Die Versur: Eine rechtshistorische Abhandlung über die Zinskapitalisierung im alten Rom [1 ed.]
 9783428456932, 9783428056934

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Klaus Wille/ Die Versur

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 33

Die Versur Eine rechtshistorische Abhandlung über die Zinskapitalisierung im alten Rom

Von

Klaus Wille

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Wille, Klaus: Die Versur: e. rechtshistor. Abh. über d. Zinskapitalisierung im alten Rom I von Klaus Wille. Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Schriften zur Rechtsgeschichte; H. 33) ISBN 3-428-05693-0

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

© 1984 Duncker

ISBN 3-428-05693-0

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Erster Teil

Das Geldgeschäft der Salaminier Quelle: Cicero ad Att. 5, 21 und 6, 1 - 3 I. Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

2. Äußerer Geschehensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14

3. Kredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

3.1. Höhe der ausbezahlten Kreditsumme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.2. Der Zweck des Darlehens und das vectigal praetorium . . . . . . . . . .

21

4. Abschluß des Darlehensvertrages in Rom und die lex Gabinia . . . . . .

22

4.1. Dielex Gabinia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Antike Zeugnisse über das Gabinische Gesetz . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Anwendung auf das Kreditgeschäft der Salaminier . . . . . . 4.1.3. Abweichende Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 27 27

4.2. Vermeintlicher Zusammenhang von lex Gabinia und versura

28

5. Die Berechnung der Zinsen nach Ciceros Provinzialedikt . . . . . . . . . . . .

30

5.1. Unterschiedliche Ansichten der Parteien zur Höhe der Zinsen . . . .

31

5.2. Renovatio der Zinsen und Anatocismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1. Zwei Wege, Zinsen zu verzinsen: C. 4, 32,28 pr..... . .... ...

33 36

5.2.2. Verbot der usurae usurarum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

5.3. Anatocismus 5.3.1. Verbot des Anatocismus unter Lucullus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2. Eingeschränkte Gestattung durch Cicero..................

37 38 39

6

Inhaltsverzeichnis 5.3.3. Duldung bis Justinian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5.3.4. Streit um die Zulässigkeit des Anatocismus von der Antike bis in die Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

6. Der Anatocismus und die versura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

6.1. Versur als Vollzugsgeschäft des Anatocismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

6.2. Nachweis einer Zinskapitalisierungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . .

48

6.3. Die syngrapha . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1. Die syngrapha bei Gaius und einem Cicero-Scholion . . . . . . 6.3.2. Die syngrapha im griechischen Rechtsbereich . . . . . . . . . . . . 6.3.3. Die syngrapha im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4. Die syngrapha beim Darlehen der Salaminier . . . . . . . . . . . .

50 50 51 53 55

7. Ergebnis des 1. Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

Zweiter Teil

Die übrigen Quellen

57

8. Auseinanderset zung mit der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

8.1. Gläubigerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

8.2. Verzinsliches Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

8.3. Kombinationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

8.4. Veränderung in der Schuldsumme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

8.5. Abhandlungen des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

8.6. Allgemeine Kritik der Literaturmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

8.7. Gläubigerwechsel beim Kreditgeschäft der Salaminier? . . . . . . . .

71

9. Die Geldgeschäfte des Atticus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

9.1.- 9.3. Die Versur der Athener (Nepos Att. 2, 4- 5) . . . . . . . . . . . . . . . .

73

9.1. Atticus und die Finanzen der Stadt Athen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

9.2. Die Folgen aus dem Eingreifen des Atticus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

9.3. Atticus' Mitwirkung: se i n terponere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

9.4.- 9.6. Die Versur der Fulvia (Nepos Att . 9, 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

9.4. Die Prozesse der Fulvia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

Inhaltsverzeichnis

7

9.5. Der Grundstückskauf der Fulvia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

9.6. Die dank Atticus verhinderte Versur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

10. Die weiteren Versuren in den Atticusbriefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 10.1.- 10.3. Die Versur von Quintus Tullius Cicero (ad Att. 7, 18, 4 und 10, 15, 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 10.1. Quintus' finanzielle Lage im Jahre 49 v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

10.2. Darlehen des Atticus an Quintus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

10.3. Drei Wege der Schuldentilgung: Umschuldungsdarlehen, Verkauf und Versur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 10.4. Die Versur des Redners Cicero im Jahre 44 v. Chr. (ad Att. 15, 20, 4 und 16, 2, 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.4.1. Ciceros verworrene Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 10.4.2. Erwarteter Geldeingang vom Bruder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 10.4.3. Drei Wege zur Schuldentilgung: Umschuldungsdarlehen, Verkauf und Versur .................................... 101 10.5. Ciceros Versur im Jahre 51 v. Chr. (ad Att. 5, 1, 2) ........... . . . 104 10.5.1. Caesars Darlehen an Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 10.5.2. Schuldsummenerhöhung um 20 000 HS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 10.6. Eine weitere Versur Ciceros im Jahre 51 v. Chr. (ad Att. 5, 15, 2) 108 10.6.1. Vorausgegangene permutatio pecuniae . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 10.6.2. Darlehensverhältnis Atticus- Cicero .................. .. 111 10.7. Die Versur des Aurelius/Montanus (ad Att. 16, 15, 5)

113

10.7.1. Darlehen des Plancus an Flamma Flaminius

113

10.7.2. Versur zwecks "Zahlung" der Januar-Rate

116

11. Die übrigen Belege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 11.1. Quelle: Terenz, "Phormio" Vers 780 (Akt 5, 2. Szene)

118

11.2. Quelle: Cicero actio secunda in Verrem liber li § 186

120

11.3. Quelle: Cicero pro Fonteio § 11 (Kap. 5)

122

11.4. Quelle: Cicero pro Flacco § 20 (Kap. 9)

125

11.5. Quelle: Cicero pro Flacco § 48 (Kap. 20)

127

11.6. Quelle: Cicero pro Caelio § 17 (Kap. 7)

130

11.7. Quelle: Cicero pro Caelio § 38 (Kap. 16)

131

11.8. Quelle: Cicero Tusculanae disputationes liber I § 100 (Kap. 42) 132 11.9. Quelle: Tacitus, Annales VI, § 16 ...... ....... .. . ............ 133

8

Inhaltsverzeichnis 11.10. Quelle: Seneca ep. mor. 19, 10 und de ben. V, 8 ......... . .. .... 136 11.10.1. ep. mor. 19, 10 . .............. ... ............... ... .... 136 11.10.2. de benef. V, 8

.............. .. ................ .. ...... 137

11.11. Quelle: Plinius nat. hist. 19,4 (§ 19) ...... . .. .............. . .. .. 138 11.12. Quelle: Lactantius divinae institutiones II. 8. 24 ........... . . .. . 139 11.13. Quelle: Hieronymus epistula 108 (epitaphius Sanctae Paulae) § 15 139

Zusammenfassung und Ergebnis ........ . ..... .. ........ . ...... ... .... 141 Summarium . . ................... . .......... . ....................... . . 142 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Einleitung 1. In einem 1902 in der Savigny-Zeitschrift erschienenen Beitrag widmetE. J. Bekker1 das Schlußkapitel der versura und stellt fest, daß

"wir einstweilen außer dem Namen versura herzlich wenig (darüber) wissen. Juristen der älteren Zeit, das heißt: vor Entdeckung des Gaius, haben sich nicht selten damit befaßt, selbstverständlich ohne rechten Erfolg; Huschke (in: Nexum S. 117) mit nicht besserem, wogegen die meisten der Neueren einfach schweigend darüber hinweggehen." Bekker selbst listet - im Gegensatz zu seinen gut 30 Jahre früher erschienenen "Aktionen" 2 - die meisten3 Fundstellen auf, ohne sie jedoch in ihrem Wortlaut anzuführen, und kommt zum Ergebnis: "Wechsel des Gläubigers und Verpflichtung zu einer Zinsleistung, die aber auch in einem Versprechen einer höheren Kapitalrückzahlung gesteckt haben könnte, scheinen zu den Eigentümlichkeiten des Geschäfts gehört zu haben . Übrigens bleibt für mich vieles zweifelhaft ... Gab es damals (zu Plautus Zeiten) ein selber zinsbringendes, nicht der akzessorischen Stipulation bedürftiges Darlehen? War die Versur Real- oder Literalgeschäft?" Nachdem Bekker bereits in seinen 1871 erschienenen "Aktionen" die Auffassung vertreten hatte, daß die Versur einer "Feststellung ebenso bedürftig wie zugänglich" 4 sei, beschließt er seinen Beitrag von 1902 mit der Anregung5, der Versur größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Abgesehen von kürzeren Beiträgen6 innerhalb der Behandlung anderer Fragen ist die Wissenschaft der Anregung Bekkers nicht nachBekker I S. 28 - 30. Bekker II S. 28. 3 Es fehlen aus Ciceros Reden: pro Flacco 9 (20), Nepos: Atticus, 2 (4), Cicero Tusculanae disputationes I 42 (100). Lactantius und Hieronymus. 4 Bekker II S. 28 Anm. 13. 5 S. 30: "Es sollte mich freuen, wenn ich noch Antwort auf diese Fragen zu sehen bekäme". 8 Noch am ausführlichsten Costa S. 171- 174; im übrigen vgl. unten unter 1

2

8.5.

10

Einleitung

gegangen, so daß Kaser noch 1971 in der 2. Auflage seines Handbuchs 7 die versura lediglich in einer Anmerkung erwähnt, sie als "dunkel" bezeichnet und allein auf den Beitrag von Bekker aus dem Jahre 1902 verweist. Vier Jahre später verzeichnet Kaser im bibliographischen Nachtrag zum 1. Band seines Handbuchs8 zum Stichwort versura drei weitere Abhandlungen aus den Jahren 1964 bis 1971 nebst einer Rezension9. Trotz des daraus in jüngster Zeit erkennbar gestiegenen Interesses ist der Versur eine eigene monographische Untersuchung10 in der Romanistik bisher nicht gewidmet11 worden. Dies hat nicht zuletzt seinen Grund darin, daß die versura in den spezifisch juristischen Quellen des römischen Rechts, insbesondere im Corpus Iuris Civilis, nicht12 zu finden ist; vielmehr begegnet die Versur nur in nichtjuristischen13 7 Kaser I S. 496 Anm. 21; die Beiträge von Costa und Royer sind nicht erwähnt. 8 Kaser II (1975) S. 600 (zu § 124 Darlehen). 9 Triantaphyllopoulos 1964, Bianchini 1970, Sacconi 1971 nebst einer Rezension von Wagner in SZ 91 (1974). 10 Es existiert eine einzige juristische Monographie über die Versur aus dem Jahre 1666 (gedruckt 1686); der Verfasser, Walter Neubaus, trägt in der immerhin 88 Seiten umfassenden Abhandlung nicht wesentlich zur Klärung der juristischen Struktur der versura bei: Da er nämlich die versura als Austauschgeschäft im weitesten Sinne versteht, behandelt er im 1. Teil ab Kapitel II (S. 13 - 73) den Tauschvertrag seit Adams Zeiten, dann den Kaufvertrag, das Versicherungsgeschäft, schließlich das Bankgeschäft unter Berücksichtigung des Harnburgischen und Lübischen Landesrechts. Im 2. Teil (S. 74- 88) folgt noch eine Rechtfertigung des Zinsnehmens überhaupt; lediglich im 1. Kapitel des 1. Teils zitiert er von den über 20 juristisch relevanten antiken Fundstellen der Versur gerade vier. An dieser Stelle behandelt er die Versur als ein besonderes Darlehen und grenzt seine Ansicht von der des Salmasius (s. unten unter 8.2.) ab und vertritt die Auffassung, die Versur sei ein Umschuldungsdarlehen mit Gläubigerwechsel (vgl. unten unter 8.1.). Aus etwa der gleichen Zeit (1662/1692) stammt außerdem eine Abhandlung des Theologen und Juristen Johannes Brunnemann (1608- 1672), die zwar im Titel das Wort versura führt, in den 211 Seiten des Traktats selbst jedoch die versura überhaupt nicht behandelt; z. B. erörtert der Autor auf S. 173 (im Kapitel 5 de effectu cessionis S. 156- 198) die Frage, ob die Zession einer Darlehensforderung den Zinsen des Darlehens die natura sortis verleiht; der Autor verneint dies mit der Begründung: Si cedens non potuit usuras usurarum petere, multo minus potent cessionarius; denn es sei absurd, daß ein Zedent durch die Zession die Lage des Schuldners verschlechtern könne. In diesem Zusammenhang fehlt der naheliegende Hinweis auf die Versur, obwohl Cuiaz (gestorben 1590) die Versur beim Zinseszinsverbot behandelt h atte (vgl. unten unter 8.4.). Dies bestätigt die Feststellung von Stintzing I Landsberg (Bd. 2 S. 109), daß Brunnemann vorrangig die Praktiker, nur gelegentlich Zasius, Donellus und Cuiaz in seinen Schriften berücksichtigt hat. 11 In der romanistischen Literatur ebensowenig wie in der philologischen: so ist weder bis heute im NNDI noch in der RE, die inzwischen zum Abschluß gebracht wurde, noch bisher im Thesaurus Linguae Latinae ein Artikel über die Versur erschienen. 12 So verzeichnen weder der Index zu Bruns: Fantes iuris Romani antiqui noch das Vocabularium Iurisprudentiae Romanae (VIR) die versura. 13 Triantaphyllopoulos S. 214- 219 führt immerhin 58 verschiedene, teils aus antiken Scholien stammende Belege auf; darunter befinden sich aber

Einleitung

11

Schriften: Allein 15 der 24 juristisch relevanten Fundstellen stammen von dem rechtlich vorgebildeten Redner Cicero; die restlichen Belegstellen verteilen sich auf Terenz, Nepos, Tacitus, Seneca, Plinius den Älteren, Laktanz und Hieronymus. 2. Die überschaubare Zahl der Quellen hängt ganz offensichtlich entscheidend mit dem zweifelhaften Ruf zusammen, den die Versur in der Antike genoß; die relativ wenigen antiken Zeugnisse lassen aber nicht die erhebliche praktische Bedeutung erkennen, die der Versur in der blühenden Geldwirtschaft des römischen Reiches der ausgehenden Republik und des beginnenden Prinzipats zukam. Cicero selbst und sein Bruder Marcus, um nur einige zu nennen, bedienten sich der Versur; die Städte Athen und Salamis (auf Zypern) mußten auf sie zurückgreifen; so bekannte Männer wie der Cäsarmörder Brutus und der Ciceroverleger Atticus waren bei ihren Geldgeschäften in eine Versur verwickelt. Nicht allein dieser Aspekt rechtfertigt eine eigenständige Untersuchung, sondern eine umfassende Darstellung ist insbesondere auch deshalb notwendig, weil die Literatur des 19. Jahrhunderts zu keiner einheitlichen Deutung der versura gelangte und der Gegensatz der verschiedenen Ansichten14 auch nicht durch die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts beseitigt wurde: Nach einer auf die antiken Glossatoren Verrius Flaccus und Festus zurückgehenden Ansicht ist die Versur ein Darlehen, das sich durch einen Gläubigerwechsel auszeichne; der im 17. Jahrhundert wirkende Salmasius setzte demgegenüber die Versur mit dem verzinslichen mutuum gleich. Viele Anhänger fand dann eine zwischen diesen vermittelnde Ansicht, wonach die Versur sowohl ein Darlehen mit Gläubigerwechsel als auch jedes andere Darlehen bezeichne. 1811 schließlich bezog Niebuhr den im Wort versura zum Ausdruck kommenden Wechsel nicht auf die Person des Gläubigers, sondern auf die Schuldsumme, die durch Hinzuschlagung der rückständigen Zinsen in eine höhere Kapitalsumme verwandelt wurde. Den in diesen dreP 5 Deutungen hervortretenden Widerspruch vermochten die wenigen Abhandlungen aus dem 20. Jahrhundert nicht zu beseitigen. Der Grund dafür liegt u. a. darin, daß die Arbeiten anderen Fragen gewidmet waren und der Versur lediglich eine untergeordnete Bedeutung zukommen ließen. Es ist aber nur durch eine genaue Untersuchung aller antiken relevanten Fundstellen möglich, Licht in die "dunkle" Versur zu bringen. viele Fundstellen mit nichtjuristischer Bedeutung, so insbesondere von Vitruv aus dem architektonischen und andere aus dem landwirtschaftlichen Bereich. 14 Die Einzelheiten werden im 2. Teil unter 8.1.- 8.4. behandelt. 1" Von der vermittelnden Theorie abgesehen.

12

Einleitung

Die vorliegende Arbeit wird in ihrem ersten Teil aufgrund der ergiebigsten Quelle- nämlich des in mehreren Cicero-Briefen (ad Atticum 5, 21; 6, 1- 3) geschilderten Geldgeschäfts der Salaminier - zu dem Ergebnis führen, daß der aus der Wortbedeutung versura zu erschließende Wechsel sich auf die Darlehenssumme bezieht, und somit im Ergebnis die Deutung von Niebuhr bestätigen: Die Versur ist ein (vermutlich aus dem griechischen Rechtskreis herrührender LitteraHVertrag mit novierender Wirkung, durch den die Parteien eines verzinslichen Darlehens bei Fälligkeit die nicht bezahlten Zinsen dem Kapital zuschlugen und das um die rückständigen Zinsen erhöhte Kapital erneut zinstragend vereinbarten. Im zweiten Teil wird das zuvor gewonnene Ergebnis an den vertretenen Literaturmeinungen und den weiteren antiken Fundstellen überprüft werden.

Erster Teil

Das Geldgeschäft der Salaminier Quelle: Cicero ad Att. 5, 21 und 6, 1-3 1. Historische Einführung

Dem Philosophen, Redner und Politiker Marcus Tullius Cicero16 war durch Senatsbeschluß vom Februar 51 v. Chr. die Verwaltung der Provinz Cilicien, der Insel Zypern und kleinerer Gebiete Kleinasiens übertragen worden. Wenngleich er dieses Amt als ingens molestia betrachtete, über die er sich nur mit der Aussicht der zeitlichen Begrenzung17 tröstete, so konnte er sich dieser Aufgabe schlecht entziehen und reiste daher Anfang Mai des Jahres 51 v. Chr. von Rom in die Provinz ab. Gleich nach seinem Eintreffen am 31. Juli mußte er sich die Klagen von Provinzbewohnern über seinen Amtsvorgänger Appius Claudius Pulcher18 anhören. Dieser hatte nämlich während seiner Amtszeit von 53- 51 v. Chr. einem M. Scaptius die Präfektur über die Insel Zypern übertragen; Scaptius wiederum stand zum Schwiegersohn des Statthalters Appius Claudius Pulcher, nämlich dem später als Cäsar-Mörder in die Geschichte eingegangenen Marcus Junius Brutus19 , in enger Geschäftsbeziehung und hatte unter Ausnutzung seiner Präfektur versucht, die Rückzahlung eines Kredits, den er und der Ritter Publius Matinius der Stadt Salamis auf Zypern im Jahre 56 v. Chr. gewährt hatten, mit Gewalt zu erzwingen. Mit seinen Reitern hatte Scapius den gerade tagenden "Senat", ßou/,~, der Stadt Salamis gehindert, das Rathaus zu verlassen, bis schließlich fünf "Senatoren" des Hungers starben (ad Atticum 6, 1, 6). Dieses Kreditgeschäft, das unter tatkräftiger Mithilfe des Brutus20 zustande kam - es wird daher auch als der "Zins16 Vgl. zu seinem Leben und zu seinen Werken den ausführlichen RE-Artikel von Gelzer pp. 17 Ad Att. 5, 2, 3. 18 Nicht zu verwechseln mit dessen skandalumwitterten ("bono dea-Skandal") Bruder Publius Clodius Pulcher. 19 über diesen vgl. den RE-Artikel von Mattbias Gelzer in: RE 10 (1919) Sp. 972- 1020 s. v. Junius Nr. 53: Brutus begleitete seinen Schwiegervater Appius Claudius Puleher - er hatte 54 v. Chr. dessen Tochter Claudia geheiratet - 53 v. Chr. als Quaestor nach Cicilien. 20 Vgl. die Anm. 30.

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2. Äußerer Geschehensablauf

wucher des Brutus" 21 bezeichnet- war im Jahre 51 v. Chr., als Cicero die Statthalterschaft über Cilicien und Zypern übernahm, immer noch nicht zu Ende abgewickelt. Einerseits wurde Scaptius bei Cicero vorstellig, um die vollständige Rückzahlung des Kredits zu erreichen; andererseits wandten sich die Kreditschuldner gleich nach dessen Ankunft in Ephesus an Cicero, um sich bei diesem über die Schikanen des Scaptius .,auszuweinen" 22 • So konnte Cicero nicht umhin, sich als oberster Gerichtsherr mit dieser leidigen Geldaffäre zu befassen.

2. .Äußerer Geschehensablauf Wir sind in der glücklichen Lage, über dieses Geldgeschäft recht gut informiert zu sein, da Cicero in nicht weniger als vier Briefen an Atticus, nämlich ad Att. 5, 21 und 6, 1 - 3, hierüber ausführlich berichtet. Aus diesen Briefen läßt sich folgender Sachverhalt, geordnet nach dem historischen Ablauf, erschließen: Ad Att. 5, 21, 12: Salamini23 cum Romae versuram facere vellent, non poterant, quod lex Gabinia vetabat. Tum iis Bruti familiares freti gratia Bruti dare volebant quaternis, si sibi senatus consulto caveretur. Fit gratia Bruti senatus consultum, ut neve Salaminis neve qui eis dedisset fraudi esset. Pecuniam numerarunt. At postea venit in mentem faeneratoribus nihil se iuvare illud senatus consultum, quod ex syngrapha ius dici lex Gabinia vetaret. Tum fit senatus consultum, et ex ea syngrapha ius diceretur, non ut alio iure ea syngrapha esset24 quam ceterae, sed ut eodem. Als die Vertreter der Stadt Salamis in Rom eine Versur machen wollten, konnten sie dies nicht, da die lex Gabinia dies verbot. Daraufhin erklärten sich Freunde des Brutus, im Vertrauen auf dessen Einfluß, bereit, (den Salaminiern das Geld25) zu 4 Ofo Zinsen (monatlich) unter der Voraussetzung zu geben, daß ihnen (das Geschäft) durch einen Senatsbeschluß abgesichert werde. Dank der Einflußnahme des Brutus wurde ein Senatsbeschluß dahin erlassen, daß weder den Salaminiern selbst noch ihrem (Geld-)Geber ein Nachteil daraus erwachsen solle. Daraufhin haben sie die Geldsumme ausgezahlt. Aber danach fiel den Geldgeschäftemachern26 ein, 21 Zunächst von Savigny (1818/19), später um die Jahrhundertwende von Theodor Mommsen, Bardt, Sternkopf und Gurlitt; zu diesen vgl. unten unter

3.1.

22 Ad Att. 6, 2, 9: nam ad me Ephesum usque venerunt flentesque equitum scelera et miserias suas detulerunt. 23 Mommsen I S. 150 sieht die Lesart der Florentiner Handschrift Salamini (nicht - ii) bestätigt durch eine in der Stadt Salamis auf Zypern gefundene Inschrift (CIL III 12 104), wo senatus Salaminorum zu lesen ist.

24 Ergänzung von Boot in seiner Erläuterung der Stelle gegen die Lesart des Ursinus, die von Savigny (S. 393/94) gebilligt wird. 25 Sinnverdeutlichende Ergänzungen des Verfassers: Dies gilt für alle Zusätze, die in Klammern in die laufende Übersetzung eingefügt sind. 26 Wie aus Cicero de officiis I, 42 (150): pri mum inprobantur ei quaestus, qui in odia hominum incurrunt, ut portitorum, ut feneratorum hervorgeht, hat die Bezeichnung fenerator einen negativen Nebenton; Lewis I Short spricht von: "An odius secondary idea".

2. Äußerer Geschehensablauf

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daß ihnen der Senatsbeschluß gar nichts nütze, da ja die Iex Gabinia (dem Richter) verbot, aus dieser Schuldurkunde Recht zu sprechen. Daraufhin wurde ein (weiterer) Senatsbeschluß erlassen: "Aus dieser syngrapha soll Recht so gesprochen werden, daß die Urkunde nicht von anderer Rechtsgültigkeit sei als die übrigen (Schuldurkunden), sondern von derselben (Rechtsgültigkeit)". Diese beiden Senatsbeschlüsse über dieselbe Schuldurkunde ergingen im Jahre 56 v. Chr., dem Konsulatsjahr von Cn. Lentulus Marcellinus und P. Marcius Philippus, wie Cicero ebenfalls ausdrücklich bekundet in Ad Att. 5, 21, 11 und 12: At ille profert senatus consultum Lentulo Philippoque consulibus, . . . Reperio duo senatus consulta isdem consulibus de eadem syngrapha. Aber jener (Scaptius) zieht einen Senatsbeschluß aus dem Konsulatsjahr des Lentulus und Philippus hervor . . . Ich finde zwei Senatsbeschlüsse unter denselben Konsuln über dieselbe Schuldurkunde. Von der weiteren Entwicklung in den nächsten Jahren erfahren wir nur, daß Scaptius versuchte, den Kredit mit Hilfe der Reiter gewaltsam27 einzutreiben; diese Reiterabteilung (turma equitum28) hatte nämlich Ciceros Amtsvorgänger Appius Claudius Puleher dem Scaptius in dessen Funktion als Präfekt zur Verfügung gestellt; dieser hatte sich aber nicht gescheut, sie rücksichtslos29 zur Durchsetzung privater Geschäfte einzusetzen. Vor Ciceros Ankunft in der Provinz Cilicien hatte Brutus dem Cicero ein Verzeichnis seiner Wünsche mitgegeben und ihm dabei besonders die Darlehensgeber Scaptius und Matinius ans Herz gelegt30 : Ad Att. 6, 1, 5: quin etiam libellum ipsius habeo, in quo est "Salamini pecuniam debent M. Scaptio et P. Matinio, familiaribus meis". Eos mihi commendat; adscribit etiam et quasi calcar admovet intercessisse se pro iis magnam pecuniam. Ja, ich besitze sogar ein Verzeichnis von seiner eigenen Hand, worin steht: "Die Salaminier schulden meinen Freunden M. Scaptius und P. Matinius 27 Mitteis S. 418/19 vermutet als Rechtsgrundlage für diese Anwendung nackter Gewalt eine Exekutivklausel, die, in die syngrapha aufgenommen, dem Gläubiger die sofortige Zwangsvollstreckung ermöglichte, so als ob ein Urteil vorliegen würde: "xu·MJtEQ Ex ötx'l]~". 28 Ad Att. 5, 21, 10: Appius noster turmas aliquot equitum dederat huic

Scaptio, per quas Salaminos coerceret, et eundem habuerat praefectum. 29 über die Art des Vorgehens ad Att. 6, 2, 8: Inclusum in curia senatum habuerunt Salaminum ita multos dies, ut interierint nonnulli fame; ad Att. 6, 1, 6: (equitibus) senatum Salamine obsederat, ut fame senatores quinque

morerentur.

30 Außerdem in: ad Att. 6, 1, 3: Mandatorum autem mihi libellum dedit, isdemque de rebus tu mecum egeras; ad Att. 5, 21, 10: Familiares habet Brutus tuus quosdam creditores Salaminorum ex Cypro, M. Scaptium et P. Matinium; quos mihi maiorem in modum commendavit.

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2. Äußerer Geschehensablauf

Geld". Diese empfiehlt er mir und schreibt und fügt sozusagen als Ansporn hinzu, er habe sich bei ihnen für die (Rückzahlung der) Summe mitverpflichtet31.

Bereits am Tag der Ankunft Ciceros in der Provinz Cilicien kamen ihm die Gesandten der Stadt Salamis nach Ephesos entgegen und beklagten sich bitter über das Unrecht des Scaptius32 , woraufhin Cicero sofort den Befehl gab, die Reiter von der Insel unverzüglich abzuziehen33. Später suchte Scaptius, der in einem Brief an Brutus seine Empörung33 über diese erste Maßnahme des neuen Statthalters zum Ausdruck gebracht hatte, Cicero in dessen Lager auf und brachte das Gespräch auf den noch nicht zurückgezahlten Kredit34 ; Cicero versprach ihm, er werde mit Rücksicht auf Brutus die Geldangelegenheit selbst in die Hand nehmen; die von Scaptius gewünschte Verlängerung der Präfektur lehnte Cicero mit der Begründung ab, dieser brauche wegen der syngrapha, also zur Eintreibung der Kreditschuld, die Präfektur nicht mehr, da er - Cicero - für die Rückzahlung sorgen werde; im übrigen würde dies seinem Grundsatz35 widersprechen, keinem Geschäftsmann eine Präfektur zu übertragen. Damit gab sich Scaptius zunächst zufrieden. Als dann aber die Salaminier auch in der Folgezeit nichts auf die Kreditschuld zahlten, wollte Cicero die Geduld von Brutus und Scaptius nicht länger strapazieren und ließ um die Jahreswende 51/50 v. Chr. beide Parteien zu sich nach Tarsos kommen, um die leidige Geldaffäre irgendwie aus der Welt zu schaffen. Am 13. Januar 50 v. Chr., dem Tage seiner Abreise von Tarsos, schreibt er in dem schon vielfach angeführten Brief ad Att. 5, 21, 11 - 13 über die Gerichtsverhandlung, die unter seiner Leitung folgenden Verlauf nahm: Cicero forderte die Salaminier auf, die geschuldete Summe zu zahlen. Daraufhin erhoben die Salaminier viele Einwendungen gegen die syngrapha und beschwerten sich über die Ungerechtigkeiten des Scaptius. 31 Unstreitig war Brutus wirtschaftlich an diesem Kreditgeschäft beteiligt. Zur Frage aber, wie seine Beteiligung rechtlich zu werten ist (eigentlicher Geldgeber mit Scaptius und Matinius als Strohmännern, Bürgen oder in ähnlicher Funktion) vgl. im 2. Teil unten unter 8.7. 32 Vgl. oben Anm. 22 (ad Att. 6, 2, 9). 33 Ad Att. 6, 1, 6: Qua die tetigi provinciam, cum mihi Cyprii legati Ephesum obviam venissent, litteras misi, ut equites ex insula statim decederent. His de causis credo Scaptium iniquius de me aliquid ad Brutum scripsisse. 34 Ad Att. 5, 21, 10. 35 In ad Att. 6, 1, 4 schränkt er diesen Grundsatz ein: Die Verweigerung der Übertragung einer Präfektur beziehe sich nur auf die Provinz, in der der Bewerber seine Geschäfte betreibt. Deshalb gab er den Wünschen des Brutus und Scaptius doch insoweit nach, als er dem Scaptius eine Präfektur für den Bereich des benachbarten Königreichs des Deiotarus (ad Att. 6, 3, 5) übertrug.

2. Äußerer Geschehensablauf

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Cicero weigerte sich, die Einwände der Salaminier anzuhören, und bat sie eindringlich unter Hinweis auf seine Verdienste gegenüber der Gemeinde der Salaminier, das Darlehensgeschäft nun endgültig abzuwickeln. Als die Salaminier sich immer noch nicht bereitfanden, drohte Cicero schließlich, er würde sie zur Zahlung zwingen36 • Auf diese Ankündigung hin gaben die Salaminier ihren generellen Widerstand gegen eine Zahlung auf und bemerkten gegenüber Cicero, die Zahlung an Scaptius erfolge letztlich zu seinen (des Cicero) Lasten, da sie den Scaptius mit Mitteln bezahlten, die sie eigentlich als herkömmliche Abgabe an den Statthalter (vectigal praetorium) vorgesehen hätten. Da Cicero kurz zuvor den Verzicht auf diese Abgabe als eines seiner vielen beneficia in civitatem bezeichnet hatte, erklärt er sich mit diesem "Kompensationsgeschäft" ausdrücklich einverstanden. Auch Scaptius lobt die Zahlungsbereitschaft; Cicero fährt in seinem Bericht fort: Ad Att. 5, 21, 11: "Recte" inquit Scaptius, "sed subducamus summam". Interim cum ego in edicto translaticio centesimas me observaturum haberem cum anatocismo anniversario, ille ex syngrapha postulabat quaternas. "Quid ais?" inquam, "possumne contra meum edictum?" "Gut" sagte Scaptius, "aber wir wollen die Summe berechnen". Während ich in meinem edictum translaticium angekündigt hatte, ich werde einen Prozentsatz von 1 Ofo (monatlich) anerkennen mit einem jährlichen Anatocismus, forderte jener 4 Ofo (monatlich) nach dem Wortlaut der syngrapha. "Was sagst Du", warf ich ein, "kann ich denn gegen mein Edikt (Dir dies zugestehn)?" Da berief sich Scaptius zunächst auf den ersten der beiden Senatsbeschlüsse aus dem Jahre 56 v . Chr. Cicero erschrak zunächst fürchterlich (cohorrui prima), da er erkannte, daß die Anerkennung der Klagbarkeit jener syngrapha den Ruin der Stadt bedeuten würde. Cicero führte aber in die Verhandlung auch das zweite senatus consultum ein, wonach der syngrapha kein Vorrecht vor den anderen Schuldurkunden eingeräumt werden solle. Scaptius mußte nun erkennen, daß er seine 48 OJo (jährlichen) Zinsen nicht werde durchsetzen können; daher zog er während der mündlichen Erörterung Cicero beiseite und erklärte ihm, die Schuld der Salaminier betrage "etwas weniger" (paulo minus) als 200 Talente; da aber die Salaminier der Meinung seien, sie würden 200 Talente schulden, solle Cicero doch diese zur Zahlung von 200 Talenten veranlassen37• Cicero versprach, dies zu versuchen, und verhandelte nun mit den Salaminiern getrennt. Auf die Frage nach der Höhe se Ad Att. 5, 21, 11: imperavi, ut pecuniam solverent. Multa de syngrapha, de Scaptii iniuriis. Negavi me audire. hortatus sum, petivi etiam pro meis in civitatem benejiciis, ut negotium conjicerent, dixi denique me coacturum. 37 Ad Att. 5, 21, 12: Cum haec disseruissem, seducit me Scaptius, ait se nihil contra dicere, sed illos putare talenta CC se debere; ea se velle accipere; debere autem illos paulo minus. Rogat, ut eos ad ducenta perducam. 2 Wille

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2. Äußerer Geschehensablauf

ihrer Schuld antworteten sie dem Statthalter, sie seien 106 Talente schuldig. Als Cicero dem Scaptius diese Summe nannte, erhob dieser ein Geschrei. Cicero brachte beide Parteien wieder zusammen und forderte sie auf, die Summe nochmals vorzurechnen. Die Salaminier setzten sich hin und errechneten wieder genau die Summe von 106 Talenten38. Sie wollten diese 106 Talente auch sofort bezahlen und drängten Scaptius zur Annahme der Schuldsumme. Scaptius war aber nicht bereit, diese seiner Meinung nach viel zu geringe Summe anzuerkennen, und bat daher Cicero unter vier Augen, er solle den ganzen Rechtsstreit unentschieden39 lassen. Cicero gab diesem "unverschämten" Verlangen40 nach und verweigert den erbosten Salaminiern darüber hinaus die Niederlegung des Geldes in einem Tempel, was bewirkt hätte, daß sie für das niedergelegte Geld zukünftig keinerlei Zinsen hätten bezahlen müssen41 • Die Gerichtsverhandlung führte also zu keiner Lösung des Rechtsstreits. Im nächsten, aus Laodicea am 24. Febr. 50 v. Chr. abgeschickten Brief trägt Cicero eine Neuigkeit nach: Ad Att. 6, 1, 5: Nunc cognosce de Salaminis, quod video tibi novum accidisse, tamquam mihi. Numquam enim ex illo audivi illam pecuniam esse suam. Nun laß dir über die Salaminier berichten, was ganz sicher auch Dir neu ist wie auch mir: Ich habe nämlich von ihm (Brutus) nie gehört, daß jenes Geld seins sei. Vom weiteren Verlauf erfahren wir lediglich aus Andeutungen, daß Scaptius sein allzu schroffes Verhalten offensichtlich bereute und Brutus offenbar bereit war, einen gewissen Verlust hinzunehmen42 • Wei38 Ad Att. 5, 21, 12: "Quid opus est" inquam "rationes conferatis". Adsidunt, subducunt; ad nummum convenit. 39 Ad Att. 5, 21, 12: Rogat, ut rem sie relinquam, Dedi veniam homini impudenter petenti. Einige Prozeßanwesende hielten das Begehren für dumm, Cicero dagegen eher für unverschämt und maßlos: Nam aut bono nomine centesimis contentus n on erat aut non bono quaternas centesimas sperabat. Das Verständnis dieses Satzes ist umstritten: Nach Savignys Ansicht (S. 392), der die Erklärung des Manutius (Scaptius hoffe auf einen künftigen ungerechten Prokonsul) ablehnt, konnte Scaptius im Falle einer schlechten zukünftigen Finanzlage der Salaminier diese zur Zahlung der laufenden Zinsen dadurch bewegen, daß er ihm andernfalls die Kündigung des gesamten Darlehens androhte; sollten aber die Finanzen in Zukunft gut sein, so mußte er sich mit 12 Ofo von einem sehr sicheren Kapital begnügen. Dem ist Sternkopf (S. 13 "crux interpretum") entgegengetreten. Boot ändert den Text. Eine abschließende Klärung dieses strittigen Satzes scheint für die vorliegende Abhandlung über die Versur nicht erforderlich. 40 Aufgrund dieser und anderer Verhaltensweisen zählt Mommsen (I S. 147) Cicero zu den "Halbnaturen, die nicht vor dem Unrecht, aber vor dessen Nacktheit zurückschrecken, und denen nicht die Rechtschaffenheit, aber die Reputation der Rechenschaft am Herzen liegt". 41 Ad Att. 5, 21, 12: Graecis querentibus, ut in fano deponerent, postulantibus non concessi. ad Att. 6, 1, 7: Consistere usura debuit, quod erat in edicto meo; deponere volebant: impetravi a Salaminis, ut silerent. 42 Ad Att. 6, 2, 7: Audio omnino Scaptium paenitere . .. Tu quid ais? Brutum cupere aliquid perdere?

3.1. Höhe der ausbezahlten Kreditsumme

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terhin läßt Cicero durchblicken, daß sein vermutlicher Nachfolger, Lucius Aemilius Paulus43 , sich ähnlich wie sein Vorgänger Appius Claudius Puleher verhalten dürfte44 , also die gewaltsame Eintreibung der Schuldsumme zumindest dulden werde; denn Brutus war nicht nur mit Appius Claudius Pulcher, sondern auch mit Paulus verschwägert, da Paulus mit der Schwester des Brutus verheiratet war. Es stellte sich zwar später heraus, daß Paulus nicht Ciceros Nachfolger wurde, aber Brutus selbst dürfte sich in den folgenden Jahren um die "Lösung" des Rechtsstreits gekümmert haben; denn er folgte 45 im Jahre 48 v . Chr. dem Statthalter von Cilicien, P. Sestius, eben in die Provinz Cilicien. Dort dürften die Wirren des gerade begonnenen Bürgerkrieges "ein Fischen im Trüben nur allzusehr erleichtert" 46 haben. Über das weitere Schicksal der Salaminier bezüglich ihres Kredits fehlen jegliche Nachrichten.

3. Kredit Nachdem der äußere Ablauf der Geldaffäre dargestellt worden ist, sollen in den folgenden Abschnitten des 1. Teils die juristisch relevanten Elemente dieses Kreditgeschäfts genauer untersucht werden, um die rechtlichen Strukturen der versura deutlich werden zu lassen. Es wird sich dabei zeigen, daß die Versur den Abschluß des Darlehensvertrages überhaupt nicht berührt, sondern eine Veränderung des Darlehens erst zu einem Zeitpunkt bewirkt, wo nach einer gewissen Laufzeit eine Zinsrate fällig wird. Zur Verdeutlichung des schon aus der Wortbedeutung der versura hervorgehenden "Wechsels" ist zunächst das Schicksal des Darlehens bis zur Vereinbarung einer Versur einer näheren Prüfung zu unterziehen. Nach Erörterungen zur Höhe der ausgezahlten Valuta (3.1.), zu deren näheren Bestimmung der vermutliche Zweck des Darlehens (3.2.) Anhaltspunkte liefert, wird auf den bestehenden Zusammenhang der lex Gabinia zum Vertragsabschluß (4.1.) und die vermeintliche Verbindung dieser lex zur versura eingegangen werden. 3.1. Höbe der ausbezahlten Kreditsumme

Die genaue Summe der attischen Talente, die den Salaminiern nach Abschluß des Darlehensvertrages im Jahre 56 v. Chr. ausgezahlt wurde, ist uns nicht bekannt. Nicht einmal soviel ist sicher, daß die ursprüngZu diesem vgl. Drumann-Groebe I S. 6/7. Ad Att. 6, 1, 7: Sed quid iis fiet, si huc Paulus venerit. 45 Drumann-Groebe II S. 27 (§ 2 über Marcus Brutus). 48 Wie Bardt am Ende seiner Abhandlung bemerkt, der "nichts Gutes für die armen Salaminier" vermutet. 43

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3. Kredit

liehe Kreditsumme des Jahres 56 v. Chr. unter 100 Talenten betragen hat; zwar läßt die Angabe der Salaminier, sie würden jetzt an der Jahreswende 51/50 v. Chr. 106 Talente schulden, den Rückschluß auf ein weit unter 100 Talente betragendes Grundkapital zu, da ja in der Rückzahlungssumme von 106 Talenten erhebliche Nebenkosten (insbesondere Zinsen) enthalten sein dürften. Aber auch diese noch sehr ungenaue Angabe muß eine Vermutung bleiben, da weder Cicero noch andere Quellen irgendwelche sachdienlichen Angaben enthalten, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Salaminier seit 56 v. Chr. Teilleistungen, ob nun auf die Valuta47 selbst oder auf die Zinsen, erbracht haben. Bei dieser Sachlage48 müssen alle Versuche, die ursprünglich ausbezahlte Kreditsumme mit Hilfe mathematischer Formeln zu errechnen, scheitern. Deshalb kann es auch nicht verwundern, daß sehr auseinanderliegende Grundkapitalsummen errechnet wurden, die von 12 über 53,5 bis 64,67 Talente49 reicht. Drumann I Groebe halten daher 47 Im Abschnitt 5.0. wird der Nachweis erbracht, daß die Salaminier bis zur Gerichtsverhandlung Jahreswende 51/50 v. Chr. auf das Kapital keinerlei Zahlungen erbracht hatten. 48 Die Rechenaufgabe kann von nur zwei sicheren Größen ausgehen: 1.) 106 Talente, die die Salaminier bei einer Verzinsung von 12 Ofo jährlich für das Jahr 50 v. Chr. als geschuldet selbst angeben. 2.) der Zeitraum von sechs Jahren, der vergangen war seit der Aufnahme des Kredites im Jahre 56 v. Chr. Danach beginnen die Unsicherheiten: Schon der Monat der tatsächlichen Auszahlung ist unbekannt, da die Verhandlungen bis zur Auszahlung einschließlich der zwei erwirkten Senatsbeschlüsse sicherlich viel Zeit gekostet haben. Auch im übrigen enthält die Rechenaufgabe zuviele Unbekannte: Scaptius selbst beziffert die aus seiner Sicht geschuldete Rückzahlungssumme bei j ährlicher Verzinsung von 48 OJo (quaternae) sehr ungenau mit paulo minus CC talenta, wobei er sehr wahrscheinlich den Fehlbetrag zur Summe von 200 Talenten bewußt untertreibt. Da außerdem in der Zwischenzeit Zahlungen auf die Zinsen - nicht auf das Kapital selbst, wie unter 5.0. noch zu zeigen sein wird - erfolgt sein können, kann eine Zurückrechnung von 106 Talenten auf die ursprüngliche Kreditsumme zu keiner sicheren Bezifferung der Valuta führen. 49 So kommt Bardt S. 2 (in Anm. 2) mit Hilfe eines Mathematikers Schiel zu dem Ergebnis, daß die Salaminier ursprünglich 53 1/• Talente zu 12 OJo ausgeliehen hätten; mangels Zahlungen auf die Zinsen sei die Schuld binnen 31/2 Jahren auf knapp 82 Talente angewachsen, und "von da an verlangte der Gläubiger (Scaptius) 48 Ofo, während die Salaminier bei den ursprünglichen 12 OJo stehen blieben". Bardt geht von der Annahme aus, die letzte syngrapha sei aufgrund eines Vergleiches 2,278 Jahre vor der Gerichtsverhandlung unter Ciceros Leitung ausgestellt worden. Es finden sich aber keinerlei Angaben, wann der letzte Schuldschein (proxima syngrapha) ausgestellt wurde, geschweige denn, daß dieses im Rahmen eines Vergleiches geschah. Theodor Mommsen I S. 148 kommt "mit Hilfe von Freunden, welche mit dem Rechenknecht besser umzugehen wissen", zu einer ursprünglichen Kapitalsumme von nur 12 Talenten, da bei 48 OJo Zinsen und monatlicher(!) Kapitalisierung der Zinsen die Schuldsumme auf 85 Talente angewachsen sei; letztere 85 Talente würden bei 12 Ofo Verzinsung mit Zinseszins auf 106 Talente, bei 48 OJo Zinsen mit Zinseszinsen aber in fast seChs Jahren auf 200 Talente anwachsen. Sternkopf schließlich, bei der rechnerischen Behandlung des Problems "durch die gütige Belehrung des Mathematik-Oberlehrers Keiling" unter-

3.2. Der Zweck des Darlehens und das vectigal praetorium

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zu Recht "eine endgültige Lösung für ausgeschlossen, da uns zuwenig sichere Faktoren gegeben sind. Wir kennen weder die Größe des Grundkapitals noch den genauen Zeitpunkt der verschiedenen Schuldscheine und wir wissen nicht, ob und wieviele Zinsen in der Zwischenzeit gezahlt sind"5o. 3.2. Der Zweck des Darlehens und das vectigal praetorium

Die Höhe der im Jahre 56 v. Chr. ausgezahlten Valuta läßt sich näher eingrenzen durch den Zweck, dem das Darlehen sehr wahrscheinlich diente; dadurch ist jedoch eine exakte Bestimmung der ausbezahlten Talente ebensowenig möglich. Cicero erwähnt in dem schon mehrfach genannten Brief ad Att. 5, 21 das sogenannte praetorium vectigal an zwei Stellen: In der Verhandlung in Tarsos erklärten sich die Salaminier schließlich auf Drängen Ciceros bereit, die Schuld sofort zu bezahlen, und wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Zahlung an Scaptius letztlich zu Lasten Ciceros gehe: Ad Att. 5, 21, 11: Homines ... dicere se a me solvere; quod enim praetori dare consuessent, quoniam ego non acceperam, se a me quodam modo dare atque etiam minus esse aliquante in Scapti nomine quam in vectigali praetorio. Die Leute (aus Salamis) sagten, sie würden zu meinen Lasten zahlen; denn was sie gewöhnlich sonst dem Prätor gegeben hätten, würden sie nun gewissermaßen auf meine Kosten (dem Scaptius) geben, da ich ja (die Prätorenabgabe) nicht angenommen hatte; und außerdem sei ihre Schuld gegenüber Scaptius um einiges geringer als die Prätorenabgabe. Zweck und Umfang dieser "Statthaltersteuer" erläutert Cicero in § 7 des erwähnten Briefes: Die einzelnen Verwaltungsbezirke erwarteten ihn freudig, da sie in den sechs Monaten seiner Amtstätigkeit keine durch Erlaß des Statthalters (litterae) zugewiesenen "Gäste" (hospites), also Einquartierungen, haben erdulden müssen; vor seiner Amtszeit sei dies aber anders gewesen; vgl. ad Att. 5, 21, 7: stützt (S. 14 Anm. 1), stellt zu Recht die Angabe des Scaptius in Frage, wonach die Schuldsumme bei einer 48 °/o jährlichen Verzinsung "etwas weniger" als 200 Talente betrage, in Frage: Da 200 Talente auch nach Scaptius' Berechnung nicht die ex akte Schuldsumme sei, könne diese Größe nicht als feste Berechnungsgrundlage dienen. Sternkopf vermutet aus naheliegenden Gründen, daß Scaptius sich selbst eine weitaus niedrigere Summe als etwa Bardt glaubt (198,1 statt 200) ausgerechnet hat und sich mit der pauschalierten Summe von 200 Talenten in Wirklichkeit einen wesentlich größeren "Abrundungszuschlag" erschwindeln wollte; denn schon mit der Behauptung, die Salaminier glaubten, die Schuld betrage 200 Talente, zeige Scaptius, zu welchen Lügen er fähig sei. Welche Schuldsumme Scaptius selbst bei sich errechnet hat, müsse daher unklar bleiben. Sternkopf kommt dennoch bei seiner eigenen Berechnung zu einer ganz genauen Höhe der Valuta von 64,67 Talenten (Anm. 1 auf S. 15). so Bd. 3 S. 41 Anm. 7.

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4. Abschluß des Darlehensvertrages in Rom und die lex Gabinia

illud autem tempus quotannis ante me fuerat in hoc quaestu: civitates locupletes, ne in hiberna milites reciperent, magnas pecunias dabant, Cyprii talenta Attica CC; qua ex insula (non un:egßoA.txws sed verissime loquor) nummus nullus me obtinente erogabitur. Vor meiner Zeit wurde (aus der Provinz) Jahr für Jahr folgender Nutzen gezogen: Reiche Gemeinden zahlten große Summen, um eine Wintereinquartierung von Soldaten (in ihrer Stadt) zu verhindern, die Cyprioten 200 attische Talente; solange ich die Macht innehabe, wird von dieser Insel auch kein einziger Pfennig - ich übertreibe nicht, sondern sage die reine Wahrheit - requiriert werden. Es spricht nun sehr viel dafür, daß die Stadt Salamis auf Zypern, nachdem die Insel erst zwei Jahre zuvor51 (im Jahre 58 v. Chr.) von den Römern eingenommen und der Provinz Cilicien zugeschlagen worden war, sich von den drückenden Lasten, die die römische Hegemonialmacht der ganzen Insel und damit insbesondere Salamis als einer der blühendsten Städte auf Zypern auferlegte, durch eine Kreditaufnahme befreien wollte; denn solche bisher nicht angefallenen Ausgaben dürften die Finanzkraft der Gemeinde überstiegen haben. Ob die von Cicero erwähnten 200 Talente, die die Zyprioten allein zur Verhinderung von Wintereinquartierungen früher dem Statthalter haben zukommen lassen, ausschließlich von den Salaminiern oder noch von weiteren Bewohnern der Insel (zum Beispiel der nach Salamis bedeutendsten Stadt Paphos) aufgebracht wurden, läßt sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Jedenfalls mußte Salamis im Jahre 56 v. Chr. eine Summe von maximal 200 attischen Talenten aufbringen, die der Bestechung des damaligen Statthalters in Cilicien, P. Cornelius Lentulus Spinther, dienten und Wintereinquartierungen in der Stadt verhindern sollten. Es kann davon ausgegangen werden, daß Salamis als der damals reichsten Stadt auf Zypern gewisse Eigenmittel zur Verfügung standen; da diese aber offenbar nicht ausreichten, mußte der verbleibende Teil durch Kreditaufnahme finanziert werden, wobei die Höhe dieser Fremdmittel nicht noch weiter eingegrenzt werden kann.

4. Abschluß des Darlehensvertrages in Rom und die Iex Gabinia Finanzkräftige Darlehensgeber betrieben ihre Geschäfte in der Hauptstadt Rom; daher schickte Salamis im Jahre 56 v. Chr. Gesandte nach Rom, die dort die benötigten Gelder aufnehmen sollten. In Rom erklären sich M. Scaptius und P. Matinius zur Kreditierung der gewünschten Summe bei einer Verzinsung von 4 Ofo monatlich (quaternae), 51 Vgl. dazu Oberhummer im RE-Artikel über Zypern, in: RE 12 (1925) Sp. 59- 117, insb. Sp. 105: "Durch die lex Clodia (nach Publius Clodius Pulcher, dem oben erwähnten skandalumwitterten Bruder des Statthalters der Insel Zypern) erhielt Cato den Auftrag, die Insel einzuziehen, und er entledigte sich derselben zwar mit Widerwillen, aber noch mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit".

4. Abschluß des Darlehensvertrages in Rom und die lex Gabinia

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also 48 Ofo jährlich, bereit; die Gesandten der Salaminier akzeptierten notgedrungen die Darlehensbedingungen, insbesondere die ungewöhnlich hohen Zinsen; denn die centesima, also 12 Ofo jährlich, war damals der übliche Zinssatz. Zum Abschluß des Darlehensvertrages kam es aber zunächst nicht, weil die lex Gabinia die Geldaufnahme "verbot", wie Cicero uns berichtet; vgl.: Ad Att. 5, 21, 12: Salamini cum Romae versuram facere vellent, non poterant, quod lex Gabinia vetabat. Ad Att. 6, 2, 7: .. pecuniam Salamini contra legem Gabiniam sumpserant; vetabat autem ea lex ius dici de ita sumpta pecunia; decrevit igitur senatus, ut ius diceretur ex ista syngrapha. Nunc ista habet iuris idem quod ceterae, nihil praecipui. Als die Salaminier in Rom eine Versur machen wollten, konnten sie dies nicht, weil das gabinische Gesetz dies verbot . . . Die Salaminier hatte das Geld entgegen dem gabinischen Gesetz aufgenommen. Das Gesetz verbot nämlich, daß aus einem so aufgenommenen Geld eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden konnte. Also erließ der Senat einen Beschluß, daß aus jener syngrapha (dennoch) eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden konnte. Dadurch aber hatte jene syngrapha (nur) dieselbe Rechtsgültigkeit wie die übrigen (Schuldverschreibungen), aber keine darüber hinausgehende. Diese beiden Passagen und die Verbindung zwischen der lex Gabinia und der versura, die Cicero in ad Att. 5, 21, 12 durch die Worte ... versuram facere ... lex Gabinia vetabat herstellt, haben zu verschiedenen Deutungen geführt: Salmasius52 und Cuiaz53 sahen in der lex Gabinia ein Gesetz, das den Zinseszins verbot. Der Ansicht von Salmasius trat Gronovius54 entgegen und betonte den Zusammenhang mit der Versur. Costa55, der von den Romanisten dieses Jahrhunderts dem Darlehensgeschäft der Salaminier die größte Aufmerksamkeit widmete, zog aus den Atticusbriefen den Schluß, daß sich die lex Gabinia nicht auf den Abschluß des Darlehensgeschäfts selbst, sondern auf die Obligation aus der syngrapha bezogen hat, mit der das Darlehen erneuert zu werden pflegte. Schließlich neigt Mariagrazia Bianchini in ihrem Beitrag von 52 Von Gronovius S. 165 zitiert und abgelehnt: Pergit (sc. Salmasius), deinde Gabinia lex non prohibebat usuram, multo minus mutuum, sed eas usuras, quibus ad alias salvendas sese debitores obstringebant. 53 Bd. 4 S. 622: lex Gabinia non patitur (sc. usuras, quibus usurae alii debitae dissolvebantur), ne inopes usuris obruantur, dum usuris usuras cumulant. 5' Bd. 4 S. 622: lex Gabinia fuit de versura, non de usura.

55 S. 174 (Nr. 23) 16. Zeile: Senonche, dagli elementi stessi pört dalle dette lettere, parrebbe ehe le statuizioni della lex Gabinia non si appuntassero gii1 sopra il negozio di mutuo in se medesimo, ma bensi sopra l'obbligazione della syngrapha, alla quale il mutuo soleva essere rivestito, quand'era contratto con provinciali.

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4. Abschluß des Darlehensvertrages in Rom und die lex Gabinia

197056 offenbar der Ansicht zu, das Gesetz habe sich mindestens auch auf die Höhe der Zinsen bezogen.

Die folgenden Ausführungen zur lex Gabinia werden einerseits zeigen, daß kein Zusammenhang zwischen diesem Gesetz und der versura besteht, und somit die Ausdrucksweise Ciceros in ad Att. 5, 21, 12 als ungenau erweisen. Auf der anderen Seite werden sie die im vorausgegangenen Abschnitt entwickelte Vermutung, die Geldaufnahme diente der Bestechung des römischen Statthalters, bestätigen. 4.1. Die Iex Gabioia

4.1.1. Antike Zeugnisse über das Gabinische Gesetz Urheberschaft und Entstehungsjahr der lex Gabinia können in der Romanistik57 als gesichert gelten: Aulus Gabinius, Konsul des Jahres 58 v. Chr., hatte den Erlaß dieses Gesetzes in seiner Funktion als einer der Volkstribunen des Jahres 67 v. Chr. bewirkt. Nähere Einzelheiten über das Gesetzgebungsverfahren und den Inhalt des Gesetzes überliefert uns der antike Kommentator Asconius Pedianus, ein Philologe, der vermutlich von 9 v. Chr. bis 76 n. Chr. lebte, zu wenigstens 16 Reden Ciceros Kommentare schrieb und dabei neben der Cicerokorrespondenz auch verloren gegangene Senatsakten benutzte. In der Kommentierung der verloren gegangenen Cicerorede "pro Cornelio de maiestate" berichtet uns Asconius über einen Gesetzesantrag des Volkstribuns Gaius Cornelius aus dem Jahre 67 v. Chr.58 : Cornelius . . rettulerat ad senatum, ut, quoniam exterarum nationum legatis pecunia magna daretur usura turpiaque et famosa ex eo lucra fierent, ne quis legatis exterarum nationum pecuniam expensam ferret. Cuius relationem repudiavit senatus, .. Cornelius ea re offensus senatui questus est de ea in contione: exhauriri provincias usuris propter id unum, ut haberent legati, unde praesentia munera darent. Cornelius .. hatte einen Gesetzesantrag eingebracht, daß keiner den Gesandten auswärtiger Nationen Geld ausleihen solle, da den Gesandten auswärtiger Nationen größere verzinsliche Geldsummen gegeben würden und daraus verwerfliche und sagenhafte Gewinne gezogen würden. Diesen Ann Sie äußert sich auf S. 270 recht unverbindlich: mi sembra risultare (die lex Gabinia) . . . in relazione o al luogo . . . o alle finalita dello stesso, o, infine, alla misura degli interessi pattuiti. Letzteren Aspekt nimmt sie auf S. 272 Mitte wieder auf: Peraltro a me sembra piu prohabile ... base della lex Gabinia - e cioe la limitazione degli interessi- .. . sr Mommsen II (Staatsrecht) Bd. 3 S. 1154, ders. I (Hermes-Artikel) S. 145 und IV (Strafrecht) S. 885; Savigny S. 394/95; Orelli I Baiter, im index legum S. 181; Sternkopf S. 10; Drumann-Groebe Bd. 3 S. 40: "Sehr zweckmäßig war sein (des A. Gabinius) Gesetz über die Anleihen der Provinzialen in Rom"; vgl. auch Bardt S. 4 und Streuher S. 84. 58 Stangl I in seiner Ausgabe der Scholien pag. 47.

4.1. Dielex Gabinia

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trag wies der Senat zurück, . . Cornelius, der mit dieser Sache sich den Zorn des Senats zugezogen hatte, prangerte vor der Volksversammlung an, daß die Provinzen (von den Statthaltern) durch Erhebung von Abgaben allein zu dem Zweck ausgebeutet würden, damit die Gesandten in die Lage versetzt würden, sofort (in Rom) (Bestechungs-)Geschenke zu verteilen. Wenn auch der Antrag des Cornelius vom Senat zurückgewiesen wurde, so ist es aber in der Literatur59 zu Recht nicht bestritten, daß der Kollege des Cornelius im Volkstribunat, der erwähnte Aulus Gabinius, ein Plebiscit gleichen Inhalts erfolgreich bewirkte. Auf diese Weise wurde versucht, auf gesetzgeberischem Wege einem lange schon eingerissenen Mißstand entgegenzutreten, der darin bestand, daß auswärtige Gesandtschaften nur dann in angemessen kurzer Zeit im Senat ihr Anliegen vorbringen konnten, wenn sie zuvor die Konsuln durch Bestechungsgelder dazu gebracht hatten, ihnen Zugang zum Senat zu verschaffen. Dies wissen wir aus den Scholien60 zu der Cicerorede "pro Plancio": Legationes ab externis populis missae ad senatum solebant ordinari pro voluntate consulum, quae plerumque gratia, nonnumquam et accepta pecunia consules ordinabant, ut introduci ad senatum possent. Die von auswärtigen Völkern geschickten Gesandtschaften wurden gewöhnlich nur nach der Willkür der Konsuln zur Senat(sversammlung) zugelassen, was die Konsuln häufig nur durch gute Beziehungen, manchmal auch erst nach Empfang von Geldsummen , anordneten, nämlich, daß sie in den Senat eingelassen wurden. So hat es zum Beispiel Cato61 im Jahre 60 v. Chr. verstanden, drei Monate lang den Steuerpächtern einen Senatsbescheid und, dadurch bedingt, auch den Legationen dieses Jahres den Zutritt zum Senat zu verwehren. Die lex Gabinia verbot aus diesem Grunde alle Darlehensgeschäfte mit Bevollmächtigten von Provinzstädten, die in Rom abgeschlossen wurden. Sie richtet sich zum einen gegen die Provinzialen, die von der aktiven Bestechung der "römischen Größen zum Nachteil der Republik"62 und damit auch von kostspieligen Reisen nach Rom abgehalten werden sollten; es soll aber auch "die Habsucht der Großen und Wuchere r w enigstens vor den Augen des Senats" 63 in Rom v erhindert w erden. Vgl. Anm. 57. S. 134 der Ausgabe von Hildebrandt (Scholia Bobiensia). 81 Ad Att. 1, 18, 7: Cato, qui miseras publicanos ... tertium iam mensem vexabat neque eis a senatu responsum dari patitur. Ita nos cogimur reliquis de rebus nihil decernere, antequam publicanis responsum sit; quare etiam l e g a t i o n e s reiectum iri puto. 62 Savigny S. 395. 63 Drumann-Groebe Bd. 3 S. 41: Diesen Umstand benutzten römische Bankiers zu einem "oft schamlosen Wucher", hinter denen bisweilen auch römi59

60

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4. Abschluß des Darlehensvertrages in Rom und die lex Gabinia

Der auf das Verbot von Darlehen an Provinziale in Rom beschränkte Zweck der lex Gabinia wird auch aus zwei64 weiteren Belegstellen deutlich: So schreibt Cicero um die Jahreswende 55/54 v. Chr. an seinen Bruder Quintus: Ad Quint. fratrem 2, 11,3 (= 2, 12, 3): Comitialibus diebus, qui Quirinalia sequuntur, Appius interpretatur non impediri se lege Pupia, quaminus habeat senatum, et quod Gabinia sanctum sit, etiam cogi ex Kal. Febr. usque ad Kai. Mart. legatis senatum cottidie dare. An den Komitialtagen, die auf die Quirinalien folgen, werde er - so erklärt Appius - nach (richtiger) Deutung65 durch das Pupische Gesetz nicht gehindert, ja, er werde sogar, da die (lex) Gabinia es so vorschreibe, gezwungen, vom 1. Februar bis zum 1. März den Gesandten täglich Audienz im Senat zu gewähren. Während das vom Tribunen Gnaeus Pupius eingebrachte Gesetz Senatssitzungen an Wahlversammlungstagen verbot, bestimmt die lex Gabinia, wie aus dieser Stelle deutlich wird, daß den ausländischen Gesandtschaften während des ganzen Monats Februar Zutritt zum Senat zu gewähren sei. Dieselbe Verknüpfung der lex Pupia mit dem gabinischen Gesetz findet sich auch in einem weiteren Cicerobrief des Jahres 56 v. Chr., gerichtet an Lentulus. Ad fam. 1, 4, 1 a. E.: Senatus haberi ante K. Februarias per legem Pupiam, id quod scis, non potest neque mense Febr. toto nisi perfectis aut reiectis legationibus. Wie du weißt, kann wegen des Pupischen Gesetzes der Senat nicht vor dem 1. Februar abgehalten werden und auch nicht während des ganzen Monats Februar, es sei denn, die (Angelegenheit der) Gesandtschaften sind erledigt oder zurückgewiesen worden. Aus allen angeführten Quellen läßt sich der Inhalt der lex Gabinia wie folgt bestimmen: Sie verbot jede Gewährung von Darlehen an Gesandtschaften abhängiger Provinzstädte oder Völkerschaften in Rom, indem sie derartige Darlehen klaglos stellte, also bei der Durchsetzung den Rechtssehe Senatoren steckten. Ebenso auch Madvig Bd. 1 S. 80, der einzelne Wucherdarlehen aufzählt: das Wuchergeschäft zwischen Pompeius und (wiederum!) Brutus auf der einen Seite und dem König von Cappadocien, Ariobarzanes, auf der anderen Seite (ad Att. 6, 1, 3 und 6, 3, 5); ein größeres Darlehen des Privatmannes P. Sittius an den König Bocchus aus Mauretanien (Cicero de Sulla 20 [58]); von einem Senatsbeschluß des Jahres 94 v. Chr. anläßlich eines Kredites an die Kreter spricht Asconius (Stangl I S. 47): Nequis Cretensibus pecuniam mutuam daret. 64 Beide Quellen sind bisher in der Romanistik soweit ersichtlich nicht herangezogen worden. 65 Vgl. Mommsen II Bd. 3 S. 922, der in Anm. 2 den Versuch des Appius behandelt, die lex Pupia in seinem Sinne umzudeuten.

4.1. Dielex Gabinia

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schutz versagte 66 • Folgerichtig bestimmte sie darüber hinaus, daß der Senat in Rom Gesandtschaften jeweils im Februar anhören mußte, um so den Grund für die maßlosen Bestechungen, nämlich die schikanöse Verschleppung der Anhörung seitens der Konsuln, zu beseitigen. Es kann als sicher gelten, daß die lex Gabinia bei Verstößen beiden Teilen eine Geldbuße androhte67 •

4.1.2. Anwendung auf das Kreditgeschäft der SalaminieT Die Angaben Ciceros, insbesondere die im Brief ad Att. 6,2 über die lex Gabinia, stehen mit dem zuvor entwickelten Inhalt der lex in vollem Einklang: Ad Att. 6, 2, 7: pecuniam Salamini contra legem Gabiniam sumpserant; vetabat autem ea lex ius dici de ita sumpta pecunia. Diese Passage macht deutlich, daß die lex Gabinia gegen eine i t a sumpta pecunia gerichtet war und lediglich einem Darlehen , das unter besonderen Umständen aufgenommen wurde, die Klagbarkeit nahm. Die aus den übrigen Quellen hervorgetretenen besonderen Voraussetzungen, unter denen das Verbotsgesetz eingriff, waren im Falle der Salaminier gegeben: diese waren Einwohner und Gesandte einer Provinzstadtund nahmen in Rom bei Scaptius und Matinius ein Darlehen auf. Dieses Darlehen diente auch sehr wahrscheinlich - wie unter 3.2. ausgeführt - der Bestechung des damaligen Statthalters ihrer Provinz Cilicien, P. Cornelius Lentulus Spinther, der als habgierig galt 68 •

4.1.3. Abweichende Literaturansichten Die eingangs (4.0.) zitierten abweichenden Deutungen der lex können sich nicht auf irgendwelche Quellen stützen, die den aus den oben angeführten antiken Zeugnissen abgeleiteten Inhalt des Gesetzes zweifelhaft erscheinen lassen. Folglich werden zur Unterstützung der Thesen 66 So jetzt auch Kaser in der 1975 erschienenen Neuauflage seines Handbuches (Kaser II) § 263 Anm. 5, während in der ersten Auflage noch jeder Hinweis auf die Zex Gabinia fehlte. 67 Diese Vermutung von Mommsen (IV S. 886) wird durch das zeitlich erste in der Geldaffäre der Salaminier erlassene SC gestützt, worin die Strafvorschrift der lex für das ganz bestimmte Darlehen an die Salaminier außer Kraft gesetzt wird: Ne .. fraudi esset; fraus in der Bedeutung von poena = Geldbuße wird ausdrücklich belegt durch Ulpian: D. 21, 1, 23,2 (Ulp. 1 ad ed. aed.): Veteres enim fraudem pro poena ponere solebant. Auch Mommsen muß aber a.a.O. in Anm. 1 feststellen, daß die Ausnahme in den Atticusbriefen "die Beschaffenheit" (insb. die Höhe) .,der Strafe nicht erkennen" läßt. 68 Drumann-Groebe Bd. 2, S. 455 ff., insb. 458/9.

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4. Abschluß des Darlehensvertrages in Rom und die lex Gabinia

auch keine weiteren Belegstellen angeführt; die Vertreter dieser Ansichten sind auch nicht in der Lage, die angeblich mit der lex Gabinia eingeführte Zinsobergrenze anzugeben. Die Deutung von Costa, wonach die lex Gabinia sich nicht gegen den Vertragsabschluß, sondern erst gegen eine später aufgesetzte syngrapha richtete, kann als interessant69 bezeichnet werden, widerspricht jedoch dem Inhalt der - von Costa70 irrig als einzige antike Quellen für die lex bezeichneten - Cicerobriefe. Denn weil die lex Gabinia schon den Abschluß des Darlehensvertrages verhinderte, mußte Brutus seinen ganzen Einfluß geltend machen, um mit dem ersten Senatsbeschluß das Zustandekommen des Darlehensvertrages überhaupt erst zu ermöglichen. Erst nach Erlaß dieses Senatsbeschlusses zahlten die Darlehensgeber die Valuta aus, wodurch dann der- nach römischer Rechtsauffassung- Real-Vertrag des mutuum zustande kam: Ad Att. 5, 21, 12: Fit gratia Bruti senatus consultum, ut neve Salaminis neve, qui eis dedisset, fraudi esset. Pecuniam numerarunt. Da Brutus und den Geldgebern erst später klar wurde, daß die zivilrechtlichen Sanktionen der lex Gabinia - ius dici vetari - durch den ersten Senatsbeschluß nicht aufgehoben worden waren, wurde ein zweiter Senatsbeschluß notwendig; dies ändert aber nichts an der Erkenntnis, daß die lex Gabinia bereits dem Abschluß des Darlehensvertrages entgegenstand. Dies wird aus den Worten im Brief ad Att. 6,2,7: de ita sumpta pecunia deutlich. 4.2. Vermeintlicher Zusammenhang von Iex Gabinia und versura

Nun stellt Cicero selbst durch den bereits mehrfach zitierten Satz im Atticusbrief 5, 21, 12: Salamini, cum Romae versuram facere vellent, non poterant, quod lex Gabinia vetabat eine Verbindung zwischen der Versur und der lex Gabinia her und legt damit folgende Erklärung der Versur nahe: die lex Gabinia verbot den Abschluß eines Darlehens zwischen Provinzialen und stadtrömischen Darlehensgebern. Ein derartiges verbotenes Darlehensgeschäft schlos89 Die vorliegende Abhandlung wird in diesem Punkt die Ansicht von Costa bestätigen, diese Erkenntnis jedoch nicht auf die lex Gabinia, sondern auf die Versur beziehen. 70 S. 174 Nr. 23 (8. Zeile): Intorno alla contenenza della lex Gabinia non possediamo altre notizie, all'infuori di quelle ehe arrecano le lettere di Cicerone ricordate dianzi. Dennoch zitierte er anschließend die oben aufgezeigte Ansicht, daß sich die lex Gabinia auf Darlehen zwischen Stadtrömern und Provinzialen bezog.

4.2. Vermeintlicher Zusammenhang von lex Gabinia und versura

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sendemnach die Salaminier im Jahre 56 v. Chr. mit Scaptius und Matinius ab. Also bezeichnet die Versur jedes Darlehensgeschäft, das in Rom zwischen Provinzialen und stadtrömischen Geldgebern eingegangen wurde. Diese sich aufdrängende Schlußfolgerung, zu der schon Gronovius 1661 gelangte: lex Gabinia fuit de versura11 , ist dennoch nicht zutreffend; denn die im 2. Teil dieser Abhandlung näher zu behandelnden Quellen werden erweisen, daß kein Zusammenhang zwischen der Versur und der lex Gabinia bestand. Ohne den Einzelexegesen nennenswert vorzugreifen, sei schon hier auf Folgendes hingewiesen: 1. Parteien einer Versur konnten durchaus zwei Privatleute sein; insbesondere brauchte der Darlehensnehmer keine Provinzstadt bzw. deren Vertreter zu sein. So hat sich Ciceros Bruder Quintus als Darlehensnehmer des Atticus um eine Versur bemüht (dazu im einzelnen 10.1.- 10.3.). Atticus unterstützte eine Fulvia, die zur Beseitigung ihrer Geldnöte - also wiederum eine Privatperson als Schuldnerin - eine Versur abgeschlossen hätte, wenn nicht Atticus ihr das benötigte Geld zu günstigeren Bedingungen zur Verfügung gestellt hätte (zu den Einzelheiten vgl. 9.4. bis 9.6.). Cicero selbst sah sich mehrfach zu einer Versur genötigt: im Jahre 51 v. Chr. als Schuldner eines Darlehens von Cäsar (näheres dazu unter 10.5.) und als Darlehensschuldner des Atticus (10.6.) und erneut sieben Jahre später, als er sich wiederum Geld von Atticus geliehen hatte (dazu im einzelnen 10.4.). Gleiches gilt für den Privatmann Herakleides, der bei den Fufiern, römischen Bankiers, ein Darlehen im Zusammenhang mit einem Grundstückskauf aufgenommen hatte (unten 11.5.). 2. Wenn es zuträfe, daß die Versur ein "normales" Darlehen mit der einzigen Besonderheit wäre, daß Darlehensgeber ein Stadtrömer und Darlehensnehmer eine Provinzstadt waren, dann ließe sich kein vernünftiger Grund dafür finden, daß a) sich überhaupt ein eigener terminus technicus für dieses Spezialdarlehen einbürgern und bis ins 5. nachchristliche Jahrhundert lebendig halten konnte, obwohl ein solches Darlehensgeschäft bereits 67 v. Chr. durch die lex Gabinia verboten war, b) und darüber hinaus dafür eine Bezeichnung gewählt wurde, die unmißverständlich auf eine Veränderung, einen Wechsel, hinweist. 71 Vgl. Anm. 54; Gronovius hat auf S. 165 in seinem Kommentar zu den quaestiones Papinians gegen die Ansicht von Cuiaz und Salmasius andererseits zutreffend aus den beiden Cicerobriefen den Inhalt der lex dahin erschlossen: immo lex Gabinia prohibebat Romae foenori provincialibus dari, provinciales accipere.

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5. Die Berechnung der Zinsen nach Ciceros Provinzialedikt

Es bleibt unerfindlich, worin bei einem so verstandenen Spezialdarlehen eine Veränderung liegen sollte. 3. Darüber hinaus wäre nicht zu erklären, wie es bei einem derartigen Verständnis der Versur zur übertragenen Bedeutung des Ausdrucks versura solvere im Sinne von: Vom Regen in die Traufe kommen, ein Übel durch ein anderes ersetzen, überhaupt kommen konnte (so schon 161 v. Chr. bei Terenz unten 11.1. und bei Laktanz, dazu 11.12.). Wenn Cicero dennoch in der zitierten Passage: cum versuram facere vellent das Wort versura offenkundig schon für den Abschluß des Darlehensvertrages im Jahre 56 v. Chr. verwendet, so beruht dies auf einer ungenauen Wortwahl Ciceros; denn als er im Jahre 51 v. Chr. in seinen Briefen an Atticus diesem über das Geldgeschäft mehrfach berichtete, stand für Cicero bei Ermittlung der zurückzuzahlenden Summe die Zinsberechnung, nicht aber die fünf Jahre zuvor ausgezahlte Valuta im Vordergrund; über das zur Verfügung gestellte Grundkapital stritten die Parteien nicht; vielmehr ging der Streit- wie im folgenden Kapitel gezeigt werden wird - allein um den Zinssatz und die Frage, von welcher Summe bei der Berechnung der Zinsen auszugehen sei. Deshalb übertrug Cicero spätere Abmachungen über die zu verzinsende Summe - versura- fälschlich auf den Abschluß des Darlehensvertrages und )ezeichnete mit der unter den Parteien strittigen nachträglichen Einzelvereinbarung das ganze Gefüge des Darlehensvertrages; er setzte sozusagenparspro toto (sc. mutuo).

5. Die Berechnung der Zinsen nach Ciceros Provinzialedikt Die bisherigen Erörterungen lassen folgende Zwischenbilanz zu: Die Salaminier nahmen im Jahre 56 v. Chr. ein Darlehen, dessen genaue Summe aus den Quellen nicht zu ermitteln ist, zu einem Zinssatz von 4 Ofo monatlich = 48 Ofo jährlich auf. Der Abschluß dieses Darlehensvertrages zwischen der Provinzstadt und den stadtrömischen Geldgebern wurde auf Betreiben des Brutus dadurch ermöglicht, daß der römische Senat durch zwei Beschlüsse die Sperrwirkung der lex Gabinia, die sich nur auf den Abschluß eines derartigen Darlehensvertrages bezog, aufhob. Daraufhin wurde den Salaminiern im Jahre 56 v. Chr. die Valuta ausbezahlt. Fünf Jahre später, 51/50 v. Chr., stritten die Parteien (Scaptius I Matinius und die Salaminier) über die Höhe der zu diesem Zeitpunkt zurückzuzahlenden Gesamtsumme. Aus folgenden Gründen ging der Streit ausschließlich um den Umfang der zwischenzeitlich aufgelaufenen Zinsen:

5.1. Unterschiedliche Ansichten der Parteien zur Höhe der Zinsen

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Es ist als völlig lebensfremd auszuschließen, daß der Betrag der ursprünglich ausgezahlten Valuta streitig war. Denn es muß als sicher gelten, daß die syngrapha, die Gegenstand von immerhin zwei Senatsbeschlüssen des Jahres 56 v. Chr. war, auch die genaueZahl der damals ausbezahlten Talente enthielt. Leider verschweigt uns Cicero die Summe, die den beiden Parteien ganz sicher bekannt war. Weiterhin ist aus Ciceros Bericht zu entnehmen, daß auf die Valuta seit dem Jahre 56 v. Chr. keinerlei Zahlungen erfolgt waren; denn er schrieb an Atticus: Ad Att. 6, 2, 7: adduxi, ut totum Scaptio vellent solvere, sed centesimis ... Ich brachte (sie) dazu, daß sie das ganze Kapitel dem Scaptius bezahlen wollten, aber mit Zinsen ... Totum nomen 72 bezeichnet, gerade auch durch die Gegenüberstellung zu den centesimae, die gesamte ausbezahlte Valuta. Wenn demnach die Salaminier bereit sind, die gesamte ausbezahlte Valuta an den Darlehensgeber zurückzuzahlen nebst weiteren Zinsen, so ist daraus zu entnehmen, daß auf die eigentliche Kapitalsumme keinerlei Leistungen in der Zwischenzeit erbracht worden sind. Daß der Gläubiger das Kapital zunächst nicht zurückfordert und sich mit Zahlungen begnügt, die die aufgelaufenen Zinsen sogar nur teilweise tilgen, ist nicht ungewöhnlich, wie das Geschäft zwischen Pompeius und Ariobarzanes zeigt, über das Cicero gleichfalls in dem mehrfach zitierten Brief ad Att. 6, 1, 3 schreibt: Ei (sc. Gnaeo Pompeio) tarnen sie nunc solvitur: tricesimo quoque die talenta Attica XXXIII, et hoc ex tributis; nec id satis efficit in usuram menstruam. Sed Gnaeus noster clementer id fert; sorte caret, usura nec ea solida contentus est. An ihn (Gnaeus Pompeius) werden trotzdem folgende Zahlungen geleistet: An jedem 30. Tag 33 attische Talente, und das aus außerordentlichen öffentlichen Abgaben. Aber dies reicht nicht einmal für die monatlichen Zinsen. Doch unser Gnaeus (Pompeius) trägt das mit Fassung. Er verzichtet auf das Kapital und begnügt sich mit den, nicht einmal vollständigen, Zinsen. 5.1. Unterschiedliche Ansichten der Parteien zur Höhe der Zinsen

Wenn sich die Parteien über die zurückzuzahlende Summe im Jahre 51/50 v. Chr. nicht einig werden konnten, so rührte dies allein von den unterschiedlichen Auffassungen über die Höhe der Zinsen her. 72 Die Bezeichnung nomen für das ausbezahlte Kapital stammt von der Buchungsart im codex accepti et expensi, wo der pater familias das nomen des Kreditschuldners eintrug, vgl. Kaser I § 130 Anm. 10; auch HeumannSeckel s. v. nomen 2 a mit weiteren Quellennachweisen.

5. Die Berechnung der Zinsen nach Ciceros Provinzialedikt

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Des Scaptius Ansicht kennen wir: er meint, Kapital und Zinsen würden insgesamt "etwas weniger", paulo minus, als 200 Talente ausmachen. Weiterhin erzählt er - objektiv wahrheitswidrig - dem Cicero, die Salaminier seien im Glauben, ihre Schuld betrage genau 200 Talente. Weiche Summe die Salaminier nach ihrer eigenen Ansicht als geschuldet ansehen, ist nicht eindeutig; zwar berichtet Cicero, daß diese auf seine Frage quid vos debetis antworten: 106 Talente, die sie bei einer erneuten Berechnung unter der Aufsicht von Cicero erneut bestätigen: Ad Att. 5, 21, 12: ... "rationes conferatis". Absidunt, subducunt; ad nummum convenit. "Macht eure Berechnungen (nochmals)!" Sie setzen sich hin und rechnen: es stimmt auf den Pfennig genau.

Diese Summe von 106 Talenten stellt aber nicht etwa die ursprüngliche Meinung der Salaminier dar, sondern beruht auf einer administrativen Anweisung von Cicero und ist somit berechnet auf der Grundlage eines Kompromisses, den Cicero nach zähen Verhandlungen zwischen den Parteien gefunden hat. Cicero berichtet uns nämlich in allen einschlägigen Briefen von seinen intensiven Bemühungen, beide Parteien in ihren sehr weit auseinander liegenden Vorstellungen über die Höhe der zurückzuzahlenden Summe einander näherzubringen: Ad Att. 5, 21, 11: hortatus sum, petivi etiam pro meis in civitatem beneficiis ut negotium conficerent; dixi denique me coacturum. Ich appellierte an sie, ich bat sie auch mit Hinweis auf meine Verdienste ihrer Stadt gegenüber, sie sollten das Geschäft endlich zu einem Ende bringen; schließlich sagte ich, ich werde sie zwingen. Ad Att. 6, 1, 5: Confeceram, ut solverent centesimis ... Ich brachte sie (schließlich) dazu, mit Zinsen .. zu zahlen. Ad Att. 6, 2, 7: Venia ad Brutum tuum, immo nostrum (sie enim mavis). Equidem omnia feci quae potui aut in mea provincia perficere . . . Salaminos autem (hos enim poteram coercere) adduxi, ut totum nomen Scaptio vellent solvere, sed centesimis ... Ich komme auf Deinen - oder vielmehr, so willst Du es ja lieber, auf unseren - Brutus (zu sprechen). Ich habe alles73 getan, was ich in meiner Provinz habe durchsetzen können ... Die Salaminier74 aber - diese nämlich konnte ich unter Druck setzen - brachte ich dazu, daß sie dem Scaptius das vollständige Kapital (zurück)zahlen wollten, aber mit Zinsen ... 73

Wiederholt in: ad Att. 6, 3, 5: Bruti tui causa, ut saepe ad te scripsi, feci

omnia.

74 Im Gegensatz zu Ciceros Bemühungen beim König Ariobarzanes, wo Cicero nur wenig erreichte: ad Att. 6, 2, 7: multum profeci, sed quantum non plane, quia lange absum, scio. Über die monatlichen Zahlungen von 33 Talenten als Teilleistungen auf die Zinsen (vgl. oben unter 5.) hinaus könne er nichts weiter ausrichten; denn: ad Att. 6, 1, 4: Et me hercule ego ita iudico,

nihil illo regno spoliatius, nihil rege egentius.

5.2. Renovatio der Zinsen und Anatocismus

33

Cicero hat in dieser Sache dem Atticus zuliebe zugunsten des Brutus75 seinen ganzen Einfluß geltend gemacht: Zunächst appellierte er an die Einsicht der Salaminier, wie nützlich auch für sie als Schuldner der gütliche Abschluß des leidigen Geschäftes sei; dann wirft er seine eigenen Verdienste der Stadt Salamis auf Zypern gegenüber in die Waagschale; schließlich droht er mit nacktem Zwang, wobei er seine Zwangsmittel aber nicht aufzählt. Erst jetzt erreicht er, daß die Salaminier sich mit folgender Berechnung einverstanden erklären, die freilich dem Scaptius immer noch als unzureichend erscheint: Ad Att. 6, 1, 5: Confeceram, ut solverent centesimis sexenni ductis cum renovatione singulorum annorum. At Scaptius quaternas postulabat. Ich brachte sie dazu, (das Kapital) zu zahlen samt jährlichen 12 Ofo Zinsen für sechs Jahre mit der Erneuerung (der Zinsen) in jedem einzelnen Jahr. Aber Scaptius forderte 4 Ofo (monatliche) Zinsen. 5.2. Renovatio der Zinsen und Anatocismus

Dieser letzte Kamprarniß sieht eine Zahlung von centesimae (usurae) über sechs Jahre (sexennium) cum renovatione singulorum annorum vor. Über die renovatio der Zinsen berichtet uns Cicero mehrfach in den vier Briefen (inkl. ad Att. 6, 1, 5): Ad Att. 5, 21, 12: Nihil impudentius Scaptio, qui centesimis cum anatocismo contentus non esset. Es gebe nichts Unverschämteres als Scaptius, der ja nicht mit 1 Ofo (monatlichen) Zinsen (verbunden) mit Anatocismus sich zufrieden gab. Ad Att. 6, 3, 5: Sed Scaptius centesimis renovato in singulos annos faenore contentus non fuit. Aber Scaptius war nicht zufrieden mit 1 Ofo (monatlichen) Zinsen, die für jedes einzelne Jahr erneuert wurden. Ad Att. 6, 2, 7: Salaminos ... adduxi, ut totum nomen Scaptio vellent solvere, sed centesimis78 ... nec perpetuis, sed renovatis quotannis ..: noluit Scaptius. Ich brachte . .. die Salaminier dazu, daß sie dem Scaptius das ganze Kapital zurückzahlen wollten, aber mit 1 Ofo monatlichen Zinsen . ., die nicht gleichmäßig liefen, sondern pro Jahr erneuert wurden. Das aber wollte Scaptius nicht. Aus der Gegenüberstellung dieser vier Belege wird deutlich, daß Cicero an allen Stellen mit etwas anderen Worten stets die gleiche 75 Ad Att. 6, 1, 3: .. Brutum, quem ego omni studio te (sc. Attico) auctore sum complexus, quem etiam amare coeperam; sed ilico me revocavi, ne te offenderem. Noli enim putare me quicquam maluisse quam ut mandatis satis facerem nec ulla de re plus laborasse. 78 über die hier ausgelassenen Worte: proxima syngrapha handelt ausführ-

lich das nächste Kapitel. 3 Wille

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5. Die Berechnung der Zinsen nach Ciceros Provinzialedikt

Aussage über den abgelehnten Kompromißvorschlag macht: Zahlung des ganzen Kapitals (nomen totum) mit 1 OJo monatlichen (= 12 OJo jährlichen) Zinsen, centesimae, welche wiederum in jedem einzelnen Jahr erneuert wurden. Dabei haben die Wendungen

centesimis cum renovatione singulorum annorum und centesimis nec perpetuis, sed renovatis quotannis und renovato in singulos annos faenore und centesimis cum anatocismo (anniversario )71 ersichtlich denselben Sinn. Die lateinischen Formulierungen faenus = usurae renovatue = renovatio usurarum sind daher dem griechischen Fachausdruck anatocismus gleichzusetzen.

renovaturn

Letzterer setzt sich zusammen aus ava (= supra, darüber) und 1:6xo~ ( = faenus, Ertrag, Zins) abgeleitet von ,;[x,;w gebären, wie das lateinische faenus sich von feo 18 = gebären herleitet; wörtlich übersetzt ergäbe dies das deutsche Wort "Draufverzinsung" 79 •

Die seit Jahrhunderten übliche, aus dem gemeinen Recht überkommene Übersetzung des Anatocismus mit "Zinseszins" wird in der vorliegenden Arbeit bewußt nicht gewählt, da sie die Eigenart des Anatocismus nicht klar erkennen läßt; die weiteren Ausführungen werden zeigen, daß die zutreffende Übersetzung nur "Hinzuschlagung der Zinsen zum Kapital" oder kürzer - aber im gleichen Sinne - "Zinskapitalisierung" lauten kann. Die Übersetzung des Anatocismus mit Zinseszins hat sich deshalb einbürgern können, weil Justinian in einer, im folgenden noch ausführlich zu behandelnden, Konstitution des Jahres 529 n. Chr. (C. 4, 32, 28) "echte" Zinseszinsen, usurae usurarum, und Hinzuschlagung der Zinsen zum Kapital von den Rechtsfolgen her gleichstellte und spätestens seit dem 17. Jahrhundert80 sich für beide Arten der Oberbegriff Ergänzt aus ad Att. 5, 21, 11: . . Centesimas cum anatocismo anniversario. Vgl. Klingmüller in: RE 6. Bd., 2. Halbbd. (1909) Sp. 2187- 2205 s. v. fenus. 79 Engering (1673) in Kapitel 11 Rdn. 9 übersetzt: "Aufsatz oder Steigerung des Wuchers", Jacob Weiß (1723): "Überwucher, Judenzins"; Krüll (1802): "Zinsvervielfältigung". 80 So Engering im Jahre 1673 in Kapitel 11, Rdn. 8, mit Hinweis auf die Abhandlung von Salmasius: De modo usurarum, und unter Berufung auf das philologische Lexikon von Martin. Engering zitiert am Ende des I. Kapitels auch die Rechtspraxis von Leipzig aus dem Jahre 1636, die offenbar auch den Anatocismus als Oberbegriff verwendete: "Dieweil aber dennoch Zins von Zins zu fordern auch zu solchem Ende den rückständigen Zins zum Capital zu schlagen durchaus verboten und dergleichen Anatocismus in Rechten gantz auffgehoben ..". 77

78

5.2. Renovatio der Zinsen und Anatocismus

35

anatocismus einbürgerte. Zwar verstand die überwiegende81 Zahl der damaligen Rechtsgelehrten unter dem Anatocismus nur die Hinzuschlagung der Zinsen zum Kapital (also: anatocismus im engeren Sinne); deshalb wurde dann der gemeinsamen Oberbezeichnung noch die differenzierenden Adjektive separatus bzw. coniunctus (auch: coniunctivus) zugesetzt82. Diese Differenzierung geriet aber im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr in Vergessenheit83, so daß in unserem Jahrhundert84 überwiegend beide Arten unterschiedslos Anatocismus genannt werden. 81 Engering in Kapitel II Rdn. 12: Plurimi hoc solummodo negotium anatocismum esse dicant, quoties debitae usurae sorti imputatae alias usuras pariunt; Jacob Weiß (1723) S. 712 versteht unter Anatocismus allein: modus, qua usurae in sortem rediguntur, anatocismus vocatur und definiert ihn als: regeneratio usurarum ex usuris per stipulationem eo fine in sortem redactis; Cramer (1784) in § 22 (S. 284): "Es besteht der Anatocismus darin, daß man die Zinsen, die noch nicht eingetrieben sind, zum Kapitale schlägt." 82 Engering (1673) kennt die sachliche Unterscheidung beider Arten, die er in seiner Abhandlung über den Anatocismus als gleichberechtigte Spielarten behandelt, ohne sie durch Zusatz von Adjektiven voneinander abzugrenzen: Kapitel II Rdn. 11: constituitur autem anatocismus du p l i c i t er (1) quando usura non soluta sorti additur ... (2) quando quis usurarum usuras per se t a m q u a m de n o v a s o r t e a l i a stipulatur, propter hanc rationem dicitur renovatio usurarum. Ähnlich 1693 Rickers, der auf S. 1360 die Differenzierung anderer Autoren anführt, ohne daß er selbst die Adjektive separatus bzw. coniunctus benutzt: Sunt, qui usuras usurarum ab anatocismo distinguant, quod hic (sc. anatocismus) fit, cum usuris in sortem redactis usura petitur. Krüll (1802) in § 2: "Dieser Art von Gewinnspeculation gab man eine eigene Bezeichnung und nannte sie im allgemeinen Anatocism oder Zinsvervielfältigung. Diesen Anatocism teilt man .. in den verbundenen (anatocismum coniunctivum), wenn die Zinsen zum Hauptstamm hinzugerechnet werden, und den besonderen (separatum), wenn die schuldigen Zinsen ohne Auszahlung als bezahlt betrachtet und zu einem eigenen Hauptstamm dem Schuldner zugeschrieben werden. Ebenso unterscheidet auch Glück in seiner Kommentierung der Pandekten von 1820 Bd. 21, 1. Titel § 1135 und führt zahlreiche weitere Autoren auf. So auch Puchta (1844) § 229, S. 327; ebenso Sintenis S. 103 mit der ausführlichen Anm. 49. Auch noch Windscheid führt in der 7. Auflage seines Pandektenlehrbuches von 1891 die Unterscheidung an (Bd. 2 § 261, S. 44 Anm. 2). 83 Schon im Jahre 1698 setzte Noodt (am Anfang des Kapitel 11) usurae usurarum und anatocismus gleich: .. subiicienda sunt pauca de usuris usurarum .. eas usuras Cicero libro 5 ad Att. epist. ult. anatocismum appellat. Auch Mevius (in seiner decisio Nr. 113) geht offenbar von der Identität von Anatocismus und usurae usurarum aus: Iurisprudentia Romana anatocismum s e u usuras usurarum damnat; die Verwendung des Wortes seu deutet auf inhaltliche Identität beider Ausdrücke; andernfalls hätte er die Konjunktionen et .. et oder aut .. aut . . benutzen müssen, wenn er einen Unterschied gesehen hätte. 84 Die 9. Auflage von Staudingers BGB-Kommentar (1930) verwendet Zinseszins und Anatocismus als Synonyme: "Der § (248 BGB) enthält ein beschränktes Verbot der Vereinbarung von Zinseszinsen (Anatozismus)" (als Einleitungssatz zur Kommentierung des § 248). Der Münchener Kommentar von 1979 setzt Zinseszinsen und Anatocismus gleich: "Das Verbot, Zinseszinsen zu berechnen, bestand bereits im römischen

3•

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5. Die Berechnung der Zinsen nach Ciceros Provinzialedikt

5.2.1. Zwei Wege, Zinsen zu verzinsen: C. 4, 32,28 pr. Diese zwei Möglichkeiten, Zinsen ihrerseits Zinsen tragen zu lassen, sind in der bereits kurz angesprochenen Konstitution des Kaisers Justinian bezeugt: C. 4, 32, 28 pr.: Ut nulle modo usurae usurarum a debitoribus exigantur, et veteribus quidem legibus constitutum fuerat, sed non perfectissime cautum. si enim usuras in sortem redigere fuerat concessum et totius summae usuras stipulari, quae differentia erat debitoribus, qui85 re vera usurarum usuras exigebantur. Daß Zinseszinsen von den Schuldnern auf keine Art und Weise gefordert werden können, war auch schon in alten Gesetzen bestimmt, aber nicht ganz vollständig abgesichert worden. Wenn es nämlich zugelassen worden war, die Zinsen zum Kapital hinzuzuschlagen und sich von der gesamten Summe Zinsen versprechen zulassen, welcher Unterschied bestand da noch für die Schuldner, denen in Wirklichkeit Zinseszinsen abverlangt wurden. Für den einen Weg der Verzinsung von Zinsen, bei dem fällige Zinsen rechtlich als eigenständiges Kapital (daher anatocismus separatus = getrennt von der Valuta) angesehen und dieses neu verzinst wurde, verwendeten die Griechen86 und Römer seit langem den terminus -r6xot -r6xwv bzw.- ganz parallel- usurae usurarum. Diese antike Ausdrucksweise, bei der zu dem Substantiv der partitive Genetiv tritt, macht ebenso wie das deutsche Wort Zinseszins deutlich, daß die "sekundären" Zinsen auf die "eigentlichen" Zinsen bezogen und ausschließlich nach diesen berechnet wurden, sich also vom ursprünglichen Kapital gelöst haben.

Recht (Verbot des Anatocismus)" (Bd. 2 Bearbeiter: von Maydell Rdn. 1 zu

§ 248).

Ebenso umschreibt der Palandt-Bearbeiter Heinrichs (BGB 40. Aufl. 1980 Anm. 1 zu § 248) den Inhalt des § 248 als "Verbot des sogenannten Anatocismus". Dieter Medicus beschränkt in einem Artikel für den "Kleinen Pauly" (in: Bd. 1 Sp. 334 s. v. Anatocismus) die auch von ihm vertretene Gleichsetzung von Zinseszinsen und Anatocismus auf Cicero: "(Anatocismus): So nennt Cicero den Zinseszins, die Quellen hingegen (!) sprechen von usurae usu-

rarum.

s5 Debitoribus, qui .. usuras exigebantur: Die persönliche Konstruktion mit dem accusativus Graecus = die in Bezug auf die Zinseszinsen "ausgezogen" wurden. 86 Schon bei Aristophanes (in: Hermannus, G.: Aristophanes Nubes (Wolken) edidit cum adnotationibus suis et plerisque J. A. Ernesti, Leipzig 1830) nubes Vers 1156 -r6xot -r6xrov; bei Theophrast Char. 10, 10 gilt Zinseszins als verpönt, da nur ein Knauser -r:6xov Toxou nimmt.

5.3. Anatocismus

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5.2.2. Verbot der usurae usurarum Solche eindeutig als Zinsen von Zinsen ausgewiesenen Geldbeträge zu fordern, war vor Justinian seit langem verboten, wobei der genaue Zeitpunkt, wann die erwähnten veteres leges erlassen wurden, ungeklärt ist. Sicher87 bezeugt ist das Zinseszinsverbot in der Zeit des Spätklassikers Modestinus88 , der zumindest bis 244 n . Chr. lebte, D. 42, 1, 27 (Mod. 1 resp.): Praeses prinvinciae usuras usurarum condemnavit contra Ieges et sacras constitutiones. Eine Konstitution aus dem Jahre 290 n. Chr. (C. 2, 11,20 unter dem Kaiser Diocletian) drohte den usuras usurarum illicite exigentibus die Infamie an. Auch vor einem legislatorischen Verbot der usurae usurarum ergab sich die Unzulässigkeit der Erhebung von Zinseszinsen aus dem Grundgedanken, daß Zinsen nur ein Entgelt für die Nutzung des überlassenen Kapitals darstellen, selbst jedoch keine eigene sors, kein eigenständiges caput sind, das wiederum Früchte in Form von Zinsen abwerfen kann. 5.3. Anatocismus

Dieser Grundsatz drohte aber in Vergessenheit zu geraten, sobald die Zinseszinsen nicht als solche deutlich ausgewiesen wurden, sondern nach einer bestimmten Zeit in das Kapital einbezogen und dadurch als Einzelbetrag nicht mehr erkennbar waren. Diese Möglichkeit, Zinsen in verdeckter Form - nämlich in der neu gebildeten Gesamtsumme versteckt - wiederum Zinsen tragen zu lassen, ist vom Kaiser Justinian daher zu Recht als Umgehung des Verbotes von usurae usurarum angesehen und folgerichtig mit derselben Sanktion belegt worden. Setzt man nun den Inhalt dieser Kaiserkonstitution mit den angeführten vier Passagen über den Anatocismus in den Atticusbriefen in eine Beziehung, so führt dies zu folgender These: Das Hinzuschlagen der fälligen Zinsen zum Kapital zum Zweck der erneuten Verzinsung als Teil des um die Zinsen aufgestockten Grundk apitals wurde zu Ciceros Zeiten Anatocismus genannt. 87 D. 12, 6, 26, 1 (Ulp. 26 ad ed.): Supra duplum autem usurae et usurarum usurae nec in stipulatum deduci nec exigi possunt läßt offen, ob Zinseszinsen bis zum duplum der Valutasumme noch erlaubt waren. Das SC aus dem

Jahre 51 v. Chr., von dem Cicero in dem viel zitierten Brief ad Att. 5, 21, 13 berichtet, betrifft offenbar den Fall der Hinzuschlagung der Zinsen zum Kapital, also nicht usurae usurarum, und ist überdies eine Einzelfallentscheidung, vgl. dazu ausführlicher unter 5.3.3. 88 Wolfgang Kunkel: Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. Aufl. 1967, Graz S. 259- 261.

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5. Die Berechnung der Zinsen nach Ciceros Provinzialedikt

Für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht zunächst der Ausdruck selbst: &.va (= supra = darüber) deutet auf die Erhöhung hin, die das Kapital durch das Hinzuschlagen der Zinsen erfährt. Die Umschreibung des Anatocismus in den Atticusbriefen mit r e n o v a t i o usurarum, faenus in singulos annos r e n o v a tu m zeigt, daß mit dem Anatocismus die Zinsregelung neu gestaltet wird, indem das zu verzinsende Kapital neu festgelegt wird. Die Tatsache, daß neben den schon in der Antike jahrhundertelang geläufigen Ausdruck usurae usurarum ein weiterer terminus technicus tritt, verbietet die Gleichsetzung beider Wege, Zinsen wiederum Zinsen tragen zu lassen, wie dies in der Neuzeit durch die undifferenzierte Verwendung des Oberbegriffs Anatocismus geschah und geschieht89•

5.3.1. Verbot des Anatocismus unter Lucullus Dieser terminus technicus Anatocismus hat sich nicht durchsetzen90 können: Abgesehen von den erwähnten Cicerobriefen findet er sich lediglich in einer Inschrift von Puteoli, CIL 10, 3334 Zeile 30: Sorte cum anatocismo binae centesimae usurae91 • Der Grund für die Ungebräuchlichkeit des Ausdrucks Anatocismus dürfte hauptsächlich darin zu finden sein, daß diese Art des verdeckten Zinseszinsnehmens frühzeitig in Verruf geriet: Das erste uns bekannte Verbot erließ Lucullus in seinem Provinzialedikt für Kleinasien, als er im Jahre 70 v. Chr. 92 in Ephesus vier Maßnahmen gegen die Wucherer erließ: Neben der Bestimmung des Zinsmaximums auf die centesima (12 °/o jährlich)93 , der Begrenzung des Zinsbetrages auf die Kapitalsumme (das duplum) und maximal ein Viertel des Einkommens des Schuldners94, verfügte er: ö öt Toxov xeOWCJ)ELÄEV Ö TC(>O"'{E"'{(>Uf.lf.lFVO; aÜTfl ;can)g llava~ Tcp TOÜ 'AQOLijOLO~ TCUTQL "Q(l