilnehmen und damit, von Yudhisthira besiegt oder ihm verbündet, dessen Oberherrschaft in einer Art gesamtindischen Staatenbundes anerkennen müssen, war eine zentralistische Fiktion, das Wunschbild des Dichters, das er als Ideologe derjenigen herrschenden Kreise im Volk popularisieren wollte, die — im Gegensatz zum R ä m ä y a n a — Interesse an dem Ideal des Weltherrschers hatten, Indien als Einheit ansahen auf Grund seiner brahmanischen Kultur, als, man möchte beinahe sagen, eine Art nationale Einheit 2 3 7 über alle geographischen, ethnischen, sprachlichen und historischen Unterschiede hinweg. Die Mauryas hatten indessen in Wirklichkeit den äußersten Süden nicht unterworfen; Kautalya bezeugt nur Handelsbeziehungen f ü r ganz Indien, und Asoka hatte die ersehnte religiöse Einheit ebenfalls nicht erreicht, ganz zu schweigen von den Kushän. 8. Wie im Rämäyana gibt es auch im Mahäbhärata aus den Bergen des Nordens nach Indien hereingekommene Elemente, wie z. B. vermutlich die Polyandrie und den Namen Pändu bzw. Pändava, der „bleich" bedeutet und offenbar Bergvölker mongoloiden Typs meint. I m Verlauf der V. Periode wird dann die erst im Archetypus belegte Sage vom Tode der Pändavas hinzugekommen sein, daß sie am Ende zusammen mit ihrem treuen H u n d (der sonst den Hindus als unreines Tier gilt) 238 in die Eisberge des Himalaja pilgern und

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von dort in den H i m m e l aufsteigen. Diese Sage ähnelt der des Khosrew, wie sie im Feudalismus von Firdousi im S h a h n a m e erzählt wird. Sie folgt da unmittelbar auf die Erschlagung Afrasyabs durch Khosrew in einem Teich, was in Vyäsas T e x t wiederum dem Tode D u r y o d h a n a s ähnelt. 2 3 9 Solange diese Sage nicht als originales Gut bei einem b e s t i m m t e n Volk im Vorland der Berge nachgewiesen worden ist, ist die A n n a h m e v e r t r e t b a r , daß sie von irgendeinem Volk zwischen I r a n u n d Indien nach beiden Seiten hin gewandert ist. 2/, ° I n den T e x t Vyäsas aber d ü r f t e auch schon die letztlich aus dem Westen s t a m m e n d e Sage von Bhimasena 2 / '' aufgenommen worden sein.

c) „ V y ä s a s " U r t e x t d e s H a r i v a m s a l . N a c h indischer Tradition ist der H a r i v a m s a ein N a c h t r a g zum Mahäb h ä r a t a ; er soll von K r s n a s Heldenleben vor u n d a u ß e r h a l b von seinem A u f t r e t e n im M a h ä b h ä r a t a berichten. K r s n a , eine komplizierte Heldengestalt, 2 / 1 2 bereits in der II., I I I . u n d IV. Periode auftretend, 2 / 1 3 war bisher offenbar n u r Gegens t a n d alter Sagen u n d Mythen oder epischer Lieder 2 4 ' 1 gewesen, soweit er nicht an der H a n d l u n g des Mahäbhärata 2 ' 1 5 teilnahm. I n Vyäsas U r t e x t des Mahäb h ä r a t a t r i t t er zum ersten Male auf, als er die P ä n d a v a s gleich nach ihrer Verb a n n u n g im W a l d e besucht. D o r t preist A r j u n a seine Taten, 2 / , e ihn gleichsam f ü r den Hörer einführend. Der K a t a l o g seiner T a t e n ist hier nicht biographisch gemeint u n d weicht so stark vom U r t e x t des H v ab, daß er uns in m a n c h e n Einzelheiten noch recht unverständlich ist. Gerade weil er zu der vom U r t e x t des H v an geradezu dogmatisch festliegenden Krsnabiographie so schlecht p a ß t , d ü r f t e er alt sein. Vielleicht wollten visnuitische B r a h m a n e n von M a t h u r ä diese E i n f ü h r u n g durch den ausführlichen N a c h t r a g , den H a r i v a m s a , ersetzen. Der U r t e x t dieses Nachtragsepos läßt sich einigermaßen durch die im Harivamsa u n d B r a h m a p u r ä n a mehr oder weniger gleicher Weise v o r k o m m e n d e n Verse rekonstruieren. E r m u ß beträchtlich älter als der Archetypus dieser beiden T e x t e sein.2'',7 E r begann vermutlich mit wenigen einleitenden Versen darüber, daß er ein N a c h t r a g Vyäsas sei. I n jenen beiden T e x t e n sind diesbezügliche alte Verse aber nicht erhalten. E s wird vielmehr ohne alle Versgemeinsamkeiten gemäß dem A r c h e t y p u s des M a h ä b h ä r a t a erzählt, daß nach dem Vortrag des M a h ä b h ä r a t a S a u n a k a den W a g e n lerfker L o m a h a r s a n a bzw. dessen Sohn Ugrasravas 2 ' , s nach K r s n a u n d dessen S t a m m f r a g t , u n d dieser ihm erzählt, was auf dieselbe Frage J a n a m e j a y a s a n V a i s a m p ä y a n a , den Schüler Vyäsas, dieser geantwortet h a t t e . D a ß Vyäsa diesen N a c h t r a g selber gedichtet habe, ist indessen wenig wahrscheinlich, zumal Vyäsa nicht wie Välmlki eine historische Dichterpersönlichkeit gewesen zu sein scheint; er wird also eher dem Archetypus als dem U r t e x t angehören. 2 '' 9 E s folgen zwei Kapitel über Visnus avatäras,23H u n d als deren Abschluß folgt das indoeuropäische Motiv der Klage der Erde, sie müsse im Meer versinken, weil die Last der menschgewordenen A s u r a s wie K a m s a sie drücke. 2 5 1 U m sie zu

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retten, wird Visnu als Krsna geboren, und es folgt die Darstellung seines ganzen Lebens, aber ohne sein Auftreten in der H a n d l u n g des Mahäbhärata. Die Geschichte seines Todes schließlich wird nicht im Harivamsa, sondern im B r a h m a p u r ä n a erzählt, hier in ebenso weitgehender Übereinstimmung mit Mbh X V I , wie der vorangegangene Teil mit dem H v übereinstimmt; 252 auch dies könnte ein Teil des hier behandelten sehr umfangreichen Urtextes „Vyäsas" sein. E r wurde nicht in den H v aufgenommen, weil er schon ins Mbh eingegangen war, als man ihn dort brauchte, u m die Genealogie der späteren P ä n d a v a s über Krsnas Schwester bis auf J a n a m e j a y a fortzuführen, vermutlich im Verlauf der V. Periode. Anschließend an das Krsnaepos berichtet der Harivamsa und an anderer Stelle auch das B P in einem Gesang über das Kaliweltalter, 2 5 3 das ja auf den Mahäbhäratakrieg folgte. Dieser Gesang stimmt in beiden Texten so gut wie wörtlich überein, weit mehr noch als die vorangegangenen Teile des U r t e x t e s ; seine Zugehörigkeit zu dessen Urbestand ist damit unwahrscheinlich. Beide Texte haben vor das Krsnaepos weiter eine Version der puranischen Kosmogonie und Genealogie gestellt, die in beiden ebenso weitgehend übereinstimmt 2 5 ' 1 wie die Schilderung des Kaliweltalters nach ihm. Der U r t e x t oder K e r n des Krsnalebens ist demnach in beiden Texten in gleicher Weise während des Ausgestaltens zum Archetypus des Harivamsa 2 5 5 nach dem Vorbild von P u r ä n a s in die hinduistische Weltgeschichte eingebaut worden. Deren Kosmogonie h a t Anklänge an die bei Manu in der V. Periode u n d an die im Anfang des Mahäbhärata, 2 5 6 vermutlich in dessen Archetypus aus der VI. Periode. Die puranische Genealogie aber ist ihrerseits vermutlich n u r eine Erweiterung der im Anfang des Mbh. 257 In sie ist in H v und B P die Geschichte der Heirat K r s n a s mit J ä m b a v a t i 2 5 8 eingebaut. Der U r t e x t des Krsnaepos mit seinen etwa dreißig Gesängen ist d a n n im B P verhältnismäßig wenig, im H v gewaltig erweitert worden, und beide Texte haben noch viele andere puranische Stoffe behandelt, die nur in einem von ihnen vorkommen. 2 5 9 Die Geschichte dieser beiden Texte ist also auf gewisse Strecken gemeinsam gewesen, dann auseinander gegangen. Mit gewissem Recht aber wird das B P auch das Ädipuräna genannt, insofern sein Krsnaepos zwischen dem des H v und dem des Visnu- bzw. B h ä g a v a t a p u r ä n a steht. Daneben k a n n freilich auch das V ä y u p u r ä n a den Anspruch erheben, das älteste puräna in seiner Version der Genealogie zu sein, der vor allem das B r a h m ä n d a p u r ä n a nahe steht. Die Anfänge des Harivamsa und der P u r a n e n sind noch ein ungelöstes Problem. 2. Der Harivamsa ist dementsprechend kein kävya, auch im Grunde kein itihäsa, sondern eher ein puräna, wie die Kosmogonie u n d Genealogie zeigen; es war eine Art Übergang vom Epos zu den puränas; in denen werden der Kosmogonie und Genealogie allerhand ritualistische u n d sonstige religiöse Abhandlungen angefügt, die im H v noch fehlen. 3. Der Harivamsa ist verfaßt worden, u m die Biographie Krsnas — vielleicht nach dem Vorbild des Buddhaepos —200 zu vervollständigen. E r war d a m i t seinerseits anscheinend das Vorbild, nach dem d a n n auch das Rämaepos und

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das der Pändavas zu biographischen Epen ausgebaut wurden, als deren Archetypen in der VI. Periode verfaßt wurden. Der Harivamsa enthält selber aber nicht die ganze Lebensgeschichte Krsnas, weder sein Lebensende noch seine Taten, soweit sie im Mahäbhärata vorkommen. Die erste Hälfte schildert Krsnas Leben als Wanderheld im Walde von seiner Aussetzung an, bis er nach Mathurä heimkehrt und über Kamsa triumphiert. E r war damals ein Jüngling, den die Hirtinnen umwarben. 261 Seine Waldwanderung mag etwas länger gedauert haben als die Rämas und die der Pändavas. Die zweite Hälfte umfaßt eine bunte Reihe von Abenteuern, die Krsna und seine Familie von Dvärakä aus erlebten, ohne Wald, Wanderheldentum oder klare biographische Anordnung. 4. Krsna tritt im H v nicht als der listenreiche Ratgeber auf wie im Mbh, nicht als Verteidiger der Notlüge, aber auch nicht als der Lehrer der Aktivität wie der der Bhagavadgltä. Er ist hier der heldische Kämpfer gegen Dämonen in Tier- und sonstigen Gestalten, gegen das Böse, vor allem gegen Kamsa, ein mehr oder weniger veränderter Wanderheld der vorarischen Gentilgesellschaft. 202 Gelegentlich scheinen seine Kämpfe mit einem Schlangen- und einem Stierdämon gegen vorarisch-altorientalische Mythologie gerichtet zu sein, gelegentlich gegen Indra und einen Pferdedämon, also gegen vedische Kultur und Mythologie. E r ist der mythologisierte „Schützer", wie jeder gute König ein Schützer, ein Hirt seines Volkes sein sollte. 5. Die Liebe spielt bei Krsna eine große Rolle. Er ist im Gegensatz zu Räma und Yudhisthira nicht monogam (bzw. polyandrisch), sondern hat als Jüngling Liebesabenteuer mit Hirtinnen 2 6 3 und gewinnt mit heldischen Abenteuern nach und nach seine 16108 Frauen, vor allem Rukmini, J ä m b a v a t ! und Satyabhämä. 26/i In diesem Text werden aber auch das märchenhafte Liebesabenteuer Pradyumnas, des Sohnes Krsnas von Rukmini, 265 und das Aniruddhas, des Sohnes Pradyumnas, 2 6 6 ausführlich erzählt. Krsna steht in dieser Hinsicht Arjuna 2 6 7 nahe, mit dem er ja als Nara und Näräyana einerseits, seit Päninis Nennung beider andererseits zusammengehört. 6. Der Krsna dieses Textes ist der Töter Kamsas, des grausam seinen Thron verteidigenden Despoten von Mathurä, 2 6 8 Krsnas Heimat. In diesem Urtext ist der Staat von Mathurä nicht als die Aristokratie geschildert, die er nach Ausweis des Kautalya und des Mahäbhärata (d. h. des Archetypus) einst gewesen ist. 269 „Vyäsa" hat dies offenbar nicht schildern wollen (s. u.), u. a. weil er Krsna im Urtext des Mbh als Helfer des Weltherrschers Yudhisthira und damit als Mitstreiter für ein zentralisiertes Indien hatte auftreten lassen, während die Aristokratien dezentralistisch eingestellt waren. Immerhin wird Krsna, das H a u p t dieses Staates, nie zum König (131 f.). 270 Und als Jüngling und Hirt schützt er seine Mithirten, diese einfachen Leute und wichtigen Produzenten, vor jenen Ungeheuern. Seine damaligen Heldentaten im Walde unterscheiden ihn damit deutlich von Räma, der nur brahmanische Waldasketen schützt, und von Yudhisthira, der im Walde Asketen gar nur besucht. 2 7 ' Brahmanen und Asketen spielen in diesem Text des Krsna dagegen kaum eine

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Rolle, im Grunde nur sein Lehrer Sandipani. 272 Und der Krsna der Bhagavadgitä verkündete diese ausdrücklich auch Südras und Frauen. Das Epos des Krsna ist damit weit volkstümlicher als die Epen des Räma und Yudhisthira. Aber Krsna ist kein politischer Revolutionär. Daß er als kosmischer Vorkämpfer der Götter den Widergott in Menschengestalt, Kamsa, ermorden soll, ist von Visnu, dem Weltenlenker, zum Heile der Erde bestimmt worden, und Närada hat Kamsa vor Krsna als seinem künftigen Mörder vor dessen Geburt gewarnt (55). Visnu hat andererseits Krsnas Rettung vor Kamsas Nachstellungen vorausbestimmt (56). Den eben geborenen Krsna rettet sein Vater Vasudeva durch eine Art Aussetzung (63) unter Hirten im Walde, und zwar aus Furcht vor Kamsa, der die sechs früher geborenen Kinder Vasudevas hatte umbringen lassen. Vasudeva weiß aber dabei offenbar nichts von Krsnas vorbestimmtem Schicksal; er ist nicht von Närada gewarnt. Närada klärt Kamsa später über Krsnas Heranwachsen unter den Hirten auf (damit Visnus Wille geschehe). Kamsa verkündet in einer Versammlung der Yädavas (diesem Rest von Demokratie in der Aristokratie dieser Adelssippe), daß er Krsna töten lassen werde, und sendet Akrüra, Krsna aus dem Wald zu einem Fest in die Stadt zu holen (117). Närada eilt zu Krsna und erklärt ihm, er werde ihn am folgenden Festtag nach der Tötung Kamsas wiedersehen (160). Dies ist so kurz gesagt, daß der Hörer annehmen mußte, Krsna wisse als Inkarnation des allwissenden Gottes Visnu schon um seine Aufgabe, Kamsa zu erschlagen. Sobald er, von Akrüra geholt, am Abend in die Stadt Mathurä kommt, beginnt er, Kamsa zu reizen, indem er Kamsas Kleiderfärber erschlägt, um sich von ihm ein neues Gewand zu nehmen (124), und er zerbricht Kamsas Bogen (125). Am folgenden Morgen ruft Kamsa seine beiden Ringer, daß sie Krsna ermorden. Aber der siegreiche Krsna samt seinem Bruder erschlägt Kamsa (der in der Aristokratie die Alleinherrschaft an sich gerissen und Krsnas Eltern gefangengesetzt hatte). Krsna erschlägt den Despoten gerechterweise also erstens, weil Visnu ihn für dieses Schicksal zum Heile der Welt geschaffen und vorbereitet hat, und zweitens, weil ihn der Despot, um sein eigenes Schicksal abzuwenden, ermorden lassen will, was nutzlos und sündhaft ist und Krsnas Tat rechtfertigt. Es wird nicht klargemacht, seit wann Krsna zum Despotenmord entschlossen ist. Ausgelöst wird seine Gewalttat jedenfalls dadurch, daß der Despot gegen ihn Gewalt anzuwenden begonnen hat. Kamsa tut dies aber aus Eigennutz, nicht, weil er die Staatsform des Despotismus gegen einen revolutionären Demokraten oder Aristokraten erhalten will. Krsna setzt dann den von Kamsa aus unklaren Gründen abgesetzten Vater Kamsas, Ugrasena, wieder als König ein (131), ersetzt also nur einen bösen, dämonischen Despoten durch einen besseren König. Ersetzung gewisser Despoten durch andere kam im alten Indien recht häufig vor; Vyäsa bemühte sich hier sehr ausführlich, 273 einen solchen Fall möglichst unrevolutionär, ja, unpolitisch als privaten Kampf zweier Männer, der zugleich vom Schicksal bestimmt ist und in die Reihe der ewigen Kämpfe der Götter und Widergötter hineingehört, darzustellen, damit Krsna nicht gegen den dharma, die ständisch-despotische Gesellschaftsordnung, verstoße, im Gegenteil,

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sie wiederherstelle. E r vermied es, den S t a a t der Y ä d a v a s als Aristokratie zu schildern, u n t e r anderem auch, weil er K r s n a nicht als ihren revolutionären R e t t e r vom Despotismus darstellen wollte. 7. Das Krsnaepos h a t vermutlich einen historischen K e r n nicht in der E r mordung des Despoten, sondern in der Flucht des Helden u n d seiner Sippe aus M a t h u r ä nach D v ä r a k ä (6f.). Sie wird motiviert mit Angriffen aus dem Osten (136ff.) durch J a r ä s a n d h a von Magadha, der den Tod des Despoten K a m s a rächen wollte, u n d vom Westen durch K ä l a y a v a n a u n m i t t e l b a r d a n a c h (141 ff.). D a m i t mag die Lage M a t h u r ä s mythologisiert worden sein, als es von den N a n d a s aus dem Osten u n d von Persern u n d Griechen (und d a n a c h von den Indoskythen) aus dem Westen bedroht w a r ; K ä l a y a v a n a war ja dem N a m e n nach ein Grieche oder Perser. Das Krsnaepos als Ganzes t r ä g t aber mehr märchenh a f t e n Charakter, sowohl bei den Tierkämpfen wie bei den Brautgewinnungen u n d sogar in den Ausmalungen der K ä m p f e gegen Osten u n d Westen. 8. F ü r die Ausgestaltung der Geburt u n d J u g e n d K r s n a s ist vermutlich die Biographie des Perserkönigs K y r o s ein Vorbild gewesen, die uns in abgeleiteten F o r m e n schon bei Herodot, d a n n bei Firdousi vorliegt, von der W a r n u n g K a m s a s vor dem achten Sohn seiner Schwester a n über seine Aussetzung u n d sein Leben u n t e r den H i r t e n bis zu seiner H e i m k e h r u n d T ö t u n g des Despoten. 27 ' 1 Auch die E i n o r d n u n g des Krsna-avatäras in die Weltgeschichte, zwischen dem dritten u n d vierten Weltalter, ist wohl von zarathustrischer Mythologie hergenommen. 2 7 5 Die m ä r c h e n h a f t e Liebesgeschichte des Aniruddha u n d der Usa, der Tochter von K r s n a s Feind, dem Sivaverehrer B ä n a , zeigt andererseits Ähnlichkeit mit vielen über Innerasien u n d E u r o p a verbreiteten Geschichten 2 7 ( 1 u n d gehört zu ihnen, sei es n u n genetisch, sei es n u r typologisch. Die U r t e x t e der drei visnuitischen E p e n tragen also eine Reihe gemeinsamer Züge, wie z. B. die jahrelange W a l d w a n d e r u n g vor dem T r i u m p h des Helden in seiner H e i m a t u n d der E r m o r d u n g eines Despoten; die Diesseitsfreudigkeit, die n u r drei Ziele des Menschen (Recht, Erfolg, Liebe), nicht religiöse Erlösung propagiert, darin der Einstellung der gebildeten S t ä d t e r (s. o. K S ) ähnlich (und dies gilt auch f ü r die D r a m e n ) ; der d a m i t zusammenhängende Glaube an den Sieg des Guten über das Böse, der Götter über die Widergötter. R ä m a u n d D a s a r a t h a stehen beide in der Konfliktsituation, daß sie ein einmal gegebenes W o r t wahr machen müssen, u n d sei dies politisch ausgesprochen falsch; im Sinne des dharrna lehnen sie eine Forderung des artha u n t e r allen U m s t ä n d e n a b ; eine solche idealistische H a l t u n g k o n n t e n u r einem Kleinkönig ohne Weltherrscherehrgeiz zugeschrieben werden. D a s a r a t h a ging an ihr zugrunde; nur sein im Grunde göttlicher Sohn k o n n t e sie bis zum E n d e durchhalten. — Yudhisthira u n d D u r y o d h a n a strebten dagegen nach H e r r s c h a f t , nach artha; D u r y o d h a n a verstieß dabei — aus Neid, aber auch angetrieben von schlechten R a t g e b e r n — gegen den dharma, indem er zu U n r e c h t gegen seine V e t t e r n intrigierte, u n d ging d a r a n zugrunde; Yudhisthira aber k o n n t e die Gemeinheiten der Politik, den f ü r seinen artha unvermeidlichen adharma, dem K r s n a überlassen u n d triumphierte am E n d e . E r v e r t r a t die Ideologie der

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M a u r y a - W e l t h e r r s c h e r . — K a m s a v e r s u c h t e m i t d e n Mitteln des D e s p o t i s m u s seine H e r r s c h a f t gegen eine P r o p h e z e i u n g a u f r e c h t z u e r h a l t e n u n d K r s n a zu beseitigen; er s t a n d also in einer A r t K o n f l i k t zwischen artha ( H e r r s c h a f t ) u n d dharma (Glaube a n P r o p h e z e i u n g ) , die ihn zu despotischem H a n d e l n in einer A r i s t o k r a t i e verleitete u n d zu Fall b r a c h t e . A b e r die drei E p e n h a b e n a u c h c h a r a k t e r i s t i s c h e B e s o n d e r h e i t e n . R ä m a w a r j a das Ideal d e r j e n i g e n Kreise, die f ü r kleine K ö n i g e e i n t r a t e n , Y u d h i s t h i r a d a s der Zentralisten, die I n d i e n geeint sehen wollten, K r s n a d a s d e r sozusagen e x t r e m e n D e z e n t r a l s t e n , die n i c h t einmal K ö n i g e v o n kleinen S t a a t e n , s o n d e r n a r i s t o k r a t i s c h e Oligarchien wollten. W a r u m a b e r je eine dieser drei politischen R i c h t u n g e n u. a. m i t M o n o g a m i e , P o l y a n d r i e u n d P o l y g a m i e ihrer H e l d e n R ä m a , Y u d h i s t h i r a u n d K r s n a verb u n d e n , m e h r m ä r c h e n h a f t oder historisch dargestellt w u r d e o d e r die F o r m des kävya, des itihäsa oder puräna erhielt, ist einstweilen u n d u r c h s c h a u b a r . Diese drei E p e n v e r m i e d e n gegenseitige Polemik, 2 7 7 sogar in d e m Falle, w e n n K r s n a in zwei E p e n in ganz verschiedener Weise dargestellt wird. Sie wollten o f f e n b a r u n b e m e r k t , a b e r wohl k a u m g a n z u n b e w u ß t , f ü r ihre E i n s t e l l u n g u n t e r d e n Massen des Volkes, v o r allem der B a u e r n , w e r b e n . D a s a m m e i s t e n kävya&rtige R ä m ä y a n a w a n d t e sich vielleicht a u c h a m m e i s t e n a n S t ä d t e r . D a s E p o s , d a s m a n m i t R e c h t Volksepos n e n n t , w a r d a m a l s aber s i c h e r n i c h t m e h r die f ü r d e n t y p i s c h e n gebildeten S t ä d t e r bezeichnende D i c h t u n g s f o r m , d e n n die zynische G e s i n n u n g des K ä m a s ü t r a spricht a u s keinem dieser E p e n , u n d a u c h die tiefe Menschlichkeit H ä l a s oder A s v a g h o s a s b u d d h i s t i s c h e r H u m a n i s m u s n i c h t . P r o s a e r z ä h l u n g e n k ö n n t e m a n sich f ü r solche Kreise e t w a m i t S t o f f e n wie d e m d e r L i e b e d e r U s ä u n d ihres A n i r u d d h a d e n k e n , u n d sicher g a b es m e h r oder weniger p i k a n t e r z ä h l t e Geschichten ü b e r die Liebe S a k u n t a l ä s u n d D u s y a n t a s , 2 7 8 d e n n v o n ihr g a b es z u m i n d e s t V a r i a n t e n in einem J ä t a k a u n d im M a h ä b h ä r a t a , 2 7 9 u n d diese v e r m u t l i c h vor K ä l i d ä s a s D r a m a , vor d e r V I . P e r i o d e . Solchen S t ä d t e r k r e i s e n g e h ö r t e dagegen zweifellos die B r h a t k a t h ä , 2 8 0 die dem G u n ä d h y a u n d — v o n einigen — dieser V. P e r i o d e zugeschrieben wird, eine lustige u n d a u c h wieder s e n t i m e n t a l e Liebesgeschichte m ä r c h e n h a f t e n Char a k t e r s , a b e r zugleich die B i o g r a p h i e eines H e l d e n , die m i t d e r E n t f ü h r u n g u n d W i e d e r g e w i n n u n g seiner F r a u d e m R ä m ä y a n a n a c h g e d i c h t e t ist, im G r u n d e dessen respektlose, unheroische, „bürgerliche" Persiflage. L e i d e r ist d a s Original verloren u n d bisher n o c h lange n i c h t g u t genug r e k o n s t r u i e r t , 2 8 1 so d a ß i h r I n h a l t , ihre ' W e l t a n s c h a u u n g u n d ihre literarische F o r m (Prosa oder Vers) bisher n o c h n i c h t g e n ü g e n d g r e i f b a r sind. A n s c h e i n e n d h a n d e l t es sich u m eine E r z ä h l u n g (kathä) oder u m eine S a m m l u n g von E r z ä h l u n g e n a u s d e m S c h a t z der E r z ä h l t r a d i t i o n , die n e b e n d e r T r a d i t i o n d e r m y t h o l o g i s c h e n E p i k einherging. A u c h ü b e r W e r k e wie die K a l p a n ä m a n d i t i k ä 2 8 2 u n d ü b e r F a b e l n u n d d e r e n d a m a l i g e F o r m zwischen J ä t a k a s u n d P a n e a t a n t r a sei hier h i n w e g g e g a n g e n .

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d ) Asvaghosas Epen 1. Asvaghosa hat seine beiden Kunstepen anscheinend schon selber niedergeschrieben, so daß bei ihnen von einem epischen Lied, Kurzepos oder Urtext nicht die Rede sein kann, nur vom Archetypus der Handschriften; aber er schloß an epische Lieder über Buddha an.283 2. Er, der in Ayodhyä gebürtig war, setzte die Tradition des Välmiki fort und schrieb in weit ausgesprochenerem kävya-StW als dieser für die gebildeten Städter, nicht für das Volk oder die Bauern. 3. Sein Buddhaepos gibt mit seinen 28 Gesängen eine vollständige Biographie Buddhas. 284 Dabei werden Geburt, Jugend und Heirat des Helden in zwei Gesängen noch annähernd so kurz behandelt wie die Rämas in VälmTkis Urtext. So war es damals anscheinend für Versepen üblich. Mit dem 3. Gesang und der Wagenausfahrt des Prinzen, auf der er die Leiden der Menschen sieht, beginnt dann schon die Problemdichtung, der Ekel des Prinzen Siddhärtha vor dem Leben, u. a. vor den zahlreichen Frauen seines Hauses, seine Flucht aus der Heimatstadt und sein Wanderleben. Er ist ja im Grunde ein Wanderheld neuen Typs, ein Held der Selbstbezwingung und des Sieges über Mära, den Bösen, ein Prediger und geistlicher Heilbringer der Mitmenschen. Seine Flucht steht der Verbannung der Pändavas und Rämas und der Aussetzung Krsnas gegenüber. Statt im Walde oder unter Hirten lebt er zunächst als Schüler in Einsiedeleien. — Asvaghosas Nandaepos beginnt mit der Geburt des Prinzen und endet mit dessen Bekehrung zum Buddhismus, ist also ein Problemepos älterer Art, eine Fortführung der Bekehrungsepik des buddhistischen Kanons. 285 4. Das Ziel der Epik Asvaghosas und damit ihr Hauptthema ist nicht Rämas Wahrheit, Yudhisthiras Recht oder Krsnas Schützen, sondern die Erlösung und deren Lehre. Predigtartige Didaktik nimmt deswegen in beiden Epen einen größeren Raum ein, als einem Werk der schönen Literatur zukommt; es handelt sich eben um im Grunde religiöse Literatur im Icävya-Stil; auch das Mahäbhärata wird schon auf dieser Stufe sehr viel belehrende Stücke religiös-philosophischen Inhalts gehabt haben, mehr als das Rämäyana, geschweige der Harivamsa. 5. Das Thema der Liebe behandelt Asvaghosa negativ: Mit seinem großen dichterischen Können schildert er die Verliebtheit Nandas in seine schöne Frau, die ihn damit zu ihrem Diener macht ( I V , 12 ff.). 286 Berühmt ist die Szene, wie der Prinz die um ihn herum in Schlaf gefallenen Haremsfrauen in ihren zuchtlosen, schamlosen, widerlichen Haltungen beobachtet. 287 Nandas Abschied von seiner Frau, ihre Bitte, er möge bald wiederkehren, sein Zurückblicken, während er schon von ihr geht ( I V , 32ff.), ihre Klagen darüber, daß er sie nicht mehr liebe ( V I 12ff.), ihre Verzweiflung, als ihre Freundinnen sie über Nandas vermeintliche Bekehrung zu trösten suchen ( V I , 20ff.), Nandas Trauer, als er im Asketenhain seiner geliebten Frau gedenkt ( V I I , 1 ff.) und sich an zahlreichen Beispielen der Mythologie vor Augen hält, daß selbst Indra, Vyäsa, Rsyasrriga

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und andere der Macht der Liebe unterlagen (VII, 24ff.); 2 8 8 wie er wieder heim möchte (VII, 46 fif.); wie keine Predigt von Mönchen gegen die Frauen und die Liebe (VIII, 22 ff.) oder über die Vergänglichkeit so großer Männer wie des Krsna, des Kamsatöters, den ein Jäger mit seinem Pfeil tötete, oder der Kurus (IX, 18; 20) ihn von seiner Verliebtheit heilen konnte; wie schließlich Buddha selber ihn himmlische Nymphen sehen ließ, so daß in ihm Leidenschaft aufflammte, die stärker war als die für seine menschliche Frau (X, 31 ff.; 47); wie Nanda, um diese Nymphen magisch zu gewinnen, sich auf Buddhas Rat harter Askese unterzog (X, 59ff.) -89 und Änanda ihn überzeugte, daß auch die himmlischen Freuden mit diesen Götterfrauen vergänglich sind; 2 9 0 dieser lange, wahrhaft dichterische Mittelteil des Epos stellt die Liebe des Nanda als Leidenschaft, die ihm nur Leiden schafft, der Ruhe Buddhas gegenüber, wie denn die Gegenüberstellung dieser beiden Extreme das ganze Epos durchzieht. Es wendet sich an die gebildeten Städter, um sie zu bekehren. Es geht mit seiner leidenschaftlichen Ablehnung der Leidenschaft und dem dazugehörigen küvya-ütW weit über das hinaus, was in der I I I . Periode buddhistische Epiker an Bekehrungsepen der Mönche und Nonnen gedichtet hatten, 2 9 1 um weit naivere Menschen als die Städter der V. Periode zu bekehren, auch damals allerdings vermutlich schon größtenteils Städter. 6. Von demokratischer Gesinnung 292 kann in Asvaghosas Epen nicht die Rede sein. Als den in den Wald geflüchteten Siddhärtha zwei Männer des königlichen Vaters aufsuchen und zur Heimkehr bewegen wollen, wird von Liebesbanden in der Familie gesprochen, aber nicht von der politischen Verantwortung des Prinzen für eine gute Regierung 293 seines Volkes. Als danach König Bimbisära von Magadha den zum Asketen gewordenen Prinzen Siddhärtha als Mitregenten seines Reiches gewinnen möchte, streift dieser in seiner Ablehnung kurz den religiösen Gedanken, daß ein Herrscher seinen Freunden und der Religion mit seinen reichen Mitteln helfen könnte 29/ ' und verweilt ausführlich bei religiösen Themen der allgemeinen Vergänglichkeit und der Gefährlichkeit der Leidenschaften für das Erreichen der Ruhe der Erlösung. Stellt man diese Ablehnung des Angebots des größten Königs in Buddhas Zeit und die rein geistige Besiegung Märas dem Despotenmord Krsnas gegenüber, so wird Asvaghosas buddhistische Ablehnung aller irdischen Ziele deutlich, auch der Politik mit deren demokratischen Möglichkeiten. Es ist wohl auch kein Zufall, daß Asvaghosa das historische Bekenntnis Buddhas zur Aristokratie der Licchavis mit ihrer Demokratie fortgelassen hat. 295 7. Die Buddhabiographie galt dem Dichter und den Lesern sicher als ein historischer Bericht wirklicher Ereignisse. 296 Bei der Bekehrung Nandas hat Asvaghosa dem Prinzen einen kurzen Ausflug in die Märchen-, besser in die Himmelswelt zu den Götterfrauen ermöglicht, ohne ihn aber dort märchenhafte Abenteuer erleben zu lassen; er sieht nur die Schönen, um am Ende von aller Schönheit enttäuscht zu werden. Ein frommer Buddhist konnte keine Freude am Märchenhaften haben, bzw. sie literarisch propagieren.

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8. Beide E p e n sind rein indische Geistesprodukte. E s gibt in der B u d d h a s a g e einige sicher sehr alte Elemente, die letztlich aus innerasiatischer schamanistischer E p i k s t a m m e n k ö n n t e n ; 2 9 7 sie sind aber an sich f ü r das Ganze unbedeutend u n d spielen bei Asvaghosa keine Rolle. Die B e w e r t u n g Asvaghosas k a n n d a v o n ausgehen, daß er z. B. den Prinzen S i d d h ä r t h a d u r c h den Anblick von Pflügern erschüttert werden läßt, deren H a u t von Wind, Sonne u n d S t a u b gelitten h a t ; er läßt ihn aber ebensoviel Mitleid mit den Zugochsen u n d sogar der vom Pflug aufgeritzten E r d e empfinden. 2 9 8 K e i n W o r t ü b e r das soziale Elend dieser Südras, wie der Dichter ja a u c h nicht antidespotisch a u f t r i t t . Als im H a i n H e t ä r e n von einem H ö f l i n g angetrieben werden, ihre V e r f ü h r u n g s k ü n s t e dem Prinzen gegenüber immer erneut u n d kunstreicher zu versuchen, als sie vom Höfling „getroffen", „durchb o h r t " 2 9 9 sind (wie ein gejagtes Wild), f ü h l t der Prinz kein Mitleid mit diesen versklavten F r a u e n , sondern n u r Verzweiflung darüber, daß alle Schönheit vergänglich sei, u n d bleibt in unerschütterlich selbstbeherrschter Haltung. 3 0 0 Gewiß h a t der Dichter als B u d d h i s t ganz allgemeines Mitleid mit den sterblichen Menschen. Aber das Fehlen von demokratischer Stellungnahme, von menschlicher F r e u d e an der Liebe u n d von Liebe zur N a t u r 3 0 1 (wie sie doch m a n c h e Lieder der älteren buddhistischen Mönche u n d N o n n e n in ihrer Art bezeugen) 3 0 2 u n d das Betonen der buddhistischen Erlösungssehnsucht charakterisieren Asvaghosa als einen Dichter, der im Vergleich zu Välmiki u n d Vyäsa, aber auch zu H ä l a als menschlich verhältnismäßig kalt d a s t e h t . Dazu p a ß t seine H a n d h a b u n g des kävya-Stils, denn seine Naturschilderungen sind verhältnismäßig a r m u n d seine Sprachbehandlung ist etwas primitiv. 3 0 3 Auch Välmiki u n d Vyäsa als Visnuiten u n d H ä l a als Öivait haben an Erlösung aus dem irdischen J a m m e r t a l als höchstes Heil geglaubt, haben diesen Glauben aber nicht in ihre Dichtung hineingetragen, sondern die P r o p a g a n d a der Erlösungsreligion anderen überlassen. Sie waren als Dichter Optimisten, dichteten vom Sieg des Guten ü b e r das Böse im Diesseits u n d kritisierten die Gesellschaft in mehr oder weniger antidespotischer Weise, während Asvaghosa in seinen beiden E p e n s t a t t der Gesellschaft das Leben schlechthin kritisierte, ja, ablehnte. E r unterscheidet sich d a m i t zu seinem Nachteil von der Gesellschaftskritik, wie sie sich in den epischen Bekehrungsbekenntnissen der Lieder der buddhistischen Mönche u n d N o n n e n findet, die doch in gewissem Sinne seine Vorbilder, zumindest seine Vorläufer waren. D a ß er d a m i t die Ideologie des K u s h ä n s K a n i s k a v e r t r a t , a n dessen Hof er gelebt haben soll, l ä ß t sich einstweilen nicht nachweisen u n d nicht als Entschuldigung a n f ü h r e n . Der volkstümliche, antidespotische, mutig vorgetragene Optimismus der anderen Dichter zwingt uns vielmehr zu urteilen, daß Asvaghosa im Verhältnis zu den vorher genannten Dichtern nicht die Ideologie der gesellschaftlich progressiven K r ä f t e des damaligen Indiens vertrat.

V. Periode, 5

5. Dramatik

(die ersten Dramen;

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Asvaghosa)

Das fahrende Volk der IV. Periode existierte weiter, insbesondere die saubhikas.^'1 Deren Eigenart wird uns erst am Anfang der V. Periode durch den Grammatiker P a t a n j a l i einigermaßen deutlich: Sie rezitierten epische Stoffe, wie z. B. die Erschlagung des Despoten K a m s a durch Krsna, während die Handlung aufgeführt wurde, und zwar den freilich erst weit späteren K o m m e n taren nach durch natas, d. h. in diesem Falle Pantomimen. 30 "' Man hat auch an bewegte Schattenfiguren gedacht, 3 0 6 ohne dies aber mit passenden Belegen stützen zu können. Die damaligen natas dagegen sind zweifellos einerseits Nachkommen eines uralten kultischen Typs von Tänzern, 3117 andererseits Vorläufer der Schauspieler (s. u.) gewesen. Es handelt sich hier um die Verbindung epischer Literatur mit Tanzvorführung, zweifellos mit kunstvollem Gestenspiel (abhinaya); ob innerhalb eines Kults und in K o s t ü m e n und auf Bühnen, 3 0 8 ist noch ungewiß. I n die Erzählung waren vermutlich Lieder und Musik eingegliedert, und sie bestand großenteils sicher aus Dialogen, denn man muß wohl noch an den alten äkhyüna-Typ der Erzählung denken. Tänzer, Musiker u n d Sänger werden regelmäßig am Anfang der Listen der Typen des fahrenden Volkes zusammen genannt, manchmal unter A n f ü h r u n g zweier Typen von Tänzern, 3 0 9 von denen die einen wohl unsere P a n t o m i m e n waren. I m K ä m a sütra I, 3, 16 wird unter den 64 „Künsten" das Sehen (oder Zeigen) 310 von Dramen und Erzählungen genannt, und zwar steht es zusammen mit dem Vorlesen von Texten, von dem auch Patanjali im Anschluß an die saubhikas spricht (s. gleich). Diese K ü n s t e mußte der Gebildete beherrschen und in Gesellschaften ausüben, d. h., er sollte sich wie ein saubhika verhalten, womöglich, aber nicht sehr wahrscheinlich sogar wie der nata, d. h. eine Geschichte zumindest lebhaft mit Gesten erzählen. Der IV. Akt in Kälidäsas Vikrama-Drama kann uns in gewisser Weise die Aufführungsweise 3 1 ' verständlich machen. P a t a n j a l i fährt fort, daß die gleichen Stoffe auch auf Bildern 3 ' 2 zu sehen seien (ohne dazugehöriges Rezitieren ausdrücklich zu erwähnen); er f ü h r t hier das Töten Kamsas, aber auch das Fortschleppen seiner Leiche an, meint also Bilderserien, die vielleicht keines Textes bedurften. Diese Themen würden aber auch, f u h r er fort, von Rezitatoren, und zwar bloß mit Worten vorgetragen (s. o.). Wenn diese Männer granthikas heißen, so braucht das nicht Vorleser von Handschriften zu bedeuten, denn schon Pänini sprach von granthas,2a die sicher nicht niedergeschrieben waren. Bei ihnen erwähnt P a t a n j a l i , daß sie ihren Helden von der Geburt bis zum Tode behandelten: Die Epen entwickelten sich ja damals in der Richtung auf Biographien hin. Das genaue Verhältnis der saubhikas, Maler und Rezitatoren zur epischen Literatur und die Frage, auf welcher Stufe diese stand, lassen sich aber noch nicht bestimmen; vermutlich handelt es sich um die Urtexte, epische Lieder und Heldenmärchen. An dieser Stelle spricht P a t a n j a l i jedenfalls nicht von kusilavas (Komikern) und nicht von

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Schauspielern (natas), die doch gleichzeitig ihre Rolle sprechen und handeln. Man hat daraus mit Recht geschlossen, daß es damals noch kein eigentliches D r a m a gegeben hat. 31 ' 1 P a t a n j a l i lebte ja etwa 200 J a h r e vor Asvaghosa, dem ältesten uns erhaltenen indischen Dramatiker. I n den zwei J a h r h u n d e r t e n zwischen 100 v. u. Z. und 100 u. Z. muß also das indische D r a m a entstanden sein. Daß es sich aber aus diesem epischen Vortrag der saubhikas samt P a n t o m i m e der natas diesen Typs entwickelte, d. h. daß es gerade diese P a n t o m i m e n waren, die zu Schauspielern (die ebenfalls nata hießen) wurden, ist einstweilen nicht mit Sicherheit nachzuweisen. Es ist möglich, daß die Aufführungen dieser P a n t o m i m e n sich aus vorarischen (vielleicht auch aus arischen) gentilen K u l t d r a m e n 3 ' 5 entwickelt haben. Eine Variante des vorarisch-gentilen K u l t d r a m a s mag die Darstellung Sivas durch den Seiltänzer (nata) einer vermutlich dravidischen Gentilgesellschaft gewesen sein, deren hohes Alter der tanzende Siva der Indusgesellschaft 3 1 6 bezeugte. Dem k a n n an die Seite gestellt werden, daß die Munda einen hieros gamos317 a u f f ü h r e n (der aber kein Mysterium oder Mysterienspiel ist) 3 , 8 und daß ein solcher noch von Europäern bei einem hinduist ischen Fest 3 1 9 beobachtet wurde. Der sivaitische Tanz des nata, des kultischen Tänzers oder Pantomimen, der tändava, wird in einem der spätesten Puranen 3 2 0 als Bestandteil des Holifestes angesehen, und er gehört zum Vorspiel des Dramas. Bei demselben Fest spielte ein Jüngling mit drei bis vier Hetären die Rolle Krsnas und der verliebten Hirtinnen. 3 2 ' Aus derlei hinduistischen K u l t d r a m e n , bei denen die Verbindung mit epischer Literatur schon erkennbar ist, die aber ohne Rezitatoren, ohne Bühne und Berufsschauspieler vom Volk und Tänzern im Volk gemimt wurden, kann das D r a m a entstanden sein. Diese Art Aufführungen h a t P a t a n j a l i sicher gekannt, h a t sie aber an jener Stelle wohl deswegen nicht angeführt, weil sie keine epischen Handlungen zur Rezitation auff ü h r t e n , wie doch die saubhikas die E r m o r d u n g Kamsas, sondern nur kultische Tänze mythologischer Gestalten, nur magische Kultdramen. N u n lautet eine altindische Tradition im Lehrbuch der D r a m a t i k des Bharata vom E n d e der V. Periode, daß er, B h a r a t a , einst von B r a h m a den Auftrag 3 2 2 erhalten habe, als „erstes" Drama das „Quirlen des Ozeans" aufzuführen, und zwar als samavakära, eine Art „richtiges Spektakelstück" 3 2 3 über einen alten Mythus. Danach f ü h r t e B h a r a t a , behauptet er weiter, die „Verbrennung der drei Burgen" der Asuras durch Siva auf, und zwar als dima, ebenfalls eine Art erschreckliches Volksstück. 32 '' Diese oder derartige hinduistische, aber noch sehr primitive, noch mehr oder weniger kultische, mythologische, sivaitische Dramen, von natas aufgeführt, die vorher sivaitische Tänzer oder Seiltänzer gewesen waren, mögen in der T a t mit an den Anfang der Dramatik zwischen P a t a n j a l i und Asvaghosha gehören. 325 Diese lange Entwicklung des auf mythologischem Stoff erbauten Dramas (nätaka) h a t mit arischer Gentilgesellschaft, rgvedischer oder uns nicht erhaltener gleichzeitiger weltlicher Dichtung und mit den uns erhaltenen geringen Resten vedischer Kultdramen 3 2 6 im Grunde nichts zu tun, sondern das D r a m a

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war hinduistisch. Diese angeblichen ersten Dramen mit ihren puranischen Stoffen entspringen wie der Hinduismus vorarischem Erbe, waren in diesem Sinne volkstümlich; und nach Bharata ist das Drama demgemäß als f ü n f t e r Veda, der allen Ständen, auch Südras offen steht, 327 anzusehen. Volkstümlich ist vermutlich auch der Optimismus des Dramas, der glaubt, das Gute siege über das Böse; die Ruhesehnsucht der hinduistischen Erlösungsreligion kommt hier dagegen nicht zu Worte. 328 Die vorarische Gentilgesellschaft kannte aber (anscheinend mehr als die vedische Gesellschaft) bei ihren Festen auch lustige Darbietung satirischer Nachahmung von Mitgliedern der Dorfgemeinde in einer Art Mimus. 329 Aus derartigen im Fest, d. h. im Kult verankerten Szenen mag sich die mimusartige Aufführung der kusilavas3m und (aus diesen) der Typ des schwankartigen Einakters, prahasana, entwickelt haben, welcher den Streit und Betrug von allerhand Schelmen im täglichen Leben widerspiegelnd, nachahmend, mit Mimesis geißelt; aber auch der Typ des bhäna gehört hierher, eines Einakters, in dem nur ein einziger Schauspieler als vita, als geistreicher Lebemann und Schmarotzer (s. u.) auftritt und so tut, als spreche er mit anderen hinter der Bühne bei der Schilderung kleiner Erlebnisse, teilweise mit erotischer Stimmung. 3 3 1 Die große mehraktige Form derartiger nicht mythologischer Dramen ist das prakarana,332 das man als eine Art bürgerliches Drama charakterisieren kann. Das bedeutendste prakarana ist Südrakas „Irdenes Wägelchen'' der VI. Periode mit seinen vielen komischen, teilweise rüpeligen Szenen. 333 Aber auch ein Drama des Aävaghosa 334 wird als prakarana bezeichnet. — Schon Bharata unterschied nicht nur die hier angeführten fünf Typen von Dramen, sondern zehn. Wesentlich ist dabei deren Rückführung auf drei Arten, auf die große, ernste, mythologische Art, die wohl auf die saubhikas335 zurückgeht, auf die schwankartige Nachfolgerin der kusilavas336 und auf die bürgerliche, gemischte Art. Alle Arten bzw. Typen sind im obigen Sinne optimistisch. 337 Das Neue dieser Dramen gegenüber den Kultdramen ist, daß sie Kunstdichtungen sind und von berufsmäßigen Schauspielern in Kostümen auf einer Bühne mit eingestreuter Musik, Gesang und gelegentlichem pantomimischen Tanz 3 3 8 dargestellt werden, d. h., sie setzen Tanz, Musik, Lyrik und Epik (mythologische, historische und bürgerliche) voraus und verquicken sie mit Kultdrama und Mimus unter Anwendung des kävya-Stils. I n diesem Sinne ist das Drama das letzte, sehr komplexe Genre der indischen Dichtung. Die Stoffe entstammen teils hinduistischer Mythologie und Geschichte, den Puranen und Epen, teils dem Leben bzw. dem Schatz der Erzählungen (kathä).339 Sie sind (wie das äkhyäna) in Prosa und Vers verfaßt, beide im ¿äw/a-Stil. Die Sprache der Gebildeten ist Sanskrit, die der Ungebildeten und Bösen sind verschiedene Präkrits, vor allem Saurasenl (die Sprache der Hirtinnen Krsnas), für Lieder MahärästrI (die Sprache Hälas) und f ü r Bösewichter MägadhI (die Sprache Jaräsandhas und der Nandas). 340 Neu ist die Figur des vidüsaka, des Spötters, der komischen Person, meist eines Brahmanen, der Saurasenl spricht und als freßgierig und feige, aber auch als Iii

Rüben, Dichtung

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g u t m ü t i g e r F r e u n d u n d V e r t r a u t e r des H e l d e n a u f t r i t t , zweifellos aus dem Mimus u n d aus dem Leben des gebildeten S t ä d t e r s e n t n o m m e n . D a s K S schildert ihn u n d zwei andere T y p e n von Schmarotzern im Leben der städtischen Gesellschaft so, wie eben diese drei in D r a m e n vorkommen. 3 4 1 E s entsprach d e r Lebensfreude der gebildeten S t ä d t e r u n d ihrer Zurückhaltung gegenüber E r lösungsreligion u n d Ritualismus, eine solche Gestalt des gutmütigen, a b e r ungebildeten B r a h m a n e n auf die B ü h n e zu bringen. Dies geschah indessen vielleicht im A n f a n g n u r in den bürgerlichen, dem Mimus nahestehenden, D r a m e n , nicht in den mythologischen. 3 4 2 I n F o r t f ü h r u n g der vorarischen gentilen (und vedischen) K u l t d r a m e n wurden noch die literarischen D r a m e n bei Festen 3 ' 1 3 a u f g e f ü h r t u n d behielten im Vorspiel starke kultische Elemente, vor allem jenen T ä n d a v a t a n z , ein Gebet u n d die E r r i c h t u n g des I n d r a b a n n e r s , letztlich einer A r t Maibaums, 3/14 weil der n u n einmal zu einem der Feste gehörte. Diese drei kultischen E l e m e n t e bilden den K e r n des traditionellen 20 teiligen Vorspiels. 345 So etwa mag das brahmanisohe D r a m a kurz vor Asvaghosa ausgesehen haben. Asvaghosa war anscheinend der erste altindische Dichter, der seine D r a m e n niedergeschrieben h a t . U n s sind n u r wenige F r a g m e n t e erhalten, u n d zwar in einer nach T u r k e s t a n gebrachten u n d d o r t erhaltenen H a n d s c h r i f t . Diese erlauben aber, alle b e k a n n t e n E l e m e n t e des späteren D r a m a s in ihnen bereits festzustellen. 3 4 0 Ein pralcarana n a n n t e er sein neunaktiges D r a m a der B e k e h r u n g S ä r i p u t r a s durch B u d d h a . I n einer Szene u n t e r h ä l t ¡Säriputra sich mit dem vidüsaka, einem ungebildeten, SaurasenT sprechenden B r a h m a n e n , der ihn vom Ü b e r t r i t t zum Buddhismus abhalten möchte. Der Gang der H a n d l u n g ist noch nicht rekonstruiert, 3 4 7 u n d eine Bewertung des D r a m a s ist einstweilen nicht möglich. 3 4 8 Aber m a n k a n n annehmen, daß dieses bürgerliche u n d u n m y t h o logische D r a m a , wie auch das S a u n d a r a n a n d a e p o s Asvaghosas, literarisch an die zahllosen Bekehrungsgeschichten der altbuddhistischen Tradition a n z u k n ü p f e n ist, die u. a. in der Epik der Mönche u n d N o n n e n mit ihren Versdialogen belegt ist. Vielleicht gehören Asvaghosa auch die beiden anderen D r a m e n derselben Zeit, deren F r a g m e n t e in derselben, noch in der K u s h ä n z e i t geschriebenen H a n d s c h r i f t auf uns gekommen sind, wie das prakarana des Säriputra. I n einem von ihnen spielten eine H e t ä r e u n d ein vidüsaka eine Rolle, und m a n h a t gewisse Ähnlichkeiten mit dem „irdenen Wägelchen" hervorgehoben. 3 4 9 I n dem anderen t r e t e n Weisheit, S t a n d h a f t i g k e i t u n d R u h m als Personen auf, so d a ß m a n dieses D r a m a in dieser Hinsicht mit ein J a h r t a u s e n d späteren D r a m e n verglichen hat. 3 5 0 Die B e d e u t u n g dieser F r a g m e n t e liegt darin, d a ß sie die Existenz des D r a m a s mit seinen allgemeinen Zügen f ü r die Kushängesellschaft bezeugen, etwa zwei J a h r h u n d e r t e vor den klassischen brahmanischen D r a m e n der G u p t a zeit u n d zwei J a h r h u n d e r t e nach der von P a t a n j a l i bezeugten Lage. E s ist nicht wahrscheinlich, daß das altindische D r a m a n u r aus buddhistischen K u l t d r a m e n , wie sie Asoka propagandistisch b e n u t z t hatte, 3 5 1 bestand, als d a s buddhistische D r a m a am H o f e Kaniskas durch Asvaghosa geschrieben worden

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ist. Zwischen Patanjali und Asvaghosa mag 1. aus dem Mimus der Gentilgesellschaft über den Kusilavamimus der IV. Periode 3 5 2 die Komödie, 353 2. gleichzeitig mag aus dem gentilen Kultdrama über Kultdramen Asokas und der Hindus der IV. Periode zusammen mit der epischen Rezitation der saubhikas und mit Elementen des Mimus (vidüsaka) das buddhistische und brahmanische mythologische und historische Drama und 3. aus Mimus und Erzählgut das bürgerliche Drama geschaffen worden sein. Auf alle Fälle ist der Schauspieler eine spezialisierte Form des kultischen Tänzers gewesen. Der pantomimische Tänzer, gleich welcher Art, hat bei dieser Entwicklung das Sprechen seiner Rolle vielleicht von der epischen Rezitation des saubhikas übernommen, d. h. Epos und Tanz verbunden; dies war um so leichter, als die Epen sehr viele Dialoge enthalten, die nur durch erzählende Verse verbunden sind. Die Dialoge des Dramas sind aber im Gegensatz zu denen des Epos in Prosa verfaßt, und nur die gebildeten Personen sprechen im Drama Sanskrit (wie im Epos alle!), die ungebildeten verschiedene Präkrts (s. o.); dieser Brauch wird auf die Mimesis, dieses unumgängliche Element des Dramas, auch des heroischen-mythologischen, zurückgehen. Die Entwicklung des altindischen Dramas war also offenbar sehr kompliziert.

6. Inder und Griechen Man kann neben die indische Literatur dieser Periode die gleichzeitige griechische und römische stellen, d. h. die von Menander bis Longos und die von Ennius bis Apulejus. Den Anfängen der indischen Dramatik steht dann das Ende der athenischen gegenüber. Mit Menanders neuer Komödie ist die griechische Klassik bereits überschritten, und erst recht bei Plautus und Terenz, ihren römischen Nachfolgern. Horaz, Vergil und Ovid bedeuten einen zweiten, römischen Gipfel antiker Klassik auf dem Gebiet der Lyrik, Vergils Äneis eine neue Höhe antiker Epik. Horaz 3 5 4 und seine Zeitgenossen aber sind etwa gleichzeitig mit der altprakritischen Lyrik, die erst der Vorläufer der klassischen indischen Lyrik ist. Andererseits hat die indische &öv?/a-Literatur einiges an Künstlichkeit mit der hellenistischen gemeinsam: sie blickten ja beide auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurück, waren in dieser Hinsicht beide etwas überreif. Und in gewissem Sinne kann man das Epos Vergils dem des Asvaghosa gegenüberstellen: Beide verfaßten als historische Persönlichkeiten Kunstepen, als verhältnismäßig späte Fortführer und Umgestalter der alten, im Grunde anonymen Volksepik.

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ist. Zwischen Patanjali und Asvaghosa mag 1. aus dem Mimus der Gentilgesellschaft über den Kusilavamimus der IV. Periode 3 5 2 die Komödie, 353 2. gleichzeitig mag aus dem gentilen Kultdrama über Kultdramen Asokas und der Hindus der IV. Periode zusammen mit der epischen Rezitation der saubhikas und mit Elementen des Mimus (vidüsaka) das buddhistische und brahmanische mythologische und historische Drama und 3. aus Mimus und Erzählgut das bürgerliche Drama geschaffen worden sein. Auf alle Fälle ist der Schauspieler eine spezialisierte Form des kultischen Tänzers gewesen. Der pantomimische Tänzer, gleich welcher Art, hat bei dieser Entwicklung das Sprechen seiner Rolle vielleicht von der epischen Rezitation des saubhikas übernommen, d. h. Epos und Tanz verbunden; dies war um so leichter, als die Epen sehr viele Dialoge enthalten, die nur durch erzählende Verse verbunden sind. Die Dialoge des Dramas sind aber im Gegensatz zu denen des Epos in Prosa verfaßt, und nur die gebildeten Personen sprechen im Drama Sanskrit (wie im Epos alle!), die ungebildeten verschiedene Präkrts (s. o.); dieser Brauch wird auf die Mimesis, dieses unumgängliche Element des Dramas, auch des heroischen-mythologischen, zurückgehen. Die Entwicklung des altindischen Dramas war also offenbar sehr kompliziert.

6. Inder und Griechen Man kann neben die indische Literatur dieser Periode die gleichzeitige griechische und römische stellen, d. h. die von Menander bis Longos und die von Ennius bis Apulejus. Den Anfängen der indischen Dramatik steht dann das Ende der athenischen gegenüber. Mit Menanders neuer Komödie ist die griechische Klassik bereits überschritten, und erst recht bei Plautus und Terenz, ihren römischen Nachfolgern. Horaz, Vergil und Ovid bedeuten einen zweiten, römischen Gipfel antiker Klassik auf dem Gebiet der Lyrik, Vergils Äneis eine neue Höhe antiker Epik. Horaz 3 5 4 und seine Zeitgenossen aber sind etwa gleichzeitig mit der altprakritischen Lyrik, die erst der Vorläufer der klassischen indischen Lyrik ist. Andererseits hat die indische &öv?/a-Literatur einiges an Künstlichkeit mit der hellenistischen gemeinsam: sie blickten ja beide auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurück, waren in dieser Hinsicht beide etwas überreif. Und in gewissem Sinne kann man das Epos Vergils dem des Asvaghosa gegenüberstellen: Beide verfaßten als historische Persönlichkeiten Kunstepen, als verhältnismäßig späte Fortführer und Umgestalter der alten, im Grunde anonymen Volksepik.

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a) L y r i k , B u k o l i k Mit der K r s n a h i r t e n l y r i k im U r t e x t des H a r i v a m s a u n d bei H ä l a b e g i n n t f ü r u n s weiter die altindische B u k o l i k ; 3 5 5 ein p a a r J a h r h u n d e r t e f r ü h e r b e g i n n t in der 1. H ä l f t e des 3. J a h r h u n d e r t s , also n o c h a m A n f a n g unserer V . P e r i o d e , die griechische B u k o l i k m i t d e n I d y l l e n des Sizilianers T h e o k r i t . Beide sind u n g e f ä h r gleichzeitige, synchronische typologische Analoga. Die griechische Bukolik a b e r soll n a c h alter T r a d i t i o n m i t D a p h n i s begonnen h a b e n , 3 5 6 d e m sizilischen m y t h i s c h e n K u h h i r t e n u n d D i c h t e r s ä n g e r , der, von seiner M u t t e r ausgesetzt u n d u n t e r H i r t e n a u f g e w a c h s e n , von P a n im Flötenspiel u n t e r wiesen wird, d u r c h eine eifersüchtige N y m p h e m i t B l i n d h e i t geschlagen w i r d ; er liebt d a n n eine a n d e r e J u n g f r a u u n d besingt seine Liebesnot, bis er als eine A r t M ä r t y r e r des E r o s u n d d e r A p h r o d i t e stirbt. 3 5 7 Mag er u r s p r ü n g l i c h eine sizilische V a r i a n t e des T a m m u z - A d o n i s gewesen sein, 3 5 8 m a g er m i t d e m u n t e r H i r t e n aufgezogenen K r s n a m a n c h e s g e m e i n s a m h a b e n , D a p h n i s w u r d e , h e i ß t es, zuerst von Stesichoros im 6. J a h r h u n d e r t besungen, u n g e f ä h r in d e r Zeit, als K r s n a in d e r C h ä n d o g y o p a n i s a d (schon vor P ä n i n i ) 3 5 9 e r w ä h n t w u r d e . Schon d a m a l s also m a g ein gewisser A n f a n g d e r indischen u n d griechischen B u k o l i k a n z u s e t z e n sein. H i r t e n t u m u n d H i r t e n m u s i k , Flötenspiel u n d Gesang, g a b es b e r e i t s in d e r s p ä t e n Gentilgesellschaft. Der H i r t , d e m d a s Dorf die H e r d e z u m W e i d e n in d e r E i n s a m k e i t des W a l d e s m i t seinen wilden Tieren a n v e r t r a u t e u n d d e r sich in seiner E i n s a m k e i t d e m Flötenspiel h i n g a b , ist in gesellschaftlicher W i r k l i c h k e i t u n d D i c h t u n g der vorarischen Gentilgesellschaft Indiens, a b e r a u c h sonst, v o n b e t r ä c h t l i c h e r B e d e u t u n g gewesen. 3 6 0 E r s t der B e w o h n e r der l a n g s a m h e r a n w a c h s e n d e n S t a d t entwickelte jedoch d a s B e d ü r f n i s n a c h r o m a n t i s c h e r H i r t e n d i c h t u n g , die in I n d i e n eine U n t e r a r t der W a l d d i c h t u n g war, weil d e r W a l d die gemeine W e i d e des Dorfes war, n i c h t wie in Griechenland die Bergwiese. „ K u h h i r t " w a r einer d e r altorientalischen u n d altindischen K ö n i g s t i t e l , der S c h ü t z e r seines Volkes, u n d K r s n a , d e r H i r t , w a r der S c h ü t z e r seiner M i t h i r t e n , seines Volkes, der Adelsrepublik der Y ä d a v a s , ja, d e r W e l t a l s V i s n u . E r , u r s p r ü n g lich z u m Teil wohl ein vorarischer W a n d e r h e l d oder eine K o m b i n a t i o n zweier W a n d e r h e l d e n d e r Gegenden u m M a t h u r ä u n d D v ä r a k ä , z u m Teil ein arischgriechischer Held, 3 6 1 z u m Teil ein P r i n z der H e r o e n z e i t der A n d h a k a v r s n i s u n d D e s p o t e n m ö r d e r m i t E l e m e n t e n der Ö d i p u s - K y r o s - S a g e ( P r o p h e z e i u n g usw.), w u r d e von Ä r y a in die Gesellschaft der H e r o e n d e r Zeit u m 1000 v. u. Z. eingegliedert, u m 600 zuerst e r w ä h n t , z. Z. P ä n i n i s als G o t t v e r e h r t (bhakti) u n d , wer weiß von w a n n an, der H a u p t h e l d der indischen B u k o l i k als F l ö t e n b l ä s e r u n d T a n z - u n d Liebesgespiele der H i r t i n n e n , die seine T a t e n besangen. 3 6 2 E r ist ausgesprochen p o l y g a m u n d d a m i t d e m D a p h n i s in dessen ungestillter Liebesn o t entgegengesetzt. E r singt keine s c h m a c h t e n d e n Liebeslieder. Die indische despotische Gesellschaft m i t i h r e m p a t r i a r c h a l i s c h e n H a r e m s l e b e n k o n n t e in einem d a p h n i s a r t i g e n S ä n g e r kein I d e a l sehen oder propagieren.

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Bei Theokrits bukolischen Idyllen ist es wie bei der Krsnabukolik höchst zweifelhaft, ob sie mit echter, volkstümlicher Hirtendichtung oder gar mit alter Hirtenritualistik, wie man vermutet hat, zusammenhängen. 363 Im einzelnen sind indische und griechische Bukolik sehr verschieden. Die Hirten Theokrits und der antiken Gesellschaft sind Sklaven, die die Rinder-, Schaf- oder Ziegenherden ihrer Herren weiden, und zwar auf Berg wiesen, die in schöner Naturlyrik mit lieblichen Quellen, schattenspendenden Bäumen und duftenden Blüten geschildert werden. Sie weiden gerne zu zweit, treffen sich mit ihren Herden an ihren Lieblingsplätzen und veranstalten dann Wettgesänge um einen von ihnen selber ausgesetzten Preis. Dabei singt einer in Theokrits i . Idyll vom Leid und Tod des Daphnis, im 6. Idyll läßt der Dichter gar den Rinderhirten Daphnis mit Polyphem (dem Ziegenhirten, der Galatea hoffnungslos liebte) um die Wette singen; im 5. brüstet sich ein Ziegenhirt mit seiner Liebe zu einem Mädchen im Wettsingen mit einem Schafhirten, der seine Liebe zu einem Knaben besingt. Mit ähnlicher Thematik besingt im 7. Idyll Theokrit selber die Knabenliebe im Wettkampf mit einem in ein Mädchen verliebten Ziegenhirt. Im 11. Idyll klagt Polyphem über Galatea in einer Art Monolog, und im 3. Idyll jammert ein Ziegenhirt über seine treulos gewordene Amaryllis. Bei Theokrit treten die Hirtinnen nicht auf, auch nicht als Sängerinnen oder Tänzerinnen, wie doch bei Krsna. Und bei dem ungeschlachten Riesen Polyphem ebenso wie bei den Hirtensklaven erlaubt Theokrit sich allerlei Ironie (Polyphem z. B . findet sich gar nicht so häßlich) und fügt unromantische, veristische Elemente ein, wie die, daß sie ihre ungehorsamen Tiere beschimpfen oder sich einen Stachel in den Fuß treten. Ferner hat Theokrit eine Fülle mythologischer Anspielungen in seine Idyllen hineingeheimnißt, wie es dem Geschmack der hellenistischen Dichter und Leser gefiel. Es handelt sich in seiner Bukolik also schon nicht mehr um naive Hirtenromantik, sondern um die einer neuen, späten Qualität, die die Hirtensklaven und ihr Milieu teils verherrlicht, teils veristisch kritisiert. Einerseits haben wir keine ältere griechische Bukolik; aber ein Paris, ein Prinz und Hirt, den drei Göttinnen sich als Schiedsrichter ihrer Schönheit wählen, gehört einer altertümlichen Hirtenromantik an, die der des Krsna und insbesondere seines Bruders Balaräma ähnelt, denn dem Balaräma erschien die Göttin des Rauschtranks, Madirä, zusammen mit zwei anderen Göttinnen, um ihn trunken zu machen. 364 Andererseits ist uns kein indischer Theokrit erhalten, sondern die Krsnabukolik beginnt für uns mit dem Urtext des Epos Harivamsa. Erst am Ende der V. Periode besingt dann Häla Krsna und die verliebten Hirtinnen, aber auch er schildert die Lage wie das Epos, läßt nicht Krsna oder die Hirtinnen sprechen bzw. singen. Es kann sein, daß uns ein indischer Theokrit verlorengegangen ist, aber es kann auch sein, daß indische und griechische Bukolik auch in dieser Hinsicht verschieden waren. Wie dem auch sei, die Bukolik lebte später in Vergils Bukolika, den zehn Eklogen, mit teilweise anderer Thematik (des goldenen Zeitalters, der Geburt des Heilands) weiter, die der Friedenssehnsucht im beginnenden römischen

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K a i s e r r e i c h e n t s p r a c h . U n d in der R e n a i s s a n c e k n ü p f t e m a n a n sie a n u n d leitete die s p ä t f e u d a l e S c h ä f e r d i c h t u n g ein, die bis in die A n f ä n g e des k a p i t a listischen B ü r g e r t u m s weiterlebte u n d sich d a b e i i m m e r wieder in i h r e m W e s e n w a n d e l t e . A u c h in I n d i e n lebte die B u k o l i k w e i t e r ; einer ihrer s p ä t e n H ö h e p u n k t e ist im 12. J a h r h u n d e r t J a y a a e v a s G l t a g o v i n d a , eine R e i h e v o n leidens c h a f t l i c h e n L i e d e r n K r s n a s u n d R ä d h ä s , die ihn a u s E i f e r s u c h t a u f die a n d e r e n H i r t i n n e n verlassen h a t , so d a ß er k l a g t , sie s u c h t u n d d a n k der V e r m i t t l u n g einer F r e u n d i n R ä d h ä s w i e d e r f i n d e t . Die Lieder sind d u r c h wenige E r z ä h l v e r s e v e r b u n d e n . H i e r k l a g t a u c h K r s n a wie D a p h n i s u n d P o l y p h e m . V o r allem a b e r w u r d e in d e r m y s t i s c h e n D i c h t u n g des feudalistischen H i n d u i s m u s die F l ö t e als d a s Mittel besungen, m i t d e m d e r p a n t h e i s t i s c h e G o t t K r s n a - V i s n u die m e h r oder weniger n u r scheinbar v o n i h m g e t r e n n t e n Seelen der Menschen, d . h. R ä d h ä u n d die H i r t i n n e n , die ihn, d e n G o t t lieben u n d suchen, zu sich r u f t . 3 " 5 So l ä ß t sich der P l a t z d e r a l t i n d i s c h e n u n d unserer a n t i k e n B u k o l i k im R a h m e n einer W e l t g e s c h i c h t e dieser D i c h t u n g s a r t schon a h n e n . F ü r die altindische D i c h t u n g der V. P e r i o d e ist a b e r n i c h t n u r solch Vergleichen m e h r oder weniger gleichzeitiger griechisch-römischer D i c h t u n g wichtig, s o n d e r n a u c h der Vergleich phaseologisch analoger D i c h t u n g , d. h. d e r l e t z t e n vorklassischen indischen L i t e r a t u r dieser P e r i o d e u n d d e r m e h r e r e J a h r h u n d e r t e ä l t e r e n vorklassischen griechischen. Soziale G r u n d l a g e dieser L i t e r a t u r w a r der gebildete Städter, : i 6 e in dessen gesellschaftlichem A u f t r a g D i c h t e r p e r sönlichkeiten ihre W e r k e niederzuschreiben b e g a n n e n . Zu seiner Gesellschaft g e h ö r t die gebildete H e t ä r e . D a s Bildungsideal des indischen S t ä d t e r s f o r d e r t sein V e r s t ä n d n i s f ü r D i c h t u n g des n e u e n kävya-Stils und für Poetik mit den dazugehörenden Wissenschaften der Grammatik, Metrik, Lexikographie und D r a m a t i k ; K e n n t n i s von M a t h e m a t i k u n d N a t u r w i s s e n s c h a f t e n wird d a b e i n i c h t a n g e f ü h r t , j a , diese w a r e n u n t e r e n t w i c k e l t , g a n z im Gegensatz zu A t h e n , wo auf d e r G r u n d l a g e h o c h e n t w i c k e l t e r W i s s e n s c h a f t e n D e m o k r i t , P i a t o n u n d Aristoteles eine große Rolle f ü r die B i l d u n g spielten. Gewiß h a t t e sich in b e i d e n Gesellschaften Medizin e n t w i c k e l t , a b e r die k o n s e r v a t i v e b r a h m a n i s c h e Ideologie h i n d e r t e im D e s p o t i s m u s die E n t w i c k l u n g d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t e n , weil sie weder a n S t e i g e r u n g d e r P r o d u k t i o n n o c h a n A u f k l ä r u n g so interessiert w a r wie die a t h e n i s c h e D e m o k r a t i e . Mit A s v a g h o s a u n d H ä l a werden erst j e t z t indische Dichtergenies g r e i f b a r , w ä h r e n d in G r i e c h e n l a n d bereits v o m 7. J a h r h u n d e r t a n L y r i k e r wie Archilochos' ! ß 7 ihre W e r k e der N a c h w e l t d u r c h S c h r i f t überliefern k o n n t e n . A u f f a l l e n d ist, d a ß indische Analoge zur griechischen T r i n k - , K a m p f - u n d W e t t k a m p f l y r i k bisher k a u m (vor allem im Rgveda) : i ü H g e f u n d e n w o r d e n sind, im wesentlichen N a t u r - , Liebes- u n d Weisheitslyrik. D a b e i h a t d a s T r i n k e n z. B . im gesellschaftlichen L e b e n u n t e r H ö f l i n g e n u n d S t ä d t e r n , a b e r sicher a u c h u n t e r den Massen u n d in der E p i k e t w a bei B a l a r ä m a oder beim U n t e r g a n g der Vrsnis eine Rolle gespielt. E i n e A r t Kriegslyrik ist in einigen L o b i n s c h r i f t e n indischer K ö n i g e e r h a l t e n , u n d d e r e n B a r d e n , die vaitälikas, sütas, mägadhas u n d vandins h a t t e n dergleichen im A n s c h l u ß a n die rebhas der I . u n d d e r Ver-

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fasser der näräsamsi gäthäs der I I . und I I I . Periode f ü r bestimmte Gelegenheiten zu verfassen. Dies ging aber offenbar nicht in die L i t e r a t u r der gebildeten Städter über. Sie idealisierten und propagierten es nicht im Volk. I m ständisch geordneten Despotismus mit seiner auf Erlösung, Askese u n d Quietismus eingestellten Ideologie h a t t e es der lebensfrohe Dichter schwer, f ü r sein Erleben u n d Wirken als Einzelpersönlichkeit einen Platz zu finden, aber es gelang in der V. Periode, womit die Klassik der VI. Periode, eingeleitet wurde. b) E p i k Was die E p e n angeht, so wurden die des Homer zur Zeit des Peisistratos, also zu Anfang unserer I I I . Periode, endgültig redigiert und niedergeschrieben, 3 6 9 kurze Zeit vor der antiken Klassik. Dies entspricht phaseologisch ungefähr der Festlegung der annähernd ebensolangen U r t e x t e der indischen E p e n durch die B r a h m a n e n Välmiki und Vyäsa kurz vor Asvaghosa. Diese U r t e x t e waren noch im wesentlichen Problemepen wie die griechischen, keine Biographien. Alle drei indischen Epen behandelten nämlich als H a u p t p u n k t eine langjährige Waldwanderung 3 7 0 ihrer Helden vor ihrem Sieg, mag diese im einzelnen auch in jedem Epos andersartig sein, während die beiden homerischen Epen erstens weit kürzere Zeiträume schilderten, zweitens den Wald nicht heranzogen und das uralte Thema des Wanderhelden nur in der Odyssee beibehielten, hier in der neuen Form des Seefahrers, der nun einmal zum ägäischen Meer so gut p a ß t wie der Waldwanderer zu Indien. Meer bzw. Wald gehören offenbar zur Romantik, mit der indische wie griechische Epiker ihre heroische Vergangenheit idealisierten. I m Wald besuchen bzw. beschützen die P ä n d a v a s bzw. R ä m a brahmanische Einsiedler und dokumentieren damit die Zusammengehörigkeit der beiden oberen Stände. Dazu konnte es kein griechisches Analogon geben. N u r wenn K r s n a im Walde die Seinen, Hirten, vor Dämonen schützt, ist dies einigermaßen Odysseus' Schutz der Seinen, der R u d e r m a n n s c h a f t , vor Ungeheuern auf Inseln und K ü s t e n an die Seite zu stellen. Die m ä r c h e n h a f t e Heimkehr des Odysseus aus Troja ist gegen oder neben R ä m a s W a n d e r u n g nach Lanka zu stellen. Aber die kurze Episode vom Zorn des Achill einer Sklavin wegen mit ihrer Dramatik, ja Tragik, 3 7 1 wurde nicht T h e m a eines indischen Epos. Wir können freilich noch nicht angeben, warum in Indien weit umfangreichere Epen als in Griechenland mit so weit gespanntem R a h m e n gebraucht wurden. Achill als Ideal eines kurzen, aber heldischen Lebens war jedenfalls nicht indisch; ebensowenig h a t ein indischer Epiker die Waldwanderung R ä m a s so kunstvoll komponiert wie H o m e r die fast ebenso lange dauernde Seefahrt des Odysseus. Välmiki h a t ja nicht wie H o m e r R ä m a s bzw. Odysseus' Abenteuer zum großen Teil in seine a n Sita bzw. Penelope gerichtete Erzählung beim Rückflug von Lanka nach Hause hineingestellt. W ä h r e n d weiter Homer, noch u n b e r ü h r t von Erlösungsreligion, der alten Götterwelt die von da an bleibende Form gab, sind die indischen E p e n ihrer s p ä t e n Zeit entsprechend bereits überwiegend hinduistisch, nicht mehr n u r

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vedisch. Die indische Epik war ja aus der H a n d alter vedischer Barden in die hinduistischer Brahmanen übernommen worden. Aber Erlösungssehnsucht, Askese und Quietismus spielten in ihnen trotzdem keine wichtige Rolle, vielmehr war ihr Ideal der aktive Held, der in den drei erhaltenen Epen das politische Ideal des Weltherrschers (Yudhisthira), des kleinen Königs (Ränia) bzw. des antidespotischen Aristokraten (Krsna) vertrat. Zu dieser Dreiteilung der Heldenepen scheint es keine griechische Analogie zu geben. Wohl aber steht in beiden Literaturen dem historischen das märchenhafte Epos gegenüber. Dabei geht die Ilias auf den Krieg um Troja zurück, der ungefähr dergleichen Zeit angehört, wie die Zehnkönigsschlacht, das historische Ereignis, das vermutlich der Schlacht im Mahäbhärata letztlich zugrunde liegt. Diese beiden historischen Epen vertreten gleichzeitig eine panhellenische bzw. gesamt indische 372 Ideologie, den Stolz des Hellenen bzw. des Hindus den Barbaren gegenüber, in diesem Sinne eine Vorform des Nationalismus, der den beiden märchenhaften Epen, der Odyssee bzw. dem Rämäyana, fehlt. Die Epen wurden vielleicht an großen Festen vorgetragen. 373 Neben diesen beiden Epen hat Indien damals noch das Krsnaepos entwickelt und damit die Epik des Mahäbhärata um die Vorgeschichte Krsnas erweitert. Das darf man mit gewissem Recht neben die antike Kyklosepik stellen, wie z. B. die Kyprien die Vorgeschichte der Ilias behandelten. Während die übrige griechische Heldensage im Kyklos dargestellt wurde, wurden die anderen avatäras Visnus neben denen als Räma und Krsna, nämlich die als Fisch, Schildkröte usw., in puränas ebenfalls in gewissem Sinne episch bearbeitet. Beide Gesellschaften brauchten eben eine Art epische Darstellung der Gesamtmythologie, die bei den Indern von puranischen Brahmanen, bei den Griechen von Barden des Kriegeradels verfaßt wurde. Die Hindus wendeten für ihre Epen mehr oder weniger kävya-Sti\ an, dichteten z. B. nicht nur in slolcas, sondern auch in komplizierten Metren, während die homerischen Epen nur im Hexameter verfaßt sind. Die Brahmanen konnten in ihren Epen vor allem bei der Entwicklung vom Urtext zum Archetypus weit riesigere Textmassen als die alten Barden anhäufen, sie mit langen Dialogen und didaktischen, moralisierenden und philosophierenden Abschnitten aufblähen, wie es die Homeriden bis auf Peisistratos nicht taten. Man hat angefangen, einerseits eine allgemein epische Darstellungsweise aller Epen der Weltliteratur mit typischen Elementen, wie z. B. Freude an Darstellung höfischen Milieus, herauszuarbeiten. 374 Man hat andererseits den Unterschied der indischen und griechischen Art der Schilderung an einem Beispiel herauszuarbeiten begonnen, wie sich bei Homer Odysseus und Penelope am Ende mit tiefer Erregung wiedersehen, bei „Vyäsa" aber Nala und Damayanti. Das indische Paar hält sich dabei im Unterschied zum griechischen trotz aller inneren Erregung an die von der Sitte vorgeschriebene Form, und der indische Epiker verwendet viele übliche schmückende Beiworte. 375 So richtig das ist, man muß diese Szenen in größerem Zusammenhang sehen, will man die Leistung des indischen Epikers würdigen.

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Beide E p e n gehen auf die oben beim R ä m ä y a n a e r w ä h n t e eurasische Heldensage zurück. 3 7 6 Beide Helden erhalten von G ö t t e r n durch Verzauberung eine f r e m d e Gestalt, so d a ß ihre F r a u e n sie zunächst nicht wiedererkennen können, werden d a n n aber e n t z a u b e r t . Beide sind in m ä r c h e n h a f t e r Weise zur drohenden Wiederverheiratung ihrer verlassenen F r a u geeilt. Bei beiden wird die Wiedererkennung durch ihre F r a u spannend vorbereitet, bei beiden wird eine F r a u (Eurykleia bzw. eine Botin Damayantis) u n d werden die K i n d e r (Telemachos bzw. Nalas beide Kinder) eingeschoben, bei beiden zweifelt die F r a u . Beide F r a u e n erwarten vom Mann, daß er ein n u r den E h e p a r t n e r n b e k a n n t e s E r kennungszeichen 3 7 7 g i b t : D a m a y a n t i sendet — nach alter Sitte — B r a h m a n e n als Boten n a c h allen Richtungen aus, die überall drei Verse rezitieren bzw. singen sollen, die a n d e u t e n , wie Nala sie heimlich verlassen h a t ; 3 7 8 n u r N a l a k a n n auf sie a n t w o r t e n u n d t u t es. Der B r a h m a n e schildert aber, zurückgekehrt, nicht Nalas Gestalt, da dieser verzaubert ist, so d a ß D a m a y a n t i zweifelt. Dagegen bringt Penelope Odysseus erst, als er seine strahlende Gestalt wiedererhalten hat, dazu, ihren Zweifel zu beheben, indem er ihr ihre K a m m e r u n d ihr B e t t schildert, die n u r er als ihr G a t t e k e n n t (Od X X I I I , 155ff.). W ä h r e n d des langen Wiedererkennungsprozesses zeigt der verzauberte Odysseus seine alte Bogenkunst (Od X X I ) , während D a m a y a n t i den heimkehrenden Nala, der noch verzaubert ist, a m Tönen des von ihm gelenkten Wagens e r k e n n t u n d d a n a c h durch die Botin seine Lebensweise e r k u n d e n läßt, die mit der des ihr v e r t r a u t e n N a l a übereinstimmt (Mbh I I I , 71, 4ff.). Beide Epiker haben also mit alt ü b e r k o m m e n e m Sagengut ziemlich frei geschaltet u n d es an die beiden altertümlichen aber doch sehr verschiedenen Gesellschaften a n g e p a ß t . So schaltet u n d waltet Penelope in dem noch beinahe bäuerlichen Palast, während der alte Laertes ganz zurückgezogen lebt. D a m a y a n t i aber lebt wohlbehütet am H o f e ihres königlichen Vaters, nicht belästigt von frechen Freiern u n d d a d u r c h nicht gezwungen, sich mit eigener K r a f t des Geistes ihrer zu erwehren. Das Leben wird in beiden E p e n in sehr verschiedener Weise widergespielt. Die Art, wie der Homeride die Menschen schildert, läßt sie vor uns geradezu leiblich, in ihren Erregungen r ü h r e n d erstehen. Der b r a h manische E p i k e r aber gestaltet a b s t r a k t e r e Vorstellungen n a c h Begriffen altindischer Ideale, verweilt weniger beim Menschlich-allzumenschlichen als beim übermenschlich Idealisierten. I n der bildenden K u n s t läßt sich ein analoger Unterschied beobachten. E r mag letzten E n d e s d a m i t zusammenhängen, d a ß die Griechen in ihrer Demokratie den N ö t e n der Menschen sowohl wie der B e o b a c h t u n g u n d wissenschaftlichen B e t r a c h t u n g der N a t u r aufgeschlossener gegenüberstanden als die H i n d u s in ihrer hierarchisch geordneten Ständegesellschaft mit despotischer Regierung und brahmanischer Oberschicht. Wichtig ist aber, daß der Inder, obgleich er in d u r c h a u s patriarchalischer Gesellschaft lebte wie der Grieche, den Helden, Nala, zum Spieler u n d d a m i t schuldig a n der T r e n n u n g von D a m a y a n t i m a c h t e ; verliert er doch seine geliebte F r a u , wie in anderer Weise Yudhisthira beinahe D r a u p a d i verloren h ä t t e . U m g e k e h r t s t e h t D a m a y a n t i nicht n u r als die unschuldig duldende, verlassene F r a u da, sondern

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als diejenige, die bei Wahrung aller Form aristokratischer Zucht die Initiative ergreift, ihren Gatten wiederzuerlangen. Sie gesteht ihrer Mutter ihre Not und erreicht es, daß ihr Vater ihr jenen Brahmanen als Boten zur Verfügung stellt (Mbh I I I , 67, lff.). Am Ende erlangt sie die Erlaubnis ihres Vaters, den immer noch verzauberten Nala in ihrem Gemach zu empfangen und endgültig zu prüfen. Sie klagt ihn dann an, daß er sie verlassen habe. E r entschuldigt sich mit seiner Not, wirft ihr aber mit dem Schein des Rechts vor, sie suche sich einen anderen Gatten. 379 Sie rechtfertigt sich mit einer Selbstverfluchung, und der Gott des Windes bestätigt ihre Keuschheit. Dann erst erhält Nala seine eigene Gestalt wieder, und Damayanti umarmt ihn unter lautem Schreien in jener Szene, die man zum Vergleich des Stils beider Epen herangezogen hat. Nicht nur ist die Tiefe der Empfindung in beiden Epen gleich, sondern auch die Parteilichkeit des indischen Epikers f ü r die unschuldig verlassene Frau und für ihre Willensstärke, die am Ende den Mann zurückgewinnt, ist eine ebenso große Leistung wie Homers Schilderung des standhaften Penelope. Die Art des Sehens und Zeigens des menschlichen Verhaltens ist indessen gemäß beiden Traditionen im Leben und in der Dichtung verschieden. Ohne Zweifel genoß und genießt der Hindu das indische Epos bis heute so intensiv wie der Europäer das homerische, und sei es nur in einer Übersetzung. Will man die menschliche Größe damaliger indischer Epiker würdigen lernen, vergleiche man mit dieser Wiederbegegnung der beiden Gatten weiter die von Räma und Sita in einem feierlichen Staatsakt statt in einer vertraulichen Aussprache unter vier Augen, oder lasse man die Sterbestunde des alten Königs Dasaratha auf sich wirken, der von Kaikeyi zu Kausalyä zurückgefunden hat und in tiefer Reue über sein Verhalten Räma gegenüber erblindet und seinen Geist aufgibt. 380

c) D r a m a t i k Erst nach diesem vorläufigen Abschluß der Epik begann in Indien und Griechenland die literarische Dramatik, und zwar in Indien — abgesehen vom Mimus — in jenen beiden Arten, der mythologischen und der bürgerlichen mit ihren lustigen Elementen. Es kam dort aber nicht zur Unterscheidung von Tragödie, Satyrspiel und der alten politischen Komödie wie in Athen. Die Massen des Volkes sowohl wie die gebildeten Städter Indiens forderten offenbar ein glückliches, kein tragisches Ende des Helden des Dramas 3 8 1 wie des Epos, und die Epiker und Dramatiker als Ideologen herrschender Kreise bestärkten sie darin. Dennoch hat das mythologische indische Drama mit seinem Pathos eine indische Variante kathartischer Wirkung, die sich der der griechischen Tragödie an die Seite stellen läßt. 382 Andererseits haben das indische bürgerliche und mythologische Schauspiel mit ihrer komischen Figur eine dem griechischen Mimus analoge geradezu gesellschaftskritische Wurzel. Sie gehen ja damit letztlich auf die komische, parodistische Mimesis 383 vorarisch- (und vielleicht

V. P e r i o d e , Cc

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arisch-)gentiler Satiren zurück, die neben vorarisch (bzw. arisch) gentilen mythologischen Kultdramen standen. Die indischen mythologischen Dramen aber sind bislang noch nicht wie die griechische Tragödie 384 auf Mysterienspiele zurückzuführen. Solche hat man im alten Indien noch nicht gefunden. 385 Es gab gewisse geheime orgiastische Kulte mit religiöser Erlösungsverheißung, die auf gentilen vorarischen Fruchtbarkeitsfesten gefußt haben dürften, 3 8 0 aber ohne Aufführungen von Mysterienspielen, vielmehr spielten Teilnehmer selber die Rolle des göttlichen Vaters bzw. der Mutter der Welt. Es gab weiter eine indische Form der Saturnalien, bei denen ebenfalls die Teilnehmer selber agierten, keine Schauspieler. 387 Und es gab Mythen vom sterbenden und auferstehenden Gott der Liebe, aber diese wurden, scheint es, erst in klassischen Dramen und in unserer vorklassischen Epik dargestellt, nicht in Mysterienspielen aufgeführt. 3 8 8 Statt auf Thespis und seinen Karren mit den wandernden griechischen Urschauspielern 389 kann man einstweilen nur auf die Saubhikas mit ihrer Rezitation epischer Texte zum Tanz von natas verweisen. Und man kann vergleichen, wie Indologen die ältesten indischen mythologischen Dramen zu rekonstruieren versuchen, Gräzisten die entsprechenden griechischen. 390 Das indische Drama aber hatte keine dionysische Maske und keinen ebenfalls dionysischen Chor. Es geht auch nicht an, dem Tyrannen Peisistratos, der angeblich das Drama Athens aus dem Mysterienspiel hervorgehen ließ, mit Kaniska in Analogie zu setzen, denn nicht zu Kaniskas Zeit geschah mit Aävaghosas Drama der Übergang zum indischen Drama, sondern — wer weiß wie lange — vorher. Und während Peisistratos in Richtung auf Demokratie hin wirkte und die athenische Tragödie und insbesondere die Komödie nur in athenischer Demokratie wachsen und gedeihen konnten, erwuchs das indische Theater in der verhältnismäßig antidespotischen, antiständischen und damit demokratischen Gesellschaft der gebildeten Städter, und zwar Jahrhunderte nach der griechischen Dramatik. Die indische und die griechische Dramatik aber setzen die Ausbildung der Kunstdichtung, Epik wie Lyrik, Musik und Tanz voraus, und zwar die klassische Dramatik einen Abschluß der Epik, der mit Homer bzw. Yälmlki und Vyäsas Urtexten bei bedeutendem zeitlichen Abstand beider Gesellschaften erreicht war. Bei einer sehr hohen Entwicklung von Städten und Fernhandel, von gewisser demokratischer Freiheit der Städter, Erlösungsreligion, Philosophie und musischer und wissenschaftlicher Bildung der wohlhabenden Städter entwickelte sich also in Indien und Griechenland das Drama in analoger Weise.

VI. Periode: Klassik im goldenen Zeitalter der Guptas (300-500 u. Z.)

1.

Vorbemerkung

a) Charakter der Klassik, vor allem Kälidäsas Unter Klassik der altindischen Dichtung sei ihr Gipfel verstanden. Insbesondere ist zu untersuchen, ob und in welcher Weise Kälidäsa und seine Zeitgenossen Südraka, Visäkhadatta, Bhartrhari und Vishnugupta im Vergleich zu ihren Vorgängern aus früheren Perioden, wie Välmiki, Vyäsa, Häla und Asvaghosa, und zu ihren Nachfolgern, wie Dandin, Harsa, Amaru und Bhavabhüti, als klassischer Höhepunkt der Dichtkunst nachzuweisen sind und wie ihre Werke zu den ihnen etwa gleichzeitigen Archetypen der drei visnuitischen Epen stehen. Ist Kälidäsa in dieser Hinsicht Sophokles, Shakespeare, Racine, Goethe, Puschkin und Tagore in ihren Nationalliteraturen an die Seite zu stellen? I n bezug auf seinen kävya-StW, d. h. die Gestaltung seiner Dichtung, ist dies die allgemeine Ansicht. In bezug auf den menschlichen Gehalt seiner Dichtung, seine Weltanschauung, ist dies je nach der klassenmäßig bedingten Weltanschauung des Literaturgeschichtlers ein Streitpunkt. Nach dem anfänglichen Enthusiasmus eines W. Jones, G. Forster, Goethe und Herder, 1 dieser Repräsentanten des jungen kapitalistischen Bürgertums, sind von verschiedenen Seiten Versuche der Einschätzung unternommen worden. Hier und heute kommt es darauf an, mit den Methoden des historischen Materialismus eine Perle indischer Tradition, einen altindischen Dichter als Klassiker zu verstehen. „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte", 2 jedoch für ihn gilt auch: „Denn wer den Besten seiner Zeit genug getan, der hat gelebt für alle Zeiten". 3 In der Guptazeit waren die „Besten" diejenigen gesellschaftlichen Kräfte, auf die sich der Dichter stützen konnte, vor allem die gebildeten Städter, Kaufleute, die am Welthandel teilhatten, aber auch Fürsten, Höflinge, Priester, Beamte und Hetären, die auf Grund ihrer sozialökonomischen Stellung objektiv am Humanismus interessiert waren. Die damaligen ausgebeuteten Klassen und Schichten, vor allem Bauern und Handwerker des Südrastandes, konnten (wenn man von sehr wenigen wohlhabenden städtischen Südras absieht) am kulturellen Leben direkt zwar nicht teilnehmen, aber der von ihnen damals seit Jahrhunderten geführte Klassenkampf zur Besserung ihrer sozialen Lage bewirkte den Humanismus der gebildeten Städter und der Dichter. Darauf ist beim Mrcchakatika zurückzukommen/* Auszugehen ist davon, ob und wieweit Kälidäsa im Geiste des damaligen Humanismus seine Gesellschaft zu kritisieren gewagt hat. Was war innerhalb

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der Reste der „asiatischen" Produktionsweise damals in dieser Hinsicht möglich, als die idyllisch-bornierten Dorfgemeinden die feste Grundlage von Despotismus u n d Aberglauben waren, die gebildeten S t ä d t e r aber ziemlich aufklärerisch, weitgehend allerdings auch zynisch zu denken begannen. E s gab keinen Ausweg aus der sozialen N o t der U n t e r t a n e n der Despoten. Auch der Despotenmord, den die drei visnuitischen Epiker u n d auch S ü d r a k a u n d V i s ä k h a d a t t a priesen, k o n n t e den Despotismus nicht a u f h e b e n . Kälidäsa h a t weder bei T ä r a k a im K u m ä r a s a m b h a v a , noch bei R ä v a n a im R a g h u v a m s a , diesen beiden bösen Dämonen, 5 ihre Erschlagung wegen ihres Despotismus besonders hervorgehoben u n d h a t dies T h e m a bei Despoten in der menschlichen Gesellschaft nicht behandelt, auch nicht bei einem solchen Lüstling u n d Despoten wie Agnivarna a m E n d e des R a g h u v a m s a . Wie K a u t a l y a versprach Kälidäsa sich offenbar n u r etwas von K r i t i k a n der Unbeherrschtheit von Despoten, u n d zwar h a t er ebenso wie K a u t a l y a nicht n u r extreme Fälle als abschreckende Beispiele behandelt, wie etwa jenen Agnivarna, sondern auch seine idealisierten Königsgestalten, wie D u s y a n t a u n d P u r ü r a v a s , D a s a r a t h a , R ä m a , A j a u n d Agnimitra, in feiner Weise kritisiert, geradezu mit Mitleid^ ihre menschlichen Schwächen dargestellt, wie es einem H o f d i c h t e r des Guptakönigs gerade noch erlaubt war. E r k o n n t e nicht das System des Despotismus mit sozialen oder politischen Gesichtspunkten angreifen, n u r die Leidenschaftlichkeit, insbesondere die der Liebe der Despoten. Andererseits förderte es der Despotismus vermutlich, daß die Dichter die U n t e r t a n e n nicht n u r bei Königsgestalten, sondern ganz allgemein von politischen F r a g e n auf Liebesprobleme ablenkten. Kälidäsas Größe liegt demgemäß in seiner humanistischen B e h a n d l u n g der Liebe. E r h a t sie nicht wie Asvaghosa v e r d a m m t ; er h a t als grundsätzlicher Optimist asketische Weltentsagung u n d religiöse Erlösungssehnsucht in seinen Werken hintangestellt u n d d a n a c h getrachtet, tiefe, echte Liebe zu behandeln, ohne indessen in seiner patriarchalischen Gesellschaft im G r u n d e über sinnliche zu geistiger Liebe u n d K a m e r a d s c h a f t der Liebenden vorstoßen zu können. Bei aller Mannigfaltigkeit der von Kälidäsa gestalteten Liebenden wirkt indessen ihre Liebe auf uns etwas sentimental, 7 als eine Mischung von Leidenschaftlichkeit u n d Zartheit, von moralischer Selbstbeherrschung u n d v o r n e h m e r Z u c h t , aber auch Rührseligkeit u n d Selbstbemitleidung der Liebenden in ihren N ö t e n . Die F r a u e n werden in Kälidäsas Werken im G r u n d e als n u r ihren K ö n i g liebend hingestellt, die Männer außerdem oder nebenbei ein wenig als große Helden u n d rechtliche Könige, ohne daß es d e m Dichter f ü r unser heutiges E m p f i n d e n gelungen wäre, die Vereinigung der drei traditionellen indischen menschlichen Ziele der geschlechtlichen Liebe, der königlichen Rechtlichkeit u n d des heldischen Erfolgstrebens in seinen Helden in psychologisch einleuchtender Weise zum Bilde geschlossener, individueller, lebensvoller, widerspruchsvoller Persönlichkeiten zu verquicken; ihre Liebe wirkt auf uns eher geradezu unmännlich, schwächlich. Diesen Helden stelle m a n die altepischen Gestalten gegenüber. Der ideale R ä m a Välmlkis heiratet S i t ä o h n e Liebe; er k e n n t als Idealgestalt im Grunde keine menschliche Leidenschaft wie die Liebe.

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E r wird d a m i t deutlich von R ä v a n a , Sugrlva, D a s a r a t h a , A r j u n a u n d K r s n a unterschieden, ja auch von Yudhisthira m i t seiner Spielleidenschaft. Gewiß war die Liebe auch ein H a u p t t h e m a Välmikis, aber bei R ä m a bricht sie eigentlich n u r einmal hervor, als Sita e n t f ü h r t worden ist, u n d gerade a n diese Szene k n ü p f t e Kälidäsa an, u m P u r ü r a v a s ' Trennungsschmerz beim Verschwinden Urvasls zu schildern. 8 E r h a t dabei aber die bei R ä m a stark hervorgehobenen Momente des Zorns u n d der R a c h e fortgelassen zugunsten eines geradezu an Irresein 9 grenzenden Trennungsschmerzes des Liebenden. F ü r die gebildeten S t ä d t e r u n d ihre H e t ä r e n stellte der Klassiker ein ganz anderes Menschenbild als Beispiel hin, als es ein p a a r J a h r h u n d e r t e f r ü h e r Välmiki g e t a n h a t t e , der traditionelle erste ¿cw/a-Dichter, ganz zu schweigen von der archaischen E r o t i k rgvedischer Dichter u n d vorarisch-gentiler Lebeslyrik. Kälidäsa h a t es sogar verstanden, die schrittweise Entwicklung des Liebespaares P ä r v a t i u n d Siva überzeugend darzustellen, 1 0 was vor ihm kein indischer Dichter auch n u r versucht h a t t e , u n d auch in S a k u n t a l ä u n d D u s y a n t a s p ü r t m a n etwas von solchem geradezu naiv dialektischem Denken. Die Liebe, eines der ständigen H a u p t t h e m e n der D i c h t u n g von der Gentilgesellschaft an, h a t t e kurz vor Kälidäsa bei jedem der großen Dichter Välmiki Vyäsa, Asvaghosa u n d H ä l a in anderer Weise eine mehr oder weniger b e d e u t e n d e Rolle gespielt. 1 1 Bei Kälidäsa wird sie d a n n mit einer neuen Qualität, einer neuen humanistischen W ä r m e in der Darstellung ihrer Trennungsleiden u n d Wiedervereinigungsfreuden behandelt, u n d das vor allem bei Despoten u n d ihren Königinnen u n d H a r e m s f r a u e n , zugleich tief menschlich u n d voller K r i t i k a n den menschlich-allzumenschlichen Aufregungen der Despoten. Kälidäsa liebt den liebenden u n d a n seiner Liebe leidenden Menschen u n d bemitleidet ihn, selbst den Despoten. F ü r den Historiker ist aber beides wichtig, die besondere B e h a n d l u n g des ewigen Liebesthemas durch die Dichterpersönlichkeit sowohl wie das Milieu, in dem es dargestellt wird, u n d die Klassik Kälidäsas besteht gerade in seinem Mitleid mit den a r m e n Despoten, die d a m i t zugleich als Männer idealisiert u n d als Herrschende kritisiert werden, wie etwa H ä l a (darin ähnlich wie Kälidäsa) sogar die Götter Siva u n d P ä r v a t i als Liebende vermenschlicht h a t t e . D u r c h diese Liebe unterscheiden sich Kälidäsas Königsgestalten, wie D u s y a n t a , P u r ü r a v a s , Dilipa, A j a u n d R ä m a , von denen der I V . Periode, von Vessantara, R ä m a , Yudhisthira u n d Krsna. 1 2 Inzwischen war der viele F r a u e n liebende K ö n i g U d a y a n a als literarische Gestalt groß geworden, 1 3 h a t t e H ä l a gedichtet u n d Välmiki im U r t e x t des R ä m ä y a n a die Liebe behandelt. I n s o f e r n sind die Helden Kälidäsas in der Guptazeit menschlicher, sind sie die klassische Vollendung der alten Helden der Mauryazeit. K ä l i d ä s a lebte in der patriarchalischen Gesellschaft, die die u n g e f r a g t , ohne Liebe geheirateten E h e f r a u e n zu Sklavinnen des G a t t e n machte, die gebildete H e t ä r e , Tänzerin, Haremssklavin zum Liebesobjekt des Reichen. E s ist dementsprechend anzuerkennen, wenn die Helden Kälidäsas überwiegend m e h r oder weniger monogam sind, wie der R ä m a Välmikis u n d des R a g h u v a m s a , wie Siva, A j a u n d der Y a k s a des W o l k e n b o t e n ; wie D u s y a n t a u n d P u r ü r a v a s zwar

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ältere F r a u e n haben, aber S a k u n t a l ä u n d UrvasI, den M ü t t e r n der S t a m m h a l t e r , Treue versprechen u n d — wenigstens D u s y a n t a — jahrelang halten, im U n t e r schied zu den polygamen Königen Agnimitra, Agnivarna u n d D a s a r a t h a . Kälidäsa m u ß t e in diesem Z u s a m m e n h a n g das Problem der a l t e r n d e n K ö niginnen behandeln, die durch jüngere F r a u e n v e r d r ä n g t werden u n d sich darein f ü g e n , u so daß die oberflächliche E i n t r a c h t im H a r e m wieder hergestellt ist. Mögen konservative H i n d u s noch heute diese B e h a n d l u n g des P r o b l e m s loben, wir können darin keine besondere Leistung des Dichters sehen, wenn er zwar die alternden bemitleidet, aber in „ r ü h r e n d e r " Weise als selbstbeherrscht u n d entsagend hinstellt. E i n e bessere Lösung dieses P r o b l e m s war damals a u c h einem Kälidäsa nicht möglich. I n seiner Gesellschaft wagte es auch ein Kälidäsa nicht, den K ö n i g P u r ü r a v a s die geliebte H e t ä r e UrvasI am E n d e zur Königin u n d G a t t i n erheben zu lassen (wie doch S ü d r a k a die Vasantasenä), u n d Agnimitra k a n n die Sklavin u n d Tänzerin Mälavikä erst heiraten, als sich herausgestellt h a t , d a ß sie eine ihm von ihrem V a t e r b e s t i m m t e Prinzessin ist. T r o t z d e m war es damals k ü h n , solche F r a u e n niederen Standes, eine H e t ä r e u n d eine Sklavin, zu Heldinnen von D r a m e n zu machen u n d so liebevoll zu schildern, wie es Kälidäsa t a t . E r h a t den liebenden F r a u e n sogar hier u n d d a eine gewisse Gleichberechtigung 1 5 z u e r k a n n t . E r sagte z. B., daß Siva M a n n u n d F r a u als gleich ansah, n u r auf ihr H a n d e l n k o m m e es a n ; F r a u e n seien die Grundlage moralischen (konventionellen) Handelns. 1 6 Dementsprechend ließ sich H i m a v ä n von seiner F r a u f ü h r e n , als er seine Tochter P ä r v a t i in die E h e gab. 1 7 I h r ist Siva als G a t t e von A n f a n g an prophezeit, also zugesagt worden, sie wählt ihn n i c h t ; aber sie verliebt sich leidenschaftlich in ihn, als K ä m a sie (nicht Siva!) mit seinem Pfeil trifft, 1 8 u n d ringt von da an mit dem ihr tauglich erscheinenden Mittel der Askese, die Siva magisch herbeizwingen soll u n d das auch t u t , wobei sie freilich mit E i n v e r s t ä n d n i s ihrer Eltern handelte. D a m i t erreicht sie eine Art Liebesheirat. UrvasI ist ebenfalls in ihrer Weise aktiv, u m P u r ü r a v a s ' Liebe zu gewinnen; sie geht zu i h m ; allerdings ist sie eine H e t ä r e . U n d S a k u n t a l ä ergibt sich dem geliebten D u s y a n t a in Liebesvereinigung, die f ü r K s a t r i y a s ohne Wissen oder E i n v e r s t ä n d n i s der Eltern als F o r m der H e i r a t a n e r k a n n t war. 1 9 Freilich s t r ä u b t sie sich zunächst u n d h a t sie später als schwangere F r a u u n d junge M u t t e r u n t e r den Folgen ihrer Liebesheirat jahrelang zu leiden; erst a m E n d e wird alles gut, erkennt ihr G a t t e sie an. Der Dichter h a t d e m n a c h gegen diese F o r m der leichtfertigen Liebesheirat sozusagen seine Bedenken g e h a b t 2 0 u n d h a t sie einem Asketenjüngling in den M u n d gelegt. Diese K r i t i k ist u m so wichtiger, als diese Liebesheirat in der Sage festlag. Der Dichter billigte dagegen voll u n d ganz die Gattenwahl der I n d u m a t i , die ihr V a t e r veranstaltete u n d bei der sie A j a aus einem Kreis von Bewerbern auswählen d u r f t e , wie es im Volksepos D a m a y a n t l 2 1 t a t . E i n e UrvasI k o n n t e bei Kälidäsa ihren Geliebten belauschen, u m sich seiner Liebe zu ihr zu vergewissern, ebenso eine F r e u n d i n im Interesse der Sakuntalä, 2 2 wie es umgekehrt die Männer D u s y a n t a u n d Agnimitra bei ihren Geliebten t a t e n . Aber auch unser Klassiker stellte sich bei keiner

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dieser F r a u e n vor, daß sie einen anderen Mann als den in sie verliebten Despoten geliebt hätte. 2 3 Zwischen den Liebenden gibt es — m a n möchte sagen, n a t u r g e m ä ß — Hindernisse, kleinen Streit u n d vor allem zeitweilige Trennung. Aber diese dienen n u r dazu, ü b e r w u n d e n zu werden und die Liebe fest zu m a c h e n ; sie sollen keinen Lebensüberdruß wecken, wie in den Predigten buddhistischer Autoren. Kälidäsa war erfreulicherweise auf diesem Gebiet d u r c h a u s Optimist.' 2 '' E r schrieb keine Tragödien, sondern die Hindernisse u n d T r e n n u n g e n werden von den Liebenden am E n d e ü b e r w u n d e n ; gerade dies ist das T h e m a der Werke Kälidäsas mit A u s n a h m e des größten Teils der Heldenchronik R a g h u v a m s a ; in dieser ist f ü r Kälidäsa vielmehr das T h e m a des Thronerben wichtig, wie der Sohn u n d die Liebe der E l t e r n zu ihm in allen Werken des Dichters mit A u s n a h m e des Wolkenboten einen bedeutenden P l a t z einnimmt.- 5 I n anderer Weise zeigt sich die Gesellschaftskritik Kälidäsas in seinen seltenen Äußerungen, hinter denen etwas wie eine demokratische Gesinnung s t e h t . I n Übereinstimmung mit der B h a g a v a d g l t ä erkennt er auch Vertreter niedriger Berufe, wie den Fischer u n d den Tänzer, als Menschen in der Ständegesellschaft an. 2 6 E r legt der lustigen Figur des Vidüsaka ebenso wie Citralekhä, der F r e u n d i n u n d Dienerin der Urvasi, treffende Bemerkungen in den Mund, 2 7 die die Königin Auslnari u n d König P u r ü r a v a s kritisieren. E r läßt P u r ü r a v a s a m E n d e wünschen, daß Glück (Wohlstand) u n d Weisheit, die sich widersprechen u n d n u r schwer in einem Menschen zu vereinen sind, zum Wohle (der Guten) stets zusammentreffen möchten. Dies bezieht sich nicht auf die H a n d l u n g des U r v a s i d r a m a s , sondern auf den Dichter selbst, der damals offenbar noch nicht die rechte Anerkennung gefunden h a t t e 2 8 (dies war ja erst sein zweites W e r k ! ) ; 2 9 es p a ß t zu B h a r t r h a r i s Klagen, 3 0 ist aber verallgemeinert. Als A u s n a h m e k a n n gelten, wenn Kälidäsa einen A n g a f ü r s t e n bei I n d u m a t l s Gattenwahl preist, in ihm seien Glück u n d Weisheit vereint. 3 1 Dies ist wohl als eine Schmeichelei u n d d a m i t als unglaubwürdig aufzufassen, wenigstens wählt I n d u m a t i diesen Prinzen nicht zum Gemahl. Noch heute bringen pessimistische Dichter in diesem Sinne zum Ausdruck, daß Geld u n d Intelligenz nicht zusammenpaßten. 3 2 D a r a n k o n n t e ein Kälidäsa noch nicht denken. Bei seinen vielen Königsgestalten setzt er wohl ganz allgemein Glück u n d Weisheit in gewissem U m f a n g voraus, soweit er sie nicht etwa wie Agnivarna kritisiert, ohne indessen auf dies Problem einzugehen. I m übrigen spielen in dem höfischen Milieu der Werke Kälidäsas Geld- oder Nahrungssorgen keine Rolle, insofern war sein sozialer Horizont sehr beengt im Unterschied zu dem der Dichter des Mrcchak a t i k a m u n d P a n c a t a n t r a . E r war als H o f d i c h t e r eines G u p t a s ebenso ein Parteigänger des Zentralismus wie Vyäsa, u n d m a n m u ß sich seine Könige als gesamtindische Herrscher vorstellen, selbst wenn es n u r bei einigen gesagt ist, nämlich bei R a g h u , D a s a r a t h a (im Gegensatz zum R ä m ä y a n a ) , P u r ü r a v a s u n d B h a r a t a , u n d auch Agnimitra k a n n ein Roßopfer feiern. Zu Kälidäsas Gesellschaftskritik gehört weiter die eifrige Ausmalung der Vidüsakas, 3 3 der in den drei D r a m e n des Dichters a u f t r e t e n d e n komischen Figuren, die traditionsgemäß

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B r a h m a n e n sind. Sie sind freßgierig, feige, m a n c h m a l I n t r i g a n t e n im Dienst ihres Königs, arrogant u n d ungebildet, aber g u t m ü t i g u n d in ihrer Weise ihrem H e r r e n bzw. F r e u n d treu. Kälidäsa wollte aber mit ihnen nicht den B r a h m a n e n s t a n d an sich kritisieren, denn D u s y a n t a s H o f p r i e s t e r z. B. ist ein kluger Mann 3 / 1 — von K a n v a u n d seiner Waldeinsiedelei ganz zu schweigen. Der Dichter war auf jeden Fall kein antireligiöser Materialist, sondern Sivait, lehnte aber Visnuismus nicht ab, war insbesondere ein vielfältiger N a c h a h m e r Välmikis, s t a n d also offenbar der R ä m a v e r e h r u n g nahe. Dagegen h a t er sich vom M a h ä b h ä r a t a u n d H a r i v a m s a (abgesehen von der S a k u n t a l ä - E p i s o d e u n d der Kumära-Mythologie) wenig anregen lassen. E r glaubte an die magischen K r ä f t e , an die Visionen, Wahrsagungen und Flüche von Asketen, a n Vorzeichen u n d Zauber, an Götter u n d Geister, an all den Aberglauben, der zum altindischen Despotismus gehört. E r glaubte an die Seelenwanderung u n d Erlösung u n d billigte es, wenn Könige a m E n d e Waldeinsiedler wurden. 3 5 I m Gegensatz zu Asvaghosa h a t er indessen nicht gedichtet, u m Erlösungsreligion zu propagieren, sondern er dichtete optimistisch-lebensfreudig wie die visnuitischen Epiker. So ließ er z. B. eine N y m p h e bei der T r e n n u n g des P u r ü r a v a s von Urvasi sagen, solche besonderen Gestalten k ö n n t e n nicht lange Unglück leiden; unbedingt würde eine Ursache f ü r die Zuneigung (des Schicksals) als Ursache ihrer Wiedervereinigung eintreten. 3 6 E r h a t sonst seine Gestalten ihr zeitweiliges Unglück öfter mit Fatalismus entschuldigen lassen, wie z. B. den Yaksa des M e g h a d ü t a ; dieser mag als eine A r t Höfling a m Hofe K u b e r a s der Wolke gegenüber nicht von seiner Schuld a n seiner V e r b a n n u n g sprechen, sondern spricht zu seiner Entschuldigung n u r ganz kurz vom Schicksal 37 . Aber einerseits ist Schicksal f ü r Kälidäsa durchweg nicht eine blind herrschende außermenschliche Macht (wie allenfalls Meghadüta 106), sondern ist moralische Tatvergeltung, deren sich u. a. ein P u r ü r a v a s bewußt ist; 3 8 andererseits ist F a t a l i s m u s bei unserem Klassiker keine Entschuldigung f ü r Verzicht auf eigenes H a n d e l n , kein G r u n d f ü r allgemeinen Weltschmerz, keine Ablehnung der eigenen V e r a n t w o r t u n g . Dasselbe gilt auch vom Zufall, der f ü r den H i n d u nichts als Schicksal, d. h. T a t v e r g e l t u n g ist u n d in Kälidäsas Werken eine beträchtliche Rolle spielt. I h n pflegen bürgerliche I n t e r p r e t e n aus einem gewissen Rationalismus heraus zu kritisieren, 3 9 obgleich das f ü r einen Historiker des alten Indiens bei der F r a g e nach der Klassik unpassend ist. Zu Kälidäsas gesellschaftskritischer H a l t u n g gehört seine R o m a n t i k , die in seiner Gegenüberstellung der S t a d t bzw. des Königshofes u n d des Waldes, sei es der Waldeinsiedeleien von Asketen, sei es der wilden Bergwälder des H i m a l a j a u n d Vindhya, immer wieder deutlich wird. Sie gehört zu seiner Naturliebe u n d ist zugleich m a n c h m a l wohl ein Ausdruck konservativer, die heroische Vergangenheit idealisierender H a l t u n g . Gelegentlich k o m m t auch D o r f r o m a n t i k 'i0 vor. Zur Gesellschaftskritik gehört weiter des Dichters H u m o r , wenn er etwa sich selbst als Dichter oder den verliebten Yaksa, der eine leblose Wolke als Boten wählt, verulkt/' 1 oder wenn H i m a v ä n u n d Siva sich voreinander verneigen 4 2 (der eine als f r o m m e r Verehrer Sivas, der andere als Schwiegersohn 17

Buben, Dichtung

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des Berggottes). Trotz aller seiner Ansätze zur K r i t i k an Unbeherrschtheit einzelner Despoten, an undemokratischen u n d patriarchalischen Erscheinungen spiegelt Kälidäsas Dichtwerk die Guptawirklichkeit sicher nicht objektiv richtig, sondern höfisch-idealisiert u n d zugleich bürgerlich-kritisch wider. E r war ja wohl zugleich H o f d i c h t e r wie auch Ideologe der gebildeten S t ä d t e r ; diese haben mit den aufgeklärten Despoten ökonomisch-politisch in grundlegenden F r a g e n übereingestimmt u n d im Grunde das gleiche Staats- u n d Königsideal vertreten, wie es bei Kälidäsa u n d den übrigen Klassikern in vielen Schattierungen vorliegt. Z u m Teil haben sie sie aber auch kritisiert. Die kritischen u n d apologetischen Elemente der Analyse der Gesellschaft wurden zu gewisser Einheit gebracht, wobei bald die eine, bald die andere Seite überwog. Dabei verwendete der Dichter insbesondere die damalige Staatslehre, aber auch die Rechtslehre. Sein Königsideal mit der starken Betonung der Liebeserlebnisse unterscheidet sich dabei weitgehend von dem des K a u t a l y a , der vom K ö n i g sehr viel mehr Sinneszügelung u n d Fleiß in der täglichen Regierungsarbeit verlangte u n d das Verhältnis des Despoten zu seinen F r a u e n u n d Söhnen sehr viel nüchterner behandelte. Dieses Ideal K a u t a l y a s stellte Kälidäsa in Atithi, dem Vertreter historischen Königtums, a n n ä h e r n d dar/ , : ! W e n n sich seine anderen Königsgestalten, die der Welt des Mythos angehören, von diesem wesentlich unterscheiden, so zeigt sich, daß Kälidäsa als R o m a n t i k e r bewußt das heroische Altertum über die historische Zeit'1'1 erhoben h a t . E r lebte ja, als die visnuitischen Volksepen ihre letzte Form / | 5 erhielten. E s war doch wohl dieselbe herrschende Schicht, die, obwohl sie einerseits f ü r die hochgebildeten S t ä d t e r Kälidäsas Dichtung, andererseits f ü r die Massen jene Epik mit ihren verschiedenen politischen S t a n d p u n k t e n förderte, von B h a r t r h a r i , Vishnusarm a n u n d Südraka, ja auch von Kälidäsa in verschiedener Weise kritisiert wurde. Kälidäsa unterschied sich also von K a u t a l y a s Staatslehre, zugleich aber auch von V ä t s y ä y a n a s Liebeslehre, denn deren frivole H a l t u n g p a ß t zu Agnimitra und Agnivarna, den Lüstlingen, die Kälidäsa mit beträchtlicher Deutlichkeit kritisierte.

b) Chronologie der D i c h t w e r k e , i n s b e s o n d e r e K a l i d a s a s W e n n auch einige indische Literaturhistoriker Kälidäsa in die Sungazcit am Anfang der V. Periode setzen möchten/ 1 ® so halten doch die meisten Indologen an der Guptazeit f ü r ihn fest/ 1 ' E r d ü r f t e ein Hofdichter Candraguptas I I . (etwa 375—415 u. Z.) gewesen sein, den er als P u r ü r a v a s (Vikrama) verherrlichte, er h a t aber auch dessen verstorbenen Vater S a m u d r a g u p t a als R a g h u im R a g h u v a m s a gefeiert und Candraguptas I I . Nachfolger, K u m ä r a g u p t a , im K u m ä r a s a m b h a v a kurz nach dessen Geburt/* 8 also noch vor 400 u. Z. Seine uns erhaltenen sechs Werke mögen in den drei J a h r z e h n t e n zwischen 380 u n d 410 verfaßt worden sein.

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Allgemein nimmt man an, daß die Reihenfolge der Heldinnen seiner Dramen die der Mälavikä, UrvasI und Sakuntalä war/' 9 die der Helden seiner Epen aber die von Kumära und Räma. Man kann danach alle sechs Werke in folgender Weise anordnen: Das Drama der Mälavikä war, wie der Dichter im Vorspiel deutlich macht, das Werk eines Anfängers, der noch nicht anerkannt war, und das der UrvasI das Werk des Dichters, als er noch arm war, wie die Schlußstrophe 30 andeutet. Als drittes Werk könnte man den Kumärasambhava um etwa 400 ansetzen, als viertes den Raghuvamsa, als fünftes den Meghadüta und als sechstes und reifstes das Sakuntalädrama. Ist das richtig, so ergeben sich einige Entwicklungslinien, die freilich einstweilen ein Versuch bleiben. Im ersten Drama, dem der Mälavikä, ist das Hauptthema eine Haremsintrige, in der die alte Königin DhärinI im Bündnis mit der jüngeren Königin IrävatI dem verliebten König Agnimitra zweimal Hindernisse für das Zusammenkommen mit Mälavikä in den Weg legt. Im zweiten Drama, dem der UrvasI, intrigiert die Königin Ausinarl nicht mehr gegen Purüravas' Liebesverlangen, aber zwei Treffen des Königs mit UrvasI werden gestört, ehe das Paar zusammenfindet; es wird dann durch Urvasls Eifersucht getrennt und kommt erst danach endgültig zusammen. Auch PärvatI und Siva werden im dritten Werk des Dichters zunächst zweimal auseinandergerissen, ehe sie heiraten; sie trennen sich dann nicht mehr. Im Raghuvamsa übernimmt dann Kälidäsa vom Archetypus des Rämäyana die zweimalige Trennung des verheirateten Paares Räma und Sita. Im Meghadüta, seinem fünften, lyrischen Werk, ist nur von der Trennung der verheirateten Liebenden die Rede. Und Sakuntalä schließlich erlebt zunächst zwei kurze, abgebrochene Begegnungen mit Dusyanta wie Mälavikä und UrvasI, ehe das Paar heiratet, ohne daß die früher von Dusyanta geliebten Frauen mit Intrigen eingriffen; ihre Eifersucht wird nur knapp angedeutet, sie treten selber nicht einmal auf. Der Heirat folgen zwei Trennungen wie bei Sltä. Dabei hat auch sonst Sakuntaläs Drama mit dem der UrvasI manches gemeinsam, wie vor allem die Rolle des Sohnes am Ende, der vom Vater als Schüler eines Asketen gefunden wird und das wiederhergestellte Eheglück erst voll macht. Dies erinnert letztlich an Räma, der Kusa und Lava als Zöglinge Välmlkis findet. Von seinem 2. Werk an hat der Dichter auch sonst manches von Välmlki entlehnt, noch nicht im 1. Werk über den historischen Sungakönig. Dazu gehört die Fortbildung von Rämas Klage um die entführte Sltä bei Välmlki zu der des Purüravas um UrvasI bei Kälidäsa; diese wird in der Klage der Rati im 3. Werk, in der des Aja im 4., in der des Yaksa im 5. und der des Dusyanta im 6. Werk fortgeführt, wobei insbesondere bei Purüravas, dem Yaksa und Dusyanta geradezu ein gewisses Irresein aus Verzweiflung des Verliebten dargestellt wird. Der Räma Välmlkis fragte in seiner Not einen Fluß und einen Berg um Auskunft über den Weg der entführten Sita, 5 1 was in seiner episch-mythologischen Welt nur pathetisch, nicht pathologisch wirkt. Purüravas aber fragt eine W7olke und sieht sein Irresein ein. Wenn der Yaksa eine Wolke 5 - als Boten anredet, entschuldigt der Dichter ihn ausdrücklich mit seiner Liebesverwirrung; und als 17»

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Dusyanta die von ihm selbst gemalte Sakuntalä für lebende Wirklichkeit hielt, klärte ihn sein Freund, der Vidüsaka, über seine Verwirrtheit auf. Die Trennung der Liebenden ist durch eine Schuld Urvasis (Eifersucht), des Yaksa (Verfehlung aus Liebe?), Sitäs (sie lacht über Surpanakhäp* und Sakuntaläs (sie ist unaufmerksam aus Liebe) verursacht. Der Held fährt zu Anfang in einem Wagen, Purüravas in phantastischen Götterwelten, Dilipa im Raghuvamäa über Land in eine Einsiedelei und Dusyanta bei königlicher Jagd bis an den Rand einer Einsiedelei, am Ende aber noch einmal wie Purüravas durch Himmelswelten. Die Heldin ist im 1. Werk eine junge verliebte, aber keusche Sklavin, im 2. eine heftige Götterhetäre, im 3. eine göttliche, sich aber wie ein tief empfindender Mensch entwickelnde Braut, im 4. die von der Erde geborene Prinzessin Sita (neben Indumati und KumudvatI) mit ihrer musterhaften Treue, im 5. die trauernde Yaksl und im 6. die Tochter eines mythischen, Asket gewordenen Ksatriyas und einer Nymphe, ein durch Vererbung 5 4 komplizierter Charakter, eine leidenschaftlich sich hingebende und dann in allen Nöten standhafte Frau. Die Helden sind 1. ein Lüstling, 2. ein haltlos liebender und trauernder König, 3. der sich vom frauenhassenden Asketen zum liebenden Gatten entwickelnde Siva, 4. der monogame, die Herrscherpflicht über die Liebe stellende Räma (dazu Raghu, Aja, Atithi und andere), 5. der trauernde Höfling und Yaksa und schließlich 6. der liebende, schuldlos leidende, aber gerecht herrschende Dusyanta. Auf den stark kritisierten Sungakönig Agnimitra folgt der als Purüravas idealisierte Candragupta I I . der Patron des Dichters, dessen eben geborenen Sohn er im 3. Werk feiert, Samudragupta schließlich als Raghu im 4. Werk. Wenn diese Chronologie angenommen wird, so hat der Klassiker mit einem quasihistorischen Intrigenstück begonnen, sich dann aber der Mythologie zugewandt, sich im 2. Werk dem Überschwang seiner Gefühle hingegeben, im 3. Werk mit der tief empfundenen Entwicklung des Liebespaares Siva und Pärvati seinen ersten Höhepunkt erreicht, im 4. gewagt, Räma zu kritisieren; im 5. die Lyrik ihrem altindischen Höhepunkt zugeführt und im 6. die schönste Frauengestalt des indischen Altertums geschaffen. Zur Klassik gehören aber auch Südrakas Drama Mrcchakatika, in dem Vasantasenä, eine Hetäre (keine Götterhetäre wie Urvasi), die strahlende Heldin ist, die einen verarmten, moralisch hochstehenden K a u f m a n n liebt, in dem ein Tyrann ermordet, ein mordender Königsschwager entlarvt und eine neue, gerechte Königsherrschaft aufgerichtet wird. Klassisch ist Visäkhadattas Drama über Cänakya-Kautalya mit der Ermordung des letzten Nandas und Parvatas und mit der Problematik des Fatums oder der Mannesleistung als Triebkraft der Geschichte. Dazu gehört das über die J ä t a k a s hinaus entwickelte Prosa-fcäw/a-Werk, das Pantcatantra, das die Hofgesellschaft mit den kritischen Augen des Königdieners zu sehen lehrt, und die Weisheitslyrik des Bhartrhari, der als Hofdichter dummer Herren kümmerlich sein Brot verdienen mußte, deswegen nicht seiner Liebe leben konnte und in Verzweiflung zum Asketen

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wurde. In die Periode der Klassik fallen auch die Archetypen der drei visnuitischen Epen, ihre ausgereiften Formen, mit den älteren Themen des Despotenmordes und ihren mehr oder weniger zentralistischen und dezentralistischen Standpunkten. Was die Lyrik angeht, so möchte man auch Hälas siebenhundert Strophen schon zur Klassik rechnen, weil sie in gefühlvoller und lustiger Weise Liebe mit Gesellschaftskritik großartig verquicken. Man hat aber noch nicht versucht, diese Werke chronologisch, inhaltlich oder formal mit den sechs Werken Kälidäsas in Beziehung zu setzen. Dies gilt auch f ü r den Rtusamhära, ein in seiner bescheidenen Art ebenfalls noch hierher zu stellendes lyrisches Werkchen, von einigen als Jugendwerk Kälidäsa zugeschrieben. 2. Lyrik a) N a t u r - , Liebes- u n d Weisheitslyrik Unsere Quellen der damaligen Lyrik sind außer Kälidäsas Werken der Rtusamhära, die Strophen Bhartrharis, vielleicht die des Häla sowie zahlreiche Strophen in Mrcchakatika, Mudräräksasa, Pancatantra 5 5 und in den Archetypen der drei visnuitischen Epen. Natur- und Liebeslyrik sind meist — nicht immer — miteinander verflochten, und die Themen sind die alten, die Jahres- und Tageszeiten, Wald und Berg. Der Dichter und seine Gestalten erleben ihr Glück und Unglück in der entsprechenden natürlichen Umwelt. I n 23 Einzelstrophen besingt Kälidäsa z. B. die Schönheit des Frühlings, wenn Kuckucksrufe, Blumen und Düfte zu Liebe reizen, 56 um dann darzustellen, wie Daäarathas blinde, wenn auch königliche Jagdleidenschaft geweckt wurde, die ihn dazu brachte, einen Asketenjüngling zu erschießen, ohne es zu wollen. 57 In 11 Strophen schildert er, wie der Liebesgott mit dem Frühling die Wälder des Himalaya um den büßenden Siva herum erblühen ließ, als die Göttin des Südens erleben mußte, daß die Sonne sich von ihr ab- und der Göttin des Nordens zuwandte und der Südwind gleichsam ihr Seufzer war. Dieser Seufzer erinnert an eine Stelle bei Välmiki. 58 Das süße Lied des Kuckucks brachte die Frauen vom Schmollen ab; dieser P u n k t kommt in den Frühlingsschilderungen beider Epen Kälidäsas vor. 59 — Den Sommer mit seiner Hitze besingen ganz allgemein der Schauspieldirektor und die Schauspielerin im Vorspiel der Sakuntalä in je einer Strophe; Purüravas aber schildert in der Schlußstrophe des II. Aktes seines Dramas, wie im Palastgarten Pfauen, Bienen und Papageien vor Hitze erschlaffen. I n der Regierungszeit Ku&as schildert Kälidäsa einen Sommer, 60 und wie der König von einem Boot aus sich daran erfreute, wie seine Frauen im Wasser der Sarayü spielten. 61 Dies ist eine Variante der Ausflüge in Parks vor der Stadt, wie sie ein altes Thema epischer Literatur 6 2 waren. — Von der Sommerhitze erlöst die Regenzeit, die, soweit wir zurückblicken können, indische Dichter immer wieder gereizt hat, auch Välmiki und Häla. 63 Kälidäsa hat seinen verbannten Yaksa eine Regenwolke als Boten zu seiner fernen Gattin senden lassen, und Südraka hat im 5. Akt seines Dramas

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wurde. In die Periode der Klassik fallen auch die Archetypen der drei visnuitischen Epen, ihre ausgereiften Formen, mit den älteren Themen des Despotenmordes und ihren mehr oder weniger zentralistischen und dezentralistischen Standpunkten. Was die Lyrik angeht, so möchte man auch Hälas siebenhundert Strophen schon zur Klassik rechnen, weil sie in gefühlvoller und lustiger Weise Liebe mit Gesellschaftskritik großartig verquicken. Man hat aber noch nicht versucht, diese Werke chronologisch, inhaltlich oder formal mit den sechs Werken Kälidäsas in Beziehung zu setzen. Dies gilt auch f ü r den Rtusamhära, ein in seiner bescheidenen Art ebenfalls noch hierher zu stellendes lyrisches Werkchen, von einigen als Jugendwerk Kälidäsa zugeschrieben. 2. Lyrik a) N a t u r - , Liebes- u n d Weisheitslyrik Unsere Quellen der damaligen Lyrik sind außer Kälidäsas Werken der Rtusamhära, die Strophen Bhartrharis, vielleicht die des Häla sowie zahlreiche Strophen in Mrcchakatika, Mudräräksasa, Pancatantra 5 5 und in den Archetypen der drei visnuitischen Epen. Natur- und Liebeslyrik sind meist — nicht immer — miteinander verflochten, und die Themen sind die alten, die Jahres- und Tageszeiten, Wald und Berg. Der Dichter und seine Gestalten erleben ihr Glück und Unglück in der entsprechenden natürlichen Umwelt. I n 23 Einzelstrophen besingt Kälidäsa z. B. die Schönheit des Frühlings, wenn Kuckucksrufe, Blumen und Düfte zu Liebe reizen, 56 um dann darzustellen, wie Daäarathas blinde, wenn auch königliche Jagdleidenschaft geweckt wurde, die ihn dazu brachte, einen Asketenjüngling zu erschießen, ohne es zu wollen. 57 In 11 Strophen schildert er, wie der Liebesgott mit dem Frühling die Wälder des Himalaya um den büßenden Siva herum erblühen ließ, als die Göttin des Südens erleben mußte, daß die Sonne sich von ihr ab- und der Göttin des Nordens zuwandte und der Südwind gleichsam ihr Seufzer war. Dieser Seufzer erinnert an eine Stelle bei Välmiki. 58 Das süße Lied des Kuckucks brachte die Frauen vom Schmollen ab; dieser P u n k t kommt in den Frühlingsschilderungen beider Epen Kälidäsas vor. 59 — Den Sommer mit seiner Hitze besingen ganz allgemein der Schauspieldirektor und die Schauspielerin im Vorspiel der Sakuntalä in je einer Strophe; Purüravas aber schildert in der Schlußstrophe des II. Aktes seines Dramas, wie im Palastgarten Pfauen, Bienen und Papageien vor Hitze erschlaffen. I n der Regierungszeit Ku&as schildert Kälidäsa einen Sommer, 60 und wie der König von einem Boot aus sich daran erfreute, wie seine Frauen im Wasser der Sarayü spielten. 61 Dies ist eine Variante der Ausflüge in Parks vor der Stadt, wie sie ein altes Thema epischer Literatur 6 2 waren. — Von der Sommerhitze erlöst die Regenzeit, die, soweit wir zurückblicken können, indische Dichter immer wieder gereizt hat, auch Välmiki und Häla. 63 Kälidäsa hat seinen verbannten Yaksa eine Regenwolke als Boten zu seiner fernen Gattin senden lassen, und Südraka hat im 5. Akt seines Dramas

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ein h e r a u f k o m m e n d e s Gewitter mit Regengüssen, Blitz und Donner erst von C ä r u d a t t a in dichterischer Weise besingen lassen, d a n n den Sklaven der Vasantasenä sich in primitiven Strophen einer Art Mimus beklagen lassen, wie er d u r c h n ä ß t wird; Vasantasenä u n d ihr Anstandsbegleiter schildern sich gegenseitig — m a n k a n n fast sagen, in einer Art D u e t t — die h e r a n s t ü r m e n d e n Wolken voll P h a n t a s i e wie K ä m p f e r u n d Elefanten, 1 M u n d Vasantasenä erklärt abschließend in einer Art Arie triumphierend, d a ß weder die Finsternis, noch I n d r a mit seinem Blitz u n d Donner eine liebende F r a u abhalten können, zum Geliebten zu eilen.'" All dies sind H ö h e p u n k t e altindischer Lyrik.1efi — I m H e r b s t wird der H i m m e l frei von Wolken, klar, wie es wiederum Välmiki u n d H ä l a 0 7 in Strophen gepriesen h a t t e n , V i s ä k h a d a t t a legte entsprechende Strophen dem König 0 8 C a n d r a g u p t a Maurya im 3. A k t seines D r a m a s in den Mund, aber auch einem der königlichen Barden, 6 9 der geistreich den strahlenden H e r b s t u n d Sivas Leib mit denselben doppelsinnigen Wendungen preist. 7 0 Alle Jahreszeiten werden im R t u s a m h ä r a in reiner Naturlyrik, aber auch mit ihrer jeweiligen B e d e u t u n g f ü r das Liebesleben besungen. An höchst poetischen Schilderungen von Tageszeiten sei hervorgehoben, wie Siva im letzten Gesang des K u m ä r a s a m b h a v a seiner geliebten P ä r v a t I , mit ihr auf dem Gipfel des H i m a l a j a ruhend, die Schönheit der D ä m m e r u n g besingt, vom Sonnenuntergang und den ersten Schatten in den Schluchten des Gebirges über die dahinschwindende Abendröte bis zum Mondaufgang u n d der mit Sternen u n d Mondschein strahlenden Nacht. 7 1 Siva unterbricht seine in erhabener N a t u r f r e u d e u n d mit abendlicher Ruhe, zugleich voll Liebe zu P ä r v a t I vorgetragene Strophenreihe n u r f ü r eine kurze kultische Verehrung der Göttin der D ä m m e r u n g . D a r ü b e r schmollt P ä r v a t I eine kleine Weile, aber, vom G a t t e n besänftigt, läßt sie sich am E n d e zu heißer Liebesleidenschaft hinreißen. Dieser Übergang vom Tag zur N a c h t , von R u h e zu Leidenschaft im Werk des Klassikers ist mit dem ganz anderen, aber in seiner Art ebenso großartigen abendlichen Übergang von Tagesarbeit zu Meditation in der Upanisad des Y a j n a v a l k y a zu vergleichen, des Mystikers in seiner H ü t t e im Dorf, oder mit Abenddichtungen noch älterer, gentiler Lyrik 7 2 wie des Gedichts auf die W a l d f r a u im R g v e d a . Welche Entwicklung vom noch nomadisierenden H i r t e n zum gebildeten Städter, von rgvedischer Magie zu hinduistischer Sivaverehrung, von gentiler Lyrik zu H o f d i c h t u n g , von Angst im nächtlichen Wald zur F r e u d e an der ü b e r den H i m ä l a j a h e r a u f k o m m e n d e n N a c h t der ersten Liebeserfüllung des Götterpaares ! Hierher sind aber auch die schönen Strophen des greisen K ä m m e r e r s u n d seines Königs P u r ü r a v a s im 3. A k t seines D r a m a s 7 3 zu stellen, in denen der Abend im H o f e des Palastes widergespiegelt wird, wenn P f a u e n u n d T a u b e n sich zur R u h e begeben u n d die alten Dienerinnen die Fackeln an ihren Plätzen aufstellen. S ü d r a k a h a t im 1. Akt seines D r a m a s dem hochgebildeten Schmarotzer in der Begleitung des Königsschwagers die b e r ü h m t e Strophe über die Finsternis in den Mund gelegt, die gleichsam die Glieder mit dunkler F a r b e bestreicht, während der H i m m e l schwarze Augensalbe regnen läßt und das Sehen keinen

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Erfolg mehr hat. 7 '' C ä r u d a t t a vergleicht dort den aufgehenden Mond mit dem bleichen Anlitz einer liebenden Frau. 7 5 Der Schmarotzer aber w a r n t Vasantasenä, daß sie zwar unsichtbar sei wie der in der Wolke verborgene Blitz, daß aber der D u f t ihrer Blumenkränze sie ihren Verfolgern verrate.™ Das erinnert an eine Strophe Hälas, in der einer ein Mädchen warnt, ihre strahlenden Augen verrieten es in der Dunkelheit beim Stelldichein. 7 7 Dies wiederum ist eine s p ä t e Variante einer gentil-vorarischen Strophe, daß der glitzernde K o p f p u t z ein Mädchen in ihrem Waldversteck verrät. 7 8 W e n n Kälidäsa P ä r v a t i an der eben erwähnten Stelle aus Eifersucht schmollen läßt, weil Siva sie f ü r einen Augenblick der Göttin der D ä m m e r u n g zuliebe verlassen hat, so h a t H ä l a dasselbe Thema dreimal in verschiedener Weise behandelt. 7 9 Auch er h a t dabei das liebende G ö t t e r p a a r wie Menschen e m p f i n d e n u n d handeln lassen, aber mehr in lustiger als in pathetischer Dichtweise. Kälidäsa h a t vor dieser Liebesnacht ausführlich P ä r v a t i s Schamhaftigkeit geschildert. U n t e r anderem f ü h r t er an, d a ß sie ihr Gewand festhielt, d a ß sie aber die H a n d des göttlichen Gemahls auf ihrem Leibe duldete, wobei sich ihr Gürtel löste; daß er ihr schließlich ihr Gewand n a h m , worauf sie seine Augen mit beiden H ä n d e n zudeckte; sein drittes Auge auf der Stirn aber k o n n t e sie nicht zudecken, u n d sie schämte sich. 80 H ä l a h a t sie in dieser Lage das Stirnauge mit ihrem küssenden Mund zudecken lassen. 8 1 Die junge F r a u ist bei K ä l i d ä s a damals noch nicht bereit gewesen, Siva zu küssen. E r besang deswegen in einem D u t z e n d Strophen später den F o r t s c h r i t t in der Liebe, d a ß Siva sein Stirnauge, das durch den aus ihren Locken fallenden P u d e r g e t r ü b t war, des Küssens wegen dem gleichsam L o t o s d u f t a u s h a u c h e n d e n Mund P ä r v a t i s hingab. Das P u d e r konnte, wie der K o m m e n t a t o r a n m e r k t , n u r deshalb in sein Auge fallen, weil P ä r v a t i über ihm lag. H ä l a h a t nebenbei m e h r f a c h bei Menschen u n d Fröschen auf eine solche Lage des Liebespaares hingewiesen. 8 2 Man k a n n (muß aber nicht) aus diesem Vergleich der beiden großen Dichter schließen, d a ß Kälidäsa der etwas jüngere war. Zu den Perlen der klassischen Liebeslyrik gehören weiter u. a. die Klagen Ajas u n d R a t i s um ihre gestorbenen E h e p a r t n e r 8 3 u n d die Klagen des P u r ü r a v a s u m die verschwundene Urvasi, die Strophen in denen D u s y a n t a im I. A k t schildert, wie Sakuntalä von einer Biene u m s u m m t wird, die Strophe der Mälavikä, in der sie dem König, vor ihm die Rolle der Sarmisthä t a n z e n d , ihre Liebe andeutet, 8 / ' die weise Strophe des P u r ü r a v a s , daß Glück (der Liebe) nach ü b e r s t a n d e n e m Unglück besonders süß ist, 8 5 einige Strophen B h a r trharis. 8 6 An N a t u r l y r i k sei noch kurz auf die Schilderung des H i m ä l a j a a m A n f a n g des K u m ä r a s a m b h a v a , auf die Landschaftsschilderung vom V i n d h y a bis zum H i m ä l a j a im Meghadüta, auf die Schilderung des Asketenwaldes in der S a k u n talä u n d im 1. Buch des R a g h u v a m s a , auf die der Wälder des H i m ä l a j a im IV. Akt des Urvasldramas, auf die des Haines vor der S t a d t m a u e r im V I I . u n d V I I I . A k t des Mrcchakatikam u n d auf die des P a l a s t g a r t e n s im Frühling im I I . A k t des U r v a s l d r a m a s hingewiesen. Als etwas Neues ist zu buchen, d a ß

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Kälidäsa Rämas Sohn Kusa im Traum den Besuch der Stadtgöttin von Ayodhyä erleben läßt; sie schildert ihm ausführlich die Stadt in Ruinen; 8 7 bisher waren Schilderungen blühender Städte 8 8 üblich gewesen. Kälidäsa zeigt uns ebenso wie Viöäkhadatta 8 9 Barden in Funktion und die Art ihrer Dichtung. Am Anfang des II. Aktes des Urvaäidramas preist einer den König und zeigt ihm zugleich die Tageszeit an, 90 im V. Akt preisen zwei Barden den Thronerben mit Andeutung seiner Genealogie; zu Anfang des V. Aktes des Sakuntalä- und des Mälavikädramas preisen zwei den König, ebenso einer im III. Akt des Mudräräksasa, während der zweite den Herbst besingt. Die Fülle der Weisheitslyrik dieser Periode ist einstweilen unübersehbar wegen der einschlägigen Versmassen in den Epen, vor allem im Mahäbhärata mit seinen didaktischen Teilen. Ein Thema, dem die klassischen Dichter ihre Kunst widmeten, war das der Armut, die schon im Rgveda besungen worden war. Der verarmte Kaufmann Cärudatta beklagt sich über sie im Anfang von Südrakas Drama in einer ganzen Reihe von ergreifenden Strophen; in den Strophen Bhartrharis spielt sie eine wichtige Rolle, eine geringere bei Häla, und im Pancatantra sind ihr eine Fülle von Versen an den verschiedensten Stellen gewidmet. 91 Selbst Kälidäsa hat offenbar als junger Dichter über sie geklagt. 92 Neben dem verarmten Kaufmann steht der verschuldete Spieler im II. Akt von Südrakas Drama, dessen Selbstanklage an die des Spielers im Rgveda 9 3 erinnert, ohne von ihr literarisch abhängig zu sein. Der verarmte Brahmane Sarvilaka wird im selben Drama zum Dieb und spricht im IV. Akt, in zeitweiligem Irrtum über seine Braut befangen, anklagende Worte gegen die treulosen Frauen. In ähnlichem Irrtum klagt sogar Dusyanta einmal die Frauen der List an; wie das Kuckucksweibchen suchten sie, ihre Kinder fremden Eltern unterzuschieben. 9 ' 1 Als schönster Akt des Dramas der Sakuntalä gilt der IV. mit ihrem ausführlich geschilderten Abschied von ihrem Heim, dem Asketenwald des Kanva. Schon in der Lyrik der gentilen patriarchalischen Vorärya war der Übergang der Braut in die Familie des Schwiegervaters ein Grund zu Wehmut und lyrischer Klage, so glücklich ihre Eltern über die Heirat an sich waren. Das ist in gewisser Weise in Indien bis heute so geblieben, Kälidäsa aber hat dem A b schiedsschmerz, gemischt mit Elternfreude, seine klassische Gestalt gegeben. 95 Die Verse des greisen Kanva, der Braut und ihrer beiden Freundinnen rühren auch noch den heutigen Leser. Wir können es allerdings nicht mehr billigen, wenn Kanva Sakuntalä u. a. einen Vers mit auf den Weg gibt, sie solle den Autoritäten (d. h. insbesondere den Schwiegereltern) gehorchen, eine liebevolle (eifersuchtsfreie) Freundin ihrer Mitfrauen im Harem sein und sich, auch wenn ihr Gatte ihr Unrecht tut, ihm nicht voll Zorn widersetzen; nur so erhielten junge Frauen den Ehrentitel Hausfrau. Dies erinnert an Goethes Worte: „Dienen lerne beizeiten das Weib nach seiner Bestimmung." 9 6 Kanva fügt dem einen Vers an, sie werde als Hausfrau ihres edlen Gatten, jeden Augenblick mit ihren schweren Pflichten überlastet, die Trennung vom Vaterhaus verwinden. Dies ist, obgleich es sich um eine indische Königin handelt, im Sinne von Schillers: „Drinnen waltet die züchtige Hausfrau . . ."; der altindische und die deutschen

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Klassiker sind eben im Grunde über diese Ideale der patriarchalischen Familie nicht hinausgelangt. 97 Zur Weisheitslyrik sind weiter die Hymnen zu rechnen, mit denen Kälidäsa in je einem seiner beiden Epen die Götter den Brahma 9 8 und V i s n u " preisen läßt, um sie als Helfer in ihrer jeweiligen Not zu beschwören. Seinen eigentlichen Gott, Siva, hat der Dichter im Kumärasambhava vielseitig verherrlicht, z. B. da, wo er als Yogi dasitzend geschildert wird, 100 wo Pärvati ihre Liebe zu ihm bekennt, 101 wo er sich für die Hochzeit schmücken läßt 1 0 2 oder sich mit Pärvati am Ende in Liebe vereint. 103 Dahin gehören die Gebetsstrophen, die die Werke einleiten, wie z. B. die des Raghuvamsa, in dem Siva und Pärvati, die Welteltern, als so unlöslich verbunden besungen werden, wie es das Wort und sein Sinn sind; der Dichter verehre gerade sie, denn er wolle in seinem Werk das rechte Wort mit dem rechten Sinn verbinden. Kälidäsa verdankt Indien so schöne Verse, wie den, daß auch der Glückliche, wenn er Liebliches sieht und süße Worte hört, sehnsuchtsvoll wird, ohne sich eines Verlustes bewußt zu werden. 10/1 Oder den: Die Guten helfen Bedürftigen, wie früchtereiche Bäume sich von selbst neigen (so daß man sie pflücken kann) und wie Wolken sich tief herabneigen und ihr Wasser strömen lassen. 105

b) Kälidäsas Meghadüta 10(1 (Natur- u n d Liebeslyrik) Dieses aus 112 Versen in ein und demselben Metrum (Mandäkräntä) bestehende Gedicht ist der Form nach zu einigen Theragäthäs zu stellen, insofern es aus einem Monolog (des Yaksa) besteht, dem nur fünf Einleitungsverse vorangeschickt sind, die den Ort und Anlaß des Monologs bekannt machen. 107 Der Inhalt ist aber kein buddhistisches Bekenntnis der überwundenen Leidenschaft, sondern im Gegenteil ein sivaitisches Bekenntnis zur Liebe. Zudem war das Aussenden von Boten zu einem fernen geliebten Menschen — meist um eine entschwundene Geliebte zu suchen — ein altes Thema 1 0 8 der indischen Dichtung. Kälidäsa knüpfte vermutlich an die Aussendung Hanumäns durch Räma an, der die entführte Sita suchen sollte und ihr, um sich als Rämas Boten auszuweisen, eine Episode ihres Lebens erzählte, die nur sie und R ä m a kannten, ein Motiv, das bei Damayanti, Penelope und Sakuntalä weltberühmt geworden ist. 109 Schon ein buddhistischer Mönch redete in der Regenzeit eine Wolke an und bat sie um Regen; 1 1 0 Purüravas fragte eine Wolke nach der entschwundenen Urvasi. 111 Der Yaksa beschreibt seinem Wolkenboten den Weg zu seiner Geliebten daheim. Dabei konnte Kälidäsa an epische Wegweiser, wie Bhäradväja, der Räma den Weg zum Citrakütaberg wies,112 anknüpfen. Man denke auch an Pulastyas Empfehlung, eine Fülle von Kultplätzen aufzusuchen (Mbh I I I , 80 ff.). Der Meghadüta ist eine Fiktion des Klassikers und beruht auf keinem alten Mythus. Aber die Gestalt des an Liebestrennung leidenden Geistes hängt vermutlich — religions-, nicht literaturgeschichtlich — mit der in buddhistischer

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V I . P e r i o d e , 2c

Märchenliteratur der I I I . Periode bereits bezeugten romantischen Vorstellung von ähnlich verliebten Feenpärchen 1 1 3 zusammen. Der Yaksa ist von seinem Herren K u b e r a v e r b a n n t worden (wohl ähnlich wie UrvasI von Bharata) 1 1 / 1 u n d m u ß fern von seiner H e i m a t , K u b e r a s S t a d t Alakä im H i m a l a j a , im südlichen Bergland des Vindhya leben, dort h a t t e n einst auch R ä m a u n d Sita während ihrer V e r b a n n u n g eine Zeit verbracht, wie der Dichter zu Anfang erwähnt, u m damit auf das R ä m ä y a n a als Anregung zu manchen Elementen des Meghad ü t a hinzudeuten. Zeitweilige T r e n n u n g von Liebenden ist ein H a u p t t h e m a Kälidäsas. Der H a u p t t e i l des Monologs n u n besteht in der Beschreibung des Weges, den der Wolkenbote fliegen soll. Der Yaksa k a n n den Weg nicht sehen u n d zeigen, n u r visionär andeuten. So k o m m t es, daß er in seiner Verliebtheit die Stationen des Wegens immer wieder mit F r a u e n belebt. Das Motiv, einen weiten Weg von einem Fliegenden erleben zu lassen, h a t Kälidäsa sicher von Välmiki entlehnt, aus dem Rückflug R ä m a s mit Sita von L a n k a bis in die H e i m a t , einem der großartigsten Gesänge des Epikers. Diesen Flug h a t t e Kälidäsa kurz vorher im R a g h u v a m s a ausführlich u n d — im Unterschied zu Välmiki — unter Betonung der Liebe R ä m a s zu Sltä wiedergegeben, also sehr geschätzt. E r h a t aber auch im V I I . A k t der Sakuntalä D u s y a n t a auf I n d r a s Wagen vom H i m m e l auf die E r d e herabfliegen u n d dabei die Annäherung a n die E r d e geradezu suggestiv besehreiben lassen. Irgendwie war das Erlebnis des Fliegens schon in manchen Varianten der uralten Alpamyshepik 1 1 5 dichterisch verwendet worden. — Kälidäsa h a t die Szene des Wolkenboten an den Anfang der Regenzeit verlegt, wenn die W a n d e r e r sich b e m ü h t e n , zu H a u s und Weib heimzukehren, wie es Häla 1 1 ( i u n d andere besangen. Der Klassiker hat also eine ganze Reihe älterer Motive verwendet, h a t aber d a m i t etwas Neues geschaffen, was später oft nachgeahmt wurde. Bei der Beschreibung des Weges der Wolke ging Kälidäsa von einer geographisch ziemlich richtigen Vorstellung Nordindiens aus. E r schilderte das südindische Bergland, weiter die Gangesebene u n d d a n n den H i m a l a j a mit Alakä u n d der liebenden Gattin des Yaksa. I n die das ganze Gedicht durchziehende W e h m u t der Liebenden mischte der Dichter einige humorvolle Züge, u n d zeigte z. B. den unglücklichen Yaksa als formvollendeten Höfling. Das Ganze ist nicht n u r f ü r den Inder, sondern auch f ü r uns der Gipfel der altindischen N a t u r - u n d Liebeslyrik.

c) B h a r t r h a r i s Weisheitslyrik 1 1 7 J e h u n d e r t Strophen des klassischen Dichters behandeln die Liebe, die kluge L e b e n s f ü h r u n g , d. h. praktischen Erfolg u n d Rechtlichkeit, 1 1 8 u n d die Leidenschaftslosigkeit, also die traditionellen vier Lebensziele, aber nicht strikt voneinander getrennt, sondern in komplizierter Widersprüchlichkeit. W e n n ein p a a r seiner Verse ins P a n c a t a n t r a ü b e r n o m m e n worden sind, d a n n gehört diese S a m m l u n g von Weisheitsstrophen in die VI. Periode u n d ist die erste ihrer A r t .

VI. Periode, 3 a

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D e r W i d e r s p r u c h der I d e a l e von L e i d e n s c h a f t u n d L e i d e n s c h a f t s l o s i g k e i t 1 1 9 ist in seinem W e r k n i c h t biographisch zu erklären, so d a ß der D i c h t e r sich v o m ersten ü b e r das zweite z u m d r i t t e n S t r o p h e n h u n d e r t e n t w i c k e l t h ä t t e (also e t w a im Sinne des N a n d a Asvaghosas), s o n d e r n der W i d e r s p r u c h ist s t e t s im D i c h t e r gegenwärtig. Die S p r ü c h e sind das dichterische B e k e n n t n i s einer widerspruchsvollen, s c h w a n k e n d e n Persönlichkeit. D e r D i c h t e r war, d a s wird a u s seinen W o r t e n deutlich, ein F ü r s t e n d i e n e r . E r w a r a r m , wie es der j u n g e K ä l i d ä s a war, a b e r liebte d a s L e b e n u n d die F r a u e n u n d w a r d a d u r c h z u m B r o t erwerb, z u m Dienst u n t e r kleinen, gewöhnlichen, u n g e b i l d e t e n D e s p o t e n (nicht d e n G u p t a s ) gezwungen. E r war sich des E l e n d s seines F ü r s t e n d i e n e r b e r u f e s b e w u ß t u n d k l a g t e die Gesellschaft heftig u n d b e r e c h t i g t a n . So k a m es, d a ß er die Liebe liebte u n d zugleich h a ß t e , d a ß er E n t s a g u n g a n s t r e b t e , a b e r n i c h t erreichte, weil er die F r a u e n liebte. H i e r u n d d a neigte er a u c h zu F a t a l i s m u s . E r ä h n e l t e äußerlich ein wenig d e m N a n d a , den A s v a g h o s a sich u n t e r S c h w a n k u n g e n von Liebe zu E n t s a g u n g entwickeln ließ, a b e r er u n t e r s c h i e d sich a u c h von ihm, sah u n d k l a g t e n i c h t (oder nicht n u r ) wie dieser die n a t ü r l i c h e n L e i d e n der Menschen, die a u s der Vergänglichkeit s t a m m e n , an, s o n d e r n in erster Linie die sozialen Leiden, die letztlich aus dem W i d e r s p r u c h von a r m u n d reich u n d d a r a u s , d a ß a u c h der A r m e leben u n d lieben m ö c h t e , a b z u l e i t e n sind. E r ist sozusagen ein e x t r e m e r Fall des N e b e n e i n a n d e r s von s e n t i m e n t a l e r u n d heiterer Liebe in H ä l a s L y r i k , oder von E r n s t u n d H e i t e r k e i t im D r a m a , ja, schon im K u l t d r a m a u n d M i m u s der Gentilgesellschaft. E r ist a n d e r e r s e i t s ein g r o ß e r R e p r ä s e n t a n t der indischen W e l t a n s c h a u u n g , die K a r l M a r x 1853 als die R e ligion des Mönchs u n d der B a j a d e r e c h a r a k t e r i s i e r t h a t , 1 2 0 wie sie u n s u. a. in der erotischen u n d asketischen Seite Sivas e n t g e g e n t r i t t .

3.

Epik

a) Die A r c h e t y p e n der drei visnuitischen E p e n Rämäyana N e u ist im A r c h e t y p u s , der allen h e u t i g e n H a n d s c h r i f t e n des R ä m ä y a n a z u g r u n d e liegt, die H a u p t m a s s e des I . u n d V I I . B u c h e s u n d d a m i t u. a. die D a r s t e l l u n g , wie der Waldeinsiedler Välmlki als Zeitgenosse R ä m a s d a s E p o s dichtete, es seine Schüler K u s a u n d L a v a l e h r t e u n d wie diese es d a s erste Mal öffentlich v o r t r u g e n . E r e r f a n d , h e i ß t es d a , den sloka, als er K u m m e r (soka) d a r ü b e r e m p f a n d , d a ß ein J ä g e r 1 2 1 v o n einem K r a n i c h p a a r d a s M ä n n c h e n t ö t e t e u n d d a s liebende W e i b c h e n k l a g t e — ein altes T h e m a ; 1 2 2 f ü r ihn spielte j a d a s T h e m a der L i e b e 1 2 3 eine d a s ganze E p o s d u r c h d r i n g e n d e Rolle. B r a h m a f o r d e r t e ihn a u f , in diesem M e t r u m R ä m a s ganzes L e b e n in einem kävya zu besingen. 1 2 4 I n M e d i t a t i o n s c h a u t e er deutlich alle v e r g a n g e n e n Ereignisse, 1 2 5 so d a ß er sie richtig schildern k o n n t e , 1 2 6 a b e r a u c h die k ü n f t i g e n , 1 2 7 d. h . die von K u s a u n d

VI. Periode, 3 a

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D e r W i d e r s p r u c h der I d e a l e von L e i d e n s c h a f t u n d L e i d e n s c h a f t s l o s i g k e i t 1 1 9 ist in seinem W e r k n i c h t biographisch zu erklären, so d a ß der D i c h t e r sich v o m ersten ü b e r das zweite z u m d r i t t e n S t r o p h e n h u n d e r t e n t w i c k e l t h ä t t e (also e t w a im Sinne des N a n d a Asvaghosas), s o n d e r n der W i d e r s p r u c h ist s t e t s im D i c h t e r gegenwärtig. Die S p r ü c h e sind das dichterische B e k e n n t n i s einer widerspruchsvollen, s c h w a n k e n d e n Persönlichkeit. D e r D i c h t e r war, d a s wird a u s seinen W o r t e n deutlich, ein F ü r s t e n d i e n e r . E r w a r a r m , wie es der j u n g e K ä l i d ä s a war, a b e r liebte d a s L e b e n u n d die F r a u e n u n d w a r d a d u r c h z u m B r o t erwerb, z u m Dienst u n t e r kleinen, gewöhnlichen, u n g e b i l d e t e n D e s p o t e n (nicht d e n G u p t a s ) gezwungen. E r war sich des E l e n d s seines F ü r s t e n d i e n e r b e r u f e s b e w u ß t u n d k l a g t e die Gesellschaft heftig u n d b e r e c h t i g t a n . So k a m es, d a ß er die Liebe liebte u n d zugleich h a ß t e , d a ß er E n t s a g u n g a n s t r e b t e , a b e r n i c h t erreichte, weil er die F r a u e n liebte. H i e r u n d d a neigte er a u c h zu F a t a l i s m u s . E r ä h n e l t e äußerlich ein wenig d e m N a n d a , den A s v a g h o s a sich u n t e r S c h w a n k u n g e n von Liebe zu E n t s a g u n g entwickeln ließ, a b e r er u n t e r s c h i e d sich a u c h von ihm, sah u n d k l a g t e n i c h t (oder nicht n u r ) wie dieser die n a t ü r l i c h e n L e i d e n der Menschen, die a u s der Vergänglichkeit s t a m m e n , an, s o n d e r n in erster Linie die sozialen Leiden, die letztlich aus dem W i d e r s p r u c h von a r m u n d reich u n d d a r a u s , d a ß a u c h der A r m e leben u n d lieben m ö c h t e , a b z u l e i t e n sind. E r ist sozusagen ein e x t r e m e r Fall des N e b e n e i n a n d e r s von s e n t i m e n t a l e r u n d heiterer Liebe in H ä l a s L y r i k , oder von E r n s t u n d H e i t e r k e i t im D r a m a , ja, schon im K u l t d r a m a u n d M i m u s der Gentilgesellschaft. E r ist a n d e r e r s e i t s ein g r o ß e r R e p r ä s e n t a n t der indischen W e l t a n s c h a u u n g , die K a r l M a r x 1853 als die R e ligion des Mönchs u n d der B a j a d e r e c h a r a k t e r i s i e r t h a t , 1 2 0 wie sie u n s u. a. in der erotischen u n d asketischen Seite Sivas e n t g e g e n t r i t t .

3.

Epik

a) Die A r c h e t y p e n der drei visnuitischen E p e n Rämäyana N e u ist im A r c h e t y p u s , der allen h e u t i g e n H a n d s c h r i f t e n des R ä m ä y a n a z u g r u n d e liegt, die H a u p t m a s s e des I . u n d V I I . B u c h e s u n d d a m i t u. a. die D a r s t e l l u n g , wie der Waldeinsiedler Välmlki als Zeitgenosse R ä m a s d a s E p o s dichtete, es seine Schüler K u s a u n d L a v a l e h r t e u n d wie diese es d a s erste Mal öffentlich v o r t r u g e n . E r e r f a n d , h e i ß t es d a , den sloka, als er K u m m e r (soka) d a r ü b e r e m p f a n d , d a ß ein J ä g e r 1 2 1 v o n einem K r a n i c h p a a r d a s M ä n n c h e n t ö t e t e u n d d a s liebende W e i b c h e n k l a g t e — ein altes T h e m a ; 1 2 2 f ü r ihn spielte j a d a s T h e m a der L i e b e 1 2 3 eine d a s ganze E p o s d u r c h d r i n g e n d e Rolle. B r a h m a f o r d e r t e ihn a u f , in diesem M e t r u m R ä m a s ganzes L e b e n in einem kävya zu besingen. 1 2 4 I n M e d i t a t i o n s c h a u t e er deutlich alle v e r g a n g e n e n Ereignisse, 1 2 5 so d a ß er sie richtig schildern k o n n t e , 1 2 6 a b e r a u c h die k ü n f t i g e n , 1 2 7 d. h . die von K u s a u n d

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VI. Periode, 3a

Lava, Rämas Söhnen, die er in seiner Einsiedelei aufzog. 128 Dort hörte Satrugha mit seinem Heer das Epos und bestaunte seine erschütternde Richtigkeit. 129 Välmlki sandte einige Jahre später Kusa und Lava, das Epos bei Rämas Roßopfer auf Straßen und vor den Toren des Palastes in Ayodhyä vorzutragen. Räma versammelte dann alle Brahmanen, auch die alten Pauränikas, 1 3 0 und ließ Kusa und Lava, von denen er zunächst nicht wußte, daß sie seine Söhne waren, das Epos vor diesen in den Pausen des Opfers vorgetragen, je 20 Gesänge an einem halben Tage, 131 — Kusa und Lava werden in diesem Zusammenhang mit unglaubhafter Etymologie als die beiden kusilavas bezeichnet, aber mit den kusilavas, den Satirikern Kautalyas, 1 3 2 haben diese epischen Sänger nichts gemein. Daß aber zwei Ksatriyas im heroischen Zeitalter beim Roßopfer als epische Sänger aufgetreten sind, wird auf alte Tradition zurückgehen. 133 Der späte Verfasser des Archetypus wollte indessen wohl mit der Fiktion, die eigenen Söhne des Königs hätten von Välmlki das Heldenepos gelernt, der es wahrheitsgemäß als Zeitgenosse Rämas erschaut hatte, sein Werk als glaubwürdig anpreisen. 134 Weiter hat der Archetypus, angeregt vom Urtext des Harivamsa, vielleicht auch von der Buddhabiographie, Rämas Leben zur vollen Biographie ausgebaut, u. a. durch Einfügung der Abenteuerreihe um Visvämitras Opfer und Sltäs Gatten wähl herum. Dies dürften allerdings schon Themen der älteren Sage gewesen sein, weil sie zur Alpamyshepik gehören. 135 Zum Archetypus gehört die Darstellung der Menschwerdung Visnus sowohl wie die Geschichte von RsyaSrnga 136 im I. Buch, aber auch die Ausmalung von Rämas Tod im VII. Buch, wobei die Mahnung Kälas, Räma möge wieder in Visnu eingehen, 137 an die Mahnung Märas erinnert, Buddha möge ins Nirväna eingehen. 138 Neu war im Archetypus die zweite Trennung des Ehepaares, 139 die Verstoßung Sltäs in die Einsiedelei des Välmlki durch Räma, weil angeblich das Volk ihr den Aufenthalt bei Rävana verübelte, ein Verdacht, von dem sie aber schon durch ihr Feuerordal gegen Ende des Urtextes freigesprochen war. Der Verstoßung folgte die Geburt von Kusa und Lava und am Ende das Wiedereingehen Sltäs in die Erde, der sie entstammte. Es handelt sich ja um eine Martenehe mit der typischen Trennung, nachdem der sterbliche Vater sein Kind von der übermenschlichen Frau empfangen hat, wie z. B. bei Purüravas und UrvasI, bei Dusjanta und Sakuntalä, der Tochter der Nymphe Menakä. Auch dieser Zug der Sage, die Räma noch als Mensch ansah, wird also sehr alt sein, ist aber erst spät in das Epos aufgenommen worden. Zur Biographie Rämas gehört sein Roßopfer, das als Sühneopfer gemeint ist, nicht als das des Welteroberers (cakravartin); Räma gibt dabei Bharata Recht, der blutige Welteroberungskriege ablehnt. Einige Zeit nach dem Opfer aber fordert im VII. Buch, also im Archetypus, Rämas Vetter, Yudhäjit, König der Kekaya, Räma auf, das Land der Gandharwas am Indus zu erobern (sie bedrängten wohl die Kekaya), und Räma befahl Bharatas beiden Söhnen, Taksa und Puskala, dies zu tun und dort zwei Städte (als ihre Residenzen) zu errichten; so geschah es. Vorher schon hatte Rämas Bruder Öatrughna auf Rämas Befehl das Gebiet der Sürasenas um Mathurä von einem Dämon befreit und erobert.

VI. Periode, 3 a

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Für Laksmanas beide Söhne, Angada und Candraketu, erobert Räma noch zwei Länder im Westen und Norden, und von seinen eigenen Söhnen macht er Kuäa als seinen Thronerben zum König der Kosala, Lava zum König der Uttarakosala. So waren alle Prinzen mit Ländern versorgt. 140 Nimmt man hinzu, daß R ä m a in Lanka nach Rävanas Tod dessen frommen Bruder Vibhlsana als König eingesetzt hatte (darin gemäß Kautalya 12, 1, lOff. als „rechtlicher" Sieger handelnd), so ist vor Rämas Tod zwar kein Großreich seiner Dynastie, wohl aber eine Art Staatenbund geschaffen worden, der Kautalyas Vorstellungen von einem solchen ein wenig nahesteht, aber auch dem des Daäakumäracarita; 141 er hängt andererseits mit der Sitte zusammen, Prinzen, wie z. B. Asoka, als Statthalter des Königs in unterworfenen Staaten einzusetzen, die vielleicht auch im Guptareich üblich war. — Zum Archetypus gehört weiter die „Rävaneis," 142 die Vorgeschichte Rävanas, und die ständisch-konservative Episode, wie Räma den Sambüka köpfte, weil dieser, obgleich er ein Südra war, Askese trieb, während doch Krsna seine Bhagavadgitä auch für Südras lehrte; dieser Toleranz folgte meist die spätere Bhaktibewegung. In den Archetypus gehört ferner eine Fülle von Episoden und anscheinend der Ausbau des kävya-Anteils der Naturlyrik, greifbar etwa bei der breit ausgeführten Klage Rämas über die Trennung von Sita, 143 ehe er von ihrer E n t führung durch Rävana weiß. Vor den alten Anfang des Suchens Rämas nach Sita in I I I , 59, lff. ist offenbar der Gesang 58 eingeschoben; nach 59 aber sind nur in einigen Handschriften zwei weitere Gesänge eingeschoben. 144 In 60 fragt Räma vergeblich einen Fluß und einen Berg nach Sita und dem Weg, den sie gegangen ist, 145 ein letztlich auf vorarisch-gentile Lyrik zurückgehendes Motiv, 146 und schwört der ganzen Erde fürchterliche Rache; in 61 beschwichtigt ihn Laksmana, und in 62 tröstet er ihn. Was im Urtext stand, wissen wir nicht, wir beobachten aber ein langdauerndes Anwachsen dieser rührenden Szene, die Kälidäsa im IV. Akt der UrvasI in seiner Weise vervollkommnet hat. Zum Archetypus gehört auch die Geschichte von Sita und der frechen Krähe, die H a n u m ä n Sita als Erkennungszeichen erzählt, 147 die im Epos aber da, wo sie als Ereignis hingehört, nur in einigen Handschriften dem Archetypus 1 4 8 hinzugefügt worden ist. Dieser Gesang stellt das Ehepaar als so verliebt miteinander spielend dar wie kein anderer des Epos; 1 4 9 diese Art Liebe drang eben allmählich auch in das Epos aus der kävya-Literatur ein. Dementsprechend muß man sich ein in der V. und VI. Periode erfolgtes langsames, im einzelnen noch nicht nachgewiesenes Anschwellen des Urtextes zum Archetypus vorzustellen suchen, das sich dann in den Versionen und Handschriften im Feudalismus fortsetzte, wie die Textkritik zeigt. Damit wurde der Archetypus weit länger als der Urtext. I n gewissem Sinne ist dieser, aber nicht der Archetypus als der klassische Höhepunkt der Rämaepik anzusehen, Jahrhunderte vor Kälidäsas Klassik; oder man betrachtet Urtext und Archetypus als zwei Höhepunkte in der Entwicklung dieses Epos.

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VI. Periode, 3a Mahabharata

I n analoger Weise ist das M a h a b h a r a t a gewachsen. Der U r t e x t ist anscheinend durch B r a h m a n e n der Bhrgu-Familie 1 3 ( 1 zum Archetypus umgearbeitet worden, die — vielleicht schon vorher — auch dem Rechtsbuch des Manu die letzte F o r m gegeben haben. Das zeigen im E p o s Einschübe vieler Sagen von Mitgliedern dieser Brahmanenfamilie, wie P a r a s u r ä m a , vor allem aber der R a h m e n des Epos, der Bericht über die Abfassung u n d erste Rezitierung des Epos, der wie im R ä m ä y a n a 1 5 1 a m A n f a n g des Archetypus angefügt wurde. S a u n a k a war ein Bhärgava, während dessen zwölf J a h r e dauerndem Opfer im Naimisawald der süta pauränika152 Ugrasravas das M a h a b h a r a t a vorgetragen haben soll. Dieser süta h a t t e , wie er angibt, das E p o s bei dem Schlangenopfer des Königs J a n a m e j a y a gehört, bei dem es der B r a h m a n e Vaisampäyana vortrug, der es seinerseits von Vyäsa, dem B r a h m a n e n u n d Dichter, gehört hatte. 1 5 3 Dieses Schlangenopfer stand u n t e r der Leitung eines anderen süta pauränika,15/l des Lohitäksa. Der a l t b e r ü h m t e J a n a m e j a y a gehört noch zu den direkten N a c h k o m m e n des P ä n d a v a Arjuna. 1 5 5 Sein Opfer ist wie das Roßopfer R ä m a s ein Mittel, das E p o s f a s t in die Zeiten der Helden selber zu stellen.1515 Vyäsa wird dementsprechend wie Välmiki in die H a n d l u n g des E p o s eingegliedert, sogar in die Genealogie seiner Helden als Vater D h r t a r ä s t r a s u n d P ä n d u s , u n d er t r i t t öfter als R a t g e b e r der P ä n d a v a s auf. Ob alle diese Stellen ü b e r Vyäsa, nicht n u r die a m A n f a n g u n d am E n d e des Epos, erst dem Archetypus angehören, ist noch nicht geklärt. Vyäsa wird im Archetypus als R e d a k t o r u n d Lehrer der vier Veden u n d des E p o s als des F ü n f t e n Veda hingestellt, 1 5 7 offenbar um die A u t o r i t ä t des E p o s zu erhöhen. Diese ganze Darstellung u n d d a m i t der sehr verwirrte A n f a n g des E p o s ü b e r h a u p t mit den beiden sütas pauränikas, die es an sich wohl gab, aber k a u m als Träger der E p e n , ist so unglaubwürdig wie die im R ä m ä y a n a über die kusilavas. Mit welcher weltanschaulichen H a l t u n g die Bhrguiden das Epos bearbeitet haben, ist noch zu untersuchen. Weiter wurde jetzt das E p o s ganz ähnlich dem R ä m ä y a n a zur Biographie der P ä n d a v a s u n d K a u r a v a s ausgearbeitet. 1 5 8 Von ihrer Geburt an wurde ihre bereits in der J u g e n d heftige Feindschaft dargelegt, u n d — wie bei R ä m a — eine erste W a l d w a n d e r u n g samt Gattenwahl der D r a u p a d i (bzw. Sita) vor den U r t e x t gestellt. Der Geburt geht — analog zu Visnus avatära als R ä m a u n d K r s n a — die Geburt von Göttern u n d Widergöttern in den Helden u n d ihren Gegenspielern voran. 1 5 9 I n das I. Buch ist schließlich eine f r ü h e F o r m der puranischen Genealogie eingeschoben, 1 6 0 die älter ist als die im U r t e x t des H a r i v a m s a . Solche Themen gehörten damals eben zur Volksepik. An den U r t e x t wurde weiter das X V . Buch über den T o d König D h r t a r ä s t r a s als Waldeinsiedler angefügt, weiter das X V I . Buch mit dem U n t e r g a n g der Y ä d a v a s ) ( i l u n d dem Tode K r s n a s durch einen Pfeilschuß in die Fußsohle (ähnlich wie Achill); 1 0 2 der K e r n dieses Buches d ü r f t e so alt sein wie der U r t e x t des Harivamsa, 1 ( ! : ) ist aber nicht in diesem aufgenommen worden. D a n a c h folgt im X V I I . Buch die Episode über den Tod der P ä n d a v a s (die K a u r a v a s waren in der Schlacht gefallen). Dieser T e x t ähnelt dem über den Tod Khosrews im

V I . P e r i o d e , 3a

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Schahname, 1 6 4 dieser Teil der Sage d ü r f t e also zusammen mit der K y r o s biographie 1 0 3 aus I r a n nach Indien gelangt sein. Der Auszug der P ä n d a v a s in die Berge des H i m a l a j a ähnelt R ä m a s U n t e r t a u c h e n in die Sarayü. I m X V I I I . Buch gelangt Yudhisthira mit seinen Brüdern in den Himmel,1(i(> wo er D u r y o d h a n a trifft. Aus dem H i m m e l waren sie ja auf E r d e n herabgestiegen. I n den A r c h e t y p u s des Epos wurden vermutlich zahllose Episoden eingefügt, wie die der Sakuntalä, der Mutter Bharatas, des U r a h n e n der Bhäratas, 1 0 7 oder das Kurzepos des Nala; 1 ( 1 8 weiter viele didaktische Gesänge, insbesondere ü b e r S t a a t , Philosophie, R e c h t u n d Erlösungsreligion. Aber das T h e m a der Liebe war n u r f ü r Episoden dieses Epos wichtig. Der I n h a l t des R ä m ä y a n a , u n d zwar seines Urtextes, dem an dessen Anfang (nicht Ende!) die R ä v a n e i s eingefügt ist, wird in freier F o r m nacherzählt, 1 0 9 mit einigen wörtlichen Anklängen a n Verse des Archetypus, die indessen auch schon im U r t e x t gestanden h a b e n können. 1 7 0 Die oder einige der ¿äw/amäßigen lyrischen Stücke k ö n n t e n eher dem Archet y p u s als dem U r t e x t zugewiesen werden. 1 7 1 Die Tendenz, möglichst alle Völker Indiens in die Auseinandersetzung zwischen den streitenden V e t t e r n einzubeziehen 1 7 2 u n d damit das Epos zu einem gesamtindischen zu machen, d ü r f t e dem Archetypus zuzuweisen sein, wenn sie sich auch aus dem Weltherrscherideal des U r t e x t e s ableiten läßt. Diesem d ü r f t e schließlich auch die kunstvolle Einteilung in 18 Bücher (parvan), analog den 18 Tagen der Schlacht, mit der Bhagavadgltä im VI. u n d dem S ä n t i p a r v a n als X I I . Buch vor u n d n a c h der Schlacht zuzuschreiben sein. Sie wurde über die ältere Einteilung in 100 parvans gelegt. 173 So wurde das M a h ä b h ä r a t a zur Enzyklopädie des alten Indien, als die es den H i n d u s bis heute gilt. Als Dichtung lag sein H ö h e p u n k t wie im Falle des R ä m ä y a n a eigentlich bereits im U r t e x t . Harivamsa Bei der Umgestaltung des U r t e x t e s des H a r i v a m s a zum A r c h e t y p u s ist bisher im Unterschied zum M a h ä b h ä r a t a keine starke Beeinflussung durch die Bhrguiden 1 7 / 1 nachgewiesen. Andererseits ist der H a r i v a m s a in der eben erw ä h n t e n Übersicht über die 100 u n d die achtzehn parvans im A r c h e t y p u s des M a h ä b h ä r a t a als puräna u n d N a c h t r a g (khila) kurz erwähnt, 1 7 5 wenn auch nicht ausführlich gegliedert. Der H a r i v a m s a entwickelte sich d a m a l s also sehr selbständig, u n d zwar in der Art eines puräna. I n die Krsnabiographie wurden nicht die im M a h ä b h ä r a t a behandelten Teile, wie z. B. sein Tod, a u f g e n o m m e n ; sie blieb unvollständig. N u r eine Reihe von Episoden wurde eingeführt, wie z. B. K r s n a s Ausweichen vor dem Angriff J a r ä s a n d h a s n a c h dem Gomantaberg, u n d zwar auf R a t P a r a s u r ä m a s , des b e r ü h m t e n Helden der Bhrguiden. 17(5 Die Episode von K r s n a s Wallfahrt zum H i m a l a j a , um Siva u m einen Sohn zu bitten, ist im Archetypus nicht recht sinnvoll, weil Siva ihm bereits den Sohn P r a d y u m n a gegeben h a t t e ; 1 7 7 im M a h ä b h ä r a t a X I I I , 14, 11 ff. ist dies mit Bezug auf K r s n a s Sohn S a m b a etwas besser, wenn auch reichlich wirr, in ähnlicher Weise erzählt.

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Die heldischen Abenteuer Krsnas im Kampf gegen Dämonen lassen sich schwer in eine gesicherte biographische Folge einordnen; in dieser Hinsicht ist schon der Text des Urtextes nicht gesichert, und es ist einstweilen unmöglich, die erst im Archetypus, noch nicht im Urtext des Harivamsa vorgefundenen Abenteuer biographisch zu ordnen. 178 Manchmal hat der Archetypus nur Abenteuer des Urtextes um mehr oder weniger wichtige Züge bereichert. 179 Zu nennen ist etwa das Motiv der Vererbung bei der Analyse des Charakters des Despoten Kamsa 1 8 0 oder das des Spielens des Helden mit schönen Frauen im Wasser. 181 Zum puranischen Charakter des Harivamsa mag man rechnen, daß im Archetypus einmal Krsnas Abstammung nicht auf den Mond wie sonst allgemein, sondern auf die Sonne zurückgeführt wird, und zwar auf Ikshväkus Sohn Haryasva, der, aus Ayodhyä vertrieben, sich in Mathüra niederließ. 182 Dahin gehört auch das Ausmalen des siegreichen Kampfes der Götter, insbesondere Visnus, gegen den Widergott Kälanemi, der als der Despot Kamsa wiedergeboren wurde. In diesem Kampf verwendete der Dämon Maya gegen Indra die Aurva-Waffe, die von Bhrgu hergeleitet wurde; Varuna machte sie unschädlich; 183 hier werden die Bhrguiden also als Feinde betrachtet. Wie in Puranen finden sich im H v I, 16 ff. auch Abschnitte über Totenriten und I I I , 15 ff. über Sämkhya-Yoga. Puranisch war der Archetypus vor allem dadurch, daß er die Krsnabiographie in die puranische Weltgeschichte einordnete, ihr Kosmogonie und Genealogie der mythischen Helden voranschickte und ihr die Genealogie der „historischen" Helden des Kaliweltalters folgen ließ. 184 Eine Ausweitung der Einleitung mit dem ursprünglichen Bericht über Verfasser und ersten Rezitator des Epos war offenbar bei diesem Nachtrag des Mbh nicht notwendig oder möglich. Anscheinend ist dieser erste Teil des H v erst dem Archetypus zuzuschreiben. 185 In gewisser Weise von der Bhaktireligion und zugleich vom kävya-Stil herzuleiten sind breite Schilderungen im Archetypus, wie die der mit Krsna tanzenden, singenden und verliebt spielenden Hirtinnen. 186 So ist auch der Archetypus dieses dritten visnuitischen Epos zu einem stattlichen Band angewachsen, vermutlich annähernd gleichzeitig mit den beiden anderen Epen. Ob er einen Fortschritt gegenüber dem Urtext bedeutet, ist noch nicht untersucht. b) Kälidäsas E p e n Die Geburt des Kriegsgottes 187 Den von Kälidäsa vorgefundenen Mythos kann man bisher nicht aus alten sivaitischen, sondern nur aus visnuitischen Quellen, dem Mahäbhärata und Rämäyana, rekonstruieren. 188 Aus deren Bausteinen hat der Klassiker etwas Neues, ein Werk aus einem Guß geschaffen, ein Kunstepos, das sich von jenen drei Archetypen der Volksepen abhebt. Es steht — vielleicht bewußt — im Gegensatz zu Asvaghosas Epen, insofern es nicht von Liebe zu Askese führen

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will, sondern umgekehrt; damit ist sein humanistischer Wert entschieden höher. Ließ sich schon im RV der Asket Agastya von Lopämudrä zum Eheleben bekehren, 189 so ist Kälidäsas Schilderung der erwachenden Leidenschaft des Weltelternpaares eine ganz besonders kühne Leistung gewesen. 190 Asvaghosa ließ Kämadeva (Mära) gegen den Asketen Buddha seinen Pfeil richten, der, wie er dabei sagt, einst auch Sambhu (Siva) traf und zur Tochter des Bergkönigs trieb; 1 9 1 aber Buddha beachtete den Pfeil ebensowenig wie Märas verführerische Töchter. 192 Der Siva Kälidäsas indessen ergrimmte und verbrannte Käma, ehe dessen Pfeil oder Pärvatis Diensteifer und Schönheit ihn zur Liebe entflammen konnten. E r ist auch kein Rsyasrnga oder Visvämitra, 193 der sich durch eine schöne Frau verführen ließe. Er ist Witwer und Frauenverächter, zugleich der Urasket der Welt, aus Haß gegen die Liebe voll Zorn, er flüchtet vor der ihm bestimmten Braut; er ist eine widerspruchsvolle Riesengestalt in den Riesenbergen des Himalaja. Ihn hat der Klassiker Kälidäsa in seiner Entwicklung zum liebenden Gatten gestaltet. Pärvati aber wird von Kämas Pfeil getroffen (V, 55), wird rasend verliebt in ¡§iva und blind vor Liebe (V, 82), wird gerade deswegen Asketin, um seine Liebe durch Magie zu gewinnen, und Kälidäsa läßt vor dem Leser das Bild einer Öakti erstehen, einer strahlend schönen göttlichen J u n g f r a u in Asketenhaltung, ein Gegenstück zu Siva, zugleich aber auch zu den buddhistischen Nonnen, deren Bekenntnisse zur Überwindung der Liebe uns erhalten sind, 194 und schließlich zu der vernünftig argumentierenden Asketenfrau, der Lopämudrä im Rgveda. 1 9 5 Pärvati wirbt um den Mann wie UrvasI 196 und die schwangere Öakuntalä dank Kälidäsas Auffassung von der gleichberechtigten Frau, bis Pärvati Siva durch Askese, wie der Gott sagt, zum Sklaven, gewinnt. 197 Das Brautpaar schildert der Dichter wieder als zwiespältig. Aus dem Widerspruch von Liebe und Askese erwächst bei beiden eine betonte Züchtigkeit. Die Braut schwankt wie Sakuntalä, möchte bei Siva bleiben und wendet sich doch von ihm so lange ab, bis sie ihm vermählt ist (V, 85f.). Der Bräutigam gibt ihrer Zurückhaltung — im Gegensatz zu Dusyanta — nach und leitet die traditionelle Werbung ein (VI, 3ff.), so sehr er unter seiner Ungeduld leidet (VI, 95). Erst nach Vollzug der Heiratsriten läßt er sich vom Pfeil des wiederbelebten K ä m a treffen (VII, 93). Für die Hochzeit aber verwandelt er seine Schrecken erregende Elefantenhautgewandung, seine Asche, sein drittes Auge und seine Schlangen in Seide, Puder, ein Stirnzeichen und Armringe (VII, 31—34), hatte er als Versucher Pärvati doch gerade vor solchen grausigen Attributen seiner selbst gewarnt (VI, 66, 67, 69, 72). Siva wurde nun einmal als grauenhaft und lieblich zugleich vorgestellt. Das junge Ehepaar aber erlebt, wie Siva „mitleidig" (langsam) Pärvatis Sinnlichkeit weckt, bis beide in heller Mondnacht nach herrlichem Sonnenuntergang 1 9 8 eins werden, eine Vision, wie sie in ihrer Eindringlichkeit kein Dichter des alten Indiens vor und nach Kälidäsa zu gestalten vermocht hat, auch nicht Häla. Für die visnuitischen Epiker und den Buddhisten Asvoghosa war solch leidenschaftlicher IcävyaStW geradezu tabu. 18

Huben Dichtung

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Das Bezeichnende für dieses Epos sind die Entwicklung des Liebespaares u n d diese Visionen des Götterpaares in seiner seelischen Entwicklung, in wenigen Szenen (Berge und Frühling, Ratis Klage, Werbung, Hochzeit und Liebesnacht) mit großen Dialogen, hier und da mit etwas Humor, aber ohne episch-heroische Handlung, wie Siva nun einmal als inaktiv vorgestellt wurde. 199 Ob den uns erhaltenen Gesängen die Geburt des Göttersohnes und sofort danach sein K a m p f gegen Täraka folgten, ist etwas zweifelhaft. Gerade die Geburt Skandas war ein eines Kälidäsa würdiges Thema, weil sie im Mythos unmenschlich-problematisch ist, und demgemäß hat mancher das uns erhaltene Epos für ein unvollendetes Werk, ein Fragment gehalten. Weiter kann der Begriff sambhava (Werden) des Kumära bedeuten, daß seine Abstammung und Jugend gemeint ist, wie im Mbh z. B. bei den Pändavas und Kauravas. Selbst wenn man sambhava nur als Zeugung versteht, müßte erzählt werden, daß Pärvati infolge eines Fluches kein Kind austragen konnte, also f ü r Kälidäsa eine geradezu tragische Gestalt mit Schuld und Schuldlosigkeit gewesen sein muß. War für Räma und Krsna (aber auch Buddha) ihre Herabkunft vom Himmel in den Mutterleib für den damaligen Hinduismus ein Mythenthema, so war bei Skanda erst das bei Kälidäsa Fehlende, das Austragen und Gebären problematisch. Wir wissen aber von der Geburt des Prinzen Kumäragupta zu wenig, um zeigen zu können, wie Kälidäsas Dichtung im einzelnen mit ihr zusammenhing. Der Sieg des jungen Göttersohnes über den Weltdespoten Täraka hätte indessen aus der Dichtung erst ein Heldenepos im eigentlichen Sinne gemacht. Raghus Nachkommen 2 0 0 Der Raghuvamsa ist uns im Kern noch etwas unverständlich. Der Stoff entstammt nämlich der visnuitischen Mythologie, insbesondere der des R ä m a ; der sivaitische Dichter am Hofe des visnuitischen Candragupta I I . war offenbar aus unbekanntem politischem Grund zu dieser Dichtung veranlaßt. Candragupta war aber ein Verehrer Krsnas, er war ein Bhägavata, 2 0 1 kein Rämait, 2 0 2 und andererseits ließ der Dichter Siva mehr in die Gesamthandlung des Epos eingreifen als Visnu, mit Ausnahme der Schilderung von Rämas Leben, in das Visnu mehr eingreift. Solche Widersprüche bedürfen noch der Aufklärung. - Der Raghuvamsa besteht nach dem Muster des Harivamsa aus drei Teilen: 203 Auf die älteren Raghuiden folgt als Hauptstück das Leben Rämas (analog dem Krsnas), und diesem folgen Raghuiden der nachmythologischen, nachheroischen, der sozusagen historischen Zeit; 20/ ' Krsna lebte ja zwischen Tretä- und Kaliyuga, dem mythologischen und historischen Zeitalter. Dieses Epos Kälidäsas umfaßt demgemäß eine Reihe kunstvoll ineinander verflochtener Biographien von Fürsten von Ayodhyä. Es ist. eine bunte Galerie von Porträts sehr verschiedenartiger Fürsten; 2 0 5 es ist zugleich eine Art Fürstenspiegel, 206 denn der Dichter hat mit Hilfe der Begriffe der Staatslehre, und zwar einer dem Lehrbuch des Kautalya sehr nahe stehenden, 207 die verschiedenen Fürsten, sie idealisierend, geschildert. Dafür lag im Guptareich zur Zeit Candraguptas II. offenbar ein gesellschaftliches Bedürfnis vor. Die gebildeten Untertanen der Guptas sollten

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im Sinne der Loyalität beeinflußt werden. Kälidäsa prunkte hier als kavi mit seiner Gelehrsamkeit, schrieb aber nicht etwa ein didaktisches Werk. 208 Es ist ein typisches Jcävya mit seiner Fülle der Schilderungen von Natur, Liebe und Heldentum. 2 0 9 I m Sinne der Guptas und Kautalyas wurden weiter die Raghuiden im Epos Kälidäsas zu Weltherrschern 2 1 0 gemacht, was f ü r die Herren von Ayodhyä historisch nicht zutraf, der politischen Tendenz des älteren Rämäyana widersprach, aber nicht ganz der von dessen Archetypus mit der Installierung der Söhne Rämas und Bharatas auf Thronen in und um Ayodhyä. 211 Die Regentschaft von Prinzen galt eben in der Zeit der Guptas als eine Art Selbstverständlichkeit oder politische Notwendigkeit, der sich der Hofdichter Candraguptas I I . und der Verfasser des Archetypus des Rämäyana nicht entziehen konnten. Andererseits war der Dichter gegen Despoten in sehr feiner Weise kritisch und deutete dies in seinem Epos hier und da an. Dillpa z. B. wird gegenüber der Himmelskuh aus Liebe zu seiner Ehefrau schuldig und muß dafür als Hirt büßen; 2 1 2 er stellt seinen persönlichen Edelmut in der Diskussion mit dem Tiger Sivas über die Notwendigkeiten der Politik, wie es Räma Bharata und Jäbäli gegenüber getan hatte; 2 1 3 maßlos als Welteroberer und Opferer, gibt sein Sohn Raghu all sein Geld fort und muß sich in einem Raubkrieg neues erkämpfen, um einen bettelnden Brahmanen befriedigen zu können. Dessen Sohn Aja klagt unmäßig aus Trauer um seine jung gestorbene Frau. 2 1 4 Dessen Sohn Daöaratha sündigt im Jagdeifer, erregt durch den Frühling, 215 und wird zum Asketenmörder; 2 1 6 R ä m a wird heftig kritisiert, weil er Sita aus Eifersucht verstößt 2 1 7 (wie es im Archetypus ohne solche Kritik berichtet worden war); Sita wird schuldig an ihrer Entführung, weil sie über Sürpanakhä lacht, die daraufhin Rävana zur Entführung Sltäs aufhetzt. 2 1 8 Aber diese mythischen Könige werden trotz solcher Kritik grundsätzlich als ganz groß in Liebe und Kampf idealisiert. Wenn sie trotzdem Fehler haben, so ist es, als habe der Dichter mit ihnen Mitleid: Auch so hohe Herren sind nur Menschen. Rämas Sohn Kusa, der Wiedererbauer des von R ä m a und seinem Volk verlassenen, in Ruinen gefallenen Ayodhyä und der märchenhafte Gatte der KumudvatI, wird als eine Art Übergang zu den historischen Königen geschildert, die bis auf Atithi ganz kurz abgetan werden. Dieser wird breit, ohne heroische Taten, nur sehr abstrakt mit Kautalyas Begriffen idealisiert. 219 Kälidäsa hat dann den letzten dieser historischen Raghuiden, Agnivarna, als bloßen Lüstling in seinem Harem gegeißelt. Aber auch bei ihm ist nicht von Despotenmord die Rede, diesem Hauptthema der drei visnuitischen Epen, nur traditionsgemäß bei Rävana. Dies war die im allgemeinen undemokratische Haltung des Klassikers und Guptahofdichters. 220 Sie ist anders als die Bhartrharis. Insbesondere nimmt man an, daß der Dichter mit Raghus Welteroberung die des Samudragupta, des Vaters des Candragupta II., feiern wollte. Ein solcher Rückblick in die mythische Vergangenheit ist romantisch, aber der Dichter hat den „historischen" König Atithi im Grunde nicht weniger als musterhaft hingestellt, also seine Gegenwart nicht abgewertet. Ur.d wenn das Epos mit dem 18»

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Wüstling Agnivarna schließt, so ist damit nicht gesagt, daß in der Guptazeit ein allgemeiner Sittenverfall gegenüber dem Altertum herrschte; der als bekannt vorauszusetzende Verfall des Kali- gegenüber dem Krtaweltalter wird nicht ausgesprochen. 2 2 1 U n d es ist möglich, daß ursprünglich Agnivarna gar nicht der letzte war, daß es sich bei diesem Epos wie beim K u m ä r a s a m b h a v a um ein Fragment handelt. Hervorzuheben ist, daß Kälidäsa aus dem Archetypus des R ä m ä y a n a die Verstoßung Sltäs übernahm und auf Sakuntalä übertrug; daß er ebenso den Flug R ä m a s und Sita auf dem puspaka von Lanka nach Ayodhyä übernahm, aber im Gegensatz zu Välmiki als kävya-Dichter diesen Gesang seines Epos mit R ä m a s Liebe zur zurückgewonnenen Sita durchtränkte. Dieses Kapitel diente ihm weiter wohl als Vorbild f ü r den Wolkenboten, in dem der Yaksa in einem Monolog den Weg vom Vindhya in die Heimat nach Norden aus der Sicht des Fliegenden beschreibt, wie R ä m a den von Lanka aus. Auf jeden Fall handelt es sich u m ein reifes Werk, dem nur noch diese beiden eben erwähnten, der Wolkenbote und Sakuntalä, folgten.

c) P a n c a t a n t r a 2 2 2 Aus dem uralten breiten Strom der Volksliteratur, der Erzählung (kathä), der Märchen und Fabeln aller Art, h a t t e n in der I I I . Periode die Sammler der J ä t a k a s geschöpft; vermutlich in der Guptazeit tat dies ein Brahmane, angeblich Visnusarman mit Namen, der in Prosa und Versen das P a n c a t a n t r a in seiner ältesten, uns nicht erhaltenen, aber einigermaßen rekonstruierten F o r m schuf. Indessen ist die über ihn berichtende Einleitung des Buches 2 2 3 so fingiert wie die der visnuitischen Epen. Ähnlich wie in den J ä t a k a s f a ß t immer ein Vers des P a n c a t a n t r a die Moral der jeweiligen Geschichte zusammen; die übrigen Verse aber sind im Unterschied zu denen der J ä t a k a s Weisheitslyrik, Sentenzen, die teilweise im Epos oder in der späteren Spruchliteratur (nlti) auch bei Bhartrhari wörtlich wiederkehren 2 M und im allgemeinen Zitate aus älterer Spruchweisheit sein werden. I m Gegensatz zu den nach der Zahl ihrer Verse rein formal angeordneten 547 J ä t a k a s sind die etwa 40 Geschichten in P a n c a t a n t r a inhaltlich angeordnet, zumeist kunstvoll ineinander geschaltet; sie bestehen aus Prosa und Versen (soweit sie nicht Zitate sind), von ein und demselben Dichter — Visnusarman — zusammen verfaßt und vielleicht niedergeschrieben, und zwar in einem sehr schlichten kävya-Stil. Die Einheit des Werks ist noch nicht klar ersichtlich. I. B u c h : Freundschaft ist am Despotenhof zwischen König und Minister und zwischen Ministern untereinander unmöglich; I I . Buch: Sie ist aber möglich im Walde, fern von der Menschengesellschaft. I I I . Buch: W a r u m König und Minister gut zusammenarbeiten oder nicht, ist im Grunde Zufall oder ist in der N a t u r der Menschen begründet. Diese drei Themen gehören dank der gesellschaftskritischen, antidespotischen, aber auch fatalistischen und pessimistischen, mit Waldromantik

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verknüpfen Weltanschauung des Dichters 225 zusammen. Aber das IV. Buch: Verstehe das, was du erworben hast, zu erhalten, und das V . B u c h : Handle nicht voreilig, runden die fünf Bücher zu keinem bislang erkennbaren Ganzen ab. Visnusarmans Weltanschauung ist in wesentlichen Zügen anders als die des Hofdichters Kälidäsa, als die Bhartrharis (es fehlt z. B. dessen unbändige Liebe zu den Frauen und die Erlösungssehnsucht), aber auch als die Südrakas, obgleich dieser Visnusarman noch am nächsten steht. 226 Sie ist pessimistischer* aber auch zynischer* 227 z. B. gegen Frauen* und Asketen* 2 2 8 ; in mancher Hinsicht kommt sie damit der Anschauung Vätsyäyanas im Kämasütra verhältnismäßig nahe. Sie lehrt vor allem, wie der Untertan sich im Despotismus mit List*, Vorsicht, Schläue* und Mißtrauen* durchwinden kann. Das Pancatantra klagt die A r m u t * an wie Südraka und Bhartrhari, ja in gewissem Sinne sogar Kälidäsa, 229 aber es geht hier und da wesentlich weiter und äußert sogar einige Einsichten in den Klassencharakter* der altindischen Gesellschaft. Es sah z. B. darin einen Widerspruch (ohne natürlich den Begriff antagonistisch hinzuzufügen), daß man nicht gleichzeitig dem Wohl des Herren und des Volkes dienen könne. 230 Kautalya I, 19, 34 dagegen hatte als Ideologe des Despotismus gelehrt, daß, was dem Herren nütze, auch dem Volke nütze. Visnusarman lehrte weiter: Die einen tragen die Sänfte, die anderen reisen in ihr; da nütze reden nichts. 231 E r sprach davon, daß Freundschaft und Ehe nur für Gleichreiche und Gleichvornehme passe, nicht für Gut- und Schlechtgenährte. 232 Das waren bittere Wahrheiten altindischer rebellischer Spruchweisheit, formuliert im Sanskrit der gebildeten Städter, genauer einer ihrer Schichten, die den gemäßigteren des Kämasütra, Bhartrharis, Kälidäsas und Südrakas gegenüberstand, aber noch nicht näher gekennzeichnet werden kann. Nicht minder großartig ist der Zug, den Fatalismus* immer wieder durch Empfehlen von Manneskraft*, mannhafter Aktivität, zu ergänzen: Mag auch das Schicksal herrschen, der Mensch muß handeln. Dazu wird immer wieder Selbstbeherrschung* empfohlen, also eine Aktivität, die der der Bhagavadgitä und des Arthasästra nahe steht, aber sehr nüchternen Erwägungen entspricht. Das Pancatantra betont in wörtlicher Übereinstimmung mit Bhartrhari, daß die Politik der Despoten voller Widersprüche ist, da diese wahr und unwahr, rauh und lieb redend, gierig und freigebig sind. 233 Es lehrt, daß man zufrieden*, aber auch, daß man unzufrieden, gleichmütig und strebsam* sein solle. Es sah also im gesellschaftlichen Leben vielfache Widersprüche mit einer naiven, berechtigten Dialektik, die nicht etwa wie die eines Nägärjuna zu grundsätzlicher Verzweiflung und Erlösungsreligion führen sollte, sondern zu Erfolg im Leben. Es erkannte keine Entwicklung von Charakteren, erkannte aber gelegentlich eine Art Milieutheorie* f ü r die Bildung des Charakters an, glaubte andererseits in pessimistischer Weise nicht an Beiehrbarkeit der Menschen mit ihrer unveränderlichen Natur*. Man ist versucht, es sich auszumalen, daß im „goldenen Zeitalter" der Guptas, auf dem klassischen Gipfel der altindischen Literatur, die von den erfolgreichen gebildeten Städtern getragen wurde, einige der

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Städter um Visnusarman und Bhartrhari zu großer Weisheit gelangten, zugleich aber eventuell spürten, daß eine weitere Steigerung ihres Fortschreitens in Welthandel und Bildung nicht mehr zu erwarten sei, daß der Übergang zum Abstieg von der Höhe der Klassik und zum Feudalismus bereits begann, daß der Optimismus eines Häla, Kälidäsa und Südraka nicht mehr lange berechtigt sein werde. 234 4.

Dramatik

a) K ä l i d ä s a s D r a m e n Mälavikä und Agnimitra 2 3 5 Man h a t dies D r a m a ein Lustspiel oder eine Harmenskomödie 2 3 6 genannt. Sein Thema ist die Reihe von Intrigen, die der Vidüsaka zusammen mit einer Freundin der Mälavikä und einer buddhistischen Nonne gegen die Königinnen Dhärini und IrävatI anzettelt, u m König Agnimitra mit Mälavikä, der schönen jungen Sklavin der Dhärini, 2 3 7 zusammenzubringen. Dabei k o m m t es zu drei Begegnungen der Liebenden: I m I I . Akt sehen sie sich nur, im I I I . sprechen sie sich, und im IV. wird der König schon handgreiflich gegen sie, aber alle drei Male wird die Begegnung gestört, und die Reinheit der Sklavin bleibt gewahrt. I m V. Akt ist Dhärini schließlich willig, dem Gatten und König ihre Sklavin zu gönnen. Da erst wird die Sklavin Mälavikä als Prinzessin von Vidarbha erkannt, die dem König als B r a u t bestimmt, aber gemäß einer Weissagung im Krieg gefangen werden und ein J a h r lang Sklavin sein mußte, ehe ihr glückliches Schicksal sich erfüllen konnte. Man hat in „Bhäsas" D r a m a Svapnaväsavadattä ein Vorbild f ü r dieses D r a m a sehen wollen. 238 I n der T a t f ü h r t e der junge, noch unbekannte Kälidäsa im Vorspiel Bhäsa als berühmten Dichter an. Aber die Echtheit der überlieferten Bhäsadramen 2 3 9 ist sehr zweifelhaft. Besser als die Liebesgeschichte U d a y a n a s mit der ihm bestimmten Prinzessin P a d m ä v a t i als scheinbarer Herrin der Väsav a d a t t ä , der Gattin des Königs U d a y a n a , in jenem D r a m a „Bhäsas" p a ß t zu Kälidäsas D r a m a die im Anschluß an U d a y a n a s Heirat mit Väsavadattä und vor der Geschichte mit P a d m ä v a t i im Kathäsaritsägara 14, 67—73 erzählte Liebesgeschichte des U d a y a n a mit Manjulikä, der Sklavin der V ä s a v a d a t t ä . Bei dieser half ihm Vasantaka, sein Freund, ein Geschichtenerzähler, so daß das P a a r sich in einer Laube des Parks t r a f ; dafür wurde der Freund von der Königin gefangengesetzt. Die Liebenden gingen die Gandharwenehe ein. Der König wandte sich an eine Nonne, Freundin der Sklavin von deren Vaterhause her, und diese stimmte Väsavadattä um, so daß diese die Sklavin dem König gab. Manjulikä aber war in Wirklichkeit die Prinzessin B a n d h u m a t i , die Väsavadattäs Bruder Gopälaka ihr als Sklavin geschickt hatte. Ob diese im Kathäsaritsägara allzu kurz erzählte Geschichte in einer frühen Form älter als Kälidäsas Drama ist, ist einstweilen nicht zu erweisen. Liebes-

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Städter um Visnusarman und Bhartrhari zu großer Weisheit gelangten, zugleich aber eventuell spürten, daß eine weitere Steigerung ihres Fortschreitens in Welthandel und Bildung nicht mehr zu erwarten sei, daß der Übergang zum Abstieg von der Höhe der Klassik und zum Feudalismus bereits begann, daß der Optimismus eines Häla, Kälidäsa und Südraka nicht mehr lange berechtigt sein werde. 234 4.

Dramatik

a) K ä l i d ä s a s D r a m e n Mälavikä und Agnimitra 2 3 5 Man h a t dies D r a m a ein Lustspiel oder eine Harmenskomödie 2 3 6 genannt. Sein Thema ist die Reihe von Intrigen, die der Vidüsaka zusammen mit einer Freundin der Mälavikä und einer buddhistischen Nonne gegen die Königinnen Dhärini und IrävatI anzettelt, u m König Agnimitra mit Mälavikä, der schönen jungen Sklavin der Dhärini, 2 3 7 zusammenzubringen. Dabei k o m m t es zu drei Begegnungen der Liebenden: I m I I . Akt sehen sie sich nur, im I I I . sprechen sie sich, und im IV. wird der König schon handgreiflich gegen sie, aber alle drei Male wird die Begegnung gestört, und die Reinheit der Sklavin bleibt gewahrt. I m V. Akt ist Dhärini schließlich willig, dem Gatten und König ihre Sklavin zu gönnen. Da erst wird die Sklavin Mälavikä als Prinzessin von Vidarbha erkannt, die dem König als B r a u t bestimmt, aber gemäß einer Weissagung im Krieg gefangen werden und ein J a h r lang Sklavin sein mußte, ehe ihr glückliches Schicksal sich erfüllen konnte. Man hat in „Bhäsas" D r a m a Svapnaväsavadattä ein Vorbild f ü r dieses D r a m a sehen wollen. 238 I n der T a t f ü h r t e der junge, noch unbekannte Kälidäsa im Vorspiel Bhäsa als berühmten Dichter an. Aber die Echtheit der überlieferten Bhäsadramen 2 3 9 ist sehr zweifelhaft. Besser als die Liebesgeschichte U d a y a n a s mit der ihm bestimmten Prinzessin P a d m ä v a t i als scheinbarer Herrin der Väsav a d a t t ä , der Gattin des Königs U d a y a n a , in jenem D r a m a „Bhäsas" p a ß t zu Kälidäsas D r a m a die im Anschluß an U d a y a n a s Heirat mit Väsavadattä und vor der Geschichte mit P a d m ä v a t i im Kathäsaritsägara 14, 67—73 erzählte Liebesgeschichte des U d a y a n a mit Manjulikä, der Sklavin der V ä s a v a d a t t ä . Bei dieser half ihm Vasantaka, sein Freund, ein Geschichtenerzähler, so daß das P a a r sich in einer Laube des Parks t r a f ; dafür wurde der Freund von der Königin gefangengesetzt. Die Liebenden gingen die Gandharwenehe ein. Der König wandte sich an eine Nonne, Freundin der Sklavin von deren Vaterhause her, und diese stimmte Väsavadattä um, so daß diese die Sklavin dem König gab. Manjulikä aber war in Wirklichkeit die Prinzessin B a n d h u m a t i , die Väsavadattäs Bruder Gopälaka ihr als Sklavin geschickt hatte. Ob diese im Kathäsaritsägara allzu kurz erzählte Geschichte in einer frühen Form älter als Kälidäsas Drama ist, ist einstweilen nicht zu erweisen. Liebes-

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geschichten des unbeständigen Königs von KausämbI, Udayana, eines Nachkommen des Janamejaya, wie die mit Väsavadattä, sind im 5. Jahrhundert u. Z. von Buddhaghosa im Kommentar zum Dhammapada erzählt worden und stammen sicher aus älterer Erzählungstradition. Sie können also vor Kälidäsa bereits in nicht erhaltenen Dramen des echten Bhäsa behandelt worden sein. Auf jeden Fall ist Udayana vermutlich ein mehr oder weniger novellistisches Vorbild f ü r Kälidäsas Agnimitra, diesen König der Sungadynastie, gewesen, denn daß dessen Porträt bei Kälidäsa historisch richtig ist, ist bisher nicht sicher. Udayana aber wurde (wie der verliebte Prinz Nanda in Asvaghosas Epos) von Buddha bekehrt, nicht so Agnimitra. Kälidäsa hat ihn allerdings kritisiert, und zwar durch den Mund der Königin Dhärini (sie zweifelt, ob er in seiner Politik so erfolgreich sein werde wie in seiner Liebesintrige), 2/iü durch die jüngere Königin Irävati (er sei treulos wie alle Männer) 241 und durch den Mund der Sklavin (Du hast ja Furcht vor der Königin, wie kannst du mich vor ihr schützen!), 242 und er läßt ihn despotisch ohne seine Minister regieren. 243 Agnimitra steht beinahe als ein Lüstling da, wie Agnivarna 2 4 4 im Raghuvamsa. Seine Handgreiflichkeit unterscheidet ihn von Dusyanta und Purüravas. Und dennoch stellt Kälidäsa ihn am Ende als musterhaften Gatten, als der Dhärini ergeben, hin und tilgt mit dem ha'p'py end sozusagen alle vorangegangene Kritik. Der junge Dichter konnte offenbar keine stärkere Despotenkritik wagen, und doch zeigt sich schon in diesem seinem ersten Werk die kommende Größe des Klassikers, besonders in der Kritik der Sklavin an ihrem lüsternen und feigen Despoten, den sie at)er trotzdem liebt. Sie ist ihm nämlich von Anfang an, wenn man es auch erst am Ende erfährt, als Gattin bestimmt gewesen und hat das gewußt (wie PärvatI und Siva), ihr ist ihr einjähriges Sklavendasein geweissagt worden, aber auch das gute Ende. Sie ist nicht schuldig geworden wie Sakuntalä. Sie t u t nichts, um den König zu gewinnen, es sei denn, daß sie ihm bei Gelegenheit eine Strophe als versklavte, verliebte Sarmisthä vorsingt und vortanzt. 2 4 5 Sie steht als ein nach damaligen Begriffen tugendhaftes Mädchen neben dem unbeherrschten, aber im Grunde doch zur Ehe mit ihr bestimmten König. Dabei war der Dichter so klug, alle Personen als im Grunde tadellos hinzustellen, kurz bevor die Sklavin als Prinzessin erkannt wird. Dadurch konnte er eine Bekehrung des Königs sparen. Vom später verfaßten Raghuvamsa her gesehen, handelt es sich um einen unmythischen, historischen König, der vom Dichter als Despot, als heftig Liebender, als Mann mit seinen Schwächen behandelt ist. Die K r a f t und Urvasi 2 4 6 Die Liebesgeschichte der Urvasi und des Purüravas ähnelt der der Mälavikä, nur ist der Stoff mythologisch, nicht historisch. Dreimal begegnen sich auch diese beiden Liebenden: I m 1. Akt verlieben sie sich; sie tauschen ein paar höfliche Sätze, ihre Schulter berührt ihn bei der Wagenfahrt, und das setzt ihn in Flammen; 2. sie kommt zu ihm, belauscht ihn, schreibt ihm einen Brief, er f a ß t ihre Hand, da wird sie zu Indra abberufen; 3. sie kommt und lauscht noch einmal, da kommt zufällig Königin Auslnari, und erst, als sie wieder fort ist,

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kann der Vidüsaka das Paar in den Palast geleiten, der Brahmane die Hetäre dem König zuführen. 247 Das Paar wird dann, und das ist neu gegenüber dem ersten Drama, durch Urvasis Eifersucht getrennt, aber dann wieder vereint, und schließlich kann Urvasi bei Purüvaras bis zu dessen Tode bleiben; seine Gattin und Königin aber kann die Himmelshetäre nicht werden. Neu ist auch, daß der König am Ende seinen von ihr inzwischen heimlich geborenen und verborgenen Sohn Äyus findet, 248 seinen Erben. Urvasi, ursprünglich, d. h. im Rgveda und noch früher, eine Schwanenjungfrau, in Martenehe mit Purüravas zeitweilig vereint, aber von ihm getrennt, ehe sie seinen Sohn gebar, 249 ist im Hinduismus eine Tänzerin, Schauspielerin, Hetäre und Sklavin in Indras Himmel geworden, wie er viele hat, aber er benutzt sie anscheinend nicht wie Menakä 250 und andere zur Versuchung von Asketen. Sie wählt (als Schwanenjungfrau) vielmehr den Mann, den sie liebt, wie z. B. Purüravas; 2 5 1 sie wird auch (als Hetäre) in der Mythologie von Varuna und Mitra gewählt; 2 5 2 und sie wählt auf Anweisung ihres Herren Indra, die ihr der Gandharwenkönig Citrasena überbracht hat, Arjuna, weil Indra meint, dieser habe sie bei ihrer Tanzvorführung 2 5 3 voll Verlangen angeblickt. 254 Bei Kälidäsa heißt im I. Akt der Gandharwenkönig Citraratha, der Purüravas auffordert , Urvasi zu Indra zu geleiten. Die rgvedische Urvaslsage lebte in einer Version der puranischen Genealogie weiter. 255 Dort wird aber zugleich kurz berichtet, daß das verliebte Paar 59 J a h r e a u f d e m Gandhamädana und anderen Bergen des Nordens weilte. 256 Eine andere Version der Genealogie 257 lehrte, daß Purüravas als Freund Indras Urvasi und Citralekhä vor Kesin rettete, daß Urvasi, von Bharata verflucht, für 55 Jahre zur Liane wurde, dann aber dem Purüravas (daß er sie rettete, ist nicht erwähnt) acht Söhne gebar, als ersten Äyus. In dieser Version wird vorangeschickt, daß, weil Purüravas einseitig Dharma bevorzugte, K ä m a (Lust) Purüravas verfluchte, er solle auf dem Gandhamädana durch die Trennung von Urvasi im Kumäravana irrsinnig werden; Artha aber, er solle an Gier zugrunde gehen. Dieser letzte P u n k t hatte schon bei Kautalya 2 5 8 eine Rolle gespielt. Es ist aber nicht sicher, von welcher Tradition Kälidäsa im einzelnen abhängt bzw. was der Klassiker in dieser Hinsicht selbst erfunden hat. E r hat jedenfalls Purüravas nicht verfluchen lassen und ihm nur insofern eine Schuld zugewiesen, als er auf dem Gandhamädana ein Vidyädharamädchen anstarrt und damit Urvasi rasend eifersüchtig macht. Das ist aber einer Hetäre gegenüber bei einem König, der seine Königin mit ihr hintergeht, kaum eine nennenswerte Schuld. Er benimmt sich sogar im ganzen der Königin gegenüber betont achtungsvoll und ist ein Repräsentant des literarischen Despotentyps, der Held und Liebender ist, weniger flatterhaft als Agnimitra und sogar Dusyanta. An Regierungsarbeit hat er allerdings wenig Interesse. War Mälavikä die Sklavin der Königin, so ist Urvasi die Sklavin des GötterKönigs Indra, eine Hetäre, eine im Grunde tragische Gestalt. Sie liebt Purüravas, ihren Retter, leidenschaftlich und ist auf die Vidyädharin grundlos eifersüchtig.

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Sie verspricht sich bei einer Aufführung im Himmel aus Zerstreutheit, die ihrer Liebe zu Purüravas entspringt, und wird damit schuldlos schuldig. Sie wird dafür von Bharata verflucht, Mensch zu werden, aber dank Indras Gnade als Geliebte des Purüravas zu leben, also zu ihrem kurzen Glück verflucht. Da aber Indra später die Hilfe des heldischen Königs braucht, soll ihr Glück währen, solange Purüravas lebt. Der Tradition nach sollte Purüravas dann in die Gandharwenwelt eingehen, aber der Dichter schweigt darüber. Urvaöl kann indessen als Himmelshetäre nicht Königin, nicht Gattin des Geliebten werden, obgleich sie die Mutter des Thronerben ist. Zumindest braucht sie der alten Königin gegenüber nicht eifersüchtig sein. In dieser Gestalt der liebenden Hetäre zeigt der Dichter seine Größe, aber auch in der Gestaltung des IV. Aktes, eines der Höhepunkte der altindischen Waldlyrik. 259 Purüravas ist irrsinnig aus Schmerz über das Verschwinden der Urvasi. Dieser Akt ist eine Steigerung der epischen Klage Rämas über die Entführüng Sitäs. Purüravas hält dabei eine Wolke 2 0 0 für den Entführer und will mit ihr kämpfen; er fragt einen Pfau, ein Kuckucksweibchen, nach Norden fliegende Schwäne, einen Cakraväkavogel, Bienen, einen Elefanten, einen Berg, einen Bergfluß und eine Gazelle nach der Verlorenen. Dieser Irrsinn, eine leblose Wolke zu verfolgen, ist ein Vorläufer des Irrsinns des Yaksa im Meghadüta, eine Wolke als Boten zu wählen. Dieser IV. Akt des Dramas aber gilt als Trotaka, als eine besondere Art Tanz des Purüravas, der in einem Monolog seine Strophen mit wenig Prosa unterbricht. E r wird immer wieder begleitet von Strophen, die hinter der Bühne gesungen werden und sein, Purüravas' Tun mit dem eines verliebten Schwanes und eines durch den Wald stampfenden Elefanten vergleichen. Diese Form dürfte letztlich daher stammen, daß ursprünglich von saubhikas epische Texte zu mimischem Tanz rezitiert oder gesungen wurden, 261 während hier eine mythische getanzte Handlung von lyrischen Versen begleitet wird. Das Wiedererkennen und Sakuntalä 2 6 2 In Kälidäsas drittem Drama und vermutlich letztem Werk gibt es keine Intrige gegen die Liebe des Königs und seiner Geliebten; seine älteren Frauen treten gar nicht mehr auf. Die Handlung ist auf das Liebespaar und seine Entwicklung konzentriert. Es erlebt seine erste Begegnung mit höflichen Reden im Beisein der Freundinnen Sakuntaläs; in der zweiten zieht der stürmische König das Mädchen auf einen Sitz neben sich, aber Sakuntalä wehrt ihn ab wie Pärvatl ihren Siva: er solle ihren Vater fragen. Im Vorspiel zum IV. Akt wird dann von der vollzogenen Gandharwenehe berichtet und von der Trennung des Paares, da den König seine Pflicht in die Stadt gerufen habe: er habe ihr seinen Ring gelassen; Sakuntalä sei, in Liebesgedanken versunken und dadurch sozusagen unschuldig, an dem Gast Durväsas schuldig geworden und von ihm dafür verflucht worden. Der König vergißt sie daher, und als sie schwanger zu ihm kommt, den Ring aber verloren hat, wird sie von ihm nicht erkannt, und das Paar wird zum zweiten Male getrennt. Dieses Motiv der 2. Trennung ist gegenüber den anderen beiden Dramen neu, stammt aber ersicher von der Verstoßung Sitäs im

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Archetypus des Rämäyana; im Raghuvamsa hatte Kälidäsa Räma wegen der Verstoßung Sitäs schwer getadelt. An sich war die Sage von Dusyanta, Sakuntalä und Bharata, dem ersten traditionellen Weltherrscher, dem Ahn der Bharatas des Rgveda, sehr alt. I n lockerem Zusammenhang mit der puranischen Genealogie, in der sie kurz abgetan wurde, 263 wurde sie im Mahäbhärata breit erzählt. 264 Mit ihr hängt auch das 7. J ä t a k a zusammen, in dem ein König Brahmadatta ein in seinem Park Holz sammelndes Mädchen schwängert, ihr einen Ring gibt, mit dem sie ihren zu erwartenden Sohn zu ihm schicken soll, diesen aber dann aus Scham samt dem Ring verleugnet, den Sohn schließlich indessen durch einen Wahrheitszauber der Mutter anerkennt. Der Ring ist ein altes Märchenmotiv, das u. a. in der Geschichte vorkommt, die sich von der Sage der Thamar im Alten Testament nach Indien einerseits, nach Europa (Boccaccio und Shakespeare) andererseits mit dem Erkennungszeichen des Ringes, den der Sohn dem Vater zeigt, verfolgen läßt. 265 In der Mahäbhärata Version der Sakuntaläsage fehlt der Ring; dort liegt der Akzent auf der langen, feierlich-rechtlichen Rede der verkannten und empörten Gattin und Mutter vor dem König. Kälidäsa hat den Ring wieder aufgenommen; Sakuntalä mußte ihn durch den Fluch verlieren und ein Fisch (wiederum ein an sich weit verbreitetes Märchenmotiv!) 266 ihn wiederbringen. Damit konnte der Dichter den König nach der zweiten Trennung seine Erinnerung an Sakuntalä und ihre Schwangerschaft wiedergewinnen und Reue und Kummer über die scheinbar von ihm verschuldete Trennung von der geliebten Frau empfinden lassen. Neu bei Kälidäsa war die Gestaltung der Sakuntalä; sie ist keine resolute Mutter wie im J ä t a k a und Mahäbhärata, sondern (nach der Sklavin Mälavikä und der Hetäre UrvasI) ein schamhaftes Waldeinsiedlermädchen, ein Kind der Natur in diesem Sinne, verliebt, vom König verführt, aus Liebe schuldlos schuldig geworden, vom Vater (oder Ziehvater Kanva) rechtsmäßig dem Gatten übersandt, von diesem verstoßen, ohne die K r a f t , sich rechtlich-moralisch vor ihm, dem Richter des Landes, zu verteidigen. Für die heimlich, wenn auch rechtlich eingegangene Gandharwenehe muß sie jahrelang leiden, weil sie aus Verliebtheit einen kleinen Fehler gegen Durväsas, einen wegen seines leicht erregbaren Zornes bekannten Asketen, 267 begangen hat. Mit dieser Darstellung hat der Dichter das Mädchen und die Gandharwen-, d. h. die Liebesheirat, in gewissem Ausmaß verurteilt und doch auch wieder nicht. Sakuntalä galt Kälidäsa als ganz große Frau, aber die Gandharwenehe war ja zwar von Brahraanen erlaubt, wenigstens für Ksatriyas, aber sie war zugleich ein Risiko, weil ohne Zeugen vollzogen, gleichsam ein im Walde mit einer gewissen Leichtfertigkeit eingegangener Vertrag. 268 Dafür büßt Sakuntalä, bis Dusyanta sie am Ende wiederfindet. Die Liebe verbindet sie wieder, aber jetzt nicht mehr die j ugendliche Leidenschaft, sondern die Gatten- und Elternliebe gereifter Menschen. Sie verzeiht ihm die Verstoßung. Danach erst erfahren beide von Durväsas' Fluch, und Sakuntalä spürt ihre aus Verliebtheit begangene Schuldhaftigkeit. Dusyanta macht ihr seinerseits keinen Vorwurf, ist nur glücklich, selbst ohne Schuld

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zu sein. Er, der im Drama als sehr gerecht hingestellte Richter, hat ja den Schuldigen an der Schwängerung des Einsiedlermädchens nicht gefunden, hat ihren Fall unerledigt gelassen, weil sein Hofpriester geraten hatte, die Geburt des Kindes abzuwarten, und sie dann verschwunden war. Der König ist daran ebenso unschuldig wie an seiner Vergeßlichkeit. Er muß dennoch leiden, weil er auf die Liebesheirat gedrungen hat. Am Ende ist er glücklich mit Frau und Sohn, dem ersehnten Erben, 2 6 9 dem künftigen Weltherrscher, der schon als Knabe ein Löwenjunges bändigt, ein Zug, der schon im Mahäbhärata I, 68, 5ff. von dem sechsjährigen Knaben in der Einsiedelei Kanvas berichtet ist. I n dieser Weise haben beide Liebenden eine menschliche Entwicklung durchgemacht, die würdig neben der ganz anders gearteten von Siva und Pärvati steht und ein Zeichen der Größe des Dichters ist. Wie im Urvasidrama der lyrische IV. Akt, so steht im Drama der Öakuntalä der lyrische IV. Akt mit ihrem Abschied 270 von der Waldeinsiedelei einerseits, der VI. Akt mit der Trauer des Königs um den Verlust der Geliebten in seinem Park andererseits als große Leistung des Dichters da. Hier ist Dusyanta in seinem Liebesschmerz in seiner Weise geradezu irre wie Purüravas; er sieht zwar nicht eine Wolke als Entführer wie dieser, er sieht aber eine von ihm selbst gemalte Biene als liebenden Angreifer der Sakuntalä an. 271 H a t t e das Mahäbhärata bereits die J a g d des Königs als seine Einführung in die Waldeinsiedelei breit ausgemalt, so hat Kälidäsa dieses Motiv in der anfänglichen Wagenfahrt des Königs mit unübertroffener Kunst dargestellt, wie denn überhaupt die Waldromantik des Städters bei ihm den schönsten Ausdruck in der altindischen Literatur gefunden hat.

b) Andere D r a m e n Die von einigen Indologen dem von Kälidäsa erwähnten Bhäsa 2 7 2 zugeschriebenen vierzehn Dramen sind bisher nicht als alt, d. h. klassisch erwiesen; sein „Cärudatta" braucht nicht älter als Südraka zu sein. Das Tonwägelchen des Südraka 2 7 3 Da König Südraka im Vorspiel seines Dramas als dessen Dichter, aber als bereits tot erwähnt wird, wird diese Stelle so fingiert sein wie die Berichte über Välmlki, Vyäsa, Visnusarman oder Häla als Dichter der ihnen zugeschriebenen Werke. 274 Dieses Drama ist weder mythologisch noch historisch, sondern bürgerlich; 275 und es war wohl kaum das älteste seiner Art. Auch sein Thema ist die Liebe, und zwar die des verarmten Kaufmannes Cärudatta und der reichen Hetäre Vasantasenä. Cärudattas Ehefrau intrigiert nicht gegen die H e t ä r e ; beide Frauen sind so wenig eifersüchtig aufeinander wie UrvasI und Auslnarl. Der Intrigant ist vielmehr der böse Gegenspieler des Kaufmannes, sein Nebenbuhler bei der Hetäre, der Königsschwager. Einen solchen Nebenbuhler h a t t e n Kälidäsas Helden als Könige nicht gekannt 2 7 6 (wohl R ä m a in Rävana). Nicht

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er aber bereitet dem P a a r die üblichen anfänglichen Hemmnisse, 2 7 7 vielmehr ihre eigene vornehme Zurückhaltung, weil der K a u f m a n n eben arm, 2 7 8 die Heldin aber eine H e t ä r e und reich ist. So folgt auf das erste bloße Sehen im Tempel des Liebesgottes die zweite Begegnung dadurch, daß die Hetäre, eines Abends vom Königsschwager verfolgt, zufällig in Cärudattas Hause Zuflucht sucht und findet, aber nach wenigen Sätzen t r e n n t sich das P a a r wieder. I n der übernächsten N a c h t indessen eilt die Hetäre, als sie der Liebe des K a u f m a n n e s sicher ist, trotz Gewitter und Finsternis 2 7 9 zu ihm. Am nächsten Tag 2 8 0 erwürgt der eifersüchtige Königsschwager sie — wie es den Anschein h a t — und klagt wieder einen Tag später, am vierten Tag der Handlung, Cärudatta als Mörder an. Als dieser sehr schnell zur Hinrichtung geführt wird, erscheint die inzwischen gerettete Hetäre, und das glückliche E n d e ist gesichert, die Trennung des P a a r e s nach der ersten Liebesnacht ist überwunden. Die R e t t u n g Cärudattas vor dem Königsschwager und dem ungerechten König Pälaka, der den brahmanischen K a u f m a n n nicht h ä t t e zum Tode verurteilen dürfen, 2 8 1 erfolgt dadurch, daß Pälaka kurz vor der Hinrichtung des K a u f m a n n e s erschlagen wird; 2 8 2 die Liebeshandlung ist kunstvoll mit einer politischen H a n d l u n g verquickt. Pälakas E n d e und die Thronbesteigung des H i r t e n Äryaka waren geweissagt worden, 283 deshalb war der H i r t , um die Prophezeiung nicht wahr werden zu lassen, gefangengesetzt, aber von dem vera r m t e n Brahmanen Sarvilaka befreit worden; er war zunächst ohne Wissen, d a n n mit der Billigung des hochherzigen Cärudatta in dessen Wagen entflohen, der eigentlich Vasantasenä h ä t t e zu ihm in seinen P a r k bringen sollen. So gelangte Cärudatta, ebenfalls ein verarmter Brahmane, durch seine Liebe zur H e t ä r e zur „Partei" des siegreichen neuen Königs. Der alte König stürzte wegen der Prophezeiung, nebenbei wegen seines falschen Urteils und weil er den bösen Gegenspieler des Helden, den Mörder der Hetäre, nicht ü b e r f ü h r t e , letzten Endes aber, obgleich das nicht ausdrücklich gesagt ist, weil in seinem Reich viele B r a h m a n e n verarmten. 28 '* Aber Äryaka war ebensowenig ein revolutionärer Führer der Armen wie der Hirt Krsna, 2 8 5 der gemäß einer Prophezeiung den Despoten K a m s a erschlug, als dieser ihn umbringen lassen wollte, um der Prophezeiung entgegenzuwirken. Beide bewirkten die Erschlagung ihres Despoten, weil ihr Leben von diesen bedroht wurde. Sarvilaka aber, der Brahmane, nicht Äryaka, erschlug König P ä l a k a ; er, der schon aus A r m u t und Liebe zum Einbrecher geworden war, n a h m dem künftigen König diese blutige T a t ab. 2 8 0 Diese bürgerliche Liebesgeschichte oder zumindest ihre Motive, wie die der verliebten Hetäre, die wegen ihres Schmuckes erwürgt wird, zwischen Liebhabern wählen muß, ihre Wagenfahrt, ihr Parkbesuch und dergleichen stammen aus dem Schatz älterer Erzählungen; 2 8 7 wir finden sie in buddhistischen J ä t a kas, 288 in denen die H e t ä r e aber natürlich nicht den edlen Charakter der Vasantasenä hat. F ü r die politische Handlung diente die Krsnasage 2 8 9 als Vorbild. I m etwas jüngeren 2 9 0 tamilischen Romanepos Silappadikaram schließlich sind ähnliche Motive der Liebeshandlung mit Tötung eines Despoten ver-

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bunden. 2 9 1 Unser Drama steht also (ganz abgesehen von „Bhäsas" „Cärudatta") nicht allein. Das großartige Neue in diesem bürgerlichen Drama ist u. a. der Charakter des aus Freigebigkeit verarmten, hochgebildeten, tief liebenden Kaufmanns, 2 9 2 der sich vom zynischen Städter des Kämasütra sehr unterscheidet,' 9 3 aber auch von dem armen Hofdichter Bhartrhari. Trotz seiner Armut läßt er sich durch Drohungen des bösen Gegenspielers nicht von der Liebe zur Hetäre abhalten; 2 9 4 wegen seiner Armut ist er dem Gericht verdächtig. 295 Nicht minder schön ist die einzig Cärudatta liebende, trotz ihres ererbten Berufs das Geld verachtende Hetäre. 290 War schon Kälidäsas Hetäre UrvasI eine literarische Leistung, so erst recht diese, die der kühne Dichter am Ende dank dem neuen König zur ehrenhaften Ehefrau des Cärudatta werden läßt. Ob sie Kinder bekommen wird, 297 ist nicht angedeutet, aber ihr liebevolles Verhalten dem kleinen Sohn Cärudattas gegenüber und das sie erschütternde Mißtrauen des armen, mit einem Tonwägelchen spielenden Jungen ihrem Reichtum gegenüber waren dem Dichter so wichtig, daß er nach dieser Szene den Titel des Dramas wählte. So wenig Cärudatta schuldig ist, so wenig ist es im Grunde die Hetäre. Sie verursacht letztlich selbst ihrer beider Leiden durch die Hinterlegung ihres Schmuckes bei ihm, dem Kaufmann, um den geliebten Mann bald wiedersehen zu können; diesen Trick empfahl das Lehrbuch der Liebe. 298 Vasantasenä ahnte nicht, daß der Schmuck gestohlen und als Indiz f ü r Cärudattas Schuld an ihrem Mord verwendet werden würde. Dieser hätte als armer Mann das Depositum nicht annehmen dürfen. Aber beide sind entschuldigt durch ihre Liebe, wie Sakuntalä in ihrer Zerstreutheit. Vasantasenä aber hilft aus Liebe zu Cärudatta dem Spieler, 299 dem früheren Bader Cärudattas, der Buddhist wird und sie später wieder zum Leben erweckt. Und, selig in ihrer Liebe, hilft sie dem verarmten Sarvilaka und ihrer eigenen Sklavin, ein P a a r zu werden. 300 An demokratischen Elementen des Dramas ist ferner auf Spruchweisheit wie die zu verweisen, daß nicht adlige Abstammung, sondern gutes Verhalten wichtig ist; 3 0 1 ferner auf den mutigen, wahrheitsliebenden Sklaven des Königsschwagers. Das Volk wird beim Despotenmord allerdings nicht aktiv. 302 Fatalismus 303 durchzieht das Drama. Der Dichter glaubt an Magie 304 und Prophezeiung. Und der Zufall, daß der Dieb in der Nacht nach der Übernahme des Depositums der Hetäre gerade bei Cärudatta einbricht oder daß Vasantasenä den Wagen des Königsschwagers mit dem des Kaufmannes verwechselt, spielen ihre verhängnisvolle Rolle. Klassisch ist aber der Kontrast von rührender Liebe des bürgerlichen Paares und dem das ganze Drama durchziehenden, letztlich aus dem Mimus stammenden Humor. 3 0 5 Dieser zeigt sich in den witzig ausgemalten Rüpelszenen der sich prügelnden Spieler im II. und der Polizisten im VI. Akt, in der Verhöhung des Königsschwagers durch seinen Schmarotzer und durch seinen Sklaven im I. Akt, in der mit viel Magie ausgestatteten lustigen Einbruchsszene des geradezu studierten brahmanischen Diebes, in der Prahlerei des

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Elefantentreibers der Hetäre und an vielen anderen Stellen. Eindrucksvoll ist die Gesellschaftskritik in der Darstellung der Gerichtsszene mit der verallgemeinerten Anklage der sich als Richter irrenden Könige, 306 die, schlecht beraten, in die Hölle müssen 307 (wie wegen seiner Lüge sogar Yudhisthira), 308 während Tausende der unschuldigen Untertanen hingerichtet wurden und werden. 309 Schön gezeichnet sind die gutmütigen armen Henker (Candälas), schön ist aber auch die Lyrik der Gewitter- 310 und Liebesnacht. Wenn Kälidäsa der Maßstab der altindischen Klassik ist, so steht Südraka nicht niedriger als er, ja, schon sein Mut zu einem bürgerlichen Drama mit seiner organischen Verbindung der Liebeshandlung mit Politik, mit seiner Gesellschaftskritik stellt ihn sehr hoch. Seine am Ende geehelichte Hetäre ist geradezu ein Fortschritt über Urvasi hinaus, seine Behandlung des scheinbaren Mordes der Hetäre durch den ungerechten König ist eine Steigerung über die nicht ausreichende Untersuchung der Schwängerung Öakuntaläs durch ihren irrenden König hinaus, seine Mimesis geht über die des Fischers und der Polizei in Sakuntaläs Drama hinaus. 311 „Das Siegel und Räksasa" des Visäkhadatta 3 1 2 Dieses Drama behandelt einen historischen Stoff, den Beginn der Mauryaherrschaft, aber im Unterschied zu Kälidäsas Drama des historischen Königs Agnimitra ohne Liebesgeschichte; es verherrlicht kein Heldentum, und ihm fehlen die Späße des vidüshaka. Es handelt sich um ein eigenartiges moralischpolitisches Problemdrama: Wie soll das ideale Verhältnis zwischen dem Despot und seinem Hauptratgeber sein? Bei Kautalya hatte dieser keine nennenswerte Rolle neben dem Alleinherrscher gespielt. 313 Aber im Mahäbhärata hatte Krsna als häufiger Berater des ideal-rechtlichen Yudhisthira diesem alle politisch notwendigen Gemeinheiten in der Politik abgenommen. 314 Im „Irdenen Wägelchen" handelt Sarvilaka statt des neuen Königs Äryaka. 315 Im J ä t a k a des Osadhakumära, im I I I . Buch des Pancatantra, in „Bhäsas" Drama über Yaugandharäyana, 316 der seinen Herren Udayana zu dessen geliebter Väsavadattä verhilft, und von Visäkhadatta wird in jeweils besonderer Art und Weise das Problem zweier verschiedener sich bekämpfender Könige und ihrer Berater abgehandelt. Bei Visäkhadatta triumphiert der antifatalistische, ungemein tüchtige, schlaue Cänakya ( = Kautalya) als politischer Lehrer und Leiter des ihm ergebenen, frommen, fatalistisch eingestellten Königs Candragupta Maurya über Räksasa, den fatalistischen Ratgeber des letzten gestürzten, ermordeten Nandas und des Königs Malayaketu, der ihm, seinem Ratgeber, nicht vertraut, sich von ihm trennt, selbst regieren will und unterliegt. Der Dramatiker war in seiner persönlichen Weltanschauung Fatalist und ließ Cänakyas Listen mehrfach von günstigen Zufällen unterstützt werden, bzw. Cänakya Zufälle geschickt ausnutzen. E r wollte demnach den als Antifatalisten bekannten Cänakya 3 1 7 in diesem Punkt kritisieren, 318 aber auch darin, daß dieser den Nanda aus beleidigtem Stolz, aus Zorn stürzt, nicht aus Treue zu Candragupta. E r tat es

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a u c h n i c h t a u s M a g a d h a p a t r i o t i s m u s oder d e m o k r a t i s c h e r Gesinnung. W e i t e r stellt er i h n als einen allzu s e l b s t b e w u ß t e n u n d seinen d u r c h seine E r f o l g e b e r e c h t i g t erscheinenden Stolz n i c h t d u r c h gespielte B e s c h e i d e n h e i t g u t m a c h e n d e n B r a h m a n e n hin. 3 1 9 R ä k s a s a dagegen gilt i h m als seinem H e r r e n in blinder T r e u e ergeben, als a n g e s t a m m t e r R a t g e b e r , der n i c h t a u s eigenem persönlichem I n t e r e s s e h a n d e l t u n d ü b e r a u s bescheiden ist. C ä n a k y a t r i u m p h i e r t zwar ü b e r R ä k s a s a u n d k a n n ihn a m E n d e erpressen, 3 2 0 weil dieser seinem F r e u n d e , einem K a u f m a n n , zuliebe sein eigenes L e b e n o p f e r n will, u m j e n e n vor C ä n a k y a s Z o r n zu r e t t e n . Dieses Opfer ist a b e r politisch so falsch wie R ä m a s E n t s c h e i d u n g bei Välmlki u n d die Dillpas bei K ä l i d ä s a , 3 2 1 galt a b e r V i s ä k h a d a t t a wie j e n e n beiden D i c h t e r n als moralisch h o c h s t e h e n d . V i s ä k h a d a t t a b o t n u n in seinem D r a m a a m E n d e die L ö s u n g an, d a ß C ä n a k y a sich a u s der a k t i v e n Politik zurückziehen will, die er j a n u r zeitweilig b e t r i e b e n h a t , u n d d a ß K ö n i g C a n d r a g u p t a m i t R ä k s a s a als d e m a n g e s t a m m t e n H a u p t r a t g e b e r von M a g a d h a weiter regieren soll, n a c h d e m C ä n a k y a C a n d r a g u p t a s H e r r s c h a f t d a d u r c h gesichert h a t , d a ß R ä k s a s a v o m e r m o r d e t e n N a n d a zu i h m ü b e r g e g a n g e n ist. C a n d r a g u p t a a b e r e r k l ä r t , d a ß C ä n a k y a in Z u k u n f t b e i m Ü b e r l e g e n der jeweils a n z u w e n d e t e n Mittel der Politik, R ä k s a s a j e d o c h in d e n H a n d l u n g e n (oder zu erreichenden Zielen) 3 2 2 ü b e r d a s R e i c h w a c h e n w e r d e n . C ä n a k y a n i m m t zu diesem Vorschlag n i c h t Stellung. R ä k s a s a gibt C ä n a k y a s E r p r e s s u n g n a c h u n d wird k ü n f t i g n a c h der A b s i c h t des D i c h t e r s d e m n e u e n H e r r e n g e n a u so t r e u dienen wie f r ü h e r seinem geliebten N a n d a , den C a n d r a g u p t a g e s t ü r z t h a t . E s h a n d e l t sich bei R ä k s a s a u m einen A k t der B e k e h r u n g , n i c h t u m eine allmähliche E n t w i c k l u n g seines C h a r a k t e r s . D e r D i c h t e r m ö c h t e die K o m p e t e n z e n d e r beiden e i n a n d e r entgegengesetzten R a t g e b e r des D e s p o t e n so verteilen, d a ß der fatalistische, seinem a n g e s t a m m t e n H e r r n ergebene, sich f ü r einen F r e u n d o p f e r n d e u n d d a m i t als moralisch h o c h s t e h e n d hingestellte R ä k s a s a die Ziele der Politik, sozusagen die Strategie, a u s a r b e i t e t , der a n t i f a t a l i s t i s c h e , skrupellose, innerlich a n m a ß e n d e K a u t a l y a aber die T a k t i k . R ä k s a s a setzt einmal d e n D i c h t e r m i t d e m P o l i t i k e r in Vergleich; b e i d e p l a n e n eine H a n d l u n g u n d lassen sie d u r c h k l u g e Ü b e r l e g u n g e n gelingen. 3 2 3 Dies e n t s p r i c h t der Theorie der „großen M ä n n e r " , die angeblich g a n z alleine die Geschichte m a c h e n , selbst w e n n sie d a m a l s n o c h n i c h t b e w u ß t f o r m u l i e r t w a r . Gewiß m u ß der D i c h t e r die S t a a t s l e h r e k e n n e n ; d a s zeigte a u c h K ä l i d ä s a im S t a m m b a u m des Raghu, 3 2 ' 1 d a s belegte das M a h ä b h ä r a t a im X I I . B u c h , u n d d a s lehrte s p ä t e r e Poetik. 3 2 5 A b e r der Dichter— d a s sehen wir in u n s e r e n Tagen—, will er die Gesellschaft richtig schildern u n d ihre E n t w i c k l u n g m i t g e s t a l t e n , m u ß die g e s a m t e Gesellschaftswissenschaft so weit b e h e r r s c h e n , d a ß er sachlich richtig d i c h t e n u n d m i t F a c h l e u t e n die G e s t a l t u n g seines D i c h t w e r k s b e r a t e n k a n n , insofern analog d e m Politiker. Diese E i n s i c h t k o n n t e erst im Sozialismus erreicht werden. F ü r die d a m a l i g e Zeit u n d die Klassenlage des D i c h t e r s indessen war seine b e s c h r ä n k t e E r k e n n t n i s schon g r o ß a r t i g . E r schrieb f ü r die G u p t a s , ihre Minister u n d ihre U n t e r t a n e n , die in V i s ä k h a d a t t a s L ö s u n g des P r o b l e m s eine A r t kollektiver B e r a t u n g des K ö n i g s m i t zwei V e r t r a u t e n als

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VI. Periode, 5

Grundlage der Entscheidung des Königs sehen sollten. Zugleich dachte Visäkhadatta sich das politische Geschehen als Leistung großer Männer, Könige und Minister, die wie Dichter planten und den Handlungsablauf leiteten, indem es nur auf den Helden, den König und seinen Gegenspieler, jeden mit seinem Hauptratgeber, anzukommen schien. Die Bedeutung der Massen der Völker und die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung konnte damals kein Dichter oder Staatslehrer in die Rechnung einbeziehen. Dem damaligen Stand der Staatslehre entsprechend hat Visäkhadatta sein Drama kunstvoll aufgebaut; jedem Zug der einen Seite folgt logisch einer des Gegners, und das Ganze wirkt, abstrakt betrachtet, überzeugend, wirkt bei aller zunächst verwirrenden Fülle der ¡Intrigen dennoch klar. Die Kunst des Dichters war eben groß, wenn auch einseitig. Kälidäsa hatte dieses Problem nicht ausführlich behandelt, nur bei Dillpa und Vasista, 326 bei Atithi und den 18 Hofbeamten, 3 2 7 bei dem Kind auf dem Thron, Sudarsana, 328 und bei dem Lüstling Agnivarna spielen die Minister eine größere Rolle, 329 eine allzu geringe bei Agnimitra. 330 Insofern ist Visäkhadattas Drama für uns eine wesentliche Bereicherung der altindischen klassischen Dichtung. Mit seiner Betonung des Fatalismus steht es dem Pessimismus des Pancatantra nahe, d. h. der Schicht der die beginnende Stagnation des Feudalismus ahnenden gebildeten Städter. 3 3 1

5. Inder und Griechen, insbesondere das klassische

Drama

Vergleicht man die indische Klassik der Guptazeit im 4.-5. Jahrhundert u. Z. und die athenische Klassik des 5. Jahrhunderts v. u. Z., so ist auf dem Gebiet griechischer Lyrik wenig Material vorhanden. Man könnte allenfalls an Simonides denken und den Wolkenboten mit dem uns verlorenen Liebeslied des Polyphem auf Galatea vergleichen, das von Aristophanes einem Philoxenos zugeschrieben wird. 332 Die homerischen Epen wurden seit Peisistratos nicht weiterentwickelt. An Epik käme für die Zeit der Klassik das ebenfalls verlorene Heraklesepos des Panyassis in Frage, das neben Kälidäsas Epen zu stellen wäre. Das Pancantra hat kein griechisch-klassisches Analogon, vgl. Äsop. Zum Vergleichen reizen vor allem die fünf altindischen Dramen und die erhaltenen 32 Dramen der drei athenischen Tragiker, die ungefähr drei Generationen angehören, wie sich auch schon bei den drei klassischen indischen Dramatikern ein Dreigenerationenunterschied andeuten läßt. 333 Kälidäsas Dramen nach denen Asvaghosas sind aber nicht entfernt mehr so archaisch wie die des Äschylos, der dem Chor zunächst nur einen einzigen Schauspieler gegenüberstellte. Der Dreiteilung in mythologische, historische und bürgerliche Dramen Indiens läßt sich gegenüberstellen, daß die griechischen Tragödien meist mythologisch, selten, wie die „Perser" des Äschylos, historisch sind und erst die mittlere Komödie Menanders bürgerlich ist; diese wurde schon öfter mit Südrakas relativ spätem Tonwägelchen zusammengestellt. 33 '»

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VI. Periode, 5

Grundlage der Entscheidung des Königs sehen sollten. Zugleich dachte Visäkhadatta sich das politische Geschehen als Leistung großer Männer, Könige und Minister, die wie Dichter planten und den Handlungsablauf leiteten, indem es nur auf den Helden, den König und seinen Gegenspieler, jeden mit seinem Hauptratgeber, anzukommen schien. Die Bedeutung der Massen der Völker und die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung konnte damals kein Dichter oder Staatslehrer in die Rechnung einbeziehen. Dem damaligen Stand der Staatslehre entsprechend hat Visäkhadatta sein Drama kunstvoll aufgebaut; jedem Zug der einen Seite folgt logisch einer des Gegners, und das Ganze wirkt, abstrakt betrachtet, überzeugend, wirkt bei aller zunächst verwirrenden Fülle der ¡Intrigen dennoch klar. Die Kunst des Dichters war eben groß, wenn auch einseitig. Kälidäsa hatte dieses Problem nicht ausführlich behandelt, nur bei Dillpa und Vasista, 326 bei Atithi und den 18 Hofbeamten, 3 2 7 bei dem Kind auf dem Thron, Sudarsana, 328 und bei dem Lüstling Agnivarna spielen die Minister eine größere Rolle, 329 eine allzu geringe bei Agnimitra. 330 Insofern ist Visäkhadattas Drama für uns eine wesentliche Bereicherung der altindischen klassischen Dichtung. Mit seiner Betonung des Fatalismus steht es dem Pessimismus des Pancatantra nahe, d. h. der Schicht der die beginnende Stagnation des Feudalismus ahnenden gebildeten Städter. 3 3 1

5. Inder und Griechen, insbesondere das klassische

Drama

Vergleicht man die indische Klassik der Guptazeit im 4.-5. Jahrhundert u. Z. und die athenische Klassik des 5. Jahrhunderts v. u. Z., so ist auf dem Gebiet griechischer Lyrik wenig Material vorhanden. Man könnte allenfalls an Simonides denken und den Wolkenboten mit dem uns verlorenen Liebeslied des Polyphem auf Galatea vergleichen, das von Aristophanes einem Philoxenos zugeschrieben wird. 332 Die homerischen Epen wurden seit Peisistratos nicht weiterentwickelt. An Epik käme für die Zeit der Klassik das ebenfalls verlorene Heraklesepos des Panyassis in Frage, das neben Kälidäsas Epen zu stellen wäre. Das Pancantra hat kein griechisch-klassisches Analogon, vgl. Äsop. Zum Vergleichen reizen vor allem die fünf altindischen Dramen und die erhaltenen 32 Dramen der drei athenischen Tragiker, die ungefähr drei Generationen angehören, wie sich auch schon bei den drei klassischen indischen Dramatikern ein Dreigenerationenunterschied andeuten läßt. 333 Kälidäsas Dramen nach denen Asvaghosas sind aber nicht entfernt mehr so archaisch wie die des Äschylos, der dem Chor zunächst nur einen einzigen Schauspieler gegenüberstellte. Der Dreiteilung in mythologische, historische und bürgerliche Dramen Indiens läßt sich gegenüberstellen, daß die griechischen Tragödien meist mythologisch, selten, wie die „Perser" des Äschylos, historisch sind und erst die mittlere Komödie Menanders bürgerlich ist; diese wurde schon öfter mit Südrakas relativ spätem Tonwägelchen zusammengestellt. 33 '»

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Diese indische und griechische Dramatik (aber nicht nur sie, sondern analog auch chinesische und moderne) bemüht sich, kurz gesagt, um eine religiösmoralische Sinngebung des Lebens in der damaligen Klassengesellschaft, um eine Klärung der Ursachen des gesellschaftlichen Leidens und um eine Läuterung des Zuschauers durch das Miterleben des Leidens im Dichterwerk. Gesucht wird nach der Ursache des Leidens, das die Dramatiker in einer Schuld ihrer Helden zu finden meinen, die im Grunde keine Schuld ist. F ü r die indischen Klassiker war eines der ihnen erlaubten Hauptthemen die Liebe. 335 Die Könige und Helden der Tragödien der griechischen Demokratie, wie z. B. Agamemnon, ödipus, Orest, Kreon, Eteokles, Theseus oder Prometheus, aber leiden nicht unter Liebe und Liebestrennung wie die Despoten Kälidäsas. Umgekehrt sind auch die Reaktionen der Heldinnen in indischen Dramen auf ihre Liebesleiden weit milder, „weiblicher" als die in griechischen Tragödien. Die verkannte Sakuntalä wird entrückt und verzeiht ihrem untreuen, ungerechten, lieblosen Gatten, und Urvaäl verzeiht in analoger Weise nach anfänglichem eifersüchtigem Aufbrausen ihrem Purüravas. Dagegen ist Klytemnästras Eifersucht auf Kassandra in Äschylus' Orestie einer der Gründe f ü r ihren Mord an Agamemnon. 336 Ebenso wichtig aber ist für sie dabei, daß ihr Gatte in Aulis ihre Tochter Iphigenia geopfert hat. Für ihre Schuld wird sie von ihrem Sohn Orest erschlagen, der für diese seine Schuld, zu der ihn Apollon treibt, von den Erinnyen verfolgt, vom Areopag aber unter Athenes Vorsitz freigesprochen wird. Bei Orest steht Recht (den Vatermord zu rächen) gegen Recht (die Mutter nicht zu töten, s. u.), und seine Schuld geht letztlich auf die Verfluchung 337 der Atriden durch Thyest wegen eines Frevels des Atreus zurück. UrvasI dagegen steht nicht im Kampf zweier Rechte oder Pflichten wie Orest; sie würde andererseits nie die Hand gegen Purüravas erheben wie Klytemnästra gegen Agamemnon. Das widerspräche dem indisch-patriarchalischen Frauenideal. Ihrerseits gehört die Klytemnästra des Äschylus ebenso in die griechische Reihe großer Frauengestalten der kaum minder patriarchalischen, aber nicht despotisch regierten griechischen Gesellschaft wie Sophokles' Deianira, die aus Eifersucht auf Iolante ihren Gatten Herakles umbringt, und die Medea des Euripides, die aus Eifersucht ihre Nebenbuhlerin und ihre eigenen Kinder tötet. Groß ist auch dessen Phädra, die den Tod wählt, weil sie ihres Stiefsohnes Liebe nicht gewinnen kann. Damit stehen diese gewaltigen Frauengestalten in den Tragödien der athenischen Demokratie in ganz anderer Weise gleichberechtigt neben den Männern als die Frauen in Kälidäsas Dramen im indischen Despotismus. Die klassischen indischen Dramatiker und Kunstepiker haben demgegenüber vermieden, ihre Helden (wie doch Theseus und Agamemnon) unter einem Nebenbuhler auch nur im mindesten leiden zu lassen. 338 Sie kannten zwar in ihrer Mythologie den Räma, der Rävana erschlug, wie Bhlmasena den J a y a d r a t h a und Kicaka, sowie Parasuräma, der auf Befehl seines Vaters seiner Mutter das H a u p t abschlug, weil sie scheinbar in einem kurzen Gedanken an einen vorüberfliegenden Geist ihre Reinheit verloren hatte, 3 3 9 haben diesen indischen Orest aber nicht zum Helden eines Dramas (oder Epos) gemacht, ebensowenig Mäya19

Huben, Dichtung

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vati, ein indisches Analogon zu Phädra bzw. Potiphars Weib in der Krsnamythologie, dem Asokas zweite Frau und ihre Liebe zu Kunäla an die Seite zu stellen sind. 3 '' 0 Sogar Urvasi und Vesantasenä, die beiden Hetären, lieben ohne zu schwanken nur je einen Mann; eine dem polygamen Manne gleichberechtigt polyandrische Frau hat die indische Städtergesellschaft - außer Draupadis legaler Polyandrie - nicht anerkannt, darin natürlich von den Griechen an sieh nicht verschieden, denn auch die klassischen Tragiker Athens haben das Tun dieser zwischen zwei Männern sich entscheidenden Frauen nicht etwa gebilligt, aber sie haben es als Demokraten doch mit großer Tiefe als tragisch behandelt. Sie haben die aus Eifersucht auf Nebenbuhlerinnen schuldig gewordenen Frauen, wie Klytemnästra, Deianira und Medea, ganz anders hingestellt als Kälidäsa die in ihr Haremsdasein ergebenen Königinnen Dhärini und Ausmari; und wir als ihre Erben und Demokraten sympathisieren in diesem Punkt mit den griechischen Klassikern. Kassandra als im Krieg erbeutete Sklavin Agamemnons und dessen Konkubine ist in gewissem Sinne auch ein Gegenstück zur Mälavikä Kälidäsas, aber diese wird nicht wie jene von der alten Königin mit dem König gemeinsam erschlagen. Sakuntalä ist in Kälidäsas Drama, weil sie aus Liebe den Gast Durväsas nicht bemerkt, entschuldigt; sie wird aber dennoch schuldig, wird dafür von diesem verflucht und muß dadurch lange Jahre leiden, bis Magie, das Wiederfinden eines Ringes, den Fluch aufhebt. Thyests Verfluchung des Atreus lastet auf Agamemnon und Orest bis zu dessen Entsühnung vordem Areopag. Der ödipus des Äschylus verfluchte seine Söhne, und sie erschlugen sich im Bruderkampf; 3 '' 2 ödipus war seinerseits gereizt, weil sie ihm ein ihm zustehendes Stück Fleisch nicht vorlegten, wie Thyest gereizt war, weil Atreus ihm das Fleisch seiner eigenen Kinder zum Essen vorsetzte. 343 Die indische Mythologie kannte den erstaunlich analogen Fall einer kannibalischen Mahlzeit als Grund der Verfluchung des Königs Kalmäsapäda durch einen Brahmanen, 3 '*'' aber dies wurde kein Thema des kävya der gebildeten Städter. Diese begeisterten sich vielmehr an der sozusagen lyrischen Verfluchung der Sakuntalä als aus Verliebtheit und Zerstreutheit schlechter Gastgeberin. König Pälaka im „Irdenen Wägelchen" wird schuldig, weil er die Prophezeiung über den Hirten Äryaka fürchtet und ihre Verwirklichung durch dessen Einkerkerung umgehen möchte. Dieses Motiv geht auf die Krsna-KamsaSage3'"5 zurück, diese auf die Kyrossage 3 ' 10 und letzten Endes wohl auf ein altägyptisches Prophezeiungsmotiv. 3 « Mit diesem altorientalischen Motiv hängt aber auch die Prophezeiung zusammen, die König Laios erhielt, der daraufhin seinen Sohn Ödipus aussetzte, ohne indessen die Verwirklichung der Prophezeiung hindern zu können. 3 '' 8 So muß Ödipus, ohne es zu wissen, seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten. An dieser furchtbaren Schuld ist ödipus so unschuldig wie Äryaka, der nicht einmal selber den bösen König erschlägt. König oder Tyrann von Theben geworden, will ödipus, wie es seine Pflicht war, das Recht, will er den Mörder Laios finden und zwingt den Seher Teiresias schließlich, die Wahrheit zu sagen, 3 « so daß er erkennt, daß er selbst

VI. Periode, 5

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der Schuldige ist. E r vollzieht dann an sich selbst die Strafe, da ihn, den Tyrannen, ja kein Gericht belangen kann. Dem stelle man Dusyanta gegenüber, der als Despot sich selbst als den an der Schwängerung der Sakuntalä Schuldigen suchen und finden müßte, um seine Schuld aber nicht weiß, indessen erst am Ende des Dramas von seiner Schuldlosigkeit erfährt, und zwar durch den Seher Märica, das Gegenstück zu Teiresias. Einen wie ödipus sich selbst als Vatermörder, Mutterschänder und Thronusurpator entlarvenden und strafenden Despoten hat ein indischer Klassiker im Despotismus nicht auf die Bühne bringen können. Im Rechtsfall des Orest steht die vaterrechtliche Partei des Apollon gegen die mutterrechtliche der Erinnyen, und Athene setzt den Areopag ein und entscheidet als dessen Vorsitzende den Freispruch Orests. Gewiß wußten auch die alten Inder, wie schwer es ist, das Recht zu finden. 350 Inder und Griechen ließen Sophisten darüber streiten. Aber Inder hatten nicht wie Athener und insbesondere Äschylus das historische Bewußtsein, 351 daß sie stolz auf ihr demokratisches Recht sein konnten, das gentile Blutrache verdrängt und die Rechtsfindung auf maßhaltende weise Überlegung (sophrosyne) in der Diskussion vor einem demokratisch gewählten Gerichtshof gegründet hatte. 3 5 2 Während die Griechen in demokratischer Volksabstimmung ihre Rechtsbestimmungen annahmen, neben denen es aber auch noch priesterliche Sündesühnungen gab, 3 5 3 legten den Indern die Brahmanen das angeblich ewige Recht fest, neben dem es auch Sühne von Sünden, aber auch despotisches Recht und das traditionelle Recht der Dorfgemeinden gab. 354 Die indische öffentliche Meinung wagte nicht gegen diese Rechtssysteme aufzutreten, nur gegen einzelne Akte ungerechter Richter. Kein indischer Klassiker konnte das traditionelle Recht in Zweifel ziehen oder Recht mit Stolz als demokratische Neuerung feiern. Sie haben nicht einmal den damals bekannten Widerspruch von Rechts- und Staatslehre dramatisch behandelt. Ein ähnlicher Unterschied der Inder und Griechen liegt bei dem Motiv der Prophezeiung vor: Der indische Klassiker nimmt sie als gültig hin, der griechische aber zweifelt sie unter Umständen an, insofern sie z. B . in Zweideutigkeit gehüllt ist wie im Falle des ödipus. Die athenischen Demokraten waren ja in gewissem Maße politische Gegner des Orakels von Delphi, das sie als reaktionär empfanden, und das sicher mit Recht. Athenische Zuschauer waren demgemäß auch bereit, einen delphischen Spruch auf der Bühne gerechtfertigt oder bekämpft zu sehen, wie im Falle des Orest. 355 Das war im alten Indien mit seinen Despoten und Brahmanen undenkbar. Aber die athenische Sklavenhalterdemokratie war nicht etwa atheistisch oder sozialistisch; daher blieben die Klassiker in ihrer Haltung am Ende gottergeben, in einer inaktiven „Weisheit", wie im Falle des ödipus; sie waren weitgehend Fatalisten 3 5 6 wie ihre indischen Analoga und ließen auch den Zufall 3 5 7 eine Rolle spielen, wie z. B . ödipus zufällig Laios im Engpaß begegnet (beide sind auf dem Wege nach Delphi). Selbst der Rebell Prometheus des Äschylus mäßigt sich am Ende, und sein Gegner, der zunächst tyrannisch regierende Zeus, 19»

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VI. Periode, 5

mäßigt sich seinerseits, so daß eine Einigung beider im Sinne der Gottergebenheit des Dramatikers möglich wird. 358 Der rebellischen Haltung des Prometheus bei Äschylus ist andererseits die antidespotische der indischen Klassiker gegenüberzustellen, die im Falle des Äryaka und Cänakya mit der Ermordung des Despoten endet, scheinbar radikaler als die Haltung des Prometheus Zeus gegenüber. Aber eindeutig antidespotisch und in diesem Sinne demokratisch sind auch das Drama „Die Perser" des Äschylus und die „Antigone" des Sophokles. Erschlagen werden Könige wie Agamemnon, Ägisthos und Pentheus, der Tyrann ödipus blendet sich selbst, Eteokles und Polyneikes erschlagen sich bei Euripides im Bruderkampf, und Kleon verliert bei Sophokles dank seinem tyrannischen Auftreten seinen Sohn. So ist Tyrannenmord in dieser oder jener Form Thema der Dramen aller drei athenischen Klassiker der Demokratie, während der große indische Klassiker Kälidäsa in seinen Dramen dieses Thema nicht angepackt hat, und das, obgleich die Entschuldigung der altindischen Despotentötung in Epos und Drama auf der uralten indoeuropäischen Mythologie des Sieges der guten Götter über die bösen Widergötter fußte. Kälidäsa war eben als Hofdichter in der Gesellschaft gebildeter Städter des Despotismus zur dramatischen Gestaltung dieses Themas nicht bereit, nur in seinen beiden Epen folgte er bei Täraka und Rävana der alten mythologischen Tradition. Um so größer ist Südrakas :l39 Leistung in seinem bürgerlichen Drama gewesen. Kälidäsa hat allenfalls ein gewisses Mitleid mit seinen Despotengestalten, denn leiden müssen sie als Helden seiner Dramen. Darin ähneln sie den griechischen Dramenhelden. Auf dem Mitleid der Zuschauer beruht ja die kathartische Wirkung der griechischen Dramen, wie offensichtlich in ihrer Art auch die der indischen. Bei allen oben gestreiften Unterschieden der Schauspiele der Inder und der Tragödien der Griechen kann man die Theorie des Aristoteles von der Läuterung der Zuschauer durch Mit-leiden 360 der indischen Theorie von den Stimmungen, die der Dichter gestaltet und dem Zuschauer suggeriert, an die Seite stellen, d. h. beide Theorien in ihrer Weise für die Dramen beider Gesellschaften anwenden. Mag auch griechisches demokratisches Recht dem indischen orthodox-despotischen Recht, griechische demokratische Polis dem indischen despotischen Großreich gegenüberstehen, mag auch dem indischen Drama der Ursprung aus dionysischem, im Grunde demokratischem Erlösungsmysterium fehlen und Erlösungsstreben in ihm keine Rolle spielen, in der Klassik beider Gesellschaften gaben gebildete Städter den Ton an und konnten große Dramatiker den „Mißklang zwischen dem Individuum und seiner Umwelt" 3 6 1 in ihren Dramen zu bewältigen suchen, und das mit einem Humanismus, der den Höhepunkt des indischen und griechischen Altertums bildete und es den Dichtern ermöglichte, für den Gebildeten einen weltanschaulichen Standpunkt in diesen beiden Varianten der alten Klassengesellschaft zu finden. In diesen indischen und griechischen Dramen sind die Gestalten keine komplizierten Charaktere im heutigen Sinne, sondern Träger eines oder weniger, ihren Charakter bestimmender Grundzüge; im Indischen ist die Idealisierung

VI. Periode, 5

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aber weit ausgeprägter als im Griechischen. Andererseits ist die charakterliche Entwicklung der Gestalten im Griechischen besser gelungen als im Indischen, wenn man den ödipus des Sophokles mit dem Dusyanta und die Elektra des Äschylus, und die Iphigenie des Euripides mit der Sakuntalä des Kälidäsa vergleicht. Man hat beim indischen Drama, insbesondere beim IV. Akt des Urvasidramas, von seinem opernhaften Charakter gesprochen, in analoger Weise insbesondere bei dem euripideischen Drama „Die Troerinnen". Bei aller Unvollkommenheit des bisherigen Vergleichens der klassischen Dramen dürfte aber doch deutlich sein, daß gewissen Gemeinsamkeiten (Fatalismus, religiöse Ergebenheit, Glaube an Fluch und Prophezeiung, Rolle des Zufalls, Antidespotismus, Suche nach Schuld) bedeutende Unterschiede gegenüberstehen. Die griechischen Tragiker haben es wagen können, Fluch und Prophezeiung als Ursache der Schuld anzuzweifeln, ja sogar das Recht, insofern zwei sich widersprechende Rechte zur Schuld des Orest f ü h r t e n ; sie konnten auch die todbringende Eifersucht von Frauen als tragisch behandeln, insofern nämlich das allgemeine menschliche Verständnis dank ihrer Kunst die schwere Schuld dieser Frauen entschuldigen möchte, ganz zu schweigen von dem Antidespotismus als Ursache der Schuld des Prometheus. Ein Cärudatta dagegen ist kein antidespotisch-tragischer Held, sondern ein von einem mächtigen Nebenbuhler fälschlich des Mordes Angeklagter; Dusyanta leidet unschuldig durch Verfluchung seiner F r a u ; Purüravas leidet, weil er UrvasI einen minimalen Grund zur Eifersucht gab; Räksasa leidet, weil er einem starken Gegenspieler unterliegt; Sakuntalä leidet, weil sie wegen ihrer Verliebtheit verflucht wurde, UrvasI aus Eifersucht, Agnimitra und Mälavikä leiden aus ihrer Verliebtheit und Ungeduld, Pälaka wegen einer Prophezeiung und weil er ein Despot ist, unter dem Brahmanen verarmen. Ein solcher kurzer Versuch eines Überblicks macht uns deutlich, daß es sich bei den Griechen um ernstere gesellschaftliche Probleme handelt als bei den Indern, eben, weil die Demokratie es möglich machte und zugleich erforderte, daß die Dramatiker sie dem gebildeten Städtebürgertum zur Diskussion stellten. Für diesen Zweck verwendeten die Griechen die typisch griechische Form der Tragödie mit ihrem erschütternden Ausgang und mit den die moralischen Seiten der gesellschaftlichen Problematik erörternden und den Zuschauern erläuternden Chorgesängen. Insofern haben auch die griechischen Klassiker mitgeholfen, daß die Entwicklung von der demokratischen griechischen Polis schließlich zum Kapitalismus und Sozialismus führte, während die indische despotische Ständegesellschaft dank ihrer Reste der „asiatischen" Produktionsweise relativ stagnierte. Gerade dieser Vergleich aber zeigt, daß es notwendig ist, als altindischen Klassiker nicht nur den Hofdichter Kälidäsa herauszustellen, sondern seine Werke durch die stark gesellschaftskritischen antidespotischen Dichter Öüdraka, Visnusarman, Bhartrhari, Visäkhadatta, ja auch Häla, Välmlki und Vyäsa zu ergänzen. Auch dann noch ist aber zu bedenken, daß uns nur fünf klassische indische Dramen erhalten sind, ein Sechstel der erhaltenen griechischen.

Ausblick

1. Entwicklung

der Dichtung im

Feudalismus

a) Dichtung im frühen Feudalismus (500—1000 u. Z.) Die Entwicklung der indischen Dichtung zeigt keinen Bruch nach dem Ende der Guptazeit, vielmehr wurden alle Genres zunächst für etwa 500 Jahre im kävya-Stil weiter gepflegt. Es spricht z. B. nichts dagegen, den Liebeslyriker Amaru 1 mit seinen hundert Strophen aus dem 7. Jahrhundert u. Z. noch als Klassiker zu bezeichnen. Die Tradition der Kunstepen Asvaghosa-Kälidäsas setzten Bhäravi, Mägha, Bhatti, Kumäradäsa, Sriharsa, und andere 2 fort. Auf dem Gebiet der Prosaerzählung sind die damaligen Versionen des Pancatantra und der Brhatkathä 3 zu nennen. Sie schöpften aus dem unerschöpflichen Schatz der kurzen Erzählungen/ 1 der uns in dem Erzählgut der vorarischen Gentilgesellschaft und von der II. Periode an, später in Jätakas und Geschichten der Jainas greifbar wird. Vermutlich gehen manche Geschichten, wie sie in späteren Texten wie Vikramacarita, Vetälapancavimsati, Sukasaptati und Kathäsartisägara überliefert sind, schon auf den frühen Feudalismus zurück. Lassen sich schon von der V. Periode an literarische Beziehungen zwischen Indien und Iran 5 festeilen (ganz zu schweigen von Ost-Westbeziehungen im 3.-2. Jahrhundert v. u. Z.) u , so begannen im frühen Feudalismus der ausgedehnte Karawanenhandel und die Küstenschiffahrt die mündliche Übertragung der reichen Erzählungsliteratur vom Mittelmeergebiet bis Indien und weiter nach Südost- und Ostasien hin und her in allen Richtungen zu ermöglichen, so daß es bei vielen weit verbreiteten Märchen und Märchenmotiven bisher kaum möglich ist, ihr Ursprungsgebiet und ihre Wanderwege zu beschreiben. Zum damaligen indischen Erzählgut gehören sicher die Geschichten, deren Versionen sich in Dandins „Leben der zehn Prinzen" eingeschaltet 7 finden. Dieses einzigartige Werk (s. u.) aus dem 7. Jahrhundert und ein paar andere längere Prosaerzählungen von Subandhu und Bäna werden meist Romane genannt. 8 Von diesen ist Bänas Harsacarita eine mehr oder weniger historische Biographie des berühmten Königs Harsa in Prosa; sie ist formal an die Nidänakathä, die Prosabiographie Buddhas, 9 anzuschließen. Zwei andere Werke sind märchenhafte Liebesgeschichten. Die Tradition der Dramatik schließlich wurde von Harsa, Bhavabhüti und anderen fortgesetzt. 10 Eine literarische Einschätzung dieser Masse von Werken ist mangels geeigneter Vorarbeiten noch nicht möglich. Man spricht gern von einer Verflachung des Inhalts und Verfeinerung der Form; dies trifft aber auf Daijdin nicht zu.

Ausblick, i a

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N u r ü b e r D a n d i n s „ L e b e n d e r zehn P r i n z e n " sei, obgleich es schlecht ü b e r liefert ist, folgende Skizze g e w a g t . D e r F o r m n a c h ist dies B u c h eine S t e i g e r u n g ü b e r d a s P r o s a k ä v y a P a n c a t a n t r a hinaus, n u r h a t es eine einzige R a h m e n geschichte, die die A b e n t e u e r jedes der zehn P r i n z e n in e i n e m b e s o n d e r e n B u c h i n n e r h a l b dieses u m f a s s e n d e n R a h m e n s b e h a n d e l t , n i c h t f ü n f v o n e i n a n d e r u n a b hängige R a h m e n g e s c h i c h t e n wie das P a n c a t a n t r a . Wie dieses h a t es a b e r S c h a l t geschichten i n n e r h a l b der zehn A b e n t e u e r e r z ä h l u n g e n . E s e n t h ä l t indessen keine moralisierenden Verse wie jenes, u n d seine P r o s a ist sehr viel k u n s t v o l l e r als die des P a n c a t a n t r a . Die R a h m e n g e s c h i c h t e d e r zehn P r i n z e n h ä n g t in r e c h t k o m p l i z i e r t e r Weise m i t der im K a t h ä s a r i t s ä g a r a überlieferten Geschichte des M r g ä n k a d a t t a zus a m m e n u n d k ö n n t e z u m Teil a u s a l t e r E p i k s t a m m e n . 1 1 Sie g e h t u . a . auf d e n A r c h e t y p u s des R ä m ä y a n a z u r ü c k , insofern a m E n d e ein P r i n z als O b e r k ö n i g m i t den n e u n a n d e r e n P r i n z e n als U n t e r k ö n i g e n ein ideales Großreich l e n k t , eine W e i t e r b i l d u n g der vier K ö n i g e K u s a usw. 1 2 Dieses R e i c h u m f a ß t ä h n l i c h d e m der G u p t a s n u r N o r d i n d i e n m i t M a g a d h a als H a u p t m a c h t . E s ist eine A r t I d e a l in der f ü r d e n F e u d a l i s m u s t y p i s c h e n Z e r s p l i t t e r u n g I n d i e n s , einstweilen u n d a t i e r b a r u n d w e i t g e h e n d sicher D a n d i n s eigene E r f i n d u n g . 1 3 E r h a t die L e b e n s l ä u f e seiner H e l d e n ebenfalls zu einem großen Teil e r f u n d e n , a b e r u n t e r B e n u t z u n g ä l t e r e r Motive u n d M o t i v k e t t e n , wie z. B . a u s d e m V i r ä t a p a r v a n d e s M a h ä b h ä r a t a , a u s einem w e i t v e r b r e i t e t e n M ä r c h e n oder a u s S ü d r a k a s „ I r d e n e m W ä g e l c h e n " . W i c h t i g ist u n t e r i h n e n d a s K a p i t e l des edlen R ä u b e r s , des P r i n z e n A p a h ä r a v a r m a n , der bisher ä l t e s t e n b e k a n n t e n V a r i a n t e des R o b i n H o o d , K ö r o g l u oder F r a n z Moor. 1 5 Dieser K s a t r i y a h a n d e l t e irgendwie n a c h der M a x i m e M a n u s V I I I , 19, d a ß es g u t sei, d e n Bösen ihr G u t zu n e h m e n u n d es den G u t e n zu geben, n u r d a c h t e M a n u d a b e i n i c h t a n einen W e l t v e r besserer, sondern folgte als K o n s e r v a t i v e r d e r u r a l t e n s t ä n d i s c h - a r i s t o k r a t i s c h e n Vorstellung, d e r B r a h m a n e d ü r f e als Ä r y a d e m S ü d r a f o r t n e h m e n , was er f ü r seine R i t e n brauche, 1 6 bzw. der K ö n i g solle es i h m geben. Alle diese P r i n z e n D a n d i n s sind i m K e r n W e l t v e r b e s s e r e r ; j e d e r von i h n e n e n t t h r o n t als eine n e u e A r t W a n d e r h c l d einen bösen D e s p o t e n u n d g e w i n n t d a m i t dessen Reich. I n rigoroser Gesellschaftskritik schildert D a n d i n alle h e r r s c h e n d e n K ö n i g e als schlecht, ihre D y n a s t i e n als sittlich v e r d o r b e n , wie es j a a n sich z u m K a l i w e l t a l t e r gehört, u n d l ä ß t sie d u r c h seine P r i n z e n als H e i l a n d e ersetzen, die n u n ein geradezu chiliastisches W e l t r e i c h , eine K o n f ö d e r a t i o n g a n z N o r d i n d i e n s , g r ü n d e n , eine bei all ihrer U t o p i e gewaltige zentralistische Vision. Diese W e l t v e r b e s s e r e r a b e r sind keine T u g e n d h e l d e n , s o n d e r n w e n d e n K a u t a l y a s skrupellose P o l i t i k b e d e n k e n l o s a n , a b e r sie sind zugleich R e p r ä s e n t a n t e n einer sivaitischen Mitleidsreligion, m i t der der D i c h t e r K a u t a l y a s Despotenideologie verbessern wollte. Diese Religion ist a b e r n i c h t jenseitig a u s g e r i c h t e t ; n i c h t E r l ö s u n g spielt in diesem R o m a n eine Rolle, s o n d e r n diesseitiger Chiliasmus. Die P r i n z e n sind Menschen v o n Fleisch u n d B l u t ; sie zeigen ihre S t ä r k e auf d e m Gebiet d e r k a u t a l y a s c h e n Politik u n d der Liebe. Sie alle gewinnen als Meister der Liebes- u n d S t a a t s l e h r e m i t ihren T h r o n e n zu-

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gleich Prinzessinnen. Diese Verbindung von Liebe und Politik (käma und artha) im Leben des Königs geht zumindest auf Välmikis Gestaltung Dasarathas, Rämas, Rävanas und Välin-Sugrivas 17 zurück, wenn nicht auf noch ältere Dichtung. Diese vier epischen Herrscher über Menschen, Affen und Dämonen lassen sich in ihrer Politik weitgehend durch Liebe zu einer Frau leiten; nur im Archetypus wurde dem bei Räma hinzugefügt, daß er umgekehrt aus politischen Gründen sich von seiner geliebten Frau trennte, d. h. seine Liebe durch Politik beeinflussen ließ. Bei Kälidäsa war dies dann kein ernstes Problem gewesen, allenfalls bei Lüstlingen wie Agnimitra und Agnivarna. I m Mrcchakatika aber war die Liebesgeschichte des Cärudatta bewußt und kunstvoll mit der politischen Handlung verknüpft worden. Daran hat Dandin sozusagen angeknüpft und bei den zehn Prinzen dies Thema in seiner großen Vielseitigkeit, man möchte sagen, abgehandelt, 18 und zwar in der Linie Kautalyas, daß der König es verstehen muß, die Ziele des Menschen, neben Rechtlichkeit vor allem praktischen (im Falle der Prinzen politischen) Erfolg, nicht durch Liebe gefährden zu lassen. Auch die antidespotische Gesellschaftskritik Dandins hat im Mrcchakatika ihren Vorläufer und erlaubt ihm ebenso wie Südraka, das gesellschaftliche Leben der Klassengesellschaft mit all seinen Gemeinheiten mit buntem Humor zu schildern; man möchte diesen in die Geschichte der uralten Mimesis von der vorarischen Gentilgesellschaft an als vielleicht ihren klassischen Höhepunkt in der Literatur des alten Indiens einordnen. 19 Dandins offener Blick für die bittere Wirklichkeit ist zugleich aber mit Mitleid gepaart: Jeder seiner Helden trifft zufällig — oder schicksalsmäßig — als Wanderheld neuen Typs einen Leidenden, bietet sich ihm sogleich als Helfer an und gelangt damit in seine Abenteuer und dank seiner Lebensklugheit zu seinen Erfolgen. I n dieser Weise wollte der Sivait Dandin wie in anderer Weise Visäkhadatta 2 0 über Kautalya hinausgelangen. Zu seiner Frömmigkeit gehört weiter sein Fatalismus. War dieser bei Visäkhadatta ein Problem in seinem politisch-theoretischen Drama gewesen, so hat Dandin gezeigt, daß man zwar nicht schwächlicher Fatalist sein darf, daß aber die größere oder geringere Rolle des Schicksals oder Zufalls im gesellschaftlichen Leben nicht abzustreiten ist. 21 So entstand dieses unterhaltende, zum Denken anregende, die Wirklichkeit kritisch widerspiegelnde und letzten Endes utopisch-idealistische Werk, das die gebildeten Städter begeistern mußte, die im frühen Feudalismus mit seinem fortgehenden Welthandel immer noch Grund sowohl zu Lebensbejahung und utopischer Hoffnung als auch zu Sorge wegen der politischen Zersplitterung Indiens und des Despotismus hatte. Man möchte auch diesen Roman noch klassisch nennen! Dandin ist gleichzeitig als Verfasser einer Poetik berühmt, die sich in manchen Einzelheiten gegen die des Bhämaha wandte; wenn man von einem Kapitel in Bharatas Dramatik absieht, 22 stehen diese beiden als erste uns erhaltene Werke der indischen Poetik da. Bhämaha verband Poetik mit Grammatik und Logik,2:5 d. h. die Lehren des sprachlich Schönen mit denen des sprachlich Richtigen und des denkerisch Richtigen. Dandin prunkte mit der Vielfalt der Möglich-

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keiten dichterischen Ausdrucks in Vergleichen, Hyperbeln und anderen Figuren. Um 800 aber erhob der Poetiker Vämana die Forderung, daß der Dichter die Wissenschaften beherrschen müsse, Poetik, Grammatik und Metrik, vor allem die Lehren der Liebe und der Politik. 24 I n der Betonung der Notwendigkeit der Liebes- und Staatslehre war er ein Theoretiker nach den Praktikern, wie es insbesondere Välmiki, Kälidäsa, ¡Südraka und Dandin gewesen waren; er h a t t e recht, wenn auch diese beiden Lehren damals noch nicht in unserem Sinne Wissenschaften waren. Immerhin forderte er damit eine richtige, sachlich dem damaligen Stande der Wissenschaft entsprechende Darstellung durch den Dichter und war damit sozusagen ein früher naiver Vorläufer des sozialistischen Realismus, der heute auf höherer Ebene dieselbe Forderung erhebt. Bis zum Ende dieser Periode war aber auch die andere Seite der altindischen Poetik ausgebildet, die sich mit der dichterischen Einbildungskraft befaßte. Danach ist der Dichter eine Art weltlicher Yogi, der in geistiger Schau seinen Stoff, sei er lyrisch, dramatisch oder episch, sieht und widerspiegelt. Er sieht die Wirklichkeit (und sei sie nur eine ideelle) vermeintlich in wahrer Weise, wie es schon die priesterlichen Dichter des Rgveda von sich behaupteten und wie es die vorarische Gentilgesellschaft noch heute glaubt. 2 5 Altindische Poetik kennt demgemäß den Begriff der Fiktion nur bei Kleinigkeiten dichterischer Ausschmückung, gewissen traditionellen Punkten, die auf dem „Übereinkommen der Dichter" beruhen, w7ie z. B. daß der Cakoravogel nur vom Mondschein lebe, was zwar nicht richtig ist, aber poetisch sein soll.20 Dabei gilt dem Poetiker als das Wesentliche die Stimmung, die der Dichter erlebt und in die er den sein Werk Genießenden zu versetzen versteht; das Eigentliche der Dichtung ist ihnen beiden, dem Schaffenden und dem Aufnehmenden, ja nicht die dargestellte Handlung, sondern das Unausgesprochene, Angedeutete, das künstlerisch Erlebte. Damit charakterisierten die Theoretiker in ihrer Weise ein wesentliches Element der indischen Dichtung, das sie von den griechischen Theoretikern unterscheidet. Nicht der Ernst der Handlung und der mit ihr angeschnittenen sittlichen Probleme, die soziale Seite der Weltanschauung galten ihnen als das Aufgabengebiet der Dichtung, sondern das Sentimentale, und zwar nicht nur in Lyrik, sondern auch in Epik und Dramatik. 2 7 Blickt man auf Europa, so ist phaseologisch der Roman erst hellenistisch, d. h. nachklassisch und zumindest spät wie in Indien, und dies gilt in gewisser Weise auch f ü r die Poetik, die bei Aristoteles das klassische Drama voraussetzt. Stellt man neben die oben erwähnten Romane noch die tamilischen Werke Silappadikaram und Manimekhalai vermutlich aus ungefähr denselben Zeiten des 6 . - 7 . Jahrhunderts u. Z., 28 so ist es verlockend, die Romane und Liebesgeschichten Altindiens und des Hellenismus im einzelnen zu vergleichen, um unter anderem herauszufinden, warum in diesen relativ späten Zeiten ein besonderes gesellschaftliches Bedürfnis nach derartiger Literatur bestand.

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b) Dichtung im späten Feudalismus (1000—1800 u. Z.) In diesen acht Jahrhunderten wurden weitere, noch unübersehbare Mengen von Werken der Dichtung in Sanskrit verfaßt, und zwar in allen überkommenen Genres, von Dichtern, die an Höfen und unter gebildeten Städtern wirkten, an Tempeln und in Einsiedeleien, aber auch in Volkssprachen von Dichtern der Bauern und noch überlebenden gentilen Stämme. Man kann sich im allgemeinen des Eindrucks des Stagnierens nicht erwehren, wenn man z. B. ein Drama wie Räjasekharas Karpüramanjarl mit Kälidäsas Mälavikädrama vergleicht; der alte Typ der Liebesgeschichte ist mit einem neuen Trick, mit dem die Lebenden die eifersüchtige Königin täuschen, zu etwas nur scheinbar Neuem umgestaltet worden. 29 Sicher aber hat es auch damals dichterische Begabungen gegeben; dafür pflegt man Jayadeva mit seinem Gltagovinda 3 0 anzuführen. Auf dem Gebiet der Lyrik waren damals die Anthologien, deren uns mehrere erhalten sind, 31 etwas Neues. Man hat versucht, sie als typisch für den Geschmack der „Patrizier" des Feudalismus nachzuweisen, insofern ihre Strophen vor allem die Themen der Liebe und der Religion behandeln. 32 Aber auch das Sammeln an sich muß mit der Weltanschauung dieser späten, stagnierenden Zeit zusammenhängen. Für uns Heutige besonders interessant sind einige, bisher nicht genau datierte anonyme Sammlungen kurzer Erzählungen, eingebettet in je eine Rahmengeschichte, also nach dem Muster des Pancatantra und ebenfalls in Prosa mit eingestreuten Versen moralisierenden Inhalts verfaßt, sehr geistreich erzählt und wie dieses sehr gesellschaftskritisch gemeint: die siebzig Geschichten des Papageis, die 25 Geschichten des Totengeistes und die 32 Geschichten des Thrones des Vikrama. 3 3 Zu diesen möchte man noch den Kathäsaritsägara des Somadeva 3 4 in epischen Versen stellen. Die Sammlungen und die einzelnen Erzählungen sind über Asien und teilweise Europa hin weit verbreitet; für diese Art gesellschaftskritischer Literatur gab es eben im damaligen Feudalismus überall reges Interesse, und die See- und Karawanenkaufleute trugen sie weithin. Auf weite Strecken Innerasiens werden ihnen buddhistische Wandermönche mit dem Vortrag ihrer J ä t a k a s die Wege geebnet haben. Diese Sammlungen sind von verschiedenen Standpunkten aus verfaßt. Die Vikramageschichten 35 verherrlichen diesen sagenhaft selbstlosen König, der (in politisch nicht zu rechtfertigender Weise) 30 einzelnen bedürftigen Brahmanen in maßloser Freigebigkeit alle möglichen Kostbarkeiten, ja, sein Leben zu geben bereit ist; er ist ein sivaitisches Gegenstück zu den Bodhisattvas des Mahäyäna. — Die Erzählungen des Papageien 3 7 berichten zum überwiegenden Teil schmunzelnd vor Frauen aller Art, die, beim Ehebruch ertappt, sich schlau herausreden, weil ihre Männer, Bauern und Handwerker, Kaufleute, Dorfschulzen oder gar Radschputen, 3 8 sehr dumm sind. Diese zynische Haltung sticht deutlich von der Haltung der alten episch-dramatischen Literatur ab, in denen Frauen den Männern keinen Grund zur Eifersucht 3 9 gaben. Die Lebens-

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f r e u d e u n d antipatriarchalische Gesellschaftskritik dieser S a m m l u n g ist als etwas sehr Positives zu deuten. — Die Geschichten des Totengeistes sind noch nicht auf einen Nenner zu bringen: B r a h m a n e n u n d Könige werden bald als edel, bald als böse hingestellt, K a u f l e u t e eigentlich nie gelobt. E s k a m d e m Sammler mehr auf eine witzige (nicht moralische) W e n d u n g a m Schluß jeder Geschichte a n . Somadevas „Ozean der Märchenströme" ist eine riesige S a m m l u n g von fast 500 kunstvoll ineinander geschalteten Erzählungen. Sie geht auf die noch reichlich rätselhafte B r h a t k a t h ä 4 0 zurück; Somadevas W e l t a n s c h a u u n g ist noch nicht greifbar. Dem Dichter k a m es vor allem auf das elegante, ganz k n a p p e Erzählen unendlichen Stoffes an. Die H a u p t h a n d l u n g geht letztlich auf R ä m a s Trennung von Sita zurück, aber der Held wird vom Menschen z u m Geisterweltkaiser; bei ihm u n d bei anderen Geistern (vidyädharas) als H e l d e n des Dichtwerks verbindet sich Z a u b e r m a c h t im K a m p f mit unerschöpflicher Liebeskraft (er gewinnt der Reihe n a c h 26 Frauen), worin m a n eine F o r t f ü h r u n g der Verbindung von Liebe u n d Politik bei Südraka u n d D a n d i n sehen k a n n . Man d e n k t auch an die verliebten Geister in buddhistischen J ä t a k a s u n d an den Wolkenboten des liebenden Yaksas bei Kälidäsa. 4 1 Man k a n n dieses W e r k das indische Analogon zu 1001 N a c h t nennen, u n d in der T a t haben beide Riesenwerke ein g u t Teil Motive u n d Geschichten gemeinsam, j a diese lassen sich z u m Teil noch weiter westlich in Byzanz nachweisen u n d sind gelegentlich bis in die damalige westeuropäische Erzählliteratur gelangt, gehören also zu den westöstlichen Gemeinsamkeiten dieser Zeiten des Feudalismus, die teilweise in Märchen bis heute bei uns lebendig geblieben sind, teilweise — d e m F e u d a l i s m u s entsprechend — ausgesprochen ritterlichen Charakter tragen. 4 2 An anderer epischer L i t e r a t u r dieser Zeit sei n u r noch Bilhanas „Leben des V i k r a m ä n k a " erwähnt, weil in dessen Einleitung der Dichter erzählt, wie er nach langen W a n d e r j a h r e n schließlich H o f d i c h t e r wurde. Ähnlich mag es schon Kälidäsa ergangen sein, u n d m a n denkt a n W a l t h e r von der Vogelweide u n d seinesgleichen. Andere Werke derselben Zeit lassen uns sehen, wie m a n die D i c h t k u n s t praktisch (nicht nach der Lehre der Poetiker) lernte u n d sich im W e t t k a m p f der Dichter zu bewähren hatte. 4 3 Neben der im wesentlichen — aber mit A u s n a h m e n ! — stagnierenden Sanskritdichtung begann eine vielfältige Dichtung in mehreren Vorläufern der heutigen sogenannten Nationalsprachen. Diese wurden u. a. f ü r die religiöse Dichtung der neu a u f b l ü h e n d e n Sekten, dieser damaligen sozialen R e f o r m bewegungen in religiösem Gewände 4 '" b e n u t z t u n d u m f a ß t e n Lyrik u n d E p i k . Einige der alten sanskritischen E p e n u n d P u r a n e n wurden f ü r diese neue Religionsform der bhakti in die neuen Sprachen umgedichtet, inhaltlich a n den Feudalismus a d a p t i e r t . U n t e r diesen ist die Neufassung des R ä m ä y a n a d u r c h Tulsidäs hervorzuheben, die noch heute gläubige H i n d u s zu T r ä n e n r ü h r t u n d von m a n c h e n hoch über Välmikis E p o s gestellt wird. U n t e r L y r i k e r n ist zumindest der Weber K a b i r zu nennen, dessen f r o m m e Gedichte einen Genius wie Tagore zu N a c h d i c h t u n g e n gereizt haben, w ä h r e n d sie noch h e u t e sogar von

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Bauern rezitiert und in heutiger Volksdichtung nachgebildet werden/' 5 Hierher gehört auch der oben erwähnte Jayadeva. 4 6 Diese Vorformen der Nationalsprachen wurden aber auch für eine weltliche, ritterliche Epik verwendet, wie z. B . Hindi für die epische Dichtung des Chand Bardai, des Barden des Prthivlräj, des heldischen Streiters gegen die Mohammedaner im 12. Jahrhundert. E r besang dessen Leben mit seinen Kämpfen gegen die fremden Eroberer, aber auch mit seiner romantischen Liebe, mit der Entführung der Prinzessin Samyogitä, der Tochter seines hinduistischen Feindes Jayacandra. Dieser Typ des Barden eines Radschputen, eines typischen Ritters und Feudalherren, war neu gegenüber den altindischen Barden; er steht neben dem Hofdichter von der Art des Bilhana. 4 7 E s entfaltete sich in dieser Periode eine riesige Radschputenepik. Diese ist ein gewisses Analogon zur ziemlich gleichzeitigen westeuropäischen Heldenepik um 1200 mit Christian de Troyes, Hart mann von der Aue, Gottfried von Straßburg, Wolfram von Eschenbach, dem Nibelungenlied, der Thidreksaga und der Edda. Aber diese indische Epik behandelt gleichzeitige Kämpfe, die europäische dagegen u. a. Kämpfe des 5. Jahrhunderts, d. h. der Heroenzeit der germanischen Kämpfe gegen die Hunnen. Die Einbrüche der Mohammedaner nach Indien würden indessen eher den Kämpfen der Spanier gegen die Araber entsprechen, in denen sich um 1100 der Cid hervortat, der bereits um 1140 in einem Heldenepos besungen wurde. Wie dem auch sei, zu Beginn der Zeit des entwickelten Feudalismus schufen Westeuropäer eine Heldenepik, die als diachronisches Analogon der griechischen Heldenepik im Laufe eines halben Jahrtausends aus den epischen Liedern ihrer Hunnenkämpfe erwuchs, und unter ihrem Einfluß konnten die Spanier den Cid unmittelbar nach seinen Taten in einem Heldenepos besingen. Diese Epik ist aber auch von der antiken abhängig. Das diachronische Analogon dieser feudalen Heldenepik im Verhältnis zur antiken griechischen Heldenepik steht übrigens neben dem spätfeudalen Drama in Europa, das sich ebenfalls in diachronischer Analogie zum griechischen Drama entwickelte, und zwar aus Mysterienspielen und Schwänken, aber auch beeinflußt durch antike Dramatik. So ist auch diese feudale indische Heldenepik von der altindischen beeinflußt, und sie ist auch in eingeschränktem Sinne ein diachronisches Analogon zur altindischen Heldenepik, da es j a auch in Indien einen Übergang zum Feudalismus, wenn auch ohne Bruch gegeben hat. So problematisch diese wichtigen Fragen einstweilen sind, bedeutende Kämpfe, man möchte sagen, nationalen Charakters, haben hier und dort Heldenepik ausgelöst, die in den Massen eine Art feudales Nationalbewußtsein schaffen sollte und zugleich einem solchen im Interesse des Kriegeradels entsprang. Daneben blühte an islamischen Fürstenhöfen Indiens eine höfische Dichtung in Persisch, die auch zur persischen Dichtung gezählt wird.

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2. Entwicklung im Kapitalismus',8 1765 erhielt die E a s t India Company vom Mogulkaiser die H e r r s c h a f t über Bengalen verliehen. Von d a an war Bengalen das L a n d Indiens, in d e m die kolonialistisch-kapitalistische Entwicklung a m schnellsten fortschritt. Dort f a n d e n dementsprechend A n f a n g des 19. J a h r h u n d e r t s auch moderne wissenschaftliche Erkenntnisse von E n g l a n d her, d e m damals fortgeschrittensten kapitalistischen L a n d , u n d dessen bürgerliche Ideologie a m schnellsten Eingang, u n d es begann eine Variante der bürgerlichen A u f k l ä r u n g (nicht m e h r n u r Glauben an V e r n u n f t ) zugleich mit einer V a r i a n t e der R e f o r m a t i o n (Rückorientierung der hinduistischen Religion von feudalistischer Orthodoxie auf die Upanishaden) u n d der Renaissance (soziale R ü c k b e s i n n u n g auf das A l t e r t u m zur Abschaffung von W i t w e n v e r b r e n n u n g u n d anderen feudalistisch-orthodoxen Unsitten). 4 9 R a m Mohan R o y u n d seine F r e u n d e waren die V e r t r e t e r des damals beginnenden bengalischen kapitalistischen B ü r g e r t u m s , die zugleich diese kulturellen Bewegungen schufen. Aber es k a m noch zu keiner a u f k l ä r e rischen Dichtung (abgesehen vielleicht etwa von Derozios Lyrik). Mit der E n t t ä u s c h u n g ü b e r die Mißerfolge der indischen V a r i a n t e des beginnenden Kapitalismus begann gesetzmäßig in der Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s die bengalische F o r m der R o m a n t i k , zugleich u n t e r literarischer Beeinflussung durch die europäische, insbesondere durch A d a p t i e r u n g von Scotts I v a n h o e . B a n k i m C h a t t e r j e e schuf die ersten bengalischen R o m a n e . Genauer sollte m a n wohl sagen: B a n k i m C h a t t e r j e e ist im 19. J a h r h u n d e r t das phaseologische bengalische Analogon zu der in E u r o p a in das 18. J a h r h u n d e r t zu datierenden, in sich sehr komplizierten P r ä r o m a n t i k ; 5 0 er ist aber gleichzeitig von d e m n u r eine Generation älteren R o m a n t i k e r W . Scott beeinflußt. U m die J a h r h u n d e r t wende folgte d a n n der erste, sozusagen klassische Realismus mit R a b i n d r a n a t h Tagore, dem Genie auf allen Gebieten der L i t e r a t u r in Lyrik, E p i k u n d D r a m a t i k . E r ist nämlich phaseologisch ein bengalisches Analogon zu Goethe, ein J a h r h u n d e r t später als dieser, insofern die analoge sozial-ökonomische Lage in Tagores Bengalen u n d Goethes Deutschland eine analoge W e l t a n s c h a u u n g , wie u. a. eine A r t W e l t b ü r g e r t u m mit ästhetisierendem P a n t h e i s m u s u n d Ansätzen zur Gleichberechtigung der F r a u bedingte. 5 1 Man k a n n bei Tagore aber auch schon — u n d zwar u n t e r englischem Einfluß — Ansätze zu kritischem Realismus finden, der d a n n in den folgenden J a h r z e h n t e n in Bengalen u n d weiter in Gesamtindien die eine wichtige R i c h t u n g der D i c h t u n g bildete, w ä h r e n d daneben R o m a n t i k (nicht mehr P r ä r o m a n t i k ) verschiedener F o r m e n einherging, o f t in schwer zu entwirrender Mischung mit Realismus. D a n e b e n gab es N a t u r a lismus, u n d im politisch befreiten Indien begannen in den fünfziger J a h r e n die ersten Ansätze von sozialistischem Realismus. I n n e r h a l b dieser Entwicklung der neueren L i t e r a t u r bedeuten die J a h r e 1917, 1936 u n d 1947 gewisse Einschnitte, so daß sich eine Periodisierung der gesamtindischen Literaturgeschichte der letzten 150 J a h r e in einigen Grundzügen

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bereits erahnen läßt. Das eben erwähnte J a h r 1917 hat mit der großen sozialistischen Oktoberrevolution auch auf die indische Literatur gewirkt; 52 1 936 schlössen sich die fortschrittlichen Schriftsteller Indiens zum ersten Male zusammen, und der realistische Hindidichter Premchand — von gesamtindischer Bedeutung wie Tagore — konnte ihnen noch präsidieren. 53 1947 schließlich, das J a h r der politischen Befreiung Indiens, mußte auch auf die Dichtung wirken und t a t es in vielen Hinsichten, u. a. setzte bald danach eine allgemeine E n t täuschung ein, weil die hochgespannten sozialen Ziele der Befreiungskämpfe nicht erreicht wurden. Insofern ist das J a h r 1947 für Indien ein hundert J a h r e späteres Analogon zum J a h r 1848 für Deutschland, dem J a h r unserer nicht zu Ende geführten bürgerlich-demokratischen Revolution. 54 Sogesehen ist die indische Literatur von 1936 bis 1947 ein ein Jahrhundert jüngeres Analogon zur deutschen Literatur des Vormärz, d. h. der J a h r e 1830 bis 1848.55 Damals handelte es sich bei uns um eine Weltanschauungskrise innerhalb des Werdensprozesses des jungen nationalen Bürgertums gegen die Mächte des Feudalismus. Man unterscheidet in ihr mehrere „Strömungen", die aus den komplizierten Klassenverhältnissen abzuleiten sind; es waren ja nicht alle Dichter damals so politisch engagiert wie Georg Weerth, Heine und Büchner, die schon die bürgerliche Revolution von den Problemen der sozialistischen (proletarischen) Revolution überlagert sahen. Aber auch die „unpolitischen", wie Droste-Hülshoff und Möricke, Grillparzer und Gotthelf, standen in ihrer Weise in Opposition zum feudalistischen Erbe. Analog kompliziert war die Literatur Indiens zwischen 1936 und 1947, und ein für jene Epochen typischer Roman wie „Wally, die Zweiflerin" (1835) von Gutzkow läßt sich mit seiner ideologischen Problematik weitgehend neben sein ein Jahrhundert jüngeres indisches (genauer marathisches) Analogon, N. S. Phadkes Roman „Leaves in the August Wind" (1943) stellen, beide kurz vor 1848 bzw. 1947 entstanden, 5 6 beide auf den Klassizismus Goethes bzw. Tagores, auf Romantik und Beginn des Realismus (s. o.) folgend. Dabei aber ist zu bedenken, daß Gutzkow und das „Neue Deutschland" etwa gleichzeitig mit dem „Jungen Bengalen" der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war. Diese politisch-literarische Bewegung war eine indische Nachbildung jener europäischen. 57 Andererseits war die indische Literatur von 1936 bis 1947 58 u. a. auch durch die sozialistische Literatur Europas beeinflußt und nicht nur ein typologisches Analogon zum Vormärz. Das sehr komplizierte Zusammenfallen der verschiedenen typologisch-phaseologischen und genetisch-kontaktologischen Analogien macht die Anwendung der vergleichenden Literaturgeschichte hier wie auch sonst schwierig; die Literaturgeschichte wird aber erst bei so komplizierter Arbeitsweise der Wirklichkeit gerecht. Gutzkows späterer Roman „Die Ritter vom Geiste" (1851), ein sozusagen nachmärzliches Werk der Enttäuschung nach 1848, läßt sich weiter thematisch mit Huthi Singhs „Maura" (1951) vergleichen, 59 was die Auffassung der J a h r e 1848 und 1947 als Analoga bestätigt. Dabei ist dieser indische Schriftsteller ebenso utopisch-scheinoptimistisch im Glauben an die Fortschrittlichkeit gewisser Feudalherren wie etwa der Ungar Mor Jokai in seinem nachmärzlichen

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R o m a n „Ein ungarischer N a b o b " (1853), der in dieser Hinsicht ein ein J a h r h u n d e r t älteres phaseologisch-typologisches Analogon zu „ M a u r a " ist. Dieser k n a p p e Überblick über die Geschichte der neueren L i t e r a t u r wirft mehrere große Probleme auf. Mit dem Kapitalismus, der j a den W e l t m a r k t u n d d a m i t u. a. die Weltliteratur schuf, 0 0 t r a t auch die indische L i t e r a t u r in die Weltliteratur ein, wenn m a n diesen Begriff in dem Sinne versteht, d a ß von 1850 an die indische L i t e r a t u r sich z. T. von der europäischen abhängig entwickelte. I n anderem Sinne war aber auch die ältere indische L i t e r a t u r bereits ein Teilgebiet der Weltliteratur gewesen, insofern sie sich im R a h m e n der Menschheitsliteratur aus eigener Gesetzmäßigkeit (wie oben a n g e d e u t e t , etwa in Analogie zur altgriechischen oder europäisch feudalen Literatur) entwickelt h a t t e . Dabei ist aber zu bedenken, daß einerseits auch die alte L i t e r a t u r Indiens von den frühesten Zeiten an in gewissen Wechselbeziehungen mit N a c h b a r l i t e r a t u r e n gestanden h a t t e , 0 1 daß andererseits aber auch innerhalb der kapitalistischen Weltliteratur die indische Dichtung in gewissem A u s m a ß e ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung folgte, wie es oben bei B a n k i m C h a t t e r j e e u n d R a b i n d r a n a t h Tagore angedeutet ist. Beides, die bodenständige E n t wicklung u n d die N a c h a h m u n g außerindischer Vorbilder im Prozeß der E n t wicklung der indischen L i t e r a t u r innerhalb der Weltliteratur, ist durch die Methode der vergleichenden Literaturgeschichte 6 2 nachzuweisen u n d verständlich zu machen. Ü b e r n a h m e fremden L i t e r a t u r g u t e s u n d außerindischer L i t e r a t u r s t r ö m u n g e n sind ja f ü r indische Dichter h e u t z u t a g e n u r möglich, weil die sozial-ökonomische Entwicklung des K a p i t a l i s m u s den Boden d a f ü r bereitet h a t , daß die Dichter als Ideologen der verschiedenen Klassen Indiens von ausländischen Dichtungen Elemente ü b e r n e h m e n können, die ihnen f ü r die Ausgestaltung ihrer Ideologie jeweils passend bzw. notwendig zu sein scheinen. E s gilt also, den P l a t z der heutigen indischen L i t e r a t u r innerhalb der sich in einem sehr komplizierten Prozeß entwickelnden Weltliteratur zu b e s t i m m e n . E s lassen sich einmal die Literaturen der imperialistischen L ä n d e r von denen der sozialistischen u n d auch von denen der Entwicklungsländer unterscheiden. Z u m anderen m u ß nach der sozialen u n d ideologischen F u n k t i o n der einzelnen Literaturen unterschieden werden. Die L i t e r a t u r , die ideologisch eindeutig die Position der herrschenden Klassen im Imperialismus v e r t r i t t , propagiert mit ihren neuen F o r m e n , wie der des absurden Theaters, des „neuen R o m a n s " u n d anderer modernistischer L i t e r a t u r , Irrationalismus. Dieser Irrationalismus, Skeptizismus u n d Pessimismus des seinem E n d e entgegengehenden K a p i t a l i s m u s steht im schärfsten Gegensatz zum sozialistischen Realismus, der das Wesen der D i c h t k u n s t in den sozialistischen Ländern b e s t i m m t u n d vom Dichter verlangt, die gesellschaftliche Wirklichkeit mit den Methoden der Wissenschaften zu studieren, um sie richtig in ihrer Entwicklung mit ihren aktuellen Problemen, mit ihren zur A u f h e b u n g reifen Widersprüchen widerspiegeln u n d d a m i t den Mitgliedern der den Sozialismus a u f b a u e n d e n Gesellschaft den Weg zum erfolgreichen H a n d e l n , den Weg in die Z u k u n f t weisen zu können, aber dies nicht als prognostizierender Gesellschaftswissenschaftler, sondern als Dichter. V e r t r e t e r

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des sozialistischen Realismus sind auch in kapitalistischen Ländern und in jungen Nationalstaaten zu finden, Schriftsteller, die ideologisch auf der Position der Arbeiterklasse stehen. Diese völlig neue Aufgabenstellung der Dichtung mit dem sozialistischen Realismus steht aber auch im Gegensatz zur älteren Auffassung, sei es des indischen Dichters als des kraft seiner Visionen „Stimmungen" suggerierenden Künstlers, sei es des griechischen, durch Darstellung von Schuld und Sühne den Hörer läuternden Künstlers, ganz zu schweigen von dem rart-pour-l'art-Standpunkt des Dichters. Sie steht schließlich im Gegensatz zum kritischen Realismus, der in nichtsozialistischen Ländern zwar die Gesellschaft weitgehend richtig kritisch widerspiegelt, aber keine Lösung der Probleme findet, und insofern in der kleinbürgerlichen Mitte zwischen den beiden Klassen eine immer noch mehr oder weniger fortschrittliche Rolle spielt. H a t t e der sozialistische Realismus 1906 mit Gorkis „Die Mutter" nach dem Revolutionsjahr von 1905 begonnen, 03 so begann 1917 nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution seine bewußte internationale Verbreitung u. a. durch die Gründung nationaler und internationaler Organisationen proletarischrevolutionärer Schriftsteller. 64 I n diesem Zusammenhang ist es zu stellen, wenn 1936 in Indien die „Vereinigung fortschrittlicher Schriftsteller" gegründet wurde, 65 noch nicht etwa eine Organisation proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, denn solche gab es damals in Indien nicht, und gibt es noch heute nach dem J a h r e 1947 im politisch befreiten Indien nur in Ansätzen. 68 Indien gehört eben wie auf allen anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens so auch auf dem der Dichtung zu den unterentwickelten Ländern und hat mit diesen gemeinsam, daß seine Dichtung noch nicht zu den „gesetzgebenden", d. h. entwicklungsmäßig führenden Literaturen 6 7 zählt, und das trotz der Größe eines Tagore. Wie in der Industrialisierung, in der Wissenschaft und Philosophie, so hat Indien auch in der Literatur einen Nachholebedarf, den es zunächst durch Aufnahme außerindischer Einflüsse, durch nachahmendes Lernen aufzuholen sucht, wobei das fremde Neue sich bei jedem Schritt mit den indischen Traditionen auseinandersetzen muß und insbesondere an die humanistischen, lebensbejahenden, fortschrittlich-gesellschaftskritischen Tendenzen und an die hochentwickelte gestalterische Kunst aller drei Genres der indischen Literatur anknüpfen kann. Dabei treten derartige Einflüsse außerindischer Literaturen in den verschiedensten Formen auf, sei es in Form der Adaptierung eines konkreten außerindischen literarischen Werkes oder einer mehr oder weniger vagen künstlerischen Anregung thematischer oder ideologischer Art. 68 So ist es denn kein Zufall, sondern eine Gesetzmäßigkeit, wenn z. B. Romane einiger indischer Schriftsteller Gemeinsamkeiten mit Romanen sowohl aus imperialistischen Ländern, als auch aus jungen Nationalstaaten aufweisen. 69 Mit dem allgemein gesellschaftlichen Reifen Indiens werden einige seiner Dichter befähigt, fortzuschreiten, d. h. dem literarischen Weltniveau zuzustreben, während andere gemäß ihrer Klassenlage sich reaktionäre außerindische Vorbilder wählen bzw. die ausländischen Einflüsse zu vermeiden und die das Stagnieren propagierenden konservativen indischen Traditionen pfleglich

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am Leben zu erhalten trachten. Indien hat einstweilen den kapitalistischen Entwicklungsweg eingeschlagen, es spitzen sich auch dort die Klassengegensätze zu, und von den Schriftstellern stehen einige links, einige rechts und die meisten auf mittleren Positionen. 70 Will man diese Gesetzmäßigkeiten der indischen literarischen Entwicklung im einzelnen erkennen, so ist es nützlich, nicht nur den angedeuteten, auf Kontakten basierenden Vergleich Indiens mit den heutigen sozialistischen, kapitalistischen und Entwicklungsländern durchzuführen, sondern auch den typologisch-phaseologischen Vergleich z. B. mit den Ländern Osteuropas etwa im 18. und 19. Jahrhundert. Mit der damaligen Ausbreitung des Kapitalismus und der Industrialisierung von West- nach Osteuropa gingen dort schwere antifeudale, bürgerlich-demokratische und nationale Kämpfe gegen das habsburgische Österreich, das Zarentum und das Türkenjoch einher, begann eine nationale Wiedergeburt dieser Länder und entwickelten sich nationale Sprachen und Ideologien, 71 u. a. auch Literaturen, wobei zunächst Nachahmung westeuropäischer Vorbilder eine bedeutende Rolle zu spielen hatte, galt es doch, die im Westen langsam durchgemachte Entwicklung in möglichst kurzer Zeit nachzuvollziehen. 72 Dabei war die Entwicklung in jedem einzelnen osteuropäischen Land bei allen ihren Gemeinsamkeiten doch so individuell wie heutzutage in den verschiedenen Entwicklungsländern, ja in den einzelnen Ländern Indiens (s. u.), und der zeitliche Unterschied der indischen und osteuropäischen E n t wicklung paßt zu dem Jahrhundert, das zwischen Goethe und Tagore, zwischen 1848 in Deutschland und 1947 in Indien liegt (s. o.). Beide Entwicklungen, die in mehreren Ländern Osteuropas im 18.—19. Jahrhundert und die in Indien im 19.—20. Jahrhundert, sind unabhängig voneinander durch Beeinflussungen Westeuropas ausgelöst worden und sind damit untereinander im wesentlichen typologische 73 Analogieentwicklungen. Ein anderes Problem liegt im Begriff der indischen Literatur selbst. K a n n man überhaupt noch von ihr sprechen, 74 seit es in Indien mehrere Nationalliteraturen wie heute oder seit es Literaturen in den Vorformen der heutigen Nationalsprachen von der zweiten Hälfte des Feudalismus an gibt ? J a und Nein! Die oben skizzierte Entwicklung einer gesamtindischen Literatur entspricht der Wirklichkeit, muß aber notgedrungen sehr abstrakt bleiben, denn das eigentlich Lebendige, wesentlich Konkrete sind die einzelnen Nationalliteraturen Indiens. Indessen gibt es auch diese alle umfassende gesamtindische Einheit. Man kann — bei Berücksichtigung der grundsätzlichen Unterschiede der indischen gesamtnationalen gesellschaftlichen Entwicklung gegenüber Europa — den Sammelbegriff der europäischen Literatur über den der europäischen Nationalliteraturen zum Vergleich heranziehen, wobei der sachlich berechtigten Spaltung in eine ost- und eine westeuropäische Gruppe von Literaturen die analoge, nicht identische Zweiteilung der Gruppen der Nationalliteraturen der indischen Union und Pakistans an die Seite zu stellen wäre. Es sei hier nur daran erinnert, daß eine „Geschichte der Weltliteratur" vom Maxim-Gorki-Institut der Akademie der Wissenschaften in Moskau, eine vergleichende Geschichte der Literaturen in 20 Buben, Dichtung

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den europäischen Sprachen u n t e r internationaler Z u s a m m e n a r b e i t von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften im A u f t r a g der Association I n t e r nationale de L i t t é r a t u r e Comparée u n d eine synthetische Geschichte der osteuropäischen Literaturen bei Mitarbeit von Gelehrten der betreffenden sozialistischen L ä n d e r einschließlich der D D R ebenfalls von der Ungarischen A k a d e m i e der Wissenschaften in Angriff genommen worden sind. 7 5 Derartige Ü b e r legungen machen uns die Schwierigkeiten einer allgemeinen indischen L i t e r a t u r geschichte verständlich, zu denen außerdem h i n z u k o m m t , daß die europäische sowohl wie die osteuropäische u n d indische L i t e r a t u r in den G e s a m t r a h m e n der heutigen Weltliteratur mit ihrer Spaltung in die beiden sozialökonomischen Weltsysteme einzupassen u n d auch mit den Literaturen der anderen j u n g e n N a t i o n a l s t a a t e n zu vergleichen sind. E s gibt noch weitere Elemente, die deutlich der gesamtindischen L i t e r a t u r angehören. So ist z. B. eines ihrer allgemeinen Charakteristika, daß allen I n d e r n bislang das Abfassen von R o m a n e n schwerer fällt als das von Kurzgeschichten, können sie doch bei diesen a n uralte Tradition a n k n ü p f e n , während es eigentliche indische R o m a n e 7 0 vor Bankim C h a t t e r j e e nicht gegeben h a t . Nebenbei b e m e r k t ist auch u. a. allgemein indisch das o p e r n h a f t e E i n f ü g e n von Arien in Filme u n d ü b e r h a u p t deren Breite, die ihre A u f f ü h r u n g vor europäischem P u b l i k u m sehr erschwert. Indischer Tradition entspringt die uns auch heute noch f r e m d e Sentimentalität oder lyrische Weitschweifigkeit indischer Dichtung. Geblieben ist ferner weitgehend das Milieu mit seinen R e s t e n aus dem Feudalismus, den B r a h m a n e n , Asketen, der noch sehr lebendigen Religion, Fatalismus, Magie, Mythologie u n d der vedantischen Philosophie. Allgemein indisch ist aber auch das Neue, die entsprechend den kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen soziale T h e m a t i k . Dazu k o m m t die neue Problematik der F r a u e n , ihrer langsam e r k ä m p f t e n Gleichberechtigung u n d der d a m i t zusammenhängenden Probleme der Familie, die nicht mehr als patriarchalische Großfamilie weiter existieren k a n n , d a m i t aber der Dichtung immer wieder bedeutende Aufgaben stellt. Dahin gehört schließlich die Problematik, notwendigerweise die Wissenschaftlichkeit allen Denkens im Gegensatz zur überwiegend theologischen Tradition durchzusetzen. Der Kapitalismus erzwang in Indien (und in anderen Entwicklungsländern analog) in der Periode des weltweiten Übergangs zum Sozialismus eine verhältnismäßig einheitliche u n d zugleich vielseitige Revolution der gesamtindischen L i t e r a t u r . Aber diese wirkte sich überall konkret in den Nationalliteraturen in verschiedener Weise aus. Als erste h a t t e die bengalische L i t e r a t u r sich zu entwickeln begonnen, u n d die in Hindi, U r d u , Marathi, Tamil u n d den anderen Nationalsprachen folgte mit gewissem zeitlichem A b s t a n d u n d mit nationalen Besonderheiten, die aus den Traditionen, der Geschichte, den sozial-ökonomischen Entwicklungen der Nationalitäten u n d Nationen Indiens verständlich zu machen sind. Dabei gab es aber auch Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Nationalliteraturen u n d zudem auch gesamtindische F a k t o r e n , wie etwa die Größe Tagores u n d P r e m c h a n d s , die im Sinne der gesamtindischen

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L i t e r a t u r ausgleichend wirkten, während andere F a k t o r e n nationalistischdifferenzierend wirkten, wie z. B. der K o n k u r r e n z k a m p f der Hindi- u n d U r d u - , der Gudscharati- u n d Marathiliteratur oder der drawidischen Nationalliteraturen untereinander. Eine aus gesamtindischer Schau alle Nationalliteraturen I n d i e n s mit ihrem enormen R e i c h t u m vergleichend bewertende Literaturgeschichte ist eine Aufgabe, die n u r von einem gut eingearbeiteten Kollektiv zu leisten ist, sie wäre z. B. von der Sahitya Akademi, von der gesamtindischen Akademie der L i t e r a t u r in Delhi, zu organisieren. Diese I n s t i t u t i o n der Zentralregierung h a t u. a. die Aufgabe, durch Übersetzungen der H a u p t w e r k e einer indischen Nationalliteratur in die anderen Nationalsprachen f ü r eine gewisse bewußte Einheit der indischen L i t e r a t u r zu sorgen, wobei dem H i n d i als der geplanten lingua franca ganz Indiens eine gewisse B e d e u t u n g zufällt. Dieser Akademie verdanken wir a u c h das „ W h o ' s who of I n d i a n Writers", oder den S a m m e l b a n d „Contemporary I n d i a n Liter a t u r e " , in dem sechzehn Autoren über je eine N a t i o n a l l i t e r a t u r in ganz k u r z e m Abriß berichtet haben. Die Zentralregierung u n d die hinter ihr stehenden K r ä f t e b e m ü h e n sich ja u m eine Einheit Indiens oder wenigstens der indischen Union, in jeder Hinsicht, also auch der Dichtung. I n derselben R i c h t u n g arbeitet die „Progressive Writers Association" mit ihren gesamtindischen Kongressen, auf denen u. a. solche F r a g e n der gesamtindischen u n d nationalen Dichtung, a b e r auch das der Tradition u n d des Neuen in der Dichtung, die Stellung des Dichters zu Volk u n d S t a a t u. a. m. diskutiert werden. 7 7 Der umfassende Begriff der indischen Dichtung entspricht also einer gewissen R e a l i t ä t u n d ist d e m e n t sprechend von uns zu untersuchen. Schwierigkeiten besonderer A r t m a c h t in dieser Hinsicht die indo-anglische, d. h. die in englischer Sprache von I n d e r n (oder von in Indien naturalisierten Ausländern) 7 8 v e r f a ß t e Dichtung. Mancher möchte sie in die englische L i t e r a t u r geschichte einordnen; dem widerspricht aber ihr trotz der ausländischen Sprache b e w u ß t gewählter indischer I n h a l t . Sie ist nicht oder k a u m volksfremder als die Dichtung in den Nationalsprachen, denn die Intellektuellen sind ganz allgemein im heutigen Indien von den werktätigen Massen des Volkes durch eine breite u n d tiefe K l u f t getrennt. 7 9 Daß diese D i c h t u n g in Stil u n d I n h a l t im G r u n d e unindisch sei, ist bisher nicht nachgewiesen. Tagore wäre nicht so b e r ü h m t geworden, h ä t t e er nicht einen Teil seiner Dichtung selbst in englischer Sprache veröffentlicht. Ob einige n u r in englischer Sprache schreibende Dichter, wie der P a n d s c h a b e M. R . Anand, der Bengale B h . B h a t t a c h a r y a oder der Tamile R . K . N a r a y a n , Indien im Ausland würdig vertreten oder nicht, ist nicht auf Grund ihrer Verwendung des Englischen zu beurteilen, sondern h ä n g t von der Bewertung ihrer W e r k e an sich ab. 8 0 Ob in Englisch oder in einer indischen Nationalsprache verfaßt, die Dichter Indiens nehmen alle jeweils ihren persönlichen, klassenmäßig b e s t i m m t e n politisch-weltanschaulichen S t a n d p u n k t ein, prägen ihn in ihrem W e r k je n a c h K ö n n e n (das als eine conditio sine qua non vorausgesetzt wird) in eine m e h r oder weniger gelungene F o r m u n d sind danach zu bewerten, wieweit sie mit ihrer 20*

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K u n s t auf die indischen Völker wirken, um dem Fortschritt Indiens zu dienen. Es ist demgemäß möglich und notwendig, alle indischen Dichter der Gegenwart entsprechend ihrem Klassenstandpunkt und der von ihnen vertretenen Ideologie einzuordnen, wobei man natürlich nicht oberflächlich oder schematisch verfahren darf. 8 1 Schließlich ist nicht zu vergessen, daß auch heute noch in Indien hier und da in Sanskrit gedichtet wird; es gibt ja konservative Kreise, die Sanskrit gegen alle historische Evidenz noch als eine lebende Sprache ansehen und dies in einem Verein und einer Zeitschrift 8 2 propagieren. Weiter gibt es noch heute mündlich überlieferte Volksdichtung in den Volkssprachen, die in Indien gelebt h a b t , solange es dort eine Klassengesellschaft gibt. 8 3 U n d es gibt auch noch lebendige Dichtung der Reste der gentilen Stämme in ihren Rückzugsgebieten, wenn auch der Kapitalismus und die beginnende Industrialisierung heute in immer entlegenere Gebiete Indiens vorstoßen, Stahlwerke, Kohleförderung und Wasserkraftwerke z. B. gerade im Gebiet der noch überlebenden Munda errichtet worden sind. Der Kapitalismus macht auf allen Gebieten dem allgemeinen Stagnieren der gesellschaftlichen Entwicklung in Indien — und anderen Entwicklungsländern — ein Ende. Auf dem Gebiet der Sanskritdichtung ist die Tradition, die mit dem Altertum vor über zwei J a h r t a u s e n d e n begann, praktisch abgebrochen; diese zählebige dichterische Stagnation, die Indien mit seiner Dichtung in Sanskrit von E u r o p a trotz dessen reichlich langlebiger Dichtung in Latein unterscheidet, p a ß t zu der allgemeinen gesellschaftlichen Stagnation, die das vorkoloniale Indien nicht von sich aus zum Kapitalismus gelangen ließ. Angesichts dieser Stagnation der Hindugesellschaft wundert es einen nicht mehr, wenn die vorarischen Gentilstämme in den letzten drei J a h r t a u s e n d e n — wie wir annehmen — ihre Gesellschaft und damit ihre Dichtung nicht wesentlich fortentwickelt haben. Diese typisch indische Stagnation aber ist auf den Charakter der indischen Variante der „asiatischen" oder altorientalischen Produktionsweise zurückzuführen, und damit ist in großen Zügen die bisherige Geschichte der indischen Literatur in die der Menschheitsliteratur eingeordnet. Der derzeitige Vorsprung einiger Länder vor Indien ist nur historisch bedingt und aufholbar. I n Wechselwirkung mit seinen übrigen K r ä f t e n der gesellschaftlichen Entwicklung wird aber zweifellos auch seine Dichtung Indien trotz mancher Umwege in die helle Z u k u n f t des Sozialimus f ü h r e n ; wieweit es dazu beiträgt, macht den W e r t jedes einzelnen Dichtwerkes aus.

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Abkürzungen

Aitareyabrähmana Annual of the B h a n d a r k a r Oriental Research I n s t i t u t e Appendix App Aitareyaranyaka Ait Ar Anguttaranikäya Ang Nik AV Atharvaveda Brahmändapuräna Bd Bhagavadgitä BhG Bhägavatapuräna BhP Brahmapuräna BP Brhadäranyakopanisad BUp Chändogy op anisad ChUp Dasakumäracarita Das DD Dasgupta-De (s. Literaturverzeichnis) DN Dighanikäya T h e History and Culture of HCIP the Indian People Hv Harivamsa JAOS J o u r n a l of the American Oriental Society JB J aiminiyabrähma na JOI J o u r n a l of the Oriental Institute JRAS J o u r n a l of the R o y a l Asiatic Society K Kautalya Kathop Kathopanisad KS Kämasütra Kum Kumärasambhava M Manu Mai Up Maitryupanisad M a j j h Nik Majjhimanikäya Mark P Märkandeyapuräna Mbh Mahäbhärata MEW Marx-Engels-Werke AB ABORI

MIO

Mitteilungen des I n s t i t u t s für Orientforschung Motif s. Thompson (Literaturverzeichnis) MPS Mahaparinirvänasütra MTyp Märchentyp s. Aarne (Literaturverzeichnis) Mrcch Mrcchakatika Mt Matsyapuräna Mudrä Mudräräkshasa Mu U p Mundakopanisad NÉ! Nätyasästra OLZ Orientalische Literaturzeitung Phil Die Entwicklung der Philosophie. Siehe Literaturverzeichnis: R ü b e n , W . , Die gesellschaftliche Entwicklung im alten Indien, B d . I V Die Entwicklung der ProPY duktionsverhältnisse. Siehe Literaturverzeichnis: R ü b e n , W . , Die gesellschaftliche E n t wicklung im alten Indien, Bd I Petersburger Wörterbuch PW Rämäyana Räm Die Entwicklung der ReliRelig gion. Siehe Literaturverzeichnis: R ü b e n , W . , Die gesellschaftliche Entwicklung im alten Indien, B d . I I I Rghv Raghuvamsa Rgveda RV Sak Sakuntalä Öatapathabrähmana Sat Br S a m y Nik S a m y u t t a Nikäya

316

Abkürzungen

SBAW

St +

R

Svetop TB

Sankhäyana Srautasütra Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin Die Entwicklung von S t a a t und R e c h t . Siehe Literaturverzeichnis: R ü b e n , W . , Die gesellschaftliche Entwicklung im alten Indien, B d . I I Svetäsvataropanishad Taittiriyabrähmana

Therig. Vä V I

vs

VP

vulg.

ZII

ZDMG

Therigäthä Väyupuräna Vedic Index Väjasaneyi Sanihitä Visnupuräna vulgata Zeitschrift für Indologie und Iranistik Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

Anmerkungen

Vorbemerkung

i Vgl. Schober 80

Einleitung 1

K r a u s s 51. K r a u s s 194. 3 Krauss 97. 4 Krauss 186f. 5 Marx-Engels 1967, I , 220. 6 Torquato Tassos W o r t e kurz vor E n d e von Goethes Drama. 7 Krauss 54. 8 Krauss 42; Weimann 33. 9 Krauss 42; s. u. Einleitung K a p . I I I , 1-3. 10 Max Frisch, Mein N a m e sei Gantenbein, Berlin 1966, 6. n K r a u s s 53. 12 Siehe u . A u s b l i c k bei Anm. 22ff.; V. Periode bei Anm. 19 ff. « B h ä m a h a I, 16; Jacobi 1922, 224. 14 Verbindung von Wort u n d Sinn vgl. Phil. VI. Periode bei Anm. 295f. 15 B h ä m a h a I , 25 h a t auch kävyasarira. 16 Dandin I, 10. 17 Siehe u. V. Periode bei Anm. 19ff. : B h a r a t a über dosa, guna, ala in kära. 18 Freier übersetzt von Glasenapp 1929, 157; 1961, 194. « Winternitz I I I , 26. 2 ° B h ä m a h a I, 16-30. - Fiktion = utpädyavastu, d. h. wohl kavisamaya (s. u. Ausblick bei Anm. 26). — Sammlungen sind wohl Verssammlungen wie die von Häla und B h a r t r h a r i (s. u. 2

V. Periode K a p . 3b u n d VI. Periode K a p . 2c). 21 Dandin I , 1 4 - 3 0 ; J a c o b i 1922, 215. 22 Dandin I, 13. 23 Krauss 79ff.; f ü r Indien s . u . bei Anm. 50. 24 Dieser Absatz frei nach Schober 100f. 25 Krauss 105 ff. Auch die vergleichende Literaturgeschichte geht von dem Prinzip der P r i o r i t ä t der Nationalliteratur aus (Gy. M. V a j d a bei Ziegengeist 95). 26 Nationen s. u. Ausblick bei Anm. 44 u n d 74 ff. 27 Nationalitäten im feudalen E u r o p a : Marx-Engels 1967, I, 343, 350, 502. 28 Siehe u. Ausblick bei Anm. 83. 29 Siehe u. Ausblick bei Anm. 74. 30 Krauss 109; Ziegengeist 138; s. u. bei Anm. 87: M. Müller. 31 Marx-Engels 1967, I. 218; s . u . Ausblick bei Anm. 60. 32 Krauss 206ff., 116ff. ü b e r Schirm u n s k i ; s. u. bei A n m . 64. 33 Das Ziel der vergleichenden Literaturforschung (s. u. bei Anm. 62) besteht „in der Erkenntnis des typologischen u n d genetischen Wesens einer literarischen Erscheinung im R a h m e n der einheimischen Literatur u n d letzten Endes auch im R a h m e n des weit-

318

Anmerkungen, I I . Periode

literarischen Entwicklungsprozesses" (K. R o s e n b a u m bei Ziegengeist 125). 34 Siehe u. I I . Periode bei A n m . 45. 35 Marx-Engels 1967, I, 513. 36 E b e n d a 496. 37 E b e n d a 515. 38 E b e n d a 520 f. 39 K r a u s s 36. 40 Vgl. Marx-Engels 1967, I, 498. Vgl. K r a u s s 89. « Marx-Engels 1967, I, 124. ''3 Stotras bei Kälidäsa, s. u. V I . Periode bei A n m . 98f. 44 Siehe u. I V . Periode K a p . 2 a—b. 43 Siehe u. Y. Periode K a p . 4 d P u n k t 4 : Asvaghosa; V I . Periode bei A n m . 223: Pancatantra. 4 6 R ü b e n 1964/67 I I , 185: R ä m ä y a n a . 47 Siehe u. V. Periode bei A n m . 68ff. 4 8 Siehe u. V. Periode bei A n m . 128. 49 Siehe u. V. Periode bei A n m . 277. so Siehe o. bei A n m . 23. 51 Siehe u. Einl. bei A n m . 200; V. Periode bei A n m . 136ff. (Häla); V I . Periode bei A n m . 72 (Kälidäsa). 52 K r a u s s 119. 53 H . Scharfe h a t 1968 eine Fülle von A r g u m e n t e n f ü r das 1. J a h r h u n d e r t u. Z. als die Abfassungszeit des S t a a t s lehrbuches, d. h. die E n d r e d a k t i o n des A r c h e t y p u s zusammengetragen. D a bisher inhaltlich keine wesentlichen E i n s c h ü b e oder Widersprüche in diesem A r c h e t y p u s gefunden worden sind, ist es das Wahrscheinlichste, d a ß der T e x t , n a c h Gegenständen (prakaranas) geordnet, traditionsgemäß im großen ganzen von d e m Minister K a u t a l y a m i t dem E i g e n n a m e n Visnug u p t a aus der Mauryazeit h e r r ü h r t , aber erst in der K u s h ä n z e i t der Schrift a n v e r t r a u t w u r d e ; dabei wurde die n a c h Scharfe verhältnismäßig s p ä t e formale Einteilung in K a p i t e l vorgenommen (vgl. meine Besprechung in OLZ 1970). D a n a c h h a t T. Burrow, ebenfalls noch 1968, Vorstellungen E . H . J o h n s t o n s aus dem J a h r e 1929

a u s b a u e n d , zwischen C ä n a k y a als d e m historischen u n d zugleich legendären Minister des C a n d r a g u p t a Maur y a u n d V i s n u g u p t a K a u t a l y a als d e m mehrere J a h r h u n d e r t e jüngeren Verfasser des Staatslehrbuches u n t e r schieden. E r selber f ü h r t aber an, d a ß die puranische Tradition d a z u n i c h t p a ß t , da sie K a u t a l y a (nicht Cänakya) als Minister ansieht (so Scharfe 82 n a c h Jacobi); u n d im S t a a t s l e h r b u c h selbst wird im Schlußvers gesagt, d a ß der Verfasser die E r d e von den N a n d a s befreit h a t , also der b e r ü h m t e Minister war (K 15, 1, 73), d. h. n a c h Burrow C ä n a k y a ; in a n d e r e n Versen wird der Verfasser K a u t a l y a ( K I , 1, 19; 2, 10, 63) u n d einmal wird er Visnugupta (15, 1 postholophon) gen a n n t . B u r r o w m ü ß t e also diesen Vers tilgen, oder die I d e n t i t ä t Visnug u p t a K a u t a l y a alias Cänakyas bleibt t r a d i t i o n s g e m ä ß bestehen. Scharfe (86) möchte dagegen K a u t a l y a als einen mehr oder weniger m y t h i s c h e n A u t o r von V i s n u g u p t a als d e m weit jüngeren Verfasser des Staatslehrbuches unterscheiden. M a b b e t t hielt es 1964 f ü r möglich, alle diese N a m e n e n t h a l t e n d e n Verse zu athetieren. Bei den übrigen A r g u m e n t e n f ü r einen späten Zeitansatz des T e x t e s h a n d e l t es sich u m einzelne Dinge, wie Seide aus China, Korallen aus Alexandrien, einen surungä g e n a n n t e n militärischen Tunnel u n d dergleichen, die M a b b e t t mit R e c h t nicht f ü r schlagend h ä l t . W e n n Burrow (19) z. B. auf die bei K a u t a l y a f ü r Verwaltungszwecke verwendete Schrift verweist, so h a t schon Pänini diese e r w ä h n t , also f ü r die Vor-Mauryazeit bezeugt (Agrawala 311 f., 410, 466). M a b b e t t f o r d e r t schließlich zur E n t s c h e i d u n g dieser Zweifel nach A. L. B a s h a m eine sorgfältige D u r c h a r b e i t u n g des ganzen Textes. Diese m ü ß t e Scharfes B u c h weit überbieten u n d das I n d i e n des

A n m e r k u n g e n : I I . Periode Staatslehrbuches mit seinem L a n d u n d Seehandel (wegen der Seide u n d Korallen), aber auch in allen a n d e r e n Hinsichten, in bezug auf seine Auffassungen der W i r t s c h a f t u n d Gesellschaft (Sklaven, iSüdra, Kaste) des S t a a t s u n d R e c h t s , der Religion u n d Philosophie, der Wissenschaft u n d der Dichtung, in die indische Geschichte, sei es n u n die der Mauryazeit wie in der vorliegenden Arbeit, sei es die einer späteren Periode, einordnen. 54 So K r a u s s 126f. über alle K ü n s t e . " R ü b e n 1968, 9. 66 Phil. V. Periode K a p . 5; V I . Periode K a p . 9; vgl. R ü b e n 1944, 8 f f . über Räma-Sitä. 57 Siehe u. Ausblick bei A n m . 49. 58 Siehe u. bei A n m . 88, 90, 92; V I . Periode bei A n m . 1. 59 K r a u s s 21. eo Marx-Engels 1967, I, 125. 01 Siehe u. bei Anm. 93 über Pisani. 02 Siehe u. A n m . 33 u n d Ausblick bei A n m . 62. K r a u s s 106 ff. e4 Siehe o. bei A n m . 32; vgl. R ü b e n 1968, 28; Ziegengeist l f f . , 101 f. 05 Siehe z. B. A. Hiersche, Analogien in der Gegenwartsliteratur der Sowjetunion u n d der D D R (Ziegengeist 3 4 5 - 5 2 ) ; R . Lenzer (ebenda 353-60), L. Richter (ebenda 187-97). «